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Redigirt
von
l>i*. H. Potoiiie,
Docenteii der Pilaiizenpalaeontologie an der Kgl. Bergakademie zu Berlin und Geologen
an der Kgl. Preuss. geologischen Landesanstalt.
s^m^-
ACHTER BAND
-^ (Januar bis December 1893).
BERLIN.
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.
Inhalts -Verzeichniss.
Die Original-Abhandlungen, -Mittheilungen und -Abbildungen sind durch die Beifügung der Abkürzung „Orig." gekenn-
zeichnet; ausserdem sind viele Autoren an den Referaten über ihre Arbeiten dadurch betheiligt gewesen, dass sie die
Correcturen gelesen haben.
Seite
Allgemeines niul Verschiedenes.
Aschersoii (siehe Zoologio).
Driesch, Mathematisch- mechanische
Betrachtung morphologischer Pro-
bleme der Biologie 113
Franke, Zum Brunnenunglück in
Sclineitlemühl (Orig.) 341
Friedel, Sechellen Nuss aus d. Spree-
bett (Orig.) . . ._ 378
Hahn, Der Scheich im Nibelungen-
liede 2«
Jordan, Ist die unmittelbare Ge-
dankenühertragung oder mentale
Suggestion erklärbar? (Orig.) . 44, 152
Klein, Anmerkungen zu Jordan's Ar-
tikel über Gedankenübertragung
(Orig.) 45, 162
Lucks, Ursachen des natürlichen Todes
(Orig.) 4.Ö3, 4il0, 503
— , Vererblichkeit erworbener Organ-
Abänderungen (Orig.) 375
Nies, Ueberschätzung der Neigung bei
Böschungen (Orig.) . . ... 287
Angelegenheiten der Naturwissenschaft-
lichen Wochenschrift .... 10. 164
Philosophie.
Dreher, (Jeher den Ursprung und die
Bedeutung d. geometrischen Axiome
(Orig.) 158
Anthropologie.
Aisberg, F ritsch, von Hey den,
Krause und Waldeyer, Rechts-
und Linkshändigkeit .... 423, 424
Ammon, Natürliche Auslese beim
Menschen 542, 553
Bedart, Vererbung einer Missbildung 159
Krause, Megalithische Denkmäler . 425
Liesegang, Die Gehörfarben (Orig.) 359
Merkel, Blumenbach's Schädelsamm-
lung 421
Nehring, Gleichzeitigkeit des Men-
.schen mit der sog. Mammuthfauna
(Orig.) 589
Parizi, Ist der Mensch omnivor, her-
bivor oder carnivor? 141
Ranke, Schwimmhautbildung beim
Menschen 426
Kowald, Das Opfer beim Baubeginn 423
Schuchardt, Neuer deutscher limes 423
Stolpe, Ausgrabungen auf der Karls-
insel 425
Seite
V i r c h o w , Stand der prähist. Forschung
u. Wiege des Menschengeschlechts 422
— , Zwergrassen 425
Waldeyer. Missbildungen am Schädel 425
Wallenberg, Raumvorstellung eines
Blindgeborenen ((_)rig.) 357
W e s t e r m a r c k , Naturgeschichte d.Ehe 330
Wülfling, Untersuchungen über den
kleinsten Gesichtswinkel .... 361
Die Heisterburg 421
Ende der Ca nnstadt- Rasse ... 67. 120
Geburten und Eheschliessungen in
Venezuela 295
Zoologie.
Alcock, Zusammenleben zweier ver-
schiedener Thierarten 536
Ascherson, Die Ziegen mit goldenen
Zähnen und das Goldkraut (Orig.) 121
Binet, Vergleichende Physiologie des
Nervensystems der Coleopteren . . 593
Blanchard, Dasselfliegenlarven Inder
Menschenbaut 377
Brandes, Blattläuse und Honigthau 583
Braun, Künstliche Erzeugung von
Doppel-, Halb- und Zwergbildungen
bei Thieren (Orig. mit Orig.- Abb.) . 265
Bü tschl i , Künstliche Nachahmung der
karyokinetisehen Figur 149
C h o 1 o d k (1 v s k y , Zur Kenntniss der
Coniferen-Läusi' 68
Cotejean und Werner, Selbstver-
stümmelung bei Heuschrecken . . 178
Dareste, E.xperimental-Teratogenie . 386
Dreyer, Physikalische Erklärung v.
Formenverhältnissen organ. Skelett-
bihlungen (Orig. mit Orig.-Nachb.) 225
Dune k er, Maden an Kröten .... 361
Dutczynski, Insectentlug .... 445
Fleischer, Die Eiche als Käferwoh-
nung 295
Gaubert, Autotomie bei Nymphon . 561
Gaule, Der Einfluss des Nervus trige-
minus auf die Hornhaut des Auges 96
Giard, Lamarck's Theorie und die Vi'r-
erbung körperlicher Abänderungen 441
G r a w i t z , Dochmins siehe unter Medicin.
Greef u. Noll, Trichosphaerium Sie-
boldii .548
Haacke, Träger der Vererbung . . 523
Hacker, Bedeutung des Haupt-Nu-
cleolus 451
Hagen, Conservirungsflüssigkeit für
zoologische Präparate (Orig.) . . . 337
Harn a c k , Giftfestigkeit des Igels gegen
Cyankalium (z. Th. Orig.) . . 128, 329
Seite
H e g e m a n n . Geschichte des Walfanges 259
H e n s e n , Einige Ergebnisse d. Plankton-
Expedition 567
His, Aufbau unseies Nervensystems . 520
K e n n el , Verwandtschaftsverhältnisse
der Arthropoden 160
K I e i n s c h m i d t . Wie hält der fliegende
Rauhvogel die Fänge? 537
König, Die Biene als Depeschenträge-
rin verglichen mit der Taube (Orig.) 305
Kükenthal, Pflanzenfressender Del-
phin 274
— Zur Phylogenese der Säugethiere . 205
Kunckel d'Herculais, Farben Wech-
sel der Wanderheuschrecke . . . 241
K u t a g i n , Verwandtschaft der E.skimo-
hunde 188
Lach mann, Süsswasser - Aquarien
(Orig. mit Orig.-Abb.) ..... 78
Loeb, Zur Experimental-Embryologie 460
Ihering, Leydig, Ludwig u. Wag-
ner, Aufenthalt der Afterskorpione 572
Marey, Analyse der Sehwimm-Bewe-
gungen des Rochens. (Mit Orig.-
Nachbild.) 209
Martens, Ueber Schütt's „Analytische
Planktonstudien" (Orig.) .... 158
Mehely, Verbreitung der Kreuzotter. 350
Mülli'r, Im Wasser lebende Raupen . 336
Nagel, Chem. Sinn bei Actinien . . 459
Nehring, Ki'euzungen von wilden und
zahmen Meerschweinchen (Orig ) . 473
— , Neuer Wanderzug des Tannen hähers
(Orig.) 500
— , Raupenfrass an Knieholz des Riesen-
gebirges (Orig.) 445
Noe, Lebenszähigkeit von Skorpionen 593
Petersen, Dichogamie bei Schmetter-
lingen 388
Piokering, Ph3'siol. des embryonalen
Herzens 244
Piette, Equus zur Rennthierzeit . . 178
Poppe, Vorkommen von Mus alexan-
drinus in Vegesack (Orig.) .... 505
Pouchet, Ocean-Sardine 260
Pouchet und Beauregard, Verzeich-
niss über Cetaceen an der franzö-
sischen Küste 171
Preyer, Angebliche Giftfestigkeit des
Igels (Orig.) 255
Ra i 1 1 e t, Krätze b. Kaninchen u. Katzen 242
— , Megnin, Laver an u. Cadiot, Im
Ohr V Säugethieren lebende Milben 27
Rey, Baldamus u. a., Fortpflanzung
des Kuckuck 171
Ridgway, Erblindung von Krähen
durch Kälte (z. Th. Orig.) ... 274
3 8 81.8
IV
Inhalts -Verzcicliniss.
Seite
Rittmeyer, Ueber die Nonne (Liparis
monacha) (Orig. mit Abb.) .... 83
Russ, Freilebende Papageien in der
Mark Brandenburg {z. Th. Orig.) . 58
Scbmidt, Mitbewohner von Ameisen-
baiiten 426
Schulze, System der Hvalonomatiden
414, 427
— , Zur Bezeichnung der Lage u. Ricli-
tung im Thierlvörper 188
Seitz, Zur Mimicry 459
S tru b e 11 , Entwickelungsgeschichte der
Pedipalpen 129
Thomas, Fischfressende Nagethiere . 274
Verhöff, Staehelapparate d. Insekten-
puppen 323
Verworn, Physiologische Bedeutung
des Zellkerns 485
Voigt, Fortpflanzung v.Planariaalpina 27
Vosseier, Biol. Mitth. über Orthopt.
aus Oran 472
W e s t h o f f , Geschlechtsreife Larven bei
unseren Lurchen 89!)
Wiese's Conservirungsflüssigkeit . . 337
Ziemer, Stellung der Raubvögel-
Fänge beim Fluge 336
Bison-Ausrottung 561
Material der essbaren indischen Vogel-
nester 39
Neuseeländische Vögel 274
Schmetterlingsinvasion 242
Botanik.
Ascherson sielie Zoologie.
Baenitz, Herbarium Europaeum 10, 525
Binz, Ueber StJirkekörner 204
Eggers, In der Heimath des Caeao
(Orig.) 51
Engler, Das natürl. Pflanzensystem . 31
Fauvelle, Transformation der Pflan-
zenwelt (mit 1 Schema) ..... 417
Frank, Assimilation des Stickstoffs . 296
Giard, Neue Gattung der Laboul-
beniaeeae 209
Giesenhagen, Hexenbesen an Farn
und hygrophyle Farne 204
Graebner, Das Reifen der Früchte
und Samen frühzeitig von der Mutter-
pflanze getrennter BlUthenstiinde
(Orig.) 581, 596
Haberlan dt. Anatomisch -physiologi-
sche Untersuchungen über das tro-
pische Laubblatt 179
— , Die Mangrove (mit Abb.) .... 577
Hennings, Algenflora des Müggelsees
(Orig.) 81
Hock, Kosmopolitische Pflanzen (Orig.) 135
Kayser, Entwickelung der Samen-
decken bei den Eupliorbiaceen . . 27
Keller, Myrniecophile Akazien. . . 8(il
Klebs, Fortpflanzung der Vaucheria
sessilis 381
Kuntze, Botanische Excursion durch
die Pampas und Monte-Formationen
nach den Cordilleren (Orig.) 4, 90,
214.'^ 264, 327, 575
Kurtz, Berichtigung zu Kuntze's Auf-
satz (Orig.) ..... 214, 327, 551
Loesener, Zur Verbreitung, Biologie
und Geschichte von Ilex Aqui-
folium L. (Orig.) 15, 50
Loew, Anfänge epiphyt. Lebensw. b.
Gefässpfl. Norddeutschi. (z. Theil
Orig.) 210
Möller, Pilzgärten von Ameisen . . 247
Nägeli, Oligodynamische Erschein, in
lebenden Zellen ... .... 455
Nawaschin, Betuhi ebenfalls chala-
zogam (mit Orig.-Nachb.) .... 142
— , Die ,.Mikrosporangien" d. Torfmoose 295
Neil, Einfl. d. Phosphat-Ernährung auf
Pflanzen (Orig.) " . . 181
Seife
Otto. Einfluss von Lvsol auf Pflanzen
(Orig) . . . . " 68, 181
— , Aufnahme und Speicherung von
Kupfer durch die Pfanzenwurzel
(Orig.) 565
Pfeffer, Reizbarkeit der Pflanzen . 533
Potonie, Das natürl. Pflanzensystem
Engler's und Treub's Unters, zur
syst. Stellung von Casuarina (< >rig.
mit Orig.-Nachb.) ...... 31
— , Was sind Blumen? (Orig. m. z. Th.
Orig.-Abb.) 195
— , Der Begriff der Blüthe (Orig. mit
Orig.-Abb.) 517, 584
Pouchet, Neue schwimmende Meeres-
alge 161
— , Pelagische Flora des Naalsoefjords
und des Dyrefjords 286
Prantl, System der Farne .... 150
Seh midie. Algen des Schwarzwaldes
und der Rheinebene 451
Schorler, Schinetterlingsfang durch
Drosera rotundifolia (Orig.) ... 38
Seh weinf urt h, Balsam und Myrrhe. 547
Solms - Laub ach, Geschichtlielier
Rückblick auf die Botanische Zei-
tung 90
Stahl, Regenfall und Blattgestalt (mit
Orig.-Nachb.) ......... 284
Stoney, Energiequellen der Bacterien 537
Ta u b e r t , Vorkommen einer Gleditschia
in Süd-Amerika (Orig.) 161
Tavel, Wirth Wechsel der Rostpilzo . 350
Thomae, Bildung der Eiweisskörper
(Orig.) 469
— , MyrmekophiliedesAdlerfarns(Orig.) 524
Tre a b, Untersuchungen über Casuarina
(mit Orig.-Nachb.) 31
Williams, Jlonographie von Dianthus 244
Wollnj-, Elektrische Culturversuche 472
Zoobel und Mikosch, Function der
Grannen der Gerste .... 223. 348
Botanisches Laboratorium in Florida . 474
Palaeontologie.
Buschan, Die tertiären Primaten und
der fossile Mensch in Südamerika
(Orig.) .-.••• 1
Conwentz, Wasserniiss fossil in West-
preussen (Orig'.) ...... 337, 362
Cope, Fos,siler SchlangenGiftz.-ihn . 388
Friedel, Reecnte Steinnüsse als ver-
meintliche Fossilien (Orig.) . . . 378
G ü n t h e r, Palaeontologie und physische
Geographie 556
Lesquereux, Florader Dakota-Gruppe 438
N e h r i n g , Ueber die Tundren-, Steppen-
und Waldfiuina aus der Grotte „zum
Schweizerbild" bei Schaffhausen
(Orig.) 91
Pavlow, Rhinozeriden 254
Potonie, Folliculites eine fossile Ana-
cardiaccen-Gattung (Orig.) .... 58
— , Stigmaria - Erhaltungsweise als Be-
weis für die Autochthonie von Car-
boupflanzen 312
— , Recente Steinnüsse als vermeiuriiclie
Fossilien (Orig.) ........ 337
— , Eine Psilotacee des Rothliegenden
(Orig. mit Orig.-Abb.) 343
— , Folliculites (mit Orig.-Nachb. und
Orig.-Abb.) 395
— , Volumen-Reduction beiUmwandlung
von Pflanzenmaterial in Steinkohle 485
— , Blattformen fossilm- Pflanzen in Be-
ziehung zu den Niederschlägen
(Orig.) ... 513
Rohon, Ein mesozoischer Fisch vom
Altai- 87
Stirling. Diprotodon-Skelette ... 286
Weber, Vegetation des diluvialen Torf-
lagers bei Klinge 398
Seite
Weberbauer. Brasenia Victoria . . 398
W h i t e f i e 1 d , Gastropoda und Cepha-
lopoda aus Kreide und Tertiär von
New Jersey 439
Zeiller, Williamson und Potonie,
Ueber die Sphenophyllaceen (z. Th.
Orig., mit Orig.-Nachb.) 219
Zimmermann, Dictyodora Liebeana
eine räthselhafte Versteinerung (Orig.
mit z. Th. Orig.-Abb.) 1.55
Z i 1 1 e 1 , Geologische Entwickelung, Her-
kunft und Verbreitung der Säuge-
thiere . 501
Mineralogie imd Geologie.
Berendt, Der Gletschergarton auf
dem Adlerfels in Schreiberhau im
Riesengebirge (mit 3 Abb.) . . . 165
— , Südbaltische Endmoräne .... 412
Brackebusch, Geologische Karte von
Mittel Argentinien 412, 446
C r e d n e r , K e i 1 h a c k , N e h r i n g , P o -
tonie. Wahnschaffe, Weber
und Weberbauer, Neuere Unter-
suchungen über das diluviale Torf-
lager bei Klinge unweit Kottbus (mit
z.'Th. Orig.-Abb.) 393
Endriss, Fr aas und Gussmann,
Höhlen der scliwäbischen Alb (mit
Orig.-Nachb.) 429
Franke, Zur Sidineidemühler Brunnen-
kalamität (Orig.) .288
Gottsche, Südl)altische Endmoräne in
Schleswig-Holstein .412
G r e b e , H a u c h e c o r n e und P o t o n i e ,
Devon-Kohle in der Eifel .... 221
Hague, Eureka-District 439
Herr m a n n , Culmgebict von Lenzkirch 450
.Jaeger, Eiszeit im Reicheidialler Thal 364
Keil hack, Wanderdünen in Pommern 413
K 1 o c k m a n n , Lagerungsverhältnisse
des Ranimelsberges 412
Koch, Tektonische Verhältnisse des
Oberharzer Diabaszuges . . .413, 446
Laspeyres, Beyrichit 29
Lepsius, Geologische Karte von Attika 412
— Moränen im Taunus und Odenwald 413
Meyer, Georg", Die Geologie, eine Lehr-
meisterin des 19. Jahrhunderts (Orig.) 61
Meyer, Rieh. Jos., Künstliche Dar-
stellung der Diamanten (Orig.) . . 245
Moissan, Künstlich» Darstellung der
Diamanten 245
Munster, Gold und Silber im Meeres-
wasser 800
Nios, Münznietalle und Ausbeute-
münzen 275
Pfaff, Geologie aus dem badischen
Oberland 451
Rinne, Verhalten der Zeolithe beim
Erwärmen 399
Sieiniradzki, Zur Geologie von Nonl-
Patagonien 299
Stelz ner, Obsidianbombeu aus Austra-
lien 411
Supan, Erdbebenstatistik in Japan . 161
Thomson, Mitwirkung der atmosphä-
rischen Niederschläge bei der Ge-
staltung des festen Landes . . . 210
Wich mann, Ausbruch des Bunung
Awu 413
— , Obsidia.nbondien von Biliton . . . 412
Geologie des Harzes 413
Physik.
Bar US, Die bei der Condensation von
Wassordampf auftretenden Farben . 222
Blondlot, Elektromagnetische Wellen 131
Iiilialts -Verzeicliniss.
V
Fiel)elkorn, Dichte Jer Erdo (Orif;.)
Kelvin, Geschwindigkeit des Crool<e'
seilen Kafliodi'Hsti'ömes
Kronl)e rg, BestimnunigderMolecnlar-
grösse aus dem Verdunstungsvermö-
gen (Orig.) _ . . . .
P r e s t o n , Sehwerlvraftsbestinimungen
auf den Sandwichinseln
Schmidt, Strömen von Flüssigkeit
(Orig. mit Orig.-Abb.)
Seite
281
190
130
313
235
Matliematlk.
Eckardt, Triseetionszirkel (Orig. mit
Orig.-Abb.) 275
Schubert, Mathematische Spielereien
in kritischer und historischer Be-
leuchtung. V. Zwei Dinge zu ratlien.
die in angegebenen Reihen liegen
(Orig.) . .^ 34
— , Dasselbe. VI. Ueber magische Qua-
drate (Orig.) 215
— , Dasselbe. VII. Boss -Puzzle -Spiel
(Orig.) 3G9
— , Dasselbe. VIII. Das Nonnen-Spiel
_ (Orig.) 477
Eine algebraische Aufgabe und ihre
Lösungen 437
Astronomie.
Belopolsky, Ueber /iLyrae . . . i), .549
Bredichin, Bieliden 190
Brooks, Neuer Komet 549
Duner, Veränderlicher Stern Y-Cygni 261
Fleming, Neuer Stern . . . . ". . 5G2
Friedrichs, Kurze Darstellung einer
Hypothese überSonnenflecken (<!>rig.
mit Orig.-Abb.) 55
Glasenapp, Doppelsternbahnen . . 143
Knopf, Schmidt'sche Sonnentheorie . 233
Lockyer, Spectra hellerer Sterne. . 288
Markuse und Preston, Schwankun-
gen der Polhöhe 8
Niessei, Aufsteigender Meteor . . . 261
S chaeb er lo, Planet Mars 151
Tisserand, LTober die Rotation der
grossen Planeten 250
Wein eck, Bericht über die Thätigkeit
der k. k. Sternwarte zu Prag 1892
(Orig.) . 175
Wolf, Photographien kleiner Planeten
und Sternschnuppen 261
Andromediden-Beoiiachtungen .... 1U7
Jupiter . 39
Komet Holmes 48, 69, 88
Meteorologie.
Elster und G eitel, Elmsfeuer-Beob-
achtungen
H ellnian n , Niederschlagsbeobachtun-
tungen in Preussen
Hildebrand H il debran dsson. Die
kritischen Tage des Herrn Falb 270,
Koebke, Bedeutung wissenschaftlicher
Ballonfalu-ten (Orig. mit (_)rig.-Abb.)
Rotch und Janssen, Arbeiten zur
Errichtung eines r)bservatoriums auf
dem Montblanc (mit Orig.-Nachb.) .
Sohncke, Wissenschaftliche Luftfahr-
ten
Chemie.
Bihal und Desyignes, Asbolin . .
Bischoffund Waiden, Anilide und
Toluide in zwei Modificationen . .
Carnot, Prüfung der Manganoxyde .
Engler und Loew. Organisehe Säu-
ren und Esther bei höherer Tem-
peratur
260
350
303
529
150
233
38
389
460
378
Engler und Fischer, Paraffin und
Schmieröl im Fischtliran
Hesse, Zur Kenntniss der Solanaceen-
Alkaloide
Jaonsch, Zn Spiegel's Aufsatz Natur
der chemischen Elemente (Orig.)
Jaffe, Apparat zur Destillation mit
überhitzten Wasaerdämpfen . . .
Jahns, Betain und Cliolin im Wurm-
samen
Liebermann, Synthese der AUo-
Zimmetsäure
Michel, Künstliche Darstellung des
Granats (Melanits) und des Titanits
M i 1 1 e r und P 1 o e c h 1 , Amido.xy Isäuren
P o t i 1 i t z i n , Halbhydrat dos Calcium-
sulfats
Richardt, Atomgewicht des Kupfers
Sammler, Campherarten
Smith & Co., Xanthalin, ein neues
Alkaloid des Opiums
Spiegel, Jodoso- und Jodo- Verbin-
dungen, .lodstickstoff und Stick-
stofl'wasserstoffsäure (Orig.) . 548,
— , Natur der chemischen Elemente
(Orig.) . . . . _.
Wiesner, Mikroskopischer Nachweis
der Kohle in den verschiedenen
Formen
Geographie und Verwandtes.
Buwernnd Thorold, Durclikreuzung
von Tibet
Bau mann, Ueber die Nilquollen . .
Comstock, Stand des Breitenproblenis
Dinglage, Treibeis in südl. Breiten
V. Drygalski, Rolle des Wassers bei
Bewegung von Eismassen ....
Eggers, siehe Botanik.
Hassert, Reisen in Montenegro (mit
Orig.-Nachbild.)
H e 1 1 ni an n , Columbus- Feierlichkeiten
von 1892 in Genua, Huelva und
Madrid
Kling und Büttner, Hinterland von
Togo. . . . . .
Kuntze, siehe Botanik.
M a i s t r e , Vom Congo zum Benue niger
Mascart, TäglicheSchwankungen der
Schwerkraft
Neu m ay e r , Die Entdeckung Amerikas,
ein Wendepunkt in dem Verkehr
der Völker
Pechuel - Loesche . Polarregionen
und Eisliildung (z. Th. Orig.). • ■
Regel, Der 10 Geograpbentag (Orig.)
Sievers, Die Umrisse von Asien (mit
Abb.) .- • • •
Wislicenus, Forschungsreise der
„Manche"
Gesellschaftsreise nach Spitzbergen. .
Nansen's Nordpolexpedition . 7, 277,
Neue Seekanäle
Reisen, wissenschaftliche, Expeditionen
277, 301, 314, 402, 415, 450, 460, 515,
Seite
389
88
44G
182
399
399
!29
426
538
221
221
473
594
293
Unterricht.
Un-
H a r m s , Naturwissenschaftlicher
ti'rriclit auf den Schulen ....
Bergschule in Ivkutzk
Gruppe .Unterricht und Erzicdiung"
der Berliner Gewerbeausstellung 1896
Unterrichtskurse in Jena
349
364
142
561
234
593
256
97
363
864
161
86
188
185
63
323
262
325
234
550
346
353
515
262
Seite
Medizin, Hygiene und Verwandtes.
Behring, Blutserumtherapie .... (i
Brieger, Fränkel, Lassar und Lit-
t hau er. Zu Liebreich's Vortrag
über den Werth der Cholerabacterien-
Untersuchung 334
Bunge, Assimilation des Eisens und
therapeutische Wirkung der Eisen-
präparate
Ebstein, Aleuronat
F^mmerich, Choleragift
Grawitz, Vorkommen von Dochmius
duodenalis bei Berlin
Guttmann, Metylenblau als Heil-
mittel der Malaria
H u e p p e , Ursachen der Gährungen und
Infectionskrankheiton
Jaeger, Bacteriologische Diagnose
und ihre Anfeindung
Kobert, Giftstoffe der Flechten . .
Koch, Die Cholera 1892-1893 . ^ .
Krebs, Internationale Uebereinkunft
in der Cholera - Frage (Orig. mit
Orig.-Karte)
Kusmin, Fall von Leberhernie . . .
Liebreich. Werth der Cholerabac-
terien-Untersuchung . . . .319,
Lorenz, Uebertragung der Aphthen-
Seuche
Miyako u. Scriba, Neuer mensch-
licher Parasit
Nowaek, Symbiose und Kampf der
Mikrobien
Pettenkofer, Cholera von 1892 in
Hamburg
Pflüger, Neues Grundgesetz der Er-
nährung und die Quelle der Muskel-
kraft
Ponfick u. Jacobasch, Ist die Mor-
chel giftig?
Rauer, 'Giftigkeit der Expirationsluft
Schaefer, Die Chemotaxis der Leuco-
cyten (Orig.)
— , Die Rosenbach'sche Seekrankheits-
Theorie (Orig.)
Schaefer, Sonnenstich und Hitzschlag
Or"
348
259
472
457
96
496
345
388
406
317
593
335
295
177
.572
232
(<-
:•)
Schenck. Bedeutung der Rheinvege-
tation für die Selbstreinigung des
Rheines
Schiess u. Kartulis, Behandlung
von Tuberculosen mit Tuberculin .
Schmalz, Wiederkäuende Menschen .
Schütz, Die erworbene Immunität .
Strümpell, Entstehung und Heilung
von Krankheiten durch A^orstel-
lungen
— , Alkoholfrage
U f f e 1 m a n n u. H u e p p e , Zur Biologie
des Cholera-Bacillus
Uf fei mann. Lebenbegünstigeude Be-
dingungen für Cholera-Bacillen . .
Woliff liiisel , Lehre vom Luftwechsel
39
202
434
145
308
405
352
570
560
309
35
507
433
548
Landwirthschaft und A erwandtes.
Eggers, siehe unter Botanik.
Oh mann, Verwüstungen der Heu-
Ara:entinieu
Schreckenlarven
(Orig.)
178
Rittmeyer, die Nonne (Orig. mit Abb.) 83
Werner, Eine Reise zur Weltausstel-
lung nach Chicago (Orig.) .... 465
Mäuse Vertilgung mittelst Tvphusbacillus
273, 361, 561
Zuckerrolir-Cultur-Versuchs-Station . . 390
Teehnili und Instrunientenkunde.
H äpke, Selbstentzündung von Scldffs-
ladungen 447
Nieser, Apparat zur photographischen
Darstellung schwach - vergrösserter
Präparate (mit Abb.) 401
Oliver, Sonnenuhr für mittlere Zeit
(mit Abb.) . 118
Ransome, Hi-rstellung künstlicher
Steine 234
VI
Inhalts- Verzeichniss.
Seite
Recklin ghausen, Queeksilberther-
mometer für Temperaturen bis
500 Gr. C 389
Spolin, Färbe Vorgang 248
Füll-Federhalter 587
Lehmbeck u. Mecke's selbstthätige Spi-
ritus-Gebläse (mit Orig.-Abb.) . . 487
Lephay-Compass -86
Photographischer Apparat 551
Biograpliieen, Necrologe,
Personalien.
Asche rson, Chr. K. Sprengel als
Florist und als Frncht-Biolog (Orig.) 140
Gutzmer, Leopold Kronecker (Oiig.) 591
Kirchner, Christian Konrad Sprengel,
der Begründer der modernen Blumen-
theorie (Orig.) 101
Mittmann, Material zu einer Biogra-
phie Christian Konrad Sprengel's
(Orig.) . 124
Potonie, Kützing als Vorgänger Dar-
win's (z. Th. Orig.) 432
Arago-Denkmal 2'(7
Cassini-Statue 3.38
Chappe-Denkmal 353
Chevreul-Statue 538
Emin Pascha 300, 52.5
Humboldt, A. v., Notiz über .... 431)
Jnaudi, der Rechner 6
Lossen, K. A., ■(" 113
Pasteur's 70. Geburtstag 48
Personalien, kurze Angaben von Er-
nennungen, Jubiläen, Todesfällen,
Versetzungen u. dgl. 9, 17, 29, 39,
48, 59. 70, 77, 88, 99, 108, 1 19, 131, 143,
152, 162, 173, 183, 191, 204,213,223,
233, 242, 253. 2151,277,290,300,313,
325, 338, 353, 365, 378, 390, 402. 414,
426, 437, 4-iO, 460, 474, 488. .502, 515,
- 525, 538, 549, 562, 572, 585, 594.
Semmelweis-Denkmal ....... o25
Siemens, Werner von, f (mit Porträt) 19
Yereinswesen, Museen etc.
Anthropologen-Congress, 24. deutscher 421
Ausstellungen 291, 378, 515
Baeteriologischos Institut 378
Biologische Stationen 366, 378
Congi-esse. Wis.senschaftliche Versamm-
lungen 50. 99, 108. 131, 143, 153, 162,
191, 204, 213, 223, 242, 253, 262, 277,
290, 301, 314, 325, 3H8, 353, 365, 378,
402, 415, 421, 437, 515, 585.
Gartenbau-Versammlung, internationale 525
Kakteenfreuude 9
Museum in Praetoria 525
Preis- Aufgaben 365, 390, 415
Stipendien 119
Versammlung, i40.) der Deutschen geo-
logischen Gesellschaft 411
Versammlung der Gesellschaft Deut-
scher Naturforscher und Aerzte 325, 496
Litteratur.
Acloque, Les Champignons .... 173
— , Les Liehens 402
Ammon, Natürl. Auslese bei Menschen 460
Andree, Handatlas 193
Arndt, Biologische Studien .... 291
Arndt, Kraft und auslösende Kraft . 264
Arnold, Rep. der Chemie .... 391
Bach, Studium und Lesefrüchte aus
dem Buche der Natur 131
Bail, Leitfaden der Zoologie .... 164
Bartels, Medicin der Naturvölker (mit
Abb.) 573
S.-ite
B a r u 8 , Phys. Behandlung und Messung
hoher Temperaturen 379
— , Compressibility of liquids .... 490
— , Mccanism sol. viscosity .... 490
— , Volume thermodyn. liquids . . . 490
I Beck, Flora von Nieder-Oesterreich . 402
Bergemann, Anthropologie .... 353
Berghaus, Physikal. Atlas .... 89
Berteis, Erdöl, Schlammvulkane und
Steinkohle 427
Berzelius, Verbindungs Verhältnisse d.
unorgan. Bestandtheile der Natur . 253
Betti, Mathem. Schriften .... 89
V. Bezold, Meteorolog. Institut 1892 .596
Biedermann, Tintinnen-Gehäuse . 301
Binet, Seelenleben der kleinsten Lebe-
wesen 89
Blum u. .lännicke, Botan. Führer
durch Frankfurt a. M 163
du Bois-Reymond, Maupertuis . . 427
Börner, Lehrbuch der Physik . . . 133
Boltzmann. Vorles. über Maxwell's
Theorie d. Elektricität u. d. Lichtes 79
Boys, Seifenblasen 253
Brathuhn, Katechismus der Mark-
scheidekunst 277
Brehm's Thierleben 119, 132, 192, 338, 562
Breslich u. Koepert, Bilder aus dem
Thier- und Pflanzenreich 5-50
Breuer. Verschiedene Schriften mathe-
matischen Inhalts 70
Brinkmann, Naturbilder 415
Brockhaus' Conversations -Le.xikon
119, 253, 426
Brücke, C u m m i n g , H e 1 m h o 1 1 z ,
Ruete, Augenleuchten und Augen-
spiegel 415
Buchheister, Bergsteigen .... 163
Buckmann, Vererbungsgesetz . . . 595
Bunsen, Unters, üb. die Kakodylreihe 78
— u. Roscoe, Photochemische Unter-
suchungen 338
Buschbaum, Flora von Osnabrück . 402
de Candolle, Darwin 402
Cannizzaro, Lehrgang der theoreti-
schen Chemie 79
Clark, Eoceno 489
Clarke, Rep. work. div. ehem. physics 490
Carnot, Betrachtungen über Kraft des
Feuers 663
Coupin, L'aquarium d'eau douce . . 403
Dali u. Harris, Neocene 489
Darton, Rec. N. Am. geol 490
Darwin, Reise eines Naturforschers . 301
David u. Scolik, Photogr. Notiz und
Nachschlagebuch 133
Dölter, Edelsteinkunde 263
Dreher, Materialismus 108
Dreyer, Ziele und Wege biologischer
Forschung 17
Ebeling, Einf i. d.Kartenverständniss 163
— , Leitf. der Chemie für Realschulen 461
Eck, Geogn. Beschreibung der Gegend
von Baden-Baden, Rotbenfels u. s. w. 109
Eckstein, Berieht überLeistungen der
For.-=t- und Jagdzoologie . . 243, 574
— , Insoctenschaden im Walde . . . 253
Ed er, Recepte und Tabellen für Photo-
graphie 18
Eisner, Praxis des Chemikers . . . 213
Engelmann, Ursprung d.Muskelki-aft .538
Engler u. Prantl, Natürl Pflanzen-
familien 110, 164, 214, 315, 415. 488, 539
Esser, Bekämpfung parasit. Pflanzen-
krankheiten 143
Falsan, Alpes fran^aises 253
Farwick, Nützliche Vogflarten . . 527
Ferrier, Catal. stratip-af Coli. . . . 596
Fickel, Litteratur über die Thierwelt
von Sachsen 204
Fletscher, The optical indicatrix . 79
Foussereau, Polarisation rot., re-
flexion et refraction vitreuse . . . 303
Fraas, Scenerie der Alpen .... 314
Frank, Lehrbuch der Botanik . 224, 390
Seite
Fürst, Deutschlands nützliche u. schäd-
liche Vögel 183
Gad u. Heymanns, Physiologie . . 354
Gand e r, Erdschichten u. Erdgeschichte 132
Gorland, Geschichte der Physik . . 133
G 1 0 y, Siedelungskunde Nord-Albingiens 163
Graber, Zoologie 183
Gravelius, Lehrbuch d. höh. Analj'sis 562
Gross, Aesthetik 213
Groth, Tabelle der 32 Abtheilungen
der Krystallformen 99
Gucrin, Traite prat. d'anal. ehim. . 461
Gutzmer, Ueber gew. partielle Dif-
ferentialgleichungen höh. Ordnung . 144
Haas. Kat. der Geologie 277
— , Sturm- u. Drang-Periode der Erde 391
Haase, Atmosph. Elektricität . . . 379
Haberlandt, Botan. Tropenreise . . 538
Haeckel, Monismus 191
Haenle, Chemie des Honigs .... 291
Hagen, Antike Gesundheitspflege . . 213
Hamann, Entwickelungslehre u. Dar-
winismus 39
Hammer, Zeitbest. ohne Instrumente 502
Hampe, Tafel z. qualit. ehem. Analyse 550
Hansen, Rep. der Botanik .... 144
H a s b o r d t u. F i s c h e r , Mach's Gnind-
riss der Physik 391
Heiden, Düngerlehre und Statik des
Landbaus 302
Helmholtz. Physiologische Optik . 18
Hering, Hygienisches über den Staub 143
Hertwig, 0., Aeltere und neuere Ent-
wickelungstheorien 415
— , O., Lehrbuch der Entwickelungs-
geschichte 488
-, O., Zelle und Gewebe 427
— , O., Lehrbuch der Zoologie . . . 502
Herz, Untersuchungen über Wärme
und Fieber 587
Heussi, Physik 120
Heydweiller. Elektrische Messungen 339
Hise, Archean and Algonkian . . . 489
Hock, Nadelwaldfläche Norddeutschi. 193
Hoernes, Erdbebenkunde 278
Ho ff mann, Catal. of min., rocks etc. 596
Holden, Californian earthquakes . . 490
Holfert, Ai-zneimittelnamen .... 213
Hdvestadt, Lehrbuch der absoluten
Maasse und Dimensionen der physi-
kalischen Grössen 89
Huxley. Physiologie 460
Jaensch, Aus Urdas Boiii . . 17, 133
Janusehke, Aotherdruck als einheit-
liche Naturkraft 391
Jentzsch, Führer durch d. geologische
Sammlung des Provinzial-Museums
von Königsberg 291
Kays er, Lehrbuch der Geologie . . 438
Keller, Alpenthiere 366
Kenne 1, Zoologie 595
Kessler, Ausbreitung der Reblaus-
krankheit 17
Klimpert, Lehrbuch der Bewegung
flüssiger Körper 89
K 1 i n g g r a e ff, Leber- und Laub-Moose
West- und Ost-Preussens .... 173
Klockmann, Lehrbuch d. Mineralogie 40
Klunzinger, Bodenseetische . . . 262
Knuth, Geschichte der Botanik in
Schleswig-Holstein 29
Koehne, Dendrologie 302
Kölreuter, Vorl. Nachr. von einigen
das Geschlecht der Pflanzen be-
treffenden Versuchen 539
König, Beiträge zur Physiologie der
Sinnesorgane in Neudrucken . . . 415
Koepert, Der Star 132
Koerber u. Spies, Physik .... 596
Kolbe, B., Einführung in die Elek-
tricitätslehre 244
— , H. J., Einführung in die Kenntniss
der Insecten 474
Kraft, Geometrisches Calcül . . . . 461
Inhalts -Verzeiclniiss.
VIT
Seite
K ra u s e , E r n s t H. L., Mecklenburgische
Flora 550
— , Ernst, 1. Tuisko - Land, 2. Die
Troja-Burgen Nordeiirojtas . . . 585
Krüger, Catalog der färb. Sterne . . 563
Kriiss, Methode der Analyse . . . 244
L a c r o i X - D a n 1 i a r d , Poil des aniinaux
et les fouriures 99
Lainer, Laboratoriumsarbeiten ... 40
Laisant, Geometrie analytique ä 2 di-
mensions 133
Lambert, Photometrie 502
Langer, Psychophys. Streitfragen . 427
Lassar, O, Gesundheitsschädl. Trag-
weite der Pros^titution 163
— , S., Das künstlerische Berlin ... S9
Lavoisier ii. Laplaee, Abhandlung
über Wärme 438
Lefevre, Les races et les langues . 291
Lepsius, Geologie von Deutschland . 243
Liebig, Constitution der organischen
Säuren 77
Loeb, Untersuchungen zur physiologi-
schen Morphologie der Thiere, II. . 314
Loinmel, Exjierimentalphysik ... 415
Looss, Schmarotzer 366
Ludwig, Lehrbuch der niederen Kryp-
togamen 10
Lunn u. Trüg, Die menschl. Stimme 183
Mach, siehe Harbordt u. Fischer.
Mantegazza, Die Hygiene der inneren
Organe 163
Marey, Chronophotogi-aphie .... 488
Martin, Das Vogelhaus 262
Massee, Mongr. of the Myogastres . 30
Mayer, Kleinere Schriften und Briefe 474
— , "Mechanik der Wärme 278
Meehsner, Karte des deutschen Ster-
nenhimmels 278
Michaelis, Deutsche Giftpflanzen . . 367
Möller, Pilzgärten südamei'ikanisfher
Ameisen 437
Moll, Der Eapport in der "Hvpnose . 119
Müller u. Pilling, Schulflora ... 183
Müller, C, u. Potonie, Botanik. . 9
— , F., Zeittafeln zur Geschichte der
Mathematik, Physik und Astronomie 120
— , J., Gamophagie 192
Mulertt, Der Goldfisch 143
Munk, Physiologie 427
Nagel, Niedere Sinne der Insecten . 461
Neu mann, C., Beitrag zur mathema-
tischen Physik 403
— , K., Aus Liel)e etc. der Vogehvelt . 474
— , L., Volksdichte in Baden .... 302
Nord au, Entartung 301
Ost, Technische Chemie 403
O s t w a 1 d ' s Classiker d. exacten Wissen-
schaften 77
Oudemann's Rev. des Champignons 415
Palaz, Photometrie industrielle . . IS
Pasteur, Assymetrie bei natürlich vor-
kommenden organischen Verbind. . 78
— , Die in der Atmosphäre vorhande-
nen Organ. Körperchen, Prüfung der
Lehre von der Urzeugung .... 163
Peip, Taschenatlas von Berlin u. Um-
gebung 263
Pernter, Falbs kritische Tage . . 144
Peter, Wandtafel zur Syst., Morph. .
u. Biol. der Pflanzen 193
Peters, Mineralogie 291
Pick, Grundl. der astron. Geographie 475
Pilling, Botanischer Unterricht . . 183
Pizzighelli, Anleit. z. Photographie 503
— , Handbuch der Photographie ... 60
Poincar6.Le(j. s. 1. th^or. de l'elastieite 50
Potoni6, siehe Müller.
Rawitz, Vergl. Anatomie 253
Ranke, Der Mensch 595
Regel, Thüringen 59
Reh fisch, Selbstmord 4,50
Rey , Aus dem Haushalte des Kuckucks 223
Richter, Ausbrüche des Vernagt- und
Gurglergletschers 173
Seite
Romanes, Geistige Entwickel. i.Thiei--
reich 10
— , Geistige Entwickel. beim Mensehen 587
Roscoe, Chemie 291
Rulil, Palaeaict. Grossschmetterlinge 474
Runge, Ridir-Steinkohlenbecken . . 193
Russ, Wellensittig 35t
Rüssel, The Newark Syst 489
Sachs, Gesammelte Abb. über Pflanzen-
Physiologie 143. 223
Samt er. Der hohe Sonnblick . . . 183
Sarrazin, Karte zur Darstellung der
Hagelstatistik 587
Schenk, Biologie und Anatomie der
Lianen 243
Schroeter, Taschenflora der Alpen 277
Schutt, Analyt. Plankton-Studien . 153
Schütte, Tuchelcr Haide 595
Schnitze, Fr., Hypnotismus .... 4.50
Schulze, E., u. B 0 rch erd ing, Fauna
saxonica; Amph. et. Rept 461
— , M., Orchidac. Deutschlands . . . 353
S e h u r t z , Katecliismus derVölkerkunde 277
Send der,, Insects tert 490
Sicard, Evolution sexuelle de l'esp.
liiimaine 183
Simon, Verkehrsstrassen in Sachsen. 327
Sohne ke, Physikalisclie Vorträge . 213
Sprengel, Entd. Geheimn. der Natur 354
St erneck, Die Schwerkraft in den
Alpen 109
S trassburger, Histol. Beiträge . .391
— , Kl. botan. Practicum 502
Strobel, Namensregister zu Wiedem.
Annalen 244
Tannery u. Molk, Elem. d. la theor.
des fonct. ellipt 264
Taschenberg, Zoologie 89
Tavel, Vergl. Morph, der Pilze . . 60
Titus, Sternenzelt 550
Topinard, L'homme dans la Nature 291
Trinius, Alldeutschland in Wort und
Bild 79, 261, 550
Trouessart, Geographische Verbreit.
der Thiere 131
Vi olle, Physik: Mechanik der flüssigen
u. gasförmigen Körper 303
Virchow, Lernen und Forschen . . 29
Volkmanu, Theorie des Lichtes . . HO
Walt her, Binomie des Meeres . . . 367
— , Meereskunde 367
Was er, Kaninchenzucht 262
Weismann, Keimplasma 390
— , Kontinuität des Keiniplasmas . . 109
W e s t e r m a r c k , Geschichte d. menschl.
Ehe 338
White, Cretaceous 489
Wiedemann, Elektricität .... 438
Wilhelmy, Das Gesetz, nach welehem
die Entwickelung der Säuren auf den
Rohrzucker stattfindet 78
Wilke, Leitfaden der Chemie und
Mineralogie 475
Winkel mann, Moosflora von Stettin 214
W o 1 f - H a r n i e r , Naturgeschichtliche
Charakterbilder 253
Woljiert, Luftprüfungsmethode auf
Kohlensäure 143
Wünsche, Alpenpflanzen 539
Wundt, Ethik 366, 391
— , Menschen- u. Thierseele .... 594
Wunsch mann, Naegeli 164
Zacharias, Ber. d. biol. Station Plön 242
Zache, Geognosie von Berlin . . . 550
Ziehen, Physiol. Psychologie . . . 277
Zimmermann, Zur Morphologie und
Physiologie der Pflanzenzelle . . 302
— , Botan. Mikrotechnik 144
Zograf, Types anthrop. des Grands
Russes 192
Abhandl. des naturw. Ver. zu Bremen 339
Akademisches Berlin 244, 563
Annalen der Hj'drographie und marit.
Meteorologie 234
Annales d. 1. soc. entom. d. France . 184
Seite
Annuaire (du bureau des Longitudes)
pour Tan 1893 79
Arbeiten d. Sect.f. Min , Geol., Palaeo.,
d. natw. Ver. f. Steiermark . . . 475
Archiv d. .Viathematik uml Physik 100, 291
Atti della Reale Accad.deiLincei. Rendi-
conti 134, 291. 563
Berichte der Deutschen Botanischen
Gesellschaft 50
Berichte der naturf. Gesellschaft zu
Freiburg i. B 450
Bericht der oberhcss. Gesellsch. f. Nat.
u. Heilkunde 551
Berichte über die Verhandl. d. königl.
Sachs. Ges. d. Wiss. z. Leipzig SO, 184
Botan. Jahrb 194
Botan. Ztg 90
Büchern. Abhandl., Liste im Buchhandel
erschienener 10, 18, 30, 40. 50, 60,
70, 80, 90. 110, 134. 144, 151, 164,
174, 184. 194, 214, 224, 231, 244, 2.i4,
264, 291, 303, 315, 327, 339, 367, 379,
391, 403, 415, 427, 439, 451, 462, 475,
490, 503, 527, 539, 551, 563, 575, 587, 596.
Bücher über deutsche Käfer .... 451
- über Herstellung bot. und entomol.
Präparate , ... 451
Bull. d. l'Acad. Roy d. sc. et d. b.-arts
de Belgi(|ue 100
Bull, de la soc. d'Anthrop. de Paris . 40
Bull, de la soc. imp. d. natural, d.
Moscou . , 254
Bull, of the U. S. geol. Surv. . . . 489
Comptes rendus de la soc. d. Geogr. . 174
— Hebdomad. d. s. de l'ac. d. scienc. 70
Conchyliolog. Zeitschriften 379
Conferences Friedel 263
Ergebnisse der Plankton-Expedition . 525
Flora 204
Geologie. Magazine 40
Geological Survey of Canada . . . 596
Handbuch der Physik 354
Ibis 194
Index Kewensis 354
Intermediaire des Mathematiciens . . 551
Jahrbuch der k. k. CTeologisehen Reichs-
anstalt 50
Jahrbuch der Königl. Preussischen Geo-
logischen Landesanstalt und Berg-
akademie 278
Jahrbuch für Photographie und Repro-
ductionstechnik 462
Jahrbuch für wissenschaftliche Botanik 100
Jahresbericht der geographischen Ge-
sellschaft in München ..... 70
Jahresbericht der Gesellschaft für An-
thropologie der Oberlausitz . . . 214
Jahreshefte des naturwissenschaftlichen
Vereins für das Fürstenthum Lüne-
burg 144
Journal of the Linnean Society . 174, 244
Journal of the Royal Microscopical So-
ciety . . . ." 154
Kataloge über Bücher, Sammlungen und
Apparate ... 40, 214, 475, 503, 575
Koloniales Jahrbuch 154
Mittheilungen aus der Firma „Dr. Hou-
deck & Hervert" : . 224
Mittheilungen der k. k. geographischen
Gesellschaft in Wien 120
Mittheilungen des Vereins für Erdkunde
zu Halle 70
Mittheilungen von Forschungsreisenden
und Gelehrten aus dem Deutschen
Schutzgebiete 164
Monographs of the United States Geo-
logical Survey 438
Neue Denkschriften der allgemeinen
schweizerischen Gesellschaft für die
gesammten Naturwissenschaften . . 462
Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geo-
logie und Palaeontologie .... 173
Ornithologischer Monatsbericht ... 60
Physical Revue 234
Physikalische Revue 134
VIII
Inhalts -Vcraeichniss.
Seite
Proceedings of the Royal Society . . 244
Sitzungsbericht der k. Bayer. Akademie
der Wissenschaften zu München . 233
Sitzungsbericht der kais. Akademie der
Wissenschaften zu Wien ... 80, 223
Sitzungsbericht der königl. Preussischen
Akademie der Wissenschaften 79, 110
Sitzungsbericht der Naturforscher-Ge-
sellschaft bei der Universität Dorpat 379
Transactions of the Entomological So-
ciety of London 184
Transactions of the Linnean Society . 174
Transactions of the Wisconsin Academy
of Sciences 503
Transactions of the Zoological Society
of London 154
Tschermak's mineralogische und petio-
graphische Mittheilungen .... 90
Verhandlungen des botanischen Vereins 18
Verhandlungen der Gesellschaft für Erd-
kunde 50
Zeitschrift für anorganische Chemie . 315
Zeitschrift für Ethnologie 18
Zeitschrift für Krystallographie und Mi-
neralogie 120, J94
Zeitschrift für Naturwissenschaft . . 575
Zeitschrift für praktische Geologie . . 10
Seite
Verzeichiii.ss der Abbildungen.
Aquarium (<Jrig.) 7o, 74
Blüthen-Homologieen der Zoidiogamcn
und Siphonogamen (Orig.) .... 518
Bruguiera eriopetala 579
Casuarina (z. Tli. Orig.-Nachb.) 31, o3, 43
Dictyodora Liebeana (z. Th. Orisr.) 15(5, 157
Ficus religiosa, Laubblatt (Orig.-Nachb.) 284
Folliculites ((.)rig.-Nachb.) . " . . . . 395
Fräs» von Nonnenraupen ..... 94
Geologische Protih> zum Klinger Dilu-
vium . 39S, 394
Geometrische Figur zum Aufsatz Fried-
richs über die Sonnenfleckeii . . . 56
Gomphostrobus bifidus (Orig.) .... 314
Gutenberger liühlo (Orig.-Nachb.) . . 43ii
Kap Tscheljuskin 64
Karte der Durmitor-Gruppe (Orig.-
Nachb.) 2.")8
— vom Skutari-See (Orig.-Nachb.) . . 258
— von Hamburg zur Cholera- Kpidemie
(Orig.) 318
— von Montenegro (Orig.-Nachb.) . . 257
Mangroven 578, 579
Medicin-Mann der Schwarzfuss-Indianer 574
Mont - Blanc (Nord - Abhang) (Orig.-
Nachb.) . .' . 150
Seite
Nieser's phntograph. Zeichen-Apparat . 401
Nonnenraupen wipfelnd ... . . . lOG
Nonnenschleier, -Brücken und -Zelte an
Fichten 84, 85
Ovulum der Birke mit Pollenschlauch 142
Putamen von Prunus Pcrsica (Orig.) . 391)
Rhvzophora mucronata .... 578, 579
Rhyzopoden (Orig.-Nachb ) 226
Rochen - Scbwinunbeweirungen (( 'rig.-
Nachb.) '...... 210
Schema zur Darstellung der Transfor-
mation der Pflanzenwelt .... 418
— zur Ueberschätzung der Böschungs-
Neigung (<!>rig.) 287
Schemata zur Erläuterung raeteondogi-
scher Phänomene (Orig.) . . 530, 532
Siemens, Werner von (Porträt) ... 19
Sonnenuhr, Oliver's ((Jrig.-Naciib.) . . 118
SphenophvlUim cuneifolium, Laubblät-
ter und Blüthenblätter (Orig.-Nachb.) 220
Spiritus-Gebläs.'-Lampen (Orig.) . 487. 488
Strömungs-Prolile (Orig.) . . . . 235 ff.
Strudellöcher od Gletschertöpfe 166, 167, 168
Sundastrasse mit der Insel Krakatau . 65
Trisectionszirkel und seine Anwendung
(Orig.) 276
Zelltheilungen in thierischen Einbryoneti
(Orig.) . ... . . . .• . . . 265 ff.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Bniid.
»Sonntag, den 1. Januar 1893.
Nr. 1.
Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Auf'träga^MXV^i' »-' H /
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. InseratenaÄh(j»e - 'k)8]u\ ^
Abonnement: Man abonnirt bei allen BucbhandUmgen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahr.s]jreis ist J( 3.—
Bringegeld bei der Post LS •} extra.
bei allen Annocenbureaux. wie bei der Expedition. /,
T^e?
^' ^^
Abdi-nvk ist nar mit voll!«tän«liger C^nellenangabe gestattet.
Die tertiären Primaten und der fossile Mensch von Südamerika.
Von Dr. ;iie(l. et pliil. (ieorg Biischan.
Die Palaoiitoldoie der Primaten hat seit C'uvier's
Zeiten, der das Aul'tiudeii von tertiären Aüf'en noeii als
ein Ding- der ünmögiiehkeit hinstellte, bedeutende Fort-
schritte gemaeht. Besonders die jüngsten Jahre sind reich
an Eriahruugen und Entdecknngeii in Europa sowohl, als
besonders in Amerika, die unsere Kenntniss \(ni der Ent-
wicklung dieser dem Mensehen so nahe stehenden Säuge-
thiere ein Stück weiter zu fördern im Staude sind. In-
dessen der Ursprung des Menschen bleibt bei alledem
noch dunkel und erfordert unausgesetzt weitere Nach-
forschungen.
Das Interesse, welches sicii an die soeben angeregte
Frage knüpft, veranlasste Dr. E. Trouessart in einer in
der Zeitschrift LWnthropologie*) veröfientlichten Abhand-
lung eine znsaimnenfasseude zeitgeniässe Uebersicht dieser
Entdeckungen und der ans ihnen berechtigten Schlüsse zu
geben, der wir folgendes entnehmen.
Die Leinurier, um mit diesen zu beginnen, scheinen
einer Reihe von Säugethieren anzugehören, die sich in
weit znrnckliegeuder Zeit durch Trennung von den wirk-
lichen Affen abzweigten. Ein merklicher Unterschied
zwischen diesen und ihnen besteht in dem Gebiss. Wenn
auch die Anzahl der Zähne bei den Lemuriern eine sehr
variable ist, so dass sie sich auf einen gemeinsamen Typus
nicht zurückfuhren lassen, S" lässt sich im allgemeinen
für das Gebiss der Grundsatz aufstellen, dass eigentliche
d. canini inferiores liei ihnen (mit Ausnahme der Gattung
Tarsus) nicht vorkommen, dass ferner die Anzahl der
oberen Eckzähne (zumeist 4 an der, Zahl) öfters durch
Atrophie (Tarsius, Nycticetus javanicus) oder durch Aus-
fall im erwachsenen Zustande (.\\ ahis, Leiiilemur) reducirt
erscheint. Dieser Umstand beweist, dass das Zahnsystem
der Lemuren sich noch im Zustande der Entwicklung be-
findet, sowie dass der Typus der l'rosimicr ein sehr alter
und ursprünglicher sein muss. — Die Paläontologie be-
*) L'Aiithropoldgie. Paris, G. Masson; editinir. 189:^. toint^ III.
No. 3, S. 257 u, f. ' -
|X2:
: 40 Zähne.
m
stätigt diese Auffassung. Die ältesten Lemurenüberreste
finden sich in den eocäneu Schichten der nördlichen Hemi-
sphären beider Erdtheile, besonders in Europa; der Adapis
parisiensis Cuvieri ist kein Ungulate, sondern ein Lemure.
Nach Schlosser lassen sich die Leinurier in die Psendo-
Icinuridae und Lemuridae eiutheilen. Die crsteren(^Pachy-
lemuridac Filhol) unterscheiden sich von den letzteren
durch die Zahl ihrer d. iucisivi (zwei Paar in jedem Kiefer,
wie bei den Simien); ihre d. canini sitzen normal in beiden
Kiefern, d. h. sie überragen das Niveau der incisivi; ein
d. praemolaris mehr (4 statt 3) unterscheidet sie schliess-
lich noch von den Simien. Ihre Zahnformel ist somit:
J. 'j, C. [, Pm. ;* (selten |) M.
Die fossilen Pseudolemurier zerfallen wiederum
2 Unterabtheilungen, die .\dapidae und Hyopsodidae.
Europa, und zwar seinem Eocän, gehören au:
Adapis parisiensis Cuvier;
„ minor Filhol;
„ magnus ders.;
„ angustidens ders.;
Coeuo])itherus lemuroides Rütimeyer,
,, pygmaeus ders.;
lleterohyus armatus Gervais;
Cryptopithecus siderolithicus Schlosser.
Nordamerika weist viel zahlreichere Typen auf:
ausser , den genera Notharctos^ Tomitherium, Pelycodus
und Hyopsodus, die von Leidy, Cope Und Marsh be-
schrieben worden sind, noch eine grosse Menge anderer
vocäuer genera, die die Namen tragen: AVashakius Leidy,
llipposyus Leidy, Microsyops Leidy, Apheliscus Gope,
Opisthotomus GÖpe, Sarcolemnr Gope, Omomys Leidy,
Sinopa Leidj-, Palaeacodon Leidy, Loxtihiphus Gope,
Limnotherium Marsh, Telmatolestes Marsh, Thinolcstes
Marsh, Stenacodou Marsh, Hathrodou Marsh, Mesacodou
,Marsh, Heuiiaeodou Marsli, .\ntiacodon Marsh etc.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 1.
Die enge Beziehung der Pseudolemurier zu den Atfen
(Cercopithecier oder C'yuopithecier) in Bezug auf das (tc-
biss berechtigt zu der Vermuthung, dass beide Typen aus
einer genieinsanien Staninitorni hervorgegangen sind, von
der die eigentiicheu Lenjurier einen weiter abweichenden
und theilweise degenerirten Zweig darstellen.
Diese, die eigentlichen Lemuren, fossile und recente
Formen, zeichnen sich von den wahren Affen durch ihr
grundverschiedenes und nianchnial reducirtes Gebiss aus.
Ihre urspriingliehe Zabnforniel, die man noch bei Galago,
Stenops, Microcebus, Otolicnus, Chirogaleus, Lepilemur,
Lemur, Hapaleniur antrifft, ist
• .7. I, ü. I-, l'm. I, if. I X 2 = 36 Zähne.
Bei Propithecus und Lichanotus ist sie rediirirt auf:
.7. 4, C.\, Pm. I, M. '^. X 2 = 30 Zähne.
Die Tarsius- und gewisse fossile Arten bilden eine
Classe für sich, insofern ihre d. canini, die hinsichtlich der
Form normal geblie])en sind, nicht denen der heutigen
Lemuren, sondern denen der Pscudolemurcn gleichen; sie
stellen somit den Uebergang zwischen beiden C'lassen
dar. Alle wahre Lemuren der Vorzeit gehören dieser
Gruppe an
aus dem Eocän Europas:
Necrolemur Edwardsi Filhol;
„ antiquus ders. ;
„ Zitteli Schlosser;
„ Cartieri Riitimeyer;
„ minor ders.;
„ parvulus Filliol;
V Microchoerus erinaceus Wood;
Plesiadapis reniensis Lemoine;
„ Gei'vaisi ders.;
„ Daubrei ders.;
aus dem Eocän Nordamerikas:
Auaptomorphus homuneulus Cope;
„ aemulus ders.;
Cynodontomys latidens ders.;
Mixodectes pungens ders.;
„ crassiusculus ders.;
? Lemuravus distans Marsh;
'? Indrodou malaris Cope.
Der Schlusssatz, der sich aus den bisherigen Be-
trachtungen ergiebt, besteht darin, dass man, worauf
bereits Topinard aufmerksam machte, die Lenuiren von
den Primaten nicht trennen darf. Auch Schlosser hat
durch seine phylogenetische Tafel den gemeinsamen Ur-
sprung aller Aften (im Gegensatz zu Schmidt, der die
amerikanischen Affen vom Inseetivorentypus, die der alten
Welt von Omnivoren Ungulaten herleiten will) ausgesprochen.
Platyrhine Affen im fossilen Zustande kannte man
bisher nur aus Südamerika (besonders aus den Höhlen
von Limd in Brasilien), und zwar ans verhältnissmässig
jüngeren Schichten (quaternären oder pleistocänen). Die
tertiären Schichten des meridionalen und septentrionalen
Amerika, die sonst au Säugethierformen so reich sind, haben
keine Ueberreste geliefert, die man auf Affen bezieben
kann. — Mit Ausnahme von Protopithecus brasiliensis, der
Anspruch auf ein eigenes geuus erheben darf, unterscheiden
sich die übrigen fossilen Platyrhineu, wie Hapale, Mysetes,
Callithrix, Gebus, wenig von einander und von den anderen
Formen.
In jüngster Zeit (1891) hat Florentino Ameghino in
den eocänen Schichten des südlichen Patagonien (Rio
Santa -Cruz) eine Anzahl von Unterkiefern gefunden, ilie
er mit Rücksieht auf das hohe Alter der Schichten für
solche von Lemurinen ansah. Eine eingehende Unter-
suchung derselben hat indessen gezeigt, dass es sieh um
Reste \eritahler Aften handelt, denn die Zahnformel der-
selben gleicht denen der (Jebier, d. Ii. aller amerikanischer
Aften, ausgenommen den üistiti.
Die amerikanischen Affen unterscheiden sich von
denen der alten Contiuente durch die Anzahl der Zähne
(3ß), d.h. durch die Anwesenheit eines d. jjraemolaris in
jeder Kieferhälftc; die Uistitis dagegen haben zwar nur
32 Zähne, wie die wahren Aft'en und der Mensch, weichen
aber doch von diesen ab, weil sie nur 2 d. molares und
dazu einen praemolaris, wie die Gebier, aufweisen. Sie
sind somit diesen letzteren zwar stammverwandt, scheinen
aber einen inferioren oder degenerirten Tyjtus derselben
darzustellen. In dieser Beziehung könnte man einen ge-
wissen l'arailelismus zwischen den beiden (!rui)pen der
amerikanischen Aften und den beiden der Lemurier fest-
stellen: die IIa|)alier mit reducirtem Gebiss entsprächen
den Lemuren v(m Madagascar, die nur .30 oder noch
weniger Zähne besitzen; die Gebier mit vollständigerem
Gebiss den primitiven Lemuriern, die wie sie mit 30 Zähnen
ausgerüstet sind.
Die Ureebier Patagoniens sind im allgemeinen von
kleiner Statur; insofern gleichen sie auch den Uistitis.
Sie scheinen ziendich mannigfaltig in der Eocänperiode
gewesen zu sein; denn man kennt bereits 4 genera, die
sieh unter einander immer noch mehr unterscheiden, als
die heutigen amerikanischen Aften unter sich:
Honnniculus patagoniens Ameghino, verwandt mit
Ecphantodon ceboides Mcrccrat;
Anthro])ops perfectus Ameghino;
Hiimocentrus argentinus ders.;
Eudiastatus lingulatus ders.
Das Gemeinsame au den Unterkiefern dieser 4 Gebier,
von denen Trouessart woblgelungene Abbildungen giebt,
ist die Höhe und Breite der Kinnsyni)hyse, ein Merkmal,
das sieh bei Mycetes, Callithrix und noch anderen Arten
noch vorfindet. Die Kieferhälften sind ohne sichtbare
Naht vollständig mit einander verschmolzen. Die Zabn-
forniel, soweit sie sich für die Unterkiefern rec(mstruiren
lässt, ist die der Gebier:
,7 - 0 ^ Pm ~ M ~
Die d. molares sind ein Avenig länger als Ijreit, fast
viereckig. Alle Zähne stehen in einer fortlaufenden Reihe,
in der die d. canini die übrigen Zähne kaum überragen;
dieselben haben ihren Platz zwischen d. incisivi und pra-
molaris gerade so wie beim Mensehen.
Die Gliedmaassea dieser eocänen Aft'en hat man bisher
noch nicht aufgefunden. Indessen lassen andere Extremi-
täten, die in denselben Schichten zum Vfu-schein kamen
und deren zugelniriges Gebiss an das von Chiromys er-
innert (Jcochilus, verwandt mit Toxodontus) vcrmuthen,
dass diese Thiere auf Bäume klettern konnten. .Mit grösserem
Rechte dürfte man dasselbe von Homuneulus und Authro-
pops annehmen.
Bessere Kenntniss besitzen wir von den fossilen
Affen der alten Welt, die der Miocäu- bis Quatcrnär-
zeit angehören.
Aus Europa kennen wir:
Semnopithecus monspessulanus Gervais — Pliocän
Frankreichs und Italiens;
Mesopithecus Penteliei Gaudry — Pliocän Griechen-
lands und Ungarns;
Dolichopitheeus rascinensis Deperet — Pliocän
Südfrankreiehs ;
Nr. 1.
Njvturwissciisf'liaftliclie Wochenschrift.
Oreopitbccus l>;uiil)oli (icrvais — Miocäii Italiens;
Macacus priscus Gervais — l'liiiciiii KSüdlraiikreiclis;
Macacus (Aulaxinuus) florcntinus Cocchi — l'liocäii
Italiens:
Macacus pliocaenus Owen — Quaternär Eng'hxnds;
Macacns tolosanus Harle — Quaternär Süd-
tVankreiclis;*)
aus Nordafriiia bislior nur eine eiuzii;c Art:
Cynoccphahis atlantiensTlionias — Pliocän Algiers;
aus Asien, das wiederum reicher (besonders Indien) ist:
Senmopitliecus palaeindieus Lydekkcr — Pliocän
Indiens;
Semntipitliecus entellus (fossilis) Lyd. — Quaternär
Indiens;
j\[acacus sivalensis Lyd. — Pliocän Indiens;
Cynocephalus suhhinialayanus H. V. Meyer — Plio-
cän Indiens;
C'ynocephalus Falconeri und sp. V Lyd. — Pliocän
Indiens.
Alle diese Typen sind zwar nahe Verwandte der
heutigen Cercopitbecier, stellen jedoch auch Ueberg-änge
zwischen den genera derselben dar — so ist Mesopithecus
ein Mittelding- zwischen Scnmopitheeus und den ^lakaken,
!>oliciii>pithecHs zwischen Senniupitheeus und den ('yno-
cephalen, Ureoi)itliecus zwichen Schimpansen und den
Makaken — . Es gewinnt somit den Ansehein, dass die
gegenwärtig- wohl zu unterscheidenden Typen des Semno-
pithecus, Cercopithecus und Cynocephalus zur Tertiärzeit
noch auf dem ^\'eg■c der Entwicklung begritfV-n waren.
Das Viirkonunen von Semnopithecicrn, Makaken und
auch Cynoephalcn in der siidasiati.schen fossilen Fauna
berechtigt zu dem Schlüsse, dass einst Verbindungen
zwischen Indien und Afrika bestanden haben müssen.
Von den anthropomorplien Affen kennen wir bis
jetzt 4 fossile Spccies.
In Europa:
Dryopithecus Fontani Lartet
frankreichs;
Plioi)ithecus antiipius Gervais
reichs und der Schweiz.
In Asien:
Troglodytes sivalensis Lydekkcr — Pliocän Indiens;
Simia sp.V Lydekkcr — Pliocän Indiens.
Der erstere ist in der Anthropologenwelt durch die ver-
nieintliehen Silexgeräthscliaften berüchtigt geworden, die
der Abbe Bourgeois in Tlienay sammelte uufl diesem
Tliiernienschen zuschrieb, der, wie sich S))äter herausstellte,
noch bestialischer als der Gorilla gewesen sein nniss.
Der Plio])ithecus ist nahe verwandt den Gibbons,
der Troglodytes sivalensis durch sein Gebiss dem Schim-
])ansen. Da dieser letztere gegenwärtig aber ein Be-
wohner des tropischen Afrika ist, so erblickt Trouessart
in diesem Unistande einen Hinweis für die schon oben
angeführte Ilypotiiese von einem ursprüngliehen Zusannnen-
liange der Fauna Indiens und Afrikas. Man kami daher
die gegenwärtige afrikanisclie Fauna als das Pesultat einer
Auswanderung von Indien lier beobachten, die sich auf
einer Festlandsbrücke vollzog, von der Aralticn den letzten
liest darstellt.
Von dem zur Gattung Simia geinirigen fossilen Anthro-
Ijomorphen weiss man aus Mangel an ^laterial noch zu
wenig, um die Speeies bestinnnen zu krmuen.
Im Anschluss an diese Auseinandersetzungen erörtert
— Miocän Süd-
— Miocän Frank-
*) Das goiius Ci'boclioorus Goixai«, mit ileiii Colobiis i;i-;i,n-
daevus Fraas vielleiclit synuiiyin ül, geliiirt uit-lit zu ticn Att'eu,
sondern zu den Artiodaetyloii (SuidaH).
der Verfasser uoeb die Frage, wie so es konmit, dass in
den miocänen Schichten Europasbereits ein anthroponKn-pher
Arte (Dryopithecus) auftritt, in den Jüngeren pliocäncn
dagegen nur Atfen niederen Typus (Semnopithecns, Ma-
cacus). Wenn auch der Hott'nung Kaum zu geben ist,
dass man mit der Zeit auch noch andere Cercopitliecier
im Miocän aufdecken wird, so lässt sich das Fehlen
von Anthropomori)heu im Pliocän wohl durch eine Aus-
wanderung dieser kleinen empfindlichen Speeies aus Europa
nach Afrika oder dem Süden Asiens erklären, wo solche
in dieser Formation nachgewiesen sind. Die weniger
empfindlichen Gercopithecier haben sich dagegen bis in
die Gegenwart hinein auf unserem Continente (Gibraltar)
erhalten.
Durch das Aufhnden von fossilen Aft'enrestcn in cUmi
tertiären Schiciiteu Südamerikas ist gleichzeitig wieder
die Frage nach dem ersten Auftreten des Men-
schen unter diesem Himmelsstriche in Bewegung
gebracht worden. Südamerika, im besonderen Südbrasilien
und Argentinien, haben eine reiche Ausl)eute an vorge-
schichtlichen Menschenresten geliefert. In den Ibihlen von
Somidouro in Brasilien, zu Gordoba und im Tliale des
Rio Negro in Argentinien sind quateriiäre Schädel von
dolicliocephalem, hypostenopbalem, prognathem Typus mit
sehr dicken Seitenwandbeinen, niederer Stirn und stark
entwickelten Augenbrauenbögen aufgefunden worden, die
somit an die Neanderthalra(,-e erinnern. Die dazu ge-
hörigen liöhrt'nknochen — die cavitas olecrani weist eine
Perforation bis zu 15 mm auf — sprechen für eine Race
von niederer Statur. — Gewisse Schädel sind auch brachy-
cephal oder subbrachycephal — ein Charaktcristicum der
heutigen südami'rikanischen Autochthonen — und erinnern
si'hr an die der Eskimos. Künstlich deformirte Schädel
konnnen auch vor. Im allgemeini'u lässt sich jedoch von
der quaternären Race Südamerikas sagen, dass sie grund-
verschieden von der heutigen Bevölkerung war.
Gebrannte Topfreste, Silextheile von St.-Acheul- und
Chelles-Typus, Pfeilspitzen sowie Schalen vom Moustier-
Typus zusammen mit den Riesenpanzern der Glyptodonten,
die als Schutzdach gegen Regen und Wind gedient halben
mögen, charakterisiren diese Bevölkerung der ., paläo-
lithischen Periode".
Aber uoch in älteren Erdschichten will man die
Spuren des Menschen nachgewiesen haben. Leider gehen
die Ansichten der Geologen über das Alter derselben sehr
auseinand(M-. Während Dr.ring und Anieghino sie füi-
pliocän, selbst miocän halten, rechnen d'Orbigny und Stein-
manu sie zum Pleistocän oder (Quaternär. Die einzigen
menschliehen Knochenreste aus dieser sehr alten Periode
— der etage Ensenadien oder Pampeen, nach Ame^liino
entsprechend dem unteren Pliocän — sind einzelne Zähne,
die man anfänglich für solche eines Cebiers (Protopitheeus
bonoerensis hielt. — Etwas häutiger konnnen ThierknocluMi-
reste vor, die die Spuren nunseldielier Tliätigkeit (Be-
arbeitung, Brand) an sich tragen sollen, sowie Topf-
fragniente und Kohlenstücke. — Zu Monte -Hernn)so trug
ein fossiles Scelett von ^lacrauclienia anti(ina — Formation
Araucanienne, nach Anieghino Miocän — in einem seiner
Knochen einen Quartzsplitter, der von einem absielitliciien
Wurf herrühren kann, zumal da äimlieiie Splitter in der-
selben Schicht noch zum Vorsciiein kamen.
Durch diese Funde könnte das Vorkonnnen des ter-
tiären Menschen für Südamerika bewiesen sein, wenn nur
nicht das Alter dieser vermeintlich tertiären Schichten
neuerdings stark angezweifelt worden wäre. Steinmaini
in Freibnrg scheint nachgewiesen zu hab<ii, dass diese
Formationen Amerikas dem Löss Euro})as ents|)reelu'n:
somit würde das angebliehe Miocän (Araueanien) Argen-
tiniens der grossen Eisperiode angehören, und das obere
- Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 1.
Miocän oder Snbpanipecn Amcghino's (auch pehuelchc
genannt) nur aus d(Mi Moränentrümniern der h^t/teu Eis-
periode sich gebildet haben. Da nun ferner anzunehmen
ist, dass die Ulacialzeiten auf beiden Erdthi'ilen gleich-
zeitig stattgefunden haben, so dürften die üeberreste des
angeblich tertiären Menschen synchron mit denen aus der
paläolithischen Periode Europas sein.
Für die Steinniann'sche Auffassung spricht auch ein
Vergleich der Säugethierfauna aus der Formati(m l'ata-
gonienne (Oligoeän) und der Formation Araucanienne
(Miocän). In dieser herrschen Mastodonten, Hirsche, Lamas
und ]\lMrsupialicr eines nördlichen Klimas vor, die mit
einem Male hier auftreten und dieser Fauna (mu sehr
modernes (4epräge geben, tmtz der 21 Genera, die sie
aus der ersteren übernommen hat.
Der tertiäre Mensch ist für Amerika so-
mit ebensowenig wie für Europa bis jetzt er-
wiesen.
Botanische Excursion durch die Pampas und Monte-Formationen nach den Cordilleren.
\'oii Dr. Ottu Kuiitzi
Mitte Deceraber 1891 kam ich in f'ordoba aus Europa
an; der Aufenthalt in Buenos Aires war nur ein kurzer
gewesen; die mindestens zu ■',4 aus eingewanderten, meist
mediterranen Pflanzen bestehende Flora um Buenos Aires
hatte für mich nur geringen Reiz. Unser Hamburger
Dampfer, die ..Clinda", fuhr nach wenigen Tagen weiter
den La Plata und Parana-Strom hinauf nach Rosario de
Santa Fe, von wo ich sofort die Eisenbahn nacli Cordoba
benutzte. Es war eine abseheulieli staubige, zehnstündige
Fahrt durch nur wenig cultivirte Pampas; die meisten
waren nur für Viehheerden benutzt, doch waren stellen-
weise grosse Flächen mit Weizen, der kaum V2 "i hoch,
jetzt mit Maschinen geerutet wurde, oder mit Alfalfa
— Medica(go) sativa L. — oder mit Mais bebaut. An
den Eisenhahnstationen Hess sich fast gar nicht botani-
siren, da der Aufenthalt der Züge meist sehr kurz und
unbestimmt war, sowie die Flora um alle Stationen auf
mindestens einige Hundert Schritt Entfernung stets auch
nur aus europäischen, bezw. cosmopolitischen Ansiedlern
besteht.
In Cordoba fand ich im Hotel Roma gute Pension,
incl. Wein für nur ti Pesos = öVo Mark. Es war Regen-
zeit, welche sich durch tägliche oder in je zwei Tagen
eintretende, kurze, aber heftige Gewitter äusserte und
dieses Jahr aussergewöhnlich stark war, so dass die Flüsse
stark angeschwollen Avaren. Da die Gewitter meist nur
kurze Zeit dauerten und ihre Wassermassen in den Strassen
Und Gefilden sich sclmell verliefen, so blieb Zeit und Ge-
legenheit genug, in der Umgebung zu botanisiren; ich
habe innerhalb zwei AVochen nahezu 400 verschiedene
Arten gesammelt. Die Flora ist dorJ; relativ reich zu
nennen und aus strauehloser Pampaflora mit den ver-
schiedenartigen Monte-Fhu'en, die wir s])äter einzeln kennen
lernen werden, zusannnengesetzt, durch Abholzen z. Th.
auch verändert. Monte bedeutet Buschwald (nicht Berg)
und ist im Uebrigen durch mancherlei Uebergänge mit
der Pampaflora im strengeren Sinne, welche vorherrschend
aus Gräsern und Kräutern mit vereinzelten Sträuchern oder
ohne dieselben besteht, verbunden, so dass strenge Vege-
tationsgrenzen nicht zu ziehen sind. Manche verstehen
unter Pampas auch die Gebiete mit niederen Sträuciiern,
welche zuweilen fast gi'aslos sind. Im Allgemeinen findet
sich Monte -Hora mehr längs der Flüsse und Bäche,
während die Pampas meist wenig oder keine fliessenden
Gewässer besitzen, bezw. wo schliesslich die Flüsse durch
die Pampa gehen, hal)en sie meist Ufergebüsch der Monte-
Formation. Auch in die Sierra de Cordoba bin ich ge-
kommen, jedocii nur bis zur Dique de San Roque, wohin
eine Eisenbahn führt.
Die aussergewöhnliehe Regenmenge hatte die Flüsse,
wie gesagt, sehr wasserreich gemacht, und diesem Um-
stände verdanke ich es, dass ich Freund Fritz Kurtz
(Dr. Don Federico), Catedratico de botanica en la universi-
dad de Cordoba, noch anwesend fand; er hatte mit seinem
geologischen Collegen Dr. W. Bodenbender eine wissen-
schaftliche Expedition imcli den Cordilleren, speciell nach
dem Planclioniiass zu, unternonnnen, freie Eisenbahnfaln't
bis Villa Mercedes bewilligt erhalten und nun 2 Diener
mit Maulthii-ren und Pferden ülier Land vorausgesandt.
Letztere konnten nun den reissend gewordenen Rio tercero
nicht passiren, so dass dieser Umstand den Beginn der
Expedition um 14 Tage verschob und ich noch recht-
zeitig ankam, um selbst diese Reise mitmachen zu kiinnen,
wenigstens einen Tlieil derselben, welcher sich meinem
Reiseprogramm anpasste.
Inzwischen war auch die Eisenbahn nach Villa Mer-
cedes von den Fluthen zerstört worden, und bei den fort-
währenden neuen Regengüssen wurde es immer zweifel-
hafter, ob unsere projectirtc Reise noch ausführbar sein
würde, um so mehr, als die den beiden Professoren dafür
gestattete Zeit von 2 Monaten bei weiterer Verschiebung
daran so verkürzt würde, dass bei der grossen Entfernung
diese Zeit dann nicht mehr ausreichen konnte.
Am letzten December riskirten wir die Abfahrt, ob-
wohl wir nicht hatten erfahren können, ob der Eiscnbalin-
dannn am Rio Tercero wieder hergestellt sei, und ob die
altbewährten Diener der Professoren Don Komulo und
Don Vicente mit den Maulthieren den Fluss schon etwa
passirt hatten.
Bis zur Station Villa JMaria, wo die Bahn nach Villa
Mercedes abzweigt, ging unsere Fahrt glatt; dann be-
durfte es aber dringender Vorstellungen bei dem Stations-
clief, um überhaupt weiterbefördert zu werden. Das ging
aber luclit glatt von statten: ein Personenwagen und ein
Gepäckwagen wurden von der Locomotive geschoben
(nicht gezogen); schliesslich, als der Bahndaunn mehr einem
Sumpf glich, und unter den Schienen stellenweise Wasser
stand, wurden Passagiere — es waren etwa 8 — und
Bagage auf 2 leichte Draisinen .,geladen" und von Leuten,
die auf den Schienen liefen, weitergeschoben. Auf dem
Bahndaunn war jetzt selbst das Laufen unmöglich, denn
das Ueberschwemnuingswasser floss über und oft auch
unter den Schienen cascadenartig über den Damm. Nach
20 Minuten solcher Fahrt komite ein Pferd vorgespannt
werden, bis wir zur Brücke kamen, über welche, weil
das eine Ende unterbrochen und dureli einen Steg vor-
läufig ersetzt war, wir zu Fuss wamh'rn mussten, während
die Gepäckstücke einzeln hinübergetragen wurden. Am
Ufer des Flusses wuchsen mächtige Bäume von Salix
Ilumboldtiana mit hängenden Zweigen, zur Zeit mit
Früchten. Auf der überwundenen Eisenbahnsumpfpartie
hatten wir auch eine interessante Pflanze nntgenonunen:
im Sumpfe wuchs eine P]ryngium-Art (cfr. paniculatum)
mit einfachem, manneshohem Stengel und aloeähnlichen
Blättern. Ein zerlumpter, barfüssiger Junge holte sie uns
aus dem Sumpf und erhielt dafür 1 Bankbillct von 10 Cen-
taros im Werthe von 11 Pfennigen.
Jenseits der Brücke war die Eisenbahn wieder in
Ordnung, und brachte uns der Zug gegen Abend nach
dem Städtchen Rio Cuarto und am andern Morgen bis
Nr. 1.
Naturvvisscnschaftliclic Wochenschrift .
Mittag- nach Villa Mercedes, ^^'ir fuhren nici.st durch
Pampas, wo die Heuschrecken fürchterlich gehaust hatten;
es ist ein Heuschreckenjahr, und die junge flügellose Brut
zerfrisst fast alles, was ihr von Pflanzen crreicldjar ist,
von den Gräsern der Pampa vornehndich die oberen
Theilc; dagegen lassen sie eine in der Panifia stellen-
weise häutigi' silhergraue, Vj i" holie Compositenstandc
mit schlanken Zweigen und lancettlichcn Blättern, Hya-
loseris argeutea Cesati, unangerührt.
Silvester hatten wir im Bahnhi>frestaurant zu Rio
Cuarto mit Grog gefeiert; doch wollte eine recht fröh-
liche Stimmung nicht Platz greifen, da wir in Ungewiss-
heit waren über die Tropa — so nennt man die zu einer
Expedition gehörigen ^laulthiere inel. der Madrina, einem
Pferd, dem eine Klingel angehängt wird. Die Madrina
übt einen eigenartigen Zauber auf alle Thiere einer Tropa
aus und hält die Thiere zusannncn. Unsere Tropa be-
stand schliesslich aus 1 Pferd i Madrina) und 11 Mulen
(Maulthicre: Mula5, Macho j' ).
In Villa Mercedes angekommen, fanden wir weder
unsere Tropa, noch Nacliricht von Don Romulo, der uns
eventuell liatte telegraphiren sollen. Wir nahmen einst-
weilen Unterkunft in einem sehr niittelmässigen (iasthaus
(Fonda); bessere giebt es kaum in dieser öden Camp-
stadt. Prof. Bodenbender, der die Führung der Expedition
übernonnnen hatte, telegraphirte nach allen Kiclitungen,
die Don Komulo mit der Tropa hätte einschlagen können
— eventuell auch nach Uebersteigung der Sierra de Oor-
doba jenseits derselben. Die Depeschen waren ohne Er-
folg — eine verspätete Antwort war sogar ganz falsch — ;
wir blieben in Ungewissheit l)is zum 2. Januar Abends,
als unsere Tropa mit Verlust eines zurückgelassenen Pferdes
endlich eintraf. Die Mulen mussten min erst etwas aus-
ruhen, wir mussten uns einen Vaqueano (Fuhrer) nach
San Kafael, Provinz Mendoza, besorgen, für mich mussten
o Maulthiere (ä 40 Pesos) hinzugekauft werden. Da die
Regengü.sse auch hier sieh wiederliolten, wurde telcgraplii-
schc Nachriclit eingezogen, ob der Rio Dianiante bei San
Rafael und der Rio Atuel (bezw. Rio Salado) überhaupt
passirbar seien. Da in diesem Sommer (also hier De-
cember-Februar) auf den Cordilleren viel Schnee gefallen
und im Abtliauen begriffen ist, so sind die Flussübergänge
unberechenbar. Es liefen aber gute Nachrichten ein. Da-
gegen war der Rio Quinto, an welchem \'illa Mercedes
liegt, nicht mit beladenen Mulen zu passiren, und als wir
es am 7. .lanuar \ ersuchten, mussten wir umkeln'cn.
Glücklicherweise fand .sich ein Ausweg: die 3 Stunden
entfernte Eisenbahnbrücke, über welche wir gehen und
das Gepäck tragen mussten, während die Mulen den
Fluss durchschwammen. Die Mulen hätten be(|uem auch
über den 1 in breiten Steg der Eisenbahidiängeltriieke
laufen können, aber Mulen sind eigenartige Thiere, mit
deren Gewoiinheiten man auf Reisen sehr rechnen nniss;
sie wären auf der Eisenbahnbrücke scheu geworden, und
es musste daher das stets uiuständliciie Umladen des
Gepäckes, das einige Stunden aufiiält, in der Mittagshitze
— 32° C. im Sciiatten — vorgenonnnen werden.
Die Zeit bis zur Abreise am 7. .lanuar hatten Kurtz
und ich zu einigen kleinen, wenig loluiendcii Excursionen
benutzt; eine mit der neuen Bahn nach San Jose de Jlorro
hätte lohnend werden können, wenn wir darauf hätten
2 — 3 Tage verwenden dürfen; die Züge fahren bloss alle
2 — 3 Tage und an einem Tage lässt sich der Ccrro de
^lorro nicht erreichen; so konnten wir nur die niedrigen
Vorhöhen des Cerro blaneo erreichen, die nichts Itesonderes
boten; doch seien erwähnt: Ecbolium campestre ()k.^
Rhjtiglossa c. Nees = Justicia c. Grisel, eine blau-
blüthige, 1 m hohe, aufrecht -diehtästige, starkbelaubte
Staude, welche dichte Bestände bildet; 2 niedrige \ cr-
bcna-Arten: V. chamaedryodes mit brennendrothen
P>lüthen, krautigen, gestreckten Stengeln, welclie Art meist
vereinzelt sich findet, und eine iicilblaublüthige Art, welche
bis If) cm h(die, sparrig verzweigte Zwcrgsträucher bildet
nnd mehr gesellig \'orkonnnt. .\uf den windigen Höhen
blühte ein Meloeactus. In dem kleinen Thalkessel des
Cerro blaneo standen einige riesenhafte, rt '/^ ni im Stamm
dicke Feigenbäume, deren verlockende Früchte aber zu
hoch hingen, um erreichbar zu sein; das Erklettern ist
bei iler Brüchigkeit des Holzes unstatthaft. Unter dem
Schatten dieser mächtigen iülumc lagerten wir zum Mittag;
eine Ziegcnheerde suchte ebenfalls dort Schatten und
lieferte uns Milch. Von Gräsern und anderen kleinen
(iewäehsen, deren .Vufzählung hier zu weit führen würde
und ohne nachträgliche Bestimmung im Herbarium zu
Hause auch nicht gut möglieh und zweifelhatt ist, seien
noch von jener Partie aufgeführt: Cestrum Pseudo-
(|uina Mart., eine fast zur Ruderalpflanze gewordene ein-
heimische, halbstrauchige, 1 — 1 'o m hohe, giftige Solanacee
mit gelbgrünen bis gelben, cylindrischen Blüthen. Ziegen
fressen diese Pflanze nicht, wohl aber wird sie von lieu-
schrccken angegriffen. .lodina rhombifolia Tlk. u. .\rn.
ist eine baumartige, bis 8 m h(die, oft aber nur hoch-
strauchige Santalacee mit lederartigen. Ijlassgriinen, 4 bis
5 cm langen, cuneat- i-hondiischen, kahlen Blättern, deren
3 oberhalb gelegene Ecken in Staehelspitzen auslaufen.
Prosopis alba (iriseb. wird ein mächtiger Baum bis zu
1 m stark und 12 m hoch; es ist eine Mimosaeee mit zartem
Laub, die 1 — 2-jugatcn Blätter haben gefiederte ,loch-
theile mit zahlreichen, kaum 1 cm langen und ' 4eni breiten
]>lättcheii. Die jungen Exem])lare sind reichlicher mit
Dornen versehen. Auf dem Algarrobo blaneo, mit welchem
italienischen Namen für das Johannisbrot man hier diesen
Baum wegen der süssen, johannisl)rotähnliehen, aber 4 Mal
schmäleren und 2 Mal kürzeren Hülsen bezeichnet, vegetirtc
dort ein Loranthus mit sehr sehmalen, fast linealen
Blättern, z. Z. noch nicht in Blüthe. Zu dieser Partie,
deren kurze I^isenbahnfahrt (i Pesos Jedem kostete, hatten
wir ausserdem 3 Pferde mit 1 Führer auf 4 Stunden ge-
miethet, wofür wir nur zusannncn b Pesos zahlten.
A'illa Mercedes ist eine Canipstadt, deren man t'ine
zu besehreiben hat, um alle anderen hier damit zu schil
dem. Die Strassen sind sehr breit, staubig, bezw. nach
Regen schlammig, reelitwiid^clig sieh kreuzend und Cuadros
bildend, die für Häuserxierccke einer künftigen tiross-
stadt angelegt sind, auf denen jetzt ai)er meist nur .M-
falfe (Luzerne) oder Mais gebaut wird: diese von Strassen
umgebenen Felder sind mit dicht gepflnnzten Pyramiden-
pappeln umgeben, welche infolge ihrer Höhe nnd ihres
dichten Standes den Feldern einen weitgehenden Schatten
gel)en. Die Häuser, welche sich nur stellenweise mehr
zusannnengeljaut finden, sind ausschliesslich aus Lehm-
ziegeln gefertigt; in der Nähe der Plaza finden sich dann
meist die grösseren Gescliäftsläden etc. Gross geplant, ist
eine solche schwach be\ölkerte Stadt wegen ihier .\us
dehnung nur mit Pferden oder Droschken zu benutzen,
die hier beispielhis billig sind — Fahrt pro Person 40 Cs.
oder ]n'o Stunde (dme Rücksicht auf Personenzahl I Peso
Jetzt etwa 1 Mark werth). Die vielen Pa|)pelreilien, an
denen übrigens die Heuschrecken schliesslich auch weiden,
wenn das Futter zu ebener Erde fehlt oder .-die geworden
ist, machen eine solche Campstadt schon von Weitem er-
kenntlich; für den Botaniker sind si(> trostlos, denn an
den Wegen und freien Plätzen waidisen fast um' l\uder;il-
pflanzen, vor allem Clienopodium album L., Xan-
thium siiinosum L. und \'erbcsina enceliodes
Bsigr. (Cav.). iJ''ortsetzung folgt.)
6
Naturwissenschaftliflie Wocliensclirift.
Nr. 1.
Der Rechner Iiiaiuli. — Da der in der letzten Zeit
in Tageshlättern viel erwähnte „Wunderreehner" Inaudi
die Absiclit haben soll, auch nach Deutschland zu kommen,
sind vielleicht einige Notizen über ihn nach den Be-
obachtungen der Pariser Akademiker in der Salpetriere
und an der Sorbonne (Aerztc, ^Mathematiker und Philo-
sophen habeu Theil genommen, liesonders der Neurolog
Charcot, Binet, die Mathematiker Tisseraud, Dar-
boux, Poincare), an dieser Stelle von allgemeinem
Interesse. Es handelt sich bei ,1. Inaudi um einen Kopf-
rechner, der den berühmtesten Erscheinungen dieser Art,
Mondeux in Frankreich (1840 von Cauchy der Akade-
mie vorgestellt), Colbum in England, Mangiamele in
Italien u. s. f. nicht nachsteht und vielleicht nur von
Zach. Dase übertroifen wird (Dase, 1824—1861, ist
mit 15 Jahren ölt'eutlich als „Rechner" aufgetreten und
hat übei'all das grösste Staunen erregt durcii seine Schnellig-
keit im Zitfernrechnen; in Wien multiplicirte er z. \i.
40 Zahlen mit 40 anderen in 40 Minuten. Er wurde
auch bei Zahlenrcchnungen für wissenschaftliche Arbeiten
vielfach verwendet, z. B. von B es sei an der Sternwarte
in Berlin , im preussischen Finanzministerium u. s. f.)
Inaudi unterscheidet sich, um das gleich vorweg zu
nehmen, in höchst interessanter Weise von seinen Vor-
gängern: er hat von je die Ziffern, mit deren Kombination
er sich von früher Jugend an leidenschaftlich befasste,
nicht durch das Auge, sondern durch das Ohr erfasst. —
Er stammt aus Onoraso in Piemont, ist am 13. October 1867
in ärmlichen Verliältnissen geboren und war lange Jahre
Hirte (wie auch Mondeux und Mangiamele); Lesen
und Schreiben hat er erst im 20. Jaln-e gelernt, im Rech-
nen hat er nie einen Lehrer gehabt. Mit 5 Jahren ist er
von jener merkwürdigen Leidenschaft für die Zahlen er-
griffen worden, die alle diese Rechner im zartesten Alter
erfasst und nicht mehr loslässt. (Uebrigens ist auch von
vielen Mathematikern und Physikern l)ekannt, dass sie in
frühester Jugend, Gauss und Ampere z. B. im dritten
Jahre zu rechnen begonnen haben.) Schon in seinem
13. Jaiu"e hat sich des Knaben ein Impresario bemächtigt,
der ihn u. A. nach Paris führte, wo ihn Broca unter-
suchte. Er hat nie, auch als kleiner Knabe nicht, wie
andere Rechner mit materiellen Dingen gerechnet, z. B.
an den Fingern oder mit Kieselsteinen u. s. f. gezählt,
sondern sofort im Kopf zu rechnen begonnen, nachdem
er die Namen der Zahlen von seinem Bruder kennen ge-
lernt hatte. Es ist schon angedeutet, dass ihm deshalb
auch jetzt, da er lesen und S'ehreiben kann, die Schrift
beim Rechnen gar nichts nützt; er fasst alle Zahlen nur
durch das Ohr beim ^'orsprechen auf, um dann im Kopf
die gewünschten Operationen zu machen. Gesehriebcue
Zahlen fasst er viel schlechter auf; er sagt selbst, dass
ihn die Schrift verwirrt. Er nudtiplicirt .jetzt acht- bis
zehnstellige Zahlen mit einander. Dabei ist weniger eine
ganz ausstn-ordeiitliehe Schnelligkeit, als die Sicherheit
seiner Antwort überraschend, inmierhin ist auch die erstere
nicht gering, z. B. braucht er zur Auffassung zweier vor-
gesprochener 4zitfriger Zahlen, der Multiplication beider
und dem Aussprechen des Resultats 20 Sekunden. Wäh-
rend ein Erwachsener, von einer beliebigen Folge, ihm in
bestimmtem Rythmus (z. B. in Gruppen von drei) vorge-
sprochenen Ziffern nur etwa 8 bis 10 in richtiger Folge
wiederholen kann, gelingt dies Inaudi ohne Anstrengung
bei 24 bis 30; dabei prägen sieh diese Ziffern durch ein-
maliges Nachsprechen seinem Gedächtniss sofort ein, dass
er sie z. B. ebenso gut (dme alles Zuthun in umgekehrter
Folge wiederholen kann oder die erste Hälfte in gerade,
die zweite in umgekehrter ( »rdnung u. s. f. .fa er kann am
Ende einer längeren Sitzung noch alle Zahlen hersagen,
mit denen er während derselben zu thun hatte; es ist
fast unglaublich und doch sicher verbürgt, dass er z. B.
bei einem Besuch dieser Art in der Sorbonne 400 Ziffern
so wiederholt hat nnt nur wenigen IrrthUmcrn, die er selbst
sofort berichtigte, nachdem er zuvor gebeten hatte, ihn
nicht zu unterbrechen. Eine 22-stellige Zahl, die ihm bei
Darboux vorkam, wusste J. noch 8 Tage später, ohne
auf diese Gedächtnissprobe vorbereitet zu sein. Das
Linien- oder Formengedächtniss eines zeichnerisch, das
Tongedäehtniss eines musikalisch ,,Begabten'' (Mozart
hat das Jliserere der päpstlichen Kai)elle vollständig
notirt, nachdem er es zweimal gehört hatte), ja alltägliche
Klagen, wie „ich habe ein so schlechtes Zahleugedächt-
niss", oder „wären doch die Leute numerirt, dass ich sie
besser unterscheiden könnte", haben längst gezeigt, dass
das „Gedächtniss" keineswegs eine einheitliche P^'unetion
ist. Durcli die Kopfschnellrechner und ähnliche Er-
scheinungen wird bewiesen, dass wohl jeder Theil <les
Gedächtnisses besonders „begabt" und in diesem Falle
durch entsprechende Uebung, zu der die so „Begabten"
eben durch ihre „Anlage" willenlos getrieben werden
(denn sie fangen in einem Alter an zu „üben", in dem
von Willensbestinnnung noch kaum die Rede sein kann),
zu ausserordentlicher Leistung befähigt werden kann.
Dabei können andere Tlieile des Gedächtnisses, im Ver-
gleich mit dem Durchsehnittsmeuschen schwächer oder
auch vollständig normal sein. Das Beispiel Inaudi' s zeigt,
dass nicht liei allen Kopfrechnern die ..muiihcr forms"
(Galton) visuell sind; wenigstens Inaudi fasst, wie schon
erwähnt, Zahlen nur durch das Gehör auf und kann auch
nur rechnen, indem er murmelt, sich rechnen hört. Wie bei
den meisten „Rechnern" ist bei Inaudi ausschliesslich das
Zifferngedächtniss merkwürdig geübt, während z. B. das
Buchstabengedächtniss normal ist, wie auch seine geistigen
Fähigkeiten ül)erhaupt zu sein scheinen. Während er,
wie erwähnt, bis zu 30 vorgesprochenen Ziffern richtig be-
hält (bei 50 wird er unsicher und begeht Versehen, kann
er nur die durchschnittliche Zahl von vorgesprochenen
Buchstaben in richtiger Folge behalten und es ist un-
wahrscheinlich, dass auch weitgehende Uebung ihn hier
besonders fördern würde. Es mag schliesslich noch er-
wähnt w<'rden, dass von irgend einer erblichen Anlage
bei Inaudi nichts nachgewiesen werden konnte.
II.
JMe Blutseruintlieraitie. — Die von Stabsarzt
Dr. Behring in Berlin iiiaugurirte sogenannte Blutseruni-
therapie, die neueste hoffnungsvolle Errungenschaft der
modernen Medizin, wird durch ihren Urheber ihrer Ver-
vollkomnuiung innner näher entgegengeführt. In einem
soeben erschienenen Buche: „Das Tetanusheilseruni und
seine Anwendung auf den kranken Menschen" (Leipzig,
Verlag von Georg Thieme 1892) giebt der Verfasser einen
Bericht über den derzeitigen Stand und die Leistungs-
fähigkeit der sogenannten Blutserumtherai)ie und fügt An-
leitungen zu ihrer praktischen Handhabung bei. Nur für
den VVundstarrkrampf hat die neue Heilmethode bisher
praktische Bedeutung gewomien; hier ist sie ai)er auf so
sichere experimentelje Grundlage d. h. Erfolge bei Thier-
versuchen gestellt, dass ihre Anwendung beim Menschen
v(dlkommen bereclitigt, ja sogar gegenwärtig schon als
eine Pflicht für den Arzt erscheinen nuiss.
Nachdem Behring entdeckt hatte, dass das Blutserum
solcher Thiere (Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen"),
welche gegen Tetanus inmum gemacht worden sind,
immunisirende und heilende Kraft für andere Thiere
nicht nur der gleichen Gattungen, sondern auch höherer
Arten, vornehmlieh Hannnel und Pferde besitzt, ist sein
Streben dahingegangen, den Immunisirungswerth und die
Heilkraft des Serums immer mehr zu steigern Durch
Nr. 1.
Naturwissenschaftliphe Woohcnsflirift.
ständige Ueberinipfnug- des Seniins von Thiev zu 'l'hier
ist dieses Ziel auch bis /n einer hestinnnten Grenze \<in
ihm erreielit worden. Je stärl^er und je länger ein Tiiier
immun ist, desto grösser ist aueli die innnunisirende und
heilende Kraft seines Blutwassers. Diese beiden Eigen-
sebaften unterscheiden sieh dadurch, dass letztere immer
geringer als die erstere ist, so dass man für die praktische
Anwendung des Heilserums immer eine stärkere (Jon-
eenfration nötliig hat, als der hnmunisirungswcrth Ijeträgt.
\'erfugte Behring früher nur über ein Serum, von dem
ein (Iranun im Stande war, ein Thier von 100 Gramm
Köi-pergewicbt vor dem Tetanustode zu schützen, d. h. das
Blutserum besass einen Immunisirungswerth von 1 zu 100,
so ist er jetzt bereits zu einem solchen ^ou 1 zu 1 000 000
gelangt, das also 1000 Thiere nnt je 1000 Grannn Kör|)er-
gewicht zu immunisiren \ermag. Zur Heilung eines l)ereits
bestehenden Tetanus ist aber mindestens die tausendfache
Menge der zur Imnninisirung genügenden erforderlich, in
Folge dessen ist der praktische Werth des Heilserums
zur Zeit nnr erst 1 zu 1000. P'ür den Menschen von
75 Kilogrannn Körpergewicht berechnet, würden also
75 Gramm Heilserum zur Heilung des Tetanus nothwendig
sein. Schwere Erkrankungen würden noch eine Steigerung
dieser Dosis erheischen. Wie weit in solchen Fällen
Behrings Heilserum leistungsfähig wäre, steht noch da-
hin. Bis jetzt ist nur aus dem St. Hcilwigs-Krankenhause
in Berlin ein ndt dem Tetanushcilscrum behandelter und
geheilter Fall vim Wundstankrampf Ijeriehtet worden.
Da es sich aber imr um eine mittelschwere Form dieser
Erkrankung handelte, die öfters auch von selbst zur Heilung
gelangt, so beweist dieser Fall noch nicht stricte die
Wirksamkeit der Behringschen Heilmethode. Jedenfalls
aber eröft'net sie die Aussicht auf ein rationelles wirk-
sames Heih erfahren. Es sei übi-igens noch erwähnt, dass
diese Methode, deren Anwendbarkeit auch bei anderen
Krankheiten, wie z. B. Typhus und Cholera schon durch
Tliierversuche theoretisch bewiesen ist, bereits eine für
ihre i)raktisehe Anwendung sehr wertlivolle Abänderung
von anderer Seite erfahren hat, indem nämlich statt
des Blutserums der immunen Thiere die Milch dersclljcn
benutzt wird, in welche die innnunisirenden und heilenden
Stoffe gleichfalls übergehen. In der That hat auch die
Milch innnuner Ziegen, welche in dieser Hinsicht die ge-
eignetesten Versuchsthierc sind, solche Wirkung bei Thicren
entfaltet. Man hat dadurch Meerschweinchen ü-esen die
lidection mit Oiiolera zu schützen \crmoelit.
Dr. A.
Dr. Nansens Nordpolexpeditioii. — Am 2S. Sept.
d. J. hielt Dr. Nansen vor der geographischen Gesell-
schaft Norwegens in Christiania einen zweiten Vortrag
über seine geplante Nordi)olexpedition, welcher in dem,
vor einigen Wochen herausgegebenen Jalii'buch genannter
Gesellschaft zum Abdruck gelangt ist. Derselbe enthält eine
Reihe von Mittheilungen, über deren interessanteste wir
in Folgendem berichten wollen.
Nansens Plan besteht bekanntlieh darin, den P(d ndt
Hilfe einer Meeresströnning zu erreichen, welche, von dem
sil)irisehen Eismeere ausgehend, die Gegend des Nord-
poles erreicht und aus derselben in südlicher Richtung
wieder heranstritt, um in Gestalt des l)ekannten ost-grön-
ländiselicn PoIareisstr(mies den atlantischen Oeean zu er-
reichen. Für das Vorhandensein dieser Strömung, be-
ziehungsweise für die Zusammengehörigkeit des sibirischen
und des ost-gröuländischeu Stromes, hatte er schon vor
zwei Jahren einige Beweise augeführt; unter denselben
spielten Geräthschaften von dem, bei den neu-sibirischen
Inseln im Treibeis uutergegangenen nordamerikanisciien
Dampfer „Jeannette", die 3 Jahre später au der südlichen
Westküste Gr<inlands bei Julianehaab gefunden wurden,
eine Hauptrolle : ferner hatte er die zum grössten Theil
auf sibirisclicn Lärcbenstännncn bcstehemlen Treibholz-
masseu genannt, die in nord-südlicber Richtung an den
Küsten von Island, Grönland und Spitzbergen in grossen
Mengen jahraus jahrein angetrieben werden. Sodann
nannte er ein Wurfholz, welches bei Godthaab gefunden
und von Dr. Rink als eine (ieräthschaft der Alaska-
Eskimos erkannt wurde. In der Zwischenzeit hat nun
Nansen nocii mehrei'e andere Beweise für das Vorhainlcn-
sein dieser Strömung gefunden. Dahin gehören Proben
von Erde und Staub, die er selbst bei seiner Grönland-
expedition auf dem ost-grönländischen Treilteise gesammelt
hat. Die Untersuchung dieser Proben ergab, dass die-
selben zwei verschiedenen Typen angehören; die eine,
von Professor Trirnebolmi in Stockholm untersuchte Art,
bestand überraschenderweise zum grösseren Tlieih- ans
Humus, welcher mit mikroskopischen Splitterchen kry-
stalliner Gesteine durchsetzt war. Xinmiermebr kann die
Heimath dieses Hunms in dem Polargebiete selbst gesucht
werden, vielmehr liegt dei' Sidduss nahe, dass diese, vom
Winde auf den Eisschollen aufgewehten Erdmassen aus
einem humusreichen Steppenlande herrühren, und es ist
in höchstem Maasse wahrscheinlich, dass ihre Heimath in
der sibirischen Ebene zu suchen ist, von wo aus sie auf
den Eisschollen der mächtigen Ströme dieses Landes die
weite Reise angetreten haben. Noch viel charakteristischer
ist die Zusannni'nsetzung der zweiten Art von Staub, welche
nur in geringen Mengen durch Einschmelzen des Eises
und Filtrireu des Schmelzwassers erhalten werden konnte.
Dieselbe besteht zum grössten Theile aus Diatomeen, mi-
kroskopisch-kleinen einzelligen Kieselpanzern von Algen,
welche \ on dem bekannten schwedischen Diatomecntorscher
Prof. Cleve in Upsala untersucht wurden. Derselbe
sagt darüber Folgendes: „Die Diatomeen sind marine
Formen (d. b. im Salzwasser entstanden) vermischt nnt
einigen wenigen Süsswasserformen, die mit dem Winde
vom Lande gekonmien sind. Die Diatonieenüora dieses
Staubes ist sehr eigenthündicb und verschieden von den
tausend von nn'r untersuchten Proben, mit Ausnahme von
einer, mit welcher sie die vollständigste Uel)ereinstiinmung
besitzt, einer Probe nändich, die während der N'egaexpe-
dition von Kjellman auf einem Eisfleek bei Gap Wanka-
rema in der Nähe der Beringstrasse eingesannnelt wurde.
Die Arten und die Varietäten in beiden Proben stinnnen
vollständig überein." Diese LIebcreinstinnnnng ist um so
nierk\vürdiger, als zum Vergleiche auch Diatomeenproben
aus anderen 'l'heilen des Polarmeeres, von Spitzbergen,
dem Karischen Meere, Franz-Josephsland und (irönland
benutzt werden konnte und keine mit jener ül)erein-
stiramte.
Dass diese Verbindung Nord-Asiens mit dem Meere
nördlich von Europa schon seit sehr langer Zeit be-
steht, dai'üi- spricht noch ein anderer Umstand. An
den Küsten von Norwegen und an den Nordseeküsten
linden sich Bimsteine und Bimstein ähnliche Gesteine, die
zweifellos auf dem Meereswege dorthin geführt sind.
Eine Untersuchung dieser Gesteine durch den schwedischen
Geologen Bäckström ergab, dass dieselben verschieden-
artigen Ursprunges sind. Ein 'i'lieil besteht aus llohofen-
schlacken, die von den Eisenwerken bei Jliddlcsbro in
England erzeugt und seit mehr als 50 Jahren regel-
mässig in die Nordsee geworfen sind. Ein anderer Theil
dagegen besteht aus Andesitgesteinen, von einer Be-
schafil'enheit, wie sie in den atlantischen Vulcangebieten
bisher nicht beobachtet wurde; wohl aber kömnen die-
selben sehr leicht von den Vulcanen des nordwestlichen
Nordamerika in der Nähe der Beriugstrasse herridnx'u
und es wäre damit ein neuer Beweis für das Vorhamlen-
sein der von Nansen Norausgesetzten Strömung erbracht.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 1.
Gegenüber allen amlereu Versuciien, zum l'ol vorzu-
dringen, die mit widrigen Strömungen und hindernden
Packcisniassen zu kämpl'en hatten, will Nansen nun sein
Ziel erreiclieu, indem er von den Neusibirisclien Inseln
ausgehend, von der Strömung' im Eise zu dem so heiss
ersehnten Ziele aller Polartährer sich hintragen lassen
will. Dazu bedarf er vor Allem eines hinreichend wider-
standskräftigen Schiffes, über dessen Construetidn er fol-
gende Mittheilungeu macht:
Die wichtigste Eigeüsehaft des Schiffes besteht darin,
dass die Seiten unter der Wasserlinie abgeschrägt sind,
so dass es, wenn es zwischen zusannnendrängende Eis-
schollen geräth, von denselben nicht zusanmiengedrückt
werden kanu, sondern von ihneu gehoben werden nuiss,
unter Umständen so hoch, dass es auf einer Eisscholle
zum Stehen kommen kann, woljci es durch ilie
flache Unterseite vor dem Kentern geschützt wird. Das
Schiff' ist SU klein wie möglich und kann nur Proviant
für 5 Jahre für 12 Mann, sowie das nöthige Brennmate-
rial für die Maschine und die Heizung führen. Fernerhin
ist das Schilf so kurz wie niöglicii und zwar beträgt seine
Länge nur dreimal so viel wie seine Breite (34 und 11
Meter). Von besondeier Wichtigkeit wai- es, die Seiten des
Schiffes so glatt \vie nur möglich, luid ohne irgend welche
vorspringende Ecken und Kanten zu l'ertig-en, so dass
das Eis keine Angriffspunkte tiudet und das Schiff selbst
glatt wie ein Aal den Umarmungx'u des drängenden
Packeises sich zu entwinden \erniag. Sodaiui muss das
Schiff selbstverständlich so stark als nKiglicli gebaut sein,
um tlem Drucke des Eises Itei etwaigem Emporheben
genügend Widerstand leisten zu können. Aus dem Grunde
wurden zum Bau die besten Hcilzer verwendet: amerika
nische Ulme zum Kiel, italienische Eiche, in dreissig
Jahre gelagerten, natürlich gewachsenen l\runmili(ilzern
zu den Sjjanten, amerikanische Pitchpine zu der Ueber-
kleidung der Spanten und darüber dann nochmals drei
Verkleidungen. Die beiden innersten derselben, 3 resp.
4 Zoll dick, bestehen aus Eichenholz, die äusserste, die
sogen. Eishaut dshnd) aus Greenheart, einer ausserordent-
lich harten und glatten Holzart, in einei- Stärke von
6 Zoll in der Wasserlinie. Als Beweis für die Kostbar-
keit des ganzen Schiffes führt Nansen an, dass allein
das Rohmaterial zu dieser Eishaut 22 000 Mark ge-
kostet hat.
Das Schiff' ist ein dreimastiger Schooner mit einer
Maschine \(>n KiO Pferdekräften, die bei einem täglichen
Kohlenverbrauch von 2,8 Tonnen dem Schiffe eine (!e-
sehwindigkeit von 6 Knoten geben wird. Unter Segeln
kann dasselbe etwa eine Schnelligkeit \ tni S — 9 Knoten er-
reichen. Von der Wasserverdrängung von 800 Tonnen
beansprucht die Maschine bei gefüllten Kesseln etwa
420 Tonnen. Da der Proviant auf t)0 Tonnen sich be-
rechnet, so bleiben etwa 320 Tonnen füi- Kohle und
anderes Brennmaterial, was um so mehr ausreichend er-
scheint, als das Schiff nach der letzten K(dileneinnahme bis
zur Heimkehr unter keinen Umständen länger als zwei
Monate unter Dampf sein wird. Unter diesen Umständen
kann die Hälfte des Heizmaterials zum Kochen und zur
Wärmeerzeugung während der Ueberwinteruugen \er
wendet werden. Ausserdem wirtl natürlicii zur Beleuchtung
auch noch Petroleum und Paraffin, sowie zum Jvochen
S])iritus mitgeführt.
Mit Stolz sagt Nansen, dass ein Schiff gleich dem
seinen und in gleich praktischer Einrichtung und Aus-
rüstung noch niemals vorher gebaut ist. Uebrigens wird
es in Lanrwig von Colin Archer angefertigt und geht
seiner denniäclistigen \'ollenduug entgegen. Für den Fall,
dass das Schiff gegen alle Voraussetzung doch unter-
gehen sollte, führt Nan.seu noch zwei zweckmässig ge-
baute Boote mit sieh, die im Stande sind, die gesannnte
Bemannung und eine hinreichende Menge von Lebens-
mitteln aufzunehmen, so dass auf iiinen die t^ahrt im Treib-
eise „mit aller Behaglichkeit" fiu-fgesetzt werden kann.
Eine grosse Unannehmlichkeit hat bei verschiedenen
Polarexpeditionen darin gelegen, dass die Feuchtigkeit
im Räume an den kalten Aussenwänden sich nieder-
schlug und zu Eis gefror, und es ist eine ganz gewöhn-
liche Sache, dass die Matratzen in den Mannschaftskojen,
die an den Aussenwänden liegen, mehr oder weniger
vollständig in Eisklumpen verwandelt wurden. Um dieser
Unbeipiemlichkeit zu entgehen, ist alles Mögliche ge
schelten, um die Aussenseiten zu erwärmen: sie sind mit
getheertem Filz, mit Korklagen, mit Tannenbretteru, mit
einer Lage dicken Filzes, einer luftdichten Linoleundage
und noch einer Bretterverkleidung bedeckt. Ebenso be-
steht die Decke im Salon und den Kajüten aus ver-
schiedenen Lagen: Luft, Filz, Fichtenbretter, Linoleum,
Rennthierhaardecken, Fichtenholz, Linoleum, Luft und noch-
mals Fichtenholz, was zusammen mit den 4 Zoll dicken
Deckplatten eine Stärke von IT) Zoll ergiebt. In ähn-
licher \\'eise ist natürlich auch der Fussboden behandelt
worden und der kalten Luft möglichst jeder Zugang ab-
geschnitten. Als Hauptwohnraum, in welchem die ge-
sammte Mannschaft bei der stärksten Kälte Tag und
Nacht wohnen wird, wird der Salon dienen, wobei nach
dem Princip der Eskimos das Ik'ieinanderhauseu im eng-
sten Räume zur Wärmeei-zeugung dient.
Auf dem Schiff'e sollen Hunde mitgeführt werden,
zur Benutzung bei AusHügen übe. das Eis und über etwa
zu findende Landstreeken, zu letzterem Zwecke natürlich
auch Schneeschuhe.
Vor dem Skorbut. hofft Nansen sich und seine Leute
zu schützen durch Vermeidung schlechtpräservirten oder
gesalzenen Fleisches, wofür es ja mancherlei P^rsatz giebt.
Noch zwei andere Dinge sind wichtig für die Er-
haltung der Gesundheit: Wärme und Licht. Zur Erzeu-
gung der nöthigen Wärme dient also einmal das Zu-
sammenwohnen im engen Räume, sodann warme Kleidung
und drittens die Heizung. Für letztere hält er eine gute
Paraffinlampe, die Tag und Nacht brennt, als ausreichend.
Die durch dieselbe entwickelte Kohlensäure will er in
einem Rohre so fortführen, dass sie auf ihrem Wege ihre
ganze Wärme an den Wohnraum abgiebt. Zur Beleuch-
tung in der monatelangen Polarnacht wird das elek-
trisdie Licht dienen. Das Schiff wird eine Dynamo-
maschine führen und die Elektricität soll mit Hilfe einei-
Windmühle durch die bewegte Luft erzeugt werden. Wo
diese Kraftquelle aber versagt, wird die Besatzung des
Schiffes seihst sich in der Weise Lieht verschaffen, dass
die Leute, zu je vieren auf dem Verdeck im Kreise lust-
wandelnd, ein' Göpelwerk in Bewegung setzen werden,
welches zur Erzeugung und Aufspeicherung von Elektrici-
tät dient. Äussernder nützlichen und gesunden Bewegung
kann auf diese Weise für eine täglich 8—10 Stunden
brennende Bogenlampe die nöthige Elektricität geschafft
werden, und Nansen hofft, dass seine Zuhörer ihm und
den Seinen zuweilen ein freundliches Gedenken gönnen
werden, wenn sie oben in der Stille der Polarnacht mit ihrer
Rundwandcrnng auf dem Verdecke zum Zwecke der Licht-
erzeugung lieschäftigt sind. Dr. K. Keilhack.
Die Schw aiiliuiigen der Polhöhe, welche bereits
seit einigen Jahren auf Grund genauester Meridianbeobach-
tungen an einigen europäischen Sternwarten als äusserst
wain-scheinlich gelten mussten, sind neuerdings durch ein
im Auftrage der internationalen Erdmessung ausgeführtes
experimentum crucis als sieher erwiesen zu betrachten.
Nr. 1.
Naturwissenschaftliche Wochensclirift.
Es haben näniHch im vorigen Jahre Dr. Markuse und
Mr.. Preston auf den Havai-Inschi Polhöhenbestimraungcn
ausg-efiihrt, mit denen gleiclizeitige lieobacbtungcn in
Berlin, Strassburg und Prag corresixmdirten. Dabei bat
sich herausgestellt, dass die .Schwankungen der J'dlbölic
in Honolulu das genaue Si)iegelbil(l der entsprechenden
8cbwanknngen in Deutschland darstellen, was bei einer
wirklichen Verschiebung der Erdachse im Erdkörper noth-
wendig der Fall sein mnsste, weil Honolulu ziemlich ge-
nau an der uns diametral gegenüberliegenden Stelle der
Erdoberfläche sich betindet. Der maximale Betrag dieser
nunmehr also festgestellten, in ihren Ursachen aber noch
nicht klar durchschauten Polhöhenschwankung beträgt
eine halbe Bogensecunde, was einer Verschiebung des
Pols um 20 Meter entspricht. Die Periode der Schwan-
kung beläuft sich nach den neuesten Festellungen auf
386 Tage. Man beabsichtigt, zum Zweck der näiieren
Erforschung- der vernuithlieii meteorologischen Crsaeiien
der hochinteressanten Erscheinung an einzelnen, günstig
gelegenen Punkten der Erdoberfläche dauernde Beobaeh-
tungsstationen für dieselbe einzurichten.
Das Spectriim des Yeränderlichen Sternes ß Lyrae
ist in den letzten Monaten Gegenstand einer eingehenden
Untersuchung durch Herrn A. Beloimlsky auf der Stern-
warte in Pulkowa gewesen. Die benutzten Instrumente
sind der dortige 30-Zöller und der neue Spectograph der
Sternwarte. Die Spectren sind durch orthochromatische
Platten flxirt worden. Im Ganzen sind 17 Spectrogranunc
erhalten worden, welche hauptsäehlicli die Gegend zwischen
den Linien H3 und 1) zur Darstellung bringen. Die Er-
gebnisse lassen sicli so zusannnenfasscn:
Es sind helle und dunkle Linien vorhanden. Erstere"
sind der Mehrzahl nach sehr zart und in der Gegend
zwischen Hp und H^ besonders gut zu sehen. Eine
andere duulcle Linie, welche das Si)ectrum besonders
charakterisirt, ist breiter als die ersterwähnten, sehr
deutlich mit hellen Rändern, die man zuweilen als selbst-
stäudige helle Linien beobachten kann. Die Linie D3 ist
sehr hell.
Das continuirliche Spectrum wird zuweilen sehr
schwach. Hier ist die der Wellenlänge .501,4 /(/* (Mil-
liontel ^Millimeter) entsprechende Linie besonders zu er-
wähnen. Sie bleibt stets vorhanden, während die anderen
von Zeit zu Zeit verschwinden. Dagegen werden ihre
hellen Ränder zuweilen sehr schwach und verschwinden
selbst gänzlich. Auch finden Wechsel in den relativen
Intensitäten beider Ränder statt.
Die Linien F (Wasserstoft") und Dg müssen besonders
untersucht werden. Erstere ist grösstentheils, so vom
30. August bis 3. (Jetober 1892, doppelt gewesen. Hellig-
keit und Breite l)eider Gomponenten sind häufigen Ver-
änderungen unterworfen. Bald sind beide gleich, und
zwischen ihnen sieht man eine dunkle Linie. Bald ist
die eine breiter als die andere und umgekehrt, bald ver-
schwindet die eine und an ihre Stelle tritt eine ziemlich
breite dunkle Linie. Bald endlich sind beide Gomponenten
als helle Linien zu sehen, die an einer Seite von einer
breiten dunkelen Liniebegleitet werden.
Zuweilen verschwindet, wie schon lange bekannt ist,
die Linie Dg gänzlich. Aber neu ist, dass sie auch dop-
pelt wird. Aus seinen bisherigen Beobachtungen konnte
Herr Belopolsky noch nicht sicher entscheiden, ob daim
zwischen beiden Gomponenten eine dunkle Linie entsteht.
Ausser den erwähnten hat Herr Belopolsky noch eine
grosse Zahl von Linien gemessen, von denen zehn als
besonders scharfe bezeichnet werden. Dieselben erstrecken
sich von 587, G2 [ift- bis 448,13 |U|(/ Wellenlänge. Sie sind tbeils
helle, theils dunkle; einige sind dunkle mit hellen Rändern.
Die Beobachtungen B's. sind umso werthvoller, als
ß Lyrae zu denjenigen Variabein gehört, in deren Liclit-
weclisel bisher noch keine rechte ( iesetzmässigkeit gebracht
werden konnte, sodass auch eine Hy|)othese über die Ur-
sachen der Veränderlichkeit noch nicht gewagt werden
durfte. Auch jetzt ist es noch zu früli, um eine solche,
definitiv aufzustellen. Dazu müssen die Beobachtungen
der F-Liuie noch vervielfältigt werden. Es scheint nämlich
aus den vorliegenden Wahrnehmungen, als ob eine dunkle
Linie sich in der Gegend von F hin und her bewege, wo-
durch das Aussehen einer hellen beeinflusst wird. Be-
stätigt sich das, so würden wir allerdings in der Lage
sein, zuverlässigere Schlüsse über die physikalischen Ver-
hältnisse der Variabein zu ziehen. Die Verdoppelung der
Dg-Linie sollte übrigens einen engen Doppelstern anzeigen,
dem wohl etwa 26 Tage Undaufszeit zukonnnen würden.
Allein auch für eine Entscheidung in diesem Punkte
müssen weitere Beobachtungen abgewartet werden.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Eis wurden ernannt: liezirkstliicrarzt Steuert in iMenniiinfcen
zum I-'rofessor iler Anatomie und Physiologie der Thiere an der
landwirthseliaftliclien Schule zu Weihenstephan. — Zum Director
der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien (an Stelle des aus-
geschiedenen Herrn Dionys Stur) d^r seitherige Vicedirector
Oberbergrath Dr. Guido Stäche. — Prof. S triebeck, zum
Docenten für meclianische Technologie an der technischen Hocli-
schule in Dresden.
Der Botaniker Dr. Paul Preuss ist Anfang Januar im Auf-
trage des auswärtigen Amtes wieder nacli Afrika, und zwar als
Leiter des botanisclien Gartens und der Versuchsplantage nach
Victoria am Kamerun-Gebirge gereist.
Es ist gestorben: Der vergleichende Anatom Sir Rii-hard
Owen in Kichmond bei London im 89. Lebensjalirc.
Eine „ (lesel Ischaf t der Iva kte enfreunde " hat sich in
Berlin constituirt. — Vorsitzender: Prof. Dr. K. Schumann-
Berlin, Schriftführer: Chemiker Hans Fischer-Adlershof.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. Carl MüUer's (Privatdoe. der Botanik au der Kgl. Land-
wirthseliaftliclien Hochschule zu Berlin) und Dr. H. Potonie's
(Doc. für PHanzenpalaeontologie au der Kgl. Bergakademie
zu Berlin) Botanik. Dr. H. Potonie's Naturwissenschaftliche
Repetitorien, lieft 3. 32o Seiten. Mit 43 Abbilduugeu im Te.\te.
Berlin NW., Fischer's Medic. Buchhandlung. H. Kornfeld. 1893.
Preis .5 M.
In meinen „Elementen der Botanik", die für solche berechnet
sind, die botanische Studien überhaupt noch nicht getrieben haben,
konnte ich die Darstellung so wählen, wie sie mir am richtigsten
scheint, und diejenigen Termini in den Vordergrund stellen und
anwenden, die ich für die zweckmässigsten halte. In dem vor-
liegenden Bcpetitorium mussten die beiden Verfasser — mit Rück-
sicht auf die E.xaminatoren verschiedener Schulen — • auch
die Termini und überhaupt die Wissenschaft auch der anderen
botanischen Richtungen vorbringen, als derjenigen (der Scliwen-
dener'schen Schule), welcher meine Elemente angehören.
Herr Dr. Carl Müller, den ich die Freude hatte, als Mitar-
beiter an dem vorliegenden Heft 3 (Botanik) der von mir heraus-
gegebenen Repetitorien zu gewinnen, hat mich in der erwähnten
Absicht unterstützt; bei zwischen zweien gepflogenen Berathungen
musste der erwähnte Plan besser gelingen. Es kommt hinzu,
dass Herr Dr. Müller als Verfasser einer ausgezeichneten ,Medicinal-
Hora" bei ihrer Abfassung Gelegenheit hatte, sich eingehender
mit medicinisch-pharmaceutisclier Botanik zu beschäftigen, die
bei dem vorliegenden Repetitorium in Betracht kouuut, weil es
auch mit Rücksieht auf die Bedürfnisse der Mediciner und Phar-
maceuten verfasst ist.
Abgesehen von dem Gesagten ist naturgemäss das Repetito-
rium nur für diejenigen geschrieben, die schon — wenn auch ver-
gessene — botanische Studien getrieljen haben und bereits An-
schauungen mitbringen. Ein Repetitorium soll ja nur Kenntnisse
und Anschauungen auffrischen, kurz und bündig sein und vor
allen Dingen nur das Allerwichtigste bringen; ein Lehrbuch oder
Grundriss hingegen sollte auch dem vollständigen Anfänger von
Nutzen sein. P.
10
Naturwissenscliaftlichc Woclionsclirift.
Nr. 1.
Fr. Ludwig. Lehrbuch der niedern Kryptog:amen mit beson-
derer Berücksichtigung' derjenigen Arten, die für den
Menschen von Bedeutung sind oder im Haushalte der Natur
eine hervorragende Rolle spielen. .Stuttnurt (Ferilinaiul Enkej.
189-'. ö". — Preis J-i Mk.
Das vorliegende Buch verfolgt in erster Linie populäre
Zwecke; es soll dem Lehrer, dem Studirenden und dem gebildeten
Laien eine Einführung in d;ia Studium der niedern Kryptogamen
geben und zugleich eine vollständige Uebersicht über diejenigen
Formen bieten, welche in irgend einer Beziehung wichtig sind.
Dieser letztere Zweck wird völlig erreicht, Verf. hat mit grossem
Fleiss die gesammte Littevatur benutzt und giebt die neuesten
Forschungen in ausführlicher Form wieder. Wer also sich über
die krankheitserregenden Bacterien, über den Parasitismus und
Saprophvtismus der Pilze oder über die A'erwendbarkeit der
Algen und Flechten unterrichten will, der nehme das Buch getrost
zur Hand, er wird in allen Fällen Belehrung und Auskunft
finden.
Den mehr praktischen Zwecken des Buches entsprechend
sind die einzelnen Abtheilungen der Pilze, Algen u. s. w. in ver-
schieden ausführlicher Form wiedergegeben. Ref. hätte gern ge-
sehen, dass bei den Algen und Flechten, die ja naturgemäss nicht
die Wichtigkeit besitzen wie die Pilze, die entwieklungsgeschicht-
lichen Thatsachen ausführlicher angegcijen wären; es wäre dann
das Missverhältniss, das zwischen der Seitenzahl di-r Pilze und
der der übrigen Gruppen lierrscht und durch die Anführung aller
bemerkenswerthen und wichtigen Arten l)edingt ist, zum grossen
Theil ausgeglichen worden. Indessen lässt sich dies einigermaassen
mit den praktischen Gesichtspunkten, von denen das Buch aus-
geht, entschuldigen.
Jedenfalls wird das Buch für alle Diejenigen, welche sich mit
der Kryptogamenkunde befassen wollen und sich scheuen, die
Fachlittoratur zu lesen, ein ganz willkommener Rathgelier und
eine Quelle der Anregung sein. Dr. Lindau.
Kine „Zeitschrift für praktische Geologie mit besonderer
Berücksichtigung der Lagerstättenkunde' irscheint seit dem
1. Januar in niouatlichen Heften in der Verlagsbuchhandlung von
Julius Springer in Berlin. Herausgeber ist Bergingenieur Max
Kr ah mann. Sie will zwischen Wissenschaft und Praxis ver-
mitteln, und ein wissenschaftlicher Centralpunkt für alle die ver-
schiedenen Interessen werden, deren Ausgangs- oder Mittelpunkt
die Erdkruste mit ihren Schätzen ist; sie will ferner die für das
wirthschaftliche Leben wichtigen Resultate der geologischen
Landesdurchforschungen sammeln, kritisch vergleichen, ordnen
und einem grösseren Leserkreise zugänglich machen; sie möchte
in durchaus wissenschaftlicher Haltung zwar, doch in allgemein
verständlicher Form zwischen Lehre und Leben, zwischen Intelli-
g^enz und Kapital vermitteln, der Praxis ein Führer sein und der
Wissenschaft neues Boobachtungsmaterial zuführen.
Das vorliegende — wie alle in dem genannten Verlage er-
scheinenden Zeitschriften — gut ausgestattete Heft in Gross-
Octav umfasst 48 Seiten und bringt die folgenden Original-Ar-
tikel, deren Fortsetzungen zum Theil noch ausstehen: Fr. Bey-
schlag, Geologische Specialaufnahmen: F. Wahnschaffe,
Geologie und Ackerbau; A. Baltzer, Bericht über einleitende
Arbeiten am unteren Grindelwaldgletscher zur empirischen Be-
stimmung der Eiserosion; Th. Breidenbach, Das Goldvor-
kommen im nördlichen Spanien; P. Groth, lieber neuere Unter-
suchungen ostalpiner Erzlagerstätten; R. Beck, Das Steinkohlen-
becken des Planenschen Grundes; R. Helmhacker, Die Mineral-
kohlen in Russisch-Asien; Carl Ochsenius, Ueber unterirdische
Wasseransammlungen. Das Heft bringt eine Anzahl Abbildungen
und Kartenskizzen. — Der Preis für den Jahrgang der Zeitschrift
beträgt 18 Mk.
Nietzsche, F., Also sprach Zarathustra. 2. Aufl. Leipzig. 12 M.
— .— Unzeitgemässe Betrachtungen. '2. Aufl. Leipzig. 5,75 M.
Perregaux, F., Untersuchungen über die in den toten thierischen
Geweben vom galvanischen Strom bedingten elektrolytischen
Veränderungen. Basel. 3,20 M.
Pfeil, L., Graf v.. Die Lufthülle der Erde, der Planeten und der
Sonne. Berlin. 1 M.
Von Dr. C. Baenitz Herbarium Europaeum werden soeben
die Lief. 3o— 10, Vi, 5-', .5.5 und Gl) (109 No.), Lief. 51, 56, 58
und 65 (53 No.) in zweiter und die Lief. 70-74 in erster Aufl.
ausgegeben.
Lief. 70 (68 No.) enthält die niederen Cryptogamen (Moose
und Pilze), von welchen die letzteren von Prof Dr. P. Magnus
Berlin und Oertel-Halle, die 21 Sphagnum-Arten von Baenitz bei
Königsberg und in Dovre Fjekl in Norwegen gesammelt worden.
Lief. 71 (45 No.) bringt seltene und interessante Pflanzen
aus Ungarn und Siebenbürgen. Lief. 72 (97 No.) umfasst die
mitteleuropäische Flora, aus welcher 19 No. allein auf die Hie-
racien kommen.
Lief. 73 (82 No.) gehört fast ausschliesslich der skandina-
vischen Flora an. Bemerkenswerthe Arten sind : der sehr seltene
Juncus alpinus et lamprocarpus (Schweden), das neue vom Autor
gesammelte Cerastium subtetrandum Murbeck, Heleoscharis am-
phibia Dur. (Frankreich) u. zahlreiche Arten, sowie auch einige
neue Varietäten (Ribes rubum L. v. pseudo-petraeum Baenitz etc.)
des arktischen Norwegens und des Dovre Fjelds.
Lief 74 (115 No.) umfasst Spanien, Portugal, Sicilien, Bul-
garien und Griechenland. Die Namen der Sammler: El Rever-
chon, Burchtien, H. Ross, Strebny und v. Heldreich bürgen für
gut präparirte Exemplare. Besondere Erwähnung verdient die
Thatsachi», dass diese Lieferung zahlreiche neue Arten enthält,
welche Dr. v. Velenosky in seiner klassischen „Flora Bulgarica"
(1891) beschreibt.
Das Inhaltsverzeichnlss aller Lieferungen ist gratis zu be-
ziehen durch den Herausgeber Dr. C. Baenitz in Königsberg i. Pr.
Zur Nachricht.
Ich sehe mich genöthigt, nochmals die folgende Mittheilung
zu machen. — Die Angabe des „verantwortlichen Redacteurs"
unter jeder Nummer der „Naturw. Wochenschr." geschieht nur.
um dem Gesetze (Press-Gesetz § 7) zu genügen. In Bezug auf
die Verantwortlichkeit der Redaktion gegenüber dem Leserkreise
aber ist zu betonen, dass keineswegs Alles, was ein Mitarbeiter
in der „Naturw. Wochenschr." ausspricht, auch im Sinne der
Redaction liegt. Wer das Blatt aufmerksam liest, wird häufig
genug sich widersprechende Ansichten finden, allerdinars nur auf
theoretischem (xebiete, wie das in dem Worte „Ansichten" liegt.
Die Redaction hält es bei der Selbständigkeit des Leser-
kreises nicht für ihre Aufgabe, ausschliesslich für ihre Special-
ansichten über das « und w der Welt Propaganda zu machen,
sondern lässt auch solchen Richtungen das Wort, die — sei es
wegen ihres grossen Anhanges, sei es, weil sie von bewähi'ten
Fachleuten vertreten werden — Beachtung verdienen. Die Re-
daction strebt danach zu erkennen, was die Welt im Innersten
zusammenhält, und meint nicht, dass sie für ihren Theil diese
Erkenntniss bereits unumstösslich gewonnen habe. Die Autoren
sind also besonders in der angedeuteten Hinsicht für ihre Mit-
theilungen allein verantwortlich; die Verantwortung der
Redaction den Lesern gegenüber erstreckt sich nur soweit, als
sie bemüht ist, nur solche A'eröftentlichungen zuzulassen, die ihrer
Meinung nach geeignet sind, dem genannten Streben zu dienen.
Sie glaubt in dieser Hinsicht nicht zu engherzig sein
zu dürfen. Dass aber auch eine Redaction nur Menschenwerk
ist, dem stets Unvollkommenes anhaftet, wird der Leser gebeten,
niemals zu vergessen. Sie ist daher auf Nachsicht angewiesen,
und es muss ihr vollkommen genügen, wenn der freundliche
Leserkreis die Ueberzeugung gewinnt, dass die Leitung bei Allem
stets nur mit ihren besten Ki-äften im Sinne ihrer Aufgabe handelt.
P.
Briefkasten.
Hrn. Prof. K. — Wir empfehlen Ihnen für den von Ihnen
erwähnten Zweck dringend das Studium des Buches von (t. John
Romanos (eines Schülers von Darwin): „Die geistige Entwicklung
im Tliierreich. Nebst einer nachgelassenen Arbeit : Ueber den
Instinkt, von Charles Darwin". Die gute deutsche Uebersetzung
ist zu dem geringen Preise von 5 Mk. in Leipzig (Ernst Günther's
Verlag) 1885 erschiene!. Wer sich näher über die Entwicklung
der seelischen Erscheinungen unterrichten will, muss in erster
Linie Romanes' Buch zur Hand nehmen.
Inliiilt: Dr. med. et phil. Georg Buschan: Die tertiären Primaten und der fossile Mensch von Südamerika. — Dr. Otto Kuntze:
Botanische Excursion durch die Pamjias und Monte-Formationen nach den Cordilleren. — Der Rechner Inaudi. — Die Blut-
serumtherapie. — Dr. Nansens Nordpol('xi)edition. — Die Schwankungen der Polhöhe. — Das Spectrum des Veränderlichen
Sternes /J Lyrae. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Dr. Carl Müllers und Dr. H. Potonie's Botanik. Dr.
H. Potonie's Naturwissenschaftliche Repititorien III. — Dr. Ludwig: Lehrbuch der niedern Kryptogamen mit besonderer Be-
rücksichtigung derjenigen Arten, die für den Menschen von Bedeutung sind oder im Haushalte der Natur eine hervorragende
Rolle spielen. — Zeitschrift für praktische Geologie mit besonden-r Berücksichtigung der Lagerstättenkunde. — Liste. —
Dr. C. Baenitz: Herbarium Europaeum. — Zur Nachricht. — Briefkasten.
Verantwortliclier Redakteur: Dr. Henry Potoniö, Berlin N. 4., Invalidoustr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein. Berlin SW. 12.
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dem mit Geologen in Beziehung setzen, welche ihm liefern können, in
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Anetiiuic Im- fünftfii hcririitiiitcn Autiaiu'-
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In Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung in Berlin sind erschienen:
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Heft 10
6.
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von Dr. V. Sclile-el. M
Das Rechnen an den Fingern und Maschinen von
l'i.'t. Dr. .\. s^-|;ubert.
Die Bedeutung der naturhistorischen, insonderheit
der zoologischen Museen von Professor Dr. Karl
Krjie]ieliii.
Anleitung zu blütenbiologischen Beobachtungen
von Prof. Dr. E. Loew.
Das „glaziale" Dwykakonglomerat Südafrikas von
Dr. F. M. Staplf.
Die Bakterien und die Art ihrer Untersuchung von
Dr. Hob. Mittniunn. Mit 8 Holzschnitten.
Die systematische Zugehörigkeit der versteinerten
Hölzer (vom Typus Araucarioxylon) in den palaeo-
litischen Formationen von Dr. H. Potonie. Mit
1 Tafel.
Ueber die wichtigen Funktionen der Wanderzellen
im thierischen Körper von Dr. E. Korscheit.
Mit 10 Holzschnitten.
Ueber die Meeresprovinzen der Vorzeit von Dr. M
F. Frech. Mit Abbildungen und Karten. *
Ueber Laubfärbungen von L. Kny.
bchnitten.
Mit 7 Holz-
11. Ueber das Causalitätsprincip der Naturerschei-
nungen mit Bezugnahme auf du Bois-Reymonds
Rede: „Die sieben Welträthsel" von Dr. Eugen
Dreher.
12. Das Räthsel des Hypnotismus von Dr. Karl Friedr.
Jordan.
13. Die pflanzengeographische Anlage im Kgl. bota-
nischen Garten zu Berlin von Dr. H. Potonie.
Mit 2 Tafeln.
14. Untersuchungen über das Ranzigwerden der Fette
von Dr. Ed. Ritsert.
15. Die Urvierfüssler (Eotetrapoda) des sächsischen
Rothliegenden von Prof Dr. Hermann Credner
in Leipzig. Mit vielen Abbildungen.
IG. Das Sturmwarnungswesen an den Deutschen Küsten
von Prof Dr. W. J. van Bebber. Jlit I Tafel
und 5 Holzschnitten.
Preis: Heft 1—4 a 50 Pf.. Heft 5—16 ä 1 M.
»«•••••4
a»- Hierzu eine Beilage von der Verlagsbuchhandlung Velhagen & Klasing in Bielefeld, betreffend: „Velhagen i: KlasiugS
Monatshefte", die wir hiermit besonderer Beachtung empfehlen.
Verlag: Ferd. Düminlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. Honntag, den
8-
Januar 1893.
Nr. 2.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrapreis ist Ji 3.—
Bringegeld bei der Post 15 4 extra.
f
Inserate : Die viergeapaltene Petitzeile 40 ^. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach üebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist iiar mit volliständi
g:er ({nellenang-abe gestattet.
Botanische Excursion durch die Pampas und Monte-Formationen nach den Cordiileren.
Von Dr. Otto Kuntze.
(Fortsetzung.)
Als am 5. Januar eiu Landregen sich einstellte, wur-
den die Reisegenossen schier verzweifelt und waren fast
entschlossen, die Expedition aufzAigeben; wir hatten uns
erkundigt, was meine 3 Mulen Eisenbahntransport nach
Mendoza, von wo noch der kürzeste Andeniil)ergang, jetzt
in 4 Tagen ausführbar ist, kostete. Da dies 116 Pesos,
also etwa ebensoviel als der Kaufwerth der Mulen be-
tragen sollte, verzichteten wir auf diesen Transport und
wappneten uns mit Geduld, trösteten uns mit dem guten
Mendoziner Rothweiu des Hotels, zur Abwechselung auch
mit 1 Glas Gin mit Bitter-, oder Cognac mit Sodawasser.
Da indess trotz der Pension von nur 3 Pesos für Jeden
täglich bei dem infolge des Regens möglicherweise länger
dauernden Aufenthalt die Gesellschaftskasse der Professoren
zu sehr in Angritf genommen würde — ihre Gehälter sind
nicht gestiegen, aber der Geldwerth ist auf Va gefallen,
sodass Sparsamkeit hier wohl angebracht ist — , so
siedelten wir von dem Gasthof zu unseren Mulen über
und campirten in der Remise, wo unsere Bagage lagerte.
Der Diener von Prof. Kurtz, Don Vicente, kochte für uns,
so gut er konnte; wir assen alles aus je einer Feldschüssel,
halb Teiler, halb Schüssel, schlürften Mate (Hex para-
guariensis St. Hil.) mit der Bombilla, wuschen uns
am Ziehbrunnen, oder manche Reisegenossen wuschen sich
auch gar nicht, und schliefen Nachts auf unseren Plaids,
den Sattel als Kopfkissen benutzend; der Besitzer des
Grundstückes stellte uns Salon und Veranda dazu zur
Verfügung.
Nachts hatten die Hunde eine Viscacha, welche in
unser Gehöft eingedrungen war, aufgejagt und todtge-
bissen; Viscacha ist ein Nagethier mit kurzen Vorderfüssen,
das Erdbaue aufführt, wie der Dachs, und das etwas grösser
als ein Hase wird; 2 mal 2 gegenüberstehende, stark vor-
ragende, 4 bis 5 cm lange, 1 cm breite Vorderzähue und
lange Schnauzborsten geben dem Thier ein eigenes An-
sehen.
Januar
Am 7. „.V„..... IWO.. .^V^ö""" Vl^...l.ll. L.lJO^l^ Xl.V.iO^,
soweit sie uns nun in kaum bewohnte, strassenlosc, von
civilisirten Pflanzen fast unverdorbene Florengebiete führte.
Ehe wir die Eisenbahnbrücke passirten, ritten wir nahe
dem Rio Quinto durch eine lichte Waldflora, von der Sierra
abstammende AIonte-Formation, deren Hauptbestandtheile
folgende Pflanzen waren: Prosopis alba, Jodina rhom-
bifolia, Ecbolium campestre, Cestrum Pseudo-
(juina (vergl. vorige No.), ferner Condalia lineata
A. Gray, eine Rhamnacee, ein bis 3 m hoher, sparrig und
dicht verästelter, dorniger Strauch mit etwa 1 cm langen,
länglichen l)is ovalen, saftigen, dunkelgrünen Blättern,
welche von den Heuschrecken verschont bleiben, währentl
die jetzt nicht reifen kleinen Beeren von ihnen verzehrt
werden. Duvaua praecox Gris., eine Anacardiacee mit
kleinen, mehr lederigen, hellergrunen, obovalen, IV2 cm
grossen Blättern; meist ein niedriger Dornstrauch, jetzt
ohne Blüthen und Früchte. Celtis Sellowiana Miq., ein
dichtsehattiger, nicht allzuhäutigcr Baum im Habitus be-
kannterer anderer Celtis- Arten. Die Zygophyllacee Larrea
divasieata Gav. mit gelben Blüthen, weissborstigen
Früchten und den eigenthümlichen, schmetterlingsartigeu,
kleinen Blättern ist ein weitverbreiteter, bis 3 m hoher,
zartverästelter Strauch. Macaglia Quebracho Ok. =
Aspidosperma Quebracho blanco Schi., eiu bis 12 m
hoher und 73 m dicker Apocynaceenbaum mit lederigen,
ganzrandigen, spitzen, stechenden, breitlanzettlieh, ± 3 cm
langen Blättern, bicarjiellaten, holzigen, 5 — 6 cm grossen,
zusannnengedrückten, später in die Hälften auseinander
springenden Früchten mit schildförmig angehefteten, zahl-
reichen, kreisrunden, dünnen Flügelsamen von etwa
Durchmesser. Auf diesem liaume nisten gern kleine
landsia-Arten. Ausserdem einige Krautptianzen, die,
J cm
Til-
meist
abwechselnd, gesellig grössere Flächen für sich allein ein-
nehmen, so z. B. luucus acutus Lam. in bis V2 m
dicken Rasen an feuchteren Stellen, Schkubria bona-
12
Naturwissenschaftliche Woehenselirift.
Nr. 2.
rieusis Hk. ii. Arn., eine zierliche bis Vi™ hohe, gelbe
Composite mit fädlieheu Blättern, bezw. Blattsegmenten;
die Ptianze dient zum Vertreiben der Flöhe nach Hiero-
nymus' plantae diaphoricae. Die bekannte niedrige Mol-
lugo verticillata L. bedeckt stellenweise den Boden.
Eine V2 ^ hohe, weissbliithige Aster (cfr. linifolius)
mit aufrechten, wenigverzweigten Stengeln ist sehr häufig;
Gräser sind sehr sparsam in diesem manehnial der Ueber-
sch'.venimung ausgesetzten Gel)iete.
A'ou der Eisenbalmbrüeke ritten wir den Rio Quinto
zum Tlieil entlang und lagerten Abends unter Bäumen von
l'rosopis Algarrobilla, einer mit l'rosopis alba nah-
verwandten Art, die wir des anderen Tages häufiger in
der Pampa zerstreut fanden. Der Baum wird ebenso gross
wie letztere Art, das Laub ist noch zarter; die unteren
Aeste sterben in gewissem Alter leicht ab und dienten
uns als Brennholz für d^s Lagerfeuer. Sei es, dass dieser
Baum kein höheres Alter erreicht — vielleicht weil er
mit trocknerem Boden vorlieb nimmt — , sei es, dass die
öfteren Pampabräude die trocknen Aeste verzehren und
so die Lebenskraft der dann unten angekohlten Bäume
schädigen, der Anblick der vielen abgestorbenen oder nur
noch in der Spitze der Krone grünenden Bäume, welche
ein terpeutinduftendes Holz haben, ist dann kein wohl-
thuender.
Wir hatten die Zelte nicht aufgesehlagen, was bei
21 ° C. Nachts bei klarem Himmel und Mondscheinl)eleuch-
tung auch nicht nöthig war. Das Lager in der Nähe
einer schwachsalzigen Lagune war romantisch, und schwir-
rende Leuchtkäfer vermehrten nur diesen Eindruck. Ausser
der Algarrobilla trat jetzt auch Gourliea decorticans
Gill., ein dorniger, bis 7 m hoher Leguminosenbaum mit
bleichgrünem Laub, auf, dessen grüne Rinde sich in grossen
Platten ablöst nnd dann die neue weisse innere Rinden-
schicht erkennen lässt. Das weisse Holz scheint hart und
zäh wie Buchsbaum zu sein. Jetzt ohne BlUthen und nur
selten mit mandelartigen unreifen Früchten versehen —
die einsamigen Hülsen sollen inseitig ein feinschmeckendes
Fruchtfleisch haben — , ist dieser IJaum ein häufiger Be-
gleiter anf den folgenden Tagereisen, soweit nicht reine
Pampa auftritt, und hat der einheimische Name Chafiar
Griesebach veranlasst, diese Region die Chafiarsteppe
zu benennen; sie ist indess in ihrer Zusammensetzung,
insbesondere was Holzgewächse betrifft, ziemlich \ erändcr-
lich. In der Nähe unseres Nachtlagers fand sich auch,
den Boden stellenweise allein nnd dicht bedeckend, eine
niedrige (bis 10 cm hohe) Composite, Ambrosia sp., die
recht unschuldig aussah, aber beim Anfassen verdeckte
kleine Stacheln energisch fühlen Hess.
Am 8. Januar zeitig aufgebrochen, ritten wir bis
11 Uhr nach einer italienischen Viehzüchterei, Medano
Colorado (rothe Düne), wo es wiederum Wasser gab, und
wo wir bis 6'/o Uhr in der grössten Hitze (327,/) blieben,
um dann während der Nacht bis anderen Tages gegen
11 Uhr eine Travesia, d. h. wasserlose Einöde mit viel
Dünen und fast nur Graswuchs, zu überwinden. Die wich-
tigsten Gräser der Pampa sind: Stipa lehn Kth., Sor-
ghum (Andropogon) saccharodes OK. (Svv.), con-
densatuni GK. (IIBK.), Chamaeraphis (Setariaj sp.,
mit glauken Blättern und Stengeln (Dünengras), Chloris
Beyrichiana Kth., diverse Aristida- und Paspalum-
Arten, Melica niacra Nees. Zwischen den Gräsern
wuchsen, mit Ausnahme der schon erwähnten häufigen
Composite Hyaloseris argeutea, vereinzelt andere Pflan-
zen, von denen wir aber wegen der Nachtreise, die noch
dazu nach Monduntergang auf 3 Stunden, ohne die Pack-
thiere abzuladen, unterbrochen wirde, wenig sammeln
konnten. Es seien nur erwähnt: Baccharis micro-
cephala DC. (B. articulata Griseb.), mit geflügeltem,
blattartigem, gegliedertem Stengel; Senecio dealbatus
hat filzig schneeweisse Stengel- und Blattbehaarung; Se-
necio ceratophyllus, ein gelbblüliendes Kraut mit lineal-
zersehlitzten grünlichen Blättern und dabei ein Solanum
von gleicher Grösse und gleichen Blättern, so dass man
an Mimicry denken möchte. Euphorbia piluliferaL.
oder verwandte Art mit Salaginella-Habitus. Eine weisse,
krautige Polygala bis 30 cm hoch, nnt linealen Blät-
tern. Crassina peruviana OK. (L.) = Zinnia jjauci-
flora L., die hier übrigens sicher wild ist, und Portu-
laca grandiflora mit puri)urnen lüiithen, die indess
bald, bezw. manchmal ins Bräunliche oder Orange ändern.
A m a ry 1 1 i s h u ni i 1 i s hat kleine gelbe Blüthen. P a s c a 1 i a
glauca Ort. ist eine interessante krautige Composite mit
fleischigen, fädliehen Blättern und gelben Blütlienköpfen,
die v(ni einem strohgelben, zuletzt braunen Hüllkelch ein-
gehüllt sind. Ephedra sp., meist niedrige Formen in
dichten Rasen.
Die Thierwelt ist, von Insecten abgesehen, arm in
diesen Regionen; wir bemerkten 2 Hirsche, 1 Strauss mit
Jungen, von denen der Führer 3 fing, die wir aber wieder
laufen Hessen; eine Erd-Eulenart — Lechuza — sass öfters
in den Wipfeln der Aigorobilla; Aasgeyer — Carancho —
und ein anderer, mehr krähenartiger Raubvogel, der meist
von der Tijera (die Scheere), einem kleinen schwarzen
Vogel mit sehr langen „scheerenartigen" Schwanzfedern,
begleitet war, bilden den Rest.
Gran Chichaca lieisst der Ort, den wir am 9. Januar
gegen 11 Uhr erreichten. Einige Stunden vorher waren
wir schon wieder in Monteformation eingetreten. Es waren
von Sträuchern nur neu zu bemerken: Acantholippia,
bez. Lippia sp., blattloser Strauch von 3 m Höhe,
dicken grünen, glatten Zweigen und einzeln daran
stehenden Früchten; Prosopis humilis ist ein anderer
blattloser Strauch, al)er nui- bis 7 m hoch und jetzt
blüthenlos; Siegesbeckia sp. ist eine ± 1 m hohe Staude.
Grindelia pulchella Don V2 ™ hoch, bedeckt manche
Flächen wie ein angebautes Feld. Eine Cereus-Art
tritt vereinzelt auf, blüht alter nicht.
Gran Chichaca ist ein in und an grossen Süsswasser-
lagunen angesiedelter Ort, welche Lagunen jetzt aber
schon fast ausgetrocknet sind. Das AVasser zum Trinken
wird in Represaz, ausgestochenen Lehmgruben, die durch
Dornheeken gegen Vieh und deren Badevisiten geschützt
sind, gesannnelt und wird von uns, lehmig wie es ist, ver-
wendet. Wir schlachteten eine junge Ziege — wie auch
später noch einige Male — und riciiteten uns auf einem
Schindanger unter einem Algarrobo-Baum ein, so gut es
eben ging. Beim Wählen des Lagerplatzes war anf einen
nahen Weideplatz Rücksicht zu nehmen, dessen unsere
Maulthiere nach einem 14-stündigen Marsche dringend be-
durften. Ich selbst benutzte eine leerstehende Ochsen-
karre und schlief oben. Die Reisegefährten hatten sich
zuerst im Schatten unterhalb derselben gelagert; ich hatte
aber nolens volens den besseren Theil gewählt, denn ich
konnte Nachts unbelästigt schlafen. Ein scharfer Wind,
gegen dessen Richtung ich mich gelegt, vertrieb mir die
Insecten, ausgenounnen die über mir in der Baum-
krone wohnenden und früh von 9 — 11, Nachmittags von
7 — 9 Uhr concertirenden Licoden, von denen ich höchstens
manchmal durch herabfallende Tropfen belästigt wurde,
wogegen ich mich indess bald schützte. Die Parterre-
bewohner hatten indess von ]\Iücken, Stechfliegen, Heu-
schrecken und Mondschein zu leiden. Heuschrecken be-
lästigen den Menschen, besonders wenn sie Abends in
Heereszügen wandern; ihr Zug geht dann manchmal so-
gar durch einen Rancho (hiesiges Haus letzter Sorte)
über Mensehen hinweg, wo sie einem dann an den Hals
und in die Aermel und in alle offen stehenden Säcke und
Nr.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
13
Kotier springen; sie ljelästif;-en den Mensclien mehr durch
ilire Meug'c und plumi^en Spriinj^'e, als dass sie ihn an-
greiCeu. Jianchnial kneifen sie einen mehr aus Versehen,
aber das hat keine Uebelstände im Gefolge. Bei Mond-
schein kann Freund Kurtz nicht einschlafen. Gegen Mos-
quitos nützt nur ein Tiillnetz (Gaze), das man doppelt
um Kopf und Hals wickelt; einfach gelegt stechen die
Mücken dort ikicIi durch, wo es der Haut anliegt. Die
Hände incl. der Handgelenke schützt man am besten
durch sehr lange und dicke IJuckskin-Handsclmhe, die,
ausserdem angefeuchtet \icl Wasser absorbiren und so die
juckenden Mückenstiche schnell heilen. Anliegende dünne
Strümpfe halten die Mos(iuitos nicht ab. Die Füsse
dürfen nicht blossliegen untl sind durch Hosen und Stie-
feln oder Filzschuhe zu schützen. Don Vicente reist bei
trockenem Wetter sogar in Filzscdiuhcn, mit mein-eren
Strümpfen über die Hosen gezogen, so dass auch keine
Insecten den Fuss liinanfkriechcn können.
Sonntag, den 10. Januar, gegen Jlittag, zogen wir
weiter, aber der Führer wusste nicht recht Bescheid, so-
dass wir uns in menschenleeren p]inoden verliefen und,
nach einem Hergkegel uns richtend gegen 6 Uhr Abends
am Fuss des Cerro Varela einen Kancho und eine Lehm-
pftitze fanden, wo >vir unter, bezw. an einem Baum von
Jodina rhombifolia lagerten. Wir waren in Ibllie
von 570 m und erkletterten noch vor Sonnenuntergang
eine der l'orphyrkuppen, etwa 100 m höher, des Cerro
Varela. Da auf dem Gebirge kein Tropfen Wasser
bleibt, war die floristisehe Ausbeute gering: Dinoseris
argentea Grisb., eine strauehige Composite; die Poly-
galacee M(Minina pter()cari)a in Blüthe und Frucht;
ein Gras, Boiiteloua curtipendula A. Gray; die
Bromeliaceen I'itcairnea spathaeea Griseb., Ananas
sp., letztere 2, ebenso wie 1 Oaetus, 1 Cereus,
1 Opuntia, ohne Blüthen. Die Gacteen und noch einige
Pflanzen fanden wir auch am anderen Tage in einer
Monte-Region, Tierritas auf der Landkarte genannt, die
fast keinerlei Kräuter am ]5oden aufwies, wo infolge
dessen die Heuschrecken den Wald, die Brnnukronen und
Sträueher total abgefressen hatten, mit Ausnahme einer
noch unbesebriebenen Art von Atriplex (Obione) ex
affinitate A. pamparum Moq.-Tand.. efr. A. Cachiyuya
Hieron. in msc. Dieser Strauch, jetzt weder in Blüthen
noch in Fruclit, wird Ids 1' o ni hoch, ist von unten an
stark verzweigt, die Stengel sterben aber ab, nachdem
sie 3 — 5 cm dick geworden sind, und legen sieh dann
strahlenförmig auf den Erdboden; die Blätter sind gelb-
lich-graugrün, filzig, stachelförnug und an der Spitze
etwas gezähnt. Kurz, dieser dort häutige Strauch zeigt
genau dasselbe Bild, wie der berühmte Sage shrub der
Prärien Nordamerikas, Artcniisia tridentata Nutt.
Es war ein öder heisser Landstrich, diese Tierritas, durch
welchen wir öVs Stunden ritten. Cassia aphylla,
Lippia salsoloides (Grisb.) (Acantliolippia s. Griseb.)
Acacia striata ebenfalls blattlos, die schon augedeuteten
Cacteen hatten sich hier der abgefressenen Montefiora
schon genannter Arten beigesellt. Als Kraut war fast
nur die S cm hohe Trixis efr. discolor Gill. uiul Don
zu erwähnen, ^^"enn manche solche fast krautlose Vege-
tationsgebiete mit vorrherrschenden Sträuchern noch als
Pampa-Flora bezeichnen, so ist das gewiss nicht zu
Itilligen.
Mittags lagerten wir am Rio Salado beim Paso
Aqua dolce; die Hitze war auf 39° im Schatten, 44° in
freier Luft, mit Schwingthermometer gemessen, gestiegen.
Um den Verlust des gestrigen Tages wieder einzuholen,
ritten wir Abends von 6 — 10 V2 Uhr weiter längs des Rio
Salado und lagerten etwas entfernt vom FIuss. In ilcr
Satteltasche, Alforja, die dem Sattel hinten aufgelegt
wird und die allernötliigsten Reiscutensilien enthält, u. A.
auch das Pilanzen})apier, in welches die uuterwegs ge-
sammelten Pflanzen provisorisch gelegt werden, hat auch
ein Jeder eine Reserveflasche mit Wasser. Da ich noch
in der Rocktasche eine kleine Feldflasche trug, war mein
Wasservorratli noch relativ reich, so dass ich es vorzog,
um Mitternacht, nach des Tages ungewöhnlicher Hitze
und Staubplage, nocii stehenden Fusscs ein Doncheliad
zu nehmen, indem ich den Wasscrflascheninhalt langsam
über den nackten Körj)er heraljlaufen Hess, ein Taschen-
tuch mit Seife als Waschlappen benutzte und schliesslich
mit einem grossen Handtuch den Körper tüciitig abrieb.
l>ei der Morgentoilette in unseren Feldlagern wird in der
Regel nur mit einem Becher voll Wasser und einem Taschen-
tuch die Waschung besorgt. Meine Reisegefälirten sind
sogar der Meinung, dass unterwegs eine feine Schnuitz-
kruste die Haut vor Sonnenbrand und Austrocknen schütze.
Manchmal putzt Jedoch einer der Herren die Fingernägel;
das ist aber auch alles.
Am 12. Januar kamen wir nur 2 Stunden AVegs
\(jrwärts, bis zu einem Flussübergang, Pasa Tierra, wo
au einer primiti\en Drahtseilverbindung zwischen beiden
Ufern ein Fahrstuhl ans Kuhhaut nut höchstens 100 Kilo
TragfähigkiMt fortwährend lierüber und hinüber gezogen
wurde, was zwei Stunden dauerte, bis alles Gepäck und
alle ß Personen das andere Ufer des Bio Salado erreicht
hatten. Die Muten schwammen d;inn der hinübergezo-
genen Madrina nach und durchkreuzten den tiefen und
schnellfliessenden Strom schnell und geschickt; sie folgten
der Madrina dabei so blindlings, dass sie ihr selbst an
den steilen Uferabfall nachschwammen, wohin die Mailrina
ungeschickter Weise vom Vaqueano gezogen worden war,
und wo die Thiere gar nicht landen konnten. Don \i-
cente corrigirte das Versehen schnell, leitete die ^Madrina
an eine Böschung, wo die Landung aller Thiere glück-
lich verlief. Ich selbst nahm währenddessen auch ein
Bad im Strom; das Wasser war aber zu wann, um zu
erfrischen; doch geschah letzteres durch die darauffolgende
Al)kühlung durch Verdunstung des Wassers am Körper
durch die Luft.
Wir hätten nun noch einen Tagesmarsch von zehn
Stunden nach dem Rio Diamante ausführen kfinuen, aber
bis dahin war kein Wasser und am Rio dort kein Weide-
platz zu finden; ausserdem hatte der Gaucho, diu wir
auf 3 Leguas als Führer nöthig braucliten, sein Pferd
nicht zur Hand. Kurz wir mussten den ganzen Nach-
mittag dort liegen bleiben, was in einem Gehölz von
Gourliea decorticans geschah, dem sich eine dürftige
Weide für die Thiere anschloss.
Auf den benachljarten Dünen zeigte sich wiederum
ein anderes Florenbild: Baccharis salicifolia Pcrs.,
eine halbstrauchige Composite von 1 — 2 m Höhe bildete
dichte Bestände, die nur mit Atriplex pamparum vel
sp. äff. eine halbkrautige 30 — 50 cm, selten höhere Art mit
stcngelumfassenden graugrünen, stark gekräuselten, ovalen
Blättern, gemischt war. Weiterhin trat lletero thalanius
spartiodes 11k. und Arn., ein blattloser, harzigl)itterer
Compositenstrauch von 1 m Höhe, der vielfach zu Besen
verwendet und von den Heuschrecken verschont wird,
bestandbildend auf und hatte unter sich meist nur eine
Vegetation der zwergigen Form des 10 — 30 cm hohen
zarten Strauches, Prosopis strombulifera Bth., einer
gelbl)lüthigen Mimose, deren Hülsen dichtschraubenförinig
gewunden sind und schliesslich wachsgelb werden. Diese
zwei bestandbildenden Compositcn, Baccharis sal. und
Hetcrothalamus spart., begleiten uns noch einige Tage
auf der Reise längs des Rio Diamante, jedoch meist nur
an der Grenze oder ausserhalb des Ueberschwemmungs-
gebietes; beide meist in ihren Beständen abwechselnd,
14
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 2.
seltener gemischt und stellenweise von anderer Vegetation
unterbrochen.
Am 13. Januar erfolgte also der Ritt nach und durch
den Rio Diamante nach dem verlassenen und verfalleneu
Fortin nuero. Es ging durch ein ausgetrocknetes Delta-
gebiet, welches den Zusammenfluss dieser zwei Ströme
zum Theil jetzt noch bildet. Es wechseln daher Lehm-
boden, Dünen, die der Wind znsammengeweht und, tiefere,
alte, trockene Flussbetten, worin sich öfters eine Salzflora
und, nahe dem Rio Diamante, das dort in den Fluss-
niederungen bestaudbildende Gynerium argenteum
Nees findet. Zur Salzflora gehört dort Lerchea mari-
tima OK. (Schoberia m. C. A. Mey.) imd fruticosa
OK. (L.), Allenrolfea patagonica OK. (Spirostachys
p. Griseb. = '? Halopeplis Gilliesii Griseb.) mit Sali-
cornia-Habitus, krautig und strauchig 25 cm bis 1 m hoch.
Gynerium argenteum bildet hier Hexenringe, d. h. die
Rasen, welche bis 2 m Durchmesser erhalten, sterben im
Centrum aus Nahrungsmangel ab, und dieses todte Cen-
trum, \;-73 ™, wird meist bei Steppenbränden ausge-
brannt. Die Rasen dieses auch in enropäischeu Ziergärten
beliebten Grases stehen meist soweit von einander ab, dass
man bequem dazwischen durchreiten kann. Je nach
trockuerem oder nassem Staudort wechselt auch die Grösse
dieser Pflanze; grosse Exemplare verbergen einen dahinter
stehenden Mann vollständig, und wo solche, wie wir es
später am Rio Diamante stellenweise sahen, in vollem Flor
auf langen Strecken stehen, ist der Anblick dieser schönen
Pflanze in der That ein erhabener.
Das Gegentheil davon, eine hässliche Pflanze, wie
ich solche kaum jemals so abschreckend sah, ist die dort
in den Dünen vereinzelt vorkommende Flotowia Hys-
trix, ein ± 1 Meter hoher sparriger Compositenstrauch
mit kurzen nadelartigen, dichtstehenden Blättern von
schmutzig ochergelber Farbe; die gelben Blüthen sind
vereinzelt im Laub und beeinträchtigen den Eindruck
kaimi; man stelle sich Juniperus communis L. recht
unregelmässig gewachsen mit diesem düsteren Colorit der
Blätter vor, so wird man einen annähernden Eindruck er-
halten. Ein anderer durch seine ausserordentliche Brüchig-
keit merkwürdiger Strauch wächst dort: die Capparidacee
Atamisquea emarginata Micrs; jeder Zweig, den man
von diesem dornigen, ± 3 m hohen Strauch mit dunklen
kleinen Blättern und weissen unscheinbaren Blüthen
brechen will, bricht auffallend leicht quer ab. Sonst ist
die strauchige Monteflora dort recht gemischt, es finden
sich viele Arten wieder, denen wir schon am Rio Quinto
begegneten. Von der niederen Vegetation macht sich
namentlich eine Lippia-Art mit Thymian-Geruch, ein
Hall)Strauch, bis 30 cm hoch, und Lip])ia salsolodes
bemerkbar, welche mehr einen Erica-Habitus hat; beide
Arten sind jetzt in voller BIttthe und habituel von anderen
Lippia- Arten recht abweichend. Ausserdem seltenere
niedere Pflanzen sind dort: Verbena tt avescens und die
Boraginacee Cortesia cuneata R. et P.
Unterwegs fingen unsere Diener drei Gürtelthiere,
Quirquinchos, die sofort ausgeweidet wurden und uns,
anderntags gekocht, einen kalten Leckerbissen zum Früh-
stück boten. In einem Rancho, wo gerade geschlachtet
worden war, wollten wir wiederum einmal Rindfleisch
kaufen; der Hambo schenkte uns aber nur ein Bruststück
von vielleicht 8 Kilo, wofür wir nun seinem Kind ein
Geschenk von 1 Peso machten, womit das Fleisch übrigens
hinreichend bezahlt war. Der Fleischgenuss ist das
billigste hier zu Lande; 1 Kilo bestes Oclisenfleisch gilt
etwa 30 Cts. (Pf); 1 junge Ziege, wenn man das Fell
zurückgiebt, nur ''^ Peso. Unterwegs haben wir meist
täglich zwei Mal Spiessbratcn (Asado), der über glühenden
Holzkohlen, die das verbraunte Holz zurücklässt, bereitet
wird. Brot wird im Feldlager in der Regel gar nicht
genossen, immer Asado, wozu das viele Mate-Trinken
passt und mir auch gut bekommt.
Die Temperatur schwankte an jenem Tage von 16°
bis 35° und war, weil wir den ganzen Tag 12 Stunden
durchritten, Nachmittags recht unangenehm. Vor dem
Rio Diamante angekommen, wurde nochmals alles Sattel-
zeug und die Packung der Cargo-Mulen auf ihre Festig-
keit revidirt. Der Durchritt geschah dann mir unerwartet
schnell, wahrscheinlich, weil man voranreitenden, die Fuln-t
genau kennenden Argentinern schnell folgte. Die Mulen
folgen bei solcher Gelegenheit dicht hintereinander und
hinter der Madrina. Ich war also 20 Schritt zurück-
geblieben, weil ich die Alforga neu umgepackt hatte und
erst schnell auf den Sattel springen konnte, als der Zug
schon in Bewegung war. Mein Reitthier schlug trotz
meiner Zügelung nun direete Richtung nach der Madrina,
also einen andern Weg als die andern Mulen ein ; es ging
jedoch gut ab trotz der nicht unbedeutenden Strömung
des Flusses, doch hatte das alte Thier, das ich erhalten,
die unangenehme Gewohnheit, gelegentlich in die Knie
zu sinken. Das passirte denn auch jetzt im Flusse ein-
mal; ich sass jedoch fest im Sattel und zog das Thier
schnell mit dem Zügel empor. Das Wasser, welches
ohnehin bis an den Bauch der Thiere reichte, hatte aber
meine Alforga genässt, und es war nur gut, dass ich
vorher Pflanzen und Wasserflasche zu Unterst gepackt
hatte, die diese Ueberschwemmung vertragen konnten.
Anderntags wechselte ich jedoch meine Mule gegen eine
bessere aus. Wir haben immer zwei zur Reserve, sodass
eine Abwechselung bei den Thieren stattfindet und anderer-
seits rückenwund gewordene oder lahmgetretene — was
bei dem unterwühlten Boden manchmal eintritt — Thiere
Erholungstage geniessen.
Fortin nuevo wird nur noch von wenigen Hirten be-
wohnt; die früheren Soldatenhäuser und das Fort, alles
nur aus ungebrannten Lehmziegeln erbaut, sind zerfallen ;
als einziges Wasserbassin dient eine uneingezäunte Re-
presa-Lehmgrube mit Regenwasser — in der jedoch auch,
wie Professor Bodenbender meint, das Vieh gelegentlich
ohne Standesunterschied badet. Wir campirten dort
wiederum auf einem Schindanger; frühere Reisende hatten
dort, wie wir es ja auch thaten, geschlachtet und die
Knochen etc. den Insecten zum Reinigen hinterlassen.
Zwischen den Hausruinen hatten sich noch Sidcachas
angesiedelt und dachshöhlenartige Erdbauteu augelegt.
Am 14. Januar wollten wir zeitig aufbrechen; es
zogen sich jedoch die Wolken zusammen und vertheilteu
sich dann gleichmässig, sodass ein Landregen in Aus-
sicht stand. Wir schlugen daher ein Zelt auf und brachten
uns und die (iepäckstücke darin in Trockenheit. Es
regnete von Zeit zu Zeit etwas, aber unbedeutend, sodass
wir gegen 9 Uhr aufbrachen. Gegen 10 Uhr aber weichte
uns ein Gewitter gehörig ein, gegen welches der landes-
übliche Poncho, ein Plaid mit Schlitz inmitten zum Kopf-
durchstecken, nur wenig nützte. Der Landregen war
glUcklielierweise nicht zum Ausbruch gekommen, und die
Feuchtigkeit des Gewitters in unseren Anzügen trocknete
später während des Reitens schon aus. Mittags hielten
wir, um die Gürtelthiere kalt zu verzehren. Dabei kam
eine Spottdrossel auf mein nachahmendes Pfeifen ganz
nahe auf den nächsten Busch, und nun pfiffen wir um
die Wette; ich war aber ausser Stande alle die Töne,
die sich in ungleichen Melodien oft unvermittelt folgten,
nachzuahmen. Jlan glaubt, falls man nicht weiss, dass
alles von einem Vogel stammt, mindestens sechs ver-
schiedene Vögel hintereinander zu hören. Die nächsten
Tage Hessen uns diese Vogelart noch oft hören. Dann
und wann war noch ein schwarzer Vogel zu sehen, der
Nr. 2.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
15
ein metallglänzeudes kupferrothes ßrust- und Halsschihl
zeigte, Trupial genannt.
Abends campirten wir am Rio Diamante in einem
Gehölz von G o u r 1 i e e n ; vor uns war eine Viehweide, die
hauptsächlich ans Gyneri um -Rasen, ein sehr hartes
Gras, von dem die Heuschrecken nur die Blüthenstände
und Blattränder fressen, und einem jetzt verdorrten, sehr
niedrigen, aber den Boden dicht bedeckenden Grase
bestand, das die Thiere vorzuziehen scheinen, es ist
dies Distichiis thalassica Desv. = ßrizopyrum
spicatum A. Gray.
Während bisher das flache Terrain nur aus fein-
erdigen oder sandigen Substanzen bestand, stellten sich
jetzt andere FlussgeröUe neben dem Rio Diamante ein,
und zwar zuerst Gerolle von Bimsstein.
In einem an einer Seite offenen Hexenring von Gy-
neri um hatte ich mein Nachtlager aufgeschlagen und die
halbtrockenen Sachen auf dem Rasen selbst ausgehängt;
am anderen Morgen aber waren sie durch den Thau
feuchter als vorher.
Am 15. Januar, bei 18°— 36° Temperatur, reisten wir
bis Rincon grande etwa 10 Leguas weit und campirten
Abends zwischen Hetherothalamus spartiodes auf
Sanddünen, wo wir erst die kleine stachelige Prosopis
strombulifera vom Boden wegrasiren mussteu. Ver-
einzelte Bäume lieferten uns Brennholz; ein ofiener Lager-
platz war indess nicht vorhanden, und wenn sich die
Aussichten auf Gewitter erfüllt hätten, wäre es nicht
möglich gewesen, ein Zelt aufzuschlagen; wir legten uns
mit dem Gefühl zur Ruhe, von einem Gewitter rettungslos
überrascht zu werden. Es ging aber die Nacht ohne
Regen vorüber.
Der 16. Januar brachte uns etwa ebensoviel weiter
nach einer Ackerbau-Colonie mit viel Wasserleitungen und
einem Wäldchen vorher, in dem der Weg aus Sackgassen
bestand, die uns wiederholt zum Umkehren zwangen, in
dem Wald trat eine andere Larrea-Art auf mit zwei-
zeiligen Aesten und Blättern: L. cuneifolia Cav., ein
noch schönerer Strauch als die andere verbreitete Art.
Der Ort und Wald waren noch von Heuschrecken ver-
schont geblieben und boten ausser der Ruderalflora im
Dorfe, deren Aufzählung ich unterlasse, manche seltene
Pflanze, z. B. Munroia squarrosa Torr., Sterrhy-
menia cynocrambe, Hoffmannseggia falcaria Cav.,
Flaveria Contrayerba Pers., Philibertia rotata
Griseb./ Willoughbya tcnuiflora OK. (Mikania t.
Grisel)., zwei Lyciuni- Arten, JMalveopsis cfr. bona-
riensis und eine andere 3[alvacee mit brennendrothen
Blüthen, sowie mehrere noch unbestimmte Pflanzen.
Wir lagerten aussei halb des Ortes im Geröll des
Flusses vor einem Juncus-Bestand; auf dem trockenen
Geröllboden war Pluchea Quitoc DC, eine meterhohe,
wenig verzweigte, krautige Composite mit röthhchen Köpfen
und glauken Blättern häuflg und eine niedrig strauchige
Patagonium-Art (Adesmia) aus den Cordilleren herab-
geschwennnt. Im Uebrigcn bot die Flora der Rio Dia-
mante-Gelände wenig Abwechselung; Gyneri um spec,
Baccharis salicifolia, schliesslich Pluchea Quitoc
und eine noch nicht bestinnnte Senecio-Art, ein Strauch
von kaum 1 Meter Höhe mit einzelnen gro.ssen Köpfen,
fleischigen, fädliehcn Blättern, die merkwürdigerweise
von Grün in Schmutzigviolctt und häufiger in Wachs-
gelb variiren, bilden die Typen der Flora, der die
Sträucher und Bäume der Monteformation relativ wenig
beigemischt sind. — Der Fluss ist so schlannnig, dass
wir kein Bad nehmen mochten, obwohl wir meist in seiner
Nähe waren.
Am 17. Januar gegen 11 Uhr kamen wir wieder nach
einem Ort, Ramecoida, wo es wenigstens Wein, Brot und
Käse wieder gab; hier pausirten wir 4'/ 2 Tage, theils
um die Maulthiere an Alhalfa wieder gut zu nähren, theils
um sie für die Cordilleren wieder beschlagen zu lassen,
theils um uns selbst etwas zu erholen, was aber ohne
Bett und mit Besuch zollgrosser Wanzen geschah, und
uns Führer für die Cordilleren zu besorgen.
Die Prurt". Bodenbender und Kurtz wollen, weil über
3000 m anscheinend noch viel Schnee liegt, erst einen
Abstecher nach Malargue unternehmen, woran ich aus
Zeitmangel — denn ich muss spätestens im März die hohe
Pona in Bolivien wegen der Schneestürme überwunden
haben — nicht theilnehmen kann, sodass ich von hieraus
direct mit einem eigenen Führer und Pean und gemietiieter
Tropa (für =b 240 Mark) nach Santiago in Chili über den
3780 m hohen Paso de la cruz de Piedra gehe, wo ich
in zehn Tagen einzutreffen hoffe.
Es erübrigt mir noch, meinen verbindlichen Dank
meinen Reisegefährten Professor Bodenbender, der alle
Schwierigkeiten der Reise mit liebenswürdiger Geduld
überwand, und Professor Kurtz, der mir auch die Pflanzen
bestimmte, zu sagen. (Fortsetzung folgt.)
Zur Yerbreituiig-, Biologie und Geschichte von
Hex Aciuifoliuni L. — In den Verhandlungen des West-
fälischen Provinzialvereins (Sect. Botanik) für 1891/92
bringt Dr. West ho ff interessante Mittheilungen über
die Stechpalme, Hex Aquifolium L. und ihre Verbreitung
im ]\Iünsterlande. Es werden von ihm nicht nur einige
durch ihre ausserordentliche Grösse hervorragende Ilex-
bäume von bis 6 liezw. bis 9 Meter Höhe eingehender
besprochen, an denen die bekannte Thatsache, dass in
den oberen Regionen der Krone die Stacheln an den
Blättern nur in geringem Maasse oder endlich gar nicht
mehr zur Ausl)ildung gelangen, sehr schön zu beobachten
war, und bei denen ausserdem mit der zunehmenden Ganz-
randigkeit eine Verschmälerung der Blätter bis fast zur
linearen Form Hand in Hand ging; sondern der \\'rf.
gelangt zugleich aus der genaueren Untersuchung der
Standortsverhältnisse und Entwicklungsstadien einzelner
Exemplare zu einem auch in cnlturhistorisclicr Beziehung
beachtenswerthen Resultate. Es handelt sicli um das Laer-
brok in der Nähe von Münster, einem mitten im Ilochwalde
gelegenen, unbewaldeten, halbkreisförinigen, umwallten Be-
zirke von etwa 200 m Länge und 150 m Breite, der,
wie urkundlicli festgestellt ist, vom Beginne des 13. bis
zum Ende des 16. Jahrhunderts als Vcrsannnlungsort von
den aus Geistlichkeit, Adel und Städten zusammen-
kommenden Landtagen benutzt wurde. Mit dem 17. Jahr-
hundert, als die Landtage nach Münster selbst verlegt
wurden, gerieth die Stelle in Vergessenheit und erst nach
ungefähr 30 Jahren gelang es in dieser Stätte das für
das Münsterland historisch ehedem so bedeutungsvolle
Laerbrok zu coustatiren. Etwa um 1830 wurde dasselbe
getheilt und fiel zwei verschiedenen Gemarkungen zu.
Seit dieser Zeit wurde die Stelle theils aufgeforstet, heils in
anderer Weise culti\irt. Wie sie sich dagegen in den
200 Jahren vor diesem Zeitpunkt verhalten hat, ol) sie
bewaldet war oder nicht, darüber feldt jegliche Kunde.
Dies lässt sich indessen durch die Wachsthumsverliältnisse
der Stechpalme auf dem Laerbroke entscheiden. Während
sich nämlich in dem dasselbe umgebenden Hochwalde
eine so üppige Ilexvcgetation findet, das stellenweise neben
der Stechpalme, welche hier oft auch l)eträchtliches
Ilöhenwachsthum zeigt, kein anderes Unterholz aufkommen
16
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 2
kann, ist diese nur etwa 6 m weit ans den anliegenden
Waldpartien über die Umwallung auf das Laerbrok vor-
gedrungen. Je grösser die Entfernung von dem Walle
ist, desto spärlicher wird der Bestand. Die am Rande
des Planums wachsenden Exemplare sind durchweg frei
wurzelnde, aus Samen (der im anliegenden Hocliwalde
j-eichlich erzeugt wird) hervorgegangene Sprösslinge von
kaum über 50 bis 60 Jahren, jedoch kein alter Wurzel-
ausschlag.
Dies ist also einerseits ein Beleg dafür, dass das
Lacrln'ok von Alters her ))is in dieses Jahrliundert iiiuein
unbewaldet gewesen sein mu.ss, andererseits beweist es,
dass die Stechpalme sich nur äusserst langsam weiter zu
verbreiten vermag, besonders dort, wo sie des Wald-
schutzes entbehrt. Westhotf giebt sogar an, dass die
Pflanze selbst, wenn ihr der nöthige Schutz gewährt wird,
auch dann sicli nur äusserst schwer ansiedele, so dass
nach seinen Beobachtungen in seinem Gebiete „das Fehlen
von Hex im Verein mit anderen Anzeichen sehr gut als
ein Kriterium für das verhältnissmässig jugendliche Alter
eines Waldes angenommen werden kann und umgekehrt,
dass mau aus einer reichen llex-Vegetation, bezüglicli
aus zahlreichen Resten, welche eine Gegend an Hecken etc.
aufweist, den Schluss ziehen darf, dass diese Gegenden
einen uralten Wald besitzen, liezüglich früher besessen
haben.'' Mit Recht sieht Westhott' den Grund für diese
geringe Propagationsfähigkeit in dem Mangel an frucht-
erzeugenden Pflairzen. Die Zahl der fructificirendcn
Exemplare ist gegenüber der der im Ganzen vorhandenen
eine äusserst geringe. Dies wiederum ist, wie Westhoft'
ebenfalls richtig betont, eine Folge davon, dass die Pflanze
nur erst bei einem gewissen Alter nnd einer gewissen
Höhe anfängt, Blüthen nnd Früchte zu erzeugen, und dass
.sie bei der heutigen Forstcultur, die in ihr ein mehr lästi-
ges als nützliches Holz erblickt, jenes Entwicklungsstadium
nur schwer erreichen wird.
Ich wollte nun hier noch auf eine zweite Thatsache
aufmerksam machen, die, wie ich glaube, bei dem Mangel
an fruchterzeugenden Exemplaren nicht minder schwer
ins Gewicht fällt. Es ist dies der Dioecisnuis. Hex Aqui-
folium ist, wie die ganze Gattung, streng zweihäusig. Alle
anderen Angaben in der Litteratur sind falsch.*) Es
gelangen zwar in den weiblichen P>lnthen Staminodien
zur Ausbildung, welche an Gestalt den Staubgefässen der
männlichen Blüthen sehr ähnlich sind; dieselben sind aber
stets steril; ebenso der Fruchtknoten der männlichen
Blüthen, in welchem niemals Samenknospen zur Ausbil-
dung gelangen und der niemals eine Narbe besitzt. Das
geübte Auge kann sogar schon der Knospe ansehen, ob
sie männlich oder weiblich ist. Unter der Voraussetzung
also, dass durchschnittlich dieselbe Anzahl männlicher wie
weiblicher Stämme erzeugt wird, würde demnach nur die
Hälfte aller bisznrBlütiiencntwicklung gelangenden Stämme
Früchte erzeugen können. Ob jene Voraussetzung richtig
ist, darüber fehlt es bisher gänzlich an Beo)>achtungen,
auch mag sich die Pflanze in den einzelnen Gebieten ver-
schieden verhalten. Nach dem mir vorliegenden Herbar-
material würde das männliche Geschlecht in Bezug auf
die Individuenzahl überwiegen; von 186 Exemplaren
waren 81 S. 60 5 und 4.ö ohne Blüthen resp. Früchte
(also nnentsciiieden). Dies lässt sich aber nicht an Her-
bannaterial, sondern nur in der Natur selbst entscheiden;
nnd es würde sich daher wohl der Mühe lohnen, in den
*) Trotzdem ich bereits in meiner Dissertation diese Verhält-
nisse klar gelegt zu haben glaube (vergi. Verhdl. d. bot. Ver. d.
Provinz Brandenburg XXXIII. 1891, S. 12, 14, 18 ff.), giebt den-
noch Kronfeld in seiner Bearbeitung der Aquifoliaceae in
Englor und l^rantl, die natiirl. Ptlanzenfam. III. .5. S. 186 in
der Gattungsdiagnose für Ikx „Bl. polygam od. dioeciseh" an.
Gegenden, wo die Hex reicher vertreten ist, auf die.se
Verhältnisse zu achten.
Die (5* Blüthenstände sind durchweg reicher ver-
zweigt nnd reichblütliigcr als die 2, wie man dies ja
auch bei andern Familien beobachtet hat. Es verhält
sich in der Gattung Hex die Zahl der Blüthen eines
9-Astes zu der eines die gleiche Zahl blüthentragender
Blattachseln besitzenden o -Astes wenigstens wie 1 : 3, oft
aber wie 1 : 7 oder 1 : 15, und es beträgt somit unter
obiger Voraussetzung bei der Stechpalme die Zahl der
5-UIüthcn höchstens den dritten Theil von allen, die
überhaupt zur Entwicklung gelangen.
Endlich sei es mir noch gestattet, auf einen l'unkt
der Einleitung von Westhoff's Arbeit näher einzugehen.
Nach der herrschenden Ansicht soll die eigenthündiche
Verbreitung der Stechpalme in Europa auf eine Wande-
rung nach Norden, längs der durch die Nähe des (iolf-
stromes ein milderes Klima besitzenden westlichen
Meeresküste, zurückzuführen sein; darauf soll sie dann
nach Osten soweit vorgedrungen sein, wie es ihr die
Vegetationsverhältnisse ermöglichten. „Will man etwas
auf die Funde geben, welche hie und da betreffs fossiler
Reste viin IJe.r gemacht worden sind, so ist die Pflanze
nach Ablauf der Eiszeit zu uns herübergekonmien." Die
Einwanderung soll erfolgt sein mit der Bildung der Wald-
vegetation. Hiermit stehen die Angaben Nehrings über
die interglacialen Ilexfunde von Klinge bei Cottbus, die
in dieser Zeitschrift l)ereits öfters besprochen worden sind,
scheinbar im Widerspruch; da ans demselben hervorgeht,
dass Hex A(|uifo]ium ein uralter Bestandtheil unserer
Flora sein und bereits bei Beginn der Diluvialzeit, jeden-
falls vor Ablauf der sog. (i\a,e\n]/)en'ocle im norddeutschen
Tieflande existirt haben muss. Der betreffende Blattfuud
stinnnt in seiner Grösse. Nervatur, Berandung, (irösse der
15lattstacheln und der zwischen ihnen beflndlichen Buchten
auf das (Jenaueste mit einem Stachelblatte unserer heute
lebenden Stechpahne überein, wie ich mich durch Autop-
sie überzeugen konnte. Auf den genannten Fund würde
ich wenig oder gar kein Gewicht legen, wenn nicht in
derselben Schicht auch einige Steinkerne von Hex Aqui-
tolium gefunden worden wären, deren Zugehörigkeit zu
unserer Art ich ebenfalls nur bestätigen konnte.*)
Aus dieser Thatsache lassen sich mn- zwei Möglich-
keiten folgern. Entweder ist die Pflanze bereits zur
Tertiärzeit im norddeutschen Tieflande vertreten gewesen,
oder sie ist während der bezw. einer Interglacialzeit
nach demselben gewandert. Welche dieser beiden Mög-
lichkeiten der Wahrheit entspricht, muss vor der Hand
noch unentschieden bleiben.
Was nun Westhoff's Angabe betrifft, so bezieht
sich sein zu uns „herübergekommen", wie ich einer
nachträglichen brieflichen Mittheilung entnehme, nur auf
den westlichen Theil des norddeutschen Tieflandes,
welches nur eine Vergletscherung durchgemacht haben
soll, so dass die späteren Vereisungen des östlich der
Elbe gelegenen Gebietes und die Interglacialzeit resp.
Zeiten in Bezug auf den irestlielien Theil schon als post-
glacial zu bezeichnen sind. Es ist daher sehr wohl mög-
lieh, dass die für das Münsterland //o.s^glaciale Einwande-
rung der Hex vor dem Absehliiss der G\nc\i\\qeri(/(le er-
folgt ist.
Jedenfalls ist Englei- vollkonnnen im Rechte, wenn
er Hex Aquifolium mit unter den Pflanzen aufführt, die
bereits vor der Glacialperiode in Europa weiter verbreitet
gewesen waren (vergl. Entwicklungsgeschichte d. Pfl. I.
S. 176 u. 177) imd es ist anzunehmen, dass die Pflanze
*) Vergl. die Figur 10 auf .S. 45-t Bd. VII der „Naturw.
Wochenschr." Ked.
Nr. 2.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
17
auch im norddeutschen Tieflandc fridier eine weitere
Verbreitiuii:: besessen hat als jetzt. Ob sie sich indessen
während des Tertiärs in Europa selbst entwickelt hat,
was deshalb nicht ganz nnwahrsclieinlich ist, da das
Voriiandcnsein der Gattung auf uuscrni ('ontinente zu
Anfan.i;- dieser Epoche als erwiesen gelten kann, oder ob
sie während jener Zeit nach P.uropa eingcwanilcrt ist,
dürfte schwer zu entscheiden sein. l»r. Th. Loesener.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
K.S wurden ernannt: l'rivatdooent Dr. Karl Gions zum Pro-
fessor der Philosophie an der Universität Giessen. — Der Privat-
docent an der Berliner Uuiversitiit Eugen Korselielt zum
ordentlieheu I^rofessor der Zoologie und Dirertor des zoologi.schon
Instituts an dar Universität Marburg. — I'rivatdocent der Sledicin
Dr. Adolf l^aginsky von der Berliner Universität zum ausser-
ordentlichen Professor. — Ausserordentli(dier Professor I>r. Helm
an der technis<dien Hochscliule in Dresden zum ordentlichen Pro-
fessor der Geometrie, analytischen iMi.ichanilc un<l mathematischen
Physik. — Privatducent Dr. Bayer zum ausserortlentlicheu Pro-
fessor der Chirurgie an der deutschen t^niversität Prag. — I-'rivat-
docent Lachtin an der Universität Moskau zum stellvertretendi'n
ausserordentlichen IVofessor (h'r reinen Mathematik an der Uni-
versität Dorpat.
Es habilitirten sich: Dr. Groenouw an der medic. I*\icultät
der Universität Breslau. — Professor Dr. Simonkai an der Uni-
versität Budapest für Pflanzeugeographie.
Dr. Karl Kiemann ist Assistent an der mini'ralogischen
Abtheilung der Universität zu Kiel geworden.
Es ist gestorben: Hofrath Professor Stefan. Director des
physikalischen Instituts in Wien.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. Theodor Jaenscli, Aus Urdas Born, Schilderungen und Be-
trachtungen im Lichte der lieutigen Leb(uisforscIiung. Berlin,
Verlag des Vereins der Bücherfreunde, 1892. — Pi-eis 5 Mk.
Der 283 Seiten starke Band ist naturwissenschaftlichen In-
haltes — es ist nöthig, dies ausdrücklich zu sagen, da der Titel
ein so merkwürdiger ist, dass die meisten Leser desselben aus
ihm allein nicht auf den Inhalt des Buches sehliessen können.
Auch selbst solche, denen deutsche Mythologie kein fremdes Feld
ist, müssten sieh er.st überlegen, was wohl „Aus Urdas Born"
enthalten könnte — am häutigsten dürfte man darauf verfallen,
dahinter eine altnordische Sage zu vermuthen. Die einzelnen
Kapitel — Tainienbaum; Herbstlaub; Vorr.ithskannnern im
Prtanzenrciclie; Schaurohr -Forschung; Lebendige Wegweiser;
Ameisenbäumi- ; Zeugewechsel; Lebensgemeinschaften; Unsterb-
lichkeit — behandeln mehr oder minder allgemein interessirende
naturwissenschaftliche Themata, welche dem Leser manches
Wissenswerthe bieten — zumal wenn er sich erst an die Dar-
stellung gewöhnt hat — , indessen schon in anderen populär-
wissenschaftliehen Werken verständlicher und umfassender be-
handelt worden sind. Eine Merkwürdigkeit des Buches ist die
denkbar weitest getrieljene Verdeutschung aller nur irgend in
dem Gerüche des Nichtdeutschseins stehenden, sonst aber all-
gemein bekannten wissenschaftlichen Ausdrücke. Dass hierdurch
das Verständniss wesentlich gefördert würde, kann nicht behauptet
werden; im Gegentheil wird vieles geradezu — nicht leicht ver-
ständlich. Das hat der Herr Verfasser denn auch selbst ein-
gesehen und, des Verständnisses wegen, hat er dort, wo es ohne
die gräulichen Fremdwörter nicht zu machen war, dieselben,
zwischen üänsefiisschen eingepfercht, im Texte selbst oder als
Anmerkungen gebracht. Trotz dieser eifrigen Fremdwörterver-
folgung ist dem Herrn Verfasser aber gleich in seiner einleitenden
Sage vom Tannenbaum das Malheur passirt, ein ganz unver-
fälschtes Fremdwort zu gebrauchen: „Rings um ihn standen
Kameraden, ältere und jüngere" etc Hätte „Genossen" nicht
mindestens ebenso gut geklungenV! Auch weiter im Werke
macht er sich derselben Ketzerei schuldig, indem er von „Ge-
bilden der Phantasie" (S. 80), „Krystalle" (S. !S1), ,Ein bo-
tanisches Märchen' (Inhaltsangabe), „Phosphor", „K aliu m",
„Calcium", „Magnesium" (S. 37), Teleskop, Mikroskop"
(S. 58 u. a.J, „Cordia nodosa". „Myrmek^od ia" (S. 113),
„Siredon pisciformis" (.S. 124), „Pro tomonas," „V ampy -
rella" (p. 25i!) etc. etc. erzählt, ohne diese Bösewicliter durch
die bewachenden Gänsefüsschen von den guten deuts(dien Aus-
drücken zu scheiden. — Ob als Einleitung zu einem naturwissen-
schaftlichen Werke, selbst wenn dasselbe populär gehalten ist,
ein Märchen passt, lassen wir dahin gestellt. — Der Verfasser be-
tont in der Einleitung zuweilen Dinge, die ganz selbstverständlich
sind z. B. S. XIII: „. . . . Doch habe ich wenigstens dafür ge-
sorgt, dass einer und derselbe Gegenstand nie mehr als an einer
Stelle ausführlich erörtert worden ist." — Welchen Eindruck das
Folgende auf einen niicditernen Leser, der sich über naturwissen-
schaftliche Dinge unterrichten will, macht, mag jc^ler an sich
prüfen: „Zum Schluss: Ich habe deutsch geschrieben. Nicht bloss
als Deutscher und für deutsche Leser, sondern auch, weil ich
weiss, dass sich für Das, was im Denken wirklich klar geworden
ist, in jeder Spracdie ein triftiger Ausdruck finden lässt." Der
Schlusssatz der Einleitung lautet: „Zudem halte ich Einheit des
Stiles in der Sprache für keine mindere Geschmacksforderung denn
in der Kunst." Da dürften unsere Klassiker fortan wirklich zu
bedauern sein!
Wie sehr der Verfasser dem Laien, für welchen doch allein
sein Buch berechnet ist, das Verständniss erschwert, beweist er
bei der Besijrechung der Thätigkeit des Chlorophylls — besser
Chlorophyllkörner. Auf Seite :> spricht er von unzähligen win-
zigen Hei fern des Baumes, echten Sonnenkindern, die überaus
Heissig sind, aber winzig klein, lieschreibt höchst poetisch ihre
Thätigkeit und ihr Können und bricht nach beinahe zwei Siuten
(S. 6 unten), ohne auch nur ihren wirklichen Namen zu verrathen,
ganz davon ab. Da soll nun der Laie sich belehren! Eine min-
destens ungebräuchliche Redewendung dürfte der folgende Satz
enthalten (S. 451): „nur sind die in ihm abgelagerton Stotie
schon vor der Samenreife gänzlich in die Keimblätter überge-
gangen; als welche denn auch den weitaus mächtigsten Tlieil
des Keimlings darstellen". Recht stark poetisch klingt auf Seite U)
der Satz: ,,Es würde neues Leben sich durchtiuthen fühlen, und
wachsen, und schwellen" etc. — Eigenthümlich sind auch die fol-
genden Ausdrücke: Der Blüthenstaub erhebt sich als „leises
Wölkchen" (S. 9); „verstorbene Landschaft" (S. 13); „lebensbild-
same Formen" (S. 44); „bei ihrer sonstigen Eigiuing für den
fraglichen Zweck" (S. 36); „Schneidung" (S. 62); „Kai-, kalk-,
talkstotf- u. s. w. -haltige Stoffe" (S. 38). Wie Druckfehler, welche
der Correctur entschlüpft sind, lesen sich Wörter, wie „verstunden"
(S. 12), „gewohn" (S. 13), „Zerstörwerk" (S.30), „erfahrniässig" (S.52).
Dass die genauesten Uebersetzungen oft recht komisch klingen,
mindestens aber bisweilen dem Leser schwerer verständlich sein
können, als die Fremdwörter selbst, beweisen die folgenden:
„zwischenvolklich" für international; „stofflieitliche" für <;hemi.sche
Untersuchung; „Ohnblüthler" für Kryptogamen ; „barsichtig und
unbarsichtig" für nuxkroskopisch und mikroskopisch, „Schlicht-
gewebe" für Parenchyni. Die Bezeichnung „Keimlappen" für
Kotyledonen ist anti([uirt, eine bessere Einsieht sagt Keimblätter.
Dr. Kaunhowen.
Dr. Fried. Dreyer, Ziele und Wege biologischer Forschung
beleuchtet an der Hand einer Gerüstbildungsmechanik. Mit G
lithogr. Tafeln. Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1892. —
Ueber den interessanten Inhalt der vorliegenden Arbeit wird
der Herr Verfasser in einem besonderen Artikel in der „Naturw.
Wochenschr." selbst berichten; wir beschränken uns daher an
dieser Stelle mit einer Anzeige des Heftes.
Prof. Dr. H. F. Kessler, Die Ausbreitung der Reblauskrank-
heit in Deutsehland und derc'n l!ekäm]jfung uuter Benutzung
von amtliehen Schriftstücken beleuchtet. Berlin, Verlag von
R. Friedländer u. Sohn, 1892. - Preis 80 Pf.
Der Verfasser giebt in diesem Schriftehen nach einer Ein-
leitung, welche die Entstehung der Furcht vor der Reblaus be-
handelt, einen historischen Ueberblick über die ursprünglichen
Ansichten über die Ausbreitung der Reblauskraukheit in Deutsch-
land, beschreibt dann die Eig-iMisehaften der Reblaus sowie die
Vorgänge bei der Ernährung und dem Wachsthum der Rebe und
schildert die Ausbreitung der Reblaus in Deutschland. Dem
grössten Theil des Schriftchens sind die Darlegungen zur Abwehr
des Rebenfeindes gewidmet. Der Verfasser ist ein Gegner der
Verwüstungsarbeiten, welche seit einem Vierteljahrhundert behufs
Vertilgung der Reblaus betrieben werden. Diese haben für das
Deutsehe Reich ungeheure Geldkosten verursacht und sind für
den Weinbau viel schädlicher als nützlich gewesen. Thatsächlich
ist die Reblausgefahr in Deutsehland, zumal am Rhein, nur ge-
ring. Der inticirten Stöcke sind wenige, und kerngesunde Stöcke
leiden gar nicht trotz der Nachbarschaft mehr oder weniger be-
fallenei-i Die bisherig<'n Anschauungen über die Bekämpfung der
Reblaus müssen sieh ändern. — Das Schriftchen setzt sich haupt-
sächlich aus Berichten von Sachverständigen zusammen. Kolbe.
18
Naturwisseuschaftlicbe Wochenschrift.
Nv. 2.
H. von Helmholtz. Handbucli der physiologischen Optik.
Zweite luiiniMrlioit'-'fe Auri:ini> — Sii beute Liet'enmg. Verlag
von Leopold Voss. Hamburg und Leipzig 18'J2. Preis 3 Mk.
Von der zweiten Auflage des klassisehen v. Hehnholtz'sehen
Handbuches der pliy.siologischen Optik, dessen frühere Lii-t'erungen
einer eingehenden Besprechung in dieser Zeitschrift gewürdigt
worden sind, ist nunmehr bereits die siebente Lieferung er-
schienen, welche die SS 22, 23 und zum Theil 24 enthält. § 22
handelt von der „Dauer der Lichtempfindung", speciell von schnell
wiederholten Eindrücken, von den Zeitbestinnnungen der Dauer,
vom Farbenkreisel, dem Anorthoskop und den stroboskopischen
Apparaten, wobei auch die jetzt so bekannten und beliebten
Monientphotographien von Muybridge und Ansehiitz Berücksich-
tigung gefunden haben. In § 23, „Veränderungen der Reizbarkeit"
betitelt, werden die positiven, negativen und farbigen Nachbilder
sowie die „flimmernden Scheiben" eingehend untersucht; neu ist
hier insbesondere die Erörterung des zeitlichen Verlaufes eines
durch constante Beleuchtung erzeugton Eindruckes und der dies-
bezüglichen Versuche von Exner. § 24 endlieh enthält die Lehre
vom successiven und simultanen Contraste ; in der Behandlung
des simultanen Contrastes bringt die zweite Auflage neben viel-
fachen Umarbi'itungen und zweckmässigen Umstellungen eben-
falls manches Neue wie z. B. den auffallenden Einfluss schwächster
Grenzlinien. Dr. G. Wallenberg.
Dr. Josef Maria Eder, Recepte und Tabellen für Photographie
und Repi'oductionstechnik, welche an der k. k. Lehr- und
Versuchsanstalt für Photographie und Keproductionsverfahren in
Wien angewendet werden. 3. Aufl. Verlag von Wilhelm Knapp.
Halle a. d. S. 1892. — Preis 2 Mk.
Wenn es möglich war, in der während der letzten 10 Jahre
so überreich angewachsenen Litteratur auf dem Gebiete der Licht-
bildnerei und verwandter Zweige noch eine Lücke zu entdecken,
so konnte ihre Ausfüllung keine berufenere Hände finden, als die
des bewährten Autors.
Das vorliegende Büchlein bringt in gedrängter, aber sehr
übersichtlicher Form alle sonst nur in umfangreichen Werken
zerstreuten, ungemein verständlich geschriebenen Angaben über
alle möglichen Verfahren im Belichtungs-, Entwickelungs- und
Druckprozess bis herab zum Klebemittel, wie solche an der k. k.
Lehr- und Vei-sucbsanstalt für Photographie und Keproductions-
verfahren in W^iei\ lur Verwendung gelangen, und wird namentlich
für die Anwendung der Photographie auf dem weitverzweigten
und schwierigen Gebiet der Wissenschaften von grossem Nutzen
sein. Von diesem Gesichtspunkte aus dürften auch die angefügten
optischen und chemischen Tabellen in manchen Fällen gute
Dienste leisten. Pütz.
A. Palaz, Traite de Photometrie industrielle specialement ap-
pliquee ä l'eclairage electrique. (ieorges Carrc, Paris 181)2.
Der Aufschwung der Beleuchtungsindustrie und der Wett-
kampf zwischen den verschiedenen Beleuchtungsarten haben auch
eine Steigerung der Ansprüche an die Photometrie im Gefolge
gehabt, welche eine wesentliche Aenderung bezw. Verfeinerung
der photometrischen Methoden hervorgerufen haben. Die Photo-
metrie ist durch die sehr vielseitigen Anstrengungen zu einem
ungemein wichtigen Gebiet geworden, und die Kenutniss der ver-
schiedenen Photometer und ihrer Anwendung ist für den mit der
Installation oder der Kontrolle von Beleuchtungsapparaten beauf-
tragten Ingenieur ein unabweisbares Erforderniss.
Speciell für die photometrischeu Aufgaben bezw. Apparate,
welche bei elektrischen Beleuchtungsanlagen in Betracht kommen,
besitzen wir in Deutschland das kleine W^erk von Krüss, die
elektrotechnische Photometrie; aber dasselbe ist doch bereits
wesentlich veraltet (erschien 18S5), und über die ganz erheblichen
Fortschritte, die zahlreichen Verbesserungen und die feinen neuen
Methoden, welche die Bestrebungen der letzten Jahre gezeitigt
haben, muss der Interessent sieh in den verschiedensten Werken,
Journalen und Gesellschaftssshriften unterrichten, während er doch
eines sicheren und zuverlässigen Nachschlagewerkes dringeml
bedarf.
Diesem Bedürfniss kommt dass der Besprechung unterliegende
Werk des Herrn Pahiz, welcher als Professor für industrielle
Elektricität an der Universität Lausanne thätig und durch seine
Aufsätze über die elektrotechnische Photometrie in der Zeitschrift
„La Lumiere electrique" bekannt ist, in durchweg befriedigender
Weise entgegen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses Werk
allen denen, die sich mit den schwii'rigeren Fragen des Beleuch-
tungswesens (nicht nur der elektrischen Beleuchtung) zu beschäf-
tigen haben, gute Dienste leisten wird. Die Behandlung des
Stoft'es ist eine durchaus sacligemässo, und die einzelnen Kapitel
sind .sehr vollständig. Dass dem Werke zahlreiche Abbildungen
beigegeben sind, ist bei der Art des behandelten Stottes selbst-
verständli(di; ungemein wichtig und sehr nützlich .sind die biblio-
graphischen Angaben, die in Form von Fussnoten dem Texte
beigefügt sind. Kurz: das Werk dürfti' nach allem auch in
Deutschland weite A^erbreitung finden. Es erscheint uns sogar
wahrscheinlich, dass sich das Bedürfniss nach einer deutschen
Uebersetzung oder freieren Bearbeitung des Palaz'schen Werkes
herausstellen wird.
G.
Zeitschrift für
Heft IV. ~ Aussei
Ethnologie. 24. Jahrgang, Berlin, 1892.
vielen kleineren Mittlieilungen bringt das
Heft einen Haupt- Artikel: Dr. S. Weissenberg, Beitrag zur
Anthropologie der Turkvölker, Baschkiren und Meschtcherjaken
(mit einer Tafel).
Verhandlungen des Botanischen Vereins der Provinz Branden-
burg. 33. Jahrgang. 1891. Berlin 1892. — Der Band enthält
Beiträge von Abromeit, Altmann, Ascherson, Bauni-
gartuer, Beyer, Bolle, Druce, Geisenhoy ner, Gurke,
Hennings, Jacobascii, Koehne, Ernst H. L. Krause,
G. Lehmann, Loesener, Loew, Magnus,
Retzdorff, Koedel, Ruthe, Scheppicli,
Seemen, Taubert, J. Winkelmann,
Wittmack.
Moewes, Fax,
S e e h a u s , von
W i n k 1 e r und
8 M.
Leipzig.
Pinner, A., Die Imidoäther und ihre Derivate. Berlin.
Rawitz, B., Compendium der vergleichenden Anatomie.
b M.
Regel, F., Thüringen. I. Jena. 9 M.
Reis, P., Elemente der Physik, Meterologie und mathematischen
tii'Ographie. 5. Aufl. Leipzig. 4,50 M.
Reye, Th., Geometrie der Lage. 3. Aufl. Leipzig. 9 M.
Reyer. E., Geologische und geographische Experimente. Leipzig.
1,80 M.
Rogel, F., Zur Theorie der höheren Integrale. Prag. 0,40 M.
Rubner, M., Lehrbuch der Hygiene. 4. Aufl. Wien. 22,50 M.
Sachs, J., Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen-Physiologie.
Leijizig. 16 M.
Schmaus, H., Grundriss der pathologischen Anatomie. Wiesbaden.
1-J M.
Schultze, E., Amphibia europaea. Leipzig. 0,50 M.
Schumann, K., Morphologische Studien. Leipzig. 10 M.
Spencer, H., Svstem der synthetischen Philosophie. Stuttgart.
S M.
Stevens, H. V., Materialien zur Kenntniss der wilden Stämme
auf der Halbinsel Malaka. Berlin. 10 M.
Teixeira, M F. G., Remarques sur l'emploi de la fonction (u)
dans la theorie des fonctions ellipti<|ues. Prag. 0,10 M.
Toula, F., Zwei neue Säugethierfundorte auf der Balkanhalbinsel.
Leiiizig. 0,70 M.
Weber's, W., Werke. Berlin. 34 M.
Weinert. H., Die Grundbegriife der Chemie. Braunschweig.
(I..-10 M.
Weismann, A., Die Continuität des Keimplasmas als Grundlage
einer Theorie der Vererbung. 2. Aufl. Jena. 2,50 M.
WUser, L., Die Vererbung der geistigen Eigenschaften. Heidel-
berg. 1 .M.
Windisch, K., Die Bestimmung des Molekulargewichts in theo-
retischer und praktischer Beziehung. Berlin. 12 M.
Wittwer, W. G., Grundzüge der Molecular-Physik und der mathe-
iuatis(dii-n Chemie. 2. Aufl. Stuttgart. 6 M.
Wundt, W., Hypnotisnius und Suggestion. Leipzig. 1,50 M.
Zschokke, E., Weitere Untersuchungen über das Verhältniss
der Knochenbildung zur Statik und Mechanik des Vertebraten-
Skelettes. Zürich. 8 M.
Inhalt: Dr. Otto Kuntze: Botanische Excur.sion durch die Pampas und Monte-Formationen nach den Conlilleren. (Fortsetzung.)
— Zur Verbreitung, Biologie und Geschichte von Hex Aquifolium L. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur:
Dr. Theodor Jaensch: Aus Urdas Born. — Dr. Fried. Dreyer: Ziele und Wege biologischer Forschung. — Prof. Dr.
H. F. Kessler: Die Ausbreitung der Reblauskrankheit in Deutschland. — H. von Helmholtz: Handbuch der physiologischen
Optik. — Dr. Josef Maria Eder: Recepte und Tabellen für Photographie und Reproductionstechnik. — A. Palaz: Traite
de Photometrie industrielle specialement appliquee :i Teclairage electrique. — Zeitschrift für Ethnologie. — Verhandlungen des
Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein. Berlin SW. 12.
^^ Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntiig, den 15. Januar 1898.
Nr.
3.
Abonnement: Man abonnirt bei allen liuchhandUingen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist Jt 'i.—
Bringegeld bei der Post 15 -^j extra.
1^
Inserate: Die vicrgespaltene Petitzeile 40 -A. Grössere Aufträge ent-
spiecheiulcn Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannalime
bei allen Aunocenbureauj, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollständiger ({nellenaii)j;abc gestattet.
Werner von Siemens.
(t 6. Dezember 1892.)
Noch kurz vor der Jahreswende hat der Tod einen
von Deutschlands grossen Männern abberufen. Werner
von .Siemens, der Altmeister der Elektrotechnik, hat im
fast vollendeten 7G. Lebens-
jahr nach einem an Arbeit
und Erfolgen gleich reichen
Leben die Augen zum
gen Schlummer
ewi-
?eschlossen.
Die Nachwelt kann es als
eine gnädige Fügung des
Schicksals betrachten, dass
sein letztes Werk noch seine
Autobiographie sein durfte.
Der grosse Forscher ahnte
freilich nicht, als er auf
seiner lauschigen Villa bei
Harzburg die „Lebenserinue-
rungcn" schrieb, dass sie
sein Nekrolog werden sollten.
Am nördlichen Abhänge
des Harzes hausten Siemens'
Vorfahren seit dem dreissig-
Jährigcn Krieg als eine an-
gesehene Familie. Sein Vater,
ein hochgebildeter und kluger
Mann, der auf der alten
Fürstenschule zu Ilfeld und
später auf der Universität
Göttingen sich ein reiches
Wissen angeeignet hatte, war
dem von den Vätern ererb-
ten Beruf eines Landwirthes
treu geblieben. Im .Jahre 1816, in dem ihm am 13. De-
cember sein Sohn Werner geboren wurde, hatte er das
Gut Lenthe bei Hannover gejiachtet. Einige Jalire später
aber vertauschte er diesen AVohnsitz gegen die grossherzog-
liche Domaine Menzendorf im Fürstcnthum Katzeburg,
weil ihm die Verhältnisse auf Lenthe unerträglich wurden.
Immerhin lernte Werner trotz seiner Jugend die Zustände
in der damaligen „Königlich grossbritannischen Provinz
Hannover" kennen und viel-
leicht verachten. Einst hatte
sich ein Rudel Hirsche in
Lenthe auf den Gutshof ver-
irrt. Vater Siemens, wohlbe-
kannt mit den strengen Jagd-
gesetzen, Hess die Thiere in
einen Stall treiben und sandte
einen Boten mit entsprechen-
der Meldung nach Hannover.
Sofort erschien auf dem Gut
eine grosse Unter.^uchungs-
kominission, welche die wider
ihren Willen vergewaltigten
Hirsche in Freiheit setzte und
den alten Siemens ob des ver-
übten Jagdfrevels mit einer
hohen Geldstrafe belegte.
Vorfälle und die
der
unter den Stürmen der fran-
zösischen Revolution aufge-
wachsen war, erweckten fndi-
zeitig den Wunsch in dem
Knaben, sein deutsches Vater-
land einst einig, stark und
mächtig zu sehen und diesem
Vaterlande ein tüchtiger Sohn
zu werden.
Die Zeit in Menzendorf preist Siemens als die glück-
lichste seiner Jugend. Hier durften er und seine Ge-
schwister ungebunden mit den Altersgenossen aus dem
Dorfc in l'\'ld um! Wah
Derartige
Erzählungen des Vaters
Freiheit der Kinderjahrc
iiinherscinveifen und die goldene
so recht genicssen. Diese Frei-
20
Natui-wisseDsehaftliche Wocbensclirift.
Nr. 3.
lieit wurde erst eingescbi-äukt, als der erste Unterriebt
begann, der zunäcbst von der alten Grossmutter und später
ein balbes Jahr laug vom Vater ertbeilt wurde. Den
elfjäbrigen Werner finden wir sodann auf der Bürger-
schule zu Sebönherg wieder, die er jedoch nur kurze
Zeit besuchte. Ostern 1828, als Werner elf und ein halbes
Jahr alt war, nahm Vater Siemens seinen Kindern einen
Hauslehrer. Dieser Mann, Namens Sponholz, verstand in
vortrefflicher Weise auf seine Zöglinge einzuwirken.
„In mir erweckte er", so schreibt Simens von ihm, „das
nie erloschene Gefühl der Freude au nützlicher Arbeit und
den ehrgeizigen Trieb, sie wirklich zu leisten." Ein früher
Tod setzte dem Wirken Sponholz' ein Ziel. Sein Nach-
folger, ein alter gedienter Hauslehrer aus adeligen
Famiben vermochte ihn nicht zu ersetzen, und als auch
dieser starb, brachte man Werner und seinen Bruder auf
das Catbarineum zu Lübeck; Werner kam nach Uber-
und Hans nach Untertertia. Der Ruf dieser Schule als
gelehrte Schule war damals ein ausgezeichneter, aber
gerade die alten Sprachen, die den wesentbchsten Theil
des Unterrichts ausmachten, vermochten Siemens nicht
zu fesseln. „Die alten Sprachen", schreibt er, „fielen mir
recht schwer, weil mir die schulgerechte feste Grundlage
fehlte. So sehr mich das Studium der Klassiker auch
interessirte und anregte, so sehr war mir das Erlernen
der grammatischen Regeln, bei denen es nichts zu denken
und zu erkennen gab, zuwider. Ich arbeitete mich zwar
in den beiden folgenden Jahren gewissenhaft bis zur
Versetzung nach Prima durch, sah aber doch, dass ich
im Studium der alten .Sprachen keine l'>efriedigung finden
würde". Deshalb vertauschte er das (iriechische gegen
Mathematik und Feldniessen, um sich in geeigneter Weise
auf das Baufach, das einzige technische Fach jener Zeit,
vorzubereiten. 1834 verliess Siemens als Trimaner das Gym-
nasium. Seinen Wunsch, die Bauakademie in Berlin zu
beziehen, musste er aus Mangel an Mitteln aufgeben;
statt dessen beschloss er auf den Rath eines seiner Lehrer,
eines ehemaligen Artillerieoffiziers, in das preussische
Ingenieurcorps einzutreten!, in der Hoffnung, sieh dort
dieselben Kenntnisse erwerben zu können wie auf der
Bauakademie.
So zog denn der siebenzehnjährige Jüngling nach
einem schweren Abschied von der lleiniath mit froher
Zuversiebt und ziemlieh beschränkten Mitteln nach Berlin,
jedoch nur um eine abermalige Enttäuschung zu erfahren.
Das Ingenieurcorps war überfüllt und die Aussiebt auf
Aenderuug dieser Zustände lag in weiter Ferne. Ein
Versuch, bei der nächstverwandten Truppengattung, der
Artillerie, anzukommen, hatte endlich Erfolg. Nach
einer dreimonatlichen Vorbereitung bestand Siemens die
Eintrittsprüfung, der dann unmittelbar der Eintritt hei der
preussischen Artillerie in Mageburg folgte.
Obwohl die Thätigkeit, die ihn hier erwartete, herz-
lieh wenig gemein liatte mit den Idealen, die ihn von
der Schulbank nach Berlin gelockt hatten, warf sich
Siemens doch mit der ihm eigenen Energie dem neuen
Beruf in die Arme. „Ich denke", so sagt er, ..an meine
Rekrutenzeit trotz der grossen mit ihr verknüpften An-
strengungen, sowie grober und scheinbar harter Behand-
lung durch die Exerciermcister n((ch heute mit Vergnügen
zurück. Die (irobheit ist Manier und ist nicht mit krän-
kender Absicht verbunden. Sie geht daher auch nicht
zu Herzen, bat im Gegentheil etwas AuftVischendes und
Anregendes, namentlich, wenn sie mit Humor verknüpft
ist, wie es bei den berühmt gewordenen Mustern militä-
rischer Grobheit fast immer der Fall war. Ist der Dienst
vorbei, so ist die Grobheit vergessen und das kamerad-
schaftliche Gefühl tritt wieder in sein Recht." —
Vermöge seiner hohen tecbnischeu Begabung, deren er
sich in dieser Zeit allmählich bewusst wurde, war es
Siemens ein Leichtes, den an ihn gestellten Anforderungen
zu genügen. Schon das folgende Jahr brachte ihm das
beiss ersehnte dreijährige Commando zur vereinigten Ar-
tillerie^ und Ingenieurschule in Berlin. Endlich sollte ihm
nun Gelegenheit gegeben werden, „Nützliches zu lernen".
Er war ein eifriger Schüler und bestand in diesen Jahren
glücklich, wenn auch ohne Auszeichnung, das Fähnrich-,
das Armeeofficier- und das Artillerieofficicrexamen. So
viel wie möglich aber widmete er seine Zeit seinen
drei Lieblingsdisciplinen-, Mathematik, Physik und Chemie.
Ohm, Magnus und Erdmann verstanden es, dem jungen
Mann ein reges Interesse für ihre Wissenschaften einzu-
flössen, ein Interesse, das je mehr an Alter, desto mehr auch
an Intensität zunahm. Daneben pflegte er einen fröhlichen
kameradschaftliehen Verkehr mit Seinesgleichen, und dass
es nicht an manch heitrer Stunde fehlte, in der der ju-
gendliche üel)ernuith übersprudelte, bezeugen die Pauke-
reien und Duelle, deren Zahl nicht gerade gering war.
In seine Garnison Magdeburg zurückgekehrt, setzte
der nunmehrige Artillerielieutenant seine wissenschaft-
lich-technischen Studien und Versuche fort. Sein Vetter,
ein hannoverscher Artillerieofficier, hatte damals die ersten
Versuche mit Frictionsschlagröbren gemacht. Siemens
erkannte die Wichtigkeit dieser Frage und bescbbiss, selbst
an der Lösung derselben zu arbeiten. Der ihm zu Ge-
bote stehende Apparat war freilich primitivster Art. In
einer Pomadenkruke rührte er mit einem Streichholz einen
Brei von Phosphor mit chlorsaurem Kali zusammen und
verwahrte, als ihn der Dienst rief, das Ganze am kühlen
Fenster. Nach Hause zurückgekehrt fand er die gefähr-
liche Mischung zwar noch am selben Orte vor, beim Be-
rühren des Streichholzes aber explodirtc die Masse unter
heftiger Detonation. Der Boden der Kruke sass tief im
Fensterbrett, während alles andere als feiner Staub im
Zimmer herumwirbelte. Der Bursche hatte beim Auf-
räumen des Zimmers die Kruke in die Ofenröhre gesetzt
und dadurch ein mehrstündiges Trocknen des Präparats
verursacht. Dem kühnen Experten trug dieser Versuch
eine Quetschung der Hand und eine Zerreissung des rechten
Trommelfells ein.
Das Jahr 1840 wurde für Siemens ein an Ereignissen
besonders reiches. Zunächst brachte es ihm die Versetzung
nach Wittenberg, wo er die Leiden und Freuden einer
kleinen Garnison kennen lernte. Sodann führte es ihn
zurück nach Magdeburg, das heisst nicht in die Garnison,
sondern in die Citadelle, und zwar zur Verbüssung einer
fünfjährigen Festungsstrafe wegen Tbeilnabme als Se-
kundant an einem Duell. Hier hinter den vergitterten
Fenstern seiner geräumigen Zelle hatte er Jlusse genug
für seine Forschungen. Jacobi's Erfindung, das Kupfer
aus seinen Lösungen durch den galvanischen Strom me-
tallisch niederzuschlagen, veranlasste Siemens, diesen
Versuch nachzumachen und nachdem er ihm gelungen, auch
andere ^letallhisungen dem galvanischen Strom zu unter-
werfen. Das Resultat dieser Experimente war die Erfin-
dung der galvanischen Vergdidung und Versilberung.
„Ich glaube", äussert er sich hierüber, „es war eine der
grössten Freuden meines Lebens, als ein neusilberner
Tbcelöfl'el, den ich mit dem Zinkpole eines Danieirschen
Elements verbunden in einen nüt unterscbwcfligsaurer
Goldlösung gefüllten Becher tauchte, während der Kupfer-
pol mit einem Louisdor als Anode verbunden war, sich
schon in wenigen 3Iinuten in einen goldenen Lötfei \<nü
schönsten, reinsten (4oldglanze verwandebe."
Vierzig Louisdor, um welchen Preis ein Magdeburger
Juwelier ihm die Erlaubniss, nach dem Verfahren zu ar-
beiten, allkaufte, und ein jireussisches Patent auf 5 Jahre
waren die nächsten praktischen Erfolge für Siemens.
Nr.
Nutufwipsensphaftliplie Wocliensclirift.
21
Bald darauf wurde er be^'iiadigt und zur Lustfeuorwerkerei
nach Spandau kdimnandirt; von dort zur Artilleriewerk-
statt in Berlin.
Die pecuniäreu Verbältnisse des jungen Offiziers
besserten sieh wesentlich, als es ihm gelang sein Patent
für galvanisciie Versilberung und Vergoldung an die Xeu-
silbcrfabrik von J. Henuiger in Berlin zu verkaufen, und zwar
gegen Gewinnantheil. Als erste und damals einzige Fabrik
ihrer Art arbeitete dieselbe mit vielem Erfolg. Inzwischen
hatte Wilhelm Siemens, Werners jüngerer Bruder, den
dieser nach der Eltern Tode zum tüchtigen Maschinen-
bauer hatte ausbilden lassen, in England eine neue
Heimath gefunden. Beide Brüder wirkten nun ge-
meinsam. Was Werner in Deutschland erfand, verwer-
thete Wilhelm, der gewiegte Geschäftsmann, in England.
So war es sein Verdienst, dass das Vergoldungspatent
an eine englische Concurrcnzfirma für l.")00 Pfund, eine
für damalige Zeiten ungeheure Summe, veräussert wurde.
In dieser Zeit trat l)ci Siemens eine Art Rückschlag
ein. Das Bestreben durch neue Erfindungen und Verbes-
serungen des Vorhandenen Erfolge zu erzielen, hatte eine
rein wissenschaftliche Thätigkeit fast ganz in den Hinter-
grund gedrängt. Siemens erkannte die grosse Gefahr, die
das Jagen nach Erfindungi'n für ihn mit sich brachte, und
beschloss vollkommen mit der alten Thätigkeit zu brechen.
Er belegte Oollegia an der Universität und fand nament-
lich in einem Kreise junger Naturforscher, deren Namen
heute sämmtlich mehr oder weniger hochangeseheu in der
Wissenschaft dastehen, ausserordentliche Anregung. Diese
Männer waren du Bois-Reymond, Brüeke, Hclmholtz,
(Uausius, Wiedemann, Ludwig, Beetz, Knoblauch. Mit
ihnen gründete Siemens in jener Zeit die Physikalische
Gesellschaft.
„Doch die Verhältnisse waren stärker als mein Wille,
und der mir angeborene Trieb , erworbene wissenschaft-
liche Kenntnisse nicht schlummern zu lassen, sondern
auch möglichst nützlich anzuwenden, führte mich doch
immer wieder zur Technik zurück. Und so ist es während
meines ganzen Lebens geblieben. Meine Liebe gehörte
stets der Wissenschaft als solcher, während meine
Arbeiten und Leistungen meist auf dem Gebiete der
Technik liegen."
In der polytechnischen Gesellschaft, der er sieh als
junger Offizier eifrig widmete, fand Siemens Gelegenheit
sein Talent für die Technik zu entfalten. Die L(isung und
Diseussion der im Fragekasten gestellten Aufgaben bil-
dete bald einen Theil seiner regelmässigen Thätigkeit
und war für ihn eine gute Schule. Durch seine Thätig-
keit in dieser (Sesellschaft gelangte Siemens zu der
Ueberzeugung, dass naturwissenschaftliche Kenntnisse und
wissenschaftliehe Forschungsmetliode berufen wären, die
Technik zu einer damals noch garnicht zu übersehenden
Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Er erkannte die dringende
Nothwendigkeit, die unüberbrückbare Kluft, die damals
noch zwischen Wissenschaft und Technik herrschte zu
beseitigen.
Dieser hochwichtigen Periode entstammen auch die
ersten litterarischen Arbeiten von Siemens. Sie zeigen
zugleich, welcher Art die wissenschaftlich-technischen
Fragen waren, die ihn damals beschäftigten. Es sind
dies ein Aufsatz .über die Anwendung der erhitzten I^uft
als Triebkraft" und ein zweiter „über die Anwendung
des elektrischen Funkens zur (k'schwindigkeitsmessung."
Zu jener Zeit wurden von Leonhardt im Auftrage des
Generalstabs Versuche angestellt über die Ersetzbarkeit
der optischen Telegraphie durch elektrische. Siemens'
Interesse für elektrische Experimente fand durch Bethei-
ligung an diesen Arbeiten lebhafte Anregung. Die Er-
findung der selbstthätigen Stromunterbrechnng als Ver-
besserung des Wheatstoneschen Zeigertelegraphen belohnte
seine Arbeiten. Die Ausführung dieses neuen Zeigertele-
graphen übertrug Siemens dem jungen Mechaniker Halske,
musste ihn aber erst durch ein paar aus Cigarrenkisten,
Weissblech, einigen Eisenstückchen und etwas isolirtem
Kupferdiaht hergestellte selbstthätige Telegraphen von
der Brauchbarkeit des Apparates überzeugen. Die
Sicherheit, mit der diese improvisirten Telegraphen zu-
sammen gingen und standen, begeisterte Halske der-
maassen für das neue System, dass er sich bereit erklärte,
mit Siemens in Verbindung zu treten und sich ganz der
Telegraphie zu widmen.
Siemens erkannte die hohe Bedeutung der Tele-
graphie klar; er fühlte sich auch in dieser neuen Thätig-
keit in seinem rechten Fahrwasser und durfte, ermuthigt
durch seinen ersten Erfolg, hoffen, sich hier einen Lebeus-
beruf gründen zu können , der ihn zugleich in die Lage
versetzte, seinen Verpfiiehtungen gegen diej'üngeren Brüder
gerecht zu werden. Mitten in diese l'läne hinein traf vn\
Ereigniss, welches ihn unvermittelt zwang, seinem Erfinder-
geist ein anderes Gebiet zu eröffnen.
Durch Theilnahme an einer Demonstration für den
Fuhrer der freireligi(isen Bewegung in Berlin, den Pastor
Johannes Ronge, gegen „Reaction und Muckerthum",
drohte Siemens die Aufhebung seines Commandos in
Berlin und Zurückversetzung zu seiner Brigade. Gerade
diese Maassregel aber durfte jetzt nicht zur Ausführung
gelangen.
„Da fiel mir zum Glück die Schiessbaumwolle ein",
erzählt Siemens, .,die kurz vorher von ProfesS(n- Schön-
l)ein in Basel erfunden, aber noch nicht brauchbar war.
Es schien mir unzweifelhaft, dass sie sich so verbessern
Hesse, dass sie militärisch anwendltar würde. Ich ging
daher sogleich zu meinem alten Lehrer Erdmann, Pro-
fessor der Chemie an der Kgl. Thierarzneischule, trug
ihm meine Noth vor und bat ihn um die Erlaultniss, in
seinem Laboratorium Versuche mit Schiessbaumwolle an-
stellen zu dürfen. Er erlaubte es freundlich, und ich ging
ans Werk. Ich hatte die Idee, dass man durch An-
wendung stärkerer Salpetersäure und durch sorgfältigere
Auswaschung und Neutralisirung ein besseres und weniger
leicht zersetzbarcs Product erzielen kömne. Alle Versuche
schlugen aber fehl, obschon ich rauchende Salpetersäure
höichster Concentration verwendete; es entstand immer ein
schmieriges, leicht wieder zersetzbares Product. Als mir
die hochconcentrirte Salpetersäure ausgegangen war, suchte
ich sie einmal bei einer Probe durch Zusatz von con-
eentrirter Scliwefelsäure zu verstärken und erhielt zu meiner
Ueberraschung eine Sehicssbaumwolle von ganz anderen
Eigenschaften. Sie war nach der Auswaschung weiss und
fest wie die unveränderte Baumwolle und explodirte sehr
energisch. Ich war glücklich, machte bis spät in die
Nacht hinein eine ansehnliche Quantität solcher Schiess-
wolle und legte sie in den Trockenofen des Laboratoriums.
Als ich nach kurzem Schlafe am frühen Morgen wieder
ins Laboratorium kam, fand ich den Professor trauernd
unter Trümmern in der Mitte des Zimmers stehen. Beim
Heizen des Trockenofens hatte sich die Sehicssbaumwolle
entzündet und den Ofen zerstört. Ein Blick machte mir
dies und zugleich das vollständige Gelingen meiner Ver-
suche klar. Der Professor, mit dem ich in meiner Freude
im Zimmer herumzutanzen suchte, schien mich anfangs
für geistig gestört zu halten. Es kostete mir Mühe, ihn
zu beruhigen und zur schnellen Wiederaufnahme iler \'er-
suche zu bewegen. Um 11 Uhr Morgens hatte ich schon
ein ansehnliches Quantum tadelloser Sehicssbaumwolle
wohlverpackt und schickte es mit einem dienstlichen Schrei-
ben direct an den Krii'gsminister. Der Erfolg war glän-
zend. Der Kriegsminister hatte in seinem grossen (Tarten
22
Naturwisseuschaftliclie Wochenschrift.
Nr. 3.
eine Sehiessprobe angestellt und, da sie brillant ausfiel,
sofort die Spitzen des Ministeriums zu einem vollständigen
Probescliiessen mit Pistolen veranlasst. Noch an demselben
Tage eriiielt ich eine officielle directe Ordre des Kriegs-
ministers, mich zur Anstellung von Versuchen in grösserem
Maassstabe zur Pulverfabrik nach Spandau zu begeben,
die bereits angewiesen sei, mir dazu alle Mittel zur Ver-
fügung zu stellen. Es ist wohl selten eine Eingabe im
Kriegsministerium so schnell erledigt worden. Von meiner
Versetzung war keine Rede mehr. Ich war bald der ein-
zige von meinen Unglücksgefährten, der üerlin noch nicht
hatte verlassen müssen.
Ich hatte meinen Bericht über meine Versuche in
Spandau schon eingeschickt, als Professor Otto in Braun-
sehweig meine Methode der Darstellung brauchbarer
SchiesswoHe neu erfand und pubHeirte. Meine frühere
Thatigkeit in der Sache und mein Bi'richt an das Kriegs-
ministerium blieben natürlich geheim, und Otto gilt daher
mit Recht als P^rfinder der brauchbaren Schiessbaumwolle,
da er die Methode ihrer Herstellung zuerst veröftentlicht
hat. So ist es mir vielfach ergangen." —
Nachdem so die Gefahr der Versetzung in die Gar-
nison glücklich beseitigt war, konnte Siemens sich aufs
Neue ungestört der Telegraphie widmen. Er sandte an
den General Oetzel, den Chef der unter dem Generalstabe
stehenden optischen Telegraphen, einen Berieht über den
damaligen Stand der Telegraphie und die zu erwartenden
Verbesserungen, dessen Folge ein Commando zur Dienst-
leistung bei der Commission des Generalstabes war,
welche die Einführung der elektrisclien Telegraphen vor-
bereiten sollte.
In jenen Zeiten hielt man ofHen zu Tage liegende
Telegraphenlinien für unmöglich, weil man ihre Zer-
st(irung durch das Publicum befürchtete, und die unter-
irdischen Leitungen wollten nicht in der gewünschten
Weise functioniren, weil es an einem gei'igneten Isolir-
mittel fehlte. Als solches fand Siemens die Guttapercha
sehr geeignet, ein Material, welches damals zuerst auf
dem englischen Markte erschienen und Siemens von seinem
Bruder Wilhelm als Curiosität zugeschickt war. Mit Hülfe
einer eigens dazu construirten Schraubenpresse gelang es
ihm, die Guttapercha oime Naht um den Kupferdraht zu
pressen, und im Jahre 1847 wurde die erste längere unter-
irdische Leitung von Berlin bis Grossbeeren mit derartig
isolirten Drähten gelegt. Im selben Jahre gründete Siemens
mit dem Mechaniker Halske in einem Hinterhause der
Schönebergerstrasse eine Telegraphenbauanstalt, aus der
das weltbekannte Etablissement von Siemens und Halske
in Berlin mit seinen Zweiggeschäften in fast allen Haupt-
städten Europas entstanden ist. Als offener Theilhaber
wollte Siemens in das Geschäft erst eintreten, sobald er
seinen Abschied vom Militär hatte. Dass dieser nicht so
schnell zu bewerkstelligen war, verschuldeten die Stürme
des Jahres 1848. Der 18. März dieses Jahres machte der
Thatigkeit der Telegraphencommission ein jähes Ende.
Sie hörte auf zu arbeiten, ohne aufgelöst, auch nursuspendin-t
zu sein. Siemens war nun ohne dienstliche Thatigkeit und
durfte doch seinen Abschied nicht nehmen, da ein aus-
wärtiger Krieg unausbleiblich schien.
„Da trat wieder, wie so oft in meinem Leben'-, sagt
Siemens, „ein Ereigniss ein, das mir eine neue und schliess-
lich für mich günstige Richtung gab." In Schleswig-
Holstein war der Aufstand gegen Dänemark ausgebrochen,
und der Stadt Kiel, dem Sitz der provisorischen Regie-
rung, drohte von dänischer Seite ein Bombardement.
Siemens kam auf den damals vollkommen neuen Gedanken,
den Hafeneingang durch unterseeische Minen mit elek-
trischer Zündung zu vertheidigen. Nachdem von Preussen
der Krieg an Dänemark erklärt war, erhielt er die Er-
lanbniss zur Ausführung seines Planes. Er verankerte
grosse, wohlverpichte, mit Pulver gefüllte und mit Zündern
versehene Fässer vor dem Hafen, so dass sie circa 20 Fuss
unter dem ^leeresspiegel schwebten. Die Zündleitungen
wurden nach zwei gedeckten Punkten am Ufer geführt
und der Stromlauf so geschaltet, dass eine Miiu^ explodiren
musste, wenn an beiden Punkten gleichzeitig die Oontacte
für ihre Leitung geschlossen waren. Für jede Mine wurden
an den i)eiden Beobachtungsstellen Riehtstäbe aufgestellt
und die Instruction ertheilt, dass der Contact geschlossen
wer<len müsse, wenn ein feindliches Schiff' sich in der
Richtlinie der betreffenden Stäbe befinde, und so lange
geschlossen bleiben müsse, bis sich das Schiff' wieder voll-
ständig ans der Richtlinie entfernt habe. Der Ei-folg
war grossartig. Die zufällige Explosion einer Mine vor
der Festung Friedrichsort flösste den Dänen einen so
grossen Respect vor den Minen ein, dass Kiel trotz seiner
schwachen Arniirung in beiden dänischen Feldzügen un-
belästigt blieb.
Siemens beklagt sich mit Recht, dass trotz dieser
viel besprochenen Erfolge von militärischen Schriftstellern
nicht ihm, sondern dem Proiessor Jaeobi in Petersburg
die Erfindung der Unterseeminen zugeschrieben ist, obwohl
dessen Versuche bei Kronstadt viele Jahre später ausge-
führt wurden, und Jaeobi selbst weit davon entfernt war,
die Erfindung und die erste Ausführung im Kriege für
sich in Anspruch zu nehmen.
Mit Beginn der Friedensunteihandlungen kehrte
Siemens nach Berlin zurück, um seine wissenschattlich-
technisclien Arbeiten fortzusetzen. Die Telegraphen-Com-
mission war inzwischen auch formell aufgelöst, und die
Telegraphie dem Handelsministerium unterstellt. Trotz
der wenig verlockenden Aussicht, einen Assessor zum
^'orgesetzten zu bekommen, nahm Siemens ein Kommando
zur Dienstleistung beim Handelsministerium an. Im Herbst
desselben Jahres wurde die erste grössere Telegraphen-
linie nicht nur Deutsehlands, sondern ganz Europas in
Angriff' genummen und dank der Energie Siemens' schon
im Winter 1849 dem Betrieb übergeben. Es war dies
die Linie Berlin — Frankfurt a. M. , der dann liald die
Linie Berlin— Köln folgte und deren Verlängerung bis
Verviers in Belgien. Nach Vollendung dieser Arbeiten
besehloss Siemens, endgültig aus dem Militär- und Staats-
dienst auszuscheiden. Nach einer vierzehnjährigen Dienst-
zeit erhielt er seinen Abschied als Premierlieutenant, obwohl
er bei den schlechten Beförderungsverhältnissen jener Zeit
erst eben über die Hälfte des Secondelieutenants hinaus
war. Mit seinem Eintritt in die Firma begann eine Zeit
äusserst anstrengender Thatigkeit. Die Eisenbahnverwal-
tungen erkannten den grossen praktischen Nutzen der
Telegraphie, und entschlossen sich deshalb eine nach der
andern zur Legung von telegraphischen Begleitlinieu. Trotz-
de4ii fand er noch Zeit zu litterarischen Arbeiten; so erschien
bereits im Anfang des Jahres 1850 eine umfangreiche Schrift
„Memoire sur la telegraphie electrique", in der Siemens
seine bis dahin gesammelten Erfahrungen zusammen fasste,
und auf Grund deren er von der Pariser Akademie der
Wissenschaften in die Savants etrangers aufgenommen
wurde.
In der nun folgenden Zeit widmete sich Siemens im
Wesentlichen dem Auslande. In erster Reihe galt es in
Russland eine Anzahl grosser Linien zu schaffen, unter
denen namentlich die Linie nach Sebastopol, zur Zeit des
Krimkrieges in sechszehn Wochen hergestellt, seine ganze
Thatkraft in Anspruch nahm. Es darf nicht unerwähnt
bleiben, dass sich Siemens im Jahre 1852 auf seiner
ersten Geschäftsreise nach Russland in Königsberg mit
Mathilde Drumann verlobte.
Im Jahre 1857 legte er sein erstes Tiefseekabel von
Nr. 3.
Naturwissenschaftliclie Wochensclii-ift.
23
Sardinien nach Bona in Algier. Im selben Jalire noch
folgte die Linie durch das Rothc und Indische Meer von
Suez bis Kurratschi in Indien, deren Länge von 3000
Seemeilen alles bisher Geleistote übertraf. Ein für diese
Linie construirtes und damals 7Aierst verwandtes System
führt noch heute den Namen „Rothes Meersystem."
Die Zeit nach dem östcrreichisciicn Krieg charaktc-
risirt Siemens mit folgenden ^^'orten: .,Magnetelectrischc
Minenzünder, electrisclic Distanzmesser, eleetrische Scliiffs-
steuerung, um mit Sprengladung ausgerüstete Boote olme
Bemannung feindlichen Schificn entgegenzusteuern, sowie
zahlreiche Verbesserungen der Militärtclcgraphie, waren
Kinder dieser bewegten Zeit.'" Hierher gehiirt ferner die
dynamo-electrische Maschine, welche „die Grundlage eines
grossen neuen hidustriezweigcs geworden ist und fast auf
alle Gebiete der Technik belebend und umgestaltend ein-
gewirkt hat und noch fortdauernd einwirkt."
Das Jahr 1869 brachte den Plan und schon das
folgende Jahr die Ausführung der ungeheuren, über zehn-
tausend Kilometer langen indoeuropäischen Linie, auf der
noch heute London und Kalkutta so schnell und sicher
mit einander s|)recben wie zwei benachbarte Stationen.
In den Anfang der siebziger Jahre fällt die Legung
des ersten atlantischen Kabels zwischen Irland und den
Vereinigten Staaten. Der eigens zu diesem Behufe ge-
baute Kabcldampfer ..P"'araday" löste seine Aufgabe in
zufriedenstellendster \\'eisc, obschon es nicht an kritischen
Momenten bei der Legung des Kabels fehlte. Eines
Tages erhielt Siemens die Nachricht, der Earaday sei
zwischen Eisbergen zcrquetsclit und mit Mann und Maus
untergegangen. Erst einige Tage hinterher erfuhr er,
dass diese Nachricht unwahr uml nur ein Freundschafts-
dienst seiner Gegner gewesen war. Jedenfalls war es
eine harte Probe für seine Selltstbehcrrschung, unmittel-
bar nach dem Em{)fang dieser Nachricht in der Festsitzung
der Berliner Akademie der Wissenschaften seine Antritts-
rede halten zu müssen.
üeber diese ehrenvolle Auszeichnung, die vor ihm
noch keinem 3Ianne der Technik zu Theil wurde, liörcn
wir ihn am besten selbst:
..Wie mein Freund Du Bois-Reynumd, der als jiriisi-
dircnder ..Sekretarius" der .Akademie meine Antrittsrede
beantwortete, richtig hervorhob, gehörte ich nach Bean-
lagung und Neigung in weit höherem Maasse der Wissen-
schaft als der Technik an. Naturwissenschaftliche For-
schung war meine erste, meine Jugendliebe, und sie hat
auch Stand geiialten bis in das hohe Alter. — Daneben
habe ich fieilicli immer den Drang gefühlt, die natur-
wissenschaftlichen Errungenschaften dem praktischen
Leben nutzbar zu machen. Ich drückte das auch in
meiner Antrittsrede aus, indem ich den Satz entwickelte,
dass die Wissenschaft nicht ihrer selbst wegen bestehe
zur Befriedigung des Wissensdranges der bcschräid^ten
Zahl ihrer lickenner, sondei-n dass ihre Aufgabe die sei,
den Schatz des Wissens und Krmnens des Mcnsdien-
gcschlechts zu vergr("pssern und dasselbe dadurch einer
höheren Kulturstufe zuzuführen."
lieber die umfassende und vielseitige Thätigkcit in
seinem Geschiiftslebcn, sowie über seine wissenschaft-
lichen Arbeiten, deren Zahl nach der .Vulnahme in die
Akademie der Wissenschaften lieträchtlich wuchs, kann
leider an dieser Stelle nicht ausführlich berichtet werden.
Bis ans Ende seines wechselvollcn Lebens aber war Sie-
mens ein rühriger Mitarbeiter an den Aufgaben der
Gegenwart.
..Ich begann," so schliesst er seine Schilderungen,
.,die Niederschrift meiner Elrinnerungen mit dem biblischen
Ausspruche: „Unser Leben währet siebenzig Jahre, und
wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre," und ich
denke, sie wird gezeigt haben, dass auch der Schluss
des Denkspruchs „und wenn es köstlich gewesen ist, so
ist es Mühe und Arbeit gewesen," sich an mir bewährt
hat, denn mein Leben war schön, weil es wesentlich er-
folgreiche Mühe und nützliche Arbeit war, und wenn ich
der Trauer darüber Ausdruck gebe, dass es seinem Ende
entgegengeht, so bewegt mich dazu der Schmerz, dass
ich von meinen Lieben scheiden mu.ss und dass es mir
nicht \'ergöuut ist, au der vollen Entwickelung des
naturwissenschaftlichen Zeitalters erfolgreich weiter zu
arbeiten." Dr. H.
Botanische Exciirsion durch die Pampas und Monte-Formationen nach den Cordilleren.
Von Dr. ( ) 1 1 o K u ii t z e.
(Fortsetzuiio-
Ein Andenübergang, ausgenommen der von Mendoza
aus, ist noch mit so viel Schwierigkeiten verbunden, dass
selbst ein so erfahrener Reisender, wie ich es wohl l)in,
mit Stolz auf die überwundene Partie zurückblicken darf.
Auch der von Mendoza ans, bezw. 2 Eisenbahnstationen
darüber hinaus, über den Upsallata führende Pass, den
man jetzt in 4 Tagen unter Benutzung von Naehtherbcrgen
überschreitet, gilt den Meisten für so beschwerlich, dass
sie es vorziehen, den weiten und theuren Weg durch die
stürmische Magelhaens-Strasse mit Dampfer zurückzulegen,
um von Argentinien nach Chile zu gelangen. Denselben
Weg nimmt auch noch die Post aus Europa, und alle
europäischen Waaren werden noch auf dem Seewege
dorthin transportirt.
Man muss sich der Schwierigkeiten einer Cordilleren-
passage vollauf bewusst sein, um ihnen vorzubeugen.
Zunächst ist wegen des Schnees meist nur in den Monaten
December bis Juli ein Uebergang nKiglich; wenn man
aber Gepäck mitführt, welches kein Wasser verträgt —
wie z. B. Pflanzenpapier und -Sammlungen — so muss
man wegen der z. Th. i-echt tiefen und reissenden Ge-
iml Schluss.)
birgspässe warten bis Ende Januar oder später, bis der
Schnee zum grösseren Theil weggeschmolzen ist.
Der U])sallata Pass ist botanisch am meisten bekannt
und interessirte mich also am wenigsten; der Cruz -Pass,
unter =t 34° s. Br., ist zwar von Grüufeldt explorirt wm-den.
aber auf seinen 4 Andenübergängeu hat Grüufeldt zu-
sammen nur 163 Pflanzenarten gesammelt, welche Ascher-
son bearbeitete, von denen iudess nur 33 Arten specifisch
bestimmt sind. Dieser Pass war also botanisch noch viel-
versprechend, und ich habe auf ihm in der That gegen
oOO Arten innerhalb 8 Tagen gesammelt. Doch kann ich
erst später nach Rückkehr in Europa ein Verzeiclmiss der
Arten ausarbeiten. Auch habe ich keineswegs alle Pflanzen-
arten gesammelt und die Flora gründlich abgesucht,
sondern nur, was den gegebenen Umständen nach mög-
lich war.
Während dieser Reise habe ich innerhalb 8 Tagen
und Nächten kein Unterkommen gefunden — die Erde
oder der Felsen, ndt einer Kuhhaut bedeckt, mit den
Plaids und Decken, die tagüber dem Reitthier unter und
über den Sattel gelegt werden, gepolstert, war das Bett,
24
Natur wissen s chaftlich e Wochenschrift.
Nr. 3.
das Sternenzelt unsere Bedachung. Ein Zelt hatte ich
zwar mit, aber glücklicherweise regnete es bis auf den
vorletzten Tag nicht, und gegen Wind oder Kälte haben
wir das Zelt nicht aufgeschlagen; das ist viel zu um-
ständlich und zeitraubend. Gegen viel Wind nützt es
auch nichts, der reisst das Zelt um; auch war meine
Partie von starken Winden — also auch von Staubplage
der manchmal vorherrschenden vulkanischen Asche — ver-
schont, und gegen die Xachttemperaturen von 3 — 10° im
Gebirge schützt man sich, indem man doppelte Kleidung,
namentlich trockene wollene Wäsche Nachts anzieht; gute
Dienste haben mir wiederum meine leichten Filzschuhe ge-
than, wogegen ich, als ich einmal mit Stiefeln schlief,
diese des Nachts noch wegen Kälte wechseln musste.
Wenn man überdies einen grossen Sack mitführt, in
welchen man Nachts die eingekleideten Füsse steckt, so
wird man sich auch nicht durch Entblüssung erkälten und
nach des Tages Ueberanstrengung sich eines festen
Schlafes erfreuen. Wenigstens mir ist es so ergangen,
während meine beiden Führer sich oft des Nachts am
Lagerfeuer aufhielten.
Der Wind ist aber oft recJit störend beim PÜauzen-
einlegen, das trotzdem bei mittlerem Wind fertig zu brin-
gen, ist ein Kunststück, das man mit viel Geduld hier
lernen kann; die leeren Bogen sowohl als die mit
Pflanzen versehenen unil zu versehenden müssen mit
Steinen belastet werden, und die Packcte dürfen nicht
hoch werden, ehe sie in die Drahtprcsse koumien, sonst
wirft sie der ^\'ind doch um und zerstreut sie sammt In-
halt in alle Richtungen. Freund Kurtz war schon in
Ramacaida das Unglück passirt, dass ein 20 cm hohes
Packet vorher getrockneter und registrirter Pflanzen trotz
Steinltelastung vom Wind zerstreut wurde, und mir hat
der Wind eine Beschwerung von 2 Kilo vom Packet, in
dem er sich wohl gefangen hatte, weggetrieben; bei diesem
Wind habe ich eines Nachmittags gegen GO Arten frisch
eingelegt! Das Botanisiren vom Rcittbier herab, wie es
vorläufig auf einer solchen Partie nur möglich ist, hat
überhaui)t mancherlei Beschwerden. Wegen jeder Pflanze
muss man vom Maulthier absjiringen oder einen Führer
abspringen lassen; in eine Botanisirtroninicl. die ich weder
mithatte, noch beim Reiten verwendbar ist, kann man die
Ernte unterwegs nicht stecken; die Drahtpresse steckt im
Koffer und ist auch nicht beim Reiten transportirbar. Es
wird alles einfach in einen Reit«ack (Alforga) am Sattel
hinten geschoben und erst beim Halten der Tropa am
Abend oder Mittag sauber in Papier gelegt. Dauert ein
Ritt etwa 5 Stunden, so müssen die Pflanzen angefeuchtet
werden, und beim Einlegen am Lagerplatz geht nun erst
das Sortiren der oft etwas beschädigten Pflanzen an —
wenn es der Wind erlaubt. Von Ausgraben der Wurzeln
kann fast nicht die Rede sein, trotzdem ich einen hand-
festen Ascherson'schen Spatel ndthabe. Die Wurzeln,
Knollen, Zwiebeln stecken so tief meist in dem aus Sehotter-
und vulkanischer Asche oder Lehm aufgebauten Boden,
dass man eine starke Radehacke braucht, um nach langer
Zeit erst seinen Zweck zu erreichen. Ich hätte gern
einige sehönblühende Pflanzen auf ihre Wurzeln geprüft,
ob sie etwa zum Transport nach Deutschland geeignet
seien; aber diese Versuche waren stets erfolglos. Da jetzt
über 2000 m in den Anden Frühlingsflora herrseht, waren
auch fast keine Sämereien reif, und später, erzählt mir
der Übergärtner des botanischen Gartens in Santiago,
Chile, sind die Samen sparsam zu finden, weil die Vieh-
heerden aus dem Tiefland, wo Dürre herrscht, ins Ge-
birge getrieben werden und bis an den Schnee hin alles
abweiden, was nicht stark dornig ist.
Zum ausgiebigen Botanisiren in jenen Höhen, also
von 1.500 m bis 3500 m — ich bin zwar bis 3780 m ge-
kommen, aber über 3200 m hört fast die Vegetation auf
— gehört Zeit, viel Zeit, jedes Seitenthal, jeder aus
Schneefeldern hcrabrinnende Bach hat au seinen Ufern
oft andere Arten, aber man ist von den Maulthieren
wegen der seltenen Weideplätze, eombinirt mit Wasser-
und Feuerholzbedarf, so abhängig, dass man meist sehr
lange Touren relativ schnell zurücklegen muss. Ich hatte
die weite Reise von Ramacaido bis Santiago mit den
Führern in ± 10 Tagen accordirt: es sind dies in der
directen Luftlinie etwa 300 km, infolge der Umwege, des
häufigen Bergauf- und Absteigens, wie das auf der chi-
lenischen Seite längs des im engen Thale des Rio Mairo
oft nöthig ist, vielleicht 500 km, also mindestens 50 km
pro Tag. Mein Führer eilte noch dazu, um mich mög-
lichst schnell in .Santiago „abzuliefern"; aber ich hatte
bedungen, dass immer einer der zwei Führer zu meiner
Verfügung behufs Pflanzensamnieln sei, und habe es mit
etwas Grobheit wenigstens durchgesetzt, dass die Tour
nicht 'in 7 Tagen, sondern in neun erledigt wurde. Da es
keinen Weg und Steg giebt, bloss in Chile bei ± 1600 m
fanden sich einige Brücken und tiefer auch Strassen, da
man sich auch wegen der Weideplätze auf die I-"'ührer
verlassen nmss, so ist man von ihnen abhängig. Wenn
man aber für dieselbe Partie doppelt so viel Zeit ver-
wenden wollte, würde man gewiss auch durch eine doppelt
reichere Pflanzenernte erfreut werden.
Einer diT Führer sollte zwar innner zu meiner Ver-
fügung sein, um vom Jlaulthier abzusiiringen und Pflanzen
zu sammeln; sie zeigten meist auch den guten Willen
dazu, aber wir hatten anstatt eines Reservethieres vier
leergehende Maulthiere, welche in Chile, wo sie viel
besser bezahlt werden, von Don Ramon Mercado, so heisst
mein Führer, verkauti werden sollten. Während nun der
Paon Don Lorenzo meist die Madrina am Zügel leiten
nnisste, da der Saumpfad oft gar nicht zu erkennen war,
hatte der andere zugleich noch die zwei Packthiere und die
vier freien Mulen zu treiben und auf den richtigen Weg
zu weisen, falls sie grasend davon abwichen, oder gar
gefährliche Pfade einschlugen: z. B. auf unsichere, unter-
höhlte Schneehrücken liefen etc. Ausserdem raussten die
Packthiere von Zeit zu Zeit auf richtige Ladung und
gleichwiegende Belastung geprüft und deren Schnürung
fester gezogen werden; denn davon hängt es hauptsäch-
lich ab, dass die Thiere nicht an gefährlichen Stellen
abstürzen. Das Treiben der Thiere von dem bald berg-
auf, bald bergab auf den Halden galoppirenden Führer
ist zwar wegen der verwegenen Ritte interessant anzu-
sehen, aber es beraubte mich des Pflanzensammlers, der
behende und öfter als ich vom Reitthier springt. Manch-
mal, besonders bergab, waren die Pfade so miserabel, dass
wir es alle vorzogen, zu gehen, und die Thiere bis auf
die Lastthiere leer gehen zu lassen; einmal aber auf dem
Malpaso musste auch die Ladung dieser Thiere getheilt
werden, um einen etwa 300 m hohen steilen Abhang zu
erklimmen, wo man bloss in Lavaasche im Zickzack hin-
aufklimmen konnte. Ein ander Mal hatten wir einen
kaum bemerkbaren Pfad längs eines steilen Abhanges
eingeschlagen, als die Madrina zurückgeführt werden
musste, um die verlaufenen leergehenden Maulthiere durch
das Klingeln der Madrina wieder auf den richtigen Weg
zu lenken. War es an sich schon bedenklich auf diesem
Pfad, der kaum Platz für ein Thier bot, zu reiten, so
musste also nun die Madrina an meinem Thier vorüber-
geführt werden, dann kehrte auch mein Thier um, damit
es der Madrine folge; es währe Wahnsinn, sein Maulthier
an gefährlichen Stellen zu einem andern Weg zwingen zu
wollen. Man thut am besten sich dem sichergehenden Maul-
thier au gefährlichen Stellen ganz anzuvertrauen, und hat
nur den Zügel fest anzuziehen, falls es etwa ins Knie fällt.
Nr. 3,
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
25
Nur wenn ein Maulthier die Bladrina ausser Gesicht
und Gehör hekonimeu hat, wird es unruhig und unver-
ständig; dann fängt es an zu rennen, bis es die Madrina
wieder sielit und hurt, mögen die Wege noch so selilecht
oder gcfäiirlieh sein. Auf ebenem Terrain lässt sich dann
die Mule durch Alisteigen und lleruntcrnchnicn des Zügels
noch anhalten, aber das Hotanisiren wird dann ungemüth-
lich, besonders wenn der Weg, wie so oft, an steilen Ab-
hängen und Abgründen dahin führt.
Je länger sich eine Cordillcrenrcisc ausdehnt, um so
mehr hat man auch Bedacht darauf zu nehmen, nicht
bloss, dass niari Proviant etc. mitnimmt, denn unterwegs
findet man absolut nichts zu kaufen, snuderu auch dass
man genügend PÜauzenpapier in wasserdichten Koft'ern,
die zur Maultbierladung passen müssen, mitführt. Meine
Cordobaser Eei.segefährten durch die Pampas hatten mir
dazu ein Paar noch eine Reise aushalti'ndc b(ili\ianische
Koffer — Petacas — aus ungegcrbtem Leder zur Verfügung
gestellt. Das Papier muss fleissig au der Luft, im Sonnen-
schein oder am Herdfeuer in kleinen Packeten getrocknet
werden, nachdem es von den vielen Püanzen durchfeuchtet
ward. Mein Papier njit Pflanzen bildete zuletzt eine volle
Maulthierlast; Zelt, Handkoft'er, Kleidersaek und Proviant
die andere Maulthierlast.
Zum Proviant hatten wir diesmal frischen Argentiner
Käse, der ähnlich dem Schweizerkäse, nur weich ist, mit-
genommen, der uns unterwegs recht behagte und den
ersten Hunger stillte, nachdem abgesattelt war, ehe Asado
oder Lopa fertig wurde. Früh morgens nahm und gab
ich jetzt Choeolade, sodass wir bloss Abends und Mittags
Mate tranken. Meinen Führern getiel die hier theure
Choeolade auch, und als ich eines Abends, übermüdet,
vergessen hatte, die Portionen herauszugeben, weckten
mich andern Morgens vor Sonnenaufgang die Leute mit
der naiv höflichen Fi'age, ob ich Mate oder Choeolade
wünsche. Auch mit Brod waren wir diesmal ausreichend
versehen, dabei eine Sorte Zuckerbrod, welches nicht hart
wurde.
Zu den nothwendigen und angenehmen Erfordernissen
einer solchen Reise seien noch erwähnt: Salycylvaseline,
um die bei trockener, dünner bezw. warmer Luft auf-
springende Haut des Gesichtes, der Lippen, Ohren, Hände
geschmeidig zu erhalten. Eine Feldflasche mit ansitzen-
dem Becher, die genau in die Rocktasche passt, damit
sie beim Reiten nicht herausfällt. Auch die übrigen
Taschen der bei der Hitze nöthigen Kleidung müssen so
beschaffen sein, dass beim Auf- und Absteigen vom Reit-
thier nichts herausfällt, also tief und oben etwas verengt.
x\.m Sattel vorn sind grosse Satteltaschen mithig, ilie man
von Eurojia mitbringt, da man sie hier nicht tindct, und
zwar für Barometer und nöthigste Bücher. Die Sättel
sind sonst hier gut und praktischer als drüben; die be-
schuhten Steigbügel schützen gegen Hitze, Kälte, Dornen,
Steine und sitzen auch besser; unter und über dem Sattel
werden Decken und Felle verwendet, die Nachts als
Lager dienen. Bindfaden, Branntwein, Streichh(ilzer,
Mate (Ycrba) nebst Zucker und dazu gehöriger Bondjilla
und Tasse, ein Blechtopf, den Schüsselteller, die nn'talk'nen
Wasserkoehcr wird Niemand vergessen dürfen. Ein eiser-
ner Bratspiess ist gut mitzunehmen, ward aber von meinen
Leuten durch einen hölzernen von einer Patagonium-
(Adesmia-) Art ersetzt. Man nehme auch ein seidenes
Tuch und sogenannte Sicherheitsnadeln mit, um das Tuch
bei Hitze und gegen Sonnenbrand lose um Iliutcrluuqit
und Hals zu befestigen, indem man zwei Zipfel fest-
steckt, einen unter den Hut schiebt, einen auf den Rücken
fallen lässt. Das Umbin<leu schützt nicht genug und ver-
ursacht Schweiss.
Da ich die Cordillerenreise nicht ausreichend bota-
nisch jetzt besprechen kann, will ich nur noch die Route
kurz mittheilen.
Nachdem wir am 20. Januar noch einen argen Staub-
sturm in Raniacaido erlebt, gingen unsere Expeditionen
am 21. früh getrennt ab; Kurtz und Bodeubender mehr
südlich, ich nach San Rafael zunächst durch 7 oder
mehr Arme des wasserreichen Rio Diamante. In San
Rafael oder, wie die ,,Studt'' jetzt heisst, „2ö. dcl Mayo""
war ein Hotel, wo ich einmal ein Bett bekam, soflass
meine 21 Nächte Biwak durch eine gewöhnliche Nacht
unterbrochen wurden; jedoch das Zinmier war dumpf
und moderig.
Am 22. Januar führte der Weg durch relativ niedrige,
aber doch schon 15U0 m hoch gelegene Vorberge, welche
mit verschiedenen, meist Compositen- Sträuchern und
einem roth- und weissborstigen, ungegliederten, 1 — l'/o m
hohen, bis Vs •" dicken Säulencaetus mit sehrmen rothen
cylindrischen Blüthen sparsam bewachsen waren. Zu
ebener Erde zeigten sich verschiedene niedrige rasen-
bildende Cacteen. Am Lagerplatz zu Mittag, nahe einem
etwas salzhaltigen Bach, war schlechte Weide für die
Thiere, und das bittere Marrubium albuni, das dort
massenhaft eingeführt sich flndet, war vollständig bis auf
die Erde von Thieren abgeweidet.
Am 23. Januar durchritten wir t) Stunden lang eine
Travesie, ein wasserleeres Hochplateau ohne Sträucher;
schliesslich passirten wir zwei hoch und breit in das
Plateau eingeschnittene Thäler mit relativ wasserarmen
Gebirgsbächen. In dem einen, Arroya de la Papagayos,
trat eine ganz andere Flora auf; namentlich verschieden-
artige Verbenen — eine ephedraartig, eine andere mit
uadelartigen Blättern — fielen auf; gelbe, dornige Um-
belliferen - Rasen, gelbblüthige Rasenpolster von 1 m
Durchmesser einer Saxifragee (?) seien noch erwähnt.
Am 24. Januar ging es einen Gebirgsbaeh entlang,
den mein Führer Arroyo tres cuartos nannte, in einem
Thal, das Güssfeldt Valde la Cruz de Piedra nannte,
hinauf, mit einem mittäglichen Halt, ohne Unterbrechung
der allmählichen Steigung und ohne von Seitenthälern
und Wegschwierigkeiten beeinflusst zu sein, bis zur Pass-
höhe, die Güssfeldt mit 3781 m berechnete; meine
Tasehenbarometer zeigten, oifenbar zu hoch, 12 000 engl.
Fuss, der andere 4(HJ0 m. Dann 400 m hinab an Tiitf-
und Binisteinhalden entlang zum Nachtquartier an einen
Bach, der in Güssfeldts Karte nicht angegeben ist, der
aber den Grund der dort notirten Hochgebirgsmulde
durchfliesst und von meinem Führer Arroyo de la Yaucha
genannt ward.
Der 25. Januar früh sah uns schon bei Sternenschein
wieder unterwegs; wir erkletterten nochmals 3741 m,
hatten dort einen leidlichen Soniu'uaufgang und durch-
ritten dann das Hochland bis zur Laguuo Diamante.
Kleine Teiche an Firnfeldern waren zum Theil gefroren,
aber auf der ganzen Tour findet sich trotz vieler Sclmee-
felder kein einziger Gletscher. Am Diamante-See jagten
wir vergeblich (inavalos; r)on Raujon hatte ihnen den
Weg zur Tränke abgeschnitten, konnte sie aber doch
nicht mit seinem Zolos (Lasso) erreichen. Aus der 3324 m
hohen Ebene des Diamante-Sees gingen wir erst etwas
bergab den Rio Diamante entlang, kreuzten diesen aber
bald und stiegen in die von Basaltbomben erfüllte Mayjiu-
ebenc 100 — 150 m empor, welche nahezu 2tHJ0 m nocli
vom May])uA'uican überragt wird. Mir erscheint der
flache Boden um den Maypu-Vulcan wie ein riesenliaftei'
alter Kraterboden von dem halbkreisförmig die äusseren
älteren Kraterwände noch als Bergreste zu sehen siiui.
Drei Stunden hat etwa der fast diametrale Ritt durch
diesen alten Krater gedauert, doch ging die Bewegung
langsam von statten, weil wir über 12 oder mehr grosse
26
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 3.
Schneefelder mit Biisserschneebildung- (Soudeniui;- durch
den Wind in Läugsfurchen und geringere Querfurehen, die
durch Abschmelzung nach den tieferen Stellen zu ± iso-
lirte Schneekegel, „Büsser"', zurückla.ssen) reiten nnissten;
der Schnee war glücklicherweise fest, sodass es ohne
Beinbruch abging.
Desselben Tages ging es noch bis 2400 in hinab an
eine Stelle, wo wir Weide, Wasser, Holz in Fülle hatten.
Als Feuerholz dient über 2000 m fast nur das knorrige
gelbriudige Holz von Patagonium- (Adesmia-)Arten.
Diese Arten werden 1 — 2 m hoch und verkrüppeln in
höheren Regionen bis zu Vs ^j woliei sich aus den
dicken, unter dem Laube versteckten, dem Boden anlie-
geiMlen Aesten, halbkugelige Rasen bilden.
Da die Wassersclieide zugleich die politische Grenze
von Chile und Argentinien hier ist, befanden wir uns nun
auf chilenischem Gebiet und zugleich in einer viel reicheren
Flora. Die Bildungen von Seitentliiilern mit Bächen und
Flüssen zu dem ± 2000 tief eingeschnittenen ]\Iaypu-Tlial
sind zahlreich, der Fluss selbst ist mit Packthieren nicht
mehr zu passireu, und schmale Ebenen neben dem Fluss
sind Ausnahmen; aus solchen muss man immer und immer
wieder während dreier Tage über dicht an den Fluss tre-
tende Bergklippen 200 — 400 m empor und wieder nieder
steigen, was für den Botaniker ganz interessant, für den
Reisenden aber sehr beschwerlich ist. Einmal war die
etwa 1 m starke Schneebrücke über einem Bach kurz
vorher eingebrochen, und musste sich unsere Tropa einen
neuen Weg suchen. Nachdem wir fast 8 Stunden Um-
weg einmal gehabt hatten, kamen wir nicht weit von
unserem früheren Weg über eine natürliche Brücke über
den Rio Miapo.
Am 26. erreichten wir in einer Thalerweiterung eine
wirkliche Wiese und fanden dort aber auch schon euro-
päische Unkräuter, die von Hirten und Heerden hier
heraufgebracht waren, daneben aber die bunte Flora
der Gesteinsfelder, insbesondere aus Amaryllidaceen
(Alstroemeria), Portulaeaceen (rothblütliige Cla}-
tonien), diversenFagelia-Arten (Calceolaria), wunder-
schönen karminrothen Mutisia-Arten und anderen Com-
positen, einigen auffallenden T r o p h a e u m -(T r o p a e o 1 u m-)
Arten bestellend.
Am 27. Januar kamen wir in Wakb-egion neben dem
Fluss in Höhe von 1750—1500 m. Dann noch ein Dureh-
bruch mit tiefem Einschnitt des Flusses durch granitisches
Gebirge, wo wir am 28. Januar auf die Landstrasse beim
Rio Yulcan und Rio Yeso iu tiefere, nur cultivirte Re-
gionen kamen, wo auch alles Land, selbst wenn es nicht
bebaut war, durch Steindämme, Dornhecken u. s. w. ein-
gezäunt war und neben der staubigen Strasse nur noch
verdorrte Kräuter und cultivirte Sträucher zu finden waren.
Es fing schliesslich an noch stark zu regnen, sodass wir
froh waren, bei einem Landmann eine leere Lehmschauer
als Nachtquartier zu erhalten.
Am 29. Januar Mittags traf ich in Santiago im
Hotel Oddo ein und konnte nun ein neues Leben beginnen.
lieber den Solielfh im Nilieliiiigenliede sprach
Dr. Ed. Hahn in der Februarsitzung 1892 der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte. Das
einzige Interesse, das sich an die Frage knüpft, welches
Tbier unter dem Scheich zu verstehen ist, bezieht sich
auf jene Stelle des Nibelungenliedes, wo unter den
Thieren, die Siegfried auf der ihm zu Ehren von den
Burgunderfürsten veranstalteten Jagd erlegt, auch der
Scheich unter der Jagdbeute (halphul, lewe, hirz, binden,
wiseut, clech, in") angeführt wird. Der Scheich kann
unmöglich ein mvthisclies Thier gewesen sein, denn wir
besitzen verschiedene Beweise für sein Vorkommen im
mittleren Europa. Veuantius Fortunatus, ein lateinischer
Dichter am austrasischen Hofe, führt helices (helix-helo,
elo) unter den Jagdthiereu der Ardennen und Vogesen
auf. In einer Urkunde, in welcher das beträchtliche
Sumpf- und Waldgebiet Drenthe von Otto dem Grossen
aus dem .Jahre 944 mit der gesammten Jagdherrlichkeit
verliehen wird, werden unter andern Thieren auch „bestias,
quae teutonica lingua elo aut schelo appellantur" erwähnt.
Schliesslich findet sich das Wort in verschiedenen Orts-
namen wieder, so in Scelfieta (iu Flandern), Scelenhonc
(bei Würzburg) Scellinahe (Schöllnach) u. a. m.
Die älteste Erklärung des Wortes Scheich scheint
Hagen in seiner Ausgabe der Nibelunge Noth 1820 zu
geben, und zwar als „Bockshirsch mit Bart und Zotteln
am Halse, vielleicht den Brandhirsch, der noch iu Böhmen
häufig'-. Nachdem ein Jahr später der Palaeontologe Gold-
fuss die Beschreibung eines Riesenhirschgeweihes ver-
öftentlicht hatte, war es natürlich, dass die Aufmerksam-
keit der Nibelungenliederklärer sich auch auf dieses Thier
richtete. Nees von Esenbeck, ferner Fr. Pfeiffer und nach
ihm eine ganze Reihe anderer Germanisten deuteten dar-
auf bezugnehmend den Scheich als Riesenhirsch.
Hahn kam nun durch Zufall zu einer andern Er-
klärung. Er fand in deutschen Wörterbüchern (z. B. Graf,
Schade), dass die Worte scelo oder Schelc neben der
üblichen Erklärung, wie oben angegeben, stets noch eine
zweite Auslegung als ..Beschäler, Zuchthengst (emissarins)"
erfahren haben. Weiter constatirte er in einer lippischen
Küchenrechnung aus dem Jahre 1537 die Stelle: „vor
einen hinxt LXVI gld. de quam up de sende vor einen
Seelen ton wilden perden", also die Thatsache, dass die
lippischen Herren einen Hengst des Wildgestütes auf der
Sonne pflegten, der noch im Jahre 1537 Scheich hiess. —
Es steht somit für Hahn zweifellos fest, dass die richtige
Erklärung des Wortes Scheich „Wildpferd" ist. Vor-
geschichte und Geschichte kommen Hahn's Ansicht zu
Hilfe; sie lehren, dass das Wildpferd ein bevorzugtes
Jagdthier der alten Deutschen gewesen ist. Die Missionäre
dieses Volksstammes hatten unter anderem grosse Mühe,
ihren Täuflingen den Genuss des Wildpferdfleisches
abzugewöhnen.
Prof. Nehring entgegnete diesen Ausführungen Hahn's,
dass er an der fraglichen Stelle des Nibelungenliedes
unter Scheich lieber ein starkes, männliches Elenthier
(cervus alces L.) verstanden wissen will; das Wort „Elch"
in dem vorhergehenden Verse mag entweder ein weib-
liches Elenthier oder einen starken Edelhirsch (Cervous
elaphus L.) bezeichnen. Uebrigens scheinen ihm die Worte
scelo, schelo, schele, scheletko, schalz, schelch nicht immer
dieselbe Thierart zu bezeichnen, sondern sind je nach
dem Zusammenhange verschieden aufzufassen. Nach
Veckenstedt soll schelch ein ursprünglich slavisches AVort
(schele, dimin. scheletko) sein und das Kalb bezeichnen;
in ähnlicher AN'eise erklärt v. Etzel den Schelch des
Nibelungenliedes als einen „alten, besonders gefährlichen
Stier derselben Gattung", also als einen Ürstier. —
Ausserdem ist auf eine solche Diehterstelle, wie die uns
interessirende des Nibelungenliedes, vom Standi)unkte
der exacten Forschung aus kein grosses Gewicht zu
legen, da die volkstliümlichen Bezeichnungen der Thiere
häufig durch einander laufen. — Das in der von Hahn
citirten Urkunde von Drenthe genannte Thier dürfte nach
Nehring's Ansicht auch nur ein Elenthier sein.
Im Auschluss hieran erörterte Nehring die Frage, ob mit
Nr.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
27
dem Scheich etwa auch der Riesenliirseh gemeint sein kann.
Er beantwortet dieselbe in verneinendem Sinne, denn alle
bisher auf primärer Lagerstätte in Deutschland aufge-
fundenen Reste dieses Thieres gehören, wie er des Wei-
tereu ausführt, dem Diluvium, nicht dem Alluvium an.
Buschan.
Die Fortyflauzniis: des Wnrmes Plaiiaria alpina
Dana, der bislang im Verdacht stand, lebendige Junge
zur Welt zu bringen, ist durch Walther Voigt aufge-
klärt worden (s. „Zool. Anz." 1892 S. 238). Derselbe
fand im Januar d. J. in einem Aquarium, das eine An-
zahl der genannten Thiere enthielt, frisch gelegte Coeons,
die über 1 mm gross, kugelig und ungcstielt waren. Sie
waren nicht an eine Unterlage festgeklel)t, sondern frei,
ein Umstand, der wohl die Veranlassung gewesen ist,
dass sie bisher nicht entdeckt worden sind, da sie sich
so leicht im Sand imd Schlamm verlieren. Nach 14
Wochen im kalten, nach 8 Wochen im geheizten Zimmer
schlüpften die Jungen aus, indem der Cocon unregelmässig
aufriss. Die Jungen waren, je nach ihrer Jlenge in einem
Cocon, 2 bis 4 mm lang und noch gänzlich ohne Pigment.
C. M.
In der Olinuuschol nnd im Gehörgang von Nagern,
Wiederkäuern nnd Haubthieren lebende Milben. —
In den dicsjäiu'igen Verhandlungen der „Societe de Bio-
logie" zu Paris findet sich eine Reihe von Aufsätzen*)
über die .,Otacariasen", wie Neumann die Krankheiten
genannt hat, die in der Ohrmuschel und im Gehörgang
von Nagern, Wiederkäuern und Raubthieren lebende
Milben veranlassen. Dieselben beziehen sich auf eines
der interessantesten der so überaus zahlreichen Lebens-
verhältnisse, die von Milben bekannt sind. Es sind zwei
Milben, die hier in Frage kommen: Psoroptes com-
munis, die vom Kaninchen, der Ziege und der Gazelle,
und Symbiotes aurieularum, die vom Hund, der
Katze und vom Frettchen bekannt ist. Der erste Ent-
decker der Ohrmilben war Hering (1834); er fand sie
beim Hunde. Bei der Katze entdeckte sie Huber im
Jahre 1860, beim Frettchen Megnin 1878. Auf einen mit
dem Tode endigenden Fall der Infection eines Kanincliens
mit den genannten Milben bezieht sich der Aufsatz
Laverans. Da keinerlei Abnormitäten am Gehirn oder
Rückenmark, auch keine Eiterbildung am Schädel wahr-
genommen werden konnte, handelt es sicli nach Laverans
Ansicht um eine Reflexlähmung. Die Beobachtungen
und Versuche Raillcts und Cadiots betreffen die Raub-
thiermilbe. In zwei Fällen wurden bei Katzen epilep-
tische Zuckungen festgestellt, die auf einer Erregung der
Nerven des Ohres durch die genannten iMillien beruhten.
Die beiden Forscher versuchten nun, Symbiotes ent-
haltendes Ohrenschmalz in das Ohr einer anderen Katze
zu übertragen. Die Infection gelang vollkommen, und
das inficirte Thier starb, nachdem es alle typischen
Kraukheitszeichen aufgewiesen hatte, etwa 10 Monate
nach der Infection. Eine Uebertragung der Katzenmiiben
*)Raillet et C<adiot. Observations et experienct'S sur
Fotacaviase symbiotiqiie des Carnivores. Compt. rend. de la Soc.
df Biol. 9. ser. tom. 4. S. 104.
Miigniii. Acariens des oreilles, cliez le Chat, le Fiin.'t et le
Chien. eb. S. 125.
Raillet. Simples remarques historiquos sur l'otaoariasc des
Carnivores. eb. S. 126.
P. Megnin. Un dornier mot sur la question de l'epilepsie
acarienne de nos Carnassiers domostiques. eb. S. 142.
Raillet. Sur les convulsions epileptiformes provoquees par
les Acariens auriculaires. eb. S. 142.
A. Laveran. Acariens de l'üreille cliez le lapin, paraplegie
reflexe. eb. S. 169.
auf einen Hund hatte den Erfolg, dass sicii bei diesem
die Milben vermehrten, und dass ein Gefährte dieses
Hundes auch inficirt wurde. Doch schritt bei letzterem
die Krankheit nicht fort, und der erste Hund starb zu
früh für eine Entscheidung der Frage. Drittens wurden
an einem Hunde gefundene Milben auf eine Katze gesetzt;
sie konnten später liier nicht wieder aufgefunden werden.
Schliesslich wurden mehrfache Uebertragungen von Frett-
chen auf Hunde versucht; sie blieben stets ohne Erfolg.
Dass die Infectionen von einer Wirthsart auf die andere
nicht gelangen, erklärt sich daraus, dass die drei Ab-
arten des Symbiotes aurieularum, die Raillet und Cadiot
var. canis, cati und fnronis nennen, in Länge und
Breite und dass auch ihre Eier in der Grösse Ver-
schiedenheiten aufweisen. C. Matzdorff,
Beiträge zur Entwicklnngsgeschichte der Sanien-
deeken bei den Enphorbiaceen mit besonderer Be-
rücksichtigung von Ricinus communis L. hat Georg
Kay ser in den Sitzungsberichten der Phanuaceutischen
Gesellschaft zu Berlin veröffentlicht.
K. theilt u. a. mit, dass aus der Mittelsäule des drei-
fächerigen Fruchtknotens von Ricinus communis L., welcher
in jedem Fache eine hängende anatrop-epitrope Samen-
lage enthalte, ein Gefässbündel den kurzen Funiculus eines
jeden Ovulums durchziehe, um sieh unmittelbar nach
seinem Austritt unter scharfer KrUnnnung in dem äusseren
lutegument der Samenlage (bezw. in der Raphe) als
Raphebundel nach der Basis hin fortzusetzen. Unter
nahezu rechtem Winkel sehe man es alsdann in den
Chalaza-Theil der Samenanlage eintreten. Den peripheren
Theil derselben könne man v(u- der Hand als eine Fort-
setzung des inneren Integumentes ansehen, welches mit
dem Nucellus einen einzigen Gewebekörper bilde, der mit
dem äusseren Integument an einer sehr schmalen Stelle
seitlich verwachsen sei.
Auf diese Anheftung habe schon im Jahre 1859
Ach. Guillard in seiner Arbeit .,Les evolutions de l'ovule"
(Bull. soc. bot. de France 1889, T. VI, S. 142) aufmerksam
gemacht und erklärt, dass sich das Raphebundel gleich-
sam wie durch ein Loch, welches im reifen Samen noch
deutlich erkennbar wäre, in die Chalaza hiueinbohre und
sich daselbst ästig verzweige.
Diese Verzweigung schildert Kayser als eine zunächst
gabelffirmige, und" dadurch, dass sich von dieser Gabel,
wie deren Ausläufern, weitere Verzweigungen erstreckten,
werde zuletzt ein vollkommenes Bündelsystem bewirkt,
welches sich auf dem Oberflächenschnitt eines Ovulum iu
Gestalt eines maschenförmigeu Netzes präscntire.
Kayser macht nun darauf aufmerksam, dass die fein-
sten Verzweigungen des Bündelsystems auf der der Raphe
zugekehrten Seite stets höher hinaufreichten, als auf der
entgegengesetzten, und dass immer gerade an der
Stelle, wo diese feinsten Verzweigungen endigen, sich
der Nucellus deutlich erkennbar abhebe und als-
dann die genaue Unterscheidimg zwischen Nucellus,
innerem und äusserem Integument zulasse.
Während nun im Nucellus die Anlage des anfänglich
langgestreckten Embryosackes stattfinde nnd derselbe in
seiner fortschreitenden Entwicklung die umliegenden Nu-
cellarpartien resorbire, finde durch Theilungsvorgänge in
der Chalaza und speciell in der von der Verzweigung des
Bündelsystems eingeschlossenen Gewebepartie eine auf-
fallende" Vermehrung des Gewebes und dadurch eine
basale Verlängerung der ganzen Samenanlage statt. Es
erreiche infolge dessen dieses eingeschlossene (Gewebe
etwa das siebenfache seiner ursprünglichen Länge bei un-
geänderter Form, und es finde gleichzeitig in demselben
28
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 3.
eine förmliche Ueberladiing mit plasmatischcn Nähr-
stoffen statt.
Die Schilderung' dieser basalen Gewebewucherung'
bildet zwar schon einen wesentlichen Theil früherer Ar-
beiten von G. A. Gris („Notes sur le developpement de la
greine de Ricin", veröffentlicht in den „Annales des
Sciences natur. Botanique" in den Jahren 1861 und 1862)
über den gleichen Gegenstand, von welchen jedoch Kayser
erst Kenntuiss erhielt, nachdem er seine Untersuchungen
über Ricinus bereits abgeschlossen hatte. Er machte infolge
dessen unabhängig von dem vorerwähnten Autor die
gleichen Beobachtungen, weicht aber insofern mit seiner
Ansicht ab, als er die von Gris gefasste Annahme: „das
Gewebe ausserhalb des Bündelsystcms gehöre zum
inneren Integument und das innerhalb desselben be-
findliche zum Nucellus", nicht zu thcileu vermag. Im
Gegentheil, er hält eine derartige Abgrenzung, welche
sich nur auf das Abheben des Bündelnetzes und des
riasmareichthums des von demselben umschlossenen Ge-
webes gründe, für ganz willkürlich, und folge man der
Anschauungsweise von Gris, so sei dies rein conventionell.
Corrcct morphologisch sei entschieden nur der Aus-
druck: „aussergewöhnlich stark vermehrtes Cha-
laza-Gewebe". Die weitgehende Differenzirung desselben
entspräche den verbreitetsten Fällen, in welchen dicht
unter dem Chalazaende des Embryosackes, und unmittel-
bar über dem Grunde des Raphebündels, eine Gruppe
plasmareicher, bei Alkohol-Material gewöhnlich rothbraun
erscheinender Zellen Hegt.
Die Entwicklung des Embryosackes beschreibt der
Verfasser in folgender Weise:
Derselbe nähme in den jüngsten Fruchtzuständen eine
langgestreckte cylindrischc Form an. Späterhin erweitere
er sich unter Resorljirung des Nucellus immer mehr und
mehr, bis er zuletzt vollkommen dessen Stelle eingenommen
habe. In gleicher Weise dringe auch die der Chalaza
zugewandte Basis des Embryosackes stetig vor. Sobald
dieselbe den von dem Bündelsystem umschlossenen Gewebe-
körper erreicht habe, spitze sich dieselbe keilförmig zu
und führe nunmehr eine Sprengung des Gewebes her-
bei, um dann in gleicher Weise, wie beim Nucellus, die
Endospermstoft'e in sich aufzuspeichern, und es resultire aus
dieser Entwicklung die Gesanmitform des Embryosackes.
K. führt aus, dass sich das äussere Integument der
Samenanlage aus einer Reihe tangential - abgeplatteter
Epidcrmiszellen, einem dünnwandigen Parenehym, in
welchem das Raphebündel verlaufe, und einer Reihe
radialer Zellen, deren Zcllwandungen säunutlich aus Cel-
lulose beständen, zusannnensetze. An den Epidcrmiszellen
wurden höchst cigentliümliche Exerescenzen l)e-
obachtet, hervorgerufen durch zapfenartige, an der Spitze
kugelig abgerundete Gebilde, welche von der sehr ver-
dickten Aussenwand, sowie von den Radialwändcn und
der Innenwand in das Lumen der einzelnen Zellen hinein-
ragten und dem letzteren, von der Aussenfläche her be-
trachtet, ein granulirtes Aussehen verliehen. Unregcl-
niässige Grupjien der Wandverdickungen enthielten einen
rothbrauuen Farbstoff.
Die äussere Epidermis der inneren Integumente, durch
eine Schicht langgestreckter, paralleler, verholzter Zellen
gebildet, cutwickelt beim Ausreifen des Samens einen
dunkelbraunrothen Farbstoff, welcher sie gleichmässig
dunkelfarbig erscheinen lässt, und ist im völlig reifen
Samen glasartig, splitterig. AndiePalissadenschichtschliesst
sich ein grosslumiges, dünnwandiges und farbloses Pa-
renehymgewebe mit Cellulosewändcn von wechselnder
Schichtenzahl an. In demselben verlaufen die Verzwei-
gungen des Leitbündelsystems (auf mittleren Querschnitten
als dunkler, ovaler, geschlossener Ring Itemerkbar). Nach
einer mit Phloroglucin und Salzsäure vorgenommenen Roth-
färbung Hessen sich dieselben als gruppenweise längs
verlaufende Ring- und Spinalfasertracheiden (ob echte
Gefässe vorliegen, lässt sieh mit völliger Gewissheit nicht
entscheiden) erkennen.
Darauf, dass sich von dem Hauptstrange einzelne
oder paarweis bis zu mehreren verzweigte Traehei'den
loslösten, sei die mit Anastomosebildung verknüpfte Ver-
zweigung des Bündelsj-stems zurückzuführen. In der Um-
gebung besonders der ersten Verzweigungen wurden
kugelige oder unregelniässig begrenzte harzähnliche Aus-
scheiduugsproducte bemerkt, welche bei durchfallendem
Lichte intensiv t)raunroth erscheinen, und auf deren Vor-
handensein unzweifelhaft die im reifen Samen beobachtete
Färbung der von den Bündeln durchzogenen Membran
zurückzuführen sei. In den den Traehei'den angelagerten
und ihrem Zuge folgenden dünnwandigen, langgestreckten
Zellen dürfe mau mit grosser Bestimmtheit ein rudimentär
entwickeltes Phloem erblicken.
Bei der Untersuchung eines reifen Samens lässt sich
mit einem Scaljiell leicht ein äusseres vertrocknetes Häut-
chen allziehen. Querschnitte desselben Hessen in ihm das
ursprüngliche äussere Integument wiedererkennen. Nur
das Parenehymgewebe war zum grössten Theil obliterirt
und darauf sei auch das an der Bauchseite des reifen
Samens beobachtete Hervortreten des Raphebündels in
Form einer wulstigen Naht zurückzuführen.
Die bald fleckige, bald bandartige und verschieden-
farbige Marmorirung, welche die verschiedenen Varietäten
von Samen der monotypisehen Gattung Ricinus so inter-
essant erscheinen lässt, begründet K. mit der Thatsache,
dass nur ein kleiner Theil der Epidcrmiszellen, und zwar
unregelmässige Gruppen derselben in ihren Wandverdickun-
gen Farbstoffmassen enthalten. Da die beiden darunter
liegenden Schichten, das obliterirte Parenehym und die
innere Epidermis vollkommen farblos erscheinen, so könne
die nunmehr sieh anschliessende dunkelfarbige Palissaden-
sehicht gleichsam den Grundton für das ganze Farben-
bild abgeben, und es werde sieh dieses um so abwechse-
lungsvoller gestalten, je mehr die aus der Obliteration des
Parenchymgewebes hervorgegangenen Intereellularen und
mit Luft gefüllten Räume die äussere Veranlassung zu
gewissen optischen Liehterscheinungen abgäben.
Bei den Untersuchungen über die Entwicklungsge-
schichte der Samendeckeu anderer Euphorbiaeeen fand
Kayser bald mit Ricinus übereinstimmende Resultate,
bald aber auch wesentliche Abweichungen.
So sehliesse sich z. B. bei Croton flavensL. var.
balsamifer. von allen untersuchten Euphorbiaeeen
auf das Engste au Ricinus an, zeige aber nicht die für
diese letztere Pflanze so ausserordentliche charakteristische
Ausbildung des Chalazatheils zu einem mächtigen Gewebe-
körper. Eine Sonderung des Innern Integumentes
und des Nucellus könne hier nicht beobachtet werden.
Das Ovulum zeigt nur ein Integument, welches dem
äusseren von Ricinus homolog sei und einen parenehy-
matisehen Gewebekern umschliesse, in dem sich der lang-
gestreckte, cylindrischc und keinerlei Einschnürung zei-
gende Embryosack als verhältnissmässig enger Sehlauch
bis weit hinunter zur Chalaza erstrecke. Ob die äusserste
Spitze frühzeitig einen freien minimalen Nucellus resorbirt
habe, konnte der Verf. nicht feststellen, und ist nach
seiner Ansieht der Fall nicht undenkbar, dass Croton
die Chalazawucherung frühzeitig so weit treibe,
dass ein freier Nucellus gar nicht zu beobachten sei,
was mithin zu der gemachten Beobachtung Veranlassung
giebt, dass das Ovulum eben nur ein Integument auf-
weist. Dr. R, Otto.
Nr. 3.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
29
Bejrichit von der Grube Lanimericliskaiile bei
Alteiikircheii im Siegeuscheu ist von H. Laspeyres
(Chemisches Central - Blatt II. No. 15) einer erneuten
Untersuchung unterworfen worden. Die einzige Original-
stufe, welche im Jahre 1871 von Liebe zuerst unter-
sucht wurde, lag auch Laspeyres vor, und dieser fand,
dass die 70 mm langen und 8 mm dicken Prismen ein
Gemenge von Millerit und Beyrichit sind. Chemisch
und krystallographisch sind beide identisch, physikalisch
unterscheidet sich jedoch der Beyrichit in seiner blei-
grauen Farbe wesentlich von dem gelben Millerit. Kleine
Splitter von Beyrichit verlieren aber schon nach einer
Woche ihre graue Farbe und setzen sich zu speissgclbem
Millerit um. Wie der Augit sieh zum Uralit verhält, so
ist der Beyrichit das Muttermineral, aus dem durch Um-
lagerung der Moleküle aller Millerit entstanden ist. Beide
sind hexagonal - rhomboedrisch. Das Axenverhältniss
schwankt etwas:
Beyrichit 1 : 0,327 707
Millerit . 1 : 0,329 549
Das spec. Gewicht fand Verf. = 4,699 beim Beyrichit;
für Millerit bestimmte Miller dasselbe := 5,26 — 5,30 und
Liebe = 5,7—5,9.
Ein gew(">hnlicher Begleiter des Millerit auf den Nach-
bargruben ist der Polydymit, durch dessen Beimengung
sich der überschüssige, durch Abdestilliren zu beseitigende
Schwefel erklärt.
Laspeyres begründet seine Ansiclit über die Zu-
sammensetzung des Beyrichit durch vier neue Analysen:
I. IL III IV. V. VI.
Schwofel (abdost.) . Spur Spur 1,35 G,8I 1^90 I in QR
SchwefeUira Rückst.) 3.5,69 35,48 34,23 33,71 r''° 1 ■*"'^"'
Eiseu 0,85) 2,9Ö 1,71 2,79 4,21
Nk-k.a 61,05 64,88 , ., , , . .g ^q 54,23 1 . , g,
Kobalt 2,01 i I*'''*'-' P*''^'^ Spur ! ''*''^^
Mangan .... — — — — Spur —
99,60 100,06 100,00 100,82 99,88 100,00
I, II und III: Beyrichitkrystalle Laspeyi-es.
IV. Dichter Beyrichit, Laspeyres.
V. Beyrichit, Liebe. In Wahrheit etwas verun-
reinigter Polydymit.
VI. Die Werthe der Polydymitformel R4S5.
Dr. H.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Proscctor Dr. med. Kuil. Armin
Fick zum ausserordentlichen Professor der Anatomie :in der
Universität Leipzig. — Die Hilfscustoden bei der Kgl. Bibliotliek
zu Berlin, die DDr. Johannes Paalzow, Johann Frantz,
Alfred Schultzo, Richard Preuss, Rudolf Peter, Ernst
Dorsch und Heinrich Reimann zu Custoden.
Dr. Benno Kühn ist als Assistent in der mineralogischen
Abtheilung der Kgl. Preuss. geolog. Landesanstalt und Berg-
akademie eingetreten.
Es shid gestorben: Professor der Chemie Dr. Hans Schulze
in Santiago. — Der Biologe Dr. J. Leon Soubeiran in Mont-
pellier. — Der Professor der Zoologie in Oxford John Obadiah
Westwood. — Der Mineraloge Geheimrath Nikolai Iwano-
witsch Kokscharow in Petersburg. — Der Zoologe Professor
Dr. Benjamin Vetter in Blasewitz bei Dresden. — Professor
der Medicin Dr. Eichstedt von der Universität zu Greifswald.
L i 1 1 e r a t u r.
Rudolf Virchow, Ijeraen und Forschen. Rede beim Antritt
des Rrctorats an der Friedricli-Willn'lms-Univi'rsität zu Berlin
geh. am 15. October 1892. Verlag von August Hirschwald.
Berlin 1892. — Preis 0,80 Mk.
Ueber den wesentlichen Inhalt der vorliegenden Rede haben
wir bereits ausführlich in der „N. W." Bd. VII Nr. 45 berichtet.
Paul Knuth, Geschichte der Botanik in Schleswig-Holstein.
Zweiter Theil. (Die Zeit nach Linaö). Kiil u. L«'ipzig 1892.
157 S. 8". — Preis 1 Mk.
Aus der Vorlinne'schen Zeit werden nachträglich Mittheilungen
über Vasmorus (Daviil Wasmer, gegen Endi> des 16. Jahr-
hunderts Arzt in Lübeck), Albin us (Jakob Witte, 1637 als Arzt
in Hamburg gestorljcn) und besonders lungius (Joacliim .hinge,
1.587 zu Lübeck geboren, 1657 als Rector des akademischen Gym-
nasiums und des .lohanneums zu Hamburg gestorben) gebracht.
Das Junge'sche Werk Isagoge phytoscopica wird eingehend ge-
würdigt und die Bedeutung Junge's als Schöpfer der botanischen
Kunstsprache hervorgehoben.
Damit erscheint Junge als ein Vorläufer Linne's, welcher
einen noch grösseren Einfluss als die „Väter der Botanik" auf
die Entwicklung der Pflanzenkunde auch in Schleswig-Holstein
hatte. Durch die Herausgabe der Flora Lapponica und der
Flora Suecica regte Linne die Botaniker zur botanischen Landes-
erforschung an.
I. Geschichte der floristischen Erforschung des
Gebietes. Fünf Jahre nach dem Erscheinen der zweiten Auf-
lage von Linne's Flora Suecica erschien das erste Heft der
Flora Danica, jenes allbekannten berühmten Werkes, welches
zu seiner Vollendung l'/j Jahrhundert bedurfte. Die Herausgeber
waren Oeder, (). F. Müller, M. Vahl, Hornemann, Lieb-
mann, Job. Lange. Die wichtigsten Mitarbeiter sind: Bargum,
Drejer, Forchhammer, Frölich, Gottsche, Lehmann, Lynghye,,
Nolte, Oersted, Rosonberg, Saxesen, Schiötz, Schouw, Schumacher,
Sonder, Steenstrup, Vahl jun.
Ausser der Flora danica erschienen von Mitte bis Ende des
vorigen Jahrhunderts noch mehrere die dänische etc. Flora be-
treffenden Arbeiten, so von Rafn (Danmarks og Holsteens Flora,
1796—1800), Rotzius (Florae Scandinaviao Prodromus, 1779). Die
erste wissenschaftliche, grundlegende Arbeit speciell über die
Flora von Schleswig-Holstein waren G. H. Weber's Primitiae
Florao Holsaticae (1780), welchen 7 Jahre später ein „Supple-
mentum" folgte.
Von den botanischen Schriftstellern Schleswig-Holsteins
gegen Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts
sind sonst noch hervorzuheben: H. P. Ch. Esmareh, Rektor der
Domschule zu Schleswig; C h. W. Ritter, Dr. med. in Flensburg
und Hamburg; F. Weber, D. M. H. Mohr u. J. J. P. Mol-
denhawer, Protf. in Kiel. Von Hamburgischen Botanikern
sind zu nennen: Rektor Lichten stein, Dr. med. Giseke,
Buok, Flügge, Hayne, Mössler, Lehmann, Gottsche,
Eimbcke, Schmidt, Sickmann, Hübner, endlich W. Sonder,
durch dessen Flora Hamburgensis (1851) die botanische Erfor-
schung Hamburgs einen vorläufigen Abschluss fand, ebenso wie
einige Jahre vorher diejenige des Lübecker Gebietes durch
G. R. Hack er 's Lübeckische Flora (1844), nachdem Avt5-Lal-
lemant, H. Brehmer, Kindt, Lindenberg, Marc de Wolf
u. A. die Erforschung der Pflanzen des Gebietes gefördert
hatten.
Für Dänemark ist dasselbe Ereigniss zu verzeichnen. Hier
erschien 1851 Johann Lange's treff'liches Handbog i den
Danske Floi-a. Als wichtigste Mitarbeiter sind zu nennen:
L. Borst, V. Fischer-Benzon, Friederichsen, Gelert. Jensen, M. Th.
Lange, Oersted, Penisen, Prahl, Raunkiaer, Schiötz, Steenstrup,
V. Suhr, Vahl, Vaupell.
Während also Dänemark, Hamburg und Lübeck bereits voll-
ständige Florenwerke besassen, sollten erst noch mehrere Jahr-
zehnte vergehen, bis Schleswig-Holstein (1887) auch in den
Besitz eines solchen kam. Hier hatte E. F. Nolte 1826 die No-
vitiae Florae Holsaticae herausgegeben, die zweite glänzende In-
angrift'nahnie der Darstellung der Pflanzenwelt des meerum-
schlungenen Landes. Aber mit der Herausgabe dieses noch immer
sehr unvollständigen Pflanzenverzeichnisses hat Nolte seine bota-
nischen Veröffentlichungen so ziemlich abgeschlossen. In der
Vorrede zu den Novition nennt er u. A.: Bertram, Eckion, Esmareh,
Flügge, Forchhammer, Gütschow, den vielleicht verdienstvollsten
aller Schleswig- Holsteinischen Botaniker Lars Hansen, Hin-
richsen, Hornemann, Kindt, Lehmann, Neuber, Prelni, Reichenbach,
Ritter, Saxesen, Sienkneclit, Sonder, v. Suhr, Thun, Weber.
Das Arbeitsfeld der Amtsnachfolger Nolte's lag auf einem
ganz .anderen Gebiete. Zwar versuchte A. W. Eichler durch
Versendung von Standortslisten an bekannte Schleswig-Holstei-
nische Botaniker die völlig eingeschlafene Frage der Herausgabe
einer Landesflora von neuem zu erwecken, doch ohne den rechten
Erfolg. Auch die im Laufe der Jahrzehnte im botanischen Institut
zu Kiel angesammelten Pflanzenschätze wurden dui'ch P. Hennings
mit bewundernsworthem Fleisse geordnet. Ausserdem erschienen
zahlreiche floristische Einzelarbeiten, z. B. von Borchmann,
Claudius, V. Fischer-Benzon, Fuchs, Hennings, Kirmis, Klalt,
Kuphaldt, Laban, Lenz, Lienau. Manch, Petit, Prahl, Prehn,
Reinke, Schiötz, J. J. Schmidt, Timm u. s. w.
„So lagen die Verhältnisse, als Verf. 1881 nach Kiel kam.
Mit Staunen bemerkte er das Fohlen einer Gesammtttora des
30
Naturwissenschaftliclie Wochenschrift.
Nr. 3.
Gebietes, das riesige aufgehäufte Material, die zahlreichen Einzel-
arbeiten, die Energielosigkeit oder Gleichgültigkeit der zur
Herausgabe einer Flora etwa berufenen Persönlichkeiten.'" Er
studirte die Litteratur und Herbarien, durchstreifte im Laufe der
folgenden Jahre nach allen Richtungen das Gebiet und gab (1887)
die erste Flora desselben heraus. Behülflich waren ihm u. A.:
Borst, Brehmer, Buehenau, Burmester, Callsen, Fack, v. Fischer-
Benzon, Fuchs, Garcke, Hallier, Haussknecht, Hennings, Hin-
richsen, Jensen, Jessen, Krause, Lange , Lienau , Fax, Prahl,
Prehn, Reinke, Reinbold, Rohwedder, Schmidt, Timm, Wüstnei etc.
Als grössten Erfolg seiner Flora sieht Verf. das Erscheinen
eines zweiten Werkes dieser Art an, welches von Prahl,
V. Fischer-Be nzon und Krause (1888 — 1890) herausgegeben
wurde, denen ausser den meisten der oben genannten noch zahl-
reiche andere Männer behülflich waren.
Auch auf dem Gebiete der Algenforschung ist ein vor-
läufiger Absehluss durch J. Reinke's „Algenflora der westliclien
Ostsee deutschen Antheils" (Kiel 1889), welcher sich desselben
Verfassers „Atlas deutscher Meeresalgen" (Berlin 1891) anschliesst,
gemacht worden. Ausser Reinke sind als thätige AI gen forscher
zu nennen: Engler, Flögel, Kirchenpaur, Kuckuck, Lenz, Lüders,
Magnus, Reinbold, Schutt. Chr. Sonder. Die Pilze bearbeiteten
Eichelbaum, B. Fischer, Fuchs, Sadebeck; die Moose Burchard,
Gottsche, Jensen, Langfeldt, Prahl, Timm, Wahuschaff; die Ge-
fä sskry ptogamen Klatt, Langfeldt, Prahl, Timm, Wahnschaff,
lieber Bl ü thenpflanz an schrieben ausser den oben genannten:
Friedrich, Junge, Nathorst; Nöldecke, 0hl, Petersen, Raunkiaer,
C. Weber, Zimpel etc.
Anhangsweise werden Arbeiten über Gärten, Anlagen,
Institute, Sammlungen, sowie über die Geschichte der
Botanik, endlich in Schleswig-Holstein verfasste Lehrbücher
augeführt.
II. Nordfriesische Inseln und Helgoland. Die Litte-
ratur über die Flora dieser Inseln beansprucht wegen der Eigen-
artigkeit ihrer Ptlanzenwelt ein eigenes Kapitel in der , Geschichte
der Botanik in Schleswig-Holstein". Der erste wissenschaftliche
Botaniker, welcher Sylt liesuchte, war Oeder. Sodann machte
Nolte zahlreiche interessante Entdeckungen auf den nordfrie-
sischen Inseln. Spätere Erforscher der Flora derselben sind
F. Müller, Spieker, Schiötz, Borst, Prahl, v. Fischer-
Benzon, Hallier, v. Ebner, Buehenau, Raunkiaer,
Knuth. — Die erste Arbeit über die Flora von Helgoland
stammt erst aus dem Jahre 1829 und ist von F. H. Hotfmann
verfasst. Nach ihm veröffentlichten Nolte, Threde, Röding,
G. F. W. Meyer, Cohn, Hallier, Pringsheim, Wollny, v. DaÜa
Torre, Haussknecht, Reinke arbeiten über die Pflanzenwelt Helgo-
lands, insbesondere über die Algenflora.
III. Biologie. Besonders den Bestäubungseinrichtungen ist
neuerdings grosse Aufmerksamkeit geschenkt worden. Nach
Würdigung der Verdienste Ch, K. Sprengel's, J. G. Köl-
reuter's, Charles Darwin's, H. Müller's, J. Mac Leod's
führt Verf. seine zahlreichen Arbeiten über die Bestäubungsein-
richtungen Schleswig-Holsteinischer Pflanzen auf, zu denen er
durch die Werke H. Müller's, mit welchem er einige Jahre in
derselben Provinz und in gleicher Stellung thätig war, angeregt
wurde. Zum Schlüsse macht er noch auf die biologischen Arbeiten
von E. Warming aufmerksam.
IV. Phaenologie. Der Begründer dieses Zweiges der Bo-
tanik ist Linne. Die ältesten phänologischen Aufzeichnungen in
Schleswig-Holstein sind durch Herzog Christian August 17.5Ü
veranlasst; sie wurden durch F. H. Ger mar erhalten. Zu phäno-
logischen Beobachtungen regte 1785 P. D. Giseke in Hamburg
an. A. W. Nouber in Apeurade hat dort 1825 solche Beobach-
tungen angestellt. Eine tiefer gehende Anregung gab erst
G. Karsten in Kiel Ende der sechziger Jahre, doch nahm das
Interesse sehr bald ab. Angeregt durch die Arbeiten von H. Hoff-
mann in Giessen und die Schriften von E. Ihne unternahm es
Verf., das Hotfmann'sche Schema für phäuologische Beobachtungen
auch in Schleswig-Holstein einzuführen, und zwar mit dem Er-
folge, dass er im ersten Jahre (1890) von 18, im zweiten (1S91)
von 26 Beobachtern die Karten ausgefüllt zurückbekam. .\,
G. Massee, A Monograph of the Myxogastres, 367 S, cum tab.
col. 12. 8". London (Methuen & t'o.) 1892. — Preis 18 Mk.
Da das Rostafinskisehe Buch über die My.xomyceten den
meisten unzugänglich ist, weil es in polnischer Sprache abgefasst
ist, so niuss das Erscheinen eines Werkes, welche diese interessanten
Pflanzen in einer verständlichen Sprache dem Fachmanne und
dem Laien vorführt, mit Freuden begrüsst werden. Wir Deutsche
besitzen für die Gesammtheit der Myxomyceten ein ähnliches
Werk nicht; allerdings sind unsere in Doiitschland heimischen
Arten in mustergültiger Weise von Schröter in der schlesischen
Kryptogamenflora bearbeitet worden.
Zwar sind neue Gedanken über die Verwandtschaftsverhält-
nisse der Gruppe in vorliegendem Buche nicht zu finden, auch
ist auf praktische Bestimmungstabellen leider ein zu geringer
Werth gelegt worden, aber doch ist das Buch seiner guten Be-
sehreibungen und Abbildungen wegen für das Studium der Schloim-
pilze zu empfehlen. Die Einleitung giebt eine Uebersicht über
die Morphologie und die bisherigen Systeme und kann daher als
Einführung in das Studium dienen. Wer zugleich neben diesem
Buche noch die Schrötersche Bearbeitung hat, wird sich leicht
auch das Verständniss der schwierigeren Gruppen erschliessen
können. Zum Schluss sei es noch gestattet, das S3'stem mit den
Abweichungen gegen die früheren hier wiederzugeben.
Tubulinae: Tubulina (incl, Licea et Lindbladia), Protodermium.
Cribrariae: Orcadella, Enteridium, Clathroptychium, Cribr.aria
(incl. Heterodictyon), Dictydium. Stemonitae: Stemonitis (incl.
Comatricha), Siphoptychium, Amaurochaete, Brcfeldia, Rostafinskia,
Reticularia. Lamprodermae : Enerthenema, Ancyrophorus, Lam-
proderma. Echinostelium, Raciborskia. Orthotricha.
Die Gattung Clastoderma, die Schröter mit Orthotricha iden-
tisch hält, wird von Masse nicht angeführt. Tricheae: Trichia,
(.>ligonema. Arcyriae: Prototrichia (incl. Coruuvia pr. p.) Peri-
chaena, Ophiotheca (incl. Coruuvia pr. p.), Heterotrichia (n. gen.),
Lachnobolus, Arcyria (incl. Hemiarcyria), Lycogala (incl. Dermo-
dium). Didymeae: Chondrioderma , Didymium, Lepidoderma,
Spumaria, Diachaea. Physarae: Badhamia, Craterium, Plysarum,
Tilmadoche, Leocarpus, Cienkowskia, Crateriachea, Fuligo.
Dr. Lindau.
Bachmann, P., Die Elemente der Zahlentheorie. Leipzig. 6,40 M.
Barus, C, Die physikalische Behandlung und die Messung hoher
Temperaturen. Leipzig. 3 M.
Barvir, H., Beiträge zur Morphologie d. Korund. AVien. 0,60 M.
Becker, E., Zonenbeobachtungen der Sterne zwischen 20. und 25.
Grad nördlicher Declination. Berlin.
Berteis, G. A., Erdöl, Schlammvulkane und Steinkohle. Riga.
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Berzelius u, Liebig. Ihre Briefe von 1831—1845 mit erläuternden
Einschaltungen aus gleichzeitigen Briefen v. Liebig und Wöhler,
sowie Missenschaftlichen Nachweisen. München. 6 M.
Beyschlag, F., Geologische Uebersichtskarte der Gegend von
Halle a. S. Die Mausfelder Mulde und ihre Rändert Berlin.
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Birch-Hirschfeld, F. V., Grundriss der allgemeinen Pathologie.
Leipzig 7,25 M.
Bock, E. C, Das Buch vom gesunden und kranken Menschen.
15. Aufl. Leipzig. 12 M.
Börner, H., Lehrbuch der Physik für höhere Lehranstalten, so-
wie zur Einführung in das Studium der neuereu Phvsik. Berlin.
6 M.
Braune, W., u. O. Fischer, Bestimmung der Trägheitsmomente
des menschlichen Körpers und seiuer Glieder. Leipzig. 4 M.
Braus, H., Ueber die Rami ventrales der vorderen Spinalnerven
einiger Selachier. Jena. 0,80 M.
Brendel, M., lieber die Brechung des Lichts in Prismen etc.
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Weinrebe (Peronospora viticola) und deren Bekämjjfung. Kreutz-
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Claus, C, Ueber die Entwicklung der Scyphostoma von Cotylorhiza,
Aurelia und Chrysaora, sowie über die systematische Stellung
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Cohen, E., Meteoreisen-Studien. II. Wien. 1,20 M.
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Formationen nach den Cordilleren. (Fortsetzung und Schluss.) — Ueber den Scheich im Nibelungenliede. — Fort])rianzung des
Wurmes Planaria alpina Dana. — In der * )hrmuschel und im Gehörgang von Nagern, Wiederkäuern und Raubtliieron lebende
Milben. — Beiträge zur Entwicklungsgeschichte di-r Samendecken bei den Euphorbiaceen mit besonderer Berücksichtigung von
Ricinus communis L. — Beyrichit von d^r Grube Lammerichskaule bei Altenkirchen im Siegeuschen — Aus dem wissen-
schaftlichen Leben. — Litteratur: Rudolf Virchow: Lernen und Forschen. — Paul Knuth: Geschichte der Botanik in Schles-
wig-Holstein. Zweiter Theil. (Die Zeit nach Linne). — G. Massee: A Monograph of tlic Myxogastres. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
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London 1862
Paris 1867
Sidney 1879
Bologna 1881
Antwerpen 1885
Rheinisches Mineralien -Contor
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eft
10
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4, Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
in Berlin.
<^.j:- Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbvichhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. Sonntag, den
9')
Januar 1893.
Nr. 4.
1
Abonnement: Man abonnirt bei allen Bucbhanillungen und Post-
anstalten, wie bei dei' Expedition. Der Vierteljahrspreis ist JC 3.—
Bringegeld bei der Post 15 ..j extra.
1
Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 ■},. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinknnft. Inseratenannahme
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nnr luit volIstän<lig
er Qnollonangabe gestattet.
Das natürliche Pflanzensystem A. Engler's und M. Treub's Untersuchungen
zur systematischen Stellung von Casuarina.
des gegenwärtigen
rectors des kgl.
Das Erscheinen des „Syllabus der Vorlesungen über
specielle und mediciiiisch-pliarinaceutisclie Botanik, eine
Uebersiclit über das gesamnite l'flanyA'nsystem mit Be-
rücksichtigung der Medicinal- und Nutzpflanzen (Gebr.
Borntriiger [Ed. Eggers], Berlin 1892j aus der Feder eines
unserer bedeutendsten
lebenden Systematiker,
Di-
bota-
nischen Gartens und Mu-
seums zu Berlin, Adolf
Engler, ferner die für
das Pflanzens_ystem so
wichtigen Untersuchun-
gen 5 1 e 1 c h i o r T r e u b ' s ,
des Directors vom bo-
tanischen Garten zu
Buitenzorg auf Java, an
Casuariua geben mir
Ein Bericht von H. Potonie.*)
Veranlassung zu diesem
Bericht.
Man nimmt auch in
der Wissenschaft gar zu
- li
Tafel I: Casuarina equisetifolia Porst.
A = Stück eines Zweiges von Casuarina eciuisetifolia Forst., vergrössert,
Querschnitt desselben; bei r die in die Blätter eintretenden Leitbiindel. — C — die im
Centrum verUuifenden Theile der Leitbündel, welche im nilchstoberen Internodiiim in die
Rinde austreten. — t' = Stück eines Zweiges von Cas. nodidora Forst. — (Aus Engler und
Prantl's Natürlichen Pflanzentamilien. - Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig).
leicht Rücksicht auf die
fabelhafte Macht der
Gewohnheit im Men-
schen, und so hat denn
auch A. W. Eichlcr, der amtliche Vorgänger Engler's, es
nicht gewagt, die seit Adolphe Brouguiart 184o tief ein-
*) Ein kleiner Theil des vorliegenden Ai'tikels ist ein er-
weiterter nnd verbesserter Abdruck meines in der Pharmaeeutischen
Zeitung (Berlin) vom 1. Juni 1892 veröti'entlicliten Artikels „Das
natürlielie Pflanzensystem A. Engler's". Für die Unterstützung,
die mir Herr Dr. Reib. Mittmann bei der Abfassung des .Artikels
für die „N. W." geleistet hat, sage ich ihm meinen verbindlichsten
Dank.
gewurzelte Zweitheilung des Pflanzenreiches in Krypto-
gamen und Phanerogamen zu beseitigen, obwohl sich
längst gezeigt hatte, dass die höheren Kryptogamen (die
„Gefässkryptogamcn", Pteridophyten) viel mehr Verwandt-
schaft mit den Phanerogamen als mit den niederen Krypto-
gamen (den Thallophy-
ten) besitzen, die schroffe
Gegenüberstellung der
beiden genannten gros-
sen Gruppen jedenfalls
längst nicht mehr zeit-
gemäss ist, und obwohl
doch schon der Vor-
gänger Eichler's, Alex.
Braun, 1864 aus diesem
Grunde die sachgemässe
Dreitheiluug des ge-
sammten Pflanzenrei-
ches in Bryophyten,
C'ormopbyten und An-
thophyten vorgeschla-
gen hatte.*)
Wenn nun in der
gleichen Erkeuutniss
auch andere Autoren**)
die Brongniart'sche Ein-
theilung zu verbessern
suchten, so haben ihre Gruppiruugen doch — wenigstens
*) Ich ziehe hier absichtlich, um nicht zu weitläufig werden
zu müssen, nur die Systeme der 3 letzten Directoren des königl.
botan. Gartens zu Berlin in Betracht. Endlicher z. B. trug 1836—40
der näheren Verwandtschaft der Pteridophyten mit den Phanero-
gamen dadurch Rechnung, dass er gliederte I. Thallo{ihyta,
II. Cormophyta. Die Cormopliyten enthalten die Pteridopliyten.
**) Julius Sachs thrilt z. B. in seinem bekannten Lehrbuch
der Botanik ein in I. Thallophyten, II. Muscineen, III. Gefäss-
kryptogamcn und IV'. Phanerogamen.
32
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4.
bei den Systematikern — keinen Eingang- gefunden, offen-
bar weil die Anwendungen der neuen Gruppirungen nicht
von vornherein in unentbehrlichen systematischen Werken
zur praktiseben Verwerthung gekommen sind.
Engler bat nun, ohne Rücksieht auf das bequeme Her-
kömmliebe, ebenfalls die Zweitbeilung in Kryptogamen und
Pbanerogameu fallen lassen und durchaus nur die Re-
sultate neuerer Forschung zur Richtschnur genommen.
Sein System wird Eingang finden, scbon desshalb, weil
es in dem von ihm in Gemeinschaft mit Prantl unter-
nommenen verdienstlichen Werke „Die natürlichen Pflauzen-
familien'" zur Anwendung gelangt: ein Werk, das von den
Systematikern nicht zu übersehen ist, das von ihnen stets
zu Rathe gezogen werden muss.
Auch diejenigen Systematiker, die nicht gewöhnt sind,
über ihre Sphäre hinaus in den Fortgang der botanischen
Wissenschaft binauszublicken, werden durch das genannte
Werk geuötbigt, dies zu thun, wenn sie es überhaupt
versteben wollen, oder, was gleichbedeutend hiermit ist,
wenn sie Systematiker bleiben wollen.
Man wird däber gewissermaassen von Engler aus
die Einführung des
Systems, eine neue
Epoche in der Entwicklung des Pflanzensystems rechnen
Die natürlichen Pflanzenfamilien sind aber erst im
Ersebeinen begriifen, und es ist daber von besonderem
•Interesse, vor der vollständigen Fertigstellung dieses um-
fangreicben Werkes in dem Syllabus Engler's sein System
in genügender Ausführlichkeit, um in den Geist desselben
eindringen" OT können, nunmehr vorgelegt erhalten zu
baben.*)
Dass sieb im Grossen und Ganzen die Gruppen
Engler's mit den früheren decken und auch die Reihen-
folge derselben, äusserlicb betrachtet, im Ganzen sich sehr
an Bisheriges anlehnt, ist natürlich: es ist das System
Engler's naturgemäss eine seinen eminenten Kenntnissen
und den Fortschritten der Wissenschaft angepasste Weiter-
bildung der früheren Systeme.
Ob Engler gut gethan bat, dort, wo sich seine Gruppen
mit früheren decken, hier und da neue Namen einzu-
führen, und die Endungen anderer zu verändern, darüber
lässt sich stteiten, weil Worte, Namen, das Unwesentlichste
in einer Wissenschaft sind; es ist in der That im Grunde
'gleiebgültig, wie mau eine Sache nennt, wenn man sie
mn- versteht. Aber wer würde es wohl wagen zu leugnen,
dass eine gute zweckmässige Terminologie nicht nur ein
äusserst werthvoller Apparat für die Forschung ist, son-
dern auch pädagogisch gar nicht zu überschätzen ist. Die
Rücksichtnahme auf eine schneUe und leichte Auffassung
wissenschaftlicher Dinge sollte der Gelehrte, dem es wahr-
baft darum zu thun ist, seiner Wissenschaft Jünger zu
gewinnen und leicht verstanden zu werden — was heisst
•letzteres andei-s als seinen Mitmenschen Zeit sparen —
niemals bei Seite lassen.
- ■ Will ein Gelehrter durch den Fortschritt der Erkennt-
niss als unzweckmässig erkannte, aber alteingebürgerte
imd daher bei den Fachgenossen schwer ausrottbare Aus-
drücke durch sacbgemässere ersetzen, so kann er auf
Anerkennung nur dann rechnen, wenn er Grosses unter-
nimmt und hier seine Terminologie zur Anwendung bringt.
Engler und Prantl's natürliche Pflanzenfamilien dürften
■daher die Einführung der Engler'schen Bezeichnungen ganz
wesentlich unterstützen.
: Sehen wir uns Engler's Namen näher an, so finden
*;wii', dägs er bei der Gestaltung derselben zwei Prineipien
,im Auge gehabt hat: 1. orthographisch - grammatisch
möglichste Richtigkeit; 2. sachHche Richtigkeit.
*).Eine kurze Uebersiclit der Hauptgruppen hat Englor
schon früher im „Führer durch den botanischen Garten von Breslau"
geboten.
Ich erwähne Namen wie z. B.: Equisetales, Lycopo-
diales, Primulales an Stelle von Equisetinae, Lycopodinae
und Primulinae bei Eichler. während Namen wie Liliiflorae
und Glumiflorae bei beiden Autoren die gleiclien sind.
Wichtiger sind die folgenden Aenderungen. So nennt
Engler die Phanerogamen „Embryophyta sipbonogama"
und die Bryophyten und Pteridophyten fasst er als „Em-
bryophyta zoi'diogama" zusammen, und zwar, wie leicht
ersichtlich, Embryophyta wegen der Bildung vonEmbryonen
aus der befruchteten Eizelle, zoidiogama insofern die Ei-
zelle durch frei bewegliche, thierähnliche, männliche Be-
fruchtuugskörper und sipbonogama insofern sie durch Ver-
mittlung sehlauchtreibender Pollenkörner befruchtet wird.
An die Spitze des Pflanzenreiches stellt Engler die-
jenigen Pilze, die wegen der in ihren Entwicklungsgang
gehörenden frei beweglichen Zustände von vielen Forschern
als Thiere angesehen werden (Mycetozoa).
Die grossen Abtheilungen des Engler'schen Systemes
ergeben sich aus der folgenden Tabelle:
1. Myxo-
thallophyta
Myxomycetes
IL Euthallo-
phj-ta
Schizophyta
Dinoflagellata
Baeillariales
Gamophyceae
Fungi
III. Embryophyta zoidio-
gama
Bryophyta
Hepaticae
Musci
Pteridophyta
Filicales
Equisetales
Sphenophyl-
lales
Lycopodiales
IV. Embryophyta sipbonogama
Gymuo-
sperniae
A n g i 0 s p e r m a e
Cyeadales
Cordaitales
Chalazogamae
Acrogamae
Bennettitales
Coniferae
Gnefales
Verticillatae
(Farn. Casua-
rinaceae)
Monoco-
tyledoneae
Dicotyle-
doneae
Archichla-
mydeae
Sympetalae
Am auffälligsten erscheint in dieser Tabelle die Ein-
theilung der Angiospermen in Chalazogamae und Acro-
gamae, welche letzteren dann erst in Monocotyledonen und
Dicotyledouen gegliedert sind. Wir sehen aus der Tabelle,
dass die Casuarinaeeeu mit ihrer einzigen (20 meist in
Australien und auf den indisch-mala3iscben Inseln ein-
heimischen Arten umfassenden) Gattung zu dieser Neu-
gliederung Veranlassung gegeben baben. Die Casuari-
naeeeu sind von dem Botaniker M. Treub*), dem Director
des botanischen Gartens zu Buitcnzorg auf Java, neuer-
dings eingehend untersucht worden, und diese Unter-
suchungen haben so eigentbümliche und interessante Er-
gebnisse geliefert, dass sich aus ihnen die Berechtigung
ergab, eine neue Pflanzenklasse zu gründen. Jedenfalls
gehören sie nicht zu den Dicotyledouen, wo sie bisher
untergebracht wurden, von denen sie aber schon in eigen-
thümlicber AVeise durch die schachtelbalmähnlichen Sprosse
(daher „Verticillatae") abweichen.
Wir geben zur allgemeinen Orientirung über die eigen-
tbümliche Familie die gesammten P'iguren über dieselbe
aus Engler und Prantl's Werk .,Natürlicbe Pflanzen-
familien". Taf. I und IL
Durch die Entwicklungsgeschichte der weiblichen Ge-
schlechtsorgane und den Vorgang bei der Befruchtung
— und die Verhältnisse der Geschlechtsorgane sind ja
*) Sur les Casuarinees et leur place dans le Systeme natural
(Ann. du Jard. bot. de Buitenzorg, Vol. X, 1891, S. 145 ff.).
Nr. 4.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
33
die ausschlaggebenden bei der Gliederung unserer heutigen
Systeme — nimmt aber Casuarina eine derartige Sonder-
geben
muss, wenn
Stellung ein, dass man Engler Recht
er Treub's neue Classification annimmt.
Zum besseren Verständniss der von Treub aufgedeck-
ten engeren Beziehungen zu den Pteridophyten und Gym-
nospermen sei das Folgende als Repetition vorausgesandt.
Bei den Gefiiss-
kryptogamen fin-
den wir eine dem
Generationswech-
selgewisserThier-
klassen ähnliche
Erscheinung. So
stellen z. B. die
allgemein bekann-
ten vegetativen
Formen der Farne,
die Wedel, die ge-
schlechtslose Ge-
neration dar. Die-
se erzeug-t auf un-
geschlechtlichem
Wege meist auf
der Unterseite der
Wedel die ge-
wöhnlich in Häuf-
chen (Sori) bei-
sammen stehen-
den Sporangien,
und durch Kei-
mung der in die
seu gebildeten
Sporen entsteht
die geschlecht
liebe Generation,
das Prothallium.
Die Farnspo-
rangien zeigen in
ihrem Bau meist
eine gewisse
Aehnlichkeit mit
den Drtiseniiaaren
der Phaneroga-
men. Sie besitzen
einen aus einer
oder mehreren
Zellreihen be-
stehenden Stiel,
welcher eine ku-
gelige Zellanhäu-
fung trägt. Letz-
tere zeigt zu äus-
serst eine ein-
oder mehrschich-
tige Wand , auf
welche nach innen
eine ebenfalls aus
einer oder mehreren Zelllagen bestehende Schicht, die Ta-
petenzellen oder Jlantelschicht, folgt, welche S])äter resor-
birt wird. Im Innern befindet sich das Archesporium (sporo-
gener Zellcomplex), eine plasmareiche Zelle, Zellreihe oder
enr Zellkörper, aus welchem durch Theilung die Sporen-
mutterzellen entstehen. Jede der Archesporzellen theilt sich
in 4 Sporen, die entweder alle gleichartig sind, wie bei den
eigentlichen Farnkräutern (isospore Pteridophyten), oder
verschiedenartig sind, wie bei Isoetes, Marsilia, Selaginella
(heterosporePteridophyten). Das durch Keimung der Sporen
entstehende Prothallium ist ein dem Thallus der niederen
Tafel II: A — L Casuarina eqiiisetifolia Porst. — M-O Cas. leueodon Poisson.
.4 = Zweig mit miiiinlichen Blüthen uml Früchten (nach Poisson). — ß = Stück des miinnlichcu
Blüthenstandes, vergrössert. — t' = Diagramm eines Blüthenquirls. — D — eine männliche BUithe, deren
Staub die beiden Vorbl. in die Höhe hebt. — E = Pollen stark vergrössert. — F = weiblicher Blütben-
stand. ~ G = weibliche Blüthe. — H = Diagramm derselben; zu beachten das hintere leere Fach. —
J L ^=- Frkn. in seiner Entwicklung fuach Poisson). — M = Fruchtstand von Casuarina leueodon
Poisson. — N = ein-,!elne Frucht. — 0 = unterer Theil der Frucht mit Längsschnitt durch den Samen.
(Aus Engler und Prantl's Natürlichen Pfianzenfamilien. — Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.)
Lebermoose ähnlicher Zellkörper, welcher bei den isosporen
Pteridophyten Ijeide Arten von Geschlechtsorganen besitzt.
Die heterosporen Pteridophyten besitzen 2 oft durch Grösse
und Form verschiedene Arten von Sporen, die auch in
zweierlei Sporangien (Makro- und Mikrosporangien) erzeugt
werden. Beide bilden bei der Keimung nur ein wenig
entwickeltes Prothallium. Das aus einer ilikrospore entste-
hende Prothalliuin
erzeugt nur männ-
liche Geschlechts-
organe ( Anthcridi-
en), das aus einer
Makrospore ent-
stehende nur weib-
liche (Archego-
nien). Die Entste-
hung der Mikro-
sporen erfolgt in
der Weise, dass
sich jede Sporen-
mutterzelle in 4
Sporen theilt. In
den Makrosporau-
gien dagegen ver-
drängt eine Spo-
remnutterzellealle
übrigen und theilt
sich in 4 Sporen,
von denen oft
noch 3 zu Grun-
de gehen, sodass
im ausgewachse-
nen Makrosporan-
gium meist nur
i Spore enthal-
ten ist.
Bei den Phanero-
gamen geschieht
dieBildung derGe-
sehlechtsorgane
in folgender Wei-
se. In den Pol-
lensäcken der
Staubbeutel ent-
wickeln sich, den
Mikrosporeu ent-
sprechend, sehr
zahlreiche Pollen-
körner, während
die als weiblir
cbes Organ fun-
girende Samen-
knospe (leider
„Ovulum'- ge-
nannt) im Em-
bryosack meist
nur 1 Eizelle (Oos-
phäre), selten meh-
gemäss :
rere.
sich dem
Phanerogamen
der
der
die
und die Mikro-
und das Mikro-
enthält. Es entsprechen
das Pollenkorn der
spore der Kryptogamen;
Pollensack der Phanerogamen
sporangium der Kryptogamen;
Embryosack der Phanerogamen und die Makro-
spore der Kryptogamen;
Samenknospe der Phanerogamen und das Makro-
sporaugium der Kryptogamen.
Zwischen Phanerogamen und Kryptogamen besteben
aber nicht blos obige Homologien,sondern bei den Cycadcen
34
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4.
und einigen Coniferen ist auch die Entwickehing- der
entsprechenden Organe eine ähnliche. Bei den Cycadeen
entwickelt sich inmitten eines dem Archesporium ent-
sprechenden Zellcomplexes eine Zelle auffallend stark
und wird zur Embryosack-Mutterzelle (Sporen-Mutterzelle).
Von den aus dieser entstehenden 3 Zellen entwickelt sich
eine wiederum besonders stark, verdrängt die anderen
und wird zum Embryosack. In diesem entsteht durch
freie Zellbildung ein dem Prothallium entsprechendes Ge-
webe, an dessen Scheitel sich die den Archegonien ent-
sprechenden weiblichen Organe bilden; und zwar eine
kleine obere Zelle (Halszelle) und eine grössere untere
(Centralzelle).
Bei den Gymnospermen sind die Samenknospen nur
von 1 oder 2 Hüllen (lutegumenten) umgeben, welche an
der Spitze, der sog. Kernwarze, eine canalartige Ocffnung
(Mikropyle) freilassen; im übrigen liegen die Samen-
knospen, wie schon der Name Gymnospermen besagt,
offen auf den Fruchtblättern (Carpellen). Bei den Angio-
spermen sind sie ausser von den Integumenten noch von
den verwachsenen Fruchtblättern umgehen, liegen also in
einem völlig geschlossenen Gebilde, dem Fruchtknoten.
Der von den Integumenten umschlossene Tbeil der Samen-
knospe wird Knospeukcrn (Nucellus), der der Mikropyle
entgegengesetzte Theil Knospengrund (Chalaza) genannt.
Dieser steht in Verbindung mit dem Nabelstrang (Funi-
culus), welcher letztere die Samenknospe mit der Frucht-
knotenwand verbindet.
Die Befruchtung geschieht nun in folgender Weise:
Der auf die Narbe fallende oder gebrachte Pollen keimt
in der dort abgesonderten Flüssigkeit aus. Der hierbei
entstehende Schlauch muss nun, um zum Ei zu gelangen,
zunächst den Griflfelcanal durchwachsen, dringt dann in der
Fruchtknotenhöhle l)is zur Mikropyle und durch diese und
das Gewebe der Kernwarze hindurch bis zum Ei vor. Der
Weg, welchen er dabei einschlägt, ist ihm durch den ganzen
Bau des Fruchtknotens gewissermaassen vorgezeichnet.
Im Grunde des Embryosackes entstehen längere Zeit
vor der Befruchtung durch freie Zellbildung 3 sich bald
mit Membranen umkleidende Zellen, die Antipoden oder
Basalzellen. An dem anderen, der Mikropyle zugewendeten
Ende des Embryosackes, bilden sich fast stets 3 membran-
lose Zellen mit je einem Zellkerne. Zwei derselben, die
sog. Gehülfinnen (Synergiden) liegen mit ihrem Scheitel
unmittelbar an der Wand des äussersten Scheitels des
Embryosackes. Die dritte Zelle liegt etwas tiefer; sie ist
das eigentliche Ei, welches sich nach der Befruchtung
allein zum Embryo entwickelt. Eine unmittelbare Be-
rührung des Pollenschlauchs mit der I^izelle findet nicht
statt, sondern der befruchtende Stoff tritt auf osmotischem
Wege durch die Synergiden hindurch in die Eizelle ein.
(Fortsetzung folgt.)
Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung.
Von Prof. Dr. H. Schubert.
V. Zwei Dinge zu rathen, die in angegebenen
Reihen liegen.
(Mutus dedit noinen cocis.)
Das alte und sehr verbreitete Kartenkunststück „Mutus
dedit nomen cocis" besteht bekanntlich darin, dass der
Eathende 10 Paare Karten aufdeckt, von denen man sich
ein Paar merken soll. Nachdem der Rathende dann die
20 Karten in gewisser Weise in 4 Reihen zu je 5 hin-
gelegt hat und gehört hat, in welcher Reihe bezw. welchen
beiden Reihen das gemerkte Paar liegt, ist er im Stande,
anzugeben, welches die beiden gemerkten Karten sind.
Er nimmt die Karten nämlich so zusammen, dass immer
die Karten eines Paares zusammenbleiben, denkt sich
dann die 5 Buchstaben jedes der 4 Wörter ., Mutus
dedit nomen cocis" in 4 Reihen auf den Tisch ge-
schrieben, und legt die Karten jedes Paares so, dass sie
auf zwei gleiche Buchstaben zu liegen kommen. Wird
ihm nun gesagt, dass die gemerkten Karten beide in der
ersten Reihe liegen, so ist es die zweite und vierte, weil
in Mutus nur der zweite und vierte Buchstabe, nämlich u,
derselbe ist. Lägen die Karten beide in der zweiten
Reihe, so müsste die erste und dritte das Paar bilden,
weil in dedit der erste und dritte Buchstabe gleich ist,
u. s. w. Hörte man ferner, dass die beiden gemerkten
Karten in der ersten und zweiten Reihe liegen, so müsste
mau den Buchstaben suchen, der in Mutus und dedit zu-
gleich vorkommt. Man fände, dass es das t ist, woraus
mau zu schliessen hätte, dass die dritte Karte der ersten
Reihe und die fünfte der zweiten Reihe das gemerkte
Paar bilden. Ebenso würde man aus der Angabe „zweite
lind vierte Reihe" wegen des gemeinsamen Buchstabens i
finden, dass die vierte Karte der zweiten Reihe mit der
vierten Karte der vierten Reihe das gemerkte Paar zu-
sammensetzen, u. s. w. Der Erfolg dieses Kunststücks be-
ruht darauf, dass die 10 Buchstaben, die in Mutus dedit
nomen cocis, jeder zweimal, vorkommen, sich derartig ver-
theilen, dass erstens jedes Wort einen Buchstaben dop-
pelt enthält, und dass zweitens je zwei Reihen immer
einen Buchstaben gemeinsam haben.
Es liegt nahe, dieses kleine Kunststück, dessen Ge-
schichte dem Verfasser unbekannt ist, auf beliebig viele
Reihen auszudehnen. Obwohl man statt der Karten natür-
lich beliebige Dinge setzen kann, wollen wir doch, der
Einfacliiieit des Ausdrucks wegen, Karten -Paare als die
zu rathenden Dinge betrachten. Sollen u Reihen gelegt
werden, so müssen in jeder Reihe immer n + 1 Karten
liegen, wie sich auf folgende Weise ergiebt. In jeder
Reihe sind zwei Karten, die ein Paar bilden, ausserdem
noch je eine Karte, die mit einer der übrigen n — 1
Reihen ein Paar bildet; also muss jede Reihe 2 4-u — 1
oder n + 1 Karten enthalten. Für n = 1 ist das Kunst-
stück naiv. Für n = 2 sind zwei Reihen von je drei
Karten zu legen. Man hat sich dann nur zu merken, an
welche Stelle jeder Reihe man die beiden Karten legt,
von denen die eine in der einen, die andere in der andern
Reihe zu liegen hat. Bezeichnen zwei gleiche Buchstaben
immer ein Paar, so kann die Legweise der drei Karten-
paare so verdeutlicht werden:
a b a
Ebenso kann man für n ^ 3, also für ß Karten-Paare,
die Legweise aus folgender Buchstaben-Zusammenstellung
entnehmen:
a b c a
b d e d
c e f f
Es fragt sich nun, ob man ein leicht behaltbares
Princip der Zusannuenstellung der Buchstaben finden kann,
wenn n beliebig gross ist, da man ja doch darauf \ev-
zichten muss, für grössere n Zaubersprüche zu ersinnen,
die ebenso gut passen, wie die Buchstaben in „Mutus
Nr. 4.
Naturwissenscliaftliche Wochenschrift.
35
dedit nomen cocis" für n = 4 passen. Ein solches Prin-
cip, das sich dem Gedächtniss leicht einpiiigt, ist folgendes :
„In der a-ten Reihe soll immer die a-te und die
letzte Karte ein Paar bilden; und ausserdem
sollen immer die b-te Karte der c-ten Reihe mit
der c-ten Karte der b-ten Reihe als Paar zu-
saraniengehören." Bezeichnen also wieder, wie oben,
zwei gleiche Buchstaben ein Paar, so kann die aus dieser
Regel für n = 7 resultirende Legweise folgeudermaasseu
veranschaulicht '
Verden:
A
b
c
d
e
f
8'
A
b
B
h
i
k
1
m
B
c
h
C
n
0
P
q
C
d
1
u
D
r
s
t
D
e
k
0
r
E
u
V
E
f
1
p
s
u
F
w
F
§•
m
q
t
V
w
G
G
(Die grossen Buchstaben bezeichnen immer zwei Kui-ten , din in
derselben Reihe liegen.)
Es ist nun nicht schwer, hiernach das Kunststück für
beliebig viele Karten durchzuführen. Natürlich kann man
statt der Karten auch andere untersclieidbare Dinge
nehmen. Zur Unterhaltung einer Gesellschaft empfiehlt
sieb z. B. die Wahl von männlichen und weiblichen Vor-
namen. Wir wollen hier beliel)ig zusammengestellte Paare
von Zahlen nehmen. Für n = 7 ergeben sich 28 Paare.
Wir schreiben also auf 56 gleich grosse Zettel etwa die
Zahlen von 1 bis 56, und legen dieselben, nachdem sie
gehörig durcheinandergeraischt sind, so zu Paaren zu-
sammen, wie der Zufall es fügt. Jeder in der Gesellschaft
kann sich nun ein zusammenliegendes Paar merken, und
wir werden ihm nachher das gemerkte Paar nennen
können, nachdem wir die Paare aufgenommen, gemäss
der obigen Regel gelegt und gehört haben, in welcher
Reihe bezw. welchen beiden Reihen die beiden gemerkten
Zahlen liegen. Beispielsweise seien die 56 Zalden zu-
fällig in folgender Weise zu 28 Paareu zusammengelegt:
13 16 17 1 31 32 5 33 41 51 42 52 43 14
29 50 34 53 18 22 30 19 15 8 21 2 3 38
44 54 47 6 46 7 55 9 45 10 39 11 12 3ß
26 28 27 48 4 49 20 56 23 40 25 35 37 24
Nachdem wir diese Paare aufgenommen haben, legen
wir sie nach der angegebenen Regel, wobei wir hinsicht-
lich der Reihenfolge, in welcher wir die Paare nach ein-
ander auf den ihnen zuktimmcuden Platz legen, beliebig
verfahren werden, um dem Ueschauer das Legungsgesetz
zu verhüllen. Die 28 Zahlen -Paare mögen also etwa so
gelegt sein:
42 43 44 47 46 55 45 21
3 39 37 13 17 31 5 25
26 12 41 51 52 14 54 15
27 29 8 6 7 9 10 48
4 34 2 49 11 .36 16 35
20 18 38 56 24 1 32 53
23 30 28 40 50 22 33 19
Hören wir nun, dass zwei gemerkte ZahU'n I)('ide in
der fünften Reihe liegen, so werden wir, unserer Regel
eingedenk, die fünfte und letzte, also 11 und 35 nennen.
Hören wir ferner, dass zwei gemerkte Zahlen in der
dritten und sechsten Reihe liegen, so muss es nach unserer
Regel die sechste Zahl der dritten Reihe und die dritte
Zahl der sechsten Reihe, also 14 und 38 sein. Ibiren
wir endlich, dass die Zahlen in der ersten und dritten
Reihe liegen, so können wir sofort das richtige Zahlen-
Paar 44 und 26 nennen.
Man erkennt leicht, dass in dieser Weise das Kunst-
stück auf beliebig viele Reihen ausgedehnt werden kann
und um so überraschender wirken muss, je grösser die
Zahl der Reihen und also auch die Zahl der Paare wird.
So hat also die Heraussuehung des iu dem alten Karten-
kunststück steckenden mathematischen Kerns dasselbe be-
deutend vervollkommnet.*)
*) Wird fortgesetzt.
üeber die Entstehung und die Heilung von Krank-
lieiten durch Vorstellungen hielt Professor Dr. Adolf
Strümpell beim Antritt des Prorcctorats der Universität
zu Erlangen eine Rede, der wir (nach dem Abdruck der-
selben in der Berliner Klinischen Wochenschrift) das Fol-
gende entnehmen.
Die einfachste Selbstbeobachtung zeigt uns, wie jede
stärkere psychische Erregung eine Anzahl der auffallend-
sten körperlichen Erscheinungen zur Folge hat. Auf fast
allen überhaupt vorhandenen Gebieten nervöser Ueber-
tragung machen sich unter Umständen diese Folgen be-
merkbar. Unsere Bewegungsorganc können erregt oder
in ihrer Thätigkeit gehemmt werden: Furcht oder Auf-
regung machen uns am ganzen Körper zittern oder der
Schreck lähmt unsere Glieder. Auch die Muskeln unserer
Blutgefässe werden durch primäre rein seelische Er-
regungen in die Zustände des Krampfes oder der Er-
schlaffung übergeführt: wir erröthen vor Scham oder vor
Zorn, wir werden blass vor Furcht oder innerer Erregung.
Auch auf die Thätigkeit zahlreicher Drüsen haben die
Zustände unseres Bewusstseins den grössten Einfluss: wir
vergiessen Thränen der Trauer, uns bricht der Angst-
schweiss aus, uns (|uält andererseits die Trockenheit des
Mundes, wenn wir iu aufgeregter Stimnuing sprechen sollen.
Alle diese Vorgänge fallen noch nicht in das Gebiet
eigentlich krankhafter Zustände, obwohl sie bereits aus
dem ruhigen Gleichmaass der ungestört ablaufenden Le-
benserscheinungeu heraustreten. Sie bilden aber die un-
mittelbare Vorstufe zu ungemein häufigen wirklichen
Krankheitszuständen, welche einem unaufmerksamen Be-
obachter leicht als rein k(>rperlichc Leiden erscheinen,
während sie doch in Wirklichkeit nichts Anderes sind,
als die uothwendigen körperlichen Folgen rein geistiger
Vorgänge und daher auch nur mit diesen letzteren zu-
sammen wieder verschwinden können. Derartige krank-
hafte Zustände entstehen sowohl, wenn ein einmaliger,
aber ungewöhnlich heftiger psychischer Shok eine an-
haltende hochgradige Erregung des Bewusstseins ver-
ursacht, oder wenn eine ähnliche Wirkung durch an sich
leichtere, aber häufig wiederkehrende uud in ihrer Wir-
kung sich daher sunnnirende Einflüsse erzielt wird.
Für die praktische Bedeutung dieser Vorgänge ist
aber Nichts von so einschneidender Wichtigkeit, wie die
Thatsache der ungemein grossen individuellen Unter-
schiede in Bezug auf ihre Stärke und Ausdehnung, sowie
die Leichtigkeit ihres Eintritts. Wie wir verschiedene
körperliche, so müssen wir auch verschiedene geistige
Constitutionen annehmen, zu deren wesentlichsten Unter-
scheidungsmerkmalen gerade die besondere Beschatfenheit
des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen seelischen und
körperlichen Vorgängen besteht. Dabei kann aber kein
Zweifel darüber sein, dass diese Unterschiede ihrem Wesen
nach vorzugsweise auf dem geistigen Gebiete selbst liegen,
dass also die Leichtigkeit des Eintritts psychisch bedingter
körperlicher Störungen nicht etwa auf einer abnorm
schwachen Widerstandskraft des Körpers beruht, sondern
36
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4.
Von der besonderen Leichtigkeit und Häufigkeit des Ein-
tritts abnorm starker seelischer Erregungen abhängt.
Wenn man gegenwärtig die gewöhnlichen leichten Grade
körperlich hervortretender, aber psychisch bedingter Reiz-
oder Depressionserscheinungeu als „Nervosität" be-
zeichnet, so müssen wir wohl daran festhalten, dass die
Nervosität im Sinne der Wissenschaft eine besondere
geistige, aber keine körperliche Constitution bezeichnet.
Wohl kann sie zuweilen erworben und daher vielleicht im
Zusammenhang mit gewissen körperlichen Veranlassungen
entstanden sein; in den meisten Fällen ist sie aber nichts
Anderes, als ein Ausdruck der besonderen geistigen In-
dividualität, welche zweifellos durch die Verhältnisse des
äusseren Lebens, durch Schicksal, Erziehung und Selbst-
beeinflussung niodificirt und in Schranken gehalten werden
kann, deren innerstes Wesen aber völlig zu unserer von
Geburt an gegebenen Eigenart gehört und ein Erbtheil
unserer Natur ist.
Eine genauere psychologische Analyse der Nervosität
lässt den in der Besonderheit des geistigen Naturells ge-
legenen Ursprung derselben fast immer deutlich erkennen.
Eine derartige Analyse führt zur genaueren Feststellung-
aller Eigenthümlichkeiteu des „nervösen" Bewusstseins.
Wir erkennen dann, dass das „nervöse" Bewusstsein durch
das besondere häufige und leichte Auftauchen gewisser
Vorstellungen und Vorstellungsgrnppeu cliarakterisirt ist,
ebenso wie durch das erleichterte Eintreten gewisser
Associationen mit anderen Vorstellungen meist ängstlichen
und schreckhaften Inhalts, und endlich durch die auf-
fallende .Schwäche der Hemmung, welche unter normalen
Verhältnissen derartige ängstliche Vorstellungen durch
andersartige ihnen entgegenwirkende Vorstellungen er-
fahren.
Auf die auf den Zustand des eigenen Körpers sich
beziehenden Vorstellungen ängstlichen Inhalts, die hypo-
chondrischen Vorstellungen, geht St. specieller ein.
Der Einfluss und die Bedeutung derartiger Vorstellungen,
von denen nur wenige Menschen völlig frei sind, und
deren Ursprung ja zum Theil in den vollkommen be-
rechtigten Gedanken der Vorsicht und der Selbsterhaltung
gelegen ist, können kaum hoch genug angeschlagen wer-
den. Denn nicht nur, dass hierdurch zahlreiche sonstige
Vorstellungen und Thätigkeiten eine nicht unbeträchtliche
Hemmung erfahren: die hypochondrischen Vorstellungen
sind selbst unmittelbar die Ursachen einer grossen Reihe
abnormer körperlicher Zustände. Bei ihrer gewölmlicheu
Lebhaftigkeit und der besonderen Art ihres Inhaltes wer-
den sie zunächst alle jene allgemeinen P"'olgeersc]ieinungen
hervorrufen, deren nothwendiges Auftreten bei jeder stär-
keren seelischen Erregimg überhaupt bereits bekannt ist.
Ausserdem aber sehen wir, dass jede einer Erwartung
entsprechende, besonders lebhafte Vorstellung unter Um-
ständen die subjective Empfindung des erwarteten Vor-
stellungsinhalts hervorrufen kann. Diese Thatsache erklärt
uns die Entstehung einer grossen Reihe von Krankheits-
zuständen. Wir erkennen, wie durch die blosse Angst
vor einem Magenleiden alle subjectiven Empfindungen
eines solchen, durch die Fmcht vor einem Herzfehler alle
subjectiven Erscheinungen desselben entstellen. Immer ist
hier die Vorstellung das Primäre, der körperliche Zustand
die nothwendige Folge. Nicht von eingebildeten Krank-
heiten dürfen wir da sprechen, sondern von Krankheiten,
die dur^h Einbildung, d. h. durch Vorstellungen entstanden
sind. Wie weit diese Beeinflussung des Körperlichen durch
das Vorstellungsleben reichen kann, ahnt derjenige nicht,
der diese Verhältnisse nicht eingehend studirt hat. Denn
in ihrer weiteren Entwicklung und Ausbildung können die
leichtesten Störungen dieser Art schliesslich in eine völlige
Unordnung und Auflösung aller normalen Beziehungen
zwischen den köi'perlichen und geistigen Vorgängen aus-
arten. Die Vorstellung der Lähmung kann zu wirklicher
Lähmung, die Vorstellung einer erwarteten Empfindung
zur Hallucination führen. Nimmt man hinzu, wie hierbei
in Wirklichkeit oft noch die Wahnvorstellungen eines von
vornherein krankhaften Bewusstseins eine Rolle spielen,
so gewinnt man eine Einsicht in die Entstehung jener
schweren und traurigen Krankheitszustände, bei denen
sich die krankhafte Erregung der Vorstellungen in dem
völligen Verlust jeder geordneten Willensthätigkeit oder
in den Visionen der Extase äussert. Nur durch die Analyse
der einfachsten Verhältnisse können wir auch für diese
verwickelten Zustände den Faden des Verständnisses ge-
winnen. —
Die Beeinflussung der Körperlichkeit durch die Zu-
stände unseres Bewusstseins geschieht nun nicht nur in
ungünstiger, sondern ebenso häufig in einer die Beziehun-
gen beider zu einander regelnden und von Neuem be-
festigenden Weise. Während die lebhafte Vorstellung eines
gefürchteteu Uebels häufig die subjectiven Empfindungen
der scheinbar bereits bestehenden Krankheit hervorruft,
wird andererseits die Vorstellung der sicher gefundenen
Hülfe in einem solchen Falle auch sofort die angstvolle
Aufregung des Bewusstseins und damit auch alle hier-
durch entstandenen körperlichen Folgezustände beseitigen.
Durch das Auftauchen der neuen beruhigenden Vorstellung
wird die vorhergehende beängstigende aus dem Bewusst-
sein verdrängt.
Diese Verhältnisse sind so einfach, dass sie einer
aufmerksamsn und denkenden ärztlichen Beobachtung nie-
mals ganz entgangen sind. Jedoch der volle Umfang
ihrer Wirksamkeit und Bedeutung kann erst jetzt richtig
beurtheilt werden, seitdem wir ein eingehenderes Ver-
ständuiss für den psychischen Ursprung so zahlreicher,
scheinbar rein körperlicher Krankheiten und Krankheits-
syraptome gewonnen haben. Insbesondere ist es ein Um-
stand, den man von den ältesten Zeiten an bis in die
Gegenwart hinein häufig übersehen hat. Der erwähnte
p.sychische Factor, nämlich der Einfluss der Vorstellungen
auf die Beseitigung zahlreicher, scheinbar körperlicher
Krankheitssymptome, wird sich natürlich oft auch allen
sonstigen ärztlichen Hülfeleistungen beigesellen. Denn
selbstverständlich wird das Auftauchen der neuen, die
Hofl'nung und die Ueberzeugung der wiederkehrenden Ge-
nesung ausdrückenden Vorstellungen in den meisten Fällen
nur durch äussere Anlässe hervorgerufen, indem das Be-
wusstsein den Glauben an die Wirksamkeit irgend welcher
allgemein verbreiteter oder ihm durch sonstige Neben-
unistände besonders heilsam erscheinender Mittel gewinnt.
Hierdurch entsteht aber nicht nur für den Kranken, son-
dern ebenso für den Arzt eine ergiebige Quelle von Irr-
thümern. Denn auch der letztere versäumt es nur zu
leicht, neben den unmittelbaren Wirkungen der von ihm
getroffenen Maassnahmen, gleichzeitig auch die Bedeutung
der hierdurch bei dem Patienten hervorgerufenen Vor-
stellungen in Betracht zu ziehen. So kommt es, dass
die Aerzte oft lange Zeit hindurch von der specifischen
Wirksamkeit gewisser Heilmittel überzeugt sind, während
doch die in der That beobachteten günstigen Heilerfolge
keineswegs diesen Mitteln selbst, sondern in Wirklichkeit
nur dem auf sie gesetzten Vertrauen entspringen. So er-
klärt sich denn auch, warum die neu entdeckten Medi-
camente so häufig ihre anfangs allgemein gepriesene Heil-
kraft schon nach wenigen Jahren wieder verlieren. An-
dererseits sind uns aber auch jetzt, seitdem wir eine
genauere Keunfniss von der Maclit der Vorstellungen auf
gewisse körperliche Zustände gewonnen haben, zahlreiche
Vorkommnisse leicht erklärlich geworden, die früher von
dem Nebel des Geheimnissvollen und Wunderbaren ver-
Nr. 4.
Naturwisseiiscbaftliche Wochenschrift.
37
hüllt waren. Selbst in den durch die Leg\'iidenbildung-
und durch abergläubische Uebcrtreibunj;- häufig- noch aus-
geschmückten Erzählungen von den überraschenden Hei-
lungen schwer Kranker, Gelähmter, Besessener u. dgl.
durch wunderkräftige Bilder und ]leli(|uien, durch Zauberei
und Hexenkunst, durch Sympathie, Homöopathie und Heil-
magnetismus, erkennen wir den wahren Kern wirklich
erlebter, aber freilich falsch gedeuteter Tbatsaciien, und
verstehen, wie allein durch diesen thatsächlichen Kern
der Glaube an dei'artige übernatürliche Heilkräfte genährt
und verbreitet wird. Theils in unndttelbarer Fortsetzung
der überlieferten, theils in neuen Formen wird die Macht
der Vorstellungen noch gegenwärtig in absichtlicher oder
in unbewusster Weise tagtäglich gebraucht, um den Ruhm
gewisser Heilkünstler zu mehren und den Glauben au
gewisse Heilkräfte zu unterhalten. Die Macht der Vor-
stellungen ist die gefährlichste Waft'e, welche dem soge-
nannten Kurpfuscherthum in seinem Kam])fe gegen die
wissenschaftliche Heilkunde zu Gebote steht.
Die Wissenschaft hat nun die Grenzen festzustellen,
bis zu welchen die Macht der Vorstellungen reicht. Dieses
Machtgebiet ist natürlich ein beschränktes, die ganze Fülle
der sogenannten organischen, anatomischen Krankheits-
processe entzieht sich so gut wie ganz diesem Einflüsse.
Nur, was durch Vorstellungen entstanden ist, kann auch
auf diese Weise wieder beseitigt werden, und wenn eine
genauere Einsicht uns auch gezeigt hat, dass die psychisch
bedingten Kraukheitszustäude weit häufiger und mannig-
faltiger sind, als man früher geahnt hat, so wäre doch
eine Uebertreibung dieser Thatsachen eben so tadelns-
werth, wie eine Unterschätzung derselben. Jedenfalls wird
sich die wissenschaftliche ziel- und zweckbewusste An-
wendung der psychischen Therapie streng unterscheiden
von der immer halb unbewussten und ganz unverstandenen
Verwerthung der gleichen Einwirkungen durch den Schwär-
mer oder den Charlatan. Wie schwierig es aber gewesen
ist, den Standpunkt zur riclitigen Beurtheilung dieser Ein-
wirkungen zu gewinnen, geht schon daraus hervor, dass
selbst Kant, der vor beinahe 100 Jahren eine Abhandlung
verfasst hat „von der Macht des GemUths, durch den
blossen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu
sein", doch ein sehr ungenügendes Verständniss der hier
in Betracht kommenden Vorgänge hatte. Kant betont
nur, wie die durch einen festen Willen erfolgende Ab-
lenkung der Aufmerksamkeit von den krankhaften körper-
lichen Empfindungen diesen den Eintritt in das Bewusst-
sein erschwert oder unmöglich macht, während ibm der
ausgedehnte direete Einfluss der Vor.stellungen auf das
körperliche Befinden selbst und auf das ungestörte Zu-
sammenwirken der seelischen und körperlichen Vorgänge
noch fast gänzlich unbekannt war. Der Arzt Hufeland,
auf dessen Anregung hin Kant seine oben erwähnten
Bemerkungen niedergeschrieben hat, war durch seine ärzt-
liche Erfahrung schon zu einer viel eingehenderen Kennt-
niss und richtigeren Beurtheilung der betreffenden Ver-
hältnisse gelangt.
Die Ziele der psychischen Therapie sucht die gegen-
wärtige Medicin vielfach durch die Methode der „hypno-
tischen Suggestion" zu erreichen.
Hypnotismus, d. h. das künstliche Hervorrufen eines
schlafähnlichen abnormen psychischen Zustandes, und
Suggestion, d.h. die feste Einfügung einer bestimmten
Vorstellung in das Bewusstsein eines Anderen — sind die
neuen Schlagworte, deren Gebrauch, wie es bei neu ein-
geführten Ausdrücken so häufig der Fall ist, zwar der
raschen Verljreitung der Sache selbst dienlicii ist, anderer-
seits aber auch nur zu oft einem oberflächlichen und
mangelhaften Verständniss als bequemer Deckmantel dient.
Bekanntlich ist nur das Wort „Hypnotismus" neu; die
Keuntniss der hypuntischen Erseheinungen reicht nnn-
destens ebenso weit zurück, wie überhaupt unsere Kunde
von der Vergangenheit. Was wir von den wundersamen
Künsten der alten indischen Fakire, von den marokkani-
schen Marabuts, von den Mönchen auf dem Berge Athos
lesen, was viel später unter dem Xamen des Sonmam-
bulismus, Mesmerismus und des thierischen Magnetismus
zahlreiche Geister in die grösstc Aufregung und \'er-
wirrung gebracht hat — dies Alles ist sicher genau das-
selbe, was gegenwärtig unter dem Namen des Hypnotismus
endlich das wissenschaftliche Bürgerrecht erworben hat.
Freilich war es nicht ganz leicht, aus dem durch Aber-
glauben und Vorurtheil verworrenen Knäuel falsch ge-
deuteter und daher scheinbar räthselhafter Beobachtungen
den wahren Kern der Thatsachen herauszuwinden, und
manche Aerzte können sich auch jetzt noch nicht von
den letzten Spuren eines veralteten Mysticismus völlig frei
machen. Im Allgemeinen besteht aber unter den wissen-
schaftlichen Forschern über das Wesen des Hypnotisnms
keine erhebliche Meinungsverschiedenheit mehr. Wir wissen
jetzt, dass alle die mannigfaltigen hypnotischen Erschei-
nungen, der künstlich hervorgerufene hypnotische Schlaf,
die hypnotische Muskelstarre, die Gefühllosigkeit, endlich
das hypnotische Irresein mit seinen Hallucinationen nichts
Anderes sind, als neue Beweise für die Macht der Vor-
stellungen auf die Zustände unseres Körpers. Wir wissen
ferner, dass alle die verschiedenen früher angewandten
besonderen Methoden zur Hervorrufung der Hypnose, das
anhaltende Fixiren glänzender Glasknöpfe, das Heran-
bringen schwingender Stimmgabeln oder starker Magnete,
das leise und regelmässige Bestreichen der Haut' durch
den vermeintlichen „Magnetiseur" u. s. w. an sich gar
keine besondere Wirkung haben, und dass nur die durch
alle diese Manipulationen erzeugten Vorstellungen die
eigentliche Ursache des eintretenden hypnotischen Zu-
standes sind. Freilich muss man sich häufig derartiger
Mittel bedienen, um eben in den zu hypnotisirenden Per-
sonen jene wirksamen Vorstellungen von dem bevorstehen-
den und vermeintlich nothwendigen Eintritte der Hypnose
in der erforderlichen Lebhaftigkeit und Ueberzeugungs-
kraft hervorzurufen. Von wesentlicher unmittelbarer Be-
deutung sind sie aber nicht, wie schon allein daraus
hervorgeht, dass in sehr vielen Fällen die einfach ge-
sprochene Versicherung ..Sie werden jetzt einschlafen"
oder der mit dem scheinbar sicheren Gefühl der Macht
ertheilte Befehl „schlafen Sie jetzt ein" genügt, um ein
empfängliches Bewusstsein in den hypnotischen Schlaf zu
versetzen. Natürlich wirkt hierbei stets eine Menge von
Nebeuvorstellungen mit, die sich in der Regel auf den
bereits bewährten Ruf des Hypnotiseurs und auf bekannte
frühere Erfolge desselben bei anderen Personen beziehen.
So erklärt sich die z. Th. noch jetzt verbreitete Meinung,
als ob die Fähigkeit des Hypnotisirens nur gewissen be-
stimmten Menschen verliehen sei, als ob der „Wille" ge-
wisser Personen als solcher eine besondere objective, über
die eigene Individualität hinausreichende Kraft besitze.
Jener scheinbare Nimbus aber, mit dem der Hypnotiseur
sich oft umgeben muss, um die beabsichtigten Wirkungen
zu erzielen, birgt die grosse Gefahr in sich, dass der
letztere nur zu leicht die schmale Grenzscheide zwischen
erlaubter und unberechtigter Täuschung verliert und dann
unrettbar dem Charlatanismus verfällt.
Die Verwendung des Hypnotismus zu Heilzwecken
geschieht in der Weise, dass dem zuvor hypnotisirten
Kranken die Vorstellung von der hiermit bereits erfolgten
Heilung oder wenigstens bedeutenden Besserung seines
Zustaudes suggerirt wird. Die vorausgehende Hypnose
ist dabei von Vortheil, weil der Kranke schon durch den
Eintritt derselben die festeste Ueberzeugung von dem
38
Naturwissenschaftliche Wocbenschvift.
Nr. 4.
mäclitigeii Einflüsse des Hypnotiseurs auf seinen Zustand
gewonnen hat und daher für die Aufnahme der zweiten
heilenden Vorstellung aufs Beste vorbereitet ist. In der
That sind mit Hülfe des Hypnotismus auf diese Weise
bereits zahllose, oft anscheinend höchst wunderbare Hei-
lungen erzielt worden.
Zur häufigen berufsmässigen Ausübung des Hypno-
tisirens gehört eine ganz besondere Neigung und auch
ein gewisses schauspielerisches Talent. Mit" dem allge-
meinen Bekanntwerden der hypnotischen Erscheinungen
und der zunehmenden Einsicht in ihre Entstehung müsste
ihr Glanz bald verblassen, und der gerade hier besonders
zu fürchtende Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen
würde dem Hypnotismus vollends den festen Boden ent-
ziehen. Es ist kaum denkbar, dass ein geistig normaler
Mensch, der genau weiss, was Hypnose ist, von einem
anderen hypnosirt werden kann. Gegen wirkliche Er-
kenntniss haben blosse Vorstellungen keine Macht mehr.
Der Zustand der Hypnose besteht in der absichtlich
hervorgerufenen Lockerung, ja z. Th. völligen Lösung der
normalen festen Verknüpfung zwischen den seelischen und
den körperlichen Vorgängen. Ist diese Verbindung aber
einmal oder sogar häufig gelockei't worden, so verliert sie
zweifellos dauernd an Festigkeit, und es besteht nun die
Gefahr, dass bei oft hypnotisirten Personen ähnliche Zu-
stände auch ohne ärztliche Absicht auf sonstige Veran-
lassungen hin auftreten. Schon der Zustand der Hypnose
selbst muss unbedingt als etwas Abnormes, Krankhaftes an-
gesehen werden*). Genau dieselben Erscheimmgen, welche
bei der Hypnose absichtlich hervorgerufen werden, keimt
der Arzt auch als keineswegs seltene primäre, natürlich
auch psychisch bedingte Krankheitszustände, die er mit
dem Namen der Hysterie bezeichnet. Die hypnotischen
Zustände und die Erscheinungen der Hysterie sind ihrem
innersten Wesen nach aufs Engste mit einander verwandt.
Die Hypnose ist nichts Anderes, als eine künstlich hervor-
gerufene schwere Hysterie. Bei der Anstellung hypnotischer
Versuche ist daher stets die Gefahr vorhanden, dass hier-
mit die Veranlassung zum Ausbruche schwerer hysterischer
Erscheinungen gegeben wird, und wenn auch die wissen-
schaftlich gebildeten Hypnotiseure diese Gefahr kennen
und nach Möglichkeit zu vermeiden wissen, so bleibt der
Hypnotismus doch stets ein zweischneidiges Schwert, welches,
zumal bei nicht ganz einsichtsvoller Anwendung, wie die
Erfahrung schon öfter gezeigt hat, manches Unheil an-
richten kann.
Alle diese Einwendungen wären aber belanglos, wenn
wirklich durch den Hypnotismus Heilerfolge zu erzielen
wären, die man auf andere Weise nicht erreichen kann.
Dies ist aber nicht der Fall. Nur so lange in der Me-
diciu die Anwendung der psychischen Heilfactoren über-
haupt nicht die genügende Beachtung fand, konnte der
Hypnotismus zahlreiche Triumphe feiern über die Arznei-
wissenschaft der herrschenden Schulen. Seitdem die Aerzte
aber zu einer klareren Einsicht in das Wesen der zahl-
reichen psychisch bedingten Krankheitszustände gelangt
sind, fängt auch eine rationelle psychische Therapie
an sich zu entwickeln, welche jener künstlich geschaffenen
Bewusstseinsstörungen der Hypnose und jenes scheinbaren
Nimbus besonderer geheimnissvoller Kräfte nicht mehr
bedarf, sondern in der wissenschaftlichen Erkenntuiss und
psychologischen Analyse der krankhaften Vorgänge selbst
den Punkt findet, wo eine unmittelbare psychische Be-
einflussung des Kranken die abnormen Zustände desselben
zu beseitigen im Stande ist. Eine derartige psychische
*) Auch der Psychologe W. Wuiidt iu Leipzig hat sieh
neuerdings' in seinem Buch „Hypnotismus und Suggestion" dahin
ausgesprochen, dass die liypnotischen Erscheinungen in das Gebiet
der Pathologie gehören. Red.
Therapie haben die bedeutenden Aerzte aller Zeiten ge-
trieben. Den weitreichenden Einfluss dieser Therapie,
freilich ebenso auch ihre durch die Natur der Dinge
gegebenen Grenzen lernen wir aber erst jetzt völlig wür-
digen, seitdem wir den tieferen Sinn des alten Satzes
erkannt halien, dass der vollkommene Arzt des Körpers
zugleich auch ein Arzt der Seele sein müsse.
SchmetterHngsfaiig durcli Drosera rotiindifolia L.
— In No. 52 des Bd. VII der „Naturw. Wochenschr.'- ver-
öfientlichte Herr P. Krefft eine Beobachtung über den
Sehmetterlingsfang von Drosera intermedia. In dieser
Veröffentlichung und der angefügten Note wird die
Jleinung ausgesprochen, dass Drosera rotundifolia ihrem
Bau nach nicht recht zum Sehmetterlingsfang geeignet sei.
Ich theile deshalb eine Beobachtung mit, "die "ich am
26. Juli vorigen Jahres auf einer Sumpfwiese bei Pansa
im sächsichen Voigtlande gemacht habe. Auf dieser Wiese
war Drosera rotundifolia L. (es kommt im Voigtland nur
diese eine Art vor) weit verbreitet, an einigen Stellen
sogar zu dichten üppigen Polstern gehäuft. Auf einem
solchen Polster, von ungefähr 40 cm im Quadrat, hatten
sieh acht Kohlweisslinge gefangen, die
abgesehen von
einigen noch lebenden — verschiedene Grade der Zerset-
zung zeigten. Vielfach war nur ein Theil der Beine, der
Flügel oder des Hinterleibes festgeklebt, aber die Thiere
Sassen trotzdem fest. Manchmal betheiligten und unter-
stützten sich auch 2 — 3 Blätter beim Fang eines Schmetter-
lings. Hierbei konnte man beobachten, dass nicht nur die
Tentakeln sich über die gefangenen Theile zusammen-
neigten, sondern mitunter auch die dicken fleischigen
Blätter sich mit ihren Rändern aufwärts krümmten, ja
vollständig nach oben zusammenschlugen, so dass der be-
treftendc Theil des Thieres dann von den Blatthälften um-
schlossen wurde.
Durch die todten Schmetterlinge wurden auch kleine
schwarzbraune Ameisen angelockt, die geschickt, aber
sehr vorsichtig zwischen den Blättern des Sonnenthaues
herumkrochen, aber sofort zurückwichen, sobald sie sich
den entgegenstarrenden Drüsenwimpern des Blattes
näherten. Auf die Blätter selbst kroch keines der Thiere,
und ich konnte, trotz eifrigen Sueheus, auch keine ge-
fangene Ameise auffinden.
Auf einer zweiten nicht viel grösseren Stelle derselben
Wiese, die durch einen kleinen Teich von der ersteren
getrennt war, fanden sich zehn durch die Drosera ge-
fangene Kohlweisslinge. Hier wie dort deuteten herum-
liegende Flügelreste auf den schon länger betriebenen
Fang hin. Auflällig war es mir, dass, obgleich Drosera
rotundifolia L. überall auf der Wiese wuchs, die Schmetter-
linge sich doch nur an den erwähnten zwei Stellen und
noch dazu in so grosser Menge gefangen hatten. Es
schien mir, als ob nicht die einzelnen Sonnenthaupflanzen,
sondern ein zufällig gefangener Kohlweissling das An-
lockungsmittel für die übrigen gewesen wäre, und ich er-
innerte mich hierbei der schon oft gemachten Beobach-
tung, dass ein einziger Kohlweissling, der sich auf einer
feuchten Stelle eines lehmigen Feldweges niederlässt,
ganze Schaaren vorüberfliegender Schmetterlinge anlocken
kann, die sich dann dicht gedrängt um ihn schaaren.
Die vorstehende Beobachtung zeigt, dass die Drosera
rotundifolia ebenso zum Sehmetterlingsfang geeignet ist,
wie ihre beiden Schwestern. Dr. Schorler.
Asboliu ^on Braconnet aus dem wässerigen Auszug
des Kienrusses bereitet und als ^Mittel gegen Schwindsucht
angewendet, besteht nach einer Untersuchung von Behal
und Desvigues (Gompt. rend. 114, 1541) aus Brenzcatechin
Nr. 4.
Naturwissenschaftliche Wo chenschrift.
30
C.H-Oa (Sdp. 240° bei 761 mm) luid Homobreiizcatechin
C^HgOo (Sdp. 251—252° bei 750 mm). Letzteres erwies
sich als identisch mit dem bereits bekannten Körper
gleicher Zusammensetzung. Sp.
Ein neues Oiundgesetz der Ernährung und die
Quelle der Muskelkraft. — E. Pflüger hat über diesen
Gegenstand eine Anzahl ausführlicher Abhandlungen ver-
ötfentlicht (Arcli. f. d. ges. Physiol. 50,98,,.j3„,,)96; 51,,o9,3n;
52,1 ,..39), welche sich gegen die aus Pettenkofer und Voit's
Versuchen abgeleiteten Gesetze richtet. Seine hauptsäch-
lichsten Resultate sind:
1. Eiweiss, in genügender Menge verfüttert, ist die
alleinige Quelle der Muskelkraft; nur bei Mangel
an diesem findet Ersatz durch Fette und Kohlen-
hj'drate statt.
2. Das Körperfett bildet sich nicht aus Eiweiss,
sondern aus den überschüssigen (d. h. das Be-
dürfniss des Körpers übersteigenden) Mengen von
Fett und Kohlenhydraten. Sp.
Der Planet Jnpiter, der ebenso wie Mars zur Zeit
■nnier mehr von der Erde zurückweicht, wird Ende
Januar in seiner nach Osten gerichteten Bewegung vom
letztgenannten Planeten überholt. Am 23. Januar kommen
beide Planeten in eine bemerkenswerthe Constellatiou mit
dem Monde.
Fragen und Antworten.
Aus welchem Material bestehen die essharen „in-
dischen Vogelnester''? L.
Ihre Frage bezieht sich — wie Sie sagen — auf die
Mittheilung S. 530—531 Bd. VII der „Naturw. Wochen-
schrift" über die Verwendung der Algen, indem Sie an-
nehmen, dass die indischen Vogelnester aus Algen-Material
zusammengesetzt sind, welches die Vögel mit ihrem Speichel
vermischen. Diese Annahme ist aber irrig. Der Reisende
F. Jagor macht in seinem Buche „Singapore— Malacca—
Java" (Berlin 1866) diesbezüglich die folgende Mittheilung.
lieber den Stotf, aus dem die Nester bestehen,
herrschten bis vor Kurzem sehr abweichende Vorstellungen.
Erst Dr. Bernstein beschrieb nach wiederholten sorgfälti-
gen Beobachtungen ihre Entstehung, sowie er auch der
Gattung Collocalia Gr., die Bonaparte wieder zu den
Schwalben gestellt hatte, in Folge genauer anatomischer
Untersuchungen ihre richtige Stellung im System in der
Familie der Cypseliden anwies und dadurch Gray's
frühere Klassifikation, ohne sie zu kennen, bestätigte.
Nach Bernstein*) kennt man von der Gattung Collo-
calia bis jetzt nur vier Arten: C. esculenta Lath., C. nidi-
fica Lath.", beide auf Java einheimisch, C. troglodytes
Gr. & Mitch., den Molucken und Philippinen und C. fran-
cica, allein der Insel Mauritius angehörend. Die Nester
von C. esculenta, seit Jahrhunderten bekannt und oft be-
schrieben, haben im Allgemeinen die Form einer der
Länge nach geviertelten Eiscljale, die mit einer Seite am
Felsen klebt, welcher die Rückwand des Nestes bildet.
Von beiden Enden gehen flügelartige Ausbreiten aus, die
mit ihrer flachen Basis am Gestein festsitzend, die
Hauptstütze des Nestes bilden, das aus einer sehr dünnen,
durchscheinenden, weissen oder bräunlichen Masse besteht,
die am meisten Aehnlichkeit mit Hausenblase hat und
wellige Querstreifen zeigt. C. nidifica, die auf Java wohl
noch häufiger ist, als die andere Art, wohnt in weniger
unzugänglichen Höhlen und baut ihre Nester, die den an-
dern sehr ähnlich sehen, zum grossen Theil aus Pflanzen-
bestandtheilen, welche durch die leimartige Sub.stanz an
einander geklebt werden, während die Nester von C. es-
culenta ausschliesslich aus dieser Substanz bestehen.
Einige hielten diesen Stoff für den verhärteten Saft eines
Baumes, Calambone*), andere für Seetang, vom Vogel
verzehrt und wieder ausgespieen; doch hat mau in seinem
Magen nie Spuren von Pflanzenstotf, sondern nur Insekten
gefunden. Einen Kropf, in dem die Metamorphose vor
sich gehen könnte, besitzt der Vogel nicht. Bernstein
fand aber an ihm ungewöhnlich entwickelte Speichel-
drüsen, besonders glandulae sublinguales, die zur Zeit
des Nestbaues ausserordentlich anschwellen, dann wieder
kleiner werden, und später die gewöhnliche Grösse
dieses Organs bei verwandten Vögeln nicht übertreffen.
Sie sondern einen dicken, zähen Schleim ab, der sich in
grosser Menge an der Oeft'nung der Ausführungsgänge
dieser Drüsen, vorn unter der Zunge, anhäuft. Die Masse
hat, oberflächlich betrachtet, grosse Aehnlichkeit mit einer
sehr dicken Lösung von Gummi Arabicum, trocknet schnell
an der Luft und stimmt auch, unter dem Mikroskop be-
trachtet, vollständig mit der Substanz der Nester überein.
Bernstein beobachtete mehrere Male diese Vögel beim
Nestbau. Sie fliegen wiederholt an die gewählte Stelle
und drücken mit der Zungenspitze einen Tropfen des
Speichels gegen die Felswand. Dies wiederholen sie
zehn- bis zwanzigmal, ohne sich mehr als eine^EUe weit
vom Platz zu entfernen, sie müssen also das Material,
das sich schnell wiedererzeugt, in grösserer oder geringerer
Menge bei sich führen. So entsteht als Grundlage des
Nestes eine hufeisenförmige Erhöhung, der [Vogel klammert
sieh daran und vergrössert, indem er mit dem Schnabel
hin- und herfährt und den Schleim am Rande aufsetzt,
das Nest, wodurch auch die oben erwähnten Streifen ent-
stehen. Alle diese Angaben beruhen nicht auf Vermu-
thungen, sondern sind die Ergebnisse von Dr. Bernstein's
wiederholten, mit grosser Umsicht angestellten Beobach
tungen.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt : Dr. Leo Grunmach von der technischen
Hochschule Charlottcnburg-Berlin zum Professor der Physik. —
Der ausserordentliche Professor an der thierärztlichen Hochschule
in Budapest, Dr. Leo Lieberniann , zum Director des chemischen
Landesinstitutes und der cliemischen Ceutralversuchsstation in
Budapest. — Professor von Lenhossek in Basel zum Prosector
an der Universität Würzburg. — Dr. M. Gurke zum Gustos am
Kgl. botanischen Garten zu Berlin.
Es haben sich habilitirt: Dr. A. Wieler für Botanik an der
technischen Hochschule in Braunschweig. — Dr. med Felix
Hirschfeld, Assistent an der inneren Abtheilung des städtischen
Krankenhauses Moabit, als Privatdocent für innere Medicin an
der Universität Berlin.
*) Over de zoogenoemde eetbare Vogelnesten. — Beiträge
zur näheren Kenntniss der Gattung Collocalia Gr.
L i 1 1 e r a t u r.
Otto Hamann, Entwicklungslehre und Darwinismus. Eine
kritische Darstellung der modernen Entwicklungslehre und
ihrer Erklärungsversuche mit besonderer Berücksichtigung der
Stellung des Menschen in der Natur. Gemeinfasslich geschildert.
Mit IG Abbildungen. Verlag von Hermann Costenoble. Jena
1892. — Preis 8 Mk.
In der Einleitung dieses für Laien geschriebenen, aber diesem
wegen der Ansprüche, welche Hamann an die Vorkenntnisse des
Lesers stellt, nicht verständlichen Buches behauptet der Verfasser,
dass die Lehre Darwin's von seinen Nachfolgern immer von
neuem nicht als eine Hypothese, sondern als feststehende
heholz liefert, in Java
*) Demselben, der das duftende Galioc
aber nicht vorkommt.
40
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4.
Thatsache angepriesen werde. Referent wird es schwer zu
glauben, dass es dem Verfasser unbekannt gebliehen sein sollte,
dass die Naturforscher verliiufig noch von der Darwin'schen
Theorie sprechen. Aehnlich wie hier benutzt der Verfasser
das gesammte von ihm angeführte Material, um seinen Ansichten
eine möglichst breite Grundlage zu verschaffen: das Buch wimmelt
also von Missverstäudnissen, wenigstens nach Ansicht des Ref.,
der viele Aeusserungen herangezogener Autoren anders versteht.
Ref. hatte begonnen für die vorliegende Besprechung diese Miss-
vorständnisse aufzudecken, hat aber bald einsehen müssen,^ dass
das der Abfassung eines Buches gleichkommen würde. Bei dem
Lesen des Hamann'schen Werkes drängte sich überdies die Au-
sich auf, dass der Autor zu denen gehört, die nicht bekehrt sein
wollen. Näher auf das Buch eingehen, hiesse demnach Eulen
nach Athen tragen.
Prof. Dr. F. Klockmann, Lehrbuch der Mineralogie. Für Stu-
dirende und zum Selbstunterricht. 2. Hälfte, enthaltend den
speciellen Theil mit 173 Textfiguren. Verlag von Ferdinand
Enke. Stuttgart 1892. — Preis 7,20 Mk.
Nachdem vor Jahresfrist der erste Theil des Buches, die
allgemeine Mineralogie umfassend, erschienen ist, liegt jetzt der
zweite Theil desselben, die specielle Mineralogie enthaltend, vor.
Alle die Vorzüge, welche an jenem mit Recht anerkannt worden
sind, finden sich auch in diesem wieder, besonders die treffende
Kürze der klaren, erschöpfenden Definitionen. Der Umfang des
Buches ist geringer als derjenige der bekannten Lehrbücher von
Quenstedt, Naumann-Zirkel,' Tschormak und Bauer, aber trotzdem
wird man in ihm nichts wesentliches vermissen, wohl aber manches
finden, was dasselbe vor jenen voraus hat. Ueberall ist der heu-
tige Standpunkt der Wissenschaft gewahrt. Neben der Mor-
phologie, den physikalischen und chemischen Eigenschaften
der Mineralien, finden auch ihre Lagerstätten, ihre Bildung und
Umwandlung Berücksichtigung, In einem Anhang werden die
nutzbaren Rlineralien, ihre Verwendung und ihr Vorkommen
nochmals besonders hervorgehoben. Der systematische Theil
zeichnet sich durch Vollständigkeit aus und besitzt den grossen
Vorzug, dass bei den Angaben über das Vorkommen der Mine-
ralien nicht nur Fundorte aufgezählt, sondern die Art des Auftretens,
das Zusammenvorkommen mit andern Mineralien , kurz — die
geologische Seite des Vorkommens gewürdigt wird; durch diese
Verbindung des einzelnen Minerals mit anderen gewinnt die Be-
schreibung sicher an Interesse. Das nach einem wohldurchdachten
Plan in jeder Hinsicht sorgfältig ausgearbeitete Buch kann auf
das Wärmste empfohlen werden. Es wird sieh als Lehrbuch auch
zweifellos Isewähren, Wenn man vielleicht bei Bezeichung der
Mineralien alte, gute, deutsche und bergmännisch gebräuchliche
Namen noch mehr als es geschehen ist, angewendet sehen und
hie und da eine Figur etwas schöner haben möchte, so können
doch solche untergeordnete Ausstellungen gegenüber den Vor-
zügen des Werkes nicht ins Gewicht fallen. Dr. R. Scheibe.
Alexander Lainer, Anleitung zu den Laboratoriumsarbelten
mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse des Photo-
graphen, Mit 2-to Ablj. Verlag vnu Willi. Knapp. Halle a. S,
1892. — Preis 3 Mk.
Das Heft bildet gewissermaasen eine Ergänzung zu dem
Lehrbuehe der photographischen Chemie des Verfassers, die dem
Photographen von grossem Werth sein dürfte. Verf. hat bei den
betriebenen Operationen stets auf die einfachste Form ihrer
Ausführung das Hauptgewicht gelegt. Die Arbeit ist aber nicht
ausschliesslich für den Photographen berechnet, da sie überhaupt
solche Operationen und Apparate erwähnt, deren Kenntniss zur
Ausübung einfacher analytischer Arbeiten erforderlieh ist.
Buddhismus. — Von Mittheiluugen nennen wir diejenigen von
Rahon über Sechsfingerigkeit und theilweise Syndactylie; Be-
dart, über vierfache Ectrodactylie an Händen und Füssen und
ihre Vererbung durch drei Generationen , sowie über einige
seltene Fälle von Muskel-Anomalien, beobachtet im anatomischen
Laboratorium zu Toulouse; F. Regnaul t, über einen Greiffuss;
Emil Potitot, über das Dolmengrab von Mareuil-les-Meaux;
Georges Herve, über den Schädel von Canstadt; Alphonse
Bertillon, Tafel der verschiedenen Farben, welche an der Iris
des menschlichen Auges auftreten; Gabriel de Mortillet,
über neuerlichst entdeckte Grabstätten bei Baousse-Rousse (bei
Mentone). — Ausserdem bringt das Heft den Schluss eines Vor-
trages von Varion und Bezancon über Samenerzeugung und
kündigt die VerOfl:'entlichung eines Berichtes über das Verhältniss
der Geburten zur Bevölkerungsmenge im Kanton Beaumont-
Hague von A. Dumont und einer Abhandlung über den Körper-
bau des Menschen in prähistorischen Zeiten von Rahon in den
Memoiren der Gesellschaft an, F. K,
The Geological Magazine. Herausgegeben von Henry Wood-
ward und Anderen. Deceuibcr 1892. London, — Mit dem vor-
liegenden Hefte schliesst der neunte Band der dritten Decade ab.
Dasselbe enthält das Inhaltsverzeichniss für das verflossene Jahr,
8 Originalaufsätze, mehrere Mittheiluugen nach Vorträgen, welche
in auswärtigen Gesellschaften gehalten worden sind; Besprechungen
neuer litterarischer Erscheinungen; den Bericht der November-
sitzung der Londoner Geologischen Gesellschaft; briefliehe Mit-
theilungen, Nekrologisches und kleinere Mittheilungen verschie-
denen Inhalte.''. — An Original-Artikeln sind vorhanden: 1) Arthur
Smith Wo od ward — Beschreibung des Sclororhynehus atavus
aus der Kreide: 2) J. E. Marr — Die Wenlock- und Ludlow-
Schichten im See-Bezirke; 3) Bullen Newton — Ueber das
Vorkommen von Chonetes Pratti in den carbouischen Gesteinen
West-Australiens; 4) Charles Callaway — Ueber den Prozess
der Schieferbildung in den Malveru Hills; 5) John Francis
Walker — Lieber Yorkshire-Thecideen; 6) F. R, Kow])cr-
Reed — Notizen aus dem Woodward-Museum (über eine abnorme
Form von Platycrinus pileatus, Goldf.); 7) W. F. Hume — Be-
merkungen zur Geologie Russlands: II, Der Löss; Beschreibung
und Eigenart des russischen Löss, Der erste Aufsatz dieser
Reihe erschien im September-Heft des Geol, Mag. und behandelte
die russische Kreide. 8) Thomas R. Struthers — Ueber
Granit. — Von den brieflichen Mittheilungen nennen wir die-
jenigen über Glaeial-Geologie von R. M. Deeley und Ueber
das Mammuth und die Glacial-Drift von A. J. Juk es-Bro w n e.
F. K.
Einen umfangreichen General-Catalog von Büchern und Se-
paraten aus den Gebieten der Geologie, Mineralogie und Palae-
ontologie bringt das „Comptoir gcologique de Paris" von Paul
Pierrotet zur Versendung.
Balla Torre, C. G. de, Catalogus hymenopterorum hujusque de
scriptorum systematicus et synonymicus. Leipzig, 5 M
Eisler, P., Der Plexus lumbosacralis der Menschen, Halle 6 M,
Ernst, A., Eine bergmännische Excursion durch den Ural. Frei-
berg. 3 M.
Ewing, J, A., Magnetische Induktion in Eisen und verwandten
Metallen. Berlin: 8 M,
Fischel, F., Untersuchungen über die Morphologie und Biologie
des Tuberculosc-Erregers. Wien. 2 M.
Fischer-Sigwart. H„ Das Gebirge, ein Rückzugsgebiet für die
Thierwelt. Aarau. 1,40 M.
Fraas, E., Geologie, in kurzem Auszug für Schulen und zur Selbst-
lielehrung zusammengestellt. Stuttgart. 0,80 INI.
Franceschini, R., Die Biologie als selbständige Wissenschaft.
Hamburg. 0,80 M.
Pritsch, K., Ueber einige südwest-asiatische Prunus-Arten des
Wiener botanischen Gartens. Leipzig. 1,20 M,
Fröhner, E., Lehrbuch der allgemeinen Therapie für Thierärzte.
Stuttgart. .5 M.
Frohschammer, J., System der Philosophie im Umriss. München.
3 M.
Inhalt: H. Potonie: Das natürliche Pflanzensystem A. Engler's und M, Treub's Untersuchungen zur systematischen Stellung von
Casuarina. (Mit Abbild.) - Prof. Dr. H. Schubert: Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung. --
Ueber die Entstehung und die Heilung von Krankheiten durch Vorstellungen. — Schmetterlingsfang durch Drosera rotundi-
folia L. — Asbolin. — Ein neues Grundgesetz der Ernährung und die Quelle der Muskelkraft. — Der Planet Jupiter. —
Fragen und Antworten : Aus welchem Material bestehen die essbaren „indischi-n Vogelnester. — Aus dem wissenschaftlichen Leben.
— Litteratur: Otto Hamann: Entwicklungslehre und Darwinismus, — Prof, Dr, Klockmann: Lehrbuch der Alineralogie. —
Alexander Lainer: Anleitung zu den Laboratoriumsarbeiten mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse des Photographen.
— Bulletin de la Societe d'Anthropologie de Paris. — The Geological Magazine. — General-Catalog. - Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potoni^, Berlin N. 4,, Invalidonstr, 40/41, für den Inseratentheü: Hugo Bernstein in Berlin, —
Verlag: Ferd. Dümmlors Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein. Berlin SW. 12,
Bulletin de la Societe d'Anthropologie de Paris. 4, Serie,
3, Band, 3. Heft, Paris. — Das Heft umfasst die Monate April
bis Juli und enthält die Sitzungsberichte, Mittheilungen und
Vorträge, welche in der Gesellschaft gehalten worden sind. Von
letzteren besitzen allgemeines Interesse: Lajard — Die Iberische
Rasse (Untersuchungen an Schädeln von den Kanarischen Inseln
und den Azoren), und Julien Vinson — Die Ent Wickelung des
Nr. 4.
Natnrwissenseliaftliche Wochenschrift.
VII
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Eedigiert von Prof. Dr. W. Foerster zu Berlin.
Jährlich 10-12 Hefte gr. 8°.
Preis pro Jalirgran;? 6 M.
Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten.
Die Mitglieder der genannten Vereinigung erhalten obige Mit-
teilungen gratis.
Beitrittserklärungen sind an den Schriftführer der Vereinigung,
Herrn Dr. P. Sclnvalin. T?prlin SW., Kreuzbergstr. 71 zu richten.
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der Jetzt- und Vorzeit
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Von
Dr. Alfred Nehring,
Professor der Zoologie und Vorsteher der zoologischen Sammlungen an der
Königlichen landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.
Mit I Abbildung im Text zmd i Karte der Fundorte.
£66 S. gr. S°. Preis 6 Mark.
... ,. , Hierzu eine Beilage \ :m der Verlausbuchhaiidlung Paul Parey, Berlin, betreffend
nützliche und schädliche Vogel- die wir liiermit besonderer Beachtung empfehlen.
„Fürst, Dr. H., Deutschlands
^.^ Redaktion:
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntilg, den 29. Jannar 1893.
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Äbounement: Man aboonirt bei allen ßuchhaiuUuiigeii und Post-
anstalten, wie bei der Espedition. Der Vierleljahrspreis ist M 3.—
Bringegeld bei der Post 15 .( extra.
ir
Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereiukunft. Inseratenannalime
bei allen Annocenbureaus. wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur mit vollständiger <|nellenaii}«abe gestattet.
Das natürliche Pflaiizensystem A. Engler's und M. Treub's Untersuchungen
zur systematischen Stellung von Casuarina.
Ein Beriflit von H. Potoniü.
(Fortsetzung
Bei Casuariua finden sich nun fo!i;eadc buchst auf
fallende Abweichuns^en vom gewöhnlichen Bau der Ge-
scblechtsoi-nanc der Angiospermen und der Art, wie die-
selben fnnetioniren. Die weibliche ISliithe hat hier weder
Kelch noch IJlumenkrone, sondern besteht aus 2 ver-
wachsenen Fruchtblättern mit kurzem gemeinschaftlichen
Griffel, welcher 2 lange fadenförmige Narben trägt (vgl.
Tat". II. G). Der sonst vorhandene Oriffelcanal wird hier
durch dünnwandiges Parenchym ansgefiillt, welches sich
nahe der Spitze des äusseren Integunients unmittelbar in
das Gewebe desselben (Tat. III, Fig. 7, a i) fortsi'tzt.
Diese ausser dem Funiculns noch vorhandene Verbindung
der Samenknospe mit der Fruchtknoten wand bezeichnet
Treub als „Brücke" (pont), Taf. III, Fig. 7, br; dieselbe
spielt, wie wir sehen werden, eine wichtige Rolle bei der
Befruchtung.
Es werden hier ebenfalls 2 Integiimente (Taf. III,
Fig. 7, ai und ii) gebildet und, wie aus den Abbildungen
Treult's hervorgeht, auch eine Mikropyle angelegt, jedoch
tritt dieselbe niemals in Function.
Auch die nrsprünglich augelegte Fruchtknotenliühle
verschwindet hier zeitweise und wird erst bei Ausbildung
der Samenknospe wieder sichtbar. Die Bildung der
letzteren geschieht folgendermaassen: Im jugendlichen
Nucellus entsteht ein durch die Grösse seiner Zellen aus-
gezeichnetes sporogenes Gewebe (Taf. III, Fig. 1, sp),
welches sich durch intercalares Wachsthuiu bald bis zur
Chalaza fortsetzt.
In dem grosszelligen Gewebe treten später Quer-
theilungen ein, ähnlich denen, welche in den Emliryosack-
Mutterzellen der Angiospermen stattfinden (Taf. III, Fig. 2).
Dass diese grossen Zellen, obwohl ihre Zahl (z. 15. bei
Casuarina subcrosa) bis zu 300 beträgt, in der That den
Embryosack -Mntterzellen entsprechen, folgt daraus, dass
sich ein Theil derselben (bei Gas. suberosa bis zu 20j zu
und Scliluss.)
Emb/yos;ickcn (3!al:.-c;pcro^> oiil.vk^d;.. EJ.v T\n\\ ddi-
selben, namentlich diejenigen, welche zur Befruchtung be-
stimmt sind, verlängern sich sclilauchartig(Taf.III, Fig. 3,m)
und wachsen in das an das GefässbUndel des Funiculns
grenzende dünnwandige Gewebe der Chalaza (Taf. III,
Fig. 3, eh) hinein.
Als besonders bemerkenswerth wollen wir noch er-
wähnen, dass mit den Makrosporen zugleich im sporogenen
Gewebe auch eine oder mehrere Tracheideu (Taf. III,
Fig. 3, tr) entstehen, deren Auftreten mitten im (•"ruclit-
knoten nicht recht erklärlich ist.
Der Geschlcchtsapparat der zur Befruchtung be-
stimmten (fertilen) iAlakrosporen bildet sieh in der Weise,
dass aus einer gemeinschaftliehen Embryosack-Mutterzelle
mehrere Schwesterzellcn entstehen. Obwohl nur eine der-
selben sich zum Embryosack entwickelt, werden die an-
deren nicht von dieser resorbirt (wie bei den Gymnosper-
men und den übrigen Angiospermen), sondern erfahren oft
noch ein beschränktes Waciistluim und eine Zweitheiiung.
Später jedoch verschwinden die Seliwesterzellen auch hier.
Der Eiapparat besteht aus der Eikngel (Oosphärc,
Taf. III, Fig. 6, o) und 2 Hilfszellen (Synergiden, Fig. G, s).
Antipoden wurden niemals beobachtet.
Gewöhnlich werden 2 Ovula gebildet, selten 3 oder 4,
von denen aber immer nur 1 l)efruchtet wird. Die Makro-
sporen dieses Ovulums erzengen säninitlich an ihrem
Scheitel einen Eiapparat; jedoch bildet nur einer der-
selben einen befruchtimgsfähigen Embiyosack, die übrigen
bleiben steril. Die fertilc Makrospore nnterschcitlet sich
von den übrigen in der Regel (nicht immer) iladiirch, dass
die Zellen ihres Eiapparats schon vor der Befruchtung
Cellulosemembranen besitzen, wäiirend sie bei den übrigen
nackt sind, wie ülierbanpt bei den Angiospermen, wo die
Bildung der Cellulosewand sogar als ein Anzeichen der
stattgehabten Befruchtung augesehen wird.
42
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 5.
Das Bemerkenswertheste am ganzen Befruelitungs-
vorgaug ist aber die Art, wie der Pollenschlancli zum
Embryosack gelangt. Nachdem er die Narbe und das
Gewebe des Grift'elcylinders durchwachsen hat, dringt er,
anstatt sich der Mikrojiyle zuzuwenden, durch die oben
erwähnte „Brücke" in das äussere Integunient ein, durch-
wächst dieses der Länge nach und tritt unmittelbar ober-
halb des Funiculus in die Chalaza ein, wo er sieh in der
Regel in mehrere Aeste gabelt. Einer der letzteren legt
sicli an eine der schlauchähnlich in die Chalaza vorge-
drungenen Jlakrosporen und wächst, diese als Weg be-
nützend, bis zur tertilcn Makrospore weiter. Naclidem er
sich an diese (jedoch inniier unterhalb der Stelle, wo
die weiblichen Sexualzellen angeheftet sind) fest angelegt
hat, findet noch ein weiteres Wachsthum der Samenknospe
statt. Hierbei wird der im Nucellus befindliche Theil des
Pollenschlauches in der Mitte ausgezogen und zerreisst end-
lich, so dass der hintere Theil desselben von der Befruch-
tung ausgeschlossen wird. Da Treub ein Eindringen dcsPol-
lenschlauches in denEml^rj^osack niemals bcoI)achtct liat, so
vernnithet er, dassnur dermännlicheSexualkern weder direct
noch mit Hilfe einer der Synergiden, sondern von unten
her, den Embryosack passirend, in die Oosphäre eintritt.
Das bisher bei keiner Phanerogameu-Gattung beob-
achtete Eindringen des Pcdiensehiauches durch die
Chalaza ist die Veranlassung zu dem Namen Chalazo-
gamae. Treub stellt diesen Chalazogamen als zweite
Ünterabtheilung der Angiospermen die Porogamen gegen-
über, wobei er besonders die Thatsachc hervorheben will,
dass der Pollenschlauch zum Eindringen im Gegensatz zu
Casuarina einen ihm gewissermaassen vorgezeichneten Weg
(einen Porus) benützt; Engler*) bezeichnet sie dagegen als
Aerogamen, wobei er anscheinend besonders betonen will,
dass der Pollenschlauch vom Scheitel aus und nicht wie
bei Casuarina von unten her in den Embryosack eintritt.
Engler's weitere Theilung der Angiospermen wird
in der nachfolgenden Uebersicht in den Hauptzügen ge-
boten. Die gesperrt gedruckten Namen bezeichnet Engler
als „Reihen", die übrigen als „Familien".
1. Unterklasse. Monocotyledoiieae.**)
Pandanales: Typhaceae, Pandanaeeae, Sparganiaceae.
Helobiae: Potamogetonaceae, Najadaceae, Apouogeto-
naceae, Juucaginaceae, Alismaceae, Butduiaceae,
Hydrocharitaceae u. a.
Glumiflorae: Gramineae, Cyperaceae.
Principes: Palmae.
Sj' u an t h a e : Cyelanthaceae.
Spathiflorae: Araceae, Lemnaeeae.
Farinosae: Restiouaeeae, Erioeaulaceae, Bromeliaceae,
Connnelinaceae, Pontederiaeeae u. a.
Liliiflorae: Juncaceae, Liliaceae, Amaryllidaceae, Taqca-
ceae, Dioscoreaceae, Iridaceae.
Scitaniineae: Musaeeae, Zingiberaceae, Cannaceae, Ma-
rantaceae.
Microspermae: Burmanniaceae, ürehidaceae.
2. Unterklasse Dicotyledoueae.
1. Reihengruppe: Archichlamydeae.
Piperales: Saururaceae, Piperaceae u. a.
Juglandales: Juglandaeeae, Myriaceae.
Salicales: Salieaceae.
*) In dem bereits 1889 erschienenen betreffenden Theile der
von Engler und Prantl herausgegebenen „Natürlichen Pflanzen-
familien" konnte diese Neu-Eintheilung selbstverständlich noch
nicht Anwendung finden.
**) Eine eingehendere Motivirung der Anordnung der Jlono-
cotyledoneae bietet Engler in seiner von der Kgl. Akademie der
Wissenschaften zu Berlin 1892 herausgegebenen Abhandlung: „Die
systematische Anordnung der nionoeotyledonen Angiospermen."
Fagales: Betulaceae, Fagaceae.
Urticales: Ulmaceae, Moraceae, Urticaceae.
Proteales: Protcaceae.
Santalalcs: Loranthaceae, Santalaccae, Balanophoraceae.
Aristolochiales: Aristolochiaceae, Rafflesiaceae, Hydno-
raceae.
Polygonales: Polygonaceae.
Ccntrospermae: ('henopodiaceae, Aniarantaceae, Nycta-
ginaceae, Phytolaceaceac, Aizoaceae, Portulaeaeeae,
Basellaeeae, Caryophyllaceae.
Ranales: Nymphaeaceae, Ceratophjllaceae, Magnoliaceae,
Anonaeeae, Myristicaccae, Ranunculaceae, Berberi-
daceae, Menispermaceae, Calycantliaceae, Lauraceae.
Rhoeadales: Papaveraeeae, Cruciferae, Capparidaceae,
Resedaceae.
Sarraceniales: Sarraceniaceae, Nei»enthaceae, Drosera-
ceae.
Rosales: Podostemaceae, Crassulaceae, Ccphalotaceae,
Saxifragaeeae , Pittosporaeeae , Hamamelidaceae,
Platanaeeae, Rosaceae, Lcguminosae.
Gcraniales: Geraniaceae, Oxalidaeeae, Tropaeolaceae,
Linaceae, Humiriaceae, Erythroxylaceae, Zygo-
phyllaeeae, Cneoraceae, Rutaceae, Simarubaceae,
Burseraceae, Meliaeeae , ]\Ialpighiaceae, Trigonia-
ceae, Vochysiaceae, Tremandraceae, Polygalaceae,
Chailletiaceae, Euphorbiaceae, Callitrichaceae.
Sapindales: Buxaceae, Empctraceae, Coriariaceae, Gy-
rillaceae, Limnanthaceae, Anacardiaeeae, Celastia-
ceae, Aquifoliaeeae, Stackhousiaceae, Hippocratea-
ceae. Icacinaceae, Aceraeeae, Sapindaceae, Me-
liantiiaceae, Balsaminaceac.
Rlianinales: Rhanmaceae, Vitaeeae.
Malvales: Elaeocarpaceae, Tiliaceae, Malvaeeae, Bom-
bacaeeae, Sterculiaceae.
Parietales: Dilleniaceae, Eucrjphiaccae, Ochnaceae,
Caryocaraceae, Maregraviaceae, Quiinaceae, Chlae-
naceae, Theaecae, Guttiferae, Dipterocarpaceae,
Elatinaeeae, Tamarieaceae, Frankeniaeeae, Cista-
ceae, Bixaeeae, Canellaeeae, Violaceae, Flacourtia-
ceae, Turneraceae, Malesherbiaeeae, Passifioraceae,
Caricaceae, Loasaceae, Begoniaceae, Datiseaceae.
Opuntiales: Cactaceae.
Thymelaeales: Penaeaceae, Thymelaeaceae, Elaea-
gnaeeae.
Myrtifiorae: Lythraceae, Biattiaceae, Punicaeeae, Lc-
cythidaceae. Rhizdjdioraceae, Myrtaceae, Combreta-
ceae, Melastomaceae, Oenothcraeeae, Halorrhagida-
ccae.
Umbelliflorae: Araliaceae, Umbelliferae, Cornaceae.
2. Reihengruppe: Sympetalae.
Ericales: Clethraceae, Pirolaceae, Lennoaeeae, Ericaceae,
Epaeridaceae, Diapensiaceae.
Primulales: Myrsinaceae, Primulaceae. Plumbaginaceae.
Ebenales: Sapotaceae, Ebenaceae, Symploeaceae, Styra-
caceae.
Contortae: Oleaceae, Salvadoraceae, Loganiaceae, Gen-
tianaceae, Apocynaceae, Asclepiadaeeae.
Tubiflorae: Couvolvulaceae, Poknnoniaceae, Hydro-
phyllaceac, Borraginaeeae, Verbenaceae, Labiatae,
Nolanaceae, Solanaceae, Serophulariaceae, Lenti-
bulariaceae, Orobauchaceae, Gesneraceae, Colu-
melliaceae, Bignoniaceae, Pedaliaeeae, Globularia-
ceae, Acanthaceae, Myoporaceae.
P 1 a n t a g i n a 1 e s : Plantaginaceae.
Rubiales: Rnbiaceae, Caprifoliaceae, Adoxaceae.
Aggregatae: Valerianaceae, Dipsacaceae.
Campanulatae: Cucurbitaeeae, Campanulaceae, Goode-
niaeeae, Candolleaceae, Calyeeraceae, Compositae.
Nr. f).
Natnrwissciisphaftliclic Wochenschrift.
43
aiizciisvstciiR' der letzten
;'lcr'sehe System durchaus
So sehr nun auch die PI
Zeiten und besonders das En
den heutigen Kennt-
nissen möglichst ent-
sprechend gestaltet
worden sind, Eins
dürfen wir nicht ver-
gessen: das waln'c
natürliche System ist
noch lange nicht
erreicht. So sehr
auch für die Sy-
stematik vcrwerth-
bare Eortschritte in
der Abtheilung der
Kryptogamen in den
letzten Dccennien ge-
macht worden sind,
die systematische
Hanptgiicderung der
Plianerogamen ist
bei Engler die glei-
che geblieben wie
früher; auch die
Familiengrnppirnng
weist keine ])rin('ipi-
ell bedeutend ins Ge-
wicht fallende Ver-
schiedenheit auf.
Mag das nun darin
seinen Grund haben,
"dass die Plianero-
gamen ja zweifellos
besser und länger
erforscht sind , als
die Kryptogamen,
l)ei denen ohne Mi-
kroskop der jetzige
Standpunkt nicht
hätte erreicht wer-
den können, so nuiss
man doch anderer-
seits stutzen , dass
wir in Bezug auf
die Gliederung der
Phanerogamen in
einer gewissen
Hinsicht nicht über
Linne hinaus sind.
Denn verhehlen
wir es uns nicht:
so sehr auch in dem
Streben, ein „natür-
liches System" zu
schatfen, darauf hin-
gewirkt wird, nuig-
lichst die Eigenthüm-
lichkeitcn, welche
von der ganzen
Pflanze geboten wer-
den, zu berücksich-
tigen, so steht doch
noch inmier, wie l)ei
dem rein künstlichen
System von Linne,
die Betrachtung der
Geschlechtsorgane, bei den höheren Pflanzen also der
Blüthen, im Vordergrunde, und insofern haftet auch den
heutigen Systemen inmier noch etwas Künstliclies an. Es
Tafel III: Fig. 1,3,4—7, Sa, Sb Casuarina suberosa.
Figur 1 u. 2. Läiig.ssclinitte tUin-li .iiigeiKUicIic NuooUi.
In Figur I unterscheiden .sich die durch Schrat'firung kenntlich gem.iehten Zellen des
sporogencn Gewebes (si)) schon durch ihre bedeutendere Grösse von den umgebenden Zell-
sehiehten. (Vergrösserung: 190.)
Figur 2. Die meisten Zellen des sporogenen Gewebes Csp) haben sich soeben durch
mehrere Querwände getheilt. Diese Querwände sehen gequollen und glänzend aus, ähnlich wie
diejenigen der Erabryosack-Mutterzellen der übrigen Angiospermen. (Vergrösser.: 157.)
Figur 3. Axiler Längsschnitt durch einen Nueellus. - em = Embryosack-Mutterzelle mit
3 Querwänden. — tr = Tracheide. — m u. m, = Makrosporen, von denen die letztere bereits
in die Ohalaza (ch) hiiieingowachen ist- (Vergröss. : 190.) — Die in der Mitte des Nueellus beüuil-
liclieu Zellsehichten sind in der Zeichnung weggelassen.
Figur 4. Längsschnitt durch den untern Theil einer etwas älteren Samenknospe. Der
Pollensehhiuch (ps) sendet vor seinem Eintritt in die Chulaza (ch) einen Gabelast nacii unten,
welcher last bis zur Epidermis vorgedrungen ist. Der nach oben gerichtete Gabelast ist bereits
in den Nueellus eingedrungen. Die (jefä.sse (g) setzen sich nach rechts in den Fiuiiculus fort,
dessen Gewebe nicht mitgezeichnet ist. (Vergrösser.: 80.)
Figur 5. 3 Makrosi)oren (m, »ii, m;) nebst den angrenzenden Zellen, m-i ist der zur Be-
fruchtung bestimmte Enibryosack. Die im oberen Theil desselben befindlichen beiden Zellen
bilden den Eiajiparat. (Vergrösser.: 2üu.)
Figur 6. Eiapparat eines Embryosackes. — s = Synergiden, o = Gosphäre. (Vergr.: 190.)
Figur 7. Skizze eines medianen Längsschnitt durch das Centrum einer jungen 9 ISliitlie.
— n = Nueellus. — ü = inneres Integument. — ui = äusseres Iiitegument. — br = Brücke, welche
die Samenknospe an der Fruchtknotenwand festhält, und durch welche sjiäter der Pollenschlauch
eintritt. — f = Funiculus.
Figur Sa. Junger Embryosack, dessen protoplasmatischcr Inhalt contrahirt ist und
4 Zellkerne k enthält. Die Gosphäre (o) hat, wie bei Casuarina häufig, eine gekrümmte Gestalt.
Die neben ihr liegende Zelle (a) zeigt einen homogenen stark liclitbrechendcn Inhalt, wie man
Um oft bei den Kanalzellen der Areliegonien der höheren Kryptogamen findet. (Vergrösser.; 260.)
Vig. SÄ. Skizze der Eückseite desselben Embryosacks, welche deutlich das Ende des an
ihr haftenden l'oUenschlauches (p«) zeigt.
scheint sieh allerdings gerade in der Aehnliciikeit und Un-
ähnlichkeit des Baues der Blüthen die Verwandtschaft der
Pflanzen am mei-
sten auszusprechen
und möglicher Wei-
se stellt sieh daher
immer mehr iieraus,
dass sich durch
die fast ausschliess-
liche Berücksichti-
gung der genannten
Organe wirklich ein
wahrhaft natürliches
System aimähernd
erreichen lässt. Si-
cher ist das aber
nicht: um dies be-
stimmt behaupten zu
kiinnen , (hizu rei-
chen unsere Kennt-
nisse nicht aus.
Aber auch wenn
wir die Annahme
der heutigen Syste-
matiker acceptiren,
dass sich also im
Bau (h'rGeschlechts-
organe und in den
Fortpflanzungsver-
hältnisseil in der
That das natürliche
System ausspriciit,
so ist doch zu be-
achten, dass, soweit
wir aucii hier in der
Erkenntniss vorge-
schritten sind, doch
noch Vieles zu tiiun
bleibt. So macht C.
Fritsch am Schlüsse
seiner Besprechung
über die Treuli'schc
Casuarina - Untersu-
chung*), speeiell be-
züglich der Monoco-
tyledonen, die fol-
gende Bemerkung.
In allen älteren
Systemen , so na-
mentlich in dem lan-
ge Zeit gangbaren
von Endlicher, stan-
den die Gymnosper-
men, da ihre Fort-
pflanznngsverhält-
nisse nicht genau
genug bekannt wa-
ren, am Anfange
der Dicotyledonen.
Später wurden sie
auf Grund der
epochalen Untersu-
chungen Hofmei-
ster's an die Pteri-
dophyten angereiht,
so dass die Mo-
nocotyledonen zwischen Gymnospermen und Dicotyle-
*) In den Vcrhaiullungen der k. k. zoolog;isch -botani.schen
Gesellschaft zu Wien 1892, Sitzungsbericht S. 52.
Fig. 3 Casuarina glauca.
44
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 5.
donen zu stehen kamen, obschon die Gymnospermen die
mannigfachsten Bezieliungen zu den Dicotyledonen, liaum
al)er solche zu den Monocotyledoneu aufweisen. Nun
•werden heute die Casuariuaceen von den Dicotylen los-
g'erissen und an die Gymnospermen angereiht. Andere
Forseher (Caruel) weisen den Loranthaecen eine selbst-
ständige Stellung an; und wer weiss, ob nicht auch für
die liabituell so sehr an Coniferen erinnernden rroteaceen,
die zudem häufig mein- als zwei Cotyiedonen besitzen,
noch eigenartige Fortpflanzungsverhältnisse nachgewiesen
werden! Alle diese Familien gehören aber den sogenannten
„apetalen Dicotyledonen" an, während die tief stehenden
Gruppen der IMonocotylcdoncn nicht die geringsten Ana-
logien mit Gymnospermen aufweisen. Alles das Angeführte
spricht seiir für Drude, der die Monocotyledouen an das
Ende des Systems stellt und die Dicotyledonen direct an
die Gymnospermen anreiht. Dass die höchst entwickelten
Formen unter den gamopetalen Dicotylen eine höhere Ent-
wicklungsstufe erreicht haljcn, als etwa die Orchideen,
ist allerdings kaum zu leugnen, aber allen Anforderungen
kann ein lineares System selbstverständlich niemals gleich-
zeitig Rechnung tragen.
Ist die unmittelbare Gedankenübertragung oder mentale Suggestion erklärbar?
Von Dr. Karl Fr. Jordan'
Es ist eine geheime oder ofi'en ausgesprochene An-
sicht vieler Naturforscher, dass die Thatsächlichkeit einer
Naturerscheinung bestritten werden müsse, welche sich
nicht erklären lässt und in ihrem Wesen von der Mehr-
zahl der bekannten Naturerscheinungen abweicht. Diese
Ansicht ist durchaus verkehrt; denn es giebt in der uns
umgebenden Welt wie im Erfahrungsgebiete in uns eine
Menge von Thatsachen, die zu leugnen Niemandem ein-
fallen wird, und die doch nicht — sei es mit Hilfe unserer
gegenwärtigen Kenntnisse, sei es auf Grund der
Forschungsergebnisse irgend welcher
fernliegenden Zu-
kunft — des Räthselhaften und Unbegreiflichen, das sie
uns bieten, entkleidet werden können'). Ich will nur auf
drei hierher gehörige Beispiele \erweisen.
Welcher Chemiker verm<ichte es, aus Gras und andern
Pflanzenstoften die organisirten Bestandtheile des thie-
rischen Körpers: Blut, Nervengewebe, Muskeln und
Knochen u. a. m. zu bereiten ? Oder wer könnte auch nur
die Bedingungen nennen, unter denen solche Umwandlung
vor sich geht, oder die einzelnen Stadien des wunder-
baren I'roccsses bis ins Kleinste enthüllen? — Und doch
geschieht das Unverstandene und Unerklärbare tag-
täglich in jedem Wiederkäuerleibe!
Ein anderes Beispiel, das uns noch näher liegt! Fort-
während macheu wir die Erfahrung, dass eine innige
Wechselwirkung zwischen Geist und Materie stattfindet^).
Schallbewegungen, Aethersehwingungen n. dergl. m., kurz
Vorgänge, die sich im todten Stoff al)spielen, kommen
uns als Töne, Farben oder sonstige Empfindungen zum
Bewusstsein^); oder wir fassen den Entschluss, diesen
Stein zu heben, oder treffen die Willens-Fcstsetzung, unsere
Beine nach jenem schönen Aussichtspunkte hin in Be-
wegung zu setzen — und die Handlungen, die wir im
Geiste entworfen haben, vollziehen sich in der mate-
riellen Wirklichkeit^). Wer aber erklärt uns alles dies? —
Freilich, die „Materialisten" meinen, es erklären zu
können; aber was sie vorbringen, können nur solche
Gläubige hinnehmen, die das zu erklärende Problem
überhaupt garnicht wahrhaft erfassen").
Und noch ein weiteres Beispiel fuhrt uns sogar einem
Widerspruch entgegen, der solange unlösliar sein wird,
wie die Art unseres Denkens dieselbe bleibt wie heute.
Es ist der bekannte Beweis, den der griechische Eleat
*) Di(,' Redaction hat sich entschlossen, da dor Hr. Verfasser
ein alter Mitarbeiter ist, den obigen Aufsatz zu bringen, obwohl
die entwickelten Anschauungen ganz denjenigen der Red. und,
soweit diese orientirt ist, auch denjenigen des Leserkreises wider-
sprechen. Zum Ausgleich hat der IJnterzeiclinete nun Hei-rn
Dr. Maximilian Klein, der in Zukunft freundlichst die Philosoijhie
in der Naturw. Wochenschr. vertreten will, gebeten, den obigen
Artikel mit Anmerkungen zu versehen. P.
Z e n 0 für die Unmöglichkeit der Bewegung erbracht hat,
d. h. für eine Unmöglichkeit, die in unserem Denken
besteht, während wir uns in AVirklichkeit jeden Augen-
blick von dem Dasein von Bewegungen überzeugen können.
In der That ist es unerklärbar, wie ein sich bewegender
Körper ein bestimmtes Ziel erreichen kann, wenn man
annimmt, wie man es doch muss, dass er erst die Hälfte
des Weges, dann die Hälfte der übrigbleibenden Hälfte
dnrcldäuft und so fort bis ins Unendliche''i; oder wie er
ülierhaupt vom Flecke konnnen kann, wenn man umge-
kehrt bedenkt, dass er doch, ehe er den ganzen Weg
zurücklegt, erst die Hälfte desselben durchlaufen muss,
von dieser aber vorher auch erst die Hälfte und so fort
bis ins Unendliche'); oder endlich, wie er seine Bewegung
ausführen kann, da er doch andererseits in jedem Zeit-
punkte seines Laufes ruhen muss'^), womit, wie Zeno
richtig bemerkt, die Bewegung aus Ruhe, d. h. ihrem
Gegentheil resultiren würde. Mit dem AVorte „Continuität
der Bewegung", mit dem man die Zeno'sche Beweis-
führung zu entkräften sucht, ist gar nichts gethan; es ist
elien nur ein Wort, das die eigentliche Schwierigkeit
umgebt. —
Wenn die Materialisten gegenüber allen drei ange-
führten Beispielen sagen wollten: Wir können zwar jetzt
noch nicht das Räthsel lösen, das uns in ihnen entgegen-
tritt, werden al)er später dazu im Stande sein, wenn
unsere Erfahrungen oder gar unsere Denkfähigkeit andere
geworden sein werden, so bemerke icii dagegen: das
kann man jeder wunderbaren Erscheinung gegenüber
erklären, und folglich hat man kein Recht, allein des
Wunderbaren wegen, das eine Erscheinung an sich
hat, ihre Thatsächlichkeit zu bestreiten''j. —
Eine der räthselhaftesten und am meisten angezwei-
felten Naturerscheiiumgen nun ist die „mentale Sug-
gestion" oder „unnnttelbare Gedankenübcitragung",
d. h. eine ohne Vermittlung der Sinne (und körperlicher
( >rgane) stattfindende Uebertragung geistiger Vorgänge von
einer Person auf eine andere. Nicht nur, wenn die zweite
Person sich in Hypnose oder im Schlafzustande, von
Träumen nmfangen, befindet, sondern aucli, wenn sie
v(>llig wach ist, soll in ihr entweder auf Grund einer Vor-
stellung, welche die erste Person hat, die gleiche Vor-
stellung oder gar ein ihr entspreehemles Bild (eine Hal-
lucination) entstellen, oder sie soll durch einen blossen
Willensaet der ersten Person zu irgend einer Handlung
veranlasst werden. Ich sage: sie soll, weil ich, obgleich
ich die mentale Suggestion für möglich und sogar für
wahrscheinlich halte, doch noch nicht unzweifelhafte
Gewissheit von ihrem Dasein besitze. Es regt sich in
dieser Beziehung der nüchterne Sinn des Naturforschers
in mir, der sich hütet, neue Erscheinungen ohne vor-
Nr.
Naturwisscnscliaf'tliclie Wochenschrift.
4n
sichtige Kritik und bloss dem unklaren Aufschwünge der
Phantasie folgend anzuerkennen. Innnerhin will icli gern
eingestehen, dass ich bereits mehrere Traumerlebnisse
sowie Vorfalle des wachen Lebens zu verzeichnen habe,
die sieh im Sinne der unmittelbaren Gedankenübertragung
deuten lassen'").
Es entsteht uuu auf Grund der vorhergehenden Er-
örterungen die Frage in uns, ob sich für die Thatsachen
der mentalen Suggestion eine Erklärung finden lasse.
Giebt es eine solche, so werden die genannten That-
sachen das Frt'indartige, das sie sonst für uns an sich
haben, verlieren und uns vertraut werden; al)er wenn es
auch nicht gelingen sollte, sie begreiflich zu machen,
würde nach dem oben Auseinaudergesetztcn ihr that-
siichlichcr Werth deswegen doch noch nicht aufgehoben
werden").
In der That sehe ich nun aber eine IMöglichkeit, wie
man sich das Zustandekommen einer mentalen Suggestion
denken kann. Berücksichtigen wir nändich, dass alles
Geistige seiner Natur nach unriiumlich ist, so können wir
die vVnnalnne machen, dass es in Gestalt des menschlichen
Geistes keineswegs unbedingt an den raumerfüllenden
Körper gebunden ist, sondern über die Grenzen desselben
hinaus wirksam sein kann. Die Hauptsehwierigkeit liegt
in Wahrheit nicht in der Erklärung der Einwirkung des
Geistes auf einen fi'cmden Körper, sondern auf einen
Körper überhaupt, mag es auch der eigene sein'-).
Diesem Problem der Beeinflussung des menschlichen
Oiganisnnis durch den in ihm wohnenden (ieist wolk'U
wir uns daher zunächst zuwenden. Fassen wir es genauer,
so handelt es sich dabei um einen auf die motorischen
Nerven und die Drüsennerven ausgeübten Eiiifluss, der
von bewussten Vorstellungen (Vorstellungen des Ich) her-
rührt. Es giebt zwei Arten dieser als Innervation (im
engeren Sinne) bezeichneten Beeinflussung: eine gewollte
und eine nicht gewollte. Die erstere findet z. B. statt,
wenn ich etwas heben oder einen Schiitt tliun will, die
letztere zeigt sieh in dem Erröthen bei Schani, dem Er-
bleichen bei Schreck, dem vermehrten Spcichelfluss beim
Gedanken an Saures u. dergl., ferner in der Accomodation
des Auges und in der Athmung, die freilich zum Theil
auch in bewusster Absicht erfolgen kann''').
Wir haben es hier nur mit der (bewusst) gewollten
Innervation zu thun'^). Obgleich nun bei dem Zustande-
konnnen derselben der Anlass vom Ich gegeben wird, ist
sich dasselbe doch seiner Einwirkung auf die zuvor ge-
nannten Nerven nicht l)ewusst, und \i>r allem weiss und
verspürt es nicht, inwiefern es dicsell)en beeinflusst.
Es nniss denniaeh diese Beeinflussung unmittelbar nicht
vom (wach-bewussten) Ich, sondern von (relativ) uube-
wussten geistigen Factoren ausgehen, die wir dem
sogenannten Uuterbewusstsein zurechnen. Den Nachweis,
dass dies so ist, hat Dr. Eug. Dreher in seintT Schrift
„Drei psychophysiologische Studien" geführt. Damit ist
das Räthsel der Wechselwirkung zwischen Geist und
Materie, das seit Descartes die Köpfe der Denker be-
schäftigt und beunruhigt hat, wenn auch nicht gelöst, so
doch der L(isung um einen Schritt cntgegenführt und
jedenfalls in gewissem Sinne fasslicher gestaltet worden.
Descartes hatte das Ich mit dem ganzen Geiste (bezw.
der ganzen Seele) identiiicirt. Für ihn nmsstc die Ein-
wirkung des Geistes
was also nach seiner Anschauung
zugleich die Einwirkung des Ich hiess — auf gewisse
Nerven völlig nnfassbar sein, da doch das Ich, wie er-
wähnt, nichts davon weiss noch verspürt. Nehmen wir
nun aber ausser dem Ich (mit seinem wachen Ichbewusst-
sein) noch andere Kräfte des Geistes an, deren Gesannnt-
heit wir als Unterbewusstsein bezeichnen, durch welche
die vielfachen (relativ) unbcwussten geistigen Vorgänge
vollzogen werden, so können wir letzteren die Inner-
vation au <lie Seite stellen'").
Ebenso wie der Wille nicht immittelbar, sondern auf
dem Umwege durch das Unterbewusstsein das Nerven-
system beeinflusst, geschieht es auch seitens der blossen
Vorstellung. Es geht zunächst eine Nachricht an das
Unterbewusstsein. Hier angelangt, schwindet sie dem
Ich aus dem Gesichtskreis nnd wird von den (relativ)
unbcwussten geistigen Factoren weiter verarbeitet, und
das Nervensystem erhält von hier aus, ohne dass das Ich
dies weiss, noch Kenntniss davon hat, wie es geschieht,
Anstösse zu bestimmten Thätigkeiten.
Wenn dies nun der Fall ist, so darf es nicht als
ausgeschlossen erachtet werden, dass der Einfluss einer
Vorstellung sieh vom Fnterbewusstsein aus auch auf ein
fremdes Nervensystem erstreckt, das dem eigenen sym-
pathisch ist. Auf die räundiche Trennung dieses frem-
den Nervensystems von dem Sitze des wirksamen Unter-
bewusstseins kommt es dabei nicht an, wie schon erwähnt"').
Wohl aber könnte der Einwand geltend gemacht werden,
dass zur Einwirkung des Unterbewnsstseins auf ein iVem-
des Nervensystem doch eine innigere materielle Verbin-
dung desselben mit dem eigenen von Nothen ist. Diesem
Einwände begegnet die Gustav Jäger'sche Theorie, nach
welcher ein materieller Wechselverkehr zwischen zwei
verschiedenen Nervensystemen durcii die von dem einen
ausgehenden Lebensstoffe stattflndet, infolge dessen das
andere von jenem beeinflusst wird. Es ist zwar eine
gegenseitige Beeinflussung \orhauden, aber das eine
Nervensystem, der eine Organismus überhaupt spielt doch
eine gewisse Herrscherrolle. — Man ki'nmte übrigens auch
ohne die Annahme einer materiellen Vermittlung aus-
konmien, indem man der Ansicht Raum gäbe, dass eine
wahrhaftige geistige Fernwirkung stattzuflnden vermag,
infolge deren ein fremdes symi)athisches Nervensystem
oder wahrscheinlicher zunächst das der gleichen Person
angehörende Unterbewusstsein in Mitleidenschaft ge-
zogen wird — ähnlich wie bei dem bekannten Phänomen
des Mittönens ein angeschlagener musikalischer Ton
einer Saite eine gleichgestinnnte Saite zum Mitschwingen
l)rini;-t.
Anmerkungen zu dem vorstehenden Aufsatz des Herrn Dr. Jordan.
Von Dr. M. Klein.
') Woher weiss Herr Dr. J. dies? Eine Erscheinung
erklären, heisst dieselbe auf andere uns bekannte, von
uns „begriffene'- Thatsachen zurückfuhren, sie unter be-
kannte (iesetze, bezw. Begritt'e subsumiren. Und wes-
halb sollte dies Subsumiren, dies Zurückfuhren, dies
„Begreifen" nicht einst auch bei IMiatsachen UKiglich sein,
die heute manchem, vielen oder allen als „unbegreiflich"
erscheinen? — Dr. J. verfällt in dassellje Dogma, wie
Du Bois-Reymond mit seinem bekannten „Ignorabimus",
das aus nicht ganz klaren Vorstellungen über das Wesen
unseres Begreif'ens und Erkcnnens und die demscllien ent-
sprechende .\ufgabe der Wissenschaft hervorgegangen ist.
Letztere hat unseres Erachtens nicht im mintlesten den
Zweck, uns eine sog. absolute Wahrheit und Erkenntniss
zu verschaffen, wie die speculativen Forscher wollen,
sondern soll im Interesse unseres Erhaltungskampfes, also
aus durchaus i)raktischem Gesichtspuiditc, die Thatsachen
möglichst vollständig mit dem gering.sten Gedaukenauf-
46
Naturwissenschaftliche Woclienschritt.
Nr. 5.
wände und in einer unserem Erhaltuugsstreben möglichst
nützlichen, für uns im Leben uKiglichst branchbaren und
fruclitbaren und darum auch haltl)aren Weise darstellen.
(Vergl. hierzu die Schriften von Richard Avenarius „Kritik
der reinen Erfahrung-" und „l>er menschliche AVcltbegrifl'-,
Ernst Mach, „Analyse der Emptindungen'- und „Die
Mechanik in ihrer Entwicklung", ferner den Aufsatz „lieber
die Entstehung der Denkfrirmeu" von Dr. H. Potonie in
dieser Zeitschrift 1891, Nr. 15, und meine binnen Kurzem
im Verlage von Ferd. Dümmler erscheinenden „Grundzüge
der Psychologie".)
-) Wer macht diese Erfahrung (nicht etwa, wie man
meinen sollte, von einem innigen Zusanmicnhangc, son-
dern) von einer „innigen Wechselwirkung " zwischen
Materie und Geist? Doch wohl nur Theologen, Meta-
physikcr und Mystiker, die ja auch manchmal „Natur-
forscher" sein mögen. Im übrigen ist die freie Erfahrungs-
Wissenschaft und Forschung, unbekünmiert um Sonder-
wttnsclie, in Verfolgung des Hauptzieles aller Wissenschaft
auf der Bahn der Vereinfachung ihres Welt-Denkens ülicr
den Dualismus hinweggeschritten und bekennt sich zu
jener Hypothese, die die in Anm. 1 bezeichneten Aufgaben
der Wissenschaft am besten erfüllt, nämlich zu der An-
sicht, dass geistige und körperliche Vorgänge nur zwei
iSeiten eines und desselben Processes sind, dass also gc-
wisscrmaasscu ein Parallelismns zwischen beiden Arten
von Vorgängen statt hat. Xon einer ja in der That völlig
unbegreiflichen und die Sache nur verwickelnden und
verdunkelnden Wechselwirkung kann bei Annahme dieser
Ansicht natürlich nicht die Rede sein, sondern nur von
einer Functionalbeziehung zwischen beiden (im mathe-
matischen Sinne des Worts): mit dem Sicliändcrn des
Geliirnprocesses treten gleichzeitig (nicht etwa darauf,
also etwa verursacht) auch Aenderungcn der eventuell
vorhandenen seelischen Thatsachen ein, und umgekehrt.
Diese Ansicht stinmit mit allen Erfahrungsthatsachen über-
cin, insbesondere auch mit dem Gesetze von der Erhal-
tung der Energie (das durch Annalnne der Wechselwirkung-
aufgehoben wird), und erklärt am besten die S(nist (bei
dualistischen, spiritualistischen und materialistischen An-
sichten) vorhandenen Dunkelheiten (z. B. bzgl. der Zeu-
gung, des „Instinctes", der Abnormitäten, mancher Vor-
gänge in Kranklicitszuständen u. s. w.). Sie ist an Ein-
i'achlieit und Brauchbarkeit — und darauf kommt es ja
an! — insbesondere der dualistischen Weclist'lwirkungs-
Hypothese, die aus den Schwierigkeiten und Dunkelheiten
nicht herauskonnnt und im fundamentalen Gegensatze
zum Gesetze von der Erhaltung der Energie steht (da
zwisclicn materielle Vorgänge etwas „Geistiges" einge-
schoben wird) weitaus überlegen. -— Jedenfalls ist es aber
keine fortwährend gemachte Erfahrung, dass eine„A\'echsel-
wirkung" zwischen körperlichen und geistigen Vorgängen
statt hat, sondern wir wissen nur von einem sehr innigen
Zusammenhange, einem sehr innigen In-Bezichung-stehen
beider Vorgangs -Reihen, das eben am besten durch die
Parallelismus -Hypothese erklärt wird.
ä) Der Vorgang ist vielmehr der, dass von den Reizen
der „Aussenwelt" Veränderungen in den peri})herischcn
Nervenorganen hervorgerufen werden, die sich durch die
sensiblen Nerven hindurch zum Gehirn fortpHanzen und
hier — vorausgesetzt, dass die Reize genügend stark
und difterent waren — von Wahrnehmungen oder
„Bewusstseinsvorgängen" („Abhebungen" würde ich nnt
Richard Avenarius lieber sagen!) begleitet sind. — Die
Witrter „Empfindungen" und „Bewusstsein" rufen den
Schein hervor, als ob die erfolgten Wahrnehmungen etwas
subjektives, also ..in meinem Kopfe" seien, während die
wahigenonnnenen Sachen „draussen" wären. Das ist
aber vom Standpunkte des Erfahrungsphilosophen aus
unbedingt zu bestreiten. Die „Wahrnehmungen" sind von
den „wahrgenommenen Sachen" keineswegs verschieden,
■\ielmchr decken sich beide Ausdrücke. Die Wahrneh-
nningen sind nicht in meinem Kopfe, sondern theilen
mit demselben nur dasselbe räumliche Feld: sie sind
eben die Sachen da „draussen", die als „Reize" aufge-
treten sind.
*) „Entschluss" und „Willcns-Fcstsetzungcn" (ein
etwas sonderbarer Ausdruck!) sind ebenfalls Begleiter-
scheinungen von Hirnvorgängen, welche Hirn Vorgänge so
beschaffen sind, dass sie Veränderungen in den motorischen
Nerven nach sich ziehen.
°) Nicht nur die Materialisten , sondern auch die
Monisten, Positivisten und die empiriokritisehe Richtung
(Richard Avenarius, Ernst Mach u. s. w.) meinen mit der
„Parallelismus-Hypnthese" den Zusammenhang von Leib
und „Seele" ganz leidlich erklärt zu haben. Die mate-
rialistische Ansicht, nach der die seelischen Vor-
gänge ein Erzeugniss von Nervenvorgängen sind, ist aller-
dings wegen der Uukörperlichkeit jener zu verwerfen.
Verhielten sich die Gedanken wirklich zum Gehirn so,
wie der Urin zu den Nieren, d. li. wären jene ein körper-
liches Absonderungserzeugniss des Gehirns, dann in der
That böte der Materialismus die einfachste Erklärung
der bezgl. Vorgänge. Wegen der tiefgehenden Ver-
schiedenheit körperlicher und seelischer Vorgänge, welche
letzteren sich docli niclit in den allgemeinen Kausalzu-
sammenhang der materiellen Welt einreihen lassen, ist
die materialistische Hypothese abzulehnen und die Paral-
Iclismus-Hyiiotiiese vorzuziehen. Letztere leistet alles,
was man billiger Weise verlangen kann. Allerdings muss
das in Rede stellende „Problem" auch richtig, d. h. klar
und den Erfahrungsthatsachen entsprechend gefasst sein,
und nicht so, wie es dem Geschmacke mancher „Gläu-
bigen" (allerdings nicht dem der im Texte erwähnten)
entspricht.
'') Dass die Zenonischen Beweise der AVirklich-
keit der Bewegung nichts anhaben können, erkennt ja
Dr. J. an. In der That: mittelst einer Denkoperation
etwas tliatsächlich Vorhandenes zu einem Niclitvor-
handenen zu maciien, ist noch Niemandem gelungen.
Die Bewegung ist eine Erfahrnngs-Thatsache und — das
genügt! Keine Denkoperation kann eine Thatsache aus
der Welt schaffen. Wenn uns nun die Zenonischen Be-
weise auch nicht zu beunruhigen vermögen, weil wir uns
von vornherein sagen, dass schon irgendwo in den Beweisen
ein gut Stück Spitzfindigkeit stecken wird, so ist es doch
anderseits sicher nicht ohne Interesse, diese Spitzfindig-
keit aufzudecken. Der täuschende Schein wird in dem
von Dr. J. zunächst angeführten Beweise „Achilles und
die Schildkröte" dadurch hervorgerufen, dass der
Schein erweckt wird, als ob die Sunnnc der Weg-Theile
eine unendliche Grösse ergebe, während doch tliatsächlich
nur die Zahl der Theile eine unendbche, ihre Grösse da-
gegen eine durchaus begrenzte, endliche ist. Der Versuch
diese unendliche Zahl von Abschnitten einzeln sinnlich
darzustellen und zwar jeden durch ein endliches Stück,
ergiebt das Resultat, dass diese Stücke zuletzt alle nahezu
oder vielmehr ganz gleich werden, weil sich die weitere
„Theiluug" sonst nicht mehr sinnlich darstellen Hesse. AVenn
eine solche sinnliche Darstellung richtig wäre, dann aller-
dings wäre schwer begreifiich, wie die Summe aller jener
Raumabsehnitte, die ja nun eine unendliche Grösse bilden
würden, durchlaufen werden könnte. Jene sinnliche Dar-
stellung ist aber eben falsch, weil sieh eine solche über-
haupt nur bis zu einem gewissen Punkte geben lässt.
Eine endliche Raumgrösse aber, möge die Zahl ihrer
Nr. 5.
Naturwissenspbaftlielic Woclicnscbrift.
47
Tlieile auch cJ" sein, wird — unser Denken wird es be-
stätigen — stets durcbschritteu werden können. Zeno be-
weist überdies zu wenig, wie das Ueberweg in seiner Logik
(4. Aufl. S. 419 f) so klar (Lirgelegt bat. Wenn die
beiden Gescinvindigkoiten sieh wie ii : 1 verhalten, wird
i\iiieriialb der folgeiKk'n Reibe von Zeit- um! Weg-Tlieilen
kein Kiidiiden stattfinden:
1
IH 1--.5+-.
1
in infin.
1
n n- rr u*
Hierbei ist der urspriingiielie Abstand als Längen-
einiieit und die Zeit, in der der sebneUere Körper dieselbe
durchniis.st, als Zeiteiniieit angeseiien. Innerhalb dieser
Reibe wird in der That der schnellere Körper den lang
saraen nicht einholen (erreicht doch in der That die Reilie
nie den von uns leicht zu berechnenden Einli(dungsort!)
und die Weglassung des Vorbehaltes „iinierbalb dieser
Reihe" ist der Trug, der in diesem Zenoniscbcn Beweise
steckt.
■") Weshalb ein K('irpcr, wie der zweite von Dr. J.
angeführte Zenoniscbe Beweis behauptet, nicht vom
Flecken ki mimen soll, weil der zu durebschreiteiule Kaum
in Gedanken unendlich oft getheilt werden kann (eben in
Gedanken und zwar nur in Gedanken!), ist uns unerfind-
lich! Wie oft der bezügliche Raum in Wirklichkeit auch
getheilt werden mag, seine Tbeile Jtleiben hier doch end-
liche Theile und jeder endliche Raumtbeil ist auch dem
Urtheil unseres Denkens gemäss durchsehreitljar. Es wird
hier wiederum der Schein hervorzurufen gesucht, als ob
der endliche Raum dadurch, dass er in Gedanken un-
endlich oft getheilt werden kann, in Wirklichkeit etwas
Unendliches, und zwar in diesem Falle ein unendlich oft
vorhandenes unendlich Kleines, würde. Das ist aber nicht
der Fall. Unser endlicher Raum bleibt endlich, mag man
ihn in Gedanken zerlegen, so oft man will. Der Unendlich-
keitsljegrift ist wie alle Begriffe ein Erzeugniss des Men-
sehen, bestimmt, ihm (dem Menschen) praktisch zu dienen,
ihm im Daseinskampfe zu nützen. Thut er das nicht, so
muss er — in seiner unklaren Fassung — verworfen werden.
Der Unendlicbkeitsbegritf bildet keine Thatsachc in Ge-
danken nach, sondern sein klargedaehter Inhalt ist nur
ein rein negativer: die Verneinung eines Thatsächlicben,
nämlich der Endlichkeit, der Begrenztheit, der Schranken.
In Wirklichkeit giebt es nirgendwo einen unendlichen
Iiaum (sei es einen unendlich grossen oder unendlich
kleinen), wie es auch keine unendliche Zeit giebt. Unsere
Erfahrung, d. b. unsere Wahrnelnnungen zeigen uns stets
nur begrenzte Räume und Zeiten! Wie wir selber „be-
grenzt", „endlich" sind, so ist auch alles, was wir wahr-
nehmen, „endlich", „begrenzt". Der Raum der Wirklich-
keit, der Raum unserer Wahrnehmung lässt sich nicht in
ausdehnuugslose Punkte zerlegen, wie es der obige
Zenoniscbe Beweis will. Für den, der diesen Funkt fest-
hält und sich dannt von den unklaren Unendlichkeits-
Vorstellungen fern hält, bietet der Zenoniscbe „Beweis"
keine Schwierigkeit.
8) Dem dritten Zenoniscbcn Beweise („Der
fliegende Pfeil ruht") liegt der Gedanke zu Grunde, dass
eine Bewegung in einem ausdebnungslosen Punkte der
Flugbahn nicht zu denken ist. Ganz recht! Wenn man
den ausgedehnten Raum in ausdehnungslose Punkte zer-
legt, d. b. den Raum zu einem Unraum macht, dann kann
man auch alles Mögliche folgern. Es ist dersellie Fehler,
wie früher, dass aller Wirklichkeit (die uns stets nur
einen ausgedehnten Raum, aber nie einen unausgedehnten,
d. b. unräumlichen Raum zeigt) zum Trotz die Zerlegung
des Raumes in unausgedehnte Puids.te vorgenonnnen wird.
Wer sich strenj;- an die Erfahrung, d. h. an das Ge-
gebene, die Wirklichkeit hält, wird vor solchen fehler-
haften Spekulationen bewahrt bleiben.
'•) Warum Herr Dr. .1. nur die Materialisten für
Gegner seiner Anschauungen hältV Oder soll der .\us-
druQk etwa ein Sammelname für alle seir.e Gegner
sein? — Auf die Zukunft brauchen wir bezgl. der Zenoui-
s(;ben Beweise, wie ich oben bewiesen zu haben hoffe,
nicht im mindesten zu vertrösten. — Was die Bemerkung
anbetrirt't, dass man eine ..wunderl)are Ers(,dieinung" doch
nicht deshalb bestreiten dürfe, weil sie „wunderbar"
sei, so ist das ohne Weiteres zuzugehen, wofern damit
nichts anderes gesagt sein soll, als dass eine Tbatsaehe,
die wir augenblicklich noch nicht begreifen, d. b. nogh
ni(;bt auf Bekanntes zurückführen und unter Bekanntes
subsumiren können, doch aber eine Thatsachc ist und als
solche anerkannt werden muss. Sicher! Alier wir
möchten doch bitten, den P.egriff des Tbatsäcblicben nicht
soweit auszudehnen, dass man auch die ganz individuellen
„Erfahrungen", die von den meisten Nel)euraenschen nicht
gemacht und von Vielen — und nicht den Ungebildetsten
— als in Widerspruch mit fundamentalen Naturgesetzen
stehend erachtet werden, als Thatsacben anerkannt sehen
wilL Für jene Einzelnen möigen es „Thatsacben" sein, das
soll ihnen unbenommen bleiben: aber uns andern gestatte
man, jene „Thatsacben" zu bestreiten, solange sie für uns
keine Erfahrung geworden sind und unsere Naturanscbau-
ung diesell)e geblielten ist.
1") Wir treffen in der Natur geistige Vorgänge
stets an materielle Vorgänge gebunden. Ohne körperliche
Begleitvorgänge sind die geistigen Vorgänge noch nie
von Seiten der Erfahrungs-Wissenschaft (der Glaube geht
uns hier nichts an!) beoljacbtet W(u-den, Eine „unndttel-
bare" Gedankenübertragung, d. h. eine solche ohne
körperliche Begleitvorgänge, widerspricht dieser Funda-
mentalthatsache aufs Schroffste und muss deshalb den
schärfsten Widerspruch jedes „nUcbternen" Naturforschers
hervorrufen! Soll eine „geistige Einwirkung", eine Ge-
dankenübertragung eines Älenschen auf einen andern er-
folgen, so ist eine solche nur denkbar, wenn der
andere die betreffenden Gedanken, d. h. also die die-
selben ausdrückenden Bewegungen (Worte, Mienen, Blicke
u. s. w.) wahrnimmt. Ohne Wabrnehnumg des Andern
können unsere Gedanken auch nicht demselben eingeflösst
werden. Bezgl. Bewegungen unsrerseits, die unsere Ge-
danken ausdrücken oder wenigstens doch „verrathen",
und Wahrnehmung der bezgl. Bewegungen seitens des
Andern siud die Grundbedingungen der Gedankenüber-
tragung! — Dass die Traumerlebnisse u. s. w. des Herrn
Dr. J., die „sich im Sinne der unmittelbaren Gedanken-
übertragung deuten lassen", kein genügender Beweis für
letztere sind, brauche ich wohl kaum noch ausdrücklich
zu bemerken.
1') Im vorhergehenden Absätze war die mentale
Suggestion nur als wahrscheinlich bezeichnet. In diesem
wird sie schon als Thatsachc behandelt und soll nun
— obwohl ihre Tbatsächlirbkeit noch nicht bewiesen
ist — begreiflich gemaclit werden und wird ihr auch bei
etwaiger Uubegreiflicbkeit ein „thatsäcblicher Wert" zu-
gesehrieben !
1-) Wie daraus, dass das Geistige unräumlich ist,
folgen soll, dass es auch ohne Körper vorkonmien
könne, sehe ich meinerseits nicht ein. Die geistigen Vor-
gänge sind unbedingt an Ner\ envorgänge gebunden.
Nirgendwo treten uns in den Erfahrungen jene ohne
letztere entgegen! Die Annahme des Dr. Jordan ist durch-
aus unberechtigt! — Dass der „Geist" über die Grenzen
„seines" Kiirpers hinaus wirksam sein kann, braucht nicht
bewiesen zu werden, denn das ist — körperlicbe Ver-
48
Naturwissenscliaftliclie Wochenschrift.
Nr. .5.
mittehing- vorausgesetzt
Thatsache. Genau so gut, wie
unser Körper auf die Anssenwelt einwirken kann, kann
es der „Geist" : nämlich gleichzeitig. Wir Menschen zer-
fallen nicht in zwei verschiedene Wesen: ein geistiges
und ein körperliches, sondern wir sind eine untrennhare
Einheit, ein geistig -kör})erliches System. Die geistigen
und die körperlichen Vorgänge sind nur (wie in Anm. 2
von mir bereits ausgeführt wurde) zwei Seiten eines und
desselben Vorganges. Und damit fällt auch die „Haupt-
schwierigkeit", die von Dr. .Jordan angenommene Ein-
wirkung des Geistigen auf Körperliches, fort. Solche
Einwirkung gibt es für uns gar nicht, weil unsere einfache
Hj'piithese vom „Parallelisnius" der geistigen und körper-
lichen Vorgänge die verwickelte, widerspruchsvolle und
mit der Wirklichkeit unvereinbare dualistische Hypothese,
wie sie Dr. .Jordan vertritt, und damit auch die Ansieht
von der in der That ganz unmöglichen Wechselwirkung
zwischen Körperlichem und Geistigem, beseitigt. Das
Einfachste und Brauchbarste ist das Wahrste!
^^) Die als „gewollte" und
,niehtgewollte" be-
zeichneten zwei Arten von „ Jjecinflussungen" sind fiu-
uns die durch l'rocesse im t'entralNervensystem veran-
lassten Vorgänge in den motorischen und sekretorischen
Nerven, die das eine Mal mit .Jlewusstscin", das andere
Mal ohne solches verlaufen. Von einem „Willen", als
besonderem „Vermögen", können wir von unserem Stand-
punkte aus natürlich nicht reden.
^*) Giebt es denn auch noch eine unbewusst gewollte
Innervation'? Wir dächten, dass da, wo „Wille" vorhanden
ist, auch immer Bewusstsein vorhanden sei!
'") Das „Ich" ist nach unserer Ansicht ein Komplex
von Gedanken, Gefühlen und (wahrgenonnnenen) Sachen
(Rumpf, Gliedmassen, Sprache, Jjewegungen u. s. w.), also
nicht etwa eine geistige „Wesenheit", für die sich nicht
der mindeste Nachweis bringen lässt. — Dass bei jenen
von Bewusstsein begleiteten Nervervorgängen . die man
als Willensrcgungen bezeichnet, nicht sänuntliehc Abschnitte
der bzgl. Hirnvorgänge von Bewusstsein begleitet sind,
stimmt. Das, was Dr. J. als „Unterbewusstsein" be-
zeichnet, besteht eben iu Hirnvorgängen, die ohne oder fast
ohne Bewusstsein verlaufen. Die von Dr. J. entwickelte Idee
eines geistigen Unbewusstseins ist völlig mystisch und den
wirklichen Sachverhalt nur verdunkelnd und wahrhaftig
nicht eiufach und erst recht nicht brauchbar, auch nicht
zu dem Zwecke, zu dem sie Dr. J. verwenden will, zur
Erklärung der von ihm angenonnnenen Einwirkung des
Geistigen auf Körperliches. Denn „(Jeist" bleibt „Geist",
auch wenn er „geistiges Unterbewusstsein" genannt wird.
Die alte „Hauptschwierigkeit" des Dr. J. und aller Dua-
listen bleibt also nach wie vor bestehen. — Hazu kommt
noch, dass von „relativ unbcwussten geistigen Vorgängen"
reden, genau so klingt, wie wenn Jemand von „relativ
hölzernem Eisen" sprechen würde. Die gemeinten \'orgänge
sind die vorher bezeichneten Hirnprocesse, die theils von
keinem, theils von äusserst geringem Bewusstsein begleitet
sind. — Die Verwickeltheit und Dunkelheit der ganzen
Hypothese spricht übrigens selber deutlich genug gegen
dieselbe.
^''') Sicher kommt es darauf an, ob, naclnlcm vorher
schon genügend unwahrscheinliche Annahmen gemacht
sind, nun noch eine zehnfach unwahrscheinlichere
hinzugefügt wird. Die Spur eines Beweises für die neue
Annahme haben wir leider nicht zu entdecken vermocht.
Auf die noch folgenden Bemerkungen Dr. J.'s brauchen
wir wohl nicht nälier einzugehen. Dr. J. schwächt zu-
nächst seine eben erwähnte Annahme ab, indem er mit
Hilfe der (übrigens durchaus nicht genügend geklärten
und wissenschaftlich begründeten) Ideen Jäger's zwischen
den beiden Nervensystemen eine materielle Brücke zu
bauen sucht, um dann aber, zu seinem obigen Gedanken-
gange zurückkehrend, zu behaupten, dass man „übrigens
auch (dnie die Annahme einer materiellen Vermittelung
auskonnnen krmnte", wobei er dann noch einen falschen
Vi'rgleieh mit dem l'hänomen des Mittöuens macht. —
Dieser Vergleich erinnert uns übrigens in seiner ver-
unglückten Erläuterung geistiger Vorgänge durch ganz
anderartige kr)rperliehe \ orgänge an den eben so falschen
Vergleich des Materialisten Karl Vogt, in dem er die Ge-
danken als „Absonderiuigen" des Gehirnes mit Urin und
Galle als Absonderungen von Nieren und Leber verglich.
Der Komet Holmes soll nach einer neueren Berech-
nung des Herrn V. CeruUi in Rom eine Undaufszeit von
nur 6 .Jahren IOV2 Monaten haben. Obgleich dies Er-
gebniss der Rechnung nur wenig von der Wirklichkeit
sieh entfernen dürfte, so scheint doch nur wenig Wahr-
schi'inlichkeit vorhanden, dass der Komet je wieder ge-
sehen wird. Denn nach einer Photographie, die Herr
Deslandres am 21. Novemljer mit einer Expositionszeit
von 40 Minuten von diesem Kometen erhalten hat, zeigte
derselbe schon damals deutlich eine beginnende Theilung.
Das Auftreten der letzteren fällt übrigens zusammen mit
der um jene Zeit ul)erall constatirtcn Helligkeitsabnahme
des Kometen. Von demselben Himmelskörper legte Herr
Ti SS er and, Director der Pariser Sternwarte, eine acht
Tage früher aufgenommene Photographie vor, welche die
Brüder Henry hergestellt haben. Auf dieser Platte zeigt
die Coma einen scharf begrenzten, nahezu kreisförmigen
Unn-iss. Der Kern war hell, exeentriseh orientirt und
etwas elliptisch. Die Helligkeit desselben hinderte in-
dessen nicht, einige hinter dem Kern stehende Sterne zu
sehen. An einer Stelle dehnt sieh der Kern bis zur
Grenze der Coma aus; ein Sehweif ist indessen nicht
wahrzunehmen.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Die Botaniker Oberlehrer Dr. F. Kraenz-
lin und Dr. P. Sorauer, Leiter der pftanzenphvsiolosischi'n
Versuelisstation in Proskau zu Pi-ofessoren. — Dr. Andreas
Fioni zum Assistenten am König!, botanisehen Garten zu Padua.
— Prof. Antonio Borzi zum ordentlichen Professor der Botanik
und Director des Botanischen Gartens zu Palermo. — Prof. Dr.
Fausto Mori zum ausserordentlichen Professor der Botanik an
dir Universität Catania. — Prof. J. ß. Farmer zum Professor
der Botanik an das University-College in London. — Der Bota-
niker Prof. Dr. D. H. Scott von dem University-College in
London ist an die botanischen Anstalten nach Kew versetzt worden.
TJeber die Feier zu Pasteur's siebzigstem Gebuitstag in
Paris am 27. December 1892 lierichten Prof. Metschnikoff
und Dr. Loe av inli org in Paris in der „Berl. Klin. Wochi'uschr."
Die grosse Bedeutung Pasteur's zeigt .sich auf das Schlagendste
schon in seinen ersten Arbeiten, deren ausserordentliche Trag-
weite zu erkennen erst späteren Jahren vorbehalten war. Dies
war der Fall mit seinen ersten Untersuchungen über die optischen
Eigenschaften der weinsauren Doppelsalze. Er fand . dass die
wässrigen Lösungen derselben den polarisirten Lichtstrahl ver-
schieden brechen, und dass die optisch wirksamen Salze in solche
getrennt werden köinien, von denen die einen rechts-, die anderi'u
linksbrechend sind. Diese Entdeckung führte Pasteur zur Auf-
stellung seiner Theorie der moleculären Dissymetrie, au deren
weiterem Ausbau er nur dadurch gehindert wurde , dass er sich
der Bearbeitung anderer Probleme widmen musste. Allein die
gute Saat blieb nicht unfruchtbar. Dreissig Jahre später er-
Nr. fj.
Natnrwissensehaftlichc Wochensclirift.
40
biiuteu auf den Entdeckunficn l'iistcm-'s L('-Bel und Vant'llof
ihre Lehvn vom asymmotriscluni Kolilenstott' und von der moli'Cu-
lären Asvuinieti'io. Bekanntlicli bildet dietio Theorie heute, nach
hiugon Kiun]ifi'u, die Grundlehro der modernen chomisehen
Structurlehrc.
Drs Weiteren ist an die epochomachendeu Arbeiten Pasteur's
über Giilirung, Generatin aequivoca etc. zu erinnern. Es sei nur
hcrvorgidiobeu, wi'lelie immense Tragwciti' der selion 1857 gi>-
muchtcn Entdeckung Pasteur's über die Verursacduing der Milch-
siUiregährung durch niedere Organismen innewohnte. Sie enthüllte
einerseits dii' bedeutungsvolle Thatsaehe, dass Gährungen stets
durch Organismen hervorgerufen werden, und andererseits, dass
es ausser den Hefppilzen noch ganz anders geartete Lebewesen
giebt, welche chemische Zersetzungen hervorrufen.
Noch greifbarer trat die Wirksamkeit dieser Organismen zu
Tage, als Pasteur im Jahre 1861 als Urheber der Buttersiiure-
gährung ein viel voluminöseres und in der Form schon viel all-
gemeiner bekanntes Wesen, — ein Stäbchen entileckte. Damit
war es zum ersten Male festgestellt, dass derartige Organismen im
Stande sind, wichtige und ganz speciell chemische Umsetzungen
hervorzurufen. Diese Entdeckung fidirte unter Anderem zu der
Ei-kenntniss von der ätiologischen Bedeutung ganz ähnlicher
Stäbchen, wie sie andere ausgezeichnete Forscher schon früher
im Milzbrandblnte gesehen hatten, ohne jedoch ihre Tragweite zu
erkennen.
Diese und andere Forschungen auf dem Gebic't(.' d<>r Gährungs-
lehre, sowie der damit eng verknüpfte experimentelle Nachweis
von der Unhaltbarkeit der althergebrachten Annahme einer
Generatio spontanea, bilden die Grundsteine des Baues, auf dem
ein grosser Theil der reinen und angewandten Biologie (inel. der
Medicin) ruht. Die Erkenntniss der allgemeinen Verbreitung der
mit blossem Auge unsichtbaren K(Hme, fidirte Pasteur zu den
scharfsinnigsten Methoden, sich ihrer zu erwi-hren und bildete
somit die Grundlage der modernen Antise])sis und Asepsis in der
Chirurgie und Medicin, die durch geniale Nachfolger, vor Allem
durch Sir Joseph Lister, bis ins Detail ausgearbeitet worden ist.
Die Methode der künstlichen Züchtung vieler Mikroorganis-
men, die Entdeckung der so bedeutsamen Fähigkeit, ohne atmo-
sphärischen Sauerstoff zu leben etc., bildeten die weiteren Grund-
steine der modernen Mikrobiologie.
Die allgemein bekannten Entdeckungen Pasteur's über die
Krankheiten der Seidenraupe (Prebrine und Flacherie) und das
durch Bacterien erzeugte Verderben des Weines und des Bieres
führten Pasteur zur Aufstellung ])raktisch so höchst wichtiger
Methoden, die für den Wohlstand der Völker so bedeutungsvollen
Industrieen zu schützen. Sie bildeten gleichzeitig eine wissen-
schaftliche Grundlage für seine s])äteren Untersuchungen betreifs
der Krankheiten der höheren Thiere und des Menschen. So die
bekannten Arbeiten über die Bacterien, die Alischwächung ihrer
Virulenz und die Möglichkeit, dadurch künstliche Immunität einer
ganzen Reihe von Infectionskrankheiten gegenüber zu verleihen
(Hühnercliolera. Milzbrand, Schweinerothlauf etc.). Diese Studien
haben der wissenschaftlichen Forschung und deren praktischer
Verwerthuug ein Feld eröffnet, dessen Ausdehnung noch nicht ab-
zusehen ist.
Nur nach einer solchen grossartigen Vergangenheit und ge-
tragen von dem Bewusstsein, die Biologie und die Medicin umge-
staltet zu haben, konnte ein Forscher den Muth fas.sen, einer der
entsetzlichsten Geissein der Menschheit, der Hundswuth, activ
entgeg<'nzutreten. Die Schwierigkeiten der Aufgabe waren um
so bedeutender, als es gerade hier nicht gelang, ein zu Grunde
liegeudrs Microbion zu entdecken. Hier nuissten andere Wege
der Forschung eingeschlagen werden als die, die bisher so gross-
artige R(>sultate geliefert hatten.
Fassen wir nun alle diese grossartigon Leistungen zusammen
und fragen wir uns, wie es einem Menschen vergönnt war, so
viele und so grosse Probleme zu lösen, so liegt die Erklärung
dafür ausser in dem ungewöhnlichen Genie dieses grossen Mannes
in seinen hervorragenden Charaktereigenschaften. Eine ausser-
ordentliche Arbeitskraft, gepaart mit dem nimmer rastenden
Drange, die Wahrheit ans Licht zu bringen; ein fleckenloser
Charakter und die Energie, mit welcher er Decennien lang den
hartnäckigsten Widerstand gegenüber seineu Entdeckungi'ii ver-
theidigti.', haben es ihm ermöglicht, noch bis ins späte Alter so
Grosses zu leisten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass
Pasteur es verstanden hat, bedeuti-nde Männer zu seinen Schülern
zu machen vnid gemeinsam mit ihnen dem grossen Ziele nachzu-
streben. Nennen wir unter diesen vor Allem den unvergesslichen,
zu früh verstorbenen Thuillier, sowie von den Lebenden Duelaux,
Gayon, Eaulin, Joubert und von jüngeren, noch jetzt neben ihm
wirkenden Roux und Chauiberland.
Die Feier des Pasteur'schen Jubiläums war der Bedeutung
des Gelehrten und der VortrefTlichkeit seines Charakters würdig.
Die höchsten Würdenträger des Staates waren zugegen , inmitten
der Estrade der Präsident der Republik. Neben ihm sasson die
Herren d'Abbaxlie, Präsident der Akademie der Wissenschaft, Le
Royer, Präsident des Senats, il^r Ministeriiräsident Ribot und die
Mitglieder des diploiiiati.schen Corps. Links von Herrn Carnot
nahmen Platz die Herren: .foseph Bertrand, Secretairo perpetuel
der Akademie der Wissenschaft, Flo(|uot, Präsident der Deputirten-
kammer, Charles Dupuy, Unterrichtsminister, und sämmtliclie
übrigen Minister. Hinter dic'sen hohen \\'ürdenträgern sassen die
Delegirten der fünf Klassen des „Institut ile France" (Academic
franQaise etc.), der Academie de me<licine und mehrerer aus-
ländischer gelehrter Gesellschafton, Greard, Vicerector d<'r Aca-
demie de Paris, die Decanc der Facultäten, die' Präsidenten des
obersten Gerichtshofs etc. etc.
Das prachtvolle grosse Amphitheater der neuen Sorbonne,
in dem die Feier stattfand und welches über 2000 Personen fasst,
war vollkommen besetzt.
Als Herr Carnot, Pasteur am Arme führend, den Saal be-
trat, erscholl brausender, nicht endenwcdlender Beifall. Beide
sind im Frack und tragen das rothe Band vom Grosskreuz der
Ehrenlegion.
Zuerst ergrift' das Wort der Unterrichtsminister Cli. Dupuy
und pries in schwungvoller Rede ilie Verdien.ste des Jubilars. Ihm
folgte Herr d'Abbadie, Präsident der Akademie der Wissenschaften,
der Pasteur die aus internationalen Beiträgen angeschaffte grosse
goldene Medaille überreichte. Joseph Bertrand beglückwünschte
nun den Jubilar im NanuMi der Akademie der Wissenschaften und
des Instituts Pasteur. Daubree, gleichfalls Akademiker, erinnert
im Namen der raineralogischen Section der Akademie der Wissen-
schaften daran, dass Pasteur seine erst(Mi Entdeckungen in der
Mineralogie gemacht hat und dieser Wissenschaft seinen Eintritt
in das Institut de Fran<'.e verdankt. Nun erhebt sich, von jubeln-
dem Beifallszuruf begrüsst, Sir Joseph Lister und übergiebt
Pasteur eine Zuschrift der Royal Society. Seine Entdeckungen und
ihre Verwerthung für Medicin und "Chirurgie kurz beridirend,
dankt er im Namen dieser Wissenschaften und wendet auf (h'U
Jubilar das alte Dichterwort an:
„Felix qui potuit rerum cognoscere causas!"
Nach ihm beglückwünscht der bekannte greise Pädiater
Bergeron Pasteur im Namen der Academie de Medecine. Saufen,
Präsident des Pariser Municipalraths, übergiebt im Auftrage des
letzteren eine Gratulationsadresse. Nun verliest Herr Bertrand
die lange Liste der französischen und ausländischen gelehrten
Gesellschaften, die Gratulationsscliriften eingesandt haben, in
alphabetischer Ordnung. Die Delegirten der Gesellschaften über-
geben die Adressen in dieser Reihenfolge Pasteur, der sie auf
dem Tische vor sich niederlegt, wo sie schliesslich eine imposante
Masse bilden. Die Namen Berlin, Köln und Posen u. a. werden
lebhaft beklatscht. Unter den Adressen befindet sich auch eine
vom Pariser medicinischen Professoren-Collegium, überreicht vom
Dekan Prof. Brouardel. Darauf folgt eine rührende Ansprache
des Bürgermeisters von Dole, der Geburtsstadt Pasteur's. Wenige
Augen blieben trocken, als der Redner mit Worten von zu Herzen
dringender Wärme dem Jubilar die Photographien seines Geburts-
scheines und seines bescheideneu elterlichen Hauses überreicht.
Den Schluss der Ansprachen bildet die Verlesung einer Gratulation
der Pariser studentischen Vereinigung.
Nun erhebt sich der Jubilar, spricht mit gebrochener Stimme
einige Worte des Dankes und überträgt die Verlesung seiner
Antwortsrede seinem Sohne Jean - Baptiste. iNIit wehmüthiger
Rührung gedenkt Pasteur in derselben seines grossen vom Ge-
schicke minder begünstigten Freundes Claude Bernard, der nicht
wie der Jubilar in luxuriösen Räumen arbeiten konnte, sondern
seine grossartigen Experimente und Entdeckungen in einem
feuchten, kellerartigen engen Lokale machte! Darauf bespricht
er kurz die verschiedenen Stadien seiner Laufbahn und setzt
hinzu: „Die Abgesandten der fremden Nationen, so weit her-
gereist, um Frankreich ihre Sympathie zu bezeugen, machen mir
die tiefinnigste Freude, die ein Mensch empfinden kann, der un-
erschütterlich glaubt, dass Wissenscliaft und Friede über Un-
wissenheit und Krieg siegen werden , <lass sich die Völker ver-
ständigen müssen, nicht um zu zerstören, sondern um aufzubauen,
und dass die Zukunft denen angehört, die das Meiste für die
leidende Menschheit thun werden, .lunge Männer, vertraut auf
die sicheren und wirksanu-n Methoden der Arbeit, flieht unfrucht-
baren Skepticismus und lasst Kuch nicht entmuthigen, wenn Euer
Vaterland trübe Stunden durchzumachen hat. Fragt Euch zu(>rst:
Was habe ich für meine Belehrung gethanV Und dann, je meiir
ihr voranschreitet: Was habe ich für mein Vaterland gethanV So
bis zu dem Momente, wo Ihr vielleicht so unendlich glücklich
sein werdet. Euch zu sagen, dass Ihr etwas zum Fortsehritte und
zum Wohlsein der Menschheit beigetragen habt. Mögen diese
Bestrebungen mehr oder weniger glücklich ausfallen, — Jeder
muss sich, wenn die letzte Stunde naht, sagen können : Ich habe
gethan, was ich konnte."
„Meine Herren, ich spreche Ihnen meine tiefe Rührung und
meine herzliche Dankbarkeit aus. Wie auf dem Revers tlieser
50
Naturwissenscliaftliclic Wot'liensehrift.
Nr.
Medaille der .arosse Künstli.T Roty daw Datum, das so sl-Ii« er auf
meinem Leben lastet, unter Kosen versteckt hat, so haben Sie,
theiire CoUegen, meinem Alter dasjenige Schauspiel vorführen
wollen, das am Geeignetsten war, es zu erfreuen, nämlich das
dieser liebe- und lebensvollen Jugend."
Vom 22.-26. Mai 1893 feiert die American Philosophi-
cal Society zu Philadelphia das 150. Fest ihrer Gründung durch
eine Reihe wissenschaftlicher Sitzungen.
L i 1 1 e r a t u r.
H. P^incare, Ijecons sur la theorie de l'elasticite. Georges
Carre. Paris lSy2.
Es ist an dieser Stelle bereits wiederholt und auf das Nach-
drücklichste auf die Vorlesungen aufmerksam gemacht worden,
welclie Herr Poincare an der „Faculte des Sciences de Paris" ge-
halten hat, und welche durch seine Schüler in sorgfidtiger Bear-
beitung weiteren Kreisen zugänglich gemacht worden sind. Den
Vorlesungen über die mathematisolie Theorie des Lichtes (vergl.
„Naturw. Wochenschr." Bd. IV. S. 272), über Elektricität und
Optik („Naturw. Wochenschr." Bd. VI, 91, VII 150) und über
Thermodynamik („Naturw. Wochenschr." VII, 325) stellen sich
in dem vorliegenden Werke die Vorlesungen über p^lasticität an
die Seite. Dieselben sind von den Herren Bosel und Drach für
den Druck ausgearbeitet worden.
Indem wir auf die a. a. 0. ausgeführten Darlegungen betreffs
der Bedeutung der Poincare'schen Vorlesungen verweisen und um
das Gesagte nicht wiederholen zu mü.ssen, mag es gestattet sein,
bei der Besprechung des vorliegenden Bandes im "Wesentlichen
eine Uebersicht über den Inlialt desselben zu geben.
In dem ersten Kapitel werden die Deformationen der Körper
vom rein kinematischen Gesichtspunkt betrachtet, also ganz ab-
gesehen von den Ursachen, welche die Deformationen erzeugen.
Das Studium der elastischen Kräfte wird im zweiten Kapitel in
Angriff genommen. Die Theorien der Elasticität werden dabei
in der naturgemässen Weise unterschieden, dass die eine Art
sich auf moleculare Hypothesen gründen, w'ährend die anderen
Theorien keine Voraussetzungen über die innere Constitution der
Materie machen und sich daher im Allgemeinen auf die Thermo-
dynamik stützen. Es wird in diesem Kapitel auch der Nachweis
geführt, dass es keine Verallgemeinerung der Voraussetzungen
in sieh schliesst, wenn man Verbindungen und Verbindnugskräfte
zwischen den Moleciden einführt; man kann zu ebenso allgemeinen
Resultaten kommen, wenn man nur gewöhnliche Kräfte einführt,
vorausgesetzt, dass man die Natur der Kräfte nicht näher präci-
sirt. Mit Hilfe des Princips der virtuellen Geschwindigkeiten
werden alsdann im dritten Kapitel die Gleichgewichtsbedingungen
ermittelt; in demselben Tlieile werden auch die Drucke näher
stndirt. Einige Specialfälle des Gleichgewichts bilden den Gegen-
stand des nächsten Abschnittes, wiihrend die kleinen Bewegungen
eines elastischen Körpers in Kapitel \ zur Untersuchung gelangen.
Die Ausbreitung der ebenen Wellen, die Reflexion und einige
Beispiele für Schwingungen elastischer Körper machen den Inhalt
des sechsten Kapitels aus. Die beiden letzten Kapitel sind bezw.
dem Problem von Saint-Venant und dem Problem der elastischen
Linie gewidmet. Einige Schlussbemerkungen beziehen sich auf
das Rotationsjjrobh'm eines schweren Körpers.
Die Ausstattung des Werkes ist von der Trefflichkeit, die
wir an den Werken des oben genannten Verlages gi'wöhnt sind.
A. G.
Berich.te der Deutschen Botanischen Gesellschaft. Berlin
1892. Heft 9. — Das Heft enthält den Bericht über die Nov<'mber-
Sitzung und di-ei Mittheilungen, von denen wir nur die eine er-
wähnen: B. Frank: Die Ernährung der Kiefer durch ihre Myko-
rhiza-Pilze. Die Versuche haben, wie früher für die Rothbuche, jetzt
für die Kiefer den Beweis geliefert, dass sie der Mykorhiza-Pilze
zu ihrer Ernährung unbedingt bedarf. Welche speciellen Nähr-
stoffe der Pflanze durch den Pilz zugeführt werden, ist noch un-
entschieden. F. K.
Jahrbuch der Kai erlich-Köuiglichen Geologischen Reicis
anstalt._ Jahrgang 1S92; XLII. Band, 2. Heft. Wien i>i'J'^. —
Das Heft ist 1(31 Seiten stark und mit 5 Tafeln ausgestattet. An
Aufsätzen enthält dasselbe die folgenden: H. B.v. Foul Ion, Ueber
einige Nickelerzvorkommen; H. Höfer, Das Miocän bei Mühl-
dorf in Kärnten. Zu jeder dieser Abhandlungen gehört eine
Tafel. R.Trampl er, Die Loukasteine — (eigenthi mliche Kalkcon-
cretionen aus der Gegend von Ruditz, nördlich Brunn) — mit 2
Tafeln; Julius Dreger, Ueber einige Versteinerungen der
Kreide- und Tertiärformation von Korcha in Albanien (1 Tafel);
K. V. John, Ueber die chemische Zusammensetzung verschie-
dener Salze aus den k. k. Salzbergwerken von Kaluss und Aussen
(1 Tafel);" J. J. Jahn, Zur Frage über die Bildung dos Erdöls;
W. Waagen, Vorläufige Mittheiluugen über die Ablagerungen
der Trias in der Salt-range (Punjab). F. K.
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde. Berlin
1892. Mit 9 u. 10 schliesst der 19. Band. Ausser den Berichten
über Sitzungen enthält das Heft von Vorträgen und Aufsätzen:
1) Prof. Hellmann, Bericht über die Columbus-Feieidichkeiten
in Genua, Huelva und Madrid (aus dem wir in der „Naturwissen-
schaft]. Wochenschr." einen Auszug zu bieten gedenken). 2) Dr.
Stuhlmann, Ueber seine Reise mit Dr. Emin Pascha, welche,
Ende April 1890 angetreten, nach dem Westufer des Victoria-
Nyansa ging, wo die Station Bukoba gegründet wurde, und
weiter nach Norden und Nordwest führte bis zu jenem Urwalde,
der von Stanley durchzogen worden war. Mangel an Lebens-
mitteln, Pocken und andere Widerwärtigkeiten setzten dem wei-
teren Vordringen ein Ziel. Am 10. Dez. 1891 wurde Dr. St. mit
den noch gesunden Mannschaften vorausgesandt, gelangte am
13. Febr. 1892 nach Bukoba, von wo er nach EintrofJFen des Ab-
lösungskommandos zur Küste aufbrach, die er am 12. Juli in
Bagainoyo erreichte. Dr. Emin Pascha dürfte erst am 9. März
vor J. seinen Rückmarsch angetreten haben und veranlasst worden
sein, sich nach Kibonge am oberen Congo zu wenden. Einge-
flochten sind kurze Aufschlüsse über das Land, seine Bewohner
u. s. w. Hierzu eine Kartenskizze. 3) Dr. Marcuse, Die
Erdmessungs - Expedition nach den Hawaiischen Inseln. Unter-
nommen zur Erforschung des Gesetzes über die Veränderung der
geographischen Breiten, vom Berichterstatter geleitet. Kurze
Schilderung der Reise, der Inselgruppe und der Arbeiten der
Expedition. 4) Dr. Th. Wolf, Ueber das westliche Tiefland
Ecuadors. Erweiterung des geographischen Bildes, welches der
Verfasser friüier über die Hochlande Ecuadors gegeben hat. —
5) H. Wagner, Arthur Breusing. Biographische Skizze des am
28. Sept. v. J. in Bremen Verstorbenen, — Das Heft bringt ferner
einen Brief des Grafen Joachim Pfeil, datirt Ukamas, Gr.-Nama-
land, 10. Aug. 1892, worin derselbe über die bisher durchreisten
Landstreckeu kurz berichtet und die Fortsetzung seiner Tour
nach Norden anzeigt. — Eine Uebersicht über Vorgänge auf geo-
graphischem Gebiet (darunter die vorläufigen Mittheilungen über
die Gesam m terge bnisse der Expedition Emin Paschas
in den Jahren 1890 — 1892), litterarische Besprechungen und Be-
richte von anderen geographischen Gesellschaften in Deutschland
bilden den weiteren Inhalt des Heftes. F. K.
Fuchs. E., Lehrbuch der Augenheilkunde. 3. Aufl. Wien. 14 M.
Gegenbaur, C, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 5. Aufl.
Leipzig. 24 M.
Gerber, G., Das Ich als Grundlage unserer Weltanschauung.
Berlin. 8 M.
Görtz, A., Ueber spectrophotometrische Affinitätsbestimmungen.
Tübingen. 1 M.
Graf, J. H.. Das Lelien und Wirken des Physikers und Astronomen
Johann Jakob Huber aus Basel. (173o— 1798). Bern. 1 M.
Haas. A., Lehrbuch der Dift'erentialrechnung. Stuttgart. 8 M.
Haller, B., Die Anatomie von Siphonaria gigas, Less., einer
o|)istlio)iranchen Gasteropoden. Wien. 11,20 M.
Halliburton, W. D., Lehrbuch der chemischen Physiologie und
Pathologie. Heidelberg. 4 M.
Berichtigung.
Auf Seite 15 Spalte 2 Zeile 15 von unten muss es anstatt
„und erst nach ungefähr 30 Jahren" „und erst vor ungefähr
30 Jahren" heissen.
Inhalt: H. Potonie: Das natürliche Pflanzensystem A. Engler's und M. Treub's Untersuchungen zur systematischen Stellung von
Casuarina. (Fortsetzung und Schluss.) (Mit Abb.) — Dr. Karl Fr. Jordan: Ist die unmittelbare Gedankenübertragung oder
mentale Suggestion erklärbar'? — Dr. M. Klein: Anmerkungen zu dem vorstehenden Aufsatz des Herrn Dr. Jordan. — Der
Komet Holmes. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — LItteratur: H. Poincare: Le(,ons sur la theorie de l'elasticite. —
Berichte der Deutschen Botanisehen Gesellschaft. — Jahrbuch der Kaiserlich-Königlichen Geologischen Reichsanstalt. — Ver-
handlungen der Gesellschaft für Erdkunde. — Liste. — Berichtigung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidonstr. 40/41, für den Inseratenthoil: Hugo Bernstein in Berlin. —
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^cv fciiifinniiic 9?cobnd)tcr bcv ?icitiiv, fdjilbert iiiici in bicicm ^.'viiditrtievtc
mit l)cr,;ijcniiiiiu'iibi;v äyävmc, mit cdit bic6tcvijcf)cr i^ciiciftcriiiui bio Sdiön--
lu'itcii uiifevcv .V^cinuit. ilidnc« fiinibcvt oov.yijilidicr Jtliiftratioiicii ber
[)cvliovvagcnbftctt Scinbfci)aiteii ,iievcn bcvJ S'oerf, biic- bic i'icbo ,iur .§cimat
,511 l'flt'a«" bcnifcn ift ntib bariim in feinem beutfc^cn S:>mi\c fcljlcn feilte.
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Bringegeld bei der Post 15 -j extra. jL bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nnr mit Tollständigei- (^iioileiiangabe gestattet.
In der Heimath des Cacao.
Von Barou H. Eggers.
Der Cacaobaum, dessen köstliches Product mclir iiud
raelir von einem Luxusartikel zu einer Volksnabrung- über-
g-ebt, und dessen Bedeutunj;- au.s diesem Grunde in kurzer
Zeit ohne Zweifel die aller anderen tropischen Cultur-
pflanzen überwiegen wird, stammt bekanntlich ans dem
tro})ischen Amerika, wo derselbe bereits vor der Ent-
deckung der neuen Welt liesonders im südlichen Mexico
(Soconuscoi, Jlittelamcrika, Westindien und dem nörd-
lichen Südamerika angebaut wurde, und von wo aus der-
selbe in neuerer Zeit aucli nach den Tropenländern der
alten AVeit, wie z. B. Centralafrika und Cejdon, verpflanzt
wurde.
Unter den genannten Ländern scheint das Tiefland
von Ecuador vorzugsweise die eigentliche Heimatli des
Cacaotiamnes zu sein, indem derselbe hier nicht nur all-
gemein wildwachsend vorkommt, sondern auch eine anders-
wo ungeahnte Entwickelung erreicht, wie ich während
eines sechsmonatlicheu Aufenthaltes auf einer Cacao-
hacienda daselbst zu beobachten Gelegenheit hatte.
In der reichen Alluvialebene, die sich zwischen dem
grossen Flusse Guayas mit dessen zwei Quellflüssen, dem
Rio Drule und dem Rio Babalioyo einerseits und der
Riesenkette der Anden andererseits in einer Breite von
20 — 30 Kilometer und einer Länge von über 2i>() Kilo-
meter von Norden nach Süden erstreckt, fast überall noch
bedeckt von unermesslicben Urwäldern, die nnr hie und
da, hauptsächlicli längs den zahlreichen kleinen Küsten-
flüssen, von Ansiedlungeu unterbrochen sind, findet man
das Geschlecht der Theobroma verbreitet, nicht nur den
bekannten cultivirten Cacaobaum (Th. Cacao), sondern
auch noch andere, nahe verwandte Arten, wie den Cacao
blaneo (Th. bicolor) und den Cacao de monte (Th. Mariae),
deren Samen denen des erstgenannten sehr ähnlich sind
und gewiss mit der Zeit auch öconomische Bedeutung
erlangen werden. Die Verbreitung des Cacaobaumes, dessen
Früclite und Samen keine specielle Anpassungen zum
Wandern besitzen, dagegen eine Lieblingsnahrung ver-
schiedener Thiere sind und somit weit umher verschleppt
werden, ist an den meisten Orten eine so bedeutende,
dass man häufig im Walde grosse Bestände desselben
in allen Stadien der Entwickelung vorfindet.
Die Cacaogärten oder Huertas in Ecuador sind des-
halb auch zweierlei Art, theils selbstgesäete, die soge-
nannten Almasigales, theils von Menschenhand in Rodungen
gepflanzte, Huertas sembradas.
Die erstgenannten entstehen in der Weise, dass der
Pflanzer, wo er im Walde eine grössere Anzahl von Cacao-
bäumen antrifft, diesen durch Umhauen der übrigen klei-
neren Bäume, die, ohne Schaden anzurichten, entfernt
werden können, mehr Raum zum Wachsen verschafft,
während die Riesen des Waldes, unter denen auch viele
Palmen vorkommen, stehen bleil)en, theils des nöthigen
Schatten wegen, theils um nicht durch das Fällen der-
selben die Caeaobäume zu zerstören.
Die letzteren sind in diesen Almasigales selbstver-
ständlich von jedem Alter und stehen ohne jegliche Ord-
nung zerstreut, oft so dicht, dass man des Raumes halber
viele derselben beseitigen muss, andererseits aber auch
oft mit grossen Zwischenräumen, die man alsdann durch
Verpflanzen von jungen Bäumen auszufüllen sucht.
Immerhin macht diese Art von Huertas indess einen
sehr ungeordneten Eindruck und leidet an versebiedenen
Uebelständen, unter denen besonders die zu starke Be-
schattung, das Umfallen der stehen gebliebenen Wald-
bäume und die sehr ungleiche Entwickelung des Bestandes
die wesentlichsten sind.
Dagegen bieten dieselben den Vortheil der geringen
Muhe der Anlage, was in einem Lande, wo grosser ^Mangel
an tauglichen Feldarbeitern herrscht, von ungemeiner Be-
deutung ist und die Möglichkeit bietet, selbst bei be-
schränkten Mitteln eine recht umfassende Cacaogewinnung
zn betreiben.
52
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. ß.
Im Gegensatz zu diesen Naturplantagen stehen die
Huertas sembradas, für welche man zuerst den Wald voll-
ständig tallt und abbrennt, indessen die Stümpfe stehen
bleiben, hierauf Bananen in regelmässigen Reihen pflanzt,
und wenn diese eine passende Höhe erreicht haben, die
jungen Cacaobäume entweder aus dem Saatbeete ver-
pflanzt oder auch den Cacaosamen gleich an Ort und
Stelle niederlegt.
Die Anpflanzung von Bananen, die jedes Jahr eine
werthvolie Ernte der bekannten, ein allgemeines Nah-
rungsmittel darstellenden Fracht liefern, ist unumgänglich
notiiwendig des Schattens wegen, da die Cacaopflanze,
besonders im jungen Alter, das directe Sonnenlicht durch-
aus nicht verträgt.
Die Entfernung zwischen den einzelnen gepflanzten
Cacaobäumen ist in Ecuador gewöhnlich nur drei Meter,
was bei dem reichen Boden und der hieraus folgenden
üppigen Entwickelung des Baumes viel zu gering ist, in-
dem die Bäume alle zu sehr in die Höhe schiessen und
dünne, zweiglose Stämme ausbilden, anstatt sich genügend
mit ihren Zweigen nach den Seiten hin auszubreiten, wo-
durch ihnen nothwendigerweise die Möglichkeit einer
kräftigen Ernährung und daraus entspringenden reich-
lichen Fruchtbildung benommen wird.
Eine Entfernung von fünf bis sechs Meter ist den
Verhältnissen weit mehr angemessen und sichert einen
bedeutend höheren Ertrag des gleichen Areals, weshalb
dieselbe auch in neuester Zeit von mehreren Pflanzern
eingeführt wurde.
Gleichzeitig mit dem Aussetzen der jungen Cacao-
bäume werden auch die permanenten Sehattenbäume ge-
pflanzt, indem die Bananen nur während der ersten zwei
bis drei Jahre den jungen Pflanzen Schatten spenden
können, später von diesen aber überflügelt nnd alsdann
ausgerodet werden, um den erwähnten höhereu Bäumen
Platz zu machen.
Der gewöhnlichste Schattenbaum hier ist, wie auch
in Trinidad und Venezuela, die Erythrina, in Ecuador
Palo prieto genannt, eine Leguminose mit grossen, drei-
theiligeu Blättern und rothcn BlUthen, die sehr rasch
wächst, sich leicht durch Stecklinge vermehrt und deren
Laub einen Schatten von passender Helligkeit verbreitet,
wie derselbe dem Cacao am förderlichsten scheint.
Ausser diesem Baume werden noch einige andere,
besonders Arten von Inga, als Schattenbäume benutzt; da
dieselben jedoch den Nachtheil haben, langsamer zu
wachsen und ein spröderes Holz zu besitzen, so dass oft
grosse Zweige abbrechen und die Cacaopflanzen be-
schädigen, hat man jetzt fast überall der Erythrina den
Vorzug gegeben.
Unter diesem Schatten gedeiht die Theobroma schnell,
besonders wenn das rasch emporschiessende Unkraut
fleissig mit der Machete niedergehalten wird, und trägt
bereits im vierten Jahre eine Anzahl der bekannten schönen,
goldgelben oder rothen, quittenförmigen Fruchte, deren
Zahl sich mit jedem Jahre rasch vermehrt.
Der grösste Feind der jungen Pflanze ist, wie bereits
angedeutet, das Unkraut, der Monte, eine Mannigfaltig-
keit von Strauch- oder krautartigen Gewächsen, darunter
viele mit grossen Blättern und saftigen Stengeln, die
häufig in wenigen Monaten eine Höhe von zwei bis drei
Meter erlangen.
Unter diesen sind besonders auffallend der Vijao*)
(Calathea discolor), eine bis vier Meter hohe Scitaminee
mit riesigen, eiförmigen, sehr zähen Blättern, die vielfache
Verwendung, besonders zum Dachdecken finden. Ferner
mehrere Arten von Piper, Aroideen, Heliconia, Costus,
*) j überall im Spanischen wie ch, ch wie tsch.
Urticaceen und Farne, die zusammen ein buntes und
dichtes Gestrüpp bilden, das bald den jungen Cacao-
bäumen verderblich wird, wenn dasselbe nicht, wie an-
gedeutet, von Zeit zu Zeit mit dem säbelartigen Wald-
messer, der Machete, dicht am Boden abgemäht wird.
Dieses Reinhalten der Huertas, bei welchem zugleich
die Wurzeltriebe der Cacaobäume beseitigt und andere
ähnliche Arbeiten vorgenommen werden, bildet unter dem
Namen Roza die Hauptarbeit der Leute und erfordert eine
bedeutende Ausdauer und grosse üebung im Gebrauche
des sowohl als Watte wie auch als Werkzeug gleich
nützlichen Universalgeräthes des tropischen Landmannes,
der Machete, die neben der zum Fällen der Bäume un-
entbehrlichen Axt das einzige Ackergeräth in diesen Län-
dern darstellt.
Während die oben erwähnten Pflanzen alle nur den
Boden einnehmen und, sobald der junge Cacaobaum eine
gewisse Höhe erreicht hat, denselben nur noch indirect
schädigen, sind dagegen die Lianen und die E])ipliyten,
ob parasitische oder nicht, zwei Pflanzenfornien, die auch
noch in späteren Jahren den Bäumen der Pflanzung nach-
theilig sind und die man deshalb ebenfalls zu beseitigen
strebt, was freilich bei dem leichten Verbreitungsvermögen
und der grossen Menge derselben eine schwierige Auf-
gabe bleibt.
Wie bekannt, sind die tropischen Schlingpflanzen
nicht nur sehr zahlreich, sowohl an Arten, als auch an
Individuen, sondern gewöhnlich auch holzartig und aus-
dauernd, weshalb dieselben eine bedeutende Rolle, als
sogenannte Lianen, im Walde der heissen Länder spielen.
Der gemeinsame Name in allen spanisch -amerikani-
schen Ländern für diese Pflanzenform ist Vejuco, worunter
man jede Art \on Schlingpflanze, von der kleinen kraut-
artigen Batate bis zu der, einer Riesenschlange ähnlichen,
holzartigen Entada oder Chamissan begreift.
Es gehören zu diesen Vejucos Vertreter der ver-
scliiedensten Pflanzenfamilien, besonders doch der Legu-
minosen, Ampelidecn, Cucurbitaceen, Convolvulaceen,
Amarantaccen und Aroideen, die alle meistens eine be-
deutende Länge erreichen und mit iin-eu weitverzweigten
Gliedern oft grosse Theile der Cacaopflanzung überdecken.
Während im Allgemeinen das Durchhauen des Haupt-
stammes die Liane zum Aussterben bringt und die wel-
kenden Zweige bald ihre Blätter verlieren und stücken-
weise herunterfallen, giebt es einige, die eine ganz be-
wundernswerthe Lebensdauer besitzen und fast nicht aus-
gerottet werden können.
Es sind dies besonders die Cissus-Arten (C. sicyoides
und andere), aus einem der Rebe nahestehenden Ge-
schlecht, welche einen ziemlich weichen, nur hall) ver-
holzten, mit sehr weiten Gelassen versehenen Stengel besitzen
und sowohl im Walde wie in den Cacaopflanzungeu häufig
vorkommen.
Wenn man den Stamm eines solchen Cissus durch-
schneidet, stirbt der ol»ere Theil nicht, wie bei anderen
Gewächsen, ab, sondern es entsprossen demselben in
kurzer Zeit eine ganze Anzahl dünner, glatter Luftwurzeln,
die, nach unten wachsend, l)ald den Boden erreichen, hier
sich einbohren und verzweigen und somit bald eine er-
neuerte Verbindung mit der Nahrungsquelle herstellen,
welche der Liane das fernere Wachsthum ermöglicht.
Diese Zähigkeit des Lebens ist so gross, dass mau häufig
Lianen der genannten Gattung tritt't, die nicht nur iiu'en
Stamm, sondern auch die darauf gebildeten Luftwurzeln
zwei oder mehrere Mal durchschnitten bekonnnen haben,
die aber jedesmal wieder am oberen Theil neue Luft-
wurzeln gebildet und mit Hülfe derselben eine fortgesetzte
Verbindung mit dem Erdboden bewerkstelligt haben.
Angesichts dieser Unverwüstliehkeit, die in demselben
Nr. 6.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
53
Maasse auch nocli von einii;en Cucurliitaecen getheilt wird,
bleil)t dem Pflanzer nichts anderes übrig, als die Lianen
mit den Händen von den Caeaobilumen lösen und her-
unterziehen zu lassen, was immer mit Mühe und Zeitver-
lust wie auch Beschädig-ung' der Bäume verbunden ist.
Neben den Lianen nehmen bekanntlicii die Epipliytcn
einen bedeutenden Platz in der tropischen Pflanzenwelt
ein und sind in den Cacaopflanzungen besonders vertreten
durch die Familien der Piperaccen, Bromeliaceen, Orchi-
deen und Farne, deren mannigfache Formen höchst
malerisch, aber freilich nicht ohne Nachtheil für den Cacao,
die Zweige und Stämme der Bäume bekleiden.
Ausser den genannten Familien begegnet man von
blüthentragenden Baumbewohnern auch noch einigen
Gesneraceen, Aroideen und Cacteen, und neben diesen
eine Menge von Oryptogamen, von denen besonders die
Moose massenhaft auftreten und oft die ganze Oberseite
der Stämme und dickeren Zweige überziehen.
Da die Blttthen des Cacaobaumes, wie bekannt, nicht
nur an den jüngeren Sprossen erscheinen, sondern sogar
vorzugsweise unmittelbar aus der Rinde des Stammes
hervorbrechen, liegt es auf der Hand, dass gerade beim
Cacao ein Ueberzug von Moosen und grösseren Epiphyten
einen in vieler Hinsicht schädlichen Einfluss haben muss
und oft das Blühen des Baumes beeinträchtigt oder sogar
verhindert.
Die Moose werden nebenl)ei noch ferner schädlich,
weil deren weiches und immer feuchtes Polster eine
günstige Brutstätte für die zahlreichen herumfliegenden
Samen der anderen, grösseren Baumbewohner, besonders
für die mit langen Haaren versehenen Bronieliac-Scenamen,
abgiebt, weshalb ein Aljkratzen dieser Decke, wie über-
haupt eine Beseitigung der Epiphyten im Allgemeinen,
zu den unvermeidlichen Arbeiten einer sorgfältigen Pflege
des Cacao gehört.
Während die im Obigen besprochenen Bewohner des
Cacaobaumes alle nur einen Wohnsitz von demselben be-
anspruchen, ihm indess keine Nahrung entzielien, sondern
von der Luft, dem Regen und dem durch das Vermodern
abgefallener Blätter gebildeten lluuuis leben, giebt es
dagegen auch noch eigentliche Schmarotzer, die wahren
Parasiten, welche zum Thei! ihre Nahrung aus dem Wirthe
ziehen und in vielen Fällen denselben schliesslich zu
Grunde richten.
Von diesen findet man in den Cacaopflanzungen in
Ecuador indess nur wenige Arten, die ausserdem durch-
aus nicht sehr zahlreich auftreten, so dass der Schaden,
den dieselben anrichten, nur unbedeutend zu nennen ist.
Am bemerkenswerthesten sind der prachtvolle Lo-
ranthus mexieanus mit seinen grossen gelbrothen Blüthen
und einige, unserem Viscum sehr ähnliche, Arten von
Phoradendron, deren klebrige Samen von Vögeln herum-
getragen werden, die indess ohne Schwierigkeit von den
Bäumen zu beseitigen sind.
Verderblicher als alle die im Obigen erwähnten
Pflanzeufeinde sind dem Cacao die noch zu besprechenden
Baumwürger, die aus den meisten Tropenländern bekannt
sind und die liier in Ecuador besonders durch einige
baunuirtige Urticaeeen, nämlich Speeii'S von Fieus (Ili-
gueron) und den Matapalo*) (Coussapoa villosa), ver-
treten sind.
Die sehr kleinen Samen dieser Bäume werden von
Vögeln oder vielleicht auch vom Winde auf andere Bäume
getragen, wo dieselben in der Mousbekieidung der Stämme
oder in dem in einer Zweigklüftung angesannnciten Humus
günstige Bedingungen zur Keimung vorfinden. Die junge
Pflanze, welche sieh im Anfange mit der an ihrem Ge-
*) Baumtödter.
burtsorte vorhandenen Nahrunu- begnügen nmss, sendet so
rasch wie möglich eine oder mehrere dünne Luftwurzeln
nach abwärts, die, dicht an den Stamm des Wirtlies an-
gedrückt, sich bis zum Erdl)oden verlängern, hier ein-
dringen und, sich reichlich verzweigend, dem angehenden
Baumwürger eine neue und unerschöpfliche Nahrungs-
(luclle eröifnen.
Weder die Fieus noch der naheverwandte ^Matapalo
sind demnach eigentliche Parasiten, sondern höchstens
Epiphyten, und auch dies nur im Anfange, indem die-
selben sehr bald ihre Nahrung ausscliliesslich aus dem
Boden beziehen und insofern ein ganz normales Dasein
zu führen scheinen. Erst wenn man die fernere Ent-
wiekelung dieser Bäume l>etrachtct, begreift man, wie
verderblich dieselbe der armen Wirthpflanze werden muss,
indem diese von den rasch zu holzigen Körpern sich ent-
wickelnden Luftwurzeln des ungebetenen Gastes einge-
seldossen und erdrückt wird und bimien Kurzem völlig
abstirbt und vermodert.
Höchst interessant ist es hierbei zu beobachten, wie
der Baumwürger seine Glieder einer plastischen Masse
gleich um sein Opfer rings herum anschmiegt, wodui'ch
oft die seltsamsten Formen und Verschmelzungen der
scheinbar ungefügigen Holzmasse entstehen.
Die von dem Stamme entsendeten Luftwurzeln ent-
wickeln sich zu einem diesem ähnliclien Kör})cr, treiben
blättertragende Sprosse und bilden allmälig einen Pseudo-
stanmi, der mit dem eigentlichen Stamme vollständig ver-
selnnilzt und bald dem Würger das Aussehen eines selbst-
ständig entwickelten, normalen Baumes giebt, in dessen
Mitte man nur noch einige Zeit die Reste des erwürgten
( tpfers wahrnimmt, dessen frühere Gegenwart sich indess
in den meisten Fällen durch das Hohlsein des Jlatapalo
oder Fieus nachweisen lässt.
Die Nemesis ereilt indess auch den oft zu kolossalen
Verhältnissen anwachsenden Baumwürger, der gewöhnlich
mit der Zeit einen riesigen Umfang erreicht und durch
seine zahlreiclic Seitenstämme in Verbindung mit dem
grossblättrigen, dichten Laube ganz das Ansehen eines
kleinen Waldes im Walde anninnnt. Indem diese mächtige
Holzmasse nämlich im Inneren hohl ist, wird diesell)e
durch ferneres AVaehstlmm leicht in ihrem Gleichgewicht
gestört, wovon häufiges Abbrechen grösserer Theile oder
sogar das Umstürzen des ganzen Baumes bei etwas starkem
Winde die Folgen sind, wodurch nicht selten Gefahr für
die in der Pflanzung beschäftigten Arbeiter entsteht. Ein
Durchhauen der Baumwürger im jugendlichen Alter tödtet
dieselben und rettet somit den von ihnen ergriftenen Baum,
weshalb das Uebel in diesem Stadium unschwer zu be-
seitigen ist, ebenso wie mau durch Naehsuchcn auf den
Cacaopflanzen die ganz jungen Keindinge dieser Feinde
leicht entdeckt und entferni'n kann.
Wo dagegen der Matapalo oder Fieus liereits einen
grösseren Umfang erreicht hat, was leider an vielen Orten
der Fall ist, besonders weil man irrthümlieher Weise ge-
glaubt hatte, der Baum sei dem Cacao durch seinen
Schatten von Nutzen, lässt sich derselbe niciit mehr ohne
erln'blichere Schädigung der Cultiupflanzen beseitigen und
naiss stehen gelassen und geduldet werden.
Die Bekämpfung alier dieser Feinde aus dem Pflanzen-
reiche giebt den Arbeitern selbstverständlich viel zu
Schäften, dieselbe Uep])igkeit des Bodens und dasselbe
günstige Klima, die im Verein den Cacao zu (»iner nirgends
sonst gekannten Entwiekelung gelangen lassen, befördert
auch andererseits die grossartige Entfaltung der übrigen
Vegetation.
Das Land ist vollständig flach und gänzlich steinlos,
von einem Alluvium gebildet, das hauptsäcldich aus einer
oft Meter dicken Seliicht von lehmiger Erde auf einem
54
Naturwissenschaftliche Woclienschrift.
Nr. 6.
Untergiunde von feinem, j)3M'ithalti,i;'em Saude, ein auch
in physikalischer Hinsicht bekanntlich günstiger Boden,
besteht.
Das Klima ist ein mn- sehr geringen Schwankungen
' nnterworfeues, gleiehmässig heisses; die Regenmenge eine
sehr bedeutende und selbst in den troekneren Monaten
nie ganz unterbrochene, Factoren, die dem Gedeihen des
Cacao möglichst günstig sind, weshalb die Huertas auch
hier das ganze Jahr hindurch mit Früchten in allen Stadien
der Entwickelung prangen und somit die Ernte eigentlich
nie aufhört, wenngleich zu gewissen Jahreszeiten, be-
sonders vom Juli bis zum Septenilier, die grösste Menge
an reifen Früchten vorbanden ist.
Aber auch die Frucht des Cacaobaumes hat eine
Menge von Feinden, die dem Pflanzer die Ernte streitig
machen und ihm nicht selten beträchtlichen Schaden zu-
fügen. Hierzu gehören besonders mehrere Arten von
Papageien, die Morgens ganz früh in die Huertas fliegen,
hier den Tag über an den reifi'u Früchten sich gütlich
thun, um Abends gegen Sonnenuntergang wieder schreiend
und lärmend in kleinen Haufen nach den Mangrove-
waldungen an der Küste zurückzukehren, wo sie zu nisten
scheinen.
Da der Schaden, den diese in grosser Menge auf-
tretenden Vögel sehr beträchtlich und deren Fleisch neben-
bei recht wohlschmeckend ist, wird ilnien durch dazu
angestellte Jäger fortwährend nachgestellt und trotz ihrer
Schönheit eine Menge erlegt. Dasselbe geschieht mit den
verschiedenen Säugethieren, die sich zum Theil vom Cacao
nähren, und von denen ich besonders einige Aflenarten,
eine Beutelratte und ein kleines Eichhörnchen wie noch
einige andere Nager erwähne.
Im Ganzen genommen sind die Zerstörungen dieser
Tbiere doch nur massig, und da auch die Verluste durch
Krankheiten, unter denen besonders die durch Schmarotzer-
pilze verursachten, keine bedeutende sind, bleibt dem
Hacendado in der Regel ein reichlicher Ertrag übrig.
Durch eintretende Dürre krmnen an einzelnen Orten zu-
weilen die ganz jungen Früchte einschrumpfen und ver-
dorren, an anderen verfaulen die Früchte zuweilen, be-
sonders wo die Bäume zu dicht gepflanzt sind; trotz alle-
dem hört man nie von einer Missernte, wenn gleich der
Gesamnitertrag der einzelnen Jahre verschieden sein kann,
so dass man im Allgemeinen die Cacaoeultur als eine sehr
lohnende bezeichnen darf, die bei der über hundert Jahre
anhaltenden Tragfähigkeit des Baumes die Grundlage
eines dauernden Wohlstandes abgiebt.
Der durchschnittliche Ertrag einer Caeaopflanze ist
in Ecuador gewöhnlich \ o Kilo, was die trockenen Samen
von 8 — 10 Früchten (mazorcas) darstellt. Wo die Bäume
freien Platz zum Ausbreiten der Zweige haben, sieht man
indess sehr oft 30 — 40 oder noch mehr Früchte an einem
Baume, an einzelnen alten Bäumen zählte ich sogar nicht
selten über 400 Früchte, was einer Ernte von 25 Kilo
im Werthe von über 30 Mark pro Baum gleielikommt.
Der geringe Durchschuittsertrag der Pflanzungen rührt
hauptsäcldich von zu dichtem Pflanzen her, ein Fehler,
den man erst in neuester Zeit durch Lichten der Huertas
und grössere Entfernung bei der Anlage neuer Gärten zu
berichtigen sucht.
Bei dem grossen umfange der meisten Haciendas,
von denen viele eine halbe bis eine ganze Million Bäume
(matas) haben, ist die Gesammternte, selbst bei einem
Durchschnitt von nur 500 Kilo pr. 1000 Pflanzen, dennoch
immerhin von bedeutendem Wertli und beansprucht die
ganze Aufmerksamkeit des Besitzers oder seines Verwal-
ters wie auch eine erhebliche Arbeitskraft an Menschen
und Tbieren.
Durch die verschiedenen Huertas vertheilt gehen Ab-
theilungen von 10 — 12 Mann mit einem Mayordomo als
Aufseher, die eine Hälfte, die Tumbadores*), mit einem
langen dünnen Rohr versehen, das an der Spitze ein
scharfes, haUnnondförmiges Eisen trägt, womit die reife
Frucht, die nicht von selbst herunterfällt, geschickt am
Stiel durchschnitten wird, was mit einem nach oben ge-
führten Stosse geschieht, um alsdann von der anderen
Hälfte der Leute, den Recogedores, aufgesammelt und in
grosse Haufen aufgeschichtet zu werden.
Zu diesen Haufen begiebt sich dann, gewöhnlich am
nächsten Tage, ein ^lann, der Sacador, welcher mit einem
kurzen, breiten Eisen die dicke Schale der Früchte der
Quere nach durchschneidet und dieselben hinter sich wirft,
wo alsdann ein Knabe mittels eines Rippenknochens, der
als eine Art schmalen Lotfels dient, die Frucht ihres In-
halts entleert.
Das Innere der Cacaofrucht besteht, wie bekannt, aus
einer Menge von dicken, scheibenförmigen Samen, die in
fünf Reihen geordnet und von einer weissen, säuerlichen
Pulpe umgeben, in einer Anzahl von 40 — 50 den Hohl-
raum erfüllen. Dieser schleimige, rohe Cacao wird als-
dann in grosse starke Säcke gefüllt, die auf Jeder Seite
des Packsattels auf einem kräftigen Maultliii're herab-
hängen und in dieser Weise auf den gewrdmlich boden-
losen Pfaden nach der Hacienda zur weiteren Behandlung
gebracht.
Sowohl die Tumbadores als auch die anderen Ar-
beiter der Plantage tragen bei der Arbeit in den Huertas
die Füssc und Beine sorgfältig eingehüllt, um sich gegen
die vielen Giftschlangen, die eine wahre Landplage des
ecuadorianisehen Tieflandes sind, zu schützen. Die Füsse
sichert ein oftVner Schnürschuh aus dickem Leder, die
Corba, nachdem der Fuss an Statt des Strumpfes mit den
weichen, welken Blättern der Banane umwunden ist, wäh-
rend die Beine mit einer dichten Umhüllung von den
Blättern des oben erwähnten Vijao bekleidet werden, die
mit Baststreifen des Cacao, der wie alle Büttneriaceen
ein dem Lindi-nbast ähnliches Material liefert, festgebunden
werden. Trotz aller Vorsicht kommen dennoch Schlangen-
bisse nicht selten vor, besonders sind die Recogedores
densellten beim Aufsammeln der Früchte vom Boden in
dem oft sehr dichten ßlattgewirr des Unkrautes ausgesetzt.
Die gefürchtetste aller Sehlangen ist die E()uis, so ge-
nannt von den dunklen Zeichnungen auf dem Rücken, die
dem Buchstaben x ähnlich sehen, welcher im Spanischen
Equis (spr. Ekkis) heisst. Diese Natter wird bis 1 V-3 Meter
lang und kommt nicht nur im Walde und in den Huertas,
sondern auch in d(>r Nähe von Wohnungen oder in diesen
selbst vor und Itesitzt eins der am heftigsten wirkenden
Gifte, das bereits nach wenigen Stunden den T(h1 herbei-
führt. Ein grosser Hund, der ganz nahe l)ei einem Wohn-
hause von einer dieser Schlangen in's Ohr gebissen ward,
verendete vor meinen Augen im Verlaufe einer Viertel-
stunde.
Als Mittel gegen das Schlangengift wird häufig eine
braune Flüssigkeit, Curarine genannt und von einem
Amerikaner fabricirt, nicht ohne Erfolg angewandt, ausser-
dem Alkohol, Chinin, Ferrum sesquiehlorat und verschiedene
einheimische Kräuter, durch welche auch zuweilen Patienten
gerettet werden. Immerhin bleiben die Giftschlangen eine
Art ^litbewohner dieser Gegenden, an welclie man sieh
nur sehr schwer gewöhnt und die den Genuss der pracht-
vollen Natur hier erheblich beeinträchtigt.
Nachdem iu der oben erwähnten Art der rohe Cacao
nach der Hacienda gebracht ist, wird derselbe sogleich
auf grossen offenen Plätzen, Tendales, die mit gespaltenem
Bambusrohr belegt sind, zum Trocknen ausgebreitet. Das
*) Tumbür füllen, recogei' aufsammeln, sacar horausuehmen.
Nr. 6.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
00
in Westindien i;cl»räu('hliche Fcrnientiren in (lurclil(ichertcii
Behältern, wodurch in wenii;en Tagen die l'ulpe verfliesst
und der Cacao eine passende Reife mid Farbe erhält, ist
in E^cuador gänzlich unbekannt, wird indess zum Theil
dadurch ersetzt, dass bei Kegenwetter und über Nacht
die Samen in längliehe Haufen zusannncngcscliiclitct und
mit Blättern des Vijan oder gel)ogenen Zinki)latten über-
deckt werden, wodurch in der feuchten Masse jedes Mal
eine Gähruug entsteht, die freilich am nächsten Morgen
durch das Ausbreiten in der Sonne auf dem Tendal wieder
unterbrochen wird.
Die Qualität des Cacao scheint indess auch bei diesem
\'erfalireii den wünschenswerthcn Grad von Güte zu er-
reicln'n, indem der Cacao von Ecuador, gewrdnilich nach
dem Hafenorte Guaya(iuil, von wo aus derselbe verschifft
wird, benannt, wie bekannt zu dem besten der Welt ge-
h(irt. Der bedeutende Unterschied zwischen den beiden
llauptklassen des ecuatorischen Cacao, dem aus den oberen
Flussgebieten (Cacao de arriba) und dem aus den süd-
licheren Gegenden (Cacao de Balao und de Machala), ist
nicht auf eine verschiedene Behandlung der Frucht zurück-
zuführen, sondern scheint hauptsächlich von verschiedenen
Bodenverhältnissen herzurühren, indem die oberen Gegen-
den bereits mehr hügelig und steinig werden, je näher
man dem Gebirge kommt.
Der Cacao de arriba ist bedeutend bitterer als der
andere und erlaubt deshalb dem Fabrikanten in Europa
durch Zugabe einer gr(isseren Menge von Zucker ein be-
deutend grösseres Quantum Chocolade aus derselben Menge
von Cacao zu erzielen, was diesem also einen höheren
Werth zu Fabrikationszwecken verleiiit und den besseren
Preis desselben auf dem Weltmarkte bedingt.
Wenn der nasse Cacao in der oben angegebenen
Weise vollkonnnen getrocknet ist, wird derselbe von allen
schwarzen und schlechten Bohnen mit der Hand befreit,
durch Sieben von ünrath gereinigt und alsdann in
Säcke verpackt auf kleinen Segelschiffen nacii Guay-
aquil zum weiteren Export mittels Dampfer nach Europa
gebracht.
Die jährliche Ausfuhr von Ecuador an Cacao beträgt
gegenwärtig 14 — 15 Millionen Kilo oder fast ein \'iertel
der Gesannntproduction der Welt, die c. GO Millionen Kilo
beträgt. Da der Consum im Lande sell)st merkwürdiger-
weise ein sehr geringer ist und für die ganze nur etwas
über eine Million betragende Bevölkerung wohl kaum
1 Millitm Kilo erreicht, ist die ganze Ernte dieses Heimath-
landes des Cacao auf 15^16 Millionen Kilo im Jahre zu
setzen, was zwar ein bedeutendes Quantum ist, jedoch
immer nur einen kleinen Theil von dem darstellt, was
dieses reiche Land bei rationellerer Beiiandiung der Plan-
tagen und ausgedehnterer Ueberwachung hervorzubringen
im Stande wäre.
Wenn man erwägt, dass die kleine westindische Insel
Grenada mit nur 55 ÜOO Einwohnern l)innen kurzer Zeit
ihre Ausfuhr von Cacao bereits auf über 2 ^lillionen Kilo
gebracht hat, und dass Trinidad nicht weniger als 6 bis
7 Millionen Kilo jtroducirt, so erscheint die Krnte von Ecua-
dor, dessen hauptsächlicher, ja fast einziger Ausfuhrartikel
von Bedeutung der Cacao ist, als verhältnissmässig gering
und bei ^Veitem nicht den günstigen Xaturverhältnissen
entsprechend.
Wie in den anderen spanisch-amerikanischen Ländern
tragen auch hier die, trotz des im Allgemeinen fried-
lichen und arbeitsamen Charakters der Bewohner, noch
ziemlich unsicheren politischen und socialen Verhältnisse
die Hauptschuld daran, dass eine schnellere Entwickelung
im Anljau des Cacao, der mehr wie irgend ein anderes
tropisches Erzeugniss eine glänzende Zukunft zu haben
scheint, eine Entwickelung, von der hier zugleich der
materielle wie auch der daraus entspringende intellectuelle
Fortschritt des Landes bedingt wird, bis jetzt noch innncr
auf sich hat warten lassen.
Kurze Darstellung einer Hypothese über Sonnenflecken.*)
\'un HealscluiUclirur
Die gewaltigen Dimensionen der Sonne, ihre ausser-
ordentlich hohe Temperatur, entschuldigen oder rechtferti-
gen vielmehr die Aufstellung von Vermuthungen, die nach
unsern irdischen Verhältnissen gemessen allerdings unhalt-
bar waren.
Die Sonne ist ein grosser, gluthflüssigcr, wenig difteren-
zirter Feuerball mit einer schweren und weit ausgedehnten
Gashülle, mit einem Kern, der aus Gasen im sogen, über-
kritischen Zustande gebildet wird. Dieser Kern oder
seine weitere Umgebung reagirt nach der Oberfläche hin
und diese Reactionen, welche sich in Flecken und Pro-
tuberanzen (vielleicht auch Fackeln) aussen kenntlich
machen, zeigen eine Periode, die sich für alle oben er-
wähnten Erscheinungen deckt. Nehmen wir, ohne nach
dem AVoher zu fragen, an, diese Periodicität werde durch
allmälige Steigerung der Sonnenwärme in bestimmten
Regionen hervorgerufen, so drängt sich uns die Analogie
mit den Geysirs auf. Die Sonnenperiode ist eltjährig.
Flecken und Protuberanzen haben zu gleicher Zeit einmal
ein Alaximum uiul ein Mininuun in jeder Periode. Dazu
sind ihre Bewegungen auf der Sonnenoberfläche ganz
analoge, während dagegen Unterschiede in der Vcrtheilung
*) Indem wir uachstehenden Aufsatz in unseren Spalten ver-
öifcntlichen, erinnern wir an unseren stets nach Möglichkeit be-
folgten Grundsatz, auch solchen Anschauungen in der „Naturw.
Wochenschr." Raum zu geben, welche von den herrschenden An-
sichten abweichen. Können wir also zwar die Ueberzeugungs-
gewissheit des Verfassers nicht ohne Weiteres theilen, so ist es
itoch nicht ausgeschlossen, dass die vorgetragene Hypothese ern-
sterer Beachtung werth ist. " Ked.
K . F r i e d r i v h s.
auftreten. Protuberanzen treten allenthalben auf, wo
sich Sonnenflecke zeigen, Iteschränken sich aber nicht auf
die gefleckten Stellen der Sonne. Da wir uns den Sonneu-
körper nur wenig differenzürt denken dürfen, von lokalen
Unterschieden gar nicht reden dürfen, so steht zu ver-
nmthen, dass die Reactionen ursprünglich gleichartig
waren, durch hinzutretende einwirkende Factoren aber in
verschiedene Erscheinungsformen hinübergeführt wurden.
Als solche modifleirenden Factoren habe ich die Kugel-
gestalt der Sonne und ihre Rotation im Auge. — Das
weiter verbreitete von l)eiden Sonnenjihänomcnen sind
jedenfalls die Protuberanzen; sie treten überall am Sonnen-
körper auf, und über ihre Natur ist man sich soweit
klar, dass man sie für Gasausströmungen aus dem Sonneu-
innern hält und halten muss. Dagegen würde man die
Sonnenflecke bei erster und flüchtigi'r Ueberlegung für
feste Körper halten, da sie dunkel erscheinen. lU'i ein-
gehender Ueberlegung jedoch wird man diese Vermuthung
fallen lassen. Ein Sonnenkörper, der nach allen P>eob-
aehtungen und besonders nach den spcktralanalytischen
einen Gluthfluss darstellt, bei dessen ungeheurer Tempera-
tur die Elemente grösstentheils im Dissociationszustande
zu sein scheinen, kann unmöglich feste, nur schwach
glühende Stellen für längere Zeit aufweisen. So sehen
wir uns denn veranlasst, die Dunkelheit durch Comi)ina-
tion flüssiger oder gasförmiger Massen mit dem Sonnen-
körper nach optischen Gesetzen zu erklären. Von diesen
beiden Condiinatiouen fällt die erste als höchst unwahr-
scheinlich und unerklärlicii ohne Schwertstreich, während
56
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 6.
die zweite uns g'cuug Wahrscheiniichlceit bietet, wenn
wir uns nur der optischen Erscheinungen, die unter dem
Namen der fttrahlenabsorption und der totalen Reflexion
bekannt sind, erinnern wollen. Von zwei verschiedenen
Ausgangspunkten machte ich also die gasförmige Natur
der Sonuenflecke wahrscheinlich. — Wir wollen sehen,
welche Harmonie zwischen dieser These und den statt-
gefundenen Beobachtungen sich erzielen lässt, ohne den
ganzen Hypothesenbau zu verkünstcln und zu verschnörkeln.
rrotuberanzen sowohl wie Sonuenflecke kommen aus
dem Innern, beides sind Gase, die eine Erscheinung bietet
Helligkeit, die andere nicht. Wir stehen vor einem Räthsel,
wenn wir nicht den Umstand berücksiclitigen, dass die
Protuberanzen sich von der SonnenoberHäche erheben,
während die Sonnenflecke haften Ideiben. Jetzt fällt es uns
wie Schuppen von den Augen. Die Sonnen flecke sind
Blasen, ungeheure Blasen für irdische Begriffe, dagegen
gar nicht so abnorm für Sonneuverliältnisse. Die Gas-
massen toben unter einer gewaltigen durchsichtigen Glocke,
die aus glühender Sönnenmasse gebildet wird, nach innen
gestützt durch die Spannkraft der eingeschlossenen Gase,
vor dem Zersprengtwerden durcli ihre eigene Cohäsion
und den solaren Atmosphärcudruck geschützt.
Nach der von Pickering erforschten Thatsaehe, dass
die Sonnenmitte dreimal heller als der Sonnenrand sei,
muss ich den Körper der Sonne bis zu einem gewissen
Grade für durchsichtig halten, wenn ich auch weiss, dass
dieser Unterschied an Helligkeit meistens der Strahlen-
absorption in der Sonnenatmosphäre ganz allein in die
Schuhe geschoben wird. Die aus dem Sonneniunern
kommenden Strahlen erleiden schon bei normalen Ver-
hältnissen theilweise eine Reflexion in das Innere zurück,
wenn sie iu die Atmosphäre eindringen wollen. Wie
viel mehr sollte dies nicht den Strahlen geschehen,
welche aus dem gluthflüssigen Blasengrunde in die durch
Hitze stark verdünnten (iase des sogenannten Sonnen-
fleckens eintreten wollen. Diese stark erhitzten Gase ab-
sorbiren ausserdem von den eingedrungenen Lichtstrahlen
wiederum einen ganz beträchtlichen Tlieil, und dem Rest
ist auch noch nicht gestattet, unbehindert in die Sonnen-
atmosphäre zu dringen, falls die Strahlen nicht unter
günstigem Winkel durch die Blasenwantl sich bewegen
und so der totalen Reflexion entgehen. — Kein
Wunder, dass nach diesem dreimaligen Licht-
. Verlust der Oontrast mit der strahlenden Sonnen-
oberfläehe die Blase dunkel erscheinen lässt.
Die Flecke kommen in den l'olarzonen gar nicht vor,
in der Nähe des Ae([uators selten, am häufigsten jedoch
in den Breiten von 10° — 30°. Südliche und nördliche
Hemisphäre verhalten sich ganz gleich in Bezug auf
Fleckenvertheilung, wenn wir von temporären Unterschieden
absehen, — ein Grund mehr, nur die allgemeinsten
Eigenschaften der Sonne bei unsern nächsten Ausführungen
zu benutzen. — Die Sonne drelit sich von West nach
Ost, wie unser ganzes Planetensystem. Die Geschwindig-
keiten der einzelnen Punkte ihrer Gberfläche verhalten
sich wie die Radien der Breitengrade, auf denen sie sich
befinden. Vom Pol bis zum Aequator nimmt diese durch
die Rotation hervorgerufene Bewegung zu und zwar nicht
gleichmässig, sondern die Zunahme wird nach dem
Aequator hin immer grrisser. In derselben Weise zeigen
Punkte im Innern der Sonne eine im Sinne der Rotations-
richfung fortschreitende scdinellere Bewegung, wenn sie
weiter von der Drehungsachse entfernt sind. Aufsteigende
Gasblasen gerathen also in Gegenden von schneller fort-
schreitender Bewegung. Sie bleiben naturgemäss zurück,
so dass sie schliesslich westlich von dem ursprünglich
senkrecht über ihnen liegenden f)berflächenpunkt und
nahezu in derselben Breite unter spitzem Winkel zur Ro-
tationsrichtuug auftauchen. Diese Translation ist in höhe-
ren Breiten bedeutend geringer als in niedrigen, wie ein
Vergleich der 3 Linien p, -/ und r in untenstehender
Figur sofort lehrt. Die Gasblasen werden daher iu
höheren Breiten mehr senkrecht zur Oberfläche empor-
tauchen. In niederen Breiten haben wir dagegen einen
viel schrägem Auftrieb, so dass hier ein Haftenbleiben
der Blasen eher möglich erscheint, als bei den nahezu
vertikal nach oben schnellenden Blasen der Polarzone,
deren Fleckenlosigkeit damit erklärt wäre; denn hier
bleiben die Blasen nicht haften, sondern schnellen empor,
krepiren und bieten die Erscheinung der Protuberanzen.
Und nun kommt noch hinzu, dass bei schrägcrem Auf-
trieb ein längerer Weg im Sonneninnern durchlaufen wird,
bei dessen Durcheilen die Blasen, welche doch in Ge-
genden immer geringeren Druckes gelangen, durch Aus-
dehnung einen Theil ihrer hohen Spannung verlieren
können, was bei den vertikal auftreibenden Blasen niclit
in dem Maassstabe der Fall ist, so dass sie auch schon
infolge der ihnen innewohnenden grösseren Energie
leichter zerplatzen. Da der Auftrieb in der Aequatorial-
zone jedenfalls am schrägsten ist, so müssten wir hier
den grössten Fleckenreichthum vcrmutlien, womit wir je-
doch der Beobachtung direct widersprechen. Wir haben
aber auch einen Umstand ganz ausser Betracht gelassen.
Wir müssen nämlich bei der Grösse derBlascn (häufig doppelte
Erdgrösse) annehmen, dass die dem Aequator zugewandte
Seite im stärkeren Fortschreiten begriffen ist, als die ab-
gewandte Blasenseite. So treten Zerrungen und Span-
nungen auf, denen die Blase nach ihrem Bau so gut wie
möglieh nachgiebt, so dass die beobachtete Längsdehnung
an der ursprünglich rundlichen Blase und ihr allmäliges
Herabsinken in niedere Breiten hierdurch bedingt er-
scheinen muss. Die Zerrungen nehmen nach dem Aequa-
tor hin unverhältnissmässig stark zu und ^crursachen so
das Zersprengen mancher Blase, die sieh einer weniger
guten Bauart zu erfreuen hatte. Nur einige dieser Sonnen-
kinder, deren Bau fester gegründet und gefügt ist, sinken
allmälig auf spiraliger Bahn bis auf den Aequator und
enden hier schliesslich, ich möchte sagen, an Alters-
schwäche. Von den in niederen Breiten erzeugten
Flecken enden viele frühzeitig in den Känq)fen des Da-
seins, einige wenige erreichen ein hohes Alter, aber auch
ihr Dasein ist Mühe und Arbeit gewesen. In den Polar-
gegenden finden sich aber nur Todtgeburten. Eine Pro-
tuberanz bezeichnet jedesmal das Ende eines Fleckens.
Der Körper sinkt theilweise in die Sonne zurück, ein
anderer Theil wird durch die hervorbrechenden Gase in
feinste, glühende Partikelchen zerschellt und emp(U-geführt
in die leuchtende Region der Korona. Den grössten
Fleckenreichthum vermuthen wir also in der
Sonnengegend, wo der günstige Factor des
schrägen Auftriebs nicht zu sehr beeinträchtigt
wird durch den ungünstig für das Bestehen der
Blase wirkenden. Diese Combination des schrä-
gen Auftriebs mit verhältnissmässig geringen
Nr. 6.
Naturwissenschaftliehe Wochenschrift.
.57
Zerrungen finden wir in der Breitenlage von
30°— 10° auf beiden Hemisphären.
Am Schluss einer Periode werden die Flecken in
einer ungefähren Sonnenbreite von 10° grösstentheils ver-
schwinden. Dagegen werden zu Anfang einer Periode die
ersten Flecken in denjenigen Sonnenregionen wieder auf-
tauchen, wo die die Periodicität hervorrufenden Factoren
am ungestörtesten liahen wirken können; dies werden die
schon längere Zeit im fleckenlosen und ruhenden Zustande
befindliclien höheren Breiten von etwa 30° sein.
Siiörer hat beobachtet, dass nach einem grossen Fleck
sieh gewöhnlich noch kleinere Flecken auf demselben
Parallelgrade bilden, die aber hinter dem grossen etwas
zuriickbleiben, im Uebrigen jedoch das Bikl einer von West
nach Ost ausgedelniten (iruppe liieten. Das Voraneilen
des grossen Flecks, welches auf den ersten Blick merk-
würdig ist, erklärt sich naturgemäss daraus, dass er eine
viel grössere Ausdehnung über die Sonnenbreite als die
kleinen Flecke besitzt, deswegen grösseren Zerrungen
unterworfen wird, die sich in der Blase in der Form aus-
zugleichen suchen, dass der voraneilende etwas südöstlich
gerichtete Theil den langsameren an sich heranzuziehen
bestrebt ist. Ausserdem nehme ich einen Wellenschlag
auf der Sonne an, der durch den schrägen Auftrieb der
Blasen hervorgerufen wird, dessen Richtung natürlich der
Rotationsrichtung entgegengesetzt ist, so dass diese Wellen
gegen die flottirenden Blasen prallen. Sind diese Wellen
als Wirkungen der Blasen auch viel kleiner als letztere,
so kann man ihnen doch wohl Bergesgrössc zuschrcilien.
Unter allen Umständen beeinträchtigen sie die Bewegung-
kleiner Blasen mehr als die grosser. Dass eine grosse,
im Sonneninnern aufsteigende Blase bahnbrechend für
mehrere kleinere wirken kann, liegt auf der Hand und
so wären auch die Spörerschen Beobachtungen
meiner Hypothese angegliedert.
Der vorerwähnte Wellenschlag scheint sich unsern
Blicken in der sogen. Weidenblattzeichnung der Sonnen-
oberfläche kenntlich zu machen. Das Veränderliche der
Erscheinung spricht mit für diese Vernuithung, und wenn
ich den Wellenkänmicn relative Helligkeit, den Thälern
und Hängen dieser Wellen dagegen eine geringere Licht-
stärke zuschreibe, so habe ich hiermit eine Hypothese
aufgestellt, die mit der ersteren so locker verbunden ist,
dass ihre Verwerfung noch keineswegs die Blasenhypothese
zum Wanken bringt.
Aehnlich wie das V(n'aneilen grosser Blasen vor kleinen
erklärt wurde, haben wir uns die schnellere Rotationslte-
wegung gleich grosser Blasen in verschiedenen Breiten zu
denken. In niederen Breiten sind die Zerrungen und
Spannungen in der Blasenwand aus dem schon mehrfach
erwähnten Grunde lebhafter. Die Unterschiede in den Ge-
schwindigkeiten der beiden Blasenseiten nehmen nach dem
Aequator hin immer mehr zu, desgleichen die Zerrungen
und Spannungen, dadurch werden aber gewaltsamere Aus-
gleiche bedingt, die wiederum eine grössere Geschwindig-
keit für die ganze Blase hervorrufen. Mit dieser Er-
klärung, die si(;h unmittelbar aus meiner Hy-
pothese ergiebt, fällt zugleich das Merkwürdige
an der verschiedenen Rotationszeit der Sonnen-
fleeke in verschiedenen Sonnenbreiten.
Da die Protuberanzen als Folgeerscheinungen der
Sonnenblasen auch ihre Endgeschwindigkeiten angenommen
haben müssen, so fordern wir für sie eine ähnliche Be-
schleunigung in äquatcn-ialen Breiten, vermuthen jedoch,
dass sie gegenüber den Sonnenflecken etwas zurück-
bleiben aus dem Grunde, aus welchem die im Sonneninnern
aufsteigenden Blasen ein Zurückbleiben in westlicher
Richtung aufweisen. Zudem haben diese Phänomene eine
zu kurze Dauer, als dass Ausgleiche wie bei den lang-
lebigen SonnenHeckcn stafttimlen können. Diese rein
theoretische Folgerung findet in astroni mischen Beobach-
tungen ihre Bestätigung und dadurch wird wiederum un-
sere Vermuthung von dem organischen Zusanmienhang
zwischen Sonnentleckcn und Protuberanzen bedeutend ge-
kräftigt und gestützt. Fassen wir alles Bisherige
zusammen, so machten wir die Blascnnatur der
Flecke zunächst nach logischen Grundsätzen
wahrscheinlich, dann zogen wir Folgerungen in
Bezug auf Bewegung und Vertheilung der
Blasen, schlössen dann nebenbei weiter auf
Vertheilung und Bewegung des Protuberanzen,
und alles bisher Wunderbare in den Beobach-
tungen scheint sich sehr gut mit diesen Folge-
rungen zu vertragen. Dass damit unsere Hypothese
zu einem hohen Grade von Wnhrseheinlichkeit gelangt,
brauche ich kaum noch zu erwähnen.
Viele Beobachtungen, denen ich eine geringere Be-
deutung zusehreiben möchte, können doch nicht ganz
umgangen werden. Sie mögen mir als Reservetruppen
zum Befestigen meiner Stellung dienen. Ich denke liier
an die Erscheinungsformen kleiner Blasen mit ihrem un-
deutlichen Rande, an ihr Verschmelzen zu gr(isseren, an
die Brücke, welche ich als senkrechte Blasenscheidewand
auffasse, und die als solche auch wohl besonders schöne
Liehteffecte darbieten könnte, lauter Beobachtungen, zu
denen sich leicht Analoga bei Blasen auffinden lassen.
Die Penumbra mit ihrer radialen Struetur wird vernuith-
lich durch kranzförmige Anlagerung kleiner Blasen an
eine grosse hervorgerufen.
Ich begebe mich jetzt auf etwas unsicheres Gebiet,
wenn ich auch die Fackeln in den Kreis unserer Betrach-
tungen ziehe. Könnten diese nicht Reflexe der Gluth-
masse an der äusseren, jedenfalls spiegelnden Blasenwand
sein? Das Veränderliche in ihrer Erscheinungsform, ihr
besonders schönes Auttreten am Sonnenrande, ihre häufit
sternförmig zackige Ausbildung
ihr allmäligcs Verkürzen
am vorderen Fleckenrande und dazu im Gegensatz ihr
Waehsthum am hinteren Fleekenrande, sowie zuletzt ihre
Lage über den Flecken, spricht zu Gunsten meiner An-
nahme. Dagegen ist das Vorkommen von Fackeln in
fieckcnlosen Regi<inen ein Umstand, der zur Vorsicht
mahnt. Da die Fackeln meistens am Sonnenrande schön
auftreten und hier vorzugsweise beobachtet werden, so
wäre es nicht unnniglich, dass hier eine aufstrebende Blase,
die aber im nächsten Augenblick platzen wird, Veran-
lassung zur Faekelbildung böte. Dann müsste aber so-
gleich eine Protubcranz sichtbar werden, die wegen ihres
Zurückbleibens in der INitationsrichtung noch soeben zur
Beobachtung kommen konnte. Vielleicht lohnt es sich,
in dieser Richtung einmal Forschungen anzustellen. Uebri-
gens gilt von dieser Fackelhypothese dasselbe, was ich
auch von der in den Text cingeHoehtenen Hypothese über
Sonnenwellen gesagt habe. Ihr Fallen erschüttert die
Blasenhypothese nicht sehr. — Gefährlicher könnte für
letztere die Beobachtung werden, dass die Sonnentlceke
eine tiefe Lage zu haben scheinen; wenn ich mich aber
durch diesen Umstand zunächst wenig beunruhigt fühle,
so kommt das v(m der Hoffnung, hier nnige eine optisrhc
Täuschung, wie sie bei der Blasennatur der Flecke
leicht unterlaufen kann, im Spiele sein.
Zum Schluss mache ich nochmals auf die ungeheuer-
lichen, jeder irdischen Vorstellung spottenden Verliältnisse
unseres Sonnenkörpers aufmerksam. Führt mau sich die-
selben so recht vor das geistige Auge, so wird meine
Hypothese viel von ihrer Unwahrseheinlichkeit verlieren
und die Einfachheit der Erklärung sowie die Harmonie
der Folgernngi'n mit den Thatsachen müssen solche Vor-
stellungssehwierigkeiten siegreich überwinden.
58
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 6.
lieber freilebende Papageien in der Mark Bran-
denburg Ijcrichtet der Ornitliolo,i;e Dr. Karl Kiiss in der
„Geiicderten Welt". Freilebende Papageien wurden auf
der Kgl. Domäne Karlshof bei Waltersdorf beobachtet.
Am 23. November des vorigen Jahres suchte R. die Stelle
auf. Die ganze Bewobnscliaft des Gutes spähte nach den
Vögeln aus. Aber es war nicht leicht, die scheuen Fremd-
linge aufzufinden und mit Müsse zu schauen.
Inzwischen erzählte der Dberamtmann Schmidt, dass
sich die Papageien im Juni v. J. ganz von selber einge-
funden hätten; es seien ihrer drei Köpfe. x\us seinen An-
gaben, vor allem aber aus der Thatsaciie, dass die Vögel
ein grosses, rundes, übcrvviUbtes Nest aus Strauch hoch
oben im Wipfel einer italienischen oder Pyramiden-Pappel
hergerichtet hatten, licss sich mit Bestimmtheit annehmen,
dass es Mönchssittiche aus Südamerika seien, die offen-
bar einem Vogelhäudler oder Liebhaber fortgeflogen waren.
Gerade diese Art ist aber in mehrfacher Hinsicht merk-
würdig, und als Gast hier in unseren Fluren muss sie für
jeden Naturfreund von vornherein als überaus interessant
erscheinen.
Während alle Papageien fast ohne Ausnahme Höhlen-
brüter sind, in der Freiheit in Astlöchern oder irgend
welchen anderen ßaumliöidungen und in unseren Käfigen
und Vogelstuben in Nistkasten brüten, so baut dieser
Sittich ein freistehendes Nest in der Form einer Kugel
oder eines Cylinders. Der zu den Dickschnabelsittichen,
einer in Amerika lebenden Gattung der Papageien, ge-
hörende Mönchssittich, auch Mäusesittich oder Quäker
genannt, ist ein hübscher Vogel von Turteltaubengrösse,
grün, jedoch an Vorderkopf, Gesicht, Kehle und ül)cr-
brust perlgrau, mit blauen Flügclspitzcn, und so zierlich
und aumuthig, dass der amerikanische Naturforscher
Azara ihm die Bezeichnung ,,junge Wittwe" beigelegt hat.
Im Käfig zeigt C: sich als einer der ärgsten Nager und
Schreier, weshalb er wenig beliebt ist. Hier in der Frei-
heit tritt er uns aber ganz anders entgegen.
Zwei von den Sittichen wurden dann von Russ
imd Direktor Dr. Heck am Boden umherlaufend und
nahrungsuchend beobachtet. Sie Hessen sich bis auf etwa
zwanzig Schritt ankonnnen; dann wurden sie flüchtig und
flogen ziemlich weit davon in die hohen Bäume.
Alle Sittiche sind l)essere Flieger als die kurzflügeligen
und kurzschwänzigen Papageien. Der Wellensittich fliegt
wie andere Sittiche unglaublich gewandt, schnell und an-
muthig. Daher glaubte R. voraussetzen zu dürfen, dass
auch die Mönchssittiche hier im Freien als ebenso vor-
treffliche Flieger sich zeigen würden — aber er hatte
nicht an ihre weit kürzeren Flügel gedacht und war
überrascht, als er sie nun im schwankendem Fluge dahin-
segeln sah.
Glücklicherweise sind sie indessen trotzdem, und auch
obwohl ihr Nest hoch oben im Wipfel einer der Pappeln
hängt, dennoch keineswegs der Gefahr, durch Raubvögel
geschlagen zu werden, zu sehr ausgesetzt.
Die nächste Frage, ob die Papageien wohl den harten
und rauhen Winter unseres Klimas überdauern könnten,
muss inanbetracht dessen, dass die Heimath des Mönchs-
sittichs den heissen Tropen angehört, verneint werden;
aber wir sehen, dass zahlreiche Vögel und andere Haus-
thiere, die uns umgeben, aus heissen Ländern herstammen,
so vor allem der Pfau, urs])rünglich auch das Haushuhn,
der Fasan in verschiedenen Arten u. a. m. Da der Mönchs-
sittich in seiner Heimath in Gebirgsstrichen l)is zu 1000
Metern Höhe vorkommt, so ist au seiner Fähigkeit, bei
uns auszudauern, keineswegs zu zweifeln. Uebrigeus ist
er bereits mehrfach in den zoologischen Gärten, auch im
Berliner, im Freien überwintert worden.
Unsere Liebhaber und ebenso die zoologischen Gärten
haben den Möncbssittich auch schon mehrfach gezüchtet,
und zwar meistentheils gleichfalls in Käfigen, die im
Freien standen.
Auf dem Gute Karlshof ist in vorsorglicher Weise
zwischen zwei Bäumen auf dem Wirthschaftshof eine
schwebende Futterstelle für die Sittiche angebracht, weil
sonst das Federvieh ihnen die Nahrung innner fortfressen
würde. Von hier aus kamen sie schliesslich zur Pumpe
herab und trippelten trotz des recht kalten Wetters ganz
nuuiter auf dem Eise umher, um aus der Wasserrinne zu
trinken.
In seiner Heimath zeigt sich der Mönchssittich au
nuuichcrlei Nutzgewächsen, insbesondere am Mais und an
allerlei (ietreide überaus schädlich, so dass er viel ver-
folgt und getödtet wird.
Es ist nicht allein die ^Möglichkeit gegeben, dass die
Mönchssittiche sich hier erhalten, sondern es eignen sich
dazu auch zweifellos eine beträchtliche Anzahl verschie-
dener Arten, wie vor allen der A\'ellensitticli, sodann Sing-
sittich, Bunt-, Pennantsittich, sännntlich von Australien,
sowie ebendaher auch der Nymphensittich oder richtiger
Nymphenkakadu, dann der Karolinasittich von Nordamerika
und noch manche andere. Sie alle würden hübsche und
abs(nulerliche Schmuckvögel bilden und nicht leicht schäd-
lich, wohl aber in mehrfacher Hinsicht nutzbar werden
können.
Nachschrift: Trotz der starken Kälte hatten sich
die Sittiche bis zu den ersten Tagen des Januar vortreft'lich
erhalten. Dann aber ei'lagen sie, nicht den Witterungs-
beschwerden, sondi'rn den Krähen, welche sich zahlreich
eingefunden hatten und trotz alier Bemühungen des Ober-
anitinanns und seiner Leute die Papageien Itestäudig ver-
iblgten, in ihrem Nest förmlich belagerten und zum Unter-
gang brachten. Ein Sittich wurde, von einer Krähe am
Hinterkopf gestossen, todt aufgefunden. Der zweite war
matt gejagt, wurde eingefangen und in einen Käfig ge-
steckt und der dritte ist verschwunden. Dr. K. R.
FoUiculites eine fossile Anacardiaceen-Gattung. —
Endlich lüftet sich der Schleier über die .systematische
Zugehiirigkeit der Gattung FoUiculites Zenker*), welche
die Pflanzenpalaeontologen und Botaniker seit Anfang
dieses Jahrhunderts von Zeit zu Zeit immer wieder ver-
geblich unterzubringen versucht haben.
Herr Prof. P. Aschcrson war so gütig, mir Früchte
der Anacardiaceen-Gattung Pistacia zur Untersuchung zu
übersenden mit der Bemerkung: „Beifolgende Früchte und
Samen von Pistacia vera waren das übject, das ich in
Bezug auf FoUiculites im Auge hatte. Meine Hoffnung
wurde aber sehr herabgestimmt, da sich keine Carunkel
findet, dafür aber ein mächtiger Funiculus. Die Grösse
würde wohl aber nicht hindern, da die wilde Pistacia
sicher viel kleinere Früchte hat. Merkwürdig, dass sich
diese Form der Frucht bei keiner andern Art findet;
diese haben alle kugelige, viel kleinere Drupae."
Der .,mäclitige Funiculus" ist nun aber nach meiner
Untersuchung nichts anderes als die von nur ni der De-
cember Sitzung der Gesellschaft naturforschender Freunde
zu Berlin beschriebene (vergl. Sitzungsberichte genannter
Gesellsch. 1892) „Caruncula" **) bei der Gattimg FoUicu-
lites, und auch in allen übrigen Punkten stimmt FoUicu-
lites mit den Pistacien-Frücliten derartig überraschend
überein, dass ich die Gattung FoUiculites — wenn auch
aus einem bestimmten Grunde nicht zu Pistacia selbst —
*) Vergl. „Xaturw. Wochenschr." Bd. VII S. 519—520.
**) Vou Herrn Prof. Nehring in der „Naturw. Wochenschr."
Bd. VII S. 4.56 in Ermangelung einer Deutung dieses Organcs
naeli seiner Form einfach als ,.ilütciien" angegeben.
Nr. .6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
DU
so doch zu den Anaeardiaceen stellen niuss. Eine aus-
führliche Beg-rUndung-, werde ich im Neuen Jahrbuch für
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie bringen und
auch in der „Natunv. Wochcnschr.'- ausführlicheres mit-
thcilen uud zwar bei Gelegenheit der Besprechung der
neueren Veröffentlichungen der Herreu Credner, Keilliack,
Nehriug, Schröder uud Wahnschaffe über die geologische
Stellung der diluvialen ..Kiinger Schichten", die nun
schon so viel Stauli aufgewirbelt hat. Der freundliche
Leser, der die in IJand \ll der ,,Naturw. Woehenschr."
veröffentlichten Original-Mittheiluugen des Herrn l'rof.
Nchring über das Torflager der erwähnten Schichten und
über die Flora derselben verfolgt hat, weiss, dass Folli-
culites (^= Paradoxocarpus Nchring) in diesem Torflager
das merkwürdigste Fossil ist. Nur soviel will ich schon
hier bemerken: Ich bin in der Lage gewesen, von dem
Bau der Folliculites (iucl. Paradoxocarpus) genannten
Früchte für fossile Objecte verhältnissmässig viel heraus-
l)ringen zu können. Alle Daten passen mit deujenigcn,
die wir au recenten Anacardiaceen-Früchten finden, zu-
sammen: kein einziger Punkt bietet einen Wider-
spruch. H. Potouie.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt rosp. berufen: Der Stabsarzt Dr. Beh-
ring, Bataillons - Arzt im Infanterie - Regiment Graf Werder
(-1. Rlieinisehes) No. 30, connnandirt als wissenschaftlicher Assistent
zum Institut für Infectiouskrankheiten zu Berlin, zum Professor.
— Der ausserordentliche Professor der Botanik Dr. ültmanns
in Rostock zum ordentlichen Professor der Botanik und Pliarma-
kognosie in Frcibur"; i. B. — Stabsarzt Dr. Brieger vom Institut
für Infectionskrankheiten in Berlin zum Professor. — Privat-
docent Dr. Julius Ge p pert in Bonn, früher Assistent an der
Leyden'schen Klinik in Berlin, zum ausserordentlichen Professor
für Arzneimittellelire. -- Dr. K. Bachmann zum ordentlichen
Professor der Pharmacie an der Universität Erlangen. — Dr.
Ludwig Becker zum Professor der Astronomie an der Universität
Glasgow. — Privatdocent an der Universität Leipzig Dr. P. H.
Fraisse zum ausserordentlichen Professor der Zoologie.— Der
Privatdocent der Anatomie Dr. L. 0. Dark sehe witsch zum
ausserordentlichen Professor an der Universität Moskau. — Dr. med.
B. F. Merigo zum Docenten der Physiologie an der Militär-
Medicin.-Akademie zu St. Petersburg. — Bei dem Kaiserlichen
Patentamt zum technischen Hilfsarbeiter der Chemiker Dr. Hegel.
— Privatdocent Dr. Götz Martins in Bonn zum ausserordent-
lichen Professor der Pliilosujihie.
Es haben sich habilitirt: Dr. E. Bloch als Privatdocent für
Ohrenkrankheiten an der Universität zu Freiburg i. B. — Dr.
M. Siegfried als Privatdocent für Chemie in Leipzig.
Es sind gestorben: Der friUiere Präsident des Torrey Botani-
cal Club zu New-York Dr. John Streng Newberry in New-
Haven (Connecticut). — Landgerichtspräsident a. D. F. Peck in
(Görlitz, der als Florist den Botanikern bekannt geworden ist. —
Paul Heinrich Zech, vormals Professor der Physik, Meteo-
rologie und Astronomie an dem Polvtechnicum zu Stuttgart. —
Der Psvchiater Dr. August Eickhiilt, Director der rheinischen
Provinzial-Irren-Anstalt in Grafenberg. — Der Kliniker Professor
Otto Kahler in Wien. — Der ehemalige Professor und General-
directordesMedicinalwesens, Staatsratli Felix v. Willebrand in
Helsingfors. — Der ehemalige Kliniker Professor Hardy in Paris.
— Der Professor der Chirurgie Axel Iversen in Kopenliagen. —
Der Anthropolog Geh. Rath Professor H. Scha af fhausen von
der Universität Bonn.
L 1 1 1 e r a t u r.
Regel, F.. Thüringen. Ein geographisches Handbuch Erster
Theil: Das Land. 1. Grenzen. 2. Bodengestalt und Gewässer.
3. Schichtenaufbau u. Entstehungsgeschichte. 4. Klima. — Mit
einer geologischen Karte (Tafel I), drei grösseren geologischen
Profilen (Tafel II) und 40 Textabbildungen. Jena, Verlag von
Gustav Fischer 1892. 8°. — Preis 8 Mk.
Aus der im Titel gemachten Inhaltsangabe des ersten Theds
und aus der Ankündigung des Vorwortes, dass der zweite Theil
die Pflanzen- und Thierverbreitung, sowie die Anthropogeographie
bringen solle, geht liervor, dass wir es hier mit einer natur-
geschichtlichcn Behandlung der Geographie Thüringens
zu thun haben, und zwar des gesammten Thüringens. Das Buch
will die speciellen Heimathskunden, die von einzelnen thüringischen
Staaten bestehen, keineswegs überflüssig machen, sondern will
sie erweitern, ihnen einen allgemeineren Hintergrund geben
und ein tieferes Verständniss für den inneren Zu.sammenhang
der einzelnen dort verzeichneten Thatsachen erwecken. Und es
dürfte dieses vorgesteckte Ziel wohl erreichen und wird darum
im weiteren Kreise der Gebildeten, besonders der Lehrer, und
nicht bloss in Thüringen, sondern bei allen, die Interesse für
dieses schöne Land haben, willkommen geheissen werden. Aber
nicht minder wird es sich unter den Spezialforschern dankbare
Freunde erwerben; denn, wenn der Verfasser auch nur wenige
eigene Beobachtungen bringt, so liat er doch, das kann wohl be-
hauptet werden, alles Einschlägige, was jemals über Thüringen
geschrieben worden ist, mit grossem Fleisse zusannnengetragen
und im vorliegenden Buche wohlgesichtet verarbeitet und dabei
gewissenhaft in grosser Vollständigkeit seine Quellen, die für
Viide z. Th. schwer zugänglich oder wenig bekannt waren, jedes-
mal in den Anmerkungen 'namhaft gemacht, ohne dass übrigens
der Text, unter dem Drucke derselben leidet. Die Fülle des zu
verarbeitenden Materiales hat es allerdings, besonders im geolo-
gischen Abschnitte, mehrfach mit sich gebracht, dass gewisse
Gegenstände, die für den Si)ezialisteu von grossem Interesse und
darum in der Litteratur ausfidu-lich behandelt sind, doch in einer
für ein Geographiebuch vielleicht zu breiten Weise wiedergegeben
wurden, während einige allgemeinere Gesichtspunkte, über die
nur erst spärliche Litteratur vorlag, verhältnissmässig zu kurz
weggekommen sind. — Uclier den Inhalt mögen folgende Angaben
kurz Orientiren. Die ersten Kapitel behandeln die Grenzen
Tlüiringens im Verlauf der Geschichte und begründen die im
Buche angenommene Begrenzung (danach sind von zweifelhaften
Grenzgebieten berücksichtigt das Eichsfeld bis zur Göttmger
Senke, der bavrische Frankenwald bis zum Münchljerger Gneiss-
gebiet, und „Östthüringcn" im Sinne Liebes, ausgescldossen sind
aber Rhön, gewisse südliche Theile von Coburg und Memingen
und die Mansfelder Generalmulde, ohne jedoch ganz vernach-
lä.ssint zu werden). Alsdann folgt eine orographische Uebersicht
mit einer Gliederung des Gebiete.s in den gebirgigen Kern, be-
stellend aus Thüringer- und Franken wald, Fichtelgebirgsvorbergen
und Vogtländischem Bergland, in das südwestliche oder fränkische
und in das nördliche oder thüringische Vorland, letzteres gegliedert
in die thüringische Hochebene mit den Erhebungen in ihrem In-
nern, in die randlichen Vorstufen dieser Hochebene und in den
Antheil Thüringens an der sächsisch-thüringischen Tieflandsbucht;
den Schluss bildet ein zusammenhängender Ueberblick der Ge-
wässer im thüringischen Hügelland.
Der dritte Hauptabschnitt, der geologische, ist der umfang-
reichste; er umfasst die Seiten 88-31'2, und ist nach H. Credners
vor fast 40 Jahren verfassten Schriften über Thüringen die erste
auf die neuen Spezialforsehungen gegründete Gesammtdarstellung
dieses Landes. (Leider sind gerade die Resultate der erst jetzt
im Gesammtüberbliek abgeschlossenen Spezialaufnahmen des
Thüringer Waldes noch nicht publicirt uud konnten darum vom
Verfasser nicht mit verarbeitet werden, doch hat er versprochen,
sie wenn möglich als Anhang zum 2. Theile seines Buches im
nächsten Jahre zu liring.'n). Nach einer geschichtlichen Ueber-
sicht über die geologische Erforschung Thüringens werden zunächst
die einzelnen Formationen nach Verbreitung, Zusammensetzung,
Gliederung, Versteinerungsführung und technischer Bedeutung be-
sprochen und daran die Beschreibung und Angalie der Verbreitung
der Eruptivgesteine und der Gänge und Lager technisch wichtiger
Erze und Mineralien geknüpft. Die sehr eingehende Behandlung
und Reichhaltigkeit des folgenden Abschnittes „Entstehungsge-
schichte und Gebirgsbau" mögen die Kapitelülierschriften an-
deuten. Kap. 13: Ablagerungszeit der archäischen und altpaläo-
zoischen Schichten; Kap. 14: Entstehung der „mitteldeutschen
Alpen"; 15: Abtragung der mitteldeutschen Alpen; Bildung des
Kuppengebirges in "der Rothliogendzeit; lü: Die Abhigerungszeit
vorwiegend mariner Schichten vom Zechstein bis zur jüngeren
mesozoischen Epoche; 17 bis 20 die neuere Festlandsperiode;
Ueberblick. Gebirgsbau des Thüringer- und Frankenwaldes und
Vogtländischen Berglandes, — des südlichen fränkisclien Senkungs-
feldes, — des nördlichen, thüringischen Senkungsfeldes und der
einzelnen Störungszonen in beiden Feldern; 21: die jüngere Ter-
tiärzeit und die Quartärperiode; 22: die Ausgestaltung der heu-
tigen Flussläufe; 23: die Fortdauer der gebirgsl)ildenden Kräfte.
— Der 4. Hauptabsclinitt (S. 313—396) ist dein Klima gewidmet
und enthält die Kapitel 24: Temperaturverhältnisse; i5: Hydro-
nieteore; 26: Luftdruck und Winde; 27: Phänolofjische Beobach-
tungen. ~ Dem Text, besonders im geologischen Theile, sind eine
Reihe von Profilen und Landschafts'bildern in Zinkätzungen bei-
gefügt, der klimatische Theil ist durch viele, vom Verfasser ein-
heitlich umgerechnete Tabellen unterstützt. Einen besonderen
Werth aber erhält für sehr Viele das Buch (hulurch, dass ihm
eine aus den neuesten jiublicirten Karten sorgfältig zusammen-
gestellte geologische Karte, seit langer Zeit wieder die erste des
Gesamnitgebietes (im Maassstab 1 : 41,i000'i beigegeben ist, welche
obwohl nicht bunt, sond.'rn als Photolithograjdiie in Schwarzdruck
60
Naturwissciiscliaftlielie Wochenschrift.
Nr. 6.
hergestellt, nicht weniger als 36 verschiedene Formationsglieder
und Eruptivgesteinsarten in einer doch unerwartet deutlichen und
übersichtlichen Weise zur Anschauung bringt. Drei grössere
Profile (eines quer über den ThüringerwaUl von der oberen
Werra bis zum Mansfelder Hügelland, ein zweites entlang dem
Kamm des Thüringerwaldes von der unteren Werra bis zur
Saalequelle im Fichtelgebirge, endlich ein drittes von Duderstadt
im Eichsfeld mitten durch das Thüringer Becken bis nach Greiz
an der Elster) geben, obwohl ebenfalls in Schwarzdruck ausge-
führt, doch ein ebenfalls deutliches, gewiss erwünschtes lieber-
sichtsbild über den inneren Bau des Landes.
Trotz kleiner Fehler können wir demnach das Buch als eine
fleissige und übersichtliche Zusammenfassung unserer gegenwär-
tigen Kenntnisse über Thüringen und wegen seiner reichhaltigen
Quellenangaben allen Interessenten nur empfehlen.
Dr. E. Zimmermann.
F. V. Tavel, Vergleichende Morphologie der Pilze. Mit 90 Holz-
schnitten. -20^ S. 8". .lena, U. Fischer. 1892. — Preis 6 Mk.
Schon wiederholt war in der „Naturw. Wochens." (Bd. IV, 97,
VII, 369) von den Brefeld'schen Untersuchungen die Rede und es
wurden die für die Mycologie und gesammte übrige Botanik so
wichtigen Resultate eingehend dargestellt. Das vorliegende Buch
giebt nun einen Auszug aus den 10 Heften der Brefeld'schen
,,Unter.suchungen aus dem Gesammtgebiet der Mycologie" unter
Berücksichtigung aller übrigen morphologischen Arbeiten.
Es ist ein grosses Verdienst, das sich Verfasser dadurch er-
worben hat, dass er die schwer zugänglichen Schriften Brefeld's
auch dem minder als Mycologen ausgcbildi'ten Botaniker er-
schlossen hat. Das vor 2 Jahren erschienene Lehrbuch von Zopf
sucht noch zwischen dem alten De Bary'schen Standpunkt und
dem neuen von Brefeld zu vermitteln, sehr zu Ungunsten des
Buches, während das vorliegende mit den älteren Anschauungen
völlig bricht und otfen die neue Lehre bekennt. Für die Fort-
entwicklung der Mycologie wird das Buch von grossem Segen sein.
Ein näheres Eingehen auf den Inhalt verbietet sich von
selbst, und es sei deshalb auf die erwähnten .Aufsätze in dieser
Zeitschrift verwiesen. Ganz besonders will ich nur auf die Ein-
leitung, welche die Verwandtschaft der Pilze mit den Algen und
auf die letzten Capitel, welche das natürliche System der Faden-
jjilze behandeln, hinweisen. Die Figuren, welche dem Buche bei
gegeben sind, scheinen mir sämmtlich gut gewählt und sind von
hervorragend guter Ausführung. Lindau.
G. Pizzighelli, Handbuch der Photographie. 2. Aufl. Halle a. S.
Verlag von Willi. Knapp, 1892. — Band 11. Die photographischen
Prozesse. Mit 207 Abbildungen. Preis 8 Mk. — Band III.
Die Anwendungen der Photographie. Mit 284 Abbildungen.
Preis 8 Mk.
Mit den vorliegenden beiden umfangreichen Bänden findet
das grosse, vornehmlich für Amateure und Touristen bestimmte
Werk des bekannten Photochemikers Pizzighelli seinen Abschluss.
In Band II werden mit grosser Ausführlichkeit nach einander der
Negativprozess, der Positivprozess, die photographische Retouche
und die Mittel zur Bestimmung der Belichtungsdauer dargestellt.
Bei den verschiedenen chemischen Prozessen werden nicht nur
die Rezepte zur Bereitung aller der zahlreichen, gebräuchlichen
Bäder, Platten, Papiere u. s. w. gegeben, sondern es ist auch
jedem Abschnitt eine Zusammenstellung der bei dem betr. Ver-
fahren möglichen Fehler nebst Angaben zu ihrer Abhilfe, sowie
eine Belehrung über die beste Verwerthung der vielfach durchaus
noch brauchbaren Abfälle angefügt. Zur Erleichterung der |Be-
Stimmung der günstigsten Expositionsdauer sind eine Anzahl von
Zahlentabellen gegeben, deren Nützlichkeit zu prüfen eine längere
Erfahrung erfordern würde. Doch darf man wohl gerade hierin
den Lehren des Autors, die off'enbar den Niederschlag aus einer
umfangreichen Praxis darstellen, festes Vertrauen entgegenbringen.
Der Inhalt des reich illustrirten dritten Bandes ist ein
ausserordeutlich reicher. Auf die Besprechung der Aufnahmen
von Landschaften, Architekturen, Interieurs, Personen, Kunst-
werken folgt eine Darstellung der mannigfachen wissenschaftlichen
Anwendungen der Photographie in ihren wichtigsten Ergebnissen.
Der Leser gewinnt einen Einblick in die sog. Photogrammetrie
oder Bildmesskunst, die für Geographen von hoher Bedeutung ist.
er erfährt von dem grossen Nutzen, welchen die Photographie
der Rechtspflege gewährt; die Anwendungen der Photographie
in Phvsik, Astronomie und Meteorologie, Aeronautik und Natur-
beschreibung werden in knapper Form, aber doch mit erfreulicher
Vollständigkeit vorgeführt. Dieser abwechslungsreiche Inhalt
wird sicherlich jedem Leser eine hochinteressante Lektüre bieten
•und eine richtige Würdigung der Bedeutung der Photographie
für die heutige Civilisation ermöglichen. Kbr.
Ornithologische Monatsberichte betitelt sich eine neue, von
Dr. Ant. Reich enow herausgegebene Zeitschrift, deren erste
Nummer im Januar erschienen ist. Der Preis des Jahrgangs be-
trägt 6 Mk. Den Verlag hat R. Friedländer & Sohn in Berlin
übernommen. Die neue Zeitschrift will über alle Vorgänge auf
dem Gebiete der Vogelkunde, insbesondere ausführlich und schnell
über die neu erscheinende Litteratur berichten, eine schnelle
Veröfi'entlichung neuer Beobachtungen und Untersuchungen in
Form kurzer Artikel ermöglichen und den Verkehr unter den
Ornithologen vermitteln, somit die bestehenden, in längeren
Zwischenräumen erscheinenden ornithologischen Zeitschrifteu er-
gänzen.
Die incl. einiger Inserate 20 S. in Octav umfassende No. 1
enthält: W. Hartwig, Der Girlitz (Serinus hortulanus Koch),
seine gegenwärtige Verbreitung in Mittel- und Norddeutschland
und sein allmäliges Vordringen polwärts; A. v. Homeyer, Neu-
Vorpommern und Rügen vor 50 Jahren und jetzt; Ad. Walter,
Sonderbarer Nistplatz einer Amsel; H. v. Berlepsch, Diagnosen
neuer südamerikanischer Vogelarten; A. B. Meyer und L. W.
Wiglesworth, Leucotreron Fischeri meridionalis nov. subsp.
Ferner Notizen, Litteratur, Nachrichten und einen „Verkehr"
überschriebenen Abschnitt, der dazu bestimmt ist, den persön-
lichen Verkehr unter den Ornithologen zu vermitteln.
Heerwagen, F., Ueber eine neue Methode zur Messung der Die-
lectricitätsconstanten von Flüssigkeiten. Dorpat. 1 M.
Hertwig, O., Aeltere und neuere Entwickelungs-Theorien. Rede.
Berlin. 1 M.
— . — , Iiie Zelle und. die Gewebe. Jena. 8 M.
Hoffmann, F. A., Lehrbuch der Constitutionskrankbeiten. Stutt-
gart. 10 M.
Hofmann, E. R. v., Lehrbuch der gerichtlichen Medecin. Wien
10 M.
Kafka, J., Untersuchungen über die Fauna der Gewässer Böhmens.
II. Die Fauna der böhmischen Teiche. Prag. 2,40 M.
Karte geologische, von Preussen und den Thüringischen Staaten.
1 : 25,1 iOO. Grad-Abth. 70, Nr. IT. Stadt lim. — 18 Stadt Remda.
— 23. Königsee. — 24, Schwai-zbui-g. — 29. Gross-Breitenbach.
— 30. Gräfenthal. Berlin, ä 2 M.
Kayser, H., u. C. Runge, Ueber die Spectren der Elemente.
Berlin. 2 M.
Knorre, V., Ueber ein neues mikrometrisches Beobachtungsver-
fahren. Berlin.
— . — , Doppelstern-Beobachtungen. Ebd.
Kohl, F. F., Neue Hymenopterenformen. Wien. 4 M.
Kolbe, B., Einführung in die Elektricitätslehre. Berlin. 3,20 M.
Koebel, K., Beiträge zur Kenntniss der Crustaceen der Canarischen
Inseln. Wien. 1,60 .AI.
— . — . Ein neuer ostasiatischer Flusskrebs. Leipzig. 0,50 M.
Koenen, A. von. Das norddeutsche Unter-Oligocän und seine
AIoUuskeu-Fauna. Berlin.
Koepert, O., Der Star (Sturnus vulgaris L.) in volkswirthschaft-
liclier und biologischer Beziehung. Altenburg. 1,80 M.
Kraepelin, K., Die deutschen Süsswasser-Polypen. Hamburg.
9 AI.
Landois, L., Lehrbuch der Physiologie des Menschen einschlie.sslich
der Histologie und mikroskopischen Anatomie. Wien. 10 M.
Lindau, Vorstudien zu einer Pilzflora Westfalens. Münster. 1,.')0M.
Lohrmann, W. G., Mondkarte in 25 Sectionen und 2 Erläuterungs-
tafeln. Leipzig. 25 M.
Messtischblätter des Preussischen Staates. 1 : 25,000. Nr. 923.
Langwarden. — 967. Labes. — 1019. Eckwarden. — 1410. Dölitz.
— 1412. Selluow. — 1491. Grauow. — 1493. Bernsee. — 1845.
Sonnenburg. — 2193. Unruhstadt. — 2268. Storchnest. Berlin.
k 1 M.
Meynert, Th., Neue Studien über die Associationsbündel des
Hirnmantels. Leipzig. 1,40 M.
Mohn, H., u. F. Nansen, AA'issenschaftliche Ergebnisse von
F. Nansen's Durchquerung von Grönland. Gotha.
Inhalt: Baron H. Eggers: In der Heinuith des Cacao. — Realschullehrer K. Friedrichs: Kurze Darstellung einer Hypothese
über Sonuenflecken. (Mit Abbild.) — Ueber freilebende Papageien in der Alark Brandenburg. — Folliculites eine fossile
Anacardiaceen-Gattung. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litferafur: Regel, Dr. F.: Thüringen. Ein geographisches
Handbuch. — F. v. Tafel: A'ergleichende Alorphologie der Pilze. — G. Pizzighelli: Handbuch der Photographie. — Orni-
thologische Monatsberichte. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potoni^, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den InseratentheU: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ford. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
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Nalni-\vissciiscliaf'tlic'lie Wocliciiselirift.
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♦ Dr. Robert Muencke |
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♦ Tecliiiisches Institut für Aufertigaiio; wisseiiscliaftliclier Appara:e*j
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Heft 1.
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Die Bakterien und die Art ihrer Untersuchung von
Dr. Kob. Mittmann. Mit 8 Holzschnitten.
Die systematische Zugehörigkeit der versteinerten
Hölzer (vom Typus Araucarioxylon) in den palaeo-
litischen Formationen von Dr. 11. Potouie. Mit
1 Tafel.
Ueber die wichtigen Funktionen der Wanderzellen
im thierischen Körper von Dr. E. Korscheit.
Mit 10 Holzschnitten.
Ueber die Meeresprovinzen der Vorzeit von Dr.
F. Frech. Mit Abbildungen und Karten.
i
i
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schnitten.
„ 11. Ueber das Causalitätsprincip der Naturerschei-
nungen mit Bezugnahme auf du Bois-Reymonds
Rede: „Die sieben Welträthsel" von Dr. Eugen
Dreher.
„ 12. Das Räthsel des Hypnotismus von Dr. Karl Friedr.
Jordan.
„ 13. Die pflanzengeographische Anlage im Kgl. bota-
nischen Garten zu Berlin von Dr. 11. Potonie.
Mit -2 Tafeln.
„ 14. Untersuchungen über das Ranzigwerden der Fette
von Dr. Ed. liitsert.
„ 15. Die Urvierfüssler (Eotetrapoda) des sächsischen
Rothliegenden von Prof. Dr. Hermann Credner
in Eeipzig, Mit vielen Abbildungen.
„ IG. Das Sturmwarnungswesen an den Deutschen Küsten
von Prof. Dr. W. J. van Bebber. Mit i Tafel
und 5 Holzschnitten.
Preis: Heft 1-4 ä 50 Pf.. Heft 5—16 a 1 M.
V**>- vi^^"^"^^ Redaktion: f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. Sonntag, den
12.
Februar 1893.
Nr. 7.
Abonnement: Man abonnirt bei allen BuclihandluDgen und Po3t-
austalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist Jt 3.—
Bringegeld bei der Post IS 4 extra.
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Inserate : Die vicrgespaltene Petitzeile 10 A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nur mit vollstäiidi
ger <^nellenanj>;abc gestattet.
Die Geologie, eine Lehrmeisterin des 19. Jahriiunderts.
Von Dr. Georg Meyer,
Geognosie und Geologie*) wurden geboren im .Jahre
1780, in welclicm der berühmte Werner an der Bergakade-
mie zu Freiberg in Sachsen zum ersten Male Vorträge
über „Geoguosie" oder Gebirgskunde hielt, während diese
bis dahin zusammen mit der Mineralogie vorgetragen
wurde. Werner war der erste, welcher erkannte, dass
die Erdfeste aus übcrcinanderlageniden Schichten zu-
sammengesetzt sei, von denen jede einem besonderen
Zeitabschnitt in der Erdgeschichte entspräche, indem die
untersten die ältesten, die obersten die letztgebildeten seien.
Indem er nun von der irrthümlichen Ansicht ausging, dass
alle diese Gesteine und Erdschichten aus Wasser abge-
lagert sein, wurde er Begründer der sogenannten „nep-
tunischen Schule", welche sofort eifrig von der soge-
nannten „plutonischen" liekämpft wurde. Diese hatte in
dem Schotten Hutton ihren llauptvertreter und gab für
einen Theil der Gesteine eine Entstehung aus Wasser zu;
nahm jedoch für eine grosse Menge von Gesteinen, be-
sonders für Basalte und Trachyte, eine Erstarrung aus
gluthflüssigem Schmelzfluss, also eine plutoniseiie und \v\-
canische Entstehung an. Dieser Kampf beider Schulen
ist jetzt vollständig erloschen. Während es noch vor eini-
gen Jahrzehnten einzelne Anhänger des Neptunismus gab,
dürfte jetzt kein ernster Geologe mehr an der iilutonischen
oder vulcanischeu Entstehung der meisten krystalliniselien
Massengesteine wie .'"lycnit, l'orphj-r, Basalt und Tracliyt
zweifeln.
Einen grossen Fortschritt machte die Geologie als
Cuvier und Lamarck am Anfang dieses Jahrhunderts er-
kannten, dass die Versteinerungen von wirklich ausge-
storbenen Thieren herstammten, und als Schlotheim in
Deutschland zum ersten Mal darauf hinwies, dass die
Versteinerungen für gleichaltrige Schichten im Allgemeinen
*) Geognosie begreift die Wissenschaft von der Erdfeste,
Geologie im engeren Sinne die Geschichte des ganzen
Erdballes.
dieselben, für verschiedenartige indessen verschieden seien,
und dass man also mit ihrer Hilfe die älteren Ablage-
rungen von den jüngeren ' Unterscheiden und die zu-
sammengehörenden erkennen könne. Dadurch erhielten
die Versteinerungen für die Geologie einen hervorragenden
Werth, während sie in den vergangenen Jahrhunderten
von den meisten Forschern, mit wenigen das Richtige
ahnenden Ausnahmen, entweder für Naturspiele gehalten
wurden, oder sogar für nicht zu vollständiger Entwicklung
gelaugten Samen noch in den Tiefen des Oceans lebender
Thiere, welcher durch das die Erdfestc durchtränkende
Meerwasser in die Erdschichten hineingelangt sein sollte !
Charles Lyell bezeichnet dann den nächsten grossen
Fortschritt in unserer Wissenschaft, indem er darthat,
dass die Veränderungen der Erde nicht auf verschiedene,
den ganzen Erdkörper in Mitleidenschaft ziehende grosse
^ Katastrophen, Ueberschwemmungen, Sintfluthen etc. zu-
rückzuführen seien, sondern dass das allmälige Wirken der
noch jetzt in Luft, Wasser und Erdfeste thätigen Kräfte
im Lauf von unermesslichen Zeiträumen diese Umge-
staltungen hervorgerufen habe, und dass besonders die
Veränderung' in dem Eiuschluss' von Versteinerungen
auf einen ganz allmäligen Artenwechsel zurückzuführen
sei. Durch die Lehre Darwins von der natürlichen Züch-
tung der Thier- und PHanzeuarten in dem Wettkampf um
das Dasein wurde für diesen vtui Lyell erkannten, all-
mäligen Artenwechsel eine naturgemässe Erklärung ge-
liefert.
Durch das Licht dieser Erkenntniss war aber am
Baume der Geologie ein Same, ein ,,rollenstaub", zur
Reife gebracht, welcher den erstercn verliess und sich
befruchtend auf zwei anderen Bäumen niederliess, auf
denen der Zoologie und Botanik. Die Paläontologie oder
Versteinerungskuude wurde von nun an um ihrer selbst
willen ge|)flegt, als ein selbstständiger Zweig der Thier-
und Pflanzenkunde, als die Entwicklungsgeschichte des
62
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 7.
Thier- und Pflanzenreichs, den Gesiclitslireis und die An-
schauungsweise dieser Forschungsgebiete in grossartiger
Weise erweiternd und vertiefend, während sie bisher nur
als Hilfsmittel der Geologie zur Bestimmung des Alters-
unterschiedes oder der Zusammengehörigkeit der Gebirgs-
scliichten betrachtet wurde. Und während die Thier- und
l'flanzenkunde, nebst Anatomie, Zootomie etc. bisher nur
in verständnissloser Weise die lebende Schöpfung in ihrem
Forschungskreis berücksichtigten, senkte sich jetzt ihr
Blick in die uuermesslichen Tiefen der Vergangenheit.
Das grossartige zeitliche Denken, welches bisher nur der
Geologie eigen war, wurde übertragen auf die Thier- und
Pflanzenkunde. Alle die Stützeu, welche die ver-
gleichende Anatomie und Emluyologie der Darwinschen
Theorie für die allmälige Umänderung der niederen
Thiere und Pflanzen zu höheren bieten, würden in Nichts
zusammenfallen, wenn die paläontologisehen Erfahrungen
den geringsten Wider.sprueh erhöben. Die Paläontologie
des Thierreichs zeigt aber in der That, dass in den äl-
testen versteinerungsführenden Scliichten nur niedere Thiere,
wie Muscheln und Krebse vorkonnnen, in den nächst
jüngeren erscheinen Itereits niedrigstehende Fische, zum
Theil unsern Haifischen ähnlieh, zum Theil von ganz
abenteuerlicher Gestalt. Es folgen dann die ersten Am-
phibien, dann Reptilien und auch die ersten unvollkommen
organisirten Beutelthiere als Vertreter der Säugethiere,
auch Vögel stellen sieh ein, und die Fische sind den jetzt
lebenden schon sehr ähnlich geworden. Erst in verhält-
nissmässig neuerer Zeit treten die höheren Säugethiere
auf, und zum Schluss, da die Erde schon dem heutigen
Zustand nahe ist, erseheint der Mensch.
In ein gewisses Dunkel ist noch die Geschichte des
Pflanzenreichs gehüllt. Ihre Entwicklung beginnt eben-
falls mit ganz einfachen Formen, Zellenpflanzen; es finden
sich Seetange in den ältesten Erdschichten. In den
näehstjüugern treten dann die höher stehenden Gefäss-
cryptogamen, z. B. riesige Schachtelhalme, Farrenbäume,
Bärlappflanzen, z. B. Sigillarien, auf, um in der folgenden,
der Steinkohlenperiode, das Material zu den mächtigen Ver-
kohlungsproducten zu liefern, welche heute unsere Zimmer
und Maschinen heizen. Bald treten die ersten Nadel-
hölzer auf und Cycadeeu oder Sagopalmen, welche den
Uebergang zu den höher stehenden Pflanzen bilden.
Phitzlich tritt ohne jede Vermittelung der Formkreis der
höheren Blüthenpflanzen auf dem Schauplatz des orga-
nischen Lebens auf. Wo kamen sie her, wo hal)en sich
die einfachen Palmen u. s. w. zu dieser Vollkommenheit
umgewandelt? Diese der Darwinschen Theorie scheinbar
widersprechende, für die Annahme eines plötzlichen
Schöpfuugsaktes dagegen günstigen Unkenntniss kann nur
durch geologische Forschungen beseitigt werden.
Wodurch finden ferner die an sich oft ganz unver-
ständlichen Erscheinungen der Thier- und Pflanzengeogra-
pliic ihre Erklärung, wenn nicht durch Zuhilfenahme einer
geologischen Betrachtungsweise? Die Thatsache, dass
Grossbritannien dasselbe Thierleben besitzt, wie das euro-
päische Festland, trotz des trennenden Canals, kann nur
erklärt werden durch die Annahme einer noch in der
geologischen Gegenwart, als die heutige Thier- und
Pflanzenwelt bereits bestand, vorhandenen Landverbiu-
dung beider. Und in der That lehren die Untersuchungen,
dass die gegenüberliegenden englischen und französischen
Küsten geognostisch ganz gleichartig gebildet sind und
dass durch ein Sinken des Meeresspiegels von nur 50 Meter
eine solche Verbindung hergestellt werden würde.
Die Erscheinung, dass die Thierformen von Südafrika,
Madagaskar, Ceylon und Vorderindien einander sehr ähn-
lich, besonders clurch das Vorkommen von Halbaffen oder
Lemureu sind, wird leicht erklärt durch die Annahme
eines ehemaligen Festlandes, welches sich von Südafrika
bis Indien durch den indischen Ocean erstreckt hal)c, und
jetzt zum grössten Theil in die Tiefe gesunken wäre, und
diese Annahme wird durch die Beobachtungen an älteren
Gebirgsschichten bestätigt. Nach der, allerdings nicht
genügend begründeten Ansicht einiger Forseher, soll auf
diesem versunkenen Festland, welchem man den Namen
Lemurien gab, die Wiege des Menschengeschlechts, das
Paradies, gestanden haben.
Der Aufschwung, den die Kemitniss der Gesteine
durch die Anwendung des Mikroskops um die Mitte dieses
Jahrinmderts nahm, war nicht nur für die Geognosie, die
Wissenschaft von den fels- und gebirgsbildenden Gesteinen,
sondern auch für die nahe verwandte Mineralogie, die
Wissenschaft von den einzelnen Mineralien, von grosser
Tragweite. Viele Jlineralien, welche bisher als sehr selten
angesehen wurden, wurden als mikroskopischer Gestcins-
gemengtheil in grosser Verbreitung entdeckt. So schien
der Leueit, ein weisser, im quadratischen System mit 24
trapezförmigen gleichen Flächen schön krystallisirendes
Mineral, lange nur auf den Vesuv und den Laacher See
in der Eifel l)eschränkt zu sein. Neuere mikroskopische
Gesteinsuntersuehungen haben nun ergeben, dass er ein
sehr verbreiteter mikroskopischer Bestandtheil vieler vul-
canischer Gesteine ist, die man Leucitgesteine genannt
hat. A(dmliches gilt von dem Ulivin,' Nephelin I!util
und andere.
Ueher die Entstebungsart vieler Mineralien ist die Geo-
gnosie ebenfalls in der Lage, der Mineralogie Aufsehluss
zu ertheilen, so unter Anderem durch das Studium der
sogenannten Kontacterscheinungen. Die gluthflüssigen, aus
dem Erdinnern hervorgedrungenen Lavamassen haben sehr
oft die Gesteine, welche die Ausliruchstelle umgeben, oder
sonst mit ihnen in Berührung kamen, in bedeutendem
Grade durch Hitze oder durch die alles durchdringenden
heissen Dämpfe und Gase verändert, und besonders in
Kalksteinen zur Bildung von vielen seltenen und schönen
Mineralien Veranlassung gegeben. So ist das berühmte Vor-
kommen seltener Mineralien in den losen krystallinischen
Kalksteinblöcken des vuleanischen Kaiserstuhlgebirges am
Rhein in Baden auf eine solche Wirkung glühender Lava-
massen zurückzuführen; bei Predazzo und am Monzoui in
Südtyrol haben Syenite ähnliche Erscheinungen hervor-
gerufen : Granate, Epidote, Spinelle, Flussspath und Glinnner
sind auf diese Weise entstanden. —
Die Ciicmic hat die Aufgabe, die eheinsichen (iesetze
zu ergründen, ohne die natürlichen Erscheinungen speciell
zu berücksichtigen. In deu Tiegeln und Retorten der
Chemiker werden die Elemente gemischt und erhitzt in
Verhältnissen, in welchen sie in der Natur oft niemals
vorkommen. — Andererseits stehen der Natur in ihrem
Laboratorium, welches wir Welt nennen, ganz andere
Mittel zu chemischen Arbeiten zur Verfügung als dem
Menschen in seinem armseligen Laboratorium. Vor allem
ist es die Zeitdauer, welche bei allen menschlichen Ver-
suchen nur in ganz geringem Grade in Wirkung treten
kann. Die Natur dagegen arbeitet mit Hunderten, Tau-
senden, Millionen von Jahrtausenden. So ruft sie denn
mit Hilfe der dem Chemiker so harmlos erscheinenden
Kohlensäure Erscheinungen hervor, wie jener sie in ähn-
licher Weise nur mit Hilfe der stärksten Säuren erzielen
kann. Mit Kohlensäure beladene Gewässer durchsickern
die Gebirge und Berge, die Tiefen der Thäler^ und den
Untergrund der Gewässer auf Spalten und Klüften, oder
durchdringen als Bergfeuehtigkeit das ganze poröise Ge-
stein und zerstören im Laufe der Zeit selbst die im La-
boratorium durch Kohlensäure kaum lösliehen Verbindungen
von Kieselsäure mit Kalk, Kali, Natron, Eisen und Mangan,
also die verschiedenen Feldspathe, Augit, Hornblende und
Nr. 7.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
63
Olivin. Der gemeine Kalifeldspath, ein Geniengtheil vieler
verbreiteter Gesteine, welcher aus Kali, Thonerde, etwas
Natron, Kalk, Eisen und Kieselsäure besteht, wird auf
diese Weise in Kaolin, die bekannte Porzellanerde, um-
gewandelt, indem Kali und die geringen Mengen von Na-
tron, Kalk und Eisen durch die kohlcnsäurehaltigen Ge-
wässer in kohlensaures Kali — Natron — Kalk und Eisen-
oxydul verwandelt, aufgelöst und mit einem Theil der
Kieselsäure weggeführt werden, sodass nur eine Thonerde-
Kieselsänreverbindung mit etwas Wassergehalt iilnig
bleibt, und diese ist der schneewcisse zur Porzellanl)erci-
tung gel>rauehte Thon oder Kaolin. Die fortgeführte,
schwer lösliche Kieselsäure wird dann meist in nicht zu
grosser Entfermnig wieder von den Gewässern abgesetzt,
und so entstehen in diesen Kaolinlagern oder in ihrer
nächsten Umgebung Kliunpcn und Gänge von Quarz,
Chalcedon, (»pal und Karneol, Mineralien, die alle aus
reiner Kieselsäure bestehen. —
Wenn uns die Geologie lehrt, dass die schwache
Kohlensäure im Stande ist, unzerstörbar erscheinende, aus-
gedehnte Gesteinsmassen von Granit, Porphyr, 8j'enit,
Trachyt, Phonolitii, Gnciss, Diabas, Melaphyr, Basalt zu
zerstören und in ebenso mäclitige j\Iassen weichen oder
stellenweise weichen Materials im Lauf von langen Zeit-
räumen umzuwandeln, so wird der Chemiker die Kohlen-
säure mit ganz anderen Augen betrachten, als nach
den Erfahrungen, welche er in seinem Laboratorium ge-
macht hat.
Die merkwürdige Erscheinung der Pseudomorphosen
dürfte gleichfalls für die Chemie von grossem Interesse
sein, denn diese ist oftmals nicht in der Lage, ähidiche
Verhältnisse in ihrem Laboratorium hervorzurufen und zu
Studiren.
Unter einer Pseudomorphose versteht man die Er-
scheinung, dass eine jMineralsubstanz nicht in der ihr zu-
konnnenden äusseren Krystallform, sondern in einer frenulen
auftritt. Wenn also (juarz, der gewöhnlich als eine sechs-
seitige Säule mit aufgesetzter sechsseitiger Pyramide er-
scheint, in der Form des Kalkspath, als Riiomboeder, auf-
tritt, so nennt man dieses eine l'seudomorjjhose von Quarz
nach Kalkspath. Der kohlensaure Kalk (Kalkspath) ist
in diesem Fall durch die Gewässer vollständig fortgeführt,
und Kieselsäure (Quarz) in die noch bestehen gebliebene
äussere Form al)gesetzt worden; da letztere oft noch ganz
vorzüglich erhalten ist, muss man für diese allmälige Um-
wandlung eine sehr lange Zeitdauer annehmen. Derartige
Erscheinungen sind nicht selten, aber in ihrer Entwickehmg
oft schwer zu verfolgen, und der Chemiker wird staunend
anerkennen, dass die Natur mit einfachen Mitteln in grossen
Zeiträumen Ergebnisse hervorbringen kann, zu denen die
Kräfte des experimentirenden Menschen mit allen seinen
künstlichen Hilfsmitteln nicht ausreichen. (Forts, folgt.)
Die Umrisse von Asien.
Aus Prof. Dr. Wilhelm Sievers: Asien. Eine ;illgenii;ine Landeskunde.*)
Ol) wohl Asien etwas Wuchtiges, Massiges in seiner
Gestalt hat, finden wir doch an seinen Umrissen eine
nicht unbedeutende Gliederung. Was bei einer flüchtigen
Betraciitnng Asiens auf der Karte zuerst auffällt, sind die
drei grossen südlichen Halbinseln Arabien, Vorderindien,
Hinterindien, ferner der Kranz v<ni Inselgruppen an der
Ostküste, dem sich die Halbinseln Kamtschatka und Korea
zugesellen, und endlich das aus dem Rumpfe des Con-
tinents heraustretende Kleinasien. Sieht man aber von
diesen Ausläufern ab, so bleibt ein festgeschlossener Kern
von gewaltigem Umfange übrig, dessen Grösse es mit
sich bringt, dass die Gliederung des Gesannntcontinents
nicht besonders ins Gewicht fällt, zumal da auch die
Nordküste durch die Samojeden- und Taimyrhalbiaseln
nur wenig gegliedert ist.
Den Rumpf des Continents begrenzt H. Wagner durch
folgi'ude vier Linien: Im Westen von der Jugorscheu
Strasse zwischen der Insel Waigatsch und dem Ural bis
zur Nordwestspitze des Persischen JMeerbusens, 4450 km;
im Norden von der Jugorschen Strasse bis zum Anadyr-
busen südlich des Ostcaps, 4900 km; im Osten von der
eben genannten Bucht bis Kanton, 6.300 km; im Süden
von Kanton bis zur Nm-dwestspitze des Persischen Busens,
wiederum 6300 km. Auf diese AVeise bleiben für den
Rumjtf Asiens etwa 33 257 800 qkni übrig, während die
Halbinseln 8 135 000 qkm einnehmen, sich also zum Stamme
wie 1 : 4 verhalten ; die Inseln mit Einschluss der ganzen
malayischen Gruppe bedecken 2 697 320 qkm, die Halb-
inseln und Inseln zusammen 10 832 320 ([km, so dass das
Verhältniss aller Glieder zum Stamme wie 1 : 3 ist. Asien
hat daher eine weit bessere Gliederung als Südamerika,
Afrika, Australien, bei welchen diese Verhältnisszahlen
1:77, 1:47 und 1:36 lauten; auch gegenüber Nord-
amerika ist es noch günstig gestaltet, da letzteres ein
*) Bibliographisches Institut in Leipzig und Wien 18!t2. Preis
15 Mk. — Vergl. Bespreehung des Werkes in Bd. VII S. ii'öi
Gliedcrungsverhältniss von 1:8 hat, aber gegen Europa
mit 1:2 bleibt es weit zurück.
Die Küstenentwickehuig Asiens ist am schwächsten
an der Nordküste. Hier liegen im äussersten Westen drei
Inseln: Waigatsch und die Doppelinsel Nowaja Semlja.
Ersteres wird vom Festlaude durch die Jugorsche Strasse,
letzteres von Waigatsch durch die Karische Meerenge ge-
schieden und selbst durch den Matotschkin Scharr in
zwei ungleiche Hälften getheilt. Zwischen Nowaja Semlja
und dem Festlande dehnt sich das Karische !\Ieer oder
die Kara-See aus, ein wegen seiner Eisbedeckung ge-
fürchtetes Wasserbecken, dessen Befahrung jedoch nicht
unmöglich ist, wie die Fahrten der Schweden, Norweger
und Russen nach dem Ob und Jenissei gezeigt haben.
Im Südosten wird die Karische See durch die Halbinsel
der Samojeden oder Jalmal abgeschlossen, und hinter
dieser öffnet sich der meerbusenartige, weite Mündungs-
trichter des (»b. Nur wenig östlich vom letzteren öffnet
sich eine zweite trichterförmige Strommündung, die des
Jenissei, und durch Ob und Jenissei wird eine zweite
Halbinsel gebildet, welche eines Namens entbehrt. Sie
wird als eine Abzweigung der östlich folgenden Taimyr-
halbinsel betrachtet, die in der gewaltigen Breite von
800 km als nördlichster Theil Asiens weit ins Eismeer
vorspringt. Der äusserste Punkt der Taimyrhalbinsel und
somit Asiens ist das Cap Tscheljuskin, dessen Um-
fahrung zu aller Zeit die grössten Schwierigkeiten ge-
macht hat.
Von dort an hat die flache, eisumgürtete, nnt Moosen
und Flechten bedeckte, zum Theil der mesozoischen Zeit
entstanmiendc Küste eine durch nur wenige Vorsin-ünge
und Buchten unterbrochene Erstreckung gegen Osten. Das
Lenadelta springt ins Meer vor, ebenso zwischen Jana
und Indigirka die Küste von Swjatoi Noss, vor der die
Neusibirischen Inseln liegen. Im weiteren Verlaufe sind
nur die Tschaunbucht mit den Ajon- Inseln, die kleinen
Bäreninseln und das Wrangel-Land bemerkenswert!!, das
64
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 7.
im Norden zwei tiefe Ein-
uncl der von der letzteren
8ildlicli von ihnen springt
durch die de Long-Strasse vom Fcstlande getrennt wird,
und den ganzen weiteren Nordosten Asiens nimmt die
Tschukschenhalhinsel ein, die im Ostcap nach Amerika
hinülier deutet. Die ganze asiatische Nordküstc ist für
die Schiffahrt von sehr geringer Bedeutung, nur im Westen
zeitweise eisfrei, im Osten fast stets mit Eis l)elagert und
daher nur ein einziges Mal, von Nor(lenskjr)ld 1878/79,
umfahren worden.
Die Ostküste Asiens hat
schnitte in der Anadyrlmcht
ausgehenden Heiligenkreuzbai
die stark vulkanische Halbinsel Kamtschatka bis 51° nach
Süden vor und schliesst das <istliche Beringmeer von dem
westlichen Ochotskischeu Meere ab, dessen Küsten bis
weit in den
Frühling hin- ^^
ein mit Eis be- K»
deckt und von
kalten Mee-
resströmungen
begleitet wer-
den, die sich
am südlichen .^ _
Ausgange mit ""--
den listlicli
von Kamt-
schatka nach
Süden lau-
fenden kal-
ten Meeresströ-
mungen ver-
einigen. Die
OstküsteKamt-
schatkas ist
Steilküste, die
westliehe da-
gegen Flach-
küste , wie
theilweise das
Nordufer des
Ochotskischeu
Meeres, wäh-
rend die West-
küste des letz-
teren wieder
Steilküste ist,
da das Stano-
woigel)irge hier an die Küste herantritt. An der Westseite
des Meeres von ()chotsk liegt Sachalin, eine durch den
Tatarensuud vom Festlande abgetrennte, wenig bekannte
Insel, und diese führt uns zur nördlichsten grossen japa
nischen Insel Jesso oder Hokkaido hinüber,
vulkanischen Zuge der Kiu'ilen das Meer
im Süden absperrt.
Die nun beginnenden 363 149 qkm umfassenden
Japanischen Inseln, vier grosse und zahlreiche kleinere,
begleiten in einem ostwärts gesclnvungenen Bogen das
Festland und schliesseu mit Korea, der zweiten grossen
Halbinsel Ostasiens, das Japanische Meer ab. Dieses bis
zu 3000 m tiefe Seel)ecken hat im Westen, wo das
Sichota-alin-Gebirge die Küste erreicht, steile, hohe Ufer
von geringer Gliederung, an der japanischen Seite aber
meistens Schwemmlaudküsten. Die La Perouse- Strasse
führt zwischen Jesso und Saelialin aus dem Japanischen
Meere in den offenen Ocean, dessen Tiefen hier am Rande
der Kvu'ilen und Jessos die grössten aller bekannten Meeres-
tiefen sind. Die OstkUsten der Japanischen Inseln sind
in Süd- und Nordnippon wild zerrissene, vom Meere be-
nagte Steilküsten, in Jesso, Kiushiu, Shikoku und Mittel-
nippon meist Flachküsten. Zwischen Jajian, Korea, China,
Formosa und den Liukiu-Inseln dehnt sich das Cliinesiehe
Meer oder die Chinasee aus, im allgemeinen eine Flach-
see von kaum 200 m Tiefe, im nördlichen Theile als
Gelbes Meer bekannt, da die gelben Schhunnmiassen des
Hoanghostromes das Wasser weithin gell) färlien. Nur
am Rande der Liukiu-Inseln senkt sich das Meer zu etwas
grösseren Tiefen, aus denen die in hohem Grade vulkani-
schen 3983 qkm grossen Liukiu schroff emporsteigen.
Den grc'issten Theil der Westküste Koreas und der
Ostküste Chinas rechnet man zu den fjordartigen Rias-
küsten nach nordwestsjtanischem Typus, doch konnnen
auch Strecken mit Flachküsten vor, Ijesonders nördlich
und südlich von
Schantung
^-^'
Das Kap Tscheljuskin. (Nach Nor denskj öld.)
(Aus Sievers' Asien. Bibliographisches Institut, Leipzig & Wien.)
die
von
mit dem
Ochotsk
und an den Mündungen des
Jangtsekiang
und Hoang-
ho sowie in
j den Golfen
vim Petschili
und Liautung,
den nördlich
f- sten Einbuch-
tungen des
Gelben Mee-
res. Das wal-
dige Formosa
oder Taiwan
mit 34550 qkm
Areal, hat im
Westen flache,
im Osten hohe,
steile Küsten,
und zwischen
Formosa und
dem Festlan-
de liindurch
fülirtdie flache
Fokienstrasse
nach dem tie-
feren Südchi-
nesischen Mee-
re, einem ge-
gen die Mitte
tiefer ^verden-
deu Becken,
das zwischen
dem Festlan-
de, Malakka, Borneo, den Philippinen und Formosa einge-
senkt ist ; seine grösste Tiefe (4298 m) liegt aber doch nahe
der Insel Luzon. Die südchinesische Küste trägt fortlaufend
den Riastypus, aber in dem grössten Theile von Hinter-
iiidien, Tongking, der dem Golfe von Tongking \orliegen-
den, 34 100 qkm umfassenden grossen Insel Hainan sowie
auch auf Borneo herrscht die Flachküste vor. Nach Süden
geht das Südchinesische Meer in die Flachsee über, die
Hinterindien von Borneo, Sumatra, Java trennt und in
ihrem südliehen Theile Javasee genannt wird. In diese
schiebt sieh das gewaltige Delta des JMekong immer weiter
vor und lässt die Busenfoi'm des Golfes von Slam immer
schärfer hervortreten.
Die Ostasiatisehe oder Malayische Inselwelt, die den
Grossen Ocean Aon dem Indischen trennt, umschlicsst die
Philippinen, die Grossen imd Kleinen Sunda -Inseln, die
Molukken und die Sulu-Inseln, im Ganzen ein Areal von
1 995 933 qkm. Als Reste eines zerstückelten Festlandes
erheben sie sieh zum Theil noch auf einem Sockel, wie
z. B. Borneo, Sumatra, Java, Bali, Palawan und die Phi-
lippinen. Tiefere Meeresstrassen durchziehen die Insel-
welt erst östlich von Borneo, aber nur drei tiefe Meeres-
Nr. 7.
Naturwissenschaftliche Wochensciirift.
ßo
beckeu sind zwischen den Malayischen Inseln gelegen:
die Bandasee zwischen Ceram, Buni und Wetter mit 7315 m
MaxiniaUiefe westlich von den Ivieincii ISanda- Inseln, die
(üelehessee mit 5013 ni Tiefe zwischen (Jelebes und Min-
danao, der südlichsten der Philippinen, und die Suhisee
zwischen Hornco, Falawan, den Philippinen und den 8ulu-
Inseln mit 4Gü3 m Tiefe; eine sehr viel geringere, aber
immer noch beträchtliche Tiefe hat die Floressee, nfird-
licli Min Florcs, mit 3090 m. Die Sundasee ist der siid-
westiiclie Ausläufer der Paudasee. Eine andere tiefe
Meeresstrasse zieht von der (lelebessee siidlicii als IMang-
kassarstrasse zwischen Cclebes und Borneo iiindureh und
setzt sich in der Lombokstrasse zwischen Lombok und
Malayischen Inseln hinaus in den Indischen Ocean: die
berühmte Sundastrasse mit der \'nlkaninsel Krakatau
zwischen Java und Sumatra und die ebenso bekannte
Strasse von Malakka mit der englischen Insel Singapur
zwischen Sumatra und der Halbinsel Malakka.
Die Halbinsel Malakka oder die Malayische Halb-
insel, 236 770 ([km gross, ist der südlichste Ausläufer der
grossen Halbinsel Hinterindien, die von den aus dem
breiten Rumpfe Asiens heraustretenden Gebirgen gebildet
wird und 2 12(3 450 (|kin gross ist. Da die einzelnen Ge-
birgsketten fäclierf('irmig auslaufen, so bilden sieh mehrere
Buchten an der Küste, unter denen wir die von Tong-
king und die von Slam bereits kennen gelernt haben.
Bali fort, der von Wallace angenommenen Grenze zwischen I Dazu tritt au der Westseite noch der Busen von Peg-u,
den asiatischen
und australi-
schen Thier-
formen. Eine
dritte tiefe
Strasse schei-
det die Mo-
lukken von Ce-
ram und Buru,
eine vierte
trennt Timor
von Flores.
Die südliche
Reihe der Ma
layischen In-
seln wird von
Sumatra , Ja-
va, Bali, Lom-
bok, Sumba-
wa, Floresund
kleineren ge-
bildet und ist
bis gegen Ce-
ram zu verfol-
gen. Sie alle
sind von terti-
ären Scliicliten
und Vulkanen
erfüllt und
schliessen sich
im Süden au
Sumba, das
isolirte Timor,
ä
Die Sundastrasse mit der Insel Krakatau. (Nach Verbeek.)
(Aus Sievers' Asien. Bibliof;Taphisclies Institut, Leipzig tfc Wien.)
im Grunde ge-
nommen eben-
sogut ein Meer
wie tlas Gel-
be Meer, und
über 2000 m
tief, welcher
im Westen
durch die nur
schwach vul-
kanische Rei-
he der Anda-
manen und Ni-
koljai'en abge-
schlossenwird,
die wohl auf
dem vei'sunke-
nen Ausläufer
des Gebirges
von Arakan
stehen.
Die Küsten
Hinterindiens
sind meist
Schwemm-
landsgebilde
wie auch ihre
westliche Fort-
setzung , die
Ostküste von
Vorderindien.
Diese berühm-
teste Halbin-
die Tenimber- (Timorlaut-) Inseln und die Kei-Gnippe | sei Asiens hat ungefähr dieselbe Grösse wie Hinterindien,
an. Nördlich von diesen Zügen erlieben sich die aus
älteren Gesteinen, tertiären Anlagerungen und Küsten-
sehwemmiand gebildeten grossen Inseln Borneo und Gelebes
sowie Buru, Ceram und Amboina. Von Borneo, der zweit-
grössten Insel der Erde, führen zwei Landbrücken, im
Norden die lauge Insel Palawan, im Süden die Sulu-
Inseln, nach den Piiilippinen hinüber, deren Grup))e, sehr
vulkanisch und ungemein zerrissen, aus den grossen Inseln
Luzon im Norden, Miudanao im Süden, Mindoro, Panay,
Negro, Zebu, Bohol, Leyte, Samar n. a. in der Mitte be-
steht. Von den Piiilippinen leiten die Sangirinsein nach
Celebes, die Talaut-Inseln zu den gewürzreiclien iMoinkken,
deren wichtigste die kleinen westlichen, Ternate, Tidor,
Bat Jan, die Heimath der Gewürznelken, sind. Die grösste
Molnkkcninsei, Halmahera, ist aber dadurch sehr be-
merkenswerth, dass sie in ihrer Gestalt die sonderbaren
Formen von Celebes wiederholt. Sumatra wird au der
Südwestküste von einer Reihe kleiner Eilande, im Nord-
osten von den Zinninseln Banka und Biliiton, Java im
Nordosten von Madura begleitet, und in diesen westliehen
Meerestheilen führen zwei Ausgänge aus dem Gewirre der
ist aber viel weniger gegliedert. In Gestalt eines Dreiecks
springt sie mit der Spitze nach Süden bis 8° nrirdl. Breite
vor und schliesst mit Hinterindien den nördlichsten Tlieil
des Indischen Oceans ab, der, nur wenig über 1000 m tief,
hier den Namen Meerbusen von Bengalen führt. In ihn
tragen der Ganges und Brahmaputra in ihrem vereinigten
Delta ihre Schlannnmassen, während längs der Haeiien,
sandigen Koromaudelküste die Brandung, Surf, aufs hef-
tigste wüthet. Vor der Südspitze Vorderindiens ist die
65 693 qkm grosse Insel Ce3'lon gelagert, deren Verbindung
mit dem Festlande, wie es scheint, mehrfach zerstört
und wiederhergestellt worden ist und jetzt mittels zahl-
reiclier unter dem Namen der .Vdamshrücke bekannter
Sandbänke nach Vorderindien fuhrt. Die Malabar ge-
nannte Südwestküste Vorderindiens ist im Gegensatz zur
Ostküste steil, hoch unil daher hafenreieh, da die
Cardamum-, Nilgiri- und Westghatsgebirge hier dicht an
die Küste heranreichen, während das Tafelland auf der
Ostseite weit von ihr entfernt endet, ^'on Goa an nord-
wärts behält die nunmehr Konkan genannte Küste den-
selben Charakter bei. Von dem zwischen der llalbinse
66
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 7.
flutscherat und der Gegend von Daman einsjirin£;euden
(Jolf von Kambay an beginnt aber eine sumpfige Flach-
küste, und besonders der grosse Erdfall des Run of
Katch hat einen gewaltigen Sumpf erzeugt, vor dem die
zur Insel gewordene cliemalige Katchhalbinscl liegt. Das
Delta des Indus hat natürlich auch viel Sumpfland, aber
gut ist der folgende, am Ende des Grenzgebirges zwi-
schen Indien und Belutschistan gelegene Hafen Karatschi.
Vor der Malabarküste liegen im Südwesten die Lakka-
diven und Malediven, niedrige Koralleninseln, die ihre
südliche Fortsetzung im Tschagosarchipel besitzen und
damit nach Madagaskar hinüberdeuten, wohin vielleicht
in früher Zeit eine Laudbrücke reichte.
Wir nähern uns nun den durch die Geschichte des
Alterthums früh berühmt gewordenen Kästen Vorderasiens
und betreten zunächst die flache Strandebene, die sich
am Fusse des Iranischen Hochlandes zwischen diesem und
dem Meere ausbreitet. Germesir, das heisse Land, ist sie
genannt und rechtfertigt diesen Namen vollkommen; ihre
wenigen Häfen haben geringe Bedeutung, da das Hinter-
land schwer zugänglich ist. Die Küste, an der entlang
Alexanders des Grossen Flotte nach Indien fuhr, bildet
die Nordgrenze des Meerbusens von Arabien, welcher sich
zwischen dieser llalliinsel und Indien ausdehnt. Das 2000
bis 4600 m tiefe arabische Meer entsendet zwei Ausläufer
nach Nordwesten, deren östlicher, als Persischer Golf be-
kannt, an der Grenze der grossen Faltungsgebirge Per-
siens gegen die flachen Hochländer Arabiens liegt, während
der westliche, das Rothc Meer, in die grosse afrikanisch-
arabische Wüstentafel eingebrochen ist. Beide haben be-
sondere Vormecre, ersterer den Golf von Oman, letzterer
den von Aden, von denen die Hauptmeere durch vor-
springende Ausläufer Arabiens bis auf schmale Strassen
abgesperrt werden. Zwischen dem Persischen Golfe und
dem Golfe von (»mau liegt die Strasse von Ormus mit
den Inseln Tawilah und Ormus, zwischen dem Rothen
Meere und dem Golfe von Aden die Strasse von Bab el-
Mandeb, das Thränenthor, mit der Insel Perim. Ent-
sprechend der verschiedenartigen Entstehung der beiden
Meere verhalten sich auch die Tiefen abweichend, denn
der Boden des Persischen Golfes steigt vom Ausgang zur
Nordwestecke an und sinkt nicht unter 200 m herab; das
Rothe Meer dagegen ist ein tiefer, trogartiger Kessel mit
2270 m Maximaltiefe in der Mitte.
Die Nordostküste des Persischen Golfes ist abwechselnd
Steil- mid Flachküste. Im nordwestlichen Winkel münden
die Zwillingsstrrime Euphrat und Tigris in gemeinsamer
Mündung als Schaft el-Arab. Zwischen dem Persischen
Golfe und dem Rothen ]\Ieere erhebt sieh steil aus dem
Meere die Halbinsel Araltien, 2 730 000 (ikm gross, die
grösste der drei südlichen ^'orsprünge Asiens. Ihre Steil-
küsten sind am ausgedehntesten im Osten an der Küste
von Oman und El-Hasa, und im Südosten auf der ganzen
Linie von Maskat bis Aden, wogegen Schwemmland be-
sonders im Süden des Persischen Busens zwischen der
Insel Bahrein und dem Cap Mesandum sich findet. Auch
die Westküste ist im Norden Steilküste, im Süden flache
Korallenküste.
Zwei kleine zipfelartige Busen beenden das Rothe
Meer im Norden: der \()n Akalia, welcher in seiner Fort-
setzung die Jordanthalspalte enthält, und der Golf von
Sues; zwischen beiden liegt die 2836 m hohe, 59 000 iikm
grosse Sinaihalbinsel. Vom Golfe von Sues führt der
1869 vollendete Suescanal nach dem Mittelmeere, indem
er die alten Bitterseen, den Timsahsee, den Ballahsee
und den am Nildelta liegenden Mensalehsee benutzt und
bei Port Said ins Mittelmeer tritt. Er darf jetzt als
Grenze zwischen Asien und Afrika betraciitet werden.
Die asiatische Mittelmeerküste ist in iin-en verschie-
denen Theilen sehr verschieden gebildet. In Syrien ist
sie flach und sandig, vom Cap Carmel an aber klippig
und steil. Sie, die im Alterthum auch hafenreich war,
ist jetzt durch die nordwärts laufende Kttstenströmung
verschlammt l)is auf den einzigen brauchbaren Hafen Beirut.
Auch die alte Insel Tyrus ist in der Gegenwart laudfest
geworden. Zwischen Kleinasien und Syrien sitringt der
Busen von Iskanderun nach Nordosten ein, und an Klein-
asiens Südküste selbst findet sich nur an den Mündungen
des Seihan-Dschihan und in der Bucht von Adalia Schwemm-
land; im übrigen ist siel steil, felsig, hafenreich. Achn-
licli ist die vorliegende 9600 qkm grosse Insel Cyi)ern
gestaltet, denn auch sie besitzt Flachküste nur an den
Flussmüudungen, besonders im Osten. Einen äusserst
zerrisseneu Charakter trägt ferner die Westküste Klein-
asiens. Zahlreiche Golfe, der von Ko oder Djowa, von
Mendelia, Sealanova, von Smyrna, Tschandarlyk, Edremid,
wölben sich ins Land hinein, getrennt durch lange, ge-
zackte Halbinseln, aber mehrere dieser Golfe werden all-
niälig von den Küstenflüssen verschlammt, so der Golf
von Smyrna durch das Delta des Gedis oder Sarabat,
des alten Hermus. Die vor der Küste liegende Inselwelt,
bekannte Stätten der Geschichte des Alterthums, wie
Rhodos, Kos, Samos, Chios, Lesbos, Tenedos und viele
kleinere, muss als Fortsetzung der Küstengebirge aufge-
fasst werden, die jetzt zerbrochen und zerstört, früher in
geschlossener Kette nach Griechenland hinüberreichten.
Meist sind sie durch hohe Sockel unter seichtem Meere
mit dem Festlande verbunden.
In der Landschaft Troas liegt das westlichste Cap
Asiens, Baba genannt, dann öft'net sich der Hellespont,
die Dardanellenstrasse, und wir gelangen in das auffallend
(1300 m) tiefe Marmarameer, die alte Propontis, mit
mehreren Inseln und Halbinseln imd dem Golfe von Ismid,
endlich in den Bosporus, die Strasse von Konstantinopel,
die zum Schwarzen Meere führt. Das nicht sehr salzige
und nicht sehr tiefe (2600 m) Schwarze Meer bespült die
Nordküste Kleinasiens. Au ihr finden wir meist Steil-
küsten, die, obwohl wenig gegliedert, dennoch gute Häfen
haben, wie Sinope und Trapezunt; die Vorgebirge von
Sinope und die Deltas des Kisil Irniak (Halys) und Jeschil
Irraak (Iris) sind fast die einzigen in die Augen fallenden
\orspringenden Punkte an der Küste. Die Halbinsel Klein-
asien hat in Form eines Rechtecks 506 600 qkm Areal.
Verfolgen wir die Küste Asiens noch bis zum Asow-
schen Meere, so bemerken wir, dass, während die zum
Theil ausgezeichneten Häfen Syriens und Kleinasiens durch
die Schuld der türkischen Regierung verschlammt und un-
brauchl)ar geworden sind, die Russen an der Ostküste
des Schwarzen Meeres erfolgreiche Anstrengungen zur An-
legung guter Häfen an ungünstigen Stellen gemacht haben.
So ist Poti, der Endimnkt der Eisenbahn von Tiflis und
Baku, im Flachlande der Rionmündung angelegt worden,
und die Festen Batum und Suchumkale verdanken als
aufblühende Hafenorte ihre Bedeutung erst den Russen.
Namentlich Basum ist ausserordentlich im Aufschwünge
begriften. Wo aber das Kaukasusgebirge an der Küste
hinstreicht, ist die letztere steil, unwirthlich und wegen
unzugänglicher Hinterländer wenig werthvoll.
Nr. 7.
Naturwissenschaftliehe Wochenschrift.
07
Das Ende der Caimstatt-Rasse. — Trotzdem es
für die meisten deutschen Antliropulogen scliou längst
als ausgemachte Sache gilt, dass der Schädel von Cann-
statt nicht diluvialen Alters ist, sowie dass der Neander-
thalschädcl — abgesehen davon, dass sein hohes Alter gleich-
falls unerwiesen dasteht — eine pathologische Erscheinung
ist, macht sich das J'hantasiegebilde einer Cannstattrassc
noch vielfach in der anthropologischen Litteratur geltend.
Bei Gelegenheit der letzten (XXIII.) allgemeinen Ver-
sammlung der deutschen anthropologischen (xcsellschaft
zu Ulm wurde diese Frage, da sie iur die Vorgeschiciite
Württembergs ein speciciles Interesse besitzt, noch ein-
mal vor das Forum der wissenschaftlichen Welt gebracht
und die C'annstatt-Kasse von diesem aus, hoffentlich end-
gültig, zu (irabe getragen.
Die Wichtigkeit der Sache veranlasst uns, unsere Leser
mit den hierbei maassgebend gewesenen Gründen ein-
gebender vertraut zu maclien als <las in dem Bericht über den
genannten Oongrcss in der ..Naturw. VVochenschr.'- Bd. All
S. 387 geschehen ist. — Bekanntlich haben der der For-
schung erst kürzlich entrissene bedeutende Pariser Anthro-
pologe Quatrefages und sein Landsmann Hamy in ihrem
Werke ,,(!rania ethnica" (1872 — 1882) drei europäische Ur-
rassen unterscheiden zu müssen geglaubt: die von Cannstatt,
(mit langem, niederen Schädel, niittelgross, eskimo- oder
australncgerartig), die von Cro-Magnon (langköpfig, hoch-
gewachsen, den Guanchen und Kabylen ähnlich )"und die
von Furfooz (mittelköpfig oder kurzköpfig klein, den Lappen
ähnlich). Gegen diese Eintheilung sind mancherlei Be-
denken geltend gemacht worden, die zu dem Satze be-
rechtigen, dass dieselbe heutzutage ein ül)erwundener
Standpunkt ist.
Quatrefages basirte seine Behauptung von der Exi-
stenz der Canstattrasse vorzüglich auf zwei Schädelreste,
die diluvialen Alters sein sollten, die Schüdeldecken von
Cannstatt (bei Stuttgart in Württemberg) und von Neander-
thal (zwischen Elberfeld und Düsseldorf). Sehen wir zu,
was es mit diesen für eine Bewandtniss hat.
Im Jahre 1700 wurde im Nordosten von Canstatt,
gegenüber der Uft'kirche, unter einem Tuffsteinfelsen, auf
dem sich noch eine sechseckige Ummauerung befand,
in dem Thon, auf dem der Tufi' ruht, ein Mamnmthzahn
gefunden, der weitere Nachgral)ungen an dieser Stelle
zur Folge hatte. Dieselben förderten eine ganze Reihe
von Thierknochen zu Tage, die mit Recht dem Zeitalter
des Mammuth angehören, aber keine menschlichen Knochen-
reste, wie ausdrücklich bemerkt wird, trotzdem man
eifrig bemüht war, solche zu finden. In der Nähe dieser
Mauer stiess man später dann auf römische Thonscherben,
sowie auf ein grosses Gräberfeld aus der Frankenzeit,
wobei man überdies die Thatsache feststellte, dass diese
Reihengräber unterhalb der Mammuthschicht, wenngleich
ganz in ihrer Nähe lagen. — Ueber die Provenienz des
fraglichen Schädelstückes nun, auf das sich Quatrefages
beruft, ist nichts Näheres bekannt geworden. Dasselbe
lag seinerzeit in den Sammlungen des Naturaliencabinets
zu Stuttgart in einer Schachtel verwahrt, zusammen mit
(Jefässen von ausgesprochen römischer Arbeit und der
kurzen Bemerkung, die (iefässe seien am 6. October 1700
bei Cannstatt ausgegraben worden. Da nun dieser Zeit-
punkt mit der Ausgrabung der Mannnuthfunde bei der
Uft'kirche zusammenfällt, so mag es gekonnnen sein, dass
Professor Gustav Jäger in Stuttgart denselben ohne
weitere Kritik einfach zu dem diluvialen Funde stellte
und als einen solchen beschrieb. Durch diese Notiz
Jägers wurde Quatrefages auf dieses Schädelstück auf-
merksam gemacht. Eine weitere Folge war die, dass er
dasselbe als charakteristisch für die Beschaffenheit des
Menschen zur Mammuthzeit hinstellte. — Die Geschichte
des Schädelrestes von Cannstatt, wie wir sie soeben wieder-
gegeben haben, beweist indessen zur Genüge, dass sein
diluviales Alter in das Reich der Fabel zu verweisen ist.
Aehnlich verhält es sich mit der Hirnschale des
Neandertlialers, die zu wiederholten Malen Veranlassung
zu Iel)hatten wissenschaftlichen Discussionen gegeben hat.
Wie bekannt, knüpft sich an dieses Schädelstück noch
ein besonderes Interesse insofern, als man in ihm
resp. seinem Repräsentanten das Bindeglied zwischen
Menschen und Anthropoiden gefunden zu haben glaubte.
Diese Hypothese wird aber durch den höchst zweifel-
haften Ursi)rHng dieses Neanderthalschädcls illusorisch
gemacht. Es ist njUnlieh über ihn nichts Näheres
bekannt geworden, ob er sannnt den dazugehörigen Ge-
beinen dem diluvialen Lehme, der sich zur Zeit der
grossen Säugethiere gebildet hat, entstamme oder nicht.
Die erstere Annahme findet in verschiedenen Lehrbüchern
der Anthropologie noch ihre Vertreter. Soviel steht in-
dessen fest, dass Schädel und Gebeine in einer Schlucht
aufgefunden wurden, die sich zunächst an einem Bergabhange
durch herabgekommenes Wasser gebildet hat. Wo die
einzelnen Stücke, die verrauthlich von dem Wasser her-
beigespült worden sind, vordem gelegen hatten, weiss
Niemand anzugeben. Quatrefages und seine Anhänger
haben trotzdem diesen Schädel, der durch seine eigen-
artige ISildung sich dem der Anthropoiden nähert, als
Typus der Canstattrasse hingestellt. Beiläutig sei hier
bemerkt, dass diese angeblich für ihn allein charakteristi-
schen ^lerkmale sich vereint gleichfalls auch an Schädeln
der Neuzeit vorfinden. Virchow, S])rengel und Andere haben
nachgewiesen, dass die allgemeine Form des Schädels
in der Fundgegend desselben sowohl, als besonders in
dem alten Friesland weit verbreitet war und noch heute
ist; Pruner-Bey hat dieselbe Schädelbildung an zwei
Zeitgenossen beobachtet, an dem Sohne eines franzö-
sischen Marsehalls und an einem berühmten italienischen
Arzte; Hamy selber erklärte auf dem anthropologischen
Congresse zu Brüssel, dass er auf den Strassen der Stadt
Leute mit ähnlicher Schädelbildung, wie die des Neander-
thales gesehen habe. — Uebrigens erscheint es von vorn-
herein gewagt, an eine blosse Schädeldecke, wie die des
Neanderthales es ist, weitere Folgerungen über die Ge-
sammtbeschaft'euheit des Schädels zu knüpfen: man hat
sogar seine Capacität berechnet, den Unterschädel recon-
struirt u. a. m. Wie Virchow hierzu richtig bemerkt, ist eine
kühne Phantasie im Stande, sich aus einer Schädeldecke
jedwede Gesammtform aufzubauen, je nachdem dieselbe
mehr oder weniger horizontal gehalten wird. Da die
Herkunft des uns interessirenden Schädels eine zweifel-
hafte ist, so erscheint es überflüssig, noch weitere Argu-
mente gegen die Berechtigung, in ihm den Typus einer
Diluvialrasse zu erblicken, ins Feld zu führen.
Um indessen das Thema zu erledigen, wollen wir
noch die Thatsache hervorheben, dass der Neanderthal-
schädel ein pathologisches Erzeugniss ist. Virchow
hat nämlich den Nachweiss gebracht , dass Schädel
und Gebeine Spuren von allerlei Krankhcitsvorgängen
aufweisen, die ziemlich weit bis in die Jugendzeit zu-
rückzureichen scheinen. Es ist dies die Rhachitis (eng-
lische Krankheit), ein Krankheitszustand, der das prädis-
ponirende Moment für eine weitere Krankheit abgab,
welche den Neanderthaler in späterer Lebenszeit be-
troffen hat, die Gicht (Arthritis defunnaus). Dieselbe
besteht in einem zumeist schmerzlos einhergehenden ent-
zündlichen Process an den Gelenken, der Verdickungen
in denselben und Auswüchse der Knochen zur Folge hat.
Virchow hat in zahlreichen Knochen des Höhlenbären
diese Affection, die er deshalb als Höhlengicht bezeichnet,
in evidenter Weise nachweisen können, und als Ent-
r>8
Naturwissenscbaftlicbe Wochensclivift.
Nr. 7.
stehungsursache die feuchte Kälte der Höhlen augeschuldigt.
Ausserdem zeigt die Neandcrthalschädeldecke die Spuren
einer mcclianischen Verletzung, die sie von aussen her ge-
troiifen liat und nicht ohne Einfluss auf den Ernährungs-
vorgang der Kuocheuniasse geblieben ist. — Ks leuchtet
ein, dass der Schädel eines in solchem Grade durch
Krankheit heimgesuchten Individuums nimmermehr den
Typus für eine Rasse abgeben kann. Das Gebäude,
welches Quatrefages und seine Anhänger durch Aufstellen
der sogenannten Cannstattrasse so kunstvoll errichtet haben,
fällt somit in sicli selbst zusammen.
Es sei erlaubt, zum Schlüsse die Bedenken Virchow's
auzufUhren, die derselbe auf dem am Eingänge erwähnten
Cougresse ans klimatischen Gründen gegen die Coexistenz
des Mammutli und Mensehen erhoben hat. Virchow giebt
zu bedenken, dass alle Artefaete ans dieser Zeit auch
aus fossilen Zäimen und Knoclien herzustellen sind. Er
ist vielmehr der Ansieht, dass wir über die Rennthier-
fuude noch nicht hinaus sind, und- dass diese immer noch
die ältesten bleiben, bei denen wir die Coexistenz des
Menschen sicher constatiren können. G. 15uschan.
Beiträge zur Kenntiiiss der Couifereu ■ Läuse,
deren Biologie bekanntlich äusserst schwierig zn erforschen
und daher noch vielfach dunkel ist, und zwar insbesondere
zur Kenntniss der Gattung Lachnus Jll. giebt N. Cho-
lodkovsky im „Zool. Anz." 1892 S. 66 u. 73. Bisher
sind oft'enbar Formen und Geschlechter einer und der-
selben Art als verschiedene Arten beschrieben worden,
und die Frage, ob bei allen Lachnusarten geflügelte
Jlännehen vorkommen, ist noch keineswegs gelöst. Auch
Zahl und Zeit der Generationen sowie Vorkommen oder
Fehlen von AVanderungen keimt man noch nicht sicher.
Verf. behandelt nun genauer drei auf der Kiefer und der
Fichte lebende Arten: Lachnus pini L. auf der Kiefer,
imd eine Abart auf der Arve, L. pineti Fb. auf der
Kiefer, und L. farinosus auf der lichte. Bei Allen
kommen geflügelte Männchen vor, die kleiner als die
Weibchen mit und ohne Flügel sind und längere Fühler
als diese haben.
L. i)ini L. lebt auf der Rinde der Kiefer. Nach den
in der Petersburger Umgegend angestellten Beol)achtungen
Cholodkovsky's schlüpfen die Jungen aus den schwarzen
an Kiefernadeln angeklebten Eiern Anfangs Mai aus. Sie
bedecken sich bald mit weissem Puderstaub und ähneln
der Rinde ausserordentlich. Im Juni waren bereits die
jungen Triebe befallen; um ein dickes ungetiügeltes
Weibchen sassen zahlreiche kleinere kahle Thiere herum.
Bald fanden sich unter ihnen Nymphen und kurz darauf
auch geflügelte Individuen. Ausser den genannten Weib-
chen beflügeln sich allmählich alle Thiere einer Colonie
und fliegen fort. Sie befallen benachbarte Kiefern, sam-
meln sieh am Grunde des obersten Quirls und gebären
hier flügellose Individuen, die sich später abwärts am
Baum zerstreuen. Später fanden sieh einzelne Exemplare
mit und ohne Flügel, deren Herkunft nicht genau zu be-
stimmen war. Von Ende August ab bis in den Oetober
hinein fand die Ablage der Wintereier statt, die anfangs
gelb, später glänzend-schwarz sind. Hierbei fanden sich
einzelne geflügelte Männehen und zahlreiche grosse Weib-
chen. — Die Abart (_var. cembrae) auf der Arve ist in
einigen Punkten verschieden.
L. pineti Fb. lebt, dicht von weissgrauer Wolle be-
deckt, auf den Kiefernadeln. Auch hier beginnt die Ei-
ablage Ende August, die Eier sind wie bei L. pini ge-
färbt, und die Jungen beginnen Ende April auszusehlüjifen.
Die lebendiggebärenden geflügelten Weibchen erseheinen
Ende Juni, die Männchen um den 1. September.
L. farinosus, eine neue Art, lebt auf der Rinde
der vorjährigen Fichteuzweige, und zwar auf deren Unter-
seite. Ihre reichlieh entwickelte Wolle sammt den ab-
geworfenen Häuten bepudert oft die Zweige wie nüt
weissem lAlehle. Auch hier treten im Herbst geflügelte
JMännehen, im Frühjalu- nngeflügelte und später geflügelte
vivipare Weibehen auf C. M.
Ueber den schädlichen Einfluss von wässerigen,
im Boden beflndliclien Lysollösungen auf die Vege-
tation, und über die Wirksamkeit der Lysollösungen
als Mittel gegen parasitäre rflanzenkranklieiten liat
unser Mitarbeiter, Dr. R. Otto, im pflauzenphysiologisehen
Institut der Kgl. Landwirthschaftlichen Hochschule Unter-
suchungen (vergl. Zeitsehr. für Pflanzenkrankheiten Bd. II
S. 72 — SO) angestellt. — Es kam bei denselben darauf
an, das Verhalten mehrerer Pflanzen gegen verschiedene
concentrirte, wässerige Lysollösungen kennen zu lernen
und zwar:
1. den Einfluss von wässerigen Lysollösungen
auf Pflanzen zu erforschen, wenn diese Lö-
sungen vor Beginn der Cultur dem Boden ein-
verleibt waren.
2. Die Wirksamkeit von verschiedenen coucen-
trirten, wässerigen Lysollösungen als Mittel gegen
parasitäre Pflanzen - Krankheiten und -Schäd-
linge zu erproben, wenn die betreffenden be-
fallenen Pflanzen mit diesen Lösungen bestäubt
wurden.
3. Den Einfluss der verschiedenen couceutrirten
wässerigen Lysollösungen auf Pflanzen in un-
gleichen Entwicklungsstadien zu erforschen,
wenn sich die Pflanzen nach Art der so-
genannten Wasserculturen in den Lysollösungen
entwickelten, wobei natürlich neben dem Lysol
auch alle anderen für ein normales Waehsthum
nöthigen Bedingungen gegeben waren. —
Im Nachfolgenden seien die Ergebnisse der Fragen
1 und 2 kurz mitgetheilt.
Um den Einfluss einer wässerigen Lysollösung auf
Pflanzen kennen zu lernen, wenn die Lösung vor P.eginn
der Cultur dem Erdboden einverleibt ist, erschien es
zweckmässig, zunächst näher zu untersuchen, wie sich eine
öproeentige wässerige Lysollösung hinsichtlich desPflanzen-
wachsthums verhält, wenn diese Lösung einmal direct dem
Boden einverleibt wird, das andere Mal aber indirect ein-
wirkt, indem nicht der Boden, sondern der in demselben
zur Verwendung gekommene Dünger mit einer solchen
Lysollösung desinticirt ist; ob in allen diesen Fällen
nicht eine Schädigung des Pflanzen wachsthunis auf solchem
Boden herbeigeführt wird.
Die Versuche wurden aus besonderen Gründen in
grossen runden Glasschalen ohne Bodenöftnung mit einem
Innern Durchmesser von 38,5 ccm und einer Höhe von
14 ccm angestellt.
In die Schale A wurde zunächst eine 5 cm hohe
Schicht gewöhnlichen Pferdedungs gegeben und derselbe
sodann mit 4 Ltr. einer 5 procentigen, wässerigen Lysol-
lösung, entsprechend 2UU ccm conc. Lysol, gleichmässig
durchtränkt. Ueber diese Schicht wurde dann eine 6 cm
hohe Lage (= 8 1 Boden) von gröberen Bestandtheilen
wie Holz , Steinen etc. vorher befreiten Gartenhumus
gebracht.
Die zweite Schale B war hinsichtlich des Dunges
und Bodens genau in derselben Weise wie A. vorbereitet,
nur fehlte hier die vorgenannte Lysollösung.
Um zu erfahren, wie sieh ein Boden ohne Dung, di-
rect mit Lysollösung durchtränkt, bezüglich des Gedeihens
Nr. 7.
Natiirwissciiscliaftliclic Wonliensclirift.
ßU
der Pflanzen im Vergieieh mit einem gewöbnliclieii nicht
gedüngten und durclitriinktcn, mit Pflanzen bestandenem
Boden verhält, wurde in einer dritten Sehale C eine 9 cm
hohe gleichmässige, abgesiebte Iluniusscliicht (ca. 8 1
Boden) gebracht, und der Boden sodann mit 2 1 einer
.0 procentigen wässerigen Lysollüsnng (^= 100 ccm conc.
L3S0I) durchtränkt. Daneben wurde eine andere Schale
D nur mit dem (iartenhumus, ohne Lysolliisung, sonst
genau wie C beschickt.
Diese vier Schalen blieben zunächst zwei Tage lang
im Freien stehen, damit sieli der in denselben betindliche
Boden erst etwas mit den Lysollösungen resjj. bei den
lysolt'reienSehalen mit dem diesen vorher zugesetzten Wasser
dnrehtränken sollte. Dann wurde am 1. Juni der Boden
sämmtlicher vier Schalen quadrantenweis genau überein-
stimmend mit Bohnen, Jlais, Hafer und Weizen besäet,
indem stets dafür Sorge getragen wurde, dass es den sich
entwickelnden .jungen Pflanzen weder an Feuchtigkeit,
noch an Licht und Wärme und sonstigen Lebensbedin-
gungen gebrach. Die Culturen standen während der
ganzen ^'ersuchsdauer im Freien, nur einige Male nuissten
dieselben in das Kalthaus gebracht werden, um vor allzu
starkem Regen geschützt zu werden, da ja aus den
Schalen kein Abfluss des übermässigen Regenwassers
möglich war. Sonst waren die Entwieklungsbedingungen
der Pflanzen die gleichen wie im freien Lande.
Auf die im Original (Zeitschr. für Pflanzenkrank-
heiteu Bd. II S. 74 u. flg.) näher mitgetheilten einzelnen
Beobachtungen während der Versuehsdauer, kann hier
nicht ausführlich eingegangen werden, es sei zu diesem
Zweck auf das Original verwiesen, hervorgehoben sei nur,
dass in der Sehale C, wo alsct der Boden direct mit der
Lysollösung durchtränkt war, selbst nach 23 Tagen noch
keine Pflanze aufgegangen war, während bei den übrigen
Schalen nach S — 14 Tagen sich sännntliehe Pflanzen mehr
oder weniger gut entwickelt hatten.
Im Allgemeinen zeigten die \'ersuchc, dass das Lysol,
wenigstens bei dieser Menge und Concentration, ein
starkes Oift für den Boden und somit auch für
die Vegetation ist, welche direct oder indirect
mit solchen Lösungen in Berührung kommt.
Der Boden, welcher direct mit einer öproceutigcn
wässrigen Lysollösung inticirt war, vermochte absolut
keine Pflanzen hervorzubringen; es war hier meist noch
nicht einmal Keinunig eingetreten, sondern die Samen in
diesem Boden verfaiüt. Lysol ist also für das
Pflanzen wachsthum in hohem Grade schädlich,
wenn es direct dem Boden einverleibt wird.
Die Pflanzen in der Schale A, wo der Dünger mit
der Lysollösung desinflcirt war, blieben in den ersten
drei Wochen vorübergehend gegen die anderen zurück,
sie erholten sich dann, so dass in der dritten bis sechsten
Woche kaum ein merklicher Unterschied gegenüber den
anderen Culturen zu constatiren war. Von dann ab aber
machte sich ein ganz auffallendes Zurückbleiben der
Pflanzen in A Ijemerkar, welches immer mehr zunahm,
bis schliesslich die Pflanzen ganz eingingen, während die
übrigen Culturen sich ganz normal weiter entwickelten
und gute Früchte hervorbrachten.
Also auch in diesem Falle, wenn das Lysol
nicht zunächst direct mit den Samen und den
jungen Keimpflanzen in Berührung ist, wird
mit der Zeit durch dasselbe eine Schädigung
der Vegetation herbeigeführt und niuss deshalb
auch hier das Lysol als ein Gift, wenn auch
nicht so stark wirkend, wie im ersteren Falle,
angesehen werden. —
Um die Wirksamkeit verschieden eoneen-
trirter wässrig-er Lysollösungen als Mitteigegen
parasitäre Pflanzenkrankheiten und -Schädlinge
wenn die betreffenden Pflanzen mit diesen Lö-
sungen bestäubt werden, zu erproben, diente zu-
nächst eine 0,25procentige Lysollösung (0,25 gr conc.
Lysol auf 100 ccm dest. Wasser). Dieseli)c wurde mittelst
eines sogenannten Zerstäubers als ganz feiner Sprühregen
Pflanzen (Dracaena ruba, Vicia Faba), welche von para-
sitären Thieren stark befallen waren, aufgespritzt.
Die Ergebnisse dieser Versuche waren im Wesent-
lichen negativ d. h. während die Parasiten (weisse,
wachsausscheidende Läuse und schwarze Läuse (Aphis
viciae Kalt.j meist gar nicht von dieser Lösung behelligt
wurden, machten sieh allniälilich an den Pflanzen (Dra-
caena rubra) besonders bi'i Anwendung einer 0,5proeen-
tigen Lösung, bedenkliche Krankeitserscheinungen bemerk-
bar, so dass es geboten erschien, diese Bespritzungen
nach einiger Zelt einzustellen. — Bei Anwendung einer
2 procentigen Lösung zu dem genannten Zwecke waren
bei Vicia Faba naeii 24 Stunden zwar die meisten Para-
siten todt, doch waren gleichzeitig die Pflanzen sehr stark
von der Lysollösung angegriffen. Die Blätter, welche
von der Lysollüsung g-etroffen waren, erschienen
nach 24 Stunden an den Rändern sehr stark zu-
sammengetrocknet und geschwärzt, gleichsam
als ol) sie verbrannt wären. Auch die Neben-
blätter an den Blattstielen hatten das gleiche
Aussehen, ebenso sahen die Blüthen ganz schwarz
und versengt aus. Die Pflanzen waren nach
dieser Behandlung überhaupt nicht mehr lebens-
fähig.
Es ist also auch in diesem Falle eine 2pro-
centige wässerige Lysollosuug ein sehr starkes
Gift für die i'flanzen, (wenigstens für Vicia
Faba), welches dieselben schon in 24 Stunden
zu Grunde zu richten vermag, ohne dass der
erwartete Erfolg, sich der Parasiten zu er-
ledigen, zur Zufriedenheit erreicht wird. x.
Plötzliche Aeiiderniig im Aussehen des Kometen
Holmes. — In der am 17. .Januar abgeschlossenen Xummer
3145 der „Astronomischen Nachrichten" Ijerichtet Prof.
Krüger Folgendes:
.,Die Centralstelle iKiel) erhielt am 16. d. M. Abends
9 Uhr nachstehendes Telegramm aus Wien: , Komet
Holmes soeben 7 Uhr gleicht Fixstern achter Grösse mit
Nebelhülle von 20 Bogenseeundeu Durchmesser. Palisa.'
Diese merkwürdige Beobachtung wurde seitens der Gesell-
schaft sofort durch Telegramm weiter gegeben. (Ueicli
danach klärte sich hier der Himmel für kurze Zeit auf und
Professor Lanip konnte die Beobachtung von Dr. Palisa
bestätigen, ohne dass indessen eine Positionsbestinnnung
erlangt werden koinite." —
Der Komet ist übrigens auch am 5. und 6. .lanuar
von Dr. Kobold am ISzöll. Refractor der Kaiserl. Uni-.
versitäts-Sternwarte in Strassburg beobachtet worden. Er
erschien danuris als blasser Lichtfleck von zwei Bogen-
minuten Ausdehnung, der nur schwach zu erkennen war.
Die Beobachtung am G. war ausserdem noch durch einen
Stern 15. Grösse, der dem Kometen nur um dreissig
Bogenseeunden vorausging, gestört. (irs.
Ueher das Spectrnm des Kometen Holmes macht
der Direetor des Potsdamer Observatoriums, Professor
H. C. Vogel, in den ..Astronom. Nachrichten'' (No. 3142),
vom 5. Januar d. J., folgende Mittheilung.
Der Komet war am 13. November 1892 heller als der
Andromedanebel, und trotzdem war es nicht möglich, mit
einem grösseren, am llzöU. Refractor angebrachten Spec-
;o
Naturwisscuschaftliclie Wocbcnscbrift.
Nr.
tralapparat mit einfachem Flintiilasprisma vou 60°
brechendem Winkel aucli nur die g-eringste Spur eines
Spectrums zu erkennen. Später Avurde an demselben Tage
der Komet pbotograpbirt, und es gelang Herrn Vogel,
mit einem an dem 9zöll. Leitfernrohr des jthotographischen
Refractors angebrachten Ocularspectroscope mit sehr
schwacher Zerstreuung das Vorhandensein eines schwachen
vollkommen continuiriicben Spectrums nachzuweisen. In
diesem war indessen keine Andeutung der sonst für die
Kometenspectra charakteristischen Bänder wahrzunehmen,
Das Spectruni hatte eine Ausdehnung etwa von D bis /<',
d. i. etwa über rund das zweite Viertel des sichtbaren Spec-
trunis; sein Intensitätsmaximum lag im Gelbgrüneu. An den
folgenden Tagen war keine Veränderung des Spectrums zu
bemerken. Dasselbe bildet somit eine Abweichung von
allen l)isher beobachteten Kometenspectren, in denen stets
wenigstens das heilste, im Grün gelegene Band des Kohlen-
wasserstoffspectrums, meist aber zwei bis drei Bänder
dieses Spectrums sichtbar waren, welche das continuirliche
Spectrum an Intensität beträchtlich übertrafen. Professor
Vogel ist der Ansicht, dass die einfachste Erklärung für
dieses abweichende Verhalten des Spectrums von Komet
Holmes in der grossen Periheldistanz des letzteren zu suclien
sein dürfte. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Diroctor des Museums für Völker-
kunde an der Univei-sität zu Kiel, Oberlehier Dr. Scheppig
zum Professor. — Der ausserordentliche Professor in der raedi-
cinischen Fakultät der Universität Berlin Dr. Gustav Fritsch
zum Geheimen Medieinal-Rath.
Die Mittheiluno- der Ernennung des Dr. Brieger zum Pro-
fessor ist irrthümlieh.
Es ist gestorben: In Bamberg der Ethnologe und vormalige
Lyzeal-Professor Andreas Haupt.
L i 1 1 e r a t u r.
Adalbert Breuer. Die Logaritlimen complexer Zahlen in geo-
metrischer Darstellung Preis O.r.O M
._, Die goniometrischen Functionen complexer Winkel.
Preis 1 M.
— . — , Imaginäre Kegelschnitte. Preis 1 M.
— . — , Die einfachste Lösung des Apollinischen Tactionspro-
blemes. l'n-is l,.')ii M.
— . — , Ueber Conographie. l^reis 1 M. — Verlag von Bodo Bac-
meister. Erfurt 1892.
In den oben genannten Scdirifteu beschäftigt sich der Ver-
fasser mit der geometrischen Darstellung der complexen Zahlen
und mit der Bedeutung der Imaginären in der Geometrie. Ohne
hier näher auf den Inhalt der einzelnen Schriftchen, denen Figuren-
tafeln beigegeben sind, einzugehen, erwähnen wir nur besonders aus
dem an letzter Stelle genannten Hefte die Beschreibung eines
Universalconographen, d. h. eines Instrumentes, mit dessen Hilfe
sich alle Kegelschnitte zeichnen lassen, und zwar in der Art,
dass der Kegelschnittzirkel sich in Curven bestimmter Gestalt
und von vorgeschriebener Grösse einstellen lässt. Daran schliesst
sich noch die Beschreibung specieller ("'onographeu, die für die
besonderen Kegelschnitte (Ellipse, Hyperbel, Parabel angepasst
sind. Inwieweit die Entwürfe zu diesen Instrumenten sowie die
in den übrigen Heften enthaltenen Ergebnisse neu oder von Werth
sind, mag au dieser Stelle unentschieden bleiben. A. G.
Comptes Rendus Hebdomadaires des Seances de l'acad.
des Sciences. Band IIG, \o. 1. Paris 1893. — Der Iiilialt weist
eine ßeihe von Mittheiluugen auf, von denen folgende genannt
seien: G. Le Cadet: Beobachtungen über den Brook'schen Ko-
meten (19. Nov. 1892) auf dem Observatorium zu Lyon. E. Ja-
blonski: Ueber eine neue Methode der Nährungswerthe.
E. M erradier: Ueber das allgemeine Gesetz der Schwingungs-
bewegung in einem isotropen Medium. Henry Bagard: Ueber
die thermo-elektrischen Erscheinungen zwischen zwei Elektrolyten.
Wallerant: Ueber das Alter der frühesten Aetna-Eruptionen.
In welcher Periode die ersten Ausbrüche des Aetna erfolgt sind,
ist unbestimmt. Die ältesten bekannten vulcanischen Producte
des Berges sind die Basalte, welche rings um seinen Fuss unter
Strömen echter Lava, z. B. bei Palermo, la Motta, Aci Castello
und Ileall vorkommen. Aus dem Verhalten dieser alten Basalte
zu gewissen Thonen, z. B. auf den Cycloden-Eilanden, lässt sich
der Schluss ziehen, dass der Aetna während des Plaisanciens, un-
teren Pliocaens. bereits Schauplatz heftiger vulcanischer Thätig-
keit war. F. K.
Jahresbericht der geographischen Gesellschaft in München
für 18'JO und 1891 (14. Heftj. Herausgegeben von Dr. Eugen Ober-
hummer. Theodor Ackermann in München 1892. — Das Heft bringt
b Abbandlungen: Siegmund Günther, Die Entwicklung der
Lehre vom gasförmigen Zustand des I']rdinneru; Ernst Liuhardt,
Ueber unterseeische Flussrinneu (mit 2 Tafeln); Friedl Martin,
Reise nach den Battakländern und an den Tobasee; Eugen Ober-
hummer, Zwei handschriftliche Karten des Glareanus in der
Münchener Universitätsbibliothek; Karl Dühinig, DerBergAthos
Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle a. S.
Zugleich * Irgan des Thüringisch-Sächsischen Ge.sammt-^'ereins für
Erdkunde 1892. Verlag von Tauseh u. Söhne. Halle a. S. 1892.
— Pi'eis 5 Mk. — Das vorliegende Heft bringt die folgenden Ab-
handlungen: Anglist Mertens, Die südliche Altmark. — Albert
Danckwortt, Die Temperaturverhältnisse Magdeburgs. — Otto
Lange, Die Temperaturverhältnisse Gardelegons. — Wilhelm
Schulte, Ibrahim ibn .Ja'qübs Reiseiinie durch die heutige Pro-
vinz Sachsen nach Böhmen. — Hermann Grössler, Führer
durch das Unstrutthal von Artern bis Naumburg, I. Theil (nebst
einer Karte und einer Tafel mit Grundrissen). — Johann Kl oos,
Die Höhleu des Harzes und ihre Ausfüllungen. — Karl Picard,
Die Einwirkung der in Nord-Thüringen anstehenden Gesteine auf
die Bodengestalt iing. — Hermann Töpfer, Phänologische Beob-
achtungen in Thüringen 1891 (11. Jahr). — Otto Koepert,
Phänologische Beobachtungen aus dem Ostkreise des Herzogthums
Sachsen-Altenburg 1891 (2, ßeobachtungsjahr). — Otto Koepert,
Die Forstwirthsehaft im Herzogthum Sachsen-Altenburg. — Willi
Ule, Die Mansfelder Seen. Bei'icht über die gegenwärtigen Ver-
änderungen.
Molien, Th., Ueber Svsteme höherer complexer Zahlen. Dorpat.
2 M.
Philippi, F., u, R. A. Philippi, Botanische Abhandlungen. Leipzig.
4 M.
PhilipiJi, E.. A., Be:uerkungen über die Flora bei den Bädern
von t'hillan, Berlin. 1 M.
— . — . Der Guenuil der Chilenen. Leipzig, 2,.j0 M.
Fictet, A., et H. de Saussure, Iconographie de quelques Saute-
relles vertes. Basel, -t M.
Pöhlmann, R., Mineralogische Mittheilungen. Berlin. 0,G0 M.
Prym, F., Ueber orthogonale, involutorische und orthogonal-
iiivnlutorische Substitutionen. Göttingen. 2,60 M,
Rebel, H., Beitrag zur Microlepidopterenfauna des canarischen
Archipels. Wien. 3 M.
Rehberg, H., Neue und wenig bekannte Korallen. Hamburg.
li. .M.
Reiche, C, Ueb. habituelle Aehnlichkeiten generisch verschiedener
I'Hanzen. Berlin. 0,60 M.
Reichenbach til., H. G., Xenia orchidacea. Leipzig. 8 M.
Richter's, V. v,, Lehrbuch der anorganischen Chemie. 7, Anfl,
Bonn. 9 M,
Inhalt: Georg Meyer: Die Geologie, eine Lehrmeisterin des 19. Jahrhunderts. — Prof. Dr. Wilhelm Sievers: Die Umrisse von
Asien. (Mit Abbild.) — Das Ende der Cannstatt-Rasse. — Beiträge „zur Kenntniss der Coniferen-Läuse". — Ueber den schäd-
lichen Eiutluss von wässerigen, im Boden befindlichen Lysollösungen auf die Vegetation, und über die Wirksamkeit der Lysol-
lösungen als Mitlei gegen parasitäre Pflanzenkraukheiten. — Plötzliche Aenderung im Aussehen des Kometen Holmes. — Ueber
das Spectrum des Kometen Holmes. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Adalbert Breuer: Die Logarithmen
complexer Zahlen in geometrischer Darstellung. — Derselbe: Die goniometrischen Functionen complexer Winkel. — Derselbe:
Imaginäre Kegelschnitte. — Derselbe: Die einfachste Lösung des Ajjollinischen Tactionsproblemes. — Derselbe: Ueber Cono-
graphie, — Comptes Rendus Hebdomadaires des Seances deT'acad. des Sciences. — Jahresbericht der geographischen Gesell-
schaft in München. — Mittheilungen des Vereins für Erdkunde in Halle a. S. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potoniö, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Vorlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein. Berlin SW. 12.
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V*"^-^.^?*^ Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 19. Februar 1803.
Nr. 8.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Bucbhandhiiigen und Post-
anstaltcn, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 3.—
Bringegeld bei der Post 15 -J extra.
i^
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 -Ä. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach üebereinljunft. Inseratenannahme
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nur mit vollsiitändiger <^nellenang;abe gestattet.
Die Geologie, eine Lehrmeisterin des 19. Jahrhunderts.
Durch die Spectralaiialysc, mit deren genialer Er-
findung in der Mitte dieses Jaln'liunderts Kirclilioif und
Bungen unser Erkenntnissvermögen in grossartiger Weise
vergrösscrte, konnte die Astronomie iiacliwciscn, dass die
ebeinisclien Grundstoffe, aus welclicn die leuchtenden
Weltkörpcr, Sonne und Fixsterne zusammengesetzt sind,
im Allgemeinen dieselben sind, welche die Erde und ihre
Bewohner zusammensetzen. Von den ungefiihr 70 irdi-
schen chemiseheu Grundstoffen sind z. B. 41 in der
glühenden Sonnenatmosphiire nachgewiesen worden. Einige
auf der Erde noch unbekannte Elemente scheinen indessen
in der Sonne vorhanden zu sein.
Bei dieser Forschung nach der Zusammensetzung der
Weltkör]n'r k(mimt nun die Geognosie der Astronomie zu
Hülfe. Die ans dem Weltraum zur Erde herniederfallenden
Meteoriten oder Aerolithen, die theils aus reinem ge-
diegenem Eisen, theils aus Gesteinsmasse bestehen, sind
allem Anscheine nach Reste zersprengter Kometen, welche
angezogen von der Erde bei dem Eintritt in ihre Atmo-
spliäre durch die zusaminengei)resste Luft glühend werden
nnd daher als U'uchtende Sternschnuppen und i\Ietcorcn
erscheinen, um schnell zu den bekannten Meteorsteinen
zu erkalten. Durch ihre wissenschaftliche Untersuchung,
welcher sich die Geognosten mit Eifer unterzogen, ist es
also möglieh, in die Natur fremder Weltkörper einen Ein-
blick zu gewinnen. Man hat in ihnen fast ein Drittheil
der auf der Erde bekannten Elemente nachgewiesen, und
kein einziges bei uns unliekanntes gefunden. Eisen ist
das verbreitetste Element in den Meteoriten, Gold, Silber,
Platin dagegen fehlen bisher ganz, Nickel aber ist weit
verbreiteter als auf der Erde. — Auch die Art und Weise,
in welcher diese Grundstoffe in den Meteoriten zu Mine-
ralien, nnd diese zu Gesteinen verbunden sind, entspricht
im Allgemeinen den Verhältnissen auf der Erde: Wir
finden in den ersteren u. a. Augit, Glivin, Fcldsjjath,
Quarz, Magneteisen, Graphit; einzelne Mineralien sind
Von Dr. Georg Meyer.
(Fortsetzung und Schluss.)
auf der Erde noch unbekannt, so der Asmanit, eine
leichtere und rhombisch krystallisirende Abart des (Quarzes,
und Nickeleisen. Die Gesteine, zu welchen diese Mine-
ralien in den Meteoriten vereinigt sind, entsprechen zum
Theil unseren vulkanischen Olivingesteinen.
Trotz einiger kleiner Unterschiede kommen wir also
auch hier wie bei der spectralanalj'tischen Untersuchung
zu dem Ergebniss, dass alle Weltkörper von einer ein-
heitlichen Zusammensetzung sind, daher ein einheitliches
Ganzes bilden und eine einiieitliclie Entstehungsweise
haben müssen, wie es bei rein speculativer Forschung
bereits Kaut behauptet hatte.
Von ganz bcsonilerer und geradezu epochemachender
Bedeutung sind die Ergebnisse der Geologie und Geognosie
für das geworden, was man gewöhnlich physische Geo-
graphie nennt. Die l'.cdeutung, welche die geologische
Betrachtung für die sogenannte Geographie des Thier-
und Pflanzenreichs hat, ist bereits vorher angedeutet
worden. Für die physische Geographie des festen Erd-
körpers, der Erdfeste, ist die Geognosie aber von solcher
Bedeutung, dass das ganze Gebiet der ersteren erst durch
sie zu dem Rang einer Wissenschaft erhol)en ist uiid ihr
vollständig einverleibt werden muss. Denn die orographi-
schcn Erscheinungen, die Geliirge, Berge, Tliäler, lloch-
und Tiefebenen können ohne die Kcnntniss ihres inneren
gcognostischen Baues, ohne die Kcnntniss der Beschaffen-
heit und Lagernng der sie zusammensetzenden Gesteine
in ihrer Gestalt und .\iisdclmung gar nicht verstanden
werden.
Das weite russische Flachland steht in enger ur-
sächlicher Verbindung mit den fast überall horizontal
liegenden Erdschichten dieses Gebietes; das aus vielen
parallelen Ketten zusammengesetzte Schweizer-Jura-Gebirgc
findet dagegen eine F^iklärung in der Thatsaehe, dass die
ursprünglich horizontal lagernden .Sciiielitcn der .lura-
formation, welche dieses Gebirge zusammensetzen, durch
72
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. S.
einen von Südosten her wirkenden Druck in viele pa-
rallele Falten zusanniiengedriiekt wurden.
Schwarzwald und Voije^en, zwei parallele Gebirge
mit steilem Absturz nach der Innenseite, dem Kheinthale,
mit sanfterem Abfall nach den Aussenseiten, Wiirtemberg
und Lothringen, erscheinen bei geologischer Betrachtung
als eine ehemals zusammenliängende Bodenanschwellung,
welche in ihrer Längsseite, dem jetzigen Rheintlial von
Basel bis Heidelberg, einen Bruch erlitt, in Folge dessen
das ganze Gebiet an dieser Stelle in die Tiefe versank
und zur Bildung des jetzigen Rheinthaies die Veranlassung
gab; andere, der Hauptversenkung parallele, Brüche ent-
standen an den Aussenseiten der Bodenansehwellung, an
ihnen sanken die Gesteiusmassen in geringere Tiefe hinab,
im Osten zu der Würtembergischen, im Westen zu der
Lothringischen Tafel, sodass der Schwarzwald und die
Vogescn als isolirte Gebirge stehen blieben. Sie bilden
also geologisch, geognostiseh oder, was daselbe ist, geo-
graphisch ein zusammengehörendes Ganzes, wie sie ja
seit 20 Jahren nun auch politisch in gewissem Grade ver-
einigt sind.
Aus diesen Bemerkungen folgt aber, dass eine Land-
"karte, welche nur die äusseren Bodenformen, die oro-
graphisehen Verhältnisse zur Darstellung bringt, für
wissenschaftliche Zwecke nicht genügt, erst das geognosti-
sche Farltenbild kann dem Beschauer eine Erklärung für
die Erscheinungen der Erdoberfläche geben. Daher finden
auch in fast allen civilisirten Staaten geognostische Karten-
aufnahmen statt. Dass diese nicht nur einen wissen-
schaftlichen Werth haben, sondern auch für die Zwecke
des praktischen Lebens, wie für den Bergbau, die Land-
wirthsehaft. Hoch- und Wegebau, Eisenbahn- und Kanal-
bau und für die verschiedensten Zweige der Volkswirth-
schaft von Werth sind, beweist unter anderem der Umstand,
dass die Vereinigten Staateu von Nordamerika, dieses
überaus praktische Volk, allen anderen Staaten in dem
Aufwand von Mitteln für diese Zwegke voraus sind.
So kommen wir auf den Einfluss, welchen die Geo-
logie auf das Menschenleben und die Wissenschaft an ihm
ausübt. Li Bezug auf Volkswirthschaft und Technik ist
dieser soeben angedeutet worden. Li der sogenannten
politischen Geographie und der Geschichte dürfte ein
solcher wohl auch nachgewiesen sein. Es ist schon oft
hervorgehoben worden, dass die politische Zerstückelung
Deutsehlands, sich in dem bunten geognostischen Bau
dieses Landes wiederspiegele; das schon lange politisch
geeinigte und vollständig eentralisirte Frankreich ist
geognostiseh verhältnissmässig sehr einfach zusammenge-
setzt, indem es hauptsächlich in zwei grosse Gebiete, das
Pariser Becken neptunischer Schichten, und das krystal-
linische Centralplateau plutonischer Gesteine zerfällt.
Für die Annahme einer Einwirkung des geognostischen
Baues des Landes auf die politisclie Entwickelung seiner
Bewohner lassen sich noch andere Tbatsachen anführen.
Wir verweisen indessen diejenigen, welche sich für diese
Frage näher interessiren, auf Bernhard von Cotta's Werk
über „Deutschlands Boden". Es genügt hier darauf hin-
gewiesen zu haben, dass eine geognostische und geolo-
gische Betrachtungsweise für manche Erscheinungen des
gegenwärtigen und vergangenen Volkerlebeus, für manche
Fragen der Ethnographie und Geschichte Erklärung uud
Antwort geben könne. Auf die sogenannte Willensfreiheit
des .Menschen werfen diese Beziehungen ein ganz beson-
deres Licht.
Die Weltgeschichte stand staunend vor der von ge-
lehrten Aegyptologen erkannten Thatsache, dass die Kultur
Aegyptens bis zum Jahr 6000 vor Christus zurückreicht. —
Nachdem die Geologie der Frage nacli dem Alter des
Menschengeschlechts und seiner Cultur nahe getreten ist,
erscheinen diese Resultate der humanistischen Forschung
in keiner Weise auffallend.
Im Jahre 1854 wurden im Zürieiier See die ersten
Pfahlbauten entdeckt: in den Seeboden eingerammte Pfähle,
auf denen sich ehemals menschliche W(dinungen befunden
haben. Heute kennt man derartige Ueberreste alter Cul-
turen nicht nur in vielen Schweizer Seen, sondern auch
in Nord- und Süddeutschland, in Italien. In England und
Irland waren sie schon früher bekannt. In einem Fall
konnte das Alter dieser Bauten aus der Höhe des sie be-
deckenden Schlammes zu etwa 4000 Jahren berechnet
werden. Aehuliche von Flusssehlamm bedeckte Cultur-
reste wurden am Genfer See gefunden und besitzen nach
geologischen Berechnungen ein Alter von etwa 6000
Jahren. Im Nildelta hat man in einer Tiefe von 60 Fuss
menschliche Reste gefunden; zur Ablagerung dieser
Sehlammmasse hat aber der Nil nach geologischen Be-
rechnungen etwa 12 000 Jahre nöthig gehabt, und es ist
durchaus denkbar, dass in noch grösserer Tiefe weitere
Culturreste vorhanden seien. Bei New-Orleans wurde aus
ähnlichen Thatsachen für einige Mensehenschädel ein Alter
von 50 OOO Jahren berechnet.
Andere Funde, besonders in Höhlen gemachte, haben
zu der Ueberzeugung geführt, dass der Mensch bereits
Zeuge jener grossen Vergletseherung Mittel-Europas ge-
wesen ist, welche im .Süden von den Alpen, im Norden
von Skandinavien her stattgefunden hat; in -einer Zeit als
noch das JMamniufh, ein riesiger mit Wollpelz und einer
Mähne versehener Elephant, der Höhlenbär und der
Riesenhirseh unsere Gegenden belebten. Nach einigen
Berechnungen sollen 100 000 Jahre etwa seit dieser Zeit
verflossen sein. In Amerika ist der Mensch ebenfalls zu-
sammen mit den ausgestorbenen diluvialen Tiiieren, dem
Mastodon, einem Elephanten, und den Riesenfaulthieren
gefunden worden.
Wenn die angeführten Zahlenangaben auch mit
grosser Vorsicht aufgenommen werden müssen und in keiner
Weise auf Genauigkeit Anspruch machen können, so steht
doch fest, dass das Menschengeschlecht bereits seit vielen,
vielen Jahrtausenden auf der Erde besteht. Wenn dieser
Zeitraum auch nur ein Augenblick genannt werden muss
im Vergleich mit der unermesslich langen Dauer pflanz-
liehen und thierischen Lebens auf der Erde, so erscheint
er doch als unvergleichlich gross zu den wenigen Jahrtau-
senden der humanistischen Geschichtsforschung. Diese
wird, wenn sie auf Wissenschaftliehkeit Anspruch erhebt,
auch die prähistorische Zeit in ihre Betrachtung ziehen
müssen. — Wie die Sprachforschung erst zu einer Wissen-
schaft erhoben wurde, seitdem man nach Wilhelm von
Humboldt's Vorgang die vergleichende, naturwissenschaft-
liche Forschungsweise eingeführt hat; wie die von Darwin's
Geist beseelte Paläontologie der Thier- und Pflanzen-
kunde erst zu voller AVisseuschaftlichkeit erhoben hat, und
wie Volks- und Staatswirthsehaftslehre in der Statistik
schon lange eine naturwissenschaftliehe Methode besitzen
— so können Geschichte und Ethnographie, welche bis
jetzt in der Regel nur als Sammlung und ursächliche
Aneinanderreihung der einzelnen Ereignisse und in einer
Wiederspiegelung der Einzelheiten des bestehenden
Völkerlebens bestehen, zu einer Wissenschaft erst dann
erhoben werden, wenn sie nach Erkenntniss von allge-
meinen, alles beherrschenden und durchdringenden natür-
lichen Entwickelungsgesetzen streben, Thomas Buckle,
Friedrich Ratzel, Ludwig Büchner, u. a. haben aus ver-
schiedenen Gesichtspunkten mehr oder weniger erfolgreiche
Versuche gemacht, als Pioniere einer solchen neuen Rich-
tung zu wirken.
Nr. 8.
Naturwisscnscliaftliehe Wochensclirift.
73
Süsswasser- Aquarien.
Von Hermann Lachinann.
In No. 23, Band III, habe ich bereits Einiges über
die Seewasscr- Aquarien im Zimmer gesagt, da es aber
iianicntHch für den Hinneniands-Bewoliner mit manclierlci
Umständen verbunden ist, derartige Anlagen herzustellen
und zu erhalten, so will ieh in Nachstehendem Aquarien
behandeln, deren Herstellung, Besetzung und Pflege jedem,
der einiges Interesse für die Sache hat, leichter ist.
Zu einem Süsswasser-Aquarium eignet sich jeder
einigermaassen geräumige, durchsichtige Behälter, sobald
er den Lebensbedürfnissen der zu haltenden Thicre ent-
sprechend eingerichtet wird. Schon in den frühesten
Zeiten hielt man Fische, Reptilien, Amphibien u. a. in
mehr oder weniger primitiven Behältern gefangen, um
selbige zu beobachten. Nach und nach wurden diese
Bebälter immer mehr den Lebensbedingungen der Tbiere
angepasst und es entstanden so unsere Aquarien und Ter-
rarien, in welchen wir die verschiedensten Thierc jahre-
lang erhalten und beobachten können.
Da nun das Wohlbetindeu der von uns gefangen zu
haltenden Thierc von mancherlei Umständen abhängig
ist, so muss auf die Einrichtung der Behälter besonders
Rücksicht gcnonnnen werden; wir müssen liestrebt sein,
die Natur soviel als möglich nachzuahmen, um den Existenz-
bedingungen und Lebensgewohnheiten der aufzunehmenden
Thiere und PHanzen gerecht zu werden. Dies erfordert
zwar einige Mühe und Aufmerksamkeit, lässt sich al)er
sehr wohl durch Anwendung der uns zu Gebote stehenden
Hilfsmittel erreichen.
Mit der Herstellung von Aquarien i)eschäftigen sich be-
reits mehrere Fal)riken und es sind wohl in allen grösseren
Orten Aquarien in verschiedener Form, Grösse und Aus-
stattung zu haben. — Die einfachste, aber am wenigsten
zu empfehlende Form ist die Kelch- oder Glockenform.
Solche Kelch aquari en sind in jeder grösseren Glas-
waarenhandlung erhältlich, auch Käseglocken grösster
Nununer lassen sich verwenden. Kann man einen sog.
Schwefclsäureballon aus möglichst hellem (weissem) Glas
erhalten, so lassen sich aus solchem leicht zwei Aquarien
herstellen, indem man den Ballon theilen lässt. Da aber
diese Ballons sehr dünnwandig sind, zerspringen sie sehr
leicht, was ihrer Anwendung als Aquarium hindernd im
Wege steht.
Die praktischsten und daher empfehlenswerthesten
Aquarien sind die Kastenaquarien. Da hier keine ge-
bogenen Wände vorhanden, so zeigen sich die aufge-
nommenen Thiere und Ptianzen in ihrer natürlichen Ge-
stalt. Diese Kastenaquarien werden von vier-, sechs- und
achteckiger Form angefertigt. Am meisten empfiehlt sich
die länglich -viereckige Form, da diese am leichtesten
iierzustellen ist, die wenigsten Kitt- und Löthstellen auf-
weist und daher am besten wasserdicht zu erhalten ist.
Als (irundprincip gilt im allgemeinen auch hier, dass das
Aquarium I)reiter als hoch ist, um eine möglichst grosse
Wasserfläche zu erzielen, auf welche die Luft gut ein-
wirken kann.
Geeignete Grössenverhältnisse sind folgende:
Höhe des
ossc
Länge
Breite
Höhe
Wasserstandes
etwa
1
100 cm
80 cm
80 cm
70 cm
y-^ rf
2
70 „
55 „
55 „
47 „
jä^-o to z
3
55 „
36 „
36 „
30 „
M S n S S
4
5
40 „
32 „
30 „
25 „
30 „
25 „
25 „
20 „
c^ o) c « 53
^3 ^
Kleinere Behälter als Grösse 4 für ein gevvfihnliches
Schauaquarium zu wälden, ist nicht rathsam, da der Raum
dann doch zu gering wäre, um einige Fische und i'flanzcn
halten zu können. Grösse 5 eignet sich als Zuchtaquarinm
für ein Pärchen Paradiesfiscbe (Macropodus venustusi oder
für ein Pärchen Sehleierschwanz- oder Teleskop -Gold-
fische. Grössere Behälter als (!r(")ssc 1 zu wählen, ist
auch nicht zu rathen, da je grösser der Behälter, je
stärker die Scheiben sein müssen, und es würden sich die-
selben dann sehr thcuer stellen. Betreffs der Breite gehe
man nicht über 80 cm hinaus, da man andernfalls in
^'erlegenheit kommen könnte, das Aquarium weder zur
Zimmerthür hinein- noch hinausbringen zu können.
Figur I.
Zum Gestell (Abb. 1) der Grössen 1, 2, 3 verwendet
man Winkeleisen von 2 — 2V2 t'in Breite, für die Grösse 3
kann auch starkes (I4cr) Zink verwendet werden, für die
Grössen 4, 5 empfiehlt sich 14er und 12er Zink mehr als
Eisen. Blech (Weissbleeh) oder sonst irgend ein anderes
Material, mit Ausnahme von Schiefer, ist nicht verwend-
bar. Zum Boden {B, Abb. 2) muss starkes Zinkblech
verwendet werden, dieses wird an den Seiten bei ff recht-
winklig nach oben umgebogen, und es müssen die um-
zubiegenden Seitcntheile h so breit sein, als man die lliihe
der Bodenfüllung (Flusssand) halten will. Es cmjifehlcn
sich folgende Höhen der Bodenfüllung, Grösse I: 15 cm,
2: 12 cm, 3: 10 cm, 4: 8 cm, 5: 6 cm. In der ent-
sprechenden Höhe lässt man rund herum um das Gestell,
bei a Abb. 1 , ein
Flacheisen- res]), bei
kleineren ein Zink-
band von 2 — 1' ., cm
Breite geben, mit
welchem die Ränder
\o\\ Ji, Abb. 2, ver-
löthet werden. Beim
Umbiegen des star-
ken Zinkbleches B
ist darauf zu achten,
dass es nicht zu
scharfkantig ge-
bogen wird, damit
Das ganze Aquarium ruht der
Holzboden von 1 — 2 cm
werden zwei, bei
l ^
a-
b
Figur 2
es keine Brüche bekonnnt
Haltbarkeit wegen auf euiem
Stärke. Unterhalb dieses Holzbodens:
sehr grossen langen Behältern auch drei Querleisten,
ca. 5 cm breit, 2V2 cm stark, hochkantig eingescho-
ben, nicht blos untergeschraubt oder genagelt. Diese
Leisten \ crhindei'n dass sich das Bodcnbrett verzieht, und
bilden, indem sie vorn und hinten ausgekehlt werden,
gleichzeitig die Füsse des A(piariuius. Sie lassen ge-
nügend Zwischenraum zwischen Acpiariumboden und Tisch-
74
Naturwissenschaftliclic Wochenschrift.
Nr. 8.
platte, nm die Verbiiulungsschläuclie zum Zuflussrolir
eiues etwa anzAibringeiulcn Spriugbrnnnens und dem dazu
gehörigen Wasserstandsrohr anbringen zu k('innen.
Zum Einkitten der Scheiben liat sich nacli meiner
langjährigen Erfahrung Mennige-Kitt am besten bewährt.
Derselbe wird aus gut geklopfter rother Mennige, Firniss
und Siccativ zusammengesetzt. Der Kitt darf nicht zu
fest (steif) gemacht werden, sondern muss Faden ziehen,
au den Fingern kleben bleiben. Von mehreren Seiten
werden zum Einkitten der Scheiben sehr complicirte Ecken
im Gestell empfohlen, welche ich aber aus eigener viel-
seitiger Erfahrung als sehr unpraktiscli verwerfen muss,
denn wenn eine solche Ecke erst einmal leck wii'd, so
hat die Freude ein Ende, man hat seine liebe Xoth, diese
wieder dicht zu bekommen, und gewöhnlich zerbrechen
bei diesen Versuchen einige Sclieiben. Da haben sich
meine gewöhnliehen Winkelecken denn doch besser be-
währt; das Einkitten der Scheiben geht bei diesen sehr
leicht; sehr selten oder fast niemals kommen lecke Stellen
vor. Sollte dieser Fall nach Jahren doch einmal ein-
treten, wenn z. B. das Aquarium längere Zeit leer ge-
standen, so ist es sehr leicht, schadhafte Stelleu auszu-
bessern. Ich lasse die Winkelecken (1 — 4, Abb. 1) im
Gestell, wie sie sind, und bringe keine übergreifenden
Falze etc. au, belege nur die in die Ecke gedrückte Kitt-
wulst, gegen welche die Scheiben anliegen, in allen Ecken,
auch am Boden entlang, mit entsprechend breiten Streifen
gewöhnlichen Fensterglases. Hierdurch erziele ich gleich-
zeitig den wohl zu beachtenden Vortheil, dass sehr wenig
Kitt mit dem Wasser in Berührung kounnt. Aus der im
Grundriss (Abb. 3) beigegebenen Zeichnung wird die Her-
stellung der Ecken klar werden. Vor dem Einkitten der
Scheiben wird das Gestell zweimal mit Oelfarbe ge-
strichen, die Kanten der Scheiben, welche mit dem Kitt
in Berührung kommen, sowie die Glasstreifen c von einer
Seite ebenfalls, erst nachdem der jedesmalige Anstrich
völlig
Die Winkel werden mit
einer ca. 3 — 5mm starken
Schicht Kitt belegt, in
die Ecken noch eine ent-
sprechend starke Kitt-
wulst gedrückt, dann die
Scheiben senkrecht ein-
gesetzt und gleichmässig
angedrückt. Der hervor-
quellende Kitt wird ab-
gestrichen, glatt gemacht,
von aussen abgeschrägt.
Hierauf füllt man das
Aquarium ganz voll Was-
ser, naclidem man es vor-
her auf einen gut ge-
rade stehenden Tisch etc.
trocken, können die Scheiben eingesetzt werden.
Eigur 3. Grundriss der Ecken,
o = Winkel des iJesteUes. — b =
Scheiben. — K= Kitt. — c = der über-
tretende Grlasstreifen.
gesetzt hat.
Das Gewicht des Wassers bewirkt ein völlig
gleichmässiges Andrücken der Scheiben. Nun wird das
Wasser mittelst eines Schlauches (Saugheber) abge-
lassen, der etwa noch hervorgequollene Kitt nochmals
glattgestrichen, worauf man das Aquarium 3 — 4 Wochen
an einem luftigen, trockenen Grt stehen last, damit der
Kitt erhärtet. Während dieser Zeit des Trocknens,
nach etwa 14 Tagen, kann man dem Aquarium den
äusseren Anstrich geben. Hierzu empfiehlt sich ein hübsches
Frischgrüu, die Ecken und Kanten kann man mit Gold-
oder Silberbronce absetzen. Nachdem der Kitt erhärtet,
überstreiche man alle Stelleu, wo der Kitt freiliegt, d. h.
mit dem Wasser in Berührung kommen wiu'de, was jedoch
nur ganz schmale Streifen sind, mit in Spiritus aufge-
löstem Schellack. Die Schellacklösung darf nicht zu dünn-
flüssig sein, sie widersteht dem Eiufluss des Wassers,
auch des Seewassers, und verhindert nun, dass der Kitt
mit dem Wasser in Berührung kommt. Auch den Zink-
boden kann man mehrmals mit Schellack üljcrziehen. Bei
einer e\ent. gründlichen licinigung des A(piariums er-
neuere man den Sehellackül)erzug. Die Stärke der zu
verwendenden Scheiben wähle man nicht zu schwach;
für Grösse 1 ist 15 mm, 2 10 nun Spiegelglas, 3 7 mm
Schaufensterglas, 4 4 mm, 5 Doppelglas anzuwenden.
Kauft man die Behälter fertig, so sehe man ja darauf,
dass das Glas die der Grösse des Behälters entsprechende
Stärke hat und dass der verwendete Kitt der angegebene
ist, andernfalls wird man mit der meist billigen Arbeit
traurige Erfahrungen machen, wodurch uns leider nur
zu oft die ganze Sache verleidet wird. Am besten
ist es, man lässt sich den Behälter unter eigener Auf-
sicht anfertigen, wenn mau es, wie ich es thue, nicht
vorzieht, alles selbst zu maclien. Nur die Eisengestelle
lasse icli niir beim Schlosser herstellen, die Zinkgestelle,
das Einsetzen der Scheiben etc. etc. mache ich lieber
allein, ich bin dann sicher, dass es gut wird. Nachdem
der Schellacküberzug erhärtet ist, füllt man das Aquarium
voll Wasser und lässt es damit etwa <S Tage stehen, da-
mit es gehörig auslaugt, besser noch ist es, das AVasscr
nach etwa 3 Tagen zu entfernen, das Aquarium dann
gehörig auszuwischen und nochmals 3 — 4 Tage mit Wasser
stehen zu lassen. Nach dieser Zeit wird das Wasser ent-
fernt und mit der iimeren Einrichtung begonnen.
Zur Bodenfüllnng kann ich nur reinen Flusssand em-
l)fehlen, alles andere, als etwa eine Scliiclit Moor- oder
Schlammerde, darüber Kies, Torfplatten darüber Kies, oder
Flusssand mit Erde gemischt, muss ich verwerfen, da bei
solcher Bodenfüllung das Wasser nicht klar erhalten
werden kann, indem die Thiere den Boden aufwühlen;
abgest(>rl)cne Pflanzen lassen sich nur mit Ti'übung des
Wassers entfernen, oder garnicht, da sie mit dem Boden-
grund verwachsen, namentlich bei Anwendung von Torf-
platten. Die meisten Wasserpflanzen wachsen willig in
reinem Flusssand; solche, welche durchaus einer be-
stimmten Erdart bedürfen, können wir, wenn wir auf
solche Pflanzen nicht lieber verzichten wollen, in kleine
Blumentöpfe oder in sog. Gefässe für Wasserpflanzen ein-
setzen und diese Töpfe in die Flusssandschicht versenken,
wo sie sich jederzeit leicht entfernen lassen, ohne dass
damit eine dauernde Trübung des Wassers verbunden
wäre. Der Flusssand muss 10 — 12 mal (einige Male mit
heissem Wasser) gewaschen werden, so lange bis er
völlig klar ist, d. h. das Wasser nicht mehr trübt. Mu-
scheln, Schneckengehäuse, bunte Steine etc., mit welchen
man den Boden etwa noch belegen will, müssen vorher
ebenso behandelt werden. Das Aquarium erhält seinen
Platz am besten dicht an einem nach Ost oder Süd-Ost
gelegenem Fen.ster. Frühsonne ist dem Gedeihen der
Pflanzen und Thiere zuträglich, gegen die Strahlen der
Mittagssonne müssen wir jedoch das Aquarium schützen,
indem wir vor der dem Fenster zugekehrten Aquariumscheibe
einen grünen Kattun- Vorhang anbringen, jedoch am Aqua-
rium selbst, nicht am Fenster, damit dem Aquai-ium
nicht das Oberlicht entzogen wird, denn Oberlicht soviel
als möglich muss jedem Sttsswasser-Aquarium zugänglich
sein, wie es denn überhaupt sehr hell stellen muss, da
andernfalls Thiere und Pflanzen l)ald verkünnneru. Für
die Aufstellung grösserer Aquarien eignet sich am besten
ein fester schmiedeeiserner Tisch oder ein paar fest gear-
beitete Böcke. Eine möglichst gleichmässige Temperatur
von + 12—14° R. für unsere einheimischen Fische muss
innegehalten werden. Einige, wie Oesen, Elritzen etc.,
überhaupt alle ans schnellfliessenden Gebirgsgewässern
oder aus grosser Tiefe stammenden Fische sind gegen
Nr.
Naturwisscnscliaftlichc Wocliensclirii't.
75
liöhore Tcnipcratur cmptiudlicli. Wir werden daher in
heisseu Sonimeni bisweilen genötliigt sein, unsere Zu-
flucht zu den beim Heewasser-Aquariuni (Bd. III, Nr. 23)
erwähnten Kiiltcniiseiiungen zu nehmen. Goldfisehe, ver-
scliiedene andere Karpfenarten ertragen eine höliere
Temperatur, tVemdländische Zierfisehe gleichfalls, ja einige,
z. B. japanische (ioldtische, Schleierschwanz- und Teles-
kop-Goldfische, Makropoden, Gouraniis u. a. verlangen
eine höhere Temperatur, wenn wir Zuchtcrfolge sehen
wollen. Bei letzteren darf die Temperatur im ^\'inter
nicht unter + 10° R. sinken, die übrigen ertragen noch
-t- 5° K. und weniger, docii niemals darf das Wasser im
Acpiariuni zufrieren, es würden in diesem Falle die Thiere
an Luftniangel sterben, auch würden die A(|uariumschciben
|)latzen. Es ist deshalb ein Thermometer im Aquarium
fast unentbehrlich. Letzteres soll senkrecht schwinnncn
und so tief eintauchen, dass die Quccksilbcrkngel sich in
der Mitte des Wassers befindet, damit das Thermometer
die mittlere Temi)eratur anzeigt; dassellie soll ganz aus
Glas hergestellt sein. Von ihrer llolziiiUic befreite sog.
Uadethermometer eignen sich vorzüglich; taucht solches
nicht tief genug ein, so legen wir oberiialb der Kugel
einen Blei ring herum.
Ein Tutfsteinfclsen reicht, für gr(issere Aquarien
namentlich, sehr gut aus; hält man Lurche, so können wir
solchen kaum entbehren, wir_müssten dann unsere Zutinclit
zu einer kleinen schwimmenden Korkinsel nehmen wollen.
Jedenfalls ist für grössere Aquarien ein Tuifsteinfelscn
vorzuziehen. Diese Felsen erhält man fertig in allen
A(iuarienhandlungen. Wir krmncn uns jedoch einen solchen
nach eigenem Geschmack leicht selbst herstellen, indem
wir die uns passend erscheinenden Tuffsteinstüekc mittels
nicht zu dünnen Zementbreies {3 Tlieilc Zement, 1 Theil
Sand) verbinden. Die Steinstücke müssen vor dem Ge-
brauch angefeuchtet werden. In dem über dem Wasser-
spiegel l)etindlichcn Theil des Felsen bringen wir Ver-
tiefungen aus oder bauen kleine IMumentöpfe ein, welche,
mit Moorerdc gefüllt, zur Aufnahme von Sumpfpflanzen,
Farrn etc. dienen. Auf einen etwa anzulegenden Spring-
brunnen nuiss gleichfalls beim Bau des Felsens Rücksicht
genommen werden. Der Felsen wird natürlich ausserhalb
des Aquariums gel)aut und muss nachdem er trocken, gut
ausgewässert werden.
Nachdem das Aquarium mit der nrithigen Bodenschicht
(Flusssand) versehen, der Felsen aufgestellt ist, geht es an
das Bepflanzen. Die Pflanzen werden wir haniitsächlich
an den dem Lichte voll ausgesetzten Stellen anl)ringeu,
indem wir die Wurzeln entsprechend tief in den Flusssand
betten und die Pflanzen vorläufig mittels dünner Holz-
stäbchen stützen. Einige Pflanzen, z. B. Hornkraut,
Wasserpest u. a. können wir auch ohne A\'urzeln in den
Flusssand einsetzen, sie kommen so auch ohne AVurzeln
gut fort. Nachdem der Boden mit Pflanzen besetzt ist
füllen wir den Raum um die Pflanzen herum mit grobem
Flusskies, darüber kleine Steinchen, Muscheln etc. aus;
alles jedoch vorher klar gewaschen. Nun geht es an das
Einfüllen des Wassers; dieses lassen wir durch eine Brause,
Sieb etc. gegen den Felsen laufen, recht langsam, damit
der B(»den nicht aufgewühlt wird. Wir können auch ein
Stück steifes Papier auf eine von Pflanzen freie Stelle
des Bodens legen und das Wasser langsam darauf laufen
lassen. Das Iteste Wasser ist Quellwasser, welches san-
digem Boden entquillt, in Ermangelung desselben müssen
wir uns mit nicht zu hartem Brunnenwasser, Wasser-
leitungs- oder geklärtem (filtrirtem) Bach- oder Flusswasser
behelfen. Niemals darf das Wasser kalkhaltig sein oder
sonstige Beimischungen enthalten. Nachdem das Wasser
eingefüllt und etwaige Unreinigkeiten von dessen Ober-
fläche abgeschöpft sind, bleibt das Aquarium 8— 14 Tage
ruhig stehen, damit die Pflanzen anwachsen kihnien.
Findet man nach dieser Zeit kränkliche oder abgestorbene
Pflanzen, so sind diese vorsichtig zu entfernen. Ist das
Aquarium mit Springbrunnen versehen, so lässt man den-
selben auch wäineiid dieser Zeit in Tliätigkeit treten, er
verhindert die Bildung einer Staub- und Algcnschicht auf
der t )bcrflächc ilcs Wassers. Kleinere A(iuarien ohne
Springbrunnen, werden mittels einer Glasscheibe, an
welcher eine kleine Ecke fehlt, zugedeckt. Es können
auch, noch besser, an Stelle der fehlenden Ecke zuei
ganz dünne Ilolzstäbclien unter die Glasscheil)e auf den
Aqnariumrand gcK'gt werden, die Luft kann so gleichfalls
hinein.
Die sich nacii einiger Zeit an den Seheiben an-
setzenden grünen Algen, welche, ol)wohl sie von der
guten Bcschaftenheit des Wassers zeugen, doch insofern
lästig sind, als sie die Scheil)en mehr oder weniger un-
durchsiclitig iiiachen, entfernt man zwei bis dreimal
wöchentlicii mittels einer scharfen, an einen langen Stiel
befestigten Bürste (Zahnbürste), indem man mit dcrscUien
senkrecht an den Scheiben hinabfährt. Der braune Nieder-
schlag, welcher sieh, namentlich ))ei kalkhaltigem Wasser
an den Scheiben setzt, weicht, obwohl schwerer, auch
dieser Behandlung. Es i.st jed(»ch zu empfehlen, bei einer
etwa jährlich einmal oder nach Erforderniss öfters vorzu-
nehmenden gründliciien Reinigung des Aquariums, wol)ei
es völlig entleert wird, die Scheiben mittels gestossencr
Eierschalen, welche man auf einen nassen wollenen Lajjpen
nimmt, abzureiben, hierdurch wird der braune Ansatz
sicher entfernt. Den sich nach und nach auf dem Boden
ansammelnden Sclnnutz, Schlamm etc. entfernt man mittels
eines Stech- oder Saughebers etwa jede Woche einmal.
Futterreste, d. h. alles was vom Futter eine Stunde nach
geschehener Fütterung niclit verzehrt ist, sowie abge-
storbene Pflanzentheile, Thierleiclicn etc. müssen sofort
entfernt werden. Kranke Thiere sind zu entfernen und
behufs Behandlung isolirt zu halten, damit sie die ge-
sunden nicht anstecken. Ein reichlich mit Pflanzen be-
setztes, nicht ül)cr\ölkcrtes A(iuarium hält sich bei auf-
merksamer Behandlung vorzüglich, das Wasser braucht
nicht, oder doch nur jährlich ein bis zweimal erneuert zu
werden; man hat nur n(ithig das nach und nach ver-
dunstete AVasser zu ergänzen. Ist die Bevölkerung nicht
zu stark, so dass der von den Pflanzen erzeugte Sauer-
stoff ihrem Athnuuigsbedürfniss genügt, so braucht ein
solches Aquarium weder Springljrunnen noch Dureh-
lüftungs-Apparat. Es sind dann schon alle Bedingungen
für das Leben der Thiere erfüllt, soliald das Gleichgewicht
zwischen Thier und Pflanze hergestellt ist. Ein solches
Aquarium brauchte nie geleert zu werden, wenn wir nicht
von Zeit zu Zeit den Pflanzenbestand erneuern niüssten.
Dass ist aber nicht zu umgehen, da die den Pflanzen im
Aquarium gebotenen Lebensbedingungen denn doch nicht
die sind, welche ihnen in der freien Natur zu Gebote
stehen.
Halten wir in kleineren Acjuarien eine grössere An-
zahl Fische (auf einen ca. 5 cm langen Fisch rechnet
man 1 1, auf grössere je 2 1 AVasser) als die Pflanzen
mit Sauerstoff versorgen können, so müssen wir das
Aquarium durchlüften. Hierzu eignet sich mein in Bd. HI,
Nr. 25 beschriebener Durehluftungs-Ai)parat vorzüglich,
da mit demselben mehrere A(|narien zugleich durchlüftet
werden können und derselbe überall aufgestellt werden
kann. Einen andei'en Apparat, welcher als Durchlüftcr
oder als Springbrunnen-Apparat verwendet werden kann.
werde ich später beschreiben und aiibilden.
Nachdem die Pflanzen sich gut entwickeln, das Wasser
klar ist, können wir die Fische, Würmer, Insekten etc.
einsetzen, und zwar nur Arten, welche sich unter einander
7ß
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr.
vertragen, weshalb wir Goldtischen etc. keine grösseren
Hechte , Barsche , Welze u. a. beigesellen dürfen. Auch
der Stichling ist ein Raufbold, welcher sich mit anderen
Fischen schlecht verträgt; einige rürchen aber sind, allein
gehalten, ihies Nestbaues wegen, höclist interessante Be-
obachtungsobjekte.
Bei der Fütterung der Thiere sei man recht vor-
sichtig, niemals gebe man mehr als die Thiere alsbald
verzehren, was nach einer Stunde etwa noch vorhanden
ist wird entfernt. J^enier füttere man stets an einer be-
stimmten Stelle, z. B. immer in einer Aquarienecke, welche
nicht mit Pflanzen am Boden besetzt ist und halte eine
regelmässige Fütterungszeit inne. Die Thiere gewöhnen
sich sehr bald daran und es wird einem Vergeuden von
Futter so wirksam vorgebeugt. Für karpfenartige u. a.
Fische sind Ameisenpuppen, ., Ameiseneier", ein gutes
Futter; diese werden sorgfältig ausgesucht, von allem
Schmutz befreit au der bestimmten Stelle in das Wasser
geworfen. Für ganz kleine Fische muss ein Theil des
Futters zwischen den Händen zerrieben Averden, oder
man verwendet reines Ameisenpuppenmehl, Garnelen-
schrot oder Fleischmehl. Auch getrocknete Eintags-
fliegen (Weisswurm) sind ein gutes Futter. Bei der
Fütterung mit diesem trockenen geriebenen Futter oder
mit Futtermehl kann man sehen ob das Wasser gut ist.
In gutes Wasser gebracht vertheilt sich das Futtermehl
sogleich ganz fein nach allen Richtungen hin, während
es in schlechtem, verdorbenem Wasser, in Klumpen zu-
sammengeballt liegen bleibt, oder sich nur langsam und
unregelmässig vertheilt. Hin und wieder, etwa einmal in
der Woche kann man auch etwas fein geschabtes Rind-
fleisch reichen, oder gehackte, vorher ausgedrückte Regen-
würmer, doch stets nur sehr weuig. Das beste Futter ist
das lebende, d. h. die kleinen Wasserinsekten, kleine
Krebsthierchen, Daphnien, Gyclops etc., welche man in
fast allen Tümpeln, Gräben u. a. , in unglaublichen
Mengen mittels eines feinen Gazekätschers fängt. Sem-
mel oder Oblaten füttere man niemals, auch das
sogenannte künstliche Fischfutter ist nur mit Vorsicht zu
verwenden, da man nie bestimmt weiss, aus welchen Be-
standtlieileu es zusannnengcsetzt ist. Im Sommer kann
man täglich füttern, im Winter jedoch lässt die Fresslust
der Thiere nach und man füttert dann nach Bedarf,
wöchentlich einmal oder zweimal, je nach der sich zeigen-
den Fresslust.
Die Auswahl unter den für Süsswasser-Zimmer-Aqua-
rien geeigneten Wasser-, Sumpfpflanzen, Farren etc. ist
eine so reichhaltige , dass ich mich hier auf die nament-
liche Aufführung der geeignetsten beschränken muss.
Jeder Graben, Tümpel, Teich etc. bietet uns einige Arten
unserer iieimischen Wasserpflanzen, die wir so kosten-
und fast mühelos erlangen können. Sehr hübsch aus-
sehende Wasserpflanzen sind: Tausendltlatt (Myriophyllum
spicatum), untergetauchtes Hornblatt (Ceratophyllum de-
mersum, Wasseraloe (Stratiotes alo'üles), Wasserpest
(Elodea canadensis), Braehsenkraut (Isoetes lacustris),
schwimmendes Laichkraut (Potamogeton nataus), kraus-
blättriges Laichkraut (Potamogeton crispus), und an-
dere Laichkräuter, Tannenwedel (Hippuris vulgaris),
Sumpf-llottonie (Hottonia palustris). Gemeiner Wasserstern
(Caliitriclie verna), Froschbiss (Hydroeharis morsus ranae),
schwimmende Salvinie (Salvinia natans), verschiedene
Wasserlinsen (Lemna); im seichten Wasser: Pfeilkraut
(Sagittaria sagittifolia) , Froschlöffel (Alisma plantago),
Wasserminze (Mentha aquatica), verschiedene Calla-, Iris-
und Carex-Arten; für die Grotte: Straussfarn (Struthiop-
teris germanica), Rippenfarn (Blechnum spieant), braun-
stieliger Streifenfarn (Asplenium trichomanes), Mauerraute
(Aspleuium ruta muraria) u. a. Asplenium-Arten; Hirsch-
zunge (Scolopendrium vulgare), Vergissmeinnicht (Myo-
sotis palustris), Blut- Weiderich (Lythrum salicaria), Moos-
beere (Oxycoccus palustris), Kanadischer Haarfarn (Adian-
tum pedatum) gem. Tüpelfarn (Polypodium vulgare),
Frauenhaar (Isolepis gracilis), verschiedene Cyperus- Arten
und viele andere. Auch unter den in neuerer Zeit ein-
geführten Wasserpflanzen sind einige gut verwendbare;
ich cultivire mit Vorliebe deutsche Arten und fahre sehr
gut dabei, da diese meist anspruchloser sind, und es mich
besonders interessirt, dieselben ihrem Standort entnehmen
zu können.
Von allen Fischen sind die verschiedenen Karpfen-
arten am ausdauerndsten, von welchen einige eine ziem-
lich hohe Temperatur vertragen können. Obenan steht
wohl der Goldfisch (Carassins auratus Linne) und seine
Spielarten. Für Aquarien, wo sie in Gesellschaft anderer
Fische gehalten werden sollen, eignen sich am besten die
sogenannten Zwerggoldfische. Zwischen den mehr
oder weniger rothen, gefleckten, ungefleckten Goldfischen
nehmen sich solche, welche sieh nicht verfärben, sondern
ihr Jugendkleid beibehalten, d. h. mehr oder weniger
schwarz sind, oder silberfarben werden (Silberfische)
sowie einige milchweisse Albinos (Perlfische), oder
solche mit ^\-formigen Doppelschwänzen, welche auch
in allen Farben vorkommen, sehr hübsch aus. Die
wunderbarsten Formen finden sich unter den japane-
sischen Goldfischen, unter welchen der Teleskop-
fisch, Schleierschwanz und Fächerschwanz nebst
deren Mischlingen besonders hervorgehoben zu werden
verdienen. Durch bisweilen überraschende Farbenpracht
zeichnen sich besonders die chinesischen Goldfische
aus, von welchen folgende Spielarten vorkommen : der
buntgescheckte Goldfisch, der prächtige Gold-
fisch, der kleine blaue Goldfisch, der schwarze
Goldfisch, der braunscheckige Goldfisch, der
Bubien, die Rothflosse, der Tümmler, der zier-
liche Goldfisch. Ein mit einigen Exemplaren von diesen
Spielarten besetztes, reich mit Pflanzen ausgestattetes
Aquarium gewährt einen prächtigen Anblick. Diese chine-
sischen und japanesischen Arten und Varietäten sind etwas
weichlicher als die deutschen und italienischen Züchtungen,
die Temperatur des Wassers darf im Winter für diese
nicht unter + 12° R. sinken. In Gesellschaft mit den
Goldfischen können gehalten werden: der gem. Karpfen
(Cyprinus carpio Linne) mit den Varietäten Spiegel-
karpfen (C. rex ciprinorum), Lederkarpfen (C. nodus),
die Karpf-Karausehe (Carpio kollars Heck), die Ka-
rausche (Carassius vulgaris Nils.), der Bitterling
(Rhodeus amorus Bloch), der Blei oder Brachsen (Abra-
mis braraa Linne) nebst Varietäten, die Teichschleiche
(Tinea vulgaris Cuv.), die Goldschleiche (Tinea aurata
Cuv.). Karausche und Bitterling sind gegen hohe Tem-
peraturen etwas empfindlich, -|- 12° R. sagt ihnen am
besten zu. Bei -+- 12° R. und weniger fühlen sie sich
am wohlsten, namentlich wenn das Wasser gut durchlüftet
ist. Der Gründling (Gabio fluviatilis Cuv.), die Elritze
oder Pfrillc (Phoxinus laevis Agass.), die Plötze oder
das Rothauge (Leuciscus rutilis Linne), die Rothfeder
(Seardinius erythropthalmus Linne), die Laube oder der
Uckelei (Alburnus lucidus Heck), die Jungen desselben
lassen sicli vurzügiich als Futterfische für kleine, isolirt
zu haltende Welse, Hechte, Barsche, Quappen,
Schwarz barsche. Silberbarsche, Steinbarsche,
Hundsfische u. a. verwenden; ferner halten sich noch
gut der Schlammbeisser (Cobitis fossilis Linne), die
Schmerle (C. barbulata Linne), der Steinbeisser
(C. taenica Linne), ganz junge Aale (Anguilla vulgaris
Flem.), etwas empfindlicher ist die prächtige Goldorfe
(Idus melauotus var. auratus), sie verlangt gut durch-
Nr. S.
Niitiirwisscnscliaf'tliclic Woclicnsclirift.
1 1
lüftetcs Wasser. Es können nocli viele andere Fische g-e-
halten werden, überliaujit jeder Süsswasserfisch, soweit es
seine Grösse zulässt und ilini die ihm zusagenden Lebens-
bedingungen geboten werden. Neben Fischen, resp. mit
diesen zusammen, werden hin und wieder auch Lurche
gehalten, docli kann icli liierzu ebensowenig ratlien, als
wie zur Haltung von kleinen Sumpfschildkröten (Testudo
lutaria Gesn.) mit Fischen zusammen. Die Schildkröten
würden Fische und Lurche veistiinnneln, die Fische die
Lurche und umgekehrt; mau wird daher an dem Zu-
sammenhalten dieser verschiedenartigen 1'liiere in einem
Behälter nie Freude haben.
Ein Fisch, welcher lierufen zu sein scheint, die Lieb-
haberei für (ioldfische nach und nach zu verdrängen,
ist der gezähmte Makropode, Gropflosser oder
Paradiesfisch (Polyacanthus viridi-auratus Laccpede),
welcher um so beachtenswerther ist, als er sieh selbst in
kleinen A(iuarieu, ja selbst in grossen, als Aquarium ein-
gerichteten Einmachegläsern, fortpflanzt, sowie er sieh
auch durch Farbenpracht auszeichnet. Zur Paarungszeit
prangt namentlich das Männchen in allen Farben des
ßegenbogens, und wenn er um sein Weibehen herum-
spielend sein herrliches Flossenwerk ausl)reitet, so gewährt
er einen überrascliend herrlichen Anblick. Hinter dieser
Pracht müssen sieh die schönsten Teleskopfisclic und
Schleierschwänze verstecken, denn beim Paradiesfisch ist
alles natürlich, er entfaltet bei allen Bewegungen eine uns
in Erstaunen setzende Grazie, welche Schleierschwänzen
und Teleskopfischen völlig abgeht, da alles was wir an
diesen Fischen bewundern, nur krankliaftc Ausartungen,
welclic künstlich weiter gezüchtet werden, sind. Die Be-
wegungen dieser bisweilen sehr unfiirndiehen Geschöpi'e
sind daiier aucii sehr uulicholt'eu langsam. In einem
kleinen mit l'tiauzcu aller Art l)esetzten A(|uariuni (No. 5),
welches im warnu-n Zimmer hell und sehr sonnig stobt,
hält sieh der Makropode vorzüglich. Das AVasser seines
A(|uarinms wird n i e gewechselt, nur das verdunstete
nachgegossen. Nimmt das Wasser eine Temperatur von
-I- 20° R. und darunter an, so sehreitet er zum Nestl)au und
zur Fortiitlanzung. Das Männchen pflegt und bemuttert
die nach einigen Tagen auskommenden Jungen, bis sie
sich selbst weiterhelfen können. Sobald die Jungen das
Sehaumnest endgiltig verlassen, entfernt man die Alten,
welche in einem andern gleiehso eingericiiteten A((narinm
alsbald wieder zur Paarung sehreiten, und so fort drei
bis viermal, auch noch (itter im Jahre. Die Jungen
werden mit Da])huien, Oyclops u. (h'rgl. grossgezogen,
bis sie das Ersatzfutter verzehren können. Die älteren
und alten Fische füttert man mit allem womit man Gold-
fische füttert. In geheizten A(inarien halten sie sich weit
besser, die Jungen wachsen schneller, die Farben werden
prächtiger; eine beständige Temperatur von + 22 bis
25° R. beliagt ihnen am besten, nie darf die Temperatur
unter -+- 10° R. sinken, bei -t- 5 bis 3° R. sterben sie.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
'■^ Es wnrilen enianiit: Privatdocent Dr. Hayduek vcm dci-
Bfi'liner Universitilt zum Professor ilor Chemie. — Dr. Hans
-Waldor ans Hambreclikoii zum Professor der organisc-lion Chemie
am Pol3'tec.hiucum zu Ziiricli. — An der Universität Heidell)erg
Privatdocent Dr. Max Wolf zum ausserordentlic-lien Professor der
neuerrichteten Professur für Astronomie, mathematische und physi-
kalische Geographie.
Es Jiat sich habilitirt: Der Assistent an der Jenenser Stern-
warte Dr. Knopf in Jena für Astronomie.
Dr. Friedrich Plehn ist nach Kamerun gegangen, um dort
im Auftrage des Deutsehen Ueiches ein bacteriologisches Labora-
torium zur Erforschung der Malaria einzurichten.
Es sind gestorben: In Cambridge bei Boston, Massachusetts,
Professor Eben Norton Horsford, ein Kämpfer für Anerken-
nung des ersten Entdeckers Amerikas, des New - Yorker Leif
Crikson, der ums Jahr 1000 im neuen Welttheil landete. — In
Wiesbaden der Geheime Sanitätsrath Dr. Wilhelm Valentiner.
der sich eingehend mit der deutschen Bäderkunde beschäftigt hat.
— In Batischtchewo im Gouvernement Smolensk der frühere Pro-
fessor im Eorstcorps - Institut Alexander N i k olaj e witsch
Engel bar dt. — Der Zoologe und Iledacteur dos „Zoologischen
< iartens" Professor Dr. F. C. Noll zu Frankfurt aiu Main.
L i 1 1 e r a t u r.
OstM-ald*!« Kla>iisikei* der exaetenl'Vi»i)«eiiiiieliaf'toii.
Verlag von Wilhelm Eugelmann in Leipzig. 181)2.
Nr. 2G. Justus Liebig, Lieber die Constitution der or-
ganischen Säuren. 1838. Herausgegeben von Hermann
Kopp. — Preis 1,40 Mk.
Die dualistische Theorie von Borzelius, nach welcher die
Salze aus sogen, wasserfreier Säure und Baäis bestehen, die
Säuren selbst aus dieser wasserfreien Säure und Wasser, welch
letzteres danach fertig gebildet darin anzunehmen war, hatte
ferner d.azu geführt, diejenige (Quantität Säure, welche sicli mit
einem Atom*) Basis vereinigt, als das (lewicht von einem Atom
Säure zu betrachten. Durch eingehende Untersuchung einer
grossen Anzahl organischer Säuren führt Liebig den Beweis, dass
diese Annahme entschieden irrig ist für neun derselben, ebenso
wie für Phosphorsäure und Arsensäure. Er constatirt die Fähig-
*) Die Bezeichnung des Origin.als ist hier und weiterhin bei-
behalten. Heute würden wir natürlich Molecül sagen müssen.
keit derselben, sich mit mehr als einem Atom Basis zu verbinden
und, dass in allen beobachteten Fällen mit .Silberoxyd stets nur
ein Salz entsteht und zwar dasjenige mit den meistmöglichen
Atomen der Basis. Es ist hier nicht der Ort, die Einzelheiten
der Untersuchung, die als solche für alle Zeiten mustergiltig ist,
zu besprechen, um so weniger als die alte Nomenclatur und Formu-
lirung dem Nichteingeweihten einige Schwierigkeiten bereiten
würden. Die Zusammenfassung der erhaltenen Resultate schliesst
mit der Eintheilung in einbasische, zweibasischo und dreibasische
Säuren. Dann begründet Liebig eine Hypothese, welche der dua-
listischen Ansicht direct zuwiderläuft. Wie oben erwähnt, muss
nach derselben sogenanntes basisches Wasser als fertig gebildet
in der Säure angenommen werden. Gründe zur Rechtfertigung
dieser Voraussetzung sind aber nicht zu finden. Durch die Ab-
scheidung desselben nimmt die Sättigungskapacität einer grossen
Anzahl von Säuren ab und wird beim Zusammenbringen tler so
modificirten Säure mit Wasser nicht wieder hergestellt. Das
Silbero.xyd, eine ausserordentlich schwache Base, de2)lacirt das
basische Wasser aus vielen Säuren, während es durch ilie starken
Basen Kali und Natron nicht oder nur schwierig ersetzt werden
kann. Dui'ch die oben erwidniten Anschauungen lässt sich dies
nicht erklären, wohl aber durch die Theorie, welche Davy für
die Chlor- und Jodsäure aufgestellt hat, und welche diese Sauer-
stoff'säuren in Analogie zu den Wasserstottsäuren stellt. Wird
diese Theorie verallgemeinert, so sind auch die Sauerstoft'säuren
Wasserstoffsäuren, in denen nur statt des Halogens oder Schwefels
ein sauerstoffhaltiges Radikal, z. B. SO^ enthalten ist. Die Salze
würden alsdann durch Ersetzung des Wasserstoffs durch Metall
entstehen, ebenso wie die ihnen in allen Eigenschaften ganz ana-
logen Haloidsalze. Nur die (iewohnheit, unbewusst tue Eigen-
scdiaften eines Körpers in die Verbindung, die er eingegangen ist,
zu übertragen, kann einer solchen Annahme hindernd entgegen-
stehen. Die geringe Berechtigung dieser Gewohnheit beweist
Liebig schlagend durch das Beispiel des Schwefelcyankaliums,
das man als analog den Haloidsalzen zusammengesetzt an-
nehmen muss, und den Uebergang von diesem in das eyansaure
Kalium, das sich nur dadurch von ersterera unterscheidet, dass
au Stelle von Schwefel Sauerstoff steht, welchen Ersatz man in
beiderlei Richtung beliebig vornehmen kann. Und hierbei soll
nun widernatürlich sein, was bei der ersten Verbindung zum
mindesten nicht unwahrscheinlich erschien? Dazu kommt, dass
man nach der geltenilcn Ansicht einen grundlegenden Unter-
schied zwischen Wasserstoff- und Sauerstoffsäuren trotz des ganz
analogen Verhaltens ihrer A'erbindungou annehmen raüsste, dass
in letzteren Wasser in dreierlei Formen, nämlich als Krystall-
wasser, Ilalliydratwasser und basisches Wasser anzunehmen wäre.
Alles dies fällt weg und die sonst unerklärliclien Vorgänge, die
im ,,Thatsächlichen" besprochen waren, fügen sich harmonisch in
das Ganze ein, wenn man alle Säuren als Verbindung von Radikal
78
Naturwissenscliaftliclie Woclicnsclirift.
Nr. 8.
mit Wasserstoff ansieht; als Wasserstoffverbindungen, in denen
der Wasserstoff ersetzt werden kann durcli Metalle. Von dem
Gehalt an diesem (extraradikalen) Wasserstoff hängt die Sätti-
gungskapaeität der Säure ab, während die Zusammensetzung des
Kadikais keinen Einfluss darauf besitzt.
In der bescheidensten Weise urtheilt Liebig über den Werth
chemischer Theorien und besonders der hier erwähnten. Seine
Ueberzeuguug, ,dass dieser Weg einen jeden, der ihn betritt, zu
wichtigen und umfassenden Kntileckuugen fiihren wird", hat sich
im vollsten Maasso bewahrheitet und wir halten seine Theorie, auf
Grund deren wir die complicirtesten Verbindungen nach einem
einfachen und einheitlichen Schema zu betrachten im Stande sind,
heute noch in allen wesentliclien Theilen für richtig.
Nr. 27. Robert*) Bunsen, Untersuchungen über die
Kakodvlroihe. (1837—184:1) Herausgegeben von Adolf von
Baeyer.'— Preis 1,80 Mk.
Diese Arbeit oder vielmehr diese Reihe von Arbeiten ist vor
allem klassisch als ein selten erreichtes Muster einer E.\periniental-
üntersuchung. Mit zäher Beharrlichkeit sind die grössten
Schwierigkeiten überwunden worden, um zu den erwarteten Re-
sultaten zu gelangen. Theoretisch bietet die Untersuchung her-
vorragendes Interesse durch den Nachweis, dass Kakodyl, |ein zu-
sammengesetztes organisches Radikal, von der Formel (CH^) As,
sich durchaus ebenso verhält wie unorganische Elemente, dass es
„ein wahres organisches Element" ist. Dieser Nachweis isj; bis in
die geringsten Einzelheiten verfolgt und schliesslich die Existenz
des Radikals durch seine Isolirung erwiesen, wobei es sich, ganz
analogder Mehrzahl der unorganischen Elemente, zu eineniDoppel-
molecül ["(CjH.,) As"| zusammenlegt. Ein Eingehen in die Natur
des Radikals lehnt Bunsen noch ab; die Aufklärung derselben
blieb der späteren Zeit vorbehalten.
Nr. 28. L. Pasteur, Ueber die Asymmetrie bei natürlich
vorkommenden organischen Verbindungen. (1860.)
2 Vorträge gehalten am 20. Januar und 3. Februar ISGO in
der Societe chirurique zu Paris. Uebersetzt und herausgegeben
von M. und A. Ladenburg. — Preis 0,60 Mk.
Um die weittragende Bedeutung dieser uns von Neuem zu-
gänglich gemachten Publikation zu übersehen, ist es nützlich,
sich auf den Standpunkt zurückzuversetzen, den die Wissenschaft
vor derselben einnahm. Drehung der Ebene des polarisirten
Lichtstrahls war lieim Quarz im krystallisirten Zustande sowohl
wie bei einer grösseren Zahl organischer Substanzen beobachtet
worden. Beim t^uarz war ferner beobachtet worden, dass die Ab-
lenkung bald nach rechts, bald nach links erfolge. Andererseits
war beim Quarz wie bei einigen anderen Krystallen das Auftreten
der sog. Hemiedrie constatirt worden, es hatte sich das Auftreten
einer besonderen, dem Symmetriegesetz nicht unterworfenen Fläche
gezeigt und herausgestellt, dass diese bei einer gewissen (Jrien-
tirung bald nach rechts, bald nach links geneigt sei. Zwischen
diesen beiden P.eol)achtungen hatte dann Herschell den Zusammen-
hang vermuthet und experimentell nachgewiesen, dass von der
Richtung dieser Neigung auch die Ablenkungsrichtung für den
polarisirten Lichtstrahl abhängig sei.
Derartige Vorstellungen liessen sich nun nicht ohne Weiteres
auf drehende organische Substanzen übertragen. Beim Quarz
geht das Drehungsvermögen aus der Art, in welcher die Mole-
cüle im Krystall angeordnet sind, liervor, es verschwindet, sobald
das Krystallgefüge vernichtet ist, d. h. im gelösten oder amorphen
Zustande. Bei den organischen Substanzen tritt das Drehungs-
vermögen gerade in der Lösung hervor, erscheint also als Folge
der Anordnung der Atome im Molecül. Immerhin konnte man
nach Mitscherlich's Untersuchungen über den Isomoriihismus auch
den Gedanken, dass die Constitution des Molecüls die Krystall-
form beeinflusse, nicht mehr fremdartig finden.
So begann denn Pasteur seine Arl)eiten auf diesem Gebiete
mit eingeiienden krystallographischen Untersuchungen zunächst
der Weinsäure und ihrer Salze. Er fand in allen Hemiedrie und
zwar bei allen Salzen im gleichen Sinne. Einen Schritt weiter
gehend, prüfte er zahlreiche andere optisch active organische
Substanzen, so weit sie krystallisirbar waren, und fand seiner
Vernuithung entsprechend auch hier stets Hemiedrie, die aller-
dings oft schwer za beobachten und daher früheren Forschern
entgangen war. Im Gegensatz dazu erforschte er dann die Krystall-
formen der Trauliensäure und ihrer Salze, einer Säure, die mit
Weinsäure chemisch vollkommen identisch erscheint und sich nur
durch den Mangel des Drehungsvermögens von ihr unterscheidet.
Er fand die Formen stets gleicii denen des entsprechenden wein-
*) Nach einem Zusatz Ostwalds sind die oft in seinen Ab-
handlungen vorkommenden falschen Vornamen Bunsen's Folge
von Druckfehlern. Der richtige Name lautet Robert Wilhelm
(Eberhard).
sauren Salzes, aber ohne die bei letzteren vorhandene Hemiedrie.
Der Zusammenhang zwischen dieser und dem Drehungsvermögen
schien also bewiesen, ganz analog dem von Herschell für Quarz
erbrachten Beweis. Doch sollte diese Analogie noch in vollkom-
menerer Weise sich herausstellen.
Schliesslich gelang es nämlich Pastour, bei einem Salze der
Trauliensäure, dem Natrium-Ammonium-Salz, hemiedrische Kry-
stalle zu erzielen, aber stets in zwei Formen, die sich verhielten
wie Bild und Spiegelbild, da die hemiedrischen Flächen sich als
entgegengesetzt geneigt erwiesen. Wurden diese beiden Krystall-
arten gesondert und jede für sich durch Säure zersetzt, so erhielt
man in beiden Fällen optisch aktive Lösungen, von gleich starkem,
aber entgegengesetztem Drehungsvermögen. Die eine enthielt
die gewöhnliche Weinsäure, die andere eine neue, seither als
Linksweiusäure unterschiedene. Beim Vermischen beider Lö-
sungen, Aequivalent zu Aequivalent, entsteht dann unter Wärme-
entwicklung wieder dieselbe inaktive Traubeusäure, durch deren
Spaltung beide erhalten waren.
So war nachgewiesen der Zusammenhang zwischen Hemiedrie
und optischem Drehungsvermögen und es war ferner constatirt
und erklärt das Bestehen einer Art von Isomerie, welche nur
bedingt ist durch die Lagerung von Atomen resp. Atomgruppen
innerhalb des Molecids zu eiuander. Die Grundzüge jener Theorie
„von der Lagerung der Atome im Räume'', die heute von so
maassgebender Bedeutung geworden, waren gegeben. Was später
das Le Bei — van't Hoff'sche Gesetz durch weiteres Eindringen in
die Ursachen der Asymmetrie präciser formulirte, klingt in seinen
Grundzügen schon aus den Pasteur'schen Folgerungen:
1. Wenn die Elementaratome organischer Producte asymme-
trisch gruppirt sind, zeigt die Krystallform der Körper jene mole-
culare Asymmetrie durch eine sich nicht deckende Hemiedrie.
2. DieExistenz dieser Molecular-Asymmetrie zeigt sich ferner
durch ein optisches Drehungsvermögen.
3. Wenn die sich nicht deckende Molecular-Asymmetrie in
zwei einander entgegengesetzten Formen auftritt, wie dies bei den
Rechts- und Links-Weinsäuren und allen ihren Derivaten der
Fall ist, so sind die chemischen Eigeuschaften dieser identischen,
aber optisch entgegengesetzten Körper genau dieselben, woraus
folgt, dass diese Art der Gegenüberstellung und Aehnlichkeit das
gewöhnliche Spiel der chemischen Affinitäten nicht stört, wobei
indessen der letzte Satz eine Einschränkung erfährt.
Bis hierher ist Pasteur auf dem Boden des wirklich Beob-
achteten geblieben und so zeigt er denn hier auch seine ganze Be-
deutung im scharfsinnig durchdachten Experimentiren und in
seiner glänzenden Beobachtungsgabe. Aber auch seine schwache
Seite tritt nun hervor. Leicht giebt er sich einer Hypothese hin,
die alsbald die volle Stärke eines Vorurtheils erlangt und die
Schärfe seines kritischen Urtheils beeinträchtigt. Die alte An-
sicht von der Verschiedenheit der in der anorganischen und der
organischen Natur wirkenden Kräfte, von der besonderen in
letzterer thätigen Lebenskraft, die durch Wöhlers Harnstoff-
synthese 32 Jahre zuvor den Todesstoss erhalten zu haben schien,
sie erweckt Pasteur zu einem neuen kurzen Scheindasein. Frei-
lich giebt er jetzt dafür eine bestinnutere Definition. Statt bei der
Thatsache stehen zu bleiben, dass es bis dahin nicht gelungen
sei, künstlich Körper von molecularem Drehungsvermögen zu er-
zeugen, geht er sofort zu der Behauptung über, dass dies id^er-
hau])t nur durch eine gewisse richtende Kraft der Organismen
möglich, dann aber auch gewissermaassen nothwendig sei. Be-
fangen in seinem Vorurtheil weist er auf die Möglichkeit hin,
dass viele durch den Organisnuis erzeugte inaktive Körper die
Traubensäureform vorstellen könnten, während er die mindestens
ebenso wahrscheinliche Annahme, dass diese Form bei künstlichen
Bildungsprocessen entstehe, nicht gelten lassen will.
Aber auch die Irrlhümer bedeutender Menschen sind zuweilen
nützlich. Aus der eben erwähnten Ansicht gingen die schönen
und von bestem Erfolge gekrönten Versuche hervor, ojitisch
aktive Säuren aus der inaktiven Traubensäuremodifikatiou zu
isoliren, durch Verbindung mit asymmetrischen Basen wie Chinicin
und Cinchoniciu oder durch Einwirkung asymmetrischer Kräfte
in Gestalt von Gährungspilzen. Gerade durch Anwendung dieser
Methoden ist es dann, nachdem durch vau't Hoff' dii' Ursache
der moleeularen Asynunetrie erkannt war, gelungen, fast nach Be-
lieben im Laboratorium optisch aktive Körper zu erzeugen und
so die Theorie der Lebenskraft, hoffentlich für immer, zu begraben.
Nr. 29. Ludwig Wilhelmy, Lieber das Gesetz, nach
welchem die Entwicklung der Säuren auf den Rohr-
zucker stattfindet. (1850.) Herausgegeben von W. 0.stwald.
— Preis 0,80 iMk.
Diese Arbeit stellt den ersten gelungenen Versuch dar, die
Gesetze zu erforschen, nach denen iler Verlauf chemischer Reac-
tionen in der Zeit erfolgt. Der Verfasser wählte als Beispiel
die Inversion des Rohrzuckers, weil hier der Polarisationsapparat
jederzeit den Punkt, l)is zu welchem die Reaction gediehen ist,
mit Leichtigkeit festzustellen gestattet, wie denn auch dieses
Nr. 8.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
79
Boisijiel für die spätere Entwicklung dieses Zweiges der tlioore-
tischen Chemie miiassgebend geblieben ist. Er zeigt hieran die
strenge zahlenmilssige Gültigkeit seiner aus allgemeinen Betrach-
tungen theoretisch abgeleiteten Formel. Merkwürdigerweise ist
diese Arbeit, die der fruchtbarsten Anregungen voll ist, von den
Fachgenossen so wenig beachtet worden, dass spatere Forschor
auf diesem Gebiete, ohne das hier gebotene Material zu ver-
werthen, erst durch solbstständige Arbeiten zum selben Schlüsse
gelangten. Erst der Herausgeber hat dann (Journ. f. prakt.
Chem. (2) XXIX 385, 1884) die Aufmerksamkeit auf das ver-
gessene Urbild dieser Arbeiten gelenkt und dasselbe jetzt in
pietätvoller Weise durch die Aufnahme in seine Sammlung auch
weiteren Kreisen zugänglich gemacht. Durch die Beifügung des
Lebenslaufs sowie eines Verzeichnisses seiner wissenschaftlichen
Arbeiten wird der fast unbekannte Verfasser auch menschlich
dem Leser näher gerückt.
Nr. 30. Prof. S. Cannizzaro, Abriss eines Lehrgangs
der theoretischen Chemie vorgetragen an der l'ni-
versität Genua. (1858.) Uebersetzt von Dr. Arthur Miolati
aus Mantua, herau.sgegeben von Lothar Meyer. — Preis 1 Mk.
In Form eines Briefes an seinen Freund, Prof. S. de Luca,
seliihlort C. in gedrängter und doch durchaus klarer Kürze, wie
er in seinen akademischen Vorlesungen vor den Jüngern der
Chemie das theoretifche Gebäude iln-er Wissenschaft aufbaut.
Von erfreulichster Wirkung ist die Einheitlichkeit, welche er in
einer Zeit, da noch die widersprechendsten Meinungen Unklarheit
in die wichtigsten Grundlagen der cliemischen Theorien trugen,
in seinen Lehrstoft' bringt. Vor Allem ist es das damals noch
vielumstrittene Avogadro'sche Gesetz, dem er zur vollen Herrschaft
verhilft. Für weitere Kreise von Bedeutung waren hierfür na-
mentlich die Veröffentlichungen , zu welchen ihn die Unter-
suchungen von M. H. Sainte-Claire Deville „über die Dissociation
oder die Zersetzung der Körper unter dem Einfluss der Wärme"
(die wir hoffentlich auch bald in der OstwaUrsclien Sanniilung be-
grüssen dürfen) anregten. In dankenswerther Weise sind z\yei
derselben dem obigen „Abriss" beigefügt. Wer das kleine
Sehriftclien liest, wird ihm freudig den Platz unter den klassi-
schen Schriften als verdient zuerkennen, insbesondere, wenn er
aus der Anmerkung dos Heransgebers sich wieder den Wirrwarr
in der theoretischen Chemie beim Erscheinen derselben klar macht.
Dr. Spiegel.
Ii. Boltzmann, Vorlesungen über Maxwells Theorie der Elek-
tricität und des Lichtes. I. Theil. Ableitung der Grund-
gh-ichungen für ruhende, homogene, isotrope Körper. Leipzig.
Joiiann Andirosins Barth, 1893. — Preis 5 M.
Der Herr Verfasser dieses Werkes hat seit langen Jahren
schon in so hoch bedeutsamer Weise mitgewirkt auf dem Gebiete,
das er hier darstellt, dass wir sein Buch schon von vornherein
mit dem grössten Interesse begrüsst haben. Dies Literesse war
bei dem Unterzeichneten umso lebhafter, als neuerdings die Mei-
nung geäussert worden war, dass die Maxweirsche Darstellung
(im Treatise of Electricty) unklar und schwierig sei. Ich konnte
das nie finden, will aber zugeben, dass die Leetüre Maxwell'scher
Arbeiten ein grösseres Maass von Ausdauer und intensiver Hingabe
verlangt, als dies sonst, namentlich in französischen Werken, ver-
langt wird.
Herr Boltzmann hat nun allerdings in vollstem Maasse erreicht,
was er angestrebt hat: Klarheit, Kürze, Anschaulichkeit. Es ist
ein grosses Verdienst, dass hier die letzte mathematische Grund-
lage der ganzen Theorie, die Holmholz'sche Theorie der cj'klisclien
Bewegungen scharf und reinlich herausgestellt wird. Mit Anwen-
dung der Lagrange'schen Gleichungen ergeben sich aus dieser
Grundlage dann die Gleichungen der Elektricitätslehro in so ein-
facher und klarer Weise, dass der Leser sich ohne Mühe in die
ihm anfangs noch fremde, der gewöhnlichen so ganz gegen-
überstehende, Maxwell'sche Anschauung hineinfindet. Die Ver-
anschaulichung elektrischer Vorgänge durch mechanische Modelle
ist eine in hohem Maasse gelungene, die mathematis<-he Durch-
führung überall eine strenge. Dabei wird aber niemals die Be-
ziehung zum Experimente — ohne welche Bücher über mathema-
tische Physik für mich nur problematischen Wertb haben — ver-
nachlässigt. Das Werk des Herrn Boltzmann, auf dessen reichen
Inhalt ich au anderer Stelle eingehe, ist ein grosser Schatz für
unseri' wissenschaftliche Littoratur und es sollte kein Studirender
und kein Lehrer versäumen, sich mit dem Inhalte dieser Vorle-
sungen bekannt zu machen. Grs.
L. Fletcher. The optical indicatrix and the transmission of
Ught in criptals. Henry Trowile, LouiIdu bSil'i.
Das vorliefiende Work scdirint uns dii' Aufmerksamkeit so-
wohl der Physik(>r und Mathemathiker als auch der Mineralogen,
soweit sie an der mathematischen Behandlung der krj-stallogra-
phischen Optik Interesse nehmen, zu verdienen. Angeregt durch
seinen Lehrer Maskelyne macht der Verfasser den Versuch, einen
möglichst einfachen Eingang in die Theorie der Ref'raction des
Lichtes in Crj'stallen zu geben, der soviel als möglich jede Unter-
suchung über die Eigenschaften des Aethers vermeidet. Einen
erheblichen EinHuss hat unseres Erachtens die Bemerkung von
Sir William Thomson (Lord Kelvin) auf das Werk ausgeübt, dass
nämlich die seit Fresnel für die Stabilität des Aethers als unum-
gänglich nothwendig betrachtete Imcompressibilität des Aethers
thatsäehlich hierfür nicht nöthig ist. Der elastische Lichtäther
wird hiernach also compressibel betrachtet. Wir müssen es uns
versagen, auf eine nähere Analysirung des Inhalts des sehr intiM--
essanten Versuchs zu einer neuen Darstellung der krystallogra-
phischen Optik einzugelien. Unser Referat aber schliessen wir
mit dem Wunsche, dass dem vorliegenden Werke die gebührende
Beaclitung zu Theil werde.
Die Ausstattung des Buches ist in jeder Beziehung als vor-
trefflich zu bezeichnen.
Annuaire pour l'an 1893, public par le Bureau des Longitudcs.
Avec des Notices seientihques. Gauthier-Villars et Fils, Paris
1893. — Preis 1 Fr. 50 C.
Das vom Bureau des Longitudes für das Jahr 1893 heraus-
gegebene Jahrbuch enthält ausser den üblichen Tabellen über
Astronomie, Maasse und Gewichte, Münzen, Statistik, Geographie,
Mineralogie, Physik und Chemie diesmal eine Reihe interessanter
wissenschaftlicher Aufsätze aus berühmten Federn. Wir führen
von den letzteren besonders an: über das Observatorium auf dem
Mont-Blanc von J. Janssen; über die Beziehung zwischen den Er-
scheinungen der statischen und dynamischen Elektricität und die
Definition der elektrischen Einheiten von A. Cornu; ferner eine
Rede von J. Janssen über die Aeronautik. Schliesslich sind zu
erwähnen die Reden über Ossian Bonne t, über den Admiral Mou-
ehez und den General Perrier.
Es ist überflüssig, dem bekannten werthvoUen Werke, welches
sich mit Recht eines ausgezeichneten wissenschaftlichen Rufes er-
freut, eine Empfehlung auf den Weg mitzugeben. Der ausser-
ordentlich geringe Preis ist nur bei einem so stark verbreiteten
Werke möglich, wie es das vorliegende Jahrbuch ist. A. G.
Alldeutschland in Wort vmd Bild. Eine malerische Schilderung
der deutschen Heimath von August Trinius. Ferd. Dümmlers
Verlag in Berlin. 1893. — ä Lief. 0,30 M.
Seit unserer letzten Notiz über das genannte hübsche Werk
sind nicht weniger als 10 Lieferungen, die Lief. 7 — 16, erschienen.
D.as liebliche Thüringen findet sich bei S. 272 erledigt und der
nächste Abschnitt ist „Die schwäbische Alb" überschrieben, dann
folgt der Abschnitt „Am Rhein", der begreiflicherweise mit Lief.
16 noch nicht abgeschlossen ist. Die zahlreichen Skizzen nach
Federzeichnungei], sowie Abbildungen nach Photographien sind
stets charakteristisch und treffend gewählt; der Zeichner der
ersteren, F. Holbein, versteht es mit wahrer Künstlerschaft seinen
Bildern immer wieder neue, anniuthige Umrahmungen zu geben.
Der Te.xt ist dem grossen Publikum sehr geschickt angepasst:
jedermann muss seinen Gefallen an dem Werke haben.
Sitzungsberichte der Kgl. Preuss. Akademie der Wissen-
schaften. 1892. Hefte 54 und 55. — L. Fuchs: l'eber die Re-
lationen, welche die zwischen je zwei singuläreu Punkten
erstreckten Integrale der drei Lösungen linearer Dift'erential-
gleichungen mit den Coefficienten der Fundamentalsubstitutioneu
der Grupe derselben verbinden. — G. du Bois und Rubens:
Uebcr Polarisation ultrarother Strahlen beim Durchgang durcli
Metalldrahtgitter. — Wilhelm von Bezold: Der Wärmeaus-
tausch an der F]rdoberfläclie und in der Atmosphäre. Der vorlie-
genden Abhandlung sollen noch weitere über nach der angegebenen
Richtung hin angestellten Untersuchungen folgen. Diese erstrecken
sich auf die Vorgänge, welche die von der Sonne gelieferten
Wärmemengen von ihrem Eintritt in die Atmosphäre bis zu ihrem
Wiederaustritt nach dem Weltraum zu durchlaufen haben.
(Welcher Bruchtheil der in bestimmter Zeit an irgend einem Ort
zum Austausch gelangenden Wärme wird durch directe Einstrah-
lung geliefert und durch directe Ausstrahlung entzogen; wie viel
wird durch einfache und zusammengesetzte Convection gebratdit
oder weggeführt; wie viel dii>nt zum V^erdunsten des Wassers oder
zum Schmelzen dos EiHe,'< ; wie viel wird im Erdboden für spätere
Abgabe aufgespeichert, etcV) Wir worden auf diese Arbeit noch
80
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 8.
au anderer Stelle der „N. W." zurückkommen. — Curtius: Die
Deichbauten der Minyer. Der heute berüchtigte Kopais-See war
vor der bis jetzt bekannten griechischen Geschichte kein Fieber-
Sumpf, sondern lag in wohl angebauter, blühender Gegend. Er-
möglicht wurde dies durch die bedeutenden und praktischen
Kanal- und Deichbauten des bis vor kurzer Zeit noch in die
Mythe verwiesenen Stammes der Minyer. Eine Tafel. — Ernst
Leumann: .Tinabhadra's Jitakalpa, mit Auszügen aus Siddhasena's
Cürni. (Eine in Verse gebrachte Bussenliste der Jaina-Möncho )
Heft 1 des neuen Jahrgangs: Philipp Lenard: ITeber Kathoden-
strahleu in Gasen von atmosphärischem Druck und im äussersten
Vacuum. F. K.
Sitzungsberichte der Eaiserl. Akademie der W issenschaften
zu Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe. Band
101, Heft 8. — 1. E. Mach: Ergänzungen zu den Mittheilungen
über Prqjectile. Es werden neue Beweise mitgetheilt für die
Existenz der sogenannten Kopfwelle, welche von Körpern mit
grosser Bewegungsgeschwindigkeit erzeugt wird und einen Knall
verursacht (z. B. beim Fallen von Meteoriten). — 2. Leopold
Gegenbauer: Ueber die aus den vierten Einheitswurzeln ge-
bildeten primären ganzen complexen Zahlen. — 3. Hermann
Fritz: Die gegenseitigen Beziehungen der physikalischen und
ehemischen Eigenschaften der chemischen Elemente und Verbin-
dungen. — 4. Jos. Finger: Ueber die gegenseitigen Beziehungen
gewisser in der Mechanik mit Vortheil anwendbaren Flächen
zweiter Ordnung nebst Anwendungen auf Probleme der Astastik.
(Ergänzungen und Erweiterungen zu den Daroux'schen geome-
trischen Resultaten astastischer Probleme; gleichzeitig Einleitung
zu einer Reihe von Abhandlungen über den Kräftepol eines be-
liebigen auf ein starres Punktsystem einwirkenden Kräftesystems. 1
— 5. Leopold Gegenbauer: Ueber den grössten gemeinsamen
Theiler. — 6. G. v. Eschcrich: Ueber die Multiplikatoren eines
Systems linearer, homogener Differentialgleichungen. — 7. Josef
Tesar: Ueber ein Paar unicursaler Degenerirungscurven dritter
Ordnung des Normalenproblems und das Normalenproblem einer
confocalen Kegelschnittschaar. 1 Tafel. — 8. E. Weiss: Unter-
suchung der systematischen Differenzen einiger südlicher Stern-
kataloge. (Um die Eigenbewegung einer grösseren Anzahl von
Sternen südlich des Wendekreises des Steinbocks genauer be-
stimmen zu können, hat der Verf. die systematischen Unterschiede
zwischen mehreren Sternkatalogen entwickelt und theilt seine Re-
sultate ausführlich mit. Er hat folgende Kataloge mit einander
verglichen: a) Gill's CapKatalog für 18500 mit Argelander; b) Gill's
C.-K. etc. mit dem Katalog von Gillis aus Beobachtungen in
Santiago; c) Jacob's Subsidiary-Catalogue mit Gill's C.-K. etc.;
d) Hagen-Holden's Katalog von Tacchinis südlichen Sternen mit
Gould's Zonen-Katalog; e) Ta3dor's General-Catalogue mit süd-
lichen Sternen des Kataloges von Piazzi; f) B. A. Gould's General-
Katalog mit J. E. Stone's Cap-Katalog von 18800.) F. K.
Berichte über die Verhandlungen der Kgl. sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathem.-phys.
Classe. 1892. N. — Ausser dem bereits in der „Naturw. Wocheu-
schr." erwähnten Artikel H. Credner's: „Ueber die Geologische
Stellung der Kliuger Schichten", auf den wir — wie damals ge-
sagt — noch ausführlich eingehen werden, bringen F. Stohmann
und H. Langbein die achtundzwanzigste ihrer Abhandlungen,
in denen der orstere die von ihm im Verein mit anderen ange-
stellten „Calorimetrischen Untersuchungen" beschreibt. In vor-
liegender Arbeit handelt es sich um die Untersuchung der isomeren
Allyl- nnd Propenylverbindungen. G. F. Lipps hat einen Artikel
über „Thetareihen und ihren Zusammenhang mit den Doppel-
integralen" gebracht.
Rickert, H., Der Gegenstand der Erkenntniss. Freib. 2,20 M.
Biecke, E., Molekulartheorie der piezoelektrischen Erscheinungen.
Göttingen, h M.
Rosenbusch, H., Mikroskopische Physiographie der Mineralien
und Gesteine. Stuttgart. 24 M.
Rost, G., Untersuchungen über die allgemeine lineare Substitution,
deren Potenzen eine endlose Gruppe bilden. Leipzig. 1,20 M.
Rüefli, J., Anhang zu den kleinen Lehrbüchern der Geometrie.
Bern. 0.40 M.
Saalschatz, L.. Vorlesungen über die BernouUischen Zahlen,
ihren Zusammenhang mit den Secanten-Coefficienten und ihre
wichtigeren Anwendungen. Berlin. 5 M.
Scheffler, H., Die quadratische Zerfällung der Primzahlen.
Leipzig. 3 M.
Scheiner, J., Der grosse Sternhaufen im Hercules, Messier 13,
nach Aufnahmen am Potsdamer photographischen Refractor.
Berlin. 3,.j0 M.
Schulze, E., Fauna piscium Germaniae. 2. Aufl. Königsberg.
3 M.
Schulze, F. E., Ueber die innereren Kiemen der Batrachierlarvcn.
Berlin, 6 M.
Schwalbe, J., Grundriss der spcciellcn Pathologie und Therapie.
Stuttgart. 14 M.
See, T. J. J., Do]ipelstern-Beobachtungen. Berlin.
SeeUg, E., t)rganische Reaktionen und Reagentien. Stuttgart.
15 M.
Siebenrock, F., Zur Kenntniss des Kopfskelettes der Scincoiden,
Anguiden und Gerrhosauriden. Wien. 4 M.
Sievers, W., Asien. Leipzig. 15 M.
Sommer, R., Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psyclio-
logie und Aesthetik von Wolflf-Baumgarten bis Kant-Schiller.
Würzburg. 11,50 M.
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Steffen, W., Lehrbuch der reinen und technischen Chemie. An-
organische Experimental-Chemie. Stuttgart. 10 M.
Steindachner, F., Ueber die tyidschen Exemplare von Lacerta
niosorensis. Wien. 1,40 M.
Stizenberger, E., Die Alectorienarten und ihre geographische
A'erlireitung. Wien. 0.80 M.
Stockt, A., Lehrbuch der Philosoi)hie. 7. Aufl. Mainz. 15 M.
Strahl, H., Untersuchungen über den Bau der Planceta. Wies-
b.aden. 3,60 M.
Stricker, S., Ueber strömende Elektricität. Wien. 2,.50 M.
Strümpel, A., Lehrbuch der speciellen Pathologie und Ther-apie
der inneren Krankheiten. 7. Aufl. Leipzig. 10 M.
Tavel, F. v., Vergleichende Morphologie der Pilze. Jena. 6 M.
VioUe, J., Lehrbuch der Physik. Berlin. 11,20.
Voigt, W., Bestimmung der Constanten der Elasticität und Unter-
suchung der inneren Reibung für einige Metalle. Göttingen.
6,50 M
Volhard, J., Ueber die Synthese der Vulpinsäure und die Consti-
tution der y-Ketonsäuren. Halle. 1,20 M.
Voll, A., Compendium der normalen Anatomie. Berlin. 8 M.
Weismann, A., Aufsätze über Vererbung und verwandte bio-
logische Fragen. Jena. 12 M.
— , — , Das Keimplasma. Ebd. 12 M.
Wiesner, J., Untersuchungen über den Einfluss der Ijage auf die
Gestalt der Pflanzenorgane. Leipzig. 0,'JO M.
Inhalt: Dr. Georg Meyer: Die Geologie, eine Lehrmeisterin des 19. Jahrhunderts. (Fortsetzung und Schluss.) — Hermann
Lachmann: Süsswasser- Aquarien. (Mit Abbild.) — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — LItteratur: Ostwald's Ivlassiker der
exacten Wissenschaften. — L. Boltzmann: Vorlesungen über Maxwells Theorie der Elektricität und des Lichtes. — L. Fletcher:
The optical indicatrix and the transmission of light in criptals. — Annuaire pour l'an 1893. — Alldeutschland in Wort und
Bild. — Sitzungsberichte der Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften. — Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissen-
schaften zu Wien. Mathematisch- Naturwissenschaftliche Classe — Berichte über die Verhandlungen der Kgl. sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inserathentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
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anstaltcii, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist JL 3.—
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Inserate: Die vieigespaltene Petitzeile 40 -A. Grössere AufträKe ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. luseratenannahme
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdravk ist nur luit voUstäiidigci' <^nencnaii{>;nbe gestattet.
Die Algenflora des Müggelsees.
Von P. Hennings, Ciistos am Kgl. botanischen Museum in Berlin
Obwohl Alexander Bi-auii. einer dei" iirö.ssten Algen-
kennei' .seiner Zeit, über ein Vierteljalirhundert hinaus der
Erforschung' der niärkisclien Alg-entlora seine besondere
Aufmerksamkeit zugewendet hatte, ist bisher sehr wenig
über dieselbe bekannt geworden. Und doch sind die Ge-
wässer der Jlark so reich an eigenthündiehen und seltenen
Algen. Ich erinnere hier nur an die zahlreich vertretenen
Arten der Characeeu, Oedogonieen, sowie an l'leuroeladia
lacustris A. Br. Diese iuteressaute Süsswasser - Phaeo-
phycee wurde von A. Braun, Mai 1855 zuerst im Tegeler
See entdeckt und findet sich höchstwahrscheinlich auch
heute noch dort. Dieselbe wurde von mir am 12. Mai 1882
in einem Teiche bei Mariendort', südwestlich von Berlin,
in Menge autget'unden.*)
Seit 12 Jahren mit der Ert'oi-schung der märkischen
Algenflora gelegentlich beschäftigt, hatte ich diesen Sommer
mein besondei'cs Augenmerk auf die des Müggelsees ge-
richtet. Alexander Braun ist meines Wissens nicht oft nach
diesem See gekomnieu und sammelte am Süilende desselben
nur die im Sommci' ül)erall häutige Anabaeiia flosaquae.
Sein Sohn Herrmann fand im August 1853 hier eine im
Herbar Braun als Physactis vel Limnactis sp. bezeichnete
Phycochromacee sowie Chaetophora radians Kg. Weitere
Algen waren mir aus diesem Gewässer nicht bekannt.
Durch die Erbauung der grossartigen Wasserwerke
ist der gewaltige Müggelsee, dessen Flächeninhalt über
50 qkm beträgt, in den Bannkreis Berlins gezogen worden,
und er ist berufen, dasselbe fortan mit einem unversieg-
baren Strom des flüssigen Elementes zu versorgen.
*) In No. 43 der „Naturw. Wochenschrift" findet sieh die
interessante Mittheilung;, dass diese Alge von Dr. O. Zacharias
im Gr. Plöner See aufgefunden worden ist. Ich vermuthe, die-
selbe bereits 1880 im Tröndelsee bei Kiel gesammelt zu haben,
erkannte dieselbe d. Z. aber nicht und wurde beim Auffinden
derselben im Muriendorfer Teiche 1882 lebhaft an die Eigenthiim-
lichkoit der liül.--teinischen Alge, die mir verloren gegangen war,
erinnert.
Aus diesem Grunde schien es mir sowohl von wissen-
schaftlichem Interesse, wie auch von hoher praktischer
Bedeutuflg- zu sein, die Algenflora dieses Sees nach
Kräften zu erforschen, doch vermochte ich meine Beob-
achtungen vorläufig nur auf einen recht beschränkten
Theil desselben auszudehnen.
Aber die Mühe ward ülicrreich belohnt. Es dürfte
sieh in ganz Nord- und Mitteldeutschland kaum ein Land-
see finden, welcher durch eine so eigenartige und reiche
Algenflora ausgezeichnet ist, als der Müggelsee.
Am 19. April unternahm ich in Begleitung der Herren
Prof. Schumann und Dr. Taubert die erste Excursion und
begingen wir das linke Seeufer von Friedrichshagen bis zur
Rahnsdorfer Wassermühle. Die aus den flachen Stellen
des Ufers überall heraustretenden Wurzelfasern sowie über-
spülte kleinere Kieselsteine waren mit den lebhaft grünen,
zarten Raschen von Ulothrix zouata Kg. dicht überzogen.
Hin und wieder machten sich ti-eibende braune Flocken
sowie grosse ausgeworfene Massen, aus den verschieden-
artigsten Diatomeen bestehend, bemerkbar. In einer Quelle,
die zwischen den Wasserwerken und dem Rahnsdorfer
Forsthaus zum Müggelsee hineinfliesst, waren einzelne
Steine mit dunkelgrünen Raschen von Stigeoclonium tenue
Ag., sowie modernde Zweige spärlich mit Draparnaldia
glomerata Ag. bewachsen. Dies war die ganze, nicht
besonders reiche Ausbeute.
Eine zweite Excursion wurde auf gleicher Strecke
am 29. Mai unternommen. Ulothrix zonata war fast gänz-
lich verschwunden und seine Stelle von einem sehr kurz-
rasigeu dunkelgrünen Stigeoclonium, welches A. Braun in
seinem Herbar als St. rei)ens A. Br. bezeichnet hat, ein-
genommen. In einem Sumpf jenseits der Wasserwerke
machte sich Nostoc earneum Kg. in schwimmenden,
dünnen, zaj-ten, fleischrothgefärbteu Häuten bemerkbar,
ebenso fanden sich in diesen Sümpfen Ciadophora glome-
rata Kg. reich mit Diatomeen besetzt, ein steriles Oe<lo-
82
Nntur-wisseiiselial't liehe Woelioiisclirift.
Nr. 9.
gonium sowie Spirogyra crassa Kg. und Zygnema
criiciatum Kg., sämmtlich steril. Am 20. Juni traf
ich am Seeufer untei'lialb des Forstliauses Nostoc edule
Kg. in wallnussgrossen, Itlasigen, oliventarbigen Kugeln.
in grosser Menge ausgeworfen, an. Die üljerHutheteii
Wurzeln und Steine daselbst bis zu den A\'asser-
werken, waren mit dieliten Rasen von Cladopliora glomc-
rata Kg. var. subsimplex, sowie mit Conferva stagnoruni
(Kg.) Wille bewachsen. In den Sümpfen am Rande des
Sees hatte sieh Nostoc carueum Kg. überall gewaltig
ausgebreitet und erfüllte diese mit i^allertigen kugeligen
oder lajjpigeu, dunkelblutrothen Massen, in der Form
rufeseens (Kg.). Mitte Juli sannnelte ich an den über-
flutheten Steinen und Wurzeln des seichten Seeufers auf
gleicher Strecke Cliaetophora cornu damae A'g. in der
schmallappigcn sowie in der inerustirten Form in grösserer
Menge.
Nostoc edule war gänzlich verschwunden, s-fatt dessen
war das ganze Seeufer mit haselnuss- bis wallnussgrossen,
dunkelgrünen, harten Kugeln von Rivularia Pisum Kg.
form, saccata, sowie mit Nostoc rufeseens Kg. bedeckt.
An dem überall an den flachen Ufern unterhalb des
Wasserspiegels wachsenden Potaniogeton ])ectinatus fand
sich Rivularia Pisum Kg. in crliscngrossen Kügelchen.
Diese fallen später ab, wachsen zu voriger Form aus und
werden dann ans Ufer geworfen. Eine weitere Excursion
wurde Mitte August ausgeführt. In Sümpfen am See-
rande jenseits der Wasserwerke machten sieh bis über
walluussgrosse, olivenfarbige, blasige Kugeln von Gloeo-
triehia natans Rab. in grosser Menge bemerkbar. Eine
dieser Kugeln, die stark faltig und im Innern hohl war,
hatte die Grösse eines Mensclienkopfes. Dieselben entstehen
in unregelmässigen, später oft mit einander verwachsenden
häutigen Lapiien an Elodea eanadcusis, Ohara fragilis und
Gh. foetida. In der Quelle an gleichem Orte sowie am
Ausflüsse derselben in den See fand sieh Chaetojjhora
cornu damae Ag. var. valde elongata Rbh. in bis 40 cm
langen dunkelgrünen, dicksträngigen, reich verzweigten
Rasen. Exeni])lare Aon solchen Dimensionen, von solcher
Schönheit dürften wohl kaum je benbachtet \\orden sein.
Es ist wunderbar, zu welcher Vielgestaltigkeit sicli unter
liesondcrs günstigen Umständen eine verhältuissmässig
kleine, unscheinbare Alge zu entwickeln vermag. Höchst
wahrscheinlich findet dieses üppige Wachsthum in der
abnorm trockenen, heisscn Witterung des Sonnners, sowie
in dem eigenartigen Standorte, der an dieser Stelle rasch
fliessenden, stets frischen, wasserreichen Quelle, seine
Ursache.
Am Seeufer fanden sich zusammengerollte Watten
einer langfädigen Confervacee, auf die ich später znrück-
konnnen werde, ausgeworfen; ebenso wurden am sumpfigen
Strande Oonferva bombyeina (Kg.) Wille, sowie denselben
blaugrün umsäumend, Anabaena flos aquae Kg. mit Poly-
cystis aeruginosa Kg. beobachtet.
Von den an Fadenalgen sowie in ausgeworfenen oder
treibenden braunen Flocken sich findenden zahlreichen
Diatomaceen will ich hier nur die häufigeren Arten nam-
haft machen. Melosira varians Ag., Epithemia turgida
(Ehrb.j W. Sm., Himantidium pectinalc (Dillw.) Kg., En-
cyonema paradoxum Kg., Cocconeis Pedieulus Ehrbg.,
Fragilaria virescens Ralfs, Diatoma vulgare Bory, Navi-
eula viridula Kg., Pinnularia major Rbh., Stauroncis Phoe-
nicentrou Ehrbg., Synedra Ulna Ehrbg., Gomphonema
curvatum Kg., Sphenella parvula Kg.
Am 21. September unternahm ich eine Excursion von
Friedrichshageu nach dem jenseitigen Ufer bis zu den
Müggclbergen hin. Am sumpfigen Seeufer bei der Bade-
anstalt machte sieh überall Polycystis aeruginosa bemerk-
bar und fand sieh Nostoc jiruniformc in bis wallnu.ss-
grossen, hohlen, dicklederigen, schwärzlichen Kugeln in
ungeheurer ilenge ausgeworfen. Tetraspora gelatinosa
l)edcckte mit gallertigen, bleiehgrünen Massen die Ufei'.
Die Sümpfe waren dicht mit kleinen, dunkelgrünen Netzen
von Hydrodictj'on reticnlatum angefüllt, deren einzelne
grössere sich frei selnvinnnend im See fanden; ebenso
war Sirogonium sticticum mit S])oren häufig. An aus-
geworfenen Schilflialmen beobachtete ich Calothrix Brannii
Born., Golcoehaete seutata Brcb., Tolypotlnix tcnnis Kg.,
sowie im See treibend Toly])othrix Aegagropila Kg.' Die
in den Sümpfen häufige Fontinalis anlipyretica war dicht
mit Rivularia minutila Born. u. Flali. bedeckt und ein-
zelne Halme mit Ghaetoplu^ra pisiformis. (Kotli) Ag.
Glcgen Ende September fand ich das Seeufer von
den' Wasserwerken bis zum Rahnsdorfer Forsthause mit
grossen Watten einer bereits früher beobachteten Cpn-
fervaee, welche ganz das Aussehen der in der Ostsee so
häufigen Chaetomorpha Linum Ag. hatte, bede.ekt. Die
starren, unverzweigten Fäden zeigten grösste Aehnlichkeit
mit dieser Art, doch war es mir unfassbar, dass sich ein
Vertreter der, meines Wissens nur dem Meere angehörigeu
Gattung im Müggelsee finden sollte. — Herr Dr. P. Richter
in Leipzig, der beste Keuner heimischer Süsswasseralgen,
erkannte darin jedoch eine neue Süsswasser-Art der meer-
ijewohncnden Ohaetomorpha, die er Cli. Henningsii be-
nannt hat. — Am 5. (Jctober fand Heir Dr. A. Krause
an Pfählen vor der Schiffbrücke beim Seebade Friedrichs-
liagen Tlnrea ramosissima Bor}', eine Floi'idec, die bisher
aus dem Rhein bei Worms und Strassburg, ans der Loire
bei Angers, aus der Donau l)ei Belgrad bekaimt war.
Am 9. October unternahm ich nüt Ih'rin Dr. Krause
und am 16. October in Begleitung der Herreu Prof.
Dr. Engler, Prof. Hieronymus u. A. eine Excursion nach
dieser Stelle, wo die Alge mehrfach in sehöncn Rasen
gesammelt wurde. Später, bis zum Decend)er hinein,
wurde mir dieselbe noch in mehreren Exemplaren durch
Herrn Dr. Krause sowie durch Herrn Stanke in Friedrichs-
hagen übersandt. — Bei einer in Begleitung des Herrn
Dr. Krause am 5. November uutcrnonnnenen Excursion
wurde wiederuui das Seeufer von den Wasserwerken bis
nacli Rahnsdorf zu begangen. Nostoc rufeseens, Cliaeto-
phora cornu damae var. valde elongata, Chaetomorpha
Henningsii Rieht, fanden sich an den genannten Orten in
grosser Menge. Am Seeufer, auf Steinen wachsend, wurde
Stigcoclonium tcrnue var. uniforme Ag., daselbst ausge-
worfen Rivularia sj). in erl)sengrossen, harten Kugeln
(gleich den \dn H. Braun gesammelten Physactis sp.) ge-
sammelt, feruer verschiedene, bereits früher beobachtete
Desmidiaceen, wie Cosmarium Cucumis Corda, C. niar-
garitifeium Bge., Closterium Lunula Ag., Xanthidium
aculeatum Ehrbg., ferner Pediastrum Boryanum Menegh.,
Raphitlium faseiculatum Kg., Senedesmus (|nadiieaudaBreb,
beobachtet. In todten Lachen am Rande des Sees machte
sich besonders Beggiatoa alba bemerkbar, ebenso Clathro-
cystis roseo-persicinus Colin und Lcptothrix ochraeca Kg.
Auf Conferra ward im See und im Sumpfe unterhalb der
Försterei Cylindrospernunn macrospermum Kg. angetroffen,
sowie an letzterer Stelle Hydrodictyon reticnlatum.
Von Dr. A. Krause ist ferner die in den Seen bei
Erkner häufige, von dort schon früher bekannte Entero-
morpha intestinalis (L.) Lk. auch im Müggelsee beobachtet
worden. Im Sticuitzsee bei Rüdersdorf fand A. ßraita
Juli 1859 riesige Kugeln, von über 1 dm Durehmesser, der
Aegagropila Sauteri Kg., welclie bis dahin nur aus dem
Zellersee bekannt war, in ungeheurer Menge ausgeworfen.
Mögen diese wenigen Angaben genügen, um das
Interesse der Algenforscher auf die überreiche Algenflor
der märkischen Landscen zu lenken. Voraussiehtlieli wird
die Errichtung der bereits geplanten biologischen Station
Nr. 9-.
Natiiivvissciistbaftliclic Wucliciisclnift.
83
in Vciliiiuluiii;' mit den WasscrwerUcn am Miig.:;olsce recht
bald ins Leben treten und dieselbe wird liutlentlicli aueli
die alfi;-eolouisehe. Ertüvscliung' des Sees eingehender zur
Ausführung- bringen. Schliesslich bemerke ich noch, dass
ich das bisher von mir angesammelte, sehr unit'ang-
rciehe Algen -Material, das sieh durch Reichhaltigkeit
und besonders durch Schönheit der Exemplare aus-
zeichnet, zu einer Exsicaten-Sanmilung in Buchform zu-
sammengestellt iiabc und diese als „l'hykotheka niarehica"
herausgebe.
Ueber die Nonne (Liparis monacha).
Von 01)4Tf(ir.-tei' K. Rittinoyrr.
Am 3. und 4. März 1802 ward in Wien ein (ister-
reichiseher Forstcongrcss abgehalten, welcher einzig über
die Nonne, Liparis monacha L., das bezüglicli ihrer
Lebensphasen und Lebensweise und bezüglich ihrer Be-
kämpfung im Studirzinmier wie im Walde Beobachtete zu
berathen hatte.
Dass diese Verhandlungen hier eingehender mitge-
thcilt werden, kann nieht erwartet werden*), diejenigen
Tunkte jedoch hier wiederzugeben, welclie\on speciell natur-
wissenschaftlichem Interesse sind, besonders aber, welche
noch als ungelöste Fragen bestehen blieben, das dürfte
für die Sache selbst wie auch für die Leser der „Naturw.
Woeiiensch)'." von Werth sein; und wenn ich liier den
A])ell an die „Naturforscher von Fach" wiederiiole (Vergl.
No. 12 von Bd. VII), diesem als volkswirthschaftlich
zur Zeit bedeutendsten Naturereignisse ihre For-
schungen zuzuwenden, so bitte ich dies keineswegs als
Redensart auflassen zu wollen. Millionen des National-
vermögens sind, wie in den öOer Jahren, vernichtet, und
wir Forstleute stehen bezüglich der IMittel zur Bekänii)fung
dieses Schädlings fast noch auf dem gleichen Standpunkte
wie damals.
Es seien hier nur die Zahlen aus Bayern angeführt,
welche der kgl. bayerische Finanzminister, Dr. Freiherr
von Riedel, in der Sitzung der bayerischen Kammer der
Abgeordneten vom IL März 1892 mitgetheilt hat: Der
Aufwand zur Bekämpfung der Nonne betrug über zwei
Millionen Mark, Holz ward eingeschlagen für mein- als zwölf
Millionen Mark. Auf seinen Antrag wird die infolge des
Nonnenfrasses für Holzhauerlöhne ausgeworfene Summe
um 485 000 Mk., die Etatsposten für Vertilgung von Forst-
insekten um 980 000 Mark und die zu Raupenleim und
Leinningeu um (100 000 Mk. erhöht. Aus dem (man umss
leider sagen: früherem Ebersberger Wildparke bei
München wurden auf einen Schlag 1 200 OUO cbm Holz
verkauft.
Von dem Ei der N<inne wird die ungemein grosse
Lebenszähigkeit hervorgehoben; Forstmeister Kopsch hat
eine grössere Zahl in einem Gefässe mit Wasser durch
drei .ihmate dem Froste ausgesetzt, ohne dass auch nur
einige abgestorben wären, im Fiülrjalire kamen die Raupen
recht gesund zum Vorschein. — Von Parasiten ist das-
selbe nach den Untersuchungen des Forstmeisters Fritz
A. Waehtl (Entomologe der k. k. Versuchsanstalt in Maria-
brunn) vollständig frei: wenn Dr. Pauly (Privatdocent der
Zoologie in München) unter vielen untersuchten Eiern
zwei mit Parasiten befallene gefunden hätte, so sei ihm
— meint Waehtl — diesbezüglich der Irrthum unterlaufen,
dass er Eier der Orgyia anti([ua für Nonneneier gehalten
habe, erstere seien nicht frei von Parasiten. — Dass die
Raupen schon bald (4 Wochen) nach der Ablage der Eier
in denselben völlig- entwickelt sind, hat selion 1798
-*) Wer sich füi- diesellipii iiitrrcssirt. fiiidrt sie im Mailiefte
der „Forstlichen Blätter" (Miinclieii) und im Jlilizhet'tc des ..Central-
bhttt ftir das gesammte Forstwesen" (Wien). Ausserdem sind jetzt
auch die „Verhandlungen des Oesterreiehischen Forstcongrcss 1892"
erschienen.
Dr. J. H. Jördens („ricschichte der kleinen Fichtenraupe")
erkannt und dies ist auch neuerlich vim allen Seiten bestä-
tigt worden. — Nieht so einig ist man über die Frage, ob
diese in den Eischalen vollkonmien entwickelt ruhenden
Raupen bei entsprechend warmem Wetter, wie wir es
z. B. im Herbste 1891 gehabt haben, zum mehr oder we-
niger grossen Theile schon im Herbste auskriechen, um
dann der Winterwittjcrung zum Opfer zu fallen. Forst-
rath Gustav Henscdiel (Professor der Zoologie an der Hoch-
schule für Bodenkultur in Wien) ist dieser Ansicht und
will im Herbste 1891 bereits ausgekrochene Räupchen
gefunden haben. Nach Waehtl und Dr. Nitsche (Professor
der Zoologie an der Forstakademie in Tharand), wie
auch nach den Jlittlu'ilungen der meisten Herren aus der
Pi-axis k(unnit ein derartiges verfrühtes Auskriechen der
Raupen mir als sehr seltene Ausnahme vor. Den dies-
bezüglichen Angaben von Waldhütern und Holzhauern etc.
ist nicht ohne Weiteres Glauben beizumessen, da diese
nur zu leicht andere, im Herbste erscheinende Räupchen,
wie der (Tuophria rubricoUis L. nach Waehtl, der Lithosia
quadra L. nach Nitsche für Nonnenräupchen halten.
Auch über die Frage, ob Nonnenräupchen durch Zimmer-
wärme zum verfrühten Auskriechen gebracht werden
können, sind die Ansichten verschieden, während manche
derartige Versuche gelangen, hatten andere keinen Erfolg.
Auf der Seite der ersteren stehen ihren Veröft'entlichungen
nach Dr. Nitsche und Dr. Pauly, auf der der letzteren Waehtl.
Ueber diese Punkte, wie namentlich auch über den Zu-
sammenhang von Temperatur und Zeitpunkt des Aus-
schlüiifens der Raupen liegen genauere Beobachtungen
noch nicht vor. Ob die schon etwa 4 Wochen nach der
Eiablage vollkommen entwickelte, im Ei ruhende Raupe
an eine bestimmte Zeit der Ruhe in der Eischale ge-
bunden ist, bevor sie dieselbe lebensfähig verlassen kann,
oder ob sie durch eine liestimmte Wärniemenge, vertheilt
auf mehr oder weniger lange Zeit zum Verlassen des Eies
veranlasst wird, welche Wärmegrade den Zeitpunkt des
Ausschlüpfeus beeinflussen? Das Alles sind noch zu lö-
sende Fragen; ebenso wie diejenigen, ob bei den Eiern
Krankheiten vorkommen und unter welchen \'erliältnisseu
und in welchem Prozentsätze unbefruchtete Eier abge-
legt werden.
Dass eine gewisse AVärmemenge nötliig ist, um die
Räupchen zum Verlassen der sie so ungemein schützenden
Eischalen zu veranlassen, dürfte nicht zu bezweifeln sein,
man beobachtete wenigstens, dass an den Süd- und Ost-
seiten sowie in den höheren Partien der Stämme die
Räupchen um etliche Tage eher auskriechen als an den
Nord- und Westseiten und den unteren Partien der
Stämme, erstere wurden von der Sonne schon stärker er-
wärmt. Im Allgemeinen liegt zwischen dem .Auskriechen
der ersten und der letzten Raupe ein Zeitraum von 3 — -4
Wochen je nach der Witterung. Einige Tage vor dem
Auskriechen der Raui)eii verfärben sieh die Eier, sie ver-
tauschen ihre duiikelgraubraune Farbe gegen eine niilch-
wcissc und nehmen ausserdem Perlinuttcrglanz an.
Die wichtigsten, theils neuen, theils noch nicht end-
84
Naturwissenscliaftliclie Wochensclivift.
Nr. 9
gültig
geklärten
Punkte
Wenn allgemein angenommen und geleln-t wird
betreffen das Ranpenleben.
dass die
Räupcben nach dem Verlassen des Eies zunächst einige,
2 bis 6 Tage im Spiegel beisannnensitzen und erst dann
ihre Wanderung nacli der Baumkrone antreten, so be-
richtete Forstmeister Heyrowsky
über einen Fall, wo die Räup-
cheu nach dem Auskriechen nur
6 Stunden im Spiegel beisammen
gesessen und dann alle stamm-
aufwärts gekrochen seien. Auch
Forstinspector Handloss beob-
achtete, dass die Räupchen kaum
einen Tag in den Spiegeln blie-
ben. Es scheint dieses von der
Witterung abzuhängen; bei küh-
lem Wetter bleiben die Spiegel-
räupchen wohl 4, 5 und 6 Tage
in den Spiegeln beisammen, wäh-
rend sie bei warmem Frühliugs-
wetter schneller lebendig werden,
und dem Futter in der Krone zu-
streben. Nach Forstdirector Bau-
disch's Versuchen können die
jungen Spiegelräupchen 8 bis 10
Tage ohne jede Nahrung bleiben.
Eine auffallende und naturwis-
senschaftlich noch nicht aufge-
klärte Beobachtung machte Forst-
inspector Handloss, die Räupclien
spannen sich einige Stunden nach
dem Verlassen der schützenden
Eihülle „vielfach stammabwärts,
ohne erst in die Krone zu steigen,
indem sie Fäden spannen, bei-
läufig eine Haudspanne lang sich
dann an der Rinde fingen, um
sich sogleich wieder an einem
neuen kleineu Faden fortzuschnel-
len, so dass sie in kurzer Zeit
unter den Leinu'ing gelangten,
welchen sie stets in grossen
Bogen überschnellten" und wel-
cher ihnen dami den Rückweg
zum Futterplatz in der Krone
abschnitt. Eine vielumstrittene
Frage war die, ob jede Raupe
in ihrem Leben wenigstens ein-
mal zu Boden kommt. Ist dieses
der Fall, so hätten wir ein wenn
auch kostspieliges, so doch durch-
schlagendes Bekämpfungsmittel
gegen den Schädling darin, dass
wir — wie gegen Gastropacha
pini L. z. B. — um jeden Stamm
einen Raupenlcimring legen, wel-
cher die zu Boden gelangten
Raupen abhält, die Baumkrone
wieder zu erreichen. Leider
sprechen fast alle Beobachtungen
gegen diese anfänglich von
vielen und massgebenden Seiten
vertretene und erklärlicherweise
von Jedem nur zu freudig aufgenonmiene Ansicht.
Viele, ja sehr viele Raupen, 707o ^3.c\\ den Beobach-
tungen in Bayern, gelangen einmal zu Boden, aber und
besonders in Fichtenbeständeu nicht alle; eine zur Ver-
nichtung des Bestandes imd zur Verbreitung der Calami-
tät vollständig genügende Zahl bleibt in den Baumkronen
Figur 1.
.Nonneiischleier" an zwei hocligeleimteu Fii'lifcii nach ])hotosr.
Aiilnalime aus dem Reviere der Doniäne Pirrnitz (Mahren). (Aus
Fritz A. Wacht], Die Nonne, im AiiftraRe und lieransgegeljen vom
K. K. Ackerbau-Ministerium in Wien.)
zurück. Sollen die Leimringe nun dennoch gelegt werden,
um die sein- grosse Zahl der zu Boden gelangenden
Rau])en dem Hungertode zuzuführen und die Masse der
fressenden Schädlinge nach Möglichkeit zu dezimiren,
oder soll man die bedeutenden Summen für den Leim und
das Leimen lieber sparen"?'
das ist wiederum eine noch nicht
einheitlich beantwortete Frage ;
die Einen wollen mit dem Leim-
ringe die Raupenzahl nach Mög-
lichkeit vermindern, um wenig-
stens den Kahlfrass zu verhüten
und so den Bestand doch am
Leben zu erhalten, die Anderen
wollen die Raupenzahl nicht ver-
mindern, örtlich sogar möglichst
steigern, um das Verhältniss dei--
selben zu der vorhandenen Fut-
termenge so zu gestalten, dass
die Raupen noch vor der letzen
Häutung den Bestand allerdings
kahl gefressen haben, seli)st alier
auch aus Mangel an Futter zu
Grunde gehen müssen.
Das Verweht werden der
jungen, sich häufig altspinnenden
Raupen dürfte aus Pfeil's „Kri-
tischen Blättern" (XXXV. I. S. 98)
schon bekannt sein, es ist dieses
eine die Bekäm])fung des Schäd-
lings und Loealisirung des Scha-
dens ungemein erschwerende Le-
benserscheinung. Ebenso charak-
teristisch sind die Nonnen-
schleier, die Gespinnstbrük-
ken und die Zelte. Die Nonnen-
schleier (siehe die Figuren 1 u. 2)
entstehen dadurch, dass die aus
irgend einer Veranlassung zu
Boden gelangten jungen Raupen
beim Wiederbesteigen der Bäume
unterhalb des Leinn'inges oder
eines anderen nicht zu überwin-
denden Hindernisses, unter wel-
chem sie sich in verbältnissmäs-
sig kurzer Zeit zu ziemlich be-
deutenden Massen ansammeln,
bis zum Eintritte des Hungertodes
unausgesetzt spinnen, sodass der
unterhallt des Leimi'inges liegende
Stammtheil bald in ein schleier-
artiges, aus mehreren überein-
' ander lagernden Schichten be-
stehendes Gespinnst eingehüllt
wird, welches sich zwischen nahe
beisanmien stehenden Stämmen
gardinenartig ausbreitet. Da nun
das Abspinnen der Raupen sich
auf die ganze Zeit des Spinnver-
mögens bis zur wlangten Halb-
wüchsigkeit ^'ertheilt, so gelangen
immer neue Raupenmengen unter
die Leimringe. Im gleichen Maasse
sich damit die Gespinnstlagen der Schleier,
somit eine erhebliche Dicke und Festigkeit er-
reichen und durch einen eigcntbümliehen matten Seiden-
häufen
welche
ihre lichtgraue
Färbung
weithin
glänz, sowie durch
sichtbar sind.
Die Gespinnstbrücken sind ebenso auffallende, zum
Nr. 9.
Naturwisscnsoliaftliche Wocheusplirift.
So
Theilc aber wenij;-er angenchnic Ersclieinuiig-cn, es sind
dieses Gespiiinstfadeii bezw. Gewebe, vvelebe die Spitze
eines Äststumniels nach ol)en und unten in s'cradcr Linie
mit dem Stamme verbinden und iuif diese Weise liäufi;;'
den Leiun'ing iilierbriieken. Alle- Aststuuniiel sind somit
in der Nälie des Leimringes zu entfernen. In gleicher
Weise findet man in Culturen oft die Wipfel der ein-
zelnen Pflanzen mit Ge-
spinnstgewebeu zeltar-
tig überdeckt.
In der späteren Zeit
ihres nicht gern ge-
sehenen Daseins, in wel-
chem sie nicht mehr
spimien, haben die
Nonnenraupen dennoch
von ihrer Beweglichkeit
nichts eingebüsst. Von
vielen Seiten ward das
freiwillige Verlassen von
Häumen, welche noch
ausreichend Nahrung
boten, beobachtet, doch
ist der Grund hit'rfür
noch nicht festgestellt.
Die Einen glauben, die-
ses Wandern der
Raupen dem Triebe
derselben zusehreiben
zu sollen, bei ungün
stiger Witterung zum
Theile auch zum Häu-
ten oder Verpuppen,
nach Nitsehe auch ge-
genüber den Tachinen
am unteren Stammtlieile
des Baumes oder in der Bodenstreu Schutz zu suchen;
als Raupe eines Naehtschmetterlinges strebt sie sieh der
Hitze und dem grellen Sonnenscheine in den gelichteten
Baumkronen zu entziehen (Dr. Altum), während iin- kalte,
regnerische Witterung wohl ebenso unangenehm ist.
Andere wollen diese Erscheinung einem gewissen, zu den
Lebensgewohnheiten des Tliieres gehörenden „Wander-
triebe" zuschreiben. Forstrath Professor Henschel
leugnet beides, die Raupe verlasse die Krone eines Bau-
mes, welche noch ausreichend Futter biete, nur dann,
wenn sie krank sei, und sieht in dem Stammabwärts-
Schleiei"
Wiederaiifstiej
wandern die erste Aeusserung einer Krankheit der Raupe.
Nach der Ansicht der meisten arktischen Forstwirthe,
welche zur Zeit wohl ausreichende Gelegenheit hatten,
dieses Insekt zu l)eobachten, und fast aller übrigen For-
seher, wandern auch zweifellos gesunde Raujjen stamni-
abwärts. Nach Forstmeistctr Wachtl wandern ilie von
Parasiten (Ichneumonen- und Taehinen-Larven) bewtdniten
(also kranken) Raupen
stamrnabwärts, ebenso
aber auch gesunde, wäh-
rend die pilzkranken
Raui)en im Gegensatze
zu Heuschers Annahme
nie stannuabwärts, son-
dern stets und nur stannn-
aufwärts kröchen.
Ol) ein „Wander-
trieb" wirklich zu
den Lcbensersciieinnn-
gen der Nonnenraupe
zählt und was es für
eine Bewandtniss mit
demselben hat, — das
ist eine weitere, noch
ungeliiste Frage.
Wanderungen \dn
Raupenmassen aus ge-
leimten oder kahlge-
fressenen Theilen in an-
dere sind nicht beob-
achtet worden, vielmehr
kriecht die Raupe, wenn
sie an einem Stamme
unter dem Leimringe
Kehrt gemacht hat, auf
dem Boden nur so
bis sie aul" einen andern Stamm stösst, an
riecht sie hinauf; trifft sie auch hier den Leim-
ring, so kriecht sie wieder hinab, am r>oden weiter bis
zum nächsten Sranniu' und so fort, bis sie verhungert.
Es fehlt der Raupe jeder Impuls, nach Nahrung zu suchen,
wenn solche nicht ganz in der Nähe ist. Die ilillionen
von Raupen, von welchen die Kahlschlüge wiunnelten,
machten keinerlei Anstalt, in die noch grünen Bestände,
selbst wenn sie nur durch einen Weg von den kahlge-
fressenen Flächen getrennt waren, auszuwandern.
(Fortsetzung folgt.)
Figur 2.
Brücken und ZcHe, gesponnen von Nonneniänpcheu, die dnrch Leimringe vom
durcli die Banme verhindert wurden. — (Aus Prof. Dr. Kitsche .Die
Noimen, Wien, Ed. Hölzel, 1892.)
lange fort,
diesem
Zur Biologie des (Uiolei-abacillus finden sieh inter- [
essante Daten in No. 7 der „Bcrl. klin, Wochenschr."
Pi-of. Dr. J. Uffelmann hat den Einfliiss der Kälte
auf die Lebensfähigkeit des Cholerabacillus untcisucht.
Es ergiebt sich aus seihen Untersuchungen das Folgende.
Die Cholerabacillen besitzen auch gegen Kälte eine
erhebliche Widerstandsfähigkeit. Sie ertragen sicher eine
Temperatur von '24,8° C. unter Null, auch in dem der
kalten Luft frei ausgesetzten Eise und P.odenmaterial.
Sie erliegen der Kälte ei'st nach einer gewissen Zeit. Die
Dauer derselben scheint abhängig von der Intensität der
Kälte zu sein. Ein wesentlicher Unterschied in diesem
Verhalten gegen Kälte scheint z\vischen Cholerabacillen
ganz frischer und älterer Gnlturen nicht zu bestehen.
Aus diesem Ergebniss folgt für die Praxis, dass die
Cholerabacillen an geschützten Orten, unter Schnee u. s. w.
von der winterlichen Kälte nicht so leicht vernichtet
werden, wie man vielfach annimmt, und dass sie im Eise,
wenigstens im jungen, sehr wohl lebend vorhanden sein
können.
Der Cholerabacillus ist nicht eigentlich ein Parasit,
sondern ein Saprophyt, ein Fänlnissbewohner.
Die Infcction, .sagt Prof. Ferd. Huepi)e in einem
Artikel über die Gl:olei-a-Epidemie in llambui-g IS92, erfor-
dert, dass die ausserhalb, event. also in Bodenheerden ge-
bildeten Kommabacillen in den Körper gelangen. Diesen
Ti-ansport vermittelt die Luft wohl nicht, eher Nahrungs-
mittel und sieher in vielen Fällen das mit den llecrden
in Verbindung getretene Wasser.
Die Cholera asiatica ist eine wescnthch miasmatische
Krankheit und iln-e epidemiologisch als gesetziiiässig nach-
gewiesene Abhängigkeit von örtlichen und zeitlichen \'er-
hältnissen findet ihre natürliche Erklärung in dem Sapro-
phytismus der Kommabacillen, die zur Erhaltung der Art
auf diese Lebensweise angewiesen sind, und deren Para-
sitismus nur ein facultativer ist. Nur bei der saprophyti-
schen Lebensweise bilden die Konnnabacillen Formen,
welche genügend widerstandsfähig sind, um mit einiger
Sicheidieit die natürlichen Widerstände des menschlichen
Organismus in einer grossen Anzahl von Fällen zu Über-
86
Naturwissenschaftliclie Wochensclirift.
Nr. 9.
winden. Die den Körper des Krauken verlassenden
Formen sind in Folge der vorausgeg'angeneu Anaerobiose
im Dann so wcnii;' widerstandsfähig', dass sie zur unmittel-
baren lufection wenig geeignet sind. Die directc Con-
tagiou wird aus diesem natürlichen Grunde zur Ausnahme.
Besonders gefährdet sind in dieser Hinsicht die Wäsche-
rinnen, weil sie bei ihren Gewohnheiten am unmittelbarsten
mit grösseren Mengen virulenten, durch mitübertragenes
Gift unterstützten Kommabacillen in Bei'ührung kommen,
die ansserdem noch vielfach in der Wäsche eine sapro-
phytische Vermehrung erfahren haben.
Die plötzlichen Ausbrüche der Cholera finden ihre
Erklärung ungezwungen darin, dass ausserhalb unvermerkt
grosse Mengen Keime saprophytisch herangewachsen oder
anderweitig nach aussen gelangt sind, die in ein allge-
meines Vehikel, z. B. in eine Wasserleitung gelangten.
Das langsame Ansteigen anderer Epidemien erklärt sich
einfach daraus, dass die längere Zeit vorher saprophytisch
gewesenen Kommabacillen der ersten sporadischen Fälle
noch wenig- virulent sind, während mit Zunahme der
Zahl von in Folge der parasitisclien Lebensweise viruleuter
gewordenen Mikrobien auch die Zahl und Bösartigkeit der
Fälle bis zu einem Maximum wächst, was man früher
Contagiöswerdeu miasmatischer Krankheiten nannte.
Die Entdeckuiig: Amerikas, ein Wendepunkt in dem
Verkehr der Völker der Erde, betitelt sicii ein Aufsatz
G. Neumayer's in den Annalen der Hydrogra])hie und
Maritimen Meteorologie (Bd. 20, Heft T2,rzur 4ÜUjährigen
Säcnlarfeier der Entdeckung Amerikas im Jahre 1892,
welchem wir einige der hauptsächlichsten Gedanken ent-
nehmen.
Zur Beleuchtung des immensen Fortschrittes, welchen
die Erschliessung der Neuen Welt und die Auffindung des
Seeweges um das Cap dei' Guten Hoffnung nach Indien
und damit weiter nach Osten, nach China hin, bedingte,
weist der Verf. zunächst kurz hin auf die Anbahnung
eines regelmässigen üeberland Verkehrs vom Westen Europas
nach Ciiina zu : die grossen Quantitäten von Seide, welche
aus Serika, dem im Dunkel schwebenden Lande jenseits
Iniaus, nach Europa gelangten, wurden in den ersten
Decennieu des 13. Jahrhunderts durch einen von Hand
zu Hand gehenden Handel hefördert. Erst nach dem
Rückzuge der Mongolen in ihre Heimath entwickelte
sieh nach und nach eine Ueberlandverbindung. Die
Reisen von Rashid f^ddiu, Abulfeda, Ibn Batuta
haben dem Unternehmungsgeist der durch einen Continent
getrennten Viilkerschaften einen mächtigen Impuls gegeben
und die grossen, an diese anknüpfenden oder fast gleich-
zeitig mit denselben erfolgenden Reisen des Venetianers
Marco Polo in den Jahren 1280 — ^1297 sind nicht nur
für die Entwickelung des Handels mit dem fernen Osten,
sondern auch auf die den ganzen Weltverkehr umge-
staltende Entdeckung Amerikas von der grössten Bedeu-
tung. Hatte er doch als Grosswürdenträger des mächtigen
Mongolenkhans Kubilai die beste Gelegenheit, unbe-
schränkt Forschungsreisen in dessen Ländergebieten aus-
zuführen und selbst über das Land Zipangu Erkundigungen
einzuziehen. Marco Polo's Schilderungen sind die Haupt-
triebfeder für das Unternehmen des Kolumbus. Durch
das Werk Pegalotti's erfahren wir um 1340 Näheres
über die Routen, welche man nach Marco Polo's Rück-
kehr von Italien aus nach Innerasien verfolgte; Pegalotti,
ein Florentiner, reiste für das Haus Bardi und gab eine
genaue Schilderung des zu verfolgenden Weges vom
Schwarzen Meere bis China. Von Tana aus wurde in
25 Tagen auf einem Ochsenwagen Astrachan erreicht;
von dort nach der Hauptstadt des Reiches Kiptochak,
•Serai an der Wolga, brauchte man einen Tag ('?), 8 Tage
bis Saracanco am Uralfluss, um mit Kamelen von hier in
20 Tagen nach Organci (Urgendsch) zu gelangen. Weitere
3ö bis 40 Tage mit Kamelwagen brachten die Reisenden
nach Oltrawe in der Nähe der heutigen Stadt Turkcstan;
dann ging es mit Eseln in 45 Tagen nach Amales, d. i,
Amalik i Ili), und dann in 70 Tagen nach Carnexu (Khou-
Tchou-FuV, nach weiteren 45 Tagen zu Pferde erreichte
man Carsai oder Quinsay, in 30 Tagen dann die Reichs-
hauptstadt des grossen Khan. Die Landreise vom Schwar-
zen Meer bis dahin dauerte unter den günstigsten Um-
ständen in der IMitte des 14. Jahrhunderts 275 Tage.
(Vergl. F. v. Riehthofen, China I, G12 ff.) Späterhin wurde
der Landverkehr mehr und mehr geregelt, blieb al)er
innnerhin von mancherlei Umständen abhängig und mit
vielen Schwierigkeiten verknüpft. Von allen sonstigen
Handelsrouten um jene Zeit ist die soeben beschriebene
jedenfalls die interessanteste. (Ein reiches Material ent-
hält die Berliner Festschrift von Kretschmer, Die Ent-
deckung Amerikas in ihrer Bedeutung für die Bedeutung
des \\'eltbildes, über die Handelsbeziehungen Europas in
vorkolumbischcr Zeit.)
Nach Humboldts Untersuchungen hatte Kolumbus die
Werke Marco Polo's zwar nicht selbst an Bord der „Santa
Maria", aber die Mittheilungen des Toscanelli über die
Schilderungen des Reichthumes Kathais und Zipangus
gaben dem kühnen Unternehmen, diese Länder nach
Westen segelnd aufzusuchen, eine materielle Grundlage.
Unzertrennlich von dem Glaul)en an die Wahrheit dieser
Schilderungen stand die Wahrheit der Lehre von der
Kugelgestalt der Erde im Geiste des Kolumbus fest, wenn
er sieh auch über die Grössenvcrhältnisse unseres Planeten
bis zu seinem Tode argen Täuschungen hingab: Kolumbus
und Martin Behaim starben bekanntlich beide in dem
Glauben, dass die Inseln Westindiens in das Bereich Ost-
asiens gehörten.
Das 16. und 17. Jahrhundert zeigen schlagend,
wie sich nach der Entdeckung Amerikas und der Auf-
findung des Seeweges nach Ostindien um das Cap der
culturgesehichtliehc Horizont der Menschheit mit einem
Male erweiterte. An die Stelle mühsamer Karawanenzüge
durch unwegsame (Tcbirgsländcr oder Steppen und wasser-
lose Wüsten trat nun ein neu auflebender Seeverkehr.
Durch die zähen Kämpfe der Portugiesen in ihrem ost-
asiatiscben Handelsgeldet, welche zur Verdrängung der
Araber aus dem Indiselien Occan führten, erfuhren die
nautischen Wissenschaften einen kräftigen Aufschwung.
Die Spanier machten bald dem Dunkel, welches über
der Neuen Welt schwebte, durch rasche Entschleierung
der Küstenstriche ein Ende: Baiboa entdeckte die Südsee,
Magalhaes traf auf seiner Weltumsegelung mit den von
Westen kommenden Portugiesen zusanmien, sein Pilot
Sebastiano del Cano kehrte 1522 von Osten her nach
Spanien zurück und gab durch' die Verschiebung des
Datums einen unwiderleglichen Beweis für die Kugel-
gestalt und die Umdrehung der Erde. Nunmehr entfaltete
sich die Schiffahrt in ungeahnter Weise, die Darstellung
der Erdoberfläche und damit die Gestaltung des Welt-
bildes machte riesige Fortschritte. Die „Suma de Geo-
grafia'" des Martin Fernandez Enciso vom Jahre 1530
kann als das erste Handbuch der praktischen Navigation
für Seeleute angesehen werden. Eine grosse Bedeutung
gewann das 1563 in Sevilla erschienene Werk des Pedro
de Medina über die Grundregeln der Navigation, welches
ins Holländische übersetzt wurde und auch verschiedene
erweiternde Comnientare erhielt. In England bildet das
Werk von Martin Cortes den Ausgangspunkt für die
Pflege der Navigation, allerdings stand England damals
in nautischen Dingen weit hinter Portugal und Spanien
Nr. 9.
Naturwissci
aftliclio Wof'lieusclii'irt.
S7
zurück; Cortes wurde 1561, Mcdina 1581 ins Eng-lisclic
iU)crtraj;en; soitdeiu nahm die cn,i;lischc Thätig'keit in diM-
l'tk'i;-o der naiitiselien Wissenschaften rasch zu mit dem
Aufscliwunj;- der maritimen Unternehmungen in der Zeit
der Elisabeth. Zuerst hegeg-nen wir W. Hawkins, der
]5(j7 und 1568 mit dem „Jesus von Lübeck^ und anderen
Sciiift'en Tlicilc von Guinea und Westindien aufsucht, um
Handelsverbindungen anzuknüpfen und die Navigirunü' zu
vervdiikonnnnen. An Bord eines seiner Schiffe befand
sieh au(di Francis Drake, dessen Reise von loBO — 1587
alientiiallien den Spaniern den Weir zu verleg-en und der
en,i;lisehen Flaj;'i;e zur Uerrsciiaft über alle Meere zu ver-
helfen trachteten. Th. Ca vendish umsegelte 1586 bis
1588 zuerst die Erde von Westen nach Osten, W. Ra-
leigh verhalf der britischen Maciit in Guayana zu einer
festen Stellung-, am meisten aber that John Davis, der
nicht nur als Entdecker in beiden Hemisphären Grosses
ausführte, sondern auch eine für die Verbesserung der
Navigation hochwichtige schriftstellerische Thätigkeit ent-
faltete in dem Werke: „The Seamens Sea seerets" (1607).
Melfach verwendet er den Jakobsstab, berechnet und be-
nutzt neue astronomische Tafeln, vervollkonnnnet die
Kartographie und widmet vor allem der Bestinnnung der
geographischen Länge die gnisste Sorgfalt. Fast gleich-
zeitig beginnen die holländischen Unternehmungen
in Ostindien eine grosse Rolle zu spielen, die Cohnnsation
Javas wird durch A. van Diemen in Angriff genommen,
welcher den grossen Abel Tal man zur Entschleierung
Neuhollands au.ssaudte.
Nun wurde durch letzteren Van Diemens- Land ent-
deckt (1642) und Neuseeland als eine vom Continent ge-
trennt liegende Küste erkannt. Beinahe die ganze Strecke
um Australien wurde untersucht, wenn auch die Con-
turen dieses Continents erst viel, später genauer bekannt
geworden sind.
Ende des 17. Jahrhunderts fallen die fih- die Ent-
faltung der Nautik epochemachenden Rei.sen von AVilliam
Dampier ( 1(11)9 — 1700), ausgezeichnet durch zahlreiche
lieobaclitungen auf dem (Jebiete der jMeteorologie und des
Magnetismus. Das Reisewerk ist von Edm. Halley mit
einer Vorrede verscheu, der selbst wieder durch seine
unsterblichen Arbeiten zur Förderung der Nautik Grund-
legendes geleistet hat. Man erinnere sich nur seiner treff-
lichen Jsogonenkarte vom Jahre 1700. Weiterhin be-
zeichnete die Einfuhrung von Hadley's Spiegelsextant
einen ausserordentlichen Fortschritt in der Bestinnnung der
Scliitfspositiou zur See und damit der Erleichterung des
Verkehrs (die erste Beschreibung wurde 1731 vorgelegt).
Nun war mit einem ]\[ale die Mrigliehkeit gegeben, wirk-
lich genaue Beobachtungen von grösseren Winkehvi'rthen
in irgend einer Lage zum Horizont zu messen; ein Vor-
läufer war der Quadrant von Davis. Im 18. Jahrhundert
kam der Sextant zu allgemeinerem Gebrauch; von grosser
Bedeutung sind namentlich die Längenbestimmungen durch
Mondaltstände von der Sonne oder den Sternen, welche
Metlidde T. Mayer erörtert und Werner in Nürnlierg
zur Einführung emjjfohlen hatte.
Die Früchte dieser Erweiterungen in der instrumen-
tellen Ausstattung in Verbindung mit den mehr und mehr
vervollkomnnieten nautischen Ephemeriden erkennt man
aus den trefflichen Arbeiten von James Cook und Mat-
thew Flinders. Dem Weltverkehr waren nun kaum
Schranken gesetzt, sofern bereits die erforderlichen Karten
zur Küstenbefahrung vorhanden waren.
Dieser kurze Ueberblick beleuchtet den Umschwung
des Seeverkehrs, ja des gesammten Verkehrs auf der
Erde von den Zeiten der grossen Entdeckungen bis zum
Beginn unseres Jahrhunderts Aber auch noch in anderer
Hinsicht kommt den Reisen des Kohunbus eine j-rosse
Bedeutung zu: dieselben waren auch für die Beobachtung
der physikalischen Verhältnisse unserer Erde
wichtig. So be(d)achtete Kolumbus die Abweichung der
.Magnetnadel, eimstatirte die agonischc Linie, schenkte
dem Verlauf der Meeresströmungen, der .\usdehnung des
Sargassomeeres Beachtung u. a. m. .Man sieht hier die
Keime für die moderne physikalische Geographie, welche
Dampier's und Cook's Reisen weiter entwickelten, wenn
schon die volle Ausgestaltung und A'erwerthung für die
Seefahrt erst dem 19. Jahrhundert ang(diört.
]\Iit der 4l)0jährigen Feier der luitdcekung der Neuen
\Velt haben wir somit auch die Zeit des Wendepunktes
in dem Verkehrsleben der Völker der Erde zu feiern.
Nunmehr erst wurde der Verkehr zur See im modernen
Sinne eröffnet: „Nun trennen die Meere die Völker nicht,
sie bringen sie zusammen." Prof. Fr. Regel.
Ueber einen mesozoischen Fisch, Lepidotus
altuicns, vom Altai berichtet Dr. J. Victor Roho.n im
Bull, de la Soe. Imper. des Naturalistes de Moscou 1892,
Heft I, S. 76 ff. Lei)idotus altaicus nov. spec. entstammt
einem Gebiete, aus dem bislang noch kein fossiler Fisch
bekannt war. Es ist dieses das nahe der chinesischen
(Jrenze am Flusse Kenderlyk sich erstreckende Maikant-
schatschai-Gebirgc (Semipalatinskisches Gebiet, Saissans-
kischer Kreis).
Das einzige bisher gefundene Exemplar, welches im
Museum der Universität Moskau aufbewahrt wird, kam in
einem bräunlich grauen, schwach san<ligen Thonschiefer
vor und ist Bö cm lang und 12 cm hoch; sein Erhaltungs-
zustand ist theilweise mangelhaft. Der Kopf ist zer-
trümmert, die Schwanzflosse fehlt beinahe ganz, Brust-
und Bauehflossen gänzlich, Schuppen meist gut erhalten.
Die Körperform ist karpfenartig; der Kopf ist kiu'z,
im Verhältniss zum Körper elier etwas klein. Da der
Kopf zertrümmert, sind sännntliehe dazu geluirigen Theile
aus ihrer Lage gebracht. Die wenigen erhaltenen Haut-
platten sind innen meist glatt, selten gestreift, verschieden-
artig ausgehöhlt, selten flach; aussen zierlich skulpturirt:
gewundene zierliche Rippchen, isolirte, unrcgelmässige
Plättchen oder Höekcrchen. Unter dem Mikroskop lassen
die im Verhältniss zum Körper ziemlich dicken Haut-
])latten zwei Schichten erkennen: innen eine ausgebreitete
Knoehensubstanz, welche die Hauptmasse bildet und
Knochenzellen und Havcr'sche Canäle erkennen lässt;
aussen eine dünne Emailschicht. Von den (Mbita und den
Orbitalplatten ist nichts erhalten: der Opereularapparat
ist ziendich mächtig; Branehialplatten und Clavieula sin<l
vorhanden. Zähne fehlen leider gänzlich.
Rücken- und Afterflosse sind dreieckig, am Vorder-
rand mit Fulcra versehen, ndt nach der S|)itze kleiner
werdenden Schuppen bedeckt und bestelu'u aus einer
grossen Anzahl Strahlen, welche zahlreiche kurze Glieder
zeigen. Die Rückenflosse steht distal, die Afterflosse ist
dicht an der Schwanzflosse gelegen in einer Ebene hinter
dem Hinterrande der ersteren. Die Schwanzflosse zeigt
sich, soweit sie erhalten ist, mit rhnndiisclien Schupiten
bedeckt und war anscheinend henaheterocerk.
Von der AVirbelsäule und überhaupt dem Axenskelett
ist nichts erhalten. Eine vorhandene Längsrinne deutet
vielleicht den Abdruck Jener an.
Die Sehu])pen sind ziemlich dick, ungleich gross. In
der vordiren Köri)erhälfte, wo ihr Erhaltungszustand auch
am besten ist, sind sie regelmässig rhondtoiilisch. höher
als breit, grösser, haben einen mit Rippchen verzierten
freien Aussenrand und tragen oben einen kräftigen Fort-
satz, welcher zum Einlenken in die nächste höherliegende
dient. Nach dem Schwänze zu werden die Schuppen
88
Naturwisseuscbaftliclic Wochenschrift.
Nv. 9.
kleiner nud zeigen rhombische Gestalt. Unter dem Mi-
kroskop lassen auch sie zwei Schichten erkennen : an der
Oberfläche ein dünnes Email, darunter eine ziemlich dicke
Knochenscidcht, deren Substanz parallel geschiciitet ist
und zahlreiche, regellos vertheiltc Knochenzelleu sowie
eine verhältuissmässig grosse Menge Havers'sche Canäle
erkennen lässt. Die Vertheilung der letzteren erinnert
an diejenige beim reccnten Polypterus bichir.
Die Schichten, welchen das Fossil entstammt, dürften
höchstwahrscheinlich jurassisch sein und eventuell ein
Aequivalent der Deccau-Schichten bilden, wenn sie nicht
vielleicht die directe Fortsetzung derselben darstellen.
Der Lepidotus altaieus sebliesst sich enge den Lepido-
steideu Ost- Indiens an, mit denen Ost -Sibiriens zeigt er
keine Aehulichkeit. Dr. F. Kaunbowen.
Zur Keuntniss einiger Solanaceenalkaloirte. —
0. Hesse hat (Ann. Chem. riiarm. 271,100), hauptsäch-
licli in Berücksichtigung des Umstandes, dass käufliche
SolauaeeenalkaloTde trotz scheinbarer Reinheit Eigen-
schaften zeigen, welche mit den in der Litteratur ange-
gebenen nicht ganz übereinstimmen, eine nochmalige
Untersuchung derselben vorgenommen, aus der Folgendes
hervorgehoben sei:
1. Atropin (jiauptsächlich aus Atropa Belladonna),
schmilzt bei ll:i,5°, zeigt [«][) = -^0.4° (in Alkohol i; das
Sulfat (Ci;H.j3N03).2H2SÖ4 -+- HoO zeigt in wässeriger Lö-
sung, wasserfrei gedacht, [«]d== — 8-8°. Das Platinsalz
schmilzt bei 197-200°, das Goldsalz bei 138°, das Oxa-
lat bei 176°.
2. Hyoseyamin (aus Hyosc. niger), schmilzt bei 108,5°,
hat in alkoholischer Lösung [«Jd^ — 20,3°. Das Sulfat
(C„H.2;,N03)2H,SOi -I- 2H,30 schmilzt bei 20P, hat (ent-
wässert) [«]d = — 28,6°. Es schmelzen das Platinsalz bei
206°, Goldsalz bei 159°, Oxalat bei 176°.
3. Atropiuum naturale, d. i. das käufliche, unmittel-
bar aus der Belladonnawurzel gewonnene, Alkaloid, ist
ein Gemisch von Atropin und Hyoseyamin.
4. Hyoscin (aus Hyoseyamus niger) hat nicht die
von Merck angegebene Formel Ci-;Ho:iN03, sondern
Ci7H.,,N04; es bildet einen durchsichtigen Firniss,
schmilzt gegen 55°, besitzt [«]d= — 13,7° in alkoho-
lischer Lösung. Das Goldsalz schmilzt aber bei 198°
unter Zersetzung; das Hydrobromid hat die Formel
R.HBr + 3HoO und besitzt in alkoholischer Lösung das
Drehungsvernuigen [«]d^ — 22.5°. Ferner existireu ein
Hydrojodid und ein Pikrat. Bei der Spaltung zerfällt
das Hyoscin unter Bildung einer flüchtigen Base, welche
nicht die Formel C3H15NO (Pseudotropiu nach Laden-
burg) oder C8Hif,N0.2 (Oxytropin nach Ladenburg und
Roth), sondern CgHigKOo besitzt und von Hesse Oscin ge-
nannt wird. Letzteres scinnilzt bei 104.5°, siedet bei 242°,
reagirt in wässeriger Lösung stark alkalisch, giebt ein
Platinsalz, das mit 1 Mol. Wasser krystallisirt und wasser-
frei bei 200 — 202° unter Zersetzung schmilzt, ein Jod-
methylat, aus welchem ein Platinsalz vom Schmelzpunkt
228° entsteht, und ein Benzoylderivat vom Schmp. 59°.
5. Scopolamin. Das käufliche Hyoscyamiuhydrobromid
soll nach Schmidt fast ausschliesslich aus Scopolaminhydro-
bromid bestehen, dessen Goldsalz bei 210 — 212° (Schmidt)
oder 208° (Schütte) schmilzt. Nach Hesse ist es hingegen
echtes Hyoscinsalz und liefert dementsprechend ein Gold-
salz vom Schmp. 198°.
6. Atropamin liefert ein Platinsalz vom Schmelzpunkt
203—204° (unter Zersetzung); die durch Spaltung daraus
erhältliehe Base ist verschieden von Tropin, Pseudotropiu
und Oscin; Hesse bezeichnet dieselbe als /i-Tropin; sie
ist flüchtiger als Tropin, bildet hygroskopische Nadeln
vom Schmelzpunkt 60 — 61° und liefert ein Platinsalz, das
bei 186° unter Zersetzung schmilzt.
7. Belladonuiu kann aus Atropamin durch Einwir-
kung von Baryt oder Salzsäure erhalten werden.
8. Apoatropin (Ladenburg's Atropylatropein) entsteht
u. A. bei der Einwirkung von Salpetersäure auf Atropin
und zerfällt durch Barytwasser schnell in Atropasäure
und Tropin, wodurch es sich vom Belladonuiu bezw.
Atropamin unterscheidet. Es krystallisirt in Nadeln vom
Schmelzpunkt 60 — 62°; das Chlorhydrat schmilzt bei 237
bis 239°, das Platiusalz bei 212-214°, das in Nadeln
krystallisirende Goldsalz bei 110 — 111°. Im Uebrigen ist
es nach Merck dem Atropamin in seinen Eigenschaften
sehr ähnlich. Sp.
Ueber die plötzliche Aenderiiiig im Aussehen des
Kometen Holmes enthält No. 3146 der Astron. Nachr.
vom 23. Januar d. J. noch weitere Mittiieilungen (vergl.
„Naturw. Wochenschr.'- VIII No. 7). So ist nach einer
Meldung von Dr. Kobold in Strassburg der Komet am
16. Januar 8 Uhr Abends daselbst mit freiem Auge zu
erkennen gewesen. Der Kern erschien von 8,4ter Grösse
mit heller Nebelhülle von 40 Bogensecunden Durchmesser.
Den gleichen Eindruck hatte Dr. J. Palisa in Wien; er
beschreibt das Aussehen des Kometen als das eines
gelben Fixsterns mit einer NcbelhüUe, deren Durchmesser
er auf 20 Bogensecunden angiebt. Ebenso meldet Pro-
fessor Schur aus Göttingen vom 19. Januar, dass dort
eine sternartige Verdichtung (nur wenig heller als 10.
Grösse) und eine deutliche Nebelhnlle wahrgenommen
worden, Dr. Schorr in Hamburg, dass der Kern am
17. Januar scheibenförmig (Grösse 7,o) erschienen sei; die
Nebelhülle war klein, etwa 5" Durchmesser. Am Tage
darauf aber war dieselbe ganz ausserordentlich ange-
wachsen, auf einen Durchmesser von 87". Die Mit-
theilungen endlich, welche Professor Lamp in Kiel, über
seine Beobachtungen, eljenfalls vom 17. und 18. Januar,
macht, geben ganz die gleichen Resultate. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Physiker Professor A. Kundt von
der Universität Berlin zum Geheimen Regierungsriith. — Professor
E. du Bo is- Rey moiid bei Gelegenheit seines öOiahrigen Doctor-
Jubiläums zum Geheimen Ober-Medicinalrath. — Dr. H. J. John-
ston-Lavis zum Professor der Vuleanologie an der Universität
zu Neapel. — Der ausserordentliche Professor der Chemie Dr.
Eugen Bamberger zum Nachfolger des uaoli Würzburg be-
rufenen Professors Dr. Hantzsch in Zürich. — Dr. Edm.
Mojsisovics von iNIojsvar zum Unter-Director der geologi-
schen Reichsanstalt in Wien. — Docent der Markscheide- und
Messkunde an der technischen Hochschule in Aachen P. Fenner
zum Professor. — Professor der Philosophie A. Elter zum
ordentlichen Professor an der Universität Bonn. — Professor der
Geographie H. Wagner von der Universität Göttingen zum Ge-
heimen Regierungsrath. — Professor W. Marme, Pharmacolog
an der Universität Göttingen, zum Geheimen Medieinalrath. —
Professor der Psychiatrie E. Hitzig zum Ordinarius der l'sycliiatrie
an der Universität Wien. — Der Physiologe Professor K. v. Voit
in München zum K. Geh. Rath. — Der Professor der Psychiatrie
H. Grashey in München zum K. Ober-Medicinalrath. — Privat-
docent Dr. W. Niemilowicz zum ausserordentlichen Professor
der Pharmacognosie an der Universität Lemberg.
Es haben sich habilitirt: In der philosophischen Facultät der
Universität Freiburg Dr. Fromm für Chemie. — Di\ R. Flatt
für Mathematik an der Universität Basel. — Edwin Bailey
EUiott zum Professor der Mathematik am Magdalenen- College
in Oxford. — Professor Tillaux zum Leiter der chirurgischen
Klinik der medicinischen Facultät zu Paris.
Der Zoologe Professor Semper in Würzburg beabsichtigt
wegen Kränklichkeit in den Ruhestand zu treten.
Es sind gestorben: Der Privatdocent für Neuropathologie und
Elektrotherapie an der militärmedicinischen Akademie zu Peters-
burg Peter Iwanowitsch Uspenski. — Der Erforscher der
Nr. 9.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
89
britisclien Hcpaficae Dr. Benjamin Carriugton in Brighton. —
Die Lepitioptei-ologen Dr. Adolf Speyer in Rliotlen bei Arolscn,
Freilierr V Tiircklieim auf Schloss Mahlsbev in Baden und H. T!
Stainton in London. — Der Mineralog Genoral A. \V. Gadolin,
Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Petersburg. — Der
Geologe Simpson in London. — Dbr Astronom Amedee Guil-
lemin in Pierre in Frankreich (Dcp. Saöne et Loire).
L i 1 1 e r a t u r.
Alfr. Binet, Das Seelenleben der kleinsten Lebewesen. Aus
dem Französisehen übersetzt von Dr. \V. Medicus. Jlil 19 Te.xt-
Abbildungen. G. Sehwetschke'scher Verlag. Halle a. S. 1892.
— Preis 1,80 M.
Das Werkchen ist eine leider verfehlte Uebersetzung der
2. Aufl. von Binet's Buch ,,La vie psychique des microorganismes".
Es behandelt einerseits die Einwirkung der Aussenwelt, welche
der Organismus emiifindet, oder die Sensibilität, andererseits die
Reaktion des Organismus auf die Aussenwelt, die Bewegung, also
die Irritabilität oder Reizbarkeit der Mikroorgauismen. Ausser
den aus der Irritabilität hervorgegangenen Aeusserungen sieht
Binet aber auch solche, die er als durch Intelligenz veranlasst
unterscheiden zu müssen glaubt. So sagt er: das Streben des
Zoosperms, sich dem Ei zu nähern, welches oft weit von dem
Standorte des männliclien Elementes entfernt ist, die Länge des
zu durchlaufenden Weges, die zu überwindenden Hindernisse, all
diese Umstände setzen bei den Samenfäden Fähigkeiten voraus,
welche man durch blosse Irritabilität nicht erklären könnte.
Referent meint, dass es doch wohl näher liegt, in allen Fallen, wo
es sich um ein „Aufsuchen" des Ei's durch die Spermatozoideu
handelt, die Bewegungsrichtung bis auf Weiteres aus einer che-
mischen Beeinflussung der Spermatozoideu durch das Ei oder den
Eibehälter zu erklären, die ja — und das schildert Binet ein-
gehend — in vielen Fällen thatsächlich erwiesen ist.
Otto Taschenberg, Zoologie. Mit 177 Text-Abbildungen. Verlag
von l'reuss u. Jünger. Breslau 1891. — Preis 5 M.
Das Buch zeichnet sich durcli vorzügliche Holzschnitte aus,
die allermeist (Verf. konnte auch nichts besseres thun) aus dem
Lehrbuch von Claus entlehnt sind. Dem Studirenden, der das
Buch als Repetitorium benutzt, wird es gute Dienste leisten, denn
es gehört nicht zu jenen flüchtig und schnell erledigten elemen-
taren Arbeiten, wie sie vor einigen Jahrzehnten auf gleichem
Gebiete von sonst berufenen Forschern leider mehrfach der
(,)eft"entlichkeit übergeben wurden. Ueberhaupt ist zu const,atiren,
dass glücklicherweise die in den letzten Jahren erschienenen ele-
mentar-naturwissenschaftlichen Lehrbücher im Ganzen weit sorg-
fältiger gearbeitet sind als im allgemeinen die älteren Werke.
Berg'haus. Physikalischer Atlas. Gotha, J. Perthes 1892.
\ or Kurzem ibt ilieses AA'erk abgeschlossen worden und es
möge mit wenigen Worten auf seine Bedeutung hingewiesen
werden. Der (erd-) physikalische Atlas, durch den Oheim
des Herausgebers der neuen Auflage, Heinr. Berghaus, be-
gründet, und IS36, gerade 50 Jahre vor Beginn des Erscheinens
der gegenwärtigen Ausgabe veröffentlicht, dann 16 Jahre später,
mit Humboldt's Namen geziert, zum zweiten Mal aufgelegt, ist
das wichtigste Standard Work der physikalischen Erdkunde. Bei
der jetzigen 3. Auflage ist naturgemäss statt eines Verfassers ein
Herausgeber vorhanden, denn es ist heute für den Einzelnen
durchaus unmöglich, auch nur wenige der verschiedenen Zweige
der Geophysik und der übrigen Zweige der wissenschaftlichen Erd-
kunde so zu durchdringen, dass er ein in allen Theilen gleicli-
werthiges Werk zu schatten vermöchte. Die Abtheiluugen der
Meteorologie (12 Karten), des Erdmagnetismus (.j), der Pflanzen-
verbreitung (8), der Thierverbreitung (9), der Völkerkunde (15)
haben Hann (Wien), Nenmayer (Hamburg), Drude (Dresden),
Marshall (Leipzig), Gerland (Strassburg) bearbeitet. Die
Abtheilungen Geologie (14 bezw. 15 Karten) und Hydrographie
hatte der verdienstvolle Herausgeber, Herm. Berghaus, selbst
übernommen; bei der ersteren hat ihm Zittel (München) liera-
thend zur Seite gestanden, und in beiden haben weitere Mitar-
beiter, der geograjihischen Anstalt angehörend, das von Berg-
liaus, der die Vollendung des Werks nicht erleben durfte (f 1. Dec.
1890), Begonnene zu Ende geführt. — Der Atlas ist der wich-
tigste graphische Ausdruck unseres Wissens auf den weiten Ge-
bieten der physischen Erdkunde; die Fortschritte eines halben
Jahrhunderts in diesen Wissenszweigen sind hier gesichtet und
kritisch verarbeitet zusammen getragen. Kein Kenner wird, wie
die Vcrlagshandluug mit Recht sagt, dem Herausgeber die „auf-
richtige Bewunderung seiner Leistung versagen." — Es ist hier
weder der Ort, noch gestattet der Raum, in Einzelheiten einzu-
gehen oder Wünsche vorzubringen, die, bei der Zahl von 514 ein-
zelnen Darstellungen auf den 74 (75) Blättern sclbstv erständlich,
sich dem Benutzer des Werks aufdrängen. — Das Interesse, das
heute weite Kreise der physischen Erdkunde entgegenbringen
lässt hoffen, dass nicht wieder 40 Jahre verfliessen, bis eine aber-
malige Erneuerung des Werks zu Stande kommen wird; in
manchen Zweigen sind ja die Fortschritte in den letzten beiden
Jahrzehnten geradezu stürmisch gewesen, man denke nur an die
Kenntniss der Oberflächenverbreitung der geologischen Forma-
tionen, die r)ceanograplüe. Pflanzen- und Thiergeographie. — Der
ganze Atlas ist in Kupferstich und Kupferdruck ausgeführt, dem
werthvollsten Vervielfältigungsverfahren, an dem danktnswerther
Weise die Perthes'sche Geographische Anstalt für alle ihre grossen
Kartenwerke durchaus festhält. Möge dieser vortrefl'lichen An-
stalt, der nicht nur jeder Geograph von Fach, sondern gatiz
Deutschland Dank schuldet, Anerkennung und Unterstützung ihrer
Bestrebungen nie fehlen! H.
Kleyers Eneyclopaedie der gesammten Naturwissenschaften.
Stuttgart, Julius Maier 1892.
Klimjjert, Lehrbuch der Bewegung flüssiger Kör))er.
Erster Band. Preis 8 M.
Hovestadt, Lehrbuch der absoluten Maasse und Di-
mensionen der physikalischen Grössen. Preis 6 M.
Mit derselben Aüsfülirlichkeit und Gründlichkeit, welche in
des Verfassers bereits erschienener Mechanik fester Körper, sowie
der Hydrostatik zu Tage getreten ist, werden in dem Bande aus
der Feder Klimpert's die Bewegungserscheinungen von Flüssig-
keiten, welche aus deu Boden- und Seitenwänden von Gefässen,
sowie durch Röhren und Röhrenleitungen fliessen, eingehend be-
handelt. Der von mehr als 300 guten Illustrationen begleitete
Text gliedert sich in Erklärungen, Fragen, Antworten und zahl-
reiche gelöste sowie ungelöste Aufgaben. Wenn auch diese
Katechismus-Form der Darstellung vielfach etwas erzwungen er-
scheinen mag, so lässt sich doch nicht leugnen, dass sie für den
Lernenden viele Vortheile bietet und vor Allem der beim Studium
eines umfangreichen Wissensmaterials leicht eintretenden Begrifts-
verwirrung erfolgreich steuert. Am Schlüsse des Werkes ist ein
ausführliches Formelverzeichniss beigegeben, welches besonders
dem praktischen Hydrauliker bei der Lösung der an ihn heran-
tretenden Aufgaben sich als sehr dienlich erweisen dürfte.
Auch das Werk von Dr. Hovestadt wird voi-nehmlich dem
praktischen Faehmanne bei der Einübung der mancherlei Unter-
suchungen physikalischer Maassbestimmungen gute Dienste leisten.
Den wesentlichen Inhalt des Buches bildet die Darstellung der
Durchführung des Länge-Maasse-Zeitsystems in der Physik, sowie der
Anwendungen der entsprechenden Dimensionen zur Prüfung phy-
sikalischer Gleichungen und zur Herleitung physikalischer Gesetze.
Anhangsweise werden dann auch behandelt das Länge-Gewicht-Zeit-
System, das Länge-Kraft-Zeit-System, ferner Systeme, die auf
Grund des Gravitationsgesetzes hergeleitet sind, und endlich
solche, mit nur einer unabhängig Veränderlichen. — Die ausser-
ordentlich grosse Zahl von Uebungsaufgaben, deren Lösung ent-
weder in ersterer, oder im Resultat angegeben wird, dürfte Jedem
bei stufenweise fortschreitender Durcharbeitung des Buches das
volle Verständnis« des schwierigen und unleugbar trockenen, aber
doch so wichtigen Gegenstandes ermöglichen. Kbr.
Das künstlerische Berlin. Zusammengestellt von S. Lassar.
\'erlag von Carl Dancker. Berlin 1893.
Wie der Untertitel der gewiss Vielen gelegen kommenden
Schrift besagt, bietet dieselbe eine Uebersicht über die öflFcnt-
lichen Samuilungen, Vereine u. s. w. auf den Gebieten der bil-
denden Künste und des Kunstgewerbes. Einige Stichproben haben
uns von der Gewissenhaftigkeit und Vollständigkeit der Zusammen-
stellung überzeugt. Ausführlicheres können wir bei dem Charakter
der Schrift an dieser Stelle nicht bringen.
Aus Rom erfahren wir, dass die Acadeniia dei Liiu'ci in einer
ihrer letzen Sitzungen die Herausgabe einer Sammlung der
zahlreichen in einer grossen Reihe mathematischer Journale
enthaltenen Arbeiten ihres verstorbenen Mitglieiles Enrico
Bet ti, einer der ersten .Mathematiker des neuen Italiens beschlossen
hat. Die Akademie darf auf die dankbare Zustimmung der Ma-
thematiker zu diesem Plane rechnen, umsomehr, als einige der
werthvollsten Betti'scheu Abhandlungen in den letzten Jahren
leider ganz aus dem Buchhandel verschwunden und auch sonst
nur äusserst schwer zugänglich waren.
90
Naturwissenscliaftliche Woclicnsclirift.
Nr. 9.
Tsch.ermak's mineralogische und petrographische Mitthei-
lungen. 13. Band, Heft 1 und 2; Wien 1893. — Wir nennen die
folgenden Ablandlungen: Hans Lechleitner: Neue Beiträge
zur Kenntniss der dioritisclien Gesteine Tyrols. Makroskopische
und mikroskopische Untersuchungen dreier neuer Gesteinsvor-
kommen (eins von Valsugana, zwei von Vahrn am Eisak). —
H. P. Cuching und E. Weinschenk: Zur genauen Kenntniss
der Phonolithe des Hegaus. — F. Grosser: Die Trachyte und
Andasite des Siebengebirges. Vornehmlich Untersuchungen über
das Vorkommen und die Lagerungsverh<ältnisse, dann aber auch
über den petrographischen Charakter der genannten Gesteine.
Eine Kartenskizze und 5 Tafeln. — Heinrich Otto Lang-
Beitr.äge zur Systematik der Eruptivgesteine. Studien über die
Classihkation der Eruptivgesteine auf mineral-chemischer Grund-
lage. Der Verfasser wird über denselben Gegenstand noch eine
Reihe von Mittheilungen folgen lassen.
Botanische Zeitung. 51. Jahrgang. No. 1. Leipzig 1893. —
Brand is bespricht ausführlich die beiden jüngsten Bände des
gi-ossen im Erscheinen begritfenen Werkes The Silva of North
America; Band 3: Anacardiaceae und Leguminosae, Band 4: Ro-
saceae und Saxifragaceae.
Anlässlich des Eintritts in das einundfünfzigste Jahr des Be-
stehens der Botanischen Zeitung bringt die Nummer einen „Ge-
schichtlichen Rückblick" vom Grafen zu S olms-Laubach,
auf den wir näher eingehen. Fünfzig Jahre waren Anfang Januar
seit dem Erscheinen der ersten Nummer der botanischen Zeitung
verflossen. Der Begründer der Botanischen Zeitung ist Dr. Fhi-
lipp Phoebus, seiner Zeit Prosector an der Charite zu Berlin,
1832 Frivatdocent und seit 1842 Inhaber der B. G. H. Schmidt'-
sehen Buchhandlung in Nordhausen. Obwohl Fhoebus selbst
sich mit dem Gedanken, eine gut redigirte. wöchentlich er-
scheinende, alles Wichtige („nicht bloss Originalaufsätze sondern
auch Auszüge, Relata und anderes Compilatorische") enthaltende
botanische Zeitschrift zu begründen, trug, und dieserhalb mit
Schlechtendal, Mohl und Kützing Unterbandlungen angeknüpft
hatte, so hätte die Verwirklichung doch vielleicht noch länger
auf sich warten lassen, wenn nicht der noch jetzt lebende
Dr. Carl Müller, damals junger Fharmazeut in Blankenburg
am Harz, sich so eifrig darum bemüht hätte. Was die Botanische
Zeitung bringen sollte, haben wir bereits oben gesagt; ilir Inhalt
sollte einer „grossen Zahl von Botanikern und Liebhabern der
Botanik interessant und jährlich einige Thaler werth sein" ;
ausgeschlossen waren daher solche Aufsätze, die nur Specialisten
interossiren konnten, z. B. „Beschreibungen seltener exotischer
Pflanzen" u. dergl. Was Schlechtendars gelehrte „Linnaea"
diesem letzteren Kreise war, sollte die Bot. Ztg. der grossen
Zahl von Liebhabern der Botanik werden und hierdurch mit
der Regensburger „Flora", deren Redaction Phoebus nicht ge-
nügte, in Concurrenz treten, sie vielleicht ganz aus dem Felde
schlagen. Diese kühnen Hofi^nungen haben sich allerdings nicht
erfüllt, die Flora ist geblieben und hat ihrerseits sogar der B. Z.
die Existenz zuweilen recht schwer gemacht: immerhin hat letztere
sich aber durch ihre bewährten Redacteure, von denen die meisten
Namen von bestem Klange in der Wissenschaft haben, einen
fanz hervorragenden Platz in der botanischen Litteratur errungen,
ie ist von Beginn an ein vornehmes, inhaltreiches Blatt gewesen,
das eine Menge werthvoUer Arbeiten gebracht hat. — Nach dem
Erscheinen der ersten Nummer ging die B. Z. in den Verlag von
Föratner (Berlin) über, da Phoebus wegen Uebernahme einer Pro-
fessur in Unterhandlungen stand und sich deshalb seiner Verlags-
geschäfte allmälig entledigen wollte. Nach Förstner's Tode ver-
kauften dessen Erben 1851 den Verlag an Paul Jearenaud und,
nachdem auch dieser gestorben, übernahm 1858 Hermann Arthur
Felix in Leipzig denselben. — Mohl und Schlechtendal waren die
beiden ersten Redacteure und führten die B. Z. durch alle Stürme,
besonders des ersten Decenniums mit Geschick und aufopfernder
Thätigkeit glücklich hindurch; zumal letzterer, welcher die ge-
sammten eigentlichen Redactionsgeschäfte besorgte, hat eine nicht
hoch genug zu schätzende Hingebung gezeigt. Nach seinem im
August 186G erfolgten Tode trat de Bary an seine Stelle und
führte mit nur kurzen Unterbrechungen die Redactionsgeschäfte
zuerst mit Mohl (starb 1872), später mit Wortmanu bis 1888
fort. Dieser verband sich , als de Bary im letzteren Jahre
starb, mit dem Grafen Solms - Laubach, und unter ihrer Lei-
tung hat die B. Z. soeben das erste halbe Säculum ihres Be-
stehens vollendet. — In ihrer äusseren Erscheinung ist die B. Z
sich gleich gehlieben; das aussergewöhnliche Format, welches
„gerade nur so gross ist, dass noch acht solche Columnen auf
einer grossen Handpresse auf einmal gedruckt werden können",
wird auch in Zukunft beibehalten; die Schrift soll dagegen grösser
werden. — Der Inhalt hat im Laufe der Jahre manchen Weclisel
erfahren. Die Generalreferate über die gesammte Botanik, welche
auf Phoebus' Veranlassung eingeführt worden waren, kamen nicht
über den Versuch hinaus: Von de Bary 's Algen, Nördlinger's Forst-
botanik, Cesati's italienische Litteratur, Mohl's und Caspary's
Anatomie und Physiologie erschienen nur des ersteren Algen und
Gottsche's Hepaticae einmal. Da die Origin.al- Artikel immer
spärlicher fliessen , ist mit dem Beginn des 51. Bandes dahin
eine Aenderung getroffen, dass die Littei-aturberichte in alle 14
Tage erscheinenden Nummern, die Originalartikel dagegen in
einigen Heften zusammenhängend gebi-acht werden sollen. —
Floreat! ist der Wunsch, welchen wir der Botanischen Zeitung
für ihr zweites Semisäculum auf den Weg mitgeben! F. K.
Amalizky, 'W., Ueber die Anthracosien der Permformation Russ-
lands. Stuttgart. 15 M.
Bauschinger, J., Untersuchungen über den periodischen Kometen
1889 V. (Brooks.) München. 5 M.
Behrends, G., Ueber Hornzähne. Leipzig. 5 M.
Bunsen, R.., u. H. E Roscoe, Photochemische Untersuchungen.
Leipzig. 1,60 M.
Claus, C., Beiträge zur Kenntniss der Süsswasser-Ostracoden.
Wien. 27 M.
Dammer, O., u. F. Bung, Chemisches Hand\\Orterbuch. 2. Aufl.
Stuttgart. 12 M.
Dathe, E., Geologische Beschreibung der Umgebung von Salz-
brunn. Berlin. G M.
Dachen, H. v., Geologische Karte der Rheinprovinz und der
Provinz Westfalen. 1 : 80,000. Berlin. 3,50 M.
Eck, H., Geognostische Beschreibung der Gegend von Baden-
Baden, Rothenfels etc. Berlin. 20 M.
Finger, J., Ueber die gegenseitigen Beziehungen gewisser in der
Mechanik mit Vorthell andwendbaren Flächen 2. Ordnung nebst
Anwendung auf Probleme der Astatik. Leipzig. 0,80 M.
Fischer, E., Anleitung zur Darstellung organischer Präparate.
4. Aufl. Würzburg. 1,80 M.
Fischer, K., Geschichte der neuern Phisosophie. Heidelberg.
10 M.
Berichtigung.
In dem Reiseberichte v
Exeursion durch die P:i
Fehler zu berichtigen:
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Yf
Paen stets Peon; statt
u Dr. Otto Kuntze: Botanische
impas bitte folgende sinnstorende
streiche das Wort: daran
hinzu nach Gewächsen: abgesehen
lies BHgp (= Bentham et Hooker)
genei-a plantarum)
streiche den — nach Bitter,
anstatt 7 lies -/a
„ Licoden lies Cicaden
„ Grisb. lies BHgp.
„ durch „ infolge
„ und lies vor.
„ Hambo lies Gaucho.
„ verbraunt lies verbraunt,
„ Sidcachas lies Viscachas,
„ Grünfeldt „ Güssfeldt,
„ -passe lies -flüsse
hinzu nach nöthigen : leichten
lies Guanacos
„ 12 800 engl. Fuss
streiche Zolos
statt Kraterboden lies Krater
Maipu oder Mairo stets Maipo.
Inhalt: P. Hennings: Die Algenflora des Müggelsees. — <)l)erförster R. Rittmeyer: Ueber die Nonne (Liparis monacha.) (Mit
Abbild.) — Zur Biologie des Cholerabacillus. — Die Entdeckung Amerikas, ein Wendepunkt in dem Verkehr der Völker der
Erde. — Ueber einen mesozoischen Fisch, Lepidotus altaicus, vom Altai. — Zur Kenntniss einiger Solanaceenalkaloi'de. —
Ueber die plötzliche Aenderung im Aussehen des Kometen Holmes. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Alfred
Binet: Das Seelenleben der kleinsten Lebewesen. — Otto Taschenberg: Zoologie. — Berghaus: Physikalischer Atlas. —
Kleyers Encyclopaedie der gesammten Naturwissenschaften. — Das künstliche Berlin. — Herausgabe einer Samndung der zahl-
reichen in einer grossen Reihe matliematischer Journale enthaltenen Arbeiten Betti's. — Tschermak's mineralogische und petro-
graphische Mittheilungen. — Botanische Zeitung. — Liste. — Berichtigung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potouie, Bi>rlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dünimlers Verlagsbuchliandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
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II. Abt. Für Mittelklassen.
Von Alex. Junghänel und J. G.
Scherz. Sechste Auflage. Bearb.
von Ale.x. Junghänel. 1,60 M.
III. Abt. Für Oberklassen.
Von Alex. Junghänel und ,T. G
Scherz. Sechste Auflage. Bearb.
von Junghänel. 2.4U M.
IV. Abt. Für Mittelklassen
höherer Lehranstalten. Von Dr.
Kurt Hentschel und Alex.
Junghänel. Zweite Aufl. 2,su M.
Englisches Elementarbuch mit
durchgängiger Bezeichnung der
Aussprache. Ein Lehrbuch, mit
welchem man auch selbständig die
englische Sprache leicht und riciitig
erlernen kann. Von Bernhard
Schmitz. S.Auflage. l,2ü M.
Englisches Lesebuch aus den be-
deutendsten englischen Dichtern
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sicht der englischen Litteratur, er-
läuterndenAnmerkungen und einigen
Zeichen zur Erleichterung der Aus-
sprache, nebst einer besonderen
Auswahl von leichten Materialien
zu Styl- und Sprachübungen. Von
Bernhard Schmitz. 3. Auflage.
2,50 M., geb. 3 M.
Englische Grammatik. Von Bern-
hard Schmitz, i;. Auflage. 3 M.,
geb. 3,.5ii M.
Französisches Elementarbuch nebst
Vorbemcrkimgeu über Methode
und Aussprache. Von Bernhard
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zosisch.Sprache. 11. Aufl. besorgt
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II. Teil. Grammatik und
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Schrader. 2,40 M.
Leitfaden beim geographischen
Unterricht. Nach den neueren .\n-
sichten entworfen von F. Voigt,
Professor an dem Kgl. Realgym-
nasium zu Berlin. Zweiunddreissig-
ste verbesserte und vermehrte Auf-
lage. 1,20 M., geb. 1.50 M,
Geschichte des brandenburg-
preuss. Staates. Von F. Voigt,
Professor an der Kgl. Realschule
in Berlin. Dritte verbesserte Aufl.
Mit der Karte der territorialen Ent-
wickelung des brandenburg-preuss.
Staates. 7 M., geb. s M.
Grundriss der brandenburgisch-
preussischen Geschichte in Verbin-
dung mit der deutschen. Von F.
Voigt. Siebente Auflage. Sii Pf.
Grundriss der alten Geschichte.
Von F. Voigt. Vierte Aufl. 6ii Pf.
Volkwirtschaftliche Ergänzungen
zum Lehistofl'e d. Volksschule. Vom
christlich - nationalen Standpunkte
entwickelnd bearbeitet von A. Pa-
tuschka, Mittelschullehrer. 2 M.
Repetitorium des evangelischen
Religionsunterrichts. Bearb. von
Dr, Hermann G. S. Preiss. Mit
ausführlichem Register. Zweite Aus-
gabe. Preis 2,40 M.
Deutsche Lieder in lateinischer
Uebersetzung von Fr. Strehlke.
1 M. Enthält eine Anzahl deutscher
klassischer Gedichte im Versma.ss
der Originale lateinisch übersetzt.
Torstehende Werke können auf Verlangen durch jede Buclihanillunsr zur Ansicht Torg:elegt werden.
vi^ Redaktion:
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 5. März 1893.
Nr. 10.
Abonnement : Man abonnirt bei allen Biiebhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrsprcis ist Jt 3.—
Bringegeld bei der Post 15 .j extra.
\
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 -A. Grössere Auftiäge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach üebereinkiinft. Inseratenannahnie
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur mit vollständiger 4{aellenangabe gestattet.
Ueber die Tundren-, Steppen- und Waldfauna aus der Grotte „zum
Schweizerbild" bei Schaffhausen.
Von Prof. Dr. A. Ne bring.
Die „Naturwissenschaftliche Wochenschrift" hat seit
Herbst 1891 mehrere Berichte über die interessanten Re|
sultate (leijenigen Ausgrabungen geliefert, welche durch
Herrn Dr. Niiesch. in der Grotte „zuui Sehweizerbild"
189J und 1892 veranstaltet worden sind.*) Bei dieser
Gelegenheit wurden auch die von mir ausgeführten Bct
stiininungen der kleineren Wirbelthier-Reste kurz erwähnt^
wobei es sich hauptsächlich nni Nagethier-Reste han-
delte. Ich hatte in meinem Berichte über die 1891 gej
wonnenen und mir übersandten Nagethier-Reste die Veri
mutliung ausgesprochen, dass in der vertiealen Vertheilung
derselben resp. der betr. Arten wohl noch gewisse Niveau]
Unterschiede erkennbar sein dürften, untl dass es wün^
schenswerth sei, Ijei den 1892 zu veranstalteiulon neueii
Au.sgrabungen hierauf genauer zu achten; diese mein4
Vermuthuug ist nunmehr vollständig bestätigt worden, und
es hat sich eine klare, Aufeinanderfolge einer Tun»
•dren-, Steppen- und Waldfauna von unten nach
oben ergeben. . ' " i
Herr Dr. Nüesch schrieb .mir unter Uebersendung
der neu gewonnenen Reste kleinerer Wirbelthiere am
14. November 1892 Folgendes^ !
„Es freut mich ausserordentlich, nun nach Beendigung
der diesjährigen Ausgrabungen Ihnen berichten zu kOnnenj
dass entsprechend Ihrer Voraussage ...... sich beim
„Schweizerbild" wirklich Niveau -Unterschiede im
Vorkommen d(^r Nager gezeigt haben. Bei den Aus-
grabimgen konnte ich dieses Jahr eine, grössere Fläche
ebenfalls (wie voriges Jahr) schichtenweise abheben und
dabei bin ich von oben nach unten auf folgende Schichten
gestossen :
1. die Humusschicht;
*) Siehe BJ. Vll', S. 289; 394, 495. Vergl. meine Mitthei-
lungen in den Verhandlungen der Berl. .mthropol. Gesellschaft vom
16. Januar 1892, S. 82. ...'.,; ^ i
2. die graue Culturschicht, untermischt mit iin-
glasirten, rohen Topfscherlien, geschlifteneu und geschla-
genen Steinwerkzeugen, Knochen vom Edelhirsch, Wild-
schwein, gemeinem Bär, Pferd u. a. ; ' .
3. die obere Breccienschicht, welche an einzelnen
Stellen bis 80 cm mächtig ist und aus lauter eckigen,
vom idjerhängenden Felsen heruntergewitterten Kalk-
steinchen besteht; diese Schicht ist in der Nähe des
Felsens natürlich am dicksten, weiter vom Felsen weg
nimmt sie immer mehr ab, bis sie endlich nach aussen
hin ganz verschwindet;
\ 4. die gelblich - röthliciic Culturschicht. die
eigentliche palaeolithische Culturschicht, mit Knochen vom
Renn, Pferd, \'ielfrass, Schneehasen, Höhleubäi-, Schnee-
huhn etc. ;
5. die ivntere Breccienschicht oder Haupt-
Nagethierschicht; und schliesslich
6. das Diluvinm, d. h. ein Lehm mit einer grossen
Zahl von abgerundeten (nicht eckigen) Kalksteinen ver-
schiedener Grösse."
„Die im Jahre 1891 aufgestellte „Ascheu- und ilirscli-
schicht" sind nur Moditicationen der grauen, neolitiiisehcn
Schicht, sowie die „schwarze Culturschicht" der nach
aussen verlaufende Tlieil der gelben Culturschicht ist."
„Inder oberen Breccienschicht, die also zwischen
der, grauen und der gelben Culturschicht liegt, finden sich
keine oder nur äusserst spärliche Ueberreste menschlicher
Thätigkeit; dagegen zeigt sich in der Mitte derselben ein
etwas dunkler gefärbter, 10 — 15 cm mächtiger Streifen
mit Knöchelchen und Zähncheu von Nagern; es
ist dieses die obere Nagethiersehicht, weiche also
über der gelben Culturschicht liegt, während die untere
Nagethiersehicht sich unter dieser vorfindet. Ich iiabc
die Knöehelehen aus jener oberen Nagethiersehicht ge-
92
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 10.
trennt aufgehoben und erlaube mir Ihnen beifolgend . . .
eine grössere Anzahl derselben zur gefälligen Bestimmung
zu übersenden, indem ich zugleich auch noch einige Proben
aus den anderen .Schichten, namentlich aus der unteren
Nagetiiierschicht beifüge."
„Es hat mich diese Bestätigung Ihrer Voraussage
durch die neuen Grabungen ausserordentlich frappirt, und
ich habe nicht ermangelt, die Besucher des Schweizer-
bildes d. J. auf diese von der Wissenschaft vorausgesehene
Thatsache als einen Triumph . . . aufmerksam zu machen.
Ich denke, dass Herr Prof. Dr. Virchow, der sich bei
seinem kiirzlichen Besuche darüber sehr freute, Ihnen
bereits schon mündlich die überraschende Thatsache in
einer der Sitzungen der Berliner anthropologischen Gesell-
schaft mitgetheilt haben wird. Auch sind bereits mehrere
französische Gelehrte, wie Prof. Boule aus Paris, der im
Auftrage der französischen Regierung 4 Tage liier weilte,
ferner die Professoren Deperet und Zain aus Lyon bei
mir gewesen und haben sich angelegentlich nach der
couche des rongeurs determines par Mr. Nehring ä Berlin
erkundigt." ....
„Noch eine andere Voraussage Ihrerseits hat sich
diesen Sommer vollständig bestätigt, nämlich die, dass
die kleinen Nagethierknochen aus den Gewöllen
grösserer Raubvögel herrühren; es lagen nämlich
an verschiedenen Stellen ganze Häufchen von Knöchel-
chen, Kieferchen und Zähnchen beisammen. Oben in der
Felswand der Grotte finden sich tiefe, dunkle Löcher
und Gruben, in denen noch heutzutage Eulen sich auf-
halten." ....
„Entgegen der vorjährigen Ansicht, dass zur Zeit
der Bildung der (unteren) Nagcthierschicht der Mensch
das Feuer noch nicht kannte, hal)e ich dieses Jahr (181(2)
im oberen Theile jener Schicht eine Feuerstelle gefunden;
allerdings war die Grotte in der betreffenden Epoche nicht
dauernd, sondern nur vorübergehend bewohnt, was aus
der geringen Menge von Feuerstein -Werkzeugen und zer-
schlagenen Knochen in der 50 cm dicken, unteren Nagc-
thierschicht hervorgeht. . . . Die Ausgrabungen dauerten
vom 24. Juli bis 28. Octobcr d. J. und sind noch nicht
beendet; es fehlen noch Vs (ier Fundstätte, welche im
Frühjahr 1893 ausgegraben werden sollen."
Im Anschluss an obige biiefliche Mittheilungen des
Herrn Dr. Nüesch erlaube ich mir, im Nachfolgenden
ganz kurz die Resultate meiner Bestimmungen der mir
vorliegenden Wirbelthier- Reste, welche von den Aus-
grabungen des Jahres 1892 herrühren, mitzutheilen und
sie mit den zugehörigen Bestimmungen des Herrn Prof.
Dr. Studer in Bern, dem die grösseren Thierreste über-
sandt win-den, zu combiniren, soweit letztere Bestimmungen
mir bekannt geworden sind.*)
Aus der Humusschicht hat mir nichts vorgelegen;
dagegen konnte ich aus der grauen Culturschicht
feststellen: Eichhörnchen (Sciurus vulgaris), Baum-
marder (Mustela martes), Fuchs (Canis vulpes), Scher-
maus (Arvicola amphibius), Maulwurf (Talpa europaea).
Studer bestimmte aus derselben Schicht: Edelhirsch, Reh,
Wildschwein, Pferd, braunen Bär, Dachs, Marder, Maul-
wurf, Schneehase, Sehneehuhn, einige wenige Knochen
und Zähne vom Rennthier. Es handelt sich hier offenbar
in der Hauptsache um eine charakteristische Wald-
fauna; nach den menschlichen Werkzeugen etc. gehört
die graue Culturschicht der neolithischen Zeit an.
Aus der oberen Nagcthierschicht, welche einen
Theil der oberen Breceienschicht bildet, konnte ich fest-
*) Vergl. die Mittheilungen des Herrn Dr. Nüeacli im Cor-
respundenzblatte der deutschen anthropologischen Gesellchaft 1892,
Nr. 10, S. 110 f.
stellen: Gartenschläfer (Eliomys sp.), eine kleine Mäuse-
Species (Mus agrarius'?), Maulwurf, mehrere Spitzmaus-
Arten, die Schermaus (Arv. amphibius), mehrere andere
Wühlmaus-Arten, darunter Arv. ratticeps, eine H.asen-
Art (Lepus sp.), den Zwerg-Pfeifhasen (Lagomys pu-
sillus), Hermelin, kleines Wiesel, Rennthier, mehrere
Vogelarten, eine Sehlange, eine Kröte. — Studer be-
stimmte aus der oberen Breceienschicht einige wenige
Species, welche eine Mischung von Wald- und Steppen-
thieren anzudeuten scheinen.
Aus der gelben Culturschicht konnte ich fest-
stellen: Arvicola amphibius, mehrere kleinere Wühlmaus-
Arten, den gemeinen Hamster (Cricetus frumentarius),
Maulwurf, eine mittelgrosse Ziesel- Art (Spcrmophilus Evers-
manni*), Zwerg- Pfeifhase, mehrere Vogel- Arten. Studer
bestimmte aus dieser Schicht: sehr zahlreiche Reste des
Rennthiers und des Sehneehasen, sowie einige Reste vom
Diluvialpferd, Viclfrass, Höhlenbär, Eisfuchs, AVolf, ür,
Steinbock, Birkhuhn. Diese Schicht gehört der sogen,
paläolithi sehen Epoche an; sie hat sehr zahlreiche und
sehr beachtenswerthe menschliche Artefaete geliefert.**)
Aus der unteren Breccien- oder Nagcthier-
schicht stellte ich fest: Mehrere Reste des Zwerg-Pfeif-
hasen (Lagomys pusillus), mehrere Kiefer einer kleinen
Hamster-Art von der Grösse des heutigen Cricetus phaeus,
zahlreiche Wühlmaus-Reste, darunter solche von Arv. gre-
galis und Arv. nivalis, einige Reste von Lepus, Sorex und
Talpa, zahlreiche Reste von Schneehühnern, endlich zahl-
reiche Reste des interessanten Halsband-Lem-
mings (Myodes torquatus), welche letzteren meistens etwas
mehr „fossil" aussehen, als die erstgenannten Reste.
Studer bestimmte aus dieser Schiebt: Rennthier, Schnee-
hase (sehr zahlreich), eine kleine Pfeifhasen-Art (1 Unter-
kiefer), Eisfuchs, Schneehühner etc.
Nehme ich hierzu die Resultate meiner Bestimmungen
aus dem Jahre 1891, welche sich fast ausschliesslich auf
diese Schicht bezogen, so ergiebt sich, dass in der
unteren Breccien- oder Nagcthierschicht einer-
seits eine arktische, andererseits eine subarktische
Steppenfauna angedeutet ist. Ein charakteristischer
Vertreter der arktischen Steppenfauna, welche wir auch
als Fauna der trockneren Tundren - Gebiete bezeichnen
können, ist der Halsband- Lemming. Seine Reste sind
„am Schweizerbild", soweit mein Material erkennen lässt,
ganz und gar auf die untere Nagcthierschicht beschränkt,
und dieses erscheint mir als ein wichtiger Umstand; es
wird hierdurch dasjenige bestätigt, was ich an mehreren
bemerkenswerthen Fundorten Deutschlands, namentlich
bei Thiede, beobachtet habe, nämlich dass die Reste
des Halsband- Lemmings (sowie auch die des Ob-
Lemmings, Myodes obensis) in den diluvialen Ablagerungen
jener Fundorte regelmässig tiefer liegen, als die
Reste der subarktischen oder eigentlichen
Steppen -Nager (Cricetus phaeus, Lagomys pusillus,
Spcrmophilus Eversmanni etc.).
Natürlich existirt keine scharfe Grenze zwischen den
Lemmings-Resten und den Resten der eigentlichen Steppen-
Nager, wie ja auch heute die Fauna der ostrussischen
und westsibirischen Steppen gewisse Beziehungen zu der
Fauna der nordostrussischen und nordsibirischen Tun-
dren erkennen lässt***); aber die Lemmings -Reste ver-
schwinden allmälig nach oben zu, und die Reste der
eigentlichen Steppen -Nager gewinnen für eine Zeit lang
*) Diese Ziesel -Reste (2 rechte Unterkiefer) stammen nach
der bestimmten Angabe Nüesch's aus dem oberen Theile der
gelben Culturschicht; sie wurden scliou 1891 gefunden.
**) Sielie Nüesch, a. a. O., S. 1 IG.
***) Siehe mein Buch über „Tundren und Steppen", Berlin,
Ferd. DUmmlers Verlagsbuchhandlung, S. 5 ii"., 54 f.
Nr. 10.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
93
die Vorherrsdiaft, bis sie weiter nacii oben durch die
der Waldfauna verdrängt werden.
Diese Aufeinanderfolge einer Tundren-, Steppen- und
Waldfauna, welche ich in den lössartigen Ablagerungen
von Tliiede bei Braunschweig und an nianclicn anderen
Fundorten Mitteleuropas wiederholt beoiiaclitet und trotz
zahlreicher Einwendungen bis heute vcrtlieidigt habe*), ist
durch die sehr sorgsamen, schichtweise ausgeführten Ab-
grabungen am Schweizerbild bei Schaff hausen von Neuem
so klar bestätigt worden, dass ein vorurtheilsloser.
un-
befangener Beobachter
sich kaum noch liegen eine An-
erkennung derselben wird sträuben können.
Die untere Breccienschicht „am Scliwei/.erbild" ge-
hört grösstentheils der Lemmingszeit an; doch treten schon
neben den Lemmingeu und sonstigen arktischen Species
die Vertreter der subarktischen Steppenfauna (Cricetus
pliacus, Lagomys pusillus, Arvicola grcgalis) auf. In der
gelben Culturschicht sind die Lemminge verschwunden;
dagegen behaupten sich die Steppen -Nager, zu denen
noch eine Spermophilus-Art kommt, durch diese Schicht
hinauf bis zur oberen Nagethierscliicht. In der nach oben
*) Siohe ebenda S. 157 ff., 225 ff.
folgenden grauen Culturschiclit sind die Steppen -Nager
verschwunden; wir iiaben hier eine charakteristische Wald-
fauna, wie sie noch jetzt in unseren Wäldern haust.
In welchem Verhältnisse diese faunistische Aufein-
anderfolge zu der Annahme zweier Eiszeiten und einer
sie trennenden Intergiacialzeit steht, nniss noch genauer
untei'sucht werden; vorläutig möchte ich mein Urtlieil
hierüber zurückhalten. Die
sonstigen
wissenschaftlichen
Resultate, welclie die Ausgrabungen am „Sehwcizerijild"
geliefert haben, sind schon bedeutend genug, und Herr
Dr. Nüesch hat sicii ein grosses Verdienst durch dieselben
erworben. In faunistischer Hinsicht erscheint es besonders
wichtig, dass das eliemalige Verbreitungsgel)iet einerseits
des Halsband- Leunnings, andererseits des Zwcrg-I'feif-
hasen, des kleinen Steppenliamsters, des Eversnmnn'schen
Ziesels, gewisser Arvicola-Artcn zeitweise bis zu der
Gegend von Schaffliauscn ausgedehnt war.
In urgeschiehtliclier Bezieliung erscheint mir bcsdu-
ders der Umstand interessant, dass die gelbe Culturscliiclit
mit ihren zahlreichen iialaeolitliisehen Instrumenten in die
Zeit der Steppenfauna hineinreicht, während die graue,
Culturschicht mit ihren neolithischen Instrumenten der Zeit
der vorgeschichtlichen Waklfauna zusammenfällt.
Ueber die Nonne (Liparis monacha).
Von Obf'it'örster K. llittmeypr,
(Fortsetzung.)
Bezüglich der Frass weise hebt Forstmeister Fritz
A. Wachtl hervor, dass die jungen Nonnenräupchen auf
der Fichte zunäch.st die weichen zarten Nadeln der Mai-
triebe verzehren, allfällig nach dem Durchnagen der
sie bedeckenden zarten, trocknen Schuppen, während sie
auf den später treibenden Kiefern sogleich die alten
Nadeln in ihren unteren weicheren Theilen befressen.
Dr. Altum ist bezüglich der Fichtenknospen der ent-
gegengesetzten Ansicht, dass die jungen Räupehcn die
Knospenschuppeu zu (lurchnagen nicht im Stande seien,
in Fichtenbeständen vielmehr recht wohl dem Hungertode
verfallen würden, wenn sie ihre Eihüllen eher verlassen,
als die Knospen der Fichte aufbrechen. Dieses kann
nun aber sehr wohl der Fall sein, da die jungen Ränp-
chen ihre Hüllen allein in Folge des Einflusses der Luft-
wärme verlassen, während die Fichtenknospen zu ihrer
Entfaltung auch der Zufuhr von Säften bedürfen, sodass
bei der oft rasch wechselnden Frtthjahrstemperatur diese
Erscheinung sehr wohl eintreten kann und im Frühjahre
1892 — ebenso wie bei dem Nonnenfrasse der r)Uer Jahre
— thatsächlich auch eingetreten ist.
Später werden die Nadeln der Fichte und Tanne
vollständig verzehrt, von denen der Kiefer jedocii nur die
untere Hälfte, die obere der in der Mitte durchgebissenen
Nadeln fällt zu Boden.
Dass der Frass im Zwinger und im Freien verschie-
den sei, stellte Fritz A. Wachtl fest; im Zwinger fressen
die Nonnenraupen sowohl die Fichten- als auch die
Kiefernnadeln ganz auf, zumeist deshalb, weil sie leichter
zu ihnen gelangen können, im Freien lassen sie die halbe
Kiefernnadel zu Boden fallen, weil sie, sieh mit dem
zweiten oder dritten hinteren Fusspaare am Zweige fest-
iialtend, nur die halbe Länge der Nadel erreichen können.
An den Laubhölzern werden von den jungen Raupen
zunächst die Knospen verzehrt, dann die Blattfläelien benagt
und kantige Löcher in dieselben eingefressen. Fig. 3.
Diesen Löcherfrass setzen sie bis zur zweiten Häutung
fort (A.). „Später fressen sie die kurzgestielten Blätter,
namentlich an Buche und Eiche, jederseits von der Mittel-
rippe, an der noch Theile der Blatttläche übrig bleiben,
lappig ein, so dass der Rest wie ein Anker aussieht.
Man könnte dies .,Ankerfrass" nennen (B.). Sehr häufig
wird schliesslich die Mittelrippe oben durchgebissen, am
Zweige bleibt nur der untere Theil derselben mit seit-
lichen, spitzen Blattlappen, der Endtheil der Blattspreite
fällt dagegen ungenutzt zu Buden. Diese Endthcile sehen
bei Buchen sehr häutig so aus, als hätte man künstlich
an ihnen die Figur eines Eichenbiattes herausgeschnitten
(15. CD.). An langgestielten Blättern wird höchstens die
Ansatzstelle der Blattfläche an ilen Stiel etwas benagt,
meist aber der Stiel gleich vollständig durchgefressen, so
dass die ganzen Blätter völlig ungenutzt herabfallen,
z. B. an Birken.''*)
In den Baumkronen des ( »berholzes schreitet der
Frass gewöhnlieh von unten nach aufwärts und von
innen nach auswärts fort, am Unterholze erfolgt der Frass
zumeist in umgekehrter Richtung. Als ganz sicher vor
diesem polyphagen Schädlinge erwiesen sieh die Ellern
und Eschen, die Rosska.stanie, Flieder, Weissdorn,
Spindelbaum, Rainweide, Himbeere, Brombeere, Farn-
kraut, Flechten und JMoose.
Aus dem Leben der Falter würden die Falter-
scli wärme und die Ei- Ablage hervorzuheben sein. Nach
Forstmeister Wachtl flndet bei eingetretener Massen-
vermebrung ein Auswandern der Schmetterlinge statt,
diese Falterzüge können weite Strecken zurücklegen, so
ist in Galizien ein Schwärm beobachtet worden, welelier
aus Preussen konnnend eine Strecke von 60 km durch-
flogen hatte. Dass dieser Verl)rcitungsart der Calaniität
eine grosse wirthschaftliche Bedeutung beigemessen wer-
den muss, ist erklärlich, denn alK' die Vorbeugungsmittel,
welche das Entstehen einer Nonnen-Calamität ^ iclleielit liint-
anhalten können, verlieren derartigen Nonnen-Invasionen
gegenüber ihren Wertli.
Professor Dr. Altum hält solche Wanderzüge für eine
*) Professor Dr. H. Nitsclie: ,.Die Nonne". Sonderubdruck
aus dem „Lehrbuch der Rlitteleuropiiischen Forstinsektenkiuule."
Wien 1832. Ed. Hölz.il's Vorhig. 70 Pf.
94
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 10.
„abnorm seltene Erscheinung" („Zeitschr. f. Forst- u.
Jagdw." 1890, S. 580), doch ist diese Anschauung nach
dem Urtheile der übrigen Fachentomologen und den Ver-
lautbarungen der meisten Forstleute eine irrige. „Der
AVandertrieb des Nonnent'alters , die Tendenz dieser
.Species bei erreichtem Maximum der Vermehrung in
Schwärmen aus ihrem Entstchungsgebietc auszufallen und
neue, oft äusserst entlegene Frassgebiete aufzusuchen imd
zu inficiren, gehört als regelmässige Erscheinung in das
Lebensbild der Nonne, und zwar als eines der alier-
wichtigsten Momente in demselben" (Ür. Pauly, „Allgem.
Forst- u. Jagdztg.").
Vielleicht vom Winde
fortgetragen , wahr-
scheinlich aber mittelst
der eignen Flugkraft
(Henschers Ansicht) le-
gen diese .Schwärme,
wie schon oben ange-
führt , weite Strecken
zurück, und oft lässt
sie der starke Wander-
trieb von einem Orte,
wo sie sich schon nie-
dergelassen und voll-
Nonne als regelmässig gehörige Erscheinung" (Dr. Pauly)
sind zu wenige Masscnschwärme beobachtet worden.
BezügUch der Ei -Ab läge soll der Nonnenfaltcr
windgeschtttzte und dunklere Bestandestheilc vorziehen
und luftige, lichte Orte meiden, sodass nach Dr. Altum
„die Nonne nicht in zwei unmittelliar aufeinanderfolgenden
Jahren in demselben Bestände sehr stark frisst" (Zeitschr.
für Forst- und Jagdw. 1890 X), sondern zur Eiablage aus
dem befressenen Theile in die noch verschonte, dunkel
benadelte Umgebung übersiedelt. Für Kiefernbestände,
in welchen der Frass wie auch die Bedeutung desselben
eine ganz andere ist,
triift dieses vielleicht zu,
für Fichtenbestände, auf
welche sich das hier
Gegebene durchweg be-
zieht, aber nicht, denn
es ist in Bayern, Würt-
temberg und Mähren
beobaciitet worden, dass
kommen gute
Gelegen-
heit zur Ablage der Eier
gefunden, nach kurzem
Aufenthalte wieder ab-
ziehen, sie verschwinden
dann eben so jäh, wie
sie gekommen.
Was es mit diesen
ja schon seit den fünf-
ziger Jahren bekannten
Faltcrmassentiügeu für
eine Bewandtnis hat,
— darüber haben die
Zoologen uns noch nicht
ausreichend belehrt. Es
ist unzweifelhaft er-
wiesen, „dass die Falter
von der Natur nicht
angewiesen sind , sich
bei zu grosser Ver-
mehrung so weit zu ver-
breiten, dass der Nah-
rungsstand der Nach-
kommen gesichert wäre,
im Gegentheile , sie
nehmen gar keine Kück-
getres-
sicht hierauf und legen
ihre Eier auch in völlig
kahlgefressenen Beständen ab,
der Hungertod im Voraus sicher
in den noch grünen Beständen
Massen ab, dass eine
Figur 3.
A = Löcherfrass der jungen Nunnenraupeii an Iluolie. B = Tyiiischer Aukertrass der
alteren Nonnenraupen an Buche. C = Vom Boden aufeenonimenes, befressenos Huchenblatt,
bei dem die .Mittclrippe oben durchgebissen wurde. D = Huchenzweig, au dem die Bhxtt-
rippen mit seil lieben Blattlappen stehen geblieben sind, nachdem die Blatttiächen in der
bei C gezeichnolen Weise abgefressen; bei x neu austreibende Knospen. E = Ankerl'rass
an Eiche. Origiiialzeichnung nach im August ls91 im Ebersberger Parke ge.sammeltem
Materiale von Prof. Dr. Nitsche-Tharand.
regelrechte
wo den jungen Raupen
ist; sie legen aber auch
die Eier in so grossen
Eniährunii- der iunaen
die schon liciit
senen Bestandestheilc
stärker belegt waren,
als die anstossendeu,
noch verschont geblie-
benen.
Dass die Massen-
vermehrung des Schäd-
lings in geschützten
Theilen des Waldes ihre
Wiege hat, mag zuge-
geben werden, um aber
dem Falter für die Eiab-
lage eine Vorliebe für
dichtere , dunklere ge-
schütztere Waldorte zu-
zusprechen, dazu gehen
die iiierüber gemaeliten
Beobachtungen zu sehr
auseinander , und da-
gegen dürfte auch der
Umstand sprechen, dass
die Falterschwärme sich
stets an den Wald-
rändern und nicht
(soviel man weiss) ini'
Inneren des Waldes
oder doch eine ge-
wisse Strecke vom lich-
ten, luftigen Waldrande
entfernt zur Ablage
der Eier niederzulassen
pflegen,
über den ga
Brut uuniöglich wird." (Kgl. württeml)erg. Forstdirektor
von Dorrer: „Die Nonne (Liparis monacha) im ober-
schwäbischen Fiehtengebiete in den letzten fünfzig Jahren."
Stuttgart 1891. Julius Ibiffmann's Verlag.)
Wenn die Ursache dieser Masscnschwärme in dem
Triebe, den Nachkommen die Nahrung zu sichern, gesehen
werden soll, so müssten weit mehr derartige Schwärme
stattgefunden halien, und es durften nicht in schon kahl
gefressenen Bestandestheilen noch Massen von Eiern ge-
funden werden, wie es thatsächlich fast überall der Fall
gewesen ist. Für eine „abnorm st'ltene Erscheinung"
(Dr. Altum) sind zu viele, ,,für eine in das Lebensbild der
Dass die Nonne ihre Eier über den ganzen Baum
hin ahlei;t, ist nach Fritz A. Wachtl eine Eigentiiümlich-^
keit, welche man hei keinem anderen Insekt findet, auch
liinter den Schu})pen alter Zapfen, wie auch tief unter
dem Haidekrante fand man Nonnen-Eierspiegel.
An 210 gefällten Probe-Fichten von 1(5 bis 20 m Höhe
wurden am Wurzelstoeke und den Wurzelrücken 8.86 "/„
der am ganzen Baum al>gelegten Eier gezählt, dann an
den je 2 m langen Abschnitten des Stammes von der Wurzel
nach der Spitze zu numerirt: I: 18.27 "/u; D: 9:43 7ii,
III: 9.22%, IV: 8.22 <%. V: 6.0.ö«/o, VI: 3.96 «/o,
1.20 o/o' in (1er Krone (Gipfel und Aeste) 34.79 o/«;
das unterste Drittel des Baumes kämen somit von
VII:
auf
den
Eiern 45.78 «/o, auf das mittlere 18.23 7,, und auf das
des Baumes 54 7o
Probe-Kiefern von
/o
obere 35.99%; auf die untere Hälfte
und auf die obere 46%. An 100
Nr. 10.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
<.}5
1
18 bis 20 m Höhe fanden sich am WnrzelstocI<c und den
Wnrzclrüciien 4.97%, dann 1: 15.41%, II: 18.99 »/o,
III: 1!').73%, IV: 13.78 7o, V: 9.51 7o, VI: 3.62% und
in der Krone (Gipfel und Aeste) 17.99 "/ü? niithiii im
untersten Drittel öö.lO%, im mittleren 20.91 "/o ui'tl 'm
obersten 17.99%; oder in der unteren Hälfte 78.93 7o
und in der oberen 21.61 7o- Andere Untersuchungen*)
ergaben bis 2 m Schafthöhe 15 7o fler abgelegten Eier,
von 2 m bis 4 m 20 7o , von 4 m bis 6 m 24 7o , von
6 ni bis 8 m 21 7o und über 8 m noch 20 7o- In einem
anderen Frassgebiete fand man an 1004 gefällten Probe-
bäumen im Durchschnitte bis 5 m Höhe 15 7oj von 5 m
bis 10 m 23 7o, von 10 m bis 15 m 28 7o. von 15 m bis
20 m 30 7o "1"^ ül^er 30 m Baundiöhe noch 4 7o-
Als grösste Zahl der an einem Haum abgelegten
Eier giebt Altum aus dem bayrischen Frassgebiete
200 000 .Stück an, Dr. Eckstein bis 400 000 Stück.
Audi über die Frage der Eierzahl in einem .Spiegel
sind Untersuchungen ausgeführt. An 1004 l'robebäumcn
fand man durchschnittlich:
in 31 7o der Eiablagen 1—10 Stück Eier,
- 35 - - - 11—20 -
- 12 - - - 21-30 -
- 9 - - - 31—40 -
- 4 - - - 41—50 -
- 3 - - - 51—60 -
- 3 - - - 61—70 -
- 1 - - - 71-80 -
- 1 - - - 81—90 -
1 - - - 91 u. mehr -
Die grösste Ablage Hess 109 Eier zälden; dabei zeigten
die in grösserer Höhe abgelegten Eicrhäui'chen; die
grössere Zahl Eier; die Ablage von 109 .Stück war in
23 m Höhe gei'unden. Aus einem anderen Frassheerde
wird von einer Eiablage berichtet, welche 272 »Stück
enthielt.
Ein Liter Nonneneier enthält etwa 700 000 Stück
und wiegt 400 bis. 450 g.
Ein lebhafter Streit entspann sich über die in die
Botanik einschlagende Frage, ob die von der Nonnen-
raupe kahlgefressenen Nadelhölzer und insbesondere
Ficliten sieh wieder begrünen oder nicht? Die württem-
bergischen Forstleute vertraten, auf die in Akten über
früheren Nonnenfrass in Fichtenbeständen niedergelegten
lieriehte gestützt (Siehe von Dorrer „Die Nonne"), die
Ansicht, „dass ph3'siologische Gründe nicht vorliegen,
welche das Wiedergrünen der Fichten ausscidiessen, dass
sogar die Wahrscheinlichkeit des Wiedergrüncns vorliegt"
(Forstrath Speidel in „Allgem. Forst- uiul Jagdzeitung"
1891, I), die bayrischen Forstleute gaben sieh dieser
Hoffnung nicht hin. Es entwickeln sich an den zeitig im
Jahre kaiil gefressenen Fichten allerdings sehr häutig
vom August ab kleine grüne Büscheltriebc von 1 bis 2 cm
Länge, docli bleiben diese austreibenden I'rä\'entivknospen
niclit auf die Dauer erhalten, sondern gehen bereits im
IK'rbste dui'ch Vertrocknen zu Grunde; sie retten den
I5aum nicht, sondern erschöpfen noch die letzte Kraft
d('sselben. An Fichten, welche erst spät im Jahre durch
überwandernde erwachsene Raupen kahl gefressen wei'den,
können auch dii' zur Entfaltung im nächsten Jahre be-
stimmten normalen' Knospen schon im Herliste des Frass-
jahres ausschlagen, aber auch diese Bildungen gehen im
Hcrl)ste meist zu Grunde und können den Baum nicht
retten.
' *) Foi-.stincister Hcrmami Reiis.s: „AutTürdoruiij; und Au-
loituiif; zur Brkilinpfung der Noniic aus reiu praktischen Gesichts-
punkten". mi2, -Wien "bei Moritz Porlos, ■ • ' ■■
Der Grund i'ür die Tödtlichkeit des Nonnenkahl frasscs
für die Nadelhölzer liegt in dem Zeitpunkte der Ent-
nadelung. Die liäume werden zu Ende des Juni ihrer
Nadeln beraubt, nntten in der Vegetationsperiode . zu
welcher Zeit der Jahrring aus den Assiniilationsproduktcn
der Nadeln gel)ildet wird. Ist nun mit den Nadeln die
normale Bezugsquelle fortgefallen, so werden die beim
Nadelholze ja geringen Mengen der im Holz- und Kindeu-
kiirper aufgespeicherten Ifeservestofte zur Weiterentwicke-
lung der in voller Thätigkeit begritt'enen Iloizzeilen auf-
gebraucht, sodass — wenn die Bäume im nächsten
Frühjahre noch unversehrte Knospen haben — doch das
Jlaterial zu ihrer Entwickelung fehlt. Ferner hört mit
dem Fortfall der Nadeln die Verdunstung des aus dem
Boden durch die Wurzeln aufgesogenen und in die Kr(me
aufsteigenden Wassers auf, damit sehr bald der auf-
steigende Wasserstrom selbst und mit diesem auch die
Abkühlung der Cand)ium- und äusseren .Splintschichten,
sodass diese besonders auf der .Sonnenseite der Bäume
bis über die Grenze der Lebensfähigkeit der Zellen
oder doch so weit erhitzt werden, dass im folgenden
Jahre das gänzlich nahrungslose Cambium abstirbt, lloheii
Hartig fand die Cand)ial-Tempcratur einer entnadelten
Fichte im Sommer um 8^0. höher als die einer bcnadel-
ten unter gleichen Verhältnissen. In kahl gefressenen
Fichtenbeständen steigerte sich bei directer Besounung
die Temperatur des Candjiums bei 26° C. Lufttemperatur
bis auf 44° C. Nach OberlVirstcr Dr. Jäger-Tübingen ist
dagegen im Jahre 1892 die Möglichkeit des Wieder-
begrünens kahl gefressener Fichten unter günstigen
Wittcrungs- und .Standortseinflüssen unwiderleglich er-
wiesen. Ganz kahl gefressene Bäume (und Bestände),
welche also keine einzige grüne Nadel mehr aufwiesen,
gebe es in Wirklichkeit auch nach dem verderblichsten
Eaupenfrassc niemals, Bestände, welche jedoch „im landes-
üblichen terminus technicus als total kahlgefressen" be-
zeichnet seien, hätten sich im Weingartner (Württemberg)
Frassgebiete 1892 zweifellos wieder begrünt. Dass die
in 1890 kahl gefressenen Bestände im folgenden Früh-
jahre nicht mehr ergrUnt seien, erkläre sieh aus der ab-
norm ungünstigen Witterung des Winters 1890/91. Auch
aus Bayern kam plötzlich die Nachricht, dass die Fichten-
bestände von Kirchseeon gegen München und ebenso im
Ebersberger Parke, noch Mitte Mai 1892 total abgefressen,
gelb und scheinbar ganz abgestorben dastehend, wieder
grünen, welche Nachrieht „aus dem bayerischen Finanz-
ministerium" in der „Augsburger Abendzeitung" die Ent-
gegnung fand: „Eine Wiederbegrünung der durch die
Nonne kahlgefressenen Fichtenwaldungen ist weder im
Laufe der gegenwärtigen Nonnencalaniität, noch in einer
der früheren (Jalamitäten jemals und irgendwo eingetreten,
alle gegentheiligen Behauj)tungen und Hofluungen haben
sich ausnahmslos irrig erwiesen. Selbst der weitaus
grösste Theil der zwar sehr stark befressenen, aber nach
Ablauf der Frassperiode thcilweise noch innner grün ge-
bliebenen Fichten, deren Erhaltung also wenigstens erhoft't
werden konnte, hat wie im Winter 1890,91, so auch in
gleicher Zeit 1891,92 allmählich den Rest der grünen
Benadelung verloren und ist abgestorben
Wenn zur
Zeit im Ebersberger Parke in höchst erfreulicher Weise
die Fichten mit den jungen lu'ilgrünen Maitrieben reich-
lich besetzt sind, so sind dieses ausschliesslicji solche
Bäume, welche nicnmls kahl waren ..."
Von den übrigen Waldbäunien sollen auch die ganz
kahlgefressenen Tannen und Kiefern absterben, die Lärche
begrünt sich wie die Laubhölzer noch in dem gleichen
Jahre wieder. Die Kiefer M'ird jedoch nur sehr selten
kahl gefressen; hatte sie nur Lichtfrass zu erleiden, so
; erholt sie sich wieder, während die Fichte auch licht ge-
96
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 10.
fressen schon abstirbt. Welcher Prozentsatz der Benacle-
lung- die Fichte (Tanne und Kiefer) am Leben zu erhalten
vermag-, ob diesbezüglich und wie die Standorts- und be-
sonders Bodenverhältnisse, ob das Alter des Baumes u. a. m.
von E^influss sind? — Das sind weitere noch ungelöste
Fragen. In einem Reviere Mährens sollen alle bis über
50 '^',0 der Krone beraubten Fichten a))gestorben sein; nach
den Beobachtungen des Forstmeister Schulz stirbt ein
Baum schon im folgenden Winter oder doch im darauf
folgenden Frühjahre ab, wenn ihm über Vä t^er vorhanden
gewesenen Benadclung fehlt; nach Oberforstmeister Marron
lebten alle Fichten, denen noch 10% der Beuadelung
blieb, nach zwei Jahren noch. Die Beantwortung dieser
Frage ist keineswegs nur von naturwissenschaftlichen
Interesse, sondern auch von bedeutendem praktischen
Werthe, da sie ja für das Niederhauen oder Stehenissen
des betroftenen Bestandes Ausschlag gebend ist.
(Schluss folgt.)
Als Heilmittel der Malaria (Wechselfieber) wird
neuerdings das Methylenblau, ein Alininfarbstoft", leb-
haft empfohlen. Den Gedanken zur therapeutischen An-
wendung des Methylenblau der Malaria gegenüber gab
eine Erfahrung der mikroskopischen Technik: die ausser-
ordentlich gute Färbbarkeit der Malariaplasmodien im
getrockneten Blutstropfen. Das Methylenblau färbt die
kleinen, sonst schwer sichtbar und namentlich in den
Einzelheiten ihrer Formen schwer erkennbaren Gebilde,
die übrigens nicht zu den Bakterien, sondern zur Gruppe
der Protozoen gehören, ausserordentlich leicht und in-
tensiv. Im Herbst 1891 haben Dr. P. Guttmann, Director
des städtischen Krankenhauses Moabit, und Professor
Dr. Paul Ehrlich die ersten günstigen Erfahrungen über
die Behandlung der Malaria mit Methylenblau veröffent-
licht, denen der erstere jüngst weitere ähnliche Mittheilungen
hat folgen lassen. Das Methylenblau wird in Formen von
Gelatinekapseln in 5 bis 10 täglichen Dosen von je 0,1
Gramm verabreicht und passirt äusserst schnell den Or-
ganisnms, dabei alle Se- und Excrete intensiv blau färbend.
Nur chemisch reines Methylenblau hat die volle Wirkung.
Schädliche Nebenwirkung besitzt das Methylenblau kaum.
Das Methylenblau hält meist schon den nächsten Fieber-
anfall auf und führt in kurzer Zeit zur Genesung. Frei-
lich hat mau Rückfälle eintreten sehen, die dadurch zu
verhüten sein sollen, dass man sich nicht begnügt, das
Aufhören des Fiebers erreicht zu haben, sondern das
Mittel Wochen hindurch in täglichen Dosen von 0,3 bis
0,5 Gr. giebt. Die günstigen Erfahrungen aus Berlin,
die auch in einigen schweren Fällen sich bestätigt haben,
sind unlängst auch von einigen ausländischen Forschern,
z. B. der italienischen Malaria gegenüber berichtet worden.
Von anderer Seite werden dagegen sowohl der ja immerhin
seltenen einheimischen Malaria gegenüber, wie namentlich
der tropischen Malaria, Misserfolge der Methylenblau-
behandlungeu gemeldet. Indess besteht namentlich in
Hinsiclit auf tropische Malaria noch kein klares Urtheil,
das freilich gerade in nächster Zeit aus unseren west-
und südwestafrikanischen Kolonien zu erwarten ist. Die
Unterschiede der tropischen Malaria von der ehdieimischeu
— erstere ist weit schwerer und bösartiger — sind noch
nicht genügend bekannt ; es scheint, als ob sie in Formen-
Verschiedenheiten der Malariaplasmodien nicht begründet
seien. Sollte aber auch das [Methylenblau der tropischen
Malaria gegenüber im Stich lassen, so tritt es dadurch
noch nicht gegen das Chinin zurück, das in solchen Fällen
auch häutig wirkungslos ist. Gerade deshalb strebt die
medicinische Forschung so eifrig nach einem Ersatz des
bisher souveränen Malariamittels. Ist auch vielleicht in
Methylenblau nicht das ideale Heilmittel der Malaria ge-
funden, so erfährt die Behandlung dieser Krankheit durch
dieses Mittel doch eine schätzenswerthe Bereicherung.*)
Dr. A.
*) Vergl. mit Obigem die Mittheilung in Bd. V S. 277 „Anilin-
Farbstoffe als Antisejjtica". Red.
Untersucliuiigeii über den EinUnss des Nervus
trigenümis auf die Hornhaut des Auges veröffentlicht
Just US Gaule im Centralblatt für Physiologie.
Wenn man den Nervus trigeminus in der Schädel-
höhle durchschneidet, so ist das Verhalten der von diesem
Nerven innervirten Hornhaut des Auges ein sehr wechseln-
des; dies hängt in erster Linie ab von dem Ort, wo
man den Nerven durchschneidet, ob zwischen dem Gehirn
und dem in den Nerv eingelagerten Ganglion Gasseri, ob
im Ganglion selbst oder zwischen ihm und dem Auge: im
Ramus ophthalniicus. Nur dann, wenn die Durchschneidung
im Ganglion selbst oder im Ramus ophthalniicus statt-
findet, lassen sich Ernährungsstörungen in der Hornhaut
nachweisen, und zwar stets durch das Mikroskop, unter
günstigen Umständen aber, nämlich bei älteren Thieren,
auch mit blossem Auge. Die makroskopisch sichtbaren
Zeichen sind: 1. das Auftreten eines irisirenden Häut-
chens, welches sich über die ganze Hornhaut ausbreitet;
2. es erscheinen kleine rundliche, flache Vertiefungen an
verschiedenen Stellen der Hornhaut. Dieselben liegen dicht
beisammen, fiiessen bald zusammen und rücken nach dem
Centrum der Hornhaut hin vor, dort bilden sie dann eine
Delle mit trockenem glänzenden Grund.
Hat man das Ganglion recht in der Mitte durch-
schnitten, dann erscheinen diese Zeichen augenblicklich,
hat man dagegen den Nerven zwischen Gehirn und Gan-
glion getroffen, so wartet man vergeblich auf sie.
Unter dem Mikroskop zeigt die Hornhaut unmittelbar
nach dem Schnitt einen Wechsel von normal gebliebenen
Epithel-Partien mit veränderten Partien, die entweder als
Vertiefungen oder Verdickungen auftreten. Die vertieften
Stellen sind es, welche die mit blossem Auge sichtbaren
Dellen darstellen; sie sind dadurch vertieft, dass das
Epithel in ihnen zusammengeschrumpft ist, oft bis zur
Hälfte der ursprünglichen Höhe. Die Zusammentrocknung
findet besonders in der oberen Zellschicht der Hornhaut
statt, während die Zellen ihrer unteren Schicht nekrotisch
werden, d. h. ihre Kerne haben die Färbbarkeit verloren
und erscheinen leer, das Zeil-Protoplasma ist verringert.
In der Grundsubstanz der Hornhaut, welche unter
diesen abgestorbeneu Stellen liegt, sind die Hornhaut-
körperchen zusammengeschrumpft, klein und füllen die
Spalte niclit völlig aus. Das Endothel der Descemetischen
Membran ist verdickt und zeigt 2 bis 20 Zelllagen über-
einander. In dem unter diesen Zellen liegenden Humor
aquens zeigt sich ein Niederschlag von geronnenem Ei-
weiss, der in der normalen Hornhaut und auch an den
übrigen Stellen fehlt.
An den verdickten Hornhautpartien findet man eine
Abstossung der obersten Epithelschichten in Plattenform.
In den tieferen Schichten finden sich vor allem als auf-
fälligster Bestandtheil zahlreiche Kenitheilungsfiguren und
das dichte Aneinanderdrängen der Zellen, welches auf eine
rasche Vermehrung derselben hinweist. An anderen Stellen
ist diese Zellvermehrung so stark, dass die abgestossenen
Zellen nicht mehr Plattenform haben und die neu ent-
Nr. 10.
Naturwisseuschaftliche WochensebritY.
97
standenen Zellen als Protoplasmaballen mit eingelagerten
Kernen auftreten.
All diese Zeichen beweisen, dass das Zellleben und
der Stoffwechsel in der Hornhaut vom Nerven resp. Vdu
seinem Ganglion ({asseri beherrsclit werden, und zwar ist
festgestellt worden, dass unter dem EiuHuss des Nerven,
und zwar s})eciell der Ganglienzellen seines Ganglion
Gasseri, das Leben der Epithelien, der Hornhantkörper-
chen, der Descemeti'schen Membran und das Kammer-
wasser steht.
Wie kann nun diese Wirkung des Nerven gedeutet
werden y Die Rasehheit, nut der die \'eriinderungen ein-
treten, erinnert an die Art, wie Veränderungen durch
Nervenreiz auftreten, doch können in diesem Fall Nerven-
reize keine Rolle spielen. Beweis: der Ort, wo der Nerv
gereizt wird, ist die Durehschneidungsstelle. Die Ver-
änderungen, welche auftreten, liegen aber in der Körper-
überfläche. Nun haben wir kein Beispiel, dass Nerven-
fasern von Sinuesnerveu, und dazu gehört der Trigeminus,
einen Reiz nach der Körperoberfläehe, d. h. centrifugal
leiten, dies widerspricht geradezu unserem Begriff' von
Sinnesnerven und ihren Fasern, da diese den Reiz nach
dem Rückenmark und Gehirn, d. h. centripetal zu leiten
haben. Die sensiblen Fasern des Nervus trigeminus
könnten es also nicht sein, welche den Reiz der Durch-
schneidung nach der Hornhaut leiten. Motorische Nerven-
fasei'n, die zur Hornhaut gehen, giebt es nicht; vaso-
motorische Nervenfasern können ebenfalls auf die Ver-
änderungen keinen Eintluss haben, da diese Veränderungen
an Stellen entstehen, wo gar keine Blutgefässe vorhanden
sind; auch spricht garnichts für die von Samuel aufge-
stellte Annahme, dass im Nervus trigeminus sogenannte
trophische Fasern vorhanden seien, welche den Reiz extra
zu dem Zwecke zur Hornliaut leiten, um deren Ernährung
zu beherrschen. Wir sind also zu dem Schluss gezwungen,
dass bei der Nervendurchschneidung die Ernährungs-
störungen lud Formen Veränderungen in der Hornhaut
direct durch die sensiblen Fasern des Nervus trigeminus
erzeugt werden.
Dies geschieht in folgender Weise:
Alle neueren Untersuchungen weisen darauf hin, dass
die Sinnesnerven von der Körperoberfläche in das Innere
wachsen, und die Degenerationserscheinungen der Nerven
nach Durchschneidung zeigen, dass auch die Ernährung
oder wenigstens die Zufuhr eines hervorragend wichtigen
Nährstoffes der Nerven immer centripetal in der Richtung
der Leitung erfolgt. Daraus ergiebt sich dann, dass das,
was man seither als Nervenendigung im Epithel ange-
sprochen hat, vielmehr als Nervenanfang anzusehen ist,
und man muss schliessen, dass das Epithel Stoffe ab-
sondert, welche zum Aufbau oder zur Ernährung der
Nerven dienen. Man wird sich demnach vorstellen müssen,
dass ein beständiger Strom eines solchen Epithelsecretes
von dem Nerven aufgenommen und in demselben von
Zelle zu Zelle unter fortwährender Wiederaufnahme und
Wiederausscheidung weitergeführt wird. Hierbei wirkt
das zum Nerven gehörige Ganglion wie ein Reservoir, in-
dem seine Ganglienzellen die Stoffe, welche der Nerv von
der Peripherie zuführt, aufnehmen, in gewisser Menge
anhäufen und nach Bedarf centripetal weitergeben. Hier-
bei kann man sich vorstellen, dass ein Theil der Nerven-
fasern in den Zellen des Ganglion endigen und haupt-
sächlich der Zuleitung dienen, während der andere Theil
der Nervenfasern das Ganglion durchzieht und der Reiz-
leitung dient. Auf die Abgabe der Nährstoffe für die
Nerven sind die Epithelzellen eingerichtet, werden sie in
der Abgabe dieser Stoffe gehindert, dann tritt in ihnen
eine Ernährungsstörung ein. In diese Lage bringen wir
die Epithelien der Hornhaut nach Durchschneidung der
zugehörigen Nerven.
Da l)ei der Durchschneidung des Nerven in den
Epithclzi'llcu der Hornliaut einmal Kernsubstanzen ver-
schwinden, an anderen Stellen eine Vermehrung der Kern-
substanzen in Form von Kerntlieilinigstiguren nnd zahl-
reichen neuen Kernen bemerkbar wird, so ist kein Zweifel,
dass es Kernsubstanz ist, welche der Nerv von den Epi-
thelien erhält, und es ergiebt sich fernerhin, dass der
Nerv nach der Durchschneidung diese Kernsubstanzen an
der einen Stelle nnt einer Beschleunigung fortfuhrt, dass
die betroffenen Epithelzellcn sie gänzlich verlieren, an
anderen Stellen der Hornliaut wird dann aber gleichzeitig
ihre Fortfülirung so verlangsamt, dass sie in den Zellen
angestaut wird und zur Zelltheiiuiig und -Vermehrung führt.
Nun muss man sich erinnern, dass die Ganglienzellen
als Reservoire defiiiirt wurden, in denen die Stoffe, welche
die Nerven von der Peripherie zuführen, sieh ansammeln
und deren Fülluugsgrad wieder das Gefalle bestimmt,
das im Nerven stattfindet. Beim Durchschneiden des
Ganglion trifft man nun die als Reservoire dienenden
Ganglienzellen und
die das Ganglion durchziehenden
Nervenfasern. Durch das Durchschneiden der Ganglien-
zellen öffnet man die Reservoire, und das muss in allen
zugehörigen Fasern ein Nachlassen der Stauung bewirken,
was ein ungemein schnelles jVbfliessen der Kernsubstanzen
aus den Fasern und den zugehörigen Epithelzellen zur
Folge haben wird. Bleibt in diesen Epithelzellen von
der Kernsulistanz nicht einmal so viel zurück, dass die
Zellen daraus ihre Ernährung bestreiten können, so werden
sie nekrotisch. Anders dagegen, wenn die das Ganglion
durchziehenden Nervenfasern getroffen werden, in diesen
Nervenfasern wandert die Kernsubstanz langsam von Zelle
zu Zelle und durch den Schnitt wird die Möglichkeit
dieser Weitergabe unterbrochen, dies führt zu einer Stauung
des Nährstoff'stromes in allen Zellen bis in die Epithel-
zellen, und hier wird die Stauung am stärksten. Es
müssen also den durchschnittenen Nervenfasern die Epithel-
gebiete entsiirechen, in denen eine Zurückhaltung der
Kernsubstanz und damit der Anlass zur Kern- und Zell-
vermehrung gegeben ist. Diese Stauung der Nährstoffe
setzt sich fort durch das ganze Stromgebiet bis in das
Kammerwasser und führt hier zu Zellneubildungen oder
wenigstens Anhäufung von Kernsubstanzen.
Bleibt nunmehr noch zu untersuchen, auf welche Weise
nach dem Durchschneiden des Nervus trigeminus die Aus-
trocknung gewisser Zellpartien au der Oberfläche der
Hornhaut zu Stande kommt. Dies hat in folgendem seinen
Grund. An der ganzen der Luft ausgesetzten Oberfläche
der Hornhaut findet eine permanente AVasserverdunstung
statt, die natürlicherweise am geringsten ist, wenn die
Augenlider geschlossen sind, am stärksten, wenn dieser
Schutz fehlt. Nun tritt bei der Durchschneidung des
Nervus trigeminus eine Lähmung des Lidsehlages ein,
das Auge bleibt permanent unbedeckt und die Folge da-
von ist eine so starke Verdunstung an der Hornhaut, dass
deren durch KernstoffVerlust geschwächte Zellen den
Wasserverlust nicht ersetzen können und vertrocknen
müssen. Diese Vertroeknung kann jedoch verhindert
werden, wenn man vor der Nervendurchschneidung das
Auge durch Vernähen der Lider gegen A'erduustuns-
schützt.
Dr. Tornier.
Einen Bericlit über die 1892 stattgehabten ColiiiiilMis-
Feierlichkeiten in Genna, Hnelva und Madrid liefert
Prof. Dr. (J. Hellniann in den \'erhandlungen der (!e-
sellsehaft für Erdkunde zu Berlin.
Der Zeit nach der erste war der Congress in Genua,
welcher auf die Tage vom 18, bis 25. September fiel.
98
Naturwissenschaftliche Wochenschrift-;
Nr. 10.
Die Societä CTCogTafica Italiana iu Rom hatte die
Idee, ihre Theiinahme an den lang ausgedehnten Festen
in r4enua nicht bloss durch eine retrospective Feier zu
Ehren von Columbus zu bethätigcn, sondern bei dieser
Gelegenheit auch eine dauernde Institution, einen italieni-
schen Geographentag, wie wir solchen in Deutschland
bereits seit 1881 liesitzen, ins Leben zu rufen.
Verbunden mit diesem Frimo Congrcsso (ieografico
Italiano war eine Gedächtnissfeier für Columbus, eine
Commemorazione di Cristoforo Colombo.
Von dem Inhalt der Begrüssungs- und anderen Reden
erwähnen wir nur Folgendes. Die Glückwünsche der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin überbrachte Professor
Hellmaun. Er erinnerte daran, wie sich die Italiener
gerade in diesen Tagen nicht bloss des Columbus, als
ihres Landsmannes, rühmen dürften, sondern noch vieler
anderer ausgezeichneter Männer, welche das A\'crk des
Columbus entweder vorbereiteten oder vervollständigten,'
vor allen jenes edlen Florentiners Toscanelli, der durch
seine Karten den entscheidendsten Einiluss auf die Fro-
jecte des Columbus ausgeübt hat, und jenes anderen
Florentiners Amerigo Vespucci, dessen Fahrten so viele
neue Gebiete uns erschlossen haben, und von dessen Vor-
namen einer imserer Laudsleute, Waldseemüller, zuerst
deu: Namen der neuen AVeit herleitete: Amerika. Deutsch-
land sei damals freilich noch nicht in der Lage gewesen,
an den maritimen Entdeckungen der Mittelmeervölker
Theil zu nehmen; aber es wäre ihm doch wenigstens ver-
gönnt gewesen, diese vorbereiten zu helfen durch die
grossen Fortschritte in den kosmographischen Wissen-
schaften, welche in Deutschland damals gemacht wurden.
H. erinnerte an Johann Jlüller von Königsberg (Regio-
montanus), einen der Reformaturen der Astronomie, dessen
Declinationstafeln Coluudjus auf seinen Fahrten gebraucht
hat, und an Martin Behaim, welcher den portugiesischen
Seeleuten, und somit indirect auch Columbus, der damals
in Lissabon lebte, den (iebrauch verschiedener neuer
.nautisch -astronomischer Instrumente gelehrt hat. Aber
freilich, diese Verdienste seien doch nur klein im Ver-
gleich zu denen der Italiener in dieser Beziehung.
Der am Congress theilnehmende Prinz von Monaco
^niachte Mittheilung über die Ergebnisse seiner langjährigen
oceanographischen ."Studien in der Atlantik, welche er auf
seiner speciell für solche Zwecke erbauten Yacht „Alice"
ausgeführt hat.
Der Prinz hat sich nämhch die Aufgabe
gestellt, die Strömungen im Atlantischen Ocean zu er-
forschen und bedient sich dazu eigens construirter Schwim-
mer (flottem-s), von denen er im Laufe der Jahre viele
Tausende in ganz systematischer Weise ausgeworfen hat.
Diese Schwinnner werden von den Meeresströnumgen fort-
getragen und nach oft sehr langen Reisen schliesslich
irgendwo ans Land geschwemmt. Aus solchen Funden,
von welchen der Prinz Mitthcilüng bekommt, ist er im
Staude gewesen, eine neue Karte der Strömungen zu ent^
werfen, welche manche Neuerungen und manche Ver:
, besserungen unserer bisherigen Auffassung dieser Verhält-
nisse enthält.
In der Gedächtnissfeier für Columbus hielt den Haupt-
vortrag Herr Professor Dalla Vedova, welcher die vor-
trefflichen Eigenschaften und Vorzüge des Entdeckers ins
rechte Licht zu setzen wusste, aber auch seine Schwächen
nicht verschwieg.
Verbunden mit dem Congress in Genua war eine um-
fassende geographische Fachausstellung, welche sehr
beachtenswerthes bot und auch ihrerseits bewies, welch
grosse Fortschritte die Geographie in Italien gemacht hat.
Der Vergleich dieser Ausstellung mit der gelegentlich des
Internationalen Geographischen Congresses zu Venedig im
Jahre 1881 veranstalteten bewies dies aufs deutlichste.
Dagegen war die gleichzeitig stattfindende Espo-
sizione italo-americana nichts weiter als eine nord-
italienische Gewerbe-Ausstellung, in der namentlich Amerika
sehr zurücktrat, während die Specialausstellung der ita-
lienischen katholisciien Missionen sehr viel Interessantes
darbot, nanientlich in ethndgraphiselier Bezicliun.i;'.
Der Internationale Amerikanisten - Congress
in Huelva begann erst am 7. October. Die nächste Um-
gebung dieser Stadt ist für Amerikanisten ein wahrhaft
klassischer Boden.
Wenn man im Hafen von Huelva steht und den Blick
nach Süden, nach dem Oceau richtet, da winkt von links,
von steiler Uferhöhe herttl)er das einsame Kloster Santa
Maria de la Rabida, in dem Columbus und sein Sohn
einst liebevolle Aufnahme bei Franziskauermönchen fanden,
und etwas weiter nach links erblickt man einige Häuser
des Dorfes Pälos, vor 40U Jahren noch ein bedeutender
Hafen , von dem aus Columbus am 3. August 1492 seine
erste Reise antrat.
Bis vor Jahresfrist lag das Kloster halb verfallen, die
ganze, an sich so reizende Umgebung verwildert da. Dem
Ehrenpräsidenten des Congresses, dem Ministerpräsidenten
Cänovas del Castillo, verdanken wir die Wiederherstellung
und Verschönerung dieser ewig denkwürdigen Stätte. Auf
sein Geheiss hat man das Kloster selbst restaurirt, in
dessen Umgebung eine prachtvolle Parkanlage geschaffen,
bequeme Wege und eine grosse Landungsbrücke gebaut,
die Sti-asse nach dem :3 km flussaufwärts gelegenen Pdlos
verbessert, und auf diese Weise aus diesem schönen
Flecken Erde ein wirkliches Nationalheiligthum geschaffen.
Bei Gelegenheit der UebciTcichung der Festschrift
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin konnte es, sagt
Hellmann, „nicht schwerfallen, einige Worte des Lobes
und aufrichtigster Anerkennung liinzuzufügeU. Denn wenn
auch Columbus von Geburt Italiener war, so kann doch
Spanien das Hauptverdienst an der Entdeckung Amerikas
für sich in Anspruch nehmen. Hätte Isabel La Catölica die
kühnen Projecte des Genuesen nicht beaclitet, hätte Castilien
nicht die materiellen Mittel zur Ausführung dieser Projecte
liergegeljcn, hätten die Pinzoncs sowie die ganze Scliift'er-
bevölkerung von Palos und Moguer nicht so mutliig Hilfe
geleistet, wer weiss, wieviel später erst die Ideen .des
Columbus verwirklicht worden wären. ' ' '
Spanien hat aber noch einen anderen Ruhmestitel
gerade mit Bezug auf die Entdeckung der Neuen Welt
aufzuweisen. Mit der Eroberun.g Granadas am 2. Januar
1492, mit der Vertreibung der Maureu aus Spanien, hatte
es AVesteuropa für immer vom Joch des Islam befreit.
Die dadurch bewirkte uud so schwer erkaufte Einigung
Spaniens war die nothwendige Vorbedingung gewesen
zur Inangriffnahme von Projecteu, auf welche sich vor-
her weder Castilien noch Leon jemals hätte einlassen
können."
Von den Vorträgen greifen wir auch hier nur weniges
heraus.
Neu und sehr interessant wai'cn die Untersuchungen
von Dclgado, Archivdirectors iu Sevilla, über die Be-
mannung und die Ausrüstung der drei Caravelen, mit
denen Columbus die erste Reise anachte.
Im Hafen von Huelva lagen möglichst getreue Nach-
bildungen dieser drei Schiffe vor Anker. Sie werden auf
der Weltausstellung in Chicago paradiren. Unweit der
Caravelen lag das winzig kleine Segelboot, eine Art von
„Seelenverkäufer", auf dem der Amerikaner Andrews die
tollkühne Fahrt von Nordamerika nach Huelva glücklich
vollführt hatte. ■ Ob Herr Andrews diese waghalsige Reise
atis blossem Enthusiasmus für Columbus und die Centenar-
feier gemacht hat, oder um die nordamerikanische Seife,
Nr. 10.
N;itur\vi!ssciis<'li;irtlii'lie WocliensdinTt.
<.)'.i
«elclif dcusclhen Namen trägl wie sein Boot .Sa|i(iliiiii,
bekannter zu machen?
llellmann lieferte einen lieitrai;' zur Entdeekungs-
geschichte.
Columbus tiilüte auf seinen IJei.sen ein Tai;cbueii,
von dem uns wenigstens ein Auszug, gefertigt vom Fray
Bartolome de las Casas, erhalten ist. In diesem Tage-
bueh tindet sich unter dem 13. September 1492 eine Be-
obachtung über das ^'erhaltcn des Compasses eingetragen,
welche für die CTemchicIite der physischen Geographie von
höchster Bedeutung ist. Bis dahin hatte man angenommen,
dass die ^lagnetnadel an allen Orten und zu allen Zeiten
unverändert nach Norden zeige. Ccdumhus beobachtete
an jenem Tage zuerst eine Declination oder Variation der
Magnetnadel. Nun hat es nie an Gelehrten gefehlt, welche
die Eciitheit dieses Tagebuches — ebenso wie diejenige
der sogenannten „^'ida de Colon", geschrieben von seinem
Sohne Ferdinand — angezweifelt haben. Damit würde
Columbus der Ruinn dieser wichtigen Entdeckung streitig
gemacht sein. H. konnte aber einen Beweis für die Richtig-
keit der Beobachtung des Columbus und damit für die
Echtlicit seines Tagebuches bringen. Aus einer neuen,
rein mathematischen Theorie des Erdmagnetismus, welche
ein in England lel)ender Deutscher, Namens Wilde, auf-
gestellt und experimentell gestützt hat, Hess sieh unter
gewissen plausiblen Annahmen der Zustand der Isogonen,
d. h. der Linien gleicher Declination, rückwärts für den
Septendier des Jahres 14ü2 berechnen, und da zeigte sieli,
dass die Null-Isogone, also die Linie ohne magnetische
Declination, ungefäiir gerade da verlief, wo Columbus sie
passirt und beobaclitet luxt.
Am 12. October, also an dem Tage, an welchem
Columbus vor 400 Jahren zuerst Land betrat, fuhren die
Congress- Mitglieder nach der Räbida, um im Beisein der
königlichen Familie, der Minister, Diplomaten, fremden
Seeofticiere u. s. w. der feierlichen Enthüllung des Denk-
mals beizuwohnen, welches die spanische Regierung zur
Erinnerung an die Entdeckung Ameiikas mit einem Kosten-
aufwand von 300 000 Mark hat errichten lassen. Das
Denkmal, dessen Entwurf vom Architekten Veläsquez her-
rührt, ist symbolischer Natur. Auf mächtigem (4ranit-
sockel erhebt sieh eine mehr als 60 m hohe, mit Schitts-
schnäbeln (rostra) verzierte Säule, welche einen riesigen
Globus mit der Inschrift ,,Isabel La Catolica — Cristobal
Colon", und auf diesem ein Kreuz trägt. Weithin ist
dieses Monument siclitbar, und fortan wird es allen auf
dem Ocean vorbeifahrenden Schiften ein gar bedeutungs-
volles Wahrzeichen sein.
^VJn Huelva gingen die meisten Congressisten nach
Madrid, um die beiden grossen Ausstellungen zu be-
suchen, welche eine wichtige Ergänzung zum Congress
bildeten. Dieselben sollten den Culturzustand Amerikas und
Europas im Zeitalter der Entdeckungen widerspiegeln.
Beide Ausstellungen waren ausserordentlich reich bescliickt
und in einem riesigen und prachtvollen Neultau, welcher
für die Bibliothek und die naturwissenschaftlichen Jluseen
bestinnnt ist, zweckmässig untergebracht. Der historisch-
amerikanischen Ausstellung ähnelt naturgemäss der ameri-
kanische Saal im Berliner Museum für Völkerkunde,
während man in der historisch-europäischen sich in unser
Kunstgewerbe -Museum versetzt zu sein glaubte; nur war
der Umfang der Ausstellungen sehr viel grfisser.
An geistigen Anregungen der verschiedensten Art
und an wissenschaftliclien Erfolgen hat es also auf diesen
Congressen und Ausstellungen nicht gefehlt.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wuriliii riiiiuiiil : Zciici I'rof<^ssür diT tiipographisclii'ii
Anatomie au der Univei'sitiit Strassburg dor ausserordentliche
Professor Dr. l'f'itzner an Stell." des verstorbenen Prof. Jocssel.
— Der Custoa an der Königliehon lTniversitiit.«-f5ibliothek und
Privat-Docent an der Üniversitilt l'r. Kduard Alberti in Kiel
zum Professor. — Bei der Königliclien Bibliothek in Berlin der
bisherige Assistent Dr. med. Wilhelm .Jahr zum Ililfscustos
mit dem Titel Custos. — Dr. Wilhelm D roxi er von der Ber-
liner Universitäts-Bililiothek zum Assistenten bei der l'niversitäts-
Bibliothek in Halle. — Geh. Ilofrath Dr. Sehmidt zum Vorstand
der chemisehen Ahtheihing an der technisehen Abtheihmg in
Dresden. — Oberförster. Dr. Martin in .Jesberg zum Dooc'nten der
Foi-stwissenschaft an der Universität Giessen. — Der Scriptor an
der Universitiits-lübliothek zu Leniberg Dr. Friedrich Papeo
zum Custos. — I Dr. Zdislaus Hordyiiski und Dr. B. v. Män-
kowski zu Scriptoren an der [Iniversitäts-Bihliothok zu Leni-
berg. — Koloman Kerpely zum Professor des Pflauzenhanes
an der Königl. Ungarischen latulwirthsehaftlichen Lehranstalt in
Debreczin. — Der ausserordentlichi^ Prof. .los. M. Pornter zum
ordentlichen Professor der kosmischen Physik an der Universität
Innsbruck. — Der I'rivatdoeent der Botanik an der Universität
Berlin Dr. Krabbe zum Königl. Professor.
Der Professor der pathologischen Anatomie an der Universi-
tät Dorpat Prof. Thoma ist um seinen Abschied eingekouunen.
Es hat sich habilitirt : Der Zoologe Prof Otto H.imann,
bisher Privatdoceut an der Universität Göttingen, an der Uni-
versität Berlin.
Es sind gestorben: Der schon vor niehreren.Jahreu krankheits-
halber pensionirte Kgl Preuss. Landesgeologe Dr. Ernst Laufer
in Eisenach. — In Upsala der ausserordentliche Professor der
Pharmakologie und medicinischeu Naturgeschichte an der dortigen
Universität Dr. Robert Fredrik Fristedt. — In Rostock der
bekannte Pharmacent Senator und Besitzer der Universitäts-
Apotheke L'r. ( Christian Br u nnen gräber. — Der Astronom
G. M. A\'liipple vom Observatorium zu Kew. — Der Königl.
Prenssische Landesgeologe Prof. Dr. Karl Lossen in Berlin. —
Der ordentliche Professor der Botanik an der Universität Breslau
und Director des Königl. botanischen Gartens Dr. Karl Prantl.
Die 15. öffentliche Versammlung der balneologischen
Gesellschaft tagt in der Zeit vom 10. — 14. März in Berlin. —
Vorsitzender: Geheimrath Liebreich.
L i 1 1 e r a t u r.
Lacroix - Danliard, Le Poil des animaux et les fourrures,
histoire naturelle et Industrie. Avec oO tigures. (Bibliotl]e(|iie
lies Connaissances utiles.) Librairio ,1.-B. Bailiiere et Fils a Paris
1892. — Preis 4 Fr.
Das Buch bildet ein Gegenstück zu dem in dersellien Bililio-
thek erschienenen und in der „N. W " VII S. 20 bosprocheuen
Werk ebenfalls von Lacroix-Danliard, „La plume des oiseaux."
Zunächst wird der Bau und die Färbung der Th'erhaare unter-
sucht und dann i<ine systematische P>etraclitung derselben nach
ihrer Herkunft und ihrer Verwerthuiig gebracht. Abgesehen von
dieser den Praktiker (also den Fabrikanten) interessirenden Seite
„wird auch über die die verwerthbaren Haare liefernden Thiere,
ihre Lebensweise uml Jagd das Nöthige beigebracht. Der Händler
findet Angaben über die Hauptmärkte, Preise n. s. w. Auch
eine Besprechung der Schädlinge der Haare und ihrer Bekämpfung
sowohl amRoh])roducte als auch an den fertigen Artikeln f(ddt nicht.
P. Groth. tlebersichtstabelle der 32 Abtheilungeu der Krystall-
formen, mit Erläutervingen, Beispielen und graphischer Dar-
stellung nach Gadolin zusammengestellt. Leij^zig, Wilhelm
Engelmann. ISÜL'. — Preis 1. M.
Es ist von Wertli, in übersichtlicher Weise einmal die sämmt-
liclien Abtheilungen nebeneinandergestellt zu sehen, in denen natür-
liche Krystallformen überhaupt möglich sind. In der V(ndiegenden
Tabelle ist eine solche Aufstellung unter Anführung der Symme-
trie-Elemente, die ihnen zu Grumle liegen, gegeben. Man ersieht
daraus leicht, wie sich jene 32 Abtheihingen auf die sechs be-
kannten Krystallsysteme vertheilen. Auf das trikline Krvstall-
system entfallen 2, auf das monocliue 3, auf das rhombische 3,
auf das tetragonah' 7, auf ilas hexagonale 12, auf das reguläre 5
Abtlieilungen. Eine Miller'sche Kugelprojection der allgemeinsten
Krystallgcstalt jeder Abtheilung veranscliaulicht die Vorliältuisse
und zugli'ich sind bei denjeuigmi Abtheilungen Beispiele von Sub-
stanzen angeführt, wo solche bis jetzt in entsprechender kryst.-illo-
gi-aphischer Ausbildung bekannt geworden sind. Bei ö Abtliei-
lungen giebt die Tabelle an, dasa zugehörige Beispiele noch nicht
bekannt seien. Ich füge hinzu, dass inzwischen für die hemimorph-
100
Naturmsseiiseliaftliclie Wocliciischvift.
Nr. 10.
liiiiiiiilrische Abtlieilung mit sechszähliger Hauptaxe des hexa-
gonalen Systems im rechtsweinsauren Antimonoxyd-Strontium und
rechtsweinsaureu Antimonoxyd-Bloi und für die hemimorph-heniie-
drischo Abtheilung des tetragonalen Systems im rechtsweinsauren
Antimonoxyd-Baryum Beispiele aufgefunden worden sind {vgl.
Traube, Beilageband VIII des Neuen Jahrbuches für Mineralogie
u. s. w). Scheibe.
Bulletin de l'Academie Royale des Sciences et des Beaux-
Arts de Belgique Brüssel 1892. — Nummer 11 {62. Jahrgang).
E. Dupont: lieber Skelettreste im königl. naturhistorischen Mu-
seum (Reconstruction von Carcharadon megalodon; Erwerbungen
aus den Kreide-Phosphaten von Ciply; Mosasaurier, Chelonier, Te-
leostier etc.). F. Swarts: Untersuchungen über das Fluochloro-
form. A. van Gebuchten. Der Ursprung des Nervus oculo-
motorius communis. Die Untersuchungen erstrecken sich beson-
ders auf das Verhältniss der Nervenfiiden zu den Ausgangszellen
und sind mit bestem Erfolge an einem 14 Tage alten Kanarien-
Embryo angestellt worden. E. Lagrange et P. Poho: Licht-
und Wärmeerscheinuugen, hervorgerufen durch den elektriischen
Strom in Flüssigkeiten. Const. de Sain t-H il aire: Ueber die
Resorption beim Krebse. Untersuchungen im physiologischen In-
stitut der Universität Lüttich.
Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, herausgegeben
von N. Pringsheim, 24. Band, Heft 3 und 4, Berlin 1892. —
Heft o: Bart hold Hansteen: Studien zur Anatomie und Phy-
siologie der Fucoideen. Besprochen werden Pelvetia canalieula,
{Dcsne) Thuret, welche an der Westküste Norwegens ausgedehnte
Algenformationen an der obersten Flutgrenze bildet (hauptsächlich
die Gewebesystemo in anatomisch-i)hysiologischer Beziehung);
in gleicher Weise Sargassum bacciferum, I. Ag., und IFueus
serratus, L (besonders die in den Zellen constant auftretenden,
lichtbrechenden, kugeligen Gebilde, welche VerfiFucosan nennt und
für ein neues Kohlenhydrat der Gruppe (CoHioOs) n anspricht).
Hierzu 4 Tafeln. — Franz Buchenau: Ueber die Bestäubungs-
verhiiltnisse bei den Juncaceen. Allgemeiner Ueberblick über die
Vorgänge während der Geschlechtsreife und die Verhältnisse,
unter denen die Befruchtung geschieht. Tabelle der bei den
Juncaceen vorkommenden Bestäubungsverhältnisse. Anführung
zahlreicher Beobachtungen an einer Menge von europäischen und
fremdländischen Arten der Gattungen Juncus und Luzula, ferner
Distichia, Marsippospermum etc. Bau des Pistills und besonders
der Narben der Juncaceen. Farben der Narben einer Anzahl
Juncus- und Luzula-Arten). 2 Tafeln. — Julins Klein: Unter-
suchungen über Bildungsabweichungen an Blättern. Verfasser
tritt der Frage über die Entstehung dieser Bildungen näher, in-
dem er mikroskopische Untersuchungen an Querschnitten von
Blattstielen anstellt, welche derartige Blätter tragen, was bisher
noch nicht geschehen ist. Seine Untersuchungen erstrecken sich
auf Bildungsabweichungen an quirlständigen {hierunter auch die
üpponirten) Blättern (Nerium, (Meander, Syringa vulgaris etc. etc.)
und an spiralig stehenden (Morus, Ficus australis, Pyrus amyg-
daliformis etc.). Ferner hat er einzelne Bildungsabweichungen an
Blättern von Populus alba, Pulmonaria offioinalis, Plantago lan-
tcolata u. a. m. untersucht. Er kommt zu dem Resultate, dass
solche abweichende Blätter an einem Blattstiele entweder wirk-
liche Doppelblätter (dann zwei Mittelnerven und doppelte oder
doch vermehrte Zahl von Gefässbündeln), oder nur in zwei oder
mehr Spitzen endigende Blätter sind (dann nur ein Mittelnerv
und die für ein Blatt erforderliche Zahl Gefässbündel). Hierzu
(j Tafeln. — Heft 4 ist Schlusshoft des Bandes, enthält das In-
haltsverzeichnis und an Arbeiten: 1) J. H. Wakker: Unter-
suchungen über den Einfluss parasitischer Pilze auf ihre Nähr-
))flanzen (Versuch einer pathologischen Anatomie der Pflanzen).
Verfasser hat die bisher wenig berücksichtigten, durch den Para-
siten im Innern seines Wirtes hervorgerufenen anatomischen Ver-
änderungen zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht
und führt eine Anzahl Fälle in der Aufeinanderfolge der natür-
lichen Verwandtschaft der Pilze auf. Hierzu 5 Tafeln. — 2) G. de
Lagerheim: Dipodascus albidus, eine neue geschlechtliche
Hemiascee. Die Art gehört zu den Zwischenformen zwischen
Phycomyceten und den aus diesen angebli<-h hervorgegangenen
Ascomyceten und und zeigt noch die an die ersteren erinnernde
Geschl'echtlichkeit, welche bei den meisten anderen Hemiasceen
nicht bekannt ist. Ausser der genauen Beschreibung der (neuen)
Gattung und Art, stellt der Verfasser möglichst eingehend die
Entwicklungsgeschichte und Morphologie der Form dar. 3 Tafeln.
F. K.
Archiv der Kathematik und Physik mit besonderer Rück-
sieht auf die Bedürfnisse der Lehrer an höheren ITnterrichtsan-
stalten. Gegründet von J. A. Grunert, fortgesetzt von R. Hoppe.
Zweite Reihe, elfter Theil (Koch's Verlagsbuchhandlung; Leipzig
1892). — An grosseren Aufsätzen, die in dem genannten Bande
enthalten sind, können wir folgende anführen: Leib, neue Con-
struction der Perspective; Regel, die Nullwerthe höherer Ab-
leitungen gewisser zusammengesetzter Functionen; Regel, arith-
metische Entwickelungen; Hoppe, das Tetraeder bezogen auf
seine Hauptträgheitsaxeu; Schlegel, die allgemeinen Grund-
lagen zweier Probleme aus der Unterhaltungs- Arithmetik; (Vgl.
hierzu auch: Gutzmer, Naturw. Wochenschr. Bd. VII S. 2.51);
Hoppe, Curven von constanter Krümmung, Torsion, Total-
krünnnung und Krümmungsverhältniss; Bazala, neue Bcleuch-
tungs-Constructionen für Flächen, deren zu einer Axe normale
Schnitte ähnlieh und ähnlich liegend sind, im Allgemeinen und
für Flächen II. Grades im besonderen; (jekinghaus, zur Theorie
der elliptischen und hyperelliptischen Integrale; Reich, zurTheoric
der quadratischen Roste ; Hoppe, Curve gegebener Kriimuuing auf
gegebener Fläche; Reich, über Variationen und Combinationen
zu bestimmten Suunnen; Laab, Lösung des Problems über den
Schnitt von Curven zweiter Ordnung; Holtze, einige Aufgaben
aus der Combinatorik ; Hoppe, die Willensfreiheit und der |)hy-
sische Determinismus; Hoppe, Construct.ion einer liegeliläche
aus gegebener Strictionslinie; Kühne, Beiträge zur Lehre von
der n-fachen Mannigfaltigkeit (u. a. werthvolle Mittheiluugen aus
Kronecker's Vorlesungen über Determinantentheorie enthaltend);
Panzerbieter, Dreitheilung jedes Winkels mittelst fester
Kegelschnitte; Rogel, über die Reihe der reciprokeu Binomial-
Coefficienten.
Fischer, W., Uebersicht der von Herrn Dr. F. Stuhlmann au
Sansibar und an der gegenüberliegenden Festland.sküste ge
sammelten Gephyreen. Hamburg. 1 M.
Frech, F., Die Karnischen Alpen. Halle.
Oerstaecker, A., Bestimmung der von Herrn Dr. F. Stuhlmann
in Ostafrika gesammelten Hemiptera. Hamburg. 1 M.
Qöhre, R., Dottersack und Placenta d. Kalong (Pteropus edulis,
L.). Wiesbaden. 2 M.
Grobben, C, Beiträge zur Kenntniss des Baues von Cuspidaria
(Neaera) cuspidata olivi, nebst Betrachtungen über das System
der Lamellibranchiaten. Wien. 9 M.
Halaväts, I., Palaeontologische Daten zur Kenntniss der Fauna
der südungarischen Neogen-Ablagerungen. Budapest. 1,20 M.
Halliburton, W. D., Lehrbuch der chemischen Phj'siologie und
Pathologie. Heidelberg 20 M.
Jäger, G., Ueber die Aenderung der Capillaritätsconstanten des
yuecksilbers mit der Temperatur. Leipzig. 0,40 M.
— ,— , zur Theorie der Flüssigkeiten. Ebd. 0,40 M.
Ihering, H. v.. Zur Kenntniss der Saooglossen. Leipzig. 4 M.
Katalog luathematischer und mathematisch-physikalischer Modelle.
München. 14 M.
Klein, H. J., Führer am Sternenhimmel für Freunde astronomischer
Beobachtungen. Leipzig. 9 M.
Klemencic, J., u. P. Czermak, Versuche über die Interferenz
ilektrischer Wi'llen in der Luft. Leipzig. 1,10 M.
Knies, M., Grundriss der Augenheilkunde unter besonderer Be-
rücksichtigung der Bedürfnisse der Studircnden und Aerzte.
3. AuH. Wiesbaden. 6 M.
Krümmel, O., Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. Kiel.
30 M.
Berichtigung.
Auf S. 85 Spalte 2 Zeile 2 muss es praktischen anstatt ark-
tischen heissen.
llllinit: Prof. Dr. A. Nehring: Ueber die Tundren-, Steppen- und Waldfauna aus der Grotte „zum Schweizerbild'' hei Schatf-
hausen. — Oberförster R. Rittmeyer: Ueber die Nonne (Liparis monancha.) (Fortsetzung.) (Mit Abbild.) — Heilmittel der
Malaria. — Untersuchungen über den Einfluss des Nervus trigeminus auf die Hornhaut des Auges. — Bericht über die 1892
stattgehabten Columbus- Feierlichkeiten in Genua, Huelva und Madrid. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur:
Lacroix-Danliard: Le poil des animaux et les fourrures. — P. Groth: Uebersichtstabelle der o2 Abtheilungon der Kry.stall-
formen, mit Erläuterungen, Beispielen und graphischer Darstellung nach Gadolin zusammengestellt. — Bulletin de TAcadeuiie
Rovale des Sciences et des Beaux-Arts de Belgique. — Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik. — Archiv der Mathematik
unil Physik. — Liste. — Berichtigung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dünimlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
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^-- Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
Vlll. Band. Sonntag, den l± März 18JI3.
Nr. 11.
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Alxlrufk ist nur mit voll!iitäii«lij>'or ^^iielleiiaiiffab» s^^^t^^tct.
Christian Konrad Sprengel, der Begründer der modernen Blumentheorie.
Villi l'rof. Dr. (_). Kirclmer.
Ein JalirliuiKk'rt ist in (licscii Tan'cii verflossen seit
dem Er.sclieiiieii eines Werkes, welches Darwin f( >rclii(i.
S. 20!)) als ein eiii'eiitliiimlielies Buch mit einem eigen-
thiiinlichen Titel ))ezeichnet, eines Werkes zugleich, das
den Grundstein eines in unserer Zeit fröhlich enipor-
f;ediehenen Neubaues der botanischen Wissenschal't dar-
stellt, das den Ausr-ansspunkt der Forschungen iilier die
Hiiilogie der l)lütlieii bildet. Es ist Christian Konrad
Spreng-els liuch : „Das entdeckte Gidieininiss im Bau und
in der Befruchtung der Blumen", welches zu Anfang des
Jahres 1793 (Berlin, bei Friedrieb Vieweg dem älteren)
erschien, und dessen Vorrede vom 18. Decenibcr 1792
datirt ist. Wenn gleich unter den modernen Naturtorsciiern
und ihren Jüngern, die der F.rrungenseliaften der (iegen-
wart sieb freuen und mit l'länen für die Zukunft be-
schäftigt sind, wenig Neigung zu Httekblicken in die Ver-
gangenheit ihrer Wissenschaften sich bemerkbar macht,
so ist es doch Sitte, wenigstens die Jubiläen wichtiger
wissenschaftlicher Ereignisse und ihrer Urheber zu be-
geben, und an einem solchen (Tcdenktage die Wirksam-
keit Oh. K. Sprengcls rückblickend zu überschauen und
zu würdigen, ziemt uns um so mehr, als es gilt, früher
Versäumtes nachzuholen, dem Todten diejenige Anerken-
nung zu spenden , welche dem Lebenden durchaus ver-
sagt blieb.
Ein „Gebeiinniss" durfte Sprengel für seine Zeit den
Bau der Blüthen mit Recht nennen; ilenn wenn man auch
im allgemeinen die Bedeutung der Geschleclitsorgane
kannte, ja ihre Gestalt, Zahl und Anordnung durch den
(ilebrauch des Linne'schen Sexualsystemes eingehend zu
untersuchen gezwungen war, so fehlte doch noch viel zu
einer richtigen Vorstellung nicht nur über die l)esondereii
Einrichtungen derverscbiedenen Blüthen, sondern sogar über
den Vorgang der Bestäubung und der darauf folgenden Be-
fruchtung selbst. Nur die Notbwendigkeit der Uebertra-
guug von Pollen auf das weibliche Organ zum Zwecke der
Samen- und Fruchtbildung war gegen das Ende des vorigen
Jahrhunderts als wisseuscbaftlich festgestellte Thatsache,
die übrigens später noch einmal wieder angezweifelt wurde,
anzusehen; in welcher Weise diese Uebertragung sich
vollziehe, das war eine Frage, die man überhaupt kaum
näher erwog, weil man ihre Beantwortung für ganz selbst-
verständlich hielt. Nur die scharfsichtigen Beobachtungen
von Joseph (iottlieb Koelreuter*) liegen über diesen Gegen-
stand aus der Zeit, bevor Sprengel sich damit beschäftigte,
\»r] dieser ausgezeichnete Beobachter zeigte, während
andere Botaniker seiner Zeit sich in müssigen S})eculatio-
ncn ergingen, dass bei mehreren l'flanzenfamilien die Mit-
hilfe von Insecten zum Eintritt der Bestäubung unbedingt
notliwendig ist, und dass in manchen Blüthen das Statt-
finden einer Befruchtung ohne fremde Hilfe dadurch un-
möglich gemacht ist, dass die beiderlei Geschlechtsorgane
einer Zwitterblütbe nicht gleichzeitig entwickelt sind. Dass
aber Grösse, Gestalt und Farbe der Blüthen, dass An-
ordnung und gegenseitige Stellung der einzelnen 151üthen-
organe, dass Duft- und Nektarabsonderung eine bestimmte
biologische Bedeutung hätten und im engsten Zusanunen-
hange mit dem Vorgange der Pollenübertragung ständen,
diesen Gedanken hatte noch Niemand gehabt oder weni,g-
stcns nicht klar ausgesprochen.
Die Lösung dieser Räthsel, welche die Blunienwelt
bot, nahm Sprengel in Angriff, und eine glückliche Ver-
einigung seltener Eigenschaften Hess ihn den richtigen
Weg dazu einschlagen. Von Hause aus Philologe, hatte
er anfangs aus Liebhaberei, bald aber mit grosser Gründ-
lichkeit sich dem Studium der Botanik, namentlich der
einheimischen Blüthenpflanzen, gewidmet; da er aber
hauptsächlich auf sich allein angewiesen war, so wurden
seine originellen Ideen durch den Hemmschuh alther-
*) J. G. Koeh-eiiter, Vorläiitigo Ncacliricht von einigen das
Goschleeht der Pflanzen betnrtVnden Virsiichen und Bcobiicli-
tungen. ITGl.
102
Naturwissenscbaftliclie Wochenschvift.
Nr. 11.
gebrachter Lelircu nicht beeinflusst, seiu Scliarfblick und
.seine hervorragende Beobachtungsgabe durch keinerlei
Voreingenommenheit beeinträchtigt. Ausgerüstet mit den
besten Attributen eines Naturforschers, Objeetivität und
Scharfsinn, Combinationsgalje und Kritik, tritt er an seine
Aufgabe iieran, und stellt die Ergebnisse seiner Unter-
suchungen in einer Sprache von wohlthuender Klarheit
und Folgerichtigkeit mit einer gewissen behaglichen Breite
dar, einer Sprache, die uns im Vergleich zu der noch
nicht überwundenen Schwülstigkeit und Gespreiztheit jener
Zeit ganz modern anmuthen würde, wenn sie sich nicht
durch die Sorgfalt der rhetorischen Durcharbeitung von
der heutzutage in wissenschaftlichen Werken so häutigen
Darstellungsweise unterschiede, welche in Anbetracht des
Werthes des Inhaltes auf eine anmuthige Form der Mit-
theilung Verzicht leistet.
Geringfügig scheinende Thatsachen, die viele andere
vor ihm bereits beobachtet hatten, regen Ijei Sprengel
weitere Ucberlegungen und Schlussfolgerungen an, geben
ihm Anlass zu neuen Untersuchungen und zur strengsten
Prüfung seiner eigenen Ansichten. Bekannt und vielfach
citirt ist ja namentlich der Anfang der Einleitung seines
Buches, worin er in der anziehendsten Weise den Aus-
gangspunkt seiner späteren Theorie, die Bergung des
Nektars in den Blüthcn von Geranium silvaticum schildert,
und dann weiter erzählt, wie er bei der Untersuchung
der Blüthe von Myosotis palustris auf die Bedeutung des
Saftmales und der Färbung der Blumen überhaupt auf-
merksam wurde. Schon in den Sätzen dieser Einleitung
spricht sich die ganze Methode des Mannes mit ihrer
Klarheit, Einfachheit und Fruchtbarkeit aus. Diese seine
ersten, folgenreichen Beobachtungen wurden i. J. 1787
und 1788 gemacht; im Sommer 1789 sieht er bei der
Untersuchung einiger Iris- Arten, dass die Befruchtung un-
möglicli anders, als durch Insecten vollzogen werden
könne. Er betrachtet darauf hin zahlreiche andere Blüthen
und findet, dass viele, ja vielleicht alle Bhmien, welche
Saft (d. h. Nektar) haben, von den Insecten, welche sich
von diesem Saft ernähren, befruchtet werden; dass also
der Saft ein Mittel ist, um die zur Befruchtung nöthigen
Insecten zum Besuch der Blüthen anzulocken. Im Früh-
jahr 1790 beschäftigt ihn das Problem saftloser Blumen
(seiner „Scheinsaftblumen"), wie z. B. Orcliis- Arten und
Aristolochia; im Sommer dessellien Jahres entdeckt er die
ungleichzeitige Entwickelung der beiderlei Geschlechts-
organe innerhalb einer und derselben Blüthe bei Epi-
lobium angustifolium und Nigella arvensis, eine Erschei-
nung, die er als Dichogamie bezeichnet, und die er im
Frühjahr 1791 durch die Auffindung der „weiblich- männ-
lichen" ((I. i. protogynischen) Dichogamie bei Eupborltia
Cyparis,sias vollständiger erkennt. Im Jahre 1792 ist
seiu Werk mit einer grossen Anzahl von Abbildungen
vollendet.
Das Ziel, welches Sprengel bei seinen Untersuchungen
die sich zunächst nur auf Saftblumcn und
Scheiusaftblumen — also auf solche Pflanzen, die wir
jetzt insectenblüthig nennen — bezogen, bezeichnet er
selbst mit folgenden Worten (S. 21): Die Structm- einer
Blume ist dann vollständig erklärt, wenn man gezeigt
hat, dass und wie alle Theile derselben zur Erreichung
der Befruchtung des Fruchtknotens durch Insecten das
ihrige beitragen. Bei der Untersuchung der Structm- jeder
Blume müssen zwei Punkte berücksichtigt werden (S. 3):
„1. Diese Blume soll durch diese oder jene Art von In-
secten oder durch mehrere Arten derselben befruchtet
werden. 2. Dieses soll also geschehen, dass die Insecten,
indem sie dem Safte der Blumen nachgehen, und des-
wegen sich entweder auf den Blumen auf eine bestimmte
Art aufhalten, oder auf eine bestimmte Art entweder in
im Auge hat
oft klebrigten
dieselben liiueiiikriechcn, oder auf denselben im Kreise
herumlaufen, notlnvendig mit ihrem mehrenthcils haarigten
Körper, oder nur mit einem Theile desselben, den Staub
der Antheren abstreifen und denselben auf das Stigma
bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und
feinen Ilaaren, oder mit einer gewissen
Feuchtigkeit überzogen ist."
Nach diesen Gesiclitspunktcn untersucht Sprengel die
ihm zugänglichen Gewächse und besehreibt in seinem
Werke die Blütiieneinrichtungcn von 461 Arten, indem er
jedesmal, bald mehr, bald weniger ausführlich, Saftdrüse
und Safthalter, Saftdecke und Saftniaale darstellt, auf
Gerucii und Färbung der ganzen Blütiie, sowie auf die
gegenseitige Lage der BUithenorgane achtet, und endlich
das Benehmen der Insecten beim Besuche der Blüthen
beobachtet. Mit bcwundernswerther Geduld und Ausdauer
häuft er in dem Zeiträume von etwa 5 Jahren den Schatz
von Beobachtungen auf, welcher die Grundlage seiner
Theorie von der Befruchtung der Blumen durch Insecten
bildet. Die Einzelheiten des Baues der von ihm unter-
suchten Blüthen, oft auch die besuchenden Insecten sind
auf den 26 Kupfertafeln seines Werkes in nicht weniger
als 1117 Figuren dargestellt — das Resultat eines stau-
nenswerthen Fleisses. Denn nur wer sich selbst an ähn-
lichen Arbeiten versucht hat, weiss, wie viele und oft
wiederholte Beobachtungen auch jetzt noch, wo zahlreiche
Vorarbeiten und bekannte Analogien die Untersuchung
erleichtern, erforderlich sind, um über die Bedeutung und
Function einer Blütheneinrichtung ins Klare zu kommen.
Nicht jedermanns Saelie ist es, stundenlang eine blühende
Pflanze zu überwachen, um die Art der besuchenden In-
secten und ihr Benehmen auf der l)lüthe kennen zu lernen;
Spreugel freilieh scheut keine Mühe, fürchtet kein Wetter,
wenn es gilt, draussen in der freien Natur seinen geliel)ten
Blumen ihre Geheimnisse abzulauschen. „Man niuss",
sagt er (S. 22 f.), „die Blumen an ihrem natürlichen Stand-
ort untersuchen, und besonders darauf Acht geben, ob
sie von Insecten, und von welchen Insecten sie besucht
werden, wie sich diese verhalten, indem sie in die Blumen
hineinkriechen und ihren Saft verzehren, ob sie die An-
theren und das Stigma berühren, ob sie irgend eine Ver-
änderung in Ansehung irgend eines Theiles der Blumen
hervorbringen etc. Kurz, man muss die Natur auf der
That zu ertappen suchen. . . . Man muss es sich nicht
verdriessen lassen, lange bei einer blühenden Pflanze sieh
zu verweilen und Beobachtungen Einer Art von Blumen
öfters zu wiederholen, weil dieselbe nicht jederzeit so-
gleich das erste Mal gerade von demjenigen Insect besucht
wird, welches zu ihrer Befruchtung bestimmt ist. — Man
muss die Blumen in verschiedenen Tageszeiten beobachten
und untersuchen, damit man erfahre, ob sie Tages- oder
Nachtlilumcn sind, und bei verschiedener Witterung, z. B.
während eines Regens und nach demselben, damit man
einsehe, auf welche Art ihr Saft gegen den Regen ge-
sichert ist. Besonders aber sind die Mittagsstunden, wenn
die am unbewölkten Himmel stehende Sonne warm oder
wohl gar heiss scheint, diejenige Zeit, da man fleissig
Beobachtungen anstellen nniss. Denn die Tagesblumen
erscheinen alsdann in ihrer grössten Schönheit und buhlen
mit allen ihren Reizen um den Besuch der Insecten, und
ihre Befruchtung kann alsdann um so viel leichter von
Statten gehen, weil der Staub auch solcher Antheren,
welche an der freien Luft liegen, vrdlig trocken ist. Die
Insecten aber, denen die grösste Hitze gerade am liebsten
ist, sind alsdann in und auf den Blüthen in der grössten
Thätigkeit, um, ihrer Absieht nach, im Nektar derselben
zu schwelgen, nach der Absicht der Natur aber, um sie
zugleich zu befruchten. Im Reich der Flora, deren Weis-
heit nicht minder bewundernswerth ist, als ihre Schön-
Nr. 11.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
103
iieit, geschehen alsdann Wunderdinge, von denen der
Stuhcnbotaniker, welcher unterdessen sich damit be-
schäftiget, den Forderungen seines Magens ein Geniige
zu thun, nicht einmal eine Alinung hat."
Nicht weniger achtungswerth als Sprengeis Fleiss,
nicht geringer zu sehätzen als sein Scharfblick, ist die
Sorgfalt und Zuverlässigkeit seiner lieobachtungcn, die
Wahrhaftigkeit seiner Berichte. Es ist selbstverständlich,
dass ihm auch Irrthümer gelegentlich unterlaufen, im
Grossen und Ganzen aber siud seine Untersuclningen
später wohl vermehrt und vervollständigt , von ihm fest-
gestellte Thatsachen anders gedeutet worden, aber nur
selten war eine Berichtigung erforderlich. Ein bemerkens-
werthes Beispiel für seine Gründlichkeit bietet die aus-
fiiiirliche, fast spannend geschriel)ene Schilderung des
Hliithenbaues uud der Bestäubung von Aristolochia Clema-
titis (S. 418 — 428), welche, wie vor Kurzem festgestellt
wurde*), sorgfältiger und scharfsichtiger ist, als alle
späteren Bescln-eibungen dieser merkwürdigen Blüthen-
einrichtung. Von Sprengeis Wahrheitsliebe legen be-
sonders solche Stellen Zeugniss ab, wo er sein Unvermögen,
aufgefundene Thatsachen zu erklären, oder mit seiner
Theorie in Uebereiustimmung zu bringen, ohne Weiteres
zugiebt. So stellt er bei Lilium Martagon, deren Be-
stäubung durch Insecten er nach dem ganzen Bau der
Blüthe vermuthete, durch einen Versuch fest, dass Selbst-
bestäubung ohne fremde Mithülfe eintritt, und sagt darüber
(S. 188): „Dass diese Blume dennoch auf mechanische
Weise befruchtet wird, habe ich durch einen Versuch er-
fahren, welchen ich verschweigen würde, wenn es mir mehr
um die Durchsetzung meiner Theorie, als um die Erforschung
der Wahrheit zu thun wäre." Grosse Schwierigkeiten
macht ihm die Deutung der Einrichtung der Grasblüthen;
nacli allen sonstigen IMerkmalen meint er, dass sie durch
den Wind bcfruclitet werden, allein er glaultt in ihnen
Nektar gesehen zu haben, wobei er sieh wahrscheinlich
durch die zur Zeit der vollen Blüthe prall angeschwollenen
und glänzenden Lodieulae täuschen Hess. Mit diesem ver-
meintlichen Vorhandensein von Saft kann er sich gar
nicht auseinandersetzen. „Wozu dienet aber ihr Saft?"
fragt er (S. 32)
zu beantworten.
Ein wahres Vergnügen gewährt es bei dem Studium
des Sprengel'schen Buches, zu sehen, wie überall die
Begeisterung des Verfassers für seine Aufgabe, seine
naive Liebe zur Natur, seine Bewunderung der von ihm
aufgedeckten Einrichtungen der Blüthen zum Ausdrucke
kommt. Ueber eine neue Entdeckung geräth er in helles
Entzücken, und mau mag es wohl glauben, dass über
seinem Feuereifer für die Blumen uud Insecten seine
eigentlichen Amtsgeschäfte bisweilen schlecht weg-
gekonnnen sind. Bei der oben erwähnten Beschreibung
der Aristolochia-Blüthe sagt er: „Nachdem ich dieses ge-
schrieben hatte, erwartete ich mit Verlangen die Zeit, da
die Blumen zu blühen anfangen würden. Als icli im
folgenden Mai die Pflanzen in der Blüthe fand, tiel ich
mit grosser Hitze über die Blumen her, und gerieth,
nachdem ich dieselben untersucht hatte, in ein frohes
Erstaunen, da ich durch den Augenschein überzeugt
wurde, dass, so wie ich mir vorgestellt hatte, der grosse
Urheber der Natur die kleinen Fliegen erst in diese
Blume einsperrt, damit sie dieselben befruchten, hernach
aber, wenn dieser Endzweck erreicht worden ist, sie
wieder aus ihrem Gefängniss lierauslässt, folglich durch
die wundervolle Einrichtung dieser Blume eben so sehr
seine Gittc als seine Weisheit an den Tag legt.'"
„Diese Frage bin ich nicht im Stande
*) Vgl. W Bürde, Uebei- dio BefnichliiiiE:
Blütiie. Bot, Zeitg. 1892. S. 121 ti'.
i'i- Aristiilochi:i-
Mit derselben Naivetät, die aus diesen Sätzen spricht,
verräth er unzählige Male, wie unbedingt er die Weis-
heit des Schijpfers, des „Blumensehöpfers", oder der
Natur bewundert , und wie er sich dabei lieruhigt , die
Zweckmässigkeit und Vollendung der Werke dieses
Schöpfers kennen zu lernen und zu verehren. Dass er
in der Vermensehlichung des Blumenschöpfers so weit
geht, diesen ein Wohlgefallen an einem „glücklichen Ein-
fall" empfinden und Insecten bisweilen seinen Einrichtungen
zuwider handeln zu lassen, das ist bereits von H. Müller*)
hervorgehoben worden. Es lässt sieh auch nicht bestreiten,
dass dieser naive Standpunkt, mit den in unserer Zeit
maassgebenden Anschauungen verglichen, vielfach einer
tieferen Einsicht Sprengeis hinderlich war, und ihn davon
abhalten musste, den Gründen und dem Zusammenhange
der von iinn beobachteten Erscheinungen weiter nach-
zuforschen. Allein es scheint mir doch ungerecht, ihm
diese Befangenheit zu iioch anzurechnen, und iinn, wie
es H. Müller im Grunde genonnnen thut, daraus einen
Vorwurf zu machen, dass er nicht schon die Schritte zu
weiterer Erkenntniss that, die erst über ein halbes Jahr-
hundert später gemacht worden sind. Von der so über-
aus fruchtbaren Idee einer gegenseitigen Anpassung von
Blumen und Insecten an einander, sowie von der Rolle,
welche die Insecten als unbewusste Blumeuzücliter spielen,
konnte natürlich Sprengel noch keine Ahnung haben.
Und ebenso ist es eigentlich selbstverständlich, dass er
von dem Nutzen der Kreuzung im Pflanzenreiche nichts
wissen konnte; ihm deshalb vorzuwerfen, der eigentliche
Schlüssel für das Verständniss des Nutzens der Insecten-
befruchtung lial)e ihm gefehlt, das scheint mir nicht grade
von historischem Sinn und historischer Gerechtigkeit zu
zeugen. Es ist allerdings beinahe aufregend, zu sehen,
wie nahe Sprengel dieser Entdeckung vom Nutzen der
Kreuzung gekommen ist, ohne sie aber thatsächlich zu
machen. Seinem Scharfblick entging es nicht, dass die
Insecten, welche die Blüthen besuchen, sehr häufig Pollen
aus einer anderen, früher besuchten Blüthe mitbringen,
um ihn auf der Narbe abzusetzen, dass z. B. von den
diehogamisehen Blüthen die protandrischen durch den
Pollen einer jüngeren, die protogynischen durch solchen
einer älteren Blüthe befruchtet werden müssen, und dass
auch sonst in Folge des ganzen Blüthenbaues oder in
Folge des Benehmens der Insecten häufig keine andere
Bestäubung, als mittelst Pollen aus einer anderen Blüthe
stattfinden kann. Sprengel begnügt sich nun damit, diese
Thatsachen festzustellen, und sagt nur (S. 43): „Da sehr
viele Blumen getrennten Geschlechts, und wahrscheinlich
eben so viele Zwitterblumen Dichogamisten sind, so scheint
es die Natur nieiit haben zu wollen, dass irgend eine
Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet werden Sdlle.
Einen einzigen Versuch kann ich anführen, welcher diese
Behauptung in Ansehung der homogaraischen Blumen be-
stätiget. Es blühete uändich im letztvergangenen Sommer
in meinem Garten eine Pflanze der Hemerocallis fulva.
Einige von ihren Blumen habe ich mit ihrem eigenen
Staube (denn es blühete jedesmal nur Eine) auf eine
künstliche Art zu befruchten gesucht. Es hat aber keine
einzige eine Samenkapsel angesetzt." Wenn er nuu den
weiteren Schritt nicht timt, zu fragen, ob oder welcher
Nutzen für die Pflanze mit dieser Vermeidung der Sell)st-
bestäubung verbunden sei, so dürfen wir doch nicht ver-
gessen, dass den Zeitgenossen Sprengeis diese Art der
Fragestellung, die uns heute so geläufig ist, überhaupt
fern lag. Und wer möchte sieh erkühnen, zu sagen, wie-
viel von den durch Darwin zur (ieltung gel>rachten .\u-
*) 11. Miillor. Die Bcfniclitiiiij; der BIiiiiR'n iliindi liificotrn etc.
1873, S. 4 und 25.
104
Natui-wisscnschaftliclic Wochciisclirift.
Nr. 11.
I
schauungeu über den Nutzen der Kreuzbefruclitung-, die
heute sclion mancherlei Einschränicungen haben ül)er sich
ergehen lassen müssen*), nach .,aber hundert Jahren"
noch als testhegründete Lehre bestehen wird ! 1 )ie con-
statirten TJiatsachen müssen ihren Werth belialten, die
hineingelegten Deutungen aber sind dem Wechsel unter-
worfen.
Ich kann es auch nicht für zutreffend lialten, wenn
man in dem angedeuteten Mangel der Grundanschauungen
Sprengeis den Grund dafür hat tinden wollen, dass seinen
Beobachtungen und seiner ganzen Theorie nicht nur von
seinen Zeitgenossen, sondern auch von den Botanikern
der Folgezeit eine so geringe Anerkennung gezollt worden
ist. Diese Ansicht wird von H. Midier an mehreren
Stellen mit besonderem Nachdruck ausgesprochen ; nament-
lich in folgender Präcisirung seines Urtheils:**) „Sjjrengcls
entdecktes Geheimniss ist ein lehrreiches Beispiel, wie
auch ein an scharfsinnigen BeoI)achtungen und glücklichen
Deutungen überaus reiches Werk wirkungslos bleiben
kann, wenn sein Grundgedanke verfehlt ist." In dem-
selben Sinne heisst es an einer anderen Stelle:***) „Gleich-
zeitige und spätere Botaniker fühlten vor allem die
Schwäche seiner Blumentheoric heraus und legten, mehr
oder weniger sich bewusst, dass sie in ihrem letzten
Grunde doch unhaltbar sei, mit dem mangelhaften Grund-
gedanken Sprengeis auch den reichen Schatz seiner sorg-
fältigen und scharfsinnigen Beobachtungen und seine
weitgreifenden richtigen Deutungen xmbeachtet bei Seite."
Aber von derartigen Motiven ist nichts zu bemerken, wenn
man die geringschätzigen Aeusserungen sjjäterer Botaniker
über Spreugels Entdeckungen durchmustert:!) Da wird
vielmehr die Kichtigkeit seiner Angaben schlechtweg be-
stritten, das Stattfinden von Dichogamie einfach geleugnet,
von seiner Blumentheorie gesagt, sie sei mehr auf meta-
physische Speculationen, als auf thatsäehlicher Beobachtung
begründet u. s. f. Hätte nicht vielmehr die Fülle neuer
Beobachtungen und Anregungen in Sprengeis Werk Ver-
anlassung zur Nachprüfung seiner Angaben, zum Aus-
bau seiner Theorie, und zur Ausfüllung- der von ihm ge-
lassenen Lücken geben müssen, wenn in jener Zeit
überhaupt Verständniss für die von ihm aufgeworfenen
Proldeme vorhanden gewesen wäre? Im .Jahre 1790 stellte
Andrew Knight den Satz auf, dass keine l'flanze eine
unbegrenzte Anzahl von Generationen hindurch sich
selbst befruchten könne; 1837 zeigte Herbert und 1S44
C. F. Gärtner, dass die Befruchtung durch Pollen von
einem andern Individuum der nämlichen Art ein besseres
Resultat ergebe, als die Selbstbefruchtung — damit waren
die Grundlagen zu einer Vertiefung der Sprengersehen
Blumentheoric gegeben, aber auch jetzt noch fiel es Nie-
mandem ein, diese neuen Anschauungen mit jener in Be-
ziehung und Verbindung zu bringen. Nicht die Mängel,
nein, vielmehr die Vorzüge der Lehre Sprengeis waren
es, die eine Anerkennung derselben einer späteren Zeit
vorbehielten; die Neuheit und Kühnheit der von ihm vor-
getragenen Ansicht, ihre Fremdartigkeit im Vergleich zu
Allem, was man damals als Aufgaben der Botanik be-
trachtete, mit einem Worte das Vorauseilen vor seiner
Zeit, halte ich für den Grund der Theilnahmelosigkeit,
ja Abweisung, mit welcher Sprengeis P^ntdeckungeu von
den meisten Botanikern seiner und der späteren Zeit auf-
*) Vgl. F. Rosen: Bemerk unaen über ' die Bedeutung der
Heterogamie für die Bildung und Erlialtung der Arten. Bot. Ztg.
1891, S. 201.
**) Befruchtung der Blumen ete. S. 26.
***) a. a. O. S. 4.
t) Vgl. die Zusammenstellung bei S. Axell: < 'm anoriining;iru;i
för de fanerogama växternas befruktniug. 186'J, S. 4.
genommen wurden.*) Nur vereinzelte Stiunnen der An-
erkennung wurden dagegen laut,**) und erst durch Darwin
und F. Delpino wurden Sprengeis Untersuchungen wieder
ans Licht gezogen und nach Verdienst gewürdigt.
Man muss in der That Delpino Recht geben, wenn
er in die unwilligen Worte ausbricht***): „Es ist fürwahr
ein schmerzliches Schauspiel, diese Kämpfe des Irrthumes
gegen die Wahrheit mit anzusehen, besonders wenn der
Kampf von einem später Lebenden begonnen wird, der,
anstatt sich die von dem Vorfahren ihm enthüllten Wahr-
heiten zu Nutze zu machen, in thoriehtcr Weise sich
darauf verlegt, sie zu leugnen. Das ist eine iiarte Lection
für die stolze menschliche Vernunft".
Der Maugel eines jeden äusseren Erfolges lälnnte
die weitere Thätigkeit Sprengeis; die beabsichtigte Heraus-
gabe eines zweiten Theiles seines Werkes, von dem der
Verfasser beim Erscheinen nicht einmal ein Freiexemplar
erhalten hatte, musste unterbleiben, und damit gingen die
Früchte der noch weiter fortgesetzten Beobaclitungen
Sprengeis zum grössten Theile derNachwelt verloren. Nur in
einem kleinen Aufsatze, welcher im Jahre 1811 von ihm
unter dem Titel: Die Nützlichkeit der Bienen und die Noth-
wendigkeit der liiencnzucht, von einer neuen Seite dar-
gestellt, herausgegeben wurde, findet sich eine Reiiie von
Bemerkungen über Blütheneinrichtungcn, namentlich auch
windblüthiger Pflanzen, welche in dem Hauptwerke nicht
enthalten sind. — Auch diese spätere Abhandlung, welche
jetzt nur schwer zugänglich ist, und in den Kreisen der
Botaniker fast ganz unbekannt zu sein scheint, zeigt die
charakteristischen Merkmale der SprengeFschen Schreib-
weise, Klarheit und Scharfsinn, wenn anch daneben aller-
dings eine gewisse Breite der Darstellung noch mehr be-
merklich wird. Ausgehend von der Beobachtung, dass
in der nächsten Umgebung von Berlin der Buchweizen
nur sehr spärlich Früchte ansetzt, führt Sprengel die Ur-
sache dieser geringen Fruchtbarkeit darauf zurück, dass
in dieser (iegend zu wenig Bienen vorhanden sind, um
eine ausreichende Bestäubung der Blüthen vollziehen zu
können. Zum Verständniss des Baues der Buchweizen-
blüthe und der in derselben durch die Bienen vollzogenen
Befruchtung giebt er (S. 4 — 24") einen ganzen Abriss seiner
im „Entdeckten Geheimniss" niedergelegten Blunicn-
theorie, in welchem die für Windl)estäubung eingerich-
teten Pflanzen mit derselben Ausführlichkeit besprochen
werden, wie die Insectenblüthler. Bei dieser Gelegenheit
werden als windblüthig aufgezählt : die Gräser, die Kiefern,
Fichten und Tannen, die Eichen, Buchen und Weiss-
bnchen, Elsen (.\lnus), Birken, Walnussbänme, Kastanien-
bäume, Haseln; ferner von zweihäusigen Pflanzen die
*) So urtheilt aueh Darwin (Die Wirkungen der Kreuz- und
Selbstbefruchtung im Pflanzem-eich. 1877, S. ü): „Ev war aber
seiner Zeit vorausgeeilt und seine Entdeckungen wurden lange
Zeit hindurch vernachlässigt.''
**) Kurt Sjjrengel würdigt in seiner Geschiclite der Botanik
(Bd. II. 1818. S. 2G6 f.) die Verdienste seines Oheims, und nimmt
ihn gegen den Angriff, er habe der Befruchtung der Blumen
durch Insecten eine zu allgemeine Geltung eingeräumt, in .Schutz.
It. Brown bestätigte in seinem Aufsatz über die Befruchtung
bei Asclepiadeen und Orchideen (Linn. Soc. Transactions. 18.33.
vol. XVI. p. 704) die Richtigkeit von Sprengeis Angabe, dass In-
sectenbesuch zur Best.äubung dieser Pflanzen nothwendig sei, und
sagt von Sprengcis Buch, dass nur Diejenigen darüber lachen
können, welche nicht viel von der Sache verstehen. (Citirt von
Darwin, Orchid. S. 209, Anm.)
Der bekannte Zoologe M. H. K. Lichtenstein (1780—18.57)
sprach — nach gütiger brieflicher Mittheilung des Herrn Forst-
meisters Sprengel in Bonn stets mit hoher Achtung von dem ,,Ent-
deckten Geheimniss" und nannte Christian Konrad den für die
Wissenschaft bedeutendsten unter den Trägern des Namens
Sprengel.
***) Suir oiiera La distribuzione dei sessi nelle plante del
prof. F. Hildebrand. Note critiche. 1SG7. S. 10.
Nr. 11.
Naturwissenschaftliclie Wochensehiit't.
105
rappclii, Espen, Eilicn, Waclilmlder, lidpt'eii, Hanf, Sjunat,
nnd von zwittcrblUtliiffcn: Küster, \Vi'i;ebreit, (länsefiiss
und Bete. Von ander\veitii;en ISeobaelitiuii^en, die in dem
Hauptwerke keine Erwiilnuing tiuden, sind die folgenden
lienierkenswertli. Als Saftliluinen werden u. a. ani;cfiUirt
die rtlaumcn und Aprikosen, Preisseibeere, spanischer
Flieder (dessen Unfruchtbarkeit wegen mangelnden In-
sectenbesuches beobachtet wurde), l'astinak, Mohrrübe,
Kümmel, Dill, retersilie, Zuckcrwurzel, Salat, Cieiiorie,
Scliwar/.wnrzel, Alant, Kamille, Woldverleih, Kainfarn,
Krause MinzA', Pfefferminze*), Majoran, Luzerne, Knob-
*) Nach iler siiätcr crwäliiitL-n l)io}2;r!i|iliisL-hon Mittheiliini;
iii der Flora Bil. '^. 1819 (S. .')47) hat S|)roiigvl auch die G^iujdiücic
der Meiitha-Arteii beobachtet.
lauch, Schalotte, Jlelone. Sell)ststerilität Itei Insectenab-
sehluss wird für die borstij;e Robinie, Johannisbeere,
Stachcn)eere, Apfelblütlie, Rüijsen und Veilchen angei;Tben;
bei den letzteren lUüthen war der Insectenbesuch durch
ein über die Pflanze gezogenes „kleines Zelt von Gaze"
verhindert worden. Der Inhalt dieses Werkchens über
die Nützlichkeit der Bienen liefert demnach den Bewei.s,
dass Sprengel fortfuiir, sich mit den Untersuchungen zu
beschäftigen, von deren Werth er trotz des Ausbleibens
jeder Anerkennung fest überzeugt war. Aber freilich rief
diese üble Erfahrung bei ihm eine leicht liegrcifliche
Missstinunung hervor, in der er sich zu einem einsamen
Leben zurückzog, nachdem er sein Amt in Spandau auf-
gegeben liattc.
(Schluss folgt.)
Ueber die Nonne (Liparis monacha).
Von (Jljerförster U. K i 1 1 in e y er.
(Schhiss.)
Eine weitere, noch wichtigere Aufgabe bietet sich
dem Botaniker in der Erforschung des Nonnen-Schlaff-
sucht-Bacillus lind überliaupt der Pilzkrankheiten der
Nonnenraupe. So fand Kobert Hartig eine durch nasses
Futter verursachte Pilzkranklieit der Raupen, welche er
„Degncration" nennt. Diese Pilze fänden sieh auf den
Nadeln stets vor; während sie sich aber bei trockenem
Wetter im Ruhezustande befänden und sich — mit den
Nadeln aufgenommen — in der kurzen Zeit im Körper
der Raupe nicht weiter veränderten, .sondern wieder mit
dem Kothe abgingen, entwickelten sie bei nassem Wetter
auf den Nadeln Sporen nnd fingen an zu wachsen; konnnen
sie nun in diesem Zustande mit den Nadeln in den .Magen
der Raupe hinein, so verursachen sie Ernährungsstörungen,
Erkrankung des Darmkanals, Kolik nnd den Tod der
Raupe*). Hartig fand in den Ranpen Nosenia bombycis
Nag., Medicinalrath Dr. Hofmann-Regensburg Botrytis
Bassiana, Micrococcus wahrscheinlich bombycis, Stajjhy-
lococcus wahrscheinlich ccreus-albus, Bacillus wahrschein-
lich flu<u'eseens-li(piefaeiens Flügge, dann einen Bacillus,
welchen er zunächst ,,B" nennt, und welcher der Erzeuger
der Schlattsueht der Nonnenraupe sein soll.
Diese Krankheit, von Ratzelturg .,Wipfelkrankhcit"
genannt, auch Flacherie, besser wohl ..Flastpu'rie"**)
wurde schon zu Ende des vorigen Jalu-hunderts be(d)achtet
und ist den Züchtern der Seidenraupe schon seit 1765
bekannt. Dass sie durch einen Pilz verursacht wird, ist
wohl ziemlich sicher, durch welchen aljcr, das ist noch
nicht ganz zweifellos entschieden.***) Die Krankheit ver-
ursacht eine rasch verlaufende Abzehrung der Raupe.
Der Koth bleil)t l)is zuletzt trocken und gef(n-mt; höchstens
kurz vor dem Ende wird derselbe manchmal weich und
schmierig und bleibt am After kleben, aber keineswegs
in allen Fällen: erst wenn die Raupe verendet ist, tritt
ungemein rasch stinkende Fäulniss ein, welche den Darm-
inhalt und schliesslich den Leibesinlialt in eine schmutzig-
braune Jauche verwandelt, welche an der geringsten Ver-
letzung der Haut austliesst. Vor ihrem Ende sucht die
Raupe gern die äussersten Spitzen der Zweige auf
*) R. Hartig: „Augsburger .Abendzeitung" 10. I. '.)1.
**) Auch Forstmeister Fritz A. Waelitl und Andere liaben
auf meinen Vorsclilag im „Centralblatt für das gesauimte l'"orst-
wesen'" 1891 S. .^32 diesen Ausdruck als richtiger für F'hiclierie
angenommen.
***) Siehe Medicinalrath Dr. Hofmaun „Insectentödtcnde Pilze
mit besonderer Berücksichtigung der Nonne." „Ueber die Schiati'-
sucht der Nonnenraupe" etc.
(„wipfelt") — Fig. 4 — und liängt dann, nur au einem oder
zwei Bauchfüssen oder den Nachschiebern haftend, häufig
schlaft" und welk herab. Die Widerstandskraft der Raupen
gegen diese Spaltjjilzkranklieit ist eine sehr verschiedene;
eiiuge sterben schon am dritten bis fünften Tage, andere
erst am zehnten, wieder andere werden zwar matt und
träge und fressen sehr wenig, bringen es aber gleichwohl
noch zur Verpui)pung, sterilen aber entweder noch vor dem
Abstreifen der Raupenhaut oder während dieses Actes, in
welchem Falle eine mehr oder weniger vcrkünnnerte oder
verkrüppelte Puppe zum Vorschein kommt. Erfolgte die
Infectiou erst kurz vor der Verpuppung, so bringen die
Raupen es noch zum Falter, welcher dann aber meist
schon nach zwei bis drei Tagen stirbt, oder aber, was
auch häufig beobachtet ward, noch Eier ablegt, welche
dann im günstigsten Falle auch noch junge Raupen liefern
können, die allerdings in dem Flasqueriebacillus schon
den Todeskeini in sich haben und sich nicht mehr zu ent-
wickeln vermögen. Nach Dr. Jäger-Tübingen ist die
Schlatfsueht hiermit erblich von der Raupe auf die Puppe,
von der Pupj)e auf den Falter, von dem Falter auf das
Ei und von dem Ei wieder auf die Raupe. Medicinalrath
Dr. Hofmann-Regenslnirg fand den Flasqueriebacillus so-
wohl in Eiern als auch in Spiegeh-äupchen, welche noch
keine Nahrung aufgemumnen hatten. Aus einem Frass-
gebicte w'crden kranke Nonnenfalter geschildert, vielleicht
ist die Schlaffsucht die nicht näher bekannte Krankheit:
„Diese Falter waren durchweg weit kleiner, als normale,
der Hinterleib auch der Weibchen war ganz spindelfVinnig
dünn, vielfach sogar auch ganz verkürzt, die Zeichnung
der oberen Flügel war grau anstatt schwarz, ganz matt
und verscliwommen, und die Wcibclien hatten gleich nach
dem Auskriechen die Legeröhre fortwährend etwa 1 cm
lang vcu'stchen, olme sie einzuziehen. Der Eierstock in
dem spindeligen Leibe war eine ganz feine, graue, gries-
liche Masse, die sich mit unbewattneteni Auge nicht zählen
Hess, und wenn man die Falter antupfte, so fielen sie, sich
spiralfVirmig in der Luft drehend, zu Boden und blieben
meist auf dem Rücken liegen."
Dass die Schlaffsucht (aber nicht Schlafsucht, wie
man vielfach findet) mit der Nonne schnell und vollständig
aufräumt, steht nach den Mittheilungen aus der Nonnen-
Periode in den 50 er Jahren, wie nach den derzeitigen
überall gemachten Beobachtungen zweifellos fest. Ob
alter der vom Medicinalrath Dr. Hofmann-Regensburg als
solcher angenommene und von ihm zunächst „B" benannte
106
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 11.
der
Bacillus der Erreger
bis heute noch nicht ganz
ebenso wie die praktisch
Bacillus zutreffenden Falls
in das Feld gefuhrt werden
gültig entschieden ist.
In den herzoglich
Katibor'schen Forsten
in Schlesien ging man
von dem Gedanken
aus, dass eine küust-
liclie Infection der
Kaupeii mit zerstören-
den Pilzen möglich sei,
und bezog aus Bayern
Flasqueriepilzc, mit
denen man gesunde
Kaupen impfte, um sie
dann in die befallenen
Waldtheile auszusetzen.
Dann unterliess man das
Impfen, züchtete den
Pilz auf gutem Nähr-
boden, namentlich fri-
schem l'ferdefleisch,
und brachte dieses in
die Bestände. Doch
bewährte sich diese Me-
thode nur bei günstiger
Witterung , denn bei
warmem Wetter trock-
nete das Pferdefleisch
sehr rasch aus und
überzog sich mit einer
harten Haut.
Am 21. Juni trat
einzeln, am
und zweit-
Schlaffsucht ist,
zweifellos fest
wichtigste Fra;
erfolgreich
kann.
das dürfte
estellt sein,
:g,e, ob dieser
gegen das Insect
noch nicht end-
gebracht
keine
Ei-fahi
zunächst
nächsten
nächsten
Tage überall
Gipfeln ein. Die Ueber-
tragung der inficirten
Raupen und der Gipfel,
an denen dieselben zu
Tausenden sassen , in
benachbarte Reviere
hatte sofortiges Ein-
treten der Flasquerie
zur Folge, sodass die
Vernichtung der Raupe
mit dem Flasqueriepilze
in den herzoglich Rati-
bor'schen Forsten ge-
glückt ist; ebenso in
den Forsten des Her-
zogs von üjest bei
Slaventzitz und ebenso
in denen des Freiherrn
von Reibnitz in Dzier-
gowitz.
Die Annahme, dass
in diesen Forsten viel-
leicht auch ohne die
Einbringung von Pilzmaterial die Krankheit
sei, widerlegt sieh durch Folgendes: In einer vom Frass
gebiete etwa 25 km entfernten Parzelle, in welcher
während der vorhergehenden Jahre keine Nonnenraupen
gefunden waren, entwickelte sich in 1892 ein bedeuten-
der Frass ganz " gesunder Raupen. Nachdem in diese
Parzelle einige AVipfel mit tlasqueriekranken Raupen ein-
Figur 4
Wipfelnde Nounenrauiieii (iipfclspitzc einer a.ijähri^'en Fiehtenstange.
von A. Wachtl.
ausgebrochen
waren, verbreitete sich die Krankheit in we-
Tagen über die ganze Parzelle, in welcher vorher
kranke Raupe gefunden worden war. Aehnliche
ungen wurden in den fürstlich Hohenlohe'schen Re-
vieren Jakobswald und liicbschau gemacht.
Aus dem Reviere
Ratibor wurden nun
am 8. und 9. Juli 1892
Flas([ueriepilze in die
Oberförsterei Pfeils-
walde (Reg.-Bez. Gum-
binnen) versandt, ge-
sunde Raupen wurden
geimpft und kranke
Raupen nebst deren
Koth in den von dem
Schädlinge befallenen
Waldthcilen verbreitet;
schon am 11. Juli er-
wies sigh nach der Mit-
theilung des Regierungs-
und Forstrath Brink-
mann die grösste Zahl
der untersuchten Rau-
pen als krank, am
15. Juli wurden von
80 Raupen nur noch
drei anscheinend ge-
sund befunden, am 10.
Tage wurile im engeren
und weiteren Impfbe-
zirke der etwa 10( )0 ha
umfassenden Frassbc-
stände keine zweifellos
gesunde Nonnenraupe
mehr vorgefunden. „Die
Impfung erfolgte vor-
wiegend ausserhalb der
Leimbestände auf einer
Fläche von etwa 300 ha
derart, dass auf 60 bis
70 etwa 20 m im Durch-
messer haltenden Plät-
zen die in erreichbarer
Höhe am Stanune auf-
gefundenen Raujten n)it
der Impfnadel ober-
halb des Afters durch-
stochen wurden. Das
Impfen wurde etwa an
5000 Raupen ausge-
führt. Als Inipfflüssig-
keit wurde theilweise
der aus den schlesischen
Raupen entnommene
jaucheartige Leibesin-
halt, theilweise eine aus
solchem Leil)esinhalte
(Aus „Die Nonne" in Koch'sciier Gclatiue
Aufl. is:r2 Wien.) gezüchtete, verflüssigtc
gemischte Pilzcultur
verwendet. Als Impf-
nadeln wurden gewöhnliehe Stahlnadeln gebraucht, welche
vor jedem Impfstich in die pilziialtige Flüssigkeit mit der
Spitze eingetaucht wurden." („Aus dem A\'alde'- 23. X. 92.)
Ausser durch Impfen kann die Flasquerie noch
verbreitet werden, indem man Raupen mit Bakterien-
Bouillon bestreicht, gesunde Thiere mit kranken zu-
sammenbringt, das Futter mit Pilzlösung bespritzt, kranke
Nr. 11.
Natiirwisseiispliaftliclie Woehenscln-ift.
107
Raiipcu, die „Wipfel", den Kotli derselben, die Eier, die
l'uppen aus Flasquerie- Beständen in andere Waldtheile
bringt u. A. ni.
Diese in Deutschland mit dem Bacillus „B Hofm."
gemacliten Erfaliruniicn s]»reelicn dal'ür, dass er der Er-
reger der Schlafsucht ist, und dass die Raupe sehr wohl
mit ihm bekämpft werden kann; die hei uns hier in
Oesterreich ausgeführten Versuche mit dem vom Dr. Hof-
mann selbst bezogenen Bacillus ., H Hofm.", welche im
Auftrage des Ackerbau-Ministeriums von dem Bakteriologen
Dr. Kornauth im Verein mit dem Entomologen der k. k.
Versuchsanstalt, Forstmeister Fritz A. Wachtl ausgeführt
werden, haben keine befriedigende Ergebnisse geliefert.
Auch Forstmeister Keuss in Dobri.s (Böhmen) Hess sich zu
Versuchen im Walde wie im Studirzinmier zwei grosse
Ballen von an SchlafCsucht verendeten Raupen und Rein-
culturen des Bacillus ,,B Hofm." aus Bayern konmien,
hatte aber ebenfalls keine positiven Ergebnisse.
Dass diese Frage für die Praxis und das W<dd des
allbeliebten prächtigen Fichtenhaines von ungemein grosser
Wichtigkeit ist, dürfte auch für den Nicht-Forstmann
leicht verständlich sein; sie zu studiren und womöglich
recht bald zu lösen, darf der Forstmann deshall) sehr wohl
den Naturforscher bitten.
Üb noch andere Krankheiten das Inseet und nament-
lich als Raupe hinzuraffen vermögen, und was zutretfenden
Falles diese für Krankheiten sind, darüber hal)en uns die
Herren Entomologen, Mycologen etc. noch nicht belehrt.
Tn der Sitzung der bayrischen A))geordneten am 11. März
1892 sagte Finanzminister Dr. Frhr. von Riedel: .,Nach
unseren Erfahrungen im heurigen Jahre sind die Krank-
heiten zu sehr verschiedenen Zeitperioden aufgetreten und
auch in ganz verschiedener Form, und es ist heute noch
nicht festgestellt, welche Natur diese Krankheiten haben.
In einzelnen Bezirken traten die Krankheiten lasch auf,
wirkten auch ziemlich rasch, in anderen kamen sie erst
Ende Juni " Zum Beis])iele wurden vielfach
Raupeneada\er gel'unden, welche, wie Forstrath Professor
Henschel in einem im Club der Land- und Forstwirthe
zu Wien gehaltenen Vortrage ausführte, von rilzmyccl
straff ausgefüllt waren; ob dieser Pilz nun als Parasit
den Tod des 'riiieres verursacht oder erst nachher als
Sa])roi)hyt Fuss gefasst hat, kurz, was es mit ihm für eine
Bewandniss hat, — das wissen wir nicht.
Die letzte Frage, welche ich hier als auch von all-
gemeinem naturwissenschaftlichem Interesse kurz l)erühren
möchte, und welche auch auf dem Wiener Nonnencongi-ess,
allerdings ergebnisslos, besprochen wurde, ist die nach
den Ursachen der Entstehung von Nounencalamitäten.
In der Aenderung der Cultur- und wirtlisehaftliehen
Verhältnisse die Ursache zu sehen, ist nicht begründet,
denn es wird auch aus jenen Zeiten schon über Nounen-
calamitäten berichtet, in welchen die derzeitigen Forst-
wirthsehaftsgrundsätze noch nicht in Geltung waren; und
auch in der Gegenwart tinden sich die Nonnenverheerungen
keineswegs nur in jenen Gegenden, in welchen unsere
derzeitige Wirthschaft statthat, sondern z. B. auch in den
russischen Urwaldungen, aus denen ,ja nachgewiesener-
niaassen die Nonnensehwärme der .50 er Jahre gekommen
sind. Ueberdies ist die Erklärung mit der derzeitigen
Wirthschaft schon deshalb nicht stichhaltig, weil sich ja
Nounencalamitäten in Zwischenräumen von Jahrzehnten
einstellen, während die Wirthschaftsverhältnisse doch Jahr
für Jahr dieselben sind. Näher liegt es, die Veranlassung
zu derartigen Massenvermehrungen dieses Schädlings in
der Verschiebung des natürlichen Gleichgewichtes zwischen
diesem und seinen Feinden zu sehen, welche vielleicht
in den Witterungsverhältnissen — günstig für die Ent-
wicklung des Schädlings, ungünstig für die seiner Feinde
— zu suchen ist, welche Ansieht au(di Forstrath Professor
Henschel auf dem Nonnen-Gongress in Wien vertrat;
Näheres wei.ss man aber über alles dieses nicht.
Möge diese Arbeit und ihre Veröffentlichung gerade
in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" die wei-
testen Kreise der Naturforscher anregen, diesen zahl-
reichen noch zu lösenden Fragen grösster wirthschaft-
licher und zweifelsohne auch wissenschaftlicher Bedeutung
näherzutreten!
Beobaclitiiiii^ der Aiulroinedideii am 23. ii. 27. No-
vember 1S92. — Dieser Sternsehnuppenschwarm, dem man
im vergangenen Jahre mit erhöhterem Interesse entgegen-
gesehen hatte, umsomehr als es kurze Zeit hatte scheinen
können, als ob der Komet Holmes identisch mit dem als
S(dcheni verloren gegangenen Kometen Biela wäre, ist bei
uns leider einer systematischen und erfolgversprechenden
Be(djachtung entgangen. Mit besonderem Interesse nehmen
wir daher Kenutniss von einer Zusammenstellung bezüg-
licher Beobachtungsergebnisse, welche Herr H. A. Newton
im Januarhefte des American Journal of Science giebt.
Am Abend des 23. November wurden an vielen
amerikanischen Orten Sternschnuppen beobachtet, die aus
dem Sternbilde der Andromeda herstrahlten und wohl als
Theile des Biela'schen Kometen betrachtet werden dürfen.
Dr. Elkin, New Haven, Connecticut, berichtet, dass
er sich am genannten Abend, um 7 Uhr, im Freien be-
fand, aber trotz klarem Himmel um diese Zeit noch nichts
von Sternschnupi)en bemerken konnte. Etwa um IOV4 Uhr
aber wurde er durch Dr. Chase, vom Yale Observatory, be-
nachrichtigt, dass nunmehr die Sternschnuppen sieh in
ganz ungewöhnlicher Zahl einstellten. In der That wurden
dann zeitweise deren zehn pro Minute gezählt. Der Hinnnel
war dabei nur noch theilweise klar. Die meisten der
wahrgenommenen Bahnen waren sehr kurz, keine über-
sehritt eine Ausdehnung von 4 Graden. Nur wenige der
Sternschnuppen erreichten die Helligkeit von Fixsternen
erster Grösse.
Dr. Chase sell)er hielt sich im (iarten des Observato-
riums auf und zählte von 10^ 15™ bis 10'' 22'" im Ganzen
16 Meteore. In den folgenden 20 Minuten zählte er deren
weit über 80, sodass die GesammtzaJil die Hundert gut
überschritt. Die meisten waren schwach, nnt sehr kurzen
Bahnen. Nur wenige hinterliessen einen Sehweif. Ein
Object zeigte indessen einen solchen, der 15 Secunden
sichtbar blieb. Der Punkt, von dem alle diese Meteore
auszustrahlen schienen (Radiant), war sehr nahe bei
;' Andromedae. Um lOh 35'" mussten die Herren Elkin und
Chase die weitere Zählung leider aufgel)en, da der
Himmel sich innner mehr umzog, sodass weiteres Beob-
achten doch nur unzureichende Resultate liefern konnte.
Herr Van Name, der Universitätsbibliothekar, hat
etwas später, von 10'' 50'" bis lO*» 55™ noch 50 Meteore
gezählt. Auch er hat keine besonders markanten Er-
scheinungen zu berichten.
Professor J. R. Eastman, Washington, D. C, schreibt:
„Als ich an der Ecke der 19. und der North-Strasse mich
in der Mitte des Fahrwegs befand, bemerkte ich ein
Meteor nahe bei' ;' Cassiopeiae aufleuchten, dem dann
schnell zwei andere folgten. In ganz kurzer Zeit zählte
ich deren überhaupt 15, und von 10'' 24™ bis 10'' 43'"
stellte ich 102 Meteore fest; dann von 10"» 59™ bis
108
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 11.
11h lim deren 111, endlich 114 in der Zeit von IP 19"»
l)is 11^ 41"', das sind also: im Ganzen 327 Meteore in
53 Minuten durch einen Beobachter gezählt. Zwar waren
sie im Allgemeinen über den ganzen Himmel vertheilt,
wohin ich nur blickte: aber im ( Trossen und Ganzen
schienen sie von einem Punkte zu strahlen, ungefähr in
der Mitte zwischen ;' Andromedae und « Cassiopeiae,
und nahe bei d Persei. Die Coordinaten dieses Ra-
dianten würden also etwa sein 1'' 35™ Rectascension und
+ 51° Declination. Diese Bestimmung ist indessen, in
Folge der sehr weit zerstreuten Vertlicilnng der Meteore,
nur eine nicht allzu genaue Annäherung. '• Einige der
von E. wahrgenommenen Sternschnuiipen waren sehr hell,
und eines hinterliess einen Sciiweif in glänzender, rother
und grüner Färbung. Bei mehreren dieser Jleteore hatte
Prof. Eastman den Eindruck, als ob dieselben nicht weiter
als 100 Yards 91'", 439 vom Beobachter entfernt sein
könnten, eine Wahrnehmung, wie er sie auch schon bei dem
grossen Sternsclmuppenfall vom 27. November 1.S72 ge-
merkt hatte.
D. Horgan, Aufseher am neuen Naval Observatory
zu Washington, tlieilte Professor E. noch Folgendes mit.
Mit Eintritt der Dunkelheit erschienen schon einige ^leteore.
Um 7'' waren sie schon recht zaldreich; um s'' und um
y'' nimmt ihre Zahl, immer mehr anwachsend, fortwährend
zu; vielfach treten jetzt mehrere zugleich auf. -Um
9^ 31™ ist die Anzahl noch grösser; viele der Meteore
hinterlassen rotlie und urangefarbene Schweife. Endlich
um 9'' 40'" muss das Zählen aufgegeben werden, da jetzt
die Sternschnuppen in zu cm inner Menge auftreten. Dieses
Anwachsen in der Häutigkeit dauert noch bis 10'' 45'", ein
merkliches Nachlassen in der Zahl tritt erst nach 1 1*" 25'"
ein. Etwa um ll^ 25°' war noch „ein ganzer Haufen auf
einmal" (a cluster) etwa von 15° unter Polaris aus nach dem
Horizont zu gefallen. Im Uebrigeu stimmen die Angaben
dieses Beobachters über den Radiations])unkt mit dem
obigen. Horgan hat die Erscheinung auch später wäh-
rend der Nacht verfolgt. Um Mitternacht waren noch
zahlreiche Meteore zu sehen, doch waren die einzelnen
Individuen bedeutend schwächer als in den vorhergehenden
Stunden. Audi um 1'' früh fielen noch sehr viele; und
bis zum Heraufkommen des Tageslichts konnten inniier
noch einzelne \\ahrgenommen werden.
Professor A. W. Phillips hat am 23. November bei
Griswald, Conn., in einem otfencn Wagen fahrend, von
8^ 15™ bis 8'' 50'" an 200 Sternschnupi)en gezählt, darunter
mehrere sehr helle. Der Radiationspunkt lag in Andromeda.
Herr E. W. Abell hat im Verein mit anderen den
Hinnnel systematisch so überwacht, dass von je vier 15e-
obachtern je einer ein Viertel des Himmels auf sich nahm.
Gegen etwaige Doppelzähinng hatte man sich auch ge-
sichert. In den fünf Minuten von W 7'"30s bis 10'' 12'" 30«
zählte man so im Süden 29, im Westen 18. im Norden
35 und im Osten 52 Meteore, im Ganzen etwa 134. We-
nige Minuten nachher zählten zwei Beobachter, nach
Osten sehend, in fünf Minuten 71 Sternschnuppen.
Mr. Abell bestimmt den Radiationspunkt in 1'' 40'" Rectas-
cension und -1-35° Declination.
Aus Albu(iuerque, Neumexico, schreibt Reverend
M. R. Gaines, dass er kurz vor 10 Uhr in wenig Mi-
nuten mehr als 100 Meteore zählte, die oft zu dreien und
mehr zugleich fielen.
Ausser diesen Meldungen liegen noch zahlreiche an-
dere, über die ganzen Vereinigten Staaten vertheilte, vor.
Herr Newton ist der Ansicht, dass dieser ganz ausser-
ordentliche Sternschnuppcnfall eine Wiederholung der am
24. Novendjer 1872 in New llaven und Germantown wahr-
genommenen Erscheinung sein möge, dagegen nicht mit
dem ebenso grossartigcn Himmelsschauspiel in Zusammen-
hang stehe, welches damals in Europa drei Tage später
am 27. November 1872 sich darbot.
Am 24., 25. und 26. November 1892 wurden, soweit
Herr Newton unterrichtet war, in den Vereinigten Staaten,
o])gleich es, namentlich in deren Osten, heller Himmel war,
keine Androraediden wahrgenonunen. Am 27. war überall
])cdcckter Himmel.
Dagegen haben Herr A. J. Newton und Frau A. G.
Dana, als sie in der Nacht des 27. November von Torrcau
in Mexico nach New Orleans fuhren, durch die Fenster
des Wagens zahlreiche Meteore gesehen. „Es war ganz
vergebens", sagt Mrs. Dana, „sie zählen zu wollen. Sie
kamen zu zweien und mehr auf einmal und bildeten im
vollen Sinne des Wortes ein ununterbrochenes liinnnlisehes
Feuerwerk."
Wie wir nachträglich aus No. 3152 der Astro-
nomischen Nachrichten (ausgeg. 13. Februar) ersehen, ist
auch in Prag der 23. Novend)er sehr ergiebig gewesen
in Bezug auf Steruschnuppenbeobachtungen. Herr
G. Gruss von der Sternwarte der czechischen Universität
theilt mit, dass am 23. November 1892 nach 10^ Abends
häufige Sternschnuppen, jede Minute wenigstens eine ge-
sehen wurde; von 16'' (d. i. 4'' Morgens am 24. November)
an wurden dann besonders häufige Sternsclinuppen von
kurzen Bahnstrecken mit ausgeju-ägter Kadiation aus
Andromeda und auch Cassiopeia beobachtet. Diese letzte-
ren Erscheinungen sind, wenn man die Längendifferenz
Prag — ^^'ashing•ton beachtet, offenbar demselben Theil des
Sciuvarmes augehörig gewesen, wie die in Washington
l)eol)achteten. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Ks wiu-loii enuiiint: In dci- ini-diciiiisclicn Faciilr.it der Uiü-
vcisität zu Leipzig die bislicriffcn I'iivatdocentfii Dr. med. Len-
liiirtz, Dr. med. Karg- und Dr. iiumI. Döderlein zu ausser-
orilent Hell eil Professoren
Ka sind gestorben: Der Öriiiflioldge .Stani sl niis Alessi zu
Gabes. — Der Forstmann Josef Wr bat a zu Stadion-Tliannhausen
in Böineii. — Der Professor der F'liarmacologie und Pliamaeoguosie
N. Th. Mentin in Warschau. — Der botanisebe Reisende und
(lärtner Jobannes Braun auf Madagasear, Sobn des bekannten
verstorbenen Botanikers Prof. Alexander Braun in BerHn.
In den Tagen vom 5. bis 7. April findet in Stuttgart der
X. Deutsche Geographentag: statt. In Verliindiiiig damit ist eine
ört'eiitliebe Ausslelhiiig ge|daiit.
Der 12. Congress für innere Medicin findet vom 1'2. — IJ. A|iril
zu Wiesbaden statt. — Priisideiit: I iii in er in ;in n (Basel).
Der 22. Congress der deutschen Gesellschaft für Chirurgie
wird vom 12.— l'i. April in lierliii im Laugeiilieekliaiise statt-
finden. — Vorsitzender: Geb. Batli Kii ii ig (< iiittingi'n), stiindiger
Seliriftführer: Geh. Ratli Gurlt.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. Eugen Dreher, Der Materialismus, eine Verirrung des
mi-nselilieheii (lei.st.'s. widerlegt durch eine zeitgeinässe Welt-
anschauung. Berlin W, 18'J2. " S. Gerstmann's Verlag.
Der Verf. unternimmt es. dem wissenschaftlichen Mati'rialis-
inns den Boden unter deu Füssen zu entziehen, indem er sich auf
die Ergebnisse stützt, zu denen eine wissenschaftliche Unter-
suchung der Sinneswahrnehmungen, der Gediichtnissthätigkeiten
und der in dein Satze „cogito, ergo sum" ausgedrückten That-
sacbe führt.
jMit eindringender kritischer Schärfe geht er den wichtigatmi
grunillegenden Problemen sowohl der Naturwissenschaft wie der
Philosophie zu Leibe. Besonders lesenswerth und anregend sind,
abgesehen von den Erörterungen über das Wesen und den Unter-
Nr. 11.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
109
schied von Materie und Geist, die Ausführungen des Verf. über
die Denkconflicte, zu denen der menschliche Oeist geführt wird,
und über die Willensfreiheit. — Nicht unterschreiben kann iih
die Ansicht des Verf., dass Leben und Bewusstsein nicht prin-
cipiell verschieden von einander seien; auch seine „Zelllieseelung"
kann ich nicht annehmen; und ferner ist mir „Kraft" nichts weiter
als bewegte Materie, wähi'end sie der Verf. sich als etwas von der
Materie wesentlich Verschiedenes vorstellt, indem er so einem zweiten
Dualismus (von Kraft und Stoff — neben dem von Geist und
Materie) huldigt. Widersprechen muss ich auch dem Ausspruche,
dass Gustav Jaeger (wegen seiner Seelentheorie) „sich zum gröb-
sten Materialismus bekenne"; Seele im Sinne Jaeger's und Geist
ist zweierlei. — Doch sind das nur einzelne Ausstellungen, die
ich zu machen habe; im Ganzen — auch in ihrem Nachwort —
ist die Schrift als eine in hohem Maasse fesselnde, geistvolle zu
bezeichnen. Dr. K. F. Jordan.
August Weismann, Die Kontinuität des Keimplasmas als
Grundlage einer Theorie der Vererbung. 2. Auflage. Verlag
von Gustav Fischer. Jena 1892. — Preis 2,.jO M.
Die neue, 2. Auflage der bekannten Weismann'schen Schrift
unterscheidet sich von der ersten, 1885 erschienenen, nur durch
einige von dem Autor hier und da angeführte Anmerkungen.
Da diese wesentlich Neues nicht bringen, so beschränken wir uns
mit der Anzeige des Erscheinens der neuen Auflage.
H. £ck, Geog'nostisclie Beschreibung der Gegend von Baden-
Baden, Rothenfels, Gernsbach und Herrenalb. Mit Karte.
Herausgegeben von der K. Preussischen Geologischen Landes-
anstalt. [In Comm. bei der Simon Schropp'schen Hof-Land-
karten-Handlung (.1. H. Neumann.)] 1892.
In diesem, „auch für einen grösseren, nicht fachmännischen
Leserkreis" bestimmten Werk giebt der Verf. einen umfassenden
Ueberblick über die geologischen Verhältnisse einer der schönsten
und (wie dies ja fast stets zusammentrifl't) geognostisch inter-
essantesten Gegenden Sud-West-Deutschlands und zugleich über
die allmälige Entwicklung unserer Kenntniss jener Verhältnisse.
Er will mit seiner Arbeit keine erschöpfende Darstellung geben,
wie .sie eine geognostische Landesuntersuchung von Staatswegen
liefern kann und muss, sondern wünscht sie nur als einen Beitrag
dazu aufgefasst zu sehen, „wie ein Privatmann, abhängig von der
ihm zu Gebote stehenden Zeit und den verfügbaren Mitteln, ihn
geben kann." Man darf es als bedauerlich bezeichnen, dass sich
der Verf., der die ihm von seinem Lehramt frei gelassene Zeit
während zwanzig Jahren zum grossen Theil der geologischen Er-
forschung des Schwarzwaldes gewidmet hat, (wie er im vorlie-
genden Werk berichtet, hat er seine Aufnahmen im Schwarzwald
1873 begonnen) sich den amtlichen geognostischen Arbeiten in
jenem Gebiet gegenüber als Privatmann bezeichnen muss, wie es
auch allgemein überrascht hat, in den vor Kurzem aller Orten zu
lesenden Berichten über die Beendigung der württembergischen
geognostischen Spezialkarte den Verfasser, der unter den Lebenden
als bester Kenner der deutschen Trias gilt, nicht unter den Mitar-
beitern anzutreffen. — Den früheren auf den Schwarzwald sich be-
ziehenden Veröffentlichungen des Verf., von denen, als auch wei-
teren Kreisen dienend, nur die geognostischen Partiekarten aus
dem mittleren Theil des Gebirgs (Gegend von Ottenhöfen, Umge-
bung der Renchbäder, Umgebung der Schwarzwaldbahn, Umgegend
von Lahr, die letzgenannte Karte mit ausführlichen Erläuterungen),
und die ausgezeichnete Zusammenfassung unserer heutigen ge-
ognostischen Kenntniss des Schwarzwaldes, die, wie schon ange-
deutet, vom Verf. ausserordentlich gefördert worden ist, in der
geognostischen Karte des Schwarzwaldes in 1:200 000 und zwei
Blättern genannt sein mögen, reiht sich der vorliegende starke
Band, als Heft 6 der neuen Folge der „Abhandlungen" von der
Preussischen Geolog. Landesanstalt herausgegeben, würdig an.
Nach einem sorgfältigen Litteratur-Verzeichniss, einem Rückblick
auf frühere geognostische Untersuchungen des behandelten Ge-
birgsabschnittes und einem allgemeinen topographischen und
geognostischen Ueberblick desselben werden die geognostischen
Formationen im Einzelnen nach Entwicklungs- und Lagerungs-
verhältnissen besprochen: Grundgebirge und die darin enthaltenen
krystallinischen Massengesteine, Uebergangsgebirge und die zu-
gehörigen Massengesteine, Steinkohlengebirge, das Rothliegende
und die Porphyre, Buntsandstein, dann die jüngeren Gebirgs-
glieder; endlich folgen ausführliche Angaben über Verwerfungs-
klüfte, Mineralgänge und Quellen. Die äusserst sorgfältige Arbeit
des Verf. zeigt sich auf jeder Seite ; überall handelt es sich um
möglichst genaues Studium aller Einzelheiten, um, hierauf fussend,
zu einem möglichst richtigen Gesammthild zu kommen; überall
wird sorgfältig erwogen: welche Angaben früherer Autoren lassen
sich mit den damals vorhandenen und den seither hinzugekommenen
Beobachtungen belegen, welche beruhen auf nicht zu begründenden
Annahmen. Als Beleg dafür, was der Verf. mit seinen eigenen
Aufnahmen geleistet hat, mag angeführt sein, dass auf der Karte
im oberen Rothliegenden neun verschiedene Abtheilungen, bei
den Porphyren sieben Gruppen auseinander gehalten sind.
Die Karte, deren Situationsgrundlage aus der früheren ba-
dischen topographischen Karte in 1 : 50 000 übergedruckt ist,
reicht von der Linie Bühl-Hohlohkopf im Süden bis Maisch im
Norden und von der Linie Wild-(Horn)-See-Pfaffenroth im Osten
bis zur Rheinebene. Dabei greift der Te.xt vielfach über den
Rahmen der Karte hinaus, so namentlich im Osten noch weiter
nach Württemberg hinein, indem hier die Verhältnisse des oberen
Enzthals noch besprochen werden. Von grossem Interesse ist
ein Vergleich der Karte mit den innerhalb ihres Rahmens in
Betracht kommenden Sectionen der württembergischen geolo-
gischen Specialkarte 1 : 50000 (Wildbad und Altensteig); es zeigt
sich sofort, wie wenig diese Karte gerade für den Schwarzwald
trotz ihres grossen Maassstabs heutzutage den Namen einer Special-
karte verdient: es findet sich keine Gliederung des Buntsand-
steins (die im Schwarzwald überhaupt erst von dem Verf. durch-
geführt worden ist), sogar nicht einmal des Rothliegenden, keine
der beobachtbaren Verwerfungsspalten, deren Verlauf zumal im
ßuntsandstein freilich äusserst schwierig zu verfolgen, aber für
zutreffende Vorstellungen vom Gebirgsbau von grösster Wichtig-
keit ist. — Möchte die Darstellung des Verf. dazu beitragen,
auch in weiteren Kreisen in Württemberg die Ueberzeugung zu
befestigen, dass eine neue Spezial-Kartirung des Landes, von
einer geologischen Landesanstalt durchzuführen, dringend noth-
thut. Dabei ist freilich zu betonen, dass alle weiteren Ausgaben
für geognostische Aufnahmen so lange nicht mit dem ent-
sprechenden Erfolge gemacht werden, als ihnen nicht die Blätter
einer genauen Höhenkurvenkarte in 1 : 25 000 zu Grunde gelegt
werden können. Nicht nur der Mangel einer geologischen Landes-
anstalt, sondern auch das Fehlen einer heutigen Anforderungen
entsprechenden topograjjhischen Karte grossen Maassstabs
weist Württemberg fast allein unter den deutschen Staaten in
diesen Dingen eine Stellung zu, die ihm gewiss in keiner Be-
ziehung zum Vortheil gereicht.
R. von Stemeck, Die Schwerkraft in den Alpen und die Be-
stimmung ihres Werthes für Wien. Sep. -Abdruck aus Bd. XI.
der Mittheilungen des k. k. militär-geographischen Institutes.
Verlag von Vernay. Wien 1892.
Da bereits frühere Messungen des Verf. zur Coustatirung eines
unter dem Alpengebiet befindlichen Massendefectes geführt hatten,
wurden neuerdings die Bestimmungen der Schwere auf Anregung
Prof. Helmerts über eine grössere quer durch die Alpen ziehende
Strecke ausgedehnt. Lieber diese neuesten, von München bis zum
Po sich erstreckenden Messungen, denen noch eine Neubestimmung
der Grösse der Schwerkraft für Wien voranging, erstattet v. Sterneck
in der vorliegenden Schrift eingehenden Bericht. Für die Grösse
im militär-geographischen Institut zu Wien gelangte v. Sterneck
unter Anschluss an die gleichzeitig in München, Padua und Wien
(Türkenschanze) ausgeführten Beobachtungen zu dem Resultate:
g = 9,80876 m, dem eine Länge des Secundenpendels von 993,836mm
entspricht.
Unter Zugrundelegung dieses Werthes wurde nun die Schwere
an im Ganzen 46 Stationen ermittelt, die in nahezu meridianaler
Richtung sich von München bis zum Po hinziehen, und zu denen
noch Padua und Venedig hinzukommen. Das Ergebniss dieser
Bestimmungen war eine glänzende Bestätigung des Vorhanden-
seins eines grossen Massendefects unter dem Alpengebiet. Nörd-
lich dehnt sich dieser Defect bis über München hinaus aus; in
den Centralalpen erreicht er sein Maximum, indem dort der Be-
trag dem Fehlen einer Schicht von 1000 — 1200 m Dicke und von
der Dichtigkeit 2,5 entspricht. Nach Süden zu hört jedoch der
Defect merkwürdigerweise bereits in der Gegend von Trient
gänzlich auf, um sehr bald in eine starke Massenanhäufung über-
zugehen, welche der olieritalischen Tiefebene entspricht. In der
Gegend von Mantua macht sich indessen bereits wieder der den
Apenninen entsprechende Defect geltend. Gebirge und Massen-
defect, Tiefebene und Massenanhäufung entsprechen also ein-
ander, doch sind die Schwerestörungen durchweg etwa um 50 km
nach Norden verschoben.
Die Ursache des Massendefectes kann man nach v. Sterneck
am besten in wirklichen Höhlen unterhalb der Gebirge suchen,
schwieriger ist aber die Massenanhäufung unter der Tiefebene zu
erklären, da man selbst von den schwersten uns bekannten Steinen
Schichten von mehreren Kilometern Mächtigkeit zur Erklärung
der Schwerestörung annehmen müsste. Jedenfalls dürften die
Störungsmassen schon in nicht sehr grosser Tiefe zu finden sein,
worauf die Plötzlichkeit der Veränderung der Störung an der Erd-
oberfläche hindeutet. F. Kbr.
110
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 11.
P. Volkmann, Vorlesungsn über die Theorie des Lichtes.
Unter Rüoksioht auf die elastisclir und plektrouiasuftische An-
schauung. Leipzig. B. G. Tt'ubner. 1891. Preis UM.
Seit den epochemachenden VeröflFentlichungen von Hertz ini
Jahre 1888 ist die Litteratur über die Theorie des Lichtes, nament-
lich soweit die elektro-magnetische Ansicht in Betracht kommt,
mächtig gewachsen. Aber es fehlte uns bisher neben Ma.xwell's
grossem Werke selber ein Bnch, in dem die Faraday-Maxwell'sche
Theorie sowohl ihrem eigenen inneren Zusammenhange nach, wie
auch namentlich in ihren Beziehungen zur elastischen Lichttheorie
dargelegt wird. Das schöne Buch von Poincare hat diese Lücke
doch auch nicht ausgefüllt, da es den Gegenstand weit mehr von
der rein mathematischen Seite angreift.
Umso dankbarer müssen wir Herrn Volkmann für die Heraus-
gabe dieser Vorlesungen sein, bei denen ausdrücklich die Kennt-
niss der experimentalen und der praktischen Physik voraus-
gesetzt ist. r, ,. 1 '
Das umfangreiche W^erk (27 Bogen) führt den Studirenden
in der besten Weise in die neuere Anschauung ein, indem es
zeigt, wie sowohl die elastische als die elektromagnetische
Theorie auf dieselben Gleichungen führt, wie aber gewisse Con-
stanten, so z. B. die Lichtgeschwindigkeit für letztere Ansicht;
aus der Theorie selber sich bestimmen, während die ältere Lehre
dies nicht aus sich selbst heraus konnte, sondern auf die Hülfe
der Beobachtung recurriren musste. Auf Einzelheiten einzugehen,
ist hier wohl nicht der Ort. Ich kann mir aber doch nicht ver-
sagen, mit der grössten Befriedigung auf die Darstellung des
Huyghens'schen Princips hinzuweisen, das' in den meisten Lehr-
büchern der theoretischen Optik mich nie befriedigen konnte. ,
Das Werk ist nicht nur für den Studirenden, sondern auch
für den Forscher von grösstem Werthe und wir sind, wie gesagt,
Herrn Volkmann unsern ganzen Dank dafür schuldig. Grs.
A. Engler und K. Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien.
Lief. 76—79. Verlas; von Wilhelm Engeluiiinn in Leipzig 1892
bis 1893. — Preis a "Lief, in Subscription 1,00 M. — Von diesem
prächtigen Werk können wir das Erscheinen von vier weiteren
Lieferungen anzeigen. Lief. 76 enthält den Schluss den My.xo-l
gasteres und den Beginn der Pilze (beide Abtheilungen bearbeiteti
von J. Schröter). Lief. 77 setzt die Besprechung der Legu-
minosen fort (P. Taubert). Lief. 78 bringt den Schluss der
Anacardiaceen (Engler), ferner die Cyrillaceen (E. Gilg), Aqui-
foliaceen (M. Kronfeld), die Celastraceen und den Beginn der
Hippocrateaceen (beide Familien bearbeitet von Th. Lösen er).
Lief 79 endlich besehliesst die Chenopodiaceen (G. Volkens) und:
bringt den Anfang der Amarautaceen (H. Schinz). Da auch
diese Lieferungen keine „Abtheilung" des Werkes abschliessen,
müssen wir ein ausführliches Eingehen auf den Inhalt verschieben.
Sitzungsberichte der Eönigl. Preussischen Akademie der
"Wissenschaften zu Berlin. 1893. No. V, VI, VII. — Das Heft
enthält die Berichte über die Sitzungen am 2. und !). Februar und
drei Abhandlungen. F. Rinne: Ueber norddeutsche Basalte.
Die stratigraphischen, wesentlich aber petrographischen Unter-
suchungen erstrecken sich auf die verhältnissmässig wenig be-
kannten nördlichsten Basaltvorkommen Deutschlands. Der Ver-
fasser hat gegen 100 Fundpunkte besucht, welche alle nördlich
einer Linie von Gudensberg nach Eschwege in Hessen liegen und
deren am weitesten nach Norden vorgeschobener der isolirte Basalt
bei Sandebeck im Teutoburger Walde ist. G. Linck: Ueber
Hercynit aus dem Weltlin. Der Autor hat gelegentlich seiner
Untersuchungen des Gabbro-Gesteines im oberen W'eltlin daselbst
ein Hercynit -Vorkommen entdeckt Willy Wien: Eine neue
Beziehung der Strahlung schwarzer Körper zum zweiton Haupt-
satz der Wärmetheorie. F. K.
Kupffer, C. v., Studien zur vergleichenden Eutwicklungsgeschichti'
des Ko]ifes der Kranioten. München. 10 M.
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Norden. — 1018. Wilhelmshaven. — 1639. Kreuz. — 1923.
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Seebach, K. v., Ueber Vulkane Centralamerikas. Göttingen.
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J" '' d-x
F (x) -^ Leipzig. 1,65 M.
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Inhalt: Prof. Dr. 0. Kirchner: Christian Konrad Sprengel, der Begründer der modernen Blumentheorie. — Obi-rförster R. Ritt-
meyer: Ueber die Nonne (Liparis monaeha.) (.Schluss.) (Mit Abbild.) — Beobachtung der Andromediden am 23. u. 27. No-
vember 1892. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Dr. Eugen Dreher: Der Materialismus. — August Weismann:
Die Kontinuität des Keimplasmas. — H. Eck: Geognostische Beschreibung der Gegend von Baden-Baden, Rothenfels, Gerns-
bach und Herrenalb. — R. von Sterneck: Die Schwerkraft in den Alpen und die Bestimmung ihres Werthes für Wien. —
P. Volkmann: Vorlesungen über die Theorie des Lichtes. — A. Engler und K. Prantl: Die natürlichen Pflanzenfamilien.
— Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 11.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
XXI
Die
Leipziger Lehrmittel-Anstalt i
von I>r. Osoar Sclinei«ler ♦
Sclmlytrassc 10—1-2 Leipzig Schiilstriissc 10— li' |
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den Herren Si-liiildirektoreii iiiid SchulvorstäiKleii «
zum bevorstehenden I5eginn des neuen .Schuljahres I
ihr reichhaltiges Lager von t
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Tilliclis Reclienkasten ....
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Wandtafel-Winkeln
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Wandtafel -Zirkel für Kreide .
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Wandtafel -Kreide (lA Cliampajjner Kreide)
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Ki-d- und Himmelsgloben . . .
Tellnrien -X •
Scluihvandkarten
Anseliaunngsbildern .......
Anatomiselie Modellen .....
ßotanisclie Modellen
Sammliing'en
Physikalischen Apparaten ....
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Turngeräten i ■ ■
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„ 5.- „ „ 500.-
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Sonntas-, den 19. März 1893.
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Christian Konrad Sprengel, der Begründer der modernen Blumentheorie.
Von Prof. Dr. U. Kirchner.
(Schluss.)
beeug"te Verhältnisse
Theologie und Philologie gewidmet haben.
lieber die Lebensschicksale des merkwürdigen Jlannes
besit7.cn wir nur ziemlich spärliche Nachrichten*). Geboren
wurde Christian Konrad Sprengel im Jahre 1750 zu
Brandenburg a. H. als Sohn eines Geistlichen. Sein Ju-
gendlcben spielte sich im elterlichen Pfarrhause ab, und
hier bot sich ihm Gclegenlieit, die Natur beobachten und
lieben zu lernen; nur widerwillig soll er sieh dem durch
ihm aufcedräns'ten Studium der
Von 1774
bis 1780 war er als Lehrer an der Schule des Grossen
Friedrichs-Hospitales in Berlin angestellt, wobei er zu-
gleich Unterricht an der königlichen Ecole inilitaire er-
theilte. Am 25. April 1780 wurde er auf Empfehlung
eines Professors Zierlein am grauen Kloster als Reetor
an die Grosse Schule (jetzt Gymnasium) nach Spandau
berufen, nachdem er am 20. März seine Probeleetion ge-
lesen hatte. Er hielt, wie uns berichtet wird, eine An-
trittsrede von dem Nutzen der griechischen und latei-
nischen Sprache „gründlich und mit Beifall." In dieser
Stellung verblieb Sprengel bis zum Jahre 1793, unter
vielen Widerwärtigkeiten, welche durch Streitigkeiten mit
*) Als Quellen zu der -folgenden biographischen Skizze
dienten ausser Sprengels eigenen Schriften: 1. Erinnerung an
Christian Konrad Sprengel, nebst einigen Bemerkungen aus seinem
Leben. Von H. B. in der Flora, Bd. 2. 1819, S. .541— 552. 2. Wort-
getreue Auszüge aus dem im Besitze der St. Nieolai-Kirelie zu
Spandau befindlichen, von dem ehemaligen Inspector (d. i. Super-
intendent) D. F. Schulze (gestorben 1811) herrührenden Manuscript :
„Zur Beschreibung und Geschichte der Stadt Spandau gesaumielte
Materialien". Diese Auszüge Hess die Redaetion der „Naturw.
■ Wochenschr." anfertigen und stellte sie dem Verf. zur Verfügung,
der Herrn Dr. Potonie nicht hur aus diesem Anlass, sondern auch
für die sonstige von ihm im Intex-esse des vorliegenden Aufsatzes
aufgewendete Midie und für nuinche werthvolle Anregung seinen
vi'rbindlichsten Dank ausspricht, (Die Auszüge aus dem Schulze-
scheri Manuskript werden 'in der ,,Naturw. Wochenschr." zur Ver-
öffentlichung gelängen. — Red.) 3. Schriftliche Mittheilungen
von Seiten des Herrn Forstmeisters Sprengel in Bonn, dessen
Nachforschungen nach biograiihischem Material- indessen leider
von geringem Erfolge waren. Aucli ihm spreche ich an dieser
Stelle meinen besten Dank aus. . - ■ •
seinem kirchlichen Vorgesetzten, einem Inspector (d. i.
Superintendent) Schulze, und durch Beschwerden von
Eltern, die ihre Söhne von dem Schulreetor zurückgesetzt
und niisshandelt glaubten, veranlasst wurden. Von diesen
Streitigkeiten ist eine sehr ausführliche Schilderung aus
der Feder Schulze's in dem schon erwähnten Manuscript,
der sogen. Schulze'seheu Kirchenchronik, enthalten, in
welcher natürlich Sprengel in einem wenig günstigen
Lichte erscheint; es geht aus der Darstellung hervor, dass
letzterer es einerseits mit einem sehr wenig wohlwollenden
Vorgesetzten zu thun hatte, andererseits aber wohl auch
durch uunöthigcn Eigensinn und durch Uebereilungen
selbst mancherlei Schwierigkeiten bereitete. Sprengel
scheint übrigens in Berlin einflussreiche Gönner gehabt
zu haben, bei denen er sich Eatbs erholte, und die ihn
gegen die einseitigen Berichte Schulze's in Schutz nahmen;
so viel ist sicher, dass seine amtliche Thätigkcit im Ver-
laufe der vielfachen Anklagen, Berichte und Entschei-
dungen des Oberconsistoriums in Berlin mehrfach aus-
drücklich anerkannt wurde. Wenn ihm also auch eine
Vernachlässigung seiner Amtspflichten nicht direct nach-
gewiesen werden konnte, so hat er sich doch oft'enbar
— spätere eigene Aeusserungen von ihm bestätigen das —
um Zeit für seine botanischen üntersuchunge n zu ge-
winnen, auf das unbedingt Nothwendige beschränkt. So
lehnte er es — auch dies war ein Anlass zu vielen
Zwistigkeiten — jahrelang mit gleicher Entschiedenheit
ab. Privatstunden zu ertheilen, was früher immer üblich
gewesen war, und wozu man ihn durchaus wieder ver-
anlassen wollte. Seine Stellung war nicht gerade glän-
zend, aber für die damaligen Zeitverhältnisse und für
einen unverheiratheten Mann, wie Sprengel es gewesen
und geblieben zu sein scheint,*) auch nicht schlecht; er
*) In dem Aufsatz in der Flora heisst es (S. 54-i): „Verhei-
rathet ist er, soviel ich weiss, niemals gewesen." — Herr Forst-
meister Sprengel schreibt: „Es ist mir nicht gelungen, festzustellen,
ob er verheirathet gewesen ist; Kinder sind aus einer etwaigen
Ehe nicht hinterblieben." ■
112
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 12.
bezog- anfänglich etwa 260 Tlialer baar, besserte .sich
aber im .Jahre 1791 durch ein dem Keetoramt zugefallenes
auf
Legat so auf
dass sich seine „sichere Einnahme"
402 Thlr. 20 Gr. belief. Dabei hatte er in der Woche
nur 13 Stunden Unterricht zu ertheilen; erst zu Beginn
des Jahres 1792 wurde ihm auf unermüdliches Betreiben
Schulze's zur I'rticht gemacht, (J hStuuden mehr zu geben,
und nun hatte er zu unterrichten : i\ Std. Latein in der
oberen, 2 Std. Latein iu iler combinirten o. und 4. Classe,
2 Std. Religionsunterricht, 1 Std. Naturgeschichte, 3 Std.
Deutsche Sprache, o Std. Rechnen und Mathematik, 2 Std.
Französisch. (Tclegentlich dieser Vorschrift bemerkt sein
Vorgesetzter und Gegner mit merklichem Aerger: „es sei
Sprengel iu dem Rescript so sanft begegnet worden, dass
sogar seine dem OberschulcoUegio hinlänglich bekannte
Geschicklichkeit gerühmt worden". ludessen hörten die
Zänkereien nicht auf, und 1798 setzte Schulze endlich die
Pensionirung des „jähzornigen und eigensinnigen Mannes",
wie er ihn nennt, durch. Dieselbe erfolgte definitiv am
26. August 1794 mit einer Pension von 150 Thlr. Es ist
also keineswegs richtig, wenn später in dem Bericht in
der Flora, und danach in anderen Lebensbeschreibungen
Sprengel's, erzählt wird, er sei wegen Vernachlässigung
seiner Amtsptiichten über seinem Eifer für die Botanik
seines Amtes entsetzt worden.
So unerquicklich verlief der Aufenthalt Sprengel's in
Spandau in amtlicher Hinsicht, dass er es später vermied,
auch nur von dem Orte zu sprechen, an dem er seine bota-
nischen Studien begonnen, und wo er die lange Reihe seiner
Entdeckungen gemacht hatte. Die Anregung zur Be-
schäftigung mit der Botanik verdankte er dem berühmten
Arzte Ernst Ludwig Heim, welcher 1775—1783 in Spandau
lebte; also nuiss wohl Spreugel bald nach seiner Ueber-
siedeluug dorthin (1780) sich der Botanik zugewendet
haben. Später mag ihm das nahe Berlin litterarische
Hilfsmittel, sowie Belehrung durch persönlichen Verkehr
geboten haben. Der bekannte Geschichtsschreiber der
Botanik, Kurt Sprengel, einer der hervorragendsten Bo-
taniker seiner Zeit, war sein Neffe, und mit diesem nur
um 16 Jahre jüngeren Manne dürfte der (Jheim wohl auch
in wissenschaftlicher Verbindung gestanden haben.
Nach seiner Pensionirung wohnte Sprengel in Berlin;
verbittert durch die Spandauer Streitigkeiten und durch den^
Misserfolg seiner botanischen Untersuchungen zog er sich auf
sich selbst zurück, und beschäftigte sich mit philologischen
Arbeiten, ohne jedoch auf die Fortsetzung seiner Beobach-
tungen über die Bestäubungseinrichtungen der Blüthen zu
verzichten. Zur Verbesserung seiner Einnahmen ertheilte er
Unterricht in Sprachen und in Botanik, und stellte Sonn-
tag Vormittags gewöhnlich Excursionen an, woran Jeder-
mann gegen 2 — 3 Gr. für die Stunde theilnehmen konnte.
In der letzten Zeit seines Lebens, von 1809 an, wohnte
er am Hausvoigteiplatz in einem Hintergebäude; einer
seiner frühereu Schüler, die ihn dort bisweilen aufsuchten,
entwirft in der Flora (a. a. 0.) eine anziehende Schil-
derung des Mannes und seiner Umgebung, und da sie,
mit liebevoller Anhänglichkeit an den Vereinsamten ver-
fasst, für uns zugleich die einzige eingehendere Charakte-
ristik desselben enthält, so soll einiges daraus zum Schlüsse
hier Platz finden:
„Ich fand ihn jedesmal in einem alten Schlafrocke
mit der Nachtmütze und einer langen Pfeife, die Stube
wie eine Rauchkammer mit Tabakswolkeu augefüllt. Er
sass gewöhulich am Fenster, bei einem Buche, oder bei
seinem ausgelegten Herbario. Ein Repositorium mit
Büchern, seine Pflauzensammluug und einiges alte Haus-
geräthe machten den Inhalt des Zimmers aus, welches mit
dieser Ausstattung gegen das Aeussere seines Bewohners
gerade nicht abstach. Von Gestalt war Sprengel wohl-
gebildet, mehr gross als klein, hager und stark von
Knochenbau. Sein Gesicht war ausdrucksvoll, die Farbe
frisch, das Auge lebhaft. Das vor Alter ins Graue gehende
Haar trug er unbesehnitten, frei um die Schultern hängend.
Sein Gang war aufrecht und fest, er ging ziemlich schnell
und, trotz seinem Alter, ohne auszuruhen halbe Tage lang.
Er war massig und einfach in seiner Kost, mehr aus
Sorge für seine Gesundheit, als aus wirklichem Mangel,
der ihn, wie sich nach seinem Tode gezeigt hat, mehr in
seiner Bedenklichkeit wegen der Zukunft, als in der
Gegenwart gedrückt haben mag. Er trank damals nichts
als Wasser. Einfach, wie in der Lebensweise, war er
auch im gesellschaftlichen Betragen. Er wusste nichts
von Schmeicheleien und war selbst mit den gewölmlieheu
Höfliehkeitsausdrückcn nicht freigebig. Er sprach, was
er dachte, schnell und offen heraus, und da sein Geist
leicht in jedes Wesen eindrang, Wahrheit aljer ihm über
alles ging, so musste das, was er sprach, oft hart an die
durch Täuschungen verw(ilmte Welt anstossen. Er nahm
keine Meinung unbedingt, und nichts auf blossen Glauben
an, auf seine eigenen Ansichten verliess er sich mehr,
als auf jede fremde, sie mochte sein, von wem sie wollte;
was ihm eiumal recht schien, behauptete er hartnäckig
und bis zur Leidenschaft. So geschah es, dass er den
Vorwurf der Grobheit und Halsstarrigkeit auf sich lud,
und nach und nach von allen gelehrten Freunden ver-
lassen wurde. Im Ueberdrussc der Streitigkeiten und viel-
leicht auch aus verstecktem Stolze vermied er nun selbst
allen Umgang mit der gelehrten Welt, und zog sich in
sein finsteres Zimmer zu philosophischer Ruhe zurück.
Von der Zeit an lebte er unbemerkt und ungenannt, nur
von Wenigen gesehen und von wenig Schülern benutzt.
Diese Wenigen aber erinnern sich seiner mit Liel)c; denn
sie verdanken ihm viel. Sein mannigfaltiges Wissen war
ihnen eine reiche Quelle, sein eigenthümlicher Charakter
in vieler Hinsicht ihr Vorbild, wie auch oftmals ihre ge-
heime Lust und Freude. — Er lebte in einer seltenen
liebenswürdigen Unschuld des Herzens, seine Sitten waren
aus einem vergangenen Jahrhundert, sein Geist gehörte
für ein künftiges; bei dieser Verfassung konnte ihn kein
besseres Schicksal treffen. Er stand, anstössig für die
Welt, unleidlich für den Gelehrten, ohne Verbindung und
Geuuss, als Einsiedler unter seinen Zeitgenossen da."
Dieser lieltevollen Charakterzeichnung muss der
wahrheitsgetreue Berichterstatter noch hinzufügen, dass
Sprengel offenbar den richtigen Entdeekerstolz besass;
dieser verräth sich neben vielen Wendungen in seinen
Schriften schon durch den Titel seines Hauptwerkes, und
nicht minder durch das Motto, welches er vor seine Ab-
handlung über die Nützlichkeit der Bienen setzte, den
Ovidischen Vers:
Magna, nee ingeniis evestigata priorum,
Quaeque diu latuere, canam.
Sprengel starl) am 7. April 1816 in völliger Ver-
gessenheit; nicht einmal wo er begraben wurde, hat sich
feststellen lassen. Botanischer Sitte gemäss ist sein Name
der Nachwelt in einer Pfianzengattung überliefert, indem
J. E. Smith i. J. 1794 eine in Australien einheimische
Epacrideen-Gattung Sprengelia nannte*). Aber auch ohne
dies wird er in der Geschichte der Botanik unvergessen
bleiben, denu seine Saat ist, wenn auch spät, aufgegangen,
und trägt jetzt tagtäglich neue Früchte.
*) Zwar bemerkt Pfeiffer (Nomenciator botanicus. Bd. II. 1874.
S. 1251) bei der Gattung Sprengelia: „Dicat. Curt. Sprengel, prof.
Halensi", jedoch dürfte dies auf einem Irrthume beruhen, da das
erste Werk botanischen Inhaltes von Kurt Sprengel, der 17S)4 erst
28 Jahre alt war, aus dem Jalire 1798 stammt. In der Sache
richtiger ist die Angabe von Pritzel (Thesaurus Lit. bot. 1872.
S. oOo), welcher hinter dem Namen von Ch. K. Sprengel als diesem
dedicirte Gattung Sprengelia „Batach" anführt.
Nr. 12.
Naturwisseiischaftliolie Wochenschrift.
113
Professor Dr. K. A. Ijosseii f. — Vor wenigen
Taigen hat wiederum der Ttid dem leider zu kurzen Leben
eines deutsehen Oclelirten ein Ziel gesetzt. Der König],
preuss. Landesgeologe Professor Dr. Karl August Lossen
ist am 24. Februar nach längerem schweren Leiden in
Berlin gestorben. In erster Linie betrauert die Königl.
geolog. Landesanstalt und Bergakademie den unersetz-
lichen Verlust ihres langjährigen treuen Mitarbeiters und
Docenten; aber auch die Friedrich -Wilhelms -Universität,
deren Lehrkörper Lossen seit zwei Decennien als Doeent
für Geologie und Pctrographie, seit sieben Jahren als
ausserordentlicher Professor angehörte, verliert in ihm
ihrer bedeutendsten Lehrer einen. Kaum möchte wohl
ein Gelehrter bi'i allen denen, welche dt'U Vorzug ge-
nossen, mit ihm in nähere Berührung zu konmien, eines
treuen Angedenkens so sicher sein, wie der Dahinge-
schiedene ! —
Karl August Lossen entstammt einer weitverzweigten
Gelehrtenfamilie; ein Bruder von ihm ist der bekannte
Professor der Chemie in Krmigsberg, ein andert'r ist
Historiker und Sekretär der Münehener Akademie der
Wissenschaften, ein dritter Jurist in Strassburg etc. Lossen
wurde geboren am 5. Januar 1841 zu Kreuznach, wo sein
Vater Jlcdicinalrath war. Nach absolvirter Schulzeit wid-
mete er sich dem Bergfach, das er dann später verliess,
um sich der Geologie, speeiell der Pe(rograj)liie zu-
zuwenden.
Im Jahre 1807 promovirte Lossen bei der iiliiiosophi-
schen Facultät der Universität Halle auf Grund seiner
Arbeit „De Tauni montis parte transrhenana".
Im Harz, als dessen erster Kennei- er unbestritten
dasteht, hat er bereits als Student unter Beyrich seine
ersten geologischen Aufnahmen in der Gegend von Ilfeld
gemacht. Mit der Erforschung des Harzes wurde er auch
im Jahre 1872 bei seinem Eintritt in die Kiinigl. i)reussi-
sclie geologische Landesanstalt von Seiten der Direction
beauftragt. Dieser Aufgabe hat er all die Jahre mit so
unermüdlichem Eifer obgelegen, dass er im Harz eine
volksthümliche Persönlichkeit geworden ist, die fast jedes
Kind keimt. — Eine schöne Frucht dieses Schattens ist
seine „Geognostische Ucbersichtskarte des Ilarzgebirgcs
(1 : 100,000)", die er unter der bescheidenen Bezeichnung
„zusammengestellt nach den Aufnahmen der preussischcn
geologischen Laudesanstalt und älteren geologischen Karten
von K. A. Lossen" der Oettentlichkeit übergab, die aber
zum weitaus grössteu Theil sein eigenstes geistiges Eigen-
thum repräsentirt.
Hier im Harz machte Lossen auch seine Beobach-
tungen, welche eine neue Richtung in der Gesteinskunde
veranlassten. Er ist der Begründer der Dynamonietamor-
phose, die den Einfluss der niechanischen Kräfte auf die
Structur der Gesteine zum Vorwuif hat. Er lieferte zuerst
den Nachweis von Ditt'ereuzirung in den Gesteinsniagmen.
Er warf die Methoden der Handstüeks- und Stuben-Petro-
graphen über den Haufen nnd setzte au ihre Stelle die
Bestimmung der Gesteine nacli ihrer strncturcllen und
chemischen Beschatt'enheit unter Berücksichtigung der
Lagerungsformen, 'indem er die verschiedenen Erstarrungs-
verhältnisse ein und desselben Magmas unter verschiedenen
Bedingungen studirte. Von einschneidender Bedeutung
sind ferner seine Studien über den Verlauf \on Gang-
spalten und ihre Beziehungen zur Teetonik des Gebirges.
Dickleibige Bücher hat Lossen nicht gesehrieben,
aber in einer stattlichen Reihe mehr oder weniger umfang-
reicher Abhandlungen hinterlässt er der Nachwelt die
Früchte seiner Forschungen. Die grössere Mehrzahl seiner
Publicationen findet sich in dem Jalnbuch der Königl.
preussischcn geologischen Landesanstalt und Bergakademie,
in den Berichten der deutschen geologischen Gesellschaft
und in den Sitzungsberichten der Gesellschaft der natur-
forschenden Freunde.
Im Jahre 1879, als es sich zum Zweck „der Reini-
gung und Entwässerung Uerlins" um die geologische Untei'-
suchung des Berliner Weichbildes handelte , war auch
Lossen im Auftrage des Magistrats an dieser Aufgabe
l»etheiligt. Jener Zeit entstammt seine Arbeit ..Ueber den
Boden der Stadt Berlin" und die geologische Karte der
Reiehshauptstadt.
Im persönlichen Verkehr war dem Verstorbenen seine
grosse Schwerhörigkeit, die er sich als ganz junger Berg-
mann in seinem praktischen Jahr zugezogen hatte, leider
sehr störend; aber weit entfernt von dem Misstrauen,
welches schwerhörigen Menschen so oft eigen ist, war er
ein zufriedener, innerlich abgeschlossener Charakter, der
für seine Mitmenschen nur freundliches Wohlwollen und
liebenswürdiges Entgegenkommen kannte. Aus dem reichen
Schatze seines Wissens schöpfend, förderte er in uneigen-
nützigster Weise bereitwillig jeilermann, der seinen Rath
begehrte.
Ein ganzer IMann, iiat er unter seinen Freunden,
CoUegen uml Schülern wohl kaum jemanden hinterlassen,
der je den leisesten Schatten eines Uebelwollens gegen
ihn gehegt hätte. Von einer allgemeinen Unterhaltung
durch sein Gehörleiden ausgeschlossen, verstand er es
doch durch sein hervorragendes Redncrtalent bei ernsten
und heiteren Gelegenheiten alle mit sieh fortzureissen. —
Am 27. Februar wurde Lossen auf dem neuen Kirch-
hofe der katholischen Mathias-Gemeinde hei Südende zur
ewigen Ruhe gebettet. Die oberste Bergbehörde war ver-
treten; ebenso waren die Angehörigen der geologischen
Landesanstalt und Bergakademie fast vollzählig erschienen,
um dem unvergessliehen Todten die letzte Ehre zu er-
weisen. Neben den Fahnen der Bergakademie benuM-kte
man die Fahnen der katholisclien Studentenvereiue „Bur-
gundia" und „Aseania", deren Alter Herr Lossen war.
Im Grossen und Ganzen aber verlief die Trauerfeier
scidicht und bescheiden, wie der grosse Gelehrte selbst
im Leben innner war.
In die Annalen der Wissenschaft ist sein Name mit
unvertilgbaren Zügen eingetragen und Allen, die ihn
kannten, wird er unvcrgesslieh sein! —
Dr. H.
Die niiitheinatiscli-meeliaiiisclie lietraclituiig mor-
pliologisclier Probleme der Biologie'-') Ijchandelt Dr.
Hans Driesch in einer besoiuleren, zwar schon 1891
erschienenen Schrift, deren wichtiger Inhalt uns aber
veranlasst, noch jetzt auf denselben ausführlicher ein-
zugchen.
Ueber ein Gedankensystem, welches, ohne ein Wort
zu viel zu enthalten, in streng geschlossenen Gedaid^en-
gängen entwickelt ist, lässt sich natürlich nur in der
Weise berichten, dass man die Hauptpunkte, durch die
der Gang der Betrachtung seinen Weg nimmt, charakteri-
sirt. Dies, und zwar möglichst mit den eigenen Worten
des Verfassers, möge in Folgendem geschehen.
Die Schrift Driesch's ist eine kritisch-methodologische
Untersuchung des Forsehung.sgi'bietes der biologischen
Morphologie, sie „stellt sich die Aufgabe, die in der mor-
phologischen Litteratur niedergelegten Bestrebungen,
welche sich den Namen „„mechanisch"" geben, kritisch
zu vergleichen und ihren Erklärnngswerth zu l)estinnnen."
„I. Vorläufige Uebersicht über den Gebrauch
des Wortes „„mechanisch"".
„Das Wort „„mechanisch"" ist ein Lieblingsansdruck
der heutigen Morphologie." Die verschiedenartigsten Be-
*) Verhig von Gustav Fischer in Jena, 1891. Preis 1,50 Mk.
114
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 12.
trachtiingen und Untersuchung'cn suchen sich das Prädicat
„mechanisch" beizulegen: „Die Gestaltung- eines ausge-
bildeten Organismus ist die „„mechanische"" Folge des
Keimwachsens nach His; die Phylogenie ist die „„mecha-
nische"" Begi'üudung der Ontogenie nach Häckel" etc. etc.
„Was haben aber diese beiden Dinge, die Phylogenie
und das Keimwachsthum, Gemeinsames, als dass sie eben
beide als Ursachen eines anderen Vorganges aufgefasst
werden?" —
Was zunächst das „Mechanisch" der Darwinisten an-
betrifft, so liegt es auf der Hand, dass dies „lediglich
als Gegensatz zu metaphysischen Erklärungspriucipien,
zu Eingriffen einer schöpferischen Gewalt u. s. w. gemeint,
aber durchaus kein streng forniulirfer Begriff ist. Nur
das principiell „„Nichtmeclianisclie"" soll eliminirt wer-
den." „Häckel meint also, die Phylogenie erkläre die
Ontogenie, insofern beide überhaupt uaturgesetzlich
zusammenhängen."
„Angesichts der Bedeutung dieses Be-
strebens können wir einige Unklarheiten des Ausdrucks
schon mit in Kauf nehmen." „Das Gesagte berechtigt uns
aber, den Begriff des „„Mechanischen"" in der land-
läufigen unbestinmiten Fassung der Darwinisten im Fol-
genden nicht weiter zu berücksichtigen."
Nach Vorausschickung dieser Abrechnung geht Driesch
zu einer vorläufigen, kritisch-skizzirenden Aufzählung der
verschiedenen Anlässe über, „in denen Forscher in be-
stinnnterer Weise von mechanischer Auffassung morpho-
logisciier Vorgänge geredet haben". Von dieser vorläufigen
Aufzählung wollen wir nichts weiter sagen, da wir ja
nachher über die Resultate der speciellen Erörterung der
verschiedenen „mechanisch- morphologischen" Unterneh-
mungen zu berichten haben.
Dass Driesch in eine solche nähere Betrachtung nicht
gleich eingeht, motivirt sieh dadurch, dass schon bei der
flüchtigen Orientirung sich herausstellte, dass zwei Begriffe,
der des „Mechanischen" und der des „Mathematischen",
oft nicht scharf genug unterschieden werden. Um die
wünschenswerthe Klarheit in die Situation zu bringen,
empfiehlt es sich daher, vorher Wesen und wissenschaft-
liche Bedeutung einmal des „Mathematischen" und dann
des „Mechanischen" festzustellen.
IL Ueber den Unterschied zwischen mathe-
matischer und mechanischer Betrachtungsweise
und ihr gegenseitiges Verhältniss.
Alles, was unserer Beobachtung entgegentritt, unsere
Aussenwelt, ist räumlich. Die Wissenschaft vom Räume
ist die Geometrie. „Raumgrössen sind Grössen; die Geo-
metrie fällt mit der Analysis zusammen unter den Gattungs-
begriff Mathematik. Also . . . muss jedes Problem, das
die Aussenwelt uns stellt, sobald es wissenschaftlich for-
ruulirt, d. h. endgültig analysirt werden soll, zu einem
mathematischen Problem führen; sobald im speciellen
räumlich Angeschautes als solches zu wissenschaftlicher
Verarbeitung gelangt, resultirt ein geometrisches Problem.
Sofern die ^Iorphologie Wissenschaft von Formen ist",
muss also dies auch auf ihrem Gebiet gelten. „Ein Formen-
problem ist erst dann wissenschaftlich formulirt, wenn es
geometrisch formulirt ist, d. h. in räumliche Gesetzmässig-
keit aufgelöst."
„Diese auf eine geometrische Aufgabe hinauslaufende
Formulirung haben wir oben provisorisch als mathe-
matische Betrachtungsweise bezeichnet. Es ist ohne
weiteres klar, dass Formulirung und Lösung eines
Problems zwei verschiedene Dinge sind. Ein
mathematisch formulirtes Problem ist dadurch
noch nicht gelöst, aber es ist dadurch zur Lösung
vorbereitet, und umgekehrt an eine Lösung kann
ohne diese Formulirung nicht gedacht werden."
Ehe ein naturwissenschaftliches Problem end-
die Eigenschaften der Gase
.Mecha-
zu
die
gültig exact naturgesetzlich, d. h. eben mecha-
nisch, gelöst werden kann, muss es vorher scharf,
;d. h. mathemathisch formulirt sein.
' Die Wissenschaft, xcn' i'ioxrjv, die Physik, ist im
Stande gewesen, gewisse Fundamentalsätze des Natur-
geschehens aufzustellen , auf die sich eine grosse Zahl
aller Geschehnisse bereits hat zurückfuhren, und umge-
kehrt, aus denen sie sich hat ableiten lassen, während
diese Sätze selbst elementar sind. Naturgemäss haben
sie ein mathematisches Gewand. Man bezeichnet bekannt-
lich die Summe dieser Grundsätze nebst dem unmittelbar
aus ihnen Deducirbaren mit dem Worte „„Mechanik"".
Man nennt ein wissenschaftliches Problem gelöst, wenn
es, nachdem mathematische Analyse vorhergegangen, bei
gewissen Voraussetzungen auf mechanische Sätze zurück-
geführt, als Folge von ihnen dargestellt ist. Es ist daim
mechanisch erklärt. Für
z. B. leistet dies die kinetische Gastheorie." —
„In der Gestalt, wie uns der Begriff des „„
nischen"" als mechanische Erklärung irgend welchen
Naturgeseheheiis jetzt vorliegt, können wir ilin jedoch
für unseren Zweck noch nicht verwcrthen aus dem ein-
fachen Grunde, weil in diesem erschöpfenden Sinne noch
Niemand morphologische Probleme „„mechanisch be-
trachtet"" hat. Das Leben als Ganzes meciianisch
erklären, hat begreiflicherweise fast keiner versucht,
schweige durchgeführt."
• „Wohl aber hat es nicht an Forschern gefehlt,
gewisse Seiten des morphologischen Geschehens mecha-
nischen Gesichts])uid\fen unterstellt haben. Wie definiren
wir kurz die hier geübte Betrachtungsweise? Wir wollen
eine längere Discussion der unschwer zu fassenden Be-
griffe unterlassen und in Zukunft unter mechanischer Be-
trachtungsweise im engeren Sinne verstehen: den Nach-
weis, dass irgend eine Erscheinungsgruppe innerhalb eines
Problems nichts ihm speeifisch eigenthümliches ist, viel-,
■ mehr bei gewissen Voraussetzungen als Ausdruck physi-
kalisch bekannter Ursachen sich darstellt."
III. Morphologisches in der Physik.
Bevor Driesch in die specielle Betrachtung der bio-
logisch - morphologischen tlnternehmungen mathematiscli-
mechanisehen Charakters eingeht, widmet er sich noch
einer Umschau,
Physik gäbe.
Es kämen hier die Gebiete der Statik starrer und
flüssiger Körper in Betracht. „Die Gleichgewiehtsbedin-
gungen starrer Körper finden ihren Ausdruck in der
Krystallographie, diejenigen flüssiger Körper finden
ihn in der Lehre von der Oberflächenspannung.
Diese beiden Gebiete physikalischer Forschung sind es,
die man vielleicht mit Recht als anorganische Mor-
phologie bezeichnen könnte."
„Was die Krystalle anlangt, so füln-t ihre theoretisch-
physikalische Analyse trotz ihrer hohen Vollendung eigent-
lich ül)er eine geometrische Formulirung niciit weit hin-
aus; wenn auch gezeigt wurde, dass sie als Gesammtheit
der Ausdruck der möglichen regelmässigen Punktsysteme
sein mögen, so ist doch die Erkenntniss der Nothwendig-
keit irgend eines dieser Systeme für einen bestimmten
Stoff nach dem Begründer genannter Theorie, Sohncke,
zur Zeit ein „„Problem hiiherer Ordnung""; hinsichtlich
der Gesetze der Oberflächenspannung und der durch sie
bedingten Gestalten (Plateau) hat man bezüglich der
Zurückfuhrung ihrerUrsächlichkeit auf allgemeine Mechanik
wohl einen genügenden Einldick erlangt."
. Diesem Hinweis, dass der Formbegriff auch in der
Physik eine Rolle spielt, knüpft Driesch eine Betrachtung
an einerseits über das Verhältniss dieses Fornd)egriffs zur
ob es auch Morphologisches in der
Nr. 12.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
115
iil)rij;-cu l'hysiiv, andererseits über eine etwaige Bezieiiuni;-
der biologischen Morphologie zur physikalischen „Form".—
Nun geht Driesch zu seiner Hauptaufgabe über:
IV. Specielle Betrachtung der wichtigsten
Gebiete der mathematisch- mechanischen Mor-
phologie.
A. Die Promo rphologie (Iläckel, Generelle Mor-
phologie, Berlin 1866, Bd. I, Buch IV: Generelle Pro-
morph(dogie). —
„Häckel hat bekanntlich im ersten Bande seiner gene-
rellen Blorphologie den Versuch gemacht, die Formen aller
Lebewesen, und zwar nicht nur ihre äussere Kör])erform,
sondern den ganzen Ausdruck ihrer Organisation, nach
stereometrisehen Gesichtspunkten, nach Synnnctricprincipien
zu ordnen, oder vielmehr, dieselben stereonu'trischen Ge-
bilden zuzuordnen." „Die Häckel'schc Promorphologie ist
ein ausgezeichnetes Beispiel für unsere mathematische
Art der Betrachtung, wie auch gleiciizeitig für ihre
Consequenzen. Häckel gie))t eine geometrische Ana-
lyse; seine Thesen sind daher unzwcifelliaft richtig. Eine
andere Frage ist freilich die, ob Hackers mathematische
Formulirung die Vorbereitung einer meclianischcn Be-
trachtungsweise ist." „Da die lebenden Kiirper die Eigen-
schaften, welche den Stoft' der Promorphologie bilden, mit
jedem Angeschauten theilcn, da sie Bedingungen der
Anschauung sind, da ferner die Thatsachcn der Morpho-
logie uns lehren, welch unendliche Mannigfaltigkeit sich
bei Pflanzen und Thiercn in diesem nothwendigen äusseren
Rahmen al)spielt (im Gegensatz zu den Krystallcn), so
folgt ohne Weiteres, dass Häckel's Promorphologie, ob-
wohl, wie gesagt, unanfechtbar richtig, für mechanische
Erkenntniss, da sie das Wesen der organischen Formen
nicht trifl"t, unbrauchbar ist. Mathematische Formulirung
allein macht eben noch nicht den erklärenden Werth einer
Betrachtung aus."
B. Die Gelenkmechanik. — Die sogenannte „Ge-
lenkmechanik" thciit den rein formalen Charakter des
Gesichtspunktes in gewissem Grade mit der Promorpho-
logie: „Die Aufgabe, aus gegebener Gestalt der Gelenk-
flächen nnd der Art und Weise ihrer Verknüpfung den
Bewegungsbereich beider Skeletstücke zu bestimmen, ist
durchaus mathematischer Natur. Letzterer ist mit ersteren
Factoren zugleich schon gegeben; beide sind eigentlich
ein verschiedener Ausdruck für dieselbe Sache. Die geo-
metrische Darlegung der Gelenkfläehenverhältnisse und
diejenige des 8treiehungsbereiches der in ihnen sich be-
rührenden Skelettheile sind also identisch hinsichtlich ihres
bcgritflichen Werthes, die eine, wie gesagt, eine blosse
Unn-echnung der anderen. Beide sind mathematische
Formulirungen, zielen aber nicht auf eine mechanische
Erklärung in unserem Sinne ab — was sollte auch auf
diesem Wege erklärt werden?" —
„Auch die Gclenkmechanik wäre sonach erledigt,
und wir können uns jetzt solchen Bestrebungen zuwenden,
durch die eine, wenn auch beschränkte, mechanisclic Er-
kenntniss morphologischer Verhältnisse bereits erreicht ist."
C. Die Zellnetze. —
Das Sachs'sche „Princip" („Die Anordnung derZellen
in jüngsten Pflanzentheilen" und .,Zellenanordnung und
Wachsthum"; Arl). a. d. bot. Inst. Würzburg, l'.d. II.) der
r e c h t w i n k 1 i g e n S c h n e i d u n g der Z c 1 1 w ä n d e erweist
sich als ein Versuch auf diesem Ersclieinungsgebiete vom
Werthe einer mathematischen Fornndirung.
Es finden sich jedoch noch in grosser Verbreitung
Abweichungen (Befunde nach simultanem Zellenzerfall:
Pollennnitterzellen z. B., Auftreten des „Zwischenstücks",
wo vier Zellwände in einer Kante zusammenstossen sollten,
die Umlagerungen beim sog. gleitenden Wachsthum etc. etc.)
von demselben. — „Das Verdienst, die "(Sac]is'sehe)„
Regel und die Ausnahmen "(von derselben)„ unter den-
selben Gesichts|)unkt gebracht zu haben, indem sie das
Princip der kleinsten Flächen als die Bildung der
Zellnetze leitend nachwiesen, gebührt Bertiiold" (Studien
über Protoplasmamechanik, Leipzig 1886, Capitel VII:
Theilungsrichtungen und Theilungsfolge) „und Errera"
(Sur nne condition fondamentale d'equilibre des eellules
Vivantes, Bull. d. seanees d. 1. Socicte beige de micro-
scopie, t. XIII, No. 1, 1886.). „Indem diese Forscher aber
ferner die Ergebnisse der Plateau'sehen Forschungen an
Flüssigkeitslamellen, deren Anordnung in den sogenannten
Schaumgeweben von demscllien Gcstaltungsgesetze be-
herrscht wird, zum Vergleiche heranzogen, sind sie von
blosser Formulirung zur Anbahnung mechanischen
Verständnisses fortgeschritten." Die Verschiebung
der Zellwändc emilich in trajcctorisehen Kurven
hat Schwenden er (Ucber die durch Wachstlium bedingte
Verschiebung kleinster Tiieilchcn in trajcctorisehen Kurven,
Sitz.-Bcr. d.^Bcrl. Akad. d. Wiss., 1880) als nothwendig
nachzuweisen unternommen, „als folgend aus der analyti-
schen Untersucliung des ungleich vertheiUen radialen
Wachsthums im allgemeinen. Indem im Verlaufe dieses
jeder Raumtheil trajeetorische Kurven beschreibt, ist die
Verschiebung der Zellwände in solchen nur ein besonderer
Fall. Die Sciiwendcner'sche Leistung ist der L('isung einer
Aufgabe aus der analytischen Mechanik zu vergleichen.
Die Trajectoricn sind der geometrische Ausdruck des
Wachsens, letzteres involvirt erstere; ein ähnliches Vcr-
hältuiss, wie wir es bei der Gelenkmechanik errirtcrten,
folglieh eine begrifflich wesentlich anderswerthige Leistung
als diejenige Berthold's. Schwendener hat eine
mathematische Formulirung für das Wachsthum
im allgemeinen gegeben; die Zellwandfrage wird durch
seine Ausführungen nur insofern berührt, als diese Wände
auch wachsende Raumtheile sind."
D. Goette's Formg-esetz (Entwickelungsgeschichte
der Unke. Leipzig, 1875). —
„Die Zerklüftung des „„todteu"" Eies soll nach Goettc
durch den Einfluss von Dift'usionsströmnngen, die zwischen
der umgebenden Flüssigkeit und den gelösten Eiweiss-
substanzen des Dotters stattfinden und durch den ex-
centrisehen Aufbau des Eies .synnnetrisch geregelt werden,
bewirkt sein. Die Einkerbung ist das Zeichen einer dureii
eben diese Ströme bedingten Modification in der Vertheilung
der Oberflächenspannung. Der ganze weitere Verlauf
der Furchung führt sicli cl)enfalls auf Diffusionsströme in
geregelter Weise zurück, er steht immer noch in, wenn
auch weiterer, Abhängigkeit von dem anfänglichen ex-
centrischen Aufbau des Eies. Diese Abhängigkeit jedes
Stadiums von allen vorhergehenden, damit, wenigstens in
gewissem Grade, vom Ganzen, zieht sich nun durch den
ganzen Process der Ontogenese hindurch, sich immer mehr
und mehr specialisirend und complicirend. Die Ursache
der Entwickclung, zu der die Wechselwirkung mit dem
Medium veranlassend hinzukam, war der excentrische Ei-
aufbau, also ein formales Princip; formal sind also auch
die Ursachen aller weiteren Entwickelung, sie sind keine
Folge der Natur des Stoffes. — Nach diesen Ausführun-
gen können wir die Goette'schen Definitionen "(eben seines
Formgesetzes)„ verstehen: „„Die Summe der Bedingungen,
die weder den Stoff, noch seine Wechselwirkung mit der
Aussenwelt verändern , dagegen das ]\Iaass und die An-
ordnung derselben modifieiren und dadurch eben die Lei-
stung, ruft Entwickelung hervor."" Diese Bedingungen
heissen: „„Formbedingungen""; ihr Inbegrift" „„Form-
gesetz"". „„Das Formgesetz ist nie inhärente
Eigenschaft des Stoffes."" „..Obwtdd spätcM- aus-
, schliesslich an die Entwickelungserscheiuuugeu und deren
116
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 12.
Substrat gebiiüden, ist das Formgesetz doch nacli seinem
Ursprung als ein ansscrbalb desselben verursaebtos und
vorbereitetes Motiv der Eutvvickeluug anzusehen."" „Das
Wesentlichste an dem ,,,, Formgesetz"" ist die Darlegung
der causaleii Continuität der ganzen Entwickclung vom
I']i an und der Versuch, ihre bekannte physikalische Natur
nachzuweisen, ihre Aldeitltarkeit aus bekannten Kräften.
In dem verschiedenen Formaufbau der Eier würde die
Verschiedenheit der Organismen Ijegründet sein; nicht,
wie wohl die herrschende Ansicht ist, in ihrer ditferenten
stofflichen Natur, wonacli sich der Entwickelungsprocess
gleichsam als Ausdruck eines chemischen Vorganges dar-
stellen würde. ( >b jene Ableitung aus bekannten Kräften
freilich haltbar ist, das ist eine andere Frage, die uns
hier fern liegt; jedenfalls können wir mit Liebmann
"(Zur Analysis der Wirklichkeit, Ötrassburg 1880),, (ioette
das Verdienst nicht absprechen: „„das Problem, die Ent-
stehung und den Lebcnsprocess zunächst nur eines In-
di\iduums als nothwendige Folge aus Grundkräften . . .
abzuleiten, als solches erkannt zu haben."" Was jene
Ableitung aus bekannten Agenticn betrifft, so ist sie bei
Goette, im Gegensatz zu den Bcrthold'sclicn Forschungen,
ganz allgemein gehalten. „„Indem er sich aus naheliegen-
den Gründen zur Erkenntniss nur der allgemeinsten Gründe
liescheidet, wird zugleich die Existenz unbekannter, aber
nothwendiger besonderer Bedingungen zugestanden, unter
denen allein aus jenem allgemeinen Grunde die concrete
Erscheinung hervorgellt."" (Untersuchungen zur Entwicke-
lungsgeschichte der Würmer; vergleichender Theil, Ham-
burg 1884). — Goette's Leistung ist schwer mit den vor-
her besprochenen zu vergleichen. Hat er in geringerem
Grade als Sachs, Berthold und Scli wendener unseren
directen Einblick in die mechanischen Principien der
Formbildnng gefordert, so hat er dafür gleichsam in
grossen Zügen den Weg vorgezeiehnet, den eine con-
sequente mechanische Erklärung der leitenden Formen
vielleicht einst gehen könnte. Ob die näheren An-
gaben über diesen Weg dem Sachverhalt entsprechen
oder nicht, muss die Specialforschung lehren. Goette's
Leistung geht nicht den strengen Weg physikalischer
Forschung und Hypothesenbildung, sie ist vor allem eine
allgemein-philosophische, methodologische Directive."
E. Die Massencorrelation. — His.
„Es handelt sich hier "(His, Unsere Kfirperforni und
das physiologische Problem ihrer Entstehung, Leipzig
1874)„, kurz gesagt, um Wirkungen mechanischen Druckes
oder Zuges im Verlauf der Entwickclung eines Organis-
mus, um Agentien, welche zur Erscheinung konnnen, da die
lebenden Körper zugleich physikalische Körper sind,
und da sie ein geschlossenes System bilden. Denken wir
uns, um ein ganz einfaches Beispiel dieser Art heraus-
zugreifen, eine Blastula, und an entgegengesetzten Orten
derselben eine Einstülpung nach dem Centrum zu wuchern;
sobald beide Einstüli)ungen sich berühren, werden sie,
weiteres Wachsthum vorausgesetzt, sich gegenseitig einen
Widerstand entgegensetzen und einer Bildung (platten-
artig) den Ursprung geben, die in jeder für sich nicht
bestimmt war. Jedes Gebilde ist für das andere ein
äusseres Agens, obwohl oder eben weil sie demselben
(geschlossenen) System angehören. Ein Gunnniball, von
verschiedenen Seiten eingedrückt, würde dasselbe Ver-
halten zeigen; beide Erscheinungen sind in der
Tliat direet vergleichbar." — „Eine wichtige und
lehrreiche Illustration der Massencorrelation wird uns durch
Schwendener's Blattstellungstheorie "(Mechanische Theorie
der Blattstellungen, Leipzig 1878)„ gegeben. Wird der
Ursprung der Blattanlagen am Vegetationsi)unkt als nach
Zahl und Grösse bestimmt gegeben vorausgesetzt, so zeigt
uns Schwendener, dass die in den bekannten Spiralen
ihren geometrischen Ausdruck findende Anordnung der-
selljcn die Folge gegenseitigen Druckes ist, der durch
das Geschlossensein des vorliegenden Formsystems be-
dingt ist. Die Spiralen sind nichts Neues, niclits Spe-
cifiscbes. sondern etwas durch die Natur des Systems
aus einem anderen Specifischen mechanisch Folgendes.
Dass die mechanische Folge hier in klarem geometrischen
Gewand auftritt, ist wohl wieder eine Folge der Natur
des Systems." — „His geht in seinen Betrachtungen aus
von dem gesetzmässig vertheilten Wachsthum des als
gleichartige Fläche gedachten Keimes. Dieses nach Ver-
thcilung und jeweiliger Intensität geregelte, an verschie-
denen Stellen ungleiche Wachsthum soll vermöge der
Natur des geschlossenen Systems, das der Keim darstellt,
durch die erwähnte Massencorrelation mit Nothwendigkeit
den Organismus in Erscheinung treten lassen. „„Hat die
Entwickelungsgeschichte für eine gegebene Form die Auf-
gabe i)liysiologischer Ableitung durchgreifend erfüllt, dann
darf sie mit Recht von sich sagen, dass sie diese Form
als Einzelforni erklärt habe."" Die Körperforra wird also
nach His durch das Keimwachsthum erklärt; sie ist eine
„„unmittelbare Folge"" desselben. Sein „„Bestreben geht
also 1) auf empirische Feststellung des Wachsthums-
gesetzes und 2) auf die Ableitung der sich folgenden
Formen des entstehenden Körjiers aus jenem Gesetz"",
eben durch Massencorrelation. — Bekanntlich theilt His
mit Goette das Schicksal, auf Grund seiner Anschauungen
■ von fast allen Seiten angefeindet, wenn nicht unbeachtet
gelassen zu sein. Man wirft ihm namentlich vor, dass er
; hier von dem „„Erklären"" einer Form spräche aus Ur-
sachen, die doch selber der „„Erklärung"" höchst be-
dürftig seien, nändich den geregelten Wachsthumsvor-
; gangen, die er ohne weiteres als vorhanden annehmen
soll." Driesch bemerkt hierzu, dass sich, auch wenn man
hier von einem näheren „Eingehen auf den höchst schwan-
kenden Jiegrifl' des Erklärens" absieht, an der Hand
eigener Aeusserungen von His zeigen lässt, „dass genannte
Anfeindungen ihr Ziel verfehlen." „Wohl nimmt His
zunächst für die Ableitung der fertigen Form (eigentlich
dann eine geometrische Aufgabe) die speeifische Wachs-
thunisanordnung als gegeben an, wie in entsprechender
Weise aucli Schwendener; seine vorhergehenden Aus-
führungen zeigen aber aufs deutlichste, dass er hierin nur
die zunächst liegende „„unmittelbare"" Erklärung sieht.
Wenn nach seiner Ansicht „„in endloser Ferne die Mög-
lichkeit steht, die Waclistbumsgesetze organischer Wesen
in Formeln niederzuschreiben"", so scheint mir doch daraus
evident zu sein, tlass diese mathematische Formu-
lirung nach seiner Ansicht eine Erklärung des
Wachsens selbst vorbereiten soll. — Wir müssen in
His nicht nin- den Begründer einer Art der mechanischen
Betrachtung, der Lehre von den Massencorrelationen, son-
dern zugleich auch den Deidicr eines skizzirten Ideen-
gebäudes der mechanischen Morphologie erblicken."
V. Die mechanische Zweckmässigkeit.
Die Untersuchungen einer Anzahl von Forschern haben
uns mit moriihologischen Erscheinungen bekannt gemacht,
die mit den Erzeugnissen eines Ingenieurs oder Mecha-
nikers grosse Aehnlichkeit darbieten. Es sind mechani-
sche Zweckmässigkeiten, Anpassimgen an mechani-
sche Functionen: Druck, Zug etc., dem zu widerstehen
ist: „Die Mechanik lehrt den Ingenieur gewisse Gesetze
kennen, die er bei seiner Thätigkeit in Anwendung zu
bringen hat, wenn er mit möglichst geringem Material
eine möglichst grosse oder aber bei gegebenem Material
die grösste mögliche Wirkung (Festigkeit etc.) erzielen
will. Wenn wir also morphologische Gebilde, die mechani-
sche Function erfüllen, derart "geliaut„ antreffen, dass sie
wie der Ingenieur die genannte Minimum -Maximum -Auf-
Nr. 12.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
117
gäbe lösen, dass sie wie von einer Intelligenz ausgeführt er-
scheinen, nennen wir sie mechanisch angeitasst, nieehanisch
zweckmässig." — Es kommen hier also die Stütz-, allge-
mein Festigkeitseinriehtungen in den Organismen in Be-
tracht: bei den Thieren, speciell den Wirbelthicren, sind
dies die Knochen und anderweitige bindegewebige Partien,
mit der mechaniscli zweckmässigen Structur dieser haben
uns die Untersuchungen besonders von Hermann Meyer,
J. Wditf (von diesem Forscher erschien soeben ein diesen
Gegenstand behandelndes znsaunnenfassendes Hauiitwerk:
Das Gesetz der Transformation der Knochen, Berlin lb92),
Roux (vergl. bes.: Beiträge zur Morphologie der funetio-
ncllen Anpassung. I. Structur eines hoch ditferencirten
bindegewel)igen Organes [der Schwanzilosse des Delphin].
— Archiv f. Anat. u. l'hysiol. [His u. Braune], Jahrg. 1883,
Anatom. Aiitheilg.) bekannt gemacht; bei den l'tlauzen
ist es das sogenannte „mechanische Gewebesystem", dessen
mechanisch zweckmässigen Bau uns Sehwendener in dem
grundlegenden Hauptwerk: Das mechanische Priucii) im
anatomischen Bau der Monocotylen mit vergleichenden
Ausblicken auf die übrigen Pflanzcnklassen (Leipzig, 1874),
dargelegt hat*). — Driesch betont nun mit Recht, dass
diese mechanischen Zweckmässigkeiten mit den
morphologischen Befunden, die auf eine mechanische
Erklärung hindeuten, und deren kritische Betrachtung
er sich in seiner Schrift zur Aufgabe gemacht hat, nichts
zu thun haben, von ihnen in Bezug auf ihren Erklärnngs-
werth principiell verschieden sind. Es ergiebt sich dies
ja von selbst aus dem Wesensunterschiede der beiden
Begrifte des „Ursächlichen" und des „Zweckmässigen".
Betrachte ich eine Erscheinung in Bezug auf die Causal-
reihe, der sie angehört, unter causalem Gesichtspunkte,
so suche ich retrospectiv das vorhergehende Glied der
Reihe zu bestimmen, durch das sie als von ihrer Ursache
bewirkt ist; betrachte ich jedoch dieselbe Erscheinung
unter teleologischem Gesichtspunkte, so beleuchte ich pro-
spectiv ihr Verhältniss zu dem nächstfolgenden Gliede der
Causalreihe, das dann als Zweck von ihr als Mittel be-i
dingt ist. Durch den Nachweis der Zweckmässigkeit
wird eine Erscheinung nicht erklärt, auf ihre Ursache
zurückgeführt, sondern, selbst als gegeben hingenonnnen,
selber als Ursache, als Bedingung einer causal folgenden
Erscheinung dargestellt. So gelangen wir auch bei den
mechanischen Zweekmässigkeitserscheinungen „nicht zu
einer mechanischen Erklärung; wir erkennen ein „„für
Mechanik"", aber kein „„durch Mechanik"", kein
„„nach bekannten mechanischen Gesetzen"". Dieser fun-
damentale Unterschied, der gerade durch die unglückliche,
botanische Nomeuclatur auf diesem Gebiete besonders ver-
dunkelt wird, wird dadurch noch weit bedeutsamer, dass
die Erkenntniss des mechanischen Zweckes im Gegensatz^
zu derjenigen der mechanischen Ursache nicht nur nichts
„„erklärt"", sondern im Gegentheil ein neues unge-
heures Räthsel aufgiebt, dessen Lösung immerhin durch
die Theorie der functionellen Anpassung und den Kampf,
der Theile im Organismus von Roux "(Der Kampf der
Tlieile im Organismus, Leipzig 1881 )„ nicht ohne Erfolg
versucht ist." In dem Abschnitte über „die mechanische
Zweckmässigkeit" erfüllt also Driesch im Wesentlichen
nur die Aufgabe zu zeigen, dass der in der Ueberschrift
bezeichnete Gegenstand in den Rahmen seiner Betrachtung
nicht hineingehört.**)
*) Vei-gl. „Natm-vv. Woclienscln-." Bd. IV S. 82 ft\ — Red.
**) Wonn Driesch hier das Vurhilltuiss der „mechanischen
Zweckmässiglveit" zu seinem Gegen.stande, der mathematisch-
mechanischen Betraclitnnti; resp. Erklärung, in khires Licht setzt,;
so wird hier natürlich keine Herabscitzung des bereclitigten Ver-
diensti-'S der Anfdeclvinig di>r liierlicr geliürig('n Erscheiiiinigen
herauszulesen sein. — Kef.
Nachdem dann Driesch in einem kurzen Abschnitt:
VI. Z n s a m m e n f a s s u n g
ein Resume der Resultate seiner kritischen UntersncJHmg
der verschiedenartigen Unternehmen einer mathematisch-
mechanischen Betrachtung nn)rphologisch-biologischcr Pro-
bleme gegeben hat, geht er zu seinen
Sehlussbetrachtungen
über. In denselben — , ihrem schwerwiegenden gedanken-
reichen Inhalte nach möchten wir sie entsprechender als
anderen ilaupttheil der Schrift bezeichnen, — stellt er
einen weiteren Ausblick an, dahingehend, welche Aus-
sicht die morphologische Biologie habe, sich zu dem Range
einer exacten, der Physik gleiehwerthigen, Disciplin her-
auszuarbeiten, und welche Wege hierzu zu verfolgen seien.
Wir halten diesen Abschnitt in gewisser Hinsicht für den
bedeutendsten Theil der Schrift Driescli's. Gleichwohl
müssen wir es uns versagen, auf seinen Inhalt näher
einzugehen, denn bei der gedrängten, organisch in sich
zusammenhängenden Art seines (Tcdankenaulbaues er-
scheint ein auszugsweises, kürzendes Referiren nicht gut
zulässig. Wir beschränken uns daher darauf, mir an-
zudeuten, um was es sich handelt.
„Um zu zeigen, welchen Weg eine Wissenschaft ein-
schlagen könne, um sich zum Range einer exacten Dis-
ciplin zu erheben, muss die ünteisuchung vorangehen, ob
ihr dies ihrem inneren Wesen nach überhaupt milglieh
sei. Wir wollen daher v(u- allem anderen die Jlorphologie
der Organismen auf dieses ihr Wesen hin untersuchen,
indem wir die beiden fundamentalen Ansichten mit ein-
ander vergleichen, die über das Wesen der lebenden
Formen a priori möglich, und die auch beide in irgend
einem Gewände geäussert sind. Dass diese beiden An-
schauungen die Prädicate zufällig und gesetzlich ver-
dienen, schicken wir zunächst ohne Begründung mid Er-
läuterung voraus. "
Die eine dieser beiden Anschauungen, die Theorie
der zufälligen Formbildung, haben wir im Darwi-
nismus. Dies weist Driesch nach und damit zugleich die
Unfähigkeit dieser Auffassungsrichtung zu einer exacten
Entwickelung der biologischen Morphologie.
Hieraufwendet sich Driesch zur anderen der beiden
Anschauungen, zur Ansicht der gesetzlichen Forui-
l)ildung. „Da ihr contradictorischcs Gegentheil", eben
die Theorie der zufälligen Formbildung, „unzureichend ist,
so folgt ihre principielle Richtigkeit." Er skizzii-t nun in
der Richtung der Lehre der gesetzlichen Formbildung in
einigen grossen Zügen die Perspective von unten au bis
zu der auf der Grenze der Erkenntniss liegenden Kategorie
höchster letzter Probleme. Prüfen wir den gegenwärtigen
Stand der Forschung an dem Maassstab dieser Perspective,
so müssen wir bei aufrichtiger Prüfung Driesch in folgen-
dem Bekenntnisse leider beipflichten: „Wie weit die
Theorien der gesetzlichen Fornd)ildung von diesen ge-
gebenen Grenzen des Erkennens noch entfernt sind, ja
dass sie positiv noch gar nichts, auch nur im ersten
Stadium erklärt haben, brauche ich wohl nicht besonders
zu betonen. Dem Unwerth der Descendenzthcorie, der
Falschheit der Theorie der zufälligen Formbildung reiht
sich als drittes das Nichtwissen von gesetzlicher Ge-
staltung an; ein nicht sehr erfreuliches Resultat." — -
„Unsere Untersuchung hat uns gezeigt, dass das Pro-
blem der Morphologie weder durch die im Darwinismus
ihren Ausdruck findende historische Auffassungsart gelöst
wird, weil .... sie eben kein historisches Problem ist,
dass aber auch andererseits die thatsächlich geäusserten
Auffassungen einer Gesetzlichkeit der morphologischen
Processe nicht mehr zu sein beanspruchen dürfen, als
Hypothesen allgemeinsten Charakters oder vielmehr als
118
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 12.
Directiven; dass sie zumal den Tlieorieen der the<iretischcn
l'hysik deshalb bedeutend nachstehen, weil sie selbst im
günstigsten Fall nie eine quantitative Erklärung zu leisten
vermöchten. Nachdem so die Thatsai^he unserer völligen
Unkenntniss in Sachen der Morphologie kritisch auf-
gedeckt ist, wird es augebracht erscheinen, eine kurze
Untersuchung über die Wege anzuknüpfen, welche die
Vernichtung dieser l)etrübenden Tiiatsache wenigstens vor-
bereiten, wenn nicht beginnen könnten." Hiernach
skizzirt dann Driesch, zunächst von Gedanken Wilhelm
Roux's ausgehend, einen Arbeitsplan der exacten Mor-
phologie.
Driesch heschliesst seine Studie mit Folgendem, in
dem er die mechanistische Naturbetrachtung der histori-
schen entgegenhält. Der hierin zum Ausdruck gebrachte
Sinn kann gerade in unserer Zeit, wo das Gros der bio-
logischen Forscher nichts Besseres thun zu können glaubt,
als einer historischen Betrachtungsweise zu huldigen, nicht
genug betont werden:
„Sollte sich einst die allgemeine Descendenztheorie
als berechtigt erwiesen halten, so wird es nicht ohne Inter-
esse sein, den Stammbaum aller Formen zu erforschen;
auch jetzt ist die Ergründung der kleinen paläontologischen
Reihen, deren Descendenz wahrscheinlich ist, gewiss be-
rechtigt. Aber auf anorganischem Gebiet geht die histori-
sche Wissenschaft, die Geologie, in zweiter Linie neben
der nicht historischen Physik (im weiteren Sinne) einher,
sie wendet die Lehren an, welche ihr die Schwester, die
an philosophischem Werth so unendlich viel höher steht,
darreicht. So wird auch einst das Verliältniss der dann
vielleiclit begründeten historischen Biologie zu ihrer exacten
Schwester sein, beide gleichsam Abkömndinge ihrer an-
organischen Eepräsentanten. Bis dahin aber ist das Fest-
halten an den Principien der strengen Wissenschaft für
die Morphologie vor allem wichtig; mag es auch nicht so
scheinen, sie wird doch rascher vorwärts kommen, als
durch Hypothesen problematischen, unexacten Charakters.
Nothwendig ist vor allem, stets eingedenk zu bleiben,
dass die trockene Beobachtung, Beschreibung und Kritik,
die denkende Analyse und das zeitraubende Experiment,
obwohl sie in weniger glänzendem Gewände einhergeheu
als alles umfassende Hypothesen, doch nicht zu verachten,
sondern hochzuhalten sind; dass ihre Vertreter das
Ziel der philosophischen Naturwissenschaft vor
Augen haben, welches nicht Historie ist, son-
dern die Erforschung der von bestimmter Zeit
und bestimmtem Ort unabhängigen" (eben im Gegen-
satz zu den historischen Processen, die durch Zeit und
Ort bestimmt sind) „universellen Naturgesetzlich-
keit, wie sie so herrlich geschildert ist in den Worten:
Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel
Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden
Geist,
Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben,
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Aetlier
dem Strahl,
Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern,
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen
Flucht."
Die Schrift Driesch's überragt an Inhaltsschwere die
biologische Durchschuittslitteratur bedeutend. Ferner ist
sie ein Muster kritisch- wissenschaftlicher Arbeit: ohne
Aifect und Parteilicidceit für oder wider diese oder jene
Auffassungsrichtung wird die Untersuchung geführt, allein
geleitet durch kühle, logisch -sachliche Erwägung. Der
Horizont der Betrachtung ist ein weiter: die Biologie und
ihre Probleme werden in organischem Zusannnenhang
mit der Gesammtwissenschaft, besonders der Physik,
Chemie und Philosophie, betrachtet; aber auch nur so,
unter dem Bewusstsein der ])rincipiellen Einheit der
Wissenschaft, ist es möglich, mit Bewusstsein und plan-
voll den Gesammtl)au der Wissenschaft zu fördern, speciell,
\vie es bei der Biologie der P^all ist, zurückstehende
Partien des Baues den fortgeschritteneren nachziiführen,
erfolgreich an der harmonischen Ausgestaltung des Ge-
sanuntbaues zu wirken. —
Als Bedingungen für ein erspriessliches Studium der
Schrift Driesch's wären zu nennen: allgemein philosophi-
sche und exact naturwissenschaftliche Bildung, Bekannt-
schaft in der allgemeinen Biologie und ihren mannig-
faltigen Richtungen der Betrachtung und Untersuchung
und kritische Objectivität — ; jeder, bei dem diese Be-
dingungen erfüllt sind, wird in dem Studium der Schrift
Driesch's Klärung der Orientirung und der Auffassung und
fruchtbare Aui'cgung finden. Dr. Friedrich Dreyer.
Sonnenuhr für mittlere Zeit. — Schon mehrfach
ist versucht worden, die Sonnenuhren, welche zunächst
die nicht gleichmässig fortschreitende und also für unsere
Pendel- und Federuhren unbrauchbare wahre Sonnenzeit
liefern, füi- mittlere Zeit zu corrigiren, d. h. in das
Instrument selbst den Unterschied Zeitgleiclnuig = Mittlere
Zeit minus Walire Zeit aufzunehmen. Diese Zeitgleichung
erreicht die Extreme — I6V2 Min. zu Anfang November
(„kurze Nachmittage") und -1- I4V2 Min. gegen Mitte
Februar („lange Nachmittage"); man merkt, nebenbei
gesagt, die genaueren Daten leicht nach: 2/XI und 11/11.
Zwei kleinere extreme Werthc fallen auf Mitte Mai ( —
4 Min.) und Ende Juli (+ 6V2 Min.); viermal im Jahre
ist der Werth der Zeit-Gleichung 0, nämlich Mitte April,
Mitte Juni, Ende August und gegen Ende December.
Eine hübsche neue Construction einer Sonnenuhr nach
mittlerer Zeit von dem englischen General Oliver, aus-
geführt von Negretti und Zambra in London, beruht
nun sehr einfach darauf, als Schattenwerfer nicht wie
seither einen geraden Stift oder eine gerade Kante pa-
rallel zur Weltaxe zu wählen, sonderu einen kleinen Ro-
tationskörper, dessen Axe die angegebene Richtung hat,
dessen Erzeugende aber eine durch die Z.-Gl. gelieferte
Form besitzt: als Zeiger auf dem Zifferblatt dient dann die
Grenze des Schattens dieses Körpers. Das Instrument
ist wie beistehende Abbildung (Reproduction einer Figur
von Negretti und Zaudjraj zeigt, eine Aequatorial- oder
Polar-Uhr, d. h. das die Zeit-
theilung tragende Zifferblatt, auf
dem am Schattenstand die Zeit ab-
gelesen wird, ist ein Kreis, dessen
Ebene parallel zum Himmels-
äquator liegt und die Theilung des
Zifferblatts gleichförmig, 1 Qua-
drant = 6 Stunden. Die Theilung,
in der Fig. mit A bezeichnet, geht
bis auf V12 Stunden, so dass
etwa 1 Minute geschätzt werden
kann; der schattenwerfende
Körper, dessen Schattenrand also den Zeiger abgiebt,
ist mit B bezeichnet. Um seine Axe parallel zur Welt-
axe zu stellen, muss die Ebene des vertikalen getheilten
Halbkreises C (zu der die von A senkrecht steht) in die
Ebene des Meridians gebracht werden und es ist dann
noch die Gradtheilung von C so lange in dem Halter
D zu verschieben, bis die Neigung der Axe von B mit
der Richtung der Lothlinie das Complement der Polhöhe
(geogr. Breite) cinschliesst; Feststellung geschieht mit Hilfe
der Schraube S,.
Die Schraube S^ dient zum Festklemmen der Ziffer-
blatttheilung A in bestimmter Lage. Es sind nämlich auf
Nr. 12.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
119
der Innenseite von C, bei E, nahe beisammen zwei Marlcen
aiij;cbriicht, die mit 1 (liulcs) und r (rcclits) bezeichnet
sein mögen und mit deren einer eine Marke auf A selbst,
nämlich die XII-Uhr-Liuie übereinstinmien uniss. Auf die
Marke 1 ist einzustellen für die Zeiten von Mitte April
bis einige Tage nach Mitte Juni, und von der letzten
Woche des August au bis kurz vor Weihnachten, auf die
Marke r zu den übrigen Zeiten des Jahres. Dabei ist zu
beachten: wenn auf 1 eingestellt ist, ist auch die linke,
wenn auf r eingestellt ist, die rechte Seite der Schatten-
figur als Zeiger zu nehmen. Viermal ist also im Jahre
das Zirterblatt A etwas zu verschieben (XII von 1 nach r
oder umgekehrt), am 15. April, 21. Juni, 25. August und
21. Deccmber, ohne dass man genau aut diese Daten
achten müsstc. (Eigentlich sollten zwei etwas verschie-
dene schattenwerfende Körper vf>rhanden sein, der eine
von Juni bis Deccmber, der andere von Deccmber bis
Juni zu benutzen; der grösste Fehler bei Anwendung eines
symmetrischen Körpers B beträgt aber nur 1 Min., was
bei der Genauigkeit mit welcher an der nicht sein- scharfen
Schattengrenze abgelesen werden kann, ziemlich gleich-
gültig ist. Aus dem angedeuteten Grund fallen übrigens
die oben angegebenen Umstellungszeiten für A nicht genau
mit den Zeiten zusanmien, zu denen die Z.-61. = 0 ist.)
Man erhält mit dem Instrument leicht die M. Z. auf 1 bis
2 Minuten, was ja für die meisten hier in iSetraeht
konmienden Zwecke genügt.
Für südliche Breiten muss der schattenwerfende
Körper umgekehrt liegen. — Auch eine bestimmte Normalzeit
statt der Ortszeit kann das Instrumentchen selbstverständlich
angeben, man hat dazu nur statt des Strichs XII denjenigen
Strich der Zitferldatttheilung auf 1 oder r zu stellen, der dem
Unterschied jener Normalzeit und der Ortszeit entspricht;
wenn z. B. in Stuttgart die M. E. Z. abgelesen werden
soll, so ist der Strich XIV' 23™ einzustellen.
Für Länder mit meist klarem Himmel und wenig
Gelegenheit zur Uhrcontrole ist dieser einfachen Mittleren-
Zeit-Sonneuuhr praktische Bedeutung nicht abzusprechen.
llaunuer.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der C"Stos au tler zoologischen Abthei-
liiiip; do.« Kgl. Museums für Naturkunde zu Berlin Dr. F. Hilgon-
dorf zum Kgl. Professor. — Dr.- Wilhelm Hiill\v;n-hs in Strass-
burg zum Professor der Physik am PolyteLdmicum in Dresden.
Es hat sieh habilitirt: Kreisthierarzt Wilhelm Klier vom
Polizeipräsidium in Berlin als Privatdoeent für Thiorheilkundo
an der PTniversität Jeua mit gleii-hzeitifcer Berut'urg zum Leiter
der Voterinäranstalt an dem laud\virthscliat'tlieh(^u Institut der
Universität.
Modicinal'Assessor Dr. Schuster, Leiter der Veterinäranstalt
an dem landwirthschaftlichen Institut der Universität Jena, ist in
den Ruhestand getreten.
Es sind gestorben: Der ordentliche Professor der Botanik und
Direetor des botanischen Gartens zu Neapel Cav. Giuseppe
Antonio Pasquale. — In Warschau der bekannte Mediciner
Professor Konstantin Kose.
Die Direction der Senckenbergisehen naturforschenden Ge-
sellschaft in Frankfurt a. M. beabsichtigt im Laute dieses Jahres-
aus der Küppel-Stiftung ein Stipendium von ca. 12 OOO Älark
Zu einer Forschungs- und Sammelreise nach dem ma-
la yischen Archipel zu vergeben. Bewerber, welche eine
gründliebe wissenschaftliche Vorbildung naehweiseii können, im
Sammeln und Conserviren von Thieren geübt sind und womöglich
lleiseerfahrung haben, wollen sieh bis 1. Juli schriftlich bei tler
Direction melden.
L i 1 1 e r a t u r.
Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14. vollständig neub(>arb.
AuH. 5 Bd. Deutsche Legion-f^lektrodi.aguostik. F. A. Brock-
haus in Leipzig. Berlin uiul Wien 1892. — Preis 10 Mk.
Der 5. Band bringt W> Tafeln, unter diesen 6 in farbiger
Ausführung 22 Karten und Pläne und 228 Textabbihlwngen; auch
er entspricht dem, was die ersten Bände versprechen. Ein gut
gemachtes Lexikon giebt ein interessantes Bild seiner Zeit und
bleibt insofern immer von Werth. So bringt der vorliegende
Band reiches Material zur Würdigung der deutscheu Militärvor-
lage. Derselbe enthält unter der Fülle textlichen und illustrativen
Stoffes zwei zu der Artikelreihe üb<'r Deutschland geh;irende
Karten der Dislocation der deutsehen, österreichischen, russischen
und französischen Trupjien, namentlich an den Grenzen, wie auch
im Binneulande. Von den Chromos erwähnen wir <lie Darstellung
der Uniformirung unserer ostafrikauischeu Schutztruppe. Die
Karte Deutseh-Ostafrika enthält, wie der zu dieser gehörige Ar-
tikel, schon die neuesten Entdeckungen, wie z. B. Dr. O. Bau-
mann'a Eijassi-See. Nicht weniger als 107 Artikel über Eisen-
bahnen erschöpfen ihren Gegenstand für solche, die überhaupt ein
Lexikon benutzen, sicherlich. Sie sind von 2 Tafeln und 6!» Text-
figuren begleitet. Der Elektricität sind 35 Seiten mit 8 Tafeln
und 1(3 Figuren gewidmet. Sogar die gefeierte Tragödin Eleouora
Düse fehlt nicht. Nach Angabe der Verlagshandlung sind in
den ersten fünf Bänilen gegen 33 600 Stichworte enthalten, ca.
11000 mehr als in der 13. Auflage.
Brehms Thierleben. 9. Band, 3. gänzlich neubearbeitete Autlage,
lier;iusgegel). von Prof. Pechuel-Loesche. Die Insecten, Tausend-
füsser und Spinnen. Von Prof. Dr. E. L. Taschenberg.
Mit 287 Abbildungen im Text nnd 21 Tafeln meist in Chromo-
druck. Bibliographisches Institut. Leipzig und Wien 1892. —
Preis l.j Mk.
Tasehenberg gliedert wie folgt: Insecten. 1. Ordnung:
Käfer; 2.< )rdnung:'Hautflügler, Immen ; 3. Orduung:Schmetterlinge,
Falter; 4. Ordnung: Zweiflügler; 5. Ordnung: Netz-. Gitterflügler;
G. Ordnung: Kaukerfe, Geradflügler; 7. Ordnung: Schnabelkerfe,
Halbdecker. Tau sen dfüsser: 1. «Ordnung: Einpaarfüsser;
2. Ordnung: Zweipaarfüsser. Sp inne nthiere: 1. Ordnung:
Gliederspjnnen; 2. (Jrdnung: Websiiinnen; 3. Ordnung: Milben;
4. Ordnung: Zungenwürmer; .0. Ordnung: Krebs-, Asselspinnen.
Taschenberg," der schon die 1. Aufl. der Insecten u. s. w. zu
Brehms Thierleben bearbeitet hat, hat dieselben zum Vortheil der
Sache in der Neu-Auflage neugearbeitet. Während er in der 1. Aufl.
bestrebt gewesen war, möglichst viele Thierarten zur Sprache zu
bringen, um einigermaassen die entsprechende Vollständigkeit der
vorangegangenen Bände zu erreichen, ist in dieser Hinsicht in der
3. Aufl. eine der Sache nur zum Vortheile gereichende Einschrän-
kung erfolgt: Die gewöhnlichsten, heimischen, erhielten hier den
Vorzug, und es konnte durch die Platzgewinnung auf die Be-
trachtung des Lebens der Insecten mclir Nachdruck gelegt werden.
Nicht weniger als fast 100 neue Abbildungen, fast ausnahmslos
nach dem Leben, bringt die 3. Aufl. Auf 33 Seiten geht der
systematischen Betrachtung ein Abschnitt voraus, der einen Blick
auf das Leben der Gesammtheit wirft.
Albert Moll, Dr. med.: Der Kapport in der Hypnose. Unter-
suchungen über den thierischen iMagnetisuius. Leipzig, Ambi".
Abel, 1892. (Heft 3/4 der Schriften der Gesellschaft für psycho-
logische Forschung. (242 S.) S".
Derjenige, welcher noch zweifelt, ob bei dem sogenannten
Magnetisiren eines Menschen durch einen andern irgend etwas
Materielles überströmt oder nicht, sollte aufmerksam dieses Buch
lesen. Wer nach der Kenntnissnahme der zahlreichen Versuche
des Verf. und der Folgerungen aus ihnen an dem magnetischen
Fluidum noch festhält, wird schwerlieh irgendwelcher Beweis-
führung zugänglich sein. In dem vorliegenden Werk wird gerade
die Seite des Mesmerismus zum Gegenstande einer eingehenden
Untersuchung gemacht, welchi' für Viele am räthselhaftesten er-
schien und zu mystischen Frklärungsversuehen geführt hat, der
Rapport. Der Verf. betrachtet diese eigenthüudiche Beziehung
zwischen dem durch Striche und Anstarren oder auch nur mittelst
Verbalsuggestiouen in einen ..magnetischen" (hypnotischen) Zu-
stand versetzten Patienten und dem Operator als eine Folge ein-
seitiger Aufmerksamkeit, gleichviel, ob der Patient etwas dav(Ui
weiss oder nicht. Die Grundlage der Erklärung ist durchaus im
Sinne Braid's gedacht, welcher bereits vor bald einem halben
Jahrhundert dadurch das Odium mesmericuni auf sich lud,
dass er durch einfache aber unwiderlegliche Beweise die Irrlehre
Mesmer's voui magnetischen Fluidum als solche kennzeichnete.
Der Verf. (>rweist der letzteren übrigens zuviel Ehre, indem er
sie eine „Theorie" nennt (S. 15).
120
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 12.
Die sinnreich variirten Experimente liaben unabhängig von
jeder Anffassiing der hypnotischen Thatsachen und Suggestions-
wirkungen zum grossen Theil ein hohes psychologisches Inter-
esse, weil sie auf die verschiedenen Arten der geistigen Ab-
hängigkeit einer Person von einer andern Licht werfen. Leider
wird der Werth derselben dadurch erheblich beeinträchtigt, dass
die den Rapport-Beobachtungen unterworfenen Individuen mit
X, Y, Z bezeichnet werden, so dass man nicht weiss, ob die An-
zahl derselben gross oder klein war und Zweifel entstehen, in-
wiefern Dressur, Gewöhnung, Einschüchterung u. s. w. die Re-
sultate beeinflusst haben mögen. W. Preyer.
J. Heussi, Leitfaden der Physik. 13. verbesserte Auflage,
mit l.j'iHolzscbnitten. Bearbeitet von H.Weinert. Braunschweig.
Verlag von Otto Salle. 1892. — Preis 1.80 Mk.
Der altbewährte Leitfaden der Phj'sik von Heussi erscheint
in der vorliegenden neuen Auflage vermehrt durch einen die
Grundbegriffe der Chemie behandelnden Anhang, der auch ge-
sondert käuflich ist. Dadurch schliesst er sich dem vorbereitenden
Kursus, der durch die neuen Lehrpläne an allen höheren Schulen
eingeführt worden ist, vollständig und wird in hohem Grade geeignet,
bei der Unterstufe dos physikalischen Unterrichts zu Grunde ge-
legt zu werden. — Da der Leitfaden die physikalischen Erschei-
nungen nur insoweit behandelt, als sie für einen Anfänger ohne
mathematische Kenntnisse verständlich sind, sind zweckmässig
Erscheinungen, wie z. B. die Interferenz und Polarisation des
Lichts unerwähnt gelassen. Bei der völligen Verständlichkeit
aller Abschnitte eignet sich das Büchlein auch vorzüglich zur Ein-
führung in Mädchenschulen.
Prof. Dr. Felix Müller, Zeittafeln zur Geschichte der Mathe-
matik, Physik und Astronomie bis zum Jahre 1500, mit Hin-
weis auf die Quellen-Litteratur. Verlag von B. G. Teubner.
Leipzig 1892. — Preis 2,40 U.
In dem vorliegenden Werkchen begrüssen wir ein sehr ver-
dienstliches Unternehmen, da einige historische Kenntnisse ge-
rade beim Studium der schon im Alterthum verhältnissmässig
so hoch entwickelten exacten Wis.senschaften unbedingt erforder-
lich sind. Tragen doch viele Methoden und Lehrsätze den Namen
ihres Entdeckers und weisen dadurch unmittelbar auf die Berück-
sichtigung der historischen Entwicklung hin. Nicht Jedem werden
allzeit umfangreiche Geschiclitswerke, wie das treft"liche Cantor-
sche, zur Verfügung stehen; ihnen wird das MüUer'sche Compen-
dium sicherlich stets die für den Augenblick gewünschte Auskunft
schnell und zuverlässig ertheilen. Die überall durchgeführte An-
gabe der Quellenwerke wird aber auch demjenigen unnützes
Suchen ersparen, der in irgend einer Frage specieller unterrichtet
zu werden wünscht. Der Umstand, dass der Tafel ein nicht nnr
die Namen, sondern auch die Sachen enthaltendes Register ange-
fügt ist, erhölit ihre Brauchbarkeit ausserordentlich. — Hoffent-
lich wird es dem vei'dienten mathematischen Polyhistor recht bald
möglich, sein Unternehmen bis zur Gegenwart fortzuführen und
durch die Vervollständigung den Werth der Publication noch we-
sentlich zu steigern.
Zeitschrift für Krystallographie und Mineralogie, heraus-
gegeben von P. Groth. Leipzig 1892. — 21. Band, Heft 1. und 2.
— Alexander Schmidt: Daten zur genaueren Kenntniss einiger
Mineralien der Pyroxengrnppe. (Krystallographische Untersuchun-
gen an Diopsiden aus dem Alathal, weissen und grünen Diopsiden
von Achmatowsk, Diopsiden von Nordmarken und dem Schwarzen-
stein im Zillerfhal [beide Arten: die neueren, kleineren, fast farb-
losen Krystalle und die grösseren, älteren, fast dunkel gefärbten]
und an schwarzen und gelben Augitkrystallen vom Aramyer Berg.)
4 Tafeln. — P. Philipp Heberdey: Krystallisirte Schlacken
von Raibl. Cliemische Untersuchungen und Krystallmessungen
an Schlacken, herrührend von den auf der Schmelzhütte zu Kalt-
wasser bei Raibl verarbeiteten Bleiglaiizerzen. Zwei Handstücke,
deren eines Röstgut war, welches aus einer mikrokrystallinischen
Grundmasse und krystallisirtem (künstlichen) Bleizinkchrysolith
bestand, während das andere krystallisirte Schlacke war, die der
späteren Niederschlagsarbeit entstammte und in einer derben
Grundmasse zahlreiche säulenförmige und wenige tafelförmige
Krystalle in Drusenräumen enthielt. Als Anhang: Thallium und
Lithium haltender Dolomit von Raibl. — P. Pjatnitzky, Char-
kow: Ueber die Krystallform des Uranotil. Krystallmessungen
und optische Untersuchungen. — K. Zimanyi, Budapest: Ueber
den Augurit vom Laurion-Gebirge in Griechenhiiul. Krystall-
messungen. Zu den beiden letzten Abhandlungen gehört eine
Tafel. — L. J. Igelström: Frindelit aus der Sjögrube Haus-
mannit (Braunit- und Eisenerzgrube), Grythytte, Kirschspiel
Oerbro. Chemische und Löthrohr- Untersuchungen. — Bruno
Do SS, Riga: Krystallographische Untersuchungen organischer Ver-
bindungen. Messungen an Ki-ystallen der 1) Ester von Anili-
dosäuren, 2) Säureanilide (Milch), 3) Derivate der Glutar- und
Bernsteinsäuren. — Ferner enthalten die Hefte zahlreiche Referate
über krystallographische und mineralogische Abhandlungen.
F. K.
Die Mittheilungen der Kaiserl. Eönigl. Geographischen
Gesellschaft in Wien (18:i2, Band XXXV No. 11 und 12) ent-
halten: Dl'. Leo Prochnik: Skizzen aus Niedorländiscli-Ost-
indien. Amboina und Ceram. Es sind Schilderungen, welche der
Vortragende, der lange Zeit dort gelebt hat, nach seinem Ge-
dächtniss ülier die abseits gelegenen und von Touristen und For-
schern wenig besuchten Inseln und ihre Bewohner, unter denen
besonders die Alfuren Ceranis interes.sant sind, entwirft. —
Stefanovic von Vilovo: Die Eisenbahn im Klostcrthal in Vor-
arlberg und die Katastro|)he am 9. Juli 1892. Untersuchung über
die Ursachen, welche die bekannte Katastrophe herbeigeführt
haben, und darüber, wie eine weitere zu vermeiden ist. —
Kleinere l\Iitth eil ungen und Forschungsberichte. (Die
Schwankungen der geographischen Breiten. Ueber die Besitzer-
greifung von St. Paul und Neu-Anisterdam durch die Franzosen.
Eine schwimmende Insel im nordatlantischeu Ocean. Aus der
grossen Menge heben wir ferner Iiervor: Zur Erforschung des Juba-
Beckens; Zustände in Wadai; Montoil's Reise vom Senegal zum
Tschad-See und nach Tripolis; Vom Assal-See; Ibna und Udea
oder Doani etc. etc.) — Berichte über auswärtige geo-
graphische Gesellschaften. Litteratu rb e rieht. Notizen.
(Gefährdung der meteorologischen Station auf dem Sonnblick-
gipfel, der höchsten meteorologischen Station F^uropas. Durch
eine Verkettung misslicher Umstände ist das fernere Bestehen der
bekannten Station in Frage gestellt; die österreichische meteoro-
logische Gesellschaft hat jedoch bereits Schritte gethan, das von
ihr bisher unterhaltene wichtige Institut weiterführen zu können.
Hoft'entlich ist ihre Mühe erfolgreich!) F. K.
Berichtigung.
Ich mache auf eine kleine Verwechselung aufmerksam, die
Herrn Busch an in seinem Artikel „D.as Ende der Caunstatt- Rasse"
passirt ist, und die mir, um Irrthum zu vermeiden, der Berichti-
gung werth erscheint. „Naturw. Wochenschr." S. 67 links unten
Zeile 7 wird „Prof. Gustav Jäger" für die falsche Einreihung
des berüchtigten Schädelstücks und somit für den ganzen Spuk
der Cannstatt-Rasse verantwortlich gemacht und jedermann wird
hierbei an den bekannten „Seelen- Jäger" denken, während in
Wirklichkeit Georg Friedrich Jäger, ehemals (bis in die 50er
Jahre) Conservator am Naturalien-Cabinet in Stuttgart, in seiner
Arbeit über die fossilen Säugethiere Württembergs 183.') (S. 141)
den Grund zur späteren Vei'sündigung des Herrn Quatrefages
gelegt hat.
J. Eichler,
Assistent am Kgl. Naturalien-Cabinet
in Stuttgart.
Inhalt: Prof. Kirchner: Christian Konrad Sprengel, der Begründer der modernen Blumentheorie. (Schluss.) — Professor Dr.
K. A. Lossen f- — Die mathematisch-mechanische Betrachtung morphologischer Probleme der Biologie. — Sonnenuhr für mitt-
lere Zeit. (Mit Abbild.) — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Brockhaus' Konversations-Lexikon. — Brehms Thier-
leben. Die Insekten, Tausendfüsser und Spinneu. — Albert Moll: Der Rapport in der Hypnose. — J. Heussi: Leitfaden
der Physik. — Prof. Dr. Felix Müller: Zeittafeln zur Geschiclite der Mathematik, Physik und Astronomie bis zum Jahre 1500.
— Zeitschrift für Krystallographie und Mineralogie. — Mitthoilungen der Kaiserl. Königl. Geographischen Gesellschaft in
Wien. — Berichtigung.
Die Erneiieriiiig des Abonnements wird den geehrten Abnehmern dieser Wochenschrift
hierdurch in geneigte Erinnerung gebracht.
Die Verlagsbuchhandlung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck; G, Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 12.
Naturwissenschaftliclie Wochenschrift.
XXIII
I
I
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von Dr. Oscar Ncliiieider
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/.um bcvorsteiicudcn Beginn des neuen Schuljain-cs
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,, „ 15.-
„ „ 2.>.-
„ n 16.—
I" —
i> ij 3.—
. , 5.-
S —
. „ 10.-
I
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Tilliciis Kochciikasteii „ 8.—
Lesebretter und Leseiuascliineii . . . „ 5.—
Wandtafeln , 5.—
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Wandtafel -Winkeln „ 2.—
Wandtafel -Transporteure „ 3.—
Wandtafel -Zirkel für Kreide .... „ 3.50
Wandtafel -Keissscliienen „ 2.50
Wandtafel -Kreide (la Cliaui])a^ner Kreide)
Dtzd. M -.20, Gross ..U 2.-
Erd- und Himmelsgloben Jt 1.— bis M 300.—
, 3!M).-
, 00.-
, S.—
, 3."iO.-
, .>0.-
.'>00.-
.»00.-
25.-
150.-
'l'ellurien
Schulwandkarten . .
Anscbauungsbildern .
Anatomische Modellen
. . . . , 10.-
. . . . „ C-
. . . . „ -.50
. . . . „ 3.50
Botanische Modellen ,, —.50
Samnilungen „ 5.—
riiysikalischen Apparaten .... „ 30.—
(ileometrischen Körpern in Eisen ii. Holz „ —.50
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Die Ziegen mit „goldenen Zähnen" und das „Goldkraut".
Von P. Aschers on.
Als icli V(ir nuiiniclir drcis.sig' Jahren mich auf eine
botanische Reise nach Sardinien vorbereitete, den ersten
Austlui;-, der mich weit über die Grenzen des deutschen
Vaterlandes hinausführen sollte, fand ich in dem classi-
schcn Handbuch La Marmora's*) eine Stelle, die sich
unauslöschbar meinem Gedächtniss eingeprägt hat. Der
genannte Forscher berichtet von der kleinen Insel Tavo-
lara unweit der Nordostküste Sardiniens, dass die wilden
Ziegen, welche in beträchtlicher Zahl den schroff sich er-
hebenden Kalkberg, der den grössten Tlieil der Insel
bildet, bewohnen, an ihren Zähnen einen goldglänzenden
Ueberzug zeigen, eine Erscheinung, die ein früherer Rei-
sender, Valery, mit dem sonderbaren Ausdruck eines
„vergoldeten Schnurrbarts" bezeichnete. Meine Hoffnung,
diese merkwürdige Thatsache durch eigenen Augenschein
kennen zu lernen, sollte sich erst ein Viertcljahrhundert
später erfüllen. Die Dampferfahrt von Orosei nach Mad-
daleua führte mich zwar Anfang Juli 18G3 in unmittel-
barer Nähe der Goldzahn-Ziegen-Insel vorüber, allein be-
treten habe ich sie nicht, obwohl es mir vergönnt war,
auf einer anderen, wenige Stunden nördlicher gelegenen
Ziegen-Insel, der weltberühmten Caprera, unvergessliche
Stunden im gastlichen Hause ihres gefeierten BeAvohners
zu verleben.
Ich wurde an diese Angelegenheit erst wieder er-
innert, als ich am Südrande der ob ihres Mörissees seit
uralten Zeiten gepriesenen Provinz Fajuni, in der, eine
Ausbuchtung der Libyschen Wüste füllenden, wenig be-
suchten Oasenlaudschaft Rharaq, Ende März 187G wieder
von Ziegen mit goldenen Zähnen hörte. Die dortigen
Beduinen fügten noch hinzu, dass diese Erscheinung vom
Genuss eines „Goldkrautes'' herrühre, das mir aber keiner
zu zeigen wusste. Noch einmal erfuhr ich davon auf
meiner letzten ägyptischen Reise im April 1887, an einer
noch bedeutsameren Stelle des Pharaonenlandes, am Ost-
*) ItimJriiire de l'ile de Sardaigne. II. (1860) S. 191.
rande des Delta unweit der Konigstadt des grossen Ramses,
Tanis, des Zoan der Bibel, in dessen Nähe die Tradition
die Königstochter den kleinen Moses im Röhricht auf-
fischen lässt. Wenige Wochen früher hatte mir der hoch-
verdiente Biologe Forsyth Major in Florenz einen
Ziegenkiefer von Tavolara vorgelegt, au dem der gold-
glänzende Ueberzug der Backzähne deutlich zu er-
kennen war.
Diese persönlichen Erinnerungen mögen es entschul-
digen, dass ich als Botaniker mich veranlasst sah, mich
mit einem dem Gebiet meiner sonstigen Thätigkeit fern-
liegenden Gegenstände zu beschäftigen, mit welchem der-
selbe nur durch das geheimnissvolle „Goldkraut" einen
gewissen Zusammenhang besitzt.
Das Vorkommen eines metallgläuzeuden Ueberzuges
auf den Zähnen von Wiederkäuern (vorzugsweise in dieser
Gruppe*) ist derselbe, so viel mir bekannt, bis jetzt
beobachtet worden) ist keineswegs eine so seltene Er-
scheinung, als man nach den spärlichen und dürftigen
Erwähnungen dieser Thatsache in der Fachlitteratur er-
warten sollte.**) In seltenen Fällen ist sie selbst in Deutsch-
land an unseren Haustliieren beobachtet worden. So
liefert Hertwig***) 1874 Beschreibung und Abbildung
des von dem Thierarzt van Heil eingesandten Ober-
kiefers einer in dem uralten niederrheinischen, neuerdings
*) Von Angehörigen anderer Säugethier-Ordnungen nenne
ich den Wildesel, an welchem Geh. Rath. Roh. Hartmann
(Sitzung der Gesellschaft Naturforscher Freunde am 21. Febr. 1893)
die Erscheinung in Nubien 1860 beobachtete. Ferner theilte mir
Dr. J aekel mit, dass er dieselbe an den Zähnen eines fossilen
Raubthiers, Hyaenodon, bemerkt habe.
**) Forsyth Major beobachtete sie sogar an den Zähnen
eines fossilen Wiederkäuers, des von ihm in dem Tertiär von
Samos entdeckten Samotherium (Giraftidae).
***) Gurlt und Hertwig, Magazin für die ges. Tliierheil-
kunde. XL. 8. 345 Tafel III. Das Präparat wurde mir aus der
Sannnlung der hiesigen Thierärztlichen Hochschule, durch Prof.
Schütz anvertraut.
122
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 13.
so viel genannten Städtchen Xanten geschlachteten Ziege.
deren Mahlzähne mit einer stellenweise 5 mm dicken,
lebhaft silberglänzenden Kruste bedeckt waren. Derselbe
erwähnt einen damals im Besitze des hiesigen Zahnarztes
Dr. Linderer betiudlichen Hammelkiefer, dessen Zähne
einen schwarzen, schön goldglänzendeu Ueberzug be-
sassen. Geheimrath Virchow theilte mir mit, dass er
Aehnliches an Kidieu gesehen habe.
Viel häufiger aber wird die Erscheinung an wilden
Wiederkäuern oder doch an mehr in Freiheit weidenden
»Schafen und Ziegen in den sonnigen Landschaften des
Mittelmeer- Gebietes und des Orients beobachtet. Von
ersteren ist sie z. B. an Damhirschen festgestellt*);
noch häufiger zeigt sie sich an den Gebissen von Anti-
lopen, wie Prof. Nehring berichtete, der auch die
Güte hatte, zur Demonstration in der December-
Sitzuug 1892 der Gesellschaft Naturforschender Freunde
die Unterkiefer einer Gemse und einer Saiga-Antiloi)e
mitzul)ringen. Namentlich der letztere zeigt die Erschei-
nnui;- v(illig typisch. An den [Molaren sind die äusseren
und namentlich die der Mundhöhle zugewandten Seiteu-
flächen mit einem dunklen, bei geeigneter Beleuchtung
messinggelben Jletallglanz reflectirenden Ueberzug be-
deckt, der auf den Kauflächen und in deren Umgebung
fehlt, ebenso an den von Zahnfleisch bedeckt gewesenen
Partien, sowie auch die Schneidezähne völlig frei davon
sind. Diese Kruste ist ziemlich dünn und rissig, haftet
aber fest auf ihrer Unterlage. Es kann somit keinem
Zweifel unterliegen, dass es sich nicht um eine Färbung
der eigentlichen Zahnsubstanz, sondern um einen Nieder-
schlag aus der Mundflüssigkeit, bez. dem Speichel han-
delt, dass also die von Hertwig angewendete Bezeichnung
„metallglänzender Weinstein" völlig zutreffend ist. Ueber
die chemische Zusammensetzung desselben giebt letzterer
nur eine dürftige Andeutung; doch ist wohl nicht zweifel-
haft, dass derselbe, wie der sog. Weinstein überhaupt,
grösstentheils aus Calciumcarbonat besteht. Zeigen doch
auch andere Ausscheidungen deren Verbindung im thie-
rischen Körper ähnliehen Metallglanz, worauf mich R. Vir-
chow noch besonders aufmerksam machte, wie die schon
von Hertwig erwähnten Nierensteine, welche vergoldeten
Pillen gleichen. Die Ursache dieses Glanzes ist schwer-
lich in einem von diesem erwähnten geringen Gehalt an
Ferrocarbonat zu suchen, sondern, wie schon Hertwig und
^'irch()w und neuerdings Ficalbi**) mit Recht annehmen,
in der mikroskopischen Structur dieses Niederschlages, der
aus zahlreichen sehr dünnen übereinander abgelagerten
Lamellen besteht. Der Eisengehalt könnte höchstens für
die gelbliche Färbung dieser Ablagerung in Frage kommen,
welche die Gold-, Messing- oder Bronzefarbe bedingt,
wogegen eine farblose Substanz bei gleicher Structur in
Silberglanz strahlt, was nach Ficalbi besonders bei Rinder-
gebissen vorkommen soll. Viel wahrscheinlicher rührt aber
diese gelbliche Färbung (nach Ficalbi) von einem organi-
schen Pigment her, sei es, dass dieses aus dem Blute
abgesondert wird oder den Säften der von den Thieren
abgeweideten Pflanzen entstammt.
Die uns interessirende Erscheinung ist mir, grössten-
*) Lungershausen theilt im „Zoolog. Garten" 18GG S. 475
einen an einem Damhirsch in der Provinz Posen beobachteten
Fall mit. Nach Herrn F. v. Jjuschan ist die Erscheinung in
der Gegend von Seudschirli (Nord-Syrien) an Damhirschen, und
Antilopen, wie auch Ziegen und Schafen nicht selten. Einen
dieselbe zeigender Hirschschädel hatte derselbe in der März-
Sitzung 1893 der Anthropologischen Gesellschaft hierselbst aus-
gelegt.
**) Atti della Societä Toscana di Scienze Naturali Processi
Verbau Vol. V, S. 251. Adunanza del di 8. maggio 18S7. (Be-
sprechung des Forsyth Major'sc-hen Präparates, \V(dil ilessidbi'n.
das auch ich gesehen habe.)
theils in Verl)indung mit dem bereits erwähnten, Sdfort
näher zu besprechenden Volksglauben an eine dieselbe
veranlassende bestimmte Pflanze, von folgenden zahl-
reichen Oertlichkciten Südeuropas und des Orients be-
kannt geworden:
Sardinien: Insel Tavolara (La Marmora, For.syth
Major).
Sicilien: Berge um Palermo (Pariatore nach Carnel);
Aetna (La Marmora).
Griechenland: Parnass (v. Heldreich, Orphanides);
Oeta; Tymphrestos [jetzt Veluchi]: Dirphys auf
Euboea; Kyllene (v. Heldreieh); Parnon [jetzt
MalevöJ (Orphanides): Taygetos (v. Heldreieh).
Kreta: Ida [Sphakia] (Buondelmonti, Porcacchi, Sieber,
V. Heldreich, Raulin).
Karpathos [Scari)anto]: Lastos (Ross, Tli. Beut,
Forsyth Major).
Syrien: Seudschirli (F. v. Luschani; Libanon (Seetzen,
Consul Gays nach Zoolog. Garten 1860 a. a. O.).
Mesopotamien (Haussknecht).
Kurdistan und Armenien (Sintenis).
Persien: Demawend (Morier).
Aegypten: Rhara(|; Tanis [San] (Ascherson).
Dass dieser merkwürdige Goldglanz der Zähne
pflanzenfressender Thiere durch eine Besonderheit des
Futters, vielleicht durch eine bestimmte Pflanze hervor-
gerufen werde, ist eine naheliegende Vermuthung, die
sich auch nüchternen Forschern, wie La IMarniora und
Ficalbi aufdrängen musste. Der Volksglaube südlicher
und (istlichcr Nationen, angeregt durch Geheimlehren der
mittelalterlichen Alchyniie, hat diese Hypothese zu einer
mit aller Gluth ihrer Phantasie ausgeschmückten Sage aus-
gestaltet, welche nahezu an allen oben genannten Orten
von zahlreichen Reisenden aufgezeichnet wurde; hier
vollständiger, dort nur in einzelnen Zügen. Als Ur-
sprungsgebiet dieser Sage dürfen wir vielleicht die Ge-
birge Griechenlands und die Inseln des Aegaeischen
Meeres ansehen, wo sie wenigstens noch heut am meisten
verbreitet*) und am niannichfaltigsten ausgeschmückt
im Volksnnmde lebt. Zwar ist es mir nicht gelungen,
Nachrichten darüber in der classischen Litteratur anzu-
treffen**), wie von der gleichfalls bei den griechischen
*) „Diese mir so überlästig gewordene und bis zum Ekel
wiederholte Erzählung." Sieber, Heise nach Kreta. I. (1823)
S. 545.
**) Ueber die Sagen, welche sich an die Mandragoras-Arten
(Airann) knüpfen, und die sich in einem Punkte, dem nächtliclien
Leuchten, mit denen vom (ioldkraut berühren, vgl. F. v. Luschan,
P. Ascherson und R. Beyer in Verhandlungen der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 1801
(Sitzung vom 17. October) S. 7-2G— 746. Wie daselbst (S. 731 Anm.)
bemerkt ist, wird eine der später an Mandragoras angelehnten,
in der Nacht leuchtenden Wunderpflanzen, die Aglaophotis, von
Hermes Trismegistos (vgl. E. Meyer. Geschichte der
Botanik. II. S. 344) als das „Kraut des' Mondes" bezeichnet.
Die Nachrichten der Alten über leuchtende Pflanzen hat der
berühmte Konrad Gesner in einer eigenen, 1555 in Zürich er-
schienenen Schrift zusammengestellt, in deren langen Titel es aus-
drücklich heisst: „von seltenen und wunderbaren Kräutern, welche
theils weil sie in die Nacht leuchten, theils aus anderen
Gründen Mondkräuter genannt werden." In diesem Werke wird
u. a. nach dem Manuscript eines ungenannten Verfassers ein
..Mondkraut" erwähnt, das (allerdings nur bei zunehmendem
Monde; lUxs Kraut soll überhaupt mit dem Monde wachsen und ab-
nehmen!) Nachts leuchtet und durch dessen Saft unedle Metalle in
edle verwandelt werden sollen, und zwar durch den der Blüthen
in Silber, den der Wurzel in Gold. Mit dem Namen „Mond-
kraut" wird auch das uns hier beschäftigende Goldkraut in der
ersten dasselbe behandelnden litterarischen Nachricht bezeichnet.
Es sind somit in dem Volksglauben der Mittelmeerländer und
des Orients Wahnvorstellungen lebendig geblieben, die einst in
den Köpfen der Alchymisten im Abend- und im Morgenlande
spukten!
Nr. IB.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
123
Hirten nach Orphani des weitverbreiteter Erzählung vom
aiöriQoyooiov, einem Kraute, mit dem man verschlossene
Tliürcn öffnen und verborgene Heliiitze heben kann, wel-
ches schon von Plinius*) mehrfach erwähnt wird, und
in dem jeder die Spring-wur/.cl unserer deutschen Volks-
märchen erkennen wird. ludess kann auch die Sage
vom Goldkraut nahezu ein halbes Jahrtausend zurückver-
folgt werden, da bereits der Florentiner Presbyter Cristo-
foro Buondelmonti**), welcher 1422 Kreta besuolite,
berichtet, dass ihm die Hirten vom Berge Ida er/ählt
hätten, dort wüchsen grosse Mengen von .,M(jndkraut"
(herba hmaria), durch dessen Genuss die Zähne der dort
weidenden Heerden vergoldet werden. Theodor von
Held reich, der vielerfahrene Naturforscher, der nun schon
seit einem halben Jahrhundert die deutsche Wissen-
schaft auf dem classiseheu Boden von Hellas so rühm-
lich vertritt, schreibt mir über die von ihm vielfach (auch
auf Kreta) vernonmiene Sage vom Goldkraut l'^olgendes:
„Es ist eine Pflanze, deren Blüthen (oder Blume) bei
Nacht leuchtet***), sich aber nicht pflücken lässt, weil,
wenn man sich dem Lichtschein nähert, derselbe zu
leuchten aufhört. Mau nmss zu Zweien sein, sagen die
Hirten; der Eine in der Ferne stehen bleiben, der Andere
mit einem Mantel (sog. Kappa aus Ziegenhaar) versehen,
um denselben auf die leuchtende Lampidonia Xujintjdovia,
auch Xaiinijdövri oder laiintjöovßfSa („die leuchtende" im
ganzen Bereich der neugriechischen Sage bekannter Name
der Wunderpflanze) zu werfen, sobald ihn der in der Ferne
gebliebene Gefährte zuruft, dass er sieh nahe genug daljei
beflnde. ^\■er die Lampidonia fassen und in Menge
sannneln könnte, muss reich werden, weil sie Alles, wo-
mit sie in Berührung konunt (nicht nur die Zähne der
Schafe) in Gold verwandelt. Geht man der Sache auf
den Grund, so hat keiner der Erzähler selbst die Lampi-
donia gesehen, sondern sein Vater, Grossvater oder
ein Dritter, der nicht zugegen ist, davon reden gehört.
Ganz übereinstiunnend sind die Angaben des verstorbenen
griechischen Botanikers Orphauides, der in seinen
ririimovixü Band I. S. 61 einen kurzen Artikel unter dem
Titel Ovcixrj [iv'/o?.oylce tTjc i'fonfQctc ' EXXädoc veröffent-
licht init. Diesen Forscher trieb sein folkloristischer Eifer
soweit, dass er auf dem Parnass und Parnon Nachtwache
hielt, um unter Anleitung der Hirten die Wunderpflanze
zu suchen. Auf dem Parnass sah er gar nichts, auf dem
letztgenannten Gehege aber einmal in grosser Ferne einen
weiss phosphorescirenden Lichtschein, der aber bei der An-
näherung verschwand." Auf den fast völlig gleichlautenden
Berieht Seetzens über das Goldkraut des Libanongebirges
konnne ich weiterhin ausführlich zu sprechen.
*) Nat. Hist. X., 20. XXV, 5. XXVI, 9.
**) Creta, Sacra auet. Flaminio CornelioT. I. Venet. 1755.
Christopliori Bondelmontii Presbyteri Florentini Descriptio
Cretap P. 10.5.
***) Erzilliluupen von nächtlich leuchtenden Zauberkräutern
finden sich bei den Schriftstellern des Alterthums vielfach. Ausser
den Baaras des Josephas und der Aglaophotis des Aelian,
(siehe oben S. 122 Anm. **) macht Forsj'th IMaJor auf Nyete-
gretos und Nyctalops bei Plinius (Nat. Hist. XXI. 3(5.) auf-
merksam. P. Sintenis hörte auch jetzt noch in Poutus bei Sumila
unweit Trapezunt von einem bei Nacht leuchtenden Zauberkraut,
das ein Kaloger (griechischer Mönch) entdeckt haben soll und
das alle Kranklieiten heilt, wenn man sich nackt darauf herum
wälzt. Auch der Kretenser, welcher 1817 unsern Sieber noch auf
der Ueberfahrt nach Aegypteu um Nachweis des die Zähne der
Schafe vergoldenden Zauberkrautes anging und so den oben mit-
getheilten Ausbruch des Ueberdriisses veranlasste, war ein Kaloger.
Mönche (nuin braucht nicht gerade an Pater Aurelia n zu denken),
Hirten und meist bejahrte Vertreter des schönen Geschlechts,
welche in der Heilkunde dilettireji („Kluge", Kräuter- und
Streichfraucn etc.) halten überall am hartnäckigsten am Aber-
glauben fest oder sind, wem das schöner klingt, die treuesten
Bewahrer des Folklore.
Die Abweichungen, welche anderwärts von dieser Er-
zählung aufgezeichnet werden, sind verschiedenartig. Die
Eigenschaft des Leuchtens scheint der Pflanze nur in
Griechenland, auf den Inseln des Archi])elagus und in
Syrien zugeschrieben zu werden. Dagegen glaul)t man
anderwärts, auf Sicilicn wie in Persien, dass die Pflanze
auf goldhaltigem Boden wachse, sei es als Anzeichen
natürlicher Erzadern, oder an Oertlichkeiten, wo Schätze
vergraben seien. Man scheint sich dort vorzustellen,
dass dies Gold in die Pflanze übergehe und so an die
Zähne der Ziegen oder Schafe gelange. Daran knüpft
sich der Glaube, dass Fremde (seien es nun die überhaui)t
als grosse Zauberer geltenden Stadtherren*) bezw. Euru-
päer (deren Beschäftigung mit Kräutern und Inschriften
häufig als Bemühung um Aufsuchung verborgener Schätze
aufgefasst wird, wie es auch mir in der Oase Farafra
begegnete), seien es Derwische aus Indien nach An-
leitung ihrer Zauberl)ücher, wie man am Demawend meint)
es verstehen, das Gohl aus dem Goldkraute zu gewinnen.
In Mesopotamien glaubt man, dass diese Operation in
kupfernen Kesseln vorgenommen werde.
Sehr charakteristisch ist es jedenfalls, dass die Nach-
forschungen der Botaniker nach dem Goldkraute fast
stets erfolglos blieben, dass vielmehr die Hirten von diesen
verlangten, dass sie ihnen die Pflanze zeigen möchten,
und falls diese, wie natürlich, diesen Wunsch nicht er-
füllen konnten, zuweilen recht verdriessliche Weiterungen
eintraten. So soll es, wie Professor Caruel Herrn
Dr. Forsyth Major mittheilte, Filippo Parlatore, dem
hochberühmten Verfasser der Flora Italiana, ergangen
sein, welcher in seiner sicilianischen Heimath bei einem
Ausfluge in der Nähe der Hauptstadt sein Heil in der
Flucht suchen musste, weil er den dortigen Landleuten
nicht das Kraut, welches die Zähne der Ziegen vergoldet,
zeigen konnte. Auch an Siel)er und Sintenis wurden
ähnliehe Zumuthungcn gestellt. Nur wenige Fälle sind
mir bekannt geworden, in denen umgekehrt die Hirten
dem Botaniker eine vermeintlich so werthvolle Eigen-
schaften besitzende Pflanze verrathen haben. So wurde
meinem Freunde Ilaussknecht Euphorbia tinctoria Boiss.
et Huet in Mesopotamien als solche bezeichnet. Noch
bedeutsamere Aufschlüsse ergeben sich aus dem schon
oben berührten Berichte des berühmten Orientreisenden
U. J. Seetzen**), auf welchen mich Herr Consul Wetz-
stein aufmerksam gemacht hat. Also auch diesmal habe
ich, wie noch bei jeder irgendwie mit orientalischen
Dingen sich befassenden Arbeit, dem umfassenden Wissen
dieses meines langjährigen Freundes die wesentlichste
Förderung zu danken. Seetzen hielt sieh im Juli 1805
zu Beschirra (im Libanon, "/^ Stunden von dem welt-
berühmten Cedernwalde gelegen) im Hause eines französi-
schen Kaufmans Bertrand auf, der dort, seit der Bona-
parte'schen Expedition 1799 eine Zuflucht vor dem
grausamen Dschesär-Pascha gefunden hatte. Von seinem
Wirthe erhielt der Reisende Exemi)lare der Pflanze, durch
deren Genuss die Ziegenzähne jenen im Vorhergehen-
den besprochenen glänzenden üeberzug erlangen sollen.
Der Reisende giebt von ihr folgende Beschreibung: Aus
einem Schöpfe dicht sich deckender pfriemen- und laucett-
förmiger Blättchen, die an den Rändern steife Borsten
tragen, und zusammen fast an den Kelch einer Centaurea
erinnern, konmien höchstens spannenlange einblüthige
*) Selbst in der Mark Brandenburg glaubt man noch hie
und da unter der Landbevölkerung an die Existenz eines sechsten
und siebenten Buches Mose, das „in Spandau an einer Kette
liege". (W. V. Schulenburg.) Auch der mitteldeutsche Glaube
an den goldsuchenden „Walen" und „Venediger" bietet ein
Analogen.
**j Reisen durch Syrien und Unter-Aeijvpten, herausgegeben
von Dr. Fr. Kruse. Berlin 1851, Bd. 1 S. 160 und 161.
124
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 13.
Stengel. Die Blume hat 2 Kelch- und 4 gelbe Blumen-
blätter und scheint zu der Klasse Polvandria zu gehören.
Einige der oben erwähnten Wurzelblätter haben eben
solchen Metallglanz wie die Ziegcnzähue. Das Leuchten
der Pflanze will Mr. Bertrand selbst beobachtet haben
und obwohl Seetzen das Vorgeben, dass die Pflanze un-
edele Metalle oder Erze in Gold verwandele, lächerlich
tindet, so erscheint sie ihm doch wegen dieser Phos-
phorescenz und der „firuissgebenden Kraft" Aufmerksam-
keit zu verdienen. Dass die angegebenen Blüthenmerkmale
eine Papaveracee charakterisiren , ist so einleuchtend,
dass man sich wundern muss, dass Seetzen, der eine
gute naturwissenschaftliche Bildung besass, diese Be-
stimmung nicht gemacht hat. Die niedrigen einblüthigen
Stengel leiteten mich sofort auf das in Boissiers Flora
Orientalis I. p. 111 angeführte Papaver libanoticum Boiss.,
allein die laucettlich-pfriemlichen Blätter Seetzens schienen
mit der dort gegebeneu Beschreibung unvereinbar. Doch
sollte sich sofort zeigen, dass auch hier „Probiren
über Studiren" gehe. An einem im August 1880 von
G. S ch wein für th oberhalb der Cedern gesammelten
Herbar-Exemplare fand ich sofort, dass der Vergleich mit
einem Centaurea-HüU-Kelch gar nicht so unzutreffend ist, da
die frischen, tief eingeschnittenen Blätter von trockenen
Resten wenig getheilter bezw. von den Blattstielbasen ge-
theilter dicht umgeben sind. Noch mehr war ich erstaunt,
an einigen dieser halb oder ganz vertrockneten Blattstiel-
reste einen schönen Goldglanz zu bemerken, und so konnte
ich nicht daran zweifeln, das Seetzen'sche Goldkraut vor
mir zu haben.*) Die einzige Abweichung der Beschreibung
unseres Landsmannes betrifft die Blüthenfarbe, welche
Schweinfurth als „hell ziegelroth" bezeichnet. Indess hat
Seetzen ja die Pflanze nur in einem vermuthlich nicht
allzu sorgfältig getrockneten Exemplare gesehen.
Um den Goldglanz der Ziegenzähne mit dem ähnlichen
der Blätter des Libanon-Mohns in ursächliche Verbindung
zu bringen, dazu bedurfte es nicht gerade einer orienta-
lischen Phantasie. Selbst die auf den ersten Blick so unglaub-
würdig erscheinende Angabe des nächtlichen Leuchtens,
kann möglicher Weise einen thatsächlichen Hintergrund be-
*) Die von Herrn P. Gr aebner vorgenommene miki-oskopische
Untersuchung der betreffenden Stellen ergab auf einer aus massig
verdickten Zellen bestehenden Epidermis, deren Zellwände gelb
gefärbt sind, einen mächtigen Wachsüberzug. Auch unser deut-
sches Papaver alpinum zeigt übrigens einen ähnlichen, wenn auch
schwächei-en Metallglanz. Viel auffälliger als P. alpinum und
selbst libanoticum sind mir kürzlich von Freund Sintenis mit-
§etheilte Fruchtexemplare von P. armeniacum (L.) Lam. vom
ipikordagh (Sint. Iter Orient. 1890 No. 3070.), bei denen der
reichverzweigte Stengel und die Blätter einen schönen Goldglanz
besitzen, so dass ich mich nicht wundern würde, wenn sich die
auch dort nicht unbekannte Sage au diese Pflanze knüpfte.
sitzen. Bekanntlich hat schon der grosse Linne in den
Schriften der Schwedischen Akademie 1762 mitgetheilt, dass
seine Tochter in der Abenddämmerung an den Blumen
von Tnipaeolum, der bekannten „spanischen Kresse", ein
blitzähnliches Leuchten bemerkt habe. Diese Beobachtung
wurde vonHaggren an Calendula, von Pursh an Oeno-
thera, überhaupt also an lebhaft rothgelben und gelben
Blumen wiederholt. Die Sache erregte auch die Auf-
merksamkeit unseres grössten Dichters, welchem dieselbe
Wahrnehmung an den Blumen des „orientalischen Mohns"
in seinem eigenen Garten am 19. Juni 1799 zu später Abend-
zeit gelungen ist.*) Goethe erklärt diese Erscheinung,
wie auch schon vor ihm Ingen-Housz und Andere, nicht
wie Linne, für eine wirkliche Phos])horescenz, sondern für
eine „physiologische Farl)enerscheinung", d. h. eine op-
tische Täuschung, indem das Nachbild der lebliaft gefärbten
Blume in der complemeutären blaugrünen P"'arbe erscheint.
Diese Erklärung wird auch von Treviranus, der diese
von ihm selbst mehrfach beobachtete Erscheinung in seiner
Physiologie der Gewächse II. S. 70 — 72 eingehend be-
spricht, angenommen. Die Vermuthuug dürfte wohl nicht zu
gewagt sein, dass ähnliche Beobaclitungen auch wohl \on
den Hirten am Libanon gemacht und von diesen wunder-
gläubigen Naturkindern so gut wie von Linne und
Anderen für ein wirkliches Leuchten gehalten wurden.
Durch diese Annahme würden ja auch die Angabe ihre
Erklärung linden, dass der Lichtschein bei der Annäherung
erlischt. Fand doch auch Goethe, dass wenn er sich vor
die Stauden hinstellte und aufmerksam darauf sah, nichts
bemerkt werden konnte, dass es ihm aber bei mehrmaligem
Hin- und Wiedergehen gelang, indem er seitwärts darauf
blickte, die Erscheinung so oft zu wiederholen als ihm
beliebte.
Nahe verwandte Papaver-Formen finden sich auf den
Hochgebirgen Kurdistans, Armeniens (siehe die vor-
hergehende Anm.) und Persiens, aber nicht auf denen
Griechenlands. Weitere Nachforschungen müssen lehren,
ob nicht auch dort Hochgebirgspflanzen vorkonnnen, welche
ähnliche Anhaltspunkte für den Volksglauljen liefern, oder
ob der letztere lediglich als aus Vorder-Asien eingeführt
gelten muss.
So viel habe ich bis jetzt ermittelt. Selbstverständ-
lich werde ich für Mittheilung weiterer Litteraturnotizen
oder unveröJfentlichterThatsachen sehr dankbar sein. Ausser
den schon mehrfach genannten Herren bin ich auch
Herrn Sanitätsrath Dr. Bartels, Herrn Thierarzt (irimme
und Herrn Matschie, Assi.stenten am Museum für Natur-
kunde, für hierauf bezügliche Mittheilungen verpflichtet.
1
*) Goethe, Farbenlehre. No. 54. Ausgabe letzter Hand.
Bd. 52 S. 37.
Material zu einer Biographie Christian Konrad Sprengel's.
Zusammengestellt im Auftrage der Redaktion von Dr. Robert Mi tt mann.
Schall sagt in der Einleitung zu seinem Buch: „Ur-
kundliche Nachrichten zur Geschichte der Garnison und
Garnisongemeiude in Spandau" (Verl. v. Herrn. Osterwitz.
Spandau-Berlin 1888): Die Stadt und Festung Spandau
besitzt über ihre Vergangenheit einen so reichhaltigen Schatz
von Urkunden und Aufzeichnungen, wie ein solcher ver-
hältnissmässig wohl nur wenigen Orten von gleicher Grösse
und Bedeutung zu Gebote steht. Sowohl in den städtischen,
als auch in den kirchlichen Archiven — von den mili-
tärischen ganz abgesehen — findet sich ein umfangreiches
Quellenmaterial aufgeführt. Eine der wichtigsten dieser
Quellen ist die von dem ehemaligen Inspector*) (d. h.
Superintendent) und Prediger an St. Nicolai, Daniel
Friedrich Scliulze (j 1811) mit unendlichem Fleiss und
grosser Sorgfalt zusannnengetragene und niedergeschrie-
bene sogenannte Kirchenchronik, die derselbe unter dem
Titel „Zur Beschreibung und (Seschichte der Stadt Spandau
gesammelte jMaterialien", der St. Nicolaikirciic als Manu-
script hinterlassen hat, und die noch heut in Besitz und
*) Als „I n spectoren" der Schulen fungirten damals Per-
sonen, welche etwa denselben Rang hatten, wie heutzutage die
Superintendenten.
Nr. IB.
Naturwi8.sens('liaftliche Wochensclirift.
12.Ö
Aufbewahrung derselben sicli befindet. Dieselbe bildet
einen dicken Folioband von 1071 eng und schön ge-
schriebenen Seiten in schlicliteni, bereits ziemlich schad-
haften Einband. Dieselbe reicht bis 1804.
Inspector (Superintendent) Schulze war der un-
mittelbare Vorgesetzte und einer der heftigsten Gegner
.Siirengers. Die Streitigkeiten zwischen beiden sind des-
iialh in der Chronik besonders ausführlich geschildert.
Die dankenswerthe Liebenswürdigkeit des derzeitigen
()ber]iredigers an St. Nicolai, Herrn Recke, hat es der
Redaction der „Natnrw. Woehenschr." ermöglicht, säinmt-
liclies auf Sprengel bezügliche Material nachstehend wort-
getreu zu veröffentlichen*).
(Schulze'sche Chronik S. 1017. Jahr 1780.) Den
31 Dec. 1779 resignirte der rector Recke bey Gelegenheit
eines gehabten Verdrusses mit der Mutter eines Schulkindes,
aus hypochondrie seine Stelle, die er auf Ostern verlassen
wolle. Da man ihn nicht bewegen konnte zu bleiben;
so wurde der vom professor Zierlein aus Berlin empfohlene
Lehrer am grossen Friedriehswaysenhause daselbst,
H. Conrad Sprengel, nachdem er d. 20. Maerz seine Prol)e
hier gelesen, vom Magistrat und mir zum rector erwählt,
aucii, nach erhaltener confirmation, beruÖ'eu. — (Chronik
S. 406. Von den Rectoren No. 45). Christian Conrad
Si)rengel (1780 — 93), aus Brandenburg geburtig. Er iiatte
seit G Jahren an der Schule des grossen Friedrichsliospitals
gestanden und zugleich auf der königlichen ecole niiii-
taire lection gegeben. Der jirofessor Zierlein vom (Jrauen
Kloster empfahl ihn an mich als einen geschickten Schul-
mann und so befanden wir ihn, als er in meiner, Herrn
Staats und Fidlers, auch der Schulcollegen Gegenwart,
vor dreyen Mitgliedern des Magistrats und Herrn Justiz-
rath Lemcke, Proconsul**; und Amtsrath Hart, auch Post-
meister und Senator Puhlmann, an der Schule die Probe*-'*)
las. Der conrector der Schule zu Berlin (nachmals pro-
fessor), Herr Moriz, meldete sich auch bey mir persöniicli
um die Stelle, welcher aber ohne Probelection beruften
seyn wollte, welches doch, da Herr Sprengel schon zu
einer dergleichen eingeladen war, nicht geschehen konnte :
so konnte daraus nichts werden. Herr Sprengel wurde
dem Oberconsistorio zum tentamen praesentirt und von
solchem approbirt; hierauf hier den 25. April 1780 vocirt
und von mir introdueirt und hielt er seine Antrittsrede
von dem Nuzen der griechischen und lateinischen Sprache
gründlich und mit Beyfall. Allein so geschickt dieser
Manu wUrklich war; so unruhig und eigensinnig war er.
Gleich im May 1780 reichte er mir und dem Magistrat
einen unvorgreifliehen Versuch eines abgeänderten lections-
plans für hiesige grosse Schule ein.
Im Ausgange 1781 schlug er schriftlich die Ab-
schaffung der Morgen Praecesf) vor, an deren Stelle
jeder Schulcollege wöchentlich eine Stunde mehr infor-
miren und die, seitdem das Snbrectorat eingegangen, zu
sehr combinirten Classen mehr auseinander gesetzt und
sorgfältiger bearbeitet werden sollten. Wir liessen uns
*) Die vielfach vorkommenden orthographischen und son-
stigen Fehler sind nicht dem Unterzeichneten zur Last zu legen,
sondern sind nur, weil in den Quellen vorhanden, lieluifs buch-
still)!ich genauer Wiedergabe des Textes nicht verbessert worden.
— Die an verschiedenen Stellen gegebenen Fussnoten sind mit
Benützung der von Herrn Oberprediger Otto Recke gütigst or-
theilten mündlichen Erläuterungen abgefasst. R. M.
**) „Proconsul" entspricht etwa dem was man heutzutage als
Syndicus bezeichnet.
***) Ueber Sprengel's Probelection ündet sich (Chronik S. 2-20)
die Bemenun-kung: . . . „die ich ihm aus Phaedri Fabeln, der
Aeneide, dem Hcr.az, des Plutarch Buch de pueroriim institutione
und dem ersten Ebräischen Psalm aufgab."
t) „Praeces" sind die damals (und in manchen Gegenden
wohl auch heut noch) üblichen, vor Beginn des Schul-Unterrichtes
abgehaltenen, gemeinschaftlichen Morgen- Andachten,
Beydes gefallen. Allein in Kurzem ging er immer weiter;
er zählte nicht mehr nach jeder Chorpost, sondern kaum
einniahl die Woche das Chorgeld*) aus, das er solange
dem Praefectus mit der Büchse in Händen Hess. Er ging
grausam in seiner disciplin mit den Kindern und willkühr-
lich mit seinen lectionen um. Wir mussten ihn einigemahl
zu Rathhause vt rnehmen und ernstlich seiner Pflicht er-
innern. Dies war ihm unerträglicli; daher er unterm
9ten Octob. 1782 beim Oberconsistorio über Magistrat
und mich weitläufige Besehwerde führte ; welches doch,
nach von uns eingezogenen Berichten, da hinauslief, dass
er vom Oberconsistorio angewiesen wurde, künftig seinen
Vorgesetzten mehr Folgsamkeit und in der Disciplin mehr
Mässigung zu beweisen. — (Chronik S. 240. 1782). D.
17. Octob. theilte das Ol)ereonsistorium dem Magistrat und
mir eine Beschwerde des hiesigen Rector Sprengel über
uns vom 9. ejusd. nebst Begleitung eines sich dahin be-
ziehenden Gesuchs einiger von der Bürgerschaft d. Uten
ejusd. mit, mit Befehl, darüber fördersamst zu berichten.
Er Iiatte vorgestellt: dass wir, anstatt ihn bei der Aus-
übung seines Amtes zu unterstüzen, ihn gänzlich muthlos
machten; eine Klage, die schon die vorigen rectores, der
professor Hcindorft' und der rector Becker geführt hätten,
von welchen letzterer, weil er von einer Bürgerfrau be-
schimpft worden und keine satisfaction erhalten können,
seine Stelle sogar verlassen müssen. Ihm habe einmahl
Insp. befohlen, einen Knaben wieder sitzen lassen, dem
er zur Strafe aufgelegt, zu stehen. Allein jener Knabe
sey ein Sohn des Bürgermeister Reinike gewesen. Ebenso,
nachdem er den Sohn des Postmeister und Rathmann
Puhlmann, weil er in den carcer gegangen, darinn seine
Nothdurf't zu verrichten, zur Strafe drey Stunden darinn
sitzen lassen und ihm seinen Privatunterricht verbothen,
bis ihm sein Vater versprochen, ihm völlige Freyheit über
seinen Sohn zu lassen, habe ihn Insp. auf's sehnödeste
darüber zur Rede gestellt, Antworten von ihm heraus-
gelockt und diese zum Justizrath getragen: worauf er
folgenden Tages zu Rathhause gefordert worden. Hier
sey er gemisshandelt, von dem Amtsrath und Polizey-
bürgermeister**) Hart calumnieux beschuldigt, den Sohn
des Postmeisters wieder in privat zu nehmen Itefehligt,
auch was zu unterschreiben gezwungen worden, was er
für Bestürzung selbst nicht gewusst habe. Weil er einem
faulen Choralisten durch den Sinn gefahren und ihm den
Namen gegeben, der so einem Menschen gehöre, seyen
die grossen Schüler insgesamt aus der Schule geblieben
und haben ihn beym Insp. verklagt, der ihn hart darüber
zur Rede gestellt und, da er verschiedenes von dem, was
sie ihm vorgebracht, negirt, ihn mit seinen Schülern zu
confrontiren, gedroht, auch, weil er das Chorgeld nicht
die Woche drey-, sondern einmahl auszahlen lasse, um
seiner Gesundheit wegen die nöthigen jiromenaden zu
machen, ihm befohlen, schlechterdings es l)eym Alten zu
lassen. Da er nicht geglaubt, dem Insp. hierin unbedingt
gehorchen zu müssen, habe ihn dieser an eben dem Tage
wieder zu Rathhause fordern lassen, wohin er auch aus seinen
lectionen, ob er gleich, um dies zu vermeiden, an den Insp.
ein billet geschrieben, dass er thun wolle, was er ver-
lange, konnnen müssen. Hier sey ihm verwiesen worden,
dass er so lange auf sich warten lassen und gegen seinen
Vorgesetzten so obstinat gewesen, auch ihm, als eine Art
Strafe aufgelegt worden, 14 Tage lang das Chorgeld dem***)
*) Das ist das Geld, welches bei Beerdigungen, Hochzeiten etc.
mit der Büchse eingesammelt wurde, um unter die Schüler ver-
theilt zu werden, welche bei der betreffenden Feierlichkeit ge-
sungen hatten.
**) Polizeybürgermeister entsprach dem Range des heutigen
Amtsanwalts.
***) Verf. wollte offenbar schreiben: nach dem jedosmuhligcn
Singen.
126
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 13.
jedesmahligeu Singen auszuzählen, nach welcher Zeit es
ihm wöchentlich zu tluin frej- stehn solle. Er habe, als
ihm ein Vater eines Knaben, den er mit dem Stocke ge-
straft, iu der Schule zur Rede gestellt, von dem Justizrath
keine satisfaction erhalten können, ob sie ihm (Chronik
S. 241) gleich versprochen gewesen, und das unter dem
Vorwande, weil man den Knaben braun und blau ge-
schlagen gefunden, der doch noch nicht genug müsste
bekonnnen haben, da er am Tage darauf seinen Ankläger
geprügelt habe. Er werde oft dadurch gestört, dass ihn
Justizrath und Insp. zu sich beordern lassen. Jener be-
fehle dann, dass er seine Methode im kalligraphischen
Unterricht, als sehr lächerlich abschaffen, oder die Schider
mit der grammatic quälen, oder das Zeichnenlehren unter-
lassen solle, was er nicht gelernt habe und doch ein
solcher ^lann geworden; oder dass er das monatliche
exercitium allemahl aus dem Deutschen ins Lateinische
machen lassen solle. Insp. auf der andern Seite lasse
ihn kommen, weil etwa der Küster, der das Schneider-
Iiandwerk gelernt und zugleich Schulcollege sey und aus
begreifUchen Gründen bey ihm viel gelte, ihn verklagt,
dass er seinen Sohn, einen jungen Bösewicht, nach Ver-
dienst abgestraft, oder, weil er ihm bekannt machen wolle,
was der Magistrat in Ansehung seiner privatstunden de-
cretirt habe, oder, weil er ihm eine Predigt anmuthen
wolle pp. Eben der Magistrat, dem die Schule so nahe
am Herzen zu liegen scheine, wenn von der Methode und
andern Dingen die Rede sey, sey völlig gleichgiltig in
Ansehung dessen, was gerade seine Pflicht sej-, und liabe
ihm der Bürgermeister Reinike mit dürren Worten gesagt,
dass er, wenn sein Sohn nicht auf der Schule wäre, nicht
sich um sie kümmern wollte. Vor der Schule sehe es scan-
daleux aus, wogegen keine Klage und selbst Anzeige
derer, die exeremente hinwürfen, helfte. Das Schulgebände
sey lange nicht reparirt, das Dach schadhaft, das Ge-
bäude stockicht, und schon einmald, während des docirens,
ein Stück herausgefallen. Im Winter habe man wegen,
der schlechten Oefen, die der Töpfer nicht mehr aus-
bessern wollen, vor Rauch und Staub zuweilen niclit
Ideiben können und die lectionen aussetzen müssen. Seit
dem Julio werde der Unterricht in der geographie da-
durch gehindert, dass die Landcharten, für welche man
Leisten zum Aufhängen anschlagen wollen, weil man
nicht Wort gehalten, nicht aufgehangen werden könnten.
Seit zwey Jahren habe er beym Magistrat auf reparatur
des Sehulgebäudes augehalten; mau habe es innner ver-
s))rocheu und wieder vergessen, bis er endlich durch Be-
schwerde bey dem Kriegsrath Lindenau es dahin gebracht,
dass der Anschlag angefertigt werden müssen, der nun
auch, weil man das Gebäude so lange seinem Schicksal
überlassen, sich auf 500 Tbl. belaufte. Wann indess
dieser Anschlag nach Berlin zur a])probation geschickt
werden werde, stehe noch zu erwarten. Das Obercou-
sistorium habe vor verschiedeneu Jahren die Subrector-
stelle an der Schule eingehen lassen, um durch die Ver-
theilung des Gebalts und der emolumente*) die Einkünfte
der übrigen Lehrer zu verbessern. Hierzu habe die Sub-
rectorwohuung gehört, wovon die Lehrer die Miethe ge-
nossen, bis zur Zeit seines Vorgängers ein neuer Jungfern-
schulmeister hergekommen, dem, ob er gleich seine
eigne Amtswohnung gehabt, der Magistrat noch ausser-
dem die Subrectorwohnung angewiesen, ohne den rector
und andere collegen, die sich darüber beschwert, einer
Antwort zu würdigen. Die traurigen Folgen, die aus
allem diesem stünden, Verachtung des Schulstandes, Ver-
wegenheit der Aelteru, seltsame Forderungen derjenigen
unter ihnen, die bey der Stadt was vorzustellen glaubten,
Heiterkeit und Gemüthsruhe gänzlich
Hierzu kam eine Vorstellung von
*) emolumente == Nebeneinkünfte,
Ungehorsam, Muthwille und Faulheit der Jugend, beson-
ders das obstinate Wesen der älteren Chorschüler und
endlieh seine eigene IMuthlosigkeit hätten ihn bewogen,
beym ( »berconsistorio Schutz und Unterstützung zu suchen,
die er sich auch gewiss verspreche und welche ihm seine
sehr verlohrne
wiedergeben würden.
12 Bürgern unterschrieben die aber der rector selbst ge-
macht hatte: die hiesige Schule, so glänzende sie vordem
gewesen, so sehr sey*) seit einigen Jahren verfallen, und
das hauptsächlich, weil man die Lehrer, besonders die
rectoren, nicht genugsam untcrstüzet. Das habe der prof.
Heindorö", noch mehr der rector Becker erfahren, dem
eine Frau, weil er ihren Sohn bestraft, Ohrfeigen ange-
boten und der, weil er keine satisfaction erlangen können.
Schule und Land verlassen habe. Jetzt habe man unter
dem rector Sprengel einen gelehrten Mann, unter dessen
Aufsiclit sich die Kinder verädelten; allein der ermüdet
und gedrückt werde, sobald man ihn verklage und das
desto mehr, nachdem er der Sohn eines Rathmannes oder
Bürgermeisters sei, den er beleidigt halien solle. In Kurzem
werde er eben den Weg nehmen müssen, den die vorigen
ergriffen.
Da der grösste Theil der Bürgerschaft wünsche, ihn
auf immer zu erhalten; so bäten sie, dass er geschützt
und ihm mehr autoritaet gegeben werden möchte, damit
der seichtdenkende Theil der Bürgerschaft ihn nicht be-
leidigen dürfe. Dadurch würde der Rector aufgemuntert
und die Bürgerschaft zufrieden gestellt werden. (Der
rector selbst hatte Vorstellung und Anlage der Unterschrift
gemacht und die Stadtchirurgi Jacobi und Greiser die
Leute, die nicht einmal (Chronik Seite 242) alle Altern
voüjeines**) privatisten waren, dazu verleitet.
Ich antwortete dem Consistorio auf die Besehwerde,
die mich; der Magistrat auf die, so ihn betraf. Meine
Antwort ging dahin,: es müsste das Oberconsistorium
selbst befremdet haben, da wohl nicht leicht au einem
Ort zugleich über Magistrat und Inspector geklagt werde
und über uns noch nie Beschwerde geführt worden, dass
der rector Sprengel jezt dergleichen führe. Habe es doch
mich befremdet, dies von einem Manne zu hören, den ich
hauptsächlich hier angebracht und stets gegen aufge-
brachte Altern gesichert. Er könne nicht klagen, dass
ich ihn bey Ausübung seines Amtes nicht uuterstüze son-
dern***) muthlos mache. Ich habe ihm sonst geholfen,
als er nicht eigensinnig und leidenschaftlich verfahren
habe. Mit Unrecht sage er: schon mehrere rectoren hätten
hier Klage führen müssen. Ich sey von 1763 — 67 rector
gewesen und habe von 1769—72 das rectorat mit ver-
waltet und nicht geklagt; H. Heindorft', der zu meiner
Zeit hier gestanden, habe das ebenso wenig gethan;
H. Becker selbst habe zur Ursache seiner resignation seine
schwächliche Gesundheit angegeben und in Ansehung
seines Verdrusses mit der Tischler Carlsdorifen Unter-
suchung und Ahndung verbeten. Was die Beschwerden
betreffe, die der rector Spreugel iusbesondere über mich
führe, so seyen sie sehr unrichtig. Es sey wahr, dass
ich ihn gebeten, den jungen Reinike wieder niedersezen
zu lassen, wieder den sonst rector nichts gcwusst & der
sieh inmier gut aufgefübret & sey vielmehr des rectors
Antwort klagewUrdig: er möge sich sezen, aber, sobald
ich wieder weg sey, soll er wieder stehen. Den neun-
jährigen Sohn des Postmeister Puhlmann habe er auf
falsche Angabe an einem kalten Oetobertage ohne Hut in
*) Hier hat Verf. offenbar das Wort „dieselbe" d. h. „sie" oder
„die Schule" ausgelassen.
**) jeines = je eines.
***) sondern = oder. Verf. wollte vielleieht schreiben : „und
besonders"??
Nr. 13.
Naturwissenscliaftliebe Wochenschrift.
127
den earcer ^^-eschickt c^ dem Vater, der dreyniahl lur iiiii
g-ebeten. ihn his zu lassen, es abg-cschiagen ; noch nieiir
das KiatI, das nielits weiter beg^ang-en, ans seinen lectin-
nen gewiesen. Anf meine VorsteUung- «i Frage hierüber
habe er mir anfangs geantwortet: er branche mir niclit
Reclienschaft /.n geben, welches er doch, als er sich be-
sonnen, anders erklären wollen, anch dentlich gesagt,
dass, wenn ich zu ihm gescliickt liaette, ihn heraus-
zulassen, er es nicht gethan haben wucrde i^ wenn der
magistrat es gefordert, lieber diesen die Thür aufbrechen
lassen & hernach beym Oberconstistorio geklagt haben
wuerde. Es sey eine Unwahrheit, dass auf meine An-
regung beym Justizrath reetor jezt zu Rathhause gefordert
worden. Aul' eine schriftliche Klage des Postmeisters
beym magistrat, dass der reetor seinen Sohn aus der
Schule verwiesen, sey dies geschehen & ich zur confereuz
eingeladen worden; wobei ihm nicht mehr, als was Recht
sey, wiederfahren, & koenne magistrat durch Einreichung
des dabey aufgenommenen protocolls das beweisen. Die
beyden adjuncti des Chores, nebst den zwey groessten
Chorsehülern seyen zu mir gekommen, dass sie der reetor
um einiger Fehler im Griechischen schimpflich herunter-
gemacht i^ dass sie alle reisen sollten, sie geheisseu; da-
her sie nicht weiter in die Schule zu gehen sieh getrauten.
Diesen Leuten habe ich aufgegeben, fleissig zu seyn &
sogleich wieder in die Schulstunden zu gehen; aber doch
auch bey dem reetor nach dem Vorgange mich erkundigt,
der mir, wie er pflege, was er in der Heftigkeit gethan,
sich nie mehr besinne, die Sache geleugnet. Ich habe
ihm geantwortet, dass es mir unglaublich vorkomme, dass
diese Leute sich unterstehen sollten, dergleichen Be-
schwerde zu führen, wenn kein Wort daran sey i^ dass
es sich nur nicht schicke, ihn mit seyneu Schülern zu
confrontiren ; eine Erzählung, die er sehr verdreht habe.
Ich habe nicht undiin gekonnt, ihn zu erinnern: dass er
nicht möchte durch öffentliche Beschimpfung der Chorad-
juneten sie bey den kleineren Schülern verächtlich machen,
oder, dass sie gar weggiengen, verursachen milchte, als
welches wegen der Chortische hier schwer zu ersezen
seyn würde; dass er ihnen lieber die etwan nöthig be-
fundenen strengeren Verweise privatim geben & überhaupt
bedenken möchte, dass erwähnte Chorschüler das Grie-
chische in ihrem Leben nicht brauchen wurden. Bey
dieser Gelegenheit habe ich erfahren, dass er nicht, wie
es die Observanz, gute Ordnung i^ Sicherheit des Chor-
geldes, auch die Bezahlung, die er mit 12 Thlr. jährlich
dafür bekömmt, erfordern, das zusammengesungene Chor-
geld jedesmahl, sondern nur wöchentlich eiumahl bey sich
auszählen lasse. Was ich ihm auch hierüber vorgestellet
& ob er gleich selbst gesagt, dass ihm schon eiumahl
anderthalb Thaler davon gefehlet; er habe sich geweigert.
Da ich es für Pflicht gehalten, den wiedersezlichen Mann
zurecht zu weisen, habe ich mit dem Justizrath Lemeke
davon gesprochen, (Chronik, Seite 243) der ihn zu Rath-
haus, wo ich gegenwärtig gewesen, fordern lassen. Hier
haben wir dreyviertel Stunden auf ihn warten müssen &
er anfangs bloss ein billet an mich geschickt, dass er
nun thun wolle, was ich verlangt habe, nachher aber,
als mau seine Gegenwart noch wegen anderer Dinge
dennoch nöthig befunden, um 12 Uhr, nachdem seine
privat Stunden zu Ende gewesen, sich eingestellet. Hier
sey ihm mit Recht .aufgegeben worden, entweder, wie
seine Vorfahren, ordnungsmässig jedesmahl die Chor posten
bey sich auszählen zu lassen oder dem conrector die Auf-
sicht der Chorcasse nel)st dem emohiment*) davon zu
übertragen. Seine zur Entschuldigung vorgewandten pro-
menaden müssten billig nach den Umständen eingerichtet
*) emolumcnt = Antheil, Tantieme.
werden, oder er sich nicht für das bezahlen lassen, was
er nicht verrichte. Wenn Reetor v(n-gegeben: die Ur-
sachen, warum ich ihn zu mir ruften lassen, seyen un-
bedeutend; so seyen sie in der Tliat nichts weniger, als
dieses. Ich hatte Recht, ihn rntt'en zu lassen, als er des
Küsters, der beyläutig gesagt, keine Schneiderprofession
i^ in seinem Unterrieht ein brauchbarer Mann ist, als er
dessen Sohn braun & blau geschlagen, weil er ihm ein
Paar Pflaumen von einem auf seinem Hofe stehenden
Baum abgeschlagen haben sollte, welches doch keiner
gesehen. Für wen schickte es sich mehr, als für den
inspeetor & von wem sollte es ihm lieber seyn hören, was
Magistratus bey seiner Schularbeit mangelhaft gefunden?
i^ er sey wohl unbescheiden genug gewesen, mir zu ant-
worten: magistrat solle ihm das selbst sagen, er werde
darauf antworten, er lasse sieh nicht vorschreiben. Ich
habe ihn einmahl, als mir Backe & Auge geschwollen
gewesen, angesprochen, meine Predigt zu übernehmen &
er habe es abgeschlagen, ob er gleich, als er ums Rectorat
angehalten, ohne mein Verlangen, durch den professor
Zierlein mir seine Hülfle dabey, wenn ich sie brauchte,
angeboten. Es sey hämisch, dies als eine Ursache an-
zuführen, warum ich ihn zu Rathhause fordern lassen, da
dies der Zeit nach fast Jahr & Tag auseinander gewesen.
Jetzt werde mir wohl nicht verargt werden können, von
ihm anzuführen, was ich aus Duldung bisher verschwiegen.
Die Collegen dieses Mannes haben oft bitteres Klagen
über ihn gefuliret; viele Besehwerden von Aeltern haben
Magistrat & ich unterdrückt oder gütlich beygelegt; keinen
einzigen unsern gemeinschaftlichen Rath habe er ohne
Wiedersezlichkeit angenommen, ob ich gleich, wenn ich
auch nicht sein inspeetor wäre, weil ich S Jahre hier
Reetor gewesen, bey meinem Rath ihm wichtig seyn sollen.
Das monathliche exercitium aus dem Deutsehen ins Latei-
nische haben nicht nur wir, sondern auch der professor
Zierleiu, so wiederholt es geschehen, umsonst ihm em-
pfohlen; er lässte eher ein griechichcs machen, ehe er,
was er verlange, thue. Auf der andern Seite strafte er
Kinder ohne Untersuclmng um Kleinigkeiten unbarmherzig;
was er wohl im Berlinschen grossen Waysenhause, wo
kein Vater für sein liebendes Kind sprechen können, an-
genommen. So habe er den Sohn des Bürgermeisters
Reinike mit dem Stocke nahe ans Auge, dass er eine
Zeit lang durch einen chirurgus curirt werden müssen;
so den Sohn des Einnehmers Schnakenburg um eines
Kinderscherzes wegen mit 31 Schlägen, dass er sich vor
ihm winden müssen; so den Sohn des Postmeisters Puhl-
mann, dass er einige Nächte nicht liegen können; den
Sohn des Schuster Prillwiz, weil er ein VVort, das er nicht
recht verstanden, von seinem Nachbar erfragt, mit dem
Stock anf dem Kopfe blutrünstig geschlagen, auf einer
Stelle, wo der junge Mensch vor vielen Jahren beschädigt
worden, & nun leicht seinen Verstand verlieren kiinnen.
Auf gleiche Weise habe er den Sohn des Schuster Bürger,
wenn er einem andern auf der Strasse ein Papier aus
der Hand gerissen, so gezüchtigt, dass ihm beyde Schul-
tern blau aufgetrieben; des Sohns vom Küster Wilcke &
anderer zu geschweigen. Schon scheuen sich Aeltern ihre
Kinder in die Schule zu schicken. Die wenigen Bürger,
die sieh für ihn unterschrieben in dem, was er ihnen auf-
gesezt, sejcn theils aufgeredt, theils weil sie bey ihm
Kinder in privat haben, durch Furcht bewogen & eine
kleine Zahl unter 500 Bürgern, von denen man, wenn
man wollte, ihm weit mehrere, die über ihn klagen, ihm
entgegenstellen könnte. lusp. bitte daher, dem Reetor
sein bisheriges Betragen & ungerechtes Klagen zu ver-
weisen, auch ilni zu mehrerer Folgsamkeit gegen seine
Obern & zu Menschlichkeit bey Bestrafung anzuhalten.
Der Magistrat berichtete insbesondere : der reetor Sprengel
128
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 13.
hätte vernünftiger gethan, wenn er mit seiner Beschwerde
zurückgeblieben wäre. Die Antwort des Insp., für deren
Znverlässigkeit der niagistrat Bürge sein wolle, schildere
richtig seinen Character. Sein Eigensinn sey unbeschreib-
lich & seine Züchtigungen ohne Maasse. Hieraus rühre
alles, was ihm bisher begegnet & er so weitläufig unwahr
& calumnieux (Chronik Seite 244) vorgetragen hal)e. Was
er von schnöder Behandlung voriger reetoren sage; da-
von koeiuie das Gegentheil bewiesen werden. Die dem
rector Becker wiederfahren sejui sollende Beschimpfung
in öft'entlieher Schule sey nie zur Klage gekommen; sonst
sie gewiss geahndet seyn würde, da der Becker sich nie
von einer so unmässigen Hize sich übernehmen lassen,
als der Sprengel. Diesem sey es zuzuschreiben, wenn er
wegen des Scluister Bürger keine so grosse satisfactiou
bekommen können. Es habe sich nämlich gefunden, als
der Justizrath Lemcke noch am folgenden Tage den
blossen Rücken des jungen Bürger gesehen, dass er nicht
etwan, wie der rector vorgegeben, ein Paar Schläge be-
kommen, sondern der ganze Rücken sey schändlich zu-
gerichtet & so wie die Striemen gegangen, ganz nnt Blut
unterlauft'en gewesen. In den Umständen habe er dem
rector das verwiesen & iimi sagen müssen, dass nach
solcher Begegnung er nicht die ihm anfänglich gewisse
satisfaetion erhalten könne; indess der Frau zu Rathhaiise
im Beyseyn einiger Bürger ein öfl'entlicher Verweis ge-
geben werden solle; welches aueli geschehen. Mehr habe
er, der Justizrath, nicht thun können, wenn er nicht die
Bürgerschaft noch mehr gegen ihn aufbringen wollen, die
ohnedies schon so schwürig sey, dass er iimi nicht rathen
wolle, in der Folge mit den Kindern so umzugehen, wie
er es mit dem Bürger & mehreren andern bisher gemacht
habe: denn auf die 12 Bürger, die zum Theil in ihrer
Unschuld das wahrscheinlich von ihm selbst abgefasste
Bittschreiben d. 11. October unterschrieben & unter denen
welche seyen, die gar keine Kinder haben, zum Theil
auch bey Vorzeigung ihres Namens solchen gar nicht ge-
schrieben haben wollen, könne er nicht reclmen, da viel-
leicht viele Hunderte ihm zuwieder seyen. Seine Unbeug-
samkeit i^ Starrsinn haben die Zusanunenkunft mit ilnn
veranlasst, wo er versprochen, sich den Anordnungen des
Magistrats ä Insp. in Schnlsaehen besser, wie bislier, zu
aecomodiren, & bey Züchtigung der Jugend mehr Mässi-
guug zu gebrauchen. Das darüber aufgenommene pro-
tocoll habe er unterschrieben & seyen ihm, wie billig,
bey dieser Gelegenheit, seine opiuiatrete & die besoudern
facta zu Gemüthe geführt, aber uiclit er gemisshandelt
worden. Die zweytc Zusammenkunft zu Rathhause mit
ihm sey wieder gewesen, weil er schlechterdings darinn
nicht folgen wollen, es mit der Chorljüchse zu halten, wie
es bisher üblich gewesen; wobey man doch so nach-
gebend gewesen, dass man es mit ihm so genau hierinu
nicht nehmen wolle, wenn er sich nur im Übrigen folg-
sam bewiese. In Ansehung seiner Methode zu dociren
habe man bloss verlangt, dass er der aemulatidu wegen
oft Übersetzungen aus dem Deutscheu ins Lateinische pro
loco ausarbeiten lassen & die jungen Leute gelegent-
lich die Regeln der grammatic, um ihrem Gedächtnis zu
Hülife zu kommen, aufschlagen, nicht aber auswendig
lernen lassen möchte; welches sie doch von seinem un-
beugsamen Sinne nicht erlangen können. Auf die Ab-
schaftung der Art des Unterrichts, da er auf einer Bogen-
seite nur einen & denselben Buchstaben z. E. ,,i" schreiben
lasse; ebenso die Kinder billionen, trillionen, quadriliio-
nen auf dem Papier berechnen lassen, welches in keine
öffentliche Schule gehöre, haben sie mit Recht gedrungen.
Er, der Justizrath Lemcke habe ihm gerathen, dafür ge-
meinnüzigere Sachen vorzunehmen it es könne seyn, dass
er dabey gesagt: er habe auch nicht zeicimen lernen,
welches rector, als in einer privat Unterredung gesprochen,
nicht so, ihn öffentlich herumzunehmen gebrauchen sollen
& es zeige das von einem schlechten Herzen, gegen einen
Mann, der so oft seine Parthey genommen, als es nur
irgend möglich gewesen. Die Sehulgebäude seyen, was
das Nothwendigste betreffe, reparirt & gehöre die Sache
nicht hierher. Die Sultreetorat Stube sey schon seit etlichen
Jahren dem sogenannten Jungfernschulmeister zur Seiden
Cultur eingegeben, ohne dass deshalb sonderliche Be-
schwerde geführet worden & habe der jezige Schnlhalter
diese Anstalt vermittels solcher Wohnung zu solcher Voll-
kommenheit gebraclit, dass er in diesem Jahr durch eignen
Fleiss über 40 Pfd. Seide gewonnen. Hieraus werde das
Oberconsistorium ersehen: dass es einer anderweitigen
Unterstüzung des rector Sprengel nicht bedürfte, wenn er
nur seinen Eigensinn breche, sieh zu mehrerer Folgsam-
keit gewöhne, die Jugend mit mehr Mässigung behandle
& sieh solchergestalt das Vertrauen des hiesigen publici
zu erwerben suche; (Chronik S. 245) wozu der magistrat
ihn anzuweisen & ihm seine beleidigende Schreibart zu
verweisen bitte. Hierauf decretirte das Oberconsistorium
d. 12. Dec. an den rector Sprengel: dass zwar wegen
den entzogenen Miethsgelder noch ein näherer Bericht
vom magistrat & Insp. werde gefordert werden, seine
übrigen Klagen aber theils unbegründet, theils abgemacht
befunden worden; übrigens ihm aber hierdurch aufgegeben
werde, seinen Vorgesezten Folgsamkeit & in Bestrafung
der Jugend mehr Mässigung zu beweisen. Dem Magistrat
& mir wurde das unter eben dem dato mitgetheilt, mit
der Beyfüguug: dass wir, weil sich der Puuct wegen der
entzogenen Miethsgelder noch nicht klar genug darstelle,
darüber noch fordei'samst berichten sollten. Übrigens
würden wir zugleich angewiesen, den sonst sein Amt mit
Geschicklichkeit & Fleiss verwaltenden rector bey autori-
taet zu erhalten, wie bisher besonders der Insp. nicht
genug gethan habe, wenn er in Gegenwart der Schüler
die Verfügungen des rectors getadelt & aufgehoben habe.
Ich hätte gegen diesen Ausspruch Vorstellung machen
können, der eine gewisse Partheylichkeit des referenten
im Oberconsistorio, Raths Büsching, zeigte. Allein ich
unterliess es, weil wir doch in der Hauptsache gewonnen
hatten. Wegen der Subrectorwohuung statteten wir keinen
näheren Bericht ab. Da aber daran die Schul coUegen
mit Recht Forderung hatten, wie ich dies mehrmals ge-
sagt hatte: so wurde die Sache so eingerichtet, dass als
ein Vierteljahr nachher der Jungfernschulmeister Loeffler
als Lehrer im practischen Seidenbau an die realschule
kam & dem Garnisonküster Hoepfner zugleich die Jungfern-
schule anvertraut wurde (Fortsetzung folgt.)
Die Giftfestigkeit des Igels gegen Cyaiilialium
betitelt sich ein Artikel des Prof. Erich Harnack in
der Pharm. Zeitung. Harnack schreibt: Dass unter allen
Warmblütern, welche bisher zu toxicologischen Versuchen
henutzt worden, der gemeine Igel (Erinaceus europaeus)
sich durch eine ganz besondere und erstaunliche Unem-
pfindlichkeit gegen Giftwirkungen auszeichnet, ist eine
allbekannte Thatsaehe. In erster Linie sind es thierisehe
Giftstoffe, welche dem sonderbaren Stachelhelden nichts
anhaben zu können scheinen: man kann ihn ruhig mit
Canthariden füttern, die doch für Fleischfresser, wie die
Katze u. a., in ludiem Grade giftig sind, ohne dass ihm
irgend ein Schaden daraus erwächst. Fast noch erstaun-
licher ist die Thatsaehe, dass er bei seinen heldenmüthigen
Kämpfen mit der Kreuzotter wiederholentlich blutende
Bisse in die Schnauze und andere unbestachelte Körper-
Nr. 13.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
129
theile erhält, ohne dass die geringste Gesundheitsstörung
sich in Folge dessen an ihm erkennen Hesse.
Inuncrhin ist diese Immunität gegen animalische
Gifte heim Igel leichter begreif licli: ein Tiiier, dass sich
vorherrschend von Käfern und anderen Insekten, Reptilien
und Anipliil)ien nährt, muss durch Anpassung an seine
Existenzbedingungen allmählich eine Innnunität gegen die
im Körper dieser Thiere enthaltenen Giftstoffe gewonnen
haben, ßcobachtcn wir doch auch, dass Kaninchen mit
den Blättern der Tollkirsche und anderer GiftpHanzen
gefüttert werden kfinnen, ohne irgendwie Schaden dabei
zu nehmen. Dass Kertjäger gegen Käfer- und Schlangen-
gifte, Krautfresser gegen gewisse Pflanzengifte relativ
unemptindlich sind, ist demnach wohl begreiflich. Gegen
Käfergifte sind daher auch Hühner und Frösche immun.
Aber beim Igel geht die Giftfestigkeit viel weiter,
sie erstreckt sich auch auf eines der stärksten organischen
Gifte, die Blausäure, und zwar nicht etwa nur bei Ein-
bringung des Giftes in den Magen. Dafür mögen zwei
von mir angestellte Parallelversuche Zeugniss ablegen,
die ich im Folgenden in protokollarischer Form mit-
theilen will.
Katze von 1900 grm Körpergewicht.
Zeit.
7" Sul)cntane Injection von 0,01 Cyankalium.
7^ Das Thier stürzt auf die Seite, athmet dyspnoisch,
wälzt sich auf dem Boden. Augen starr. l'u])illen
weit.
7- Opisthotonus und klonische Krämpfe treten ein, das
Thier stösst einen Schrei aus. Abgang von Harn
und Koth.
7^ Einzelne Herzschläge sind noch fühlbar. Tod.
Ausgewachsener männlicher Igel.
Zeit.
5" Subcutane Injection von 0,01 Cyankalium. Es lässt
sich keinerlei Wirkung erkennen.
5"^ Subcutane Injection von 0,04 Cyankalium. Das
Thier wird zuerst sehr schreckhaft und zieht bei
der leisesten Berührung die Stachelhaut über den
Kopf. Dann erscheint es müde, soporös. Allmäh-
lich beginnt ein reichlicher Sekretabfluss aus Maul
und Nase, die Athmung wird tief und mühsam, der
Blick starr.
Die ^lattigkeit nimmt zu, das Thier vermag
sich nicht mehr zusammenzurollen, die Augen thränen,
das Maul ist weit geöffnet.
5^** Die Athmung ist äusserst dyspnoisch. Dyspnoe und
Lufthunger steigern sich zum höchsten Grade, das
Thier liegt wie gelähmt da, der Tod scheint unmittel-
bar bevorzustehen.
Dieser Zustand dauert bis zum Abend an.
Am folgenden Tage ist jede Wirkung des Giftes bis
anf eine geringe Schläfrigkeit des Thieres völlig ge-
schwunden: ein vorgeworfener Frosch wird von dem Igel
sofort begierig gepackt und verzehrt.
Das Quantum Cyankalium also, welches eine grosse,
fast vier Pfund schwere Katze in vier Minuten
tödtet, macht dem Igel, dem verhältnissmässig kleinen
Thiere, gar nichts und selbst die fünffache Dosis vermag
ihn nicht zu tödten, wenn sie freilieh auch einen sehr
schweren Krankheitszustand erzeugt.
Soll man aus dieser Thatsache nicht schliessen dürfen,
dass in den Leibern der von dem Igel verzehrten Kerbthiere
oder Eeptilien auch giftige Cyanverbindungcn vorkommen
können und dass die Widerstandsfähigkeit des Thieres
gegen Cyanwirkungen auch durch Anpassung erlangt ist?
Bei der Leichtigkeit, mit welcher sich Verbindungen des
Cyans unter gewissen Bedingungen bilden können, er-
scheint diese Annahme keineswegs als so fern liegend.
Ja, das Vorkommen giftiger Cyanverbindungcn in Thieren
oder Thierproductcn kann sogar bereits als sicher erwiesen
gelten. So hat man z. B. die Bildung von Cyanwasser-
stofifsäure im Leibe eines Myriapoden (Tausendfüsslers)
beobachtet, wahrscheinlich infolge fermentativer Wirkung
aus einem amygdalinähnlichen Stotfe. Ferner ist das
Vorhandensein der allergiftigsten Cyanverbindungcn, der
Carbylamine, im Hautgiftc der Batrachier (Kröte, Tri-
ton, Salamander) und wahrscheinlich auch dem der Scor-
pione nachgewiesen worden. Bei der nahen Verwandt-
schaft des in den Eiweisskörpern enthaltenen Stickstoffes
mit den Cyanverbindungcn (Pflüger u. A.) erscheinen
diese Thatsachen als durchaus wohl erklärlich.
Wir dürfen demnach auch die Cyanverbindungen als
animalische Gifte ansehen und kiinnen auf (4rund dessen
die relative Immunität des Igels gegen Cyanwirkungen
eher begreifen.
Die bisher noch nicht völlig aufgeklärte „Entwicke-
luiigsgeschichte der Pedipalpeii" oder Scorpionspinnen
(Geisselscorpione) förderte neuerdings A. Strubell <lurch
Untersuchungen an Telyphonus caudatus Fabr. (S. dessen
Abb. z. B. in der Leunisehen Synopsis, Zool. II. S. 574),
die er im Zool. Anz. 1892 S. 87 ff. veröftentliclit. Seine
Beobachtungen wurden im malayischen Archipel, nament-
lich auf Java, angestellt. Zunächst wurde festgestellt,
dass das Thier nicht lebendiggebärend ist, wie man bis-
her annahm, sondern f^ier ablegt. Das Weibchen vergräbt
sich zur Zeit der Eiablage Ins über einen Fuss tief in die
Erde und setzt dort seine Eier ab, die von einem zu-
gleich austretenden Secret, das an der Luft rasch er-
härtet, umschlossen werden. Sie befinden sich nun zu
1.5—30 Stück in einem an der Bauchseite anhaftenden
dünnwandigen Sacke. Der Embryo, auf dessen Bildung
hier nicht näher eingegangen zu werden braucht, empfängt
zuletzt ein zartes Cuticularkleid, das mit spitzen Chitin-
stacheln versehen ist. Diese „Eizähne" helfen ihm die
Schale durchbrechen, er streift die Hülle ab und heftet
sich an die Mutter fest, die ihn noch längere Zeit mit
sich herumträgt. Das junge Thier ist noch sehr plump
und weicht noch so bedeutend in seiner Gestalt von seinen
Eltern ab, dass man es als Larve bezeichnen kann. Diese
Larve zehrt noch einige Zeit von dem mitgebrachten
Dotter und verlässt erst nach weiterer Umbildung und
einer zweiten Häutung das mütterliche Thier. Im Allge-
meinen ähnelt die Entwickelung mehr der der echten
Spinnen als der der Scorpione. C. Matzdorff.
Die künstliche Darstellung des Grauats (Melanits)
und des Titanits wird von lT Michel in den Comptes
rendus de l'Acad. d. Sciences 115. 830 — 32 mitgetheilt. Er
erhitzte ein inniges Gemisch von 10 Tbl. Titaneisen, 10 Thl.
Schwefelcalcium 8 Thl. Kieselsäure und 2 Thl. Kohle
ca. fünf Stunden lang auf 1200° in einem Graphittiegel.
Der untere Theil der möglichst langsam erkalteten Schmelze
bestand aus Schwefeleisen Fe^S^, in dem sich einige Körn-
chen von Kohlenstotfeisen fandien. Der obere Theil war
eine poröse, schwärzlich-graue Masse mit stellenweise
grösseren Hohlräumen, deren Wände mit mehr oder we-
niger schön ausgebildeten Kyrstallen von Melanit, Titanit,
Fe^Sg, und noch anderen Substanzen bedeckt waren.
Der Melanit war in glasglänzenden, dunkelbraunen
Krystallen vorhanden, die vor dem Löthrohr zu einem
magnetischen schwarzen Glase schmolzen und die Formen
des Rhombendodecaeders zeigten. Die Analyse ergab
SiO.2 FejOa CiiO Summe Spee. Gew. HRrte
36,45 29,80 32,65 98,90 3,8 7
130
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 13.
Der Titanit war in Ivlinorhombischen, nacli der
Kante h^g^ (100) (010) verl äusserten Prismen vorhanden,
mm (110) (110) - 113026; 1)eiiu natürlichen Titanit
ist der Werth dieses Winkels = 113"31. Die röthlich-
braunen künstlichen Krystalle zeigten starke Doppel-
brechung von positivem Charakter. Ebene der optischen
Axen in g^ (010). Die Analyse ergab
SiOa TiO, CaO Summe Spec. Gew. Härte
32,10 40,00 27,14 98,24 3,4 5
Vor dem Löthrohr schmolzen die Krystalle unter
Aufschäumen.
Das Schwefeleisen Fe^Sg bildete kleine Kügelehen
mit kleinen, anscheinend zum orthorhombischen System
gehörigen Kryställehen an der Oberfläche. Aehnliche Kry-
stalle wurden mitunter am Markasit beobachtet. Dr. H.
lieber die Bestimiming der Moleciilargrösse aus
dem Verduiistuiigsvermögeii halie ich mich in den
Sitzungsberichten der Kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften in Wien ausgelassen. — Angeregt durch die
Untersuchungen von v. Babo und WüUner über die Dampf-
tensiou von Lösungen habe ich eine neue Methode zur
Bestimmung der Moleculargrösse aus dem Verdunstungs-
vermögen aufgefunden, welche an Vielseitigkeit der An-
wendbarkeit und Einfachheit der Ausführung die kryos-
kopische Methode weit hinter sich lässt. Die Methode
stützt sieh auf allgemeine Betrachtungen über die Eigen-
schaften der Oberfläche von Flüssigkeiten, deren Mole-
cüle mit einem geringen Proeentsatz von Molecülen
anderer Art untermischt sind. Die oberste Schicht von
Molecülen in einer solchen Flüssigkeit muss, wenn man
sie genau in einer horizontalen Ebene neben einander
placirt annimmt, denselben Procentsatz von Molecülen
beiderlei Art wie die gesammte Flüssigkeit aufweisen, so
dass bei differenten Eigenschaften der beiderlei Molecüle
die oberflächliche Molecularschicht einen Maassstab für
die ganze Mischung bildet.
Sind nun in einer Flüssigkeit verdampfbare (flüch-
tige) und nichtflüchtige Stoffe bezw. Molecüle in einem
bestimmten Procentsatz gemischt vorhanden, so liegen an
der Oberfläche, wie eben entwickelt, die flüchtigen und
nichtflüchtigen Molecüle in genau demselben Procentsatz
in einer Horizontalebene neben einander, es ist also nur
einer dem Procentsatz entsprechenden Menge flüchtiger
Jlolecüle die Gelegenheit zur Verdunstung gegeben, wäh-
rend der geringe Procentsatz nichtflüchtiger Älolecüle träge
zwischen den flüchtigen Molecülen an der Oberfläche ruht.
Vergleicht man nun mehrere Flüssigkeiten, in welchen
je zwei Stoife, ein flüchtiger und ein nichtflüchtiger, in
aequimolecularem Verhältnisse gemischt sind, so ergiebt
sich, dass alle diese Mischflüssigkeiten in der oberfläch-
Hehen Molecularschicht (bei sonst gleichen Verhältnissen,
besonders gleichem Quadratinhalt der Oberfläche) denselben
Procentsatz der Anzahl von ]\Iolecülen der beiderlei Art
aufweisen müssen.
Sind die flüchtigen Molecüle in allen zum Vergleich
stehenden Fähen gleicher Art, so folgt für diesen be-
sonderen Fall, dass die Gelegenheit zur Verflüchtigung
an allen diesen Oberflächen gleich gross sein muss, da
bei ihnen ein gleich grosser Procentsatz gleicher flüch-
tiger Molecüle an der Oberfläche liegt.
Es müssen also z. B. aequimoleculare Lösungen von
festen Stoffen in flüchtigen Flüssigkeiten, wie Lösungen
von Salzen oder Alkalien in Wasser oder Alkohol, Lö-
sungen organischer Körper in Wasser bezw. Alkohol,
Benzol, Eisessig, Schwefelkohleustoft", Chloroform, Aether.
Aceton u. s. w., Lösungen von Säurehydrateu schwer bezw.
nichtflüchtiger Säuren wie Schwefelsäure, Phosphorsäure,
Borsäure in Wasser ceteris paribus gleiches Verdunstungs-
vermögen zeigen, mag man die Verdunstung unter dem
Exsiccator über Schwefelsäure, Chlorzink, Aetzkalk oder
Chlorcalcium bezw. anderen Absorptionsmitteln oder unter
Ausschluss aller störenden P^inflüsse selbst an freier Luft
vor sich gehen lassen.
(Bei mehreren der genannten Lösungsmittel sind für
den Exsiccator zweckmässig andere Absorptiousniittel aus-
zuwählen, z. B. fürAceton, Chloroform, Schwefelkohleustoft'.)
Es müssen also, um ein weiteres Beispiel zu geben,
zwei organische Verbindungen, in aequimoleculareu Men-
gen in Aceton oder Chloroform zur Lösung gebracht,
gleiche Gewichtsverluste der Lösungen ergeben, wenn
man letztere unter genau denselben Bedingungen der Ver-
dunstung, z. B. bei gewöhnlicher Temperatur, überlässt
und genau nach gleicher Zeitdauer der Verdunstung, z. B.
24 Stunden, wieder wägt. Als Zeitdauer wird dabei die
Zeit angenommen, während welcher das Verdunstungs-
gefäss nicht bedeckt gewesen ist, während es vorher und
nachher durch sorgfältig aufgeschliftenc Deckgläser gegen
jede Verdunstung geschützt gehalten wird, so dass auch
die Zeit, welche zu den Wägungen erforderlich ist, ausser
Betracht fallen kann.
Um nun die Moleculargrösse aus dem Verdunstungs-
vermögen zu bestimmen, bedarf es eines vergleichenden
Versuchs mit
kannten! Mo
sungsmittels
neu
einer Verbindung von schon anderweit De-
eculargewicht unter Benutzung desselben Lö-
Um z. B. die Moleculargrcisse einer beliebigen
dargestellten
nicht oder schwer flüchtigeu organischen
Verbindung festzustellen, löst man dieselbe in geringem
Procentsatz in einem geeigneten Lösungsmittel, je nach
Umständen Aceton, Chloroform, Schwefelkohlenstofl', Benzol,
Tetrachlorkohlenstoft", Essigäther, Anilin, Toluol und stellt
eine zweite annähernd gleicliprocentige Lösung mit dem-
selben Lösungsmittel und einer geeigneten nicht oder
schwer flüchtigen organischen
Verbindung
kannter Moleculargrösse, z. B. je nach
von genau be-
den Umständen
(d. h. besonders den Löslichkeitsverhältnissen beider zu
vergleichenden Verbindungen) Resorcin, Chinon, Carbazol,
Alizarin, Dinitrotoluol, Amidoazobenzol, Harnstoft', Au-
thraeen, Benzanilid, Azobenzol, Hippursäure, Acetophenon,
Sulfonal, Antipyriu, Anthrachinon, Hydrochinon, a- und
/^-Naphtol, «- und //-Naphtylmin, Paratoluidin, m- und
p-Phenylendiamin, Phtalsäure - Anhydrid, Salicylsäure,
p-Toluidin, her und stellt die Verdunstungsverluste beider
Lösungen in Krystallisirschaleu von genau gleichem
Horizontalsclinitts-lnhalt in gleicher Zeit und unter sonst
gleichen Bedingungen fest.
Diese Verdunstungsverluste rechnet man auf reine
flüchtige Flüssigkeit (100 Procent) um und zieht je
l)eide Werthe von einander ab, um die Verminderung
der Verdunstungsverluste zu erhalten. Diese beiden Ver-
minderungen bei beiden Lösungen verhalten sich umge-
kehrt wie die Moleculargrössen der gelösten nichtflüchtigen
Verbindungen, wonach man, da die eine der Jlolecular-
grössen anderweit bekannt ist, die andere berechnen kann.
Die neue Methode zeichnet sich besonders dadurch
aus, dass man ihre Genauigkeit durch Verlängerung der
Verdunstunffsdauer beliebig steigern kann, während die
der kryoskopischen Methode im Wesentlichen
ist, wenn man von der selbst-
verständlichen Anwendung feinster Thermometer absieht.
Ferner ist die Methode nicht wie die kryoskopische durch
bequem liegende Erstari-ungstemperaturen beschränkt, viel-
mehr bei der Mannigfaltigkeit der Lösungsmittel und
Vergleichskörper viel allgemeiner anwendbar.
Die Grundlagen der vorliegenden neuen Methode zur
Feststellung der Moleculargrösse stehen im Einklang zu
1
beliebig
Genauigkeit
einer Steigerung kaum fähig
Nr. 13.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
131
Untersucliungen, welche neuerding-s P. Lesage (Compt.rcnd.
1892, S. 473) angestellt hat, ans welchen sich speciell
für zwei Alkalisalze, Chlorkalium und Clilornatriuni, ergab,
dass die Verdampfungs-Gesch wiudigkeit der Lösungen
bei gleicher Concentration für Chlurkaliuni grösser ist
als für Clilornatriuni (mit kleinerem Molcculargewicht) und
bei beiden Lösungen geringer als bei reinem Wasser.
Eine einfache Betrachtung über die Relationen zwischen
Verdunstungs -V e r m ö g e n und Verdampfungs -Geschwin-
digkeit ergiebt das von Lesage beobachtete Verhalten
der Salzlösungen als nothwendige Folge der eingangs
dargelegten Anschauungen.
Dr. IL Kronberi
lieber elektromagiietisclie Wellen. Anlässlich der
letzten Schweizerischen Naturforscherversammlung theilte
Herr R. Blondlot eine Beobachtung über die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen
in isolirendeu Mitteln mit, die, an sich sehr bemerkens-
werth, einen besonderen Werth noch dadurch erhält, dass
sie eine für die elektromagnetische Theorie des Lichtes
fundamentale Relation in einfachster Weise herleiten lässt.
Ausgehend von akustischen Analogien gelangte Herr
Blondlot zu der Vernmthung — die durch mathematische
Gründe gestützt wurde — dass die Länge der von einem
Oscillator ausgesandten elektromagnetischen AVellen immer
dieselbe sein müsse, welches auch das isolirende Mittel
sein möge. Es gelang dem Xaneyer Gelehrten auch,
durch eine Reihe von Versuchen nachzuweisen, dass
in der Tliat jene Wellenlänge in verschiedenen von ihm
benutzten isolirenden Mitteln dieselbe sei wie in der Luft.
Aus diesem Ergebniss lässt sich dann aber sofort die
oben erwähnte, von Maxwell herrührende, Relation ab-
leiten. Denn wenn C die Capacität, L den Selbstinductions-
cocfticienten, und T die Schwingungsdauer des bei den
Versuchen angewandten Resonators bedeuten, so hat man
r= 2n Vgl.
Multiplicirt man rechts und links mit V, der Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der Wellen, so erhält man links
die Wellenlänge l, also
;. = 2n.V C-y L- V.
Nun ist 1 nach den Blondlot'schen Versuchen unab-
hängig vom isolirenden Mittel; ein Gleiches gilt für L.
Demnach niuss auch CT- eine unveränderliche Grösse
sein. Wenn man nun von der Luft zu einem anderen
Dielectricum übergeht, dessen dielectrische Constante K
sein möge, so wird C einen A'-mal grösseren Werth an-
nehmen, und V muss mit dem reciproken Werth des
Brechungscoefficienten n des neuen JMittels (in Bezug auf
Luft) multiplicirt werden. Sind C", V also die Werthe
von C, V für das neue Dilectricum, so muss nach obigem
sein
C" V- = CVK
Nach dem eben dargelegten ist aber auch
C-2 |/' = A'-C.
es muss also
A'.
n-
K = ;r
sein, welches die Maxwell'sche Relation ist, deren l>e-
stehen wesentliche Bedeutung für die neue Lichttheoric
hat. (Archives des sciences, Geneve. dec. 1892.)
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der l^riviitdocent der l^hysik an der
Universität Berlin Dr. Paul Glau zum Professor. — Dr. Ernst
Siemerling, von der psychiatrischen Klinik in Berlin, zum
Professor der P.sychiatrie und Director der psychiatrischen Klinik
der Universität "Tiibingen. — Der Apotheker Dr. N. Wender
zum Docenten der Agricnlturchemie und Technologie an der
Landwirthschaftlichen Lrdn-anstalt in Czernowitz. — Der ausser-
ordentliche Professor Dr. Olcarski zum ordentlichen Professor
an der Techniseheu Hocliscliule zu Lemberg.
Es haben sich hal)ilitirt: In der medicinischen Facultät der
Universität Berlin Stabsarzt Dr. Ernst Grawitz, Assistent an
der Gerhardt'schen Klinik, für innere Medicin, Dr. med. Paul
Heymann, für Hals-, Nasen- und Kehlkopfleideu, und Dr. med.
Hugo Neumann für innere, insbesondere Kinderkrankheiten. —
An der Universität München Dr. Gramer als Privatdocent für
Bakteriologie.
Es sind gestorben: Der Mineraloge Dr. F. A. Genth in Phi-
ladelphia.— Der Archäologe Ludwig Lindenschrait in Mainz.
— Der Ornithologe Victor Aime Olphe-Galliard in Hendaye.
— In Göttingen der Professor der Physiologie Gustav Herbst.
Die X. Hauptversammlung' des Preussischen Medicinal-
beamtenvereins wird in den Tagi'n vom 10.— 11. Ajn-il in Berlin
abgehalten werden.
Der Botanische Verein der Provinz Brandenburg
hat an seine Mitglieder eine Tabellarische Zusammenstellung
einer Zahl Pflanzenarten zum Zweck phaenolog-ischer Beob-
achtungen zur \'er.srndung geljvacht. Wir theilen dies mit, weil
sich vielleicht Liebhaber solcher Beobachtungen unter den Lesern
der ,,Naturw-. Wochenschr." linden, Beobachtungen, die nur an
einer Centralstelle verarbeitet zu einem ergiebigen Resultat führen
können. Interessenten erhalten auf Verlangen von dem derzeitigen
Vorsitzenden des Vereins, Herrn Prof Dr. P. Magnus (Berlin W.,
Blumeshof \b, III), dem die Beobachtungen auch zur Verarbeitung
einzusenden sind, ein Exemplar der Zusammenstellung zugesandt.
Die erste Mineralienhandlung Berlins, Luisenstr. 19, bleibt
nach wie vor, entgegen der Mittheilung in No. 52 Bd. VII der
„Naturw. Wochenschr." in den bewährten Händen des Herrn Pech.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. M. Bach, Studien und Lesefrüchte aus dem Buche der
Natur. Für jeden Gebildeten, zunächst für die reifere Jugend
und ihre Lehrer. 3. Bd. 4. Aufl. von A. Jülkenbeck und -1. Bd.
4. Aufl. ebenfalls von A. J. Verlag von Ferdinand Schöningh.
Paderborn 1889 u. 1892. — Preis a Bd. 2,50 M.
Die beiden Bände bringen Aufsätze meist zoologischen In-
haltes, die dem Freunde der Katur. dem Laien, eine angenehme
und gute Unterhaltung und Belehrung bieten, jedoch sind wir
verpflichtet darauf aufmerksam zu machen, dass der reine Xatur-
forselier freilich hier und da gern eine weitgehendere Beschränkung
sehen würde: die Resultate und Ansichten der Naturforscliung,
die dem Geiste der katholischen Kirche unliebsam sind, werden
bekämpft^ Glücklicherweise handelt es sich meistens um Themata,
die den Glauben nicht tangiren.
Um nur einige Tliemata zu nennen, seien nur ein paar Ueber-
schriften erwälint, z. B. der Biber, der Häring, die Schmarotzer-
pflanzen, die Reblaus, das Aquarium, der Thee, der Tabak u. s. w.
E. L. Trouessart, Die geographische Verbreitung der Thiere.
Aus dem Französischen übersetzt von W. ^larshall. Mit 2 Karton.
Verlag von .1. J. Weber in Leiiizig. 1892. — Preis geb. 4 M.
Das handliche Bändchen (No. 5 von Weber's naturw. Biblio-
thek) ist ein vorzügliches Handbüchelchen über die Thiergeogra-
phie, das vielen, die Schmarda's und Wallaee's umfangreiche und
theure Werke nicht zur Hand haben — die obendrein in vielen
Punkten veraltet sind und von denen das erste wegen seines
eigenartigen Standpunktes vielfach nicht beliebt ist — recht will-
kommen sein muss. Es umfasst nicht weniger als 380 Seiten und
hat durch hier und da eingeschaltete Anmerkungen des kenntuiss-
reichen Uebersetzers seinem französischen trett'iicheu Original
gegenüber noch an Werth gewonnen. Nicht nur wird das Ge-
sammtgebiet der Thiergeographie behandelt, sondern es werden
auch die Beziehungen dieser Disciplin zur Paläontologie besju'oehen.
Die eine der beigegebenen Karten veranschaulicht die thiergeo-
graphischen Regionen und Subrcgionen, die andere die Verbrei-
tung von Seethieren durch die Meeresströnuingen.
132
Naturwissenschaftliche Wocheuschrift..
Nr. 13.
Brehm's Thierleben. Kleine Ausgabe für Volk und Schule.
2. Aufl., gänzl. neubearbeitet von Richard Schmidtlein. I. Bd.
Die Säugethiere. Mit 1 Cliroraotafel und 226 Abbildungen im
Text. Bibliographisches Institut. Leipzig u. Wien. 1898. —
Preis geb. 10 Mk.
Gleichzeitig mit der 3. Auflage des ..grossen" Brehm erscheint
die 2. Aufl. des „kleinen", der „Volks- und Schul-Ausgabe" des
beliebten Werkes. Wir müssen sagen, dass es dem Herausgeber
der kleinen Ausgabe sehr gut gelungen ist, aus den zeitgemässen
Veränderungen, welche die 3. Aufl. der grossen Ausgabe erlitten
hat, Nutzen zu ziehen und das Wichtigste und Interossansteste
zu berücksichtigen. Dabei hat Schmidtlein stets die Benutzung
der kleinen Ausgabe in der Schule im Auge gehabt, also alles
weggelassen, was sie nicht für geeignet hält. Der vorliegende
1. Bd. umfasst die ganze Gruppe der Säugethiere, die in der grossen
Ausgabe 3 Bände einnehmen.
Dr. Otto Koepert, Der Star (Sturnus vulgaris L.) in volkswirth-
schaftliclier und biologischer Beziehung. Ein Beitrag zur Vogel-
schutzfrage. Verlag von Stephan Geibel in Altenbui-g, L.-A.,
1892. — Preis 1,80 Mk.
Nicht nur nn menschlichen Verkehr stossen wir zuweilen auf
Pei-sönlichkeiten, über deren Charakter die Ansichten getheilt
sind: auch über einzelne Thiere, namentlich Vögel, sind die Ge-
lehrton sich nicht ganz klar, ob sie zu den nützlichen oder den
schädlichen gehören. Aus neuester Zeit hat namentlich der
Semper'sche Amselprocess einen Beleg hierzu geliefert. Auch
der fröhliche muntere Star, nächst dem Sperling wohl der be-
kannteste und zutraulichste unserer Wildvögel, ist dem allge-
meinen Schicksale der Verleumdung und Anschwärzung nicht ent-
gangen. Wer den Landmann kennt, weiss, dass demselben im
Allgemeinen ein kleinlicher, ,.gnitschiger" Zug anhaftet, der mit
der Grösse und Freigebigkeit der Natur, in der er lebt, in einem
merkwürdigen Widerspruche steht. Dass der bereits früh ein-
trefl'eude Star zahlreiche, der Pflanzenwelt schädliche Larven,
Käfer, Raupen im Frühjahre verzehrt, wird als selbstverständ-
lich hingenommen: zieht derselbe aber einmal ein paar junge
Pflanzen aus, vergreift er sich im Sommer an den Kirschen und
Weinbeeren, oder fällt er im Herbst in ein Rohrdickicht ein und
bricht einige Halme um, so wird alsbald über die „Schädlichkeit"
des Vogels ein grosses Lamento erhoben und womöglich seine
Ausrottung verlangt. Solche Gegner des Stares haben es in
Elsass-Lothringen durchgesetzt, dass derselbe dort als „vogelfrei"
erklärt worden ist und diesem Umstände verdankt die vorliegende
Schrift ihre Entstehung. Der Verfasser, ein bekannter Vogel-
freund, hat alles Wichtigere, was in den ornithologischen Blättern
über den Star veröfi'entlicht worden ist, gesammelt und mit den
Gutachten, welche er selbst von hervorragenden Vogelkennern
darüber eingeholt hat, zu einer erschöpfenden Monographie des
Stares verarbeitet, welche die Streitfrage, ob derselbe ein nütz-
licher oder schädlicher Vogel ist, gewissermaassen und zwar zu
Gunsten des Stares, zum Abschluss bringt. Vogelfreunden wird
das kleine Buch, welches eine Fülle werthvoller Beobachtungen
über den Star enthält, eine angenehme Leetüre sein.
. Dr. H. J. Böttger.
P. Martin Gander, O. S. B., Erdschichten und Erdgeschichte.
Ein Wort über die Altersbestimmung der Enischichten. Sonder-
abdruek aus „Natur und Offenbarung", 38. Bd. Münster i. W.,
1892. 68 Seiten.
Zweck vorliegender Schrift soll sein zu zeigen, dass die
heutige geologische Formationslehre gar nicht so sicher durch
Theorie und Thatsachen begründet sei, wie man gemeinhin glaube;
insbesondere betrefte dies die Altersgleichsetzung weit entlegener,
nicht zusammenhängender Schichten und Formationen allein auf
Grund der Fossilien. Nachdem, wie in genügender Breite ge-
schichtlich dargestellt wird, das ursprüngliche petrographische
Princip für die Formationsbestimmung aufgegeben war, habe man
sich mit Uebereifer dem paläontologischon zugewandt. Dasselbe
beruhe auf der Annahme, dass die Organismen von ursprünglich
ganz abweichenden Typen aus zu den gegenwärtigen allmählich
sich entwickelt haben. Aber die Entwickelungstheorie selbst sei
schon falsch, wie ja gerade die Descendenztheoretiker jeder seinen
Vorgänger „schlagend" und ,.ganz vernichtend" widerlegt hätten.
(Das wird ziemlich ausführlich „bewiesen".) Aber auch die theo-
retische Möglichkeit der Entwickelung zugegeben, so brauche sie
doch nicht über die Erde hin so gleichzeitig gewesen zu sein,
dass man aus der grösseren oder geringeren Aehnlichkeit der
Floren und Faunen mit den gegenwärtigen auf ein geringeres
oder höheres Alter schliessen dürfe. Der Herr Verfasser wirft
den Geologen sogar vor, dass sie „die meisten Fossilien un-
richtig bestimmt" haben und solche Bestimmungen könnten
natürlich zu Aehnlichkeitsvergleichungen gar nicht taugen. Die
Unähnlichkeit der Faunen beruhe auch häufig auf Facies-
unterschieden, und man wisse z. B. gar nicht, ob nicht die für
Trias und Lias immer als charakteristisch angesehenen Saurier
„schon vorher die ausgedehnten, heute in der Tiefsee versunkenen
oder unter unerforschten Festländern verborgenen Landstriche
bewohnt haben". Einen Kreidedinosaurier habe ja White schon
in den Laniaric- Schichten des Cambriums entdeckt. (Referent
kennt allerdings bloss Laraniie -Schichten der obersten Kreide.)
Nun, vielleicht findet Herr Gander demnächst ein Dinotherium
in dem cambrischen Medusensandstein, der ja wohl zwar keine
„Festlandsschicht" ist, aber wohl nicht allzuweit davon entstanden
sein mag. Aber freilich wieder sollen „die Ivnochen der höheren
Thiere die Umwandlungen in den Erdschichten viel weniger über-
dauern, als die Schalen der Meeresthiere". Mit dieser Lücken-
haftigkeit der paläontologischen Ueberlieferung hilft sich der Herr
Verfasser also auch! Wenn es aber die Paläontologen thiin und
dadurch eine „scheinbare" Uebereinstimmung der Thatsachen mit
der Entwickelungstheorie erzielen, so wird es ihnen zum Vorwurf
gemacht, — da bildet die Lückenhaftigkeit bloss ein Glied in
einem Trugschluss! Auch darin begingen ja die Paläontologen
einen Zirkelschluss, dass sie diejenigen Formationen, die nur
niedere Pflanzen und Tliiere als Fossilien enthielten, eben zu den
untersten machten und solche mit höheren Formen zu neueren
Formationen stellten, selbst wenn sie unmittelbar auf der Primitiv-
formation aufruhten. — Aber „so oft und so gründlich auch die
Entwickelungstheorie widerlegt wird, immer erhebt sie wieder
ihr PLaupt" ; denn ihre Anerkennung hängt nicht allein vom Ver-
stand, sondern auch vom Willen ab; des religiösen Hintergrundes
wegen wollen die bösen modernen Naturforscher keine andere
Theorie. Der Herr Verf. bringt nun einige Beispiele „von ver-
fehltem Vorgehen bei Bestinnnung der Formationen" (so bei der
Barrande'schen Colonienfrage, liei den Kalkeinlagerungen im Gneiss
des Glärnisch, bei den fälschlich basischen Belemnitenschiefern von
Bünden, beim russischen Silur u. s. w.). Nach diesem negativen
Theil wendet sich Herr Gander der Frage zu, was nun positiv
fest und sicher sei. Das sei 1) dass die untersten Schichten stets
aus sog. Urgestein, 2) die oberste Grenzschicht aus lockeren
Gerüllmassen besteht und ebenfalls allgemeine Verbreitung hat,
und 3) dazwischen mehrere Schichten von grösserer Festigkeit
eingelagert sind. Danach sind zu unterscheiden: 1) „Periode der
Urgesteine", Alterthum der Erde, die Zeit, wo die Eigenwärme
der Erde noch mächtig nach aussen wirken konnte, in „absoluter
Zeit" ausgedrückt „die Zeit zwischen der ersten (eigentlichen)
Schöpfung und dem 6-Tagewerk". 2) Periode der festen Sediment-
gesteine (Mittelalter der Erde). Ueber diese doch sehr mannig-
faltigen Gebilde lässt sich der Herr Verf. nur in ganzen 2 Seiten
sehr vag aus; hervorgehoben sei nur, dass er der Meinung ist, es
dürfte wohl die Kohlenformation eines Gebietes zeitlich äquivalent
der Juraformation eines ajideren und dem Eoeän eines dritten
Gebietes sein; und dass diese Periode die Zeit des 6-Tagewerkes
bis zur Sündfluth ausfüllt, ohne dort eigentlich strenge begrenzt
zu sein. 3) „Periode der losen Trümmergesteine, Neuzeit der
Erde"; fällt fast genau mit dem Diluvium und Alluvium der
historischen Geologie zusammen; diese Ablagerungen charakteri-
siren sich als Folgen einer allgemeinen plötzlichen Ueberschwem-
mung; diese wieder hatte eine allgemeine Abkühlung und so die
Eiszeit im Gefolge. „In dieselbe Zeit ungefähr fällt nach allge-
meiner Annahme der Geologen die hauptsächlichste Hebung der
grossten Kettengebirge (Alpen, Himalaia)." „Alle diese für die
Geologie sicher feststehenden, aber räthselhaften und unerklär-
lichen Erscheinungen" werden erklärt, und zwar einheitlich, durch
die in Bibel und VölkerUberlieferungen beglaubigte Sündfluth.
Diese ist ein „ausserordentliches Ereigniss, nicht zurückzuführen
auf rein natürliche Ursachen, sondern gewollt und unmittelbar ge-
setzt von Gott zur Strafe der Menschheit, freilich ausgeführt mit
den Kräften und Mitteln der Natur." „Es brachen nämlich", wie
es in der Bibel heisst, „alle Brunnen der grossen Tiefen auf
(d. s. die grossartigen Gebirgsbildungen) und die „Schleusen des
Himmels thaten .sich auf." Der Verfasser ist anscheinend auf
diese Entdeckung und auf seine Erklärung der Ursachen der Eis-
zeit sehr stolz. Diese Zeit fällt übrigens gar nicht weit zurück,
wie die prachtvolle Erhaltung der glacialen Felspolituren und der
Moose bei Schussenriod erweise; „von hunderttausend Jahren seit
der Eisperiode redet ein Geologe nicht mehr." „Wir finden also
nirgends einen Widerspruch zwischen dem geologischen Bericht
und dem historischen (der Bibel), im Gegentheil findet der erste
gerade durch den zweiten die beste, einzig befriedigende, einheit-
liche Erklärung. Warum also sollten wir diesen Bericht der
hl. Schrift von der Hand weisen?"
Der Referent muss die Leser dieser Wochenschrift um Nach-
sicht bitten, wenn er den Inhalt der vorliegenden Schrift des
Verfassers so ausführlich wiedergegeben hat; denn sie werden
wohl alle zu denen gehören, welche solche Gelehrsamkeit nicht
annehmen wollen; religiöse Motive, wie Herr Gander meint,
dürften allerdings diesmal hierfür nicht den Grund bilden. — Es
ist sehr zu bedauern, dass die Hüter der Religion so ungeschickte
Dolmetscher und Vertheidiger vorschicken, welche nicht nur
keinen Gegner überzeugen, sondern höchstens selbst noch Spott
ernten werden. E. Z.
Nr. 13.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
133
H. Börner, Lehrbuch der Physik der für höhere Lehranstalten,
sowie zur Einführung in das Studium der neueren Physik.
Mit 470 in den Text f^edriiekten Abbild. VVeidmanu'sLdie Buch-
handlung. Berlin 1892. — Preis 6 Mk.
In dem vorliesenden Werk begriissen wir eine sehr danken.s-
werthe Neuscluipfiing, die sich durch Originalität der Darstellung
und mancherlei N'orzüge vor vielen ähnlichen Unternehmungen
auszeichnet, bei denen oft die Bedürfnissfrage verneint werden
muss. Wir besitzen bereits mehrere vortreffliche, zur Einführung
in der Schule geeignete physikalische Comi)endien — es sei hier
nur an das so w'oit verbreitete Buch von Joehmann-Hermes er-
innert — , Römers Lehrbuch ist aber bedeutend eindringender und
macht namentlich die mathematischen Kenntnisse der Schider in
ausgiebigerer Weise für die Behandlung physikalischer Probleme
nutzbar. Um ein vollständigeres Verständniss der elektrischen
Vorgänge zu ermöglichen, hat der Verfasser, wohl zum ersten Mal
in einem Schulbuch, eine konsei[uent durchgeführte, elementare
Anwendung des Potentialbegrifi's für zweckmässig erachtet, ein
Schritt, den Kef. voll billigt. Doch ist das Buch derart eingerichtet,
dass man bei anderer Ansicht unter Weglassung des betreffenden
Abschnitts sich auch mit dem Begriff der „elektromotorischen
Kraft" durchhelfen kann.
Das Material, welches von Börner geboten wird, ist sicherlich,
wenigstens für den Gymnasialunterricht, zu umfangreich ; dies will
uns indessen durchaus nicht als ein Fehler erscheinen. Es ist zweifel-
los anregend, wenn strebsameren Schülern im Lehrbuch Gelegen-
heit geboten wird, durch eigenes Studium über das vom Lehrer
absolvirte Pensum hinaus vorzudringen. Da die Vermehrung des
Stoffs trotz der Steigerung des Umfangs auf 584 Seiten keine
entsprechende Preiserhöhung im Gefolge hatte, wüsste Ref. nicht,
warum man dem Verfasser nicht für die Fülle des Materials dank-
bar sein sollte.
Den neuen Lehrplänen entsprechend theilt der Verfasser den
gesammten Lehrstoff in zwei Stufen, deren erste, wesentlich e.\-
perimentelle, dem in Tertia und Untersecunda vorgeschriebenen
propädeutischen Cursus entspricht. In diesem ersten Theil be-
rührt besonders wohlthuend die scharfe, logische Gliederung in:
Erfahrung, Versuch, Gesetz, Beweis, Begriffsbestimmung, Mitthei-
lung u. s. w. Dadurch wird die logisch bildende Wirkung des
physikalischen Unterrichts zweifellos wesentlich gehoben werden,
da der Schüler bekanntlich von selbst den Lernstoff' nie genügend
im angedeuteten Sinne zu ordnen weiss. — Schliesslich sei noch
hervorgehoben, dass die zahlreichen Figuren sich durch seltene
Einfachheit und Schärfe auszeichnen. — Möge es dem Buche be-
schieden werden, recht vielfachen Nutzen zu stiften! F. Kbr.
E. Gerland, Geschichte der Physik. Mit 72 Text-Abbildungen.
Verlag von .1. .1. Weber. Leipzig 1892. — Preis eingebunden
4 Mk.'
Auch der vorliegende vierte Band von Weber's naturwissen-
schaftlicher Bibliothek beweist, dass dieselbe die gediegene, ein-
mal betretene Bahn innehält. Das sauber illustrirte und ausge-
stattete Bändchen zerfällt in drei grössere Abtheilungen. Die
erste behandelt in zwei Abschnitten das Alterthum: die Baby-
lonier und Aegypter sowie die Griechen und Römer; die zweite ist
der Geschichte der Physik im Mittelalter gewidmet. Seine drei
Abschnitte verbreiten sich über die Araber, über das christliche
Abendland und den Uebergang zur neuen Zeit. Die dritte Ab-
theilung, welche die Geschichte der Physik in der neuern Zeit
bietet, ist die naturgemäss weitaus längste. Seine fünf Abschnitte
sind überschrieben: Galilei, Keppler und Snell ; Galileis Nach-
folger; Huj'gens, Newton, Leibniz und ihre Zeit; das achtzehnte
Jahrhundert; das neunzehnte Jahrhumlert.
Die Kenntniss der Geschichte derjenigen Wissenschaft, welche
die Grundlage der Naturwissenschaften ist, der Physik , ist so
wichtig, dass die anziehend und sachkundig geschriebene Arbeit
Gerland's, da sie kurz und bündig mit grossem Geschick das
Wichtigste ins richtige Licht rückt, sicherlich von vielen Seiten
willkommen geheissen wird.
C. A. Laisant, Recueil de problemes de mathematiques. Geo-
metrie analytique ä deux dimensions (et geometrie superieure)
ä l'usage de classes des mathematiciues speciales. Gauthier-
Villars et Fils, Paris 1893. — Preis 6 Fr. 50 C.
Das vorliegende Buch bildet den vierten Band der inter-
essanten Sammlung mathematischer Probleme, welche von Herrn
Laisant herausgegeben wird. Es ist das ein sehr verdienstliches
Unternehmen. lienn die zahlreichen Aufgaben, welche im Laufe
der .lahre in den mathematischen Zeitschriften oder in einzelnen
Lehrbüchern erschienen sind, unterliegen der Gefahr, dass sie
nicht die Beachtung von wissenschaftliclier Seite und die Berück-
sichtigung seitens des Unterrichts finden, deren sie werth sind.
Das Unternehmen ist auf sieben Bände geplant und dürfte nicht
nur in Frankreich als ein ausgezeichnetes Unterrichtsmittel gelten,
sondern auch in Deutschland mit Interesse aufgenommen werden.
Jedenfalls wünschen wir die Aufmerksamkeit der mathematischen
Docenten und Lehrer in hohem Grade auf diese Sammlung zu
lenken.
Die Probleme sind nebst den Lösungen ausschliesslich fran-
zösischen Quellen entnommen, besonders den Nouvelles Annales
de Mathematiques, der Nonvelle Correspondance rnathematique
de Catalan, dem .lournal de Mathematiques elementairps et spe-
ciales de Bourget, dem Journal de Mathematiques elementaires
de M. de Longchamps und der belgischen Zeitschrift Mathesis.
Gewiss ist es bedauerlich, dass die zahlreichen deutschen Zeit-
schriften keine Berücksichtigung gefunden haben; indessen darf
nicht übersehen werden, dass das Unternehmen in erster Linie
für die Bedürfnisse und Zwecke des französischen Unterrichts-
wesens berechnet ist. Die Aufgaben werden nebst einer oder
mehreren Lösungen mitgetheilt und die Quellen aufgeführt, denen
beides, Aufgabe und Lösung, entnommen ist. Sehr glücklich hat
der Verfasser eine Hauptschwierigkeit überwunden, welche sich
bei der Abfassung eines Werkes vom Charakter des vorliegenden
naturgemäss darbietet: die Anordnung des Stoffes ist nändicdi
eine so geschickte, dass es ohne viel Mühe und Zeitverlust mög-
lich ist, sich zu Orientiren und Aufgaben aus einem bestiuunten
Gebiete aufzufinden.
Die Austtattung in Druck und Papier ist von mustergültiger
Ausführung. A. G.
Ludwig David und Charles Scolik, Photographisches Notiz-
und Nachschlagebuch für die Praxis. .Mit 7 Kunstbeilagen.
3. umgearb. Aufl. Verlag von Wilhelm Knapp in Halle a. S.
1893. — Preis 3 Mk.
Die Erfahrungen eines wissenschaftlich gebildeten und schon
seit Jahren durch eine Reihe trefflicher Leistungen, namentlich
auf dem Gebiete der Moment- und Landschaftsphotographie be-
kannten Liebhabers vereinigen sich mit denen eines hervorragenden
Fachmannes, um hier ein Werkchen zu schaffen, welches als ein
vademecum aller Freunde der Lichtbildkunst bezeichnet werden
darf, als welches sich das sauber und gediegen ausgestattete
Bändchen auch wegen der verschiedenen zu wertlivollen Notizen
bestimmten Registerblätter eignet. In den mit prägnantester
Kürze behandelten und die neuesten Erfolge berücksichtigenden
allgemeinen Abhandlungen wird auch der Erfahrendste manch
dankenswerthe Angabe finden, das Kapitel: „Die malerische Wir-
kung in der Photographie" aber wird er sich gerne ganz zu eigen
machen.
Auch die kürzeren Rubriken : „über photographische Objek-
tive, Bestimmungen des Gesichtsfeldes nebst entsprechender
Plattengrösse und Herstellung farbenenipfindlicher Platten" ent-
halten höchst s(diätzenswerthe Bemerkungen. Die beigegebenen
Illustrationen, Heliogravüren nach Negativen der beiden Autoren
sind wahre Mustcrieistuugen der Reproduktiouskunst sowohl wie
künstlerischer Auffassungen bei der Aufnahme. W. P.
Erwiderung.
In Nr. 2 dieses Jahrganges der „Naturw. Wochenschr." ist eine
Besprechung meines Buches ,.Aus Urdas Born" enthalten, an
deren Schlüsse sich folgender Satz findet: .Die Bezeichnung
„Keimlappen" für Kotyledonen ist antiquirt, eine
bessere Einsicht sagt Keimblätter." Ich habe das Gefühl,
dass jeder Leser dieser Zeilen hiernach glauben muss, ich bediente
mich in meinen Darstellungen des obigen falschen Ausdruckes.
In Folge dessen habe iidi eine Nachsuchuug angestellt, um mich
zu überzeugen, ob mir ein solches Versehen vielleicht unbewusst
wirklich begegnet und trotz allen wiederholten Druckberichtigungen
entgangen sei. Ich finde nun aber, dass die einzige Stelle, auf
die sich die Bemerkung des Referenten, Hrn. Dr. Kaunhowen,
beziehen könnte, Seite 49 steht und folgendermaassen lautet: „Es
gilt dies indess nur von den Keimblättern oder „Keimlappen",
die daher bis zum Verbrauche der Vorräthe in der Samenhülle
stecken bleiben u. s. w." —
Ich habe also 1. den Ausdruck Keimblätter vorangestellt,
2. die Bezeichnung „Keimlajip en" nur nebenher und in Gänse-
füsschen gegeben (ebenso wie den als Fussanmerkung hinzu-
gefügten, gleichfalls veralteten Namen „Kotyledonen"), 3. den be-
a nstandeten Ausdruck überhaupt nur ein einziges M a 1 angewandt.
Hierzu kommt, dass ich mich sonst überall (allein auf derselben
Seite noch zwei Mal) der besseren Bezeichnung ohne jede weitere
Hinzufügung bedient habe, woraus doch wohl allein schon zur
Genüge hervorgeht, dass ich sie ebenfalls für die angemessenste
halte. In der That halie ich den veralteten Ausdruck „Keim-
lappen" überhaupt nur deswegen an der fraglichen einzigen
Stelle mit aufgenommen, weil er noch immer sehr allgemein be-
kannt ist, — also um anzudeuten, dass es sich bei dem anderen,
von mir bevorzugten Worte um denselben Begriff handele. Hier-
nach scheint mir die einschlägige Bemerkung des Hrn. Dr. K. nicht
134
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 13.
genügend begründet, vielmehr geeignet zu sein, irrthümliche Vor-
stellungen zu erwecken. — Auch sonst wäre noch so manches
Aehnlichen zu erwähnen. Vom Titel ist gesagt, er lasse den natur-
wissenschaftlichen Inhalt nicht verniuthen, obgleich doch der
Untertitel, den Hr. Dr. K. selbst anführt, ausdrücklich lautet
„Schilderungen und Betrachtungen im Lichte der heutigen
Lebenserforschung" (nicht „Lebensforschung"). Das Fremd-
wort „Phantasie" ist als folgewidrig mir zugeschoben, während es
an der fraglichen Stelle deutlicli genug in einer wörtlichen An-
führung nach Seh wendener stellt. Unverfälschte Lehnwörter,
wie „botanisch", „Kamerad", „Krystall", werden als „ganz unver-
fälschte Fremdwörter (!)" bezeichnet und als mir „passirtes
Malheur" angesehen, die im Widerspruche mit der Vorrede stünden.
Da ist es nur zu verwundern, dass nicht auch Wörter wie Pflanze,
Zwiebel. Krone, Küche, Koch, Kammer, ßütfel und dergleichen
als „Ketzereien" beanstandet sind. Sogar Namen, wie Cordia
nodosa, Siredon pisciformis u. s. w. zählt ja Hr. Dr. K. unter
diese Ketzereien, betrachtet sie also wohl ebenfalls als „un-
verfälschte Fremdwörter"! — Die Forderung der Einheit des
Stiles in der A'oi-rede, die ich übrigens durchaus nicht unbedingt
erhoben habe, scheint Hr. Dr. K. für einen Angriff auf „unsere
Klassiker" zu halten. Da wäre wohl nach Herrn Dr. K. schliess-
lich such Goethe, fortan wirklich zu bedauern", wenn man Formen
wie „Vermesse dich die Pforten aufzureissen" und ähnliche von
ihm gebrauchte nicht für nachahmenswerth hält. — Als„genaueste
Uebersetzungen"(!) tadelt Referent unter Anderem „Ohn-
blütler" für Ki'yptogamen, „Schlichtgewebe" für Parenchym u. s. w.,
— ich habe aber im Gegentheile z. B. Kryptoganien ausdrücklich
mit „Verborgenehige" übersetzt, und zwar in einer Anmerkung
aus der klar ersichtlich ist, dass ich mich aus eben diesem
Grunde der genauen Uebersetzung nicht bediene; denn bekannt-
lich sind die sogenannten „KryjJ t ogamen" in Wirklichkeit gerade
die wahren Ph anerogamen. — L'nd so weiter. —
Dr. Theodor Jaensch.
Atti della Reale Accademia dei Lincei. Serie Quinta. Die
Fascikel 7 — 12 1892 der Rendiconti der römischen Academie ent-
halten eine grosse Zahl von Aufsätzen, von denen wir nur einige
wenige, besonders interessante aufführen: Guglielmo, Beschrei-
bung einer neuen Quecksillierpunipe; Agamennone, über einen
neuen Erdbeben-Registrirapparat; Volter ra, über cylindrische
Wellen in isotropen Mitteln: Cantone, Einfluss des transversalen
Magnetismus auf die Widerstindsändorung des longitudinal
magnetisirten Eisens und Nickels; Agamennone, über ein neues
seismographisches Pendel: Brioschi, die algebraischen Integrale
der Lame'schen Differentialgleichungen; Pascal, über die 315
einer allgemeinen ebenen Curve 4. Ordnung coordinirten Kegel-
schnitte; Cantoni, über den philosophischen Werth der Schriften
Galileo Galilei's.
Physikaliscli» Revue. Herausgegeben von L. Graetz.
Verlag von J. Engelhorn, Stuttgart. (Preis für das Quartal 8 M.)
Die Lieferungen iO — 12 (October bis December 1892) bieten eine
Reihe interessanter Aufsätze ausländischer Arbeiten in guter
Uebersetzung dar. und zwar: Linebarger, über die Beziehungen
zwischen der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und ihrer
chemischen Constitution; Mace de Lepinay und A. Perot,
Beiträge zum Studium der Luftspiegelung; Michelson, über die
Anwendung der Interferenzmethode bei spectroskopischen Messun-
gen; Pisati, über eine bei der Fortpflanzung der temporären
magnetis<dii'n Strömung auftretende störende Erscheinung; Trow-
bridge, ein Phasenmessapparat; Sarasin und d e laRive, über
die Erzeugung primärer Hertz'scher Funken in einem flüssigen
Dielectricum statt in Luft; Bouty, über die Coe.\istenz der
Dielektricität und der elektrolytischen Leitung; Lord Rayleigh.
über die Intensität des von Wasser oder Quecksilber bei nahezu
senkrechter Incidenz reflectirten Lichtes; Rogers, Magnesium
als Lichtquelle; Guillaume, über die Aenderung des elektrischen
Widerstandes des Quecksilbers mit der Temperatur; De war und
Fleming, über den elektrischen Widerstand von reinen Metallen,
Legirungen und Nichtmetallen beim Siedepunkt des Sauerstoffs;
Batelli, ülier den Peltier-Effect bei verschiedenen Temperaturen
und über seine Beziehung zum Thomson-Phänomen: Rosa, Wei-
tere Versuche über die Dielektricitätsconstante der Elektrolyte;
Abraham, über eine neue Bestinunung des Verhältnisses ,!i"
zwischen den elektromagnetischen und elektrostatischen C. G. S-
Einheiten; Laugley, aerodynamische Versuche; Chappius,
über die Tliermometer zur Messung tiefer Temperaturen; Lipp-
mann, Farbenphotographien dos Spectrums auf Albumin- und
Gelatineplatten, welche mit Kaliumbichromat behandelt sind;
Meslin, über die Photographie der Farben; Chassagnyund
Abraham, über die Verwendungsweise von thermoelektrischen
Elementen; Robb, über Schwingungen, welche sich bei der La-
dung eines Condensators bilden.
Leider erfahren wir, dass die „Physikalische Revue" nicht
mehr erscheinen wird, eine Thatsache, die wir im Interesse der
schnellen und zuverlässigen Verbreitung physikalischer Forschun-
gen und Resultate und damit im Interesse des Fortschrittes der
Wissenschaft aufs lebhafteste beklagen.
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lichen Leistungen im Gebiete der Entomologie. Berlin.
Bertram, P., Die Einwirkung von Salpetersäure auf Phenyl-
metlivlp^razolon. Jena. 0,80 M.
Eessler, Ch., Meine Reise um die Erde 1889/90. Mühlheim. 7 M.
Braem, F., Ein Wort über Herrn Prof. Karl Kracpelin und seinen
neuesten Beitrag zur Bryozoenkunde. Cassel. 0,80 M.
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scliaftlich dargestellt in Wort und Bild. 4. Bd. Würmer: Vermes.
24.-27. Lfg. ' Leipzig. 1,50 M
Bücking, F., Die AVinkelgegenpunkto des Dreiecks. Leipzig. 1 M.
Czuber, E., Lieber die Differentialquotienten von Functionen
mehrerer \'ariabeln. Leipzig. 0,50 M.
Dammer, O. und F. Rung, Chemisches Handwörterbuch. 2 Aufl.
Stuttgart. 14 :M.
Engelmann, Th. W., Ueber den Ursprung der Muskelkraft.
Leipzig. 1.60 M.
Escherich, G. v., Ueber die Multiplicatoren eines Systems linearer,
homogener Differentialgleichungen. Leipzig. 0,50 M.
Fischer, K., Geschichte der neuern Philosophie. 8. Bd. Heidcl-
lierg. 10 .M.
Forel, A., Die Nester der Ameisen. Zürich. 2,20 M.
Forsyth, A. K., Theorie der Ditt'erentialgleichungen. 1. Tbl.:
Exacte Gleichungen und das Pfaff'sche Problem. Leipzig. 12 M.
Filrst, H., Deutschlands nützliche und schädliche Vögel. 1. Lfg.
Berlin. 3 M.
Futterer, K., Die oberen Kreidebildungen der Umgebung des
Lago di Santa Croce in den Venetianer Alpen. Jena. 25 M.
Gauss, F. G., Fünfstellige vollständige logarithmische und trigono-
m..trisehr Tafeln. 38. Aufl. Halle. 2>0 M.
Giesbrecht, W.. Svstematik und Faunistik der pelagischen Cope-
lioden. 2 Bde. Berlin. 1,.Ö0 M.
Graflf, L. v., Pelagische Polycladen. Leipzig. 3 M.
Haberlandt, G., Aiuitomisch-ph3'siologische Untersuchungen über
das tropische Laubblatt. Leipzig. 0,60 M.
Hansen, E. Gh., Untersuchungen aus der Praxis der Gärungs-
industrie. Beiträge zur Lebensgeschiehte der Mikroorganismen.
IL Heft. München. 4,40 M.
Hartl, H., Bestimmung von Pohlhöhe und Azimut auf der Stern-
warte in Athen. Leipzig. 1,60 M.
Hauptmann, C, Beiträge zu einer dynamischen Theorie der Lebe-
wesen. I. Die Metaphysik in der modernen Physiologie.
Dresden. 8 M.
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Biographie Christian Konrad Sprengel's. — Die Giftfestigkeit des Igels gegen C3'ankalium. — Entwickelungsgeschichte der
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Studien und Lesefrüchte aus dem Buche der Natur. — E. L. Trouessart: Die geographische Verbreitung der Tliiere. —
Brehm's Thierleben. — Dr. Otto Koepert: Der Star. — P. Martin Gander: (). S. B., Erdschichten und Erdgeschiclite. —
H. Böruer: Lehrbuch der Phj'sik der für höhere Lehranstalten, sowie zur Einführung in das Studium der neueren Physik. —
E. Gerland: Geschichte der Physik. — C. A. Laisant: Recueil de problemes de mathematiques. Geometrie aualytique a
deux dimensions. — Ludwig David und Charles Scolik: Photographisches Notiz- und Nachschlagebuch für die Praxis. —
Erwiderung. — Atti della Reale Accademia dei Lincei. — Physikalische Revue. — Liste.
Die Erueueruiii!; des Abonnements wird den aeelirteii Abnehmern dieser Wochenschrift
hierdnrch in geneigte Krinnerung gebracht.
Die Verlagsbuchhandlung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalideustr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
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bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur mit vollständiger t^nellenangabe gestattet.
Kosmopolitische Pflanzen.
Von Dr. F. Hock.
Obwohl seit mehr als einem Jahi-huudert eifrig an
der Erforschung- der Pflanzenwelt gearbeitet ist, die älteren
Botaniker der Linne'schen Schule sich gerade die Be-
schreibung einzelner Pflanzenarten zur Aufgabe gestellt
hatten , werden noch alljährlich grosse Zahlen neuer
Pflanzenarten beschrieben. Sind nun auch vielfach die
sogenannten „novae species" alte Bekannte, die nur wegen
der grossen Zerstreutheit der Litteratur, des gänzlichen
Mangels eines alle bekannten Arten umfassenden Werkes
aus den letzten Jahrzehnten als neu begrüsst werden, so
zählt doch sicher die Zahl der alljährlich wirklich neu
entdeckten Pflanzen nach Hunderten. Da die Flora Eu-
ropas und des grössten Theiles von Nordamerika als
einigem! aasseu erforscht gelten kann, dennoch aber auch in
diesen Erdtheilen immer wieder neue Arten gefunden
werden, so ist dadurch sicher ein Beweis geliefert, wie
wenig ausgebreitet die Wohnsitze vieler Pflanzenarten
sind. Allgemein bekannt ist ja das Beispiel der Wul-
fenia carinthiaca, die auf ein ganz geringes Gebiet
der Kärnthner Alpen beschränkt ist. Was in den Alpen
vereinzelt vorkommt, scheint in den Anden sich häuflger
zu wiederholen; verschiedene Pflanzen jener Bergkette
finden sich nur auf einzelnen Bergen, sind auf den
nächsten bisher wenigstens vergebens gesucht. Am auf-
fallendsten durch solchen Endeniismus ist aber wohl die
Gruppe der Hawaii-Inseln, auf welcher von 999 Gefäss-
pflanzen 653 endemisch Sind, von denen die meisten auf
je eine Insel, ja oft nur auf einen kleinen Theil derselben
beschränkt sind.
Solchen Verbältnissen gegenüber ist es auffallend,
dass es auch Pflanzenarten giebt, die wir fast überall
auf der Erde wiederflnden, die also ohne wesentlich ihren
Charakter zu ändern sich den verschiedenstenGesellschaften
beigemengt haben. Man hat solche Pflanzen mit Recht
als Kosmopoliten bezeichnet. Von A. de Candolle sind
"18 Blüthenpflanzen mit diesem Namen belegt, nämlich:
Poa annua, Cynodon Dactylon, luncus bufonius,
Potamogeton natans, Urtica urens, U. dioica,
Chenopodium murale, Ch. album, Lamium am-
plexicaule, Solanum nigrum, Samolus Vaierandi,
Sonchus oleraceus, Eclipta erecta, Erigeron ea-
nadense, Portulaca oleracea, Stellaria media,
Cardamine hirsuta und Capsella bursa pastoris,
also mit Ausnahme von Eclipta erecta bei uns be-
kannte, meist sogar sehr häufige Pflanzen. Von diesen be-
hauptet A. de Candolle, dass sie ein mehr als tue Hälfte
der Erdoberfläche überschreitendes Areal erobert hätten.
Wie soll man aber ein derartiges Areal berechnen?
Finden sich doch oft solche Pflanzen innerhalb eines Ge-
biets nur wenig verbreitet, innerhalb eines anderen fast
überall. Angenommen, eine europäische Pflanze sei in
St. Francisco, Neu Orleans und Quebec eingeschleppt,
habe an allen drei Orten festen Fuss gefasst, sei aber
von dort bis in's Innere noch wenig eingedrungen, sollte
man da genau das eingenommene Areal berechnen, das
wäre wahrscheinlich unmöglich, da es von Jahr zu Jahr
sich ändert, sollte man einfach ganz Nordamerika,
etwa zwischen den Parallelkreisen von Quebec und
New Orleans zu ihrem Gebiete rechnen, das wäre viel
zu weit. Wie würde es dann, wenn dieselbe Pflanze
auch an je einem Orte Mittel- und Südamerikas festen
Fuss gefasst hätte? In der That finden sich aber ähn-
liche Verhältnisse vielfach, wenn vielleicht auch nicht
ganz in der Weise wie angedeutet. Es scheint mir daher
der Begriff Kosmopoliten in dem Sinne A. de Candolle's
schwer haltbar. Suchen wir nun nach einer anderen
Deutung desselben. Das Richtigste wäre zu sagen, Kos-
mopoliten sind solche Pflanzen, die sich in jedem Pflanzen-
gebiete oder mindestens in jedem Florenreiche finden.
Aber giebt es wirklich derartige Pflanzen? Schon vorher
wurde hervorgehoben, dass Eclipta nicht in Deutsch-
land vorkomme, sie fehlt auch in 0. Europa, wahr-
scheinlich im ganzen nordischen Pflanzenreiche. In dem
australischen Floreureiche aber fehlt nach F. \. Müllers
136
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 14.
neuestem Census wehr als die Hälfte der oben Genannten,
die dort vorkommenden Arten aber fehlen wieder zum
grossen Theil auf den Hawaii-Inseln oder auf Neu-Seeland
oder in ganz Polynesien, so dass ein Vergleich allein der
Floren Europas und Australiens keine einzige der obigen
Arten als in allen Gebieten vorkommend, ergab. Zu dem-
selben Resultate fidirte für alle oben genannten Arten
mit grosser AVahrscheinlichkeit eine Untersuchung nur
auf die Florenreiche hin*i, wenn auch die dem Verfasser
hierzu zu Gebote stehende Litteratur namentlich bezüglich
der tropischen Florenreiche nicht ausreichte.
Wollen wir daher den Begriff Kosmopoliten in der
Pflanzengeographie verwerthen, so müssen wir ihm einen
anderen Sinn geben. Das Einfachste ist, die Pflanzen
als Kosmopoliten zu bezeichnen, die in allen fünf Erd-
theilen (im gewöhnlichen Sinne gefasst) vorkommen.
Wollen wir diese Deutung aber jenem Worte geben, so
wächst die Zahl der Kosmopoliten beträchtlich. F. von
Müller zählt allein in seinem Census mehr als
50 Blütheupflanzen auf. für die er eine Verbreitung
in allen vier anderen Erdtlieilen erwähnt und bei
verschiedenen anderen der dort genannten Arten, für
die er das Vorkommen in ein oder zwei anderen Erd-
theilen nicht angiebt, lässt sich ein solches aus der
pflauzengeographischen Litteratur unschwer nachweisen.
Andere Arten aber, die in dem australischeu Festlande
fehlen, sonst aber allgemeiner verbreitet sind, kommen auf
einer oder mehreren der australischen Inselgruppen vor.
Durch derartige Untersuchungen ist die Zahl der Pflanzen,
welche in allen fünf Erdtheilen vorkommt, von mir
auf ca. 100 festgesetzt worden. Doch glaube ich, dass
sie sich nicht nur alljährlich durch weitere Ausbreitung-
einzelner häufiger Begleiter des Mensehen, sowie durch
genauere Erforschung vieler Floren der Erde, namentlich
der afrikanischen vermehren wird, sondern dass auch
jetzt schon ein Bearbeiter in einer grösseren Stadt , dem
bessere Litteratur zur Verfügung steht als mir, sie be-
deutend vermehren könnte. Dennoch, obwohl also diese
Zahl nicht erschöpfend ist, werden einige Untersuchungen
über jene Pflanzen wohl von allgemeinem Interesse sein.
Wenn wir die Vertheilung derselben innerhalb der
Gruppen des Systems untersuchen, so ist auffallend, dass von
allen Blüthenpflanzeu**) die älteste Gruppe, die der nackt-
samigen Pflanzen, gar keinen Vertreter darunter hat und
dass andererseits die Monocotyledonen mindestens ebenso
stark darunter vertreten sind wie die Dicotylen, ja
vielleicht gar ihnen den Vorrang streitig machen. Anderer-
seits richtet sich die Zahl der kosmopolitischen Arten
innerhalb einer E'amilie durchaus nicht nach der Gesammt-
zahl der Familienmitglieder. Zwar umfasst die arten-
reieb<te aller Pflanzenfamilien, die der Compositen, wohl
etwa V-, Dutzend Kosmopoliten, aber die nächstgrössteu
Familien, die Leguminosen und Orchideen sind nur mit
einer resp. keiner Art vertreten, während dagegen die
Gräser und Halbgräser (Cyperaceen) je mehr als ein
Dutzend in allen Erdtheilen auftretender Pflanzen um-
fassen, ja die kleinen Familien der Najadeen und Lem-
naceen, die nur \yo resp. Vaoo der Artenzahl der Legu-
minosen erreichen mit 9 resp. 4 allgemein verbreiteten
Arten ausgestattet sind. Zahlreiche Familien haben nur
1 oder 2 Kosmopoliten, so dass also auch nicht etwa die
allgemeine Verbreitung ein besonderes Charakteristicum
*) Engler bezeichnet daher auch in seiner Hochgebirgsflora
der Tropen Abs. 5 der oben genannten Arten als subkosmopo-
litisch, während er bei 5 weiteren dieser Arten die genauere
Verbreitung angiebt, vermeidet aber den Ausdruck kosmopolitisch
ganz.
**) Die jedenfalls zahlreichen kosmopolitischen Krvptogamen
sind unberücksichtigt gelassen.
weniger Familien ist. Mehr als zwei kosmopolitische
Arten haben von Gattungen, soweit ich habe feststellen
können, nur Potamogeton (6), Seirpus (5), Paui-
cum (4), Cyperus (4), Setaria (3), luncus (3), und
Carex (3), also ausschliesslich Monocotylen.
Ebenso wie innerhalb des Systems einige Gruppen
sich geeigneter zur allgemeinen Verbreitung gezeigt haben
als andere, so zeigt sich mit Rücksicht auf den Wuchs
ebenfalls ein wesentlicher Unterschied. Unter allen mir
bekannten Kosmopoliten ist nur eine Holzpflanze, nämlich
eine Akazien-Art (A. Farnesiana) (vielleicht auch noch
Clematis Vitalba); alle anderen sind Stauden oder
Kräuter und zwar scheinen unter diese beiden Vegetations-
t'ormen die Kosmoi)oliten fast gleichmässig vertheilt, doch
sind die Stauden fast alle solche, die durch eine Grund-
achse ausdauern.
Bei Weitem die meisten Kosmopoliten sind in unserem
Heimathlande vertreten, so dass ich auch näher auf die-
selben eingehen kann, ohne für die Leser dieser Zeit-
schrift nur leere Namen zu nennen.*) Selbst in Nord-
deutschland kommen fast alle vor, alle deutschen Arten
ausser Cyperus esculentus, Eragrostis pilosusund
Tragus raeemosus, also drei Arten, die auch in Süd-
deutschland sicher nur durch Kultur eingeführt sind.
Ihren Standorten nach können wir zwei Hauptgruppen
unterscheiden, es sind entweder Wasserpflanzen oder
Ruderalpflanzen und Ackerunkräuter, die allenfalls durch
eine dritte Gruppe gleich der ersten feuchtigkeitsliebender
Pflanzen verbunden werden. Zu den ächten Wasser-
pflanzen gehören fast ausschliesslich Stauden, die einzige
einmal fruchtende Pflanze darunter ist Naias maior, zu
den Unkräutern, die an die Nähe der menschliehen
Wohnungen gebunden sind, ohne eine besondere Vorliebe
für die Nähe des Wassers zu zeigen, gehören umgekehrt
wesentlich ephemere Pflanzen, Ausnahme davon bilden
allerdings der Portulak (Portulaea oleracea), der
Löwenzahn (Taraxaeum officinale), der grosse We-
gerig (Plautago maior), der Andorn (Marrubium vul-
gare), das Gänsefingerkraut (Potentilla anserina),
die Zaunwinde (Convolvulus sepium), das Eisenkraut
(Verbena officinalis), und zwei Gräser (Cynodon
dactylon und Festuca ovina). Von den Wasserpflanzen
bewohnt eine, das Seegras (Zostera nana), ausschliess-
lich das Meer und grosse Binnenseen, doch ist deren
kosmopolitischer Charakter noch zweifelhaft, da sie nicht
mit Sicherheit an der amerikanischen Küste nachgewiesen
ist (vgl. Aschersou, Geogr. Verbreitung der Seegräser).
Eine andere Art ist ebenfalls vorwiegend Meeres-Be-
wohnerin, nämlich Ruppia maritima, doch soll sie nach
Potonie (Flora von Nord- und Mitteldeutschland) auch in
einem Sumpfe unweit Göttingen vorkommen. Auch eine
Potamogeton-Art (P. pectinatus) findet sich bisweilen
im Meerwasser, wenn auch wohl meist in der Nähe der
Küste und besonders da, wo Flüsse in's Meer hinein-
münden, also das Wasser brackigen Charakter trägt,
während mehrere andere weit verbreitete Arten der
Gattung das Süsswasser bewohnen. Die wichtigsten Süss-
wasserpflanzen gehören sicher der Gattung Lemna an.
Bei den Arten dieser Gattung, sowie bei Zostera,
Ruppia und Naias könnte der ziemlich unvollständige
Bau der Pflanzen, besonders der Blütben einen wohl zu dem
Gedanken treiben, dieses seien sehr alte Pflanzentypen
*) Nicht in Deutschland (im Sinne Garckes) finden sich
Capsella elliptica, Tribulus terrestris, Mollugo hirta,
Acacia Farnesiana, Anagallis Centunculus, Dichondra
r e p e n s , C r e s s a c r e t i c a , V a 1 1 i s u e r i a s p i r a 1 i s , Cyperus
pygmaeus, C. laevigatus, Heleocharis atropurpurea,
(wahrscheinlich auch Seirpus littoralis)Panicum Colonum,
P. repens und Hibiscus Trionum.
I
Nr. 14.
Naturwissenschaftliche Wochenschiit't.
137
und sie seien deshalb soweit verbreitet; auch Hydro-
cotyle vulgaris, der einzige mir bekannte kosmo-
politische Vertreter der grossen Familie der ümbelliferen,
könnte wegen seines verhältnissmässig einfachen Baues
wohl diese Ansicht stützen, dass sie Reste einer Zeit
seien, in welcher noch das Klima der ganzen Erde ein
ziemlich gleichmässiges war. Vertreter von wohl gleich-
falls alten Pflanzengruppen sind unter den weit ver-
breiteten Sflsswasserbewohneru auch Ceratophylluni
d e m e r s u m und C a 1 1 i t r i c h e v e r n a (Wasserstern),
während Ranunculus aquatilis (Wasserhahnfuss) und
Alisma Plantago (Froschlöffel) ein moderneres Gepräge
zeigen und Heleocharis palustris jedenfalls aueii
einer in der jetzigen Erdepoche stark vertretenen Ptlanzen-
gruppe angehört. Mag vielleicht auch bei einigen dieser
Pflanzen ein höheres geologisches Alter die weite Ver-
breitung theilweise erklären (welclie Ansicht zum Thcil
durch fossile Funde gestutzt wird, vergl. Engler-Prantl,
Natürl. Pflanzenfam.), so brauchen wir doch nicht zu
dieser Theorie zu greifen, um die weite Verbreitung der
Süsswassergewächse zu erklären. Bekannt ist, dass viele
Wasserpflanzen durch Vögel verbreitet werden, indem
Theile derselben an den Füssen jener Thiere haften
bleiben. Nur so kann man sich erklären, dass fast jeder
isolirte Teich sich mit Eutengrün (Lemna) überzieht, wie
ja auch so allein die Verbreitung der Süsswasserschnecken
zu erklären ist. Für eine derartige Verbreitung sind
naturgeniäss ausdauernde Pflanzen geeigneter als ein-
jährige, ein so übertragener Stengel kann oft in kurzer
Zeit einen ganzen Teich bevölkern; nur auf diese Weise
hat die berüchtigte aus Nordamerika eingeschleppte
Wasserpest (Elodea canadensis) in so kurzer Zeit
sich über Europa verbreiten können. Eine ähnliche Ver-
breitung wird aber auch bei Pflanzen feuchter Standorte
und namentlich Bewohnern von Ufern leicht möglich sein,
daher finden wir gerade unter den feuchtigkeitsliebenden
viele Kosmopoliten, die gewissermaassen einen Uebergang
zu der zweiten Hauptgruppe zeigen, denjenigen, die ent-
schieden durch menschlichen Einfluss verbreitet sind.
Wie aucii hier die Stauden mehr den Charakter der Ufer-
pflanzen bewahren, dagegen die Kräuter einen deutlicheren
Uebergang zu den Ruderalpflanzen zeigen, mögen die
Vertreter zweier Gattungen darthun. Der Weiderich
(Lythrum) ist in Norddeutschland nur durch zwei Arten
vertreten, die beide in allen fünf Erdtheilen nachgewiesen
sind (vgl. Koehnes Monographie der Lj'thraceen), die
eine derselben (L. Salicaria) ist ausdauernd, die andere
L. Hyssopifolia) einjährig, erstere wächst nur in und
an Gewässern, letztere liebt zwar aucii die Feuchtigkeit,
kommt aber vorwiegend auf Aeckern vor. Aehnlich steht
es in der Gattung luncus (Binse), aus welcher drei
unserer Arten kosmopolitisch sind, eine krautige (I. bu-
fonius) findet sich fast stets im Gefolge der menschlichen
Kultur (vgl. Buchenans Monogr. d. luncaceen); von den
beiden ausdauernden (I. niaritinius und effusus) findet
sich die erstere an Meeresrändern, letztere an den Ufern
von Binnengewässern und Sümpfen. Einen vielleicht
ähnlichen Uebergang, doch mehr unter Bewahrung des
Charakters der Wasser- und Uferpflanzen bildet die
Gattung Scirpus mit zwei krautigen und zwei aus-
dauernden Arten; ganz zu der letzteren Gruppe gehören drei
kosmopolitische Riedgräser (Carex caespitosa, flava
und Pseudocyperus), das derselben Familie zugehiirige
Gladiuni mariscus, das Mannagras (Glyceria fluitans
und das Schilf (Arundo phragniites), sowie von Dico-
tylen Nasturtium terrestre, Sagina procumbens.
Veronica serpyllifolia und Samolus Valerandi,
allenfalls auch noch Brunella vulgaris, während Che-
n o p 0 d i n a m a r i t i m a und S a 1 s o 1 a K a 1 i, z wei einjährige
Kräuter zwar vielfach wie luncus maritimus die
Meeresküste begleiten, aber wie deutlich ihr Vorkommen
an salzhaltigen Stellen des Binnenlandes, sowie gar in
Steppengegenden zeigt, nicht durch die Feuchtigkeit,
sondern durch den Salzgehalt des Strandbodens an diese
Stelle gelockt werden. Sie bilden daher einen ebenso
deutlichen Uebergang zu den ruderalen Verwandten, z. B.
Chenopodium album und Albersia Blitum, wie es
der gleichfalls einjährige Wasserpfeffer Polygonum
hydropiper) zu seiner zwar auch noeii feuchten Boden
bevorzugenden, aber dennnoch rein ruderalen Verwandten
P. lapathifolium thut und endlich auch Montia fon-
tana zu Portulaca oleracea. Als weitere Vertreter
einjäluiger Ackerunkräuter und Ruderalpflanzen vo.. fast
universeller Verbreitung seien hervorgehoben (da die
staudenartigen schon obengenannt wurden): die Stern-
niiere (Stellaria media), die kleine Brennnessel (Urti-
caurens),*) einige Gräser Alopecurus agrestis,
Poa annua, Festuca myurus, Panicum crus galli,
P. sauguinale, Setaria glauca, viridis und verfi-
el 1 lata), der Mäuseschwanz (Myosurus minimus), der
Nachtschatten (Solanum nigrum) und Oxalis corni-
culata u. a.
Auf welche Weise sind nun diese Pflanzen und noch
einige andere soweit über die Erde verbreitetV Dass der
Mensch dabei mitgewirkt, ist unschwer aus ihren Stand-
orten zu erkennen, die fast nur in der Nähe menschlicher
Wohnungen oder unter menschlichen Kulturen zu finden
sind. Wissentlich ist er vielleicht nur bei der Verbreitung
der zuletzt genannten Art, sowie des Portulaks und einiger
der genannten Gräser betheiligt, die ursprünglich durch
menschliche Kultur in die verschiedensten Länder ein-
geführt sind**). Durch besonders vortheilhafte Einrich-
tungen wurde dann ihre weitere Verbreitung unterstützt,
so bei obigem Sauerklee (und wahrscheinlich auch beim
Portulak wie bei dessen Verwandten Montia) durch
Schleuderfrüchte (vergl. Huth's Verzeichniss der Pflanzen
mit Schleuderfrüchten) oder wie bei einigen Gräsern (so
nach Huth bei Setaria glauca und viridis) durch Ex-
cremente der Thiere. Andere wie z. B. auch die zuletzt
genannte Art sind mit Klettfrüchten ausgestattet (ähn-
lich auch Marrubium vulgare, Scirpus lacustris,
S. palustris und Tragus racemosus). Die mensch-
lichen Verkehrsverhältnisse, namentlich der gegenseitige
Austausch der Samen von Kulturpflanzen, haben die steten
Begleiter der letzteren, die Ackerunkräuter, in ihrer Ver-
breitung unterstützt, wie die Pflanzen der Weideplätze
durch Wolltransport verbreitet werden. Dass dabei
Samen mit so guten Verbreitungsmitteln wie sie die Com-
positen in ihrem Haarkelch besitzen, im Vortheil sind,
darf uns nicht wundern, dass aber auch Pflanzen ohne
solche Ausrüstung der Früchte mit unterschlüpfen, haben
vielfache Untersuchungen an Lagerplätzen gezeigt, dass
*) Ob unsere grosse Nfssel (U. dioioa) auch kosmopolitiscli
in unserem Sinne ist, weiss ich nicht, in der mir zugänglichen
Litteratur konnte ich sie nicht für Australien nachweisen. .-V jhu-
liclies gilt für Lamium amplexicau le sowie für Plantago
maritima. Engler a.. a. Ort bezeichnet dieses Lamium gar
nur als mediterr.an-boreal. Eingeschleppt fand es sich indess
schon 1S58 in Nord -Amerika (Grap, Manual ot' the Northern
United States. New-York 1S58): die gleiche Art des Vorkommens
wird ebenda wohl auch nur für Hyoscyamus niger, Anagallis
arvensis u. a. trotz ilires Fehlens auf dem australischen Fest-
lande von Engler als subkosmopolitiscli l)ezeichnete Arten gelten.
Ohne den Einfluss der Menschen, der da wo er ein unbeab-
sichtigter ist, doch wohl nur dem der Thiere (bei den Süsswasser-
pflanzen) gleichwerthig zur Seite gestellt werden kann, würde
die Zahl der Kosmopoliten sehr gering werden.
**) Das Gleiche gilt entschieden von llibiscus Trionum,
Tragus racemosus u. a. — Ob die der ersteren obiger Pflanzen
nahestehende (•. stricta schon vollkommi'n kosmopolitisch, ist
mir noch zweifelhaft.
138
Xatni-wisseiischaftliche Wochenschrift.
Nr. 14.
von diesen wieder Pflanzen mit Schutz gegen Thierfrass
wie die Nesseln, die mit verkieselten Zellhäuten ver-
sehenen Carex- Arten u. a. dabei vor anderen im Vor-
theil sind, ist ganz ausser Frage. In der That lässt sich
aber fast bei jeder weit verbreiteten Art ein derartiges
Verbreitungs- oder Schutzmittel nachweisen. Die Pflanzen
müssen nur dem Klima des Landes angepasst sein; dann
können sie auch festen Fuss darin fassen. Die klima-
tischen Unterschiede aber sind es, die oft weit verbreiteten
und leicht verbreitungsfähigen Pflanzen hemmend in den Weg
treten, sie machen es, dass nicht diese Kosmopoliten wirk-
lich universelle Pflanzen werden. So hat der sonst so
weit verbreitete Hornklee (Lotus corniculatus) in
Ohio vergebens einzudringen versucht (vergl. Bot. Jahres-
bericht XIV, 2, S. 233). ' Klimatisciie Verhältnisse sind
es, die den uns fehlenden Kosmopoliten das Eindringen
in unser Heimathland verwehren, ähnliche Verhältnisse
hindern aber auch die meisten der bei uns vorkommenden
Kosmopoliten zu nahe an den Aequator und zu weit pol-
wärts vorzudringen. Daher müssen gerade die meisten
Kosmopoliten in den gemässigten Ländern der Erde zu
finden sein. Dass unser Vaterland mehr als Vi ^Hei' durch
sämmtliche Erdtheile verbreiteten Pflanzen besitzt, ver-
dankt es daher nicht nur seiner Lage in der Mitte des
verkehrsreichsten Erdtheils, sondern vor Allem seinem ge-
mässigten Klima. Daher finden sich nicht nur in dem
zuletzt in den Verkehr hineingezogenen Kontinent Australien,
sondern auch in einem der Hauptkultur fernliegenden
Lande wie dem südwestlichen Kaspigebiet schon mehr als
die Hälfte der in Rede stehenden Pflanzen.
Diesen klimatischen Verhältnissen gegenüber ist das
Anpassungsvermögen der verschiedenen Kosmopoliten sehr
ungleich; einige reichen nur wenig in die subtropischen
Gebiete hinein, fehlen in den echten Tropen ganz, andere
verabscheuen die kälteren Länder durchaus. Eine genaue
Untersuchung aller dieser Pflanzen in der Beziehung
würde zu weit führen und auch weitergehende Litteratur-
studien verlangen als sie mir nur möglich waren. Dess-
halb sei nur auf einige extreme Verhältnisse noch hin-
gewiesen.
Wenn der Wasserstern (Calli triebe verna) in der
Kalmückensteppe ebensowohl wie im Feuerland und Süd-
georgien vorkommt, wenn das Eisenkraut (Verbena of-
ficinalis) sowohl in Südafrika, als im südwestlichen
Kapgebiet gefunden ist, ja in beiden Gebieten noch von
der Gemüsedistel (Sonchus ol er accus), dem Weiderich
(Lythrum salicaria) und der Bluthirse (Panicum san-
guinale) begleitet wird, so mag dies wegen der weiten
Entfernung der Fundorte wohl aufifallen. Eine weit
grössere Anpassung aber an das Klima verräth es, wenn
der Löwenzahn (Taraxacum officinale) und der
Schaf-Schwingel (Festuca ovina) sowohl in Grönland
als in Neu Guinea angetroffen werden und doch sind solche
Verhältnisse nicht ganz vereinzelt. So ist z. B. Lytiirum
Salicaria in mehr als einem Dutzend der Grisebach'sehen
Vegetationsgebicte vertreten und Luzula pilosa steht
ihm jedenfalls nicht weit nach, wie ein Vergleich ihrer
Verbreitungsgebiete nach den neuesten Monographieen
ihrer Familien zeigt. Nur genaue systematische Monogra-
phieen können in diesem Falle zu sicheren Resultaten
führen, so könnte man nach Litteraturangaben wohl einen
unserer Rohrkolben (Typha angustifolia) für einen
Kosmopoliten in unserem Sinne halten. Doch soll er nach
der neuesten Monographie der Gattung Typha in Afrika
fehlen; wenn daher nicht etwa dem Bearbeiter derselben
durch Zufall die angeblichen Funde aus Madagaskar*)
unbekannt geblieben sein sollten, müssten wir diese Art
aus der Reihe der Kosmopoliten streichen.
Gerade derartige Zweifel bezüglich mehrerer Arten**)
hinderten mich daran, in dieser Arbeit bestimmte Zahlen
über die Menge der kosmopolitischen Arten in irgend
einem Gebiete zu nennen. Trotzdem hoffe ich, dass ein
Hinweis auf das gesammte Verhalten dieser Pflanzen nicht
ohne Interesse ist. Mag auch noch die eine oder andere
Pflanze durch genauere Untersuchungen aus der Reihe
der Kosmopoliten gestrichen werden, vor allem aber noch
manche andere hinzugefügt werden, so glaube ich doch
nicht, dass wesentlich andere Gruppen sich finden lassen,
denen diese Pflanzen angehören. Sind doch ähnliche Ver-
breitungsverhältnisse selbst bei den meisten verbreiteteren
Orten unserer engereu Heimath (Norddeutschland) nach-
zuweisen (vergl. des Verfassers Aufsatz in Helios 1892,93
No. 10 u. 11). Es ist mir z. B. sehr unwahrscheinlich,
dass echte Waldpflanzen, ebenso Pflanzen sandiger Triften,
soweit diese sich nicht etwa in irgend einer Form an
die Nähe des Menschen anpassen, sei es als Nutz])flanzen
oder als Unkräuter durch ihn verbreitet werden, zu wirk-
lichen Kosmopoliten werden. Vielleicht kann mancher
Leser dieser Zeitschrift einen weiteren Beitrag dazu liefern.
Eine dahingehende Anregung zu geben ist der Haupt-
zweck dieser Arbeit.
*) Die aus Algier weist er ausdrücklich einer anderen Art zu.
**) Z. B. bei unseremGänsebliimchen (Bell is perennis), ferner
bei Chenopodium murale, Ch. urbicum. glaucum und
hy brium u. a.
Material zu einer Biographie Christian Konrad Sprengel's.
Zusammengestellt im Auftrage der Redaktion von Dr. Robert Mittmann.
(Fortsetzung.)
(Chronik S. 247. — 1783.) Den 6. Jan. 1783 reichte
mir der rector die Anzeige ein von den lectionen, die im
vorigen Jahre von sämtlichen Lehrern an der grossen
Schule vorgenommen worden.
(Chronik S. 260. — 1784.) Um diese Zeit*) beklagte
sich der Stadt chirurgus Jacobi, einer von denen, die vor-
mahls ans Oberconsistorium die Vorstellung für den rector
Spr. mit unterschrieben hatten, bey mir über eben diesen
rector, dass er wegen einer griechischen vocabel, die sein
Sohn nicht gewusst, ihm zwanzig Prügel gegeben, her-
nach noch ihn in den carcer geworifen, ebenso nach
*) d. h. nach Ostern 1784.
Mittage aus keiner andern Ursache nochmahl ihn herein-
geschickt; dass vergebens seine P"'rau ihn bitten lassen,
ihn zur französischen Stunde wieder heraus zu lassen,
welches er mit Heftigkeit abgewiesen habe; worauf sein
Gesell, ohne sein Wissen, ihn aus dem carcer geholet.
Er fürchte, dass er seinen Sohn nun noch ärger behan-
deln werde, so wenig er es verdiene. Ich sagte ihm: er
solle seine Beschwerde schriftlich an magistrat A: mich
eingeben, da dann die Sache untersucht werden solle.
Unterdessen hat der rector beym magistrat schriftlich ge-
klagt, dass der Gesell des chirurgus Jacobi dessen Sohn
aus dem carcer genommen, & ihn, den rector, grob be-
handelt habe. Der Justizrath nahm dies zu Rathbause
Nr. 14.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
139
vor & licss den Gesellen zur Strafe 12 Stunden ins Biirj^er-
liclie Gehorsam gehen; dem Jacobi aber, der hier seine
Beschwerde anln-ing-en wollte, sagte er, dass er sie l)c-
sonders anbringen müsse. Als dieser nacidier beym Justiz.
Ratli vortrug, dass der Rector seinen Sohn aus der Sciiule
gewiesen & er sich fürchte, ihn wieder hinzuscldcken,
antwortete dieser: er sollte ihn ohne Besorgniss hinschicken.
Doch kaum war dieser gekonmien & sah ihn der rector,
als er befahl, 4 Currendejungen mit Stricken herauf-
kommen zu lassen, um den jungen .lacobi mit aller Rach-
gier zu züchtigen. Der erschrockene Knabe entfloh noch
glücklich i*i: nun reichte der Vater die ernstlichste Be-
schwerde ein, mit einer Anzeige, die er beschwören wolle,
wie schlecht der Rector von der Religion zu ihm ge-
sprochen. Da der Justizratli die nächsten Tage eine Reise
vor sich hatte, also die Sache nicht in pleno l^ mit Zu-
ziehung meiner umständlich vornehmen konnte; Hess er
den rector gleich folgenden ilorgen allein zu sich ins
Haus kommen & sprach so ernstlich mit ihm, so bereit,
die Sache beim Oberconsistorio mit Nachdruck wieder ihn
zu betreiben, dass er gute Worte g?b, ganz anders ver-
sprach, künftig sich zu bezeugen, auch wUrklich den
Chirurgus Jacobi schriftlich bat, seinen Sohn wieder zu
schicken, der nichts von ihm zu befürchten haben solle;
gegen den er auch nur aus guter Meinung so heftig ge-
wesen; dem er aber künftig liebreich begegnen wolle.
So bliebs fürs Erste, nur, dass der rector ins andre cx-
tremum fiel, gleichgültig sich bezeugte, ob die Kinder
was lernten, oder nicht, sich fast keine Mühe weiter gab,
schimpfte & alles gehen Hess, bis ihm wieder was andres
einfallen würde. D. 27. April reichte mir der rector Sp.
die Anzeige von den eine Zeit hier vorgenommenen lectio-
nen ein, weil er das jährliche examen halten wollte,
welches schon im August vorigen Jahres hätte gehalten
werden sollen it nur darum so lange verschoben war,
weil verschiedene (Chr. S. 261) aus dem obcrn auditorio
weg gekommen ä die andern, so an ihre Stelle gesetzt
worden, erst weiter gebracht werden mussteu
D. 17ten May schrieb ich an den rector & conrector,
dass ich nun schon zum zweiten Mahle bemerkt habe,
dass sie beyde nicht zur öffentlichen Schuiiciche gekommen
& das an Tagen, wo sie nicht leichtlich Ilinderniss haben
können & das schönste Wetter gewesen; von dem H. rector
habe ich dies schon oft wahrgenommen. Da diese Ab-
wesenheit der beyden ersten Schul collegen, bei Gelegen-
heiten, wo die ganze Schule zugegen sey, also auch ihre
Lehrer & vornehmlich rector zugegen sein müssten, wieder
die gute Ordnung sey & allerley Folgen, die mir nicht
gleichgültig sein könnten, nach sich ziehen möchte: so
erkundigte ich mich: warum sie beyde hierbey gefehlet'?
& erwartete die Antwort hierauf verzeichnet, um nach
deren Inhalt die weiter nöthigen Maassregeln zu nehmen.
Der rector antwortete: dass ihn theils Unpässlichkeit, wie
gestern, gehindert, theils dass ihm eine solche Leiche zu
spät gemeldet worden, als dass er sich in Ansehung des
Frisirens darnach richten können. Hätte er indess je
vermuthet, dass seine AI» Wesenheit schädliche Folgen
haben könnte oder hätte sich würklich schon dergleichen
gezeigt, so würde er hernach nicht wieder ausgeblieben
sein, so wie er niemahls Willens gewesen, etwas, was
würklich Amtspflicht sey, zu unterlassen. Der conrector
antwortete, dass er wie sonst immer, zugegen gewesen
sein würde, wenn ihm nicht eine unrichtige Nachricht
wegen des Hauses gegeben wäre, wo die Leiche aus-
getragen würde, wodurch er zu spät gekommen sey.
D. 28 ton Juny kam der Stadt chirurgus Jacobi & der
Lohgerber Reinike zu mir & beschwerten sieh in ihrem
und anderer Namen, dass der rector seine privat Stunden
aufgehoben habe, wodurch ihre Kinder ausser Unterricht
gesezt würden; baten, ihn anzuhalten, dass er sie wieder
aufnehmen möchte oder zur Wiederherstellung des sub-
rectorats oder zu einem (Chronik S. 262) andern rector
ilnien zu verheltfcn. Icii gali ilmen auf, ihre Beschwerde
umständlich & scin-iftlich an magistrat & mich aufzusezen,
da ihnen dann nach Möglichkeit geholffen werden sollte.
Ehe diese Klage eingereicht oder doch untersucht werden
konnte, bekam ich selbst mit dem Mann besondere Händel.
Der Küster Wilcke zeigte mir nemlich an, dass er, nach-
dem er seinen Sohn von seinem Verwandten, dem Pre-
diger Proz von Heiligensce zurücknehmen müssen, wo er
ihn an andertiialb Jalir in Unterricht gehabt, er ihn zu
dem H. rector hingeschickt, mit Bitte, ihn nach Quarta
zu sezen, wohin diejenigen, so unter ihm gesessen, seit-
dem er die Schule verlassen, gesezt worden wären; &
dass er geantwortet, dass daraus nichts werden werde.
Er beklagte sicii : dass sein Sohn, der schon weiter wäre,
dadurch versäumt würde. Ich wiess ihn zur Geduld, bis
ich nächstens zur Sehulconferenz kommen würde, da ich
dann vorher ihn tentiren & zu seinem Rechte ihm ver-
helfen wollte. An erwähntem Tage examinirte ich den
Burschen in Quinta, hielt ihn auch einigen Quartanern
zusammen & fand, dass er weiter als diese, also werth
war in (Chronik S. 263) Quarta zu sizen. Ich sagte dies
nachher dem Rector & dass er Unrecht gethan, ihn nicht
vorher zu examiniren, ehe er das Gesuch abgeschlagen;
wogegen er vorwandte, dass er, da der Kleine gestanden,
er habe keinen lateinischen Unterricht bey H. Frozen ge-
habt, ein besonder tentamen für unnöthig gehalten habe;
gab aber zu verstehen, nachdem er von mir gehört, dass
er in Quarta zu sizen, verdiene, dass er ihn hinsezen
werde. Zwey Tage darauf d. 9. July erhielt ich einen
unverschämten Brief von ihm: er habe gestern, als er
den Sohn des Küsters, um seine Nachgiebigkeit und Ver-
träglichkeit zu beweisen, versezen wollen, mit Befremden
ihn schon in Quarta sizcnd angetroffen & solle ich, wie
die Schüler sagten, der Knabe selbst aber das nicht ge-
radezu behauptete, ihn dahin gesetzt haben. Er halte
das für eine Unordnung, die ihm unmöglich gefallen könne
& wegen deren er sich genöthigt sehe, mir zu melden,
dass er bey dergleichen künftigen Vorfällen seine Rechte
behaupten werde, wozu es ihm nicht am Jluth fehle. Es
sey sehr auffallend, dass ich mich immer, meines Küsters
wegen, so thätig bewiesen & nun sogar dessen Sohn zur
Versezung examinire, als wenn er, Rector, das nicht
ebenso gut könne oder gegen den Küster & die Seinigen
etwas habe, da er doch den Mann allenfalls verachten,
nie hassen könne. Er habe dem Jungen versprochen
gehabt, ihn nächstens zu examiniren et wenn er ihn tanti
finde, zu versezen. Damit hätte sich dessen Vater be-
gnügen & nicht mich in der Sache, die mich nichts an-
gehe, bemühen oder ich ihn zur Ruhe verweisen sollen,
nicht aber ich mich ihm zu Gefallen in sein Amt mischen
& einen Scliüler zur Versetzung examiniren sollen, welches
blos Rectoris Sache sey. Er verbitte sich also dergleichen
unerwartete Vorkehrungen zu Gunsten dieses oder jenen
& werde sich sonst genöthigt sehen durch den ai)ermah-
ligen Gebrauch eines andern Mittels (vermuthlich einer
Klage beym Oberconsistorio) sich Ruhe zu verschatfen.
Ich wollte dieses .sein unbescheidenes Schreiben sogleich
höheren Ortes einschicken; entscidoss mich aber ihm erst
durch einige ernstliche Zeilen seinen Irrthum zu benehmen
tt alsdann zu sehen, wie er darauf sich verhalten werde.
Ich schrieb ihm also: Ob er gleich weder seine (Tcdanken,
noch seine Ausdrücke gemässigt habe, als er an mich,
seinen Vorgesetzten, geschrieben ; so wollte ich es doch
thun, indem ,ieh ihm antwortete. Ich habe den Wilcke
nicht nach Quarta versetzt. Da der Knabe selbst es nicht
behauptet habe; so habe der H. rector ihn fragen sollen
140
Natiirwissenschat'tliclie Wocheiisrlnift.
Nr. 14.
& würde alsdann gehört haben, ob ihn würklich jemand
hingesetzt & wer es gethan, oder, wie überhaupt dies
gekommen?
Ich würde jeden andern & nicht blos den Sohn meines
Küsters examinirt haben, wenn sein Vater zu mir ge-
kommen, als er ihn in die Schule gebracht & zu inir ge-
sagt hätte, dass ihn der H. rector nicht habe cxaminiren
wollen. Das Recht, jemanden in eine hölicre classe zu
versetzen, das rector vom magistrat i<; mir habe, habe ich
ihm nicht entzogen, viehnehr dadurch anerkannt, dass ich
ihm angezeigt: er sey so weit, als irgend ein Quartaner,
damit er ihn dahin sezen möchte. Ich würde nicht eher
jemanden selbst versezen, bis ich fände, dass er darinn
nicht seine Pfliciit thun wolle; aber auch alsdann gewiss
beweisen, dass das eine Sache se_y, die mich was angehe
& worinn ich von tragenden Amts wegen mitzusprechen
habe. Was das Übrige in seinem Schreiben betreffe; so
enthalte ich mich jetzt, mehr davon zu sagen. Nun ant-
wortete er sogleich: dass es ihm sehr leid seyn solle,
wenn er, der von der Nothwendigkeit der Subordination
vollkommen überzeugt sey & nie wieder das Verhältnis,
in welchem er gegen einen Vorgesetzten, hätte handeln
wollen, in seinem billet seine Gedanken & Ausdrücke, wie
ich schrieb, nicht gemässigt habe. Er nehme also alles,
was auch nur einigermassen wieder die Achtung, die er
mir allerdings schuldig sey, gelauflen seyn sollte, hiermit
gänzlich zurück & bitte deshalb um Verzeihung, besonders,
was ich zulezt anmerkte, dass mich die Versezung der
Schüler allerdings angehe; so vermuthe er, dass er seine
Gedanken unrichtig ausgedrückt habe. Er habe bloss zu
erkennen geben wollen, dass es die Pflicht (Seite 264) &
das Amt des rectors einer Schule sey, zu versezen & dass
also nur in dem Fall, wenn erwiesen werden könne, dass
er seine Pflicht hierinn nicht gethan (wie ich selbst an-
merkte) der Inspector der Schule ihn zur Erfüllung seiner
Pflicht anhalten könne. Da er sich in dem Stück nie
Partheylichkeit oder sonst etwas pflichtwidriges zu Schulden
kommen lassen, so habe er nicht anders, als glauben
können, dass ich durch das angestellte cxamen zu erkennen
geben wollen, dass ich ihn für partheyisch & nach Leiden-
schaften handelnd hielte, welches ihn dann allerdings sehr
schmerzen müssen. Es sey so Jlanches vorgefallen, was
sein Zutrauen geschwächt habe & also bey ihm Argwohn
& Eifersucht erweckt & der Vorfall habe ihn so beun-
ruhigt, dass er die folgende Nacht schlaflos & äusserst
elend zugebracht habe, weil er sich stets eingebildet, dass
ich ihn dadurch zurucksezen wollen. Da er nun alier aus
meinem Schreiben sehe, dass er sich hierinn geirrt habe;
so bitte er, das, was sein Verdacht & seine Unruhe zu
schreiben ihn bewogen habe, für nicht geschrieben, zu
halten & zu glauben, dass er niemahls Willens gewesen
sey, noch je seyn werde, so wie jemanden überhaupt,
also auch mir insbesondere einen unangenehmen Augen-
blick zu verursachen. — D. 14. July Hess der magistrat den
rector Sprengel auf den folgenden Tag zu Rathhause citiren,
mich aber ersuchen, einer conferenz mit daselbst beyzu-
wohnen. H. Sprengel kam sogleich erst nach meinem Hause
et als er mich hier nicht fand, nachher in meinen Garten in der
Besorgniss, dass ich die Veranlassung zu seiner citation
gewesen; erkundigte sich, ob ich seinen zweyten Brief
empfangen habe & wiederholte, wie leid es ihm thue,
sich mit dem ersten gegen mich vergangen zu haben;
schob es auf seine unglückliche hypochondrie & ver-
sicherte, dass er sich künftig anders & besser gegen mich
verhalten werde. Ich antwortete ihm, dass ich seine
citation nicht veranlasst habe, auch die Ursache davon
nicht mit Gewissheit wisse, wohl aber vermuthe, dass es
wegen der Einstellung seiner privat Stunden gewesen
sein werde, worüber die Bürgerschaft schriftlich Be-
schwerde gefuhrt habe. Ich ermahnte ihn möglichst, sie
wieder anzufangen & stellte ihm vor, dass die Kinder
darunter litten & die Altern darauf zu dringen, Ursache
liätten; auch schien er, nachzugeben, wollte nur noch
sehen, ob die Altern nicht vielleicht mit sechs anstatt
zehn Stunden zufrieden sein wollten, da die kleine Anzahl
der privatisten seine Mühe bey seiner Kränklichkeit nicht
bezahle. Allein am folgenden Tage, d. löten, als wir zu
Rathhause waren & der .lustizrath ihm dies zum Gesetz
machen wollte, was er nur für eine Gefälligkeit hielt,
zog er zurück, meinte, dass er dazu nicht gezwungen
werden könnte, forderte endlich acht Tage Bedenkzeit,
binnen welcher er sich in Berlin Raths erholen tt nachher
sich erklären wolle; bezeugte aber zum voraus, dass er
allen Falls nicht vor Michaelis die die privat wieder
anfangen könne, gegen welche Zeit er durch kleine Reisen
und sonst sich einigermaassen curiren wolle. Jlan gab
ihm hierinn nach, doch mit der Erinnerung, dass, wenn
er sich länger widersezte, die Sache ans Oberconsistorium
gehen werde. Ich besonders sezte hinzu, dass, wenn er
nicht dazu gebracht werden könne, das Gesuch der
Bürgerschaft wegen Wiederherstellung eines Subrectoris
bewilligt werden werde, wodurch er & seine, an diesem
Streich unschuldige, coUegen noch mehr leiden würden.
Letzteres schien nicht ohne Würkung auf ihn, als der
noch lieber eine Zulage haben, als was verlieren wollte.
Am Freytage d. 16ten, reiste er nach Berlin, sprach mit
den Obercousistorialräthen Teller & Gedicke und meldete
mir am Sonntage, dass diese Herren gemeint hätten: er
könne nicht zu Haltung von privat Stunden gezwungen
werden, zumabl davon nichts in seiner vocation stehe.
Er sezte indess hinzu: dass er dennoch, um Friede zu
haben & den Leuten zu Gefallen zu leben, auf Michaelis
seine privat wieder anfangen wollte, wenn die Leute an-
erkennen wollten, dass es eine Gefälligkeit von ihm sey;
als weshalb er mich bat, seine Kläger an einem mir be-
liebigen Tage et Stunde vor mir zu bescheiden, wo er
gegen sie in meiner Gegenwart sich expectoriren wolle,
ich verlangte, dass er zum Justizrath gehen & dem eben-
falls seinen Entschluss anzeigen möchte & wollte ich
nachher sehen, ihn an einem Tage in der Woche mit
seinen Gegnern bey mir zu vereinigen, wenn er nur den
Altern darinn nachgeben ^t mit ihren Kindern wieder
privat halten wollte.
(Schluss folgt.)
Christian Konrad Sprengel als Florist und als Frucht-Biolog.
Von P. Ascherson.
Da die Nachrichten über das Leben und Wirken
unseres grossen Blüthen-Biologen Chr. Konr. Sprengel so
ausserordentlich spärlieh^fliessen, könnte wohl noch er-
wähnt werden, dass auch seine Verdienste als Erforscher
der einheimischen Flora nicht gering zu veranschlagen
sind. Willdcnow sagt in der Vorrede seines 1787 er-
schienenen Florae Berolinensis Prodronius p. XV: Inter
omnes Spreugelio Rectori Scholae Spandoviensis saga-
cissimo vegetabilium scrutatori insignem numerum plan-
taruni in regionibus Spandoviensibus sponte nascentium
debeo. Zu "diesen Entdeckungen gehört jedenfalls der
p. 125 neu beschriebene luncus Sprengelii Willd. (tab. IV),
der sich allerdings später als mit I. squarrosus L. identisch
herausstellte; ferner der p. 155 desselben Werkes auf-
Nr. 14.
Natiirwisseii.seliat'tlielie Wocliensolirift.
T41
g-estellte Cucnbalus cliloraiitlius Willd. (tab. V), jetzt uocli
als Silene chloraiitlia Ehrli. eine Zierde der Berliner und
speciell der Spaudauer Flora, eine östliche Art. die bei
uns die Westg-renze erreiclit*).
Ferner wäre wohl noch zu erwähnen, dass in dem
„entdecicten Gelieininiss''' auch manche werthvolle Bei-
träge zur Biologie der Früchte enthalten sind, in den
Sprengel namentlicii die Aussäungsvorriciitungen mit dem-
selben Schart'bliciv und demselben richtigen Urtlieil wie die
Bestäubungsvorgänge ins Auge tasste. So sind z. B. S. 90 ff",
die Unterschiede der Fruchtstände von Cvnoglossum
mit Kk'tttVüehten und Fcliium, bei ilem die Klausen ilnrch
den Wind \ erbreitet werden, dargelegt: S. S37 wird das
Wegschleudern der Samen hei (Jeranium (während der
uiericwürdige Vorgang bei Erodium von ihm nicht erkannt
wurde), S. 399 bei Viola canina erwähnt; ferner die karpo-
tropisehen Bewegungen bei Holosteum (S. 81, S2), Scopolia
(S. 125), Silene nutans (S. 252) und Cerastium (S. 2ü2i.
Bei Parnassia wird S. 173 die von mir als Xerochasie
bezeichnete Erscheinung- angedeutet. S. 112 wird auf den
unterschied in der Stellung der Löcher in den Kapseln
der Campanula-Arten hingewiesen: bei C. rotundifolia
mit hängenden Kapseln befinden sie sieh, wie auch bei
Ledum (S. 240j am proximalen, bei C. patula mit auf-
rechter Frucht am distalen Ende, also an beiden Fällen
oberwärts, weil „die Samenkörner nicht von selbst heraus-
fallen, sondern durch den Wind herausgeworfen und weit
verstreut werden sollen." Sprengel beurtheilte die bio-
logische Bedeutung dieser Thatsache also viel richtiger
als ein halbes Jahrhundert später Alph. de Ca nd olle,
dessen Anschauungen dann von Delpino ganz in
Sprengel's Sinne berichtigt wurden. Aehuliches berichtet
der Verf. von Dianthus (S. 249) und Lychnis dioica
(S. 260). Bei Oenothera bienuis (S. 22 if'.)* knüpft S. an
diese Betrachtung Ausblicke auf die Fflanzenverbreitung
*) Dieselbe war übrigens schon hundert Jahre früher von
einem anderen märkischen Botaniker, Chr. Meutzel, als Lychnis
sylvestris sesamoides major, flore obsolete viridi ))eschrieben und
abgebildet worden.
in der Nähe von Spandau und äussert sogar eine mit den
heutigen Anschauungen völlig im Einklang befindliche Ver-
muthung über die geologische ^'orgeschichte der Gegend,
indem er vermuthet, dass die „Sandhüg-elkette von Falkeu-
hagen über den Stern bis zur Spree" (bei den auch den
heutigen Berliner Botanikern wohl bekannten „Weissen
Sandbergen") ursprünglich zusammenhängend gewesen sei
und dass „die Havel sieh einen Weg durch dieselbe ge-
macht" habe. Auch die heutigen Geologen halten den
jetzigen Lauf der Havel zwischen dem Tegelsee und dem
grossen Havelsee unterhalb Pichelslierg für jünger als
jene aus der Zeit, als die ( Hier durch das Spree-Thal
und llaveiländisciie Luch strömte, herrüiu'cnde Düncn-
bildung. Sprengel bemerkt nun, dass unter den damals
noch wenig zahlreichen bekannten Fundörtern der Stupa
pennata sich beide durch die Havel getrennte Hälften dieses
Dünenzuges befinden. Oenothera war dagegcen damals
nur auf der Westseite der Havel häufig: an der Ostseite
hat er sie nur an einer beschränkten Stelle bemerkt lin den
seitdem verflossenen 100 Jahren hat sieh diese ursprüng-
lich amerikanische Pflanze auch dort w'cithin ausgebreitet).
Sprengel schliesst nun aus diesen Thatsachen, dass das
Federgras (Stupa p.) sich durch den Flugapparat seiner ge-
fiederten Granne, welche ihr wohl gestatte, das Havelthal
zu überschreiten, verbreitet halje, während der Nachtkerze
diese Verbreitungsniöglichkeit nicht zukomme. Die Möglich-
keit, dass diese Erklärung das Richtige trifft, will ich nicht
bestreiten; finde es aber nicht unwahrscheinlich, dass das
Federgras, ein bekanntes Relief aus der „Steppenzeit",
jene Sanddünen, und zwar ungleich massenhafter als vor
100 Jahren oder gar heute, schon bewohnte, ehe sie von
der Havel durchbrochen wurden. Sehr treflend charakteri-
sirt er auch (S. 55) die Staudortsbedingungen von Pingui-
cula vulgaris.
Jedenfalls dürfen wir überzeugt sein, dass Christian
Konrad Sprengel noch auf manchen anderen Gebieten
des Wissens als auf dem, auf welchem sein Name unsterb-
lich geworden ist, einen reichen Sehatz von Kenntnissen und,
was mehr ist, ein selbstständiges treffendes Urtheil besass.
Ist der Mensch omnivor, lierbivor oder carnivor ? —
Parigi (Tülle inserzioni dei muscoli masficatori alla men-
dibola e suUa morfologia del condilo nell' uomo. Archivio
per l'antrop e la etnolog. Firenze 1890. Heft 2) suchte
dieser Frage von einem neuen Gesichtspunkte aus näher
zu treten.
Die Kaumuskulatur zerfällt in zwei Hauptgruppen: die
eine Muskelgruppe, die sich aus den musc. temporales,
masset. und zum Theil pterygoidei intern, zusammensetzt,
hat den Zweck, den Unterkiefer zu heben, die andere da-
gegen, die sich aus den musc. pterygoidei extern, und intern,
zusammensetzt, dient dem seitlichen Verschieben der Kiefer
zu einander. Es leuchtet ein, dass die erstere Gruppe
zum Zerschneiden der Nahrung, die zweite zum Zermahlen
derselben hauptsächlich in Action tritt, und dass man
dementsprechend jene vorwiegend bei fleischfressenden,
diese bei pflanzenfressenden Thieren in stärkerem Grade
entwickelt finden wird. — Dieser Grundsatz leitete Parigi
bei seinen Untersuchungen, die er bei der Kaumuskulatur
des Menschen anstellte. Da ihm kein lebendes Material
zur Verfügung stand, so beschränkte derselbe sich darauf,
aus der stärkeren oder schwächeren Entwicklung der
Insertionsstelle der betreffenden Muskeln am skelettirten
Unterkiefer (740 an der Zahl, darüber solche von 9 An-
thropoiden) einen Rückschluss auf die Mächtigkeit der
Jluskeln selbst zu machen; denn einer stark ausgeprägten
und ausgedehnten Ansatzfläche entspricht erfahrungsge-
mäss ein stärkerer Muskel. Im besonderen berücksichtigte
der Verfasser folgende Punkte: die Oberflächenausdehnung
der Insertion) die Zahl und Grösse der Erhebungen, Vor-
sprünge und Knochenleisten und die Tiefe der Aushöhlung
an der Ansatzstelle; ausserdem zog er auch die Proportion
und das Volumen des Unterkiefers, sowie die Ver-
änderungen, welche durch Alter und Geschlecht bedingt
sind, in Betracht.
Die hierbei gewonnenen Resultate fasst P. kurz in
folgender Tabelle zusammen.
Völker, deren Nahrung
vorwiegend Fleisch-
kost ist
Völker, deren Nahrung
vorwiegend Pflanzen-
kost ist
Omnivore Völker . .
auf niederer 1 gtufe
lerer ,
Ueberwiegen
der Gruppe I.
(m. tempor.
und masset.)
pCt.
G2,50
U eberwiegen
der Gruppe IL
(ra. pterygoid)
pCt.
12,50
mittle
hoher
stehende
Völker
18,18
1G,74
33,.33
25.53
13,62
54,55
52,04
36,51
33,33
57,!S4
Im Allgemeinen
Beide Gruppen
gleichmä-ssig
entwickelt
pCt.
25,00
27,27
31,22
30,16
41,14
28,54
17,57 51,35
Allgemein gesagt, haben die m. pterygoidei beim
Menschen unter den Kaumuskeln das Uebergewieht. Eine
Ausnahme machen hiervon die niederen Rassen; denn
bei diesen halten sich beide Gruppen so ziemlich da$
Gleichgewicht. Wie zu erwarten stand, überwiegt bei
den vorzugsweise von Fleischkost lebenden Völkern die
142
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 14.
Gruppe I. (tempor. und luasset.), bei den von pflanzlicher
Kost lebenden dagegen die Gruppe II (pterygoidei). Bei
den Pampas Amerikas z. B., die ausschliesslich Fleiseh-
nahrung geniessen und dieselbe last ungekaut ver-
schlingen, ist ein gewaltiges Ucljerwiegen der Unterkiefer-
heber (Gruppe I) zu constatiren, civilisirte Rassen andrer-
seits, die behufs Verkleinerung ihrer aus Fleisch- und
Pflanzenkost gemischten Nahrung ihre Reibemuskulatur
(Gruppe II) stärker anstrengen, haben diese hingegen in
stärkerem Grade ausgeprägt. — Durch Vergleich der ein-
zelnen Rubriken unter einander kommt der Verf. zu dem
Schluss, dass d e r M e n s c h der B e s c h a f f e n h e i t seiner
Kaumuskulatur nach omnivor mit Neigung zum
Typus des Herbivoreu ist.
Buschan.
Betula ebeufalls chalazogaiu. — In No. 4 und 5
haben wir ausführlich über die bemerkenswerthen Unter-
suchungen Treub's über die BetVachtungsvorgänge bei
Casuarina berichtet und namentlich hervorgehoben, dass
der Pollenschlauch nicht, wie üblich durch die Mykropyle
in den Knospenkern eintritt, sondern die Chalaza aufsucht
und erst von hier aus den Embryosack erreicht. Dies
war der Grund, warum die Casuarinaceen als Chalazo-
gamae von den übrigen Angiospermen, den Porogamen
oder Acrogamen, abgetrennt wurden. Nun kommt aus
Russland die sehr überraschende Mittheilimg, dass auch bei
typischsten Phanerogamen in der Beziehung vollkommene
Uebereinstimmung mit Casuarina herrscht, als nach einer
„vorläufigen Mittheilung" S. Nawaschin's (Bulletin de
i'Academie imp. des sc. de St. Petersbourg, Tome XIII,
pag. 345 ff.) auch bei der Birke der Pollenschlauch nicht
die Mikropyle als Durchtrittsstelle zum Keimsack benutzt,
sondern durch den Funiculus und das Nucellarparenchym
hindurchwachsend den Grund des Keimsackes erreicht,
an diesem seitwärts emporgeht und dann erst von dem
Gipfel desselben aus die Befruchtung l)ewerkstelligt. —
Vergl. die beigefügte Figur, deren Holzstock wir durch Ver-
mittelung des Herrn Nawaschin der genannten Academie
verdanken. — Wir stehen hier vor einer so merkwürdigen
neuen Thatsache, dass es bei der Erfahrung, die diese
Entdeckung mit sich liringt, dass nänilicli die eben erst
vollzogene Schaffung der Gruppe der Clialazogamae sofort
wieder ihre Hauptstütze zu verlieren scheint, nunmelir ge-
botener ist, die von Treub freilich vor der Entdeckung
Nawaschin's durchaus gerechtfertigte Umgestaltung des
natürlichen Pflanzensystems bis auf Weiteres in suspenso
zu lassen. Es müssen nun erst Untersuchungen an einer
grösseren Zahl von Gattungen zeigen, in wie weit das
Verhalten des Pollenschlauches als Merkmal für eine
systematische Gruppiruug verwerthbar ist. Nach Nawa-
schin tritt der Pollenschlauch bei Betula nie in die
Fruchtknotenhöhle und dann durch die Mikropyle ein,
sondern gelangt stets auf dem schon bezeichneten Wege
wie bei Casuarina zum Embryosack. Auch einige spe-
ziellere Details stimmen bei beiden Gattungen überein.
So treibt der Pollenschlauch bei beiden jedesmal, wo er
eine neue Richtung annimmt und einen Winkel macht, je
ein kurzes Zweiglein. Ausserdem sind sowohl bei Betula
wie bei Casuarina deutliche Verengerungen des in dem
Kerngewelie hinaufsteigenden Theiles des Pollenschlauches
zu bemerken. Der Ort, an welchem die Pollcnschlauch-
spitze bei der Birke den Embryosaek tritft, scheint kon-
stant zu sein, während das bei Casuarina nicht der Fall
ist. Aber das Vorhandensein eines rudimentären sporo-
genen Gewebes im Innern des Kernes ist wieder für beide
Gattungen charakteristisch. Unterscheiden thun sie sich
noch durch das Vorkommen einer einzigen „]\Iakrospore"
bei Betula. Der Schlussatz der vorläufigen Mittheilung
Nawaschin's lautet: Es kann demnach an eine Trennung
der Casuarineen von den übrigen Agiospermen nicht ge-
dacht werden; vielmehr führt eine deutliche Verbindung
von den Casuarineen, durch Vermittlung der Birke, zu
den niederen Angiospermen (Apetalen) hin. P.
0. Bainuaiin iiiid die Nilquelleu. — Im Februar-
Heft von Petermann's Mittlieilungen 1893 ist eine wichtige
Nachricht 0. Bau mann 's vom 8. November 1892 mit-
getheilt und durch eine vorläufige Skizze im Text ver-
anschaulicht. Baumann hat in den Herbstnionaten 1892
eine Reise vom südlichen Victoria-Njansa zum Tanganyika
und von dort durch Urundi und Uha nach Tabora aus-
geführt und auf derselben die Quellen des Kagera be-
rührt, welcher als der bedeutendste Zufluss des Victoria-
Njansa schon vor 30 Jahren von Speke richtig erkannt
wurde. Das berühmte Wort dieses hervorragenden Rei-
senden „The Nile is settled" ist nunmehr erst zur völligen
Thatsache geworden, nachdem 0. Baumann schon früher
den Nachweis geführt hat, dass die Zuflüsse des ge-
waltigen Quellsees von 0. her nur geringe Bedeutung
haben. Die südlichen Tributäre des mächtigen Kagera
reichen fast bis zum 4° s. Br., so dass der Nil mehr als
35° bis zur JlUndung durchfliesst, mithin dem Mississippi-
Missouri an Länge sehr nahe kommen dürfte. Die Quellen
des Kagera un<l der genannten südlichen Zuflüsse liegen
im Urundigebirge, welches gegen den nordöstlichen
Tanganyika und die sich anschliessende Senke des in
denselben am Nordende einmündenden Rusizi steil ab-
fällt; der östlichste Kagegre-Zufluss ist der Luvirosabach,
welcher unter 4° s. Br. entspringt. Der Name „Mond-
berge- für das Quellgebiet des Kagera ist bei den Warundi
allgemein üblich. 0. Baumann schreibt darüber: „Am
19. September gelangten wir zur Quelle des Kagera
(Rururu), der in dem hohen, waldigen, die Wasserscheide
Nr. 14.
NaturwissenschaCtliclic WuehciibcLrift.
143
gegen das Rusiri-Thal bildenden Kamm entspringt. Wenn
man den Kagera als Hauptzufluss des Victoria -Sees für
den Quellarm des Nils betrachtet, so kann die Quelle des
Kagera als Quelle des Nils betrachtet werden. Die Wa-
rundi pflegten an dieser Stelle ihre Könige zu begraben
und nennen die Berge Misozi a Mwesi, Berge Mwesis,
Mondberge, wie der ganze Urundi allgemein „Land der
Mwesi", Mondland, genannt wird." Fr. Regel.
Doppelsternbahneii. — üeber die von ihm be-
stimmten Bahnen zweier Doppelsterne berichtet Professor
Dr. S. von Glasen app, Abastumann, Gouvernement
Tiflis, in No. 1 des 132. Bandes der ..Astronomischen
Nachrichten'". Die Sterne sind folgende: -„, mittlerer
Ort für 1900 i? = O^ 3™,8, d = + 79° 9', und 85 im
Pegasus, mittlerer Ort für 1890, R = 23^ 56^,9, d =
+ 26° 30'. Die Grössen der Componenten des ersten sind
6,3 und 6,6; diejenigen der Comjjonenten des zweiten 6
und 11. Die Bahnbestimmung für den ersten Doppelstern
erfolgt jetzt zum ersten Male. Wir haben von diesem
1828 entdeckten Sternsysteme jetzt nahezu die halbe
Bahn vor uns, nämlich 17.5°. sodass eine Bahnbestinnnung
mit bester Aussicht auf Erfolg unternonnnen wei-deu
konnte. Die Elemente, zu denen Herr von Glasenapp
definitiv gelangt, genügen denn auch den Beobachtungen
in der That sehr gut. Der Stern hat danach eine Um-
laufszeit von 166,24 Jahren und der mittlere Abstand
beider Componenten ist0",55. Die Excentricität der Bahn
ist 0,4.
Für den zweiten Stern, 85 Pegasi, waren schon 1889
durch Herrn Schäberle Elemente bestimmt; die aus ihnen
berechneten Orte zeigten indessen in 1891 und 1892 so
grosse Abweichungen von den Beobachtungen, dass eine
Neuberechnung von Elementen wünschenswerth erschien.
Herr von Glasenapp hat seiner diesbezüglichen Unter-
suchung Beobaelitungen zu Grunde gelegt, die sich auf
den 14jährigen Zeitraum von 1878,73 bis 1892,75 be-
ziehen. Er findet für dieses System eine Umlaufszeit von
17,487 Jahren (Schäberle s. Zt. 22,3 Jahre), und als
mittleren Abstand beider Componenten 0",80, (wofür
Schäberle 0",96 gegeben hatte); die Bahn ist weit mehr
dem Kreise genähert, wie die vorige. Ihre Excentricität
ist nur 0,164.
Für beide Doppelsterne hat Herr von Glasenapp
Ephemeriden berechnet, die die Oerter bis zum Schlüsse
des Jahrhunderts geben. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Unser Mitarbeiter, der Privatdoeent an
der Kgl. Landwirthscliaftlichen Hochacliule, Dr. E. Schaff zum
Director des Zoologischen Gartens in Hannover. — Professor Erb
in Heidelberg zum Professor der Medicin an der Universität Wien.
— Der Forstamts- Assessor und Privatdoeent Dr. oee. pulii. et
philos. Heinrich iVIayr zum ordentlichen Professor der forst-
lichen Productionslehre in der staatswirthschaftlichen Facultiit
der Universität München. — Privatdoeent Dr. Boveri von der
Münchener Universität zum ordentlichen Professor der Zoologie
und vergl. Anatomie an der Universität Würzburg und zum Leiter
der zoologischen Samndung. — Zum Director bei der physikalisch-
technischen Reichsanstalt in Charlottenburg Professor Dr. Franz
Stenger vom Pofvtechnicum in Dresden.
Es haben sich habilitirt: Die DDr. Schewiaks und v. Er-
langer für Zoologie an der Universität Heidelberg. — Der Pro-
sector der anatomischen Anstalt der Universität München Dr.
Mo liier an der Universität daselbst.
Der Privatdoeent der Physik in Würzburg Dr. Heydweiller
hat sein Amt aufgegeben.
Es ist gestorben: Der Botaniker des Senkenbergianums zu
Frankfurt a. M. Dr. Jännicke.
Die deutsche anatomische Gesellschaft wird ihre Versamm-
lungen vom 21. bis 2-1. Mai in Göttingen ablialten. Vorsitzender:
Prof Waldeyer.
Der 5. Congress der deutscheu Gesellschaft für Gynäko-
logie findet vom ■2.5. l)is 27. Mai in Breslau statt I. Vorsitzender:
Fritsch (Breslau), 1. Schriftführer: Pfannenstiel (Breslau).
Die 18. Vcrsnuimlung des Deutschen Verein für öffent-
liche Gesundheitspflege hält seine Jahresversammlung vom 25. bis
27. Mai in Würzburg ab.
L i 1 1 e r a t u r.
Stabsarzt Dr. Hering, Hygienisches über den Staub. Vortrag
gehalten im naturwissenschaftlichen \'erein zu Frankfurt (O.).
Verlag von R. Friedländer & Sohn, Berlin 18'J2. — Preis 0,60 Mk.
Der Verf. untersucht zunächst, wo, unter welchen Verhält-
hältnisseu und auf welche Weise der Staub seine Entstehung
findet, um sodann auf die Schädigungen, welche der Staub dem
Menschen bringt, einzugehen. Man hat hier zu unterscheiden, ob
er mechanisch oder vergiftend wirkt, in letztem Falle z. B. als
Träger ansteckender Krankheitsstoffe.
Dr. Hch. Wolpert Eine einfache I/uftprüfungs- Methode auf
Kohlensäure mit wissenschaftlicher Grundlage. .Mit Holz-
schnitten und Tafeln. Baumgärtner's Buchhandlung. Leipzig.
1892. - Preis 4 Mk.
Wir haben ilen Gegenstand bereits ausführlich in Band VI
(18fU S. 2 IS ff'.) besprochen und müssen uns daher an dieser
Stelle auf die Anzeige des Erscheinens der Schrift begnügen.
Hugo Mulertt, Der Goldfisch und seine systematische gewinn-
bringende Zucht. Mit einer farbigen Tafel und Text-lUustra-
tiiiucn. Vi'rlag von Herrcke u. Lebeling. Stettin 1892.
Der V'erf., ein guter Kenner des Goldfisches, (Carassius aura-
tus) bespricht in seiner Arbeit im Wesentlichen den Fisch selbst,
seine Fortpflanzung und Pflege, Feinde und Krankheiten des
Fisches sowie den Bau der Teiche. Auch derjenige, der weder
Goldfische liält, noch die Absicht hat, sich gewinnbringend mit
ihnen zu beschäftigen, wird gern in dem Heft blättern. Die farbige
Tafel stellt den japanischen Schleiei-schwanz mit verhältnissmässig
ausserordentlich gro.sser und getheilter Schwanzflosse dar.
Dr. P. Esser, Die Bekämpfung parasitischer Pflanzenkrank-
heiten ohne directe Vernichtung der schädig('nden Organismen.
(.Sammlung gemein-verstäiullicher Vortrag«' herausgegeben von
Virchow u. Wattenbach. Neue Folge. 7. Serie. Heft 151.|
Verlagsanstalt .4. G. (vormals .T. F. Richter) Hamburg 1892. —
Preis 0,60 M.
Bekämpfen thut der Mensch nur dann parasitische Pflanzen-
krankheiten, wenn sie Nutzpflanzen schädigen und somit handelt
es sich in dem recht hübschen Vortrag des Verf. nur um solche
welche den Landwirth, Gärtner, Weinbauer und überhaupt Prak-
tiker besonders interessiren müsrsen. Namentlich diesen sei daher
das Schriftehen empfohlen.
Julius Sachs , Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen-
Physiologie. 1. Band, Abhandlung 1— XXIX vorwiegend über
physikalisi-he und chemische ^'egetationserscheinungen. Mit 46
Text-Abbildungen Verlag von Wilhelm Engelniann. Leipzig
1892. — Preis 16 Mk. ^
Mag man nun blindlings Sachs folgen oder eklektisch den
eigenen Weg gehen: kein Botaniker kann ohne eingehendere
Kenntniss der bedeutungsvollen Sach'schen Original-Arbeiten be-
stehen Desshalb wird es allen Fachgenossen des Autors in hohem
Grade erwünscht sein, in einem bequemen Bande die in mehreren
Zeitschriften zerstreuten Arbeiten zur Pflanzen-Physiologie in be-
((uemer Form vereinigt zu finden. Gleiclizeitig giebt die Neu-
Herausgabe der Arbeiten in der vorliegenden Form einen treff'lichen
Ueberblic-k über das Wirken von Sachs.
Der vorliegende 1. Band bringt 29 Abhandlungen, wie im
Titel ge.-^agt, vorwiegend über physikalische und chemische Vege-
tations-Erscheinungen. Kr umfasst 674 Seiten.
Dass die polemischen Schriften keine Aufnahme gefunden
haben, wird man dem Autor Dank wissen : haben diese doch meist
nur eine aktuelle Bedeutung. Von anderen Abhandlungen werden
Kürzungen geboten, wieder andere sind aus besonderen Gründen
144
Natiiiwissciiscliiid liehe Woclicnsclirift.
Nr. 14.
— sei es, dass sie dem Autor unwesentlich sehieneu, sei es, dass
ihr Inhalt allgemein bekannt geworden ist — ganz fortgelassen
worden. Hier und da finden sich Zusätze, die stets als solche ge-
kennzeichnet sind. Der Autor erwirbt sich durch die Neu-Redac-
lion seiner Arbeiten ein nicht geringes Verdienst: ebnet er doch
dadurch denjenigen, die seine Arbeiten benutzen wollen, den Weg
und spart ihnen Zeit
Dr. A. Ziramermann, Die botanische Mikrotech.mk. Ein Hand-
buch der mikroskopischen Präparations-, Reaktions- und Tink-
tionsmethoden. Mit 63 Abbildungen. Verlag der H. Laupp'schen
Buchhandlung in Tübingen 1891 — Preis 6 Mk.
Das ausgezeichnete Buch dürfte dem botanischen Anatomen
fast unentbehrlich sein. Seit Jahren beschäftigt sich der Ver-
fasser mit der pflanzlichen Zelle und hat dabei die beste Gelegen-
heit gehabt, eingehend die Methoden selbst zu prüfen und, wo es
noththat, zu verbessern.
Nach dem 1. Abschnitt „Allgemeine Methodik", behandelt
Verf. ausführlich die su wichtig gewordene Mikrochemie, um in
einem 3. Abschnitt die Untersuchungsmethoden für die Zellen-
membran und die verschiedenen Einschlüsse und Differenzirungen
des Plasmakörpers zu besprechen. Sehr zeitgemäss und daher
zweckmässig bietet der Verf. in einem Anhange eine Darstellung
der Untersuchungsmethoden der Bakterien. Die umfangreiche
Litteratur wurde mit grosser Gewissenhaftigkeit berücksichtigt
nnd findet sich in einem besonderen Verzeichniss aufgeführt. Ein
gutes Register, ohne das ein Handbuch seinen Zweck kaum zu
erfüllen in der Lage ist, beschliesst das 278 Seiten umfassende
Buch. Der verdienstvollen Arbeit, die schon zu einem der wich-
tigsten Inventar-Stücke vieler Mikroskopir-Tische geworden sein
dürfte, eine allgemeine Verbreitung in Interessenten-Kreisen vor-
auszusagen, ist weiter keine gewagte Prophezeilumg.
Prof. Dr. Adolph Hansen, Repetitorium der Botanik für
Mediciner, Pharmaceuten und Lehramtscandidaton. Vierte ver-
besserte Auflage. Mit 41 Blüthendiagrammen und einem Anhang:
Verzeichniss der wichtigsten Arzneipflanzen. Verlag der
Stahel'scheu k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung. Würzburg
1892. - Preis 2,20 Mk.
Das vorliegende Repetitorium ist im Sinne der Sachs'schen
Schule geschrieben. In sehr geschickter Weise bietet der Verf.
das Gerippe der Wissenschaft. Das Buch zerfällt in zwei Ab-
schnitte. 1. Organographie, Anatomie und Physiologie, die auf
nur 6G Seiten abgehandelt werden und 2. Systematik, die auf etwa
100 Seiton zur Darstellung konunt. Trotz der äusseren Kürze
des ersten Abschnittes ist doch das Wesentliche in ihm zu finden,
da alles in kurzen, bündigen Sätzen zum Ausdruck kommt: jeden-
falls für den Repetirenden und denjenigen, der das Buch als Leit-
faden bei Vorlesungen benutzt, das Zweckmässigste.
Prof. Dr. J. M. Pernter, Falbs kritische Tage. (Sammlung po-
pulärer Schriften, herausgegeben von der Gesellschaft Urania
iu Berlin). Verlag von Hermann Paetel in Berlin 1892. —
Preis 0,80 Mk.
Pernter bemüht sich so objectiv wie möglich Falb's bekannte
Anschauungen zu prüfen, was einer Widerlegung gleichkommt.
Es wäre den Anhängern Falb's dringend zu ratlien, sich auch
einmal in eine der Schriften, die ihn bekämpfen, zu vertiefen ;
die vorliegende ist dazu sehr geeignet. Wir bemerken, dass asch
die „Naturwissenschaftliche Wochenschrift" in einem besondern
Artikel Falb's Anschauungen näher prüfen wird.
A. Gutzmer, TJeber gewisse partielle Differentialgleichungen
höherer Ordnung. Berlin 1893. 4", 22 S.
In gewissi'U Zweigen der mathematischen Physik spielt eine
wesentliche Rolle diejenige Ditterentialgleichung. welche man er-
hält, indem man die linke Seite der bekannten Difi"erentialgleichung
für das Potential A(») = 0 noch einmal iler durch A angedeuteten
Operation unterzieht. So geJangt man zu der namentlich von
E. Mathieu untersuchten Diff'erentialgleichung des zweiten Poten-
tials; wiederholt man das Verfahren, so erhält man die Gleichung
A-'(J/) = 0, dann \\>i) = 0, u. s. w.
Diese Dift'erentialgleichungen, deren allgemeine Form also
AW(!<) ^ 0 ist, bilden den Gegenstand der nach mehr als einer
Richtung interessanten Abhandlung, und zwar untersucht der Ver-
fasser nicht nur den Fall zweier und dreier unabhängiger Varia-
bein sondei-n auch den allgemeinen Fall von q Veränderlichen.
Der Verfasser entwickelt zunächst diejenigen Lösungen der in
Frage stehenden Differentialgleichungen, welche nur von der Ent-
fernung des veränderlichen und eines festen Punktes abhängen.
Dann werden diejenigen Integralausdrücke angegeben, welche den
Massenpotentialen für das Newton'sche Attractionsgesetz ent-
sprechen. Den Schluss der Abhandlung bildet eine Verallgemei-
nerung des für die Theorie des Potentials so wichtigen Green'schen
Satzes. Fritz Kötter.
Jahreshefte des naturwissenschaftlichen Vereins für das
Fürstenthum Lüneburg. XII. 1890—1892. Lüneburg 1893 —
Knthält folgende Aufsätze: M. Stümcke: Verzeichniss der bei
Lüneburg aufgefundenen Pilze, Ad. Stölting: Beitrag zur Kryp-
togamen-Flora des Fürstenthums Lüneburg, C. Gottsche: Oberer
Gault bei Lüneburg, Stümcke: Neu aufgefundene Kryptogameu,
Kohlrausch: Zoologische Mittheilungen und derselbe: Meteoro-
logische ücbersicht der Jahre 1889—1891.
Hecker, E., Hvpnose und Suggestion im Dienste der Heilkunde.
Wiesbaden. "1,20 M.
Heitzmann, C, Die descriptive und topographische Anatomie des
Manschen in 650 Abbildungen. 7. Aufl. Wien. 32 M
Hempel, G., und K 'Wilhelm, Die Bäume und Sträucher des
Waldes in botanischer und forstwirthschaftlicher Beziehung.
Wien. 19,80 M.
Hering, E., Zur Kenntniss der AIciopiden von Messina. Leipzig.
3.80 M
Höhenschichtenkarte des Grossherzogtums Hessen. 1 : 25 OÜO.
1890—92 Blatt Brensbach. Dannstadt. 2 M.
Hoppe-Seyler, F., Handbuch der physiologisch- und pathologisch-
chemischen Analvse für Aerzte und Studirende. 6. Auflage.
Berlin. U M.
Jäger, G., Ueber die Art der Kräfte, welche Gasmolekeln auf
einander ausüben. Leipzig. 0,30 M.
Hligens, E., Die unendliche Anzahl und die Mathematik. Münster.
1 Mark.
Kauffmann, M., Immanente Philosophie. 1. Buch Analyse der
Metaphysik. Leipzig. 3 M.
König, A. und C. Dieterici, Die Grundempfindungen in normalen
und anomalen Farbensystemen und ihre Intensitätsverteilung im
Spektrum. Hamburg. 3 M.
Koenig, W., Lieber Gesichtsfeld-Ermüdung und deren Beziehung
zur concentrischen Gesichtsfeldeinschränkung bei Ei'krankungen
des Centralnervensystems. Leipzig. 4 M.
Langer's, C. v., Lehrbuch der systematischen und topographischen
Anatomie. 5. Aufl. Wien. 15 M.
Langer, P., Psychologische Streitfragen. Ohrdruf. 0,80 M.
Lessing, E., Vervollkommnung der Refractionsbestimmung bis
zur Unabhängigkeit vom Gesuchten. Hamburg. 2 M.
Luksch, J., V^eröflfentlichungen der Commission für Erforschung
des östlichen Mittelmeeres. Leipzig. 0,50 M.
Mojsisovics, E. v., Die Hallstätter Entwicklung der Trias.
Leipzig. 0,40 M.
Nalepa, A., Neue Arten der Gattung Phytoptus Duj. und Ceci-
domyes Nal. Leipzig. 2,80 M.
Partheil, A., Zur Erinnerung an Scheele's 150. Geburtstag. Stutt-
gart. 0,.50 M,
Paulinus, M„ Die Sittenlehre Geulincx', dargestellt in ihrem Zu-
sammenhange mit der Metaphysik und beurteilt in ihrem Ver-
hältnisse zu der Sittenlehre Spinozas. Leipzig. 1,-50 M.
Pfeil, L. Graf v., Protuberanzen, Meteoriten, Weltennebel und
Kometen. Berlin. 0,60 M.
Rüge, S., Die Entwickelung der Kartographie von Amerika bis
1750. Gotha. 5 M.
Inhalt: Dr. F. Hock: Kosmopolitische Pflanzen. — Dr. Robert Mittmann: Material zu einer Biographie Christian Konrad
Sprengel's. (Fortsetzung.) — P. Ascherson: Christian Konrad Spreugel als Florist und als Frucht-Biolog. — Ist der Mensch
omnivor, herbivor oder carnivor? — Betula ebenfalls chalazogam. (Mit Abbild.) — A. Baumann und die Nilquellen. —
Doppelsternbahnen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Stabsarzt Dr. Hering: Hygienisches über den Staub.
— Dr. Hch. Wolper: Eine einfache Luftprüfungs- Methode auf Kohlensäure mit wissenschaftlicher Grundlage. — Hugo
Mulertt: Der Goldfisch und seine systematische gewinnbringende Zucht. — Dr. P. Esser: Die Bekämpfung parasitischer
Pflanzonkrankheiten. — Julius Sachs: Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen-Physiologie. — Dr. A. Zimmermann: Die
botanische Mikrotechnik. — Prof. Dr. Adolph Hansen: Repetitorium der Botanik. — Prof. Dr. J. M. Pernter: Falbs
kritische Tage. — A. Gutzmer: Ueber gewisse partielle Differentialgleichungen höherer Ordnung. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Bei-lin SW. 12. — Druck: G. Bernstein. Berlin SW. 12.
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Die Chemotaxis der Leucocyten.
Von Dr. Karl L. Schaefer.
Dass wir fast ausuabm.slos alle Entzüiiduiig,'s- und
Eiterniigsproccsse, deren Schauplatz der tliierisclie Orga-
uismus werden kann, einer Einwanderung kleinster Lebe-
wesen zu verdanken haben, i.st eine Thatsache, die wegen
ihrer Wiclitigkeit für uns selbst bereits allbekannt ist.
Aber die Vdu der Wissenschaft daran geknüpften Folge-
rungen und neuesten, bedeutsamen Entdeckungen sind
iidch nicht Gemeingut weiterer Kreise geworden. Das
liegt nicht allein in der relativen Neuheit des Gegen-
standes begründet, sondern auch darin, dass es sich hier
um mikroskopische Details handelt. Es war I)ckanntlich
dem IMikroskop in der Hand Cohnheim's vorbehalten, das
Wesen der Entzündung aufzudecken, von dem mau bis
dahin nichts als die äusscrliehen Symptome: Hitze,
Röthung, Schwellung, Schmerz, kannte. Jetzt weiss mau,
dass im Zustande der Entzündung die feinsten Ver-
ästelungen der Arterien, die dichten Maschennetze der
Maargcfässe, sich erweitern, dem erkrankten Tlieile un-
gewöhnlich viel Blut zuführen und ihm damit sowohl mehr
Wärme als auch die charakteristische Röthe verleihen;
man weiss ferner, dass die Beschaffenheit der Blutgefäss-
wändc eine andere wird: Es tiltrirt Flüssigkeit aus der
Blutball n in die Umgebung, was sich äusserlich durch
die Schwellung und, wenn gleichzeitig ein Druck auf
feinere Nervenzweige ausgeübt wird, auch durch Schmerzen
documentirt. Erreicht die Entzündung höhere Grade, so
nimmt die Durchlässigkeit der Gefässwände immer mehr
zu. Es beginnt alsdann auch ein Theil der festen Blut-
bestandtheile, nämlich der weissen Blutkörperchen oder
Leucocyten, auszuwandern, indem dieselben sich dank der
Fähigkeit, selbststäudig ihrem Körper so ziemlich jede
lieliebige Gestalt zu geben und kriechend ihren Platz zu
wechseln, durch das Gefüge der Gefässwände hindurch-
zwängen. Wenn dieser Proccss ungestört einige Zeit ge-
spielt hat, so ist der ganze Entzündungsherd mit Leuco-
cyten „infiltrirt". Damit hat sich dann eine Vereiterung
vollzogen, denn der Eiter besteht eben wesentlich aus
Leucocyten, denen er Farbe und Consistenz verdankt,
aus Gewebstrümmern und — Mikroorganismen.
Dieses constante Zusammentreffen von Bacterien und
Eiterkörperchen legte von vornherein den Gedanken an
eine engere Beziehung zwischen beiden nahe. Die geist-
volle Phagocytentheorie Metschnikoff's behauptete direct,
es sei die Aufga))e des Leucocyten, die Eindringlinge zu
ergreifen, zu tödten und fortzuführen*). Eine solche Auf-
fassung hatte in der That auch experimentell manches
für sich; aber gewichtige Einwände sind gegen sie er-
hoben, wie der, dass die weissen Wauderzellen gar nicht
die lebenden Bacterien „frässen", sondern nur die ab-
gestorbenen wegschafften. Demnach hätten wir hier einen
Aualogiefall zu der bekannten Eigenschaft der Leucoc3'teu
vor uns, die Gewebe von eingedrungenen anorganischen
Fremdkörpern zu säubern. Man hat das Experiment ge-
macht, Fröschen unschädliche Farbstoft'lösungen in die
Blntbahn einzuspritzen. Nach einiger Zeit war in den
Blutgefässen kaum noch etwas von Farbekörnchen zu
finden, dagegen die Umgebung voll davon und eine Menge
damit beladener Wauderzellen im Begriff, die störenden
Partikelcheu nach weniger darunter leidenden Körper-
stellen zu transportiren. Etwas ganz Aehuliches pflegt
übrigens unter der Haut frisch Tätowirter vorzugehen.
Zum Zwecke des Tätowirens wird mit einer Nadel oder
kleinen Lanzette das Bild in die Haut geritzt und in die
leicht blutenden Risse pulverisirte Kohle oder Zinnober
eingerieben. Der grösste Theil der Farbe bleibt freilich
für immer an Ort und Stelle liegen; nicht wenig davon
findet sich aber auch gelegentlich bei Obductionen in den
benachbarten Lymphdrüsen, eben durch die Leucocyten
dort abgelagert. Wäre deshalb ein so trivialer Vergleich
erlaubt, so könnte man diese amoelxiiden Wesen als eine
Art Schutzpolizei unseres Körpers bezeichnen, jedoch ist
in Wahrheit ihr Werth für das Leben noch weit umfang-
*) Vergl. „Natui-w. Woehfiisclir." IV S. 25.
146
Naturwisscnscliaftlichc Wochenschrift.
Nr. 15.
reicher. Ganz zu schweigen von ihrer Bedeutung als
Regeneratoren der rothcn Blutkörperclien, hahen neuere
Untersuchungen ihnen auch einen erhel)Hchen Antheil an
dem Abhxuf des Stoffwechsels eingeräumt. Sie betheiiigcn
sich diesen zufolge an der Resorption des in der Nah-
rung aufgenommenen und durch die Darmverdauung in
eine feine Emulsion verwandelten Fettes, indem sie sich
dicht unter die Oberfläche der Schleimhaut begeben, in
das Darmlumen Fortsätze hineinsenden und diese mit
Fetttröpfchen beladen wieder einziehen, um dann mit ihrer
Beute nach den grösseren Lymphbahnen zurückzuwandern.
In ganz ähnlicher Weise liegt ihnen die Vertilgung und
Beseitigung aller organischen Fremdkörper, sie seien nun
dem Organismus künstlich einverleibt oder eigene abge-
storbene Theile desselben, ob; eine Thatsachc, zu deren
Feststellung Medicin und Zoologie sich die Hand reichten.
So benutzt die moderne Chirurgie schon seit einer Reihe
von Jahren ein aus Schafdarm präparirtcs Nähmaterial,
Catgut, für tief im Innern gelegene Wunden, die nach
dem Verschluss der äusseren Körperdeckc möglichst für
immer dem Auge und der Hand des Operateurs entzogen
bleiben sollen. Die Catgutfäden werden mit der Zeit bis
zum völligen Verscliwinden resorbirt: Parenchymflüssigkeit
und zahlreiche Leucocyten dringen in ihre Lücken, lösen
sie auf, zertrümmern sie und führen die Trümmer bis auf
den letzten Rest fort. Auch noch in einer anderen Be-
ziehung sind die Wanderzellen für den Wundarzt von
hohem Interesse, insofern nämlich der Vernarbungsprocess
jeder Gewebstrennung durch das Eindringen weisser Blut-
körperchen in die nächste Umgebung der Verletzung ein-
geleitet wird und dereu Anwesenheit einen bemerkens-
Averthen, wenn auch noch nicht in allen Funkten ganz
klaren Einfluss auf die Heilung ausübt. Von naturwissen-
schaftlicher Seite haben uns hinsichtlich des Antheils der
Leucocyten an physiologischen Resorptionsvorgängen na-
mentlich die Untersuchungen Metschnikoft"s über die Re-
duction des Ruderschwanzes der Batrachierlarvcn und
jene von Kowalewsky und van Rees über die bei der
Metamorphose der Dipteren stattfindenden Reductious-
processe aufgeklärt.
Aus dem Gesagten geht wohl zur Genüge hervor,
dass die Leucocyten schaarenweise überall dahin wan-
dern, wo immer im Körper lebende oder todte Mikro-
organismen eingedrungen sind; wo anorganische oder
organische Fremdkörperchen lagern; wo Gewebsstörungen
stattgefunden haben; wo es gilt. Abgestorbenes zu re-
sorbiren. Was giebt aber die Veranlassung dazu? Nach
Analogie gewisser Vorgänge bei der Fortpflanzung nieder-
ster Lebewesen möchte man annehmen, dass sich hier
Processe chemotaktischer Natur abspielen, dass mit anderen
Worten von den Zielen der Leucocytenwauderungen aus
sich chemische Stoffe in die Umgebung verbreiten oder
sonst chemische Veränderungen in der Nachbarschaft an-
geregt werden, welche, auf die Lymphkörperehen treffend,
diese zu Bewegungen in specifischer Richtung, nämlich
auf das Erregungscentrum zu, veranlassen. Allerdings ist
damit die zu erklärende Thatsache eigentlich mehr um-
schrieben als erklärt, aber es ist doch wenigstens die
Richtung vorgezeichnet, in der weitere Forschungen statt-
zu finden hätten und inzwischen auch stattgefunden haben.
Einige frühere Versuche anderer Autoren vervoll
kommnend, hat Buchner den Beweis geliefert, dass aus
dem Protoplasma der Mikroorganismen sich Stoffe dar-
stellen lassen, welche eine stark chemotaktische Wirkung
auf die Wanderzellen ausüben. Der in die inficirten
Gewebe übergehende Inhalt abgestorbener Bacterienzellen
ist also die Ursache der Eiterung, und es sind nicht die
Stoffwechselproducte der lebenden, denen vielmehr die
Rolle der Fiebererzeuger zufällt. Genauere Prüfungen,
zuerst am Friedländer'schen Pneumobacillus — dem Erreger
der Lungenentzündung — angestellt, ergaben, dass die
pyogene Substanz von den Albuminaten der Zelle ge-
bildet wird. Isolirt und sterilisirt, ruft sie typisciic Eite-
rungen liervor, die sich von den alltäglichen nur durch
das Fehlen der Bacterien unterscheiden.*) Somit ist end-
lich die Möglichkeit echter aseptischer Eiterungen, welche
der berühmte Chirurg Hueter noch energisch bestritt, er-
wiesen und die Bedeutung der vielfach erfolgreichen Ver-
suche, durch sterile, Ijacterienfreic, chemische Agentien,
wie Crotonfil, Calomel, Höllenstein, Abscesse zu erzielen,
ins rechte Licht gesetzt: Die genannten Chemikalien üben
eben auch eine chemotaktische Wirkung auf die Leuco-
cyten aus.
Nachdem Büchner zuerst aus Kartoffelculturen des
Pneumobacillus von Friediänder einen Eiweisskörper, das
,,Pneumiil>acillenprotein", dargestellt und dessen chemo-
taktische Wirkung erprobt hatte, unterwarf er noch etwa
15 weitere BaciUenartcu derselben Methode und erhielt
unter anderem von B. pyocyaneus, B. subtilis, B. acidi
hictici, vom Typhusbacillus und Staphylococcus pyog.
aureus analoge Proteine. Diese wurden in gelöstem Zu-
stande in spindelförmige, einige Millimeter weite Glas-
röhrchen eingeschmolzen; die Röhrchen durch Auskochen
sterilisirt, Kaninchen aseptisch unter die Haut gebracht
und später subcutan durchgebrochen. 2—3 Tage darnach
zeigten sich in den Ivöln'clien mehrere Millimeter starke
Eiterpfropfen, wie immer zahllose weisse Rundzellen ent-
haltend.
Den Bactcrienproteinen stehen die Pflanzencaseine
chemisch nahe. Auch diese erweisen sich als stark leuco-
cytenanziehend, sei es, dass reines Glutencaseiu, dar-
gestellt aus Weizenklcber, zur Verwendung kam, oder
dass eine subcutane Injection von sterilem Erbsenmehlbrei
vorgenommen wurde. — Von den Umwandlungsproducten
thierischer Gewebe zeigten sich wohl reinste Gelatine,
gewisse Alkalialbuminate und Hemialbumose, keineswegs
aber Eiweispepton chemotaktisch. Dass gerade Albuminate
unter Umständen chemotaktisch wirken, erscheint übrigens
besonderer Beachtung wertli in Rücksicht darauf, dass die
Darmschleimhaut resorbirtes Pepton in P^iweis zurückvcr-
wandelt. Beide Thatsachen zusannnengehalten, werfen,
worauf Hueppe kürzlich aufmerksam gemacht hat, ein
neues Licht auf die erwähnte Betheiligung der Wander-
zellen an der Fettverdauung.
Die Frage, ob nicht auch die sogenannten Zersetzungs-
stoffe der Bacterienzellen die Leucocyten anlocken, muss
auf Grund von ähnlichen Röhrchenversuchen, wie die eben
beschriebenen, negirt werden; und zwar sind hierfür
gerade die Röhrchenversuche von positiver Beweiskraft.
Denn wenn die fraglichen Substanzen einfach unter die
Haut eingespritzt werden, so ist, falls eine Eiterung folgt,
immer noch der Einwand erlaultt, dass die Injections-
masse nichts selbst, sondern nur infolge der von ihr be-
dingten chemischen Veränderungen der Umgebung chemo-
taktisch wirkt. Vielleicht werden eben auf diesem in-
directen Wege die aseptischen Eiterungen durch Terpentin,
Calomel, Quecksilber, von denen schon die Rede war,
erregt. Denn eine directe Anziehungskraft auf die Lymph-
körperchen wird man den genannten Chemikalien kaum
zuschreiben dürfen.
Wie bereits erwähnt, kommen Entzündungen ohne
Eiterungen vor, nie aber letztere ohne erstere. Mit der
Eiterbildung ist stets eine Schwellung des betroffenen Ge-
*) Es ist interessant, dass ein Zusatz wässeriger Methyl-
vioIottlösunR zu der sterilen Emulsion von Pneumobacillen die
Eitererregunjn; hemmt, gemäss der Thatsache, dass basische Anilin-
farben die Albuminate des Bacillenplasmas chemisch binden.
Nr. 15.
Natiirwissenschaftliclic Wochenschrift.
147
vvebes, also eine abnorine Durclitrilukung desselben mit
Blutflüssiglveit verisnüpft. Dalier liei^'t die Frage nahe,
ob diese regelmässige iieglcitersclieiming der Leucoeyten-
ansannulung, diese entzündliche Reizung ebenfalls der
Einwirkung der chemotaktischen Stofte ihren Ursprung
dankt. Subcutane Injectionen von Protein des 15. pyo-
cyaneus, am Menschen ausgeführt, beantworteten diese
Frage in entschieden affirmativem Sinne. Leucocytose
und entzündliche Schwellung, Röthung und Scbmerzhaftig-
keit sind untrennbar vergesellschaftet.
Von den hier in Kürze dargestellten Resultaten mühe-
voller Forschungen wird eine neue Entzündungstheorie
ernstlich Notiz nehmen müssen; vielleicht kommt ihnen
auch einmal eine praktische Bedeutung in der Heilkunde
zu. Vor allem aber sei hier auf ihren Werth für die
Biochemie aufmerksam gemacht.
Material zu einer Biographie Christian Konrad Sprengel's.
Zusammengestellt im Auftiago der Redaktion von Dr. Robert Mittniann.
(Schluss.)
(Chronik Seite 2G7.) Bereits S. 264 ist ausgeführt
worden, dass der rector seine privat Stunden aufgegeben,
unter dem Vorwande, dass der privatisteu zu wenig seyen,
als dass ihm seine j\lühe bezahlt werde; & dass er, als
man ihn hier dazu anhalten wollen, mit seiner Vorstellung
ans Oberconsistorium gegangen. Dies theilte unterm
loten Sept. dem niagistrat & mir sein Gesuch mit & be-
fahl uns, binnen acht Tagen darüber zu berichten. Seine
Vorstellung vom 4ten Sept. gründete sich theils auf die
zu wenigen privatisten, derentwegen seine Arbeit nicht
gemig bezahlt werde, theils auf den Verdruss, den er
davon oft schon gehabt, theils auf seine vocation, die
ihn dazu nicht verbinde; erwähnte auch, dass ihn Insp,
hierzu nicht verpflichtet achte, hingegen Üirigens es ihm
zum Gesez machen wolle. Magistrat & ich stellten theils
gemeinschaftlich den 27ten Octob. vor: dass, solange
diese Schule existire, privat Stunden gehalten worden,
& wenn es in des Rectors vocation nicht stehe, man
nichts daraus haben können, ihn durch Vorschrift zu
seinem Vortheil zu verbinden; dass es die Umstände der
Schide, an der der Subrector eingegangen, von dessen
Gehalt auch seines vermehrt sey, nöthig machten, dass
er privat Stunden halte; dass er an der jetzt kleinen
Zahl seiner privatisten selbst Schuld sey & wenn er
menscidiclu'r mit iinien umgehen möchte, mehr deren haben
würde; allein, dass er sich, wie alles zeige, nicht zum
Rector hiesiger Schule schicke & uns nur nachgelassen
werden möchte, einen andern zu erwählen: theils wieder-
holte & bestätigte ich dies Alles insbesondere noch durch
mehrere Gründe; zeigte, wie unschicklich er unterrichte,
was für Schallen er der Schule thue, wie so ganz sie zu
Grunde gehe & das an einem ( )rte, wo die Lehrer nicht
schlecht besoldet & wo 4 Stipendien seyen; stimmte end-
lich mit ein in die Versicherung; wie nöthig eine Verände-
rung mit ihm & eine Wahl eines anderen Rectoris für
diese Schule sey. Allein die resolution war: dass, da er
nicht durch seine vocation zu privat Stunden verpflichtet
sey, er wieder seinen Willen nicht dazu angehalten werden
könne. Er hat also seitdem keine privat gehalten & die
Schule muss durch seinen Eigensinn, der Unterstüzung
findt, leiden. (Chronik S. 268.) D. 1. Dez. fragte der
rector Sprengel bey mir schriftlich an: Ob er den Sohn
des Juden Gabriel, den ihm der ( »Inistlieutenant von Lattorflf
empfohlen habe, in die Grosse Schule aufnehmen dürfe?
Ich antwortete ihm, dass die Aufnahme ohne Bedenken
geschehen könne. (Chronik S. 270 1785.) D. 23. Juny
verwies ich dem rector schriftlich, dass er, ohne mein
Vorwissen, zur Schulzeit verreist sei & durch candidaten
seine lectionen versehen lassen & erinnerte ihn an seine
vocation, die ihn verbände, in soleben Fällen sich vorher
bey mir zu melden, auch durch seine coUegen seine lec-
tionen zu besorgen.
(Chronik Seite 287.) D. 8. Januar hatte der rector
Sprengel die Secundaner nicht aus der Schule lassen
wollen, als sie zu den rredigern zum Unterricht im
Christenthum gehen wollten, auch behauptet: die Prediger
koenuteu erst um lOh den Unterricht anfangen, wenigstens
wäre er nicht verbunden, sie eher dazu fortzulassen.
Als mir 11. Fidler dies anzeigte, bedeutete ich dem I\Iann
ernstlich, dass der Unterricht zum Abendmahl der Schreib-
stunde vorgehen & er keine Weitläufigkeiten & Hinder-
nisse gegen die hier eingeführte & nicht so leicht abzu-
ändernde ( )rdnung machen solle.
(Chronik S. 298. 1790.) D. Uten Febr. theilte mir
der magistrat eine Klage mit, die ein Theil der Bürger-
schaft wieder den rector, der ihnen erst Kosten für
Bücher & Landcharten gemacht habe, wenn er ihre Kinder
heraufsezeu solle & nun sie sizen lasse; der nicht auf die
andern Lehrer sähe; der sie hinderte, zum Prediger in
Unterricht zu gehen; der aus der Religion nichts machte
und in keine Kirche ginge
angebracht Jiatte
um mein Gutachten darüber, dass ich dahin gab:
it bat
dass in
der Klage so manch unwahre & unerhebliche Beschwerde
unter wenig wichtigen sey & dass man sie nicht, wie die
Bürgerschaft verlange, höheren Orts vorlegen könne; dass
über dem die Hauptveranlassung der Beschwerde, nach-
dem gestern die Kinder heraufgesezt worden, bereits ab-
gethan sey; dass endlich die wichtigsten Klagen noch
einer näheren lieleuchtung nöthig hätten, wenn man einen
guten Endzweck erreichen wollte.
Gegen-
Indess man Hess ihn d. 25. Febr. in meiner
wart zn Rathhause kommen, wo er, nach einigen Debatten,
sich nicht abgeneigt erklärte, die Wünsche der Bürger-
schaft zu erfuellen; nur moechte man ihm schriftlich zu-
stellen, was man eigentlich von ihm verlangte, da er
dann gleichfalls darueber schriftlich sich erklaeren wollte.
Unterm 20 März wurde ihm diess vom Magistrat &
Insp. geschrieben (welches ich doch, da es mir aus \'er-
sehen nicht zur Unterschrift zugeschickt war, nicht mit
unterschrieben hatte): Er sollte auf den Schulfleiss i*c
Methode der andern Lehrer Acht haben & bey deren
Maeugeln in letzterer ihnen mit gutem Ratli zu llülftc
kommen; die Kinder nicht zurückhalten, wenn sie aus der
Schule zum Prediger gehen wollten; die Jugend mehr
durch Guete als Haerte ziehen; den Religionsunterricht
nicht ])ei Seite sezen; den Unterricht im Briefstyl >.*i: Grie-
ciiischen nicht versaeumen ; hauptsaechlich auch wieder
privat Stunden halten: ohne welchem mau die Sache ans
Oberschulcollegium bringen werde.
Er antwortete d. oOten Maerz darauf: dass er wohl
wisse, wie man Knaben behandeln muesse, aber auch,
wo Guete nichts helft'e, Ernst gezeigt werden nniesse;
dass er selbst Religionsunterricht gebe, aber andere, die
keine Gaben haben, darinn zu unterrichten, dazu nicht
anweisen koenne; dass er solche Knaben, als er jetzt
habe, noch keinen Brief zu schreiben, lehren koenne;
148
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 15.
dass er den Unterriclit im Sciioensclireil)en für nütliiger
als Griechischen halte; dass er die privat Stunden nur
unter der Bedingung wieder anfangen koenne 1.) dass
die vier Nachmittagsstunden davon wegfallen, 2.) dass
12 Schüler dazu seyen, die jeder vierteljährlich 2 Thlr.
geben, also 100 Thlr. zusammen konnnen, als soviel man
als collaborator*) beym Wcrdcrschcn Gymnasio für so-
viele Stunden empfange, 3.) dass er an den recordationen**)
seinen Theil habe, wenn er auch nicht mitgehen & koennten
von ihm, conrector & Küster in der Zeit (Chronik S. 299)
Schulstunden gehalten werden & bloss der cantor mit-
gehen. Übrigens seyen in der Schule einige Luftfenster-
chen nöthig, ferner nothwendig, dass die Tische in Sexta
näher an einander gel)racht & die Schulstube ausgeweisset
werden. Der Justizrath theilte mir dicss mit & verlangte
meine Meinung darüljer, dem ich antwortete: dass wir
auf keine Weise damit zufrieden sein koennten; dass seine
Angaben zum Theil unwahr, zum Theil rechthaberisch &
eigensinnig seyen & dass man ihm geradezu aufgeben
nmesste im Briefstyl oder Griechischen zu informiren
& die privat Stunden, wie sie hier gebraeuehlich waeren,
zu halten: wiedrigenfalls man hoeheren Orts die Sache
ausmachen würde. Der Polizeybürgermeister Hertig über-
nahm das, hats aber bis 1791 liegen lassen, da davon
weiter vorkommen wird.
(Chronik Seite 301) .... theils der z. Z. Cantor
Bremer, als er zum letzten Male das Cliorgeld auszahlte,
gegen den rector sich verging tt ihm sein freylich zu ge-
ringes & besser verdientes Zeugniss vor die Füsse warf.
Da der rector dies dem Gberconsistoiio anzeigte & aut
satisfaction drang: so wurde dem Bremer die approbation
zum Zehdenickschen Cantorat versagt.
(Chronik Seite 303.) Von den inspectoren meiner
Amtsgeschichte 1790 & 1791.
.... Der rector Sprengel hatte im Ausgange des
Februar das jährliche Examen gehalten & in der Foelde-
richschenRede***) nach seiner Gewohnheit allerley empfind-
liche Sachen über anders Denkende & Lehrende ein-
tliessen lassen. Als er einige Tage nachher bey der Schul-
conferenz unwillig that, dass so wenige Leute & kein
einziger Bürger zugegen gewesen: so sagte ich ihm, wo-
her das käme & dass in jeder seiner Schulreden Anzüg-
lichkeiten wären, die die Leute von ihm vertrieben. Dies
wollte er nicht einsehen & schickte mir den 4ten Maerz 1791
seine letztere Schulrede zu, damit ich darinn bemerken
möchte: was jemanden darinn emptindlich sein koeunte?
Ich unterstrich ihm verschiedene Stelleu & schrieb ihm,
dass er gut thun wuerde, dergleichen zu vermeiden oder
sich endlich alles zu Feinden machen wuerde, was doch
der rechthaberische Mann nicht begreiffen wollte. —
(Chronik S. 305.) Den 26. Jnly 1791 hatte endlich
der Polizeybürgermeister Hertig, was er schon im Maerz
1790 übernommen hatte, dem Oberschul collegio vorge-
stellt, dass unsere Stadtschule in der groessten decadence
sey, was man keinem Andern als dem rector zuschreiben
koenne, der mit Unlust & Haerte lehre, weder mit den
Predigern & Schullehrern, noch mit der Bürgerschaft sich
vertrage; gegen alles, was Theologie heisst, beym Unter-
richt sich unwillig zeige; durch keine Vorstellung & Zu-
reden bessern lasse; das Chor vernachlaessige ; keine
jjrivat Stunden halte: welche Nachlaessigkeit auf die
Unterlehrer & Schuljugend die traimgste Würkung habe.
*) collaborator ^ nichtetatsmitssiger Hilfslehrer.
**) recordationen = Geldgeschenke, welche die Chorschüler,
wenn sie bei Beerdigungen oder andern Gelegenheiten gesungen
hatten, in der Chorbüchse einsammelten.
*■■'■*) Zum Halten dieser Rede war der Rector durch das
Foelderich'sche Legat verpflichtet, welches er während seiner
Amtsdaucr genoss.
Er bat, Maassregeln zu ergreitfen, dies zum Vortheil der
Stadt abzustellen.
Hiernach ergieng d. 6. Sept. ordre an mich, hier-
über desfordersamsten Bericht abzustatten. Ich that diess
& bezeugte, dass alles dies & noch mehr wahr sye; be-
wies aber auch sowohl aus der ganzen Denkungs- &
Lehrart des rectors, als aus seiner Unlust, hier zu unter-
richten & besonders aus seinem Mangel an Religion &
Menschenliel)e, dass, so lange er hier rector seyn werde,
es nicht besser werden werde; bat, ihn bey einer hoeheren
Anstalt, wo er nüzlicher werden koennte & unter direetion
eines Mannes, dessen autoritaet er nicht verkaeunte, wer-
den müsse, anzustellen & bis dahin zur Haltung der hier
unentbehrlichen privat Stunden anzuhalten; einer Sache,
die er jetzt unentgeldlich thun koenne, da einem hiesigen
rector durch testament des Hofstaatsholzschrcibers Ebel
ein legat von fast 150 Thlr. jährlieh zugefallen. (Dieser
Ebel, der d. 31 August zu Berlin verstorben war, hatte
in seinem testament vom 27ten July ej. a. festgesetzt,
dass, da er in Spandow gebohren & von einem ehe-
mahligen hiesigen rector nicht nur die Grundlage zu
mancherley nüzlichen Kenntnissen erhalten, sondern vor-
nehmlieh auch zur Gottesfurcht & Tugend geleitet worden,
wovon er sein ganzes Leben hindurch bis jetzt vielen
Trost & Beruhigung eingeerndtet & also aus Erfahrung
wisse, was ein geschickter, erfahrener & menschenfreund-
licher rector einer Schule für Nuzen stiften koenne, er
drey 1000 Thlr., wovon 2000 bey der Landscliaft zu
5 pro Cent & 1000 bey der Seehandlung zu 4 pro cent
stünden, legire, deren Zinsen einem jedesmaidigen rector
der Spandow'schen Stadtschule zufallen sollten, damit man
hier einen solchen Mann haben könnte, der sie wieder zu
diesem vorigen Flor brächte.) Dies legat bewog das
Oberscinil collegium, d. 1. Nov. dem magistrat ä mir zu
befehlen, da es das hiesige Schulwesen auf einen bessern
Fuss sezen wolle, fordersamst den jezigen lectionsplan
einzusenden & dabey anzuzeigen, zu wieviel oeft'entlichen
Schulstunden der rector verpflichtet sey & ob es Schwürig-
keit finden dürfte, die privat Stunden, sowie es in andern
Staedten l)ereits geschehen, in oefl'entliche Stunden für
ein maessiges Schulgeld zu verwenden; übcrhaujit aber
wegen besserer Einrichtung des hiesigen Schulwesens gut-
achtliche zweckmaessige Vorschlaege zu thun. Ehe wir
dies thaten, conferirten wir mit dem rector & sämmtliehen
Schul collegen an einem aussergerichtlichen Tage zu
Rathhause; thaten allerley nüzliche Wirschläge; suchten
besonders den rector durch Vorstellung des legats, das er
erhalte, & der Absicht des testatoris, zu Haltung von
privat Stunden zu bewegen; konnten aber nichts l)ey ihm
ausrichten, als der immer dabey blieb, dass dies nicht
buchstäblich im legat von ihm gefordert war. Wir über-
reichten also d. 10. Dec. dem Oberschulcollegio 1) den
bisherigen lectionsplan des Rectors & einen von uns etwas
abgeänderten & uüzlichern dergleichen; bewiesen für's
2.), dass der Rector für seine Einnahme zu wenig Stunden
gebe, & nach solchem Zuwachs an Gehalt, als er nun
erlange, taeglich Vormittags privatim eine Stunde mehr
gratis geben koenne, legten 3) dar, dass wegen des
Foelderich'schen legats hier für keine oert'entlichen Schul-
stunden was ))ezahlet werden koenne; zeigten endlieh
4), dass unserer Schule am Besten durch Wegsezung des
Rectors an eine hoehere Schule & durch Zurruhcsezung
des alten Conrectors Dilsehmann geholfen werden koenne.
Letzter würde gerne aljgehen, wenn er nur von seinem
Nachfolger jaehrlich 100 Thlr. erhielte; was aber nicht
zu erwarten stünde, da die Conrectorstelle kaum 180 Thlr.
trage. Ersterm, dessen sichere Einnahme nach Zuwachs
des Ebel'schen legats 402 Thlr. 20 gr. mache, moechte
man, bis zu anderweitiger Versorgung, von der Rector-
Nr. 15.
Naturwissciiscliaftliclio Wochensclirift.
149
ciniiajinic jaehrlich 200 Tlilr. lassen & kiimitc hotil'en, für
das Übrige & die Aussiclit der Verbesserung- einen jungen,
geseliickten & willigen Mann zu erhalten. Sollte das
Oberseliulcollegium das nielit genelniiigen; so baetcn wir
wenigstens, ihn nachdriieklieh zu zweekniässigerer (Chro-
nik S. 306) Haltung- seiner bisiierigen oetf'entlichen Stun-
den i*v: zu wenigstens 6 neuen Stunden woechentlieli l'ürs
Ebel'sehe legat anzuhalten. Unsere Vorstellungen hey
ihm deshalb seyen vergeblich gewesen & doch scy es
sowohl die Absicht des testatoris, der Schule durch ihn
mehr aufgeholfen zu sehen, als unsere Pflicht, für die Er-
fuellung dieser seiner sichtbaren Absicht zu sorgen. Er
werde sd gut dafür Ijelohnct, als der, wenn er nur wolle,
über .''lOO Thlr. jaehrlich haben koenne, & behalte nocli
soviel Zeit für sich dabey übrig, dass wir uns auf nach-
drückliche ünterstüzung- des Oberschulcollegii Rechnung
machen koennten, ohne welche die schwierige Bürger-
schaft innnediatc an den Koenig gehen nioechte.
(1792.) Wir erhielten hiernach d. 17. Jan. 1792 zur
resdlutiiin, dass, obgleich unser lections Entwurf noch
manche Verbesserung uoethig haette, es doch bey der-
niahligem Unvermoegen des Conrectoris raehrentheils da-
bey bleiben nioechte; auch solle Rector, nach unscrm
Vorschlage, woechentlich sechs Lehrstunden mehr geben,
& dadurch dem Ebelschen legat ein Genüge thun, wovon
drey Stunden zur arithmetie & zum elementarunterricht
in der matheniatic, zwey Stunden zum Franzoesischen &
eine zum Lateinischen angewandt werden moechte; &
sollten wir die Tage & Stunden dazu mit Zuziehung des
Rectoris cintheilen.
An den Rector rescribirte es insbesondere, dass nicht
zu leugnen sey, dass der Rector l)isher zu wenig Lelir-
stunden gehabt habe. Es werde ihm also zur Pflicht ge-
macht, ausser seinen bisherigen dreyzehn Stunden noch
sechs zu übernehmen, welches um so nothwendiger sey,
als er von jeher zwanzig oeffentliche Lehrstunden haben
sollte; welcher Einrichtung nur durch eine naclitheilige
combiuation ausgewichen worden. Auch sey dies der
Stiftung-, die ihm jezt eine so ansehnliche Verbesserung
gewähre, gemäss; da ihre Absicht die Erneuerung & Er-
haltung des Flors der Spandowscheu Schule sey. Er
solle also künftig haben 6 Lateinische Lehrstunden in der
oberen, zwey dergleichen in der combinirten dritten &
vierten classe, zwey Stunden zum Religionsunterricht, eine
Stunde zur Naturgeschichte, drey Stunden zum Unterricht
in der deutschen Sprache, verbunden mit practischen
Üliungen im Briefstyl & andere kleinere Stylübungen,
drey Stunden zum Untcrriclit im Rechnen & überhaupt
zum mathematischen elementarunterricht, die zwey übrigen
Stunden zum Französischen. Da in dem rescri))t ihm so
sanft begegnet worden, dass sogar seine dem (tber-
schulcollegio hinlänglich bekannte Geschicklichkeit ge-
rühmt worden; so machte er sich das zu Nuze bei Ein-
theilung der Stunden, wo wir ihm mehrcntiicils den Willen
lassen & zufrieden seyn mussten, dass er nun doch sechs
Lehrstunden mehr zu geben hatte. Die neuen lectionen
gingen erst nach Ostern an, weil sich die Kinder erst die
Buecher dazu anschaffen mussten. Zu der Zeit wurden
aueli auf seinen Antrag die Schulstunden nach Mittags
wieder um 1 Uln- angefangen, die seit verschiedenen
Jain-en erst um halb zwey Uhr angefangen waren; wo-
durch er theils eine halbe Stunde frueher fertig werden,
theils den Lärmen der bald nach 1 Uhr sich versannueln-
den Kinder vom Kirchhofe wegschaffen wollte.
(Cln-onik S. 407. — 1794.) 1794 d. 26. Aug. wurde
er durch rescript aus dem Geistl: departement auf 150
Rthlr. pcnsion gesezt und d. 22. Sept. vom Magistrat it
mir zum neuen Rector, H. M. Carl Ludewig Schnitze von
hier gebürtig, gewählt, der auch von uns d. 23ten Oct. ej. a.
vocirt & von mir introducirt wurde.
Aus den Acten des Gymnasiums zu Spandan.
Im Jahre 18.'')3 wurde die Schule zum Range eines
Progymnasiums erhoben und am 15. October eröffnet.
In dem aus diesem Anlass gedruckten Festprogramm giebt
der damalige Oberprediger Gutlicke eine Geschichte der
Anstalt. Ueber die Amtszeit Sprengel's flnden sich in
dieser Geschichte nur die folgenden, ohne Zweifel aus
der Schulze'schen Chronik entlehnten Bemerkungen:
1791 vermachte der Staatsholzschrciber Ebell 3000
Thlr. dem Rectorat, davon der Rector die Zinsen erhielt.
Unter dem L'ector Spi-engel, einem jähzornigen und eigen-
sinnigen Mann von 1780—93 fing die Schule zu verfallen
an, hob sich zwar dann unter Carl Ludwig Schulze wieder
etwas, sank al)er waehrend des Freiheitskrieges und nach
demselben unter Plischkowsky zur gewöhnlichen Bürger-
schule, nur dass das Lateinische beiltehalten wurde, bis
sie zur Zeit ihren gymnasialen Character wieder anerkannt
erhalten hat.
Weiteres ist aus den Acten des (iymnasiums, welche
der derzeitige Directoi-, Herr Dr. Pfautsch, auf Ersuchen
der Redaction der „Naturw. Wochenschrift'- die Liebens-
würdigkeit hatte darauf hin einzusehen, nicht zu ent-
nehmen.
Die Acten der Stadt Sjjandau.
Auch in dem z. Z. im Archiv der Stadt aufbewahrten
Theil der alten Acten der ehemaligen „Grossen Schule'-,
welchen Herr Stadtrath Wolff zu diesem Zweck durch-
zusehen die Freundlichkeit iiatte. findet sich keine weitere
auf Sprengel bezügliche Nachricht.
Die künstliche Niicliiiliimniif der karyokiuetischeii
Figur. — Wie M. Traube 1867 auf clicmischcm Wege
wachsende, künstliche „Zellen" erzeugt hat, um zu einem
Verständuiss des Wachstiinms der lebenden Zellwandung
zu gelangen, so hat neuerdings 0. Bütschli versucht,
sich experimentell die Karyokinese klar zu machen, also
die Entstehung der eigcnthümlichen bei der Zeilenkcrn-
theilung in die Erscheinung- tretenden Figuren (Verhandl.
der naturh.-nied. Ver. zu Heidelberg). Schon frühere
Exj)crimente des Genannten verfolgten die Richtung- den
Bau des Protoplasmas verständlich zu machen, indem er
z. B. durch Schütteln einer Mischung von Oel und AVasser
eine der Plasmastructur ähnliche Masse insofern erhielt,
als sie sich als Wabenräumen zusammengesetzt zeigte.
Gerinnende (iclatinc-Oeischäume, die er neuerdings be-
S(niders eingeliend stuiliit hat, zeigten nun bei mikrosko-
pischer Betrachtung eine von den Zclltlieilungsvorgängen
her bekannte Erscheinung, indem in der Umgebung von
Luftblasen eine radiäre Strahlung „Sonnen"-Bildung be-
obachtet wurde, die an die Strahlung an den beiden
Polen der karyokinetischcn Figuren erinnerten. Bei der
Abkühlung der Schäume erleiden die Luftblasen eine Zu-
sammenzichung, und es entsteht ein Zug auf die Um-
gcbungsbestandthcilc nach der Richtung der Blase, dieser
äussert sich durch die Badiärstructur dieser Bestandtheile.
Wenn zwei Luftblasen sich in einer Entfernung- von ein-
ander befinden, dass die Zugwirkungen beider sich merk-
lich beeinflussen, so werden die beiden Luftblasen biru-
150
Naturwissenschaftliche Wochenschiift.
Nr. 15.
eifönuig-, indem die spitzen Enden beider einander zu-
gekehrt sind. Zwischen zwei solchen Blasen entsteht eine
Spindel- bis tonnenfönnige Figur durch Ablenkung der
sonst radiär um jede einzelne Luftl)lase gruppirten Strahlen :
wir erhalten also eine mit der karyokinetisehen übcrein-
stinnnende Figur.
Nach Bütschli sind demnach die Ceutrosomen (Luft-
blasen) die Verursacher der „Sonnen"; freilich nehmen,
umgekehrt wie die Luftblasen, die Centrosomeu, wie es
scheint, während der Bildung der Sonnen an Grösse zu,
aber das erklärt der Autor als nicht sehr belangreich für
den Vergleich, da die Vergrösscrung offenbar in Folge
der Aufnahme von Flüssigkeit stattfinde, die man sich
als chemisch mit der Centrosomcn-Substanz gebunden vor-
stellen könne, und weil die Centrosomeu-Zuuahme im
Vergleich mit der Abnahme des umgebenden Plasmas
geringer sein dürfte. Eine Probe auf diese Anschauung,
die Bütschli durch Ilineinbringung kleinster Stückchen ge-
brannten (also H^O anziehenden) (iypses in die Schäume
machte, zeigte die Bereelitigung derscllien, indem in
der That auch der gebrannte Gyps, wenn auch be-
schränkter, Strahlen hervorruft.
Die die Aequatorialplatte bildenden Partikelclien
werden nach Bütschli's Auffassung durch die Zugwir-
kungen der beiden Centrosomen in zwei Gruppen
zerlegt.
lieber „das System der Farne" hat der kürzlieli
verstorbene Prof K. Prantl in den von ihm neu heraus-
gegebenen „Arl)eitcn aus dem königlichen botanischen
Garten zu Breslau" (vcrgl. „Naturwissenschaitl. Wochen-
schrift" VII S. 490) einen Abschnitt begonnen, iu welchem
er auch schon die Familien der Farne neu gruppirt. Zum
besseren Vergleich der Nova in dem Prantrschen System
wollen wir vorerst kurz an die bisherige Gruppiruug er-
innern. Die gesamnite Grujjpe sehen wir z. B. in Eichler's
Syllabus, eingetheilt in 1. Filiees und 2. Riiizocarjjcae
(Hydropterides), letztere mit den Familien der Marsilia-
ceen und Salviniaccen. Die Filiees sehen wir unterab-
theilt in A. Leptosporangiatae, mit einzcUschichtiger
und B. Ensporangiatae, mit mehrzellschichtiger Sporan-
gienwand. Die Leptosporangiatcn enthalten die Familien
der Mymenophyllaceen, Polypodiaceen, Cyatheaceen,
Glcicheniaceen, Schizaeaceen und Osmundaceen, welche
bekanntlich alle ebenso wie die beiden P'amilicn der
Eusporangiaten, die Marattiaceen und Ophioglossaccen
auf Grund der Verschiedenheiten im Sporangicnbau klassi-
ficirt wurden. Das Prantl'sche System ist wesentlich ab-
weichend. Er sclieidet die Gesammtgruppe in I. Pteri-
dales mit den Hymenophyllaceen, Cyatheaceen, Polypo-
diaceen, Salviniaccen und Marsiliacecn und in II. Osmun-
dales mit den Schizaeaceen, Gleicheniaceen, Osmundaceen,
Ophioglossaccen nnd Marattiaceen. Im Folgenden einige
Worte zur Begründung dieses neuen Systems. Die Merk-
male der drei erstgenannten Familien der Pteridales,
welche eine besondere (iruppe für sich bilden, da diese
Merkmale allen ü))rigen Familien fehlen, liegen im Auf-
bau des Sporangiums und in der Gestalt des an dem
Aufspringen desselben betheiligten Ringes. Dieser ver-
läuft entweder der Länge nach oder nahezu der Länge
nach — etwas schräg. Das Aufspringen erfolgt <lurch
einen Spalt an der einen Seite des Sporangiums. Beson-
ders bemcrkenswerth ist, dass sännutliclie Hymenophylla-
ceen und Cyatheaceen nnd eine Tribus der Polypodiaceen
auszeichnende Vorhandensein eines „Receptaculums", d. h.
eines von einem besonderen Trachcidenbündel durch-
zogenen, vom fertilen Nerv sich erhebenden Polsters.
Dieses Receptaculum fehlt den Familien der Osmundales
durchgehends. Bei der letztgenannten Gruppe öffnen sich
die Sporangien, im Gegensatz zu denjenigen der Pteri-
dales, durch einen in ihrer Symmetrieebene verlaufenden
Längsspalt. Eine rechtwinklig zu diesem orientirte Zell-
gruppe, welche mechanisch bei dem Aufspringen mitwirkt,
ist in der Nähe des Scheitels des Sporangiums mehr oder
minder vollkommen entwickelt oder fehlt. Die Entwick-
lungsgeschichte mit Berücksichtigung von Uebergangs-
formen zwischen den leptos])orangiaten und eusporangiaten
Familien der Osmundales lehrt, dass auf die Ein- oder
Mehrzellschichtigkeit der Sporangienwandlung nicht das
Gewicht zu legen ist, wie in dem früheren System ge-
schehen ist. Nach Prantl ist in den Eutwickluugsvor-
gängen eine von den Schizaeaceen bis zu den Ophio-
glossaccen und Marattiaceen aufsteigende Reihe zu er-
blicken, in welcher die Segmentirung der Sporangien-
mutterzelle stetig an Bedeutung für den Aufbau der
Wandung abnimmt und schliesslich vollständig verschwin-
det. Auch in anderen Punkten zeigen sich wesentliche,
charakteristische Uel)ereinstimnun)gen zwischen den lepto-
sporangiatcn und eusporangiaten Osnunulales. Die Glciche-
niaceen und jMarattiaceen besitzen in der Entwicklung
ihrer Sporangien augenscheinlich die meiste Aehnlichkeit
mit den Schizaeaceen Itezw. Ophioglossaccen, und Prantl
hat sie daher, da sie ferner keinen unmittelbaren An-
schluss an die übrigen Familien erkennen lassen, vorläu-
fig den beiden letztgenannten Familien angeschlossen.
Von den sonst immer von den echten Filiees ausgeschlosse-
nen Salviniaccen und Marsiliacecn, die schon durch ihre
Heterosporie von den übrigen, den isosporen Filicinen,
al)weichen, zeigen die Salviniaccen in dem Aufbau der
Sporangien, in den Besitz des Receptaculums und Indu-
siums eine so unverkennbare Uebereinstinnnung mit den
Pteridales, dass nach Prantl ein Zweifel an ihrer Zuge-
hörigkeit zu diesen kaum aufkommen kann. Wenn man
auch zu den Marsiliacecn von der Heterosporic absieht,
so ist auch bei dieser Familie, wegen des Besitzes eines
Receptaculums, die Zugehörigkeit zu den Pteridales zu ver-
muthcn. Bezüglich des i)hylogenetischen Zusammenhanges
der Pteridales mit den Osmundales macht die Auffassung
des Sorus als fertilcr Blattstrahl, ohne Rücksicht auf die
Anzahl der Sporangien und auf die Nebenapparate wie
Rece|)taculum und Indusium, einen gemeinschaftlichen
Ursprung dieser beiden Reihen wahrscheinlich. P.
Die Arbeiten zur Errichtung eines Observatoriums
auf dem Mont-Blanc, über deren Inangriffnahme wir den
Lesern dieser Zeitschrift bereits in No. 35 {des vorigen
Jahrganges berichteten, sind inzwischen rüstig weiter-
geschritten. Bevor wir indess auf die neuen Pläne des
Herrn Janssen eingehen, wollen wir an der Hand einer
Notiz von A. Lawrence Rotch im „American Meteoro-
logical Journal" (Vol. IX, No. 9, January 1893) einen
kurzen ücberblick über die bisher auf dem Montblanc
schon bestehenden ]k'obachtungsstati(nien geben. Die da-
bei in Betracht kommenden Oertlichkeiten erhellen aus
der beistehenden, jener Notiz entnommenen Zeichnung.
Die erste auf dem Montblanc errichtete, noch jetzt
bestehende meteorologische Station war das Vallot-Obser-
vatorium auf dem „Rocher des Bosses"; es besteht seit
1890 und ist etwa 4400 m hoch gelegen. Ausgerüstet ist
es nut vielen meteorologischen und physiologischen In-
strumenten, von denen aber nur ein registrirendes Ther-
mometer, ein Hygrometer und zwei registrirende Baro-
meter (Quecksilber- und Aneroid Barometer) in Thätigkeit
zu erhalten gesucht werden. Diese Ajiparate sind sämmt-
lich von der bekannten Richard Freres'schen Construction,
und es brauchen nur alle vierzehn Tage die Papiere er-
neuert uud die Uhrwerke aufgezogen zu werden. Wäh-
Nr. 15.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
151
Grands Miilets Rui;hcrs Ronges
rcnd des Sommers wird diese Arbeit mit ziemlicher Regel-
iiiässigkcit durch Herrn Vallot selbst oder die Führer
besorgt, immerhin aber kommen hier schon einzelne ünter-
bi-echungen vor; im Winter sind die Apparate hingegen
günzlii'h ausser 'J'hiltigkeit.
Aclinlich ausgerüstet mit Instrumenten ist die im
Jahre 1891 durch den Französischen Alpen-Club auf den
„(irands Mulets" (ca. 3050 m) errichtete Hütte. Die Er-
gebnisse der gesammten von Herrn Vallot während der
letzten sieben Jahre auf dem Montblanc vorgenommenen
r.cobaclitungen sollen in Kurzem von ihm in den Annalen
des Montblane-01)scrvatoriums veröffentlicht werden nnter
Re])niduction von einer Zahl der durch die erwähnten
Instrumente erhaltenen Aufzeichnungen.
AVas nun das von Herrn Janssen geplante Obser-
vatorium auf dem Gipfel des Montblanc anbetrifft, so
hatten wir schon in unserem ersten Bericht über dies
Projekt geschildert, dass die Versuche, ein festes Felsen-
Fundament für eine
Hütte zu finden, ge-
scheitert waren und
dass Janssen deshalb
sich entschlossen hatte,
das Observatorium di-
rcct in dem Schnee
zu errichten. Die That-
sache, dass die ver-
suchsweise an dem
Ostabhange erriclitete
kleine Hütte den Winter-
stürmen Widerstand ge-
leistet hat, diente dazu,
ihn in seinem Plane zu
bestärken und zur Aus-
führung desselben alles
vorzubereiten. Es soll
nun zuvörderst, als Zu-
fluchtsstätte für die
Arbeiter, eine Hütte auf
den „Riichers ßouges",
etwa 100 m unter dem
Gipfel, gebaut werden; Nordabhang-
später soll dieselbe et-
was bequemer einge-
riclitet werden, um zur Vornahme von astronomischen
Arbeiten Gelegenheit zu gewähren. Das Gipfelobser-
vatorium würde aus numerirten Stücken in Paris gebaut,
dann auseinandergenonnnen und nach Chamounis gesandt,
von wo sie in 600 Trägerlasten auf den (iipfel geschafft
werden sollen. Das Gebäude wird die Form einer ab-
gestumpften Pyramide erhalten, um sowohl die Stand-
festigkeit im Schnee zu erhöhen als auch dem Winde
einen geringen AViderstand zu leisten; um etwaige Ver-
schiebungen wieder ausgleichen zu k('innen, sollen die
Hauptpfeiler mit Schraubenwindungen zur Zurückbewegung
verseilen werden, wie sie schon an der Basis des Eiffel-
thurmes zur Anwendung kamen.
Zu zwei Dritteln seiner ganzen, etwa 8 ni betragenden
Höhe wird das Oi)servatorium im Schnee vergraben werden.
Die Thüre wird demgemäss in etwa einem Drittel der
Höhe von oben angebracht werden, in gleichem Niveau
mit dem äusseren Schneeboden mid dem Fussboden des
Gebäudes, unter welchem sozusagen im Kellerraume die
Wohnung sich liefinden wird. Diese Wohnung wird in
mehrere (icmächer für den Director und seine Assistenten
getheilt, während der obere Raum den Touristen und
Führeru zum Aufenthalt dienen soll. Beide Räume werden
durch eine Wendeltreppe mit einander verbunden sein, die
zugleich zu zwei Plattformen führen wird, auf deren
Gipfel des Mont-Blanc
höchster die verschiedenen meteorologischen Instrumente
aufgestellt werden sollen.
Für Heizungs- und Koch-Zwecke werden kleine, An-
thraeit brennende Oefen aufgestellt; gegen jede Feuers-
gefahr sind die weitgehendsten Vorsichtsmaassregeln er-
griffen worden.
Als Director des Observatoriums wurde Hr. G. Oapus
gewonnen, ein hervorragender Gelehrter und kühner
Forscher, welcher Galiriel Bonvalot auf seiner Durch-
(|uerung der unbekanntesten, völlig wegelosen Gegenden
(les Hochplateaus von Pamir in Gentralasien begleitete;
wochenlang niussten diese lieiden Forscher bei Tempera-
turen von —40° in Höhen sicli aufhalten, die der des
Montblanc völlig gleichkonimen. Vdraussichtlich werden
ständige Beobachtungen zwischen April und Dezember ge-
macht werden. E. K.
Der Planet Mars und die Discussion seiner iiliysi-
kalischen Beschaflen-
lieit sind seit der
letzten Opjiosition im
August 1892 im Vor-
Rocher des Uosses
des Mont-Blanc.
dergrunde des astrono-
mischen Interesses ver-
blieben. Es sind eine
ganze Reihe von Hy-
pothesen aufgestellt
worden , welche die
merk^vürdigen Ober-
flächenzeichnungen und
namentlich die Verdnii-
pcluug der sogenann-
ten Canäle erklären
sollten. Indessen ge-
winnt man doch den
Eindruck, dass in die-
ser Beziehung etwas
zu viel des Guten ge-
than würde. Die mei-
sten dieser Theorien
und Erklärungsver-
suche sind auf den
ersten Blick ja wohl
einigermaassen be-
stechend, halten einer näheren l'rüfuug aber doch nicht
Stand, wie das namentlich aueii der Fall ist mit der
neulich an dieser Stelle zur Mittlieilung gebrachten Er-
klärung der Verdoppelung der Canäle, die Herr Stanislas
Meusnier gegeben hat. Gleiches gilt auch von der in der
„Deutscheu Revue" ausgesiirochcnen Meinung des Herrn
Schmidt, wonach es sich beim Mars nicht um AVasser-,
sondern um Kohlensäuremeere handelt.
Dagegen scheint eine neuere Ansieht eingehendere Er-
wägung zu verdienen, welche Herr Schaeberle vom Lick-
Observatory, Mt. Hamilton, vor kurzem im Astrouoraical
Journal veröffentlicht hat. Die allgemeine Ansicht geht
bekanntlich heutzutage dahin, dass die dunkeln Flächen
auf dem Mars als Wasser, die hellen als Land anzu-
sprechen sind. Herr Schaeberle, der mit dem niäciitigen
Instrumente von Mt. Hamilton den Planeten seit dem
11. Juni 1892 bis in die letzten Tage des vorigen Jahres
beobachtet hat, neigt nun dazu, gerade das Gegentheil
anzunehmen. Nach ihm sind die hellen Gegenden Meere
und die dunkeln Land. Man wird sich nicht ganz dem
Argumente des ealifornischeu Astronomen entziehen können,
dass die ganz unregelniässigen Abstufungen des Sciiatteiis,
welche wir zu erwarten haben, wenn die dunkeln Flächen
Land sind, eine ganze Reihe von Obertläehenzeichnungcn
ungezwungen erklären, die ein Räthsel bleiben, wenn mau
152
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 15.
sie als unverändei'liche Gebilde auffassen will. Es kommt
noch ein anderes hinzu. AVenn eine sphärische, in leiser
Bewegung- begriffene Wasserfläche Licht rcflectirt, so muss
dessen Intensität stark variiren. Zur Zeit der Opposition
würde der Mittelfjunkt des Mars, wenn dieser eine AVasser-
oberfläche hat, am hellsten erscheinen müssen. Die Be-
obachtungen zeigen in der That, dass in einem gewissen
Abstand vom Rande des Planeten nach dem Ceutrum hin
eine stufenweise Zunahme des stetigen Glanzes der hell-
sten Stellen stattfindet. Wenn nun die dunkeln .Stellen
Wasser wären, so müssten dieselben am wenigsten dunkel
sein nahe der Mitte der Planeteuscheibe; dies wird aber
durch die Beobachtung nicht bestätigt. Die „Canäle"
hält Schaeberle für die Kämme von Gebirgszügen, die
mit ihrer Masse ins Wasser getaucht sind. Was die Ver-
doppelung der Canäle anbelangt, so meint S., dieselbe
sei durch die Annahme von l'arallclketten, wie sie ja
auch auf der l]rde vurkonmicn, hinreichend zu erklären.
An diesem Punkte freilich werden alle j)hysikalisclien Mars-
theorien schwach. Denn die Verdoppelung findet nicht
überall auf dem Planeten immer statt. Und gerade das
können wir nicht erklären. Auch Schaeberle's Theorie
lässt hier im Stich, obgleich sie noch einige Wahrschein-
lichkeit erhält durcli den Umstand, dass ihr Autor eine
von ihm fortwährend gemachte terrestrische Beobachtung,
die hierher gehört, anführen kann.
Die Bai von San Francisco ist 50 engl. Meilen von
Mt. Hamilton entfernt. Zu jeder Tageszeit nun erscheint
von der Lick - Sternwarte aus die Bai l)edeutend heller
als das benachbarte Land, welches sich in gleicher Ent-
fernung vom Observatorium befindet. Und dabei ist zu
bemerken, dass dies der Fall ist für alle relativen Stel-
lungen von Sonne und Bai zum Beobachter; es ist ganz
ebenso, wenn die Sonne, am frühen Morgen, genau der
Bai gegenübersteht, uud wenn sie, Abends, mit derselben
in gleicher Richtung vou Mt. Hamilton aus gesehen wird.
Die S.'sche Theorie hat, wie gesagt, Wahrscheinlich-
keit für sich. Aber es muss auch hier doch noch ge-
prüft werden, ob sie mit der Gesammtheit unserer Mars-
beobachtungen vereinbar ist. Und dies umsomehr, als sie
offenbar eine völlige Umwälzung unserer Vorstellung von
der physikalischen Natur des Mars und von den Vor-
gängen auf diesem Planeten bedingt. Grs.
Erwiderung.
Nur wenige Worte möchte der Unterzeichnete gegen-
über der Kritik aussprechen, die Herr Dr. M. Klein an
meinem Aufsatz über die Erklärbarkeit der unmittel-
baren Gedankenübertragung oder mentalen Suggestion
geübt hat.
In seiner Anmerk. 2 1 sagt der genannte Herr : „Diese
— seine — Ansicht stiunnt mit allen Erfahrungsthat-
sachen übercin, insbesondere auch nnt dem Gesetze von
der Erlialtnng der Energie (das durch Annahme der
Wechselwirkung — meine Ansicht — aufgehoben
wirdj" und ferner in der gleichen Anmerkung: „. . . der
dualistischen Wechselwirkungs - Hypothese, die . . . im
fundamentalen Gegensatze zum Gesetz von der Erhaltung
der Energie steht." — Hierin liegt ausgesprochen: Da
die dualistische Hypothese dem Gesetz von der Erhaltung
der Kraft widerstreitet, kann sie nicht richtig sein. Dieser
Schluss stimmt nur dann, wenn das Kraft-Gesetz unbe-
dingte Giltigkeit besitzt. Das aber kann man bezüglich
des Gebietes des Geistigen nicht behaupten. Daher kann
der Widerstreit der dualistischen Hypothese gegen das
Kraft-Gesetz die erstere nicht hinfällig machen. Ich
halte es vielmehr mit W. Wundt, der einem bei jedem
Entschluss stattfindenden Zuwachse geistiger Energie das
Wort redet.
Anme;!:. 3): „Abhebungen"! — Ein blosses Wort,
das gar nichts klar macht, das die Proldeme nicht im
geringsten einer Liisung näher führt.
Anmerk. 4): „, Entschluss' und .Willensfestsetzungen'
Begleiterscheinungen von Hirn Vorgängen."
sind
— Ja: w.em erscheint denn da etwas — nach materia-
listisch-mouistisch-„])arallelistischer" Anschauungsweise?!
— Was übrigens den Ausdruck „Materialisten" betrift't
(Anmerk. ü), so soll er, wie er von mir gebraucht worden
ist, in der That ein Sammelname sein für Materialisten,
Monisten, Hylozoistcn, „Parallelisten" u. s. w. Die An-
schauungen aller dieser konnnen nämlich im Grunde auf
eins hinaus, wie ich dies hinsichtlich des sogenannten
„Monisnms" in meiner im ..Zwanzigsten Jahrhundert"
(1892, Heft 11—12) erschienenen Abhandlung „Die Ent-
wicklung des menschlichen Geistes im Lichte des neueren
Darwinisnuis" nachgewiesen habe.
Anmerk. 10) : „Soll eine ,geistige F^inwirkung', eine
Gedankenübertragung eines Menschen auf einen andern
erfolgen, so ist eine solche nur denkbar, wenn der
andere die betreffenden Gedanken, d. h. also die die-
selben ausdrückenden Bewegungen . . . wahrnimmt." —
Ja, das ist eine Behauptung, aber bewiesen ist sie
nicht. Eine unbewiesene Behauptung, die sich als An-
schauung im Kopfe des Menschen festsetzt, ist aber als
ein Dogma zu bezeichnen. Und dieses Dogma ist
falsch, denn ich habe gezeigt, wie sich eine mentale
Suggestion — mag sie nun wirklich so erfolgen oder
anders oder überhaupt nicht stattfinden — wenigstens
denken lässt.
Anmerk. 15): Das „relativ hölzerne Eisen" des Herrn
Dr. Klein ist doch etwas ganz anderes als die relativ
unl)ewussten, geistigen Vorgänge, von denen ich gesprochen
habe. Die geistigen Vorgänge z. B., die sieh im Innern
des Herrn Dr. Klein abspielen, sind mir nicht bewusst,
sie sind also relativ unbewusst; so sind auch die
geistigen Vorgänge, von denen in meinem Aufsatz die
Rede ist, zwar dem Unterbewusstsein bewusst, nicht aber
dem wachen Ich, also sind sie relativ unbewusst. Hoffent-
lich wird dies Herrn Dr. Klein verständlich sein, und er
wird einsehen, dass er mir unrechter Weise logische Un-
klarheiten zugemuthet hat.
Auf die übrigen Ausführungen und Angriffe des
Herrn Dr. Klein gehe ich nicht ein, weil ich der Mei-
nung bin, dass der vorurtheilslos prüfende Leser aus den
Auseinandersetzungen in meinem Aufsatze das Material
entnehmen kann, auf Grund dessen sich die Anschauungen
meines Kritikers als hinfällig erweisen. Eine eingehende
Discussion aller einzelnen Punkte wurde ausserdem an
dieser Stelle viel zu weit führen.*)
Dr. K. F. Jordan.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Unser Mit.arbeiter, der Custos am Kgl.
botanischen Garten zu Berlin, Dr. F. Pax, zum ordentliclien Pro-
fessor der Botanik und Direetor des Kgl. botan. Gartens in Bres-
lau. — Dr. Will ach, Repetitor au der Pathologischen Anstalt
der thierärztlichen Hochschule zu Berlin zum Docenten für Thier-
heilkundo am Polyteclniicum in Karlsruhe.
Es ist gestorben : Der Mineraloge und Geognost Professor
Senft in Eisenach.
*) Herr Dr. Klein wird in der nächsten Nummer auf die
obigen Aeusserungen des Herrn Dr. Jordan eine kurze Ent-
gegnung bringen. Eed.
Nr. 15.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
1.^3
l)ir llaii|it\ crsiimmliiiiK der Deutschen Gesellschaft für an-
gewandte Chemie wird vom 23. bis ".'6. Miii in Frcihcrf^ in Sai-lisrii
iibs'elialten werden.
Zu einer Session extraordinaire de la Societe botanique de
France zur Feier des oOOjälirigen Bestehens der Gesellseluit't
ladet sie zum ÜO. bis 28. IVIai nach Montpellier ein.
L i 1 1 e r a t u r.
Schutt, Dr. Franz, Analytische Plankton-Studien. Ziele, 'Slc-
tliiiden und Ani'angs-Kesultate der i|uantitativ-aualytiselieu Plank-
tiinfursebuMfr. Verla<;' von Lipsius u. Tiseher. Kiel und Leipzig
1892. 8" 117 S. nebst mehreren Tabellen und einer Karte.
Der Zweck dieser interessanten Sehrift ist einerseits das von
Prof. Hensen eingeschlagene Verfahren zur Bestimmung der im
Meerwasser vorhandenen Menge lebender Wesen mit logischer
Sebärfe zu begründen und die dagegen erhobenen Bedenken zu
widerlegen, andererseits eine Anzahl der durch dieses Verfahren
bis jetzt erreichten Ergebnisse darzustellen. In ersterer Beziehung
wird zunächst hervorgehoben, dass es das Wesen und der Werth
dieses Verfahrens ist, an Stelle der unbestimmten subjectiven
Schätzung bestimmte o1)jective Zahlenangaben zu setzen, wie
es der exacten Wissenschaft geziemt, und dass diese Aufgabe
zwar eine sehr grosse, viel Arbeit erfordernde ist, aber doch
keineswegs eine aussichtslose; so verschieden aueh die Menge der
Thiere und Pflanzen in einem Cubikmeter Wasser nach Zeit und
Ort sein mag. so ist diese Verseliiedenheit doch kein regelloses
Spiel des Zufalls, sondern hängt eben auch von natürlichen Ur-
sachen ab, die unter gleichen Umständen gleich wirken und des-
halb eine statistische Behandlung zulassen. Welchen Unterschied
ilarin die Strömungen, die verschiedenen Klimate und Jahreszeiten
machen, das kann eben nur dadurch erkannt werden, dass man
unter diesen verschiedenen Umständen wiederholt mit der gleichen
Methode Untersueluingeu anstellt, um dadurch vergleiehl)aro V.r-
gebnisse zu bekcmimen. Der erste bewusste Schritt hierzil im
Grossen ist die Hensen'sche Plankton-Expedition im .Jahre 1889,
deren Weg im atlantischen Ocean auf der boigegebenen Karte
verzeichnet ist; schon vorher war in Kiel und in der Ostsee eine
Reihe einschlägiger Versuche und Beobachtungen zur Feststellung
der besten Art und Weise des Verfahrens vorhergegangen. Im
Golf von Neapel hat der Verfasser Untersuchungen nach derselben
Methode zum Vergleich mit denen im atlantischen Ocean gemacht.
Es handelt sich hierbei nicht darum, möglichst viel zu fangen,
sondern möglichst sicher zu erfahren, wie viel und wie vielerlei
in einem nach Masse und Ort bestimmten Theile des Wassers
vorhanden ist. Um auch die kleinen mikroskopisehen Gebilde
zurückzuhalten, aber doch noch das Wasser durchströmen zu
lassen, hat sich die von den Müllern gebrauchte seidene Beutel-
gaze mit Maschonweite von 0 002J O"- Mill. am besten er-
wiesen; um sicher zu sein, dass alles im Weg des Netzes l)etind-
liche Wasser auch wirklich durchgesiebt wird und nicht etwa ein
Theil des Wassers länger im Netze verbleibt, ein anderer dem-
zufolge nur bei Seite geschoben werde, ohne in das Netz einzu-
treten, mu5s die Eingangsötfnnng des Netzes kleiner sein, als die
Summe der Ausgangsöffnungen, d. h. der Maschcnlöcber; um zu
wissen, durch wieviel Wasser und in welchen Tiefen das Netz seinen
Weg gemacht, muss es bei mögliehst unbewegtem Sehift' senkrecht
herabgelassen und beraufgezogen werden, da bei Vorwärtsbewe-
gung des Schiffes und mehr horizontalem Zuge der Weg des
Netzes eine krumme, schwer zu berechnende Linie bildet. Diese
und ähidiche Vorbedingungen zu einem einigermaassen zuver-
lässigen Ergebnisse werden eingebend erörtert. Um die Unter-
schiede in der Menge lebender Wesen nach der Tii'fe zu erkennen,
genügt es schon, an dei'selben Stelle das Netz mehrere Mal und
zwar liis zu verschiedenen Tiefen hinabzusenken (Stufenfänge); der
positive Unterschied des Fangergebnisses der tieferen Züge von dem-
jenigen der minder tiefen ergiebt Zahl und Art der Bewohner der tie-
feren Schichten; Vorrichtungen, welche ermöglichen, das Netz
nach Belieben in einer durch die Länge der ausgelassenen Leine
erkennbaren Tiefe zu öffnen und zu schlicssen, vereinfachen und
sichern diese Erkundung gegen verschiedene Zufälligkeiten. Die
Unterschiede in der Horizontalverbreitung werden eben durch
Netzzüge bis zu gleichen Tiefen an verschiedenen Orten ermittelt,
zunächst auf ungefähr gleiche Entfernungen und dann so bald
eine äussere Ursache, ein Einsetzen einer Strömung, Aenderung
in der Farbe des Wassers u. dgl. dazu auffordert. Wie der In-
halt des Netzes möglichst vollständig, namentlich auch durch Be-
spritzung des Netzes von aussen, zu sammeln und zunächst auf-
zubewahren ist, müssen die, welche es nachmachen wollen, in
der Schrift selbst nachlesen. Nun beginnt aber erst nach der
Rückkehr an Land die eigentliche zeitraubende Arbeit der Ge-
lehrten; denn nur zu wissen, wie viel organischer lebender Stoff
in einem gewissen Theile Wasser vorhanden ist, nach Umfang
(A'olumen) oder Gewicht, genügt weder für die allgemein wissen
schaftliche Kenntniss vom Stoff-Haushalt in der Natur, noch für
bestinnnte Fragen und Hoffnungen betreffs der Fischerei. Wir
wollen wissen, was für lebende Wesen es sind, ob pflanzliche,
die den organischen Stoff aus den unorganischen Elementen erst
bilden, oder thierische, die denselben nur weiter umbilden, und
wie der Zahl nach sich diese zu einander verhalten, in welcher
Menge weiterhin die einzelnen Gattungen und Arten derselben
vorhanden sind. Dazu müssen die einzelnen Individuen bestimmt,
d. h. nach Gattung und Art erkannt, und dann abgezählt werden,
was eine ungeheure Arbeit ist, da es sich vorwiegend um mikro-
skopische Gebilde und sehr grosse Zahlen handelt, aueh wenn
man sich dieselbe, wie selbstverständlich, dadurch erleichtert,
dass man von jedem Ergebniss eines Netzzuges nur einen ge-
ringen bestimmten Bruehtheil unter den nöthigen Vorsichtsmaass-
regeln absondert und wirklich durchzählt. Wie das im Einzelnen
gemacht wird, welche Fehlerquellen vorkommen und wie dieselben
zu erkennen und möglichst zu vermindern sind, namentlich auch
durch wiederholtes, sich gegenseitig controlirendes Verfahren, das
muss ebenfalls der, welcher es im Einzelnen kennen lernen will,
in der Schrift selbst nachlesen.
Was nun die bis jetzt erreichten Ergebnisse betrifft, so dürften
etwa die folgenden hervorzuheben sein:
Der bei weitem grösste Theil der im Meereswasser frei
schwimmenden oder treibenden lebenden Wesen wird von mikro-
skopisch kleinen Pflanzen und Thieren gebildet, wie Diatomeen,
Flagellaten, Radiolarien u dgl. Die grösseren, schon mit blossem
Auge deutlich erkennbaren Thiere. wie t^uallen. Salpen, Fische
übertreffen nur in zwei unter den 100 im atlantischen Ocean ge-
machten Netzzügen an Umfang (Volumen) die mikroskopischen,
während in 79 Zügen gar keine grösseren gefangen wurden. Der
Durchschnitt des Volumens der grösseren zu dem der mikro-
skopischen lebenden Wesen verhält sich in den 21 Zügen, welche
überhaupt grössere heraufbrachten, nach einer annähernden Be-
rechnung aus den der Schrift beigegebenen Tabellen (Vol. 3 zu
Vol. 1) wie 1:17, für sämmtliche 100 Züge also ungefähr wie
1 : 85. Dabei muss man allerdings bedenken, dass die ganz grossen
Fische und Walthiere selbstverständlich nicht in das Netz kamen.
Andererseils sind in dieser Rechnung nicht einliegriffen die Schleim-
massen (Vol. 2 der Tabellen), wohl grossentheils lebende oder ab-
gestorbene Radiolarien, und die allerkleinsten mikroskopischen
Wesen, wie die Bakterien, welche das Netz nicht festzuhalten
vormag; die für die ersteren angegebenen Zahlen und für die
letzteren die von dem Bakteriologen der Expedition, Prof. Fischer,
gemachten Beobachtungen machen es aber wahrscheinlich, dass
durch diese das Verhältniss nicht sehr wesentlich verändert würde.
Es sind also hauptsächlich die mikroskopischen Thiere und
Pflanzen, bis zu einer gewissen Grössengrenze herab, welche in
Betracht kommen und diese werden in der Schrift mit dem
kürzeren Ausdruck „K lein -Plankton" bezeichnet.
Das Gesamm t- V ol u m en dieses Klein-Planktons in einer
Wassermasse von 20 Kubikmetern wechselt im atlantischen Ocean
zwischen 1,5 und 167 Kubikeentimeter, am häufigsten kamen 2 bis
20 Kubikeentimeter vor, also 1 Volumen lebende Wesen auf 1 liis 10
Millionen des gleichen Volumens an Wasser. Und zwar ist hier
das gemeint, was in der Schrift als Roh-Volumen bezeichnet wird,
die aus dem Netz erhaltene Masse mikroskopischer Thiere, in Al-
kohol nach 24stündigein Absetzenlassen in einem Messcylinder
abgelesen. In der Ostsee wurden mehrmals bedeutend höhere
Zahlen erhalten.
Betreffs der Tiefe gelten all' diese Angaben für eine Wasser-
säule von der Oberfläche bis 200 Meter hinab; grössere Tiefen sind
viel ärmer an Thieren und Pflanzen.
Was die Unterschiede in der Horizontalverbreitung über die
verschiedenen Meerestheile betrifft, so giebt die der Sehrift bei-
gefügte Karte ein anschauliches Bild hiervon, indem auf der-
selben der Weg durch den atlantischen Ocean je nach der ver-
hältnissmässigen Menge des Klein-Planktons durch einen breiteren
oder schmaleren blauen Streifen angegeben ist. Es wird daraus sofort
ersichtlich, dass die Menge des Klein-Planktons auf längere Strecken
annähernd dieselbe bleibt und Aenderungen derselben mit Aende-
rungen in den physikalischen Verhältni.ssen des Wassers, nament-
lich den Strömungen, zusammenhängen; dieses giebt zugleich das
Vertrauen, dass die erlangten Resultate nicht vom Zufall ab-
hängig, sondern wirklich in der Natur begründet sind. Am
ärmsten an Klein-Plankton ist das Wasser da, wo keine Strö-
mungen vorhanden sind, in der Sargasso-See, trotz des Reich-
thums an grösseren flottirenden Pflanzen nur 2 bis höchsten 6
Kubikeentimeter in 20 Kubikmetern. Die bei weitem reichste
Ausbeute ergaben zwei Züge in der Nähe der Südspitze von Grön-
land, wo die kalte Strömung aus dem Eismeer auf das wärmere
Wasser des atlantischen Oceans trift't und zwar war es an bi'iih'u
Stellen eine und dieselbe Diatoniee, Svnedra, deren ungi'mein
zahlri'iches Vorkommen 167 und 162 Kubikeentimeter auf 20 Kidiik-
metcr ergab. Das nächste reiche Resultat ergab ein Netzzug
154
Naturwissenschaftliche Wochensclirift.
Nr. 15.
zwischen der Insel Ascension und dem Aequiitor im Gebiet der
von Afrika nach Brasilien gehenden südäquatorialen Strömung,
68 Kubikcentimeter. Im Gebiet der nordäquatorialen Strömung,
zwischen dem Aequator und '20° Nordbreite, schwanken die Ergeb-
nisse nur zwischen 4 und 16 Kubikcentimetern.
Bezüglich den Verschiedenheiten nach der Jahreszeit giebt
selbstverständlich eine einzelne Fahrt noch keine Ergebnisse, da
hierzu Beobachtungen an demselben Ort zu verschiedenen Zeiten
nöthig sind; wir haben darüber nur Aufschlüsse aus Küsten-
gegenden durch frühere Beobachtungen von Prof. Hensen in der
Ostsee und später von dem Verfasser im Golf von Neapel, wie
auch betreffs der Radiolarien früher von Prof. K. Brandt, ebenfalls
in Neapel gemacht. Diese ergeben, dass zu bestimmten Jahreszeiten
bestimmte Arten in ganz überwiegend grosser Menge vorkommen,
z. B. in der Ostsee die Diatomee Rhizosolenia alata im Juni und
Juli, die Peridinee Ceratium tripus im October, die Diatomee
Chaetoceros im März und dieselbe Gattung bei Neapel im No-
vember. Die starke Zunahme einer einzelnen Gattung zu einer
gewissen Jahreszeit kann selbst die Zahl des Gesamnit-Volumens
anschwellen lassen (wie es vermuthlich auch bei den oben ge-
nannten reichen Fängen bei Grönland der Fall ist), aber doch
nicht in demselben Maasse, da zu anderen Jahreszeiten wieder an-
dere Gattungen in grösserer Menge vorkommen. So entsteht für ein-
zelne Arten eine stärkere, für das Gesammt- Volumen eine schwächere
Jahres-Curve, welch letztere z. B. bei Neapel im November ein
Ma.ximum von 12 Kubikcentimetern hatte und den Winter hin-
durch langsam aber stetig sank, den ganzen Januar, Februar und
März nicht 1 Kubikcentimeter überschritt und am 11. März mit
0,2 ihr Minimum hatte.
Länger fortgesetzte Beobachtungsreihen unter Einhaltung
derselben Methode sind selbstverständlich auch hier wie in der
Meteoi-ologie nöthig, um den Einfluss des Zufalls, d. h. so zu sagen
der Individualität des Jahrganges, zu eliminiren und die Gesetz-
mässigkeit festzustellen, und es dürften noch Jahre vergehen, bis
auch nur die auf der Hensen'schen Expedition gemacliten Fänge
alle im Einzelnen durcligearbeitet sein werden, aber die vor-
liegende Schrift stärkt doch das Vertrauen, dass auf diesem frei-
lich mühevollen Wege ein neues Gebiet für die exacte Naturkunde
zu erobern ist und giebt einige erste Grundlinien desselben.
E. V. Martens.
Koloniales Jahrbuch. Herausgegeb. von Gustav Meinecke.
Fünfter Jahrgang. Das Jahr lS',)-2. Berlin, Carl Heimann. 1893.
8". 308 S. Der Haupttheil des vorliegenden, nun bereits zum
fünften Male erscliienenen Jahrbuches hat naturgemäss einen re-
ferirenden Charakter: es behandelt die wichtigeren Ereignisse
und die haupt.sächlichen Richtungen, in denen sieh die kolonisa-
torische Thätigkeit unserer Reichsregierung wie diejenige der
einzelnen Gesellschaften und Vereine im verflossenen Jahre be-
wegt hat, in einer sehr übersichtlichen und durchaus sach};emässen
Darstellung, so dass dasselbe allen denjenigen Lesern dieser Zeit-
schrift empfohlen werden kann, welche die Tagespresse und die
Publicationen der einzelnen Gesellschaften nicht näher zu ver-
folgen in der Lage sind: Besprochen werden zunächst die Kolo-
nialpolitik im Reichstage, die deutsche Kolonialpolitik überhaupt,
die vom Antisklaverei-Comite veranlassten Expeditionen sowie die
Thätigkeit des Kolonialraths; hieran reihen sich knappe Ueber-
sichten über die in den einzelnen deutschen Kolonien und Schutz-
gebieten herrschenden Verhältnisse, deren Verwaltung, Kämpfe
u. s. w. unter besonderer Berücksichtigung der verschiedenen,
von der Regierung veröffentlichten Denkschriften, von denen na-
mentlich diejenige über Ostaf'rika ihrer Bedeutung gemäss aus-
führlich besprochen wird.
Mittheilungen über den Etat der Kolonien und Besprechung
verschiedener litterarischer Erscheinungen beschliessen diesen refe-
rirenden Theil. Ausserdem bietet aber das Jahrbuch auch dies-
mal, wie dies schon bei den früheren Jahrgängen der Fall war,
noch eine Reihe von Originalbeiträgen, welche wir kurz anführen:
1. Plantagen-Kultivation.
2. Emin Pascha und Wissman (Herausgeber).
3. Europäer und Araber in Deutsch-Ostafrika von W. E. An-
driessen in Amsterdam.
4. Beiträge zur Charakteristik des ostafrikanischen Negei-s
von A. Seidel.
5. Das Tropenklima und sein Einfluss auf das Leben und die
Lebensweise des Europäers von Dr. ( ). Sc he Hing in Königsberg.
6. Unsere Kolonialgrenzen und ihre Vermessung von Dr
0. Kerstan.
7 Die evangelische Missionsthätigkeit in den deutschen Schutz-
gebieten. Rundschau für 1891 und 1892 von E. Wallroth.
8 Die katholischen Missionen in den deutschen Schutzgebieten
von Karl H espers in Köln.
Mehrere dieser Artikel, besonders der erste, dritte und fünfte,
verdienen nach der Ansieht des Referenten allgemeinste Beach-
tung und Beherzigung, doch soll hier nur auf den ersten mit
einigen Worten eingegangen werden.
Die Plantagenkultivation wird mit vollem Recht als das erste
Erforderniss rationeller Wirthschaftspolitik bezeichnet, die bis-
herigen Anfänge einer solchen in unseren Kolonien einer kurzen
Besprechung unterzogen und vor Allem mit Nachdruck auf die
Gewinnung von tüchtJigen, mit den tropischen Kulturverhältuissen
vertrauten Praktikern hingewiesen. In Ostafrika verspricht na-
mentlich die hügelige, wohlbewässerte und fruchtbare Landschaft
Bondei mit den bis über 1200 m hohen Hondei'bergon reichen
Ertrag an Tabak und Kaffee zu geben, doch erfordert der Kaffee-
baum mehrjährige Kultur, ehe er Erträge liefert und verlangt
daher bedeutende Anlage-Kapitalien. Vielversprechend sind im
Kamerungebiet bekanntlich die Caeaopflanzungen, welche aber
erst nach Verlauf von 10 Jahren ihre reichen, dann wohl ein
volles Jahrhundert andauernden Ernten liefern. Unter den
leichter zu raschen Erträgen führenden einjährigen Kultur-
pflanzen unserer Kolonien liefert der Tabak sowohl in Kamerun
z. B. auf der Bebuedipflanzung, wie in Osfafrika z. B. in Lena
und auf Neuguinea (P-rima) bereits sehr werthvolle Producte; für
Baumwolle liegen die Verhältnisse bis jetzt im Bismarck-Archipel,
wosi'lbst auch die Cocospalme trett'lich gedeiht, am günstigsten,
während man in Afrika noch mit Versuchen beschäftigt ist.
Fr. Kegel.
Journal of the Royal Microscopical Society. London und
Edinburgh. Theil ü. — Alit dem vorliegenden Theile schliesst der
Jahrgang 1892 ab. An Abhandlungen sind die folgenden enthalten:
Wm. West: Algen aus dem Englischen Seen-Bezirk. Seit Ende
der Siebziger Jahre hat sich der Verfasser mit dem Sammeln und
.Studium der Algen beschäftigt und legt jetzt seine Resultate vor.
Von den 589 Arten und 78 Varietäten, welche er aufführt, sind eine
Gattung, 21 Arten und 23 Varietäten für die Wissenschaft über-
haupt, 27 Species und 10 Varietäten für die Britischen Inseln neu.
Hierzu 2. Tafeln. — Frederick Chapmau: Die Foraminifcren
des Gaults von Folkestone. (Fortsetzung.) Beschreibung von
Gattungen und Arten. 2 Tafeln. Den grössten Theil des In-
haltes bildet eine Uebersicht über die neuesten Forschungen auf
den Gebieten der Zoologie und Botanik, Besehreibungen von In-
strumenten für Mikroskopie etc. etc.; ferner die Berichte über
die October- und November-Sitzungen, sowie endlich ein Ver-
zeichniss in dem Bande vorkommender biologischer Ausdrücke,
die entweder neu sind oder, wenn alt, eine andere Auslegung er-
fahren haben. F. K.
Transactions of the Zoological Society of London. Bd. VI IL,
Theil 4. — E. T. Newton: Ueber einen Schädel von Trogon-
therium Cuvieri, Fischer, aus dem Forest Bed von East Kunton
bei Cromer. Von diesem der Gattung Castor verwandten Nagethier-
Geschlecht, das zuerst von Fischer aus Ablagerungen am Asow-
schen Meere beschrieben wurde, hatten sich in England bislang
nur der Untei-kiefer und ganz geringe Reste des < )berkiefers ge-
funden, die von Richard Owen aber richtig erkannt und zu Tro-
gontherium Cuvieri gestellt worden waren. Jetzt ist von derselben
englischen Lokalität ein gut erhaltener Schädel erlangt worden,
der Gegenstand der Abhandlung ist. Die Untersuchungen an dem-
selben haben die Zugehörigkeit zu Trog. Cuvieri, die Verwandt-
schaft mit Castor und die Identität von Conodontes boisvillettii,
Gervais, aus dem Pliocän von Saint-Prest mit dieser Form be-
stätigt, so dass der Fischer'sche Name den Vorzug zu erhalten
hat. Hierzu eine Tafel. F. K,
Rühl, F., Die palaearktischen Grossschmetterlinge und ihre Natur-
geschichte. 1. u. 2. Lfg Leipzig, ä 1,20 M.
Sandberger, F. v.. Die Lagerung der Muschelkalk- und Letten-
kohlen-Gruppe in Unterfranken. Würzburg. 0,60 M.
Schapira, D., Der Hypnotismus in seiner psychologischen Beziehung
und forensischen Bedeutung. Berlin. 0,80 M.
Inhalt: Dr. Karl Schaefer: Die Chemotaxis der Leucocyten. — Dr. Robert Mittmann: Material zu einer Biographie Christian
Konrad Sprengel's. (Schluss.) — Die künstliche Nachahmung der karyokinetischen Figur. — Ueber „das System der Farne". —
— Die Arbeiten zu Errichtung eines Observatoriums auf dem Mont-Blanc. (Mit Abbild.) — Erwiderung. — Der Planet Mars. —
Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Schutt, Dr. Franz: Analytische Plankton-Studien. — Koloniales .Jahrbuch
— Journal of the Royal Microscopical Society. — Transactions of the Zoological Society of London. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 15.
Natiifwissenschaitliclic Wochensclirift.
XXIX
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X Die „Yost"-Schreibina.sc]une ist dif jüngste, 1889 ti- ♦
♦ schienriie und anerkiliiiit lic-ito Cdiis^triiction Vost's, des Er- ♦
findcr.s der ,Ive- ^
inington"- (1873 ♦
bis 78) und „CiUi- ♦
{jnipli" - Schreib- ^
ni,-i.scliine (188Ü), ♦
und übertrifft J
♦
♦
♦
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♦
diese wie alle ^
anderen Systeme ♦
sownld in lueelui- ♦
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tiselierBezieh'.iMK ♦
und wiril von *
jedem Fuclmurnne ^
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t
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Heft 10. Ueber Laubfärbungen von L Kny. Mit 7 Holz-
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nungen mit Bezugnahme auf du Bois-Reymonds
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Abdruck ist nnr mit voliständig^er <{nelleiiaiisabe gestattet.
Dictyodora Liebeana Weiss, eine räthselhafte Versteinerung.
Von E. Zimmermann.
Dinj;e und Vorjriini;-e, dar,
Die Natur bietet liauli.j
deren Deutungen .seitens derForsclier sicli schnurstracks ent-
gegenstellen und doch trotzdem oder ebendeswegen gerade
zu den interessantesten, vielleielit sogar zu den sehr weit-
tragenden gehfiren. Ein Beis})iel für die k'tzteren bieten
die da und dort gemachten Funde von in grossen Mengen
auftretenden .Splittern und sogen. „Nuclei" von P^euerstein:
Die einen Forscher glauben hier die .Stätten uralter
„Messerfabrikeii'" \or sich zu sehen, die andern weisen
darauf hin, dass von den in der Natur vorkommcmlen
Feuersteinkn ollen bei heftiger .'Sonnenbestrahlung von selbst
messerähuliche .Splitter abspringen und „Nuelei" zurück-
bleiben, — die einen schliessen also auf eine reiche
menschliche Industrie, die andern bestreiten womöglich
v(illig die Existenz von Menschen in den seiner Zeit sonnen-
dnrchglühten AVüsten.
Ei)enso widerstreitend sind die Deutungi'u, welche
manche geologisch-paläontologische FuiuU' erfahren haben:
was der eine Forscher als Reste ehemaliger Lebewesen
bezeichnete, sah der andere für durchaus anorganische
Gebilde an. In vielen dieser Fälle erkannte man ja bald
das Verkehrte (b'r einen Meinung, so t)ei den einmal als
Algen beschriebenen chloritischen Körnchen in nudapliy-
rischen Laven, und bei den als Sickleria zu den
.Schwämmen gestellten Netzleisten (.Ausfüllungen von
Trockenrissen) in vielen .Sandsteinbildnngen. Oft aber
auch erfreute sich irgend eine (und zwar zumeist die or-
ganische) Deutung lange Zeit nicht blos allgemeiner Be-
liebtheit, sondern es regte sich nicht einmal ein leiser
Zweifel an ihrer Richtigkeit. Wer hätte noch vor wi'iiigen
Jahren geglaubt, dass die zierlich verzweigten Fucoiden
im ali)inen Flysch (Tertiär) und die ganz entsprechenden
Chondriten des Lias und der älteren Formationen jemals
aus dem Reiche der Algen, geschweige denn aus dem
organischen Reiche überhaupt herausgewiesen werden
könnten? Und doch hat dies sogar ein Holaniker, der
berühmte schwedische Forscher Nathorst, fertig gebracht,
indem er auf Grund seiner am Meeresstrande gemachten
Beobachtung von verzweigten, röhrenförmigen Kriech-
spuren, welche gewisse jetztlel)ende Würmer hinterlassen
(z. B. Glycera), auch jene Chondriten als Kriechspuren
deutete. Viele Forscher (— glücklicherweise jedoch nicht
alle*) — ) haben sich durch diese Deutung der Chondriten
und anderer „Algen" und „Würmer" als Kriech- und son-
stige Bewegungsspuren bestechen lassen, und wenn ich
auch zugebe, dass diese Deutung geistvoll und für viele
Dinge ein grosser Fortschritt unserer Erkenntniss ist, so
muss ich doch dabei bleiben, dass sie von Vielen zu weit
ausgedehnt wird, und dass „Spuren" und ebenso auch
„Druckerscheinungen" zu Modeschlagwöi'tern geworden
sind für viele Dinge, mit denen sich länger abzugeben
„Zeitvergeudung sei."
Auch die in der Ueberschrift genannte Dict_yodora
Liebeana gehört für die meisten neueren Paläontologen,
die sie gesehen haben, zu jenen aus dem Organismen-
reiche Ausgestossenen, während ich sie sogar zum höchsten
Vertreter einer neuen, in eiiifachereu Formen auch aus
dem Untersilur bekannten Familie, der Dädaleae**),
mache, von der ich freilich selbst noch nicht beweisen
kann, ob sie zum Thier- oder Pflanzenreich zu stellen sei.
Von meinen (iegiuTii hat sich sorgfältig und gewissenhaft
— und ich muss ihn darum rühmend von der Mehrzahl der
Andern ausnehmen — nur ein Forscher, Rauff in Bonn,
mit der Dictyodora beschäftigt, aber nur mit sehr spär-
lichem Material und nur mit Hilfe des Mikroskops; ich
habe mich zwar des letzteren weniger bedient, weil mir
die ersten .Schlitfe nicht viel ergaben; um so mehr alier
*) So hat sich z. B. auf (Inind einer — durch ilire Gewissen^ ;
liaftigkeit vor vielen obertiächlicli sich auszeichnenden — ein-
gehenden Untersucliung eines reichen Materials der Genfer Ge-
lehrte Maillard gegen Nathorst ausgesprochen.
**) Der Name scheint uns bei dem Vorbaudeuscin der 1801
von Persoon gegründeten guten PilSigattuüg Dädalea nicht gut
gewählt. — Red.
156
Natnrwissenschaftlicbe Woclicnsclirift.
Nr. IG.
stand mir ein überrciclics Material an grossen und scliönen
Stücken und die Beobachtung in der Natur zur Verfügung-.
Rauf!' kam zu dem Ergebniss, dass die üietvodora einer
Druckwirkung ibre Entsteluing verdankt, dass sie ein Ge-
biet niecbaniscb defoiniirter Oesteinsstructnr darstellt.
Füge ich noch hinzu, dass z. Tb. noch in der Zeit, wo
man .,Spuren" und „Druekerseheinungen'- noch nicht
kannte, wo aber auch nur erst einzelne unvollständige
und z. Tb. schlecht erhaltene Exemplare der Dictyodora
vorlagen, die einzelnen Tbeile, bczw. durch die natürlichen
ßruchflächen dargeltotenen Ansichten des Körpers bald
als Algen (und zwar unter den drei vcrsebiedencn Gat-
tungen Dityophj'tum, Paläochorda und Taouurus),
Ausnahmen (meist liegen dieselben auf und parallel den
SchichfHächen) und findet sich besonders l)ci Corallen und
Baumstämmen. Schon darum ist also die Dictyodora
höchst beachtcnswerth und als Versteinerung allerdings
etwas proljicmatisch.
Schnitte i)arallel zu den Schicbtt'ugen wird man als
Querschnitte, Schnitte rechtwinklig dazu als Längsschnitte
zu bezeichnen haben. Die natürliche Spaltbarkcit
(„Sehieferung'v) der Schiefer und Sandsteine an den Fund-
orten der Dictyodora erfolgt nun nur zuweilen parallel der
ursprünglichen Schichtung, aber dann meist sehr voll-
konnnen, und liefert dabei so ebenflächige Querbrücbe
unseres fragliehen Körpers, dass diese die künstlichen
Figur 2
•i i
^;:-^>iv-;:.%ni
Figur I
Figur 3.
Dictyodora Liebeana. Drei verschiedene Exemplare in ' . der natürlichen Grösse. Ans dem Culmdachschiefer Wurzbach im Frankenwald. —
(Von den düteuförmig gerollten Körpern ist durch Abspalten die Spitze entfernt, dadurch ist der Querbruch sichtbar geworden; ausserdem die ge-
.streifte Dütenfläche selbst zu sehen.)
bald als Palmfarn (Nöggerathia), bald als Schnecke
(Conularia), bald als Ringelwürmer (Nemertites, Ne-
reites imd Crossopodia) beschrieben, bald endlich auch
als „Kriechspuren" von Würmern, Schnecken oder Crusta-
ceen gedeutet wurden, so dürfte es den Lesern dieser
Wochenschrift vielleicht nicht uninteressant sein, zu er-
fahren, wie denn dieser vielgedeutete Körper aussieht.
Eine ziemlich ausführliche Beschreibung habe ich in
dem Jahresbericht der Gesellschaft von Freunden der
Naturwissenschaften zu Gera vom Jahre 1892 (vgl. „Natur-
wissensebaftl. Wochenschr.'' VII S. 514) gegeben, dem
auch unsere Abbildungen Fig. 1—3 entnommen sind.
Die Dictyodora ist bisher fast ausschliesslich in der
Culmformation Thüringens und zwar in Schiefer und Grau-
waekensaudstein an vielen Orten gefunden worden.
Diese beiden Gesteinsarteu wechseln in
in mehr oder minder dünnen Schichten vielfach mit ein-
ander ab. Die Dictyodora steht nun darin aufrecht, d. h.
sie durchsetzt dieselben quer zu den Scbiebtfugen und er-
reicht dabei Höben bis zu 18 cm. Dies aufrechte Durch-
setzen gehört bei den Versteinerungen zu den grossen
der Regel
Querschnitte vollkommen ersetzen können; — oder aber sie
findet rechtwinklig oder schräg zur Schichtung besser statt
als parallel derselben (..Transversalschieferung") und liefert
dann ziemlich ebene natürliche Längs- (und schräge)
Brüche, welche ebenfalls ohne künstliehe Nachhilfe für die
Untersuchung gut brauchbar sein können.
Auf den Quer brücken, die wir zunächst betrachten
wollen, bildet die Dictyodora einen dünnen (V2 — 1 bis
2 mm breiten), aber langen (bis über 2 m) ununter-
brochenen, nicht in sich zurückkehrenden Strang
(also eine offeuc Curve) von wurmartigem, mehr oder
minder wirrem, häufig sich durchkreuzendem Ver-
lauf, zu vergleichen einem Faden, den man von einem
Knäuel abwickelnd, achtlos auf den Boden hat fallen lassen.
(Vergl. Fig. 1 — 3.) Der Durehmesser des Raumes, den
diese wirreu Windungen in der Mitte dichter, nach dem
Rande zu immer lockerer überspinnen, kann Vo m über-
schreiten, doch liegen mir alle Grössenübergänge vor bis
herab zu unter 1 cm grossen Individuen. Hat man eine
grosse Schieferplatte vor sich, so kann in mehreren Metern
oder auch nur Centimetern Entfernung ein zweites, grosse-
Nr. 16.
Naturwissenscliaftliche Wochenschrift.
157
res oder kleineres Individuum liegen, ja dieses kann mit
einzelnen Theilen sogar in das erste hineinragen, sodass
sich beiderseitige Strangstücke mehrfach ganz ebenso
durchkreuzen können, als ob es Stücke desselben Indivi-
duums waren! Alle Dnrehkreuznngen finden so statt,
dass hinter dem Kreu/nngspunkt die kreuzende
wie aneli die durelikreuzte Strecke den diesseits
begonnenen Curvenvcrlauf völlig ungestört fort-
setzt, gerade als ob gar kein Henminiss im Wege ge-
wesen wäre (vergl. Fig. 4 c.)
Betrachten wir einen höheren oder tieferen Quer-
schnitt (Querbruch), so finden wir nach Zahl, Lage und
Gestalt tast genau dieselben Win-
dungen und Falten wieder, also einen
im matiiematisehen Sinne „ähnlichen"
Curvenvcrlauf, nur ist auf einem über
dem ersten gelegenen Schnitt der
Durchmesser jeder einzelnen Falte ein
kleinerer, auf einem tiefer gelegenen
Schnitt ein grösserer. Je weiter nach
unten, um so mehr wachsen dabei
einzelne Falten einander entgegen
und schliesslich durcheinander, so-
dass eine Querschnittreihe durch die-
selben zwei benachbarten Falten die
Bilder Fig. 4 a (olien), b (Mitte) und
e (unten) liefern kann.
Es nimmt nun auch der Durch-
messer des insgesamnit übersponnenen
Raumes auf verschiedenen Quer-
schnitten desselben Individuums von
oljen nach unten zu und man muss
sich darum die Dictyodora als einen
blattartig (Vg — 1 — 2 mm) dünnen,
wie eine Krause, aber noch viel
complicirter und mit vielen
S e 1 b s t d u r c h w a c h s u n g e n , ge-
falteten Körper von nach oben
sich kegelförmig verjüngendem
Gesamnitumriss vorstellen. (Un-
sere Abbildungen Fig. 1-3 stellen in
^2 der natürlichen Grösse drei Indi-
viduen in Gestalt flacher Kegelstumpfe
dar, da die Kegelspitze, um den
Curvenvcrlauf auf dvm Querschnitt
zu zeigen, abgespalten ist.)
Um den Körper noch anschau-
licher zu machen, wollen wir uns vor-
zustellen suchen, wie man ihn etwa
aus Carton sich niodelliren könnte.
Man denke darum zunächst daran, wie man aus einem
Cartoudreieck eine Düte sich herstellen würde; man falte
nun von derjenigen Ecke des Dreiecks ans, die zur Düten-
spitze werden soll, den (Karton radial zu einer Krause; die
Falten werden dabei natnrgemäss nach aussen immer
grösser; nun wickele man den Carton in mehreren Umgängen
zu einer Düte auf. Hierbei können sich die einzelnen
Windungen und Falten natürlich nur berühren, aber man
wird sich dann weiterhin leicht eine Vorstellung davon
machen können, wie dieselben sich schliesslich auch durch-
kreuzen. Freilich — , wie dieses Durchwachsen, mit un-
gestörtem Curvenvcrlauf, bei einem lebenden Organismus
zu Stande kommt, das ist ein noch unaufgeklärtes Räthsel,
welches darum für sich allein schon Vielen genügt iiat,
die Dictyodora aus der organischen Welt auszuschliessen.
Wir k()nuen uns nun auch leicht den Längssciinitt
durch die Dictyodora vorstellen. Falls er durch die
Kegclspitze geführt ist, muss er aus einem Bündel mehrerer
bis sehr vieler, radial ziendich von einem Punkte aus-
Figur 5
Im oberen Theile axialer Längsschnitt, im unteren
Tlieile Anssenansiclit eines verlängerten Exemplares
von Dictyodora. (Skizzenhafte Darstellung in ' 2 der
natürlichen Grösse.) Culm von Ziegenrück.
strahlender Stränge bestehen, und die Beobachtung lehrt,
dass dies in der That auch fast genau so sich verhält,
dass die Stränge fast geradlinig verlaufen und dass die
äussersten, welche also die Form des Gesammtumrisses
bestinnnen, an verschiedenen Individuen Winkel von etwa
30 bis 120° einschliessen.
Neuerdings habe ich davon etwas abweichende
Stücke gefunden: bei ihnen sind nicht alle Umgänge und
Falten durch einen Punkt gelegt; sondern nur eine An-
zahl der inneren; für die äusseren aber ist jener Punkt,
also die Kegclspitze, nach oben hin in eine Linie aus-
um welche herum die einzelnen Windungen
schraubenförmig in die Hohe steigen.
Es würde an dieser Stelle zu weit
führen, die Beschreibung davon noch
ausführlicher zu machen, es genüge
nur die Abbildung eines beinahe genau
axialen Längsbruches durch ein der-
artiges verlängertes Exemplar, wie
ich ihn mehrfach aufgefunden habe.
(Fig. 5.)
Aus dem steifen Verlauf der
Längsschnitt - Stränge müssen wir,
falls die Dictyodora wirklich einmal
ein organisches Wesen war, auf eine
ziemlich bedeutende Steifheit der
Körpersubstanz schliessen, weil doch
sonst der blattartig dünne Körper
beim Yersteinerungsprocess von dem
sich auflagernden Schlamm unregel-
mässig zusammen gedrückt worden
wäre. Da drängt sich denn die Frage
auf: woraus mag denn nun dieser
Körper bestanden haben"? oder war
seine Steifheit durch irgend ein inneres
oder äusseres Gerüst bedingt? Diese '
Frage ist noch nicht genügend zu
beantworten. Es besteht nämlich jetzt
der Körper niakro- und mikroskopisch
aus derselben Substanz wie seine Um-
gebung, nämlich ans Schiefermasse,
wenn er in Schiefer sich findet, —
aus Sandstein, wenn er in Sandstein
vorkommt; ja nach einer zuerst von
Rauft' gemachten Bcoliachtung besteht
sogar dassell)e Individuum abwech-
selnd aus beiden Substanzen, wenn es
abwechselnd Schiefer- und Sandstein-
schichten durchsetzt. Diese Beob-
achtung stellt somit, zu den beiden
schon erwähnten, eine dritte auffällige Eigenthümlichkeit
der Dictyodora dar und dient dem genannten Forscher in
Verbindung mit seiner weiteren Beobaelituug, dass or-
ganische Substanz und organische Structur weder in Resten
noch in Andeutungen vorhanden seien, als Beweis dafür,
dass die Dictyodora überhaupt niemals ein Lebewesen war.
Meine eigenen Beobachtuii'^en haben mich aber d(icli —
wenigstens an Harzer Excni])larcn, die ich mit den Thürin-
gischen der (Gattung nach vereinige — sowtdil eine ge-
wisse Structur als auch eine besondere, in der Umgebung
fehlende Substanz (Eisenoxyd) kennen gelehrt, welch'
letztere, nach Analogien, sehr wohl an Stelle von or-
ganischer Substanz getreten sein kann; und der mir be-
freundete Herr Knab in Lehesten hat auch an allen thü-
ringischen Exemplaren bei starken Vergrösseningen eine
Structur zu erkennen gemeint, die man woiil al.s organiscii
betrachten inüsste. Ich gehe jedoch hieraui' nicht weiter
ein, weil ich die Untersneliungen darüber erst selbst noch
weiter führen mus.s.
158
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 16.
Wir wenden uns jetzt der Frage zu, welche Ober-
flächenzeichnung die Dictyodora gehabt hat. Die
Seitenliäclien dieses blattartigen, dütenförniig gewundenen
Gebildes werden durch die naturliche Spaltbarkeit (Schiefe-
ruug) des Gesteins nur dann und soweit l)lossgelegt, wenn
und soweit sie mit dieser annähernd parallel sind, wäh-
rend es nach andern Richtungen grosse, oft nicht zu über-
windende Schwierigkeiten macht, jene Flächen künstlich
herauszupräpariren. (Es geht daraus liervor, dass solche
Stücke, welche die kegelförmige Gestalt zu mehr als Vs
des Umfangs zeigen (vgl. unsere Fig. 1) zu den Selten-
heiten und zu den besonders lehrreichen Exemplaren ge-
hören.) Diese Seitenflächen zeigen nun, beiderseits gleich,
erstens eine überaus regelmässige, sehr dichte Streifung oder
Liniirung welche radial von der Kegelspitze nach der
Basis ausstrahlt, und zweitens, in etwas weiteren, aber
auch ganz regelmässigen Abständen, ungefähr rechtwinklig
zu jener, eine Runzelung, welche parallel der Kegelbasis
und damit der Schichtung verläuft und als Anwachsstreifung
gedeutet ist. Radialstreifung wie Querrunzelung sind so
fein, dass mau sie beim Darüberstreichen mit dem Finger
meist kaum merkt, dabei aber doch, bei günstiger Be-
leuchtung, so deutlich sieht, dass sie, wegen ihres netz-
artig gegitterten Gesammt-Aussehens, den Namen Dictyo-
dora (dictys = Netz) veranlasst haben.
Schliesslich wenden wir uns dem der Kegelspitze
eutgegengesetzen Unterrande zu. Derselbe ist nicht
ganz eben, sondern scheint in unregelmässigen Entfer-
nungen sehr flachwellig auf- und alizusteigen und ist im
Ganzen bei den äusseren Windungen der Spitze oft näher
als bei den inneren. Er ist stets und seiner ganzen Länge
nach zu einem cyliudrischen Wulst verdickt, so dass man
schliesslich auch die Dictyodora als aus Wulst (Rhachis)
und einseitigem, blattartigem Theil (Spreite) zusammenge-
setzt bezeichnen kann. Aus Fig. 5 ist dies deutlich zu er-
sehen. Die Spreite sitzt der Rachis dann in ähnlicher
Weise auf, wie einem Fisch oder Triton seine Rückenflosse,
nur dass die Spreite unverhältnissmässig viel höher ist.
Je nach der Grösse des gesammten Individuums und der
Lage näher an der Spitze oder an der Basis des einzelneu
Lidividuums ist die Rachis l bis über 15 nun dick; sie er-
reicht Längen bis über 2 m. Da sie alle Faltungen der
Spreite mitmacht, gleicht sie auch einer Schlange oder
einem Wurm, nur hat man niemals daran einen Kopf oder
Schwanz entdecken können. Wohl aber erinnert an Riugel-
würmer die innerlich und äusserlich niehl selten zum Aus-
druck gelangende Quergliederung aus lauter dichtgedrängten,
flachuhrglasförmigen Schaalen (Segmenten) und an vielen,
besonders günstig erhaltenen Stücken, das Vorhandensein
einer dünnen, schwarz-fettglänzeuden Linie, welciic mau
als Darm, Axe, Mittelnerv oder sonstwie benennen könnte,
wenn man nur erst ihre Bedeutung kennte. Rauft', der
die ganze Dictyodora für ein allerdings höchst sonder-
bares Product starker mechanischer Gesteinsumformung
erklären will, glaubt in diesem Sinne, in einer hier
nicht näher zu erläuternden Weise, auch diesen gra-
phitischkohligen vStreifen, mechanisch deuten zu können.
Ich nuiss aber gestehen, dass ich mir zur Zeit die
mechanische Entstehung der beschriebenen complicirten
und doch so regelmässigen Gebilde nicht vorzustellen
vermag.
Nach dem Gesagten ist es nun nicht mehr zu ver-
Avundern, dass man früher, ehe der Zusammenhang von
Rhachis und Spreite, von Längs- und Querschnitt und
Seitenansicht bekannt war, alles dieses, jedes für sich als
etwas besonderes, unter den oben genannten, so verschie-
denen Thier- und Pflanzengruppen beschreiben konnte.
Wir haben eine Reihe von Eigenthümlichkeiten zu nennen
gehabt, die. wenn Dictyodora doch eine Versteinerung
ist, die Aufstellung der besonderen Familie der Dädaleae
rechtfertigen, die aber andererseits, wenigstens zum Theil,
sogar gegen die organische Natur der D. zu sprechen
scheinen. Wenn aber Rautf mit seiner auf DUnn-
schlitfuntersuehungen gegründeten Behauptung, wie ich
kaum glaube, doch Recht behielte, dass die Dictyodora
ein durch den Gebirgsdruck zu Stande gekommenes Ge-
bilde, eine Zone starker mechanischer Gesteinsumfornuuig
sei, so wäre das eine in ihren übrigen Eigenschaften in
der anorganischen Welt nicht minder neue und räthsel-
hafte Erscheinung, weil sie uns spiralig schlangenartig
verlaufende Stcirungszonen neben den bisher allein ge-
kannten ziemlieh geraden darböte.
Lieber den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome.
Von Dr. Eua;en Dreher.
Ueber die Stellung der Mathematik zu den übrigen
Wissenschaften herrschten zu allen Zeiten verschiedene
Ansichten, insofern der eine Theil der Forscher die Mathe-
matik als eine von aller Erfahrung unabhängige Wissen-
schaft, als eine auf angeborenem Denken sich aufl)auende
Lehre erachteten, während die Anderen glaubten, sie zu den
Erfahrungswissenschafteu zählen zu müssen, wenngleich ihre
Gesetze bei weitem nicht hi dem Maasse den Stempel der
Empirie tragen, wie dies bei den anderen Wissenschaften
der Fall ist." Der alte Satz: dass die Sinne die alleinigen
Pforten der Erkenntniss sind, schien den Anhängern der
empiristischen Hypothese Recht zu geben, während die
zwingende Evidenz der mathematischen Lehrsätze, ihre
durch nichts Iteschränkte Allgemeingültigkeit zu Gunsten
der Ansicht sprach: diese Wahrheiten seien von aller Er-
fahrung unabhängig.
Auf letzten Betrachtungen fussend, erachtete Des-
cartes die geometrischen Axiome, die man merkwürdiger-
weise behufs Entscheidung des vorliegenden Problems viel
mehr ins Feld führte, als die doch abstracteren arith-
metischen Grundsätze, für angeborene Wahrheiten, und
Kant, der ihm hierin, jedoch bei Zugrundelegung seiner
Epoche machenden Anschauung von der subjectiven Natur
des Raumes, auf die wir später eingehen müssen, bei-
pflichtete, sprach sich für die theoretische Möglichkeit
aus, dass alle Lehren der Geometrie ganz unabhängig von
jeder Erfahrung als Consequenzen rein logischen Denkens
aufzustellen seien.
Die Mehrzahl der Forscher aber erklärte sich für die
empiristische Natur der gesammten Mathematik, indem sie
auf den oft vorgebrachten Fall hinwies, dass wir nie
behaupten würden : das Ganze sei grösser, als einer seiner
Theile, wenn uns nicht die Erfahrung gezeigt hätte, dass
ein Gegenstand durch die Wegnahme eines seiner Theile
an Grösse verliert. Bevor Kant jedoch seine reformatori-
schen Ansichten von der angeborenen Natur der An-
schauungsformen von Raum und Zeit aufstellte, schwebte
ihm eine Ansicht von dem Wesen des Raumes vor, die
derartig auf bestechenden Trugschlüssen sich gründete,
dass sie bis auf den heutigen Tag nicht wenige bedeu-
tende Jlathematiker dazu verleitete, ganze Systeme von
geometrischen Sätzen oder, besser gesagt, ganze „meta-
mathematische" Lehrgebäude auszuarbeiten, die für Räume
gelten, welche, nicht vorstellbar an sich, gegen die Gesetze
Nr. 16.
Naturwissenschaftliche Wochensehrift.
159
des durch die Sinuc erschlossenen Raumes streiten. Fra-
gen wir aber: wie Kant vor dem Entwürfe seiner „Kritik
der reinen Vernunft'' dazu kam, die sich aufdrängende
Ansicht von der dreidimensionalen Beschaft'enheit des
Haunies aufzugeben und den Raum im Widerspruche mit
den Aussagen der Siime als vierdimensional zu eraciiten,
um welclu' kühne Erweiterung der Zahl der Abmessungen
des Raumes es sich bei dem jugendlielien Philosophen
handelte, so war es die zunächst wirklich sehr auffallende
Thatsaclie, dass rein symmetrische dreidimensionale Raum-
gebilde gleicher Grösse nie zur Deckung gebracht werden
können, während doch symmetrische zweidimensionale
Raunigebilde gleicher Grösse, und sei es auch mit Be-
nutzung der dritten Abmessung des Raumes, stets zur
Deckung zu bringen sind. Kant meinte nun, dass diese
Deckung für genannte dreidimensionale Gebilde dennoch
möglich sei: unter der Voraussetzung jedoch, dass die
vierte Abmessmig des Raumes herbeigezogen werde, die
aber unserer Anschauung der Natur unserer Sinne zufolge
verschlossen sei. —
Statt einzusehen, dass nur in dem zweidimensionalen
Räume, für die gerade Ebene also, der Bcgrift" von Aehu-
lichkeit mit dem der Symmetrie identisch ist, weil die
Congruenz symmetrischer Raunigebilde gleicher Grösse
hier stets zur Anschauung zu bringen ist, dass aber im
dreidimensionalen Räume zwischen Aehnlichkeit und Sym-
metrie unterschieden werden muss, weil nur ähnliciie
dreidimensionale Raumgebdde gleicher Grösse zur Deckung
gebracht werden können, hauten Nachfolger von Kant,
unter ihnen namentlich Zöllner, die Hypothese von der
vierdimensionalen Natur des vorhandenen, den Sinnen und
der Anschauung aber verschlossenen Raumes zu einer
zwar geistreichen, aber inhaltslosen philosophischen Welt-
anschauung aus.*)
Nacli dieser Anschauung sollte, um hier nur ein
kennzeichnendes Beispiel dieser Richtung herauszugreifen,
die beiden Arten von Weinsäure: die rechts und die links
drohende Weinsäure, zwei verschiedene dreidimensionale
l'rojectionen der vierdimensionalen Dioxybernsteinsäure
sein, woraus sieh die auf Krystallisation und Polarisation
Bezug nehmenden Eigenschaften der beiden genannten
Weinsäuren ergeben sollten. Die Unterscheidung beider
Weinsäuren war nach dieser Hypothese also nicht sachlich
begründet, sondern war allein die Folge der beschränkten
Auffassung unserer Sinne der vierdimensionalen Dioxy-
bernsteinsäure gegenüber. —
Diese gegen den uns durch die Sinne vorgeführten
Euklidischen Raum von drei Abmessungen streitende Auf-
fassung rief eine ganze Flutii von m e tani at h ein a tischen
Speculationen ins Leben, die in ihrer Gesamnitheit nur
dazu dienen können, zu zeigen: wie notiiwendig es ist,
dass der Mathematiker von Beruf sich mit der meta-
physischen Seite seiner Wissenschaft gründliclist be-
schäftige, d. h. aber nichts anderes: als sich über den
Ursprung und die Bedeutung der Grundsätze seiner Lehre
Rechenschaft zu geben. —
Um aber den Laien in die „metamathematischen"
Speculationen derjenigen Mathematiker einzuführen, welche
*) Vergl. Schlegel, Ueber den sogenannten 4 dimensionalon
Kaum. „Naturw. Woehenschr." Bd. I] S. 41. — Red.
sich ihr Raisonncment üiier die Natur des Raumes nicht
von der durch die Sinne i)ediiigten dreidimensionalen An-
schauung beschränken lassen, geht Herr von Hclmholtz in
seinem Vortrage: „Ueber den Ursprung und die Bedeu-
tung der geometrischen Axiome" (gehalten 1870) auf die
erkenntnisstheoretische Seite der geometrischen Ciruiul-
sätze ein.
Wir können dieses Verfahren nur billigen, da wir
uns für seine metamathematischen Speculationen nur dann
entscheiden können, wenn wir in Betreff der Bedeutung
der Axiome seinen Standpunkt theilen.
Nachdem nun Herr v. Ilelmholtz einige geometrische
Axiome angeführt hat, unter diesen die Grundsätze: dass
der kürzeste Weg zwisciien zwei Punkten die gerade
Linie ist: dass durch je drei Punkte des Raumes, die
nicht in einer geraden Linie liegen, eine Ebene gelegt
werden kann: dass durch einen Punkt nur eine einzige
Linie zu construiren ist, welche sich mit einer gegebenen
Linie als gleichlaufend erweist, erklärt genannter Forscher:
„Woher kommen nun solche Sätze, unbeweisbar und
doch unzweifelhaft richtig im Felde einer Wissenschaft,
wo sich alles Andere der Herrschaft des Schlusses hat
unterwerfen lassen? Sind sie ein Erbtheil aus der gött-
liciien Quelle unserer Vernunft, wie die idealistischen Phi-
losophen meinen, oder ist der Scharfsinn der bisher auf-
getretenen (Generationen von Mathematikern nur noch nicht
ausreichend gewesen, den Beweis zu findenV"
Die erste Frage nach der dem Ich angeborenen An-
schauung des Raumes müssen wir verneinen, da das Ich,
inn dessen Erkenntnissvermögen es sich bei mathematischen
Problemen allein handelt, nie und nimmer zur Vorstellung
irgend welcher Raumgebilde gelangt wäre, wenn nicht
die Wahrnehmung der äusseren Sinne ihm eine Aussen-
welt vorgeführt hätten, deren räumlicher Charakter ein
von den Aussagen der äusseren Sinne nicht abzustreifendes
Gewand ist. Sehen wir so von den eigentlichen Energien
dieser Perceptionen wie: Licht, Farbe, Ton, Wärme,
Druck u. s. w. ab, so bleibt vor unserem geistigen Auge
zwar ein Etwas bestehen, was wir als Raum bezeichnen,
zu dessen Vorstellung unser Ich jedoch nie gelangt wäre,
wenn nicht die genannten Perceptionen auf unser Ich ge-
wirkt hätten.
Als entscheidender Beleg für die Richtigkeit dieser
Auffassung der empiristischen Natur des Raumes hinsicht-
lich unseres Ich diene die einfache Ueberleguug, dass
wir nie zu der Anschauung oder zum Begriff" des Raumes
gelangt wären, wenn unser Ich von blossen inneren Sinnen,
von Gemeingefühlen also, wie: Hunger, Durst, Muth,
Angst u. s. w. bedient worden wäre, da sich an diese
Perceptionen als solche auch nicht die verschwommenste
Raumvorstellung knüpft. Dass vielfach die Gemeingefühle
von den Wahrnehmungen äusserer Sinne wie von Tast-
und Druckgefühlen begleitet sind oder diese bedingen,
weckt bisweilen den Schein, als werde das Gemeingefühl
lokalisirt empfunden.
Theoretisch denkbar wäre es, dass wir, mit Gemein-
gefühlen allein begabt, wohl eine ganze Aritlimetik,
nie aber eine (Geometrie ersinnen würden, eine Wissen-
schaft, zu der wie dargelegt, die mit räumlichem Geiiräge
versehenen Perceptionen der äusseren Sinne erforder-
lich sind. (Schluss folgt.)
Einen interessanten Fall von Vererbung einer
Missbildung durch mehrere Generationen hin bcol)ach-
tete Bedart (ectrodactylie quadruple des pieds et des
mains se transmettant pendant trois generations. In Bullet,
de la Soc. d'anthro]). de Paris 1892. S. 336). Es han-
delte sich um eine gleichzeitige Verstümmelung der vier
Extremitäten, die, wo sie in der Descendenz auftritt, stets
das gleiche Verhalten zeigt. — Der Fuss ist gabelförmig
gespalten und besitzt nur zwei ausgel)ildete Zehen, die
1. und 5., deren Enden gleich den Armen einer Kneif-
zange einander gegenüberstehen. Die übrigen Finger sind
auf ihre Metatarsen reducirt und stecken in einer Art
160
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 16.
Hauttasche. Ein ganz anderes Verhalten zeig;t die Hand.
Hier sind der 3. und 4. Fing-er intact erhalten und die
aussen stehenden Finger nieiir oder minder auf ihre Jleta-
carpen reducirt. Es erinnert dieses Verhalten an den
Typus der paridigitaten Perissodactylen.
Soweit sicli die geschilderte Diflrormität in die Des-
cendenz hinauf verfolgen lässt, stellte sie sich zuerst con-
genital hei einem männlichen Individuum ein, das von
wohl gestalteten Eltern abstammte. Ans der Ehe dieser
Person mit einem gesunden Weibe gingen vier Kinder
hervor, von denen drei die Verstümmelung aufweisen.
Die aus der ^'erbinduug dieser Kinder mit wohlgestalteten
Gatten stammenden Nachkommen waren zum Theil mit
der DifTormität belastet, zum Theil von ihr frei. Auffällig
ist, dass dieselbe sich mit Vorliebe durch und auf die
weiblichen Individuen vererbte. — Die Stammtafel ist
kurz folgende. Der Urheber der Verunstaltung hatte
vier Kinder. Erster Sohn an Händen und Füssen diffor-
mirt; von seinen Kindern aus erster Ehe ein Knabe und
ein Mädchen desgleichen, aus zweiter Ehe ein intacter
Knabe. — Zweiter Sohn gesund; seine 5 Kinder eben-
falls gesund. — Erste Tochter au Händen und Füssen
diftbrmirt; von einem Zwillingspaar der Knabe intact,
das Mädchen difformirt. — Zweite Tochter in gleicher
Weise difformirt; von 7 Kindern 3 Jlädchen difformirt,
desgleichen 1 Knabe; die 3 anderen Knaben wohl-
gestaltet. Buschan.
Prof. Dr. J. V. Kennel behandelt in seiner Schrift
„Die VerwaiKltschaftsverliältiiisse der Arthropoden''
(Schriften herausgegeben von der Naturforscher - Gesell-
schaft bei der Universität Dorpat. VI. 1891) einen Gegen-
stand phylogenetischer Forschung, welcher im Laufe der
letzten Jahrzehnte von den verschiedensten Zoologen be-
arbeitet worden ist. Der Verf. bezieht sich auch auf
mehrere Forscher und beleuchtet deren Resultate auf
obigem Gebiete, um schliesslich mit seinen eigenen An-
sichten und Ergebnissen hervorzutreten. Darnach be-
stehen die Gliederfüssler aus zwei ganz gestrennten Haupt-
stämmen :
1. den Branchiaten (Crustaceen oder Krebse),
2. den Tracheaten (Arachniden oder Spinnen,
IMyriopoden oder Tausendfttssler und Inseeten
oder Sechsfüssler).
Die Branchiaten athmen durch Kiemen (Blutkiemen),
die Tracheaten durch Tracheen (Luftröhren). Der Stanmi
der Branchiaten ist direct zurückzuführen auf rotatorien-
artige, ungegliederte Vorfahren, die als Ersatz für die
allmählich verschwindenden Wimperkräuze paarige, seit-
liche Ausstülpungen des Körpers zur Ausbildung brachten,
welche als Locomotionsapparate dienten. Bei dem er-
folgenden Längenwachsthum trat auch eine quere Gliede-
rung der Haut und der ■Muskulatur, sowie der Bewegungs-
organe ein. Eine secundär in mancher Weise abgeänderte
Andeutung dieser Urahnen ist die heutige Naupliuslarvc
der Crustaceen.
Zu den Anneliden (Ringelwürmern) haben die Crusta-
ceen keine stamm verwandtlichen Beziehungen; diese und
die Anneliden sind vielmehr zwei in divergenter Richtung
auseinander gehende gleichwerthige Aeste von gleichem
Ursprung.
Die Tracheaten sind es vielmehr, welche von den
Anneliden abzuleiten sind. Peripatus ist die bekannte
hochinteressante Uebergangsform zwischen den Würmern
und Tausendfüsslern.
Wie wir sehen, hätten also die Branchiaten und
Tracheaten ganz gesonderte Entwicklungsbahnen und keine
Spur von Blutsverwandtschaft. Wie ist aber die dennoch
bestehende grosse Uebereinstimmung in der Organisation
der Branchiaten und Tracheaten zu erklären, welche uns
die Vorstellung von einer nahen genetischen Beziehung
beider Alttheilungen durchaus nahe legt? Eine nähere
Vergleichung muss diesen lange und oft gehegten Ge-
danken zurückdrängen. Alle Tracheaten besitzen Tracheen
und Malpighische Gefässe, nichts dergleichen die Bran-
chiaten. Die Aehnlichkeiten beider Abtheilungen können
dagegen nicht ins Gewicht fallen. Die Gliederung des
Chitinskelets, die Bildung einheitlicher K('irperabschnitte
durch Verschmelzung mehrerer Segmente, die Gliederung
der Extremitäten und ihre theilweise Umbildung zu Tast-
und Fresswerkzeugen können entweder aus mechanischen
Ursachen oder als Anpassungserscheinungen erklärt wer-
den. Körperanhänge in der Nähe des Mundes sind auch
in anderen Thicrklassen in den Dienst der Nahrungsauf-
nahme getreten und haben eine dementsprechende Um-
bildung erfahren. Zu nennen sind z. B. die Tentakeln
der Holothnrien und der sedcntären Anneliden und die
Arme der Cephalopoden. Die Aehnlichkeiten in der Bil-
dung des Herzeus, des Nervensystems und der Muskulatur
sind nur Convergenzerscheinungen.
Dagegen kommen zu den schon angeführten Unter-
schieden zwischen den Branchiaten und Tracheaten noch
folgende. Die ersteren besitzen zwei Paar präorale Glied-
maassen, die Tracheaten nur ein Paar, nämlich Antennen.
Bei den Branchiaten sind die Gliedmaassen typisch zwei-
ästig, bei den Tracheaten einfach und mit Endkrallen
versehen, welche bei Crustaceen nicht vorkommen. Dann
ist noch auf die Verwendung der Extremitäten als Kiemen
bei den Crustaceen hinzuweisen. Wenn l)ei Tracheaten
kiemenähnliche Gebilde, nämlich Trachcenkiemen auf-
treten, so treten sie als Ausstülpungen der Haut, niemals
aber in Verbindung mit den Extremitäten auf.
Die grosse Aehnlichkeit in der Ausbildung der Fa-
zettenaugen der Crustaceen und Inseeten müsste für eine
Zusammengehörigkeit beider Abtheilungen sprechen, wenn
man nicht annehmen wollte, dass Augen von so gleichem
Baue und so verschieden von denjenigen anderer Thiere
zweimal in verschiedenen Thierstämmen zur Ausbildung
gelangt seien. In Wirklichkeit sind indess die Augen
gar nicht von identischem Baue. Beträchtliche Unter-
schiede maciien sieh bei der Betrachtung der embryo-
nalen Entwicklung bemerkbar; das Krebsauge gewinnt
nämlich einen Theil seiner Anlage durch eine Einstülpung,
während das Insectenauge nur inoditicirtes Epithel ist,
ohne Einsenkung und Abschnürung.
Die Gruppe der Prototrochosphära ist der ge-
meinsame Urquell, aus welchem
1. die Rotatorien,
2. die Mollusken,
0. die Anneliden und
4. die Crustaceen
entspringen.
Von den Anneliden (Riugelwürmern) stammen die
Peri])atiformes, die sich in die zwei Aeste mit ver-
schiedener Lagerung der Genitalöffnung spalteten, nämlich :
1. Peripatus, Chilopoden und Inseeten,
2. Diplopoden, Pauropoden. Symphylen und
Arachnoiden.
Diese Gruppen zeigen alle wieder einzelne in be-
sonderer Richtung ausgebildete Organisationsverhältnisse,
wodurch sie sich als Endzweige erweisen und nicht
Durehgangsphasen für höher stehende Gruppen darstellen.
Die Inseeten sind wohl eine einheitliche Thiergruppe
und stammen von einer einzigen ziendieh nahe liegenden
Wurzel myriopodenähnliclicr Thiere ab. Dafür
spricht ihre" trotz aller äusseren Verschiedenheiten recht
gleichmässige Organisation. Dagegen sind die Ära eh-
Nr. 16.
Natnrwissenschaftliche Woclienschrift.
161
noidcn jedenfalls von peripatit'drnien Vorfahren ab-
/Ailciten.
Für die Ableitung der secbsbeinigen Tracbeaten
von vie 11) ein igen ist die Tbatsacbe vcrniutblicb von
grossem Belang, dass die Jugendformen der Myriopoden
eine geringere Zabl von Beinpaaren, nandicb 8 oder 6 bis 7,
besitzen, als die Erwachsenen, also darin an die Iniberen
Traelieaten (Insecten) erinnern. Die Ürei/ahl der Beiii-
paare der letzteren wurzelt also schon bei den niederen
Tracbeaten. II. J. Kolbe.
Ueber das Vorkommen einer Oleditschia in Süd-
amerika. — Die (iattung Gleditscbia, deren be-
kanntester Vertreter die l)ei uns nicht selten als Zierbaum
ange])tlanzte G. triacanthos L., jenes durch ziemlicii
gnisse, stark verzweigte Dornen und Hidsen von ausser-
ordentlicher Länge ausgezeichnete und wohl den Meisten
bekannte Gewächs, ist, war bis zu Anfang der 70er Jahre
nur aus dem gemässigten Nordamerika und Asien bekannt,
wo sie in nieln-eren, nahe verwandten Arten auftritt. Auf
letzterem Continent geht eine Hpccies, G. casiiica Desf.,
westlich bis nach Nordpersien und bis zum Caspischen
Meer und erreicht dauut ziemlich die Grenzen Kuropas.
Höchst überraschend war daher die Entdeckung einer
Art im westlichen, tropischen Afrika, der G. africana
Welw., einer von den übiigen Formen durch völlige Dorn-
losigkeit ausgezeichneten ^^pecies, üi)er welche Bentham
1872 in den Transaet. of the Linn. 8oc., \o\. XXV S. 304,
eingehende Mittheilungen brachte. Zu der ptlanzcngeogra-
phisch hoch interessanten Tbatsacbe, dass diese der ge-
mässigten Zone angehörende und daselbst verbreitete
Gattung im tropischen Afrika wiederum auftritt, hat sich
vor Kurzem in .Südamerika ein Analogon gefunden, indem
die von Grisebach 1879 beschriebene, zur Familie der
Burseraceen gerechnete Garugandra amorphoides
sich nach Taubert's (vgl. Ber. d. Deutsch, botan. Ges.
1892, Heft 10, S. 637) Untersuchungen als typische Gle-
ditscbia herausgestellt hat.
Gleditscbia amorphoides (Gris.) Taub, ist ein in
den argentinischen Provinzen < »ran und Corrientes nicht
seltener Baum, der eine Höhe bis zu 16 ni erreicht und
von allen übrigen Gleditschien dadurch ausgezeichnet ist,
dass der oft bis ^/^ m Durchmesser erreichende Stamm
fast vom Grunde bis zu 3 oder 4 m Höhe mit ungeheuren,
bisweilen über \.j m langen, starken und vielfach ver-
zweigten Dornen (Adventivsprossen) bewehrt ist. Der
Baum ist den Argentinern seines Nutzen und seiner Ge-
fährlichkeit wegen wohl bekannt und wird als quillay,
coronillo, espina de Corona Cristi, espinillo
aniaro etc. bezeichnet. Hieronymus (PI. diaphor. Ar-
gent. S. 59) macht über seine Verwendung und Schäd-
lichkeit folgende Mittheilungen :
Die Rinde wird an Stelle von Seife zur Entfernung
von Flecken aus WoU- und Baumwollstoffen benutzt (da-
her der Name quillay). Das Holz dient zur Anfertigung
von Gefässen, die zur Aufnahme von Flüssigkeiten be-
stimmt sind, zu Drechslerarbeiten und zur Herstellung von
Holzsohlen und Holznägeln. Die Blätter, jungen Zweige,
sowie die Wurzeln wirken adstringirend. An den riesigen
Stanundornen verletzen sich häutig die Hausthierc. Nicht
selten bildet der Baum geschlossene Wäldchen, die schwer
passirbar sind und namentlich Thieren, besonders dem
Weidevieh, gefährlich werden, da diese, wenn sie durch
Zufall in einen derartigen Bestand gerathen, sich ver-
letzen, rasend werden und schliesslich in Folge der zahl-
reichen Verwundungen elend zu Grunde gehen. Bisweilen
wird Gleditscbia amorphoides auch als Heekenptianze
benutzt. Dr. T.
lune neue scliwinimende Meeresalge beschreil)t G.
Pouchet in den Compt. vend. de la Soc. de I5iol. de
Paris, t. 4, S. 34. P.llariot hat sie Tetraspora Poucheti
genannt. Pouchet fand sie 1882 von den Lofoten l)is zum
Varangerfjord in ungeheuren Massen. Die gelben (Jalicrt-
kügelclien von 1 bis 2 nmi Durchmesser fanden sich zu
etwa 40 000 in 1 cbni, was etwa 10 ccm entsprechen
würde. Im Jahre 1890 fand er sie zu Thorhaven auf den
Faröerinseln wieder. Die Kügelchen bestehen aus einer
Anzahl sich schneidender Kugeln. In der Gallertc liegen
zu je vieren kugelige Zellen eingebettet. Die Vermehrung
geschieht durch birnförmige Zoosporen mit zwei langen
Geisseln. Matzdorft".
Erdbebenstatistik in Japan. — Prof. Supan hat
kürzlich die Ergebnisse der japanischen Erdbebenbeobach-
tungen von 1885 — 1S89 übersiebtlicli zusammengefasst
(Petermanns Mittheilungen 1893. S. 15—17); seine Uebcr-
siclit ist von zwei instructiven Karten begleitet ; die eine
stellt die Verbreitung der Erdbeben in Japan überhaupt,
die zweite diejenige der starken Erdbeben der Jahre
1885—1889 dar. „Der tektonische Charakter der japa-
nischen Erdbeben springt auf Karte I sofort in die Aogen;
die Vertheilung der \Mdcane ist ohne nennenswerthen
Einfluss auf die Verbreitung des seismischen Phänomens,
das am häufigsten und stärksten au der pazi-
fischen Seite auftritt. Weitaus den ersten Rang nehmen
die Gegenden westlich und nördlich von Tokio,
die Provinzen Meesaschi, Schimotsuke und Hitatschi ein."
Dass dies unstreitig und in allen Jahren das Haupt-
schüttergebiet Japans ist, \\ird besonders beim Vergleich
von Karte I und Karte II klar, welche nur die starken
Erdbeben berücksichtigt und die beiden anderen, auf
Karte I erscheinenden i^laximalgebiete, diQ Halbinsel
Nemuro auf Jesso und die Westküste von Kiuschui, süd-
lich von der Hizenhalcinsel, sehr zurücktreten lässt. Ausser
diesem interessanten Einblick in die örtliche Verthei-
lung der Erdbeben für das Japanische Reich sind
noch zwei andere Ergeltnisse der eingehenden Erdbeben-
statistik hervorzuheben: 1) die auffallende Zunahme
derselben seit 1887. In Tokio wurden z. B. von 1885
bis 1889 je 82, 65, 96, 122 und 137, in ganz Japan je
80, 79, 80, 105 und 166 Erdbeben beobachtet, und die
völlige Unabhängigkeit der Erdbeben von den
Jahreszeiten. Fr. Regel.
Ueber die täglichen Schwankungen der Schwer-
kraft. — Herr Mascart hat vor Jahren unter der Be-
zeichnung „barometre de gravite" ein Instrument ange-
wendet, welches die Veränderlichkeit der Schwerkraft von
einem zum anderen Orte, etwa bei Forschungsreisen,
bequem zu bestimmen gestattete. Eines ist indess wenig
angenehm bei dem Apparate: er ist sehr zerbrechlieh.
Aber seine ganze Einrichtung, das Princip, auf das er
sich gründet, macht ihn doch in hohem Maasse geeignet,
zur Verfolgung etwaiger localer, mit der Zeit sich voll-
ziehender Schwankungen der Schwerkraft zu dienen.
Seit mehreren Jahren hat nun auch Herr Mascart, wie
er am 30. Januar d. J. in der Pariser Akademie mit-
theilte, ein solches Instrument beobachtet, welches aus
einer Barometerröhre besteht, in der eine Quecksilbersäule
von 4™, 50 dem Drucke einer in einem seitlich ange-
brachten Behälter betindlichen Masse von Wasserstoff das
Gleichgewicht hält. Der ganze Apparat ist in die Erde
eingelassen mit Ausnahme einer kurzen Quecksilbersäule
am oberen Ende. Die Höhe der Flüs.sigkeit in der Röhre
wird mit Hülfe einer seitlich betindlichen Theilung ge-
messen, deren Spiegelbild mau nach der Axe der Baro-
162
Natnrwissenscliaftliche Wochenschrift.
Nr. Iß,
meteiTöhre reflectiren lilsst. Die Ablesungen werden bis
auf 0,01 """ getrieben.
Die direeten Beobachtinigen. zu mehreren bestimmten
Stunden am Tage, haben nur einen eontinuirlichen Gang
nachgewiesen, dessen Verlauf sich im Wesentlichen ab-
hängig erweist von den unvermeidl)aren Temperatur-
schwankungen. Man wird zur photographischen Re-
gistrirung greifen müssen, wenn man in dieser Beziehung
bestimmte Ergebnisse zeitigen will.
Die von^Mascart der Akademie vorgelegten graphi-
schen Darstellungen der Beobachtungen (in zwanzigfacher
Vergrösserung) zeigen, wie gesagt, im Allgemeinen regel-
mässigen Gang, der sich dem der Temi)eratur an-
schliesst. Seitvveuigen Tagen vor dem 30. Januar aber,
bemerkt man, dass diese Curven durch plötzliche rasche
Aenderungen der Schwerkraft gestört erscheinen. Die
Dauer dieser Störungen schwankt zwischen lö" und 1^;
ihre Amplitude erreicht — und überschreitet in einzelnen
Fällen — den Betrag von 0,05"""; der bedeutend grösser
ist, als die Aenderungen der Schwere, welche etwa durch
die Erscheinungen der Gezeiten verursacht werden können.
(Die Möglichkeit, dass diese Störungen etwa von Er-
schütterungen des Erdbodens herrühren könnten, scheint
ausgeschlossen zu sein, da der französische Physiker ihrer
mit keinem Worte gedenkt.) Herr Mascart wird im
Park St. Maur ein neues Instrument nach gleichem
Princip aufstellen lassen, das vor jeder zufälligen Störung
durch die leisen Bewegungen des Erdbodens vollkommen
geschützt werden soll. Erst nach Anstellung weiterer
Beobachtungen wird man dann näher über die Frage der
Realität täglicher Schwankungen der Schwere entscheiden
dürfen. Besondere Bedeutung dürften «lei'artige organisirte
Wahrnehmungen aber namentlich in vulkanischen Gegenden
finden, sofern man annehmen darf, dass die Schwerkraft-
Aenderungen abhängen von unterirdischen Massenver-
setzuni,-en. ^^i'*-
Entgegnung auf die Erwiderung des Herrn Dr. Jordan
in No. 15.
Zu Anmerk. 2: Es ist völlig richtig, dass ich (lie
Uebereiustimnuiug der empiristischen Ansicht von einer
zwischen körperlichen und geistigen ^^n■gängen vorhande-
nen Functioualbeziehuug mit dem bedeutungsvollsten aller
Grundgesetze der Naturwissenschaft, d. h. mit dem Gesetze
von der Erhaltung der Energie, für eine sein- wichtige
Stütze jener Ansicht halte. Was i.un die Gegenbemer-
kungen "des Herrn Dr. .1. wollen, verstehe ich nicht, da
sich" das Gesetz der Erhaltung der Energie — ich darf
doch wohl sagen: bekanntlich — auf das Gebiet der
körperliehen Vorgänge bezieht. Ich wüsste nicht, wo
und wann und warum ich den Versuch gemacht haben
sollte, die Geltung jenes Gesetzes auch auf das Gebiet
der geistigen \'orgänge auszudehnen. Für mich genügt
völlig die" unbedingte Geltung des Energie-Gesetzes auf
dem'körperlichen Gebiete, mit der jeglicher Dualismus
(also auch die Ansicht des Herrn Dr. J.) ausgeschlossen
ist. _ Herr Dr. J. scheint meine Ausführung etwas
flüchtig gelesen zu haben, und wohl eben so auch Wandt,
dessen Anführung hier entschieden nicht am Platze ist, da
Wundt ja auch "Anhänger der Parallelismus-Theorie ist.
ZuAnmerk. 3: Was die „Abhebungen" anbelangt,
so ist dieser Ausdruck allerdings für denjenigen ein
„blosses AVort", der nicht weiss, was damit gemeint, bezw.
was damit ausgeschlossen werden soll (nämlich die An-
nahme eines substanziellen Bevvusstseins!). Auf diesen
Punkt werde ich in dieser Zeitschrift noch bei anderer
Gelegenheil zurückkounnen.
Zu Anmerk. 4: Das Wort „Begleiterscheinung"
ist völlig gleichbedeutend mit dem Worte „Begleitvor-
gang" gebraucht. In diesem Sinne sind diejenigen, denen
etwas erscheint, alle die, für die etwas zur „Abhebung"
gelangt, d. h. alle die, die etwas wahrnehmen, also die
mit Nerven versehenen Organismen (die keineswegs etwa
als „geistige Wesen" bezeichnet werden können). — Dass
die von Herrn Dr. ,1. beliebte Anwendung des Ausdrucks
„Materialismus" als Sammelname für grundverschie-
dene Standpunkte in keiner Weise zu billigen ist, brauche
ich wohl nicht noch besonders darzulegen. Es liegt solchem
Gebrauche jenes Worts meist die Absicht zu Grunde, den
dem Materialismus anhaftenden Makel auch den andern
Anschauungen anzuheften
Zu Anmerk, 10: Wir kennen aus Erfahrung, die
doch die einzige Quelle unseres Wissens ist, sicher nur
eine Art von Gedankenübertragung, das ist die durch
Bewegungen (Sprechen, Schreiben, Mienen, Geberden)
vermittelte. Wer eine andere Art von Gedankenüber-
tragung als diese aus der Erfahrung allein sicher nach-
weisbare behauptet, ohne dafür den Beweis zu liefern,
der stellt damit einen Glaubenssatz (Dogma) auf,
nicht aber der. der sich streng an die Erfahrung hält.
Inuner derjenige hat den Beweis zu führen, der eine
neue Ansicht, d. h. eine von der bisher üblichen, auf
allgemeiner Erfahrung beruhenden , wissenschaftlichen
Ueberzeugung abweichende Behauptung, aufstellt.
Zu Anmerk. 15: Die in meinem Innern sich ab-
spielenden Vorgänge sollen für Herrn Dr. J. „relativ nn-
bewusstc" sein?! Nun ich denke, sie dürften ihm wohl
völlig „unbewusst" — oder riciitiger: v('illig „unbekannt"
sein! Denn das ganze Beispiel des Herrn J. passt
ganz und gar nicht hierher. Es handelt sich hier
um die Bezeichnung der geistigen Vorgänge eines Men-
schen, und zwar nicht nur vom Standpunkte eines andern,
sondern auch von dessen eignem aus! Und da ist
es für mich allein verständlich und annehmbar, von
geistigen Vorgängen als bewussten Vorgängen zu reden.
Die Ausdrücke „geistig" und „bewusst" decken sich.
Infolge dessen ist es unbedingt zu verwerfen, von un-
bewussten, bezw. relativ unbewussten geistigen Vorgängen
zu reden. Das ist ebenso richtig, wie wenn man von un-
bewusstem Bewusstsein oder von bewusstem Unbewussten
oder aber von nichteisernem (z. B. hölzernem) Eisen (bezw.
relativ nichteisernem Eisen) sprechen wollte. Solche Aus-
drücke widersprechen dem logischen Grundgesetze des zu
vermeidenden Widerspruchs.
Auch ich hoffe, dass das Gesagte genügen dürfte,
um die ..vorurtheilslos prüfenden Leser" in den Stand zu
setzen, ihr Urtheil zu fällen,*) Dr. M. Klein.
1
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wiirdeii eniannt: Dlm- Hygieniker l'i-ufessor Uffelmanii
au der Universitilt Kostock zum Honorar-Professor, — Der Chirurg
Professor All)ert Landerer in I^eipzig zum Leiter des Karl-
Olga Hospitals zu Stuttgart, — Dr, Julius Scheiner vom astro-
physikalischen Observatorium zu Potsdam zum Professor. — Der
Privatdocent in der mediciuisclieu Facultiit der Urdversität Heidel-
berg, Dr, Friedrich Maurer, zum ausserordentlichen Professor.
Der Gymnasialdirector a. D. und Privatdocent für Philosophie an
der Berliner Universität, Dr, August Döring, zum Professor.
Es ist gestorben: Der Botaniker Alphonse de Candolle
in Genf.
Die Versammlung der Deutschen zoologischen Gesellschaft
findet am 24, bis 26, Atai im zoologischen Institut in ßöttingen
statt, — Vorsitzender Professor J. W, Spengel in Giessen,
*) Wir erklären hiermit die Discussion zwischen den Herren
Dr. J. und Dr. Kl, in der „N. W." für geschlossen. Red,
Nr. in.
Naturwissciiscliattliclie Wochenschrift.
163
L i 1 1 e r a t u r.
Paul Mantegazza, Die Hygiene der inneren Organe. Verlag
von Heiiirioh M;iU. Königsberg (Ostpr.). Olmc Jalireszahl. —
Preis 1 Mk.
Diis Heftchen ist das lä. aus der Reihe der Hygienen Mante-
gazza's, aber noch nicht das letzte. Wie die früheren ist es flott
geschrieben: ni;in wundert sich, wie der Verfasser es fertig bringt,
den anscheinend spröden Stoff allgemein-anziehend zu behandeln.
Dr. J. Buchheister, Die Berechtigung und gesundheitliche Be-
deutung des Bergsteigens. iSanimlung geineinv.-wissenschaftl.
\'nrtr;l"e. .\. F. 7. Ser. Heft 1.32.) Verlagsanstalt A.-G. (vor-
mals J. F. Kichter). Hamburg, !8;»2. — Preis 0,60 Mk.
Schon vor mehreren Jahren liat Verf. ein gediegenes Schrift-
chen über das Bergsteigen veröffentlicht (vgl. Naturw. Wochenschr.
1889, Bd. IV, S 232). Auch das vorliegende Schriftchen können
wir nur angelegentlichst allen denen empfehlen, die Wanderungen
im Gebirge lieben: es giebt treffliche und beherzigenswerthe
Kathschläge dem Touristen und wissenschaftlichen Reisenden.
Dr. Oscar Lassar, Die gesundheitschädliche Tragweit« der
Prostitution. Kine social - mediciiiische Befruchtung. Verlag
\on August Hirschwald. Berlin, 1892.
Nachdem der Verf., Privatdocent für Hautkrankheiten, die
Gefahren unvorsichtigen geschlechtliclien Verkehres geschildert
hat, spricht er energisch im Interesse der Gesellschaft dafür.^ dass
jeder geschlechtlich Kranke alle und leichte Wege offen linden
müsse, um zu gesunden, was bei den jetzigen Zuständen that-
sächlich nicht der Fall sei. Er macht Vorschläge, wie das zu er-
reichen sei. F^erner wünscht er Belehrung der Jünglinge, denen
die Gefahren bekannt zu geben seien.
li. Pasteur, Die in der Atmosphäre vorhandenen organischen
Körperchen, Prüfung der Lehre Ton der Urzeugung. Keber-
setzt von Dr. A. Wieler Mit 2 Tafeln ((.>»t.wald's Klassiker
der exakten Wissenschaften No. 39). Verlag von Wilhelm
F;ngelmann. Leipzig 1892. — Preis 1,80 Mark.
Die 1862 von Pasteur in den Annales de Chemie et de
Physique veröffentlichte bedeutungsvolle Abliaiidlung ist eines
der werthvollsten Dokumente für die Geschichte der Wissen-
schaften von den Lebewesen: bringt sie doch den uralten Streit
über die Urzeugung zum definitiven Abschluss. Pasteur war der
erste, der in wissenschaftlich genügend erscheinender Weise die
Entstehung auch der niedersen, einfachsten uns bekannten Or-
ganismen aus Keimen von ihresgleichen nachwies und zeigte, dass
eine spontane Entstehung von Organismen nicht koustatirbar ist,
dass die bis dahin angestellten Versuche, die Urzeugung zu er-
weisen, nicht mit den nöthigen Kautelen angestellt worden sind.
Die beiden der so bedeutsamen Abhandlung beigegebenen Tafeln
sind Abzüge der Originalplatten der Pasteur'schen Arbeit-
Prof. Dr. Bau, Neuer methodischer Leitfaden für den Unter-
richt in der Zoologie Mit zahlreichen Holzschnitten. Verlag
von 0. R. Reisland. Leipzig 1892. — Preis geb. 2,20 Mark.
Dieser neue Leitfaden stellt eine Umarbeitung des früheren
dar, erweitert durch die Grundbegriffe der Thiergeographie und
der Gesundheitspflege. Der erste Abschnitt desselben giebt die
Beschreibung einzelner Säugethiere und Vögel, ents|:irechend dem
Pensum der Se.xta. Der zweite gleichfalls Einzellieschreibungen
aus dem ganzen Kreis der Wirbelthiere, zudem die Grundzüge
des menschlichen Skelettes. Im Weiteren nimmt der Gang einen
mehr .systematischen Charakter an; so giebt der 3. Abschnitt das
„Svstem der Wirbelthiere", der 4. und 5. das „System der wirbel-
losen Thiere, der 6. beschäftigt sich mit dem Menschen.
Der Raum gestattet nicht, die Vorzüge des vorliegenden
gegen die anderer neuerer Leitfäden eingehender abzuwägen.
Er" ist nicht so streng methodisch und inductiv wie einige andere,
z. B. die Vogel-Müllenhoff'schen Leitfäden — denen er sonst in
den ersten beiden Abschnitten verwandt ist — , andererseits über-
trifft er in der Frische der Darstellung viele neuere. Der
Verfasser hat liämlicli besonderen Werth auf eine fliessende
ungezwungene erzählende Sprache gelegt, zumal in den Einzel-
beschreibungen, die durch reichliche Abbildungen noch mehr be-
lebt wird. Es ist dadurch ein Lo-ebuch im besseren Sinne ge-
schaffen, dazu geeignet „nach der Stunde die Schüler zu
nochmaliger freudiger Beschäftigung mit dem Durchgenommenen"
anzuregen. Hinzugefügt sei, dass der Leitfaden in einigen
Punkten den Anschauungen Götte's (Thierkunde) folgt, so z.B.
in der Auseinandersetzung auf R. .'). Die allenthalben hervor-
tretende Absicht des Verfassers, Liebe zur Natur in den Schülern
zu erwecken, ist besonders anzuerkennen und wird gewiss ihren
Zweck nicht verfehlen.
Nicht einverstanden ist Referent mit der zwei bis drei Seiten
einnehmenden Einleitung: Der Mensch. Es werden hier, also
auf der untersten Stufe, zuviel neue Begrift'e ohne hinreichende
Anschauung übermittelt; einzelne derselben sind auch verfrüht,
wie „Kehldeckel, Iris, Nerven". Der beigegebene kleine schemati-
sche Durchschnitt eines Torso (der u. a. auch bei Götte, aber
doch mit anderer Begründung zur Darstellung gelangt) ist zur
ersten Einführung ganz ungeeignet, auch in ästhetischer Hinsicht
wird er abstossend und verwirrend auf das Kindesgemuth ein-
wirken. Dagegen zeichnen sich die späteren, eingehender vom
menschlichen Körper handelnden Abschnitte gerade durch An-
schaulichkeit aus. .
Der Bail'sche Leitfaden ist jedenfalls ein werthvoller Bei-
trag zur Behandlungsweise des naturgeschichtlichen Unterrichts
und wird deniKemäss zu einer weiteren erhöhten Würdigung
dieses Unterrichtszweiges mitwirken.
0. Ohmann.
Oberlehrer J. Blum und Dr. W. Jännicke, Botanischer Führer
durch die städtischen Anlagen in Frankfurt am Main. Mit
7 Planskizzen. Verlag von Mahlau & Waldschmidt. Frank-
furt am Main 1892.
Das befpiem in der Tasclie zu tragende Büchelchen ist mit
Unterstützung des Vereins zur Förderung des öftentlichen Ver-
kehrslebens (des Verschönerungs-Vereins) zu Frankfurt am Main
herausgegeben worden. Frankfurt zeichnet sich durch seine
Garten-Anlagen, namentlich durch seine „Promenade" und sein
, Nizza" vortheilhaft aus Die zahlreichen Zierpflanzen, welche
die Anlagen schmücken, finden in dem vorliegenden Schriftchen
Besprechung und Erwähnung und zwar so, dass man die einzelnen
Arten nach den gemachten Angaben gut auffinden kann. Dem
angehenden botanischen Systematiker und Pflanzenfreund, der
sich in der genannten Stadt aufhält, wird die Schrift angenehme
Dienste leisten.
Dr. Max Ebeling, Einführung in das Kartenverständniss.
Eine methodische Anleitung für den geographischen Anfangs-
Unterricht an dem Beispiel' einer Berliner Schule durch Lehr-
proben dargestellt. Mit 18 Abbildungen. Weidmann'sche
Buchhandlung. Berlin 1892. - Preis 1 Mark.
Das verdienstliche Schriftchen will entgegen dem früheren
Gebrauch, nach welchem den Schülern einfach ein Atlas in die
Hand gegeben wurde und dieser nun ein Kartenverständniss so
gut es ging selbstständig zu erlangen versuchen musste, zuerst
dieses Verständniss methodisch gelehrt wissen. Man muss sich
in der That wundern, dass diese Forderung erst neuerdings Platz
greift. Die Schrift Ebeling's will dem Lehrer zur Erreichung des
Zieles ein Leitfaden sein: sie ist ganz elementar gehalten und
setzt keine Vorkenntnisse aus der Mathematik voraus. Da sie
für den Unterricht von Schülern von 10—11 Jahren bestimmt ist,
lässt sie die Erläuterung der Kartenprojectionen und Höhenlinien
ausser Acht. Es ist dies eigentlich bedauerlich, da ein kurzer
Abschnitt diese wesentliche Ergänzung hätte bringen können und
dadurch der Leitfaden auch für reifere Schüler benutzbar ge-
worden wäre. Der Verfasser ist ordentlicher Lehrer an einer
höheren Bürgerschule in Berlin und hat — wie man schnell sieht
— aus der Praxis des Unterrichts geschöpft.
Dr. Arthur Gloy, Beiträge zur Siedelungskunde Nord-Albin-
giens. (Fortsetzungen zur deutschen Laudes- und Volkskunde,
herausgegeben von Prof. A. Kirchhoft'. 7. Bd., Heft 3.) Mit
3 Karten und i Text -Abbildungen Verlag von J. Engelhorn.
Stuttgart, 1892. - Preis 3,40 Mk.
Das nur 44 S. umfassende Heft berücksichtigt eingehender
die ländlichen Siedelungen und bietet eine wichtige Ergänzung zu
Jansen's Untersuchungen, der sich der Hauptsache nach mit der
wechselseitigen Bedingtheit des Orts durch den Verkehr und das
Strasi^ennetz beschäftigt hat. Es zerfällt in zwei Theile. von
denen der erste „Die Dichte d er Bevölkerung-', „ausgedrückt
durch die d(?r Wohnplätze und durch die Kaumgrösse der Siede-
lungen" (Ratzel), und der zweite die „ Siedelungstypen " be-
handelt. Zunächst findet die , Karte der Siedelungsdichte Erläu-
terung, um dann die Ursachen für die verschiedene Dichte der
Wohnplätze und der Bevölkerung darzulegen. Bei der Behandlung
der ländlichen Siedelungstypen hat Verf. namentlich die slavischen
berücksichtigt, „welche um so mehr Beachtung verdienen, als sie
von Ratzel wohl erwähnt weiden, aber nicht als im Deutscheu
Reich vorkommend."
164
Naturwisseuscbaftlicbe Wochensclirift.
Nr. 16.
Dr. Ernst Wunschmann, Carl Wilhelm von Naegeli. (Wiss.
Beilage zum Programm der Charluttcusehule zu Berlin. Ostern
1893.) E. Gaertner's Verlagsbuchhandlung (Hermann Hevfelder).
Berlin 1893. .' - '
Die vorliegende Schrift ist mehr eine Darstellung der wissen-
schaftlichen Anschauungen und der wissenschaftlichen Thiitigkeit
des talentvollen Botanikers Naegeli, als eine blosse Lebensbeschrei-
bung. Nur in aller Kürze finden wir am Eingange der Schrift
eine Darstellung des Lebenslaufes, während der Haupt-Inhalt die
einzelnen Hauptrichtungen des Wirkens von Naegeli behandelt.
Dieser ist in VI Abschnitte gegliedert, und zwar I. Schriften zur
Entwicklungsgeschichte der Organe und Gewebe, II. Schriften
über die Stärkekörner, Intussusceptionslehre und Micellartheorie,
III. Schriften zur Kr_yptogamenkunde, IV. Systematische Schriften,
V, Abstammungslehre und Moleculartheorie, VI. Gährungstheorie
und Bacterienfrage. Den Schluss der verdienstlichen Arbeit bildet
ein Verzeichniss der gedruckten Schriften Naegeli's.
Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den
Deutschen Schutzgebieten. Mit Benutzung amtlicher (i)uellen
herausgegeben von Dr. Freiherr von Danckelmann. VL Bd.
Heft. Berlin 189o. E. Siegfr. Mittier & Sohn.
Von diesem für die wissenschaftliche Kenntniss der deutschen
Schutzgebiete besonders wichtigen <t»uellenwerke erscheint nun-
mehr bereits der sechste Band als wissenschaftliche Beihefte zum
amtlichen Deutschen Kolonialblatt. Das jüngst ausgegebene Heft
enthält zunächst fünf verschiedene Aufsätze aus dem Schutzge-
biete Togo. Allgemeine Beachtung verdient der Aufsatz des
Stabsarzt Wicke „über die gesundheitlichen Verhältnisse unter
den Europäern an der Sklavenküste unter besonderer Berücksich-
tigung der Togo-Gebiete vom I. Januar bis Ende September 1892.
Hieran schlie.ssen sich die von Premierlieutenant Herold im
Togogebiet angestellten Höhenmessungen und meteorologischen
Beobachtungen von Bismarcksburg , Klein Popo, Sehe und
von der Station Misahöhe. Aus dem deutsch - südwestafri-
kanischen Schutzgebiet ist neben dem Bericht von Dr. Fleck
über eine durch die Kalahari zum Njdmi See unternommene
Reise die von R. Kiepert bearbeitete Karte mit C. v. Fran(,-ois'
Routen im deutsch - britischen Grenzgebiet hervorzuheben, auf
welcher sich auch die älteren Reisen eingetragen finden. Endlich
ist aus dem deutsch-ostafrikanischen Schutzgebiet der Aufsatz
über die Wakua-Steppe von Interesse. Anfang September 1891
unternahm H. F. v. Behr von Lindi aus eine Expedition nach
dem Gindo- und Wakua-Lande, um über die Ausdehnung und
Ausbeutungsfähigkeit der Kopalfelder im südliehen Theile des
deutsch-ostafrikanischen Interessengebietes Untersuchinigen anzu-
stellen. Das plötzliche Verschwinden der beiden Wakua-Führer
wäre beinahe für den Unternehmer und seine 22 Begleiter ver-
hängnissvoll geworden: Die Expedition wurde in kritischer Lage
mitten in der weglosen Steppe in Stich gelassen; v. Behr konnte,
nach lünem vergeblichen A'orstoss in nördlicher Richtung zur LTm-
kehr gezwungen, nur mit knapper Noth und im Zustand grösster
Schwäche den Wasserplatz in der Nähe des Timbo im SO. vom
Kongomere-Gebirge erreichen. LTi-ber die Mayeye-Berge gelangte
v.Behr nach der Missionsstation Masasi, wo sicli die übrigen Mit-
glieder der Expedition bis auf zwei, welche in der Wakua-Steppe
geblieben waren, einige Tage später ebenfalls einfanden. Von
hier kehrte v. B. dann nach Limdi zurück. Fr. Regel.
Engler-Prantl's Natürliche Pflanzenfamilien. 80. und 81. Lief.
Verlag von Wilhelm Engelmaun in Leipzig, 1893. — Preis ä Lief.
1,.50 in Subscription und 3 Mk. einzeln.
Lief. 80 beschliesst die Sterculiaceen (bearb. von K. Schu-
mann), bringt die Dilleniaceen (E. Gilg) und Encryphiaceen
(W. O. Focke) und beginnt die Ochnaceen (Gilg) Lief. 81 be-
schliesst die Rhizophoraceen und beginnt die Myrtaceen (Fr. Nie-
denzu). Der — wie schon in der „N. W." mitgetheilt — erfolgte
Tod des Mitherausgebers der Natürlichen Pflanzenfamilien, des
Prof PrantI, bringt in dem Erscheinen des Unternehmens keine
Störung hervor: Prof. Engler hat sich entschlossen, die Heraus-
gabe nunmehr allein zu übernehmen.
Schififner, V., Tortula Velenovskyi, eine neue Art der Gattung
Tortula aus Böhmen. Leipzig. " 1,.M M.
Schnitze, F., Ueber den Hypnotismus Hamburg. 1 M.
Schnitze, O., Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Milchdrüsen.
Würzburg. 0,80 M.
See, Th. J. J., Die Entwickelung der Doppelstern -Systeme.
Berlin. 6 M.
Seelig, E., Molekularkräfte. 2. Aufl. Berlin. 2,40 M.
Seligo, A., Ueber einige Flagellaten der Süsswasserplankton.
Danzig. 1 M.
Specialkarte, geologische, des Königreiches Sachsen. 1 : 25 000.
Sect. 50. Moritzburg-Klotzsehe. — Sect. 82. Kreischa-Hänichen.
Leipzig, ä 3 M.
Stahl, H., und V. Kommerell, Die Grundformen der allgemeinen
Flächentheorie. Leijizig. 4 M.
Steindachner, F., Ueber einige neue und seltene Fischarten aus
der ielithyologischen Sammlung des k. k. naturhistorischen Hof-
museuuis. Leipzig. 4,40 M.
Tesar, J., Ueber ein Paar nnicursaler Degenerirungscurven 3. Ord-
nung des Normalenproblems und das Nornialenproblem einer con-
focalen Kegelschnittschaar. Leipzig. 1 M.
Thompson, S. P., Die dvnamoelektrischen Maschinen. 4. Aufl
5. Hft. Halle. 2 M. "
Toula, F., Geologische Lfntersuchungen im östlichen Balkan und
in anderen Teilen von Bulgarien und Ostrumelien. II. Abtheil.
Leipzig. 8 M.
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Ijeschleunigung und der Abplattung. Leipzig. 0,30 M,
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0,80 M.
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südlicher Sternkataloge. Leipzig. 2,40 M.
Wettstein, K. v., Die fossile Flora der Höttinger Breceie. Leipzig.
5,S0 M.
Wollny, F., In Sachen der Hypnose und Suggestion. Leipzig.
0,50 M.
Zur Nachricht.
Der Artikel des Herrn Prof. Kirchner über Christian Kon-
rad Sprengel in No. 12 dieses Jahrgangs der „Naturw. Wochenschr."
hat einige der geehrten nichtbotanischen Leser veranlasst, der
Redaction vorzuschlagen, in der „Naturw. Wochenschr." einen
Aufsatz über die Grundzüge der heutigen Blumentheorie zu ver-
öflfentlicben. Da ein solcher Aufsatz nur ganz elementare, jedem
Botaniker bekannte Dinge ln"ingen könnte, die „Naturw. W^ochen-
schriff jedoch im Wesentlichen die Aufgabe hat, über die
Fortschritte in der Naturwissenschaft zu berichten, so wagt es
der Unterzeichnete nicht, allein auf Grund der wenigen vorliegen-
den Aeusserungen, eine Auseinandersetzung über den genannten
Gegenstand zu bringen. Finden sich aber aus dem freundlichen
Leserkreise noch mehrere Zustimmungen zu dem Plane, so bin
ich gern bereit, dem ausgesprochenen Wunsche nachzukommen,
um so mehr als ich für eine in Gemi'inschaft mit Herrn Professor
Kirchner herauszugebende Jubiläumsschrift auf Sprengel einen
„Was sind Blumen?" betitelten, illustrirten Aufsatz zu veröff'ent-
lichen im Begriff' stehe, dessen Aufgabe sein soll, dem Laien den
Gegenstand, den Spreugel so meisterhaft begründet hat, zu er-
schliessen. P.
Inhalt: E. Zimmermann: Dictyodora Liebeana Weiss, eine räthselhafte Versteinerung. (Mit Abbild.) — Dr. Eugen Dreher:
Ueber den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome. — Einen interessanten Fall von Vererbung einer Miss-
bildung durch mehrere Generationen hin. — Die Verwandtschaftsverhältnisse der Arthropoden. — Ueber das Vorkommen einer
Gleditschia in Südamerika. — Eine neue schwimmende Meeresalge. — Elrdbebenstatistik in Japan. — Ueber die täglichen
Schwankungen der Schwerkraft. — Entgegnung auf die Erwiderung des Herrn Dr. Jordan in No. 15. — Aus dem wissenschaft-
lichen Leben. — Litteratur: Paul Mantegazza: Die Hygiene der inneren Organe. — Dr. J. Buchheister: Die Berechtigung
und gesundheitliche Bedeutung des Bergsteigens. — Dr. Oscar Lassar: Die gesundheitschädliche Tragweite der Prostitution.
— L. Pasteur: Die in der Atmosphäre vorhandenen organischen Körperchen, Prüfung der Lehre von der Ueberzeugung. —
Prof. Dr. Bail: Neuer methodischer Leitfaden für den Unterricht in der Zoologie. — Oberlehrer J. Blu hrn und Dr. W. Jan nicke:
Botanischer Führer durch die städtischen Anlagen von Frankfurt a. M. — Dr. Max Ebeling: Einführung in das Kartenver-
ständniss. — Dr. Artliur Gloy: Beiträge zur Siedelungskunde Nord-Albingiens. — Dr. Ernst W uns c hmann: Carl Wilhelm
von Naegeli. — Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus dem Deutschen Schutzgebiete. — Engler-Prantl's
Natürliche Pflanzenfamilien. — Liste. — Zur Nachricht.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 16.
NatiirwissenscliaftliL-lic Wochenschrift.
XXXI
An unsere Leser!
Diejenigen unter den freundlichen Lesern, welclie die „Naturwissenschaftliclie Wochen-
sclirifl" seit ihrem Entstehen verfolgt liaben, wissen, dass von Jahr zu Jahr der Umfang der ein-
zelnen Nummern sowohl inhaltlich als auch der Seitenzahl nach zugenommen hat. Die Redaction
steht abermals vor der Frage, ob es zweckmässig sei, eine weitere Vergrösserung der Wochenschrift
vorzunehmen: wiederholt mussten treffliche Artikel aus Mangel an Platz abgelehnt werden, ferner
erscheint es u. a. geboten, die referirenden kleineren Mittheilungen in noch grösserer Zalil zu bringen
als bisher und endlich ist eine weilergehendere Berücksichtigung der actuellen Vorgänge des wissen-
schaftlichen Lebens den Freunden der ,Naturw. Wochens'chr." vielleicht erwünscht. Die Verlags-
buclihandlung ist nun gern bereit, der Redaction jährlich über 100 Spalten mehr als bisher zur Ver-
fügung zu stellen, diesmal aber unter der Bedingung, dass der Abonnements-Preis den daraus er-
wachsenden Mehr-Unkosten entsprechend eine Erhöliung erfahre. Der bisherige Preis von 3 Mark
vierteljährlich würde sich danach auf 4 Mark erhölien. Bevor jedoch die — eventuell zu dem mit
dem 1. Juli 1893 beginnenden Quartal — geplante Erweiterung ins Werk gesetzt wird, bitten wir
die verehrten Abonnenten um eine zustimmende oder ablehnende möglichst schnelle Aeusserung in
der Sache, damit sich die Unterzeichneten über die diesbezügliche Ansicht des Leserkreises ein Urtheil
zu bilden in der Lage sind.
Die Redaction:
Dr. H. Potonie,
Berlin N. i, Invalidenstrasse 40/41.
Der Verlag":
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung,
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Der Gletschergarten auf dem Adlerfels in Schreiberhau im Riesengebirge.
Weltbekannt ist der Luzerner Gletschergarten. Kein
Reisender, der die Schweiz und den Vierwaldstädter 8ee
zum ersten Male besucht, wird es versäumen, au dem
berühmten Löweudenkmal vorbei, auch den Gletscherg"a,rten
zu besuchen.
Aber auch das Rieseug-ebirge hat jetzt seinen Gletscher-
garten. Von der Natur war er bereits seit der Eiszeit
fertiggestellt, von Menschenhand ist er erst unlängst zu-
gänglich gemacht worden.
Inmitten zwischen der Bismarekhöhe und dem Moltke-
felsen, oberhalb des freundlich im tiefen Zackeuthale ge-
legenen Gasthauses zum Kochelfall, des ehemaligen Vitriol-
Werkes, erhebt sich der Adlerfels. Mit seinem Blick auf
das Hochgebirge einerseits, ins freundlich lachende Warm-
brunner Thal andererseits und seinem Einblick ins wild
romantische Zackenthal zu seinen Füssen, vereinigt er die
Vorzüge der Bismarekhöhe und des Moltkefelsen mit dem
für den Reisenden besonders augenehmen Umstände,
dass er in ungleich geringerer, kaum den dritten bis
fünften Tlieil in Anspruch nehmender Zeit und mithin
mit ganz geringer Mühe vom Zackenthaie aus erstiegen
werden kann.
Seine Höhe bilden mehrere E''elsengruppen, deren süd-
westliche auf einer nur flach gerundeten Oberfläclie von
etwa 50 qm in wunderbarstem Gewimmel eine Anzahl
von über 40 Strudellöchern, kleinen und grossen, zum
Theil durch flaclie Rinnen mit einander verbunden, ein-
gegraben zeigt.
Da weit und breit in seiner Umgebung kein höherer
Punkt vorhanden ist, von dem herab einst strömende oder
gar stürzende Wasser sich über seine Oberfläche er-
gossen und die Strudellöcher ausgekesselt haben können,
so bleibt keine andere ungezwungene Erklärung übrig,
als dass auch hier, wie einst in der Schweiz, das Gebirge
so weit hinab vergletschert gewesen ist und die durch
Spalten während der Sommerszeit alljährlich und zur Zeit
des allgemeinen Abschmelzens in grösster Menge herab-
stürzenden Sclimelzwasser die Strudellöcher auskesselten
und wir es hier also mit echten Gletschertöpfen zu
thun haben, wie solches in einer, im Jahrbuch der Kgl.
Preuss. Geologischen Landesanstalt für 1891 erschienenen
Abhandlung des Landesgeologen Professor Dr. Berendt
„Spuren einer Vergletscherung des Riesen-
gebirges", der wir in den wissenschaftlichen Ausfüh-
rungen hier auch, z. Th. sogar wörtlich, folgen, ausführ-
lich nachgewiesen worden ist.
Verlässt man die von Petersdorf im Zackenthal auf-
wärts führende Chaussee kurz vor dem Vitriol- Werke
beim alten Chaussee-Hause und folgt rechts der an einer
malerisch gelegenen Glasschleife vorüber bergaufsteigenden
Dorfstrasse oder schlägt man nach eingenommenem Im-
biss im freundlichen Garten des Kochelfallhotels den von
liieraus bergansteigenden Fussweg ein, so gelangt man
in 10 bis 15 Minuten zum Eingang des in Privatbesitz
befindlichen Gleschergartens auf dem Adlerfels.
Nach wenigen Schritten auf breitem schlangenförmigeu
Fusswege, kommen wir an einer senkrecht stehenden
Felsplatte vorüber, deren muldenförmige Vertiefungen
nicht mit Unrecht sofort die Aufmerksamkeit des Vor-
übergehenden auf sich ziehen. Da wir diese Platte jedoch
erst später besprechen wollen, umgehen wir sie und sehen
uns, einige kolossale Granitblöcke, zwischen denen hin-
durch sich der Weg windet, im Rücken lassend, vor dem
mit altgermanischer Zier gekrönten (iatterthore des Haupt-
einganges. Durch die Baumstämme schimmern bereits
die Mauerreste und ein hoher gothischer Bogen, der hier
plötzlich durch den jetzigen Besitzer emporgezauberten
alten Burgruine. Den nach wenigen Schritten von links um
den eigentlichen Adlerfelsen herumkommenden Weg un-
beachtet lassend, stehen wir binnen Kurzem vor dem un-
mittelbar aus dem Felsen aufwärts strebenden Bau, dessen
nur noch theilweise erhaltene gothische Bogen in iin'cn
oberen Feldern die Reste eines eingemeisselten altheral-
dischen Adlers zeigen — das Wahrzeichen des Adlerfels.
Die in den Stein gehauenen Stufen führen uns rechts am
Gebäude an der kleinen Hütte des Thurmwarts vorbei zum
166
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 17.
Eingang in einen zu einem kleineu Museum bestimmten
Saal bezw. Durchgang in das nur noch vou Mauerresten
angedeutete Innere des umfangreichen Burgthurmes.
Wir durchschreiten jedoch, den Saaleingang links
lassend, das von Kunst und Natur sich eigenartig wild
über uns wölbende Steinthor, biegen rechts um an der
grauen Steinbauk ehemaliger Burgmanneu vorbei und er-
reichen nun, auf Steinstuten innerhalb der alten Mauer
emporsteigend, die jetzige Plattform des Gebäudes, die rings
noch von Steintrümmeru und theilweise verfallenen Bogen
umgeben ist. Hier bietet sich dem Auge der seit seiner
Freilegung unbestreitbar als einer der herrlichsten bekannte
Rundblick des Adlerfels*).
Rauschen und Brausen gar oft auch hier oben den lau-
schenden Wanderer lockt und ladet.
Aber wir vergessen ob der wunderbaren Schönheit
des Rundblickes den eigentlichen Zweck unseres Auf-
stieges die, wenn auch in anderer Art, noch wunder-
bareren
Strudellöcher oder Gletschertöpfe.
Niu- einen Blick hinab über die Brustwehr der langen
Südwestseite dürfen wir tluin und in buntem Gewinmiel
zu Rinnen verbunden liegen sie vor uns. Wohl gab es
Forscher, welchen diese, auch an anderen Stellen im
Gebirge, wenn auch nirgends in gleicher Häutigkeit, zu-
weilen beobachteten, mehr oder weniger flachen Öchaalen,
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"ia-isiÄS!?'
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Figur 1.
Vor uns zieht sich, an einzelnen Tagen in blauem
Duft, an anderen in, wie man zu sagen pflegt, greifbarer
Nähe der Kamm des Riesengebirges hin von dem stolzen
Gipfel der Schneekoppe an bis zu dem, Schreiberhau in-
sonders beherrschenden, Reifträger.
Ueber dem sich malerisch im Thale ausbreitenden
Mittel- und Nieder - Schreiberhau folgt Hochstein und
Schwarzer Berg und seine Ausläufer bis zum Moltkefels;
dann jenseits des tief einschneidenden Hartenbcrger
Thaies die breite Gruppe der Biebersteine und daran an-
schliessend der Ausblick in den von BergrüQken rings
umzogeuen Hirschberger Thalkessel. Im Hintergrunde,
über den Thürmen Hirschbergs und Warmbrunns erreicht
unser Blick sogar das ferne Bober-Katzbach-Gebirge und
die weiter nach Osten hin sich erstreckenden Berggruppen.
Vor uns aber entzückt das Auge der Einblick in das von
hohen Tauneuwänden umsäumte Thal des Zacken, dessen
*) Eine auf der Plattform angebrachte Richtungstafel zeigt
durch Pfeile die Lage aller nennenswerthen Punkte der Rund-
schau au.
besonders wenn sie sich vereinzelt auf Kuppen von
düsteren Tannen umrahmt vorfanden, mit der blutigen
Götterverehrung unserer Ahnen in dunkeln Zusammenhang
brachten und in ihren Beschreibungen in oder über ihnen
das dem Gotte geweihte Opfer verbluten Hessen ja be-
haupteten, dass in den scharf eingeschnittenen Rinnen
der Felsen das Blut jener Gemordeten einst seinen Abfluss
gefunden habe. Doch gerade hier auf dem Adlerfels
liegt der beste Gegenbeweis vor uns — die grosse Menge
auf kleinem Raum zusammengedrängt (einige 40 Kessel
oder Schaalen auf einer Fläche von etwa 50 Quadrat-
metern) und die vielfache, nur durch die Thätigkeit
fliessenden Wassers zu erklärende Unregelmässigkeit der
Form. Wohl kann hier und da ein einzelner dieser Kessel,
der sich besonders eignete und bequem lag, zu Opfern
später benutzt sein, geschafi"en aber hat sie die allgewal-
tige Natur und nicht die Hand eines Priesters dieser
grausigen Menschenoi)fer in grauer Vorzeit.
Noch um ein bedeutendes märchenhafter klingt nun
gar der Volksmuud, welcher in den an den Felsrändern
Nr. 17.
Naturwissenscliaftlichc Wochenschrift.
167
belindlichcn, zum aiuleni Tlicil schmi abyehrocheiieii,
einem Armsessel oft niciit unäliniichen Halb- oder Drei-
viertel-Muldeu in sagenhafter Vorzeit, als das Gestein,
noch weich war, die Holzwaibel, eine Art
ihic Sitze bei geheimen Versammlungen
wie es heisst,
Wiirzelvolk,
linden lässt.
Die richtige Erklärung derselben als Strudellöchcr
kennen wir bereits. Auch darauf ist soeben schon hin-
gewiesen worden, dass nirgends besser als hier auf dem
Adlerfels, wo Fülle und Form der Löcher und Rinnen
Auge
des Laien als FoL
e der
erscheinen
Einwirkung
lässt,
sie auch dem
strömenden und strudelnden Wassers
diese Erklärung verstanden wird.
Veranschaulichen wir uns jedoch zunächst die Ver-
hältnisse, wie sie eine längere Zeit hindurch einst hier
bestanden haben müssen.
Wer von der Plattform des Adlerfcls aus den Blick
nach Westen riciitct, erkennt hier sofort ein bereits zwischen
Reifträger und Hochstein bezw. Schwarzem Berg, also
zwischen Riesen- uud Iscrgebirge gelegenes Hochthal, in
welchem sich Dorf Schreiberhau emporziclit, durch welches
aber einst der
grosse Schrei-
be r h a u e r ( 1 1 e t -
scher seine Eis-
massen herab-
schob.
Gespeist wurde
dieser Gletscher
von dem unge-
heuren Firu-
becken, das sich
bei der zur Eis-
zeit offenbar weit
tieferen Schnee-
grenze nothwen-
dig in der wei-
ten, die genaue
Fortsetzung des
Schreiberhauer
Thaies bildenden
Senke zwischen
dem schon genannten Hochstein
einerseits, dem Todtenwürgberg
und der Tafelfichte
und dem Sieghübel
andererseits bilden musste und das noch jetzt die weiten
Flächen des Isermoores und der Iserwiese enthält. Bei
einem Flächeninhalt von beinahe 1',., Qnadratmeilen ent-
wässert es heute fast nur noch nach Süden, wo ein seit-
licher Abflugs, die heutige Iser, sich inzwischen tiefer
und tiefer eingeschnitten hat. Dieser gewaltigen Griisse
des Firnbeckens*) entsprach denn auch naturgemäss die
Grösse des damals bei der jetzigen Michelsbaude, durch
die Senke der alten Zollstrasse sich ül)er die östliche
Gebirgskante hinabzichenden Gletschers selbst. Er erfüllte
die ganze Thalsenke, in welche sich heute der grosse
Zacken, der Weissbach und das Zakerle ihr tieferes Bett
und besonderes Thal ausgewaschen haben.
Sein den Adlerfels bedeckendes Eis reichte also einer-
seits bis nahezu an das von dem Ausläufer des Iser-
kammes und dessen Gehänge herüber leuchtende Häus-
chen des Moltkefelsen und andererseits bis zu der hohen
Tannenwand der jenseitigen Uferberge des Zackenthaies,
*) Es erstreckt sich, bei einer zwischen der Tafelfichte
(1123 in) und dem Sieghübel (1120 m) im Westen 6,4 km, zwischen
der Abendbiirg (1017 m) und dem Todtenwürgberg (1123 m) im
Osten 5,.0 km betragenden Breite, fast genau 2 deutsche Meilen
(15 km) in westüstlicher Richtung und findet seinen Abschluss
erst mit dem Rothenftossfelsen und dem Weiberberge am obi-rn
Grossen Zacken.
an welchen steil der Fusspfad nach Kiesewald und zur
Bismarckhöhc hinauf klinnnt.
Die höchste Erhebung inmitten dieser Senke bildet
eben an dieser Stelle der Adlerfcls. Was Wunder, dass
die Eismassen des Gletschers, welche sich anfänglich vor
dem Adlerfels wie vor einem Eisbrecher getheilt hatten,
nachdem sie, mächtiger und mächtiger geworden, den-
selben überklettert hatten, hier über der Felskuppe des
Adlerfels, abermals wie über einem Eisbrecher, in Folge
der Spannung barsten und lange und tiefe Spalten bildeten.
Wo aber sich im Gletschereise Spalten bilden, finden
naturgemäss die zur Sonnuerszeit täglich auf dem Gletscher
erzeugten Schmelzwasser auch ihren Abfluss. In die
Spalte stürzend, waschen sie sich schnell, falls dieselbe
nicht bereits bis auf den hier nahen Felsgrund hinab-
reicht, einen Kamin in dem Eise aus und erreichen so im-
mittelbar oder stufenweise fallend den Felsgrund. Gesteins-
Ijruchstücke oder doch nundcstens Sand findet sich immer
hinzu und die Gletscher müh le ist fertig.
Wenn schon der Tropfen den Stein aushöhlt, wie viel
mehr der fallende Wasserstrahl. Grösser und grösser
kreiselt sich im
Laufe der Zeit
das entstehende
Strudelloch, und
trifft der Strahl
im nächsten Jahre
nicht mehr genau
dieselbe Stelle,
so wird das an-
fänglich kreis-
runde Loch all-
mählich länglich
oder es bildet sich
bei ruckweisem
Vorschreiten der
Mühle und ihres
Kamins ein zwei-
tes, das, grösser
und grösser wer-
dend, sehr häufig
mit dem alteu zu
Beispiele für alle diese
unter den Gletscher-
Figur 2. i"|
einem Zwilling zusammenschmilzt.
Erscheinungen erkennen wir leicht
topfen des Adlerfels.
Neben einem solchen Vor- und Zurückrückeu in der
betreffenden Spalte hat ott'enbar aber auch, wie aus der
Anordnung der Kessel zu dicht neben einander liegenden
parallelen Reihen hervorgeht, im Laufe der Zeit eine
seitliche Verschiebung der Spalte selbst stattgefunden.
Immer aber erzeugten sich nothwendigerweise, in Folge
der grössten Spannung des Eises über der höchsten Kuppe
des Adlerfels die Spalten und mit ihnen die Gletseher-
mühlen auch gerade über dieser Kuppe. Daher die grosse
Anzahl der über 40 zählenden Gletschertöpfe auf so
kleinem Räume.
Wie in dem Luzerner Gletschergarten, finden sie sich
auch hier in den verschiedensten Grössen und Graden der
Ausbildung. Erreichen die grössten derselben auch nur
die mittlere Grösse der dortigen nicht wie hier in festem
Granit, sondern nur in sogenanntem Molasse -Sandstein
ausgearbeiteten, so überrascht doch hier wieder gerade
die schon mehrfach betonte Zahl und Dichtigkeit der Töpfe.
Der bis jetzt tiefste der Kessel des Adlerfels, (s. Fig. 1*)
*) Die Benutzung der drei in diesem Artikel gebrachten
Original-Figuren-Stöcke aus der genannten Abhandlung des Herrn
Prof. Behrendt ist uns gütigst von dem Director der Kgl. Preuss.
getdogischen Landesanstalt und Bei-gakademie , Herrn Geheim.
Obor-Bergrath Dr. W. Hauchecorne, gestattet worden. — Red.
168
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Nr. 17.
F
den wir am besten von dem an den Eesten der alten Um-
fassungsmauer zu unseren Füssen angebrachten Holzgerüste
aus betrachten*), niisst jetzt noch fast einen Meter (0,90 m),
während seine Tiefe vor Abspülung- des Randes und Ein-
schneiden seines späteren Abtiusses mindestens 1,25 m
betragen haben muss. In den verschiedensten Abstufungen
nach Tiefe und Durchmesser gehen die Kessel sodann
hinab bis zu flachen Schaalen von 20 bis selbst 17 cm
Tiefe. Betreffs einer näheren Beschreibung der oft durch
Ineinandergreifen zu Zwillingen, ja sellist Drillingen ver-
bundenen Gletschertöpfe des Adlerfels sei hier noch ein-
mal auf die bereits Eingangs angezogene Abhandlung
hingewiesen.**) Besonders aufmerksam gemacht sei hier
nur noch auf die aus Seitenansicht Fig. 2 erkennbaren,
gleichfalls von dem Standpunkte auf dem erwähnten
Holzgerüst gut zu übersehenden randlich gelegenen und
in Folge der Verwitterung oder auch eines späteren Eis-
sehubes halb abgebrochenen Kessel, die vorhin schon ge-
nannten „Arm-
sessel". — . ^ _
Den Stand-
punkt, von wel-
chem aus man
die in Fig. 2 ge-
gebene Ansicht
gewinnt, erreicht
man, wenn man
den bereits oben
erwähnten, unter-
dem eigentlichen
Adlerfels herum-
laufenden Weg
verfolgt, der uns ^SM^ •' ?'-. %.!
nach wenigen
Schritten zur so-
genannten Hun-
dingsh litte, mit
reizendem Aus-
blick auf den Ge-
birgskamm, führt.
Noch ehe wir die-
selbe betreten,
wenden wir uns
rechts und erblicken das scharfgezeichnete Profil der Glet-
schertöpfe, von denen der mit I bezeichnete einen Durch-
messer von 85 cm, die mit II und VI bezeichneten einen
solchen von 74 cm besitzen. Die Tiefe des Kessel V be-
trägt 80 cm.
Aus der Abbildung erkennt man am besten auch,
wie stark einerseits die spätere Verwitterung, andererseits
die ünterwaschung auf die Gestaltung und theilweise Zer-
störung der Felskuppe eingewirkt haben.
Dasselbe Schmelzwasser, das als senkrechter Strahl
die Kessel auf der Oberfläche des Felsens auswirbelte,
musste, namentlich beim späteren völligen Abschmelzen
des Gletschers, die in ihm aufragende Felskuppe um-
tosen und, bei der ausgezeichneten Horizontalklüftung des
Granitites, sich rings in die, durch die ebenso ausgeprägte
VerticalklUftung gebildete Steilwand des Felsens einfressen,
wie die Abbildung auch einigermaassen erkennen lässt.
Und dass dies gerade am meisten auf der nach Westen
gekehrten Seite des Felsens, der auch die Abbildung ent-
nommen ist, geschah, steht in vollem Einkl.ange mit den
*) Man gelangt dorthin, wenn man den unteren Saal durch-
schreitet.
**) „Spuren einer Vergletscherung des Riesengebirges", von
Prof. Dr. G. Berendt, erschien im Jahrb. d. Kgl. Geol. Landes-
anstalt für 1891. Auch befinden sich einige wenige Sonderabzüge
im Buchliandel.
von Westen herabgekommenen Eis- also auch Schmelz-
wassermassou.
Eins der besten Beispiele solcher Unterwaschung zeigt
ausser dieser abgebildeten Westseite der die Strudellöcher
tragenden Felskuppe des Adlerfels die in nächster Nähe
desselben unter dem Namen „Zuckerschaale" bekannte
Felsgruppe, welche einem auf die Spitze gestellten flachen
Kegel gleicht, der auf horizontaler Felsplatte ruht. Auch
auf ihrer Oberfläche finden sich zwei kleine flache Gletscher-
töpfe. Von der Oberfläche des Felsens abfliessende Regen-
oder Schmelzwasser heutiger Zeit würden nie im Stande
sein, auch unter Berücksichtigung der die Auswaschung
begünstigenden Klüftung, solche horizontal unter die über-
hängende Felskante hineingehende deutliche Auswaschung
irgendwie zu erklären oder auch nur denkbar erscheinen
zu lassen.
Wie hier in diesem Falle nur eine geringe weitere
Unterspülung die kegelartige Felsplatte ins Kippen und
Umschlagen ge-
bracht haben
^-^,„^. raüsste, so ist es
in vielen anderen
Fällen in . der
That geschehen.
Auch hier liefert
der Adlerfels wie
der eins der bes-
ten Beispiele. Un-
mittelbar an dem
auf der Ostseite
jetzt neu ge-
schaffenen Hin-
aufwege bemerk-
ten wir bereits
beim Eintritt eine
senkrecht auf
hoher Kante ste-
hende, ungefähr
6 Meter lange
und 5 Meter
hohe Felsplatte,
Fig-ur 3. |-|jg sogenannte
Blendenplatte.
Auf der linken Hälfte ihrer, dem jetzigen Wege zuge-
kehrten, einstmals die horizontale (Oberfläche des Felsens
bildenden Längsfläche befinden sich mehrere flache Strudel-
löcher (s. Fig. 3). Ihre längliche Form und der Ucber-
gang in eine abflussartige Verlängerung lässt unschwer die
einstmalige Nähe der ursprünglichen Felskante erkennen,
über welche das aufschlagende Wasser sehr schnell seinen
Abfluss fand, so dass wirbelnde und seitlich abfliessende
Bewegung sich in die Aushöhlung des Steins theilten, wie
solches bereits von einigen Kesseln der noch erhaltenen
Oberfläche des Adlerfels angedeutet wurde. Es entstand
auf diese Weise die, namentlich in ihrer späteren Vertical-
stellung, als sogenannte Blende bezeichnete Form des
Strudellocbes, welche nach Mosch*) zur Aufnahme von
Götzen oder Heiligenbildern bestimmt war, unter Umständen
auch wohl dazu gebraucht sein konnte. Eine besondere Ab-
art dieser Blenden, wie sie aus einem der Zwillingstrudel-
löcher in dieser aufgerichteten Stellung für das Auge ent-
steht, sieht man am äussersten linken Rande der Platte
noch zum Theil erhalten. Das beste und bekannteste Bei-
spiel dieser besonderen Blendenform ist aber der in allen
Führern durch das Riesengebirge genannte und auch von
Mosch besprochene „Mannsteiu", nahe der als Fundort für
■i
*) Karl Friedrich Mosch,
und Vorberge. Leipzig, 1858.
das Riesengebirge, seine Thäler
Nv. 17.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
169
I
Gletsciicit(i|)te von Bereiult a. a. O. ;i;-leichtalls erwähnten
„g-oldenen Anssicht" in Hain. »Seinen Namen trägt er
von der aus der Ferne bei richtiger Seitenbclcuchtung
allenfalls an eine menschliche Gestalt erinnernden Form
seiner IJlende. In der That ist er gerade wie unsere hier
auf dem Adlerfels in Rede stehende Platte, nichts anderes
als ein bei der Zerstörung- der Felskuppe, deren Ober-
fläche seine jetzige Seitenfläche l)ildete, auf die Seite
gekippter Felsblock mit einem Doppelstrudelloeh, oder
einem Zwillings-Gletschertopf. Ja die Aufeinanderhäufung
der die Felsgruppe bildenden Blöcke, welche durch
Menselienhaml sicher nie bewegt worden sind, weist auch
ilort sehr nachdrücklich auf die Annahme eines dabei
thätigen ScIiuIk-s durch Gletschereis hin.
Professor Berendt in seiner schon mehrfach ange-
führten Abhandlung geht überhaupt uoch weiter mit seinen
Schlüssen auf eine ehemalige Vereisung im Riesen-
gebirge, indem er dort wörtlich sehreibt:
„Wenn somit einerseits diese Blöcke in ihrer Ver-
theilung auf Hohen und Kämmen, andererseits jene auch
aus den Angaben von 0])ferkesscln sich ergebenden, so
gut wie ausnahmslos als Gletsehertöpfe sieh erweisenden
Strudellöcher als Beweise einer ehemaligen Vergletscherung-
in Anspruch genonnuen werden müssen, so lehj't ein Hlick
auf die Vcrtheilnng beider sofort, dass es sich bei dieser
Vergletscherung nicht nur, wie anfangs angcuonnnen
wurde, und wie auch unbedingt zu einer gewissen Zeit
der Fall gewesen sein muss, um einen grossen Schreiber-
hauer Gletscher und vielleicht daneben um eine Anzahl
kleiner Gletscher gehandelt haben kann, dass vielmehr
diese Vergletscherung im Bereiche des Riesengebirges —
und somit wahrscheinlich der Sudeten überhaupt — eine
weit allgemeinere gewesen ist."
„Nicht nur, dass die eigentlichen Gehänge des Ge-
birgskammes und die sich von ihm nordwärts zwischen
den einzelnen Ripjjcn hinabziehenden Senken ganz mit
Eis bedeckt und erfüllt gewesen sein müssen. Auch diese
Rippen selbst und die sich bis zum IJober erstreckenden
Vorberge müssen hiernach unter Eisdecke gelegen haben."
„Das würde unter Umständen hier ein eigenes zu-
sammenhängendes Inlandeis an der Nordseite des Riesen-
gebirges ergeben, wie es — nur in grösserem Maass-
stabe — die Glacialforschungen für die Alpen längs des
Nordfusses derselben schon länger — für die Ostalpen,
ergeben haben."
X.
aber auch nicht gerade seit
langem
Ueber den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome.
Was nun die zweite Frage von Helmholtz' in Betreff
der Beweisbarkeit der Axiome anbelangt, so haben wir
hierauf nur zu erwidern, dass jeder Beweis Voraus-
setzungen verlangt, die in letzter Reihe der Organisa-
tion unseres Denkens gemäss als nicht mehr beweisbar zu er-
achten,somit Sache der Anschauung- sind. Hieraus folgt
aber, dass wir nichts weiter verlangen können, als dass
ein Axiom in Folge der Klarheit der Anschauung und der
Schärfe der ihm zu Grunde liegenden Begriffe sich un-
serem Geiste als eine nicht anders zu denkende That-
sache, d. h. als eine subjective Wahrheit aufdrängt, als
eine Uebereinkunft des logischen Denkens unseres Ich
und der auf dieses einwirkenden Wahrnehmungen. So
können wir z. B. den Begriff der geraden Linie,, obwohl
wir eine unverkennbar deutliche Anschauung- von ihr be-
sitzen, dennoch nicht deliniren, es sei denn durch nichts
anderes sagende Umschreibungen, womit für unsere Er-
kenntniss keine Bereicherung erwüchse
Der Begriff der
geraden Linie schliesst aber den des kürzesten Weges in
sich, wie das schon aus der einfachen Betrachtung
erhellt, dass z. B. eine Seite a h eines Dreiecks u h c nicht
die mindeste Berechtigung hätte, wenn wir nicht unter der
Seite ab den kürzesten Weg von « nach h verständen.
Es ist daher ein Fehler in der Mathemathik, wenn man
den Satz: der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist
die gerade Linie, wie dies üblich ist, daraus zu beweisen
sucht, dass in demselben Dreiecke dem grösseren Winkel
auch die grössere Seite gegenüberliegt, da, um es noch-
mals jirägnant hervorzuheben, man bei diesem Beweise
schon den Begriff der geraden Linie, des kürzesten Weges
zwischen zwei Punkten also, einschmuggelt.
In entsprechender Weise genügt mir z. B. die zwin-
gende Vorstellung, dass wenn ich eine (gerade) Ebene
um eine (gerade) Linie schwenke, der ganze Raum von
der Ebene durchlaufen werden nmss, um einzusehen, dass
durch drei Punkte, die nicht in einer geraden Linie liegen,
stets eine gerade Ebene und zwar nur eine einzige ge-
legt werden kann. So genügt die einleuchtende De-
finition: dass gleichlaufende Linien solche Linien sind,
\'<jn Dr. Eugen Dreher.
(Schluss.)
die, wenn sie auch nur e i n e n Punkt gemeinsam besitzen,
zusammenfallen müssen, um alle Lehrsätze von den ver-
schiedenen Winkeln an parallelen Linien, welche von
einer dritten geschnitten werden, wie die von gleich-
liegenden Winkeln, von Wechselwinkeln u. s. w. mit Leich-
tigkeit bei Zuhülfenahme der Deckung der Winkel ein-
fach und einleuchtend zu beweisen.
Hierbei verkenne ich als Psychologe nicht, dass das-
jenige, was für mich durchaus einleuchtend ist, einem An-
dern keineswegs so überzeugend und zwingend wie mir
entgegenzutreten braucht. So ist es denn auch sehr gut
denkbar, dass der Eine bereitwilligst denjenigen Lehrsatz
als einen Grundsatz anerkennt, für den ein Anderer
einen Beweis seinem Denken zufolge verlangt. Dass
diese I5etrachfung für den Pädagogen von Wichtigkeit
ist, bedarf kaum der Erwähnung. Wer daher in die
Tiefen der Mathematik eindringen will, muss sich prüfen,
welche Lehrsätze ihm als Axiome einleuchten, und für
welche er einen Beweis verlangt. — So suchte ich als
Schüler, um hier nur ein Beispiel aus einer der Mathe-
mathik höchst verwandten Wissenschaft anzuführen, nach
einem Beweise für den Satz, dass so viele Anstcisse auf
einen Punkt auch einwirken mögen, er nur Einer Re-
sultirenden folgen kann, den ich auch auf indircctem AVege
fand. Heute, w'o es mir klar ist, dass ich mir kein
Geschehen, welcher Natur es auch sein mag, ohne hin-
reichenden Grund vorstellen kann, verlange ich keinen
Bew^eis für den genannten Satz.
In dem \orlier angeführten Vortrag über den Ursprung
und die Bedeutung- der geometrischen Axiome erwähnt
nun von Helmholtz in Betreff der Congruenz der Raum-
gebilde:
„Die Grundlage aller Beweise in der Euklidischen
Methode ist der Nachweis iler Congruenz der betreffenden
Linien, Winkel, ebenen Figuren, Körper u. s. w. Um die
Congruenz anschaulich zu machen, stellt man sich vor,
dass die betreffenden geometrischen Gebilde zu einander
hinbewegt werden, natürlich ohne ihre Form und Dimen-
sionen zu verändern. Das dies in der That möglich und
170
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 17.
ausführbar sei, haben wir alle von frühester Jugend an er-
fahren. Wenn wir aber Denknothwendigkei ten auf
diese Annahme freier Beweg-lichkeit fester Eauin-
gebilde mit unveränderter Form nach jeder Stelle
des Raumes hin bauen wollen, so müssen wir die Frage
anfwerfen, ob diese Annahme keine logisch uuerwiesene
Voraussetzung einschliesst.
Wir werden gleicli nachher sehen, dass sie in der
That eine solche einschliesst, und zwar eine sehr folgen-
reiche. Wenn sie das aber thut, so ist jeder Congruenz-
Beweis auf eine nur aus der Erfahrung- gewonnenen That-
sache gestüzt."
Wir haben hierauf zu erwidern, dass die Voraussetzung
der freien Beweglichkeit fester Raumgebilde mit unver-
änderter Form als eine Nothwendigkeit gelten muss, da
sie, wenngleich auf Erfahrung, wie alle Erkenntniss des
Ich in letzter Instanz sich gründend, eine vergleichende
Betrachtung von Raumgebilden, die, wie aus den späteren
Erörterungen von v. Helmholtz' hervorgeht, ihre Gestalt
mit dem Räume, den sie einnehmen, wechseln sollen, zur
Unmöglichkeit machen würde. Ausserdem ist unser Denken
so organisirt, dass es für jede Verschiebung von Theilcheu
eines Ganzen, oder, was dasselbe sagt, für jede Um-
wandlung der Gestalt Kräfte verlangt, die der leere
Raum an und für sich nicht zu bieten vermag.
Um aber seine abweichende, vorwiegend von Beltrami
aufgestellte und vertretene Raumhypothese aufrecht zu er-
halten, welche verlangt, um es grell zu kennzeichnen, dass
der Raum in seinen (nach Euklid) gleichartig gedachten
Theilen nicht gleichartig sei, sucht von Helmholtz seine
metamathematischen Speculationen durch die Betrachtung
annehmbar zu machen, dass er voraussetzt, theoretisch
gedachte Wesen von zweidinu'iisionaler Raumanschauung
bewohnten beispielshalber den Mantel einer Kugel und
entwürfen Gesetze über die Natur dieses an sich zwar
zweidimensionalen, im dreidimensionalen Raum allein
jedoch denkbaren mathematischen (Jebildes. Statt aber
anzunehmen, dass diese Wesen ihrer zweidimensionalen
Anschauung gemäss den Kugelmantel als eine (ebene)
Kreistiäche percipirten, lässt von Helmholtz sie Gesetze
von dem Kugelmantel aufstellen, die nur mittels drei-
dimensionaler Anschauung gewonnen werden können.
Hierbei erinnere ich daran, dass jede krumme Fläche als
eine Summe von unendlich kleinen geraden Flächen
anzusehen ist, womit die dreidimensionale Anschauung
des Raumes, in welchem wir uns die krummen Flächen
zu denken haben, erwiesen ist. Als höchst wesentliche
Bestätigung dieser Auffassung verweise ich auf die Lehren
der theoretischen Mechanik, der Wissenschaft der Be-
wegung, denen zufolge jede Bewegung in einem be-
stimmten Zeitditt'erential nur geradlinig sein kann, wo-
mit jede krumme Linie sich als eine Sunnne von unendlich
kleinen geraden Strecken herausstellt.
In der Gegenwart jedoch, die dem Euklidischen
Punkte entspricht, ruht jeder bewegte Körper, da er
nicht zu derselben Zeit zwei Lagen einnehmen kann.*)
Indem so von Helmholtz die Existenz von Wesen
zweidimensionaler Raumanschauung als zulässig, wenn-
gleich im rein theoretischen Sinne, erachtet, erinnert er
uns an Zöllner's Betrachtungen über die räumliche Natur
der Sehwahrnehmungen, welche dieser Forscher, wie all-
gemein bekannt, vor einem Jahrzehnt ungefähr anstellte,
um die Aufstellung der Hypothese von der vierdimen-
*) Dass wir bei metaphysischen Fragen in letzter Instanz
auf Widersprüche stossen, welche die Folgen einer „Antithetik"
unseres Denkens sind, übergehe ich hier, indem ich darauf ver-
weise, dass ich bereits vor drei Jahren in dieser Zeitschrift in
einem Artikel über Antinomien in der Naturwissenschaft diese
denkgemässen Widersprüche aufgedeckt habe.
sionalen Natur des Raumes zu motiviren. Das monoculare
Sehen ist, wie Zöllner richtig bemerkt, ursprünglich
ein Sehen ohne Tiefenwahrnehmung, indem wir,
ohne Erfahrung geleitet, alle percipirten Punkte
auf dem Mantel einer Kugel schauen, in deren
Mittelpunkte das Auge liegt.
Hieraus aber folgern zu wollen, wie dies Zöllner
thut, dass das monoculare Sehen iirsprttnglicii an sich
zweidimensionaler Natur war, ist deswegen als unrichtig zu
erachten, weil wir behufs Construetion eines Kugelmantels
(worauf genanntes Sehen l)asirt) des dreidimensionalen
Raumes bedürfen, wenngleich der Mantel als solcher
zweidimensionaler Beschaft'enheit ist, insofern er keine
Tiefe (Dicke) aufweist. Das monoculare Sehen würde
mithin erst dann ein wirklich zweidimensionales sein, wenn
wir alles mit einem Auge Geschaute in einer einzigen
geraden Ebene percipirten.
Indem uns aber die Sinne den Euklidischen Raum von
drei Al)niessungen vorführen, haben wir bei der Ausschlag
gebenden Bedeutung unserer Sinne für unsere Erkennt-
niss keine Veranlassung nach einem Räume von irgend
welcher anderen Beschaffenheit zu forschen, dessen Exis-
tenzberechtigung schon deswegen als höchst zweifelhaft
erscheinen müsste, weil er unserer Anschauung durchaus
widersprechen würde. — Es kann daher nur von Gewinn
für den Mathematiker sein, wenn er auch l)ei seinen ab-
stractesten Speculationen immer wieder an die Erfah-
rung anknüpft, d. h. zu dem Boden der Empirie nieder-
steigt, auf dem sich in letzter Reihe sein scheinbar auf
angeborenen Ideen gegründetes Lehrgebäude erhebt, das
den Zweig menschlichen Wissens bildet, welcher der Er-
fahrung am wenigsten bedarf.
Wie aber verträgt es sich mit dem l)isher Erörterten,
mit der aus Erfahrung geschöpften Natur des Raumes,
dass, wie Kant, Fries und Schieiden unwiderleglich nach-
gewiesen haben, der Raum eine der Seele angeborene
Anschauungsform ist, so dass Kant in seiner ., Kritik der
theoretischen Vernunft", die Denkbarkeit postulirte, alle
geometrischen Lehrsätze unabhängig von jeder Erfahrung
aufzustellen, und Fries in seiner „Psychologie" von einer
der Seele angeborenen unbewussten Mathematik
spricht?
Der Widerspruch mit unseren bisherigen Deductionen,
so prägnant er auf den ersten Blick auch erscheinen mag,
fällt jedoch, wenn man in Betracht zieht, dass die Percep-
tionen der äusseren Sinne keine unmittelbaren Kundge-
bungen der Ausseuwelt sind, sondern durchgeistigte
Manifestationen von den „Dingen an sich", um mit Kant
zu sprechen, womit diese Wahrnehmungen höchstens nur
den Werth von mehr oder minder zutretfenden „Sym-
bolen" („Zeichen'-) äusserer Vorgänge zu beanspruchen
haben. Da aber die psychische Gestaltung der Sinnes-
wahrnehmuugeu nicht vom Ich herrührt, sondern nur die
Producte dieser Gestaltungen zum Bewusstsein gelangen,
so ist es das Unbewusste der Seele, um es im Gegen-
satze zu den Thätigkeiten des Ich kurzweg so zu nennen,
dem die Aoschauungsform des Raumes angeboren ist,
während das Ich die Eaumvorstellung aus der Erfahrung,
aus den Perceptionen der äusseren Sinne, schöpft. Re-
lativ unbewusst, d. h. ohne dass das Ich es gewahr
wird, entwerfen wir so die genannten, uns als Aussenwelt
berückenden Wahrnehmungen, veranlasst hierzu durch
Molecularbewegungen im centralen Nervensystem; be-
wusst entlehnen wir die Vorstellung von Licht, Farbe,
Ton, Wärme u. s. w., wie auch die vom Raum diesen
seelischen, an sich gewiss bewusst verlaufenden Gestal-
tungen.
Hiermit erklärt sich die Polemik von Helmholtz
gegen Kant in Betreff der angeborenen oder erfahruugs-
Nr. 17.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
171
gemässen Natur des Raumes, eine Polemik, welche sich
bei V. Helnilioltz besonders in seiner Schritt: „Die That-
sachen in der Wahrnehmung" (Berlin, Hirschwald 1879)
findet, durch die Annahme der zusammengesetzten
Natur unserer Seele, welche Hypothese beide P^orscher
nicht berücksichtigen.
Nach dieser Annahme, die heute durch das Studium
der hypnotischen Phänomene eine brennende Zeitt'rage
geworden ist, hat v. Helmholtz insofern Recht, als dem
(indi\iduellen) Icli, auf welches es liei erkenntnisstheore-
tisehen Problemen ankommt, die Anschauung oder der
Begriff des Raumes nicht angeboren ist, mithin auf Er-
faiirung basirt, während der Königsberger Philosoph darin
Recht behält, dass der (xesamnitseelc, von der das Ich
des Individuums nur einen Bestandtheil bildet, die An-
schauungstor'u des Raumes angeboren ist, welclie sie
selbst bei der ("onstructicm der ursprünglichen \\ ahr
uehmungen der äusseren Sinne in Anwendung bringt.
Ein Yerzeicliiiiss über das Ersolieinen grosser
Cetaceeii au der fraiizösiseheii Küste bringeuG.Pouchet
und H. Beauregard in den Comptes Rendus de i'Ac.
des Sc., 1891, Bd. 113.
Auf Paul Gervais' Veranlassung und mit Unterstützung
des Marine-Ministeriums ist in Franki'cich die schätzens-
werthe Einrichtung getroffen worden, dass der Fang oder
das Stranden aller grossen Cetaceen an den französischen
Küsten sofort an das Museum in Paris gemeldet werden
muss. Die Wichtigkeit dieser nachainnenswerthen Maass-
nahme für die Wissenschaft liegt auf der Hand (Fest-
stellung der Zahl, Acquisition möglichst vollständiger
Exemplare, photographische Aufnahmen, dadurch
genaue Bestimmung der Gattungen und Arten u. s. w.). —
Im Februar 1885 veröffentlichten die Verfasser ihre erste
Liste grosser Cetaceen aus den französischen Gewässern
für den Zeitraum von Juli 1879 bis Januar 1885; in der
vorliegenden Abhandlung setzen sie dieselbe fort. Von
Juli 1885 bis Octolier 1891 sind 25 Cetaceen gemeldet
und davon 24 erbeutet worden, welche folgenden Arten
angehören: Balaenoptera rostrata (5 Ex.), Bai. musculus (3),
Hyperoodou rostratus (3), Hyp. spcc. (3), Globicephalus
melas(l), Globiceps spec. (1), Megaptera Boops (1), Gram-
pus (Orca) griseus (4), Balaena biscayensis (2), Catodon
macrocephalus (1), unbestimmt 1 Ex. Von 12 Exemplaren
ist das Geschlecht angegeben und darunter befinden sich
10 weibliche. Interessant ist das Auftauchen dieser Thiere
im Mittetmeer, wo von der obigen Zahl 7 Stück in dem
genannten Zeiträume beobachtet und 6 davon erlegt wur-
den, nändich Balaenopt. musculus (1), Meg. Boops (zum
ersten Male 1 Ex.), Bai. biscayensis (2), Globicephalus
melas (1) und Ghibicesp sp. (1); die übrigen sind an den
atlantischen Küsten gefangen worden. Abgesehen von
3 Exemplaren, bei denen nur das Jahr feststeht, ist die
Mehrzahl (17) während der Monate Juni bis November
(3, 5, 2, 3, 1, 3), 3 im Januar und 2 im März erlegt
worden [im Mittelmeer :_October (1), November (1), Januar
(2), Juli (2)J. Ist auch die Zahl, wenn man sie auf die
Reihe der Jahre vertheilt, keine grosse, so wird sie doch
dadurch wichtiger, weim man erwägt, dass die atlantische
Küste Frankreichs nur etwa ein Achtel der europäischen
Küste von Gibraltar bis zum Nord-Cap beträgt. Die Mehr-
zahl der Arten gehört der nordischen Fauna an, nur der
bei der Insel Re erlegte Pottwal entstammt einer Zone,
welche durch den 40. Breitengrad nördlich und südlich
des Aequators begrenzt wird. F. K.
Die Fortpflanzung des Kuclcuck. — Dass unser
Kuckuck seine Eier in fremde Nester legt, war schon im
Alterthum bekannt und wird bereits von Aristoteles er-
wähnt, (ierade dieses Schmarotzcrtlium ist es. das den
Kuckuck für den Beobachter und Naturfreund bis auf
den heutigen Tag überaus interessant gemacht hat und
in den letzten Decennien zu den mannigfachsten Be-
obachtungen und Veröffentlichungen Veranlassung gegeben
hat. Dennoch sind wir auch heute noch nicht, obgleich
das GesamnitbiJd des Parasitismus bedeutend erweitert
ist, über die Kurtpfianzung des Kuckuck in allen Punkten
sicher unterrichtet.
Die Zahl der Pflegerarteu, denen der Kuckuck seine
Eier zum Elrbrüten und zu Schutz und Aufzucht anver-
traut, beläuft sich auf über 100 Arten,*) unter denen
allerdings wohl nnmciR' sein dürften, die mn- dem blinden
Zufall dieses Werk verdanken. Die ge\v("»hnlichen und
regelmässigen Pfleger gehören der Familie der Sing-
vögel,**) Sylviadae, an und zwar den Unterfamilien der
Grasmücken, Sylvianae, welche das reichste Kontingent
stellen, und der Unterfamilie der Erdläufer , Motacillinae,
mit den Gattungen der Bachstelzen und Pieper, der Fa-
milie der Lerchen, Alaudidae, und einzelnen Arten anderer
Familien oder Unterfaniilien (Emberizinae, Fringillinae etc.).
Bezüglich der Pflegerarten sagt Rey: „So einleuchtend
es ist, dass die Pfleger im Süden andere sein müssen als
im Norden und im Osten andere als im AVesten, so schwer
ist es zu verstehen, dass oft ganz allgemein verbreitete
Vögel an einem Orte häufig vom Kuckuck angenommen
werden, die er nicht weit davon selten oder garnicht be-
rücksichtigt. Ferner verdient als eine auffällige That-
sache erwähnt zu werden, dass, obgleich die Nester der
Sylvia hortcnsis häufig vom Kuckuck belegt werden, dies
bei der doch ebenso häufigen Sj-lvia atricapilla nur selten
der Fall ist, denn auf 100 Kuckuckseicr, welche man in
den Nestern der Gartengrasmücke fand, kamen nur 20,
die dem Plattmöncli untergeschoben wurden."
Zu den häufigst erwählten Pfiegern gehört ausser-
dem der Zaunkönig, Troglodytes parvulus, jedoch trilft
der Kuckuck nach den Beobachtungen Walters hinsicht-
lich dieses, als auch der Phyllopneusten eine unglückliche
Wahl, da die meisten dieser Nester verlassi^n werden, so-
bald der Kuckuck sein Ei hinzugefügt und dafür Nest-
eier entfernt hat. Rey sind eine ganze Reihe von Fällen
vorgekommen, welche Walters Beoliachtungen auch für
andere Vögel bestätigen. Der Kuckuck erreicht also,
wenn man noch den nicht ganz unerheblichen Prozent-
satz von jungen Kuckucken mit einrechnet, der in Baum-
höhlen mit zu enger Oeftnung einem sichern Untergang
ausgesetzt ist, nicht immer seinen Zweck, vielmehr schlagen
nicht selten gerade die Eigenthümlichkeiten seiner Brut-
pflege zum Verderben für seine Nachkommenschaft aus.
Durch vielfache Beobachtungen, deren z.B. Baldamus
eine ganze Reihe anführt, ist festgestellt, dass alle die
kleinen und grossen Pfleger des Kuckucks ausnahmslos
weit davon entfernt sind, den ihrem Nest zur Unter-
bringung eines Eies Nahenden jubelnd zu empfangen.
Wird ein Kuckuck von den Ncstinhabern betrofi'en. so
hat er gewöhnlich heftige Kämpfe mit diesen auszufechten,
die nicht selten das Zugrundegehen des Eies zur Folge
haben. Meistens beobachtet der Kuckuck von einem
nahegelegenen Versteck aus das erwählte Nest und erst,
*) Altc>s und Neues aus dem Hiiushiilte des Kuckucks von
Dr. Eug. Rey, Leipzig, Verl. v. R. Freese 1802.
**) Das Leben der europiiisclien Kuckucke von Dr. A. C. Ed.
Baldamus, Berlin 18'J2.
172
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Nr. 17.
wenn die erkorenen Pfleger dasselbe für kurze Zeit ver-
lassen haben, gelingt ihm die Ausführung seines Planes.
Bei der Ablage seines Eies entfernt der Kuckuck
meist ein oder mehrere Nesteier, manchnuil geschieht
dies bereits einen Tag vor dem Legen. Ueljer die An-
zahl der Eier, welclie der Kuekuck aus den Nestern ent-
fernt, liisst sieh nach Rey, durch dessen >Sohn 56 Fälle
beobachtet worden sind, wenig Allgemeingültiges sagen.
Es ist nach ihm im hohen Grade wahrscheinlich, dass
die specifischen Gepflogenheiten der Kuckucksweibehen
beim Entfernen von Nesteiern individuell verschieden sind
und dass es demgemäss auch vorkommen kann, dass
durch Vererbung solcher Gewohnheiten iirtlielie Unter-
schiede in der Art und Weise des Gebahrens bemerkbar
werden. Die meisten Vögel legen, nach demselben Be-
obachter, nachdem der Kuckuck sein Ei ins Nest ge-
bracht hat, die zur normalen Gelegezahl gehörigen Eier
nach, gleichgültig, ob und wieviele Eier der Kuckuck
herausgeworfen hatte. Andere dagegen sind, unter diesen
wie schon erwähnt der Zaunkönig, leicht geneigt, das
Nest zu verlassen.
Ist das Ei einmal angenommen, dann wird es von
den Pflegern ausgebrütet und das Junge mit gleicher
Sorgfalt wie die eigenen Kinder behandelt, mit gleicher
Liebe beschützt und vertheidigt, bis es selbstständig
geworden ist.
Die meisten Beobachter stimmen darin überein, dass
jedes Kuckucksweibchen nur in die Nester einer be-
stimmten Vogelart und wohl derjenigen, von der es selbst
erzogen worden ist, erst im Nothfalle in solche anderer
legt, dann aber zunächst diejenigen auisueht. die ähnlieh
bauen. Nach Baldamus, der diese Thatsache zuerst auf-
geklärt hat, wird die AVahl des Pflegerweibchens Seitens
des Kuckucks durch dessen eigene Provenienz bestimmt,
wenn man die Erziehung derselben durch die Pfleger so
bezeichnen darf. „Die Weibchen", bemerkt Ad. Walter
hierzu, „haben sieh ihre Kinderstube von oben und unten,
innen und aussen betrachtet, als sie schon flugfähig
waren und doch noch acht Tage im W(dnilichen Neste
blieben, haben auch ihre Pflegeeltern kennen und von
andern Vögeln unterscheiden gelernt."
Sicher festgestellt ist auch, dass sowohl alte wie
junge Kuckucke zur Unterbringung ihrer Eier innner ein
und dasselbe, oft begrenzte Revier aufsuchen (Naumann,
Rey), bezüglich den Ort, wo sie geboren wurden (Bal-
damus).
üeberaus verschieden sind die Kuckuckseier in Bezug
auf Farbe und Zeichnung. Sie variiren hierin bei Weitem
mehr als die Eier aller bisher bekannten Vogelarten.
Besonders charakteristisch sind nach Rey die kleinen,
runden, scharfbegrenzten, leicht abwaschbaren Flecke von
schwarzer Farbe, welche der Oberfläche aufgelagert er-
scheinen nnd nur in seltenen Fällen gänzlich fehlen.
Ferner wird von demselben Beobachter als Eigenthümlich-
keit der Kuckuckscier hervorgehoben, dass die Dichtigkeit
der Zeichnung häufig auf der einen Längsseite eine
wesentlich andere ist, als auf der entgegengesetzten, nnd
dass, wenn grosse Flecke von intensiver Farbe vor-
kommen, diese fast niemals geschlossen, sondern vielmehr
zerrissen erscheinen.
Die Form der Kuckuckseier ist im Gegensatz zu der
ungemein grossen Versehiedenartigkeit derselben in Bezug
auf Färbung und Zeichnung eine ziemlich constante und
nähert sich dem Typus der gleichhälftigen Eier. Relativ,
d. h. im Verhältniss zu der Körpergrösse des mütter-
lichen Vogels sind die Eier als sehr klein zu bezeichnen.
Die absolute Grösse beträgt im Durchschnitt für die
Längsachse nach Rey 's Messungen 22,41 mm, für die
Breiteuaxe 16,52 mm, das Gewicht der Eier im Durch-
schnitt, berechnet aus einer Zahl von 523 gewogenen,
232,9 Milligr. Uebrigens hat Rey für die Bestimmung
von Kuckuckseiern ein Verfahren benutzt, welches er als
praktisches Hilfsmittel zur allgemeinen Verwendung in
der Oologie empfiehlt. Er dividiert nämlich das Produet
der Grössen beider Axen durch das Gewicht des Eies
und erliielt auf diese Weise einen Quotienten, der bei
den Eiern einer jeden Vogelart, die er auf diese Weise
untersuchen konnte, recht konstante Resultate geliefert
haben soll. Speziell für die Kuekuckseier ist der Quo-
tient so konstant, dass die Abweichungen vom Büttel von
mehr als 25 7o schon zu Zwt'ifeln an der Echtheit der
Eier berechtigen.
Bemerkeuswerth als Kennzeichen für die Kuekucks-
eier ist auch die Festigkeit der Schaale, die jedenfalls die
der Singvögeleier bedeutend übertrifft.
Von fast allen Beobachtern wurde bisher als sicher
hingestellt, dass die Kuekuckseier in Bezug auf ihre
Färbung den Eiern der am häufigsten Pfleger angejtasst
wären und grosse Aehnliehkeit mit diesen zeigten. Rey
hat 531 Kuckuckseier untersucht und ist dabei zu der
Ueberzeugung gekommen, dass eine speeialisirte An-
passung ausser bei Ruticilla phocnicurus nnd montifringilla
nur sein- selten ist. Sie findet sich ausserdem bei Sylvia
cinerea, Sylvia hortensis, Calamoherpe arundinacea nnd
phragmitis verhältnissmässig oft. Bei allen übrigen
Vogelarten findet eine solche Anpassung viel seltener, und
bei Troglodytes parvulus, Accenlor modularis und den
Arten der Gattung Phyllopneuste, wie es scheint, gar
nicht statt. Die meisten Kuckuckseier imitieren in der
Färl)ung und Zeichnung den Typus der Eier einer der
gewöhnlichsten Singvogelarten. Andere zeigen einen so-
genannten Mischtypus und manche lassen sieh in dieser
Beziehung mit anderen bekannten Eiern garnicht ver-
gleichen. Weitere Beobachtungen werden diese Frage
endgültig entscheiden müssen.
Dass jedes Kuckucksweibchen für die Dauer seines
Lebens gleiche oder fast gleiche Eier legt, hat Baldamus
sehmi 1857 (Naum. VII. S. 183) ausgesprochen. Be-
stätigt wurde dies zunächst durch die Beobachtungen
Pässlers (J. f. 0. 1857 S. 402, 1859 S. 105), neuerdings
auch durch Walter, Kutter, Rey u. a., so dass über
diesen Punkt Zweifel nicht mehr vorhanden sein dürften.
Das Kuckucksweibehen legt in ein und dasselbe Nest
nur ein Ei, werden zwei oder nu^hrere in einem Nest ge-
funden, so sind sie von verschiedenen Weibchen gelegt
worden. Ausnahmen von dieser Regel, die durch un-
anfechtbare Zeugnisse bestätigt wären,. sind bisher nicht
bekannt.
Man findet die Kuckuckseier in Mitteleuropa von
Ende April bis Anfang Juli, meist aber nur bis in
die zweite Hälfte des Juni, selten bis Ende Juli. Es
liegt auf der Hand, dass unser Vogel, wenn der Zweck
seiner parasitiven Brutpflege erreicht werden soll, sich
nothwendiger Weise auch der Brutzeit derjenigen Vögel
anpassen muss, in deren Nester er seine Eier unter-
zubringen pflegt. Und so finden wir denn auch, dass die
Legezeit, die normaler Weise 35 bis 45 Tage nicht über-
schreitet (Rey), an einzelnen Orten sehr verschieden ist.
Die Fortpflanzungszeit des Kuekuck währt, nach
Brehm, so lange er schreit, ist also nicht allein nach der
in dem Jahre herrschenden Witterung, sondern auch nach
Lage des Ortes verschieden, beginnt beispielsweise im
Norden oder im Hochgebirge später, dauert dafür aber
auch länger als im Süden oder in der Ebene. Aus ver-
schiedenen Beobachtungen folgert er sogar, dass der
Kuckuck erforderlichen Falles während seiner Legezeit
wandert, um neue, für ihn noch brauchbare Nester auf-
zusuchen.
Nr. 17.
Naturwisscnschaftliclie Wnchenpclirift.
173
lieber die Zeitdauer, in welcher die aufeinander
folg-enden Eier des Kuckucks reifen, herrschen ver-
schiedene Ansichten. Während die meisten diese Zeit
auf 6—8 Tage scliätzen, versichert Ad. Walter von zwei
Kuckucken auf das bestimmteste erfahren zu haben, dass
sie wenigstens zwei Eier in einer Woche lieferten. Rey
ist, gestüzt auf eigene Beobachtungen, sowie solche seines
Sohnes, Krüger-Velthusens u. a. zu der Ueberzeugung
gelangt, dass der Kuckuck im Jahre einige zwanzig Eier
legt und soll das Ablegen derselben einen Tag um den
andern geschehen. Durch verschiedentliche Untersuchungen
von Eierstöcken glaubt er den Nachweis geliefert zu
haben, dass die Pausen, die zwischen dem Ablegen zweier
Eier verstreichen, unmöglich auch nur annähernd so gross
sein können, als gewöhnlich angenommen wurde. So fand
er beispielsweise in der Kloake eines Kuckucks ein voll-
ständig legereifes Ei von grünlicher Grundfarbe und
bräunlicher, am stumpfen Ende zu einem Kranze ver-
dichteter Fleckenzeichnung von 22,5 mm Länge und
16,2 nun Breite. Ein zweites Ei ohne Kalkschale maass
18 und 12 nnn, die nächst grösste Dotterkugel 6,5 mm.
Rey glaubt, dass der Brutparasitismus des Kuckucks aller
Wahrscheinlichkeit nach durch die hohe Zahl der im
.lahre gelegten Eier bedingt würde. Baldemus glaubt
den Parasitismus aus den Zwischenräumen von 6—7 Tagen,
der auch nach seinen Beobachtungen zwischen der Ablage
der einzelnen Eier liegen soll, erklären zu können. Je
nachdem man die Eierzahl des jährlichen Kuckucksgeleges
auf 4, 5, 6 oder gar 7 Stück annimmt, würde die Lege-
zeit 18 bis 42 Tage dauern, das Ausschlüpfen der Jungen
zwischen 14 und, bei 7 Eiern, 50 Tage geschehen, stetige
Bebrütung vorausgesetzt. Angenommen, dass diese sofort
begönne, würde der aus dem erstgelegten Eie ausge-
schlüpfte Kuckuck das zweit- inid drittgelegte neben sich
gefunden haben, und vor seiner gänzlichen Reife auch
wohl das viert-, fünf- und sechstgelegte. Unter diesen
Umständen ist aber ein erfolgreiches Selbstbrüten Seitens
der Mutter oder beider Eltern gänzlich ausgeschlossen.
Zu demselben Schlüsse innss man auch konmien, wenn
man Rey's Ansicht bezüglich des Eierlegens gelten lässt.
Denn auch hier würde, wenn der Kuckuck 20 Eier im
Jahre legte, zwischen dem ersten und letzten ein Zeitraum
von 40 Tagen liegen.
Sorgfältige und andauernde Beobachtungen werden
nocli nöthig sein, um die vorerwähnten Fragen zu ent-
scheiden und zum sichern Abschluss zu bringen, bei dem
grossen Interesse aber, das unserni Vogel entgegen-
gebracht wird, dürfte auch dies in absehbarer Zeit mög-
lich sein. Dr. C. Müller-Potsdam.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Professor Wernicke, Director der
Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten in Breslau, zum Di-
rector der zweiten psychiatrischen Klinik der Universität zu Wien.
— Der Chemiker Dr! M3lius von der physikalisch -technischen
Reichsanstalt zu Charlottenburg zum Professor. — Der Mineraloge
Professor H. Laspeyres zum Geh. Bergrath.
Privatdoeent Dr. Dührssen, Assistent zu Berlin an der
Chariteeklinik für Frauenkrankheiten, ist aus seiner Stellung bei
der Charitee ausgeschieden.
Es sind gestorben: Der frühere ausserordentliche Professor
der Philosophie an der Universität Berlin Dr. Karl Werner in
Berlin. — Der Professor der Chirurgie zu Utrecht Dr. F riedrich
Adolph Salzer, zuletzt in Dresden. — Der Chemiker Professor
Dr. Hugo Blanck von der Universität Pittsburg in Nordamerika.
L i 1 1 e r a t u r.
A. Acloque, Les Champignons au point de vue biologique
ecouomique et taxononiitiue. Avec 60 figures intercalees dans
le texte. Libraire J. B. Bailliiire et fils a Paris 1892. — Prix
3,50 frcs.
Das in der „Bibliothoque scientifique contemporaine" er-
schienene Bändchen behandidt in allgemein-verständlicher Weise
die allgemeine Pilzkunde und berücksichtigt in einem besonderen
Abschnitt die essbaren, giftigen und schädlichen Pilze sowie deren
Kultur und ihre Ernte; als Einführung in die Mycologie dürfte
es geeignet sein.
H. V. Klinggiaeff, Die Leber- und Laubmoose West- und Ost-
preussens. Dauzig 1893, in Commission bei W. Engelmann.
Leipzig. — Preis 5 M.
Eine Lokalflora zu schreiben, bleibt immer ein verdienstliches
Werk, weil hier in engem RahmCm die Formen genauer unter-
sucht und ihre Standortsbedingungen besser erforscht werden
können; ungleich werthvoller aber ist ein solches Werk, wenn in
ihm die Erfahrungen eines Menschenlebens enthalten sind. Seit
50 Jahren hat Verf. die reizende Mooswelt zum Object seiner
Studien gemacht und die vielerlei Beobachtungen, die er während
dieses langen Zeitraumes angestellt hat, in vorliegendem Werke
niedergelegt. Wir finden also in den Diagnosen nicht blos die
Unterscheidungen, wie sie die heutige fortgeschrittene Anatomie
der Moose lehrt, sondern auch die für das schnelle Erkennen
einer Art ebenso werthvollen praktischen Kunstgriffe, wie sie
lange Uebung erst erkennen lässt. 89 Lebermoose und über 300
Laubmoose sind bisher aus der Provinz Preussen bekannt. Die
Moosflora muss deshalb als eine sehr gut bekannte bezeichnet
werden; hat ja doch die Mark Brandenburg, die seit viel längerer
Zeit bryologisch durchforscht ist, numerisch nur ebensoviele Arten
aufzuweisen. Der Gebrauch des Buches ist deshalb nicht blos
auf die Provinz Preussen beschränkt, sondern dasselbe kann mit
demselben Vortheil auch in Brandenburg, Posen, Pommern und
im ebenen Theil von Schlesien benutzt werden.
Besonders werthvoU ist die Einleitung, worin der Verf. die
Vergleiche mit dem Artbestand der benachbarten Provinzen zieht
und zugleich ausführliche Angaben über die Standortsverhältnisse
einer Menge von Arten macht. Alles in Allem genommen, kann
das Buch den Moosfreunden warm empfohlen werden; nicht blos
der Anfänger, sondern in noch höherem Maasse der Geübtere
wird es bei seinen Excursionen mit Vortheil gebrauchen können
und reiche Belehrung daraus schöpfen. Dr. Lindau.
Prof. Dr. Eduard Richter, Urkunden über die Ausbrüche des
Veruagt- und Gurglergletschers im 17. und 18. Jahrhundert.
Aus den Innsbrucker Archiven. Mit 2 Karten (Forschungen zur
Landes- und Volkskunde herausgegeben von Prof. A. Kirchhoft'.
6. Bd. Heft 4.) Verlag von J. Engelhorn. Stuttgart 1892. —
Preis 7 M.
Die Arbeit ist ein interessanter Beitrag zur Geschichte der
in Verbindung mit den Klimaschwankungen stehenden Gletscher-
schwankungen. Sie bildet eine gewissenhafte Zusammenstellung
der Acten-Mittheilungen, die es erst ermöglichen, sichere Folge-
rungen zu ziehen, die auf Grund unvollständiger Angaben nur zu
leicht in falsche Bahnen gerathen. Dass die Folgerungen exacte
seien, hat nicht allein ein wissenschaftliches, sondern begreiflicher-
weise auch ein sehr praktisches Interesse; ermöglichen sie doch
event. dem von den Ausbrüchen schon so oft unvorhergesehen ge-
schädigten Menschen der Erscheinung weniger rathlos gegenüber-
zustehen als bisher. Zweifellos hat der Verfasser recht in seiner
Vorrede auch auf den culturhistorischen Werth der veröft'ent-
lichten, jahrhundertelangem Schlaf entrissenen Briefe und Be-
richte, die zum Theil von untergeordneten Beamten, Landgeist-
lichen und Bauern stammen, aufmerksam zu machen: das Buch
gewinnt dadurch einen besonderen Reiz. Die Acten geben .\us-
kunft über 4 Katastrophen: 3 Ausbrüche des Veruagtgletschors
(1600, 1G80 u. 1770) und ein drohender Ausbruch des Gurgler-
gletschers (um 1718). Die eine der beigegebenen Karten stellt
die Umgebung des Eissees, die andere die Umgebung des
Gurgler-Eissees dar. Diese Seen kommen dadurch zu Stande,
dass die Gletscher bei starkem Anwachsen in ein Thal vor-
dringen. (Der Vernagtgletscher in das Hauptthal, der Gurgler-
gletscher in ein Seitenthal), und hier den Bach des von dem
Gletscher durchquerten Thaies zu einem See aufstauen, der plötz-
lich im Sommer und zwar meist unter dem Gletscher abfliesst und
gefährliche Ueberschwemmungen anrichtet.
Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläonto-
logie. Jahrgang 1893, Band 1, Heft 1. Stuttgart 1893. — Das
Heft bringt zunächst eine Fortsetzung von Fr. Maurer 's „Paläon-
tologische Studien im Gebiete des rheinischen Devon", worin dies-
mal in Form einer Entgegnung an Prof. Kayser Untersuchungen
174
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 17.
über den specifischen Wert einiger Brachiopoden aus der Siegener
Grauwacke angestellt werden. Hierzu gehören die vier dem
Hefte beigegebenen Tafeln. Weiter folgen ein Aufsatz von
G. Bo dl ander. — Die Zusammensetzung des Meliliths — und
von Joseph v. Siemiradzki — Zur Geologie von Nord-Pata-
gonien. Diese letztere Arbeit, obwohl als vorläufige Mittheilung
gehalten, bringt doch bereits eine Menge interessanter, von den
bisherigen abweichender oder ganz neuer Angaben über die Lage,
Höhe, Beschaffenheit und den Bau der Gebiete des südlichen
Argentinien und nördlichen Patagonien und gestattet Schlüsse
auf den Bau eines grossen Theiles des südamerikanischen Fest-
landes. An anderer Stelle dieser Zeitschrift werden wir nochmals
auf Siemiradzki's Arbeit zurückkommen. — Von den brieflichen
Mittheilungen seien genannt: H. Kredner, E. Geinitz und
F. Wahnschaffe „Ueber das Alter des Torflagers von Lauen-
burg a. d. Elbe." Dasselbe ist nach der Meinung der Autoren
nicht, wie ursprünglich von Keilhack angenommen, interglacial,
sondern postglacial. W. Ji Ketgers: Ueber crystallinische
Schiefer, insbesondere Glaucophanschiefer und Eruptivgesteine im
südlichen Borneo; G. Kau ff: Ueber Polygonosphaerites (mit 8
Holzschnitten); A. Streng: Mikrochemische Notizen; F. v. Sand-
b erger: Widdringtonia Keuperina, Heer, im untersten Keuper-
gypse von Windsheim (Mittelfranken). — Ausserdem enthält das
Heft sehr zahlreiche Besprechungen von litterarischen Erscheinungen
auf den Gebieten der Mineralogie, Geologie und Paläontologie.
' F.K.
Comptes Rendus des Seances de la Societe de Geographie.
Paris 1892. No. 17 und 18. — Aus dem Berichte über die
Sitzungen seien genannt: Buchet, Notizen über die Gletscher
der nordwestlichen Halbinsel Islands. Der Verfasser sollte die
Gletscher des ganzen betreffenden Theiles von Island erforschen,
ungünstige Witterungsverhältnisse verhinderten ihn jedoch daran,
und so konnte er nur den mittleren Theil des grossen Gletschers
und seine nächste Nachbarschaft untersuchen. Die heutigen
Gletscher sind nur Reste früher zusammenhängender Eismassen
und ziehen sich gegenwärtig ziemlich schnell zurück. —
E. A. Martel et G. Gaupillat: Unterirdische Forschungen.
(Bericht der beiden Forscher über ihre 472 Monate währenden
Untersuchungen der Höhlen einiger Theile von Frankreich, z. B.
der Vaucluse, Ardeche [Höhle von Saint-Marcel], Lozere, von Avey-
ron etc. etc.) — J. de Cavelier de Cuverville: Canada und
die französischen Interessen. Ausgehend von der einstigen Zu-
gehörigkeit zu Frankreich, zeigt der Verfasser, welcher als Ge-
schwaderchef verschiedentlich Canada besucht hat, wie trotz der
Trennung das französische Element dort zugenommen hat, und
fordert auf, regelmässige Dampferlinien einzurichten und dem
Handel mit demselben in jeder Weise Aufmerksamkeit und Unter-
stützung zuzuwenden. — Marcel Monnier: Von der Elfenbein-
küste nach dem südlichen Sudan (Mission des Kapitains Binger).
Der Verfasser hat selbst die Reise des Kapt. Binger mitgemacht
und giebt einen fesselnden Bericht davon. F. K.
The Transactions of the Iiinnean Society of London.
2. Serie. Zoologie. Band 5, Theil 9. — Den Inhalt bildet eine
Abhandlung von A. D. Michael: Ueber die Abweichungen im
Innern Bau der Gamasinae, besonders über denjenigen der Genital-
Organe und über die Art ihrer Begattung. Der Verfasser, welcher
seine Untersuchungen auf ein bedeutendes Material aus verschie-
denen Gegenden (England, Schweiz, Tyrol etc.) ausgedehnt hat,
bespricht nur jene Organe und Lebenserscheinungen . welche
seiner Ansicht nach bisher noch nicht dargestellt worden sind,
oder von denen die neuerlichen Forschungen Abweichungen von
früheren Befunden ergeben haben, und beschreibt zum Schlüsse
mehrere neue Arten. Die Gamasinae, Unterfamilie der Gamasi-
dae, sind wohl die höchst organisirten Acarinen. Ihre Nahrung
besteht, entgegen der früheren Annahme, durchaus nicht immer
aus in Zersetzung befindlichen Pflanzenstoffen, sondern ist sehr
häufig eine animalische; ebenso ist die alte Ansicht, dass die
Gamasinen Parasiten sind, falsch — die Mehrzahl ihrer Arten
lebt frei. Wenn auch im Grossen und Ganzen eine Ueberein-
stimmung in den Organen der verschiedenen Formen vorherrscht
so zeigen doch manche, oft bei Species einer Gattung, ganz auf-
fallende Abweichungen. Dies gilt besonders von den Reproduc-
tionsorganen. 4 Tafeln. F. K.
The Journal of the Linnean Society. Zoologie. London
1892. Band 24, No. 153. — Hilderic Friend: Studien über
britische Baum- und Erdwürmer. Die Untersuchungen erstrecken
sich zunächst auf diejenigen Würmer, welche in vermodernden
Baumstümpfen leben und deren schnelle Verwandlung in Humus
herbeiführen. Obwold auf dem Festlaude längst bekannt und be-
schrieben, hatte man in England diese Formen noch gar nicht
beachtet, und es ist des Verfassers Verdienst, dieselben zuerst für
die Britischen Inseln nachgewiesen und eingehend untersucht zu
haben. Die von ihm bisher gefundenen Formen (6 Arten der
Gatt. Dendrobaena) haben sich alle mit solchen vom europäischen
Festlande bereits bekannten identificiren lassen. Von Erdwürmern
beschreibt der Verf. eine neue Art der Gattung Lumbricus, be-
richtigt alsdann dieses Genus und führt die in England nachge-
wiesenen Species desselben auf. Zum Schlüsse giebt er eine
Uebersicht über die auf den Britischen Inseln vorkommenden
Erdwürmer und berichtigt ihre Synonymie. — R. J. Pocock:
Ergänzende Bemerkungen über die Arachniden und Myriopoden
des Mergui-Archipels, nebst Beschreibungen einiger neuen Arten
von Slam und Maleysia. Zu jeder Abhandlung gehört 1 Tafel.
F. K.
Adler, G., Ueber die an Eisenkörpern im Magnetfelde wirksamen
(_)bertlächenspannungen. Leipzig. 0,30 M.
Bennet, A., Bemerkungen über die Arten der Gattung Pota-
mogeton im Herbarium des k. k. naturhistorischen Hofmuseums.
Wien. 0,60 M.
Beyschlag, F., Höhenschichtenkarte des Thüringer Waldes.
1 : 100,000. Berlin. 6 M.
Blochmann, F., Untersuchungen über den Bau der Brachiopoden.
.Jena. 2,5 M.
Bumat, E., Flore des Alpes maritimes ou catalogue raisonne des
plantes qui croissent spontanement dans la chaine des Alpes
maritimes y compris le departement fran(;ais de ce nom et une
partie de la Ligurie occidentale. Basel. 7,20 M.
Chun, C, Die Canarischen Siphonophoren in monographischen
Darstellungen. Frankfurt. 10 M.
Classen, A. , Bemerkungen zu den Abhandlungen des Herrn
F. Rüdorft', quantitative chemische Analyse durch Elektrolyse
betreffend. Hamburg. 0,60 M.
Claus, C, Die Antennen der Pontelliden und das Gestaltuugs-
gesetz der männlichen Greifantenne. Leipzig. 0,40 M.
Eisner, F., Die Praxis des Chemikers bei Untersuchung von
Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen, Handelsprodukten,
Luft, Boden, Wasser, bei bakteriologischen LTntersuchungen,
sowie in der gerichtlichen und Harn- Analyse. 5. Autl. Hamburg.
1,25 M.
Elster, J., u H. Oeitel, Elmsfeuerbeobaehtungen auf dem Sonn-
blick. Leipzig. 2 M.
Fröhner, E., Lehrbuch der Arzneimittellehre für Thierärzte.
3. Aufl. Stuttgart. 13 M.
Gaebler, C. , Ueber Schichten -Verjüngung im oberschlesischen
Steinkohlengebirge. Kattowitz 3 M.
Gauss, F. G., Die trigonometrischen und polygonometrischen
Rechnungen in der Feldmesskunst. 2. Aufl. 8. Hft. Halle.
3,50 M.
Gmelin, B., Beiträge zur Kenntnis der Leucins. Tübingen. 1,20 M.
Graber's, V., Leitfaden der Zoologie für die oberen Classen der
Mittelschulen. 2. Aufl. Leipzig. 4 M.
Grunwald, M., Das Verhältnis Malebranches zu Spinoza. Bres-
lau. 1 M.
Hansgirg, A., Prodromus der Algenflora von Böhmen. Prag. 6 M.
HantzEch, A., Grundriss der Stereochemie.. Breslau. 4 M.
Haentzschel, E., Studien über die Reduction der Potentialgleichung
auf gewöhnliche Differentialgleichungen. Berlin. 6 M.
Herrnheiser, J., Die Refractionsentwicklung des menschlichen
Auges. Berlin. 1 M.
Hock, F., Nadelwaldflora Norddeutschlands. Stuttgart. 3 M.
Kaiser, J. E., Die Acantocephalen und ihre Entwickelung. Stutt-
gart. 5 M.
Kaufmann, N"., Die teleologische Naturphilosophie des Aristoteles
und ihre Bedeutung in der Gegenwart. 2. Aufl. Paderborn.
3 M.
Kiefl, F. X., Pierre Gassendi's Erkenntnistheorie und seine Stellung
zum Materialismus. Fulda. 1,80 M.
Inhalt: Der Gletschergarten auf dem Adlerfels in Schreiberhau im Riesengebirge. (Mit Abbild.) — Dr. Eugen Drt
den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome. (Schluss.) — Ein neues Verzeiehniss über das Ersehe
Cetaceen an der französischen Küste. — Die Fortpflanzung des Kuckuck. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. -
A. Acloque: Les Champignons. — H. v. Klinggraeff: Die Leber- und Laubmoose West- und Üstpreussens. •
Eduard Richter: LTrkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers. — Neues Jahrbuch für
Geologie und Paläontologie. — Comptes Rendus des Seances de la Societe de Geographie. — The Transactions of
Society of London. — The Journal of the Linnean Society. Zoologie. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
■her: Ueber
■inen grosser
- Litteratur:
- Prof Dr.
Mineralogie,
the Linnean
Nr. 17.
Naturwissensehaftliche Wochenschrift.
XXXIII
Verlag von Lipsius & Tischer in Kiel und Leipzig.
Die
Ergebnisse
in dem Atlantischen Ocean
von Mitte Juli bis Anfang- November 1889
ausgeführten
Plankton -Expedition der Humboldt -Stiftung.
Auf Grun<l von
gemeinschaftlichen Untersuchungen einer Reihe von Fach-Forschern
herausgegeben
von
Victor Hensen,
Professor der Pl]ysiologie in Kiel.
-wrercierL in 5 Q,xxartt)ä.rLd.erL xnit -iilDer 300 Tafeln ersclaeirLerL-
Iii nachfolgender Wei.se, aber ohne Innehaltiing der gewählten Reihenfolge bezüglich der Ausgabe der einzelnen Abschnitte, werden die Ergebnisse
dieses Werkes, das als das bedeutsamste seit Jahrzehnten auf dem Gebiete der beschreibenden Naturwissenschaften zu bezeichnen sein und das vielleicht in sehr
langer Zeit durch kein anderes übertroiTen werden wird, veröifentlicht werden.
Bd. II.
Bd. I. A. Reiseheschreibung von Dr. 0. Krümme 1 , Professor der Geographie
in Kiel, nebst Anfügiuigen einiger Vorberiohte über die Unter-
suchungen.
B. Methodik der Untersuchungen von Dr. Hensen, Professor der
Physiologie in Kiel.
C. Geophysikalische Beobachtungen von Dr. Krümmet.
D. Fische, von Dr. G. Pfeffer, naturhistorisches Museum, in Hamburg.
E. a. Thaliaceen von M. Traustedt auf Herlufsholm, .Seeland, Ver-
breitung und geographische Vertheilung von Dr. A. Borgert
in Kiel.
b. Pyrosjmen von Dr. O. Seelinger, Docent an der Universität
in Berlin.
c. Appendicularien von Dr. H- Loh mann in Kiel.
F. a. Cephalopodeu von Dr. Pfeffer.
b. Pteropoden von Dr. P. Schiemenz, Zoologische Station in
Neapel.
c. Heteropoden von demselben.
d. Gastropoden mit Anscbluss der Heteropoden und Pteropoden,
von Dr. H. .Simrofb, Docent in Leipzig.
e Acepbaleu von demselben.
G. a. ci Ilalobatiden von Dr. Fr. Dahl, Docent an der Universität
Kiel und
ß Halacarinen von Dr. Lohmann.
b. Decapoden und Schizopoden von Dr.
historisclies Museum in Strassburg i./E.
c. Stomatopoden und Isopoden von Dr. H.
hagen.
d. Ostracoden und Phyllopoden von demselben.
e. Amphipoden von Dr. Dahl.
f. Copepoden von demselben.
H. a. Rotatorien von Dr. L. Plate, Docent an der Universität Marburg.
b. Alciopiden und Tomopteriden von Dr. C. Apstein in Kiel.
c. Pelagische Polychaeteu mit Ausschluss der Obigen von Dr. Ap-
stein und J. Reibisch in Kiel.
d. Sagitten von Dr. K. Brandt, Professor der Zoologie und Dr.
S. Strodtmann in Kiel.
A. O r t m a n n , natur-
J. Hansen in Kopen-
e. Turliilluricu vcii Dr. L. Lang, Professor der Zoologie in Zuricli ,
HaiilD.lirrii (liuinlhiria acoela) von Dr. L. Brihmig, Adjunkt
am Zuol. Zunfui. Institut in Graz.
J. EchinoderuK-nlarven von Dr. J. W. Sp enget, Professor der Zoo-
logie in Giesen.
K. a. Ctenophoren von Dr. C. Chun, Professor der Zoologie in Breslau.
b. Siphonoi»horen von demselben.
c. Cratpedote Medusen und Hydroidpolypen von Dr. O. Mass in
Berlin.
d. Akalephen von Dr. E. Vanh offen in Königsberg.
e. Anthozoen von Dr. E. van Beneden, Professor der Zoologie
in Lüttich.
Bd. III. L. a. Tintinnen von Dr. Brandt und Dr. R. Biedermann in Kiel.
b. Holotriehe und peritriehe Infusorien, Acineten von Dr. Rhumb-
ler. .Vssistent am zoologischen Institut in Gottingen.
c. Foraminiferen von Dr. L. Rhu ni hier.
d. Thalassicollen, koloniebildende Radiolarien von Dr. Brandt.
e. Spnmellarien von demselben.
f. Akantharien von demselben.
g. Monopylarien von demselben.
h. Tripylarien von Dr. Brandt und Dr. Borgert,
i. Ta.xopoden xmd neue Protozoen-.\btlicilungen von Dr. Brandt.
Bd. IV. M. a. Peridineen von Dr. F. Schutt, Docent der Botanik in Kiel.
b. Dictyocheen von Dr. Borgert in Kiel.
c. Pyrocysteen von Dr. Brandt.
d. Bacillariaceen von Dr. .Schutt.
e. Halosphaereen von demselben
f. Schizophvceen von Dr. N. Wille in .\as bei Christiania und
Dr. Schutt.
g. Sehizomyceten von Dr. B. Fischer, Prof. der Hygiene in Kiel.
N. Cysten, Eier und Larven von Dr. Lohmann.
Bd. V. 0. Uebersicht und Resultate der quantitativen Untersuchungen, re-
digirt von Dr. Hensen.
V. Oceanographie des atlantisch. Oceans unter Berücksichtigung obiger
Resultate von Dr. Krümmel unter Mitwirkung von Dr. Hensen.
^ Gesammt -Register zum ganzen Werk.
Erschienen sind bereits :
Bd. I A.
KoiüellCiül*lll*eil>IIIIS:. von Dr. O. KrUmmel
nebst
Einleitung von Dr. Mensen und Vorberichten von Drr. Dahl, Apstein, Lolimaun, Boigert, Schutt und Brandt.
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XXXIV
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 17.
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sein. Der Stoff dazu Ist von dem Herrn Verfasser aus dem eigenen Unterricht
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sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annocenbureaux, wie bei der Expedition.
AbUriiok ist nur mit vollständiger 4^nellenan«'abe gestattet.
Bericht über die Thätigkeit der k. k. Sternwarte zu Prag im Jahre 1892.
Vom Direetor der Sternwarte Profes.sor Dr. L. Weinek.
Auf meine Mondzeichiiungen nach den vorzüg-
lichen photogi'aphischen Aufnahmen der Licii-Sternwarte
am Mt. Hamilton verwendete ich im Jahre 1892 insgesammt
332,5 Stunden gegen 296,25 Stunden im Jahre 1891. Der
grösste Theil dieser Zeit wurde der Vollendung der, zu
Ende 1891 begonnenen, Wallebenen Vendelinus und
Langrenus gewidmet. Beide Bilder sind 20fache Ver-
grösserungen nach dem focalen Lick-Negative bezw. Dia-
positive vom 31. August 1890, 14"^ 27" P. s. t., haben jedes
die Grösse von 12 : 18 cm und stossen derart an einander,
dass sie ein einziges Bild von 12 cm Breite und 36 cm
Höhe geben. Vendelinus beanspruchte 122,0, Langrenus
127,5 Arbeitsstunden. Ausserdem wurde die 20fach ver-
grösserte Tuschirung der ßingebene Flammarion (so
benannt von Gaudibert auf dessen 64 cm grosser Mond-
karte), welche nordöstlich von Herschel liegt und auf
ihrem Ostwalle den, für die Librationsmessuugen wichtigen,
Krater Moesting A hat, nach einer Lick- Aufnahme vom
15. August 1888 in der Grösse von 10 : 10 cm fertig-
gestellt. Die Arbeitsdauer war 71,0 Stunden. — Andere
Zeichnungen und Studien bezogen sich auf eine Reihe von
Entdeckungen rillen- und kraterartiger Objecte, die an
den Mond - Platten der Lick -Sternwarte gemacht werden
konnten. Iiu Folgenden sei nur die Uebersicht derselben
gegeben, wobei die angefügte eingeklammerte Zahl für
jeden Fall die Anzahl der in Prag vorhandenen photo-
graphischen Platten (gemäss einer vorläufigen Revision)
darstellt, auf welchen das fragliche Object zu erkennen
ist. Wo nur eine Platte angeführt erscheint, halte ich die
betreflcndeii Formationen auf Grund meiner bezüglichen,
an zahlreichen Lick-Photographien erworbenen, Erfahrung
für reell.
Rillensystem durch das ganze
von der Centralhöhe, mit der
S. 1:2.) II. In Walter. Rillen-
im nordöstlichen Inneren. . (1.)
I. In Longomontanus.
mittlere Innere, westlich
allgemeinen Richtung: N.-
uud Kraterformationeu
Richtung :
III. Zwischen Petavius B und Santbech b. Rillensystem.
W.-O. (3.) IV. In Hell B. Rille durch das
mittlere Innere. Richtung: SW.-NO. Grösserer
Krater im Süden von Hell B. (1.) V. Im Marc Nubium,
südlich von Thebit B (Birt), ein deutlicher Krater, ferner
Kratergruben, feine Rillen. (3). VI. In Ptolemacus. Rillen-
system im Inneren, südöstlich vom Krater A; am südlichen
Walle desselben ein kleiner Krater. (2.) VII. In Alphonsus.
Rillensystem durch das ganze westliche Innere, zwischen
Schmidt's Rille am Westrande und der Centralhöhe.
Richtung: N.-S. Kleiner Krater im NO. des Central-
berges. (2.) VIII. In Eratosthenes. Rille durch das ganze
mittlere Innere, westlich von der Centralhöhe. Richtung:
SW.-NO. Andere feine Rillen. (2.) IX. Auf der west-
lichen Abdachung der geraden Bergwand ß im Mare Nu-
bium, westlich von Bii't. Mehrere rillenartige Züge, eben-
solche zwischen ß und Birt. (7.) X. Auf dem Nordwalle
von Herschel a und südöstlich von IMoesting A je ein
gi'össerer Krater. (5.) XL Oestlieh von Reaumur ein
grösserer Krater. (5.)
Mit Ausnahme von IX und XI sind bereits sämmt-
liche Objecte in 20facher Vergrösserung gezeichnet wor-
den. Dass solche photographische Rillenzeichnungeu,
namentlich wenn die Rillenzüge feine lichte Wälle auf-
weisen, zufolge ihrer Zartheit, stelleiiweisen Unbestimmtheit
und mannigfaltigen Verwirrung durch das Plattenkorn
nicht allein für das Auge sehr anstrengend sind, sondern
auch technisch zu den schwierigsten Arbeiten gehören,
ist noch besonders hervorzuheben. Das Fehlen der sub X
und XI angeführten, fast 1 geogr. Meile grossen Krater
bei Schmidt, welche auch optisch gut sichtbar sind, niuss
am meisten Wunder nehmen. — Bisher gelang die optische
Verificirung des sub V bezeichneten Kraters dem Astro-
nomen G. Witt in Berlin (Urania-Sternwarte) und T. G.
Elger in Bedford, während die sub X genannten Krater
von mir und Herrn Adjuncten Dr. R. Spitaler am 27. De-
176
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 18.
ceuiber ohne Mühe mittelst des .Steinheirschen 6 -Zöllers
gefunden wurden. Es ist zu bemerken, dass bei letzterer
Beobachtung- das Fehlen des Objectes XI auf der Schmidt-
schen Karte mir noch nicht bekannt war (diese Ent-
deckung erfolgte erst am 30. December), weshalb unsere
Aufmerksamkeit damals auf diesen Krater nicht gerichtet
gewesen. Doch theilte mir Herr C. M. Gaudibert in Vaison
freundliclist mit, dass er den erwäiinten Krater östlich
von Reaumur bereits am 24. Februar 1874 und am 15. Mai
1883 teleskopisch beobachtet habe. Diese, von Schmidt
auf Sect. I nicht verzeichneten, grösseren Krater in der
Umgebung von Flammarion und Reaumur sind besonders
deutlich auf einer, von Herrn Albert Freiherr von Roth-
schild in Wien trefflichst ausgeführten, 15 maligen photo-
grai)iiischcn Vergrösserung nach einer Lick- Platte vom
14 Juli 1891 zu sehen. — Ferner konnte ich zwei optische
Entdeckungen auf dem Monde photographisch verificiren.
Die eine Ijetrifft eine ^-förmige Rille, welche am 4. April
1892 an der Berliner Urania -Sternwarte von Kellner ent-
deckt und von Astronom Witt bestätigt wurde, die andere
zwei Krater zwischen Landsberg und Reinhold, welche
von Krieger in Gern-Xymphenburg am 29. November 1892
gefunden wurden. Die /-Rille mit ihrer
Umgebung
ist
auch von mir nach der sehr scharfen Lick-Aufnahme vom
22. September 1890, 8^ S"» P. s. t gezeichnet worden, wo-
bei viel neues Detail zum Vorschein kam. Namentlich
ergab sich, dass der rechte Schenkel des 1 in eine lange,
nach Osten führende Rille übergeht und dass westlich
von dieser A- Rille eine andere, photographisch sehr
eclatante Rille mit mehreren Abzweigungen bis nach
Boscovich zieht.
Um den Nachweis für die Realität photographisch
entdeckter Rillen auch auf Grund einer einzigen Platte
ziemlich sicher treffen zu können, habe ich mir zu meinem
Zeichenapparate noch zwei weitere Mikrometer -Oculare,
mit Vs und V4 Pariser Zoll Aequivalent- Brennweite, von
Reinfelder & Hertel in München beschafft, welche für
meine deutliche Sehweite von 28 cm die linearen Ver-
grösserungen 32 und 42 ergeben. Werden nämlich die
rillenartigen Objeete von dem Korne der Platte selbst
gebildet, so treten sie als schmale Lücken zwischen
den Kornpartikelcheu auf, während sie, wenn ihr Ur-
sprung im Monde liegt, sich allgemein auf diesen Theil-
chen abbilden, was aber bei entsprechend starker Ocular-
Vergrösseruug wohl zu unterscheiden ist. Um noch weiter
die Realität der Rillen zu prüfen, ist es zweckmässig, die
Platte auf die verschiedenste Weise, von der rückwärtigen
und vorderen Seite aus, zu beleuchten, da dadurch so
zahlreiche Variationen im Schatteuwurfe des Kornes be-
wirkt werden, dass es möglich erscheint, aus dem Ver-
änderlichen das Coustante, also das vom Korne Un-
abhängige, zu erkennen. Endlich ist es auch zuweilen
von Vortheil, den allgemeinen Verlauf der Rillenzüge der-
art zu Studiren, dass man bei Betrachtung derselben das
Ocular nicht vollständig scharf einstellt. Damit man von
den zufälligen Fehlern der Platte, die als solche nicht
immer offenkundig zu Tage liegen, sicher und schnell
unabhängig werde, empfiehlt es sich, stets nach min-
destens zwei Diapositiven gleicher Güte, die kurz hinter
einander aufgenommen worden, zu zeichneu. Wüuschens-
werth ist es hierbei, nebst den Diapositiven auch noch
die originalen Negative zu besitzen, da erstere als Copien
zumeist weniger vollkommen wie die Originale sein wer-
den. — Um meine Arbeiten in der zuletzt bemerkten Art
ausführen luid namentlich auch beiden Platten die genau
gleiche Drehung in Bezug auf die Verticale, beispiels-
weise in der Absieht einer Identificirung zweier Objeete
derselben nach orthogonalen Coordinaten, geben zu können,
habe ich einen neuen, grösseren Zeichenapparat coustruirt,
welcher nunmehr allen Anforderungen entspricht und auch
gestattet, ausgedehntere jMondlandschaften in Angriff zu
nehmen. Derselbe wurde von dem Prager Mechaniker
R. Eitel (Firma: Deckert & Homolka) in zufriedenstellend-
ster Weise gebaut.
Damit ferner die vergrösserten Zeich-
nungen, selbst bei 40faeher Ocular- Vergrösserung, mit
aller erforderlichen Sicherheit angefertigt würden, Hess
ich noch Glasscalen mit Strich-Intervallen von nur ^/., mm
nach zwei, zu einander senkrechten, Richtungen anfertigen,
die Herrn Präcisions- Mechaniker G. Heyde in Dresden
vollkommen gelangen.
Herrn Professor Edward S. Holden, Director der
Lick-Sternwarte, bin ich abermals zu grösstem Danke für
die fortlaufende, reiche Versorgung der Prager Sternwarte
mit neuem Plattenmaterial verpflichtet. Dasselbe umfasste
zu Ende des Jahres 1892 (mit Einschluss einiger Dia-
positive, die hier nach Lick-Negativen angefertigt wurden)
über 120 Mondplatten, welche nunmehr in vielen Fällen
völlig ausreichende ►Sicherheit zur Entscheidung der
sich aufdrängenden selenographischen Fragen bieten.
Auch Herrn Professor J. K. Rees, Director der Co-
lumbia College -Sternwarte in New-York, bin ich für
die gütige Zusendung von 14 Rutherfurd 'scheu jMond-
Diapositiven, welche bis zum Jahre 1862 zurückreichen,
sehr verpfliciitet.
Besonderen Dank schulde ich noch dem hiesigen
k. u. k. Hof- und Kauuner-Photograplien H. Eckert,
welcher sich stets in liebenswürdigster und uneigennützig-
ster Weise bereit fand, meine neu vollendeten Mond-
zeichnungen photographisch aufzunehmen und der Prager
Sternwarte eine beliebige Anzahl von Copien derselben
in vorzüglicher Ausführung zur Verfügung zu stellen.
Hierdurch wurde es erst miiglich, diese Prager Mond-
arbeiten und die darin niedergelegten Entdeckungen thun-
lichst rasch an die verschiedenen Akademien und Seleno-
grapheu behufs eingehendsten Studiums des Dargestellten
am Teleskope senden zu können.
Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass diese Prager
Untersuchungen der Mondoberfläehe nach den photo-
graphischeu Aufnahmen der Lick-Sternwarte eine hoch-
willkommene Forderung durch Herrn Walter W. L a w in
Yonkers, New-York, erfahren haben, welcher zu Beginn
des Jahres 1892 die Summe von 1000 Dollars Herrn Di-
rector Holden für die Publication derselben in Amerika
überge])en hat.
Die im Februar 1889 begonnenen Polhöhenbestim-
mungen nach der Talcott-Horrebow'schen Methode wurden
im Jahre 1892 fortgesetzt und in den letzten Tagen des
Monats Mai, zu welcher Zeit die correspondirenden Beob-
achtungen der Internationalen Erdmessungs- Expedition
in Honolulu auf den Sandwich-Inseln ihr Ende erreichten,
abgeschlossen. Im Ganzen wurden in Prag vom Jahres-
anfang bis 24. Mai 506 Breiten in 48 Nächten ge-
messen, und zwar von mir 191 Breiten in 19 Nächten, von
Herrn Adjuueten Dr. G. Gruss 315 Breiten in 29 Nächten.
Die weitere Untersuchung der Micrometerschraube des,
Pistor und ]\Iartins-
schen gebrochenen
zu diesen Messungen verwendeten
Durchgangs - Instrumentei-
erfolgte
wieder durch Passage-Beobachtungen des Polarsternes im
Meridiane, welche am 7. und 25. Februar von mir, am
10., 18., 19., 29. Febr. und 3. März von Herrn Dr. Gruss
ausgeführt wurden.
Die grossen Sonnen flecken im Februar, aufweiche
die Prager Sternwarte durch ein Telegramm des Herrn
Pfarrers L. Kaschka in Tuschkau freundlichst aufmerk-
sam gemacht worden, wurden von mir und den Herren
Dr. G. Gruss und R. Lieblein am 15. und 18. Februar beob-
achtet. An ersterem Tage ist auch das Fleckenbild von
mir . gezeichnet worden. Hierauf wurden die Sonnen-
Nr. 18.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
177
flecken an weiteren 48 Tagen von Herrn Assistenten
Lieblein gezählt.
Die partielle Mondfinsterniss vom 11. Mai 1892
konnte bei günstigem Wetter in ihrem ganzen Verlaufe
mit bestem Erfolge von mir und Herrn Assistenten Lieblein
beobachtet werden. Auch wurden von mir zur Zeit der
grössten Phase einige Sternbedeckungen (Eintritte) durch
den Jlond erhalten.
Die totale Mondfinsterniss vom 4. November 1892
war in Frag der Rechnung gemäss bloss in ihrer zweiten
Hälfte wahrnehmbar, da der Mond bereits total verfinstert
aufging. Die Beobachtung der Erscheinung
gelang
übe
dies nur durch Wolken. Beobachtet haben Professor
Weinek, Adjunct Dr. Spitaler und Assistent Lieblein.
Bei der Uranusbedeckung durch den Mond am
16. März 1892 erhielt Herr Adjunct Dr. Gruss den Ein-
tritt des Planeten am hellen Mondrande, während der
Austritt am dunklen Rande von den Assistenten Liebleiu
und Pin beobachtet wurde. Rei der zweiten Uranus-
bedeckung desselben Jahres am 3. Juli gelang mir selbst
die Zeitnotirung des Uranus-Eintrittes am dunklen Mond-
raude ziemlich sicher, wogegen auf die Austrittsbeobach-
tung des relativ schwachen Planeten am hellen Mondrande
verzichtet wurde.
Von S t e r n b e d e c k u n g e n durch den Mond erhielten wir
eine Reihe von Eintritten und Austritten. Die Beobachtungen
wurden von mir und den Herren: Adjunct Dr. (iruss,
Adjunct Dr. Spitäler und Assistent Lieblein ausgeführt.
In die Beobachtung der Jupitertrab ante u-Erschei-
nungen theilten sich Herr Adjunct Dr. Spitaler und Herr
Assistent Liebleiu.
Der am 6. November entdeckte Komet Holmes
konnte wegen seiner relativ hohen Declination nur ausser-
halb des Meridiancs und insofern bloss mit dem grösseren
Fraunhofer'schen Fernrohre von der (Valerie des Thurmes
aus in Anwendung
eines Ringmicrometers beobachtet
werden. Seine Position wurde bestimmt: Von mir am
18. November, von Herrn Adjunctcn Dr. Spitaler am 18.,
19., 23. uud 24. November und von Herrn Assistenten
Liebleiu gleichfalls an den zuletzt genannten Tagen.
Begreiflieherweise wurden diese Messungen nuter solch'
missliehen Umständen nicht weiter fortgesetzt.
Vom Monate Mai an wurden fortlaufend Mond-
culminationen in Verbindung mit Passagen des Kraters
Moesting A unter Anschluss an die im Nautical Ahnanac
gegebenen Sterne von Herrn Assistenten Lieblein am geraden
Fraunhofer'schen Passagen-Instrumente beobachtet.
Die Zeitbestimmungen geschahen durchschnittlich
dreimal im Monate und wurden zum grössten Theile von
Herrn Assistenten Lieblein besorgt. Von demselben Beob-
achter unter Mitwirkung des Herrn Assistenten Pin er-
folgte auch eine Neubestimmung der Fadendistanzen des
geraden Fraunhofer'schen Passagen-Instrumentes mittelst
des Polarsternes.
Die meteorologischen und magnetischen Beob-
achtungen nahmen auch in diesem Jahre ihren ununter-
brochenen, regelmässigen Fortgang.
An Publieationen erschienen im Jahre 1892:
„Magnetische und meteorologische Beobachtungen an der
k. k. Sternwarte zu Prag im Jahre 1891, 52. Jahrgang"
und .,Astronomische Beobachtungen an der k. k. Stern-
warte zu Prag in den Jahren 1888, 1889, 1890 uud 1891,
nebst Zeichnungen und Studien des Mondes". Letztere
enthält 9 Tafeln imd zwar: Tafel 1: Das neue Meridian-
zinnner der k. k. Sternwarte in Prag mit dem Arrange-
ment der Polhöhenmessung nach der Horrebow-Tallcott'-
schen Jlethode (Photolithographie), Tafel 2, 3, 4: 18 neue
Zeichnungen von Mondkratern uud Mondlandschaften am
Fernrohr (Heliographie), Tafel 5: Die Mondfinsterniss vom
28. Januar 1888 in Farbendruck und vier Mondabbildungen
in Lithographie, Tafel 6: Das Marc Crisium in vierfacher
Vergrösserung nach einer Liek-Platte vom 23. August 1888
(Heliographie), Tafel 7: Die Ringebenen Archimedes und
Ärzachel, je zweimal mit entgegengesetztem Schatten-
wurfe, in zehnfacher Vergrösserung nach den Lick-Platten
vom 15. und 27. August 1888 (Heliographie), Tafel 8:
Die Mädler'sche Specialkarte von Petavius und Tafel 9:
Die Wallebene Petavius in zwanzigfacher Vergrösserung
nach der Lickplatte vom 31. August 1890 (Heliographie).
Für die vorzügliche heliographische Reproduction
meiner Mondzeichnungen nach der Natur und meiner ver-
grösserten Tuschirungen nach den photographischen Mond-
aufnahmen der Lick- Sternwarte durch das k. und k.
militär- geographische Institut in Wien bin ich
dieser hochgeschätzten Anstalt zu grossem Danke ver-
pflichtet.
Im Personal der k. k. Sternwarte erfolgte im Jahre
1892 eine wesentliche Veränderung, indem der, seit 1. De-
cember 1881 an ihr wirkende Adjunct, Herr Dr. Gustav
Gruss, zum ausserordentlichen Professor der Astronomie
an der Prager k. k. czechischen Universität und zum
Leiter des mit ■ dieser verbundenen astronomischen Insti-
tutes*) ernannt wurde. Herr Dr. Gruss verlicss die Stern-
warte am 1. Mai 1892, und ich verlor mit demselben
einen langjährigen, ebenso eifrigen als sachkundigen, Mit-
arbeiter. An seine Stelle trat mit dem 1. October 1892
der Assistent der k. k. Sternwarte in Wien-AVähring,
Herr Dr. Rudolf Spital er.
*) Der officielle Titel desselben lautet: „Astronomicky üstav
c. ii. k. öeske university v l^raze" (Astronomisclies lustitut der
k. u. k. czechisehen LTniversität in Prag) uud nicht „k. k. böh-
mische Sternwarte", wie er in die Kieler „Astronomischen Nach-
richten übergegangen ist und bereits zu mehreren unliebsamen
Verwechslungen mit der, von mir geleiteten, seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts bestehenden, Prager k. k. Sternwarte ge-
führt hat. Jenes Observatorium besitzt wolil einen achtzolligen
Rcfractor, ist jedoch gegenwärtig wenig günstig in einem Privat-
gebäude untergebracht.
Ueber einen neuen menschlichen Parasiten bringen
der Assistenzarzt Dr. H. Miyake und der Prof. Dr. J. Scriba
von der Chirurgischen Klinik der Kaiserlichen Universität
in Tokio (Japan) in der Berliner Klinischen Wochenschrift
eine vorläufige ]\littheilung.
Am 10. Januar kam ein Mann in die Poliklinik mit
der Klage über Blutharnen (Haematurie). Der cutleerte
Harn sah rotli, leicht milchig-getrübt aus und nach kurzem
Stehen l)ildeten sich darin reichliche blassrothe Gerinnsel,
wie bei Fibrinurie, dazwischen aber lagen eine Anzahl
reiner Blutgerinnsel. Die vorläufige Untersuchung ergab
nur rothe uud weisse Blutkörperehen, keine Parasiten.
Einige Tage später Hess sich der Patient in die Klinik
aufnehmen. Er war 37 Jahre alt, aus Katsuura in der
Provinz Awa (etwa V2 deutsche Meile entfernt von der
Küste des stillen Oceans), hatte zum ersten Mal im
25. Lebensjahre durch einige Tage, später durch sieben
Monate und jetzt seit 7 Monaten Fibrinurie und Haema-
turie, so dass er hochgradig anämisch geworden war.
Da die lieiden Genannten eine parasitäre Ursache ver-
mutheten, so machte Miyake etwa 1000 Präparate und
fand auch endlich eine Milbe. Während der folgenden
8 Tage wurden noch 23 Milben und 6 Eier gefunden
und zwar in jeder Tagesportion des Urins 1 bis 4 oder 5.
178
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 18.
Die Beschaffenheit des Urins spracli dafür, dass d&r Para-
sit in der Niere seinen Sitz habe; zum Ueberfluss wurde
noch die Blase ausgespült, aber in dem mit Urin ge-
gemischten Spülwasser nur eine Milbe gefunden. Alle
Milben waren todt.
Der Patient wurde früh durch ruhige Lage und eine
Dosis von Seeale cornutum von seiner Fibrinurie und
Haematurie befreit, so dass bald keine Milben mehr ge-
funden wurden.
Dadurch, dass die Milbe selbst, und zwar Sbeinige
Männchen und Weibchen, ferner Eier imd abgeworfene,
nur G beinige Häute gefunden, weiter dadurch, dass in
jeder Portion blutigen und fibrinhaltigen Urins diese
Thiere gesehen wurden, ist der Beweis geliefert, dass es
sich um einen echten Parasiten handelt.
Die Milbe, welche die beiden Autoreu Nephrophages
sanguinaris benannt haben, ist bis jetzt unbeschrieben
und ähnelt am meisten dem Dermatocoptes communis, hat
aber deutliehe, dicke Augen. Das Männehen ist y^ so
lang, wie Sarcoptes hominis, das Weibchen im ausge-
wachsenen Zustande fast eben so lang, beide aber nur
'/ä so breit.
Die Verf. meinen, dass die Milbe die Ursache der
in vielen tropischen (TCgenden und im Süden von Japan
vorkommenden Fibrinurie sein dürfte.
Verwüstungen der Henschreckenlarven in Argen-
tinien. — Nachdem schon in No. 1 dieses Jahrganges
der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" erwähnt war,
dass Südamerika und l)esonders Argentinien im vorigen
Sommer wieder unter der Heuschreckenplage zu leiden
hatte, wird vielleicht eine Schilderung der eigenartigen
Verwüstungen, welche die ungeflügelten Larven an-
richteten, einiges Interesse finden. Nach dem uns vor-
Hegenden Berichte eines Augenzeugen, Besitzers einer
Estancia bei Villa Mercedes, erschienen zunächst im Früh-
jahr, d. i. nach argentinischen Verhältnissen im September
und October, die geflügelten Thiere in grossen Schwärmen
und legten ihre „Eipackete" in die Erde. Bei dem dort
herrschenden Mangel an Arbeitskräften ist nicht daran zu
denken, der Gefahr entgegenzutreten. Im December
krochen die Larven aus, und nun fing der eigentliche
Schaden an. In unabsehbaren, Kilometer langen und
breiten Schaaren ziehen diese Larven dahin, eine hinter
und neben der anderen. So lange die Thiere sehr klein
sind, kann man die gefährdeten Felder durch Gräben
einigermaassen schützen, aber wenn sie etwas grösser
werden, hilft alles nichts. So drangen sie auch in die
Estancia (wie dort die einsam gelegenen, der Viehzucht
dienenden Niederlassungen heissen) des Obengenannten
ein, nichts verschonend; in den Gärten nicht nur die Blätter,
sondern auch die Rinde der Bäume vertilgend; selbst
Wäsche frassen sie. Bei verschlossenen Thüren und Fen-
stern drangen sie durch Ritzen in die Zimmer und frassen
sogar die auf dem Schreibtisch liegenden Bücher an.
Nirgends konnte man sich ihrer erwehren, keinen Fuss
draussen setzen, ohne drei oder vier zu zertreten. Wo sie
auf ein Gebäude trafen, kletterten sie an den Wänden
empor und an der anderen Seite wieder herunter. Tage-
lang dauerte der ununterbrochene Zug und wurde zu einer
fürchterlichen Plage. Die Weidenflächen waren grössten-
theils so kahl gefressen, dass das Vieh Hunger litt und
anfing mager zu werden. — Rathlos muss der Mensch
diesem Treiben zusehen. Die Frage der Vernichtung von
massenhaft erscheinenden schädlichen Gliederfüssern ist
durch das neuerliche Auftreten der Nonne in Süddeutsch-
land wieder brennend geworden. Freilich stellen sich
hier den Bemühungen der Wissenschaft, helfend einzu-
greifen, ausserordentliche Schwierigkeiten entgegen. Mög-
lichenfalls liefert al)er die bacteriologische Forschung, wie
sie beispielsweise gelehrt hat, die Mäuse durch Erregung
des Mäusetyphus zu vertilgen, auch hier ein Mittel, um
die schrecklichen Verwüster abzuwehren. Wenn auch
der Mensch der herannahenden und sich auf seine Felder
herabsenkenden Heuschreckenwolke stets machtlos gegen-
über stehen wird, so wird es vielleicht dereinst gelingen,
der jungen Brut Herr zu werden, um so die Gefahr für
andere abzuwenden oder wenigstens abzuschwächen. 0.
üeberdie„Selbstverstümmelungl)eiHeuscLrecken",
insbesondere der Umstand, dass diese Thiere, an den
Sprungbeinen erfasst, diese leicht im Stiche lassen, hat
vor einiger Zeit Cotejean in den Berichten der Pariser
Akademie Mittheilungen gemacht. Neuerdings theilt nun
Franz Werner mit, dass sich die Heuschrecken unter
Umständen auch der Vorderbeine berauben. Laubheu-
schrecken, wie Ephippigera vitium, Barbitistes serricanda,
Saga serrata, seltener Lorusta viridissima u. a., heissen
sich wenn sie gefangen werden, diese Beine an der
Wurzel ab, oder fressen in der Gefangenschaft trotz vor-
handener Nahrung ihre eigenen Fussglieder, Schienen
und Legestachel allmählich auf. Sie zeigen dabei nicht
den mindesten Schmerz, sterben aber natürlich bald an
den Verstümmelungen.
Matzdorff.
Die Species Equus zur Renntliierzeit. — Für die
Charakteristik der Species Equus zur Rennthierzeit sind
einige bildliehe Darstellungen von Werth, die von dem
paläolithischcn Menschen dieser Periode angefertigt worden
sind und in den Niederlassungen zu Thayingen, Arudy
und Lourdes aufgefunden wurden. Am lehrreichsten ist
von diesen Zeichnungen die von Lourdes in den Pyrenäen,
eigentlich aus der Caverne des Espelugues bei Lourdes,
eine Schnitzerei auf einem Stück Mamnuithzahn, die mitten
unter Feuersteingeräthen vom Madeleine-Typus in der ge-
nannten Höhle aufgefunden wurde. — Nach der Schilde-
rung, die Piette (l'equide tachete de Lourdes in Bulletins
de la Societe d'anthropologie de Paris 1892, S. 436) giebt,
lassen sich gewisse Aehnlichkeiten mit dem Pferd, dem
Esel und dem Zebra des Alluviums nicht verkennen.
Der Kopf ist zart und fein gezeichnet, seine Con-
turen abgerundet. Die Stirn ist steil, in der Gegend der
Augen ganz leicht gewölbt. Die Uhren sind kurz (auf
der rechten Seite stellt sieh ihre Länge zu der des Kopfes
wie 2 : 5, auf der linken wie 5:11). Die Mähne ist kurz
und aufrecht stehend. Der Schweif ist zwar abgebrochen,
lässt jedoch noch erkennen, dass er an der Wurzel breiter
ist, als an dem abgebrochenen Ende. Interessant ist die
Färbung der Haut. Die Beine sind zeliraartig gestreift.
Längs des Rückens zieht sich ein dunkler Streifen von
der Mähne bis zum Schwanz entlang; zu ihm stehen senk-
recht zwei andere Streifen, die von der Höhe des Wider-
rists zur Schulter verlaufen. (Vergleichbar dem Scliulter-
kreuz des Esels.) Am Halse zieht sieh ein breiter dunkler
Streifen von der Schulter zum Ohre hin und auf dem
Kopfe zeigen sich um die Nüstern herum und vom Maul
zum Ohr eine Reihe von Strichelungen, die P. indessen
eher für die Nachbildung eines Halfters hält. Der Rest
der Haut, also die Flanken, die Schultern und die Schenkel
weisen dunkle Flecken auf, die deutlich in Reihen ange-
ordnet sind und, wie es scheint, nur Abänderungen der
ursprünglich vorhandenen Streifen darstellen. — Dieser
Schilderung zufolge })esteht hinsichtlich des kleinen Kopfes,
der kurzen Ohren und des scheckigen Aussehens eine
gewisse Verwandtschaft mit dem Pferd, hinsichtlich der
Nr. 18.
Naturwissenschaff liehe Wochenschrift.
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aufrecht stellenden kurzen Mähne und des den Kücken
sich entlang- ziehenden Bandes eine solche mit dem Esel,
und hinsichtlich der Streifung' an den Extremitäten und
der linienartig angeordneten Flecken, die eigentlich nur
durciihrochene Streifen sind, eine solche mit dem ZcJjra.
Dieser Typus des Equiden aus der Rennthierzeit
scheint sich nach den Nachforschungen, die P. angestellt
hat, in den dortigen Gegenden noch erhalten zu liaben.
Im Thale Cauterets trifft mau häufig genug eine Esel-
varietät an, die mit dem Thier von Lourdes mancherlei
Uehereinstimmung ])ictet. Die Ohren sind zwar lang und
der Kopf ist hinsichtlich seiner Form und seiner Masse
deutlich der eines Esels, aber die Haut ist gefleckt,
schwarz auf schmutzig-weissem oder braunem Grunde. Am
Hals zieht sich ein langes dunkles Band von der Schulter
bis zum Ohre entlang und auf der Kruppe nahe an der
Schwanzwurzel zeigen sich kleine transversale schwarze
Bänder, ähnlich denen des Zebra. Der Schwanz endlieli
ist an seiner Ursprungsstelle breiter und voller an Haaren
als an seinem Ende.
Ebendaselbst giebt es noch eine zweite Art Esel, die
kleiner sind. Ihre Beine sind quer gestreift und auf dem
Rücken und den Sciiultern verlaufen dunkle Streifen, die
sich unter einander kreuzen wie beim Thier von Lourdes.
Die übrige Haarfarbe ist gleichförmig und der sonstige
Körperbau bietet keine Analogie zu dem des quaternären
Equiden von Lourdes. Buschan.
Anatomisch - pliysiologisehe UntersucliHiigen über
das tropische Laubblatt veröft'entlieht Prof. Dr. G. H a b e r -
landt in den Sitzungsberichten der Kaiserl. Akademie der
Wissenschaften in Wien.
Aus der Vergleichung der in den von H. gebotenen
Tabellen mitgetheilten Daten ergiebt sich, dass im All-
gemeinen die Transpiration der untersuchten Tropen-
pflanzen in dem feuchtwarmen Klima von Buitenzorg
bedeutend geringer ist, als die Transpiration von Ge-
wächsen, welche in unserem mitteleuropäischen Klima
gedeihen. Unter den 17 Pflanzenarten, deren Transpira-
tionsgrössen bestimmt wurden, und welche, wie aus den
anatonuschen Anmerkungen ersichtlich ist, bald derbe,
lederartige, bald zarte, krautige Blätter liesassen, trans-
pirirten neun xVrten, d. i. circa die Hälfte pro Tag und 1 dm-
Oberfläche weniger als 1 g; bei sechs Arten schwankte die
Transpirationsgrösse zwischen 1 und 2 g und nur bei zwei
Arten (Phönix und Acalypha) erreicht sie 2-6, bezw.
3 • 25 g. Bei unseren einheimischen und eingebürgerten
Kräutern und Holzgewächseu dagegen beträgt die Trans-
pii'ation nur selten weniger als 2 g pro Tag und 1 dm'-,
sie schwankt gewöhnlich zwischen 2 und 5 g, erreicht
aber nicht selten auch 6 — 7 g und darüber. Im Durch-
schnitt bleibt also die Transpiration in einem feucht-
warmen Tropenklima mindestens um das Zwei- bis Drei-
fache hinter den Transpirationsgrössen, wie sie in unserem
Klima gewöhnlich sind, zurück.
Dieses Ergebniss war ja im Grunde genommen vor-
auszusehen; allein es gewährt doch immerhin einiges
Interesse, dasselbe zahlenmässig zum Ausdruck gebrach ^
zu haben.
Die geringe Transpiration, welche die doch so üppig-
wachsenden Pflanzen der feuchten Niederungen Javas und
jedenfalls noch in ausgesprochenerem Maasse die Vege-
tation der mittleren und oberen Bergregionen, soweit der
Nebelgürtel reicht, kennzeichnet, ist gewiss ein schwer-
wiegendes Argument gegen die noch immer sehr ver-
breitete Annahme, dass „der Transpirationsstrom" als
Vehikel der Nährsalze für die Ernährung der grünen
Landpflanzeu von maassgebender Bedeutung sei. Diese
Auffassung, welche sich hauptsächlich auf die Autorität
von Sachs stützt, kommt in prägnantester Weise in der
bekannten Arbeit Kohl's über „die Transpiration der
Pflanzen" (S. 10) zum Ausdruck: „Ohne lebhafte Trans-
piration ist eine genügende zur Assimilation nöthige Zu-
fuhr von Mineralsubstanz unmöglich, ohne lebhafte Trans-
piration daher keine ausgiebige Assimilation und ohne
diese meist ein relativ unbedeutendes Wachsthum. Daher
die Substanzarmuth aller in feuchter Atmosphäre wachsen-
den Pflanzen, daher die relativ reichliche Stoftproduction
aller stark transpirirendcn, grünen Pflanzen". An anderer
Stelle (S. 113j heisst es: „l'flanzen, die in wasserdampf-
reicher Luft wachsen, wird wenig Mineralsubstauz vom
Boden zugeführt, denn die Wasserströmung ist eine sehr
träge, es wird weniger assimilirt". Alle diese Behaup-
tungen können nicht schlagender widerlegt werden, als
durch den Hinweis auf die grossartige Fülle der Vegetation
des feuchtwarmen tropischen Urwaldes, wo die Assimi-
lationsenergie bei sehr geringer, oft ganz sistirter Trans-
piration, die höchsten Werthe erreicht. Wiederholt ist
zwar in gleichem Sinne bereits auf das üppige Wachs-
thum der Pflanzen in unseren feuchten Gewächshäusern
hingewiesen worden, doch hat man von gegnerischer
Seite auf dieses Argument vielleicht mit Recht kein grosses
Gewicht gelegt, da die äusseren Existenzbedingungen der
Gewächshauspflanzen doch gar zu abnorm sind, als dass
sich aus ihrem Verhalten weittragende Schlüsse ableiten
Hessen. Um so bestimmter sprechen dafür die von H.
mitgetheilten ziftermässigen Angaben über die geringe
Transpiration der Pflanzen im feuchten Tropenklima, wenn
man sich gleichzeitig vor Augen hält, wie kräftig sich
eben dieselben Pflanzen ernähren, wie reichlich sie assimi-
liren und Trockensubstanz erzeugen. Es kann sonach
nicht zweifelhaft sein, dass das Aufsteigen der Nährsalze
keineswegs erst eine indirccte Folge der Transpiration
ist; der sogenannte „Transi)irationsstrom" mag unter Um-
ständen, besonders bei krautigen Pflanzen, die Bewegung
der zur Ernährung nöthigen Mineralsubstanzen begünstigen,
doch ist er keine conditio sine qua non, als welche er
von Sachs u. A. aufgefasst wurde. Der grünen Land-
jiflanze stehen osmotische Kräfte zur Verfügung, welche
ganz unabhängig von jenen Betriebskräften, die den zur
Deckung der Transpirationsverluste nöthigen Wasserstrom
einleiten und unterhalten, selbst bei reichlichster Assimi-
lation eine hinreichende Menge von Aschenbestaudtheilen
aus den AVurzeln in die höchsten Baumkronen hinauf-
befördern. Schon Volkens hat 1887 gegenüber der von
Sachs, Kohl u. A. angenommenen Bedeutung der Trans-
piration und des Transpirationsstromes für die Ernährung
der grünen Landj)flanzen den gegeutheiligen Standpunkt
mit aller Schärfe betont.
Wenn wir den anatomischen Bau der Versuchspflanzen
mit Rücksicht auf die Transpirationsverhältnisse betrachten,
so tritt uns die anscheinend paradoxe Thatsache ent-
gegen, dass trotz der infolge der grossen Luftfeuchtigkeit
so geringen Gesammttranspiration und trotz des grossen
Wassergehaltes des Erdbodens, welche eine ununter-
brochene leichte Wasserversorgung ermöglicht, dennoch
so häufig Einrichtungen vorhanden sind, welche auf Trans-
pirationsschutz im weitesten Sinne des Wortes hindeuten.
Stark cuticularisirte, dickwandige Epidermen, eingesenkte
Spaltöfl'nungen, vor Allem aber die verschiedenen Formen
von Wasserreservoiren, wie typisches äusseres Wasser-
gewebe, Schleimzellen und Speichertracheideu treten uns
in verschiedenen Combinationen bei der Mehrzahl der
untersuchten Pflanzenarten entgegen.
Die nur au den Meeresküsten wildwachsende Cocos-
palme wird von Schinqier unter den Pflanzen der „Bar-
ringtoniaformatiou" aufgezählt, deren xerophiles Gepräge
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 18.
von dem genannten Forscher nicht auf Trockenheit des
Standortes, sondern auf den Salzgehalt des Bodens zurück-
geführt wird. Nun behält aber das Blatt der Cocos-
palme auch im Innern des Landes, im feuchten Klima
von Buitenzorg, sein xerophiles Gepräge vollständig bei,
wie aus dem anatomischen Bau deutlich hervorgeht. Seine
auf Transpiratiousschutz abzielenden Einrichtungen können
daher nicht bloss vom Salzgehalt des Bodens abhängig
sein. Bekanntlich sind auch die Blätter vieler anderer
Palmen, auch solcher, die auf feuchten Standorten leben,
mit derartigen Schutzeinrichtungen, namentlich mit mehr
oder minder mächtig ausgebildetem AYassergewebe ver-
sehen. Bei dieser (xelegenheit möge auch an das meist
sehr stark ausgebildete Wassergewebe der Musaceen,
Cannaceen, Zingiberaceen und Marantaceen erinnert wer-
den, die in der Regel andauernd feuchte Standorte bevor-
zugen.
Bei Ficus elastica sprechen die sehr stark verdickten
und cuticularisirten Ausscnwände der Epidermis, das beider-
seitige Wassergewebe und die tief eingesenkten Spalt-
öffnungen für einen sehr ausgiebigen Transpirationsschutz.
Der Baum kommt in den feuchten Wäldern Ostindiens,
am Fusse des östlichen Himalaja, in Assam, Bnrmah und
im malayischen Archipel vor. Auf Java tritt er nach
Junghuhn besonders in den Wäldern von Süd-Bantam
(Westjava) vereinzelt auf.
Conocephalus ovatus, ein kletternder Strauch mit
sehr grossen Blättern, die oberseits ein mächtiges Wasser-
gewebe mit grossen Schleimzellen besitzen, kommt in den
tiefer gelegenen Urwäldern Westjavas vor. H. begegnete
ihm in der Waldschlucht des Tjiapus am Fusse des
Salak, wo das ganze Jahr hindurch die grösste Feuchtig-
keit herrscht.
Das Blatt von Theobroma Cacao besitzt eine gross-
zellige obere Epidermis mit zahlreichen sehr grossen
Schk'imzcllen. Die Heimatli dieses Strauches umfasst
hauptsächlich die ausgedehnten, überaus feuchten Wal-
dungen am Solimoes im Aequatorialgebiet des Amazonen-
stromes.
Das sind allerdings bloss einige Stichproben, die sich
aber leicht vermehren Hessen.
Die Mehrzahl der kleinen Unkräuter, die H. im
Buitenzorger botanischen Garten gefunden und untersucht
hat, sind durch den Besitz von oft mächtig entwickeltem
Wassergewebe ausgezeichnet. So ist z. B. bei der kleineu
Peperomia exigua die obere Epidermis als enorm gross-
zelliges Wassergewebe entwickelt; das Assimilationsgewebe
bildet eine einzige Lage kurzer Trichterzellen, dann
folgen zwei chlorophyllose Schwammparenchymzelllagen
und die untere Epidermis repräsentirt wieder ein gross-
zelliges Wassergewebe. Oxalis sensitiva, die im Quartier
der Kletterpflanzen häufig ist, besitzt sehr dünne Fieder-
blättchen; die beiderseitigen Epidermen, von denen die
untere aus blasig erweiterten Zellen besteht, sind aber
zusanmien fast ebenso dick wie das Assimilationsgewebe.
Die kleine kriechende Euphorbia thymifolia besitzt in ihren
Laubblättern isolirte Nester ans grossen Wassergewebs-
zellen, die ihrer Form und Lagerung nach aus Schwamm-
parenchymzellen hervorgegangen sind.
Wie<lerholt ist in den letzten Jahren darauf hinge-
wiesen worden, dass unter bestimmten Verhältnissen auch
Pflanzen nasser Standorte ein „xerophiles Gepräge" zeigen
können. So hat zunächst Kihlman in seinen anregenden
„Pflanzenbiologischen Studien aus Russisch-Lappland" die
schon von Warming geschilderten Schutzeinrichtungen ark-
tischer Pflanzen gegen zu starke Transpiration in erster
Linie mit der erschwerten AVasseraufnahme aus dem kalten
Boden der Tundra in Zusammenhang gebracht. Die
gleiche Beziehung hat neuerdings Goebel für die Vegetation
der feuchten, ja vielfach nassen, von heftigen Stürmen
bestrichenen Paramos der venezolanischen Anden geltend
gemacht. Der xerophile Charakter der Mangrovevegetation,
wie überhaupt der Strandgewächse, die vielfach eine halb
aquatische Lebensweise führen, hat Schiraper in über-
zeugender Weise mit dem Salzgehalt des Substrates in
Beziehung gesetzt, da ihn Oulturversuche gelehrt hatten,
dass Salzanhäufung in den Laubblättern die Assimilation
stark beeinträchtigt.
Wie erklärt sich nun das so häufige Vorkommen
directer und namentlich indireeter Schutzeinrichtungen
gegen zu starke Transpiration bei Pflanzen, die in einem
feuchtwarmen Tropenklima zu Hause sind? Wenn auch
die Gesammttranspiration solcher Pflanzen relativ gering
ist, so erreicht doch die Transpiration in den wenigen
sonnigen Vormittagsstunden , namentlich bei directer
Insolation, so beträchtliche Werthe, dass die Gefahr des
Welkens, wenn auch nicht des Austrocknens, sehr nahe-
gerückt wird. Die des Transpirationsschutzes entbehren-
den Blätter der Acalyphabüsche, welche tagtäglich in den
späteren Vormittagsstunden welk werden, sind ein Beweis
dafür. Dass aber schon ein blosses Welkwerden der
Blätter mit einem sehr beträchtlichen Nachtheile für die
Pflanze verbunden ist, geht aus der schon von Sachs ge-
machten Beobachtung hervor, die später von Nagamatsz
experimentell bestätigt wurde, dass nämlich welkgewordene
Blätter auch unter günstigen äusseren Assimilationsbedin-
gungen keine Stärke erzeugen. Ob diese Thatsache schon
durch die Annahme genügend erklärt wird, dass sich die
Spaltöft'nungcn welkender Blätter schliesscn und den Ein-
tritt kohlensäurelialtiger Luft verhindern, wie Sachs meint,
oder ob die ungestörte Function der assimilirenden Zellen
einen gewissen Turgescenzzustand erfordert, welcher auf-
reclit erhalten werden muss, wenn überhaupt Assimilation
stattfinden soll, — dies ist eine Frage für sich, die hier
nicht weiter in Betracht kommt. Da nun gerade jene
Tagesstunden, welche die Gefahr einer zu starken Trans-
piration mit sich bringen, für eine ausgiebige Assimi-
lationsthätigkeit weitaus am günstigsten sind, so ist es
für die Pflanze von grösster AVichtigkeit, dass in dieser
Tageszeit die Turgescenz des Blattes, resp. der Schliess-
zellen des Spaltöffnungsai)]iarates und des Assimilations-
gewebes niclit zu sehr sinke. Dass zu diesem Zwecke
directe Schutzeinrichtungen, welche die Transpiration
herabsetzen, indem sie die Durchlüftung erschweren (Haar-
bekleidung, eingesenkte Spaltöffnungen) nicht oder nur in
beschränktem Maasse zur Anwendung gelangen, erscheint
begreiflich, da ja die Gefahr der Austrocknuug nicht
vorliegt und eine erschwerte Durchlüftung auch die
Assimilation beeinträchtigt. Die Ausljildung von AVasser-
reservoiren wird dagegen um so mehr am Platze sein,
als ihre tägliche Füllung in den Nachmittags- und den
Nachtstunden, wenn die Transpiration auf ein Älinimum
herabgesunken ist, zugleich eines der Mittel vorstellt,
durch welches die von dem sehr bedeutenden AA'^urzel-
druck emporgepresste AA^assermenge, -welche die Durch-
lüftungsräume zu injiciren droht, gewissermaassen be-
seitigt wird.
So erfüllen das AVassergewebe, die Schleimzellen und
Speich(M-trachciden der Laubblätter im fcucliten Tropen-
klinm eine doppelte Aufgabe: In den heissen, sonnigen
A^ormittagsstuuden verhüten sie als AVasserspeicher das
die Assimilation in hohem Grade beeinträchtigende AA'elk-
werden der Blätter, und Nachts fungiren sie gewisser-
maassen als Inundationsgebiet zur Aufnahme des vom
Wurzeldruck in reichlicher Blenge emporgetrieltenen Was-
sers. Diese doppelte Function aber hängt damit zusammen,
dass die Transpiration im feuchten Tropenklima im Laufe
eines ganzen Tages eine viel ungleichmässigere ist als
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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bei uns. Die Maximal- und Miniuialwcrtlie der Trans-
piration, für die einzelnen .Stunden des Tages berechnet,
liegen in jenen tropischen ttebieteu viel weiter auseinander,
als in unseren Gegenden. Wenn bei uns die Trans-
piration in einer Tagesstunde (directe Insolation ausge-
schlossen) durchschnittlich zwei- bis viermal so stark ist
als in einer Nachtstunde, so ergeben die oben mitgetheilteu
Transpirationsversuclie zu Buitenzorg, dass in gleichen
Zeiten die Pflanzen Vormittags meist 8 — llmal so stark
trauspirirten als Nachmittags und während der Nacht.
Zum Schlüsse möge noch in Kürze darauf hingewiesen
werden, wie sehr im tropischen Urwalde das häuflge
Vorkonnnen terrestrisch lebender Gewächse mit Schutz-
einrichtungen gegen zu starke Transpiration, vor Allem
mit Wasserspeichern verschiedener Art, den Uebergang
zu epipbytiseher Lebensweise erleichtern, die Ausbildung
xerophiler Epiphyteu fördern musste. Wenn z. B. Ficus
elastica oder Peperomia exigua gelegentlich auch epiphy-
tisch leben, so ist ihnen dies möglich, weil sie von vorn-
herein schon einen Blattbau besitzen, der ihnen diese Lebens-
weise gestattet. Beim Uebergang von der terrestrischen
zur epiphytischen Lebensweise müssen, wie Schimpcr aus-
einandergesetzt hat, bereits gewisse Vorbedingungen er-
füllt sein, es müssen bestimmte Eigenthünilii-likeiten der
Organisation von vornherein schon vorhanden sein, welche
den Epipliytisnnis ermöglichen, Eigenschaften, die dann
im Laufe der weitereu Anpassung eine beträchtliche
Steigerung erfahren können. In Bezug auf den Bau der
Vegetationsorgane gehört zu diesen Vorbedingungen, so-
weit es sich um die Ausbildung xerophiler Epiphyteu
handelt, in erster Linie das Vorhandensein von Einrich-
tungen, welche auf Transpirationsschutz im weitesten Sinne
des Wortes abzielen. Diese Vorbedingung ist nun auch
im feuchten Tropenklima häutig genug erfüllt. — Der
gleiche Umstand erleichtert andererseits auch die An-
passmig an die Existenzbedingungen, welche die Pflanzen
auf dem salzhaltigen Boden des Meeresstrandes vorfinden.
Pflaiizeiicultur-VersHclie mit Ze.a Mays iiiul Pisiuii
sativum in verschieden proceutigen, wässerigen Lysol-
lö.suna;eu hat im Anschluss an seine früheren Unter-
suchungen über die Einwirkung des Lysols auf das
rflanzenwaelisthum (vergl. Naturw. Wochenschr. Bd. VIII
S. 68) Dr. E. ()tto im pflanzenphysiologischen Institut
der Kgl. Landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin vor
einiger Zeit angestellt. — Diese Untersuchungen bezweckten,
den Eiufluss verschieden concentrirter, wässeriger Lysol-
lösungen auf die Entwicklung von Pflanzen (Zea Mays,
Pisum sativum) näher kennen zu lernen, wenn die ur-
sprünglich in Wasserculturen zu normaler Entwicklung
gekommenen Individuen in andere, sonst in ganz gleicher
Weise zusammengesetzte, nur hinsichtlich der zugesetzten
Menge des Lysols abweichende Wasserculturlösungen
übertragen wurden. Indem bei diesen Versuchen die
Wurzeln der Pflanzen in die verdünnten wässerigen Lysol-
lösungen direet eintauchten, musste sich eine event. Ein-
wirkung der betrett'enden Lysollösung auf die Wurzeln
und hiermit im Zusammenhänge stehend, auch auf den
oberirdischen Theil der Pflanze bemerkbar machen. Alle
übrigen Factoren, mit Ausnahme des Lysols, waren in
den einzelnen Versuchsreihen die gleichen: ebenso fehlten
den Pflanzen weder die ncithigen mineralischen Nährstoffe,
noch irgend ein anderer zu normaler Entwicklung uner-
lässlieher Factor. Die Concentration der Lysollösungen
war bei einigen Versuchen folgende: No. I: ö^/q Lysol-
lösung (d. h. auf je 100 ccm Wasser der Culturlösung
waren 5 ccm conc. Lysol zugesetzt, so dass sich in 3 1
Flüssigkeit neben 150 ccm einer NornuilnährstoÜlösung
150 ccm conc. Lysol befamlen), No. 11: 2,5"/(), No. III:
1,0 «/o, No. IV: 0,5 7o, No. V: 0,1% No. VI: lysoifreie
Controlcultur. Die Versuehsanstellung im Einzelnen und
gemacliten Beobachtungen sind im Original (Zeitschrift
für Pflanzenkrankheiten Bd. II S. 198 u. flg.) eingeiicnil
beschrieben. Alle Versuche zeigten deutlich, dass das
Lysol ein starkes Gift für Pflanzen ist, deren Wurzeln
nach Art der Wasserculturen mit diesem Körper
in directe Berührung konnuen, und zwar steht diese Gitt-
wirkung auf die Pflanzen in einem directen V'erhältniss
zu der Menge des vorhandenen Lysols im Culturgefäss.
— Selbst bei denjenigen Pflanzen, welche sich schon
längere Zeit ganz normal entwickelt und den Jugend-
zustand längst überwunden haben, macht sich sehr l)al(l
eine Schädigung, herbeigeführt durch die Anwesenheit
von mehr oder weniger grossen Quantitäten Lysol in der
Culturlösung bemerkbar. x.
lieber den Einfluss der Phospliat-Ernäiirung auf
das Waclistlium und die Organbildung der Pflanzen
sprach der Privatdocent Dr. NoU im Bonner Gartenljau-
Verein. Wie wichtig Phosphate für das Gedeihen der
Pflanzen und die Ergiebigkeit ihres Ertrages sind, das
hat die gärtnerische und landwirthschaftliche Praxis schon
genugsam erfahren, und es gehört zu den bestbegründeten
Grundsätzen bei der Düngung, dem ausgebeuteten Boden
Phosphate, sowohl in thierischen Abfallstoft'en als in
Mineralien zuzuführen. In der That gehören Phosphate
zu den nothwendigsten Bestandtheileu einer lebenden
Pflanze, und sie können in jeder Pflanze nachgewiesen
werden. Man darf aus einem solchen Nachweis allein
freilich keine Schlüsse für ihre Nothwendigkeit ziehen.
Nicht alle Bestandtheile nämlich, welche eine Pflanze ent-
hält, sind zu ihrem Gedeihen durchaus erforderlich. So ist
es gelungen. Pflanzen, welche sich durch einen hohen
Kieselsäuregehalt auszuzeichnen pflegen, (wie manche
Gräser), ganz ohne Kieselsäure zur vollen Ausbildung und
Samenreife zu bringen. Das, was diesen künstlich gezüch-
teten Pflanzen freilich fehlt, ist die grosse Festigkeit ihrer
naturwüchsigen Schwestern. Im Gegensatz zu dem
grossen Gehalt an Kieselsäure ist der Gehalt an Eisen
oft verschwindend klein, und doch spielt dieser höchst
geringe Eisengehalt eine so äusserst wichtige Rolle, dass
er der Pflanze geradezu unentbehrlich ist. Ohne Eisen
ergrünen die Blätter nicht, sie bleiben weisslich fahl und
sind nicht im Stande, ihre Ernährungsthätigkeit auszuüben.
Das zeigt sich sofort, wenn man Pflanzen künstlich in
absolut eisenfreien Nährsalzlösungen aufzieht.
Will man über die Rolle Aufschi uss erhalten, welche
den Phosphaten in der Pflanze zufällt, so muss man auch
hier von Pflanzen ausgehen, welche in absolut phosjjliat-
freiem Substrat sich entwickeln, und diese vergleichen
mit anderen Pflanzen, welche sonst den gleichen Bedin-
gungen ausgesetzt waren, die als einzige Abweichung
von den anderen aber Phosphat eriialteu haben. Der
Vortragende hat zwei Sonmier hindurch derartige ver-
gleichende Culturen durchgeführt und berichtete über
die äusseren Erfolge derselben. Die anatomisch-histolo-
gischen Ergebnisse der Untersuchung werden seiner Zeit
in Fachzeitschriften publicirt werden.
Die Versuche selbst erfordern grosse Sorgfalt und
Reinlichkeit; es muss mit cheunsch-reinen Substanzen ge-
arbeitet werden, denn auch Spuren von Phosphaten
können das Resultat noch merklich beeinflussen. Das
käufliche destillirte Wasser enthält immer noch so viel,
um kleinen Algen und Pilzen das normale Wachsthum zu
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ermöglichen; es musste deshalb unter besonderen Maass-
regeln wiederholt destillirt werden. Trotz alledem nuiss
aber bei dem Versuchsergebuiss noch mit einem Quantum
verfügbaren Phosphats gerechnet werden; es ist das die
Menge, welche die Versnchspflanze bei Beginn des Ver-
suches schon in sich aufgespeichert enthält. Will man
aber Pflanzen ziehen, so muss man von vorhandenen
Theilen derselben ausgehen, man muss mit Samen oder
kleinen Stecklingen, Wurzelstüekeu, Blattstücken u. A.
den Anfang machen. In jedem dieser Theile ist aber
mehr Phosphat enthalten, als zur eigenen Ausbildung
nöthig war. Erst wenn dieser innere Phosphatvorrath
verbraucht ist, beginnt der Versuch interessant und be-
weisend zu werden. — Es folgt daraus, dass man von mög-
lichst kleineu Theilchen ausgehen muss, und daraus
wieder ergiebt sich die Wahl der Versuchspflanzen. Diese
müssen aus sehr kleineu Samen und Bruchstücken leicht
zu ziehen sein uud sich dabei so rasch vergrössern, dass
der mitgebrachte Phosphor-Proviant bald aufgezehrt ist.
Diese Bedingungen erfüllen vorzüglich die Tradeseantien,
besonders die Tradescantia Selloi, die bekannte Zimmer-
Hängepflauze, welche aus zwei Millimeter langen Blatt-
knoteu leicht zu kräftigen Pflanzen heranwächst. Unter
Anderen wurde auch eine Pflanze viel zu Versuchen be-
nutzt, auf welche die lieilige Sciirift mit dem bekannten
Gleichniss vom Senfkorn hinweist.
Bei dem Austreiben der neuen Pflänzchen macht sich
zmiächst kein Unterschied zwischen denen in phosphat-
freier und denen in phosphathaltiger Unterlage bemerkbar.
Erstere zeigen oft sogar eine raschere uud bessere Ent-
wicklung. Dann aber ändert sich die Sachlage rasch und
dauernd zu Gunsten der letzteren. Während sich die
Phosphatpflanzen nun ungemein rasch und kräftig ent-
wickeln, ein Blatt nach dem andern neu entfalten und
aus allen Blattachseln neue Seitentriebe hervorsjnlessen
lassen, die ihrerseits weitere Verzweigungen bilden, bleiben
die Pflänzchen ohne Phosphat nun auf einmal in der Ent-
wicklung völlig stehen. Zu der Zeit, wo aus den milli-
metergrossen S^eitenknöspchen der Tradescantia bei Phos-
phatnahrung mächtige Pflanzen herangewachsen sind, mit
Hunderten von Blättern und Dutzenden von Seitenzweigen,
welche einen kleinen Tisch völlig überdecken, sind
aus den gleichen Knospen, denen alle sonstigen Nähr-
stoffe in reichstem Maasse zu (Tcbot standen, denen nur
das Phosphat fehlte, kümmerliche Pflänzchen, sämmtlich
mit 5 bis 6 kleinen Blättcheu, entstanden. Monate lang
kann man diese weiter pflegen, es bildet sich auch nicht ein
einziges weiteres Blatt, es zeigt sich kein einziger Seiten-
spross. Die einzige wahrnehmbare Veränderung besteht
darin, dass die wenigen Blättchen dick und hart werden,
wie die der sogenannten Fettpflanzen. Was hier für unsere
Zimmer-Tradescantia näher geschildert ist, das bildet das
Hauptmerkmal für alle phosphatfrei erzogenen Versuchs-
pflänzchen. Das Wachsthum der Pflanze gelangt, nach-
dem das verfügbare Phosphat aufgebraucht ist, völlig
zum Stillstand. Die Pflanze kann ihre Lebensfähigkeit
dabei laug behalten, es wird aber nicht ein einziges Blatt,
nicht ein einziger Seitenast, nicht eine einzige Wurzel-
faser neu gebildet. Die Folgen des Phosphatmangels unter-
scheiden sich dadurch ganz wesentlich von den erwähnten
Folgen des Eisenmangels. Bei Eisenmangel werden doch
innnerhin nocii neue Organe erzeugt, wenn auch in krank-
hafter Beschaffenheit. Bei Phospliatmangel werden da-
gegen überhaupt keine neuen Theile mehr entwickelt.
Es ist die, an den Spitzen der Zweige, in den Knospen
und an den Wurze]s])itzen vorzüglich angesammelte leben-
dige Substanz des Pflanzenkörpers, im jugendliehen Zu-
stande der Drganbildung, welche des Phosphors zu ihrer
Vermehrung und zu ihrer Thätigkeit durchaus bedarf. —
Dass es lediglich Phosphatmangel ist, welcher die künnner-
lichen Versuchspflänzchen nicht zu weiterer Entwicklung
kommen lässt, das erfährt man sofort, wenn man diesen
Pflänzchen nur eine Messerspitze phosphorsauren Kalks
zu ihrer bisherigen Nahrung zugiebt. Wie mit einem
Zauberschlag kommt dann neues Leben in den Kümmer-
ling; schon nach wenigen Tagen zeigen sich neue Blätt-
chen au dem Gipfel und aus jeder Blattachsel schieben
sich die zarten Spitzchen neuer Seitentriebe hervor, die
sich alle kräftig entfalten. In einigen Wochen ist dann
eine Pflanze herangewachsen, wie sie sonst nur in der
fruchtbarsten Humuserde sich entwickelt.
Die Sprache, welche diese Versuchsergebnisse reden,
ist so verständlich und überzeugend, dass es überflussig
erscheint, die Nutz-Anwendung für die Praxis noch ein-
mal in Worte zu fassen. Nur das glaubte der Vortragende
hervorheben zu müssen, dass ein Zuviel auch bei Phos-
phaten geradezu schädlich wirkt. Er rieth deshalb an,
nicht etwa leicht lösliche Phosphate, wie z. B. das phos-
phorsaure Kali, sondern weniger lösliche Salze, wie den
reinen phosphorsauren Kalk, anzuwenden und diesen in
Pulverform gleichmässig unter die Erde oder den Sand
zu mengen, eine Messerspitze voll auf den mittelgrossen
Blumentopf. Von diesem Phosphatpulver löst sich beim
Begiessen des Topfes immer nur wenig auf, etwa soviel
wie die Pflanzen gebrauchen und nicht mehr als ihnen
zuträglich ist.
Bei der geschilderten eigenartigen Wirkung des Phos-
phats auf die Neubildung von Organen, empflehlt N. eine
solche Anwendung des Kalkphosphates den Gärtnern be-
sonders in ihren Vermehrungskästen, wo es ja gerade auf
die Erzielung von Neubildungen abgesehen ist. Eigene
vorläufige Versuche lassen das aussichtsvoll erscheinen,
denn von zwei gleichen Abschnitten eines Begonia-Blattes
erzeugte der auf phosphathaltiger Unterlage liegende etwa
sechsmal soviel Pflänzchen als der andere auf phosphat-
freier Unterlage. x.
Eiueu Laboratorinnisapparat zur Ausfülirung von
Destillationen mit überhitzten Wasserdänipfen hat
B. Jaffe (Deutsch. Ghem. Ges. Ber. 26, 123) angegeben,
der sich ebenso durch leichte Herstellbarkeit wie durch
gutes Functioniren auszeichnet. Durch den Tubulus einer
tubulirten Retorte, deren Hals mit einer Reihe von Gon-
densationsvorlagen in Verbindung steht, wird ausser dem
Thermometer ein offenes 3 — 4 mm weites, knieförmig ge-
bogenes Kupferrohr geführt und mittelst eines durchbohrten
runden Stückes Asbestpappe befestigt, worauf der Tubulus
durch Lehm lutirt wird. Während das untere Ende dieses
Kupferrohrs bis auf oder unter den Spiegel der zu destil-
lirenden Flüssigkeit geführt wird, wird vor das obere
Ende ein gewöhnlicher Bunsenbrenner gestellt. Wird nun
die letzte der Condensationsvorlagen mit einer Saugpumpe
in Verbindung und diese in Gang gesetzt, so werden die
Verbrennungsproducte des Gases, vermischt mit atmo-
sphärischer Luft, eingesogen uud die darin vorhandene
reichliche Menge überhitzten Wasserdampfes bewirkt die
Destillation, wobei die Temperatur einerseits durch die
Stärke des Wasserstrahls in der Luftpumpe, andererseits
durch die Höhe der Gasflamme oder die Länge des Zu-
leitungsrohres leicht regulirt werden kann. Für Fälle,
wo es auf Reinheit des Wasserdampfes ankommt, ist der
Brenner mit Wasserstoffgas zu speisen. Sp.
Nr. 18.
Naturwissenscliaftliche WocheTischrift.
183
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Biologe, Oberlehrer Dr. Arthur
Krause zum Kgl. Professor. — Unser Mitarbeiter, der Astronom
Dr. Felix Körber, zum Kgl. Oberlehrer; er hat seine Stellung
als Astronom am wissenschaftlichen Theater Urania ni Berlin
aufgegeben. — Dr. Arlt zum Director der noubcgründeten An-
stalt für Epileptiker der Provinz Sachsen. — Unser Mitarbeiter,
der Privatdocent an der Universität Halle a. d. S. Dr. Fritz
Frech zum ausserordentlichen Professor für Geologie und Palaeon-
tologie an der Universität Breslau. — Zum Director der Univer-
sitäts-Bibliothrk in Königsberg i. Pr. Dr. phil. Paul Schwenke.
-^ Zum Supplenten des ordentlichen Professors der Botanik m
Parma der Privatdocent Dr. J. B. de Toni. — Dr. P. Lach-
mann zum Doeenten der Botanik an der Faculte des sciences in
Greuoble. r^ -.tt ^^
Es sind gestorben: Der Algeukenner Pastor T. Wolle in
Bethlehem in Pennsvlvanieu. - Die Floristen Dr. L. Parkas
V u k o t i n 0 v i c in Agram und Dr. George V a s e y in Washington.
— Louis Faserat, Conservator am Bot. Museum in Lausanne. —
Der Prof. der Anatomie in Berlin, Geh Medicinal-Rath Dr. Robert
H artmann.
L i 1 1 e r a t u r.
Die menschliche Stimme nach Charles Lunn's „Philosophy of
voice". Unter Anleitung des Verf. bearbeitet uiul ins Deutsche
übertragen von L u d w i g J. T r ü g. Komm. -Verlag von L. Schwann.
Düsseldorf 1892. — Preis 2 M.
Das vorliegende Schriftchen des als Gesanglehrer wirkenden
Verfassers in Birmingham ist in England gut eingeführt. Der ver-
storbene Halsarzt Maekenzie, sagte einmal: Die von Lunn gelehrten
Principien sind der Praxis grosser Sänger entnommen , und letztere
hiewiederum waren die Erben jener Tradition, welche Italien zu
einer Wiege und Pflanzschule der Sangeskunst gemacht hat. Lunn
ist in dem vorliegenden Schriftchen bemüht, die Naturgemässheit
der alten italienischen Methode zu erweisen. Für uns hat sie
insofern Interesse, als auch der Redner aus ihr Nutzen ziehen kann
Dr. Henri Sicard, L'evolution sexuelle de l'espece humaine.
Av. 94 lig. iiitorc. dans le texte. J. B. Bailliere et tils. Paris
1892. — Prix 3,ü0 frcs.
Der Verf., Doyen de la faculte des sciences de Paris, geht
zunächst, um auch bei dem Laien volles Verständniss für sein
eigentliches interessantes Thema zu erwecken, nach einer Einlei-
tung auf den Ursprung der Organismen ein. Da der Titel des
Buches zwei Deutungen bezüglich seines Inhaltes zulässt, wollen
wir in aller Kürze die von dem Verfasser als Hauptresultate be-
trachteten Sätze anführen. — Die geschlechtliche Entwicklung
des Menschen zeigt, dass die Ditferenciruug der (iesclilechter in
Beziehung steht zu der hohen Stufe, welche er in der Reihe der
organischen Wesen einnimmt. Vermöge div natürlichen Zucht-
wahl, welche mehr und mehr secundäre Sexual-Charaktere auszu-
bilden strebt, nimmt die Dift'erencirung zu. Je verschiedener die
Geschlechter sind, eine um so höhere Stellung nehmen also die
Organismen ein. Mit der Verschiedenheit in der Organisation
beider Geschlechter steht die Verschiedenheit in der socialen
Stellung beider durchaus in Einklang, sodass demnach alles das,
was geeignet ist, die diflerenten Merkmale auszugleichen „est
en Opposition avec les donnees de la science biülogi(|ue".
Grabers Leitfaden der Zoologie für die oberen Classen der
Mittelschulen. 2. verbesserte Aufl. bearbeitet von Dr. Vitus
Graber, nach dessen Tode besorgt von J. Mik. Mit 381 Ab-
bildungen in Schwarzdruek, 102 farbigen Abbildungen und fünf
Farbendnicktafeln. F. Tempsky & G. Freytag in Prag, Wien
und Leipzig 1892. — Preis 1 fl. 60 kr.
Grabers Leitfaden ist das beste zoologische Schulbuch, das
Referent jemals in die Hände bekommen hat. Der Fachmann
weiss ja, wie beschämend traurig es um einen grossen Theil un-
serer naturwissenschaftlichen SchuUitteratur bestellt ist, die eines-
theils vielfach der Feder ganz unberufener und das Gebiet nicht
genügend beherrschender "Autoren entstammt, anderentlieils zwar
von kenntnissreichen Fachleuten verfasst ist, die aber dann nur
gar zu oft höchst oberflächliche und flüchtige Arbeiten geliefert
haben. Vitus Gralx'r. der leider zu früh verstorbene, treffliche
Zoologe, hat sich dem entgegen mit Liebe in seinen Gegenstand
vertieft: er bietet in geschicktester Auswahl für die Schule das
Beste was er hat, und seine Arbeit ist mit Fleiss und Ordnung
zusammengestellt. Die ausgezeichneten zahlreichen Abbildungen,
eine Karte der Thier-Regionen und Subregionen, die zusammen
mit den bunten Abbildungen zu einem dem Buche beigegebenen
Atlas zusammengeheftet sind, berücksichtigen vorwiegend die
anatomischen Verhältnisse, während Habitus-Abbildungen nament-
lich der allgemeiner bekannten Thiere wesentlich zurücktreten.
Möchte das Buch die grösste Verbreitung finden, nicht nur in
der Schule, sondern auch bei denjenigen, die sich autodidactisch
ernster mit Zoologie zu beschäftigen wünschen. Der Bau des
Menschen hat in bevorzugter Weise Berücksichtigung gefunden.
Dr. Hermann Fürst, Deutschlands nützliche und schädliche
Vögel. Zu Unterrichtszwecken und für Landwirthe, Forstleute,
Jäger und Gärtner, sowie alle Naturfreunde dargestellt auf
zweiunddreissig Farbendrucktafeln nebst erläuterndem Text.
Unter Mitwirkung eines Zoologen. Lieferung 1. Berlin 1893.
Verlag von PaulParey. Preis der Lief. 3 M.
Wenn der Herr Aut"or, Kgl. Oberforstrath und Director der
Forstlehranstalt zu Aschaft'enburg. in dem Prospect zu obigem
Werk mit den Worten beginnt: „Wirklich gute Abbildungen un-
serer nützlichen und sidiädlicdien Vögel in grösserem Maassstab
gali es bis jetzt nicht," so kann ich dem nicht beistimmen. Die
vom Deutschen Verein zum Schutz der Vogelwelt herausgegebenen
beiden Wandtafeln sind entschieden als gut und wohlgelungen
zu bezeichnen. Das Format mag für manche Zwecke weniger
bequem sein als die kleineren Fürst'schen Tafeln. Ausserdem
enthalten die genannten Wandtafeln meines Wissens nur nütz-
liche, nicht aber schädliche Arten und endlich eben nur die Vögel
selbst, wogegen Fürst auch Darstellungen der Eier, sowie mancher
Nester giebt. Das vorliegende erste Heft enthält Meisen, Würger
und Drosseln in zum Theil wirklich guter Wiedergabe. Der
Maasstab ist freilich bei manchen Arten „grösser", nämlich grösser
als in der Natur, wovon man sich durch Messen leicht überzeugen
kann. Bezüglich der Auswahl der abgebildeten Arten ist zu be-
merken, dass vielleicht der weissrückige Specht und der Würg-
falke hätten fehlen können, dass dagegen eine Darstellung des
Wasserstaares, der für die Fischerei resp. Fischzucht von Inter-
esse ist, sehr am Platze gewesen wäre. Dass nur zwei Gras-
mücken-Arten erscheinen werden und (scheinbar) nur ein Laub-
sänger, ist bedauerlich. Das Steppenhuhn kann als nützlicher
Vogel nicht angesprochen werden, von Schaden kann um so mehr
keine Rede sein, als dieser Fremdling nur in Zwischenräumen von
Jahrzehnten einmal bei uns auftaucht. Bei Rosenstaar, Seiden-
schwanz, Tannenheher, Schnee-Ammer, Rothfussfalk, Zwergohr-
Eule und Speriings-Eule wird man ebenfalls kaum von Nutzen
oder Schaden reden können. Der äusserst schädliche Cormoran
dagegen, dem auf jede mögliche Weise nachgestellt wird, fehlt.
Sumpf- und Wasservögel kommen überhaupt sehr schlecht weg.
Die Lachmöve ist beispielsweise ausserordentlich nützlich, doch
finden wir sie nicht abgebildet. Der „tüchtige Zoologe'', welcher
als Mitwirkender angeführt wird, jedoch .... zu bescheiden ist,
seineu Namen zu nennen, hätte wohl diese Mängel bemerken
können. Das ganze Werk würde dadurch eine Abrundung er-
langt haben, welche seiner Brauchbarkeit wesentlich zu Gute ge-
kommen wäre. Vielleicht Hesse sich noch eine oder zwei Tafeln
hinzufügen, für welche ich als Darstellungsobjecte vorschlagen
möchte: Fischreiher, Cormoran, Säger, Lachmöve.
Dr. Ernst Schaff.
1. F. 0. Pilling, Lehrgang des botanischen Unterrichts auf
der unteren Stufe.
2. Müller und Pilling, Deutsche Schulflora zum Gebrauch für
die Schule und zum Selbstunterricht. 1. Thi'il. — No. 1. Preis
1,2.3 Mk., No. 2 Preis 4,20 Mk. Verlag von Th. Hofl'mann
in Gera.
Der Lehrgang Pilling's, Professors am Friedrichsgymnasium
in Altenburg, trägt auf dem Titelblatt die Bemerkung ,.nnter
methodischer Verwendung der 48. Pflanzenbilder des ersten Theils
der ...Deutschen Schulfl'ora'", deshalb führen wir hier beide
Schriften zusammen an. Die in der „Schulflora" gut in Buntdruck
zur Darstellung gebrachten und gut ausgewählten Arten werden im
„Lehrgang" nach einer kurzen Auseinandersetzung zur Methode
des Unterrichts einzeln besprochen. Am Schluss des Buches
wird ein durch Holzschnitte illustrirter Anhang mit Wieder-
holungsfragen über die Hauptorgane der Blüthenpflanzen geboten.—
Ein gewöhnlicher Holzstanim zerfällt nicht in Mark , Holzkörper,
Splint, Bast, Rinde und Borke (S. 113) sondern in Mark, Holz-
körper (dieser zerfällt in Kernholz und Splint), Cambium (.Ver-
dickungsring) und Rinde und erst die letztere in Bast und Borke.
Die zu dieser Erläuterung gehörige Figur ist leider ebenfalls
unklar.
Dr. Heinrich Samter, Der hohe Sonnblick. Die höchste meteoro-
logische Station. Sammlung populärer Schriften herausgegeben
von der Gesellschaft ITrauia zu Berlin. No. 11. Verlag von
Hermann Paetel. Berlin 18'.l2. — Preis 0,60 Mk.
Im vorliegenden Schriftchen wird nicht nur eine von zahl-
reichen Abbildungen begleitete ausführliche Beschreibung der
wissenschaftlichen Hochwarte unserer deutschen Alpenläuder ge
184
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 18.
geben, sondern es werden auch die wichtigsten Forschungen be-
sprochen, welche bis jetzt an dieser Stätte eine wesentliche
Förderung erfahren haben. Namentlich Pernter, Elster und Geitel
haben wichtige Fragen der Physik der Atmosphäre durch Beob-
achtungsreihen auf den Sounblick zur Entscheidung gebracht,
worüber Sauiters] Schrift leicht verständliche Auskunft ertheilt.
Hoffentlich trägt die Broschüre dazu bei, das Interesse für die
hohe Warte in etwas weiteren Kreisen zu beleben und dem Privat-
unternehmen, um dessen Gründung neben Herrn J. Eojacher vor
Allem der D. Oe. Alpenverein sich grosse Verdienste erworben,
neue Spenden von Seiten wissenschaftlicher Gönner zuzuführen,
damit der Fortbestand desselben gesichert werde. Kbr.
Annales de la Sociöte Entomologique de France. Paris 1892.
Das 3. Heft des 61. Bandes enthält folgende Abhandlungen:
J. M. F. Bigot: Neue oder wenig bekannte Dipteren. 4G. Ab-
handlung, Bombilidi, Bigot; 1. Abtheilung. F. Meunier: Ueber-
sieht über die Dolichopodiden- Gattungen des Bernsteins nach dem
bibliographischen Catalog der fossilen Dipteren dieses Harzes.
Adrien Dolfuss: AUuand's Reise im Arrinie-Gebiet (Ostafrika)
während der Monate Juli und August 1886. 1*2. Abhandlung.
Die auf dem Lande lebenden Isopoden. 1 Tafel. O. M. Reuter:
E. Simon's Reise in Venezuela während der Monate December 1887
bis April 1888. 20. Aufsatz. Die Hemiptera heteroptera; 1. Theil^
Caprides. Fleutiaux: Notiz über die Phyrodactylini (Elateriden)
1 Tafel. Die drei letzten Abhandlungen enthalten Beschreibungen
neuer Gattungen und Arten der genannten Gruppen Maurice
Pic: Delagranges Reise in Hoch-Syrien während des Jahres
1891. Beschreibung der von dem Reisenden gesammelten Longi-
cornier. — Berichte über die Sitzungen im Mai und Juni 1892.
F. K.
The Transactions of the Entomological Society of London.
1892. 3. Theil. — David Sharp: Ueber einige Hemipteren-
Eier. 2 Tafeln. Butler und Rothschild: Ueber eine neue
und eine andere, wenig bekannte Art von Pseudaeraea aus der
Rothschild'schen Sammlung. 1. Tafel. Bateron: Ueber die Ver-
änderlichkeit der Farben an den Cocons, Puppen und Larven.
Neue Versuche. Der Verfasser hat Versuche angestellt über den
Ursprung der hellen Farben an den gewöhnlich dunkeln Cocons
von Eriogastes lanestris und Saturnia carpini, über die Ursachen
der Farben und des metallischen Glanzes der Puppen von Vanessa
urticae, sowie der Farben der Larven von Amphydarys betularia.
Lilian Gould: Ueber Versuche, welche während der Jahre 1890
und 91 angestellt wurden über die Beziehungen zwischen den
Farben gewisser Lepidopteren-Larven und ihrer Umgebung. Beob-
achtungen an Raupen. Die Versuche haben sich auf Raupen von
Rumia crataegata, Catocala nupta und fraxini und Mamestra
brassicae erstreckt. An denjenigen der ersten Art wurden eigen-
thümliche Gepflogenheiten beobachtet, die vielleicht auf das Be-
streben der Sicherung zurückzuführen sind. Untersuchungen
wurden ferner angestellt über den Ursprung und die Entwicklung
der rothen Flecke der Smerinthus - Raupen, sowie darüber,
wie weit auffallende Farben die Raupen vor Vögeln schützen.
Lionel de Niceville: Bemerkungen über einen Proteus-artigen
indischen Schmetterling [Euplaea (Stictoplaea) harrisü]. Zu jeder
der beiden letzten Abhandlungen gehört eine Tafel. F. K.
Berichte über die Verhandlungen der Kgl. Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathem -physik.
Classe. 1892, No. V. Leipzig 1893. — Ernst von Meyer:
Vergleichende Charakteristik der dimolekularen Nitrile. Verfasser
berichtet über seine und Dr. Burn's Untersuchungen der von ihm
aufgefundenen dimolekularen Nitrile, welche durch eigenthümliehe
Einwirkung von Natrium auf Nitrile liei niedriger Temperatur
entstehen. Otto Staude: Ueber die Bahncuren eines auf einer
Oberfläche beweglichen Punktes, welche infinitesimale Transforma-
tionen zulassen. So phus Lie: Untersuchungen über Translations-
flächen. (1. Abb.) G. F. Lipps: Ueber Thetareihen und ihren
Zusammenhang mit den Doppelintegralen. F. K.
Klatt, F. W., Compositae Hildebrandtianae et Humblotianae in
Madagascaria et insulas Comoras collectae. Wien. 0,60 M.
Knoll, Ph., Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften Muskel-
fasern. Leipzig. 0,90 M.
— . — , zur Lehre von den Structur- und Zuckungsverschiedenheiten
der Muskelfasern. Leipzig. 1,40 M.
Krafift-Ebing, R. v., Eine experimentelle Studie auf dem Gebiete
des Hypnotismus , nebst Bemerkungen über Suggestion und
Suggestionstherapie. 3. Aufl. Stuttgart. 2,40 M.
Landois, L., Lehrbuch der Physiologie des Menschen einschliess-
lich der Histologie und mikroskopischen Anatomie. 8. Aufl.
Wien. 24 M.
Lebedeff, N., Obersilurische Fauna des Timan. St. Petersburg.
3,60 M.
Lenhossek, H. v., Der feinere Bau des Nervensystems im Lichte
neuester Forschungen. Berlin. 5 M.
Liebe's, K. Th., Ornithologische Schriften. Leipzig. 1 M.
Liznar , J. , Eine neue magnetische Aufnahme Oesterreichs
Leipzig. 0,30 M.
Lommel, E. v., Lehrbuch der Experimentalphysik. Leipzig.
7,20 M.
Marquis, C, Das Knochenmark der Amphibien in den ver-
scliirdrnen Jahreszeiten. Dorpat. 2 M.
Messtischblätter des preussischen Staates. 1 : 25,000. Nr. 1020.
Stullliamm. — 1104. Pewsum. — 1558. Königsberg (in der
Neumark). — 1563. Berlinchen. - 1040. Filehne. — 1707.
Gottschimm. - 1771. Letschin. — 1772. Quartschen. — 1773.
Tamsel. — 1793. Wonsowo. — 1991. Tirschtiegel. Berlin,
ä 1 M.
Michelsen, P., Die bestimmten algebraischen Gleichungen des 1.
liis 4. Grades. Hannover. 4 M.
MUUer, J., Eichenes exotici Herbarii Vindobonensis, quos deter-
minavit J. M. Wien. 0,40 M.
Neumeister, R., Lehrbuch der physiologischen Chemie mit Be-
rücksichtigung der patliologischen Verhältnisse. Jena. 7 M.
Sarasin, P. und F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher
Forschungen auf Ceylon in den Jahren 1884—1886. Wiesbaden.
24 M.
Schewiakoff, W., Ueber einen neuen bacterienähnlichen Organis-
mus des Süsswassers. Heidelberg. 1,60 M.
Schuck, A., Magnetische Beobachtungen auf der Nordsee, an-
gestellt in den Jahren 1884 bis 1886 1890 und 1891. Hamburg.
6 M.
Siebenrock, F., Ueber Wirbelassimilation bei den Sauriern. Wien.
0,80 M.
Soret, Ch., Elements de christallographie physique. Basel. 12 M.
Stefan, J., Ueber das Gleichgewicht der Elektricität auf einer
.Scheibe und einem EUipsoid. Leipzig. 0,30M.
Steindachner, F., Ueber zwei noch unbeschriebene Nototrema-
Arten aus Ecuador und Bolivia. Leipzig. 0,60 M.
Tuma, J., Luftelektricitätsmessungen im Luftballon. Leipzig.
0,20 M.
Vonhof, O., Abschied an die Parthenogenesis. Bremen. 0,60 M.
Wettstein, B, v., Die gegenwärtigen Aufgaben der botanischen
Systematik. Leipzig. 0,50 M.
Briefkasten.
Herrn G. XJ. - Herr Gustos Kolbe von der entomologischen
Abtheiliing des Kgl Mus. für Naturk. empfiehlt Ihnen: Seidlitz
Fauna Baltica. Käfer. 2. Aufl. Red tenbacher, Faun.-i Austriaca.
Käfer. 3. Auflage. Berge's Schmetterlingsbuch. 7. Auflage.
V. Schlechtendal u. Wünsche. Die Insecten. Leipzig. —
Wir selbst erinnern Sie an das schöne und ausführliche Werk
Kolbe's .Einfüln-ung in die Kenntniss der Insecten." Berlin,
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.
Inhalt: Prof. Dr. L. Weinek: Bericht über die Thätigkeit der k. k. Sternwarte zu Prag im Jahre 1892. — Ueber einen neuen
menschlichen Parasiten. — Verwüstungen der Heuschreckenlarveu in Argentinien. — Selbstverstümmelung bei Heuschrecken. —
Die Species Equus zur Rennthierzeit. — Anatomisch-physiologische Untersuchungen über das tropische Laubblatt. — Pflanzen-
cultur-Versuche mit Zea Mays und Pisum sativum in verschieden proceutigen wässerigen Lysollösungen. — Ueber den Einfluss
der Phosphat-Ernährung auf das Wachsthum und die Organbildung der Pflanzen. — Einen Laboratoriumsapparat zur Aus-
führung von Destillationen mit überhitzten Wasserdämpfen — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litterafur: Die menschliche
Stimme nach Charles Lunn's „Philosophv of voice". — Dr. Henri Sicard: L'evolution sexuelle de l'espcce humaine. —
Grabers Leitfaden der Zoologie. — Dr. Hermann Fürst: Deutschlands nützliche und schädliche Vögel. — 1. F. O. Pilling:
Lehrgang des botanischen Unterrichts auf der unteren Stufe. — 2. Müller und Pilling: Deutsche Schulflora^ zum Gebrauch
für die Schule und zum Selbstunterricht — Dr. Heinrich Samter: Der hohe Sonneublick. — Annales de la Societe Entomo-
logique de France. — The Transactions of the Entomological Society of London. — Berichte über die Verhandlungen der
Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathem -physik. Classe. — Liste. — Brieflosten.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck : G. Bernstein) Berlin SW. 12.
Nr. 18. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. XXXV
Verlag von Gustav Fischer In Jena.
Abhandlungen, Paläontologische. Herausgegeben vo» W. Dames und E. Kajser. Neue Folge
Biiiul II. (Der ganzen Reihe Band VI.) Heft 1:
Flitterer, K.. Die oberen Kreidehildiiiigeii der üiiigelmiig des Lago di Santa Croce in den Vene-
tianer Alpen. Mit l geologisclien Karte, 1 Profil-Tafel, 10 Petrefacten-Tafeln und 25 Te.xttiguren. Preis: 25 Mark.
AmmOn, Otto, Die natürliche Auslese beim Menschen. Auf Grund der Ergebnisse der anthropologischen Unter-
suchungen der Wohrptlichtigen in Baden und anderer Materialien dargestellt. Preis: 7 Mark.
Inhalt: Von der Vererbung. Die natürliche Auslese der Kopf-Form<'n der Wehrpflichtigen in Stadt und Land
Auslese-Erscheinungen bei den Pigmentfarben der Wehrpflichtigen in Stadt und Land. Wachsthums-VorschiedenheiteE
der Wehrpflichtigen in Stadt und Land. Entwickelungs-Verschiedenheiten der Wehrpflichtigen in Stadt und Land. Die natür-
id.
ten
,_, . . _ . ]atür-
liche Auslese und die seelischen Anlagen. Die Kopf-Formen der Gymnasiasten und die natürliche Auslese. Die kirch-
lichen Knabeu-Convicte und die natürliche Auslese der Kopf-Formen. Die natürliche Auslese der Pigmentfarben in Gym-
nasien und kirchlichen Knaben-Convicten. Wachsthums- und Entwickelungs-Erscheinungen bei Gymnasiasten und Convict-
Schülern. Die Entstehung von Bevölkerungs Gruppen durch die natürliche Auslese. Die Bildung" der Stände und ihre Be-
deutung für die natürliche Auslese.
ArUclIcn, IVIOrpnOlOgiSCne. Herausgegeben von Dr. Gustav Schwalbe, o. ö. Professor der Anatomie und
Director des anatomischen Instituts an der Universität zu Strassburg i. Elsass. Zweiter Band. Erstes Heft. Mit 12 Tafeln.
Preis: IG Mark.
Inhalt: Aschoff, Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Arterien beim menschlichen Embryo. — Moser,
Ueber das Ligamentum teres des Hüftgelenks. — Pfltziier, Beiträge zur Kenntniss des menschlichen Extremitätenskeletts.
V.: Anthropologische Beziehungen der Hand- und Fiissmaasse.
Zweites Heft. Mit 4 Tafeln. Preis: 13 Mark.
Inhalt: Rebentisch, Der Weiberschädel. — Gaupp, Beiträge zur Morphologie des Schädels I.
Drittes Heft. Mit Ü Tafeln.
Inhalt: Schwalbe, Ueber den Farbenwechsel winterweisser Thiere. — Dreyfiiss, Beiträge zur Entwicklungs-
geschichte des Mittelohres und des Trommelfells des Menschen und der Säugethiere. — Davidsohn, Ueber die Arteria
ntonnii, insbesondere über ihre Beziehungen zum unteren Uterinsegment.
DlOCnmann, Dr. f., o. ö. Professor der Zoologie an der Universität Rostock. rnterSnchllllireil Ühcr dcil BaU der
Drachiopoden. Mit 7 lithographischen Tafeln 1893. Preis: 25 Mark.
Inlialt: Abschnitt 1. Die Schale. — Abschnitt 2. Allgemeine Beschreibung der äusseren Morphologie. — Ab-
schnitt 3. Die Körperwand und der Mantel. — Abschnitt 4. Das Muskelsystem. — Abschnitt 5. Der Armapparat. —
Abschnitt 6. Der Darm mit seinen Anhängen. — Abschnitt 7. Die Leibeshiihle, die Mantelsinus, die Mesenterien, die
_Nephridien. — Abschnitt 8. Das Blutgefässsystem. — Abschnitt 9. Die Geschlechtsorgane. — Abschnitt 10. Das Nervensystem.
liCI IVVIlj^ Dr. (^SCar, o. ö. Professor der Anatomie und Director des II. anatomiscdien Instituts an der LTniversität Berlin.'
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Abdruck ist nnr mit vollständig^er Qneilenangabe gestattet.
Der zehnte Geographentag in Stuttgart (5.-7. April 1893).
Ein Bericht von Prot'. Dr. Fr. Regel.
Voi-bemerkung: Mehr und mehr befestigt sich die
Sitte, iiu Auscblusse an die seit 1888 in zweijährigem Turnus
stattfindenden deutschen Geographentage eine grössere
Exeursion in ein geographisch und geologisch besonders
lehrreiches Gebiet zu unternehmen. Diesmal wurde am
9. April ein kürzerer Ausflug nach der Schwäbischen Alb
und zwar in die Gegend von Metzingen und Urach, und
sodann vom 10. bis 15. April eine grössere Tour nach
Oberschwaben und in die Umgebung des Bodensees unter-
nommen, um die Ausdehnung des Rheingletschers während
der drei Gletscherperioden der Glazialzeit näher zu ver-
folgen. An diesem von Prof. A. Penck trefflich ge-
leiteten Ausflug nahm auch der Referent theil, wodurch
sich der nachfolgende Bericht verzögert hat. Letzterer
geht nicht auf den äusseren glänzenden Verlauf des Kon-
gresses ein, sondern beschränkt sich auf einen knappen
Uebcrblick der gehaltenen Vorträge mit Ueliergcliung
derjenigen Vorträge, welche den geographischen Unter-
richt betreffen.
Erste Sitzung: Mittwoch, 5. April, Vormittags
Vorsitzende: Graf K. v. Linden und F. v. Richthofe n.
Nach Begrüssung Ihrer Maj. des Königs und der Königin
von Württemberg durch den Ehrenpräsidenten des Kon-
gresses, Prinz Hermann zu Sachsen- Weimar, und
nach Eröffnung des Geographentages durch Geh. Ad-
miralitätsrath Dr. Neumayer-Hamburg spricht zunächst
Prof. Rein- Bonn über die Rückwirkung der neuen
auf die alte AVeit, sodann Dr. F. Stuhl mann- Ham-
burg über die Zwergvölker am Ituri unter Vor-
führung der beiden von ihm mitgebrachten Akka-
Zwerg innen. Da sich die Tagespresse in letzter Zeit
mehrfach anlässlich verschiedener Vorträge des verdienten
Forschers eingehend mit den Pygmäen Afrikas beschäftigt
hat, kann an dieser Stelle von einem näheren Eingehen
Abstand genommen werden*). Die Besucher des Kongresses
vom Graf Karl von Linden, dem Vor-
Württembergischen Vereins für Handels-
geographie, veranstalteten geselligen Zusammensein noch
hatten bei dem
sitzenden des
*) Vergl. auch „Naturw. Wocheiischr." Bd. VII Nr. 42 S. 427.
an demselben Abend die beste Gelegenheit, die beiden
Zwerginnen genauer zu beobachten. Prof Rein be-
handelte hauptsächlich den intellectuelleu, wirthschaft-
lichen und moralischen Niedergang Spaniens und stellte
dann als Gegenbild zu demselben die Zustände der
englisch-puritanischen Vereinigten Staaten gegenüber, die
sich soeben zu der glänzenden That von Chicago vor-
bereiten.
Zweite Sitzung: Mittwoch, 5. April. Nach-
mittags. Vorsitzende: Geh. Regierungsrath Professor
Dr. H. Wagner- Göttingen, Oberstudienrath V. Henzler-
Stuttgart. Nach verschiedenen geschäftlichen Mittheiluugen
und Berichten spricht Dr. Kapff-Stuttgart, anknüpfend
an die Gruppe der Ausstellung, welche ein Bild der geo-
graphischen Leistungen von Württembergern im Auslande
giebt, über „Württ ein bergische Forschungsreis ende"
in den einzelnen Erdtheilen; derselbe zeigte, welch' grosser
Antheil den Schwaben an der geographischen Erforschung
der Erde zukommt. Viele Missionare wie Krapf, Reb-
mann, Ehrhardt, Flad, Olpp, Ferner Ileuglin, Kinzelbach,
K. Manch, Th. v. Hahn, Jordan, K. Kluuzinger in Afrika;
A. G. Gmelin, Graf Waldhurg-Zeil, Veesenmcyer, Dr. Wolö",
Dr. Euting, Warth, Balz, die Missionare Pfander, Gunders,
Mögling u. A. in Asien; F. v. Hochstetter, Dr. K. Faber,
Dr. Weinland in Australien und der Südsee; für Amerika
sind die Reisen der Herzöge Paul, Wilhelm und Eugen
von Württemberg und des Fürsten Karl von Urach, die
topographischen Arbeiten von R. Schott in der Union, das
geologische Werk von Romiuger über Michigan, die Ar-
beiten von Dr. Hahn über Canada, von Fritzgärtner und
Ludwig
nam, Th. Wolf
Forschun
hervorzuheben
über Ccntralamerika, von
über Ecuador,
A. Kapplei
und die
über Suii
botanischen
cn Lechlers über grosse Gebiete von Südamerika
186
Natnrwissenscliaftlicbe Wocbenschrift.
Nr. 19
Professor Theo bald Fischer -Marburg- sprach über
die Grundzüge der BodenplastiU von Italien (ver-
g-leiche dessen austilbrliche kürzlich erschienene Dar-
legungen über dieses Thema in Kircbhoft's Länderkunde
von Europa II. Band).
Eine lebhafte Discussion knüpfte sich au einen von
Prof. Köppen-Hamburg gestellten Antrag betreft'eud die
Schreibung geographischer Namen; an derselben
betheiligteu sich namentlich R. Sieger- Wien, A. Supan-
Gotha und F. v. Richthofen-Berlin. (Vergl. die in der
Schlusssitzuug gefasste Resolution.)
Dritte Sitzung: Donnerstag, 6. April, Vor-
mittags. Deutsche Landesforschung. Vorsitzende:
Prof. Dr. A. Kirchhoff-Halle, Prof. Dr. A. Penck-
Wien.
1. Prof. Penck-Wien erstattet eingehenden Bericht
über die Thätigkeit der Centralkommission tilr die Pflege
der wissenschaftlichen Landeskunde Deutschlands
als Vorsitzender derselben.
2. Prof. Dr. Jul. Hartmann-Stuttgart beleuchtet die
landeskundliche Erforschung Schwabens und
dessen Besiedelung. Den naiv berichtenden Chronisten
Fabri (f 1502) und Suntheim (f 1526) folgten lange
Zeit niedere Verwaltungsbeamte (..Schreiber"), welche
topographische Handbücher anfertigten für staatliche
Zwecke; ein solcher ist M. Zeiler (f 1661), Verfasser des
Textes zu den Bildern von Merian. Die eigentliche
wissenschaftliche Laudesforschung ist in Schwaben vor
etwa 100 Jahren begründet worden von Gottl. Friedr.
Rösler (1740—1790) durch dessen Beiträge zur Natur-
geschichte des Herzogthums Württemberg und seine
Schrift über das Filsthal. Nach den Napoleonischen
Kriegen wurde dann 1818 eine ofticielle Landesvermessung
begonnen und für Erforschung und Beschreibung des er-
heblich vergrösserten Landes ein eigenes Amt „das
Statistisch-topogra[)hisclie Bureau" errichtet, an
welchem Bohnenberger, Schültier. Hehl, Plieninger, Jäger,
von Alberti und der Tübinger Magister Memminger wirkten.
In den 40er und 50er Jahren führten Männer wie der
Botaniker Hugo von Mohl, der Geognost A. Quenstedt,
der Zoolog Krauss, der Historiker Chr. Fr. Stalin, der
Alterthumsforscher Ed. Paulus, der Statistiker Rümelin,
der Geograph Reuschle einen lebhaften Aufschwung herbei.
Durch das Fehlen eines geographischen Lehrstuhles in
Stuttgart und Tübingen macht sich gegenwärtig ein
Mangel an geschulten jüngeren Kräften fühlbar, so ist
z. B. die Frage nach der Besiedelung Württembergs
noch nie im Zusammenhang behandelt worden. Der Vor-
tragende hat zur Lösung dieser Frage einen werthvollen
Beitrag geliefert durch eine dem Geographentag ge-
widmete Schrift über die Besiedelung des württem-
bergischen Schwarzwaldes, insbesondere des oberen
Mnrgthales. Ausserdem hat er 7 Karten zur Be-
siedelung Württembergs entworfen und ausgestellt;
dieselben zeigen 1) die vorrömischen, 2) römischen,
3) allemanuisch-fränkischen Ansiedelungen, sodann 4) die
Orte auf „ingen", 5) die nach Heihgen benannten und
6) die vor dem Jahre 1000 n. Chr. urkundlich erwähnten
Ortschaften. Eine siebente Karte giebt eine Zusammen-
setzung der vorher getrennt dargestellten Besiedelungs-
phasen. Der Vergleich dieser Karten ergiebt, dass im
Grossen und Ganzen in sämmtlichen Perioden dieselben
Gegenden bevorzugt und die gleichen Landes-
theile vernachlässigt worden sind: Zahlreich sind
die Ansiedelungen in den fruchtbaren Geländen längs der
Alb, im Gau zwischen Neckar, Nagold und Enz, im
mittleren und unteren Neckarthal und in der Bodensee-
gegend im Gegensatz zu den dünn besiedelten Schwarz-
walddistrikten und den waldreichen Keupergebieten an
den Flüssen Kocher, Jagst, Renis und Murr, sowie in den
ehedem feuchteren Strichen von Obersehwaben.
3. Graf Eberhard von Zeppelin-Konstanz ver-
breitet sich eingehend über das Relief des Bodensee-
1) ecken s im Anschluss an das vom topdgraphisclien
Bureau in Bern ausgestellte Kartenniaterial, speziell an
die neue mit zahlreichen Isobathen versebene neueste
Karte des Schwäbischen Meeres: Im oberen Theil
des Sees finden sich zwei gesonderte Tiefbecken, der
„Bregenzer" (bis 62,8 m tief) und der „Lindauer
Schweb" (bis 77,5 m tief). Der Wasserburg-Lindauer
Moräuenzug trennt dieselben. Auf dem Boden des Öee-
beekens verläuft als Fortsetzung des Rheins ein flussartig
gewundenes Rinnsal mit 50*3—600 m Breite und bis zu
75 m Tiefe zwischen seinen Seitendämmen eingeschnittener
Sohle von der Rheinmündung bis gegen Romanshorn; ein
zweites ähnliches Rinnsal zieht von Altenrhein aus 3 km
weit bis in den „Rorschacher Schweb". Dieselben ent-
stehen dadurch, dass die Kältereu und somit schwereren 1
Wasser des Rheius mit starker Strömung unter die war- ■
meren Wasser des Sees untertauchen, was man mit blossen
Augen beobachten kann. Der tiefste Schweb des ganzen J
Beckens ist eine ziemlich, das mittlere Drittel des Sees \
einnehmende, sehr flache Ebene (von 230 m Tiefe ab
noch 25,5 qkm, von 240 m ab 17,9 qkm und von 250
ab nur noch 4,2 qkm Areal umfassend): Der Mainau-
Neubirnauer Querrücken macht das Ende des Ueber-
linger Sees zu einem gesonderten Tiefbeeken mit 117 m
Maximaltiefe ; aus einer südlichen Steilabdachung ragt die
Felsnadel des „Teufelstisches" bis nahe zum Wasserspiegel
empor. Bemerkenswerth ist die lebhafte von Algen her-
rührende Kalktuft'bildung im Konstanzer Trichter. Uutersee
und Bodensee bikU-ten vordem ein einheitliches Becken;
die beide jetzt trennende Landbrücke bei Konstanz gehört
derselben ]\Ioräne an, welche den Mainau-Neubirnauer
Rücken bildet. Der heutige Untersee zerfällt in fünf
getrennte Becken, drei im südlichen Seearm (Maximaltiefe
bei 46,4 m), die zwei andern in der Radolfzeller Bucht
und im Gnadensee (nur wenig über 20 m tief). Die
diese Becken trennenden Rücken sind wohl
glazialen Ursprungs.
4. Privatdozent Dr. W. Ule- Halle sprach sodann
noch über Temperaturverhältnisse der baltischen
Seen: Die Messungen, welche der Vortragende im Auf-
trag der Centralconunission für Deutsche Landeskunde in
zaldreichen Seen Ostholsteins und Ostpreussens unlängst
ausgefülirt hat, haben ergeben, dass die Wärmeverhältnisse
derselben von den an Alpenseen besonders von
E. Richter am Wörther-See in Krain gemachten Beob-
achtungen wesentlich abweichen: Die baltischen Seen
besitzen namentlich ausserordentlich w a r m e s W a s s e r
in den tieferen Regionen, wahrscheinlich in Folge
starker Grund wasserspeisung. Die hohen Tempera-
turen auf die geringe Tiefe der norddeutschen Seen
zurückzutuhren, geht nicht au, denn dieselben sind weit
tiefer, als die directe Sonnenwirkung reicht; letztere ist
hier überhaupt gering, wie die unerhebliche tägliche
Amplitude der Wassertemperatur an der Oberfläche dar-
thut, doch ist auch hier eine allmähliche Erwärnmng des
Wassers durch die Sonne vorhanden; es zeigt sich die
von E. Richter zuerst beobachtete sogenannte „Sprung-
schicht"; diese liegt aber hier durchweg tiefer. Auf
ihre Lage und Form übt wahrscheinlich auch der Wind
Einfluss aus, denn nach stürmischen Tagen zeigte sich
eine Veränderung der thermischen Verhältnisse. Ueber-
haupt ist diejenige Schicht des Wassers, innerhalb welcher
die Temperatur sprungweise sich ändert, keine fest-
liegende, sondern bewegt sich fortwährend auf und ab.
durchweg
Nr. ly.
Natuvwissensehaftliclie Wochenschrift.
187
Es bedarf zur v(")llig-en Erkeuntniss dieser Veriiältnisse
nocli zaldreielier vergleichender üntersueiiungeii. — An
diesen Vortrag' knüpfte sieh eine längere l)iseussi<m, an
welcher sich ausser dem Vortragenden hauptsäehlieh Dr.
Herze seil und Dr. Langenbeck aus Strassburg und
Dr. Rohrbach aus Gotha betheiligten; erstere machten
nähere Mittheilungen über ihre am Weissen See in den
\'ogesen angestellten thermischen Untersuchungen.
Vierte Sitzung: Donnerstag, 6. April, Nach-
mittags: Schulgeographie. Vorsitzende: Professor
Dr. Tb. Fischer-Marburg, Reetor Schumann-Stuttgart.
1. Vortrag des Prof. Dr. L. Neumann -Freiburg:
„Die Geographie als Gegenstand des akademi-
schen Unterrichts.
2. Vortrag des Prof. Dr. A. Kirehhoff-Halle: „Die
Vorbereitung der Geographielehrer für ibren
Beruf.
3. Vortrag- des Dr. C. Peucker-Wien über Tcrrain-
darstellnng auf Schulkarten.
4. Der Antrag des Prof. Dr. E. Ob erb am nie r-
Mttnchen, der Geographentag wolle die allgemeine An-
wendung der Metermeile (Myriameter) für grössere
Strecken und Flächen empfehlen, wurde nach längerer
Discussion vom Antragsteller zurückgezogen, da sowohl
von Vertretern der Wissenschaft wie des Lehramts ein
lebhafter Widerspruch gegen diesen Vortrag sich geltend
machte.
Fünfte Sitzung: Freitag, 7. April, Vor-
mittags. Neuere Forschungen auf geographi-
schem Gebiet. Vorsitzende: Geh. Admiralitätsrath Dr.
Neumayer-Hamburg, Prof. J. Hartraann-Stuttgart.
Die l)eiden ersten Vorträge des Prof. Dr. Job.
Walther-Jena und des Privatdozent Dr. A. Schenck-
Halle beschäftigten sieh mit den morphologischen Ver-
hältnissen der Wüste. Ersterer sprach über Denu-
dation der Wüste, gestützt auf pK'obachtungen in
Nordamerika, Nordafrika, der Sinaihalbinsel und Indien.
(Vergleiche dessen gleichnamige Arbeit „Die Denudation
in der Wüste und ihre geologische Bedeutung. Leipzig,
1891.) Vergl. „Naturw. Wochenschr." Bd. VI., No. 42,
S. 426. An der sich anschliessenden lebhaften Discussion
betbeiligten sich Dr. Wey he -Dessau, Dr. Hergesell-
Strassburg, Prof. Rein-Bonn, Prof. Loczy-Budapest.
Dr. Schenck behandelte den „Gebirgsbau und die
Bodengestaltung von Deutsch-Südwestafrika" in
sehr eingehender Weise.
Sodann sprach Dr. H. G. Schlichter-London über
„eine neue Präcisionsmethode zur Bestimmung
geographischer Längen auf dem festen Lande";
nach derselben photographirt man den Mond und einen
ihm benachbarten Stern, misst die Entfernung des Mond-
randes von dem Stern mit dem Mikrometer unter dem
Mikroskop, ül)erträgt das Längenmaass in Winkelmaass
durch Benutzung der in den nautischen Jahrbüchern ent-
haltenen Tabellen und gelangt so zu Wcrthen, die ge-
nauer sind, als die mit Hilfe des Sextantes gewonnenen.
An vierter Stelle sprach noch der Privatdozent
Dr. Alfr. He ttn er- Leipzig über den Begriff derErd-
tiieile und seine geographische Bedeutung. Der-
selbe empfahl im Allgemeinen die Beibehaltung der Erd-
theile in der bisherigen Weise, mahnte aber zur Vorsicht
bei Verfolgung von Erscheinungen über diese ganzen
Erdtheile hin; so viel als möglich seien stets die einzelnen
natürlichen Landschaften für sich zu charaktcrisiren.
Sechste Sitzung (Schluss), 7. April, Nachmittags.
Vorsitzende: Director Dr. v. Dorn- Stuttgart, Professor
Sup an -Gotha.
der nächsten Tagung wird Bremen,
1. Als Ort
als Zeit die Oster wo che des Jahres 1895 bestimmt
2. In den Centralausschuss des Deutschen
Geographentages wird Prof. A. Kirchhoff- Halle, der
demselben bereits früher angehört hat, gewählt. Ausser
ihm gehören ihm an: Geil. Admiralitätsrath Neumayer-
Hamburg und Hauptmann a. D. Kol Im -Berlin.
3. Die bisherige Centralcommission für wissen-
schaftliche Landeskunde von Deutschland wird
wiedergewählt.
4. Der geplante Verein für Deutsche Landes-
kunde kann noch nicht ins Leben treten. Der Central-
ausschuss soll aber darauf hin arbeiten, dass dieser Verein
bei der nächsten Tagung zu Stande kommt.
5. Prof. Dr. E. Brückner- Bern berichtet sodann
über das auf dem letzten internationalen Geographischen
Congress zu Bern angeregte Project einer einheit-
liclien Erdkarte im Maassstab von 1:1 Million,
und zwar im Namen des Präsidiums der in Bern 1891
eingesetzten internationalen Commission.
Die Herstellung
einer solchen Karte war 1891 auf Antrag von Professor
Penck-Wien für wünschenswerth erklärt und für die
Vorarbeiten eine internationale Commission eingesetzt wor-
den; dieselbe soll das Project discutiren, die Nonnen für
die Herstellung angeben und die Regierungen der ver-
schiedenen Staaten zur .Mitwirkung anregen. Bis jetzt
hat zwar nur eine schriftliche Discussion stattgefunden,
doch hat dieselbe bereits eine recht erfreuliche Einigung
hinsichtlich der Prineipien des Kartenentwurfs ergeben.
Allgemein wird die Noth wendigkeit einer solchen Karte
betont, auch über die Project ion ist man einig, indem
allerseits eine polyedriscbe Darstellung, sei es durch
Projection auf ein der Erdkugel ein- oder umgeschriel>enes
Vieleck, sei es durch eine solche auf den Mantel von ein-
oder umgeschriebenen, den Breitengraden entsprechenden,
abgestumpften Kegeln, als das Richtige erkannt worden
sei. Bei den Regierungen sind zwar noch keine offi-
ciellen Schritte gethan worden, doch liegen bereits Zu-
sagen für die Betlieiligung an diesem grossen Kartenwerke
vor: so sind die Vereinigten Staaten dazu bereit, des-
gleichen Spanien. Die niederländische Regierung
hat beschlossen, nach den von der internationalen Com-
mission aufzustellenden Normen eine Karte ihrer Colonien
in dem bezeiehneten Maassstab, d. h. 1 mm der Karte
gleich 1 km der Wirklicldvcit herauszugeben; die kais.
russ. geographische Gesellschaft sammelt bereits
Material für die Karte und erwägt die Herausgabe von
Probeblättern. Hiernach besteht die begründete Hotfnung,
dass das grossartige Werk zu Stande konmieu wird.
In der sich anschliessenden Discussion erklärt Dr.
Brackebusch-Cordoba, da.ss er bei seiner demnächstigen
Rückkehr nach Argentinien bei der dortigen Regierung-
Schritte thun werde
Grenzfestlegun
heitlichen Karte entgegenstehenden Hindernisse hinweg
zuräumen. Prof. Penck giebt der Hotfnung Ausdruck,
dass die zur Zeit noch vorhandenen grossen Schwierig-
keiten zu überwinden sein werden: die Karten der Erde
befänden sieb heute noch etwa in dem Zustande, wie die-
jenigen von Mitteleuropa im Zeitalter des Ortelius.
6. Prof. Dr. Löczy- Budapest legt die soeben voll-
endete deutsche Ausgabe des grossen Werkes vor,
welches die Ergebnisse der Expedition des Grafen
Bela Szecheny in Ostasien enthält, mit dem dazu ge-
hörigen reichen Kartenmaterial. Prof. F. v. Rieb tliol'en
weist auf die grosse Bedeutung dieses Werkes hin und
wünscht Dr. Loczy Glück zu dessen nunmehriger \'oll-
endung.
7. Ebenfalls auf Antrag des Freiherrn F. v. Richt-
uni die dort durch die schwierige
der Durehfülirung einer derartigen ein-
188
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 19.
hofen wird die von Prof. W. Koppen gewünsciite Com-
mission zur Erzielung einer möglichst einheit-
lichen Schreibweise geographischer Namen vom
Geographentag ernannt; in dasselbe werden aufgenommen:
1) das KaiserHch Hydographische Amt, 2) die Gesellschaft
für Erdkunde zu Berlin, 3) das Institut von Justus Perthes
in Gotha. Die Ergebnisse, zu welchen diese mit dem
Rechte der Cooptation eingesetzte Commission gelangen
werden, sind dem nächsten deutschen Geographentag und
sodann dem nächsten internationalen Geograjihen-Congress
zu London (1895) zur Begutachtung event. zur Beschluss-
fassung zu unterbreiten.
8. Hierauf erfolgt der Schluss des Geographen-
tages
Geh, Regierungsrath Prof. Dr. H. Wagner-
Göttingen spricht noch herzliche Worte des Dankes für
alles Dargebotene; derselbe dankt noch besonders dem
Ehrenpräsidenten der diesmaligen Tagung Sr. Hoheit
dem Prinzen von Weimar, welcher gleich dem Fürsten
Karl von Urach sämmtlichen Sitzungen beigewohnt
habe, sowie dem Ortsausschuss, dem Grafen K. von ^
Linden und dem Prof. Dr. Lampert für ihre grosse ■
Mühewaltung. Nachdem er noch besonders der inter-
essanten, die geographischen Leistungen Württend)ergs
so trefflich zum Ausdruck bringenden geographischen
Ausstellung gedacht, schliesst er mit einem Hoch auf
die gastliche Stadt Stuttgart!
Eine Studie über die verwandtschaftlichen Verhält-
nisse des Eslvimohundes veröffentlicht Nicolaus Ku-
tagin in Moskau. („Mittheilungen über die Hunderasse
Laika (Eskimohunde) in Russland." Zool. Jahrb. Abth.
f. Syst, etc. B. C. S, 435,) Die Laika sind als eine der
ältesten Rassen anzusehen, wie das einmal aus ihrer Ver-
breitung bei Völkern niedriger Cultur, sodann aber auch
aus der Aehnlichkeit ihrer Erscheinung mit wilden Caniden
hervorgeht. Ausser einigen Schädeln konnte Verf. ein
im Moskauer Zoologischen Garten lebendes Thier unter-
suchen; seine Abbildung ist dem vorliegenden Aufsatze
beigegeben. Die Laika sind hauptsächlich in Nordruss-
land und Sibirien verbreitet; dort dienen sie zum Jagen,
hier ausserdem zum Fahren und Rennthierhüten. Die
„Vorspannlaika" sind die grössten Vertreter unserer Rasse,
und haben stark entwickelte Füsse. Es folgen die „Jagd-
laika" und am kleinsten sind die .,Rennthierlaika". —
Nach Anutsehin lebten in Russland während der Stein-
periode zwei Hunderassen, Canis familiaris palustris lado-
gensis, die dem westeuropäischen Dorfhunde nahe steht,
und C. fam. inostranzewi. Der letztere hatte alle Eigen-
schaften eines Jagdhundes und ist dem Can. matris opti-
mae Icitt, aus der westeuropäischen Bronzezeit ähnlich.
Diesem C. inostranzewi steht nun der Eskimohund nahe
und er eignet sich in seiner Form der Jagdlaika auch
vortrefflich zum Jagen von Bär, Elenthier, Reh u. s. w.
Zum Schluss schliesst sich Verf. der Ansicht Nehrings an,
dass C. inostranzewi und C. matris optimae von Canis
pallipes Sykes, einer dem gewohnlichen Wolf nahestehenden
Form, abstammen. Damit in Uebereinstimmuug steht die
Thatsache, dass viele Jäger zwischen dem Wolf und
gewissen Jagdlaika eine grosse Aehnlichkeit linden.
Dr. C, M.
Die von uns bereits in Bd. VII, S. 474 und 475 be-
sprochene Anregung des Geheim-Rath Prof. F. E. Schulze
in Betreff der Ausdrücke zur Bezeichnung der Lage
und Richtung im Thierkörper hat Verfasser im Bio-
logischen Centralblatt XIII. Bd No. 1 mit einigen Modi-
ficationen erweitert.
Zu dem ersten Grundsatz (vgl. Bd. VII S. 474, 1.)
bemerkt der Verfasser, dass die zunächst geradlinig ge-
dachte Haupt- oder Principalaxe auch etwaige Biegungen
des Körpers als Führnngslinie mitmachen und so zu einer
gebogenen Linie umgewandelt werden kann.
Ausserdem ist es auch zulässig, die Axen auf einzelne
bestimmte Organsysteme — nicht nur auf die äussere
Gestalt — zu beziehen und dementsprechend zu constru-
iren. Jedoch muss dies stets besonders hervorgehoben
und durch die Bezeichnung der Axe bestimmt ausgedrückt
werden. So wird man z. B. in einer ausschliesslich das
Skeletsystem des Wirbelthierkörpers berücksichtigenden
Beschreibung die Principalaxe in die Führungslinie der
Chorda legen dürfen, aber dann als Chordoprincipalaxe
zu bezeichnen haben. Bei einer Darstellung des Nerven-
systems der Wirbelthiere wird man die Principalaxe in
die Führungslinie des Rückenmarksrohres saramt Gehirn-
erweiterung legen können, aber dann als Neuroprincipalaxe
besonders bezeichnen müssen.
Als sechsten und siebenten Grundsatz fügt er noch
hinzu :
6. Die Bezeichungen sollen correct gebildet, mög-
lichst kurz, flexibel und einigermaassen wohllautend sein.
7. Es empfiehlt sich, für die verschiedenen Begriflfs-
kategorien durchgängig bestimmte eigenthümliche Adjectiv-
und Adverbial-Endungen festzuhalten; z. B. alle Adverhial-
bezeichnungen der Lage auf — al fresp. —an), diejenigen
der Richtung dagegen nach dem Vorgange von Clealand
Wilder u. a. auf — ad enden zu lassen.
Bis auf diese letzte Aenderung, dass die Richtungs-
bezeichnuug von der Lagebezeichnung getrennt wird,
stimmt das Folgende mit dem in dem früheren Artikel
angegebenen überein.
Die beiden differenten Enden der Principalaxe der
Sympeden nennt Verfasser nicht mehr proral und caudal,
sondern rostral und caudal. x. Z.
Die Polarregionen und die Eisbildung. — Am
2(1 Februar sprach Professor Dr. Pechuel - Loesehe in
der Geographischen Gesellschaft für Thüringen zu Jena
über die Polarregionen. Wir entnehmen diesem Vortrag
Folgendes :
Die Polarregionen sind die grössten unbekannten Ge-
biete der Erde, denn das nördliche Polargebiet umfasst
6 Millionen, das südliche 16 Millionen Gkm. Nur Muth-
maassungen über diese Gebiete sind möglich, aber wir
können doch einige Schlüsse ziehen, wie etwa die Haupt-
theile, auch die innersten Gebiete um die Pole beschallen
sein mögen. Das nördliche Polargebiet besteht grössten-
theils aus Land oder ist wenigstens von Land umschlossen.
Nur drei Zugänge führen zum Pol: 1) das Meer zwischen
.Skandina\nen und Grönland, 2) die Davisstrasse, 3) die
Behringstrasse. Das Eismeer ist eigentlich nur ein An-
hängsel des nordatlantischen Oceans und ganz von ihm ab-
hängig, namentlich in Bezug auf die Meeresströmungen. Das
südliche Polargebiet dagegen ist ganz von Wasser um-
schlossen. Nur selten sind Seefahrer in diese Gegenden
gedrungen, sie fanden Inseln, den Melbourneberg und zwei
hohe Vulcane (Erebus und Terror), im übrigen fuhren sie
an einer 30 — 50, ja 80 m hoch aufragenden Eisschranke
entlang.
Das nördliche Polargebiet muss ein Kontinentalklima
haben, da das Land überwiegt. Im Landgebiet wirkt
die Erwärmung durch die Sonne ganz anders als im
Wassergebiet: schnelle Erwärmung und Abkühlung. Ausser-
Nr. 19.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
189
ordentliche Schwankuntjen des Luftdrucks und der Tem-
peratur sind die P^'oige. Im nordliehen Polargebiet
schwanken die Tempcraturditferen/.en etwa um 60 Grad,
der Barometerstand etwa um 60 nna (zwischen 783 und
722 mm), in verliältnissmässig kurzer Zeit kann eine solche
Differenz eintreten. Weiterhin herrschen in jenem Gebiet
hauptsächlich kalte und trockene Nordwinde^ das arktische
(iebiet ist verhältnissniässig- trocken. Wenn dort kein Eis
wäre, keine Gletscher sich bildeten, so würden jene Gebiete
initer wannen Verhältnissen wie Innerasien oder die Sa-
hara aussehen, sie würden wüst und leer sein. Diese
Nordwinde haben sehr bedeutenden Einfluss auf die Eis-
verhältnisse. In Folge der niedrigen Tenii)eratur sclniielzen
die Gletscher, die sich in ganz ungeheurer Ausdehnung
dort bilden, nicht ab, obgleich sie nicht viel Niederschläge
erhalten. Herrschte dieser Mangel an Niederschlägen
nicht, so würden die Gletscher weit nach Süden vor-
dringen. Nur in Grönland und Siiitzbergen erreichen
sie noch das Meer, im nordwestliciien Amerika nur bis
zum 60sten Grad n. Br., in Norwegen schneiden sie bei
60 '4 Grad schon 300 m über dem Meere ab.
Im Süden herrscht ein Seeklima, die Schwankungen
der Temperatur und des Luftdrucks sind daher gering:
etwa 10 — 15° und 10 — 1.5 mm. Da das Wasser sich lang-
samer als das Land erwärmt und abkühlt, sind die Winter
hier verhältnissniässig warm, die Sommer verhältnissniässig
kühl. Der sehr niedrige Barometerstand (etwa zwischen 735
und 740 mm) bewirkt, dass von allen Seiten Luftströ-
mungen dort hinziehen und zwar wegen der Drehung der
Erde als stürmische Westwinde. Sic blasen über un-
geheure Wasserflächen, sind feucht, umkreisen den Pol
und erheben sich. Dieses Aufsteigen der feuchten Luft
bewirkt fortwährende Bewölkung und wahrscheinlich sehr
reichen Schneefall. Diese Niederschläge erklären, dass
dort und in umliegenden Gebieten ganz andere Verhält-
nisse als im arktischen Gebiete herrschen. Im Feucrland
dringen die Gletscher bis ins Meer vor, ebenso in West-
Patagonien bis etwa 46\'o° s. Br., obgleich seine mittlere
Jahrestemperatur der von Wien entspricht, in Neusee-
land (43Vo° s. Br.), die der von Nordspanien und Nord-
italien entspricht, schneiden die Gletscher erst etwa in
230 — 250 m über dem Meere ab. Man hat über die
Beschaftenhcit der unbekannten Theile der Südpolar-
region viele Vermuthungen aufgestellt. Die einen nehmen
einen sechsten Kontinent, die Antarktis, an, dessen Ränder
die Eismauern und die einzelnen Landstücke bilden, die
man hier und dort sah, die andern behaupten, es könne
dort ein Kontinent nicht vorkommen, denn das Eis,
welches von dort ausgeht, sei derart beschaffen, dass es
sich auf dem Meere gebildet haben müsse (Tafelförmig-
keit, horizontale Schichtung, Freiheit von Gesteinsbrocken
und Schinutz). Sie nehmen daher einen ungeheuren
Gletscher an, der zwischen theilweise sehr hohen Inseln
sowie auf Flachland und in Flachsee ruhe. Beide An-
sichten haben viel für sich.
Wie geht nun auf dem Meere überhaupt die Eisbil-
dung vor sichV Drei Hauptarten finden sich: 1) Gletscher-
eis, 2) Flächeneis, 3) ins Meer geführtes Südwasser-
eis. Von letzterem, dessen Masse unbedeutend ist, sieht
Redner ab.
1) Genau in derselben Weise wie in den Hochge-
birgen bilden sich auch in den Polargegenden schon in
niederen Regionen Gletscher. Man nimmt an, dass ein
grosser Theil, vielleteht ganz Grönland, von einem Eis-
mantel überdeckt ist, also einem ungeheuren Gletscher
gleicht. Dies Eis ist nicht unbeweglich, alle seine klein-
sten Theile sind in fortwährender Bewegung, veranlasst
durch Temperaturunterschiede, den Druck der höher lie-
genden Massen und durch die Schwere. So bewegt sich
das Elis uiiauflnirlich abwärts mit sehr verschiedener
Schnelligkeit (3 — 10, auch 20 — 25 m in 24 Stunden). In
Grönland kommen Gletscher von 10—100 km Breite
dutzendweise vor, ungeheure Eismassen schieben sie zum
Meere hinab. Da dies Eis porös und mürbe ist, ist es
leichter als Meerwasser (im Durchschnitt um ^/-'), es wird
also, wenn es ins Meer dringt, schwimmen, doch hängt
es so lange mit der Hauptmasse zusammen, bis der Auf-
trieb des Wassers gross genug wird, um ein Stück abzu-
brechen. Das abgebrochene vStüek steigt empor und wälzt
sich umher, bis es sein Gleichgewicht findet. Man nenni
diesen ganzen Vorgang „kalben". Bei der ungeheuren
Ausdehnung der Gletscher entstehen ununterbrochen Eis-
berge, oft tausende an einem Tage. Hauptgebiet der Eis-
berge ist das Meer westlich und östlich von Grönland, im
Norden der Behringstrasse giebt es gar keine Eisberge,
da das Meer dort zu flach ist, auch im nördlichen Archipel
von Amerika kommen nur ganz kleine vor. Finden sie
sich sonstwo, so sind sie durch Meeresströmungen oder
Winde dahin geführt.
Der Eisberg wird selbstverständlich mancherlei Wand-
lungen seiner Gestalt erleiden. Manchmal zerstören ihn
rasch die Temperaturdifferenzen im Eise selbst. Im Innern
herrscht zuweilen noch eine Kälte von 30°, bei der er
entstand, während aussen 0 — 5° herrschen, das erzeugt
gewaltige Spannungen, die das Eis auseinandersprengen:
der Berg „platzt". Es wirken ferner die Temperatur-
difterenzen zwischen Tag und Nacht. Am Tage schmilzt
durch Sonnenbestrahlung, warme Luft und Regen ein
Theil des Eises, das Schmelzwasser sammelt sich in
Höhlungen. Nachts gefriert es und sprengt Stücke des
Berges ab. Werden die unteren Theile zu leicht, so
sucht er wohl eine neue Lage: er „kippt um."
Die „Berge" sind gar nicht so gross, die meisten
haben nur die Grösse von Häusern, sie sind zunächst
formlose Klumpen, werden dann modellirt. Da sie nun
Vt leichter sind, als Meereswasser, so nimmt man an,
dass V7 '*'on ihnen übers Wasser ragt, '^/^ unter Wasser
liegen, wobei es jedoch nur auf die Masse, nicht auf die
Höhe ankommt. Die durchschnittliche Höhe der P^isberge
über Wasser beträgt wohl 20 — 40 m, selten 50 — 80 m;
100 m kommen schwerlich vor. Alte Eisberge imponiren
mehr durch ihre wunderbare <iestalt, als durch Hrdie.
Im südlichen Eismeer haben die Berge nicht so
wunderbare Formen, da die Temperaturdift'ercnzen dort
nicht so gross sind, die Berge daher nicht so schnell um-
gewandelt werden können. Sie bewahren hier länger ihre
eigentliche Gestalt und treiben blockförmig im Meere um-
her. Diese Blöcke sind mehr nach der Seite als nach
der Höhe ausgedehnt, solche von 70—80 m Höhe können
etliche Quadratkilometer gross sein.
2) Das Flächcncis wirkt nicht durch bizarre Formen,
sondern durch unabsehbare Ausdehnung. Wochenlang
kann man an einem solchen Eisfeld entlang fahren. Der
Seefahrer unterscheidet zwei Haujitformen des Flächeueises:
a) das aus übcreinandergethttrmten Schollen bestehende
Packeis, b) das Treibeis, dessen Schollen einzeln schwim-
men. Im Treibeis kann man zur Noth herumfahren, im
Packeis miiss man sich niittreiben lassen.
Das Flächeneis bildet sich auf dem Meere selbst,
doch überzieht sich nicht das ganze arktische Meer
gleichzeitig mit einer Eisfläche, sondern nur die gegen
Winde, Stnimungen und Seegang geschützten Theile ge-
frieren. Auch der Salzgehalt erschwert das Frieren, denn
Salzwasser gefriert viel schwieriger als Süsswasser, nicht
bei 0°, sondern erst bei — 272° C- (bei einem Salzgehalt
von 3,5 Vo)- Zunächst überziehen sich die geschützten
Buchten u. s. w. mit einer ganz dünnen Eisdecke, die sich
*ehr allmählich verdichtet, denn das Wasser muss seinen
190
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 19.
Salzgehalt immer erst an benachbarte Wasscrtheilchen ab-
geben, ehe CS gefrieren kann. Selten überschreitet die
Dicke des Eises 2 oder 2Vo m.
Zuweilen kommt es vor, dass, wenn die Kälte ganz
allmählicli eintritt, wenn die Luft ganz still, das Meer durcli
nichts bewegt ist, das Wasser sich unter den (ietVier-
punkt abkühlt, ohne sich in Eis zu verwandeln. Es
herrscht dann eine gewisse Spannung, aber ohne Eisbil-
dung, bis dann in Folge einer Erschütterung plötzliche Er-
starrung eintritt. Es ist dann ganz unmöglich für die
Wassertheilchen, ihr Salz nach unten abzugeben, sie
müssen es behalten, oder vielmehr die Eiskrystalle schliessen
zwischen sich Wassei-theiichen ein, welche ilir Salz noch
zu dem eigenen hinzubekommen haben und nun um so
schwerer gefrieren. Dieser Vorgang setzt sich fort, bis
schliesslich das Wasser so salzig wird, dass es überhaupt
nicht mehr gefriert. Die Verdunstung muss dann hinzu-
treten, das Salz blüht an der OlierfläcJie aus, an der man
es dami wohl händeweise sannncln kann. Weil dieses so
rasch gebildete Eis zwischen sich Wassertheilchen ein-
schliesst, ist es biegsam und beweglich, es krümmt sich
mit dem Wellengang, mit einem Stock kann man durch
dieses „Filzeis" hindurchstossen, den Menschen jedoch
trägt es, wenn er auch Fusstapfen darin zuiiicklässt'. Erst
wenn der Rest des Wassers verdunstet ist, wird auch
dieses Eis spröde und hart und unterscheidet sich dann
nur durch seinen grossen Salzgehalt von anderem Eis.
Das Eis bleibt nicht ruhig liegen. Strömungen, Winde
vmd schon in Bewegung l)ctindlichc Eisfelder suciien die
Decke zu zerstören, sie wird gesprengt, die Theile werden
über- und untereinandergeschoben, es entstehen Wälle
und Hügel von beweglichen Sehollen, die dann oft wieder
vollständig fest verkittet werden: das l'ackeis. Wie dick
dieses Eis werden kann, lässt sich schwer bestimmen,
denn wie es oben bald flach und glatt, bald hoch auf-
gethürmt ist, so auch unten; es ist möglich, dass es zu-
weilen 20 — ,50 m unter Wasser reicht.
Kein Theil des Polarmeeres ist dagegen gesichert,
dass seine Eisdecke zersprengt wird und sich ablöst.
Fortwährend ist das Eis in Bewegung, es „arbeitet".
Liegt ein Schiff' im Eise, so hört man auf demselben die
ununterbrochenen Bewegungen des Eises, liervorgerufen
durch Temiicraturdirt'erenzen, eingeklenmite Schollen, Ver-
schiedenheit des Druckes etc. Zu diesen kleinen Bewegungen
kommen grössere: Spaltbildungen, deren Breite einen Fuss,
aber auch mehrere kra betragen kann. Die Hauptbewe-
gung tritt ein durch Druck der Winde und Strömungen
und durch die Eismassen, die schon Winden und Strö-
nuingen geliorchen. Der Wind hat vielleicht den grössten
Einfluss, denn auch das schwerste Packeis schwimmt oft
gegen eine Strömung, wenn der Wind stark genug ist.
Zusammenstössc kommen vor, weil oft ein Eisfeld noch in
Bewegung bleibt, nachdem der Wind aufgehört hat oder
wenn ein Eisfeld mit grossem Tiefgang einer Strömung,
ein anderes dem Winde gehorcht. Es tritt dann gegen-
seitige Zertrümmerung ein, nicht durcli den ersten Zu-
sammenstoss, sondern durch die Drehung, in der sich die
Eisfelder befinden. Denn das Eis schwimmt nicht einfach
in der Richtung des Windes, sondern wegen der vielen
Unebenheiten bewegt sich die eine Seite viel schneller
als die andere, und es entsteht eine drehende Bewegung.
Dreht sich nun das andere Eisfeld vielleicht in entgegen-
gesetzter Richtung, so zermalmen sie sich gegenseitig zu
lauter einzelnen Schollen: Treibeis. Schiffe, die etwa
dazwischen gefangen werden, sind meist rettungslos ver-
loren.
Redner wendet sich gegen Diejenigen, die daheim Ex-
peditionswege aussinnen und den Polarfahrern rathen. die
„Eisschranken zu durchbrechen". Kompacte Massen Pack-
eis zu durchbrechen ist nicht minder schwierig als mit
dem Kopfe eine Mauer zu durchbrechen. Die Polar-
expeditiouen müssen immer mit den Eisverhältnissen
rechnen, die sich aber von Tag zu Tag, sicher aber
von Jahr zu Jahr ändern, vielleicht giebt es auch Pe-
rioden von 30 — 36 Jain-en. Auch im stärksten Winter
gicbt es offene Stellen im Eismeer, das zeigen die
Erlebnisse mancher Polarfahrer, die mitten im Winter
mit dem Eise zu Schilf oder auf treibenden Schollen
Wege von 500 — 2500 km zurücklegten. Das Eis ist eben
immer in Bewegung. Man darf daraus nicht schliessen,
dass etwa an gewissen Stellen sich immer offenes Meer
befände, in wenigen Tagen kann sich das ändern. Bei
Expeditionen kommt es dann auf Glück an, ihr Gelingen
hängt nicht von den Wünschen ab. In diesem Jahre
wird Nansen eine Nordpolfahrt unternehmen, wir werden
sehen, ob er das Glück hat, eisfreie Stellen zu finden,
auf denen er weiter kommt, als irgend Jemand vor ihm.
X.
Feber die Bieliden von 1892 schreibt Herr Th. Bre-
dichin, Pulkowo, an die Astronomischen Nachrichten
(No. 3154 vom 25. Februar 1893) 8. Die Beobachtungen
der Bieliden am 23. November 1892 in Amerika haben
gezeigt, dass die Begegnung des dritten Theils dieses
Schwarms mit der Erde im vergangenen Jahre fast um
4 Tage früher als im Jahre 1885 stattgefunden hat, d. h.
dass der absteigende Knuten des Stroms während des
Zeitraums von Ende 1865 bis Ende 1892 fast um 4° nach
West zurückgewichen ist.
Es zeigt sich, dass dieses Zurückweichen durch von
dem Ju])iter auf diejenigen Theilchcn des Schwarmes aus-
geübte Störungen bedingt worden ist, welche eine gleiche
(oder nahezu gleiche) mittlere tägliche Bewegung besitzen
wie früher der Biela'sche Komet.
Merklich gross wurden die Störungen Ende 1889 und
dauerten bis Mitte 1891 an, ihren Maximalwerth im Juli
1890, bis 306° heliocentrischer Länge des Jupiter, er-
langend, als der letztere dem ( )rte des früheren Kometen
bis auf eine Entfernung von 1,24 (Einheit des Erdbahn-
halbmessers) nahe kam.
Die genäherte Berechnung der speciellen Störungen
für den ganzen Zeitraum der bedeutenden Einwirkung
des Jupiter ergiebt in Sumnm für das Zurückweichen des
Knotens etwas über 4°, bei einer Abnahme der Neigung
um 0°,6.
Zur richtigen Beurtheilung aller Umstände der Er-
scheinung fügt Herr Bredichin noch hinzu, dass die Er-
scheinung der Meteore, in schwächerem Auftreten, wenig-
stens bis zum 27. November fortgedauert hat. In Pul-
kowo wurden am 25. November im Laufe von IV2 Stunden
8 Bieliden in die Karte eingetragen: auf der Odessaer
Sternwarte sind am 27. November ihrer über 30 ver-
zeichnet worden. In Archangelsk wurde am 26. November
ein leuchtender Bolide beobachtet, der sich, nach Berech-
nung der eingegangenen Beobachtungen, direct auf den
Bieliden-Radianten zurückführen lässt. Grs.
Ueber die Geschwindigkeit des (-rookes'schen
Kathodeiistroms. — In dem am 10. Februar d. J. aus-
gegebenen Hefte der Proceedings of the Royal Society
findet sich eine kurze Notiz Lord Kelvin 's über das be-
zeichnete Thema. Es sei erinnernd bemerkt, dass der
englische Physiker Crookes schon vor Jahren den sogen.
Kathodenstrom entdeckte, unter welchem Namen er die Er-
scheinungversteht, dass in einer ni(iglichst luftleer gemachten
Glasröhre, die der Einwirkung elektrischer Kraft uuterworfeu
Nr. 19.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
191
wird, ein vcni der Kathode ausstrahlender Strom sich l)ihk't.
Crookes fand, dass wenn der Strom (oder ein Theil des-
selben) so gerichtet ist, dass er auf eine Fläche von 2 bis
3 qcni der Röhre auftrift't, er diesen Theil derselben äusserst
schnell ganz erlieblich erwärmt, und zwar, wie Crookes
mehrfach beobaclitete, um 20() bis 300° ('. über die Tem-
peratur der Umgebung.
Die Frage nach der Geschwindigkeit, mit der dieser
Strom sich ausbreitet, ist von ludicni Interesse. Lord
Kelvin geht folgenden Weg zu ihrer Berechnung. Es sei
■V diese Geschwindigkeit (Centimeter pro Seeunde) und
Q die Menge Materie, welche durch alle in einem von dem
Strom passirten Cubikcentimeuter enthaltenen Molecüle
gegeben ist. Die Crookes'schen Experimente machen es
nun in hohem Grade wahrscheinlich, dass die \on dem
Strome mitgerissenen Molecüle auf die Wand der Köhre
so auftrcrt'cn, als ob sie unelastische Körper wären, und
alle ihre translatorische Energie zur Erhitzung des (xlases
verwandt werde. Diese so in Wärme umgesetzte Be-
wegungsenergie ist i)ro Quadratcentimcter der getroffenen
Fläche und pro Zeitsecunde gegeben durch den Ausdruck
^pi'''; in Wärmeeinheiten (Gramm, Wasser, Ceutigrad)
entspricht diesem der äquivalente Ausdruck - pr'* : 42 000 000.
Diese Energiemenge wird nun anfänglich das Glas um
den Betrag
42.10''-ö-a
erwärmen, wenn a die specifische Wärme des Glases und
a die Stärke der Röhrenwand ist, an der Stelle, wo die-
selbe von dem Strome getroffen wird. Ist ferner f die
Summe des Emissionsvermögens der inneren und des-
jenigen der äusseren Oberfläche der Röhrenwand an der
betrachteten Stelle, so ist der Grenzwerth, bis zu welcher
auf diese Weise die Temperatur des Glases gebracht wird
~e'
Nun ist es allerdings wahrscheinlich, dass o beträcht-
lich verscliieden ist von der mittleren Dichtigkeit der
trotz der Verdünnung noch in der Röhre enthaltenen Luft.
Lord Kelvin nimmt indessen, um ein Beispiel, eine Ueber-
schlagsrechnung geben zu können, q = 10^*, ein Werth,
der also die mittlere Dichtigkeit der erwähnten Luftmenge
darstellt, wenn die Röhre bis zu dem durch 1U~'' gege-
benen Theile der gewöhnlichen Dichtigkeit der Luft aus-
gepumpt ist.
Ferner macht der Lord noch die Annahme, dass
V = 100 000 '^■" pro Seeunde sei; es entspricht dieser
Werth etwa der doppelten mittleren Geschwindigkeit der
Molecüle der Luft unter gewöhnlichen Verhältnissen.
Endlich kann für die gebräuchliclien Glasröhren gesetzt
werden ca = „ cm, und die Annahme £ = 1 : 3000 wird
sieh von der Wahrheit nicht weit entfernen.
Mit diesen numerischen Annahmen erhalten wir nun
aus den ölten gegebenen Ausdrücken, in runden Zahlen,
1° C pro Seeunde für die anfängliche Temperaturzunahme
und 375° C für die endgiltige erreichte Temperatur. Es
sind dies Resultate, welche nur wenig abweichen von den
durch Crookes selber gefundenen.
Der Druck eines Kathodenstromes von den hier an-
genommenen Geschwindigkeits- und Dichtigkeitsverhält-
uissen ist ov" , d. i. 100 Dyn pro Quadratcentimcter, was
sehr gut mit Crookes' mechanischen Ergebnissen stimmt.
Aus der angestellten üeberschlagsrechnung geht nun,
wie wir aus der Ueberciustimmung mit den Heobachtungs-
resultaten sehen, mit einiger Wahrscheinlichkeit her\or,
dass in der That die Geschwindigkeit des Kathodenstroms
sich nicht erheblich von dem Betrage eines Kilometers
unterscheidet. Diese sehr massige Geschwindigkeit er-
klärt es hinreichend, warum die Erscheinung sich nicht
auch in optischer Beziehung durch Farbenverschiebung
wahrnehmbar machen kann.
Die Einwürfe, welche man
•n die Cronkes'sclie
Theorie eben aus der Al)wesenheit solcher oj)tisehen Be-
gleiterscheinungen hat hernehmen wollen, krmiien daiier
nach der ^Meinung Lord Kelvin's wohl nicht mehr auf-
recht erhalten werden. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Professor Penzoldt zum Directpr der
medicinischen Poliklinik in Erlangen. — Dr. Schotten, Privat-
docent dei Chemie an der Heiliner Universität, zum Tit.-Prof'essor. —
Privatdociait Dr. Nevinny in Wien zum ausserordentiiclien I-'ro-
fessor der Pharmakologie und Pharmakognosie an der Univer-
sität Innsbruck.
Der Professor der l^hysik Dr. Friedrich Narr von der
Universität in München legt aus Gesundheitsrücksichten sein Lehr-
amt nieder. — Der Psychiater Professor VV ernicke hat den Ruf
nach Wien abgelehnt.
Es sind gestorben : Der Professor der pathologischen Anatomie
Dr. Kundrat in Wien. — Dr. Heinrich Durege, ordentlicher
Professor für Mathematik an der deutschen Universität Prag. —
Der Ürnithologe Francis Orpen Morris zu Nunburnholme
(Yorkshire). — Der Reisende und Sammler Henry Whitely im
iiiuern von Britisch Guayana. — Professor Dr. Eduard Stein-
acker, Oberlehrer für Xaturwissenschaften und .Mathematik am
Kealgymnasium zu Braunschweig. — In Kopenhagen Dr. Wilhelm
Budde, Redacteur der „Ugeskrift for Läger" (.\\'ochenschrift für
Aerzte). — In München Dr. J. N. Bischoff, früher Professor
der Mathematik und ( »bcrbibliothekar an der Münchener tech-
nischen Hochschule. — In Berlin der Geh. .Medicinal-Rath Dr.
W olf f C oh n. — In München der Kgl. bayerische Generalarzt a. D.
Dr. Franz v. Sicherer. — lu Folkestone der Geolog und Meteo-
rolog Henry Francis Blanford. — In Leipzig Oberstabsarzt
Dr. Heinrich Balmer. — In Ascherslebeu Sanitätsrath Dr.
Emil Otto Gründler, bekannt durch mikroskopische Unter-
suchungen über die niedrigsten Lebewesen. — In Paris Dr. Louis
Desuos, Präsident der Sociiite nuidicale des höpitaux. — In Paris
der Chirurg Dr. Paul Horteloup. — In Karlsruhe der Professor
für mechanische Technologie und allgemeine .Maschinenlehre an
der technischen Hochschule Heinrich Richard. — In Ant-
werpen der belgische Elektrotechniker und Physiker Franz van
Ry sselberghe. — In Rudolstadt der Hofzahnarzt Dr med.
Ad. Härtung — In Hannover der Director des zoologisclien
Gartens Christian Kuckuck. — In Lissabon der Chemiker Dr.
Agostino Vicento Louren(;o. — In Rom der Leibarzt des
Papstes Alessandro Ceccarelli. — In Petersburg der Director
der Maximilian- Heilanstalt und Ordinator des Elisabeth -Kinder-
Hospitals. Wirklicher Staatsrath Dr. Friedrich Karlowitsch
Arnheim. — In Chicago der emer. Professor am Rush-.Medical-
College Dr. G rah am F i tsch. — In Sidney der Botaniker Ro-
bert Fitzgerald. — In San Salvador der Gynäkolog Dr. Rafael
Izaguirre. — In Bahia der emer. Professor der Geburtshilfe und
Gynäkologie Dr. Alves de Lima. — In New -Orleans der Pro-
fessor der Anatomie Dr. Samuel Logan. — In Rom der Syphili-
dolog Professor Casimiro Manassei. — In Port-Louis (Insel
Mauritius) der Conchyliolog V. de Ro bi 1 lard. — In Tqkio (Japan)
der Chemiker Dr. Gottfried Wagner.
Die Jahresversammlung der American Medical Association
wird vom 6. bis 9. Juni 1893 in Milwaukee (Wisconsin) stattfinden.
Der bei Gelegenheit der oüOjährigen Jubelfeier des Botanischen
Gartens der Universität Montpellier stattfindende internationale
Botaniker-Congress findet erst vom 10. bis 18. Juni statt.
Der 21. Deutsche Aerztetag wird in Breslau am 2(!. uml
27. Juni abgehalten werden.
L i 1 1 e r a t u r.
Ernst Haeckel, Der Monismus, als Band zwischen Religion
und Wissenschaft, (.ilaubensbekenntuiss eines Naturforschers,
vorgetragen am 9. October 1892 in Altenburg beim 75jährigen
.lubiläum der Naturforschenden Gesellschaft des Osterlandes.
Verlag von Emil Strauss. Bonn 1892.
192
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 19.
Der vorliegende Vortrag bietet eine kurze Zusammenfassung
der naturphilosophisclien Grund- Ansichteu Haet-liel's, die dem
freundlichen Leser aus den für einen grösseren Kreis berechneten
Schriften des genannten Geleln-ten namentlicli aus seiner natür-
lichen Schöpfungsgeschichte im Grossen und Ganzeu bekannt sind.
Vor Allem will Haeckel (seinem Vorworte gemäss) erstens der-
jenigen Weltanschauung Ausdruck geben, welche durcli die neue-
ren Fortschritte der Xaturkenntniss geboten ist, und zweitens
möchte er ein Band zwischen Religion und Wissenschaft knüpfen!
versöhnen. Dass eine Versöhnung von Gemüth und Verstand
überhaupt nothwendig ist, scheint dem Referenten hoher Beach-
tung werth : es zeigt dies eben, dass aus den Resultaten der reinen
Wissenschaft allein eine volle Befriedigung unseres ganzen Seins
nicht zu erreichen ist. Seinen Standpunkt bezeichnet H. bekannt-
lich als Monismus, und seine Rede ist daher eine Darlegung des
Monismus. Wie an Allem, was H. sehreibt, ist auch an der vor-
liegenden Rede Klarheit der Gedanken zu rühmen.
N. Zograf, Les types anthropologiques des Grands-Busses de
Gouvernements du centre de la Russie. Moskau 18112.
Im Auftrage der kaiserlichen Gesellschaft der Freunde
der Naturwissenschaften in Moskau hat Zograf in den-
jenigen Theilen Russlands, in welchen mau die ursprüng-
lichen Wohnsitze der Begründer des heutigen Zarenreiches
erblickt, niimlich in den Gouvernements Wladimir, Jaroslaw
und Kostroma, sehr ausgedehnte anthropometrische Unter-
suchungen angestellt. Dieselben sind in einer ausserordentlich
fleissigen, leider russisch geschriebenen, Monographie niedergelegt,
welche 177 Seiten in Grossquartformat füllt und der auf über
40 Seiten Tabellen, 16 Karten und 13'2 lithographische Portraits
beigegeben sind. Ein unter dem obigen Titel angeführter Auszug
ermöglicht es, über den Inhalt Folgendes zu berichten. Fast
"29 OOU Untersuchungen, für welche auch die ofticiellen Aushebungs-
listen benutzt werden konnten, Hessen erkennen, dass sich die be-
treffende Bevölkerung nach der Grös.se in drei Gruppen scheidet,
in eine kleine von 1610 bis IÜ20 mm Höhe, eine mittlere von
1650 mm Höhe und eine grosse von UiöO bis 1690 mm Höhe. Die
Kleinen und die Grossen unterscheiden sich auch durch eine ganze
Anzahl von anderen anthropologiseheu Merkmalen, während sich
die Mittleren ganz unzweifelhaft als ein Mitclitypus erweisen,
welcher einer Kreuzung der beiden anderen Typen seine Ent-
stehung zu verdanken hat. Die Kleinen sind dunkeläugig mit
überwiegend braunen oder dunkelkastanienfarbigen Haaren. Ihre
Kopfhöhe und ihr Kopfumfang sind im Verhältniss grösser, als
bei dem grossen Typus; sie sind überwiegend brachycephal, bis-
weilen mesocephal, aber niemals doliehocephal, auch sind sie
chamiiprosop (breitgesichtig), jedoch nahe der Grenze der
Leptoprosopie, und niesorhin, manchmal sogar platyrhin. Der
innere bianguläre Durehmesser ist sehr entwickelt und nähert
sich in seiner Gröfse demjenigen der Völker von mongoloidem
Ursprung. Die Länge der Unterextremitäten entspricht un-
gefähr der halben Körpergrösse und somit sind sie relativ
küi-zer als diejenigen der Grossen , auch sind ihre Hände
und Füsse relativ grösser als bei diesen, und ein bei Russen an
und für sich schon grösseres Maass, gegenüber anderen Völkern,
nämlich der Abstand des inneren Knöchels vom Fussboden ist
ebenfalls bei den Kleinen grösser als bei den Grossen.
Die Grossen haben hellkastanienfarbiges und in vielen Fällen
sogar blondes Haar. Ihre Schädel sind subbrachycephal bis
mesocephal, bisweilen sogar doliehocephal, ihre Gesichter lepto-
prosop (schmalgesichtig), aber nahe der Grenze der Chamae-
prosopie ; dabei sind sie leptorhin, jedoch nahe der Grenze der
Mesorhinie. und ihr innerer biangulärer Durchmesser ist zwar wohl
entwickelt, aber nicht von demjenigen anderer europäischer Völker
verschieden. DieUnterestremitäten übc-rtrett'en an Länge beträchtlich
die halbe Körpergrösse. Sie sind daher auch relativ länger als bei
den Kleinen und ihre Hände und Füsse sind kleiner als bei diesen.
Dieser grosse Typus ist am deutlichsten in den West-
districten des Gouvernements Jaroslaw, die dem Gouvernement
Nowgorod benachbart sind. In lUesem Letzteren sitzen die
Nachkommen der Begründer des russischen Reiches, der Now-
goroder Slaven. Der kleine Typus tritt am besten in dem
Nordosten des Gouvernements Kostroma auf. Diesem benach-
bart ist das in seinen Ostdistricten von Zj'rianen bevölkerte
Gouvernement Wologda und das in seinen, Kostroma benach-
barten Theilen, von den Wotjäken bevölkerte Gouvernement
Wiatka. Auch in den Districten von Suzdal und Juriewdes
Gouvernements Wladimir, welche einst von den M eriane n oder
Meria, einem wahrscheinlich Uralo- AI taisch en Volke besiedelt
waren, sowie in dem einst von einer gleichen Bevölkerungsgruppe,
den Muromiern oder Muroma bewohnten, dem unteren Laufe
der (Jka benachbarten Gebieten desselben Gouvernements beob-
achtet man ebenfalls den kleineu Typus häufig.
Zograf erkennt in dem kleinen Typus die Nachkommen der
alten U ralo- Altaier, der antiken, eingeborenen Bevölkerung,
welche von den vom Westen, von den Ufern des Dnieper
hier kolonisirend vordringenden Slaven vorgefunden wurden. Die
Nachkommen dieser Slaven oder dieser Slavo-Li thau er,
welchen auch die in den Kurganen repräsentirte Bronzecultur zu-
geschrieben wird, sind in dem grossen Typus wiederzuerkennen.
Somit bestätigen auch diese anthropometrisehen Untersuchungen,
dass diese Gross-Russen ein Mischvolk darstellen, das aus zwei
Bevölkerungsgruppen vou slav o-li thau ischeni und uralo-
altaiscbem Ursprung hervorgegangen ist. Max Bartels.
Joseph Müller, TJeber Oamophagie. Ein Versuch zum weiteren
Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung. Vei'lag
von Ferd. Enke. Stuttgart 1892. — Preis 1,60 Mark.
Die sehr interessante Broschüre baut die von Weismann be-
gründete Lehre von der „Amphimixis" aus, die in der „Naturw.
Wochenschr." Bd. VII. S. 141 tF. eingehender zur Darstellung ge-
kommen ist. Weismann ist zu dem Resultat gekommen, dass das
Wesentliche der Befruchtung in der Vereinigung zweier Ver-
erbungstendenzen, in der Vermischung der Eigenschaften zweier
Individualitäten zu suchen ist. Jede Keimzelle (wie schon die in
manchen Fällen bekannte Parthenogenese von Eizellen andeutet),
sowohl ilie weibliche als auch die männliche, enthält die Anlagen
für sämnitliche Organe. Bei geschlechtlicher Vereinigung der-
selben, einer männlichen mit einer weiblichen muss daher die
Hälfte der Anlagen eliminirt Werden. Weismann meinte, dass die
Bildung der „Richtungskörperchen" als eine solche Eliminirung
aufzufassen sei; jedoch findet die Bildung derselben bekanntlich
vor der Vermischung der Geschlechtszellen statt. Müller macht
nun darauf aufmerksam, dass die Reduction des Keimstoffs vor
der Befruchtung nicht die entscheidende Reduction sein kann,
nicht die, die der Verdoppelung dieses Keimstoft'es durch die
Amiiliimixis das Gleichgewicht hält, vielmehr kann die Ausschaltung
der überflüssigen Organanlagen erst nach erfolgter Vereinigung
der beiden Keimzellen stattfinden.
,.Je zwei homologe (»rgananlagen (oder homologe Elemente
solcher) treten nach vollzogener Befruchtung, nach der Vereinigung
von Spermakern und Eikein zum Furchungskern, miteinander in
unmittelbaren Kontakt und in Stotfwechselbeziehungen, nämlich
in eine Konkurrenz um die Nahrung ein, die für beide in dem
auf sie entfallenden Tlieile der passiven, plasmatischen Substanz
der Eizelle gegeben ist. Sie treten so miteinander in einen
Kampf ums Dasein ein. In diesem Kampfe siegt das kräftigere
der beiden Elemente, seine Entwickelung schreitet ungehemmt
vorwärts, seine Structur beharrt und drückt dem entsprechenden
fertigen Theil des neuen Wesens den Stempel seiner Vererbungs-
tendenz auf. Das minder kräftige der beiden Elemente bleibt in
diesem Wettbewerb zurück, es unterliegt im Kampf ums Dasein,
in der Concurrenz um die Nahrung, seine Entwickelung bleibt
stehen, seine Vitalität, sein Vermögen der Assimilation muss er-
löschen. Schliesslich, nachilem seine Activität zum Stillstande
gekommen ist, sinkt es zur passiven Rolle der plasmatischen Ele-
mente des Eies herab, es wird zum blossen Bau- und Nährmateriale
und als solches vom anderen homologen Elemente endlich assi-
milirt. Seine Structur, die festen Lagerungsverhältnisse seiner
Molecüle, und damit seine Vererbungsfäbigkeit, nniss dabei ver-
loren gehen, es geht als blosser Stotf in die Organisation seines
Gegners über, lagert seine Molecüle in die durch des Gegners
Structur gegebenen Formen ein — kurz: von je zwei homo-
logen Elementen der vereinigten Keim Substanzen be-
siegt schliesslich das eine das andere, assimilirt es,
zehrt es auf."
Diesen Vorgang nennt M. „Gamophagie".
„Der Zweck der Gamophagie ist, dem Kampf ums
Dasein einen günstigen Kampfplatz anzuweisen, die
zweigeschlechtliche Zeugung zu einem Mittel der Se-
lection zu machen."
Da das Heft ausser dieser kurzen Andeutung seines Haupt-
inhaltes noch so viel Beachtenswerthes enthält, und da wir aus
Platzrücksichten hier die triftigen Begründungen des Autors ausser
Acht lassen müssen, so wird der Interessent ein Studium der
Original-Arbeit nicht umgehen können.
Breluns Thierleben. Dritte, neubearbeitete Auflage, von Prof.
Dr. Pechuel-Loesche, Dr. W. Haacke, Prof. Dr. 0. Boettger,
Prof. Dr. E. L. Taschenborg und Prof. Dr. W. Marshall. Gr.
8°. Mit 1900 Abbildungen, 12 Karten und 179 Tafeln in Holz-
schnitt u. Farbendruck. 10 Bände. Leipzig und Wien. Biblio-
graphisches Institut, 1892 — 1893. — Preis ä Band geb. 15 Mk.
Bd. X. Die niederen Thiere. Von Prof. Dr. Oskar Schmidt.
Neubearbeitet von Prof. Dr. W. Marshall. Mit 496 Abbil-
dungen im Text, 16 Tafeln und 1 Karte.
Mit dem vorliegenden Bande ist die neue Auflage von Brehms
Thierleben abgeschlossen. Wir haben schon in Bd. V S. 440 un-
Nr. l!t.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
193
serer Freude darüber Ausdruck gegeben, dass die Neubearbeitung
desselben von Prof. W. Marshall übernommen worden ist, der wie
Wenige es versteht, Wissenschaftlichkeit zu verbinden mit populärer
Darstellung. An dem Abschnitt, der die Weichthiere behandelt, fand
Marshall fast nichts zu ändern, da hier mehr auf den Gebieten der
Anatomie und Entwicklungsgeschichte, dicnaturgemässindem Werk
zurücktreten, in den letzten 10 Jahren Fortschritte zu verzeichnen
sind. Die Tiefseethiere, die wir erst in der Zeit seit dem Er-
scheinen der 2. Aufl. eingehender kennen gelernt haben, sind ge-
bührend berücksichtigt worden, und auch sonst sehen wir die
neueren Erkenntnisse überall verwerthet. Die Abbildungen
wurden um 5 farbige Tafeln, drei schwarze Vollbilder, 7:i Text-
abbildungen und eine farbige Karte der Erde, welche die Ver-
breitung wichtiger, niederer Thiere veranschaulicht, vermehrt.
— Das stattliche zehnbändige Werk, eine Zierde jeder Bibliothek,
wird zweifellos auch fernerhin wesentlich dazu beitragen, natur-
wissenschaftliche Kenntnisse im Volke zu verlireiten.
Dr. F. Hock, Nadelwaldflora Norddeutschlands. Eine |)ttanzen-
geogi-aidiische Studie. (Forschungen zur deutschon Landes- und
Volkskunde herausgegeben von Prof. A. Kirchhotf, VII. Band,
Heft 4.) Mit einer Karte. Verlag von J. Engelhorn. Stuttgart
1893. — Preis 3 M.
Verf. giebt nach einer Uebersicht über die fünf norddeutschen
Nadelhölzer, der Eibe (unveröffentlichte Notizen von Conwentz über
das Vorkommen in Ostpreussen und Pommern), der Kiefer, der
Fichte, der Tanne und des Wacliholdcrs eine Aufzählung der
wichtigsten Begleitpfianzen (incl. Kryptogameu) der Kiefern- und
dann der Tannen- und Fichtenwälder. Diese Pflanzenarten sind
nach biologischen Gesichtspunkten geordnet und im Anschluss an
die Kernersche Terminologie als Gehölz, Gesträuch, Gestände,
Gekraut, (nicht perennire'nde Dikotylen), Gehälm (grasartige),
Geblätt von Farnen, Geäs (mit diesem von Hock eingeführten
Namen werden sowohl phanerogamische Parasiten als epiphytische
Pilze belegt) und Gefilz (Moose und Flechten) bezeichnet. Hier-
auf folgt als Haupttheil der Arbeit eine Aufzählung der charakte-
ristischen Kiefernwaldbegleiter, welche ebenso wie die Kiefer in
der nordwestdeutschen Ebene fehlen. Diese Liste ist vom Verf.
soeben noch einmal in wesentlich verbesserter Gestalt in den Be-
richten der Deutschen Botanischen Gesellschaft (März 1893) ver-
öffentlicht worden. Kürzer bespricht Verf. das Vorkommen der-
jenigen Kiefernwaldpflanzen, welche das Gebiet des Scliutzbauines
'beträchtlich überschreiten und zum Theil gar keine Ueberein-
stimmung mit dessen Verbreitung zeigen.
Ueber die Begleitpflanzen der Fichte und Tanne, welche na-
mentlich letztere "einen ziemlich kleinen Theil des Gebietes be-
wohnen, konnten nur kurze und zum Theil problematische An-
deutungen gegeben werden. An der Hand der bisher verzeich-
neten Thatsachen legt Verf. hierauf dai-, wie er sich die Geschichte
. der Einwanderung der Nadelwaldflora vorstellt, von welcher ein
beträchtlicher Theil sicher zugleich mit der Kiefer zu seinen
jetzigen Wohnsitzen gelangt ist. In Betreff der interessanten auch
in diesen Blättern bereits berührten Frage, weshalb die in einer
geologisch jungen Vorzeit, wie die zahlreichen Moorfunde beweisen,
vorhanden gewesene Kiefer (und Fichte) aus einem beträchtlichen
Theile des nordwestlichen Europas verschwunden ist, erklärt
sich Verf. wohl mit Recht gegenüber der ethnographischen Auf-
fassung Ernst H. L. Krauses für klimatische Gründe. Den Be-
schluss macht eine tabellarische Zusammenstellung der Verbreitung
der wichtigsten Begleitpflauzen der Kiefer in einigen Grenzge-
bieten derselben. Ein glücklicher Gedanke ist die Bezeichnung
der grösseren oder geringeren Uebereinstimmung durch Zahlen;
in noch instructiverer Weise sind diese theils positiven, theils
negativen Werthe in einer gleichzeitig im Bot. Centralbl. 1892 er-
schienenen Skizze über die wichtigsten Begleiter der Buche zu
Gesammtwerthen verbunden. Auf der lieigegebenen Karte sind
die Verbreitungsgrenzen resp. die zerstreuten Fundorte der Eibe,
sowie die Grenzlinie der hauptsächlichsten Kiefernwaldbegleiter in
übersichtlicher Weise dargestellt. Der Verfasser hat es bei der
Bearbeitung dieses schwierigen Themas an Scharfsinn, Fleiss und
Gewissenhaftigkeit nicht fehlen lassen und hat mithin eine höchst
werthvolle und zuverlässige Arbeit geliefert. In Anerkennung
der vielfachen Hilfe, welche ihm Prof. P. Ascherson dabei ge-
leistet, ist die Abhandlung „dem unermüdlichen Erforscher der
Flora Norddeutschlands" gewidmet. P. Graebner.
Prof. Dr. A. Peter, Wandtafeln zur Systematik, Morphologie
und Biologie der Pflanzen für Universitäten und Schulen.
Tafel I— V. Verlag von Theodor Fischer in Cassel. 1892— ISi);;.
Preis k Tafel 2 M.
Das auf 100 Tafeln geplante Unternohmen bildet eine treff-
liche Ergänzung zu den meisterhaften Kny 'sehen Wandtafeln
vorwiegend anatomischen Inhalts. Die vorliegenden b Tafeln
sind geschickt und zweckmässig zusammengestellt. Obwohl die
Objecte im Allgemeinen nur in oder etwas grösser oder kleiner
zur Darstellung gebracht sind, so reicht die Grösse doch voll-
kommen für einen massig grossen Hör- oder Schulraum aus, denn
die gewählten lebhaften Farben lassen die einzelnen Theile der
Darstellungen gut hervortreten. , . t^
Tafel 1 bietet eine J und eine Q Blume von Cucurbita l epo
und die Frucht von Cyclanthera e.xplodens, Tafel II erläutert den
Blumen und Fruchtbau der Viola tricolor. Taf, III denjenigen
der Papaveraceen, Tafel IV denjenigen der Liliaceen und Ainarylli-
daceen und Taf. V denjenigen der Palmen. Zu jeder Tafel gehört
eine kurze Text-Erläuterung, die auf das Wichtigste aufmerksam
macht. ,. ,r , i li • I
Es erscheint sehr zweckmässig, dass die Verlagsanstalt jede
Tafel einzeln abgiebt, sodass sich jeder nach seinen Bedürtnissen
und Geldmitteln die ihm passend scheinende Tafel-Zusammen-
stellung anschaffen kann.
Richard Andree's allgemeiner Handatlas. 3. völlig neubear-
beitete, stark vermehrte Aufl. herausgegeben von der geogra-
phischen Anstalt des Verlages von Velhagen & Klasmg in Biele-
feld und Leipzig. 1892. 1893. — 2.-(;. Abtheilung ä 2 M.
Seit unserer letzten Besprechung des hübschen grossen Atlasses
von Richiird Andree auf Seite 325 Bd. VII der Naturw. Wochen-
schrift sind 5 weitere Abtheilungen (im Ganzen 24 Lief, ä 50 M.)
erschienen, das ist genau die Hälfte des auf 12 Abtheilungen
(48 Lief.) berechneten Werkes. Wie die früheren bieten auch die
Karten der vorliegenden Abtheilungen sehr viel und trotzdem
sind sie überraschend klar. Im Ganzen sind bis jetzt 46 Doppel-
blätter zur Ausgabe gelangt. Wir beschränken uns heute aut
diese Angaben in der Absicht, nach dem vollständigen Erscheinen
des tri'tt'lichen Werkes d.asselbe eingehender zu besprechen.
Geheimrath Dr. Wilhelm Kunge, Das Ruhr- Steinkohlen-
becken. Mit ;; Tafeln in Schwarzdruck und 9 farbigen Tafeln.
Berlin l!-92. Berl. Lithogr. Iiist. Julius Moser. — Preis 30 M.
D.as Erscheinen dieses Werkes kann nur mit Freuden begrusst
werden, da es einem seit langer Zeit empfundenen Mangel ab-
hilft. Die Litteratur über die Westfälische Steinkohlenablagerung
hat mit der gewaltigen Entwicklung des Bergbaues und unserer
dadurch vermehrten Erkenntniss der ganzen unterirdischen V er-
hältnisse nicht gleicdien Schritt gehalten ; seit Lottner's .,Geog-
nostischer Skizze" aus dem Jahre 1859 ist eine übersichtliche Dar-
stellung des Westfälischen Steinkohlengebirges nicht wieder ge-
liefert Worden. Wenn in dein Runge'schen Werk auch keine
grösseren Ergebnisse eigener wissenschaftlicher Forscliuug nieder-
gelegt sind, so hat der Autor es doch verstanden, das umfang-
reiche Material übersichtlich zu ordnen und unser jetziges Wissen
liber die mannigfaltigen, oft complicirten Verhältnisse des Ruhr-
kohlenbeckens in klarer Weise zur Anschauung zu bringen.
Das 371 Seiten umfassende Werk gliedert sich in drei Theile.
Im ersten allgemeinen Theil werden die allgemeinen geologischen
Verhältnisse der Steinkohlenablagerung, die Beziehungen des
Carbons zu älteren und jüngeren Formationen, die Lagerungsver-
hältnisse mit ihren Falten und Störungen und die Gliederung der
Schichtenfolge behandelt. Eine kurze Besprechung der bisher
noch ganz ungenügend bearbeiteten organischen Reste, nament-
lich der fossilen Pflanzen, bildet den Schluss des ersten Theils.
Den Inhalt des zweiten Theils bildet eine eingehende Dar-
stellung der speciellen Verhältnisse in den einzelnen Flötzgruppen
und Mulden. Eine Reihe vortrefflicher Profile, sowie eine schon
früher von demselben Verfasser herausgegebene Flötzüliersichtskarte
erleichtern das Verständniss der oft verwickelten Verhältnisse un-
gemein. Die einzelnen Flötzpartien (von uuten nach oben die
magere, Ess-, Feit-, Gas- und Gasflammkohlenpartie) werden be-
sprochen, die wichtigeren darin auftretenden Plötze nach Be-
schaffenheit und Ausdehnung dargestellt, die Lagerungsverhält-
nisse der Schichten, die Beschaffenheit des Nebengesteins, das
Auftreten charakteristischer Schichten geschildert, kurz, eine bis
ins kleinste gehende Darstellung der gesanimten bis heute be-
kannten Verhältnisse unseres Steinkohle führenden Carbons ge-
geben. Einen besonderen Wertli hat Runge auf die Ermittelung
des Verhältnisses zwischen bauwürdiger Kohle und der Mächtig-
keit des Nebengesteins für die einzelnen Flötzgruppen gelegt.
Aus einer Durdischnittsrechnung für das ganze Revier ergiebt
sich, dass die Anzahl der bis jetzt bekannten l)auwürdigen Flötze
höchstens 91 beträgt mit einer Gesammtmächtigkeit von 69 m
reiner Kohle.
Der dritte Theil ist allgemeinen technischen und wirthschaft-
lichen Verhältnissen des Steinkohlenbergbaues gewklmet. Die
Entwicklung dieses Bergbaues bis zu seiner jetzigen Grösse, seine
Beziehungen zu andern Industrien, sein Verhältniss zu wirthschaft-
lichen Faktoren (z. B. Kanalbauten, die Lage der Arbeiter u. s. w.)
werden einer mehr oder weniger eingehenden Besprechung unter-
zogen. Den Schluss des Werkes bildet ein interessanter Versuch,
den noch vorhandenen Kolilenvorrath des Westfälischen Reviers
zu berechnen. Der Verf. konmit hierbei zu dem Resultat, dass
bis zu einer Tiefe von lOUO m noch 18 Milliarden Tonnen
194
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. ly.
Steinkohlen anstehen, deren Erschöpfung unter gewissen Vor-
aussetzungen in etwa 300 — 500 Jahren erfolgt sein würde.
Die Ausstattung des Werkes (Druck, Papier, Karten etc.) ist
vorzüglich. Allen denen, die sich eingehender mit den Verhältnissen
des Westfälischen Steinkohlenbergbaues bekannt machen wollen,
muss Runge's Werk in erster Linie empfohlen werden.
Dr. Leo Cremer.
The Ibis, a öuarterly Journal of Ornithology. Heraus-
gegeben von Philip Lutley Sclater. Verlag von Gurney ad
Jackson. 1. Paternoster Kow; London 1893. Jährlich 4 Hefte.
Subscriptionspreis Lstr. 1, 1 s. G. Serie, Band 5, No. 17 (Preis 6 s).
Von dem reichen Inhalte nennen wir G. E. Schelley: Verzeich-
niss der von Alexander Whj'te in Nyassaland gesammelten Vögel.
Die Sammlung ist wichtig für die Beantwortung der Frage, wie
weit die südafrikanische zoologische Subregion sich im Osten des
Continents erstreckt. Im Westen desselben wird sie durch den
eine markante Grenze bildenden Quanza-Fluss abgeschlossen, im
Osten reicht sie nordwärts bis zum 10. Grad s. Br. und umfasst
östlich noch den Rand des Hochlandes zwischen Nyassa-See und
Ostküste. Von den 134 Arten, unter denen 12 neu sind, .sind 47
beinahe über ganz Afrika verbreitet, 4.5 werden auch in der süd-,
19 in der ostafrikanischen Subregion angetroffen und 23 sind
charakteristisch für den Zambesi- und Shire-District. Hierzu
3 Tafeln. — Frank E. Beddard: lieber die Osteologie, Ptery-
glosis und Muskel-Anatomie von Heliornis surinamensis. (Ver-
gleichende Untersuchungen über den Bau, besondeis der Muskeln,
der Gattungen Heliornis und Podica der Heliornithidae. — R. Ly-
dekker: Ueber die ausgestorbenen Riesenvögel Argentiniens.
Die in den Tertiärschichten Argentiniens vorkommenden Reste
von Riesenvögeln werden auf ihre Gattungscharaktere, ihre Zu-
gehörigkeit zu den Ratiten untersucht, und verglichen mit den
Moas Neu-Seelands und den Tertiärvögeln Europas. - Henry See-
bohm: Ueber die Vögel der Loo-Choo-Inseln (Japan). — F. W.
Styan: Ueber !) augenscheinlich neue Vogel-Species von Heinan
(China). H. E. Barnes: Ueber die Vögel Adens. Der Verfasser, ein
lange Zeit in Aden stationirt gewesener Offizier, theilt allgemeine
Beobachtungen über die Lage, das Klima, die Fauna und andere
Verhältnisse der bekannten englischen Station mit und beschreibt
alsdann in dem vorliegenden Aufsatze, dem noch weitere folgen
sollen, 63 Arten von Vögeln. 1 Kartenskizze. — R. W. Schu-
feid: Vergleichende Notizen über die Trochiliden und Gypseliden.
Nach einer sehr sorgfältigen Untersuchung der Lebensverhältnisse,
Osteologie und Anatomie der beiden Subordnungen kommt der
Verfasser zu dem Schlüsse, dass dieselben morphologisch nicht
mit einander verwandt sind. — R. C. L. Perkins : Sammelnotizen
aus dem KonaBezirk auf Hawaii. Kurze Mittheilungen über die
Natur, das Pflanzenleben, besonders aber die Fauna des Kona-
Bezirkes (westlicher Theil Hawaiis). — Walter Rothschild:
Beschreibung dreier neuen Vögel von den Sandwich-Inseln. —
F. K.
Zeitschrift für Krystallographie und Mineralogie. Bd. 21,
Heft 3. Leipzig 1893. — Brögger: Sundtit, ein neues Mineral
von Oruro in Bolivia. Kr3'stallographische und Chemische Be-
schreibung eines neuen Silbererzes, welches in holoedrischen
Formen des rhombischen Systems krystallisirt. Baum hau er:
Krystallographische Notizen. Krystallographische Beschreibungen
dreier seltener Krystall vorkommen: Gelber Diopsid von Grau-
bünden; deutlich hemiedrische Binnitkrystalle vom Lengenbache;
ein Zwillingskrystall von Joi'danit (Binnenthal). Goldschmidt:
Goniometer mit zwei Kreisen. Verfasser stellt das schon lange
zur Bestimmung der Sternörter, sowie der Punkte an der Erdober-
fläche benutzte Instrument dar, und hält dasselbe, besonders wenn
noch einige von ihm beabsichtigte Verbesserungen daran vorge-
nommen sind, zu Krystallmessungen (Krystallmessung durch Orts-
bestimmung) sehr geeignet. Zu dieser nnd der vorhergehenden
Abhandlung gehört eine Tafel. Fock: Krystallographisch-che-
mische Untersuchungen. 13. Reihe, Beschreibung einer Anzahl
künstlich dargestellter Krystalle nach den beiden Richtungen hin.
Igel ström: Melanostibian, ein neues Mineral von der Mangan-
erzgrube Sjögrufvan, Kirchspiel Grythyttan, Gouvernement Crebro,
Schweden. Wesentlich chemische Untersuchungen eines neuen
Antimonininerals. Wulff: Ueber die Vertauschung der Ebene
der sternographischen Projection und deren Anwendungen. Der
Verfasser entwickelt eine sehr einfache, leicht anzuwendende Con-
structionsuiethode zwecks Vertauschung der sternograj^hischen
Projectionsebene, was bisher noch nicht versucht worden ist.
Einige kürzere Originalmittheilungen und Notizen, sowie zahl-
reiche Auszüge von Arbeiten aus den Gebieten der Krystallogra-
phie und Mineralogie bilden den weiteren Inhalt des Heftes.
F. K.
Botanische Jahrbücher für Systematik, Fflanzengeschichte
und Pflanzengeographie, herausgegeben von A. Engler. Leipzig,
lb92. Band 15. Heft 5. — Robert Keller: Beiträge zur Kennt-
niss der bosnischen Rosen. Der Verfasser unterzieht die in Bos-
nien heimische Rosa Malyi Kerner, sowie die von ihr abgetrennten
Varietäten einer kritischen Besprechung und untersucht, ob die
Hauptform als eine der Rosa alpina coordinirte Art gelten darf.
A. Engler, Beiträge zur Flora von Afrika. IV. (Aufzählung und
kurze Beschreibung von Gattungen und Arten.) Enthält folgende
Abschnitte: J. Müller: Die in den verschiedenen deutschen afri-
kanischen Schutzgebieten gesammelten Eichenen und Revision
der Stein'scheu Uebersicht über die von Dr. Hans Meyer in Ost-
Afrika gesammelten Flechten. F. Fax: Afrikanische Eu])horbia-
ceen I (Phyllanthoideae und Crotoneae). O. Hoffmann: Afri
kanische Compositen. — H. Harms; Ueber die Verworthung
des anatomischen Baues für die Umgrenzung und Eintheiluug der
Passifloraceae. Der Verfasser untersucht die von Beutham und
Hooker als Farn, der Passifloraceae angesprochenen Formen auf
ihre Zusammengehörigkeit und kommt zu dem Schlüsse, dass dazu
nur die Gruppen der Passifloreae im Sinne de Candoll's und der
Acharieae zu stellen seien; die Malesherbieae bilden dagegen eine
eigene Farn, der Malesherbiaceae, während man die Paropsieae
entweder auch als selbststandige Familie betrachten, oder in die
Nachbarschaft der Sauiydeae zu den Flacurtiaceae stellen kann.
1 Tafel. — Dem Hefte ist No. 38 des „Beiblattes zu den Bot,
Jahrb. angefügt, welche unter mehreren Abhandlungen eine
solche von Ascher so n enthält: Die Nomenclaturbewegung von
1892. Es wird darin der gegenwärtige Stand der Discussion und
Verhandlungen über die botanische Nomenclatur besprochen,
welche durch Kuntze's „Revisio generum plantarum" angeregt
worden sind. F. K.
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durch trigonometrische Reihen mit mehreren eigenen Variabein
proportionalen Argumenten, Dorpat. 1 M,
Böhm, A. u A. Oppel, Taschenbuch der mikroskopischen
Technik. 2. Aufl. München. 3 M.
Borgmeyer, J. , Geometrische Untersuchung über den Ort der
Fusspunkte der Lote, welche von einem Punkte auf die Strahlen
einer linearen Congruenz gefällt werden. Hildeshelm. 1,20 M,
Brehm's Thierleben, 10. (Schluss-) Band. Leipzig. 15 M.
Brenner, J. Frhr. v., Besuch bei den Kannibalen Sumatras.
2 Heft. 1 M.
Celakovsky, L., Ueber das Verhältniss des Rumex acetoselloides
Balansa zum ßumex angiocarpus Murbeck. Prag. 20 M.
Fialkowski, N., Die vollständige Trisection des Winkels. Wien.
3 M.
Finger, J. , Ueber jenes Massenmoment eines materiellen Punkt-
systems. Leipzig. 50 M.
Fischer, C. Th., Untersuchungen auf dem Gebiet der alten Länder-
und Völkerkunde. 1. Heft. Leipzig. 3 M.
Fischer, F., Handbuch der chemischen Technologie. Leipzig.
15 M,
Inhalt: Prof. Dr. Fr. Regel: Der zehnte Geographentag in Stuttgart (5.--7. April 1893). — Die verwandtschaftlichen Verhältnisse
des Eskimohundes. — Ausdrücke zur Bezeichnung der Lage und Richtung im Thierkörper. — Die Polarregionen und die Eis-
bildung. — Ueber die Bieliden. — Ueber die Geschwindigkeit des Crookes'scheu Kathodenstroms. — Aus dem wissenschaftlichen
Leben, — Litteratur: Ernst Haeckel: Der Monismus, als Band zwischen Religion und Wissenschaft. — N. Zograf: Les types
anthropologiques des Grands-Russes de Gouvernements du centre de la Russie. — Joseph Müller: Ueber Gamophagie. —
Brehms Thierleben. — Dr. F. Hock: Nadelwaldflora Norddeutschlands. — Prof Dr. A. Peter: Wandtafeln zur Systematik,
Morphologie und Biologie der Pflanzen für Universitäten und Schulen. — Richard Andree's allgemeiner Handatlas, — Ge-
heimrath Dr. Wilhelm Runge: Das Ruhr- und Steinkohlenbecken. — The Ibis, a Quarterly Journal of Ornithology. — Zeit-
schrift für Krystallographie und Mineralogie. — Botanische Jahrbücher für Systematik, Pflanzengeschichte und Pflanzen-
geogaphie. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein. Berlin SW. 12,
Nv. 19.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
XXXVII
An unsere Leser!
Auf Grund unserer Bitte in No, 16 um Mittheilmig der Ansichten aus dem Leserkreise üjjer
die geplante Vergrösserung der „Naturwissenscliaftliclien Wochenschril't" und in Folge dessen Er-
höhung des Abonnements um 1 M. für das Quartal sind bis jetzt im Ganzen nur 104 Aeusserungen
eingelaufen, von denen 96 dem Plane zustimmen, während ö die , Naturwissenschaftliche Wochen-
schrift" in dem bisherigen Umfang erhalten sehen möchten. Wir bitten die geehrten Leser um
weitere Kundgebungen.
Die Redaetion:
Dr. H. Potonie,
Berlin N. 4, Invalidenstrasse 40 41.
Der Verlag":
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung,
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bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollständiger C^uellenangabe gestattet.
Was sind Blumen?
Von H. Potonie *).
Wie sehr die Kinder Floras die Lieblinge des ganzen
Volkes sind, liisst sich überzeugend schon allein unserer
Sprache entnehmen: so sprechen wir von den Blüthen
der Kunst, von dem Keim der Liebe und Freundschaft,
und wir wissen keinen besseren Vergleich für das Schönste,
das uns die Erde bietet, zu finden, als es mit der Ge-
sammtheit des Pflanzenreiches zu vergleichen, indem wir
von dem Flor der .Tungfrauen reden.
So also spricht unser Gefühl; doch wir müssen
unserem Verstände die Zügel überlassen, der uns den
Weg weisen soll, unsere Lieblinge zu erkennen.
Es ist si)eciell das Fortpflanzungssystem, jenes System,
das der Erhaltung der (Tcschlechter gewidmet ist, das uns
beschäftigen soll, und zwar deshalb, weil hierher die
*) Wie in No. 16 niitgi.'tlieilt wurde, hat der Artikel de.s Herrn
Prof. Kiroliner über Christian Konrad Sprengel in No. 12 einige
der geehrten nichtljotanischen Leser veranlasst, der Redaetioii
vorzuschlagen, in der „Naturw. AVochensehr." einen Aufsatz üljer
die Grundzüge der heutigen Blumentheorie zu veröffentlichen. Da
— wie itdi dort sagte — ein solcher Aufsatz natürlich mir ganz
elementare, jedem Botaniker bekannte Dinge bringen könnte, die
„Naturw. Wochenschrift" jedoch im Wesentlichen die Aufgabe hat,
über die Fortschritte in der Naturwissenschaft zu berieliten,
so wagte ich es nicht, allein auf Grund der wenigen vor-
liegenden Aeusserungen, eine Auseinandersetzung über den ge-
nannten Gegenstand zu bringen. Es haben sich nun aber in Folge
dieser Mittheilung in No. 16 aus dem freundlichen Leserkreis noch
eine grössere Anzahl Stimmen eingefunden, die ebenfalls den Wunsch
geäussert haben, eine solche populäre Darstellung der Blumen-
theorie in der „Naturw. Wochenschr." zu lesen. Ich zögere daher
nunmehr nicht länger, diesem Wunsche nachzukommen. — Der
obige Artikel ist ein Theil der soeben erschienenen, mit Hrn. Prof.
Kirchner gemeinsam herausgegebenen Jubiläums-Schrift („Die
Geheimnisse der Blumen", Ferd. Dümmler's Verlagsbuchh.) zum
Andenken an Chr. K. Sprengel. Der dort gebotene Aufsatz
schliesst sich in erweiterter Form an einen von mir wiederholt
vor wenigen Jahren in dem populär-wissenschaftlichen Theater
„Urania" zu Berlin gehalteneu Vortrag an. Er möchte also dem
Laien nach dem lieutigen Stande der Wissenschaft das interessante
Gebiet erschliessen, für welches der bewunderungswürdige, seiner
Zeit weit voi-auseilende, grosse Gelehrte, der einfache Schulmeister
Blüthen gehören und insbesondere diejenigen Blüthen, die
wegen der Schönheit ihrer Formen, Färbungen und wegen
ihrer Wohlgerüche unser Wohlgefallen in hohem Maasse
verdienen, und die wir durch den besonderen Namen
Blumen auszeichnen.
Die einfachsten Gewächse pflanzen sich auch in ein-
fachster Weise fort; sobald ein solches Wesen eine be-
stimmte Grösse und Ausbildung erreicht hat, zerfällt es
in zwei gleiche Theile, die heranwachsen und wiederum
eine einfache Thcilung eingehen und so fort. Als Beispiel
nehme ich die einzellige, kugelige Alge, die auf unserer
Abbild. 1 bei I veranschaulicht wird. Sobald sie aus-
gewachsen ist, entsteht eine Wand, welche den proto-
plasmatischen Inhalt in 2 Theile sondert. Die so ent-
Christian Konrad Sprengel in .Spandau, einen breiten Grund ge-
legt hat. Der in der genannten Schrift folgende Aufsatz des Hrn.
Prof. Kirchner, einer Autorität auf dem Gebiete der Blumen-
Biologie, ist daher die eigentliche Veranlassung zur Veröfl'ent-
lichung meines Aufsatzes. Er ist also eine Einleitung, die dem
Laien ein volles Verständniss der Biographie Sprengel's ermög-
lichen soll, und es finden in demselben daher alle wissenschaft-
lichen Termini, die Herr Prof. Kirchner benutzen musste, ihre
elementare Erläuterung. In der Schi'ift „Die Geheimnisse der
Blumen" schliesst sich an die Biographie der gewissenhafte Mit-
mann'sche Auszug aus der einzigen Quelle, welche uns über den
wichtigsten Lebensabschnitt Sprengel's einige Auskunft giebt, an;
er ist ebenfalls zuerst in der „Naturw. Wochenschr.'' erschienen. Ich
glaubte ihn in der erwähnten Schrift nicht weglassen zu sollen; denn
sind diese Tagebuch-Aeusserungen über Spreugel von Seiten eines
seiner Mitlebenden auch sehr individuell gefärbt, weil der Verfasser
des Tagebuches, ein Theologe, der ausschliesslich in seinem Berufe
aufging, den grossen Naturforscher nicht verstehen konnte, so ge-
winnt man doch den Eindruck, dass sie mit ehrlichem Hei-zen
niedergeschrieben wurden. Von dem Kampf, der sich zwischen
dem übrigens tlurchaus gläubigen Naturforscher Sprengel und dem
Theologen in des letzteren Tagebuch offenbart, hat jeder di'r
Leser gewiss mit Interesse Kenntniss genomnuie' Sprengel rück
uns durch diese unmittelbaren Aeusserungen über ihn menschlicu
näher, als es irgendwie anders möglich ist: wir vernehmen den
Hauch seiner Zeit; ein Stückchen Kulturgeschichte thut sich in
demselben auf.
196
Natnvwissenschaftliche Woehenscbrift.
Nr. 20
standeiien beiden Zellen beginnen sicli zu individnalisiren
(II), indem sie sich von einander abschnüren. Die Ein-
schnürung nimmt mehr und mehr zu und cndiieii werden
die beiden Zellen frei: trennen sich von einander: III.
Es entstehen also hier neue Wesen einfach durch das
Zerfallen eines der ursprünglichen in mehrere. — Ein
weiterer Schritt ist es schon, wenn an einer bestinunten
Stelle des Pflanzenleibes Gebilde hervorspriessen, die sich
vom Mutterkörper loslösend, neue Individuen erzeugen,
wie das z. B bei der in der .,Naturwissenschaftlichen
Wochenschrift" Band VII, S. ' 78
abgebildeten Alge der Fall ist.
Auch dieser Vorgang ist eine
einfache Theilung des Mutterkörpers,
aber der letztere bleilit in seiner In-
dividualität erkennbar und der kleine
Theil, den er als Keimkörper abge-
stossen hat, bedarf einer längeren
Wachsthumsperiode, um das Aus-
sehen und die Grösse des Mutter-
körpers zu erreichen. Auch manche höheren Pflanzen
können sich durch Bildung von Keimkörpern der be-
zeichneten Art fortpflanzen. AVir brauchen hier nur an
die Kartoffel zu denken, deren Knollen unterirdische
Steugelanschwellungen sind, die sich durch Absterben der
verbindenden, dünnen Stengel-
theile von der Mutterpflanze
trennen, neue Individuen zu
erzeugen. Ihnen sind für die
Dauer ihrer ersten Jugend
reichliche Nährstoffe in der
Knolle gegeben. Denn die
Knollen sind Speisekammern,
die wir uns ja bekanntlich zu
Nutze machen : Vorrathsbe-
hälter namentlich für Stärke
und Wasser, welche Producte
die sorgsame Mutterpflanze
ihren Kindern als ersten Lebens-
unterhalt bietet. — Allein nur
die allereinfachsten Pflanzen
begnügen sich mit der ge-
schilderten Fortpflanzuugsart,
alle übrigen Gewächse besitzen
noch eine andere Weise der
Fortpflanzung, die sehr vielen
höheren Wesen sogar aus-
schliesslich eigen ist. Hier
werden zweierlei Sorten von
Zellen erzeugt, die einzeln,
für sich, nicht entwickelungs-
Auflösung der trennenden Wand eine ofl'ene Konimuni-
cation zwisciien den beiden Zellen iier. Der eigen-
thüraiich gestaltete, sehleimig-fliissige (])rotoplasmatische)
Inhalt jeder Zelle mitsannnt dem grünen Spiral Ijande hat
sich zu einer Kugel zusamnieugeballt, und der Inhalt der
einen ist schliesslich in die andere Zelle durch den ent-
standenen Kanal hinübergewandert, nm hier mit der
Protoplasma-Kugel dieser Zelle zu verschmelzen. Bei r
ist der Inhalt der Zelle links
Zelle rechts und Vereinigung
begrifl:en.
Bei
und
vollzogen
toplasmatisclie
sich dann (III)
Dieses Gebilde (III)
din"un.
günstigen B(
auf der Wanderung in die
mit dem Inhalt derselben
d ist die Vereinigung
das entstandene ])ro-
Gebilde Sp umgiebt
mit einer festen Haut.
nun wächst unter
nachdem
;en und
Figur
Einzellige Alge (Pleurococcus vulgaris) in etwa
40uiaclier Vergrösserung.
des
zu
es eine Ruiieperiode im (gründe
Gewässers durchgemacht hat,
einem neuen Algenfaden aus.
Nur soviel über die Fortiiflanzung
Gewächse. — Wir wollen nach dieser Vor-
einer näheren Betrachtuni;- der hiiheren ein-
der niederen
bereitung zu
gehen, um zur IjcantwortunK'
nachdem
solcher
vereinigt
Diese beiden Zellen sind
durchaus gleich, in der
eine kleiner, die andere
zu machen, will
fähig sind und erst, nnoliflpm Spirogyra.
der Inhalt zweier
Zellen sich materiell
bat, keimfähige Gebilde liefern
entweder in Form und Grösse
Älehrzahl der Fälle jedoch die
grösser. Um das Gesagte verständlicher
ich ein Beispiel vorführen.
Unsere Abbildung 2 zeigt bei II ein vier- und ein
fünfzelliges Stück gewisser Algenfäden aus unseren
Teichen nebeneinander liegend und in eigenthümlicher
Weise miteinander verwachsen. Ursprünglich war jeder
dieser beiden Fäden frei: sie haben sich ihrer Länge
nach, parallel an einander gelegt und die gegen-
über liegenden Zellen der Fäden haben zuerst kleine
Aussackungen, die gegen einander gerichtet sind, ge-
bildet, wie dies bei a und h zu sehen ist. Diese Aus-
sackungen stellen — wie c veranschaulicht — durch
unserer Frage zu gelangen:
Was sind Blumen? Wir wollen also wissen, was sie
in der freien Natur sind, sie, die unser Leben schmücken
den Dichter zur Begeisterung
anfachen und bei ihrer Schön-
heit und doch so schnellen
Vergänglichkeit dem Sorgen-
losen ein Sinnbild sind, die
flüchtige Gegenwart zu ge-
niessen und der Dornen nicht
zu achten, die doch selbst der
Königin unter den Blumen,
der Kose, nicht fehlen!
Bei den höheren Pflanzen
sind nicht alle Zellen im
Stande sich zu vereinigen, wie
bei den vorgeführten Algen-
fäden, sondern nur ganz be-
stimmte Zellen des Pflanzen-
körpers vermögen eine Ver-
schmelzung einzugehen , um
eine einzige, neue Zelle zu
bilden, aus der dann ein neues
Indi\iduum hervorgeht. Die
bestimmten Körperstellen, in
denen diese Zellen erzeugt
werden, sind nun die Blüthen,
und die wunderbaren Einrich-
tungen, welche diese aufweisen,
haben den ausschliesslichen
Zweck, die Verschmelzung jener
beiden Sorten von Zellen her-
beizuführen. Aber der Vorgang ist nur verständlich,
wenn wir wissen, wie eine Blüthe gebaut ist, und so muss
ich denn den Blüthenbau zuvörderst an einem Beispiel
erläutern. Ich habe es leicht, da es sich nur um eine
kurze Recapitulation von AlUickanntem handelt. Wir
wählen eine Blüthe, die einfache Verhältnisse zeigt und
schauen hinein. Unsere Abbildung 3 stellt eine Blüthe der
Nieswurz dar. Sie zeigt uns zu äusserst, beziehungsweise zu
Unterst fünf Lappen: das sind fünf Blätter der sogenannten
Blüthen decke, Bd. Sie umgeben in einem Kreise
stehend die anderen Blüthenorgane. Im Innern unserer
Blüthe erblicken wir eine Anzahl Fäden, die an ihrem Gipfel
je einen Beutel, den Staubbeutel, <S'/, tragen; derselbe
öffnet sich zu gelegener Zeit und entlässt ein äusserst feines
Pulver, den Blüthenstaub (Pollen). Staubbeutel und
Figur 2.
- Stark ver
Nr. 20.
Natnrwisscnscliai't liehe Woehensclirif't.
l'.iT
Staubfaden zusaminenseiiomnieii inaehcn ein Staubblatt
aus. Den Mittelpunkt der Blütiie nehmen die so^-enannten
Stempel ein. die am Grunde eine bauchii;e Erweiterung-,
den Fruehtknoten, Fr, zeigen. Der Fruehtknoten trägt
ein stieltiirniig-es Gel)ilde, den Griffel, <!. der an seinem
Gipfel in ein klcl)rig-feuchtes Ende, die sog-enannte
Narbe, Na, ausläuft. Nicht immer ist die Blüthendecke
einfach, wie in unserm Fall, häufig: scheidet sie sieh in
einen äusseren, meist kleineren
Keleli, und in einen zarten,
prächtig- gefärbten, g-rösseren
Theil: die Krone.
Man hat in dem von mir
gewählten Falle der Nieswurz
triftigen Grund anzunehmen,
dass die in unseren Figuren
mit Ne bezeichneten tüten-
förmig-en Gebilde, die einen
süssen Saft, den „Nectar'-, oder
weniger gut „Honig-", aus-
sondern und enthalten, im
Laufe der Generationen aus
der inneren Blüthendecke her-
vorgegang-eu sind, sodass dem-
nach der einzige Kreis der
Blüthendecke Bd dem Kelch
entsprechen würde. Die
zwischen Bd und den Staub-
blättern St eingeschalteten
Tüten bezeichnet man als
Xectarien, weniger gut als
llonigbehälter oder -Gefässe
oder mit Sprengel als Saft-
drüsen: auf die hohe Wichtig-
keit dieser Organe im Leben
der Blumen werden wir gleich
eingehen.
Durchschneiden wir den
Fruchtknoten Fr z. B. der
Länge nach, so sehen wir ihn
hohl und eine Längsseite
trägt kleine, eiförmige Körper
und g-rtinen Theil : den
niütlic der Nieswurz, Hellelioriis iiiger.
E, aus denen unter ge-
wissen Bedingungen die Samen
werden, also jene Gebilde,
die in den Erdboden gebracht,
zu neuen Pflanzenindividuen
auswaehsen. Damit aber diese
eiförmigen Gebilde — der Bo-
taniker nennt sie Samenknospen
oder Eichen — damit also die
Eichen zu Samen werden, d. h.
damit sie keimfähig, reif werden, ist eine vorbereitende
Arbeit noth wendig. Es muss nämlich Blütbenstaub auf
die Narbe des Stempels gelangen. Jedes einzelne, nur
bei sehr starker Vergrösserung sichtbare Körnehen des
Blüthenstaubes, von denen jedes aus einer einzigen Zelle
besteht, wächst — auf die Narbe gebracht — zu einem
mikroskopisch-feinen Schlauch aus, der durch den Griffel
des Stempels hindurchwächst, liis er den Fruehtknoten und
in demselben die Eichen erreicht. Diesen giebt er etwas
von seinem protoplasmatischen Inhalt al) und erst dann
vermögen die Eichen zu Samen zu werden, dann erst
sind sie in der Lage zu reifen. Die Uebert ragung des
Blüthenstaubes auf die Narbe nennt man Bestäubung.
Die Bestäubung der Narben mit Blütbenstaub hat
aber nur dann eine zweckentsprechende Wirkung, wenn
eine Kreuzbestäubung stattgefunden hat, d. h. wenn
der Blütbenstaub einer fremden Pflanze (^natürlich der-
selben Pflanzen-Art) auf die Narbe gebracht wird, sodass
eine Bestäubung- der Narben mit Blütbenstaub derselben
Blüthe, oder — anders ausgedrückt — sodass eine Selbst-
bestäubung, Selbstbefruchtung-, in vielen Fällen unwirk-
sam oder doch weniger wirksam ist.
Die für die Fortpflanzung der Gewächse so wichtige
Uebertragung des Blüthenstaubes auf eine fremde Narbe
wird nun in der verschiedensten Weise bewerkstelligt,
und es ist leicht ersichtlich, dass die Pflanzen hierzu be-
sonderer üebertragungsmittel
bedürfen. Solche Vermittler
der Bestäubung sind der
Wind, das Wasser und die
T liiere und zwar meist In-
seeten, und man unterscheidet
hiernach Wind-, Wasser- und
insectenl)lüthigePflanzen;
letztere allein tragen Blumen,
d. ii. auffallende, meist farben-
prächtige Blüthen.
Bleiben wir zunächst bei
den Blumen.
Rüstet sich — nach einem
Goethe'schen Ausdruck — die
Pflanze in ihren Blüthen zu
den Werken der Liebe, so
liegt es nahe, in den farben-
prächtigen Blättern der Blüthen-
decke das Hochzeitskleid
zu erblicken. Ein Hochzeits-
kleid ist aber nur ein Schmuck,
der besonders verführerisch
machen soll; bei den Blumen
kann nun allerdings hiervon
nicht recht die Rede sein. Nur
insofern lassen sich die farben-
prächtigen Blütheudecken als
Hochzeitskleider bezeichnen,
als sie wie diejenigen im
Thierreich ebenfalls in offen-
barem Zusannnenhange mit
..den Werken der Liebe" stehen
und insofern sie ebenfalls anzu-
locken bestimmt sind, aber
Liebhaber ganz anderer Art
als das Hochzeitskleid der
Thiere: sie sind nämlich
Wirthshausschilder für die
Insecten in des Wortes
F'S""- 3. strengster Bedeutung. Ein
Wirthshausschild soll den
Wanderer anlocken, muss also
autfallen und ihm melden, dass Nahrung zu haben ist.
Genau dieselbe Aufgabe haben die farbigen Blätter der
Blüthenregion, und in der That Ijieten auch die Blumen
den angelockten Thierchen Nahrung und zwar meist in
der Form süssen Saftes, des Nectars. Wie aber die
Blumen in dieser Weise den Insecten einen Dienst leisten,
so verlangen sie gleichsam als Entgelt von den Thierchen
den schon angedeuteten wichtigen Gegendienst.
Diese besorgen unbewusst die Bestäubung, wodurch
ja erst die Samen- und Fruchtbildung ermöglicht wird.
Auch die Wohlgerüche und die für uns unan-
genehmen Düfte der Blumen stehen im Dienste der
Bestäubungs - Vermittelung, denu sie sind ein weiteres
Lockmittel für die Thierchen.
Also die Farben und die Düfte, aber auch die oft
in den Blumen vorhandenen Nectar- Abson derungen
und — bei fehlenden Nectarien — der ebenfalls als
Dieselbe von der Seite gesehen nach Wegnahme der
vorderen Hälfte.
198
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 20.
Wirthshausschilder ent-
ans
Bestäubung-
Figur 4.
Einige Male ver-
grösserte männliche
IJIüthe der Trauer-
weide
(Salix babylonica L.)
Nahrung dienende Blüthen staub sind die Lockmittel
der Blumen.
Es kommt auch vor, dass Blumen durch täuschende
Mittel lusecten anlocken. Ein vortreffliches Beispiel dafür
bietet die in schattigen Laubwäldern anzutreffende Ein-
beere, welche keinen Honig- absondert. Der dunkel-
purpurne Fruchtknoten glänzt aber so wirksam, als wäre
er feucht. Hierdurch werden fliegenartige Insecten ver-
anlasst, den Fruchtknoten zu belecken, wobei sie leicht
mit den Staubbeuteln und mit den Narben in Berührung
kommen.
Farbige Aushängeschilder ,
behrende Pflanzen, die Wind-
und Wasserblüthler, besitzen
durchaus unscheinbare Blüthen,
da farbenprächtige Blätter in
der Blüthenregion hier offenbar
nutzlos wären. Auch fehlen
den Blüthen der Wind- und
Wasserblüthler naturgemäss be-
sondere Gerüche, und Nectarien
werden nicht entwickelt.
Die Blumen sind in ihrem
Bau bestimmten Insecten-Arten
angepasst. Wir sehen, dass
die Grösse der Blumen durch-
dei-jenigen der für ihre
nothwendigen In-
secten entspricht, dass beide:
Insecten und Blumen sich
durchaus einander angepasst
haben. Besonders auffallend
erscheint zunächst, rein äusserlich betrachtet, der bequeme
Sitz, den die Blume ihrem Freunde bereitet, der oft in
entsprechender Grösse und so angelegt ist, dass das lu-
sect eine bestimmte, für den B
Stellung einnimmt.
Die Grundfarbe der Blüthendecke zeigt oft zarte, ab
weichend gefärbte Zeichnungen, namentlich
in Strichform: die Saftmale, welche von
den aussen leicht sichtbaren Theilen der
Blüthendecke bis zu den Honiggefässen
oder den den Nectar
haltern reichen und
Weg zur Honigquelle
Blume des Stiefmütterchens sind
dunklen in das Innere der Blume weisen-
den Striche auf den Blumenblättern die
Saftmale oder besser Wegweiser für die
Insecten: sie zeigen den Weg zum Nectar.
Beim Stiefmütterchen sind die Nectar ab-
sondernden Organe tief im Innern der Blume versteckt.
Bei anderen Blumen sind sie aber von aussen deutlich
sichtbar. Schauen wir z. B. in die Blume der Kaiser-
krone, so bemerken wir am Grunde eines jeden von
den 6 Blättern der Blüthendecke eine kreisförmige helle
Stelle, die von einem schwarzen Ring umgeben wird.
Es sind das kleine, flache Schüsseln, die einen honigsüssen
Saft enthalten, den sie den besuchenden Insecten dar-
bringen. Sie geben sich so als Nectarien zu erkennen.
Beim Sammeln des Neetars vermitteln nun die Thiere
die Kreuzbestäubung, indem sie beim Aufsuchen der
Nectarien durch besondere Blütheneinrichtungen gezwungen
werden, die Staubbeutel beziehungsweise die Narben zu
streifen, wobei sie an bestimmten Körperstellen den meist
klebrigen Blüthenstaub aufnehmen, den sie beim Besuch
einer anderen Blume unbewusst an die klebrige Narbe
abgeben. — Eine Selbstbestäubung wird überdies häufig
durch besondere Vorkehrungen verhindert. Die Staub-
achtungen
gelegt
estäubungsvorgang nützliche
Figur 5.
Einige Male ver-
grüsserte weibliche
Bliithe, Stempelblüthe,
der Trauerweide
(Salix babylonica L.)
sammelnden Saft-
deu Insecten den
weisen. Bei der
die
Figur 6.
Schwach vergiös??erte Uliimen von
Primuhi elütior ini l.jinj^öscbnitt.
und Fruchtblätter erlangen nämlich in derselben BiUtiie
oft zu ganz verschiedenen Zeiten ihre Reife. Man nennt
solche Blüthen dichogame im Gegensatz zu den homo-
ganien, bei denen das Reifestadium der Staubblätter mit
der Empfängnissfähigkeit der Narben zusammenfällt. Er-
langen die Staubblätter vor den Fruchtblättern die Reife,
so verwelken die Staubblätter, wenn die Narben empfäng-
nissfähig-werden („]irotandrische" Blütheni, während
bei anderen Blüthen die Staultbeutel sich erst zu öffnen
beginnen, wenn die Narben bereits ausgedient haben
(„protogynische" Blüthen). Diesbezügliche Beob-
können wir leicht im Garten oder an unseren
Blumentöpfen im Zimmer
maclieii. Nehmen wir z. B.
eine erst kürzlich erblühte
Nelken-Blume zur Hand, so er-
blicken wir die Staubblätter mit
ihren Beuteln aus dem Innern
der Blume hervorragen. Nach
einer gewissen Zeit welken
die Staubblätter, verlieren ihre
Functionsfähigkeit und ver-
schwinden; wir sehen dann
allmählich ein fadenförmiges
Gebilde aus dem Innern
zwischen den Blumenblättern
hervorwachsen, welches die
Stelle der Staubblätter ein-
nimmt, aber keinen Staub-
beutel trägt. Dieses neue Ge-
bilde spaltet sich der Länge
nach in 2 Theile, die bald
auseinanderklaffen und sich, wenn wir diese beiden faden-
förmigen Theile nach unten hin verfolgen, durch einen
Griffel mit dem Fruchtknoten verwachsen zeigen : sie
geben sich hierdurch als die Narben zu erkennen. Im
ersten Stadium befindet sich die Nelken -Blume somit im
Reifezustand der Staubblätter, im zweiten im Reifezustand
des Stempels; wenn die Narben da sind,
fehlen die Stauliblättor und umgekelirt:
eine Selbstbestäubung ist somit gänzlich
unmöglich. Das Gleiche ist der Fall z. B.
bei den Malven-Blumen. Zuerst sehen wir
hier im Innern ein Bündel zahlreicher
Staubblätter, deren Beutel zu einem
Köpfchen zusammensteilen später ver-
welken die Staubblätter, sie ver-
schrumpfen und biegen sich zurück,
und an Stelle derselben wachsen eine
grosse Anzahl Narben hervor: das zweite
Reifestadium der Blume anzeigend und
bereit, den Besuch eines mit Blüthenstaub bciadenen
Insectes zu empfangen, das eben eine Blume, die sieh in
ihrem ersten Entwickelungsstadium befindet, verlassen hat.
Fliegt also ein Inseet von einer Blume, die sich im erst-
beschriebenen (männlichen^ Stadium befindet, auf eine im
zweiten (weiblichen) Stadium befindliche Blume, so ist
eine regelrechte Kreuzbestäubung unvermeidlich.
Die Blüthen der Weiden, die ich als weiteres Bei-
spiel wähle, enthalten entweder nur Staubblätter (Fig. 4)
oder nur Stempel (Fig. 5); sie sind sehr einfach gebaut.
Sie sitzen in den Winkeln von Schuppen S, welche die
steife Achse der Blüthenstände, der sog. Kätzchen, be-
kleiden. Die Stempel-Blüthen liestehen aus einem gestielten
Fruchtknoten Fr, der am Grunde des Stieles eine Honig-
drüse .V aufweist. Die abgebildete Staubblattblüthe (Fig.4)
besitzt an Stelle des Fruchtknotens 2 Staubblätter St,
an derem Grunde ebenfalls eine Honigdrüse N' bemerk-
bar ist. Die Kätzchen tragen immer nur einerlei Blüthen
Nr. 20.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
199
und die ganze Pflanze trägt immer nur einerlei Kätzclicn,
sodass eine Kreuzbestäubung- zur Nothwendigkeit wird.
Die Hummeln und Bieneu kriechen lebhaft auf den
steifen Kätzchen herum, nach dem reichlichen Honig
suchend, und bürsten förndich hierbei nnt ihrer behaarten
Baucliseite ßliithenstaub heraus, den sie beim Besuch von
Kätzchen mit Stempelldüthen unbewusst an die klebrig-
feuchten Narben abgeben.
Als ferneres Beispiel nehme ich die l'rimel. Wenn
wir verschiedene Pflanzenstöcke einer Primel untersuchen,
so wird uns bald auffnllcn, dass — wie die Abbild. Fig. 6
zeigen (die 2 der Länge nach aufgeschlitzte IMumeu von
2 verschiedenen Stöcken nach Wegnahme der vorderen
Hälften \eranschauliciien) — die einen kurzgrifflige (1 in
der Figur), die anderen lauggrifflige Fruchtknoten (2) be-
sitzen und dass in den Blumen erster Art die Staub-
blätter an der Spitze der Kroneuröhre, im anderen Falle
in der Mitte der Röhre eingefügt sind. Das Eigeu-
thümliche ist nun, dass der Blüthcnstaub der höher
stehenden Staubblätter, auf
kurzgrift'liger
nicht
doch
Ergeb-
\r
die Narben
Blumen gebracht,
fruchtbar wirkt oder
kein sehr günstiges
niss liefert, während die
langgriffligen Blumen durcii
solchen Blüthcnstaub voll-
kommen befruchtet werden.
Ebenso bleibt der Blüthcn-
staub der tiefer stehenden
Staubblätter auf die Narben
langgritfliger Blumen ge-
bracht, mein- oder nnnder
unwirksam, befruchtet hin-
gegen kurzgrifflige Blumen
vollkommen. Die Bestäubung
ist also nur dann günstig,
wenn sie nach Andeutung
der beiden Pfeile in unserer
Figur zweier
dieser Blumen
oder Be-
stäubung von Blumen des-
selben Stockes untereinander ist
doch fast resultatlos, während
den l)esten Folgen in Hinsicht auf die
Anzahl der Samen begleitet ist. Es
Längsschnitte
geschieht.
Figur 7.
Blüthenstand von
Arum maeulatum
verkleinert.
dalier resultatlos
Kreuzbestäubuug
Ausbildung
commt bei
oder
von
und
der
zum
die-
üebertragung des Blüthenstaubes von einem Stock
andern in Betracht, dass ein Inseet in den Blumeu
selbe Stellung- einzunehmen pflegt. Es wird hierdurch
die Kreuzl»estäubung begünstigt, indem dieselbe Körper-
stelle des Thieres, welche vorher mit Blüthenstaul) in
Berührung kam, beim Besuch einer anders gestaltigen
Blume derselben Art nothwendig mit der fraglichen Körper-
stelle die ohngefähr an demselben Ort befindliche Narbe
berühren wird.
Eine sehr leicht venständliehe Einrichtung zeigt aucii
der bei uns in schattigen, feuchten Laubwäldern vorkom-
mende Aron (Arum nuiculatum L.), von welcher Pflanze
ich in der Figur 7 einen Blüthenstand zur Darstellung
bringe, von welchem die zugekehrte Hälfte der tüten-
förmigen, unten kesselartig erweiterten Hülle wegge-
schnitten wurde, um einen Einblick in den eigenthüni-
liehen Apparat zu gewähren.
Die Achse des Blüthenstandes trägt zu Unterst
Stempelblüthen iv, darüber Staubblattldttthen m und dar-
über nach abwärts gerichtete starre Fäden /', welche die
gerade an dieser Stelle enge Hülle /; derartig absehliessen,
dass zwar Insecten, die theils durch die Aushängefahne /;,
tliciis durcli den urinösen (u-rucli angezogen werden,
durch die oben sehwarzrotiie Leitstange l liinabgeführt,
in den die Blütlien enthaltenden Kesseltheil der Hülle
liinein, aber nicht wieder hinaus können. Haben die
Insecten Blüthcnstaub mitgebracht, so vermögen sie die
Stempelblüthen während des llernnikriechens zu bestäuben.
Die Staubblatt - Blüthcn beginnen dann zu reifen und
lassen ihren Blüthcnstaub in den Kesselgrund fallen, so
dass sicii die Insecten mit neuem Blüthcnstaub beladen
und, nachdem in einem weiteren Stadium die abschliessen-
den Fäden f crschlatt't sind, ihr Gefänginss aufgeben
können, um eine neue Aronpflanze aufzusuchen.
Während des Reifestadiums der Staubblätter soudei-ii
die nunmein- welkenden Narben der Stempel je ein Ncctar-
tröpfehen aus und bieten so den Insecten (aus der Gruppe
der Mücken) Nahrung.
Die Vorrichtung zum Fangen der Thierchen ist, wie
man sieht, dieselbe, wie sie der ^Mensch in den Mause-
fallen und Fischreusen zur Anwendung bringt.
Nur noch ein Beispiel:
es betrifft die Wiesen-Salbei.
Die Abbildung Figur S zeigt
bei 1 die Blume der in Rede
stehenden Pflanzenart von
der Seite gesehen. Die
Kronenoberlippc überdeckt
die beiden eigenthündicli
gestalteten Staubblätter,
welche punktirt in ihrer ge-
wöhnlichen Lage unter
ihrem Schutzdach ange-
deutet wurden. Fahre ich
— wie das der Pfeil an-
deutet — mit einem zuge-
spitzten Gegenstand, z. B.
mit einer Bleistiftspitze, in
die Kronenröhre von ihrem
Schlünde aus hinein, so
treten die Staubblätter, die
bis dahin in der Höhlung
der Oberlippe verl)orgen
waren, plötzlich hervor, so
dass sie die bei b ange-
einnehmen. Wenn sieh nun eine Hummel
auf den iin- bereiteten Sitz der Unterlippe / nieder-
lässt und mit ihrem Kopf und Rüssel in die Kronen-
röhre eindringt, wie vorher die Bleistiftspitze, um den im
tiefsten Grunde der Röhre vorhandenen Honigsaft auf-
zusaugen, so treten also die Staubbeutel, wie gezeigt, her-
aus, fallen auf den behaarten Rücken des Thierchens und
lassen dort reichlich Blüthcnstaub zurück. Hört der Druck
des Rüssels auf den am Grunde der Staubblätter betind-
lichen Hebclmechanismus auf, so kehren die Staubbeutel
wieder in ihre geschützte Lage zurück.
Abbildung 2 in f^igur 8 stellt den Staubblattapparat
für sich dar. Mit /' sind die beiden an ilireui freien Ende
der Krone ansitzenden Staubfäden bezeichnet, die am
anderen Ende gelenkig mit den beiden Balken jt h ver-
bunden sind, p ist das den Eingang der Kronenröhre
gewöhnlieh versperrende plattenförmige Organ, b sind die
Staubbeutel.
Wie beschrieben verhält sich also eine im Rcife-
zustande der Staubblätter befindliche Blume; tritt dieselbe
in den Reifezustand der Stempel ein, so verlieren die
Staubblätter ihre Lebensfäingkeit, und die Spitze des
Griffels senkt sich so weit im Bogen hinab, dass die nun-
mehr auseinander klaffenden beiden klebrigen Narben-
zipfel n ])ci einem jetzt erfolgenden Inscetenbesueh ihrer-
seits den Rücken des Thierchens berühren müssen und so
Figur 8.
Blume der Wie.sen-SaU)ei fSalvia
pratensis), scliwach vergrüssert.
gebene Laye
200
Naturwissenschaftlic-he Wochenschrift.
Nr. 20.
den init.i;-elirat'hten Iilütliciistaul) anfiu'limen krmnen. Der
nach unten liiu weisende Narl)enschenkcl ist länsor als
der obere, gleiclisani ein besonders vorgestreckter Finger,
der sicli eifrig bemüht, einen bcstinnnten Gegenstanil zu
berühren.
In der gcseliilderten Jüume der Wiesen -.Salbei sind
sowohl Staubblätter (niännliche Geschlechtsorgane) als
auch weibliche Geschlechtsorgane vorhanden; solche Blumen
nennt der Botaniker zweigeschlechtig, zwitterig oder
herniaphroditisch. Ausser Stöcken, welche ausschhess-
lich wie beschrieben hermaphroditische Blumen tragen,
kommen bei der genannten l'Hanzenart, wenn auch weniger
zahlreich, Stöcke \t)Y, l)ci denen die Stauljbliittcr mehr oder
minder verkümmert und functionsunfähig, die weiblichen
Organe jedoch durchaus erapfängnissfäliig sind, wie in den
hermaiihroditischen Blumen. Solche Arten nennt man
gyuodiöcisch. Natürlich ist bei den rein weiblichen
Blumen sogar eine Bestäubung von Blumen desselben
Stockes untereinander unmöglich gemacht, so dass die
Kreuzbestäubung hier absolut sicher erreicht wird.
Die AViesen-Salbei ist eine „Hummel blume", d. h.
ihre Blumen sind ihrem Baue und ihrer Grösse nach
durchaus Hunnneln angepasst; sie allein vermögen eine
Bestäubungsvermittelung zu vollziehen. Aehnlich unter-
scheidet man Bienen-I51unien, Tagfalter- und Nacht-
falter-Blumen, Schwärmer- B 1 u m e n , W e s p e n - B 1 u -
men u. s. w. Während solche Blumen also bestimmten
Besueherkreisen angepasst sind, gicbt es eine grosse An-
zahl anderer, die in dieser Hinsicht weit weniger beschränkt
sind; das Extrem der Reihe bilden die „offenen Honig-
blumen'- und die meisten „Pollenblumen", — welche
letzteren des Honigs entltehren, dafür aber eine grosse
Zahl polleureicher Staubblätter besitzen, weil sich in
diesem Pralle die Besucher mit dem Blüthenstaub als
Nahrung begnügen müssen, — bei denen der Nektar be-
ziehungsweise der Pollen auf das bequemste ausgebeutet
werden kann, weshalb auch hier die mannigfaltigsten
Insecten-Arten für die Bestäubungs-Verniittelung in Betracht
kommen. Von den oft'enen Honigblumen gelangen wir
durch die Blumen mit theilwciser Honigbergung
zu solchen mit völliger Honigbergung, zu denen, wie
aus der Beschreibung hervorgeht, die Wiesen-Salbei gehcirt.
Bei Pflanzen-Arten mit völliger Honigbergung ist der
Nektar besonders vorsichtig vor äusseren Einwirkungen,
namentlich Regen und Thau, geschützt, aber auch in den
oft'enen Honigblumen finden sich, wo es Noth thut, als
besondere Scliirmvorrichtungen über den Nektarien oft
„Saftdecken" in der Form von Lappen, Haarbüscheln
u. dergl. Bei der Wiesen- Salbei im Speciellen schützt
die innere Blüthendecke, die Blumenkrone, diu-ch ihre
Ausbildung nicht nur das Nektarium vor dem Nasswerdeu
durch Regen und 'Jliau, sondern durch die schirmartige
Ausbildung ihrer Oberlippe auch die Staubbeutel: ein
Schutz, der geboten erscheint, da auch der Blüthenstaub
durch Feuchtigkeit leicht verdirbt.
Schutzmittel besonderer Art in und ausserhall) der
Blumen finden sich oft zur Abhaltung „unberufener
Gäste" unter den Insecten, um diese von der Ausnutzung
der Nährmaterialien für die eigentlichen Bestäubungs-
Vermittler abzuhalten.
„Unberufene Gäste" nennt man also solche Insecten,
welche zwar die Blumen behufs Einsammelns von Honig
oder Blüthenstaub besuchen, jedocli bei dem Befrnchtungs-
act keine Hilfe leisten, vielmehr die Blumen durch ihr
Herumkriechen in denselben nicht selten zu schädigen im
Stande sind, weil sie ihnen nicht, wie die richtigen Be-
stäubungs-Vermittler, in ihrem Baue angepasst erscheinen.
Schutzmittel gegen aufkricchende unberufene Gäste
sind meist ausserhalb, solche gegen anfliegende In-
secten meist im Innern der Blumen — oft wie Gitter ab-
speriende Haare und Fransen — angebracht.
Zunächst ist leicht einzusehen, dass die mit ihren
unteren Theilen im Wasser stehenden Gewächse besonderer
Schutzmittel der angedeuteten Art — wenigstens gegen
aufkriechende Thiere — nicht bedürfen, die sie in der
That auch nicht besitzen, da das Wasser den nicht fliegen-
den Thieren meist ein unüberwindliches Hinderniss ent-
gegensetzt. Manche auf trockenem Boden stehende Arten,
wie eine Enzian- Art, Gentiana lutea, und eine mit der Weber-
karde verwandte Pflanze, Dipsacus laciniatus, verschanzen
ihre Blumen hinter eigenen Gräben, indem die gegen-
ständigen Blätter mit ihrem Grunde derartig verwachsen,
dass um den Stengel herum ein Becken gebildet wird,
welches sich bei jedem Regen mit Wasser füllt. In diesen
Behältern ertrinken viele aufkricchende und auch an-
fliegende Insecten, welche sonst vielleicht in die Blumen
zu gelangen suchen würden, um dort „unberufen" vom
Honig oder Blüthenstaub zu naschen.
Bei der auf sonnigen Hügeln, trocknen Wiesen und
in Laubwäldern nicht seltenen Pechnelke (Viscaria vul-
garis) schützen sich die Blumen durch die pechig-klebrige
BeschaÖ'enheit der oberen Steugeltheile unter den Ansatz-
stellen der Blätter vor einer Beraubung durch alle der
Pflanze nicht nützlichen, ungeflügelten Gäste: gerade
wie der ]\Iensch seine Waldungen vor Paupenfrass zu be-
wahren sucht, indem er die unteren Stammtheile der
Bäume mit Pechringen versieht, welche das Hinaufkriechen
der auf dem Erdboden befindlichen Raupen verhindert.
Häufig sind es eng zusannnenstehende, einen klebrigen
Stoft' ausscheidende Drüsen oder auch rückwärts gerichtete
Stacheln, welche ungeflügelten Besuchern den Zutritt ver-
wehren. Eigcnthündich verhält sich eine giftige Lattich-
Art (Lactuca virosa), deren in der Blüthenregion befind-
liche Hochblätter während der Blüthezeit bei der leisesten
Berührung Tröpfchen eines dicken, milchigen Saftes aus-
spritzen, wodurch kleine Thiere, wenn sie beim Empor-
kriechen die Hochblätter berühren, vermittels des ausge-
schiedenen, schnell zu einer festen Substanz eintrocknenden
Milchsaftes festgeklebt (und vergiftet?) werden.
Allein nicht immer sind die Pflanzen so grausam;
denn bei manchen Arten .sind nicht nur die Blumen, son-
dern auch die Laubblätter mit Nektarien ausgestattet,
welche die Insecten, z. B. Ameisen, von den Blumen ab-
lenken. Dies ist vorzüglich bei manchen Wicken (Vicia-
Arten) der Fall, deren Neljcnblätter Ilonigbehälter tragen,
welche Insecten, die beim Befruchtungsvorgange keine
Rolle zu spielen vermögen, von den Blumen altziehen.
Die zu den Blumen hinaufkriechenden Thierchen müssen
an den dicht am Stengel befindlichen Nebenblatt-Nectarien
vorbei, wo sie schon unterwegs Honig in reichlicher
Menge vorfinden. Die Insecten beuten die so leicht ge-
fundene Nahrungsquelle aus, ohne sich weiter zu den
Blumen zu bemühen.
Wenigstens werden die ausserhalb der Blumen vcn--
konnnenden Nektarien bei gewissen Arten in der be-
schriebenen Weise von manchen Botanikern gedeutet und
in bestimmten Fällen wird auch diese Deutung zutreft'end
sein; bei der Wicke speciell wird auch die Autfassung ver-
treten, dass die von den Nebenblatt-Nektarien angelockten
Ameisen nicht eigentlich von den Blumen abgelenkt, son-
dern durch ihr Vorhandensein einen directen Schutz gegen
Raupen und sonst der Pflanze schädliche Thiere gewähren.
Sicher erwiesen ist das für manche tropische Arten, und
wir dürfen oder müssen wohl ein Gleiches für solche
Pflanzen-Arten annehmen, die überhaupt keine zu schützen-
den Blumen besitzen, wie z. B. unser Adlerfarn. In der
Jugend finden sich bei dieser Art an gewissen Stellen
der Wedelspiudel Nektarien, — welche auch, wie unsere
Nr. 20.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
201
Figur 3 auf S. 402, Bd. VI der „Naturw. Wochcnsclir."
veraHSchanliciit, oft noch im Alter sich durch dunklere
Färbung niarkiren, — die sich vorläufig nur in der ge-
dacliteu Weise erklären lassen.
Wenden wir uns nunmehr mit wenigen Worten zu
indblüthl ern. Wasser und Wind
keine Augen und keinen (Seruehs-
der Wasser- und Windblüthler sind
angedeutet
den Wasser- und W
haben keinen Magen,
sinn, und die Hlütheu
daher — wie schon
honiglos, unscheinbar, klein und be-
sitzen keinen auffälligen Geruch.
Als Heispiel eines Wasserl)liithlers
führe ich in der A))bildung !• die in
südeuroiiäisehen Gewässern anzu-
treffende Vallisnerie vor. Die kurz-
gestielten .Staubblattblüthen dieser
Phanzen lösen sich — sobald sie reif
sind — vollständig von ihrem Mutter-
stock los: sie gelangen vermöge
ihres geringen specifischen Gewichtes
an die Oberfläehe des Wassers, wo
sie sich öffnen. Hier schwimmen sie
— • von Wind und Wellen getrieben
— wie kleine Nachen frei und) er
und bestäuben die Stempelblüthen,
die an langen, fadenförmigen, spi-
raligen Stielen ebenfalls die Wasser-
oberfläche erreichen. Nach erfolg
Bestäubung
anii-ewiesen. Vor Allem
ter Bestäubung ziehen sich diese
langen Stiele spiralförmig zusaunnen,
sodass die Frucht unter Wasser reift.
Was nun die Windblüthler anbetrifft, so besitzen
diese also natürlich ebensowenig wie die Wasserblüthler
eine auffallende Blüthendecke. Sie sind also liehufs Be-
stäubung auf die bewegte Lufl
fällt auf, dass die Windblüthler
einen stäubenden, in der Luft
sich leicht verbreitenden
Blüthenstaub besitzen, während
den insectenblüthigen Pflanzen
ein zusammenhängender, kleb-
riger Blüthenstaub zukommt.
Sodann fällt auch die grosse
Masse des Blüthenstaubes auf,
welche gerade die Wind-
blüthler erzeugen. Schüttelt
man zur Blüthezeit einen
Haselstrauch, eine Kiefer oder
die Aehre eines Grases, so
löst sich der Blüthenstaub in
AVolkenform von den Aesten
ab und verbreitet sich weit-
hin in die Luft. Diese massen-
hafte Loslösung und Weiter-
fuhrung des Blüthenstaubes
hat ihren Grund in bestimmten
Einrichtungen der Blflthe. Die
reifen Staubbeutel ragen z. B. bei den Gräsern weit
aus der Blüthe hervor; sie sitzen an langen bieg-
samen Fäden und schaukeln ausserhalb der Blüthe
hin und her. Von solchen an zarten fadenförmigen
Fäden hängenden, durch die Luft hin und her be-
wegten Staubbeuteln wird begreiflicherweise der Blüthen-
staub leicht ausgeschüttelt. In anderer Weise wird
das Ausstäuben begünstigt bei den Birken, Erlen, Hasel-
sträuchern, Pappeln u. s. w., wo sich die Staubblattblüthen
Figur 9.
Vallisneria spiralis. Links eine noch ge-
schlossene, reclits eine geöffnete männliche
niütlie, welche letztere die weihliclie be-
fi'uchtet. Vergrössert.
Figur 10.
llaselnuss (Uorylus Avellana).
Die BJüthenstäudc mit den Stempelljlütlieu hal)en diese
leichte Beweglichkeit nicht nothwendig. Bei dem Fig. 10
abgebildeten Zweigende der Haselnuss mit zwei Staub-
blattblüthen-Kätzchcn m befindet sich ein Blüthenstand
mit den Stemi)ell)lütiieii in Form eines Knöspchens, aus
welchem die rothen Narl)cn hervorragen bei ic. Die
Narlten vieler windblüthiger Pflanzen sind zum Auffangen
des Blüthenstaubes dadurch besonders geeignet, dass sie
— wie dies z. B. die meisten Gras-
blüthen in auffälliger Weise zeigen —
reichlich von zumeist starren, ausein-
andergespreizten Haaren, den Fang-
haaren, bedeckt sind. Wir sehen
gleichzeitig an solcher Blüthe, wie
ungemein unscheinbar die die (ie-
schlechtsorgane umhüllenden Blätter
sind.
Das wogende Kornfeld ist das
i)este Beispiel für einen Windl)lüfhler:
wenn sicii kein Lüftchen regt, vermag
das Korn auch nicht zu reifen. Wir
wissen jetzt: warum.
Um den Unterschied zwischen
Wind- und Insectenblttthler recht
augenfällig zu erkennen, brauchen
wir nur ein Bouquet aus Windblüth-
lern mit einem solchen aus Insecten-
blüthlern zu vergleichen. Die Blüthen
der Windblüthler sind zwar zierlich,
aber klein, unscheinbar und eintönig,
ohne Auffälligkeit gefärbt: nur wenn
sie zu Tausenden und Abertausenden zu Blüthenständen ver-
einigt beisammen stehen, lassen wir sie uns als Makart-
sträusse gefallen. Wie ganz anders wirkt ein echter Blumen-
strauss auch nur weniger Blumen mit seiner Farbenpracht,
seinem Wohlgeruch und seiner
unvergleichlichen Schönheit !
Soll ich es wagen, hierüber
ein Wort zu verlieren, wo
unser Gefühl redet und wo die
Dichtkunst Herrschaft hat"?
Doch bevor ich zum
Schluss komme, eine kurze
Bemerkung aus der Geschichte
der wissenschaftlichen Er-
kenntniss unseres Gegenstandes.
Es ist ja erklärlieh, dass
die Blüthen und besonders die
bunten Blumen wegen ihrer
Eigenthümlichkeiteu, also ihres
Reichfhnms an lebhaften
Farben, welche sich vom Grün
der Laubblätter deutlich ab-
heben, wegen ihrer Mannig-
Natürliche Grösse.
fältigkeit und ihrer
an langgestreckten,
biegsamen ,
leicht in Bewegung zu
versetzenden Kätzchen befinden, welche selbst durch
schwache Luttströuumgcn hin und her geworfen werden.
die Luft
durchwürzenden Gerüche, die
besondere Aufmerksamkeit
auch des denkenden Menschen auf sieh lenken mussten.
Nichtsdestoweniger standen sie ihm Jahrtausende hin-
durch als ungelöste Räthsel da, und diese Thatsache,
dass also die Gelehrten nichts Wesentliches über sie zu
sagen wussten, hat gewiss nicht wenig dazu beigetragen,
die Ansicht zu bestärken, sie seien ausschliesslich dem
Menschen zur Freude erschaffen.
Eine aufmerksame Beachtung des praktischen Lebens
hätte nun allerdings dem Naturforscher den riclitigen Weg-
weisen können.
Die Dattelpalme, der „gesegnete Baum" der Araber,
der einen Theil Arabiens zum „glücklichen" gestempelt
202
Naturwissenschaftlicbe Wochenschvift.
Nr. 20.
bat, wird seit uiideiiklit'hen Zeiten seiner Früehte wegen
cultivirt; aber nur gewisse Bäume tragen Frücbte, andere
können dies nicbt. Jetzt bezeiebnet man die ersteren
als weibbcbe, die letzteren als niännlicbe Bäume: beide
nntersclieiden sieb nur durch die Verscbiedeubeit in der
Gestaltung ibrer ijlütbeu von einander und stimmen im
Uebrigen durchaus überein. Sebon im grauesten Alter-
tbum wussten die Besitzer von I)atteli)fianzungeu, dass
aus den Blütben der weiblieben Bäume nur dann reite,
geniessbare Datteln erwaebsen, wenn die Blütben der
männlicben Bäume einen Einüuss auf dieselben ausgeübt
haben, und um diesen zu sichern, brachten sie abge-
schnittene Blüthenrispen der männlieben Bäume in die un-
ndttelbare Nähe der an den Bäumen belassenen weiblichen
Blüthenrispen. Die Geseldecbtsunterscbiede des Thierreielies
finden sich eben im Ptianzenreiche wieder. Die Wissen-
.schaft freilich erkannte diese Tbatsache verbältnissmässig-
recht spät, denn erst lüyi l)is 1698 wies Camerarius, ein
deutscher Arzt und Botaniker, durch Versuche die Notb-
wendig'keit des in den Staubblättern der Blütben erzeugten
Blüthenstaubes bei der Erzeugung der .Samen nach. Der
Blütbenstaub muss ja auf die Fruchtblätter gelangen, welche
erst dann Früehte bildend zur Samenreife gelangen.
Inwiefern aber die Farben, die Woblgerüche und
andere Besonderheiten der „Blumen" — so nennt also der
Pflanzenkundige die auffallenden Blütben — den
Pflanzen sell)st von Nutzen sind, blieb auch dann noch
lange ein ungelöstes (ieheinndss.
Erst im Jahre 1793 — also gerade vor 100 Jahren —
hat also — wie schon ausführiieli in der „Naturwissen-
schaftlichen Wochenschrift" niitgetheilt worden ist —
ein Schulmeister, der Rector Christian Kom-ad Sprengel
in Sjiandau, durch Veröffentlichung eines Meisterwerkes
auch diesen Schleier gelüftet, indem er scharfsinnig und
in genialer Weise die Bedeutung der Blumen-(Jrgane,
namentlich der bunten Blütbeidjlätter in dem Sinne, wie
ich es dargestellt habe, erläuterte.
Die von ihm gefundenen Ergebnisse waren ihm selbst
so überraschend, dass er seinem Buch den Titel gab: „Das
entdeckte Gebeinmiss der Natur im Bau und in der Be-
fruchtung der Blumen." In der That ist die Entdeckung-
Sprengers, der den Floristen seiner Zeit den einfachen
aber guten Rath gab, die Pflanzen hübsch in der freien
Natur zu beobachten und sich nicht mit dem todten Her-
barium im Studirzinnner zu begnügen, von so ausserordent-
licher Tragweite für die wissenschaftliche Auffassung der
Blütbenorgane, dass es unbegreiflich erscheint, wie dasbeute
noch mustergiltige und durchaus noch des Studiums werthe
Buch Sprcngel's so gänzlich übersehen werden konnte.
Es ist unglaublich aber wahr, dass das geniale Buch bis
1862 so gut wie vollständig unbeachtet und verschollen
blieb; erst der grosse englische Naturforscher Charles
Darwin, der sieb gerade mit dem Gegenstande beschäftigte
und dessen Genius hier eine mächtige Förderung bewirkte,
zog das grundlegende Werk Sprengel's in dem ange-
gebenen Jahre wieder ans Licht.
Fragen wir uns nun zum Schluss nach der Bedeu-
tung der geschilderten eigentluunlicben Fortpflanzungs-
weise gegenüber der einfachen Tbeilung. nacii dem \'or-
theil, welchen die Vereinigung zweier verschiedener Zellen
fremder Indi\iduen mit sich bringt, so sehen wir zu un-
serem Verdruss bald, dass die Wissenschaft zur Zeit noch
keine gänzlich befriedigende Auskunft zu geben vermag.*)
Das grosse Räthsel der Liebe hat der Naturforscher also
bisher noch nicht endgiltig zu lösen vermocht. Muss die
Naturforschung aber zugestehen, dass ein Vorgang in der
Lebewelt, auf den sich so Vieles zuspitzt, der vollen Er-
kenntniss seiner Bedeutung bis jetzt getrotzt, von seiner
Wunderbarkeit also nicht viel verloren hat, dann werden
wir gemahnt, dass die Erforschung der Natur bescheiden
machen sollte : der Mensch lernt hierbei die Schwäche seiner
geistigen Fähigkeiten kennen. Der im Busen des wahren
Forschers wühlende Trieb: erkennen zu wollen, was die
Welt im Innersten zusammenhält, wird niemals zu voller
Befriedigung gelangen. Ewige Wunder werden uns
bleiben, theils unlösbar, weil unser endlicher Geist die
„Unendlichkeit" nicbt zu erfassen vermag, und weil ge-
wiss nur der kleinste Theil der Naturerscheinungen durch
das Thor unserer spärlichen Sinne uns zum Bewusstsein
kommt. Diese Erkenntniss betrübt aber nur, wer ein-
seitig im Verstände lebt: nicht unser Verstand allein, auch
das Gemüth fordert bei dem ganzen Menschen mächtig
Befriedigung. Der Glaube setzt ein, wo die Verstandes-
kräfte nicbt ausreichen: das Herz füllt sich und trägt uns.
Nur die ungezügelte Phantasie vermag die Brücke zu
bilden zwischen dem, was wir erkennen können und
dem, was wir erkennen möchten. Die Philosophie betritt
diese unsichere, schwanke Brücke, die naturwissenschaft-
liche Forschung muss zurückbleiben und ehrlich gestehen:
ich weiss nicht weiter. Aber was sie aufgiebt — müssen
wir mit Scbwendener sagen**) — an weltumfassenden Ideen
und an verlockenden Gebilden der Phantasie, wird ihr
reichlich ersetzt durch den Zauber der Wirklichkeit, der
ihre Schöpfungen schmückt.
*) Am bcachtenswortlu-'steii scheint mir die Auffassung Weis-
m.ann'.i, nach welcher das Wesentliche der Befruchtung in der Ver-
einigung zweier Vererbungstendenzen, in der Vermischung der
Eigenscliaften zweier Individualitäten zu suchen ist. — Vergleiche
„Naturw. Woehenschr." Bd. VII, Nr. 15 S. 141 tt.
**) Vergl. das Motto der „Naturw. Woehenschr."
Fragen und Antworten.
Ist die Morchel, Helvella esculeiita, giftig.'
Herr Professor Pen f ick in Breslau trat vor einigen
Jahren gegen die Morchel in die Schranken. Er ver-
öft'entlicbte in der deutschen Medicinal- Zeitung die Re-
sultate seiner Untersuchungen, die folgendermaassen lauten:
„Es sind in der Litteratur eine ganze Menge von
Fällen veröffentlicht, bei denen nach dem Genuss von
Morcheln Vergiftungserscheinungen eintraten. Verfasser
stellte nun eine Anzahl Versuche nut der Helvella es-
culenta an, um deren Giftigkeit zu prüfen. Als Versuchs-
thiere dienten fast ausnahmslos Hunde. Das Ergebniss
war folgendes: Rohe Morcheln sind durchaus giftig, und
zwar wirken sie durch eine Desorganisation des Blutes,
Zerfall der rothen Zellen, welche ihrerseits eine schwere
diffuse Nephritis nach sich zieht. Ebenso intensiv giftig
wirkt das Decoct frischer Morcheln, während die heissen
Traber unschädlich erschienen. Das kalte Estraet (Ma-
cerationsflüssigkeit) zeigt einen sehr wechselnden Grad
von Schädlichkeit je nach der Dauer der Durchknetung
und der Energie des Ausquetschens. Die kalten Traber
sind an sich entschieden giftig, doch bedarf es der 4 bis
6 fachen Mengen wie bei unversehrten frischen Morcheln.
Wäscht man frische ]\Iorcbeln, welche nicht zerkleinert,
sondern unversehrt geblieben sind, in kaltem Wasser, so
erweist sieh die kalte Wascbflussigkeit als unschädlich.
Heisse Waschflüssigkeit erweist sich als durchaus giftig,
während den heiss gewordenen Morcheln eine zwar un-
verkennbare, jedoch wesentlich geminderte Leistungs-
fähigkeit innewohnt. Das Spülwasser nimmt etwa die
Hälfte oder ein Drittel der giftigen, von dem Schwamm-
Nr. .'0.
Natiuwis.scnscliaf'llic'hc Wocheiiscliiift.
203
gewebc beherbergten Substanz auf, während dieses selbst
die entsprochende Menge einbüsst. Wässeriges und allco-
holischcs Extraet aus frischen Seliwännncu erwies sich
nach dem Abdampfen als durchaus indifferent. Frische
getrocknete Morcheln besitzen noch eine herabgesetzte
Giftigkeit, 72 Jahr resp. 1 Jahr nach dem Trocknen sind
sie ganz unschädlich.
Für die Hygiene ergeben sich daraus folgende Schluss-
folgerungeu :
Die Helvella esculenta ist an und für sich selbst ein
in hohem Maasse gefährlicher Pilz, da er ein Blutgift
enthält. Dieselbe darf darum niemals anders, als unter
strengster Beachtung bestimmter Vorsiclitsniaassregeln ver-
werthet werden:
A. Frisch gesammelt.
1. Es ist unter allen Verhältnissen unstatthaft, sie
roh zu essen.
2. Gekocht darf sie nur nach vorherigem wieder-
holten Aufsieden und erneutem Ueberspfllen mit hcissem
Wasser in Gebrauch genommen werden, mit der Maass-
gabe, dass nicht nur die Brühe völlig abgegossen, son-
dern auch alle Flüssigkeit, welche den auf dem Siebe
zurückgebliebenen Schwämmen etwa noch anliaften mag.
durch Schütteln oder Drücken entfernt werden muss.
3. Diese Brühe, als die verderblichste Quintessenz
des ganzen Giftpilzes, nuiss zum Schutz von Mensch und
Thier sofort vernichtet werden.
4. Waschen in kaltem Wasser hilft gar nichts, ein-
faches Uebergiessen mit heissem nur ganz ungenügend,
ein mehrmaliges Aufsieden der Pilze ist unerlässlich.
B. Gedörrt.
1. Jüngere Stücke sind innerhalb der ersten 14 Tage
noch immer recht gefährlich, weniger, aber doch unver-
kennbar, innerhalb des ersten und zweiten Monats, um
von da ab bis zum vierten ihre deletären Eigenschaften
mehr und mehr zu verlieren.
2. Halbjährige, jährige oder noch ältere Stücke sind
durchaus unschädlich und können ohne alle weiteren Vor-
sichtsmaassregeln getrost verspeist werden."
E. Jaco hasch hat auf Grund dieser Auslassung
die eventuelle (iiftigkeit der Morchel an sich selbst besonders
geprüft und seine Resultate in den ^'erhandlungen des
botanischen Vereins Bd. XXV verötfentlicht. Er sannnelte
eine Portion l\Iorcheln und verzehrte grössere Stücke der-
selben roh. Aber auch nicht die geringste Spur von Un-
behagen stellte sich ein. Die übrigen liess er einen Tag
liegen, um zu selien, ob sich vielleicht dadurch das Gift
entwickele, und verspeiste des andern Tages wieder
mehrere Stücke roh. Aber wiederum zeigte sich keine
Spur von Vergil'tung. Den Rest, eine zur Sättigung aus-
reichende Portion, liess er sich zubereiten: Sie wurden
in kaltem Wasser abgewaschen, um Sand und sonstige
Unreinigkeiten zu entfernen (nicht erst in kochendem
Wasser abgebrüht, wie Prof. Pontick verlangt) und, da-
mit das Aroma nicht verloren gehe, nur wenig in Butter
gebraten, mit den nöthigen Znthaten (Salz, Pfeffer, ge-
hackter Petersilie) verseTien und dann verspeist. Aber
nicht die geringste üble Wirkung stellte sich ein.
Krombholz erklärt in seinem Werke: Naturgetreue
Abbildungen und Beschreibungen der essbaren, schäd-
lichen und verdächtigen Schwämme, mit einer einzigen
Ausnahme sämmtliche Helvellen für essbar, und diese
eine, die Helvella suspecta Krmbh., hält Lorinser für
identiscii mit Helvella esculenta. Er sagt darüber: „Pro-
fessor Krombliolz besehreibt zwar in seinem grossen Werke
über die Schwämme eine verdächtige Lorchel (Helvella
suspecta Krmbh.), welche in der Gegend von Dobrisch
und Prihrani in Böhmen wächst, und erzählt, dass im
Jahre 1829 nach einem aus solchen Lorcheln bestehenden
Mahle eine Mutter sammt ihren vier Kindern an Er-
brechen und reissenden Unterleibsschmerzen erkrankt, und
dass die Mutter sammt ihrem siebenjährigen Sohne unter
Krämpfen und Bewusstlosigkeit gestorben sei. Allein da
sich zwischen der von Krombholz beschriebenen ver-
dächtigen Lorchel und der gewöhnlichen Früh- oder
Speiselorchel (Helvella esculenta) kein wesentlicher Unter-
schied nachweisen lässt, da ferner diese verdächtige
Lorchel bei Dobrisch selbst ganz unbekannt ist, Ver-
giftungsfälle daselbst nicht vorkommen, und die dort in
Menge wachsenden Speiselorcheln, darunter auch solche,
welche mit der von Krombholz beschriebenen, verdächtigen
Lorchel genau übereinstinnnen, allgemein gegessen und
sowohl in Pribram als in Prag auf den Jlarkt gebracht
werden, so dürfte wohl diese verdächtige Lorchel nichts
anderes als die gewöhnliche Früh- oder Speiselorchel ge-
wesen sein, und wenn die Erkrankung und der Tod
jener Mutter und ihres Sohnes nicht durch andere Ein-
flüsse erfolgt ist, so dürften jene Lorcheln wahrscheinlich
schon verdorben und jedenfalls im üebermaasse genossen
worden sein. Nach genauen Berichten aus Dobrisch
kommen Erkrankungen, namentlich Erbrechen und Leib-
schmerzen, dort auch nach dem übermässigen (ienusse
von ganz guten essbaren Schwämmen (z. B. Morcheln)
vor, weil die Arbeiter, insbesondere die Kohlenbrenner,
in den ausgedehnten Wäldern oft nichts anderes als
Schwämme geniessen und damit ihren Hunger stillen.
AUerdintfs pflegt man dort die Lorcheln zuerst mit Wasser
abzubrühen oder zu kochen und dieses Wasser weg-
zuschütten, allein dies geschieht, um die in den Falten
verborgenen Insecten zu tödten und zu entfernen. Die
Lorcheln, welche in Dobrisch im Gebiete der Grauwacke
und des Granits häufig vorkonnnen, besonders auf alten
Kohlenmeilcrstätten sehr zahlreich (jedoch nie auf l'hon-
schiefer) getroffen werden, hält man dort nur dann für
schädlich, wenn dieselben bei sehr regnerischem Wetter
an ihrer Oberfläche grüne Warzen (vielleicht Pilze?) be-
kommen. Auch l)einerkte schon Krombholz, dass die
Substanz der verdächtigen Lorchel wässerig, ihr Geschmack
anfangs morchelartig, später süss und widerlich sei."
So halten auch alle Pilzkenner die Helvellen für
essbar, und Jacobasch's vorhin angeführten*) Versuche und
der seit Jahrhunderten allgemeine Genuss dieses Pilzes
bestätigen dies.
Dass Ponflck liei seinen Untersuchungen die Speise-
morchel mit einer andern Pilzai't verwechselt hat, ist wohl
nicht anzuneinnen; es wachsen zur Zeit des Vorkommens
der Morchel andere ähnliche Pilze nicht, und ausserdem
macht sich die Morchel durch ihre eigenthündiche Gestalt
leicht kemitlich. Auch dass verdorbene Morcheln ver-
wendet sein könnten, ist nicht gut möglich. Der alleinige
Grund, dass die Untersuchungen des Herrn Prof. Ponflck
ein anderes Resultat ergaben, scheint nur darin zu be-
ruhen, dass dieselben an Thieren, hauptsächlich an Hun-
den, ausgeführt wurden. Thiere verhalten sich aber viel-
fach ganz anders gegen Stoffe, die dem Menschen giftig
sind, als der letztere, und umgekehrt. Fressen nicht
Schnecken und andere Thiere selbst die gifstigsten Pilze
mit Begierde und ohne Nachtheil? H. 0. Lenz sagt
z. B.: „Eichhörnchen habe ich im Freien Fliegenschwännne
fressen sehen, und drei Waldmäuse, welche ich rohe
Stückchen mit Milch und Semmel fressen liess, litten
keinen Schaden." Von den Rennthieren lichauptet Steller,
dass diese Pilzliebhaber auch den Fliegenschwamm öfters
geniessen und davon nur wie betrunken werden. Der
Pantherschwamm, Amanita pantherina DC, der für die
*) und seitdem alljiUiriieh enieuerteu
204
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 20.
Menschen Gift ist, wirkte nach Krombholz' Versuchen auf
Meerschweinchen und Vögel auch giftig, Hertwig aber
fand, dass er einem Hunde, dem er davon zu fressen
gab, nichts schadete. Sämmtliche Species der Gattung
Lactarius sind mit Ausnahme des Lactarius volemus Fr.
und L. deliciosus L. giftig oder doch verdächtig, be-
sonders die scharfschmeckeuden. Nach Fries sollen aber
die Ziegen selbst die scharfschmeckenden verzehren. Wird
ein Hund gezwungen, wie dies durch Prof. Ponfick ge-
schehen, ^/g 7o; j^- IV2 Vo seines Körpergewichts frische
Morcheln zu verzehren, so ist es kein Wunder, wenn das
arme Thier dabei zu gründe geht.
„Mein Urtheil — sagt J. — geht dahin: Aus den
Untersuchungen des Herrn Prof. Ponfick geht hervor, dass
die Morchel für Hunde ein heftiges Gift ist. Für den
Menschen aber ist und bleibt sie ein gesundes, nahrhaftes
und wohlschmeckendes Nahrungsmittel."
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden eniaiiut: Dr. Wilhelm De ecke zum ausserordent-
liclien Professor der Geologie und Piilaeontologie an der Univer-
sität Greifswald. — Der Leipziger Universitäts-Professor der Mo-
dicin Dr. med. Curschmann zum Nachfolger Kahler's in Wien.
— Der Agronom Professor Dr. Albert Orth zum Geheimen
Regieruugsrath.
Es hat sich habilitirt: Unser Mitarbeiter, der Botaniker Pro-
fessor Dr. Karl Schumann an der Universität in Berlin.
Es sind gestorben: Professor Dr. Joh. Passerini, Director
des botanischen Gartens der Universität Parma. — Der Zoologe
Julian Iwanowitsch Ssimaschko in St. Petersburg. — Der
Botaniker, Reverend Dr. Williams Woolls in Sydney. — Der
Mediciner an der Wiener Universität, Professor Dr. Johann
Schnitzler. — Der Afrika-Reisende William Cotton Oswell
in Tunbridge Wells.
In Washington hat sich eine „Geologioal Society of Washing-
ton" constituirt. — Präsident: C. D. VValcott; Vice-Präsidenten:
S. F. Emmons und W. H. Holmes; Secretaire: J. S. Diller und
Whitmann Gross; Schatzmeister: Arnold Hague; Council: G. F.
Becker, G. H. Eldridge, G. K. Gilbert, G. P. Mersill und T. M.
Chatard.
Der 5. Cong^ess der Deutschen Oesellschaft für Gynäkologie
findet vom '-'5. bis '2.1. Mai in Breslau statt. — Vorsitzender:
Geh. Medicinal-Rath Prof. Dr. Fritsch in Breslau.
L 1 1 1 e r a t u r.
Dr. Johannes Fickel, Die Litteratur über die Thierwelt
des Königreichs Sachsen. (Sonderabdruck aus dem Programm
des Wettiner Gymnasiums zu Dresden.) 1893. — Verf. hat sich
der grossen Mühe unterzogen, die zoologische Litteratur des
Königreichs Sachsen (mit Voigtland und Lausitz) zu sammeln und
führt dieselbe nach dem zoologischen System geordnet auf. Das
Vei'zeichniss umfa.sst 664 No. ; die Litteratur über die Haus- und
Zuchtthiere, sowie über die Schmarotzer konnte nicht aufgenommen
werden. Vielleicht giebt Verf. später hiervon das wichtigste,
zumal da er etwaige Lücken des vorliegenden Verzeichnisses
durch Angaben von Interessenten zu ergänzen bestrebt ist. Zur
leichteren Auffindung der Autoren und Ortsnamen sind besondere
Register gegeben und bei solchen Schriften, aus deren Titel der
Inhalt nicht oder nicht deutlich hervorgeht, eine kurze Inhalts-
angabe beigefügt. In dem Abschnitt „Niedere Thiere" hätte Verf.
auf die Arbeiten von Haase, Simrot und Weise in der Art auf-
merksam machen können, wie er es bei Ludwig und Meyer ge-
than hat. Weltner.
Flora oder Allgemeine Botanische Zeitung. Jahrgang 1892.
Ergänzungsband. Marburg. — Von dem reichen Inhalte seien
folgende Abhandlungen genannt: E. Reich: Der Grasembryo.
Das Scutellum und Epiblast werden auf ihre Bedeutung und ihr
Vorkommen hin untersucht. 4 Tafeln. A. Binz: Beiträge zur
Morphologie und Entstehungsgeschichte der Stärkekörner. Der
moleculare Aufbau der Stärke, sowie die Entstehung und das
Wachsthum der Stärkekörner, worüber unsere Kenntniss nocli
unzureichend ist, oder die Ansichten auseinandergehen, sind
Gegenstand der Untersuchungen. Hauptuntersuchungsobject ist
Pellionia Davoauana, daneben hat der Verf. aber noch eine Menge
anderer Pflanzen studirt. Seine Resultate sprechen für die Appo-
sitionstheorie, jedoch fehlt zu deren vollem Beweise noch die ge-
naue Kenntniss der Entstehung der Schichtung. Die Stärkebildner
sind als Leukoplasten schon im Vegetationskegel vorhanden, sind
den Chloroplasten homologe Gebilde und können sich unter dem
Einfluss des Lichtes direct in diese umwandeln. Ihre Vermehrung
durch Theilung hat nicht überall beobachtet werden können.
Zusammengesetzte Stärkekörner entstehen entweder dadurch, dass
mehrere Stärkebildner zu gleicher Zeit auftreten oder mehrere
anfänglich getrennte zu Gruppen sich vereinigen. 3 Tafeln.
K. Goebel: Archegoniatenstudien. Der Verfasser stellt Unter-
suchungen über die einfachste Form der Moose an und speciell
über die zu den Laubmoosen gehörende Gattung Buxbaumia,
deren männliche Pflanzen die einfachste bis jetzt bekannte Form
der ganzen Ordnung darstellen. Der zweite Theil der Arbeit
behandelt die Geschlechtsgeneration der Hymenophyllaceen.
Weitere Abhandlungen werden folgen. 4 Tafeln. Loew und
Bokorn}': Zur Chemie der Proteosomen. K. Giesenhagen:
Ueber Hexenbesen an tropischen Farnen. Die meist stiftförmigen,
oft auch geweihartig verästelten Auswüchse an den Fiedern von
Aspidium aristatum und die buschigen Gebilde an Pteris quadri-
aurita werden auf ihren Ursprung, leider jedoch nur an (aller-
dings zahlreichem) trockenem Materiale untersucht. In beiden
Fällen sind die Auswüchse von Pilzliyphen durchzogen, welche zu
neuen Arten gehören — bei Aspidium aristatum venn-sacht
Taphrina Cornu cervi Giesenh., bei Pteris quadriaurita-Taphrina
laurencia Giesenh. die Auswachsungen. Bei beiden Farnen
dürfte der Vorgang derartig sich vollziehen, dass durch den in Folge
des Eindringens des Pilzes in den gesunden Wedel erzeugten
Reiz sich eine Knospe an der betreffenden Stelle bildet, welche
weiterwächst, indem gleichzeitig der von ihr beherbergte Pilz
Schritt hält. 2 Tafeln. Giesenhagen: Ueber hygrophyle Farne.
Von der biologischen Farngruppe, welche befähigt, ja darauf an-
gewiesen ist, direct durch die Oberfläche ihrer Blattzellen Wasser
und darin gelöste Nährstoffe aufzunehmen, werden die dem tro-
l)ischen Südamerika angehörenden Formen des Adiantum delica-
tuluni, Asplenium obtusifolium, L., und die neue Art Trichomanes
Goebelianum Giesenh. besprochen. Ausführltch wird Asplenium
obtusifolium behandelt, welches der Verfasser in seinem bisherigen
Umfange als Sammelart bezeichnet, deren verschiedene Formen
er kritisch beleuchtet und neu gruppii-t. Celakowsky jun.
Ueber die Aufnahme lebender und todter verdaulicher Körper
in die Plasmodien der Myxomyceten. Hauptversuchsobject waren
die Plasmodien von Chrondrioderma diftorme. Einerseits ist das
Verhalten lebender Körper (.Staubfadenhaare von Tradescantia,
SUsswasseralgen, Protozoen, Myxomyceten, Pilze, Bacterien) im
Protoplasma und in den Vacuolen der Plasmodien, andererseits
die Stärke- und Eiweissverdauung im Innnern derselben beobachtet
worden. Leon Wehrli: Ueber einen Fall von „vollständiger
Verweiblichung" der männlichen Kätzchen von Corylus avellana,
L. Diese Abnormität wurde Ende April und Anfang Mai bei
Arau an einem Strauche beobachtet. F. Noll: Die Orientirungs-
bewegungen dorsiventraler Organe. Entgegnung auf die Arbeit
von Schwendener und Krabbe: Untersuchungen über die Orien-
tirungstorsionen der Blätter und Blüthen (Abh. d. Kgl. Pr?uss.
Akademie der Wissensch. zu Berlin 1892.) F. K.
Berichtigung.
In dem Absatz „Zu Anmerk. 15" seiner „Entgegnung u. s. w."
in No. 16 dieser Zeitschrift bemerkt Herr Dr. Klein, dass ich
gesagt habe, „die in seinem (Dr. Klein's) Innern sich abspielen-
den Vorgänge seien für mich (Jordan) relativ unbe wuss te."
Das habe ich nicht gesagt; sondern (vgl. No. 15 dieser Zeit-
schrift, „Anmerk. 15"): „Die geistigen Vorgänge z. B., die sich
im Innern des Herrn Dr. Klein abspielen, sind mir nicht be-
wusst, sie sind also relativ unbcwusst". Hier steht nicht:
sie sind mir oder für mich relativ unbewusst, sondern: sie
sind für mich überhaupt nicht bewusst, d. h. für mich un-
bewusst — dasselbe, was Herr Dr. K. gegen mich ins Feld zu
führen sucht. Relativ unbewusst sind sie insofern, als sie Hrn.
Dr. K. bewusst, mir aber nicht bewusst sind.*)
Dr K. F Jordan.
*) Unseres Erachtens ist die „Berichtigung" des Hrn. Dr. J.
für die Auseinandersetzung des Herrn Dr. Klein völlig ohne Belang.
IJ.mI. "
Inhalt: H. Potonic: Was sind BlumenV — Fragen und Antworten. — Ist die Morchel, Helvella esculenta, giftigV — Aus dem
wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Dr. Johannes Fickel: Die Litteratur über die Thierwelt des Königreichs Sachsen. —
Flora oder Allgemeine Botanische Zeitung. — Berichtigung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., In validenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 20.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
XXXIX
•K»S4
W
M
4C»3x
Die lnsekten»Borse
jetzt vereinigt mit der „Sammler -BÖrSG"
fe^
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ist für „Eiitouiologeu" und „Saiumkr" das hervorragendste Blatt, welches wegen
der belehrenden Artilvel sowie seiner internationalen und grossen Verbreitung betrefi's
Ankauf, Verkauf und Umtausch aller Objekte die weitgehendsten Erwartungen erfüllt
wie ein Probeabonnement lehren dürfte. Zir beziehen durch die Post ( Zeitungsliste No. 3 135)
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 20.
/»crftcr'frfje ^crfafls^ttnöfunfl, ^^•vctßttvg ttn 33ret§gau
©oeBen tft erfc^iencn itnb burd) attc SJu(f)f)anbIungen ju begießen:
Jira^, Dr. TO., iiub Dr. §. l'auboii^, Sc^ibiict) für
bcn lllltcrridjt in t>ev 9Jotuibcfrf)rcttiiut!j. Isüv öh;in=
naficit, Sicalgijmnaficn imb aiibcrc (jöftere S'cfjranftaltcn 6c=
arbeitet, gr. S".
3roeiter Xci(: Scl)rbnd) für itcn Untcrrtdit
IM i>Cr ©Otrtttit. giiit 27.j eingchrucrtnt 3(bbilbungeii.
Srittc, iiad) ben neuen S cf)rpliincn ncrbcffcrte 3litflage.
(XVI u. 292 ©.) .1/. 3; geb. AJ. 3.40. — ?ivüi)cr \\t erfdjienen:
tSrfter Jeil: .fcßrliuifi für den 2lnlcrriifil in bcr BooCogic. »B!it21S ciii-
gctnicfteii Sfbtnlbiiiiaeii. Tritte, reitcfjci tc SliifKiae. (XVI mit'
340 ©.) /!/. :S.3i) ; oel'. .1/ S 70.
iTittct Seil iSdiliiB): ^cBrBmS für bcn ^Ititcrridit in >cr saincraCogii'.
93iit 108 eingctnictten Sl'bt'iltuiigcii iinb 3 Safelii .«iHitiiUfotmeuuc6c.
(X u. 128 ®.) M. 1.60; .leb. M. 1.95.
•iWtünd), Dr. %, ücifvbndt bcr "^Mitjfif. mu einem 3(n=
ftonge: 2'ie ©riiiiblclircii bor Cliciiüe iiiib bcr iiintlKuintiiilicu
IScogrnpljic. i'iit 327 in ben Scjt gebructten Slbbilbungen unb
einer Spettraltafel in 5"''i^6'^"'5i-'w*- 3<^6"*i^' uerbefferte
3(itttrtge. gr. 8". (.\VI «. 4.52 ©.) .)/. 4; geb. .1/. 4,4-5.
JKcinl)ciuu*r, '■?(,, Vcitfnbcn tev sSotnuif. Mr bie
untern ftloffen fiöfterer i'ebranftolten. Stritte, oerniefjrte
unb £) erb eiferte 3(uflage. 3Jiit 120 in ben Jejt gebrucftcn
Slbbilbungcn. gr. 8». (IV n. 96 @.) M. 1 20; geb. M. 1.55.
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VIII. Band Sonntag, den 21.
Mai 1893.
Nr. 21.
Abonnement: Man aboniiirt bei allen Buclihandlungeii und Post- j
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bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
.4lidriic*k ifiit nur mit vollMtiiii4li{>-oi
• 4{aellenangabe gestattet.
Zur Phylogenese der Säugethiere.
Nach den Untrrsuehiingon des Prof. Willy Kti li enthal.*)
Profes.soi- Willy Kükentlial bat zwei Vorträge vci-
üffentlicht, die deu Titel führen: „Ueber den Ursprunj;'
und die Ent Wickelung der Säus'etbierzähne"
(Jenai.sclie Zeitschv. f. Naturw. XXVI. N. F. XIX, 1892)
und „Uel)er die P^ntstebung- und Entwiokelung-
des Säug'etbierstammes" (Biolog.Ceiitralhl.XII No. 13,
1892), welcbe bemerkenswertlie Beiträge zur Piiylogenese
der Säugetbiere bieten.
Wir geben zunächst einen Au.szug aus dem ersten
der genannten Aufsätze.
Während bei den ältesten Wirbelthieren, den Hai-
fischen, Zahiigebilde nicht nur auf den Kiefern, stnidern
auf der ganzen Körperoberfläche vorkommen, hat sich bei
den höher organisiiten die Bezahnung mehr und mehr
auf die Kiefer beschränkt. Der Bau der einzelnen Zähne
wurde aber mit der Abnahme der Zahl complicirter, auf
Grund der verschiedenen und erhöhten Anforderungen,
die an die einzelnen Zahngebilde gestellt wurden.
In unserer Jugend, zwischen das 6. und IS. Jahr
fallend, hat bei uns allen ein eigenthttinlichcr Process
stattgefunden, den man als Zalmwechsel bezeichnet. Die
20 Zähne, welche wir bis dahin besessen hatten, waren
nacheinander ausgefallen und durch neue ei-setzt worden,
ausserdem waren aber noch neue Zähne hinten in jedem
Kiefer erschienen, 3 in jeder Kieferhälfte, von denen der
letzte, der sogenannte Weisheitszahn, erst spät, im 1 't. bis
30. Lebensjahre, in vielen Fällen (in 42 Procent bei uns,
in nur 19 Pi'oeent bei niederen Passen) überhaupt nicht
durchbricht.
Die Serie der zuerst erscheinenden Zähne nennen
wir Milchzähne, die später darauf folgenden, bleibende
oder Ei'satzzähne. Besonders ausge])rägt tindeii wir diesen
Process des Zahnwechsels bei den höheren Säugethieren,
die niederen zeigen im allgemeinen entweder nur einen
sehr beschränkten oder gar keinen Zahnwechsel.
*) Herr Prof. Kükenthal hat die Güte gehabt, die Correcti
des obigen Aufsatzes zu lesen.
Als einfachster Typus der Säugethierbezahnung wird
vielfach der der Zahnwale angesehen.
Während im allgemeinen bei den Säugethieren eine
Ditifercncirang des Gebisses in meisselförmige Schneide-
zähne,- spitze Eckzähne und breite, mit mehreren Höckern
oder Falten versehene Backzähne erfolgt ist, sehen wir
bei den Zahnwalen keine Verschiedenheit in der Form.
Vordere wie hintere Zähne sind einfach konisch zugespitzt
und sitzen in meist grosser Anzahl in jedem Kiefer, ein
jeder vom andern gleichweit entfernt. Das Gebiss wird
dadurch dem der Reptilien sehr ähnlich, es wird als ein
gleieliartiges, homodontcs Gebiss bezeichnet.
Es giebt indessen Zahnwale, deren Gebiss recht be-
deutend von diesem homodonten Typus abweicht, so der
Narwal mit seinen als kolossale Stosszähne entwickelten
oberen Eckzähnen, oder wie die Entenwale und Ver-
wandte, bei denen im Unterkiefer ein Zahnpaar, vermuth-
lich ebenfalls die Eckzähne, sehr stark entwickelt sind,
während von den anderen Zähnen sich nur noch Eudi-
mente vorfinden. Von den 25 in jeder Kiefei'hälfte vor-
handenen Zähnen eines Embiyos , des Braunfisches , Pho-
caena communis, sind ferner äie ersten 18 durchaus
gleichartig zugespitzt, die hinteren 7 dagegen sind rund-
licher, einzelne von ihnen sogar mit zwei und drei deut-
lichen Höckern versehen. In diesem Falle ist also die Un-
gleichartigkcit der Bezahnung, die Heterodontie, ganz
deutlich ausgesprochen. Bei den Zahnwaleu lassen sich
also noch Spuren eines einstmalig ungleichartigen Ge-
bisses auffinden.
Als feststehend wird ganz allgemein die Thatsache
betrachtet, dass die Zähne der Zahnwale der zweiten,
also der permanenten Dentition angehören, und dass ein
Milchgebiss nie auftritt. Die Zahnwale werden damit als
monophyodonte den mit zwei Zahnserien verseheneu
diphyodonten Säugern gegenübergestellt.
K. aber behauptet, dass das Zahnwalgebiss ein
echtes Milchgebiss ist, also der 1. Dentition angehört,
welche nicht durch eine zweite Dentition ersetzt winl.
206
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. -21
vielmehr persistirt. Ein untrügliches Merkmal ist ihre Ent-
stehung. Die zweite Dentition entwickelt sich stets nach
innen zu von der ersten, aber unabhängig von derselben
aus einer beiden gemeinsamen Epitheleinsenkung.
Die Behauptung K.'s, dass das Gebiss der Zahnwale
der ersten Dentition angehört, lässt sich unwiderleglich
durch die an einer grösseren Anzahl von Embryonen ver-
schiedener Species gefundene Thatsaeiie beweisen, dass
die zweite Dentition ebenfalls angelegt wird, aber nur
embryonal, und später verschwindet. Die Anlagen der
aus der siebartig durchlöcherten Zahnleiste entspringenden
Ersatzzähne sind bedeutend kleiner als die der ersten
Dentition, sie zeigen ein rudimentäres Aussehen, doch
kann man deutlich eine Schraelzkaiipe und Andeutungen
der darin befindlichen charakteristischen Schmelzpulpa
unterscheiden.
Weshalb der Zahnwechsel bei den Zahnwalen unter-
bleibt, und die erste Dentition persistirt, ist eine noch
offene Frage, es lässt sich vielleicht darüber folgende
Vermuthung aufstellen. Die meisten Zahnwale nähren
sich von Fischen, die sie in grosser Anzahl verschlucken;
die Thätigkeit der Zähne beruht also nicht in Kau-
functionen, sondern nur darin, die glatte Beute fest-
zuhalten. Besondere Verrichtungen kommen keinem der
Zähne zu, sie sind daher gleichmässig gross und stehen
in gleichweiten Abständen von einander. Eintretender
Zahnwechsel würde die Schwierigkeit des Ergreifens und
Festhaltens der Beute sehr vergrösseru. Dieser Mangel
besonderer Functionen macht es erklärlich, dass die Zähne
vieler Zahnwale im Alter hinfällig werden und z. B. bei
älteren Weisswalen gar ausfallen. Andere Zahnwale sind
keine Fischfresser, sondern nähren sich ausschliesslich von
weicherer Kost, von Tintenfischen. Bei diesen verkümmern
die Zähne noch mehr, die harten Kieferränder übernehmen
deren Function, und wenn z. B. beim Entenwal in ver-
einzelten Fällen ein unterer Eckzahn noch durchbricht,
so functionirt er doch nicht mehr.
Der geringen, aber andererseits ganz gleichmässigen
und andauernden Inanspruchnahme der einzelnen Zähne
ist es vielleicht zuzuschreiben, dass der Zahnwechsel bei
den Zahnwalen unterbleibt.
Die Ordnung der Bartenwale zeichnet sich aus durch
den Mangel an Zähnen und an Stelle derselben den Be-
sitz von eigenthümlichen Hautgebilden, den Barten, welche
zu beiden Seiten des Oberkiefers in die Mundhöhle hinab-
hängen und bei ihrer grossen Anzahl, dichten Stellung
und" Zerfaserung ihrer Sulistanz, des Fischbeins, als Filter
wirken, in welchem sich die Nahrung, Millionen kleiner
pelagiseher Mollusken und Krebse, fängt.
Im Kiefer jüngerer Embryonen der Bartenwale finden
sich eine grosse Zahl deutlicher Zahnanlagen.
Mit Recht erblickt man darin ein geradezu klassisches
Beispiel für die langandauernde Vererbungsfähigkeit nutz-
los gewordener Organe; denn niemals treten diese Zähne
in Function.
Eschricht fand Zähne im Ober- wie im Unterkiefer
nicht nur des grönländischen Wales, sondern auch bei
Buckel- und Finnwalen. Die 9 vorderen Zähne erschienen
ihm schmaler cylindrischer,und er stellte sie daher Schneide-
zähnen gleich, im Gegensatz zu den übrigen, welche
breiter und in der Mitte bauchiger waren. Es wurde da-
nach von ihm und späteren Forschern Heterodontie an-
genommen.
Eine derartige Differenz zwischen den 9 ersten und
den übrigen Zähnen vermag K. nicht aufzufinden; wo er
ferner an den hinteren Zähneu konische Tuberkeln fand,
zeigte es sich, dass dieselben stets von dem an der Spitze
beginnenden, unrcgelmässig fortschreitenden Rcsorptions-
process herrührten. K. hält die Bartenwalbezahnung trotz-
dem für ursprünglich heteroddut, aber ausschliesslich auf
Grund der Thatsache, dass sieh in unregelmässiger Weise
noch Zähne vorfinden, die als aus 2 oder 3 Einzel-
zähnen zusammengesetzt ei-scheinen. Derartige zusammen-
gesetzte Zähne kommen aber auch zwisclienden 9 eisten
vor, so dass also von einem morphologischen Gegensatze
der letzteren zu den übrigen nicht die Rede seui kann.
Gegen eine secundäre Verschmelzung spricht die Er-
wägung, dass die Kiefer der Bartenwale ganz enorm ver-
längert sind, ein Zustand, den sie embryologisch nach-
weisbar erst im Laufe ihrer Entwickeliing als Wale er-
worben haben. Demgeniäss können auch die Zähne nicht
nüt einander nachträgiicii verwachsen sein; entweder be-
iiieiten sie ilnx- gegenseitige Lage wenigstens annähernd
bei, oder sie rückten weiter auseinander. Die Annahme,
dass die zusammengesetzten Zähne primitive Zustände
darstellen, das heisst Backzähne sind, ist also die wahr-
scheinlichere; denn eine Serie von 7 verschieden grossen
Emi)ryonen einer Bartenwalspecies zeigte nändieh, dass
die Zahl der Doppelzähne mit zunelimendcm Waclisthum
beträchtlich alniimnit, während die Zahl der einzelnen
Zahnsi)itzen constant in jeder Kieferhälfte ö3 beträgt.
In den jüngsten Stadien sind 9, ja 15 Zäime mit ein-
ander verschmolzen, in den darauf folgenden 5, 4 und 3
und in den ältesten niii- noch 2. Dasselbe Resultat ergab
sich aus Vergleichung von jüngeren und älteren Embryonen
anderer Bartenwalarten. Daraus folgt, dass die ver-
schmolzenen Zälnie ein ursprüngliches Verhalten darstellen,
und dass aus Backzähnen durch Theilung derselben ein-
spitzige kegelförmige Zähne entstehen.
Wir haben die Erscheinung kennen gelernt, dass bei
Säugethieren. deren Kiefer sich verlängern, die Back-
zähne sich in eine Mehrheit von konisch zugespitzten,
reptilienzahnartigcn Gebilden theilen; sind nicht die Back-
zähne auch umgekehrt so entstanden, dass bei der ein-
tretenden Verkürzung der Kiefer, welche die Vorfahren
der heutigen Säuger bei ihrer Umwandlung aus Reptilien
erlitten, je eine Anzahl einfacher konischer Reptilienzähne
zur Bildung eines Säugethierbackzahns zusammentraten?
Die ältesten bekannten Säugethiere, z. B. Triconodon aus
dem oberen Jura, zeigen Backzähne von je drei gleich-
artigen, hintereinander liegenden konischen Kronentheilen,
die mit einander verschmolzen sind. Von diesem, dem
trieonodonten und tritubercularen Typus aus, lassen sich
die Backzähne aller andern Säugethiere ableiten. Zweifel-
los ist das Gebiss der Bartenwale wie der Zahnwale als
eine Anpassung an das Wasserleben zu betrachten, es
lässt sich daher vermutheu, dass auch bei anderen
pelagischen Säugethieren eine ähnliche Umwandlung ein-
getreten ist, und in der That können wir in der Ord-
nung der Robben derartiges beobachten.
Bei den Bartenwalen, und sicherlieh auch bei den
Zahnwalen, ist als mechanischer Grund der Vermehrung
der Zähne in erster Linie die enorme Vergrösserung der
Kiefer zu nennen, die Theilung der Backzähne in ihre
Elemente, einspitzige Zähne, wurde aber nur durch den
gewissermaassen gelockerten Bau derselben ermöglicht.
In letzter Linie ist es, wie wir es auch bei der Barten-
robbe sehen, mangelhafte Verkalkung, welche die Um-
änderungen ermöglicht hat.
Verringerte und verlangsamte Verknöcherung ist eine
pelagischen Säugern ganz allgemein zukommende Er-
scheinung, die uns verständlich wird, wenn wir deren
Lebensweise ins Auge fassen. Für Thiere, welche, auf
hohem Meere lebend, als Lungenathmer gezwungen sind,
sich fast stets auf der Oberfiächc zu halten, ist die Ver-
ringerung des speeifischen Gewichtes eine unerlässliche
Bedingung, und wie könnte ihr besser entsprochen werden,
als durch eine verringerte Ablagerung von Kalksalzen!
Nr. 21.
Naturwissenschaftliche- Wochenschrift.
207
Skelette von Zahnwalen, Bartenwalen und auch manchen
Robben zeigen dies aufs deutlichste.
Bei den Zahnarmen ist ein Zahnwechsel bei ein paar
Gürteltierarten seit langem bekannt, und K. fand die
Anlagen bei der Dendition auch bei einer anderen
Species.
Bezüglich der Heutelthiere steht jetzt widerspruchs-
los fest, dass ihre in Schneidezähne, Eck- und Back-
zähne wohlgegliederten Gebisse keinen oder nur bei einem
Backzahne Zahnwechsel besitzen. K. hat nun im Gegen-
satze zu der bis dahin herrschenden Ansiclit gefunden,
dass das Beutelthiergebiss nicht zur zweiten Dentition,
sondern zur ersten gehört. Der einzige, später auf-
tretende Zahn gehört dagegen der zweiten Dentition an.
Der Beweis wird geführt durch die Tiiatsache, dass in
einem gewissen Stadium der Entwickelung neben Anlagen
der bleibenden Zähne noch Anlagen von diesen ent-
sprechenden Ersatzzähnen auftreten. Sie treten als Ver-
dickungen der nach innen von den l)leii)enden Zähnen
\erlaufenden Zahnleiste auf.
Eine öfters von verschiedenen Forschern ausgesprochene
Ansicht ist die ])oly]ihylctische Abstannuung der riaeental-
thiei-e von den einzelnen Beutelthierordnungeu. Die Raub-
thiere z. B. sollen also von den Raubbeutlern, die Nage-
thiere von den Nagebeutlern abstammen. Soweit sich
diese ))olyphyletische Hypothese auf die anscheinend gleich-
artige Bezahnung stützt, und sie thut es in hervorragendem
Maasse, lässt sie sich nicht mehr halten, denn es geht
natürlich nicht au, die erste Dentition der Beutler, welche
das persistirende Gehiss darstellt, mit der das persistirende
Gebiss bildenden zweiten Dentition der höheren Pacental-
thiere zu homologisiren. Die Aehnlichkeiten der Gebisse
sind Convergenzerscheinungen.
Innerhalb der Säugetliierklasse, von den niedersten
bis zu den höchsten Formen aufsteigend, sehen wir nun,
wie die zweite Dentition in Bezug auf Form und Leistung
mehr und mehr die Oberhand gewinnt, während bei den
niederen die erste überwiegt. Indem eine Dentition unter-
druckt wird, kommt es zur Monophyodontie, die also
gleichfalls wie die Homodontie als eine secundäre Er-
scheinung aufzufassen ist. Ferner lässt sich die Frage,
welche von beiden Zahnreihen der Säugethiere die ältere,
also die primitive, und welche die secundäre war, in der
Weise beantworten, dass innerhalb der Klasse der Säuge-
thiere beide Dentitionen in ihrer Anlage gleichwerthig
sind. Die Entwickelungsgeschichte giebt durchaus keinen
Anhalt für die oft ausgesprochene Behauptung von der
Abhängigkeit einer Dentition von der andern, l)eide sind
Schwestern, deren Mutter die einfache Epitheleinstülpung
im Kiefer ist, die wir als Zahnleiste bezeichnen. Natürlich
ist die erste Dentition als die ältere, die zweite als die
jüngere Schwester aufzufassen.
Prinei|)ielle Unterschiede zwischen Reptilien- und
Säugethierzähnen tinden sich nicht vor, es können eben-
sowohl Reptilienzähne Eigenthümlichkeiten der Säugethier-
zälme aufweisen (so verschiedene Form der Zähne des-
selben Kiefers, oder Einpflanzen in Alveolen), andererseits
können letztere durch mancherlei Reductionen typischen
Reptilienzähnen ganz gleich werden. Ferner findet sieh
auch bei Reptilien ein Zahnersatz vor, dersell)e ist sogar
bei weitem ausgeprägter als der der Säugethiere, da
nicht nur zwei, sondern mehrere Dentitionen aufeinander
folgen können.
Bei den Haien sitzen die Zähne nicht nur auf den
Kieferrändern, sondern über die ganze Körperoberifäche
zerstreut, es sind Hautproducte von denkbar einfachstem
Bau. Sind die auf dem Kiefer stehenden Zähne al»ge-
nützt, so rucken von der Innenseite her neue Zähne nach,
um die ersteren zu ersetzen. Dieser Ersatz ist ein unbe-
grenzter. Die einzelnen Zähne sind durchaus noch nicht
specialisirt, ihre Jlenge ist dafür um so grösser.
Die zweite Stufe der Zahnentwickelung repräsentiren
die Amphibien und besonders die Reptilien. Von der
Hautoberfläche sind in diesen Klassen die Zähne ver-
schwunden, sie haben sich auf die Kiefer concentrirt.
Auch der unbegrenzte Ersatz der abgenützten ist einge-
schränkt worden, es finden sich nur noch einige wenige
Reihen nach innen von der ersten. Mit der zunehmenden
Specialisirung, die besduders bei höheren Reptilien ein-
tritt, nimmt die Zahl der Zähne ab.
Von den mehrfachen Reihen zeitlich aufeinander fol-
gender Zahnserien, wie sie bei den Reptilien angetroffen
werden, sind bei den Säugethicren durch theilweise Ver-
schmelzung dersell)en nur noch zwei übrig gebliel)en:
Milchgebiss imd bleibendes Gebiss, oder besser erste und
zweite Dentiti(m, von denen die letztere sich genau wie
bei den Reptilien nach innen von der ersteren anlegt.
Mit der nunmehr erfolgenden höheren Specialisirung
der Zähne, die sich den verschiedensten Functionen an-
zupassen hatten, kam es zu einer Verminderung ihrer
Zahl. Die Umwandlung der Reptilienzähne in Säugethier-
zähne kann man sich folgendermaassen vorstellen. Bei
der eintretenden Verkürzung der Kiefer rückten die Zahn-
keime der einspitzigen Reptilienzähne näher und näher
aneinander und verschmolzen gruppenweise zu mehr-
spitzigen Zähnen, den ursprünglichen Backzähnen der
ersten Säugethiere. Durch die infolge verschiedener phy-
siologischer Leistungen geforderten Umformungen bildeten
sich die Backzähne aus, wie wir sie bei den jetzt leben-
den Säugethicren kennen. Besonders durch Heranziehen
paläontologischer Funde sind wir heutzutage im Stande,
die einzelnen Höcker der Backzähne bei den verschieden-
sten Säugethicren mit eben derselben Sicherheit homolo-
gisiren zu können, wie wir etwa die einzelnen Finger
innerhalb der
Säugethierklasse
zu homologisiren ver-
In dem zweiten am Eingange dieses Artikels ge-
nannten Aufsatz Kükenthal's „Ueber die Entstehung und
Entwickelung des Säugethierstannues" haben die vor-
stehend mitgetheilten Resultate wesentlich als Grundlage
gedient.
Unter allen Wirbelthieren treten die Säugethiere zu-
letzt auf der Erde auf, ihre ersten spärlichen Reste finden
wir in triassischen Formationen. Während sie sich im
Laufe der Zeit die Herrschaft sicherten, so dass wir unser
geologisches Zeitalter als das der Säugethiere bezeichnen
können, hatte vor ihrem Auftreten der Stamm der Saurop-
siden das Uebergewicht. Es ist daher ganz natürlich,
mit der Betrachtung dieses Stammes zu beginnen, wenn
wir der Frage nach der Entstehung der Säugethiere näher
treten wollen.
Von dem ausserordentlichen Formenreichthum der
Reptilienklasse vermögen wir uns keine Vorstellung zu
machen, wenn wir die jetzt lebenden Eidechsen, Schlan-
gen, Schildkröten und Krokodile heranziehen. Sie sind
nur die letzten kümmerlichen Sprossen eines einst weit-
verzweigten Baumes, der über die doppelte Anzahl von
(Ordnungen enthielt, welche uns die Erdschichten auf-
bewahrt hal)en. Auf Grund der ))aläontologischen Funde,
welche sich von Jahr zu .Jahr mehren, sind wir in den
Stand gesetzt, die Stammesgeschichte der Reptilien, wenig-
stens in ihren Hauptzügen, mit einiger Sicherheit zu ver-
folgen.
Man nimmt meist die paläozoische Reptilien-Ordnung
der Theroniorphen als Säugethiervorfahren an, da sie die
grösste Aehnlichkeit mit ihnen aufzuw^eisen haben. In der
That zeigt eine Vergleiehung der Skelette, nach denen
allein wir gehen können, da uns keine anderen Reste
208
Naturwissenscliaftliclie Wochenschrift.
Nr. 21.
überkonimeu sind, eine grössere Anzahl der gleichen
Merkmale bei beiden Gruppen.
Besonders auffällig ist die Aehnlichkeit in der Dif-
fereneirung des Gebisses. Wie bei den Säugetliieren, so
finden wir auch liei den Theroniorphen eine morphologische
Verschiedenheit innerhalb der Zahnreihe; auch hier können
wir von Schneidezähnen, Eck- und Backzähnen sprechen,
zum Unterschiede von anderen Reptilien, wo nur gleich-
massige konische Zähne im Kiefer stehen.
Von den 4 Unterordnungen der Theromorphen zeigen
die Fareiasaurier in ihrer liezahnung noch die meisten
Anklänge an die anderen Reptilien. Alle Zähne, deren
Zahl ziemlich hoch war (bei Pareiasaurus bombidens: 76),
wurden zu ziemlich gleichmässiger Function herangezogen,
und zeigen demgemäss in ihrem Bau nur geringe Ver-
schiedenheiten. Nach innen von der Zahnreihe sind bei
allen beschriebenen Gattungen (Tapinocephalus, Pareia-
saurus und Anthodon) deutliche Ersatzzahnkeime vor-
handen.
Viel weiter differencirt ist das Gebiss der Therio-
dontia, deren Zähne nach dem Raubthiertypus gebaut
sind. Von Ersatzzahnanlagen ist bei keinem dieser Ranb-
reptilien etwas gefunden worden.
Die beiden anderen Unterordnungen haben ein sein-
abweichend gestaltetes Gebiss; die Anomodontia bcsassen
nur ein paar mächtige Fangzähne im Oberkiefer (ähn-
lich den Stosszähnen vom Walross) oder waren gänzlieli
zahnlos.
Die Placodontia, deren Zugehörigkeit zur Ordnung
der Theromorphen indess nicht sicher steht, waren noch
sonderbarer ausgestattet, indem vorn Sclineidezähne, hinten
im Oberkiefer rundliche Backzähne, im Unterkiefer grosse
Pflasterzähne standen, und der Gaumen ausserdem mit
grossen Pflasterzähnen bedeckt war. Eine ganz ähnliciie
Bezahnung findet sich übrigens bei fossilen Fischen, den
Pycnodonten, zu denen diese Reptilien zuerst gestellt
wurden.
Lassen wir die beiden letzterwähnten Gruppen zu-
nächst bei Seite und betrachten wir Pareiasauria und
Theriodontia, so fällt besonders auf, dass wir hier nicht,
wie es bei anderen Reptilien der Fall ist, eine Aufein-
anderfolge mehrerer Dentitionen vor uns haben, die bei
Fossilien vortrefflich erhalten sein können, sondern dass
. hier nur ein einmaliger oder überhaupt kein Ersatz statt-
findet, letzteres bei den am meisten specialisirten Gebissen.
Innerhalb der Theromorphenordnung geht also mit der
höheren Specialisirung der einzelnen Zähne die Bildung
von Ersatzzähnen verloren.
Ganz analoge Verhältnisse finden wir bei den Säuge-
thieren wieder, wie weiter oben geschildert worden ist.
Betrachten wir also die l)es])rochenen Gruppen mit
unbefangenem, nicht durch phylogenetische Hyi)othesen
voreingenommenem Blicke, so sehen wir, wie bei Thero-
morphen, Marsupialiern und Placentaliern der ursprüng-
liche Zustand des Gebisses der polyphyodonte, respective
diphyodonte war, wie aber durch die gleiche Ursache,
Specialisirung der einzelnen Zähne, bei den Theroniorpheai,
alle Dentitionen ))is auf die erste unterdrückt wurden,
bei den Marsupialiern wenigstens ein Zahn der zweiten
Dentition zum Durchln-uch kam, bei den Placentaliern
aber trotz der Specialisirung beide Dentitionen erscheinen.
AVir haben also in den drei Gruppen der Thero-
morphen, Marsupialier und Placentalier drei verschieden
hohe Stufen der Zahncntwickelung vor uns, die sich nach
denselben Gesetzen, aber von immer höherer Basis aus
bildeten.
Es macht den Eindruck, als ob die Höhe der Gebis.s-
entwickelung jedesmal der Höhe der Organisationsstufe
der betreffenden Thiergruppen entspräche, ein Gedanke,
der ja durch das Princip der Correlation der Organe
durchaus wahrscheinlich gemacht wird. Damit ist zugleich
ausgesprochen, dass die Aehnliclikeiten, welche sich in
den drei verschieden hoch entwickelten Gebissformen
finden, auf Conv«rgenzerscheinungen beruhen und zu
phylogenetischen Verknüpfungen nicht verwandt werden
können. In der That sehen wir, wie das Gebiss der
Theriodontier wohl dem der Raubbeutler und Raubplacen-
talier, nicht aber dem der niedersten Säugethiere ähnlich
ist, welche wir durch jialaeontologische Funde kennen,
und zu deren Betrachtung wir nunmehr übergehen
wollen.
Die ältesten Reste der Säugethiere kennen wir aus
der Trias, und zwar weisen sie schon eine grosse räum-
liche Verbreitung auf, da man vereinzelte Zähne oder
unvollständige Schädel in Schwaben, Nordkarolina, im
Basutoland und im Caplandc gefunden liat. Dies allein
spricht schon für ein höheres Alter des Säugethierstammes
und macJjt seine Entstehung im Palaeozoicum wahrschein-
lich. Bei der Untersuchung der triassischen Säuger sind
wir fast ausschliesslich auf die Zähne angewiesen, deren
Bau ein höchst eigenthümlicher ist. Zwar sind sie in
mancher Hinsicht noch reprilienähnlich, besonders durch
die geringe Ausbildung der Wurzel, es tritt aber nicht
nur eine Specialisirung des Gebisses in Schneidezähne,
Eckzahn und Backenzähne ein, sondern letztere sind auch
höchst auffällig gebaut. Ein jeder Backzahn setzt sich
nämlich zusammen aus zahlreichen Höckern, die in zwei
oder drei Reihen geordnet und durch Längsthäler ge-
trennt sind. Man hat diesen alten Säugethieren deshalb
den Namen ,,Multitul)erculaten" gegeben.
Sind die Multituberculatenbaekzäiine — wie oben be-
gründet — durch gi'M]ipenwcise verschmolzene, ursprüng-
liche, konische Reptiiicnzähne enstandcn, so müssen sie
in sehr geringer Zahl vorhanden sein, da ja jedesmal ein
Zahn einer ganzen Anzahl einfacher Reptiiicnzähne ent-
spricht. In der That finden sich in jeder Kieferhälfte
nur 1 oder 2 ^Molaren, von den ähnlich gebauten Prä-
nnilaren iKlchstens 4, meist weniger \or. Wie der Process
der Verschmelzung vor sich gegangen, ist schwer zu ver-
stehen, da er aus der Verkürzung der langen Reptilien-
kiefer zu kurzen Säugethierkiefern allein nicht zu erklären
ist; dennoch ist die Verschmelzung von Zähnen bei den
Wirbelthiercn nach K. eine Thatsaciic, und daher durch-
aus nicht mit Zahnbildungsvorgängen bei niederen Wirbel-
thieren in Widei'sprueh.
Die Backzälnie der theromorphen Reptilien sind nur
homolog einem einfachen Reptilienzahne, oder aber es
kommt, wie bei den Theriodontiern, zu einer Verschmel-
zung. Diese Verschmelzung aber betrifft stets nur den ein-
zelnen Zahn und seine entsprechenden Ersatzzahnanlagen,
welche in der Zahnleiste cntlialtcn sind. Die Backzähne
der Säugethiert' dagegen stellen viel complicirtcre Gebilde
dar, sie sind entstanden aus Verschmelzung einer grösseren
oder geringeren Anzahl konischer Reptilienzähne, die
hinter einander liegen , und meist treten dazu noch die
entsprechenden Zahm-eihen der zweiten eventuell der
dritten Dentition hinzu. Der Process der Kieferverkürzung
muss bei diesem Processe ein wiciitiges meciianisciies
Moment gewesen sein.
K. stellt für die Entwickeluug der Zähne innerhall)
der gesammten Wirbelthierreihe das Princip auf, dessen
hypothetischen Charakter er indessen ausdrücklich betont,
dass die Ausbildung der Zähne in erster Linie auf die
Verschmelzung von Einzelzähnen zurückzuführen ist.
Als ursprüngliches Element ist der einfache Dentin-
zahn der Fische anzusehen. Wie durch das Verwachsen
der Basalplatten dieser Elementargebilde die Belegknochen
der Mundhöhle entstanden sind, so haben sich auch durch
Nr. 21.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
209
Verschmelzung der Zähne selbst complicirtere Zahnformen
gebildet.
Dieser Vorgang lässt sich bei Selacbiern vergleichend-
anatomisch verfolgen. So hat z. B. Oladodus, eine der
ältesten Haifischformen, folgenden Zahnbau aufzuweisen;
auf einer langgestreckten Basis erheben .sich eine Anzahl
konischer Spitzen, von denen die mittelste und die beiden
äusseren die längsten sind. Die Entstehung dieses Zahn-
gebildes würde ganz unverständlich sein, wenn wir an-
nehmen wollten, dass es durch allmähliche Differeucirung
einer einzigen Zahnspitze entstanden sein soll; es erscheint
vielmehr ganz selbstverständlich, diese Bildung aus einer
Reihe verschmolzener Einzclzähne bestehend anzunehmen.
Durch immer inniger werdende Verschmelzung der Einzel-
elemente sind dann die anderen Zahnformen entstanden.
Es ist ja dabei keineswegs ausgeschlossen, dass auch
ohne Verschmelzung einzelne Zähne in Folge erhöhter In-
anspruchnahme an Grosse zunehmen, nur lassen sich daraus
nicht die mehrspitzigen Zähne erklären. K. stellt also
den ursprünglichen Einzelzahn der Fische als Zahn erster
Ordnung den durch Verwachsung mehrerer entstandenen
Gebilden, wie innerhalb der Fischklasse, als Zähnen
zweiter Ordnung gegenüber. Mit dieser Complication
erfolgt naturgemäss eine ^'erringerung in der Zahl der
sich anlegenden Dentitionen. Bei Fischen ist im allge-
meinen der Zahnwcchsel unbegrenzt, er hört aber bereits
innerhalb dieser Klasse bei Ausbildung sehr grosser Einzel-
zähne, also bei eintretender Specialisirung auf (z. B. bei
Chimaera oder Ceratodus).
Auch bei den Reptilien ist die Zahl der Dentitionen
eine begrenzte. AVollen wir den Einzelzahn eines Reptiles
mit den Zähnen der Fische vergleichen, so werden wir
sie besser mit den Zähneu zweiter Ordnung zusaninieu-
stellen. Wie diese, so zeigen auch manche Reptilien-
zähne Coniplicationen, die auf eine ehemals erfolgte Ver-
schmelzung hindeuten.
Zu einer nochmaligen Verschmelzung kam es bei der
Entstehung der Säugethiere aus reptilienähnlichen Vor-
fahren. Die Backzähne der Säugethiere sind also Zähne
dritter Ordnung, entstanden durch Verschmelzung von
Reptilienzähnen. In schönster Ausbildung zeigt sich das
Resultat dieses Processes bei den ältesten bis jetzt be-
kannten Säugethieren, den Multituberculaten.
Einfacher Fisehzahn, Reptilienzahn und Säugethier-
backzahn sind also miteinander nicht homologisirbar. Dem-
zufolge ist also eine phylogenetische Verknüpfung der
betreffenden Formen auf Grund der Bezahnung durchaus
unzulässig.
Die Frage nach dem Ursprünge der Säugethiere be-
antwortet K. nunmehr folgendermaassen. Die Vorfahren
der Säugethiere waren nicht, wie meist angenommen,
theroniorphe Reptilien, sondern uralte zur palaeozoischen
Zeit lel)cnde Formen (von denen ja die Theromorphen
ebenfalls ihren Ausgang genonunen haben können) mit
weniger specialisirtem, noch aus glcichmässigen konischen
Zähnen bestehendem Gebiss. Aus ihnen heraus ent-
wickelten sich zuerst Säugethiere mit Mnltitubereulaten-
gebiss.
Die jetzt lebenden Säugethiere werden in drei Unter-
klassen eingetheilt, die Monotremen, die Beutelthiere und
die Placentalthiere. Der KöriJcrbau der noch eierlegenden
Monotremen zeigt, obwohl durch Specialanpassung rnannig-
facii modifieirt, so primitive Charaktere, dass wir sie als
Al)könnnlinge der primitivsten Säugethiere ansehen müssen.
Es müssten nun nach dem Vorausgehenden die Mono-
tremen Nachkommen der alten Multituberculaten sein.
Diese Annahme hat vor kurzem eine Bestätigung erfahren
durch die Entdeckung, dass, während die erwachsenen
iK'iden Formen, das Sehnabcithier und der Ameisenigel,
zahnlos sind, die jungen Schnabelthiere unterm Zahn-
tieisch verborgen zwei Backzähne besitzen, welche einen
deutlichen multitul)ereularen Bau aufweisen. Die Mono-
tremen scheinen also in der That ein speeialisirter Seiten-
zweig der Mnltitul)erculaten zu sein.
Die ^'ertreter der zweiten Unterklasse, die Beutel-
thiere, haben sich schon sehr frühzeitig von diesem alten
Stamme abgezweigt, ihr Gebisstypus lässt sich auf eine
Modification des Multitubcreulatentypus zurückführen. Ihr
Körperbau zeigt im allgemeinen eine zwischen Monotremen
und Placentalthieren stehende Ausbildung, und man sieht
sie als ein mittleres Säugethierstadinm an, aus dem sich
die letzteren entwickelten. Nach manchen Autoren stam-
men die einzelnen Ordnungen der Placentalthiere von den
entsprechenden Beutelthierordnungen ab, sind also poly-
pliyletisch entstanden, nach anderen nahm die Unterklasse
der Placentalier von einem mehr generalisirten Beutelthier-
typus aus ihren Ursprung. Die bis jetzt für eine directe
Ableitung der Placentalier von den Beutelthieren ins Feld
geführten (iründe sinil aber sännntlich nicht stichhaltig,
wohl aber giebt es dagegensprechende.
Es lässt sich wohl denken, dass die Placentalier ihren
Ursprung von dem alten Säugethierstamme nahmen, der in
den Monotremen noch am wenigsten verändert fortlebt,
und dass einzelne ihrer Ordnungen die Placeuta un-
aldiängig von einander erworben haben. Ein den Pla-
centaliern parallel laufender, ebenfalls aus dem Haupt-
stamme entstandener Zweig sind die Beutelthiere.
Die Aehnlichkciten innerhalb der einzelnen Ordnungen
beider Unterklassen
erseheinungen.
wären dann nur Convergenz-
Eine neue Gattung der Laboulbeniaceen, einer
Familie der Ascomyceten, deren etwa 32 Arten .sämmtlich
auf Käfern oder Fliegen wohnen, beschreibt Alfred
Giard unter dem Namen Thaxteria Kflnekeli. (Compt.
rend. de la Soc. de Biol de Paris. S. 9. T. 4. S. 156.)
Dieser Pilz fand sich zu Perak auf dem ostindischen Lauf-
käfer Mormolyce phyllodes Hagenbaeli Die Laboul-
beniaceen sind bisher nur aus Europa und Amerika be-
kannt. Die vorliegende Form übertriftt alle Verwandten
an Grösse; sie wird 3 — 4 mm hoch. Sie überzieht den
Thorax und die Flügeldecken mit einem Wald zierlichster
Palmen. Bemerkenswerth ist die Verwandtschaft dieser
neuen Art zu den fliegenbewohnenden Familiengenossen.
M.
Eine interessante Analyse der Sehn imnibewegnngen
des Rochen veröflentlieiit Marey in den Comptes rendus
der Acadcnne zu Paris (1893, "S. 77—81.) Vermittels
geeigneter Vorriciitungen war ein Versuchsthier orientirt
worden, so dass die beiden Serien photographischer Auf-
nahmen hergestellt werden konnten, welche die neben-
stehende Figur zeigt. Die Bewegungen geschehen mittels
der Seitenflossen und sind vertikal wellenförmig, d. h.
jeder Punkt des Flossenrandes hebt uud senkt sich ab-
wechselnd. Sie beginnen am Vorderrande der Flossen,
indem sich derselbe emporhebt, schreiten, gleichzeitig
griisser werdend, nach hinten fort und enden am Hinter-
rande in ähnlicher Weise, wie sie am vorderen begannen.
Die einzelnen Phasen sind am besten aus der neben-
stehenden Figur ersichtlich, in welcher No. 1 jedesmal
das Anfani;stadium darstellt. Bevor die eine Welle am
210
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 21.
Hinterrande verlaufen ist, erscheint eine neue bereits am
Vorderrande. In der von der Seite dargestellten Reihe
(zuerst aufgenommen) besteht die Welle aus 8 Phasen,
in der von vorn geselienen nur aus 6; im ersteren Falle
beanspruchte sie '^^q, im zweiten nur "/lo einer Secuude.
Grosse Aehnlichkeit zeiat die Reihe der Vorderansichten
mit gleichen Darstellungen des Vogelfiuges.
lu gleicher
Weise, wie die Flügel des Vogels, wenn sie am stärksten
nach unten gebeugt sind, einen Halbkreis beschreiben,
dessen mittleren und höchsten Theil der Körper einnimmt,
stellen sich auch die Seitenflossen zum Körper des Rochen
(Vorderansicht No. 6). Wenn der Flügel des Vogels von
dem erreichten höchsten Punkte aus sich abwärts zu beugen
beginnt, kann der aus biegsamen Federn bestehende
hintere Rand desselben, in Folge des Widerstandes der
Luft, der Bewegung nicht so schnell folgen und wird auf-
wärts gekrümmt-, ebenso geschieht es beim Rochen (Vorder-
ansicht No. 3 — 5) durch den Widerstand des Wassers.
Dr. F. K.
DieMitwirkuiiff der atmosphärisclieuNiederschläge
bei der Gestaltung des festen Landes. — Ein bemerkens-
werthes Beispiel für diese Erscheinung hat Herr John
Thomson auf der Insel Fcirmosa beobachtet. Im Jahre
1634 sind dort von den Holländern zwei Forts angelegt
worden, deren eines, Ft. Providence, damals an der Jlün-
dung des Formosaflusses gelegen war. Gegenwärtig ist
dieser Punkt aber nicht weniger als fünf englische Meilen
von der Küste entfernt. Das andere, Ft. Tai Wan, ist
aber seit langer Zeit völhg ins Innere der Insel gerückt.
Herr Thomson erklärt die Erscheinung folgenderniaassen.
Die Luft, welche über die Kuru Sliiwo Strömung hinweg-
streicht, belädt sich mit reichlicher Feuchtigkeit. Die
solcher Gestalt mit Wasserdampf gesättigten Wolken wer-
den während des Nordost - Monsuns (Ende October bis
April) gegen die bis über 3000 m ansteigenden Höhenzüge
der Insel angetrieben, dort aber festgehalten und lösen
sich dann in starke Regengüsse auf. Diese letzteren
werden grosse Mengen Materials von dem Gebirge los-
reissen, das sich dann in einer Entfernung von 15 engl.
Meilen dem Boden angliedert, der ohnehin durch die
stete Anschwemmung der Wasserläufe der Insel gebildet
wird. Auf diese Weise hat sich eine vollkommen bewohn-
bare Alluvialebene gebildet, die von Jahr zu Jahr in Folge
der Regengüsse eine immer weitere Ausdehnung erhält.
In der That ist also aus diesem Beispiele zu ersehen,
dass die atmosphärischen Niederschläge, auf einer be-
grenzten Fläche, die Gestaltung des Bodens wesentlich
moditiciren können, indem sie auf Kosten des Meeres eine
Ebene schaffen und erhalten, die wohl geeignet ist zur
dauernden Wohnstätte und zum dauernden Unterhalt einer
Zahl beträchtlichen Bevölkerung. Grs.
an
Anfänge epiphytischer Lebensweise bei Gefäss-
pflanzen Norddeutschlands betitelt sich ein Aufsatz aus
der Feder von Prof. E. Loew in den V^erhandlungen des
Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg. XXXIII,
dem wir das Folgende entnehmen. — In den ..pflanzen-
biologischen Schilderungen" Goebel's wird der Reichthum
der Tropen an epiphytischen Pflanzen im Gegensatz zu
der Armuth unserer gemässigten Zone an derartigen Ge-
wächsen hervorgehoben. Dagegen beschränken sich die
einheimischen Epiphyten in der Regel auf rinden-
bewohnende Flechten und Moose; auch treten bisweilen
Farne (Polypodium vulgare) in unseren feuchten Gebirgs-
wäldern und an der See epiphytisch auf. Bei näherer
Umschau lässt sich aber z. B. innerhalb des norddeutschen
Florengebiets nicht verkennen, dass gelegentlich auch bei
uns eine grössere Zahl von Gefässpflanzen ihren Standort
auf Baumstämmen zu nehmen und daselbst den Kreislauf
ihres Lebens von der Keimung bis zur Fruchtreife zurück-
zulegen vermag; es thun dies, nicht bloss krautartige,
sondern selbst Holzgewächse. Wo derartige Vorkommnisse
zur Beobachtung gelangen, rufen sie leicht den Eindruck
des Zufälligen hervor, so dass sie von den Floristen meist
nicht weiter beachtet wurden. Es knüpfen sich jedoch
an diesen gelegentlichen Epiphytismus einige biologische
Fragen, die dem Verf. Veranlassung gaben, der iu Rede
stehenden Erscheinung etwas näher zu treten.
Eine reiciilicher entwickelte Epiphyten -Flora inner-
halb des norddeutschen Florengebiets fand er im Sommer
1890 in Travemünde an der Ostsee — und zwar daselbst
nur an einer engbegrenzten Localität. Vom dortigen
Badestrande führt unweit des sog. Seetempels ein ca.
1,1 km langer, mit alten Kopfweiden umpflanzter Feldweg
auf die Fahrstrasse nach Brodten. Die von einem flachen
Graben begleiteten Seiten dieses Weges sind, wie vielfach
in der Gegend, zum Schutz der angrenzenden Felder und
Viehtriften mit einer dichten Gesträuchhecke umzogen, die
von Corylus Avellana L., Carpinus Betulus L., Populus
tremula L., Salix Caiirea L. und aurita L., Prunus spinosa
L., Rosa canina L., Rubus-Arten, Acer campestre L.,
Frangula Alnns Mill., Ribes Grossularia L., Evonymus
europaea L., Cornus sanguinea L., Fraxinus excelsior L.
u. a. gebildet wird. Die Kopfweiden (vorwiegend Salix
alba L.), deren Alter ein ziemlich bedeutendes sein muss,
da einzelne Exemplare derselben durch Vermoderung
bereits in zwei, fast völlig getrennte Stammreste zerfallen
waren, trugen auf ihrem gekappten Stammende zwischen
den eigenen, lutbenförmigen Trieben ganze Büschel dort
angesiedelter „Ueberpflanzen" (nach Kerner's Bezeich-
nung). Auch dem Laien pflegten auf diesem Wege u. a.
die Erdbeeren aufzufallen, deren Früchte man hier
von den Bäumen ablesen musste und welche — gleich
der neben ihnen wachsenden Nepeta Glechoma Benth. —
ihre langen Ausläufer nach Art von Ampelpflanzen von
der Höhe herabhängen Hessen. Auch Himbeersträucher
waren häufig auf dem ungewöhnlich hoch gelegenen Stand-
ort anzutreffen und entwickelten bereits hier und da ihre
Früchte. Vereinzelt traten ferner rein vegetative Stamm-
I
Nr. 21.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
211
cheu von Ribes rubrum L. und Pirus aucui)aria Gacrtu.
auf; von ersterem fand sich ein Exemplar, dessen Stamm
einen Durchmesser von etwa 1,8 cm besass, von letzterer
ein 4 jähriges Individuum, dessen Wurzel mehr als 1,6 dm
tief in das vermoderte Holz des Wirthstannnes einge-
drunju-en war. An Liancnbildung- erinnerten die windenden
Stänune des reichlich blüiienden, wilden Geisblatts und
Exemplare von Solanum Dulcaniara L., deren Wurzeln
zum Theil ebenfalls der fremden Unterlage aufsasseu.
Als Repräsentant der bodenständigen Epiphyten trat ferner
nicht selten Hedera Helix L. auf Zu den genannten
Gewächsen, die mit Ausnahme von Fragaria sänuntlieli
Holzpflanzen sind, gesellte sich endlich eine ganze Schaar
von baumbewohnenden Kräutern und (iräsern unter denen
sich auch der ^•on Goebel genannte Farn (Polypodiuni
vulgare L.) befand. Das specielle Verzeichniss der übrigen
Arten folgt weiter unten.
Die sich zunächst darbietende JVage betrifft die
Aussäungseinrichtungen dieser auf den Weidenstämmen
epiphytisch auftretenden Pflanzengenossenschaft. Denn
wenn A. F. W. Schimper nachgewiesen hat, dass die
tropischen Epiphyten vorwiegend zu solchen Ptlanzen-
familien gehören, deren Früchte oder Samen für die Ver-
breitung- durch Thiere oder den Wind eingerichtet sind,
während Pflanzen aus Familien mit grossen und schweren
Samen nicht zu atmosphärischer Lebensweise überzugehen
pflegen, so könnten vielleicht Andeutungen dieses biologi-
schen Zusammenhanges zwischen epiphytischem Vorkommen
und der Art der Sauienausrüstung sich auch in unserer
einheimischen Flora nachweisen lassen. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus stellte Verf die von ilini auf den Weiden-
stämmen bei Travemünde beobachteten Pflanzen nach
ihrer Verbreitungsausrüstung in Gruppen zusammen. Es
ergab sich so folgende Liste, in welcher zugleich An-
gaben über die Häutigkeit der betreffenden Art, sowie
über die Aussäungsform aufgenommen sind.
Gruppe 1. Früchte beerenartig.
1. Rubus Idaeus L. (Häufig.) Nach Foeke durch Vögel ver-
breitet.
2. Pirus auciiparia Gaertn. (Vereinzelt.) Nach Piccone durch
Vögel verbreitet.
3. Fragaria vesca L. (Häufig.) Nach Piccone durch Vögel ver-
breitet.
4. Ribes rubrum L. (Vereinzelt.) Wie vorige.
5. Hedera Helix L. (Häufig, nur bodenständig beobachtet; ob
immerV) Durch Vögel verbreitet (Piccone).
6. Lonicera Periclymenum L. (Vereinzelt.)
7. Solanum Dulcainara L. (Vereinzelt.)
Gruppe 2. Früchte mit Klettborsten.
8. Galium Aparine L. (Vereinzelt ) Frucht hakig-borstig. Nach
Huth zugleich „WoU- und Kletterklette".
Gruppe 3. Samen oder Früchte, resp. deren Anhaugs-
theile mit Flugapparat.
9. Epilobium parviHorum Schreb. (Vereinzelt.) Samen mit
Haarschopf.
10. Taraxacum vulgare Schrk. (Sehr vereinzelt.) Frucht mit
Haarkrone.
11. Hieracium boreale Fr. (Sehr vereinzelt.) Desgl.
12. Rumex Acetosa L. (Vereinzelt.) Die Verbreitungs- Ausrüstung
besteht nach Hildebrand in den Flügeln des Perigons, das
die Frucht einschliesst.
Gruppe 4. V e r ra e h r u n g s o r g a n e (F r ü c li t e , Samen oder
Sporen) klein und leicht.
13. Moehringia trinervia Clairv. (Häufig.) Die kleinen Samen
der Caryophylleen nach Hildebrand leicht durch den Wind
verbreitet.
14. Cerastium caespitosura Gil. (Vereinzelt.) Wie Moehringia.
15. Stellaria Holostea L. (Vereinzelt.) Desgl.
16. Artemisia vulgaris L. (Vereinzelt.) Frucht nach Hildebrand
wegen ihrer Kleinheit leicht durch den Wind verbreiet.
17. Aehillea Millefolium L. (Sehr vereinzelt.) Wie Artemisia.
Vgl. Hildebrand.
18. Campanula rotundifolia L. (Sehr vereinzelt.) Die kleinen
Samen der Campanulaceen nach Hihlebrand leicht durch den
Wind verbreitet.
\'.>. Prtica dioica L. (Häufig.) Frucht nach Hildebrand durcli
den Wind verbreitet, nach Harz 1.4 — 1,46 mm lang, von 2 vcr-
grösserten etwas borstigen Perigon-Abschnitten eingeschlossen.
Möglieherweise spielt auch die nacli der Reife der Frucht
durch Wasserzufnhr aufquellendi' Schleimschicht (vgl. Harz)
eine Rolle bei der .\ussäung. ( Klebt'rucht?)
20. Poa nemoralis L. (Häufig.) Die besjjelzte Frucht 3 mm lang,
mit geringer Behaarung (.Jessen), nach Hildebrand durch den
Wind verbr(<itet.
21. Dactylis glomerata L. (N'ereinzelt ) Die bespelzte Friiclit
D mm lang, mit rückwärts borstiger Granne von 1 — 3 mm
Länge (nach Jessen). Verbreitung nach Hildebrand wie bei
Poa; vielleicht dient die Granne auch als Klettvorrichtung.
-'2. Holcus lanatus L. (Vereinzelt.) Die bespelzte Frucht 3 mm
lang, bisweilen noch ein unfruchtbares, hakig begranntes
Plütlii-hen tragend (Jessen). Die Verbreitung findet nach
Hildebrand wie bei Poa durch den Wind statt; vielleicht
dient die Hakengranne auch als Klettvorrichtung.
23. Polypodium vulgare L. (Häufig.) Mit Sporen.
Gruppe 5. Früchte mit S c hie udermecli an ismus.
21. Geranium Robertianum L. (Häufig.) Die Samen werden beim
Abschleudern der Thoilfrüchte aus diesen herausgeschnellt.
(Vgl. Hildebrand und (tlbers.)
Gruppe (5. V e r Ij r e i t u n g s a u s r ü s t u n g u n d e u 1 1 i c h
oder zweifelhaft.
2.'i. Antliriscus silvestris Hoffm. (Vereinzelt) Fruclit kurzgeschnä-
belt, glatt. Die Theilfrüchte werden möglicherweise beim
Austrocknen ähnlich wie bei Scaiidix ( Hildebraml) vom Frucht-
träger fortgcschnellt.
26. Hypericum pcrforatum L. (Vereinzelt.) Kapselfrucht mit klei-
nen Samen. Windverbreitung.
27. Verbascnm thapsiforme Schrad. (Sehr vereinzelt.) Die Kapsel
wird bei der Reife noch von dem wolligen Kelcli umgeben.
Huth zählt Verbascum wegen seiner dichtfilzigen' Behaarung
zu den Klettpflanzen und führt i'ineu Fall von Verschleppung
zahlreicher Arten durch Wolle an.
28. Galeopsis Ladanum L. (Vereinzelt.) Mit glatten .Spalt-
friiehten. Kelch mit stechenden Zähnen. (Klettvorricbtiing?)
29. Nepeta Glechoma Benth. (Vereinzelt.) Mit glatten Spalt-
früchten, Kelch mit stachelspitzigen Zähnen. (Klettvorrich-
tung?)
30. Chrysanthemum Tanacetum Karsch. (Vereinzelt.) Frucht
punktirt, mit kurzem Hautsaum. (Wind Verbreitung ?)
31. Galium Mollugo L. (Vereinzelt.) Frucht körnig. (Klett-
vorrichtung?)
Hiernach finden sich unter den 30 auf Weidenbäumen
wurzelnden Ueberpflanzen (nach Abzug der bodenständigen
Hedera Helix L.):
Durch den Wind verbreitete
Arten 16 oder SS'/g Vo (Gruppe 3— 5)
Durch Thiere verbreitete
Arten 7 „ 231/3 »/„ (Gruppe 1 u. 2)
Arten mit zweifelhafter Aus-
säungsform 7 ,, 23^3 'Vo (Gruppe 6)
Arten 30 od. 100 «/o-
Im Ganzen l)ot also die ganz überwiegende Zahl
(76^ 3 "/o) der aufgezählten Pflanzengenossenschaft eine Form
der Aussäung, die sie zu epiphytischem Auftreten besonders
befähigt und ihr mit den tropischen Ueberpflanzen gemein-
sam ist; auch die der Ausrüstung nach zweifelhaften Arten
der Gruppe 6 können, wie aus ihrem thatsäehliehen Stand-
ort hervorgeht, doch nur durch den Wind oder durch
Thiere dahin gelangt sein. Besonders bemerkenswerth
erseheint, dass sämmtliche auf den A\'eidenbäumen als
Ueberpflanzen auftretende Holzgewäehse din-ch beereu-
artige Früchte ausgezeichnet sind und wahrscheinlich durch
Vögel an die ungewöhnliche Wohnstätte gebracht wurden.
Unter denselben befanden sich allerdings zwei Arten
(Pirus aueuparia, Ribes rubrum), die nur in vegetativem
Zustande beobachtet wurden, und welche wahrscheinlich
auch niemals an der angegebenen Stelle zum Blühen und
Fruchten gelangen werden; die übrigen Holzpflanzen, wie
212
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 21.
auch sämuitliche ausdauernde (20 Arten) und bapaxantlie
Krautgewächse (einjährige: 4 Arten, zweijährig: 1 Art)
wurden dagegeu theils iu bliihbarem, theils in fructifici-
rendem Zustande angetroffen. Da es überwiegend per-
ennireiide Pflanzen sind, so kann l'iir dieselben zum Thcil
wohl eine längere Dauer des epiphytischen ^'(■rhältnisses
angenommen werden. Auch ist zu berücksichtigen, dass
fast alle oben aufgezählten Pflanzen an dem beschriebeneu
Weidenwege ausserdem in bodenständigen Exemplaren
vorkommen, so dass ihre Früchte oder Samen stets in
Menge an der betreffenden Loealität vorhanden waren
und sieh um so leichter vom Boden auf die Räume ver-
breiten konnten. Dieser Umstand erklärt wenigstens theii-
weise die Reichliehkeit der geschilderten Epiphyten-
vegetation.
Eine zweite in Betracht kommende Frage ist die, in
welcher Weise die gelegentlich als Ueberpflanzen der
Weidenbäume auftretenden Gewächse ihre Bedürfnisse an
Bodcnljestandfheilen und Wasser zu decken vermögen.
Nach beiden Richtungen hin entwickeln bekanntlich die
tropischen Epiphyten eigenartige EiiH'ielitungen, z. B. ein
mächtig entwickeltes Wassergewebe, wasseraufsaugende
Luftwurzeln oder vogclnestartige Wurzelmassen und Blaft-
rosctten zur Ansanmilung von Humiisstoffen. Allein von
derartigen Einrichtungen lässt sich bei den oben aufge-
zählten Pflanzen nichts wahrnehmen, wenn nicht eine
spätere, genaue anatomische Untersuchung bei einigen
etwa eine stärkere Entwickelung von wasseraufspeicheru-
dem Gewebe nachweisen sollte. Der ihren Wurzeln zu
Gebote stehende Nährboden bestand fast ausschliesslich
aus der vermoderten, lockeren und feuchten Weidenholz-
masse, die von spärlichen, durch den Wind aufgewehten
festen Mineralpartikelcheu des Bodens i)edeckt und häufig
auch von einer Moosdecke überzogen wurde. Letztere
bietet in den ihr anhaftenden Erdbestandtheilen wohl für
niedere, kleinwurzlige und einjährige Pflanzen wie Moeh-
ringia trinervia u. a. hinreichende Nährstoffe dar, allein
eine grössere Zahl der oben genannten Holzpflanzeu und
Stauden besitzt tiefer gehende Wurzeln und Ehizome, so
dass die Annahme einer ganz oberflächlichen Anheftung
derselben ausgeschlossen erscheint. Vielmehr Hess sich
feststellen, dass Wurzeln mehrfach bis zu einer Tiefe von
1 — 2 dm in das Innere der vermoderten Stämme einge-
drungen waren und sieh aus denselben nur mit Anwendung
grösserer Kraft, sowie unter Abreissen der jüngeren Seiten-
verzweigungen herausziehen Hessen. Unter diesen Um-
ständen liegt der Gedanke an eine besondere Art der
Ernährung — etwa durch Mykorrhizabildung — nahe.
Nach den Untersuchungen von Frank ist letztere „ab-
hängig von dem Vorhandensein unzersetzter, in Humus
übergehender Pflanzenabfälle im Erdboden". Zumal der
Baumhumus bedingt die Anwesenheit der Mykorrhizapilze.
Nun ist allerdings die Eberesche, deren Wurzeln ich, wie
oben angegeben, tief in die vermodernde Holzsubstanz
eindringen sah, nach den Beobachtungen von Frank in
normalen Fällen von Wurzelpilzeu frei, allein es fragt
sich, ob sie unter veränderten Standortsbedingungeu nicht
doch Ansätze von Mykorrhizabildung zu machen vermag.
Einige feine Seitenwurzelu schienen in der That das
charakteristische, korallenartig verzweigte Wachsthum der
Mykorrhiza zu zeigen, allein eine genauere mikroskopische
Untersuchung derselben konnte nicht vorgenommen werden.
Sicher leben dagegen die Wurzeln einiger anderer, in dem
AVeidenhumus beobachteter Pflanzenarten in Vergesell-
schaftung mit Pilzen, es sind dies nach Schlicht die
Wurzeln folgender 8 Species: Fragaria vesea, Eubus
Idaeus, Epilobium parviflorum, Geranium Robertianum,
Hypericum perforatum, Achillea Millefolium, Taraxaeum
vulgare und Holcus lanatus; die Pilzmycelien treten bei
diesen Pflanzen nach genanntem Beobachter an den feinsten,
bisweilen nur 0,04 mm dicken Wurzelfäsern auf. Be-
inerkenswerth ist vor allem die Zugehörigkeit von Fragaria
vesea und Rubus Idaeus zu der Mykorrhiza- bildenden
Gruppe, da diese Pflanzen bei ihrem gelegentlich epiphy-
tischen Auftreten sich sehr kräftig entwickelten. Es
scheinen daher vorzugsweise solche Gewächse zum Schein-
schmarotzen auf Baunistännnen übergehen zu können,
welche durch Mykorrhizabildung von vornherein für die
directe Aufnahme organischer Substanz ausgerüstet sind.
Es ist hier auch daraufhinzuweisen, dass in der temperirten
Region des östlichen Himalaya (z. B. bei Darjecling in
Sikkim zwischen 4 und 6000' nach Schimper) zahlreiche
Pflanzentypen der gemässigten Zone — darunter Hedera
Helix, Vogelbeerbäume (Pirus foliolosa und rhamnoides),
ein Ribes (R. glaciale) und andere Arten — epiphytisch
auftreten, d. h. also Gewächse, die mit den bei uns auf
Weidenbäumen gelegentlich wachsenden Pflanzen zum Theil
gattungsverwandt sind. Auch gehören zahlreiche Epiphyten
der temperirten Region des Himalaya (Ericaceen, Orchideen)
zu Familien, von denen bei uns lebende Arten nach den
Untersuchungen von Frank als mykorrhizabildend bekannt
sind. Der Zusammenhang zwischen Mykorrhizabildung und
epiphytischer Lebensweise seheint mir demnach einer
näiieren Prüfung werth zu sein. Eine Pflanze, welche bei
ihrem ^^'achsthum auf Waldboden bereits die Fähigkeit
der Aufnahme von Humusstoffen durch Beihilfe der My-
korrhizapilze erworben hat, wird bei Ansiedlung auf
schadhaften, dem Vermodern und der Humifieirung aus-
gesetzten Baumstellen viel leichter weiter zu existiren ver-
mögen, als eine auf gewöhnliehe Weise sich ernährende
Art. Je besser dann Frucht oder Samen für die Ver-
schleppung durch Thiere oder die Verbreitung durch den
Wind ausgerüstet sind, und je günstiger die Feuchtigkeits-
verhältnisse des betretfenden Wohngebiets sich verhalten,
desto häufiger wird die betrett'ende Species gelegentlich
epiphytisch auftreten. Schimper hebt in letzterer Be-
ziehung gewiss mit Recht hervor, dass die epiphytische
Lebensweise keineswegs an tropische Hitze gebunclen ist,
sondern überall „da eintritt, wo der Dampfgehalt der
Luft und die Regenmenge gross genug sind, um terrestri-
schen Gewächsen das Gedeihen auf Bäumen zu ge-
statten".
In dem geschilderten Falle wird den Weidenbaum-
überpflanzen von Travemünde der nothwendige Ueber-
schuss von Feuchtigkeit offenbar von der in nächster Nähe
befindlichen Ostsee zugeführt, deren Nachbarschaft zugleich
auch eine etwas grössere Regenmenge bedingt als an
weiter binnenwärts gelegenen Punkten. Dicht am Meere
gelegene Orte verhalten sich in den Befeuchtungsverhält-
nissen ihrer Vegetation fast wie Gebirgsgegenden, sofern
nur hinreichender Schutz vor der Einwirkung der Stürme
und des Dünensandes vorhanden ist. Das Auftreten
von Ueberpflanzen in der feuchten, baltischen Küsten-
zone lässt sich somit auf ähnliche, nur in beschränkterem
Grade wirkende klimatische Factoren zurückführen, wie
sie in grösserem Maassstabe in der temperirten Region
des Himalaya herrsehend sein mögen. Wenn selljst
dort nach Schimper „ausgesprochene Anpassungen an
epiphytische Lebensweise nicht eingetreten sind", und
die auf Baumstämme übertretenden Gewächse gleich-
zeitig stets auch in bodenständigen Exemplaren vor-
kommen, so dürfen wir in unseren norddeutschen Klimaten
kein anderes Verhältniss erwarten. Dass auch einzelne
einheimische, in der Regel nur als Erdpflanzen auf-
tretende Arten Neigung zu dem fremdartig erscheinenden
Baumleben besitzen, lässt sich nicht bestreiten. Wahr-
scheinlich gehen zu letzterem vorzugsweise solche Ge-
wächse über, denen der von Pilzmycelien durchsetzte
Nr. 21.
Naturwissenscbaftliche Wochenschrift.
213
Humus der modernden Baumsubstanz als Näbrsubstrat
ebenso zusagt, wie der humöse Erdboden.
Den ersten Ansätzen der epiphytischen Lebensweise
innerhalb des lieimathlichen Florengebiets nachzuspüren,
ist ohne Zweifel eine zukünftige Aufgabe der Biologie.
Vielleicht könnten die oben über die Weidenbaumbewohner
mitgetheilten Beobachtungen in besagter Richtung einigen
Anstoss geben. Zunächst wird es sich darum handeln,
in möglichst zahlreichen fioristischeu Gebieten, besonders
auch in Gebirgsgegenden und an geeigneten Orten der
Meeres- und Binneuseeufer, diejenigen Gefässpflanzen fest-
zustellen, welche gelegentlich auf Bäume übergehen; die
Zahl derselben wird sich gewiss als noch ansehnlicher
herausstellen als in obiger Liste der Weidene])iph3'ten.
Dabei wird sich vielfach Gelegenheit ergeben, nebenher
auch die Verbreitungsform der betreft'enden Pflanze näher
zu prüfen und die Art ihrer Aussäung von Fall zu Fall
zu controlliren; wegen des abnormen Standorts ist ja Ver-
breitung durcii Tliicre oder Wind von vornherein als
sicher vorauszusetzen. Weiter wäre zu ermitteln, welche
Pflanzen unter den gelegentlichen Epipiiytcn die Symbiose
ihrer Wurzeln mit Pilzmycelien einzugchen vermögen: es
würde sich dann zeigen, ob die oben mit einiger Reserve
ausgesprochene Vermuthung über den Zusammenhang von
epiphytischer Lebensweise und der Fähigkeit von Mykor-
rhizabildung richtig ist; auch lassen sich über letztere
weitere Aufschlüsse bezüglich ihres Vorkonnnens und ihrer
Verbreitung erwarten. Vielleicht nimmt der eine oder
andere Florist aus diesen Andeutungen Veranlassung, den
in seinem Beobachtungsgebiete gelegentlich auftretenden
Baumgästen etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken als
bisher.*)
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden eni.iniit: Der itiisserordentlichc Professor der Me-
ilicin an der Universitiit Bonn Hans Leo zum ordentlichen Pro-
fessor. — Dr. N. Wille in A.'is zum ordentliehen Professor der
BotMnik an der UniverfitiU und Director des botainschcn Garton.s
in Cliristiania. — Stalismzt \)v. Kurtli zum Director der liakt''rio-
logisclien Staatsanstalt in Bremen. — Der Privatdocent der Chemie
an der Universität Hallo Dr. Thiele zuni ausserordentlichen
Professor der Universität München. — F. V. Coville zum
Director der botanischen Abtheilung der United States De-
partement of Agricultur in Washington.
Es haben sich habilitirt: Dr. Paul Samassa für Zoologie
und Dr. Landsberg für Mathematik an der Universitiit Heidel-
berg. — Dr. Fried. Krasser an der Universität Wien für
Botanik.
Geh. Obermedicinal -Rath Professor Gustav Veit an der
Universität in Bonn legt wegen vorgerückten Alters seine Pro-
fessur nieder.
Es sind gestorben: Der Florist Professor em. Stefan Koren
in Szarvas in Ungarn. — Der Erfinder des künstlichen, schwer
zerstörbaren Steines Frederick Ransomc in London. — Der
als Verfasser des Sylloge florae europaeae bekannte Botaniker
Carl Friedr. Nyman in Stockholm. — Der Chemiker Hugo
Ullrich in Breslau. — Der Kliniker Prof. Arnoldo Cantani
in Neapel.
*) Nachträglicher Zusatz des Verf. — Aus dem Botan. .Jahres-
bericht für 1883 (IL S. 281) ersehe ich, dass eine Zusammen-
stellung von weidenbewohnenden Ueberpflanzen bereits von
Preuschoff in einem Aufsatze: Ansiedler auf fremdartigen
Substraten aus der Pflanzenwelt (Schrift, der Naturforsch. Ge-
sellschaft zu Danzig, Neue Folge Bd. V. Danzig, 1883). vcrötfent-
lieht ist. Nach dem citirten Referat zählt dieser Beobachter 49
auf fremdartigem Substrat d. h. ausser auf Weiden auch auf
Mauern, Dächern u. s. w auftretende Pflanzen auf. Wichtig er-
scheint ferner eine nachträgliche Bemerkung von Herrn Dr.C. Bolle
zu meinem Aufsatz, nach der noch mehrere andere beerentragende
Holzpflanzen wie .Sambucus nigra, Ribes Grossularia und Loni-
cera Xylosteum mehr oder weniger häuflg als Ueberpflanzen be-
obachtet sind. Von krautigen Pflanzen sind Cbelidoniuin niajus,
Epilobium augustifolinm (nach Hrn. Dr. Bolle) und Lamium album
(von Hrn. Graebner bei Tasdorf 1892 beobachtet) der obigen Liste
hinzuzufügen. Loew.
Die Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irren-
ärzte wird zu Frankfurt a. M. am 2.5 und 26. Mai im Senken-
berg'schen Institut stattfinden.
Die Versammlung der sUdwestdeutschen Neurologen und
Irrenärzte findet am 3. u. 4. Juni in Baden-Baden statt. — Geschäfts-
führer: Prof. Kraepelin und Director Fischer.
L i 1 1 e r a t u r.
Prof. Dr. Hermann Hagen, Antike Gesundheitspflege. (Gemein-
verständl.-wissenschaftl. Vorträge herausgegelien von \'irchow
u. Holtzendorft'. X. F. 7. Serie, Heft 166). Verlagsanstalt und
Druckerei A. G. (vorm. J. F. Richter), Hamburg 1892. —
Preis 0,80 M.
Verf. behandelt sein Thema von historisch-philologischem
Gesichtspunkte aus. Ein Vergleich der hygienischen Veranstal-
tungen und Mittel des Alterthums mit denjenigen von heute bietet
lies Interessanten und Anregenden genug.
Dr. J. Holfert, Volksthümliche Arzneimittelnamen. Eine
Sammlung der im \'olksmvinde gebräuchlichen Benennungen der
Apothekerwaaren. Nebst einem Anhang; Pfarrer Kneipp'a Heil-
mittel. Unter Berücksichtigung sämmtlicher Sprachgebiete
Deutschlands. Verlag von Julius Springer. Berlin 1892. —
Preis 3. M.
Die Holfert'sche Sammlung volksthümlicher Arzneimittelnamen
ist hervorgegangen aus dem im Jahrbuch des Pharniaceutischen
Kalenders vom .Jahre 1886 enthaltenen Synonymenverzeichniss.
Der Verfasser ergänzte dasselbe zunächst aus seinen eigenen,
während mehrjähriger Pra.\is in verschiedenen Theilen Deutsch-
lands gesammelten Erfahrungen und benutzte sodann die werth-
x ollen Beiträge, welche auf Veranlassung des damaligen Heraus-
gebers des Pharniaceutischen Kalenders als Berichtigungen u. s. w.
zu jenem Verzeichnisse eingelaufen waren. Auch eine grössere
handschriftliche Sammlung des Herrn Apotheker Seybold in
Potsdam wurde dem Verfasser zur Benutzung überlassen. Es wurde
natürlich auch die gedruckte Litteratur, soweit diese zuverlässig
erschien, berücksichtigt. Ausserdem haben 37 praktische Apotheker
Hrn. H. unterstützt. Es ist eine Sammlung von nahezu 7O0O Arznei-
mittel benennungeii zu Stande gekommen; dieselbe umfasst nach
Möglichkeit alle diejenigen Termini, welche heutigen Tages als
Arzneimittelnamen in den einzelnen Apotheken Deutschlands vor-
zukommen pflegen.
Karl Groos, Einleitung in die Aesthetik. J. Rieker'scbe Buch-
handl. Giessen 1892. — Preis 7 M.
Das Buch entwickelt die Fundamentalbegriffe; es will die
wichtigsten Grundlagen der Aesthetik untersuchen und feststellen.
Es ist anregend geschrieben, liest sich angenehm und bietet
manches Neue, sodass es demjenigen, der sich specieller für das
Gebiet interessirt, wohl empfohlen werden kann. Der 1. Theil
behandelt den ästhetischen Sehein und die monarchische Ein-
richtung des Bewusstseins, womit Verf. die Eigenthümlichkeit be-
zeichnet, auf diejenigen Eigenschaften der Dinge die Aufmerk-
samkeit zu richten, die uns zufällig den grössten, ersten Eindruck
machen. Der 2. Theil ist „Der ästhetische Schein und die innere
Nachahmung", der 3. „Die ästhetischen Moditicationen" über-
schrieben.
Prof. Dr. Leonhard Sohncke. Gemeinverständliche Vorträge
aus dem Gebiete der Physik. Mit 27 Te.\t-Abbildungen.
(iustav Fischer, Verlagsbuchhandlung. Jena 1892. — Preis
4 Mark.
Die neun in dem Buche wiedergegebenen Vorträge sind der
Mehrzahl nach schon früher an verschiedenen Stellen zur Ver-
öft'entlichung gelangt, jedoch erscheinen sie hier meist neubear-
beitet, wie das namentlich bei solchen, die vor längerer Zeit ent-
standen sind, durch den Fortschritt der Wissenschaft erforderlich
war. Der erste Vortrag „Was dann'?'' behandelt die Frage, wie
werden die Menschen die einst erschöpften Steinkohlenvorräthe
ersetzen? Der Inhalt der übrigen Vorträge ergiebt sich ohne
Weiteres aus den Ueberschriften, nämlich 2. Ueber den Zustand
der Ziele der heutigen Physik, 3. Ueber Wellenbewegung, 4. Die
Umwälzung unserer Anschauungen vom Wesen der elektrischen
Wirkungen, 5. Aus der Molecularwelt, 6. Einige optische Er-
scheinungen der Atmosphäre, 7. Ueber das Gewitter, 8. Neuere
Theorien der Luft- und Gewitter-Elektricität, 9. Wandernde
Berge. Der Name des Herrn Verf. ist zu bekannt, als dass ein
Wort der Empfehlung des vorliegenden Buches noch besonders
nöthig wäre.
214
Naturwissenscliaf'tliclie Wocheuselirift.
Nr. 21.
Dr. Fritz Eisner, Die Praxis des Chemikers bei Untersuchung
von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen. Handels-
producten, Luft Boden, Wasser, bei bacteriologischen Unter-
suchungen, sowie in der gerichtlichen und Harn-Analyse.
Ein HiltVliuch für Chemiker, A])Otlieker und Gesundheits-
beanite. 5. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit zahl-
reichen Abbildungen im Te.xt. Verlag von Leopold Voss. Ham-
burg und Leipzig 1893. - Preis 10 M.
Von dem längst bewährten Elsner'schen Handbuch erschien
die I. Aufl. im .Jahre 1880; es hat sich mit Recht gut eingeführt
und der Verf. benutzt in jeder neuen Aufl. mit so sachverständigem
Geschick die neuen Errungenschaften seines Gebietes, dass es in
gewissen Kreisen fast nothwendig geworden ist, von jeder neuen
Aufl. Kenntniss zu nehmen. Aber nicht nur die Interessenten
aus der Praxis, auch der reine Chemiker, Botaniker und Zoologe
fühlt oft das Bedürfniss, in die Pra.xis einen Blick zu werfen, und
wir müssen sagen, dass wir speciell für die Gegenstände, welche
das Elsner'sche Buch behandelt, den genannten Gelehrten-Kreisen
kein besseres Buch empfehlen könnten. Die Kürze des Buches
ist für diese ein besonderer Vorzug (es umfasst incl. Register in
8" 622 S), da es mehr nebensächliche Einzelheiten, die nur das
Wesentliche zu verbergen im Stande wären, unberücksichtigt lässt
Man kann sich darauf verlassen, dass der Verf. die besten Me-
thoden erläutert: steht er doch selbst seit langem in der Praxis,
die ihm die beste Gelegenheit geboten hat, dieselben zu prüfen.
Für diejenigen, die das Buch noch nicht kennen, wollen wir
noch angeben, dass nach einer Einleitung, die einzelnen Nahrungs-,
Genussmittel und Gebrauchsgegenstände behandelt werden, dann
geht es zu den hygieinischen Untersuchungen über und bringt
endlich einen Abschnitt über die gerichtliche Chemie und eineo
über die Untersuchung des Harns und der Harnkrankheiten.
In einem Anhang bespricht Verf. die Einrichtung des Labora-
toriums, Taxfragen und führt auch die in Frage kommenden
Gesetze auf.
Dr. J. Winkelmann, Die Moosflora der Umgegend von
Stettin. (Beilage zum Programm des .Sc-hiller-Realgyniuasiums zu
Stettin 1893.) Verf. führt die Verbreifung und die Fundorte der
Laub- und Lebermoose der Stettiner Flora auf, aus der bis jetzt
341 Arten bekannt geworden sind.
Engler und Prantl, Die natürlichen PflanzenfamiUen. AVil-
heim Engelmann. Leipzig 1898. — Lief. 82 bringt den Schluss der
Ochnaceen (bearbeitet von E. Gilg), die Caryocaraceen, Marcgra-
viaceen (Ign. v. Szyszylowicz), Quinaceen (Engler), Chlaenaceen
(Schumann), Theaceen (Ign. v. Szyszylowicz) und den Anfang
der Stachyuraceen (Gilg), Lief. 83 den Schluss der Scrophularia-
ceen (v. Wettstein), die Lentibulariaceon (Katnienski), Orobancha-
ceen (Beck) und den Beginn der Gesneriaceen (Fristcb), Lief. 84
den Schluss der Hippocrateaceen (Lösener). die Stackhousiaceen
(Pax), Icacinaceen (Engler), Staphyleaceen (Pax) und den Beginn
der Aceraceen (von dems.)
Jahresbericht der Gesellschaft filr Anthropologie und Ur-
geschichte der Oberlausitz. 2. Heft. Görlitz, Förster'sche Buch-
luindlung (E. R. Sinogowitz) „1892-' (in Wirklichkeit 1893). —
Kühuel, Der Xame Schlesien. — v. H op ff garte n-He idler,
Hügelgräber in Noskow. — Fej'crabend, Ein Heiligthum aus
heidnischer Zeit. — Buschan, Ein Blick in die Reiche der
Vorzeit. —
Xiibrairie francaise de Rodolphe Jasse ä Berlin. Catalogue
No. I. Die Librairie francaise führt sich durch Herausgabe
eines Cataloges über Erscheinungen der letzten Jahre aus allen
Gebieten ein.
Dr. F. Kranz, Rheinisches Mineralien-Contor Catalog No. 4,
1893. Gesteine ujid Dünnschliffe. Der dreisprachig (deutsch,
französisch und englisch) abgefasste Catalog enthält zunächst eine
systematische Zusanuiienstellung der vorräthigen Gesteine, deren
Anordnung Herr Privatdocent Dr. VV. Bruhns für die krystallinen
Gesteine Herr Professor Dr. Pohlig für die Sedimentärgesteine
au.sgefülirt hat. Die den meisten krystallinen Gesteinen beige-
fügten Litteraturangabon erleichtern die Identificirung der be-
treffenden Vorkommnisse, was bei dem aut'serordentlichen Wechsel
der Gesteinstypen von besonderem Werthe sein dürfte. — Der
zweite Theil enthält mehr oder weniger ausgedehnte Sammlungen,
die nach verschiedenen Gesichtspunkten zusammengestellt sind:
allgemeine Sammlungen für Schulen, Sammlungen nach den be-
kanntesten Lehrbüchern der Petrographie, Sammlungen von Boden-
arten, Sammlungen für Forschungsreisende etc. Besonders hin-
zuweisen ist auf die Localsammlungen : Zusammenstellungen,
die den petrogr.aphischen Charakter verschiedener Landestheile
in übersichtlicher und möglichst vollständiger Weise zum Aus-
druck bringen, ferner auf die nach speciellen Angaben von
Professor Koch aufgestellte Bauniaterialen-.Sammlung, sowie auf
die zur Erläuterung der allgemeinen Eigenschaften und der Makro-
struktur der Gesteine dienende Sammlung. Der dritte Theil be-
handelt die DünnschliflFe, die sowohl von eingesandtem als auch
von eigenem Material hergestellt werden können. Die letzteren
unterliegen, ehe sie abgeliefert werden, einer fachmännischen
Durchsicht unter dem Mikroskop. Bei der Ausdehnung des Lagers
und den weitverzweigten Verbindungen ist das Geschäft auch
im Stande, Material für ispecielle, wissenschaftliche Arbeiten zu
liefern. — Ein alphabefi.'^ches Sach- und Ortsregister erleichtert
die Benutzung des Cataloges, der auch noch eine Zusammenstellung
verschiedener zu petrographischen Arbeiten nöthiger Appai-ate
und Utensilien enthält.
Fricker, K., Die Entstehung und Verbreitung des antarkti■^chen
Treibeises. Leipzig. 5 M.
Fritsoh, A., Fauna der Gaskohle und der Kalksteine der Perm-
formation Böhmens. III. Band. 2 Heft. Prag. 32 M.
Garbowski, Th., Materialien zu einer Le])idopterenfauna Galiziens.
Leipzig 2,20 M.
Gauss, F. G. , Die trigonometrischen und |jolygonometrischen
Kechnungen in der Feldmesskuust. 2. Aufl. Halle. B7,r)0 M.
Geigenmüller, B., Elemente der höheren Mathematik. IL Band.
2. Auri Mittweida. 7 Mark.
Geinitz, E., XIV. Beitrag zur Geologie Mecklenburgs, Güstrow.
1,.W M.
Genau, A., Die Logarithmen und die ebene Trigonometrie.
Büren. 1,10 M.
Berichtigung.
Herr Prof. Dr. Fritz Kur
sendet die folgenden Berichtigu
Dr. O. Kuntze „Botan. Excurs:
Formationen nach den Cordill
„Naturw. Wochenschr."
Seite 5, Spalte 1, Zeile 9 von
„ 12, „ I, „ 6 von
12, „ 2, „ 13 von
tz in Cordoba (Argent. Republik)
ngen zu dem Artikel des Herrn
durch die Pami)as und Monte-
ei-en" in diesem Jahrgange der
„ 13, „ 1, , 29 von oben:
. 13,
„ 14,
„ 14,
1,
32 von oben:
IG von unten:
S 24, Pflanzen vom Arroy
Verbenacee ist Neo sparton,
riscium poly cephal u m Gill
sind Azorella sp. (höchst wah
oben 1 Hj'alis argentea Don
unten | (nicht Hyaloseris).
oben: Pascalia glauca; wird
ein Podöphyllum sein
(meine Expl. habe ich ver-
loren).
Dinoseris argentea
ist H y a 1 o s e r i s cinerea
Griseb.
unten: Atriplex pamparum
Griseb. non Moq.-Tand.
Flotouia Hystrix ist
Chuquiragua erina-
cea Don.
V erbe na flavescons
ist V. s u 1 p h u r e a Sweet.
o Papagoyos. Die ephedraartige
lie dornige Umbellifere ist Aste-
et Hook., die Saxifragaceenrasen
rscheinlich A. Gilliesii Clos.)
Dr. Fritz Kurtz.
Inhalt: Prof. Willy Kükenthal: Zur Phylogenese der Säugethiere. — Neue Gattung der Laboulbeniaceen. — Eine interessante
Analyse der Schwimmbewegungen des Rochen. (Mit Abbild.) — Die Mitwirkung der atmosphärischen Niederschläge bei der Ge-
staltung des festen Landes. — Anfänge epiphytisclier Lebensweise bei Gefässpflanzen Norddeutschlands. — Aus dem wissenschaft-
lichen Leben. — Litteratur: Prof. Dr. Herm. Hagen: Antike Gesundheitspflege. — Dr. J. Holfert: Volksthümliche Arzneimittel-
namen. — Karl Groos: Einleitung in tlie Aesthetik. — Prof. Dr. Leonhard Sohncke: Gemeinverständliche Vorti'äge aus
dem Gebiete der Physik. — Dr. Fritz Eisner: Die Praxis des Chemikers bei Untersuchung von Nahrungsmitteln und Ge-
brauchsgegenständen, Handels])roducten, Luft, Boden, Wasser, bei bacteriologischen Untersuchungen, sowie in der gerichtlichen
und Harn-Analyse. — Dr. J. Winkelmann: Die Moosflora der Umgegend von Stettin. — Engler und Prantl: Die natür-
lichen PflanzenfamiUen. — Jahresbericht der Gesellschaft für Anthrojjologie und Urgeschichte der Oberlausitz. — Librairie
francaise. — Dr. F. Kranz: Rheinisches Mineralien-Contor, Catalog No. 4. Gesteine und Dünnschlitt'e. — Liste. — Berichtigung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 21.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
XLI
F*n,tentaiiwalt
Ulr. R. Maepz,
Berlin NW, Luisen.str. 22 pt.
Herbarium
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Von Prüf. Dr. H. Schubert.
VII. Ucber magische Quadrate.
A. Einleitendes. — Auf dem „Meiaiiclinlie" g'e-
iiannten Holzschnitt des berühmten Nürnbei-ger Malers
Albrecht Dürer betindet sicii als Attribut u. a. das
folgende Quadrat:
1 14
15 1 4
1-2
7
G
9
8
11
10
5
IP. 1 2
O
'-►
IG
Diese Anordnung der IG Zahlen von 1 bis Iß hat die
merkwürdige Eigenschaft, dass sich stets dieselbe Summe 34
ergiebt, gleichviel, ob man die 4 in einer horizontalen
Keihe stehenden Zahlen addirt, oder ob mau die 4 Zahlen
einer verticalen Reihe oder auch die 4 Zahlen in jeder
der beiden Diagonalen zusammenzählt. Man nennt eine
*) Naclitras zu dem Problem der 15 Pensionats-
Dainon (Bd. VII S. 307 ff.) — Naebtraulich les» icli in den
„Itiicre.ations" V(m E. Lucas, dafs das genanute Prolilom im Jahre
1851 zuerst gestellt sein soll, und zwar von Kirclimann, demselben
Matliomatiker, der sich um das Pascarsclie He.vagrammum mysti-
cum grosso Verdienste erworben hat. Nachdem der englische
Matliematiker C'avley und der amerikani.sclie Mathematiker Syl-
vc'Sti'r darüber kleine Untersuchungen veröffentlicht hatten, gab
Herr Frost im ,,(,!uaterly .Journal of iiure and apjilied Matliematics"
(No. 41, Cand)ridge 1870) eine methodische Lösung, die aui-h auf
alle Fälle passt, wo ilie Zahl der Damen um 1 kleiner ist, als
eine Potenz von 2 mit gera<lem Kx|)onenten. Doch würde die
Mittheilung dieser Lösung hier zuviel Kaum kosten. In anderer
Weise, als Frost, hatte auch Benjamin Peirce, Professor an der
Harvard-Universität, das Problem gelöst und seine Lösung ISfiO
in dem „Astrononncal .lournal de Gould", Band G, S. IG!) bis 174.
veröffentlicht.
solche Anordnung von Zahlen ein magisches Quadrat,
und das obige Quadrat ist das erste magische Qua-
drat, das im christlichen Abendlandc auftritt.
Wie das Schachspiel selbst und viele der auf die
Figur des Schachbretts bezüglichen Aufgaben i.st auch die
Aufgabe, ein magisches Quadrat herzustellen, wahrschein-
lich auf indischem l'.oden gewachsen. Von da gelangte
die Aufgabe zu den Arabern, und von ihnen zu den Ost-
römern. Endlich haben sich seit Albrecht Dürer auch
die west-curoi)äischen Gelehrten mit den Methoden zur
Herstellung solcher Quadrate beschäftigt. Das älteste uud
einfachste magische Quadrat besteht in der quadratischen
Anordnung der 9 Zahlen von 1 bis 9, so dass die Summe
in jeder horizontalen, verticalen oder diagonalen Reihe
stets dieselbe, nämlieh 15, wird. Dieses Quadrat sieht
so aus:
2
7
6
9
5
1
4
3
8
In der That kommt immer 15 heraus, gleichviel ob
man 2 und 7 und (5, oder 9 und 5 uud 1, oder 4 und .'!
und 8, oder 2 und 9 und 4, oder 7 und 5 und 3, oder
G und 1 und 8, oder 2 und 5 und 8, oder G und 5 und 4
addirt. Es liegt die Frage nahe, ob diese Medingung
der überall gleichen Summe auch dann erfüllt werden
kann, wenn man den Zahlen andere Plätze anweist.
Es lässt sich jedoch zeigen, dass nothwendiger Weise
5 die Mitte Ijilden muss, und dass die geraden Zahlen
in den Ecken stehen müssen. Dadurch sind noch weitere
7 Anordnungen miiglich, die sich aber von der obigen
und unter einander nur dadurch unterscheiden, dass man
die Reihen oben, links, unten, rechts mit einander ver-
2 in
Natiijwisscnschaftliclic Woclicnsclivift.
Nr. ■2-2
tausclit und sicli zu .jeder Anordnuiii;' noch das Spiegel-
bild liinzudcnkt. Aiieii aus dem Dürer'sclien (Quadrat von
4 mal 4 Feldern lassen sich durch Umsetzungen nocli eine
ganze Reihe neuer riclitiger (Quadrate bilden. Auf ein-
fachste Weise bildet man ein magisches (Quadrat der
4 mal 4 Zahlen von 1 bis 16 folgcndermaassen. Man
schreibt sieh die Zahlen von 1 bis Iß in natürlicher
Reihenfolge in die Felder ein, also so:
1
2
i3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
1.3
14
15
IG
Dann lässt man die Zahlen in den 4 Eckfeldern,
also 1, 4, 13, 16 ebenso wie die Zahlen in den 4 Mittel-
feldern, also 6, 7, 10, 11 an ihrer alten Stelle; statt der
übrigen 8 Zahlen schreibt man aber ihre Ergänzungen
zu 17, also 15 statt 2, 14 statt 3, 12 statt 5, 9 statt 8,
8 statt 9, 5 statt 12, 3 statt 14 und 2 statt IT). So er-
hält man das magische Quadrat:
''t.
%
1
15
14
4
= 34
12
G
7
9
= 34
8
10
11
5
= 34
13
3
2
16
= 34
34 34 34 34
aus dem sich überall dieselbe Summe 34 ergiebt. inter-
essant ist an diesem Quadrat, dass auch immer 4 Zahlen,
welche um die Mitte herum ein Rechteck oder ein Qua-
drat bilden, die Sunnne 34 liefern, z. B. 1, 4, 13, 16,
sowie 6, 7, 10, 11, sowie 15, 14, 3, 2, sowie 12, 9, 5, 8
oder auch 15, 8, 2, 9 oder 14, 12, 3, 5. Man überzeugt
sich leicht, dass dieses Quadrat aus dem von Albrecht
Dürer hervorgeht, wenn man die beiden mittleren Ver-
ticalrcihcn mit einander vertauscht.
B. Aeltere Bildungsweisen für ungerade
Feld erzähl. — Schon seit alter Zeit kennt man Vor-
schriften, um magische Quadrate auch von mehr als 3 mal 3
oder 4 mal 4 Feldern zu bilden. Zunächst lässt sich leicht
die Summe berechnen, die sich bei einer gegebenen Zahl
von Feldern aus jeder Reihe ergeben muss. Liegt
nämlich an jeder Seite des auszufüllenden Quadrats eine
gewisse Zahl von Feldern, so hat man diese Zahl mit sich
.selbst zu multipliciren, 1 hinzuzuzählen, die erhaltene Zahl
wieder mit der Felderzahl an jeder Reihe zu multipliciren
und dann die Hälfte zu nehmen. So ergiebt sich bei
4 mal 4 Feldern: 4 mal 4 sind 16, 16 und 1 sind 17,
und die Hälfte von 17 mal 4 giebt 34. Ebenso konnut
bei 5 mal 5 Feldern: 5 mal 5 sind 25, 1 dazu giebt 26,
dann die Hälfte von 2() mal 5 giebt 65. Weiterhin kommt
für 6 mal 6 Felder: 111 als Sunmie, für 7 mal 7 Felder: 175,
für 8 mal 8 Felder: 260, für 9 mal 9 Felder: 369, für 10 mal
10 Felder: 505 u. s. w. Die indische Vorschrift für die
Herstellung solcher magischer Quadrate, die 'eine un-
gerade Anzahl von Feldern an jeder Seite des Quadrats
haben, lässt sich folgendcrmaassen aussprechen: Mau
schreibe 1 in die Mitte der obersten Reihe, dann 2 als
unterste Zahl der rechts daneben befindlichen Vertical-
reihe und schreibe dann die weiteren Zahlen in ihrer
natürlichen Reihenfolge, diagonal nach rechts oben so ein,
dass man nach Erreichung des rechten Randes, am linken
Rande in der darüber befindlichen Reihe fortfährt, und
nach Errcichiuig des oberen llandes, am unteren Rande
in der rechts daneben befindlichen Reihe die Zählung
weiterführt, wobei nur noch zu beachten ist, dass man,
wenn man auf ein schon besetztes Feld stösst, statt dessen
das Feld ausfüllt, das unter dem zuletzt ausgefüllten sich
befindet. Auf diese AVcise ist z. B. das folgende magische
(^)nadrat von 7 mal 7 Feldern gebildet, in dem man die
Zahlen in ihrer natürlichen Reihenfolge verfolgen mochte:
<(-
175
I7r)
175
175
17.5
175
175
175 175 175 175 175 175 175
Eine weitere Förderung der Theorie der magischen
Quadrate und der Methoden zu ihrer Herstellung ver-
danken wir dem Byzantiner Moschopulos im 14. Jahr-
hundert, ferner noch AIhrecht Dürer, der um 1.500 lebte,
dem berühmten Rechenmeister Adam Riese und dem
Mathematiker Michael Stifel, die um 1550 lebten. Im
17. Jahrhundert beschäftigten sich mit den magischen
Quadraten Bachet de Meziriac und Athanasius Kircher.
Um 1700 endlich förderten die Theorie erheblich die
französischen Jlathematiker De la Hire und Sauveur. In
neuerer Zeit bekümmerten sich die Mathematiker weniger
um die magischen Quadrate, wie ül)erhaupt um derartige
Unterhaltungsaufgaben. Doch fasste in jüngster Zeit der
Braunschweiger Mathematiker Scheft'lcr seine und Anderer
Studien über magische Quadrate in eleganter Weise zu-
sammen. Am bekanntesten von den verschiedenen Me-
thoden, magische Quadrate mit ungerader Felderzahl zu
formircn, ist das folgende. Man schreibe die Zahlen nach
einander in folgender Weise diagonal :
30
39
48
1
10
19
2S
38
47
7
9
18
27
29
4G
e
8
17
26
35
37
5
14
16
25
34
36
45
13
15
24
33
42
44
4
21
23
32
41
43
3
12
22
31
40
49
2
11
20
5
6
7
13
14
21
4
12
20
28
3
11
19
27
35
2
10 1
18
26
34
42
1
9
17
25
33
41 49
8
16
24
32
40
48
15
23'
31
39
47
22
30
38
46
'
29
36
37
43
44
45
Nr.
Niiliuwisseiisuliaftliclic Woclieusclirift.
217
Nachdoiii man so 25 Felder dei zu tülleiidcii <hia-
drats von 4',t Feldern au.sj;e füllt hat, setze man die an
jeder Quadratseite ausserhalb bctindlieheu ü Zahlen, ohne
die Fii;ur derselben zu ändern, genau in die an der Gegen-
seite l)elindlieheu leer gebliebenen Felder. Nach dieser
von liachet de Meziriae herrührenden iMetliode entsteht
das folgende niagisehe Quadrat der Zahlen von 1 bis 49:
4
2'J
12
37
20
45
28
35
11
36
19
44
27
3
10
41
42
18
43
2(!
2
34
17
49
25
1
33
9
40
16
48
24
7
32
8
47
23
6
31
14
39
15
22
5
30
13
o><
21
ungerade
C Neuere llildungsweisen für
Felderzahl. — Mit Recht wird der Leser fragen, ob es
nicht noch richtige magische Quadrate giebt, die auf
audcre Weise, als auf die eben angegebene, gebildet
werden, und ob es niciit Bildungsverfaliren giebt, die auf
alle (lenkl)ar('n niagisclien Quadrate von bestinnnter Felder-
zaid führen. Für ungerade Felderzald ist ein solches
allgemeines IJildungsvertahren zuerst von De la Hire an-
gegeben und jüngst von Herrn Schefi'ler vervollkonnnnet.
Um dieses Verfahren kennen zu lernen, wählen wir das
Beis])iel von 5 mal 5 Feldern. Zunächst formiren wir zwei
nilfs(iuadrate. In das erste schreil)en wir fünf mal die
Zahlen von 1 bis 5, in das zweite die Vielfachen von
fünf: U, f), lü, li"), 20. Es ist nun klar, dass durch Ad-
direu jeder der Zahlen von 1 bis 5 mit jeder der Zahlen
0, 5, 10, 15, 20 alle 25 Zahlen von 1 bis 25 entstehen.
Es handelt sich also bloss noch darum, die Zahlen so
einzuschreiben, dass durch Addition der beiden Zahlen in
zwei entsjirechend liegenden Feldern auch wirklich jede
Zusaninienstellung einmal und auch nur ciimial heraus-
kommt, und dass ferner in jeder horizontalen, verticalen
und diagonalen Reihe in jedem Hilfsquadrat jede Zahl
auch wirklich erscheint. Dann muss die erforderliche
»Summe 65 erscheinen, weil die Zahlen von 1 bis 5 zu-
sanniien 15 und die Zahlen 0, 5, 10, 15, 20 zusammen .50
ergehen. Mim erreicht die eribrderliclic Art der Ein-
schreibung dadurch, dass man sich die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5
(oder 0, 5, 10, 15,20) cyldisch denkt, d. h. auf 5 folgend
wieder 1, und dass man nun, von irgend einer Zahl aus-
gehend, entweder keine, oder immer eine, otler immer
zwei u. s. w. Zahlen überspringt. 8o entstehen Cyklen
der ersten, zweiten u. s. w. Ordnung, z. B. 3, 4, 5, 1, 2
ist ein Cyklus erster Ordnung, 2, 4, 1, 3, 5 ist zweiter
Ordnung, 1, 5, 4, 3, 2 ist vierter Ordnung. Man hat nun
bei beiden Hilfsquadraten nur darauf zu achten, dass
horizontal in allen Reihen dieselbe Cyklus-Ordnung fest-
gehalten wird, dass dasselbe auch in den verticalen Reihen
geschieht, dass aber die Cyklus-Ordnung horizontal und
vertical verschieden ist. Endlich hat man nur noch darauf
zu achten, dass zu denselben Zahlen des einen Hills-
(|uadrats in dem andern Hilfsciuadrat nicht gleiche
Zahlen, sondern verschiedene Zahlen zugehoren, d. h.
in ebenso liegenden Feldern stehen. Möglich sind also
etwa folgende llilfsquadrate:
3
4
5
1
2
5
1
2
3
4
2
3
4
5
1
4
5
1
2
3
1
2
3
4
5
II II <I
Adtlirt man ilie in gleichlicgenden Feldern stehenden
beiden Zahlen, so erhidt man das richtige maj^isehe
Quadrat :
(J
10
20
5
ir,
5
15
0
10
20
10
15^
20
5
15
0
0
10
20
5
20
5
15
0
10
O
14
25
6
17
10
16
2
13
24
12
23
9
20
1
19
5
11
22
6
21
7
18
4
15
Man erkennt, dass man so eine grosse Menge von
magischen Quadraten von 5 mal 5 Feldern bilden kann,
wenn man die Zahlen in den beiden Hilfsquadraten auf
alle nniglirlie ^\'eise variirt. Zudem haben die so ent-
stehenden Quadrate noch die besondere Eigenthümlichkeit,
dass je 5 Zahlen, welche zwei Reihen ausfüllen, die einer
Diagonale parallel sind und auf verschiedenen Seiten der-
selben liegen, auch die coustante Sunnne 65 liefern, z. B.
3 und 7, 11, 20, 24 oder 10, 14 und 18, 22, 1. Es ent-
steht also die Sunnne 65 im fianzen aus 20 Reihen oder
Reiheupaaren. Mit dieser Eigenthündichkeit hängt zu-
sammen, dass, wenn man neben oder über oder unter ein
solches (Quadrat dasselbe immer nochinal wieder angesetzt
denkt, beliebig viele (|ua(lratisch geordnete Felder der-
artig erscheinen, dass immer das Quadrat aus je 25 von
diesen Feldern ein richtiges magisches Quadrat bildet,
wie aus folgender Figur ersichtlich ist:
2
13
24 10 1 16 2 13 1 24 10 j 16
2
9
20 1
12
23 9
20 1 12 23
;i
1122
8
19
5
11
22 8 1 19 5
11
18
4
15
21 7
18
4 15
21
7
18
25
6
17
3
14
25
6
17
3
14
25
2
13
24
10 IG
2 13
24
10
16
2
9
20
1 12
23
9 20
1 12|23
;i
11
18
22
8
19 5
11
22
8 j 19| 5 1 ll|
4
15
21
7
18
4
15
21
7 isl
25
6
17
3
14
25 6
17
3
14
25
2 13
24 10
k;
2 13
24 10
16
2
9 20
1
12 23 9
20
. 1 12 23
9
11
22 8
19
5 11 22
8 1 19
5 1 11 1
Jedes Quadiat von je 25 dieser Zahlen, wie z. B.
die beiden fett um/.iiunten (^»uadrate, hat die EigenschafI,
dass beim Zusannnenziihlen der horizontalen, verticalen
und diagonalen Reihen dieselbe Summe 65 herauskommt.
Um auch ein Beispiel für eine höhere Anzahl von
Feldern zu geben, folgt hier noch ein aus zwei llüfs-
quadraten nach der allgcnu'inen JEethode von De la Hire
gebildetes magisches t^uadrat von 11 null 11 Feldern;
218
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. -22.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
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7
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5
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2
3
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5
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6
7
8
9
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1
2
3
G
'
8
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5
8
9
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5
6
7
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1
2
^
4
'
6
7
8
9
und
0
11
22
33
44
55
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«
09
11(1
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77
88
99
HO
0
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55
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0
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22
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HO
0
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0
U
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44
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99
22
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HO
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99
110
0
11
22
33
44
55
66
77
Aus diesen beiden Hilfsquadraten entstellt durch Ad-
dition der beiden Zahlen in zwei gleichliegendcn Feldern
das folgende magische Quadrat, bei welchem jede Reihe
dieselbe Summe 671 ergiebt:
1
13
25
37
49 61
73 1 85
97
100
121
36
48
60
72
84
96
108 120 11
12
24
71
83
95
107
119 10
22
23
35
47
59
106
118
9
21
33
34
46
58
70
82 1 94
20
32
44
45
57
69
81
93
105
117
8
55
56
68
80
92
104
116
7
19
31
43
79
91
103
115
6
18
30
42
54
66
67
114
5
17
29
41
53
65
77
78
90
102
28
40
52
64
76
88
89
101
113
4
16
63 1 75
87
99
100
112 3
15
27
39
51
OS
110
111 2 1 14
1
26 3S ' r,o
(;2
74
86
I). Gerade Felderzahl. — • Bisher haben wir von
magischen Quadraten mit gerader .Stellenzahl nur das
von 4 mal 4 Feldern kennen gelernt. Um solche mit
einer höheren geraden Stellenzahl zusammenzusetzen,
dienen andere und complicirtere Methoden als für un-
gerade Stellenzahl. Doch geht man auch hier, wie bei
4 mal 4 Feldern, von der natürlichen Zahlenreihe aus uud
hat dann theils Ergänzungen zu einer gewissen Zahl (wie
17 bei 4 mal 4), theils Vertauschungen von Zahlen vor-
zunehmen. Um z. B. ein magisches Quadrat von 6 mal
(5 Feldern zu bilden, hat man in die zwölf Diagonalfelder
die Zahlen einzuschreiben, welche dort nach der natür-
lichen Reihenfolge wirklich hingehören, dann in die übrigen
Felder die P]rgiinzuiigen der dorthin gehörigen Zahlen
zu 37 hinzusehreiben und endlich 6 Vertauschnngen vor-
zunehmen, nämlich die Zahlen 33 und 3, 2;') und 7, 20undl4,
IS und 13, 10 und 'j, sowie 5 mal 2 zu vertausclieu. So
entsteht das magische Quadrat:
1
35 34
3 32
6
30
8
28
27
11
7
24
23 15
16 14
19
13
17 21
22
20
18
12
26
9
10
29 25
31 ! 2
4 33 5
30
Man kann dieses (Quadrat auch nach der Methode
des De la Hire aus zwei Hilfs(|uadraten mit den Zahlen
1, 2, 3, 4, .5, 6 und mit den Zahlen 0, 6, 12, IS, 24, 3Ü
zusammensetzen. Dann müssen jedoch bei dem einen die
Verticalreihcn, bei dem andern die Ibirizontalreihen je
3 gleiche Zahlen so enthalten, dass die Summe 21 ))ezw
90 erhalten bleibt. So entsteht z. B. das obige magische
Quadrat aus den beiden folgenden Hilfs(iuadraten :
1
5
4
3
2
6
6
2
4
3
5'.
1
6
5
3 1 4 2
I
1
5 1 3
4
2
6
6
2
3
4
5
1
1 2 1 4 3 5 1 6 1
und
0
30 30
0
30
0
24
6 |24
24 6 1 6 j
18 18 12 12
12 18 1
12
12
18
18
18
12
24
6
24
G
6
24
30
0
0
30
0 |30|
Hierzu ist zu bemerken, dass es ebenso, wie bei un-
gerader Felderzahl, gelingt, die Zahlen von 1 bis G sechs-
mal so einzuschreiben, dass in jeder horizontalen, verti-
calen und diagonalen Reihe jede Zahl einmal und nur
einmal vtu'konunt, wie z. B. auf folgende Weise:
1
2
3
4
5
6
2
4
6
1
3
5
3
6
5
2
1
4
5
3
1
6
4
2
6
5
4
3
2
1
4
1
2
5
6
3
Nr. 22.
Naturwissciisclialt liehe Woelieusclirift.
219
Wenn man nun aber ver.suclit, die andere Zalden-
gnij)|)e Ü, 6, 12, 18, 24, 30 in ein zweites iiilt's(iuadrat
auf iilniliehe Weise so einzufü.ucn, dass jede Zahl des
ersten llilts(|uadrats mit jeder Zahl des zweiten einmal
und nur einmal in entsjireehenden Feldern steht, so er-
geben sich alle Versuche, diese zweite Hedingung gleich-
zeitig' zu erfüllen, als erfolglos. Deshalb ist es nütliig,
s(dche Ililfsquadrate, wie die beiden obigen, zu wählen.
Eigenthündieh ist es, dass nur bei 6 mal ß Feldern die
Erfüilnng der zweiten Bedingung unmöglieii ist, dass aber
z.U. bei 4 mal 4 oder S mal S Feldern zwei llilfs(iuadrate,
wie die Methode des De la llire sie verlangt, möglieh
sind, nämlich bei 4 mal 4 Feldern :
1
2 3 4
4
3
2
1
2
1
4
3
3
4
1
2
0 4 1 8 12
8
12
0 4 1
12
8
4
0
4
0
12
8
Das hieraus resultirendc magische Quadrat wird sieh
der Leser selbst bilden können. Die Existenz dieser beiden
llilfs(|uadratc verursacht die Lösbarkeit einer hübschen
Karten- Aufgabe. Ersetzt man nändieh die Zahlen 1, 2, 3, 4
durch Ass, König, Dame, Üube, und die Zahlen 0, 4, 8, 12
durch die Farben Tretf, Pitiue, ('oeur, Caro, so erkennt
man, dass es gelingen muss, die 4 Ass, die 4 Könige,
die 4 Damen und die 4 Buben quadratisch so anzuordnen,
dass in jeder horizontalen, verticalen und diagonalen Keilie
jede der vier Farben und jeder der vier Werthe
gerade einmal, also auch nur einmal, vorkonnnt. Die
obigen Hilfsquadrate ergeben folgende L<isung dieser
Aufgabe:
Um die Lösung dem Gedäehtniss einzuprägen, beachte
man, dass von jeder Ecke aus jede Farbe ebenso, wie
jeder Wcrtli in einem Rösselsprung, gelegt werden nuiss.
Legt mau die 4 Karten einer Reihe fest, so giebt es nur
zwei Möglichkeiten, die andern Karten so hinzulegen,
dass in jeder Reihe jede Farbe und jeder Werth vor-
konnnt.
Bisher haben wir von magisciien (Quadraten mit gerader
Stellcnzahl nur solche von -1 mal 4 und von ti mal (> Feldern
kennen gelernt. Der Vollständigkeit wegen lassen wir
hier noch eins mit 8 mal 8 und eins nnt lU mal lü Feldern
folgen. Die Bildungsweise dieser Quadrate ist ähnlich
der oben bei niederer gerader Feldcrzahl erörterten
Methode.
1
63
62
*
5
59
58
8
56
10
11
53
52
14
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48
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45
44
22
23
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33
31
30
36
37
27
26
40
24
42
43
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20
46
47
17
IG
50
51
13
12
54
55
9
:>1
7
=
60
c,
3
■'
G4
1
99
3
97
96
5
94
8
92
10
90
12
88
14
86
85
17
83
19
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SO
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71
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69
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34
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65
37
33
62
40
60
42
58
57
45
46
44
53
49
51
50
52
43
47
55
56
54
48
59
41
61
32
38
64
36
35
67
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39
70
21
29
73
27
75
76
24
78
72
30
20
82
18
84
15
16
87
13
89
81
91
9
93
4
6
95
7
98
2 100
Die so gebildeten magischen Quadrate mit gerader
Stellenzahl sind nicht die einzigen; es giebt vielmelu- noch
viele, die andern Bildungsgesetzen geliorchen. 8o hat
man berechnet, dass bei 4 mal 4 Feldern S8ü, bei (> mal (3
Feldern al)cr schon viele Millionen verschiedener magischer
Quadrate möglich sind. Sehr gross wird auch die Zahl
der nach De la Ilire's Methode formirtcn magischen Qua-
drate mit ungerader Stellenzahl. Deren giebt es bei
7 mal 7 Feldern schon .'Ük! Millionen und '.Hl') SOG. Noch
ungeheurer wird die Anzahl der Möglichkeiten bei Iniiierer
Felderzahl. (Fortsetzung folgt.)
Ueber die Si»lieiiopli,vUaceeii sind im vorigen Jahre
wichtige Untersuciiungen vcrötfcntlicht w(n-den, die über
die systematische Stellung dieser cigenthiindichcn (irui)|)e
etwas mehr Aufsehluss zu geben in der Lage sind, als
unsere bisherigen Kenntnisse. Zur Orientirung über diese
l'flanzcn ist sehr zu empfehlen Solnis-Laubach's Einleitnng
in die Palaeoi)liyt(dogie von 1887 (S. 352— 304), in wid-
chem Werk die wichtigste Litteratur bis 188G berück-
sichtigt und angegeben ist. Nach dem Erscheinen des
Solms-Lauliach'sclu'n Buches haben aber Zeil 1er und
WilliamsonMittheilung engebraeht, die einen ganz wesent-
lichen Fortschritt in unserer Kenntniss der genannten
Gruppe bedeuten. Zeiller's Abhandlung erschien in den
Goni. rend. de l'Acad. des sc. in Paris im Juli 18il2 und
Wdliamson giebt in der englischen Wochenschrift „Naturc"
vom 3. November 18Ü2 (S. 11 — 13) eine kurze Zusannnen-
220
Naturvvi«sciisclial'tlirlic Wocliciiselirif't.
Nr. 22.
l']iu Bhittwirtcl von Sphciio-
lihyllum cuneifblium in [■
Kin eiuzclu. Blatt von Sjtheno-
l)hyllnni cimeifolinni in etwa j .
fassuug- unserer Kenutuissc unter tleni Titel: „The yeiius
kSpheuopliylluiii".
Die nur fu^isii (;ius dem Piiiaeozoi'cum) IjeUanuten
Sphen(ii)iiylhieeen waren kleine Gewächse mit (fuirii;;-
jj;estellten, .snper])(inirten IMättern. Die Zahl der Ülätter
in jedem Quirl ))(träi;t (1 otUr Multipla von 3 (Fig. 1).
Ihre Gestalt ist im Ganzen keiliürmig; sie sind sitzend;
die Spreite ist ganz oder ein- bis niehrfaehgabelig zer-
theilt. Die Nerven sind wiederholt gegabelt, Fig. 2.
Der Stengel wird von
einem centralen, triarcheu
Xylemstrang im AVesent-
lichen aus IIofkü|)el-
tracheiden durchzogen,
der später — worauf
wir (vgl. Azolla weiter
unten) besonders auf- Figur
merksam machen — einen
secundäreu Zuwachs er- „ 2
hält. Die Rinde ist ver-
hältnissmässig dick. Die
Fortpflanzuugsorgane treten an den Enden der Sprosse
als äln-enförmige, gestreckt-cylindrische Bliithen auf Die-
selben bestehen aus einer centralen Stengelachse, a Fig. o,
welche wirtelig stehende Sporophyllc trägt. — Fig. b. —
Die Sporophyllc eines Wirteis sind am Grunde seitlich mit
einander verwachsen. Jedes Spoi-ophyll trägt auf seiner
Obertläche auf der das Sporophyll der Länge nach hal-
birenden Linie eine Zeile weniger Sporangicn. Diese sind
gestielt, und durch den Stiel verläuft ein Leitbiindel mit
Xylemelementen. p]s sind in den Sporangien zahlreiche
Sporen constatirt worden; jedoch konnte nicht entschieden
werden, ob die Si)henophyllaceen isospor oder, was wahr-
scbeinlieher ist, heterospor sind. Renault behauptet, sie
seien heterospor, jedoch sind seine Präparate nicht be-
weisend. Die typischen, sicheren Spheuophyllum-Arten
kommen vom mittleren Carbon bis zum Unter- Roth-
liegenden vor.
Durch den von einem Leitbiindel durchzogenen Spo-
raugiuüistiel erinnern die Spheimphyllaceen an die Sal-
Figur 3.
Scliematischc r'ar.stelUuig eines Stiickehens der Blüthe von
Sphcnüi)hyHuni cnneifoiium (naeli WillianisonJ. a = Achse,
a = Sporaiigium, liurch dessen Stiel als einfaehe Linie an-
gedeutet ein Leitbiindel verläuft. In dem links von diesem
Sporaugium belindliclicn Sporanglum siml die Sporen an-
gedeutet. (Vergrössert.)
viniaceen aber auch Marsiliaceen, bei denen freilich der
Stiel eine coniplicirt geljaute, die Sporangien enthaltende
Kapsel trägt. Jedenfalls aber ist die bisher übliche
Stellung der Sphenophyllaceen zu den Lycopodineen, nach-
dem nunmehr etwas mehr über den Pdätlienbau bekannt
geworden ist, sehr erschüttert, da ähnliciie Spor(ii)hylle,
wie diejenigen der Si)heuoi)hyllaceen bei den Lyeojjodineen
nicht bekannt sind. Da allerdings die einzelnen Blüthen-
theile und die vegetativen Urgane der Sphenophyllaceen
auch von den übrigen reeenten Pteri(loi)iiytengruppen
autfallend genug abweichen, so dürfte es geratlien sein,
die in Rede stehenden fossilen Pflanzen bis auf Weiteres
wie bisher als besondere Abtheilung bestehen zu lassen.
Icii würde sie vorläufig in die Nähe der Ilydroptcrides
bringen; ich erinnere dabei daran, dass auch bei den
Salviniaceen die Blätter zu dreien in (freilich alterni-
renden) Wirtein stehen, und dass die Sporangienbehälter
))ei den Ilydropteridcs an der niorjiliologischen Oberseite
der Blätter sitzen (j\[arsiliaceen), wie die Sporangien von
Sphenophylluni, oder randständig sind (Salviniaceen).
Endlich ist auch iiiciit unbeachtet zu lassen, dass E. Stras-
burger (üeber Azolla, Jena 1873, Taf. I, Fig. 24) im
Umkreise des fertia'cn, centralen Stanmibündels von Azolla
„Oainbium" anhiebt. Man könnte — wenn
ein
A. Engler's Bezeichnungen benutzen
wir
die Pteridophyten
2. llydropterides.
gruppiren in:
I. CI;is.Mo: Filicalos, 1. Filicos,
II. Classe: Sphunoiiliylltileo.
III. Cliisse: Equisctiiles.
IV. Classe: Lycopodiales.
Berücksichtigen wir die neueste Classification der Fili-
cincn, diejenige K. Prantl's (vgl. diesen Jalirgang der
„Naturw. Woelienschr." No. 15 S. 150), S(i müssten wir
die Sphenupliyllaceen zu den „Pteridales" stellen. Prantl
macht darauf aufmerksam, dass den Arten dieser Gruppe
meist als Basis der Sori ein von einem besonderen
Tracheideiibündel durchzogenes „Receptaculum" zukommt,
welches seiner zweiten Gruppe, den „Osmundales", dureh-
gehends fehlt. Die Salviniaceen besitzen ebenfalls ein
solches Receptaculum, und er rechnet diese daher — trotz
der Heterosporie — zu den Pteridales und meint, dass
aus gleichem Grunde die Zugehörigkeit sogar der Mar-
siliaceen zu den Pteridales zu vermuthen sei. Der von
trachcalen Elementen durchzogene Sporangium-Stiel von
Sphenophylluni würde dem „Reeeptaculuin", entsprechen,
wir müssten S(niacli hier die Sporangien — wie der theo-
retische Morphologe sagen würde — als monangische Sori
annehmen wie die 9 Sori bei der Salviniaceeii-Gattung Azolla.
Wie wir auch aus diesem ersehen, haben die Spheno-
])liyllaceen ihre nächste Verwandtschaft unter den lebenden
Pteridophyten bei den Salviniaceen, in deren unmittel-
barer Nälie ich dieselben wenigstens vorläufig unterbringen
würde.
In Prantl's Gliederung würde
phyllen wie folgt unterbringen:
Pteridales
( Hyinenophyllaceeu
Isospor I Cyathcaceen
I Polypodiaceca
Heterospor? Splieuoph3'llaceeii
,j , I Salviniaeueii
Heterospor , jiarsiliaeeon
ich also die Spheno-
O s m 11 n d a 1 e s
iSchizaeaceeii
Gleiclieniaceeu
Osmiindaceen
Opliioglossaceeu
Marattiaceeu
Die Gliederung von Spheiiopliyllum-Arten kann nur
auf Grund der Verscliiedenheiten in den Blattturmen der
Reste erfolgen. Von den Arten nenne ich als Beispiele nur:
1. Sphenophylluni cuneifolium (Steriiberg) Zeiller (-Spheno-
phylluni erosum Lindh'y et Hutton) (Fig. 1) mit breitkeil-
förniigen, am Gijjfel gestutzten, gezähnelten bis wiederholt
gabeiig-getheilten Blättern; besonders häufig im mittleren
Horizont des pniductiven Carbons. 2. Sphenophylluni
emarginatumBrongniart mit gekerbtem, elienfalls gestutztem,
breitem Gii»fel der Blätter,' und 3. Sphenophylluni Thonii
Mahr, besonders aus dem Unter-Rotbliegcnden, mit ver-
hältnissmässig grossen, am abgerundeten Vorderrande
fransigen Blättern. P-
Nr. 22.
Naturwissenscbaftliclic Wochenschrift .
221
Devoii-Kolilc iii der Eifel. — Des Ocf'teren scIkhi
lialtoii die in den (irauwaekeuschiefcrn der oberen Coblcuz-
Schichten (Unter-Devon) der Eifel nicht gerade seltenen,
kleinen Koldenjiartien nnbes'ründete Iloffniinf;cn wach-
i;-enifcn uihI \'cranlassinij;' zu mehr oder minder kost-
s])ieiii;-en, stets \erg'el)lichen Scliürl'versuchen g-ei;'('l)cn.
Das ü'Ci^cn dcrartii;-e Funde und ihre Anpreisuni;- rcservirtc
Verhalten der fachmännischen Kreise, auch ein in der
Trierisclien-Zeitnnf? (No. 362) im ,Iain-c 1^84 veröffentlichter
Hinweis des Landesgcologen Herrn Grabe auf die Un-
MKiglichkeit des Vorkonnnens bauwürdiger Steinkohle in
der Grauwackcuformation der Eitel haben nichts ge-
fruchtet. So durfte es denn aucli nicht Wunder nelimen,
als vor einiger Zeit die überraschende Nachricht durcli
die Tagesblätter ging, dass bei dem Dorfe Neunkirclien,
westlich der Kreisstadt Dann, in der Eifel eine „Antln-acit-
Kettk(dde'- gefunden worden sei. Beim Niederbringen
eines Versuclis-Schachtes war man hier, ebcntivlls im
Niveau der oberen Coblenz-Schichtcn auf zwei H) resp.
IT) cm dicke Kohlensidinntze gcstossen, die sich in
einer Tiefe von 9 m zu einem 75 cm mäcbtigen, vertikal
stehenden Flötze vereinigen. Letzteres theilt sich bei
14 m Tiefe wieder und umschliesst als Zwischenmittel
graue, mürbe und sandige Schiefer- und Lettenschichten,
welche ganz erfüllt sind von Pfianzenrestcn. Die Mächtig-
keit von 75 em war bei einem Kohlenvorkonnnen in
diesem Horizonte noch nicht beobachtet worden und setzte
auch die fachmännischen Kreise in Erstaunen; indessen
lehrte das baldige Auseinandergehen desselben in zwei
Schmitzen, dass auch dieser Fund keine Aussichten auf
erfolgreichen Abbau biete. Herr Grebe, welcher das
\'orkonniien in verschiedenen Stadien der Erschliessung
untersuejit und es „anfangs als lirandscliiefer, durch
Kolilenpartikelchen intensiv schwarz gefärbt, zum Theil
lebhaft glänzend", theils aucli als „zu thonig- lettiger
Masse zersetzten Schiefer, ebenfalls durch Kohlen-
|)artikelchen intensiv schwarz gefärbt'-, und nur zum
kleinen Theil als anthracitische Kohle bezeichnet, auch
Ürennproben damit vorgenommen hatte, empfahl die
Ueberseudung geeigneten Slaterials an die Königl. Geo-
logische Landesanstalt nach Berlin. Im Schniiedefeuer
unter Anwendung von Gebläse brannte die Kohle mit
Icbhattcr Flannne, machte einen 4 em starken Eisenstab
weissgliihend, brachte denselben zum Schweissen und
hinterliess ea. 20 "/„ an Asche und Schlacke (Grebe: Der
Kohlenfund in der Eifel; Kölidsche Zeitung ISOS, Nr. 239).
Ueber die Ergebnisse der Untersuchungen an dem nach
Berlin eingesandten Materiale berichtete Herr Geh. ()l)cr-
Bergrath Dr. Hauchecorne unter Vorlegung von Probe-
stücken in der April-Sitzung der Deutschen Geologischen
Gesellschaft. Die oft stark glänzende Kohle, welche
allerdings auf den ersten Blick an Anthracit erinnert, ist
sehr mürbe und zerbröckelt leicht. Sie ist eine bitu-
minöse, backkohleuartige Kohle, welche nach der Analyse
49 Vä o/o Asche, Vg 7o Wasser und 50 Va ^o Kohlcnsubstanz
enthält. Letztere besteht aus etwa 83 "/o Kohlenstoff,
13 "/o Sauerstoff und 5 % Wasserstoff. Nach dem er-
folgreichen Vcrkokungsprozess könnte man die Kohle
als eine leidlich gute Kokeskohle (Seheibe, Referat des
Vortrages des Herrn G.-R. Hauchecorne in der Zeitschr.
f. Prakt. Geolog., 1893, S. 214) ansehen, indessen schliesst
ihr hoher, etwa die Hälfte betragender Aschengehalt die
technische Verwerthung aus. — Der geringe Sauei'stidf-
gehalt der Eifel-K(dden könnte vielleicht, wie auch in der
Diskussion in der genannten Sitzung bemerkt wurde, auf
eine der Bogheadkohle analoge Zusammensetzung hin-
deuten und eine Verwerthung ermöglichen; jedoch steht
diesem der viel geringere Aschengehalt der letzteren ent-
gegen, welcher, wenn eine Verwendung überhaupt mög-
lich sein S(dl, nicht 20 " „ üliersteigen darf. Für die
Wissenschaft ist dies Kcdilenvorkommen nicht unwichtig,
da es eines der im Allgemeinen nicht gerade häufigen
unterdevonischen i.st, wenigstens in der (d)en nngc-
gebencn Mächtigkeit, also ein bedeutend Iniliei-cs .\lter
besitzt, als die eigentliche StcinkdIdc der nach ihr be-
nannten Formation; die interi^ssante, viel umstrittene
Fiage über das Vorkonmien echter 'l'angkoble, d. h. einer
Kohle, welche durch die Ablagerung grosser autochthoner
Tangmassen gebildet worden ist, hat aber auch durcdi
diesen Fund keineswegs ihre definitive Lösung gefunden.
Allerdings erfüllt nach der Bestimnunig des Herrn l)i-.
Potonie Halj'serites Dechenianus Göpp. das Zwisehen-
mittcl, den Schieferthon, ganz und gar; indessen ist die
Deutung derselben als Alge, speciell als Tang, durchaus
nicht über allen Zweifel erhaben. Hn'c Keste stellen lange,
stengclförmige, schmale, sieh gabelnde (Jebilde dar, welche
freilieh an eine Fucoidec erinnern , und die in der Glitte
einen, vielleicht als Leitbiindel zu deutenden, längs ver-
laufenden Strang zeigen. Die Stellung zu den Algen ist
eine durchaus provisorische. Als Leitfossil ist Ilalyserites
Dechenianus für das ganze rheinische Unterdevon lange
bekannt. Dass an einen Abbau der Eifelkohle garnieht
zu denken ist, haben die Untersuchungen jetzt bewiesen,
und damit dürften denn die Hoffnungen aller derjenigen,
welche dem neuen Vork<nnmen so hohe materielle Be-
deutung beilegten, endgiltig zerstört sein und die vielen
vergeblichen Abbauversuche, w'elche auf die zahlreichen
unterdevonischen Kohlenschmitze der Eifel unternommen
worden sind, für innner aufgegeben werden. F. K.
Uiitersnclnnig über das Atoiiigewiclit dos Kupfers
von Th. W. Richards (Zeitschritt für anorgan. Chemie
I, 150 u. 187). Der Verfasser ist in Verfolgung früherer
Versuche durch sorgfältige Bestimmungen und unter
Nachweis der Feblcr(iuellen bei den früheren, dem bisher
gültigen Atomgewicht (53,33 (0 ^= 16) zu Grunde liegenden
Ermittelungen zu der Zahl 63,604 gelangt. Sj).
Fr. W. Somiiiler: Ueber Canipherarten , welclie
die Ketoiigrii|»i)e CO(!H;, eiitlialteu., (Deutsch. Chem.
Ges. Ber. XXV, 3343.) Diese Arbeit bedeutet einen wesent-
lichen Fortsehritt in unserer Kenntniss der Ter|)ene, indem
sie die Constitution einer, wie es scheint, sehr verbreiteten
Klasse von Cainpheiarten aufklärt. Es ist Sennnler ge-
lungen, aus dem ätherischen Oel des Rainfarns (Tanaeefum
vulgare) durch Ausschütteln mit Natriunibisulfitlösung eine
schön krystallisirte Doppclvcrhindung zu erhalten, welche
bei der Zersetzung nnt Natriumcarbonat ein farbloses Oel
von der Zusammensetzung Q^^y\{^^■0 liefert. Dasselbe hat
sich durch eine Reihe von Rcactionen zweifellos als ein
Keton erwiesen und dementsprechend den Namen Tana-
ceton erhalten. Es eondensirt sich mit Hydroxylamin zu
einem Oxim, CmHio^NOH; durch Natrium wird es in
alkoholischer Lösung zu Tanacetylalkohol, CioH,sO, re-
ducirt, welcher sich als vollständig gesättigt erweist. Durch
entsi)recliende Reduction des Öxinis gelangt man zum
Tanacetylamin, Cinlli^-NH.,, dessen Chlorhydrat bei der
trockenen Destillation einen ivohlenwasserstoft' von der
Formel C,oHig, das Tanaeetogen, liefert. Durch Einwirkung
von Brom in Alkalihydrat lässt sich aus dem Tanaccton
mit grösster Leichtigkeit Bromoform abspalten, wodurch
sich dasselbe als ein Methylketon kennzeichnet. Daneben
entsteht eine Monocarbonsäure, die Tanacetogensäure,
von der Formel CyH,.j-C( >oH, so dass die Formel des
Tanacetons zweifellos aufzulösen ist in C'sHij-CO-CHa. Da
nun aber sowohl Tanaceton als die daraus entstehenden
Verbindungen Tanacetylalkohol und Tanacetogensäure, wie
ihr N'erhalten gegen Brom zeigt, vollständig gesättigt sind,
999
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. -li.
so müssen in ilnien zweifach rini^-förmig geschlossene
Kohlcnstott'atoniketten vorhanden sein. Diesen Anforde-
rungen werden die folgenden Constitutionsformehi gerecht:
/
CO-CH,
,CH-OH-CHo
C
c
HoC/
II,C\
\C:
/
CH,
/
"OH,
/CHo
HaCx
C
H
Tanaceton
\
\c:
.011,
"OH,
/CH2
0
H
/
Tanacetylalkoiiol
00„H
0
H.O/
H.,C\
\c:
/OH,
HJH.
/
/CHg
C
H
Tanacetogensäure.
In Uebereinstimniung damit steht das Verhalten des
Tanacetons gegen Kalinmi)ermanganatl('isnng. Hierbei ent-
steht eine Ketonsäure von der Formel CiuH|i;03, Tanacct-
kctoearbonsäurc, welche, wie aus der Al)S])altung von
Bromoform bei der Behandlung mit Brom und Alkali her-
vorgeht, die Gruppe OO^CHa unverändert enthält und
deren chemisches Verhalten in jeder Beziehung die An-
nahme eines unangegriffenen Tetramethylenringes recht-
fertigt, die also wahrscheinlich, den obigen Formeln ent-
sprechend, die Oonstitution
O-OO-OH3
H,C/
HX\
\OHv
/OH,
OH.,
0-
H
COoH
besitzt. Wird diese Verbindung nnt Brom in Natronlauge
behandelt, so entstellt neben Br<inioform eine Tanacetogeu-
dicarbonsänre, welcher die Formel
/CH3
^\0H3
OHo • 0 • OOoH
OHo
0 • OO2H
H
zukommen müsste. Dieselbe liefert beim Erhitzen mit
Essigsaure ein Anhyilrid von der Formel 0,,H,.i():j und
>eht, ebenso wie dieses, beim Schmelzen mit Kalihydrat
glatt in Pimelinsäure über, deren bekannte Oonstitution
HO.,C-0H2-0h(0H(^^}J-^)-CO.,H mit den obigen Oonsti-
tutionsformeln im besten Einklang steht.
Durch die beschriebenen Derivate hat das Vorkommen
des Tanacetons ausser im Rainfarnöl bereits im Absinth-,
Salbei- und Thujaöl, möglicherweise in Form von Raum-
isomeren, erwiesen werden können. Sj).
lieber die bei der Coiideiisatioii von Wasserdaini»!"
auf treteudeii Farben hat Herr 0. Barus Beoachtungen an
gestellt, über die er im Februarheft des „American Jour-
nal of Science" (vol. XLV. S. 150) einige Mittheilungen
macht. Danach ergiebt sich.
wenn gesättigter Wasser-
damiif ph'itzlicli von einer hölicren zu einer niederen
Temperatur üliergetüin-t wird, im durchfallenden weissen
Lichte folgende Farbenfolge Itei wachsender Diffe-
renz der Temperaturen: Schwach grün, scliwach Itlau,
bleich violett, bleich violett-roth, bleich-roth, schmutzig
braun-orange, stroligelb, grünlich-gelb; grün, blau-grün,
grau-blau, intensivblau, indigo, intensiv dunkel-violett,
schwarz; intensiv braun, intensiv orange, gelb, weiss.
Im retiectirtcn Licht erscheint der Dami)f stets von
stumpfer, weisser Farbe.
Es ist nun zu beachten, dass die aufgezählten Farben
— aber in umgekehrter Folge, mit weiss beginnend —
vollkommen identisch sind mit den Interferenzfarben
1. und 2. Ordnung, welche dünne Blättchen, im durch-
fallenden weissen Lichte, bei normaler Incidenz des-
selben, zeigen. Damit gewinnt die Frage ein Interesse,
ob kleine Wasserbläschen, wenn weisses Licht in nor-
maler Incidenz durch sie hindurchgeht, sich in der That
wie dünne Blättchen verhalten. Ist nun für eine gegebene
homogene Farbe ./ die Intensität des einfallenden Lichts
und k der ReMcxionscocffieient (0,04 bis 0,05), so sind
nach einem einzelnen Durchgang die Intensitäten der
Interferenz-Maxima und Minima gegeben durch ])ezw.
(1— fc2)(H-/.-2)J und (1—^2) (1— /.'V, untersclieiden sich
also nur wenig von einander. Wenn aber eine beliebig
grosse Zahl von Tlieilchen gleicher Grösse vorhanden
ist, so wird dieser Interfercnzprocess ebenso oft wieder-
holt bezw. vervielfältigt, der Art also, dass das farbige
Licht nicht ausgelöscht, das weisse aber immer mehr ge-
färbt wird. Nach einer hinreichend grossen Zahl auf
einander folgender Durchgänge wird also der endlieh
aus (lern Aggregat von Bläsehen heraustretende Strahl
intensiv gefärbt erscheinen müssen.
Fürreflcctirtes Licht wird die Sache sich gerade
umgekehrt verhalten. Die Interferenz wird dann für
jedes einzelne Theilciien sehr voUkonnnen sein, also es
vi'ird keine beliebig häufige Wiederholung — also auch
keine Sunnnirung von Wirkungen — eintreten können,
da nach jeder Reflexion die Richtung des Strahles ge-
ändert ist. Durch diese steten Richtungsänderungen des
Strahles wird das Licht gemithigt worden sein, die ein-
zelnen Theilehen (einer gewissen Schicht) des Aggregates
zu durchlaufen, sodass also in letzter Linie es auch als
durchfallendes, nicht nur als refleetirtes Lieht interferirt;
seine Farl)c wird daher nothwendig bis zu dem erwähnten
stumpfen weiss herab ausgelöscht werden.
Das Auftreten von Dunkelheit oder schwarz zwischen
braun und dunkel violett der ersten Ordnung ist unschwer
zu verstehen. Man muss sich dazu erinnern, dass an
dieser Stelle der Interferenzerscheinungen bei einer nur
ganz geringen Zunahme der Dicke der Pdättchen die Farbe
sehr schnell übergeht von braun durch roth, carmin, dunkel
rothbraun zu violett. Bei der sieher nicht überall voU-
konnnen gleichen Anordnung innerhalb eines Aggregates
von Dampfbläsehen, ist die Annahme vollkommen am Platze,
dass die eben genannten Interferenzfarben zur gegenseitigen
Deckung gebracht werden, und so vereint also die Dunkel-
heit, d. h. schwarz, hervorliringen.
Also auch dieser Punkt widerspricht nicht der Mei-
nung des amerikanischen Physikers, dass die Farben,
welche bei wolkenartiger Oondensation auftreten, als ein
besonderer Fall des interferenzphänomens zu betrachten
sind, wie wir es als Farben dünner Blättehen, Newton'sche
Ringe etc. kennen.
Nr.
Niitufwisseiiscliaftlk-Iie VVofheiisclirift.
•223
Herr Barus wird seine Untersuchungen noch in einigen
linderen, allgemein |ihysikalisch intcressirenden Bezieiiun,:;cn
turtsetzen und vervollkunimncn. Ucber die beahsiclitigten
Wege macht er a. a. 0. nur kurze Angaben, verspricht
aber eine eingehendere Mitthciluiig für das Märzhot't des
American Mcteorulogical Journal, nach dem ich dann s: Zt.
bericiiten werde. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernaunt: Ddr Forstbotanikfr Dr. Dietfich Bran-
dis in Bonn zum Protcs-sor. ^ Mr. Charles Chree vo~in Iving's
Collofre in CamliridEjc zum Vorstelicr des Ke\v-< llisorvatoriums. —
Dor Matliomatiker Prot'. Lindemann in Königsberg zum Pi-o-
tV.ssor au der Univci-sität Münclien. — Der I^rofessor J. Mark
Baldwin an der Universität Toronto zum Pr<it'essor der Psyelio-
logie an der Universität Princeton. — Der bisherige eomm. Docent
an der Kgl. Bergakademie Bergassessor Georg Frauke zum
Professor der Bergliau- und Salineukunile.
Professor der Biologie Martin an der John-Hopkinsllniver-
sität legt in Folge andauernder Kränklielikeit seine Professur
nieder.
Es sind gestorben: Der ordentlieli(> Professor der Mathematik,
Geh. Kegierungsrath Dr. Ernst Eduard Kummer an der
Universität Berlin. — Der Conchyliologe G. W. Lie ht entli ale r
in San Fraucisco.
Kinr Gesellschaft zur Förderung der uaturhistorischen
Erforschung des Orientes ist in Wien in Bildung begriÖ'en. —
Vorstand des vorbereitenden Comites: G. v. Beck, F. Brauer und
Th. Fuchs.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. Eugene Rey, Altes und Neues aus dem Haushalte des
Kuckucks. (Zoologisehe Vorträge, herausgegeben von W. Mars-
hall. 11. Heft.) Richard Freese. Leipzig 1892. — Preis 1 M.
Aus ilem Inhalt der vorliegenden, von ausserordentlich
eingeliender Kenntniss des Gegenstandes zeugenden, wichtigen
Schrift haben wir bereits S. 171 interessante Punkte mitgetlieilt.
Wir haben dort gesehen, dass Verf. namentlich über die Fort-
])flanzung des Kuckucks ganz neue, wesentliche Thatsachen bei-
bringt. Der als Autorität auf zoologischem Gebiet geltende Verf.
zeigt, dass entgegen bisheriger Annahme nur 3,6 "/o ^'^r Eier des
Kuckucks denjenigen der Nesteigenthümer ähnlich gefärbt sind.
Er bespricht Färbung, Zeichnung, Form, Grosse und Gewicht der
Eier und die Festigkeit ihrer Schale. Der Kuckuck entfernt bei
der Eiablage ein oder mehrere Nesteier, zuweilen schon einen
Tag vor dem Legen, naclilier kümmert er sich nicht mehr um die
Brut. Zu ihrer Entwicklung bedürfen die Eier keineswegs längere
Zeit als diejenigen anderer Vögel; auch ist eine Anomalie im ganzen
Ei-Apparat des Kuckucks nicht zu constatiren. Die Eiablage er-
folgt einen Tag um den anderen; im Jahre werden über 20 ge-
legt, und die Brutzeit richtet sich nach derjenigen der Nestvögel.
Julius Sachs, Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen-
Physiologie. 2. Bd. Abhandl. XXX l)is XLIIl. Mit 10 litlio-
grapliischen Tafeln und 80 Textabbildungen. Wilhelm Engel-
mann. Leipzig 1893. — Preis 13 M.
Der 2. Band der Sachs'schen Abhandlungen enthält vorwiegend
diejenigen über Wachsthum, Zellbildnng unil Reizbarkeit. Welche
Arbeit steckt in den 43 Abhandlungen beider Bände! Jede ein-
zelne hat ihre hohe Bedeutung in der Wissenschaft ! Wir können
nur wiederholen, dass wir Sachs sehr dankbar sein müssen, dass
er noch selbst — wie einst Hugo von Mohl — seine Abhandlungen
in einer Sammlung so bequem zugänglich gemacht und hier und
da mit neuen Anmerkungen versehen hat. Nur wenige Botaniki'r
sind so fruchtbar gewesen wie Sachs, seine Leistungen muss
jeder Botaniker kennen. Beide Bände sind liei|uem fortlaufend
]iaginirt; der vorliegende beginnt mit S. 677 und reicht, incl. einem
Register, bis S. 1243. In der 43. Abhandlung, der Fortsetzung
des Aufsatzes, „Stoft' und Form der Pflanzenorgane'' bietet Sachs
einen kurzen Zusatz, welcher die „Continuität der embryonalen
Substanz" behandelt, in welchem er einigo Sätze aus seinen Vor-
lesungen über Pflanzen-Physiologie nochmals zum Abdruck bringt,
mn zu zeigen, dass er den von Weismann 1885 betonten Unter-
schied zwischen „somatischen" Zellen und Geweben und „Kt^im-
plasma" der Sache nach schon 1882 klar hervorgehoben hat.
Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften,
Mathem.-naturw. Classe. Wien 1MI2. Band 101, lieft 8 und 'J.,
Abtiieilung I, enthalten u. a. Hering: Zur Kenntniss der Alcio-
jiiden von Messina. tj Tafeln, v. iSIujsiso vics: Die Hallstätter
Entwicklung der Trias, auf Grunil seiner seit 1874 bctriidxMien
Forschungen, wonach die bisherigen Ansieliten theilwi'ise zu modi-
ficiran sind. Entgi'gcn der bis jetzt üblichen Annahme, dass die
Hallstätter Entwicklung nur eine besondere Facies der (Jjereu
Trias sei, zeigt v. M , dass dieselbe sich auf den ganzen Umfang
der oberen und mittleren Abtheilung dieser Formation erstreckt.
Sie beginnt in f^eringor Höhe über den Werfener Schichten, um-
fasst den ganzen Muschelkalk und die verschiedenen Stufen (hir
obvren Trias nn<| wird vom unteren Lias überlagert. Ihre Ge-
biete sind räundich beschränkt und bilden „vereinzelte kleine
Gebirgsgruppen oder Gebirgsabsclinitte inudtten der grössere
Räume beherrschenden Wetterstein- und Dachstein-Entwi<'klungen".
WiUn'end die letzteren eine Mächtigkeit von l.')00 — 2000 m er-
reichen, beträgt dieselbe bei di'r Hallstätter Trias-Facies im
Ma.ximum nur 200 m. Die Altersfcdge der verschiedenen Faunen-
Hcirizonti' ist: I. .Iura — Unterer Lias (Hangendes). — II. Trias.
A. Hallstätter Entwicklung: 1. Fossilienarme Kalke (Rhätische
Stufe); 2. Linsen mit Cyrtopleurites bicrenatus; 3. Graue Kalke
mit Pinacoceras Metterniclii; 4. ZlambachSchichten ; 5. Rothe
<iastero)Kiden-Kalklinsen mit Cladiscites ruber; 6. Rothe und bunte
Kalklinsen mit Sagenites Giebeli (2. — 6. Juvavische Stufe);
7. Linse mit Thisbites Agricolae; 8. Zone des Tropites subuUatus
— a) oberes, b) unteres Niveau — ; 9. Zone des Trachyceras
Aonoides — a) Linsen mit Tr. AonoVdes und Lobites ellipticus,
b) Linse mit Tr. Austriacum — (7—9 Karnische Stufe); 10. Zone
des Ceratites trinodosus (Muschelkalk). — B. Werfencr Scliicliton
(Liegendos). Haberland: Anatomisch -iihysiologische Unter-
suchungen über das tropische Laubbhitt. Im Botanischen Garten zu
Buitenzorg auf Java angestellte Untersuchungen — sollen fort-
gesetzt worden — . über die wir bereits ausführlich mitgetlieilt haben.
J. Luksch: Vorläutiger Bericht über die physikalisch-oceano-
graphischen Arbeiten im Sommer 1892 vom Meridian von Rliodus
bis zur syrischen Küste. (Ausgeführt vom Kriegsschifio Pola.)
I Kartenskizze. Claus: Die Antennen der Pontelliden und das
( iestaltungsgesctz der männlichen Greifantenne. (Untersuchungen
über die Entstehung und Bedeutung der Antennen, sjieciell der
männlichen Greifauti-nni'. Werden fortgesetzt und auf andere
Formen ausgedehnt werden). Garbowski: Materialien zu einer
Lepidopteren-Fauna Galiziens, nebst systematischen und Vjiolo-
gischen Beiträgen. Die Arbeit ist um so willkommener, als die
verhältnissmässig reiche Lepidopteren-Fauna nur ganz mangelhaft
bekannt ist. Nach kurzer iihysiographischer Schilderung des
Landes wird Vorkommen, Verbreitung, Lebensweise, Entwicklung
und Systematik und endlich in einem umfangreichen speciellen
Tlieile ein bedeutendes Material galizischer Lepidopteren behandelt.
Hilber: Fauna der Pereiraia-Sehichten von Bartelmae in Unter-
Krain. (Angabe der Litteratur, Fundpunkte und in den Pereiraia-
Sehichten genannter Lokalität vorkommenden Petrefacten.) Zwei
Tafeln. Zoebel und Mikosch: Die Function di-r Grannen der
Gerstenähre. Ueber die Bedeutung der Grannen der Gramineen-
früchte für die lebende Pflanze ist mit Ausnahme einer kurzen
Notiz bei A. v. Kerner nichts veröfl'eiitlicht worden. Aus zahl-
reichen von denVerfassern an Gersteuiiflanzen augestellten Versuchen
geht hervor, dass die Grannen bei diesen Pflanzen Trans()irations-
organe sind. Die Transpiration der Gerstenpflanze ist eine vom
Lichte beeinflusste, jieriodische Thätigkeit, welche bei norm.aler
Begrannung unter den gleichen Verhältnissen 4- bis 5-mal so stark
ist, als nach Entfernung der Grannen. Der Antheil der Aehre an
d<'r Transpiration entspricht etwa der Hälfte der Gesammt-
traiispiration der Pflanze und ist am intensivsten zur Zeit der
stärksten Entwicklung des Kornes. Die starke Transpiration der
Granne scheint demnach zur Stoft'wanderung, mithin zur normalen
Entwicklung der Frucht in Beziehung zu stehen.
Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie d. Wissenschaften.
Mathem.-naturw. Classe. Wien 1892. Bd. 101 Abtheilung IIa
enthält die Aliliandlungen aus dem Gebiete der MatluMiiatik,
Astronomie, Physik, Meteorologie und Mechanik, von denen hier
genannt seien: F. E.xner: Electrochemische Untersuchungen.
3. Mittheil. Es werden die bei der Reaction zwischen Säuren
und Basen auftretenden Potentialdift'erenzen besprochen. Elster
und Geitel: Elmsfeuerbeobachtungen auf dem .Sonnblick. Wir
kommen auf diese Arbeit an einer anderen Stelle der „N. W."
zurück. Weyr: Drei Abhandlungen „Ueber algebraische Invulu-
tionen." Tuinlirz: Die Dichte der Erde, berechnet aus der
Schwerebeschlennigung und der Abplattung. Tuma: Luftelek-
tricitätsmessungen im Luftballon. Bei den Untersuchungen,
welche der Verfasser auf einer dazu am 15. Sept. v. J. unter-
nommenen Ballonfahrt ausgeführt hat, fand er, dass das Potential-
gefälle in der Luft mit wachsender Hölie zunimmt und in ;illen
bisher erreichten Höhen positiv ist. Schmidt; Das periodische
224
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 22.
Gesetz (Untersuchungen über den Satz: Die Eigenschaften der
Elemente sind periodische Functionen ihrer Atomgewichte).
Liznar: Eine neue magnetische Aufnahme Oesterreichs. (Vor-
läufige Mittheikmg der Resultate der von Mitte Juni bis Mitte
September auf 21 Stationen vorgenommenen Messungen ) Kolben-
hey er: Untersuchungen über die Veränderlichkeit der Tages-
temperatur. Der Verfasser beschäftigt sich beinahe ausschliess-
lich mit der durch die grosse Veränderlichkeit ihrer Tages-
temperaturen ausgezeichneten meteorologischen Station Bielitz.
Mahler: Der Kalender der Babylonier.
Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie d. Wissenschaften.
Mathem.-naturw. Classe. Wien 1892. Band 101. Abtheilung IIb
enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der Chemie. Abth. III
enthält die Abhandlungen aus den Gebieten der Anatomie, Pliy-
siologie und theoretischen Medicin, von denen wir die folgenden
nennen: Kreidl: Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohrlaby-
rintlies. Eiste Mittheil. Versuche an Fischen. Untersuchungs-
objecte waren zwei Haifischspecios, Scyllium canicula und catulus,
welche in normalem Zustande und nach Zerstörnng des Labyrinthes
beobachtet wurden. Verfasser unterwarf Thiere beider Stadien
Rotationsbewegungen und stellte Beobachtungen über den Einfluss
der Centrifugalkraft an. Knoll: Zur Lehre von den Structur-
und Zuckungsverschiedenheiten der Muskelfasern. Die Arbeit zer-
fällt in 3 Theile. Zunächst stellt der Verfasser Untersuchungen
an Lamellibranchiaten darüber an, ob und in welcher Weise die
Structurverschiedenheiten am Schliessnuiskel in den Zuckungen
desselben bei verschiedenen Formen zum Ausdruck gelangen.
Versuchsthiere sind mehrere Arten von Pecten, Area Noae, Venus
verrucosa, Lima inflata, Cardiuin edule. Scrobicularia peperata.
Alsdann untersucht er nach derselben Richtung den Mantel von
Eledone und endlich die weisse und rothe Musculatur von Cistudo
europaea. Knoll: Zur Lehre von den doppelt schräg gestreiften
Muskelfasern. Ueber die Stellung der doppelt schräg gestreiften
Muskelfasern innerhalb des Muskelgewebes gehen die Ansichten
auseinander. Engelmann u. a. sehen sie als eine Abart der
librillären glatten Muskelfasern an, wogegen Schwalbe und meh-
rere Forscher sie als eine durch schräge Anordnung der dopjielt
brechenden Theilchen char.akterisirte Abart der gestreiften Muskel-
fasern betrachten. Nach seinen an zahlreichen Lamellibranchiaten
(Lima intlata, hians, squamosa; Pecten Jacobaeus, varius, glaber;
Venus verrucosa, Unio pictorum, Cardiura edule u. a. m.) und
Cephalopodcn (Eledone) angestellten Untersuchungen gelangt
Verfasser zu einem Ergcbniss, dass für die Engelmann'sche An-
sicht spricht, die jedoch dahin zu modificiren ist, dass die Streifen
der doppelt schräg gestreiften I'^asern nicht als homogene Fibrillen
aufgefasst werden dürfen. 3 Tafeln. Pfaundler: Zur Anatomie
der Nebenniere. Wir werden auf diese Arbeit noch an anderer
Stelle der „N. W." zurückkommen. F. K.
Slittheilving'en aus der Firma „Dr. Houdek & Hervert."
(Inhaber Prof. Dr. Houdek.) Fabrik ])hysikali.scher Apparate und
geometrischer Modolle. Heft 1—7. Selbstverlag, Prag 1892—1893.
In den Heften, die fortgesetzt werden, finden sich 320 physika-
lische Apparate und geometrische Modelle beschrieben und abge-
bildet, die von der Firma geliefert werden. Allen, die Unterricht
zu ertheilcn haben, bei welchem solche Lehrmittel gebraucht
werden, dürften diese Mittheilungen dienlich sein.
Gumprecht, O., Die geographische Verbreitung einiger Charakter
pflanzen der Flora von Leipzig. Leipzig. 1,20 M.
Hampe, W., Tafeln zur fpiaiitativen chemischen Analyse. 3. Aufl.
Clausthal. 4,50 M.
Heumann, K. , Anleitung zum Experimentiren bei Vorlesungen
über anorganische Chemie. 2. Aufl. Braunschweig. 16 M.
Hilgard, E. W., Ueber den Einfluss des Klimas auf die Bildung
und Zusammensetzung des Bodens. Heidelberg. 2 M.
Hoernes, K., Erdbebenkunde. Leipzig. 10 M.
Jäger, G., Ueber die Temperaturfunction der Zustandsgieichung
der Gase. Leipzig. 0,30 M.
Kant's, I., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik.
Keller, C, Die Thierwelt in der Landwirthschaft. Leipzig.
1» M.
Kobert, B.., Lehrbuch der Intoxikationen. Stuttgart. 16 M.
Eoll, O., Die Theorie der Beobaclitungsfehler und die Methode
der kleinsten Quadrate mit ihrer Anwendung auf die Geodäsie
und die Wassermessungen. Berlin. 11,20 M.
König, J., Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel.
2. Tliid. Berlin. 30 M.
Koeppen, W., Die Schreibung geographischer Namen. Hamburg.
1,20 M.
Krafft-Ebing, B. v., Psychopathia sexualis mit besonderer Berück-
sichtigung der conträren Sexualempfindung. 8. Aufl. Stuttgart-
10 M.
Krause, K. Ch. F., Abriss der Geschichte der griechischen Philo-
sophie. Berlin. 2,50 M.
Küpper, C, Bestimmung der Minimalgruppen. Prag. 20 M.
Kux, H., Gasvolumetrische Bestimmung organischer Säuren und
der Jodsänre. Wiesbaden. 1,50 M.
Lang, E., Vorlesungen über Pathologie und Therapie der vene-
rischen Krankheiten. 2. Theil. Wiesbaden. 4,80 M.
Lange, J. , Synthetische Geometrie der Kegelschnitte nebst
Uebungsaufgaben. Berlin. 1,20 M.
Lustig, A., Diagnostik der Bakterien des Wassers. 2. Auflage.
Jena. 3 M.
Messtischblätter des Preussischen Staates. 1:25,000. No. 920.
Karcilinnnsiel. — No. 1012. Wcstermarsch. — No. 15G8. Eich-
berg. — No. 1700. Fürstenfelde. — No. 1706. Lipke. — No. 1776.
Dechsel. — 1854. Pinne. — 2059. Borui. Berlin. 1 M.
Schenk, H., Beiträge zur Biologie und Anatomie der Lianen, im
Besonderen der in Brasilien einheimischen Arten. 2. Tbeil.
Möbius, P. J., Abriss der Lehre von den Nervenkrankheiten.
Leipzig. 4, .00 M.
Mollat, G., Mittlieilungen aus Leibnizens ungedruckten Schriften.
Leipzig. 2,40 M. _
Monchamp, G. , Notification de la condamnation de Galilee.
Köln. 1 M.
Mönnichmeyer, Allgemeine Störungen der Themis durch Mars
und Saturn. Berlin. 1,60 M.
Briefkasten.
Herrn Dr. K. — Von dem Frank'schen umfangreichen Lehr-
buch der Botanik, dessen 1. Bd. vorliegt und der auf S. 499 Bd.
VII besprochen wurde soll der 2. Bd. Anfang diesHS Jahres er-
scheinen. Das Werk ist entstanden durch eine an Frank ergangene
Aufforderung, das bekannte Sachs'sche Lehrbuch der Botanik neu
zu bearbeiten. Die letzte, 14. Auflage des Sachs'schen Lehrbuches
erschien 1874. Als sich eine Neu-Äuflage nöthig erwies, konnte
sich Sachs nicht entschliessen, eine Umarbeitung tles gesammteu
Textes vorzunehmen. Er bearbeitete nun den physiologischen
Theil neu, und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch der ge-
sammten Darstellungsweise nach; diesen Theil gab er 1882 unter
dem Titel „Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie" heraus, ein
Werk, das 1887 in 2. Aufl. erschien. Die „Vorlesungen" richten
sich nicht allein, wie das ursprüngliche „Lehrbuch" an Studirende
und Fachgenossen, sondein an das gebildete Publicum überhaupt
und sind demgemäss möglichst gemeinverständlich gehalten. (Ein
Hinweis auf die Vorlesungen findet sich in der „Naturwissensch.
Wochenschrift" Bd. VI S. 285). Für eine von dem Verlag ge-
wünschte Neubearbeitung der anderen Theile des Lehrbuchs hatte
Sachs den Prof. K. Goebel vorgeschlagen, und aus dessen Feder
erschienen denn auch 1882 seine „Grundzüge der Systematik und
speciellen Pflanzenmorphologie nach der 4. Aufl. des Lehrbuchs
der Botanik von J. .Sachs." Dieses Buch ist aber ganz Lehrbuch
geblieben und ist insofern kein Gegenstück zu den „Vorlesungen."
In beiden Beziehungen einheitlich ist nun naturgemäss das neue
Lehrbuch von Frank: es ist, wie der Titel besagt, durchaus wieder
„Lehrbuch."
Nach einer nur zwei Seiten umfassenden Einleitung sind die
Hauptabschnitte des 669 (-1- X) Seiten nnifas.seuden Buches, wie
folgt, überschrieben: I. Lehre von der Pflanzcnzelle, IL Lehre von
den Geweben der Pflanze, Pflanzenauatomie, III. Pflanzenphysio-
logie (S. 229 bis 669 also besonders umfangreich). Der Pflanzen-
physiologie geht eine kurze Einleitung voraus und wird gegliedert
in 1. Die allgemeinen äusseren Lebensbedingungen der Pflanzen,
2. Physikalische Physiologie: die physikalischen Eigenschaften
und Erscheinungen der Pflanzen, 3. Chemische Physiologie: der
Stoffwechsel der Pflanzen, 4. Die Vermehrung der Pflanzen.
Inhalt: Prof. Dr. H. Schubert: Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung. — Ueber die Spheuo-
phyllaceen. (Mit Abbildungen.) — Devon-Kohle in der Eifel. — Untersuchung über das Atomgewicht des Kupfers. —
Fr. W. Semmler: Ueber Campherarten, welche die Ketongruppe CO.CH3 enthalten. — Ueber die bei der Condensation von
Wasserdampf auftretenden Farben. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Dr. Eugene Rey: Altes und Neues aus
dem Haushalte des Kuckucks. — Julius Sachs: Cicsanmielte Abhandlungen über Pflanzen-Physiologie. — Gesellseliaft zur
Förderung der naturhistorischen Erforschung des Orientes. — Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften,
Mathematisch -naturwissenschaftliche Classe. — Mittheilungen aus der Firma ,Dr. Houdek & Hervert". Liste. — Briefkasten.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonitj, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin, —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck; G. Berustein, Berlin SW. 12,
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Abdrnck ist nur mit vollständiger C^nellenangabe gestattet.
Physikalische Erklärung von Formverhältnissen organischer Skelettbildungen.
Von Dr. Friedlich Dreyer.*)
Die Ehizopoden, speciell diejenigen des Meeres, die
beiden Hanpt- undSchwesterabtiieilungcn der kalkschaligen
Thalamoplioren (Foraniiniferen) und der kieselsehaligen
ßadiolarien, zeichnen sich bekanntlich durch eine Formen-
mannigfaltigkeit und -differeuciruug der Schalen und
Skelette, der Gerüstbildung aus, wie es sonst im Reiche
der Lebewesen nicht annähernd wieder zu finden ist.
Es scheint dies mit der primitiven Natur des aus
unditi'erencirtem Protoplasma bestehenden Weichkörpers
dieser Protisten im Widerspruch zu stehen, das Paradoxon
löst sich jedoch in der folgenden Weise. —
Das Protoplasma derRhizopodenkörper besitzt flüssigen
Aggregatzustand, also müssen auch bei ihm die in der
anorganischen Natur geltenden Gesetze der Flttssigkeits-
raechanik zu Recht bestehen.
Wenn wir uns weiter die Protoplasmakörper der
Rhizopoden etwas näher ansehen, so constatiren wir die
bekannte Thatsache, dass Wasserblasen. Vacuolen, in
ihnen zu den häufigsten Vorkommnissen gehören und dass
speciell die Protoplasmakörper der pelagiseh, auf hoher
*) In vorliegendom Artilcel komme ich einer Aufforderung
des geehi'ten Herrn Rediictems dieser Zeitschrift nach, ein Referat
über meine „Ziele nnd Wege" zu verfassen. Mein in Rede stehen-
des neuerdings erschienenes Buch (Ziele und Wege biologischer
Forschung, beleuchtet an der Hand einer Gerüstbildungsmechanik.
— Mit (i lithographischen Tafeln. — Jena, Verlag von Gustav
Fischer, 1892) zerfällt in zwei Theile, einen ersten speciellen und
einen zweiten allgemeinen Theil. Der erste, specielie Theil ent-
hält eine Darstellung des Wichtigsten der Resultate meiner nunmehr
zu einem gewissen Absehluss gekommenen Studien über die Skelett-
resp. Gerustbildung bei Rhizopoden, Spongien und Echinodermen,
der zweite allgemeine Theil bringt einen kritischen Kssay über die
Ziele und Wege biologischer Forschung. Der Zusaunnenhang der
beiden Theilo ist ein <lerartiger, dass sich der zweite, allgemeine
Theil an den ersten als ein specielles Beispiel der I<^orschung an-
lehnt. Hieraus, — wie es auch schon in der Formulirung des
Titels ausgedrückt ist, — geht hervor, dass der Sehworijuidvt der
Schrift in den methodologisch -theoretischen Erörterungen des
zweiten allgemeinen Theiles liegt. Gleichwohl wird das oben-
stehende Referat die metliodologisch- theoretischen Gedankengänge
See lebenden Rhizopoden, also besonders der Radiolarieu,
von dicht gedrängten Flüssigkeitsblasen völlig durchsetzt
und mächtig aufgebläht erscheinen (Fig. 19). Hier werden
demnach auch die speciell für blasig resp. schanmig ge-
baute Flüssigkeitskörper in Betracht kommenden Gesetze
der FlUssigkeitsmechanik, der Oberflächenspannung, eine
Hauptrolle spielen; es würde also zunächst in unserer
Aufgabe liegen, uns über diese etwas zu informiren. —
Das für die Stellung der Wände eines Blasengerüstes
fundamentale Prineip, aus dem sich alle Einzelfälle ab-
leiten lassen, ist das Prineip der kleinsten Flächen. Die
Lamellensysteme ordnen sich so an, die einzelnen Lamellen
krümmen sich in der Weise, dass die Summe der Ober-
flächen aller unter den gegebenen Verhältnissen ein Mi-
nimum wird. Die treibende Kraft ist die Spannung, die
in den flüssigen Oberflächen ihren Sitz hat.
Hieraus ergeben sich für die Gestaltung jedes Blasen-
werkes folgende Hauptregeln:
In jeder Kante stossen 3 Wände znsammen, welche
ebensoviele Blasenräume scheiden. In jedem Eckpunkt
dieses zweiten Theiles nicht berühren und sich nur mit dem spe-
cielleren Inhalte des ersten Theiles beschäftigen. Die Ersteren
.sind so abgefasst, dass ein auszugsweises kürzendes Referiren,
ohne Charakter und Sinn des geschlossenen Gedankenganges mehr
oder weniger zu beeinträchtigen, nicht gut angeht ; und gerade in
Bezug auf derartige Principientragen kann man nicht vorsichtig
genug sein. Immerhin dürfte aber auch der speciellere Inhalt des
ersten Theiles noch von allgemeinem Interesse und daher geeignet
sein, dem Leserkreise dieser Zeitschrift vorgeführt zu werden,
denn wir haben in demselben einen der bis jetzt noch seltenen
Fälle, wo es uns gelungen ist, einen, und gerade einen sehr ver-
zweigten und anscheinend sehr complicirten Complex von Be-
funden dem Dunkel der uns als „Leben" entgegentretenden Ge-
schehnisse abzugewinnen und durch Zurückführung auf elementare
chemisch-physikalische Proco.sse und Gesetze einem befriedigenden
e.\acten Verständniss zugänglich zu machen. Natürlich kann auch
hier eine referirende Blüthenlesn die zusammenhängende Dar-
stellung des Gegenstandes nicht ersetzen, sondern nur das In-
teresse wecken; weiter bezwecken ja aber die obigen Zeilen
auch Nicht».
226
Naturwissenscbaftliclie Wocbcnscbvift.
Nr. 23
stossen 4 Blasenräume, 6 Wände und 4 Kanten zu-
sammen.
Als besonders s'ceignet zur Beobacbtunj.
dieser Ver-
bältnisse erweisen sieb wegen ibrei
verbältnissmässigeu
cialfall, die Construction eines Complcxes von 4 gleicb
grossen Blasen, wie sieb ein solelier unter Anfbebnng der
Sebwerkraft frei schwebend darstellen würde), sind die
Wände eben ausgespannt, verlaufen die Kanten geradlinig
Einfachbeit und klaren Durobschaubarkeit Gruppen grosser
Seifenblasen. Figur 8 gielit einen derartigen nacb der
Natur gezeicbneten, auf der Oberfläcbe der Seifeulösung
scbwinnneudcn Seifenblasencomplex wieder.
Wenn die 4 einen Eckpunkt undagernden Blasen
gleich gross sind (Fig. 2 zeigt eineu solchen idealen Spe-
und sind die Winkel, welche die Wände zwischen sich
fassen, gleich, und zwar betragen sie 120°; die Winkel,
welche die Kanten mit einander bilden, gleich, und zwar
betragen sie 109° 28' 16,4"; und endlich die Winkel,
welche je eine Kante mit je einer Wand bildet, einander
gleich und betragen 125°
15' 52". Die von dem gemein-
Nr. 23.
Naturwissenspliaftliche Woehcnsclirift.
227
samen Eck- und ^littelpunkt als ihrem Radiationspunkt
ausgelienden Kanten entsprechen den Achsen des regulären
Tetraeders.
Mit Grössendititerenzen der Blasen gehen entsprechende
Veränderungen der Winkel und der Krünuiiung der Wände
Hand in Hand. Naeli einem grösseren lilasenraume zu
sind die Winkel grosser und die Wände c(nivex ge\v(ill)t,
nach einem kleineren die Winkel kleiner und die Wände
concav gewölbt. Durch das Verhalten der Wände werden
die Krünnnung und die Winkel der Kanten hestinnnt:
jede Kante ist die Resultante der o in ihr zusannnen-
stossendcn W^ände, diese sind die o Componenten von
Kriininnnig und Verlauf der Kante. — Die einen Hlasen-
eoniplex nach aussen abschliessenden Wände sind am
stärksten gewölbt. Wir können dies als einen Special-
fal! den für die Formation des Wandgeriistes innerhalb
eines Complexes aufgestellten Regeln unterordnen, wenn
W'ir die ganze Aussenwelt als einen Blasenraum von un-
endliciier Grösse auffassen. — (Fig. 1, 8.)
Zur Beobachtung der Wirkungsweise der Blasen-
spannnng ist noch ein sehr einfaches und probates Mittel
zu empfehlen. Man braucht nur aus einer Bierflasclie
das Bier theilwcise oder ganz auszugiessen, so bleibt in
dem entleerten Räume das schönste Blasengeriist zurück,
an dem sicii die elien angegebeneu, sich aus der Blasen-
spannung ergebenden Gesetzmässigkeiten der Formation
des Wandsystenis und Kartengerüstes sehr gut beobachten
lassen.
In ihrer activen Wirksamkeit treten die Spannungs-
kräfte hervor, sobald in einem Blasenwerke eine Blase
platzt. r)ie benachliarten Wände verschieben sich dann
augenblicklicli so, dass sie unter den neu gel)ildeten
Raumverhältnissen dem Princip der Minimalflächen wieder
Rechnung tragen; erst dann ist ihr Gleichgewicht wieder
hergestellt.
Bis jetzt haben wir die Stärke der Blasenwände ver-
nachlässigt; wir betrachteten die Wände als mathematische
Flächen, die Kanten als Linien und die Pocken als Punkte.
Dies können wir uns auch gestatten, sobald wir es mit
grossen Blasen zu thun haben, deren Wände aus einer
dünnflüssigen Substanz bestehen. Gleich nach der Bil-
dung eines solchen Blasensystems, wie eben unserer Seifen-
blasengruppen oder des Blasengerüstes in einer Bierflasche,
läuft die überschüssige Flüssigkeit, der Schwerkraft fol-
gend, in den Wänden nach unten ab und nur gerade so
viel wird durch die Oberfläeiienspannung zurückgehalten,
als zur Bildung dünnster Wandhäutchen nrithig ist. —
Die Verhältnisse ändern sich, sobald die Flüssigkeit dick-
flüssiger und zäher und die Blasen kleiner sind. Dann
bleibt in den Blasenwänden, wenn anders solches vor-
iianden ist, mehr Material haften. Dassell)C vertheilt sich
jedoch nun nicht mehr gleiclnnässig in den Wänden, um
diese etwa zu gleichmäs.sig dicken Platten zu verstärken,
die scharfkantig aneinanderstossen um die Formverhält-
nisse der dünnen Blaseuhäute zu bewahren, sondern die
Vertheilung und Anlagerung des überschüssigen Materiales
geschit'iit, in Bezug auf die Formation dünner Blasen-
wände wenigstens, ungleiciniiässig, wenn gleich streng
gesetzmässig, insofern, als in erster Linie die Ecken, in
zweiter Linie die Kanten als Attractionsceutra der An-
lagerung wirken. Mit anderen Worten — und dies er-
giebt sich auch ans dem Princip der Mininialflächen, denn
die Kugelform hat bei einem gegebenen Volumen die
kleinstmögliche Oberfläche — , die Blasenränme sind con-
tinuirlieii bestrebt, sich abzurunden. Eine gegenseitige
Abrundung ist unmöglich, solange die gemeinsamen
Zwischenwände noch minimal dünn sind; sobald jedoch
mehr Wandmaterial zur Verfügung steht, wird dasselbe
an den Stellen angelagert, wo sich die 151asenräume am
meisten von der Kugelform entfernen, imd dies sind in
erster Linie die Ecken, in zweiter Linie die Kanten.
Durch diesen Modus der planvollen Anlagerung werden
die Blasenränme der Kugelform so weit genähert, wie es
bei der vorhandenen Menge des Wandmateriales möglich
ist. — Das mor))hologischc Resultat dieser Vertheilung
des Wandmateriales kann man sich an der Construction
unserer Figur 4 vergegenwärtigen. Stellen wir uns vor,
einem Zwischenwandsystem gleich demjenigen von Figur 2
flösse mehr Material zu, so würde dasselbe zunächst dessen
Ecken ausrunden und es würde hierdurch um den Ra-
diationspunkt der Kanten ein Tetraeder mit eingebauchten
Flächen entstehen; bei weiterem Zufluss würde die Ma-
terialanlagernng und Ausruudung in entsprechender Weise
längs der Kanten fortschreiten, das Tetraeder würde zu
einem Vierstrahler mit dreikantigen Armen und etwas
eingebogenen Flächen, bis endlich bei eventuellem fort-
gesetzten Materialzuflusse die Ausrundung sich auch über
die Wände erstrecken und so zum Abschluss kommen
würde. —
Dies ans dem Gebiete der Flüssigkeitsmechauik ge-
nügt zunächst für unseren Zweck. Wenn wir, die vor-
stehenden Gesetze der Blasenspannung im Gedächtniss
behaltend, an die Betrachtung der Skclettbildung der
Ilhizopoden herangehen, so wird uns in überraschend ein-
facher Weise ein einheitliches eausales Verständuiss der
mannigfaltigen uns hier entgegentretenden Formen aufgehen.
Wie schon bemerkt, ist der Sarcodekörper gerade
der für uns, d. h. in Bezug auf Skelettbildung, in erster
Linie in Betracht konnuenden pelagisch lebenden Rhizo-
poden, also besonders der Radiolarien, von Wasserblasen
{vom biologischen Sprachgebrauch „Vacuolen" genannt)
vollständig durchsetzt. Der Kfirper ist durch die dicht
gedrängten Flüssigkeitsblasen mächtig aufgebläht, das
eigentliche lebende Protoplasma erscheint als das Zwischen-
wandmaterial des blasig- schaumigen Körpers und folgt
als solches den Gesetzmässigkeiten der Flüssigkeits-
mechanik rcsp. Blasenspannung ebenso wie die Blasen-
gerüste der leblosen anorganischen Schaumkörper. Es
ist dies nach der Allgemeingültigkeit der Naturgesetze
schon a priori zu erwarten und lässt sich denn auch durch
directe Beobachtung überall bestätigen. Die Anwendung
auf die Skelettbildung ergiebt sich nun von selbst: Die
Skelette entstehen durch Verkalkung, Verkieselung oder
Verhornung organischer Theile, die Skelettsubstanz wird
von und in der lebenden Sarcode abgeschieden; da nun
diese bei unseren Rhizopoden in ihrem morphologischen
Aufbau in ausgiebigem Maassc durch die Blasenspannung
beherrscht wird, so werden auch die Skelette, die die
ihrer Bildung zu Grunde liegenden Sarcodepartien und
deren Formen gleichsam in versteinertem Zustande con-
serviren, nach den Gesetzen der Blasenspannung gebaut
sein. Wir werden sehen, dass sich dieser Schluss voll-
ständig bestätigt und somit zu einem exacten, physikalisch-
causalen Verständuiss der in Betracht gezogenen Skelett-
formen gelangen. —
Die in schaumigen Sarcodekörpern entstan-
denen Skelette repräsentiren durch die Abschei-
duug von Skelettsubstanz versteinerte Partien
des protoplasmatischen Blaseugerüstes.
Nur theilwcise versteinern die Sarcodegerüste durch
die Skelettbildung schon deshalb, weil eine Versteinerung
der ganzen Protoplasmawaben zur Bildung von allseitig
geschlossenen Kammern und somit zur Aufhebung der
Möglichkeit eines Stoft'austausches im Rhizopodenkcirper
führen würde, und zwar ist es Regel, dass durch die
Skelettbildung in erster Linie stets die Kanten der Proto-
plasmawaben begünstigt werden. Das Verständuiss hier-
für linden wir darin, dass, wie wir schon kennen lernten,
228
Naturwissenschaftliclie Wochenschrift.
Nv. 23.
die Ecken und Kanten eines Blasencomplexcs durch die
Materialaulagerung zunächst begünstigt werden, denn es
ist leicht verständlich, dass da, wo die Sarcode am stärk-
sten angesammelt ist, auch die Lebensenergie, die Pro-
cesse des Stoffwechsels, die Secretion von Skelettsubstanz
am kräftigsten sind, dass also bei den uns vorschweben-
den Verhältnissen die Skelettbildung in dem Gerüst der
stärkeren Kanten eher stattfindet, wie in den zarten
Zwischenwänden der Vacuolenblasen.
Kieselgerüste, welche den Weichktirper mehr oder
weniger allseitig als unregelmässiges Schwammwerk durch-
setzen und auf den ersten Blick als versteinerte Kanten-
gerüste schaumiger Körper imponiren, kommen sehr
häufig und in den verschiedensten Radiolarienabthei-
lungeu vor.
Hie und da findet es sich allerdings auch, dass die
Protoplasmawaben nicht nui' in ihren Kanten, sondern
vollständig verkieseln, was dann eben zur vollständigen
Versteinerung des Schaumvverkes und zur Bildung von
allseitig geschlossenen Wabcnkannnern führt. Solchen
Befunden begegnen wir aber nur da, wo es sieh um
eircumscripte Schalen, nie aber um ein den ganzen Khizo-
podenkörper durchsetzendes Skelett handelt. Als Beispiel
vergleiche Figur 9, die Darstellung einer Partie aus der
Schale einer Phäodarie (Radiolarienabtheilung).
Ist die Disposition zur Abscheidung von Skelettsubstanz
geringer, so findet die Skelettbildung im Sarcodekörper
nur an einzelnen Stellen des Kantengerüstes der Proto-
plasmawabeu statt. Dies führt zur Bildung von isolirten
Spiculis, wie sie besonders für die beloiden Spuniellarien
charakteristisch sind. (Fig. 19.) In der Regel nimmt der
Process der Spiculunibildung von einem Radiationspunkte
des Kantensystems seineu Ausgang; greift er auf alle 4
von hier ausgehenden Kanten über, so entsteht ein vier-
strahliges Spiculum, werden nur o Kanten in Mitleiden-
schaft gezogen, so entstehen Dreistrahler. Häufig spielt
sich der Process der Verkieselung aber auch nur im Ver-
laufe einer Kante ab, ohne einen Radiationspunkt zu
überschreiten: es entstehen dann Stabnadeln. Die Länge
der einzelnen Stacheln der Spicula ist natürlich einmal
in der Länge der Blasenkanten gegel)en, in denen sie
sich bilden, dann aber auch durch die Länge der Strecke,
auf welcher Abscheidung von Skelettsubstanz stattfindet,
da eine Kante nicht immer in ihrer ganzen Länge an der
Skelettbildung betheiligt zu sein braucht. Die Winkel,
welche die Stacheln eines Spiculums mit einander bilden,
ebenso wie eventuelle Krümmungen der Straiden, kurz
die hieraus resultirende Gestaltung des ganzen Spiculums
ist natürlich bedingt durch die Gestaltung des Kanten-
systems, welches seiner Bildung zu Grunde lag. f^ine
grössere Energie der Skelettbildung ist schon bei den-
jenigen Spiculis zu constatiren, deren Bildung über das
Gebiet eines Radiationspunktes des Kantengerüstes hinaus-
geht. Als bei den beloiden Spumellarien besonders häufige
und typische Form sei hier der Doppelvierstrahler ge-
nannt, ein Stab, der an jedem Ende in drei Stacheln
ausläuft, d. h. mit anderen Worten zwei einen Zwilling
bildende Vierstrahler, denen ein Strahl gemeinsam ist.
Der Bildung eines solchen Doppelvierstrahlers liegen im
AVeicldvörper 2 benachbarte Radiationspunktc nut den von
ihnen ausgehenden Kanten zu (irunde. Zuweilen sind
nicht alle von den beiden Radiationspuukten ausgehenden
Kanten durch Skelettbildung verkörpert, so dass dann von
einem oder auch von beiden Enden des Mittelstabes nur
2 Stacheln ausgehen. Auch 2 solcher Formen finden sich
unter den Spiculis des in Figur 19 dargestellten Sectors
eines Radiolarienkörpers. — Die verschiedenen Spiculum-
formen kann man sich, um die Anschaulichkeit der Form-
verhältnisse zu unterstützen, leicht in ein Kautensystem
eines Seifenblasencomplexes (Figur 2, 8) eingezeichnet
denken. —
Von einheithchen zusammenhängenden Skeletten
hatten wir bereits der den Weichkörper als unregel-
mässiges Schwammwerk allseitig durchsetzenden Kiesel-
gerüste gedacht. Dieselben sind zwar, wie sclion bemerkt,
sehr verbreitet, werden aber in allgemeiner Verbreitung
und Häufigkeit von den gleichmässig flächenhaft ent-
wickelten, der Gestalt ihrer Rbizopodenkörper conformen
Schalen (Fig. 12, 16 — 18) noch übertroffen. Dies wird
dadurch leicht verständlich, dass sich diese Schalen-
bildung auf eine allgemeine Eigenschaft der Zelle, und
zwar auf deren Schichtung zurückführt. Die concen-
trische Schichtung tritt uns bei den Zellen der thierischen
und pflanzlichen Gewebe ebenso wie bei den Zellkörpern
der Protisten sehr häufig entgegen, und wir hal)en
Grund, sie für eine hauptsächliche Eigenschaft der Zelle
zu halten. Gerade ganz besonders charakteristisch ist
jedoch der concentrische Bau des Sarcodekörpers für
Heliozoen und Radiolarien (Fig. 19). Die Schichtung be-
ruht auf verschiedener chemischer und morphologischer
Beschaft'eidieit und verschiedenen i)hysiologischen Fähig-
keiten der Protoplasmalagen. Von der chemischen Be-
schatt'enheit der Schichten sind die in ihnen stattfindenden
Entmischungs- und Secretionsprocesse abhängig und, da
durch diese die Vacuolenbildung bedingt und geregelt
wird, aucli der morphologische Bau der Schichten. Ge-
rade durcii die Vacuolen tritt bei den Rhizopoden die
Schichtung meist erst deutlich hervor. Die Vacuolen sind
einmal selbst in Schichten angeordnet und zeigen weiter
in den verschiedenen Protoplasmalagcu verschiedenes Ver-
halten : man kann Schichten mit gleich grossen Vacuolen
und solche mit Vacuolen von ungleicher Grösse; gross-
und kleinblasige, vacuoleureiche, vacuolenarnie und solide
Protoplasmaschichten untei-scheiden. — Manche Schichten
des Radiolarienkörpers zeichnen sich durch Seeretion von
Oeltropfen aus, in anderen wieder finden die symbion-
tischen gelben Zellen die ihren Lebensbedürfnissen
zusagenden Veriiältnisse; eine ganz bestimmte Schicht hat
die Fähigkeit, die Membran einer Ceutralkapsel zu bilden;
ebenso findet in einer bestimmten Sciiiclit vermöge des
specifischen Chemismus derselben die Aufspeicherung und
Secretion von Kieselsäure statt, in ihr kommt es zur Bil-
dung einer Kieselschale (resp. bei den Akantharien einer
hornigen Akanthinschale, bei den Thalamophoren einer
Kalkscliale). — Die einzelnen Schichten eines kugel-
runden Sarcodekörpers und mithin auch eine in einer
solchen Schicht abgeschiedene Sehale bilden Hohlkugeln.
Andere Schalenformen, wie die discoiden Schalen mit
einer verkürzten, die prunoiden Schalen nut einer ver-
längerten promorphologischen Hauptachse, die nionaxon-
heteropolen Seluilen mit einer Ilauptmündungsöft'nung
am einen Pole der Schale (Fig. lo, 22 a) ergeben sich
von selbst aus entsprechenden Formen des Weichkörpers:*)
Die Schichten werden im Grossen und (ranzen der äusseren
Form ihres Weichkörpers parallel laufen, woraus sich
dann die Conformität von (einer in einer dieser Schichten
gel)ildeten) Schale und Weicldvörper ergiebt.
Das Netz der in die skeicttogene Sarcodeschicht
fallenden und von dieser ([uergetrofieneu Wände der
Protoplasniawaben ist für die Mori)hologic der Gitter-
schale maassgebend: bei eintretender Verkieselung über-
tragen sich seine Formen auf die resultirende Schale.
Um der Anschaulichkeit zu Hülfe zu kommen, gel)en
wir die Construction der Figur 20. Dieselbe möge die
*) Die Bildungsnieohanik dieser Gesamintfonn ist wieder ein
Gegenstand für sieh, hier handelt es sich für nna zunächst um
die Bildunpsmeehauik der Struetiir-, vgl. die hierauf bezügliche
Bemerkung gegen das Ende des Artikels.
Nr. 23.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
229
äusserste*) Blasenschicht eines vacuolisirten Rhizopoden-
*) Es soll natürlich nicht gesagt sein, dass die Skeletthildung
immer gerade im Bereiche der äussersten Vaciiolcnlage stattfindet,
im Gegentheil scheint es uns wahrscheinlich, dass dies häufig
einige Vacuolenlagen weiter nach innen geschieht. Wir haben
für unsere Figur nur deshalb eine äusserste Blasenschiclit gewählt,
weil \\ ir in derselben auch einige für eine solche eigentluindiche
Skclettbildungeu [a, h) unterbringen wollten.
körpcr.s darstellen. Nach aussen können sich die Vacuolen
als runde Kuppeln frei iiervorwölben, seitlich drücken
sie sich gegenseitig iiach,
die skelettogene Schiciit
etwas weiter nach unten
Vacuolenschicht folgen.
unten ist das Netz der in
teilenden Wandpartien, noch
würde dann die nächstinnere
(Schliiss folgt.
Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung.
Von Prof Dr. IL Sc hu bort.
(Fortsetzung.)
E. Magische Jahreszahl-Quadrate. — Die bis-
her betracliteten Zaubenjuadrate enthielten inuner nur die
natürliclien Zahlen von 1 an aufwärts. ]\lan kaiui jedoch
ans einem richtigen magischen Quadrate leielit andere ab-
leiten, bei denen ein anderes Gesetz in der Reihenfolge
der einzuschreibenden Zahl niaassgebend ist. Beispiels-
weise könnte man nur die ungeraden Zaiden einsehreiben.
Von derartig abgeleiteten Zauber(iuadraten wcdlen wir
hier nur diejenigen kennen lernen, bt'i denen zwar auf-
einanderfolgende Zahlen eingeschriel)en sind, als .Summe
der Reihen aber eine gewisse gewiinsciite Zahl, etwa eine
Jahreszahl, erscheint.
Dann hat man einfach zu den Zaiüen des ursprüng-
lichen Quadrats eine bestinnnte zu berechnende Zahl hin-
zuzuzählen, damit die verlangte Summe herauskommt. Ist
dieselbe durch drei theilbar, so giebt es immer magische
Quadrate mit dreimal drei Feldern, die diese Summe er-
geben. Dann liat man die letztere durch drei zu divi-
diren, und von dem Resultat 5 abzuziehen, um die Zahl
zu erhalten, die man zu jeder Zahl des ursprünglichen
Quadrats hinzuzuzählen hat. Ist die gewünschte Summe
gerade, aber nicht durch 4 theilbar, so hat man 34 ab-
zuziehen, und dann den vierten Theil zu nehmen, um die
Zahl zu erlialten, die man überall addiren nuiss. Will
man also z. B. die Jahreszahl 1890 als Summe jeder
Reihe erhalten, so hat man 464 zu jeder Zahl eines ge-
wrdiniiehen magischen Quadrats mit viermalvier Feldernzu
addiren, mit andern Worten, man hat statt der Zahlen von
I bis 16, die von 465 bis 480 in die Felder einzufügen.
Da die jetzige Jahreszahl 1892 durch 11 theilbar ist^ so
Zauberquadrat über die Jahreszahl 1892.
18;)2
1892
is;)2
18i)2
18U2
18;)2
1892
1892
1892
189-2
1892
112
124, 136 1 148
16Ü.| 172
184
196
231
208
122
220 232
147 j 159
171
183
195
207
219
123 j 135
182
194
206
218 230] 121
133 134
146 158 j 170
217
229 120
132
144
145
157 169
181
193
205
131
166
143
155
156
168
180
192
204 j 216
228
119
167 179 191 203
215
227 118
130
142
154
190
22r.
202 214
226 117 129
141 158
165
177
178
116
128 140
1.52
164
176
188
189
201
213
139
151 ' 168 175
1 1-
187 199
200
212
224 j 115
127
174
186
198
210
2H
223
114 [ 126
138
150
162
209
221
222 113
125' 137
149' 161 173
18Ö 197
1892 1892 1892 1882 1892 1892 1892 189J 1892 1892 1892
muss es gelingen, aus dem am Schluss von C von uns
fiirmirten Zauberciuadrate ein solches altzuleiten, bei dem
jede Reiiie von 11 Feldern die Jahreszahl 1892 er-
giebt. Wir ziehen zu diesem Zweck die Summe des Ori-
ginalquadrats 671 von 1892 ab, und dividiren den Rest
durch 11, wodurcii wir 111 erhalten und daraus erkennen,
dass die Zahlen von 112 bis 232 in die Felder einzu-
sclirciben sind. So entsteht das folgende Quadrat,
aus welchem 44 mal ein und dieselbe Summe,
nämlich 1892 erlialten werden kann, nämlich
erstens aus jeder der 11 horizontalen Reihen,
zweitens aus jeder der 11 vertikalen Reihen,
drittens aus den beiden diagonalen Reihen und
viertens noch 20mal aus je zwei Reihen, die,
einer Diagonale parallel, zusammen 11 Felder
haben und auf versehi edenen Seiten dieser Dia-
gonale liegen, wie z. B. 196, 122, 158, 205, 131, 167,
214, 140, 187, 223, 149.
F. Ineinanderliegende magische Quadrate.
Der Scharfsinn der Mathematiker hat auch magische Qua-
drate gefunden, welche die Eigenthümlichkcit haben, dass,
wenn man nacheinander am Rande je eine Reihe fort-
ninmit, das übrig bleiliende kleinere Quadrat noch immer
ein magisciies ist, d. h. die Eigenschaft hat, dass alle
Reihen dieselbe Sunnne ergeben. Es mag hier genügen,
von solchen Quadraten, die ein komplizirteres Bildungs-
gesetz haben, zwei Beispiele zu liefern, von denen das
erste 7 mal 7, das zweite 8 mal 8 Felder hat. Die
Zahlen in jeder Unn-ahmung bilden um die Mitte herum
Quadrate, die wieder für sich magisch sind.
4
5 6
13 39
38
40
49
15 IG 3:; 30
31
1
4S
47
8
9
:!7
18
22 j 27 -iC,
13
*>
29
25
21
28
14
32
42
41
46
24
23
19
31 I 17 1 20
33
10
l.'i 11 7 11
12
1 56 55
11 .53
13 1 14
57
(;3
(■i2
4
15 147
22 ' 42
24 45
2
3
61
60
6
49
18
44
25
28
4,0 34
31
10
17
21
46
37 35
30
39
26 32
38
59
58
8
19
38
27|29
36
20
18
43 1 23
41
50
7
r,i
;i 10
54 1 12
.r-' .".1
Bei dem ersten dieser Quadrate enthält das inwendige
Quadrat von 3 mal 3 Feldern die Zahlen von 21 bis 29
derartig, dass jede Reihe die Summe 75 ergiebt. Dieses
(Quadrat liegt in einem grösseren von 5 mal 5 Feldern,
welches die Zahlen von 13 bis 37 derartig enthält, dass
jede Reihe die Summe 125 liefert. Endlich ist dieses
Quadrat wieder Theil eines Quadrats mit 7 mal 7 Feldern,
das die Zahlen von 1 bis 49 derartig enthält, dass jede
Reihe die Summe 175 ergiebt.
230
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 23.
Bei dem zweiten Quadrat enthält das inwendige
Quadrat von 4 mal 4 Feldern die Zahlen von 25 bis 40
derartig-, dass jede Reihe die Summe 130 ergiebt. Dieses
Quadrat ist die Mitte eines Quadrats von 6 mal 6 Fel-
dern, das die Zahlen von 15 bis 50 derartig- enthält, dass
jede Reihe die Summe 195 liefert. Endlicii ist dieses
Quadrat wieder die Mitte eines gewöhnlichen magischen
Quadrats der Zahlen 1 bis 64.
G. Magische Quadrate mit magischen Thcilen.
Zerlegt mau ein Quadrat von 8 mal 8 Feldern durch
die beiden, den Seiten parallelen Mittellinien in 4 Theile
von je 4 mal 4 Feldern, so kann man die Aufgabe
stellen, die Zahlen von 1 bis 64 so einzufügen, dass nicht
allein das Ganze ein magisches Quadrat vorstellt, sondern
dass auch jeder der 4 Theile für sich magisch ist, d. h.
dieselbe Summe aus jeder Reihe liefert. Auch diese Auf-
gabe hat man zu lösen vermocht, wie folgendes Beis])icl
zeigt.
1 1 4
63 62
5
8 59
.'-8
64 61 2 3
60|57
6
7
42 43
24 21
34
35
32
29
2:; 22
41
44
31
30
33
36
13
16
51 50
0
12
55
54
52
49
14
15
56
53
10
11
38
39 28
25
46
47
20
17
27 26 37 40
19
18 46
48
Hier liefern die vier Zahlen in jeder Reihe eines
Theil-Quadrats die Summe 130, sodass" die Summe jeder
Reihe des grossen Quadrats 260 ergiebt. Endlich bieten
wir noch unsern Lesern ein ganz merkwürdiges Quadrat
der Zahlen von 1 bis 81. Dasselbe ist durch Parallelen
in neun Theile zerlegt, deren jeder neun aufeinanderfol-
gende Zahlen enthält, die ein magisches Quadrat für sich
bilden :
31 36 29
7G|81
74
13 18 11
30 32
34
75|77
79
12
14
16
35
28 33
80 73 78
17
10
15
22
27 1 20
40 1 45
38
58
(53 1 56
21 23 1 25
39 41
43
57
59 61
26 19 24
44
37 1 4-.'
62 i .^.5 60
67 , 72 1 65
4,9,2
49 54 47
66
68|70
3,57
48
50
52
71 64 69
8 1 6
53 46 51 1
So wunderbar die Eigenschaften dieses Quadrats er-
scheinen, so einfach ist das Gesetz, nach welchem der
Verfasser dieses Quadrat gebildet hat. Man hat nämlich
nur die neun Theile als die neun Quadrate eines magischen
Quadrats der Zahlen I bis IX anzusehen und dann in das
mit I bezeichnete Quadrat die Zahlen von 1 bis 9, in das
mit II bezeichnete Quadrat die Zahlen ^on 10 bis 18 u. s. w.
magisch einzuschreiben. Dann entsteht das obige Quadrat
aus folgendem grundlegenden Quadrate:
IV
IX
11
III
V
VII
VIII
I
VI
H. Magische Quadrate, die zugleich Rössel-
sprünge sind. Wer von den Lesern kennt nicht die in
den Ünterhaltungs-Zeitschriften enthaltenen Aufgaben, bei
denen es darauf ankommt, 8 mal 8 quadratisch geord-
nete Silben zu einem Verse zusammenzusetzen, dass je
zwei aufeinanderfolgende Silben in zwei Feldern stehen,
die derartig zu einander liegen, dass der Springer des
Schachspiels von dem einen zu dem andern springen
darf? f]rsetzt man dabei die aufeinanderfolgenden 64
Silben durcii die Zahlen von 1 bis 64, so erhält man
einen Zahlen-Rösselsprung. Es giebt zwar auch Me-
thoden, derartige Rösselsprünge, die dann die Grundlagen
zu den Aufgaben in den Zeitschriften bilden, zusammen-
zusetzen. Doch werden die meisten solcher Rösselsprünge
mehr durch Probiren als methodisch geschaffen. Ist es
nun schon eine harte Geduldsprobe, durch Probiren einen
Rösselsprung zu formiren, so ist es natürlich eine noch
viel härtere Geduldsprobe, zugleich dafür zu sorgen, dass
die den Rösselsprung bildenden 64 Zahlen auch noch ein
magisches Quadrat darstellen. Dieser Geduldsprobe hat
sich ein auf dem Lande lebender mährischer pensionirter
Beamter, namens Wenzelides, vor mehreren Dezennien
unterzogen. Nach Jahre hindurch dauernden Versuchen
ist es ihm gelungen, in die 64 Felder des Schachl)retts
die Zahlen \on 1 bis 64 so einzuschreiben, dass die auf-
einanderfolgenden Zahlen, und auch 64 und 1, immer um
einen Springerzug abstehen, und dass ausserdem die hori-
zontalen und die vertikalen Reihen immer dieselbe Summe
260 ergeben. Er fand schliesslich mehrere solcher Qua-
drate, welche die Berliner Schachzeitung veröffentlichte.
Das eine dieser Quadrate sieht so aus:
47 1 10 23 1 64
49 2 59 6
22 63 48
9 |60
5 |50
M
11 |46
61
24 1 1
52 1 7 j58|
62 21 12 45 1 8
57
4
51
19|36
25
40
13 1 44 1 53
30
26 1 39 20
33 56
29 14 43 1
35
18 37 28 4l|l6
31 54J
38
27 34 17
32
55
42
15 1
Man beachte also sowohl den Rösselsprung wie auch
die Gleichsummigkeit der horizontalen und der vertikalen
Reihen. Was die diagonalen Reihen anbetrifft, so geben
sie nicht die Summe 260. Vielleicht verlockt es einen
unserer Leser, der Zeit und Geduld dazu hat, Wenzelides
noch zu übertreffen, indem er einen Rösselsprung schmiedet,
der nicht allein in den horizontalen und den vertikalen,
sondern auch in den beiden diagonalen Reihen die Summe
260 liefert.
I. Magische Polygone. Bis jetzt haben wir nur
solche Erweiterungen des dem magischen Quadrate zu
Grunde liegenden Gedankens besprochen, bei denen die
geometrische Figur des Quadrats festgehalten ist. Man
kann jedoch auch Erweiterungen schaffen, bei denen statt
eines Quadrats ein Rechteck oder ein Dreieck, Fünfeck
n. s. w. auftritt. Ohne auf die Methoden zur Bildung
solcher Figuren näher einzugehen, wollen wir hier nur
einige von Herrn Schcff'ler gelieferte Beispiele solcher
magischen Polygone anführen :
1. Die Zahlen von 1 bis 32 lassen sich zu 4 mal 8
so in ein Rechteck schreiben, dass die langen horizontalen
Reihen die Summe 132 und die kurzen vertikalen Reihen
die Summe 66 geben, nämlich:
Nr. 23.
Naturwissen.seliaftliclie Woclienscliril't.
2.31
1
10 j 11 29 28 19. 18 16
9 1 2 30 12 20 27 1 7 1 25 1
24
31 3 1 21 1 13 6 26 8
32
23 1 22 4 5 14| 15 17
2. Die Zahlen von 1 bis 27 lassen sich um einen
Punkt als gemeinsames Ceutiutn zu drei regulären Drei-
ecken gruppiren, so dass jede Seite des äussersten Drei-
ecks G Zahlen mit der Summe 96 und jede Seite des
mittleren Dreiecks vier Zahlen mit der Summe 61 ergiebt,
wie folgende Figur zeigt:
26 — 3^6—10—24
\ 20 — 9 — 11
-27
^■/
\ \ 16 17 / /
\ 15 \ / 8 /
22 \ I / /
\ 7 12 13 /
\ 19 /
1 14
3. Die Zahlen von 1 bis 80 lassen sich um einen
Punkt als gemeinsames Centrum zu vier Fünfecken for-
miren, sodass jede Seite des von innen ersten Fünfecks
zwei Zahlen, des zweiten Fünfecks vier Zahlen, des dritten
Fünfecks sechs Zahlen, des äussersten vierten Fünfecks
acht Zahlen enthält. Die Summe der Zahlen jeder Seite
des zweiten Fünfecks beträgt 122, jeder Seite des dritten
Fünfecks 248 und jeder Seite des vierten Fünfecks 254.
Dazu kommt, dass auch die Summe von je vier Eckzahlen,
die mit dem Centrum in gerader Linie liegen, dieselbe ist,
nämlich 92.
31
' \
26 54
15.
49
\
10 '^\ 80
76^ 3C 44, Xg
50 / ifi \ ^2
/ 71 /■^°\ 66 ^
/ .45 /' K^ 37^ 2
\ 11 /'^ 60 -\ 14 /
30 20 17 / 53
\ 40 \ 56 59 / 43 /
35 \ 21 * 64 / 48
\ 69 \ 57 58 / 73 /
6 \ 62 23 / 79
\ 75 \ / 67 /
77 \ 19 — 22-63—18 / 8
\ 41 38 /
46 \ 33
\ 12-39-68—74 — 42—13 /
51 28
\ /
4—29 — 34— 7 —78 — 47 — 52—3
4. Die Zahlen von 1 bis 73 lassen sich um ein Cen-
truni, in das die Zahl 37 geschrieben wird, zu drei Sechs-
ecken gruppiren, welche beziehungsweise 3, 5, 7 Zahlen
in jeder Seite enthalten und folgende hübsche Eigen-
schaften haben. Jedes Sechseck liefert nicht allein durch
seine sechs Seiten, .sondern auch durch seine sechs Eck-
Durchmesser und seine sechs auf den Seiten senkrechten
Durchmesser immer dicsell)e Sunnne, welche für das von
innen erste Sechseck 111, für das zweite 185 und für das
dritte 259 beträgt.
Magisches Sechseck.
1 — 5 — 6 — 70 — 60- 59 — .58
16-69 — 68— 4 —14-15 — 73
K. Magische Würfel. Mehrere Forscher, nament-
lich Koschansky (1686), Sauveur (1710), Hügel (1859) und
Scheffler (1882) haben das Priueip der magischen Qua-
drate von der Ebene auf den Raum ausgedehnt. Man
denke sich einen Würfel durch Ebenen, die parallel den
Seitenflächen gehen und gleichen Abstand von einander
haben, in lauter würfelförmige Fächer getheilt, und dann
denke man sich die Aufgabe gestellt, den Fächern die
aufeinanderfolgenden natürlichen Zahlen so einzufügen,
dass jede Reihe von links nach rechts, jede von vorn
nach hinten, jede von oben nach unten, jede Diagonale
eines Quadrats und auch jede durch das Centrum des
Würfels gehende Hauptdiagonale Zahlen enthält, deren
Summe immer dieselbe bleibt. Für dreimaldreimaldrei
Fächer lässt sich kein solcher magischer Würfel herstellen.
Für viermalviermalvier Fächer kann man es erreichen, dass
jede einer Würfelkante parallele Reihe und jede Haupt-
diagonale die Summe 1.30 liefert. Um einen nuigischen
Würfel mit 64 Fächern darzustellen, denken wir uns die
in die Fächer gehörigen Zahlen oben auf dieselben auf-
geschrieben, und dann je 16 Zahlen schichtenweise von
oben nach unten abgehoben. So erhalten wir vier Quadrate
von je 16 Feldern, die zusammen den magischen Würfel
darstellen, wie folgendes Beisi)iel zeigt:
Erste Seilicht von oben. Zweite Schiofit von oben.
1
48
32
49
60
21
37
12
56
25
41
8
13
36
20 61
63
18
34
15
6
43
27
54
10
39
23
58
51 1 30 46 1 3
232
Natnrwissenscliat'tliclie Wdolieusclinft.
Nr.
Dritte Schicht von oben.
Unterste Schicht.
62
19
35
14
4
45
29
52
7
42
26
55
57
24
40
y
11
38
22
59
53
28
44
5
50
31
47
2
16
33
n
64
Es ersclieint liier dieselbe Summe 130 uiclit wenig-er
als 52 mal, nämlich erstens aus 16 Reihen von links nach
rechts, zweitens aus 16 Reihen von vorn nach hinten,
drittens aus 16 Reihen von oben nach unten, und auch
noch aus den vier Reihen, die zwei Gegenecken des
Würfels verbinden, nämlich aus den Reihen 1, 43, 22, 64;
49, 27, 38, 16; 13, 39, 26, 52; 61, 23, 42, 4.
Für einen Würfel mit fünf Fächern an jeder Kante
lässt es sich schon erreichen, dass alle 75 Reihen, die einer
Kante parallel sind, dass alle 30 in einer Quadrat-Diagonale
liegenden Reihen und dass alle vier eine Hauptdiagonale
bildenden Reihen eine und dieselbe Sunune, nämlich 315,
bilden. Sowie die magischen Quadrate mit ungerader
Felderzahl aus zwei Hilfsquadraten gebildet werden
können, so können auch die magischen Würfel mit un-
gerader Fächerzahl aus drei Hilfswürfeln formirt werden.
Auf diese Weise ist der folgende magische Würfel mit
ftlnfmalfüDfmalfünf Fächern gebildet, bei dem überdies
die mittelste Zahl zwischen 1 und 125, nämlich 63 in das
mittelste Fach gestellt ist, wodurch den vier Hauptdiago-
nalen und den 30 Nebendiagonalen die Erhaltung der
Summe 315 gesichert wird. Die Bedingung, dass auch,
wie bei den magischen Quadraten, die den Nebendiago-
nalen parallelen Diagonalen-Paare die Summe 315 liefern,
ist hier noch nicht erreichbar, wohl aber bei grösserer
Fäeherzahl.
Erste Schicht von obe
121
27
83
14 j.70.
10
61
117
48
79
44
100
1
57
113
53
109
-40
91 22
s,
18 1 74 105
31
Dritte Soliiclit von oben.
33
89
20
71 1 102
67
76
123
29
85
11
7
63
119
50
115
24
41
97
3
59
55
106
37 j 93
Zweite Schicht von oben.
2
58
114 45
96
36
92
23
54
110
75
84
101
32
88
19
15
66.
122
28 _
118
49 80
6
62
Vierte Schicht von oben.
64 120 ' 46
77
8
98
4
60
Uli 42
1
107
16
38
94
25
51
72
103
34
90
30
81
12
68
124
Unterste Scliicht.
95 1 21
52
108
39
104 35
86
17
73
13
69 125
26
82
47
78
9
65
116
56
112
43
99 5
(Wird fortgesetzt.)
„Ueber die Cholera von 1892 in Hamburg nnd über
Schntzniaassregeln" hat Prof. Max v. Pettenkofer *)
in München eine neue Streitschrift zur Cholerafrage ver-
öffentlicht (Archiv für Hygiene). Sie enthält keine wesent-
lich neuen Gesichtspunkte, sondern ist darauf gerichtet,
der kontagiouistischen Choleratheorie gegenüber eine
Reihe von Thatsachen aufzuführen, welche diese Lehren
vollkommen unerklärt lässt, und anderseits die Beweis-
kraft dieser Theorie vielen epidemiologischen Erfahrungen
gegenüber als hinfällig zu erweisen. Pettenkofer knüpft
an
Dr.
die
J.
Schlussfolgerungen an, welche Medizinalrath
Reinke in Hamburg
auf
Grund seiner Beob-
achtungen über die Verbreituugsweise der Cholera ge-
zogen hat. Reinke hat das Trinkwasser der Hamburger
Wasserleitung als Verbreitungsmittel angeschuldigt. Petten-
kofer hält den Beweis nicht für erbracht und weist auf
die Verhältnisse in der französischen Hafenstadt Ilavre
während der Choleraepidemie 1892, wo die Seuche die
von ein und derselben Quelle mit Wasser versorgten
Stadttheile in sehr ungleichmässiger Weise ergrift'en hat.
So wird z. B. das Wasser der St. Laurent-Leitung, in deren
Bereich viele Choleraerkrankungeu vorgekommen sind,
auch in einer Kaserne, wo 1200 Soldaten untergebracht
sind, und in eiuem Gefängnisse mit 500 Insassen getrunken,
und in beiden Anstalten ist kein einziger Cholerafall vor-
gekommen. Daraus schliesst Pettenkofer, dass das Wasser
nicht als Trinkwasser, sondern als Nutzwasser, womit
Haus und Hof, der Fussboden der Zimmer u. s. w. ver-
») Vergl. „Natur«-. Wocheuschr." Bd. VII, S. 501 ff. Red.
unreinigt sind, den Cholerakeim verbreite. Erst im
Schmutze finden die Kommabazillen den geeigneten Nähr-
boden zu ihrer Entwickelung und bleiben, wenn das
Wasser längst verdunstet ist, an den festen Tlieileu haften.
Des Weiteren bekennt sieh Pettenkofer, was in ärztlichen
Kreisen nicht geringe Ucberraschung hervorrufen wird,
zu der in Hamburg von Laieuseite aufgestellten Behauptung,
dass Cholerakranke am besten im eigenen Hause verpflegt
werden, weil mit dem Trausport in's Krankenhaus für sie
: die Lebensgefahr wächst. Dafür spricht scheinbar die
Thatsache, dass die Mortalität in den Hamburger Kranken-
häusern eine viel höhere war als in der Privatpraxis.
Diese Thatsa,che wird voraussichtlich wohl eine andere
Deutung erfahren. Im weiteren Verlauf seiner Darstellung
führt Pettenkofer von Neuem statistische Zahlen mit gra-
phischen Aufzeichnungen zum Beweise seiner Autfassung
an, dass der epidemische Charakter der Cholera von der
Gegenwart
der Kommabazillen allein nicht
abgeleitet
werden kann. Der fast gleichmässige Verlauf der meisten
Epidemieen lässt auf gemeinsame örtliche und zeitliche
Dispositionen schliessen, die in den abnormen Verhältnissen
des Regens und des davon abhängigen Grundwasserstandes
zu suchen sind. Die sogenannte Durchseuchung des Fluss-
wassers, deren hypothetische Annahme zu der Einrichtung
von Beobachtungsstationen in den deutschen Flussgebieten
geführt, zweifelt Pettenkofer an, weil sich in der Ver-
breitung der Cholera keine regelmässigen Beziehungen
zur Stromrichtung nachweisen lassen. Die Kommabazillen
gelangen nur vom Lande aus in das Flusswasser hinein,
und gehen dort bald zu Grunde. Nicht der Cholerakranke
Nr. 23.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
233
ist der Ansteciiungsherd, sondern der Cholera-Ort. Der
Cholerakranke trägt ausser seinem Kommabazillus auch
noch etwas anderes und so viel vom Cholera-Ort fort,
dass es noch zur Infection einer oder einiger Personen
hinreicht, die alsdann nicht weiter inticirend wirken, ob-
schon auch sie massenhaft Kommabazillen ausscheiden. (?)
Manche Orte und Gegenden werden nicht epidemisch er-
griffen, obwohl sporadische Fälle von f!holera dort vor-
gekommen sind. Der Cholerakeim kann gegenwärtig
sein, ohne Epidemieen zu erzeugen. Deshalb nöthigen
nach Pettenkofer die epidemiologischen Thatsachen zu
der Annahme eines „latenten Stadiums der Epidemieen".
Er hat die Ueberzengung, dass das vom Ort zeitweise
ausgehende disponirende Moment von den Bacteriologcn
schliesslich entdeckt werden wird, wie der Kommabazillus
von Koch. — Den letzten Theil der Pettenkofer'schen
Arbeit bildet eine Kritik der jetzt in Deutschland ge-
planten „Schutzmaassregeln gegen die Cholera". Die unter
Führung der Koch'schen Schule empfohlenen Schutzmaass-
regeln beginnen immer erst mit dem Nachweis des Komma-
bazillus bei einem Kranken. Dieser Nachweis hat keinen
praktischen Werth, weil er immer zu spät, post-festum,
kommt, und nur ein Beweis dafür ist, dass der Keim be-
reits eingeschleppt ist. Nur ein vollständiges Aufheben
jedes Verkehrs mit einem verseuchten Ort könnte gegen
die Einschleppung schützen. Bei der Cholera müsste vor
Allem jeder Verkehr mit Indien aufhören. Trotz aller
Quarantänen und Verkehrshemmungen kommt so viel
Keim über die Grenzsperren, als zum Entstehen von Epi-
demieen notliwendig ist, wo die örtlichen und zeitlichen
Bedingungen gegeben sind. „Bei Menschensenchen kann
man sich auf furchtlose Pflege und gute Behandlung der
Kranken und auf Schaffung guter hygienischer Verhält-
nisse für die Gesunden beschränken. Es ist kein Nihi-
lismus, wie manche sagen, sondern ein sehr praktisches
Vorgehen, welches bleibende Vortheile schafft, während
die kontagionistischen Maassregeln blos Mühe und nutzlose
Plackereien sind, welche viel Geld kosten, wovon man
gar nichts hat, wenn die Epidemieen vorüber sind. Das
Publikum soll man nicht mit Furcht vor Bazillen in
Schrecken setzen, sondern darauf aufmerksam machen,
dass es gelingt, auch für Cholera empfängliche Orte durch
Assanirungswerke unempfänglich zu machen, z. B. London".
Die Epidemie in München 1836, wo das Königl. Bayerische
Ministerium die Cholera für nicht ansteckend erklärte,
und den Verkehr vollkommen frei gewähren Hess, hat ge-
zeigt, dass es nichts schadet, wenn man während der
Dauer einer Epidemie kontagionistisch gar nicht vorgeht,
sondern alles dem einst hochverehrten Genius epidemicus
überlässt. Die enorme Entwickelung des Verkehrs in den
letzten Jahrzehnten durch Eisenbahnen, Dampfschitfc u.s. w.
hat die Verbreitung der Cholera weder schneller noch
allgemeiner gemacht. „Vom lokalistischen Standpunkte
aus giebt es sehr viel gegen Cholera zu thun, allerdings
nicht so viel während des Herrschens einer Ortsepidemie,
als schon vorher. Die Assanirung der menschlichen
Wohnorte ist das Hauptmittel gegen Cholera.
Orte, welche durch gute Hausentwässerung, reines Wasser,
durch Drainagevorrichtungeu und Abfuhr ihren Boden
rein gemacht haben und rein erhalten, haben wenig zu
fürchten, wenn ihnen auch die Cholera eingeschleppt
wird. Ich bin für vollständige Freigebuug des mensch-
lichen Verkehrs, weil er doch nie pilzdicht zu gestalten
ist, und die Prohibitivmaassregeln im Ganzen mehr schaden
als nützen". Dr. A.
Die Schmidt'sche Sonnentheorie, tiber welche wir
S. 460 des vorigen Bandes referirten, ist neuerdings von
Dr. 0. Knopf in Jena mathematisch weiter ausgebaut und
aufs lebhafteste vertheidigt worden. Der genannte Gelehrte
zeigt in seiner Habilitationsschrift*) zunächst, dass schon
der berühmte Kummer bei seinen Untersuchungen über die
atmosphärische Strahlenbrechung zu Resultaten gelangt
war, aus denen sich die Folgerungen Schmidt's als sehr
nahe liegende Anwendungen ergeben. Jedoch hat Kummer
die Uebcrtragung seiner Ergebnisse auf die Sonne, ver-
muthlich im Banne der Kirchhoff'schen Auffassung dieses
Gestirns als eines glühend - flüssigen Körpers, unter-
lassen und Schmidt war die Ausbeute der Theorie unter der
V^oraussetzuug eines durch und durch gasförmigen Sonucn-
korpers, die heutzutage nicht mehr als unwahrscheinlich
gilt, vorbehalten. Der wesentlichste Theil der Knopf-
schen Arbeit sucht nun die beobachteten Linienver-
schiebungen im Sonnenspectrum vom Standpunkte der
Schmidt'schen Theorie aus zu interpretiren. Dabei stellt
sich heraus, dass die beobachteten Verschiebungen bei
Annahme jener Theorie weit unsicherer zu deuten sind,
als nach den bisherigen Vorstellungen, da man die Stelle,
an welcher sich das die Linie erzeugende Gas befindet,
nicht mehr mit Bestimmtheit anzugeben vermag. Dem-
gemäss würden die Messungen jener Verschiebungen viel
von dem ihnen bisher beigemessenen Werth zur Be-
stimmung der Rotatiousdauer der Sonnenoberfläche ver-
lieren. Andererseits erhöht sich aber das Interesse an
diesen Verschiebungen dadurch, dass sie ims vielleicht
eine von innen nach aussen erfolgende Abnahme der
Rotationsgeschwindigkeit im Sonnengasball verrathen.
Kbr.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Privatdocent für Frauenheilkunde in
Marburg Dr. Ernst Fraenkel zum Professor an der Universität
Breslau. — Dr. Hermann v.I he ring zum Director der zoologischen
Abtheilung des Museums in Sao Paolo (Brasilien). — Dr. Edward
J. Bles B. Sc. zum Director der biologischen Station in Plymouth.
— Der Botaniker Gymnasiallehrer Dr. O. E. K. Zimmermann
in Chemnitz zum Professor.
Es hat sich habilitirt: Der Assistent Siegmund Feit 1er
für physikalische und theoretische Chemie an der technischen
Hochschule in Brunn.
Es sind gestorben: Der Elektrotechniker Dr. Math. Hipp
in Zürich. — Der Hofintendant Christian Due, Begleiter Han-
steen's nach Sibirien, in Drontlieim. — Der Professor der Biologie
Jacob Moleschott in Rom. — Der Entomologe J. C. Martin-
dale zu Camden, New Jersey. — Der bekannte französische
Graveur naturwissenschaftlicher Illustrationen Philibert Picart
in Paris. — Di-. Friedrich Heyer, Docent für Obstbaulehre
und Cultur exotischer Nutzpflanzen am landwirthschaftlichen In-
stitute der Universität Halle („Die Natur", Jahrg. 42, No. 22). —
Leibarzt Dr. v. Teuf fei in Stuttgart. — Der als Botaniker
bekannte Obergärtner am Kais, botanischen Garten Ernst Ender
in St. Petersburg.
L i 1 1 e r a t u r.
Sitzungsberichte der Mathem. -Physik. Cl. der Königl.
Bayer. Akademie der Wissenschaften zu Slünchen. 18H2,
Heft 3. Das Schlusslieft des .Jahrganges bringt ausser den
Sitzungsberichten vom 5. und lü. November und 3. December,
drei Abhandlungen: L. Boltzmann: III. Theil der Studien über
Gleichgewicht der lebendigen Kraft. L. So büke: Ueber wissen-
schaftliche Luftfahrten des Münchener Vereins für Luftschift'fahrt.
Der vor etwa 3 Jahren gegründete Verein zählt bereits 363 Mit-
glieder, darunter 6 Prinzen des königlichen Hauses, und erfreut
sich grosser Popul.arität. Eine Anzahl von Auffahrten mit dem
Vereins-Ballon sind wissenschaftlich vorbereitet und durchgeführt
worden und haben recht gute Resultate ergeben, so dass man sie auch
*) Die Schmidt'sche Sonnentheorie und ihre Anwendung auf die
Methode der spektroskopischen Bestimmung der Rotationsdauer
der Sonne.
234
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 23.
in Zukunft fortzusetzen gedenkt und bereits das Studium mehrerer
wichtigen Fragen spociell in Aussicht genommen hat. Die gleich-
zeitige Ablesung von Barometer und Thermometer soll dadurch
noch vervollständigt werden, dass man die drei neben einander
aufgestellten Instrumente (Aneroid, Thermometer und Uhr) auf
dieselbe Platte photographirt. Zur Beobachtung von Luft-
temperaturen bei Nacht sollen Nachtfahrten von Mitternacht bis
zur Morgendämmerung ausgeführt werden. Zum Schlüsse be-
spricht der Verfasser das Zusammenwirken der beiden Vereine in
München und Berlin. E. Lammel: Sichtbare Darstellung der
äquipotentialen Linien in durchströmten Platten. Erklärung
des HalFschen Phänomens. F. K.
Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie,
herausgegeben von der Deutschen Seewarte in Hamburg. 21. Jahr-
gang, 1893, Heft 1-3, Berlin, Fr. Mittler & Sohn.
Aus dem reichen Inhalt der ersten drei Hefte im laufenden
Jahrgang heben wir für die Leser dieser Zeitschrift als haupt-
sächlich wichtig folgende Aufsätze und Mittheilungen hervor:
Heft I: 1) Die tägliche Variation der Deklination
zu Wilhelmshaven, im Mittel aus den Jahren 1883 bis
1888, (S. 2—4); die Jahresmittel der Deklination betrugen von
1883 ab: 14° 4,„'; 13° 57„'; 13° 52,3': 13° 46,,,'; 13°40,e'; 13° 34,8';
die jähiliche Aenderung mithin seit 1884: — 6,5'; —b,i'; — 6,0';
. — 5,,'; — 5,7'. 2) Rückblick auf das Wetter in Deutsch-
,land im Jahre 1892 von Dr. W. J. van Bebber (S. 7—15);
3) Ausgewählte tropische Wirbelstürine im südlichen
Indischen Ocean von Kapt. Carl H. Seemann und Prof.
Dr. W. Koppen (Fortsetzung vom Jahrgang 1892, S. 361 — 375;
S. 16—2.5 und Schluss in Heft III, S. 81— '.U). Angaben von
geographischem, Interesse enthält auch der Keisebor.ich t des
Kapt. J. G. Nichelson (S. 28 — 36), welcher mit der Bark
„Theodore' im .Januar 1892 von Mexiko zur Ladung von Gelbholz
'nach San Pedro und Ciudad de David, Provinz Chiriqui, Co-
lumbia, reiste; die „Theodore" (680 Reg. Tons) gelangte als erstes
grösseres Seeschiff den Rio David oder Chiriqui bis Ciudad de
David im Schlepptau eines Dampfers liinBuf; hier konnte Nichelson
interessante Beobachtungen über die dortigen Indianer sammeln.
Heft II: 1) L. E. Dinklage, Treibeis in südlichen
Breiten (S. 41— -54)., Der Verfasser berichtet hier auf Grund
sehr zahlreicher, aus allen erreichbaren Schiffsjournalen, Briefen
und Zeitungsberichten zusammengebrachten Nachrichten über
■ eine grosse Eistrift im Südatlantischen Ocean; dieselbe
ist vielleicht das hervorragendste Naturereigniss des Jahres 1892,
jedenfalls in seiner Art ein Vorkommen, wie es in den Annalen
der Schiff fahrt bisher wohl noch nicht berichtet worden ist: diese
gewaltige Trift zeigte sich nach vorhergehendem Auftreten
einzelner Eisberge im November und Dezember 1891 zuerst An-
fangs April 1892 in voller Mächtigkeit auf der Route der rund
Kap Hörn kommenden Segelschiffe und hat bis in die letzte Zeit,
so weit die eingegangenen Nachrichten reichen, d. h. bis Ende
October fortgedauert, ohne dass während dieser 7 Monate die
kolossale Massenhaftigkeit des Eises erheblich nachgelas.sen hätte.
Seinen Ort hat das Eis in dieser Zeit nur wenig verändert; die
Hauptmasse befand sich zuerst (April) in 45° S. Br. und 35°W. Lg.,
zuletzt, (October) in 43° S. Br. und ol ° W. Lg. Anfänglich bildete
die Trift eine compacte, in Winkel- oder Hufeisenform gestellte
Eismauer, deren Winkel erst nach NO, später mehr nach 0 ge-
richtet war und deren Schenkel eine Länge von über 70 See-
meilen hatten. Später hat sich das Eis mehr und mehr nach N
und NO hin ausgebreitet; einzelne Eisberge drangen über die
gewöhnliche Grenze hinaus bis 37° S. Br. vor. 2) Mittheilungen
über den Walfischfang (S. 63 — 67, dieselben werden an anderer
Stelle dieser Zeitschrift mitgetheilt).
Heft III enthält einen Aufsatz, betitelt „Neue Seekanäle";
derselbe bespricht zunächst den 1891 eröffneten Seekanal Liver-
pool-Manchester als ein Beispiel solcher Anlagen, welche grosse
Binnenstädte direct mit der See in Verbindung zu bringen
streben, sodann in kurzer, sachkundiger Zusammenfassung die
technischen Arbeiten und die wirthschaftlichen Gesichtspunkte,
welche beim Nordostseekanal, dem durch finanzielle Schwierig-
keiten vorläufig unvollendet gebliebenen Kanal von Korint h
und dem 1889 begonnenen Nicaragua-Kanal (von ersterem und
letzterem sind Skizzen beigefügt) von besonderem Interesse sind.
Sodann wird ein näherer Bericht erstattet über die Ergeb-
nisse einer E.\pedition vom Juni 1892 unter Freg.-Kapt. E. Correa
nach der Bai von San Sebastian, welche in der Umgebung des
östlichen Eingangs der Magellau-Strasse hydrographische
Arbeiten ausgeführt hat; weiter folgen kürzere Berichte über
einzelne Seereisen nach Ostasien u. s. w., ein Aufsatz über
das Klima von Madras und, wie bei jedem Heft, der herkömm-
liche Bericht über die Witterung an der deutsch en Küste
vom vorangehenden Monat, hier also vom Februar 1893
nach den Aufzeichnungen an den Normal-Beobachtungstationen
der Seewarte. Fr. Regel.
Eine neue Zeitschrift für e.xperimentale und theoretische
Physik „The Physical Review", geleitet von Edward L. Nichols
und Ernest Merritt, wird Seitens der Cornell University durch die
Herren Macmillan u. Co., New-York und London, herausgegeben
werden. No. 1 soll am 1. Juli erscheinen. Monatlich 2 mal, jede
Nummer wenigstens 64 Seiten stark. Hauptsächlich Original-
Aufsätze.
Neubner E., Untersuchungen über den Thallus und die Frucht-
anfäuge der Calycieen. Köln. 3 M.
ITeumann, B., Studien über den Bau der Strombetten und das
Baersche Gesetz. Königsberg. 2 M.
Neumann, C, Beiträge zu einzelnen Theilen der mathematischen
Physik. Leipzig. 10 M.
Offner, M., Die Psychologie Charles Bonnet's.
Ohmeyer, G-. , Beiträge zur Kenntniss der chemischen Bestand-
theile der Ratanhiawurzel. Leipzig. 1 M.
Ostwald, W., Lehrbuch der allgemeinen Chemie. 2. Band.
2. Auflage. Leipzig. 18 M.
Pantocsek, J. , Beiträge zur Kenntniss der fossilen Bacillarien
Ungarns. III. Theil. Berlin. 90 M.
Pasig, W., Spinoza's Rationalismus und Erkenntnisslehre im Lichte
des Verhältnisses von Denken und Ausdehnung. Leipzig. 1 M.
Philippi, R. A , Tertiärversteinerungen aus der argentinischen
Kepublik. Leipzig. 5 M.
Sachs, J., Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen-Physiologie.
2. (Schluss-) Band. Leipzig. 2 M.
Sarasin, P., und F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher
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Berlin. 12 M.
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Treves, F., Handbuch der chirurgischen Operationslehre. 2. Band.
Jena. 12 äI.
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Verantwortlicher Redakteur: i. V. Dr. Friedrich Kaunhowen, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in
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Nr. 23.
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VIII. Band. Sonntag, den 11.
Jnni 1893.
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bei allen Ännoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnok iiüt nnr mit vollständiger t^aellenangabe gestattet.
Ueber das Strömen von Flüssigkeiten.
Von Regierungsbaumeister K. S c li m i d t.
Die Bewegung frei fliessender Flüssigkeiten wird
durch deren Schwere hervorgerufen und müsste, sofern
nicht andere Kräfte eine Gegenwirkung hervorbräeliten,
eine gJeichförmig be.sclileunigte sein. Darüber, wie der
Kampf der sich widerstreitenden Kräfte vor sich geht,
sind wir noch im Unklaren.
Die folgenden Zeilen beschäftigen sich mit diesem
Gegenstande; es sollen in ihnen nur Bilder flüchtig
umrissen werden, welche geeignet sein dürften, in
manchen Fällen als An-
schauungsmittel zu dienen.
Den Ausgangspunkt
hierbei bilden beobachtete
Thatsacben:
Wir wissen, dass in
jedem strömenden Quer-
profil die Geschwindigkeit
in einem Punkt wenig unter
der Oberfläche im Strom-
strich am grössten ist und
von dort allmählich nach
dem Umfange des Protiles
abnimmt. Diese Thatsache
ist bereits eine Folge des Widerstreites der
indem wir von ihr ausgehen, sind wir in der
von dem Wirken jeder Einzelkraft absehen zu können;
wir müssen nur noch voranschicken, dass zwischen den
Molecülen jeder Flüssigkeit Cohäsionskräfte bestehen,
welche sich einer Verschiebung der einzelnen Theile gegen-
einander entgegenstellen, so also, dass dort, wo Ver-
schiebungen
HU ^
Figur
Kräfte;
Lage,
angestrebt werden, nothwendiger Weise
innere Spannungen in der Flüssigkeit auftreten müssen.
Wir betrachten nun drei Wasserfäden, von denen der
eine im Längeuschnitt des Flusses parallel zum Stromstrich,
die beiden anderen im Querprofil und zwar der eine in einer
Wagereehten, der andere in einer Lothrechten liegen soll.
In dem erstgenannten Falle, in dem also alle Molecüle
^7f 5^
der Stromrichtung nach hintereinander gelagertsind, können
wir unter den gemachten Voraussetzungen keine Kraft
finden, welche auf eine Verschiebung der Molecüle gegen
einander hinarbeitet. Anders ist es bei den Fäden des
Querprofiles, in denen die Molecüle über bezw. neben
einander gelagert sind. Denken wir uns diese Fäden
erst im Ruhezustand, dann bei eintretender Bewegung
(Fig. 1 und 2), so bemerken wir, dass sie das Streben
zu stetiger Verlängerung haben. Es müssen also in ihnen
Zugspannungen auftreten.
Die Darstellungen der
Fäden sind aber gleich-
zeitige Projectiouen des
fortschreitenden Querpro-
files; wir müssen deshalb
schliessen, dass sieb Flä-
chenspannungen ausbilden
und dass eine vorwärts-
schreitende Querprofils-
ebene sich verhalte wie
ein vom Winde geblähtes
Segel, das das Bestreben
hat, immer mehr Raum
einzunehmen. Diese Eigenthümlichkeit ist allen Quer-
profilen des Stromes gemeinsam; wir können uns des-
halb fernerhin vorstellen, dass dasselbe sicli bilde durch
eine Ineinanderschachteluni
Figur 2.
einzelner Häutchen,
seinen Vorgänger wie
von
ein
denen jedes einzelne auf
Keil auseinanderpressend und ausdehnend wirkt.
Eine Delinbarkeit der Fäden bezw. Häutchen ist luii
allein denkbar, wenn wir denselben eine n'cwisse räum
liehe
Ausdehnung
unter
beilegen, und wir dürften
hierzu be-
dass eine
rechtigt sein unter der weiteren Voraussetzung,
Anzahl von Molecülen, deren Bewegungsbedingungen
augenscheinlieh nicht allzu weit von einander verschieden
sind, sich auch zu gemeinsamer Bewegung verbinde.
Die Verlängerung der Häutchen müssten wir uns
236
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 24
dann derart vor sich gehend denken, dass in ihnen eine
Undagerung der Molecüle stattfände, dass also die Wand-
stärke stellenweise geschwächt würde. Nebenher wird
auch eine andere Formänderung der Häutchen denkbar
sein. Die in der Ruhestelle wagerecht gespannte obere
Seite des Segels nimmt im geblähten Zustande die Form
einer durchhängenden Parabel an; ebenso sinkt die 01)er
Flüssigkeit
bei freier
fläche der
strich ab
Die Undagerung der Molecüle
dazu fuhren, dass schliesslich
die Wandstärke des Häutchens
gleich der eines Molecüls ist.
Bei noch weiter fortschrei-
tendem Bedürfniss zur Blä-
hung oder Ausbauchung, müssen
wir annehmen, dass nunmehr
das liäutchcn seine Stellung
gegenüber seineu Nachbarn
verändert. Es wird gewisser-
maassen zwischen ihnen
Strömung
im Strom-
kann aber höchstens
Figur 3.
herausgezogen.
Dabei muss es
nothwendiger Weise sich von der Sohle oder der Luft
abreissen. (Fig. 3.)
In ersterem Falle entstände gewissermaassen ein luft-
leerer Raum, der sofort durch höherliegende Wassertheile
ausgefüllt werden müsste. Wir können annehmen, dass
sich dadurch die Herstellung des Längengefälles anbahne.
Im zweiten Falle, wenn das Häutchen an der Sohle
haftet, an der Luft allein abreisst, wird uns die Her-
stellung des Längengefälles noch anschatilicher gemacht.
Wie immer wir uns aber auch das Herausziehen ein-
zelner Häutchen vor sich gehen denken, so müssen wir
doch auf jeden Fall ein Aneinander-Hergleiten von Häut-
chen mit verschiedener Geschwin-
digkeit feststellen. Hierbei tritt
Reibung auf und es ist bewiesen,
wie letztere unbedingt dazu führt,
dass Wirbel entstehen. Vorerst wird
es aber bei der blossen Neigung
zur Wirbelbildung sein Bewenden
haben, denn die sich aneinander
fortbewegenden Schichten stehen
unter dem Druck der folgenden
Häutchen und dem Gegendruck
der vorhergehenden. Die Reibungs-
widerstände werden vorerst nur
die Vorwärtsbewegung zu hemmen
suchen, wodurch sich die Span-
nungen im Häutchen vergrfissern.
Wirbelbewegungen wird die Reibung
erst erzeugen können, nachdem
diese Spannungen so gross geworden
sind, dass die Cohäsionskräfte nicht
mehr zu widerstelien vermögen. In
letzterem Falle wird das Häufchen
reissen. Das Platzen eines Häut-
chens wird nothwendiger Weise
sich auf eine grössere Anzahl seiner Nachfolger über-
tragen, denn in dem folgenden Häutchen herrscht auch
bereits eine erhebliche Spannung. Im Augenblick des
Springens wäre das nächstfolgende Häutchen berufen, den
entstehenden luftleeren Raum sofort mit seineu benach-
barten Theilen auszufüllen. Dadurch würde eine plötz-
liche Steigerung der Spannung in ihm kervorgerufen,
welche es nicht auszuhaken vermag. So überträgt sich
das Springen nach rückwärts, bis wir zu Häufehen ge-
langen, welche noch wenig gespannt sind und deshalb
noch eine ph'ifziiehe Verlängerung vertragen. Die letz-
teren werden nun versuchen sich, da ihnen das Streben
Figur 4.
nach Beschleunigung noch erhalten ist, durch die vor
ihnen liegenden Theile der zerrissenen Häutchen hindurch-
zudrängen und sie bei Seite zu schieben. (Fig. 4.)
Alle abgerissenen Fäden sind ungespannt, die Reibung
tritt an ihnen frei auf und der Wirbelbewegung setzt
sich bei ihnen keine Kraft mehr entgegen. Die zur Seite
geschobenen Fäden werden naturgemäss immer neue Ge-
bilde in ihrem bisherigen Gleichgewicht stören, ebenso
die nach der Sohle zu ausweichenden Theile. Die nach
der Oberfläche gedrückten Häutchenrestc aber werden
vorläufig auf den noch zusammenhängenden Häufchen
gewissermaassen schwimmen. Gerade sie sind es. welche
der bewegten Flüssigkeit das Gepräge der Unruhe auf-
drücken. Sie irren umher und suchen die Gelegenheit
sich mit Gebilden ähnlielier Art wieder zu neuen Häutehen
zu verbinden. Jedes neue Zerreissen von Häufchen, dass
sich unter Umständen an der 01)erfläche durch ein leichtes
Aufwallen der Flü.ssigkeif zu erkennen giebt, liefert hierzu
eine neue Gelegenheit.
Wenn wir Öel auf bewegtes Wasser ausgiessen, thun
wir nichts, wie den Druck, welcher früher die Häutchen
zusammenhielt und der beim Platzen gestört wurde, wieder
herstellen.
Nach dem Gesagten könnte man sicii dass Strömen
der Flüssigkeiten in folgende Abschnitte zerlegt denken:
L Die Zeit des Drängens und Pressens, in der eine
Umlagerung der Molecüle vor sich geht.
2. Die Zeit des Einhergleitens der Häufchen.
Es er
Der Reibung stehen
Die Reibung ist kleiner wie die Cohäsion
folgt die Ausbildung des Längengefälles.
3. Das Platzen der Häufchen
keine Cohäsionskräfte mehr entgegen; es bilden sieh
Wirbelbewegungen aus. Ein Theil der noch gespannten
Häufchen presst sich durch die schon gesprungenen
hindurch.
4. Die zerrissenen Häutehen schliessen sieh zu neuen
Gebilden zusammen. Es folgt wieder die Zeit des Drängens
und Pressens.
Die vorstehende Erklärung wird man vielleicht für
recht zähflüssige Massen ohne Bedenken anerkennen,
aber von diesen aus können wir auf die Bewegung des
Wassers schliessen.
Die Grundgesetze und Erscheinungen müssen in beiden
Fällen die gleichen sein, doch nur bei trägen Flüssigkeiten
können wir beobachten. In jedem Wasserlauf wird sich
natürlich nicht ein einzelnes System vorwärtsbewegen,
das sieh bildet, auflöst und von neuem bildet, vielmehr
werden wir es mit vielen Systemen zu thun haben, die
sich gegenseitig beeinflussen und die die verzögernde
Einwirkung der Adhäsion von den Rändern des Profiles
nach dem Stromstrich übertragen.
Im Uebrigen wird das Wasser möglicher Weise ganz
wohl im Stande sein, grössere Spannungsflächen auszu-
bilden. Treiben wir mit einem Strohalm Luft in stehendes
Wasser, so können wir Blasen von Grösse der Hühner-
eier erzeugen, die allerdings geneigt sind, schnell zu zer-
springen; mischen wir etwas Seife dem Wasser bei, so
erzeugen wir aus einem Tropfen elastische Blasen von
ganz erheblicher Grösse. In diesen Fällen gehen wir
höchst gewaltsam vor. Der Luftdruck in der Blase ist
ein viel grösserer wie ausserhalb derselben. Beim strö-
menden Wasser hingegen bestehen die gepressfen Häuf-
chen aus derselben Materie, wie die pressenden, sie haben
dieselben Daseinsbedingungen und jedem Druck steht ein
Gegendruck, hervorgebracht wiederum von ganz gleich-
artigen Gebilden, entgegen. Unter diesen Bedingungen
ist es wohl denkbar, dass sich Spannungshäufchen in
viel grösserem Umfange ausbilden, wie wir im Allgemeinen
Nr. 24.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
237
zu ii'iauben geneigt sind; wir selien stets nur die Ober-
tläeiie des Wassers, welclie wir uus nach dem vorher
Gesagten gerade gel)ildet denken müssen aus den Bestand-
theilen bereits zerstörter Häutchen.
Der Versuch,
die Vorgänge bei
der Bewegung des
Wassers, wie oben gcsciiildert, zu erlvlären, ist gewagt auf
Grund vielfacher Beobachtungen, von denen indessen nur
das I 'olgende angeführt sei:
Wenn man unter Anwendung des sogenannten
„Tourenzählers" Wassergeschwindigkeiten misst, bemerkt
man allgemein, dass die Bewegungsart in demselben
Punkt nicht gleichmässig ist, sondern sich vielfach ver-
ändert. In grossen Profilen, in denen nur geringe Wasser-
mengeu zum Abfluss gelangen, steht der Flügel oft minuten-
lang still und dreht sich dann erst plötzlich mit ganz
erheblicher Geschwindigkeit, um auf einmal wieder in die
Ruhestellung über zu gehen. Wollte mau eine Parallelität
der Wasserfäden, wie dies meist geschieht, annehmen,
so wäre diese Thatsache nicht zu erklären. Bei Annahme
der obigen Ausdeutung könnte man sich vorstellen, dass
die plötzlich auftretende Bewegung durch platzende
Häutchen iu sonst ruhende Wasserschichten getragen sei.
Beiläufig sei hier erwähnt, dass bei allen Wasser-
messungen, bei denen es sieh nicht um sehr grosse Ge-
schwindigkeit handelt, der T(un'enzähler in Auweudung
kouunen sollte, da die sonst gebräuchlichen „Glockena]ipa-
rate" nur nach 50 oder 100 Umdreliungen einZeichen geben,
während sich mit dem Tourenzähler jede einzelne Um-
drehung der Flügelwelle und somit auch jede Störung
in der Bewegung beobachten lässt. Zudem wirkt das
häufig wiederkehrende Tönen der Glocke überaus ermü-
dend und abspannend; auch ist
Glocke ein
bei Verwendung der
lutegriren" d. h. ein unmittelbares Messen
der mittleren Geschwindigkeit in einer Lothrechten aus-
geschlossen.
Als eine fernere, für Jedermann sichtbare Thatsache
seien weiterhin die Fadenbildungen angeführt, welche wir
auf langsam fliessendem Wasser bemerken, auf welchem
Staub oder (unterhalb von Wehren) Wasserschaum
schwimmt. Es bilden sich dort Gebilde aus, welche mit
den in Fig. 4 dargestellten Aehnlichkeit haben. Den
Vorgängen an der Oberfläche müssen aber diejenigen in
irgend einem anderen Längenschnitt des Flusses ent-
sprechen.
Bei Annahme der versuchten Erklärung ist ein Auf-
schluss über den Ersatz des im Stromstrich schneller als
in den übrigen Theilen des Querschnittes zum Abfluss
gelangenden Wassers von selbst gegeben, der sich bei
Voraussetzung paralleler Fadenbewegung nicht beibringen
lässt. In dem ersten, zweiten und vierten Abschnitt
der Wasserbewegung tindet ein Zufluss vom Umfang des
Profiles nach dem Stromstrieh statt, während im dritten
Abschnitt eine Abgabe des Wassers von dort nach dem
Umfange vor sich geht.
Wichtiger dürfte es sein, dass unter den bisherigen
Annahmen sich eine Erklärung für die Wechselwirkung
zwischen Gefälle und Stromgeschwindigkeit finden lässt;
dieselbe würde etwa lauten: „Bei grösserer Geschwindig-
keit werden die Häufchen schneller aus dem Zusannuen-
haug gerissen, dadurch bildet sich wiederum schneller ein
grösseres Gefälle aus."
Hierbei dürften noch einige Worte über den Ueber-
gang von einem starken zu einem schwächeren Gefälle
zu sagen sein. Wir werden anuehmeu müssen, dass sieh
ang abspielt, wie beim
giiiig vuii uci jxiiue z,ur Bewegung. Die einzeluen
Häutchen, welche in diesem Falle meist plötzlich einen
grösseren Querschnitt ausfüllen müssen, werden das
Streben zeigen, sich wieder aufzurichten. Wir werden
bei ihm der entgegengesetzte Vor
Uelierg-ang von der Ruhe zui
vielleicht sogar annehmen müssen, dass hierbei durch
JloIecUl- Verschiebung gewissernmassen auch eine Auf-
stauchung des Häutchens stattfinde, bei der eine Wand-
verstärkung des Iläutchens einträte. Vor allem wird hier
das früher erwähnte Durchhängen des Häutclieus an der
(•berfläche Inrtfallen. Durch die Spannungen im Häutchen
und durch die Stauchung desselben wird an der Luft-
grenze vorerst wieder eine wagerechte Oberfläche her-
gestellt werden. Aehnlich verhält sich das Segel, wenn
der Wind aufhört zu wehen. Wo starke Flusskrümmuugen
oder Wehre plötzliche Stnuwirkung hervorrufen, wird
unter Umständen sogar
eine üeberhöihung der
Oberfläche im Stromstrich
eintreten.
Um zu zeigen, dass
die Vorstellung schwim-
mender Häutchen ganz
allgemein für unsere An-
Figur 5. schauung über die Vor-
gänge im bewegten Was-
ser bequem ist, seien
ferner die Erscheinungen besprochen, die beim Schliessen
eines Trommelwehrs auftreten.
So lange das Wehr niedergelegt ist, strömt das
Wasser über dasselbe in langgezogenen Häutchen. Bei dem
Hochgehen des ersteren wird die Bewegung plötzlich ge-
hemmt, die Häutchen erhalten sämmtlich das Streben sich
aufzurichten. Während der Anfwärtsbewegung des Wehres
sind aber zahlreiche Lagen von Häutchen zerrissen worden.
(bei A und B Fig. 5.)
Wir köimen uns denken, dass das Wasserpolster bei
B den Uebergang zu steilerer Lage in den unteren
Theilen des Flusslaufes hindere. Die Wirkung hiervon
auf die mittleren Theile wird sich äussern wie ein Gegen-
strom; die abgeschnittenen Häutchen bei A hingegen
werden von den folgenden sich aufrichtenden Häutchen
in die Luft geworfen, und zwar wird die Kraftrichtung
wechseln, je nach der sich ändernden Lage des Häutchens,
auf dem sie senkrecht steht. Die ausgeworfenen Wasser-
theilchen prallen am Wehr ab und leiten an der Oberfläche
eine Wogenbewegung ein, die verstärkt wird durch die
besprochenen Verdrückungen der Iläutehen an der Sohle
(Fig. 6).
Je plötzlicher der Stau auftritt, desto schneller werden
die Formänderungen im Häutchen vor sich gehen müssen.
Wir können uns denken, dass der Druck der folgenden
Wassermasse die oberen
Theile des einzelnen
Häufchens so schnell auf-
richtet, dass es über die
derzeitige Oberfläche hin-
ausragt, wobei dann
selbstredend, weil ein
Gegendruck fehlt, der
Zusammenhang der ein-
zelnen Wassertheile aufgehoben wird.
Diese Anschauung dürfte der Augenschein bestätigen.
Das Aufhöhen des Wasserstandes vollzieht sich, ohne dass
man eine nennenswerthe Fortbewegung des Wassers in
der Stromriehtung wahrnimmt. Es springen unzählige
kleine Spitzen aus dem AVasser empor, deren Wege im
einzelnen zu verfolgen man ausser Stande ist; es findet
ein Aufquellen aus dem Inneren des Wassers statt, wäh-
rend gleichzeitig ein Hin- und Herwogen der Wassermasse
an der Oberfläche bemerkbar ist.
Bei Wehren mit grosser Stauhöhe tritt oft viele Mi-
nuten nachdem das VVasser bereits den höchsten Stau
erstiegen hat, noch die sogenannte Rückstau welle in sehr
Figur 6.
'23S
Naturwisscnscliaftlii'lic Wocliciischrift.
Nr. 24.
auffälliger Weise auf. Diese Erscheinung kann leider in
die Betrachtung nicht einbezogen werden, wegen Mangel
au Gelegenheit zur Beobachtung.
Dass bei allen vorgeführten Betrachtungen Jiur das
Gerippe zu einer Erklärung gegeben werden soll, und
dass die Vorgänge in der Natur unendlich verwickelter,
wie hier geschildert, sind, braucht nicht weiter ausgeführt
zu werden, ist doch jede einzelne Bewegung die Ursache
zu immer neuen Bewegungen.
Es sei gestattet, weiterhin darauf aufmerksam zu
machen, dass bei sehr grossen Gefällen die Möglichkeit,
Häutchen auszubilden, überhaupt fortfallen kann.
Der Charakter des Stromes wird dann ein ganz ver-
änderter sein. Er wird sich lebhafter bewegen, Hinder-
nisse werden nicht mehr umspült werden, sondern sie
werden heftige Stösse erzeugen-, dabei wird das Gefälle
sich vornehmlich nach der Beschaffenheit der Sohle richten.
Wirbelbilduugen werden an allen Stellen des Querschnittes
auftreten und die einzelnen Wirbel werden sich gegen-
seitig durchdringen, aufheben und verstärken.
Mögen diese Zeilen dazu dienen, die Aufmerksamkeit
auf noch der Klärung bedürftige Fragen über die Bewe-
guug des Wassers hinzuleiten. Wenn sie zur 15ekannt-
machung besserer Erklärungen wie die vorstehend
versuchten beitragen, so haben sie ihren Zweck er-
füllt.
Physikalische Erklärung von Formverhältnissen organischer Skelettbildungen.
Von Dr. Friedrich Dreyer.
(Schluss.)
Sind die protoplasmatischen Zwischenwände dünn,
so dass die Vacuolcnblasen sich gegenseitig scharf-
kantig abplatten, so entsteht bei der Skelettbildung eine
Gitterschale mit polygonalen Maschen und dünnen Balken
(Fig. 20 d, 12 äusserste Schale). Findet auch in den
senkrechten resp. radial nach aussen verlaufenden Kanten
Verkieselung statt, so führt dies zur Bildung von von
den Knotenpunkten des Gitters aufstrebenden Radial-
stacheln (Fig. 20e, 17 äusserste Schale). Von der
Grösse der Vacuolen hängt die absolute und relative
Grösse und die Form der Gittermaschen ab; waren die
Vacuolen von ungleicher Grösse, so sind auch die Maschen
des Kieselnetzes ungleich gross und unregelmässig poly-
gonal; waren die Vacuolen gleich gross, so bilden die
Maschen reguläre Sechsecke. Letzteres ist eine sich aus
den Regeln der Blasenspannung ergebende geometrische
Consequenz: wir hatten gesehen, dass die Zwischenwände
eines aus gleich grossen Blasen bestehenden Complexes
mit einander Winkel von 120° bilden; weiter haben wir
uns klar gemacht, dass die Gitterung einer Schale dem
Netze der in die skelettogene Schicht fallenden Partien
der protoplasmatischen Vacuolenzwischen wände entspricht;
da nun das reguläre Sechseck diejenige reguläre Figur
ist, bei der die Winkel 120° betragen, so müssen auch
die Masehen einer in einer Lage gleich grosser Vacuolen
gebildeten Gitterschalc gleich grosse reguläre Sechsecke
sein.
Die Radialstaeheln der Gitterschalen sind, wenn
sie überhaupt kantig sind, dreikantig (Fig. 12, 16—18).
Es ergiebt sich dies aus der dreikantigen Form der Be-
rührungskanten eines Blasensystems (Fig. 1, 2, 4, 8, 20).
Ist mehr Zwischenwandmaterial, also mehr Proto-
plasma zwischen den Vacuolen vorhanden, so dass sich diese
abrunden können, so erhält aucli die Gitterschale dem ent-
sprechend ausgerundete Poren, die wieder den Vacuolen-
blasen entsprechend regelmässig kreisrund oder unregel-
mässig rundlich, von gleicher oder ungleicher Grösse sein
können. Natürlich können auch hier die Schalen mit Radial-
stacheln versehen sein oder nicht, je nachdem die Ver-
kieselung auf die senkrechten Blasenkanten übergreift
oder nicht. In dem Grade der Ausrundung der Maschen
kommen, wie zu erwarten, alle Uebergänge von poly-
gonalen Masehen mit dünnen Zwischenbalken bis zu runden,
in grösserer Entfernung von einander stehenden Poren
vor (Fig. 12, innere Schalen; Fig. 16 und 17 innere
Schale).
Ist die Sarcode zwischen den Vacuolen reichlich vor-
handen, so dass sich diese mehr oder weniger ausrunden
können und sich die Ausrundung und Verstärkung von
den Kanten auch theilweise auf die Wände erstreckt, so
erstreckt sich oft auch die Abscheiduug von Skelettsubstanz
in der Richtung der radialen Wände mehr oder weniger
weit nach aufwärts. Demgemäss entstehen dann Schalen,
die sich im Umkreis ihrer runden Poren zu Leistenwällen
erheben, die sich an den Ecken, entsprechend den radialen
Zwischenkanten der Vacuolenlage, eventuell wieder zu
Radialstacheln ausziehen können (Fig. 18, 20 f, g;
vgl. auch Fig. 16 äussere Schale u. Fig. 20a).
Ist das Protoplasma in der skelettogenen Sphäre
eines Rhizopodenkörpers so reichlich vorhanden, dass es
unterhalb einer vacuolösen Schicht eine stärkere solide Lage
bildet, so kann sich innerhalb der Letzteren eine massive
Schale bilden, auf deren Oberfläche die darüber lagernden
Vacuolen muldenförmige Eindrücke hinterlassen. Die
kleinen BlaseneindrUcke sind dann nicht tief genug, um
einen Durchbruch der Schalenwand und die Bildung von
Poren veranlassen zu können. Ein Beispiel eines solchen
durch Vacuoleneindrücke gebildeten Oberflächenreliefs der
Schale möge die in Fig. 13 dargestellte Thalamophoren-
schale geben. Bei derselben, einer Lagena, wird das
die Schale überziehende Protoplasma augenscheinlich
nur an der aboralen Hälfte vacuolisirt gewesen sein.
Oft sind die runden Poren einer Sehale nicht in gleichen
gegenseitigen Abständen über diese vertheilt, sondern ein-
ander gru}»penweise genähert. Zwischen den Poren
solcher Gruppen kommt es dann häufig zur gegenseitigen
Verschmelzung, die man bei den verschiedensten Poly-
cystinenformen in allen Stadien beobachten kann. So
giebt Figur 5 eine Partie einer Schale wieder, deren
Poren sich in den verschiedensten Stadien der gruppen-
weisen Annäherung und Verschmelzung befinden. Bei
Fig. 10 ist die Verschmelzung der Poren so weit ge-
diehen, dass die zu einer Gruppe gehörigen Poren nur
noch durch zarte Kieselbrücken gegen einander al)gegreuzt
sind. Figur 14 endlich zeigt eine Schalenpartic, bei
der die Verschmelzung der Poren innerhall) ihrer Gruppen
überall vollendet ist; aus jeder Porengruppe ist eine grosse,
unregelmässig gestaltete Pore mit ausgebogtem Rande
entstanden. Der Befund der Porenverschmelzung erklärt
sich aus einem entsprechenden Verhalten der Vacuolen
der skelettogenen Schicht zur Zeit der Schalenabscheidung.
Wenn die der Pdrenbildung zu Grunde liegenden Vacuolen
gruppenweise nahe aneinanderrücken, so werden ihre
Zwischenwände immer schwächer und lassen in demselben
Maasse auch in der Energie des Chemismus der Kiesel-
abscheidung nach. Zunächst bilden sich in denselben nur
Nr. 24.
NaturwisscnsL' halt liehe VVoehenschrif't.
239
noch dünne Kicsclbriicken (Fig. 10), und sind sie noch
zarter, so betheilijj'cn sie sich an der Al)scheidung von
Sivelettsubstanz überhaupt niciit mehr. Den einzigen An-
halt zur Beurtheilung der Blasengruppe liefern dann nur
noch die Ausbuchtungen des Randes, nach ihnen kann
man sich das Blasenbild reconstruiren, wie ich dies in
Figur 14 bei einer Pore angedeutet habe. Sind die Va-
cuolen einer Gruppe gleich gross und, was sich dann aus
den Gesetzen der Blasensjjannung von selbst ergiebt,
regelmässig angeordnet, so können sehr regelmässige
rosettenförmige Poren mit ausgebuchtetem Rande ent-
stehen (Fig. 11, auch hier ist in einer Pore die Blasen-
gruppe reconstruirt). Diese Poren zusammengesetzten Ur-
sprungs verhalten sich dann als Ganzes wieder wie ein-
heitliche Blasen, indem auch sie sich unter eiuander den
Regeln der Blaseuspannung entsprechend anordnen; in
dem von ihnen gebildeten Gitterwerk stossen immer drei
Gitterbalken zusammen und von den Knotenpunkten dieser
erheben sich, wie bei unserem Beispiele (Fig. 11), kegel-
förmige Stachelspitzen, was seinen Theil zur Bereicherung
des Reliefs noch beiträgt.
Auf den ersten Anblick einer solchen Schale hin
bewundert man unwillkürlicli ihre zierliche und verliält-
nissmässig complicirte Ausführung und ist erstaunt, eine
solche Bildung von einem so primitiven Organismus er-
zeugt zu sehen. Nunmehr sehen wir aber, dass wir auch
hier mit unserem Princip der Blasenmechanik auskommen,
dass auch die Bildung eines solchen Schalenbaues un-
gezwungen auf dieselben einfachen physikalischen Gesetze
zurückführbar ist. Diese sind die hauptsächlichen Bil-
dungsfactoren und der Organismus selbst kann, wenn
man sich so ausdrücken darf, gar nichts dazu, dass ihn
eine so schöne Schale schmückt.
Geeignet, zu denselben Betrachtungen herauszufordern,
ist ein interessanter, bei Polycystinen hie und da auf-
tretender Schalenbau. Als Beispiel möge (die äussere
Schale bei) Figur 16 dienen. An der eigentlichen Schale
ist zunächst nichts Aussergewohnliches zu bemerken: ihre
Poren sind ausgerundet und von hohen, an ihrem oberen
Rande ausgeljogten Leistenwällen umgeben, die sich von
den Ecken des Scbalengitters aus zu radialen Stäben
erheben. Diese Radialstäbe nun zeigen ein eigenartiges
Verhalten, indem sie sich an ihrem oberen Ende in drei
Gerüstbalken gabeln, die sich im Bogen zu den drei be-
nachbarten Radialstäben hinüberspannen, mit anderen
Worten, die Radialstäbe treten durch Bogen unter ein-
ander in Verbindung. Es entsteht hierdurch über der
Schale ein zierliclies Arkadenwerk, bei dem man die
Möglichkeit der Zurückführung auf einfache mechanische
Bildungsursachen zunächst auch nicht vcrmutliet, und doch
ist gerade dieser Schaleubau das klassischste
Beispiel einer Harmonie einer Gerüstform mit den Ge-
setzen der Blasenmechanik. Um sich hiervon zu über-
zeugen, hat man nur nötbig, in die Poren und die diese
überspannenden Arkaden sich Blasen hineinzudenken, die
Ucbcreinstimmuug ist dann eine vollkommene, das Gerüst
erweist sich als ein getreuer Abguss einer äussersten
Vacuolenschicht (Fig. 20a). Die Poren mit ihren Wällen
geben die protoplasmatische Zwischenmasse am Grunde
der Vacuolenlage wieder, die senkrecht emporstrebenden
Radialstäbe entsprechen den radialen Kanten der seit-
lichen Zwischenwände und die Arkadenbogen den tangen-
tialen Kanten zwischen den nach aussen vorgewölbten
Blasenkuppeln. Das von den radialen Stäben getragene
Arkadenwerk lässt sich mit einer nächst äusseren Schale
vergleichen, der Unterschied zwischen einem Arkadenwerk
und einer gewöhnlichen Schale ist nur der, dass die die
Letztere bildenden Balken zwischen den radialen Stütz-
balken (Radialstacheln) gerade ausgespannt sind und so eine
Vacuolenschicht gebildet wurde
ebene Kugelschale bilden, hier dagegen sich nach aussen
emporwölben; die Ursache ist die, dass eine ebene Kugel-
schale im Netz der durch die skelettogenc Schicht quer-
getroflfenen Zwischenwände einer tieferen Vacuolenlage,
ein Arkadenwerk dagegen in dem oberflächlichen Kanten-
netz einer äussersten
(vergl. Fig. 20).
Systeme concentrischer Kugelschalen sind für die
Radiolarien überaus charakteristisch (Fig. 12, 16, 17).
Hie und da wird es wohl vorkommen, dass gleichzeitig
und in derselben skeletfogenen Schicht zwei dicht über
einander liegende Schalen gebildet werden, so wie es bei
den eben besi)rochencn Arkadenbogen anzunehmen ist,
im Allgemeinen haben wir jedoch Grund anzunehmen,
dass die concentrischen Schalensysteme successive, dem
Wachsthum des Radiolarienkörpers entsprechend, gebildet
werden.
Findet die Schalenbildung spät statt, nachdem der
Rhizopode seine endgültige Grösse schon ganz oder nahezu
erreicht hat, so kommt es nur zur Abscheidung einer
Schale (Fig. 18). Anders ist es, wenn die erste Schale
schon frühzeitig angelegt wird. Der Zellkörpcr dehnt
sich dann durch Wachsthum weiter aus und wächst, da
ihm die einnnvl gebildete Sciiale, die als starres Kiesel-
gebilde einer nur durch intussusceptionelles Wachsthum
möglichen tangentialen Ausdehnung nicht fähig ist, im
Wachsthum nicht folgen kann, durch die Schale hin-
durch, die so mehr und mehr in das Innere des Weich-
körpers, in centrale Partien desselben, zu liegen kommt,
während die kieselabscheidende, skeleftbildende Schicht
als sich stetig vergrössernde Hohlkugel peripherwärts
über sie hinauswächst. Hat sich in der skelettogenen
Schicht dann wieder eine genügende Menge von Skelett-
substanz angesammelt, so wird diese als eine zweite, der
nunmehrigen Lage und Ausdehnung der skelettogenen
Sphäre und somit dem ganzen Rhizopodenkörper wieder
entsprechende Schale abgeschieden. Durch öftere Wieder-
holung dieses Vorganges können dann Systeme von zahl-
reichen concentrischen Kugclschalen gebildet werden. Die
feste Verbindung der Schalen zu einem einheitlichen
Gerüstwerk wird von einer geringeren oder grösseren
Anzahl dem radialen Wachsthum des Radiolars folgender
Stacheln übernommen (Fig. 12, 16, 17).
Es ist einleuchtend, dass eine solche ruckweise
Schalenbildung eine nothwendige Vorbedingung concen-
trischer Schalensysteme ist, denn nur so können nur in
je einer Kugelfläche entwickelte, durch skelettlose
Zwischenräume von einander getrennte Skelettplatten ent-
stehen. Würde die Skclcttbildung von ihrem Beginne an
bis zur Beendigung des Wachsthums des Weichkörpers
gleichmässig fortdauern, so würde ein zusammenhängendes,
den Sarcodekörper gleichmässig durchsetzendes Gerüst-
werk resultiren, wie es bei den spongiösen Gerüsten auch
thatsächlich der Fall ist. — Wie haben wir es uns aber
verständlich zu machen, dass bei unseren Rhizopoden in
so überaus grosser Verbreitung das allmäldiche Wachs-
thum des Weichkörpers von einer ruckweisen Bildung des
Skelettes begleitet wird? Nur ganz ausnahmsweise konnnen
unvollendete Kugelschalen zur Beobachtung. Wir müssen
hieraus schliessen, dass die Bildung einer Scliale sehr
schnell vor sich geht, ja Häckel redet sogar von einem
Loricationsmoment. — Es ist bekannt, dass, wenn man eine
iieisse, übersättigte Lösung eines Salzes langsam erkalten
und ungestört steilen lässt, sich l)ci vielen Salzen ohne
Weiteres noch kein Salz abscheidet. Es bedarf jedoch
nur eines geringfügigen, zufällig eingreifenden Insultes,
einer kleinen Erschütterung oder des Hineiufallens enies
festen Gegenstandes, um das sofortige Auskrystallisiren
des überschüssigen Salzes einzuleiten. Wir vergleichen
240
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 24.
einiger Entfernung von der ersten
dies mit der Schalenabschcidung der Radiolarien zunächst
nur, um dem Verständnis« formal zu Hülfe zu kommen,
um zu zeigen, dass auch anderwärts, in der anorganischen
Natur, analoge Processe vorkoiumen; ob der Vergleich
vielleicht auch reale, erklärende Bedeutung besitzt, müssen
wir vorläufig dahingestellt sein lassen — : In der ske-
lettogcnen Schicht sammelt sich Kieselsäure bis zur
Capacitätsgrenze der Sarcode an; ist diese erreicht, so
findet auf einen geringen Anstoss hin die Abscheidung
statt, das in die skelcttogenc Schicht fallende, mit Kiesel-
säure gesättigte Netz des protoplasmafischen Wabenvverkes
versteinert phitzlich, etwa wie an einem Fenster Eis-
blumcn anschiessen. Ist die Sarcode hierdurch entlastet,
so kann die Ansammlung von Skelettmaterial von neuem
beginnen; unterdessen wächst der Sarcodekörper und mit
ihm seine skelettogene Schicht weiter, so dass nach aber-
maliger Erreichung des Maximums der Ansammlung die
zweite Schale in
entsteht.
Die Producte der auf einander folgenden GerUst-
bilduugsetappen, die in einander geschachtelten Kugel-
schalen, zeigen zwar oft übereinstimmenden Bau, noch
häufiger jedoch sind sie verschieden structurirt (Fig. 12,
16, 17). Wir finden dies leicht verständlich, wenn wir
bedenken, dass das Sarcodegerüst des Rhizopodenkörpers
während der Entwickelung des Letzteren sich verändert,
ebenfalls eine Entwickelung durchläuft; im Verlaufe der
Stoftwechselprozesse verändern sich die Vacuolen und jede
Skelettbiidungsetappe findet einen anderen morphologischen
Ausbau des Sarcodegerüstes vor und tixirt ihn. — Ferner
können wir im (ilrossen und Ganzen als Regel konstatiren,
dass die Grösse der Poren absolut und auch relativ, im
Verhältniss zu der Stärke der Balken der Gitterschaleu,
zunimmt (vgl. die drei angegebenen Figuren). Auch dies
fügt sich einer natnrgemässen Erklärung im Hinblick auf
die secundäre Natur der Vacuolen. Der primäre Zustand
ist der des soliden Protoplasniakcirjiers; durcli Ent-
mischungsvorgänge entstehen die Vacuolen, zunächst als
kleine Secrettropfen , die dann während des weiteren
Verlaufs des Stoffwechsels an Grösse zunehmen und den
Weichkörper mehr und mehr auf l)lähen. Dies trifft nicht
nur für die Rhizopoden zu, sondern wir finden, wo Ul)er-
haupt Vacuolenbildung eine Rolle siiielt, bekanntlich das-
selbe Verhalten bei der Histogenese der Tliiere und
Pflanzen. In den kleinen soliden Zellkörpern des Ur-
meristems der Pflanzen treten kleine sich allmählich ver-
grössernde Vacuolen auf, die endlich zu einem grossen
Vacuolenhohlrauni confluiren, der den Zellköriier unver-
hältnissniässig aufbläht und dessen Protoplasma als dünnen
Wandbelcg zur Seite drängt; ganz analog ist die Lage
der Dinge bei den thierischen Fett- und Blasenzelleu. —
Ist bei unseren Riiizopoden diese Zunahme der Grösse
der Vacuolen im Verhältniss der protoplasmatischen
Zwischenmasse gut ausgeprägt, so ist eine Folge hier-
von ein im Verlaufe der Succession der Gerüstbildungs-
etappen sich kundgebendes Hinstreben von kleinen runden
Poren zu grossen polygonalen Gittermaschen mit dünnen
Zwischenbalken (Fig. 12, 16, 17). Diese Tendenz kommt,
wie auch unsere Figurenbeispiele zeigen, ihrem Ziele bald
weniger, bald mehr nahe, zuweilen erreicht sie es aber
so vollständig, dass die jüngste letzte Schale ein aus
haarfeinen Kieselfäden gebildetes Netz mit grossen po-
lygonalen Maschen darstellt (Fig. 12), welches eher einem
Spinngewebe als einer Schale gleicht.
Wenn das Kautenwerk einer äussersten Vacuolen-
schicht nicht, wie bei den Arkadenschalen, in seiner Ge-
sammtheit, sondern nur in einzelnen radialen Kanten mit
den drei in diese ühergehenden tangentialen und ge-
wölbten Kanten in die Skelettbildung eingeht, so entstehen
dreiarmige Anker (Fig. 20b, 15, vergl. auch die äusseren
Radiationsstellen des Kanteusystems der Seifenblasen-
komplexe Fig. 2, 8). Dieselben kommen bei den ver-
schiedensten Radiolarienabthcilungen vor und zwar in den
peripheren, äussersten Partien der Gerüste, an den
distalen Enden der radialen Stachelgebilde, also eben da,
wo wir sie ihrer Bildungsmechanik nach zu erwarten
haben. Betheiligen sich nur zwei von den tangentialen
Zwischenkanten au der Skelettabscheidung, so entstehen
zweiarmige Anker (siehe auch hierzu Fig. 20b), die eben-
falls bei Radiolarien verschiedentlich vorkommen.
Kommt es bei einer auf einer Sehalenoberfläche
secundär aufgetretenen Vacuolensehicht nur in den Ecken
resp. Knotenpunkten des von den der Schalenfläche auf-
stehenden Zwischenwänden gebildeten Grundrissnetzes zur
Abscheidung von Skelettsubstanz, so müssen kleine, der
Schalenoberfläche aufsitzende Tetraeder mit eingebauchten
Flächen entstehen, wie dies Figur 20c veranschaulicht
(vergl. auch Fig. 4). Wir begegnen dieser Erscheinung
bei der von Mob ins beschriebenen und abgebildeten, von
uns in unserer Figur 22 wiedergegebenen Entosoienia
aspera. Bei dieser Thalamophore wird das die Schale
aussen überziehende Exoplasma blasigen Bau besessen,
verrauthlich eben etwa wie unsere Figur 20 c es darstellt,
einer Vacuolenlage entsprdchen halK-n.
Endlich wollen wir noch eine höchst interessante Er-
scheinung herausgreifen, bei der uns die Blasenspannung
bei Radiolarienschalen als Bildnerin des Gesammtbau-
planes entgegentritt. — Ein in einem Medium frei
schwebender, (entsprechend Fig. 2) aus vier grossen
Blasen bestehender Blasenkomplex, dem noch eine kleine
Blase eingefügt ist, zeigt die in Figur 1 dargestellte
Formation. Es giebt nun eine Gruppe von Nasseilarien,
deren Schalen genau dem Zwischeuwandsystem eines
derartigen Blasencomplexes entsprechen; Figur 6 führt
eine solche Form als Beispiel vor: Die Cephalis oder das
Köpfchen entspricht der centralen kleinen Blase und die
von ihr ausgehenden Gitterplatten den Zwischenwänden
der anstossenden vier grossen Blasen. Ein Vergleich
unserer beiden Figuren 1 und 6 lehrt auf den ersten
Blick, dass die üebereinstimmung eine völlig exacte ist,
dass die Form des Radiolariengerüstes ohne weiteres dem
Zwisehenwandsystem des Blasenkomplexes (die Zwischen-
wände unserer Blasenkomplexe sind der Deutlichkeit
halber theils schraffirt) substituirt werden kann. Stellen wir
uns den Weichkörper einer solchen Form vor, so vertritt
die Centralkapsel die Stelle der mittleren kleinen Blase;
die vier grossen Blasen werden dagegen vier wirklichen,
im Verhältniss riesigen Vaeuolenblasen entsprechen, die
die extracapsuläre skelettogene Sarcode nur in Form ihrer
Zwischenwände dulden. — •
Die soeben besprochenen Gesetzmässigkeiten kommen
nun nicht nur innerhalb der Sarcodeleiber der Rhizopoden
zur Geltung, sondern ihre Herrschaft ist eine weit ver-
breitete universelle auch innerhalb der Gewebe der mehr-
zelligen Organismen, der Thiere und Pflanzen, überall da,
wo die Bedingungen zu ihrem Inkrafttreten gegeben sind.
Blasiger
Bau ist eine allgemeine Eigenschaft der Ge-
webe, wir können in den organisirten Körpern blasigen
Bau in dreifacher Hinsicht, blasige Elemente von drei
verschiedenen histologisch-morphologischen Wertben unter-
scheiden: 1. die Zellen, 2. die im Protoplasmakrirper der
Zellen auftretenden Vacuolen und 3. das wabig gebaute
Protoplasma selbst. Ueberall begegnet die Beoljachtung
denselben Gesetzmässigkeiten. Als ein besonders schönes
Beispiel wollen wir nur die Pollentetraden herausgreifen.
Die in Figur 7 dargestellten Pollentetraden eines Rhodo-
dendron entsprechen, wie der erste Blick lehrt, einer
Gruppe von vier Blasen, wie wir sie in unserer Figur 2
Nr. 24.
Natnrwissenschaftliche Wochenschrift.
11
dargestellt hatten; wegen seiner Eint'acliheit ist dieses
Beispiel besonders instnictiv.
Im Hinblick hierauf erscheint es natürlich, dass auch
bei niein-zelligcu Organismen, wo es unter solchen I5c-
dingungen zur Skelettbildung kommt, dieselben nutrpho-
logisclien Gesetzmässigkeiten zur Geltung kommen.
Hauptsächlich sind hier die beiden sich durch Skclett-
bildung besonders auszeichnenden Abtheilungen der
Spongien und Echinodermen zu nennen.
Der morphologische Grnndzug der Skelettbildung
der Spongien ist, wie auch schon lange erkannt war,
der Yierstrahlertypns, und das typische vierstrahligc
Spiculuni selbst gehört bei den Spongien (Fig. 3), seien
es nun Kiesel-, Kalk- oder Hornschwämme. zu den
häutigsten Skelettelementcn.
Bei den Echinodermen kommt der Vierstrahlcrtypus
hauptsächlich bei der ersten Anlage der Skclcttelemeute
in Betracht. Als ein Beispiel greifen wir die Anlage
eines Skelettelementes bei einer Seeigellarve heraus. Es
kommt hier zunächst zur Bildung eines Tetraeders mit
etwas eingebauchten, concaven Flächen (Fig. 21), genau
derselben Form, die wir oben aus den Gesetzen der
Blasenspannung ableiteten (Fig. 4) und dann bei einer
Thalamophore verkörpert fanden (Fig. 22, 20 et. Diese
Tetraeder wachsen bei den Echinodermen dann weiter zu
einem Vier- oder Dreistrahler aus.
Der Factor der Blaseuspannuug ist für den inneren
Aufbau der vacuolisirteu Sarcodekörper der Rhizopoden
gesetzgebend und hierdurch auch, wie wir an einer Reihe
von Beispielen zeigten, für den elementaren Auf- und Aus-
bau, für die Structur der Skelette; für die Gestaltung der
freien, an das umgebende iledium grenzenden Ubertiäche
der Sarcodekörper und die hierdurch bedingte äussere
Gesammtform der Rhizopodenkörper und -Schalen sind
andere Verhältnisse der Flüssigkeitsmechanik maass-
gebend, wenn wir aber diese in Betracht ziehen, so cr-
öfi'net sich uns auch für dieses Capitel der Formgestaltung
ein überraschendes Verständniss. Wir können jedoch
hierauf hier nicht weiter eingehen, ebensowenig wie auf
die sich ergebenden interessanten theoretischen Gedanken-
gänge und Perspectiven. Unser referirender Artikel, ohne-
hin schon lang genug geworden, würde sonst den Raum
vorliegender AVochenschrift zu sehr in Anspruch nehmen,
wir beschliessen also unsere Zeilen noch mit folgender
Erwägung:
Wir hatten an einer Auswahl von Beispielen ge-
sehen, dass die Flttssigkeitsmechanik, in den augeführten
Fällen speciell die Blasenspannung, als Bildnerin der so
mannigfaltigen Formen der Rhizopodengerüste auftritt;
wie haben wir nun diesen Bildungsfactor in Bezug auf
sein Vcrhältniss zum Organismus aufzufassen":' Ist er
denn überhaupt noch mit zu den Lebenserscheinungen
und sein Werk, der Gerüstbau, zu den Producten der
Lebensthätigkeit des Organismus zu rechnen? Sind nicht
die; A'acuolen unorganisirte leltlose Secrettropfen und
drängen sie lucht vermöge der Kraft der Blasenspannnng
das lelKMide. <lic Gerüstsubstanz abscdieidcnde Proto])lasma
niilens volens in die den festen Gesetzen der Flüssigkeits-
mechanik entsprechenden Formen hinein ? Können wir
hier nicht sagen, die Rhizopoden können gar nichts dazu,
dass sie so schöne Skelette haben? Sind wir hier nicht
Zeugen des seltsamen Schauspiels, dass der Organismus
selbst nur Handlangerdienste versieht, indem er das Bau-
material nur l)eseliafft und zubereitet, während eine ele-
mentare physikalische Kraft, ein fremder Eindringling von
aussen, die Rolle eines intelligenten Baumei.sters, eines
Künstlers spielt, und Formen hervorzaubert, die an
Formenrcichthum und Zierlichkeit alles in der organischen
Welt Vorhandene bei weitem überbieten? Dies wunder-
bare Symbiosevcrhältniss — wenn dieser Ausdruck hier
noch erlaubt ist — zwischen Organismen und unorgani-
schen Kräften der Aussenwelt, kraft dessen in der Tiefe
des Meeres innerhalb der Sarcodeleiber primitivster Lebe-
wesen, Schneekrystallen vergleichbar, eine ganze Formen-
weit von ungeahntem Reichthum ersteht, scheint allen
bisher gewonnenen Regeln der Erfahrung zuwiderzulaufen.
— Bevor wir uns in dieser Frage entscheiden, stellen wir
die Gegenfrage: Was verstehen wir unter Leben? Im
Grossen und Ganzen können wir sagen: Unter „Leben"
verstehen wir einen Complex von Erscheinungen, deren
elementare Ursachen wir nicht kennen, aber in einem
höchst verwickelten Knäuel chemisch-physikalischer Kräfte
vermuthen. Ist es uns nun einmal ausnahmsweise ge-
lungen, eine dieser elementaren Kräfte gesondert zu er-
kennen, so sind wir im Zweifel, ob wir sie noch zum
Leben zu rechnen haben und fühlen uns eher versucht,
sie den entsprechenden Gebieten der Chemie oder Physik
zuzuweisen. — In dieser Lage befinden wir uns augen-
blicklich mit unserem in Rede stehenden Gegenstand, der
Flüssigkeitsmechanik resp. Oberflächenspannung und den
durch sie bewirkten Formverhältnissen. Der Umstand,
dass wir in dieses Dilemma kamen, ist ein Zeichen davon,
dass wir mit unseren Untersuchungen an der Grenze
zwischen organischen und anorganischen naturwissen-
schaftlichen Disciplinen angelangt sind, dass es uns ge-
lungen ist, eine organische Erscheinungsgruppe auf ihre
elementare anorganische causa efficiens zurückzuführen.
Wenn es uns mit der Zeit gelingt, mehr und mehr von
den Erscheinungen, die uns an Organismen entgegentreten,
in dieser Weise zu erklären, d. h. ihre bewirkenden Ur-
sachen aus dem Knäuel der „Lebenskraft" herauszulösen,
so wird auch die Unterscheidung zwischen Lebens-
erscheinungen und chemisch -physikalischen Prozessen,
zwischen Organismen und Anorganen, ilie man jetzt noch
mit grosser Schärfe durchzuführen gewohnt ist, mehr und
mehr ihre Bedeutung verlieren.
Den Farbeiiweclisel, dem die Wanderheuschrecke
während ihrer Eutwickelung unterliegt, schildert der 1891
behufs Untersuchungen über dieses schädliche lusect in
Nordafrika gewesene J. Kunckel d'Herculais. („Le
Criquet pölerin, Schistocerca peregrina Ohr, et ses
changements de coloration. Role des pigments dans les
phenomenes d'histolyse et d'histogenese cpü accompagnent
les mues et la metamorphose." C. r. de la Soc. de Biol.
de Paris. S. 9, T. 4, S. 56. 1892.) Die jungen Thiere
häuten sich sofort nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei
und sind grünlichweiss. Bald bräunen sie sich, bis sie
schwarz mit weissen oder gelblichen Flecken sind. Nach
der zweiten Häutung erscheinen, namentlich an den Seiten
des Körpers, rosa Farben. Diese vermehren sich nach
der dritten Häutung und überwiegen nach der vierten.
Allmählich, bis nach der sechsten Häutung, mischen sich
gelbe Töne ein, so dass das erwachsene Thier zart rosa
erscheint. Jedesmal ist das Rosa nach der Häutung am
lebhaftesten und vergilbt allmählich. In der Sonne wird
das Gelb am lebhaftesten, so dass der Einfluss des Lichtes
deutlich ist. Die gelbe Farbe ist ofi'enbar ein Phänomen
des Alterns. Matzdorfl'.
242
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 24.
Eine Reihe Versuche über die Aiisteckungsmöglich-
keit der auf der Anwesenheit der Jülbe Sarcoptes minor
berulienden Krätze der Kaninchen und Katzen stellte
A. Railliet an. (s. C. r. de la Soc. de Biol. de Paris.
S. 9, T. 4, 1892, 8. 315.) Uebertragungsversuche vom
Kaninehen auf andere Artgeuossen, sowie auf Ratten,
Hunde und Katzen blieben gänzlich erfolglos. Sehr leicht
steckten Katzen andere Katzen an, und auch der Ver-
such, von einer Katze aus Kaninchen zu inficiren, gelang,
weun auch die Incubatiouszeit eine sehr lauge war.
Matzdorff.
lieber eine eigentliiiniliche Sclinietterlings-Inva-
sion berichtet „The Entomologist " (No. 359, 8. 128, nach
„Liverpool Echo" vom 6. Mäi-z 1893). Am 22. Februar
dieses Jahres waren die Bewohner von Salins im Jursx-
Departcment nicht wenig erstaunt, bei einem Schneesturm
zugleich mit den Flocken Unmassen lebender Schmetter-
linge in allen Grössen zu Boden fallen zu sehen. Als
das Unwetter vorüljergezogen war, lagen dieselben zu
Tausenden an der Erde. Ueber den Ursprung dieses
ganz aussergewöhnlichen Vorkommens herrscht Meinungs-
verschiedenheit. Am verbreitetsten ist die Ansicht, dass
der schwere Südweststurm die Insectenscharen von fern-
her herbeigeführt habe, vielleicht von Madeira, den Ca-
naren, Azoreu oder Capverde'schen Inseln. F. K.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Privatdoceut für Zoologie an der
Universität Breslau Dr. Rohde zum ausserordentlichen Professor.
— Prof. Dr. Ulli ig zum ordentlichen Professor für Minei-alogie
und Geologie an der deutschen technischen Hochschule in Prag. —
Prof. Dr. M. Moebius in Heidelberg zum zweiten Bibliothekar und
Director des botan. Gartens desMuseum Senekenbergianum iii Frank-
furt a. M. — An den Universitäts-Anstalten Berlins : Zum Assistenten
au der Augenklinik Dr. Roecker, — an der Frauenklinik in der
Artilleriestrasse Dr Heuck, — an der chirurgischen Klinik der
Charitee Dr. Olshausen, — an der Frauenklinik iler Charitee
Privatdocent Dr. Nagel, — am physiologischen Institut Dr.
Albert Neumann für Chemie, — am hygienischen Institut
Stabsarzt Dr. Davids, — am physikalischen Institut Dr. Schmidt,
— am zweiten chemischen Institut Dr. Bernd t, — am meteoro-
logischen Institut Dr. Klitzkowski.
Prof. Dr. Filehue, ordentlicher Professor für Arzneimittel-
lehre in Breslau, ist zu einer wissenschaftlichen Reise nach Nord-
Amerika auf l'/j Jahr beurlaubt worden und wird während dieser
Zeit durch Prof. Dr. Geppert aus Bonn vertreten. — Dr. Wil-
helm Haacke, bisher wissenschaftlicher Director des Frankfurter
zoologischen Gartens, hat diese Stellung aufgegeben und ist nach
Darmstadt übergesiedelt, um sich als Docent für Zoologie an der
technischen Hochschule der akademischen Laufbahn zu widmen.
Der Professor der Botanik Dr. Johann M. C. Lange an
der landwirthschaftlichen Hochschule zu Kopenhagen ist in den
Ruhestand getreten.
Es sind gestorben: Der Sanitätsrath Dr. Paul Guttmann,
dirigirender Arzt dos Krankonhauses Moabit, in Berlin. — Der
erst kürzlich zum Director der zweiten AbtUeilung der physi-
kalisch-technischen Reichsanstalt berufene Professor Dr. Franz
Steuger in Berlin. — Der als populär- naturwissenschaftlicher
Schriftsteller bekannte Geheime Hofrath Dr. Hermann Masius,
Professor der Pädagogik und Didaktik an der Universität Leipzig.
— Der Elektrotechniker Sir James Anderson in London. —
Der Professor der Chemie Mariano Herrera y Gutierrez in
Mexiko. — Der durch zahlreiche Erfindungen bekannte Ingenieur
E. A. Cowper in London. — Der Professor der gerichtlichen
Medicin an der deutschen Universität Prag Dr. Arnold Pal tauf
in Neuhaus bei CiUi. — Der Professor der Astronomie Charles
Pritchard in Ü.\ford. — Der Professor der Zoologie Karl
Semper in Würzburg.
Der 11. internationale medicinische Kongress findet laut
Beschluss des Komitees vom 24. Septbr. bis 1. Uktbr. d. J. in
Rom statt.
Dil/ Freie Vereinigung der Vertreter für angewandte
Chemie in Bayern wird iiue heurige Jaliresversammlung am
31. Juli und 1. August in Lindau abhalten.
L i 1 1 e r a t u r.
Forschungsberichte aus der Biologischen Station zu Plön.
Theil I Faunistische und biologische Beobachtungen am
Grossen Plöner See. Von Dr. Otto Zacliarias. Mit 1 Tafel.
Verlag von R. Fricdländer & Sohn. Berlin 1893. — Preis
•2,50 Mark.
Die ersten umfassenden Untersuchungen eines Binnengewässers
verdanken wir Forel. (Genfer See.) Das Vordienst, biologische
Stationen zur Erforschung der Thier- und Pflanzenwelt ins Leben
gerufen zu haben, gebührt den Herren Fritsch und Zacharias.
Wie wir aus der Vorbemerkung zu dem 1. Theil der wissenschaft-
lichen Mittheilungen aus der Plüner Station erfahren, ist kürzlich
auch in Finnland ein solches Institut gegründet und in anderen
Ländern ist man bestrebt, solche zu errichten. Es dürfte bekannt
sein, dass am Müggelsee bei Berlin die Gründung eines biologi-
schen Observatoriums geplant wird.
Der vorliegende Forschungsbericht von Dr. Zacharias enthält
nur einen Theil der Ergebnisse seiner emsigen, seit dem 1. April
vorigen Jahres begonnenen Studien am Grossen Plöner See.
Verfasser hat zunächst das faunistische Inventar des Sees aufge-
nommen und giebt eine Liste von 226 Arten, unter denen 13 neue
Formen. Diese Fauna vertheilt sich wie folgt: lU Rhizopoden
(1 neu), 8 Heliozoen (1 neu), lö Mastigophoren (1 neu), 44 In-
fusorien (2 neu), 1 Coelenterat, 13 Turbellarien (1 neu), 5 Nema-
toden, G Hirudineon, 5 Oligochaeten, 37 Rotatorieu (7 neu),
3 Gastrotrichen, 21 Cladoceren, 1 Ostracode, 12 Copepoden, 1 Am-
phipodo, 1 Isopode, 7 Hydrachniden , 1 Coleopter, 5 Lamelli-
branchiaten, 10 Gastropoden und 20 Pisces. Aus dieser Uebersicht
ersieht man, mit welchem Eifer der Leiter der Station und seine
Mitarbeiter in dem ersten Jahre des Bestehens der Station thätig
gewesen sind. Die Liste ist natürlich noch unvollständig und
wird noch bedeutend vermehrt werden. Interressant ist der Nach-
weis, dass dem bis G6 m tiefen See eine eigene Tiefenfauna ab-
geht. Der Grund hierfür liegt nach Verfassers Meinung darin,
dass zur Ausbildung einer solchen Fauna Tiefen bis zu mehreren
hundert Meteru ein unbedingtes Erforderniss sind.
Das zweite Capitel des Berichtes ist der Beschreibung der
neuen Formen gewidmet, auf die ich verweisen muss. Nur eins
sei hervorgehoben. Unter den neuen interessanten Rotatorien wird
eins als Hudsonella picta Zach, und Calnuin n. g. n. sp. aufgeführt.
Diese Form, bemerkt Verfasser, sei kurz vor Beendigung seiner
Arbeit von Calman unter der Bezeichnung Notops pygmaeus be-
schrieben. Um „unliebsamen Prioritätsstroitigkeiten vorzubeugen"
nennt Zacharias das Thier Hudsonella picta und fügt als Aut^jr
seinen und den Namen Calman hinzu. Dies Verfahren ist nicht
zu billigen, denn Calman hat die Priorität, und die Form könnte
höchstens Hudsonolla pygniaea (Calman) hoissen.
Die biologischen Mittheilungen machen das dritte Capitel
aus. Verfasser hat Gelegenheit genommen, in demselben noch
zwei neue Diatomeen zu beschreiben (Rhizosolenia und Atlieia),
deren Angehörige fast ausschliesslich marin sind. — Man ist bisher
gewohnt gewesen, die Lebewelt eines grösseren Süsswasserbeckens
in littorale und lininetische (pelagische) einzutheilen. 'V*erfasser
spricht sich entschieden gegen die Äufrechterhaltung dieses Gegen-
satzes aus: er hat mit dem Handkäscher vom Lande aus viele
Thiere erbeutet, die er auch auf der Höhe des Sees gefunden
hat und glaubt, dass sich allerdings die littorale Region gegen die
lininetische ziemlich scharf abgrenzt, dass dies aber nicht umge-
kehrt der Fall ist. Die limnetische Fauna dringt mit Ausnahme
weniger auf das tiefe Wasser beschränkten Formen vielmehr bis
dicht ans Ufer vor, und weiter: ,Die lininetische Fauna wird so-
mit nicht dadurch charakterisirt, dass sie in ihrem Vorkommen
auf eine bestimmte Seeregion beschränkt ist, sondern vielmehr
dadurch, dass die ihr angehörigen Gattungen und Arten die
Fähigkeit besitzen, sich andauernd im freien Wasser schwebend
zu erhalten." Es lassen sich aber in jedem grösseren Binnensee
zwei Organismengruppen unterscheiden, wovon die eine Wesen
mit geringerer, die andere solche mit grösserer Schwebefähigkeit
umfasst Da nun die Ausbildung der Schwebefähigkeit für das
Leben im freien Wasser eine unerlässliche Bedingung ist, so er-
örtert Verfasser, wie diese Eigenschaft zu Stande gekommen sein
kann. Er erblickt als Mittel hierzu vornehmlich die Vergrösserung
der Körperoberfläche und die Erzeugung von Fett im Innern des
Körpers. „ , . , ..... . ,
Aus verschiedenen Angaben, die von Zacharias bestätigt und
vermehrt werden, wissen wir, dass es unter den littoral lebenden
Formen solche giebt, die auch polagisch zu leben im Stande sind.
Man hat daher die jjolagische Welt in eupelagische (echt pelagi-
sche), passiv pelagische und tychopelagische (zufällig |)elagische)
gesondert. In manchen Seen sind sogar sonst nur littoral lebende
Thiere in der limnetischen (pelagischen) Region sehr häufig.
Diese Thatsache bespricht der Verfasser und zieht aus ihr und
anderen den Schluss, dass wir wohl berechtigt seien, die lim-
netische Fauna unserer Seen von der littoralen herzuleiten.
Es ist interessant, bei dem Streite der Meinungen über
Nr. 24.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
243
gleiclimässifije oder ungleichmässige Vertheilung der Orgaiiisnicii
im Meere das Resultat des Verfassers über die Vertheilung der
Lebewelt in dem Grossen Plöner See zu hören. Die von ihm
entnouinienen Proben haben gezeigt, dass die Vertheilung eine
i;leicliinässige ist und dass eine Zusammenrottung der Individuen
limnetischer Arten zu „Schwärmen" niemals bemerkt werden
konnte. Auch Apstein ist zu dem Resultat gekommen iBiol.
Centralbl. Bd. 12, 1892), dass die Vertheilung des Planktons in
einem grösseren Siisswasserbecken eine recht gli^ichmässige ist,
dass sich aber unter gewissen Bedingungen Organismen zu An-
sammhingen zusammenfinden.
Auch in diesem Forschungsberichte hat Zacharias der
Variabilität der Art sein Interesse zugewandt. Von den be-
sprochenen Formen sind Arten der Gattungen Ceratium, Bosmina
lind Ilyalodaiihnia der Variabilität besonders fähig und sie sind
deshalb und weil leicht zu erlangen, für weitere Studien lie-
sonders belehrend. Aus den Untersuchungen von Zacharias,
Lilljeborg und Lauterborn (Ueber Periodizität im Auftreten und
in der FortpHanzung einiger pelagischen Grganismen des Rheins
und seiner Altwasser. Verh. Naturh. Med. Ver. Heidelberg, N. F.
5. Bd. 1Ä93) an Ceratium und Bosmina geht hervor, dass die
Variabilität von der Beschaffenheit des Gewässers, der Jahreszeit,
des Alters und der Individuen abhängig ist.
Den Schluss der Arbeit bildet ein kurzer Abriss über dii^
Periodizität der Planktonorganisinen. Verfolgt man die Zu-
sammensetzung des Planktons, so ergiebt sich, dass sie im Laufe
des Jahres wechselt, so zwar, dass einige Arten während des
ganzen Jahres zu finden sind, andere verschwinden und wieder-
kehren. Zu demselben Resultat war auch Aiistein (cf. Tabelle
S. .'lOO — 501 I. c.) gekommen und gleichzeitig mit dem Forsehungs-
bericht von Zacharias ist von Lauterborn die oben eitirte ein-
gehende Studie über diese Seite der Planktologie erschienen.
Woltner.
Dr Karl Eckstein, Bericht über die Leistungen auf dem Ge-
biete der Forst und Jagdzoologie. 1. Jahrg. 180U. Frank-
furt a. M. (Weber) 1892. — Preis 1,(J0 Rm.
„Selten findet aus der reichen Litteratur der rein wissenschaft-
lichen Zoologie eine Mittheilung den Weg in die forstlichen Zeit-
schriften, und ebenso vereinzelt ist das allgemeinere Bekanntwerden
der in diesen veröffentlichten Darstellungen und Beobachtungen".
Aus diesen dem V^orwort zu dem vorliegenden Berichte ent-
nommenen Worten, sowie daraus, dass die For-stzoologie in den
Jahresberichten über Zoologie nicht nur unvollkommene Berück-
sichtigung findet, sonderii auch unter der Menge der dort gebotenen
Referate nur mit Mühe herauszufinden ist, erhellt die Wichtigkeit
der von Eckstein begründeten, das ganze Gebiet der Forst- und
Jagdzoologie behandelnden, ausführlichen Berichte, sowohl für
ilen Forst- und Jagdzoologen, als auch für den Zoologen im wei-
teren Sinne. — Die Anordnung des Stoffes ist dem System der
Zoologie angepa.sst (Mammalia, Aves, Reptilia, Amphibia, Pisces,
Vermes, Insecta, Allgemeines und die einzelnen Ordnungen); die
Zeitschriften für Forstwirthschaft und .Jagdwesen sowie Ver-
schiedenes sind in besonderen Kapiteln behandelt. Die „Berichte"
sollen in Zukunft im Januar des folgenden Jahres erseheinen.
Weltner.
Privatdocent Dr. H. Schenck, Beiträge zur Biologie und Ana-
tomie der Lianen, im Besonderen der in Brasilien einhei-
mischen Arten. I. Theil. Beiträge zur Biologie der Lianen.
Mit 7 Tafeln. Gustav Fischer in Jena 1892. — ' Preis 15 M.
Der vorliegende Band bildet das 4. Heft der „Botan. Mitth.
aus den Tropen", herausgegeben von Prof. A. F. W. Schimper ;
er umfasst "253 Seiten.
Die Lianen, Kletterpfianzen, wurzeln im Erdboden und be-
dienen sich, da sie sich selbstständig nicht aufrecht zu erhalten
vermögen, anderer feststämmiger Pflanzen als Stützen, um ihr Lauli
ans Licht zu bringen; sie besitzen daher lange luternodien. Der
tropische, immergrüne Wald, den sie verstricken und stellenweise
unentwirrbar machen, ist ihre eigentliche Heimath. Schenck theilt
die Lianen auch in I. Rankenpflanzen, 2. Windepflanzen, 3. Wurzel-
kletterer, 4. Spreizklimnier.
Die ersten mit ihren reizliaren Ranken unterscheiden sich in
a) Blatt- und b) Achsen-Rnnkenpflanzeii; die Blatt-Rankenpflanzen
wieder in f<) Blattkletterer mit deutlich entwickelter, breiter
Spreite und Blattstiel, welche beide wie Ranken reizbar die
Function dieser Organe mit übernehmen und also fremde Theile
activ zu umgreifen vermögen, und in ß) Blattranker mit faden-
förmigen, echten Ranken. Die Achsen-Rankenpflanzen werden
gesondert in et) Zweigklimmer, bei denen Zweige Contactreizbar-
keit besitzen und auch Ranken, die pholongenetisch aus Zweigen
hervorgegangen sind, das Klettern besorgen, in ß) Hakenklimmer,
welche kurze, hakenförmige Achseiiorgane zum Klettern be-
nutzen, in y) Uhrfederranker, bei denen uhrfederartig gerollte
Ranken vorhanden sind, in denen sich die stützenden Organe der
fremden Pflanzen fangen, die dann vermöge der Reizwirkung fest
umgriffen werden, und in J) Fadenranker mit zunächst geraden,
erst in Folge eines Contactes sich spiralig rollenden Ranken, die
hier, wie auch meist in den drei vorausgehenden Fällen, aus
Blüthenstandachsen hervorgegangen sind.
Die Windepflanzen entbehren der Contactreizbarkeit: das
Winden kommt bekanntlich nach Ansicht der Autoren, die das
Problem des Vorganges zu lösen versucht haben, durch Cir-
cumnutation der Sprossspitze und negativen (Geotropismus der-
selben zu Stande.
Die Wurzelkletterer, zu denen ja auch der Epheu gehört,
befestigen sich mittelst Wurzeln an die Stützen, und die Spreiz-
kliminer endlich entwickeln einfach langgestreckte Stengel und
Zweige, die durch ihre Auseinanderspreizung und oft Entwicklung
von Stacheln oder Dornen eine Stütze in dem fremden Geäst
finden.
Meist sind die Lianen Holzgewäcbse, seltener bleiben sie
krautig. Aiifi'alleiid ist die häufige LTebereinstimmung der äusseren
Gestalt der Laiibblätter der Lianen in den verschiedensten
Familien; diese Blätter sind nämlich von nieren-, herz-, oder pfeil-
förmiger Gestalt, die Nerven meist fingerig verzweigt und die
Spreiten schräg von ihren Stielen nach abwärts gerichtet.
Prof. Dr. Richard Lepsius, Geologie von Deutschland und den
angrenzenden Gebieten. 1. Tlieil: Das westliche und südliche
Deutschland. Mit einer geologischen Karte, einer Tafel farbiger
Profite und mit 13G Profilen im Te.xt. Verlag von J. Engelhorn.
Stuttgart 1887—1892. — Preis 32,.50 M.
Eine umfassende geologische Beschreibung von Deutschland,
welche in knapper, aber vollständiger Form die gew'altige Menge
der bisherigen Forschungen kritisch gesichtet zur Darstellung
bringt, ist ein dringendes Erforderniss. Unser rühmlichst be-
kannter westdeutscher Geologe hat sich dieser Riesenarbeit unter-
zogen. Sein Werk wird sich in drei Theile gliedern: I. Das
westliche und südliche Deutschland; II. Das nördliche und öst-
liche Deutschland; III. Die deutschen Alpen. Hiervon liegt uns
der erste Theil vor. Es ist ein stattlicher, 766 Textseiten um-
fassender, vorni'hni ausgestatteter Band. Eine genaue, dein Texte
vorangesehickte Inhalts- Angabe gestattet eine sofortige (Jrientirung,
und ein sorgfältiges Verzoichniss einerseits der angeführten Ver-
steinerungen, andererseits der vorkommenden Berg- und Ortsnamen,
erleichtert die Benutzung des Werkes ganz ungemein. Die wei-
tere Ausstattung des Bandes besteht in 10 Uebersichts-Tabellen
der wichtigsten und typischsten Formationsentwickelungeu, einer
geologischen Karte und einer farbigen Profiltafel des behandelten
Gebietes und endlich lo(i Profilen im Texte.
Das im vorliegenden Bande geschilderte Gebiet ist dasjenige,
auf welchem der Herr Verfasser seit länger als zwanzig Jahren
selbst hervorragend thätig gewesen ist und für dessen Kenntniss
er als Autorität ersten Ranges allgemein bekannt ist. Die ganze
Darstellung zeigt denn auch den genialen Forscher und gründ-
lichen Kenner in jeder Zeile. Wie der Titel bereits andeutet, hat
er sich nicht in der Schilderung durch politische Grenzen binden
lassen, sondern führt uns die von seiner Feder gezeichneten Ge-
biete als morphologische Einheiten in ihrer gesammten Ausdeh-
nung vor. Diese Einheiten werden alsdann nach jeder Richtung
von ihm besprochen, und so finden wir denn nicht die einzelnen
Formationen in ihrem Ge.sammtvorkommen durch das ganze Ge-
biet geschildert, sondern in der Weise, wie sie heute an der Zu-
sammensetzung der natürlichen Haupttheile desselben sich be-
theiligen. Als die natürlich umgrenzten, von einander gut ge-
treniiVcu Theile des westlichen und südlichen Deutschland stellt der
Heil \'erfasser die beiden um den Hauptfluss desselben, den Rhein,
sich grnppirenden grossen GiOiirgspartien dar: I. das nieder-
rheinische Schiefergebirge, II. das oberrheinische Gebirgssystem.
Von beiden giebt er nach einer jedesmaligen orograjibischen
Uebersicht eine meisterhafte Darstellung der an ihrem Aufbau
betheiligten Schichtousysteme und der in ihnen auftretenden
Eru])tivgesteine. Dies ist im Grossen die Disposition des vor-
liegenden ersten Theiles. Höften wir, d.ass der Herr Verfasser
die wissenschaftliche Welt recht bald mit der Fortsetzung seiner
bewundernswerth fleissigen und gewissenhaften Arbeit erfreut,
die, wenn auch in erster Linie jedem deutschen Geologen ein
unentbehrliches Handbuch werden wird, so doch ganz wesent-
lichen Nutzen auch den Fachgenossen der Nachbarreiche bringen
muss. Bibliotheken, die auch nur einigen Werth auf den Besitz
der hauptsächlichsten und wichtigsten naturwissenschaftlichen
Handbücher legen, können — wenn sie wirklich zu wissenschaft-
lichen Zwecken benutzt werden — die Anschaft'ung des Lepsius-
sclien Werkes kaum umgehen. Einen unschätzbaren Vortheil
bringt das Werk allen denen, die abseits von grösseren, umfang-
reichen Bibliotheken geologisch arbeiten möchten; in gewiss manchen
solcher Fälle wird das in dem Lepsius'schen Werk Gebotene als
Grundlage des Studiums die trefflichsten Dienste leisten, und wo
auch ein tieferes Eindringen gewünscht wird, findet der Leser
reiche Litteratur-Angaben.
244
Natiirwisscusclial'iÜL'lic Woeliciisclii'in.
Nr. -24.
G. Krüss, Specielle Methoden der Analyse. Anleitung zur An-
wendung physikalischer Methoden in der Chemie. Mit 32 Te.xt-
Abbildungen. Leopold Voss. Hamburg und Leipzig, 1892. —
Preis 3,.5Ö Mk.
Der Verfasser, der besonders auf dem Gebiete der Spectral-
Analyse grosse Erfolge aufzuweisen hat und somit das beste Bei-
spiel für den Nutzen, den die Anwendung physikalischer Methoden
dem Chemiker gewährt, liefert, hat iu dem vorliegenden kleinen
Buche überaus Dankenswerthes geleistet. Die Gasanalyse und die
Analyse durch Elektrolyse ist von der Besprechung ausgeschlossen,
da diese bereits von A. Winkler und A. Classen in vorzüglichen
Lehrbüchern behandelt sind. .Jedes andere phj'sikalische Hilfs-
mittel, dessen der Chemiker bedarf, ist aber in vorzüglicher Weise
erörtert. Die Methoden sind aufs Klarste geschildert und die Be-
schreibung der Apparate ist durch treffliche Abbildungen erläutert.
Ganz besonders werthvoll ist es, dass an Stelle breiter theoretischer
Erörterungen, über welche doch der Anfänger meist hinwegliest,
durch sinnreich eingestreute Fragen zum Nachdenken und zum
Vertiefen in die Theorie angeregt wird. So wird dieses Buch
dem Jünger der Chemie ein treft'licher Förderer, jedem Forscher
aber ein treuer, fast unentbehrlicher Freund werden. Spiegel.
Bruno Kolbe, Einführung in die Elektricitätslehre. Vorträge.
1. Statische Elektricität. iMit 75 Textfiguren. Julius Springer
in Berlin und R. Oldenbourg in München, 1893. — Preis 2,40 Mk.
In sechs Experimental - Vorträgen werden vom Verfasser die
Erscheinungen der statischen Elektricität in geradezu meister-
hafter Vollendung dargestellt. Nicht bloss für den Neuling, son-
dern auch für den Fortgeschrittenen muss das Buch wegen seiner
bewundcrnswerthen Klarheit und wegen der schwungvollen Dar-
stellungsweise vom grössten Nutzen sein, denn viele Begriffe,
welche beim gewöhnlichen Studium gern in einem gewissen Halb-
dunkel bleiben, werden liier in treffendster Weise zur völligen
Bestimmtheit gebracht. Es sei z. B. nur die schöne Erläuterung
der Begriffe Elektricitätsmenge, Capacität, Potential u. s. w. hervor-
gehoben, welche den Abschluss der sechs Vorträge bildet. Auch
jedem Lehrer ist das Büchlein angelegentlichst zu empfehlen
wegen der vielen schönen, noch nicht allgemein bekannten Ver-
suche, die hier beschrieben und durch vorzugliche Illustrationen
so veranschaulicht werden, dass man danach die wenigen, ein-
fachen Apparate leicht selbst anfertigen kann, wofern man es
nicht vorzieht, sie von den im Anhang angeführten Firmen direct
zu beziehen. Hoffentlich erfreut uns der Verf. recht bald auch
mit dem zweiten, die dynamische Elektricität beliandelnden Theil
seines Buches. Wenn wir für diesen auf eine kleine Aeusser-
lickkeit aufmerksam machen dürfen, so möchten wir die Häufig-
keit des Gebrauchs der Worte: „Sie seilen" eingeschränkt wissen.
Schon beim Anhören eines Vortrages macht sich diese fortwährende
Wiederholung, welche die meisten Experimentatoren an sich haben,
unangenehm bemerkbar; aber noch viel ermüdender wirken solche
eigentlich doch ganz überflüssige Worte bei der Leetüre eines
gedruckten Buches. F. Kbr.
Strobel, Namenregister zu den Beiblättern zu Wiedemann's
Annalen. — Bei der Bedeutung, welche die Beiblätter zu Wiede-
mann's Annalen für die physikalische Gelehrtenwelt besitzen,
wird das vorliegende Namenregister eine erwünschte f^rgänznng
zn dem grossen Register der Annalen selbst sein. Auch solche,
welche die Zeitschrift vielleicht nur in Bibliotheken einsehen
können, werden durch das Register eine wesentliche Erleichterung
der Benutzung empfinden.
Proceedings of the Royal Society. London 1896. Die vor-
liegende Nummer (31'J) bringt die Berichte über die Sitzungen
vom 19. und 26. Januar und folgende Artikel: Discon: E.xplosions-
fähigkeit der Gase. (Auszug?) Verfasser giebt eine gedrängte
Uebersicht der Bedingungen, welche eintreten müssen, um eine
Explosion in Gasen hervorzurufen. Pickering: Ueber die
Physiologie des embryonalen Herzens. Es wird die Frage über
die Bedeutung der beiden Factoren der Herzthätigkeit, des con-
tractilen Gewebes und der Nervenelemente behandelt. Verfasser
hat zu diesem Zwecke mit Herzen, an denen der Nerven-Mecha-
nisnius noch nicht entwickelt war, unter verschiedenen Bedingungen
Versuche angestellt. Versuchsobjecte bildeten die Herzen von
Huhnembryonen, welche 72 Stunden bei 38" C. bebrütet worden
waren. Matthey: Weitere metallurgische Untersuchungen des
Wismuthes. Es wird die Scheidung des Wismuthes von Arsen
und Antimon beschrieben. Dem Andenken zweier verstorbener
Mitglieder der Gesellschaft, Dr. Hirst und Ed. Calver, sind warme
Nachrufe gewidmet. F. K.
The Journal of the Linnean Society. Botany. Band 29,
No. 20.3. London 1893. — Das Heft enthält allrin eine Arbeit
von F. N. Williams: Eine Monographie der Gattung Dinnthus,
Linn. Nach einer Besprechung der äusseren ( )rgane stellt der
Verfasser das Verwandtschafts-Verhältniss des Genus Dianthus zu
anderen Genera durch das folgende Diagramm dar, worin die
grössere Zahl der Striche die stärkere Divergenz der Geschlechter
von einander andeuten soll. Die Gattung Dianthus wird in drei
Velezia Allochrusa
Dianthus
Tunica
Acanthophyllum
Gypsophila.
iVaccaria
Saponaria
Subgenera zerlegt — Carthusianastrum, Caryoidivllastrum uml
Proliferastrum — , von denen die beiden ersten wiederum in meh-
rere Sectionen und Subsectionen zerfallen, das letzte in ,z>vei
Gruppen, welche auf die Beschaffenheit der Bracteen, des Kelches
und der Samen gegründet wei'den. Er bespricht im Ganzen 238
Species, bringt alsdann eine Liste der Hybriden-Formen und be-
handelt in einer kui'zen Schlussliemerkung die im de Candolle'schen
Prodromus aufgeführten .Arten, von denen er nur 66 anerkennt.
Das sehr genaue alphabetische Verzeichniss enthält nicht allein
die in der Abhandlung genannten Formen, sondern auch deren
vorstehend noch nicht erwähnten Synonyma — F. K.
Das akademische Berlin. Sommer-Halbjahr 1893. Mayer u.
Müller. Berlin 1893. — Preis 0,80 M. Das Büchelchen dürfte jedem,
der in akadeudschen Kreisen Bi'rüns zu thun hat, nicht nur dein
Studircnden, für den es in erster Reihe bestimmt ist, sondern
auch dem Docenten erwünscht sein. Es orientirt über die Uni-
versität, Akademie der Wissenschaften, Akademie der Künste,
Militärärztliche Bildungsanstalten, Technische Hochschule, Geolog.
Landesanstalt und Bergakademie, Landwirthschaftliche Hoch-
schule, Tliierärztliche Hochschule u. a. Den Bibliotheken ist ein
besonderer Abschnitt gewidmet, den Schluss bildet ein Personal-
Register.
Amnion, O., Die natürliche Auslese beim Menschen. Jena. M. 7.
Bittner, A. , Decapoden des pannonischcn Tertiärs. Leipzig. I M.
Boys, C. V., Seifenblasen. Leipzig. 3 M.
Bücking, H., Der nordwestliche Spessart. Berlin. 10. M.
Cloetta, A., Lehrbucli der Arzneimittellehre und Arzneiver-
(iidnungslehre. 8. Autlage Freib. 7 M.
Dickhuth, M., Ueber einige Imligo-Derivate. Jena I M.
Dahl, F., «. Die Halobates Ausbeute der Plankton-Expedilion.
Kiel
Goldbreck, E., Descartes' mathematisches Wissenscliaftsideal.
Berlin. 1 M.
GUntsche, R., Beitrag zur Integration der Dift'erentialgloichung
dl/
dz ^ f" "•" P' ■' "•" P^ ■'•'' "^ P' y'- B'21"''"- 1 '^^■
Inhalt: K. Schmidt: Ueber das Strömen von Flüssigkeiten. (Mit Abbild.) — Dr. Friedrieh Dreyer: Physikalische Erklärung
von Formverhältnissen organischer Skeh'ttbildungen. (Schluss.) — Farbenweclisel, dem die Wanderlienschrecdve unterliegt. —
Die Ansteckungsmögliclikeit der Krätze der Kaninchen und, Katzen. — Ueber eine eigentliüniHche .Sidimetterlings-Invasiou. —
Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Dr. Otto Zacharias: Forschungsbericlite aus der Biologischen Station zu
Plön. Theil I. Faunistische und biologische Beobachtungen am Grossen Plöner See. — Dr. Karl Eckstein: Bericht über
die Leistungen auf dem Gebiete der Forst- und Jagdzoologie. — Privatdocent Dr. H. Schenck: Beiträge zur Biologie und
Anatomie der Lianen, im Besonderen der in Brasilien einheimischen Arten. — Prof. Dr. Richard Lepsin s: Geologie von
Deutschland und den angrenzenden Gebieten. - G. Krüss: Specielle Methoden der Analyse. — Bruno Kolbe: Einführung
in die Elektricitätslehre. — Strobel: Namenregister. — Proceedings of the Royal Society. — The Journal of the Linnean
Society. Botany. — Das akademische Berlin. — Liste.
Verantwortlicher Rodakteur: i. V. Dr. Friedrich Kaunhowen, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in
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sprechenden Rabatt. Beilagen nachUebereinkunft, Inseratenannahnic
bei allen Annoncenbureaux. wie bei der Expedition.
Abdruck i»it nur mit vollstäiiilis^er ({acllcnaugabe gestattet.
Ueber die künstliche Darstellung des Diamanten.
Im Jahre IGiJö wurde in der Akademie zu Florenz
von Averaiiii und Targioni der erste Diamant im Foeu.s
eines ,i;-rossen IJreimspiegels veiflüclitigt. Die wi.sseu.scliaft-
lielie Welt nahm staunend Notiz von dieser Thatsache,
und doeh war es inög-lich, dass noch 80 Jahre S|)äter der
kostbare Edelstein für eine besonders schöne Art von
Berg'krystall, d. h. für Kieselsäure gehalten wurde. Man
darf sieii darülier nicht allzusehr wundern, denn die da-
maligen Vorstellungen über die Natur der Verbrennung,
sowie die gänzliche Unkenntniss der Methoden, welche
die chemische Analyse heute anwendet, waren der Lösung
des Problems nichts weniger als günstig. Lavoisier und
seiner Schule war es vorbehalten, auch hier, wie auf so
vielen anderen Gebieten der chemischen Wissenschaft, Auf-
klärung zu schaffen. Man erkainite, dass der Diamant bei
hoher Temijeratnr wirklich verbrannte, dass <lai)ei Kohlen-
säure auftrat, und dass reiner Kohlenstoff oder Graphit bei
der Verbrennung gerade so viel Kohlensäure lieferten, als
diesell)e Gewichtsnienge Diamant. Daraus ergab sich
schon, dass letzterer nichts anderes sein konnte, als reiner
krystallisirter Kohlenstoff, eine Thatsache, welche 1814
von Davy endgültig bestätigt wurde.
Amori»her Kohlenstoft", Grapliit und Diamant sind also
chemisch identisch, sind „ailotrope Moditieationen" des-
selben Grundstoftes, die sich nur jjhysikalisch von ein-
ander unterscheiden. Der gew<'ilinliche Kohlenstoff ist ein
sclnvarzes amorphes Pulver, der Graphit zeigt ein glän-
zendes krystallinisches Gefüge, der Diamant krystailisirt
in wasserklaren, stark lichtbreehenden Oetaedeni. Mit
diesem Fortschritt von der formlosen Substanz zur Sym-
metrie des Krystalles geht eine wachsende Verdichtung,
d. h. eine Steigerung des speeilischen Gewichtes und ebenso
eine Steigerung der Härte Hand in Hand. Der Diamant
ist so hart, dass er Rubin zu ritzen vermag, weshalb er
auch nur mit Diainantpulver geschliffen werden kann.
Sein specitisches Gewicht ist ?>,;') bis 3, .55.
Nachdem die chemische Natur des Diamanten zweifel-
los festgestellt war, wurde
uaturgemäss
sehr bald die
Frage aufgeworfen, oh es nicht gelingen könne, das
seltene Mineral künstlich aus Kohlenstoff darzustellen.
Man durfte hoffen, durch eine solche Reproduction einen
Einl)lick in die Arbeitsweise der Natur zu erhalten, d. h.
die Frage nach dem natürlichen Bildungsprocess des
Diamanten, welche im Laufe der Zeit zu mancherlei Hypo-
thesen Veranlassung gegeben hatte, endgültig zu ent-
scheiden. .
Im Januar dieses Jahres machte der franzüsische
Chemiker Moissan in einer Sitzung der Akademie der
Wissenschaften zu Paris die Mittheilung, dass ihm die
künstliehe Darstellung des Diamanten gelungen sei; seine
Versuche sind in den Berichten der französischen Akademie
veröfif'entliciit. Bevor wir jedoch auf dieselben eingehen,
müssen wir uns mit denjenigen Thatsachen und Ideen
beschäftigen, deren logische und conscquente Verfolgung
schliesslich zu dem erstrebten Ziele geführt hat.
Die einfachste und einleuchtendste Anschauung, welche
man sich über die natürliche Bildung des krystailisirten
Kohlenstoffs machen kann, ist die, dass derselbe direct
aus amorphem Kohlenstotf entstanden ist, den ja die Natur
in ihren gewaltigen Kohlenlagern in ungeheurer Menge
zur Verfügung hatte. Pflichten wir dieser Anschauung
bei, so entsteht die weitere Frage: Wie, das heisst, unter
welchen Eintiü-ssen ist die Krystallisation vor sich ge-
gangen? Feste Körper krystallisiren erfahrungsgemäss bei
dem Uebergange aus dem flüssigen in den festen Aggregat-
zustand; sie müssen sehr hoch, zum Schmelzen oder auch
bis zum Verdampfen erhitzt werden, um dann beim Erkalten
sich zu Krystallen zu verdichten. Bei gewissen mineralischen
Substanzen liegt nun der Schmelzpunkt ausserordentlich
hocli; die Krystallisation kann also erst bei sehr luiher
Temperatur vor sich gehen. Die in der Natur vorkommende
amorphe Modification des koiilensauren Kalkes, die Kreide,
kann künstlich in die krystallisirte Jloditication, den .Mar-
mor, überi;eführt werden, wenn man sie in . einem ge-
246
Natnrwisscnscliaftliclie Woclicnsclirift.
Nr. -25
schlosseiien Stahlrohr auf 1020° erhitzt. Andere Sub-
stanzen bedürfen noch höherer Temperaturen, um zu
krystalli.^iren. Erst vor Kurzem liat Moissan gezeigt, dass
gebrannter Kalk, den man bisher nicht krystallisirt er-
halten konnte, bei einer Temperatur von 2500 bis 3000°
schmilzt, leiehtflilssig wie. Wasser wird und sich beim Er-
kalten zu schön ausgebildeten Krvstallen verdichtet.
Eine andere Art der Krystallisation konmit zu Stande,
wenn ein fester Körper sich aus der bei höherer Tem-
])eratur gesättigten Lösung irgend eines Lösungsmittels
beim Erkalten ausscheidet, oder bei ungesättigten Lösungen,
wenn der Ueberschuss des Lösungsmittels verdunstet wird.
Es sprechen nun eine ganze Reihe von Thatsachen datlir,
dass die natürliche Krystallisation des Koldenstoft's „auf
trockenem Wege" vor sich gegangen ist. Der Kohlenstoff
ist ja in allen bekannten Lösungsmitteln unlöslich und die
au sich interessante Hypothese von Semnder: der Diamant
sei aus flüssiger, durcirstarken Druck verdichteter Kohh'ii-
säure auskrystallisirt, ist mit den beol)achtcten Erschei-
nungen nicht recht in Einklang zu bringen. Danacli müssen
wir annehmen, dass der diamantbildcnde Kohlenstoff durch
vulkanische Actionen auf eine ausserordentlich hohe Tem-
peratur gebracht wurde, und dass der Diamaut beim Ab-
kühlen krystaliisirte. Vcriiält sich das so, dann niüsste
es gelingen, durch Erliitzen von Kohlenstoff auf holte
Tem])eratur und bei Luftabsehluss den Diamanten dar-
zustellen. Derartige Versuche sind schon früher von
Despretz angestellt worden; die Resultate lassen aber
nicht mit Sicherheit erkennen, ob mit, ob ohne P]rfolg.
Für die Beurtheilung dieser Frage kommen noch andere
physikalische Momente in Betracht. Die bei hohen Tem-
peraturen sich l)ildenden Modificationen sind meist auch
nur bei hohen Temperaturen beständig und zeigen die
ausgesiirochene Tendenz, sowie die Abkühlung eine be-
stimmte untere Grenze überschritten hat, in eine andere,
bei niedriger Temperatur iteständige Modification über-
zugchen. So verhält sich z. B. der sogenannte „weiche"
Schwefel, welcher sieh in die octaedriselie Form umlagert,
so verhält sich nach den höchst interessanten Unter-
suchungen von Osmond und Roberts- Austen auch die
it?-Mo(litication des Eisens, welche i)eim Abkühlen in die
beständigere «-Modification übergeht. Dürfen wir diese
Erfahrungen auf die Modificationen des Kohlenstoffs über-
tragen, so wäre der Diamant die normale und beständige
Form liei einer sehr hoiien Temperatur. Beim Erkalten
würde sich diesellie dann in die bei niedriger Temperatur
beständige ^ioditicati<ui, den (4ra])hit, verwandeln. Es
giebt nun aber Mittel, welche geeignet sind, diese Um-
lagernng zu hindern; als solclie kommen in Betracht:
Ein hoher Druck, eine sehr schnelle Al)kühlnng und die
Gegenwart von Körpei'u mit kleinerem Atomvolumen.
Nehmen wir an, dass diese drei Factoren auch bei der
Bildung des Diamanten eine Rolle gespielt haben, so er-
giebt sich für die Auffassung des geologischen Vorganges
Folgendes:
Auf sehr hcdie Temjieratur erhitzter Kohlenstoff unter-
lag einer i)lötzliehen und sehr schnellen Abkühlung, und
zwar fand dieselbe unter sehr hohem Druck und bei
Gegenwart eines Körpers von kleinerem Atomvolum, d. h.
in diesem Falle bei Gegenwart von Wasserstoffgas statt.
Wir haben in\'orstehendem die jüngste Theorie über die
Genesis des Diamanten wiedergegeben, welche Werth erst
kürzlich in den Berichten der französischen Akademie ver-
ötfcntlicht hat. Tiiatsächlich lässt sie sieh mit allen bis-
her beobachteten Erscheinungen recht gut vereinbaren.
Sehen wir aber selbst von der immerhin noch problemati-
schen Mitwirkung des Wasserstoffs ab, welche darauf
hinweisen würde, dass der Diamantkohlenstoff ursi)rüng-
lich durch Zersetzung dampfförmiger oder flüssiger Kohlen-
wasserstoffe entstanden ist, wovon die in der Nachbar-
schaft von Diamantfeldern aufgefundenen Petroleumquellen
Zeugniss ablegen krmnten, so dürfen wir doch mit einem
hohen Grade von Wahrscheinlichkeit l)ehaupten, dass ein
hoher Druck und schnelle Abkühlung tiiatsächlich für die
Krystallisation des Kohlenstoffs maassgebend gewesen sind.
Eü war bisher ausserordentlich schwierig, für die
Beurtheilung des natürlichen Processes der Diamantbildung
einigermaassen sichere Anhaltspunkte zu gewinnen, weil
mau nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob das Gestein,
in welchem der Diamant an den verschiedenen P^nulorfen
vorkommt, wirklieh das „Muttergestein" des Minerals
darstellt, d. h. ob es mit ihm oder in ihm entstanden ist,
oder ob sein Vorkonnnen dort nur ein zufälliges, durch,
vulkanische Umwälzungen bedingtes ist.
Vor einiger Zeit entdeckte nun Mallard im Innern
eines Meteoreisens, welches bei Cafion Diablo in Arizona
niedergefallen war, Kohlenstoff, Graphit und Diamanten,
und zwar unter Umständen, welche mit voller Sicherheit
den Schluss gestatteten, dass dieses Eisen sphärischen
Ursprungs tiiatsächlich das Muttergesteiu des ^linerals
gewesen ist. Eine eingehende chemische und mikro-
skopische Untersuchung, welche Moissan und, unabhängig
von ihm, Friedcl vornahm, bestätigte diese Beobachtung
vollständig. Die Arbeitsweise der Natur war in diesem
Falle leielit verständlich: Das sehr hoch erhitzte, wahr-
scheinlich geschmolzene Eisen hatte eine gewisse Menge
Kohlenstoff gelöst, welcher beim schnellen Erkalten der
Masse unter hohem Druck zum Theil in Diamant über-
gegangen war. Moissan hat diesen Vorgang in einer sehr
geistvollen Weise nachgeahmt und damit das Pr(d)lem der
künstlichen Darstellung des Diamanten gelöst.
Gnsseisen absorbirt bei seiner Schmelztemperatur,
welche zwischen IIOO und 1200° liegt, eine nicht unbe-
trächtliche Menge Kohlenstoff". Lässt man das so er-
haltene Kohlenstoffeisen erkalten, so scheidet sieh ein
Theil des Kohlenstoffs in der ursprünglichen amorphen
Form ab, ein anderer Theil ist zu Graphit verdichtet
worden. Wurde dagegen die Sättigung des Eisens mit
Kohlenstoff" bei .3000° vorgenonnncn, so wurde nach dem
Erkalten kein amorpher Kohlenstoff' mehr gefunden, son-
dern nur Graphit, und zwar in sehr schönen schwarzen,
spiegelglänzendcn Krystallcn. In den Ergebnissen dieser
beiden Versuche prägt sieh der „verdichtende'" Einfluss
der gesteigerten Anfangstemperatur sehr deutlich aus. Die
Verdichtung führte aber nur bis zum Graphit, nicht bis
zum Diamant. Brachte man aber die beiden Factoren in
Anwendung, deren Einfluss wir oben besprochen haben,
nämlich einen starken Druck und schnelle Abkühlung,
so wurde eine kleine Menge des Kohlenstoff's als Diamant
krj'sfallisirt vorgefunden.
Zur Erzeugung eines hohen Druckes während des
Erstarrens der geschmolzenen Eisenmasse benutzte Moissan
in einfacher Ausbeutung einer längst bekannten physi-
kalischen Thatsache das Eisen selbst. Während sieb
nämlich fast alle Körper bei dem Uebergange aus dem
flüssigen in den festen Aggregatzustand zusammenziehen,
d. h. ihr Volumen vermindern, dehnen sich einige im
Gegentheil dabei aus, vermehren ihr Volumen. Diese
Ausnahmestellung nimmt vor Allem das Wasser ein; aber
auch Silber und leisen. Wird daher in einem Tiegel ge-
schmolzenes Eisen plötzlich al)gekühlt, so dehnt sich die
erstarrende Masse momentan stark aus und vermag dadurch
einen ausserordentlich hohen Druck hervorzubringen. Auf
dieser Grundlage stellte JMoissan folgenden ^'ersueh an:
Ganz reiner, aus Zucker dargestellter Kohlenstoff" wurde
in einem gusseiscruen Cylinder stark conii»rimirt und letzterer
mit aufgeschraubtem Deckel hermetisch verschlossen. Mau
schmolz nun im Tiegel 150—200 g Gusseisen, senkte den
25.
Ntaturwisscnsclialtliclic WuclicDiscIirift.
•J47
Cyliiidcr mit der Kolile in das flüssige Metall ein und
bracditc das Ganze dann sofoit aus dem Ofen in ein (Je-
fäss mit Wasser. Üufch die schnelle Abkühlung' bildete
sich in i;anz kurzer Zeit eine Kruste von festem Me-
tall. Nach dem vollständigen Erkalten musste zunächst
das Eisen entfernt werden, damit man einen Einblick in
die Veränderungen, welche der Koidenstotf erlitten hatte,
gewinnen konnte. Nachdem das Metall mit Salzsäure
völlig herausgelöst war, blieb ein schwarzer liückstand,
welcher neben (»rapliit eine eigcnthiimlielie Kohlenart von
kastanienbrauner Farbe enthielt, die sieh bei mikro-
skoiiiseher Betrachtung in langen, gewundenen Streifen
präsentirte; ausserdem war eine geringe Menge Kohlen-
stoff von höhereni specifiselieni (iewicht entstanden. Hatte
sich wiiklicli Diamant gebildet, so musste er natürlich in
der specitisch sciiwcrsten Kohle gesucht werden. Es galt
also, dieselbe zu isoliren. Zu diesem Zwecke wurden die
leichteren Kohlensortcn durch niehrfaclic Behandlung der
Masse mit Königswasser, conccntrirter Scliwcfelsänre und
Flusssäure zerstört. Der cnergisciien Einwirkung dieser
Säuren vermögen aber ausser dem Diamant noch der
(irajiliit und gewisse sehr schwer angreifbare Kcdileu-
sorten zu widerstehen. Dieselben wurden deshalb tlicils
auf meclianischem Wege, theils durch oft wiederholte
Einvviikung von chlorsaurem Kali und rauchender Salpeter-
säure entfernt. Alle diese Operationen sind ausser^n■dcnt-
lich mühselig und erfordern viel Geduld und Subtilität,
zumal CS sich ja um die Verarbeitung ausserordentlich
geringer Quantitäten handelte, von denen keine Spur ver-
loren gehen durfte und die inmier und iunuer wieder mit
dem Mikroskop geprüft werden mussteu. Zum Schluss
blieben einige sehr kleine Krj'stallfragmente übrig, welche
theils schwarz, theils durchsichtig waren, das s|iecitisehe
Gewicht 3 bis 3,0 hatten, Rubin ritzten und, im Sauerstoti-
strom auf lUÜU" erhitzt, verbrannten. Kein Zweifel, hier
lag der gesuchte Diamant vor, und zwar in den beiden
Formen, in denen er auch in der Natur vorkommt: in
durchsichtigen, stark lichtbrechenden Octaedern und in
seiner schwarzen Varietät, welche „Carbonado" genannt
wird; ihr specitisches Gewicht ist gewöhnlieh ctw'as
niedriger als das des edlen Diamanten. Leider war die
Ausbeute an durchsichtigen Diamanten so gering, dass
eine Wägung der durch Verbrennung producirteu Kohlen-
säure nicht vorgenonnnen werden konnte. — Da Silber
sieh l)eim Erkalten ebenso wie Eisen ausdehnt und bei
Siedehitze ebenfalls Kohlenstoff aufnimmt, so versuchte
Moissan auch dieses Metall zur Diamantbildung zu be-
nutzen. Auch dieser Versuch glückte; es hatte sich aber
nur die eben erwähnte schwarze Varietät gebildet, deren
specifisches Gewicht bis zur Höhe von 3p variirte, was
insofern interessant ist, als man .,Cii'"hona(los" von so
grosser Dichte bisher nicht kannte. Das Feinsilber, welches
hierzu verwendet wurde, enthielt in einigen Fällen etwas
Gold; dann war nach dem Erkalten der Kohlenstoff mit
Goldkörnehen \'olIkommen durchsetzt; es erinnert das au
die natürlichen goldhaltigen Carbonados, welche Dcscloi-
zeaux aufgefunden hat. Soviel über die Versuche von
Moissan. Nicht unerwähnt wollen wir lassen, dass gleich-
zeitig mit diesem Forseher ein anderes Mitglied der
französischen Akademie, Friedel, eine Arbeit über den-
selben Gegenstand veröffentlicht hat, welche ebenfalls
ein ganz besonderes Interesse verdient. Sic beschäftigt
sieh vornclunlieh mit der Fi'age, ob nicht bei der
Bildung des Diamanten in dem Meteoreisen von Ari-
zona auch der Schwefel eine INjIle gespielt hat, der
in der Form von Troilit (Schwefeleiseu) gcwissermaassen
das Lager bildet, in welches der Kohleustoft' einge-
bettet ist.
Ob die kohlenstotVlöseude und die Krystallisation be-
fordernde Fähigki'it des Eisens oder anderer Metalle bei
der natürlichen Bildung des Diamanten in jedem Falle
mitgewirkt hat, wie in dem besonderen Falle des Jleteor-
eisens von Caäon Diablo, niuss im Hinblick auf das
irdische Vorkommen des Diamanten bezweifelt werden,
und wohl ist es nKiglich, dass statt dessen in vielen Fällen
andere Factoren bei der Krystallisation des Kohlenstoffs
mitgewirkt haben; die Natur bedient sich ja, um den-
selben Zweck zu erreichen, nicht inmier derselben Mittel.
Werden wir auch niemals die complexeu chemischen und
physikalischen Vorgänge, welche durch Umwälzungen
vulkanischer Natur in längst vergangenen Erdjiei'ioden
\eranlasst worden sind, mit voller Klarheit durchschauen
lernen, so glauben wir doch, dass tlie Forschungen, welche
wir in kurzen Zügen dargestellt haben, zur Klärung der
Anschauungen über die natürliche Bildung des Diamanten
Einiges beigetragen haben. Dr. Richard Jos. Meyer.
Die rilzg:ärten eiiii5;:er südaiuerikauischer Ameisen
betitelt sich ein kürzlich erschienenes, für Botaniki'r und
Zoologen gleich wichtiges Buch von Dr. A. Möller.
Dr. Möller, welcher ursprünglich nur rein mykologischer
Zwecke wegen nach Blumenau in Brasilien gegangen war,
theilt hier seine Beobachtungen über mehrere Ameisen-
arten mit, von denen bereits früher von Th. Bclt ver-
nmtliet worden war, „dass sie l'ilzbauer und -esser
wären."
In allen Reiseberichten der Naturforscher, welche sich
im tropischen Amerika eine Zeit lang aufhielten, finden
wir Schilderungen von der Zerstörung, welche die Sehlepp-
ameisen an der Vegetation, namentlich an eulti\irten oder
überhaupt nicht einheimischen Pflanzen amüehtcn. Diese
Ameisen (Atta discigcra Mayer) sind bei Blumenau so
häutig, dass sie bei jedem Spaziergang angetroft'en wer-
den. Gewöhnlich sieht man zuerst an irgend einer Stelle
einige Ameisen, beladen mit grossen, halbkreisförmigen
oder runden Blattstüekcn, die sie geschickt senkrecht
nach oben, den Schwerpunkt über den Körper legend,
mit ihren Fresszangen halten. Dieselben eilen alle der
gebahnten Strasse zu, welche vom Sannnelort bis zum
Neste führt. Diese Strasse ist kunstvoll in ziemlicher
Breite und oft auf sehr beträchtliche Länge hin in den
Boden hinein gebaut uml zu beiden Seiten mit einem Wall
abgeschlossen. Häufig, wenn es der Boden gestattet,
wird sie auch überwölbt, wobei die Ameisen sich als sehr
geschickte Gewölbeconstructeure erweisen. So glatt und
einfach geht die Strasse nun nicht immer, im Urwald
müssen die Ameisen ihre Blättcrlast oft 10 — 20 Meter
senkrecht am Baum oder einer Liane heral) tragen; dann
geht's über Farnwedel oft wieder ein Stück hinauf, an
einem Blattstiel oder einem todten Stamm wieder hin-
unter, über Steine und trockene Aeste hinweg, ein Bach
wild auf einem Ast gekreuzt, das senkrechte Ufer er-
klettert, bis endlieh oft 50 — (JO ]\leter von der Sammel-
stelle das Nest erreicht ist. Und bei diesem ganzen be-
schwerlichen ^larscli halten die Ameisen ihre Last unver-
wandt fest und lassen sie höchstens wie auf Commando
fallen, wenn der Weg unterbrochen ist und ein neuer
gesucht werden muss. Aber sobald die Kundschafter
diesen wieder entdeckt haben, nimmt jede sofort ihre
Last wieder auf, und weiter ziehen sie damit zum Nest.
Besonders interessant ist die Art, wie die Ameisen
arbeiten. Ist eine Pflanze, welche „geschnitten" werden
soll, gefunden, so beginnen die Arbeiterinnen sofort ihr
248
Naturwi.sseuscliaftlic'lie Woclieiisclirift.
Nr. 25.
Werk. Jede Ameise sucht sich ein Blatt aus und beginnt
vom Rande aus, indem sie mit dem Hinterleibe stehen
bleibt und mit dem Vorderkörper einen Kreis um diesen
beschreibt, ein halbkreisförmiges .Stück des Blattes heraus-
zuschneiden. Wenn das Stück lieinahe abgetrennt ist, so
hält sie sich mit den Hinterbeinen am IJlatte fest und
fängt beim letzten Schnitt das Blattstück geschickt mit
den Fresszangeu auf und schwingt sich dann auf das
Blatt hinauf, balancirt hier ihr Stück richtig und tritt
dann eilends den Weg nach dem Neste an. Dann be-
ginnt eine andere, dann wieder eine andere Ameise am
selben Blatt zu schneiden und im Handumdrehen ist von
demselben nur noch die Jlittclrippe vorhanden. Die Lasten,
welche die einzelnen Ameisen so fortschleppen, können bis
zum Neunfachen ihres Körpergewichts steigen, die gewöhn-
liche Belastung geht allerdings nur bis zum Doppelten
oder Dreifachen.
Die Arbeit, welche die Ameisen auf diese Weise
leisten, ist unglaublich; ganze PHanzungen können in
kurzer Zeit kahl geschnitten werden. Was thun nun die
Ameisen mit all den Blattstücken, welche sie in ihr Nest
schleppen? Dass sie ihnen nicht zur Nahrung dienen,
wusste man, da man noch nie beobachtet hatte, dass sie
Blätter frassen. Tb. Belt vernnithete, dass sie damit einen
Filz züchteten und dieser ihnen dann zur Nahrung diente;
doch war diese Ansieht nicht bewiesen. Fest stand nur,
dass ein Theil des geschleppten Materials, namentlich
Stücke von trockenen Blättern, zum Dachbau über den
Nestern verwendet wurde. Alles übrige aber wandert in
das Nest und kommt nicht wieder zum Vorschein.
Die Nester sind nun mit einer pcn'ösen, schwannn-
artigeu Masse angefüllt, welche frei im Neste steht und
in ihren unteren Höhlungen die Eier und Puppen be-
herbergt. Eine Untersuchung dieser Masse ergab, dass
sie aus KUgelchen bestand, welche Zellrudimente ent-
hielten und völlig durchwuchert waren von einem farb-
losen Pilzmycel. Um genau festzustellen, wie die Ameisen
diese „Pilzgärten" anlegten, hielt Jlöller sich eine grössere
Anzahl von Ameisen in der Gefangenschaft in Glasschalen
und konnte sie hier in einigen Fällen bei der Arbeit be-
lauschen.
Die Thiere zerschneiden die Blattstücke zuerst in
kleine Fragmente, quetschen diese dann mit ihren Zangen
und formen daraus sehr geschickt kleine Kügclehen von
blauschwarzer Färbung. Diese Kügclehen werden dann
von ))esonderen Arbeiterinnen dem Bau des Pilzgartens
angefügt; in weniger als 24 Stunden ist dann der neue
Baustein vom Pilzmycel völlig durchwuchert. I )ie frischen
Theile der Pilzgärten haben blauschwärzliche, die älteren,
schon erschöpften, gelbröthliche Färbung. Wenn solche
Nester mit ihren Gärten zerstört werden, so laufen an-
fangs alle Ameisen rathlos umher, bald aber fangen sie
au, die Theilchen des zerstörten Gartens wieder zu sam-
meln und aneinander zu fügen, und in kurzer Zeit ist
kein Stückchen mehr davon ausserhalb des wieder auf-
gebauten Nestes zu finden. Vor allem sind die Ameisen
bemüht, die Theile des Gartens gegen Licht und Ver-
dunstung zu schützen, wie Möller häutig Gelegenheit hatte,
in der Gefangenschaft zu l)eobachten.
Eine Hauptaufgabe der Untersuchung war nun fest-
zustellen, welcher Pilz von den Ameisen cultivirt wird
und wie die Entwickelung desselben verläuft. Die erstere
Frage war durch einen glücklichen Zufall leicht zu lösen.
Möller fand nämlich in einigen Fällen auf den Nestern
Rasen eines Hutpilzes, der sich als neue Art erwies und
Rozites gongylophora genannt wurde. Derselbe ist
ein Verwandter des bei uns im Herbst so häufigen Ro-
zites (Pholiota) caperata. Dass diese Hüte wirklich
zu dem Ameisenpilz gehörten, war daraus zu schliessen.
dass der Pilz eine grosse Neigung zeigt, an
iillerlei altenteuerliche Anschwellungen und
dass die Sporen in der Objectträgercultur dasselbe charak-
teristische Mycel und Nebenfruciitformen ergabön, von
denen gleich weiter die Rede sein soll.
Das Mycel des Pilzes ist grobfädig und an einzelnen
Stellen schwellen die Fäden und ihre Seiten\erzweigungcn
am Ende keulig au und hiUlcn kleine, weisse, nüt blnssem
Auge gerade noch wahrnelnnbare Pünktchen, welche Möller
die „Kohlrabihäufchen'- nennt. Diese sind es, welche
den Ameisen zur Nahrung dienen. Füttcrungsversuehe,
die in der Gefangenschaft angestellt wurden, ergaben,
dass die Ameisen die Kohlrabi sowohl aus dem Pilz-
garten wie von Objcctträgerculturen von der Nadel nahmen,
dagegen eher verhungerten, als dass sie irgend eine andere
Speise anrührten. Ebenso gern frassen sie auch Stückchen
von dem Hutpilz.
Die Pilzgärten stellen Reinculturen des Rozites dar,
so dass ohne weiteres kleine Mycelstückchen als Ausgang
für die Objcctträgerculturen benutzt werden können. Hier
ergiei)t siel
den Fäden
.4ussackungen zu bilden, von denen die Bildung der
Kohlrabihäufclien nur eine specielle Art ist. Ferner ge-
hören zweierlei Conidicnträger zu dem Pilz, von denen
der eine eine entfernte Aehnlichkeit mit Aspergillus hat.
Dieselben Verhältnisse lassen sich auch im Grossen beob-
achten. Wenn Stücke eines l'ilzgartcns von den Ameisen
gereinigt und sich dann selbst überlassen werden, so be-
ginnt alsbald die Bildung eines weissen Luftmycels, das
zur Bildung der Conidien und der „Perlschnurfäden", wie
Möller eigenthündich angeschwollene Fäden nennt, schrei-
tet. Auch fremde Pilze linden sicli unter diesen Um-
ständen bisweilen ein. Daraus geht hervor, dass die
Hauptthätigkeit eines Theiles der Ameisen darin besteht,
den Garten auszujäten und durch Abbeissen der Mycel-
fäden die Bildung des Luftmycels zu verhindern. Dies
ist in grossen Zügen das, was Möller über die Pilzgärten
von Atta mittheilt. Dieselben oder ähnliche Beobachtungen
machte er nun noch bei einer Reihe von anderen Ameisen,
von denen 3 Apterostignia-Arten und 2 Cyphoniyr-
mex- Arten zu neuneu sind. Auch diese Thiere züchten
ihren Pilz, der aber etwas von dem der Atta-Arten verschieden
ist; eine höhere Fruchtfonn hat sich zu diesen nicht ge-
funden. Trotz vieler Versuche ist es Möller nie gelungen,
zu beobachten, dass die Thiere die Kohlrabi aus den
Nestern anderer Arten als Nahrung nclunen; sie ver-
hungern, wenn ihnen nicht der eigene Pilz vorgesetzt wird.
Es sind ausserordentlich interessante und wichtige
biologische Beobachtungen, welche uns hier im lücken-
losen Zusammenhang von Möller vorgeführt werden.
Pjotanisch ist hauptsächlich interessant die Entwickelungs-
geschichte des Ameisenpilzes, zoologisch aber die vielerlei
Beoliachtungen, welche neue Streiflichter auf die Thätig-
keit der Ameisen werfen. Dr. G. Lindau.
Zur Kenntiiiss des Färbevorgaiiges veröffentlicht
Georg Spobn in Dingler's pcdyt. Journal Bd. 2S7 Heft i)
eine Mittheilung. — Der Process, der beim Färben von
vegetabilischen und animalischen Fasern vor sich geht,
konnte, so einfach auch seine praktische Ausführung sein
mag, theoretisch bis jetzt noch nicht befriedigend erklärt
werden.
Es haben sieh die Theoretiker betreffs dieser Frage
in zwei Lager gespalten.
Die einen halten den Process lediglich für einen
mechanischen, d. h. sie sind der Meinung, der Farbstoff
lagere sich auf oder in der Faser ab, ohne dass der
Farbstoff oder die Faser irgend einer chemischen Ver-
Nr. 25.
Naturwisscnsclial'tliche Wochenschrift.
249
iindcruiii;- unterworfen werde. Die anderen lialten den
Fiirhcvorgang- für einen chemischen Proccss, hei dem der
Farbstort' und die Faser eine chemische Verbindung ein-
geiien.
In neuerer Zeit liat sich zu diesen beiden Tiieorien
noch eine dritte gesellt: die sog-en. Lösuiigsthcorie von
Witt, nach welcher die Vorgänge beim Färben als Lösungs-
erscheinungen aufzufassen sind. Dia Witt'sche Theorie
giebt nach Sp.'s Ansicht keine neue Erklärung des Färbe-
vorgang-es, sondern steht voll und ganz auf dem ßodi'n
der sogen, mechanischen Theorie, worauf schon Hwass
hingewiesen hat. Durch seine Betrachtung hat Witt, (dme
dass es in seiner Absieht lag-, wesentlich zur Festigung
der mechanischen Theorie beigetragen, wie in einer
späteren ausführlicheren Veröflentliehuug über diesen Ge-
genstand gezeigt werden soll.
Sp. versucht nun nachzuweisen, dass bei der Baum-
wolle von einer chemischen Färbung nicht die Rede sein
kann, sondern dass diese Färljungen zweifellos auf mecha-
nischen Vorgängen beruhen.
In der einschlägigen Litteratur begegnet man einer
grossen Unsicherheit in Bezug- auf die Angaben über die
Lagerung-svcrhältnisse zwischen Farbstort' und Faser. p]s
heisst da oft, der Farbstort' sei „auf" der Faser iixirt,
„auf- der Faser niedergeschlagen u. dgl., in Fällen, wo
dies durchaus nicht der Fall ist, sondern wo der Farb-
stoff' vielmehr die Substanz der Faser völlig durchdrungen
und eine homogene Färbung erzeugt hat. Dasselbe g-ilt
in noch höherem Grade von den Beizen. So heisst es
beispielsweise bei Hummel- Knecht:
„Das Beizen hat den Zweck, auf dem Textilstoft'e
möglichst fest und dauerhaft einen solchen Körper niedcr-
zusclilag-en und zu tixiren, der fähig ist, sich mit dem
nachher zu verwendenden Farbstotfc zu verbinden und
denselben im unlöslichen Zustande auf der Faser nieder-
zuschlagen."
Es ist nun noch keine Beize bekannt geworden, deren
Wirksand<eit sich lediglich auf die Oberfläche der Faser
erstreckte. Die Substanz der Faser wird vielmehr völlig
von der Beize durchsetzt, welche später den Farbstoft' in
der Faser niederschlägt, bezw. festhält. Die Ausdrücke
„auf dem Textilstort'", „auf der Faser" in dem oben an-
gefühlten Citat sind demnach nicht zutrcft'end. Anderer-
seits lassen sich — selbstredend ohne Anwendung einer
Beize — Färbungen erzeug-en, bei denen der Farbstoff' in
der That mechanisch an der Oberfläche der Faser
haftet, wo also der Ausdruck „Fixirung auf der Faser"
völlige Berechtigung- besitzt. Aus den angeführten That-
sachen ergiebt sich die Nothwcndigkeit, dass auf die
Correctheit der in Rede stehenden Angaben mehr Werth
g-eleg-t werden muss, als bisher geschehen ist. Die Frage
selbst, ob ein Farbstort' bezw. eine Beize auf oder in der
Faser zur Ablagerung gelangt ist, lässt sicli mit Sicher-
heit nur auf nnkroskopischem Wege entscheiden.
Eine rein mechanische Färbung findet zweifellos bei
den mineralischen Farbstoffen statt, die durch Fällung
auf der Baumwollfascr erzeugt werden, z. B. Blei-
chromat, iMang-anl)ister. Sp. färbte zunächst Baumwolle
mit Bleichromat und sah dann unter dem Mikroskop
ganz deutlich die Bleichromatkrystallc auf der Faser
befestigt. Diese Befestigung ist rein meehanischer Natur,
denn selbst bei Anwendung der stärksten Vergrösserungen
erwiesen sich die der Faser anliegenden Krystallfläehen
völlig unverändert. Wäre bei der iiefestigung ein chcnii-
elier Process im Spiel gewesen, so würden jene Krystall-
fläehen ohne Zweifel Veränderungen erfahren haben, etwa
nach Art des Aitsehmelzungsprocesses, wie er sich bei
Lösungserscheinungen zeigt, oder in Bezug auf die Fär-
bung. Von alledem war an den Farbstofifkrystallen nicht
das mindeste zu bemerken. Ihre Grösse und Form blieb
dieselbe, gleichgültig, ob sie mit der Faser in Contact
traten oder nicht. An den Berührungsstellen zwischen
Faser und Farlist(»ff'krystall waren die beiderseitigen
Färbungen scharf, und zwar genau geradlinig, abgegrenzt;
keinerlei Ineinandcrfliessen der Färbung- deutete auf
ehemische Vorgänge. Durch mechanischen Druck auf das
Deckglas war er im Stande, Farbstoffkrystalle ohne
Verletzung von der Faser zu entfernen, die grösseren
Krystalle zuerst, während die kleineren so fest an der
Faser hafteten, dass sie auch durch eine Steigerung- des
Druckes bis zur Zertrümmerung des Deckglases nicht zu
entfernen waren. Diese Beobachtung, die sich aus den
Cohäsionserscheinungeu leicht erklären lässt, ist ein weiterer
Beleg dafür, dass es sich in fraglichem Falle nur um
eine mechanische Verbindung zwischen Farbstort" und Faser
handeln kann.
Bei spärlicher Besetzung erscheint die Faser unter
dem Mikroskop fast ungefärbt. .\uch in solchen Fällen,
d. h. auch wenn einzelne Streeki-n der Faser auf grössere
Entfernungen hin — Sp. beobachtete deren oft genug von
60 fi' und darüber — ohne jede Farbstort'ablagcrung sind,
erscheint die Faser makroskopisch dennoch intensiv gefärbt.
Bei dichterer Besetzung der Faser mit Krystallen
sehen bei <iiierfläcblii'her Betrachtung einzelne Stellen der
Faser allerdings homogen gefärbt aus. Der mit mikro-
skopischen Arbeiten wenig- V^ertraute könnte in solchen
Fällen allenfalls die Anschauung- gewinnen, dass es sich
hier um eine von der bisher besprochenen völlig ver-
schiedenen Färbung handelt. Allein die scheinbar homogene
Färbung- rührt davon her, dass die Krystalle, die unter-
halb der Faser liegen, durch dieselbe durchschimmern
und so den gelben Schein der Faser hervorrufen. Man
kann sich davon leicht dadurch überzeugen, dass mau
tiefer einstellt, wodurch dann die Farbstoff" krystalle sicht-
bar werden.
Ebenso verhält es sich bei Färbungen mit Mangan-
bistcr, wo ebenfalls die einzelneu Farbstort'krystalle auf
der Faser deutlich zu unti'rseheidcn sind. Dafür, dass
in den augeführten Beispielen eine chemische Färbung
ausgesclilossen ist, spricht übrigens auch die Thatsache,
dass Asbest, auf dieselbe Weise behandelt, ebenfalls ge-
färbt wird. In letzterem Falle kann allerdings von einer
echten Färbung in technischem Sinne weniger gesprochen
werden, als in den oben besprochenen Fällen. Während
nämlich die Baumwollfaser noch genügend grosse ebene
Flächen besitzt, an denen auch die grösseren Farbstort'-
krystalle adhäriren können, ist dies bei Asbest nicht mehr
der Fall. Hier zeigt das mikroskopische Bild, dass nur
die kleinen Krystalle auf der Faser haften, während die
grossen zwischen den Fasern lose eingestreut sind.
Die bisher behandelten Färbungen gehören ohne
Zweifel zu den tyi)ischen Fällen meehanischer Färbung,
bei denen es a priori im höchsten Grade wahrscheinlich
war, dass sie ohne chemische Vorgänge zwischen Faser
und Farlistoff' zu Stande kimimen. Die einzelnen Par-
tikelchcn der färbenden Substanz waren der direeten
Beobachtung zugänglich, aus ihrem Verhalten Hess sich
die Natur des Färbevorganges direct erkenueu.
Wie nun aber, wenn dies nicht mehr der Fall ist,
wenn unsere optischen Hilfsmittel nicht einmal mehr aus-
reichen, die Wege, welche für die Einwanderung der
Farbstott'partikelchen in die Faser nothwendig vorhanden
sein müssen, wahrzunehmen, geschweige denn die ein-
zelnen Farbstotf|)artikelchen selbst':' Solclie Fälle, in denen
die Farbstort'partikelehen so klein sind, dass sie sich der
optischen Beobachtung völlig entziehen, d. h. nur in ihrer
Gesammtheit wahrnehmbar sind, in denen sie in die Sub-
stanz der Fasern einzuwandern vermögen und dieselbe
250
Natnrwissciiscliaftliche Woclieiisclirift.
Nr.
hoaiogen färlieii, sind bisher für die chemische Theorie
vorzugsweise als Argument benutzt worden, namentlich
wenn mit solchen Färbungen zugleich Farbenänderungen
verknüpft sind. Ohne sich auf P]rörterungen der Gründe
einzulassen, welche vom theoretischen Standpunkte aus
für die eine oder andere Auffassung sprechen, behandelt Sp.
im Folgenden wiederum ein typisches Beispiel für eine
grosse Gruppe von Färbungen in welchem der Farb-
stoff zweifellos rein meelianiseh au die Faser gebunden
ist, obwohl die Faser (noch dazu unter Farbeuänderung)
völlig homogen gefärbt wird.
bekanntlich besitzt getalltes Alizarin eine gelblirauue
Farbe und wird von ungel)eizter Baumwolle überhaupt
nicht aufgenommen. Je nach der Art der Beize kann
man jedoch mit Alizarin sehr schöne und echte Farben
auf der Baumwolle hervorrufen. Taucht man z. B. mit
Tiionerde gebeizte Baumwolle in ein Alizarinbad und er-
wärmt, so färbt sich die Baumwolle an, und zwar mit
einer anderen Nuance, als wenn vorher mit Chromoxyd,
Eisenoxyd u. s. w. gebeizt worden wäre.
Hier sind nun drei Möglichkeiten gegeben.
Erstens kann die von der Faser aufgenommene Beize
lediglich als Träger für den Farbstoff" dienen, der für sich
allein nicht in die Faser einzuwandern vermag. In diesem
Falle wäre nicht nur die Färlmng, sondern der ganze
Vorgang von Anfang bis zu Ende rein mechanischer Natur,
gegen welche Auffassung schon der Umstand spricht,
dass die Farbe der ausgefärbten Faser völlig verschieden
ist von der Farbe des Alizarins.
Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Faser
durch die Beize chemische Veränderungen erleidet, durch
welche dann die Aufnahme des Farbstoffes ermöglicht
wird. Diese Farbstoftaufnahme könnte auf zweierlei,
wesentlich von einander verschiedene Weise zu Stande
kommen: entweder geht die chemisch veränderte Faser
mit dem Alizarin eine chemische Verliindung ein, die dann
ihrerseits der Faser die Färbung verleiht und in welchem
Falle der Vorgang ein rein chemischer sein würde, oder
mit der ehemischen Veränderung der Faser ändern sich
zugleieii auch die physikalischen Eigenschaften der Faser
in der Art, dass sie fähig wird, das Alizarin aufzunehmen.
Gegen die letztere Eventualität spricht wiederum die Ver-
schiedenheit der Farbe des Alizarins und der ausgefärbten
Faser, dagegen nicht gegen die crstcre Eventualität.
Die dritte Möglichkeit endlich besteht darin, dass die
von der Faser aufgenommene fJeize in keinerlei chemische
Beziehung zur Faser tritt, aueii nicht bloss dem Farb-
stoffe als Vehikel dient, sondern dass die Beize das
Alizarin aufnimmt und mit demselben eine chemische Ver-
bindung erzeugt, welche der Faser die bekannte Färbung
giebt. In diesem Falle käme zwar der Farl)stoft' durch
einen chemischen Vorgang, der sich nothgedrungen inner-
halb der Substanz der Faser abspielen muss, zu Stande;
die Fixirung des Farbstoffes in der Faser, also die
eigentliche Färbung, wäre d.agegen ein rein mechanischer
Vorgang.
Die zuletzt genannte Möglichkeit ist zutreffend. Wir
sind bekanntlich in dem in Rede stehenden Falle im
Stande, genau dieselbe Farbe ohne Anwesenheit der
Baumwolle zu erzeugen, was nicht möglich sein würde,
wenn die Substanz der Baumwolle an dem Zustande-
kommen der die Färbung erzeugenden Verbindung be-
theiligt wäre.
Bekanntlich giel)t reine Thonerde mit Alizarin allein
dieselbe rothe Färbung wie die gebeizte Baumwolle mit
Alizarin. Ebenso gelingt es, genau dieselbe rothe Fär-
bung auf mit Thonerde irapräguirtem Asbest hervorzurufen,
also mit einer Substanz, die auch nicht die mindeste
chemische Aehnlichkeit mit Baumwolle besitzt.
Aus den vorgeführten Thatsachen ergiebt sich zur
Evidenz, dass das Alizarin lediglich auf die in
der Faser aufgespeicherte Beize wirkt, dass die
Faser nur den Farbstoffträger bildet, mit welchem
der durch die Einwirkung des Alizarins auf die
Beize erzeugte farbige Niederschlag mechanisch
verbunden ist. Es finden also zwar cliemisclie Pro-
cesse innerhalb der Faser statt, durch welche die fär-
bende Verbindung entsteht, die Substanz der Faser ist
jedoch an diesen chemischen Vorgängen nicht hethciligt:
der eigentliche Färbevorgang, d. h. die Verbin-
dung zwischen Farbstoff und Faser beruht ein-
zig und allein auch hier auf mechanischen Ur-
sachen. Diese niechanischen Kräfte können W(dd nur
Molecularkräfte sein, deren Wirksamkeit freilich, soweit
sie die Färbeprocesse betrifft, noch wenig erforscht ist.
Hätten wir an Stelle von Baumwolle irgend eine
andere vegetabilische .Spinnfaser für unsere Versuche ge-
wählt, so würden sich die Verhältnisse ungleich com-
plicirter gestaltet haben. Wir wissen, dass Baumwolle
nahezu reine Cidlulose ist, ebenso wissen wir aber auch,
dass alle anderen Sjjinnfasern in chemisch und i)hysi-
kalisch verschiedene Schalen dirterencirt sind, die nament-
lich in der crstgenannti'u Richtung noch sein- wenig l)e-
kannt sind. In vielen Fällen i)flegt die äusserste dieser
Schalen sehr dünn zu sein, welcher Umstand sogar schon
den für Baumwolle so einfachen Nachweis, ob es sich
bei Anwendung von Bleichromat oder Manganbister um
chemische oder mechanische Färbung handelt, ungleich
schwieriger gemacht haben würde.
lieber einige Terhältnisse bei der Rotation der
grossen Planeten stellt Herr F. Tisserand, der Director
der Pariser Sternwarte, im Januarhefte des Bulletin
astronomicpie eine kurze, rechnerische Betrachtung, die
hier erwähnt zu werden verdient, weil sie kosmogonisch
interessant und überdies auch für den Nichtastronomen
leicht verständlich und controllirbar ist. Herr Tisserand
geht von einer Bemerkung aus, die Littrow in dem be-
kannten fundamentalen Werke über deseriptive Astrono-
mie „Die Wunder des Himmels" (Ferdinand Dünnnlers
Verlagsbuchhandlung, Berlin, 7. Auflage, S. 476) macht.
Am angeführten Orte findet sich nämlich der Hinweis
darauf, dass, bezüglich der Rotation des Jupiter die
lineare Geschwindigkeit eines Ae(juatorpunktes dieses
Planeten sehr naiie gleich ist der Geschwindigkeit des-
selben Punktes Itcim Undauf des Planeten um die Sonne;
ganz gleiches findet statt beim Saturn. Littrow spricht
dabei die Vermuthung aus, dass diese Gleichheit von Um-
drehungsgeschwindigkeit und Umlaufsgeschwindigkeit ein
für alle vier grossen Planeten, Jupiter, Saturn, Uranus
und Neptun gemeinsam geltendes Gesetz sein werde.
Herr Tisserand tritt in eine Prüfung dieser Frage
ein. Es sei /■ der äquatoriale Radius des Planeten, a. der
mittlere Abstand des letzteren von der Sonne; und t, T
die Umdrehungs- bezw. Umlaufszeit, also t die Länge
des „Tags" und T diejenige des „Jahres" des betreffenden
Planeten. Endlich seien c die Unidrehungsgeschwindig-
keit und V die Umlaufsgeschwindigkeit des Planeten,
wobei für den vorliegenden Zweck beide Bewegungen
als gleichförmig angesehen werden dürfen. Die nume-
rischen Werthc der Grössen v, V für die verschiedenen
Planeten sind aus dem angegebenen Werke Littrows zu
entnehmen, auf welches daher verwiesen sein möge.
Jlan hat nun
'im- „ 2na
Nr. 2f).
Natm-wisseiischaftliclic Wochenschrift.
251
wo n die beivaiinte Zahl ist, welche das Verhältniss des
Kreisdurchiiiessers zum Kreisunit'an,i;e aiigicbt (3,14 . . .).
Nach diesen Gleichungen ist also
y (I X
Mit lliiife der von Littrow a. a. 0. geg-ehenen numerischen
Wertlie für r, a, r, T findet man für Jupiter und Saturn
= 0,958
^=1,057.
(6).
Diese Ijciden Zahlen unterscheiden sich in der That nur
sehr wenig \'on der Einheit. Man bemerke, dass, wenn
■^ == 1, d. h. v^V, der Punkt des Jnjjiteräquators,
welcher der Sonne am nächsten ist, in Bezug- auf das
Sonnensystem die Geschwindigkeit Null hat. In ihm sind
nämlich v und V, also Umdrehungs- und Undaufsge-
sehwindigkeit genau einander entgegengesetzt gerichtet,
zerstören sieii also, wenn sie gleiche absolute Wertlie
haben. Dagegen wird der dem eben betrachteten Punkte
diametral gegenüber liegende Punkt des Aequators eine
Geschwindigkeit im Sonnensystem haben, die das doppelte
von (' ist, da r und T' hier gleich gerichtet sind und
sich also einfach addiren. Ganz dasselbe gilt für Saturn.
Wenn wir nun annehmen, dass das Bestehen der Re-
lation
v=r V
auf kosmogonisehen Gründen beruht, so muss bei genaue-
rem Zusehen doch erwogen werden, dass diese Beziehung
bei Uranus und Neptun woid niclit zu den Consequenzen
betr. der Geschwindigkeitsverhältnisse für die lieiden
oben betrachteten ausgezeichneten Aequatiu'punkte führen
wird, wie dies bei Jupiter und Saturn der Fall war.
Denn, bei den beiden äussersten Planeten weichen die
Lagen der Aequatorebenen — wie wir sie aus der Lage
der El)enen der Satellitenbahnen erschliessen — doch um
erheliliclie \\'inkel al) von den Lagen der resj). Bahn-
ebenen. Und diese Vermutlumg bestätigt sich auch in
der That. Sei z. B. für Uranus auch v = U.
Es ergiebt sich daraus, wenn r, T, r, a für Uranus
dasselbe bedeuten, wie oben für die anderen beiden Planeten
a
Daraus findet man leicht für das Verhältniss ;' der
Ceutrifugalkraft zur Schwerkraft (beide am Acquator ge-
messen)
_M r^
in a '
wo m, M die Massen des Uranus bezw. der Sonne sind.
Mit Hidfe der numerischen Wertlie für M, in, r, a (vgl,
Littrow a. a. 0.) findet man
_ 1
^~4;3S'
Wenn nun « die Abplattung der Uranusoberfläche ist,
so muss dieselbe nach einem bekannten Satze von Clairaut
zwisclien
r
und
;' liegen, d. h. es muss für diese
2 ' 4
Uranusabplattung also die Ungleichung stattfinden
Nun hat Herr Schiaparelli aus seinen Messungen des
Durehmessers des Uranus gefunden u = , . Aus den
^^ 1
Beobachtungen zu l'rinceton (1883) ergiebt sich « = --,
während Herr Seeliger allerdings einen unmerklich kleinen
Werth für « beim Uranus fand. Jedenfalls ist es aber
walir.scheinlich, dass man als l!c obacli tuugsre sultat
einen Werth
1
« < 11
annehmen darf
Ein solcher AVerth ist nun aber nicht vereinbar mit den
Grenzen, innerhalb deren, wie die Ungleichung <i.) zeigt,
der numerische Betrag der Uranusabplattung sich halten
muss. Daraus folgt dann aber, dass unsere Annahme
über den numerisclicn Betrag vmi r nicht richtig gewesen
sein kann. Man wird eine untere Grenze für z finden,
wenn man annimmt, dass die untere Grenze von a (also
der Werth -^r) gleich
V
oder in Zahlen
U
m / r
a X
sei. Dann findet man t aus
11
V
Y
J 2 m a
V 11 mV
f <0,89, r:
T'>,8.
Danach muss also, wenn wir mit den Beobachtungen
in Einklang bleiben wollen, für das Verhältniss v : V doch
immerhin ein schon wohl merklich von der Einheit ab-
weichender Werth angenommen werden. Ja, es ist sogar
wahrscheinlich, das für Uranus das Verhältniss i' : U noch
beträchtlich unter dieser Grenze 0,89 liegt, sodass also t
entsprechend hoch über die Grenze 7'', 8 sich erhebt. Für
Uranus wird also doch wohl die Relation v = T' sieh nicht
aufrecht erhalten lassen. Ueber die Verhältnisse bei Neptun
kann zur Zeit noch nicht entschieden werden, da wir
ohne exacte Daten betr. der Aiiplattung dieses Planeten
sind, deren Kenntniss aber, wie wir sahen, zu einer
Piüfung der gemachten Annahme durch die Beob-
achtungen erforderlich ist. Grs.
Ueber den veränderlichen Stern Y C.vgni, dessen
Variabilität im Jahre 188G von Herrn Chandler entdeckt
wurde, hatte Herr N. C. Duner bereits früher in den
Astronomischen Nachrichten und im Astronomical Journal
einige Mittheilungen gemacht und auch versucht, die
Anomalien des Lichtwechsels dieses zum Algoltypus*)
gehörenden Veränderliehen zu erklären. In einer am
14. September 1892 bei der kgl. schwedischen Akademie
der Wissenschaften eingegangenen Abhandlung ist er aus-
führlich auf den Gegetistand eingegangen und hat den-
selben zum Abschlüsse gebracht. Die Arbeit ist ver-
öffentlicht in No. 7 des 49. Jahrgangs der Ufversigt af
kongl. Veteuskaps-Akadeniiens Förhandlingar.
In seineu früheren Untersuchungen hatte Herr Duner
gefunden, dass die Minima von Y Cygni auf die durch
die Formel
1886,0 + 343'^,4GS4 + 1 '^,498124 E (Mittl. Zeit Greenwich)
*) Die Veründcrlifhkeit des bekannten Sternes Algol ist der
Art, dass die Variation in der Lielitstärke fast ausschliesslich be-
schränkt ist auf einen ganz kleinen Tlioil der ganzen Periode,
während dessen die Lichtstärke im Verhmfe nur weniger Stunden
bis zu einem Minimum herabsinlit, um naeldier in ungefähr der
gleichen Zeit wieder bis zu ihn-in gewölinliclien Betrage zu steigen.
252
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 25.
gegebenen Zeitpunkte fallen , wobei E die Nummer des
betreffenden Minimums bedeutet.*)
Diese Formel wird dann in der neuen Veroftentlicluing'
mit den Beobachtungen verglichen und die Differenzen
Beobachtung minus Rechnung (ß — B) ermittelt. Dabei
zeigt sich die schon früher von Duner festgestellte That-
sache wieder, dass ein bemerkenswerther Unterschied be-
steht zwischen den Differenzen, welche den Minimis von
gerader Ordnungszahl entsjjrecheu, und jenen, welche
man erhält, wenn E eine ungerade Zahl ist. Es zeigt
sich nämlich nahezu durchgängig, dass für die geraden
Minima (also diejenigen von gerader Ordnungszahl E\
das zweite, vierte u. s. w.) diese Differenz B — ■ B posi-
tiv ausfällt, während sie sich für die ungeraden Minima
stets negativ ergiel)t. Das besagt, dass die geraden Minima
in Wirklichkeit später fallen, als die Rechnung erwarten
lässt, während die ungeraden sich früher einstellen, als
jene angiebt.
Diese Thatsache hat Herrn Duner veranlasst, die
geraden und die ungeraden Minima getrennt zu behandeln.
Unter Berücksichtigung des gesammten vorliegenden Beob-
aehtungsmaterials kommt er dabei zu folgenden Ergeb-
nissen. Die geraden Minima treten ein um die Zeiten
1886,0 + 343 •',4827 + 1<',498221 E,
die ungeraden um die Zeiten
1886,0 -t- 343'',4090 + l'i,498113 E,
und zwar sind diese Zeitangaben jetzt in mittlerer Pariser
Zeit zu verstehen. Hier bedeutet nun noch E die laufende
Nummer in der Reihe aller Minima. Wir können aber
auch die geraden, sowie die ungeraden je für sich
allein numeriren. Dann ist also für die geraden die
Miniraumzeit
1886, Dec. 9, 11'' 35'" 5* + (2'' 23* 54»' 52^59) R
und für die ungeraden
1886, Dec. 10, 21'' 46'" 15* + (2'* 23* 54'« 33^93) R,
wo also jetzt in beiden Fällen R die Reihe der Zahlen
1,
durchläuft. Setzt man in der ersten Formel
R^l, so erhält man als Zeit des zweiten geraden
Minimums: 1886, Dec. 12, 11* 29'» 58^
Man sieht aus den so gegebenen Momenten für das
erste gerade, das erste ungerade und das zweite ungerade
Minimum, dass im Jahre 1886 das Intervall zwischen einem
geraden und einem ungeraden Minimum 1'' 10* 11'" 10' war,
während dasjenige zwischen einem ungeraden Minimum
und dem folgenden geraden 1'' 13* 43'" 43' Iii'trägt. Die
merkliche Differenz, welche hiernach zwischen diesen
Intervallen besteht, führt nun auch zur Kenntniss der Art
und Weise, wie der Lichtwechsel von Y Cygni zu Stande
kommt.
Die früher schon allgemein angenommene Hypothese,
nach der die Veränderlichkeit der Sterne vom Algoltypus
dadurch erklärt wurde, dass ein dunkler oder wenig
leuchtender Körper um den hellen Hauptstern kreise, der
Art, dass die Minima des Veränderlichen als eine Art
Verfinsterungen aufzufassen seien, indem der dunkle Be-
gleiter in die Gesichtslinie zwischen Ilauptstern und Erde
trete, schien wegen der kurzen Undanfszeiten, die mau
annehmen musste, Schwierigkeiten zu bereiten, wurde aber
auf rationellen Boden gestellt, als Herr H. C. Vogel in
*) d (Abkürzung von „dies") bedeutet Tag'. Danach sagt
also obige Formel, dass das Minimum, von welchem dio Betrach-
tung ausgellt, 3J3,4ü84 Tage nach dem Anfange des Jahres 188lj
stattfand, d. h. also einige Zeit nach IIA Abends am 9. December
1886. Das zehnte Minimum z. B. fällt dann
1,4!18124-10 Tage
später oder rund am "24. December 188(>. Abends lO'i iic».
Potsdam seine bedeutsamen Entdeckungen über Algol
selber bekannt gegeben hatte. Es nn'ige mit einigen
Worten an den Inhalt dieser Entdeckung erinnert werden.
Herr Vogel hat gefunden, dass in den JMinimis und in der
Mitte zwischen zwei benachbarten Minimis die Speetral-
linien Algols mit denjenigen coincidircn, welche eine nnt
verdünntem Wasserstoff gefüllte Geissler'sche Röhre giebt,
dass jene aljcr von diesen abweichen in den Viertelzeiten
(also in den Zeitpunkten, welche einem Viertel und drei
Vierteln des ganzen Intervalles zwischen zwei benach-
barten Minimis entsprechen), und zwar dass diese Ver-
schiebung der Spectrallinien in der einen Viertelzeit nach
dem rothen, in der anderen nach dem violetten Ende des
Spectrums hin stattfindet.*) Durch diese Thatsache ist
bewiesen (s. untenstehende Anmerkung), da.ss um den
Algol sich ein anderer Körper bewegt, dessen Umlaufs-
zeit der Periode des Lichtwechsels von Algol gleich ist.
Man darf deshalb wohl allgemein annehmen, dass für alle
Sterne vom Algoltypus der Grund der Veränderlichkeit
ein analoger sein würde, immer indessen vorausgesetzt,
dass das Intervall zweier aufeinander folgender Minima
stets dasselbe bleibe oder hr>chstcns nur solch kleine Ab-
weichungen von einem Mittelwertlie aufweise, dass die-
selbe dm'ch St<irungswirkungen erklärt werden ki'innen,
wie wir sie auch in unserem Sonnensystem antreffen.
Denn die Undaufszeit ist bekanntlich eins der am wenig-
sten variabeln Elemente der Bahn eines Himmelskörpers.
Die Minima von Y Cygni können, wenn wir dies beachten,
nicht durch Verfinsterungen, hervorgebracht von einem
wenig leuchtenden Körper, erklärt werden.
Indessen können, wie Herr Duner hervorhebt. Minima
der hier in Betracht kommenden Art auch noch
anders erklärt werden, ohne dass man sich von der
Grundlage der Erklärung des Algoltypus zu entfernen
brauchte. Es ist klar, dass Veränderungen der Licht-
stärke sich auch zeigen müssen bei einem Stern, der aus
zwei leuchtenden Componenten besteht, wenn deren Bahn-
ebene durch die Sonne geht; und die Amplitude der
Schwankung wird die grösstmögliche dann sein, wenn
beide Körper gleichen Durchmesser haben. Sind sie auch
von gleicher Lichtstärke, so wird eine centrale Ver-
finsterung offenbar die scheinbare Lichtstärke der Sterne
auf die Hälfte vermindern, und man wird während jeden
Umlaufes zwei genau gleiche Minima haben, in denen der
Stern um ^|^ einer Grössenclasse schwächer erscheint.
Wenn dagegen Ijcide Sterne zwar gleiche Durchmesser
haben, der eine aber heller als der andere ist, so werden
bei jeden Umlauf zwei Minima eintreten, bei deren einem
der Stern schwächer erseheint, als wenn beide Componente
gleich stark wären, während im anderen die Schwächung
nicht den Grad erreicht, welcher dann eintreten würde.
Wenn die Helligkeit eines der Sterne noch kleiner wird,
so wird letzteres ^Minimum zuletzt unmerkliar werden,
während das aiulere inmier ausgeprägter auftritt, sodass
man also wieder zum reinen Algoltypus gelangt.
Was nun Y Cygni anbetritft, so zeigen die Beob-
achtungen, dass die Minima von gleicher Lichtstärke
unter einander sind, und zwar in der Tliat um ^n Grösse
schwächer als die gew(ihnliche Grrtsse des Sternes. Nehmen
wir also mit Herrn Duner an, dass Y Cygni aus zwei
vollkommen gleich hellen Componenten bestehe, die in
einer durch die Sonne gehenden Ebene sich um einander
bewegen. Dann wird man also, nach obigen Aufstellungen,
zwei gleich starke Minima während jedes Umlaufs haben;
*) Die Bedeutung solcher Verschiebung von Spectrallinien
und die Wichtigkeit ihrer Beobachtung für die Mechanik des
Himmels und für die Astropliysik ist im vorigen Jahre dargelegt
worden \om Prof Dr. Foerster in di'u „Mittheilungen der Ver-
einigung vim Fri-iniden der A^tninoinic und kosmischen Physik".
Nr.
Natiii wis.srii.sfliaftlic'lic Wurlieusehrift.
253
und diese Jlinima werden sich in gleichen Intervallen
folgen, wenn die Bahn der Coniponeuten ein Kreis ist uder
wenn ihre Apsidenlinie mit der Gesichtslinie eoineidirt.
Ist dagegen die Bahn eine Ellipse und bildet die
Apsidenlinie einen Winkel mit der Gesichtslinie,
dann muss dasjenige Intervall zweier benach-
barter Minima, während dessen der reriheldurcb-
gang stattfindet, kürzer sein als dasjenige,
während dessen sieh der Apheldurchgang er-
eignet. Es müssen also abwechselnd kürzere und
längere Intervalle auftreten. Das ist aber ganz der
Fall bei Y Cygni.
Herr Duner zieht daher aus seiner bedeutsamen
Untersuchung mit vollem Rechte das wichtige Ergcbniss:
„Der veränderliche Stern Y Cygni besteht aus zwei
gleich grossen, gleich hellen Componenten, deren relative
Bahn eine Ellipse ist. Die Ebene dieser Ellipse geht
durch die Sonne und ihre Apsidenlinie ist gegen die
Gesichtslinie geneigt. Die Umlaufszeit beträgt 2'' 23'' 04'"
43^,26." Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Oberarzt an der Landes-Irrenanstalt
zu Sorau Dr. (_)tto ilebold zum Leiter der neuliegriindoten
Pflegeanstalt der Stadt Berlin zu Wulilgarten. — Der Privatdocent
Dr. RoeliHiann von der uiedieinisehen Facultät der Universität
Breslau zum ausserordentliclien Professor. — Am botaiiiselien
Garten zu Berlin: P. Hennings zum Custos, — Dr. U. Daunuer
zum Hilfseustos. — Am l)otan. Museum zu Berlin: Dr. M. Gurke
zum dritten Cuatos. — Der Privatdocent Dr. Anton Freilierr
von Eiseisberg in Wien zum Professor der Chirurgie an der
Universität Utretdit.
Es haben sich habilitirt: Dr. Heid weil 1er für Phvsik au
der Universität Strassburg. — Dr. Jordan für Chirurgie an der
Universität Heidelberg. — Dr. Math es in der medieinischen
Facultät der Universität Jena.
Professor Dr. L. Brieger beabsichtigt von der Leitung der
Krankenabtlieiluug des Kocli'schen Instituts für Infections Krank-
heiten zurückzutreten. — Einer der ältesten wissenschaftlichen
Beamten der Königl. Bibliothek zu Berlin, Dr. Wilhelm Gruez-
macher, tritt in den Ruhestand. — Geh. Medicinalrath Professor
Dr. Henoch beabsichtigt, von seiner Lehrthätigkeit an der Uni-
versität Berlin zurückzutreten und die Leitung der Klinik für
Kinderkrankheiten niederzulegen.
Es sind gestorben: Der Chemiker am Feuerwerkslaboratorium
in Spandau Dr. Selilör (in Folge Explosion von Knallquecksilber).
— Der als eifriger Ornithologe bekannte Grossherzoglich Badische
Oberförster Emil Schutt in Freiburg i. Br. — Der um die
Zoologie verdiente Director des zoologischen Gartens in Nizza
Graf von Lagrange in Singapore.
Die Deutsche Anthropologische Gesellschaft wird
23. Versamndung vom 1. — 3. August in Ulm abhalten.
Der 4. Congress der französischen Irrenärzte tiudet vom 1. bis
6. August iu La llochelle statt.
Der Deutsche Anthropologen-Congress beginnt am '>. August
in Göttingon mit lirsichtigung der Blumeulnich'schen Sammlungen.
Am G.August sollen einige Hünengräber in der Provinz Hannover
besucht «erden und vom 7. — 9. finden die Sitzungen in Han-
nover statt.
L i 1 1 e r a t u r.
Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14. vollständig neubcarb.
Aufl. (3. Banil. Elektrodynamik-Forum. F. A. Brockhaus in
Leipzig, Berlin u. Wien. 1893. — l'reis 10 M.
In dem (i. Baude des zweckdienlichen Brockhaus'schen Lexi-
kons finden sich nicht weniger als 6 Chromo- und 40 schwarze
Tafeln, eine Lichtdrucktafel (der „Genfer Altar"), 12 Karten und
Pläne sowie 2ö9 Textabbildungen. Wir können nur wiederholen,
dass das Le.xikon, trefflich redigirt, weitesten Ansprüchen genügen
dürfte: die Naturwissenschaften haben in den bisher erschienenen
6 Bänden angemessene Berücksichtigung gefunden.
Eduard Wolf-Harnier, Naturgeschichtliche Charakterbilder.
Mit 2i; I )riginal-Hanilzeichnungen. H. Mieki.->ch (Firma E. Mecklen-
burg). Berlin 1892.
Das für die Jugend bestimmte Buch bringt, von poetischen
Auslassungen durchwoben, eine Anzahl Schilderungen namentlich
aus dem Vogelleben.
Privatdocent Dr. Bernhard Kawitz, Compendium der ver-
gleichenden Anatomie. Zum tiebrauche für Stiidirende der
Medicin. .Mit '.K) Alibildinigen. H. Härtung & Sohn (G. M. Herzog).
Leipzig 1S93. — Preis 5 M.
Das Büchelchen dürfte vorzügliche Dienste husten: es sind
in demselben „nur die wichtig.-ten Thatsachen, gewissermaassen
die Leitmotive der Morphologie, angeführt worden", ein niidit zu
unterschätzender Vortheil für den Medicin Studirendeu, der bei
dem Umfang seiner Disciplin sich möglichst auf das für ihn alier-
wichtigste aus den Hilfsdisciplinen zu beschränken suchen muss.
Die ausserordentlich klaren und exacten, einfachen kleinen Ab-
bildungen des Repetitoriums fallen besonders angenehm auf.
Dr Karl Eckstein, Insectenschaden im Walde. (Gemeinverst.
wissenschaftl. Vorträge, lierausgrgeln'n von Virchow u. Watten-
bach, N. F. Heft 1.2.')) Verlagsanstalt und Druckerei A. G. (vorm.
J. F. Richter). Hamburg 1892. — Preis 0,80 M.
Der als Forstzoologe bekannte Verf. bringt eine hidische Zu-
sammenstellung des Gegenstandes, die Jedermann, namentlich
Forstleute und Gutsbesitzer, interessiren muss.
Albert Falsan, Les alpes francaises. Les montagnes, les eaux,
les glaciers, les phenomenes de l'atmosphere. Avec .51 fig.
Bibliotheque scientilique coutemporaine. J. B. Bailiiere et fils.
Paris 1893. — Pri.x 3,50 frcs.
Wer die französischen Alpen besucht und auf seinen Reisen
und Wanderungen gern über die entgegentretenden Natur-
Erscheinungen nachdenkt, dem kann das Buch Falsan's angelegent-
lichst empfohlen werden. Zunächst bringt Verf. Allgemeines über
die Alpen, namentlich Geographisches, das 2. Kapitel ist wesent-
lich geologischen Inhalts, ebenso wie das 3. Kapitel, das sich
jedoch wie die folgenden speciell mit den französischen Alpen
beschäftigt. Die einzelnen Borgzüge und Berge derselben, die
Gewässer, die Gletscher, sowie die meteorologischen Verhältnisse
werden in leicht verständlicher, anregender Weise behandelt.
Prof. C. V. Boys, Seifenblasen. Vorlesungen über Capillarität.
Autoris. deutsche Uebersetzung von Privatdocent Dr. G. Meyer,
Mit 56 Text-Figuren und 1 Tafel. Johann Ambrosius Barth
(Arthur Meiner). Leipzig 1893. — Preis 3 M.
Die prächtige französische Guillaume'sche Uebersetzung des
Boys'schen Schriftchens haben wir in No. 39 S. 400 von Bd. VII
angezeigt; es ist freudig zu begrüssen. dass nunmehr auch eine
deutsche Uebersetzung vorliegt. Auch die deutsche Wiedergabe
ist nicht wortgetreu, sondern der Uebersetzer hat mit Genehmi-
gung Boys' einige Partien fortgelassen, stellenweise eine andere
Anordnung des Stotfes vorgenommen und auch den Styl der ur-
sprünglichen Niederschrift, die sich unmittelbar an die wirklichen
Vorträge hält, geändert.
Jacob Berzelius, Versuch, die bestimmten und einfachen Ver-
hältnisse aufzufinden, nach welchen die Bestandtheile der
unorganischen Natur mit einander verbunden sind. (1811
bis 1812). ((Istwald's Classüier der exacten Wissenschaften
No. 35). Wilhelm Engebnann. Leijjzig 1892. — Preis 3 M.
Es hiesse Eulen nacli Athen tragen, wollte man viele Worte
über die grundlegende Bedeutung der Berzelius'schen Arbeiten
verlieren. Wohl haben die Entwickelung der organischen
Chemie und die Folgerungen , welche sich daraus auch für
die anorganische ergaben, Bresche in Berzelius' System gelegt
und manche seiner Schlüsse hinfällig gemacht; aber all'
dies basirt zum grössten Theile auf seinen Untersuchungen über
die Verbiudungsverhältnissc, und wenn auch hierin einzelne
Correcturen nicht ausldieben, so hat dies der Mann, der in der
Selbstkritik vielleicht ilen besten Theil seiner Grösse besass,
selljst vorhergesehen (S. 208). Seine Bestimmungen sind mit der
denkbar grössten Genauigkeit ausgeführt, so dass sie uns noch
heute trotz unserer unendlich verbesserten Hilfsmittel Bewunde-
rung abnöthigen. Trotzdem hat Berzelius bis an sein Lebens-
ende nicht geruht, selbst seine Resultate wieder und wieder zu
prüfen, so oft eine Verbesserung der Hilfsmittel genauere Ergeb-
nisse in Aussicht zu stellen schien. Dass auch weitsichtige und
254
Naturwissciiscliat'tüclic Wofhciiscluilt.
Nr. 25.
frnchtbai-e Auregungeu für künftige Forscher in diesen Schriften
entliiilten sind, dafür sei als Beispiel nur die vom Herausgeber
mit Recht hervorgehobene Erörterung auf Seite 168/169 angeführt
bezüglich der Möglichkeit, die Verwandtschaften chemischer
Körper in Zahlen auszudrücken, welche mit jeder beliebigen me-
chanischen Kraft verglichen werden könnten. Sp.
Bulletin de la Societe Imperiale des Naturalistes de Moscou.
Jahrgang 1892, No. 1 — 4. Von den AbliainUmigen seien hier die
folgenden genannt: Zykoff: Die Entwickelung der Gemmulao
bei Phydatia fluviatilis Zj-koff. (Untersuchungen über die soge-
nannte innere Knospung bei den Süsswasserschwämmen der Um-
gegend von Moskau, speciell der genannten Art.) 2 Tafeln.
Becker: Neue Pflanzen- und Insecteu-Entdeckungen in der Um-
gegend von Sarepta und Zusammenstellung derRauijen und Käfer,
die nur von einer Pflanzenart leben, und zwei, di-ei Pflanzenarten
leben, die aber zu einer Familie gehören. Kohon: Ueber einen
mesozoischen Fisch vom Altai. Tzebrikow: Studien über die
oberjurassischeu und untercretaceischen Ablagerungen der Krim.
Der Verfasser hat das geologisch und paläontologisch nahezu
unbekannte Gebiet der südlichen Krim durchforscht, welches
nördlich durch eine Linie begrenzt wird, welche die beiden Städte
Simfero])ol und Karassubazar verbindet, südlich durch das Kalk-
l)lateau der Djai'law, von dem selbst noch ein Theil in den Bereich
der Untersuchung gezogen wurde. Die Schichten, aus denen
dasselbe besteht, gehören dem Tithon und Neoeom an; die Tren-
nung beider hält aber oft sehr schwer. Belikow: Die Topo-
graphie der Umgegend von Moskau in ihrer Beziehung zu geologi-
schen Ursachen. Vorläutige Mittheilung. Der Verfasser erklärt
in instructiver Weise die heutige Urographie der Umgegend Mos-
kaus aus ihrem tectonischen Aufbau. Sewertzoff: Zur Frage
über die Segmentirung des Kopfmesoderms bei Pelobates fuscus.
Die Untersuchungen schliessen sich an diejenigen an, welche
Goette in seinem klassischen Werke über die „Entwickelungs-
geschichte der Unke" niedergelegt hat, und ergänzen dieselbe für
die in Rede stehende, der Unke nahe Form. S o k o 1 o f f : Die
posttertiären Ablagerungen von Kolomenskoje bei Moskau. Vor-
läufige Mittheilung. Es handelt sich im Wesentlichen um eine
von Nikitin als Löss angesprochene, vom V^erfasser jedoch als
„immer feingeschichteten Mergel" bezeichnete Ablagerung, die er
als voi'glacial (zum Unterschiede von präglacial) bezeichnet. Des
fernei-en wird über einen ebenfalls vorglacialen Susswasser-Mergel
derselben Localität berichtet. Gerassimoff: Ueber die kern-
losen Zellen bei einigen Conjugaten. Vorläufige Mittheilung.
Trautschold: Gedeukblatt für Ferdinand Roemer. Marie
Pavlow': Studien über die Paläontologie der Ungulaten. VI. Die
Rhinoceriden Russlands und die Entwickelung der Rhinoceriden
im Allgemeinen. Verfasserin hat ihre Studien sowohl in den
meisten europäischen, an Rhinoceriden reichen Sammlungen ge-
macht, als auch gelegentlich des internationalen Geologen -Con-
gresses in den berühmtesten amerikanischen. Nach einigen ein-
leitenden Bemerkungen über den Werth mancher auf unzulängliches
Material hin aufgestellten Art und über die von manchen Autoren
vorgenommene Abtrennung von Gattungen besin-ieht sie die in
Russland gefundenen fossilen Reste der Rhinoceriden und geht
dann zu dem Haupttheile ihrer Arbeit, der Entwickelung der-
selben im Allgemeinen, über. Die ersten Angehörigen der Rhi-
noceriden erscheinen im Unter-Eocän Nordamerikas mit der Gattung
Systemodon; im Mittel -Eocän folgt alsdann Hyrachius agrarius,
von dem sich weitere Formen in jüngeren Ablagerungen als directe
Nachfolger erweisen (namentlich Araynodou im Ober- Eocän und
Hyracodon im Oligocän Nordamerikas). Mit Amynodon ist ein
neuer Typ aufgetreten, der sich auf dem nordamerikanischen
Festlande in der Gattung Aceratherium bis in das untere Pliocän
fortsetzt; dann aber auch in Europa im Oligocän einen Vertreter
in Amynodon Croizeti hat. In Europa erreicht Aceratherium
sowohl als auch die eigentliche Gattung Rhinoceros eine hohe
Entwickelung und bringt, stets weiter nach < tsten sich ausbreitend,
innner neue Formen hervor. Auf diesem Zuge ostwärts erscheinen
dann auch die ersten Rhinoceriden im Ober-Miocän in Asien
(Rhinoceros sivalonsis) und dauern hier bis auf die Jetztzeit fort,
während sie in Europa mit dem Pleistocän verschwinden. Aus
Afrika kennt man mit Sicherheit dieselben erst aus der Gegen-
wart, Reste fossiler Thiere haben noch nicht zweifellos nach-,
gewiesen werden können. Bourdeille de Montresor: Quellen
über die Flora der Provinzen, welche an der Zusammensetzung
des Unterrichts-Bezirkes Kiew theilnehmen. (Aufzählung der die
Flora der betreffenden Gegenden behandelnden Werke.) Stolz-
mann: Beitrag zur Ornithologie Transcaspiens nach den von
Thomas Barey angestellten Untersuchungen. Der Verfasser zählt
230 Species auf, welche bereits einen interessanten Einblick in
die faunistischen Verhältnisse des wissenschaftlich noch wenig
bekannten Gebietes gewähren. Kris chtaf ow itsc h: Die ober-
tithonischen Ablagerungen Central -Russlands. Vorläufige Mit-
theilung. Die beiden als Wolga-Etagen bezeichneten Schichten-
complexe, sowie die Schichten mit Hoplites rjasanensis werden
auf ihre Altersstellune; hin untersucht. Die beiden ersteren hält
Verfasser für typisch oberjurassisch, die letzteren für obertithonisch.
Trautschold: Gletscher in Russland. Der Autor erklärt sich
aus verschiedenen Gründen (Fehlen genügend hoher Gebirge,
Horizontalität des russischen Bodens) gegen die Annahme ehe-
maliger Gletscher und führt die als Gletscherproducte ange-
sprochenen Bildungen auf Eis-Drist zurück. Strem o vukho w:
Notiz über die Zone mit Olcostephanus nodiger bei dem Dorf'e
Miikowo, Distriet Podolsk, Gouvernement Moskau. Zickendrath:
Kurzer Bericht über die in den Gouvernements Jaroslawl und
Wologda während der Jahi'c 1S91 und 1892 unternommeneu
geologischen und botanischen Excursionen. Ognoff: Ueber das
Neurokeratin. Untei-suchungen über die Bedeutung der in den
peripherischen Nerven, dem Gehirn und der Retina von Kühne
und Ewald entdeckten, dem gemeinen Keratin sehr ähnlichen,
daher von ihnen Neurokeratin genannten Substanz. D. Litviuov:
Astragalus Uralensis spec. nov. Beschreibung einer neuen Art aus
der Nachbarschaft von Slatoust. B. Sresnewsky: Ueber die
Kälte im Januar 1893. — Als Anhang enthält der Band die
„Meteorologischen Beobachtungen" des Meteorol. Observatoriums
der Laudwirthschaftl. Akademie bei Moskau während des Jahres
1892. F. K.
Haeusler, R., Notes sur la distribution des Lituolides dans les
tirrains jurassiques de la Suisse. Berlin. 5,60 M.
Hertwig, O., Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen
und der \\'irbelthiere. 4. Auflage. Jena. 12,50 M.
Hilber, V., Fauna der Pereirai'a-Schichten von Bartelmae in
Unter-Krain. Leipzig. 0,S0 M.
Hundeshagen, K., Ueber die Wirkung des Chloroforms auf
Mikroorganismen. Jena. 1.50 M.
Jelinek, Anleitung zur Ausführung meteorologischer Beob-
achtungen, nebst einer Sammlung von Hilfstafeln. 4. Auflage.
Leipzig. 1,20 M.
Kinkelin, F., Die Tertiär- und Diluvial-Bildungen des Unter-
mainthales, der Wetterau und des Südabhanges des Taunus.
München. S. Heft. 1. M.
Kitt, Tli. , Bacterienkunde und patliologische Mikroskoi)io für
Thierärzte und Studirendo der Thiermedicin. 2. Auflage. Wien.
'.) M.
Krafft, F., Kurzes Lehrbuch der Chemie. Wien. 15 M.
Krollick, H., Grenzen und Gliederung der Alpen. Berlin. 1 M.
Laar, J. J. van. Die Thermodynamik in der Chemie. Leipzig.
7 M.
Iiauterborn, B., Ueber Periodicität im Auftreten und in der
Fortpflanzung einiger jielagischer Organismen des Rheines und
seiner Altwasser. Heidelberg. —,60. M.
Lipski, A., Ueber die Ablagerung und Ausscheidung des Eisens
aus dem thieri.sclien Organismus. Dorpat. 1,50 M.
Lehmann, H., ß, Die Haiacarinen des Plankton-Expedition. Kiel.
Loriol, P. de, Etudes sur les moUusriues des couches coralligenes
interieures du Jura bernois. Berlin. 33,110 M.
Maillari, G., et Locard, A., Monograjihie des mollusques
tertiäires terrestres et fluviatiles de la Suisse. Berlin. 12 M.
lyiannaberg, J. , Die Malaria-Parasiten, auf Grund fremder und
eigener Beobachtungen dargestellt. Wien. 6 M.
Messtischbätter des' Preussiscben Staates. 1:25,000. Nr. 826.
Ilouksiel. — 919. Esens. — 1196. Emden. — 1G35. Altenflies. —
1638. Driesen (Ost). — 1702. Massin. — 1704. Landsberg a./W.
1778. Schwerin a./W. — 1846. Alt-Limmritz. — 1847. Kriescht.
— 1924. Zembowo. — 2128. Rakwitz.
Inhalt: Dr. Richard Jos. Meyer: Ueber die künstliche Darstellung des Diamanten. — Die Pilzgärten einiger südamerikanischer
Ameisen. — Zur Kenntniss des Fäi'bevorganges. — Ueber einige Verhältnisse bei der Rotation der grosj^en Planeten. — Ueber
den veränderlichen Stern Y Cygni. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Brockhaus' Konversations-Lexikon. —
Eduard W olf-Harnier: Naturgeschichtliche Charakterbilder. — Privatdocent Dr. Bernhard Rawitz: Compendium
der vergleichenden Anatomie. — 'Dr. Karl Eckstein: Insectensehaden im Wühle. — Albert Falsan: Les alpes francaises.
Prof. C. V. Boys: Seifenblasen. Vorlesungen über Capillarität. — Jacob Berzelius: Versuch, die bestiunnten und ein-
fachen Verhältnisse aufzufinden, nach welchen die Bestandtheile der unorganischen Natur mit einander verbunden sind. —
Bulletin de la Societe Imjieriale des Naturalistes de Moscou. — Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 40/41, für den luseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagebuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bornstein, Berlin SW. 12.
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änderungen der Meerestiefe. — Die Fläclie des Meeres — Wellen und Brandung.
— Die Abrasion. — Tektonische Veränderungen der Meeresbecken. — Temperaiur
des Wassers. — Treibeis und Eisberge. — l'ie Farbe des Meeres. ~ Der Salz-
gehalt. — Zirkulation und Strömungen. — Die Organismen des Meeres. - Die
5leer«-s|'ilanzeu. — Die Fauna der P'lachsee. — Die Thiere des Plankton. — Die
Ki'iall'uvilTe. — Die Bewohner der Tiefsee — Die Wirbelthiere des Meeres. —
Liii. s.iliuiente der Flachsee. — Die Sedimente der Tiefsee. — Vulkanische Inseln.
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Ueber den sogenannten vierdimenslonalen Raum
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litischen Formationen von Dr. H. Potonie. Mit
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im thierischen Körper von Dr. E Korscheit.
Mit 10 Holzschnitten.
Ueber die Meeresprovinzen der Vorzeit von Dr.
F. Frech. Mit Abbildungen und Karten.
i
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I
Heft 10. Ueber Laubfärbungen von L. Kny.
schnitten.
„ II. Ueber das Causalitätsprincip der Naturerschei-
nungen mit Bezugnahme auf du Bois-Reymonds
Rede: „Die sieben Welträthsel" von Dr. Eugen
1 )relier.
,. 12. Das Räthsel des Hypnotismus von Dr. ICarl Friedr.
Jordan.
,. Vö. Die pflanzengeographische Anlage im Kgl. bota-
nischen Garten zu Berlin von Dr. H. Potonie.
Mit 2 Tafeln.
„ 14. Untersuchungen über das Ranzigwerden der Fette
von Dr. Ed. Ritsert.
„ 15. Die Urvierfüssler (Eotetrapoda) des sächsischen
Rothliegenden von Prof. Dr. Hermann Credner
in Leijizig. Mit vielen Abbildungen.
„ lll. Das Sturmwarnungswesen an den Deutschen Küsten
von Prof. Dr. W. J. van Bubbcr. Mit 1 Tafel
und 5 Holzschnitten.
Preis: Heft 1-4 ä 50 Pf.. Heft 5—16 a 1 M.
Redaktion: ' Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIIL Band. Sonntag, den 25.
Juni 1893.
Nr. 26.
Abonnement: M;iii ahonnirt bei allen Hiielihandlungeii nnd Post- y
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 3.— dp
Bringeseld bei der Post 15 4 extra. JL
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 ^, Grössere Aufträge eiit -
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Ucbereinkunft. Inseratenannalime
bei allen Ännoncenbureaux, wie bei der Expedition.
.\l>«lrnck \st mir mit vo]l!stäii«li;;ei' C(nelleiians;abe gestattet.
Die angebliche ,,Giftfestigl<eit" des Igels.
Von W.
Die vermeintlielie Im mimität des Igels g-egeii
Blausäure folgert. Erich llarn;ick aus einem Versuche,
über welchen in der „Naturw. Wochenschr." vom 26. Miirz
d. J. (No. 13 S. 129) berichtet wird. Der Versucli be-
weist aber im Gegentheil, dass das Tiiier nach subcutaner
Injcetion von 5 Centigramm Cyankalium im Ganzen —
U,01 um ,^) und 0,0-i um ö Uhr 10 Min. — sehr schwere
Intoxicationserscheinungen zeigte und um 5 Uhr 40 Min.
dem Tode vert'alleu schien, da es „wie gelähmt" da lag.
Indessen erholte es sich am folgenden Tage, während
eine Katze, der nur 1 Centigramm Cyankalium subcutan
injicirt worden war, nach 1 Jlinute umfiel und nach
4 Min. starb. Ehe aus diesem Versuche auf die oft ])c-
hau])tete und nie ])ewiesene Resistenz des Igels gegen
Blausäure geschlossen werden darf, müsste die schnelle
Absorption des injicirten Giftes dargethan werden. Es
ist nicht leicht, einem ausgewachsenen Ige! irgend etwas
subcutan zu injicireu, wegen seiner Stacheln. Indessen
ein Theil der Cyankaliumlösung, welche 0,04 cntliielt,
muss im vorliegenden Falle absorbirt worden sein, da
eben die schwersten Vergiftungssymptome eintraten. Hier-
nacii kann es sich überhaupt nicht um Innnunität, sondern
höchstens um eine gr(issere Resistenz gegen das Gift, als
bei anderen Thieren, handeln. Aber diese ist ebenfalls,
wie icli schon vor 25 Jahren in meinem Buche „Die
Blausäure physiologisch untersucht" (1868 — 1870 Bonn II,
S. 6 und 47 — .51) nachgewiesen habe, nicht vorhanden.
Denn als ich einen ausgewachsenen munteren Ötacheligel
unter einer sehr grossen tubulirten Glasglocke auf dem
1'ische, auf welchem er umherlief, die Dämpfe von nur
0,.5 Cubikeentimcter einer seehsprocentigen wässerigen
Blausäurelösung einathmen Hess, indem ich dieses kleine
Quantum auf den Tisch goss — es war am 22. April iy()8
im ungeiieizten Laboratorium — fiel er nach einer halben
Minute um und war nach 6 Minuten gelähmt. Er zeigte
noch eine ganze Reihe von Vergiftnngserscheinuiigen, er-
Prey er.
holte sich j'edoeh etwa 10 ^lin. später langsam und war
am folgenden Tage normal. In diesem Falle, der nur
die Empfänglichkeit des Igels gegen sehr kleine Mengen
gasförmigen Cyanwasserstoffs I)eweisen soll, da von den
0,03 Gramm noch lange nicht der zehnte Theil innerhalb
30 See. eingeathmet worden sein konnte, ist die Intensität
der Giftwirkung frappant.
Dasselbe Thier lag Tags darauf zusaramengckugelt,
regelmässig 20 Mal in der Minute athmend da. Ich Hess
nun bloss sieben Tropfen ö-proc. Blausäure auf seine
Schnauze fallen. Nach weniger als 30 See. cntkugelte
sich das Thier nnd stellte nach weiteren 1.5 See. die
Athembewegungen während etwa '/., Min. ganz ein.
Sieben Minuten nach dem Auftriipfeln des Giftes war der
Igel tot. Da von den angewandten Tropfen 50 auf
1 Cubikcent. gehen, so enthielten 7 höchstens 0,008 Grm.
CNH, und da von diesen der grüsste Theil von der warmen
Nase des Thiei'es abdunstete, können nur wenige Milli-
gramm Blausäure in das Blut des Thicres gelangt sein.
Nichtsdestowenigei' starb es nach 7 Min.
Uebrigens sind meine Versuche nicht die einzigen,
welche die Empfindlichkeit des Igels (Erhiacetis euro-
paeiis) gegen Cyanwasserstoif beweisen. Es ist, um die
irrthiimlicbe Meinung von der gi-ossen Resistenz oder gar
Innnunität dieses Tiiieres gegen Cyanverbindungen noch
gründlicher zu widerlegen, nicht übertlüssig, an ältere
Experimente zu erinnern.
In seinen ausgezeichneten preisgekrönten Rcchcrciics
et considerations medicalcs sur l'aeide hydro-
cyaniquc (l'aris 1819 S. 129) sagt Coullon: Am 28. Juli
1809 begann ich sechs Tropfen Blausäure im Munde eines
Igels zu verbreiten; es trat nur eine geringe Erschwerung
der Atlmning ein nnd er blieb zusanmiengerollt. Eine
halbe Stunde später zwang ich ihn 14 neue Tropfen zu
verschlucken, worauf nach ungefähr einer halben Minute
die Atlnnun"- besehleuiiiü,'t und noch mehr erschwert wurde:
25G
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 26
nach 10 Min. starb er. Hier entsprechen (j Tropfen
0,0033 Grm. und 14 Tropfen 0,0077 Grni. Cyanwasserstotf.
Georg Wedemeyer schreibt in seinem Buche
„Physiologische Untersuchungen über das Nervensystem
und die Respirati<m" (Hannover 1817 S. 249 fg.): „Einem
jungen noch zahnlosen Igel wurden ein Paar Tro))fen
der Blausäure No. 2 in den Rachen gesteckt. Er lebte
hierauf noch 6 l)is 7 Min.". Ein ausgewachsener alter
Igel wurde durch 2 bis 3 Haarpinsel voll der Blausäure
No. 2, die ihm in die Nase und in den Rachen gesteckt
wurden, vergiftet. Innerhalb 10 Min. starb er unter dem
heftigsten Opisthotonus. Der Versuch wurde im Monat
Oetober bei 10 (Jrad R. Wärme gemacht." Die ange-
wandte Blausäurclösung nniss nach S. 235 sehr verdünnt
gewesen sein.
In seiner Promotionsschrift De acidi hydrocyanici
ejusque i)raeparatorum priucipaliuni in organis-
mum animalem effectu (Breslau 1841 S. 45) berichtet
F. Gottvvald: Ein männlicher Igel erhielt Jj. acid.
hydroc. in den Mund, brach sofort /Aisannnen, mit eigen-
thümlich spastisch geötfuetcm Munde und war nach 5 Min.
tot. Die angewandte Blausäurelösung war die der da-
maligen Prcussischcn Pharmakopoe, also 2-procentig. die
Dosis enthielt somit 0,075 Grm. CyH. Daher die schnell
tötliche Wirkung.
Dass hypodermatische Einspritzungen verdünnter Lö-
sungen, selbst wenn die ganze Dosis wirklich in den
Körper gelangt, beim Igel langsamer wirken, protrahirte
Vergiftungen nach sich ziehen und bei grösseren Mengen
dennoch Erholungen ermöglichen, erklärt sicii durch eine
langsamere Resorjjtion. Wenn die letzten Giftinengen zur
Aufnahme in das Venensystem konmien, sind die zuerst auf-
genommenen längst wieder ausgeschieden, so dass es in
keinem Augenblick zu einer solchen Ansammlung des
Giftes im Blute kommt, wie sie zur schnellen Tötung
erforderlieh ist. Daraus folgt aber durchaus nicht, dass
der Igel gegen Blausäure innnun oder besonders resistent
sei. Die erwähnten Versuche beweisen das Gegeutheil.
K. Hassert's Reisen in Montenegro im Jahre 1891.
Dr. Kurt Hassert, ein Schüler von Er. Ratzcl und
F. von Richthofen, unternahm es im Sommer und Herbst
1891, Montenegro nach allen Richtungen zu bereisen, um
so eine möglichst vielseitige und nmfassende Kenntniss
des in vieler Hinsicht merkwürdigen Landes zu gewinnen.
Er hatte sich durch litterarische Studien wie durch prak-
tische Vorbereitung für topographische Arbeiten im Militär-
geographischen Institut auf das Sorgfältigste vorbereitet
und hat sich's dann auf seinen fünfmonatlichen, ange-
strengten Touren keine Mühe verdriessen lassen, sein Ziel
möglichst zu erreichen. Die Lücken, welche naturgemäss
dennoch bleiben mussten, wollte er auf einer zweiten Reise
im Jahre 1892 möglichst ausfüllen. Letztere ist denn
auch von ihm, und zwar diesmal im Auftrag des Militär-
geographischen Instituts in A\"ien, besonders zum Zweck
topographischerArbeiten unternommen worden, doch liegen
über diese zweite dreimonatliche Reise meines Wissens
noch keine eingehenderen Veröffentlichungen vor; wir be-
schränken uns daher in den folgenden Mittheilungen auf
die mehrfachen Publicationen über die Reise vom Jahre
1891*) und schicken zunächst einen üeberblick seiner
hauptsächlichsten Routen voraus.
Mit Instrumenten gut ausgerüstet, mit Pässen und
Empfehlungsschreiben versehen, brach H., nur mit einem
Pferd für sein Gepäck und mit einem Führer, Ende Mai 1891
von Cettinje (vergl. Fig. 1) auf, berüln-te zuerst Podgoritza
im O. Montenegros, ging dann im Zetathal aufwärts ül)er
Danilovgrad und Kloster Ostrog nach Niktschitz, von hier
den berühmten Dugapässen folgend nach Gatzko j'enseit der
NW-Grenze in der Herzegowina, weiterhin quer durch den
westlichen Theil Montenegros (die Banjani) nach Grahovo
und Risauo (unweit Cattaro an der Adria gelegen), und
zurück nach Niktschitz, um mit grosser östlicher Aus-
biegung über die Luka vica ins obere Moratschathal,
durch das Tuschinathal an dem Komarnica und Piva-
Kanon abwärts bis in die nördlichsten Theile des Landes,
*) 1) Heise durcli Montenegro nebst Bemerkungen über
Land und Leute. Mit 'AO Abbildungen nach den Aufnahmen des
Verfassers und einer Karte. 8". 236 S., Wien, Hartleben. 1892.—
2) Eine Fuss Wanderung durch Montenegro. D. Eund-
schau für Geographie und Statistik. Bd. XV, Heft 3 u. 4. 3) Der
Skutarisee. (Globus, Bd. 62, 1892, No. 1, 2, 4 u. 6.) 4) Der
Durmitor. Wanderungen im Montenegrinischen Hochgebirge.
Ztschr. des d. u. ii. Alpenvereins, Bd. 23, 1892, S. 124-170. —
Die wissenschaftlichen Ergebnisse wird eine Abhandlung in den
Ergänzungsheften von Peteruiann's Mittheilungen üusaminenfassen.
scidicsslich bei Fotsclia in Novibazar vorzudringen. Durch
die Herzegowina zum Adriatischen Meer und Cettinje
zurückgekehrt, brach der unermüdliche Reisende nunmehr
im Hochsommer nach Kolaschin auf, um die Hocligipfel
der wildzerrissenen Durmitorgruppe zu besteigen. Nach
der Rückkehl' wendet er sich über Niktschitz und Podgo-
ritza dem wilden Kutschi-Land ganz im 0. Montenegros
zu, auch hier über die Nordo.stecke des Landes hinaus
einen kühnen Verstoss nach Albanien unternehmend,
welcher indessen beinahe übel abgelaufen wäre, denn nur
durch die schleunigste Flucht vermochte sich H. den Ver-
folgungen des Vorstehers von Berani zu entziehen, welcher
ihn für einen russischen Spion hielt. Ueber Kolaschin
nach Podgoritza zurückgekehrt, widmete sich H. nunmehr
noch der f^rforschung des Skutari-Sees und der Küsten-
ketten zwischen letzterem und der Adria. .Vucli ein Be-
such der Hauptstadt Nordalbaniens, Skutari, wurde glück-
lich durch die Bojana-Ebene ausgeführt. Von Antivari
kehrte H. über den Sutorman-Pass und durch die Com-
nica nach (!ettinje zurück, um schliesslich auf dem Heim-
wege zur See noch den berühmtesten Gipfel ]\lontenegros,
dem Lootschen (1759 m) einen Besuch abzustatten: „Wer
krmnte dieses Panorama beschreiben, gegen welches die
Rundsicht vom Durmitor, Vojnik, Ostrog oder von Vranina
in nichts zusammenschrumpft und dem selbst der um-
fassende Blick vom Koni an zaul)erischer Schönheit nicht
gleichkommt? Leider beeinträchtigte ein feiner
Nebel die Aussicht, so dass die entfernteren Bergzüge
undeutlich aus der Dunstiiülle hervortraten; aber das ge-
sammte Montenegro lag wie auf einer Reliefkarte vor
uns: Hier spielte die Sonne mit den leicht bewegten
Fluthen der Bocche (di Cattaro), dort leuchtete der Spiegel
des Skutari-Sees herauf und am Horizonte verschwand
die blaue Adria. In wilder Pracht erhol)en sich ilie
Albanesischen Alpen und das Küstengebirge Rumija, und
allerorts schweifte das Auge über ein endloses Durch-
einander von Ketten und Thälern, aus deren Hintergrunde
die schneebedeckten Zacken des Durmitor und Koni zum
letzten Male herübergrüssten. Vom grünen Plane hob
sich Podgoritza ab, die kleinen Becken von Cettinje,
Njegusch und Ktsclievo unterbrachen anmuthig das Grau
in Grau gehüllte Gestein und 100 m unter uns war in
einen kreisrunden Kessel der See des Jezerski Vrh ein-
gebettet." (S. 234.)
Versuchen wir nunmehr die in den Reiseberichten
Nr. 26.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
2.57
/,eri*treuteii Beoliaclitui)jj;en über I\[()ntcne,^ro zu einem ge-
drängten (Tcsaninitbikl zusammenzufassen.
Ueber den geologischen Aufbau lagen bereits
zahlreiche Beobachtungen, namentlich von E. Tietzc, vor
(Geolog. Uebersicht von Moulcuegro, .laiirh. der k. k. Geolog.
Reichsanstalt zu Wien, l.sS4, Bd. 84, S. I.tI fW), denen 11.
zahlreiche Eiuzelbeobachtungeu hinzufügt. Im allgemeinen
genügt es festzuhalten, dass der Westen liauptsächlicii
aus arg verkarsteten Kalken kretaceisclien Alters besteht,
während im NO. des Landes mit den Wei'feuer Schichten
und anderen triadisehen Sedimenten weit mildere und
culturfähigere Bodenformen auftreten. Ein mit grünen
Laubwäldern bedecktes
hier mehr mitteleuroi)äisehen Charakter.
1) Längst hat sich der Name Karst von der kleinen
Zone nördlich von Triest
wasserreiches Gebirgsland trägt
auf die übereinstimmenden
Erscheinungen in vielen an-
deren Kalk- und Dolonnt-
gebirgen ausj;
Karstbilduugen-
;-edehnt. Die
1*) sind vor
allem charakterisirt „durch
zahllose Trichter, die Do-
linen, und durch abgeschlos-
sene, oberirdisch meist ab-
flusslose Mulden, die sogen.
Poljen, welche statt regel-
mässiger Thäler die einför-
migen Plateaus durchfurchen.
Beide Senkungen unterschei-
den sich nur durch ihre
Gr('isse von einander, denn
ihre Entstehung ist die
gleiche: Einsturz in Folge
von Unterwaschung. In
tausend verborgeneu Canälen
findet das Wasser einen Weg
ins Innere und Inihlt es aus;
die Kräfte des Luftmeeres
arbeiten den so entstandenen
Schlund zu einem Trichter
um, und werden die trenuen-
den Querwände beseitigt,
so vereinigt sieh eine Reihe
dieser Trichter zu einem
zusammenhängenden Do-
linenthal."
Die Karsterscheinungen
prägen dem südwestlichen
Theile Montenegros ihren Stempel au
Reisen überaus beschwerlich. Den ödesten, sterilsten Thei
des von der Natur kärglich genug ausgestatteten gebir-
gigen Landes bilden vielleicht die Banjani, welche
zwischen den Dugapässen und der SW. -Grenze sich hin-
ziehen. Sie stellen ein welliges Hügel- und Doliuenlaud
dar, mit nicht allzuhohen Kettengebirgen und flachen Ein-
hruchskesseln, das an Unfruchtbarkeit, Wald- und Wasser-
armuth seinesgleichen sucht. So selten ist eine Quelle,
dass sie oft vom Schimmer der Sage umwoben ist und
in der früheren gesetzlosen Zeit der Schauplatz erbitterter
Kämpfe war. Meist muss nuin sich mit Cisternen lie-
belten, die ein warmes, zweifelhaftes Wasser enthalten.
„Diese ausgetrocknete Steiuwüste schmachtet unter einem
glühenden Sonnenbrände; fast täglich Stauden schwere
Gewitter am Himmel und der Donner hallte schaurig in
den Klüften des Njigosch und des Strazischte wieder.
Aber nie fiel ein Tröpfchen des erquickenden Nasses, im
*) Vergl. „Naturw. Wocliensulir., Bd. III, S. 1J5.
Gegentheil, die Schwüle steigerte die Hitze so sehr, dass
das Thermometer über 50° C. stieg; und wegen der in-
tensiven AVärmcausstrahlung des nackten Kalkes hätte
man glauben können, in einem Backofen zu wandeln.'-
2) Durch das Zetathal und die im NW. von Kiktschitz
befindliche Einsenkung der Dugapässe scheidet sich das
Karstgebiet, die eigentliche Cruagora, das Land der
Schwarzen Berge, von dem östlichen Berglande, dem
niontenegrinisclicn Brda. Für letztere Gegenden sind die
ausgeprägten Kafionbildungen charakteristisch, welche be-
sonders im Dina - Gebiet von der Piva und Koniarnica,
noch mehr von der Tara im Laufe der Zeit in so gross-
artigen, schauerlichen Schluchten ausgebildet wurden,
dass dieselben in Europa nicht ihres Gleichen mein- haben.
Sie hemmen natürlich den Verkehr ungemein, denn meist
ist es überhaupt unmöglich,
diese bis 1500 m tiefen
Schluchten zu überschreiten
oder doch nur nach langer,
halsltrecherischer Kletterei
hinab und hinauf. So bildet
die Tara in langer Erstrek-
kung den natürlichsten Greuz-
graben zwischen Montenegro
und dem Novi Pazar. Solche
ausgeiirägte Kanons finden
sich im 0. des Landes auch
noch ausserhalb des Tara-
Quellgcbietes an der oberen
und niederen Moratscha,
welche in den Skutari-See
einmündet. Im Bereich dieser
tief eingesägten Kaiiourinnen
erheben sich aber auch die
bedeutendsten Berggruppen
des ganzen Gebirgslandes,
die Höhen des wilden Kut-
schilandcs, der Kom (2448m)
und vor allem zwischen Piva
und Tara das Massiv des
D u r m i 1 0 r s (nach Hassert
mit 2523 m gipfelnd). Die
Schilderung der wilden und
ungemein grossartigen Alpen-
natur der Durmitorgipfel (Fi-
gur 2) geiiört zu den Glanz-
partien der Reisedarstelluug
und zeigen unseren jugend-
lichen Forscher aiseinen eben-
und machen^ das ] so kühnen wie ausdauernden Hochtouristen, der vor keiner
Schwierigkeit zurückschreckt. Lassen wir ihn sellist reden :
„Von allen Seiten gewähren die wilden, ausgearbeiteten
Formen dieser unvermittelt aus der Ebene aufragenden
Massivs einen unvergleichlichen Anblick, am besten über-
sieht man dieselben von 0. von Zabijak aus: hier erhebt
sich der merkwürdige Doppelkegel des Sedlo, ihm gegen-
über liegen die Kolosse des Medjed (Bärenbergs) und
Savin-Kuk, die sich in der wilden Tscliirova Petschiua
fortsetzen und endlich im grossen und kleinen Stulac
weniger schroff nach der Tara a))fallen, während zwischen
dem Hauptkannne und der steil zum Dobri Do abfallenden
Prutasch das Trockenthal der Suscliica sich mit senk-
rechten Wänden einschneidet. Ehemalige oder heutige
Gletscher fehlen indess diesen Bergriesen gänzlich. Ani
19. August gingen wir unter Führung eines ortskundigen
Eingeborenen zu dem idyllisch im dunklen Grün ver-
steckten Crno Jezero (= Schwarzer See) und dann zu
der kleinen Doline Srijepulna Polj'ana am Fasse dcr
schrofieu Crvcna Grcda {= Eother Felsj. Hier begann
Figur I. Uebersichts Karte.
258
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 26.
stic;;-, luid
dem
der cij^'ciitliche An
Stunde waren wir in
Valischnica Do mitten
Firntleclien, wo wir in
übernachteten. Gegen
erhob sich eine lieftige Bora,
die schaurig- die einsame Natur
durchtobte und das Erklimmen
des steilen Hauptkammes unge-
mein erschwerte, indem sie uns
oft zu Boden warf oder am
Weiterklettern hinderte. Endlich
war auch dieses Ungemach über-
wunden, und herabblickend auf
das wilde todte Tafelland Nord-
Montenegros stiegen wir zum
Skrk-Thale ab, wo ans der
wundersame Meer-
sciion nacli einer lialben
unbeschreiblich iiden Hochtlial
im Bereich der Legföhren und
einer elenden Koliba (Sennhütte)
Morgen
entgegen-
Tiefe zwei
äugen uns
Iir/, wischen
^valt des
entgegenleuchteten.
gesteigert
^f\Srjepu/na Poljiuuj.
'%fitn£sch.Do "'"/,
hatte sich die Ge-
Sturmes immer mehr
und zugleich entlud
sicli ein heftiger, mit Hagel und
Schnee vermischter Regen, so
dass uus nichts ül)rig blieb, als
in einer Hütte ein schützendes
Obdach zu suchen. . . . Sehr
früh brachen wir am nächsten
Morgen bei nur 4° C. Wärme
auf, suchten, bald über steile Wiesen, bald zwischen
Schueelager und Karrenfeldern uns emporarbeitend, einen
Sattel zwisciieu Stit und Frutasch zu gewinnen, und
hatten denselben schon nach
einigen Stunden rüstigen Stei-
gens erreicht. Nachdem wir,
mehr rutschend als gehend,
auf seinem fast senkrechten
Abfalle im Thale Dobri Do
angekounuen und uus ein
wenig ausgeruht hatten, nah-
men wir unser eigentliches
Ziel, die Tschirova Petschiua,
in Angritf. Dieser
wurde zuerst von
B a u m a n n erstiegen.
über kantige
*oslsch£nsko Jczerr»
Figur 2 Durmitor - Gruppe
Gipfel
Dr. 0.
Sehr
miue , sahen
Mittag
steil ansteigend
Geröllmassen, dürftige Gras-
lehuen und durch enge Ka-
wir uus gegen
in der Nähe eines
kleinen Teiches, in dessen
grünen, klaren Wassern sich
der wildzerrissene Kannn
wiederspiegelte. Mit Händen
und Füssen über eine mäch-
tige, stark gebösehte Schutt-
halde krieeliend, die bei
jedem Tritte nachgab und
zahllose Trümmer in eine jähe
Tiefe abrollen Hess, hatten
wir endlich die Spitze um-
gangen. Noch wenige Mi-
nuten, dann war ein kaum 2 m
und aus schwindelnder Höhe
in das von
Thal. Der
Figur 3. Skulari-See und Umgeliung
senkrechten A¥änden eingeschlossene
war fast
Aufstieg,
breiter Grat gewonnen,
schauten wir liinab
Skrk-
Abstieg auf der entgegengesetzten Seite,
hat,
der
:ast-
den bisher wohl noch kein Fremder ausgeführt
noch mühsamer
und es dunkelte
und gefäln'licher als
bereits, als uus die
Hellen Feuer der KoHbas des Lokvice- Thaies
leuchteten.
Trotzdem in der kleinen Hütte gegen 15 Menschen
schliefen, lagen wir bald in sanftein Schlummer und der
Morgen fand uns neugestärkt
auf den Abhängen des Medjed.
Er stellt, obwolil bedeutend nie-
driger als die Tschirova Pet-
scliina, die Geduld und Ausdauer
viel mehr auf die Probe, weil
er in ausserordentlich schroft'en
Wänden aufragt und eine sehr
ungemüthliche Kletterei auf
einem kaum Va m breiten, locke-
ren Grate zwischen senkrechten
Abgründen verlangt. Doch
wurde auch er glücklich be-
zwungen, und am anderen Tage
kehrten wir wohlbehalten nach
Zaldjak zurück.^' . . .
Von hier aus wurde noch,
und zwar ohne jede Anstrengung,
der Stulac mit dem inzwischen
in Zabljak eingetroffenen ita-
lienischen Botaniker Dr. Bal-
dacei bestiegen, mit welchem
Hassert nun eine Zeitlang zu-
sammenreiste.
Die sämmtlichen mühevollen
Hochtouren im Durmitor-Gebiet sind, mit zahlreichen
Abbildungen ausgestattet, von Hassert eingeliend in der
Zeitschrift des d. u. ö. Alpenvereins Bd. 23 (1892) be-
schrielien worden.
3) Einen durchaus an-
ders gearteten Charakter hat
naturgemäss die Niederung
des Skutarisees, welchem
Hassert ebenfalls eingehende
Aufmerksamkeit gewidmet hat
(Fig. 3). Namentlich verdienen
die zahlreichen
mit
von E. Richter und W. Ule
eonstruirten Apparat Aner-
kennung, sie ermöglichten es,
eine Tiefenkarte des im
Ganzen sehr flachen See-
beckens zu entwerfen. (Vgl.
„Globus" 18U2.) Auf d^er
Westseite fällt das Küsten-
geliirge ziemlich unvermittelt
all, hingegen ist das Ostufer
so flach, dass die Niederung
am Fasse der Albanesischen
Alpen kaum 30 m höher liegt
als am See. Dieser stellt
eine in ihren tiefsten Theilen
unter Wasser gesetzte Nie-
derung dar, etwa von der
Grösse des Garda-Sees. Seine
Entstehungsgeschichte hat H.
in der oben angeführten,
leicht zugänglichen Arbeit näher erörtert. Schier uner-
seliö])flich ist der Fisclireichthuni dieses Sees, welcher
andererseits die weite fruchtbare Ebene durch lang an-
dauernde Ueberschwcmmungen mit lästigen Fiebern heim-
sucht. Die Ufergegenden bilden bis zxun Fuss der Alba-
nesischen Alpen mit der Bojaua - Niederung die Korn-
Lothungen
einem nach den Angaben
kammer Montenegros. Mit der
beabsichtigten
Regulirung
Nr. 26.
Naturwisseiiscliaftliche Wochenschrift.
■259
der I^dj'aua wird sich die Fruchtbarkeit noch sclir be-
deutend steigern.
Jetzt bildet namentlicli das Thal des Omnica im
NW. des Sees eine überaus fruchtbare Niederung; sie
ist in der Tliat der Garten M(uitenegros. „Unter einem
Ilinnnelsstriclic, der keine Winter kennt, wechseln präcli-
tige Weinberge mit Laubwäldern, Feigenhainen und
edlen Obstbäumen ab, im hohen (irase der Wiesen weiden
strotzende Heerden und auf den sorgsam cultivirten Aeckern
gedeihen alle Getreidearten in üppiger Fülle." Der Con-
trast mit dem armen Hochlande, wo jedes culturtahige
Fleckchen in den weiteren Tdljen, wie in den zahllosen
Dolincn benutzt werden nniss, ist in der That ein uuge-
heurt'r und wirft ein milderndes Licht auf die erbitterten
Raubzüge, welche früher so häutig von den armen, einem
harten Daseinskampf ausgesetzten Bewohnern der monte-
negrinischen Berge gegen die fruchtbaren Getildc um den
Skutarisee ausgeübt wurden. Es würde hier zu weit
führen, auch auf die heutigen Bewohner, wie sie Hassert
durch monatehingen Verkehr mehr und mehr kennen und
sciiätzeu lernte, näher einzugehen. Allenthalben zeigen
sich, wie in l>osnien und der Herzegowina, so auch in
Montenegro die Segnungen geordneter Verhältnisse, seit-
dem die furchtbaren Kämpfe mit den Türken aufgehört
haben; die früher als Hannneldiebe und Nasenabschneider
verrufenen Montenegriner sind durch ihre jetzige tüchtige
Regierung mehr und mehr der sich ausbreitenden Segnungen
der Civilisation theiliiaftig geworden, so dass der Gelehrte
.jetzt hier zwar nicht bequem, aber doch sicher reisen
kann. Fr. Regel.
Von all den in neuerer Zeit lebhaft empfohlenen
künstlichen Näliniiittelii sciieint das Aleuronat das ein-
zig werthvolle zu sein, da es sich inmier weiteren An-
wendungskreis erobert. Das Aleuronat ist ein Präparat
aus Weizeneiweiss, das von Dr. Job. Hundhausen in
Hanmi in Westfalen erfunden und neuerdings zur Her-
stellung der verschiedensten Nahrungsmittel verwerthet
wird. So thcilt z. B. Dr. Ebstein (Göttingen) in der
Deutschen Medieinischen Wochenschrift Vorschriften zur
Herstellung eines eiweissreichen Brotes aus Aleuronat mit,
die für die weitesten Kreise Beachtung verdienen, da sie
eine billige und dabei kräftige Volksernäln-ungsweise
in Aussicht stellen. Der Werth dieses Aleuronatbrotes
liegt hauptsächlich darin, dass es sich jede Hausfrau im
eigenen Hause unschwer selbst bereiten kann. Das Aleu-
ronat ist ein feines Mehl, das sehr dauerhaft und haltbar
ist, wenn es trocken aufbewahrt wird. Es wird durch
Wärme nicht zersetzt, verdirbt nicht durch den Transport
und dergleichen mehr. Dr. Ebstein sagt: „Der Preis des
Aleuronats ist mit Rücksicht auf seinen Reichthum an
Eliweisssubstanz (mindestens 8Ö pCt. der Trockensubstanz)
ein überaus billiger. Das Aleuronat ist thatsäehlich das
weitaus billigste Ei weiss." Es bietet erwiesenermaassen
den gleichen Nährwerth wie das in der thierischeu Nah-
rung, im Fleisch, den Eiern, der Jlilch u. s. w. enthaltene
Eiweiss. Man kann durch Zuthun von Aleuronat den
Nährwerth der Kartoffeln-, Mehlsup])en u. dgl. wesentlich
erhöhen ; die Speisen werden durch diesen Zusatz zugleich
aber auch bekönnulicher, Milch mit Zusatz von Aleuronat
— ein Esslöffel auf '/4 Liter — hält sich sehr gut. Auch
als Zusatz und Geschniackscorrigens kann Aleuronat zu
Bouillon, Saucen, Cacao, Gemüse u. dgl. gebraucht werden.
Das Aleuronat, das durch Abkochen ganz rein wird,
kounnt in verschiedenen Formen in den Handel, am besten
soll das feingestäubte Aleuronat sein. Zum Backen von
Brot ist indess das gröbere mehr geeignet. Um tadelloses
Aleuronatbrot zu erzielen, ist nothwendig : erstens die pein-
lichste Sauberkeit und Reiulieit aller zum Backen er-
forderlichen Ingredienzien und Utensilien, zweitens eine
Hefe mit guter Triebkraft, und drittens ein genaues Ein-
halten der Itei den einzelnen Vorschriften angegebenen
Flüssigkeitsmenge. Das Backen kann in dem Backofen
jedes zweckmässig eingerichteten Kochherdes geschehen.
Selbst unter Berücksichtigung der etwa geringeren Aus-
nutzung des Ptlanzeneiweiss im Brot im Vergleicii zu dem
PHauzeneiweiss im freien Zustanile würden etwa 400 bis
500 Gramm eines Aleuronatbrotes genügen, wenn es
darauf ankäme, den Eiweissbedarf eines Erwachsenen
lediglich durch Pflanzeneiweiss zu decken. Zur Herstellung
eines etwa 30 pCU. Eiweiss in seiner Trockensubstanz
enthaltenen Brotes würden 1 Gewichtsantheil Aleuronat
und 3 Gewichtsantheile Weizen- oder Roggenmehl er-
forderlich sein. Prof Dr. Ebstein gie))t nun speciell drei
Vorschriften zur Herstellung von Weizenbrot, das 27,5 pCt.
bezüglich 50 pCt. Eiweiss in seiner Trockensubstanz ent-
hält, sowie von Roggenbrot mit ersterem Inhalt. Nur bei
dem 50-procentigen eiweisshaltigen Brote muss das Ver-
hältniss des Aleuronats zum Weizenmehl 1 zu 1 sein, sonst
ist es in der Regel 1 zu 4. Wir geben die erste Vor-
schrift hiermit wieder: 600 Gramm Weizenmehl, 150 Gramm
Aleuronat, 20 Gramm Hefe, Vo Liter Milch, 5'/2 Gramm
Kochsalz und 1 Gramm Zucker. Di-. Ebstein's Vorschriften
gelten nur für den Hausgcl)raueh und werden für Bäckereien
wohl entsprechende Modificationen erfahren müssen. Das
Aleuronatbrot hat nach Dr. Elisteiu stets einen normalen
Feuchtigkeitsgehalt, ist locker, porfis, nicht bröckelig,
zeigt keine Loslösung der Kruste u. s. w., freilich muss
man aber auch das Backen von Aleuronatbrot erst lernen.
Der angenehme Geschmack macht denGenuss auch dauernd
möglich. Dr. A.
Zur Oescliichte des Walfaiiares. — In den Annalen
der Hydrographie, 1893, Heft 2, berichtet Capt. Fr. Hege-
mann über den Walfang im Stillen Oceau und nördlich
der Beringstrasse während der 60-er Jahre. Wir ent-
nehmen diesem Bericht die folgenden Angalien: In den
vierziger und noch im Anfang der fünfziger Jahre ting
man im Stillen Ocean und zwar an der Küste von Neu-
seeland, bei den japanischen Inseln bis zur Küste von
Kadiak (Alaska) den Sf>gen. Right Wale; viel weniger betrieb
man den Fang des Pottwales. Die meisten Schifte blieben
bis zur Eri)eutung einer vollen Ladung Thran und l''isch-
beiu von Hause fort, meist 3 — 4 Jahre, und wurden daher
für diese Zeit mit Dauerpro\iaut und Fanggeräthen ver-
sehen; Ergänzungen beschaffte man in Hobbertown (Tas-
manien) und Honolulu, Erfrischungen boten fast alle Inseln
der Südsee, besonders Neuseeland, die Gcsellschafts- und
Bonin-Inseln, oder auch der sehr lielielite Hafen von Talca-
huano im südlichen Chile.
In den fünfziger Jahren trat, zuerst allmählich, später
rascher, an die Stelle des Right-Wale-Fanges dei;jenige
des Bowheads oder Polarwals im üchotskisehen, Bering-
oder Polarmeere nördlich der Bering-Strasse, sowie in der
letzteren selbst. In den sechziger Jahren wurde nur noch
gelegentlich ein Right Wale gefangen; llegemann be-
kam in dieser ganzen Zeit überhaupt nur einige dieser
Thiere in der Südsee zu Gesieht.
Derselbe befand sich von 1860 — 1868 im Dienst der
Oldenburgischen Aktiengesellschaft Visurgis, welche fünf
Schiffe zum Walfang ausrüstete. Von Honolulu wurde
alljährlich der Faugertrag nach Bremen befördert. Hono-
260
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 26.
luhi war damals der Sammelplat/, der Waler (meist Ameri-
kaner), zeitweise lag der Hafeu gedrängt voll von Schiflen,
welche Ende October bis Ende November einliefen, um
ihn Ende December oder Anfang Januar wieder zu ver-
lassen zur Jagd auf den Pottwal oder auch in geringerer
Zahl, um den kalifornischen Wal, den sogen. Grayback
oder Teufelfisch, in der Margarethen-Bai von ünterkali-
fornien zu fangen, in welcher diese Thiere ihre Jungen
zu werfen pflegten; im April kamen dann die Schiffe von
der Margarethen-Bai nach Honolulu zurück, um bald darauf
nach dem Norden zu fahren.
Als guter Durchschnittsfang während der Sommermonate
in den nordischen Gewässern galten damals 10 Bowheads;
dieselben lieferten etwa lOOÖ Barrel Thran und 16 000
Pfund Fischbein (1 Barrel = 30 Gallonen oder 113,5 Ltr.);
1868 kostete in Bremen der Barrel Thran nach jetzigem
Geld 68,75 Mark und das Pfund Fischbein 3,60 Mark.
Der grösste Pottwal aus jener Zeit, welchen Hege-
mann, und zwar bei den Bonin-Inseln, mit erbeutete,
lieferte 90 Barrel Thran, der grösste Bowhead 160 Barrel
Thran und 2500 Pfund Barten.
Nach und nach wurden die Wale immer mehr aus
dem offenen Polarmeer nördlich der Beringstrasse und
den angrenzenden Gewässern verscheucht und zogen sich
nach Norden zurück, wohin die Segelschirte ihnen nicht
folgen konnten; erst sjjät im Herbst, wenn sich junges
Eis bildete, zogen die Wale wieder nach Süden und ver-
anlassten so die Schifte zu einem immer längeren Ver-
bleiben im Polarmecre. 1860 vcrliess z. B. Hegemann
dasselbe Mitte September, 1868 passirtc er die Bering-
strasse erst am 23. October. Das von ihm geführte Schiff
Julian war das letzte, welches unter deutscher Flagge
von Honolulu aus für den Walfang Verwendung ge-
funden hat.
Damals jagte man den Finnwal, der jetzt in so grosser
Anzahl an der Nordküste von Norwegen gefangen wird,
nur selten, weil er sich nur ganz kurz an der Meeres-
oberfläche zeigt, seine Erlegung daher vielmehr vom Zu-
fall abhängt, besonders aber, weil er im Vergleich zu
den Pott- und Polarvvalen einen geringen Werth hatte.
Man wandte sich auf den Sandwichinseln neuerdings,
als der Walfischfang mehr und mehr zurückging, dem
Plantagcnbau zu, und es wurde nunmehr der Hafen von
San Francisco der Sammelplatz der erheblich verkleinerten
nordischen Fischerflotte, deren Betrieb unter Einstellung
von Dampfern mit grosser Zähigkeit und Kühnheit fort-
geführt wurde. Neuerdings sind die amerikanischen Wal-
fisehfänger immer weiter in das Polarmeer vorgedrungen
und haben, wie wir einer anderen Mittheilung derselben
Zeitschrift entnehmen (a. a. 0. S. 63 und 64), jenseit von
Point Bassow neue Jagdgebiete auszubeuten begonnen:
diese Fischerei in neuem Gebiet hat mit einem überaus
reichen Erfolg der Fangdampfer Mary D. Hume mit einer
Tragfähigkeit von nur SB Tf)nnen Netto soeben eröffnet;
nach 27.;; jähriger Abwesenheit kehrte das Schiff am
1. October vorigen Jahres nach San Francisco zurück
mit einem Gcsammtergcbniss von 104 600 Pfund Barten
im Wcrthc von 630 000 Dollar ((■)4 600 Pfund waren be-
reits in verschiedenen Schiffen vorausgesandt worden,
40 000 Pfund brachte das genannte Schiff selbst zurück).
Die erste Ueberwinterung (1890/91) hatte auf der Herschel-
Insel (139 W-Lg.) stattgefunden, die zweite (1891/92) an
der Mündung des Mackenzie-Stromes (!). Den eben ver-
gangenen AVinter 1892,93 haben noch 4 Schiffe am
Mackenzie zugebracht. Der gesammte Thranertrag der
getödteten Wale (etwa 5000 Barrels) ist in ersterem Fall
aus Mangel an Tonnen und Arbeitskräften unbenutzt ge-
lilii'bcn. Fr. Regel.
auf.
Mündung
Ueber das Auftreten der Oceaii-Sardine im Jahre
1890 berichtet G. Pouchet in den Comptes ßendus de
1891, (Bd. 113). Die grossen Sardinen-
der atlantischen Küste Frankreichs nur in
welches sich von Les Sables (nord-
der Sevre Niortaise) im Süden,
Belle Ile, Quiberon, Concarneau bis
Douarncncz (Bretagne) im Norden erstreckt. Sie er-
scheinen in diesem Räume jedoch nicht zu gleicher Zeit,
sondern zuerst im Süden und schreiten von dort aus un-
gefähr im Laufe eines Monats bis zum Norden vor.
Regelmässig beginnt der Fang bei Les Sables am 10.,
bei Belle Ile und Quiberon am 25., bei Concarneau am
l'Ac. des Sc.,
Züge treten an
einem Gebiete
westlieh de
über die Ile d'Vcu
Concarneau
und endet
September,
bei
bei
30. Mai, bei Douarnenez am 13. Juni
Saint-Gilles und der Ile d'Yeu am 18.
Les Sables am 25. September, bei Croisie am 11. October
und bei Douarnenez am 30. October. In der Zusammen-
setzung weichen die frühen Sardinenzüge von den späteren
ab, indem die ersteren aus gleicli grossen oder annähernd
solchen, die letzteren dagegen (in der Regel gegen Ende
der Saison) aus Individuen verschiedener Grösse und ver-
schiedenen Alters bestehen, und zum Schlüsse Scharen
viel kleinerer Fische auftreten. — Das Jahr 1890 brachte
hiervon ganz abweichende Ersclieinungen. Im südlichen
Theile des Gebietes, zwischen der Ile d'Yeu und Les
Sables, fehlten <lie Züge gleich grosser Fische ganz und
Monate
es erschienen dort von Anfang an,
Mai, Juni und Juli, gleich solche
während der
aus ungleich grossen
Die kleinere Sardine
und Port-Louis in der
und ungleich altcrigen bestehende,
zeigte sich bei Etel, Quiberon
dritten Scptemberwoehe; bei Les Sables traten Scharen
ganz kleiner Fische schon nach dem 15. August auf und
verblieben dort mehrere Wochen. In Folge dieses ab-
weichenden Verhaltens verlängerte sich die Fang-Saison
im Süden und endete, entgegen früheren Jahren, erst zu
derselben Zeit, wie im Norden. — Die bis zum Jahre
1885 reichenden Untersuchungen über das Auftreten
und Verschwinden der Sardinenzüge haben die Regel-
mässigkeit derselben bestätigt. Interessant ist es, dass
ihr Verhalten im Gegensatze zu dea herrschenden Tempe-
raturen des Oceans an den französischen Küsten während
der betrett'cnden Monate zu stehen sciieint. — Dem Ver-
fasser ist es trotz aller Mühe nicht gelungen, frei schwim-
mende Sardineneier zu erlangen, wie solche Raflfaele und
nach ihm Cunningham und Marion gefunden zu haben
glaul)ten. Er weist am Schlüsse seiner sehr interessanten
Abhandlung auf wesentliche Unterschiede zwischen den
von ihm untersuchten Sardinen-Eiern und jenen dafür an-
gesproclienen der genannten Forseher hin, wonach es auch
uns höchst zweifelhaft erscheint, dass letztere die
gefunden haben.
ichtigen
Ueber Elinsfeuerbeobaclituni^eii auf dem Soiiiiblick
veröftentlichen J. Elster und H. Geitel in den Sitzungs-
berichten der Wiener Akademie (Band 101, Abtheilung IIa)
eine längere Arbeit, aus welcher wir das Folgende mit-
theilen. Das verarbeitete Beobachtungsmaterial wurde
auf Veranlassung der Verfasser von Peter Lechner, dem
Observator der Station auf dem Sonnblick, dort von Juli
1890 bis Juni 1892 gesammelt. Obwohl ständiger Be-
reiter
Gewittern, ist das Elmsfeuer doch nicht daran
gebunden und tritt auch mitten im Winter bei schwachem
Staubsehneefall auf; dagegen steht es in engem Zusammen-
hange mit den Niederschlägen. Scheint hiervon einmal
eine Ausnahme einzutreten, so ist entweder ein Nieder-
schlagsgebiet im Anzüge, und das Elmsfeuer tritt nur
früher auf, oder ein Niedcrschlagsgebiet ist im Abzüge
begriffen und das Elmsfeuer hält länger an (im ersteren
Nr. 26.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
261
Falle Vorläufer, im letzteren ^'erl;in,:;crung des Nieder-
schlages). ISci völlig- heiterem lliinniel ist kein Elmsfeuer
beohachtet worden. Das Vorzeichen (i)ositiv oder negativ)
der Elmsfencrelcktricität wechselt oft, stets bei Hlitzent-
ladungen, bleibt dagegen an Tagen ohne allen Gewitter-
Charakter bisweilen constant. Von November liis Februar
ist sie vorwiegend negativ, von März bis Sejitember positiv;
bei grossflockigem Schnee durchgehend ])ositiv, bei Stanb-
schneefall meist negativ. Richtung und Stärke des Windes
scheinen ohne EiuHuss auf die Intensität des F^lnisfeuers
zu sein. Die Farbe der Blitze hat sich für den Sonnblick
als im Znsannnenhange mit dem Vorzeichen der Elms-
feuerelektricität stehend erwiesen, indem es bei bläulicher
negativ, bei röthlicher i)ositiv war. Endlich scheint der
geringe Atmosidiäreudruck (Vg) auf dem Sounblick das
Auftreten des Elmsfeuers zu begünstigen.
Anfstei!;:eiider Meteor. — Zu einem merkwürdigen
Resultat ist Prof von Niessl bei der Bahnbestimmung
eines am 7. Juli 1892 in einem sehr weiten Gebiete
Oesterreichs und Italiens gesehenen Meteors gelangt. Es
zeigte sich nämlich auf's unzweifelhafteste, dass der Lauf
dieses Jleteors zuletzt ein aufsteigender war, indem er
bei einer Balndänge von etwallOUkm von der grössten
Erdnähe (68 km über der Erdoberfläche) wieder bis auf
ir)8 km emporstieg, ehe das Verlöschen eintrat. Damit
ist zum ersten Mal das Vorkommen aufsteigender Meteor-
bahnen sicher gestellt und es ist nicht unmöglich, dass ein
Theil der meteorischen Massen die Erdatmosphäre wieder
verlassen und in einer durch die Erdanziehung nur wenig
gestörten hyperbolischen Bahn seineu Lauf um die Sonne
fortgesetzt haben mag. Kbr.
lieber Pliotograpliie kleiner Planeten nnd Steni-
sclinuppen spricht sich Herr Max Wolf, dem die Wissen-
sciiaft auf diesem Gebiete bekanntlich die grösstc F(irde-
rung verdankt, im Journal of tlie British Astrouomical
Association (vol III, No. 1) eingehender aus. Bei dem
ausserordentlichen Interesse, welches die so sehr verdienst-
vollen Arbeiten des Heidelberger Professors darbieten,
nu'ige hier kurz auf W. 's Auseinandersetzungen eingegangen
werden.
Herr Wolf hat im April 1890 damit begonnen, die
kleinen Planeten zu photographiren, wobei er ein Objectiv
von U"',162 Oett'uung und 2"',62 Brennweite, ferner eine
aplanatische Linie von 0"\06 Oeflfnung und 0™,44 Brenn-
weite anwandte. Er ging damals in erster Linie darauf
aus, einige verloren gegangene kleine Planeten zu suchen,
nnd machte zunächst zehn Aufnahmen mit langer Ex-
positionsdauer. Ein Erfolg blieb erst aus, da die er-
wähnte Linsenzusammenstellung sich als ganz ungünstig
erwies: die Brennweite der ersten war zu gross, die Öeff-
nung der zweiten zu klein. Herr AVolf weist bei diesem
Anlasse darauf hin, wie man lieim Photograpiiiren der
kleinen Planeten darauf aclitcn ninss, dass die Helligkeit
des Bildes auf der Platte dieselbe ist wie diejenige des
Bildes eines Fixsternes von gleicher Helligkeit, also direct
proportional der Objectivöftnung; und dass ferner der
Planet (wegen seiner Bewegung während der Aufnahme-
zeit) unter den [linkten, als welche sich die Bilder der
Fixsterne darstellen, sieh niarkiren wird durch eine Linie,
deren Intensität umgekehrt jiroportional ist der ange-
wandten Brennweite.
Unter Beachtung dieser Thafsaehen hat Herr Wolf
dann im November 1891 die Photographie kleiner Planeten
wieder aufgeiHunnien, jetzt unter \>rwcndung einer
aplanatischen Linie von U"',lo Üeß'nung. Nachdem es
durch einige Versuche dahin gebracht war, dass die
Platten immer richtig sich im Brennpunkt befanden, hatte
der Heidelberger Astronom am 22. December 1891 das
Glück, den Fachgenossen die Mittheilung machen zu
können, dass die erste photographische Entdeckung
eines neuen Planeten gelungen sei.
Seitdem hat er noch eine grosse Anzahl kleiner Pla-
neten |)hotographirt und so z. B. vom 28. November 1891
bis 25. Ajiril lS',t2 im Ganzen 125 verschiedene Positionen
von 58 kleineu Planeten fixirt, worunter sieh nicht weniger
als 17 Neuentdeckungen finden.
Die genaue Positionsbestinnnung der photographirten
Planeten geschieht dadurch, dass man die Mitte des
Lichtstreifcliens, welches der Planet auf der Platte ent-
worfen hat, an die benachbarten, stets in au.sreiehender
Menge auf der Platte vorhandenen, bekannten Fixsterne
anschliesst. Es lässt sich das cinfacii genug mit einem
ndkrometriseh eingerichteten Mikroskop machen.
Von den Sternschnuppenaufnahmen Wolf 's ist nament-
lich die vom 25. September 1892 bemerkenswerth. Sie
zeigt drei nach dem Gentrum der Platte convergirende
Bahnlinien. Die von Herrn Wolf ausgesprochene Hoff-
nung, dass es schon jetzt ohne zu grosse Schwierigkeiten
möglich sein werde, die Radianten der einzelnen Stern-
schnuppenscliwärme (wenigstens diejenigen, bei denen die
sichtbaren Tlieile der einzelnen Baimen nicht allzu weit
auseinander gehen) in dieser Weise photographisch genau
zu bestinnnen, ist eine wohl berechtigte und dürfte zur
Stunde M'ohl auch schon für diesen oder jenen Einzelfall
erledigt sein. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Privatilocent für (iynäkologie und
Geburtshilfe Mano Gutli — und der Privatdocent für Geburtshilfe
Gabor Engel zu ausserordentlichen Professoren an der Uni-
versität Ivlausenbnrg. — Der Privatdocent der Botanik Dr. Fische r
zum ausserordentlichen Professor an der Universität Bern. —
Privatdocent Dr. Wilhelm Kochs zum Professor in der medi-
cinischen Facultät der Universität Bonn. — Dr. Karl Heider
zum ausserordentlichen Professor der Zoologie an di>r Universität
Berlin. — Der Professor der Uhrenheilkunde J. K. A. Lucac
zum Geheimen Medicinalratii in Berlin. — Dr. (I. Bujwid, Vor-
steher des hygienischen Ijaboratoriunis in Warscliau, zum ausser-
ordentlichen Professor iler Hygiene an der Universität Krakau. —
Privatdocent für innere Medicin an der Universität Prag Dr.
liitter von Limbeck — und Privatdocent für innere Medicin
Dr. J. Pabl zu ordinirten Aerzten und Abtheilungs- Vorständen
an den Wiener k. k. Ivrankenanstalten — Dr. Richard Ivretz
zum Prosector an der Universität Wien. — Der (.)rdinator des
Ssemenow'sclien Alexanderhospitals in St. Petersburg Dr. W. W.
M a X i ni o w zum ausserordentlichen Professorfür operative Chirurgie
unil chirurgische Anatomie an der Universität Warschau. — Der
f^rivatdocent Dr. Oscar Israel, erster Assistent am pathologischen
Institut der Universität Berlin, zum ausserordentlichen Professor.
Es haben sich habilitirt: Dr. Konrad Zindler für synth.
Geometrie an der Universität Graz. — Dr. Karl Diener für
Geologie an der Universität Wien. — Dr. Hans Ijohmann für
Zoologie an der Universität Kiel. — Der Prosector Dr. Rudolf
Benecke für patliologische Anatomie und allgemeine Pathologie
an der Universität Göttingen. — Dr. J\.nopf für Astronomie an
der Universität Jena. — Dr. Hammerschlag für innere Medi-
cin — und Dr. Heida für Hygiene an der Universität Wien.
Geh. Hofrath W. Erb, I^rofessor der speciellen Pathologie
und Therapie in Heidelberg, hat den Ruf nach Wien abgelehnt.
Dr. Karl Ritter von Kofista, ordentlicher Professor der
Geodäsie an der Universität Prag, ist in den Ruhestand getreten.
Es sind gestorben: Dr. Robertson, Councillor der Univer-
sität und Docent an der medicinischen Schule in Melbourne. —
Professor Peter in Paris, bekannt als hartnäckiger Gegner der
Pasteur'scheu und Koch'schen Infections-Theorie. — Der Adjuuct
der Mathematik an der Universität Lund E. W. von Zeipel. —
J. M. F. Bigot, bedeutender Dipteren-Forscher, auf seiniMu Land-
sitze Petit - tiuincy, Dep. Seine et Oise. — P. P. Schalfejew,
Conservator am zoologischen Museum der Akademie der Wissen-
schaften in St. Petersburg. — Der als Lepidopterologe bekannte
Kunsthändler E. (i. Honrath in Lichterfiddi' bii Berlin. — Der
Oberlehrer Prof. Dr. Friedrich Marthe, laugjähriges Mitglied
262
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 20,.
dex- Gesellschaft für Erdkunde und eifriger Geograph, in Friedenau
bei Berlin. — Der königl. Hof - Gartonbaiidirector Joh. Beruh.
Ferd. .Jiihlke in Potsdam. — Der königl. Oberhofgiirtner a. D.
Emil Sello. — Der Lector der Mathematik Abraham Rund-
bäck in We.\iö (Schweden). — Dr. Jakob Fr oh seh am m er,
Professor der Philosophie an der Universität München, in Tegern-
see. — Der Wirkl. Staatsrath Alexander Koslow, Profe.ssor
für Gynäkologie und Geburtshilfe, in Kasan. — Der Universitäts-
Professor und General-Inspeetor der Civilingenieursehule Belgiens
Emanuel Bondin in Gent.
Ein Internationaler Botaniker-Congress findet während der
Culunibiani.schen Weltuii.sstelhuig in Chicago daselbst im August
statt. Mittheilungen nimmt Prof. C. E. Berrey entgegen.
Zu einem Internationalen Chemiker - Congress, welcher ge-
legentlich der Weltansstellung in Chicago im Laufe des August
abgehalten werden soll, ladet die American Chemical Society ein.
Der Congress wird in 10 Sectionen getheilt: Agriculturchemie;
analytische Chemie; didaktische Chemie; historische Chemie und
Bibliographie; anorganische Chemie; organische Chemie; physi-
kalische Chemie; physiologische Chemie; Gesundheitswesen; tech-
nische Chemie. Auskunft ortheilt J. H. Long, VVorld's Congress
Auxiliary Chicago.
Die freie Vereinigung der Vertreter für angewandte Chemie
in Bayern hält ihri> diesjährige Jahresversanunhing in Lindau am
31. Juli und 1. August ab.
Eine Gesellschaftsreise nach Norwegen und Spitzbergen
wird aucli in diesem Jahr«', und zwar vom 1. — ul. August xun
Capt. W. Bade-Wisniar veranstaltet werden.
Fortbildungskurse an der TJniversität Jena für Lehrer
Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz. — Es wird beab-
sichtigt, wie in früheren Jahren, an der Universität Jena vom
3. — 17. August zweiwöchentliche Kurse, welche für academisch
gebildete Lehrer und Lehrer an Seminaren bemessen sind, abzu-
halten. — Die Themata der Kurse sind: Moderne ])hysika]ische
Demonstrationen (Prof. Auerbach), Bau und Leben der Pflanzen
(Prof. Detmer). Anleitung zu botanisch-mikroskopischen Ai-bciten
und pflanzenphysiologischen Experimenten (Prof. Detmer), Anlei-
tung zu physikalischen Experimenten (Prof. Schätfer), Schulhygiene
(Prof. Gärtner), Unterrichtslehre (Prof. Rein), Geographische Orts-
bestimmungen mit praktischen Uebungen auf der Sternwarte
(Dr. Knopf), Geometrische und physikalische Theorie des Mikro-
skops (Dr. Straubel). Physiologische Psychologie (Prof. Ziehen),
Anleitung zu Untersuchungen mit Spectral- und Polarisations-
apparaten (Dr. Gänge), Uebungen im Glasblasen (Glasbläser Haak).
Das Honorar für jeden einzelnen Kursus (10 — 12 Stunden) beträgt
15 Mk. Diejenigen Herren, welche sich an den Fortbildungskursen
betheiligen wollen, erhalten nähere Auskunft von den Herren
Prof. Detmer und Prof. Rein in Jena.
L i 1 1 e r a t u r.
Philipp Leopold Martin, Das Vogelhaus und seine Bewohner
oder die heutigen Aufgaben in der Pflege und Züchtung ge-
fangener, wie der des Schutzes bedürftigen freien Vögel, .'i. Aufl.*)
Bernhard Friedrich Voigt. Weimar 1S93. — Preis 2 M.
Das Buch stellt sich ungefähr dieselben Aufgaben, wie die
an dieser Stelle schon erwähnten Russischen Bücher: die Erthei-
lung nützlicher Rathschläge für die Pflege und Züchtung von
Stubenvögeln; ist aber ganz anders wie diese geschrieben und
geht von anderen Gesichtspunkten aus. Während in Russ ledig-
lich der Praktiker zum Ausdruck kommt, der kühl und nüchtern,
aber um so sachlicher und belehrender seinen Gegenstand be-
handelt, steht Martin mehr auf dem Standpunkte des Thier-
schutzvereinlers und traktirt die Materie in einem etwas gefühls-
warmen, nicht selten mit Citaten geschmückten, poetisch ange-
hauchten Style. Als Lesebuch ist das Martin'sche Buch dem
Russ'schen zweifellos vorzuziehen, wie es auch weitere und all-
gemeinere Gesichtspunkte vielfach eröffnet; der wirklich prak-
tische Vogelzüchter wird aber wohl doch den Russ'schen Büchern
und ihren reichen praktischen Erfahrungen und Anleitungen den
Vorzug geben. Dr. H. J. Böttger.
P. Waser, Sport- und Schlacht-Kaninchenzucht. Ein Handbuch
zur speziellen Beurtheilung, l'flege und Zucht aller einzelnen
Racen der Sport- und Schlacht-Kaninchenzucht. Mit 30 Ab-
bildungen im Text. Magdeburg. Croutz'sche Verlagsbuchhand-
lung (E. & M. Kretschmann) 1893. Preis 2,50 Mark.
*) Eine Vorrede zur „.5. Aufl." fehlt, die gegebene ist „zur
4. Aufl." überschrieben und vom März 1883 datirt. Red.
In den letzten Jahren ist eine ganze Reihe von Brochuren
und Handbüchern über Kaninchenzucht erschienen. Es darf dies
wohl als Beweis dafür aufgefasst werden, dass in Deutschland
das Interesse an der Zucht von Kaninchen in hohem Grade ge-
wachsen ist. Mittelbare Ursache dieser Erscheinung ist die
zunehmende Fleischthenerung, durch welche der Propaganda in
Wort und Schrift für die Gewiniuing eines billigen Nahrungs-
mittels die Wege geebnet wurden. Naturgemäss entwickelte sich
neben der Schlacht-Kaninchenzucht auch die Sport- und E<lel-
zucht; eine grosse Anz:ihl von Kaninchen-Ausstellungen gaben die
Möglichkeit, die gewonnenen Erfahrungen zu vergleichen, neue
wertlnolle .Spielarten einem grösseren Publikum voiziifüliren und
die Bescliati'ung der besten Racetliiere zu vermitteln. Mehr und
mehr stellte sich das Bedürfniss nach einer die Sport- und Edel-
Zucht ausführlich behandelnden Schrift heraus, w'elche dem
Züchter die Möglichkeit gewährt, sich über einschlägige Fragen
schnell und leicht zu unterrichten. Der Verfasser der vorliegenden
Brochure istals erfahrener Züchter bekannt und seit mehreren Jahren
litterarisch bemüht gewesen, auch die Kaninchenzucht in Deutsch-
land ZU heben. In übersichtlicher Weise finden wir die neueren
Errungenschaften der Grosszucht dargestellt; ein breiterer Raum
ist dem mit der Entwickelung der Kaninchenzucht, speciell der
Edelzucht eng verknüpften Ausstellungswesen gewidmet, und am
Schlüsse des Büchelchens sind die durch die Praxis bewährten Be-
handlungsmethoden gesunder und kranker Thiere ausführlieh dar-
gestellt worden. Neben vielen den Züchter inte; essirenden Fragen
finden wir auch allgemein bemerkenswerthe Ausführungen über die
Entwu-kelung und den ökonomischen Werth der Kaninchen-
züchterei. Es ist bekannt, dass in Frankreich und England die
Sportkaninchenzucht schon seit Beginn dieses Jahrhunderts ge-
pflegt wird, in Deutschland ist ein Aufschwung derselben erst seit
dem deutsch-französischen Kriege zu verzeichnen. Sehr interessant
sintl die Bemerkungen über die Verwendung der Kaninchen in
der ludustrie; das Ängora-Kaninchen, dessen seidenweiches Haar
zu Gespinnsten sieh verarbeiten lässt, liefert der englischen und
französischen Damenwelt seit längerer Zeit ein hochgeschätztes
Material zur Füllung von Kopfkissen und Steppdecken. Ein
einziges Thier produzirt mit Leichtigkeit 500— öOO gr Wolle jähr-
lich, welche durch Auskämmen mit einem Metallkamm ge-
wonnen wird. Das silbergraue siamesische Kaninchen hat eine
grosse Bedeutung dadurch gewonnen, dass die prachtvollen Pelze,
welche vielfach unter dem Namen Chinchilla oder russischer
Silberfuchs in die Welt gehen, den Kaninchengehegen französischer
oder spanischer Zuchter entstaunnen. In der Frage der sogenannten
Hasenkaninchen oder Lapins steht der Verfasser auf dem Boden
der neuesten Forschungen. Wenn es auch erwiesen ist, dass Hase
und Kaninchen .sich fruchtbar verbastardiren lassen und die
Züchtung solcher Bastarde bis zur sechsten Generation gelungen
ist, so muss dennoch als Thatsache anerkannt werden, dass eine
Race Leporiden als Kreuzung von Hasen und Kaninchen nicht
exLstirt. Die Leporiden sind zwar dem Hasen sehr ähnlich, zeigen
aber stets die Merkmale des echten Kaninchens und sind aus einer
Ki-euzung der belgischen Riesenkaninchen mit gewöhnlichen,
isabellfarbigen Hauskaninchon hervorgegangen. Matschie.
Prof. Dr. C. B. Klunzinger, Bodenseefische, deren Pflege und
Fang. Mit 88 Text-Abbildungen. Ferdinand Enke. Stuttgart
18il2. — Preis 5 M.
Der Verfasser, eine bewährte Autorität in der Fischkunde
und früher in einem fremden Erdtheile, jetzt in der Heimath für
Natur- und Völkerkunde thätig, behandelt in dieser Schrift nicht
nur die Fische des Bodensees als Gegenstände der Thierkunde in
allgemein verständlicher Weise, sondern schildert auch eingehend
das, was dieselben für die Menschen sind, und was die Menschen
handwerksmässig und grossentheils seit alter Zeit thun, um sich
derselben zu bemächtigen. Schon bei der Aufzählung und Be-
sprechung der einzelnen Fischarten wird daher eine mehr prak-
tische als rein systenuitische Reihenfolge eingehalten, zuerst
kommen die Edelfische, d. h. wohlschmeckende Fische mit keinen
oder wenig Fleischgräten, und unter diesen zunächstdieForellen und
Felchen, dann der Barsch nebst dem erst seit 1882 hier eingeführten
Zander, Hecht, Trische (liHiappe), Weller (Wels) und Aal; hier-
auf in zweiter Linie die an Arten und Individuen so reichen, _ meist
gesellig lebenden karpfenartigen Fische (Cypriniden), „Friedflsche"
im Gegensatz zu den Raubfischen, aber mit viel Fleischgräten
und schon deshalb von geringerem Werthe und endlich drittens
die kleineren Köderfische wie Gropp (Koppe), Grundel (Schmerle)
und die kleineren Cypriniden. Die einzelnen Arten werilen mehr
kurz gekennzeichnet als ausführlich beschrieben, ohne den schwer-
fälligen Apparat der systematischen Terminologie und Synonj^mie,
die ja in anderen zoologischen Büchern zu finden sind, dagegen wird
stets berichtet über die Grösse, welche sie hier erreichen, die
Häufigkeit, den nähern Aufenthalt, die Laichzeit, auch den landes-
üblichen Preis und den jährlichen Ertrag des Fanges. Der zweite
Tbeil der Schrift, „Die Fischereipflege am Budensee" schildert, was
Nr. 26.
Naturwissenscliaftliphe> Woehensclirift.
263
sflidii im Mittelalter und seitdem liis in unsere Zeit zur Kegelunf;,
Erlialtung und V'crbesserung der Fiselierei verordnet und ausge-
führt wurde, mit besonderer Riielcsicdit auf die Constanzer-Fischorei-
Ordnung von 1790, an der sich die Melirzahl der umliegenden
Städte utid geistliehen Körperschaften hetheiligtcn, und auf die
Lindauer Beschlüsse von 1881, welche zwischen amtlii-lien Ver-
tretern der sämmtiichen Uferstaaten vereinbart wurden; beide
bewegen sich hauptsächlich um Festsetzung von Schonzeiten, Bc-
stinnnungen, welche Arten von Netzen u. dgl. zu gestatten seien,
und Erklärungen, wer zur Fischerei lierechtigt sei. Ferner werden
die Anstalten für künstliche Fischzucht und deren Leistungen auf-
gefidirt, worunter die Eiid)ürgerung des Zunders und des Aals be-
sonders hervorzuheben ist, während eine Vermehrung der Sal-
moniden und der Erfolg des Einsetzens nordamerikanischer Arten
noch nicht sicher nachzuweisen ist. Den dritten Theil der Schrift
bildet <lie Beschreibung der verschiedenen Arten des Fischfanges,
worunter zum Theil noch sehr primitive, wie die mittelst Speer
und Harpune oder durch eine Schlinge da und dort am Bodensee
noch vorkommen; die mancherlei Arten von Angeln und Netzen,
welche hier üblich sind, werden nicht nur näher erörtert, sondern
auch durch eingedruckteHolzschnitte zur Anschanunggebracht. Den
Schluss bildet ein Fischerei-Kalendi-r, welcher nach den einzelneu
Monaten die Schonzeiten, die Benützung der Netze und die ein-
schlägigen Fischarton nennt Durcli das Ganze weht der Hauch
eigener gründlicher Kenntniss und Anschauung; mau merkt es
dem Buche wohl an, dass der Verfasser gern und oft mit den
Fischern hinausgefahren ist und es vorstanden hat, sie zur iMit-
theilung ihrer Erfahrungen und Anschauungen zu bringen. Was
er in der Vorrede als Wunsch ausspricht, dass diese Schrift ein
Beitrag zur Heiniathsknnde sein möge, betreft's eines nur von
wenig Eingeweihten näher gekannten Faches, das dürfen wir mit
gutem Gewissen für eine vollendete und gelungene erfreuliche
Thatsache erklären. E. v. Martens.
Chr. Peip; Taschen- Atlas von Berlin und Umgebung. IG Sec-
tionen in Farbendruck, ^'erlag von Körner ^: Dietrich. Leipzig
1893. — Preis 2 M.
Der jüngst erschienene kleine Tasclien-Atlas bringt in hand-
lichster Form die Umgegend Berlins auf IG Blättern im Maass-
stab I : 150000 zur Darstellung. Die Kärtchen zeichnen sich durcli
die P^eiuheit der Zeichnung, sowie durch schönen, deutlichen Druck
aus, sodass durch die reiche Menge der eingetragenen Details die
Klarheit des Bildes nirgends gestört wird. Die Berechnung der
Entfernungen ist dadurch wesentlich erleichtert worden, dass die
Wege mit Punkten ausgestattet sind, deren Abstände von ein-
ander je einem halben Kilometer entsprechen. Das treffliche
Werkchen, welches sich durch eine grosse Genauigkeit aller
darin enthaltenen Angaben auszeichnet, kann dem Publikum auf
das Wärmste empfohlen werden.
Professor Dr. F. Wahnschaflfe.
Dr. C. Dölter, £d«l8temkunde. Bestimmung und Unterscheidung
der Edelsteine und Schnuickateine. Die künstliche Darstellung
der Edelsteine. Leipzig bei Veit & Comp. 1803. 260 S. — Preis
5,00 Mark.
Zu den vorhandenen Werken über Edelsteinkunde bildet das
Buch eine erfreuliche Ergänzung. Der erste, allgemeine Theil
desselben behandelt die natürlichen I'ormen der Edelsteine,
specifisches (iewicht, Härte, Lichtbrechung, Farben, Pleochroismus,
chemische Eigenschaften und künstliche Darstellung derselben.
Im zweiten, speciellen Theile werden die einzelnen Edel- unil
Schmucksteine in eingeheniler Weise besprochen. Der dritte Theil
giebt zu ihrer Bestimmung und Unterscheidung eine ausführliche
Anleitung.
Verfasser hat die mineralogischen Eigenschaften der Edel-
steine in den Vordergrund der Behandlung gestellt und unter
denselben besonders auf die Wichtigkeit des specifischeu Ge-
wichtes, als eines oftmals allein zur Bestimmung des Steines ge-
nügenden und mit lliltV von schweren Lösungen (Jodniethylen,
Jodkaliumjodciuecksilber u. a.) meist doch sicher und bequem und
ohne Gefahr für den Stein festzustellemlen Merkmals hingewdeseu.
Die optischen Eigenschaften werden, als schwieriger bestimmbar,
weniger, aber doch ausreichend erörtert. Angenehm und werth-
voU sind die Angaben über die künstliche Darstellung der Edel-
steine. f]s ist dies ein Gebiet, auf dem Verfasser mit Vorliebe
und Geschick gearbeitet hat. Hervorzuheben ist weiterhin die
ausführliche Behandlung des Auftretens und Vorkommens der
Edelsteine, der Hinweis auf die Entstehung derselben und auf
Nachahmungen und Fidschungen. Die Charakteristik des einzelnen
Steines gewinnt durch alles dies an Inhalt und Sicherheit und
erleichtert die Unterscheidung von ähulichon anderen Steinen.
Und darauf kommt es doch hauptsächlich mit an. Dabei ist der
Kreis herangezogener Mineralien ein recht grosser, sodass allen
Bedürfnissen Rechnung getragen sein dürfte. Von hohem prakti-
schen Werthe sind dh- im dritten Tludl gegebenen Tabellen für
ilio Bestimmung und Unterscheidung der Edel- und Schmuck-
steino; dieselben bilden einen liesonderen Vorzug des Werkes.
Es sollen aber bei aller Anerkennung des ansprechenden
Inhaltes und der Behandlung auch die Mängel erwähnt werden,
welche mir der Abhilfe bedürftig ersi'heinen. Es sind dies ge-
legentlich vorkommende überflüssige Wiederholungen, wie z. 15.,
dass es in Brasilien farblose brasilianische Topase giebt (S. 127);
ferner etliche verfehlte Bezeichnungen und Ungenauigkeiten. So
ist z. B. nicht abzusehen, was es heissensoll: ganz unregelmässig
ist das frikline System (S. 5). Dass Krystalle sich in Bezug auf
ihre Cohäsion ungleich in verschiedenen Richtungen verhielten
(S. 14), ist doch nicht schlechthin richtig, de.>igl. auch die Angabe
über Lichtbrechung (S. 18). Die Bezeichnungen: octaedrisches
Krystallsystem (S. 54), glasiger Glanz (S. 165), orangefarbener
Stich (S. 138) sollten vermieden werden. Die Angabe: zwei schai-fe
Pyramidenflächen an Euklas (S. 119) erscheint unvei'ständlich.
Beim Phenakit (S. 123) stinnnt die Figur 35 nicht zur Be-
schreibung. Gerade das wichtigste sächsische Topasvorkommen
vom Schneckenstein findet sich nicht im Granit. Echter Marmor
soll der Urformation stets angehören (S. 1!I6), für Carrai-a z. B.
trifft das nicht zu. Die Formeln des Jadeits und des Malachits
sind in NaAlSi-( •" und CuC( )' + H-CuC)^ umzuändern. Nachzu-
tragen wäre vielleicht auch an Fundorten: beim Saphir Australien,
beim sidiwarzen Spinell Südtirol, beim Amazonenstein Miask, bei
llämatit statt Thüringen das Erzgebirge (Platten); ferner könnten
beim Zirkon die grünen und blauen Arten, und beim Bernstein
die Darstellung grösserer Stücke durch starkes Zusammenpressen
kleinerer erwähnt werden. Verfasser tadelt (S. 19) die gebräuch-
liche Verwendung von Farbeubezeichnungen, bei denen eine feste
Vorstellung der Farbe sich nicht erzielen lasse; er selbst aber
scheint mir darnach nicht zu handeln. Er verwendet einmal
selbst wieder solche Bezeichnungen und führt neue an, die jeden-
falls nicht gerade treffend sind, z. B. neutralorange, cadmium-
orange beim Bernstein (S. 188). Endlich möchte ich noch dem
Bedenken Ausdruck geben, ob die Viertel- und luilben Härtegrade,
die man auch anderweit oft angeführt findet, nicht überflüssig
sind; denn selbst wenn sie überhaupt ohne feinste Instrumente
erkannt werden könnten, würde nur durch grosse Hebung dies zu
erreichen möglich sein.
Liebhabern und Händlern von p]delstcinen kann das voi--
liegeude Buch immerhin empfohlen werden. 11. Scheibe.
Conferences faites au laboratoire de M. Friedel. 1889 — 1890.
Troisieme fascicule. (Cours de la fac. d. sc. de Paris.) Georges
Carre, Paris 1892.
In Folge des enormen Anw.'ichsens der Einzelforschungen auf
allen Gebieten der Chemie wird es für den Einzelnen immer
schwieriger, wenn nicht unmöglich, sich die uöthige Uebersicht
über dieselben zu verschaffen und zu erhalten. Selbst unsere
besten Handbücher sind jetzt schon zum Theil veraltet, bevor sie
abgeschlossen w'erden können. So machte sich allerorts das Be-
dürfniss geltend, in möglichst gedrängter Kürze Ueberblicke über
die Errungen,schaften auf einzelnen, besonders wichtigen Gebieten
zu geben. Es sei hier darauf hingewiesen, dass die Deutsche
Chemische Gesellschaft in den letzten Jahren wiederholt hervor-
ragende Mitglieder zu derartigen Vorträgen, die dann auch in den
Sitzungsprotokollen veröft'entlicht wurden, veranlasste. Während
durch diese vornehmlich die älteren Chemiker mit den Ergebnissen
der neueren Forschungen vertraut gemacht wurden, haben auch
vielfach Laboratoriunisleiter im engeren Kreise ihrer Schüler und
durch diese selbst regelmässig über die wichtigsten Fortschritte
in zusammenhängender Weise berichten lassen. Dies thut auch
Friedel, und es ist mit Dank zu begrüssen, dass er durch Publi-
cationen wie die vorliegende auch weiteren Kreisen diese in-
structiven Berichte zugänglich macht.
Eigene Untersuchungen der Vortrageuden sind hierbei natur-
gcmäss wenig vertreten; als solche zeigen sich theilweise der
Aufsatz von V. Auger über die Chloride zweiljasischer Säuren
und der von C. Bigot über einige Derivate des Glycerius. Ei-sterer
weist darauf hin, dass die zweibasischen organischen Säuren nicht
als gleichartige Körper aufgefasst werden dürfen, .sondern in
natürliche Familien nach der Anzahl von Kohlenstoffatomen,
welche zwischen die beiden Carboxylgruppeu eingeschoben er-
scheinen, eingetheilt werden müssen; wie der hierdurch bedingte
Unterschied sich geltend macht, wird durch die Verschiedenheit
der Chloride gezeigt. Bigot weist nach, dass selbst das so viel-
fach zum Gegenstand von Untersuchungen gemachte Glycerin
noch manche der Aufklärung harrende Punkte zeigt; es ist ihm
gelungen, ein Isomeres des Epichlorhydrins und eine neue Dar-
stellung des Glycids zu finden.
Ph.-A. Guye bespricht im Anschluss an die Arbeiten \on
van der Waals, Sarrau und Clausius die Theorie vom kritischen
Punkt und der Gleichung der Flüssigkeiten. Es zeigt sich, dass
die scheinbaren Abweichungen vom Mariotte'scheu Gesetz in der
264
Naturwissenschaftüchc WoclienscIiviCt.
Nv. 26.
Niilic des orstcren nur den Ausfluss dieses Gesetzes und der für
die Flüssigkeiten geltenden Gesetze, welclie in dem labilen Zwischen-
zustande sich gegenseitig beeinflussen, darstellt.
Die Forschungen Van 't Hoff's und Kaoult's über den osmdti-
achen Druck finden eine geeignete Interjiretation durch R. Lespieau.
F. Couturier bespricht die Forschungen über Pinakone, jene Körper,
welche durch Reduction von Ketonen entstehen und durch Wasser-
abspaltung die Pinakoline liefern. In einem Vortrag über die
Oxydation der Kohlenwasserstoffe schildert L. Tissier die Ein-
wirkung verschiedener U.xydationsmittel auf die verschiedenen
Klassen der Kohlenwasserstoffe. Den Schluss bildet ein austiihr-
liches Referat über die Forschungen von Curtius betreffs der
Diazokörper der Fettreihe von Demeter Vladesco, einem jungen
Rumänen, der acht Tage, nachdem er durch diesen Vortrag einen
ehrenvollen l'h-folg errungen, im Laboratorium einen plötzlichen
Tod fand. Friedel schickt diesem Aufsatz einen ehrenden Nach-
ruf für den unglücklichen jungen Forscher voran. S])iegol.
Prof. Dr. Rudolf Arndt, Bemerkungen über Kraft und aus-
lösende Kraft im Besonderen. Julius Abel, (.ireifswald 1S',)2.
— Preis 1.20 M.
Verf. definirt den Begriff der Kraft wie folgt: „Kraft ist das
Etwas, das an die Bewegung gebunden, die Wirkung dieser zur
Folge hat." Kraft ist Bewegung und Bewegung ist Kraft. Es
giebt nun keinen unbewegten Stoff, und so folgert Verf.: Kraft
und Stoff sind nur zwei Seiten, beziehentlich menschliche Auf-
fassungsweisen ein und desselben Dinges. Kraft, Stoff, Bew<'gung
sind nur menschliche Ausdrücke menschliche Vorstellungsweisen
für ein und dasselbe in seinen verschiedenen Bezii'hungen. Kraft
ist Stoff in Bewegung; Bewegung ist kraftiiussernder Stoff; Stoff
ist in Bewegung sich darstellende Kraft. Die verschiedenen
Stoffe, welche wir kennen, und die verschiedenen Formen, in
denen sie uns entgegentreten, sind sonach nur verschiedene Aus-
drucksweisen der verschiedenen Beweguiigsfnrmcn, welche ilas
Weltall durchwogen. Potentielle (virtuelle, statische, todte)
Energie, Spannkraft ist gehemmte Kraft. Was wir Spannung
nennen, ist eine Kraftanliäufung, welche einen Druck ausübt,
(daher sagt Secehi Druckkraft). Die Kraft nun, wehdie die
Spannkraft oiler Druckkraft in lebendige Kraft, die jjotentielle
Energie in actuelle Energii», d. i. die stehende Bewegung in fort-
schreitende ülierführt, indem sie das die erstere bedingende Hemm-
niss beseitigt, ist die „auslösende" Kraft. Sie ist die Differenz
zwischen der ausgelösten Spann- oder Druckkraft und der nach
ihrer Auslösung sich bethätigenden lebendigen Kraft. Auslösende
Kraft ist also der Zuwachs an Bewegung, der die Differenz
zwischen actneller un<l virtueller Energie ausgleicht.
Verf. geht nun auf die Biologie ein. Die Variabilität der Indivi-
duen, sagt er, beruht auf dem Verhältniss, in welchem diese, als
mit Spannkräften geladene Maschinen, zu den Reizen der Aussen-
welt, als jeni" Spannkräfte auslösenden Kräften stehen. Die Be-
zeichnung der Lebewesen als Maschinen verräth ohne Weiteres,
dass nach Verf. das Leben (also die Bi'wegung der oder in den
Lebewesen, denn Leben ist Bewegung) durch auslösende Kräfte,
„Reize", zu Stande kommt. Die Sehlussfolgerung: „kleine Reize
fachen <lie Lebensthätigkeit an, mittelstarke fördern sie, starke
hemmen sie und stärkste heben sie auf", ist nun ohne Wei-
teres klar.
Nur dies aus der tief gehenden Schrift, die jeden Biologen
ausserordentlich anregen muss.
Jules Tannery it Jules Molk, Elements de la Theorie des
Fonctions Elliptiques, Tome I: Introdiu-tion. C'alcul diff('rentiel
(Ire Partie). Gauthicr-Villars et fils. Paris 1893. — Preis 7 fr. 50 c.
Immer zahlreicher stellen sich in <len physikalischen Wissen-
schaften und in der Technik Probleme ein, deren Lösung die An-
wendung der elliptischen Functionen erfordert. Und die Zeit
wird nicht erst noch konnneu, sondern sie ist schon da, wo die
Kenntniss dieser Functionen und die Vertrautheit mit ihnen für
den Mathematiker, der auf den genannten Gebieten selbstthätig
mitwirken will, ganz ebenso unbedingt not h wendig ist, wie die-
jenige der trigonometrischen Functionen. Immer noch aber fehlte uns
ein Lehrbuch, welches in die Theorie dieser so wichtiRen mathe-
matischen Gebilde auf Grund der modernen Anschauungen ein-
führte. Für die ältere Form der Lehre haben wir ja eine Reihe
guter Bücher, welche wohl geeignet sind, in die Elemente einzu-
führen. Ich denke dabei einerseits an das Werk von Durege und
andererseits an J. Thomae's Functionentheorie mit ihrer voi"zUg-
lichen Darstellung der elliptischen Thetafunetionen. Aber die
Theorie des Herrn Weierstrass, mit der die Zukunft arbeiten muss,
war bisher nur in dem grossen Werke Halphens zur Darstellung
gekommen, das ebenfalls bei Gauthier-Villars erschienen ist; und
dann in der Formelsammlung des Herrn H. A. Schwarz. Der
Zweck des bewunderungswürdigen letztgenannten Werkes ist es
nun gewiss nicht, einzuführen in die Theorie; es setzt vielmehr
deren Kenntniss voraus. Und Halphens geniales Buch giebt eben
viel zu viel, als dass es den Anfänger nicht mit zagender Be-
klemmung einem solcli mächtigen Wissenschaftsgebäude gegenüber
erfüllen sollte.
Die Verfasser vorliegenden Buches, beide Schüler des Herrn
Weierstrass, haben daher gute Arbeit gethan, als sie dies Werk
schrieben.
Sie geben zunächst eine Einleitung, in der die Eigenschaften
unendlicher Reihen und Producte — deren Glieder entweder con-
stant sind oder von einer Variabein abhängen — dargelegt
werden. Es wird also liier eine Einführung in die Grundlagen
der Weierstrass'schen Functionentheorie gegeben. Das III, Capitel
handelt von den ganzen transcendenten Functionen und gibt die
für diese geltenden wichtigsten Sätze von Weierstrass und Mittag-
Leffler. Dann treten die Verfasser in die Darstellung des eigent-
lichen Gegenstandes ein und geben hier an erster Stelle allge-
meine Betrachtungen über die periodischen Functionen, stets auf
Grundlage der W^eierstrass'schen Anschauungen.
Es werden dann nach einander die Functionen au (in ihrer
Definition durch ein unendliches Product), Cu und pn eingeführt,
denen sich nachher (TiW, b-^ii, a^u anschliessen. Die Transformation
der e-Functionen wird in ausgezeichnet klarer Weise erledigt und
mit ihrer Darstellung schliesst dieser erste Band.
Das Buch ist vorzüglich, ja glänzend geschrieben und bildet
eine bedeutende Bereicherung unserer mathematischen Litteratur,
für die man den Verfassern zu grossem Danke verpflichtet ist.
Es ist zudem mustergültig ausgestattet, und ich hoffe, dass der
billige Preis dazu beitragen wird, dieses Werk von hohem inne-
ren Werthe in möglichst weite mathematische Kreise zu tragen.
Gravelius.
August Trinius, AlldeutscUand in Wort und Bild. Eine
malerische Schilderung der deutscheu Heimath. 1. Bd. Mit einem
Farbendruck und 79 Te.xt-llhistrationen. Ferd. Dünmders \^?rlags-
buchhandlung. Berlin 1893 - Preis 5,10 M.
Von dem hier wiederholt genannten Werk liegt nunmehr
durch das Erscheinen von Lief. 17 Bd. I fertig vor. Es be-
handelt den Teutoburger Wald, die hohe Rhön, das Fichtel-
gebirge, den Spreewald, Thüringen, die Schwäbische Alp und
den Rhein.
Meyer, M., Uidersuchnng der algebi-aischen Integrirbarkeit der
liiieari'U homogenen Dift'erentialgleichungen. Berlin. 1,20 M.
Möller, A , Die Pilzgärten einiger südamerikanischer Ameisen.
.lena.
Noorden, C. v., Lehrbuch der Pathologie des Stoffwechsels für
Aerzt'' inid Studirende. Berlin. 13 M.
Müller, G., llelligkeit.sbestinnnungcn der grossen Planeten und
einiger Asteroiden. Leipzig. 9 M.
Entgegnung.
Zu der „Berichtigung" des Prof. Kurtz in No. 21 S. '214
erhalten wir die folgende Zuschrift : Die Berichtigung S. 214 von
Prof. Dr. Fritz Kurtz für meinen Artikel über die Pampasreise,
welche wir gemeinschaftlich ausführten, betrifft seine eigenen, in
meinem Manuscript revidirten Bestimmungen (vgl. S. 15 vorletzte
Zeile); dass aber die Seite 12 beschriebene Composite ein Podo-
phyllum, also eine Berberidee sein soll, beruht auf irgend welchem
Lapsus. Dr. Otto Kuntze.
Inhalt: W. Preyer: Die angebliche „Giftfestigkeit" des Igels — K. Hassert's Reisen in Montenegro im Jahre 1891. (Mit Abbild.)
— Künstliche Nährmittel. — Zur Geschichte des Walfanges. — Ueber das Auftreten der Ocean-Sardine- im Jahre 1890. —
Ueber Elmsfeuerbeobachtungen auf dem Sonnblick. — Aufsteigender Meteor. — Ueber Photographie kleiner Planeten und
Sternschnuppen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Philipp Leopold Martin: Das Vogelhaus und seine
B(!Wohner. — P. Waser: Sport- und Schlacht-Kaninchenzucht. — Prof. Dr. C. P. Klunzinger: Bodenseefische, deren Pflege
und Fang. — Chr. Peip: Taschen-Atlas von Berlin und Umgegend. — Dr. C. Dölter: Edelsteinkunde. — Conferences faites
au laboratoire de M. Friedel. — Prof. Dr. Rudolf Arndt: Bemerkungen über Kraft und auslösende Kraft im Besonderen.
Jules Tannery et Jules Molk: ^filements de la Theorie des Fonctions Elliiitiques. — August Trinius: Alldeutschland in
Wort und Bild. — Liste. — Entgegnung.
Verantwortlicher Redakteur: I. V. Dr. F. Kaunhowen, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den luseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
— Verlag: Ferd. Dümmlors Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Nr. 2(i
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
LI
Zur Nachricht!
Auf Grund Liiiriercr Aunurdfiuiiyen im Inscrateutheil der No. IG und 19 sind uns so viele der Aljsiclil
der Vergrosseruug der „Nalurwissenscliaftlichen Wochenschrift" zustimmende Aeusserungen (die sich
aucli mit der in Folge einer Vergrösserung nothwendig werdenden geringen Preiserhöhung des Blattes
von 1 M. für das Quartal einverstanden erklärt haben) zugegangen, und nur verhältnissmässig so
wenige Stimmen haben sich ablehnend verhalten, dass nunmehr vom 1. Juli, also von der nächsten
Nummer ab die Erweiterung ins Werk gesetzt werden wird. Im Ganzen sollen also unserer früheren
Mittheilung gemäss in Zukunft jährlich iibei- lUO Spalten mehr geboten werden als bisher.
Die Redaction wird sich bemühen den Ijei Gelegenheit der Zustimmung von verschiedenen Seiten
ausgesprochenen Wünschen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen.
Die Redaction:
Dr. H. Potonie,
Berlin N. 4, luvalidenstrasse 40/41.
Der Verlag:
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung,
IJerliii SW. Vi, Ziiniiierstrasse '.>4.
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sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollistäiKligei' 4{nellenang;abe gestattet.
Ueber die künstliche Erzeugung von Doppel-, Halb- und Zwergbildungen bei Thieren.
Von Prof. Dr. M. Braun.
Uuter den fast zalillosen Missbikliingeii, die im Laufe
der Zeit von höheren Thieren !)ekannt geworden sind,
liaben besonders die Zwiiiingsbihlungen von jelier das
Interesse der Forscher auf sieh vereinigt; vergeht doch
noch jetzt kaum ein Jahr, in welchem nicht neue
Fälle, namentlich vom Menschen, doch auch von anderen
Siiu.i;ern und von Vögeln beschrieben würden. Wir kennen
die von einer
(in der Hypo-
uiid von Vögeln beschrieben würden,
nit wie lückenlose Reihe,
eine ganze, so
äusserlieh nicht bemerkbaren Verdoppelung
physis cerebri) bis zu zwei völlig getrennten Früchten,
die aus einem Eie hervorgegangen sind, führt. Viel
Mühe und Scharfsinn ist aufgeboten
worden, um das Zustandekommen
solcher ]mrticller oder totaler Doppel-
bildungen zu erklären, ohne dass je-
doch diese Frage bis j'etzt einen wirk-
lichen Abschluss erreicht hätte. 80
lange die normalen Entwickelungsvor-
gänge nicht genügend bekannt waren,
Flgu
so lange waren alle Ansichten, die ülier
die Entstehung der Doppelbildungen geäussert wurden,
reine Hypothesen, und keine verdiente an und für sich den
Vorzug vor einer anderen. Aber mit der Zunahme der
Kenntnisse der normalen Entwickelungsvorgänge nuisste
die Wahrscheinlichkeit für eine oder mehrere solcher
Hypothesen wachsen.
Im Grunde genommen handelt es sich bei allen diesen
Hypothesen um zwei: um die Annahme einer mehr oder
weniger weitgehenden Verwachsung ursprünglich ge-
trennter Anlagen oder um eine Spaltung der ursprüng-
lich einheitliehen Anlage. Die älteren Anhänger der Ver-
wachsungstheorie (zutreffender der primitiven Dualität)
führten die Doppelbildungen auf zwei sich nebeneinander
entwickelnde Eier zurück (T.,einerv 1724. Geoffrov
St. Hilaire 1836, Barkow, II. Meckel ISHUetc), die
neueren dagegen auf zwei
Anlagen
in demselben Eie
(Coste, Lereboullet 1855, Schnitze 1854, PanumlBGO
und 1878, Darestel877), wobcimanschhesslich(Schultze)
bis auf die Existenz zweier Keimbläschen in einem Ei als
die Ursache der Doppelbildungen zurückging. Neuerdings
(Fol 1878) wird auch der Eintritt zweier oder mehrerer
Spcrmatozoen in ein Ei als Ursache der Dopjtclbildungen
(bei Seesternen) angesehen.
Dagegen erklärte schon C. F. Wolff die Missbildungen
als durch Abänderungen der Bildungskräfte zu Stande
gekommen und die Doppelbildungen, die er zu den Monstra
per excessuni rechnet, als Folgen der auf bestimmten
Einbryonalstadien abnorm gesteigerten
Bildungskraft; wesentlich dasselbe lehrte
auch J. F. Meckel (1^12), der noch
auf die künstlichen Thcilungen von
Poljpen hinweisen konnte. Nahm
letzterer an, dass die Spaltung eines
Keimes auf relativ spätem Stadium
eintrete, so einigte man sich unter den
nainentlich in Deutschland zahlreichen
Anhängern der Spaltungstheorie liald dahin, dass eine
Trennung (der Länge nach, eventuell auch der Quere
nach — Reichert 1864) schon auf früiien Stadien auf-
treten müsse.
Der Verwachsungs- resp. Spaltungstheorie hat Rauber
(1878) die der Radiation gegenübergestellt; von Unter-
suchungen über die Embryonalanlagc der Knochentische
ausgehend und die hier gewonnenen Erfahrungen auf die
übrigen Wirbelthierc übertragend, nimmt Rauber an,
dass nach der Furchung sich im Blastoderm eine cen-
trale Partie (Mittelscheibc) von dem dieselbe umgebenden
Randthcile (Keimring) dirtereneire; diesen letzteren fasst
Rauber als die Embryonalanlage selbst auf Die Aclisen-
tlieile des Embryo gehen aus diesem Ringe derart her-
vor, dass an einer bestinuntcn Stelle der Ring sich gegen
das Centruin der Mittelsclieibe faltet und in radiärer
26G
Naturwissenschaftliche Woehenschvift.
Nr. 27
Richtung vorstösst; durch weiteres Zusammenschliessen
der Randwnlsthält'ten entsteht der lang-gestrecivte Embryo.
Bei jMehrl'achhildungen treten mehrere solclie radiär ge-
richtete Verstösse auf (Fig. 1), relativ häufig zwei, selten
drei; mehr als drei sind bisher nicht zur Beoi)achtnng
gekommen. Je nach dem Winkel, den die l)eiden Anlagen
unter einander bilden, kaim es zu einer vollständigen oder
partiellen Doppelbildung kommen, wobei die vorderen oder
die hinteren Körperhälften doppelt sein können; das dann
einfache Hinter- rcsp. ^'orderende ist aber nicht durch
Verwachsung zweier getrennter und vollständiger Enden
entstanden, sondern diese Körpertheile sind auf ganz
normale Weise (durch Schluss der restirenden Keimring-
theile) gebildet worden; eine Verwachsung, aber auch
eine Spaltung ist dabei nur scheinbar.
Nach Gerlach (1882) nimmt die Rauber'sche Ra-
diationstbeorie, welciie die normalen Entwickelungsvorgänge
auch für die Mehrfaehbildungen verwerthet, unter allen
über die Genese der Doppelbildungen geäusserten Theorien
den ersten Rang ein, trifft jedoch nur für die niederen
Wirbelthiere zu.
Doch nicht nur durch Untersuchung von Doppel-
bildungen auf verschiedenen Entwickelungsstadien und
durch Vergleich dieser mit normalen Entwickelungsvor-
gängen hat mau sich Anschauungen über das Zustande-
kommen der Doppelmonstra gebildet, sondern es ist auch
versucht worden, der Frage auf experimentellem Wege
näher zu treten. Dabei musste man annehmen, dass ent-
weder neben inneren auch noch äussere, der Untersuchung
leichter zugängliche Ursachen bestimmend sind, oder ülier-
haupt nur letztere in Frage kommen. Durch die Erfah-
rungen zahlreicher Autoren wusste man, dass Hühnereier,
die man den verschiedenartigsten Eingriffen ausgesetzt
hatte, sehr oft Missbildungen Hefern; aber die meisten
dieser Versuche hatten nur eben dieses Resultat zur Folge,
dass überhauj)t Missbildungen — und oft sehr verschieden-
artige nach dem nändichen Eingriffe — auftraten. Nur
in wenigen Fällen war man dahin gelangt, bestimmte Ab-
normitäten als die Folge bestimmter Eingrifi'e hinstellen,
sie also von solchen ableiten zu können. So war es
Liharzik gelungen, abnorme Vergrösserungen des Vorder-
resp. Hinterendes dadurch zu erzielen, dass er bebrütete
Hühnereier auf bestimmter Entwickelungsstufe aufrecht
stellte und weiter bebrüten Hess; Dareste hatte ferner
durch Ueberfirnissen des stumpfen Eipoles die normaler
Weise nach diesem hin gerichtete Allan tois von dieser
Stelle abgelenkt und auch dadurch, dass er mittelst eines
hier nicht näher zu schildernden Apparates die Wärme
auf bestimmte Stelleu der Eioberfläche einwirken Hess,
beliebige Gestaltveränderungen der Keim- und Gefässhaut
erzielt.
Was nun speciell die experimentelle Erzeugung
von Doppelbildungen anlangt, so schien es, als ob hier
die Verhältnisse günstiger lägen; berichtete doch Valentin
(1837), dass es ihm gelungen .sei, durch Spaltung der
hinteren Körperhälfte eines zweitägigen Hühnerembryos
Verdoppelung des Beckens und der hinteren Extremitäten
zu erzielen; derselbe Autor (1851) sowie auch Knoch
(1872) sind geneigt, vielfach beobachtete Doppelbildungen
bei Hecht- resp. Salmonideneiern mit einer stattgehabten
mechanischen Erschütterung der Eier in Znsammenhang
zu bringen, doch sind die letzteren Versuche nicht aus-
gedehnt genug, um ein sicheres Urtheil abgeben zu können,
auch hat Lereboullet auf diesem Wege keine Doppel-
bildungen erhalten. Und auch in Bezug auf die Pro-
duction von Doppelbildungen durch künstliche Spaltung
des Keimes lehrte die Folge bald (Leuckart und Schrohe
1862), dass auf dem eingeschlagenen Wege das gewünschte
Resultat nicht zu erzielen sei; so haben sich mehrere er-
Figur 2.
artiger
fahrene Forscher gegen die Möglichkeit, Doppelbildungen
künstlich zu erzeugen, überhaupt ausgesprochen (Panum,
Dareste, Rauber).
Es ist nun das Verdienst Gcrlach's (1882), durch
erneute Versuche dem P^xperiment wieder den Boden er-
obert zu haben; bei den grossen Verschiedenheiten, welche
die Doppelbildungen aufweisen, konnte Gerlach nicht
eine Ursache als die alleinige betrachten, sondern musste,
wie die Dinge damals lagen, der Einwirkung innerer wie
äusserer Umstände gleichen Werth beilegen; eine Unter-
suchung der letzteren bot günstigere Chancen für das
Gelingen, und so wählte Gerlach sich die Erzeugung
einer Duplicitas anterior zum Ziele. Er versuchte
dies dadurch zu erreichen, dass er die Schale von Hühner-
eiern bis auf eine Y- oder V-förmige Stelle über der
Keimhaut überfirnisste nnd dann die Eier im Brutapparate
sieh entwickeln Hess. Im Ganzen wurden 60 Eier ver-
wendet; 20 von diesen enthielten bei der (nach 3 — 6 Tagen
vorgenommenen) Untersuchung normale, wenn auch in der
Entwickelung zeitlieh zurückgebliebene Embryonen; 14 Eier
schienen unbefruchtet oder verdorben und von den restiren-
den 26 Eiern zeigten 19 ausge-
sprochene Abnormitäten, während
bei den letzten 7 die Abnormitäten
zufällige zu sein schienen.
Von den 19 abnormen Eiern
enthielten zwei eine ausgespro-
chene Duplicitas anterior (Fig. 2);
bei dreien war eine theilweise
V e r d 0 p p e 1 u n g des \'orderendes
wenigstens wahrscheinlich, und bei
zweien das Vorderende deutlich
verbreitert. Bei der Seltenheit der-
Formstörungen liei Hühnerembryonen ist es voll-
ständig berechtigt, die gewonnenen Missbildungen auf
Rechnung des Eingriffes zu setzen; durch das Ueber-
firnissen war die Sauerstoffzufuhr auf eine kleine und be-
stimmte Stelle der Keindiaut beschränkt, wodurch wenig-
stens in 7 unter 46 resp. 60 Fällen die gewünschte Ab-
normität mehr oder weniger ausgesprochen erreicht war.
So interessant das Resultat an sich ist — es hat
Ger lach Veranlassung gegeben, tur die Entstehung der
Doppelbildungen bei \'()geln neben der (seltneren) Pluri-
radiation noch die (häufigere) Bifurcation anzunehmen —
so interessant also das Resultat ist, glänzend und besonders
bestechend kann man es nicht nennen. Der Autor fühlte
das selbst, hoffte jedoch von einer Verbesserung der Me-
thode präcisere Erfolge. Ganz kann man nach den bis-
herigen Erfolgen diese Hoffnung nicht bestreiten, aber es
lässt sich leicht einsehen, dass (Ue Aussichten ziemlich
geringe sind. Das liegt an dem Material — der Keim ist
von Aussen, ohne dass von vornherein sehr schwere
Störungen gesetzt werden, nicht direct zugänglich; auch
erhalten wir bekanntlieh die Hühnereier erst auf einem
Stadium, wo die Bildung der beiden primären Keimblätter
bereits vollzogen ist, wo also die Furchung abgelaufen
und das zunächst indifferente Furchungsmaterial bereits
diflferencirt ist; man ist daher gar nicht im Stande, die
ersten Entwickelungsphasen bei Vogeleiern zu ])eeinflussen,
und doch dürfte das gerade von hohem Werth sein.
Nun bieten sich uns die Eier vieler Thierarten dar,
gegen die man diese Einwände nicht machen kann, die
auch noch sonstige Vorzüge vor Vogeleiern besitzen — an
solchen ist nun in den letzten Jahren so vielfach ex-
perimentirt worden, dass wir eine grosse Reihe von Er-
fahrungen, unter diesen auch solche, die uns hier inter-
essiren, gewonnen haben. Freilich sind alle diese Versuche
nicht darauf ausgegangen, Doppelbildungen zu erzielen,
sondern es handelte sich zunächst darum^ eine neuerdings
Nr. 27.
Naturvvisscnschaftliclic Worhensehrift.
267
wieder aufgetauelite, ältere Anschauung' von His zu ent-
kräften resp. zu l)ej;rUnden.
Von His rührt die Lehre von den ,,or,nanhildendcii
Keim bezirken" in der KeiniselR'ihe (der Vi'pgel) her,
nach welelicr in der Keimscheibe die Auhigen der Orgaue
in flacher Ausbreitung vorgebildet sind und jeder Punkt
oder Bezirk der Keiniseheibc sich in einem erst später
entwickelnden Organe wiederfindet. Es ist klar, dass
mau dasselbe Priucip niclit nur auf die Keimscheibe, son-
dern auch auf früiiere Stadien, ja selbst auf das Ei an-
wenden kann, und es ist ferner crsiclitlicli, dass eine der-
artige Präformation, wenn sie überhaupt richtig ist, nicht
nur für die Eier der Vögel, für welche sie von His auf-
gestellt war, gelten wird, sondern in gleichem Umfange
für die übrigen Thiere Geltung haben muss.
Nun ist von Pflüger das Irrige dieser Ansicht durch
Versuche am Froschei gezeigt worden. Bekanntlich zeigt
das kiiglige Froschei einen dunklen und einen hellen Pol;
wegen der grösseren Schwere des letzteren stellt sich das
Ei im Wasser stets mit dem hellen Pole nach unten und
bei Eintritt der Entwickelung theilt die erste, stets verticale
Furchungsel)eue das Ei in zwei Hall)kngeln; jede derselben
besteht aus einem oberen dunklen und unteren hellen
Abschnitt. ^Vürden nun organliildendc Keimbezirke am
Froschei Aorhanden sein, so müsste mit einer Drehung
des Eies auch die Richtung der ersten Furchungsebene
(ebenso der folgenden) in entsprechendem Sinne abgelenkt
werden. AV^enn man jedoch, wie Pflüger es that, be-
fruchtete Froscheier in Zwangslagen bringt und erhält,
so bleibt die erste Furchungsebene vertieal, sondert aber
nun andere Portionen, als bei normaler Lagerung, z. B.
eine helle von einer dunklen Halbkugel, und doch bildet
sich auch in diesem Falle ein normaler Embryo. Seine
Körperhälften entstammen aber ganz anderen Partien
des Eies, als unter normalen Verhältnissen; es können
denmach nicht bestimmte Portionen der Eisubstanz zur
Ausbildung bestimmter Organe im Voraus bestinnut sein;
alle Tlieile sind einander glcichwerthig, das Ei ist
isotrop.
Si)äterhin hat Roux die Lehre von den organbildenden
Keimbezirken, wenn auch in gcwisserModification, wiederum
aufgestellt, da ev Beziehungen zwischen den drei ersten
Furchungsebenen zu gewissen Ebenen des erwachsenen
Körpers (beim Frosche) gefunden hat. Die erste, stets
verticale Furchungsebene fällt nämlich, nach Roux, mit
der Medianebene des Körpers zusammen und sondert da-
her das Material für die rechte und linke Körperhälfte;
die zweite, ebenfalls verticale, aber zur ersten senkrecht
stehende Furchungsebene theilt den künftigen Köi|)er (|uer
durch, scheidet also vordere und hintere Körperhälfte,
während die dritte, horizontale Furchungsebene in die
Frontalebene des Körpers fällt und die Rücken- von der
Bauchhälfte sondert. Der Entwickelungs])rocess ist daher
nach Roux niclit eine Folge der Zusammenwirkung aller
Theile oder auch nur aller Keimtheile, sondern eine Selbst-
differencirung der ersten Furchungszcllen und des Com-
plexes ihrer Derivate zu einem bestimmten Stück des
Embryo; er ist eine Mosaikarbeit aus mindestens vier
verticalen, sich selbstständig entwickelnden Stücken.
Um dies noch näher zu begründen, hat Roux eine
der beiden ersten Furchungshalltkugeln von Froscheiern
mit einer heissen Nadel angestochen und beobachtet, dass,
wenn überhaupt eine Weiterentwickelung eintrat, die un-
verletzte Halbkugel sich zu einer Halbbildung ent-
wickelte, der an Stelle der fehlenden Körperhälfte die
mehr oder weniger verletzte zweite Halbkugel ansass.
In den meisten Fällen allerdings war die letztere durch-
aus nicht todt, sondern ergänzte thcils durch einen nach-
träglichen in ihr auftretenden Furchungsprocess, theils
von der unversehrten Hälfte aus den Defeet mehr oder
weniger vollständig.
Diese I>gebnisse scheinen nun in der That die Roux-
sche Ansicht bedeutend zu stützen, und man kann, wie
dies Roux selbst erwähnt, in der Litteratur eine ganze
Reihe von Fällen unter den wirbellosen Thieren auffinden,
bei denen dieselben Beziehungen zwischen den ersten
Furchungsebenen und den llau])tebenen des später ent-
stehenden Körpers existireu; theils sind diese Beziehungen
den Autoren bewusst gewesen, theils ergeben sie sich aus
den Abbildungen, aber Niemand hat die gleichen Schluss-
folgerungen gemacht.
Jedenfalls haben die Roux' sehen Versuche den An-
stoss zu einer ganzen Reihe ähnlicher an den Eiern
anderer Thiere gegeben; die Resultate weichen meist
recht bedeutend von dem Roux'schen ab.
Was zuerst ilie Beziehungen der ersten Furchungs-
ebene zur Medianebene des Körpers anlangt, so ist auf
einen Versuch Ilertwig's hinzuweisen, der ein Tritonei
auf dem Zweistadium durch einen feinen Seidenfaden so
einschnürte, dass der Faden genau mit der Furchungs-
ebene zusammenfiel; das Resultat war keine Halbbildung
im Sinne Roux's, sondern ein ganzer Embryo; auch lag
der Faden nicht in der Medianebene, sondern ging (pier
um den Embryonalkörper herum, so dass demnach hier
die erste Furchungsebene nicht wie beim Froschei die
Seitenhälften des Körpers, sondern vorn und hinten ge-
sondert hatte. Ferner hat eine Amerikanerin, 0. M. Clapp,
die ;") nun im Durchmesser haltenden Eier von Batrachus tau
auf diese Verhältnisse untersucht und mir in Ausnahme-
fällen das Zusammenfallen der ersten Furchungsebene mit
der späteren Medianebene constatiren können; umgekehrt
war es Roux selltst bekannt, dass nicht gerade sehr selten
auch beim Froschei die erste Furchungsebene eine quere
oder beinahe quere und die zweite erst die mediane ist,
was Roux als Anachronismus, als eine Verwechselung der
Folge der beiden ersten Furchen bezeichnet!
Zur Zeit der Publieation der Roux'schen Versuche
lag bereits eine Arbeit Chabry's vor, der an den Eiern
von Ascidia asjiersa ex])erimentirt hatte. Diese Versuche
wurden durch die Beobachtung veranlasst, dass auch
spontan durchaus nicht selten eine der ersten beiden
Furchungszcllen bei den Eiern der genannten Ascidie ab-
stirbt, während die andere sich weiterfurcht; es bildet
sich eine Halliblastula, die sich aber schliesst und sieh
weiter zu einer ganzen Gastrula und einem ganzen Embryo
entwickelt, jedoch sind die betreffenden Stadien Zwerge
von ungefähr nur halber Grösse, als die entsiirecheiiden
normalen Stadien. Das gleiche Resultat erreichte Chabry,
wenn er mit einem hier nicht näher zu schildernden Ap-
parate eine der beiden ersten Furchungszellen abtödtete.
Die erhaltenen Larven unterschieden sich von normalen
nur durch die Körpergrösse und den Mangel einiger
untergeordneter ( »rgane (< »tolith und eine Hattpapille).
Nach Oh ab ry und Roux haben Fiedler undDriesch
entsprechende Versuche an Ecliinodermeneiern angestellt;
letzterer experimentirte an den Eiern von Echinus micro-
tuberculatus in Triest. Durch starkes Schütteln der auf
dem Zweizellenstadium befindlichen Eier gelang es, die
Eihaut zu sprengen und die beiden Furchungszellen zu
isoliren; freilich waren viele durch diesen mechanischen
Eingriff abgctödtet, aber andere erwiesen sich als lebend,
sie wurden isolirt und weiter gezüchtet.
Der Vergleich d«r Furehung dieser Halbeier (isolirter
Zellen des Zweizellenstadiums) mit entsprechenden nor-
malen Stadien ergab nun, dass in den meisten Fällen die
Furchungsstadicn die Hälften normaler Stadien dar-
stellen; ganz besonders deutlich war dies auf dem
Mll-Stadiuin, das dem halb XVI-Stadium normaler Eier
2r58
Naturwissenschaftliche Woclieuschrift.
Nr. 27.
entsprach. Letzteres besteht normal (Fig. 3) aus drei
ZeHringen: vier kleine Zellen (Micromeren) Itilden einen
Ring am animalen Pole, vier grosse einen mittleren Ring,
während am vegetativen Pole ein Ring von 8 grösseren
Zellen liegt. Das entsprechende Halbstadium (Fig. 4) be-
stand aus 2 Micromeren, 2 Macromeren und 4 grösseren
Zellen am vegetativen Pole. In anderen Fällen aber war
der Keim bereits auf dem XXXIIStadium {= halb LXIV)
zur Kugel geschlossen oder das typische Schema der
Furchung- überhaupt nicht zu constatiren.
In der ^Mehrzahl der Fälle bot der Halbkcim am
Abend des ersten Befruchtungstages das Bild einer ottcnen
Halbkugel, was man als typisch ansehen kann, üeber
Nacht liatten sich dieselben zu kugligen Blasen (Blastulae)
geschlossen, die aber nur die lialbe normale Grösse be-
sassen. Die sie znsannnensetzenden Zellen boten in Bezug
auf ihre Grösse keinen Unterschied von denen normaler
Blastulae, und so darf man unter Berücksichtigung des
Figur 3.
Figur 4.
Furchungsmodus annehmen, da^s diesen Zwergen nur
(ungefähr) die Hälfte der Zellen, die eine normale Blastula
derselben Art zusammensetzen, zukonmit.
Am Ende des zweiten Tages starben viele Blastulae
ab; bei den gesunden begann am vegetativen Pole die
Einstülpung und am Morgen des dritten Tages schwammen
Zwerggastrulae in den Gefässen herum; ein Theil
dieser entwickelte sich schliesslich zu typischen Plutei,
die sich von normalen nur durch die Grösse unterschieden.
Durch diese Versuche war also bewiesen, dass unter
Umständen jede der beiden ersten Furchungskugeln eines
Eies von Echinus microtubcrcuiatus eine normal gebildete,
ganze Larve, aber von halber Grösse, aus sich hervor-
gehen lässt; aus einem Ei können demnach duich Tren-
nung auf dem Zweizellenstadium zwei Larven, also voll-
kommen getrennte Zwillinge hervorgehen; es sind dies
nicht Halbbildungen im Sinne Roux's, S(Mulern Theil-
bildungeu. Eben solche Theilbildungen erhielt Driesch,
wenn er die Eier von Sphaerechiuus granularis etwa
8 Stunden einer Temperatur von +31° G. aussetzte; auch
diese wirkt trennend auf die Furchungsstadien ein und
lässt Theilbildungen von normaler Form, aber halber
Grösse hervorgehen.
Es lag nahe, diese Versuche auch auf das Vierzellen-
stadium auszudelaien, um zu erfahren, ob die Furchungs-
zellen ein gleichartiges Material darstellen, das durch
Entnahme eines Tlieiles nur (piantitativ geschädigt wird.
Durch Schütteln der Seeigeleier während der zweiten
Furchungsphase, also auf dem Vierstadium, gelang es
eine der vier Zellen zum Platzen zu bringen, denniach
drei Viertel lebend zu behalten. Meist versagte aber diese
iMethode, um ein ^Mertel lebensfähig abzusprengen, doch
gelang dies leichter bei Anwendung von Druck zwischen
zwei Glasplatten. Um kurz zu sein, geben wir nur
das Resultat: die isolirten Viertel und die Dreiviertel-
gebilde furchen sieh in der giossen Mehrzahl der Fälle
so, wie sie sich geturcht hätten, wenn der fehlende An-
theil vorhanden ge^vcsen wäre. Es war dies ganz be-
sonders ersichtlich auf jenem Stadium, das dem normalen
XVI-Stadium entspricht, welches im ersten Falle, bei den
Viertelbildungen aus 4, bei den Dreiviertelgebilden aus
12 Zellen bestand und genau V4 i'csp. ^,\ des normalen
Furchungsstadiums darstellte.
Aus den Dreiviertelbildungen entstanden schliesslich
typische Pluteuslarven, die nur wenig kleiner waren als
normale Gontrolexemplare; dagegen verzögerten die Viertel-
bilduugen ihre Entwiekelungen, wenn dieselbe überhaupt
über die Furchung hinausging, autfallend lange und nur
ein kleiner Theil derselben lieferte typische, aber sehr
kleine Plutei mit kurzen Armen. Auch Chal)ry hat
ganz analoge Erfahrungen bei Ascidia aspersa gemacht,
nur gelangten die Viertelbildungen nicht über das Gastrula-
stadium hinaus.
Die Wärme- .und Druckversuche haben noch ein
weiteres, sehr wichtiges Resultat ergeben; es gelingt
nämlich, durch Wärme, noch mehr durch Druck, den Fur-
chungstypus ganz ausserordentlich zu modificiren, und
doch entwickeln sich die abnorm gefurchten Eier zu ganz
typischen Plutei, denen man ihre eigenartige Entstehung
nicht im geringsten ansieht. So unterbleibt z. B. bei den
Eiern von Echinus microtubcrcuiatus, die abnormer Wärme
ausgesetzt werden, die Ausbildung von vier Micromeren
ganz und tritt bei denen von Sphärcchinus granularis nur
ausnahmsweise ein. Das Gleiche tritt bei Druck ein;
das XVI-Stadium z. B. war hierbei eine Zellplatte, die
aus zwei Kränzen von je acht Zellen geliildet worden ist,
einem inneren und einem äusseren Kranze — nach Auf-
hellung des Druckes, der übrigens oft genug auch die
Eimend)ran, unbeschadet der weiteren Entwickelungsfähig-
keit, gesprengt hatte, entstanden schliesslich normale
Larven, ebenso aus anderen Furchungssta<lien, die, wie er-
wähnt, normal nie \orkommen, z. B. aus zwei übereinander-
liegenden Platten von je acht Zellen. Es wird damit die
Annahme einer specitischen Bedeutung einzelner Furchungs-
zellen, wenigstens für die Echiniden, vollständig beseitigt.
Durch die Druckversuche sind die Furchungszellen wie
ein Haufen Kugeln durcheinander geworfen worden, ohne
dass ' dadurch die normale Entwickelungsfähigkeit des
Keimes das Mindeste eingebüsst hätte. Durch die Thei-
lung der Eizelle während der Furchung werden V(illig
gleichwerthige, ganz indift'erente Zellen geliefert, wovon
vielleicht nur einzelne Fälle, wo es sieh um sehr frühzeitige
Ausbildung von Keimzellen handelt, eine Ausnahme l)ilden.
Man sieht aber auch, dass der Furchungsmodus für das,
was schliesslich aus ihm wird, unwesentlich ist und dass
Furehungstypen keinen systematischen Werth besitzen
können.
Andererseits ist es aber eine nicht zu leugnende
Thatsache, dass unter normalen Fällen sich bestinmite
Körpertheile und Organe auf ganz l)estimmte Furchungs-
zellen zurückführen lassen; nach den neuen Erfahrungen
in dieser Beziehung wäre es aber verkehrt, dies als eine
im V(u-aus der einzelnen Furehungszelle zukonnnende
Function anzusehen; nur die relative Lage einer Fur-
ehungszelle bestinnnt im Allgemeinen das, was aus ihr
hervorgeht; liegt sie anders, so giebt sie auch Anderem
den Ursprung. Beiläufig sei bemerkt, dass auch bei den
Cestoden und Trematoden die Furchung individuell
recht verschieden verläuft, ohne dass die erwachseneu
Stadien eine grössere individuelle Variation aufweisen,
als solche sonst bei anderen Thieren vorkommt.
Die oben geschilderten Versuche Driesch's haben
gezeigt, dass völlige Spaltung des Keimes auf dem
Z weizellenstadiura (Isolirung der beiden Furchungs-
zellen) die Veranlassung zur Ausbildung völlig
getrennter Zwillinge ist. Nun war aber bei den
Schüttelversuchen in einer AnzahlFälle dicEimembran nicht
gesprengt, sondern nur verzerrt worden und der Coutact
Nr. 27.
Natniwissenschaftliclie Wochenschrift.
2fi9
Figur 5.
der beiden Furchnngszelk-n war g-elockert. Unter 41
.solcher stark gezerrten Furehungsy.ellen heoliaclitcteDricsch
17-mal am Ende des ersten 15eobaclitinigstages keine ge-
schlossenen Kugeln (Blastulae), sondern aus zwei Hälften
bestehende; in 10 von diesen Fällen trat keine spätere
Theilung in zwei Individuen ein, vielmehr blieb die.se
verzogene Form bis zum einfachen, aber verzogenen
Gastrula- und Pluteus-Stadium; aber in G Fällen ging die
p]inschnuruiig am .Aforgen des zweiten Tages fast ganz
durch, man sali also Hlastulapaare, die sich noch etwas
berührten, herumschwimmen. Am Abend waren sie alle
getrennt, halb so gross wie normale und sie entwickelten
sich schliesslich auch zu Zwergplmtci. In einem Falle
nur wurde die Theilung niciit ganz dni-chgcführt — die
beiden Blasen blieben also zusammcniiängcn und Jede
gab eine Gastrula und später einen Pluteus, so dass hier
also eine Doppelbildung mit bleibender Verbin-
dung der beiden Individuen erzielt war (Fig. 5).
Ausser Driesch hat vor Kurzem auch Chun hierher
gehörige Beol)achtungen an
den Eiern pelagischer Eippen-
(juallen (Eucharis und Bolina)
veröffentlicht, die zum Theil
vor 15 Jahren angestellt sind.
Die in einer Membran einge-
schlossenen beiden Furchungs-
zellen stellen an und für sich
in lockerem Zusannnenhange,
der durch massiges .Schütteln noch geringer resp. aufge-
hoben wird. Mit Rücksicht auf das Resultat ist aber wohl
zu beachten, dass die Eimenibran nicht gesprengt war,
sondern die beiden getrennten Furcliungszellen völlig
umschloss. Darin ist meines Erachtens begründet, dass
jede Furclnmgskugel sich zu einem Halbembrvo und
später sich zu einer Halblarve entwickelte. In der
Nachbarschaft der sich ebenfalls entwickelnden und ver-
grösseruden Furchungskugel bestand ein mechanisches
Hinderniss für die regelrechte Entvvickelung zweier Ganz-
larven von halber Grösse, wie der ansitzende Rest der
operirten Furcjiungskugel bei den Froscheiern Roux's
ebenfalls die Ausbildung emcs ganzen Embryo's aus der
einen Hälfte verhindert hat.
Derartige Lockerung der ersten Furchnngszellen bei
Ctenophoren nniss auch in der Natur vorkonnnen, da
Chun Halblarven auch im Freien beobachtet hat; es wird
dies verständlich, wenn man erfährt, dass die Angehörigen
der beiden Ctenophorengattungen ihre ganze Lebenszeit
pelagisch verbringen und niemals, wie iln'c nächsten Ver-
wandten es thun, geschützte Tiefenregionen aufsuchen.
Das Spiel der Wellen wird in vielen Fällen die Lockerung
der ersten Furchungszellen bewirken, womit das Auftreten
der Halblarven auch im pelagischen Auftrieb erklärt ist.
Dass aber auch hier diese Hall)bildungen nur vorüber-
gehend .sind, konnte Chun selbst con.statiren, da sich die-
selben früher oder später zu ganzen Thieren regeneriren,
wie es die Halblarven Roux's auch thatcn.
Oben ist bereits angegeben worden, dass nach der
Ansicht von Fol die Befruchtung eines Eies mit zwei
Samenfäden eljcnfalls Veranlassung zu Zwillingsbildungen
geben soll, eine Ansicht, die auch von Hertwig als niciit
unliereehtigt angesehen wird; aber die Beweise hierfür
sind nicht überzeugend genug; denn die von Fol gezo-
genen Larven sind eher Monstra als Doppelbildungen und
die He rtwig'schen Larven (unter Tausenden nur wenige)
werden zwar als solche „mit dopi)elter Gastruiaeinstüliiung"
resp. als Plutei mit doppelter Spitze bezeichnet, aber
Näheres ist über sie nicht bekannt, auch bleibt es frag-
lich, ob sie wirklich auf doppelt befruchtete Eier
zurückzuführen sind.
Auch Driesch hat dieser Frage seine Aufmerksamkeit
geschenkt und 82 Eier von Sphaerechinus sowie Echinus
näher untersucht, von denen sicher anzunehmen ist, dass
sie doppelt befruchtet waren; es ergiebt sich dies aus
dem Furchungsmodus, der, wie dies durch die Gebrüder
Hertwig festgestellt war, nach der Doppclbefruclitung
gleich vier Zellen liefert. Der Verfolg der Furchung er-
gab, dass der Rhythmus der ganzen Theilung in strengster
Weise dopjielt auftritt; das XVI-Stadiuni zweifach be-
fruchteter Eier entspriclit also dem Vlll-Stadium normaler
Eier und so fort, wenigstens in den regelmässigen Fällen.
Aus allen 82 doppelt befruchteten Eiern entstanden
Blastulae, doch wurden die meisten bald trübe, 61 starben
schon am zweiten oder dritten Tage ab; bei den übrigen
21 zeigte sich der Beginn einer Einstülpung, dann starben
auch sie, ohne dass es zu einer ausgeprägten Gastrula-
Form gekommen wäre; niemals entstand eine zweifache
Einstülpung. Man darf daraus den Schluss ziehen, dass
Doppelbefruchtung zu Zwillingsbildungen nicht
Veranlassung giebt, dass sie vielmehr die Entwicke-
lungsfähigkeit
Möglicherweise
der Keime ausserordentlich beschränkt.
werden aber mehrfach befruchtete Eier
wieder entwickelungsfähig, doch bleibt dies noch zu prüfen.
Endlich wollen wir noch darauf hinweisen, dass bei
Lumbricus trapczoides nach Kleinenberg getrennte
Zwillingsbildungcn, die aus einem Ei hervorgehen, die
Regel zu sein scheinen. Die Theilung tritt hier in
dem Gastrulastadium auf, und nach einer Bemerkung von
Vejdovsky scheint Wärme die Ursache oder wenigstens
mit bestinnnend zu sein, da er sie in solchen Fällen noch
häufiger sah.
Dojtpelbil düngen lassen sich nach J. Loeb auch
noch auf ganz anderem Wege und zwar bei erwachsenen
Thieren erzielen; solche sind selbstredend nicht in eine
Rubrik mit den l)isher besprochenen Zwillingsbildungen
zu stellen. Wenn Loeb von einer Colonie der Tubularia
mesembryanthemuni einen Stamm mit einem Polypen-
k(")pfchen abtrennte und denselben so fixirte, dass das
normal untere Ende (Wurzclende) ins Wasser ragte, das
Kö]ifchen sich dagegen im Sand befand, sei
das
Wurzelende bald ein neues Köpfchen; er erhielt also einen
Stanmi, der an jedem Ende ein Köpfchen trug. Auch
bei gefiederten Polypen lässt sich in der gleichen Weise
am Wurzelende eine neue Colonie erzeugen. Wenn der-
selbe bei Cerianthus unterhalb des Kopfendes einen seit-
lichen Einschnitt in die Körperwand machte, so bildete
sich hier ein zweiter Tentakelkranz; durch denselben
Eingrift" gelang es bei Ciona intestinalis, einer Ascidie
(Fig. 6), eine und selbst zwei
neue Mundröhren mit Ocellen
unterhall) der alten Mundröhre
hervorzurufen. Hier spielen
also Regencrationsvorgäuge
eine Rolle, wie solche es ge-
legentlich bewirken, dass bei
Eidechsen zwei Schwänze vor-
konnnen; der eine nur ist neu
gebildet, der alte winklig ab-
geknickt; gelegentlich können
1 zwei neue Schwänze auftreten und der alte
:ehcn. Ob die bei Regenwürmern beobachteten
Figur 6.
aber auc
verloren j
Doppelbildungen auf denselben Ursachen beruhen, scheint
nicht festgestellt.
Zwergbildungen anlangend, so haben wir schon
erfahren, dass Verringerungen der Protoplasmamasse auf
die Hälfte, drei Viertel resp. ein Viertel die Ursache zu
ihrer Entstehung abgielit. Es resultirt dies schon aus
den Versuchen der Gebrüder Hertwig, die durch Schütteln
TheiledesProtoplasmasabsprcngten, den zurückgebliebenen
270
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 27.
kernhaltigen Rest befruchteten und normale, aber zwerg-
haft kleine Larven aus Echinideneicrn erz<igen. Und aus
den brichst interessanten Vcrsuclien Boveri's ergiebt sich
dasselbe; dieser Autor besamte die kernlosen, von Eclii-
uideneiern durch Schütteln abgesprengten Stücke und
erzog auch hier Zwerglarven von normaler Form. In
diesem Falle hatten die Kerne der Larven eine geringere
Grösse als die normaler Larven, wahrscheinlich aueli die
zugehörigen Zellen, doch wird deren Zahl ungefähr der
Nornialzalil gleich gestanden haben. Bei den Driesch-
schen Versuchen, wo die Zwerge als Theillnldungen auf-
traten, ist es sicher, dass die Zahl der eine solche Zwerg-
bildung zusannnensetzenden Zellen verringert ist und un-
gefähr, je nachdem V^ oder ■',4 oder Vj des Eimateriales
zur Verwendung kam, die Hälfte resp. drei resp. ein
Viertel der Normalzahl lieträgt.
AVie Grub er niittheilt, giebt es auch unter den In-
fusorien Zwerge; hier ist natürlich die geringe Menge
des Lrotoplasma dieser einzelligen Thiere das Bestimmende
für die Zwergform; der Kern ist ebenfalls klein, kann
al)er abnorme oder normale Gestalt haben. Wir wissen,
dass in Gefangenschaft bei spontaner Theilung der In-
fusorien ein stetiges Abnehmen ihrer Körpergrösse nicht
selten eintritt, auch hat Gruber durch seine Zerschnei-
dungsversuche bei Infusorien künstlich Zwerge erzeugt,
doch erreichten sie niemals die Winzigkeit, wie einige
im Freien beobachtete Zwerge von Stentor polymorphus
und coeruleus.
Die kritischen Tage des Herrn Falb*).
Die Lehre vom Zusammenhang zwischen Wetter und Mondwechseln, untersucht von H. llildebrand Hildebrandsson,
Prof. der Meteorologie an der Universität Upsala.
Die Vorstellung, dass die Witteruui.
Deutsch von Dr.
von den Mond-
wechseln abhängig sei, findet sich schon bei den Alten.
Horatius z. B. sagt in seinem 25. Lied des ersten Buches:
„Thracio bacchante magis sub interlunia vento",
und im 7. Lied des 4. Buches:
„Danuia tamen celeres reparant coelestia Lunae."
Und es lässt sich leicht erweisen, dass diese Vor-
stellung bei fast allen Völkern und fast zu allen Zeiten
vorhanden gewesen ist. Ja sie gilt bei einem grossen
Theil des Volks noch in unseren Tagen geradezu wie
ein Glaubensartikel! Und nicht selten hört man es von
dieser Seite als eine schwere Beschuldigung gegen die
Meteorologen aussprechen, dass sie diese Frage, die doch
ihres Studiums werth wäre, nicht studiren wollen. Allein
dies ist eine ganz falsche Beschuldigung. Denn jeder-
mann, der die mett^irologischen Schriften nur etwas kennt,
weiss gut, dass diese Frage in Wirklichkeit sogar seiir
gründlich behandelt worden ist. Das Ergel)niss, das
dabei herausgekommen
Ergel)niss,
ist, kann mit wenigen Worten
dahin ausgedrückt werden, dass man allerdings glaubt,
eine wenn auch nur kleine Einwirkung des Mondes auf
gewisse meteorologische Erscheinungen annehmen zu
müssen, dass aber diese Einwirkung, die nur durch be-
sonders feine Messungen wahrgcuonnncn werden kann,
gar keine praktische Bedeutung für den Wechsel der
Witterung hat. Dies ist nach vielfachen genauen Unter-
suchungen, wie es den Anschein hat. Alles, was von
der Wissenschaft für diese Frage ül)erhaupt constatirt
werden kann. Einige Beispiele von den erreichten Re-
sultaten werden im Folgenden geliefert werden.
In der letzten Zeit ist nun aber der alte \'olksglau))e
unter dem Scheine xan Wissenschaftlichkeit noch einmal
aufgetreten. Herr Falb hat auf diesem Gebiete eine ge-
wisse Berühmtheit erlangt. Mit einem Fleiss, der einer
besseren Sache würdig gewesen wäre, hat er seit Jahren
seine Ansichten und sogenannten Entdeckungen zu ver-
breiten versucht und zwar mit sehr grossem Erfolg. In
Deutschland, Schweden und anderen Ländern hat er einen
grossen Theil des Volks für sich gewonnen und gegenwärtig
besitzt er bei Vielen geradezu das Ansehen eines Witterungs-
propheten. Eben deswegen liabe ich es aber als meine
Pflicht angesehen, den vielfach au mich ergangenen Auf-
*) Vergl. auch contra Falb in der Naturw. Wochon.schr.: Heim,
„Zur Prophezeiung der Erdbeben" II S. 193 ti'. und von versehiedonen
Autoren „Ueber harmlose und kritisclie Tage" V S. loG ff. — Red.
Pehr v. Bjerken.
forderimgen nachzukonmien und die Theorien des Hrn. Falb
einer gründlichen Kritik zu unterwerfen, damit Jedermann
beurtheilen kann, ob und inwiefern man seinen „kritisclien
Tagen" eine Bedeutung beilegen darf
Die Beweisführung des Hrn. Falb ist sehr einfach.
Er geht von der bekannten Thatsache aus, dass der
Mond und die Sonne durch ihre Anziehung Ebbe und
Flutii im Meere hervorrufen. Wenn die Erde nur von
Wasser wäre, so würde diese Wasserkugel durch die An-
ziehung des Jlondes eiförmig gestaltet werden, und es
würde dabei ihre grosse Axe immer gegen den Mond zu
gerichtet sein. Der Jleeresspiegel ist nun freilicii von
Ländern und Inseln uuterbroclien, aber im Grossen und
Ganzen bleibt es doch dasselbe: das Meer steigt, wenn
der Mond sich im Meridian befindet (Fluth), und fällt,
wenn er 6 Stunden östlich oder westlicii davon ist (Ebbe).
Wegen des störenden Einflusses der Länder ist die Zeit
der Ebbe und der Flutli am seihen Meridiane nicht ganz
dieselbe, sondern die sogenannte Hafenzeit ist auch für
einander nahe liegende Orte ein wenig verschieden. Eine
ähnliche Einwirkung wie vom Mond wird auch von der
Sonne ausgeübt, nur dass diese wegen der grossen Ent-
fernung viel geringer ist, und sich nur als eine Grössen-
veränderung der Mondfluth zeigt. Wenn der Mond, die
Sonne und die Erde in
so wirken selbstverständlich
zusammen und addiren sich: man hat die sogenannte
Springfluth bei Voll- und Neumond. In den beiden Vierteln
dagegen sind die beiden Einwirkungen entgegengesetzt
und die Diftcrenz der Wasserhöhen bei Ebbe und Fluth
ist am kleinsten. Ferner ist klar, dass die Anziehung
des Mondes grösser ist, wenn er auf seiner elliptischen
Bahn der Erde am nächsten und kleiner, wenn er von ihr
am entferntesten ist. Endlich hat der Mond auch noch,
wenn er gerade über dem Aequator steht, eine wenn auch
nur wenig grössere Einwirkung auf diese Erscheinungen.
Ebbe und Fluth wurden schon von Newton in dieser
Weise erklärt, und Laplace hat die Frage mathematisch
behandelt und die Formeln gefunden, mit welchen die
Grösse der Fluth berechnet werden kann, wenn man die
Lagen und Entfernungen der beiden Himmelsk(irper kennt.
Herr Falb behauptet nun aber, dass dieselben Kräfte,
die Ebbe und Fluth hervorrufen, eine derartige Einwirkung
auch sowohl im Innern der Erde, das aus einer glühenden,
flüssigen Masse bestehe, als im Luftkreise veranlassen
müssten. Auf das Erstere wollen wir hier nicht eingehen,
enier fast geraden Linie stehen,
die beiden Erscheinungen
Nr. 27.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
271
da Erdbeben in unseren Ge^'enden giik'klicherweise sehr
schwach sind und äusserst selten vorkommen. Wir wollen
nur kurz hervorheben, dass die Geologen unserer Zeit
weniger und weniger glauben, dass das Erdiimere mit
einer solchen glüiieudeii Masse gefüllt sei, und dass deren
Klutliwelleu (lurcli ihren Druck auf das feste Aeussere
die Erdbeben und die vulcanisehen Ausbrüciie veranlassen,
wie es Herr Falb meint.
In liezug auf Ei)be und Fluth aber im Luftkreise
ninnnt Herr Falb an, diese sollten grossartige Verände-
rungen des Barometerstandes und infolge dessen „Anhäu-
fung von Barometriselien JMinimas oder Depressionen,
Wirbelstiirme und vermehrten Niederschlag im Allgemeinen"
hervorrufen. Ferner sollten sie „Donner während des Winters
oder in den Tageszeiten, wo dies nicht gewöhnlich sei
(Nachts, Morgens)", mit sich bringen, dann Schnee wäh-
rend des Sommers (in ßerggegenden) oder in Gegenden,
wo Schnee selten vorkoumie (Unter-Italien, Sud-Frankreich,
Nord-Afrika, Küsten von Klein- Asien), Donner und Sehnce-
sturm gleichzeitig auf derselben Stelle, den ersten Donner
des Frühlings und den ersten Schnee des Herbstes, das
Eindringen eines mit Wasserdampf gesättigten südlichen
Stromes auf grosse Hcihen, wo er sich durch plötzlich
auftretendes Tliauwetter oder durch einen tiefblauen
Himmel bei ungewr>hnlich durchsichtigem Atmosphär (V!)
bemerklich macht; es folge dann ein Streit zwischen
diesem Strom und einem entgegengesetzten nördlichen,
charakterisirt durch Cirrus-Wolken oder im Allgemeinen
diü'ch solche Wolken, die eine besondere Neigung haben,
parallele Streifen zu bilden, die dicken, flockigen Feder-
wolken ähnlich seien und gewöhnlich auch parallele Quer-
furchen zeigen; endlieh seien auch Regenbogen, Regen-
güsse und häutig vorkommende Wechsel zwischen Regen
und Soimenschein, sogenanntes Aprilwetter, diesen Ver-
hältnissen zu verdanken. Kurz, alle nK'iglichen atmo-
sphärischen Veränderungen, theilweise einander ganz ent-
gegengesetzte, sollen durch diese Fluthpliänomene im
Luftkreise hervorgerufen werden.
Was sind aber dann die „kritischen Tage" des Hrn. Falb?
Es sind ganz einfach die Tage, wo Neu- oder Vollmond
ist, und sie sind wieder in kritische Tage erster, zweiter
und dritter Ordnung eingetheilt, je nachdem mehr oder
weniger von den oben besprochenen Factoren zusammen-
treffen, z. B. ob der Mond in diesen 'Fagen am nächsten
oder am fernsten ist, ob er gerade über dem Aequator steht
oder nicht, ob er so in einer geraden Linie mit der Sonne
und der Erde steht, dass es Finsterniss wird u. s. w.
„In Bezug auf die Zeit", sagt er, „wo die atmosphärische
Hochfluth sich in dieser Weise zu äussern anfängt, hat
es sich fast als Regel gezeigt, dass dieses zwei Tage vor
dem berechneten kritischen Tag eintrifft. Dies gilt von
den theoretisch grüssten Fluthwerthen, während die klei-
neren im Allgemeinen zwei bis drei Tage später kommen."
Dies ist insofern ganz richtig, als die Fluth natürlich nicht
auf einmal kommt, sondern umsomehr zunimmt, je mehr
man sich Neu- oder Vollmond nähert, und wieder all-
mählich abnimmt, wenn man sich einem Viertel nähert.
Die von einem solchen Phänomen abhängigen Erschei-
nungen müssen infolgedessen an den Tagen um Neu-
und Vollmond am stärksten und um die Viertel am
schwächsten sein.
Ehe wir weiter gehen, wollen wir zunächst nachsehen,
welche Ergebnisse die wissenschaftlichen Untersuchungen
über diese Ebbe und Fluth im Luftmeere gegeben haben.
Die Vermuthung einer solchen ist durchaus keine Ent-
deckung des Herrn Falb. Schon d'Alembert hat 1746 in
seinem Werk „Reflections sur la cause generale des
vents", angenommen, diese Ebbe und Fluth im Luftmcerc
wäre vielleicht die wichtigste Ursache u. a. der Passat-
winde. Indessen hat nachher Laplace mathematisch be-
wiesen, dass die Elibe und Fluth, die im Luftmeere auf-
treten müssen, von gar keiner praktischen Bedeutung sein
kömien. Und mit dieser Berechnung stinnmn auch die
ilirecten Barometerbeobachtungen vollkiinnnen überein.
Der (Tcneral Sabine, der berühmte englische Physiker
und Mctt'orologe, hat die magnetischen und nieteorolo-
gisehen Beobachtungen publicirt, die mehrere Jahre
zwischen 1840 und 1850 tagelang in St. Helena ausge-
führt wurden. Er hat u. a. die Beobachtungen nach
Mondzeit zusannnengestellt und bere(dni('t*), um zu unter-
suchen, inwiefern Ebbe und Fluth im Luftnieere Iteoi)-
aehfet wci-den könnte. Wegen der ausserordentlichen
Schärfe und Genauigkeit der Beobachtungen ist das wirk-
lich gelungen, und das Resultat war, dass der Baro-
meter in St. Helena bei Fluthzeit (der Mond im
Meridiane) vier Tausendstel engl. Zoll höher
stand als bei der Ebbe (der Mond sechs Stunden
östlich oder westlich vom Meridiane), und zwar
wenn der Mond im Perigeum (am nächsten) sich
befand; befand er sich aber im Apogeum (am
fernsten), so betrug die Differenz nur drei
Tausendstel Zoll. Da kann man doch mit gutem
Grund fragen: wie kann eine Aenderung des Barometer-
standes von ?> bis 4 Tausendstel Zoll eine so kräftige
Wirkung haben, wie Herr Falb behauptet? Sollte wirk-
lich diese kleine Aenderung alle möglichen atmosphä-
rischen Störungen und sogar die fürchterlichsten Orkane
hervorrufen können? Die ünglaublichkeit einer solchen
Annahme ist so deutlich, dass wir eigentlich nichts mehr
zu sagen brauchten. Aber wir wollen doch die Falb'sche
Beweisführung noch etwas näher untersuchen, um zu
sehen, ob er oder seine Gegner „durch einen schweren
Mechanismus des Denkens und durch unlogische ünter-
suchungsmethoden verwirrt und verdunkelt werden."
Wie macht Herr Falb seine Untersuchungen?
Er sagt .selbst, dass die Hochflutlitage von ihm
mit der grössten Aufmerksamkeit beol» achtet
werden. Er notirt und beschreibt ausführlich alle
bemerkenswerthen Naturerscheinungen dieser Tage auf
der ganzen Erde. Und er findet seine Theorie bestätigt
durch ein Erdbeben in P^uropa, einen Sturm auf
den Samoa-Inseln, Schnee in Spanien, Gewitter in Rom,
Ueberschwcmmung im Weiehselgebict, ein sehr verbreitetes
Nordlicht in Amerika, Telegraphenstörungen in Japan,
den Untergang eines Dampf bootes auf dem Atlantischen
Ocean, einen „Tornado" im Thal des Mississippi, oder
eine Kohlengruben-Explosion in England. Einen grossen
Theil von diesen Unglücken beschreibt er genau, um
ganz deutlich zu zeigen, wie gut seine Voraussagungen
eintreffen. „Konnte die Natur", so ruft er aus, „deutliclier
zeigen, wie richtig die Anschauung des Verfassers ist?
durchaus nicht!"
Diese Untersuchungs- und Beweismethode des Hrn.
Falb ist aber doch nicht anders, als wenn Jemand den
Einfall hätte, die meisten Begräbnisse fänden an Donners-
tagen statt, und dies zu beweisen suchte dadurch, dass
er zusammennotirte, welche und wie viele Begräbnisse an
jedem Donnerstag auf den grösseren Friedhöfen der Erde
vorkämen, und nachher eine Zusammenstellung der Re-
sultate machte, mit genauer Besehreibung einiger von den
prachtvollsten — ohne die geringste Rücksicht darauf,
was in den übrigen sechs Wochentagen auf den Fried-
höfen geschehen ist.
Doch wir wollen versuchen, die Lücke in der Beweis-
führung des Hrn. Falb auszufüllen.
*) Obsorvations maJe at the Miagnctieal and meteorological
obseivatory at St. Helena. Vol. I, London 1847, S. 98.
272
Naturwisseuschaftliche Wochenschrift.
Nr. 27.
Wir fangen mit dem Wichtig-sten, den Baronieter-
depressionSn und den Stürmen, an. Weil die Fluth im
Lul'tkreise sich am besten in den tropischen Gegenden
zeigen soll, haben wir die von Chambers in Broraberg
und John Eliot in Calciitta herausgegebenen Verzeichnisse
über Gyklone auf dem Arabischen Meer und auf dem
Meerbusen von Bengalen vom Jahre 1850 ab durchsucht
und eine Anzahl von 153 gefunden. Die meisten von
ihnen sind, wie dies auch mit unseren europäischen
Stürmen der Fall ist, wahrend einiger Tage über die Erd-
oberfläche hingegangen. Es ist jetzt sehr einfach, die
Tage, wo diese Stürme entstanden oder wo sie wenigstens
zuerst beobachtet worden sind, nach den Mondwechseln
zu ordnen. Dabei sind zu jedem Mondweclisel auch die
drei Tage vorher und die drei Tage nachher mitgerechuet.
Das Resultat ist folgendes:
bei Vollmond [®] 30
Neumond |®] 34
Sunuiie fi4
für Hrn. Falb.
bei letztem Viertel [c] 37
erstem Viertel [^j 34
Sunnne 71
sreiren llni Falb.
18 waren zwischen zwei Mondwechseln und sollen folglich
nicht gerechnet werden.
Gehen wir jetzt zu unseren europäischen Barometer-
depressionen oder Sturmcentra hinüber, so können wir die
Tage rechnen, wo ein Minimum von 735 Millimeter oder
noch weniger Upsala passirt hat, und zwar vom Anfang
der stündlichen Beobachtungen am 30. Mai 1865 bis Ende
des Jahres 1889. Diese Tage sind in folgender Weise
geordnet:
© 50
® 33
C 46
O 2G
Summe
'2 gegen Hrn. Falb.
Sunnne 83 für llrn. Falb,
Hier sind 1 1 Tage ausgeschlossen, weil sie auf den Octantcn
fallen.
Einige von den fürcliterlichsten Wirbelstürmen der
nördlichen temperirten Zone sind die nordamerikanischen
Tornadoes. Sie haben eine Breite von nur wenigen
Meilen, aber wo sie entstehen, werden Wälder und Dörfer,
ja sogar ganze Städte weggefegt, und der Verlust an
Menscheuleben ist bisweilen sehr bedeutend . Häufig finden
mehrere am selben Tage statt. In „Professional papers
of the Signal Service" 1882 hat Finley einen ..Report on
the Character of six hundred tornadoes" publicirt. Daraus
geht hervor, dass man in den Vereinigten Staaten seit
1830 338 Tornado-Tage gehabt hat. - -• ■ -
die Mondwechsel ist folgende:
©
72
66
C
3
Ihre Vertheilung auf
90
71
Summe 138 für Hrn. Falb, Summe 161 gegen Hrn. Falb.
Die übrigen 39 waren auf den Octanten.
In der ersten und der letzten von diesen Zusammen-
stellungen haben die Viertel ein kleines üeliergewicht,
in der zweiten Neu- und Vollmond. Der einzige annehm-
bare Schluss daraus ist, dass die Mondwechsel mit
den Stürmen gar nichts zu thun haben. Wären
der Fälle genügend viele, so wären die Summen wahr-
scheinlich ganz gleich.
Jetzt könnte man aber den Einwurf machen: Stürme
können freilich irgendwann eintreffen, aber vielleicht
werden sie bei Neu- und Vollmond heftiger. Doch es ist
leicht zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Der schwierigste
Tornado-Tag von Allen in den Vereinigten Staaten war der
18. April 1880. Nach der oben citirten A))handlung gab
es an diesem Tage nicht weniger als 25 Tornadoes, von
welchen mehrere sehr gewaltsam waren. In Eureka
Springs wurden 18 Häuser zerstört, in White wurden
10 Menschen getödtet und 20 verwundet, die Stadt Darda-
nella wurde theilweise zerstört, in Shopiere wurden
23 Gebäude, in Marshfield mein* als 200 zerstört, 65 Men-
sehen wurden getödtet, mehr als 200 verwundet und die
Verluste in zwei angrenzenden Counties wurden zu einer
Million Dollars berechnet, in Texas county im Staat
Missouri wurde eine kleine Stadt von 300 Einwohnern
vertilgt, in Washington in Arkansas wurden mehr als
100 Gebäude zerstört, 2 Menschen getödtet und 20 bis
30 verletzt u. s. w. Und doch war das erste A'iertel am
Tage vorher, oder am 17. April, und Apogeum am 14.
Die Verhältnisse lagen also für Herrn Falb so ungünstig
wie möglich.
Damit wir nicht denselben Fehler machen, den wir
Hrn. Falb vorwerfen, nämlicli nur einige für uns sprechende
Beispiele anzuführen, hallen wir einen anderen Weg ver-
sucht. Wir haben in unserer Bibliothek specielle Be-
schreibungen von Stürmen und Cyklonen aufgesucht, und
seit dem Jahr 1850 haben wir 50 solche gefunden. Das
ist ja klar, dass diese alle irgendwie bedeutend und be-
ujerkensweith gewesen sind. Sie vertheilen sich in fol-
gender Weise:
© 9
® 10
Summe 19 für Hrn. Falb. Summe 29 gegen Hrn. Falb.
Zwei Fälle sind auf Octanten eingetroffen.
Da muss man doch erkennen, dass die Zusammen-
stellung ungünstig für Hrn. Falb ausfällt! Die Anzahl
ist freilich zu klein, um daraus eine Statistik aufzubauen.
Wären die Zahlen aber zufälliger Weise die entgegen-
gesetzten gewesen, so hätten wahrscheinlich unsere Gegner
triumphirt! Doch wir wollen aus so wenigen Zahlen gar
keine allgemeinen Schlüsse ziehen; sieher aber ist, dass
die Zahlen, wie sie jetzt sind, wenigstens nicht für die
Ansichten des Hrn. Falb si)rceiien.
Gehen wir jetzt zu dem angebliehen Zusammenhang
zwischen den Donnerwettern während des Winters und den
Mondwechseln über, so haben wir Folgendes anzuführen.
Im Jahre 1871 wurden in Schweden mehrere hundert
Stationen eingerichtet, um u. a. Donnerwetter zu beoltachten.
Wir haben die Berichte für die drei ersten Jahre 1871
bis 1873 durchgesehen und alle Tage der kalten Jahres-
zeit, (Ictober- April, wo Donner wahrgenommen wurde,
aufgezeichnet, es waren 42, die sieh nach den Mond-
wechseln so vertheilen:
C 8
3 21
© 8
© 12
C 10
3 12
Summe 20 für Herrn Falb, Summe 22 gegen Herrn Falb.
Die Tage mit Donner während der kalten Jahres-
zeit sind somit von den Mondwechseln unabhängig, und
die Ansicht des Herrn Falb auch in dieser Beziehung
unrichtig. Uebrigens mag hier die Bemerkung gemacht
werden,"dass hervorragende Meteorologen einen Zusaunnen-
hang zwischen Donner und Mondwechseln gesucht und
an einen solchen auch geglaubt haben. So hat W. Koppen
in DeutS(ddand die Gewitter der Jahre 1879—83 mit den
Mondwechseln zusannuengestellt. Er fand die Anzahl
Gewitter für jede Station im Mittel während der ver-
schiedenen Mondwechsel :
@ 5,3 O 6,3 © 4,0 C 4,8
Und A. Richter hat während 8 Jahren folgende Anzahl
von Stunden mit Donner gefunden:
® 1388 3 1239 © 767 C 846.
Nr. 27.
Naturwissenschaftliche Wochcnsehrift.
273
Beide Untersuchungen stimmen darin überein, dass
die Gewitter am liäutigsten zwischen Neumond und erstem
Viertel und am seltensten um den Vollmond vorzukommen
.scheinen. Dies ist aber ein ganz anderes Ergebniss als
das des Hrn. Falb, der ja gefunden zu haben glaubt,
dass diese Erscheinungen bei Voll- und Neumond am
häutigsten vorkämen. Uebrigens ist es auch lauge nicht
sicher, dass die obigen Resultate gemeingültig sind;
wenn die beiden Reiben untereinander übereinstimmen,
so kommt das daher, dass dieselben Jahre, die Koppen
untersucht hat, auch in der etwas längeren Reihe von
Richter enthalten sind. Vl'^enn man nicht einsehen kann,
wie die gefundene Variation zu erklären ist, so ist es am
sichersten, noch erst Untersuchungen auch aus anderen
Ländern und für andere Zeiten abzuwarten, ehe man die
Frage als abgemacht ansehen kann.
Falb ))chandc!t in einem besonderen Capitcl die Nord-
lichte und die Störnngen der Erdstrüme und der erd-
magnetischen Elemente. Diese sollten an den kritischen
Tagen besonders gross und zahlreich sein. Dass es einen
Zusammenhang giebt zwischen diesen Erscheinungen
untereinander und zwischen kosmischen Phänomenen, be-
sonders mit den Sonnenflecken, das ist seit lange be-
wiesen. Mehrere Forscher haben auch geglaubt, eine
Ein\\irkung des Mondes auf die magnetischen Kräfte
nachgewiesen zu haben, welche Einwirkung aber auch
wieder ganz anders wäre als die von Falb angenommene.
Die Anzahl der Nordlichte der nördlichen IIall)kugel ist
am grössten innerhalb einer elliptischen Zone, die mit der
Nordküste Sibiriens nahe zusannnenfällt, das nördliche
Lappland durchzieht und in Amerika bis auf etwas übei'
60° N. Lat. hinuntergeht. Dieser Zone entlang kommen
die Nordlichte, wenigstens während gewisser Jahre, fast
täglich vor, nehmen aber von da ab sowohl nördlich als
südlich an Pracht und Anzahl ab. Sie sind bald mehr
oder weniger local, bald aber auch fast über die ganze
N(trdhalbkugel auf einmal verbreitet. Oft kommen bei
solchen Gelegenheiten Südlicbte auf der Südhalbkugel
vor. Es ist deswegen nicht immer so sehr leicht zu ent-
scheiden, was man unter einem „ungewöhnlich grossen
Nordlieht" verstehen soll. Wir haben indessen im grossen
Nordliclitcatalog für Schweden von Rubenson die Tage
der Jahre 1865 — 76 aufgezeichnet, wo Nordlicht an min-
destens 10 Plätzen des Landes beobachtet worden ist.
Diese Tage vertheilen sich so:
© 2
C 20
3 10
Sunnne 27,
Sunnne 30,
wozu noch 4 kommen, die auf Oetanten eingetroffen sind.
Das Resultat stimmt wiederum gar nicht mit den An-
sichten des Hrn. Falb überein, aber um so viel mehr mit
dem, was man erwarten kann. Es ist ja selbstverständ-
lich, dass der Mondschein das Nordlicht verdeckt und
dass ein Nordlicht höchst selten bei Vollmond prachtvoll
sein kann. Dagegen nmss ein solches bei Neumond sehr
stattlich sein, ^\'enn ferner von den oben genannten Nord-
lichten in das erste Viertel nur halb so viel fallen, wie
in das letzte, so ist auch das leicht zu erklären : im er-
steren Falle leuchtet nämlich der ]Mond Abends, im letzte-
ren dagegen früh .Morgens.
Hr. Falb giebt uacii seiner Gewohnheit Beispiele an
ungewöhnlich prachtvcdlem oder verbreitetem Nordlichte
als Bestätigung seiner Hypothese. Er sollte aber doch
das grossartigste Phänomen dieser Art, das in den letzten
Decennien sich gezeigt, nicht vergessen, dass nämlich vom
4. Februar 1872, wo die ganze Erde mit Ausnahme einer
Zone liei dem Accpiator von Polarlicht beleuchtet war.
Das Nordlicht wurde bis auf Ceylon und das Südlicht
weit in Australien hinauf gesehen, — aber unglücklicher-
weise für Hrn. Falb war das letzte Viertel am 2. Februar.
Nach alledem scheint es uns nicht der Mühe werth,
diese Untersuchungen weiter zu verfolgen. Was eben ge-
zeigt worden ist, dürfte für jedermann, der nicht getäuscht
werden will, genügend sein. Es ist aber leider sehr be-
kannt, dass die Leute getäuscht werden wollen. Auch
sind keine Propheten in einer günstigeren Stellung, als
die Wetterpropheten. Sie sind nicht derselben Gefahr
ausgesetzt wie ehemals die chinesischen Hof-Astronomen:
auf den Magen geklopft zu werden, wenn ihre Voraus-
sagungen nicht eintrafen. Im Gegentheil sind die Leute
insofern sehr liebenswürdig, dass sie jede solche Gelegen-
heit nicht bemerken oder wenigstens verzeihen oder ver-
gessen, es dagegen sehr bemcrkenswerth finden, wenn das
Vorausgesagte eintriftt. Das ist aber eben der Be-
weis, dass die Erscheinungen Nichts miteinander
zu thun haben, wenn die Voraussagung gleich
oft eintrifft wie das Gegentheil.
Uebrigens wäre es sehr merkwürdig, wenn die Vor-
aussagungen des Hrn. Falb nicht gewissermaassen immer
wahr wären. Er ist nämlich so klug, dass er nicht an-
giebt, welches Phänomen, oder wo auf der ganzen Erde
es eintreffen soll! Der Tag wäre aber ein sehr glück-
licher, wo nirgend auf der Erde eine von diesen vielen
Naturrevolutionen oder einer von den vielen Unglücks-
fällen eintreffen würde. Die synoptischen Karten zeigen,
dass in gewissen Theilen der Erde der Luftdruck hoch
und gleichmässig vertheilt ist, während es in anderen
Barometerdepressionen mit Uugewitter giebt. Und es
giebt keinen Tag, wo dies nicht der Fall wäre. Die
Sturmccntra sind bald mehr, bald weniger entwickelt,
aber gewöhnlich ist es so, dass sie in einer Gegend
schwach, in einer anderen um so bedeutendor sind. Wenn
wir nur an Stürme denken, so kann jedermann ohne
grosse Gefahr voraussagen, dass an einem, oder noch
besser, wie Herr Falb, u m einen gewissen Tag ein Sturm
irgendwo auf der Erde eintreffen wird. Einen Nutzen
aber können wir wenigstens in einer solchen Voraussaguug
durchaus nicht sehen!
Mäiisevertilgung vermittelst des Mäusetyphiisba-
ciUiis. — In Schlesien wurden im vergangenen Herbst
zahlreiche Feldversuche mit dem Typhusbacillus des Prof.
Löffler*) ausgeführt. In Uppersdorf, Reg.-Bez. Oppeln,
ist das Mittel auf grossen Flächen von vielen Landwirtheu
angewendet worden. Nachdem man vorher Vertilgungs-
versuche mit gefangenen Feldmäusen angestellt hatte und
diese vollkommen gelungen waren, wurden die Versuche
auf dem Felde wiederholt. Die Vcrsuchsansteller wurden
hier enttäuscht; eigenthümlicher Weise wurden die Mäuse
nicht soweit inficirt, dass sie am Typhus zu Grunde gingen.
*) VergT. „Naturw. Wocliensclir." Bd. VII. S. 396 ö'.
Man konnte, trotzdem die Versuche auf einer grösseren
Fläche wiederlndt wurden, trotzdem man reciit concentrirte
Baeillen-Aufschwemmungen verwendet hatte, ein Abnehmen
der Mäuse nicht wahrnehmen. Da die Versuche ganz
vorschriftsmässig ausgefülu't wurden und ganz frische
Reinculturen Verwendung fanden, nuisste es befremden,
dass das Mittel nicht zur Wirkung kam! Es darf wohl
angenommen werden, dass die Feldmäuse der dortigen
Gegend eine besonders grosse Widi'rstandsfähigkeit zeigen,
und die etwaige Erkrankung nicht hinreichte, um den Tod
dieser Schädlinge herbeizufuhren.
274
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 27.
Ein pflanzeiifresseiuler Delpliiu. — Im Kameruner
Kriegs.schiä'shafen wurde seinerzeit von E. Teusz ein von
Haifischen bereits angefressener 8 — 9 Fuss langer Delphin
erl)eutet, der von dem genannten, schon zehn Jahre in
Kamerun wohnhaften Herrn noch niemals gesehen worden
war. Auffallend waren au ihm die röhrenförmig über den
Kopf hervorragendeu Verlängerungen der Nasengänge,
und ganz besonders der Umstand, dass sich sein Magen
mit PHanzenstoft'en, Blättern und l'^rüchten von Mangroven
und etwas Gras, angefüllt fand. W. Kükeuthal giebt
mm in den Zool. Jahrb., Abth. f. Syst. etc., B. 6, 8.442*),
eine Besehreibung des ihm überwiesenen Schädels. Üie
27, ist also
Zahl der Zähne jeder
geringer wie z. B. bei
beträgt
Kieferhälfte
Delphinus. Von den 9 bisher
bekannten Sotalien ist ausser anderem die Kameruner neue
Art durch ihre stumpfen und, besonders im Unterkiefer,
so stark abgenutzten Zähne verschieden, dass breite Kau-
flächen vorhanden sind. Es liegt hier offenbar ein Süss-
oder Brackwasserthier vor, und zugleich die erste Sotalia-
art aus Afrika. Die übrigen Gattuugsgenossen leljcn in
Indien, China, Australien und Südamerika.
C. M.
FischfresseiKles Nagethier. — Oldfield Thomas
giebt in der April -Nummer von „Natural Science"
interessante Mittheilungen über ein fisch fressendes Nage-
thier aus Central-Feru, welches der bekannte Reisende
J. Kalinowski im Jahre 1891 entdeckt hatte. Ich-
thyomys gehört zu den hamsterartigen Mäusen, gleicht
unserer Wasserwühlmaus in der äusseren Erscheinung,
ist jedoch grösser, hat sehr starke und zahlreiche
Sclmurrborsten und sehr kleine Augen und Uhren. Dieses
Thier nährt sich ausschliesslich von Fischen, vorzüglich
von kleinen Tetragonopterus-Arten. Kein anderes Nage-
thier, mit einziger Ausnahme der Zibethratte Nordamerikas,
welche wohl gelegentlich einen selbst gefangenen Fisch
verzehrt, hat sich so vollständig von vegetabilischer Kost
emancipirt. Es ist sehr interessant, dass bei Ichthyomys
sowohl der Blinddarm, welcher bei den übrigen Mäusen
eine bedeutende Grösse erreicht, auf ein Rudiment re-
ducirt ist, als dass die Schneidezähne durch grössere Ent-
wickelung der äusseren Kanten zu langen scharfen Spitzen
vorzüglich geeignet geworden sind, schlüpfrige Fische zu
erfassen. Matschie.
Eiblindiingvoii Krähen diircli Einfluss (lerKiilte. —
Über eine eigenthümliche „Krankheit'-, an welcher während
der ungewöhnlichen Kälte des letzten Winters die Krähen
(Oorvus americanus) der Umgegend von Washington viel-
fach zu leiden hatten und massenhaft zu Grunde gingen,
berichtete Herr R. Ridgway, Kurator der ornithologischen
Abtheilung des Smithson'scheu Institutes (Washington), am
10. Februar in der amerikanischen Zeitschrift „Science".
Auf eine diesbezügliche an ihn gerichtete Anfrage war
Herr R. so gütig, uns in einem Schreiben vom 25. Mai
nicht allein seine früheren, in der Science geschilderten
Beobachtungen zu bestätigen, sondern auch noch neue
Mittheilungen, besonders über die Verbreitung des Uebels zu
machen. — Darnach war ein beträchtlicher Theil (nach
Schätzung etwa die Hälfte) der in grosser Zahl die Um-
gebung genaimter Stadt bevölkernden Krähen vollständig
erblindet. In Folge dessen war es den Vögeln nicht
möglich, sich Futter zu suchen, und sie gingen in grossen
Mengen vor Hunger zu Grunde. In den Nadelwäldern um
Washington, in welchen sie ihre Rüstplätze haben,
wurden sie zahlreich todt aufgefunden, während andere,
noch am Leben befindliche, völlig erschöpft am Boden oder
*) „Sotalia teuszüi n. sp., ein pflanzenfressender (?) Delphin
aus Kamerun."
auf den Zweigen sassen und den Schnee aufpickten oder
die Kicfernuadeln zu fressen versuchten. Ohne Mühe
konnte man ihrer habhaft werden, da sie bei einem
Versuche, davonzufliegen, überall gegen die Aeste und
Zweige der Bäume stiessen und kraftlos zu Boden
fielen. Eigcnthümlich war nun die Art und Weise der
Blindheit; Herr R. schreibt darüber (Science): „Bei vielen
waren die Augen geschlossen und stark angeschwollen;
bei manchen waren ein Auge oder beide Augen aufge-
sprungen und gefroren (burst and frozcn), was möglicher-
weise darauf zurückzuführen ist, dass sie gegen die scharfen
Spitzen abgebrochener Zweige geflogen waren. In allen
Fällen, wo die Augen nicht geschlossen oder entzündet
(closed or inflamed) waren, zeigte sich die Pupille milchig
weiss und die Iris bläulich." Hinsichtlich der Verletzung
der Augen schreil)t uns Herr R.: „Die Augen vieler In-
dividuen waren thatsächlich geborsten und gefroren, d. h.
die Membran war mehr oder weniger durchlöchert oder
aufgeplatzt und die hervorquellende Flüssigkeit erstarrt
(The eyes of many individuals were actually bursted
and frozcn. That is, the membrane had been in some
way punctured or ruptured, and the escaping fluid con-
gealed".) Diese Verletzungen sind nach Herrn R. rein
t äusserlicher Natur, verursacht durch Anfliegen an scharfe
Zweige oder Anstossen an Kiefernadeln seitens der bereits
erblindeten Vögel. Welche Ursachen der Erblindung zu
Grunde liegen, darüber herrscht Meinungsverschiedenheit;
Herr R. hält es für am natürlichsten, dass die Vögel auf
dem Wege zu ihren Rüstplätzen bei der überaus strengen
Kälte gegen eisigen, vielleicht winzige Eispartikel mit sieh
führenden Wind fliegen mussten, in Folge dessen ihre
Augen litten und erkrankten. — Interessant ist, dass das
Uebel sich nur an Individuen des Corvus americanus
zeigte, während der ebenfalls bei Washington häufige
Corvus ossifragus ganz davon verschont blieb. — Ver-
breitet scheint die Krankheit über einen grösseren Theil
der östlichen Staaten gewesen zu sein; denn Herrn R.
sind Berichte darüber aus verschiedenen Orten zugegangen.
Wenige Wochen nach dem Erscheinen des Berichtes des
Herrn R. vcrriffentlichte, wie letzterer uns nnttheilt, ganz
unabhängig davon, Dr. M. G. Eeilzey (Maryland) einen
Artikel über dieselbe Erscheinung in der Zeitschrift „Forest
and Stream".
Die Erhaltung der einheimischen Vögel Neil-
Seelands. — In der zweiten Hälfte des verflossenen
Jahres hatte der inzwischen verstorbene Gouverneur der
Insel, Lord Onslow, dem Parlamente einen Gesetzentwurf
unterbreitet, dem zu Folge die beiden Inseln, Little Bar-
rier oder Hauturu im Golfe von Hauraki im Norden und
Resolution im Süden Neu-Seelands, zu dem Zwecke reser-
virt werden sollten, um auf ihnen der einheimischen
Flora, besonders aber der Vogelwelt, welcher theilweise
nahe Vernichtung droht, eine ungestörte, unter Staatssehutz
stehende Zufluchtsstätte zu gewähren. Leider haben sich
inzwischen in dem gesetzgebenden Körper der Durch-
führung dieses schätzenswerthen Planes Schwierigkeiten
entgegengestellt, sowohl hinsichtlich der Mittel als auch
anderer, zumal das Besitzthum der Barrier-Insel betref-
fender Punkte. (Dieselbe bildet nämlich einen Theil der
sogenannten Maori-Reservation.) — Resolution Island ist
bereits seiner edlen Bestimmung zugesprochen worden.
Der neue Gouverneur steht zum Glücke dem Plane eben-
falls freundlieh gegenüber, und so hoft't man denn, zumal
auch die Londoner Zoologische Gesellschaft sich der
Sache angenommen hat, zum Ziele zu gelangen. Eine
ganze Anzahl interessanter Vögel würden so erhalten
werden, z. B. Apteryx BuIIeri, Notornis Mantelli, Oestrelata
Gouldi etc.
Nr. 27.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
2U
lieber Münzuietalle und soiieiiaiinte Ausheiite-
niiiiizeii gicbt Professor Dr. Nies in ilolieniieini in den
Jahreslieften des Vereins für vaterländische Naturkunde
in Württemberg 1893 einige interessante Mittheilung-en,
welche sich im Wesentlichen auf Stücke einer Sammlung
bezichen, die er für Lchrzwecke an der dortigen land-
wirthscliaftlichen Hochschule zusanmicngebraelit hat. Als
Miuiznietalle sind Gold, Siil)er, Kupfer, Nickel, Platin,
Palladium, Aluminium, Eisen verwendet worden, letztere
drei aber, wie ferner der Silberglanz (natürliches Schwefel-
silber) w(dd nur bei besonderen Gelegenheiten für Denk-
münzen. Historisch merkwürdig ist, dass König l'^riedrich
von Schweden, welclicr 1720 zur Regierung kam, ähnlich
der den Spartanern zugeschriebenen A¥eisc, sein Volk zur
Massigkeit erziehen wollte, indem er auch grössere Münz-
werthe aus Kupfer anfertigen Hess. So waren die Halb-
dalerstückc quadratische Kupferplatten von 9,5 cm Seiten-
länge und oSd g Schwere. Reines Nickel \crwendet die
Schweiz für Scheidemünzen; die deutsclu'n Nickelmünzen
führen nur 25 <•/„ Nickel neben Kupfer. — Platin ist ausser
in Russland auch versuchsweise in Dänemark (1830) und
anscheinend auch in Bayern für Münzen verwendet worden.
— Aus Palladium sollen früher die Ehrenmedaillen der
geologisclien (Gesellschaft in London bestanden haben. —
Aus Silberglanz Hess König August von Polen, Kurfürst
von Sachsen, Medaillen mit seinem lüldniss schlagen (l(i9i)).
Die sogenannten Ausbeutemünzen liefern für die Ge-
sciiichte des Bergbaues, seinen Ort, seinen Ertrag, seine
Daner u. s. w. mitunter recht werthvoUe, mindestens doch
anregende Beiträge. Der Verfasser erwähnt, dass er
21 Jahrgänge von Münzen mit der Inschrift „Segen des
Mansfelder Bergbaus" besitze , von denen die älteste aus
1811 stammt und die Inschrift Hieroni/iims Napoleoit auf
dem Avers trägt. Vier Ausbeutemünzen von 174.'3, 1747,
1752 und 1756 der Grube Güte des Herrn im Harz tragen
den Vermerk: Die Grube Güte des Herrn kaiii in Aus-
beute 1740; eine fünfte von 1774 dagegen: Die Güte des
Herrn kam ivieder in Ausbeute 1774.
Etliche Münzen geben Aufschluss über ilesitzwechsel
bei Ländern und Gruben. „Welche beredte Sprache für
die Zeit von Deutsehlands tiefster Erniedrigung", so
schreibt Verfasser, „sprechen die Münzen, die auf dem
Avers: L'arnii'c d'Hanovre ä Napoleon, enipereiir des
Frangais 1804 tragen und auf dem Revers: Des mines et
usiues du Harz protegees pendant la guerre und, direct
unter dem gekreuzten Schlägel und Eisen, den guten
deutschen Bergmannsgruss ..Glück auf." — An die Per-
sonalunion von Hessen und Schweden erinnern Münzen
aus Eddergold mit dem Bildniss des Landgrafen von
Hessen und der Umschrift re.r- Sueciae. Die Zeiten des
„Kommunionharzes" vergegenwärtigen Ausbeutemünzen
der Harzer Gruben Güte des Herrn, Lautenthals Glück,
König Carl, welche mit den Jahreszahlen 1745, 1745 bezw.
1752 theils das braunscbweigische, thciis das hannoversch-
englische Wappen tragen, der l)eiden die Auslicute unter
sich theilenden Länder. — Thalcr vom Jahre 1728, unter
Eberhard Ludwig, Herzog von Württemberg, geprägt,
zeigen die Inschrift: Von genntchsenem Hilljer aus der
Fundgr. 3 K. Stern. Das Metall ist also natürliches
gediegen Silber gewesen. — Eine Medaille, die zum
50jährigen Regierungsjubiläum Friedrich August's, König
von Saclisen, 1818 geprägt worden ist, trägt auf dem
Revers die Angabe: Himmelsfürst Fu)ulgrube hinter Erhis-
dorf, gab seit 50 Jahren 1,100 458 Thlr. 1(> Gr. Aus-
beute. —
Abschnitte in den Unternehmungen der
hnden
Verfasser erwähnt
Wichtige
Bergleute und die erste Ausbeute neuer Betriebe
sich auch öfters
„Erstlinge" mit den Inschriften: Primitiae argenti fondiiiae
gekennzeichnet.
Fisclihachensis tutori dicatae 1750; ferner eine Münze, auf
deren Avers eine Landschaft mit dem Orte Rudelsdorf
und einem Göpel (Andeutung der Adlerfundgrube) dar-
gestellt ist. Unter dem Spruch : Befiehl dem Herrn Deine
Wege und hoffe auf Ihn steht: Wir schürfen beide den
25. Jan. 1747. Der Revers trägt die Fortsetzung des
Spruches: Er wirds wohl machen und ferner: Jhid
Schmelzen heute, den 25. Jul. 1749 mit der Darstellung
einer Schnielzhütte. — Eine andere Silbermünze zeigt auf
dem Avers eine Hüttcnanlage in einer Berglaiidschaft und
<lic Inschrift: Gewerkschaft Littai. Feines Silber, und auf
dem Revers: Segen des Krainischeii Bergbaues. Zur Er-
innerung an den ersten Silberblick der Hütte Littai li. Xo-
rrnd)er 188(1. Weiterhin sind auf einer Münze die Gruben
Franzenszeehe und Willilialdszeche dargestellt. Als In-
schrift steht verzeichnet: Zur Erinnerung an die Wieder-
aufnahme des Mähr. Blei- und Silberbergbaus und: Aus
inäJtrischcm Feinsilber begonnen am. 24. Mai 1886. Eine
Denkmünze vom Jahre 1719 zeigt auf dem Avers den
Gott Amor mit der Wünscliclruthe; neben Flügeln, Bogen
und K(icher trägt er auch Bergmannsmütze und — Hinter-
leder. Der Revers zeigt Amor, den Hammer am Präg-
stock schwingend. Die Inschriften: Euthe weise glücklich
an und: J)ass ich Ausbeut niüntzeu kann, deuten auf den
frülieren bergmännischen Aberglauben hin. Dem gegen-
über lautet auf einer !\[ünze vom Jahre 1709 auf dem
Avers der Spruch unter dem Dreieckssyni])ol des strahlen-
den Gottesauges: A)t Gottes Scr/cn ist Alles gelegen. Der
Revers zeigt die Inschrift: Wenig Zubufs, viel Ausbeute
macht recht fröhliche Bergleute. Neben der Ausbeute-
münze von Przibram in Böhmen vom Jahre 1727 ge-
winnt eine Medaille vom Jahre 1875, welche zur Er-
innerung an die erreichte Saigerteufe von 1000 m
geprägt wurde, doppeltes Interesse. Die Worte: A sole
et sale tragen herzoglich-sächsische Münzen der Jahre
1714 und 1720 zum Beweis für den Ertrag der Salinen,
während die Denkmünzen, welche das Solm'sche Wappen
und die Schrift: V. G. O. Christian August Graf zu
Solms-Ijaahacli auf dem Avers uud die Abbildung eines
Gradierwerkes mit dem Spruch: Dem Lande zu Nutz,
denen Neiders zu Trutz, 1768, auf dem Revers zeigen, die
Anlage einer Saline feiern, die nach sehr kurzem Betriebe
einging.
Der Herr Verfasser stellt weitere Besprechungen
seiner Samndung in Aussicht, insbesondere die von Aus-
beutemünzen aus deutschem und österreichisch-ungarischem
Golde, aus Sillier des Schwarzwaldes, des Harzes, des
deutsehen Kujiferschiefers; ferner von Ausbeutemünzen
aus Sachsen, Böhmen, Schlesien und sonstigen Ländern.
X. R. Scheibe.
Der Trisectioiiszirkel von Dr. E. Eckhardt. —
(Deutsches Reichspatent.) In No. 26 vom 14. Juni 1891
brachte die ..Naturwissenschaftliche Wochenschrift" einen
Artikel über die Dreithcilung eines beliebigen Winkels.
Die Untersuchung eines Rotatiousproblems (vgl. u.) hat
nun zur Konstruktion eines Ajiparates gefülnl, welcher
dasselbe Problem löst, und, wie ich glaube, in exakterer
und zugleich weittragender Weise. Das Instrument, in
Fig. I abgebildet, ist auch für die Hand des Schülers
geeignet und selbst Schüler der unteren Klassen sind
im Stande, seine Anwendung zu \crstehen. — Das wissen-
schaftliche Interesse liegt darin, dass der Trisections-
zirkel gleichsam die Wurzeln der Gleichungen dritten
Grades (casus irredueibilis) verkörpert und auf Grund dieses
15efundes das bekannte Problem der Dreithcilung des
Winkels so löst, dass zum Verständniss nur die ersten
Sätze aus der ebenen Geometrie erforderlich sind.
276
Natiirwissenschaftliclic Wochenschrift.
Nr. 27.
Der Zirkel besteht aus eiueni schmalen Messiuglineal,
in welchem zwischen e und d ein Spalt offen gelassen ist.
Bei j) ist eine Bleistiftspitze angebracht, bei *■ und Sj be-
finden sich scharfe Zirkelspitzcn. Es ist klar, dass ganz
bestimmte Winkelstellungen bei Festsetzung der Zirkel-
sjjitzen Ä und Sj eintreten müssen, da a = b = c ist; und
zwar müssen die Winkelstellungen in einem besonderen
Verhilltniss zu einander stehen, das auf dem Lehrsatz
beruht: „Der Aussenwinkel an einem Dreieck ist gleich
der Summe der gegenidjcrliegenden Winkel im Dreieck.'-
In Wirklichkeit sind drei gleiche Arme vorhanden,
welche drehbar aneinander befestigt sind. Der Arm „c"
wird durch einen Spalt in seiner Verlängerung gezwungen,
Spitze des mittleren Armes — eine Wurzel dieser Gleichung
darstellt. Das ist ein Zeugniss für die natürliche
Lösung der Dreitheilung des Winkels. Der Erfinder
zeigt in der unten genannten Brochure, dass sich daraus
auch Zirkel ableiten lassen, welche eine 5, 7, 11, 13 u.
s. w. gehende Theilung gestatten.
Der Dreitheilungszirkel ermöglicht ferner eine sehr
einfache Konstruction des Winkels von 36°.
1. Man setze mit den Spitzen des Zirkels in A u. B
(Fig. 3) ein und beschreibe eine Kurve. Der Schnitt mit der
Mittelscnkrechten von AB sei C. Dann ist 4I ACB
= 36°.
Beweis: Der vierte Punkt des Zirkels sei E, dann
P^QS-VaOQS-
ED
Figur I.
Figur 2.
Figur 3.
stets durch das freie Ende von „«'• zu gehen. Soll nun
der beliebige Winkel ZQS gedrittelt werden, so ziehen
wir durch (> — den Endpunkt \ou or^ := dem Spitzen-
abstand — eine Parallele zu (JS, setzen den Zirkel mit
den Spitzen in Q n. 0 ein und bescinx'ibcn mit dem be-
weglichen p eine Kurve. Der Schnitt dieser Kurve mit
der Parallelen ist ein Punkt P, der Dreitheilungslinie;
wenn wir P, mit Q verbinden, so ist
^ P,QS= Vo 0Q8.
Es folgt aus der Figur, dass die bisher bekannte
Dreitheilung des rechten Winkels nur ein spezieller
Fall war.
Die Geltung für grössere Winkel als 90° lässt sich
leicht ableiten.
Fig 1 zeigt den Zirkel (für die Hand des Schülers).
Fig. 2 seine Anwendung.
QO = a = OM=b = M P, = c.
Es ist bekannt, dass das Prolilem der Trisektion auf
eine Gleichung dritten Grades führt; das Merkwürdige ist
nun, dass jede Zirkelöffnung — vom Bleistift bis zur
ist nach Art der Einrichtung des Zirkels AB = BE = EC.
Hieraus folgt sofort die aus der Figur ersichtliche Grösse
der Winkel ausgedrückt durch «.
ba= 180°, « = 36°. (V'ergl. Fig. 3.)
2. Der Punkt C wird auch erhalten, wenn man von
AB aus mit dem Zirkel 2 symmetrische Kurven be-
schreibt.
Der Dreitheilungszirkel dient ferner zur Theilung von
Linien nach dem goldenen Schnitt. In obiger Zeich-
nung des Winkels von 36° ist BE Winkelhalbirende, also
gilt sofort die Proportion:
BC : BA = CE : EA.
Da CE = BA, und BC = AC, so wird die Pro-
portion
AC: EC=EC: AE.
d. h. „£■" ist der goldene Schnitt. Verlängert man BA,
BE, BC nach beiden Seiten, so werden alle Parallelen
zu AC durch die Linie BE nach dem goldenen Schnitt
geteilt.
Nr.
Naturwissenschaftliclic Woolionsclii-ift.
277
Anmerkung: Der goldene Schnitt ist also jetzt eine
Folge der Konstruktion iles Winkels von ?A\° und nicht,
wie früher, der Winkel von 36° eine Folge des goldenen
Schnitts.
Der Dreitheilungszirkel dient ferner zur Errichtung
von Loten, da die Kurven sich senkrecht über einem
Punkte schneiden müssen, von dem aus nach rechts und
links der Zirkel aufgesetzt wurde. Zur lienutzung als
gewöhnlicher Zirkel eignet sich ausserdem der allgemeine
Dreitheilungszirkel, welcher sich von dem vorliegenden
nur dadurcli unterscheidet, dass er in allen 3 Armen mit
Spalten und verstellbaren Schraulteu versehen ist.
Der Zirkel wird von Seiten der „Preussischen Uni-
versitäten" in Chicago ausgestellt
Die genauere Ausführung ist in der Brochure: „Die
Dreitheilung des Winkels" von Dr. E. Eckhardt, Marburg,
enthalten. Die wissenschaftliche Diskussion der Frage
enthält die Dissertation: „Rotationsproblem — Dreithei-
lung des Winkels." Ueber die Bewegung eines schweren
Punktes in einem Kreise, der in der Verticalebene um
einen beliebigen Punkt derselben mit constantcr Winkel-
geschwindigkeit rotirt. X.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden eriKiniit: Dlt ordentliche Professor der Physik an der
Universität Freiliurg Dr. Km i 1 Warburj;' zum Uofrath. — Prof. Dr.
Bernliard Naunyn von der Universität Strassbnri; zum Nach-
folger Ivahler's an der Lelirkanzel der ersten Klinik der Universität
Wien. — Der Privatdocent für Hygiene an der Universität Breslau
Dr. Heinrieh Bitter zum Leiter des bakteriidogischen Labora-
toriums in Alexandria. — Dr. Giessler, Assistent am botanischen
Institut der Universität Jena, zum Assistenten am botanischen
Museum und botanischen Garten der Universität Göttingen. —
Dr. Hallier zum Assistenten am botanischen Garten zu Buiten-
zorg auf Java. — Dr. Dreyor aus St. Gallen zum Assistenten
am pflanzenphysiologisehen Institute der Universität Göttingen. —
Der Custos am botanischen Garten zu Athen Dr. Spyridon Mi-
liarakis zum Professor der Botanik an der dortigen Universität.
— Prof. Dr. Renvers zum Director der inneren Abtheilung des
Krankenhauses Moabit in Berlin. — Dr. von Benary zum Leiter
der inneren Abtheilung des Elisalietb-Krankenhauses in Berlin. —
Der Physiker, Oberlehrer Dr. Nahrwold zum Director der neuen
höheren Bürgerschule in Berlin.
Der Geologe Dr. Friedr. Kaunhowen ist als Assistent bei
der pflanzenpalaeontologischen Abtheilung der Kgl. Preuss. geolog.
Landesaustalt in Berlin eingetreten.
Es haben sich habilitirt: Der Assistent am zoologischen Institut
der Universität Breslau Dr. Braem. — Dr. Braunschweig für
Augenheilkunde an der Universität Halle. — Der Zoologe Dr. (_)tto
Fischer in der philosophischen Facultät der Universität Leipzig.
Dr. J. Hofnieior, bisheriger Leiter der inneren Abtheilung
des Elisabeth-Krankonhauses verlässt seiner angegriffenen Gesund-
heit wegen für längere Zeit Berlin.
Es sind gestorben: In Sifu der Afrikaforscher Oberst Messe
daglia Boy, naher Freund und Mitarbeiter Gordon's, mit dem
zusammen er Darfur hielt. — Professor Dr. Wilhelm Zuelzer,
Docent an der medicinischen Facultät der Universität Berlin.
Ein internationaler Congress der Mathematiker, Astro-
nomen und Astrophysiker wird geleginflich der ^Vl•ltau^stcllung
in Chicago in der Woche vom 21. bis 26. August daselbst abge-
halten werden. Secretair ist George E. Hahi vom Kenwood-
< »bservatorium in Chicago.
Eine internationale Hygiene-Ausstellung w ird am 12. August
d. J. in Le Ilavre eröffnet werden. Ihre 8 Gruppen sollen die
private und ötfentliche Gesundheitspflege und Schift'shj'giene um-
fassen.
Unter dem Namen „Geographica! Club" bat sich in Philadelphia
eine neue geographische Gesellschaft constituirt und auch bereits
•die erste Nummer einer von ihr herausgegebenen Zeitschrift ver-
öffentlicht, in welcher sich ein bemerkenswerthcr Aufsatz „Ueber
Gebirgsforschung" aus der Feder von E. S. Balch befindet.
Mr. F. G. Jackson's beabsichtigter Versuch, den Nord-
pol von Kaiser-Franz-Joseph-Land aus zu erreichen, ist um ein
Jahr hinausgeschoben worden. Der Reisende wird den kommen-
den Winter in Novaja Semlja zubringen, um sich n\it den Ver-
hältnissen des arktischen Winters vertraut zu machen.
Eine kühne Dame, Miss Taylar von der Chinesischen Inland-
Mission, hat ganz allein einen grossen Theil des östlichen Tibet
durchwandert und befindet sicli jetzt auf dem Wege nach Eng-
land, wo uian ihrer Ankunft mit Spannung entgegensieht.
Dr. Frithjof Nansen'a Nordpolexpedition, die von langer
Hand sorgfältigst vorbereitet und nach den neuesten Erfahrungen
der Wissenschaft und Technik ausgerüstet ist (vergl. „Naturw.
Wochenschr." VIII. S. 7), hat auf dem für sie erbauten und mit
Rücksicht auf die zu überwindenden Eisverhältnisse eigens con-
struirten Schiffe „Fram" („Vorwärts") am 24. Juni den Hafen von
Christiania verlas.=en, um sich nach den Neusibirischen Insclii
zu begeben , von wo aus der kidme Reisende den Pol mit
Hilfe der darüberhinführenden Ströminig zu erreichen hofft. ~
Unter den Theilnehmern der Expedition nennen wir folgende:
Dr. Frithjof Nansen, Chef und Leiter; Kapitän (_>tto Sverdrup,
Führer des Schift'es, Nansen's Begleiter auf seiner Grönland-
durchquerung; Marineliontenant S. Scott Hansen, wird als Leiter
von Ausflügen und Beobachtungen auf dem Lande oder dem Eise
dienen; Cand. med. Henrik G. Blessing, Schiffsarzt; Adolf Juul,
Proviantverwalter und Stuart; T. C. Jacobson, erster Steuer-
mann; Anton Amundsen, erster Mascliinist; Second -Lieutenant
Hjalniar Johansen, wird bei Ausflügen als Schütze und Skiläufer,
ai'i Bord als Matrose, Heizer u.s. w. fungircn; Peder L. Heuriksen,
Harpunier aus Tromsö; Lars Pettersen, Maschinist und Schmied.
Möge das Glück die kühnen Männer begünstigen, und ihnen eine
erfolgreiche Fahrt und glückliche Rückkehr in die Heimath be-
schieden sein.
Eine Arago-Statue aus Bronce wurde vor einigen Tagen auf
dem hinter dem Pariser » »liservatorium gelegenen Platze durch
Poincare in Gegenwart zahlreicher Mitglieder der Akademie, der
Beamten der Sternwarte und einiger Zuschauer enthüllt. Es
ist dies das dritte Monument, welches dem grossen Astronomen
errichtet worden ist.
L i 1 1 e r a t u r.
Webers illustrirte Katechismen. — \'erlag von .1. J. Weber in
Leipziii'. 1892 und l.s:»:).
No. 42: Prof. Hipj). Haas, Katechismus der Geologie.
5 vermehrte und verbesserte AuH. Mit 149 Text-Abbildungen,
1 Tafel und 1 Tabelle. — Preis 3 M.
No. 142: Oberbergamts-Markscheider 0. Brathuhn. Kat. der
Markscheidekunst. Mit 174 Text- Abbildungen — Preis
3 Mark.
No. 14.3: Privatdocent Dr. II ein r. Schur tz, Kat. der Völker-
kunde. Mit CT Text-Abbildungen.
No. 42. Der Autor bemüht sich, die neueren Errungenschaften
der Wissenschaft zu verwerthen. Als elementarer Leitfaden der
Geologie kann sein Buch emptVdilen werden. Die Tafel bringt
eine Darstellung des Berliner Exemplares der Archaeopteryx
lithographica.
No. 142 ist jedem, der sich mit der Vermessung und Dar-
stellung unterirdischer Räume zu befassen hat oder eine
Orientirung auf diesem Gebiete sucht, sehr zu empfehlen.
No. 14.5. Das 310 Seiten umfassenile Buch über Völkerkunde
zerfällt nach einer kurzen Einleitung in zwei Theile : 1. Ver-
gleichende Völkerkunde (Ethnologie), 2. Beschreibende Völker-
kunde (Ethnographie); es bietet eine gute, sowie praktische Ueber-
sicht über das Gebiet und ist als kleines Handbuch wegen des
sorgfältigen Registers brauchbar.
Prof. Dr. Th. Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psycho-
logie in 15. Vorlesungen. Mit 21 Text-Abbildungen. Zweite
vermehrte u. vi'rbesserte Auflage. Gustav Fischer, Jena 1893. —
Preis 4,50 Mk.
Erst in No. 41 (vom 11. Oktober 1891) Bd. VI haben wu- die
erste Auflage der Ziehen'schcn phys. Psychologie so ausführlich
besprochen, dass wir uns hier darauf beschränken müssen, die
Veränderungen, welche das gute Buch in der vorliegenden Auflage
erlitten hat, anzugeben. Die 1. Auflage umfasste 176 Seiten, die
2. ist auf 220 Seiten angewachsen, wobei freilich zu berücksich-
tigen ist, dass der Druck der neuen Auflage etwas weitläufiger
ist. Sehr dankenswerth ist die Beigabe eines Registers, das in der
1. Auflage fehlte. Diese brachte 14 „Vorlesungen", die vorliegende
enthält deren 15, indem als 9. Vorlesung eingeschaltet ist: „Der
Gcfühlston der Vorstellungen. — Affecte.'' Auch sonst ist hier
und da eine Vermehrung und eine Verbesserung des Inhaltes zu
constatiren. Im übrigen verweisen wir auf das schon genannte
frühere Referat.
Schröter, Taschenflora des Alpen -Wanderers. Colorirte Ab-
bildungen von 170 verbreiteten Alpenpflanzen, nach der Natur
gemalt von Ludwig Schröter. Mit kurzen botanischen Notizen
in deutscher, französischer und englischer Sprache von Prof.
278
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 27.
Dr. C. Schröter. Dritte, vnllstäiulig umgearbeitete nud ver-
inelirte Auflage. Meyer & Zeller (Reimann sehe Buehhaiullung).
Zürich 1892. — Preis Ü Mk.
Die erste Auflaij,e des prächtigen Büchelchens erschien 1889
und wurde Bd. IVNo. 12S. 95 der „Naturwissensch. Wochenschr."
besprochen. Die dritte Auflage ist ganz umgearbeitet worden:
alle 18 Tafehi sind neu gemalt worden, und es sind mit Ausnahme
von Tafel 4, welcho die grossen Arten von Geutiana (wie lutea
u. s. w.), Aconitum Napellus, Veratnnn album und Eryngium al-
pinum veranschaulicht — sehr zweckmässig verkleinerte Darstel-
lungen der Objecte vermieden worden. In der ei-sten und zweiten
Auflage werden nur 11.5 Arten vorgeführt, in der dritten nicht
weniger als 170. Die AbViildungen sind tretflich charakteristisch,
die botanischen Notizen durchaus zweckmässig verfasst. Referent
kennt kaum ein geeigneteres Mittel, das dem Laien als erste Ein-
führung in die scientia amabilis in die liand gegeben werden
könnte. Dass die Verf. in der That durch Abfassung ihrer Schrift
einem Beilürfniss ents]iroclieu haben, beweist die Thatsache des
Erscheinens von 3 Aufl. innerhalb von nur 4 Jahren.
Prof. Dr. Budolf Hoernes, Erdbebenkunde. Die Erscheinungen
und Ursachen der Erdbeben, die Methoden ihrer BeobiichtiiU};.
Mit vielen Te.\tabbilduui;en u. Karten u. 2 Tafeln. Veit & Co.
Leipzig 1893. — Preis 10 M.
Nach einer historischen Einleitung werden die Erscheinungen,
die Methoden der Beobachtung und der Bebenforschung in um-
fassender Weise erörtert. In den folgenden Capiteln werden die
Erdbeben-Typen, nach genetischen Gesichtspunkten geordnet, vor-
geführt. Der Verfasser behandelt mit Recht vorwiegend jene
Beben der jüngsten Zeit, welche durch bewährte Facldeutc be-
schrieben und kritisch erörtert worden sind; die wichtigen Ar-
beiten der Japanischen Gesellschaft und der Schweizer Connnission,
die Untersuchungen von Suess, C'redner, Bittner, Wähn er,
Barrois u. a. werden zu Grunde gelegt.
Li zwei Abschnitten werden behandelt die tektonischen Be-
dingungen der Einsturzbeben (das Karst-Phänomen) und die
vulcanischen Beben, dann folgt der wiclitige Abschnitt idjer
tektonische Beben, deren Bedeutung treft'end charakterisirt
wird: „Mögen die Spannungen sich in tangentielle Faltung oder
in senkrechte Senkung umsetzen — immer wird mit ihrer ruck-
weisen Auslösung eine seismische Bewegung Hand in Hand gehen".
Hoernes führt Typen von einfachen Brüchen (lineare Beben,
Blattbeben) vor, die Faltung wird als Ursache von Erschütte-
rungen erörtert; endlich werden nach dem Vorgange Suess grosse
tektonische Comple.xe : die Faltengebirge mit ihren Längs- und
Querbrüchen, mit ihren peripherischen Rupturen und radialen
Sprüngen beschrieben und mit Bezug auf die seismischen Er-
scheinungen kritiscli behandelt.
Wähner schloss bereits aus seinen Beobachtungen idjer das
Beben von Agram, dass in diesem Falle eine grosse Scholle der
Erdkruste sich senkte. Hoernes behandelte analoge Fälle (Sen-
kungsfelder in vulcanischen Gebieten etc.). Li den meisten Fällen
ist es bisher bekanntlich nicht gelungen, eine namhafte Dislocation
als Folge des Bebens nachzuweisen; der Autor scheint aber doch
zu kritisch vorzugehen, wenn er die Verticalbewegung nur im
Falle des Mt. Nuovo und Ullah Bund als erwiesen gelten lässt.
(S. 78.) Weitverbreitete Beben, welche mehrere tektonisch selbst-
ständige Gebiete beherrschen, dürften in manchen Fällen durch
kosmische Agentien ausgelöst werden, während sie nach Hoernes
Ansicht in der Mehrzahl der Fälle als Relais- Beben zu be-
zeichnen wären: es wurden eben durch ein Beben die reifen<len
Spannungen in entfernten Gebieten ausgelöst.
Unter den kosmischen Agentien hat die Stellung der Sonne
einen namhaften, jene des Mondes einen geringeren Einfluss. R.
Rudolf Mechsner, Karte des in Deutschland sichtbaren
Sternenhimmels. Für junge Freundi' der Natur, insbesomh-re
für Schüler und den Schulgcbrauch. Dietrich Reimer (Hoefer
& Vohsen). Berlin 1893. — Preis 0,50 Mk.
Die Karte und der dazu gehörige kurze Text will mit den
Sternbildern vertraut machen. Es sind nur die Sterne der 1. bis
4. Grösse berücksichtigt worden und von den Sternen des
südlichen Himmels nur diejenigen, welche in Mitteldeutschland
sich mindestens 10 Grad über den Horizont erhoben können. Zur
leichteren Erlernung des gegenseitigen Standes der Bilder und
ihrer Namen bietet Verfasser nach Art der Zumiit'scheu lateinischen
Genusregehi Verse.
Robert Mayer. Die Mechanik der Wärme in gesauimelten
Schriften. Dritte ergänzte uml mit historisch-littcrarisidien Mit-
theilungen versehene Auflage, herausgegeben von Prof. Dr.
Jacob J. Weyrauch. I. G Cotta'sche Buchhandlung, Nachfolger.
Stuttgart 1893. — Preis 10 Mk.
Die 1. Aufl. der Mayer'schen kleineren Schriften erschien
18G7, die 2. 1874: beide sind noch vom Verf. selbst besorgt worden.
Die vorliegende 3. Auflage hat den früheren Auflagen gegenüber
wesentlich gewonnen durch die sachgemässen Anmerkungen des
Herausgebers und durch die gewissenhafte Biographie Mayer's,
die derartig gegliedert ist, dass sich in chronologischer Folge
die XIII Mayer'schen Abhandlungen eingeschaltet finden. Man
rückt dadurch dem Entdecker des mechanischen Wärmeäquivalents
ausserordentlich nahe und vermag in sein Denken und Fühlen
nach Möglichkeit einzudringen. Wir müssen dem geschickten
Herausgeber zustinnnen, wenn er bei der grundlegenden Be-
deutung der Mayei-'schen Entdeckung sagt: „Jeder berufsmässig
mit Naturwissenschaften und deren Anwendungen Befasste sollte
diese Werke gelesen haben, in keiner Studien- und Schüler-
bibliothek sollte es fehlen".
Zwei noch nach 1874 von Mayer veröffentlichte kleine Auf-
sätze, nämlich „Die Torricelli'.sche Leere" und ,, Lieber Auflösung",
die sich also in den beiden von M. selbst besorgten Auflagen nicht
finden, hat W. durchaus richtig in die neue Auflage gebracht.
Ferner finden wir in dem Buche ein bisher unbekanntes Bild
Robert Mayer's aus dem Jahre der Veröffentlichung seines grund-
legenden Werkes 1842 beigegeben, sowie das in Heilbronn 1892
enthüllte Denkmal und endlich ein Facsimilo der ersten noch vor-
handenen brieflichen Mittheilung Mayers vom 24. Juli 1841 an
Carl Bauer, betreffend die von ihm auf der Reise nach Ostindien
gewonnenen Anschauungen. Auch das ausfiUirliche Personen- und
Sachregister erhöht den Werth des Buches nicht gering.
Jahrbuch der König^l. Freuss. Geolog. Landesanstalt und
Bergakademie für das Jahr 1891. Band XII. Berlin 1893. —
Die Ausstattung des umfangreichen, mit 28 prachtvollen Tafeln
versehenen Bandes ist, wie immer, eine reiche. Im ersten Theile
bringt derselbe „Mittheilungen aus der Anstalt", und zwar 1) den
Bericht über die Thätigkeit derselben im Jahre 1891; 2) den Ar-
beitsplan für 1892; 3) Mittheilungen über ihre Aufnahmen im Jahre
1891 aus der Feder von K. A. Lossen, A. v. Koenen,
E.Zimmermann, H. Loretz, H Pr oesch old t, H. BUcking,
E. Kays er, A. Lejjpla, H. Grebe, G. Berendt, C. Gagel,
H. Grüner und A. Jentzsch; 4) Personal-Verhältnisse der
Anstalt am 1. Januar 1893.
Der zweite Tlieil bringt zunächst Abhandlungen von folgenden
Mitarbeitern der Anstalt: H. Potonie: Uelier einige Carbonfarne.
Hl. Theil. (Palmatopteris furcata, Neuropteris gigantea und
N. Zeilleri). G. Berendt: Spuren einer Vergletscherung des Riesen-
gebirges. (Ueber diese Arbeit ist bereits eingehend in der „Naturw.
AVochenschr." (VIII, S. 165 ff.) berichtet worden.) R. Scheibe:
Ueber Hauchecornit , ein Nickelwismuthsulfid von der Grube
Friedrich) Revier Hammer a. d. Sieg). J. H. Kloos: Die geog-
nostischen Verhältnisse am nordwestlichen Harzrande zwischen
Seesen und Hahausen unter specieller Berücksichtigung der Zech-
steinformation. L. Beushausen: Ueber Hypostome von Homalo-
noten. F. Wahnschaffe: Bericht über den von der geologischen
Gesellschaft in Lille veranstalteten Ausflug in das Quartärgebiet
des nördlichen Frankreich und südlichen Belgien. W. Frantzen:
Bemerkungen über die .Schichten des oberen Muschelkalks und
unteren Keupers in dem Bereiche der Messtischblätter Eisenach,
Creuzburg und Berka. E. Dathe: Die Strahlsteinschiefer des
Eulengebirges. A. Denckmann: Die Fraukenberger Perm-
bildungen. Th. Wolf er: Bericht über einen Grandrücken bei
dem Dorfe Krschywagura südlieh Wreschen.
Von Nichtmitgliedern der Anstalt sind die folgenden Arbeiten
zu nennen: W. Hocks: Der Froschberg im Siebengebirge.
Althans: Riegelbildungen im Waldenburger Steinkohlenge-
birge. Derselbe: Die Erzformatioii des Muschelkalkes in Ober-
schlesien. A. Dannenberg: Der Leilenkopf. ein Aschenvulcan
des Laachcr-See-Gebiotes. Christian Dütting: Beiträge zur
Kenntniss der Geologie der Gegend von Borgloh und Welling-
holzhausen. H. Eck: Zur Litteratur von Rüdersdorf und UmJ
gegend. von Rosenberg-Lipinsky: Die Verbreitung der Braun-
kohlenformation im nördlichen Theil der Provinz Schlesien.
K. Schumann: ITntersuchungen über die Rhizocauleen. J. P.
Smith: Die Jurabildungen des Kahlberges bei Echte.
Inhalt: Prof. Dr. M. Braun: Ueber die künstliche Ei'zeugung von Doppel-, Halb- und Zwergbildungen bei Thieren. (Mit Abbild.)
— Die kritischen Tage des Herrn Falb. — Mäusevertilgung mittelst des Mäusetyphusbaeillus. — Ein pflanzenfressender
Delphin. — Fischfrossendes Nagethier. — Erblindung von Krähen durch Einfluss der Kälte. — Die Erhaltung der einheimischen
Vögel Neu-Seelands. — Ueber Münzmetalle und sogenannte Ausbeutemünzen. — Der Trisectionszirkel von Dr. E. Eckardt.
(Mit Abbild.) — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Webers illustrirte Katechismen. — Prof. Dr. Th. Ziehiui: Leitfaden
der physiologischen Psychologie in 15 Vorlesungen. — Prof. Dr. Rudolf Hoernes: Erdbebenkundc. — Rudolf Mechsner:
Karte des in Deutschland sichtbaren Sternhimmels. — Rqbert Mayer: Die Mechanik der Wärme. — Jahrbuch der Königl.
Preusa. Geolog. Landesanstalt und Bergakademie.
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Nietzsche, Zola und die Zolaschulen, die jungtleutschen Nnchätler u. s. w. und be-
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Verantwortlicher Red;ilcteur: Dr. H. Potonii'. Berlin N. 4., Invalidenstr. 40,41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Fertl. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
^^ Redaktion: f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
Vin. Band.
Sonntag, den 9. Juli 1893.
Nr. 28.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Bnchbandlungen und Post-
anstalten, wie bei der ExpedKlon. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeld bei der Post K) A extra.
l
T
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 ^. Grössere Aufträge ent
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannah;Q!%|
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition. X^ ^
Abdruck ist iinr mit vollstäiidis;er 4{ncllenan)»;abe gestattet. 7^;> .^' -
Die Dichte der Erde.
Von Max Fiebelkorn.
Zu Anfang des XIII. Jahrlnnulei'ts wurden, wie all-
gemein bekannt, die Wissenschaften aus dem tiefen
Schlunnncr geweckt, in dem sie acht Jahrhunderte gelegen
hatten. Au vielen Orten wurden Universitäten gegründet,
und ein Eifer, die Wissenschaften zu erweitern und zu
heben, ist unverkennbar; jedoch weisen erst das XVI. und
XVII. Jahrhundert grössere Fortschritte auf.
Unter den anderen Wissenschaften kam jetzt auch
die Geophysik zur Geltung, und ihr Studium wurde wesent-
lich gefördert, als 1492 Kolum])us seine kühne Fahrt nach
dem fernen Westen augetreten hatte, und es Magelhaeus
gelungen war, die Erde zum ersten Male zu umsegeln.
Hierdurch war der Beweis für die Kugelgestalt der Erde
gegeben.
Es ist erklärlieh, dass man, als erst die Kugelforni
unseres Planeten bewiesen war, auch bald anfing, andere
physikalische Eigenschaften der Erde zu untersuchen, so
das specitische Gewicht oder die Dichte derselben. Seit
dem Jahre 1738 haben eine grosse Anzahl von Physikern
Versuche angestellt, dieselbe zu l)(?stimmen und, wenn auch
nicht ganz, so doch im Allgemeinen übereinstimmende
Resultate gewonnen. Im Folgenden sollen die angestellten
Versuche zusammengestellt und erläutert werden.
Wir leiten zunächst eine Formel ab, durch welche wir
im Stande sind, die Dichte der Erde zu berechnen.
Unter Dichte versteht man Ijekanntlich das Verhältniss
zwischen Masse und Volumen eines Körpers:
Nehmen wir nun ein von Newton gefundenes
zu Hilfe, nach dem sich vfrlialfen:
I. Die Anziehungen zweier Körper wie ihre Massen,
oder
a : A^ m : M.
II. Die Anziehungen zweier Körper umgekehi't wie
die Quadrate der Entfernungen beider Körpei-, oder
c- f
vereinigen wir diese beiden Ausdrücke mit einander und
setzen gleichzeitig
so resultirt:
in = du und AI = D U,
dv DV
obiger Forme
d =
Hieraus folgt
m
d V
oder für eine andere Masse M von der Dichte /' und dem
Volumen V
M = D V.
Ist in dieser Formel a die Anziehung eines Körpers, d
seine Dichte und v sein Volumen, A die Anziehung der
Erde, D ihre Dichte und V ihr Volumen, so ist uns von
diesen Grössen nur D unbekannt, welches wir mithin aus
berechnen können.
Die ersten Versuche, die Dichte der Erde zu be-
stimmen, stammen aus dem Anfange des XVIII. Jahr-
hunderts. Damals war es bereits aufgefallen, dass ein
Lot, in der Nähe einer freistehenden liergkuppe aufgehängt,
aus seiner vertikalen Lage weicht und sich dem Berge
zuneigt, und schon Newton hatte darauf hingewiesen, dass
man diese Erscheinung zur Bestimmung der Dichte des
Erdkör]iers benutzen könnte.
1738 unternahmen Bouguer und la Condamine zum
ersten Male den Versuch am Chimborazo in Süd-Amerika,
ohne jedoch zu einem weitereu Ergebniss zu koinmen, als
dass ilas Lot durch den Berg wirklieh abgelenkt würde.
1774 wurden die Vei'suche erneuert von Hutton und Mas-
kelyne, welche sich für ihre Experimente den isolirteu
282
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 28
Berg Shehallien in Schottland auswälilten. Sie berechneten
den Inhalt des Berges und Hutton nahm die Dichte des-
selben anfangs zu 2,5 an, änderte diese Zahl jedoch
später in 3 um. Die beiden Forscher fanden, dass das
Lot durch den Berg um 5' j Secunden aus seiner Lage
gebracht wurde. Darnach ergab sich die Dichte der Erde
als 4,7; bei späteren Versuchen erhöhte Hutton diese Zahl
auf 5. Er hielt seine Methode für ganz vorzüglich und
wollte noch im späten Alter seine Messungen an einer der
altägyptischen Pyramiden wiederholen, kam jedoch nicht
mehr dazu.
Die Huttonsche Methode wurde in späteren Jahren
noch dreimal wiederliolt. Zunächst 1881 durch Play fair
und Lord Webb Seymour, welche wiederum den Sliahel-
lien zu ihren Versuchen benutzten, aber die Verschieden-
heit der Gesteine in Betracht zogen, aus denen der Berg
zusammengesetzt war. Aus ihren Untersuchungen er-
gab sich im einen Falle D = 4,55886, im anderen
D = 4,866997.
Zum zweiten Male wurde das Huttonsche Verfahren
wiederholt von James im Jahre 1856 am Berge Arthur's
Seat bei Edinburg, welcher D = 5,3 fand.
Schliesslich prüfte 1880 Mendenhall die Versuche
Huttons am Fusi y ama, einem vulcanischen Berge Japans
von kegelförmiger Gestalt und der Dichte 2,12. Menden-
hall erhielt D = 5,77.
Ein zweites Verfahren, die Dichte der Erde zu be-
stimmen, schlug nicht lange nach Hutton Cavendish ein,
indem er zu seinen Versuchen ein Instrument benutzte,
welches in der Physik unter dem Namen der Drehwaage *)
bekannt ist. Die Anziehung der beiden Kugeln an den
Endpunkten des horizontal liegenden Stabes durcli eine
oder zwei andere Kugeln spielt bei diesen Versuchen die
Hauptrolle.
Die Drehwaage wurde 1784 vom Physiker Coulomb
erfunden und in die Physik eingeführt, jedoch hatte schon
vorher Michell die Idee, mit Hilfe eines solchen Apparates
die Dichte der Erde zu bestimmen. Er construirte daher
1768 ein Instrument, welches durch mehrere Hände ging
und schliesslich von Cavendish vom 5. August 1797 bis
23. März 1798 zu seinen Versuchen benutzt wurde.
Im Ganzen machte er 17 Versuche und erhielt hierbei
29 Bestimmungen für die Dichte der Erde. Er fand im
Mittel D = 5,48. Im Laufe der Zeit wurden jedoch Fehler
in seiner Rechnung gefunden, und nach Laj)lace's Berech-
nung ergab sich I) = 4,761. Ferner nahm Hutton als
84jähriger Greis noch einmal eine Revision der Rechnung
vor und fand J) = 5,32. Nach längerer Zeit sah schliess-
lich E. Schmidt die Berechnung Cavendish's von neuem
durch und erhielt D = 5,52.
Die Methode Cavendish's hat unzweifelhaft grosse
Vortheile vor der Hutton's; denn einerseits braucht man
nicht die hypothetische Annahme über die Zusammen-
setzung und Gestaltung eines Berges zu machen, anderer-
seits aber kann man bei den Versuchen Kugeln der ver-
schiedenartigsten Metalle anwenden und uiuss doch über-
einstimmende Resultate erzielen.
Die Versuche Cavendish's wurden wiederholt von
Reich in Freiberg, welcher im Herbst 1835 mit den Vor-
bereitungen begann und seine Versuche im August 1837
beendete. Reich verwandte vor allen Dingen besondere
Sorgfalt darauf, jeden Luftzug von seinem Apparate fern
zu halten und experimentirte deshalb in einem leer-
stehenden Keller der Freiberger Bergakademie. Seine
Versuche unterscheiden sich nicht wesentlich von denen
*) Ich .setze die Einrichtung dieses Instrumentes wie auch
diejenige aller folgenden Apparate als bekannt voraus. Im
Uebrigen giebt jedes Lehrbuch der Physik über die Construction
derselben Aufschluss.
seines Vorgängers. Reich fand D = 5,43 ± 0,0233 und
unter Berücksichtigung der Centrifugalkraft der Erde
D = 5,44.
Gleichzeitig mit Reich, aber ohne dass beide von ein-
ander wussten, stellte Baily Versuche mit der Drch\v;iage
an, welch' letzteren Ajiparat er jedoch wesentlich ver-
änderte, indem er z. B. nicht nin- Kugeln eines Metalles,
sondern auch solche von Glas und Elfenbein etc. ver-
wandte. Er machte im Ganzen 2153 Experimente, welche
im Mittel ergaben D = .5,67.
Nicht lange nach den Versuchen Baily's unterzog
Reich im Jahre 1847 die Sache einer nochmaligen Prüfung,
indem er gleichzeitig seinen A])]tarat aus dem Keller in
ein leeres Zimmer brachte, da er die Fäulniss des um-
gebenden Mahagonikastens fürchtete. Gleichzeitig über-
zog er ihn auf Forbe's Rat rtiit einer Metallschicht.
Die neuen drei Reihen von Versuchen ergaben folgende
Resultate :
L Reihe /> = 5,5712 ± 0,0113
IL Reihe X>= 5,6173 db 0,0181
III. Reihe i» = 5,5910 ± 0,0169.
Aus allen Versuchen ergab sich im Mittel D := 5,5832
=b 0,0149.
Während einiger Jahrzehnte ruhten jetzt die Versuche
mit der Drehwaage, bis 1872 Cornu und Baille sich von
neuem daran machten, mit Hilfe dieses Apparates die
Dichte der Erde zu bestimmen. Sie achteten besonders
darauf, alle störenden Einflüsse in der Berechnung zu be-
rücksichtigen. Auch sie nahmen an der Drehwaage einige
Veränderungen vor.
Die beiden Forseher stellten zwei Reihen von Beob-
achtungen an und erzielten in der Zeit
vom Juli — August 1872 im Mittel . . D =^ 5,56,
in den Wiutermonaten 1872/73 im Mittel D = 5,50.
Eine dritte Methode, die angewandt worden ist, die
Dichte des Erdkörpers zu bestimmen, basirt auf der Wir-
kung, welche die Anziehungskraft der Erde auf die
Schwingung eines Pendels ausübt. Hierbei konnten
zwei Wege eingeschlagen werden, deren erster der fol-
gende ist:
Man nimmt zwei Pendel von gleicher Länge und
vergleicht ihre Schwingungen an der Erdoberfläche und
in sehr tiefen Bergwerken mit einander. Hieraus lässt
sich der Eiufluss des Theiles der Erde auf die Pendel-
schwingungen berechnen, welcher sieh zwischen beiden
Beobaehtungsstationen befindet. Dieser ist durch den
Bergbau in Bezug auf seine Masse und Dichte genau be-
kannt. Weiss man nun den Einfluss dieses Theiles der
Erde auf die Pendel, so kann man auch die Wirkung des
ganzen Erdkörpers auf dieselben finden und darnach die
Dichte der Erde berechnen; denn die Tiefe, bis zu welcher
wir in die Erde eindringen, ist im Verhältniss zum Erd-
radius so unendlich gering, dass wir diese kleine Strecke
mit Recht vernachlässigen können.
Der erste, welcher auf Grund dieser Beobachtungen
das Pendel zur Bestimmung der 1 tichte der Erde benutzte,
war Airy, welcher zusammen mit Whewell 1826 — 28 seine
Versuche in einem Kupferbergwerk in Coruwallis an-
stellte, indem er dabei einen Schacht von 1200 m Tiefe
benutzte. Die Untersuchungen waren höchst mühsam und
umständlich, und schliesslich fand das Unternehmen ein
vorläufiges klägliches Ende, als beim Hinaufschaften des
einen Pendels das Gehäuse durch Zufall Feuer fing und
das Pendel in den Schacht hinabstürzte und zerschellte.
Airy besorgte sich jedoch bald ein neues Instrument und
berechnete im Juli 1828 D = ungefähr 6. Seine Rechnung,
die höchst ungenau war, wurde von Houghton revidirt,
und es ergab sieh jetzt D = 5,480.
Nr. 28.
Natnrwisscnschaftliclic Wochenschrift.
283
1854 stellte Airy seine Versuciie von neuem an in der
1256' tiefen Grube llarton unweit South Shields. Er ver-
fuhr mit der gr(isstcn Genauigkeit und fand D = 6,566.
Neben Airy experinientirten andere Forscher ebenfalls
mit dem Pendel; so erhielt Drobisch in den Kohlengruben
von Dolcoatii in Cornwallis D = 5,43, Folie I) ="6,439,
von Sterneck zu Przibram am St. Adalbertsberge in
einem Falle /> = 6,28, im anderen D = b.O\.
Der zweite Weg, der bei den Untersuelningen mit
dem Pendel eingeschlagen werden kann, besteht darin,
dass man die Länge eines Pendels auf einem hohen
Berge misst und damit die füi' die gleiche Höhe über
dem IMceresspiegel theoretiscb berechnete Länge des
Instrumentes veri^leicht.
messenen und berec
durch
Die Differenz zwischen der ge-
ineten Län';e des Pendels ist bedingt
Ist die
die Anziehung der Masse des Berges.
letztere in Bezug auf ihr Volumen und ihre Dichte be-
kannt, so lässt sich die Dichte der Erde mit Hilfe dieser
Methode l)erechnen.
F. Carlini unternahm derartige Versuche auf dem
Mont Cenis und wurde dabei von Biot in Bordeaux unter-
stützt. Dieser l'hysikcr berechnete die Länge des Se-
kundenpendels auf dem Mont Cenis auf 993,498 m,
Carlini fand in Wirklichkeit aber eine Länge von
993,708. Hieraus ergab sich D = 4,39.
LS85 stellte Wilsing von neuem Versuche mit dem
Pendel an, bediente sich jedoch bei seinen Experimenten
des Eeversionspendels. Er wandte eine 1 m lange pris-
matische Stange von Eisenblech an, deren Enden mit
Bleikugeln von je 300 gr beschwert waren. Die Schneide
war in der Mitte der Stange angebracht und drehte sich
auf einem Achatlager. Wilsing erhielt /> ^ 5,594.
Einen neuen Weg zur Bestimmung der Dichte des
Erdkörpers schlug Jolly ein im Jahre 1878, indem er
die Waage zu Hilfe nahm. Er machte seine Versuche in
einem von drei Seiten freistehenden Thurme, in dessen
Mitte eine bis zur Spitze führende Wendeltreppe einen
Raum von 1,5 m Seitenmesser frei Hess. Cben war eine
Waage aufgestellt, deren Schalen über dem freien Raum
hingen. Von jeder derselben führte ein Draht nach
unten, geschützt durch eine Blechröhre; jeder Draht trug
wiederum eine Waage. Jolly wog nun zunächst einen
Körper auf der oberen und dann auf der unteren Waage
und konnte daraus die Anziehungskraft der Erde auf den
Körper berechnen. Dann brachte er unter die untere
Schale, auf die der zu wägende Körper gelegt wurde,
eine Bleikugel von bedeutendem Volumen. Aus der
Differenz, welche sieh im Gewichte des Körpers ergab,
jenachdem beim Wiegen die Bleikugel unter der Sehale
lag oder nicht, ergab sich die Anzieliungskraft der Blei-
kugel. Durch Vergleich der Attraction der Erde mit der
der Bleimasse fand Jolly leicht die Dichte der Erde; denn
es verhalten sich die Anziehungen zweier Körper wie die
Produete aus Dichte und Volumen, oder
«: A = dv : DV-
daraus folgt:
D =
Adv
Jolly fand I) = 5,692 ± 0,068. Spätere Versuche,
bei denen die Bleimasse durch andere Metalle ersetzt
wurde, ergaben dasselbe Resultat.
Denselben Weg wie Jolly schlug J. H. Poynting ein,
welcher aus 11 Versuchen im Mittel Z* == 5,69 fand, ein
Resultat, welches mit dem Jolly's fast völlig überein-
stimmt. Jedoch waren die Werthe, welche die einzelnen
Versuche ergaben, sehr ungleich und schwankten zwischen
4,4 und 7,1, so dass der mittlere Werth 5,69 doch mit
grossen wahrscheinlichen Fehlern verbunden ist.
Augenblicklieh werden noch ebensolche Versuche an-
gestellt von Kiinig und Richarz in den erdbedeckten
Kasematten Spandaus, welche ihnen das preussische
Kriegsministerium bereitwilligst zur Verfügung gestellt hat.
Die beiden Forscher wenden als anziehende Masse einen
Pdeiklotz von 100 000 kg an. Die Einrichtung ihres
-Vpparates unterscheidet sich etwas von dem ihrer Vor-
gänger, indem in der Mitte der horizontalen Oberfläche
der würfelförmigen Bleimasse eine Waage derartig an-
gebracht ist, dass ihre Schalen dicht über der Oberfläche
des Bleies schweben. Unter jeder Schale sind zwei
Rinnen durch den Klotz gebohrt, durch die Stangen nach
nuten führen, welche an ihren Enden dicht unter dem
Blei wiederum je eine Schale tragen.
Wie gesagt, sind die Versuche, obwohl sie schon
mehrere Jahre dauern, noch nicht zu Ende geführt, da
dieselben mit jeder nur möglichen Exaetheit vorgenommen
werden.
In allerneuster Zeit sind schliesslich noch Versuche
angestellt worden von Prof. Dr. 0. Tundirz, welcher die
Dichte der Erde aus der Schwerebeschlcunigung und der
Abplattung herleitet. Er findet in einer complicirteren
Berechnung, dass sich die mittlere Dichte der Erde zur
Dichte in der Oberfläehensehicht verhält wie 2,3383 : 1,
und die Dichte im Mittelpunkte zur Dichte in der Ober-
flächenschicht wie 4,3458 : 1. Ninnnt man nun die Dichte
der Oberflächenschicht zu 2,5, so erhält man
D im Mittelpunkte der Erde = 10,864
die mittlere Dichte der Erde = 5,846.
Nun sind aber die Zahlen für die Dichte im Mittel-
punkte und für die mittlere Dichte der Erde abhängig
von den Werthen r/^ und ^9,j, und so berechnet Tundirz,
wenn er die von Listing angegebenen Werthe für diese
Grössen setzt
D im Mittel]nmkte der Erde
12,929
die mittlere Dichte der Erde = 6,672.
Seit über P/.j Jahrhunderte sind, wie wir gesehen
haben, die tüchtigsten Physiker damit beschäftigt ge-
wesen, die Dichte der Erde zu bestimmen und hai)en zu
ihren Untersuchungen die verschiedensten Instrumente
verwandt. Trotzdem weichen fast alle Resultate mehr
oder weniger von einander ab, und es blieb nichts anderes
übrig, als sich dazu zu entschliessen, eine Durchschnitts-
zahl als die wahrscheinlichste anzunehmen. Zu dieser
Zahl ist das von Cornu und Beille gewonnene Resultat
l) = 5,56 ersehen worden.
Die so für die Dichte der Erde gefundene Zahl ist
von der höchsten Bedeutung. Betrachten wir nämlich die
die Erdrinde zusammensetzenden Gesteine, so sehen wir,
dass sie sämmtlich eine viel geringere Dichte besitzen,
als das Erdinnere selbst. So haben die Sedimentgesteine
im Durchschnitte eine Dichte von 2,6, Granit von 2,7,
Basalt von 3 etc. A'erglcichen wir diese Zahlen mit dem
gewonnenen Resultat der Erddichte, so ergiebt sich leicht
der Schluss, dass im Inneren der Erde Gesteine von
grösserer Dichte vorhanden sein müssen, als diejenigen,
welche die Erdrinde zusammensetzen.
Eine wesentliche Stütze hat diese Annahme gefunden
durch das Vorkommen meteorischer Eisenmassen und
durch den Fund gediegenen Eisens auf der Insel Disko
an der grönländischen Küste durch Nordenskjiild Es
kann somit gar keinem Zweifel unterliegen, dass wir
völlig berechtigt sind, das Innere der Erde uns mit
sjiecifisch schweren Gesteinen erfüllt zu denken, und Brci.'^-
lach war daher vielleicht nicht ganz im Unrecht, wenn
er sich das Erdinnere aus festem Magneteisen bestehend
vorstellte, dessen Dichte bekanntlich 5,5 bis 5,6 beträgt.
284
Naturwisseuschaftliche Wochenschrift.
Nr. 28.
Laubblatt von Ficus religiosa
(in j nat. Grösse) mit langer,
säbelförmig gekrümmter Träu-
felspitze.
lieber die Beziehung zwisclieu dem Regenfall
und der Gestalt der Laubhlätter hat E. Stahl („Regen-
fall und Blattgestalt" in Ann. du Jard. Bot. de Buiten-
zorg- Vol. XI, 1893) eine interessante Arbeit geliefert.
Die Tropenpflanzen müssen in ihrem Baue den ge-
wahigen und zur Regenzeit mit grosser Regelmässigkeit
wiederkehrenden Niederschlägen Rechnung tragen. Zuerst
macht Stahl auf die mehr oder minder oft merkwürdig lang
ansgezogene Blattspitze vieler Tropenpflanzen aufmerksam,
die er als Träufelspitze bezeichnet, (vgl. die Figur), da sie
der Ableitung des Regen wassers derartig fördeilich ist, dass
das Laubdach in kürzester Frist nach einem Regenfall ent-
wässert erscheint, während bei der grossen Mehrzahl unserer
heimischen Gehölze, die weniger vollkommene Einrichtungen
zur Ableitung des Wassers be-
sitzen, sich noch lange nach
dem Regen zahlreiche Tropfen
abschütteln lassen. Unterstützt
wird die schnelle Ableitung
des Wassers durch die hoch-
gradige Benetzbarkeit der Blatt-
oberseiten der Tropenpflanzen.
Träufelspitzcn fehlen Blättern
resp. Blättchen ganz oder fast
ganz, wenn diese Variations-
bewegungen ausfuhren , und
zwar derartige, dass die Blätt-
chen in Schlafstellung aufwärts
oder vorwärts gerichtet sind.
Bei diesen trifft der Regen
schräg auf die Flächen, die bei
ihrer eigenthümlichen Stellung
nicht ne\e Wassertropfen au
sich behalten können. Umge-
kehrt wie an den Blättern mit Träufelspitzen findet die
Ableitung des Wassers bei spitzenlosen Blättern im all-
gemeinen in der Richtung nach der Ansatzstelle derselben
zu statt, so dass also hier, bei vorhandenem Blattstiel,
dieser als Ableitungsorgan dient.
Dass die Träufelspitzen in der That vorzüglich ge-
eignet sind, die Laubblätter zu entwässern, lässt sich
leicht experimentell feststellen, wenn man mit Wasser
benetzte, ganz gelassene Blätter mit ebenfalls benetzten,
aber ihrer Tränfeispitzen künstlicii beraubten Blättern ver-
gleicht, bei denen vermittelst der Scheere an Stelle der
Träufelspitzen abgerundete Enden geschaffen werden. Die
Entwässerung so behandelter Blätter von Justicia picta
dauerte etwa 3 mal länger, als die der unversehrt gelassenen
Blätter. Dasselbe Experiment mit Blättern von Coffea
arabica zeigte die Entwässerung des unversehrten Blattes
nach V4 Stunde, während bei dem in der genannten Weise
. beschädigten Blatt dasselbe Resultat erst nach 2 Stunden
eintrat u. s. w.
Je länger die Träufelspitze ist, um so mehr rückt der
hängende Tropfen natürlich von der eigentlichen Spreite
weg und diese wird daher weniger leicht von dem vom
Tropfen aus capillar aufsteigenden Wasser benetzt bleiben.
Bei einer säbelförmigen Krümmung der Träufelspitze,
wie in dem hier abgebildeten Fall, geht die Trocken-
legung — wie wiederum das Experiment zeigt — schneller
von statten, als bei gerader Spitze.
Bilden die Nerven auf der Blattobcrseite Rinnen, so
bewegt sich das Wasser fast ausschliesslich in diesen, die
sich häufig durch grössere Benetzbarkeit von der übrigen
Blattfläche auszeichnen. Der Verlauf der Nerven steht
in diesen Fällen häufig in Beziehung zu der Drainirung
der Blattfläche, indem die Ilauptnerven bogenförmig nach
der Träufelspitze convergircn, ein Typus, der den Ge-
hölzen der gemässigten Zone fehlt.
Die „Sammetblätter", also die Blätter einer Anzahl
tropischer Arten mit papillös sanmietiger Oberfläche be-
sitzen eine nach Benetzung rasch wieder trocken werdende
Blattoberseite, da das Wasser durch die eapillare Aus-
l)reitung zwischen den Papillen bald eine äusserst dünne
Schicht bildet, die sehr leicht verdunstet. Die Sammet-
blätter sind also einer raschen Trockenlegung angepasst.
Bei starken Güssen träufelt der Ueberschuss von der Spitze
ab und es bleibt eine minimal dünne Wasserschicht übrig,
die schnell verdampft ist.
Die schon angedeutete Correlation zwischen leichter
Benetzbarkeit der Blattoberfläehe und dem Vorhandensein
einer Träufelspitze wird in interessanter Weise bestätigt
durch die Thatsache, dass bei Blättern, deren Oberfläche
nicht benetzbar ist, die freilich in den feuchten Tropen-
Wäldern selten sind, die Träufelspitzen fehlen. Wir wollen
als Beispiel nur die beiden allbekannten Arten Irapatiens
noli tangere und Impaticns parviflora erwähnen, von denen
die erstcre durch ihre blau bereiften, stumpfen Blätter in
schroffem Gegensatz zu der spitzblättrigen, benetzbaren
zweitgenannten Art steht. Bei den nicht benetzbaren, oft
weiss oder blau „bereiften" Blättern rollt das Wasser ein-
fach ab.
Bei der Beurtheilung der Bedeutung der Entwässerung
für die Blattfläche konmit zunächst in Betracht die Ent-
lastung des Blattwerks. Die Zweige und der Stamm eines
Baumes, von dessen sämmtliehen Blättern die Träufelspitze
entfernt würde, müssten natürlich nach den obenerwähnten
Experimenten beim Regen und nach demselben eine wesent-
lich grössere Last tragen, als bei dem Vorhandensein der
Spitzen, so dass dann unter Umständen eine Ueberlastung
eintreten könnte. Dieselbe ist um so weniger zu unter-
schätzen, als auch unter natürlichen Verhältnissen nach jedem
anhaltenden Guss zahlreiche Blätter und Zweige zum Opfer
fallen, auch wenn dabei voUkonmiene Windstille herrscht.
— Die Leitung des vom Blattwerk aufgefangenen Wassers
zu den Wurzeln ist ebenfalls in Betracht zu ziehen, be-
sondere Anpassungen dürften aber nach Stahl in dieser
Richtung nicht zur Ausbildung gelaugt sein. — Ferner ist
ist die durch schnelle Ableitungsvorrichtungcn erleichterte
Reinigung der Blattoberseite, z. B. von l'ilzsporen und
blattbewohnenden Bryophyteu, Algen und Flechten, nicht
ausser Acht zu lassen. In der That sind die träufel-
spitzenlosen Blätter, die auf der Oberseite glatt und eben
sind, besonders reich an Epiphyten. — Dass endlich die
schnelle Wasserableitung der Transpirationsthätigkeit zu
statten kommt, ist leicht einzusehen, da eine Wasserdampf-
abgalie durch die Spalt(iffnungen wesentlich beeinträchtigt
werden muss, wenn das Blatt von Wasser benetzt, durch
Verdampfung die Temperatur des Blattes herabgesetzt und
ausserdem die Atmosphäre in der Umgebung des Blattes
mit AVasserdampf geschwängert ist. Ob freilich eine Corre-
lation zwischen Wasserableitung und Transpiration in dem
erwähnten Sinne vorhanden ist, dürfte auf Grund der G.
Haberlandt'schen Untersuchungen (vgl. „Naturw. Woclien-
schr." VIII, S. 179) zweifelhaft sein, da auch die Tropen-
j)flanzen die Transpirationsgrösse durch besondere Vor-
richtungen herabzudrüeken streben. Nach Haberlandt ist
die Transpiration keineswegs „eine hauptsächliche Be-
dingung der Aufnahme mineralischer Nährstoffe".
Die Träufelspitze ist ein charakteristisches Merkmal
der Pflanzen regenreicher Klimate, während sie an luft-
trockenen Orten, z. B. auf Berggipfeln, selten vorkonnnt.
Auch bei Pflanzen gemässigter Klimate kommen Träufel-
spitzen vor, und zwar auch hier an den Arten der feuch-
testen Standorte. Acer platanoides mit seinen spitzlappigen
Blättern kommt wild nur in feuchteren Gebirgslagen, Acer
campestre mit meist stumpflappigen Blättern in Ebenen
und hügeligen Gegenden des mittleren und südlichen
Nr. 2S.
Natnr\visscuscli;if"tliclie Woclieiischriri.
•2«f)
lüiiiipa vor. Ja man kann au ein und derselben Ai't
(/,. 1j. hei der Buche) beobaeliten, dass die Blätter niclir
oder minder weit voryezog-enc Träufelspitzcn entwickeln,
je nachdem die zuc:eliörigcii Bäume an trockeneren oder
feuchteren ()rten stehen.
Im Hinblick auf die Gewalt der tropischen Güsse
entwickelt die Pflanze oft Hän,2:eblättcr und Hängezweig-e,
die sich erst nach vollendeter Entwickcliin^ enip(nrichten,
zu welchem Zwecke die Häni^cblätter an ihrem Grunde
Polster besitzen. Wenn auch nicht so auffallend wie in
den Tropen, so kommen doch Hängeblätter auch bei
Holzgewächsen der gemässigten Zone vor. Wir erinnern
nur an Aesculus Ilippocastanum mit in ihrer Jugend hän-
genden Blättchen.
Die Hängelage hält Stahl für eine Schutzvorrichtung
der jugendliehen, nocii zarten Theile gegen den Anprall
der schweren tropischen Regentro])fen, die das noch un-
feste (iewebe bei schrägem Auftretfen natürlich mechanisch
weit weniger angreifen, als bei verticalem oder fast ver-
ticalem Aufschlag, wie er die fertig entwickelten Blätter
tritt't. p]s ist dabei zu beachten, dass die schweren Ge-
witterregen in den Tropen meist bei sehr luhiger Luft
stattfinden.
Es giebt auch Arten mit permanenten Hängeblättern,
wie gewisse grossblättrige Araccen, bei denen wohl die
hängende Lage gewählt ist, weil grosse Blätter leichter
mehr oder minder zerschlagen werden als kleinere.
Auch die umgewendeten Blätter (z. B. von Alstroe-
mcria) bringt Stahl in Zusammenhang mit dem Regen-
schiag, der in seiner Wirkung durch die Torsionen der
Basalthcile der umgewendeten Blätter geschwächt wird.
Dass Regenfall und Blattgestalt in noch weiterem
Zusammenhang stehen, ist nicht zu verkennen: man brauclit
nur darauf aufmerksam gemacht zu werden. — Die starken
Biegungen und Schwankungen der senkrecht zur Blatt-
fläche getroft'enen Theile erläutert die Bedeutung von
Spreitentheilungen: Zerthcilung der Spreite bei Philoden-
dron-Arten in Lamellen, die sich euizeln biegen und wieder
aufrichten können, ist ein einfaches Mittel, dem Anprall
ohne Gefahr der Spreitenzerreissung zu begegnen.
Die dem Anschein nach unzweckniässig dünkende
Structur des Musaeeenblattrandes, welche das Einreisscn
erniiiglicht und bei Hclieonia sogar V()rl)ereitet, crgiel)t
sieh bei genauerer Berücksichtigung der Umstände als
vortiieilhaft für die P^xistenz des gesammten Blattes, ja
der ganzen Pflanze. Durch die Zersehlitzung der Spreite
in einzelne Streifen, welche übrigens noch lange das Ge-
schäft der Assimilation Iiesorgen, wird dem auffallenden
Regen und dem Winde ein geringerer Widerstand ge-
boten und somit dem Altbrechen des ganzen Blattes vor-
gebeugt. Die Zersehlitzbarkeit ist ein nützliches Correctiv
der bei der saftigen Beschaffenheit der ganzen Pflanze
übermässig grossen Spreitenausdehnung.
Bei den Palmen sind die der Anlage nach einfachen
Spreiten schon beim Austritt aus der Knospenlage zer-
schlitzt. Was bei den Mu.sacccn in roher, unvollkommener
Weise gewissermaassen dem Zufall, das heisst den directen
Einflüssen von Regen und Wind überlassen ist, wird hier
im normalen Entwickelungsgang des Blattes durch eigen-
thümliche Wachsthums- und Differenzirungsvorgänge her-
gestellt; die Thcilungen der Spreite entstehen durch Auf-
lösung und Zerrcissung der an den Falten des jugend-
lichen Blattes liegenden Gewebepartien. Auch bei vielen
Araceen mit getheiiter Blattspreite (Philodendnm, .^lonstera,
Pothos u. s. w.) wird das ursprünglich einfache Blatt erst
später in die einzelnen Abschnitte zerrissen, während l)ei
anderen Formen (Anthurium, Sauromatum, Amorphophallus
u. s. w.) die Lappen oder Fiedern nicht durch Zerrcissung,
sondern als Ausgliederungeu der jungen, zunächst ein-
fachen Spreite entstehen. Die hier vorkommende, echte
Verzweigung, die ohne Zweifel die höchste Stufe der Ent-
stehungsarten getheiiter Spreiten darstellt, ist wie bekannt
bei Farnen und Dicotvledonen mit gegliederter Blatt-
spreite allgemein verbreitete Regel.
Die Zerthcilung der Blattspreite in mehr oder weniger
von einander unabhängige Lamellen bringt den Vortheil,
dass, bei im übrigen gleicher Structur und gleicher Ge-
sammtoberfläche, die Spreiten schwächer gebaut sein
können, als wenn sie ganz sind. Hieraus ergiebt sich,
dass die Herstellung einer gegen Regen und Wind gleich
resistenten, getheilten Spreite einen geringeren .Material-
aufwand erheischt, als die einer einfachen ungetheilten.
Die \'erschiedenartigkcit der Gestalt der Laubblätter
(Heterophylliei mancher Monocotyledoncn und epiphyten
Farne erklärt sich ebenfalls aus der Beziehung zum Regen-
fall: ]\Iit der expi>nirteren Lage der Blätter geht die
Spreitentheilung Hand in Hand. Die beim kriechenden
Stengel für die Wurzelprotection geeignete, einfache Spreite
wird durch die andere, dem Regenfall besser angepasste
und der exponirteren Lage überhaupt besser entsprechende
Blattform — das Fiederblatt — ersetzt.
Der zweizeilig beblätterte Stengel von Pothos aurea
z. B. wächst anfangs, gleich dem Epheu, Baumstämmen
eng angeschmiegt, em}ior, um sich erst später vom Sub-
strate abzuwenden. So lange der Stamm sich im kriechen-
den Stadium befindet, entwickelt er fast sitzende, einfache,
ganzrandigc .Mantelblätter, welche die aus dem platten
Stengel entspringenden Wurzeln wie auch die Unterlage
feucht halten. Sobald sich der Stengel vom Substrat ab-
hebt, bilden die Blätter einen längeren Blattstiel aus und
die ebenfalls grösser gewordene Spreite löst sich in ein-
zelne, an der starken Mittelrippe sitzende Fiedern auf.
Bei einem Vergleich von Arten ein und derselben
Dicotylen Gattung fällt oft — mit Rüeksieiit auf die Wir-
kung des Regenfalls nunmehr erklärlich — auf, dass gross-
blättrige Arten in vielen Fällen ihre Spreite, vorausgesetzt,
dass sie nicht durch besonders derbe Beschaffenheit aus-
gezeichnet ist, durch mehr oder weniger weit gehende
Theilung widerstandsfähiger gestalten, während kleinere
Spreiten dagegen häufig einfach sind, ^'on europäischen
Formen sind besonders die Pappeln erwähnenswerth. Die
grössten Blattei', die an jüngeren und üppigen Trieben
oft bis 13 cm lang und 12 cm breit werden, besitzt Poitulus
alba. Hier sind auch die Einschnitte des Blattrandes am
tiefsten, die Spreite nicht selten drei- bis fünflappig, wäh-
rend dieselbe bei Populus tremula und P. nigra, deren
Blätter immer nur geringere Dimensionen erreichen, nie-
mals so weit getheilt, höchstens mit Randkerben oder
Zähnen versehen ist.
Die Blattspreiten gewisser tropischer Formen zeichnen
sieh gegenüber eur(i]iäisehen (gleicher Gattungen), welche
breiter als lang sind, durch ihre die Breite um das zwei-
bis dreifache übertreffende Länge aus.
In beiden Fällen wird dasselbe Resultat erreicht,
nändich die Herstellung elastischer, dem Regen nach-
giebiger Lamellen. In beiden Fällen sind die Einrich-
tungen derart, dass das Verhältniss des Spreitcnunifanges
zum Flächeninhalt ein relativ grosses wird.
Bei sehr zahlreichen dicotylen Ki-äutern mit von ein-
ander abweichend gestalteten (Jrund- und Steiigelblättern
zeichnen sich die letzteren den er.steren gegcnülier da-
durch aus, dass sie entweder durch ihre Gestalt oder
durch ihre Stellung besser gegen die vom Platzregen
drohenden Gefahren geschützt sind.
Stahl unterscheidet folgende Fälle:
1. Aufrechte Stellung der Stengelblätter bei im we-
sentlichen gleich bleibendem Blattnmriss.
286
Naturwissensehaftlicbe Wochenschrift.
Nr. 28.
2. Spfeiteintheihing: weiter durcbg'cführt andenStengel-
bliittern als an den Grnndl)lättern, oder wenn die Thei-
hing bei beiderlei Blättern vorbanden ist, so sind die
Blattabscbnitte an den Stengelblättern schmäler als an
den Grundblättern.
3. Stengelblätter den Grundblättern gegenüber bedeu-
tend verschmälert, also mit relativ längerer Spreite.
Hinsichtlich der Nervatur ist zu crwälnien, dass mit
der Verbreiterung zusanimenhängendcr Assin diationsfläeben,
seien dieselben ganze Blattspreiten oder nur Spreiten-
abschnitte, häufig eine andere Ausbildung der Beri]»pung
Hand in Hand geht. Die z. B. hei der grossen Mehrzahl
der Farne, vorbereitete getrenntläufige Nervatur wird näm-
lich l)ei Formen aus verschiedenen Verwandtschaftskreisen
durch netzförmige Aderung ersetzt, und zwar besonders
bei Arten mit grossen, einfachen, gela])pten oder grob-
fiederigen Blättern. Es leuchtet ein, dass dadurch die
Siireiten eine festere Beschaifenheit erhalten und nament-
lich, auch bei sonst zailcrem Bau, gegen Zcrschlitzung
besser geschützt sind.
Durch die Arbeit Stahl's wird in intensiverer Weise,
als das bisher geschehen war, der Schleier gelüftet, der
die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der
nianuiehfaltigen Blatt - Formen und -Eigenthünilichlveiten
verhüllte. Einzelnes haben schon frühere Autoren (z. B.
Jungner, Kny) erkannt, aber in so zusammenhängender
Weise wie von Stahl ist das Thema noch nicht behan-
delt worden. Die Anregung zu der Arbeit empfing er
durch seine bei einem niehrmonatlichcn Aufenthalt auf
Java gemachten Beobachtungen, x. P.
Ueber die pelagische Flora des Naalsocfjords
(Faroer) und über diejenige des D.vrefjords (Island)
berichtet G. Po uchct in zwei Mittheilungen in den Comptes
Rendus de l'Ac. des Sc. 18'J2, Bd. 114!
Der Verfasser hat sich im August 1890 auf den Farocr
und während des Juli und August 1891 auf Island auf-
gehalten und eingehende Untersuchungen der mittels fein-
maschiger Netze gefischten Meercsproducte angestellt,
deren Ergebnisse er in den beiden Abhandlungen kurz
darstellt. — Der Naalsoefjord trennt die Inseln Thorshaven
und Naalsoe und wird beim Wechsel von Ebbe und Fluth
von einer starken Strömung durchflössen. Das in ihm
enthaltene Leben ist dasjenige der benachbarten Theile
des Oeeans. Sein Wasser ist grün und enthält vorwiegend
Vegetabilien, deren gelbe Farbe im Verein nnt der blauen
des Meeres dieses grün eischeinen lässt. An der Luft
sterben diese pflanzlichen Körperchen schnell ab und
färben sich dann grün. Die Vertreter des Thierreiches
(Copepoden, Embryonen und Larven von Mollusken,
Eehinodermen, Anneliden, Tunicaten, Bryozoen) treten
gegen die ersten zurück. Nimmt man eine annähernd
gleiche Vertheilung der lebenden Substanz für den ganzen
Fjord an, so erhält man für diesen (pro Cbni. vier Cbcm.
lebende Subst.) 6000 Tonnen, was mit der mittleren Plank-
ton-Masse des Atlantischen Oeeans gut übereinstimmt.
Von Algen herrschen vor Rhizosolenia, Diatomeen, Peri-
dineen; häufig ist Gynniodinium pseudonoctiluca, Pouchet
und Tetraspora Poucheti, Hariot, welche letztere Ver-
fasser schon 1882 aus Lappland mitgebracht hatte. Her-
vorzuheben ist, dass im Naalsoefjord die mikroskopische
Flora und Fauna des Wassers sehr eonstant ist, wogegen
sie in der Bai von Concarneau an der französischen Küste
beinaiie täglich stark variirt.
Das Leben in den Gewässern des Dyrefjords ist trotz
ihrer grünen Farbe ein vorwiegend animalisches, und die
Menge der lebenden Substanz beträgt pro 1 Cbm. 1 Cbcm.,
was für den ganzen Fjord 2000 Tonnen ergicbt. Am
häufigsten ist eine Rotifere, Synchaeta pectinata, Ehrbg.,
die in ganz ungeheuren Mengen vorkommt, während Cope-
poden, Larven von Aseidien, Eehinodermen, Mollusken,
Würmern etc. zurücktreten. Die Flora besteht der Haupt-
sache nach aus Peridineen; Gymnodinium pseudonoctiluca
wurde nicht beobachtet. Auch hier zeigte sieh, wenn
auch weniger als im Naalsoetjord, Flora und Fauna sehr
e(nistant. Das pelagisehe Leben des Dyrefjords, Naalsoc-
fjords und der Bai von Concarneau stellt drei wohl ver-
schiedene Typen dar.
Diprotodon - Skelette. — Professor Stirling in
Adelaide hat der Zo(dogical Society of London mit-
getbeilt, dass in Süd-Au"stralien eine grössere Anzahl
von vollständigen Skeletten jenes wombatähnliehen Riesen-
beuteithiers, welches unter dem Namen „Diprotodon" von
Owen beschrieben wurde, aufgefunden worden sind. Man
kannte von diesen gewaltigen Pflanzenfressern, welche
die Grösse eines Rhinoceros erreichten, bisher nur Theile
der Gliedmaassen, das Rumpfskelctt und den Sebädel.
Nunmehr scheint Aussicht vorbanden zu sein, dass durch
Untersuchung der bisher unbekannten Skeletttbeilc über
die systematische Stellung von Diprotodon grössere Klar-
heit geschaffen wird. Matschie.
Der Lepliay-Conipass. — Das Märzheft der „Marine-
Rundschau" Itriiigt ül)er diesen Compass eine kurze Mit-
theilung, die auch unsere Leser interessiren wird. Der
Erfinder dieses Compass „ä reperes lumineux", der fran-
zösische Marinclieutenant Lephay, hat es durch eine ge-
schickte Combinatiou von Linsen und Spiegeln zu Stande
gebracht, von der Compasslampe aus einen senkrechten
Lichtstreifen auf die innere Seite des Compassgehäuses,
zwischen Rose und Glas, zu werfen. Dieser Streifen, der
übri^•ens auf jeden Punct der Peripherie eingestellt werden
kann, bildet für die Dauer der Einstellung eine feste
Linie, die zu der Kiellinie in einem bestimmten Verhält-
nisse'steht. Sie lässt sich daher verwenden, um den Kurs
des Schiffes zu bezeichnen. Durch eine zweite Conibination
von Linsen und Spiegeln über dem Mittelpunkt der C(nn-
passrose wird ein zweiter Lichtstreifen auf das Innere
des Compassgehäuses projicirt. Dieser Strahl wandert,
wenn der Apparat richtig eingestellt ist, in gleichem Sinne
wie die Rose. Um den Kurs zu steuern, hat der Mann am
Ruder nur nöthig, die beiden Lichtstreifen in Eins zu
halten, während "es Sache des Navigationsoffiziers ist,
den Kurs so einzustellen, dass die beiden Linien zu-
sammenfallen, wenn das Schiff richtig anliegt. Die Vor-
theile, welche sich aus der Anwendung dieser neuen Er-
findung ergeben, sind mehrfache. Zunächst wird der
Mann am Ruder weniger angespannt als jetzt; dann
werden sich Abweichungen vom richtigen Kurse weit
leichter bemerkbar machen, da die Lichtstrahlen einen
grösseren Radius haben, als die Compassrose, aus welchem
Grunde jene Abweichungen auch schon viel leichter zu
vermeiden sind. Durch die Abbiendung des Lichtes der
Compasslampe werden ferner die auf der Brücke befind-
lichen Personen nicht im Sehen bei Dunkelheit gehindert;
und endlich, was von grösster Wichtigkeit erscheint, es
wird jede Gefahr ausgeschlossen, dass der Mann am
Ruder die Befehle für das Steuern falsch versteht, da seme
Thätigkeit eine rein mechanische ist.
Der Lephay -Compass war zunächst versuchsweise
auf dem Panzerschiff „Hoche'- zur Verwendung gekonnnen.
Die zur Prüfung des Instrumentes eingesetzte Connnission
hat sich auf Grund der auf dem „Hoche" erlangten Er-
gebnisse dahin ausi;esprochen, dass es sehr zu eini)tehlen
sei, die Lephay 'sehe Einrichtung auf allen grossen Kriegs-
schift'eu der französischen Marine anzunehmen.
Nr. 28.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
2R7
Die Ueberschätzuiig der Neigung bei Böschungen.
Der auf der beigegebeuen Tafel ausgeführten Zusammen-
stellung liegt die Absicht zu Grunde, einer Täuschung
entgegenzuarlteiten, welcher unser Auge oft unterliegt.
Diese Täuschung ist die üeberschätzung der Neigung von
Büschungcn. Allgemein bekannt i.st dieser Irrtlunn im
Sinne einer Uebertreibung, wenn der Beobachter vor einem
Abhänge steht und ihn auf sein Fallen oder sein Steigen
zu schätzen bat. Die schwach ansteigende Strasse wird
zum senkrecht emporgerichteten Streifen, wenn man direct
vor ihr steht, und ebenso glauben wir von einem erha-
benen Punkte aus die umgebende Landschaft direct unter
uns landkartenartig zu sehen. Jene Aufgabe, welche an
vielen Punkten, wo den Fuss eines Abhangs ein Fluss
halben Rechten bleiben, so dass also (um dies an eiuein
Beispiel in das Praktische zu übersetzen) bei jeder noch
so kühnen Bergbesteigung die Verschieliung in horizon-
taler Riehtimg die weitaus grossartigere Leistuni;- liildct
gegenüber der Erhebung in vertikaler Riebtnng.
Noch sei auf eine (iptisehe Täuscliinig, der man lieini
Anschauen der Tafel leicht unterliegt, aurmerksam gemacht.
Die mit den Schenkeln der Neigungswinkel voll^-ezogcne
untere Hälfte des rechten A\'inkels wird für grösser ge-
halten werden, als die signalfreie obere Hälfte, ähnlich
wie von zwei gleich langen Linien diejenige für die
grössere geiialten wii'd, die durcli kleine senkrechte
Striche getheilt wurde: das iMv Länge der Linie schätzend
i durchlaul'emle Auge l)leibt gleiebsani hängen an den Sig-
U)ii"„ Halber rechtiT Winkel.
SO'Vo Kaum besteigliarer Abhang
Max. <ler Seilbahnen (Vesuv).
Saniiipl'adc (Manlt liiere).
^' .Kaum besteii^bare Steinplatten.
-<- Max- der Zahnradbahnen (Pilatus).
Max. der F.ahr.strasseu für P^dirwerk.
Je, Ma\. iler Zahnradbahn Stiiltt;arl -l>egerloeh.
Max. der Simplon-Strasse.
...„/ Max. der Uetli-Beri^-r.ahn.
^" Max. der VuUeisenbahnen.
-< Deutliche bemerkbare Neigung.
oder See bespült, dem Besucher gestellt wird : mit einem
Steine in das Wasser zu treft'en, wird wohl regelmässig
erst nach dem Versuche als unh'isbar erkannt. Das Auge
überschätzt eben die Böschung und unterschätzt damit
die horitzontale Entfernung des Ufers vom Standpunkte
des Beobachters.
Aber auch bei Schätzungen der Winkel im Profil ver-
lässt uns des Auges Sicherheit.
Hier auf unser Auge corrigirend und erziehend ein-
zuwirken, ist der Zweck der beifolgenden Zusammen-
stellung. Der erste Eindruck beim Anschauen der Tafel
ist wohl sicher für alle unvorbereiteten und ungesehulten
Beobachter der einer P^nttäusehung ob der Kleinheit der dar-
gestellten Winkel. Sind doch von allen Neigungswinkeln,
welche natürliche Abhänge oder technische Anlagen dar-
bieten, die kleineren bis zum Drittel des rechten Winkels
(30°) die weitaus häufigsten. Darüber hinaus wird z. B.
die Grenze aller Besteigbarkeit (soweit dieselbe durch
Reibung der Fusssohle mit dem Boden bedingt wird) rasch
erreicht (38°); bei noch grösserem Winkel tritt die Leiter
in ihre Rechte. Es ist ferner bemerkenswerth, dass alle
auf der Tafel zusammengestellten Winkel unter dem
nalcn, während es die ungetheilte Linie rascher durch-
läuft und dadurch den Weg einmal ülier-, das andere
Mal unterschätzt, und wäre es nicht nniglich, wenigstens
zum Theil, den Grund der Üeberschätzung der Fallwinkel
in der Natur in ähnlichen Verhältnissen zu finden, auf
eine ähnliche optische Täuschung zurückzuführen? Zwischen
dem die Neigung eines Berges schätzenden Auge und dem
Berge liegt meist eine signalreiehe Landschaft, an deren
Einzelheiten das zur Spitze des Berges sich erhebende
Auge haftet, während über dem Berge, wie auf unserer
Tafel, sich ein von Signalen freier, oder doch an solchen,
armer Himmel erstreckt. Immerhin bin ich aber geneigt,
in dieser optischen Täuschung nur eine Ursache der Üeber-
schätzung zu suchen: eine andere liegt gewiss in der
namentlich von unsern Schulatlanten bis ins Abenteuer-
liche gesteigerten Unsitte, Berge auf Höhenkarten, geolo-
gische Profile etc. mit zur Länge stark übertriebenem
Höhemnaassstab zur Darstellung zu bringen.*) —
Zur Messung der Böschung geneigter Terrainstrecken
*) Wir haben uns schon früher wiederholt geg-on diese ITn-
sitte jieäussert. Vcrgl. „Naturw. Wochenschr." Bd. I, S. 170 und
Bd. III, S. 73. Kod.
288
Natuvwisscnseliaftlichc Wochenschrift.
Nr. 28.
dient entweder der Neigungswinkel oder der Neigungs-
quotient (Brucii, dessen Zähler = 1, dessen Nenner die
Cotangente des Neigungswinkels ist, oft auch in der Form
1 : dem Wert des Nenners angegeben) oder endlich die
Angabe der Neigung (Steigung) in Proeenten.
Zimi Vergleich sind in der folgenden Tabelle die in
die Tafel eingezeichneten Neigungen der Böschungen in
diesen drei Bezeichnungsarten zusannnengestellt:
Winkel 1 : pCt.
Deutlicli bomerkbare Neigung . . . 0°20' 172 0,(5
Maximum für Volleisenbabnen ... "2° 17' 25 4
„ der Uetlibergbiihn (Adhilsions-
bahii) 4° 0' 14 7
, der Simplon.strasso .... 5°4o 10 10
„ der Zahnradbalin Stiittgart-
Degerloch ...... y°46' 5,8 17,2
„ der Fahrstrasson für Fulir-
werke 13° 0' 4,33 23
„ der Zahnbahn auf den Pilatus 25°40' 2,1 48
Kaum besteigbare Steinplatten (oder
Neigung einer Treppe mit Stufen halb
so hoch als breit) 26°34' 2 50
Saumpfade (für bepackte Maulthiere) . 29° 0' 1,8 55
Ma.vimum der Seilbahnen (Vesuv) . . 32° C 1,6 63
Kaum besteigbarer Abhang .... 38°40' 1,25 80
Halber rechter Winkel 45° 0' 1 100
Auf der Tafel sind die Flnssläufe wegen der Klein-
heit des Neigungswinkels nicht einzuzeichnen. So fällt
der Rhein:
von der Vereinigung der beiden
(iuellHüsse bis zum Bodensee . 191 m auf 102 km Länge
Konstanz bis Basel 151 „ „ 167 „ „
Basel bis Mainz 163 „ „ 331 „ „
Mainz bis zur deutschen Grenze . 72 „ „ 357 „ „
Dies ergiubt in der oben gewählten dreifachen Ausdrucksweise:
Winkel 1 : pCt.
QuellHüsse bis Bodensee 0°(;,5' 534 0,18
Konstanz bis Basel 0°3,0' llOG 0,09
Basel bis Mainz 0°1,5' 2031 0,05
Mainz bis Grenze 0°0,7' 4960 0,02
Prof. Dr. Nies.
Zur Scliiieidemühler Bruiineii-Kalamitüt. — Vor
einigen Wochen konnte man in vielen Tageszeitungen
lesen, dass der grosse See bei Neu-Stettin seit der — An-
fang Mai d. J. erfolgten — Erschliessung der artesischen
Quelle in der Kleinen Kirchstrasse zu Schneidcmühl um
mehrere Meter gefallen sei. Diese Angabe ist, wie seitens
des Unterzeichneten durch Rückfrage bei dem Magistrat
zu Neu-Stettin festgestellt worden, nicht zutrefi'end. Von
einem auffallend starken und schnellen Fallen der Seen
um Neu-Stettin während der fraglichen Zeit ist dort nichts
bekannt.
Der Wasserstand derselben wird täglich an einem
nach NN. eingerichteten Pegel, der am Ausfluss des den
Streitzigsee mit dem Vilmsee verbindenden Niesedop an-
gebracht ist, von einem Magistratsbeamten abgelesen und
vermerkt. Aus den abschriftlich übersandten Aufzeich-
nungen für den Monat Mai d. J, geht nun hervor, dass
während des letzteren der Wasserspiegel sich im Ganzen
um nicht mehr als 8 Centimeter gesenkt und dass
diese Senkung sich ganz allmählich vollzogen hat.
Diese Ersciicinung wird seitens des Magistrats lediglich
auf die lange anhaltende Dürre zurückgeführt.
Wie derselbe ferner mitthcilt, ist allerdings der Vilm-
see vor Jahr und Tag infolge Räuumng und Vertiefung
des Küddow-Kanals um etwa 1 Meter und der Streitzig-
see im vorigen Frühjahr nach Vornahme derselben Ar-
beiten im Niesedop ebenfalls gefallen, doch ist das Wasser
natürlich längst durch die Kuddow abgeflossen. —
Der Ursprung des fraglichen artesischen Wassers
wird vielmehr auf gewissen, in nicht zu weiter Entfernung
von Schneidcmühl sich erhebenden Höhen zu suchen sein.
Vielleicht gelingt es, hierüber bald Näheres festzustellen.
— Eine illustrirtc Darstellung über die Entstehung und
den Verlauf des Ereignisses in Schneidcmühl soll in einer
späteren Nunnner der „Naturw. Wochenschr." folgen.
Prof. G. Franke.
lieber die Spectra einiger helleren Sterne hat
Herr Norman Lockyer in der Sitzung der Royal So-
ciety vom 8. December 1S92 eine Abhandlung gelesen,
deren wesentlicher Inhalt im Folgenden skizzirt wird.
Dieselbe beruht auf der Discussion von 443 Photographien
von 171 Sternen, die in den letzten beiden Jahren in
Kensington und Westgate-ou-Sea erlangt worden sind.
Es ist dabei mit hinreichend grosser Dispersion gearlieitet
worden, sodass die erhaltenen Originalaufuahmen Ver-
grösserungeu bis zum Dreissigfachen gestatteten, ohne
dass dadurch die Deutlichkeit beeinträchtigt wurde. Durch
diese Aufnahmen wurde eine mehr ins Einzelne gehende
und daher auch wohl exactere Classification der Sterne
ermöglicht, als dies bisher der Fall war, wo man die
letzteren nur auf Grund der direeten Beobachtung ihrer
Spectra in Classen anordnete, ein Verfahren, bei dem die
Unterschiede der einzelnen Classen sich naturgemäss nur
in ihren grossen Zügen zum Ausdruck bringen konnten.
Lockyer hat — ohue auf die bisher aufgestellten
Classificationen Rücksicht zu nehmen — die beobachteten
Sterne in Tafeln angeordnet, und zwar war ihm dabei
der Grad stetiger Absorption am blauen Ende des be-
trelfendeu Spectrums das ordnungsbestimmende Moment.
Mau bemerkt, dass die Verwendung eines derartigen Ein-
theilungsprincips bei den direeten Beobachtungen nicht
angänglich ist.
Die Sterne der ersten Tabelle Lockyers charakteri-
siren sich durch die Abwesenheit jeder merklichen con-
tinuirlichen Absorption am blauen Ende und durch die
Gegenwart breiter blauer Wasserstofflinieu iu ihren
Spectren. Der Autor giebt dieser Classe vier Unter-
abtheilungen, die er je nach Gegenwart oder Abwesenheit
bestimmter anderer Linien aufgestellt hat.
Bei den Sternen der zweiten Tabelle findet ein
beträchtlicher Grad continuirlicher Absorption im Ultra-
violett statt ; die Spectra sind jenseits Ä' sehr schwer zu
photographiren im Vergleich zu denen der vorigen Classe.
Die Stärke der Wasserstofi'linien dieser Spectra ist nahezu
gleich derjenigen im Sonnenspectrum. Lockyer theilt die
Sterne dieser Classe in zwei ünterabtheilungen.
Bei den Sternen der dritti'u Tabelle findet eine sehr
beträchtliche continuirliche Absorption im Violett statt,
die sich nahe bis G ausdehnt. Es ist um so schwieriger,
Photographien dieser Spectra zu erhalten, als die meisten
der Sterne dieser Classe kleiner als 3. Grösse sind. Die
Wasserstotflinien sind sehr schmal. Lockyer stellt
zwei Ünterabtheilungen auf. Die eiue umfasst solche
Spectra, welche helle, breite, säulenförmige Streifen ent-
halten, die gegen das weniger brechbare Ende des Spec-
trums hin verbleichen. Die andere Classe besteht aus
Sternen mit Spectren, in denen solche Streifen nicht vor-
kommen. Der hellste Stern dieser Classe, « Orionis, wird
eingehend discutirt: das Ergebniss weist ilarauf hin, dass
die Temperatur der absorbirenden Eisendämpfc nicht viel
höher sein kann als diejenige der Sauerstoff-Wasserstoff-
Flamme (Knallgas).
Als ein allgemeines und wichtiges Ergebniss der ge-
sammten Aufnahmen stellt sich klar heraus, dass, worin
man auch das Einthcilungsprincip finden möge — ob in
der verschiedenen Stärke der Linien des Wasserstoffes
oder derjenigen anderer Elemente — es immer unmöglich
Nr. 28.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
289
bleibt, alle Sterne in Bezug auf ihre Temperatur auf
gleiche Stufe zu stellen. So kommen Sterne vor, bei denen
die Wasserstotflinicn von gleicher Stärke sind, während
die übrigen Linien alle und erheblich von einander ab-
weichen. Eine Znsanimenordnung solcher Sterne in eine
Classc ist offenbar nicht thunlieh, sondern es müssen für
sie besondere Unterclassen aufgestellt werden.
Es ist nun bekannt, dass HeiT Lockj'er vor einigen
Jahren eine kosmogonische Hypothese aufstellte, nach
der alle Himmelskörper aus meteorischen Schwärmen ent-
standen sind, bezw. solche Schwärme in verschiedenen
Zuständen der Condensation sind. Auf Grund dieser
Hypothese hatte die physikalische Classification der
Himmelskörper auch ein gegen früher etwas verschiedenes
Aussehen erhalten, da bei ihrer Annahme die Vor-
stellungen über den Gang der Entwickelung zu modifi-
ciren war, indem jetzt nicht mehr, wie für die Lapiace'sche
Hypothese, der Anfangszustand eines Körpers auch der
heisseste war, sondern der letztere viel später eintritt.
Es wurde daher im Rahmen von Lockyers „meteoric
liypotliesis" nothwendig, auch Körper mit wachsender
Temperatur anzunehmen, nicht nur mit abnehmender,
wie es für die Lapiace'sche Annahme lediglich erforder-
lich ist.
Lockyer vergleicht nun die Vorstellungen, welche
seine Hypothese in den einzelnen Fällen liefert, mit den
Resultaten, die uns seine photographischen Aufnahmen an
die Hand geben. Die folgende Zusammenstellung giebt
einen Ueberblick über diese Vergleichung:
Nebel.
Nach Lockyers Hypothese
liaben die hellen Linien der
Nebelspectreu folgenden drei-
fachen Ursprung:
L Sie sind Linien, welche
von Stoffen herrühren, welche
die Zwischenrünine zwischen
einzelnen Meteoren ausfüllen.
Unter diesen Substanzen dürfen
wir auf Grund unserer Labora-
tiiriumsversuche vornehmlich
Wasserstofl' und gaslorniige
Kohlcnstoffverbindungen er-
warten.
2. Da die weitaus grosste
Zahl von Zusaninienstössen
zwisciicn den ciDzelui'n Meteo-
riten nur tlicilweise (stärkere
Streuungen) sein werden, so
werden dieselben auch nur ver-
liiiltnissiniissig geringe Tempe-
raturerhöhungen zur Folge
iiabcn können.
3. Ohne Zweifel werden aber
auch eine, wenn wohl aucli nur
geringe Zahl directer und voll-
kommener Zusammenstösse vor-
kommen, die dann sehr hohe
Temperaturen veranlassen, was
sicii durch entsprechende Linien
im Spectrum offenbar machen
muss.
Sterne mit zunehmender Temperatur
Die Spectra der von Lockyer
Die Beobachtung liefert:
l. Linien, deren Wellenlän-
gen ausserordentlich nahe gleich
denjenigen der\Vasserstoff"l;nien
sind, ebenso Linien, deren
Wellenlangen in grosser An-
näiiernug übereinstimmten mit
derjenigen der hellen Kohlen-
stoftbanden.
2. Nabe bei der Wellenlänge
X = 500 findet sieb eine kleine
liclle fiaride, wahrscbeinlicli
dein Magnesium angeliörig;
Eisen-Calciuiii-Magnesiunilinien
treten auf.
3. Die der Ciiromospiiäre an-
gehörende Linie Dj und eine
dort stets mit ihr zusammen
vorkommende fjinie {X == 4471)
sind in der That im Spectrum
des grossen Orion-Nebels ge-
funden worden.
Sterne mit nur bellen Linien.
Die Linien tlieser Spectren
müssen der Hypothese nach mit
denen der Nebelspection im
Grossen und (Janzen überein-
stimmen.
Professor Pickering bat in
der Tiiat gefunden, dass die
hellen Liuien der Spectra dieser
Sterne nahezu identisch sind
mit denen der Nebelspectra.
1. Zustand. Im Anschluss
an den Zustand, in dem das
Spectrum nur lielle Linien
aufweist, muss sich ein an-
derer ausbilden, indem die
hellen Linien, welche der in
Zwischenräumen zwischen den
Meteoriten existirendeii Materie
entsprechen, verscinvinden, wäii-
rend an ihrer Stelle dunkle
Linien erscheinen, die durch
die .Absorption der die glülien-
den Meteoriten umgebenden
Dämpfe entstehen.
Da nun die Zwisclienräume
bei der fortschreitenden Con-
densation sich verengern, so
müssen die Absorptionserschei-
nungen zunehmen; und jene
streifenförmige, auf Metall-
dämpfe niedriger Temperatur
weisende Absorption wird auf-
treten. Die von den Zwisciien-
raumen ausgehenden Strahlen
werden sich nun wesentlich in
den hellen Kohleustoffliuien
offenbaren.
Unter solchen Umständen
wird der IJetrag continnirlicher
Absorption am lilauen Ende am
grössten sein.
2. Zustand. Bei weiter fort-
schreitender Condensation müs-
sen die von der Strahlung der
Zwischenräume herrührenden
hellen Ijinien nach und nach
verschwinden ; dunkle Linien
werden an Stelle der streifigen
Absorption bei zunehmender
Temperatur treten, obgleich
diese lineare Absorption nicht
nothwendig ühereinzustiminen
braucht mit der im Soinien-
spectrum.
3. Zustand, a. Die lineare
Absorption und die continnir-
liche Absorption am Idauen
Ende werden mehr und meiir
mit der Zahl der einzelnen Con-
densationen abnehmen, da dann
nur noch diejenigen Däuipfe,
welche in den höclistcn Scliicli-
ten der Atmosphären der qu.
Condensationsgebiete schweben,
Absorptionserscheinungen her-
vorbringen können, und zwar
in Bezug auf die hellen conti-
nuirlichen Spectren der unter
ihnen liegenden nocli im
Störungsznslande befindlichen
Theiie der betreffenden .Atmo-
sphären.
b. Die Condensation niTiimt
weiter zu. Die Linien des Ei-
sens und anderer Stoffe ver-
schwinden, da nnnmelir die
hellen Linien, die von den
Zwischenräumen herrühren, sich
mehr und mehr ausgleichen mit
den denselben Stellen im Spec-
trum entsprechenden .Absurp-
tionslinien, die von den umge-
benden Dämpfen herrühren.
in seiner jetzigen dritten Ta-
belle vereinigten Classe von
Sternen zeigen vollkommen den
hier von der Hypothese gefor-
derten Charakter.
Die dunkeln Streifen des
siclitbaren Spectrums stinunen
ihrer Lage nach sehr nahe mit
jenen zusammen, welche die bei
niedriger Temperatur entwor-
fenen Spectra von Mangan, Blei
und Eisen zeigen. Die Pboto-
grajihie weist deutlich auf die
Anwesenheit glühender Ivohlen-
stoffe hin.
Die aufgenommenen Photo-
graphien zeigen in der That
eine sehr merkliche continuir-
licbe Absorption im Ultraviolet
und im Violet.
Die thatsächlich beobachteten
Spectra enthalten allerdings
zahlreiche dunkle Linien, die
indessen nichtgenau zusammen-
fallen mit denen des solaren
Spectrums. Typen von Sternen
dieser Entwickelungsstufe sind
a Tauri und 7 Cygni.
Erscheinungen dieser Art
finden wir bei Sternen, wie a
Cygni, liigel, Bellatrix, 0 Orio-
nis und a Virginis. Bei ihnen
ist in der That keine continnir-
liclie Absorption am blauen
Ende zu constalircn und ilire
Spectren zeigen nur lineare
Absorption.
Bei a Cygni zeigen sich noch
einige der grössten Eiseulinien.
Bei anderen Sternen, die im
Uebrigen zur selben Classe ge-
hören, aberoflenbarscbon weiter
fortgeschritten sind, verschwin-
den diese Linien.
290
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 28.
c. Endlich, bei noch mehr In der That treten bei einer
vorg'eschrittener Condensation, Reihe von Sternen die chronio-
wird die Möglichkeit für zahl- sphärischen Linien bei X ^ 4471
reiche heftige Znsammenstösse und, wie mit einer ziemlich
gegeben. Wir haben solche grossen Wahrscheinlichlceit an-
Absorptions-Erscheinungen zu genommen werden darf, aucii
erwarten, wie sie Dampfe von noch andere Linien der Chromo-
sehr hoher Temperatur dar- Sphäre auf.
bieten. Die Linien der solaren
Chromosphäre können als Bei-
spiele für die bei solchen Tem-
peraturen auftretenden Linien
gelten.
Die heissesten Sterne.
Die Anordnung der absorbirenden Dampfschichten
darf wohl als identisch angenommen werden mit der Ord-
nung der aufeinanderfolgenden Dampfscbichten, die die
einzelnen Meteoriten im Anfangszustande des Schwarms
umgaben. Es wird demzufolge, bei immer zunehmender
Temperatur, in der Entwickelung eines Sternes endlich ein
Zustand eintreten (höchste Temperatur), in dem gerade
die Linien, die bei den Nebeln hell erscheinen, nahezu
allein als dunkle Linien in dem sideralen Spectnim auf-
treten.
Die Beobachtung liefert uns Beispiele in Sternen, als
deren Typus u Andromedae gelten kann, Sterne mit
dunkeln Absorptionslinien, deren Lage genau überein-
stimmt mit einigen der hellen Nebelliuien.
Sterne mit abnehmender Temperatur.
1. Zustand. Bei fortschreitender Verringerung der
Tiefe der absorbirenden Atmosphäre werden die Wasser-
stoff linien immer schmäler werden; und neue Linien
werden erscheinen. Diese letzteren müssen nicht noth-
wendig mit irgend welchen Linien identisch sein, die bei
Sternen mit wachsender Temperatur gefunden werden.
Bei den Sternen letzterer Classe treten fortwährende Ex-
plosionen von einzelnen Meteoriten als ein für die betr.
Atmosphären wesentlich gestaltender und modiiicirender
Factor auf. Dagegen haben wir es bei einer sich ab-
kühlenden Masse inuner nur mit der Absorption der
höchsten Dampfschichten zu thun. Am ersten werden
wohl bei den hier betrachteten Sternen die bedeutendsten,
niedrigen Temperaturen entsprechenden Linien der ver-
schiedenen chemischen Elemente auftreten. —
Herr Lockyer hält Sirius für einen Stern von diesem
Typus. Das Spectrum zeigt viele der bedeutendsten
Eisenlinien.
2. Zustand. Die Wasserstoflflinien werden fortfahren
schmäler zu werden; und die Spectra werden jetzt viel
mehr solche Linien zeigen, welche den verschiedenen
Elementen bei hohen Temperaturen entsprechen. Diese
Linien werden sieh aber wohl unterscheiden von denen,
welche bei den Sternen mit wachsender Temperatur auf-
treten, und zwar weil hier und dort verschiedene relative
Zusammensetzungen der absorbirenden Schichten statt-
finden werden. —
Sterne von diesem Typus finden wir in der That in
« Persei, ß Arietis u. a. m. In ihren Spectren lassen sich
nahezu alle Linien des Sonnenspectrums nachweisen, zu
denen dann noch breite Wasserstofflinien hinzutreten.
3. Zustand. Bei noch weitergehendem Schmälerwerden
der Wasserstofflinien und fortgesetzter Erniedrigung der
Temperatur der absorbirenden Atmosphäre werden nun
die Absorptionsstreifen der Kohlenstoffverbindungen auf-
treten müssen. — Diese Forderung der Lockyer'schen
Theorie ist noch wenig geprüft an der Erfahrung. In
den Spectren der Sonne und des Arcturus kann wohl nicht
an dem Vorhandensein von Hinweisen auf Absorption ge-
zweifelt werden, die auf Kohlenstoffverbindungen zurück-
zuführen sind.
Es kann nicht geleugnet werden, dass diese Zu-
sammenstellung, die Herr Lockyer von Forderungen der Hy-
pothese und Thatsachen der Beobachtung bringt manches,
ja vieles enthält, was zu Gunsten der Hypothese spricht.
Und deshalb erschien es angebracht, von der Arbeit hier
Kenntniss zu nehmen. Man darf aber keine zu weit
gehenden Schlussfolgerungen aus einer derartigen Ueber-
einstimnumg ziehen wollen. Denn wenn ein auf experi-
mentellem Gebiete in Bezug auf speetralaualytische Dinge
so erfahrener Mann, wie Lockyer, eine Hypothese über
einen auf demselben liegenden Gegenstand aufstellt, so
darf man immer vertrauen, dass dieselbe hinreichend
vorsichtig ausgedacht ist, um einer gewissen, nicht allzu
spärlichen Approximation an die Erfahrung sicher zu sein.
Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Privatdocent in der medicinischen Facultät
der Universität Strassburg Dr. Bayer zum ausserordentlichen Pro-
fessor. — Oberbergrath Lorber, aus.serordentlicher Professor an
der Bergakademie zu Looben, zum Ordinarius für Geodäsie an
der deutsehen technischen Hochschule in Prag. — Privatdocent
Bobek an der deutschon technischen Hochschule in Prag zum
ausserordentlichen Professor für Mathematik an der deutschen
l^Tniversität Prag. — Der Privatdocent für vergleichende Anatomie
Wiren zum ausserordentlichen Professor an der Universität Stock-
holm. — Dr. Vedmann, Oberarzt an dem Irrenasyl zu Lnnd,
zum Professor der Psychiatrie an der dortigen LTniversität.
Es haben sich habilitirt: Dr. Baas für Augenheilkunde an der
Universität Freiburg i. Br. — Dr. Krüger für physiologische
Chemie an der Universität Dorpat. — Dr. Wilhelm Trabert
für Meteorologie an der Universität Wien. — Der Assistent am
physikalischen Institut der Universität Berlin Dr. August Raps
für Physik.
Es sind gestorben : Oberbergrath von Brunn vom Oberbergamt
in Breslau. — Der Professor der Psychiatrie Dr. Nils Gustav
Kjellberg in Upsala. — Der deutsche Arzt Dr. Emmerling
auf Kaiser- Wilhelms-Land. — Der bekannte Geologe Dr. Anton
Sjögren, Bergmeister und Inspector der Bergschule zu Falun,
auf seiner Besitzung in Södermanland. — Bergrath Brabänder
in Bochum. — Professor Dr. Max Hantken von Prudnik,
Sectionsrath und Director des Instituts für Paläontologie in
Budapest.
Der Allgetaeine österreichische Bergmannstag w ird in diesem
Jahre vom 14. bis 17, August in Klagenfuit stattfinden. Anmel-
dungen zur Theilnahme sind bis spätestens den 15. Juli zu richten
an das „Comite für den allgemeinen Bergmannstag, zu Händen
des Herrn k. k. Oberbergrathes Ferdinand Seeland in Klagenfurt".
Von den geplanten Ausflügen verspricht derjenige am 17. August
nach Raibl das meiste.
Internationaler Congress für Zoologie. — Das permanente
Comite hat seinen Sitz in Paris und bestellt aus folgenden Mit-
gliedern: Milne-Edwards — Paris, Präsident; Jentink — Leiden, Graf
Gapnist- Moskau, Th. Studer— Bern, L. Vaillant— Paris, Vice-
Präsidenten; R. Blanchard— Paris, General-Secretär; Baron J. de
Guerne — Paris, Secretär. — Zur Bewerbung um den vom Gross-
fürsten Thronfolger gestifteten Preis schlägt das Comite Arbeiten
vor, welche das „Studium der Fauna einer der thiergeographischen
Provinzen und ihre Verwandtschaft mit den benachbarten Faunen"
zum Gegenstande haben. Der Preis wird auf dem Congress in
Leyden im Jahre 1895 ertheilt werden. Die Jury nimmt Arbeiten
entgegen, welche über einen Zweig oder eine Classe des Thier-
reichs handeln. Die Arbeiten, welche seit dem letzten Congress
über diesen Gegenstand geschrieben oder gedruckt worden sind,
müssen vordem 1. Mai 1895 an den Vorsitzenden des permanenten
Comites unter der Adresse der Zoologischen Gesellschaft von
Frankreich — Paris, Rue des Grands, Augustins 7 — eingesandt
werden. Die überreichten Arbeiten werden von einer Commission
geprüft, welche aus den Herren besteht: Milue-Edwards— Paris,
Präsident; R. Blanchard— Paris, Generalsecretär; A. Bogdanow —
Moskau; Jentink — Leyden; R. B. Schärpe — London; Th. Studer —
Bern; N. Zograf— Moskau. Die Preise können in Medaillen oder
Geldsummen bestehen und werden in feierlicher Sitzung während
der Dauer des Congresses ertheilt. Zugelassen zur Bewerbung
wird jeder Gelehrte; davon ausgeschlossen sind aber die Gelehrten
des Landes, in welchem der jeweilige Congress stattfindet, für die
auf dem Congress zu Leyden 1895 zu ertheileuden Preise also
diejenigen Hollands.
Nr. 2S.
Natnrwisseuscbaftliche Wochenschrift.
291
Eine Ausstellung für Physiographie, Anthropologie, Ethno-
graphie, Archäologie und Geschichte der Krim, viTlnmileii mit
üiuer Abthoilung für Industrie iiiul Kunst, wird mit Genelimigung
des Ministers des Innern von dein Alpenlclub der Krim in Odessa
ira Herbst d. J. veranstaltet werden. Tbeibiehmer wollen sich
bis spätestens zum 1. August d. J. an die Direetion des Univer-
sitäts-Alpenklubs der Krim in Odessa wenden. Vorsitzender:
N. Van-der-Flitt; Secretär: Prof. Dr. Fr. Kamienski.
L i t t e r a t u r.
Paul Topinard, L'homme dans la nature. Avec 101 gravures.
(Bibl. seient. intern.) Felix Ak-an. Paris 1891. — Preis geb,
(j Francs.
Die vorliegende gute Topinard'selie Anthroiiologio wirft zu-
nächst einen ganz kurzen Blick auf die Anthropologie vor, wäh-
rend und nach Broca, beschäftigt sich dann mit der Umgrenzung
der Disciplin und bespricht die Beziehungen derselben zur Bio-
logie, Psychologie, Ethnographie und Sociologie, um dann in 20
weiteren Capitebi den Gegenstand selbst zu behandeln. Als ein-
führendes Lehrbuch in das Geljiet ist das Buch sehr brauchbar.
Wir müssen aber darauf aufmerksam machen, dass es den Gegen-
stand im engereu Sinne behandelt. Der Autor bezeichnet als
Aufgabe seines Buches klarzulegen: „la place quc FHomme occupe
materiellement parmi les animaux et sou origine probable ou
descendence."
Prof. Andre Lefevre, Les Races et les Langues. (Bibliotheque
scientifique internationale.) Felix Alcan. Paris 1893. — Preis
gell. 6 Francs.
Leffevre zeigt sich bei der Behandlung seines Gegenstandes
als echter Naturforscher. Bezüglich des VVerdens der Sprache
steht er auf dieser Basis und auch die Methodik, die er bei der
Bearbeitung des ungeheuren Gebietes anwendet, ist diejenige der
Naturforschnng. Das Buch zerfällt in 3 Abschnitte. Der 1. be-
handelt das Entstehen und die Entwickelung der Sprache, der 2.
die geographische Vertheilung der Sprachen und Kacen, der 8.
den grossen Complex der indo-europäischen Sprachen.
Prof. Dr. Rudolf Arndt., Biologische Studien. I. Das biologische
Grundgesetz. Julius Abel, (ireifswald 1X92. — Preis 4,SU M.
Das Buch enthält 9 Abhandlungen, von denen ein Theil zwar
bereits als gewissermaassen vorläufige Mittheilnngen in niedici-
nischen Zeitschriften erschienen sind, die aber hier, um sie auch
Nichtmedicinern bekannt zu machen, in Zusammenhang mit an-
deren und überarbeitet geboten worden. Die Aufsätze behandeln
in ihrer Beziehung zum biologischen Grundgesetz 1. die Elementar-
organismen, 2. den gehaubten Kanarienvogel, die Möwchen-, Per-
rücken- und Pfauentaube, 3. die Heilkunst, 4. den Plattfuss und
Klumpfuss, 5. Riesen und Zwerge, 6. Schwarz und Weiss bei Thier
und Mensch, 7. die Körperwärme, besonders das Fieber und end-
lich 8. die Psyche. Als biologisches Grundgesetz bezeichnet Verf.
die Thatsache: schwache Reize fachen die Lebcnsthätigkeit an,
stärkere, mittelstarke beschleunigen, fördern sie, starke hemmen
und stärkste heben sie auf. Er erläutert dieses biologische Grund-
gesetz in dem das Buch einleitenden Artikel „Leben und Lebens-
äusserungen." *)
Manche Ansichten des Verf. weichen wesentlich von den üb-
lichen ab. Um nur eine solche zu erwähnen, so erblickt er in
dem Protoplasma der höheren Organismen eine Symbiose von
Bakterien.
Die anregenden und geistreichen Aufsätze werden jeden
iüteressiren, dessen Blick über seine eigene engere Special-Wissen-
schaft hinausgeht.
Prof. Dr. Alfred Jentzsch, Führer durch die geologischen
Sammlungen des Provinzialmuseums der |diysikaiiseh iikono-
mischen Gesellschaft zu Königsberg. Mit 75 Textabbildungen
und 2 Tabellen enthaltend Uebersicht der Geologie Ost- und
Westpreussens. Komm. b. Wilh. Koch in Königsberg in Pr.
1892. - Preis 2 M.
Der „Führer" ist kein solcher im gewöhnlichen Sinne des
Wortes: er bringt das Ausgestellte in Zusammenhang und hebt
das Wichtigste gebührend hervor; er ist iilsofern als eine knappe
Geologie Ost- und Westpreussens zu bezeichnen. Die klaren Ab-
*) Vergl. auch „Naturw. Wochenschr.", Bd. VIll, S. 2G4.,
Spalte 1.
bildungen des „Führers" erhöhen den Werth desselben wesentlich.
Nicht nur dem in Königsberg Studinuiden wird durch denselben mit
Benutzung der Sammlung ein treffliches Lehrmittel geboten, auch
der Fachmann, der sich über die geologischen Verhältnisse dos
Gebietes schnell orientiren will, wird ihn mit Vortheil benutzen.
Dr. Oscar Haenle, Die Chemie des Honigs. Chemisch-analytische
Prüfuiigs-Methode zur Erki'iinuug von echten und mit Glycosc
oder Rohzucker gefälschten Honigen. Ein Beitrag zur Nahrungs-
chemie. 2. Aufl. El.säss. Druckerei u. Verlagsanstalt (vorm.
G. Fischbach). Strassburg 1892.
Verfasser, der Director des chemischen Laboratoriums des
Elsass-Lothring. Bienenzüchter-Voreins, hat eine grössere Anzahl
echter Honigsorten verschiedener Provenienz untersucht, ebenso
wie verfälschte Honige und giebt ausführlich die Mittel zur
Unterscheidung beider Kategorieen an.
Naturwissenschaftliche Elementarbücher. No. 1. Chemie von
H. E. Ruscoi'. Deutsche Ausg. besorgt v. Prof. F. Rose. Mit
Abb. und einem Anhang von Fr.-igen und Antworten. .5, Durch-
gesehene Autlage No. 9. Mineralogie von Prof. Karl F.
Peters. Mit Abbildungen. 3. verbesserte Auflage, durchges.
von Prof. H. Bücking. Karl J. Trübner in Strassburg 1892 —
Preis a 0,80 Mk.
Von den mit Recht beliebten Elementarbüchern liegen die ge-
nannten in neuen Auflagen vor. Die Bücher sind bekannt ge'nug und
wir können uns desshalb auf die blosse Anzeige beschränken.
Archiv der Mathematik und Physik (herausgegeben von
R. Hojjpe). Zweite Reihe, zwölfter Theil. Das erste Heft enthält
folgende Aufsätze: G. Mohrmann, neues Verfahren der Fou-
rier'schen Entwickelung der doppelperiodischen Functionen;
Heinrich Seipp, über einige Sätze aus der elementaren Raum-
geometrie; H. Ekama, geometrische Oerter bei Curvensystemen;
Franz Rogel, Ableitungen arithmetischer Reihen; F. Pockels,
über die durch dielektrische und magnetische Polarisation hervor-
gerufenen Volum- und Formänderungen (Elektrostriction und
Magnetostriction); R. Hoppe, osculirende Kugel nebst den ana-
logen Gebilden für n Dimensionen. Miscellen. Litterarischer
Bericht.
Atti della Reale Accademia dei Lincei Rendiconti. (Serie
quintn, vol. 11"). Die ersten sechs Fascikel der Rendiconti der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Römischen Aka-
demie enthalten u. a. folgende uns bemerkenswerth erscheinende
Aufsätze: Ricci, über Coordinatensysteme, welche geeignet sind,
den Ausdruck des Quadrats des Linienelementes einer Fläche auf
die Form ds' = {U + V) {du- + dv-) zurückzuführen; Guglielmo,
Beschreibung eines neuiui Sphaerometers leichter Construction;
Alvisi, über die Vertheilung des specifischen Gewichtes der ein-
fachen Körper im periodischen System der chemischen Elemente;
Bassani e De Lorenzo, über die Geologie der Halbinsel von
Sorrent; Pascal, über die Oberflächen vierter Ordnung mit dop-
peltem Kegelschnitt; id., über ein System von Geraden (3,4); Nac-
cari, über den osmotischen Druck; Del Re, über ein System
von Geraden (3,4); Frattini, über ein<>n doppelten Isomorphis-
mus in der allgemeinen Substitutionstheorie; Tonelli, über die
Lösungen der Congruenz x- :':. c {mod. ^'■).
Rebeur-Paschwitz, E. v.. Das Horizontalpendel und seine An-
wendung zur Beobachtung der absoluten und relativen Richtungs-
Aenderungen der Lothlinie. Leipzig. 15 M.
Schaflfer, J., Beiträge zur Histologie und Histogonesc der quer-
gestreiften Muskelfasern des Menschen und einiger Wirbel-
thiere. Leipzig. 3,70 M.
Schulze, E., u. F. Borcherding, Fauna saxonica. .Jena. 1,80 M.
Strasburger, E., Das kleine b(jtanische Practicum für Anfänger.
Jena. 6 M.
Studer, Th , Ueber zwei fossile dekapode Krebse aus den Molasse-
ablagerungen des Belpberges. Berlin. 4 M.
Warburg, E., Lehrbuch der Experimentalphysik für Studirende.
Freib. 7,(;0 M.
Wiedemann, G., Die Lehre von der Elektricität. 2. Auflage.
1. Bd. Braunschweig. 26 M.
Zache, E., Geognostische Skizze des Berliner Untergrundes.
Berlin. 1 M.
Zoebl, A., u. Mikosch, C, Die Funktionen der Granneu der
tierstenähri'. Leipzig. 0,.50 M.
Inhalt: Max Fiebelkorn: Die Dichte der Erde. — Ueber die Beziehung zwischen dem l^■^enfall und der Gestalt der
Laubblätter. (Mit Abbild.) — Ueber die pelagische Flora dos Naalsoetjords (Faroer) und über diejenige des Dyrefjords
(Island). — Diprotodon-Skelette. — Der Lephay-Conipass. — Die Ueberschätzung der Neigung bei Böschungiui. (.Mit Abbild.)
— Zur Schneidemühler Brunnen-KahTinität. — Ueber die S])ectra einiger helleren Sterne. — Aus dem wissenschaftlichen Leben.
— Litteratur: Paul Topinard: L'homme dans la Nature. — Prof. Andre Lefevre: Les Races et les Langues. — Prof.
Dr. Rudolf Arndt: Biologische Studien. 1. Das biologische Grundgesetz. — Prof. Dr. Alfred Jentzsch: Führer durch
die geologischen Sammlungen des Provinzialmuseums. — Dr. Oskar Haenle: Die Chemie des Honigs. — Naturwissenschaft-
liche Elementai'bücher. — Archiv der Mathematik und Physik — Atti della Reale Accademia dei Lincei Rendiconti. — Liste.
292
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 28.
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PP~ Dieser Nummer liegt ein Prospekt der Firma T. O. WeigeB Nachf. in Leipzig, betreuend : ..Fraas, Scenerie der
Ali»en", bei, auf den wir uns«re Leser besonders aufmerksam machen.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Potonie, Berlin N. 4., Invalidcnstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dummlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW^. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII.
Band. Sonntag, den
10. Juli 1893.
Nr. 29.
Abonnement : Man abonnirt bei allen Buchhandinngcn und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeld bei der Post 15 ^ extra.
Y Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 ^J,. Grössere Aufträge ent-
eis sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
JL bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur mit vollständiger l^nellenaugabe gestattet.
Die Natur der chemischen Elemente.
Die Anschauung, das.s die Materie ursprünglich ein-
heitlich gewesen und dass die Verschiedenheit der vor-
handenen Körper erst durch spätere allniiihliche Ditferen-
ziruiig bedingt worden sei, drängt sich bei dem gegenwär-
tigen Stande der naturwissenschaftlichen Kenntnisse fast von
selbst auf. DieThatsache, dass bei der Zerlegung der Körper
eine ganze Anzahl von Elementen, d. h. von untereinander
verschiedenen, auf keine Weise weiter zerlegbaren Körpern,
resultirten, steht mit solcher Anschauung im Widerspruch.
Kein Wunder, dass mau diesen zu lösen trachtet. Die
im Jahre 1815 aufgetauchte Prout'sche Hypothese, dass
alle Elemente verschiedene Verdichtungszustäude des
Wasserstoffs seien, hat lauge Zeit hindurch die Chemiker
in hervorragender Weise beschäftigt. Wurde auch schliess-
lich die Unhaltbarkeit der Hypothese in dieser Form er-
wiesen, so hat ihr Grundgedanke doch stets Anhänger
i)ehalten und deren Zahl musste sich mehren, je mehr
die Beziehungen zwischen den Atomgewichten und den
Eigenschaften der Elemente erkannt wurden. Mendelejeif
hat auf Grund dieser Beziehungen die Elemente ihrem
Atomgewicht nach in ein System eingeordnet, in welchem
periodisch eine gleichartige Aenderung der Eigenschaften
mit dem Wachsen des Atomgewichts zu constatiren ist.
Auf Grund dieses Systems konnten falsch oder ungenau
bestimmte Atomgewichte berichtigt und es konnte auf
das Vorhandensein bisher unbekannter Elemente hinge-
wiesen werden, von denen nun schon zwei (Gallium und
Germanium) entdeckt und als den vorhergesagten Eigen-
schaften entsprechend erwiesen wurden.
Ist sonach die Berechtigung des periodischen Systems
kaum einem Zweifel unterworfen, so lag die Frage nach
der Ursache dieser Regelmässigkeiten nahe und als solche
konnte in letzter Linie nur die Einheit der Materie in
Betracht kommen. Die richtige Formulirung des der
l'rout'schen Hypothese zu Grunde liegenden Gedankens
muss den Schlüssel für die Aufklärung der Natur che-
mischer Elemente, mit anderen Worten für den ganzen Auf-
bau des Kosmos geben.
Einen Versuch die Prout'sche Hypothese in ihrer ur-
sprünglichen Form aufrecht zu erhalten und aus den
classischen Versuchen von Stas, welche zu ihrer end-
gültigen Beseitigung führten, durch gekünstelte Deutung
ihre Richtigkeit zu erweisen, macht G. Hinrichs.*) Er
wird damit kaum viel Anklang finden, man wird vielmehr
der Meinung W. Spring's**) beipflichten müssen, dass
etwaige Zweifel an der Richtigkeit der Stas'schen Resul-
tate nur allein durch neue Experimente von gleicher Voll-
kommenheit begründet werden könnten, nicht aber durch
Speculationen, welche von vorgefasster Jleinung l)eherrscht
sind und sich auf Exti'apolationen stützen, die den Stas-
schen (einzelnen) Beobachtungen viel mehr zumuthen als
der Autor selbst gethan.
Anders verfährt W. Frey er.***) Er nimmt als Stamni-
substanzen die sieben leichtesten Elemente, mit Ausschluss
des Wasserstoiis, also Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff,
Stickstoff, Sauerstoft" und Fluor an ; indem er diese sieben
Elemente direet durch Condensation des Wasserstoffs ent-
standen sein lässt, betrachtet er sämmtliche ülirigen als
durch Verdichtung in einer Reihe von Stufen (Generationen)
aus obigen sieben hervorgegangen, einige auch direet aus
Wasserstoff, und ordnet sie danach in ein Sj'stem, über
welches er selbst bereits das Wesentliche in dieser
Wochenschrift (VI, No. .52 und VII, No. 1—3) veröffent-
licht hat. Die so gefundenen Gruppen sind naturgemäss
ganz dieselben wie die des periodischen Systems, alle
angeführten Belege, welche die Richtigkeit der Einord-
*) Compt. rend. 115,1074 u. 11G.431 u. 69Ö; D. Cliem. Ges.
Ber. 26, Ref. 137, 356, 347.
**) Bull, de l'Acad. Roy. de Belgique 18i)3, 83; D. Cliein.
Ges. Ber. 2G, Hof. 358.
***) Das genetische Svsti'Ui der chemischen Elemente. Bi'vlin,
R. Fi-iedländei- & Sohn 1893. — Preis 4 M.
294
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 29
nung beweisen sollen, sind für dieses neue Bekräftigungen.
Die über das periodische System hinausgehende Hypo-
these, dass die einzelnen Glieder der Gruppen die ver-
schiedenen Verdichtungszustände des Grundelenicnts dar-
stellen, könnte nur, wie s. Zt. A. W. von Hofniann nach
dem Vortrage Preyer's in der chemisclien Gesellschaft mit
Recht hervorhob, durch das Experiment, durch die Dar-
stellung eines dieser Elemente aus einem weniger ver-
dicliteten derselben Gruppe oder umgekehrt, bewiesen
werden. Bis dahin bleibt Preyer's Genetisches System
eine mit sehr schätzeiiswcrther Zusammenstclhing des Jla-
terials und mit einigen interessanten arithmetischen Zu-
thaten versehene Parajjhrase des Mendelejew'schen perio-
dischen Systems. Die Abweichungen der Atonigewichts-
zahlen (bezogen auf Wasserstoff = 1) von ganzen Zahleu
bleiben unerklärt, das zu erwartende Verhältniss, dass die
Atomgewichte der einzelnen Gruppenglieder ganze Viel-
fache des Anfangsgliedes seien, tritt nur in wenigen Fällen,
wenigstens annähernd, ein.
Dagegen hat Herr Dr. Eduard Mensel in Liegnitz,
wenigstens seiner eigenen Ansicht nach, deuStein der Weisen
gefunden. Der Monismus der chemischen Elemente*) be-
titelt sieh die kleine Schrift, deren einer Abschnitt in ge-
sperrtem Druck die folgende Ankündigung bringt:
„Der nachstehende Absclmitt bietet der Cliemie das, was
seiner Zeit Newton der Astronomie durch sein Gravitations-
gesetz gab; erst durch die hier vorzutragenden Berech-
nungen erhält die Thermochemie den Adelsbrief der
Wissenschaft." Sehen wir, auf welche Denkerarbeit diese
kühne Aeusserung sich stützt.
Es gehört gerade kein grosses rechnerisches Talent
dazu, herauszufinden, dass jede ganze Zahl, welche grösser
ist als sieben, sich in zwei Theile zerlegen lässt, die Viel-
fache von 3 respective 4 darstellen [z. B. 87 = 15(4)
+ 9(3)]. Die Atonigewichtszahleu weichen meist nur um
einige Hundertstel , erst oberhalb 50 um Zehntel von
ganzen Zahlen ab. Ninnnt man also statt der Theil-
zahlen 3 und 4 solche, die um Hundertstel grösser oder
kleiner sind, so müssen diese Differenzen einigermaassen
ausgeglichen werden. Meusel nimmt als solche Theil-
zahleu 3.99 und 3.02 und es ist, wie gesagt, natürlich,
dass er mit Hilfe dieser annähernd, in einigen wenigen
Fällen sogar genau, die wirklichen Atomgewichtszablen
combiuiren kann. Wo die Combination aber gleich zu
Beginn ein nicht genehmes Resultat ergeben konnte, stellt
sich wohl auch zur rechten Zeit ein Rechenfehler ein.
So berechnet er gleich in einer der sieben als Grundlage
seines Systems geltenden Gleichungen für das Element
Bor das Atomgewicht 10,9 = 2(3.99) + 3.02, während
diese Summe nach Adam Riese 11.00 ergiebt, also eine
Differenz von 0.1 gegen die gesuchte Zahl.**) lu dem
einzigen Falle, wo das Atomgewicht bei einem Werth von
weniger als 50 um mehrere Zehntel von einer ganzen
Zahl abweicht, nämlich bei Chlor = 35.37, vermag auch
die Combination des Herrn iMeusel diese Differenz nur
um 0.05 zu verringern, so dass eine Abweichung von
nicht weniger als 0.32 unaufgeklärt bleibt. Eine eben
so grosse Differenz bleibt beim Antimon (Atomgew. 119.6),
beim Brom (A. 6. 79.76) und beim Jod (A. G. 126.54),
bei anderen, wie bei Eisen, Zink, Calcium ist die Diffe-
renz sogar grösser als die Abweichung von der ganzen Zahl.
*) Liegnitz. Verlag von Ewald Scholz. 1803.
**) In der spateren Zusammenstellung findet sich die richtige
Zahl, so dass möglicherweise nur ein, an solcher Stelle jedenfalls
Diese so problematischen Theilgrössen 3.99 und 3.02
geben nun Meusel die Grundlage seines Systems. Die
Hundertstel zu motiviren, bedarf es natürlich eines Ur-
stoffs, des Protogens, von welchem genau 100 Atome zu
einem Wasserstoffatom vereinigt sein müssen; zu diesem
Zwecke denkt er sich je 4 Protogeuatome zu einem Te-
traeder vereinigt und je 33 solcher Tetraeder derart an
die Peripherie eines Halbkreises gelagert, dass je zwei
Tetraeder ein Protogenatom gemeinsam haben; eine zier-
liche Zeichnung stellt uns die resultirende Haarsjjange als
AVasserstoffatom vor.
Aus solchen Wasserstoffatomen baut Meusel unter
willkürlichster Wegnahme oder HinzufUgung von Protogen-
atomen sein Trigen (3.02) und Tetragen (3.99) auf. Um
nachher mit seinem Versuch, aus dem Atomvolum der
Elemente die Existenz dieser fragwürdigen Gebilde zu
erweisen, nicht in den Sumpf zu gerathen, führt er für
beide eine grosse und eine kleine Modification ein. Da
aber auch hierdurch noch nicht allen Anforderungen ge-
nügt wird, so sollen bei den Schwermetallen und anderen
Elementen die Tetraeder der Urmaterie nicht mehr von
4 oder 3, sondern von mehr Atomen gebildet werden.
Wie sich der Verfasser eine derartige Anordnung vorstellt,
ist aus seinen Ausführungen in keiner Weise ersichtlich.
Hei der Annahme einer solchen Anzahl verschieden-
artiger Componenten, für die immer besondere Volum-
und Wärmetönungsverhältnisse berechnet werden, und
Itei Einführung noch einiger Correcturen lässt sich natür-
licli auch für Atomvolumen, Verbrennungswärme u. s. w.
eine annähernde Uebereinstimmung mit den experimentell
gefundenen Zahlen herbeiführen. Dass dabei immerhin
noch Differenzen bis zu 10 7o vorkommen, kann die an
und für sich geringe Beweiskraft dieser Uebereinstimmungen
allerdings nicht fördern. Hat man sich mit etwas mehr
Aufmerksamkeit, als die Abhandlung eigentlich verdient,
durch dasselbe hindurchgearbeitet, so hinterbleibt der
Eindruck, dass man es mit einer Tüftelei zu thun hat, an
welcher das Gute alt und das Neue nicht gut ist.
Ich habe diesen litterarischeu Erscheinungen einige
Worte, die bei dem geringen Ergebniss vielleicht zu aus-
führlich scheinen möchten, gewidmet, um zu zeigen, dass
die grossen Gesichtspunkte der Naturforschung nach wie
vor das Denken von Fachmännern beherrschen. Die Ein-
heit der Materie darzuthun, ist zweifellos eins der wesent-
lichsten Probleme, aber dazu fehlt es, wie gerade diese
Versuche aufs Neue zeigen, immer noch an genügendem
Material. Wer freilich schon alle Räthsel gelöst zu hab.en
glaubt, wie Herr Meusel, der mag verächtlich herabsehen
auf den, „der chemische Niederschläge oder Farbeu-
reactionen erzeugt, der irgend eine chemische Verbindung
künstlich herstellt"; Andere aber können nur in dieser
stillen Arbeit, wenn richtig geleitet, die Quelle sehen, aus
welcher einst der Strom des Wissens stark genug hervor-
quellen kann, um das Schifflein der Philosophie zur rich-
tigen Erkenntniss des Natur-Ganzen zu tragen. Merk-
würdig ist es, dass in allen Betrachtungen über den Auf-
bau der Elemente die Spectralanalyse unberücksichtigt
bleibt. Sollte sie, die zur Auffindung vou Elementen ge-
führt hat, nicht auch zur Aufklärung ihrer Natur beitragen
können? Ist doch allein durch sie, wenigstens in gewissem
Sinne, eine Zerlegung auch der einfachen Elemente, inso-
fern als ihnen eine Anzahl verschiedener Linien im Spectrum
zukommen, möglich. Vielleicht kann hier eine syste-
matische Erforschung und Vergleichung der Spectren zu
einheitlichen Gesichtspunkten führen. Dr. L. Spiegel.
I
Nr. 29.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
295
Geburten und Eheschliessungen in Venezuela im
Jahre 1892. — Die folgenden statistischen Daten be-
ziehen sich nur auf die beiden Staaten Zulia und Miranda
der „Vereinigten Staaten von Venezuela" und sind dem
vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten, der Boden-
kultur und des Unten-ichts herausgegebenen „Boletin de
la Kiqueza Publica de los Estados ünidos de Venezuela"
(3. Jahrg., 4. Bd.; Caracas 31. März 1893) entnommen.
Der Staat Zulia umfasst die Gebiete am West- und Siid-
ufer des Meerbusens von Maracaibo. Miranda hatte
während des letzten Bürgerkrieges viel zu leiden.
Staat: Zulia.
Geborene
Ins
Ehe-
Bezirk Ehelieho Uneheliche ge- sclilics-
Knaben Mädchen Knaben Mädchen sammt sangen
Maracaibo . 447 393 496 470 1806 149
Urdaneta . 108 113 64 77 362 34
Perijä . . 57 61 67 76 261 24
Cokin . . 43 45 80 96 264 8
Sucre . . 92 70 82 94 338 14
Bolivar . . 43 31 105 99 278 18
Miranda. . 83 74 59 78 294 48
Mara . . 49 32 58 58 197 28
Total: 922
819
1011 1048 3800 323
Bezii-k
Staat: Miranda.
Geborene
lus-
Ehe-
Eheliche Uneheliche ge- schlifs-
Kuaben Mädchen Knaben Mädclien sammt sungnn
Sucre . . 145 141 247 221 754 8
Paz Castillo 60 53 157 128 398 2
Vargas . .128 224 190 187 729 64
Päez ... 48 37 124 179 388 5
Cüa ... 42 25 87 69 223 2
Lander . . 27 17 57 48 149 1
Guaicaipuro 86 75 104 124 389 8
Acevedo .9 18 15 20 57 —
Total: 545
981
976 3087
90
Es waren demnach
in Zulia von 3800 Kindern 1741 ehelich, 2059 unehelich;
- Miranda - 3087 - 1130 - 1957 - ;
für beide Staaten also unter 6887 Geljorenen 4016 un-
ehelich, d. h. 58,3 7o- Nach dem „Statistischen Jahrbuche
für das Deutsche Reich" für 1893 waren im Königreiche
Preussen im Jahre 1891 von 1 177 380 Geborenen 90183
unehelich, d. h. 7,66 ^'/^,. Den höchsten Procentsatz un-
ehelicher Geburten wies Bayern mit 14,09 % auf.
Uebertragung der Aplithen-Seuclie durcli den Oe-
nuss von Süssralimbutter. — Während es längst bekannt
ist, dass- die Aphthen-Seuche (Maul- und Klauen-Seuche)
der Rinder durch den Genuss roher, ungekochter Milch
sehr leicht auf den Menschen übertragen werden kann,
sind Ansteckungen durch den Genuss von Butter und
Käse so selten, dass viele Aerzte die Möglichkeit der
Uebertragung auf diesem Wege überhaupt geleugnet
haben. Unterstützt wurde diese Meinung noch durch die
Thatsache, dass Versuchsthiere, denen mau Butter und
Käse (hergestellt aus der Milch an Aphthen-Seuche er-
krankter Kühe) verabreicht hatte, vollkommen gesund
blieben. Dementsprechend verbieten auch die einschlägigen
gesetzlicheu Vorschriften nur das Weggeben der rohen,
ungekochten Milch (der an Maul- und Klauen-Seuche er-
krankten Kühe) zum menschlichen Genuss, während der
Verkauf der aus der rohen Milch gewonnenen Producte
keiner Beschränkung unterliegt.
Wie nun Kreisthierarzt Lorenz (Kempen) in Heft 9
der „Zeitschr. für Fleisch- und Miich-Hj'giene" mittheilt,
erkrankte ein Geistlicher, dessen Kühe von Aphthen-Seuche
befallen waren, nach dem Genuss von Butter, welche aus
süsser Sahne bereitet war. Die Krankheit äusserte sich
in leichten Schüttelfrösten, Durchfall und Hautjucken an
den beiden ersten Tagen, Sdwie am dritten Tage im Auf-
treten zahlreicher Bläschen im Munde, im Gesicht, am
Halse, auf der l>rust und auf den .\rmen. In 10 Tagen
war das Exanthem geheilt.
Dieser Fall beweist unwiderleglich, dass die zur Zeit
bestehenden gesetzlicheu Bestimmungen über den Verkauf
der Milch erkrankter Kühe einer Ergänzung bedürfen.
Zum Schutz der mcn.schlichen Gesundheit gegen Ueber-
tragung der Aphthen-Seuche durch Molkerei-Producte ist
die Vorschrift uncrlässlich, dass die Milch der an obiger
Krankheit leidenden Kühe nur nach vorhergegangener
ausreichender Erhitzung verarbeitet werden darf. R. M.
Die Eiche als Käfer-Wolmung. — In wie zahl-
reichen Arten die verschiedensten Kerfe gerade unsere
Eichen bewohnen, das ist namentlich von den Gallwespen
bekannt. Ein Beitrag, der die Käfer, die in einer
morschen Eiche hausten, betrifft, liefert A. Fleischer
in der „Wiener entomol. Zeitung", 11. J. S. 206. Der
Stamm, der \ielfach von Borkenkäfern zerstört und in
seinem unteren Theile von Ameisen bewnhnt war, wurde
von ihm ausgesiebt, und er fand in ihm nicht weniger
als 53 Käferarten auf diese Weise.
C. M.
Ueber die vermeintlichen Mikrosporangien und
Mikrospuren der Torfmoose äussert sich S. Na w asciiin
in einer Arbeit über die Brandkrankheit der Torfmoose
i;Bull. d. l'Akad. imper. des sc. de St. Petersbourg T. XIII.)
Seit dem Erscheinen der Monographie Schimper's
über die Torfmoose ist es bekannt, dass in dem Sporen-
sacke der Sphagnumkapsel ausser deu normalen
tetraedrischen zuweilen auch viel kleinere polyedrische
Sporen sich entwickeln. Nach Schimper's Angabe sind
diese polyijdrischen Sporen ein Product der weiteren Thei-
lungen der normalen Sporenmutterzelleu; anstatt uämlich
die gewöhnlichen Sporen -Tetradcu durch Viertheilung
zu erzeugen, theilt sich, nach ihm, jede Sporcnmutterzelle
in sechzehn kleinere Polyeder, die Sechzehnflächner sein
sollen. Das Schicksal dieser „jiolyedrischen" Sporen ist
unbekannt geblieben (bleibt auch unbekannt bis heut zu
Tage), da, in allen von Schimper angestellten Aussaat-
versuchen, diese Sporen als unkeimfähig sich erwiesen
haben. Schimper hat ausserdem nachgewiesen, dass diese
kleineren Sporen zuweilen neben den tetrai'drischen in
derselben Kapsel erzeugt werden; während solche Kapseln
beinahe von dersellten Dimension sind, wie normale, nur
tetraedrische Sporen enthaltende, erscheinen die mit den
kleineren, „polyedrischen" Sporen allein erfüllten Kapseln
viel kleiner, wie verkümmert. Solche kleinere Sphagnum-
kapseln wurden von einigen liotanikern Mikrosporangien
genannt, und die kleineren, „polyedrischen" Sporen zu-
gleich als den Mikrospuren der höheren Ivryptogamen
homologe Gebilde angesehen. Die Fähigkeit, sich ver-
mittelst zweierlei Arten von Sporen zu vermehren, ist von
Schimper sogar als ein Merkmal der Ordnung Sphagnaceae
hervorgehoben worden, was er in folgenden Worten kurz
zusammenfasst : „sporae dimorphae, majores depresso-
tetraedrae, minores polyedrae". (Monogr., S. 9.)
Später jedoch wurde diese Ansicht Schimper's, als
auch überhaupt die Existenz dieser Gebilde seitens mehrerer
Botaniker vielfach geleugnet, denn, erstens, gicbt es ja
keinen analogen Fall bei den übrigen Moosen, die, wie
296
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 29.
bekannt, alle ohne Ausnahme, nur Sporen von einerlei
Art erzeugen, und zweitens, weil die Erzeugung der klei-
neren Sporen in den Sphagnumkapseln überhaupt keine
häutige, vielmehr eine anomale Erscheinung ist.
Hinsichtlich der Natur der fraglichen Sporen spricht
Goebel in seinen „Muscineen" die Vermuthung aus, dass
„diese räthselhaften Bildungen" vielmehr ein durch die
Thätigkeit eines unbekannten Pilzes hervorgebrachtes De-
formationsproduct der normalen Sporen seien. Der deutsche
Hepaticolog Stephani, der ähnliche kleinere Sporen, welche
unzweifelhaft einem Pilze gehörten, in der Kapsel von
Anthoceros einmal beobachtete, deutet die von ihm übrigens
nicht untersuchten Mikrosporen von Sphagnum als Sporen
eines Schmarotzers. Warnstorf hingegen erklärt diese Ge-
bilde für echte Mikrosporen, welche männliche Sphagnum-
ptlanzen erzeugen, weil sie, seinen Beobaclitungen nach,
nur bei zweihäusigen Sphagnumartcn vorkommen sollen.
Diese Angabe Warnstorf's ist N. genöthigt schon deshalb
als unrichtig zu erklären, weil er die „Mikrosporen" bei
einem einhäusigen Sphagnum, nämlich bei Sph. squarrosum
gefunden hat.
Um die Frage über die wahre Natur der Schimper-
schen „Polyeder" bestimmt zu beantworten, musste deren
Entwickeluug aufgeklärt werden. Eine der gestellten
Forderung entsprechende Untersuchung hat N. schon im
Jahre 18Ö0 ausgeführt, indem er die Entwickelung der
polyedrischeu Sporen, die er als unzweifelhafte Pilzsporen
sofort erkannte, von ihrer Anlage an bis zur Reife ver-
folgte.
lieber die Assiinilatioii des freien Stickstoffs bei
den Pfiaiizeu in ilirer Abhängigkeit von Species, von
Eruälirungsverliältuissen und von Bodenarten. —
Im Anschluss an meine früheren Mittheilungen über
die Stickstoff - Ernährung der Pflanzen (vergl. „Natur-
wissenschaftliche Wochenschr." Bd. VI S. 59, 205 u. s. w.
und Bd. VII S. 103 u. 515), besonders aber als weitere
Ausführung und Ergänzung zu dem vor einiger Zeit von
mir gebrachten Eeferate: „In wieweit ist der freie Luft-
stickstoft' für die Ernährung der Pflanzen verwerthbar?"
(vergl. „Naturw. Wochenschr." Bd. VII S. 108), erscheint
es mir angemessen, in gedrängter Kürze die neueren
Resultate*) hier wiederzugeben, welche Professor Dr.
A. B. Frank bei seinen weiteren Untersuchungen über
die Ernährung der Pflanzen mit Stickstoff erhalten hat.'-*)
Diese auf Grund der sehr eingehenden Versuche,
welche zum Theil schon früher, hauptsächlich jedoch aber
in den Jahren 1890 — 92 im pflanzenpiiysiologischen In-
stitut der Königl. Laudwirthschaftlichen Hochschule zu
Berlin angestellt sind, erhaltenen Ergebnisse des genannten
Forschers sind nach meiner Ansicht nicht allein für die
Pflanzenphysiologie und den Ackerbau von sehr grosser
Wiclitigkeit, sondern sie dürften vielleicht auch ein allge-
meineres Interesse beanspruchen. —
Zunächst hat man nach den sehr treffenden Aus-
führungen Frank' s in der oben citirten Abhandlung streng
zwischen den Begriffen „Stickstoffanreicherung oder Stick-
stofl'sammlung durch die Pflanzen im Sinne der Land-
wirthschaft" und „Assimilation von Stickstoff' aus der Luft
im pflanzenphysiologischen Sinne" zu unterscheiden. Denn
der pflanzenphysiologische Begriff Assimilation von Stick-
stort' aus der Luft ist keineswegs immer gleichbedeutend
mit dem, was in der Landwirthschaft als Stickstofi"-
') Bezüglich aller Einzelheiten sei auf die €)rig;in<al-Abhand-
lung von Frank in den Landwirthschaftlicheu Jahrbüchern 1892
Bd. XXI S. 1 — 44 verwiesen; dgl. Deutsche Landw. Presse 1893
Seite 133.
**) Vergl. auch den Original-Ai-tikel des Herrn Prof. Frank
in der „Naturw. Wochenschr." Bd. II S. 3.
anreicherung oder Stickstoffsammlung durch die Pflanzen
bezeichnet wird.
Nach den bis jetzt uns vorliegenden Kenntnissen über
die Stickstoff- Ernährung der Pflanzen werden nämlich die
beiden generell verschiedenen Stickstofifqucllen, welche den
Pflanzen zu Gebote stehen: erstens die StickstoftVerbin-
dungen, welche im Ackerboden vorhanden oder durch
Düngung dahin gebracht sind, zweitens der in der Luft
vorhandene Stickstoff", von den verschiedenen Pflanzenarten
keineswegs in gleichem Maasse ausgenützt.
Man kennt bereits einerseits Pflanzen, welche die
Stickstoflfvcrbindungen, vorzüglich die der Salpetersäure,
in sehr ausgedehntem Maasse verwenden und diese Ver-
bindung mit grosser Begierde dem Boden entziehen, dahin-
gegen von dem Luftstickstoff' vielleicht nur wenig ver-
arbeiten. Hierher gehören besonders die sog. Salpeter-
pflanzen. Andererseits sind Pflanzen bekannt, bei denen
der atmosphärische Stickstoff' den grössten Theil des ganzen
Stickstoff'bedarfes der Pflanze liefert und die Salpetersäure
des Erdbodens nur in beschränktem Maasse verwendet
wird, ja völlig entbehrlich ist, wie dies z. B. sehr deut-
lich ])ei der gelben Lupine (Lupinus Intens) der Fall ist.
Als stickstoff'sammelnd im landwirthscliaftlichen Sinne
sind nun solche Pflanzen zu betrachten, welche aus
der Luft soviel Stickstoff assimilireu, dass nach der
Ernte in den von der Pflanze im Boden zurückge-
lassenen Wurzeln, Stoppeln und Abfällen mehr Stick-
stoff enthalten ist, als der Boden während der Vegetations-
zeit Stickstoff' in Form von Salpetersäure zur Ernährung
an die Pflanzen abgegeben und in anderer Weise durch
chemische Processe direct verloren hat. In diesem Falle
ist also die Stickstoff'erwerbuug der Pflanze aus der Luft
so gross, dass sie nicht nur den gesannntcn Erntestickstoff
liefert, sondern noch einen Ueberschuss, durch welchen
der Ackerboden im Stickstoff'gehalte verbessert wird. Land-
wirthschaftlich werden daher in dieser Beziehung gerade
diejenigen Pflanzen die erste Stelle einnehmen, welciie im
physiologischen Sinne das eine Extrem bilden, d. h. unter
Verzicht auf den Bodenstickstoft" ihren ganzen Bedarf ans
der Luft decken.
Hierzu im (iegensatze stehen auf der anderen Seite
im landwirthschaftlichen Sinne die sog. Stickstoff'zehrer,
welche sich auch wieder mit dem physiologisch anderen
Extrem decken, wo die Stickstoff'assimilation aus der Luft
eine sehr minimale oder gleich Null ist. Die Pflanze ent-
lehnt in diesem Falle den überwiegenden oder vollen
Stickstoff'bedarf dem Boden und hinterlässt diesen also
ärmer an Stickstoff nach der Ernte.
Nun ist jedoch eine wirkliche Eintheilnng der Pflanzen
in diese beiden Kategorien, in stickstoff'sanmiclnde und
stickstoffverzehrendc, wobei die Pflanzen sämmtlieh ent-
weder der einen oder der anderen Klasse zugetheilt werden
niüssten, schon aus dem Grunde nicht zu machen, da that-
sächlich der Fall eintreten kann, dass eine Pflanze neben
atmosphärischem Stickstoff' auch Bodenstickstoff' verbraucht
und in ilu'en Ernterüekständen gerade soviel Stickstoff' im
Boden zurücklässt, als sie während ihrer Entwickelung
dem letzteren entzogen hatte. Bei der Cultur dieser Pflanze
wird sich dann ein Gleichbleiben des Stickstoff'es im Boden
zeigen; die Pflanze selbst aber könnte landwirtliscliaftlich
nicht mehr als stickstott'anreichernd bezeichnet werden,
während sie physiologisch als stickstoff'assimilirend gelten
muss. Die landwirthschaftliche Bezeichnung stickstotf-
sammelnd und stickstoff'zehrend giebt also nichts weiter
an als die Bilanz zwischen der vor und nach der Cultur
einer Pflanze im Boden vorhandenen Stickstoft'menge, die,
von verschiedenen Factoren abhängig, über die Thätig-
keit der Pflanze selbst aber noch keinen Aufschluss
geben kann.
Nr. -29.
Naturwissenschaftliche Wociienschrift.
297
Nun kommt aber ausser der Frage, ob Stickstoft'-
sammlung' oder Stickstort'zehrung, landwirtlischaftlich auch
uocli die Stickstoft'production der Pflanze in Betracht, wie
sie sich in den Ernteproducten aussjiriciit. Eine grosse
Stickstoti'productidn ist sowold bei Stickstotl'sammlern wie
bei .Stickstotit'zclH'ern, also sowohl bei vorwiegender Er-
werbung von Stiekstott' aus der Luft wie aus dem Boden,
möglich.
Aus diesen Ausführungen ergiebt sich also wohl deut-
lich, dass die Stickstoflassiniilation im physiologischen
Sinne sich nicht ohne \\'eitcres mit der landwirtiiseiiaft-
lichen Charakteristik deckt, sondern nur einen der Factoren
darstellt, welcher mit den anderen Factoren, auf welche
die Statik des Ackerbaues ebenfalls Rücksicht zu nehmen
hat, vereinigt werden muss, um ein vollständiges Gesammt-
bild der Pflanze bezüglich ihrer Stickstotfökononiie zu
erhalten.
Die im Nachfolgenden angeführten Versuche und Er-
gebnisse behandeln daher in dem S(iel)en dcflnirten physio-
logischen Sinne auch nur den einen bei der Stickstoff-
ökonomie der Pflanzen betheiligten Factor, die Assimilati(m
von Stickstoff aus der Luft, auf Grund der Versuche, die
Frank in den letzten Jahren über diese Frage ange-
stellt hat. —
In dei' erwähnten Abhandlung werden nunmehr die
Versuche sehr eingeliend besein-iebeu, welche sich auf die
Abhängigkeit von Species, und zwar sowohl bei den
Kryptogamen als auch bei den Pbanerogamen be-
ziehen.
Wir k('innen hier leider aus Mangel an Raum auf
diese, sowie auf die folgenden hochinteressanten Unter-
suchungen im Einzelnen nicht näher eingehen und müssen
zu diesem Zwecke auf das Original verweisen.
Sodann folgen in gleicher Ausführlichkeit die Unter-
suchungen über die A bhängigkeit von Ernährungs-
bedingungen und schliesslich diejenigen über die Ab-
hängigkeit von Bodenarten.
iki den letzteren Versuchen mit Erbse (Pisum sativum)
und Klee (Trifolium pratense) im Moorboden handelte es
sich unter Anderem hauptsächlich um die Beantwortung
der Fragen, 1) ob der Symbiosepilz der Leguminosen im
Moor schon von vornherein vorhanden ist, und 2) ob durch
eine geeignete Bodenimpfung und durch die dadurch be-
wirkte Einführung von Keimen des Leguminosenpilzes der
Ertrag der Leguminosen auf dem Moorboden noch ge-
steigert werden kann. Die Versuche ergaben nun folgen-
des: In den ersten Wochen entwickelten sich die Erbsen
in diesen Cultaren keineswegs l)esonders, sie zeigten ein
sehr langsames Wachsthum und eine ziendieh gelligrüne
Färbung, einige derselben gingen sogar zu Grunde. Später
jedocii besserte sich der Zustand ganz auffallend, indem
das Wachsen viel lebhafter wurde, die Farbe sich in ein
tieferes Grün verwandelte und Blütheu und Früchte zur
Entwickeluug kamen. Nach Frank's Meinung steht dieses
sehr wahrscheinlich nut der erst spät erfolgten Infection
und dem Zustandekommen der Syndjiose im Zusanmien-
hange.^^
Wie aus den Versuchen hervorgeht, ist für die Erbse
augenscheinlich der Hochnioorboden keine besonders gün-
stige Bedingung, wenigstens im Vergleich zum Humus-
boden. Nichtsdestoweniger war al)er doch eine deutliche
Ertragssteigerung zu bemerken, wenn diese Pflanze auf
dem Moorboden zugleich mit gewöhnlicher Ackererde ge-
impft wurde. Besonders interessant war aber, dass Wurzel-
knöUehen, also Symbiose mit dem Pthizobium, nicht bloss
nach Anwendung von Impferde, sondern auch spontan in
der reinen Moorerde, welche keine absichtliche Ver-
mengung mit fremdem Boden erhalten hatte, gefunden
wurden. Hiernach müssten die Keime des Leguminoscu-
pilzes auch in dem natürlichen Hochmoor vorhanden sein,
oder man muss annehmen, dass dieselben in der Luft so
verbreitet sind, dass eine Infection der Leguminosen durch
den Boden gar nicht stattzuflnden braucht, sondern dass
eine solche schon durch die Luft stattfinden könne.
Im Anscbluss hii'ran sei noch erwähnt, dass Frank
bei der Uutersuciiung von Weisskleepflanzen, welche auf
einem Hochmoor bei Georgsdorf gewachsen waren, das
noch nie, wie überhaupt die ganze Gemarkung von Georgs-
dorf, Inipferdc l)ekonnnen hatte, ausserordentlich zahlreich
Wurzelknöllchen von ganz normaler Beschaffenheit und
mit den charakteristischen Baeteroiden erfüllt in der oberen
P)odensehieht antraf. Die betreftende Fläche war 5 Jahre
hintereinander gebrannt und ohne Düngung nach dem
JJrande mit Buchweizen besäet worden, seit 1889 hatte
diese Fläche nur wiederholte Düngung mit Aetzkalk,
Tiiomasschlacke, Kainit und Chilisalpeter zu Hafer mit
Kleegras-Untersaat erhalten.
Nacii den Versuchen Frank's mit Klee im Moorboden
hat zunächst die vonSalfeld*) nachgewiesene grosse Klee-
fähigkeit des Hoehnioores ihre volle Bestätigung erfahren,
indem auch die Frank'sehen Kleeculturen einen bei Ab-
schluss der Versuche überraschend günstigen Stand zeigten.
Sodann scheint nacii den ausgeführten Untersuchungen
der Ilochmoorliodcn für den Rothklee eine weit günstigere
Bedingung als für die Erbse zu sein.
Ferner wurde in Uebereinstimmung mit dem Erbsen-
versueh auch auf dem Moorboden bei den Kleepflanzeu
das Rhizobium, mit welchem sie dann in Symbiose ge-
treten sind, angetroffen. Bei diesen Versuchen wäre also
eine künstliche Einführung des Pilzes nicht unbedingt
H(")thig gewesen, trotzdem war aber doch die vortheilhafte
Wirkung der Impfung mit Ackererde, welche augenschein-
lich eine ausgiebigere Infection bedingte, unverkennbar.
Des Weiteren hatte Frank noch ebensolche Versuche
in geimpftem und ungeimpftem Moorboden mit Bokhara-
klee (Melilotus albus) angestellt. Dieselben ergaljen völlig
analoge Resultate wie der Rothklee, d. h. die nicht ge-
impfte Cultur bliel) anfangs bedeutend hinter der geimpften
zurück, besserte sieh aller später allmählich und wurde
so der geimpften ähnlicher, ohne sie jedoch an Dichtig-
keit des Pflanzenbestandes völlig einzuholen. Wurzel-
knöllclien wurden schlicsslieb an beiden Culturen an-
geti-otfen. —
Aus den zahlreichen und sehr eingehenden Unter-
suchungen ergeben sich nun nach Frank folgende Er-
gebnisse;
A. Für die Pflanzenphysiologie.
Die Hypothese Ilellriegers, wonach im Pflanzen-
reiche eine Ueberfuhrung des elementaren Stickstoffes in
Stickstoffverbindungen einzig und allein durch denSynibiose-
pilz der Leguminosen von Statten gebt, hat sich nicht
bestätigt. Die Assimilation des freien Stickstoffes ist viel-
mehr eine über das ganze Pflanzenreich und unter den
verschiedensten Pflanzenformen verbreitete Erscheinung.
Dieselbe ist bei den höheren l'flanzen allgemein an
diejenige Bedingung geknüpft, welche auch bei anderen
Ernäimingsthätigkeiten so zum Vorschein konnnt, dass die
Pflanze zunächst den schwächlichen Jugendzustand über-
wunden und sich in ihren vegetativen Organen, besonders
in ihrem Blattapparat, gekräftigt hat. Je mehr dieses ge-
schieht, desto energischer kommt die Kraft, elementaren
Stickstoff zu assinnliren, zum Ausdruck.
Bei den Nicht-Leguminosen und Leguminosen herrscht
*) Vergl. Mittheiliingen des Vereins zur Förderung der Moor
cultur im Deutschen Eeiche 1888 S. 28!^ und Deutsche landw irtli
schiit'tliche Zeitung 18. Februar 1890.
298
Naturwissenschaftliche Wochenschiift.
Nr. 29.
ferner auch darin Uebereinstimraung, dass die in ihren
Samen als Reservestoft'e vorhandenen Stickstofifverbindungen
nicht ausreichen, uin die Keimpflanzen bis zu demjenigen
Erstarkungszustande zu bringen, wo die Stickstotfassimi-
lation in ausgiebiger Weise erfolgen kann, und dass also
die Pflanze, sobald niciit anderweitig für ihr Stickstotf-
bedürfniss in dieser l'eriode gesorgt wird, in einen Zu-
stand des Stickstotfhuugers verfällt. Derselbe macht sich
dadurch bemerklicli, dass das Wachsen verlangsamt wird,
die Hlilttcr kümmerlicher und chloroiihyllärmer gebildet
werden und die älteren Blätter, von den unteren Thcilen
des .Stengels beginnend, allmählich wieder absterben, weil
ihnen die plastisciien Stoffe zu Gunsten der jüngeren
Organe wieder entzogen werden.
Weiter stimmen die Nicht-Leguminosen und Leguminosen
darin Uberein, dass dieser Stickstoffhunger des heran-
wachsenden Pflänzchens vermieden oder überwunden wird,
wenn eine für die Ernährung geeignete StickstoftVerbin-
dung vorhanden ist, d. h. wenn entweder die Pflanze auf
einem nicht zu stiekstoffarmen Boden wächst, oder wenn
ihr auf andere Weise eine geeignete Stickstotfverbindung
geboten wird.
Die eigentliclie Jugondnahrung der Pflanzen hinsiciit-
lich des Stickstoffes bilden also die Stickstoffverbindungen.
Für manche Pflanzen (die eigentlichen Salpeteriiflanzen)
haben diese wohl noch eine ausgedehntere Bedeutung. Es
bleibt aber jedoch noch festzustellen, wie gross das wahre
Stickstoffbedürfniss der einzelnen I'flanzenarten in dieser
Beziehung ist. Die Beobaclitungen, dass gewisse Pflanzen
mit steigenden Gaben an gebundenem Stickstoff steigende
Erträge liefern, sind, nach Frank, in dieser Frage noch
kein Beweis, da die Pflanzen aus der Luft Stickstoff auf-
nehmen, und es bis jetzt nicht bekannt ist, wieviel von
dem gegebenen gebundenen Stickstoff thatsäcblich von
der Pflanze verwerthet worden ist und wieviel davon im
Boden zurückgeblieben und dort durch chemische Processe
zerstört worden und verloren gegangen ist.
Für die Nicht-Leguminosen ist die Gegenwart von
Stickstoffverbindungen im Boden das einzige Mittel, um
dem Stickstoffhunger der Juugi)flanze vorzubeugen und
dieselbe soweit zu kräftigen, dass Stickstofiferwerbung aus
der Luft erfolgen kann.
Den Leguminosen aber steht ausser diesem noch ein
zweites besonderes Jlittel, das den gleichen Erfolg erzielt,
zur Verfügung, nändich die Symbiose mit einem Ijcstiaunten
Spaltpilz, dem Rhizobium Leguminosarum. Durch dieses
Mittel wird die Legunünose befähigt, auch ohne das Vor-
handensein gebundenen Stickstoffes im Boden die Jugend-
periode zu überwinden, indem ihr dadurch schon in dieser
Zeit der elementare Stickstoff nutzbar gemacht wird. Durch
die Pilzsymbiose wird also die Leguminose vom gel)uudenen
Stickstoff überhaupt unabhängig gemacht.
Wenn nun aber auch die Leguminosen durch die Pilz-
symbiose die Fähigkeit haben, allein aus elementarem
Stickstoff der Luft ihren ganzen Stickst()fl'l)edarf zu decken,
so wirkt auf sie doch auch zugleich der gebundene Stick-
stoff', wie er in den besseren Böden gegeben ist oder
durch eine entsprechende Düngung geboten wird, vortheil-
haft, indem durch die vereinte Wirkung von Symbiose und
Stickstoffverbindungen die Fähigkeit der Pflanze, freien
Stickstoff zu assimiliren, ihr Maxinunu erreicht, wie dies
wenigstens für die Erbse und den Rothklee nachgewiesen
ist und wahrscheinlicli auch für die meisten anderen Le-
guminosen zutrefl'en wird. Die einzige, bis jetzt bekannte,
Ausnahme hiervon ist die gelbe Lupine, bei welcher durch
die Gegenwart von StickstoftVerbindungen die Fähigkeit
der symbiotischen Pflanze, freien Stickstoft' zu assimiliren,
abgeschwächt wird, so dass also für diese Leguminose
der elementare Stickstoff gerade als die beste Stickstoff-
nahrung anzusehen ist.
In derselben Weise, wie bei den Nicht-Leguminosen,
wo die Assimilation des freien Stickstoffes überhaupt ohne
die Hilfe des Pilzes vor sich geht, ist auch bei den Le-
guminosen der Pilz hierzu keine nothwendige Bedingung.
Denn diese Pflanzen erlangen ebenso, wie die Nicht-
Leguminosen, sobald sie durch Stickstoffverbindungen ihre
genügende Jugendernährung bekommen haben, die Fähig-
keit, Stickstoff' zu assimiliren, auch bei vollständigstem
Ausschluss der Pilzsymbiose. Dieses gilt von allen von
Frank bisher daraufhin geprüften Leguminosen, wobei
auch die gelbe Lupine keine Ausnahme macht. Wenn-
gleich auch begreiflicher Weise die gleichzeitige Mitwirkung
der Symbiose einen noch grösseren Erfolg ergeben hat.
Ol) überhaupt in dem Rhizobium selbst eine Kraft
der Stickstofl'assimilation liegt, ist nicht bewiesen, sondern
sogar noch unwahrscheinlicher geworden durch die Beob-
achtung, dass dieser Pilz bei seiner Entwickelung ausser-
halb der Leguminose für sich allein eine Assimilation von
freiem Stickstoff nur äusserst träge, jedenfalls nicht stärker
als andere bis jetzt darauf geprüfte Pilze erkennen lässt.
,,Es ist daher die Hypothese noch immer die wahrschein-
lichere, dass die Wirkung dieser Pilzsymbiose mehr in
der Leguminose selbst liegt, d. h. dass durch den Eintritt
des Pilzes in den Organismus der Pflanze ein Reiz auf
die letztere ausgeül)t wird, durch welche die schlummern-
den Assimilationskräfte derselben geweckt und activirt
werden."
B. Für den Ackerbau.
Nach den Untersuchungen Frank's kann allen Pflan-
zen, Leguminosen wie auch Nicht-Leguminosen, der freie
Luftstickstoff zur Ernährung nutzbar gemacht werden oder,
anders ausgedrückt, ein mehr oder weniger grosser Theil
des in den Ernten enthaltenen Stickstoffs ist von den
Pflanzen aus der Luft aufgenommen.
Trotzdem ist der gebundene Stickstoff im Ackerboden
für den Pflanzenbau im Ganzen nicht zu entbehren, jedoch
ist dies in sehr ungleichem Grade bei den einzelnen Cultur-
pflanzen der Fall.
Zur Gewinnung des Höchstertrages an Erntestickstoff
auf den leichtesten, stickstofl'ärmsten Bodenarten giebt es,
ohne dem Boden eine Stickstoft'düngung zu geben, soweit
die bisherigen Forschungen reichen, nur eine Leguminose,
die gelbe Lupine, welche auf stickstofffreiem oder stickstoft'-
armeni Boden lediglich mit Hilfe ihres Synibiosepilzes die
höchsten, nämlich höhere Stickstoffernten liefert, als wenn
ihr gleichzeitig eine Stickstoffdungung gegeben ist, welche
bei diesen Pflanzen abstumpfend auf die Kraft, freien
Stickstoff zu erwerben, zurückwirkt und daher als directe
Verschwendung anzusehen ist.
Die Erbse dagegen liefert — und wahrscheinlich ver-
halten sich viele andere Leguminosen ebenso — auf stick-
stofffreiem Boden im Vereine mit dem Symbif>sepilze den
Höchsti'rtrag an Erntestickstoff erst dann, wenn sie zu-
gleich durch gebundenen Stickstoft', besonders in Form
von salpetersauren Salzen ernährt wird, obgleich auch
diese Pflanze bei Ausschluss aller Stickstofl'verbinduugen
entwickclungsfähig ist, wenngleich mit geringerem Erfolge.
Das Quantum des zu diesem Zwecke erforderlichen ge-
bundenen Stickstoffes scheint jedoch nach den hierüber
angestellten Versuchen geringer zu sein, als man nach
gewöhnlicher Auffassung für nötliig hält.
Gute, d. h. hunms- und stickstoffreichere Btxlen eignen
sich überhaupt nicht für die gelbe Lupine, indem sie hier
auch im Symbiosezustande weniger Stickstoff aus der Luft
assimilirt und geringere Stickstoft'ernten liefert, als auf
stickstoffarmem Boden.
Nr. 29.
Naturwisseiiscbaftliclic Woclienselirift.
•299
Die Erbse, der Rotliklee und walirsclieinlich viele
andere noch niclit liierauf geprüfte Leguminosen erzielen
dagegen auf diesen Hodenarten einen grosseren ErtVdg
iiezüglieh der lM-\verl)ung von Stickstoff aus der Luft, als
auf den leicliten, stickstoffarnien Böden, auch bei einer
genügenden Düngung der letzteren mit Kalk, Kali und
iPbos])liat, was nach Frank gleichfalls mit dem Vorrath
an StickstoftSerbindnngen in den besseren Böden im Zu-
sammenhange steht, welche, wie ans den N'ersuciien iier-
vorgeht, auch sclmu ohne eine besondere .Stiekstofl'dnngung
auf die PHanzenentwickeiung kräftig wirkten. Hiernach
erscheint es fraglich, ob auf den besseren Böden eine
Stickstoffdüngung zu den genannten Leguminosen überall
nothwendig ist; die Wirkungen des Stalldungs auf Erbse
u. dgl. auf den besseren Böden beruhen möglicher Weise
auch auf dem Gehalt des Dungs an Kali etc. und können
dann auch durch künstliche Düngemittel erwartet werden.
Die den Boden an Stickstoff bereichernde Wirkung
der Leguminosen, welche auf dem Zurückbleiben der
stickstoffreichen Wurzelreste im Boden beruht, findet nicht
bloss auf den stickstoffarmen, sondern auch auf den
besseren und humusreichen Böden statt.
Bei den Nicht- Leguminosen dagegen ist die Ver-
besserung des Bodens, gegenüber dem Quantum von ge-
bundenem Stickstoff', welchen sie dem Boden entziehen,
nur eine geringe. Aber auch sie entnehmen einen Theil
ilu'es Stickstoft'bedarfes aus der Luft, und der Effect der
Stickstoffsannnlung zeigt sich, sobald der von den Pflanzen
gesannnelte Stickstoff nicht als Ernte vom Boden weg-
genommen, sondern die gesannnte Pflanzenmasse dem-
selben einverleibt wird. In dieser Beziehung treten als
Gründttngungspflanzen auch Nicht- Leguminosen den Le-
guminosen als bodenbereichernde an die Seite. Doch bedarf
der Fähigkeitsgrad der verschiedenen Nicht-Leguminosen
in dieser Beziehung nach Species erst noch einer ein-
gehenderen Erforschung. Dieselben werden jedoch zu
dieser Stickstoffverbindung aus der Luft um so l)efähigter,
je mehr sie durch Anbau auf guten, für sie geeigneten
Bodenarten, beziehentlieh durch eine Gabe von gebundenem
Stickstoff' in ihrer ersten Leijensperiode zu einem kräftigen
Entwickelungszustand gebracht werden.
Diese nunmehr durch vielfache wissenschaftliche
Versuche festgestellte Fähigkeit der Pflanzen, den Luft-
stickstoff zur Ernährung zu verwenden, welche, nach
Frank im Pflanzenreiche weit verbreitet und nicht nur
auf die Leguminosen sich beschränkt, ist nun nach ge-
nanntem Forscher (vergl. Deutsche Landw. Presse 1893
S. 133) je nach den einzelnen Pflanzenarten grosser
oder geringer, so dass unsere Aufgabe darauf wird ge-
richtet sein müssen, weiter zu untersuchen, weiche Pflanzen
in dieser Beziehung das Meiste leisten, nnd ob und wie
man im Stande sein wird, durch geeignete Kulturmethoden
diese Fähigkeit bei den einzelnen Pflanzenarten noch zu
verstärken. . Jedenfalls ist, wie bereits aus zahlreichen
Untersuchungen von Frank als auch von Petermann und
Liebscher hervorgegangen, je besser die Entwickelung ein
und derselben Pflanzenspecies ist, auch desto ergiebiger
ihre Stickstoftsammlung aus der Luft; oder mit anderen
Worten: „Jede Steigerung der Pflanzenentwickelung, die
durch Begünstigung der Factoren des Pflanzenwachstbums
(Boden, Düngung, Witterung) zu erzielen ist, vermehrt
auch die Erwerbung von Stickstoff aus der Luft dureii
die Pflanze, und zwar sowtdd bei den Leguminosen als
auch bei den anderen Pflanzen (Frank).
Der Luftstickstoff steht, nach Frank, in viel ausge-
dehnterem Maasse, als man bisher glaubte, der landwirth-
liclicn Produktion offen. Auf den gebundenen Stickstoff
des Bodens können freilieii, wie erwähnt, die Pflanzen,
wenigstens gewi.sse Arten, nicht ganz verzichten. Aber
bei dem Anbau von Pflanzen, die selbst keine starken
Stickstoffsainnder sind und deren .Stickstoff geerntet wird,
kann man durcli Anliau stärkerer Stickstoffsanmiler und
\ erwcndung dersellien als (lründUni;:ung immer wieder
neuen Luftstickstotf in gebundenen Bodensfickstoff über-
führen. Jede Gründüngungspflanze, Leguminose (ider
Niciitleguminose, wo sie nur am rechten Platze ist, wirkt
nach Frank nicht bloss stickstofferhaltend, dadurch dass
sie einen Theil des sonst versickernden h'islicheu Boden-
stiekstoffs in Form von Pflanzensubstanz in der ( )ber-
krume iestlegt. sondern auch stickstntfNcrmehrend. weil
sie Luftstickstoff in Pflanzenstickstoff umwandelt.
Dr. R. Otto.
Zur Oeologie von Nord-Patagonieii, ~ In einer
Arl)eit, die als vdrläuflge jMittheilung vom Verfasser be-
zeicJmet wird, giebt Jos. von Siemiradzki in Lemberg
im L Hefte 1893 des Neuen Jahrbuches für Mineralogie
etc. einen kurzen Bericht über seine Forschungsreise nach
Nord-Patagonien, in jene Gebiete , welche unter den ad-
ministrativen Bezeiclinungen Pamjja central, Rio Negro
und Neuquen bekannt sind. Der Weg führte über Bahia
Bianca zur Jlilitair-Golonie General Acha, über die Pam-
pasgebirge von Lihue-Calel und Choique-Mahuida nach
Choele-Choel am Rio Negro, diesen und den Limay-Fluss
hinauf bis zum See Nahuel-Huapi, über den Pass von
Lonquimay nach Santiago nnd zurück über üspallata
nach Buenos Ayres. Die beispiellose Ungenauigkeit der
sogenannten Generalstabskarte des Oberst Rhode veran-
lasste den Verfasser, trotz seiner unzureichenden In-
strumente, ein Croquis seiner Route aufzunehmen, wonach
die Gegend eine von der bisherigen ganz abweichende
Gestaltung zeigte. Instructiv ist ein Profil, welches man
sich von der Mündung des La Plata über die Pampa
central nach W. S. W. verlaufend vorzustellen hat. 1 )iesem
folgend, trifft man zuerst auf die kaum 80 m sich er-
hebende eigentliche Pampa, welche aus Löss mit der
bekannten Glvptodon-Fauna besteht, der von pliocäneu
Muschelbänken unterlagert wird, aus denen inselartig
ältere Partien miocöuen und eocänen Gesteines hervor-
ragen. In nordwestlicher Richtung von Bahia Bianca
nach San Luis zu erhebt sich das Land zu einer 300 m
hoiien, durch zahlreiche abflusslose Seeen ausgezeichneten
Terrasse, welche zur Pampa central hinüberführt. In diese
letztere sind ausser den Thälern der beiden grössten pa-
tagonisehen Flüsse, des Rio Colorado und Rio Negro,
zahlreiche lefe Erosionsthäler mit Nordost- oder Ost-Verlauf
eingeschnitten, in denen häufig abflusslosc, stark salzhaltige
Seen liegen und wo allein sich üi)pige Vegetation vor-
findet; auch alle Ansiedelungen der Pampa central werden
in diesen Vertiefungen angetroffen, da ausserhall) der-
selben keine Feuchtigkeit gefunden wird. Die Pampa
central steigt allmählich, aber stetig immer höher empor,
bis sie in der Nähe der Cordillere eine Hrdie von lOOU m
erreicht. liir Boden wird aus einer weissen Kalkmergel-
schicht unbekannten Alters gebildet, der allmählich in
das patagouische Geröll übergeht, welches oft in einer
Mächtigkeit von 10 m ungeheure Flächen bedeckt und
dessen Entstehung nach dem Verfasser noch nicht erklärt
worden ist. — Der gewaltige Bitter-See Urre-Lafqucn
liegt ebenfalls in einem mächtigen Erosionsthale, wird
rings von Salzsteppen, Salitrades, umgeben und zerfällt
in der trockenen Jahreszeit in eine Reilie getrennter See-
becken. Hierauf sind die Widersprüche auf den ver-
schiedenen Karten zurückzuführen. — Eine beachtens-
werthe, von den bisherigen abweichende Erklärung giebt
Siemiradzki für die in der ganzen Pamjja zerstreut aul'-
taueheudeu Gebirgsgruppen, welche als „V'irgatiouen der
Cordillere"
gewöhnlich
zusammeugefasst werden. Nach
300
Naturwisseuschaftliche Wochenschrift.
Nr. 29.
ihm stellen dieselben „ein ungeheures paläozoisches
Faltung'ssystem vor, welches den ganzen Ürboden Süd-
amerikas zusammensetzt, ein constantes S. (.). -Streichen
besitzt und mit der meridionaleu Richtung der jung-
eruptiven Vulcanreihe nichts zu thun hat." Südamerika
besitzt nämlich zwei verschiedene Dislocationsrichtuugen;
eine ältere, südöstliche, welche mit Eintritt der Carbon-
Periode ihr Ende erreichte, und eine junge, meridionale.
welche besonders während der Tertiärzeit wirkte, höchst
wahrscheinlich aber auch noch gegenwärtig thätig ist.
Der ersteren verdanken die sogenannten Virgationen der
Anden ihre Entstehung, der zweiten die Vuleanreihen der
Cordillere. Diese letztere Richtung tritt im nördlichen
und mittleren Theile der südamerikanischen Anden zurück,
herrscht dagegen in Chile vor, so dass sie die Spuren
der älteren nahezu verwischt hat. Verfasser führt für
seine Ansicht verschiedene, sehr iustructive Beispiele an,
welche derselben hohe Wahrscheinlichkeit gewähren. —
Längs des Alumine-Flusses entdeckte der Verfasser eine
ganze Reihe erloschener Vnlcane, die trotz ihrer Höhe
bis zu 2000 m bisher auf keiner Karte angeführt sind.
Dieselben liegen vollständig getrennt auf der Ostseite der
Cordillere von Chile, welche ihre Hauptvulcane entweder
auf ihrem Gipfel oder am Westabhange entwickelt zeigt.
— Die diluvialen Glacialbildungen haben nicht die ge-
waltige Ausdehnung, wie von mancher Seite angenommen
wird. In erster Linie darf ihnen die patagonische Geröll-
schieht nicht zugerechnet werden. Typische Gletscher-
spuren, Moränen und Gletschersehliflfe, finden sich in der
Umgegend von Tandil, besonders aber in der Nähe der
Cordillere. — Eine Eigcnthiimlichkeit der Cordillere sind
ihre zahlreichen Torfmoore, welche besonders an den
Glacialmoränen auftreten, und die sogenannten Torfquellen,
runde Löcher, rings von üppiger Vegetation verdeckt,
welche dem Reisenden und seinem Thiere oft recht ge-
fährlich werden können.
Ueber das im Meerwasser enthaltene Gold und
Silber macht V. Freudenberg im Auslande (Jahrb. 66,
Seite 306) die folgende Mittheilung: Dass Gold und
Silber im Meerwasser enthalten ist, hat man schon
seit den Forschungen Malagutis und Durochers gewusst,
aber eine zweckmässige Methode, diese Edelmetalle zu
gewinnen, ist bis jetzt noch nicht gefunden worden. Herr
C. A. Munster bespricht diese Frage in einer norweg-isehen
Zeitschrift und schlägt eine Methode der Gewinnung
dieser Metalle vor, welche nicht ohne allgemeines Interesse
ist und unseres Erachtens einige Beachtung verdient. Der
Genannte entnahm zum Zwecke der Untersuchung 100 1
Seewasser aus dem Christiania-Fjord, die er bis zur
Trockenheit des Bodensatzes verdampfen Hess, und die
1830g Niederschlag lieferten. Dieser ward gemahlen und in
Portionen von je 300 g eingetheilt, deren eine jede dem
gleichen chemischen Verfahren unterzogen ward, was das
Gewicht von 19 mg Silber und 6 mg Gold per Tonne
Seewasser von durchschnittlicher Beschaffenheit ergab.
In Erwägung nunmehr des äusserst geringen Gehaltes
des Seewassers "an Edelmetallen hält der Schreiber des
Artikels dafür, dass keine Methode des Niederschlages in
Behältern oder Gefässen von Erfolg sein könne; es müsse
der Niederschlag, meint er, im Meere selbst stattfinden,
wo das Wasser durch eine natürliche Strömung fortwäh-
rend erneuert wird. Er schlägt daher zu diesem Ende
vor, dass man einen etwa 60 m breiten Kanal zwischen
zwei kleinen Inseln, wie deren, von Felsen gebildet, die
norwegische Küste in Masse aufzuweisen habe, aufsuche,
und zwar da, wo die Strömung ungefähr 4 m pro Minute
beträgt, sowie in einer Lage, die vor dem Wellenschlag
und vor Winden möglichst geschützt sei. Ueber diesen
Kanal soll der Unternehmer 60 Stück 2 m breite galvani-
sirte Eisenplatten in der Weise legen, dass sie in einem
Winkel von 30° gegen den Strom geneigt sind. Durch
die ganze Platteuserie soll dann ein elektrischer Strom
behufs Niederschlages der Edelmetalle geleitet werden.
Für die Erzeugung eines so geringfügigen Stromes, wie
er hierfür erfordert wird, erachtet Munster wenige Pferde-
kräfte als hinreichend, und die könnten durch Wasser-
kräfte, Wind oder auf thermo-elektrischem Wege leicht
aufgebracht werden, indem man die Differenz der Tempe-
ratur zwischen Meer und Luft benutzt. Das grosse, hier-
zu erforderliche Kahmenwerk, meint unser Gewährsmann,
könne auf billige Weise aus mit Graphit und Theer ge-
tränktem carbonisirtem Holze hergestellt werden, da die
leitende Kraft für einen so schwachen Strom keine grosse
zu sein brauche. AVenn alle die genannten Platten passi-
renden Edelmetalle niedergeschlagen würden, meint er,
so könnten selbige leicht den jährlichen Werth von
1 500 000 Dollars erreichen, und da die Arbeitskosten
sehr gering seien, so würde es sich der Mühe lohnen,
selbst wenn die Ausbeute nur Vioo o*^l^i' Viooo obiger
Sunmie betrüge.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt : Der Kaiserliche Rath, Honorardocent Dr.
G. A. Koeli zum ausserordentlichen Professor der Minei-alogie,
Petrographie und Geologie an der Hochschule füi- Bodencultur in
Wien. — Der Privatdocent Dr. Bayer zum ordentlichen Professor
in der medicinischen Facultät der Universität Strassbnrg.
Es haben sich habilitirt: Der Assistent am physikalischen In-
stitut der Universität Jena Dr. Rudolf St r anbei für Physik. —
In der medicinischen Facultät der Universität Berlin: Dr. Dietrich
Nasse für Chirurgie — und Dr. Kurt Schimmelbusch.
Es sind gestorben: August B. Ghiesbreeht, bekannt
durch seine Forschungsreisen in Brasilien, Centralamerika und
Mexico. — Der Arzt und Naturforseher F. C. Kiär in Christiania,
liekannt durch seine Untersuchungen der Kryptogamen, speciell
der Moose. — Der frühere Lehrer an der Centralschule in Paris
Professor Daniel Colladon, bedeutender Physiker, in Genf.
Emin Pascha's Tod ist heute noch in Dunkel geliüUt. Nach
dem Deutschen Kolouialblatt (S. 275) hat Tippu Tipp im April d. J.
von seinem Verwandten Raschid ben Jlohamed bin Said el Mai-jabi
einen vom 2. December 1892 datirten Brief erhalten, demzufolge
Emin Pascha auf dem Rückzuge nach einem unglücklichen Gefecht
gegen den arabischen Sclavenjäger Said ben Abed el Khuduri im
November vorigen Jahres mit allen seinen Begleitern nieder-
gemacht worden ist. Tippu Tipp giebt als Platz, wo das Massacre
stattgefunden haben dürfte, einen Mlimani genannten Ort an,
welcher eine Tagereise von den Flüssen Ituri und Nyoro und circa
30 Tagereisen von den Stanley -Fällen entfernt liegen soll. Ent-
kommen sollen nur diejenigen Leute des Paschas sein, welche im
Lager zurückgeblieben waren. Der genannte Brief ist an den
Staidey-Fällen aufgegeben und auf dem Umwege über den Congo
und Europa an Tippu Tipp gelangt. Scheint hiernach also eine
Bestätigung des Todes Emin's vorzuliegen, so ist damit noch
keineswegs gesagt, dass die Nachricht auf Wahrheit beruht. Ver-
dächtig ist bei dem öfters genannten Briefe der ganz ungewöhn-
liche Weg, welchen derselbe genommen hat. Daher verdient eine
Stelle aus einem Briefe Professor Seh w e Inf urth's an die „Neue
Freie Presse" über das Schicksal des Paschas besondere Beachtung;
wir geben dieselbe im Folgenden wieder: „Kann ich Ihnen nun
auch auf dem Gebiete der Vermuthungen nichts Neues und Ueber-
raschendes bieten, so möchte ich doch nicht unterlassen, da auf
einen Umstand aufmerksam zu machen, der allerdings hervor-
gehoben zu werden verdient, wenn es sieh um die Möglichkeit
handelt, dass Emin Pascha am Ende doch noch leben könnte.
Als Stuhlmann ihn verliess, war Emin Pascha in Verbindung mit
seinen ehemaligen Soldaten am Albert -See. Kurze Zeit nach
Stuhlmann's Abreise kann die Nachricht von dem Herannahen
der Kerkhoven'schen Expedition, die auf dem Marsche nach Lado
war, zu Emin gelangt, vielleicht dieser durch Briefe direct auf-
gefordert worden sein, zu kommen. Wenn Emin (er brauchte dazu
nur über den See zu fahren) sich den Belgiern anschliessen wollte,
SU würden diese ihn gewiss mit offenen Armen aufgenounneii
haben. Ueber die ehemalige Provinz Emin's wissen wir aber seit
Jahr und Tag nicht d.is geringste, da die Belgier, si'itdrin sie dort.
Nr. 2!».
Naturwisscnscliaftliflie Wocliciischrift.
301
sind, iiDgeblich jede Nachricht über ihre Erwerbung am oberen
Nil unterdrücken, um den englischen Blättern keine Gelegenheit
zu geben, ihr Anrecht an dieses Gebiet zu bemäkeln. Die britische
Regierung lässt die Congo- Leute vorläufig gewähren auf der
clfenbeinfetten Domäne ihrer Interessensphäre, wehe aber, wenn
die Zeitungen dahinter kommen. Emin Pascha, das obere Nil-
gebiet, die Congo -Regierung und die britische Interessensphäre
am oberen Nil sind alle sanimt und sonders ein Mysterium. Da-
her kann man nur sagen: „Nichts (ilewisses weiss man nicht!"
Möchte die Ansicht des Herrn Professor Schweinfurth, dem in
allen Verhältnissen, welche auf die hier in Frage kommenden
Gegenden Bezug haben, vor allen anderen ein der Wirklichkeit
am nächsten kommendes Urtheil zusteht, die richtige sein, und
eines Tages die freudige Botschaft durch die Blätter eilten,
dass Emin Pascha mit seinen Leuten wohlbehalten an seinem Ziele
angelangt sei. Freilich wollen wir nicht verhehlen, dass uns
Herr Professor Schweinfurth in der letzten Sitzung der geogr.
Gesellschaft in Berlin die Hoffnungslosigkeit dieses Wunsches
bestätigt hat.
Die VIII. Generalversammlung des Internationalen Ento-
mologischen Vereins findet in Prag am l'-'. August d. J. statt.
Die 40. Versammlung der Deutschen Geologischen Gesell-
schaft findet in Goslar vom 14. August d. J. ab statt.
Eine Internationale Jubiläums-Gartenbau-Ausstellung, ver-
anstaltet zum fünfzigjährigen Bestehen des Leipziger Gärtner-
Vereins, findet vom 25. August bis ä. September in Leipzig statt.
Die bergmännische Ausstellung in Gelsenkirehen w urde am
1. ,Juli durch den Bergliauptmaini Täglichsbeck aus Dortmund
eröfl'nrt.
Astor Chandler und I«. von Höhnel haben Ende des vorigen
und Anfang dieses Jahres von Hanieye aus eine zweimonatliche
Reise ausgeführt und auf derselben einen Theil des Laufes des
Tana, den Lauf seines Nebenflusses Mackenzie bis zu einem seiner
Quellflüsse und endlieh eine Strecke des noch unerforschten Guasso
Njiro erkundet. (Petermaim's Mittheil. 1893, S. 120.)
Der bekannte Islandforscher Th. Thoroddsen ist von Kopen-
hagen nach Island gereist, um das unbewoluite Hochland am süd-
westlichen Rand des Vatna Jökull, die noch unbekannten Qnell-
flüsse des Skapta und Hoerfisfljat und die Gegend um den Katla
zu erforschen. (Verhdlgu. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin, S. 361.)
C. N. Fotanin, welcher mit seiner Expedition zur Erforschung
von Sz'-tschuan am 18. October (a. St.) 1892 von Kiachta auf-
brach, hat über Urga und Kalga Peking erreicht und ist Mitte
December v. J. von hier wieder aufgebrochen, um seine Reise
fortzusetzen. (Globus G4, S. 1.'j.)
L i 1 1 e r a t u r.
Max Ifordau, Entartung. Carl Duncker in Berlin. I. Bd.: 1S92.
IL Bd.: 1893. — Preis a 6 Mk.
Ein neues Werk des geistreichen Schriftstellers Nordau wird
Jeder gern zur Hand nehmen und lesen. Es ist immer von Inter-
esse zu wissen, was er sagt: mag man nun in der Lage sein, ihm
ganz zuzustimmen oder mehr oder minder in den von ihm ent-
wickelten Ansichten abzuweichen. Die vorliegende, neueste zwei-
bändige Arbeit „Entartung'' beschäftigt sich mit dieser Erschei-
nung und mit den Werken und Einflüssen der „Entarteten" auf
die Gesellschaft. Die Entartung ist dem Verf. mit Morel eine
krankhafte Abweichung von einem ursprünglichen Typus. „Diese
Abweichung — sagt Morel — auch wenn sie anfänglich noch so
einfach wäre, schliesst übertragbare Elemente von solcher Be-
schaffenheit in sich, dass derjenige, der ihren Keim in sieh trägt,
immer mehr unfähig wird, seine Aufgabe in der Menschheit zu
erfüllen, und dass der geistige Fortschritt, der schon in seiner
Person gehemmt ist, sich auch bei seinen Nachkommen bedroht
findet." Das Ende unseres Jahrhunderts trägt nach Nordau das
Gepräge der Entartung. Morel führt dieselbe in der Hauptsache
auf Vergiftung zurück. „Ein Geschlecht, das regelmässig, selbst
ohne Uebermaass, Betäubungs- und Reiz-Stoft'e in irgend einer
Form gebraucht (also gegohrene , weingeisthaltige Getränke,
Tabak, Opium, Haschisch, Arsenik), das verdorbene Nahrungs-
mittel geniesst (mutterkornhaltiges Brod, schlechten Mais), das
organische Gifte in sich aufnimmt (Sumpffieber, Syphilis, Tuber-
cnlose, Kroptlvrankheit), erzeugt entartete Nachkommen, die,
wenn sie denselben Einwirkungen ausgesetzt bleiben, rasch zu
den tiefsten Stufen der Degeneration, zum Blödsinn, zur Zwerg-
haftigkeit u. s. w. hinabsteigen." Nordau fügt noch die schäd-
lichen, die Sinne übermässig und unaufhörlich reizenden Einflüsse
des Lebens in der Grossstadt hinzu. Die Eigenthümlichkeiten
und Merkmale der Entarteten werden ausführlich erläutert und
sodann in den Werken der „modernen" Künstler aufgewiesen.
Ein Hauptmerkmal der Entartung ist das mystische Delirium, die
beständige Beschäftigung mit mystischen und religiösen Fragen,
die übertriebene Frömmigkeit u.Js. w. Nordau findet diesen Mysti-
cismus u. a. vertreten bei Tolstoi und Richard Wagner. Auch
die „Ich-Sucht", ilie Nordau im Gegensatz zur „Selbstsucht" unter-
scheidet, w'elche letztere nicht ein krankhafter, sondern ein sitt-
licher Mangel ist, ist ein Charakteristikum des Entarteten. Der
e.vtreme Ich-Süchtige sieht nur sich und di^nkt nur an sich. „Er
hat — sagt Legrain — nur eine einzige Sorge: seine Begierden
zu befriedigen." Erscheinungen der Ich-Sucht sind u. a. nach
Nordau der „Ibsenismus"' Auch der Naturalismus Zola's dem ein
grösserer Abschnitt gewidmet ist (das 4. Buch des 2. Bandes), ist
nach Nordau eine auf Entartung zurückzuführende Erscheinung.
Prognose und Therapie der Entartung finden Besprechungen in
zwei Schlussabschnitten des Werkes. Der Kampf ums Dasein
wird die Zahl der Entarteten wieder herabmindern, aber Nordau
verlangt auch Belehrung des Volkes über die Entartungs-Erschei-
nungen von Seiten der Irren-Aerzte.
Charles Darwin, Reise eines Naturforschers um die Welt.
Autorisirte deutsche Ausgabe. Aus dem Englischen übersetzt
von J. Victor Carus. Mit 14 Holzschnitten. 2. durchgesehene
Auflage. E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung (E. Koch).
Stuttgart 1892. - Preis 9 Mk.
Man muss sich ei.üentlich wundern, dass die prächtige Dar-
win'sche „Reise eines Naturforschers um die Welt" in Deutsch-
land nicht mehr als nunmehr 2 Auflagen erlebt hat. Denn man
sollte doch annehmen, dass jeder, der sich Naturforscher nennt,
das Buch gelesen hat. Die erste deutsche Ausgabe erschien 187.5
also vor bald 20 Jahren! Wir möchten ausdrücklich darauf auf-
merksam machen, wie sehr geeignet das Buch ist, der reiferen,
sich für Naturbeobachtung interessirenden Jugend in die Hand
gegeben zu werden. Es ist eine wundervolle Vorschule zur An-
leitung der Beobachtung in der freien Natur, die Darwiu, w-ie er
das eben in dem Buche so glänzend beweist, bewunderungswürdig
verstanden hat. Wenn num berücksichtigt, dass Darwin erst
Anfang der Zwanziger war als er die Weltreise mitmachte, so
überrascht die Reife seines Urtheils und seiner Auffassungen um
so mehr.
Rieh. Biedermann. Ueber die Structur der Tintinneu-Gehäuse.
Aus dem zoolog. Institut der Universität. Kiel. Lipsius &
Fischer. 1892. 'b8 S. 2 Tafeln 4". — Preis 2 Mk.
Die vorliegende Schrift ist ein Ergebniss der LTntersuchung
der von der deutschen Plankton-E.xpedition gesammelten pela-
gischen Infusorien. Die zierlichen Gehäuse der Familie der Tin-
tinnen zeigen mehr oder weniger regelmässige Hohlräume in der
Substanz ihrer Wandung, eine alveoläre Bildung, welche geringe
Schwere mit Widerstandsfähigkeit und Elasticität vorbindet und
zugleich den Vortheil hat, dass weniger Material dazu nöthig ist;
nebenbei erhält das Gehäuse dadurch eine eigenthümliche Zier-
lichkeit und Schönheit. Man kann darunter etwa folgende
G nippen unterscheiden :
1. Das Gehäuse ist in ein rundliches Wohnfach und einen
mehr cylindrischen Aufsatz geschieden und zeigt eine sehr feine
netzartige Zusammensetzung, während einzelne Stellen einen beson-
deren Bau zeigen (secundäre Structurtiguren); diese Stelleu sind
meist symmetrisch und nicht unmittelbar mit einander zusammen-
hängend.
a) Am Aufsatz immer, am Wohnfach meistens grosse scharf-
begrenzte, runde oder vieleckige sehr durchsichtige Stellen,
sogenannte Fenster. Nie Fremdkörper am Gehäuse. —
Dictyocysten-Gruppe.
b) Nur am Wohnfach und auch da nicht immer Fenster vor-
handen, dagegen andere Structiirfigureu oft am ganzen Ge-
häuse. Fremdkörper selten. — Codonella-Gruppe.
2. Gehäuse schlank oder glockenförmig ohne besonderen
Aufsati^, netzartig, ohne Fenster, mit Neigung zu Spiralen oder
Kreisriugelung. Zahlreiche Frenulkörper an die Schale angekittet
und dadurch die Regelmässigkeit der primären sechseckigen Fel-
dorung oft gestört. — T i n t i n n o p s i s - G r u p p o.
3. Ciehäuse schlank, ohne besonderen Aufsatz, netzartig ohne
Fenster, oft mit secuudären Structurfiguren oder auch Verstär-
kungszügen, welche regelmässig unter sich zusammenhängen und
sich gegenseitig begrenzen.
a) Spitze einfach oder fehlend. Zwischenrippen der grossen
Felder sehr stark. Mündungsrand meist gezähnt. — Cytta-
ro cy tis-Grup p e.
b) Spitze oft complicirt. Zwischenwände der grossen Waben
dünn. Felder regelmässig sechseckig, an verschieileneu
Stellen vim verschiedener Grösse. — Lauzon-Tintinneu.
302
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 29.
c) Nur gleichgrosse regelmässig sechseckige Felder am ganzen
Gehäuse. Undella-Gruppe.
d) Längsleisten an der Oberfläche des Gehäuses. Grössere
runde oder ovale Felder zwischen den gleichmässigen sechs-
eckigen eingestreut. Streifen-Tintinnen.
Das Litteraturverzeichniss enthält 22 Nummern, beginnt mit
zwei Werken von O. Fr. Müller, 1776 und 1786 und endet mit
0. Nordquist 1890. Die gut ausgeführten Tafeln zeigen die wich-
tigsten Formen und einzelne besondere Structnrverhältnisse in
Vergrösserungen von 145 bis 1480. E. v. Martens.
Prof. Dr. Eduard Heiden, Leitfaden der gesammten Dünger-
lehre und Statik des Landbaues. 3. vermehrte und verbessiMte
Aufl., umgearbeitet von Dr. Hermann Gräfe. Philipp Cohen
(M. Berliner). Hannover 1892. — Preis 3,25 M.
Das bewährte und ausgezeichnete Buch erschien zuerst 1873,
die vorliegende 3. Aufl. hat die verhältnissmässig zahlreichen Fort-
schritte im Gebiete der Agriculturchemie des letzten Jahrzehntes
passend berücksichtigt. Die 1. Abtheilung behandelt die Ernäh-
rung der Pflanzen, die 2. den Dünger im engeren Sinne. Das
Buch ist möglichst gemeinverständlich gehalten, um auch dem
Landwirth, dem nur geringere wissenschaftliche Kenntnisse zur
Verfügung stehen, verständlich zu sein.
Prof. Dr. Emil Koehne, Deutsche Dendrologie. Kurze Be-
schreibung der in Deutschland im Freien auslialtenden Nadel-
und Laubholzgewächse zur schnellen und sicheren Bestimmung
der Gattungen, der Arten und einiger wichtigeren Abarten und
Formen. Mit etwa 1000 Einzelfiguren in 100 Abbildungen nach
Original -Zeichnungen des Verfassers. Stuttgart, Verlag von
Ferdinand Enke. 1893. — Preis 14 Mk.
Die vorliegende neue, ausgezeichnete, von vielen Seiten sehn-
süchtig erwartete Dendrologie wird jeden, der sich für die wilden
und bei uns im Freien aushaltenden Gehölze interessirt, in höchstem
Maasse befriedigen. Dem gelelirten Fachmann und Praktiker,
wie z. B. dem Baumschulen-Besitzer, ist das Buch unentbehrlich,
denn es resumirt nicht nur die heutigen Kenntnisse in dem Gebiete
auf das Treft'lichste, sondern der gewissenhafte Verfasser hat auch
alles selbst untersucht und dadurch ganz wesentliche Fortschritte
errungen. Der Fachmann würde das Buch, das nur 602 Seiten
umfasst, weit umfangreicher wünselien: er möchte sich von dem
Verf. möglichst viel sagen lassen, und diejenigen, die den Herrn
Verf. kennen, wissen recht gut, dass er in der That das Buch
sehr viel umfangreicher hätte gestalten und dabei immer aus
eigener Kenntniss schöpfen können. Freilich wird das Buch in
der vorliegenden Form grössere Verbreitung finden, namentlich
wird der Liebhaber, auf dasselbe aufmerksam gemacht, leichter
die Beschaffung desselben bewerkstelligen, als wenn es sich um
ein umfangreiches und dann nothwendigerweise kostspieliges
Werk handeln würde.
Referent hat nach dem Buche einige Bestimmungen probe-
weise vorgenommen: glatt und schnell führten dieselben zum
Ziel, kurz, Verf. hat in jeder Beziehung das Menschen-Mögliche
erreicht.
Die Diagnosen sind bei ihrer Kürze, die stets die wichtigsten
Merkmale herausgreifen, mustergültig: die Unterschiede sind in
einer grossen Anzahl von Fällen weit schärfer erfasst worden, als
es bis dahin geschehen war, und viele überhaupt zum ei-sten Male
erkannt worden. Es steckt in dem Werk eine gewaltige Arbeit:
jedes Wort ist der Beachtung würdig. Den wissenschaftlichen
Anforderungen in gleicher Weise entsprechende Abbildungen, wie
die vielen Original-Zeichnungen des Verfassers, hat Referent bisher
in keiner anderen Dendrologie gefunden.
Privatdoc. Dr. A. Zinunermann, Beiträge zur Morphologie und
Physiologie der Pflanzenzelle. Heft III (Schluss von Bd. I).
Mit 1 Doppeltafel und 21 Textfiguren. H. Laupp'sche Buchh.
Tübingen 1893. — Preis 4 Mk.
Verl. hat in dem voi'liegenden Hefte auch Untersuchungen
Fremder aufgenommen, weshalb wir auf dem Titelblatt dieses
Heftes und dem ihm beigegebenen Haupttitelblatt des Bandes I
die Angabe finden „herausgegeben" von A. Zimmermann, während
die beiden früheren Hefte einfach als Beiträge „von" A. Z. be-
zeichnet sind. Heft III bringt die Abhandlung 9 — 15 und zwar:
9. Ueber die Elaioplaston, 10. Zur Wachsthumsmechanik der Zell-
membran, 11. Ueber Apiocystis Brauniana Naeg. (von C. Correns),
12. Zur Kenntniss der inneren Structur einiger Algenmembranen
(von demselben), 13. Ueber eigenartige Membranverdickungen im
Blatte von Gyperus alternifolius, 14. Ueber Calciumphosphataus-
scheidungen in lebenden Zellen und 15. Ueber eigenartige Cuti-
cularbildungen (von K. Schips). No. 9, 10, 13 und 14 haben den
Herausgeber zum Verfasser.
Die trefflichen Untersuchungen sind für die Lehre von der
Pflanzenzelle von grossem Werth, seit Hofmeister's berühmter
Arbeit ist kein Werk erschienen, dass so eingehend und resultat-
reich den Gegenstand gefördert hätte: der Botaniker muss es
kennen.
Prof Dr. Ludw. Neumann, Die Volksdichte im G-rossherzog-
thum Baden. Eine anthropogeographische Untersuchung. Mit
einer Höhenschichtenkarte und einer Volksdichtekarte Badens
in 1:800 000. Forschungen zur deutschen Landes- und Volks-
kunde, herausgegeben von A. Kirchhofif, Bd. VII, Heft 1.)
8°. 172 S. Stuttgart, J. Engelhorn, 1892. — Preis 9,40 Mark.
Der 7. Band der Forschungen erött'net eine sehr eingehende,
mit peinlichster Sorgfalt ausge.arbeitete, auf langjährigen Special-
Studien bestehende Arbeit des durch seine orometrischen Arneiten
über den Schwarzwald u. s. w. rühmlichst bekannten Freiburger
Geographen, welche bereits 1890 abgeschlossen war, aber wegen
der Kostspieligkeit der beiden grossen zu derselben gehörigen
Karten nicht veröffentlicht werden konnte. Durch das Badische
Statistische Bureau, welches von mehreren Ministerien unterstützt
wurde, ist die Herausgabe der beiden schönen Kartenblätter er-
möglicht worden. Als Grundlage für die Volksdichtekarte glaubte
der Verfasser erst eine Höhenschichtenkarte neu schaft'en zu
müssen, was an sich schon eine sehr zeitraubende und mühselige
Arbeit erforderte. Nach welchen Grundsätzen dann mit Hilfe der-
selben die Volksdichtekarte ausgearbeitet wurde, ist in dem
ausführliehen ,, Allgemeinen Theil" (S. 11-70) näher dargelegt und
zu den bisherigen Darstellungen der Volksdichte Stellung ge-
nommen. Das Wesentliche ist, dass hier nicht von den po-
litischen Eintheilungen ausgegangen wurde, sondern dass Neu-
mann die natürlichen Momente möglichst berücksichtigen
will. Die Aufgabe, welche er zu lösen sucht, lautet: „Wie ver-
theilt sich die gegenwärtige Bevölkerung des Grossherzogthums
Baden unter dem Einfluss der orohydrographischen Lage, der
Höhe, des Klimas, der Bodenbeschalfenheit und Bodenbebauung,
endlich unter Berücksichtigung der grossen Verkehrsstrassen und
der modernen Ausgestaltung der Grossindustrie?'' Er beschränkt
sich dabei auf Baden, einmal, weil die statistischen Aufzeichnungen
der verschiedenen Länder, welche nun einmal das Urraaterial für
Volksdichtestudien bilden müssen, nach recht verschiedenen Ge-
sichtspunkten gewonnen wurden und daher keine gleichwerthige
Verarbeitung gestatten, ausserdem aber, weil die auf Autopsie be-
stehende Vertrautheit des Verfassers mit seinem Arbeitsgeliiet,
hauptsächlich Baden, dieses aber auch nahezu vollständig, um-
fasst. Er gelangte zu folgenden natürlichen Untergruppen: 1. Die
nordöstliche Stufenlandschaft zwischen Main und Neckar;
2. der Odenwald zu beiden Seiten des unteren Neckars; 3. das
Kraichgauer Hügelland im Süden des Odenwaldes bis zum
Schwarzwald; 4. die Rh ein ebene; 5. der Schwarzwald; 6. die
Hochebene der Baar im Osten des Schwarzwaldes und an der
oberen Donau; 7. der südliche Theil des badischen Jura im
Klettgau zwischen dem Rhein und dem Schweizer Kanton
Schaft'hausen; 8. der Jura längs der Donau vom Randen bis in
die Gegend von Sigmaringen; 9. die Hochebene des Hegaues
zwischen Oberrhein und Jura; 10. das Linzgauer Bergland im
Norden des Bodensees.
Es werden nun kurz die klimatischen Zustände dieser
L;indestheile dargelegt, die hydrographischen Verhältnisse,
besonders namentlich diejenigen der Rheinebene besprochen und
eine geschichtliche Uebersicht der Besiedelung des heutigen
Badens gegeben, bei welcher auch die prähistorischen Funde Be-
rücksichtigung finden.
Es folgen dann eine Anzahl Tabellen über Fläche, Volks-
zahl und Volksdichte der Landestheile und Höhenstufen (S. 71
bis 83), hieran schliesst sich der „Spezielle Theil". Dieser
bespricht die Volksdichte der oben genannten natürlichen
Landestheile und sucht namentlich die auf der Karte nicht zum
Ausdruck gebrachten geographischen Momente, welche bei der
heutigen Volksdichte eine Rolle gespielt halien, darzulegen. Ver-
fasser gelangt dabei zu dem schliesslichen Ergebniss, dass das
Moment der Meereshöhe (welches die Karte veranschaulicht),
und die von ihr bedingten klimatisciien Einflüsse nicht so ein-
schneidend wirksam ist, wie er von vornherein eigentlich erwartet
hätte. So findet man wohl im Allgemeinen in der gesammten
Rheinebene, welche bis 300 m unter derselben klimatischen Be-
günstigung steht, wie in ihren tiefsten Theilen, weiter im oberen
Rheinthale bis zu derselben Höhengrenze, sodann in den ti(>f
liegenden Theilen des Main, der Tauber, des Neckar, der Murg
und Kinzig bis zu 200 m eine mittlere Dichte von 230 Köpfen auf
1 qkm, aber es zeigen sich im einzelnen doch grosse Abweichungen
von diesem Mittelwerthe, wie z. B. beim Neckarthal im Bereich des
Buntsandsteins und Muschelkalks, in der Rheinebene über und
unter dem Hochufer u. s. w. Ueberall nimmt wohl im allgemeinen
Nr. 29.
Naturwissenschaftliche Woclieiisciirift.
303
die Volkszahl mit der Höhe ab, aber die Art dieser Abnahme ist
grundverschieden je nach der orographischen Ausgestaltung der
Höhenformen. So besitzt z. B. die rauheste badische Landschaft,
die Baar, mit ihren strengen Wintern auf einer Mittelhöhe von
nicht weniger als 770 in durch iliren treff liclien Boden eine Volks-
dichte, die bei rein landwirthschaftlichem Charakter der Be-
völkerung in unseren Breiten kaum wieder angetroft'en wird. Der
Kampf mit dem Klima wurde hier aufgenommen und siegreich
durchgeführt, da dauernde materielle Hilfskräfte ihm zum Sieg
verhalfen. Verfasser muss einräumen, dass für die Zusammen-
häufung der Bevölkerung in Niederlassungen hauptsächlich die
Beschaffenheit des Bodens und sodann die Lage einer Siedehuig
zum allgemeinen Verkehr entscheidend sind. Natürlich giebt es
auch hinsichtlich der Höhenlage Grenzen, welche nicht Über-
schrittenwerden. So liegt z. B. im Schwarzwaldo die obere Grenze
ständiger Wohnhäuser genau bei 12ÜÜ m; das Jalu-esmittel der
Temperatur ist liier nur 5/C., die Mittel für Winter, Frühling,
Sommer, Herbst betragen — 1,; 4,; 13,; 5|i°C. Im Allgemeinen
kommt e.« aber auf die Höhenlage durchaus erst in zweiter Linie
an, denn nach Fr. Ratzeis Wort ist „die geographische Ver-
breitung des Menschen das Ergebniss aus dem Zusammenwirken
seiner eigenen Natur mit der Natur, die ihn rings umgiebt." Es
wäre daher wohl ein noch naturgemässeres Bild der Bevölkerungs-
dichtigkeit Badens erzielt worden, wenn Neumann, statt der un-
geheuren Arbeit, welche ihm die hier vorliegende Dichtekarte
gemacht hat, die einzelnen Wohnplätze ihrer Einwohnerzahl ent-
sprechend durch kleinere und grössere Punkte bezüglich Kreisn
bezeichnet hätte, wie dies Katzel neuerdings vorgeschlagen hat.
Fr. Kec:el.
Prof. J. Violle, Lehrbuch der Physik. Deutsche Ausgabe von
Gumlich, Holborn, Jaeuer, Kreichgauer, Lindeck. 1. Theil :
Mechanik. 2. Bd. Mechanik der flüssigen und gasför-
migen Körper. Mit 1309 Textfig. Julius Springer. Berlin
1893. - Pr. 10 Mk.
Die günstige Beurtheilung, welche der erste Band des vor-
liegenden, für die physikalische Welt höchst willkommenen Werkes
erfahren hat, kann in gleicher Weise auch auf den zweiten Band
ausgedehnt werden. Derselbe beginnt mit einer sehr ausfüln--
lichen Besprechung der bisher au.sgeführteu Versuche über die
Compressibilität der Flüs.sigkeiten. Es folgt dann die Hydrostatik
in althergebrachter Form. Eine besonders ausführliche Darstel-
lung finden danach die Capillaritäts- und Ditiusionserscheinungen,
sowie die Theorie der inneren Reibung. Die letzteren beiclen
Erseheinungscomplexe sind auch in der Lehre von den gasför-
migen Körpern sehr gründlich behandelt. Besonders wohlthuend
berührt in dem vorliegenden Handbuch, dass Theorie und Praxi.s
in ganz gleichem Maasse Berücksichtigung finden, sodass infolge-
dessen der nebenhergehende Gebrauch eines zweiten Compendiunis
wohl nur sehr selten erforderlich sein dürfte. Koerber.
G. Foussereau, Polarisation rotatoire, reflexion et refraction
vitreuses, reflexion metallique, Lecons faites a la Sorbonne
cu 1891 l)is 1892. Georges Carre, a Paris 1893.
Für denjenigen, der an der Anwendung des mathematischen
Rüstzeugs auf physikalische Probleme und an der Verfolgung einer
fruchtbaren Theorie bis zu ihren letzten Consequenzen Freude hat,
giebt es kaum ein anregenderes Studium, als das der höheren Optik.
Hier ist auf den von Fresuol geschaffenen Grundlagen ein so
reiches und harmonisch gegliedertes Gebäude aufgeführt worden,
dass man vielfach bereits im Stande war. theoretisch als Fol-
gerungen der zu Grunde gelegten Hypothesen Erscheinungen ab-
zuleiten, deren experimentelle Bestätigung erst später genau in der
vorher bestimmten Weise erfolgte. So complicirt und so schwer
fasslich für unser Vorstellungsvermögen auch immer die hypothe-
tischen Voraussetzungen der Undulationstheorie sein mögen, der-
artige Untersuchungen müssen jeden Zweifler davon überzeugen,
dass diese Theorie, selbst wenn' sie der Wirklichkeit nicht völlig
entsprechen sollte, doch für die gegenwärtige Wissenschaft ein
unschätzbares Kleinod ist. — Das vorliegende Werk, aus an der
Pariser Sorbonne gehaltenen Vorlesungen entstanden, ist in holiera
Maasse geeignet, beim weiteren Eindringen in die Fragen der
hrdicrcn (Jptik als Führer zu dienen. Freilich wird eine sichere
Kenntniss der allgemeineren Grundlagen der Lehre von der Pola-
risation des Lichts vorausgesetzt, im Uobrigen ist jedoch dem
Stoff eine möglichst elementare Behandlung zu Theil geworden,
die noch durch zahlreicha einfache Figuren unterstützt wird. —
Den ersten Abschnitt des Buches bildet die Besprechung der
natürlichen Drehung der Polarisationsebene im Quarz und in ge-
wissen Flüssigkeiten. Es werden dann in einem zweiten Abschnitt
die merkwürdigen Einwirkungen des Magnetismus auf die Pola-
risationsebene mit Ausführlichkeit auseinandergesetzt. Den dritten
Abschnitt bildet die Theorie der Spiegelung und Brechung bei
durchsichtigen Körpern, während im letzten Theil des Werkes die
Reflexion an Metallen behandelt wird. Der Autor nimmt überall
auf die Originalabhandlungen Bezug und hat insbesondere auch
den neuesten Fortschritten auf seinem Gebiete gebührende Auf-
merksamkeit geschenkt. So finden wir im ersten Abschnitt die
Arbeiten von Mallard und Gouy, im zweiten diejenigen von
Wiener, Wedding und Chauvin eingehend berücksichtigt, und im
letzten Alischnitt werden die Ergebnisse, zu denen in neuester
Zeit Rayleigh, Wiener und Lippmann gekommen sind, sorgfältig
besprochen. Koerber.
Klapalek, F., Untersuchungen über die Fauna der Gewässer
Biihmens. Prag. 3,G0 M.
Babor. J., et J. Kostal, Note sur une espeoe nouvelle d'Arion.
Prag. 0,4(1 M.
Beijerinck, M. W., Uebi'r die Butylalkoholgährung und das Butyl-
fiTuient. Amsterdam. ],lü M.
Bergemann, P., Die ^'erbreitung der Anthropophagie über die
Erde und Ermittelung einiger Wesenzüge dieses Brauches.
Bunzlau. 1,20 M.
Bezold, W. V., Die Meteorologie als Physik der Atmosphäre.
0,.">0 M.
Buckmann, S. S., Vererbungsgesetze und ihre Anwendung auf
den Menschen. Leipzig. 2 M.
Bung'B, K. V., Ein Beitrag zur Kenntniss der Hydrastis canadensis
und ihrer Alkaloide. Dorpat. 4,50 M.
Correvon, H., Les orchidees rustiques. Genf. 4 M.
Dippe, A., Untersuchungen über die Bedeutung der Denkform-
Idee in tler Philoso])hie und Geschichte. Berlin. 1 M.
Dubois, E., Die Klimate der geologischen Vergangenheit und
ihre Beziehung zur Entwickelungsgeschiehte der Sonne. Leipzig.
1,50 M. ' ^
Eisler, P., (Jrundriss der Anatomie des JNIenschen. Stuttgart.
7 M.
Emmerich, A., Der Koordinatenbegriff und einige Grundlehren
vou di'U Kegelschnitten. Essen. ü,S0 M.
Fenchel, A., Die Entwicklung und Degeneration der Hartge-
bilde im Thierreich in ihrer Bedeutung für die Degeneration des
menschlichen Gebisses. Hamburg. 1 M.
Figdor, W., Versuche über die heliotropische Emjifindlichkeit
der Pflanzen. Leijizig. 0,30 M.
Frank, A. B., Lehrbuch der Botanik, nach dem gegenwärtigen
Stanil der Wissenschaft. 2. (Schluss-)Bd. Leipzig. 11 M.
Frank, H., Grundriss der Chirurgie für Studirende und Aerzte.
Stuttgart. 6 M.
Frenzel, J., Untersuchungen über die mikroskopische Fauna
Argentiniens.
Gravelius, H., Die Anwendung der elliptischen Functionen bei
Berechnung absoluter Störungen. Berlin. 2 M.
Gremli, A., Excursionsflora für die Schweiz. 7. Aufl. Aarau.
5,10 M.
Grimsehl, Die magnetischen Kraftlinien und ihre schulgemässe
Behandlung zur Erklärung der Induktionsströme. Hamburg.
2,.'i0 M.
Gruson, H., Im Reiche des Lichtes. Sonnen, Zodiakallichte,
Kometen, Dännai'rungslicht-P\-ramiden nach den ältesten ägypt.
t^luellen. Braunschweig. 1 M.
Hertzer, H., Fünfstellige Logarithmentafeln. 3. Aufl. Berlin.
1,20 M.
Berichtigung.
Seite 272, erste Spalte, Zeile 4 von oben muss es statt Brom-
berjr — Bombav heissen.
Inhalt: Die Natur der chemischen Elemente. — Geburten und Eheschliessungen
der Aphten-Seuche durch den Genuss von Süssrahmenbutter. — Die Eiche als Käf
Mikrosporangien und Mikrosporen der Torfmoose. — Die Assimilation des freien
Abhängigkeit von Species, von Eruährungsverhältnissen \uu\ vcm Bodenarten. — Zur
das im Meerwasser enthaltene Gold und Silber. — Aus dem wissenschaftlicheti Leben.
Charles Darwin: Reise eines Naturforschers um die Welt. — Rieh. Bieder m:
Gehäuse. — Prof. Dr. Eduard Heiden: Leitfaden der gesammten Düngerlehre und
Koehne: Deutsche Dendrologie. — Privatdocent Dr. A. Zimmermann: Beitrag
Pflanzenzelle. — Prof. Dr. Ludw. Neu mann: Die Volksdichte im CTrossherzogthum
Physik. — Ct. Foussereau: Polarisation rotatoire, reflexion et refraction vitreuses, rc
enezuela im Jalire 1892. — Uebertragung
'er-Wohiuuig. — Ueber die vermeintlichen
Stickstofts bei den Pflanzen in ihrer
(iCdlogie von Nord-Patagonien. — Ueber
— LItteratur: Max Nord au: Entartung. —
nun: Ueber die Structur der Tintinneu-
Statik des Landbaues. — Prof. Dr. Emil
e zur Morphologie und Physiologie der
Baden. — Prof. J. Violle: Lehrbuch der
tlexion metallique. — Liste. — Berichtigung.
304
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 29.
Die Insektei
>°ooB*se
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^
[animier
_>or5C.i
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welcher, ein scharfer Beobacliter, auch seine Beobachtungen in voUwerthiger Münze
ausprägt, plaudert darin über die verschiedensten Dinge: die Psychologie der Ich-
sucht, l'arnassier und Diaboliker, Decadenten und Aestheten, Ibsenismus, Friedrich
Nietzsche, Zola und die Zolaschulen, die juugdeutschen Nachätfer u. s. w. und be-
schäftigt sich dann mit dem 20. Jahrhundert, dem er die Prognose stellt und von
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Totonie, Berliu N. 4., Invalidoustr. 4U/4I,
Verlag: Ferd. Düiuinlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12.
für den liiseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
— Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung. Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 2:1 Juli 1893.
Nr. 30.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post- v Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 ^. Grössere Aufträge ent-
anstalten. wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist ^M.— dp sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
Bringegeld bei der Post 15 ^ extra. JL bei allen Annoncenbureaui, wie bei der Expedition.
Ahdriirk ist nur mit vollstäii4liv;cr t^nellcnangabe gestattet.
Die Biene als Depeschenträgerin, verglichen mit der Taube.
Von Oberleliror Clemens Könis;.
Dass der Hund, der Begleiter des Menschen, der
Hüter seines Hauses nnd seiner Herde;i, dass die.ser Jagd-
geseile, Komödiant und barmherzige Bruder zu St. Bern-
hard auch als Wegweiser, Wachtposten und Postbote
auftritt, ist allbekannt. Ei)enso bekannt ist, dass Tauben
allerlei Botendienste verrichten. Dagegen dürfte die Idee
immer noch neu und originell sein, die „Renner unter den
Insecten", die „Meister der lebendigen Steine'', die Honig-
bienen, für dergleichen Dienste zu gebrauchen.
Dieser Gedanke stammt aus Frankreich, aus der
Gironde. Die Liebe 7Aim Vaterland hat ihn gross ge-
zogen. Herr Teynac ist sein geschickter und beredter
Anwalt; in den „Inventious nouvelles", 1891 No. 9, hat
er ausgeführt, warum er gerade diese Thiere dazu aus-
ersehen. Wenn der Feind, so sagt er, wieder ins Land
kiniimt, Städte und Festungen mit eisernen Netzen dicht
umstrickt und alle Post- und Telegraphenverbindungen
zerstört, dann müssen Hunde und Taulien die Depeschen
besorgen, und wie viele Thiere werden dabei weggefangen
und niedergeschossen? Die Bienen gclien nicht so leicht
ein Objekt zum Niederschiessen nnd Wegfangen ab. Des-
halb sind unsere kleinen Lieblinge, die im Fiieden durch
ihre Spenden an Honig und Wachs den Nati(nialrciclithum
erhöhen, ganz l)esonders dazu geeignet, während eines
Krieges allerlei Nachrichten von Ort zu Ort zu tragen.
Es ist viel leichter, diesen ansprechenden Gedanken
ins Lächerliche zu ziehen, als ihn auf seinen Wcrth und
seine Bedeutung hin abzuwägen. Und ist das notliwcndigV
(ialt bei uns Deutschen nicht aucii die Brieftauben-
zucht vor dem grossen Krieg für nichts weiter als eine
zweck- und nutzlose Spielerei? Erst die Thatsache, dass
im Jahre 1870—71 durch die Tauben 150 000 amtliche
und eine Million Privatdepeschen und Postniandate nach
Paris befördert wurden, hat uns veranlasst, die Brief-
taubenzueht als eine dem Vaterlandc dienende Sache auf-
zufassen, sie zu heben uud zu fördern. Erst im Jahre
1883 haben sich die deutschen BrieftaubenzUchter- Vereine
zu einem Verbände geeinigt, der unter dem Profectorate
Sr. Majestät des Kaisers von Jahr zu Jahr leistungs-
fähiger geworden. Ihm hatte das königliche Kriegs-
ministerium bis zum Jahre 1889 bereits 17 goldene, 496
silberne und 490 bronzene Staatsmedaillen verliehen und
ausserdem alljährlich 1000 Mark für Prämien zum Ab-
schiessen der Habichte. Am Ende des genannten Jahres
zählte der Verband bereits 1.52 Vereine mit 2500 Mitgliedern
und 70000 Brieftauben, die im Kriegsfalle den Militärverwal-
tungen zur Verfügung stehen. Dabei wollen wir nicht
vergessen, dass so manche deutsche Festung ihren eigenen
Brieftaubenschlag unterhält.
Kann sich in ähnlicher Weise nicht auch eine Brief-
bienenzucht entwickeln? In diesem Vergleiche liegt un-
bedingt die ernste Mahnung, den aufgestellten und aus-
gearbeiteten Plan der Franzosen vorurthcilsfrei zu prüfen.
Den Maassstab hierzu liefert die Geschichte der Brief-
taubenzueht; sie schildert uns Einrichtungen und Leistungen,
die auch für die Bicneupost gelten können.
Wie die mit Raben, Dohlen und Elstern angestellten
Versuche ausgefallen sind, habe ich nicht erfahren können.
Aus Buddes „naturwissenschaftlichen Plaudereien" wissen
wir, was die Schwalben leisten. Am 24. Sept. 1888, so
lesen wir, wurden zu Rheidt, das westlich von Düsseldorf
gelegen, aus zwei Nestern, die sich in einem dortigen
Tanzsaale befanden und wegen ihrer Insassen tieissig be-
obachtet wurden, drei alte Schwalben genommen. Sie
wurden mit einem rothen Bändchen am Beine gezeichnet
und einem Herrn übergeben, der im Begriffe stand, nach
Berlin zu fahren. In Gütersloh Hess er die erste Schwalbe,
in Minden die zweite und in Hannover die dritte auf —
und davinifliegen. Eine jede fand sich nach Rlieidt zurück;
die erste hatte 156, die andere 212 und die dritte 26n
Kilometer Luftlinie zurückgelegt, und alle hatten auf ihrer
Reise das Bändehen vom Beine abgestreift.
306
Naturwissenschaftliehe Wochenschrift.
Nr. 30
Die Versuche mit Tauben sind viel älter. Schon
Vater Noah schickte drei Tauben aus. Auf den Denk-
mälern der alten Acgypter lesen wir, dass aus Cypern
und Kreta heimkehrende Seeleute, fern vom Lande, Tauben
aussaudten, um Verwandten und Bekannten ihre Ankunft
zu melden. Auch den Griechen und Römern war der
Gebrauch bekannt. Von Taurosthenes berichtet Aeli -
anus, dass er die aus dem väterhchen Hause mitgenom-
mene Taube, als er in Olympia den Preis errnng-eu, mit
einem Purpurläppchen behiug und nach Hause, zu seinem
Vater in Aegina (etwa 170 km), fliegen Hess. Und De-
cimus Brutus, so erzählt Plinius, sandte, als ihn seine
Feinde im Jahre 43 v. Chr. in Mutina (:= Modena) ein-
geschlossen hatten, Briefe, die er deu Tauben an die
Beine gebunden, ins Lager der Konsuln (vergl. Lenz,
Zoologie der alten Griechen und Römer. Gotha 1856.
S. 358, 360).
Im Mittelalter bestand in Bagdad eine vollständig-
eingerichtete Taubenpost. Die berühmte Khalifenresidenz,
die damals 2 Millionen Einwohner hatte, reichte mit ihren
Karawanenverbindungen bis Byzanz, Peking und Marokko.
Als die Stadt in die Hände der Mongolen fiel, verwelkte
ihre Bliithe, und damit erreichte die Taubenpost ihr Ende.
Im fernen Orient, im verkehrsreichen Land der Mitte, in
China, blühte diese Einrichtung von neuem empor; in
Europa dagegen wollte sie gar nicht gedeihen. Nur hier
und da bemerken wir ein vereinzeltes Beispiel:
Den Bewohnern von Harlem, als Friedrich von
Toledo i. J. 1572 ihre Stadt belagerte, imd den Be-
wohnern von Leyden, als die Spanier i. J. 1575 vor ihren
Mauern lagen, brachten Brieftauben die frohe Kunde, dass
der Prinz von Oranien mit seiner Hilfe heranrücke.
Später, in der Napoleonischen Zeit finden wir die Tauben
wieder auf dem Kriegsschauplatze, besonders in Diensten
des Hauses Rothschild. Sie bi'achten z. B. der Londoner
Filiale die Nachricht von Napoleons Niederlage bei Water-
loo drei volle Tage früher, als die englische Regierung
davon Kunde erhielt. Diese Zeit, so heisst es, wusste das
Bankhaus durch Aufkaufen und Verkaufen der geeigneten
Staatspapiere so auszunützen, dass ihm ein Verdienst von
Millionen zufiel. Und was die Brieftauben während der
Belagerung von Paris geleistet, das haben wir schon mit-
getheilt. Und wie schnell und wie weit fliegen die
Thiere?
Wenn Masius in den „gesammten Naturwissen-
schaften" (Essen 1874. II. Bd. S. 639) schreibt, dass zwei
dieser Vögel „den Weg von Paris nach Köln in ungefähr
30 Minuten zurücklegten," so ist das ein Irrthum oder ein
Druckfehler; denn die schnellsten Thiere, soweit mein
Wissen reicht, haben diesen Weg von 385 km in etwas
weniger als 3 Stunden durchsegelt, d. h. in der Stunde
130 km, in der Sekunde 35 m. Auch unter den vielen
Tauben, die ganz besonders auf die 30 km lange Strecke
Hildesheim-Hannover eingeübt waren, brauchten die besten
Flieger, wie Hoerter (Der Brieftaubensport, Leipzig
1890. S. 92. 182) angiebt, und noch dazu bei kräftigem
und günstigem Winde 15 Minuten, d. h. sie brauchten eine
Sekunde zu 33V3 m Wegstrecke. Das ist eine Riesen-
leistung; denn unser schnellster Eisenbahnzug, der Berlin-
Hamburger Eilzug, durchbraust die 286 km lange Strecke
in 3 Stunden 38 Minuten, d. h. in der Sekunde durch-
schnittlich 22 m. Mit diesen schnellen Boten können nur
elektrische Bahnen wetteifern. Auf der Linie St. Louis-
Chicago sollen die von elektrischen Motoren getriebenen
Wagen in der Sekunde 45 m weit laufen.
Wie sehr die Fluggeschwindigkeit der Vögel vom
Winde und vom Wetter überhaupt (auch vom Regen und
Nebel) abhängig ist, haben die vielen Versuche mit Brief-
tauben klargestellt. Von deu bei entgegengesetztem Sturm
und Regen in Hildesheim ausgeflogenen Tauben kehrten die
ersten nach 1 Stunde 30 Minuten in Hannover ein; zu
5V 3 m hatten sie durchschnittlich 1 Sek. gebraucht.
Die längsten Linien, die die Tauben durchflogen
haben, heissen, soweit meine Erfahrung reicht, Barmen-
Dresden mit 460 und Barmen-Königsberg mit 980 km.
Im Kriege spielen kleinere Entfernungen eine wichtige
Rolle, und für diese lassen, wie Hoerter durch Versuche
bewiesen, sich die Tauben auf Hin- und Rückflug
dressiren.
Und auf welche Weise befördern diese Vögel ihre
Aufträge'? Auf Brief bogen und Briefumschlägen tragen sie
das versiegelte Schreiben bald im Schnabel (eine Vor-
stellung, die ganz und gar gegen , die Natur der Thiere
spricht), bald am Halse, bald au den Füssen oder unter
den Flügeln. AH' diese Versuche haben sich nicht be-
währt; denn sie beschränken allzu sehr das Thier in
seiner freien Bewegung.
Später, als das Bauniwollenpapier aus den Fabriken
von Samarkand von den Arabern nach Europa gebracht
wurde, verbreitete sich auch der Gebrauch, den Tauben
einen festen Papierstreif mit der weiterzugebenden Nach-
richt um einen Fuss zu binden. Wie damals, so tragen
noch heute Tag für Tag Brieftauben die Preise für allerlei
Waaren, die Ankunftszeiten von Dschunken, den Tageskurs
des Dollars in chinesischem Kupfergeld z. B. nach und aus
Shanghai, dem grossen Stapelplatze Chinas. Die eigen-
artige Entwickelung, die das Reich der Mitte genommen,
ist unseren Besitzungen in Afrika sicherlich nicht vor-
gezeichuet. Hier werden Telegraphen und Eisenbahnen,
sobald es die finanziellen Mittel gestatten, gezogen und
gebaut werden, uud deshalb wird hier, trotz der auer-
kennenswcrthen Bemühungen der Herren Roeder in
Heidelberg und Hoerter in Hannover, die Brieftaubenpost
nie eine so wichtige Rolle im Verkehrsleben spielen, als
bei den Söhnen des himmlischen Reiches.
Während der Belagerung von Paris wurde in der
Herstellung und Befestigung der Depeschen für Brief-
tauben ein grosser Schritt vorwärts gethan. Die ins
Land zu schickenden Nachrichten wurden gross, plakat-
artig gedruckt und durch einen Mikrophotographen auf-
genommen und vervielfältigt. Die Verkleinerung betrug
durchschnittlich Vsuo- Sechzehn Druckseiten mit je 2500
Buchstaben, also 40 000 Buchstaben fanden dadurch auf
einem 5 cm laugen und 3 cm breiten Kollodiumhäutcheu
Platz, das kaum '/.jo Gramm wiegt. Dieses Blättchen
wurde zusannnengerollt, in eine Federspule oder in eine
dünne Glasröhre gesteckt und diese mittelst eines feineu
Fadens der zum Ausflug bestimmten Taube au die mittelste
Schwanzfeder gebunden oder geuäht.
Der eingetroflenen Taube wurde die Depesche abge-
nommen, und ein der Laterna magica ähnlicher Apparat,
in dem sie eingeschaltet ward, warf die aufgedruckte
Nachrieht tur jedermann lesbar auf eine au.sgespannte
Leinwand. Wie die Federhalter mit Photographie be-
weisen, genügt schon eine Lupe oder ein einfaches
Mikroskop, den Druck zu lesen.
Diese Fortschritte und Errungenschaften iuteressireu
auch den Imker. Oder sollten die Bienen nicht im
Stande sein, dergleichen kleine Photographien weithin
fortzutragen? Wie dabei zu verfahren ist, wollen wir
kurz angeben.
Aus einem hinreichend bevölkerten und hinreichend
mit Nahrung ausgestatteten Stocke, so lauten die Vor-
schriften, werden eine Anzahl Bienen entnommen, in eine
sogen. Reiseschachtel gethan und darin dorthin geschickt,
woher die Nachrichten kommen sollen. Die kleine Schachtel
ist fest gebaut und hat im Deckel eine mit Metallgase
verschlossene OeHnuui;-. Als Muster ohne Werth kann
Nr. 30.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
307
sie zur Post gegeben werden. Sobald am Bestimmungs-
ort die lebendige Sendung ankommt, wird sie in einem
verschlossenen Zimmer geöffnet, damit sich die Thiere
von der Reise erholen. Am nächsten Morgen, wenn das
Wetter zur Heinn-eise günstig ist, werden die Bienen be-
sonders gefuttert; es wird ihnen ein Teller mit Honig
vorgesetzt, und während sie sich zur Mahlzeit darauf
niederlassen, werden sie mit der Depesche bepackt. Die-
selbe steht auf einem schmalen Streif von 5 nun Breite
und 10 mm Länge und kann 700 bis 800 Buchstaben
aufnehmen. An der vorderen Schmalseite trägt der Streif
zwei schwalbenscbwanzähnliche, mit Fischleim bestrichene
Enden, die dem Boten, der mit einer Pincette vorsichtig
an den Flügeln festgehalten wird, über den Rücken her
um die zwischen Brust und Hinterleib befindliche Ein-
schnürung gelegt und dann auf der Brustseite zusammen-
geklebt werden. Wie bei den Tauben, so ist auch bei
den Bienen das Anbringen der Depesche keine leichte
Arbeit. Allein durch Uebung und Hilfe wird das müh-
same Werk bald leicht und schnell gethan. Ist es voll-
bracht, dann werden die Fenster geiiffnet, und die Brief-
bienen fliegen ans; sie steigen auf, und nur zu bald sind
sie den aufmerksamen Augen entschwunden An ihrem
Stocke finden wir sie wieder. Hier wurde während ihrer
Abwesenheit vor das Flugloch ein Kästchen aus Draht-
gase gestellt. Darin sammeln sich die kleinen Depeschen-
trägerinnen; darin werden sie gefangen und auf das
Zimmer gebracht, wo ihnen die Depeschen abgenommen
und Süssigkeiten zur Stärkung dargereicht werden, und
dann werden sie zu ihrem Stande zurückgetragen.
So originell die Idee einer Bienenpost klingt, so
schlicht und einfach ihre Ausführung erscheint, so bleiben
nach meiner Meinung doch einige Umstände recht störend.
1. Unstreitig ist die Liebe, Treue und Anhänglichkeit
der fiienen zu ihrer Königin, zu ihrem Stocke sehr gross.
Je ffcissiger die K(inigin Eier legt, je besser sich die
Brut im Bau entwickelt, je zahlreicher das Volk und je
grösser die Reichthümcr au eingetragenem Honig, desto
fester und stärker halten die geheimnissvollen Fäden, die
jede Biene in ihren Stock zurückziehen. Und trotzdem
verfliegen sich soviele Thiere, weit mehr als Tauben.
Jeder Imker, der einmal nelicn seine Stöcke mit schwarzen
Bienen einen Stock mit gelben Italienern aufgestellt hat,
weiss, wie bald jeder Stock fremde Insassen hatte. Jeder
Imker wird uns erzählen, wie viele von den fleissigen
Thieren auf dem Fluge verloren gehen. Damit kommen
wir zum zweiten Punkte.
2. Während der bunte Schmetterling mit seinen breiten
Flügeln im Zickzackfluge auf- und nieder-, vor und rück-
wärts gaukelt, während die gemeine Stubenfliege mit
hastiger Sehnelle in die Höhe steigt (sie macht in der
Sekunde nach Prof. Giebel 600 Flügelschläge), während
die mit zarten Netzflügeln ausgerüsteten Libellen, die
schnellsten Segler unter den Inseeten, bald nach Art der
Schwalben über dem Wasserspiegel dahinschiessen, Itald
nach Art der Wasserjungfern in zierlichen Linien dahin
und dortbin tanzen, fliegen die Bienen, sobald sie
ihren Magen mit Honig oder ihre Körbchen mit Blumenstaub
gefüllt haben, schnurstracks heim. Mit Recht nennen
daher die Amerikaner den geraden und kürzesten Wc^
„Bienenlinie" (Bee line). Allein innere und äussere Mächte
bewirken bald einzeln, bald vereint, dass der Flug miss-
lingt. Die kräftige Muskulatur, die reichverzweigten
Athmungsröhren und weiten Luftsäckc, die feste Verha-
kung der Vorder- und Hinterflügel reichen zuweilen nicht
aus, die emsigen und reichbeladenen Thiere nach Hause
zu tragen. Müde lileihen sie unterwegs liegen. Libellen
und Vögel aller Art stellen ihnen nach. Winde werfen
sie nieder; angenehme und süsse Gerüche führen sie in
die Irre. Plötzlicher Regen oder plötzlicher Wärmerück-
gang machen sie so schwer und starr, dass sie nicht
weiter fort können. Dazu konniit noch das geringe Alter
und die leichte Verletzbarkeit der Thiere. Fassen wir alle
diese feindlichen Factoren ins Auge, so will es scheinen,
als sei der Satz buchstäblich wahr: So vielmal die Taube
grösser als die Biene, so vielmal ein Bienenvolk kopf-
reicher als eine Taubenfamilie ist, so vielmal mehr Ge-
fahren lauern während des Fluges auf die Bienen als
auf die Tauben.
3. Der letzte und wichtigste Einwand betont die
Flugweite der Bienen. Wenn Friedrieh Spee in seiner
„wunderlieblichen Hantirung (1649) der Bienen" singt:
Mit FlÜReln, dünn gezogen
Von giilduem Pergamen,
Sie dickmals (d. i. oftmals) — ungelogen —
Zwo kleiner Meilen gehn,
SO hat der Dichter, weil er sich auf ein Jahrzehnte lang
licflogenes Terrain bezieht, nicht ganz Unrecht. Dagegen
leiden die vielgehörten Schilderungen von den ägyptischen
Bienen, die auf Nilschitfen je nach der Jahreszeit auf-
und abwärts geführt werden und viele, viele Meilen weit
auf Tracht ausfliegen sollen (vgl. James Samuelson,
Die Honigbiene. Uebers. von Eduard Müller, Nord-
hausen 1862. S. 4 ff.), offenbar an Uebertreibung. Auf
exacte Versuche gestützt, haben wir bereits in der Leipziger
Bienenzeitung (1892. S. 107 ft'; 1893 S. 40 ff"; S. 193 ff.) her-
vorgehoben, dass von allen Bienen, die in einer Entfernung
von 12 km, von ihrem Standorte <an gerechnet, zum Heim-
flug ausgesetzt wurden, keine einzige (sie waren mit Anilin
roth gezeichnet) und zwar nach Tagen und Wochen in
den Stöcken ihres Standes aufzufinden war. Diese That-
saehe kann uns gar nicht fremd erscheinen. Bedenken
wir nur, wie gering die Flughiihe der Bienen ist, und wie
wenig das Insectenauge gegen das Vogelauge leistet.
Haben doch vielerlei Experimente und Beobachtungen er-
wiesen, da.ss die Inseeten mit ihren zusanmiengesctzten
Augen die Form und Gestalt der Dinge schlecht wahr-
nehmen, gut dagegen die Bewegung naher Gegenstände
(vgl. E. Jourdan, Die Sinne und Sinnesorgane der niederen
Thiere. Uebers. von W. Marshall, Leipzig 1891. Seite
290 ft'; 304 ft). Dazu kommt noch, dass unter allen
Sinnen der Inseeten der Geruch obenan steht, d. h. der
Sinn, dessen Werkzeug die zierlich gegliederten Fühler
sind (vgl. Leipz. Bienenz. 1893. S. 6). Mit Hilfe dieser
Werkzeuge ist es gewissen Inseeten sogar möglich, die
Stelle aufzufinden, wo sich unter einer mehr oder weniger
dicken Erdschicht ein Engerling vorfindet. Wir sprechen
also den Bienen, die frei ausgesetzt werden, das Ver-
mögen ab, sich aus meilenweiter Ferne iieimzuflnden.
Deshalb haben Freunde der Briefbienenpost ausge-
sprochen, es könnten doch zwischen den beiden End-
punkten einige Hilfsstationen eingerichtet werden. Das
klingt in der Theorie sehr einfach, in der Praxis aber
wird dadurch die Arbeit multiplicirt und potencirt. Man
bedenke nur, die Nachricht, die von .1 nach dem 12 km
weit entfernten B gegeben werden soll, muss durch die
Zwischenstationen 1, 2 und 3 laufen, d. h. die Boten-
bienen müssen von B nach 3, andere von 3 nach 2,
wieder andere von 2 nach 1 und wieder andere von 1
nach Ä gebracht werden. Das ist noch einfach, aber
ebenso vielinal müssen die Thiere mit den Depeschen l»e-
])ackt und entpackt werden, und das ist und bleibt eine
sehr umständliche Arbeit. Deshall) wäre es besser, die
Bienenväter besorgten gleich selbst die Depeschen. Wie
das Mittelalter seine Mctzgerpost, so würde ilic Gegen-
wart ihre Imkerpost halten. Im Frieden würde es ihr an
Aufträgen fehlen, und im Kriege würde sie nichts leisten
können; denn die Soldaten würden ihr Angemnerk nicht auf
308
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 30.
dieBienen, sondern auf die Imker richten. Deshalh wäre
es wohl besser, Brief bienen zu erziehen, d. h. Völker, die
angehalten werden, immer weiter und weiter zu fliegen.
Würden z. B. in einer Festung Bienen gehalten und diese
in der Eichtnng, aus welcher Nacin-icht kommen soll,
Woche um Woche gefüttert, erst an einem 300 — 400 m
weit vom Stocke abgelegenen Orte, dann 100 m entfernter,
und danach wieder 100 m weiter und sofort, so würden
im Laufe der Jahre Völker heranwachsen, die das Terrain
gut kennen und aus einer Ferne sich heimfinden, die im
Kriege zur Einschmuggelung von Depeschen geeignet
ist. Derartige Versuche werden ebenso gut gelingen wie
bei den Brieftauben.
Frankreich war es, das zuerst befestigte Punkte durch
hin- und zurückfliegende Tauben verband. Italien (Kapitän
Malagoli) und Deutschland (Hoerter) folgten seinem
Beispiele. Da flogen auf der 65 km langen Strecke Civita-
vecchia-Rom und hier auf demoOkni langen Wege Ilannover-
Hildesheim Brieftauben hin und her, wie man es gerade
liabcn wollte. Den Briefbienen soll eine ähnliche Auf-
gabe zufallen, sie sollen näher gelegene Orte verbinden
und neben den Brieftauben dem Verkehre dienen.
Frankreich hat den Ruhm, in den Bienen zuerst
einen neuen Depescheuträger aufgefunden zu haben; wir
i wünschen ihm auch Glück dazu, diese kühne und origi-
nelle Idee immer weiter und leistungsfähiger auszubauen.
^Obgleich wir wissen, dass gerade in einem Kriege
unter Umständen kleine Dienste grosse Bedeutung er-
langen können, so möchten wir doch die Einrichtung
einer Bienenpost nicht empfelden, zumal ihre Leistungen
von der Taubenpost schneller, leichter uud sicherer aus-
geführt werden.
Die Rosenbach'sche Seekrankheitstheorie.
Nochmals kritisch lieleiichtet v. Dr. Karl L. Sohact'er.
Die Ideen Rosenbach's (Berliner klin. Wochenschrift
1891, No. 10 ft") über das Wesen der Seekrankheit habe
ich in Bd. VII, No. 32 dieser Zeitschrift einer ablehnenden
Kritik des Inhalts unterzogen, dass die neue Theorie der
Seekrankheit keinen Fortschritt der Wissenschaft bedeuten
könne, indem sie ein Luftsehloss reiner Hypothesen auf
einer breiten Basis von Selbstverständlichkeiten errichte,
auf der bereits frühere Autoren annehmbarere, weil klarere
und experimentell gestützte, Theorien über die Folgen
passiver Bewegungen unseres Körpers aufbauten.
Als Erwiderung hierauf legt Rosenbach in No. 38
Bd. VII der „Naturw. Wochenschrift" noch einmal seine
Auffassung der Seekrankheit in kürzerer Form dar. Der
Kern derselben ist folgender. Die schwankenden Bewe-
gungen, der brüske üebergang des Körpers von einer Lage
in die andere hat moleculare Erschütterungen aller Gewebe
zur Folge. Diese führen zu Functionsstörnngen der Gewebe
und pflanzen sich ausserdem, wie jeder Stoss, der ein
schwingungsfähiges Medium trift't, wellenförmig in die
Nachbarschaft fort. Stossen sie auf ihrem Wege auf einen
Nerven, so leitet dieser den empfangenen Reiz ins Central-
organ fort, wo er theils in p.sychische Sensationen, theils
in motorische Impulse (z. B. Erbrechen) umgesetzt wird.
Welches ist nun die Basis von Selbstverständlich-
keiten, auf der dieses Hypothesengebäude ruht"? Selbst-
verständlich ist, dass bei passiven Bewegungen unseres
Körpers Lage Veränderungen von Tlieilen desselben mög-
lich sind, da er eben keine starre Masse bildet, sondern
aus beweglichen Theileu zusammengesetzt ist, selbstver-
ständlich ist ferner, dass, wenn sensible Nerven endigungen
in dem Bereich der Lageverschiebungen liegen, die Reibung,
Zerrung etc. der sich verscliielienden Theile einen Reiz
abgeben kann, der ins Oentralorgan fortgeleitet und dort
in Sensationen und motorische Impulse umgesetzt wird.
Was haben andere Forscher auf dieses Fundament
aufgebaut? Sie sagen: Bei passiven Bewegungen finden
thatsächlich Verschiebungen verschiedener Körpei'theile in
den Gelenken statt. Wir sehen dies daran, dass passiv
Bewegte ins Schwanken und Taumeln geratlien. Ferner
müssen alle etwa im Körper vorhandenen frei beweg-
lichen Flüssigkeiten in Bewegung von bestimmter Form
gerathen. Die Endolymphe in den Bogengängen ist nach
Ansicht zahlreicher Physiker eine solche Flüssigkeit, ücber
die Verschiebbarkeit der inneren Organe im lebenden, un-
verletzten Organismus weiss man einstweilen zu wenig,
um davon für eine Theorie der Bewegungswahrnehmung
Gebrauch zu machen; es ist auch überflüssig, da die
anderen beiden Factoren genügen. In den Gelenken so-
wohl wie in den Ampullen der Bogengänge finden sich
sensible Nervenendigungen. Es ist eine, zumal im Zeit-
alter des Darwinismus, sehr plausible Annahme, dass die
Verschiebung der Gelenkenden rcspeetive der Endolymphe
für diese Nervenendigungen einen adaequaten Reiz abgeben,
welcher, ins Oentralorgan fortgelcitct, dort Bewegungswahr-
nehmungen nebst gewissen somatischen Erscheinungen aus-
löst. Von hier zu einer Erklärung der Seekrankheit —
andere deutete ich a. a. 0. an — ist nur ein ganz kleiner
Schritt. Es bedarf dazu nur noch der Annahme, dass
(auf dem Schifte) die andauernden, sehr intensiven und
sehr rasch wechselnden Bewegungsempfindungs-Impulse
in aussergewöhulicher Weise auf andere Gebiete desCentral-
organs irradiiren — eine Erscheinung, für die es mehr-
fache und nahe verwandte Analogien giebt — . Hier haben
wir eine zwar nicht ganz neue aber dem gegenwärtigen
wissenschaftliclien Standpunkt entsprechende und genügende
Hypothese. Wer über sie hinaus oder Besseres an ihre
Stelle setzen will, muss neue Experimente bringen. Ueber
methodische Experimente aber, selbst naheliegende, be-
richtet Rosenbach eigentlich nichts, gleichwie auch eine
Benutzung der Litteratur nirgends zu Tage tritt.
Welchen positiven Werth hat nun die Rosenbach'sche
Theorie? Ausgegangen wird von der Annahme, dass bei
den passiven Bewegungen Verscliielnnigen der Molecüle
unter einander in allen Organen stattfinden. ( »b man diese
Behauptung so ohne weiteres wird gelten lassen dürfen,
ist doch noch sehr fraglich, und dass die moleculareu Ver-
schiebungen auch noch die Function der Gewebe stören
sollen, ist oftenl>ar die Quadratur dieser Fragwürdigkeit.
Aber gesetzt, die molecularen Verschiebungen beständen
wirklieh und wären — eine neue Annahme ohne Stütze —
intensiv genug, um bei ihrer wellenförmigen Fortpflanzung
den nächsten sensiblen Nerven — die Versorgung der
Organe mit sensiblen Nerven ist übrigens grösstcntheils
noch ganz dunkel — zu erreichen, so ist erst zu beweisen,
dass die Erschütterungen, die sie dem Nerven ertheilen,
nicht unter die Reizschwelle fallen. Angenommen,
der Beweis sei erbracht, was müsste die nothwendige
Folge sein? Da alsdann, wie alle Organe, so auch das
Gehirn, von molecularen Schwingungen durchsetzt werden
würde, welche einen genügenden Nervenreiz darstellen,
so müssten alle Nervenbahnen des Gehirns gereizt werden
und daher nach dem Princip der specifischen Energie der
Nr. 30.
Natuvvvissenschaftliche Woeliensclirift.
309
Sinnesnerven Hallucinationeii in säninitliclieu Sinnes-
gebicten nebst den mannicbfaclisten motorischen Effecten
auftreten!!
Nun noeli zu einigen Details des Artikels: „Moleculare
Störungen und Seekrankheit."
1 ) Zunächst lege ich abermals Verwahrung gegen den
Ausdruck „moleculare Störungen" ein, was nach dem
Vorstehenden wohl keiner weiteren Begründung bedarf.
Will man der Thatsache, dass in unserem nicht starren
Körper bei ])assiveu Bewegungen Verschiel)ungen möglich
sind, Ausdruck geben, bevor man an die nächste Frage
herantritt, wo die Verschiebungen stattfinden, so ist wohl die
Bezeichnung: „Verschiebungen vim Masseni)unkten oder
Massenpunktsystemen", worunter alles, vom Molecül an
bis zu einem ganzen Organ oder einer ganzen Extremität,
verstanden werden kann, ganz gut am Platze, jedenfalls
wenigstens unverfänglich. Warum bei einer Betrachtung
unseres Körpers vom rein physikalischen Standpunkt der
Ausdruck „Massenpunktc" „mciglichst vermieden werden
sollte", vermag ich nicht einzusehen.
2) Der in mannichfaltiger Anwendung wiederkehrende
Satz: „Die IMoleeüle unseres Organismus befinden sich im
labilen Gleichgewicht", entbehrt einer klaren Deutung und
Begründung.
3) Ich weiss sehr wohl, dass man durch einen Stoss
gegen den Unterleib Erbrechen und noch schwerere Er-
scheinungen erzeugen kann. Wenn Herr Rosenbach mir
irrthümlich diese Kenntniss abspricht, so habe ich aller-
dings durch einen schiefen Ausdruck selbst dazu Ver-
anlassung gegeben. Ich sagte 1. c. „WerthvoUcr . . . wären
Versuche darüber gewesen, ob man durch Stösse gegen
den Magen P]rbreclien erzeugen kann ..." Hiermit meinte
ich nicht die Stösse eines Bo.xers oder der Deichsel eines
durchgehenden Gefährtes, sondern Folgendes: Ein Ex-
perimentator soll mit den Fingerspitzen auf das Abdomen
einer vor ihm stehenden Person recht leichte, kurze und
rasch den Platz wechselnde drückende Stösse ausüljcn,
um so aus einer mciglichst getreuen Nachahmung der
hypothetischen Verschiebungen, die die Abdominalorgane
auf schwankendem Schiff erfahren, zu ersehen, ob Er-
brechen u. s. w. die Folge ist. Man könnte hieran auch
nachstehenden Versuch anschliessen. Der Kopf wird durch
eine Holzkapi)e, wie sie Mach zu seinen Versuchen über
Bewegungseniptindnngen benutzt hat, unverrückbar fixirt.
Alsdann wird der Rumpf, soweit die Halsgclenke Ex-
cursionen gestatten, hin und her geschaukelt. Für die
etwa auftretenden Erscheinungen von Seekrankheit sind
dann „moleculare Erschütterungen" des Gebirns nicht mehr
verantwortlich zu machen.
4) Ob übrigens Erbrechen nach einem Stoss gegen
das Abdomen als eine rein locale Erscheinung in dem
Sinne auftreten kann, dass es nicht rcflectorisch unter
Mitwirkung des Centralorgans ausgelöst wird, lässt sich
doch wohl erst durch Versuche entscheiden, in denen jede
nervöse Verbindung des Jlagens ndt dem Centrahiigan
durchtrennt wird.
Die erworbene liiiiiiiiiiiiät war das Thema eines
im Club der Landwirthe zu Berlin Anfang dieses .Talu^'S
von Prof. Dr. Schütz von der Thicrärztlichen Hochschule
gehaltenen Vortrages (Archi\- f. wissensch. u. prakt. Thicr-
heilkunde XIX.).
Bei Menschen und Thieren kann man zwischen festen
und flüssigen Bestandtheilen des Körpers scheiden. Die
festen Bestandtheile sind die Zellen, und bisher wurde
angenonmien, dass alle Eigenschaften des menschlichen
und thierischen Körpers in den Zellen residirten. Hierzu
gehörte auch die Innnunität, d. h. die Eigenschaft des
Körpers, gegen Infectionskrankheitcn, z. B. die Pocken,
geschützt zu sein. Diese Eigenschaft war entweder an-
geboren oder wurde durch die Impfung erworben, und
man stellte sich dabei ^'or, dass die Zellen liei geimpften
Individuen auf Schädlichkeiten, welche durch Bacterien
gebildet werden, nicht mehr reagirten. Später hat
Metschnikoff diese Auffassung etwas geändert.*) Bekannt-
lich sind viele Zellen des mensehlichen oder thierischen
Körpers im Stande, fremde Dinge in sich aufzunehmen
oder, wie man sagt, zu fressen. Zu diesen Dingen ge-
hören auch die Bacterien, welche nach der Meinung von
Metschnikoff von den Zellen gefressen werden und im
Innern der Zellen zu Grunde gehen sollten. Diese Tliätig-
keit der Zellen konnte geübt werden, und diese Uebung
sollte nach der Impfung stattfinden, wobei die in der
Impfflüssigkeit enthaltenen, weniger schädlichen Bacterien
in die Blutbahn gelangen und den farbhisen Blutkör]ierclien
als Material dienen sollten, damit die letzteren das
Fressen üben. Hiernach beruhte die Innnunität auf der
gesteigerten Fähigkeit der Zellen, die in den menschlichen
oder thierischen Körper eingedrungenen Bacterien zu
fressen und zu zerstören.
In dieser Lehre der Immunität bleibt nur fraglieb,
ob die Bacterien wirklich erst durch die Zellen getödtet
werden, oder ob sie nicht schon vorher, ehe sie gefressen
*) Vergl. „Naturw. Woclic-iiselir." IV 8. 25 ti'.
worden, unter der Einwirkung der Flüssigkeiten des
menschlichen oder thierischen Körpers zu Grunde gegangen
sind, oder, wenn die Ansicht von Metschnikotf zutreffend
sein sollte, ob nicht wenigstens den Flüssigkeiten des
Körpers gleichfalls die Fähigkeit zugesprochen werden
kann, die Bacterien zu vernichten. Denn man hatte durch
Behring eine merkwürdige Eigenschaft des Rattenblutes
kennen gelernt; während sich die Milzbrandbacillen im
Blute oder im Serum des Blutes von Rindern, Schafen,
Kaninchen, Meerschweinchen, Mäusen etc. vermehren, gehen
sie im Blute oder im Serum des Blutes vmi Ratten zu
Grunde. Mithin besitzt das Rattenblut bacterientödtende
Eigenschaften, und die Immunität der Ratten gegen Milz-
brand ist auf diese Eigenschaft des Rattenblutes zurück-
zuführen, beruht also bestimmt nicht auf der (iefrässigkeit
der zelligen I^lemente. Diese Beobachtung hatte zur Folge,
dass man die Aufmerksamkeit auf die flüssigen Bestand-
theile des mensehlichen oder thierischen Körpers beim
Zustandekonmien der Innnunität lenkte und behauptete,
dass durch die Impfung eine Aenderung der Blutbeschart'en-
lieit, namentlich der löslichen, unbelebten Theile des Blutes
zu Stande käme.
Die Aenderung der Blutbeschatt'enhcit kann man sich
in der Weise denken , dass das Blut eines geimpften
Thieres diejenigen Krankheitserreger tödtet, gegen welche
es durch die Im)ifung innnun geworden ist. Diese Auf-
fassung würde eine Verallgemeinerung der -bei Ratten ge-
machten Beobachtung einsehliessen. Dies trifl't indess bei
keinem anderen Thiere weder für den Milzbrand, noch
für andere Infectionskrankhciten zu, denn im Blute von
Schafen, welche gegen den Milz])rand immun gemacht
worden sind, wachsen und vermehren sich die Milzbrand-
bacillen gerade so gut, wie die Starrkranipfi)acillen im
Blute von Pferden, welche durch Impfung gegen den Starr-
krampf geschützt sind. Die Iiimuniität der Ratten gegen
den Milzbrand ist eine erei-btc, keine erworbene Eigen-
schaft des Blutes, und nur die nach der Impfung erworbene
Eigenschaft des Blutes, welche der Innnunität zu (Jrunde
310
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 30.
lieg-t, also die künstlich erzeugte Immunität, ist Gegen-
stand des Schütz'schen Vortrages.
Die Baeterien der lufcctionskrankheiten der Menschen
und Tliiere, z. R. die Komniabacillen der Cholera, die
Typhus-, Diphtherie-, Starrkrampf-, Milzbrand, Rausch-
brand- etc. Bacillen bilden specifische Gifte, die Toxine
oder Toxalbiimine genannt werden. Diese Gifte sind Stotl'-
wechselproducte der Baeterien. Alle Infcctionskrankheiten
werden durch solche Gifte verursaciit und müssen dem-
nach im strengeren wissenschaftlichen Sinne zu den Ver-
giftungen gerechnet werden. Diese heftig wirkenden Gifte
bilden die Baeterien aber nicht nur im Körper der Men-
schen und Thiere, in welchen sie gelegentlich einmal bei
den Infectionen eindringen, sondern auch in künstlichen
Cnlturen, in sog. Rcinculturen der Baeterien. Jlithin kann
man auch durch Uebertragung von Rcinculturen bei ge-
sunden Thieren die specitischen Erscheinungen einer In-
fectionskrankheit, für welche die betreffenden Thiere
empfänglich sind, hervorrufen. Ferner bilden die Baeterien
immunisirend wirkende Substanzen, also Substanzen, welche
Menschen und Thiere gegen die giftigen Wirkungen der
Baeterien schützen und desshalb schützende Substanzen
oder kurz Schutzsubstanzen genannt werden. Auch diese
Substanzen entstehen in den Reinculturen der Baeterien.
Hieraus ergiebt sich, dass durch Einspritzung von Rcin-
culturen der Baeterien, deren giftige Wirkung abgeschwächt
oder aufgehoben ist, Menschen und Thiere immun ge-
macht werden können, weil mit solchen Reinculturen l)e-
sonders die schützenden Substanzen zur Wirkung gelangen.
Diese Entgiftung der Rcinculturen kann durch Chemikalien
bewirkt werden, z. B. Phenol, Goldnatriumchlorid, Sublimat-
Natriumchloroborosum und besonders durch Jodtrichloriil.
Zuerst wurde eine locale Behandlung mit den Chemikalien
versucht, d. h. es wurden zuerst bestimmte Mengen einer
giftigen Reincultur unter die Haut eines Thieres gespritzt
und gleich hinterher Lösungen der genannten Chemikalien.
Dieses \'erfahren hat sich jedoch nicht bewährt, weil die
Entgiftung der eingespritzten Cnlturen häufig eine unge-
nügende war und denuiach viele Thiere der vergiftenden
AVirkung der Baeterien erlagen. Einen besseren Erfolg
ci'zielte man dagegen, wenn die Lösung der Chemikalien,
z. B. des .Jodtrichlorids, vorher der Reincultur zugesetzt
wurde. Denn bei dieser Methode konnte man ])eide Flüssig-
keiten inniger mischen und die Dauer der Einwirkung
des Jodtrichlorids genauer bestimmen, man konnte starke
und schwache Lösungen des .Jodtrichlorids zu den Cnlturen
hinzusetzen und mit der Einspritzung stark entgifteter
Cnlturen beginnen, dann zur Einspritzung weniger ent-
gifteter Cnlturen übergehen und schliesslich giftige Cnl-
turen zur Anwendung bringen.
Die Baeterien werden in den mit Chemikalien be-
handelten Cnlturen nicht getödtet, auch nicht ai)geschwächt,
sondern sinken nur auf die Stufe der unschädlichen Bae-
terien, die zwar weiterleben, sich vermehren, vielleicht
anch noch schmarotzen, aber nur geringe oder keine all-
gemeine (Vergiftungs-) Erscheinungen hervorrufen können.
Mithin sind durch die Chemikalien nur die Toxine, welche
die Baeterien gebildet haben, abgeschwächt oder zerstört
worden. Jodtrichlorid bewirkt diese Atischwächung der
Cnlturen in 36 — 48 Stunden. Werden derartig abge-
schwächte Cnlturen unter die Haut von Menschen oder
Thieren gespritzt, so entsteht eine hochgradige Veränderung
im Stoffwechsel, welche sich durch gewisse Reactionen
(Ansteigen der Körpertemperatur etc.) zu erkennen giebt.
Die eingespritzte Reincultur der Baeterien mit den in ihr
enthaltenen Schutzsubstanzen bedingt jetzt die Bildung des
Gegengiftes, der Antikörper, und diese Bildung findet in
gewissen, noch nicht genauer bekannten Organen der
Menschen und Thiere statt. Nach Beendigung der Reaction
sind Menschen und Thiere immun gegen die betrefteude
Infectionskrankheit, auch ist man im Stande, bei solchen
Menschen und Thieren durch Einspritzung immer grösserer
Mengen abgeschwächter Cnlturen die H(')he der Imnumität
so zu steigern, dass schliesslich giftige Cnlturen der Bae-
terien ohne Schaden ertragen werden. ^Mithin sind Men-
schen und Thiere befähigt, antitoxische Substanzen (Gegen-
gifte) bilden zu können; die Bildung dieser Gegengifte ist
die Folge einer durch die eingespritzten Cnlturen bedingten
Reizung gewisser Organe, und diese Reizung ist eine
dauerhafte, so dass entweder für das ganze Leben, oder
wenigstens für einen grösseren Theil desselben Gegengifte
gebildet werden können. Eine Immunität, welche auf
dieser Fähigkeit der Menschen und Thiere beruht, wird
als „activc Immunität" bezeichnet.
Die Antikörper immuner Thiere befinden sich im
Blute und werden entweder verbraucht oder durch die
Secretionsorgane, z. B. die Milchdrüsen, aus dem Blute
ausgeschieden. Mit der Steigerung der Immunitätshöhe
nimmt der (4ehalt des Blutes und demnach auch der Ge-
halt der Milch etc. an Antikörpern zu. Folglich würde
der Vorrath an letzteren durch Verl)rauch und Ausscheidung
bald erschöpft sein, wenn nicht fort und fort neue Anti-
körper in den activ-inununen Menschen und Thieren ge-
bilflet würden. Auf dieser andauernden Bildung von Anti-
körpern beruht die Unerschripflichkeit des Vorrathes und
folglich die Dauerhaftigkeit der Immunität.
Es kömnen aber anch Menschen und Thiere ininuin
gemacht werden durch Einsiiritzung von Blut oder Milch
activ-immuncr Thiere. Bei diesen Einspritzungen entstehen
keine schädlichen Nebenwirkungen; anch tritt die Im-
munität sofort ein und ist die Höhe derselben abhängig
von der Menge der eingespritzten Antikörper. Diese Im-
munität beruht auf der blossen Zufuhr fertig gebildeter
Antikörper, sie wird daher als „passive" bezeichnet und
die Dauer derselben ist nur eine vorübergehende. Denn
die mit dem Blute oder der Milch ni)crtragenen Anti-
körper werden, wie bei activ-immunen Thieren, verbraucht
oder ausgeschieden, ohne dass ein Ersatz derselben statt-
findet. Für den Starrkrampf beträgt die Daner der passiven
Immunität öO Tage, für die übrigen Infcctionskrankheiten
aber ist die Dauer noch nicht mit Sifherheit festgestellt.
Ein Junges, dessen Vater innnun gemacht und dessen
Mutter normal (d. h. nicht immun gemacht) ist, erweist
sich als nicht immun, weil die Menge der Antikörper,
welche durch den mänidichen Samen auf das Junge über-
tiagen wird, nicht ausreicht, um das ganze Blut des
.lungen mit Antikörpern zu versorgen. Wenn dagegen der
Vater nornial und die Mutter immun gemacht ist, so fehlt
dem Jungen niemals die Innuunität. Während der fötalen
Entwickelnng wird das Junge durch das Blut der Mutter
monatelang ernährt und dadurcli werden die Antikörper
der Mutter dem P)lutc des Jungen in grösseren Mengen
zugeführt. Alter auch das Junge verbraucht die Anti-
körper und scheidet sie aus; folglich nuiss die Innnnnität
desselben allmählich abnehmen. Ferner verringert das
Wachsthum und die dadurch bedingte Gewichtszunahme
die Inununität des Jungen, weil die Menge der mit-
gegebenen mütterlichen Antikörper auf eine grössere Menge
lebender Substanz sich vertheilt. Dieser Ausfall wird
aber während des Sängens gedeckt, weil die Milch dem
Jungen neue mütterliche Antikörper zuführt. Denn die
mit der Milch entleerten Antik(irper werden in den Ver-
daunngsorgancn des säugenden Jungen nicht zerstört, son-
dern gehen unverändert in das Blut desselben über. Auch
findet der Uebergang der Antikörper in dcu Organisnms
des sängenden Jungen ungewöhnlich schnell statt. Mithin
ist die angeborene Immunität eine ])assive, welche sich
aus der fötalen Versorgung des Jungen mit Antikörpern und
Nr. 30.
Naturvvissenschaftliclic Woclienscliiit't.
m\
der Lactationsininuinisirung (Säuglingsschutz) zusamuieu-
setzt. Ol» es überliaupt möglich ist, den Fiitus während
seiner Eutwickelung im Uterus activ zu immunisiren, bleil»t
bis jetzt noeh zweifelhaft. Wenn Cliauveau eine Immunität
gegen den Milzbrand bei Lämmern nachweisen konnte,
deren Mütter während der Trächtigkeit einer Schutz-
impfung unterworfen worden waren, so darf man nicht
unbeachtet lassen, dass Chauveau die Probeimj)fung der
Läunner in den ersten 14 Tagen nach der Geburt vor-
nahm, also zu einer Zeit, in der auch die passive Im-
munität bei den Lämmern ausgereicht hätte, um diese
Probe ohne Schaden zu überstehen. In jedem Falle geht
aus diesem Versuche nicht hervor, dass die Lämmer nach
der Impfung der Mütter aetiv-immun geworden, d. h. wäh-
rend der ganzen Dauer des Lebens gegen den Milzbrand
geschützt waren.
Hiernach ist die Muttermilch für die Zwecke des
säugenden Organismus von einer kaum geahnten Bedeutung
und daher auch die Neigung, die natürliche Ernährung
der Kinder durch eine künstliche zu verdrängen, keines-
wegs zu billigen. Namentlich ist hervorzuheben, dass eine
ganze Reihe infectiöser Krankheiten, z. B. Scharlach, Ma-
sern etc. bei Kindern, welche sich im ersten Lebensjahre
befinden, entweder gar nicht oder nur äusserst selten vor-
kommen, dass also die in Rede stehende Innnunität gerade
während der Dauer der Lactationsperiode nachzuweisen
ist und .später allmählich erlischt. Dieser Umstand weist
darauf hin, dass zwischen der Innnunität und der Lactation
eine bestimmte Beziehung bestehen uuiss.
Die Toxine oder Toxalbumine sind specifisciic Gifte,
welche durch die Bacterien gebildet werden, und die
Antikörper im Blute und in der Milch immun gemachter
Menschen und Thiere sind ihre Gegengifte. Mithin sind
sowohl die mit der activen, wie die mit der passiven Im-
munität behafteten lebenden Individuen gegen dießacterien-
gifte geschützt, also giftfest. Nur ist die Giftfestigkeit
bei der activen Immunität eine andauernde und bei der
passiven Immunität eine vorübergehende Eigenschaft des
Blutes und der Al)Sonderungsproducte vieler Drüsen.
Den Toxinen ähnliche Gifte entstehen auch beim nor-
malen Stoffwechsel gesunder Mensehen und Thiere. Diese
Gifte werden physiologische Stoft'wechselgifte genannt.
Auch diese Gifte gehören zu den Eiweisskörperu, und
zwar rechnen wir zu denselben das Pepton und die Fer-
mente: Pepsin, Pankreatin, Trypsin etc. Sie gelangen in
das Blut und kreisen in demselben, bis sie verbrannt sind.
Aber während dieser Zeit üben sie keine giftigen Wir-
kungen aus, weil Menschen und Thiere die Fähigkeit be-
sitzen, diese Gifte zu zerstören. ^lithin können .Menschen
und Thiere giftzerstörende Substanzen in den Zellen ge-
wisser Organe bilden, und zu letzteren rechnen wir die-
jenigen, welche reich an Zellen und Blut sind und in
welchen ein lebhafter Stoffwechsel stattfindet, wie Lymph-
drüsen, Thymusdrüse (Kälbermilch) und .Schikldrüse. Wenn
man sich durcli eine Hautwunde inticirt, so reicht die
Infection gewöhnlich nur bis zur nächsten Lymphdrüse
und nicht darüber hinaus, weil in letzterer antitoxische
Substanzen (Gegengifte) gebildet werden, welche das
durch die Lymphgefässe eingeführte Gift zerstciren und
dadurch den übrigen Körper gegen den nachtheiligen Ein-
fluss desselben schützen. Wenn einem Thiere die Schild-
drüse herausgeschnitten worden ist, so treten schwere
allgemeine Störungen im Körper ein, die am besten mit
einer chronischen Vergiftung verglichen werden können.
Dieses Krankheitsbild wird mit dem Namen der Cachexia
strumipriva bezeichnet und die Entstehung desselben auf
die schädliche Einwirkung giftiger Substanzen bezogen,
die in der Schilddrüse hätten zerstört werden müssen.
Für die Annahme, dass in der Schilddrüse Gegengifte ent-
stehen, spricht auch, dass Hunde, welche noch die Schild-
drüse besitzen, erheblich grössere Mengen von Coffein
(einer dem Xanthin verwandten Substanz) ertragen, als
Hunde, denen die Schilddrüse herausgeschnitten worden
ist. Auch können die nach der Entfernung der Schild-
drüse entstehenden Krankheitserscheinungen durch Ein-
spritzung von Schilddrüsensaft in die Blutbahn beseitigt
oder durch Transplantation von Schilddrüsengewebe ge-
bessert werden. Demnach kann es nicht zweifeliiaft sein,
dass in gewissen Organen bei ^lensclien und Thiercn Gegen-
gifte gebildet werden, welche in die Blutbahn gelangen.
Ferner wurde der Eintluss der in den Zellen der ge-
nannten Organe enthaltenen autitoxischen Substanzen auf
diejenigen Gifte erjjrobt, welche durch Bacterien erzeugt
werden. Zu diesem Zwecke wurden entweder Reinculturen
der Bacterien in keimfrei gemachten wässerigen Auszügen
der Thymusdrüse gezüchtet oder zu Bouillonculturen der
Bacterien der wässerige keimfreie Auszug der Thymus-
drüse hinzugefügt. Hierbei ergab sich, dass die in Rein-
culturen der Starrkrampf-, Cholera-, Diphtheriebacterien
gebildeten Gifte durch den Thymus -Auszug zerstiirt, die
immunisirend wirkenden Substanzen (Schutzsubstanzen)
aber nicht verändert werden, und dass deshalb durch Ein-
spritzung eines Gemisches von Reinculturen der Bacterien
mit wässerigem Thynnis-Auszuge Thiere gegen die be-
treffende Infectionskrankheit activ immun gemacht werden
können. ^lithin wirkt der Thymus-Auszug auf die Rein-
culturen der Bacterien in ähnlicher Weise, wie z. B. das
Jodtrichlorid.*) Weiter wurde festgestellt, dass auch
Blut und Milch derartig iunnunisirter Thiere im Stande
sind, anderen Thieren passive Immunität zu verleihen.
Endlich zeigte Ehrlich, dass nach der mitgethcilten
Methode Thiere selbst gegen giftige Pflanzcneiwcisse,
z. B. Ricin, Abrin, Robin etc. immun gemacht werden
krmuen. Denn diese PHanzeneiweisse sind in ihrer Wir-
kung und chemischen Zusammensetzung den Toxinen und
Toxalbuminen sehr äindich. Auch wies Ehrlich nach,
dass das Blut von Thieren, welche gegen die giftige Wir-
kung der Pflanzeneiweisse geschützt sind, Antikörper
(Antiricin etc.) enthält, und dass durch Einsjjritzung von
Blut solcher Thiere auch auf andere Thiere Antikfirper
und dandt die Eigenschaften, giftige Pflanzeneiweisse un-
schädlich zu machen, übertragen werden können.
Es ist zweifellos, dass die Bacterien durch die Gifte,
welche sie erzeugen, krankmachend wirken. Demnach
beruht der Schutz, welcher bei Menschen und Thieren
gegen die Infectionskrankheiten künstlich erzeugt werden
kann, entweder darauf, dass die Bacterien get(idtet werden,
bezw. im Körper der Menschen und Thiere sich nicht
mehr vermehren können, oder darauf, dass die von den
Bacterien gebildeten Gifte zerstört werden. Die Eigen-
schaft eines Menschen und Thieres, Bacterien zu tödten
oder die Vermehrung der Bacterien zu verhindern, nennen
wir jetzt die Innnunität, die Eigenschaft dagegen, Hac-
teriengifte unschädlich zu machen, die Giftfestigkeit.
Kaninchen sind zwar gegen die Bacillen des Starrkrampfes
immun, weil letztere bei ihnen nicht fortkommen können,
sie erliegen aber der Einwirkung des durch die Starr-
krampfbaeillen gebildeten Giftes mul sind folglich nicht
giftfest. ' X
') Das Jodtrichlorid zersetzt sich beim Auflösen in Wasser
in Jodmonochloriil, Joilsäure und Salzsäure nach der Gleichung
4 JCI3 + 5 H.O = 10 HCl + 2 JCl -+- JA-
Die antiseptische Wirkung der Jodtriehloridlösung beruht auf dem
Mouochloridgehalte derselben. Jodsäure und Salzsäure spielen nur
eine unterstützende, nebensächliche Rolle.
312
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 30.
Eine gewöhnliche Art der Erhaltung von Stig-
niaria als Beweis für die Autochthonie von Carbon-
Pflanzen besprach Dr. H. Potonie in der Juli-Sitzung der
Deutschen geologischen Gesellschaft zu Berlin.
Die Frage, ob die Pflanzen der Steinkohlen-Formation
an demselben Orte gewachsen sind, wo heutigen Tages
ihre Reste und Spuren gefunden werden, oder ob sie,
bevor sie au die heutigen Fundstellen gelangten, einen
mehr oder minder weitgehenden Transport erlitten haben,
wird von Zeit zu Zeit immer wieder aufgeworfen und
erörtert. So hat neuerditigs Herr Carl Ochsenius in
der Zeitschrift der Deutschen geologischen (iesellschaft
(XLIV, Seite 84 tt'.) speziell wieder „Die Bildung von
Kohlenrtötzeu" besprochen und ist dabei zu dem
Schluss gekommen, dass die Kohlcnflotze ganz über-
wiegend aus transportirtem Pflanzenmaterial zu-
sammengesetzt werden (alloclithone Entstehung), während
autochthone Entstehung nur sehr untergeordnet anzu-
nehmen sei. Da von den Conglomerat-, Sandstein- und
Schieferthon-Mitteln speciell der Kohlenflötze des Carbons
nach Oehseuius dasselbe gilt, so ist jeder auch nur aut
Grund des Studiums der Mittel sich bietende Fall, der in
der Lage ist, die Frage von einer neuen Seite her zu
beleuchten, auch von einem gewissen Werth für die An-
sichten über die Entstehung der Kohlenfliitze.
P. betont nun, dass nach seinen lieobaclitungen im
Carbon von Oberschlesien (mit dem er sich alle Jahre
mehrmals seit fast einem Jahrzehnt an Ort und Stelle zu
beschäftigen Gelegenheit hatte) sich speciell im Schiefer-
thon ausserordentlich häufig Stigmaria ticoides Brong-
niart*) in einer Erhaltungsweise flndet, die den Schluss
zu gebieten scheint, dass das genannte Fossil niitsammt
seinen oberirdisciien Theilen an derselben Stelle ge-
wachsen ist, wo es heute gefunden wird, dass solcher
Schieferthon demnach gewissermaassen „versteinerter
Humus" genannt werden kann.
Es ist nämlich als ganz gewöhnliche Erhaltungsweise
von .'tigmaria zu constatiren, dass die cylindrisch ge-
weseuL' lind als flache, lineale, wie Blätter den Stigmaria-
Hauptkörpe..; ansitzenden Anhänge — wenn wir uns
einen Querschnitt durch den Haujjtkörpcr vorstellen —
nach allen Riehtungen hin vom Ilauptkiiiper aus-
strahlen, also keineswegs alle in derselben Schichtungs-
fläche verlaufen wie dei- horizontal kriechende Hanpt-
körper, wie das verlangt werden müsste, wenn die
Stigmarien allochthon wären.
Wenn man berücksichtigt, dass die Anatomie der
Stigmaria-Appendices genügend bekannt ist, um sich das
Urtheil bilden zu können, dass sie mechanischen Ein-
flüssen gegenüber sehr wenig resistenzfähig gewesen
sein müssen, da sie aus einem grosszelligen Parenchym
und einem nur schwachen centralen Leitbündel bestehen
(Skelett-Zellen sind nicht beobachtet], so dass sie, aus dem
Boden lebend hei-ausgezogen, sofort schlaft' herabhängen
mussten, so erscheint ein Transport von Resten wie die
Stigmarien mit noch anhaftenden und senkrecht vom Haupt-
körper ausstrahlenden Appendices — wenn man nicht
annehmen will, dass der Erdboden, in dem er wuchs, mit
transportirt wurde — ganz und gar ausgeschlossen. Auch
wenn die Appendices wie Borsten starr von den Haupt-
körpern der Stigmarien abgestanden hätten, wäre ein
weitgehenderer Transport kaum annehmbar, da dabei
eine häufigere Schädigung durch Alibrechen von Theilen
beobachtet werden müsste, als das bei vorsichtigem Hcr-
ausmeisselu thatsächlicli gefunden wird. P. hat die Appen-
*) Zur Orientirung über Stigmariti ficoiUes, verf^l. „Natiirw.
Woclienschr." Bd. 11 S. 74 u. Bd. Vit S. 337 ff.
dices in den vielen Fällen, die untersucht werden
konnten, intact gefunden.
Wäre der geschilderte Fall ein vereinzelter, so
würde er zwar zu denken geben, da ein so feiner Sehlannn,
wie es der Thonschiefer gewesen ist, sich schwerlich
lange bei einem Transport zwischen den Appendices
halten würde, aber er könnte doch nicht benutzt werden,
um aus ihm irgend etwas Sicheres bezüglich der Ent-
stehung des Stigmaria-Schiefers zu folgern, weil noth-
gedrungen Ausnahmezustände beim Zustandekommen des-
selben anzunehmen sein würden; der Fall ist aber —
wenigstens in Oberschlesien, wo P., wie gesagt, in der
Lage war, grössere Erfahrungen zu sammeln — durchaus
der gewöhnliche. Ja es ist P. nicht einmal erinner-
lich, jemals eine Stigmaria mit noch anhaftenden Appen-
dices gefunden zu haben, bei der die letzteren sich nicht
in gleicher Weise verhielten wie angedeutet.
Es ist P. in Oberschlesien stets aufgefallen, dass der
Stigmaria-Schiefer beim Zerschlagen in Richtung der
Schichtungsfläche zur Constatirung etwaiger Petrefacten
sofort ilaran zu erkennen ist, dass er kaum und schwer
in der gewünschten Weise zerfällt, sondern dass er nach
allen Richtungen hin zerl)röckelt: eine Folge der radial vom
eylindrischen und zusammengedrückten Hauptkürper aus-
strahlenden Appendices, während Ijci angeschwemmten
Materialien dieselben also naturgemäss nur in parallelen
Ebenen, den Schichtungsflächen, liegen. Sehr bezeichnend
ist auch die Petrefacten-Armuth des Stigmaria-Schiefers,
was sich bei der Annahme, dass die Stigmarien an Ort
und Stelle, wo sie gefunden werden, auch gewachsen
sind, von selbst versteht, da in einem Schlamme, der die
unterirdischen Theile noch lebender Pflanzen-Arten enthält,
die den Boden activ durchwühlen, eine Verwesung von
abgestorbenen Pflanzenresten besonders intensiv sein muss.
Petrefacten sind in „versteinertem Humus", abgesehen von
unterirdischen Organtheilen von Pflanzen, im Allgemeinen
von vornherein nicht zahlreich zu erwarten.
Noch ein anderes Verhalten der Stigmaria, welches
allen Pflanzen-Paläontologen, die sicii mit der Anatomie
der fossilen Reste beschäftigen, gut bekannt ist, scheint
dafür zu sprechen, dass autochthone Entstehung min-
destens weit häufiger ist, als es Ochsenius anninnnt. Gar-
nicht selten kann man nändich an echten Versteinerungen
z. B. von Stammstücken, die also die innere, zellige
Structur der Pflanzenreste zeigen, beobachten, dass die-
selben von Stigmaria-Appendices durchzogen werden.
Man muss sich wohl \orstellen, dass diese Stigmaria-
Appendices erst in die versteinerten Stammstücke lebens-
kräftig eingedrungen sind, als das letztere bereits in
dem Humus, in weleheni die Stigmaria mit ihren Appen-
dices eindrangen, eingebettet lag.
Man muss nach dem Gesagten duichaus annehmen,
dass ein grosser Tlieil der Schieferthon-Flützmittel des
oberschlesisehcn Carbons bereits angeschwemmt war,
bevor die Stigmarien darin wuchsen.
Auch aus anileren Carbon-Revieren sind ähnliche Er-
scheinungen bekannt, so senkrecht zu den Schichtungs-
flächen stehende zahlreiche Reste unterirdischer Organe,
deren Wurzeln sich noch durchaus in derselben
Lage befinden wie zu Lebzeiten der zugehörigen
Pflanzen-Arten. Aufrecht stehende (d. h. senkrecht
zu den Schichtungsflächen stehende) Stämme sind längst
zur Begründung autochthoner Entstehung herangezogen
worden," sind aber freilich nicht so beweiskräftig wie
die geschilderte Erhaltungsweise von Stigmaria und die
Wurzeln.
Die Annainne, dass es sich in allen solchen Fällen
um den Transport ganzer Schollen haudele, begegnet
weitaus grösseren Schwierigkeiten, als die Annahme autoch-
Nr. ^0.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
313
thoner Bildungen; denn schwimmende Inseln dürften
iumicrhin auch zur Carbonzeit eine untergeordnete Er-
scheinung gewesen sein.
Ochsenius meint (1. c. S. 91, 92 1, dass sich die am
Platze gewaclisenen unterirdischen Organe in unter Wasser
gesunkenem Lande befänden. Er sagt, „der Fall gehört
wohl nicht zu den häufigen, ist aber schon mehrmals bc-
ohaclitct worden." Für Oberschlesien passt nach dem
Gesagten die letztere Aeusserung gar nicht , da hier
specicll der Stigmarien-Sehiefer mit der geschilderten
Erscheinung, die durchaus für eine autochthone Ent-
stehung spricht, ausserordentlich verbreitet ist.
Für all' die oberschlesischen Fälle abgesunkenes Land
anzunehmen, scheint bei der verhältnissmässigen Seltenheit
des Vorkommens plötzlicher Senkungen ebenfalls auf
grössere Schwierigkeiten zu stossen, als die Annahme von
Ueberschwemnmngen. Für die vielen Stigmarien-Schiefer
Oberschlesiens kann also bis auf Weiteres nur autochthone
Entstehung der Stigmarien angenommen werden, so
dass jedenfalls autochthone Bildungen in Carbon-
schichten bei Weitem häufiger sind, als sie
Ochsenius mit Anderen anzunehmen geneigt ist.
Schwerkraftsbestimmungen auf den Sandwich-
Inseln, welche fHerr E. D. Freston im letzten Jahre
ausgeführt hat, haben zu Resultaten geführt, die um so
bemerkenswerther erseheinen, als sie so hohe Werthe für
die Gesteinsdichte daselbst ergeben haben, dass die ame-
rikanischen Gelehrten zuerst geneigt waren, an Fehler in
den Beobachtungen oder in den zugehörigen Rechnungen
zu glauben; eine Vermuthung. der aber, wie gleich be-
merkt sein möge, nicht definitiv Folge gegeben werden
kann.
Die Beobachtuugsstationen, auf denen Herr Freston
gearbeitet hat, und die erlangten Ergebnisse sind
folgende:
,, Tj -. ^ I ■■ Meeres- Schwer-
Urt Ceogr. BreUe Geogr. Lan^-e ^..^^ j^ ^^^^^^
eiifil F, Dyn.
Washington -|- 38° 53' 20" + 77° 1' 35" 34 980,100
Lick Ohservatoi-y . . 37 20 2h 121 38 35 4 2o5 979,85;
Honolulu 21 18 3 157 51 46 20 978,936
Waihihi 21 16 25 157 H) 1 10 978,922
Kawailian 20 2 25 155 49 36 8 978,803
Kalaieha 19 42 32 155 27 53 6 660 978,490
Mauna Kea +19 49 11 155 28 48 13 060 978,060
Bei Betrachtung der in dieser Tabelle enthaltenen
Beobachtungen auf den Hawaiischen Inseln ergiebt sich
zunächst das Resultat, dass die untere Hälfte vom Mauna Kea
(vorletzte Station) eine sehr viel grössere Dichte der ober-
flächlichen Schichten ergiebt als die obere Hälfte. Der
erstere Tlieil führt für die Dichte zu dem Werthe 3,7, der
untere zu 2,1, sodass als IMittelwerth für die Dichte des
ganzen Berges sich 2,9 ergiebt. Dieser Werth übersteigt
sehr merklich den sonst für die oberflächliche Gesteins-
dichte gefundenen. Er dürfte der grösste bisher aus
Fcndclmessungen gefundene Werth dieser Grösse sein.
Freston giebt in einem Schreiben an J. D. Dana, einen
der Herausgeber des American Journal of Science (vgl.
Märzheft gen. Zeitschrift) die folgende Vergleicliung der-
artiger Resultate :
Mauna Kea . . 2,9
Fushinojama . 2,1
Haleakala . . . 2,7
St. Helena. . . 1,9
Aseension ... 1,6
(Haleakala ist eine andere Hawaiische Station).
Das überraschende Resultat ist um so bemerkens-
werther, als CS unter Anwendung MendenhaH'scher Ilalb-
sekundenpendel erlangt wurde, die einen bisher nicht er-
reichten Genauigkeitsgrad erlangen lassen.
Professor Mendenh all macht daher auch selber noch
einige Bemerkungen zur Sache, im gleichen Hefte des
Am. Journ. of Science. Er erwähnt, dass das Resultat,
wonach die untere Partie vom Mauna Kea eine Dichte von
3,7 besitze, auch ihm so überraschend vorgekommen sei,
dass er Herrn Freston zu einer sorgfältigen Sui»errevision
aller Beobachtungen und zugehörigen Rechnungen veran-
lasst habe. Dieselbe hat indessen keinerlei Fehler auf-
decken können. Im Uebrigen waren grobe Beobachtungs-
fehler auch gar nicht zu erwarten. Denn wenn solche zu
dem Zwecke herangezogen werden sollten, um den Betrag
der gefundenen Dichte auf den der gewöhnliehen Ge-
steinsdichte herabzudrücken, so müsste man annehmen,
dass bei Beobachtung der Schwingungsdauer (0 des l'endels
Fehler von Vaoooo ^''^" ' gemacht worden seien, während
Apparat und Methode so eingerichtet sind, dass auch bei
relativ kurzer Beobachtungszeit Ergebnisse erlangt werden.
bis
jenes Betrages genau
die bis auf Vaüooooo
sind.
Mendenhall geht noch näher auf die Thatsachen ein,
welche die Unwahrscheinlichkeit, dass es sich hier um
Messungsfehler (entweder hinsichtlich der Methode oder
der Apparate) handeln sollte, noch deutlicher ins Lieht
rücken. Er weist darauf hin, dass die Ergebnisse ganz
unabhängig sind von den Schweremessungen in Washing-
ton. Es sind relative Messungen, indem man das Pendel
im Meeresniveau in der Nähe des Berges schwingen
liess. Die Pendel sind sowohl vor wie nach der Expe-
dition in Washington sorgfältig geprüft worden; und es
hat sich, obgleich beide Prüfungen nun mehr als ein
Jahr auseinander lagen, doch keinerlei Differenz in den
Schwingungszeiten erweisen lassen. Man wird auch wohl
noch hinzufügen dürfen, dass Freston einer der geübtesten
Fachmänner auf dem Gebiete dieser Beobachtungen ist,
so dass die Annahme, es könne sich durch seine Beobach-
tungen ein beträchtlicher systematischer Fehler durch-
schleppen, ohne dass P. aus dem erlangten Zahlenmaterial
und den Umständen, unter denen es erlangt ist, nicht selber
auf die Natur und Grösse eines solchen Fehlers hätte
schliessen können, hinfällig ist. .Man wird also kaum an
dem allerdings ganz ungewöhnlichen Resultat, eine Dichte
von 3,7 für die untere Hälfte des Mauna Kea, zweifeln
können. Grs.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Geheimer Medicinalrath Prof. Dr. Hein-
rich Fritsch von der Universität Breslau zum Professor der
Gynäkologie an der Universität Bonn. — Prof. Ernst von Meyer
von der Universität I^eipzig zum Professor der Chemie an der
technischen Hochschule in r)resden. — Dr. phil, G. Hörig zum
Assistenten am zoologischen Institut der Köuigl. Laudwirthschaft-
lichen Hochschule in Berlin. — Mr. Samuel Alexander zum
Professor der Philosophie am Owens College in Manchester. —
Der ausserordentliche Professor der Chemie an der Universität
Giessen Dr. Eugen Seilmann zum Ordinarius.
Es hat sich habilitirt: Der Assistent am chemischen Institut
der Universität Erlangen Dr. Max Busch für Chemie.
Wirklicher Staatsrath Dr. Arthur von Oet fingen, ordent-
licher Professor der Physik an der Universität Dorpat, beabsichtigt,
nachdem er jetzt aus seinem Amte entlassen worden ist, nach
Deutschland überzusiedeln und hier weiter wissenschaftlich thätig
zu sein. — Es treten in den Ruhestand: Geheimer ( )ber-Meilicinal-
rath Prof. Dr. Veit, Dircctor der geburtshilflichen Klinik und
Professor für Gynäkologie an der Universität Bonn, zum 1. Oc-
tober d. J ; — am Polytechnikum in Dresden: Gelieimcr Hofrath
Dr. Rudolf Schmitt, Professor für allgemeine Chemie, und —
Geheimer Regierungsrath Dr. August Nagel, Professor der Ver-
messungslehre.
Es sind gestorben: Der Chemiker Dr. Kobeck in Folge
einer Explosion in der chi'inischen Fabrik vuii Schuster und \\'i\-
314
Naturwissenschaftliche Wochcnsclirift.
Nr. 30.
liolmy in Reichenbach (preussische Obei-lau.sitz). — Der frühere
Professor der Mathematik am Owens College in Manchester Dr.
Archihalil Sande mann in Perth. — Der Mathematiker Professor
Dr. Schieck am Gymnasium in Weimar.
Der Internationale botanische Congress wird niedit, wie in
No. 26 angegeben, in Chicago, sondern in Madisoii, Wisconsin,
Ver. St., abgehalten werden; er beginnt am 2.3. August und wird
3_4 Tage währen — Vorsitzender des Comitcs: Professor J. C.
Arthur, La Fayette, Indiana, Ver. St.
Der erste internationale Samariter - Gongress findet vom
8.— 10. September d. .1. in Wien statt. Prii.-^idi-nt: Professor Dr.
Billroth; Vicepräsidenten: Bürgermeister Dr. Pri.v und Dr. A. Loew.
Der bekannte amerikanische Polarreisende Marinelieutenant
Peary hat mit seiner aus 10 Personen bestehenden Expedition am
2. Juli auf dem Walfischfiinger-Barkschiff „Falcon" eine neue Reise
in die arktischen Regionen angetreten, um die NordkUstc, sowie
den nocli unbekannten Theil der Ostküsto Grönhmds bis zuni Cap
Bismarck zu untersuchen. Die Reisenden werden in der Inglefields-
bucht an der Westküste von Grönland auf ungefähr 77 Gr. n. Br.
landen, wo Peary Winterquartier zu nehmen gedenkt Von hier
aus will Peary niiit sieben seiner Begleiter die Schlittenfahrt nach
der von ihm auf seiner letzten Grönlandreise entdeckten lüde-
pcndencebucht an der Nordküstc antreten, dort zwei Mann zurück-
lassen, welche durch Jagd auf Moschusochsen das nöthige Hunde-
futter herbeischaffen sollen, selbst aber mit einem oder zwei Mann
nordwärts vorzudringen versuchen, um die Nordküste von Grön-
land eingehend zu erforschen. Während dann Peary nach einer
eventuellen Ueberwinterung bei einigermaassen günstigen Eis-
verhältnissen gegen den Pol vorzudringen beabsichtigt, sollen die
übrigen Mitglieder die Küsten bis Cap Bismarck (77 Gr. n. Br.)
genauer feststellen und darauf quer durch Grönland nach der
Inglefieldsbucht zurückkehren, wo die Vereinigung der ganzen Ex-
pedition zu erfolgen hat. Gleichzeitig will Peary Nachrichten
über die Grönlandexpedition des Schweden Björling einzuziehen
versuchen, über deren Verbleib seit langer Zeit nichts mehr be-
kannt geworden ist.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. Jacques Loeb, Untersuchungen zur physiologischen Mor-
phologie der Thiere. II. Organbildung und 'Wachsthum.
Mit 2 Tafeln und 9 Textfiguren. Georg Hertz. Würzburg
1892. — Preis 4 Mk.
Im 6. Bande No. 5 der .Naturwissenschaftlichen Wochenschr."
ist dem I. Theil der Untersuchungen zur physiologischen Morpho-
logie der Thiere, der sich mit dem Theuui: Heteromorphose be-
schäftigt, eine Beschreibung zu theil geworden; Herr Dr. Loeb
hat einen II. Theil folgen lassen, in dem er, auf den Darstel-
lungen über Heteromorphose fussend, unter Anwendung ähn-
licher Methoden die Organbildung und das Wachsthum zu er-
klären sucht.
Folgen wir seinen Untersuchungen.
Zunächst bezogen sich dieselben auf Antennularia antennina;
an diesem Hydroidpolypen will der Verfasser die Abhängigkeit
der t)rganbildüng von der Orientirung des Thieres zum Erdmittel-
punkte nachweisen. Bei Neigung des sogenannten Stammes
strebte die weiterwachseude Spitze desselben senkrecht nach oben,
die Wurzel zeigte sich, weniger abwärts geneigt, dem Erdmittelpunkte
zustrebend. Bei herausgeschnittenen .Stammstücken entstehen bei
senkrechter Aufhängung, gleichgültig, ob das basale Ende nach
unten oder oben zeigt, oben Sprosse, unten Wurzeln, desgleichen
zeigen sich bei schräg gerichteten Stammstücken bald an der
Oberseite neue Sprosse, auf der Unterseite neue Wurzeln. Ob
für diese Erscheinung die Worte „positiver und negativer" Geotro-
pismus zur Erklärung ausreichen, bleibe dahingestellt. An hori-
zontal orientirten .Stücken bilden sich die unteren Fiederchen zu
wurzelähnlichen Gebilden um ; bei Kontakt verwachsen sie mit
der Oberfläche des betreffenden Körpers. Unverletzte wachsende
Sprosse des Thieres, nach unten gerichtet, erhalten an der früheren
Spitze Wurzeln, falls dieselbe nicht abstirbt.
Loeb will nun aus besonders orientierten Stämmen unter be-
stimmten Umständen eine Varietät der Antennularia gezogen
haben mit verzweigtem Stamm; da jedoch genauere Angaben
versehwiegen sind, verzichte ich, darauf einzugehen.
Das zweite Object bildet Tubularia mesombryanthemum.
Daran haben sich an Stammstücken sowohl basal als apical
Polypen gebildet. Befand sich das apicale oben, so wurde die
Polypenbildung am basalen Ende verzögert, bei umgekehrter Stel-
lung jedoch beschleunigt. Dabei zeigten Licht und Schwerkraft ■
keine Einwirkung auf die Entstehung von Neubiklungen.
Nach einigen Rückblicken auf Heft 1. „Heteromorphose",
kommt der Verfasser zu den Versuchen an Ciona intestinalis,
deren Hauptergebnis in den Sätzen gipfelt: „Macht man einen
Einschnitt in eine der Röhren einer C. intestinalis, so bilden sich
an hei<len Schnitträudern f )cellen. Nach Exstirpation des Gehirns
bleiben die Reflexe erhalten; das Gehirn wird bald regenerirt".
Die folgenden Abschnitte der „Untersuchungen" beschäftigen
sich mit der Abhängigkeit der vorstehenden (»rganbildungs- und
Wachsthumserscheinungen von der chemischen Zusammensetzung
des Meerwassers, und zwar sind besonders herangezogen: die
Koncentration des Seewassers, die Sauerstoffzufuhr, das Vor-
handensein von Kalium und verschiedener Salze. Dieselben er-
geben, dass sowohl zu geringer Salzgehalt wie zu grosser, zu
geringer Sauerstoff- und Kaliumgehalt beide physiologischen
Thätigkeiten der (Organismen schädigen resp. unmöglich machen.
Eine Kritik der Untersuchungsmethoden, sowie der Ergebnisse
und der Schlussfolgerungen dürfte an dieser Stelle zu weit führen.
Doch kann ich es nicht unterlassen, auf die Schlussbemerkungen
in No. 5, Bd. VI, S. 51 dieses Blattes zu verweisen.
Herr Dr. Loeb hat die mikroskopische Untersuchung gänzlicdi
bei Seite gelassen, trotzdem der (_)rt der Untersuchungen, „Neapel",
die beste Gelegenheit bot; daraus resultirt die Unsiidicrheit in
der morphologischen Schätzung der Organe und beobachteten
Vorgänge und aucli das Schwanken in der Ausdrucksweiso, die
bald botanisch, bald zoologisch gewählt ist, dasselbe Hesse sich
durch Anlehnen an anerkannte Morphologon gewiss vermeiden.
Herr Dr. Loeb hätte gut gethan, den kritischen Arbeiten,
welche sich mit seinen Untersuchungen beschäftigen, Achtung zu
schenken; dieselben zeigen vielfach, wie einseitig sowohl seine
Untersuchungsmethoden, ahs auch die Auslegung der Beob-
achtungen sind.
Die Abhandlung hält indessen trotz mancher Einseitigkeit
den Leser gespannt, zumal solche neue Gesichtspunkte der
Naturbetrachtung und -Untersuchung Anregung bringen und neue
Fortschritte zu zeitigen geeignet sind. Dr. H. Trautzsch.
Eberhard Fraas, Scenerie der Alpen. Mit über 120 Abbildungen
im Text und auf eingehefteten Tafeln sowie einer Uebersiciits-
karte der Alpen. Leipzig. T. 0. Weigel Nachflgr. (Chr. Herm.
Tauchnitz). 1892. — Preis 10 M.
Dieser Titel und die Aussicht, eine Reihe schöner Land-
schaftsbilder mit zu erhalten, wird vielleicht manchen Alpen-
freund zum Ankauf vorstehenden Buches veranlassen, den er
später zunächst bereut, wie in der That dem Ref. ein Fall be-
kannt geworden ist. Aber wir fürchten nicht, dass die Reue von
Dauer sein wird. Der Verfasser hat sein Buch — dem Vorworte
nach — vor allem für Touristen bestimmt. Dasselbe soll das
Verständniss für das Zustandekommen der Scenerie der Alpen,
d. h. zunächst des Reliefs, erwecken und so den Genuss an der
Grossartigkeit der Gebirgswelt vertiefen und veredeln. Es ist
ausschliesslich geologischen Inhalts und die überwiegende Mehr-
zahl der Bilder stellen auch nicht Landschaften mit schöner
Scenerie dar, sondern geologische Profile, Durchschnitte durch
die Landschaften, aus denen man deren inneren Aufbau nach
Reihenfolge, Mächtigkeit und Lagerung der Schichten erkennen
soll. Entsprechend ist der erste Theil des Buches, einer Einfüh-
rung in die allgemeinen geologischen Grundbegrifte gewidmet,
welche den gebildeten Leser mit der Theorie der Gebirgsbildung
im Grossen und mit ihren einzelnen Einwirkungen auf die Ge-
steine bekannt machen soll; daran schliesst sich im zweiten Tlieile
(S. 43—314) die „Formationslehre der alpinen Gesteine im Zu-
sammenhange mit der Entstehung der Alpen", welche in 10 Ab-
schnitten für die einzelnen Formationen die Schichtenfolge,
Schichtenbeschaffenheit, Versteinerungsführung, Verbreitung durch
die Alpen, sowie die „Scenerie der Alpen" während der ver-
schiedenen geologischen Zeitalter behandelt. Der Verfasser, selbst
ein erfahrener und begeisterter Alpengeolog, hat sich der Auf-
gabe, die er sich gestellt, in solcher Weise erledigt, dass Ref.
überzeugt ist, das Buch werde von vielen Laien mit Genus< und
Gewinn gelesen werden, und dass selbst mancher von ihnen aus
einem blossen Freunde der Alpenlandschaften ein Freund der
geologischen Alpen forschung werde, der sich dieser selbst mit
Liebe und Verständniss hingiebt. Vor allem aber werden selbst
viele Geologen von Fach dem Verfasser Dank wissen, besonders
jene, welche sich einmal eine Zeit lang nicht mit der Alpen-
geologie befassen konnten: bei den gewaltigen Fortschritten,
die noch immer von Jahr zu Jahr in diesem Gebiete gemacht
werden, werden sie durch das Buch des berufenen Fachgenossen
schnell und sicher wieder auf das Laufende gebracht, w;ozu
tabellarische Formationsübersichteu und ziemlich reichliche Litte-
raturangaben vornehmlich mit beitragen. Zum Schluss müssen
wir noch hervorheben, dass auch die Auswahl der Bilder und
ihre technische Ausführung als eine lehrreiche und gelungene zu
bezeichnen ist. E. Zimmermann.
Nr. 30.
Niiturwissenscliat'tliclu' Woc-licnsclirit't.
■Mb
A. Engler u. K. Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien,
t'nrtfii'setzt von A. fungier. 85. u. 8(;. Liof'ening. Vi-rlag von
Wilhelm Enselniann. Leipzip; 1893. — Subskriptionspreis ;i 1,50 Mk.,
sonst ;i 3 Mk. — Erst in der Nummer vom 21. Mai haben wir das
Erscheinen der Lieferungen 82—84 angezeigt und schon wieder
sind wir in der Lage von dem Fortschreiten des prächtigen Werkes
berichten zu können. Wenn in gleicher Weise so fortgearbeitet
wird, dürfte das Werk in etwa 1—1 Vi Jahren fertig vorliegen.
Die beiden vorliegenden Lieferungen liringon ebensowenig wie die
letztangezeigten eine „Abtheilung" zum Abschluss; wir begnügen
uns daher darauf, mitzutheilen, dass Lief. 8.5 den Sehltiss der Pole-
moniaeeen (bearb. von A. Peter), die llvdrophyllaeeen (Peter) und
den Anfang der Boraginaceen (M. Gurke) lu-ingt, während die
Lief. S(j die Frirt.setzung der Algen enthält. Es werden in der-
selben von F. R. Kjellman 12 kleinere Familien (Sphacclariaoeen
bis Ralfsiaceen) behandelt.
Zeitschrift für anorganische Chemie herausg. v. Gerhard
Krüss. IL Bd Leopohl Voss in Ihunburg und Leii)zig 181I2. —
Pr. 12 Mk. — Der vorliegende zweite Band der bereits bei ihrem
Erscheinen in dieser Wochenschrift Bd. VII S. \bO freudig begriissten
Zeitschrift legt rühmliches Zcugniss dafür ab, dass die anorganische
Chemie aus dem Hintergrund, in den sie zeitweise durch die rapide
Entwickelung der organischen Schwesterwissenschaft gedrängt
war, hervorgetreten ist und sich mit Erfolg an der Lösung all-
gemeiner Fragen betheiligt. Neben zum Theil hervorragenden
und erschöpfenden Behandlungen einiger Einzelgebiete finden sich
Arbeiten, welche, gross angelegt, auf allgemeinere theoretische
Aufklärungen hinzielen. So haben Franz Freyer und V. Meyer
eine interessante Untersuchung über die relativen Siedi'punkte an-
organischer Halogeuverbindungen begoiuien; während Ijei organi-
schen und den leichter flüchtigen anorganischen Halogenverbin-
dungen die Jodide im Allgemeinen höher sieden als die Bromide,
diese wieder höher als die Chloride, tritt bei schwer flüchtigen
anorganischen Verbindungen das umgekehrte Verhältniss ein. Es
wurde nun zunächst versucht, festzustellen, wo diese Umkehrung
beginnt, was sich in einem nahen Zusammenfallen der Siedepunkte
äussern muss, und wurde dieser Punkt für Chloride und Bromide
mit Wahrscheinlichkeit als zwischen 450 und 600° C. liegend er-
mittelt. Ebenfalls aus V. Meyers Anregung entsprungen ist eine
Untersuchung von Phookan über die Verdainpfungsgeschwindig-
keit von Körpern in verschiedenen Atmosphären. Die Versuche,
welche übrigens als noch nicht völlig einwandsfrei wiederholt
werden sollen, ergaben, dass in verschiedenen Gasatmosphären die
Verdampfung unter sonst gleichen Bedingungen mit verschiedenen,
von der Natur des Gases abhängigen Geschwindigkeiten vor sich
geht, das.s hingegen Dämpfe gleichmässig dieselbe Geschwindigkeit
bedingen. Von grossem Interesse ist dii> an frühere Publikationen
anknüpfende ausführliche LTntersuchung kompIe.\er Säuren von
Carl Friedheim. An den sogenannten Arsenmolj'bdänsäureii wird
die Natur derartiger Verbindungen in eingehendster Weise ent-
wickelt, indem das E.xperiment Schritt für Schritt der Spekulation
folgt. Daher machen die aus den Versuchen gezogenen Folge-
rungen fast durchweg einen überzeugenden Eindruck und, wenn
auch in Einzelheiten noch manches zwingender zu erweisen sein
wird, so bedeutet das Ganze zweifellos einen bedeutsamen Fort-
schritt auf einem der dunkelsten Gebiete, Wo man bisher sich
mit der Angabe der analytisch ermittelten Zusannnensetzung be-
gnügte, wird man in Zukunft das Hauptaugenmerk der Consti-
tution zuwenden. Die sorgfältigste Untersuchung der Bildungs-
weise, wie Friedheim sie betreibt, wird hierzu die Handhabe bieten.
Ebenfalls mit Constitutions- Untersuchungen und auf ähnlichem
Wege beschäftigen sich die Mineralchemischen Studien von St. J
Thugutt, der eine Anzahl Mineralien der Sodalitligrui>pe auf pyro-
chemischem \yege darstellte und sich mit der Frage der Kaolin-
bildung, dem Eiiifluss der Concentration der einwirkenden Lö-
sungen auf den chemischen Umsatz bei den Silikaten, der Um-
wandlung des Korunds und des Diaspors, den Sulfoferriten, den
basischen Salzen von Magnesium und Zink und mit den Um-
wandlungen einiger natürlicher Gläser durch destillirtos Wasser,
sowie durch verdünnte Natriunu-arbonatlösung bei 200" beschäf-
tigt. CTleichfalls zur Erklärung gewisser mineralischer Vorkomm-
nisse sollen die Versuche von W. Spring und M. Lucion „Ueber
die Entwässerung des Kupfero.xydhydrates und einiger seiner
basischen Verbindungen bei Gegenwart von Wasser" dienen; die-
selben constatiren die wasserentziehende Kraft von Salzlösungen.
Aus dem Laboratorium von Krüss liegen zwei Mittheilungen über
Kobalt und Nickel vor, welche in Bestätigung früherer Mitthei-
lungen') die Nichteinheitlichkeit dieser, sorgfältig gereinigten, Me-
talle feststellen. S. M. Jörgensen setzt seine frühiu-en, im Journal
für praktische Chemie veröft'entlichten, Untersuchungen über die
Constitution der Kobalt-, Chrom- und Rhodiuiidjasen fort. Die
übrigen Abhandlungen, theils analytischen, theils I)eschreibcnden
Inhalts haben mehr specielh>s Interesse.
Neben den Originalabliandlungen, von welchen man einigen, im
Interesse der Uebersichtlichkeit, etwas weniger Länge wünschen
köiuite, laufen Referate über die in anderen Zeitsidn-iften aller
Länder orscdiienenen, in das Gebiet fallenden Arbeiti'ii, bei denen
theilweise der gegentheilig ■, Wunscdi angebracht erscheint. Zwar,
so weit wirklii-h referirt ist, erscheint die Art, in welcher dies ge-
schehen, einwandsfrei, da sie das Nothwcndige in knapper Form
giebt; aber nur zu häufig findet sich die einfaidu- Angabe des
Titels auch da, wo der Inhalt aus diesem nicht hinreichend zu er-
sehen ist. In dieser Beziehung wäre eine Aenderung erwünscht.
Spiegel.
Hofmann, J.. ExkursionsHora für die Umgebung von Freising
Fr.'ising. 1,GÜ M,
Jäger, G., Aus Natur- und Menschenleben. Leipzig. 2 M.
Jaerisch, P., Zur Theorii" der elastischen Kugehvellcn mit An-
wendung auf die Reflixion und Brechung dis Lichtes. Ibnnburg.
2,50 M
Israel, O., Practicuni der pathologischen Histologie. Berlin. 15 M.
Eennel, j., Lehrbuch der Zoologie Stuttgart. 18 M.
Kirchner, O., u. H. Potonie, Die Geheimnisse der Blumen Berlin.
1 .M.
Eoehne, E., Deutsche Dendrologie. Stuttgart. 14 M.
Ereidl, A., Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes.
Leipzig. 1,20 M.
Legendre, A. M., Zahleutheorie. 2 Bde. Leipzig. 6 M.
Lenhartz, H., Mikroskopie und Chemie am Krankenbett. Berlin.
s M.
Linck, G., Ueber das Krystallgefüge des Meteoreisens. Wien.
(),(;0 M.
Blargules, M., Luftbewegungen in einer rotirenden Sphäroid-
schale Leipzig. 1,80 M,
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Jever. — 1 105. Loppersum. — 1630. VVartenberg. — 1701.
Neudanun. — 1703. Hohenwaltje. — 1705. Zantoch — 1774.
Vietz. — 20(iO Konkolewo. — 2126. Kübnitz. Berlin. 1 M.
Mielke, C, Ueber die Stellung der Gerbsäuren im Stoffwechsel
der Pflanzen. Hamburg. 2,50 M.
Müller, J., Beiträge zur Anatomie holziger und succulenter
Compositen. Berlin. 3 M.
Nernst, W., Theoietische Chemie vom Standpunkte der Avo-
gadro'scdien Regel und der Thermodynamik. Stuttgart. 13 M.
Neubauer, H., Ueber die Zuverlässigkeit der Phosphorsäurebe-
stimmung als Magnesiumpyrophosphat. Hamburg. 1 M.
Pohlig, H.. Eine Elephantenhöhle Siciliens und der erste Nach-
weis des Cranialdomes von Elejihas auticjuns. München. 2.80 M.
Preyer, W., Die geistige Entwickelung in der ersten Kindheit.
Stuttgart. 4 M.
Ramsay, W., Kurzes Lehrbuch der Chemie nach den neuesten
Forsclningen der Wissenschaft. Anklam. 4,50 M.
Bomanes, G. J., Die geistige Entwicklung beim Menschen.
Lei], zig. 6 M.
Kzehak, E. C. F., Charakterlose Vogeicier. Wien. 0,60 M.
SchacRo, G., Foraminiferen und Ostracoden aus der Kreide von
Moltzow. Güsirow. 0,40 M.
Schichtel, C, Der Amazonen-Strom. Strassburg. 2 .M.
Schreutzel, W., Ueber die Integration der Difi'ereutialgh'icbung.
Berlin 2 M.
Sobotka, J., Beitrag zur Construction von umgeschriebenen
Dcveloppablen. Prag. 0,40 M.
Staude, O., Ueber das Foucault'sche Pendel. Güstrow. 0,25 M.
Sterzel, J. T., Die Flora des Rothliegenden im Plauenschen (irunde
bei Dresden. Leipzig. 12 M.
Stüber, J. A., Die obere Abtheilung des unteren Lias in Deutsch-
Lothringen. Strassburg. 4 M.
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tomie des Bauchfelles und der Gekröse. Berlin. 2,.'s0 M.
Uebersichts-Karte, Geognostische, des Königreichs Württend)erg.
Stuttgart. 2 M.
Vetters, K. , Abriss der darstellenden Geometrie. Chouuiitz.
3 M.
*) Ber. il. Deuts(di. Chem. Ges. 22,11
2026.
Inhalt: Oberlehrer Clemens König: Die Biene als Depeschenträgerin, verglichen mit der Taube. — Dr. Karl L. .Schaefer:
Die Rosenbach'sche Seekrankheitstheorie. — Die erworbene Immunität. — Eine gewöhnliche Art der Erhaltung von .Stigmaria
als Beweis für die Autochthoni«' von Carbon-Pflanzen — Schwerkraftsbestimmungen auf den Sandwich-Inseln. — Aus dem
wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Dr. Ja(|ues Loeb: Untersuchungen zur physiologischen Mor|ihologie der Tliien«.
IL Organbildung und Wachsthum. — Eberhard Fraas: Scenerio der Alpen. — A. Engler u- K. Prantl: Die natürlichen
Pflanzenfamilien. — Zeitschrift für anorganische Chemie. — Liste,
316
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 30.
Die Insekten-Börse
jetzt vereinigt mit der „Sammler -BÖrSG"
■■"^^ß Diromnlo4ti'i|)C5 Organ
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fcfitcttcit focLicii :
Pif Ufiifu }Jrfii|ifdjrn Strufrgfffk 11011 1893,
ergättät unb erläutert burtf) fatc amtlid^en 5KateriaIteit ber ®efe§=
gcbitng von 9i. |iöiitg^nu§:
(S?eriitögeitstte"er=®efcg) ttebft äBa[)Igefc^.
94 ©ettcn. 5prei§ 60 f^f.
ftommmmlrtliflitbcn-Oicrd?
itcbft bcni (^icfeti lucgeit SUtf l)clui)t g bircttcr ® tan t^ftcucrtt
uttb belli ©efeg betr. S8et£)ülfe 311 S8oI£äfcf)itlboitteit.
167 ©eiten. 1)]rei§ 1 9llarf.
3u be5ielicii burcf} jebc Sitcfjfjaitbluiig.
PATENTE iJü^^^y^^r
1^^^ lTneo[loro?ic & C»>'
I ICKKMX XW.
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t i8t; iit.pi- iioüitr;it.-iii.'
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BERLIN C,
Niederlage eigener GlasliüUenwerke und Dampfsctileifereien,
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Hempel's Klassiker- Ausgaben.
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Verantwortlicher Redakteur: I.V. Dr. F. Kaunlmwen, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Insoratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 30. Juli 1893.
Nr. 31.
Abonnement : Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrapreis ist Jl 4.—
Bringegeld bei der Post 15 ^ extra.
I
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft, Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nur mit vollständiger Quellenangabe gestattet.
Internationale Uebereinkunft in der Cholerafrage.
Von Wilhelm Krebs.
Der vei-storbene Generalfeldmarschall Graf Moltke
schrieb dem Kriege eine sittlichende Kraft zu. Allgemeiner
findet sich derselbe Gedanke in dem alten Sprichwort aus-
gedrückt: Noth lehrt beten. Die Wahrheit liegt wohl dem
besonderen Moltke'schen Gedanken näher. Der Einzelne
ist viel mehr in Gefahr, unter dem Drucke trauriger Zu-
stände zu verderben, als die Mehrheit eines ganzen Volkes.
Brechen Kriege oder anderes Unglück über sie herein, so
besitzt sie vervielfältigte Gelegenheit, sich zu einem er-
höhten Gefühl des Zusaramengehörens aufzuraften. Wohl-
thätiger und sicherlich auch in weiterem Umfang muss
dieses Gefühl wirken, wenn es sich nicht gegen Menschen
fremden Stammes, sondern gegen Feinde fremderer Art
richtet. Es giebt Kriegszustände, in denen die mensch-
liche Geraeinschaft sich noch bitterer zu wehren hat, als
je ein Volk gegen ein anderes. Ihre Schauplätze sind
gerade die volkreichen Städte, in denen ihr Wüthen,
grossen Schlachten nicht nachstehend, Zehntauseude an
der Gesundheit zu schädigen. Tausende des Lebens zu
berauben pflegt. Es sind die grossen Epidemien in unserer
Zeit, vor allem die asiatische Brechruhr. So sind die
schwere Cholera-Epidemie, welche im vorigen Jahre Ham-
burg, die noch schwerere, welche vor zwanzig Jahren
Magdeburg heimgesucht haben, auch deshalb unvergesslich
und sollten es bleiben, weil sie aus tiefer, allgemeiner
Niedergeschlagenheit ein Zusammenwirken von Behörden
und Bürgein, Aerzten, Ingenieuren und Laien wachgerufen
haben, welches sich den schönsten Bewegungen der Cultur-
geschichte würdig anschliesst. Die Geschichte der Magde-
burger Epidemie 1873 ist in der Vierteljahrsschrift für
öffentliche Gesundheitspflege von einem hervorragenden
Arzte des damaligen Magdeburg geschrieben. Diejenige
der Hamburger Eiiidemie, in einzelnen Zügen schon von
Zeitungen und Zeitschriften, leider noch vorwiegend von
ihren abschreckenden und auch beschämenden Seiten be-
handelt, verdient die gleiche Würdigung und wird sie
wohl erhalten.
Noch wichtiger ist ein anderer Erfolg, den vor allem
sie, doch in Gemeinschaft mit den gleichjährigen cj)ideini-
schen Ereignissen zeitigte. Die durch Seuehengefahr und
noch mehr durch Seuchenfurcht liediugten Beschränkungen
des Verkehrs, besonders des Waarenverkehrs, schädigten
schwer den Handel jener bedeutendsten Hafenstadt des
europäischen Festlandes und des Deutschen Reichs. So hatte
gerade dieses ein hervorragendes Interesse daran gewonnen,
dass solche beschränkende Bestimmungen nicht über die
Grenze hinaus getroffen würden, welche von dem herr-
schenden Standpunkt der Wissenschaft als nothwendig
angesehen ist. Eine dahingehende Uebereinkunft vor-
erst der zunächst betheiligten Staaten, derjenigen Europas,
erschien wünschenswerth. Die Anregungen
und
Vorver-
handlungen gingen von Oesterreich- Ungarn aus, welches
durch die Herbstepidemie in Budapest ebenfalls benacli-
theiligt worden war. Die Einladungen zu einer diplo-
matischen Conferenz erfolgten danach von Seiten des
Deutschen Reiches. Die Sanitäts Conferenz kam zu Stande
und fand in der Zeit vom 11. März bis zum 15. April 1893
in Dresden statt. Beschickt war sie von allen Staats-
regierungen Europas, mit Ausschluss des Süzeränen Bul-
garien.
Ihr Arbeitsplan umfasste vier Gegenstände: Bestim-
mungen über den Reise- und Waarenverkehr Europas,
über das Sanitätswesen an der unteren Donau, über die
Reform des Sanitätsrathes in Konstantinopel, über den
Reise- und Waarenverkehr mit Persien. Die Verhandlungen
beschränkten sich auf die beiden ersten Fragen, welche
bei der gegenwärtigen Sachlage, nachdem die Cholera in
mehreren Gegenden Europas schon Fuss gefasst hat, allein
dringend sind. Aus den Zeitungen ist bekannt, dass eine
Uebereinkunft von zehn Staaten unterzeichnet wurde, wäh-
318
Naturwissenschaftliche Wochcnsclirift.
Nr. 31
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Nr. 31.
Naturwissenseliaftliche Woclieiisclirift.
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rend die Delegirten der neun übrigen dieselbe nur zur
Berichterstattung an ihre Regierungen übernahmen. Jene
zehn umfassen aber den gesammten Rumpf Europas und
in Italien eines seiner Glieder. Zu den neun übrigen ge-
luiren ausser Grossbritannien und Irland*) nur Dänemark
und diejenigen der skandinavischen, der pyrenäischen und
der ]5alkanhalbinsel.
Eingehen auf die einzelnen Theile der Uebereinkunft
ist ja hier ausgeschlossen. Es genüge hervorzuheben, dass
vom Verkehr zu Lande gebrauchte Wäsche und Kleidungs-
stücke und unzureichend verpackte Lumpen als AVaaren
ausgeschlossen, als Reisegepäck die ersteren, ebenso wie
alle im Verdacht der Cholera- Verunreinigung stehenden
Gegenstände der Desinfectiou unterworfen sein sollen.
Das letztere gilt im Seeverkehr auch für die seuche-
verdächtigen .Schilfe, deren Kielraum vor allem aus-
gepumpt und desinficirt werden soll. Die Jlannschaft
und die Reisenden haben inzwischen eine fünftägige
Quarantäne abzuhalten, Cholerakranke werden sogleich
isolirt. Die Waaren sollen jedoch auch im Seeverkehr
nicht anders als wie im Landverkehr behandelt werden.
Besonderer Werth wird, entsprechend den Anschauungen
der Berliner bacteriologischen Schule, auf Versorgung
seucheverdächtiger Schitle mit neuem, gutem Trinkwasser-
vorrath, und in dem zweiten, den Donauverkehr behan-
delnden Theile der uebereinkunft auf eine entsprechend
verbesserte Wasserversorgung der Hafenstadt Sulina, am
mittleren schiffbaren Arme des Donau-Deltas, gelegt. Von
dieser Verbesserung wird sogar das Bestehen der haupt-
sächlichen Beschränkungen jenes Verkehrs abhängig ge-
macht. Doch ist das keineswegs weder in ihrer örtlichen
Beschränkung auf Sulina, noch in ihrer saclilichen, auf
die Wasserversorgung eine zureichende Bedingung, den
Verkehr auf jenem wichtigen Wasserwege aus dem seuche-
reicheu Osten nach dem volkreichen Abeudlande nicht zu
beanstanden. Das Gleiche gilt in höherem Grade von den
noch zurückgestellten Gegenständen internationaler Ver-
handlungen: der Reform des Sanitätsrathes in Konstanti-
nopel und der persischen Frage.
Die Hamburger Epidemie des Jahres 1892, von welcher
im Vergleich zu den gleichzeitigen in Altena und Wands-
bek Professor Koch und seine Schule für die erwähnte
Ansicht entscheidende Bestätigung gewonnen zu halten
glauben, lässt den Einfluss ungünstiger Bodenverhältnisse
mindestens ebenso stark hervortreten, wie denjenigen der
ungenügenden Wasserversorgung der Stadt Hamburg mit
unliltrirtem Eibwasser. In dem Kärtchen ist eine Ueber-
sicht über das Auftreten der Herbstepidemie nach der im
Deceuiber veröffentlichten Statistik entworfen. Unter-
schieden ist dasselbe nach den viererlei Bodengebieten,
welche für die drei Städte in Frage kommen. Es sind
ein Geestgebiet mit guter Entwässerung, auf welchem
Altona, Wandsbek und ein Thcil (Bezirke X, IX und
V2 VIII) des nordwestlichen Hamburg erbaut sind, ferner zwei
Geestgebiete Hamburgs, deren eines im Südwesten unter
ungenügender Abführung der Oberflächen-, deren anderes
im Norden und Osten unter ebensolcher der Grund-
*) Nach Niedpi-schi-ift dieses im .Juni d. J. vollendeten Auf-
satzes ist ausser der britischen :iuoh die ägyptische Regierung
den Beschlüssen der Dresdner Sanitiitskonferenz beigetreten.
Wasser leidet, endlich die Stadtmarschen im Südosten
Hamburgs.
Für Beurtheilung der daraus sich ergebenden örtlichen
Einflüsse ist es nun von geradezu beweisendem Werth,
dass alle vier, an einander entlegenen Stellen zweimal
wiederkehrend, paarweise eine fast genaue üebereinstim-
mung in den Verhältnisszahlen der Clnderasterblichkeit,
eine annähernde in den weniger genauen der Erkran-
kungen erkennen lassen. Diese Uebereinstimmung der
Choleragefahr in den örtlich vergleichbaren Gebietepaaren
verleiht jenen Verhältnisszahlen hinreichende Sicherheit,
um die Wirkung der örtlichen Einflüsse gegen einander
abzuschätzen.
Derjenige des unfiltrirten Eibwassers der Hamburger
Wasserversorgung verdreifachte danach die Cholerasterb-
lichkeit in Hamburg gegenüber derjenigen in Altona,
welches nut gut filtrirteni Eibwasser, und in Wandsbek,
das mit Quellwasser versorgt ist. Der Einfluss der Bodenver-
unreinigung durch ungenügende Entwässerung verdoppelte
aber diese erhöhte Sterblichkeit, derjenige des sumpiigen
Marschbodens vermehrte sie noch um ein Drittel. Aehn-
liclie Verhältnisszahlen ergiebt ein Vergleich der Erkran-
kungsziftern. Noch mehr tritt aber die für jene Epidemie
geltende Bedeutung der Bodenverunreinigung hervor, wenn
man aus jenen Verliältnissen berechnet, wie viele Opfer
an menschlicher Gesundheit und menschlichem Leben
jeder der drei in Hamburg waltenden besonderen Nach-
theile gekostet hat. Dem Bewohnen der Marsch allein ist
danach ein Mehr von etwa 1300 Erkrankungen und 600
Todesfällen, der Wasserversorgung allein ein Mehr von
7000 Erkrankungen und nahezu 2600 Todesfällen, der
Bodenverunreinigung, durch gestaute und ungenügend ver-
sickernde Wasser, aber ein Mehr von rund 8000 Erkrankun-
gen und 3000 Todesfällen zur Last zu schreiben.
Unwiderleglich geht wohl daraus dasselbe hervor, was
aus vielen Beispielen anderer Städte in und ausser Europa
zu ersehen, dass auch gelegentlich der schweren Hamburger
Epidemie der Einfluss ungünstiger Bodenverhältnisse dem-
jenigen mangelhafter Wasserversorgung mindestens gleich-
geordnet war. An beiden Seiten haben demnach vor-
beugende Maassregeln gegen Cholera und andere, ähnliche
Epidemien nach wie vor anzusetzen. Für den Schiffs- und
überhaupt Reiseverkehr kommt allerdings zuerst die directe
Ansteckungs- und vor allem die Trinkwasserfrage in
Betracht. Für die Verhinderung eines Vordringens der
Seuche in und aus dem Orient wiegt aber in gleichem
Grade wieder die Frage der örtlichen Gefahr vor. Für
sie behalten deshalb Vorschläge vor allem Geltung, welche
auf europäische Reinhaltung orientalischer Städte abzielen.
Sehr günstig für ihre Verwirklichung erscheint, dass die
in Betracht kommenden Wohnsitze, wie zunächst die
türkischen, arabischen und ägyptischen Grossstädte der
mohamedanischen Welt angehören, welche Vorschriften
gesundheitsgemässerReinlichkeitseitAlters in ihre religiösen
Grundsätze aufgenommen hat. Schon bei Einrichtung des
türkischen Sanitätsdienstes wurde die Autorität der mo-
hamedanischen Geistlichkeit erfolgreich zu Hilfe gerufen.
Vielleicht gelingt es, die besten Vorschriften der Städte-
Hygiene in derselben Weise schnell zur Geltung zu bringen,
dtirt, wo ihre strenge Befolgung auch für den europäischen
Westen von unschätzbarer Bedeutung ist.
lieber den Werth der Cholerabacterieu -Unter-
suchung findet sich ein Aufsatz Oscar Lieb reich 's in
der „Berlin. Klin. Wochenschr.", dem wir das Folgende
entnehmen:
Die von Koch in seinem Aufsatze: „Zum gegenwär-
tigen Stand der Choleradiagnose ^- (Zeitschrift f. Hygiene,
Bd. XIV, Heft 2) niedergelegten Vorschriften zerfallen in
6 Abtheilungen: 1. die mikroskopische Untersuchung,
2. die Peptoncultur, 3. die Gelatineplattencultur, 4. die
Agarplattencultur, 5. die Cholerarothreaction, 6. der Thier-
versuch.
1. Von der mikroskopischen Untersuchung möge zu-
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 31.
nächst zugestanden werden, dass mit einer Sicherheit von
beinahe 50 pCt. erkannt werden Icann, dass man es mit
Cholerabacterien zu thun habe. Der Werth dieser Be-
stimmung- soll nicht einzig in der Kommaform der Bacillen
liegen, sondern in der eigenthümlichen Anordnung der-
selben. „Sie bilden nämlich Häufchen, in denen die ein-
zelnen Bacillen sämmtlich dieselbe Richtung haben, so
dass es so aussieht, als wenn ein kleiner Schwärm der-
selben, wie etwa Fische in einem langsam fliessenden
Gewässer hintereinander her ziehen." Es liegt hier eine
Anordnung vor, welche, nach den Versuchen Pfefter's,
wahrscheinlich auf Chemotaxis zurückzuführen ist.
„Erst wenn das Bacteriengemisch ein complicirteres
wird, fängt die mikroskopische Diagnose an unsicher zu
werden" und man soll sich nun 2. zu dem Peptoncultur-
verfahren wenden. „Man wendet dasselbe jetzt in der
Weise an, dass in die sterihsirte 1 procentige Pepton-
lösung, welche sich in Reagensgläsern befindet, man ein
oder mehrere PlatinOsen der Dejection, oder wenn dieselbe
Schleimflockeu enthält, einige solcher Flocken bringt und
bei einer Temperatur von ST'^ hält." Bei sehr reichlichem
Vorhandensein der Cholerabacterien sollen sich Reinculturen
derselljen finden, welche die Diagnose feststellen. Dieser
Fall tritt aber nicht immer ein; denn, um mit den Worten
Koch's zu reden, „sind weniger vorhanden gewesen,
dann erscheinen sie später an der Oberfläche und mehr
oder weniger gemischt mit Fäcesbacterien (hauptsäch-
lich Bact. coli), so dass die mikroskopische Unter-
suchung schliesslich in Zweifel lassen kann, ob die vor-
gefundenen gekrümmten ßacterien Cholerabacterien
sind." Zunächst ist also auch diese zweite Methode nicht
ausreichend, um ein positives Resultat zu erzielen, um so
mehr als das Mikroskop eine Entscheidung nicht liefern
kann. Infolge dessen wird als weiterer Versuch die so-
genannte Gelatineplattencultur angestellt. — 3. Diese über-
trifft nicht die Peptoucultur au Feinheit, wie Koch selber
angiebt. Geringe Unterschiede in der Zusammensetzung
der Gelatineplatte liefern ein abweichendes Aussehen und
diejenigen Kulturen, welche im Laboratorium längere
Zeit fortgezüchtet sind, „geben ein ebenfalls von dem
typisclien mehr oder weniger altweichendes Wachsthum."
Wenn dieses atypische Wachsthum auch von Koch nur
einmal beobachtet worden ist, von anderen Bacteriologcn
ist es dagegen häufiger beobachtet worden, so dass sie
glaubten, nicht echte Cholerabacterien, sondern andere
rascher verflüssigende Bacterien vor sich zu haben, so
zfeigt dasselbe doch immerhin an, dass eine Constanz in
den Wachsthumsbedingungen nicht unbedingt ausge-
sprochen werden kann. Man sollte nun meinen, nachdem
diese drei Versuche kein sicheres Resultat ergeben haben,
würde man auf ein Verfahren hingeleitet, welches über
jeden Zweifel erhaben ist, und welches zum mindesten
besser als das Gelatine- und das Peptonverfahren sei. Dem
ist aber nicht so. Koch empfiehlt 4. die Agarplatten-
cultur. Es kann keine bessere Kritik dieser Cultur ge-
geben werden, als wenn ich des Verfassers eigene Worte
wieder vorführe. „Das AVachsthum der Cholerabacterien
auf Agar ist kein so charakteristisches, wie das in Gelatine,
und man ist nicht im Stande, sie nach ihrem Aussehen
allein ohne Weiteres als Choleracolonien zu bezeichnen."
Nur „mit ziemlicher Sicherheit" kann ein „geübter Blick
die Choleracolonien von Fäces- und Wasserbacterien
unterscheiden." Zwar kann man dann mit Hülfe des
Mikroskops feststellen, ob man gekrümmte Bacterien vor
sich habe, doch sind dieselljcn dadurch allein, wie Koch
selbst angiebt, namentlich wenn sie dem Wasser entstammen,
als Cholerabacterien nicht zu erkennen.
Bis zu diesem Moment hat man weiter nichts als
Reinculturen von gekrümmten Bacterien erhalten und es
wird daher zu den entscheidenden Nummern 5 und 6
übergegangen. Diese Versuche beziehen sich auf die
sogenannte Cholerarothreaction und auf den Thierversuch.
Die Wichtigkeit, welche Koch diesen beiden Punkten zu-
weist, ergiebt sich aus seinen Worten: „Auf den Thier-
versuch muss ebenso wie auf die Cholerarothreaction des-
wegen grosser Werth gelegt werden, weil derselbe in
verhältnissmässig kurzer Zeit eine Eigenschaft der Cholera-
bacterien erkennen lässt, welche ihnen ausschliesslich zu-
kommt. Unter allen gekrümmten, d. h. spirillenartigen
Bacterien, welche bei der Untersuchung auf Cholera in
Frage kommen, ist bisher keine gefunden, welche in der
angegebenen Dosis auch nur annähernd ähnliche Sym-
ptome bewirkt, wie die Cholerabacterien." Die Unrichtig-
keit dieser Behauptungen soll in Folgendem nachgewiesen
werden. — Was zunächst die Cholerarothreaction bctriff"t,
deren Entdeckung Koch irrthümlich Bujwid und Dunham
zuschreibt, so muss dem gegenüber dieselbe als eine alt-
bekannte bezeichnet werden. Nur der Name „Choleraroth"
ist neu und als ein wenig passender zu bezeichnen. In
Kurzem lässt sich darüber Folgendes sagen: Schon lange
ist das Auftreten einer Rothfärbung bei Zusatz von Sal-
petersäure zu faulenden Massen bekannt; bei Cholera-
stühlen ist sie zunächst von Virchow bereits vor 40 Jahren
beobachtet worden, seine Worte lauten folgendermaassen:
„Die Salpetersäure brachte ausserdem jene schön rosen-
rothe Färbung hervor, die schon von F. Simon und Heller
beobachtet und auf Gallenfarbstoft" bezogen war; es be-
stätigt sich hier die schon von mir 1846 ausgesprochene
Vermuthung, dass die Färbung von verwester Proteinsub-
stanz herstamme." Diese Vermuthung Virchow's ist durch
nachfolgende chemische Untersuchungen vollkommen be-
stätigt worden. Es wurde nämlich bei faulender Eiweiss-
substanz zunächst ein Körper entdeckt, welcher als eine
wesentliche Ursache der rothen Reaction bezeichnet
werden muss, es ist dies das Indol, ein Körper, welcher
besonders dadurch erhöhtes Interesse gewann, dass er von
A. V. Baeyer als Reductionsproduct des Indigos festge-
stellt worden ist. Später hat Herr Poehl und uiclit, wie
Herr Koch annimmt, die Bacteriologcn Bujwid und Dun-
ham, diese Reaction in Choleradejectionen und Culturcn
beobachtet. Als nun Brieger gefunden hatte, dass die
rothe Farbbase ein Indolabkönnnling sei, proclamirte er
dieselbe als „specifisch" für die Cholera und versah sie mit
dem Namen Choleraroth. Da nun im faulenden Eiweiss
und durch andere Bacterien dieselbe rothe Farbe erhalten
werden kann, so sieht man leicht, dass der Name insofern
unglücklich gewählt ist, als er die irrige Meinung erwecken
muss, man habe es hier mit einer Farbe zu thun, die nur
bei Cholera erzeugt werde und somit für die Diagnose der
Krankheit als eine wichtige Entdeckung zu betrachten sei.
Eine Aufklärung über den Verlauf der Reaction erfolgte zu-
erst aus dem chemischen Laboratorium des pathologischen
Instituts durch Salkowski. Für das Zustandekommen der
Rothfärbung ist bei Gegenwart von Indol salpetrige Säure
bez. Nitrit erforderlich. Diese Nitrite nun werden in manchen
Bacterien neben Indol gebildet, und dann kommt die
Rothfärbung wie gewöhnlich zu stände, wenn man eine
reine Mineralsäure hinzufügt; andere Bacterien bilden
Indol allein; bei diesen muss man, um die Rothreaction
zu erhalten, noch salpetrige Säure oder Nitrite hinzufügen.
— Enthält eine Säure, wie dies z. B. bei Salpetersäure
und Schwefelsäure zuweilen der Fall ist, salpetrige Säure,
so ist der Zusatz der letzteren natürlich überflüssig. Es
ist deshalb die von Salkowski aufgestellte Behauptung-
vollkommen richtig, dass die Cholerareaction nichts anderes
sei wie eine ganz gewöhnliche Indolreaction und „dass
dieselbe in Choleraculturen schon mit Schwefelsäure ein-
tritt, liegt einfach daran, dass die Cholerabacillen constant
Nr. 31.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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salpetrige Säure produciren, welche sich als Nitrit in der
P^lüssigkeit befindet." „Es giebt ferner kein specifisches
Choleraroth, wie es Brieger angenommen hat, dieses ist
einfach Indolroth und aus jeder faulen Peptonlösung dar-
stellbar." Das Resultat der Untersuciiung Salkowski's ist:
Es kann sein, es kann auch nicht sein, da es allgemein
Bacterien giebt, welche Nitrit zu Ammoniak reducireu, und
Bacterien giebt, welche Ammoniak zu Nitrit oxydiren.
Die von Salkowski benutzten lieferten Nitrit; die von mir
untersuchten Choierabacterien haben ebenfalls Indol- und
Nitrifbildung gezeigt und so Veranlassung zur ludolroth-
reaction gegeben. Ich will auch zugestehen, dass sehr
viele als Choleramikrobeu angesprochene Bacterien die
fragliche Reaction geben, sogar dass andere gekrümmte
Bacterien sie nicht zeigen, trotzdem aber ist, um dies
auch gegen Salkowski auszudrücken, die Reaction kein
Characteristicum derselben, keine Eigenschaft, die als Er-
kennnngsmittel in Anspruch genommen werden darf Für
die Richtigkeit dieser Behauptung, dass die als Choiera-
bacterien angesprochenen gekrümmten ilikroorganismen
in Bezug auf gleichzeitige Indol- und Nitritbildung sich
ungleich verhalten, sind die Angaben von C. Fraenkel
1892 als beweisend zu erwähnen. Er findet in dem Duis-
burger Wasser gekrümmte Bacterien, die er für Choiera-
bacterien erklärt, erhält die rothe Indolreaction jedoch
nicht und sagt, wie ich, um kein Missverständniss zu er-
regen, wörtlich hier anführe: „Aber ich habe ganz das
gleiche Verhalten auch bei den im Laufe der vorigen
Woche hier aus dem erwähnten Duisburger und aus einem
zweiten in 8t. (ioar vorgekommenen Fall gezüchteten
Choierabacterien, sowie ferner bei einer mir im Juli d. J.
aus Paris durch Roux übersandten Cultur beobachten
können." Diese Culturen waren wieder unter sich in
sofern verschieden, als die Cultur des Roux nach vierzehn-
tägigem ümzüchteu erst die sogenannte Cholerareaction
gab.
Dass hier die Ausfüln-ung der Reaction in Bouillon-
Pepton geschah statt im bouillonfreien Pepton, oder die
angewandten Reagentien nicht rein gewesen sein sollten,
kann nicht als Grund des Misslingens angeführt werden,
da die französischen Bacillen, die ebenfalls in Bouillon-
pepton gezüchtet werden, nach 14tägiger Cultur schliess-
lich die Reaction zeigten ! Trotz dieser Unsicherlieit misst
Koch der .,Cl)olera-Rotli-Reaction für die Unterscheidung
der Choierabacterien von ähnlich geformten Bacterien
einen sehr hohen Werth bei". — Eine ruhige Beurtheilung
führt nach dem Vorstehenden zu dem Sehluss, dass die
Cholera-Roth- Reaction in derselben Weise wie die übrigen
Versuchsanordnungen keinen sicheren Beweis gebracht
hat. ~- 6. Zur sechsten Probe wird von Koch die Giftig-
keit der gekrümmten Bacterien benutzt. Es wird Bezug
genommen auf eine Arbeit von R. Pfeiffer, welcher Meer-
schweinchen Agarcultur in die Bauchhöhle einspritzt.
Pfeiffer zweifelt nicht, dass die von ihm an Meer-
sehweinehen hervorgerufenen Krankheitssymptomc mit dem
Bilde der menschlichen Cholera übereinstimmen; er stützt
sieh dabei auf die auffällige Muskelschwäche, auf die
Muskelkrämpfe und das Sinken der Körpertemperatur.
Abgesehen davon, dass dieses Bild ein sehr allgemeines
Vergiftungsbild ist, fanden sich diese Symptome auch bei
anderen Vergiftungen, die gleichzeitig eine Peritoneal-
reizung hervorrufen. Ich eitirc hier nur den Berieht,
welchen Klein an das Medical Departement of the Local
Government Board (1893) geliefert hat. Er zeigte, dass
der ^'ibrio von Finkler, der Bacillus coli, der Proteus vul-
garis und der Bacillus prodigiosus dieselben Erscheinungen
hervorrufen. Gruber und Wiener fanden ferner bei ihren
Versuchen, dass die verschiedenen als Choierabacterien
angesprochenen Bacillen nicht das von Pfeiffer beschriebene
Vergiftungsbild lieferten, selbst solche nicht, die sie direet
aus dem Koch'schen Institut erhalten hatten. Trotzdem
nun die Pfeiffer'schen Angaben als unbestätigt dastehen,
stützt sich Koch lediglich auf diese Versuche, um eine
Diagnose der Cholcrabacillen durch sie als sicher erziel-
bar hinzustellen. Diese Thatsache allein genügt schon,
um die ganze sechste Probe zu verwerfen.
Nehmen wir selbst an, dass die Pfeiffer'schen Resul-
tate constant wären, so wäre die Methode der Ausführung,
die Koch vorsehreiljt, noch in einer anderen Hinsicht un-
zulässig.
Bei allen toxicologischen Versuchen muss der Be-
stimmung der Qantität des anzuwendenden Materials eine
entsprechende Bedeutung beigemessen werden. Da, wo
es sich nur um qualitative Untersuchungen handelt, kann
man unter Umständen auf die genaue Bestimmung der
wirksamen Substanz des Giftes verzichten und sich mit
annähernden Methoden helfen. Wie verfährt nun Pfeiffer?
Er benutzt eine Platinöse, auf welche er die Cholera-
cultur heraufbringt. Ich bemerke, wie es ja bekannt ist,
dass diese Cultur keine flüssige, sondern eine festweiche
Substanz ist; es kann also hier nicht, wie es bei flüssigem
Körper vermöge der (Japillaritätsgesetze der Fall ist, da-
\on die Rede sein, dass man unter allen Umständen mit
einer Oese annähernd dieselbe Quantität heraushebt.
Pfeiffer giebt an, dass der Durchschnitt des Gewichtes
1,5 mgr betrage; dabei wird aber weder die Dicke des
Platindrahtes, der Durchmesser der Oese, noch die
Maxima und Minima der Einzelgewichte, aus denen der
Durchschnitt genommen ist, angegeben. Für den Zweck,
welchen Pfeiffer mit seinen Untersuchungen erreichen
wollte, mag die Ungenauigkeit dieser Bestimmung nicht
zu sehr betont werden. Ganz anders verhält es sieh aber,
wenn Koch die Pfeifferschen Resultate zu einer gesetz-
mässigen Reaction erheben will. Er sagt: „Unter allen
gekrümmten, d. h. spirillenartigen Bacterien, welche bei
der Untersuchung auf Cholera in Frage kommen, ist bis-
her keine gefunden, welche in der angegebenen Dosis
auch nur annähernd ähnliche Symptome bewirkt, wie die
r;holerabactcricn." Es geht hieraus deutlich hervor, dass
nicht die Symptome aliein das Maassgebende sein sollen,
sondern der Zusammenhang der Dosis mit den Symptomen,
ja dass die Symptome eine Function der Dosis sind, und
dass somit der zuverlässigen Bestimmung der Dosis eine
ganz besondere Bedeutung zukommt. Und nun erhebt
koch eine so rohe Dosirungsraethode, wie die Bestimmung
des Herrn Pfeiffer mit der Oese, zu einem Maass, welches
auf Genauigkeit Anspruch machen soll. Er sagt: „Nach
Pfeifers Vorgang verfährt man so, dass man von der
Agarol)erfläche mit einer Platinöse, welche ungefähr
1,5 mgr der Cultur zu fassen vermag, eine volle Oese
entnimmt, in 1 ccm sterilisirter Bouillon vertheilt und in
die Bauchhöhle injicirt.
Hier fehlen vor allen Dingen die Grenzwerthe der
Gewichte, welche eine Platinöse ergiebt, und es fehlen
zweitens die Grenzwerthe der (üftdose, die untere, bei
welcher die Virulenz der Choierabacterien beginnt, und die
obere, bei welcher man nicht mehr sicher ist, ob die Er-
scheinungen auch schon durch andere Bacterien hervor-
gerufen werden können.
Was ferner die Platinöse betrifft, so zeigen sich hier
bezüglich der Capacität Differenzen bis zu 50 pCt., wie
ich mich durch Wägungen von Oescn verschiedenen
Durchmessers überzeugt habe. Andererseits ist noch zu
berücksichtigen, dass sich die Höiiic der Dosis, mit welcher
man einen bestimmten Effect erzielen kann, wie Pfeiffer
bemerkt, nach der Virulenz der Cultur richtet.
Man sieht wohl, dass selbst bei der grössten Sorg-
samkeit der Untersuchung, bei der grössten Sachkenntniss,
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 31.
es oft nicht möghch sein wird, bei strenger Befolgung
der von Koch in seiner Arbeit gegebenen Vorsclirifteu,
zu einem bestimmten Resultat zu kommen. Es liegt aber
auch noch die andere Möglichkeit vor, dass bei einer dieser
sechs Untersuehungsstationen oder bei mehreren derselben
das beabsichtigte Resultat erreicht wird, aber deshalb
zweifelhaft werden nmss, weil die gesannnten charakte-
ristischen Proben kein übereinstimmendes Resultat geben.
Wenn also beispielsweise die Agareultur, die Peptoncultur
Resultate ergeben, der Thierversuch und das Olioleraroth
nicht, zu welchem Urtheil über die Qualität der Bactcrien
soll man gelangen, da auch andere gekrUnnnte Bactcrien
die angegebenen Eigenschaften zeigen?
Es erübrigt nun, diejenigen Merkmale anzuführen,
welche ferner von den Bacteriologen als für die Cholera-
bacillcn charakteristisch angegeben werden. Hier sei
zunächst erwähnt, dass auf Bouillonculturen sich ein
Häutchen bilden soll. Aber C. Fränkel sagt von seinen
Bacillen, die er als Cholerabacilleu anspricht: „sie bil-
deten in Bouilloncultur das sogenannte charakteristische
Häutchen nicht. Dasselbe thun die von Herrn Roux ge-
züchteten französischen Cholerabacterien aucli nicht".
Und Herr Bleisch erklärt ebenfalls, dass er bei echten
Choleravibrionen dieses charakteristische Häutchen nicht
gefunden habe. Dagegen findet Fischer bei anderen ge-
krümmten Bactcrien, die er nicht als Cliolerabacillen an-
spricht, dass dieselben Häutchen bilden können. Diese
Unsicherheit in der Untersuchung führt zu dem merk-
würdigen Ergebniss, dass es kein hinreichendes Er-
kennungszeichen für Cholerabacterien giebt.
Eine scharfe Charakteristik für einen einzigen als
Cholerabacillus anzusprechenden Bacillus fehlt. Es
scheint mir auch zweifelhaft, ob Koch's indischer Cholera-
bacillus derselbe gewesen ist, den er in Hamburg ge-
züchtet hat oder derselbe, der in Paris aufgetreten ist,
und ob es nicht überhaupt eine Reihe verschiedener
Rommabacillen sind, die bei der Cholera auftreten, wie
es der englische Forscher Cuninghani behauptet. Hierfür
lässt sich Folgendes anführen. Koch sagte 1884: „Die
Kommabäcillen wachsen nun aber auch in anderen Flüssig-
keiten, vor allen Dingen wachsen sie in Milch sehr reich-
lich und schnell. Sie bringen die Milch nicht zum Ge-
rinnen und fällen das Casein nicht aus." Ferner sagt
Löfflcr 1887: „Der einzige der kommaförmigen Organis-
men, welcher sich in der blaugefärbten Milch durch sein
besonderes Verhalten auszeichnet, ist der Millcr'sehe Ba-
cillus; er fällt das Casein und peptonisirt es ganz ener-
gisch." Im Jahre 1892 jedoch verhält sich der Cholera-
bacillus vollkommen anders, und Herr Finkeinburg ist in
der Lage zu zeigen, dass die Laboratoriums-Bacillen in
50 Stunden, die Pariser Vorortsbacillen in 40 Stunden
die Milch coaguliren und in derselben Zeit leisten auch
dieses die Hamburger Bacillen.
Ein weiterer Anhaltspunkt für die Beurtheilung der
Cholerafrage liegt nun aber ferner darin, dass der Cholera-
bacillus, der von italienischen Forschern aus der Cholera-
epidemie von Massauah und Ghinda gewonnen ist, tibcr-
haupt kein gekrümmter Bacillus mehr ist, sondern ein
gerader Bacillus, wie von Sclavo constatirt wurde. In
Verbindung mit dieser Thatsache wird jedenfalls der wei-
tere, von Fischer herrührende Befund höchst beachtens-
werth bleiben, dass der gekrümmte Bacillus durch künst-
liche Züchtung allmählich in eine so gerade Form über-
gehen kann, dass das Mikroskop keinen Unterschied von
anderen geraden Bacillen tindct.
Was die Erscheinungen im Darm betrifft, so darf
man sich durch den einfachen Befund gekrümmter Ba-
cillen im Darm nicht direct der Vorstellung hingeben,
dass sie die Ursache der schweren Darmerscheinungen
seien. Solche Schlussfolgerungen, die Gegenwart einer
Bacterienai't oder mehrerer sofort als Ursache der Er-
krankung anzunehmen, haben ja bekanntlich zu manchen
Täuschungen geführt. Pneumokokken finden sich im
;\Iunde, mit der vollen Charakteristik der Giftigkeit an
Thieren: das Bild der Pneumonie konnnt zu Stande, wenn
die Erkrankung des Organismus die Aufnahmefähigkeit
bewirkt. Keine Desinfection der Welt würde im Stande
sein, die Kokken von der Menschheit fernzuhalten. Was
uns überrascht, ist die Plötzlichkeit und die Massenbaftig-
keit des Auftretens von Bactcrien, wenn eine Widerstands-
losigkeit des Organismus, d. h. eine Erkrankung der
Zellen, eintritt. — Die schwersten Darmerscheinungen
treten nicht durch directe Reizung des Darms ein, sondern
sie können bewirkt werden durch Aufnahme von Schäd-
lichkeiten, welche in den Körper ohne Vermittelung des
Intestinalcanals eintreten. Quecksilber und Arsenik liefern
bekanntlich hierfür das beste Beispiel, und der pseudo-
(liphtheritische Prozess, dessen Auftreten beim Quecksilber
von mir beobachtet wurde, giebt hierfür einen guten Be-
weis. Bei der Vergiftung mit arseniger Säure, welche
das Bild dei- Cholera vollkonunen vortäuscht, finden sich
massenhafte Mikroorganismen im Darm, so dass derjenige,
welcher nicht wüsstc, dass Arsenik die Krankheitsursache
sei, ähnlich wie bei der Cholera die Ursache in diesen
erst secundär afficirtcn Theil des Körpers verlegen würde.
Andererseits ist das Vorhandensein von gekrümmten liac-
terien bei Menschen constatirt, welche gesund bleiben.
Bei der Cholera hat man bisher nur zeigen können, dass
eigenartige Bacillen und zwar verschiedener Art oder
Eigenschaft auftreten können. Für die Annahme, dass
sie die Ursache sind, liegt bis jetzt kein Anhaltspunkt
vor; ferner hat die experimentelle Aufnahme der Bactcrien
bei den bekannten Selbst-Experimenten das vorauszu-
sehende Resultat ergeben, dass dieselben sich im Darm
vermehren können, keine Cholera herbeiführen, sondern
nur jene Störung im Organismus erzeugen, welche durch
die Aufnahme von putriden Massen längst bekannt ist
und welche, ohne dem Heldenmuth der Mttnchener Ex-
perimentatoren*) zu nahe treten zu wollen, durch die all-
bekannte Einwirkung der Psyche auf den Darm in etwas
schärferer Weise markirt worden sein mag.
Wir müssen es offen bekennen, dass die Ursache
der Cholera eine noch unbekannte Schädlichkeit ist, welche
die Zellen trifft und dass diese Erkrankung ähnlich wie
bei der Diphtherie und der Pneumonie, den Organisnuis in
einen Zustand überführt, in welchem die den Fäuliuss-
bacterien nahestehenden Mikroorganismen einen Angriffs-
punkt bieten. Das Auffinden der Cholerabacilleu allein
bedeutet nicht „Cholera", ebenso wie das Auffinden des
Diphtheriebacillus oder der Pneumokokken bei gesunden
Menschen Diphtherie oder Pneumonie nicht anzeigt. —
Die Wehrlosigkeit der Zellen gegen Mikroorganismen ist
nicht allein eine theoretische Erörterung der cellular-
pathologischen Lehre, sondern Thierversuche zeugen für
die Richtigkeit dieser Anschauung. Man kann die Zellen
durch pharmakodynamische Mittel erkranken lassen.
Ein sehr interessanter Versuch Zuelzer's 1874 sei hier
zuförderst erwähnt. Wenn man Thieren Fäulnissbacterien
einspritzt und dieselben davon nicht afficirt werden, nach-
her eine Atropiulösung in so minimaler Quantität giebt, dass
die gewöhnliche physiologische Action nicht bemerkbar
wird, so sind sie jetzt durch die Bactcrien zum Tode zu
führen. Noch beweisender ist ein äusserst interessanter
Versuch von A. Gottstein. Er konnte bei Thieren, welche
für Hühnercholera nicht empfänglich sind, durch vorher-
gehende Verabreichung von Pyrodin die Erkrankung der-
*) Vergl. „Nutüi-w. WofheiLscbr." Bil. VII, S. .Wl.
Re
Nr. 31.
Natuvwissenschaftlielic Wochcnsclirift.
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selben bewirken, wobei zu bemerken ist, dass Pyrodin
nicht etwa ein Nähritoden für llühnercholera ist.
Bei dem Auftreten von Epidemien wird eine wesent-
liche Ursache immer in der ( »rganisation des Menschen
zu suchen sein. Sein Wohlbetindeu wird durch richti.i;c
hygienische Verhältnisse, die ausserhalb liegen, und durch
die Ernährung- und Pflege des Organismus bedingt sein
und setzt sich zusammen aus der normalen Function aller
seiner Elementarorganismen, der Zellen.
Dass z. 15. Hunger unter ganz spcciellen Bedingungen
die eigentliche Ursache ist, welclie die Organismen für
eine Krankheit disponiren und ihre Widerstandsfähigkeit
gegen pathogene Einflüsse herabsetzen, kann in seiner
Richtigkeit auch heute nicht bestritten werden, und jeder
Hygieniker wird zur Beseitigung der Epidemien diesen
Umständen Rechnung tragen.
Folgender an den Hungertyphus anknüpfender Ver-
such als Beweis für den Einfluss, welchen der Ernährungs-
zustand auf die P^mpfängliehkeit der Menschenzelle gegen-
über Infectionsstotfen ausübt, möge hier angeführt werden :
Tauben sind für Milzbrand nicht empfänglieh, weder ejti-
demisch tritt er bei ihnen auf, noch bei der Impfung geht
er fast jemals an. Man würde vergebens nach chemischen
Stoffen suchen, welche diese Thatsachen erklären ; bereitet
man dagegen die Tauben durch Hunger vor, oder lässt
sie sofort nach erfolgter Impfung hungern, so gehen sie
fast ausnahmslos an Milzbrand wie andere Thiere zu
Grunde. Man sieht also, welch mächtiges Kampfmittel
einer so schweren Infection gegenüber die normale Zell-
function darstellt.
Beim Ausbruche einer Epidemie, in welcher der ur-
sprüngUch geringe Infectionsstotf in mächtigster Weise
exponentiell sich vermehrt, wird die Summe "der Wider-
stände der thierischen und menschlichen Organismen zur
erfolgreichen Bekämj)fung der Infectionsstofte nicht mehr
ausreichen, und nur so können wir es uns erklären, dass
durch den geschaftenen Infectionsstoft' auch Individuen
betroffen werden, die vermöge ihrer sonstigen Verhältnisse
verschont geblieben wären.
Wir können — schliesst Liebreich seinen Aufsatz —
bis jetzt in den bei der Cholera gefundenen Bacillen nur
ein Symptom der Cholera anerkennen; wer dieselben als
primäre Ursache der Cholera hinstellen will, ist ver-
pflichtet, zwingendere Beweise dafür beizubringen, als es
bis jetzt geschehen ist.
Die. Stachelapparate der Insecteiipuppeii dienen
mannigfachen Zwecken. Ihre biologische Bedeutung setzt
für verschiedene Kerfe C. Verhoeff in seinem Aufsatz
„die physiologische Bedeutung des Stachelapparates be-
sonders der Hymenopteren-Nymphen" auseinander, (Zool.
Anz., No. 401_, S. 355). Die Puppen des Heidenliohrers
rollen sich mit ihren Stacheln „wie mit Steigeisen" bis
zum Flugloch "empor. Die Nymphen der Anthracinen
(Dipteren) können mit ihren Stacheln sowohl bohren als
auch, wie der genannte Schmetterling, sich fortbewegen.
Dagegen konnte Verhoeff feststellen, dass die Puppen
der Fossorien unter den Hymenopteren sich nicht mit
ihrem Stachelapparat fortbewegen, kein Bohrwerkzeug
haben, nicht vor dem Ausschlüpfen der Imagines den
Cocon verlassen, dass ferner der Stachelapparat zu schwach
ist, um der Ortsbewegung zu dienen und gegen das Ende
der Nymphenzeit schrumpft. Auch ist einlocomotorischer
Apparat bei Puppen von Kerfen mit kräftigen Oberkiefern
zwecklos. Vielmehr unterstützen die Stachel- und Zapfen-
Bewehrungen der Hautflüglernymi)hcn die letzte Nerven-
häutung und entsprechen den Häutungshaaren der Kriech-
thiore und höheren Kruster. Bei Trypoxylon konnte
beoljachtet w-erden, dass die nach hinten gerichteten
Stachelehen, nachdem die Körpersegmente nach vorn in
einander geschoben waren, bei der nunmehr eintretenden
Streckung derselben die Larvenhaut lockerten und, bei
wiederholter Zusammenziehuiig und Streckung des Körpers
abschoben. Verhoett' betrachtet ferner den Hymenopteren-
ajjparat, den er „hetrodermatisch" nennt, als eine ph3'lo-
genetische Vorstufe der „locomotorischen" Apparate der
Fliegen und Schmetterlinge. Letzterer ist auch helco-
dermatisch, hat aber daneben eine zweite Verrichtung
übernonnncn und erfährt infolgedessen keine schliessliche
Schrumpfung. Eine dritte Function übernahmen die Kopf-
uud Analstacheln der Anthracinennymplien, nändich die
des Bohrens. Auch von mehreren Käfernymphen kennt
^'crf. helcodermatische Stachelvorkehrungen. Die Noth-
wendigkeit des besonderen Werkzeuges bei der letzten
Häutung geht daraus hervor, dass die Spannung bei der-
selben am Hinterleib am geringsten ist, die Nymphen
also leicht im Abdomen stecken bleiben würden. Da
hier aber die Mehrzahl der Stigmen liegt, würde der
Gasaustausch mindestens erschwert werden. Es sterben
auch in der That bei Züchtungen solche steckenbleibenden
Puppen bald ab. C. Matzdorfif.
Die Forscliuiigsreise des französischen Kriegs-
schiffes „Manche." — Kapt.-Lieut. a. D. Georg Wisli-
cenus entwirft in den Annalen der Hydrographie und
maritimen Meteorologie (1893, Maiheft) nach amtlichen Be-
richten eine Schilderung von der Forschungsreise des fran-
zösischen Kriegsscbiftes "Manche" und der Islandflseherei,
der wir das Folgende entnehmen: Im Frühjahr 1892 er-
hielt Liniensehiffskapitain Bienaime, Kommandant des
Transportschiffes „Manche", den Auftrag, die Station der
Islandfischer zu lieaufsichtigen und dabei zugleich wissen-
schaftliche Beobachtungen auf Jan Mayen und Spitz-
bergen anzustellen. Nachdem das Schiff, seiner Sendung
entsprechend, ausgerüstet worden, verliess es am 4. April
Cherbourg und traf nach mehrfachem Aufenthalte unter-
wegs am 4. Mai in Reykjavik ein. Der Aufenthalt in
den isländischen Gewässern währte bis zum 8. Juli, dann
wurde, da inzwischen die speciellen Ordres für das wissen-
schaftliche Unternehmen eingetroffen waren, nach Leith
gesegelt, wo die Mitglieder der wissenschaftlichen Sendung
(Prof. Pouchet vom Pariser Museum, der österreichische
Linienschiffslieutenant August Gratzl und die Herren
Charles Rabot und Pettit) an Bord kamen und die letzten
Vorbereitungen für die Reise getroffen wurden.
Am 20. Juli lief die „Manche" von Leith aus und
erreichte die Insel Jan Mayen am 26. abends nach sehr
guter Ueberfahrt. Man hatte nicht den graden Kurs dort-
hin genommen, sondern war im Gebiete der höchsten
Wassertemjjeratur so lange nordwärts gelaufen, bis man
das Gebiet kälteren Wassers auf seiner geringsten Breite
schneiden konnte. Die Annäherung an die Insel auf
gradem Kurse ist häufig der grossen Eismassen wegen
schwierig. Die auf der „Manche" beobachteten Wasser-
temperaturen stimmten genau mit der Karte des be-
rühmten Hj'drographen Prof. Mohn Uberein. Dieselbe
Methode wurde später bei der Ueberfahrt von Jan Älayeu
nach Spitzbergen angewendet. In beiden Fällen durfte
nach der Karte kein Eis getroffen werden, und es wurde
auch thatsächlich keins angetroffen.
Am 27. wurde in der Bai Jlary-Muss geankert, vor
den Häusern der alten österreichischen Polarexpedition.
Lieutenant Gratzl landete hier mit einem Pendelapparat
und bestimmte am Orte der Station während des Tages
die Fallbeschleunigung in 71° N-Br. und 11 m Höhe über
dem Meere zu 9,82345. Während des 28. wurde eine
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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Rundfahrt um die Insel gemacht und am Nachmittage
am Südende, in der Bucht Bois Flotte, g-eankert; leider
verbot die heftige Brandung das Landen. Neue geogra-
phische Beobachtungen wurden nicht gemacht, dagegen
konnte festgestellt werden, dass die von der österrei-
chischen Sendung aufgenommenen Karten so genau und
vollständig sind, wie man es nur wünschen kann: daher
ist die Seefalirt an der Küste der Insel ganz so, als
wenn man in einer vielbefabrenen Gegend sich befände.
Am Abend des 28. wurden Segel gesetzt und wurde
Kurs nach Spitzbergen genommen; nach einer günstigen,
etwas nebligen Ueberfahrt kam diese Inseln um 11'' am
Abend des 31. Juli in Sicht. Am 1. August 4'' a ankerte
die „Manche" in der Kecherche-Bai, im Süden des grossen
Beil-Sundes*). Die Karten dieser Gegend von Spitzen-
bergen zeigten keineswegs die Genauigkeit jener von
Jan Mayen. Es war geradezu erstaunlich, dass die so
oft schon besuchten und auch vermessenen Küstengegen-
den so sehr ungenau in die Karten eingetragen sind. So
viel in der kurzen Zeit sich thun Hess, geschah von der
„Manche", um bessere Aufnahmen zu machen. Alle
Ankerplätze wurden durch Triangulation genau aufge-
nommen, die langen Küstenstrecken wurden unter Dampf
durch „flying survey" bestimmt. Einige Seiteuthäler
wurden von Land aus mittelst des Kompasses aufgenom-
men, so das Innere der Sassen-Borg. Am 4. August
dampfte die „Manche'" in die Advent-Bucht im Eisjord,
die an demselben Tage erreicht wurde. Am 6. wurde
in die Sassen-Bai gelaufen; Im Innern dieses Golfes
wurden der Liuienschiffsfähnrich Lancelin und Herr
Rabot gelandet, die einen viertägigen Erforschungsmarsch
in das Innere der Insel machen sollten. Abends ankerte
die „Manche" in einer vorzüglichen Bucht innerhalb der
Klaas-Billen-Bai, nicht weit vom Skaasberg; Kapt. Bien-
aime gab dieser kleinen Bucht den Namen Manche-Bucht.
Inzwischen war Lieut. Gratzl mit seinem l'endelapparat
auf das Kap Thordsen, den Stationsort der früheren
schwedischen Polarexpedition gestiegen und hatte dort die
Fallbeschleunigung zu 9,82866 in 52 m Höhe über dem
Meere bestimmt. Gleichzeitig machte Lieut. Carfort in
der Recherche- und Manche-Bai Gezeitenbeobachtungen;
vorher waren an mehreren Stellen in Reykjavik und im
Patrixfjord auf Island ebensolche Beobachtungen gemacht
worden. Es zeigte sich, dass die Gezeiten in Spitzbergen
schwächer als in Island sind, und dass ihre Höhe über-
haupt abnimmt, je mehr man sich dem Pole nähert.
Magnetische Beobachtungen wurden auf allen Sta-
tionen von Lieut. Exelmans gemacht. Es zeigte sich
dabei, dass die magnetischen Störungen, denen der Kom-
pass in Island unterworfen sein soll, eben so sehr in das
Reich der Fabel gehören, wie die Störungen, die infolge
von „Lokalattraktionen" nach Jahrhunderte alten und
immer wieder aufgefrischten Berichten beim Kap Finistere
stattfinden sollen. Das Wahre an der Sache ist, dass
freilich die Horizontaliutensität des Erdmagnetismus sehr
schnell abnimmt, je mehr man sich dem Pole nähert, in-
folge wovon geringe örtliche Einflüsse erhebliche Ab-
weichungen der Nadel erzeugen und die Nadel bei jeder
Ablenkung nur langsam in ihre richtige Lage zurückkehrt.
Die an Land angestellten Beobachtungen haben aber
selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen besonders zu
Reykjavik ergeben, dass diese Störungen nie grösser als
2° bis 3° werden. Auf dem Meere ist dieser Einfluss
natürlich infolge der viel grösseren Entfernung von grossen
Gesteinsmassen viel geringer. Es kann daher gar nicht
die Rede davon sein, dass derartige magnetische Stö-
*) Vergl. die Karte von Spitzbergen in der ,. Naturwissen-
schaftlichen Wochenschrift" Bd. VI S. 426. — Red.
rungen jemals für Fischerfahrzeuge, bei denen es gewiss
nicht auf Yg Strich Fehlweisung ankommt, schädlich werden
könnten. Die Fehler, die durch die veränderlichen Strö-
mungen in das Besteck gebracht werden, sind stets uur
vergleichlich viel grösser.
Neben den gewöhnlichen meteorologischen Beobach-
tungen wurden auch fortlaufende Aufzeichnungen eines
Barographs und eines Anemometers gewonnen, so wie
Messungen über Temperatur und Dichtigkeit des See-
wassers an der Oberfläche und einige Tiefseetempera-
turen.
Von Pflanzen und Fossilien konnten auf Jan Mayen
und auf Spitzbergen reichhaltige Sammlungen angelegt
werden. Einige Pflanzenversteinerungen vom Kap Lyell
dürften das Werthvollste darunter sein. Die Treibholz-
proben werden vielleicht noch einige Aufschlüsse für die
Oceanographie geben. Niedere Thiere wurden sowohl
auf hoLem Meere als auch auf dem Lande und in der
nördlichen Lagune auf Jan Mayen gefangen. Die wenigen
Wirbelthiere, deren man habhaft wurde, gaben eine inter-
essante Ausbeute an Eingeweidewürmern.
Während des 9. August wurden die an Land ge-
schickten Beobachter wieder eingeschifft; dann dampfte
die „Manche" wieder in die Advent-Bucht. Alle Fahrten
wurden zu Vermessungen ausgenutzt, und gleichzeitig eine
grosse Zahl von Küstenansichteu photographisch aufge-
nommen. Am 11. August dampfte die „Manche" nach
Green-Harbour, konnte dort aber keinen Ankerplatz finden,
da noch in 200 m Abstand vom Lande 60 m Tiefen sind.
Schliesslich wurde die bisher ganz unbekannte äussere
Küste der Prince-Charles-Insel im Vorbeidampfen ver-
messen. Der Kommandant beabsichtigte, bei günstigem
Winde bis zur Eisgrenze nordwärts zu segeln, doch auf
78° 30' N-Br. trat frischer Nordwind ein, deshalb wurde,
nm Kohlen zu sparen, in den Beil-Sund zurückgelaufen.
Dort wurden noch einige hydrographische Arbeiten voll-
endet. Am westlichen Gletscher der Recherche-Bai konnte
von Lieut. Carfort aus mehrtägigen Beobachtungen eine
jährliche Bewegung von nur 30 m festgestellt werden.
Der östliche Gletscher hatte sich seit der letzten, 1838
angestellten Beobachtung sehr verändert; er ist um
2300 m zurückgetreten und hat an dem von ihm ver-
lassenen Platz Wassertiefen bis zu 60 m zurückgelassen.
Am 15. wurde endgültig die Recherche-Bai verlassen
und längs der Küste von Spitzbergen südwärts gesteuert;
am 16. kam das Land aus Sicht.
Am 19. August wurde Tromsö erreicht und dort bis
zum 25. verweilt; nach längerem Aufenthalte in Bergen
und Christiania erreichte die „Manche" am 23. September
Kopenhagen. Am 29. September verliess die „Manche"
diese Stadt und traf nach stürmischer Ueberfahrt am
7. October in Chcrbourg wieder ein.
Wir übergehen aus Rücksicht auf den Rahmen unserer
Zeitschrift die sehr interessanten Ausführungen des Herrn
Verfassers über die Islandfischerei etc. und bringen zum
Schluss aus seiner Abhandlung noch den Abschnitt
„lieber den Nutzen der Messung der Wasserwärme für den
Kabeljaufang."
Dr. Dupouy, welcher bei den Inseln Saint Pierre und
Miquelon nach dieser Richtung hin interessante Versuche
angestellt hat, glaubt, die Frage, woher es kommt,
dass der Ertrag des Fischfanges an verschiedenen Stellen
und in verschiedenen Tiefen so verschiedenartig aus-
fällt, mit Hülfe folgenden Grundsatzes lösen zu kiinnen:
„Der Kabeljau hält sich, wie alle anderen Fische,
meist dort im Wasser auf, wo die Wasserwärme seinem
Leben und seinem Gedeihen am günstigsten ist."
Freilich giebt er zu, dass der Aufenthaltsort des
Fisches je nach der Jahreszeit noch von anderen ür-
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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Sachen, wie von der Laichzeit, von der Verfolgung- durch
andere Fische, von der Nahrung u. s. w. abhängig sein
muss. Beobachtungen haben ergeben, dass der Grund-
satz vom Einfluss der Wasserw<ärnie stets niaassgebend
ist; danach scheint der Kabelj'au sicii in Wassertenipera-
turen von 6° bis 7° C am wohlsten zu fühlen; man findet
ihn noch in 10° bis 11°, doch nie in wärmerem Wasser.
Dr. Dupouy hat im Juli 1892 mit einem Negretti-
Zambra'schcn Unikehrthermometer folgende Beobachtungen
auf den Neufundland-Bänken in der Nähe von Saint
Pierre gemacht:
Oberflächen-
Temi)eratur
Wassertiefe
auf dem Grunde
der Bank
Grund-
temperatur.
F"angertrage
11,3°
.'i — 1 j 111
9.2°
Sehr viele Kabeljaue (14 in
ein paar Auf;eublicken).
9,4°
45 m
6,0°
Einige wenige Kabeljaue.
9,8°
60 m
4,4°
Die Fische beissen nicht an.
10,6°
in 20 m
ohne Grund
5,5°
" " H " n
10,ß°
05 m
5,0°
11 1 .1 « „
—
25 m
7,0°
Ueborfluss an Fischen.
—
25 m
7 2°
Viele Fische.
In Gegenwart der Mitglieder der Handelskammer
machte später Dr. Dupouy Temperaturbeobachtungen an
Stellen, wo die Küstenfischer täglich reichen Fang er-
beuten, und fand auch dort überall 7^ Wasserwärme.
Auf Grund dieser Beobachtungen spricht Dr. Dupouy
die Hoffnung aus, dass in Zukunft der Hochseefischerei-
Betrieb durch Benutzung des Thermometers in neue, er-
folgreichere Bahnen gelenkt werden könnte.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: An der Technischen Hochschule in Braun-
schweig der Professor der allgemeinen und gerichtlichen Chemie
R. Otto zum Geheimen Hofrath und — der Privatdocent der
Geodäsie und Meteorologie B. Pattenhausen zum Landes-Ver-
messungs-Director. — Der Privatdoceut für anorganische Chemie
an der Technischen Hochschule in Hannover G. Merling zum
Professor. — Der ausserordentliche Professor für Psychiatrie an
der Universität Tübingen Dr. E. Siemerling zum Ordinarius
und Vorstand der Irrenklinik. — An der Universität Wien der
ausserordentliche Professor für Kinderkrankheiten Dr. A. Monti
zum Dircctor der Poliklinik und — der ausserordentliche Professor
für angewandte medicinische Chemie Dr. J. M au thn er zum stell-
vertretenden Director der Poliklinik. — Der Docent an der
Universität Basel Dr. med. et pliil. Griesbach von der Kaiser-
lich Deutschen Regierung in Strassburg zum Professor. — An
der Universität Ko]ieuhagen der Privatdocent für allgemeine
Pathologie und medicinische Bacteriologie Dr. J. C. Salomo nsen
zum ordentlichen Professor und — der Privatdocent für Geschichte
der Medicin Dr. J. J. Petersen zum ausserordentlichen Professor.
— Der ausserordentliche Professur für specielle Pathologie und
Therapie an der Universität Moskau Dr. W. J. Jelsinskij zum
Ordinarius. — Dr. .lohann Franz Meschedc, Director der
städtischen Krankenanstalten in Königsberg i Pr., zum Professor
für Irrenheilkunde an der dortigen Universität. — An der Uni-
versität Freiburg die Privatdocenten für Physik Dr. Ludwig
Zehnder — und Dr. Georg Meyer zu ordentlichen Professoren.
— Dr. Westphal, Hilfsarbeiter am Kgl. geodätischen Institut in
Potsdam, zum Professor. — Dr. Gerlach von der agricultur-chemi-
schen Versuchsstation zu Halle a. S. zum Director der Versuchs-
station Posen. — Dr. Charles K. Mills zum Professor für
Psychiatrie und forensische Medicin an der Universität Philadelphia.
Es haben sich habilitirt: Dr. A. Wieler an der Technischen
Hochschule in Brannsehweig für Botanik. — Dr. Bloch an der
Universität Freiburg für Ohrenheilkunde. — Dr. R. Zuber als
Privatdocent für dynamische Geologie der Karpathen au der
Univer.sität Lemberg.
Professor der Physiologie Dr. Kahler in .Jena hat die Be-
rufung zum Leiter der zweiten medieinischen Klinik in Wien ab-
gelehnt. — Der Senior der medieinischen Facultät der Universität
Dorpat, Professor der Pharmacie Dr. Georg Dragendorff,
scheidet aus seinem Amte aus und siedelt nach Bern über. -
Professor Naunyn in Strassburg und Professor Erb in Heidel-
berg haben die Uebernahme der zweiten medieinischen Lehrkanzel
an der Universität Wien abgelehnt.
Es sind gestorben: Dr. Gjmo Pilar, ordentlicher Professor
der Mineralogie und Geologie und Custos des Naturwissenschaft-
lichen Museums an der Universität Agram. — Der Professor der
Botanik an der Universität Klagenfurt Dr. G. A. Zwanziger. —
Der Professor der Naturwissenschaften am Kgl. Athenäum Dr.
Ursmar Grosse in Folge Entladens seines Revolvers zu Ath
im Hennegau. — Der Physiker Marie- Davy auf seinem
Landgute bei Clamecy. — Der Professor der Anatomie Poctovin
zu Montreal in Canada. — Der auch durch seine litterarische
Thätigkeit bekannte Sanitätsrath Dr. Adolf K a 1 i s c h e r in Berlin.
— Der augseriirdentliclie Professor für Zoologie an der Universität
Strassburg Dr. Justus Carriere. — Werner Kümmel, Di-
rector der Altonaer Gas- und Wasserwerke, bekannt durch seine
Leistungen auf dem Gebiete der Wasserfiltration im Grossen, in
Chicago.
Zur Errichtung eines Semmelweis-Denkmals hat sich in Pest
ein Comite gebildet. Professor Semmelweis, der vor etwa 30 Jahren
starb, erkannte zuerst die wahren Ursachen des Wund- und Kind-
bettfiebers.
Eine medioinisch - hygienische Ausstellung wird mit dem
im September d. .1. in Komi tageudon Internationalen medi-
einischen Cougress verbiiudeu sein. Das Reichsgesundheitsarat
hat seine Betheiliguug zugesagt. Der Geschäftsausschuss für
Deutschland besteht aus den Herren Rudolf Virchow, Albert
Guttstadt, S. Guttmann, Posner und Theodor Weyl.
Die British Association of Naturalists h.ilt ihre diesjährige
Versamndung vom 13. September in Nottingham ab.
Die Nordpolexpedition Dr. Fridjof Nansen's welche am
12. .Juli in Tromsoe angekommen war, hat dieses bereits wieder
verlassen und befindet sich auf dem Wege nach Nowaja-Sendja.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher
und Aerzte in Nürnii(n-g vom 11. bis 15. September 189.^.
Am 2!). August 18i)2 — 12 Tage vor Beginn der Versamm-
lung — wurde dieselbe wegen der Cholera abgesagt.
Der Vorstand hat nun in seiuer Sitzung vom 12. Februar 1893
zu Leipzig beschlossen, die ausgefallene 65. Versamudung im
laufenden Jahre in Nürnberg abzuhalten und hat die 1892 in Halle
gewählten, hier unterzeichneten CTCSchäftsführer beauftragt, die
Vorbereitungen so zu trefi'en, dass die Versammlung in der Zeit
vom 11. bis 15 September stattfinden kann. Diese Zeit wurde
besonders mit Rücksicht darauf gewählt, dass denjenigen Herren,
welche den internationalen medieinischen Congress in Rom be-
suchen wollen, die Möglichkeit aufrecht erhalten werde, von Nürn-
berg aus mit aller Bequemlichkeit noch rechtzeitig zur Eröfl'nung
nach Rom zu gelangen.
Wer an der Versammlung Theil nimmt, entrichtet einen Bei-
trag von 12 Mark, wofür er Festkarto, Abzeichen und die für die
Versammlung bestimmten Drucksachen erhält. Mit der Lösung
der Fcstkarte erhält der Theilnehmer Anspruch auf Lösung von
Damenkarten, zum Preise von je 6 Mark.
An den Berathungen und Beschlussfassungen überGesellschafts-
Angelegenhciten können sich nur Gesellschaftsmitglieder bethei-
ligen, welche ausser dem Theilnehmerbeitrag noch einen Jahres-
beitrag von 5 Mark zu entrichten haben. Als Ausweis dient die
Mitgliederkarte. Nach Beschluss <ler Vorstandschaft gilt die für
das Jahr 1892 bereits gelöste Jlitgliederkarte auch für das Jahr
1893, so dass diejenigen Herren, welche für 1892 ihre Mitglieder-
karte schon gelöst haben, dieses Jahr von der Boitr.agsleistung
entbunden sind.
Die drei allgemeinen Sitzungen werden im Saale des Industrie-
und Cultur-Vereins (vor dem Walchthor) abgehalten, die Abthei-
lungs-Sitzungen in den Räumen der Industrieschule, des Real-
gymnasiums, der Kreisrealschule und der Baugewerkschule, sämmt-
lich im Bauhofe (Seitenstrasse der Königsstrasse unweit des
Frauenthors).
Die Abtheilungen werden durch die einführenden A^orsitzenden
eröffnet, wählen sich aber alsdann ihre Vorsitzenden selbst. Als
Schriftführer fungirt der von der Geschäftsleitung aufgestellte
Herr und je nach Wunsch der Abtheilung der eine oder andere
besonders zu ernennende Herr. Eine Ausstellung wissenschaft-
licher Apparate, Instrumente und Präparate veranstaltet im eigenen
Ausstellungsgebäude (MarienthorgrabonS) das Bayerische Gewerbe-
museum. Alles Nähere hierüber wird im ersten T.ageblatt mit-
getheilt werden. Als Legitimation für freien Eintritt dient Thoil-
nehmerkarto und Festabzeichen, wie die Damenkarte. Die städti-
326
Naturwissenschaftliche Wochensclirift.
Nr. 31.
sehen Behörden haben die Versammlung auf Montag, den 11.
September, Abends zu einer geselligen Vereinigung in den Stadt-
park bei Musik, Illumination und Feuerwerk eingeladen. Als
Legitimation zum Eintritt dient die Theilnehmer- resp. Damen-
karte, ebenso zu der geselligen Vereinigung, welche Mittwoch, den
13. September, Abends im Park der Rosenau- Gesellschaft statt-
findet. Das Festessen, zu welchem Eintrittskarten im Empfangs-
bureau zu lösen sind, wird am Dienstag, den 12. September, im
Gasthof zum Strauss, der Festball Donnerstag, den H.September,
ebendaselbst stattfinden. Die Ballkarten werden im Empfangs-
bureau derart ausgegeben, dass auf jede Theilnehmerkarte zwei
Gäste eingeführt werden können.
Ein Damen- Ausschuss wird es sich zur Aufgabe machen, die
fremden Damen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt zu führen
und für deren Unterhaltung während der Abtheilungssitzungen
Sorge zu tragen. Die fremden Damen werden jetzt schon ge-
beten, sich rechtzeitig in die auf dem Empfangsbureau aufliegende
Damenliste einzuzeichnen, wobei ein Pruspect über die beabsich-
tigten Veranstaltungen abgegeben werden wird.
Das Empfangs-, Auskunfts- und Wohnuugsbureau wird im
Prüfungssaal der Kreisrealschule (Bauhof) geöffnet sein:
am Sonnabend, den 9. Septbr., Nachmittags von 4 — S'/o Uhr,
„ Sonntag, „ 10. „ vonSUhr Morgens bis 12Ühr Nachts,
» Montag, „11. „ „ 8 „ „ „ 8 „ Abends,
und an den folgenden Tagen an noch näher im Tageblatt zu be-
zeichnenden Stunden.
Die Qeneraldirection der Königl. bayer. Verkehrsanstalten
hat sich bereit erklärt, in der Kreisrealschule gegenüber dem
Enipfangsbureau während der Dauer der Versammlung ein Post-,
Telegraphen- und Telephonbureau zu errichten, welches den
Gästen während der Versammlungstage offen stehen wird.
In einem vom Oberbahnamt Nürnberg zur Verfügung ge-
stellten Local auf dem Centralbahnhof werden bei Ankunft der
Bahuzüge junge Leute anwesend sein, welche bereit sind, den an-
kommenden Gästen als Führer zu dienen.
Vorausbestellungen von Wohnungen in Gasthöfen sowie von
Privatwohnungen — ohne oder gegen Bezahlung — nimmt der
Vorsitzende des Wohnungsausschusses, Herr Kaufmann J. Gallinger
(Burgstrasse 8), von jetzt an entgegen. Es wird dringend gebeten,
diese Anmeldungen unter genauer Angabe der Bettenzahl etc.,
vor dem 31. August hieher gelangen zu lassen.
Das Tageblatt, welches jeden Morgen im Empfangsbureau
ausgegeben wird, wird die Liste der Theilnehmer mit Wohnungs-
angabe in Nürnberg, die geschäftliehen Mittheilnngen der Geschäfts-
führer und des Vorstandes, die Tagesordnung der Abtheilungs-
sitzungen etc. etc. enthalten.
Die Berichte über die gehaltenen Vorträge werden in den
Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte
veröffentlicht. Die Herren Vortragenden, sowie die an der Dis-
cussion Betheiligten werden ei'sucht, ihre Manuscripte deutlich
mit Tinte und nur auf eine Seite der Blätter zu schreiben und
dieselben vor Schluss der betreffenden Sitzung dem Schriftführer
der Abtheilung zu übergeben. Berichte, welche dem Redactions-
ausschuss nach dem 15. September zugehen, haben kein Recht
auf Veröffentlichung.
Die Verhandlungen können nur solche Mitglieder erhalten,
welche mit ihrem Jahresbeitrag von 5 Mk. noch 6 Mk. besonders
eingesandt haben. Diese G Mk. werden denselben bei Bezahlung
der 12 Mk. für die Theilnehmerkarte abgerechnet. Die für das
Jahr 1892 bereits eingezahlten G Mk. (zum Zweck des Bezuges
der Verhandlungen) gelten nach Beschluss der Vorstandschaft
gleich dem Mitgliederbeitrag auch für das Jahr 1893.
Nichtmitglieder, welche gemäss § 4 Absatz 2 der Geschäfts-
ordnung als Theilnehmer erscheinen, können die gedi-uckten Ver-
handlungen in Nürnberg während der Versammlung bestellen,
sind aber betreffs der Bezahlung und des Bezugs derselben auf
den Buchhändlerweg angewiesen.
Mitgliederkarten können gegen Einsendung von 5 Mark 5 Pfg.
vom Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn Dr. Carl Lampe-Vischer
zu Leipzig (F, C W. Vogel) an der I. Bürgerschule jederzeit, Theil-
nehmcrkarten gegen Einsendung von 12 Mark 25 Pfg. von dem
I. Geschäftsführer der Versammlung in der Zeit vom 24. August
bis 7. September bezogen werden.
Alle Mitglieder und Theilnehmer (auch solche, welche schon
im Besitze von Legitimationskarten sich befinden) werden drin-
gendst ersucht, im Empfangsbureuu ihre Namen in die aufliegenden
Listen einzutragen und gleichzeitig ihre Karte mit Name, Titel
und Heimathsort zu übergeben. Uober die Ausflüge, welche vor-
geschlagen werden, ist folgendes zu bemerken:
Für die Gesammtheit ist auf Sonnabend, den 16. September,
ein Ausflug nach Rothenburg o. d. T. beabsichtigt, woselbst unter
Mitwirkung der Gesammteinwohnerschaft das Volkssehauspiel
„Der Meistertrunk" zur Aufführung gelangen wird. Die Fahrt
nach Rothenburg geschieht in einem Estrazug, der früh am Morgen
Nürnberg verlässt und in ca. 3 Stunden Rothenburg erreicht. Es
wird dafür gesorgt werden, dass in den verschiedenen Gasthöfen
und Wirthschaften dortselbst Mittagessen bereit ist. Die Rück-
fahrt nach Nürnberg wie die directe Weiterreise nach Nord und
Süd ist am selben Tage von Rothenburg aus möglich. Die Be-
dingungen der Theilnahme an diesem Ausflug, die genaue Zeit
— Stunde — der Abfahrt und alles andere in Bezug darauf
Wissenswerthe wird im ersten Tageblatt bekannt gegeben werden.
Die Nothwendigkeit der Vorausbestellung für Extrazüge und
Schauspiel lässt es höchst wünschenswerth erscheinen, dass die
Geschäftsführung wenigstens annäherungsweise die Zahl der Theil-
nehmer kennt. Es wird deshalb gebeten, dass diejenigen Herren,
welche den Ausflug mitzumachen wünschen, sich durch Einsendung
von je 8 Mark Plätze zur Eisenbahn-Hin- und Rückfahrt und für
das Festspiel innerhalb der oben angegel)enen Zeit sichern.
Zu einem Ausflug nach Erlangen ladet eine Anzahl Herren
im Namen der Vertreter der naturwissenschaftlichen und medi-
cinischen Wissenschaften dortselbst auf Freitag, den 1-5 September,
Nachmittag ein. Die Vertreter der Abtheilungen 2, 5, 10, 14, 18,
19 und 23 an der dortigen Hochschule wünschen ihren Abthei-
lungen in ihren Instituten Demonstrationen vorzuführen und Mit-
theilungen zu machen, welche ohne Apparate und Instrumente
ausserhalb der Institute nicht gut gegeben werden können. Es
stehen aber auch alle anderen Institute und Anstalten der Be-
sichtigung sämmtlicher Gäste offen. Das Nähere darüber soll in
den ersten Abtheilungssitzungen besprochen und abgemacht werden.
Die Abfahrt in Nürnberg würde in keinem Falle vor 2 Uhr Mittag
stattfinden. An die Vorträge und Besichtigungen soll sich eine
gesellige Vereinigung, bei gutem Wetter auf einem Keller, bei
ungunstiger Witterung im grossen Redoutensaal anschliessen.
Die einführenden Vorsitzenden der Abtheilungen für Botanik,
Mineralogie und Geologie, Ethnologie und Anthropologie schlagen
für denselben Tag Nachmittag Ausflüge vor a) nach der Krottenseer
Trojjfsteinhöhle bei Neuhaus, b) nach der Hubirg bei Pommels-
bruun zur Besichtigung des prähistorischen Ringwalles. Auch
hierüber soll in den ersten Abtheilungssitzungen beschlossen werden.
Die Gemeindebehörden Bambergs haben freundliche Einladung
zum Besuche ihrer Stadt, besonders aber zur Besichtigung der
neuen Sternwarte ergehen lassen. Die hiebei zumeist interessirten
Abtheilungen 1, 2 und 32 werden hierüber besonderen Beschluss
zu fassen haben.
Alle auf die Versammlung oder die allgemeinen Sitzungen
bezüglichen Briefe (exci. Wohnungsbestellungen) bitten wir an den
ersten Geschäftsführer Medicinalrath Merkel, Nürnberg, Josephs-
platz 3, alle auf die Abtheilungen und die in denselben zu halten-
den Vorträge bezughabenden Briefe an die einführenden Vor-
sitzenden der einzelnen Abtheilungen zu richten.
Alle noch nothwondig werdenden Mittheilungen über die Ge-
schäftsitzungen der Gesellschaft, welchen vor allem die Vornahme
der Wahlen zum wissenschaftlichen Ausschuss als Aufgabe gestellt
sein wird, werden im Tageblatt (No. 1) veröffentlicht.
Schliesslich sei noch bemerkt, dass die einfachen Rückfahrts-
karten im Königreich Bayern stets zehntägige Giltigkeit haben.
Allgemeine Tagesordnung: Sonntag, den 10 September,
Abends 8 Uhr: Begrüssuug in den oberen Räumen der „Gesell-
schaft Museum" (mit Damen).
Montag, den 11. September, Morgens 9 Uhr: 1. Allgemeine
Sitzung im Saale des Industrie- und Cultur Vereins. 1. Eröffnung
der Versammlung ; Begrüssungen und Ansprachen ; Mittheilungen
zur Geschäftsordnung. 2. Geheimrath Professor Dr. v. Bergmann
(Berlin): Nachruf auf <lie Herren A. W. v. Hofuiann und Werner
Siemens. 3. Vortrag des Herrn Geh. Rath Professor Dr. His
(Leipzig): Ueber den Aufbau unseres Nervensystems. 4. Vortrag
des Herrn Geh. Rath Professor Dr. Pfeffer (Leipzig): Ueber die
Reizbarkeit der Pflanzen. Nachmittags 3 Uhr: Bildung und Er-
öffnung der Abtheilungen. Abends 6 Uhr: Gesellige Vereinigung
in der „Restauration des Stadtparkes" (Einladung der Stadt
Nürnberg).
Dienstag, den 12. September. Sitzungen der Abtheilungen.
Abends G Uhr: Festmahl im Gasthof zum Strauss.
Mittwoch, den 13. September, Morgens 9 Uhr: 11. Allgemeine
Sitzung. 1. Vortrag des Herrn Professor Dr. Strümpell (Erlangen):
Ueber die Alkoholfrage vom ärztlichen Standpunkt aus. 2. Pro-
fessor Dr. Günther (München) : Palaeontologie und physische
Geographie in ihrer geschichtlichen Wechselwirkung. 3. Geschäfts-
Sitzung der Gesellchaft. Abends 6 Uhr: Gesellige Vereinigung im
Park der Rosenau.
Donnerstag, den 14 September. Sitzungen der Abtheilungen.
Abends 8 Uhr: Festball im „Gasthof zum Strauss".
Freitag, den 15. September, Morgens 9 Uhr: III. Allgemeine
.Sitzung, l. Vortrag des Herrn Geh. Rath Professor Dr. Hensen
(Kiel): Mittheilung einiger Ergebnisse der Plankton-E.xpedition der
Humboldtstiftung. 2. Vortrag des Herrn Professor Dr. Hüppe
(Prag): Ueber die Ursachen der Gährungen und Infectionskrank-
heiten und deren Beziehungen zur Energetik. 3. Schluss der Ver-
sammlung. Nachmittags 2 Uhr: Ausflüge der verschiedenen Ab-
theilungcn (a. nach Erlangen; b. nach Bamberg; c. nach der
Nr. 31.
Natiirwissenscliaftliclie Wochcnsclirift.
327
Krottenseer Höhle; d. nach der Huhirg bei Poinmelsbruun).
Abends 8 Uhr stehen die oberen Räume der Gesellschaft Museum
den Theilnehmern mit ihren Damen zur Verfügung, soweit die-
selben anwesend sind.
Sonnabend, den IG. September. Morgens: Ausflug nach Rothen-
burg zum „Festspiel" daselbst.
Uebersicht über die Abtheilungen sowie deren ein-
führende Vorsitzende und Schriftführer. (Die Räume
für sämmtliche Abtheilungssitzungen befinden sich in den Schulen
des städtischen Bauhofes. Bildung der Abtheilungon und Er-
öffnung der Sitzungen; Montag, den 11. September, Nachmittags
3 Uhr.)
1. Abtheilung: Mathematik und Astronomie. Einführender:
Kgl. Professor K. Rudel, Wurzelbaucrstrasse 33. Schriftführer:
Kgl. Gymnasiallelirer Dr. Sievert, Bayreutherstrasse 42.
2. Abtheilung: Physik. E.: Kgl. Rector G. Füchlbauer, Bau-
hof 2. S.: Kgl. Reallehrer Dr. Hess, Sulzbacherstrasse 24.
3. Abtiieilung: Chemie. E.: Kgl. Professor Dr. Kämmerer,
Albrecht Dürer])latz 18. S.: Dr. Stockmeier, Heugasse 2.
4. Abtheilung: Botanik E.: Kgl. Stabsveterinär A.Schwarz,
Maxplatz 23. S. : pr. Arzt Dr. Buchner, Karolinenstr. 27.
5. Abtheilung: Zoologie. E.: Kgl. Reallehrer Dr. Heerwagen,
Maxfeldstrasse 23. S.: kealschulassistent K. Manger, Tafelhof-
strasse 8.
6. Abtheilung: Entomologie. E.: Dr. Koch sen., Cramer-Klett-
strasse 3. S.: Kgl. Pfarrer M. Kraussold, Brunnengässchen 5.
7. Abtheilung: Mineralogie und Geologie. E.: Kgl. Professor
E. Spiess, Schildgasse 12. S.: Assistent H. Schlegel an der In-
dustrieschule, Hertelstrasse 17.
8. Abtheihing: Ethnologie und Anthropologie. E.: Dr. Scheide-
mandel, prakt. Arzt, Gostenhofer Hauptstrasse 61. S.: Dr. Müller,
Aufseesplatz 13.
9. Abtheilung: Anatomie. E.: Dr. Emmerich, prakt. Arzt,
Winklerstrasse 11. S.: Dr. Leber, prakt. Arzt, Bankgasse 2.
10. Abtheilung: Physiologie. E.: Dr. Pauschinger, prakt. Arzt,
Kaiserstrasse 38. S.: Dr. H. Koch, prakt. Arzt, Plärrer 4.
11. Abtheilung: Allgemeine Pathologie, pathologische Anatomie.
E.: Krankenhaus - Oberarzt Dr. Neukirch, Spittlerthorgraben 49.
S.: Dr. Deuerlein, prakt. Arzt, äussere Laufei'gasse 24.
12. Abtheilung: Pharmakologie. E.: prakt. Arzt Dr. Schilling,
Sandstrasse 2. S.: prakt. Arzt Dr. S. Weiss, Lorenzerplatz 14.
13. Abtheilung: Pharmacie und Pharmakognosie. E.: Apotheker
Th. Weigle, Winklerstrasse 33. S. : Apotheker A. Weiss, Wöhrder
Hauptstrasse 50.
14. Abtheilung: Innere Medicin. E. : Kraukenhaus -Direclor
Med.-Rath Dr. G. Merkel, Josephsplatz 3. S.: Hofrath Dr. Stepp,
Albrecht Dürerplatz G.
15. Abtheilung: Chirurgie. E.: Krankenhaus - Oberarzt Dr.
Göschel, Josephsplatz 6. S.: Dr. Carl Koch, Lorenzerplatz 17.
IG. Abtheilung: Geburtshilfe und Gynäkologie. E.: Dr. W.
Merkel, Karlsstrasse 3. S. : Dr. Simon, Spittlerthorgraben 47.
17 Abtheilung: Kinderheilkunde. E.: Hofrath Dr. Cuopf sen.,
Karolinenstr. 29. S.: Dr. R. Cuopf, St. Johannisstrasse I.
18. Abtheilung: Neurologie und Psvchhatrie. E.: Oberarzt
Dr. Sclmh, Obstmarkt 28. S.: Dr. Stein," Steinbühlerstr. 10.
19. Abtheilung: Augenheilkunde. E : Dr. v. Forster, Egydien-
platz 3.5. S.: Dr. Giulini, Karolinenstrasse 25
20. Abtiieilung: Ohrenheilkunde. E. : Dr. Schubert, Fleisch-
lirücke 10, S.: Dr. Bauer, Füll 12.
21. Abtheilung: Larj'ngologie und Rhinologie. E.: Dr. Heller,
Albrecht Dürerphitz 9. S.: Dr. Helbing, Adlerstrasse 19.
22. Abtheilung: Dermatologie und Syphilis. E.: Krankenhaus-
Oberarzt Dr. W. Beckh, Maxplatz 28. S.: Dr. Epstein, Sulz-
bacherstrasse 2 a.
23. Abtheilung: Hygiene und Medicinal-Polizei. E. : Hofrath
Dr. Stich, Adlerstrasso G. S.: prakt. Arzt Dr. Goldschmidt, Wein-
markt 12.
24. Abtheilung: Gerichtliche Medicin. E.: Kgl. Landgerichts-
arzt Dr. Hofmann, Fürtherstrasse 53. S.: Dr. SteiViheimer, Gosten-
hofer Hauptstrasse 5.
25. Abtheilung: Medicinische Geographie, Klimatologie, Hygiene
der Tropen. E.: Dr. Baumüller, prakt. Arzt, Tuchgasse 1. S.: Dr.
Schrcnk, jjrakt. Arzt, Fleischbrücke 1.
26. Abtiieilung: Militär - Sanitätswesen. Einführende: Ober-
stabs- und Divisionsarzt Dr. Gassner, Arndtstrasse 4; Oberstabs-
arzt Dr. Miller, Hübnerplatz 5. S.: Assistenzarzt I. Classe Dr.
Webersbcrgcr, Praterstrasse 21.
27. Abtheilung: Zahnheilkunde. E. : Zahnarzt G. Bock. The-
resienstrasse 18. S.: Zahnarzt Dr. Limpert, Untere Pirkhcimer-
strasse 13 a.
28. Abtheilung: Veterinär-Medicin. E : Schlachthof-Director
C. Rogner, Viehhof 28. S.: Bczirksthierarzt Dr. Vogel, Schon-
hoverstrasse 4.
29. Abtheilung: Agriculturchemie, landwirthschaftliches Vir-
suchs Wesen. E.: Kgl. Reallehrer Dr. Wagner, obere Baustrasse 18.
S.: Cliemiker Dr. Metzger, Jakobsplatz 20.
30. Abtheilung: Mathematischer und naturwissenschaftlicher
Unterricht E.: Kgl. Gymnasialprofessor Th. Schroeder, Paniers-
platz 22. S.: Kgl. Gymnasialprofessor Dr. Hecht, Schonhover-
strasse 22.
31. Abtheilung: Geographie. E.: Handelsschul-Rector A. Volck,
Liudenaststrasse 12. S.: Kgl. Reallehrer J. Rackel, Friedrich-
strasse 15.
32. Abtheilung: Instrumentenkunde. E.: Kgl. Gymuasial-
professor Chr. Dietsch, Obere Pirkheimerstrasse 43. S.: Kgl. Real-
lehrer Dr. J. Troetsch, Obere Baustrasse 33.
L i 1 1 e r a t u r.
Dr. A. Simon, Die Verkehrsstrassen in Sachsen und ihr Ein-
fluss auf die Städteentwickelung bis zum Jahre 1500. Mit
einer Karte (Forschungen zur deutschen Landes- und Volks-
kunde herausgegeben von A. Kirchhoft', Bd. VII. Heft 2j. 8».
97 S. Stuttgart, J. Engelhoru. 1892. — Preis 4. M.
Diese fleissige Studie will die Ausgestaltung der Verkehrs-
wege in ihrer Beziehung zur Anlage der wichtigeren Siedelungen
darlegen. Der Verf geTit naturgemäss aus von einem Ueberblick
der Bodeugestalt und der natürlichen Bedingungen für die Aus-
bildung der Strassenzüge und giebt dann einen sehr lehrreichen
allgemeinen Ueberblick der Hauptphasen in der Besiedelung
Sachsens (slavische und deutsche Besiedelung, Entwickelung der
Städte in germanischer Zeit) und behandelt dann zuletzt im Ein-
zelnen die Strassen und Städte bis 1500 a) des Voigtlandes, b) des
Erzgebirges, c) des Flachlandes und der Lausitzer Platte. Im
Allgemeinen kommt Verf. zu dem Ergebniss, dass die Städte
Sachsens mit Ausnahme der auf Bergbau zurückzuführenden An-
lagen (Freiberg u. a.) ihre Entstehung der Lage an Wegkreu-
zungen, Flussübergängen u. s. w. verdanken ; er sieht also die
Strassenzüge, besonders diejenigen, welche wichtige Transitolinien
sind, wie die Strasse von Franken i,ach Polen und Nordostdeutsch-
land, die Strasse von Nordwestdeutschland nach dem Osten als
das Ursprüngliche an, die Gründung der Städte als das Nach-
folgende. Der Referent meint, dass in Wirklichkeit doch öfter
durch bereits vorhandene Städteanlagen der Verlauf des Strasson-
zuges bestimmt worden ist. Es ist hier jedoch nicht der Ort, auf
Einzelfälle näher einzugehen, da sich die Untersuchung durchweg
auf historisches Beweismaterial stützt. Im Ganzen liegt eine
sorgfältige und dankenswerthe Monographie vor; nur hätte der
Verf. die Ergebnisse derselVjen etwas übersichtlicher ordnen und
für das voigtländische Grenzgebiet auch die neueren thüringischen
Geschichtsquellen, z. B. die Urkundenbücher von B. Schmidt id)er
die Vögte von Weida, Gera und Plauen berücksichtigen sollen.
Fr. Regel.
Walther, J., Einleitung in die Geologie als historische Wissen-
schaft. Jena, G M.
Wassmuth, A., Ueber die Lösung des Magnetisirungsproblems
durch Ri'ihen. Leipzig. 0,50 M.
Wegner, H., Ein Beitrag zur Rostocker Aulageuflora. Güstrow.
0,25 M.
Wundt, W., Logik. (2 Bde.) Stuttgart. 15 M.
— Gruiidzüge der physiologischen Psycholo.a'ie. Leipzig. 2 M.
Zimmermann, A., Beiträge zur Morphologie und Physiologie der
PHanzenzelle. (1. Bd.) Tübingen. 12 M.
Zirkel, F., Lehrbuch der Petrographie. 2. Autl. 1. Bd. Leipzig.
2,50 M,
Berichtigung.
Wie Herr Dr, Kuntze S, 2G4 aiigielit, beruht die Angabe
S. 214, dass die früher als Pascalia glauca angegebene Pflanze
ein Podophyllum sei, in der That auf einem Irrthum. Herr Prof.
Kurtz macht uns nänüich darauf aufmerksam, tiass er nicht Podo-
phyllum sondern Porophyllum geschrieben hat.
Inhalt: Wilhelm Krebs: Internationale Uebereinkunft in der Cholerafrage. (Mit einer Karte.) — Ueber den Werth der
Cholerabacterien-Untersuchung. — Stachelapparate der Insectenpuppen. — Die Forschungsreise des französischen Kriegsschiffes
„Manche." — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — LItteratur: Dr. A. Simon: Die Verkohrsstrassen in Sachsen und ilir
Eiiifluss auf die Städteentwickelung bis zum Jahre 1500. — Liste. — Berichtigung.
328
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(35 c r 111 ö g e n § ft c u c r = @ e f c g) ttebft SB a fj I g e f c g.
94 ©citcn. X^vc\§ 60 ^f.
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^)iP~ Dieser Nimimor ist eine Beilage dos Herrn L. Graf von Pfeil aiii;rfiigt, betreffend
uu( die wir nnsere Le.^er bi-senders :nit'iiierks:iiii maclien.
.Trockene und nasse .lalire"
Verantwoi-tlieher Redakteur: Dr. Henry Putonii", Berliu N. 4., luvalidenstr. 40/41, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Diimmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Beilaire zur Naturwisseiischaftliebeii Woelieiischi-ift.
Trockene und nasse Jahre.
Durch zalilreiclie Beobaclitiingen steht fest, dass ver-
mehrte oder verminderte Niederschläge nicht blos einzelne
Gegenden treffen, sondern dass sie sich gleichzeitig über
die ganze Erde verbreiten. Man hat bisher die Ab-
dunstungeu der Gewässer, hervorgerufen durch die Wärme
der Sonne, als die einzige Quelle der Niederschläge be-
trachtet. Diese Annahme jedoch kann nicht richtig sein,
denn da die Sonucnwärnie sich aou Jahr zu Jahr gleich
bleibt, so müssten auch, wäre jene Annahme richtig, die
Niederschläge sich gleich bleiben.
Wir sind darum genöthigt, uns neben der Abdunstung
der Gewässer] nach einer anderen Quelle der Nieder-
schläge umzusehen. Nordenskjöld, der berühmte Diirch-
forscher der Polarregion, giebt in seinem ausgezeichneten
Werke „Studien und Forschungen", welches in keiner
Sammlung naturwissenschaftlicher Bücher fehlen sollte,
zwar kosmische Ursachen für das Heral)fallen von Wasser
in unsere Atmosphäre an; solche Ursachen genügen je-
doch für die Veränderung der Niederschläge in keiner
Weise. Dagegen ist eine, bisher unbeachtet gebliebene
Quelle der Niederschläge vorhanden, welche solche Ver-
schiedenheiten vollständig erklärt. Diese Quelle ist das
Vei'brennen von Leuchtgas im Polarlicht, wodurch Wasser
gebildet wird, welches den aus den Meeren aufsteigenden
Dünsten hinzutritt. Leuchtgas bildet nämlich die obere
Atmosphäre unserer Erde, ebenso wie die der Sonne und
aller Planeten, wie ich dieses in meiner kleinen Schrift
„Die Lufthülle der Erde, der Planeten und der Sonne"
durch zahlreiche und starke Gründe nachgewiesen habe.
Man hat meine Ausführungen bis jetzt weder anerkannt,
noch durch Gründe bekämpft, und der Raum verbietet
mir, sie hier näher auszuführen; ich verweise deshalb auf
meine Schrift. Nur einen der Gründe will ich anführen,
welcher allein schon genügt, obige Behauptung als un-
widerleglich nachzuweisen.
Bekanntlich wird die Erde durch elektrische Ströme
umkreist. Solche Ströme zersetzen im Laboratorium des
Gelehrten das Wasser, und es wäre wunderbar, wenn die
uuermesslich stärkeren Ströme unserer Erde nicht die
gleiche Wirkung äusserten; auch sie zerlegen das Wasser
in seine Bestandtheile Sauerstoff und Wasserstoff. Der
erstere bildet im Meere und in allen Gewässern den
Athembedarf der im Wasser lebenden Geschöpfe, und geht
aus diesen in die Atmosphäre über, während das Wasser-
stoffgas in die Höhe steigt und sich über der uns zugäng-
lichen Atmosphäre lagert, ebenso wie bei der Sonne. An
der Berührungsfläche beider ei'folgt die Verbrennung im
Polarlicht, ebenso wie bei der Sonne im Sonnenlicht.
leb beschränke mich, um die obere Leuchtgashülle
unserer Erde nachzuweisen, wie gesagt, auf einen ein-
zigen Grund, der allein schon genügt, wären auch gar
keine anderen vorhanden. Die Feuerkugeln durchziehen
mit kosmischer Geschwindigkeit die obere Schicht unseres
Luftkreises, indem sie einen, durch eine halbe, ja ganze
Stunde glühenden Schweif zurücklassen. Sie erlöschen
dann plötzlich mit heftiger Detonation, wobei kleinere
oder grössere Körper aus ihnen verhältnissmässig langsam
zur Erde fallen. Man hat aus dem Schweife der Feuer-
kugeln einen schwärzlichen Staub auf schwedische Schnee-
gefilde und auf Polareis niederfallen sehen. Dieser Staub
enthält Eisen und Kohle, löst sich leicht im Wasser und
ist brennbar. Die 'Jlieilchen dieses Staubes fallen, je
nach ihrem specifischen Gewicht, früher oder später zur
Erde herab; die leichtesten gehen in den Passatstaub
über und scheinen Monate lang in der Atmosphäre zu
kreisen. Sic erfüllen die Luft über dem atlantischen
Ocean und haben in grossen Gebieten, in China und
anderswo, mächtige Lager einer gelben Erde gebildet,
den sogenannten Löss.
Offenbar ist der Schweif, welchen die Meteoriten
zurücklassen, nicht in unserer atmosphärischen t»ftft ent-
standen; die winzigen Theilchen, aus denen er besteht,
würden sonst im Augenblick verbrannt sein. Dagegen
haben bekanntlich viele Körper die Eigenschaft, Wasser-
stoff einzusaugen und dabei zu glühen. Der gleiche Vor-
gang also, und zwar dieser Vorgang allein, erklärt das
Fortglühen der Schweife der Feuerkugeln in der oberen
Luft. Diese kann also nur aus Wasserstoftgasen bestehen.
Ferner: Das Erlöschen der Feuerkugeln geschieht
phitzlich, und die dabei stattfindende Detonation in einer
Höhe von 35 — 37 km, wo die atmosphärische Luft dünner
sein muss, als die beste Luftpumpe sie zu verdünnen ver-
mag, diese Detonation ist gleichwohl so mächtig, dass
sie nicht nur den Flug der mit mehr als planetarischer
Geschwindigkeit fortstürmenden Boliden augenblicklich
hemmt, sondern dass man sie auch aus solcher Höhe herab
und auf Entfernungen wie Dresden von Berlin, und weiter,
als lauten Donner gehört hat. Kein Gewitter erzeugt sich
in solchen Höhen, und kein Donner eines Gewitters wird
auf solche Entfernungen wahrgenommen. Hier erklärt
wiederum die obere Leuchtgasatmosphäre allein die De-
tonation. Ich übergehe, dass die herabgefallenen Boliden
stets das mehr als Hundertfache ihres Volumens an Wasser-
stoffgas enthalten, von dem sich unschwer annehmen lässt,
dass sie dasselbe bei ihrer Bewegung in der oberen Luft-
schicht durch den starken Druck aufgenommen haben.
Ich übergehe, wie gesagt, andere Gründe, welche die
obere Leuchtgasumhüllung unserer Erde beweisen. Wird
dieselbe jedoch zugestanden, so erklärt sie zugleich die
Verschiedenheiten trockener und nasser Jahre, indem in
crsteren mehr Meerwasser zersetzt wird, dessen Product
durch Verbrennung im Polarlicht in die Atmosphäre tritt,
in letzteren weniger.
Bekanntlich ist das Aufflammen von Polarlichtern in
verschiedenen Jahren verschieden. Das Gleiche muss also
auch von den daraus gebildeten Niederschlägen gelten.
Da der elektrische Strom und also die Zersetzung des
Wassers durch Berührung des letzteren mit lösbaren Me-
tallen entsteht, so liegt der Gedanke nahe, dass zeitweilig-
andere, grössere oder kleinere Flächen lösbarer Metalle
der Einwirkung des Meerwassers blossgelegt werden, wo-
durch dann natürlich auch Verschiedenheiten in der Stärke
und dem Ort der Wasserzersetzung und in der Richtung
der elektrischen Ströme entstehen müssen. Die Richtung
dieser Ströme hat, seitdem sie zuerst im Jahre 1580 in
den Kellern der Pariser Sternwarte beobachtet wurde, die
Magnetnadel um 33° 4' von Osten gegen Westen, und
dann bis zum Jahre 1874 um 5° 4' von Westen gegen
Osten in unseren Geilenden verändert, und jetzt ist ihre
Abnahme etwa jähilich 6': was doch unmöglicli anders,
als dui'ch Veränderungen der Erzeugungsorte der elek-
trischen Ströme erfolgt sein kann. Auch die ungeheure
Menge meteorischen Eisens, welche in der Nähe Grön-
lands vorkommt, und wahrscheinlich auch daselbst im
Meere liegt, scheint den magnetischen Pol in dieser Ge-
gend zu erklären. Der Raum verbietet mir jedoch, auf
diesen Gegenstand näher einzugehen.
Ich knüpfe hieran noch einige Bemerkungen über den
gegenwärtigen Nothstand der Vichfütterung, obschon sich
derselbe durch die, gewöhnlich gegen Joliannis fallenden
Regen einigermaassen gemildert haben dürfte. Es ist
(ikonomisch fehlerhaft, in solcher Lage das Vieh durch
eine Hungernahrung zu erhalten, anstatt es zu tödten;
denn einmal opfert man durch ein Hungerfutter bei Kühen
den Ertrag der Milch und bei Schafen den der Wolle auf,
und dann ist der Ankauf, insbesondere von Rauchfutter,
viel zu theuer, um die Erhaltung des Viehstandes zu lohnen.
„Die Kuh milcht durch den Hals", wie das Sjirichwort
sagt. — In einer grösseren Oekouomie wurden wegen
Futtermangels ein Drittheil der vorhandenen Kühe auf
den Markt geschickt und verkauft; mit dem Tage hob
sich der Milchertrag beträchtlich. In der Schafherde liess
man in dem Nothjahre keine Lämmer konnnen und er-
sparte dadurch wesentlich an Heu. Man hat mehrfach
vorgeschlagen, es solle die Staatsverwaltung durch den
Ankauf von Vichfutter Hilfe leisten. Die Ausführung dieses
Vorschlages wird sich sehr bald als unmöglich heraus-
stellen, und der Versuch kann nur schädlich sein, indem
er viele Landwirthe veranlasst, ihr Vieh mit Hungerfutter
zu erhalten, welches sie sonst, wenn auch zu den niedrig-
sten Preisen, weggegeben haben würden. Um nicht das
Vieh zu verschleudern, könnte man dasselbe einsalzen,
ein Verfahren, welches jetzt fast gänzlich ausser Gebrauch
gekommen ist, obschon es in früheren Zeiten allgemein
üblich war. Ehe Arthur Young die weissen Rüben, die
Turnips, für das Winterfutter empfahl, lebte die ganze
Bevölkerung Englands den Winter über fast nur von ein-
gesalzenem Fleisch.
Sollte der Nothstand die Oekonomen veranlassen, mehr
als es bis jetzt geschehen, Rieselwiesen anzulegen, ihre
Felder zu draiuiren, und durch erh(ihten Futterbau immer
mehr ihre Anstrengungen auf die Erzeugung von fettem
Fleisch und von Milchproducten zu richten, so dürfte die
Folge des gegenwärtigen Nothstandes im allgemeinen eine
segensreiche sein. Man wolle erwägen, welche Fort-
schritte die Landwirthschaft seit dem Verfolgen dieser
Richtung und seit dem Aufgeben der alten Dreifelder-
wirthsehaft gemacht hat. Man ist hierin noch lange
nicht au dem Ende der möglichen Verbesserungen an-
gelangt.
L. Graf von Pfeil.
Druck von G. Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den
6. August 1893.
Nr. 32.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buchbandhuigen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist Jt 4,—
Bringegeld bei der Post 15 4 extra.
Y Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 .,5.. Grössere Aufträge ent-
ep sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkuuft. Inseratenannahme
JL bei allen Ännoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnek ii^t nur mit vollständiger <{nellenaugabe gestattet.
Ueber die Giftfestigkeit des Igels.
Von Erich Ilarnack.
Auf die Kritik, welche Willi c Im l'reyer in No. 26
der „Naturw. Wochenselir." meiner kleinen Mittlieiliing
über die relative Resistenz des Igels gegen Oyanwirkungen
hat angedeihen lassen, habe ich Folgendes zu erwidern:
1. Es gicbt kein Tiiier
unter unseren gewöhnlichen
warmblütigen Versuchsthiereu, bei welchem sich die sub-
cutane Injection leichter und sicherer ausführen Hesse,
als beim Igel. Wer das Gegentheil beiiaui)tet oder gar
von besonderer Schwierigkeit der Suljcutaninjection beim
Igel spriclit, der erweckt den Verdacht, dass er selbst
eine solche beim Igel nie ausgeführt hat, was dann frei-
lich auch zu grösserer Vorsieht in der Aufstellung von
Beliauptungen veranlassen sollte. Die Stacheln hindern
die Injection gar nicht, im Gegentheil: man kann das
Hautzclt, in welches man einsticht, daran aufheben, was
bei behaarter Haut viel schwieriger ist. Wen aber wirk-
lich die Stacheln hindern sollten, der kann sie zuvor ab-
schneiden. Ueberhaupt muss jede Art der Beibringung
eines Giftes dem Toxikologen von Fach ein Kinder-
spiel sein.
2. Jede sogenannte „Giftfestigkeit" eines warm-
blütigen Thicres ist selbstverständlich nur eine relative.
Dieser Gedanke liegt meiner ganzen kleinen Mittheilung zu
Grunde, da ich ja die schwere Erkrankung des Igels
nach Beibringung von 0,06 Gramm Cyankaliiim zur Genüge
geschildert und hervorgehoben habe. Aber wenn eine
grosse Katze durch 0,01 Gr. in wenigen Minuten getiidtet
wird, während der kleine Igel eine Dosis von 0,06 über-
lebt, so darf man von einer auffallenden Resistenz des
letzteren gegen die Cyanwirkung wohl reden.
3. Wodurch eine solche relative Giftfestigkeit im
einzelnen Falle bedingt wird und erklärt werden kann,
das ist selbstverständlich eine andere Frage. Es könnte
sich im Allgemeinen z. B. handeln um eine besonders
langsame Aufnahme oder eine besonders rasche Aus-
scheidung des Giftes, um eine
Giftes im Körper oder Bindunt
Verbindung, um eine besondere
fenden Thiergattung oder eine
rasche Zerstörung des
zu einer unschädlichen
Organisation der betref-
besondere Beschatfenheit
einzelner Theile des Körpers u. s. w. Dass die Re-
sorption vom Unterhautzellgewebe beim Igel besonders
langsam stattfindet, ist eine Behauptung, die mir indess
noch keineswegs erwiesen zu sein scheint. Nach subcu-
taner Injection von 1 Milligr. Stryehninsalz tritt beim
Igel die Wirkung ebenso rapide ein und führt mindestens
ebenso schnell zum Tode, wie bei anderen, etwa gleich
grossen Thieren. Wie sollte erst das flüchtige Cyanid
nicht schnell resorbirt werden?
4. Eingehende Untersuchungen über die Wirkung ge-
wisser Giftstoffe auf den Igel, welche in meinem Institute
von einem meiner Schüler in jüngster Zeit ausgeführt
wurden, haben zu dem Ergebniss geführt, dass verschie-
dene dem Thi erreich entstammende Gifte auf den Igel
unverhältnissmässig viel sciiwäeher wirken als auf andere
Warmblüter, ohne dass es sich dabei um Unterschiede in
der Schnelligkeit der Resorption handeln kann. Gewisse
dem Pflanzenreiche entstammende Gifte dagegen
wirken auf den Igel nicht minder heftig als auf andere
Warmblüter. Dass man die Cyanverbindungen auch
als animalische Gifte bezeichnen kann, halte ich für
wahrscheinlich.
330
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 32
Westermarck's Forschungen über die Naturgeschichte der Ehe.
Der Dozent für Sozioloi;ic an iler tininschcn Univer-
sität zu Melsingl'ors, Eduard Westermarck, hat vor
Kurzem in englischer Sprache ein Ruch veniffentlicht, das
entschieden zu den interessantesten und gelehrtesten
Werken der an interessanten Leistungen so reichen
anthi'opologischen Lilteratur gehört. Welch grosse wissen-
schaftliche Bedeutung seiner „History of human marriage"
(London*) innewohnt, geht schon aus dem Umstand
hervor, dass Alfred Hnssell Walhice ein Vorwort ge-
schrieben hat, in welchem er sagt, dass die Anschau-
ungen Westermarcks, soweit sie von denen Darwins,
Spencers, Lubboeks, Tylors und anderer berühmten An-
tln'opologen abweichen, berufen sind, den Sieg davon-
zutragen und grösstentheils in Fleisch und Blut der
Wissenschaft überzugehen. Dem was Wallacc über die
Oründliehkeit der Forsclinng, die Klarheit der Schreibweise,
die Schärfe der Argnuientatinn und die Wichtigkeit
der Schiussfolgeruugen des Verfassers sagt, möchten wir
durchaus beistimmen, hinzufügend, dass dessen sich in
einem ganz besonders imposanten Quellenverzeichniss
spiegelnde Iklesenheit unser Staunen erregt, dass der nicht
weniger als 128 Spalten lange Index höclist musterhaft
gearbeitet ist und dass W. nicht nur viel neues Material,
sowie manche neue Ansicht l)eibringt, sondern sich auch
eine eigene Untersuchuugsmethode zurecht gelegt hat, die
ebenso geistvoll wie praktisch und wahrhaft wissen-
schaftlich ist und der er werthvolle Ergebnisse verdankt.
Wir widerstehen der Versuchung, diese Methode ein-
gehend zu beleuchten und beschränken uns anf eine
knappe, aber übersichtliche Wiedergaiie des luhalts des
Buches an der Hand des Schlusskapitels, in welchem W.
die Resultate seiner mühevollen Arbiet zusammenfasst,
wobei er selbstverständlich zug-iebt, dass viele seinerSehlüsse
„mehr oder minder hyi)otlietisch" sind, für die meisten
aller in Anspruch nimmt, sie seien „notliwendige Folgerungen
auf Grund vertrauenswcrthen Beweismaterials."
Was zunächst die naturwisseuschaftliche Definition
der Ehe betrifi't, so bezeichnet W. diese als „eine mehr
oder minder dauernde Verliindung zwischen Männchen
und AVeibchen, über die Fortpflanzuugsthätigkeit hinaus
bis nach der Geburt des Sprösslings anhaltend." Die
Ehe k((mmt bei vielen niedrigeren Thiergattungen vor,
bildet bei den menschenähnlichen Affen die Regel und
ist bei den Menschen allgemein. Sie erscheint eng ver-
knüpft mit Elternpflichtcn, wobei die unmittelbare Sorge
für die Kinder hauptsächlich der Mutter obliegt, während
dem Vater mehr die Aufgabe zufällt, die Familie zu be-
schützen. Da die Ehe für das Dasein mancher Arten von
Geschöpfen unerlässlieh ist, nmss ihr Ursprung offenbar
einem durch den mächtigen Eintluss der natürlichen Zucht-
wahl zur Entwickelung gebrachten Instinkt zugeschrieben
werden. Wenn es in der Urzeit, wie sich als wahr-
scheinlich annehmen lässt, auch für die Menschen eine
bestimmte Brunstzeit gab, so kann lieira Ursprung der
menschlichen Ehe eine fortgesetzte Erregung des Ge-
schlechtstriebes nicht in Betracht gekonnnen sein, d. h.
falls der Urmensch die Ehe überhaupt schon kannte.
Dass er sie kannte, darf mau mit grösster Zuversicht
muthmaasscn, denn die Ehe der Primaten (Menschen und
Affen) scheint aus der kleinen Anzahl der Jungen und
aus der Länge des Kindesalters hervorgegangen zu sein.
Sjiäter, als die Menschheit in erster Reihe fleischessend
wurde, erwies sich die Mitwirkung eines erwachsenen
*) Es ist aiicli eine deutsclie Uel)ei'setzuni;: erschienen, vergl.
weiter hinten in dieser No. — Ued.
Mannes an dei- Eilialtung der Kinder umso nothwendiger,
als die Jagd üiierall zu den Aufgaben des Mannes zu
gehören begann. Die v\nnahme, dass in alten Zeiten
nicht der Vater, sondern ein Bruder der Mutter der
natürliche rjcscliiitzer der Kinder war, ist ganz unbe-
gründet, und dasselbe gilt von der Muthmaassung, dass
sännntliche Männer eines Stammes zur Vornmndschaft
über jedes einzelne Kind berufen waren.
Ueberhaupt scheinen alle auf uns ülicrkonnncnen
Beweismittel darzuthun, dass bei den Urmenschen nicht
der Stannn, sondern die Familie den Kern jeder (Jesell-
sehaftsgruppe bildete und in vielen Fällen selber die
einzige vorhandene Gesellschafts - Grupjie war. Die
menschenähnlichen Affen leben nicht in Herden und ihre
Einsamkeitsliebe muss hauptsächlich auf die Schwierig-
keiten zurückgeführt werden, denen sie bei der Beschaf-
fung ausreichender Nahrungsmengen begegnen. Wir
dürfen getrost folgern, dass auch unsere früchtefressenden
halbmensehliehen Vorfahren nicht geselliger waren; und
später, als der Mensch nicht mehr ausschliesslich Früchte
genoss, sondern auch Fleisch, setzte er sein EinzcUeben
fort, weil das Ilerdenleben allen grossen fleischfressenden
Thieren Nachtheile bietet. Unter den auf der niedrigsten
Stufe stehenden Wilden gibt es nocli jetzt Völkerschaften,
die zwar Familien, aber keine Stämme bilden, und die
Thatsachen lehren, dass der Grund auch hier in der Un-
zulänglichkeit der vorhandenen Nahrungsmittel liegt.
Demgemäss ist die Geselligkeit des Menschen in erster
Reihe ein Ergebniss des geistigen und matt'riellen Cultur-
fortsehrittes, während in den Anlangen des nicnschlichen
Gesellschaftslebens die einzige oder doch die wichtigste
Rolle den Banden zufiel, welche Mann und Gattin, Eltern
und Kinder zusannnenhielten. Mit aller Wahrscheinlich-
keit lässt sich die menschliche Ehe als ein von den aft'en-
ähnlichen Urmenschen Uberkonunenes Erbe bezeichnen.
Die meisten der Anthropologen, die über vorgeschicht-
liche Sitten geschrielteu haben, glauben, dass der Mensch
ursprünglich in Ehegemeinschaft lebte. Diese Annahme
erklärt Westermarck für „durchaus unwissenschaftlich."
Sie beruht auf Berichten über einige wilde Völker, die
angeblich die Ehegemeinschaft kennen und über gewisse
seltsame (iebräuche, die für Ueberbleibscl aus einer Zeit
gehalten werden, in welcher es noch keine Ehen gab.
Allein die Angaben über jene wilden Völker sind bereits
grösstentheils als irrig nachgewiesen und die Richtigkeit
der übrigen ist mindestens zweifelhaft; sollten jedoch
einzelne wirklich richtig sein, so wäre es nach Ansieht
Westermarcks verfehlt, aus diesen wenigen Ausnahme-
fällen zu sehliessen, dass die ganze Menschheit das
gleiche Entwickelungsstadium durchgemacht habe, und
gerade Ijci den am niedrigsten stehenden Völkerschaften
nähern sieh die geschlechtlichen Beziehungen am wenigsten
der Promiskuität. Auch die Thatsache, dass in manchen
Gegenden vor der Verheirathung ein ganz freier ge-
schlechtlicher Verkehr gestattet ist, berechtigt nicht zur
Annahme des einstigen Vorherrschens der Ehegemeiu-
schaft, denn es giebt zahlreiche wilde, barbarische Völker,
bei denen der geschlechtliche Verkehr ausserhalb der Ehe
äusserst selten vorkommt und unkensche Weiber für ehr-
los oder verbrecherisch gelten. „Die Beridnnmg mit einer
höheren Gesittung hat sich der Sittlichkeit der Wilden
verderblich erwiesen, und wir haben allen Grund zu dem
Glauben, dass mit dem Fortschreiten der Cultur die
aussereheliehen Beziehungen der Geschlechter im grossen
Ganzen zugenommen haben." Ueberdies ist der freie ge-
schlechtliche Verkehr vor der Verheirathung durchaus
Nr.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
)VM
verschieden von der Ehe/^^-enieinschaft; diese bedingt
niünlicli, im Gegensatz zu jenem, eine Unterdriicliung per-
sönlicher Neigungen. Die Hauptform jenes „freien Ver-
kehrs", die Prostitution, findet sieh nur sehr selten hei
Natur-Völkern, die von der Cultur noch gänzlich unbe-
leckt sind.
Morgan's Anschauung, dass das einstige Vorlicrrschen
der rroniiskuitiit durch die bei vielen Völkern geltende
Art der Eintheiluug der Verwandtschaftsgrade bewiesen
sei, wird von unserem Gewährsmann widerlegt. Diese
Anschauung setzt voraus, dass die Namen der Verwandt-
schaftsgrade auf der lilutsverwandtschaft beruhten, soweit
die Eltern jedes Individuums sieh feststellen Hessen. Aber
nach unserem Autor unterliegt es kaum einem Zweifel,
dass die für jene Grade ersonnenen Bezeichnungen ur-
sprünglich blos Ansprachezwecken dienten und hanptsäch-
iicli dem Alter und Geschlecht des Angesprochenen, sowie
dessen gesellsciuvftliehen 15eziehungen zum Sprecher au-
gepasst waren. Was das Argument betrifft, dass das
.System der „Verwandtschaft auf weildidier Seite allein"
(vvonaeli die Kinder nicht nach dem Vater, sondern nach
der Mutter benannt werden und Besitz und Rang aus-
schliesslich in der weiblichen Linie sich vererben) eine
Eolge der aus der Eliegenieinschaft hervorgegangenen
üngew issheit der Vaterschaft gewesen sei, so erklärt
Westermarck den einschlagigen EinÜuss der Bamh' des
Blutes ebenfalls für viel geringer als man allgenu'in an-
nimmt. Es giebt verselnedene andere Gründe, Kinder
nach der IMutter statt nach dem Vater zu benennen. In
dieser Hinsieht verdient der Braueii vieler Völker liervor-
geiiol)en zu werden, dass der .Alann nach seiner Verhci-
rathnng das Weib nicht mit sich führt, sondi'rn ndt ihr
das Haus seines Schwiegervaters bezieht. Wahrscheinlich
haben die Ursachen, aus denen Kinder den Namen der
Mutter annahmen, auch die Erltfolgebestimnmngen beein-
dusst; aber der Name selbst scheint eine noch grössere
Macht ausgeübt zu haben.
Dazu konnnt, dass, soviel man überiiaupt weiss, keine
allgemeine zeitliche Uebcreinstinnnung nachweisbar ist
zwischen dem \^orherrschen grösserer oder geringerer
Sittlichkeit oder Unsittlichkeit und dem Vorherrschen des
männlichen oder des weibliehen Verwandtschaftssystems.
Auch bei solchen Völkern, bei denen wegen ihrer Viel-
männerei die Vaterschaft oft unsicher erseheint, hat zu-
weilen die männliche Linie Geltung, und die ausschliess-
liche Anerkennung der weiblichen Linie seitens einer \'ölker-
schaft besagt durchaus nicht, dass die letztere nichts von
männlichen Verwandtschaftsgraden weiss. Endlich ist zu
bemerken, dass es zahlreiche Urviilker giebt, die keinerlei
Spuren des ausschliesslich weiblichen Vcrwandtschafts-
systems aufweisen.
Während somit die von anderen Forschern zu Gunsten
der Promiscuitätshypothese vorgebrachten Argumente nach
unserem Autor vidlig unstichhaltig sind, bezeichnet er diese
Hypothese selbst geradezu als „mit allen richtigen Vor-
stellungen, die wir uns vom Urzustand des Menschen zu
machen vermögen, unvereinbar". Ungeregelter Verkehr
der Geschlechter erzeugt leicht eine pathologische Be-
schaffenheit, die der Fruchtbarkeit entgegenstellt, und das
Vorherrschen der Eifersucht bei den Naturvölkern, die von
frenuler Beeinflussung frei sind, sowie bei den untergeord-
neteren Säugetliiercn, lässt es als luichst unwahrscheinlich
erscheinen, dass die Menschheit jemals die Eliegenieinschaft
gekannt hat. Der Gedanke, dass ein Weib ausschliesslich
p]incni Manne gehört, ist bei manchen Völkern so einge-
wurzelt, dass er zu verschiedenen empörenden Unsitten
und Misshandlungen geführt hat.
Hinsichtlich der Ehelosigkeit liel)t der Verfassi'v her-
vor, dass sie bei den wilden und barbarischen Stännnen
verhältnissmässig selten ist. Die Angehörigen di'r letzteren
heiratlieii in der Kegel früher als die der Culturvölkcr.
Unverehelicht sein, dünkt ihnen fast unnatürlich. Aehnlich
dachten im Altertlium auch die Culturvölkcr und im Osten
thun sie es noch jetzt. Die iiiddernc Civilisalion dagegen
ist — thcils aus wirtliscJiaftlicben, theils aus ideellen
Gründen — dem Elicstaiide minder günstig. Demgemäss
hat in Europa die Zahl der Ehclosen eine Zunahme, das
Durchsebnittsalter der Eliescliliessung eine Tlinaufscliraubung
erfahren. „Eine sonderbare Form der Ehelosigkeit ist die
erzwungene von Personen, die mit dem Dienste der Re-
ligion verknüpft sind; wir begegnen ihr bei verschiedenen
\ lilkern auf vcrseliicdenrii Entwickclungsstufen der .Mensch-
heit. Sie beruht olfcnl)ar auf der Vorstellung, der ge-
sehleehtliche N'erkehr sei unrein, und diese Vorstellung
scheint ursprünglich aus einem uubcwussten Widerwillen
gegen den gesehlcchtliclien Umgang zwischen Mitgliedern
derselben Familie oder desselben Haushaltes hervorgegangen
zu sein."
Was die Bewerbungen betrilft, so s|)ielt bei fast allen
Tliiergattungen das Männchen die thätige Rolle und ge-
wöhnlich hat es mit anderen Männchen um den Besitz des
Weibchens zu kämpfen. Zweifellos war das (Jleiclie beim
Urmenschen der Fall, und noch heute findet sich diese
Art der Werbung bei einigen mitergeordneten Rassen,
während an ihrer Steile .jetzt im allgemeinen beim Manne
eine längere Zeit der Liebesbezeugungen getreten ist, bei
denen der weibliche Tlicil sieh keineswegs ganz unthätig
verhält. Die Wilden schmücken, bemalen, täto\viren und
vcrstünnneln sich, um dem andern Geseblecht anziclicndcr
zu erscheinen, die hierfür gewählte Zeit ist die der .Mann-
barkeit, — ein Beweis dal'iir, dass diese \'crriclitungen
nur Werbungszweeken dienen. In sehr vielen Fällen dürfte
auch die Kleidung ursprünglich aus derselben Ursache
hervorgegangen sein; weit entfernt, die Grundlage der
Bekleidungsgewohnlieit zu bilden, ist das Gefühl der
Scham vielmehr wahrseheinlieh die Folge dieser Ge-
wohnheit.
Li der Regel sind die Männer die Bewerber, aber
meist steht es den Weiiiern frei, anzunehmen oder ab-
zulehnen. Obgleich die ^J'öchter bei den niedrigen Völker-
schaften als Besitzgegenstände gelten und oft schon in
der Kindheit verlobt werden, so erfolgt ihre Verhciratliung
gewöhnlich doch nicht ohne ihre Zustimmung. Unter den
heutigen Wilden haben die \\'eiber eine grosse Wahl-
freiheit und in den vorgescliiebtliclien Zeiten dürfte diese
noch beträchtliclier gewesen sein, denn damals erhielt sich
jedes Individuum selber, es gab keine Arbeit für Amlere
und deshalb war die Tochter keine Sciavin und kein
Handelsartikel. Später änderte sich das, indem bei den-
j'enigen Nationen, die einen verhältnissmässig hohen (hiltiu--
grad erreichten, die Macht des Vaters in Folge der Aus-
bildung der Ahnenanbetung immer grösser wurde. Bei
vielen dieser Völker ist die Vaterverehruug nicht nur auf
Seiten der Töchter, sondern auch auf Seiten der Söhne
so bedeutend, dass keine Ehe ohne Zustiiinnuiig des
Vaters geschlossen wird, während die erwaclisenen Söhne
der Wilden sieh der vol
freuen.
Der geschlechtlichen Zuchtwahl widmet Westermarck
selbstverständlich eine sehr eingebende Behandlung. Er
weist auf die Widersprüche innerhalb Darwins Leine von
der natürlichen .Viislcse und der gesclileehtliehen Zucht-
wahl hin und zeigt, dass die letztere bei den niedrigeren
Tliieren gänzlich dem grossen Gesetz vom Ueberleben des
Geeignetsten unterworfen ist. Aus der Art der Vertheilung
der geschlechtlichen Farben, Gerüche und Laute bei ver-
schiedenen Tliiergattungen zieht er den Sehluss, dass sie,
obgleich die Gattung stets bis zu einem g'cw'issen Maassc
couimensten Unabhängigkeit er-
332
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 32.
beeinträchtigend, im Ganzen insofern vortlieilhaft sind, als
sie es den Geschlechtern erleichtern, einander zu tinden.
Er fuhrt Thatsachen an, welche sich nicht in Ueberein-
stimniung- bringen lassen mit Darwin's Erklärung- des Zu-
sammenhanges zwischen Liebe und Schönheit beim Menschen
und des Ursprungs der verschiedenen Menschenrassen.
Zwar ist der gesamnitcn Menschheit ein Schönheitsideal ge-
meinsam, aber dasselbe bleibt ein abstracter Begritf, da
den allgemeinen Aehnlichkeiten besondere Abweichungen
des Geschmacks gegenüberstehen. Nach Darwin sind die
Rassen- Verschiedenheiten Folgen der Verscliicdenartigkeit
der Schönhcitsl)egriti'e, nach Westermarck gehen die letz-
teren aus den ersteren hervor, — also gerade umgekehrt.
Die Eigcnthümlichkeiten einer Rasse hängen ciniger-
maassen zusammen mit den äusseren Umständen, unter
denen dieselbe lebt; „da wir aber nicht bestinnnt wissen,
ob angeeignete Charaktereigenschaften vererbt werden
können, ist es höchst zweifelhaft, ob jene Verschieden-
heiten die ererbten Folgen der Lebensverhältnisse voran-
gegangener Gescidechter sind; viel wahrscheinlicher dürfte
es sein, dass sie von einer natürlichen Auslese herrühren,
die diejenigen angeborenen Abweichungen, welche den
Lebensl)edingungcn der Rassen am angemessensten waren,
beiböhalten, bewahrt und verstärkt hat."
In dem Oajntel „Das Aehnlichkeitsgesetz" beschäftigt
sich Westermarck mit jenem mächtigen Trieb, der die
Thiere fast stets von der Paarung mit anderen Gattungen
abhält. Der Ursprung dieser Abneigung ist in der Un-
fruchtbarkeit erster Kreuzungen und Bastarde zu suchen.
Beim Menschen werden die verschiedenen Rassen ^•on
keinem solchen Instinct einander ferngehalten, und die
AVissenschaft weiss heutzutage, dass selbst zwischen den
verschiedenartigsten Menschen - Rassen die Unterschiede
nicht gross genug sind, um die Hervorbringung einer ge-
mischten Rasse zu verhindern, wenn nur die sonstigen
Umstände gunstig sind. Eine grosse Aehnliclikeit mit dem
Abscheu vor der Bestialität hat derjenige vor der Blut-
schande. Derselbe macht sich im Principe fast bei der
ganzen Menschheit geltend, doch schwanken die Verbot-
grenzen ausserordentlich. Beinahe überall verwirft man
P>eziehungen zwischen Eltern und Kindern, fast allgemein
auch solche zwischen Geschwistern, oft solche zwischen
Geschwisterkindern und bei zahlreichen Naturvölkern ist
sogar die Ehe innerhalb des eigenen Stammes oder Clans
untersagt. Westermarck verschmäht sännntlichc bisherigen
Theorien über den Ursprung all dieser Verbote. Und
während die anderen Forscher voraussetzen, dass die
Menschen die Blutschande nur deshalb vermeiden, weil
sie hierzu angehalten werden, meint unser Gewährsmann,
dass weder Gesetze noch Gewohnheiten noch Erziehungs-
lehren hier in Betracht kouuuen, vielmehr ein Naturtrieb.
„Ein solcher macht unter normalen Verhältnissen die ge-
schlechtliche Liehe zwischen den allernächsten Verwandten
zu einer seelischen Unmöglichkeit." Freilich, eine ange-
borene Alnieigung gegen die Ehe naher Verwandten ist
nicht vorhanden, wohl alier eine natürliche Abneigung
gegen die Verlieirathung von Personen, die von Kindheit
auf beisammen gewohnt haben, und da solche Personen
gewöhnlich Verwandte sind, ninmit dieses Gefühl haupt-
sächlich die Gestalt des Absehens vor Verbindungen zwi-
schen naiien A'erwandtcn an. Nicht nur die allgemeine
Erfahrung bestätigt das Bestehen dieser natürliclicn Ab-
neigung, — auch eine Fülle ethnographischer Thatsachen
beweist, dass die Wechselheirathsvcrbotc weniger gegen
Verwandte als gegen Zusannnenlebende gerichtet waren
bezw. sind. Bei vielen Völkern haben .örtliche Exogamien
Geltung, die überhaupt nichts mit irgendwelchen Verwandt-
schaftsgraden zu thun haben, und die Bestinnnung der
die Weclisellieiratli ausschliesscndcn Verwandtschaftsgrade
bei den verschiedenen Nationen steht in engem Zusanmien-
hang mit dem Beisamnienleben der Betreffenden.
Die IMutsehandeverbote sind oft mehr oder minder
einseitig, indem sie sieh bald mehr auf die Verwandten
mütterlicher-, bald mehr auf diejenigen väterlicherseits er-
strecken. In vielen anderen Fällen werden sie nur mittel-
bar vom Beisammenleben beeintinsst. Die Abneigung
gegen Wecliselheirathen Beisammenlebender hat zum Ver-
bot von Verwandtenheirathen geführt, und da die Ver-
wandtschaft in der Regel mit der Namensgleichhcit zu-
saninicnfällt, ist man mehrfach dazu gelangt, die letztere
unter allen Umständen mit der ersteren zu verknüpfen
auch dann, wenn keine Sj)ur von Verwandtschaft vor-
handen ist, die Ehe zwischen Namensvettern zu unter-
sagen. Die Regel, dass das Beisanuuenleben eine Ab-
neigung gegen Wechselheirathen eintlösst, erleidet Aus-
nahmen, aber die meisten bekannt gewordenen Beispiele
von Ehen zwischen Bruder und Sciivvester sind in krmig-
lichen Familien vorgekommen und lediglich dem Geburts-
stolz zuzuschreiben. Auch ein Ucbcrniaass von Abge-
schlossenheit und Einsamkeit kann zur Blutschande führen;
andere solche Verbindungen gehen aus einer Verderbtheit
der Naturtriebe hervor. Was insbesondere die Ehe zwischen
Halbgeschwistern I)etrift't, so tindet auf sie das Brincip
der Abneigung schon deshalb nicht innner Anwendung,
weil die Vielweiberei sehr oft kein enges Beisamnienleben,
sondern vielmehr die Zersplitterung der Familie in so viele
Unterfamilien nach sich zieht, wie in ihr Weiber mit Kin-
dern vorhanden sind.
Die wichtige Frage nach der Ursache der Al)neigung
gegen Wechselheirathen von Personen, die seit ihrer Kind-
lieit mit einander aufgewachsen sind, beantwortet Wester-
marck dahin, dass die Ursache in der instinctiven Scheu
vor den übeln Folgen der Ehen zwischen Blutsverwandten
zu suchen ist. Für die Wohlfahrt der Gattung scheint es
erforderlich zu sein, dass die sich vereinigenden gosehlecht-
lichen Factoren sich von einander einigermaassen unter-
scheiden, was natürlich nicht ausschliesst, dass auch eine
gewisse Aehnlichkeit zwischen ihnen vorhanden sein nniss.
Die schädlichen Folgen der Selbstbefruchtung liei Pflanzen
und der Verwandtenpaarung bei Thieren beweisen den
Bestand eines solchen Gesetzes, und es unterliegt keinem
Zweifel, dass dieses auch für den Mensehen Geltung hat,
und zwar hält unser Forscher den schlimmen Eintluss der
Blutsverwandten-Ehen bei den Wilden, die oft einen sehr
harten Kampf ums Dasein zu fechten haben, für weit
bedeutender als bei der Culturmenschheit. Auch „sind
bisher noch keine wissenschaftlich stichhaltigen Beweise
gegen die Anschauung vorgebracht worden, dass Wechsel-
heirathen Blutverwandter die Gattung mein- oder minder
schädigen. Durch natürliche Auslese muss sich ein In-
stinct entwickelt haben, der zumeist mächtig genug ist,
um schädliche Verbindungen zu verhindern." Dieser Trieb
hat die Form einer Abneigung gegen das Sichvermählen
mit Personen angenonmien, mit denen man aufgewachsen
ist, und da dies gewöhnlich Blutsverwandte sind, ergiebt
sich das Ueberleben des (Geeignetsten.
Hinsichtlich des Einflusses der Zuneigung, der Sym-
pathie und der Berechnung auf die gi^schlechtliche Zucht-
wahl findet Westermarck, dass die Liebe sich nur langsam
zu dem verfeinerten Gefüld herausgebildet hat, als welciies
sie in der modernen Culturwelt eine so grosse Rolle spielt.
Innnerhin ist auch den wildesten Stämmen die eheliche
Zuneigung durchaus nicht unlickannt. Die endogamischen
Ehevorschriften, welche gewissen Viilkern, Kasten, Klassen
und Religionsbekennern die Weehselheirath mit anderen
Völkern etc. verbieten, rühren von gegenseitiger Abneigung
her und verlieren innner mehr an Boden, weil die
Nächstenliebe, die Duldung und die Civilisation inmier
Nr. 32.
NaturwissensclKiftliclic VVoeheiisclirift.
333
mehr ziinelinieii und die Zahl der trenuenden Schranken
stetig- verringern.
Was die Art der Elieschliessnng hetrifl't, so darf aus
dem allgemeinen Abscheu vor der BlutscliaMdc und aus der
Schwierigkeit des AVilden, sich in gütlicher Weise ein Weib
zu verschallen, ohne den Vater für den Verlust der Tochter
zu entschädigen, geschlossen werden, dass zu eiuer Zeit,
da die Menschen infolge der Herausbildung eines grösseren
Geselligkeitssinnes in Fannlieiigruppen zu leben begannen,
aber den Tauschhandel noch nicht kannten, die Ver-
heiratlnnig im Wege des Weiberraubes etwas Alltägliches
gewesen sein nuiss. Mit dein Auftreten des Tauschhandels
wich die Kaubehe der Kaufehe; später wurde auch diese
aufgegeben, weil man es für unehrenhaft zu halten be-
gann, die Töchter an (Jatten zu verkaufen. Das all-
mälige Aufhören des Wi'iberkaufs vollzog sieh in zweierlei
Weise: theils verwandelte sich der Kauf in eine blosse
Förndichkeit, in ein Scheingeschäft oder in einen Aus-
tausch von Geschenken, theils machte man aus der Kauf-
summe die Morgengabe und die Mitgift, — die erstere
erhält die Braut von dem Bräutigam, die letztere vom
Vater. Diese Umgestaltungen haben nicht nur bei den
grossen Culturnationen, sondern auch bei mehreren wilden
und halbbarl)arisehen Völkern stattgefunden. Im AU
gemeinen jedoch spielt bei den Wilden die Mitgift keine
erhebliehe R<dle-, sie beruht mehr auf einem, sonst ein
Merkmal höherer Civilisation l)ildenden Gefühl der Aclitung
und Sympathie für das schwäcliere Geschlecht. Oft dient
die Mitgift nur zur Sichei-ung des Daseins tler Gattin für
den Fall der Scheidung oder für denjenigen des Todes
des Gatten, oft auch als Beitrag zu den Kosten des ge-
meinsamen Haushaltes.
Nach eingehender Darlegung der Entstehung der
kirchlichen und bürgerlichen Hochzeitsceremonien be-
selireibt der tinnische (ielehrte die verschiedenen Formen
der menschlichen Ehe. Die Vielweil)erei war im ge-
schichtlichen Alterthum bei den meisten Völkern gestattet
und ist es gegi'uwärtig l)ei mehreren Culturnationen sowie
den meisten wilden Stännnen. Immerhin giebt es noch
recht viele wilde und barbarische Völkerschaften, bei
denen sie entweder verboten oder unbekannt ist. Wo
immer sie besteht, bleibt sie auf eine kleine Minderheit
beschränkt, auch erleidet sie fast überall zweierlei
Aenderungen, welche auf Monogamie abzielen: die eine
durch die dem zuerst angetrauten Weibe eingeräumte
Vorzugsstellung, die andere durch die Begünstigung der
gelicbtesten unter den Gattinnen, der Favoritin. Manche
Stännue kennen die Vielmännerei, aber auch diese er-
scheint abgeschwächt, indem der erste Gatte gewöhnlich
bevorrechtet ist. Unter den Ursachen, welche die Form
der Ehe beeinflussen, fällt die Hauptrolle dem zitfer-
mässigen Verbältniss der Geschlechter in der Bevölkerung
zu. In manchen Ländern überwiegt die Zahl der Männer,
in anderen die der Weiber. Diese Ungleichheit rührt
von Kriegen, vom Töchtermord, von ungleichen Geburts-
zirt'cin und anderen Gründen her. Gewisse Thatsachen
scheinen anzudeuten, dass in unwirthlichen Gebirgs-
gegenden mehr Knaben geboren werden und dass in
Ehen Blutsverwandter sogar ein ganz ansehnlicher Uebcr-
schuss männlicher Geburten obwaltet. Ist dem wirklich
so, dann dürfte es schwerlich ein blosser Zufall sein, dass
die Vielmännerei hauptsächlich gerade unter Bergvölkern
uiul bei hochgradig endogandschen (der Verwandtschaften-
elie fröhnenden) Stänmien herrseht. Was die Vielweiberei
anbelangt, so giebt es verschiedene Gründe, aus denen
ein Blann wünschen mag, mehr als ein Weib zu besitzen.
Erstens nuiss sich der Mann bei vielen Völkerschaften
des Verkehrs mit schwangeren und säugenden Gattinnen
enthalten. Zweitens werden bei den Wilden die Frauen
gewöhnlich frühzeitig alt und verlieren so ihre Anziehungs-
kraft für die Männer. Drittens lieben viele Männer die
Abwechselung. Viertens sind für manchen Maiui zaid-
reiche Weiber gleichbedeutend mit zahlreichen Ar-
beiterinnen. Fünftens führt nicht selten die ünfruehtliar-
keit des ersten Weibes zur Wahl eines zweiten, namentlich
dort, wo auf Nachkonnnenschaft grosses Gewicht gelegt
wird. In China gilt der Besitz von Kindern für un-
erlässlich und bei verschiedenen wilden Stännnen richtet
sich Macht und Reichthum jedes Mannes nach der Anzahl
seiner Spröisslinge. Obgleich also die Vielweiberei dem
Manne unter Umständen Vortheile bieten kann, ist sie
dennoch bei vielen Völkern verboten und bildet auch bei
den meisten übrigen keineswegs die Regel. Wo das
(lel)iet der Frauenarbeit beschränkt und kein ange-
sammeltes Vermögen vorhanden ist, muss es dem Manne
schwer fallen, der Vielweiberei zu huldigen. Wo aber
die weibliche Arbeit einen hohen Wertli besitzt, bildet
hinwiederum die Höhe der Kaufsumme ein Ilindcrniss,
das nur der Wohlhabende überwinden kann.
Da die Vielweilierei eine Verletzung der (Gefühle der
Frauen in sich schliesst, gilt dort, wo die letzteren in
hoher x\chtung stehen, die Monogande für die einzige er-
laubte Eheform. Die verfeinerte Liebe der Culturwelt
hängt nicht nur mit äusserlichen Reizen, sondern anch
mit Sympathien geistiger und seclisciier Natur zusanunen ;
sie knüpft lebenslängliche Bande und die ausschliessliche
Leidenschaft für eine Person bildet den wahren mono-
gannschen Trieb, der der Vielweiberei mächtig ent-
gegensteht. Es ist ausgemacht, dass auf den niedrigsten
Culturstufen (auf denen das Zahlenverhältniss der Ge-
schlechter nicht sonderlich durch Kriege gestört wird,
man das Leben hauptsächlich durch die Jagd fristet,
die weibliche Arbeit folglich einen geringen Werth bat
und man weder Reichthümer anhäuft, noch Klassen-
nnterschiede kennt) die Vielweiberei minder im Sehwange
zu sein pflegt als auf den nnttleren, und aller Wahr-
scheinlichkeit nach herrschte beim Urmenschen fast aus-
schliesslich die Monoganne vor. Das nnttlere (ie-
sittungsstadium ist zwar der Vielweiberei günstig, aber
das h(ihere gehört unbedingt und nothwendigerweise dem
Gegentheil, denn aus vielen Gründen, welche Wester-
marck eingehend behandelt, hat die Polygynie für den
Culturmenschen weniger Verlockendes als für den Wilden
oder den Barbaren. Auch die Polyandrie muss zu allen
Zeiten eine Ausnahme gewesen sein, denn sie setzt ein
Ueberwiegen der männlichen (ieburten und zugleich einen
fast widernatrn-lichen Mangel an Eifersucht voraus. Weit
entfernt, als in der Urzeit allgemein herrschend glaubhaft
nachgewiesen zu sein, scheint die Vielmännerei geradezu
eingewisses Maass von Gesittung zu erheischen. In den
meisten Fällen war sie vernnitldich ein .\usdruck brüder-
lichen Wohlwollens des ältesten Bruders und führte, falls
nachträglich noch weitere Weiber genonmien wurden, zur
Gruppen-Ehe nach dem Muster der Todas. (Eine Toda-
frau wird allmählich die Gattin sämmtlicher erwachsenen
Brüder ihres Mannes und gleichzeitig werden diese die
Gatten aller manidiaren Schwestern der Frau.)
Die Lebenslänglichkeit der Ehe ist durchaus nicht
ganz allgemein. Bei den meisten uncivilisirten und vielen
vorgeschrittenen Völkern darf der Mann der Gattin jeiler-
zeit nach Belieben den Abschied geben. Bei sehr vielen
anderen jedoch — auch solchen, die auf der niedrigsten
Stufe stehen — bildet die vSeheidung den Ausnahmefall.
Zahlreiche Nationen betrachteten und betrachten die Ehe
als eine Verbindung, die der Jlann nur in bestinnnten,
vom Gesetz oder Gewohnheitsrecht vorgesehenen Fällen
lösen darf. Es kommt auch vor, dass dem Weib ge-
stattet ist, dem Gatten den Laufpass zu geben. Die die
334
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 32.
Dauer des Ehehundes bestiniiuendeu Ursachen sind zwar
nicht ganz, al)er docli so ziemlich mit den die Form der
Ehe beeinflussenden identisch. Während die Monogamie
sehr oft eine lange Ehedauer mit sich bringt, war dem
beim Urmenschen doch niclit so. Im allgemeinen lässt
sich sagen, dass die Dauer der Ehe mit der Vervoll-
komnuiung des Menschengeschlechts stetig zunimmt.
Wir schliessen unsere knappe Analyse des Wester-
niarck'schen Meisterwerks, das in seinem Spezialfache
zum „Staudard work" berufen ist, mit der folgenden Be-
merkung des Verfassers :
„Die Ehe hat verschiedenerlei Entwickelungsgänge
durchgemacht, die nicht gleichmässig verlaufen sind.
Schliesslich hat diese Entvviekelung zur Erweiterung der
Rechte der Gattin geführt. Die letztere ist nicht mehr
Eigenthum des Gatten und nach der modernen Auffassung
bildet die Ehe einen auf vollkonnnener Gleichberechtigung
beider Theile beruhenden Vertrag. Die Geschichte der
menschlicdicn Ehe ist die Geschichte einer Verbindung, in
welelier die l'^rauen allmählich den Sieg davongetragen
haben über die Leidenschaften, die Vorurtheile und die
Selbstsucht der Männer." Leopold Katscher.
Zu Liebi-eicli's Aeusseniiig über deu Werth der
Cholerabacterieii - Uiitersuchiiiig (vergl. die vorige
Nummer der „Naturw. Wochenschr."), die einen Vortrag
in der Jlerliner nicdicinischen Gesellschaft bildete, liaben
in der Diskussion zu dcrsell>en verschiedene Mediciner
das Wort ergrift'eu (vergl. .,Berliuer Klin. Wochenschr."
No. 30).
B rieger sagte u. a.: Herr Liebreich hat mich der
Ehre gewürdigt, mich als denjenigen zu bezeichnen, der
den Namen „Choleraroth" erfunden hätte. Auf die Be-
zeichnung lege ich gar keinen Werth. Ich habe zuerst
das Choleraroth isolirt und als ein Indolderivat erkannt,
sowie die Meinung ausgesprochen, dass dessen frühzeitige
Bildung für die Cholera charakteristisch ist. Wenn nun
Herr Liebreich sich hier gegenüber den bacteriologischen
Methoden, denen er Mangel an Exactheit vorwirft, in
seiner Eigenschaft als exaeter Chemiker brüstet, so hätte
er wenigstens für die chemisclicn Vorgänge bei der
Cholera, soweit sie bekannt sind, ein besseres Verständuiss
zeigen müssen. Ich habe das Indol aus dem Choleraroth
direet durch Zinnstaub abgespalten und konnte dadurch
beweisen, dass das Choleraroth ein Abkiinnnliag des
Indols ist. Wenn Herr Liebreich nun meint, dass das
Cholcraroth von Alters her bekannt ist, so muss ich
doch Herrn Liebreich dahin belehren, dass hier ganz ver-
schiedene Dinge vorliegen. Herr Virchow, der nach
Herrn Liebreich angeblich die Cholerareaction zuerst
anwandte, hat mit Salj)etersäure gearbeitet, ebenso wie
schon lange vorher Tiedemann und Gnielin durch Sal-
petersäure in Kothextracten eine rothe Färbung hervor-
riefen. Nun ist es eine bekannte Thatsache, dass Sal-
petersäure mit Extracten aus faulen Eiweissstoffen eine
röthliche Färbung giebt. Die Cholerarothreactiou beruht
aber auf Anwendung von concentrirter Schwefelsäure und
gerade die Salpetersäure ist dabei zu vermeiden. Die
Rothfärbung mit Salpetersäure bat also nnt der Cholera-
rothreaction nichts zu scharten. Das genügt wohl, um
die an meine Adresse gerichtete persönliche Bemerkung
auf ihren richtigen Werth zurückzuführen.
B. Frank el: Ich möchte bemerken, dass die ver-
schiedenen Untersuchungsniethoden, die Herr Liebreich
kritisirt hat, nicht den Zweck haben, eine Krankheit zu
diagnosticiren, sondern nur den, einen Bacillus, der unter
dem Mikroskop eine ganz bestimmte Gestalt hat, von
anderen, ähnlichen Bacillen zu trennen. Es ist selbst-
verständlich, dass man während dieser ganzen Unter-
suchungsmethoden immer wieder das Mikroskop zu Hülfe
nehmen muss. Alle diese Methoden iiaben doch nur den
Zweck, den Kommabacillus in Reinkultur von anderen
ähnlich aussehenden Bacillen zu unterscheiden, und soviel
ich mich damit beschäftigt habe — es ist ja nicht viel,
sondern immer nur mit dem Bacillus, der im Speichel
vorkonuut und ähnliche Gestalt hat — kann ich aussagen,
dass dieser Bacillus nicht die Kennzeichen darbietet,
welche der Cholerabacillus bei der Züchtung aufweist.
Litthauer: Es steht zweifellos fest, dass die echte
asiatische Cholera durch die klinische Analyse der
Einzelfälle häufig nicht entdeckt worden ist. Kaum in
einer einzigen Epidemie in der ganzen Reihe der Epi-
demien, die in Europa oder sonst wo vorgekommen sind,
ist die Cholera festgestellt worden, bevor dieselbe eine
bedeutende Verbreitung gefunden und der Tod reiche
Ernte gehalten hatte. Mit Hülfe der bacteriologischen
Untersuchung dagegen konnten schon vor mehreren Jahren
in Breslau und Wien und im vorigen Jahre in sehr vielen
Ortschaften die Einzelfälle richtig erkannt und unschäd-
lich gemacht werden. Diese frühzeitige Feststellung der
Cholera muss ich als einen bedeutsamen Fortschritt an-
sehen, und diesen verdanken wir der bactcriologischeu
Untersuchung der Darmentleerungen und der mit dieser
verunreinigten Wäschestücke und anderen Gegenständen.
Wenn die bisherigen Reagentien und Methoden nicht
diejenige Exactheit angenonnnen haben sollten, die man
wünschen möchte, wie Herr Liebreich vorgeführt hat,
so kann daraus in keiner Weise ein Vorwurf gefolgert
werden. Es liegt eben in der Natur aller organisirten
Gebilde, dass sie nicht eine derartig exacte Reaction
zeigen wie die physikalischen und chemischen Vor-
gänge und Substracte. Gewiss dürfen die klinischen
Symptome nicht vernachlässigt werden; die Diagnose
muss eben nach meinem Dafürhalten — und Koch und
seine .\nhänger werden dies sicherlich nicht bestreiten —
aus dem Verein der klinisciien Symptome mit denjenigen
Thatsachen, die durch die bacteriiilogische Forschung
festgestellt werden, hervorgehen. Klinische Analyse und
bacteriologischc Forschung müssen sich gegenseitig er-
gänzen. Die durch die Bacteriologie festgestellten That-
sachen haben auch treft'liche Handhaben geliefert für
]\Iaassnahmen in prophylaktischer Beziehung.
Ich will hier nur auf eine Frage, die Trinkwasser-
frage und die Bedeutung des Trinkwassers in Cholera-
zeiten recurriren. Wir waren alle gewohnt, dem Trink-
wasser eine sehr grosse Bedeutung bei der Verbreitung
der Cholera zuzuerkennen, ganz besonders, wenn es sich
um ein explosionsartiges Auftreten der Cholera handelte.
Sobald mau sich aber an die Untersuchung und die
Feststellung der Thatsachen heranwagte, haben wir bis
zu Koch's Auftreten immer Schift'brueh gelitten.
Eine gewisse Berühmtheit erlangte die Cholera-
epidemie in London, die in jenen Stattheilen heftiger auf-
trat, in welchen die die Wasserleitung speisenden Fluss-
gebiete durch Dejectionen Cholerakrankcr verunreinigt
waren. Allein die Thatsachen lagen so, dass die Ver-
bindung derselben im Sinne der Trinkwassertheorie zwar
möglich war, aber immerhin nur dadurch, dass die
Lücken, wie sich Virchow ausdrückt, durch eine wohl-
wollende Kritik ausgefüllt wurden. Virchow hat 1866
eine ganze Reihe von Untersuchungen vorgenommen, um
festzustellen, welchen Antheil scheinbar inticirtes Wasser
au der ^'erbreituug der Cholera hat. Die statistischen
Nr. 32.
Natuvwissen.spliaftliche WochenschvüY.
335
Uiitersuclninj^eii lial)en nicht zu einem sieheren Ergebnis«
gctulirt. Nach der Epidemie im Jahre 1873 hat vor-
zug'swei.se J'istor in einer ganzen Reihe von Ortsciiaften
üntersnclnnigen angestellt, nm festzustellen, nli die Ort-
schalten, welche gutes Leitungswasser lialien, mehr oder
weniger iVei gelilieheii sind, und unigeUidirt, oh solche
(Jrtsciiat'ten, welche durch Brunnenwasser gesjjcist werden,
besonders lieimgcsuclit werden. Niemals ist dies gelungen.
Teil liahe mieli ebenfalls bemüht, festzustellen, (dt das
Verbreitungsgebiet der Cholera sieh ndt dem zugelnirigen
,/J'rinkwnsscrfelde" deckte. Ich i)in ebenfalls zu keinem
annähernd beweiskräftigen Ergebniss gelangt.
Dagegen ist jetzt wohl das Eine festgestellt worden,
dass das Trinkwasser bei der Eitidcniie einen sehr be-
deutsamen Antheil an der Verbreitung der Cholera hatte.
Ich mag nicht auf die ganze Reihe von Beweisgründen,
welche Koch angeführt hat, eingehen, aber die eine
Thatsache dürt'te wohl nicht angezweifelt werden, dass
die Wasserverbreitung oder die Sj)eisung der Häuser
durch die Altonaer oder Ilandiurger Ijcitung sieh mit
dem Freibleiheu der betreffenden Häuser von der Cholera,
bezw. mit der Verbreitung der Cholera deckte, und dass
das Freibleiben, bezw. Befallensein der Häuser an den
nrenzgebicten Altona- Hamburg exaeter die Zugehörigkeit
der betreffenden Häuser zu Altona oder Hamburg bewiesen
hat als jedes andere Kennzeichen.
Es sei noch gestattet, den einen Punkt zu erwähnen,
dass eine plötzliche Zunahme des Wassers an Mikro-
organismen, mit der keineswegs immer eine Zunahme der
Mengen der ein verdächtiges Wasser anzeigenden chemi-
schen Bestandtheile i)arallel zu gehen braucht, darauf
hinweist, dass die Filterwerke oder die einen ]>runnen
umgebenden Erdschichten nicht him-cichend keimfangend
wirken.
Ich bin daher der Ansicht, dass man doch nicht so
mit einer gewissen Leichtigkeit über den Wertli der
bacteriologischen Forschung hinweggehen kann, ich glaube
vielmehr, dass man der baetericdogischen Forschung nicht
bloss in Bezug auf die Darlegung der Aetiologie, sondern
auch in Bezug auf die prophylaktischen Maassnahmen
eine grosse Bedeutung zuerkennen mnss. ^Vir treten der
Cholera nicht mehr, wenn auch noch S(dn- viele Punkte
ihrer L('isung harren, entgegen, wie ein Wanderer, der,
um mit V. Peftcnkofer zu sprechen, ein unbekanntes Ziel
mit verbundenen Augen zu erreichen sucht. Die Proi)hy-
laxis der Cholera darf nicht auf dem Cholerabacillus
balanciren, sie muss auch heute, wie Herr Liebieich
richtig hervorgehoben hat, in der allgemeinen Assanirung
der ( »rtschaften ihre Hauptstütze haben.
Als richtig anerkennen muss ich ferner in den Aus-
führungen des Herrn Liebreich, dass das Verhalten der
Menschen von bedeutendem Einfluss auf die Vcrl)reitung
der Cholera ist. Es gehören eben zur Entstehung der
Cholera, wie Herr Liebreich richtig ausgeführt hat, zwei
Dinge.
1. Die Ursache, 2. das Individuum, auf welches die
Ursache einwirkt.
Ich stehe ganz auf dem Standpunkt, dass die Be-
schaffenheit der Zellen, der aus der Fusion der Zellen
sich entwickelnden Gewebe, der aus der, wie nnin sagt,
organischen Verbindung der Gewebe entstehenden Organe
und des Gesammtorganismus für die Einwirkung der I5a-
cilleu maassgebend ist. Das, was wir früher Disposition,
Anlage zu Krankheiten nannten, ist keineswegs durch die
bacteriologische Forschung aus der Welt geschafft.
Nach dieser Richtung hin stehe ich ganz aul' dem
Standpunkte des Herrn Liebreich. Andererseits aber
dürfen wir auf die Bekämpfung der Disposition zu Krank-
heiten, welche durch Mikroorganismen erzeugt werden,
nicht den ausschliesslichen Werth legen, wir müssen viel-
mehr der Krankheitsursache selbst entgegen zu treten
suchen und der bacteriologischen Forschung dankbar sein,
uns hierzu die Wege geebnet zu halten.
Lassar erinnert daran, dass die Entdeckung der
Scabics-Miliien doch wohl älteren Datums sei, als die
Anwendung des peruanischen Balsams.
Das Schlusswort Liebreich 's lautete: Herrn Lassar
nnichte ich erwidern, dass die Einfidn-ung des peruanischen
Balsnnnnittcls von Bosch, einem praktischen Arzt, zuerst
empfohlen wurde. Die Verötfentlichuug erfolgte in einer
kleinen Broschüre. Ich möchte noch erwähnen, dass die
Bacteriologie in Bezug auf die Krätzmilbe ein Beisiiiei
dafür bietet, wie sehr die Epizoen selbst abhängig von
dem Gesundheitszustande des Kiirpers sind. Wenn nmn
v<m kranken Hammeln die Krätzmiliien ninmit und auf
sehr gut genährte und gepflegte Thiere setzt, so gidien
die Milben nicht an. Das ist auch ein Beispiel, dass der
Zustand des Thierkörpers schliesslich das Entschei-
dende ist.
Betreffs des Herrn Litthauer freut es mich, dass ich
wenigstens von einer Seite Anerkennung finde. Er hat
mich aber missverstanden, wenn er ndeh für einen Gegner
der bacteriologischen Untersuchung hält. Im (iegcntheil, die
bacteriologischen Forsehuugeu finde ich sehr schön und
wende sie selber an, aber man soll nur nicht aus den
Resultaten, die gewonnen sind, voreilige Schlüsse ziehen.
Dagegen kämpfe ich an. Was man findet, soll man
natnrwissensehafflich nüchtern beurtheilen und nicht bei
therapeutischen Maassnahmen sich auf falsche und un-
besonnene Sehlussfolgerungen stützen. Sonst ganz sattel-
feste Kliniker sind aus diesem Grunde nut ihren Theorien
zu Falle gekommen. Was die Wassernntersuchung an-
betrifft, führt mein Standpunkt zu denselben Maassnahmen,
wie es die Bacicriologen wünschen und es bereits früher
geschehen ist. Die Baeteriologen unterscheiden sich nur
von der früheren Schule in Bezug auf Dcsinfcction da-
durch, dass sie glauben, es sei möglich, für jede Krank-
heitsursache eine specitische Dcsinfcction anwenden zu
können. Dies kann zu unnützen Kosten, ohne dass der
richtige Effect erfcicht wird, führen. Man weiss auch
nicht, woran man ist. Nach diesem Principe zu ver-
fahren ist nnuKiglich, da die widersprechendsten Vor-
schläge die Anordnungen durchkreuzen würden — Wasser-
untersuchuugen sind nichts Neues, nichts, was durch die
Cholerauntersuchungen erst gemacht ist.
In Bezug auf die Wasscruntersiichung ist durch die
Entdeckung der Cholerabacterien keine neue Direetive
gegeben worden. Dass faule Stoffe enthaltendes Wasser
zu verwerfen ist, wissen wir schon lange und Cholera-
bacterien sind bisher in keinem Leitungswasser nach-
gewiesen worden. Im Ilandjurger Leitungswasser hat
man alle erdenkbaren Verunreinigungen gefunden, aber
keine Cholerabactciien. Für die ganze Auffassung der
Cholerafrage ist von Bedeutung, dass noch nie das
Cholerabacterium gefunden ist und die Cholera nachher
ausgebrochen ist. Wo die Cholera schon constatirt war,
da sind sie dann später aufgefunden worden. In Duis-
burg hat man ihn im Wasser gefunden, wo der Zusannnen-
hang mit schon bestehender Clndera ersichtlich war; aber
glauben Sic doch nicht, dass dort nun durch die jtaar
Eimer Desinfectionssttdf- Flüssigkeit oder durch andere
Anordnungen die (Jlndera unterdrückt worden ist. Die
Nietlebener Acten sind leider nicht veröffentlicht.
336
Naturwissenschaftliche Woclieuschi-ift.
Nr. 32.
Die im Wa.sser lebeiuleii Schmetterliiigsranpeu
stehen so vereinzelt unter ilnen Ordnuni;si;euossen da und
zeigen infolge ihrer absonderlichen Lebensweise so merk-
würdige Anpassungen, dass jede Nachricht über ihre
Lebensweise mit Freude zu l)egTüssen ist. Wir ver-
weisen betretfs der bei uns vorkommenden Zünslerarten
aus den Gattungen Hydrocampa, Parap(ni\'x und Cata-
clysta auf L. Öorhagen, die Kleinschnictterlinge der Mark
Brandenburg, sowie auf E. Schmidt's vortretf liehe .Schilde-
rungen des Insectenlebcns im süssen Wasser in ( ). Zaclia-
rias, die Thier- und PÜanzenwelt des Süsswassers, 2. B.,
S. 51. Neuerdings hat die Lebensweise zweier einhei-
mischen sowie einiger brasilianischen „Wasserraupen"
G. W. Müller näher untersucht. (Zool. Jahrb., Abth. f.
Syst. etc., 6. B., 5. H., Jena 1892, ,S. 617.) Das Gehäuse,
das Hydrocampa nymphaeata L. aus Blattstücken von
Potamogeton baut, hat bereits Reaumur beschrieben.
Müller fand, dass ihre flachgedrückten Eier zu 40 — 100
au der Unterseite der Futterpflanzenblätter (Nuphar,
Nymphaea, Potamogeton natans, Sparganium ramosum
u. e. a.) sitzen. Die 1 ,8 mm langen Räupchen bohren sich in
das Mesophyll ein und sind hier von Wasser umgeben.
Ihre Stigmen sind wenig markirt, die Stigmeuäste ver-
klebt. Es findet also auf dieser Entwickelungsstufe keine
Luftathmung, sondern ein der Tracheenkiemcnathmung
physiologisch gleichwerthiger Vorgang statt, der eine
Hautathmung darstellt. Später erst beisst das Thier Blatt-
stüeke (anfangs kleinere, dann grössere) aus, heftet sie
mit Fäden an die Unterseite der Blätter und frisst von
diesem Gehäuse aus in das Blatt hinein. Diese Lebens-
weise dauert bis Ende September oder Anfang Oetober.
Es folgt eine Winterruhe auf dem Boden der Gewässer,
während der die Stigmenäste geschlossen bleiben. Noch
im Afjril fand Müller Thiere im Herbstgehäuse. Erst im
Mai oder Juni, nach zweimaliger Häutung, bauten die
Raupen die schon von Reaunuir beschriebenen Gehäuse
aus ovalen Potamogetonl)lattstüekeu und wanderten mit
ihnen umher. Jetzt waren sie, wie es auch schon Reaumur
angegeben hat, von Luft umgeben und hatten offene Stigmen.
Die Haut, die früher flache Warzen trug, ist jezt mit ko-
nischen Höckern und dazwischen liegenden längeren Er-
höhungen bedeckt, sodass das Wasser nicht adhäriren
kann. Es findet also während der Larvenzeit ein Func-
tionswechsel der Haut statt, und es sind die Wärzchen
der ersten Periode als Rudimente der durch die Anpassung
an das Wasserleben rückgebildeten Erhöhungen anzusehen.
Während der Puppeuzeit, die in einem luftgefüllten, mit
weissem Gespinnst ausgekleideten, an der Unterseite von
Blättern angehefteten Gehäuse verlebt wird, athmet die
Puppe mit drei Paar stark entwickelten Stigmen. Es
findet während dieser Periode ein Gasaustausch mit der
Pflanze, au der die Puppe sitzt, statt. Bei Cataclysta
lemnata L., die ähnlich wie die beschriebene Hj'drocampa
lebt, konnte Müller die Häutung beobachten, die die
beiden Larvenperiodeu trennt. Sie erfolgt in dem mit
Luft gefüllten Gehäuse. Doch konnte auf keine Weise
beobachtet werden, wie die Raupen das Wasser aus
diesem Gehäuse entfernen. Schliesslich lehrt uns Müller
einige brasilianische Wasserraupen kennen. Die Eier
zweier Cataclystaarten finden sich in 7(X) — 800 Stück ent-
haltenden Pflastern zwischen Podostomeenstengeln. Da
diese Pflanzen in heftigen Stromschnellen wuchsen, so ist
die Ablage der regelmässif.
an einander gereihten Eier
unter Wasser für den Schmetterling eine beaehtenswerthe
Leistung. Den Paraponyxarten, von denen eine (stratio-
tata L.) an unserer Wasseraloe, eine andere (oryzalis Wood-
Mason) am Reis lebt, fügt Verf. eine neue an. Während
die Larve von P. stratiotata sich ein loses Gehäuse webt,
lebt die von P. oryzalis frei. Bei beiden spinnt sich das
Thier zur Puppenruhe in Stücke der Futterpflanze ein.
Die von Müller bei Blumenau beobachtete Art lel>te in
flachen Gräben und Pfützen an einem Gras. Sic baut
ausserhalb des Wasers ein Gehäu-ie aus einer Bl attspitze
und ninnat diese Wohnung, die zugleich Sauerstott' ent-
hält, unter Wasser. Häufig wird ein neues Gehäuse ge-
fertigt. Die Larve lebt an sonnigen Stellen und streckt
in der Nacht den Körper aus dem Futteral heraus, um
mit ihm im ^V^nsscr hin und her zu schlagen. Beide
EigeuthüiLdichkeiten haben den Zweck, die zur Athmung
nöthige frisclie Luft bczw. den Sauerstoft' zu gewinnen.
Alle Paraponyxraupen haben Trachccnkiemcn. Das
Puppcugehäuse der brasilianischen Paraponyx wird an
der Wasseroberfläche, bakl ül)er, bald unter dem Wasser,
angelegt. C. Matzdorfl'.
Wie lialten unsere Raubvögel <lie Fänge im
Fliegen J — Diese Frage sucht Ewald Ziemer in den
Ornithologischen Monatsberichten (herausg. von Dr. Ant.
Reichenow) zu beantworten.
Nach der allgemein verbreiteten Ansieht, sagt Z., ziehen
die Raubvögel im Fluge ihre Fänge zusammengebogen unter
den Leib, sowie z. J5. die Singvögel, strecken sie alter
nicht gerade nach hinten weg unter dem Stoss aus, wie
es z. 13. die Störche, Reiher, Schnepfen u. s. w. thun.
Worauf sich diese Ansicht eigentlich gründet, ist mir un-
bekannt, ich weiss nur, dass ich für dieselbe weiter keinen
Grund finden konnte, als den, dass ich sie stets so abge-
bildet gesehen hatte. Uebrigens hatte ich mir diese Frage
noch nie gestellt, also auch nie meine Aufmerksamkeit
auf die Haltung der Fänge gerichtet. Dies geschah erst,
als ich im Jouru. für Ornithologie, 1889 S. 341 gelesen
hatte, dass nach sehr vielen genauen Beobachtungen
Herrn H Hartert's die beiden indischen Raubvögel Milvus
govinda imd Haliastur indus ihre Fänge stets gerade
nach hinten weg unter dem >Stoss ausstrecken, sie aber
nicht im Fersengelenk gebogen und unter den Leib ge-
zogen halten.
Von da an bemühte ich mich, zu ermitteln, ob unsere
einheimischen Raubvögel ihre Fänge im Fliegen ebenso
halten, wie die beiden genannten indischen Arten, oder
ob sie dieselben unter den Leib ziehen, wie ich bisher
geglaubt hatte und wie es allgemein angenommen wurde.
Aber alle meine Bemühungen waren so ganz ohne jeg-
lichen Erfolg, dass ich sie nach längerer Zeit aufgab und
schliesslich die Frage überhaupt ganz vergass.
In letzter Zeit gelangen mir jedoch an drei einhei-
mischen Raubvogelarten einige ganz sichere Beobachtungen,
die ich nachstehend mittheilen will.
Am 1.5. Mai a. c. richtete ich mein Glas ohne be-
stimmte Absicht auf einen F. tinnunculus, der in geringer
Entfernung von mir von einem ganz niedrigen Busch ab-
strich. Seine laug herabhängenden Fänge brachten mir
diese Frage wieder in Erinnerung, so dass ich den Vogel
scharf beobachtete, gespannt zu erfahren, wo er seine
Fänge lassen würde. In ganz laugsamem Fluge, immer
mit lang herabhängenden Fängen, stieg er in schräger
Richtung gegen den scharfen Westwind an, bis er in
einer Höhe von etwa 10 m angelangt war. Dann klappte
er die gerade ausgestreckten Fänge nach hinten in die
Höhe und ging in wagerechten Flug über. So lange ich
ihn genau sehen konnte, hielt er die Fänge ganz still
nach hinten ausgestreckt und als er nach einiger Zeit
wieder in geringer Entfernung an mir vorüber strich, hielt
er sie noch ebenso.
Am 29. Mai beobachtete ich längere Zeit hindurch
einen Buteo buteo. Der Vogel war nur etwa 200 m ent-
fernt, ungewöhnlich dunkel, fast schwarz, so dass sich
Nr. 32.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
337
die gelben Fänge ihrer ganzen Länge nach ganz be-
sonders scharf abholten, und obenein waren Beleuchtung
und Stellung sehr günstig, so dass ich durcii mein Doppel-
glas die geringsten Einzelheiten erkennen konnte. Auch
dieser Bussard hielt die Fänge gerade nach hinten weg
ausgestreckt, nicht aber unter den Leib gezogen, und
ausserdem benutzte er sie aucli noch recht fleissig zum
Halanciren.
Am 4. Juni lagen wir — mein Bruder, mein Schwager
und ich ~ gegen Abend auf einem Hügel, vou welchem
aus wir ein gut Theil des Revieres übersehen konnten.
In der Nähe jagte ein Paar Baumfalken, F. subbuteo,
auf Insecten. Beide Vogel kamen mehrmals ganz nahe
an uns vorbei, ausserdem hatte ich meinen ständigen Be-
gleiter, mein Doppelglas, zur Hand. Beide Vdgel hielten
die Fänge gerade nach hinten hin ausgestreckt.
Das sind nun zwar erst vereinzelte Fälle, innuerhin
aber beweisen sie, dass die allgemein verbreitete Ansicht
zum mindesten so ganz allgemein nicht richtig ist. Auch
ist kaum anzunehmen, dass ich gerade lauter Ausnahme-
fälle sollte beobachtet haben.
eni neuer Fundort hier kurz mitgetheilt
Die AVasfsernuss, Trapa nataus L., konnut bekannt-
lich gegenwärtig in Westpreusscn nicht mehr leitend vor,
hingegen mehren sich die Anzeichen dafür, dass sie früher
hier weit verbreitet gewesen ist. Ueber das Vorhanden-
sein fossiler Früchte iu unseren Torflagern ist bereits
wiederholt in dieser Zeitschrift (VL Bd. S. 426. — VIL
Bd. S. 388) berichtet worden, und daher mag im weiteren
Verfolg auch
werden.
Bisher waren die Gelände bei Mirchau im Kreise
Karthaus, bei Lessen im Kreise C4raudenz und bei Jaco-
bau im Kreise Eosenberg die einzigen in unserer Provinz,
wo fossile Wassernüsse in grösserer Menge mir bekannt
geworden sind. Neuerdings habe ich ein neues Vor-
konnnen in einem Torfmoor beobachtet, welches unmittel-
bar südlich an EHcrbruch bei Waplitz im Kreise
Stuhm angrenzt und ca. 10 ha gross ist. Hier lagern die
Früchte in 1 bis 1,5 m Tiefe, zumeist schon im Leber-
torf, und erfüllen ganz eine Schicht, die sich unter einem
grossen Theil des Bruches erstreckt. Ueber die hier beob-
achteten Spielarten der Trapa natans L., sowie über
die Reste der sie begleitenden Pflanzen, wird eine aus-
führliche Mittheilung später folgen.
Dieser Fundort liegt etwa vier Meilen nördlich von
dem zuletzt genannten bei Jacobau, und es ist anzu-
nehmen, dass vornehmlich in dortiger Gegend künftighin
noch weitere Lagerstätten von Wassernüssen werden auf-
gedeckt werden. H. Convventz.
Receiite Steiiiiiüsse als vernieintliche FossiHeii. —
Angeregt durch eine ^Mitthcilung des Herrn Geh. Rath
Rud. Virchow in den Verhandlungen der Berliner Gesell-
schaft für Anthropologie (1893 S. 41), in der er den Kopf
eines neugeborenen, wahrscheinlich nicht ausgetragenen
Kindes beschreibt, der ihm mit der Angabe, dass der-
selbe aus der Steinkohle des Carbons stanmie, übergeben
worden war, will ich hier eine kleine Erfahrung mittheilen,
die ich im Verlauf der letzten Jahre während meiner Thätig-
keit als Pflanzenpalaeontologe an der Kgl. Preuss. Geo-
logischen Landesanstalt gemacht habe. Kein der recenten
Lebewelt angehöriges Object ist mir nämlich so oft und
aus Sit verschiedenen geologischen Horizonten als ver-
meintliches Pflanzenfossil in die Hände gekonnnen als
gewisse Palmensamen, die wegen ihres harten Endosperms
unter dem Namen Elfenbein- und Stein-„Nüssc" resp. vege-
tabilisches Elfenbein bekannt zu kleineren Objecten der
Drechslerkunst (wie namentlich Knöpfen) vielfach Ver-
wendung flnden und deshallt nach Europa massenhaft im-
portirt werden. Die dunkele Aussenseite dieser Objecto
und ihre Härte machten es begreiflich, dass der Laie
leicht zu der erwähnten Verwechselung kommen kann.
Die pflanzenpalaeontologisehe Abtheilung der genann-
ten Anstalt besitzt eine kleine Sammlung von (Jbjeeten,
welche a) Pflan/.enfossilien vortäuschen und b) von Nicht-
pflanzcnpalaeontologen als PHanzenfossilien angesehen und
der Sannnlung als solche zugestellt worden sind. Unter
diesen Jlaterialien fand ich mehrere Samen von Phyte-
le]dias (einheimisch im tropisciieii Amerika) vor, auf deren
Etiquette von der Hand des verstorbenen Prof. E. Weiss
vermerkt ist „angeblich in Braunkohle aus Böiimen ge-
funden". Seitdem sind mir von derselben Palmen-Art
zwei Samen aus Oberschlesien durch gütige Vermittelung
des Herrn Gcneraldirectors O. Junghann zugegangen mit
der Angabe, dass dieselben von Arbeitern bei Lublinitz-
Herby bei Schachtarbeitcn resp. Eisenbahnbauten aufge-
funden worden seien.
Dreimal wurden mir ausserdem von ganz verschie-
denen Seiten und Fundpunkten die charakteristischen,
apfelförmigcn, durch eine knollenförmige Raithewucherung
tief ausgehöhlten (daher auch der Name der Untergattung
Coeloeoccus Wendl.) Samen von Sagus amicarum Wendl.
von den Freundschaftsinscln als Fossilien zur Bestimmung
vorgelegt.
Zuerst angeblich aus Gaskohlen, die aus Australien
kamen und von der Gasanstalt Haag vergast werden, ge-
funden am Antwerpener Hafen. Zweitens ebenfalls an-
geblich aus dem Carbon (das Nähere ist mir entfallen)
ein Exemplar, das dem Kgl. Museum für Naturkunde in
Berlin zum Verkauf als „versteinerter Apfel" angeboten
worden war. Drittens endlieh durch Vermittelung des
Herrn Prof. Wahnschaffc ein Exemplar des Samens der
genannten Art angeblich aus dem Diluvium von ßixdorf
bei Berlin. Das Endosperm aller Exemplare sowohl von
Phytelephas als vou Sagus amicarum zeigte durchaus die
normale Beschaft'enhcit der recenten Samen, dasjenige
von Phytelephas war schnecweiss, das von Sagus ami-
carum hellgelb, und auch das Aeussere der Samen ent-
sprach ganz den Verhältnissen der in den Handel ge-
brachten, sodass auch iu dieser Beziehung an der Her-
kunft der Objecte ganz und gar nicht zu zweifeln ist.
H. Potonie.
Eine iiene, den höch.sten Anforderungen genügende
Conservirungsflüssigkeit für zoologische Präparate. —
Durch langjährige, mühsame Versuche ist es dem Präparator
am Naturläistorisclien Museum in Hamburg, Herrn Wiese,
gelungen, eine Flüssigkeit iicrzustellen, welche Farbe und
Biegsamkeit der darin aufbewahrten Olijectc zu erhalten
im Stande ist, sodass man vollkommen den Eindruck des
lebenden Thieres erhält. Diese Erfindung ist um so über-
raschender, da ja alle bisherigen Conservirungsmcthoden
dieses Ideal vergeblich angestrebt haben, und man sich
längst an die im Alkohol aufbewahrten farblosen (»bjecte
gewöhnt und damit eine ganz falsche Anschauung der
Thierwelt gewonnen hat. Schreiber dieser Zeilen hatte
Gelegenheit, eine grössere Serie von auf die Wiese'sche
Art eonservirter Thiere zu sehen und war von dem eigen-
artigen Anblicke auf das Inichste überrascht. Ein leuch-
tend rother Seestern in einer alkoholischen Flüssigkeit —
die neue Flüssigkeit besteht nämlich zum grossen Theile
aus Alkohol — ist fürwahr ein ganz merkwürdiger Anblick.
Weiter eine Ophiure mit zarten blauen und rosafarbenen
Tonen, mit noch völlig bcweghchen Armen seit Monaten
338
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 32.
in Alkohol, das ist ja nicht nur für den Zoologen ein herz-
erquickender Anblick. Alle bisherigen Versuche mit Ver-
tretern der verschiedenen Typen sind als unzweifelhaft
gelungen zu betrachten. Besonders schön sind die Fisch-
präparate. Die mannigfaltigen zarten Farbentöne des
Lippfisches, die feine Zeichnung der Flossen, der silberne
Glanz der Schuppen, ja die typische Haltung der Flossen,
alles erscheint in derselben Weise wie beim lebenden
Thiere. Dasselbe gilt von den Batrachiern, Eidechsen,
Myriapoden und Raupen. Alle genannten Objecto be-
finden sich genügend lange in der Flüssigkeit, die übrigens
in allen Staaten patentirt ist, um jeden Zweifel auszu-
schliessen. In Alkohol hätten sämmtliche Objecte bereits
seit langer Zeit Farbe und Beweglichkeit verloren und
wären längst in entstellender Weise eingeschrumpft, wie
es ja bekannterweise das Loos aller Alkoholpräparate ist.
Der Vortheil der neuen Conservirungsflüssigkeit für die
Zoologie, Anatomie, Physiologie, kurz alle biologischen
Wissenschaften und nicht in letzter Linie für die Museo-
logie ist schier unermesslich, falls sie sich, wie es den
Anschein hat, in allen Fällen bewähren sollte. Wie anders
würden sich die zoologischen Museen präsentiren, wenn
die ausgestellten Präparate ihre natürlichen Farben, ihre
volle Lebensfrische dem Beschauer darbieten! Um wie-
viel bequemer hat es der zoologische Sammler, wenn er
sich nicht mehr mit langen Schilderungen über die Farben-
verhältnisse seiner Objecte abzuquälen braucht, eine Auf-
gabe, die ohnehin in den meisten Fällen unmöglich, min-
destens aber sehr schwierig ist! Somit sei zum Schlüsse
den interessirten Kreisen der Gebrauch der Wiese'schen
Flüssigkeit auf das Angelegentlichste empfohlen. Ein
näherer Prospect des Erfinders steht jederzeit auf Anfrage
zu Diensten. Dr. K. Hagen.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: An der Universität München Professor
Dr. Herrn im n Tapp ein er, Vorsteher des Instituts für Arznei-
mittellehre, zum Ordinarius, — Dr. Leo Grae tz, Privatdocent
für Physik, zum ausserordentlichen Professor. — Der Landes-Ver-
messungs-Director und Privatdocent für Geodäsie und Meteorologie
an der Technischen Hochschule in Braunschweig Bernhard
Pattenhausen zum Professor an der Technischen Hochschule
in Dresden. — Der Docent für Pädiatrik und praktische Medicin
Dr. Hildehrandt zum anssei'ordentlichen Professor an der Uni-
versität Lund. — Der ausserordentliche Professor Dr. Anton
Weichselbaum von der Universität Wien zum Ordinarius für
pathologische Anatomie daselbst. — Der Privatdocent für Mathe-
matik Dr. Eduard Study zum ausserordentlichen Professor an
der Universität Marburg. — Prof. Dr. Otto Ernst Kuestner
von der Universität Dorpat zum Professor für Frauenheilkunde
an der Universität Breslau.
Es hat sich habilitirt: Dr. Jores in der medicinischen Facultät
der Universität Bonn.
Der Privatdocent für Ingenieurwissenschaft an der Technischen
Hochschule in München Frank tritt von seiner Lehrthätigkeit
zurück.
Es sind gestorben: Der Polarreisende Dr. John Rae in
London, bekannt durch seine Führung der zur Aufsuchung Sir
John Franklins ausgesandten Expedition Anfang der fünfziger
Jahre. — Der Geologe Oberlehrer Dr. Kuniscii in Breslau —
Der frühere Director der Landesgeburtsanstalt in Wien Professor
Dr. Ferdinand Weber von Ebenhof.
Eine Cassini-Statue, und zwar zu Ehren des dritten Vertreters
dieser bedeutenden Gelehrten - Familie (fünf ihrer Angehörigen
waren Mitglieiler der Französischen Akademie der Wissenschaften)
— Cesar Fran^ois Cassini's — beabsichtigt die Societe de Topo-
graphie de France in Clermont-enBeauvais (Oiso) zu errichten.
Die Schweizerische Oeologische , Botanische und Ento-
mologische Gesellschaft halten in Verbindung mit der Societe
Helvetique des Sciences Naturelles eine allgemeine Ver-
sammlung vom 3. bis 6. September d. J. in Lausanne ab. Zahl-
reiche den verschie<ienen von den einzelnen Gesellschaften ver-
tretenen Disciplinen dienende Excursioneu sind für die Zeit in
Aussicht genommen. Auskunft ertheilen die Secretäre Professor
E. Bugnion und M. A. Nicoti in Lausanne.
Die General- Versammlung der Deutschen Botanischen Ge-
sellschaft findet am 12. September d. J. in Nürnberg von 'J Uhr
Vormittags im Sitzungssaale der botanischen Section der Natur-
forscher - Versammlung in der Königlichen Industrieschule statt.
Es wird Beschluss zu fassen sein über die Trennung der Gen.-Vers.
d. D. B. G. von der Naturforscher -Versammlung und Verlegung
derselben auf den dritten Pfingstfeiertag.
L i 1 1 e r a t u r.
Eduard Westermarck, Geschichte der menschlichen Ehe. Einzig
autorisirte deutsche Ausgabe. Aus dem KngliscIiHn von Leopold
Katscher und Kumulus Grazer. Bevorwortet von Alfred Rüssel
Wallace. Hermann Costenoble. Juna 1893. — Preis 12 M.
Ueber den interessanten Inhalt des Buches bringt die vor-
liegende Nummer der „Naturw. Wochenschr." aus der Feder des
einen der Herren Uebersetzer ein ausführlicheres Referat, das
hoffentlich recht viele der freundlichen Leser anregt, das Buch
selbst zur Hand zu nehmen. Es umfasst 589 Seiten; das ausführ-
liche Namen- und Sachregister beginnt schon auf Seite 551. Das
kurze Vorwort von Wallace enthält nur einige lobende Worte und
dem Werke voraus ist ein Litteratur-Quellen-Verzeichniss (S. XIII
bis XXXVI II) gegeben. Es behandelt seinen Gegenstand nach
einer Einleitung, welche die Forschungsmethode erläutert, in 24
Capiteln. Bezüglich des Inhaltes verweisen wir also auf den Leit-
artikel dieser Nummer.
Brehms Thierleben, Kleine Ausgabe für Volk und Schule.
2. Aufl., Gänzlich neubearbeitet von Richard Schmidtlein. II. Bd.
— Die Vögel. Mit 1 colorirten Tafel und 240 Texfabbildungen,
— Bibliographisches Institut. — Leipzig u. Wien 1893. — Preis
geb. 10 M.
Die 3 Bände Vögel der grossen Ausgabe von Brehms Thier-
leben hat Schmidtlein geschickt zu einem, gebunden nur 10 Mk.
kostenden, hübschen Bande vereinigt. Die bunte Tafel stellt
3 Arten Paradiesvögel dar, auch die prächtigen Holzschnitte sind
gut ausgewählt. Was wir über den 1. Band auf S. 132 der
„N. W." rühmendes gesagt haben, könnten wir für den 2. Band
nur wiederholen, wir verweisen daher den freundlichen Leser
dorthin. Es ist dankbar anzuerkennen, dass auch denjenigen,
denen die grosse Ausgabe zu kostspielig ist, und denen für ihre
Bedürfnisse dieselbe zu viel bringt, durch die für das Ge-
botene ausserordentlich preiswerthe kleine Ausgabe Ersatz ge-
schaffen ist. Trotz der geschickten Umarbeitung hat doch
Schmidtlein den Reiz der Brehm'schen Schreibweise zu wahren
gewusst.
B. Bunsen und H. E. Roscoe, Photochemische tlntersuchungen.
(1855—18.59.) Herausgegeben von Ostwald. Mit 31 Textfiguren.
(Ostwald's Classiker der exacten Wissenschaften. No. 34 u. 38).
— Preis 3,10 M.
Eine das vorliegende schwierige Gebiet fast erschöpfende,
mustergültige Untersuchung, die von Ostwald treffend als eine
hohe Schule der Experimentirkunst bezeichnet wird, deren Lec-
ture einen unvergleichlichen, intellectuellen Genuss bereitet.
Die fünf Abhandlungen, in denen die Verf ihre Forschungsergeb-
nisse niederlegten, sind ursprünglich in verschiedenen Jahrgängen
von PoggendorfF's Annalen erschienen. Die geringste Bedeutung
für die Gegenwart besitzt die erste Abhandlung, im Wesentlichen
eine nur theilweise gerechtfertigte Polemik gegen eine gleich-
zeitige Arbeit von Wittwer. — Die zweite Abhandlung enthält
die Beschreibung des zur photochemischen Messung construirten
Apparats, durch welchen die Einwirkung des Lichts auf Chlor-
knallgas, welche bekanntlich in der Bildung von Salzsäure be-
steht, uuter Vermeidung zahlreicher möglicher Felderquellen mit
grosser Genauigkeit quantitativ bestimmt werden kann. — Die
dritte Arbeit handelt von der sogenannten photochemischen In-
duction, d. h. der erst allmählich eintretenden Verminderung des
Verbindungswiderstandes infolge der Bestrahlung. —
Die Untersuchung der optischen und chemischen Extinction
der Strahlen bildet den Gegenstand der fünften Abhandlung, wo-
bei nachgewiesen wird, dass bei der photochemischen Wirkung
ein äquivalenter Lichtverbrauch eintritt. Hier wird im Text
zweimal (Seite 12 und 21) auf eine Figur 4 hingewiesen, welche
in der vorliegenden Ausgabe fehlt. Sollte die Einfügung der zu
dieser Abhandlung gehörigen Figuren vergessen worden sein?
Die für die Klimatologie wichtigen, interessanten Anwendungen
der von den Verf. am Sonnenlicht angestellten Messungen werden,
Nr. 32.
Naturwisscnschaftliolic Wochenschrift.
3o9
veranschaulicht durch zahh-eicho Curvendarstellunpon, in der
letzten und umfangreichsten Abhandlung behandelt. Als allge-
mein vergleichbares Maass wurde eine KoblenoxydgasHainme von
bestimmter Grösse gewählt. Zur vergleichenden Messung der
optischen Helligkeiten diente das Bunsen'sche Photometer mit
„Fettfleck". — Bemerkenswerth ist u. A. das Ergebniss, dass bei
niedriger Sonnenhöhe das zer.streiitc Himmelslicht eine stärkere,
chemisclie Wirkung ausübt, als directes Sonnenlicht. Am Scbluss
der Abhandlung wird die chemische Wirkung der Sonnenstrahlung
noch mit der des Magnesiumlichts verglichen, und endlich die
Vertheilung der chemischen Energie im Sonnenspectrum untersucht.
Dr. Ad. Heidweiller. Hülfsbuch für die Ausführung elektrischer
Messungen. Mit ä8 Textligiircii. .Iidiaiiii Auibmj-iii.s Uarth
(Artliur Meiner). Leipzig 1S!»2. — Prei.s 0 M.
Eine gedrängte Zusammenstellung aller der zahlreichen elek-
trischen Messungsniethoden, deren Beschreibungen in den ver-
schiedensten Originalpublicationen zerstreut sind, muss jedem
Elektriker ausserordentlich willkommen sein. Mit Recht hält der
Verf. für eine solche Sammlung gerade den gegenwärtigen Zeit-
punkt für geeignet, da nunmehr durch zuverlässige Bestimmung
der grundlegenden absoluten Einheiten der Gegenstand zu einem
gewissen Abschluss gelangt ist. In der Einleitung werden die
wichtigsten allgemeinen Sätze und Begriftsbestimniungen, sowie
das absolute Maasssystem rekapitulirt. Das erste Capitel handelt
sodann von verschiedentlichen Hülfsmessungen (Ablesung mit
Spiegel und Scala etc.), die bei elektrischen Ma.assbestimmungen
eine grosse Rolle spielen. In den folgenden Capiteln werden
nach einander die Strommessungen, Widerstandsvergleichungen,
Spannungsmessungen, die Bestimmung der Constanten von Strom-
kreisen, die Ermittelung der Capacitäten und Dielektricitäts-
constanten, sowie schliesslich die Ohmbestimmungen unter Be-
nutzung zweckmässiger Abkürzungen und ohne ausfidu-liche Be-
schreibung von Apparaten oder Entwickelung der benutzten
Formeln behandelt. Ueberall ist durch Angabe des Autors einer
Methode und Hinweis auf ein Litteraturverzeicbniss am Scbluss
die Möglichkeit geboten, behufs näherer Informirung die Uriginal-
publication nachzulesen. Ein Anhang von 2o Tabellen liefert
theils bei gewissen Messmethoden zu verwendende Hilfsgrössen, theils
Uebersichten über bisherige Bestimmungen wichtiger Constanten.
Es steht zu erwarten, dass das mit vielem Geschick zusammen-
gestellte Werk sich in der Pra.xis wohl bewähren wird. Kbr.
Abhandlungen, herausgegeben vom naturwissenschaft-
lichen Vereine zu Bremen. Xll. Band, 3. Heft; 1893. Aus der
verhältnissmässig grossen Zahl interessanter Abhandlungen seien
hier die folgenden angefülirt: W. 0. Focke: Vorläufige Mit-
theilungen über die Verbreitung einiger Brombeeren hn westlichen
Europa. Verfasser macht an der Hand von ihm selbst unter-
suchten Materiales den dankenswerthen Versuch, die wichtigsten
westeuropäischen Rubusarten auf ihre Selbstständigkeit hin zu
prüfen und danach ihre Verbreitung festzustellen. Leider war
das ihm zur Verfügung stehende Material eigentlich nur aus dem
mittleren und südlichen England genügend und in frischem Zu-
stande, während die übrigen Theile Grossbritanniens, Belgien,
Frankreich, die Pyrenäen-Halbinsel und Italien nur mangelhaft
und meist nur durch getrocknetes Material vertreten waren. Auch
die Beziehungen zu den in Deutschland einheimischen Species
sind berücksichtigt worden. Derselbe: Beobachtungen an Misch-
lingspflanzen. Beschreibung einer Anzald Bastarde aus den
Gattungen Geum, Sanguisorba, Oenothera, Polemonium, Nicotiana
unil Carex. Derselbe: Ueber Unfruchtbarkeit bei Bestäubung
mit eigenem Pollen (zwei Abhandlungen). Mittheilung von meist
eigenen Beobachtungen und Aufzählung einer Anzahl hierher-
gehöriger Pflanzen. Derselbe: Pflanzenbiologische Skizzen.
Besprochen werden der Epheu (Hedera Helix L,), die Stechpalme
(Hex aquifolium L,), das gemeine Kreuzkraut (Senecio vulgaris,
L,), die Mandelweide (Salix triandra L.) und der Besenginster
(Sarothamnus vulgaris Wimm.). H. Klebahn: Zur Kenntniss der
Schmarotzerpilze Bremens und Nordwestdeutschlands. Die Arbeit
schliesst sich an den „Ersten Beitrag zur Schmarotzerpilz-Flora
Bremens" des Verfassers im XI. Bande der Abhandlungen an und
bringt eine Uebcrsicht der in dortiger Gegend besonders vom
Verfasser während der Jahre 1890/91 beobachteten Pilze. Die
Zahl der Rostpilze allein beträgt 96. Fritz Müller: Mischlinge
von Rucilia formosa und silvaccola. Der Verfasser hat bei den
genannten Arten die Narben der weiblichen Pflanzen gleichzeitig
mit dem Pollen der eigenen Art, wie mit dem der fremden be-
stäubt und dabei ein von der allgemi>inen Ansicht abweichendes
Resultat erhalten — der Pollen der fremden Art zeigte sich näm-
lich zum Theil sogar kräftiger als derjenige der eigenen, während
man bisher vielfach annahm, dass bei hinreichender Menge des
eigenen Pollens jener der Abart oder gar der fremden Art von
der Befruchtung ausgeschlossen werde. Hartlaub: Vier seltene
Rallen. Es werden beschrieben Ralius monasa Kittl, von <ler
Insel Ualan; R. ecaudatus King, von Hawai; R. sandvichi'usis
Gm.; und Peunula Palmeri von der Insel Laysan nordwestlieh
der Sandwichs-Inseln. Ochsenius: Naturwissenschaftliche Mit-
theilungen. (Zur Bildung schwacher Salzlager. Wirkungen der
Stürme auf Pflanzen, Reste ausgestorbener Säugethiere aus dem
bolivianischen Hochgeljirge.) Häpke: Lieber Selbstentzündung,
insbesondere von .Schift'sladungen, Baumwolle und anderen Faser-
stoft'en, Steinkohlen und Heuhaufen, Der Verfasser hat mit
grossem Fleisse LIntersuchungen über die Ursachen der Entst(diung
der genannten Erscheinung angestellt und die bekannt gewordenen
Fälle gesammelt. Wir werden auf die interessanten Ausführungen
desselben noch an anderer Stelle der „N. W." zurückkommen.
E. Lemmermann: Versuch einer Algeuflora der Umgegend von
Bremen (excl. Diatomaeeen), (Kesultate der Durchforschung der
Gewässer der Umgegend Bremens,) Buchenau: Zur Geschichte
der Einwanderung von Galinsogaea parviflora Cavanilles. Verf.
giebt eine kurze Darstellung der allmählichen Verbreitung der
aus Peru stammenden Pflanze in Deutschland. Derselbe: Natur-
wissenschaftlich-geographische Litteratur über das nordwestliche
Deutschland.
Böhmig, L., Zur feineren Anat(unie von Rhodope Veranii
Kölliker, Leipzig,
Britzelmayr, M., Hymenomyceten. Berlin. M M,
Burckhardt, R., Ueber Aepyornis. Göttingen.
Celakovsky, L. J., Resultate der botanischen Durchforschung
Böhmens in den Jahren 1891 und 1892. Prag. 1 M.
Celakovsky Sohn, L., Die Myxomyceten Böhmens. Prag.
Du Bois-Reymond, E., Maupertuis. Leipzig. l,.5ü M.
Ebbinghaus, H., Theorie des Farbensehens, Hamburg. 2,M M.
Eckstein, K., Die Beschädigungen unserer Waldbäume durch
Thiere. 1. Bd. Berlin. 36 M.
Ergebnisse der in dem Atlantischen Ocean von Mitte Juli bis
Anfang November 1889 ausgeführten Plankton-Expedition der
Humboldt-Stiftung. 1. Bd. Kiel. 10 M.
Fischer. W,, Weitere Beiträge zur Anatomie und Histologie des
Sipunculus Indiens Peter. Hamburg. 1 M.
Gegenbauer, L.. Arithmetische Untersuchungen. Leipzig 2,40 M.
G-eigenmüller, R., Elemente der höheren Mathematik. I. Bd.
3. Aufl. Mittweida. 5 M.
Hanausek, T. F., Der Bau des menschlichen Körpers. Leipzig.
1,40 M.
Hertwig, R., Lehrbuch der Zoologie. 2. Aufl. Jena. 12 M.
Hofmarm, E., Die Raupen der Schmetterlinge Europas. Stutt-
gart. 2 M.
Hörn, F., Piatonstudien. Leipzig. 6 M.
Jäger, G-., Ueber die kinotische Theorie der inneren Reibung
der Flüssigkeiten. Leipzig. 0,30 M.
JoSl, K., Die Zukunft der Philosophie. Basel. 0,80 M.
Kayser, E., Lehrbuch der Geologie für Studirende und zum
Selbstunterricht. Stuttgart. 29 M.
Keibel, F., Studien zur Entwicklungsgeschichte des Schweines.
Jena.
Klemencic, I., Beiträge zur Kenntniss der Absorption und Ver-
zweigung elektrischer Schwingungen in Drähten. Leipzig.
0,50 M.
Kohn, K. Ueber symmetrische Functionen der Wurzeln einer
algebraischen Gleichung. Leipzig. 0,30 M.
Köhne, E., Repetitions-Tafeln für den zoologisclK'U Unterricht
an höheren Lehranstalten. I. Wirbelthiere. 5. Aufl. II. Wirbel-
lose Thiere. 4. Aufl. Berlin. 0,20 M.
Koenike, F., Die von Herrn Dr. F. .Stuhlmann in Ostafrika ge-
sammelten Ilydrachniden des Hamburger naturhistorischen
Museums. Hamburg. 3 M.
Krümmel, O., Geophysikalische Beobachtungen der Plankton-
Expedition.
Inhalt: Erich Harnack: Lieber die Giftfestigkeit des Igels. — Westermarck's Forschungen über die Naturgeschichte der Ehe.
— Zu Liebreich's Aeusserung über den Werth der Cholerabacterien-Unti'rsuchung. — • Die im Wasser lebenden Schmetterling.s-
raupen. — Wie halten unsere Raubvögel die Fänge im Fliegen. — Wassernuss. — Recente Steinnüsse als vermeintliidie
Fossilien. — Eine neue, den höchsten Anforderungen genügende Conservirungsflüssigkeit für zoologische Präparate. — Aus dem
wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Eduard Westcrmarck: Geschichte der menschlichen Ehe. — Brehms Thierlebcn. —
R. Bunsen und H. E. Roscoe: Photochemische Untersuchungen. — Dr. Ad. Heidweiller: HiUfsbuch für die Ausführung
elektrischer Messungen. — Abhandlungen, herausgegeben vom naturwissenschaftlichen Vereine zu Bremen. — Liste.
340
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 32.
Die Insekten-Börse
jetzt vereinigt mit der „Sammler -BÖrSC"
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94 Seiten. %xi\s, 60 %\.
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167 Seiten. ^rei§ 1 SDiarf.
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BERLIN C,
Niederlage eigener Glasiiüttenweriie und Dampfsclileifereien.
„ Mechanische Werkstätten,
=r^ Schriftmalerei und Emaillir-
s!s-^ Anstalt.
Fabrik und Lager säuiuitliclior Apparate, Gefässe und Ge-
räthe für wissenschaftliche und technische Laboratorien.
Verpackungsgefässe, Schau-, Stand- und Ausstellungsgläser.
Vollständige Einrichtungen von Laboratorien, Apotheken,
Urogeu-Geschäften u. s. w. _,
Verantwortlicher Redakteur: Dr. ilenry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den luserateutheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW^. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
^^ Redaktion: ~f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den
13.
August 1893.
Nr. 33.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Bnchhandhmgen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
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sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Ännoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit voliständi
jjer <{nelleuang;abe gestattet.
Zum Brunnenunglück in Schneidemühl.
^'^011 Bergassessor G. Franke,
lieber die Brunnenbohning- in Schneidenniiil und deren
so aiisserordentlicb unbeihoile Wiriiiiiiyen sind von den
Tagesblätteni zum 'J'lieil sehr au.stiiliriiebe Mittboilrini;-en
,gebraebt worden. Trotzdem dttri'te die naciistebende
»Scliilderuni;- der Eutsteluini;- und des Verlaufes dieses
seltenen Ereignisses wobl nocb Interesse erwecken, zumal
Verfasser in Folg-e persönlicber Tbeilnahine an den Be-
strebungen zur Behebung der Kalamität in der Lage ist,
manelie in den bisherigen Darstellungen entlialtenen Irr-
tliUiner und Lücken zu berieiitigeu und auszufüllen.
Aus Anlass der im vorigen Jahre drohenden Cholera-
g-efabr liess der Magistrat von Schneidemühl in einem
alten, an der Ecke (Icr Kleineu und Grossen Kirchstrasse
belegenen 4 m tiefen jMauerbrunnen, der unbrauchbares
Wasser lieferte, durch einen dortigen Hrunnciimaeher ein
Tiefbohrloch zur (lewinnung artesischen Quellwassers
niederbringen. Diese im Herbst v. Js. begonnene Bohrung
wurde ursprünglich mit einem Durchmesser von 118, später
von 92 mm betrieben; und es wurden dabei, nach den
mündliclicn Angaben des Brunnenmeisters — Bohrnotizen
waren leider nicht geführt, auch keine Bohrproben auf-
bewahrt worden — folgende Schichten durchsunken.
Aufgefüllter Boden . . . 2,50 in mächtig-
Grober Kies (),80 -
Fetter Thon .3,(X) -
Thoniger Sand .... 2,00 -
Thon I,.'i0 -
Feinster thoniger Sand
(Schluff) 5.5,00 -
70,80 m
Am 5. Mai d. Js. stiess man bei etwa 70 m Tiefe
auf eine besonders wasserreieiie Scliicht, aus welcher ein
durch feinsten thonhaltigen grauen Sand (Schwimmsand)
stark verunreinigter Wasserstrahl mit grosser Kraft zu Tag-e
Professor der BiTgbaukundo.
drang und mehr als 5 m über die Strassenkrone empor-
schoss. In der ILrwartung, das Wasser werde allmählich
klarer heraufkommen, liess es der Brunncnmeister eine
Zeit lang fliessen, zumal das in der Kleinen Kirchenstrasse
vorhandene starke Gefälle einen schnellen Abfluss durch
den Rinnstein nach einem tiefen Graben gestattete, der
es nach kurzem Laufe einem in den Küddow-Fluss ein-
mündenden Müiilenbach zuführte. Als sich aber keine
Abnahme der Sclihunmfülirung zeigte, trieb er den die
Verkleidung des Bohrlochs bildenden eiserneu Röhren-
strang durch Drücken und Rammen noch um 2 — 3 m
tiefer ein. Während dieser Arbeit verminderte sich zwar
die aus demselben heraussprudelnde Wassermenge, in-
dessen quoll alsbald auch neben den Röhren mit zu-
nehmender Heftigkeit schlammiges Wasser empor. Man
bestellte nun bei einem Brunnenuiacher in Berlin eiserne
Rohre von weiterem Durchmesser, mit denen man nach
Entfernung des alten Röhrenstranges die Quelle wieder
zu fassen hoft'te. Nach längerem vergeblichen Warten
auf das Eintreffen derselben entschloss man sieh zu einem
Verstopfungsversueh und liess zu diesem Zwecke durch
einen zweiten Brunnenmeister die Röhren aus dem Bohr-
loch sämmtlich herausziehen und in dieses alsdann (am
26. Mai) längliche mit Thon und Sand gefüllte Säcke
eintreiben. Der Versuch misslang, mit unverminderter
Kraft drang der schlammige Wasserstrom neben der ur-
s))rünglichen Bohrlochsinündung zu Tage und liess sich
auch dadurch nicht ziu-ückdämmen, dass in und auf den
Quell noch eine Meufe Steine, Sand- und Thonsäeke,
auch Trottoirplatten geworfen wurden. Inzwischen waren
in dem, dem Brunnen gegenüber liegenden massiven Eck-
gebäude der Kleinen und Grossen Kirchenstrasse, sowie
an mehreren benachbarten Häusern feine Risse entstanden,
die auf eine, wenn auch nur sehr geringe Bodensenkung
sehliessen Messen. Wie durch Ueiierkleben von Papier-
streifeu festgestellt wurde, erweiterten sich diese Risse
342
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 33
fast täg'lich inii ein Weniges, der Putz fiel in kleinen
Stücken und Schalen von den Zinnvierdecken, neue Risse
kamen in den bereits beschädigten, sowie in den bisher
noch unversehrt geldiebcnen Gebäuden zum Vorsehein,
mitunter geschah das Bersten des Mauerwerks mit lautem
Knall. Manche Wohnungen niusstcn geräumt werden.
So war die Sachlage, als Unterzeichneter infolge
eines au die hiesige Königl
geologische Landesanstalt
und Bergakademie gerichteten Ersuchens des Schneide-
mühlcr Magistrats um schleunige Entsendung eines Bcrg-
sach^'erständigen am 28. Mai dort eintraf. Er gelangte
zu der üeberzeugung, dass die verhängnissvollen Boden-
senkungen in der Hauptsache auf den Schlammaus-
wurf der artesischen Quelle zurückzuführen seien. Der
Schlannn entstammte unzweifelhaft dem Lager von feinstem
das mit der Bohrung bei 16 bis 70 m
demnach 04 m mächtig aufgeschlossen war und
schlickigem Sand,
Tiefe
in welchem die gegen das Borloch hinströmenden
und in seinem verwilderten Schlünde emporsteigenden
Drnckwasser, indem sie Schlicksand massenhaft lockerten
und mit sich fortrissen, jedenfalls sich auch umfangreiche
Auskesseluugen unter den festeren oberen Schichten her-
l)eigeführt hatten. Eine am 29. Mai vorgenommene
Messung der dem Bohrloch entströmenden Wassermenge
ergab rund 2 cbm in der Minute; gleichzeitig wurde der
Gebalt des Schlammwassers an festen Bestandtheilen zu
etwa 7,5 oder 6,6 v. H. ermittelt. Unter der Annahme,
dass während der ganzen Zeit des Auftriebs der Quelle
die Wassernienge und der Festgehalt auf gleicher }Iöhe
geblieben wären, berechnete sich hiernach die dem Unter-
giunde der Stadt Schueidemühl entführte und zu Tage
geförderte Erdmasse auf täglich rund 200 cbm, mithin
im Ganzen zu etwa 4600 cbm. Das Fehlen so be-
deutender Massen musste, selbst wenn sich dieselben auf
einen grösseren unterirdischen Flächenraum vertheilten,
unausbleibHch umfangreiche Bodensenkungen zur Folge
haben, sofern es nicht gelang, den die ausgespülten
Räume erfüllenden Wassermengen den Ausweg zu ver-
schliessen, durch welchen sie sonst unter der gewaltigen
Last der darüber gelagerten, meist aus lockeren Massen
bestehenden Gebirgsschichten alimählich nach der Tages-
oberfläche hin verdrängt werden mussten. Es kam
also nach Ansicht des Verfassers vor Allem darauf an,
den diesen Ausweg bildenden ]5runnenschlund sobald als
möglich zu verstopfen. Zur Erreichung dieses Zwecks
erschien es am natürlichsten, die Wasser der artesischen
Quelle auf irgend eine Weise zu umfassen und sie soweit
über die Tagesoberfläcbe hinaufzutühren, dass sie durch
ihr Eigengewicht dem aus der Tiefe wirkenden natür-
lichen Auftriebe das Gleichgewicht zu halten vermochten.
War die Quelle dadurch zum Stillstand gebracht, so
würde eine Stopfung keine besonderen Schwierigkeiten
mehr darbieten können.
Der nicht fern liegende Gedanke, die Quellwasser
mittelst eines neuen Bohrloches zu fassen und nach oben
zu leiten, wurde gleichfalls erwogen, aber nicht als em-
pfehlenswerth erachtet, weil bei den zweifellos bedeutenden
Veränderungen, welche die ursj)rüngliche Bohrlochs-
wandung in dem lockeren Erdreiche durch die empor-
strümeuden Druckwasser inzwischen erlitten haben musste,
sieh nicht mehr feststellen hess, welcher Durchmesser
einer Bohrröhre zu geben sein würde, wenn sie den
wild
fassen sollte.
Dagegen wurde in dem von einem höheren Bau-
beamten aus Bromberg angerathenen Abteufen eines etwa
3 m weiten runden Senkbrunnens ein Mittel erblickt, das
diesen Zweck mit Sicherheit erreichen lassen würde. Die
vom Verfasser befürwortete Ausführung desselben wurde
aufsteigenden Schlammstrom sieher und ganz um-
12 m unter Tage hinabreichte und aus fettem,
Beendigung-
undurchlässigem Thon bestand
dieser grundlegenden Arbeit
einem mit ähnlichen Arbeiten vertrauten und zuverlässigen
dortigen Maurermeister übertragen und sofort in Angriff
genommen. Der Senkbrunnen sollte unter Ausbaggerung
der inneren Erdmassen bis in die nächste feste Thon-
schicht niedergebracht werden, die nach Angabe des
ersten Brunnenmeisters bei 9 m Tiefe begann, bis etwa
wasser-
War nach
ein Abschluss der oberen
wasserdurchlassenden Schichten erzielt, so sollte die
Mauerung des Senkschachtes über Tage bis zu der für
die Zurückstauung der Quelle erforderlichen Höhe (etwa
4 bis 6 m) hinaufgeführt und alsdann die Verstopfung
vorgenommen werden. Für die letztere war eine Aus-
füllung des ausgebaggerten Schachtinnern mit einer im
Wasser schnell erhärtenden Betonmasse oder mit Thon in
Säcken unter Belastung derselben in Aussicht genommen.
Nachdem vorerst die zur Verschliessung der Bohr-
lochsmündung hinaufgeworfenen Steine, Granitplatten und
Sandsäcke u. s. w. entfernt worden waren, wurde der
Senkschacht um den alten Strassenbrunnen herum mit
3,76 ni äusserem und 2,74 m innerem Durchmesser in der
üblichen, bewährten Weise aufgeführt. Seinen untersten
Theil, den zum Tragen der Mauer und zum Eindringen
in das Gebirge dienenden Rost, stellte man aus mehreren mit
der nöthigen keilförmigen Zuschärfung versehenen Bohlen-
kränzen und einem daran befestigten schneidenden Schuh
aus starkem Eisenblech her. Auf dieser Unterlage wurde
die zwei Stein starke Senkmauer, mit angemessener Verjün-
gung nach oben und unter Einmauerung von acht senk-
rechten, unten am Rost festgeschraubten und durch den-
selben hindurch gehenden eisernen Ankerstangen empor-
geführt. An den letzteren und den später auf sie aufzu-
schraubenden Verlängerungsstangen sollte der Senkschacht
<auf einem über der Arbeitsstelle zu errichtenden Balken-
gerüst mittelst ])assender Schraubenmuttern aufgehängt
werden, um ihn vor plötzlichem Einsinken und Kippen zu be-
wahren und ein gleiehmässigcs, lothrechtes Niedergehen zu
ermöglichen. Zur thunlichsten Verminderung der Reibung
beim Sinken wurde der Senkschacht aussen mit einer fass-
förmigen Umkleiduug von 5 cm starken glatt gehobelten
Bohlen versehen, die durch starke eiserne Reifen zu-
sammengehalten, zugleich dem von innen wirkenden Drucke
der später aufzustauenden Wassersäule Widerstand leisten
soUten.
Sobald der Senkljrunnen etwa 2 m hoch über die
Strassenkrone aufgemauert war, nahm das eigentliche
Senken, das Ausbaggern unter gleichzeitiger Belastung
der Mauerkrone mittelst aufgelegter Eisenbahnschienen,
seinen Anfang. Verf. war inzwischen wieder abgereist.
Als er am 2. Juni auf Ersuchen des Schneidemühler
Magistrats abermals daselbst erschien, hatte man den
Senkschacht während der seit Beginn des Baggerns ver-
flossenen 5 Tage nicht mehr als etwa 1"4 m tief nieder-
gebracht. Au der Langsamkeit des Eindringens waren
verschiedene Umstände schuld: die ungünstige ßeschaften-
heit der obersten, hauptsächlich aus aufgefülltem Bau-
schutt bestehenden Bodenschicht, das Vorhandensein von
Steinen, die noch vom ersten, misslungenen Verstopfungs-
versuch zurückgeblieben waren, ferner der beständige Ab-
satz von Schlick aus dem artesischen Sehlammwasser,
das mit unverminderter Kraft emporquoll, sodann aber
auch zu schwache Belastung der Senkmauer und zu
wenig flotter Betrieb der Baggerarbeiten. Inzwischen war
der Brunnenmacher Beyer ans Berlin in Schueidemühl
eingetroffen und hatte dem Magistrat ein Angebot dahin
gestellt, dass er sich gegen eine bestimmte Entschädigung
verpflichte, binnen acht Tagen den artesischen Schlamm-
strom mit Bohrröhren zu fassen und reines Wasser zu
Nr. 33.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
343
Ta^e zu schaflfen. Er erklärte, derartige Arbeiten in
ebenso schwierigen Fällen wiederholt nnt völligem Erfolge
ausgeführt zu haben. Sollte Jedoch sein Verfahren niciit
zum Ziele führen, so verzichte er auf jegliche P^ntschädi-
gung. üni bezüglicli dieses Angebots, sowie der von
anderen Seiten gemachten Vorschläge und überhaupt
aller zur thunlichsten Einschränkung des Unglücks erfor-
derlichen Maassnahmcn zu einem Entschlusse^zu gelangen,
hielt der Magistrat am 3. Juni eine Berathung mit Sach-
verständigen ab, bei welcher zunächst Herr Landes-Hau-
inspector Chudzinski aus Schneidcnnihl statt der Fort-
setzung des Senkschachtes die Fassung des verwilderten
Bohrsclduudes durch eiserne Rohre, die Zurückhaltung
des Schlannnes im Untergrunde mittelst einer geeigneten
Filtervorrichtung und die scidiessliche Verstopfung der
Quelle empfahl, welch' letztere Arbeit zweckmässig unter
vorherigem Hochführen der Verrohrung als Standrohr in
ähnlicher Weise vorzunehmen wäre, wie dies für den
Senkschacht geplant war. Herr Brunnenmacher Beyer
wiederholte hierauf sein obenbezeichnetes Anerbieten, mit
dem Hinzufügen, dass er, falls es verlangt werden sollte,
auch die Verschliessung der Quelle üljcrnehmen würde.
Was das von ihm in Aussicht genonnnenc Verfahren
betraf, so vermochte der im Auftrage des Handels-
ministeriums erschienene Oberleitcr der fiskalischen Tief-
bohrungen, Herr Bergrath Köbrich aus Schönebeck in
Uebereinstinimung mit dem ebenfalls anwesenden Verf.
zwar nicht die Ueberzeugung zu gewinnen, dass auf
diesem Wege eine sichere und dauernde Fassung und
Verstopfung der Quelle gelingen würde; dennoch erklärten
sich Beide im Interesse der Sache ausdrücklich damit
einverstanden, dass auf das durchaus annehmbare Ange-
bot des Herrn Beyer, der überdies als ein erfahrener
Brunnentechniker bekannt war , eingegangen werde.
Glückte der Versuch in der kurzen zugesagten Frist von
acht Tagen, so war die schwierige Aufgabe jedenfalls
auf die schnellste und billigste Weise gelöst. Entgegen-
gesetzten Falles blieb inuuer noch die Fortsetzung des
Senkschachtes übrig, welcher von den letztgenannten Sach-
verständigen nach wie vor als das zuverlässigste, wenn
auch langsamere und kostspieligere Mittel empfohlen
wurde. Der Magistrat nahm hierauf das Beyer'sche An-
erbieten au und beauftragte denselben, die Verrohrungs-
arbeiten so schleunig als möglich in Angriff zu nehmen,
baldigst alter auch einem weiteren Rathc der Sachver-
ständigen entsprechend, in nächster Nälie des Senk-
schachtes ein enges Untcrsncliuniisbohrlocii etwa IT) — 20 m
tief niederzubringen, dannt über die Lage, Mächtigkeit
und Beschaffenlieit der obersten Thonschicht völlige Ge-
wissheit erbracht werde. Mit Ueberwachung der Arbeiten
wurde ein aus den Herren Eisenbalni-Bau- und Bctriebs-
inspector Weise, Stadtrath Radeniaclier und Landcs-Bau-
insi)cetor Chudzinski gel)ildeter Ausschuss betraut.
Die Zeit, welche bis zur Heranschaflung der Bohr-
gerüste und -Geräthseliaftcu vcrstricii, wurde zur weiteren
Ausbaggerung des Schaehtinnern ausgenützt, zumal Herr
Beyer erklärte, dass ihm ein Niedergehen des Senk-
brunnens bis auf etwa 2 m Tiefe für die Verrohrung des
alten Bohrlochs nur erwünscht sei.
Am 7. .liini begann dann Herr Beyer sein Werk. Es
ist bekannt, dass es ihm nach 14tägiger harter Arbeit
thatsächlich gelungen ist, die sich in unerwarteter Weise
darbietenden Schwierigkeiten zu überwinden, den unheil-
vollen Schlannnqucil in einem nahe dem alten Bohrschlund
45 ni tief niedergebraeidcn und verröhrten neuen Bohr-
loch vollständig in seine Gewalt zu bekommen und
ihn am 21. Juni in Gegenwart der Herren (»berberghaupt-
mann Freund, Geheimen Baurath Kunnner und Bergrath
Köbrich durch Aufschraulten einer Dichtungsplatte auf
das oberste, aus dem Bohrloch heransragendc Rohr zu
verschliessen, so dass kein Wasser mehr aus oder neben
demselben hervordrang, ein Erfolg, dessen Zustande-
kommen anerkanntermaassen durch das V(u-handensein
des Senkschachtes wesentlich unterstützt worden ist.
Ueber die Ausführung der Beyer'schen Arbeiten, die
während derselben zu Tage getretenen Erscheinungen wird
Verf. später in dieser Wochenschrift Näheres bericliten
und auch einige Illustrationen bringen. Es mag hier nur
noch soviel bemerkt werden, dass die anfänglich erzielte
gänzliche Fassung der Quelle nicht von Dauer geblieben
ist, indem seit einigen Wochen neben den Röhren des
neuen Bohrlochs Wasser hervorsickert. Herr Beyer soll
nun beabsichtigen, das Bohrloch einstweilen in seinem
gegeuwärtigen Zustande zu belassen, hu September d. J.
aber die endgiltigc Vei-stopfung im Innern desseUten Itei
45 m Tiefe mit Bleiringen und Betonfüllung vorzunehmen.
Eine Psilotacee des Rothliegenden.
Von H. Potouie.
In einer kürzlich erschienenen sorgfältigen Arbeit des
Pflauzenpalaeontologen Dr. T. Sterzel (Die Flora des
Rothliegenden im Planenschen Grunde bei Dresden. Abth.
d. math.-phys. Gl. d. K. sächs. (iesellsch. d. Wiss. 19. Bd.
Leipzig 1893) wird ein fossiler Rest, nämlich Gomphostrobus
bifidus (E. Gein.) Zeiller et Pot. zu den Coniferen gestellt,
der meines Erachtens weit besser bei den Psilotaceen
untergebracht wird. (Vcrgl. meine Notizen in den Ber.
d. Deutseh. bot. Gescllsch. 1891 S. 256 und Zeitschr. d.
Deutsch, geol. Gesellsch. Berlin 1891 S. 979.) Die Unter-
bringung Sterzel's veranlasst nnch, hier meine Ansicht über
die Stellung des Restes eingehender vorzubringen, da das
Werk, in welchem ich das gethan habe (Die Flora des
Rothliegenden von Thüringen. Herausg. v. d. K. Preuss.
geol. Landesanstalt. Berlin 1893, S. 197 ff.), zwar seit
Januar fertig gedruckt vorliegt, jedoch — da noch der
von dem Kgl. Landesgeologen Herrn Dr. Fr. Beyschlag
abzufassende Theil I des Gesammtwerkes „Ueber das
Rothliegende des Thüringer Waldes" aussteht — der Oeffent-
lichkeit noch nicht übergeben worden ist.
Vorerst nnichte icli bemerken, dass die fossilen Reste,
welche bisher von manchen Autoren für l'silotaceen gehalten
worden sind, so wenig Daten für eine Zurechnung zu dieser
Familie liefern, dass die systematische Zugehörigkeit der-
selben (auch nach Solms-Laubach „Einl.in die Paiaeo-
phytologie" 1887 S. 194 ff. und Schenk „Die fossilen
Pflanzcnreste" 1888 S.59) in Wahrheit liöchst problematisch
ist, da dieselben gar zu wenig zeigen.
Die beiden einzigen nocii heute und zwar in den
Tropen Icljenden (iattungen der Psilotaceen, die monotype
Gattung Tniesipteris und die aus nur drei Arten bestehende
Gattung Psilotum, machen freilich ganz durch ihre geringe
Artenzahl und iin-en Bau den Eindruck von aussterbenden
Pflanzen, die eher einem Typus der Vorwclt angeliören.
Es ist daiier begreiflich, dass die l'flanzen|)aiaeontologeu
nach Resten, die dazu gehören könnten, gefalindet haben.
344
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 3c
Schon Brongniart hat in seiner „Histoire des vegetaux
fossiles" (Paris Bd. II 18B7) die Psilotaceen als lobendes
Vergleichsmaterial für die fossilen Reste beschrieben und
gut abgebildet, und C. Eg. Bertrand sagt gar ganz positiv*):
„Ce sont les derniers survivants de familles vegetales qui
avaient atteint l'apagee de leur developpenicnt bien avant
la fin de la periode houilliere. Ces faniillos vegetales
dont les genres furent puissants et nombrenx au tenijjs
jadis, se sont eteintes peu-ä-]ieu. Aujourd'hui, alles sont
mono- QU bi-generiques. Bientot elles
auront disparu ä tont janiais de la
surface de notrc planete. En attendant
leur exstinction coniplete, leurs derniers
representants se sont presquc tous re-
fugies vers les regions chaudcs du
globe terrestre." Auch H. zu Solnis-
Laubach möchte ich hier nicht zu er-
wähnen unterlassen, dessen Arbeit über
Psilotuni triquetrum**) nach seiner An-
gabe erst den Anstoss aus seiner Be-
schäftigung mit der Palaeophytologie
erhalten hat.
Vor allem erinnere ich an die
Wnrzellosigkeit der mit den Lycopo-
diaceen verwandten Familie der Psilo-
taceen, wie wir sie ja auch bei den
palaeozoischen Lepidophyten mit ihren
den Rhizouien zuzuzählenden Stignia-
rien wiederfinden. Auch bei den Psilo-
taceen sind die unterirdischen Organe
gegal)elte Rhizome.***) Die oberir-
dischen Sprosse der Psilotaceen sind
schwach und mit kleineu, einfachen,
einnervigen Laubblättern besetzt. Die
blühenden S]irosse tragen an ihrem
Gipfel an Stelle der Laubblätter einmal
gegabelte Sporophylle, die auf ihrer
Oberseite, etwas vom Stengel abgerückt,
je ein 2- oder 3- (zuweilen auch 4- oder
5fächriges) Sporangiuni tragen. Zwi-
schen den beiden Blattarten, also den
Laubl)lättern und den Sporophyllen,
können bei Psilotuin und Tmesipteris
Mittelformen auftreten.
Abgesehen von dem untergeord-
neten Unterschiede, dass die Sporan-
gien von Goniphostrobus bifidus —
vergl. unsere Figur 2 — an der Basis
der Sporophylle sitzen und wie bei
den Lycopodiaceen einfächrig zu sein
scheinen, herrscht in dem Aufbau der
allein bekannten oberirdischen Sprosse
voUkonnnenc Ucbereinstimmung mit den
Psilotaceen: die Lauljblätter sind ein-
fach, fast nadeiförmig, von der (Te-
stalt derjenigen unserer einheimischen Lycopodiaceen,
und am Gipfel tragen diese Sprosse einmal -gegabelte
Sporophylle. — Fig. 1.
Nur insofern besteht also — wiederhole ich — soweit
cruirbar ein Unterschied zwischen dem Sporopliyll von
Psilotaceen und dem von G()m]diostr()bus, als die Sori resp.
gefächerten Sporangien der Psilotaceen in dem Gabel-
Gomphostrobus bifidus (E. Ci.) ZeiUer et Hot. —
1. Spni^js^tü^k mit cntstäiuiiger Bliithe nach
Marion in }. — 2. Kin Spoiophyll von innen
gesehen in }■ n = Mittehierv, a = Karljc der
Ansatzstelle au die Stengelaxe, c = Ansatzstelle
des Sporangiunis, h = Epidermaler Fetzen der
Stengelaxe
*) Recherehes sur les Tmesipteridees (Arch. hotanique du
iioid de la France. No. 17. 3. Jahrgang. August). Paris 1882.
**) Der Aufbau des Stockes von Psilotura triquetrum und
dessen Entwickeking aus der Brutknospo. (S. 139 — 194 und Tat'.
18 — 23 der von Trcub herausgegebenen „Anuales du jardin bota-
niqne de Buitenzori;.'' Vol. I\'.) Leiden 1884.
***) Vergl. „Näturw. Wochcuschr." Bd, VII S. 337 ff.
winke! der Sporophylle sitzen, während sicii bei Goni-
phostrobus das Sporangium — ob nur einfächrig, oder wie
man ferner sagen kann, als inonangischer Sorus entwickelt,
bleibt zweifelhaft — an der AbgangsstcUe des Sporophylls
ganz basal vorfindet und die Gabelung erst sehr viel weiter
oben erfolgt. Angenommen Gomphostrobus sei in der
That ein Vorfahre der Psilotaceen, so wäre der Gabel-
winkel der S})orophylle erst im Verlauf der Zeiten immer
tiefer herabgerückt, bis er bei den heutigen Arten die Spo-
rangien selbst erreicht hat, und ferner
sind die Sporangien, die sich an jedem
Sporopliyll um einige vermehrt resp.
gefächert haben, durch Entwickelung
eines Blattstieles um die Länge des-
selben von dem Sporophyllträger, der
Stengelaxe, abgerückt: dies der ganze
eruirbare Unterschied, der auch den
spalfungssüchtigsten botanischen Syste-
matiker lebender Pflanzen kaum ver-
anlassen würde, eine Trennung durch
Stellung der Arten in ganz verschie-
dene Gruppen höherer Ordnung vorzu-
nehmen. Ich erwähne hierbei, dass
ja auch die Stellung der Sporophylle
am Gipfel der Sprosse in ähren- oder
za]ifent'(irmigen Blüthen und ferner die
Form und Stellung der Lanbblätter
bei Goniphostrobus bifidus durchaus
beides lyeojiodineenmässig ist. Man
kann also diese Art auf Grund der
bisherigen Kenntnisse, die vnx von ihr
haben, eigentlich nur als eine Psilo-
tacee ansehen.
Die angeführte Vermuthung der
phylogenetischen Entwickelung des
Psilotaceen - Siiorophylls hat die An-
nahme, dass Gomphostrobus in der
That zu den Psilotaceen gehört, zur
Voraussetzung und stützt sich auf den
Bau unseres Fossils.
Ich meine also, dass Gomphostro-
bus auf Grund unserer bisherigen
Kenntnisse über diese Gattung vor-
läufig als eine palaeozoisehe Psilo-
taceen-Gattuiig angesehen werden kann
oder muss, dass wir nicht genug
wissen, um sie sicher den C'oniferen
einreihen zu dürfen. Die die heutigen
Psilotaceen wesentlich übertrefl'enden
Grössenverhältnisse der Organe von
Gom]ihostrobus stehen im Einklang
mit der Thatsache, dass die palae-
zoischen Lycopodineen (vor allem Le-
pidodendron und Sigillaria) überhaupt
im allgemeinen sehr viel grössere Di-
mensionen aufweisen, als ihre heutigen Nachkommen.
p]ine zweifellose systematische Unterbringung von Gom-
phostrobus ist aber eben noch unmöglich; vielleicht ge-
hört die Gattung in der That — wie Marion, der die
Gattung Gomphostrobus begründet hat. will — zu den
Coniferen, speeiell den Salisburieen, wofür sich ebenfalls
Gründe beiiiringen lassen, alier sie kann drittens, bei
der Verwandtschaft der Lycopodineen mit den Coniferen,
auch einen Mischtypus zwischen beiden Abtheilungen
vorstellen.
Für die Unterbringung bei den Coniferen lässt sich
geltend machen, dass hier die Eichen (Sporangien) eben-
falls blatfbiirtig sind und zuweilen in der Eiiizalil am
Grunde der Fruchtblätter vorkommen, dass die Blätter,
Nr. 33.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
34.Ö
speciell bei dem Typus der Oattung; Ginkgo, eine dicho-
tonie Ansliihluni;- erfaln'cn, dass die Laubblätter vou Goni-
phdstnilius den Charakter von Coniferen-Nadehi haben
u. s. w.; aber es g'iebt keine lebende Coniferen- Gattung,
mit der sieii direct in den Einzelheiten des Aufbaues
Gomphostrobus in gleicher Weise vergleichen Hesse, wie
mit dem der Psilotaeeen, und auch der breite Mittelnerv
der Gomphostrobus - Sporophylle spricht mehr für diese
letztere Familie als für die Salisburieen.
Gomphostr(d)us-Reste sind bisher nur im Rothliegendeu
gefunden worden, meist linden sieh einzelne Sporophylle.
Laubblattspross- Stücke sind kaum von solchen von der
rdtbliegenden Conifere Walchia, namentlich von der
W. filieiformis, zu luilerscheiden. Erst Herr Marion hat den
Zusaumienhang der Sprosse mit den Spordpliyllen bekannt
gegeben*), aber noch nicht zur Aliliildung gebracht. Ich
bin ihm daher zu Dank verpflichtet, dass er mir eine
unedirte Tafel mit 2 blühenden Sprossen zur Reproduction
der Abbildung Figur 2 zur Verfügung gestellt hat.
*) .Siu- Ic Goiniiliostrobus (Extrait Jes Comptes reiiflus
il. iiiiiinces di^ rAcad. A. Sc. t. CX, seancc du 28. Avril 1890.)
Paris 1890.
Die bacteriologische ('holeradiasnose und ihre
Anteinduiis? betitelt der Stabsarzt Dr. H. Jäger einen
gegen Lieijreieh's in No. 31 der „Naturw. Wochenschr.'"
mitgetheilte Aeusserungcn gerichteten Artikel in der
„Deutschen Medicinischen Wochenschrift." Der Vortrag
Ijiebreich's — sagt J. — kann in seinem ganzen Inhalt
nicht anders bezeichnet werden, denn als eine Provoeation
gegen die ganze im letzten Jahrzehnt von Koch und seiner
Schule ausgebildete Lehre von der Aetiologie der In-
fectiouskrankheiten.
Wenn ich einen Speer in diesen Krieg trage, so ge-
schieht das deshalb, weil ich es für dringend geboten
halte, dass so perverse Doctrinen, wie sie Liebreich über
die .Vetioldgie der Infectiduskrankheiten und über den
Werth der bacteriologisehen Diagnostik ausspricht, so
liald wie milglich rcctiticirt werden.
Ich halte das ganz besonders für geboten in einer
Zeit wie die jetzige, wo die Cholera vor der Thür steht,
und wo uns endlich das langersehnte Ileichsseuchengesetz
in hotfentlich nicht zu ferner Aussicht steht. In einer
solchen Zeit sollten nicht die Auschauungen der Aerzte
durch Vorführung von Schattenbildern eines Schein-
kam])fes über längst abgeklärte Thatsachen immer wieder
wankend gemacht werden.
Will L. beweisen, dass die Cholerabacterien nicht
zu diagnosticireii seien, weil sie in ihren biologischen
Eigenschaften zu variabel oder zu wenig eharakterisirt
seien, so etwa, wie mau das vielleicht bezuglich der
Typhusbacillen, wenn es sich um deren Nachweis im
Wasser handelt behaupten kann? Nein! Denn er spricht
von Cholerabacillen, welche er selbst aus dem Darm ge-
züchtet hat. Diese haben also, wie es scheint, doch so
ausreichende Artmerkmale besessen, dass sogar Liebreich,
welcher sich darin so sehr anspruchsvoll erweist, die-
selben als solche erkainit hat. Aber in seinen Aus-
führungen, betreft'end die neuestens von R. Koch auf-
gestellten sechs diagnostischen Merkmale, konunt er zu
dem Resultate, dass keines derselben etwas taugt, denn
vielleicht konnnt der Fall vor, dass eines der Merkmale
oder auch zwei derselben fehlen. Dann müssen wir uns
bloss wiederholt wundern, wenn es dem Antor doch ge-
glückt ist, Cholerabacillen aus dem Darm zu züchten.
Nehmen wir aber, um näher auf die Einwände ein-
zugehen, einmal an: man findet bei der mikroskopischen
Untersuchung des Darminhaltes eines verdächtigen Kranken
gekrümmte ßacillen oder man findet eben solche in dem
Häutehen, welches sich auf der Oberfläche einer nach
Schottelius behandelten verdächtigen Wasserprobe ge-
bildet hat, so haben wir bekanntlich als nächstes und
ältestes Verfahren die Aussaat dieses Materials auf der
Gelatineplatte. Dass diese „nicht die Peptoncultur an
Feinheit übertrifft", sagt doch nicht, dass sie unzuverlässig
sei! Ferner: „geringe Unterschiede in der Zusammen-
setzung der Gelatineplatte liefern ein abweichendes Aus-
sehen". Das weiss aber jeder Bacteriologe, dass er zu
Cholerazeiteu eiue Gelatine vorräthig halten muss, von
welcher er weiss, dass Cholerabacillen kräftig darauf
wachsen. Frisch aus dem Darm oder Wasser gezüchtete
Cholerabacillen wachsen auf einer solchen auch typiseli ;
das haben die Erfahrungen des vorigen Herbstes genug-
sam erwiesen, und um das Auffinden von im Laboratorium
lange fortgezüchteten Culturen handelt es sieh ja über-
haupt nicht.
Dass überhaupt seit Koch's Entdeckung, also seit
zehn Jahren, das Hauptgewicht auf das charakteristische
Aussehen der Colonieen auf der bei 20 — 22° C gehaltenen
Gelatineplatte gelegt worden ist und noch gelegt wird,
davon si)richt Liebreich kein Wort; im Gegentheil, er
berichtet von den Untersuchungen Bujwid's über zwei
eholeraähnlich wachsende Bacterienarten: „Sie zeigen im
Verhalten gegen Gelatine und .Vgar nur graduelle Unter-
schiede", und doch schreibt Bujwid wörtlich: „bei höherer
Temperatur" (als 10 — 12° R) kann man aber sofort einen
bedeutenden Unterschied bemerken." — „Pepton- und
Gelatineeultur müssen sieh gegenseitig ergänzen," wie
ausdrücklich von C. Günther in seinem Referat über die
Koch'sche Veröffentlichung hervorgehoben wird.
Dass die Agarplattencultur nur zur Beschleunigung
der Diagnose eingeführt wurde und keineswegs zur
weiteren Sicherstellung derselben, scheint sich Liebreich
nicht klar gemacht zu haben. — Bleil)t uns die Häutchen-
bildung auf dem Pepton aus, uiul sollte gar auch die
Indolreaction ausbleiben, so können wir eben nicht so
rasch die Diagnose beenden, sondern müssen die Eut-
' Wickelung der Gelatineplatte abwarten.
Was sodann die Indolreaction betrifft, so bringt er
■ damit ja allerdings nichts Neues, ja sogar recht Altes :
dass es sich um eine Indolreaction handelt, ist alt; neu
aber ist, dass die Indolreaction eine Cholerareaction ist,
d. h. dass die Reineultur der C'holeraculturen zum Unter-
, schied von gekrümmten und nicht gekrünnnten Fäulniss-
, bacterien gleichzeitig Indol und Nitrite zu bilden vermag,
und dass sie so die Indolreaction ohne Zusatz von Nitrit
giebt, während bei der Eiwcissfäuluiss nur durch das
Zusammenwirken von Nitritbildnern und ludolbildnern die
Reaction gelingt.
Bleibt nun bei der Cholerauntersuehung eines oder
das andere der genannten Merkmale aus, z. B. bei der
Wasseruntersuchung die Bildung des Iläutchens, oder
finden sich auf der (ielatineplatte keine Colonieen von
charakteristischem Aussehen — nun dann gelingt eben
hier der Nachweis der Cholerabacillen nicht, wie er ja
bis zur Einführung der Methode von Heim bei Wasser-
■ Untersuchungen meist fehlgeschlagen, seither aber über-
raschend häufig gelungen ist.
Gelingt aber der Nachweis nicht, dann stehen wir
auch an keinem anderen Punkte, als wenn bei der Unter-
suchung des Sputums eines der Tuberculose Verdächtigen
: keine Tubcrkelbaeillen nachgewiesen werden. Sollte
l Liebreich aus solchen Befunden auch schlicssen, dass die
346
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 3.S.
diagnostische Untersuchung auf Tuberkelbacilleu werth-
los sei?
Bezüglich der Bedeutung des Thierexperimentes
schliesslich legt Liebreich grossen Werth darauf, dass eine
Oese auch etwas mehr oder weniger Cultur aufnehmen
könne als 1,5 mg, wie R. Pfeiffer angicbt.
Dieser Einwand scheint in der That gerechtfertigt,
wenn man sich die Meerschweinchencholera bei Bauch-
höhleninfection als reine Intoxication vorstellt; derselbe
scheint mir also nur gegen die Richtigkeit der Pfeiffer-
schen Theorie zu sprechen, nimmt man dagegen mit
Gruber und Wiener an, dass das wesentliche die Re-
productionsfähigkeit des Infeetiousstoft'es ist, dann erklärt
sieh sofort, warum in der experimentellen Praxis that-
sächlich auf die Dosirung der Platinöse so wenig an-
konmit: die Toxine müssen sich erst im inficirten Or-
ganismus bilden, und darin zeigt der Choleravibrio seine
pathogene Natur gegenüber den Saprophyten.
Aus diesem Grunde ist auch die Grösse der Platinöse
nicht von so grosser Bedeutung, weil die, wenn auch
schwankende, so doch absolut kleine Menge des In-
fectionsstoftes schon Erscheinungen auslöst, welche man
mit saprophytischen Culturen nur bei weit grösseren
Quantitäten vielleicht erreichen könnte.
Es hat sonach Liebreich mit seinen Versuchen, die
Methode der bacteriologischen Diagnose der Cholera zu
discreditiren, wenig Glück gehabt; dem Bacteriologen von
Fach — einer Berufsclasse, welcher er die Existenz ab-
spricht — hat er aber gezeigt, dass er in der bacterio-
logischen Methode über das Kartofielschälen allerdings
nocii nicht sehr weit hinaus gediehen ist.
Thatsächlich hat die baeteriologische Methode bei
der Diagnose der Cholera im vorigen Jahre überall mit
einer Promptheit functionirt, so dass nirgends eine epi-
demische Ausbreitung erfolgt ist, in welcher über das
Vorhandensein der Koch'scheu Kommabacillen auch nur
eine Unsicherheit geherscht hätte.
So viel zur Technik. Aber Liebreich geht noch viel
weiter, ja er landet an einer Stelle, wo er gewiss selbst
nicht zu landen erwartet hatte, als er den Titel zu
seinem Vortrage aussann: er leugnet rundweg die ätio-
logische Bedeutung der Choleral)acilleu. In der That,
da hat Liebreich viel gewagt! Er bekämpft nicht nur
Koch — das ist uns ja seit der Zeit des eantharidinsauren
Kali nichts Neues — sondern die gesammten Forscher,
welche sich zur Ermittelung der Aetiologie der Cholera-
epideniieen der bacteriologischen Methoden bedient haben.
Ja er schmäht sogar den in anderem Lager stehenden
greisen Forseher, welcher mit stolzer Kühnheit den ge-
fährlichen Tropfen trank, und stellt die Choleraattaque
als „Einwirkung der Psyche auf den Darm" — als
Angstproduct — dar! Ein solcher Zug liegt nicht in der
individuellen Disposition des Altmeisters in München.
Ueber den iiatiirwiissenschafHiclien Unterricht auf
Uliseren höheren Schulen veröffentlicht Paul Harms
einen Aufsatz in den Grenzboten, dem wir das Folgende
entnehmen :
Kant hat den Materialismus überwunden, sagt Albert
Lange in seiner Geschichte der materialistischen Welt-
anschauung. Das kann man zugeben; al)er zu glauben,
dass der Materialismus nun auch überwunden sei, wäre
ein grosser Irrthum. In einer einfiussreichen Klasse von
Gebildeten ist der Materialismus noch durchaus die herr-
schende Weltanschauung: in dem Kreise der akademisch
gebildeten Vertreter der Naturwissenschaft. Einflussreich
ist diese Klasse insofern, als zu ihr die Lehrer der höheren
Schulen gehören, die ihre Ansichten natürlich auf die
Schüler übertragen. In den jugendlichen Köpfen pflegen
diese nun zwar nicht zu einer festen Weltanschauung aus-
zureifen, wohl aber die ärgste Begrift's\ erwirrung anzu-
richten und ein beispiellos unklares Denken zu züchten.
Und innner noch fordern namentlich die Vertreter der
Technik in ihren .,Resolutioneu" zur Schulfrage den Auf-
bau der modernen Bildung „auf neuspraehlich-naturwissen-
schaftiicher (irrundlage." Ob sie sich wohl darüber klar
sind, wie diese wunderliche Grundlage aussehen soUV Am
„ueusprachlichen" Unterrieht ist von berufenster Seite
Kritik geübt worden, und wie er in Zukunft betrieben
werden muss, darüber sind wir so ziendich im reinen.
Mit der gegenwärtigen Praxis des naturwissenschaftlichen
Unterrichts dagegen scheint man vidlig zufrieden zu
sein, höchstens wünscht man die Unterrichtsstunden ver-
mehrt zu sehen. Man thut sich etwas zu gute auf den
(irundsatz, die Mittel zum Unterricht nach Möglichkeit
der Anschauung zu entnehmen, und cntninnnt dabei die
Gegenstände des Unterrichts der Theorie, die — ofl'en
gestanden — nicht einmal der Lehrer versteht.
Die beiden grundlegenden Hypothesen der modernen
Naturwissenschaft sind die Descendenztheorie und die
Theorie von den Bewegungen der Moleeüle. Die erste hat
ihre Quelle in der Beol)acbtung und kann daher schliesslich
jedem Gebildeten verständlich gemacht werden, der Augen
hat zu sehen und Ohren zu hören. Die zweite hat ihre
Quelle in dem begrifflichen Denken und kann daher nur
von dem begriffen werden, dessen Denken philosophisch
geschult ist. Wo aber hätten unsere Kandidaten des
höheren Lehramts eine pliilosoidiische Schulung genossen?
Das Insehen Notizengelehrsamkeit, das sie einst in dem
mit der Aufschrift „Philosophie und Pädagogik" ver-
sehenen Schubfach ihrer Examenausrüstung mit sich
führten, haben sie als Lehrer ja längst wieder vergessen.
Es würde ihnen auch wenig helfen znr Lösung des Wider-
sjiruchs, den sie an die Spitze ihres Unterrichts in Chemie
und Physik stellen. Denn in der That, mit einem Wider-
spruch fängt die ganze Geschichte an. Die Chemie und
die mathematische Naturwissenschaft, beide von verschie-
denen Punkten ausgehend, sind bestrebt, alle Erschei-
nungen der sinnlichen Welt auf Bewegungen der Moleeüle
zurückzuführen. Ihre Systeme — denn von einem ein-
heitlichen System sind sie noch weit entfernt — beginnen
daher mit dem Satz: Die Materie besteht aus kleinsten
Theilchen, Moleeüle genannt, die durch mechanische
Mittel nicht weiter theilbar sind. Untheilbare Theilchen!
Ein Widerspruch, über den kein unbefangenes Denken
hinwegkommt. Es ist wahr, dass man sich schliesslich
einredet, man glaube an die materielle Existenz dieser
untheilbaren Theilchen. Der Schüler aber trägt schwer
an diesem Widerspruch. Immer wieder sagt ihm sein
noch unverdorbnes wissenschaftliches Gewissen, dass er
sein stolzes System auf einer Lüge aufbaut, und immer
wieder besticht ihn die scheinbare Konsequenz dieses
Systems, das die physikalischen Erscheinungen, die che-
mischen Reactionen und — wer zweifelt noch daran! —
über kurz oder lang auch die psychischen Vorgänge durch
Bewegungen der kleinsten untheilbaren Theilchen, zur
bessern Verschleierung des Widerspruchs Moleeüle ge-
nannt, zurückführt.
Aber — könnte ein Jünger der Wissenschaft ausrufen,
der mit Ungeduld bis hierher gelesen hat — sollen denn
die Moleeüle, mit deren Dasein die gelehrtesten Männer
erfolgreich gerechnet haben, gar nicht vorhanden seinV
Ja, wer bestreitet denn, dass sie vorhanden sind! Nur wo
sie sind, das ist die Frage. Als ein Grundbegriff' der mathe-
matischen Naturwissenschaft führen sie ein sehr reales
Dasein, aber dass sie in der sinnlichen Welt vorhanden
seien, dass sie körperliche Gebilde im Raum seien, das
Nr. 33.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
347
bestreitet Verfasser ganz entscliieden. Untlicilbarc Materie
ist der sinnliciien Weit ebenso unliekanut, wie die nneudlieh
kleine Grösse der Mathematiker, das Üiflcrential. Und
docli recimct die höhere Mathematik sehr erfolgreich mit
unendlich kleinen Grössen, aber freilich ist es ihr noch
nicht eingefallen, diese Gebilde des reinsten Denkens für
körperiiciie Gebilde zu erklären, die für die Sinne vor-
handen sind. Auf der Prima der Realgymnasien wird in
Physik und Chemie nicht geleint, dass sich das System
dieser Wissenschaften anf dem Begriff des Molecüls auf-
baut, sondern dass sich die sinnliciie Materie aus untheil-
baren Körperchen zusammensetzt. l)(n't wird niciit gelehrt,
welche Art von Bewegung die rechnende Wissenschaft
diesen Molccülen beilegen muss, um ein den sinniieli
wahrgenommenen Erscheinungen entsprechendes logisches
System von Begriffen aufstellen zu können; sondern es
wird die kühne Behauptung aufgestellt, dass das, was
wir als Sehall, Licht, Wärme emjjfinden, nichts anderes
sei, als die und die Bewegung der untheiUniren kleinsten
Tiieilchen der Materie! Es ist der alte eirculus: aus den
sinnlichen Erscheinungen wird ein Begriff abgeleitet; dann
wird auf Grund dieses Begriffes eine mehr oder minder
vollständige Theorie aufgestellt; und schliesslich wird die
sinnliche Erscheinung einfach mit der Theorie zusammen-
geworfen. Oder, in der Sprache des alten Kant zu reden:
was ein regulatives Prinzip bleiben sollte, wird zu einem
konstitutiven erhoben.
Wie soll sich nun die Schule zu der theoretischen
Wissenschaft stellen? Soll sie dem Schüler den Unter-
schied zwischen begrifflicher und sinnlicher AVirklichkeit
klai'machen":' Dann muss die Universität den Lehrer vor
allen Dingen in den Stand setzen, diesen Unterschied zu
verstehen, dann muss ihm die Universität eine gründliehe
philosophische Schulung geben. Die Schule kann sich be-
gnügen, die Betrachtungsweise der theoretischen Wissen-
schaft anzudeuten.
Eine Abhülfe wäre nur dadurch geschaffen, dass man
zunächst die theoretische Wissenschaft auf der Schule fallen
liesse. Damit dürfte ein gut Stück wissenschaftlichen Dün-
kels, ein gut Stück unklaren Denkens und unklaren Schwär-
meus (für Bebeische und Bellamysche Utopien*) zum Bei-
spiel) aus den Köpfen unserer Jugend weggefegt werden.
Statt dessen leite man sie erstens an, die Augen offen zu
halten und die Erscheinungen um sie her zu beobachten.
Zweitens leite man die Schüler mehr zu praktischer
Thätigkeit an. Der Handfertigkeitsunterricht, den man in
den unteren und mittleren Klassen einzuführen bestrebt ist,
könnte sich in praktischer Thätigkeit auf dem Gebiete der
wissenschaftlichen Technik sehr erfolgreich fortsetzen.
Wie gelehrt wird, das mögen die Fachleute ausmachen;
was gelehrt wird, das ist eine Frage, an der jeder Ge-
bildete Antheil zu nehmen berechtigt ist. Gegenwärtig
liegt der Schwerpunkt des naturwissenschaftlichen Unter-
richts in der Moleculartheorie, denn in den Oberklassen
beschränkt sich der Unterricht auf Physik und Chemie.
Verfasser fordert, dass der Schwerpunkt des naturwissen-
sehaftlicben Unterrichts in die auf anschauliche Beobach-
tung gegründete Naturwissenschaft, in die Biologie verlegt
wird. Chemie und Physik sind auf den anschaulichen
Theil, auf das praktische Experiment und die empirische
Technik zu beschränken, Zoologie und Botanik auch auf
den Oberklassen weiter zu lehren. Die Zoologie darf dann
natürlich nicht mit dem Affen absehliessen, auch nicht
mit einem dünnen Destillat aus Anatomie und Physiologie,
sondern sie muss in die Anthropologie, in die Völkerkunde
auslaufen.
Es liegt nicht in des Verfassers Absiebt, einen voll-
*) Vergl. die Besprechung von Belhiniy's Buch: „N:itm-
wissenschal'tliche Wochonschiift" Bd. V S. 339. — Hed.
ständigen Unicrriciitsi)hin aufzustellen, sondern er will
nur das ungesunde l'rinzij) des l)isherigen Unterrichts
kennzeichnen. Besonders ist die heutige Vertheilung des
Unterrichtsstoffes geradezu widersinnig. Auf den Unter-
klassen stopft man den Schülern den Kopf mit frenulen
Sprachformen voll, die ihnen böhmische Dörfer sind; oder
glaubt man etwa, dass ein Sextaner je begreift, wie das
eine Wort amavi die drei Worte ..ich habe geliebt" richtig
wiedergeben kann? Auswendig lernt er's, aber begreifen?
Wie kann er's überhaupt begreifen, so lange er nichts von
historischer Grannnatik weiss? In den Mittelklassen lässt
man dann die Schüler Pflanzen zerlegen und Thiere be-
schreii)en und giebt ihnen in der Untersekunda nebenbei
eine Ahnung von der modernen Entwickelungsichre.
Als Folge ihrer zoologischen Studien z. B. verblüffen
sie ihren Papa mit der fabelhaften Behauptung, dass
er geradeswegs vom Alfen abstamme, und nennen das
„Darwinsche Theorie." Auf den oberen Klassen cntl-
iich, wo mikroskopische Arbeiten, wo die Fragen nach
der Entwickelung organischen Lebens, nach der Ent-
wickelung des Menschengeschlechts die Schüler ganz ge-
waltig interessircn würden, setzt man ihnen das unver-
dauliche Gericht von der Moleculartheorie vor. Und in
dem hochnothpeinlichen Verhör, Abiturientenexaraen ge-
nannt, das die schöne Geistesdressur abschliesst, überzeugt
sich dann der Scltulrath, dass von alledem ein befrie-
digendes (jnantum hängen geblielien ist, und die Scind-
verwaltung kann sich mit dem erhebenden Bewusstsein
aufs (Jhr legen, die ihr zur Bildung anvertraute Jugend
mit einem kondensirten Extract von allem, was heute
wisseuswerth ist, ausgerüstet zu haben. Die also aus-
gerüsteten aber werfen ihrerseits, von allem Wissens(iualm
entladen, den ganzen Ballast so rasch als möglich wieder
ab und verlegen sich, ohne sich um das ideale Ziel, das
ihnen der Director in seiner Eutlassungsrede vorgehalten
hat, sonderlich zu kümmern, die einen auf rationelles Geld-
verdienen im Kaufmannsstande, die anderen anf rationelles
(ieldverthun auf der Universität.
Solange nicht auf den höheren Schulen der Schwer-
punkt des naturwissenschattlichen Unterrichts in die Bio-
logie verlegt wird
als Lehre vom organischen Leben
Biologie im weitesten Sinne gefasst.
, so lange ist die
Forderung einer „neusprachlich - naturwissenschaftlichen
Grundlage" für unsere Schulbildung blauer Dunst. Wie
kann man so verschiedene Dinge wie Sprachwissenschaft
und Naturwissenschaft zu einer Grundlage vereinigen
wollen, wenn nicht durch die Gleichheit ihrer wissen-
schaftlichen Methode! Die Biologie aber hat mit der ver-
gleichenden Sprachwissenschaft die Methode gemeinsam,
die .Methode, die die ganze moderne Wissenschaft be-
herrscht, und die am reinsten ausgeprägt ist in der
.sogenannten Darwinschen Theorie und in der historischen
Grammatik. Es ist die Metliode, alle Dinge dieser Welt
zu betraghten als Früchte organischen Werdens und
Wachsens. Das sollte die höhere Schule ihre Zöglinge
vor allen Dingen lehren, wie die moderne Wissenschaft
die Dinge betrachtet, und lummt man in die Grundlage
dann noch Geschichte auf, Geschichte auch im weitesten
Sinne, dann lässt sich allerdings auf kulturhistorisch-neu-
sprachlich-naturwissenschaftlicher Grundlage eine harmo-
nische Bildung aufbauen, eine Bildung, die den Schüler
befähigt, das Wisssen der Gegenwart in sich aufzunehmen
und zu dem Wollen der Gegenwart mitzusprechen. Aber
freilich, dazu müsste noch mancherlei geschaffen werden.
Dazu müssten z. B. in den Sprachunterricht die Gruudzüge
der historischen Grammatik aufgenommen werden. Und
soll dem Schüler diese wirklich verständlich und nutzbar
werden, so müsste es — die deutsche Grammatik sein! x.
348
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 3.3.
Die Assiiiiilatioii des Eisens im thienscheii Körper
iiiul die therapeutische Wirkung: der Eisenpräparate. —
Wie schon vor Jahrzehnten experimentell nachgewiesen
worden ist, sind die Pflanzen im Stande, das Eisen aus
anorganischen Verbindungen direct zu assirailircn. be-
kannt ist das Experiment, eine in eisenfreicr Nährlösung
gezogene und dadurch chlorotisch(l)leichsiichtig) gewordene
Pflanze durch Zusatz der zur Ohloropiiyllbildung unbedingt
nöthigen Eisensalze in wenigen Tagen normal grün werden
zu lassen. Die Erfolge, welche bei Behandlung der mensch-
lichen Chlorose durch Verabreichung von Eisenpräparaten
erzielt worden sind, haben deshall) viele Aerzte und Phy-
siologen zu der Annahme verleitet, der menschliche Orga-
nisnnis besitze die Eähigkeit, durch Synthese aus an-
organischen Eisenverbindungen und Eiweiss Hämoglobin,
den Hauptbestandtheil der rothen Blutkörperchen, zu bilden.
Denn wenn man einerseits den Eisengehalt des rothen
Blutfarbstoffs, andererseits die zunehmende Vermehrung der
Menge des Farbstofl's bei fortgesetztem Gebrauch von
Eisenpräparaten in Betracht zieht, so ist man ohne weiteres
zu der Annahme geneigt, dass das Eisensalz nach einer
mehr oder weniger vollständigen Resorption durch Ver-
bindung mit Eiweiss Hämoglobin bilden könnte.
Nun haben aber zahlreiche hierauf bezügliche Unter-
suchungen bewiesen, dass die Eisensalze nach P^inführung
in den Verdauungscanal im allgemeinen nicht resorbirt
werden oder nur in verschwindend geringen Quantitäten,
welche zu der Menge des eingenommenen Eisensalzes in
keinem Verhältniss stehen.
Wie ferner Thierversuche gezeigt haben, bewirken
Eisensalzc, wenn sie ins Blut gelangen, Vergiftungserschei-
nungen, älinlich denen der Arsenwirkung. Es musste also
zunächst die Frage entschieden werden: In welcher Form
wird unter normalen Verhältnissen das Eisen resorbirt und
assimilirtV Woraus bildet sieh Hämoglobin?
Zur Entscheidung dieser Frage hat Bunge*) bereits
1884 die Eisenverbindungen der Milch und des Eidotters
untersucht. Die Milch, als die ausschliessliche Nahrung
des Säuglings, muss das Material zur Hämoglobinbildung
enthalten, ebenso der Eidotter, aus dessen Bestandtheilen
während der Bebrütung Hämoglobin sieh bildet, ohne
dass von aussen etwas hinzukonunt. Nach Bunge's Unter-
suchungen enthalten unsere Nahrungsmittel keine resorhir-
baren anorganischen Eisenverl)indungen. Das Eisen findet
sich in unserer Nahrung nur in der Form von sehr com-
plicirten organischen Verbindungen, die durch den Lebens-
process der Pflanze erzeugt werden. In dieser Form
wird das Eisen resorbirt und assimilirt; diese Verbindungen
liefern das Material zur normalen Hämoglobin -Bildung.
Die Assimilation des Eisens geschieht somit im thierischen
und ])flanzlichen Organismus in wesentlich verschiedener
Weise ; das Thier ist nur im Stande, das von der Pflanze
bereits assimilirte und organisch gebundene Eisen weiter
zu verarbeiten.
Die therapeutische Wirkung der Eisenpräparate er-
klärt Bunge in folgender Weise: Chlorose ist oft von
Störungen im Verdauungsapparat und von daselbst auf-
tretenden, abnorm gesteigerten Zersetzungsprocessen be-
gleitet. Der hierbei sich entwickelnde Schwefelwasserstoff
zerstört die organischen Eisenverbindimgen und verhindert
dadurch die Resorption des Eisens. Die verabreichten
Eisenpräparate schützen nun die organischen Eisenverbin-
dungen vor der Zersetzung im Darm, vor der Abspaltung
des Eisens; denn dass die Anhäufung eines Spaltungs-
products die weitere Abspaltung desselben verhindert, ist
eine Erscheinung, für welche sich zahlreiche Analogien
Zeitsclu-. f. physiol. Chemie Bd. 9 S. 49.
anführen lassen, die in dem Bcrtliollet'schcn Gesetz der
„Masseuwirkung" ihren allgemeinen Ausdruck finden.
Eine Ergänzung haben die Bunge sehen Untersuchungen
kürzlich durch Moerner*) erfahren. Bunge hatte bereits
angedeutet, dass die Eisenmittel, wenn sie in so grosser
Menge, wie bei Chlorose üblich ist, eingeführt werden,
antiseptisch (Bacterien tödtend) wirken und dadurch den
Fäulnissprocess im Darndcanal und die hierbei stattfindende
Bildung von Schwefelwasserstoff auf ein möglichst geringes
Maass beschränken könnten.
Einen Maassstab für die Intensität des Fäulnisspro-
cesses im Darm liefert aber das Verhältniss der im Urin
enthaltenen Aether- Schwefelsäuren zu der in Form von
Sulfaten gebundenen Schwefelsäure. Eine Steigerung der
relativen Menge von Aether- Schwefelsäure giebt erhöhte
Zersetzung an, eine Abnahme derselben deutet auf ver-
minderte Zersetzung im Darm. Durch mehrere Wochen
lang an sich selbst angestellte Versuche hat Moerner ge-
funden, dass sogar eine Eisenmenge, welche das Drei-
fache der sonst in der medicinischen Praxis verordneten
Dosis betrug, nicht im Stande gewesen ist, die relative
Menge der im Urin enthaltenen Aether -Schwefelsäure zu
vermindern. Es hat sich somit die von Bunge gegebene
Erklärung bestätigt, dass die Eisenmittel bei Chlorose da-
durch günstig wirken, ilass sie auf die in den Nahrungs-
mitteln enthaltenen emjtfindlichen organischen Eisenverbin-
dungen einen schützenden Einfluss ausüben. R. M.
Die Function der Grannen der Gersten -Aehre
haben die Herren Zoebl und Mikosch durch eine Reihe
sorgfältiger Versuche festgestellt, deren Resultate sie in
den Sitzungsberichten der Wiener Akademie**) (Bd. 101,
S. 1033 ff.) veröffentlichen. — Ueber die Bedeutung der
Grannen der (4ramineenfrüchte für die lebende Pflanze
ist bisher kaum etwas veröffentlicht worden — die Ver-
fasser konnten in der ihnen zugänglichen Litteratur nur
eine darauf bezügliche Notiz in A. von Kerner's Pflanzen-
Jeben finden, nach welcher die Grannen bei manchen
Gräsern den Früchten zur Verbreitung dienen. — Aus
dem Bau der Grannen schlössen die Verfasser bereits auf
ihre transpiratorische Function: Dreieckig im Querschnitt,
besitzen sie auf jeder der beiden convergirenden Unter- resp.
Aussenseiten zwei Reihen Spaltöffnungen, welche durch
ihre Athemhöiilen die Verbindung zwisciien der Atino-
si)häre und dem verzweigten Intercclluhirsystem eines
dünnwandigen, ehlorophyllführenden Parenchyms her-
stellen. Die auf das Sorgfältigste durchdachten und aus-
geführten Experimente zerfielen in mehrere (iruiipen.
Eine begrannte Aehre mit dem obersten Stengelgliede
wurde in einem mit destillirtem Wasser gefüllten Probir-
gläschen mittels dünnen Drahtes befestigt, der Halm dann
unter Wasser abgeschnitten, die Oberfläche des letzteren
zur Verhinderung der Verdunstung mit einer Oelschicht
bedeckt und der Apparat auf einer analytischen Waage be-
festigt. In gleicher Weise wurde mit einer entgrannten
Aehre verfahren. Die transpirirte Wassermenge wurde
dann in gewissen Zwischenräumen leicht durch Wägen
der Apparate festgestellt. Das Ergebniss zeigt die folgende
Tabelle:
I. II.
Secliszeilige Gerste Zweizeilige Gerste
Wiisserverliist innerhalb 24 Stunden
in "/o v.
Begrannt
Entgraunt
in gr.
G,683
1,356
in % V.
Lebendgew.
der Aohrn
212
51,5
in gr.
7,351
1,513
Lebendgew.
der Aehre
305,9
96,3
*) Zeitschr. f. physiol. Chemie 18. Bd. I.Heft S. i:} ff.
*) Vergl. „Naturw. Wocheiischr." Bd. VIII, S. 223.
Nr. 33.
Naturwisseuscliaftliche Wochenschrift.
349
Die begTanntcii Aehren vci-Hiicütigteu demnach 4,'.l-
resp. 4,8 oder, auf gleiches Lebendgewicht bezogen, 4,1
resp. 3,2-mal soviel Wasser, als die entgrannten. Die
Transpiration erreichte Morgens zwischen 8 und 10 Uhr
(der Arbeitsraum hatte Morgensonne) ihr Maximum, sank
während des Nachmittags und Abends und stieg ganz
bedeutend nach Sonnenaufgang.
In zwei weiteren Versuchen wurde die Transpiration
der Blätter beobachtet: es wurde je ein mit den 3 olieren
normal entwickelten Blättern besetzter Halm, dessen Aehre
noch in der Entwickelung begriffen war (schossender
Halm), in der ol)igen Weise in einem Erleumeyer'sclien
Kölbchen adjustirt. Das Ergebniss war das folgende:
III.
/Cweizcilige Gerste
Wiisservorhist innorlialli 24 Stuiulen
in "/o V. auf 1 Dem
in gr. Lebeiidgew. Biattfläclio
des Hahnes in gr. '
A 1. Tag 7,262 126,7 4,3
" 2. ., 9,S72 172,;'. 5,8
B.
1. Tag
2. „
5,921
6,775
144,0
164,8
4,5
5,2
Der Verlauf der Transpiration (Eintritt von Maximum
und Minimum) glich dem der früheren Versuche. In
einer Stunde transpirirte denniach
die sechszeilige begrannte Aehre (Versuch I) 0,278 gr.,
„ zweizeilige „ „ ( ,, 11) 0,306 „
der beblätterte schosseude Hahn ( „ IIIA) 0,302 „
resp. 0,411 „
. ( . HIB) 0,246 „
resp. 0,282 „ ;
es transpiriren also die Aehren allein nahezu eine gleich
grosse Menge Wasser, „wie die beblätterten Halme."
Durch eine Reihe weiterer Versuche wurde fest-
gestellt, welchen Antheil die Aehre, bczw. die Blätter an
der Gesammttranspiration der Pflanze nehmen: Auf zwei
nebeneinanderstehemle analytische Waagen wurde je ein
beblätterter Halm zweizeiliger Gerste, in derselben Weise
wie früher adjustirt, gebracht und denselben äusseren
Bedingungen ausgesetzt; nach einer bestinmiten Zeit
wurden von dem Halme A die Blätter und von dem
Halme B die Aehren entfernt. Es ergab sicii, dass die
Reduction in der Transpiration in beiden Fällen annähernd
die gleiche war: setzt man nämlich die Transpiration der
ganzen Pflanze am ersten Versuchstage = 100, so ging
dieselbe beim ersten Versuche am zweiten Tage bei .i
(nach Entfernung der Blätter) auf 357ü, hei B (nach Ent-
fernung der Aehre) auf 30 "/o zurück. Bei einem zweiten
Versuche mit anderen Individuen betrug die Transpiration
der entsprechenden Exemplare unter denselben Verhält-
nissen in den gleichen Zeiträumen 60 bezw. 62 "/o von
den derjenigen der intacteu Pflanzen. — Aus den Versuchen
hat sich ergeben, dass die Grannen Transpirations-
organe sind und die Transpiration eine vom Lichte be-
einflusste, periodische Thätigkeit ist; ferner haben die-
selben gezeigt, das die Transpiration am intensivsten ist
zur Zeit der stärksten Entwickelung des Kornes, also
während der Periode des grössten Saftzuflusses. Es scheint
demnach die starke Transpiration der Grannen zur Stoff-
wanderung, mithin zur normalen Entwickelung der
Frucht in enger Beziehung zu stehen.
In Einklang hiermit steht die Thatsache, dass je
grösser die Früchte bei der Gerste, desto länger auch
ihre Grannen sind — die schwersten Körner sitzen aber
unten, während nach oben zu immer leichtere folgen, in
gleicher Weise nimmt auch die Länge der Grannen ab.
Endlich werfen manche Gerstenformen nach der Frucht-
reife die Grannen ab, was ebenfalls für die Bedeutung
der letzteren für die Fruchtbildung spricht.
Ueber den mikroskopischen Nachweis der Kohle
in iliren verschiedenen Formen und über die Ueber-
einstimmnng des Lungeupigments mit der Rus.skohle
veröffentlicht Prof. J. Wiesner in den Sitzungsberichten
der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien (Matem.-
naturw. Classe; Bd. CI. Abth. I. März 1892) eine Abhand-
lung, deren Hauptresultate die folgenden sind:
1. Der wesentliche Bestandtheil der Braunkohle ist
eine Sul)stanz, welche selh.st in Form kleiner Splitter
folgende Eigenschaften hat. Die Theilchen sind braun,
durchscheinend, werden durch Chromsäure (eigentlich
Chromsäuregemiscii; Gemenge von chronisaurem Kali und
Schwefelsäure) farblos und lassen einen häufig nicht mehr
histologisch bestimmbaren Gewebsdetritus zurück, welcher
die Reaetionen der Cellulose zeigt. Da auch diese der
Einwirkung der Chromsäure nicht widersteht, so wird die
Braunkohle, abgesehen von mineralischen Beimengungen,
durch Chronisäure zerstört.
2. Alle übrigen der Untersuchung unterzogenen
Kohlenarten, nämlich Anthracit, Steinkohle, Holzkohle,
Russ und Graphit, enthalten eine zumeist geringe Menge
einer durch Chromsäure leicht oxydirbaren Substanz.
In Form feinen Pulvers auf dem Objectträger mit Chrom-
säure behandelt, wird das Reagens braun und endlich
grün. Der Rückstand erfährt aber selbst nach woehen-
langer Einwirkung des frischen Reagens sichtlich keine
Aenderung; derselbe verhält sich so wie amorpher Kohlen-
stoff" und wird durch Chromsäure (bei gewöhnlicher Tem-
peratur) nur ausserordentlich langsam angegriffen.
3. Anthracit besteht der Hauptmasse nach aus durch
Chromsäure so gut wie nicht zerstörbarer schwarzer Sub-
stanz (amorpher Kohlenstoff), ferner aus einem tief-
braunen durchscheinenden Körper, welcher durch Chrom-
säure langsam oxydirt wird, aber keine Cellulose zu-
rücklässt.
4. Steinkohle verhält sich unter dem Mikroskop so wie
ein Gemenge von Braunkoide und Anthracit, hinterlässt
mithin nach Chromsäureeinwirkung noch kleine Mengen
von Cellulose.
5. Sogenannte Rothkohle (braune Holzkohle) wird
durch Chromsäure vollkommen zerstört. In einem be-
stimmten Stadium der Chromsäureeinwirkung bleibt Cellu-
lose in Form wohlerhaltenen Holzgewebes zurück, welche
vor der Zerstörung lange dunkle Fäden (Reste von
Aussenhäuten) und zarte Ringe (äusscrste Grenzen der
Tüpfel) erkennen lassen, wodurch eine Unterscheidung
von Braunkohle ermöglicht wird. Schwarzkohle (schwarze
Holzkohle) wird, abgesehen von kleinen Mengen leicht
oxydirbarer Substanz, im Reagens fast gar nicht an-
gegriffen.
6. Frisch auf einer Glasplatte aufgefangener Russ
besteht aus überaus feinen schwarzen, in Chromsäure sich
wochenlang erhaltenden Kohlentheilclien, und zum Tiieile
in einander fliessenden Tröpfchen von ölartiger Beschaffen-
heit. Der aus der Atmosphäre sich niederschlagende
Russ besteht zum Theile aus feinen Kohlepartikelchen,
zum Theile aus Aggregaten solcher Partikel, welche ent-
weder dentritische Formen oder uuregelmässige, seltener
rundliche Brocken bilden, welche entweder in brauner
Grundmasse feine schwarze Körnchen führen oder sich
bloss als ein mehr oder minder lockeres Aggregat von
schwarzen Körnchen darstellen.
350
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 33.
7. Das scliwarze Lnng-eiipiginent, welches im Laufe
des Lebens in jeder nicuschlichen Lunge, besonders im
interlol)u]aren P>indegewebe der Lunge sicli ansammelt
und bisher seiner wahren Natur nach noch nicht genü-
gend aufgeklärt wurde, bestellt aus Russkohlc in Form
kleinerer oder grfisserer dunkler Körper, welche durch
Chronisäure in feine punktförmige, wochenlang in diesem
Reagens sich anscheinend unverändert erhaltende Körnehen
zerfällt.
Die Melanine unterscheiden sich von den Körnchen
des Lungenpigments durch ihre leichte, häufig schon nach
wenigen Minuten erfolgende Zerstörung in "Chromsäure.
lieber den AVirtliweclisel der Ro.stpilze äussert
sich der Myeologe F. v. Tavel in den Berichten der
schweizerischen botanischen Gesellschaft (Heft IIL 1S93).
— Der Verfasser geht von einer Untersuchung aus, welche
Stehler und .Schröter über die Wiesentjpen der Schweiz
im Jahre 1892 veröftentliehten und worin sie die Ver-
gesellschaftungen der PHanzenarteu feststellten, welche für
die einzelnen Wiesentypen charakteristisch sind. Die ge-
nannten Autoren unterscheiden z. ß. eine „Burstwiese,"
ausgezeichnet durch das Vorherrschen von Bromus erectus,
der regelmässig von Carex montana und verna, Brachy-
podium piunatum, Festuca ovina, Briza media, zahlreichen
Bapiliouaceen, Labiaten, Plantago- Arten, Euphoibia Cypa-
rissias u. s. w. begleitet wird. Das regelmässige gemein-
schaftliche Vorkommen dieser Pflanzen gestattet die Auf-
stellung eines besonderen Wiesentypus, eben der Burstwiese.
Der Verfasser macht nun darauf aufmerksam, dass unter
den Pflanzen, deren gemeinsames Vorkommen das Wesen
eines Wiesentypus ausmacht, sich auch jeweileu die Nähr-
pflanzen gewisser heteröciseher Rostpilze befinden, in der
Burstwiese z. B. die Träger des Uromyces Pisi und stria-
tus. Man kann also solche Rostpilze mit zu den
Charakterpflanzen eines Wiesentypus rechnen, z. B. die
genannten Uromyces für die Burstwiese, aber auch für
die „Borstgras- Wiese"; Puccinia Sesleriae für die „Blau-
grashalde", Puccinia firraa für den „Polsterseggenrasen,"
Puccinia Moliniae, P. dioicae, P. paludosa, Melampsora
repentis für die „Besenriedwiese", das „Molinietum", u. s. w.
Diese Beziehungen heteröciseher Uredineen zu beson-
deru Vegetationstypen gelten übrigens nicht bloss für
Wiesen, sondern auch für andere Formationen. Indessen
lassen sich durchaus nicht alle heteröcischen Rostpilze
besoudern Vegetationstypen zuweisen, so wenig als man
das mit allen höheren Pflanzen thun kann. Wo es aber
möglich ist, ergiebt sieh die betreifende Formation ge-
wissermaasseu als die Heimath des entsprechenden Rost-
pilzes und es lässt sich somit erkennen, dass die Be-
ziehungen des einen Pilzes zu zwei Nährpflanzen keine
ganz zufällige sind. X.
Die Verbreitung der Kreuzotter ist seinerzeit von
J. Blum (Abhandlungen Senckenb. Naturf. Gesellschaft
Frankf. a. M., B. 15, H. 3) für Deutschland abgehandelt
worden. Neuerdings schildert L. von Mehely ihr Vor-
kommen in Ungarn. (Zoologischer Anzeiger, 1893, S. 186.)
Die Grösse der ungarischen Kreuzotter ist, wie in Deutsch-
land, beträchtlich. Verfasser besitzt ein Exemplar von
68 em Länge. Die britischen, niederländischen und
Schweizer Individuen sind kleiner. Die Männchen sind
stets kleiner und schmächtiger als die Weibchen. Die
von Entz in Anbetracht der Kopfform aufgestellten schmal-
und breitköpfigen Abarten sind die beiden Geschlechter.
Die erstere Abart bilden die Männchen, die letztere die
Weibehen. Bei erstereu verhält sich die Längsachse des
Kopfes zur Breitenachse wie 1,94 bis 1,53 : 1, bei letzteren
wie 1,52 bis 1,27 : 1. Nach Leydig ist jedoch bei den
deutschen Kreuzottern der Kopf des Weibchens länglicher.
Sodann hält Verfasser die Schreibersche Angabe, dass
beim Männchen der Schwanz etwa ',(,, beim Weibchen
etwa Vs iler Gesammtlänge betrage, für irrthümlich.
Boulanger fand, dass der Schwanz der britischen ,S 5'/o
bis 7-/3 mal, der der 2 8 bis 9^/4 mal in der Gesannnt-
länge enthalten ist; ein russisches Exem|>lar zeigte einen
Körper, der 11,4 mal so lang als der Schwanz war; und
bei der ungarischen Otter betrug die Sehwanzlänge des
Weibchen den 8,5 bis 12,4 ten, die des Männchen den
7,1 bis 8,9 ten Theil der Gesammtlänge. Es sind also
die westeuropäischen Kreuzottern mit längerem, die ost-
europäischen mit kürzerem Schwänze versehen. Das
Schuppenkleid ist ziemlich beständig. Interessant ist das
Vorkommen von zwei das Auge umgürtenden Sehuppen-
reihen (anstatt einer), da dies eine Beziehung zur Aspis-
viper darstellt. Die aus dem abweichenden Individuum
gewonnenen Jungen zeigten jedoch das normale Ver-
halten. Freilich waren bei einem russischen in gleicher
Weise gekennzeichneten Thiere von 14 Jungen sieben der
Mutter gleich, sieben nicht. Die Rumpfschuppen stehen
in 21 Reihen; je einmal wurden 20 und 23 Reihen ge-
funden. Die Var. räkosiensis (s. u.) hat stets 19. Die
Männchen hatten 141 bis 148, die Weibchen 146 bis
154 Paare Bauchschilder, erstere 32 bis 40, letztere 24
bis 32 Paare Sehwanzschilder. Der Färbung nach kann
man drei ungarische Abarten unterscheiden. Die Stamm-
form typica s. montana entspricht der westeuropäischen
Form. Das Zickzackband ist für sie charakteristisch.
Die Var. räkosiensis (s. 0.) ist in der Jugend oben
lichtbraun, im Alter hell grünlichgrau. Die Zickzackbinde
ist gleichgefärbt, nur dunkler, und schwarz gesäumt. An
diesen Saum schliesst sich ein hellerer Streifen an. Die
Rumpfseiten sind mit 3 Längsreihen schwärzlich -brauner
Flecken geziert. Die Bauchseite zeigt weisse Fleckeu-
reihcn. Diese Abart ist bisher nur auf dem Räkos-B^elde
(linkes Donauufer bei Budapest) gefunden worden. Die
dritte Form ist die Var. prester L.; sie kommt in Ungarn
als seltene Gebirgsform vor, doch steigt sie nicht so hoch
als die Stammform. Die schwarze Färbung kommt so-
wohl Männchen als Weibchen zu. — Dass die Formen
typica imd prester Gebirgsformen sind, bestätigt die
Ansicht Blums, dass die Kreuzotter ein ziemlich rauhes,
feucht-kaltes Klima beansprucht. Die Var. räkosiensis
ist eine an die ungarische Tiefebene, die wärmer als die
deutsche ist, angepasste Form. Prester fand sie in
den Karpathen und dem südliehen Siebenbürgen zwischen
1000 und 1400 m abs. Höhe; typica wurde noch bei
1958 m (südl. Siebenbürgen) erbeutet. Ebendort kann
man beobachten, wie die Kreuzotter bei steigender Wärme
immer mehr ins Gebirge flüchtet und die Thalsohlen der
Sandviper, die Wärme liebt, überlässt. Im Banater Erz-
gebirge herrscht letztere allein. Schliesslich tritt Ver-
fasser für die Immunität des Igels gegen Kreuzotter-
bisse ein. Matzdorif.
Ueber die Niederschlagsmessungeu im Königreich
Preusseu. — Seitdem im Jahre 1885 mit der Reorgani-
sation des Kgl. preussischen meteorologischen Institutes
begonnen wurde, bat die Thätigkeit desselben eine fort-
währende Vermehrung, das Stationsnetz eine rasch wachsende
Ausdehnung erfahren. Hand in Hand damit ging eine
entsprechende Erweiterung des Umfanges der von dem
Director des Institutes, Professor W. von Bezold, heraus-
gegebenen Veröft'entlichungen, und während das gesammte
Beobachtungsmaterial des Jahres 1890 noch in einem
Bande vereinigt werden konnte, so schien es deshalb
Nr. 33.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
351
ncueidinfjs geboten, die Ergebnisse von den Stationen
II. und III. Ordnung, von den Regen- und von den Ge-
witter-.Stationen, sowie diejenigen der magnetischen und
der meteorologischen Beobachtungen des Observatoriums
in Potsdam alljährlich in fünf getrennten Abschnitten
zum Druck zu bringen. Den Anfang hiermit hat jetzt die
unter der bewährten Leitung von Professor 6. Hellmann
stehende Regenabtheilung des meteorologisclicn Institutes
gemaclit, von welcher die „Ergebnisse der Nicder-
schlagsbeobachtungen im Jahre 1891" soeben er-
schienen sind.
In der Einleitung wirft Hell mann einen kurzen Rück-
blick auf die Entwickelung des Netzes der Stationen zur
ausschliesslichen Beobachtung der atmosphärischen Nieder-
schläge, aus welchem man ersieht, imieriialb wie kurzer
Zeit dasselbe von recht unbedeutenden Anfängen sieh zu
einem wahren Riesenkörper ausgewachsen hat. Nachdem
nämlich im Jahre 1847 das neu gegründete preussisehe
meteorologisclie Institut etwa 35 meteorologische Stationen
zur Erforschung der allgemeinen klimatiselien Verhält-
nisse der Monarchie ins Leben gerufen und deren Zahl in
Preussen und den übrigen norddeutschen Staaten in den
folgenden Jahren sich schon etwas vermehrt hatte, wurde
bei einem ersten Versuche des Königl. Oekouomie-Com-
missarius vonMoellendorff, eine zusammenhängende Dar-
stellung der Regenverhältnisse Deutschlands zu geben, die
Unzulänglichkeit des dafür vorhanilenen Beobachtungs-
materiales deutlich erkannt und durch denselben die natur-
forschende Gesellschaft in Görlitz veranlasst, einige be-
sondere Regenstationen einzurichten. Dieselben lagen
fast sämmtlich in der Lausitz, in der Uckermark und der
Neumark; die meisten haben nur 5 l)is 6 Jahre, von 1856
an, bestanden, andere dagegen, welche später vom Königl.
meteorologischen Institut übernommen wurden, blieben bis
in die achtziger Jahre in Thätigkeit und gingen dann
grösstentheils in Stationen höherer Ordnung über. Erst
vom Jahre 1879 ab folgte. Dank der Fürsorge des
Pfarrers Richter in Ebersdorf, die Anlage einiger Regen-
stationen in der Grafschaft Glatz, deren Beol)achtungs-
ergebnisse vom Königl. meteorologischen Institute mit ver-
öffentlicht wurden. Kurz vorher hatte Hellmann in einer
bei Gelegenheit des zweiten internationalen Meteorologen-
Congresses (Rom 1879) veröffentlichten kleinen Schrift den
näher motivirten Vorschlag gemacht, die Einrichtung eines
dichten Netzes von etwa 2000 Regenstationen in Nord-
deutschiand mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse
derLandwirthschaft und die wasserwirthschaftlichen Fragen
ins Werk zu setzen, und da zu dessen Verwirklichung
die nöthigeu Mittel vorderhand noch fehlten, so war der-
selbe seitl882 bemüht, wenigstens die grössten räumlichen
Lücken im Stationsnetze durch Gründung von etwa 25
Regenstationen auszufüllen, während ungefähr gleichzeitig
durch einige locale Vereine für Wetterkunde in deren Itc-
sonderen Gebieten sehr viel dichtere Netze eingerichtet
werden konnten. Die Anlage des ganz Norddeutschland
umfassenden Netzes von Regenstationen, welches in den
Reorganisationsplan des Königl. meteorologischen Institutes
mit aufgenommen worden war, nahm im Johre 1887 mit
Einverleibung der schon vorhandenen Vereinsstationen im
Regierungsbezirk Gumbinnen und in Mitteldeutschland, so-
wie mit der Einrichtung zahlreicher neuer Stationen in
der Provinz Schlesien ihren Anfang, schritt in den folgenden
Jahren ungefähr von Osten nach Westen allmählich fort
und hat bereits 1892 ihren Abschluss erreicht. — Im
Jahre 1891, als nur noch das nördliche Hessen-Nassau und
die Rheinprovinz übrig blieben, war die Zahl der Regen-
stationen des Institutes schon auf 1425 angewachsen, von
denen 1300 im Königreiche Preussen, 125 in anderen nord-
und mitteldeutschen Staaten gelegen sind. Alle sind mit
gleichartigen Regenmessern von '/,,,„ Quadratmeter grosser
Auffangfläche ausgerüstet, deren oberer Rand sich in der
Regel 1 Meter, nur in schneereicheren Gegenden IV4 bis
IV3 Meter über dem Erdboden befindet. Die Messung der
von denselben etwa aufgefangenen Niederscidagsmengen
wird täglich um 7 Uhr Morgens und ausserdem bei starken
Regenfällcn, Gewitterregen, sogenannten Wolkenbrüchen
u. s. w. gleicli nach deren Aufhören vorgenommen.
Die vorliegende Veröffentlichung enthält in ihrem ersten
Hauptabschnitte kurze Ueb er sichten über die in den ein-
zelnen Monaten und im Jahre 1891 vorgekommenen Nieder-
schläge von fast sämmtlichen, nach Kreisen angeordneten
Stationen, von denen nur 28 ausgeschlossen werden mussten,
weil ihre Beobachtungen der im meteorologischen Institut
vorgenommenen scharfen Prüfung nicht Stand hielten. Der
Vergleich bei denjenigen Stationen, von welclien schon
langjährige Niederschlagsmessungen vorlianden sind, mit
den mittleren Ergebnissen derselben zeigte, dass das Jahr
1891 fast üljerali zu nass war. Die Monate ]\Iärz, April,
Juni, Juli und Decembcr wiesen zum Theil sehr erheb-
liche Ucbcrschüsse auf, während nur der Februar durch-
weg und der October im grössten Theile vctn Nord-
deutschland zu trocken waren; namentlich im südwestlichen
Theile der Monarchie fielen im Februar 1891 ungewöhn-
lich geringe Niederschläge, an manchen Orten kaum 5 Pm-
cent der normalen Menge.
Wenn die zahlreichen Einzeltabellen des ersten Ab-
schnittes wohl ausschliesslich als Material für rein meteo-
rologische und klimatologische Untersuchungen Verwendung
finden dürften, so werden die folgenden Abschnitte des
Werkes hingegen ebenso sehr den besonderen Zwecken
der Hydroteclmik dienen. Im zweiten Abschnitte sind die
Monats- und Jahressunnnen des Niederschlags, sowie die
grösste Tagesmenge im Jahre nach Flussgebieten ge-
ordnet, und zwar für jedes in einer solchen Reihenfolge, dass
man bei jeder beliebigen Station eines Flussgebietes die
oberhalb gelegenen ohne weiteres übersehen, also auch
schnell ermitteln kann, welche Niederschlagsmengen bei
der Beurtheilung der an dem betreffenden Orte zum Durcli-
fluss gelangenden Wassermengen in Betracht konnnen. —
Zum ersten Male für ein dichteres Beobachtungsnetz findet
man ferner eine Zusammenstellung der stärksten Nieder-
schläge, welche in den meisten Fällen nur sehr kurze
Zeit angehalten haben. Die heftigsten Gussregen von
etwas mehr als 9 Stunden Dauer kamen im Jahre 1891
am 1. Juli zu Kalvörde im Herzogthum Braunschweig
und am 25. Mai zu Kobylin in der Provinz Posen vor,
wobei im Ganzen 86, H und 73,5 Millimeter, in der
Minute durchschnittlich 0,16 und 0,13 Millimeter Regen
fielen. Die heftigsten Gussregen von 374 und S'/^ Stunden
Dauer lieferten am 27. .hini zu Grevcl in Westfalen 53,7
und am 21. Juni zu Lübcn in Schlesien 61,6 Millimeter,
in der Minute dalier 0,28 und 0,29 Millimeter. Bei 27^-,
2- und 1 - stündiger Dauer waren die grössten Erträge,
welche alle drei an verschiedenen Stationen Westfalens
am I.Juli gemessen wurden, 78,2, 66,0 und 63,3 Millimeter,
so dass also auf jede Minute schon durchschnittlich 0,52,
0,55 und 1,06 Mdlimeter Regen kamen. Am 30. Juni fielen
zu Kosuchen in Ostpreussen binnen 24 Minuten 50,2 Milli-
meter, am 16. Juli zu Pinnow in Pommern binnen 15 Mi-
nuten 32,0 Millimeter, also auf die Minute berechnet 2,09
bezw. 2,13 Millimeter. Die dichtesten unter sämmtlichen
Regenfallen des Jahres 1891 aber waren diejenigen, welche
am 1. Juli binnen 5 Minuten zu Oesterholz in Lijipc- Det-
mold 12,5, zu Melle in Hannover 13,0 und am 30. Juni
binnen 3 Minuten zu Mühlenthal in Ostiireusscn 11,7 Milli-
meter, in der Minute daher die enormen Mengen von 2,5,
2,6 und 3,9 Millimetern erbrachten. Schon das eine Jahr
1891 zeigt also auf das deutlichste, wie die Dichtigkeit,
352
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 33.
bis zu welcher sich ein Niederschlag zu steigern vermag,
mit der Dauer desselben abninmit. Doch wird man bei
Benutzung jener Zahlen wohl zu beachten haben, dass
fast jeder, noch so starke Gussregen mit Regentropfeu zu
beginnen und wieder aufzuhören pflegt, woraus eine Un-
sicherheit in der Zeitbestimmung der Regenfälle erwächst,
die bei den kürzesten gerade am schwersten ins Ge-
wicht fällt.
Da von den in der Form von Schnee fallenden Nie-
derschlägen nur ein Bruchtiieil sofort zum Abfluss gelaugt,
so darf man einem Vergleich der Wasscrniengen der Flüsse
mit den Niederschlagsmengen im Winter nicht die gewöhn-
lichen Angaben der letzteren zu Grunde legen, in denen
die dem Schnee entsprechende Wasserschicht mitenthalten
ist. Es ist zu einem solchen vielmehr noch die Kenntniss
der Höhe der Schneedecke erforderlich, welche den Erd-
boden bedeckt, und die deshalb an den Stationen II. und
III. Ordnung des preussischen meteorologischen Institutes
jeden Morgen um 7 Uhr gemessen wird. Die Ergebnisse
dieser Beobachtungen sind im letzten Hauptabschnitte des
vorliegenden Werkes mitgetheilt. Auf einer kleinen Zahl
zweckmässig vertheilter Stationen wurde ferner im Winter
1890/91 zum ersten Male der Versuch gemacht, systematisch
die Werthe des wechselnden Wassergehaltes zu ermitteln,
welchen die Schneedecke an bestimmten Tagen besitzt
und den man kenneu muss, um beurtheilen zu können,
welche Wassermengen bei plötzlich eintretender Schnee-
schmelze im Frühjahr den Flüssen zugeführt werden. Für
diese Messungen wird ein nach Helhnann's Angaben ge-
fertigter kräftiger Zinkblechcylindcr von 50CentinieterHöhe
zum Ausstechen eines Schneecylinders von Vöo Quadrat-
meter Fläche angewandt. Nach erfolgtem senkrechtem
Ausschnitt führt mau eine kleine Blechschaufel unter die
Oeifnung, dreht den Cylinder vorsichtig um und lässt die
so gewonnene Schneeschicht, deren Höhe man zuvor mit
einem Maassstabe bestimmt hat, im Gefässe schmelzen,
nachdem man dasselbe, zur Verhütung der Verdunstung,
mit einem passenden Blechdeckel bedeckt hat. So lange
eine Schneedecke vorhanden war, wurde jeden fünften
Tag ihr Wassergehalt an 11 Stationen in dieser Weise
ermittelt. Schon die Ergebnisse des einen Winters lehren,
wie das specifische Gewicht der Schneedecke, das bei
frisch gefallenem Schnee um 0,1 herumschwankte, mit
deren Alter zunimmt und bisweilen Werthe (0,4 bis 0,7)
erreichen kann, welche an die beim Firnschnee der Hoch-
gebirge gemachten Befunde heranreichen. Es lässt sich
ja auch sehr wohl begreifen, dass der Schnee einer alten
Schneedecke im Flachlande, auf welchen dieselben Kräfte
eingewirkt haben, wie auf den Hochgebirgsschnee, dessen
Structur annehmen muss. Die Fälle sind freilich ausser-
ordentlich selten, weil eine mehr als 8 Wochen alte
Schneedecke im Tieflaudc nicht häutig vorkommt.
Dr. E. Less.
Ueber die Bedeutung der liheiiivegetation für die
Selbstreinigung des Rheines hat jüngst Dr. H. Schenck
in Bonn Beobachtungen veröffentlicht, indem er liier zum
ersten Male die scharf präcisirte Fiage aufvvirft, welche
Organismen denn überhaupt vermöge ihres massenhaften
Auftretens eine Selbstreinigung des Wassers verursachen
könnten.
Fettenkofer hatte die Ansicht aufgestellt, dass die
Isar bei München durch die in ihr vorkonmienden Bac-
terien, grünen Algen, Diatomeen u. s. w. einen Selbst-
reinigungsprocess vollzöge, so dass bereits wenige Meilen
unterhalb der Stadt die in den Fluss geleiteten Abfall-
stoffe vollständig durch die Lebensthätigkeit der genannten
Organismen unschädlich gemacht wären. Er stützte dabei
seine Ansicht hauptsächlich auf Beobachtungen, aus denen
hervorging, dass niedere grüne Algen in geringem Maasse
im Stande seien, organische Stotl'e aufzunehmen. Dass
die Bacterien natürlich immer eine Hauptrolle bei der
Vernichtung der organischen Reste spielen würden, gie))t
auch Fettenkofer ohne weiteres zu.
Schenck argumentirt nun folgendermaassen: Wenn in
einem verunreinigten Flusse wirklich die Algen Vegetation
eine so hervorragende Rolle bei der Selbstreinigung spielt,
so müssen diese Organismen an den Stellen, wo sie nütz-
lich sein sollen, erstens massenhaft auftreten und zweitens
auch das ganze Jahr über vegetiren. Beides ist nun für
den Rhein zwischen Bonn und Köln nicht der Fall.
um ein Urtheil darüber zu gewinnen, in welcher
Masse die Algen und Pilze sich im AVasser vorfinden, sind
während längerer Zeit genaue Beobachtungen über die
Zusammensetzung der Wasservegetation vorgenonnnen wor-
den. Daraus ergiebt sich, dass die Algen ausschliesslich
an solchen Stellen vorkommen, wo sie gegen allzustarke
Strömung geschützt sind und zugleich eine geeignete Unter-
lage finclen, um sich festzusetzen. So sind geschützte
Uferbuchten, grosse Steine im seichteren Wasser, Pfähle
und schwiunnen<le Holztheile, z. B. an Pontonbrücken und
Badeanstalten, der Ansiedlung der Algen sehr günstig, im
eigentlichen Strombett war die Anzahl der Arten gleich
Null, oder es fanden sich höchstens einige losgerissene
Fadenalgcn und Diatomeen. Etwas anders gestaltet sich
das Biki an Stellen, wo Abwässer grösserer Städte in den
Rhein fallen und zugleich die äusseren Bedingungen für
eine Ansiedlung von Algen gegeben sind. Hier kommen
zwar Algen auch vor, docli in augenscheinlich ganz kümmer-
licher Entwickeluug; die Hauptmasse der Vegetation macht
an solchen Stellen die Beggiatoa alba und Crenothrix
dicliotoma, zu gewissen Zeiten auch Leptomitus und end-
lich das Heer <ier übrigen Bacterien aus, die sich in jedem
nnt faulenden organischen Stoffen geschwängerten Wasser
befinden.
Was nun die zweite Frage betrifft, ob diese Vegetation
von grünen oder blaugrünen Algen das ganze Jahr in
gleichmässiger Stärke vorhanden ist, so sind die hier ge-
wonnenen Resultate der Pettenkofer'schen Wasserreinigungs-
hypothese noch weniger günstig. Bei der geringen Tiefe,
in welche die Algenvegetation hinuntergeht, wird bei
jedem Fallen des Rheines ein beträchtlicher Theil der
'Algenvegetationszone trocken gelegt, und die Algeu gehen
also zu Grunde. Nur einige wenige Arten besitzen
die Fähigkeit, ihre Wachsthumszone mit dem Fallen und
Steigen des Wassers zu verschieben, so z. B. Ulothrix,
Oscillarien und Diatomeen. Ferner sind in deu verschie-
denen Jahreszeiten auch die einzelnen Arten nicht in
gleicher Masse entwickelt, indem gewisse Species, wie
Ulothrix zonata, ihre Hauptentwickelungsperiode während
der kühleren, wieder andere, wie Stigcoclonium tcnue,
nur während der heissen Jahreszeit haben; jedenfalls ist
die Entwickelung der in grösseren Mengen auftretenden
grünen Algen in den verschiedenen Jahreszeiten sehr un-
gleich, und die Betheiligung bei der Selbstreinigung in
Folge dessen nur sehr gering. Anders mit den Pilzen,
welche das ganze Jahr in annähernd gleicher Ueppigkeit
vorhanden sind.
Ganz besonders nun noch spricht gegen die Mit-
betheiliguug der Algen an der Selbstreinigung des Wassers
der Umstand, dass sie da am kümmerlichsten gedeihen,
wo sie sich nach der Hypothese am wohlsten fühlen sollten,
also an Stellen, wo Abfallgewässer in den Fluss einmünden.
Jedenfalls geht das eine aus der anregenden Unter-
suchung hervor, dass für den Rhein die Algen bei der
Selbstreinigung nicht in Frage kommen können, sondern
dass hier in erster Linie die Fadenbacterien Beggiatoa
Nr. 33.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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alba und Cronotlirix dicliotonia und die iStäliciicnhaetcricn
die or^'aniüclicn Stoft'e aufnelmien. Wenn aber die ge-
wonnenen Resultate am Rhein sieh so ungünstig- für die
Pettenkofer'sclie Hypothese erweisen, so mnss mit Recht
angenommen werden, dass auch für die Isar sieh l)ei
genauer Untersuchung durch einen faehmiinnischen Bo-
taniker die Sachlage etwas anders herausstellen wird, als
sie Pcttenkofer hinstellt.
Lindau.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Privatdocent an der Univmsität
Moskau Fürst B. Galizyn zum aussorortlentliclien Professor der
Physik an der Universität Dorpat. — DerPrivatdocent Dr. Edmund
Neusser zum Professor für klinische Medicin an der Universität
Wien. — An der Universität Tomsk die ausserordentlidien Pro-
fessoi'en: Dr. Jerofejew für (^phthaUnolopie, — Dr. Anfimour
für Psychiatrie — und Dr. Gramniat ikati für Gynäkologie zu
(trdinarien.
Es haben sich habilitirt: Dr. Mayer für Psychiatrie und Neuro-
patholofjie an der Universität Wien. — Dr. Adolf Sclimitt für
Chirurgie an der Universität München. — Dr. Victor Well-
mann für Astronomie an der Universität Greifswald.
Dr. Hans Rebel ist bei der zoologischen Abtheilung des
Kais. Königl. Hofmusenms in Wien eingetreten.
Es sind gestorben: Henry E. Seaton, Assistent-Curator
am Gray - Herbarium der Harvard- Universität. — Der Erforscher
der Flora von Philadelphia Isaak Burk daselbst. — Adolf
von Chamisso, früher ( »berförster der Landesschule Pforta, in
Naumburg a. S. — Der Astronom Dr. Alexander Brown in
London. — Der um die Entwickelung der Zuck<'rindustric in
Deutschland verdiente Dr. Ivarl Stammer in Kcdandseck. —
Der Director der mediciniscben Klinik zu Palermo Dr. Benjamin
Luzzato. — Der Chemiker Senator Dr. Friedrii-h Witte in
Rostock. — Der Sectionsrath Professor Dr. med. Ludwig Mar-
k uro vsky in Abliazia. — Der Professor der Chirurgie Dr. Theo -
doros Arotaios in Athen.
— Das römische Organisations-Komito des XI. internationalen
medicinischen Kongresses hat die Mittheilung ergeiien la-sen,
das.-5 der Kimgress Ijis zum April 1894 vertagt ist.
Eine Statue Claude Chappe's, des Erfinders des Sema|ih(ns,
ist jüngst in Paris auf dem Boulevard Saint - Germain errichtet
worden.
Ein Internationaler medicinischer Congress wird im Getober
unter dem Vorsitze von I^rofessor William l'epp'<r (Phibididphia)
abgehiüten werden.
Eine zweite internationale Sanitätsconferenz soll im S|)ät-
herbst d. J. in Paris .siattfindm.
Ein ethnologischer Afirika-Congress soll demnächst in Chicago
stattfinden. Unter Anderen soll auch der Reicbscommissar Dr.
Peters sein Erscheinen zugesagt haben.
Eine Bergschule in Irkutzk zu errichten, ist von der russi-
schen Regierung definitiv beschlossen worden.
L j 1 1 e r a t u r.
Dr. P. Bergemann, Die Verbreitung der Anthropophagie über
die Erde und Ermittelung einiger Wesenszüge dieses
Brauches. Eine ethmigrajdnsch-ethiiulogische Sdidic S". b'o S.
Bunzlau. (G. Kreuschner.) 1893. — Pr. 1,20 Mk.
Die Verbreitung der Menschenfresserei wird hier einerseits
zeitlich abgehandelt, wie sie von den ältesten Perioden des
Alterthunis liis in unsere Tage hineinreicht; andererseits wird ihre
geographische Verbreitung über die Ei-de besprochen. Mit grosser
Genugthuung kann es festgestellt werden, dass dieser ekelhafte
Ciebrauch in stetem Abnehmen begriffen ist. Denn Europa und
das Festland von Asien, sowie fast das gesammte Nord-Amerika
und der grösste Theil von Süd-Amerika können jetzt vollständig
aus der Betrachtung ausscheiden, und in .Afrika,' im malayischen
Archipel und in Oceanien schränkt sich die räumliche Ausdehnung
der Anthropophagie von Jahrzehnt zu Jahrzehnt erheblich ein.
Des Verfassers Siieculationen über den Ursprung der Menschen-
fresserei können wir mit Stillschweigen übergehen. Die Beweg-
gründe für diese Sitte hätten eine eingehende Erörterung ver-
dient. Die ausführliche Abhandlung von Schaaflfhausen scheint
dem Verfasser entgangen zu sein. Sanitätsrath Dr. Ma.\ Bartels.
Max Schulze, Die Orchidaceen Deutschlands, Deutsch -Oester-
reichs und der Schweiz .Mit ca. IIIO Chnimotafehi. 1. — 4./5.
Lieferung. Gera - Unterndiaus, Fr. Eugen Köhler's Verlag. —
Preis 5 Mk.
Bei den Freunden der einheimischen Flora — und es giobt
deren erfreulicher Weise noch eine bedeutende Zahl, wie dies das
Erscheinen von IG, neuerdings recht starken Auflagen der rühm-
lich bekannten Garcke'schen Flora innerhalb vier Jahrzehnte, und
fast noch mehr das von vier Auflagen von Potonie's mit Recht
geschätzter Illustrirter Flora in der kurzen Zeit von 188Ö — 1889
beweisen — hat sich von jeher die Familie der Orchidaceen einer
besonderen Beliebtheit erfreut. Zwar bieten ihi-e einbeimischen
Vertreter nur einen schwachen Abglanz der Arten- und Formen-
fidle,in der die Orchidaceen- Floren feuchter tropischer Landschaften
und selbst mancher anscheinend wenig von der Natur begünstigten
Gebiete, wie Süd-Afrikas nnd Australiens, prangen. Immerhin ge-
hören manche unserer einheimischen Arten, wie Orchis militaris,
purpureus, Piatanthera bifolia, Cephalanthera rubra, Limodorum
abortivum und Epipactis rubiginosa, an Form, Farbe und Duft
zu unseren schönsten Wald- und Wiesenblumen. Bei anderen,
wie Cypripedilum Calceolus, dem widerwärtig riechenden Himanto-
glossum hircinum, den mitunter täuschend einer Fliege, Spinne
oder Biene gleichenden Ophrys-Arten, welche in Thüringen geradezu
mit den Namen der genainiten Gliederthiere bezeichnet werden,
ersetzt die Seltsamkeit der Form, was ihnen an eigentlich ästheti-
schem Reiz abgeht. Bei noch anderen, wie Neottia Nidus avia,
Epipogon, Coralliorrhiza, deutet das fast gespenstische Aussehen,
der Mangel des Blattgrüns auf Sonderbarkeiten ihrer Ernährung.
Endlich wird der Sammeleifer dadurch gereizt, dass verhältniss-
mässig viele zu den seltenen und seltensten Arten unserer Flora
gehören, andere wieder, wie die Mala.xideen, durch ihr Vorkommen
in schwer zugänglichen Sümpfen vor allzu eifrigen Nachstellungen
geschützt sind. Alles dies vereinigt sich, um die Orchidaceen zur
beliebtesten Beute unserer eifrigen Pfianzensannnler zu machen.
Ja in dem artenreichen Thüringen haben sich die Behörden ge-
nöthigt gesehen, durch polizeiliche Maassregeln die seltensten
Arten vor der vernichtenden Ausbeutung durch gedankenlose
Sammler und gewissenlose Pfianzenhändler zu schützen, denen,
wenn auch wohl noch keine Art, doch mancher Fundort zum
Opfer gefallen sein dürfte.
Während diese Anreize mehr auf den Anfänger und Liebhaber
wirken, entbehren auch für den vorgeschrittenen nnd Berufs-
Botaniker die einheimischen Orchidaceen keineswegs eines hervor-
ragenden wissenschaftlichen Interesses. Dass sie sowohl dem
Systematiker, wie dem Morpho- und Biologen eine Anzahl der
wichtig.sten und interessantesten Aufgaben gestellt haben und
noch stellen, ist allgemein bekannt. Es genügt, um nur Ver-
storbene zu nennen, die Namen Lindley, Reichenbach fil.,
Irmisch, Darwin anzuführen.
So anziehend nun das Aufsuchen und das Studium der ein-
heimischen Orchidaceen auch für Botaniker und Botanophilen sein
mag, so grossen Schwierigkeiten begegnet das Bestreben derselben,
die Arten, mitunter auch die Gattungen, zu unterscheiden. Die
Merkmale, die dabei in Frage kommen, beziehen sich fast aus-
schliesslich auf die Blüthen. Um die oft minutiösen Formverhält-
nisse derselben festzustellen, bedarf es fast ausnahmslos frischer
Exemplare, da die Form dieser oft kleinen und versteckt liegenden
Organe beim Pressen und Trocknen der Beispiele in der Regel
so unkenntlich wii'd, dass Herbarexemplare für den Anfänger
häufig unbestimmbar sind, ihr Besitz auch als Vergleichsmaterial
beim Bestimmen lebender Pflanzen nur eine geringe oder gar
keine Hilfe leistet.
Diese Schwierigkeit kann nur durch die Benutzung guter,
naturgetreuer Abbildungen überwunden werden. Zwar fehlt es
an solchen keineswegs in der botanischen Litteratur; vor Allem
wäre hier das klassische Kupferwerk von G. Reiehenbach fil.
über die europäischen ( Irchidaceeu zu nennen. Allein der Preis
dieser Werke ist so hoch, dass sie den Kreisen, welche derselben
am meisten bedürfen würden, völlig unzugänglich sind. Es war
daher ein sehr glücklicher Gedanke des auf dem Gebiete botani-
scher Ikonographie schon längst erfolgreich thätigen Verlegers,
ein wohlfeiles und doch gediegenes Tafelwerk über die einheimi-
schen Orchidaceen herzustellen, und er hat kein Opfer gescheut,
um denelbeu zu verwirklichen. Er hat jedenfalls eine sehr glück-
liche Wahl getrort'en. den richtigen Mann an den richtigen Platz
gestellt, als er den Verfasser aufforderte, die Bearbeitung dieses
Werkes zu übernehmen. Herr Max Schulze, einer der besten
Kenner unserer einheimischen Flora überhaupt, hat bereits mehrere
mit Recht hoch geschätzte Arbeiten über die Orchidaceenflora
seines Wohnortes Jena veröft'entlicht, welche bekanntlich von
keiner anderen in Nord- und Mitteldeutschland an Reichthum
übertroft'en wird. Beherrscht der Verfasser somit den Gegenstand
wie wohl Wenige ausser ihm, so ist es seinem Eifer und Ansehen
auch gelungen, sich die Beihilfe der competentesten Fachmänner des
Gebietes zu sichern und die seltensten Objecte oder deren un-
veröffentlichte Abbildungen zur Benutzung für dieses Werk zu
354
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 33.
erlangpii, welches mithin nicht nur das bereits Veröffentlichte
(darum aber keineswegs immer allgemein Bekannte!) in möglichster
Vollstilndigkeit, sondern auch vielfach Neues bringt.
Von jeder Art wird eine ausführliche Beschreibung gegeben,
die nothwendigste Synonymie (auch mit Angabe der ileiitschen,
besonders der Volksnamen, wo solche vorhanden) geliefert, die
Verbreitung kurz aber treffend angegeben und sodann werden
eingehend die Formen und Bastarde besprochen.
Auch die Abbildungen sind vorzüglich gelungen. Dass die-
selben im Allgemeinen richtig sind, dafür bürgt die peinlich ge-
wissenhafte Revision seitens des Verfassers. Aber auch die künst-
lerische*) und technische Ausführung verdient alles Lob. Bei einigen
der zuerst erschienenen Blätter, namentlich bei Cephahmthera**)
rubra, ist insofern des Guten zu viel gethan, als durch die grossen
farbigen Flächen der vergrössorten Analysen die Hauptfigur ge-
drückt wird. Bei den späteren ist dieser Missgriff vermieden.
Dass der so sorgfältige und gewissenhafte Verfasser auch
der Nomenclatur, diesem so vielfach streitigen, an sich trockenen
und den Anfänger mehr abschreckenden als anziehenden Gegen-
stände die gebührende Berücksichtigung angedeihen lassen werde,
war vorauszusehen. Mau vergleiche z. B. das Gutachten über die
Benennung der Ophrys-Arten, welches Verfasser vom Ref. erbeten
und vollständig zum Abdruck gebracht hat. Indess ist Verfasser
meiner Ansicht nach in diesem Punkte zu conservativ gewesen.
Gerade in einem Werke, das vielfach in die Hände von Lesern
kommt, 'die mit der Bürde der Jahrhundertc hindurch fortge-
schleppten Synonymie noch nicht belastet sind, wäre es am Platze
gewesen, mit den lierkömmlichen Irrthümern, für die nichts als
ihr „ehrwürdiges" Alter spricht, zu brechen. Ich meine nament-
lich die Form Cypripedium, die, wenn überhaupt einen Sinn, nur
einen von den ersten Urhebern dieses Schi-eibfehlers sicher nicht
gemeinten obscönen haben kann, und für welche P fitzer zu
meiner Genugthuung das von mir schon 1864 gebrauchte richtige
Cypripedilum aufgenommen hat. Ferner hätte der Verfasser der
Gattung ( )rchis ihr richtiges grammatisches Geschlecht nach den
Mahnungen von Saint- Lager, denen schon Lange in seiner
Dänischen Flora gefolgt ist***), wiedergeben sollen. Das Wort
öp/tf wird als Appellativum wie als Pflanzenname von den Schrift-
stellern des Alterthums nur männlich gebraucht, was für die
männliche Geschlechtsdrüse der Thiere gewiss auch das Pas-
sendste ist.
Für den Schluss des Buches, von dem bis jetzt etwa die
Hälfte erschienen ist, ist eine systematische Uebersicht nach
Maassgabe der Pfitzer'schen Bearbeitung der (»rchidaceen in
Engler - Prantl's Pflanzenfamilien, ein Bestimmungsschlüssel
der Arten und eine tabellarische Zusammenstellung der Verbreitung
derselben in den Specialgebieteu in Aussicht gestellt.
So sei dies vortreffliche Werk, das bei der Fülle des Ge-
leisteten in der That für einen äusserst niedrigen Preis geboten
wird, dem botanischen Leserkreis und jedem Naturfreunde bestens
empfohlen. P. Aschorson.
Prof. Dr. Johannes Gad und Prof. Dr. J. F. Heymanns, Kurzes
Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Mit ö'2 Text-Ab-
bildungen und 1 Tafel. — Friedrich Wredeu. Berlin 18Ö2. —
Preis 10 Mk.
Da in dem Titel das Buch ausdrücklich als ein „kurzes"
Lehrbuch bezeichnet wird, wollen wir doch angeben, dass es sich
um einen stattlichen Band von 515 S. incl. Register handelt. Das
vortreffliche Buch gliedert sich in 2 Theile, 1. Physiologie der
animalen Processe, 2. Physiologie der vegetativen Processe. Unter
1 werden nach einer Einleitung der Reihe nach behandelt: das
Muskelgewebe, die Körperbewegungen, das Nervengewebe, das
*) Die Originale einiger Tafeln wurtlen in uneigennütziger
Weise von Fachgenossen, wie dem hochverdienten schlesischen
Floristen E. Fiek und stud. phil. Beyer in Hanau geliefert.
**) Verfasser vereinigt mit R. v. Wettstein die Gattungen
Cephalanthera und Limodoruni mit Epipactis.
***) Derselbe verdienstvolle Florist gebraucht auch, gleichfalls
nach Saint -Lager, Stachys als Masculinum und Polygala als
Neutrum.
Centralnervensystem, die specielle Nervenphysiologie und die Phy-
siologie der Sinne, unter 2. Blut, Lymphe \ind Kreislauf, die
Athmung, die Drüsen, die Nahrung und Nahrungsaufnahme, die
Verdauung und die Bilanz des Stoffes, der Wärme und der
Arbeit.
Dr. Karl Russ, Der Wellensittig, seine Naturgeschichte, Pflege
und Zucht. 3. Aufl. Mit 1 ^'ollbild und 14 Abbildungen im
Text. Magdeburg 1893. (Creutz'sche Verlagshdlg.) — Pr. r,50 Mk.
Neben dem Kanarienvogel ist der Wellensittich der z. Z. wohl
am meisten gezüchtete Stubenvogel und aus diesem Grunde hat
ihn Herr Dr. Russ, der bekanntlich ein allgemeines Handbuch der
Stubenvogelzucht herausgiebt, noch ein besonderes Werkchen ge-
widmet, das, bereits in dritter Auflage vorliegend, mit grosser
Sachkunde und Gründlichkeit über alles berichtet, was zur
Kenntniss des Wellensittigs und seiner Zucht und Pflege wissens-
werth ist. B.
Handbuch der Physik, herausg. von Prof. Dr. A. Winkel-
mann. Mit Holzschnitten. 13. und 14. Lief. Eduai-d Trcwendt
in Breslau 1892—1893. — Pr. Mk.
In den vorliegenden beiden Lieferungen des von uns wieder-
holt warm empfohlenen Handbuches der Physik wird die Optik
(Band II) fortgesetzt. Die Artikel stammen aus der Feder der
Herren Czapski, Pulfrich und Straubel. Bis zum Abschluss eines
Bandes beschränken wir uns auf eine Aufführung der bearbeiteten
Artikel: Die künstliche Erweiterung der Abbildungsgrenzen; die
chromatischen Abweichungen in dioptrischen Systemen-Theorien
der Achromasie; Prismen und Prismensysteme: die Begrenzung
der Strahlen und die von ihr abhängigen Eigenschaften der op-
tischen Instrumente; die Hauptgattungen optischer Instrumente;
die Methoden zur empirischen Bestimmung der Constanten op-
tischer Instrumente; die dioptrischen Methoden zur Bestimmung
von Brechungsindices und dei-en Ergebnisse ; Dioptrik in Medicin
mit contiunirlich variabehn Bi'echungindex.
Index Kewensis plantarum phanerogamarum nomina et Syno-
nyma omnium generum et specierum a Linnaeo iis(iue ad annum
MDCCCLXXXV complectens nomine recepto auctore patna uni-
cuique plantae subjectis sumptibus Caroli Roberti Darwin, ductu
et consilio, Josephi D. Hooker confecit B. D. Jackson. — Mit
der Fertigstellung dieses Werkes ist von einem wichtigen Nach-
schlage-Werk der 1. Band erschienen. Angeregt wurde das Werk
von Charles Darwin, ausgeführt von dem wissenschaftlichen Per-
sonale am Herbarium des Königlichen Botanischen Gartens in
Kew bei London unter der Leitung des früheren Direktors dieses
Institutes Sir Joseph Hooker's. Letzterem hatte Darwin kurz vor
seinem Tode mitgetheilt, dass er eine bedeutende Summe für das
Zustandekommen eines für die biologische Wissenschaft wichtigen
Werkes herzugeben beabsichtige und falls dasselbe nicht mehr zu
seinen Lebzeiten fertiggestellt werden könnte, dafür zu sorgen,
dass die Mittel vorhanden wären. Die Schwierigkeiten, welche
sich ihm selbst während seiner Studien beim Bestimmen der Ge-
wächse und Feststellung ihrer Heimath entgegengestellt, hätten
ihn von der Nothwendigkoit der Herstellung eines Werkes über-
zeugt, welches ein Verzeichniss der Namen und Autoren aller
bekannten Blütenpflanzen und ihrer Heimath enthalte. Dasselbe
sei für Systematiker, Pflanzengeograplion und Hortikultoure
von höchster Wichtigkeit. Elf Jahre nach dem Tode des grossen
Forschers ist das Werk, welches aus vier Theilen besteht, so weit
gediehen, dass der erste jetzt erscheint, der zweite im Drucke
sich befindet und die beiden anderen im Laufe des nächsten
Jahres der wissenscliaftlichen Welt übergeben werden können.
Der erste Band ist 728 Quartseiten stark und kostet 2 Pfund, das
ganze Werk im Abonnement 8 Pfund.
Briefkasten.
Herrn R. u. a. — Die Verlagsbuchhandlung Wilhelm Engel-
mann in Leipzig theilt uns mit, dass die Herausgabe von
Chr. Conr. SprengeTs Werk „Das entdeckte Geheimniss
der Natur" in den Ostwald'schen Klassikern in Aussicht ge-
nommen ist. Das Ganze wird in drei Bändchen zerlegt, die vor-
aussichtlich noch in diesem Jahre erscheinen werden.
Inhalt: Bergassessor Prof G. Franke: Zum Brunnenunglück in Schueidemühl. — Dr. H. Potonie: Eine Psilotaceo des Roth-
liegenden. (Mit Abbild.) — Die bacteriologische Choleradiagnose und ihre Anfeindung. — Ueber den naturwissenschaftlichen
Unterricht auf unseren höheren Schulen. — Die Assimilation des Eisens im thierischen .Körper und die therapeutische Wirkung
der Eisenpräparate. — Die Function der Granneu der Gersten-Aehre. — Ueber den mikroskopischen Nachweis der Kohle in
ihren verschiotlenen Formen und über die Uebereinstimniung des Lungenpignients mit der Russkohle. — Ueber den Wirth-
w-echsel der Rostpilze. — Verbreitung der Kreuzotter. — Ueber die Niederschlagsmessungen im Kfhiigreich Preussen. — Ueber
die Bedeutung der Rheinvegetation "für die Selbstreinigung des Rheines. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur:
Dr. P. Bergemann: Die Verbreitung der Anthropophagie über die Erde und Ermittelung einiger Wesenzüge dieses Brauches. —
Max Schulze: Die Orchidaceen Deutschlands, Deutsch-Oesterreichs und der Schweiz. — Prof. Dr. Johannes Ciad und
Prof. Dr. J. F. Heymanns: Kurzes Lehrbuch der Physiologie des Menschen. — Dr. Karl Russ: Der Wellensittig. — Hand-
buch der Physik. — Index Kewensis. — Briefkasten.
Nr. 33.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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welclier, ein scharfer Beobachter, auch seine Beobaclitungen in vollwertbiger Miinze
ausprägt, plaudert darin über die verschiedensten Dinge: die Psychologie der Ich-
sucht, Parn,assier und Diaboliker, Decadenten und Aestheten. Ibsenismus, Friedrich
Nietzsche, Zola und die Zolaschulen, die .jungdeutschen Nachättcr u. s. w. und be-
schäffigt sich dann mit dem 20. Jahrhundert, dem er die Prognose stellt und von
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Kon verscdions- Lexikon.
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Ein Ausflug nach Spitzbergen. |!j
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I^eo Ci'enier, sl;
Bergreferendar. ^^
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Mit wissenschaftlichen Beiträgen von Prof. Dr, Holzapf el, K);
Dr, Karl Müller-Hallensis, Dr. P. Fax, Dr. H, Potoniö |p
und Prof, Dr, W. Zopf. jf:
J/// / Portrait^ 12 Abbildungen, i Tafel und i Karte. -Ij
80 Seiten gr. 8". Preis 1,20 Mark. jlj
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: t Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. iSonntag, den
20.
August 1893.
Nr. 34.
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anstaiten. wie bei der Expedition. Der Vieiteljalirspreis ist M 4.—
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er 4(aellenau^abo g^oi^tattet.
Ueber die Raumvorsteliung eines Blindgeborenen.
Von Dr. G. WallenberK.
Vor einig-er Zeit
blindgeborenen Matiiematikers — und zwav
Fachkreisen
Wis.sens die
machte die Doctorpromotion eines
nicht nur in
— berechtigtes Aufsehen, weil es meines
erste derartige Promotion au der Berliner
Universität war. Da ich nun das Glück hatte, diescu be-
galtten Blinden zwei Jahre hindurch zum Doctorexameu
vorzubereiten und in die höheren und höchsten Gebiete
der Mathematik einzuführen — ich sage Glück, weil diese
Stunden mir oft einen hohen Geuuss gewährten — , so
wurde ich naturgemäss von allen Seiten gefragt, wie das
denn überhaupt möglich gewesen sei, ob man denn ohne
directe Anschauung von etwas complicirteren Raumgebilden
sich eine Vorstellung machen könne. Diese unablässigen
Fragen brachten mich auf die Idee, dass es vielleicht
dankenswerth sei, meine Erfahrungen in dieser Hinsicht
zu ordnen und der Üeft'entlichkeit zu übergeben. Mein
ehemaliger Schüler Herr Dr. Meyer hatte die Liebens-
würdigkeit, mir das Material zu dieser kleinen Abhand-
lung vollständig zur Verfügung zu stellen, und wir haben
es gemeinsam unternommen, diejenigen Momente zu fixiren,
welche bei der Bildung der Raumvorstellung eines Blind-
geborenen von wesentlicher Bedeutung sind. Wir hoffen
durch diese Feststellung ein wenig zur Klärung in dieser
Frage — wenigstens
bei dem gebildeten Laienpublicum —
beizutragen; denn über die Raumvorstellung ilcr Blinden
sind unter den Sehenden vielfach recht irrthümliebe An-
schauungen verbreitet. Insbesondere glaubt man, dass
der Blindgeborene sich über die Grössenverhältnisse der
ihn umgebenden Gegenstände und ihre Anordnung im
Räume nicht zu oricntiren vermöge. Wir wollen im folgen-
den nachzuweisen versuchen, dass diese Ansicht jeder
Begründung entbehrt und dass die übrigen Sinne, ins-
besondere der Tast- und Gehörssinn, im Stande sind,
durch ihr Zusammenwirken den fehlenden Gesichtssinn
fast vollständig — bis auf die Farbenunterscheidung
zu ersetzen. — Dieser Aufsatz ist,
um das hier
grosse rublieußi be-
auch der Fachmann
für ihn Interessante
noch ciumal zu betonen, für da.s
stimmt; doch wird, wie wir hoifen,
in diesen Ausführungen manches
finden.
Wir thun wohl am besten, uns der bewährten Darwin-
schen Methode der Entwickelung zu bedienen, und be-
ginnen mit den Eindrücken, die das blindgeborene Kind
von der Aussenwelt empfängt. Durch das Betasten der
in seiner unmittelbaren Umgebung belindlichen Gegen-
stände gewinnt es zunilchst die Vorstellung einer be-
schränkten Anzahl von unterschiedenen Formen, indem
sich die successiven Empfindungen durch die Einheit des
Bewusstseins zu einem einheitlichen Ganzen vereinigen.
Eine so gewonnene Vorstellung prägt sich nun allmählich
durch das Gedächtniss, gleichsam durch Erinnerungsbilder,
so tief in seinem Geiste ein, dass aus der successiven
schliesslich eine simultane Vorstellung wird, wie sie der
Sehende mühelos durch Anschauung gewinnt. Ich möchte
hier noch einmal als besonders wichtig hervorheben, dass
Blindgeborene wirklich simultane Vorstellungen von Ge-
genständen besitzen, d. h. dass sie nicht erst jedesmal
die durch einen Gegenstand verursachte Empfiudungsreihc
wieder zu durchlaufen In-auchen.
Dieser Vorstellungskreis des Blinden
beginnt
sich mit
dem Momente bedeutend zu erweitern, wo er gehen lernt
und so im Stande ist, sich in weiterem Umfange will-
kürlich zu bewegen. Hat er bisher hauptsächlich nur die
Formen der Objecto seiner unmittelbaren Umgebung in
seinen Bewusstseinsinhalt aufgenommen, so beginnt er jetzt,
in einem grösseren Räume sich zu oricntiren und nicht nur
die Grössen-, sondern auch die Lagenverhältnisse der
Gegenstände zu unterscheiden. Er gelangt zunächst da-
hin, dass er sich in seiner Wohnung vollkommen zurecht-
findet; bald al)er ist er auch im Stande, einfachere und
358
Natiii-wisscnscliaftlielic Wocliciisclirift.
Nr. 34
bei einiger Intelligenz selbst complicirtere Wege im Ge-
däcbtniss zu behalten. So entwickelt sich neben dem
Raumsinn auch der Ortssinn. Dr. Meyer entsinnt sich
deutlich, dass der Weg zur Schule ganz klar vor seinem
„geistigen Auge" stand, und er würde denselben ohne
weiteres allein zurückgelegt haben, wenn nicht die Gefahr
des Ueberfahrenwerdens ihn daran gehindert hätte. Heute
ist derselbe so gut in Berlin orientirt, dass er mir so
ziendich jeden bekannteren Weg, auch nach entfernteren
Stadttheilen, zu beschreiben vermag und bei Spaziergängen
dem ihn begleitenden Knaben stets die Richtung angicbt,
der Blinde dem Sehenden. Es könnte dies bei ober-
flächlicher Betrachtung doch vielleicht manchem wunder-
bar ei-scheinen, . ist es aber bei näherer Ueberlegung durch-
aus nicht, wenn man bedenkt, dass hier nur Richtungen
und Lagenverhältnisse in Frage konnnen, wclclie ja der
Blinde nach unseren obigen Ausführungen vollständig be-
herrscht. Es sei hier schon bemerkt, dass bei den Rich-
tungsbestimmungen des Blinden auch das Gehör eine Rolle
spielt, indem er die Richtung und Entfernung der Schall-
quelle in Folge grösserer Uebung jedenfalls besser ab-
schätzen kann, als der Sehende; doch ist, wie wir uns
durch eingehende Versuche überzeugt haben, auch bei
dem Blinden eine Täuschung nicht ausgeschlossen.
Wie steht es nun mit Objecteu, welche dem Tastsinn
nicht unmittelbar zugänglich sind? Da bieten dem Blind-
geborenen zunächst der Druck- und Tcniperatnrsinn ein
erwünschtes Hilfsmittel: er vermag die Anwesenheit von
Gegenständen wahrzunehmen, welche nicht direct von ihm
berührt werden, sondern sich in einiger Entfernung (c. 1dm)
von ihm befinden, selbst bei verschwindend geringen Tem-
peratur- und Luftdruckdift'erenzen ; die Feinheit seines Ge-
fühls ist hierin nur dem der Fledermäuse zu vergleichen.
Dieselbe schützt ihn vor unangenehmen Berührungen und
Zusammenstössen und erleichtert ihm auch die Orientirung
im Räume.
Wie aber bildet sich der Blinde die Vorstellung von
einem Hause, einem Baume etc., überhaupt von Objecten,
die er doch niemals selbst vollständig abtasten kann? —
Nehmen wir als Beispiel den Baum, so hat der Blinde
zunächst Gelegenheit, an einer strauchartigen Pflanze die
einzelnen Theile, besondeVs den Stannn, die Blätter und
Blüthen durch directes Befühlen kennen zu lernen und
sich von ihren Lagen- und Grössenverhältnissen zu über-
zeugen. Wenn er dann die Dicke eines Baumstammes
prüft, so tritt nunmehr eine geistige Function bei ihm in
Kraft, nämlich die des Vergrösserns und Ergänzens: er
vergrössert in Gedanken die abgetastete Pflanze und er-
gänzt in diesem Sinne den Baumstannn zu einem voll-
ständigen Gebilde. Es ist natürlich, dass die so ge-
wonnenen Vorstellungen nicht innner vollständig mit der
Wirklichkeit übereinstimmen werden, aber sie werden sich
auch niemals allzuweit davon entfernen: davor schützen
den Blindgeborenen zunächst Beschreibungen und Erläu-
terungen; dann aber bietet sich ihm auch zuweilen Ge-
legenheit, diesen oder jenen Theil des sonst im Ganzen
unzugänglichen Gegenstandes durch directes Betasten
kennen zu lernen. Um bei unserem Beispiele zu bleiben,
so stellt sich der Blinde die Blätter und Blüthen eines
Baumes nicht etwa in riesigen, der Dicke des Stammes
entsprechenden Dimensionen vor; denn er weiss z. B. aus
Besehreibungen, dass die meisten Bäume als windblüthige
Pflanzen gerade unscheinbare BlüthcJi besitzen, und hat
auch häufiger Gelegenheit, au einem abgebrochenen Ast
sieh von den Grössenverhältnissen der Blätter und Blütbea
direct zu überzeugen. '
Der Tastsinn in Verbindung mit dem Druck- und
Temi)eratursinn setzt aber den Blinden nicht nur in den
Stand, die Formen der ihn umgebenden Gegenstände zu
erkennen, sondern ermöglicht ihm auch die Wahrnehmung
der verschiedenen Stoffe, aus denen dieselben bestehen,
die Unterscheidung der Qualitäten. Es gicbt da für
ihn mannigfache fein nnancirle Erkennungszeichen: die
BeschafCcnheit der Oberfläche, der verschiedene Grad ihrer
Rauiiigkeit oder Glätte, ihrer Trockenheit oder Feuchtig-
keit res|). Fettigkeit; ferner der Härtegrad, die Wärme-
leitungsfähigkcit, Eiasticität, Festigkeit und Schwci-c. So
vermag der Blindgeborene nach einiger Uebung mit Leichtig-
keit Gold und Silber, Kujjfer und Nickel, Marninr und
Glas, Stein und Holz, Plüsch und Sannnct etc. zu unter-
scheiden.
Das Tastgefühl des Blindgeborenen in bezug auf Form
und Stolf der Objecte entwickelt sich allmählich zu einem
liiihen Gi'ade von Feinheit: er ist später im Stande, jeden
Gegenstand, der ihm in die Hand gegeben wird, sofort
zu bestimmen. Er vermag anzugeben, wie\iel die Uhr
ist, und es wird ihm niclit leicht wie unsereinem passiren,
dass er dem Kellner statt eines Zelinpfennigstückcs ein
Fünfzigpfennigstück giebt. Er vermag Pflanzen von ein-
ander zu unterscheiden und selbst Büsten, die er abge-
tastet, wiederzuerkennen. Bei dieser Gelegenheit kann
ich es mir nicht versagen, ein wenig auf die Aesthetik
des Tastgefühls einzugehen, die bei dem Blindgel)orencn
naturgemäss mehr ausgeprägt ist, als bei dem Sehenden:
Alles Eckige und Kantige empfindet der Blinde als un-
schön, und so Ycrkörpert ihm z. B. die Kugel den Schön-
heitstypus in iKiherem Maasse als ein Würfel. Doch ist
ihm die Kngel wegen ihrer Eintönigkeit nicht die Voll-
kommenheit dieses Typus selbst, und so konunt auch er
dahin, das Schönheitsideal in einem menschlichen Antlitz
zu finden. Er empfindet beim Abtasten eines menschlichen
Kopfes wie der Sehende das Unschöne einer niedrigen
Stirn, einer zu grossen oder zu kleinen Nase, eines breiten
Mundes oder hervorstehender Backenknochen als etwas
Unangenehmes und würde entschieden der Milonischen
Venus vor einem Aztekenweibe den Vorzug gel)en. — Es
ist natürlich, dass dieses Gefühl für Formenschönheit bei
dem Blinden nicht entfernt so lebhaft wie bei dem Sehen-
den ist, so dass eine eigentliche Begeisterung für ein
l)lastisehes Kunstwerk oder die Schönheit eines Menschen
ihm fremd bleibt. — Um so intensiver ist sein Schönheits-
gefühl in bezug auf das Gehör entwickelt; und so wird
auch seine Sympathie oder Antipathie gegen einen Men-
schen hauptsächlich durch dessen Stimme beeinflusst, die
dem Blinden gewissermaassen den Gesichtsausdruck er-
setzt. Ueberhaupt sjiielt das Gehör, für das Geistes-
leben des Blinden der wichtigste Sinn, auch bei seiner
Auffassung der Aussenwclt eine keineswegs untergeordnete
Rolle: die durch die verschiedenen Gegenstände verur-
sachten Geräusche, der Klang der Metalle, das Knarren
einer Thüre, das Rasseln eines vorüberfahrendeu Wagens,
insbesondere aber die Stimmen verschiedener Menschen
sind für ihn vorzügliche Erkennnngs- und Unterscheidungs-
mittel der ihn umgebenden Objecte nnd Subjectc.
Nachdem wir gezeigt hal)cn, wie vortrefllich der
Blindgeborene sich in der Welt der realen Objecte
orientirt, wird es uns nicht schwer fallen, auseinander-
zusetzen, dass er auch die idealen, die mathematischen
Raumfornien vollständig beherrscht. Wir bemerken zu-
nächst, dass der Blinde von irgend einem räumlichen
Complex, sei es ein System mathematischer Körper oder
ein Strahlcnbündel oder dergleichen, im allgemeinen sogar
viel richtigere Vorstellungen erwirbt als der Sehende, weil
jener von vorn herein gezwungen ist, denselben wirklich
körperlich vorzustellen, während dieser in der Regel eine
ebene Figur zu Hilfe nimmt. So erhält auch das blind-
geborene Kind von den Himmelskrirpern sogleich einen
richtigen Begriff und kommt gar nicht erst in die Lage,
Nr. 34.
Natuiwisscnscliaftliclje Wocliciischrif't.
359
sich z. B. Mond und Sonne als eine Sclieil)e zu denUcii.
Dieses rein liörperli* lie ^'ol•stellen ist so intensiv, dass ^s
dem Blinden j^-erade/.u schwer füllt, sich die Zeichnnu!;-
eines körperlichen (ic,i;cnstandcs in einer Ehene zu denken.
Ein Gehiet hleiht ihm also — aueli aliyesehen von tlem
Unterschied der Earhen — in der Tliat verschlossen, das
der Malerei, und er hat von der Luftperspective einer
gemalten Landschaft ehen so wenig- eine Ahnung', als von
der stereoskopischcii Wirkung' eines guten l'ortraits; dies
hängt eben daudt zusammen, dass der Tastsinn alles rein
körperlich eniptindct, wahrend unser .Vugo, aal' dessen
Netzhaut sich die Gegenstände projiciren, dieselben zu-
nächst flächeniiaft wahrninniit, also tleshalb auch gerade
geeignet ist, tiächenhafte Zeielniungcn umgekehrt in den
Raum zu verlegen. Natürlich besein-änkt sich dieser Vor-
stellungsmangel nur auf die Zeichnungen körperlicher, also
dreidimensionaler Gegenstände, während geometrische Fi-
guren, die wirklich nur zweidimensionale Gebilde dar-
stellen, der Erkenntniss des Blinden vollkommen zugäng-
lich sind. Von einfachen Figuren, z. B. einem Dreieck
oder einem Kreise, ausgehend, gelangt der Blinde bald
zur Vorstellung complicirtercr Gebilde und kann dcm-
geniäss auch einen geometrischen Lehrsatz verstehen und
beweisen, wie ja auch der Seilende einen ihm geläutigen
Satz ohne Figur abzuleiten ^ernlag. Gerade in der Geo-
metrie der Ebene, der i'lanimetrie, ist der Blinde dem
Sehenden gegenüber am wenigsten im Nachtheil, weil er
hier anfangs noch von der Methode der Blindenschrift,
welche ihm die Figuren wirklieh abzutasten gestattet,
nützlichen Gebrauch machen kann, während die Methode
bei längeren niatheniatischen Formeln, wie sie in der
Algebra oder Analysis ^orkonnnen, ihrer Umständlichkeit
wegen fast vollständig versagt und der Blinde hier ledig-
lich auf das Gehör angewiesen ist. In der Körperlehre,
der Stereometrie, ist der Blinde dem Sehenden sogar vor-
aus, weil, wie wir schon bemerkten, die Nothwendigkeit,
körperliche Gegenstände auch wirklich körperlich zu den-
ken, ihn sogleich zu richtigen Vorstellungen führt, also
der Mangel, dreidimensionale Gehildc zweidimensional
darzustellen, hier gerade zu einem Vorzuge wird.
Aus diesen Erörterungen ergiebt sieh nun, was auf
den ersten Blick nicht einzuleuchten scheint, dass geo-
metrische Betrachtungen dem Blinden im allgemeinen viel
leichter fallen als algebraische, sobald die letzteren nicht
blosse Gedankengänge und Schlüsse, sondern grössere
llechnungen und eomplicirtere Formeln enthalten. Der
Grund dafür liegt darin, dass die ursprünglich durch den
Tastsinn wahrgenommenen Raumgebilde viel leichter in
simultane Vorstellungen umgesetzt werden, als die durch
das Gehör übermittelten Formeln, und dass .simultane Vor-
stellungen stets eine viel bessere Uebersieht gewähren als
successive, d. h. solche, die zu ihrer Bildung eine nicht
unbeträchtliche Zeit beanspruchen.
Wir sehen jedenfalls, dass die Mathematik dem Blind-
geborenen kein verschlossenes Gebiet ist. Nimmt man
dazu, dass der Blinde bei seinem nach innen gekehrten,
durch die Aussenwelt weniger beeinflussten (ieistesleben
in viel höherem Grade zur A))straetion befähigt ist und
daher auch ungleich intensiver über ein mathematisches
Rroblem nachzudenken vermag, als der durch die wechseln-
den Bilder der ihn umgebenden Objecte fortwährend ge-
störte Sehende, so gla,ube ich die Möglichkeit, dass ein
Blindgeborener Mathematik studiren könne, welche Dr.
Meyer bereits durch die That erwiesen hat, auch den in
der Einleitung erwähnten Zweiflern begreiflich gemacht
zu haben.
Die Gehörfarben.
Von R. Ed. Liesegantr.
A noir, E blanc, I rouye, U vert,
0 bleu, voijelles
Je dirai quelque jour vos
puis/sances latentes.
Verlaine „ ]'oi/elles."
In seiner „Geschichte der malerischen Harmonie"
zieht L. IIofiFmann (1786) Parallelen zwischen Licht und
Schall, wie das schon von Aristoteles angeregt worden
war. Er erwähnt dabei, dass bei den Tönen verschiedener
Instrumente Farben in seinem Gesichtsfehle erscheinen.
So erzeugt das Violonccll Indigo, die Violine Ultramarin,
die Menschenstinmie Grün, die Clarinelte Gelb, die Trom-
pete Hochroth, das Hoboe Rosenroth, die Flöte Cernics-
roth, das Waldhorn Purpur, das Fagot Violett.
Eckardt, (,, Vorschule der Aesthetik" S. i53G) erzählt
1864, dass ein ihm bekannter Blinder, der als Kind we-
nige Zeit gesehen hal)e, „sich bis in das höhere Alter
die Eigcnthümlichkcit bewahrt hatte, Namen, Worte, Per-
sonen innerlich als Farbe zu emptindcn; so hatte er bei
dem Worte Schiller die Empfindung des Rothen."
Im nächsten Jahre berichtete Verga (Arch. ital. per
la malatte nerv. 1865 S. 23) über diese „subjective Ver-
knüpfung von Ton- und Farbenempfindungen." Aber erst
durch die Arbeit Nussbaumers (Klin. med. Wochenschr.
1873 No. 1 — 3.) wurde die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise auf die Erscheinung gelenkt. Dann folgte eine
grössere Anzahl von Arbeiten auf diesem Gebiete. Medi-
ciner, Componisten (Joachim Raff) u. A. bestätigten die
Thatsache, jedoch traten sehr grosse individuelle Ver-
schiedenheiten zu Tage.
I So sah eine von Pedrono (Ann. d'ocul. 1882 Nov.
u. Dez.) beobachtete Person bei den Klängen des Har-
moniums Gelb; die Clarinette erzeugte Roth, das Piano
Blau. Beim Sprechen sah sie Blau, Gelb, Roth und Grün;
Blau am häufigsten und, im Gegensatz zu Hoffmann,
Grün am seltensten. Ein Arzt, über welchen Ughetti
(La Natura. 1884) berichtet, hatte beim Hören der Flöte
die Empfindung Roth; Clarinette Gelb, Guitarre und Trom-
pete Goldgelb, Piano Weiss. Deichmann („Erregung
secund. Empf. i. Geb. d. Sinnesorgane." Dissert. 1889)
beschreibt die Farbenerscheinungen, welche bei ihm
selber durch den Schall einiger Instrumente hervorgerufen
werden: Flöte erzeugt Blau oder Blaugrüu, Clarinette
Gelbweiss u. s. w.
Malonay (New-York Med. Journ. u. Sc. 1888) nimmt
an, dass hier ein mechanischer Reiz der Sehnerven vor-
liegt. Die Schädelknochen werden durch den Schall in
Schwingungen versetzt, und diese wirken auf den Opticus.
Deichmann verlegt den ( )rt des Zustaudekonmiens in
die Sinnessphären des Grosshirns. Er glaubt, eingedenk
der zahlreichen Associatiationsfasern, welche die ver-
schiedenen Einzelbezirke der Hirnrinde mit einander ver-
knüpfen, dass der Reiz, welcher einem bestinnnten Rinden-
centrum zugeleitet wird, unter gewissen Umständen durch
jene Associationsfasern auf ein anderes benachbartes
übergeht und dieses in Miterregung versetzt. Eine Aus-
nahmestellung komme den mit Secundärempfindungen be-
hafteten Personen nur insofern zu, als bei ihnen dieser
Irradiationsvorgang besonders leicht von statten ginge.
360
Naturwisseuscliaftlicbe Wochenschrift.
Nr. 34.
Collineau (Rev. de l'EcoIe d'Aiithroii. 1891. Juni),
Niniier (Gaz. hebd. Med. Chir. 1891, S. 134) und de Men-
doza (L'Audition coloree. Paris 1891) suchen die Er-
scheinung; mit dem Timbre der Instrumente in Zusammen-
hang zu bringen.
Der Vorgang iä.sst sich jedoch einfacher erklären.
Die Versuchsperson associirt natürlich leicht auf den Ton
einer Trompete, einer Glocke u. s. w., das Photisnia
einer Trompete, einer Glocke. Bemüht sie sich nun, eine
Farbe bei der Schallempfindung zu sehen, .so abstrahirt
sie unbewusst die Farbe jenes Photisnia. Ist das mehr-
mals geschehen, so bilden sich die Associationsfasern
zwischen den beiden Centren immer mehr aus. Deshalb
sieht die Versuchsperson üghetti's beim Trompetenton
Goldgelb; Deichniann bei Blechin.strunicnten Gelb, l)ei
Glocken einen Ton zwischen Orange und Braun. Dem
Blau, welches er beim Hören der Stimmgabel sieht, ent-
spricht die Farbe des Stahls. Die weissen Tasten des
Claviers lassen dem von Ughetti erwähnten Arzt den
Ciavieranschlag weiss erscheinen; das Holz des Harmoniums
giebt sich bei Pedrono als Gelb wieder, das der Clari-
nctte als Bra^nroth. Achnliche Resultate ergeben die
Beobachtungen von Velardi, Berti, Barcggi, Quaglino,
Lussana, Grazzi, Algavc, Baratoux, Fechner, Fere, llil-
bert, Galton, Meyerhausen, Schenkel u. A. Eine von mir
befragte Person sah während eines Concertes sogar den
Metallglanz des Gelben bei Posaunenstössen.
Aber das Farbenhören tritt auch beim Hören von
Buchstaben ein. Es wurde gesehen:
a
e
i
0
u
Rochas.
Alter Advokat
Karmin
Weiss
Schwarz
Gelb
Azurblau
Eochas. Dame.
Gelb
Weiss
Schwarz
Roth
Roth
Deichmann.
Roth
Gelb
Weiss
Rothbraun
Schwarz-
braun
Berti.
Grau
Blau
Ughetti.
Schwarz
Gelb
Roth
Weiss
Kaffeebraun
Verlaine erklärt in seinem Sonett, dessen Anfang als
Motto benutzt wurde:
„A, noir corset velu de mouches eclatantes
Qui bourbillent autour de puanteurs cruelles.
Golfes d'ombre. E, candeur des vapeurs et des dentes,
Lames des glaciers fiers, rois blancs, frissons d'ombelles.
I, pourpres, sang crache, rire des levres belies
Dans la colere ou les ivresses pcnitentes.
U, cycles, vibrements divins des mers virides
Paix des pätis semes d'animaux, paix des rides
Que ralehimie iniprime aux grands forts studieux.
0 suprcme clairon plein de strideurs etranges
Silences traverscs des mondes et des anges;
0 l'omega, rayon violet de ses yeux!"
De Briale (La Nature. 1885. II. S. 343) glaubt die
Erscheinung durch eine unvollkommene Erinnerung an
eine Farbenvvahrnehmung deuten zu können, welche früher
mit dem Hören oder Lesen des Buchstaben verknüpft
war. Die betreffenden Personen könnten i. B. in ihrer
Jugend Bücher gehabt haben.
n welchen der Buchstabe
A rotli, E violett u. s. w. war. Es wäre das ein weiterer
Beweis für meine Annahme einer unvollkoimnenen Asso-
ciation.
Complicirter ist der Vorgang bei dem von Eckardt
erwähnten Fall. Der Blinde associirte walirscheinlicli bei
hm ein Vertreter des Grossen
Schiller — Erhaben — Purpur-
dem Worte Schiller, „der
war" :
e angewandt
Beobachtungen der früher genannten
sich nicht damit in Zusanimenhang bringen.
und Erhabenen
mantel — Roth.
Danach müsste de Rochas, welcher beim Anhören
verschiedener Sprachen verschiedene Farben sah; — so
bei Deutsch, Englisch und Französisch Grau, bei Spanisch
Rothgelb und bei Italienisch Gelb, Roth und Schwarz —
wahi-scheinlich beim Anhören einer Indianersiirache Kupfer-
roth gesehen haben.
Ich will nicht behaupten, dass die Erklärung durch
eine unvollkommene Association' auf alle Fä
werden kann. Viele
Forscher lassen
Auch nicht die pathologischen Fälle, welche neuerdings
Albertoni beschrieb. Derselbe wies nach, dass Farben-
blinde auch typische Defecte der Gehörscnipfindung
zeigen. So nahmen zwei Rothblinde das g nicht wahr
und konnten es im Gesang niciit richtig wiedergeben.
Bei einem Grünblinden fehlte die P]mpfindung für d.
Eine Reihe von Versuchen, welche ich im Psycholo-
gischen Institut in Freiburg i. B. (Münsterberg) anstellte,
blieben ohne Ergebniss. Die Versuchsperson betrachtete
aus einer Entfernung von 2 m durch ein Rohr, welches
alles Nelienlicht ausschloss, eine kleine farbige Glas- oder
Seidenpapierfläche, welclie von der Rückseite gleich-
massig beleuchtet wurde. Die Oeffnung des Brettes,
hinter welchem sich diese befand, konnte von 0,3 bis
2,4 mm Durchschnitt um je 0,1 mm vergrössert werden.
Ermüdungserscheinungen wurden dadurch vermieden, dass
die Person vor jeder Aussage eine bestimmte Zeit
die Augen sehloss und bald durch eine andere
wurde. Ich Hess die verschiedensten Reize auf sie wirken
mit Stimmgabeln, Cri-Cri, Ciavier, reine Töne und Disso-
nancen u. s. w. ; ferner angenehme und unangenehme
Gerüche, Kälte, Elektricität; Combinationen dieser Reize;
sie musste activen Druck und Zug ausüben; ihre Auf-
merksamkeit wurde durch Rechnen abgelenkt u. s. w.
Die kleinen Verschiedenheiten, welche die Aussagen der
untersuchten Personen ergaben, waren zuweilen grö.sser bei
desselben Versuches als bei zwei ver-
Auch die unklaren Resultate, welche Urbant-
lang
abgelöst
Wiederholung
schiedcnen.
schitsch (Pflüger's Arch. Physiol. 1888. XLII. S. 154) bei
einer ähnlichen Untersuchung erhielt, machen die Erklä-
rung der Gehörfarben durch physische Vorgänge sehr un-
wahrscheinlich.
Nicht zu verwechseln mit solchen qualitativen Ver-
änderungen sind die quantitativen, welclie häufiger auf-
treten. Diese Erscheinungen, wie ich sie bei einigen Per-
sonen bei Einwirkung eines unerwarteten Schalles, bei
Schmerz und Aehnlicliem beobachtete, sind auf längst
bekannte Reactionen der Iris (durch den Sympaticus)
zurückzuführen. Die alten Folteracten beweisen sie, und
nach Foä und Schiff finden sie selbst durch leichte Tast-
eindrücke statt. Alte Leute nehmen zuweilen Schnupf-
tabak, um besser sehen zu können.
Die Veränderung der Liclitintensität kann qualitative
Veränderung des Farbentons zur Folge haben (Albert,
Ann. Phys. Chem. 1882. — Liesegang, Phot. Arch. 1891,
S. 292); doch können diese bei den kleinen Schwan-
kungen der Pupillenweite von keiner grossen Bedeu-
tung: sein.
Nr. 34.
Naturwissensciiaftlichc Wochenschrift.
361
Uiitersuchuiigeii über den kleinsten Gesichts-
winkel, d. h. (Ion Winkel, nnter wcichi'ni zwei ins Ani;e
tretende Lichtstrahlen im Mininuini ^-enei.^t sein dürfen,
um nocli als i;-etrcnnte .Strahlen zu erscheinen, hat
E. A. Wiilfling'*) kürzlich veröflentliclit.
In den Handiiüehern der Anatomie und Physiologie
giebt man den Querdurchmesser der Coni in der Fovea
centralis**) zu 0,6 — 1,0 /y. an und als ihren gegenseitigen
Abstand 2,0—2,5 fi. Zwei Strahlen müssen daher, um
zwei benachbarte lielitemplindliehe Klementc zu tretüen,
einen Winkel von 20" (d. h. V,^„°) bilden. Im AVider-
sprueh hiermit steht jedoch die Tliatsaehc, dass als
kleinster, bisher beobaciitcter Gesichtswinkel stets nur 1'
(also nur '/,io°) .lugcgcbcn wird. Diese auffallende Differenz
erklärt W. daraus, dass man sich bei den hierauf bezüg-
lichen Versuchen meist iiaralleler Linien oder schwarzer
Punkte auf weissem Grunde bediente. Infolge der hierbei
auftretenden Irradiation erscheinen nun al)cr zwei nahe
neben einander liegende Punkte auch bei vollkommenster
Accomodatiou als kleine kreisförmige nacli dem Rande
hin abschattirte Flächen, welche bei grösster Annäherung
der Punkte theilweise über einander fallen und den Kin-
druck im Auge zu einem verwaschen.
Durch Beobachtung von Nonieu (als schwarze Linien
auf weissem Grunde gezeichnet) konnte W. noch Winkel
von 12"
°) und bei Versuchen mit verstellbaren
Spalten (welche als weisse Linien auf schwarzem Grunde
erschienen) sogar noch solche von 10" (= ^^^o") er-
kennen. W. schliesst daraus, dass man bei günstigsten
Helciichtungs- Verhältnissen, d. h. bei Linien, welche sich
ganz besonders scharf von ihrem Grunde abheben, als
Grenze der Wahrnelunbarkeit vielleicht einen noch klei-
neren Gesichtswinkel erhalten würde. R. M.
Die m.yrmekoi»hilen Akazien, über die C. Keller
(s. „Naturw. Wochenschr." Bd. 7, S. 496) berichtet hat,
sind schon vor ihm bekannt gewesen. C. Emery, (Zool.
Anz., No. 394, S. 237) tjieilt mit, dass schon 1876 Iteob-
achtungeu von J. Monkhouse-Hutchinson veröff'entlicht
worden sind, der in Natal Akaziendornen fand, die von den
Ameisen Meranoplns intrudens F. Sm. und Sima natalcnsis
F. Sm. bewohnt waren. Auch eine Biene aus der Gattung
Allodape kam in ihnen vor. Bemerkenswerth ist es, dass
Sima der typischen amerikanischen symbiotiscli lebenden
Ameisengattnng Pseudomyrma sehr nahe konnnt. M.
Dass die Maden der der Stubenfliege nahestehenden
Lucilia sylvarum iMeigm. an lebenden Kröten schmarotzen,
ist neuerdings mehrfaeh beobachtet worden. Georg
Duncker fand bei Kiel wiederholt Exemplare von Bufo
vulgaris Lam-., deren Nasenlöcher die Maden der ge-
nannten Fliegen besetzt hatten. (Auffällige EntwickeUing
von L. sylv. Meigm. Zool. Anz. No. 379, S. 4ö3). Die
Schmarotzer hatten sogar die Backen- und Halsmuskulatnr
zerstört. Aus einem Cadaver wurden die Fliegen erzogen.
Eine zu ihnen gebrachte Kröte zeigte keine" Furcht %or
ihnen, sondern frass fast 40 Stück auf Einen ähnlicli(>n
l'^all erwähnt Fr. Meinert. Er fand, dass eine Lucilia sp.
ihre Eier auf die Rückenliant der Kröte absetzte. Die
Larven drangen sodaini in die Augen des Lurches ein.
Endlich konnte R. C. iMortenscn die Dnnckersche Beoii-
achtujng bestätigen. (L. sylv. als Schmarotzer an 1!. vnlg.
*) Zt'itschr. f. Biologie. -.'9. Bd. Hoft 2. S V.19.
**) fl. h. der ziipffiiföriiiigeu Norven KiuIl-u in der .sug.
Stäbflicn Scliicht der Nutzliaut. Den in dm- horizontalen A.\e, in
der Mitto der Hinterwund des Augapfel.-^ gelegenen und für
Liclitemdrücke besonders stark empfindliehen Theil der Netzhaut
nennt man fovea centralis (auch „gelbor Fleck-').
Zool. Anz. No. 392, S. 193.) Er fand bei Kopenhagen
eine Kröte deren Nase die genannten Maden enthielt.
Dieselben tödteten den Wirth, krochen dann in die Erde
und verpuppten sieh hier. Die Frage, ob die Lueilicn
etwa nur kranke Tliiere befallen, ist nicht sicher gelöst.
Duncker glaubt sie verneinen zu müssen. M.
Ueber die Feldnian.splase in Schottland hat die
deswegen eingesetzte Konnnission unlängst ihren lierielit
erstattet, der insofern von allgemeinem Interesse ist, als
darin auch des von Professor Löft'ler entdeckten Mäuse-
typhus-Bacillus*) nnd der damit gemacliten Erfahnmgen
eingebend Erwähnung geschiciit. Wir entnehmen dem
I5erichte nach der „Nature" (10. Juli 1893) das Folgende:
.,Die in so ungeheurer Zahl und so zerstörend auf den
südlichen Berg-Farmen auftretende Art ist die kurz-
schwänzige Wühlmaus (Arvicola agrestis), welche auf den
Weidegründen Englands zu jeder Jahreszeit und in allen
Hrdicn angetroffen wird. Gewöhnlich wirft sie 3- bis
4 mal je 4 bis 8 Junge im Jahre; in manchen Zeiten
aber ist sie weit fruchtbarer, die Wurfzeit dauert alsdann
bedeutend länger, und Junge können von Februar bis
November beobachtet werden. Die einzelnen Würfe be-
stehen in solchen abnormen Zeiten aus 10 und selbst
mehr Jungen.
Der Beginn der gegenwärtigen Plage muss bis in
das Jahr 1888 zurückdatirt werden, wo man bereits eine
Zunahme der ftfäuse auf der Glenkerry-Farm und an an-
deren Orten in Selkirkshire k(nistatiren k(mnte. Im
Scnnmer 1.S89 waren die tiefliegenden Weidegründe bei
Closcburn (Dunifriesshire) von ungeheuren Mengen dieser
Schädlinge lieinigesucht, welche sich dort auch das Jahr
1890 über hielten, dann aber im Laufe von 1891 ver-
schwanden und wahrscheinlich nach den höher gelegenen
Gegenden zogen, über welche sie sich im Juni 1892 aus-
breiteten.
Hau])tsächlich davon zu leiden haben die Bergwiesen
nordwestlich von Roxburglishire, die südlichen Thcile der
Grafschaften Sclkiik, Peebles und Lanark und endlich
der Norden von Dumfries zwischen Eskdalenniir (Moff'at)
und Thornhill. Viele Mäuse sind auch in der Gegend
von Dalry, Carsjjliairn und Kirdcudi)right beobachtet
worden.
Ein genauer Kenner der Verhältnisse, R. F. Dudge,
schätzt die Sehadenfläche in Roxburglishire auf 30—40
Tausend acres, wovon 12— lo Tausend vollständig ver-
wüstet sind, in Dunifriesshire auf 40—50 Tausend und in
Kirkcudbright auf 10 — 12 Tausend acres.
Dem IJcrichte der Kommission ist eine Karte beige-
gegeben, auf welelier sich der von den Mäusen Iieim-
lange
gesuchte Landstrich als eine 600 englische Meilen
und 12 — 20 englische Meilen breite Zone darstellt.
Die Kommission ist zu den folgenden Schlüssen ge-
langt: Sie sieht sich vollkommen ausser Stande, irgend
eine geeignete JIcthode zu empfehlen, welche wirksam
wäre, um der gegenwärtigen Kalamität ein Ende zu
setzen. Dieselbe scheint wieder einmal dafür ein Beispiel
zu sein, welche Gewalt kleinen Geschöpfen innewohnt und
vyic massenhaft die letzteren sich unter günstigen klima-
tischen und Nahrungsverhältnissen zu vermehren im Stande
sind. Die Ei'fahrung lehrt, dass ein Zusammentreffen so
glinstiger Bedingungen stets auch dieselbe Plage zeitigt.
Es ist daher jedes Landniannes und Schafzüehters Pflicht,
stets aufzupassen und den vorgesetzten Instanzen sofort
Mittheilung zu machen, sobald er irgend wie ein Häufiger-
werden der Schädlinge bemerkt, damit geeignete Mittel
*) Vorgl. „Naturwissenschaft!. Wocheiischr." VIT, S. 396 ff":
VIII, S. 273.
362
Naturwissenschat'tlicbe Wochenschrift.
Nr. 34.
nicht uur auf einer Farm allein, sondern im ganzen Be-
zirlvc ergriffen werden liönnen.
Die wirksamsten Mittel scheinen periodisches Ab-
brennen der Wiesen und Stoppeln zu sein, worauf dann
die Menschen selbst mit Holzspaten und Hunden in
Thätigkeit treten. Geschieht dies sofort beim Ausbruch
der Plage, so ist alle Aussicht vorhanden, dass dieselbe
ganz abgewendet, oder doch sehr eingeschränkt wird.
Vor allen Dingen nmss sofort der Besitzer des Grund und
Bodens benachrichtigt werden, damit er seine rächter
und Beamten zu gegenseitiger Unterstützung anhält,
weil sonst bei weniger schnellem Einschreiten das Uebel
rascii wächst und bald alle Kreise, welche mehr oder
minder von der Landwii'thschaft al)hängig sind, in Mit-
leidenschaft zieht.
Wo kleinere Landparzellen befallen sind, empfiehlt
sich die Anwendung von Grubeufalleii, welche am Boden
weiter als an der Oeft'nung und etwa 18 Zoll tief sind.
Die Mäuse fallen in dieselben hinein und können nicht
entrinnen-, das Land ist bald von ihnen gesäubert. Ver-
giftetes Korn kann die Konnnission höchstens nur bei ganz
kleinen Ackern empfehlen.
Die Kommission hat von der durch Professor Löffler
angewandten JMetliode kein günstiges Resultat zu erzielen
vermocht. Der Vorsitzende und Sekretär haben sich in
Thessalien persönlich davon überzeugt, dass die wirk-
lichen Resultate weit hinter den erhoft'ten zurückbliebeu.
In manchen Theilen l'liessaliens waren die Mäuse nach
den Aussagen der Laudeigentlüimer und anderer Personen
im Januar 1893 ebenso zaiilvcich, wie je zuvor. Die
Kommission giebt gern zu, dass die Löft'ler'sche Flüssig-
keit im frischen Zustande ein wirksames, wenn auch
etwas dilatorisches Gift für Mäuse etc. ist und überdies
vor mineralischen Giften den Vortheil hat, dass es er-
fahrungsgemäss für Menschen und andere Thiere un-
schädlich ist.
Prof. Löffler hat die ihm aus Schottland zu Versuchs-
zwecken lebend übersandten Jläuse ebenso für den Mäuse-
typhusbacillus empfänglich gefunden, wie ihre griechischen
Verwandten, Indessen stehen der Anwendung des Mittels
drei Hindernisse im Wege, welche es mit Ausnahme von
Häusern, Gärten, eingehegten Acekern und anderen kleinen
Landparzellen nahezu werthlos machen:
i. Die bedeutenden Kosten. Das der griechischen
Regierung gelieferte Mittel kostete 4 Schillinge (ca. 4 M.)
pro Gefäss und genügte für zwei Aecker. In Scliottlaud
würde dieser Preis in vielen Fällen den Ertrag der Berg-
weiden übersteigen. Vermehrt werden die Kosten noch
durch das zur Vertheilung nöthige Brod. Sollte denniach
ein schottisches Berggut von beispielsweise 6000 acrcs
wirksam damit behandelt werden, so würde dies einen
Kostenaufwand von 700 — 1000 I'fund Sterling verursachen
— dadurch käme das Mittel theurer zu stehen als der an-
gerichtete Schaden.
2. Der Mäusetyphus ist nicht contagiös. Er kann nur
auf solche Thiere übertragen werden, welche von dem
Virus selbst geniessen. Die Annahme, dass gesunde Thiere
durch das Verzehren solcher am Mäusctyithus Verendeter
inticirt werden, ist nicht genügend bestätigt worden. Die
Beobachtung, dass griechische Mäuse in der Gefangenschaft
die Kadaver ihrer Artgenossen auffrassen, bedingt noch
nicht, dass die schottischen es in freiem Znstande ebenso
machen; und wenn die Krankheit nicht von einem leben-
den Thiere auf ein anderes übertragbar ist, so lässt sich
schwer absehen, wie das Mittel im Grossen wirken soll.
3. Die Flüssigkeit wird in 8 bis 10 Tagen nach der
Herstellung unwirksam. Wenn demnach Regenwetter oder
Schneefall die Vertheilung des Mittels über ein Areal
unterbräche, so würde seine Wirkung überhaupt illusorisch.
Am wirksamsten hat sich in Thessalien Schwefel-
kohlenstoff' erwiesen, dessen Dämpfe in die Löcher geleitet
wurden; indessen ist dies IMittel noch kostspieliger und
überdies für die damit Arbeitenden schädlich. Dazu konunt,
dass die schottische Wühlmaus (Arvieola agrestis) nicht
solche tiefen Löcher gräbt, wie ihre thessalisehe Ver-
wandte (Arvieola Güntheri), sondern nur in oberflächlichen
Gängen zwischen den Wurzeln der Kräuter lebt; mithin
die Anwendung von Schwefelkohlenstoftdämpfen aus-
schliesst.
Die Konmiission bespricht alsdann die natürlichen
Feinde der Mäuse und theilt dieselbe, mit Ausnahme der
drei weiter unten zu nennenden Arten, in zwei Klassen:
I. Mäusevertilger, welche dem Landmanne wenig oder
keinen Schaden zufügen (ungefährlich für Schafe, Getreide,
Geflügel): Alle Arten von Eulen, Bussarde, Kestrels und
die kleineren J\löwen.
II. Mäusevertilger, welche dem Landnianne schädlich,
daher von der Schonung auszuschliessen sind: Füchse,
Raben, Aaskrähen, Seemöwen, Nattern.
Die Kommission eniptiehlt dringend Maassnahmeu zur
Verhütung des Wegfangens und Tödtens der unter I auf-
geführten Vögel. Wenn diese zahlreich vorhanden sind,
so vermögen sie, wenn auch nicht die Plage zu verhüten,
so doch bedeutend abzuschwächen, und die Erfahrung hat,
z. B. hinsichtlich der kurzohrigen Eule, gelehrt, dass sie
bei ungewöhnlich reichlicher Nahrung sich überaus stark
vermehrt. Auf alle Fälle sind sie dem Menschen höchst
nützliche Verbündete in der Bekämpfung von Schädlingen,
die auf dem Boden leben. Ferner schlägt die Konnnission
die strengsten Maassregeln vor, um das Wegfangen der
Habichte mittels Fallen zu verhindern, da es sowohl un-
menschlich als auch ungerechtfertigt ist, und gleichzeitig
auch ganz unschädliche Eulen, Kestrels und Bussarde
auf diese Weise vernichtet werden.
Ausser den oben genannten Thieren giebt es noch drei
Arten, welche eifrigste Mäusevertilger sind, gleichzeitig
aber auch dem Geflügel gefährlich werden. Die erste ist die
gewöhnliche Saat- oder Mandelkrähe, deren Nützlichkeit
für den Landmann jetzt aber allgemein anerkannt wird.
Die beiden anderen Thiere sind der Iltis und das Wiesel.
Dem Geflügelzüchter sind sie am meisten verhasst, und es
ist wohl kaum angängig, für den Iltis in der Nachbar-
schaft von Geflügelställen und Fasanerien Schonung zu
empfehlen. Dagegen thut letzteres die Kommission unbe-
dingt hinsichtlich des Wiesels, welches ein wüthender
Mäusejäger ist und dem Geflügel nur wenig Schaden zu-
fügt. Wenn nicht anders, so sollte man dem Letzteren
wenigstens auf den Mooren und Bergwiesen nicht nach-
stellen, weil es hier wenig Schaden anzurichten vermag,
dagegen durch ^'ernichtung zahlreicher Schädlinge sehr
nützlich werden kann.
Zwei neue Trapa-Lager in Westpreussen. — Etwa
1 km östlich von Schadrau bei Sclnincck in Westpreussen,
zwischen den nach Neu- und nach Alt-Englershütte füh-
renden Wegen, liegt ein Torfbrueh, welches neuerdings
insofern die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich ge-
lenkt hat, als dort vom Besitzer Derra ein Einkahn zu
Tage gefördert ist. Aus diesem Anlass besuchte ich ge-
meinsam mit Henn Treichel-lloch-Paleschkcn am 1. August
die vorerwähnte (»ertlichkeit und stellte Nachfolgendes fest.
Am Nordrande des Bruches, wo der schwarze Torf
schon früher bis 1 m tief abgestochen war, steht derselbe
noch 0,4 m mächtig an. Er enthält von grösseren Ein-
schlüssen: Stamm- und Aststücke von Eichen, Birken,
Kiefern u. s. w. und an einzelnen Stellen viele Zapfen
der letzteren Baumart; überdies iindet sich auch ange-
Nr. 34.
Naturwissenschaf'tliclic Wochenschrift.
86.S
brannte» Kiefernholz in derselben Schicht. Das Lieg'endc
derselben bildet gelblichbrauner Lebertorf — dort Fuchs
genannt — , der auch noch einzelne Kicfern/apfen, vor-
nehndieh aber zahlreiche verdrückte Wassernüsse (Trapa
natans L.) nebst anderen Früchten und Hamen, sowie
Flügeldecken von Küfern u. a. führt. Auf das Voi'-
liandensein dieser Schicht war ich aufmerksam geworden,
weil ieii schon vorher in den dort in Haufen gesetzten
Ziegeln ein paar zusammengetrocknete Trn])a Früchte be-
merkt hatte.
Am Ostendc des Bruches war schon seit lauger Zeit
eine grössere Fläclie tiefer ausgestochen und iiatte sieh
nachher mit Wasser gefüllt, in welches man Karauschen
(Oarassius vulgaris Nilss.) eingesetzt hatte. IJeini Fischen
mit Netzen hiernach war man auf jenen Kahn gestossen,
dessen eines Ende ins Wasser ragte, während das andere
noch im torfigen Untergrund steckte. Das Fahrzeug ist
13,90 m laug und 0,45 m breit und im Innern mit zwei
aus dem vollen Holz gearl)eitctcn Querwänden versehen.
Es besteht aus Holz von Pinus silvcstris L.. das ober-
Hächlich vom Wasser stark angegriften ist und daher
schon lange Zeit der Einwirkung desselben ausgesetzt
gewesen sein niuss. Sein Alter ist kaum annähernd zu
bestimmen, zumal jegliche Beigaben fehlen; indessen lässt
die Verwendung von Kiefernholz zum Bau nicht darauf
schliessen, dass es einer frühg-eseiiichtliciicn Zeit angehört.
Die alten Einkähne, wie ein solcher z. B. in dem gleich-
falls im Kreise Bereut gelegenen Przsiboda-See früher
gefunden Avurde, bestehen hier durchweg aus Eichenholz.
Das andere Torfbruch, in weleiiem Trappa natans L.
fott. vorhanden ist, erstreckt sich um eine ehemalige
Insel bei Ostrow Lewark, 3 km westlich von Stuhm.
Die Früchte sind den Besitzern schon seit Jahrzehnten
bekannt, ohne dass sie denselben eine besondere Be-
achtung geschenkt hätten. Erst als neulich Herr Töebter-
schullehrer Floegel in Marienburg im Interesse des Pro-
vinzial-Museums bei fTelegenheit eines 'i'orfeinkaufs nach-
fragte ob etwa auch Wassernüsse dort vorkämen, wurde
ihm dies bestätigt. Darauf reisten wir am 11. d. M.
gemeinsam dorthin und trafen die mit zahlreichen Früchten
von Trapa natans L., ferner mit Zapfen von Pinus
silvcstris L. u. a. erfüllte Schicht etwa 2 m unter Tage
im nördlichen Theile des Bruches unweit der von Wcissen-
berg nach Stuhm führenden Chaussee an. In derselben
Schicht und besonders im Hangenden finden sich auch
Holz unrl liindenreste von Kiefern, Birken, Erlen u. a. ni.
Durch die obigen neuen Funde von Trapa natans L.
ist in Westpreussen das fünfte und sechste grössere Lager
fossiler Früchte dieser jetzt hier ansgest(u-benen Wasser-
pflanze festgestellt, und zwar vertheileu sich die bisher
bekannten Fumhn-te folgendcrniaassen. Reg. -Bez. Danzig:
Mirchau im Kreise Karthaus und Schadrau im Kreise
Bereut. Reg.-Bez. Marienwerder: Abbau Stuhm und
Ellerbrueh im Kreise Stuhm, Jacobau im Kreise Kosen-
berg und Lessen im Kreise Graudenz.*) Conwentz.
Ergebnisse der Forschungen im lUuterlande von
Togo 1890 bis 1S92 von Hauptmann E. Kling und Dr.
R. Büttner. Die „Mittheilungen von Forschungsreisenden
und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten" bieten
im neuesten Heft des 6. Bandes unter obigem Titel eine
sehr dankenswerthe Zusammenfassung der in den letzten
Jahren geleisteten Arbeit. Der Herausgeber der „Mitthei-
lungen", welche bekanntlich die wissenschaftliche Beilage
des Deutschen Colonialblattes bilden, hat sich zunächst
der mUhsaiiien Aufgabe unterzogen, die Tagebücher des
*) Vbi-gl. „Niitnr\yisscnschaftl. Woolicnschr.'' Bd. VT. S. 12(1.
Bit. VII. S. 388. — Bd. Vlli. S. 337.
leider verstorbenen, so verdienten Reisenden Hauptmann
Kling zu bearbeiten, welche derselbe auf seiner letzten
grossen Reise 1891 geführt hat und die fleissigen
Routenaufuahmen Klings zu einem Kartenbild der von
ihm bereisten (Tcbicte zusammenzustellen. Als sehr branch-
bar erwiesen sieh die Breitenbestimmungen, die Längen-
bestimmungen waren hingegen wegen der Mangelhaftig-
keit der gebrauchten Uhr nicht verwerthbar.
Die allgemeinen Ergebnisse der von Kling geleiteten
Exi)cdition bestehen zunächst in der Berichtigung einer
Anzahl Irrthihncr in dei- Wolf'schen Karte: Wolf hatte
namentlich die Stromrichtungen vieler Wasserläul'e ver-
kehrt eingetragen, weil dieselben in der Jahreszeit, in
welcher Dr. Wolf diese Gebiete durchreiste, meist aus-
getrocknet waren — vor allem aber in der Erweiterung-
der Wolf'schen Karte von Sugu aus nach Norilen hin.
Das Gebiet zwischen Salaga und den Borgustaaten, der
Schauplatz eines sehr lebhaften Karawanenverkehrs von
den Haussaläuderu her, ist durch Klings Expedition zum
ersten Mal betreten und kartographisch fixirt worden; die-
selbe brachte die erste Kenntniss ganz unerwartet reicher
Volkscentren wie Bafilo und Basari — übertrifft dfich
Bafilo das berühmte Salaga an Häuser und Mensehenzahl
bedeutend. Wir vernehmen mit Staunen von den unab-
sehbaren Flächen auf das sorgfältigste bestellter und mit
peinlichem Fleiss gepflegter Yamsfelder; auf schier end-
los .sich ausdehnenden Hirsefeldern wogen 5 ni hohe,
schwere Aehrcn, eine fleissige, ihr Loos zufrieden tra-
gende Selavenschaar birgt von Sonnenaufgang bis Sonnen-
untergang die reiche Ernte und zieht unter Trommel- und
Pfeifenklang zur Arbeit in den Dörfern aus und ein. Die
Bilder einer ausgedehnten Landbau und Viehzucht trei-
benden Bevölkerung berichtigen unsere Vorstellung von
dem angeblich wenig fruchtbaren Charakter der Hinter-
länder Togos. Wird diesem Lande der Schutz seiner
friedlichen Arbeit seitens einer europäischen Macht ge-
bracht, gegen feindliche Nachbarn und herumziehende
Räuberschaaren, werden ferner gesicherte Verkehrsstrassen
angelegt, so niuss einem solchen Lande eine gewisse, den
Handel der Küste befruchtende Kaufkraft inne wohnen.
Die durchzogeneu Gebiete bestehen aus vielen, von ein-
ander unabhängigen Staatengebilden, welche noch frei
von dem politischen Einfluss irgend einer anderen euro-
päischen Macht geblieben waren und am wenigsten mit
den Borgustaaten in politischem Zusammenhang stehen-,
bisher war kein Vertreter irgend einer euro])äisclien JMacht
in dieses unabhängige Land gedrungen: Wolf und Kling
haben als die beiden ersten Europäer in moderner Zeit
die Grenze der Borgustaaten erreicht.
Auch die Reise Klings von Salaga nach Westen
gegen Kiutanipo hat geographisches Interesse. Durch
dieselbe ist das Zusammenflussgebiet der drei Quellströme
des Volta, des weissen, des rothen und des schwarzen
Volta zum ersten Male umgangen worden; Kling- hat hier
die Aufnahmen seiner Vorgänger von Frangois und
Binger wesentlich vervollständigt.
Unter den ethnographischen Sammlungen haben be-
sonders die seltenen (Gegenstände aus dem Mosiland
Interesse; die zoologische Sammlung ist leider während
der Krankheit des Reisenden grüssteutheils zu Grunde
gegangen. Klings Angaben über das Auftreten einzelner
Charakterpflanzen in den von ihm durchzogenen Land-
schaften berichtigen zum Theil ganz wesentlich die karto-
graphische Darstellung des Sheabutterbaumes, der Oel-
palme, des Maniok im westlichen Sudan im zweiten Band
von Bingers grossem Reisewerk (Du Niger au Golfe de
Guinee, Tome II). So ist z. B. die Südgrenze der Ver-
breitung vom Sheabutterbaum (Passia Parkii und biglo-
bosa) als viel zu weit nördlich verlaufend gezeichnet unter
364
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 34.
etwa 12° n. l>r., während diese Bäume noch unter 8° 40°,
ja bei Kratgc noch unter ca. 8° n. Br. vorkommen. Auch
die Nordgreuze der Oelpahne gestaltet sich durch Klings
Angaben wesentlieii anders.
Diesen austuhrlichen Mittheilungen aus den Tage-
büchern des Hauptmann Kling reihen sich sodann die
von Dr. L. Ambronn berechneten geographischen Orts-
bestimmungen an, welche 1888/89 von Dr. Wolf und
1891/92 von Kling im Hinterland des Togogebieles aus-
geführt wurden, ferner Siedepunkt-Bestimmungen \on
Klings Reise nnd Erläuterungen zu den Karten -Con-
structiouen.
Weiter folgen nicht weniger als acht verschiedene
Originalbeiträge zur Fauua des Togolandes, meist nach
den von Dr. R. Büttner herrührenden Sammlungen von
Specialforschern bearbeitet, Säugcthiere von P. Matschie,
Vögel von A. Reichenow, Reptilien und Amphibien eben-
falls von P. Matschie, Fische von F. Hilgendorf, Mollusken
von E. v. Martens, Hexapoden von Dr. Stadelmanu, H. J.
Kolbe und Dr. F. Karsch, Würmer von A. Collin.
Ueber die Flora des Togolandes ist ein Verzeichniss
der von Dr. R. Büttner 1890 und 1891 in Bismarckburg
gesammelten Pflanzen mitgetheilt. Den Beschluss machen
fesselnd geschriebene Bilder aus dem Togohinterlande von
R. Büttner, welche die Erläuterung zu 13 beigefügten
Lichtdrnckbildern «eben.
Derartige
neuesten
zusanniienfassende Veröffentlichungen der
über ein deutsches Colouialgebiet
Forschungen
werden in wissenschaftlichen Kreisen gewiss mit grossem
Dank aufgenonnnen werden, dieselben sind aber auch geeig-
net, in weiteren Kreisen durch die getreue Uebermittelung
der Reiseergebuisse ein reges Interesse zu erwecken.
Fr.
Regel.
Maistre's Reise vom Coiigo zum Benue-Nigei* er-
weist sich als glänzende geographische wie colonial-poli-
tische Leistung. Nach Crampels Tod am Oberlauf des
Sehari i. J. 1891 entsandte das Comite de rAfriipie fran-
Qaise C. Maistre mit einer neuen Expedition, obwohl
bereits J. Dybowski am Congo war, um Crampel zu folgen.
Schon am 1. April 1892 war Maistre in Brazzaville und
traf hier mit dem von seinem Vorstoss an den Sehari
zurückgekehrten Dybowski zusammen. Anfang Juni wurde
die Station Baugeei am Ubangi und sodann die von
Dybowski am Kemo gegründete gleichnamige Station er-
reicht und das Material von dessen Expedition übernommen.
Maistre brach am 28. Juni nach N. anf, hielt sich jedoch
westlicher als Crampel und Dybowski; Mitte Juli über-
schritt er bereits die niedrige Wasserscheide zwischen
Congo und Sehari, erreichte aber erst Ende September
den Oribingi oder Gribissi, einen Quellfluss des Sehari,
durch Regen und Feindseligkeiten aufgehalten. Am
7. November erreichte M. in Palem den Anschluss an
Nachtigals Route im S. von Bagirnd; Gundi, Nachtigals
zweimonatlicher Aufenthalt i. J. 1873, lag in Trümmern.
M. konnte nicht nach N. bis Kuka vordringen, sondern
musste nach W. reisen, um möglichst bald Adamaua zu
erreichen. Am Zusammenfluss der beiden Quellflüsse
des Benue betrat er bereits erforschtes Gebiet. (Peterm.
Mitth., Juliheft, S. 175.)
Durchkreuzung von Tibet. — Kapt. H. Bower und
Dr. G. W. Thorold ist es gelungen, das .so schwer zu-
gängliche Tibet von W. nach 0. in voller Ausdehnung
zu durchkreuzen, eine Grossthat ersten Ranges auf dem
Gebiete geographischer Forschungen. Ein erster Bericht
erschien im Londoner Geogr Journ. 1893, No. 5. Im
Juni 1891 erfolgte der Aufbruch von Leb, im Passe Lanak
Pa wurde die Grenze übersehritten und am See Mangtza
Cho der fernste von einem Europäer (Carey) erreichte
Punkt berührt; von hier verlief die Route fast immer um
1 — 2° nördlicher als der Weg des Punditen Naiu Singh
zum Tengri uor nnd nach Lhasa (1873 — 1875). Der
Marsch führte über eine 4G00 — 5200 m hohe Hochebene
an zahlreichen Seen vorüber. Um Bowers Aimäherung
an Lhasa zu verhindern, wurde die Ex])edition im NW.
vom Tengri nor zu einem weiten Umwege nach N. ge-
zwungen Ueber Tschiamdo erreichte die Expedition in
Batang die häufig begangene Haupt-Handelsstrasse zwischen
China und Tibet, welche über Thatsienlu bis Ya Tu ver-
folgt wurde; von hier wurde bis Shanghai der Flussweg
benutzt. (Petermanns Mittheilungen, Juliheft, S. 174.)
Ueber die Eiszeit im Reiclienlialler Thale macht
J. Jäger im Ausland (S. 415) die folgende Mittheilung:
Das breite Thal von Reichenhall, heute durch seine Milde
und Lieblichkeit berühmt, hat in alten Zeiten auch an der
Vergletscherung theilgenommen, welche unser Alpen- und
Voralpenland ähnlich dem heutigen Grönlande mit Kälte,
Eis und Unfruchtbarkeit heimsuchte und das organische
Leben hinausdrängte.
Bei einem Spaziergange von Reiehenhall nach dem
freundlichen Kirchberg sieht ein für die Natur offenes
Auge, wie die i\[oränen des hier aus dem Hochgebirge
heraustretenden Saalachgletsehers sich den Höhen im
Süden wie im Osten und Westen des grossen Thalbodens
anschmiegen, das Thal selbst aber freilassen. Dabei
macht die auf dem linken Saalaehufer sich hinziehende
Seitenmoräne beim Austritt der Saalach aus dem Gebirge
mit diesem Flusse eine Unddegung und schmiegt sieh den
Abhängen des Müllnerhorns an, dort westlich von Kirch-
berg und noch vor St. Pankraz endigend; die Seitenmo-
räne des Saalachgletschers am rechten Saalachufer bildet
den breiten Hügelrüeken des Schlossberges und Streit-
bühls, der Rcicbenliall östlich begrenzt und in das viel
besuchte Kirehholz übergeht. Ein aus dem Hallthurmpasse
herausdrängender Gletscher hat hier offenbar mitgewirkt
und dieser grossen Vereinigung von Moränen die Richtung
nach Nordosten auferlegt.
Vom Thumsee dringt ein anderer Moränenzug am
Fusse des Zwiesels bis an den hohen Staulfen vor und
trägt u. a. die Padinger Alp und das liebliche Non.
Auf diesem Wege schob sich ein vom Ristfeuchthorne
herabkounncnder Gletscher in unser Thal, welcher im
Tinunsee — nach Pencks Ausdruck — seine centrale Depres-
sion fand, durch die Kalkfelsen Karlstein und St. Pankraz
aufgehalten und auf die westliche Seite des Reiehenhaller
Thaies hingedrängt wurde, wobei er am nordöstlichen
Ende des Thumsees eine grosse, wollsackähnliche Moräne
aufhäufte, die man als den Aushub dieses Seces ansehen
könnte, wenn man mit Tyndall, Kamsay, Penck u. a. an-
ninnnt, dass die Gletscher sich die Becken solcher Alpen-
secen selbst ausgruben. Auch z. B. beim Starnberger-,
Ammer-, Traunsee u. a. liegt gerade am Nordende ein
grosser Aufwurf, auf den noch weitere Moränen in nörd-
licher Richtung folgen. Au dem Thumsee und den Mo-
ränen seines ehemaligen Gletschers möchte sich mit Vor-
theil die immer noch offene Frage studiren lassen, ob
dieser See und ähnliche durch Gletschererosion oder durch
tektonische Verbältnisse oder aber lediglich in Folge Ab-
dämmung durch die vorlagernde Moräne entstanden seien.
Vielleicht haben hier mehrere Ursachen zusammengewirkt.
Wie bedeutend hier die Gletscherwirkung war, geht sclion
daraus hervor, dass man am hohen Stauften noch in einer
Höhe von 1000 m Granitfindliuge trifit, während Reichenhall
nur 470 m über der Nordsee liegt.
Hatten aber die Gletscher nur Tod und Erstarrung
verbreitet, so spriesst doch jetzt aus dem Lehm ihrer Mo-
Nr. 34.
Naturwissenschaftliche Wochcusciirift.
365
räiieu ein frisches, üppiges Lel)en, da gerade diese Ruiid-
buekel die herrliciisten Alpeuwiosen tragen, während das
Kalkgebirge vorzugsweise nur Wahl und dürftige Gräsercien
beherbergt.
Augenscheinlich ist der heutige Thalboden Reichenhalls
ganz frei geblieben von den Zügen der Moränen. Hier
niuss der mächtige, von dem Thumsee- und Hallthurmglet-
sehcr Hankirte Eisstrom des Saalachthalcs sich in voller
lireite gedehnt und den ganzen Thalboden bedeckt haben,
Sil dass für Seitcnnioränen kein Platz im heutigen 'J'hale
blieb, diese vicinieiir links und rechts an die alten Gebirge
hingedrängt wurden, wie wir dies oben zu schildern ver-
suchten. Diese grossen Gletscher und später deren Schmelz-
wasser haben uns das weite, liebliche Thal ausgeglättet,
auf welchem sich nun gesun(U' und kranke Menschen an
den Reizen einer erhabenen Bergwelt in milder balsa-
mischer Luft erfreuen.
Dass auch schon die alten Völker an diesem Thale
Gefallen fanden und es besiedelten, geht aus den Funden
von römischen Alterthümern und nachrömischen aber vor-
christlichen Gräbern hervor, welche vor mehreren Jahren
am Fusse des Müllnerhorns \)vi Kirchlierg entdeckt wurden.
In neuester Zeit hat Herr v. Chlingensperg aljcr auch bei
„Langacker", nordöstlich vom Thumsee, eine grosse
Niederlassung aus der sog. Broucezeit aufgedeckt, wobei
dieUeberreste von Tausenden geschlachteter und verbrannter
Thiere, ausserdem zahlreiche Broncegegenstände zu Tage
traten.
Erwägt man die Lage dieser Niederlassung auf höherem
Terrain an den Abhängen des Stauffengebirges und im
Moränengel)icte des Thumseegletschers, so wird man un-
willkürlich an das ,.Schvveizerbild" bei Schaft'hausen er-
innert, ein Hoehthal, das — nächst dem Rheingletscher
und seinen Moränen gelegen — schon Renthierjägcrn aus
der Periode der letzten Eiszeit zur Niederlassung gedient
hatte, dann aber auch s})äteren Bewohnern bis zur neo-
lithischcn Zeit.
Es wäre nicht verwunderlieh, wenn au den End-
moränen des Saalach- oder Thumseegletschers auch einmal
eine Renthierstation gefunden und so der Beweis geführt
werden würde, dass auch diese heute so liebliche Land-
schaft schon vom Ende der Eiszeit an von Menschen auf-
gesucht und besiedelt wurde.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden eniaiint: I-'rofossor Dr. lians Sohiiiz zum Di-
rector des BütaiiisL-lii'n Gartens in Zürich. — Der Privattlocent
Dr. Otto Schirm er in Halle zum ausserordentlichen Professor
der Augenheilkunde an der Universität Greifswald. — Der Privat-
docent Dr. Ivraus zum ausserordentlichen Professor für interne
Modicin an der Universität Wien. — Professor Dennstedt zum
Director des chemischen Staatshxboratoriums in Hamburg.
Es haben sich habilitirt: Dr. Pommerang für Chemie an der
Universität Wien. — Dr. Wien für I^hysik an der Universität
Würzburg. — Dr. Voit in der medicinischon Facultät der Univer-
sität München.
Der Director der Universitäts-Augenklinik in Greifswald Pro-
fessor Dr. Hermann Schirmer tritt von seiner Lehrtliätigkeit
zurück.
Es sind gestorben: Dr. Libbrecht, Leiter <ler von ihm
begründeten bedeutenden Augenklinik in Gent. — Der Docent für
Botanik au dt;r Technischen Hochschule in Ivarlsruhe Dr. Ma.x
Scholtz daselbst. — Dr. Leibius, erster Chemiker an der Münze
in Sydney. — Der Petrograph Thomas Da vi es, Custos am
Britischen Museum in London. — Dr. Nicolai Skworzow,
Leiter der Abtheilung für Nervenkranke am Ujasdow'schen Militär-
hospital in Warschau. — Der um die Medicinalstatistik verdiente
wirkliche Staatsrath Jans on, Professor der Statistik an der Uni-
versität Petersburg, daselbst. — Dur Erfinder der automatischen Ma-
schinen, Ingenieur Percy Everitt in Ncw-York. — Der frühere
Arzt Emin Pascha's Vita Hassan, bekannt durch sein Werk „Die
Wahrheit über Emin Pascha, die ägyptische Aequatorialproviuz
und der Sudan", in Kairo. — Der Ingenieur Baron Ciiristian
von Hesse in New -York. Er wies zuerst die Möglichkeit der
Durchlegung eines Cauales durch die Landenge von Panama durch
Messungen an Ort und Stelle nach. — Im Jesuiten-Pensionate zu
Feldkirch der ehemalige Professur der Mathematik und Physik
Pater Joseph Kolping. — Der durch seinen mediciniachen
Taschenkalender bekannte Staatsrath Dr. Carl Foerster in Riga.
— Der ehemalige Professor der Therapie an der Universität Kasan,
wirklicher Staatsrath Dr. Michael Subbotin in Moskau — Der
hervorragende schottische Kartograph John Bartholomew in
Edinburgh. — Dr. Rawdon Macnamara, Professor der Medicin
an der Universität in Dublin.
Ein Internationaler Pharmaceutischer Congress findet Ende
August in Chicago statt, nachdem S Tage vorher die 41. Ver-
sammlung der American Pharmaceutical Association daselbst
getagt liat.
- Der Internationale Botanische Congress*) tritt am Mitt-
woch, den 23. August d. J., um 10 Uhr Vormittags, in Madison,
Wisconsin, Ver. St., zusammen. Gegen Erlegung der Einschreibe-
Gebühr von zwei Dollars kann Jeder Botaniker Mitglied werden.
Die Sitzungen werden in der Wissenschafts-Halle der Univer-
sität von Wisconsin gehalten werden. Die erste Sitzung wird der
Organisation gewidmet sein. In derselben werden die bei den
Verhandlungen des Congresses zu beobachtenden Regeln festge-
stellt, sowie die Stunden der Zusammenkünfte bestimmt werden.
Der Zweck dieses Congresses ist ein Ideen-Austausch betreffs
aller auf die Botanik bezüglichen Gegenstände im allgemeinen,
einschliesslich der durch den bestehenden Gebrauch eingeführten
Ausdrucksweise , und Anstrebung von Gleichheit derselben in
Wort und Schrift, sowie Förderung der Wissenschaft überhaupt.
Vorträge, welche sich mit besonderen Versuchen oder Beobach-
tungen beschäftigen, sind ausgeschlossen.
Obwohl Englisch die officielle Sprache des Congresses sein
wird, kann jedes Mitglied dennoch sich irgend einer Sprache
bedienen.
Die Auslagen für Kost und Wohnung werden zwischen einem
und drei Dollars täglich betragen. Zimmer mit oder ohne Be-
köstigung können im Voraus gesichert werden, wenn man sich
schriftlich an Herrn Professor W. H. Rosenstengel, Madison, Wis.,
wendet. Sobald als möglich nach Ankunft in der Stadt melde
man sich in „Science Hall", Zimmer 17, zu ebener Erde, erlege
die Gebühren und trage seinen Namen ein, indem man dem an-
wesenden Officianten mittheilt, dass die Eintragung zum Zwecke
der Theilnahme am Botanischen Congress geschehe.
Im August tagen in Madison noch folgende wissenschaftliche
Gesellschaften: Vom 17. bis 23. August die „Amerikanische Gesell-
schaft zur Beförderung der Wissenschaften" (Jahresversammlung)
und in Verbindung mit dieser die „Versammlung der amerikani-
schen Botaniker"; — 1.5. und 16. August die „Gesellschaft zur För-
derung der Ackerbau -Wissenschaften"; — 14. bis 16. August die
„Amerikanische Mikroskopische Gesellschaft".
Mehrere andere wissenschaftliche Gesellschaften, welche für
Botaniker von geringerem Interesse sind, werden gleichfalls inner-
halb der genannten zwei Wochen in Madison V^ersammlungen
abhalten.
Der Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig hat zur Feier
des Jubiläums ihres l.jOjälirigen Bestehens die Provitizial - Com-
mission zur Verwaltung der Westpreussischen Provinzial- Äluseen
die Summe von „Eintausend Mark" mit der Bestimmung über-
geben, „dieselbe zur Preiskrönung der besten Arbeit über eine
von der Naturforschenden Gesellschaft demnächst zu stellende,
die naturwissenschaftliche Landeskunde der Provinz Westpreusseu
betreffende Aufgabe zu verwenden".
Veranlasst durch die Thatsache, dass bei den verheerenden
Insectenfrassen in umfangreichen Waldgebieten der Provinz West-
preusseu, wie dergleichen ihr uocli fortgesetzt drohen, unzählbare
Schaaren der Schädlinge durch einen Pilz aus der Gattung Einpusa
vernichtet worden sind**), und dass auch die der Forstcultur unserer
Provinz so schädlichen Maikäferlarven durch Pilze aus der Gat-
tung Isaria (Botrytis) getödtet werden, und im Hinblick darauf,
dass den von einigen französischen Forschern veröft'entlichten
günstigen Resultaten ihrer Iiifectionsversuche im Freien***) andere
Versuche mit ungünstigen Erfolgen entgegenstehen f), setzt die
*) Vergl. „Naturwissenschaftliche Wochensohr." No. 26, S. 262
und No. 30, S.Öl 4.
**) S. Dr. Bail, Pilzepidemie an der Forleule. Preussische
land- und forstwirthschaftliche Zeitung 1867, und Pilzepizootieen
der forstverheerenden Rau))en. Schriften der Danziger Naturf.
Gesellschaft 1869.
***) Giard, Comptes rendus des seances de la Societe de Bio-
logie, und Prillieu.x et Delacroix, Comptes rendus 1891, und Maxime
Buisson, „Le Botrytis tenella", Comjiiegne. Imprimerie Henry Le-
febvre. Ruo Solferino 1892.
t) z. B. Dufour in Zeitschrift für Pfianzenkrankhciten, Jahr-
gang II, 1892.
366
Naturvvisscnscbaftliclic Woclienschrift.
Nr. 34.
N a t u r f o r s c h e n de Gesellschaft zu D a n z i g den Preis von
1000 Mark für die beste Arbeit aus, welche durch Er-
forschung der Entstehung und Verbreitung von Pilz-
epidemien unter wald verheer enden in Westpreussen
einheimischen I n s e c t e n zuverlässige und durch den
nach zu weisenden Erfolg im Freien bewährte Mi t toi zur
durchgreifenden Vernichtung solcher Insecten tiietet.
Die Arbeiten nüis.sen in deutscher oder französischer Sprache
abgefasst sein und sind einzusenden an die ^ Naturforschende Ge-
sellschaft zu Danzig" bis zum letzten December 1898. Dieselben
werden der Natur der Sache nach auch Originalzeiclinungen ent-
halten. Manuscripte sind mit Motto und versiegeltem Namen ein-
zureichen. Die Gesellschaft behält sich das ausschliessliche Recht
der Veröffentlichung des prämiirten vor, erklärt sich aber bereit,
wenn sie davon keinen Gebrauch macht, die Arbeit, ebenso wie
jede nicht prämiirte, dem Verfasser zur freien Verfügung zurück-
zustellen. Auch gedruckte Abhandlungen sind von der Preis-
bewerbung nicht ausgeschlossen.
Der Plan zur Errichtung einer biologischen und Fischerei-
Versuchsstation am Müggelsee bei Berlin ist jüngst dem Magistrat
durch den Präsidenten des Deutschen Fischerei- Verein.s vorgelegt
worden. Der Magistrat von Berlin hat sich dem Voi'schlage ge-
neigt gezeigt und wird bei der Stadtverordneten -Versammlung
die Unterstützung des Unternehmens befürworten.
L i 1 1 e r a t u r.
Wilhelm Wundt, Ethik. Eine Untersuchung der Thatsachen
und Gesetze des sittlichen Lebens. 2. umgearb. Autl. \'erlag
von Ferdinand Enke. Stuttgart 1892. — Preis 1.5 M.
Wundt lehnt sich in seiner Ethik an den speculativen Idealis-
mus der nachkantischen Philosophie an, steht also nicht auf dem
Standpunkte, den unseres Erachteus nach die heutige Naturforschung
gebietet, und den wir Bd. VI S. 151 kurz angedeutet haben, in-
dem wir dort an die triviale, aber wie sich immer wieder zeigt,
doch nicht unnütz betonte Selbstverständlichkeit erinnern, dass
jede Einheit — sei sie ein Individuum, eine Familie oder ein an-
derer A'erband höherer Ordnung — zu Grunde gehen muss, wenn
sie sich nicht mächtigeren Aussenverhältnissen fügt, und dann
fortfahren: „Auf ethischem Gebiete sind die Machthabenden
innerhalb einer Einheit in der Mehrzahl. Der Einzelne muss
den ethischen Forderungen, die sich durch das Zu.sammeuleben
entwickelt haben, folgen, oder er findet keinen gesellschaftlichen
Platz. Diejenigen ethischen Gesetze, ohne welche ein Zusammen-
leben undenkbar ist, erscheinen uns begreiflicherweise als kate-
gorisch." Wundt weist also den Militarismus zurück.
Das umfangreiche (XII und 684 S. umfassende) Werk darf aber
deshalb auf keinen Fall von dem Naturforscher, der die Neigung
hat und dem die Zeit vergönnt ist, sich naturphilosophisch zu be-
schäftigen, d. h. der bestrebt ist, auch hinaus zu blicken über
sein Specialgebiet und den Zusammenhang desselben mit dem
Ganzen zu erkennen, ausser Acht gelassen werden. Der Ge-
dankenreichthum und die tiefe philosophische Schulung des Ver-
fassers, die ausserordentliche Fülle des beigebrachten Materiales,
die geschickte Verwendung desselben, bringen jedem, der das
Werk studirt — stehe er nun auf der Seite Wundt's oder nicht
— grössten Gewinn.
Nach einer 15 Seiten umfassenden „Einleitung" werden zu-
nächst „die Thatsachen des sittlichen Lebens" bes])rochen, dann
die „Entwicklung der sittlichen Weltanschauungen", „die Prin-
cipien der Sittlichkeit" und endlich die sittlichen Lebensgebilde.
Näher auf den gediegenen Inhalt eingehen, hiesse ein Buch über
ein anderes schreiben, und so müssen wir uns denn leider auf die
wenigen obigen Worte beschränken. P.
Prof. Dr. Conrad Keller, Alpentiere im Wechsel der Zeit (Zoo-
logisclie Vorträge herausg. v. Marshall Heft 9). Kichard Frese.
Leipzig, 1892. 48 S. 8". — Pr. 1 Mk.
Der Verf. schildert die Aenderungen, welche in dem Thier-
bestande der Schweiz von der Tertiärperiode bis zur Gegenwart
eingetreten sind, namentlich in Betreff der Säugethiere und einiger
Vögel. Zu der tropischen Thier- und Pflanzenwelt der Miocän-
Zeit, deren Urkunden wir in den Süsswasserablageiimgen von
Öningen vor uns haben, darunter Affen und Viverren, steht im
schroffsten Gegensatz die diluviale Fauna gegen Ende der Eiszeit,
als die höhern Theile des Landes noch bleibend von Firn und
Gletschern bedeckt waren und die Grenze der Thierwelt gegen
das ewige Eis noch in dem Tieflande lag, wie heut zu Tage in
Grönland. Steinbock, Gemse. Murmelthier und Alpenhase, Kenn-
thier, Vielfrass, Eisfuchs und Lemming lebten hier im Flachland
zusammen und das Schneehuhn war damals wohl das häutigste
Geflügel und in ununterbrochener Keihe von der Schweiz bis
Schottland und Skandinavien verbreitet. Aber auch grössere, ge-
waltigere Thiere lebten damals auf diesem Boden: Mammut und
Nashorn , Ur und Wisent, Elch und wildes Pferd, Höhlenbär,
Höhlenhyäne und eine löwenartige Katze. In diese Thierwelt
tritt der Mensch ein, zunächst als Höhlenbewohner und Jäger,
noch ohne Hausthiere, gewissermaassen Mitbewerber und gleich-
stehender Kämpfer, noch nicht entschiedener Herrscher. Alpen-
hase und Schneehuhn bilden der Zahl der Individuen nach den
grössten Theil seiner Jagdbeute, aber er wagt doch auch schon
den Angriff auf die grossen Thiere, wie eben die von ihm hinter-
lassenen Speisereste in der Höhle bei Thayngen zeigen. Mit der
fortschreitenden Milderung des Klimas, dem Rückgang des Eises,
wodurch die Gebirgsthäler zugänglich werden, und der weiteren
Ausbreitung und Vermehrung des Menschen tritt eine Aeuderung
und Scheidung ein, Steinbock, Gemse und Murmelthier ziehen sich
ins Gebirge und erhalten sich nur da, Rennthier, Eisfuclis und
Lemming weichen nach Norden aus, Alpenhase und Schneehuhn
nach beiden Seiten. Die grossen gewaltigen Dickhäuter und
Raubthiere aber sind die ersten, die ganz aussterben; sie konnten
sich den Veränderungen des Bodens und Klimas am wenigsten an-
passen und den Verfolgungen des Menschen am wenigsten ent-
ziehen. Die von Rütimeyer so eingehend untersuchten Reste
der Pfahlbauten am Zürcher und Neuchateier See geben uns ein
Bild der Thierbevölkerung dieser noch vorhistorischen Periode,
die ganz fremdartigen Formen sind verschwunden, die Arten sind
wesentlich dieselben, die jetzt noch in Mitteleuropa vorkommen,
aber die Alpenthiere reichen weiter herab, Elch, Wisent. Ur und
Biber sind noch in der Schweiz vorhanden, Bär und Wolf nicht
selten, die Thiere des Waldes spielen eine grössere Rolle und neu
sind die Hausthiere aufgetreten, sei es dass dieselben an Ort und
Stelle gezähmt, jung eingefangen und aufgezogen wurden, wie
z. B. bei dem Ur möglich ist, sei es dass sie aus dem Osten und
Süden schon als zahme Thiere eingeführt wurden, was bei Schaf
und Ziege unabweislich und bei einigen Rinder-Rassen wahrschein-
lich ist. Mit der Ausbreitung der Viehzucht und des Ackerbaues
erhält der Mensch neuen Grund zur Verfolgung der grössern freien
Thiere, wegen des Schadens, den sie seinen Heerden und Pflanzun-
gen zufügen, und so werden jene immer weiter aus dem Kultur-
gebiet weggedrängt; darin bestehen hauptsachlich die Veränderun-
gen des Vorkommens der Thiere, welche wir in der geschicht-
lichen Zeit nachweisen können.
Es haben sich uns noch einige Angaben erhalten über die
Arten von Wildpret, welche um 1000 nach Chr. im Kloster
St. Gallen auf den Tisch der Mönche kamen, darunter auch Ur
und Wisent, Elch und Steinbock, die also damals noch in diesem
Theil der Schweiz lebten. Zu Conr. Gessner's Zeit, um 1.550
waren die drei ersteren längst daselbst verschwunden und der
Steinbock schon eine Seltenheit, den die Meisten nur vom Hören-
sagen kannten. Seitdem ist auch der Biber ausgerottet, Edelhirsch,
Bär, Fuchs und Lämmergeier dem Verschwinden nahe, meist nur
noch einzeln an einzelnen Stellen auftauchend, aus den Nachbar-
gebieten übertretend. Versuche, eine bestimmte Thierart wieder
zu vermehren oder neu einzuführen, sind erst in unserer Zeit ge-
macht worden und öfters ohne bleibenden Erfolg. Am meisten
hat sich noch strengerer Jagdschutz und die Einrichtung von
„Freibergen" für den Schutz der Gemsen bewährt. All diese Ver-
hältnisse sind in der vorliegenden Schrift anziehend und eingehend
besprochen. E. v. Martens.
Dr. Arth. Looss, Schmarotzer in der Thierwelt. (Zool. Vorträge,
herausgeg. v. W. Marschall, 10. Heft.) Richai'd Freese. Leipzig
1892. 180 S. 8". Preis 4 M.
Der Verf. bespricht zunächst die Begriflsbestimmung der
Schmarotzer oder Parasiten als Thiere, die sich von den lebenden
Bestandtheilen eines andern Thiers (oder Pflanze) nähren, ohne
dasselbe sofort zu tödten, im Gegensatz zu den Tischgenossen oder
Commensalen und solchen, welche nur des Schutzes oder der
leichteren Fortbewegung wegen (z. B. Echeneis) sich an andere
Thiere halten; sodann werden die Beziehungen des Parasitismus
zur freien Lebensweise behandelt und dabei besprochen die In-
secten, welche nur zeitweise, im Larveuzustande, parasitisch leben,
wie die Schlupfwespen (Ichneumoniden), dann folgen Gordius und
Mermis, sowie die Wurzelkrebse (Rhizocephalen), welche als Larven
frei, später zu Schmarotzern werden, ferner die Fälle von Hetero-
gonie, wobei eine freilebende Generation mit einer parasitischen
regelmässig abwechselt, wie bei manchen Fadenwürmern, und end-
lich der Brutparasitismus der Kukuksbienen, welche ihre Eier in
von andern Bienen für die eigenen Eier angefertigten und mit
Nahrungsstoft' gefüllte Zellen legen, und derjenige der Raubwespen,
welche ihren Larven eine durch einen Stich gelähmte Raupe als
Nahrungsvorrath mitgeben. Hieran schliesst sich eine mehr theo-
retische Erörterung, wie der Parasitismus im Thierleben entstehen
konnte. Verkümmern oder Schwinden der Bewegungsorgane, da-
gegen die Ausbildung eines kräftigen Haftapparates, auch Ver-
einfachung der die Nahrung aufnehmenden Organe ist die gewöhn-
liche Folge des Schmarotzerlebens, betreffs der Fortpflanzung
Zwitterthum, um die Befruchtung zu sichern, und sehr grosse
Nr. 34.
Naturwisscnscliarilielic Woclicnsclirit't.
3Ü7
Zahl von Kiern, diimit wi'iiigstens einige der jungen Brut durch
glücklielien Zufall ein neues Nahitliier eneielien. In einzelnen
Fällen lebt nur diis eine der beiden Geschlechter parasitisch, ja
das Männchi'n ist zuweilen Parasit des Weibchens. All diese und
manche andere Fälle werden mehr oder weniger eingehend be-
sprochen, namentlich aber auch die verschiedenen Kmgeweide-
würmer des Menschen, und dabei der Fortschritt in der Erkenntniss
ihres Wesens und Lebens seit etwa hundert Jahren dargelegt.
V. Martens.
Ad. Alf. Michaelis, Die bekanntesten deutschen Giftpflanzen
nacli ihren botanischen und luedicini^clieii Kigeiiscliatfen. Mit
, IG Tafeln in Farbendruck. Verlag von Fr. Junge. Krlaugen
1892. — Preis 1,80 Mk.
Mit den allerersten Elementen der Botanik steht Verf. auf
gespanntem Fusse, so lesen wir S. 41 bei Colchicum: „Die
Wurzel bildet eine Heischige Zwiebel"! Das Buch ist leider
auch im Uebrigen nichts wertli. Es werden nur IG Giftpflanzen
aufgeführt: es fehlen z B. Cytisus Laburnum, Robimia pseuda-
cacia, Br_vonia, Digitalis, Ranunculus sceleratus, ja sogar Cicuta
virosa (!) u. s. w. Es darf wohl von einem Autor, der ein Buch
über Giftpflanzen schreibt, verlangt werden, dass er die wich-
tigsten Resultate der Pflauzentoxikologie der letzten Jahre kennt,
also hatte Verf. Robinia pseudacacia, deren Rinde und Samen
sich als sehr giftig herausgestellt haben*) und die doch gewiss
zu den „bekanntesten" Pflanzen unserer Heimath gehört, aufzu-
nehmen u. s. w. Dass nun gar Cicuta virosa auf S. 35 in dem
Artikel über Conium maculatum nur mit den AVorten abgethan
wird: „Aehnlich dem gefleckten Schierling sind drei gefährliche
Giftpflanzen dieser Pflanzengruppe: Wasserschierling (Cicuta
virosa) . . . ." ist doch gewiss nicht zu billigen. Gerade die
genaue Kenntniss dieser Pflanze kann derjenige, iler sich mit den
einheimischen Giftpflanzen beschäftigen will und zu diesem Zweck
etwa das vorliegende Werk zur Hand nimmt, gar nicht umgehen.
I''s kommen hin und wieder iuich immer Vergiftungen mit Cicuta
virosa vor, und wenn etwa der Arzt oder der Apotheker mit
Hilfe des Michaelis'schen Buches den Versuch machen wollte einen
Cicuta-Pflanzentheil sicher zu bestimmen, so würde ihn dasselbe
vollkommen in Stich lassen. Noch im Mai dieses Jahres bin ich
an die Gefahr, die ein Verkennen der Cicuta virosa- Pflanzen-
theile mit sich bringen kann, erinnert worden. ;Ich erhielt nämlich
ein Stückchen des charakteristischen Rliizomes der Pflanze aus
Kevelaer von Hrn. Apotheker Claud. Thoenissen zur Bestimmung
zugesandt, der dazu schrieb: „Gestern kam unser Dr. med. zu mir
und brachte mir beifolgendes Rhizom, von welchem zwei Knaben
von 9 und 14 Jalu-en genossen hätten, wodurch der 9jährige ohne
noch zu seinen Eltern zurückkehren zu können, bereits gestorben
ist, der 14jährige aber mit gelähmten Gliedern und heftigen Kopf-
schmerzen etc. noch recht krank darnieder liegt. Ein dritter
Bruder war eben bei mir und sagte mir, dass die beifolgende
W^urzel jene war, wovon die zwei anderen genossen hätten. Von
Blättern wisse er nichts. Die Kinder hätten die Wurzel frei
liegend in der Nähe des Niers (Flüsschen) gefunden und die-
selbe für Sellerie gehalten Dieselbe riecht nach Daucus
carota, schmeckt in etwas nach Sellerie " P.
1. Prof. Johannes Walther, Binomie des Meeres. Beobachtuugin
über die marineu Lebensbezirke und Existenzbedingungen.
1. Theil einer Einleitung in die Geologie als historische Wissen-
schaft. Gustav Fischer. Jena 1893. — Preis G Mk.
2. Walther, Allgemeine Meereskunde. Mit 72 Te.xt-Abbildungen
und einer Karte. J. J. Weber. Leipzig 1893. — Preis i Mk.
1. .Die Entstelmng erloschener Vulcane erschliessen wir, in-
dem wir die Bildung thätiger Vulcane beobachten; die Geschichte
eines fossilen Korallenriffes ergründen wir, indem wir lebende
Korallenritt'e untersuchen; und die Meerestiefe, in welcher eine
fossile Austernbank gebildet worden ist, erkennen wir, wenn wir
vergleichen, in welchen Tiefen die Gattung Gstrca heutzutage
lebend_ gefunden wird." Das ist dem Geologen geläufig, und es
bedarf (laher keines eindringlichen Wortes mehr, dass eine Kennt-
niss der heutigen Vorgänge auf der Erde für den Geologen zum
Verständniss des Werdens der Erdkruste unerlässlich ist, und — da
die Geologie überwiegend eine Geschichte versteinerter Meeres-
— böden ist dass im Speciellen die Meereskunde dem Geologen
geläufig sein sollte. Daher nennt Walthor sein unter 1, aufge-
führtes Buch eine „Einleitung in die Geologie als historische
Wissenschaft." E)s ist für den Gelehrten und den Geologie-Stu-
direnden bestimmt, von denen namentlich der letztere, .wenn. er
das Buch zur Hand nimmt, bevor er an das .Studiuui der Geologie
herantritt, nacliher den griissten Vi.>rtheil verspüren wird. Haud-
und Lehrbücher, in ilenen die astrophysischen, tektonischen und
experimentalen Fragen für geologisch-historische Probleme vor-
bereitet und angewandt werden, besitzt die Litteratur zur Ge-
nüge aller keines, das wie das vorliegende zusammenfassend die
Beurtheilung vorbereitet: wie sind die Gesteine des I'lötzgebirges
gebildet worden, welches sind die Bedingungen, unter denen die
fossilen Organismen gelebt haben und gestorben sind. Das Buch
füllt daher eine bedenklich!' Lücke in der Litteratur aus.
2 Die ,.AIlgemeine Meereskunde" hat zwar nicht den ausge-
sjjrochenen Zweck als Grundlage für ein Studium der Geologie
zu dienen, aber es ist nach dem voran."! Gesagten klar, dass anch
diese eiiu' Vorschule für die Geologie bildet; der Verf^. behandelt
denn auch in dem '7b. Abschnitt die „Geschichte des Meeres" uml
erreicht so den Anschluss an die Geologie. Das Buch ist in erster
Linie für den Laien, den Naturfreund, berechnet, und wir wünschen,
es mochte von den Besuchern des Meerosstrandes als Lektüre
und treÖ'liche Anregung für eine Beurtheilung des zu Sehenden
weite Verlireitung finden. Jedem der der Natur gern denkend
gegenüber stellt, wird ein Studium desselben grossen Genu.ss
bereiten.
Eunz, W., Ueber die Abhängigkeit der magnetischen Hysteresis,
der Magnetisierbarki.'it und des elektrischen Leitungsvermögens
des Eisens und des Nickels von der Temperatur. Diirmstadt.
1 M.
Kurella, H,, Naturgeschichte des ^'erbrechers. Stuttgart. 7 M
Lipps, Th., Gruudzüge der Logik. Hamburg. 3 M.
Lübsen, H. B., Ausführliches Lehrbuch der analytischen oder
hohem Geometrie zum Selbstunterricht. 13, Aufl. Leipzig.
4 M.
Luerssen, Ch., Grundzüge der Botanik. ;>. Aufl. Leipzig. 8 M,
Mach's Gruiidriss der Physik, für die höheren Schulen des
Deutsehen Keicdies, 1, Theil. Leipzig 2 M.
Mach, E. u, B Boss, Bemerkungen zu den Theorien der Schall-
phänoui.'ne bei iMrteoritenfällen. Leipzig, 0,30 M,
Mantegazza, P, Die Physiologie des Weibes. Jena, 4,50 M.
Marchand, Die Morphologie des Stirnlappens und der Insel der
.\iitlirii|ionu.irplien. Leipzig.
Marenzeller, E. v., Neue Echinodermen aus dem Mittelmeere.
Leipzig. 0,20 M.
Nägeli, C. V., Ueber oligodynamische Erscheinungen in lebenden
Zellen. Basel. 2,80 M.
Neumann, Gr., Beiträge zur Biologie anaerobiotisch wachsender
gasbilileniler Bacterieuarten. Leipzig. 0,50 M.
Niessl, Gr. V., Bahnbestimmung des Meteors vom 7, Juli 1892.
Leipzig. (1,70 M,
Oppolzer, E, v., Ueber die Ursache der Sonncuflecken. Leipzig
0,80 M,
Ozegowski, A„ Die Quadratur des Kreises, Ostrowo. 1,50 M.
Paulitschke, Ph , Ethnographie Nordost-Afrikas. Berlin. 23 M.
Pfeffer, G., Ostafrikanische Reptilien und Amphibien. Hamburg
~ M.
Pompeckj, J. F., Beiträge zu einer Revision der Ammouiten des
Scliwiildselien Jura. 1. Lfg, Stuttgart, 5 M,
Posewitz, Th., Erläuterungen zur geologischen Special karte
Umgebungen von Körösmezö und Bogdän, Blätter
(l : 75 000) der geologischen Specialkarte
der
de
*) Vergl. Naturw. Woclienschr. Bd. VI, No. 3, S. 28.
Col. XXXI
Länder der ungarischen Krone. Budapest. 1,20 M.
Priwozuick, E., Ueber Vorkommen von Tellur.
Puluj, J., Methode zur Messung der Phasendift'erenz von har-
monischen Wechselströmen und deren Anwendung zur Be-
stimmung der Selbstinduction. Leipzig. 0,^0 M.
— Ueber die Phasendift'erenz zwischen der elektromotorischen
Gesanimtkraft und der Spannungsdifl'erenz au einer Verzwei-
gungsstello des Stromkreises bei Anwendung harmonischer
Wechselströme. Leipzig. 0,50 M.
— Ueber die Wirkung gleichgerichteter sinusartiger elektro-
motorischer Kräfte in einem Leiter mit Selbstinduction. Leipzig.
0,50 M.
Inhalt: Dr. G. Walleuberg: Ueber die Rauinvorstelluug eines Blindgeborenen. - R. Ed. Liesegang: Die Gehörfarben.—
UnteTsuchungen über den kleinsten Gesichtswinkel. - Myrmekophile Akazien. — Die Maden an lebenden Kröten — Ueber
die leldmaiisplage m Scliottland, — Zwei neue Trai.a-Lager in W^•^tl)reussen. — Ergebnisse der Forschungen im Hinter-
lande von Fogo 1890 bis 1892. - Maistie's Reise vom Congo zum Beiiue-Niger. — Durchkreuzung von Tibet. — Ueber die
Eiszeit im Keicheuhaller Tliale. - Aus dem wissenschaftlichen Leben, - Litteratur, — Wilhelm Wundt: Ethik. Eine Unter-
suchung der Thatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens, - Prof. Dr. Conrad Keller: Alpenthiore im W'echsol der Zeit.
Dr. Arth. l.oos: Schmarotzer in der Thierwelt. — Ad. Alf. Michaelis: Die bekanntesten deutschen Giftpflanzen. —
1. Prof Johannes W^alther: Bi
Meeri
W^alther: Allgemeine Meereskunde. — Liste.
368
Naturwisseiischaftliclic Wucliensclirift.
Nr. 34.
Die Insekten-Borse
jetzt vereinigt mit der „Sammler -BÖrSe"
vl^N^ EntomolpQi<.vi)e^ Organ
ha
■sMl
&
^
'icinimUr^örsQ. U|
üffertcnblatt ^-''
im JDicnsle aller Samrr.el-InltressenU,
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Verantwo rtlicher Redakteur: I. V. Dr. F. Kaunhowen, Berlin N. 4., luvalidenstr
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12.
■11, lür ilrn Inseratentlieil: Hugo Bernstein in Berlin.
- Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung^ Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 27. August 1893.
Nr. 35.
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anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M i.—
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bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nnp mit vollständiger «^nellenaiigabe gestattet.
Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung.
Von Prof. Dr. H. Schubert.
VII.*)
Boss-Puz'/lc oder Fuufzchner-Spicl.
Seit Meiischeiigetlenken hat kein GeduUlspiel ein der-
artij;'es Interesse bei der ganzen g-ehildetenJIensclilieit hervor-
gerufen, als in den Jahren 1879 und 1880 das in Deutsch-
land unter dem Namen „Boss-Puzzle", in Frankreich
unter dem Namen „Jeu du Taiiuin" (Neek-Spiel), in England
unter dem Namen „Fifteenth-Puzzle" eingeführte Spiel.
Monate lang bildeten die an dieses Spiel sieh anknüpfenden
Erörterungen eine stehende Itnbrik in Journalen und Zei-
tungen. In Hamburg ging das Interesse an dem Spiel so-
weit, dass man selbst in Pferdebahn-Wagen die kleinen
Kästchen mit den IT) llolzklötzehen erblicken und un-
ruhige Hände darin schieben .sehen konnte. In manchen
Comptoiren sah man Warnungen angeschlagen, welche
den Gomptoiristeii l)ei sofortiger Entlassung verboten,
Boss - Puzzle - Spiele mit in das Comptoir zu bringen,
weil der Principal sich davor schützen musste, dass seine
Angestellten die ihren kaufmännischen Pflichten gehörende
Zeit auf das fesselnde Spiel verwandten. Der unter-
nehmende Wirth des Elb-Pavillon veranstaltete ein grosses
Boss-Puzzle-Tournier, zu dem mit amerikanischer
Reclame eingeladen wurde; und an einem schönen
Sonntag Nachmittag sah man im Elb-Pavillon viele Hun-
derte von Menschen an kleinen Tischen sitzen, auf denen
Boss-Puzzle-Kästchen standen, und vergebliche Versuche
machen, das vom Wirth gestellte, überall angeschlagene
Boss-Puzzle-Problem zu lösen. Obwohl eine hohe Summe
demjenigen versprochen war, der es zuerst gelöst hätte,
war Niemand im Stande, den Preis zu erringen — aus
dein einfachen Grunde, weil das Problem zu den unlös-
aus
dem Folgenden hervorgehen
*) Der am 28. Mai und 4. Juni erschienene Artikel i.st von
uns aus Versehen mit VII statt mit VI bezeichnet. Ke<l.
baren gehörte, wie
wird. —
Aber auch ernste Gelehrte widmeten dem neuen Ge-
duldspiel ihr Interesse und ihre Zeit. Die erste mathe-
matische Uehandlung des Spiels erschien sclion 1879 in
dem „American Journal of mathematics pure and applied"
(Baltimore 1879), und hatte den Mathematiker Woolsey
Johnson zum Verfasser. Eine Verallgemeinerung der
Theorie dieses Gelehrten verritfentlichte dann in demselben
Journal Professor Story. In Deutschland gab der Ver-
fasser dieser Artikel eine gemeinverständliche, sich aus-
schliesslich an die Laien wendende Erörterung des Sjiiels.
Dieselbe erschien 1880 in Hamburg als kleine Broschüre
mit dem Titel „Theoretische Entscheidung über das Boss-
Puzzle-Spiel, allgemeinverständlich dargestellt mit Anlei-
tung zur schnellen Bildung lösbarer und unlösbarer Aui-
gaben." Der Ertrag war für das Hamljurger Lessing-
benkmal bestimmt. In den folgenden Auseinandersetzungen
schliesst sich der Verfasser im wesentlichen an die in
diesem Bttchelchen niedergelegten Erörterungen an, da
die von Anderen aufgestellten theoretischen Prüfungen des
Spiels für Nicht-JIathematiker schwerer verständlich sind.
Mit Recht wird man naclv dem genialen Ertinder
dieses fesselnden Geduldspiels fragen. Darüber ist nichts
weiter bekannt, als! was der Mathematiker Sylvester, Pro-
fessor an der Hopkins-Universität zu Baltimore, auf der
Jahres -N'ersammlung der „Association fraugaise pour
ravanceincnt des scienccs" in Reims mittheilte. Danach
soll im December 1878 das Spiel von einem taubstummen
Amerikaner erfunden sein, als derselbe Nummern, die in
einem Kästchen lagen und in Unordnung gerathen waren,
in die natürliche Reihenfolge bringen sollte. Aus irgend
welchem Grunde nahm er eine Nummer heraus, und
suchte nun durch lilosses Schieben sein Ziel zu erreichen.
• Wir gehen nun zu der Eröirterung des urs]n-iinglichen
Bo.ss-Pu/.zle-Problems ülier. Dasselbe verlangt, in einem
quadratischen Kästchen, welches für ll> gleich
370
Natnrwisscnscliuftlichc Wocliensclivift.
Nr. 35
g-rosse Steine mit quadratisclicr Oberfläche
gerade Platz hat, aber nur 15 solche mit den
Zahlen von 1 bis 15 beschriebene und sich be-
rührende Steine enthält, diese Steine, wenn sie
))eliebig liegen, durch blosses Verschieben so zu
ändern, dass die folgende Figur entsteht:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
leer
Die durch diese Figur bestimmte Stellung der lö
Steine zu einander wollen wir die reguläre Stellung
nennen. Beispielsweise sei die folgende Stellung durch
Verschieben in die reguläre überzuführen:
1
6
2
o
ö
10
7
4
11
8
1-2
l.'-)
9
n
14
Unter anderm wird man dieses Problem dadurch lösen
können, dass man bei der gegebenen Anfangs-Stellung
zunächst den mit 1.') beschriebenen Stein auf das leere
Feld rückt, dann die drei Steine 11, 8, 12 nach rechts
schiebt. Ans der so gewonnenen Stellung
1
6
2
3
5
10
7
4
11
8
12
9
13
14
15
kann man nach und nach die folgenden Stellungen leicht
durch Schieben erreichen:
1
G
2
3
5
10
7
4
9
11
8
12
13
14
15
1
G
2
3
5
10
7
4
9
11
S
13
14
15
12
1
2
3
5
G
7
4
9
10
11
8
13
14
15
12
1
2
3
4
5
G
7
9
10
11
8
13
14
15
12
woraus nun durch Aufwärts-Schieben der Steine 8 und 12
die reguläre Stellung sofort erreicht werden kann.
Es fragt sich zunächst, wieviel Probleme mög-
lich sind, d. h. wieviel verschiedene Anordiumgen sich
den 15 Steinen geben lassen, wobei vorausgesetzt werden
soll, dass bei jedem Problem das leere Feld, wie bei der
regulären Stellung, rechts unten ist. Wir kommen in das
(lebiet der Permutationslehre. Zunächst sieht man ein,
dass zwei Dinge a und b nur zwei Anordnungen a b und
b a haben können. Bei drei Dingen giebt es schon drei-
mal soviel, also 6, weil a vor b c und vor c b gesetzt
werden kann, und ebenso zwei Anordnungen da sind, die
mit b anfangen, sowie zwei, die mit c anfangen. Hieraus
folgt wieder, dass vier Dinge a, b, c, d viermalsoviel, also
4x3X2 = 2-1 verschiedene Anordnungen haben können.
Und so muss diese Schlussfolge beliebig fortgesetzt
werden können. Also kann man den 15 Steinen im
Ganzen
2x3x4x5x6x7x8x9xl0xllxl2xl3x 14 x 15
Anordnungen geben. Rechnet man dieses Multiplications-
Exempel aus, so erhält man die stattliche Anzahl von
1 Billion 307 674 Millionen und 365 000
Boss-Puzzle-Aufga])en. Dieselbe Zahl ergiebt sich natür-
lich auch, wenn man fragt, wieviel Platz-Verschiedenheiten
eine Tischgesellschaft von 15 Personen haben kann, wo-
bei es natürlich schon als eine neue Platzordnung gerechnet
ist, wenn nur zwei Personen ihre Plätze geändert haben.
Wollte also eine solche 'J'ischgesellschaft alle Tage anders
sitzen, so brauchte sie über 3600 Millionen Jahre dazu,
alle möglichen Anordnungen durchzusitzen; und selbst,
wenn die 15 Personen im Stande wären, alle Secunde
eine neue ( *rdnnng einzunehmen, so würden sie ohne Unter-
brccliung über 41 000 .fahre daran arbeiten müssen, ehe
sie alle denkbaren Platzverschiedenhciten durclijjrobirt
hätten. Dieses Beispiel giebt vielleicht eine Ahnung von
der Grösse der berechneten Zahl aller möglichen Boss-
Puzzle- Aufgaben.
Wer eine dieser Aufgaben zu lösen unternimmt, wird
bald die ersten 12 Steine auf ihre richtigen Plätze durch
Schieben bringen können. Dann al)er wird er in der
vierten Reihe eine
müssen:
1) 13, 14, 15;
4) 13, 15, 14;
der folgenden 6 Stellungen erhalten
2) 14, 15, 13; 3) 15, 13, 14;
.5) 14, 13, 15; G) 1.5, 14, 13.
Die Praxis wird dann Jedem bald zeigen, dass man
das durch die erste Stellung angegebene Ziel auch bei
der zweiten und dritten Stellung durch Mitbenutzung der
Steine 9, 10, 11, 12 der dritten Reihe erreichen kann,
und zwar nach mindestens 18 maligem Rücken eines
Steines, dass man aber bei der vierten, fünften und
sechsten der 6 angegebenen Stellungen die geforderte
reguläre Stellung nicht erreichen kann. Die Lösung
einer solchen Aufgabe kann nur durch Betrug oder
Taschenspielerei bewerkstelligt werden. Man gelangt
nändich immer dann zur Lösung, wenn man irgendwann,
statt zu schieben, einmal zwei Steine ihre Plätze wech-
seln lässt.
Um der Theorie der Boss-Puzzle-Aufgaben näher
treten zu können, gehen wir von folgenden einfachen
Ueberlegungen aus. Unter „Zug" hn Boss-Puzzle-Spiel
verstehen wir die Verschiebung eines Steines auf den be-
nachbarten leeren Platz. Bewegen wir nun einen Stein
von seinem anfänglichen Platze fort, schieben dann so,
dass er weiter wandern kann, und lassen ihn nun so be-
liebige und beliebig unterbrochene Wanderungen aus-
führen, aber derartig, dass er schliesslich einmal auf
seinen alten Platz zurückkehrt, so hat der Stein innner
eine gerade Anzahl von Zügen ausgeführt, gleichviel,
Nr. Sf).
Natiuvvisscuscliat'tliche Wochenschrift.
welche Platz- Aeiulcrungcn die Ul)rigen Steine dabei er-
halten haben. Denn jeder Zug in horizimtalcr oder ver-
tikaler Richtung muss irgendwann und irgendwo einmal
wieder durch eine parallele Verschiebung in entgegen-
gesetzter Richtung rückgängig gemacht sein. Was
hiermit von einem Stein als richtig erkannt ist, muss auch
für das leere Feld gelten, welches ja auch bei .jedem Zuge
horizontal oder vertikal um einen Schritt vorwärts oder rück-
wärts wandert. Hieraus geht aber folgende Wahrheit hervor:
„Wird eine Stellung der 15 Steine durch beliebig fort-
gesetzte Verschiebung iu eine andere Stellung übergeführt,
bei welcher der leere Platz wieder da ist, wo er vorher
war, so ist die Gesa mmtsu nunc aller der während
der Ueberführung der einen Stellung in die andere aus-
geführten Züge eine gerade Zahl. Bei jeder s<dchen
Verschiebung kann man sich denken, dass (b'r zuerst auf
den leeren Platz unten rechts gerückte Stein nach ein-
ander mit sänuntlichen sonst noch gezogenen Steinen den
Platz wechselt. Beispielsweise ziehen wir, von der
regulären Stellung ausgehend, nach einander die Steine:
12, 8, 7, 3, 2, 6, 10, 14, 15, 12,
sodass wir als neue Stellung erhalten:
1
6
2
-1
b
10
o
7
fl
11
11
8
IS
15
12
Die vorgenommene Verschiebung können wir uns nun
durch eine Vertauschungs-Folge ersetzt denken, wenn
wir uns vorstellen, dass der leere Platz immer von dem
zuerst gezogenen Stein 12 besetzt ist. Stein 12 tauscht
dann zuerst mit 8, dann mit 7, dann mit 3, mit 2, mit 6,
mit 10, mit 14, endlich mit 15. Es sind also bei den
10 Zügen 8 Platzwecliscl vorgekommen, nändieh 2 Platz-
wechsel weniger als Züge, weil das Hineiiu-ückcn der 12
in den leeren Platz und das Entfernen von demselben
keinen Tausch von Steinen veranlasst. So muss es aber
bei jeder noch so complicirten Verschiebung sein; immer
kann man sagen, dass der zuerst auf den leeren Platz
gerückte Stein mit allen sonst noch gezogenen vSteinen
tauscht. Dabei ist die Zaid der gedachten Vertauschungen
immer um 2 kleiner als die Zahl der Züge. Da nun die
Zahl der Züge, wie schon oben eingesehen ist, eine gerade
sein muss, eine um 2 verminderte gerade Zahl wieder
gerade ist, so ist auch die Zahl der vorgekommenen
Vertauschungen eine gerade. Statt die Vertauschung
mit Stein 12 zu beginnen, kann ich sie natürlich mit
irgend einem der gezogenen Steine beginnen, z. B. mit 3.
Es tauscht dann 3 mit 2, dann mit (3, mit 10, mit 14,
mit 15, dann über das leere Feld schräg mit 12, dann
mit 8, dann mit 7. Oft kehren Steine im Laufe der Ver-
schiebungen wieder an ihre Plätze zurück. Da sie dazu
eine gerade Zald von Zügen brauchen, so bleibt die
Zahl der Vertauschungen gerade, wenn man solche Ver-
tauschungeu, die aus rückkehrenden Steinen entstanden
sind, nicht mitzählt. Zieht man z. B., von der' regulären
Stellung ausgehend, nach einander die Steine
15, 14, 10, 11, 7, 6, 11, 10, 14, 15,
so kann man, statt 15 mit 14, dann mit 10, mit 11, nnt 7,
mit G, mit 11, mit 10, endlich mit 14 tauschen zu lassen,
auch bloss 11 nnt 7 und dann 11 mit i'> tauschen lassen,
um die neue Stellung zu erzielen. Jedenfalls erhalt man
auch dann eine gerade Zahl von Vertauschungen. Wenn
also zwei Stellungen durch Verschiebung aus einander
hervorgehen, so kann man sie auch durch eine gerade
Zahl von Vertauselningen zweier benachbarter Steine in
einander überfülu'cn. Befolgt man dabei nun nicht gerade
die aus der Verschiebung selbst resultirende Vertauschungs-
( Ordnung, sondern irgend welche andere, bei der man aber
auch das Ziel erreicht, so hat man vielleicht mehr oder
weniger Vertauschungen gemacht, jedenfalls aber eine
gerade Anzald mehr oder weniger, weil man eine gerade
Anzahl von ^'ertauschungen vornehmen muss, um aus einer
gewissen Anordnung von Dingen dieselbe Anordnung wieder
zu erhalten. Hieraus kann man also die folgende Wahrheit
scidiessen: Ist eine alte Stellung der 15 Steine des Boss-
Puzzle durch blosses Verschieben in eine neue übergeführt,
bei welcher der leere Platz wieder auf sein altes Feld zu-
rückgekehrt ist, so nmss die Zahl der Vertauschungen,
die man mit je zwei benachbarten Steinen vornehmen
muss, um ebenfalls aus der alten Stellung die neue zu er-
halten, gerade sein.
Wenn man min zwei nicht benachbarte Steine ihre
Plätze wechseln lässt, z. B. bei der regulären Stellung
2 und 11, so kann man diesen Tausch auch durcii niclir-
malige Vertauschung je zweier benachbarter Steine er-
setzen. Man hat nändieh 2 mit 3, 2 mit 7, 2 mit 11 und
dann nur nocli 7 mit 11, 7 mit 2 die Plätze wechseln zu
lassen.
Man sieht also, dass die Vertauschung zweier nicht
benachbarter Steine immer dadurch geleistet werden kann,
dass man soviel Vertausehungen je zweier Nachbarsteine
vornimmt, als die um 1 verminderte doppelte Anzahl der
Züge beträgt, welche mau von dem Platz des einen Steins
zum Platz des andern Steins niaclien müsste. AVenn man
also eine Vertauschung zweier nicht benachbarter Steine
an die Stelle zweier benachbarter Steine setzt, so fügt
man dadurch immer eine gerade Anzahl von Vertauschungen
zweier l)enachbarter Steine hinzu. Dieses Resultat giebt
im Verein mit der oben erkannten Wahrheit das folgende
wichtige Resultat:
Wenn man zwei durch blosses Verschieben
in einander überfülir))are Stellungen der 15Steine
des Boss-Puzzle dadurch in einander überführt,
dass man auf irgend welche Weise immer je zwei
beliebige Steine mit einander vertauscht, so
nimmt man stets eine gerade Zahl von Ver-
tausehungen vor.
Es wird zweckmässig sein, dieses Resultat durch
einige Beispiele zu eriiärten:
1) Man gehe von der regulären Lage der Steine aus,
schiebe auf den leeren Platz den Stein 12, auf den dann
leer gewordenen Platz den Stein 11, auf den so erhaltenen
leeren Platz den Stein 15 und auf dessen Platz den Stein 12.
Dann kann man diese auch dadurch bewirken, dass man
erst Stein 11 und 12 ihre Plätze wechseln lässt und darauf
Stein 12 mit Stein 15 vertauscht. Man hat dann zwei,
also eine gerade Zahl, von Vertauschungen vorgenommen.
2) Man gehe wieder von der regulären Stellung aus,
rücke auf den leeren Platz den Stein 15 und dann immer
auf den jedesmal leer gewordenen Platz die Steine
14, 10, 11, 7, (•), 11, 10, 14, 15.
Dann kann man die neue Stellung natürlich aucii
erreichen, wenn man den Stein 15 nach einander mit
14, 10, 11, 7, (j, 11, 10, 14 austauscht. So führt man
8 Vertauschungen aus. Da jedoch die erste Vertauschung
der Steine 15 und 14 durch die letzte von 14 und 15
wieder rückgängig gemacht wird, und dasselbe dann für
die zweite und vorletzte, sowie für die dritte und dritt-
letzte Vertauschung gilt, so kann man statt durch 8 auch
durch 3 mal 2 weniger, also nur durch 2 Vertauschungen
372
Naturwissciiseliaf'tliclic Woclicuschril't.
Nr. 35.
die neue Stellung erzielen. Man braucht nämlich nur 11
mit 7 und dann 11 mit 6 den Platz wechseln zu lassen.
3) Man gehe \on der regulären Stellung aus und
rücke auf den jedesmal leeren Platz die Steine
1-2, 11, 10, 14, 15, 10, 14, 9, 13, 15, 10, 14,
9, 10, 15, 13, 10, 9, 11, 12.
Dadurch erhält man als neue Stellung:
1
•-}
o
4
5
6
7
8
10
9
11
12
13
15
14
Diese neue Ordnung geht aber auch aus der alten durch
zwei, also durch eine gerade Zahl von Vertauschungen
hervor, nändich durch den Platzwechsel der Steine 9 und 10,
sowie der Steine 14 und 15.
4) Man verschiebe die Stellung
1
3
4
7
1
2
3
4
5
2
8
5
6
7
9
6
11
12
m
9
10
11
8
Vä
14
Iti
ir>
18
14
15
12
z. B. durch die Züge 11, 10, 15, 12, 8, 7, 4, 3, 2, 6, 10, 11.
Wie man nun auch versuchen mag, durch Vertausehung
von Steinen aus der alten Stellung die neue zu erreichen,
immer wird man eine gerade Zahl von Vertauschuugen
vorzunehmen haben; z. B. kann man die Steine 15 und 4,
15 und 3, 15 und 10, dann 10 und 2, 10 und 6, dann
8 und 4, 8 und 12, endlich 7 und 4 ihre Plätze wechseln
lassen.
Aus unseren obigen Ueberlegungen folgt auch die
ümkchrung des erhaltenen Resultats, die wir hier aus-
sprecheu und dnrcli Beispiele verdeutlichen wollen:
Eine alte Stellung der 15 Steine des Boss-
Puzzle ist in eine neue Stellung überführbar
oder nicht, je nachdem die Anzahl der irgend
wie vorgenommenen Vertauschungen, welche
gleichfalls aus der alten Stellung die neue her-
stellen können, gerade ausfällt oder nicht.
Hierzu einige Beispiele:
1) Die Preis-Aufgabe, welche 1880 im Eibpavillon zu
Hamburg angeschlagen war (vergl. Einleitung), verlangte,
die Stellung, bei welcher alle Steine bis 13 an ihren
richtigen Plätzen waren, dagegen 15 und 14 vertauscht
waren, in die reguläre Stellung überzuführen. Die Auf-
gabe war unlösbar, weil eine Vertauschung zweier Steine
dasselbe bewirkt, und 1 eine ungerade Zahfist. Aus dem-
selben Grunde sind auch die beiden Aufgaben unlösbar,
bei denen die Steine von 1 bis 12 an ihren richtigen
Plätzen stehen, dann aber 14, 13, 15 oder 15, 14, 13 folgt.
Dagegen sind lösbar die beiden Aufgaben, bei denen die
Steine der ersten drei Reihen richtig stehen, dann aber
14, 15, 13 oder 15, 13, 14
folgt. Denn hier erreicht man durch zwei Vertauschungen
die reguläre Stellung 13, 14, 15, und 2 ist eine gerade Zahl.
2) Man hat sich die Aufgabe gestellt, durch Ver-
schieben die erste der beiden folgenden Stellungen in die
andere überzuführen:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
ir,
14
13
4
3
2
1
5
14
13
12
G
15
11
7
8
9
10
Unsere oben gefundene Regel entscheidet sofort dar-
über, ob es möglich oder unmöglich ist. Man schiebe
zunächst so, dass der leere Platz bei beiden Stellungen
an demselben Orte ist, also etwa 12 auf den leeren Platz
und auf den dadurch leer gewordenen Platz den Stein 11.
Darauf kann man etwa so tauschen: 4 mit 1, 2 mit 3,
9 mit 6, 15 mit 7, 14 mit 8, 13 mit 9, 12 mit 10, 14 mit 12,
15 mit 13, 14 mit 15. Da man durch 10, also durch eine
gerade Zahl von Vertauschungen auch zum Ziel gelangen
kann, so ist die gestellte Aufgabe lösbar.
3) um zu prüfen, ob man die Stellung:
4
3
2
1
8
7
6
5
12
11
10
9
15
14
13
in die reguläre verschieben kann, schie))e man 13, 14, 15
nach links, so dass der leere Platz an seine richtige Stelle
konnnt. Dann erkennt man sofort, dass man nur die
Steine 4 und 1, 3 und 2, 8 und 5, 7 und (i, 12 und 9,
11 und 10, 13 und 15 zu vertauschen braucht, um die
reguläre Stellung zu erzielen. Da dies 7, also eine un-
gerade Zahl von Vertauschungen sind, so ist die Aufgabe
unlösbar.
Aus den beiden oben als richtig erkannten Regeln
folgt auch: 1) dass zwei Stellungen, welche sich durch Ver-
schieben in eine und dieselbe dritte Stellung bringen
lassen, in einander verschoben werden können; 2) dass
zwei Stellungen, welche sich beide nicht durch Verschieben
in eine und dieselbe dritte Stellung überführen lassen,
in einander verschiebbar sind; 3) dass zwei Stellungen
nicht in einander verschoben werden können, wenn sich
die eine in dieselbe dritte Stellung überführen lässt, nicht
aber die andere. Ebenso erkennt man nun leicht, dass
jede nicht in die reguläre Stellung verschiebbare Stellung
zu einer doch so verschiebbaren wird, wenn man einmal
oder eine ungerade Anzahl Male entweder zwei Steine
vertauscht oder, was auf dasselbe hinauskommt, einen Stein
oder eine ungerade Anzahl von Steinen überspringt.
Wenn bei einer Boss-Pnzzle-Aufgabe, welche die Ver-
schiebung in die reguläre Stellung verlangt, viele Steine
zufällig auf ihren richtigen Plätzen liegen, so wird man
schnell die Zahl der Vertauschungen übersehen, die vor-
zunehmen sind, um die übrigen Steine richtig zu ordnen.
Fällt jene Zahl gerade aus, so ist die Aufgabe lösbar,
fällt sie ungerade aus, unlösbar. Wenn aber bei einer
complicirteren Aufgabe sehr wenige oder gar kein Stein
an seinem richtigen Platze liegt, so hätte man viele,
h(ichstens freilich 15, Vertauschungen vorzunehmen, um
die Entscheidung über die Lösbarkeit treffen zu können.
Man kann aber in solchem Falle die Vertauschuugen
ordnungsmässig in Reihen zusammenfassen und so
übersichtlicher gestalten, wie folgendes Beispiel zeigt: Es
sei zu prüfen, ob die erste der beiden folgenden Stellungen
in die zweite reguläre verschiebbar ist:
Nr. 35.
Naturwisscnscluil'tlichc Wochcuschriit.
2
4
(j
s
5
O
10
12
1
U
11
7
0
13
15
1
2
o
1
.)
G
1
8
'.1
10
11
12
13
U
lö
Da auf dem ersten Felde oben links der Stein 2
liegt, der Stein 1 aber liegen soll, so vertausche ich die
beiden, dann lege ich Stein 2 an die Stelle, wo 4 liegt,
den Stein 4 wieder dahin, wcdiin er gehört, also auf das
Feld, wo Stein !-! liegt, dann werden in derselben Weise
14, 13, 9 herausgenonnnen, nnd
die Steine 12, 7, lU,
schliesslich wird der Stein 9 auf den Platz gelej.
anfänglich der Stein 1
t, wo
ag. Auf diese Weise bilden die
Steine 1, 2, 4, 8, 12, 7, lü, 14, 13, 9 einen Vertauschungs-
kreis, der aus 9 Vertauschungen von 10 Steinen besteht.
Ebenso bilden die Steine 3 und ß einen zweiten Kreis,
der aus einer Vertauschung von zwei Steinen bestellt.
Endlich bleiben noch drei Steine, nändich .">, 11, If), übrig,
die schon auf ihren richtigen Plätzen liegen. Man kann
also sagen, dass jeder dieser Steine einen Kreis von 0 Ver-
tauschungen und einem Steine darstellt. Wir erkennen
dabei, dass jeder solcher Vertauschungskreis einen Stein
mehr unifasst, als Vertauschungen darin vorkommen. In
unserem Peispiel haben wir f) Vertauschungskreisc, also
im ganzen 5 Steine mehr als Vertauschungen. Folglich
ist immer die Gesanuntzahl der Vertauschungen
gleich dem Ueberschuss der Steiuzahl über die
Zahl dei
15 weniger 5,
Vertauschungskreisc,
d. b. bei uns gleich
oder 10. Da 10 gerade ist, so ist die
Aufgabe lösbar. So haben wir die folgende Uauptrcgel
gerade aus-
Eine Boss-Puzzle-Stellung ist in eine andere
verschiebbar oder nicht, je nachdem der Ueber-
schuss der Steinzahl (beim gewöhnlichen Boss-
Puzzle l,''))über die Zahl der Vertauschungskreisc,
die man durchwandern muss, um die eine Stel-
lung in die andere überzuführen
fällt oder ungerade.
Diese Hauptrcgel ermöglicht die denkbar schnellste
^Entscheidung üher die liösbarkeit von Boss- Puzzle -Auf-
gaben. Man verfährt behufs dessen am zweckmässigsten,
wenn man sich die beiden Stellungen, die in einander
verschoben werden sollen, der Reihe der Zahlen nach,
unter einander schreibt. Dann kann man mit dem Auge
schnell und sicher die Vertauschungskreisc erkennen, und
demgemäss nach dem obigen Satze die Entscheidung
treffen. Dies verdeutlichen folgende Beispiele:
1) Es sei zu prüfen, ol) die erste der beiden folgen-
den Stellungen in die zweite reguläre verschiebbar ist:
G
S
12
11
1
2
O
4
5
11
4
1
5
6
7
8
13
15
'2
9
in
9
10
11
12
3
10
7
13
11
15
Dann schreibe man die beiden Stellungen in folgen-
der Weise:
G
8
12
11
5
14
4
1
13
15
2
9
3
IG
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
U
12
13
14
14
2
13 1
9
8
3 (i
4
7
5 12
11
15
10
13
0
11
4
14
o
G
8
2
7
1
12
15
10
'.)
Nun erkennt man leicht die folgenden Vertauschungs-
kreise:
1) 1, fi, 14, 10, 15, 7, 4, 11, 2, S;
2) 3, VI, 9, 13;
3) 5.
Die Zahl '.\ der Vertauschungskreisc, abgezogen von
der Steinzahl 15, gicht die gerade Zahl 12; also sind die
beiden Stellungen in einander verschiebbar.
2) Man habe zu prüfen, ob die beiden tblgeudcn Stel-
lungen in einander verschiebbar sind:
UlJll
Man schreibe die in gleichliegenden Feldern stehenden
Zahlen unter einander, um die V^ertauschungskreise leichter
zu erkennen. Also:
10
9
Mau erkennt nun leicht die folgenden Vertauschungs-
kreisc :
1) 13, 14, 9, 10, 15, 11;
2)5,2,4,1;
3) 3, S, «;
4) 7;
5) 12.
Wir haben also 5 Vertauschungskreisc bei 15 Steinen,
15 minus 5 giebt eine gerade Zahl. Daher lautet die
^Entscheidung^ dass die vorgelegten Stellungen in einander
verschiebbar sind.
Unsere Regel giebt uns auch die Entscheidung dar-
id)er an die Hand, ob bei einer vorliegenden Stellung des
Boss- Puzzle die Steine in richtige Reihenfolge gebracht
werden können, ohne dass gerade die Stellung erzielt
wird, die oben als regulär bezeichnet ist. Es giebt im
ganzen 8 Stellungen, bei denen man sagen kann, dass die
Zahlen auf den Steinen in natürlicher Reihenfolge stehen;
und unsere Regel ergiebt dann leicht, dass diese 8 Stel-
lungen in zwei Gruppen von je 4 so zerfallen, dass die
\ier Stellungen jeder Gruppe in einander verschiebbar
sind, dass aber keine Stellung einer Grupiic in eine Stel-
lung der andern verschiebbar ist. Die beiden Gruiipeu
sind folgende:
G V u p p '■ A.
4
2
13
1
9
8
3
6
4
7
5
1-2
11
15
3
5
11
4
14
3
0
8
2
7
1
12
15
10
1
2
3
4
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G
7
8
9
10
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12
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15
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G
10
14
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7
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10
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1
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13
12
11
10
9
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5
4
3
2
1
374
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 35.
G r u 2) p <- ii-
4
3
2
1
8
7
6
5
12
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10
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13
13
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11
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7
11
15
2
6
10
14
1
5
9
13
13
14
15
9
10
11
12
1
2
3
1
Da jede beliebige Stellung, die nicht in eine bei
Gruppe A angegel)ene Stellung durch Verschieben gebracht
werden kann, nothwcndig in eine Stellung der Gruppe B
verschiebbar sein muss, so kann man jede Boss-ruzzle-
Aufgabe lösl)ar nennen, wenn man unter „lösen" versteht,
die gegebene Stellung in irgend eine der obigen acht
Stelhmgen zu verschieben. Da zwei Stellungen der Gruppe B
aus der regulären Stellung hervorgeben, indem man die-
selbe in einem Spiegel betrachtet, der senkrecht auf der
Ebene des Boss-Puzzlc-Quadrats und parallel einer Seite
desselben ist, so kann man auch sagen, dass jede Stellung
der Uy Steine durch Verschieben in eine Stellung gebracht
werden kann, die entweder selbst regulär ist, oder, in
einem Spiegel betrachtet, regulär erscheint.
Bisher haben wir das Boss -Puzzle -Spiel immer nur
unter der Annahme betrachtet, dass 15 Steine in einem
Kästchen liegen, der für 4 mal 4 Steine Platz hat. Es
lassen sich jcdocli alle obigen Erörterungen ohne Weiteres
auf den Fall ausdehnen, dass das quadratische oder recht-
eckige Kästchen für beliebig viele Steine Platz hat, und
einen Stein weniger wirklieh enthält. Namentlich gilt für
diesen allgemeinen Fall auch die oben bewiesene llaupt-
regcl ganz unverändert, wie folgende Beispiele zeigen:
1) Es sei zu prüfen, ob verschoben werden kann:
Aus der bequemeren Schreibweise
5
2
8
3
7
G
1
1
2
4
5
6
7
ergeben sich vier Vertauschungskreise, nämlich:
1) 1, 5, 7; '>) 2; 3) 3, 8, 4; 4) 6.
Da die Steinzahl 8 beträgt, und 8 weniger 4 eine
gerade Zahl ist, so sind die l)eidcn Stellungen in einander
verschicl)l)ar.
2) Es sei zu entscheiden, ob die beiden folgenden
Stellungen durch Schieben in einander übergeführt werden
können :
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
IG
17
18
19
20
1
2
8
IG
15
4
17
14
5
18
13
6
19
12
7
20
11
10
8
9
Schiebt mau bei der zweiten Stellung die Steine 10
und II beide nach links, damit der leere Platz bei beiden
Stellungen gleich liegt, so hat man zu schreiben:
14
18 19 20
8jl0 9
Hieraus gehen die folgenden 4 Vertauschungskreise
hervor:
1) 1; 2) 2; 3) 3; 4) 4, 1(3, 20, 9, 5, 15, 7, 17,
11, 13, 19, 10, 18, 8, 14, 12, 6.
Da 20 weniger 4 eine gerade Zahl ergiebt, so ist die
gestellte Frage mit ja zu beantworten.
Zum Schluss wollen wir noch kurz eine Boss-Puzzle-
Spielerei besprechen, welche bald nach Erfindung des
gewöhnlichen Boss-Puzzle-Spicls auftauchte und auch das
Interesse und die Geduld vieler Menschen in Anspruch
nahm. Man In-achte nändich das Spiel in Verbindung nnt
dem Problem*) der magischen Quadrate und verlangte,
die reguläre Stellung der 15 Steine derartig zu verschieben,
dass, wenn man sich das leere Feld durch die Zahl IG
besetzt denkt, die Summe der 4 Zahlen in jeder iiori-
Zdntalen, verticalen oder diagonalen Richtung immer gleich
ausfällt. Dieses Problem möchte der Verfasser dahin ver-
bessern, dass man sich das leere Feld gar nicht l)csetzt
denke, und demgemäss es beim Addiren nicht mitrechne.
Die Lösung des so verbesserten Problems ist im wesent-
lichen ganz dieselbe, wie die Lösung des ursprünglich
gestellten. Am einfachsten entsteht ein magisches Quadrat
von 1() mit den Zahlen von 0 bis 15, indem man diese
Zahlen sich der Reihe nach in die Ki Felder geschrieben
denkt, bei den 8 Feldern aber, die nicht die Mitte und
die Ecken bilden, die Zahl wählt, welche sich ergiebt,
wenn man die eigentlich hineingehörige von 15 abzieht.
Demnach handelt es sich darum, etwa die beiden fol-
genden Stellungen in einander überzuführen:
1
2
O
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
11
15
15
1
2
12
4
10
9
7
8
G
5
11
O
13
14
Das zweite Quadrat erfüllt die gestellte Bedingung,
indem sich innner die Summe 30 ergiebt, gleichviel, ob
man horizontal, vertical oder diagonal addirt. Es fragt
sich aber, ob die Ueberführung der einen Stellung in die
andere durch Verschieben möglich ist. Unsere Haupt-
regel verneint diese Frage, da es 4 Vertauschungskreise
giebt. Hieraus können wir aber schliessen, dass sich die
*) Dieses Problom ist in dem vorigen Artikel („Naturw.
Woeheuschr." vom 28, Mai und 4. Juni) behandelt.
Nr. 35.
Naturwisscnschaf'tlielic Woclicnschrit't.
;>('.)
rei;uläre Stellung in das Spiegelbild der zweiten Stel-
Iniig verseliieben lilsst. Es kann also die reguläre Stel-
lung durch Seiliehen in das folgende auch magische
Quadrat verwandelt werden:
12
•>
1
1.')
7
9
10
4
11
fj
G
8
14
13
3
Ebenso wird man leicht finden, dass die reguläre
Stellung von 8 Steinen in ein magisches Quadrat nnt der
eonstantcn Summe 12 verschohen werden kann, nämlich:
1
')
3
:;
s
1
4
r>
f,
in
0
4
i;
7
8
t
f)
(Willi fortgesetzt.)
Ueber die Vererbbarkeit erworbener Organabänderungen als Grundlage
für eine Theorie der Vererbung.
Von Robert Lucks.
Dui'ch zahlreiche Versuche ist festgestellt worden,
dass in Folge veränderter Ernährung und äusserer Ein-
wirkungen morphologische und physiidogische Verände-
rungen der betreft'enden Organe sich ergeben, und man
glaubt dadurch den Boden für eine Theorie der Ver-
erbung erworbener Eigenschaften gewonnen zu haben.
Aber mau hat dabei weit am Ziel vorbeigeschossen, in-
dem von verschiedenen Forschern die anscheinend so
günstig für die erwähnte Theorie sprechenden lleob-
achtungen auf ganz andere Ursachen zurückgeführt worden
sind. Ich erinnere nur an die Correlation in der Spross-
cntwickelung bei Thuja oecidentalis, Hcdera etc., weiches
einfach Anpassungserscheinungen sind. Als Musterbeispiel
steht aber dasjenige der schwanzlosen Katzen da. Wie
überall, so wird auch hier bei dem Strelicn nach Klar-
heit im Eifer des Gefechtes der goldene Mittelweg, man
verzeihe mir den bereits sehr profan gewordenen, aber
dessenungeachtet nicht minder bezeichnenden Ausdruck,
verfehlt, indem man aus einem I'^xtrem in das andere
geräth. Auch ich bin gegen eine Vererbung erworbener
Eigenschaften in der grobsinnlichen Bedeutung des Wortes,
welche zu dem oben erwähnten Versuch geführt hat:
aber ich l)in nichtsdestoweniger für eine solche Vererbung,
wenn man darunter einen nach bestinnnten, noch aufzu-
findenden Gesetzen exact sich vollziehenden Vorgang meint.
Ganz abgesehen von den Anpassungserseheinungen von
Thuja und Hedera will ich das berühmte oder vielmehr
berüchtigte Katzenbeispiel näher ins Auge fassen. Ich
würde mich nicht darüber wundern, wenn nach einer
Reihe von Schwanzal)hackungcn, welche von mitleidslosen
Forschern, allerdings in der besten Absicht, gemacht
wurden, die Natur sich wirklieh, wenn auch nur aus Mit-
leid für die so unbarmherzig verstümmelten Wesen, bereit
finden Hesse, auf die Idee der bewussten Forseher ein-
zugehen, ich wundere mich aber über die Kurzsichtigkeit
jener Forscher, welche, die Möglichkeit nnt der Noth-
wendigkeit verwechselnd, sich selbst eine solche harte
Geduldsprobe auferlegten. Dass ihre Bemühungen zum
Theil erfolgreich schienen, ist wohl mehr ein Spiel des
Zufalls als eine nothwendige Consequenz. In demselben
Sinne fasse icli aucli einen mir mitgctheilten Fall auf, dass
nämlich von dem Wurfe einer .lagdhiindin, welcher, sowie
einer Reihe ihrer Ahnen, der Schwanz a))gehaekt worden
war, von 4 Jungen o nur einen Sclnvanzstummel bcsasscn.
Die wirklich vorhandenen Fälle sind weiter nichts als
Missbildungen in Folge Organerkrankungen etc., wie
solche ja auch an anderen Organen beobachtet werden,
und nicht das Resultat gegebener Voraussetzungen, und
zwar aus folgendem Grunde: Der Schwanz ist ein
wesentlicher Bestandtheil des Individuums, wenn er Art-
eigenthum ist; sogar seine bestimmte Länge ist von
Bedeutung, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass
bei verschiedenen Arten I)edeutcnde Schwankungen statt-
finden, welche auf eine in Entwickelung begrifl'ene
Verlängerung oder Verkürzung hinzielen. Im letzteren
Falle ist er bedeutungsv(dl gewesen; die Verhältnisse
haben sich jedoch dergestalt verändert, dass der Schwanz
allmählich an Bedeutung verloren hat. Es ist nun gleich-
giltig, ob er als Steuer, Gegengewicht, Greifwerkzeug oder
dergleichen benutzt wird, er ist in seiner vorhandenen
Ausbildung nöthig, wenn der Besitzer den Cliarakter der
Art beibehalten will, und nur wenn die Verhältnisse in
der angedeuteten Weise sieh verändern, so dass an die
Organe ganz andere .Vnforderungen gestellt werden, dass
das Individuum unter den neuen Bedingungen mit den alten
Voraussetzungen nicht weiterexistircn kann, wenn also
eingreifende Veränderungen der Organe n(ithig werden,
kann ein Organ ülterflüssig werden, indem seine Functio-
nen entweder nicht mehr erforderlich sind, oder aber auch
durch andere <_)rgane ersetzt werden. Es liegt liier eine
ganz eigenartige Correlation vor. Verliert z. B. die Katze
durch Zufall ihren Schwanz, dann w'ird sie in ihrer Er-
werlisfähigkeit beeinträchtigt. Sie ist auf F^rwerb durcli
Sprung angewiesen; darauf deuten die zum Ergreifen des
ßeutethieres dienenden seliarfcn Krallen an den Vorder-
füssen, das zum Erfassen im Sprunge untaugliche Maul,
die kräftige Beinmusculatur hin. Der Schwanz leistet
beim Sprunge eine wesentliche Unterstützung, indem er,
gewissermaassen als Steuer dienend, die genaue Richtung
des beabsichtigten Sprunges sichert. Fehlt der Schwanz
aber, dann kann der Sprung nicht mehr mit derselben
Sicherheit erfolgen, und das Thier wird manchmal
hungern oder aber sieh an Nahrung gewöhnen müssen,
welche es auf leichtere Weise erlangt, aber im Vollbesitze
seiner Organisation aus verschiedenen Gründen verschmähte.
Daraus ergiebt sich eine der neuen Erwerbsweise ent-
sprechendere Ausbildung der Organe: das Maul muss
unter Umstilnden die Nahrung selbst ergreifen können,
die Füsse zum Schwimmen etc. eingerichtet sein, die
Sinnesorgane wechseln in Bezug auf die Höhe ihrer Aus-
bildung u. s. w. u. s. w. Es wür<le zu weit fuhren, wollte
ich auch nur annähernd die Organveränderungen angeben,
welche nöthig werden, wenn die Lebcnsgewohnheiten
plötzlich und anhaltend verändert würden. Ausserdem ist
das gar nicht einmal erforderlich, sondern wir besitzen ja
Material genug, um nachweisen zu können, wie sehr sich
die Organisation an die Verhältnisse anschliesst.
Was ist daraus für uns von Bedeutung? Doch gewiss
B76
Naturwissenschaftliche Woehcnschriit.
Nr.
oo.
sehr viel. Wenn wir einer Katze den Schwanz abschnei-
den, um zu zeigen, dass erworbene Charaktere sich ver-
erben, dann verlangen wir bloss die Kleinigkeit, dass sicfi
während einiger Generationen all' die Umänderungen er-
geben, welche einst nöthig waren, um im Laufe von Jahr-
tausenden den vorhandenen Typus zu erzeugen. Der
Unterschied ist nur der, dass hier das eigenartige Thier
gegeben wird, mit der Bestimmung, sich an gegebene
Verhältnisse anzupassen, während die Natur umgekehrt
verfährt, indem sie eigenartige Verhältnisse dem Thier
darbietet, und es diesem ttberlässt, sich dieselben zu Nutze
zu machen. Wer das nicht beachtet, der handelt ohne
Ueberleguug. Nun wissen wir aber, dass ganz geringe
Umwandelungen viele Generationen erfordern, wenn die
Umwandelungen nöthig waren. AVie viel Zeit wird dann
eine solche gewaltige Aenderung brauchen, die dazu noch
nicht einmal nothweudig ist? ^\'ir müssen bei Vererbnngs-
fragen immer ein Princip im Auge behalten, nämlich das
der Nothwcndigkeit. Wer nur mit Möglichkeiten rechnet,
dessen Versuche arten in Spielerei aus, die zu nichts
führt. Durch Nothweudigkeit erzeugte Abänderungen
müssen also stets, namentlich wenn die Einflüsse
dauernd sind, mögliche aber werden nie, am wenig-
sten unter momentanen Einwirkungen vererbbar werden.
Durch Zufall können Organe verloren gehen, welche für
die Existenz der Art von grösster Bedeutung sind, so dass
sie erhalten bleiben müssen, wenn die Art fortbestehen
bleiben will. Eine Vererbung des Defectes ist daher aus-
geschlossen, mn so mehr, als nicht anzunehmen ist, dass
eine Reihe Generationen hindurch einzelnen Individuen
dasselbe Organ verloren geht, wodurch dieses durch ein
anderes ersetzt werden müsste, wenn ein Ersatz überhaupt
möglich wäre, weil solche verstümmelten Individuen früher
oder später zu Grunde gehen, also wohl nur in den selten-
sten Fällen zur Fortpflanzung gelangen. Wird aber ein Or-
gan nothwendiger Weise viele Generationen hindurch mehr
und ausgiebiger benutzt, als es bei den Ahnen der Fall war,
dann muss eine allmähliche Weiterltildung, wird dasselbe
jedoch eine ebenso lange Zeit durch begründeten Nicht-
gebrauch ausser Thätigkeit gesetzt, dann muss eine all-
mähliche Rückbildung stattfinden. Ein Princip ist es also,
welches alte Organe weiterbildet und neue schafft, näm-
lich andauernde Nothwcndigkeit, und eins, welches
vorhandene Organe rückbildcn und verschwinden lässt,
nämlich andauernde üeberflüssigkcit.
Diese beiden Prineipien in Verbindung mit der durch
Selection sich ergebenden Verstärkung der erworbenen
Anlagen sind die Triebfedern, welche das Räderwerk der
organischen Natur in steter Bewegung erhalten; sie sind
die Ursachen, welche den Formenreichthum der Orga-
nismenwelt geschaffen haben und ihn, erweiternd und ein-
schränkend, bis zur höchsten Vollendung führen.
Wenn man von dieser Seite sich an den Nachweis
heranwagt, dass erworbene Eigenschaften sich vererben,
dann wird man seine Versuche von besserem Erfolg be-
gleitet sehen. Nur muss man sich durch die Länge der
Zeit nicht abschrecken lassen, denn die Umbildung ist
eine ganz allmähliche, oft erst nach sehr vielen Generatio-
nen wahrnehmbare, wenigstens äusserlich. Innerlich werden
die Abänderungen sich früher bemerkl>ar machen. Die
Versuche müssen an einer .sich schnell vermehrenden Art
ausgeführt werden, die veräuderudeu Einflüsse immer
schärfer hervortreten und dauernd bleiben, und es muss
eine beständige planmässige Kreuzung vorgenommen werden.
Zu den Versuchsthieren eignen sich am besten solche
Thiere, welche sich in einem Uebergangsstadium befinden,
also vielleicht gewisse Amphibien etc. Pflanzenfresser
müssen allmählich an Fleischnahrung, Baumthiere an Leben
auf der Erde gewöhnt werden u. s. w. Es sollte mir zur
Freude gereichen, wenn man allmählich von der grau-
keinem be-
Zwangslage
Samen Methode der Verstümmelung, die zu
friedigenden Resultat führen kann, zu der
übergeht, welche zwar auch in gewissem Sinne grausam,
dafür aber auch aussichtsreicher und dcnniach zweck-
entsprechender ist.
Zum Schlüsse möchte ich noch eine Frage ins Auge
fassen. Professor Weissmann („Ueber Vererbung", Jena
1892.) ist im Princip gegen eine Vererbung erworbener
Eigenschaften und füln't jede Veränderung der Organismen
auf Keimesabänderungen zurück. Eine solche Annahme
hat ja insofern viel für sich, als sich dadurch eine ganze
Reihe von Erscheinungen
lässt, aber im Grunde j
durchaus nichts nähe
leicht und genügend erklären
[•enommen führt sie dem Ziele
denn es drängt sich uns sofort die
Frage auf, wie eine solche Keiraesabänderung und deren
Rückwirkung auf den Organismus möglich ist. Die ganze
Vcrerbuugsfähigkeit auf eine speeifische Molecularstructur
zurückzuführen, ist entschieden falsch, weil man dadurch
zu der Annahme gedrängt wird, dass zu jedem Organ,
und zu jedem Theil desselben, ja zu jedem Fäserchen,
welches im Organismus vorhanden ist, die Anlage im
Keime liegen muss. Welche horrende Zahl von Modifi-
cationen müssen im Keime resp. in den mikroskopischen
Kernstäbchen der Keimkerne liegen, und wie genau nuiss
die Embrvdgenese arbeiten, damit keine Verschicbungen
zu Ungunsten des Keimlinges entstehen, welcher doch
dadurch den ^rössten Zufälligkeiten ausgesetzt ist. Und
wie ist übrigens die Molecularstructur? Wie werden die
Keimesanlageu durch die ganze Embryogenese hindurch
aufgespart, bis die Reihe der Entwickelung an sie kommt?
Wie gelangen sie au ihre Stelle? Wenn wirklich eine
Wanderung der Anlagekör]ierchen stattfindet, dann müsste
der Fall eintreten, dass einmal die Anlage zu einem Organ
an falscher Stelle liegen bleibt, so dass z. B. eine Nase
aus dem Rücken herauswachsen müsste. So lächerlich
eine solche Annahme erscheint, so berechtigt ist sie. Der-
ii'leichen Einwände lassen sich noch viele machen, so dass
der Organismus sich aus den Anlagen
welche im Keime enthalten sind, ein-
Diese Theorie ist weiter nichts als
enie Umlormung der Einsehachtelungstheorie, und man
konnte zu einem solchen Ergebniss nur auf dem Wege
der speculativen Vernunft gelangen. Was aber hat man
durch mikroskopische Untersuchungen gewonnen? Nichts,
was einer solchen Theorie einen Stützpunkt gewähren
kann. Zwar sind Keim- und Samenzellen bei den ver-
die Annahme, dass
heraus entwickelt,
fach unhaltbar ist.
Umformung
schiedenen Arten, abgesehen von iln-er
logischen Gleich werthigkeit, verschieden,
ist aber weiter nichts als Anpassun;
enthalten einen Kern,
welcher sich in
eigenen physio-
Der Grund dazu
Alle Keimzellen
der Hauptsache
wenig unterscheidet. Dieser Kern enthält zu
Zeiten ganz eigenthümliche Gebilde — Kernschleifen —
welche in ihrerZahl abwechseln. Diese Schleifen sind es,
welche man als die Träger der Vererbungserscheinungen
auffasst, nachdem die Annahmen, dass die Keimzelle oder
der Kern die Vererbungstendenzen enthalten, unhaltbar
geworden sind, wobei man aber vevgisst, dass zu Zeiten
gar keine Schleifen vorhanden sind, indem sich diese auf-
hisen und im ganzen Kern vertheilen und in einem nur
scheinbaren Zusammenhange bleiben. Das einzige, was
man mit Sicherheit weiss, ist, dass während der Ent-
wickelung mit dem Kern ganz eigenartige Umwandlungen
vor sich gehen, über deren letzte Ursachen man aber
noch sehr" im Unklaren ist. Soviel aber steht fest, dass
von der Ausstossung der Riehtungskörperchen an die Ent-
wickelung durch einen steten Zelltheilungsprocess im ganzen
Reich der Organismen vor sieh geht, dass die Entwicke-
lung auf einem frühern oder spätem Standpunkte stehen
Nr. 35.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
377
blcilit und diircli diesen Standi)uukt eine bestimmte Art
cliarakteiisirt.
Im Gegensatz zu der Tiieorie ^■on der Keiniesahande-
rung nehme ich an, dass im Keime nur sein- wenig von
dem angedeutet ist, was aus demselben einst werden soll,
so dass derselbe nur ein bestinnntes Entwiekelungsstadium
darstellt mit der Fälligkeit, in das folgciule überzugehen.
In <leni letztern sind dann wieder die ISedingungen gegeben,
weiche den üebergang in das folgende gestatten, so dass
eine Stufe der Entwiekelung nur die F(dge der vorherigen
ist, und die Ursache zur nächsten enthält. Die weitere
Entwiekelung des End)ryos hängt also vou dem jedes-
maligen Eintritt der nothwendigen Bedingungen ab. Wn
diese ausbleiben, tritt eine Hennnung in der Ausbildung
des betroffenen Theiles ein, indem der neuen Anlage die
Grundlage fehlt. Im Keime sind die < 'rgane nicht an-
gedeutet, sondern die Möglichkeit ihrer Anlage ergiebt
sich erst im Laufe der Entwiekelung. Der Vererbungs-
mechanisnius beruht also auf der Wiederkehr
einer Reihe Erscheinungen in gleichem Sinne
unter der Bedingung, dass die Voraussetzungen
zum Eintritt eines neuen Stadiums im vorherigen
gegeben worden sind. Das Ausbleiben der Bedingungen
haben Hemniungsbildungen zur P^olge, die um so bedeu-
tender sein müssen, je früher sie eintreten. Die Eizelle
kann sich erst in vier Zellen zerspalten, wenn eine Zwei-
theilung vorangegangen ist, und diese wiederum findet
erst statt, nachdem die Befruchtung vollzogen ist. Die
Bildung der Eingerkuochen konnte erst beginnen, als die
Finger angelegt, und dieser wiederum konnte sich nur
entwickeln, als die Gliedniaassen bereits gegeben waren.
Wie aber war die erste Anlage eines Organes oder eines
Thciles dessell)en, und wie konnte dieselbe vererbt werden?
Wird vou einem Individuum ein Organ, z. B. der
Fuss, zu andern Leistuugeu benutzt, als es von den Eltern
geschah, dann werden in Folge öfteren Gebrauches die
betheiligten Muskeln intensiver ernährt und daher kräftiger
werden. Die Nachkommen dieses Thieres erlernen von
ihren Eltern den neuen Gebranch schon frühzeitig, so dass
die Kräftigung des betroftenen Muskelcomplexes hier früh-
zeitiger eintreten wird. Dasselbe wird bei den Nach-
konnnen wieder in erhöhtem Maasse der Fall sein. Da-
durch nun, dass ein und derselbe Muskel nach zwei ver-
schiedenen Richtungen hin zu functioniren hat, wird es
dahin konnnen, dass eine Spaltung desselben stattfindet,
anfangs ganz gering, allmählich innner stärker. In der
Spaltungsebene bildet sich eine Muskelhaut, welche schliess-
lich die beiden Theilc von einander trennt. Die Theilung
des Muskels und die weitere Ausbildung der Theile ge-
schieht anfangs immer erst im spätem Lebensalter nach
stetem Gebrauch. Bald aber wird die Spaltung in einer
innner frühern Zeit des Lebens eintreten, bis sie zuletzt
in das Ende der Embryonalentwickelung fällt, um nun
als ererbte Anlage dem Individuum mit auf die Welt ge-
geben zu werden. Selectionsprocesse bemächtigen sich
der zweckmässigen neuen Einrichtung und bewirken eine
inmier weiter gehende Steigerung bis zur Vollkommenheit.
Der Keim aber, aus welchem das neue Individuum her-
vorgegangen ist, ist gänzlich unverändert geblieben, und
bleibt CS auch, selbst wenn die Anlage des erworbenen
Organes in innner frühere Zeit fallen sollte.
Hier liegt der Schlüssel für die Entstehung der Arten:
Jedes Individuum wird ursprünglich in einfach-
ster Form angelegt und würde auch in solcher
Form geboren werden müssen, wenn nicht die
von seinen Eltern im Kampfe ums Dasein er-
worbenen Fähigkeiten allmäiilich in einer immer
früheren Zeit des Lebens angelegt würden, so
dass sie schliesslich in einer kurzen Spanne Zeit
zusammenfallen, welche man die Zeit der Ent-
wiekelung nennt, wodurch der Nachkomme als
ein den Eltern ähnliches Wesen zur Welt kommt.
Freilich ist es möglich, <lass die Anlage einiger und zwar
der zuerst aufgetretenen Organe oder wenigstens ihrer
Grundlagen bereits in einer sehr frühen Zeit der Kcinies-
bilduug fallen kann, im grossen und ganzen tindet die
Feststellung derselben zu einer Zeit der Entwiekelung
statt in der Weise, dass im Durchschnitt diejenigen Organe,
welche als erste erworben wurden, am frühesten, die
später erworbenen später, die zuletzt erworbenen zuletzt
angelegt werden. Damit soll jedoch nicht gesagt sein,
dass eine Einwirkung auf den Keim überhaupt nicht statt-
finden kann. Im Gegentheil wird bei einschneidenden
Veränderungen stets eine Rückwirkung auf denselben statt-
finden, jedoch nie in der Weise, dass der Keim später
den Anstoss zu der betretfenden Organentwickelung zu
geben hat. Der Keim ist selbst nur eine Stufe der Ent-
wiekelung, aus welcher heraus die folgende sich ergiebt
auf Grund der gegebenen Verhältnisse. Die Entwieke-
lung eines Individuums ist also die Concentration
sämmtlicher von seiner bis auf die Urzelle zurück-
reichenden Ahnenreilic erworbenen Eigenschaf-
ten, und das Individuum selbst ist die Sunimirung
derselben. Es werden daher während der Entwiekelung
nicht nur die Organe angelegt und ausgebildet, welche
der fertige Organismus besitzt, sondern zum Theil auch
noch solche, welche er in früheren Zeiten einmal besessen
hat. Die letzteren gelangen jedoch in den seltensten
Fällen zur vollkonnnencn Ausbildung und dann meist nur
für die Zeit der Embryogenese, während welcher sie dann
wieder rUckgebildet werden. Viele von ihnen sind bloss
noch angedeutet und viele mögen überhaupt kein Zeiciicn
mehr ihrer früheren Existenz geben. Diejenigen aber, die
noch zu einer relativ hohen Ausliildung gelangen, werden
vom fertigen ( »rganismus mit ins Leben genonnnen, um
dann als Rudimeute Zeugen ihres einstigen Daseins zu sein.
Es giebt Dasselfliegen, deren Larven auch in der
Hant des Menschen leben. R. Blanchard liehandclte
sie neuerdings im Zusammenhang. (Sur les Oestrides
americaius dont la larve vit dans le peau de riiounne.
Ann. Sdc. ent(»mol. France, V. 61, S. 109.) Sie kommen
sännntlich in dem Tropengürtel Amerikas vor und gehören
zur Gattung Derniatobia Brauer. Jedoch kommt keine
Art dem Menschen allein zu, sondern alle leben sowohl in
wilden wie in Ilaussäugern. Ein Oestrus hominis existirt
nicht. Bisher sind \ier Arten menschenbewohnender Derma-
tohieu bekannt geworden, jedoch nur von einer die Imago.
Blanchard unterscheidet daher die schmarotzenden Larven,
die Dasseln, nach den Vulgärnamen. „Ver maca((ue" ist
die Larve von D. noxialis Goudot. „Torcel" gehört sicher
nicht D. Cyauiventris Mae(iuart an. Dass „Bernc" zu dieser
Art gehiirt, ist lediglich eine Annahme. Die vierte Dassel
ist „Ver moyocuil". Bei der ersten Larve sind das 2. und
3. Segment mit sehr feinen Stacheln besetzt, bei den drei
andern glatt. Bei Borne l)esitzt der Hinterrand des 8. Seg-
mentes eine Reihe Häkchen, die Torcel und dem Ver
moyocuil fehlen; und bei ersterem Thier umgürten Häkchen
den Vorderrand des 3. Segmentes, während bei Ictzerem
au dieser Stelle nur auf dem Rücken Häekehen stehen.
Sodann geht Blanchard ausführlich auf die 31 Litteratur-
angaben ül>er diese Schmarotzer ein. De la Condann'nc
hat zuerst 174'J die Krankheit „Maca([uc" von Caycnnc;
erwähnt. M.
378
NaturwisscnschaCtlicIic Woclicnschrift.
Nr. 35.
Keceute Steiimüsse als vermeintliche Fossilien. —
Zu der unter dieser üeberschrift in No. 32 S. 337 der
„N. W." eutlialtenen Mittbeiiung des Herrn Dr. Potonle
lassen sich aus der neunzelinjäiiri^-en Praxis des Mär-
kischen Provinzial-Museums mehrere Parallelen au die
yeitc setzen. Die >Steinniisse werden der Direction nicht
selten als Versteinerungen überbracht, und die Finder
sind meist nur schwer vom Gegentlieil zu überzeugen.
Bei den Baggerarbeiten für die neue KönigsbrUcke, welche,
noch nicht vidlig fertig, wieder abgebrochen ward, um
der Stadtbahn Platz zu machen, wurden mehrere Stein-
nüsse in dem nunmehr verschütteten Königsgraben ge-
funden, wahrscheinlich gelegentlich von Knopfarbeitern oder
Drechslern hineingeworfen, desgleichen bei Arbeiten zur
Austiefung der Spree innerhalb Berlins. Hier brachte der
gehorsam arbeitende Bagger Steinnüsse mit wirklichen
Versteinerungen aus der Kreideformation, sogen. „Kröten-
steinen" und „Donnerkeilen" herauf. Auch in alten, nach
Art der Raritätencabinets von Sammler-Laien angelegten
Steinsannnlungen findet sich ab und zu die Steinnuss als
„Fossil", meist für versteiuerte Aepfel oder versteinerte
Wallnüssc geltend.
Sechellen-Nuss aus dem Spreebett. — Hieran an-
knüpfend, sei noch ein Fund aus unserm heimathlichen
Strom erwähnt, der gewiss zu den seltensten und eigen-
artigsten gehört. Gleichzeitig mit allerhand Geräthsehaften
wurde in diesem Frühjahr von der Königl. i\linisterial-
Baukomniission als im Flussbett vorm Schloss gegenüber
der Burgstrasse ausgebaggert „ein grosser unbekannter
Gegenstand" dem Märkischen Museum übergeben. Ich
erkannte in demselben sofort eine ausgehöhlte halbe
Meer- oder See-Cocosnuss, auch Sechellen-Nuss oder Ma-
ledivische Nuss genannt. Die gewaltigen, mitunter ein-
knolligen, meist aber zweiknollig aneinander gewachsenen
Früchte rühren von der Palme Lodoicea Sechellarum
her, die anscheinend nur auf zwei von den Sechellen-
Inseln, Curieuse und Praslin, wild wächst. Lange vor
der Entdeckung und Besiedelung der entlegenen Insel-
gruppe sind diese seltsamen grossen Früchte bekannt
gewesen. Sie treiben vermöge der herrschenden Winde
und Strömungen nordnordöstlich auf das Ufer der ein-
samen Tschagos-Inseln und Diego Garzia sehr selten,
dagegen am Strande der Malediven, die aus etwa fünf-
zebntausend Korallen-Atolls bestehen und sieh in n('ird-
licher Richtung längs des 91. Meridians zwischen dem
Aequator und 10° n. Br. hinziehen, etwas häufiger an,
mögen deshalb auch schon den antiken Taprobane-Fahrern
bekannt gewesen sein. Jedenfalls galten sie im Mittel-
alter und bis ins vorige Jahrhundert als äusserst seltene
und kostbare Stücke unbekannter Herkunft, welche für
die sogen. Kunstkammern der Vornelimen und Fürsten
sehr begehrt waren. Auf Ceylon und in ( »stindien sollten
sie gegen Schlangenbiss, selbst gegen die Cobra helfen,
auch in Europa maass man ihnen allerhand abergläubische
Beziehungen und Kräfte bei. Wie kommt die Sechellen-
Nuss nun in das Spreebett vorm Königlichen Schloss?
Seit dem Grossen Kurfürsten ])efand sich hier nach der
Wasserseitc die Kunstkammer, welche wirkliche Kunst-
sachen, aber auch Geräthe von wilden und halbwilden
Völkern, sowie abenteuerliche und seltene Naturerzeugnisse
umfasste. Von dieser Kunstkanmier wird man beim Auf-
räumen, vielleiclit während der Franzosenzeit, die kostbare
Nuss aus dem Fenster in die Spree geworfen haben, wo
sie sich im Schlamm und Sand leidiicii erlialten hat.
Ernst Friede!.
C. Engler und Ed. Loew: Verhalten einiger or-
ganischer Säuren und Ester bei höherer Temperatur. —
(D. Chcm. Ges. Ber. 1893, 1436.) Diese Untersuchung
liefert einen Beitrag zur Erklärung der Petroleumbildung
aus thierischen Stoffen. Es wird nachgewiesen, dass aus
Phenylessigsäure, einem normalen Zersetzungsproduct fau-
lender Eiwcisskörper, durch Hitze und Druck Toluol
entsteht. Sp.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Dr. nioil. i't ))lul. Richard Nounieister,
l'rivatdocent für physiologische Chemie an der Universität Jena,
zum ausserordentlichen Professor. — Dr. Paul Ernst, Privat-
docent in der modicinischen Facultät der Universität Heidelberg,
zum ausserordentlichen Professor. — Dr. Oskar Loew, Privat-
docent an der Universität München, zum Professor der Agricultur-
Chernie an der Kaiserlichen Universität Tokio, Japan. — Dr. Her-
mann Köttger zum Suppleanten des Medicinalcomites der Uni-
versität Würzbiirg. — Der ausserordentliche Professor Dr. David
Hilbert zum Ordinarius für Mathematik an der Universität
Königsberg. — Privatdocent Dr. J. Jaumann zum ausserordent-
lichen Professor für Experimentalphysik und physikalische Chemie
an der deutschen Universität Prag. — Dr. A. Kolisko, ausser-
ordentlicher Professor für pathologische Anatomie an der Univer-
sität Wien, zum provisorischen Nachfolger Kundrat's. — D. T. Mac
Dougal, Assistent an der Purdue-Universität, zum Docenten der
Pflanzenphysiologie an der Universität von Minnesota. — Miss
Alice Eastwood zum Curator des Herbariums der California
Academy of Sciences in San Francisco.
Es haben sich habilitirt: Dr. Hippel für Augenheilkunde an
der Universität Heidelberg. — An der Universität Wien Dr. Ko-
vacs für innere Medicin, — Dr. Helder für Hygiene. — Prof.
Dr. Rzchak für Paläontologie und Geologie an der Universität
Brunn. — Dr. Ivepinski für Mathematik an der Universität
Krakau.
Der ordentliche Professor der Mineralogie an der Universität
Zürich Dr. A. Kenngott tritt von seiner Lehrthätigkeit zurück
— Der Privatdocent der Thierheilkunde und Vorsteher der Thier-
klinik in Breslau, Dr. Georg Schnei demühl, legt sein Amt
nieder.
Es sind gestorben: Dr. Julius Sommerbrodt, ausser-
ordentlicher Professor für innere Medicin an der Universität
Breslau. — Das Mitglied der Livingstone-Mission in Central- Afrika,
der Reisende Dr. George Henry. — Der Professor der Psychiatric
und Director der Irrenanstalt Dr. Heinrich Cramer in Mar-
burg. — Dr. Antoine Emil Blanche, bedeutender Irrenarzt
in Paris. — Professor an der Salpetriere Dr. Jean Martin
Charcot, einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiete der
Nervenkrankheiten, auf seinem Landsitze in Morvan (Dep. Nievre).
Die VII. Conferenz, betreffend das Idiotenwesen, findet vom
5. bis 7. September d. J. in Berlin statt.
Die Jahresversammlung der Australian Association for
the Advancement of Science findet im Laufe des September in
Sydney statt.
Der Internationale Samariter - Congress , welcher in der
ersten Hälfte des September (vgl. „Naturw. Wochenschr." No. 30,
S. 314) in Wien stattfinden sollte, ist wegen der drohenden Cholera-
gefahr vertagt worden.
Eine Meteorologische Gesellschaft ist in Zi - Ka - Wei bei
Shanghai gegründet worden. Präsident: Rev. S. Chevalier. Die
Vorgänge in der Gesellschaft und wissenschaftlichen Arbeiten
werden in jährlich erscheinenden Berichten veröffentlicht.
Eine Allgemeine Ausstellung industrieller und landwirth-
schaftlicher Maschinen findet im November d. J. in Porto Rico
zur Feier der vierhundertsten Wiederkehr des Tages der Ent-
deckung der Insel statt.
Das Bacteriologische Institut in der Cap-Colonie ist jetzt
fertig gestellt. Zu seiner Unterhaltung steuern ausser der Colonie
noch Transvaal und Natal bei.
Eine Biologische Station ist soeben seitens der Universität
von Minnesota an dem in diesem Staate gelegenen, ca. \b km
langen und etwa 5 km breiten GuU-See errichtet worden. Die
Lage des Sees, dessen Gewässer zum Mississippi abfiiessen, in-
mitten einer abwechslungsreichen Umgebung (Berge, Ebenen und
Sümpfe), ist eine sehr günstige, und dem neuen, aufs beste aus-
gestatteten Institute steht ein grosses Arbeitsfeld zu Gebote.
Nr. 35.
Natuiwisseuscbaftliclie Wochenschrift.
379
L i 1 1 e r a t u r.
F. H. Haase, Die atmosphärische Elektricität. Bctraditiinf];cn
über ilcreii Kiifsti'luiiif; iiiiil Wiikungswoist'. (ieors Sieinons.
Berlin 1892. — Preis 1,20 M.
Das voiliegoiKle Scliiiftchcn will einen Beitrag zur Erklärung
der mit der atuiospliiiriselien Elektrieität zusaininenh.ängcnden Er-
scheinungen geben. Nacli des Referenten Ansieht kann diese Ab-
sicht jedoch nicht als erreicht gelten. Was der Verf. vorbringt,
ist entweder, soweit es neue Gedanken sind, unklar und unhalt-
bar, oder aber es sind nur Ausführungen bekannter Dinge, rcsp.
selbstverständlicher Folgerungen aus solclien. Die Ur.sache der
atmosphärischen Elektrieität sucht Verf. im Auftreten von „wäl-
zenden Lufwellen" in der Atnios]diiire, womit er offenbar Luft-
strömungen meint, die liekanntlich ganz etwas anderes sind, als
Wellen. Ein anderer Irrthum ist ■/.. B die Annahme, dass die
Luft vor einem Gewitter sehr trocken sei, während die Seliwüle
der Gewitterli;ft bekanntlich gerade einen hohen Feuchtigkeits-
gehalt beweist. Dass die grosse Klarheit der Luft vor dem
Wetterumschlag eine Folge der Feuchtigkeit ist, leugnet Verf.,
indem er das Gegentheil behauptet; er weiss offenbar nicht, dass
gelöster Wasserdampf durchaus keine Trübung der Luft Viedingt,
sondern sogar deren Durchsichtigkeit erhöht. Den Ausführungen
des Verf. fehlt auch alle Anknüpfung an die einschlägigen, früheien
Untersuchungen hervorragender Gelehrter, wie Sohncke, Elster
und Geitcl und anderer. — Am ehesten dürften die Ausführungen
über Blitzableiter von Wcrth sein. Hier befindet sich der Verf.
als Ingenieur und Patentanwalt auf dem Felde, wo er Fach-
mann ist. F. Kbr.
Dr. Carl Barus, Die physikalische Behandlung' und die Mes-
sung hoher Temperaturen. Mit 30 TextHguren und 2 Tafeln.
Johann Ambrosius Barth (Arthur Meiner) Leipzig 1892. — Preis
3 Mk.
Der Verfasser, Physiker der U-S. Geological Survey in Wash-
ington, giebt im ersten Theil des Buches zunächst eine kurze
Uebersicht über die so verschiedenen, bisher in Anwendung
gekommenen Methoden der Messung hoher Temperaturgrade.
Ziemlich alle e.xistirenden physikalischen Wirkungen der Wärme
sind, wie aus dieser Zusammenstellung zu ersehen ist, zu Ver-
suchen der Lösung pyrometrischer Aufgaben herangezogen
worden. Für das in der Praxis brauchbarste Verfahren hält
Barus das thermoclektrische. Das von ihm gebrauchte Thermo-
element besteht aus Platin und Iridioplatin.
Im zweiten Abschnitt des Buches werden dann die wichtigsten
Calibrirungsmethoden des Thermoelements (mit Ausnahme des in
einer weiteren Publikation zu behandelnden gasthcrmometrischen)
besprochen. Barus wandte hierzu bekannte Siedei)unkte, le Cha-
felier dagegen Schmelzpunkte an. Schliesslich folgt noch eine
Beschreibung des Galvanometers und der besten Beobachtungs-
methoden. Das Buch wird voraussichtlich dazu beitragen, die
Verdienste des Verfassers um die thermoelektrische Pyrometrie,
über deren Nichtbeachtung derselbe sich im Anfang beklagt, neben
denen le Chatelier's ans Licht zu stellen. Kbr.
Sitzungsberichte der Naturforscher-Gesellschaft bei der
Universität Dorpat. X. Band, 1. Heft, 1802. Dorpat 1893. —
Das Heft enthält die Berichte über die im Jahre 1892 abgehal-
tenen Sitzungen der Gesellschaft, darunter die Festsitzung zur
Feier des lüO. Geburtstages Karl Ernst von Baer's (17. Februar),
und eine grosse Anzahl von Vorträgen und Mittheilungen, von
denen wir die folgenden nennen. Schur: lieber den Flächen-
inhalt gradlinig begrenzter ebener Figuren. — Dragendorff:
Bericht iUjer die von Hiller-Bombien ausgeführten Untersuchungen
der Cortex Geoff'royae. 1824 stellten Hüttenschmied in Heidel-
berg und Overduin in Breda aus den zu jener Zeit als vortreff-
liches Anthelmiuthicum gerühmten Rinden von Arten der Geoffroya
(Andira) einen crystallinischen, mit Säuren sich zu Salzen ver-
bindenden Körper her, den sie deshalb als Alkaloid ansprechen
zu müssen glaubten und Geoft'royin resp. Surinamin benannten.
Seit der Zeit ruhten die Untersuchungen darüber, bis sie jetzt von
Hiller-Bombien wieder aufgenommen worden sind, wobei sich
herausgestellt hat, dass das Geofroyin oder Surinaniin ein Methyl-
Tyrosin und ident mit dein von Kuge aus einem amerika-
nischen Ratanhiaextract hergestellten und Eatanhin benannten,
sowie mit dem durch Gintl aus dem Harze des Ferreira spectabilis
(Resina d'angeline pedra) erzeugten Angelin ist. Es wird vorge-
schlagen, die ISfZeiehnungen Surinaniin, Geoffroyin. Katunkin mid
Angelin fallen zu lassen und dafür fortan ilen Namen Andirin
zu gebrauchen. — K romer: Die Ilar/.glycosido der .Scaunnonia-
und der Turpethwurzel. (Untersucluingeu über zwei Con\olvula-
ceenharze). — Graf Alcxan der Kayserling: Ueber die Lehre
Darwins (bisher un veröffentlicher Brief vom 7. Decemb. 1888).
Graf Ber g -Sa gn i tz: Das nifritieirendo Moment des Bodens.
— Thomson: Ueber die Wirkung von schwefels.aunin Eiseii-
oxydul auf ilie PHanze. Verfasser berichtet über seine Versuche
an Triticum vulgare, Zea Mays. Aviuia orientalis und elatior,
Pisum sativum, Mcdicago sativa und Trifolium pratense, bei
denen sich da.'^s Eisenvitriol als solches für sämmtliche Versuchs-
ptlanzen in den verschiedenen Vegetationsstadien als schädlich
erwies. — Stieren: Ueber einige Dero aus Trinidad nebst Be-
merkungen zur Systematik der Naidomorphen. 1 Tafel. —
Schmidt: Die Chorda dorsalis und ihr Verhalten zur Wirbel-
säule im Schwanzende der Wirbclthiere. Verfasser bespricht die
Zusammensetzung der Chorda dorsalis und die Herausbildung der
Wirbelsäule im Schwanzende und kommt zu dem Schlüsse, dass
bei den Knochenfischen die Wirbelsäule kürzer angeh'gl winl als
die Wirbelsaite, das spätere Axenskeictt kürzer ist als das ur-
sprüngliche. Bruthan: Bryologische Ergebnisse des Jahres 1S92.
LTntersu(diungen über die Moostlnra der Umgegend von Dorpat.
Kobert: Ueber Giftstoffe der P^leehten. Derselbe: Ueber die
wirksamen Bestandtheile im Wurmfarnextract. Auf beide Mit-
theilungen werden wir noch an anderer Stelle der ..Xaturw.
Wochenschr." zurückkommen Barfurt h: Extraovat und Intrao-
vat. Untersuchungen an nach dem Vorgange Roux's operirten
Am))hibieneiern.
Beichenow, A., Die von Herrn Dr. F. Stnhimanu in Ostafrika
gesanunelten Vögel. Hamburg. I M.
Bhiner, J., Die Gefässpflanzen der Urkantone u. v. Zug. 2. .\ufl.
St. Gallon. 1,60 M.
Bogel, F., Trigonometrische Entwicklungen. Prag. 0,80 M.
Schiflfner, V., Ueber exotische Hepaticae, hauptsächlich aus Java,
Amboina und Brasilien. Leipzig. 1.5 M.
Schmeil, O., Copepoden des Rhätikon-Gebirges. Halle. 3 M.
Schroeder's, K., Lehrbuch der Geburtshülfe. 12 Aufl. Bonn.
1,2.5 M.
Siebenrock, F., Das Skclet von Brookesia superciliaris Kühl.
Leipzig. 1,70 M.
Siebert, H., Ueber einige aromatische Thionylamine und über
die Einwirkung von Thionylchlorid auf Säureamide. Berlin. 1 M.
Sieger, R., Postglaciale Uferlinien des Bodenseees. Lin<lau. 0,80M.
Silex, P., Compendium der Augenheilkunde. 2. Aufl. Berlin.
4,80 M.
Simony, F., Das Dachsteingebiet. Wien. 14 M.
Stolz, O., Die Maxima und Minima der Functionen von mehreren
Veränderlichen. Leii)zig. 0,30 M.
Studnicka, F. Ch., Sur les organes parietaux de Petromvzon
Planeri. Prag. 1,60 M.
Suess, E., Ueber neuere Ziele der Geologie. Görlitz. 1,.')0 M.
Szontagh, Th. v., Erläuterungen zur geologischen Specialkarte
der Umgebungen von Nagy - Karoli und Akos (Zone 15,
Col. XXVII. I und von Tasuäd-Szeplak (Zone 16, Col. XXVIL)
1:7.5 OCX) der gi'ologis(dien Specialkarte der Länder der unga-
rischen Krone. Budapest. I,.50 M.
Tillmanns, H., Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chi-
rurgie, einschliesslich der Operations- u. Verbandslehre. 1. Bd.
Lei])zig. 17 M.
Zeller, E., Grundriss der Geschichte der griechischen Philosophie
4. Aufl. Leipzig. 5 M.
Briefkasten.
Herrn A. R., Frankfurter Allee. — 1) Conchyliologische Zeit-
schriften: Nachrichtsblatt der Den tsc hon M a,l acozoo logi-
schen Gesellschaft. Frankfurt a. JI. Verlag M. Diesterweg. —
Mal acozoologische Blätter. Herausgegeben von S. Clessin.
Cassel (F. Fischer). — 2) Ausser einigen Notizen (z. B. „Naturo"
vom 27. April 1893, S. 613) ist uns nichts bekannt.
Inhalt: Prof. Dr. H. Schubert: Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung. — Kobert Lucks:
Ueber die Vererbbarkeit erworbener Organabänderungen als Grundlage für eine Theorie der Vererbung. — Dasselfliegen, deren
Larven in der Haut des Menschen leben. — Kecente Steinnüsse als vermeintliche Fossilien. — Sechellen-Nuss aus demSpreebett.
Engler und Ed. Loew: Verhalten einiger organischer Säuren und Ester bei höherer Temperatur. — Aus dem wissenschaft-
lichen Leben. — Lilteratur. F. H. Haase: Die atmosphärische Elektrieität. — Dr. Carl Barus: Die physikalische liehandbing
und die Messung hoher Temperaturen. — Sitzungsberichte der Naturforscher-Gesellschaft bei der Universität Dorjiat. — Liste.
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1(37 ©eilen, ^preiü 1 iWort.
3u Oejietjeit biird^ jebc Siudjrjanblung.
Verantwortlicher Kedakteur: 1. V. Dr. F. Kaunhmvon, Berlin N. 4.,
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Ber
Invaliilcnstr. 44, für ileii Inscratentheil: Hnj;o Beni.stein in Bürlin.
lin SW. 12. — Druck: G. Bornstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
»Sonntag, den 3. September 1893.
Nr. 36.
Abonnement : Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeld bei der Post 15 4 extra.
\
Inserate : Die viergespaltene Petitzeüe 40 .A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Äunoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mft vollständiger Quellenangabe gestattet.
Zur Physiologie der Fortpflanzung von Vaucheria sessilis.
Eine nothwendig'c Anfeinaiulertblg'e von ungeschlecht-
lichen und g-esehlechtlichen Generationeu, wie sie in der
Eutvvickclungsgesehiclite der Farne und Moose begründet
liegt, galt bisher auch als eine Eigenthünilichkeit einer
grösseren Anzahl von Algen. Vor Allem schien für ein'
(lerartiges Verhalten der Entwickelungsgang des gemeinen'
Wassernetzes, Hydrodictyon utriculatum, zu sprechen.
Wie aber in jüngster Zeit in diesen Blättern schon mehr-,
fach zur Sprache gekommen ist, ist diese Annahme durch
die neuesten Arbeiten von Professor Dr. Gg. Klebs in
Basel als eine irrige erwiesen worden. Aus seineu um-j
fassenden Versuchen hat sich niiinlicli ergeben, dass die bei
dieser Alge beobachtete Aufeinanderfolge der beiden Ver-
mehrungsweisen, deren Regelmässigkeit die Annahme eines
Generationswechsels bisher zu rechtfertigeu schien, nur,
eine Folge des zufälligen Zusammentreifens derjenigen
Bedingungen ist, welche die Fortpflanzung in die eine
oder in die andere der beiden Bahnen lenken. Es ge-
schieht dies entgegen der bisher herrschend gewesenen
Meinung nicht etwa aus iuneren Ursachen, welche sich
deshalb der Erforschung entziehen, sondern lediglich unter
der Einwirkung von Einflüssen, welche von der Aussen-
welt nur ausgehen. Es musste sich deshalb ein Weg auf-
finden lassen, auf welchem man die Alge veranlassen
kann, bei ihrem Uebergang zur Fortpflanzung den einen
oder den anderen der beiden Wege einzuschlagen. Durch
die Auffindung geeigneter Cuiturinethoden ist es denn auch
Klebs thatsächlich gelungen, dieses Ziel zu erreichen.
Denn er konnte z. B. durch Versetzen ausgewachsener
Netze aus einer 0,5 7o Knop'schen Nährlösung in reines
Wasser bei geeigneter Lichtzufuhr die Bildung von Zoo-
sporen, aus deren Vereinigung wieder ein Netz hervor-
geht, uud durch längeres Belassen derselben in einer 5 7o
Rohrzuckerlösung bei einer Temperatur von ungefähr
28° C die Bildung von Gameten, durch deren Verschmel-
zung die den Winter überdauernden Zygoten entstehen,
hervorrufen. Auf diesem Wege konnte er der Frage, ob
bei der Entwickelung des Wassernetzes ein Generations-
wechsel stattfinde, mit Erfolg näher treten, und es gelang
ihm auch, aus ungeschlechtlich entstandenen Netzen sowohl
Zoosporen wie auch Gameten zu erhalten. Aber durch
den umständlichen Entwickelungsgang, welchen die ge-
schlechtlich erzeugten Zygoten während und nach ihrer
Winterruhe durchzumachen haben, glückte es ihm nicht,
auch mit diesen den gleichen Erfolg zu erzielen, und in
Folge
dessen entstand in seineu Untersuchungen eine
Lücke, wodurch sich immer noch die Annahme eines Ge-
nerationswechsels rechtfertigen lassen könnte. Denn nach
den bisherigen Erfahrungen gehen aus den Zygoten immer
nur auf ungeschlechtlichem, dagegen niemals auf geschlecht-
lichem Wege entstandene Nachkommen hervor. Um eine
endgiltige Entscheidung in dieser wichtigen Frage herbei-
zuführen, suchte Klebs einen anderen Gegenstand für
seine Untersuchungen zu gewinnen, welcher das Verhalten
der Zygoten besser zu beobachten gestattet. Er fand
einen solchen in Vaucheria sessilis, einer Fadenalge, welche
in langsam fliessenden Gewässern und auf feuchter Erde
sich in Form von mehr oder weniger dichten Rasen
allenthalben vorfindet. Dieselbe gehört in die Familie der
Siphoneen, in welcher alle diejenigen Formen vereinigt
sind, deren Körper im Gegensatz zu allen anderen Algen
einen einfachen oder verzweigten Schlauch, welcher aus
einer einzigen vielkernigeii Zelle gebildet ist, darstellt.
Ihre Fortpflanzung erfolgt sowohl auf ungeschlechtlichem,
als auch auf geschlechtlichem Wege. Im einen Falle ge-
schieht sie durch die Bildung von Zoosporeu und im an-
dern durch die Eutwickelung von männlichen und weib-
lichen Geschleehtsorganen, Anthcridien und Oogonien,
durch deren Znsammenwirken ein der Zygote des Wasser-
netzes entsprechendes Gebilde, die Oospore, hervorgeht.
Diese beiden Fortpflanzungsweisen sollen bei dieser Alge
ebenso wie beim Wassernetz in einer bestimmten Auf-
einanderfolge auftreten. Unter den älteren Beobachtern
kam schon Walz auf Grund seiner Untersuchungen über
382
Natunvisse.nschaff liehe Woclienschrift.
Nv. 36
diesen Punkt zu dem Schluss, „dass aus der Spore g-e-
wöhnlich Individuen sich entwiclceln, welche BefVuchtungs-
organe tragen, und aus den Oosporen Individuen, welche
sich zunächst dnrcii Sporen fortpHanzen." Dem pflichtete
auch Pringsheim, welcher unter vielen anderen Algen auch
Vaucheria auf ihre Fortptlanzungserscheinungen untersucht
und die gleichen Beobachtungen gemacht hatte, später
vollkommen bei, obgleich er mit seinem Vorgänger ein-
gestehen musste, dass dabei mancherlei Unregelmässig-
Und «-erade dieser Umstand
Grund hat. Er
suchung dieser Frage*), über
keiten vorkommen könnten,
war es, welcher Klebs den Gedanken nahe legte, dass
auch bei dieser Alge kein Generationswechsel stattfindet,
sondern dass die Aufeinanderfolge ihrer beiden Fort-
pflauzungsweisen in einem zufälligen Zusammentreffen der
für ihren Eintritt erforderlichen äusseren Bedingungen ihren
unternahm daher eine eingehende ünter-
deren Ergebnisse wir im
Folgenden berichten wollen.
Zu diesem Zweck verwandte KlebsRasen von Vaucheria
sessilis in der Form repeus, welche auf Coaksstücken im
Gewächshause gewachsen waren. Wenn er sie in Wasser
brachte, so trat die schon längst beobachtete Erscheinung
ein, dass die Alge anfangs zur Zoosporenbildung und
nachher zur Eutwickelung von Antheridien und (Jogonien
überging. Es musste ihm dabei sofort auffallen, dass hier
kein Generationswechsel, sondern nur eine einfache Auf-
einanderfolge der geschlechtlichen Fortptlanzungsweise auf
die ungeschlechtliche stattfindet, weil sich diese Erschei-
nung nicht nur an dem gleichen Rasen, sondern sogar
an ein und demselben Faden beobachten Hess. Die
keimungsfähigeu Zoosporen, welche er auf diesem Wege
erhalten hatte, sammelte er durch Filtrireu über Glaswolle
und verwendete sie zu seinen weiteren Versuchen, durch
welche entschieden werden musste, ob sie im Staude sind,
bei ihrer Fortpflanzung sowohl den einen, wie den anderen
der beiden vorhandenen Wege einzuschlagen oder gar
vollständig unfruchtbar zu bleiben. Er musste deshalb
ihre Entwickelung durch geeignete Culturmethoden in
solche Bahnen zu lenken suchen, dass ein jeder von diesen
drei möglichen Fällen mit grösster Sicherheit zu seiner
Verwirklichung gebracht werden konnte. Seine Bemühungen
um die Lösung dieser
folge begleitet.
Aufgabe waren vom schönsten Er-
Von diesen drei Fällen lässt sich die geschlechtliche
Fortpflanzung am leichtesten hervorrufen. Wenn die Keim-
linge nur auf einige Tage in eine 2—5 'Vo Rohrzucker-
lösung verbracht werden, so bilden sie selbst unmittelbar
an der Zoosporenkugel ihre Antheridien und Oogonien
aus. Bei der näheren Untersuchung der Bedingungen,
unter denen diese Erscheinung eintritt, hat sich ergeben,
dass Wasser, ein gewisser Mangel an anorganischen Nähr-
salzen, Vorhandensein von organischen Nährstotfen, eine
Temperatur über 3 Grad und Licht unbedingte Erforder-
nisse sind, um ihren Eintritt mit zwingender Nothweudig-
keit herbeizuführen.
Gelegentlich gehen die Keimlinge sofort wieder zur
ungeschlechtlichen Fortpflanzung über. Dies ist schon seit
längerer Zeit bekannt, und Walz war es sogar gelungen,
dies durch Zugiessen von frischem Wasser zu bewirken.
Klebs hat nun auch hier die ertbrderlichen Bedingungen
genauer erforscht und gefunden, dass sich der Eintritt
dieser Vermehrungsweise auch mit unfehlbarer Sicherheit
durch eine zweckmässige Cultur herbeiführen lässt. Zu
diesem Zwecke lässt mau die Vaucherienrasen auf einige
Zeit in einer 0,5 "/^ Knop'schen Nährlösung am Lichte
verweilen, worauf man sie in reines Wasser überträgt
*) Gg. Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung von Vauclieria
sessilis. Verhandlungen der Naturforsclienden Gesellschaft in
Basel, 1892.
und unter Lichtabschluss bringt. Es werden alsdann un-
geheure Mengen von Zoosporen gebildet, welche bei ge-
nügendem Vorratii an Nährstotfen ihrerseits sofort wieder
zur Zoosporenbildung übergehen können.
Auch den dritten Fall, die Keimlinge anf längere
Dauer an ihrem Uebergang zur Fortpflanzung zu hindern,
konnte Klebs auf verschiedenen Wegen zur Verwirklichung
bringen. Am einfachsten gelang ihm dies durch Cultur
in concentrirter Zuckerlösung. Während die Keimlinge
in einer S-procentigcn Lösung noch Fortpflanzungsorgane
ausbilden können, werden sie bereits in einer 10-|)rocentigen
daran verhindert. Aber auch unter solchen Verhältnissen,
in welche die Alge in der freien Natur zuweilen kommen
mag, kann die Bildung von Geschlechtsorganen unter-
bleiben. Wenn die Keindinge sich in ständig fliessendem
Wasser befinden, so zeigen sie keine Neigung zur ge-
schlechtlichen Fortpflanzung. Zoosporenbildung kann in
S(dchem Falle hin und wieder eintreten, unterbleibt aber
bei Culturen auf feuchtem Torf oder Lehm, wodurch
wiederum die geschlechtliche Vermehrungsweise in hervor-
ragendem JMaasse begünstigt wird.
Weim mit diesen Versuchen für die Zoosporen fest-
gestellt war, dass ihre Keindinge durch äussere Einflüsse
nur zum Uebergang zu der einen oder der anderen Fort-
pflauzungsweise veranlasst werden, so musste dies auch
für die Oosporen in gleicher Weise dargethan werden, da
ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen war, dass sie ein
anderes Verhalten in dieser Hinsieht zeigen. Nachdem
dieselben zwei Monate nach ihrer Aufsaninilung im Dun-
keln verweilt hatten, wurden sie unter geeigneter Licht-
zufuhr in Wasser gebracht, wo sie bald zur Keimung
kamen. Hierauf wurden die Keindinge zum einen Theil
in eine Zuckerlösung versetzt, wo sie grösstentheils in
wenigen Tagen schon zur geschlechtlichen Fortpflanzung
übergingen. Zum anderen Theil wurden sie nach kurzem
Verweilen in U,4 "/o Knop"seher Nährlösung bei genügender
Belichtung in reines Wasser übertragen und ins Dunkele
gestellt, wodurch sie in kurzer Zeit zur Zoosporenbildung
geuöthigt wurden. Bei Cultur auf Lehm in einem über
Winter ungeheizten Zinnner blieben die Keindinge, welche
sich ungestört weiter entwickelten, auf einige Wochen
vollkonnnen steril.
Aus den sännntlichen Versuchen, welche Klebs mit
den sowohl aus Zoosporen, als auch aus Oosporen er-
zogenen Keindingen angestellt hat, geht unzweifelhaft her-
vor, dass eine bestinmite, aus inneren Gründen verursachte
Reihenfolge im Auftreten der verschiedenen Lebensprocesse
nicht befolgt wird. Vielmehr sind alle die Erscheinungen,
welche zur Annahme eines solchen Generationswechsels
geführt haben, nur auf ein zufälliges Zusannnenwirken
derjenigen äusseren Einflüsse, welche eine solche Auf-
einanderfolge in vielleicht nicht sehr seltenen Fällen ver-
anlassen können, zurückzuführen. Mit Hilfe der von Klebs
angegebenen Behandlungsweisen kann man die Alge ganz
nach seinem Belieben zu derjenigen Lebensäusserung
zwingen, welche man hervorrufen will, und Vaucheria
bietet für derartige Versuche gegenüber Hydrodictyon den
sehr wesentlichen Vortheil, dass sich die verschiedenen
Lebensvorgänge hier zur selben Zeit am gleichen Objeete
vollziehen können, während sie sich dort gegenseitig aus-
schliessen. Auch konunt hier das Alter der Pflanze nicht
in Betracht, da sowohl bei den Zoosporen, wie auch bei
den Oosporen der Uebergang zur Fortpflanzung gleich
nach der Keinnnig geschehen kann, während dies dort
beim Wassernetz nur au der ausgewachsenen Zelle mög-
lich ist.
Eine Reihe anderer Versuche, welche Klebs mit
Vaucheriarasen von beliebiger Herkunft angestellt hat,
sprachen ebenfalls sehr deutlich dafür, dass hier ein gesetz-
Nr. 36.
Natui-wisscnschaftliche Wochenschrift.
383
Illässiger Geiiei-ationswechsel nicht vorliciicn kann, da sich
ihr AhiiängigkeitsverhiUtniss von der Aussenwelt dazu ver-
wenden lässt, um sie jederzA'it durch geeignete Versuchs-
anstclhiug zur Vermehrung auf ungeschleciitliclicm oder
geschlechtlichem Wege zu zwingen. Es entsteht jetzt für
die weitere Forschung die keineswegs so einfache Frage,
in welcher Weise die Einflüsse der Aussenwelt auf die
Lebensvorgänge im Inneren der Pflanze einwirken, um sie
zu derartigen Lebcnsäusserungen zu veranlassen. Eine
Lösung derselben ist bei dem gegenwärtigen Stande unserer
Kenntnisse in der Zellphysiologic noch niclit möglich,
allein zu ihrer allmählichen Anbahnung hat Klebs bereits
die physi(dogischen Bedingungen der beiden Vermehrungs-
weisen eingehender untersucht und weitere Aufschlüsse
hierüber dürften von den fortgesetzten Arbeiten auf diesem
interessanten Gebiete zu erhörten sein.
Ungeschlechtliche Fortpflanzung.
Die Verdunkelung der zuvor belichtet gewesenen Vau-
cheria-Rasen, welche von Klebs dazu benutzt wurde, um
die ungeschlechtliche Fortpflanzung hervorzurufen, ist für
diesen Vorgang keineswegs ein unumgängliclies Erforder-
niss. Schon Walz hatte bemerkt, dass Zoosporcnljildung
ebensowohl im Lichte als wie im Dunkeln niöglicli ist.
Sobald die auf CoaksstUcken gewachsenen Vaucherien-
rasen in Wasser gebracht und der Belichtung ausgesetzt
werden, gehen sie bis zum nächsten Tage schon zur
Zoosporenbilduug über. Als Ursache dieser Erscheinung
betrachtete Walz die Einwirkung des atmosphärischen
Sauerstoft'es. Klebs hat indessen sowohl bei seinen Ver-
suchen mit Hydrodictyon, wie mit Vaucheria die Ueber-
zeugung gewonnen, dass dieser dabei nur insoweit in Be-
tracht konnnt, als er für das Leben der Alge überhaupt
von Bedeutung ist. Wenn nändich Vauchcricn, welche
sieh auf CoaksstUcken angesiedelt haben, in Wasser ge-
bracht und dem Lichte ausgesetzt werden, bilden sie be-
kanntlich anfangs Zoosporen und nachlicr Geschlechts-
orgaue. Wird hierauf die Cultur ins Dunkele gebracht,
so stellt sieh die ungeschlechtliche Fortpflanzung wieder
ein und nach einiger Zeit tritt die geschlechtliche an ihre
Stelle. So kann durch den wiederholten Wechsel von
Licht und Dunkelheit sowohl in Culturen mit Wasser, als
auch nach längerem Aufenthalt in 0,2 "/o Näin'lösung mit
nachfolgender Versetzung in reines Wasser dieser Wechsel
der beiden Vermehrungsweisen bis zur schliesslichen Er-
schöpfung der Alge, welche aber durch neue Zufuhr von
Nährstoffen die Fähigkeit zur Wiederaufnahme ihrer Fort-
pflanzungsthätigkcit, wenn auch nur auf kurze Dauer,
wiedererlangt, herl)cigeführt werden. Hierbei kann also
eine besondere Einwirkung des Sauerstoft'es keinesfalls in
Frage kommen, weil Itci einer derartigen Versuchsanstellung
die Zoosporenbildung innuer erst daim eintritt, wenn die
Alge unter Lichtal)sciduss gebracht worden ist. Da durch
die Assimilation Sauerstoff' in grrissert'u Mengen gebildet
wird, so sollte man glauben, dass sie gerade l)ei reich-
licher Liclitzufuhr in besonders hohem Grade angeregt
werden müsste. Dieser Annahme widersprechen ausser
den bereits angeführten noch andere Tliatsachen. So
gehen solche Keimlinge, welche sich vorher in ständig
fliessendem Wasser befanden, sofort zur Bildung von
Zoosporen über, sobald sie in ruhig stehendes übertragen
werden, trotzdem ihnen dort verhältnissmässig mehr Sauer-
stoff' zu Gebote stand als hier. Ferner hat Klebs Vaucherien-
keimlinge auf zwei Gläschen vertheilt, wovon das eine
mit frischem Wasser angefüllt und olfen stehen gelassen,
und das andere mit abgekochtem Wasser versehen und
durch einen eingcsehliff'enen Stopfen luftdicht verschlossen
wurde. In beiden Gefässen war in den nächstfolgenden
Tagen fast zur selben Zeit die Zoosporenbildung einge-
treten, obgleich diejenigen Keimlinge, welche sich in dem
verschlossenen Gläschen befanden, kaum mehr Sauerstotf
zu ihrer Verfügung hatten, als durch sie in das abgekochte
Wasser hineingelangt war.
Die mitgetheilten Versuche lassen klar erkennen, dass
keine anderen Umstände die Veranlassung zum Uebergang
zur Zoos]iorenbildung sein k(innen, als die Veränderung
der äusseren Bedingungen. Es ergiebt sich dies aus dem
Verhältniss, in welchem das Waehsthum und die unge-
schlechtliche Fortjjflanzung zu einander stehen. Beide
Vorgänge spielen sich nämlich am Ende der Fäden ab,
wesshalb der eine den anderen aussehliesseu muss, und
äussere Bedingungen k(innen nur darüber entscheiden,
welcher von ihnen überwiegt. Da das Waehsthum unter
gewöhnlicheren Verhältnissen vor sich gehen kann, so
muss die Zoosporenbildung meistens hinter demselben
zurückstehen. Eine Erklärung für diese Erscheinung lässt
sich vielleicht darin flnden, dass im Stoffwechsel Stofi'e
entstehen, welche unmittelbar zum Waehsthum verwendet
werden können, während sie durch weitere Veränderungen
erst für die Zoosporenbildung Itrauchliar gemacht werden
müssen, wozu die Mitwirkung besonderer äusserer Be-
dingungen unentbehrlich zu sein sciicint.
Unter solchen Umständen, welche auf das Waehsthum
einen förderlichen Einfluss ausüben, findet daher keine
Bildung von Zoosporen statt. Dies ist beispielsweise unter
der Einwirkung von Temperaturen bei 0—3° und bei
26° C der Fall. Ferner erfolgt in feuchter Luft ein sehr
lebhaftes Waehsthum, dagegen nmss die Zoosporenbildung
unterbleiben, weil sie nur in einem flüssigen Medium von
Statten gehen kann. Ebenso vermögen die Vaucherien-
rasen in einer 1 "/„ Nährlösung zu wachsen, aber nicht sich
fortzupflanzen. Unter solchen Verhältnissen, unter denen
beide Vorgänge sicli vollziehen können, tritt solange keine
Störung im Waehsthum ein, als dieselben keine Aenderung
erfahren. Soll die Zoosporenbildung eintreten, so muss
das Waehsthum zeitweise unterbrochen werden, ohne dass
die Pflanze dadurch in ungünstige Lebensverhältnisse ge-
bracht wird. Durch die Unterbrechung des Wachsthunies
werden die Bedingungen zum Eintritt der Zoosporcnbildung
gegeben. Die Ueberführung in fliessendem Wasser er-
wachsener Fäden in stehendes und die Versetzung in
feuchter Luft erzogener Fäden in Wasser bedingen eine
Störung des Wachsthunies und führen den Eintritt der
Zoosporenbildung in F(dge dessen nach sich. Wenn diese
stattgefunden hat, so wird das Waehsthum wieder fort-
gesetzt, bis durch Verdunkelung wieder von neuem eine
Unterbrechung desselben herbeigeführt wird, welche die
Wiederkehr der Zoosporenbilduug zur Folge hat.
Es liegt auf der Hand, dass die Umgestaltung der
äusseren Bedingungen einen förderlichen Einfluss auf die
Fortpflanzungsverliäitnisse der Alge Idoss dann ausülien
kann, wenn der Zustand, in welchem sich die Fäden
gerade befinden, ein guter ist. Nach vorau.sgegangener
schlechter Ernährung unterbleibt deshalb der Eintritt der
Zoosporenbildung, wenn sie nach längerem Verweilen im
Dunkeln ans Licht gebracht werden, weil vorerst nur das
Waehsthum die geeigneten Bedingungen findet.
Wenn man das Verhalten der Vaucheria mit dem-
jenigen von Hydrodictyon vergleicht, so bemerkt man
einen sehr auffallenden Unterschied in der Einwirkung des
Lichtes auf die Zoosporenbilduug. indem diese hier daran
gebunden ist, dort aber ganz unabhängig davon vor sich
gehen kann. Ferner erfordert die Cultur des Wasser-
netzes eine reichliehe Zufuhr von Nährsalzen. Dieselben
sind auch für Vaucheria von hoher Bedeutung. Die aus-
giebigste Zoosporenbilduug kounte Klebs dann erzielen,
wenn er die Versuehsobj'ecte nach vorhergegangener Cultur
in 0,41 'Vo Nährlösung in Wasser übertrug und ins Dunkele
384
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 36.
brachte. Die Neiii'ung zur Zoosporenbildung-, welche durch
den längeren Aufenthalt in der Nährlösung wachgerufen
wurde, kann offenbar nicht zum Durchbruch kommen,
solange durch die äusseren Bedingungen, unter denen sich
die Alge befindet, das Wachsthuni mehr begünstigt wird
als die Fortpflanzung. Dies geschieht indessen sofort,
wenn die Nährsalzlösung, welche durch die osmotischen
Eigenschaften ihrer Bestandtheile den Eintritt dieser Er-
scheinung verhinderte, entfernt und durch Wasser ersetzt
wird, weil dadurch eine Aufhebung des Wachsthumes
herbeigeführt wird. Gleichwohl kann aber die Fort-
pflanzung noch nicht dafür eintreten, wenn man die Cultur
unter eine Temperatur von 0—3° oder 24—26° C bringt,
da in Folge dessen die Bedingungen für ihren Eintritt
bereits nicht mehr gegeben sind, indem jetzt wieder das
Wachsthuni überwiegt. Erst wenn sie unter eine mittlere
Temperatur (12° C) zurückversetzt wird, steht ihrem Ein-
tritt nichts mehr im Wege. Es muss vor der Hand dahin-
gestellt bleiben, worin bei diesem Verfahren die nähere
Veranlassung zu den beobachteten Vorgängen zu suchen
ist, da es sich nicht entscheiden lassen wird, ob der Tem-
peraturwechsel unmittelbar die Unterbrechung der Wachs-
thumsvorgänge veranlasst, oder ob durch ihn bloss das
Hcmmuiss lieseitigt wird, wodurch die Neigung zur un-
geschlechtlichen Fortpflanzung nicht zum Durchbruch kom-
men konnt(\
Es bedarf wohl kaum einer besonderen Erwähnung,
dass grössere oder geringere Veränderungen der äusseren
Bedingungen, unter denen die Zoosporenbildung statt-
findet, z. B. durch Wechsel in dem Gehalt der Nährlösung
oder in der Gr/isse der Lichtzufuhr, in der Höhe der
Temperatur oder in der Bewegung des Wassers, auch nur
entsprechende Wirkungen auszuüben im Stande sind. Es
erklären sieh hieraus alle die Beobachtungen eines ge-
legentliehen Auftretens von Zoosporen in solchen Culturen,
welche scheinbar unter scheinbar unveränderten äusseren
Einflüssen sich befunden hatten.
Die Abhängigkeit der ungeschlechtlichen Fortpflanzung
von der Aussenwelt spricht sich bei Vaucheria sessilis
nach den mitgetheilten Ergebnissen der Klebs'schen Ver-
suche in den Wirkungen aus, welche eine merkbare Ver-
änderung der äusseren Bedingungen — mögen sie nun
in einem Uebergang aus Luft in Wasser oder aus lebhaft
bewegtem in ruhig fliesscndes Wasser bestehen oder durch
einen Wechsel in der Beleuchtung oder in dem Gehalt
der Nährlösung an Mineralsalzen oder in der Höhe der
Temperatur herbeigeführt werden — auf einen stark ge-
wachsenen und kräftig ernährten Rasen ausübt. Ein
weiteres unumgängliches Erforderniss bildet hierbei das
Vorhandensein von Wasser und die Einwirkung einer Tem-
peratur zwischen 3 — 22° C. Eine reichliche Zufuhr von
anorganischen Nährsalzen übt einen f(irderlichen Einfluss
auf die Zoosporenbildung, welche in Folge dessen mit
besonderer Lebhaftigkeit vor sich geht, aus.
Geschlechtliche Fortpflanzung.
Wie die ungeschlechtliche, so lässt sich auch die ge-
schlechtliche Fortpflanzung bei Vaucheria sessilis nach
Belieben hervorrufen, wenn die äusseren Bedingungen,
wovon ihr Eintritt abhängt, herbeigeführt worden sind.
Bei dem Wassernetz schliessen sich diese beiden Vor-
gänge gegenseitig aus, bei Vaucheria dagegen nicht,
weil sie sich nicht an ein und demselben, sondern an ver-
schiedenen Orten abspielen. Aus dem nämlichen Grunde
schliessen sich auch das LängenAvachsthum und die ge-
schlechtliche Fortpflanzung nicht unmittelbar aus, denn
jenes erfolgt nur an den Enden, diese dagegen an allen,
sowohl älteren, wie jüngeren Theilen der Fäden. In
Wirklichkeit muss aber doch wohl eine Hemmung der
Wachsthumsvorgänge stattfinden, sobald die Alge zur ge-
schlechtlichen Fortpflanzung ül»ergelit. Von diesem Gesichts-
punkte ist Klebs bei der Anstellung seiner Versuche, welche
die Abhängigkeit dieser Vermehrungsweise von äusseren
Einflüssen darthun sollten, ausgegangen und erreichte
seinen Zweck durch die Vorenthaltnng einer Zufuhr von
anorganischen Nährsalzen, welche bekanntlich das Waehs-
thum in erheblicher Weise fördern, in der vollkommensten
Weise. Bei diesen Vorgängen lassen sich die engen Be-
ziehungen, welche zwischen dem Wachsthuni und der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung bestehen, nicht verkennen.
Zu ihrer Erklärung muss man hier ebenso wie bei der
vegetativen Vermehrung annehmen, dass bei der geschlecht-
lichen Fortpflanzung keine so einfach gebauten .Stoffe zur
Verwendung kommen, als beim Wachsthuni. Die bei der
Assimilation unter der Gegenwart von anorganischen Nähr-
salzen entstehenden organischen Substanzen können also
bei den Vorgängen des Wachsthums unmittelbar verwandt
werden, wogegen sie für diejenigen der geschlechtlichen
Fortpflanzung erst durch besondere Wandlungen verwend-
bar gemacht werden müssen.
Demnach hängt die J5ildung
dieser Substanzen nicht unmittelbar von dem Vorhanden-
sein von Nährsalzen ab, sondern vielmehr von dem Vor
rath an solchen Stoffen, welche aus diesen durch Ver-
mittelung der Assimilation hervorgegangen sind. Da aber
bei der geschlechtlichen Fortpflanzung eine grössere Menge
solcher vorgebildeter Substanzen nöthig wird, so ist
unter gewöhnlichen Lebensverhältnissen eine derartig reich-
liche Anhäufung derselben, wie sie zu diesem Zweck er-
forderlich ist, nur durch Aufhebung der Wachsthums-
vorgänge bei ununterbrochen fortgesetzter Ernährungs-
thätigkeit möglich. Es lässt sich dies auf künstlichem
Wege durch eine reichliche Zufuhr von organischen Stoffen
von aussen erreichen, indem man die Fäden oder Keim-
linge von Vaucheria in einer 2 — 5 % Rohrzucker- oder
1 — 2% Maltoselösung cultivirt, wodurch sie in kürzester
Zeit zu einer lebhaften Fortpflanzungsthätigkeit angeregt
werden.
Für den Eintritt der geschlechtlichen Fortpflanzung,
welcher nur bei einer mittleren Temperatur von 10 bis
20° C stattfindet, ist vor Allem die Einwirkung des
Lichtes ein unbedingtes Erforderniss. Es ist dies deshalb
besonders bemerkenswerth, weil dieser Factor bei der
sexuellen Vermehrung des Wassernetzes überhaupt nicht
in Betracht kommt. Klebs konnte unter völligem Liclit-
abschluss die Vaucherien niemals zur Bildung von Ge-
schlechtsorganen veranlassen. Dagegen gelang es ihm
bei vorhergegangener Belichtung angelegte Antheridien
und Oogonien im Dunkelen zum Abschluss ihrer Ent-
wickelung zu bringen, worauf die Befruchtung eintrat
und die Reife der Öospore unbehindert nachfolgte. Eine
weitere Anlage von Geschlechtsorganen fand aber nicht
statt, sondern die Fäden gingen wieder nach und nach
zum Wachsthuni über. Dass der Grund für diese auf-
fallende Erscheinung nicht in einem Mangel an genügender
Ernährung zu suchen, geht daraus hervor, dass das Wachs-
thum bei Culturen in feuchter Luft, in welcher die unge-
schleclitliehe Fortpflanzung nicht aufzutreten vermag,
unter einer ständigen Temperatur von 12 — 1,5° C auf
längere Zeit unter Ausschluss jeder Lichtwirkung erfol.uen
kann. Der Einfluss des Lichtes ist daher für den Ein-
tritt der geschlechtlichen Fortpflanzung eine nothwendige
Bedingung. Die Stärke der Belichtung kann sich inner-
halb weiter Grenzen bewegen. Durch einen sehr ein-
fachen Versuch konnte Klebs nachweisen, dass bei hellem
Licht die Vaucherien in kürzerer Zeit und mit grösserer
Lebhaftigkeit zur geschlechtlichen Fortpflanzung über-
gehen, als bei schwachem.
Der Uebergang der Alge aus dem vegetativen Zu-
Nr. 36.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
385
stand zur Fortpflanzungsthätigkeit, sowie die Meng-e der
dabei entstellenden Oos])oren iiängt von den vorerwähnten
Bedingungen al), wch-lie die Aufliebung der Waclistlmnis-
vorgänge zur l'Vilgc haben. Dieselben verwirklielien sieh
ebensowohl in der Natur, wie im g-esciilossenen Kauuie.
Um sterile Rasen zu erzielien, muss man auf die Alge
entweder eine niedere Temperatur, oder schwaches Licht,
möglicherweise auch beides zu gleicher Zeit einwirken
lassen. Klebs konnte auf diesem Wege die Keimlinge
von Vaucheria sessilis innerhalb einiger Monate zu kräf-
tigen Rasen heranziehen, ohne dass sie eine Neigung
zeigten, zur Fortpflanzung überzugehen. Es lässt sich
hieran die interessante Frage knüpfen, ob die Vaucherien
im Stande sind, längere Zeit fortzuwacbsen, ohne in-
zwischen wieder zur Fortpflanzung übergehen zu müssen,
um nicht an einer allmählich eintretenden Erschöpfung
zu Grunde zu gehen. Denn nach neueren Untersuchungen
von Maupas gehen gewisse Infusorien, welche sich durch
viele Generationen hindurch durch Theilung vermehrt
haben, einer senilen Erschöpfung entgegen, indem sie
nicht durch geschlechtliche Fortpflanzung in den Stand
gesetzt werden, sich gleichsam wieder zu verjüngen. Auch
für die höheren Pflanzen wird die Vermehrung durch
Stecklinge u. s. w. als die Ursache eines nach und nach
eintretenden Rückganges, der sich durch das Auftreten krank-
hafter Erscheinungen bemerkbar machen soll, angeschen
und die geschlechtliche Fortpflanzung als der einzige Weg,
welcher zur sicheren Erhaltung der Art führt, betrachtet,
ohne dass ein sicherer Beweis für die Richtigkeit
dieser Annahme bis jetzt erbracht worden ist. Die vor-
liegenden Beobachtungen über das Verhalten der Vau-
cherien lassen vermuthen, dass eine derartige Auffrischung
bei ihnen nicht nothwendig ist, denn in der freien Natur
werden sehr häutig vollkommen steril gebliebene Rasen
gefunden, besonders solche von der in stark strömenden
Bächen und Brunnen vorkommenden Form Vaucheria
sessilis fluitans. Klebs hat diese nachweisbar fortpflanzungs-
fähigen Rasen in einem kleinen Wasserfalle mehrfach
geprüft und stets steril gefunden. Aller Wahrscheinlich-
keit nach dürfte die Alge unter derartigen Umständen
vorwiegend günstigere Bedingungen für die Fortpflanzung
ihres Waclisthums finden. Klebs glaubte anfänglicli den
Grund für diese Ercheinung in der Bewegung des Wassers
suchen zu sollen und brachte daher die Keimlinge von
Vaucheria zum Theil in reinem Wasser, zum Theil in 47o
Zuckcrlösung auf einen Centrifugalapparat, welcher in
der Secunde etwa 1 — 3 Umdrehungen ausführte, um sie
einer ähnliehen Wirkung zu überlassen, wie sie das fliessende
Wasser eines Wasserfalles oder eines Brunnens ausübt. In-
dessen wurde dadurch keineswegs eine Störung in der
Fortpflanzungsthätigkeit herbeigeführt, sondern es trat
diese um dieselbe Zeit ein, wie bei denjenigen Rasen,
welche in ruhig stehendes Wasser gebracht worden waren,
um zur Controlle zu dienen. Offenbar müssen sich mit
der Erschütterung noch andere Wirkungen verl)inden, wo-
durch der Alge der üebergang zur Fortpflanzung unmög-
lich gemacht wird.
Wenn man zwischen der ungeschlechtlichen und der
geschlechlichen Fortpflanzung einen Vergleich zieht, so
ergeben sich daraus die Beziehungen Ijeider zu einander.
Dass sie sich nicht mit Nothwendigkeit einander aus-
schliessen, ist früher bereits hervorgehoben worden.
Wälirend beim Wassernetz die ungeschlechtliche Fort-
pflanzung als die ursprünglichere und darum häutiger sich
einstellende Vermehrungsart erschien , scheint dies bei
Vaucheria sessilis im Gegensatz hierzu für die geschlecht-
liche Fortpflanzung zu gelten, denn sie tritt überall und
sicher ein, wogegen die ungeschlechtliche Vermehrung
ohne besonderen Schaden ausgeschlossen bleibeni'^kann,
wie dies bei Culturen auf feuchtem Nährboden geschieht.
In flüssigen Medien, wo die Möiglichkeit zum gleichzeitigen
Eintritt beiden ^'ennehrungsweis('n gegeben ist, ist ein
gemeinsames Auftreten derselben dennoch nicht UKigiieh,
weil die Bedingungen für beide zu verschieden vonein-
ander sind. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung tritt am
stärksten auf, sobald ein gut ernährter Rasen unter ver-
änderte Lebensbedingungen gebracht wird und läuft in
kürzester Zeit ab. Die geschlechtliche dagegen zeigt sich
dann, wenn bei ununterbrochen fortgehender Ernährung
das Wachsthum nach und nach zum Stillstand gebracht
wird, wozu viel mehr Zeit erforderlich ist. Daher konnnt
die vielfach beobachtete regelmässige Aufeinanderfolge
dieser beiden Vermehrungsarten, welche die Veranlassung
zur Annahme eines Generationswechsels gewesen ist. Die
vorliegenden Untersuchungen haben den Beweis erbracht,
dass zu jeder Zeit die eine oder die andere der beiden
Vermehrungsarten hervorgerufen und folglich die Reihen-
folge derselben ganz nach unserem Belieben geändert
werden kann. Aus der Verschiedenheit der Bedingungen,
unter denen die Fortpflanzungserscheinungen bei Vaucheria
sessilis im Vergleich zum Wassernetz auftreten, geht klar
und deutlicii hervor, dass das Abhängigkeitsverhältniss
der Vermehrungsvorgänge gegenül»er den Einflüssen der
Aussenwelt unter den einzelnen Pflanzenformen ein ver-
schiedenes, aber für eine jede Art ein bestimmtes ist,
wofür die Gattung Vaucheria selbst das beste Beispiel
liefert. Der Eintritt der geschlechtlichen Fortpflanzung
geschieht bei den einzelnen Arten unter den gleichen
Bedingungen wie bei Vauclieria sessilis. Bei der unge-
schlechtlichen Vermehrung zeigt sich eine grosse Ver-
schiedenheit unter denselben. Es giebt einige Formen
darunter, wie Vaucheria terrestris und aversa, welche
überhau])t keine für diese Fortpflanzungsweise bestimmten
Organe iicsitzen, während andere, wie Vaucheria gemi-
nata und uncinata, nur unbewegliche Sporen (sogenannte
Aplanosporen) bilden können, deren Entstellung oftmals
unter solchen Bedingungen vor sich geht, welche ohne
Weiteres als sehr ungünstige bezeichnet werden müssen.
Das verschiedene Verhalten einzelner Arten bei der
ungeschlechtlichen Fortpflairzung tritt in einem Vergleich
zwischen Vaucheria sessilis repens und einer ihr sehr
nahe stehenden, von Unger zum ersten Male beobachteten,
aber von Klebs erst neuerdings wieder aufgefundenen
Form, Vaucheria clavata, besonders deutlich hervor. In
morphologischer Beziehung weisen diese beiden Arten
keine bemerkenswerthen Unterschiede auf, so dass zu
ihrer Unterscheidung nur die physiologischen Eigenschaften
herangezogen werden können. Die letztgenannte Form
lebt vorzugsweise in fliessendem Wasser. Da sie durch
die besonderen Wirkungen desselben an der geschlecht-
lichen Fortpflan'/ung liehindert wird, so ist sie darauf an-
gewiesen, sich auf ungeschlechtlichem Wege zu vermehren,
was unter Bedingungen geschieht, wie man sie für \'au-
cheria sessilis überhaupt nicht kennt. Wenn nändich
diese Form aus lebhaft Ijcwegtem in ruhig stehendes
Wasser überführt wird, so erfolgt die Bildung von Zoo-
sporen nicht nur innerhalb einiger Tage, sondern setzt
sich unter passenden Temperatur- und Beleuehtungs-
verhältnissen auf mehrere Monate ohne Unterbrechung
fort, ohne dass in den äusseren Bedingungen eine der-
artige Veränderung stattgefunden hatte, wie sie zum Ein-
tritt der vegetativen Vermehrung bei Vauclieria sessilis
erforderlich ist. Ferner erfolgt die ungeschlechtliche Fort-
pflanzung bei Vaucheia clavata selbst in feuchter Luft,
während ihr Auftreten bei Vaucheria sessilis innner an
das Vorhandensein eines flüssigen Mediums gebunden ist.
Selbstverständlich können unter solchen Umständen keine
beweglichen, sondern nur unbewegliche Sporen (Aplano-
386
Naturwissenschaftliche Wochenschritt.
Nr. 36.
sporeu) g-ebildet werden. Je mehr der Feuchtii;k.eitsf;ehalt
der Luft abninnnt, umsomchr schwindet auch die Neigunj;-
zur Zoosporenbildung- und auch das Wachstlnun kommt
nach und nach zum Stillstand. Die Cultur in 0,5 — 1%
Knop'scher Nährlösung- ruft
nur
eine vorüberg-ehende,
und die Verdunkelung überhaupt keine Neigung zur
Zoosporenbildung bei Vaueheria clavata hervor, während
diese beiden Factoren für Vaueheria sessilis ein unum-
gängliches Erforderniss für den üebergang- zur ungeschlecht-
lichen Vermehrung bilden. Unsere Form lässt sich aber merk-
würdigerweise durch Zerschneiden ihrer Fäden zur Zoo-
sporenbildung veranlassen. Die dabei entstehenden Schnitte
schliessen ihre Wunden und treiben neue Zweige hervor,
au deren Enden die Zoosporen gebildet werden. Wie
sieh aus diesem Vergleich zweier einander so nahe
stehender Formen ergiebt, können die physiologischen
Eigenthündichkeiten der einzelnen Arten mit Erfolg- zu
ihrer Unterscheidung herangezogen werden.
Durch die auszugsweise hier mitgethcilteu Unter-
suchungen hat Klebs den Beweis geliefert, dass die Fort-
pflanzung bei Vaueheria se.^silis und einigen anderen ihr
verwandten Arten in einem gleichen Abhängigkeitsver-
hältniss zu den Einflüssen der Aussenwelt steht, wie die-
jenige des Wassernetzes. Es ist damit ein weiterer
Schritt auf dem von ihm selbst augebahnten Wege ge-
scliehcn, um das dunkele Gebiet der Fortpflanzungs-
physiologie der experimentellen Forschung zu unterwerfen.
A. J. Schilling.
Experimental -Teratogenie.
Nacli Cumille Darestr.*)
ahrzchnten beschäftigt sich Camille Dareste
Seit vier
mit der künstlichen Hervorbringung von Monstruositäten:
mit Experiiuental-Teratogenie. Die von ihm geseliaffcnen
Methoden dienen dem Studium der Variabilitätsfälligkeit
der thierischen Organisation, seine Untersuchungen stehen
daher im Dienste der Klärung der Theorie der Ali-
stammungslehre.
Die Arten besitzen und vererben auf ihre Naeh-
kommeuschaft eine Anzahl Merkmale, welche einen be-
stimmten „Typus" bilden. Nun kommt es bekanntlich
vor, dass gewissen Individuen einer Art ein oder mehrere
Merkmale fehlen können, für welche eventuell neue Merk-
male auftreten. Dies der Ursprung der Varietäten. Sind
die neuen Charaktere nicht lebeugefährdend, d. h. sind
sie nicht unvereinbar mit den Aussenbedingungcn des
Lebens, so vermögen sie sich oft erblich zu erhalten und
werden Ausgangspunkte neuer Racen (wenn man unter
„Race" eine systematische Einheit verstehen will, mit
einer Zwischenstellung zwischen Varietät und Species).
Die Variationsfähigkeit ist grösser als man gemeinhin
anzunehmen geneigt ist, ja das Verschwinden einer
grösseren Anzahl von Merkmalen und ihr Ersatz durch
neue kann mehr oder minder den ursprünglichen Typus
zum Verschwinden bringen: wir erhalten dann Monstru-
ositäten. Dies die Deflnition Darcste's über diesen Be-
griff. Geringfügig vom Tyjius abweichende Varietäten
und extreme Monstruositäten gehören also in dieselbe
Kategorie: sie unterscheiden sich nur hinsichtlich des
Grades der Variationsschwankung vom Typus.
Die Ursachen der Variation lassen sich in der freien
Natur nur sehr schwer erkennen: das Experiment nuiss
zur Eruirung derselben Platz greifen.
Die Entwickelungsrielitung eines Individuums ist das
Resultat zweier Factoren:
Constitution des Keimes und 2
bedingungeu.
Schon Geoffroy Saint-Hilaire versuchte es 1820 — 1826,
bei Experimenten die Aussenbedingungcn zu variiren, in-
dem er Hühner-Eier künstlich ausbrütete, diese aber hier-
bei unter Bedingungen brachte, von denen er annehmen
konnte, dass sie auf die Eier einen Einfluss ausüben
mussten, und er erzielte in der That mehrere Male
Monstruositäten. Jedoch hat erst Dareste eine Wissenschaft
aus der Experimental-Teratologie gemacht. Speciell beim
Huhne, seinem Hauptuntersuchungsobject, hat Dareste ge-
*) Vergl. C. Daresto: Kecherchos sur la production artiticiellr
des monstruositds on essais de teratogenie e.xperimentale. 2. edition
revue et augment^e. Q2 fig. et 16 planches. C. Roinwald & Co.
ä Paris 1891. - Preis 28 fres.
nändich abhängig 1. von der
von den Aussen-
funden, dass fast alle teralogischen Typen, die er con-
statireu konnte, schon bei den Säugethieren und bei
Menschen beobachteten Typen entsprechen: eine Er-
scheinung, die sich aus der Einheit des Wirbelthiertypus
erklärt. Alle Wirbelthiere durchlaufen ja zunächst, Ijcim
Beginne ihrer Entwickelung gleiche inid dann sehr ähn-
liche Zustände, bevor sich in der Form der Embryoneu
die Verschiedenheiten der Charaktere der Klassen l)emerk-
bar machen. Die Entwickelung muss denniach bei allen in
gleicher Weise moditicirt werden können, woraus gleiche
tcratologische Typen folgen. Die Teratogenie des Huhns
gilt also für alle Wu-belthiere.
Der Embryo besteht zuerst aus lauter gleich werthigen
Zellen, und erst später bilden sich die einzelnen Organe
aus solchen Theileu, welche ihrer allgemeinen Form ent-
sprechen oder, wie Dareste sich ausdrückt, ihren Ver-
richtungen sozusagen zuerst dienen. In gleicher Weise
entstehen nun die terat<dogischen Organe in solchen Zell-
massen, welche in ihrer Form durch irgend eine terato-
gene Ursache modificirt worden sind. Der Anstoss zur
Bildung einer Monstruosität ist also in den ersten Stadien
des embryonalen Lebens zu suchen und lässt sich ent-
weder auf eine Hemmung der Entwickelung oder auf die
Vereinigung ähnlicher Theile zurückführen. Dies war
auch Geoffroy Saint-Hilaire bekannt, al)er die Kenutniss
der embryonalen Entwickelung war nocli zu mangelhaft,
und er konnte daher weder den Zusammenhang verstehen
noch die grosse Verbreitung der von ihm beobachteten
Erscheinungen beurtheilen.
Bei der normalen Entwickelung treten die Organe
in der primären Zellenmasse nach einander auf und
machen bis zu ihrer endgültigen Ausbildung eine Reihe
von Formen durch. Es kann nun der Fall eintreten, dass
ein oder mehrere Organe sich nicht ausbilden, oder, besser
gesagt, dass ihre Ausbildung unterbrochen wird; sie
bleiben also auf einer Zwischenstufe stehen. Dies ist
daran zu erkennen, dass die histologischen Elemente er-
scheinen, bevor das oder die betreflenden Organe ihre
Endgestalt erlangt haben. Es werden also gewisse Em-
bryonalzustände dauernd. Es ist dies eine Erscheinung,
welche sich häufig zeigt und sich sowohl auf den Embryo
selbst, wie auf seine Annexe erstreckt. Zu den letzteren
geh(irt vor allen Anderen das Amnium, das, in seiner Ent-
wickelung gehemmt, kleine oder grössere Partien des
Embryo zusammendrückt und eine ganze Anzahl von
Anomalien erzeugt. Die Entwickelungshemmung des
Embryos oder seiner Annexe ist der Ausgangspunkt der
meisten Monstruositäten.
Liegen in der ersten Lebensperiode zwei ähnliche
Nr. 36.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
:^87
Theile neben einander, so verschmelzen dieselben und
bilden fortan die beiden Hälften nur eines Organes. Es
ist dies der Kall l)ei den meisten Or.nanen, welche in dei'
Mittellinie des Embryos licg-en. Ein gleicher Vorgang
kann aber auch eintreten, wenn hei ancu'inaler Eut-
wickclung zwei ähnliche Theile, die bei normalem Ver-
laufe getrennt bleiben und daher getrennte Organe bilden,
durch irgend eine andere Ursache mit einander in Be-
rührung konnnen und verwachsen. Dies tritt aber bei
Einzelmonstruositätcn nur selten ein und ist stets auf eine
Störung in der Entwickelung zurückzuf(iin-en; es ist aber
stets der Fall bei Zwillings-Monstruositäten, die dadurch
entstehen, dass eine geringere oder grössere Zahl von
Organen zweier Individuen verschmilzt. Diese Zwillings-
nionstruositäten haben sich aber bisher nicht künstlich er-
zeugen lassen, sondern haben ihren Ursprung im Keime,
der zwei Eml)ryonalköri)er enthält, welche im weiteren
Verlaufe der Entwickelung mehr oder minder verwachsen.
Die von vielen Physiologen bisher vertretene Ansicht,
dass Zwillingsmissgestalten durch ])artielle Teilung eines
urs|u-ünglich in der Einheit Norhandcnen Keimes entstehen,
ist nicht richtig, da dieselben dann auch künstlicli erzeugt
werden müssten.
Alle Monstruositäten, einfache wie doppelte, erscheinen
mit allen ihren teratologisehen Cliarakteren schon ganz
früh in Zellpartien, die vorher durch eine teratogene Ur-
sache beeinÜusst worden sind.
Dareste führt für seine Ansicht die folgenden Bei-
spiele an:
Die Spinalspalte, spina bifida, wurde Idsher als eine
pathologische Erscheinung des Embryos angesehen. Die-
selbe stellt einen Zustand der Wirbeisäule dar, bei welchem
der obero Wirbelbogen nicht geschldsscn ist. Man erklärte
ihr Auftreten dadurch, dass eine theilweisc llydropisie
das Rückenmark in seinem hinteren Theile eiweitert habe,
und dadurch der Bogen gesprengt worden sei.
Dareste hat Folgendes gefunden: Durch irgend eine
Ursache kann die Entwickelung der Markröhre in ihrem
hinteren Theile an einem Punkte gehemmt werden, so
dass die Ränder der ursprünglichen Rinne sich nicht be-
rühren, also auch nicht verwachsen können. Sie ver-
knöchern getrennt, der obere Bogen wird nicht gescldossen.
Es wurde dies bei mehreren Huhnembryonen und einmal
bei einem sehr jungen menschlichen Embryo beobachtet.
Die gewöhnlich vorhandene Anschwellung, welche auf
Hydropisie des Markes zurückgeführt wurde, hat mit dem
Marke nichts zu thun; denn sie liegt unter demselben, in
den Hirnhäutehen und wird durch eine Ausannnlung der
eephahi-rachidären Flüssigkeit erzeugt. Sie konnnt also
häufig mit der spina bifida zusammen vor, bedingt dieselbe
aber durchaus nicht.
Bei der Cyclopie liegt in der Mittellinie des Gesichtes
nur ein Auge; zuweilen sind auch zwei dicht beisammen
liegende Augen vorhanden, die entweder eine gemein-
schaftliche Höhle haben, oder in getrennten liegen. Nach
Dareste treten die Anlagen zu den Augen oder besser zu
den retinae in einer Zellpartie der Wände des vorderen
Gehirnbläschens auf, aus welchem sieh später das für die
dritte Kammer bildet. Dieses Bläsehen geht aus einer
Erweiterung des Vorderendes der Markrinne hervor, bleibt
ziemlich lange offen und dehnt sich während dessen mehr
und mehr in die Breite. Man ersieht hieraus, dass die-
jenigen Theile, welche sich zu den retinae nnd)ilden, an-
fangs zu beiden Seiten der Mittellinie neben einander
liegen, in Folge der Ausdehnung in die Breite aber aus-
einanderrücken und endlich an den entgegengesetzten
Enden des Bläschens liegen. Die Rinne schliesst sich
nicht früher, bevor das Bläsehen seine volle Breite erreicht
hat. Schliesst sich nun die Rinne aus irgend einer Ur-
sache zu früh, so bleiben die retinae-Partien nebeneinander
liegen und vereinigen sich; es entsteht also die Anlage
nur eines Auges, welches bald einfach gebaut sein, bald
die Elemente von zweien zeigen kann. Mit dieser Ver-
scimielzung der retinae-Anlageii der Wand des vorderen
Bläschens hängt ein anderer wichtiger anatcmiischer Vor-
gang zusannnen: Es l)ilden sich keine Gehirnhemisphären.
Bei normalem Entwickelungsverlauf nändich tieten zwischen
den auseinanderrückenden retinae an der Bläschen-Wand
zwei Falten auf, welche sich zu einem neuen Bläschen
umldlden, dem Hemisphaerenbläschen, das bei der Cy-
clopie nicht auftreten kann. Häufig trifft man bei den
Cyclopen eine kleine Hervorragung über dem Auge. Die-
selbe stellt den (ieruchsapparat vor. Bei normaler Ent-
wickelung besteht dieser Anfangs aus zwei kleinen vor
den Augen liegenden Grübehen, welche, ähnlich denjenigen
der Fische, nicht mit der Mundhöhle communicircn. Bei
der Cyclopie bedingt nun die Einheit des Auges auch die
Bildung nur einer Rieehhöhle, die nicht mit der Mund-
höhle in Verbindung steht und zuweilen trompetenartig
nach aussen hervortritt. Höchst wahrscheinlich ist die
vorzeitige Schliessung des vorderen Gehirnbläschens nicht
der eigentliche Anfang der Cyclojjic, sondern wird selbst
schon durch eine früher wirkende Ursache bedingt. Als
solche ist der Druck anzusehen, welcher durch den anderen
Theil des in seiner Entwickelung gehennnten Annuums
ausgeübt wird.
Dass das Amnium in Folge totaler oder nur theil-
weiser Hennnung seiner Entwickelung bei dem Entstehen
gewisser Monstruositäten eine grosse Rolle spielt, hat
Dareste an tlen folgenden Beispielen gefunden:
Es gehören hierzu die Exencephalen, bei denen das
Gehirn ganz oder theilweisc ausserhalb des Schädels zn
lieg-en scheint. Bislang glaubte man, dass Hydropisie das
Gehirn erweitert und zur Si)rengung des Schädels gefuhrt
habe ((iehirn-Brüche). Nach Dareste ist die f^xence-
plialie auf folgenden Vorgang zurückzuführen: Wird das
Amnium in seiner Entwickelung gehemmt, so kann der-
jenige Theil der Mend)ran, welcher den Kopf umhüllt und
Gehirnkappe heisst, ganz fehlen oder dem Kopfe des
End)ryos eng aufliegen. Der Kojjf wird alsdann entweder
durch die Eischale oder das Anmium zusannnengedrückt
und hierdurch eine deutliche Umformung des Gehind)läs-
chens hervorgerufen: Seine oberen Partien sind abgeplattet
und ragen allerseits über die darunter befindlichen hinaus,
von denen sie durch eine Furche getrennt werden. Sie
scheinen so ausserhalb des Schädels zu liegen — dies ist
aber nur Schein ; denn in Wirklichkeit umsehliesst der
Schädel auch die hervorstehenden Theile, allerdings nur
als Membran, da eine Verknöcherung nur bis an die Furche
hat fortschreiten können.
Eine Hennnung der Entwickelung in der hinteren
Partie des Amniums bedingt eine Umformung der hinteren
Gliedmaassen des Embryos (Eetromelie). Es können Theile
der Gliedmaassen fehlen; in einem anderen Falle können
dieselben, wenn sie schon ausgebildet sind, nur weiter
wachsen, indem sie von ihrer eigentlichen Richtung ab-
weichen (hierzu gehört der Klumpfnss).
Eine der auft'älligsten Missbildungen der unteren
Gliedmaassen ist die Symelie, bei welcher nur Ein unteres
Glied vorhanden ist, das aber die Elemente beider in
sich vereinigt. Diese Elemente sind daini häufig noch
abweichend angeordnet, die inneren liegen aussen und
umgekehrt; die Ferse liegt vorn, die Zehen hinten. Nach
Dareste wird diese Missbildung dadurch hervorgerufen,
dass die in ihrer Entwickelung gehemmte Sehwanzkappe
beiderseits das normale Wachsthum der Glieder hindert
und dieselben zwingt, sich nach der Rückenseite des Em-
bryos auszudehnen. Dort tretien sie mit ihren äusseren
388
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 36.
Rändern zusammen und verwachsen damit; die ursprünglich
inneren werden so zu äusseren.
Alle diese teratolog-ischen Typen, welche bisher an
Embryonen des Huhnes beobachtet worden sind, kommen
aber auch bei den Säugethiereu und beim Menschen vor.
Mit Omphalocephalie — Nabelbruch des Kopfes —
bezeichnet Darestc folgende Erscheinung: Der mehr oder
weniger verkümmerte Kopf scheint durch die Nabelöflf-
nung herauszutreten, und das Herz liegt nicht an seinem
gewöhnlichen Platze im Rumpfe, sondern nackt auf dem
Rücken des Embryo. Diese Monstruosität ist ferner durch
das nicht seltene Auftreten zweier getrennter Herzen aus-
gezeichnet. Dareste's Untersuchungen haben das nach-
stehende Resultat ergeben : Das Herz bildet sich zu einer
gewissen Zeit des embryonalen Lebens aus der Vereini-
gung zweier Keimzellmembranen, welche in dem Herz-
räume (Erweiterung des Pharynx) zusammentretfen und
verschmelzen. Geschieht letzteres nicht, so entwickeln
sich die Blätter getrennt und es entstehen zwei Herzen.
Diese ursprüngliche Dualität des Herzens wurde schon
1866 von Dareste entdeckt und ist seitdem beim Kanin-
ehen und bei verschiedenen Fischarten beobachtet worden,
so dass man dieselbe wohl bei allen Wirbelthieren vor-
aussetzen darf Das einfache Herz der Omphalocephalen
musste also, wie das der normal sich entwickelnden Em-
bryonen, aus der Verschmelzung der beiden Blätter ent-
stehen. Auf welche Weise vereinigten sie sich aber ge-
rade über dem Kopfe? Auch die Frage hat der Forscher
gelöst: Am dritten und vierten Entwickelungstage ist der
Embryo allerseits von einem lilutgefässnetz umgeben,
welches den ersten Circulationsapparat darstellt und in
einer bes(jnderen Membran, der Gefässlamelle, liegt.
Man glaubte zuerst, dass diese Gefässlamelle von Anbe-
ginn an einen Kreis bilde, dessen einen Durchmesser der
Endjryo einnehme; dies ist jedoch nicht der Fall. Das
vordere Segment des Kreise« fehlt zuerst, und die Lamelle
schneidet vorn nahezu geradlinig ab. Nur in der Mitte be-
findet sich ein kleiner Vorsprung, der Kopf des Embryos.
An jeder Seite des Kopfes entwickelt sich alsdann ein
kleiner Fortsatz, der sich vor und unterhalb desselben
ausdehnt und in der Mittellinie mit dem anderen zu-
sammenstösst und versclunilzt, wodurch der Kreis ge-
schlossen wird. Bei den (»mphalocc|)halen senkt sieh nun
der von einer Entwickelungsstörung betroffene, schluud-
lose Kopf nach unten und tritt in den Zwischenraum ein,
welchen die beiden vorderen Ansätze der Gefässlamelle
anfangs freigelassen haben. Die beiden Herzkeimblätt-
chen, welche gleichzeitig mit den beiden Fortsätzen ent-
stehen, und daher ebenfalls an beiden Kopfseiten liegen,
stossen jetzt über demselben zusammen, nicht, wie tiei
normaler Entwiekelung, unter demselben. Es bildet sich
also nur ein Herz aus, wenn die beiden vorderen Ansätze
der Gefässlamelle verschmelzen, zwei, wenn sie getrennt
bleiben. Bisher ist die Omphahtcephalie nur bei Vögeln
beobachtet worden, noch nie bei Säugethieren oder beim
Menschen, trotzdem gerade deren Teratologie so bekannt
ist. Die Frage, weshalb dies geschieht, ist noch eine
offene.
Einen grossen Theil seiner Versuchsobjecte hat der
Verfasser aufbewahrt und daraus eine, wohl einzig in
der Welt dastehende, Sannnlung gebildet. Leichtere Ano-
malien hervorzubringen, die mit den Lebens- und Fort-
pflanzungsbedingungen vereinbar wären, hat Dareste nicht
versucht, da hierzu die ihm verfügbaren Mittel zu be-
schränkt waren. Als passendes Object für dergleichen
Versuche hält er das Perl-Huhn, das allerdings eine nur
geringe Anzahl Eier producirt. Er hat sich nur mit dem
gewöhnlichen Haushuhn beschäftigt. Wünschenswerth ist
es, dass jüngere Kräfte diese Untersuchungen auf andere
Arten ausdehnen. — Für die Entwickelungsgeschicide der
Thiere, und besonders auch des Menschen sind die Unter-
suchungen des französischen Gelehrten von sehr grosser
Bedeutung, und wir dürfen wohl den Wunsch aussprechen,
dass es dem verdienstvollen Manne noch recht lange ver-
gönnt sein möge, seine Forschungen rüstig weiter zu
führen.
„lieber die Uiigleiclizeitigkeit in der Ersclieiiiung
des Oeschleclites bei Scliiuetterlingeii" iiat Wilhelm
Petersen eine Studie l)ekannt gegeben. (Zool. Jahrb.,
Abth. f Syst. etc., Bd. G, Heft' 5 j Jena 1892, S. 671.)
Sie beruht nicht auf geschlechtlicher Zuchtwahl, auch
nicht auf der bedeutenderen Gr<'isse der Weibchen, sondern
ist durch natürliche Zuchtwahl erworben und dient zur
Verhinderung engerer Inzucht. Wir haben hier ein Ana-
logon zur Dichogamie der Pflanzen. Petersen nennt die
vorliegende Thatsache Dichogeuese und unterscheidet
protandrische und protogynische Arten. Die Protandrie
kommt bei Schmetterlingen vor, deren Weibchen träge
oder gar ungeflügelt sind. Sie locken die Männchen mitDuft-
stoft'en an und die Fühler dieser sind sehr entwickelt.
Die Männchen durchfliegen wild das Revier. Beispiele
sind der Nagelfleck (Aglia tau L.), der Eichenspinner
(Gastropacha quercus L.), Bürstenspinuer (Orgyia) u. a.
Zweitens sind solche Arten protandrisch, welche die Eier in
Klumpen ablegen und deren Raupen sich nicht zerstreuen,
so bei der Kupferglucke (Gastropacha quercifolia L.).
Zerstreuen sich die Raupen, wie z. B. bei dem braunen
Bären (Arctia caja L.), so ist keine Protandrie entstanden.
Drittens erscheinen bei Arten, die ein beschränktes Ge-
biet bewohnen und schlecht fliegen, wie die Bläulinge,
die Männchen vor den Weibchen.
Ueber den fossilen Schlangen-Ciiftzahn, welchen
F. Kinkelin besehrieben iiat (s. „Naturw. Woehenschr."
Bd. 7, S. 486), bemerkt E. D. Cope (Remarks on tlie
comniunication etc., Zool. Anz., No. 393, S. 224), dass
bereits vor 30 Jahren Lartet eine fossile Viper und ihre
Giftzähne beschrieben hat. Auch hat 1880 Cope eine
Crotalide mit charakteristischen Giftzähnen in dem oberen
Miocäu von Kansas entdeckt. Scidiesslich erhebt Cope
Bedenken gegen die Naniengebung Kinkelins, da derselbe
nicht einmal die Zugehörigkeit zu den Viperinen oder
Crotalinen festzustellen im Stande gewesen sei.
M.
Ueber Giftstoffe der Flechten berichtet Professor
Kobert in den „Sitzungsberichten der Naturforscher-Ge-
sellschaft bei der Universität Dorpat" (X. Band, S. 157 ff.).
Die Flechten, welche mancher in ihnen enthaltener Stofte
wegen (z. B. Cetrariu, Lackmus, Lichenin etc.) seit alters
als sogenannte Volksmittel zumal unter den nordischen
Völkern, deren Heimatli besonders reichlich dieselben
hervorbringt, weite Verwendung tinden, gelten l'ür den
Menschen als ungiftig. Nur von wenigen waren über-
haupt scliädliche Stoffe bekannt, so von Cetraria juni-
perina, welche Ludwig als Fuchsgift bezeichnet. Ueber
das Vorkommen von Chrysophansäure in der an alten
Bäumen und trockenen Zäunen häufigen Wandflechte,
Parmelia parietina Ach. (Physcia parictina Körb.), gehen
dieAnsichten auseinander; während seit den Untersuchungen
Nr. 36.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
380
vt)n Roclileder und Held ihr Vorhandensein allgenicin in
der Wandflechte anj;ci;eben und auch durch Prof. Zojjf in
Halle liestätigt wird, hat Kohert dieselbe nicht darin
nachzuweisen vermocht, sondern nur eine nahestehende
andere Säure. Stein in Frankfurt giebt Krysopikrin in
der Parmelia parietina an, einen Stoff, welchen Bolley
für Vuli)iusäure erklärt hat. Da letztere nur nach einigen
Autoren giftig sein soll, so hat Prof. Robert sich speeiell
mit ihr und ihrem Vorkonniien in Flechten beschäftigt
und ist dabei zu einer Reihe ganz neuer, wichtiger Re-
sultate gelangt. Hauptsächlich findet die Vulpinsäure
sieh in dem sogenannten Wolfsmoos, Parmelia vulpina
Ach. (Everina vulpina Ach., = Cetraria vulpina ^ Liehen
vulpinus L.), welches l)esonders auf den Arven der Ost-
und Westalpen und im Kjölengebirge Skandinaviens all-
gemein verbreitet ist. Sie wurde von Bebert 1831 zuerst
darin nachgewiesen und seitdem von vielen Forschern
näher untersucht. Die gefundenen Mengen schwanken
al)er ganz bedeutend (nach Möller und Strecker in nor-
dischen Exemplaren bis 12 "/„; nach Si)iegel in solchen
von Ponteresina 1,5 7oi Kobcrt sell)st konnte in Ijaltischen
Exemplaren nicht einmal Spuren nachweisen) und sind
vielleicht von dem Standorte der Pflanze und ihrem je-
weiligen Entwieklungsstadiuni abhängig.
K. wurde um so mehr zu seineu Untersuchungen ge-
drängt, als er die Vulpinsäure C'H'^O'' in letzter In-
stanz als ein Derivat der Oxalsäure ansieht und nach ihm
diese letztere, ihre löslichen Salze, sowie alle uns zugängigen
Derivate derselben, wie Oxalursäure, Oxamid und Oxa-
CO
minsäure giftig sind, .sobald sie die Gruppe i enthalten.
1_/D
I
Ihre Wirkungen erinnern an die des freien CO, des
Kohlenoxydes. Die bereits von Guibourt hervorgehobene
irritirende Wirkung der pulverisirten Flechte auf Schleim-
häute kommt auch der pulverisirten Säure (gelbe Nadeln oder
monokline Crystalle) zu, sowie Lösungen derselben und
ihrer Salze. Das schnellere Absterben von Elementaror-
ganismen in solchen Lösungen, von isolirtenFrosehmuskeln,
(in 8 Stunden bei Concentration von 1 : 4000), des am
William'seheu Apparate arbeitenden Herzens (in 1 Stunde
bei Concentration von 1 : G600; in l'/o Stunden bei Con-
centration von 1:13 000) lassen die Vulpinsäure als ein
Protoplasmagift erkennen. Auch bei den lebenden Thieren
zeigten sich schnell und sieher ihre giftigen Wirkungen:
Frösche, selbst grosse Exemplare, wurden durch als
Natronsalz verabreichte Dosen von 4 mg Säure getödtet,
und Warmblüther Hessen die Wirkungen des Giftes er-
kennen, ob ihnen dasselbe als Natronsalz innerlich ge-
geben oder als Injcction subcutan oder intravenös bei-
gebracht worden war. Am cmptindlichsten erwiesen sich
Katzen, bei denen pro kg innerlich 30 mg und intravenös
innerlicii 25 mg tödtlieh wirkten; am unempfindlichsten
dagegen waren die Igel, welche Dosen von 121 mg pro
kg Körpergewicht überstanden. Die Symptome der Ver-
giftung bestanden namentlich bei Katzen in Erbrechen,
Zuckungen, vermehrtem Blutdruck, Athennioth, Lähmungen
etc. Das Blut der Leichen hatte seine Gerinnbarkeit
beinahe ganz eingebüsst, bei Kaninchen Hessen sieh im
secernirenden Nierenparenchym unter dem Mikroskop
amorphe oder halbkrystallinische Massen von vulpinsaurem
Kalk nachweisen. Sowohl die synthetisch als auch die
aus dem sogenannten Wolfsraoos dargestellte Vuli)insäure
brachten diese Wirkungen hervor, welche denen der
Oxalsäure und ihrer Salze sehr ähnlich sind. Das Vor-
handensein der Vulpinsäure konnte sowohl im Blute als
auch im Harn der Versuchsthiere nachgewiesen werden.
Auch mit der von Prof. Zopf in Halle aus der Ce-
traria pinastri dargestellten Pinastrinsäure hat K. Ver-
suche angestellt, welche gleichfalls deren Giftigkeit er-
geben haben. Die Wirkungen, welche an Fröschen beob-
achtet werden konnten, waren ebenso heftig, wie bei der
Vulpinsäure, und auch die Anwesenheit von Pinastrin-
säure Hess sieh auf dieselbe Weise feststellen, ^vie bei
jener. Vielleicht handelt es sich auch bei der von Ludwig
als Fuciisgift bezeichneten, der eben genannten Art ausser-
ordentlich ähnlichen Cetraria juniperina der baltischen
Provinzen um Pinastrinsäure.
Nachweis von Paraffin und von Scliiuieröl in
dem Dnickdestillat des Fisclithraus. (C. Engler und
L. Fischer, D. Chem. Ges. Ber. lH<yd, 1449). -Gegen
die Theorie, dass die Bildung des Petroleums durch die
Zersetzung thieriseher Stoffe bedingt sei, war verschiedent-
lich geltend gemacht worden, dass die für ersteres ty-
pischen Paraffine und Schmieröle in den im Laboratorium
erhaltenen Druckdcstillaten niemals aufzufinden seien.
Den Verfassern ist nun unter Beihülfe der Winterkälte die
Isolirung festen crystallinischen Paraffins und durch geeig-
nete Behandlung diejenige von sogen. Schmierölen aus
dem Druckdestillat von Fisclithran gelungen.
lieber das neue (^necksilberthernionieter für Tem-
peraturen bis 550° (1. (Max von Peeklinghausen,
D. Chem. Ges. Ber. 18'J3, 1514.) — Durch Benutzung einer
besonders vorzüglichen Glassorte und durch Erzeugung
von Druck im Capillarrohr, durch Einführung comprimirter
Kohlensäure in den oberen Theil desselben ist es seit
Kurzem gelungen, Glas- Quecksilberthermometer herzu-
stellen, welche Temperaturen bis zu 5.50° zu messen ge-
statten. Auf Veranlassung von V. Jleyer hat Reckling-
hausen die Brauchbarkeit dieses Instruments durch eine
Anzahl von Versuchen festgestellt.
lieber eini!a:e AniUde und Toluide, welche in
zwei Modificationen auftreten. (('. A. Bisehoff und
P. Waiden, D. Chem. Ges. Ber. 1893, 1461.) — Nach
der Hantzsch-Werner's(H)en Hypothese wären von gewissen
Aniliden je zwei Modificationen, entsprechend den Typen
X : C . Y X ■ C • Y
tl "H.l II
CeH.-N N-CH,
zu erwarten, doch ist die Auffindung derartiger Isomerie-
fälle bisher nicht geglückt. Die Verfasser sind nun durch
Einwirkung von Phosphorpentaehlorid auf die Anilide und
Toluide der Milchsäure zu Derivaten der Brenztrauben-
säure gelangt, welche durch Auflösen in Alkali und Wieder-
ausfällen durch Säuren eine eigenthümliehc Umlagerung
in eine zweite isomere Modification erleiden. Desmotropic
erscheint ausgeschlossen, dagegen ist nach einem vorläu-
figen Versuch zur Moleculargewichts-Bestinnnung Polymerie
wahrscheinlich. Der in Aussieht gestellten näheren Unter-
suchung darf man mit Interesse entgegensehen. Sp.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden cniannt: An der Kgl. Prouss. Geologischen Lauiles-
anstalt und Bergakmlcniic in Bi'rlin: dor Bezirksgeologe Dr. Tli.
Ebert zum Liiudespi.'ol(i>;on und der HiltsKOologH T)r. Ernst
Zimmermann zum Bczirksgeologen. — Der ( )rnitiiol(ip;e Dr. med.
Paul Leverkiihn in Miinclien zum Dirrotor di'r wi.s.senschat't-
lichen Sammlungen und der Bibliothek des Fürston Ferdinand von
Bulgarien in Sofia. — Der Unterbibliothekar Dr. Pa u 1 S e h wen k e
zum Bibliothekar der Königliclien Universitäts-Bibliothek in Königs-
berg. — Dr. Dunbar in Giessen zum Leiter des hygienischen
Institutes in Hamburg. — Dr. Moeller, Privatdocent der Botanik
au der Universität üreit'swakl, zum l'nit'essor. — Der Professor
390
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 36.
E. P. Mall zum Lehrer der Anatomie an der John-Hopkins-Univor-
sität (Baltimore).
Professor Dr. Johannes Gad vom physiologischen Institut
der Universität Berlin begiebt sich mit Urlaub auf 1 Jahr nach
Cleveland. Ohio, um den physiologischen Unterricht an der dortigen
Universität zu organisiren. — Dr. V. Schiffner, Privatdocent
an der deutschen Universität Prag, geht auf 10 Monate nach
Buitenzorg (Java), um daselbst wissenschaftliche Forschungen an-
zustellen.
Es sind gestorben: DerKönigl.Oberbergamtsmarkscheider a. D.
Bergrath Moritz Kliver in Saarbrücken, der sich um die Er-
forschung der stratigraphischen Verhältnisse des kohleul'ührenden
Saar-Rhein-Gebietos verdient gemacht hat, daselbst. — Der Königl.
Hofgärtner Ferdinand Ludwig Ters check, der letzte Spross
einer um die Entwickelung des Gartenbaues liochverdienten Familie,
in Dresden. — Dr. Henri Viallanes, Director der zoologischen
Station Arcachon.
Der nach Utrecht einberufene Astronomisoh.e Congress ist
mit Rücksicht auf die drohende Choleragefahr verschoben worden.
Die unter Dr. Fr. Benecke's Leitung stehende Versuchs-
station für Zuckerrohrcultur „Midden-Java" ist laut Beschluss
der PHanzer aufgelöst worden.
Freisaufgabe betreffend die Entdeckung des Ansteckungs-
stoffes bei der Maul- \uid Klauenseuche. — Im Auftrage des Herrn
Ministers für Landwirthschaft, Domänen und Forsten schreibt die
Königliche Technische Deputation für das Veterinärwesen folgende
Preisaufgabe aus:
Der Stoft', durch welchen die Ansteckung bei der Maul- und
Klauenseuche vermittelt wird, ist bis jetzt unbekannt. Es wird
nunmehr ein Preis von 3000 Mk. für die Entdeckung desselben
ausgesetzt. Der Bewerber hat die Aufgabe, nicht nur den ge-
suchten Stoff unter Anwendung der für derartige Untersuchungen
gebräuchlichen, eventuell neuer Methoden zu ermitteln und ihn
womöglich zu isoliren, sondern auch die Wirksamkeit desselben
durch entscheidende Thierversuche zu erweisen.
Der schriftlichen Darlegung sind die nöthigen Beläge, wie
mikroskopische Präparate, Culturen, Versuchsprotokolle u. s. w.
beizufügen.
Vor Krtheilung des Preises hat der Bewerber eine etwa
erforderliche Demonstration der beweisenden Experimente vor
einer von der genannten Deputation zu wählenden Commission
zu geben.
Die Bewerbungsschriften sind bis zum 30. Juni 1894 an die
Königliche Technische Deputation für das Veterinärwesen im
Ministerium für Landwirthschaft, Domänen und Forsten zu Berlin
einzureichen. DieVerkündung desUrtlieils erfolgt am I.Januar 1895.
Jede Bewerbungsschrift muss leserlich geschrieben und in
deutscher Sprache abgefasst sein. Sie ist mit einem Motto zu
versehen und dieses auf dem versiegelten Briefumschlage, welcher
den Namen und die Adresse des Verfassers enthält, aussen zu
wiederholen.
Preisaufgaben aus der Hodgkins - Stiftung. Mr. Th. G"
Hodgkins aus Setauket, N. Y.. überwies im October 1891 der
Smithsonian Institution in Washington eine bedeutende Summe,
deren Einkünfte zum Theil „für die Vermehrung und Verbreitung
e.xacteren Wissens in Bezug auf die Natur und die Eigenschaften
der atmosphärischen Luft im Zusammenhange mit der Wohlfahrt
der Menschen" zu verwenden sind.
Die Smithsonian Institution hat jetzt folgende Preise aus-
gesetzt:
1. Einen Preis von 10 000 Dollar für eine Abhandlung, welche
irgend eine neue und wichtige Entdeckung in Bezug auf die Natur
oder die Eigenschaften der atmosphärischen Luft enthält. Diese
Eigenschaften können in ihrer Beziehung zu einer oder allen von
den einschlägigen Wissenschaften betrachtet sein, — z. B. nicht
allein in Bezug auf Meteorologie, sondern auch auf Hygiene oder
irgend einen Zweig des biologischen oder physikalischen Wissens.
2. Einen Preis von 2000 Dollar für die beste Abhandlung
a) über die bekannten Eigenschaften der atmosphärischen
Luft, in ihren Beziehungen zu allen Zweigen der Naturwissen-
schaft, und über die Wichtigkeit des Studiums der Atmosphäre
angesichts dieser Beziehungen;
b) über die beste Kiclitung für künftige Studien in Zusammen-
hang mit den Lücken unseres Wissens von der atmosphärischen
Luft und der Verknüpfung dieses Wissens mit anderen Wissen-
schaften.
Die Abhandlung soll den Zweck verfolgen, den geeignetsten
Weg zu zeigen, um bei der weiteren Verwaltung der Hodgkins-
Schenkung werthvoUe Ergebnisse zu erzielen.
3. Einen Preis von 1000 Dollar für die beste populäre Schrift
über atmosphärische Luft, ihre Eigenschaften und Beziehungen
(einschliesslich jener zur Hygiene). Diese Schrift braucht nicht
mehr als 20 000 Worte zu umfassen und muss in leicht verständ-
licher Sprache geschrieben sein.
I. Es wird eine goldene Denkmünze gestiftet unter dem Namen
„The Hodgkins Medal of the Smithsonian-Institution", welche alle
1 bis 2 Jahre ertheilt werden wird für wichtige Beiträge zu uuserm
Wissen über die Eigenschaften der atmosphärischen Luft oder für
praktische Anwendung des vorhandenen Wissens über diese zur
Wohlfahrt des Menschengeschlechts.
Die Abhandlungen müssen in englischer, deutscher, französi-
scher oder italienischer Sprache geschrieben sein und dem Secrctär
der „Smithsonian-Institution" bis 1. Juli 1894 (für Preis 1 bis zum
31. December 1894) eingesandt werden.
Ausserdem können Originaluntersuchungen von Specialisten
über atmosphärische Luft durch Geldbewilligungen unterstützt
werden. Gesuche in dieser Richtung müssen von der Em|)fehlung
seitens einer der bekannten gelehrten Körperschaften begleitet sein.
L i 1 1 e r a t u r.
Prof. August Weismann, Das Keimplasma. Eine Theorie der
Vererbung. Mit 24 Te.xt- Abbildungen. Gustav Fischer. Jena
1892. — Preis 12 M.
Das umfangreiche Buch (es umfasst 628 S.) fasst die Weis-
mann'sche Theorie der Vererbung erschöpfend zusammen. Nach
einer Einleitung, welche Geschichtliches bringt und den Begriff
der Vererbung erläutert, werden die materiellen Grundlagen der
Vererbungserscheinungen besprochen. Sodann geht der Verf. ein
auf die Vererbung bei oinelterlicher und bei geschlechtlicher Fort-
pflanzung. Das „4. Buch" ist überschrieben „Die Abänderung der
Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel". Den Schluss bildet
eine Zusammenfassung und ein ausführliches Register.
A. B. Frank, Lehrbuch der Botanik. Nach dem gegenwärtigen
Stand der Wissenschaft bearbeitet. Zweiter Band: Allge-
meine und specielle Morphologie. Mit 417 Abbildungen
in Holzschnitt. Nebst einem Sach- und Pflanzennamen-Register
zum I. und II. Band. Leipzig 1893. Verlag von W. Engelmann.
— Preis 15 M.
Dem im vorigen Jahre erschienenen 1. Bande des früheren
Sachs 'sehen Lehrbuches der Botanik, welcher nach seiner Neu-
bearbeitung durch Professor Dr. A. B. Frank in der jetzigen
Form die Zellenlehre, Anatomie und Physiologie umfasst (vergl.
„Naturw. Wochenschr." 1892, Bd. VII, S. 499), ist nunmehr in
gleicher Vorzüglichkeit der II. Band gefolgt, mit welchem das
Werk seinen Abschluss gefunden.
Dieser vorliegende IL Band behandelt die Allgemeine und
specielle Morphologie, welche durch 417 beigefügte gute Abbil-
dungen im Holzschnitt trefflich erläutert wird.
Am Schluss des Werkes finden wir sodann ein sehr ausführ-
liches und musterhaft bearbeitetes Sach- und Pflanzennamenregister
sowohl zu dem früher erschienenen 1. als auch dem 2. Bande,
welche für den Gebrauch und die schnelle Orientirung in dem
ziemlich umfangreichen Werke von grosser Wichtigkeit sind.
Was die Behandlung des Stoffes im Einzelnen anlangt, so
wird in dem 4. Buche die Allgemeine Morphologie (Unterschei-
dung der Gestalten im Pflanzenreiche, Wachsthumsrichtungen,
Allgemeine Stellungsgesetze der Glieder des Pflanzenkörpers) be-
handelt. Das 5. Buch von S. 55—380 umfasst die specielle
Morphologie der Systematik und zwar zunächst der Thallo-
phyten mit den Unterabtheilungen Myxomycetes, Schizophyten,
Peridineae, Diatoniaceae, Algae und Fungi. Zweitens die Arche-
goniaten mit den Unterabiheilungen Muscinei und Pteridophyta
und drittens von S. 234 — 380 die Phanerogamen mit den beiden
Unterabtheilungen Gymnospermae und Angiospermae (Monocotyle-
doneae, Dicotyledoneae). Bei der Unterabtheilung Angiospermae
werden im 1. Capitel die Vegetationsorgane (Vegetationsformen,
Stamm- und Blattoildung, Metamorphose der Blattbildung, Spross-
folge, metamorphe Stengel- und Blattformen, Wurzelbildung, vege-
tative Vermehrungsorgane, Gewebebilduug und Eruährungsverhält-
nisse), im 2. Capitel die Fortpflanzungsorgane (Blüthenstand und
Blüthe) mit ihren einzelnen Theilen sehr eingehend besprochen.
Ferner befinden sich auch hier im zweiten Bande, wie in dem
früheren ersten, unter den einzelnen Capiteln zahlreiche Litteratur-
augaben, wodurch der Werth dieses sch(m an und für sich vor-
züglichen, ausführlichen Lehrbuches der Botanik noch sehr erhöht
wird. Das Werk wird sich sicherlich zu den alten Freunden noch
viele neue erwerben. Dr. R. Otto.
Nr. 36.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
391
Prof. Eduard Strasburger, Histologische Beiträge. Heft IV:
1) Ufbe-r das V it iiul tc ii des Pullrns und clie Hefrucli-
t u iiss V orgiingü ln'i ilon Gy in imn jinin lui.
l') S c li wiirinsporen, (Jitmeteii, ji t'l anz 1 iche S puiina to-
zoidon und das Wesen der Befruchtung.
Mit 3 litliographischon Tafeln. Gustav Fischer in Jena IS9:J. —
Preis 7 M.
In der ersten Abhandlung bestätigt Veif. im Wesentliclien
diu Untersuchungen Belajett"s ül)er denselben Gegenstand, dass
nämlich auch bei den Gymnospermen e))enso wie bei den Angio-
spermen, die kleineren aus dem Pollenkoru hervorgehenden
Zeilen die generativen und die grosse Zelle die vegetative ist.
Das Hauptresultat der 2. Abhandlung ist, dass bei dem Bo-
fruchtungsprocess nicht der Kern allein, sondern auch die Centro-
Sphären und das Kinoplasma betheiligt sind.
Hippolyt Haas, Aus der Sturm- und Drangperiode der £rde.
Krster Theil. Verlag des Vereins der Uiielierfreiinde (Seliall
u. Grund). Berlin 1893. — Preis 4 Mk.
DieseSkizzen aus derEntwickelungsgeschiehte unseres Planeten
sind Muster populärer Darstellung. Der Verf. besitzt in hohem
Maasse die Gabe, trotz aller Wissenschaftliehkeit doch gemein-
verständlich zu schreiben. In leichter, gefälliger, vielfach auch
poetischer Form werden die wichtigsten Ergebnisse der geologi-
schen Forschung vorgetragen, so dass hier eine zugleich lehr-
reiche und unterhaltende Leetüre geboten wird.
In der Einleitung schildert Verf. die Entstehung des Weltalls
und der Erde. Es werden nacheinander die Ansichten von Plinius,
der Brahmanen, von Leibniz, Büti'on und Kant dai-gelegt; alsdann
wird die Kant-Laplace'sche Theorie eingehend gewürdigt und da-
bei die Beweise für die Kichtigkeit derselben, sowie die ver-
schiedenen Ansichten über den jetzigen Zustand des Erdinnern
mitgetheilt.
Der erste Abschnitt: „Aus der Esse Vulcans", schildert zu-
nächst die Entwickehmg unserer Kenntniss der Vulcane, sodann
die Entstehungsbedingungen der Feuerberge, sowie die verschie-
denen Formen, welche dieselben annehmen können, unter besonderer
Berücksichtigung von Vesuv und Aetna. Namentlich dieser Theil
des Werkes ist mit zahlreichen, erläuternden Abbildungen ver-
sehen. Hieran schliesst sich die Schilderung der Thätigkeit der
Vulcane: Vorboten, Anfang, Höhe und Abnahme der Eruption,
die Beschaft'enheit der Lava und der E.xhalationen, der Fumarolen,
Solfataren und Motetten. Dem Ausbruche des Vesuv im December
](i31 und der Geschichte der Insel Ferdinandea, ihres Erscheinens
und Wiederverschwindens im Jahre 1831, ist ein besonderes Capitel
in diesem Abschnitte gewidmet. Alsdann geht Verf. zur Schilde-
rung der Reihen- und Gru]ipenvulcane, zur Vertheilung der er-
loschenen und thätigen Vulcane Europas, des Vulcangürtels um
die Oceane über und schildert im Schluss-Ca|)itel die Ursachen
der vulcanischen Erscheinungen, insbesondere die Rolle, welche
das flüssige und gasförmige Wasser hierbei spielt. „Alles spricht
für das Vorhandensein eines gemeinsamen Feueroceans in der
Tiefe unseres Planeten", doch lassen sich nach Reyer die vulcani-
schen Erscheinungen mit der Voraussetzung eines starren Erd-
körpers in Einklang bringen.
Der zweite Abschnitt: „Etwas vom Bau-Material unserer Erde
und den hauptsächlichsten Kräften, welche dasselbe bilden und
wieder zerstören", belehrt uns zuerst über den Begriff des Ge-
steins, sowie die Klintheilung der Felsarten und beschreibt Vor-
kommen und Arten der massigen Gesteine, und zwar der vulcani-
schen oder Ergussgesteine, sowie der plutonischen oder Tiefenge-
steine und der Ganggesteine. — Die letzten vier C'a)iitel behandeln
die Thätigkeit des Wassers auf der Erde: Kreislauf, chemische
Thätigkeit, Verwitterungserscheinungen, Auflösung, Einsturzbeben,
Tropfsteinbildung, sodann die (.,»uellen, Thermen, Geysire, Salsen
oder Schlannnvulcane, ferner Fluss und Meerwa.^ser und deren Ab-
sjltze, die sedimentfiren Gesteine, endlich die Gletscher, ihre Ent-
stehung, Beschaffenheit und geologische Arbeit, das Inlandeis
Grönlands und die Erosionsarbeit der ililuvialen Gletscher.
Es ist zu hotten, dass der zweite Band dieses trett'lichen
Werkes, welcher die Entwickelungsgeschichto der Erde behandeln
wird, bald erschenit. P. Knuth,
Prof. Pr. Carl Arnold, Repetitorium der Chemie. .Mit besonderer
Berück.siclitigun;; der für die Medicin niiditigen \'erbindungeii,
sowie des „Arzneibuches für das Deutsche Reicli," namentlich
zum (iebrauche für Meilicinur und Pharmaceulen. b. vcrb. und
ergänzte Aufl. Leopold Voss. Hamburg und Leipzig 1803. —
Preis 6 M
Die 1. Aufl. des guten Buches ist erst vor 9 Jahren (1884)
erschienen.
Gegenüber der vorletzten 4. Aufl., die erst vor l'/z Jahren
erschien, haben ilie Arzneimittel eine etwas grössere Berück-
sichtigung gefunden. In einem Anhange sind die Beschlüsse der
Genfer internationalen Conferenz zur Reform der chemischen
Nomenklatur enthalten. Auch sonst finden sich überall Ver-
besserungen, und in jeder Beziehung sind die neuesten Errungen-
schaften berücksichtigt.
Mach's Grundriss der Physik für die höheren Schulen des
Deutschen Reiches bearbeitet von l)r. Feril. H.irburdt lunl
Max Fischer. I. Theil. Vorbereitender Lehrgang. Au.sgabe
für das Gymnasium. Mit 3(l6 Abbildungen. G. Frevtag.
Leipzig 1893. — Preis geb. 2 Mk.
Der vorliegende (irundriss ist eine Bearbeitung des vorzüg-
lichen „Grundriss der Naturlehre" Mach's im Anschluss an die
Lehrpläno für die höheren Schulen des Deutschen Reichs und
unter Berücksichtigung der preussischen Lehrpläne von 1891. Der
Grundriss ist wohl der beste, den Referent kennt. Nach Mach's
Vorgang werden durchaus und wir möchten sagen einzig richtig
erst die Erscheinungen, ilann das Gesetz bespi-ochen. „Theorien
und Hypothesen kommen erst dann zur Sprache, wenn ein Be-
dürfniss für dieselben fühlbar wird."
Hans Januschke, Der Aetherdruck als einheitliche Naturkraft.
(Beilage zum XX Jahresbericht d. k. k. Staats-Gberrealschule
in Teschen.) Teschen.
Der Verfasser sucht in der vorliegenden Schrift einen Bei-
trag zur Lehre von der Einheit der Naturkräfte zu geben. Die
Grundannahmen, von denen er ausgeht, sind eine Verallgemeine-
rung der MaxweH'schen Theorie der elektrischen Verschiebung.
Die Aetheratome und die Körperatome werden als cartesische
Aetherwirbel von verschiedener Grösse angenommen, deren Centri-
fugalkraft die Elasticität entwickelt. Kräfte werden durch Aether-
verschiebungen geweckt. Die kinetische Energie hat als Träger
die Körpermasse, die potentielle den Aether. Die Schwerkraft
wird durch eine bei der Bildung der Körper entstandene Aether-
verschiebung erklärt, ähnlich wie eine solche auch durch elek-
trische Ladung eines Körpers bewirkt werde. Alle Gesetz« der
Physik sucht der Verfasser aus diesen Grundanschauunuen liiM-aus
durch mathemathische Entwickelungen abzuleiten. Trotz der
strengen Darstellung seiner Gedankenreihen bleiben aber doch
einem Neuling gar viele Vorstellungen des Autors unklar und es
wird durch die Kürze der erläuternden Auseinandersetzungen die
Bildung eines Urtheils über die Zulässigkeit der geistvollen Hypo-
thesen erheblich erschwert. F. Kbr.
Joöl, Privatdoc. Dr. Karl, Die Zukunft der Philosophie. Basel.
0,80 M.
Krümmel, Prof. Dr. Otto, Geophysikalische' Beobachtungen der
l'lankt(in-Ex])eilifif)n. 10 M.
Luerssen, Prof. Dr. Chr., Grundziigi' der Botanik .'i. .VuH.
S M.
Schiflfner, Dr. "Vict., Ueber exotische llepalicae, liauptsä(ddich
aus Java, Auiboina und Brasilien. Halle a. S. ].j M.
Sieger, Dr. Rob., Po.sfglaciale Uferlinien d' s Bodensees Lindau.
11,80 M.
Simony, Ho&. eni. Prof. Dr. Frdr., Das Daclistein^-ebii't. Wien.
14 M.
B e r i c h t i [j II 11 (j.
In No. 34 muss es auf Seite oiW (^^■il|lelnl Womit, Ethik.
Erster Abschnitt, letzte Zeile) statt Militarismus — U til i tar ism us
heissen.
Inhalt
llt: Zur Physiologie der Fortpflanzung von A'aucheria sessilis. — C'aniille Dareste: Experimi'Utal-Teratogenie. — Die Un-
gleichzeitigkeit in der Erscheinung des Geschlechtes bei Schmetterlingen, — Ueber dini fossilen Schlaugen-Üiftzalin. — Ueber
Giftstoffe der Flechten. — Nachweis von Paraffin und Schmieröl in dem Druckdestillat des Fischthrans. — Ueber das neue
Quecksilberthermometer für Temperaturen bis 550° C. — Ueber einige Anilide und Toluide, welche in zwei Modificationen
auftreten. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. - Litteratur: Prof. August Weismann: Das Keimplasma. Kine Theorie
der Vererbung. — A. B. Frank: Lehrbuch der Botanik. — Prof. Eduard Strasburger: Histologische Beiträge. —
Hippolyt Haas: Aus der Sturm- und Drangperiode der Erde. — Prof. Dr. Carl Arnold: Repetitorium der Chemie. -
Mach s Grundriss der Physik für die höheren Schulen des Deutschen Reiches. — Hans Januschke: Der Aetherdruck als
einheitliche Naturkraft. — Berichtigung.
392
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 3ß.
Dr. F.^Krantz,
Rheinisclies Mineralien- Contor.
Verlag geognostlscher Reliefkarten.
Geschaftsgrüiulung ISICi. BoPll ü. Rh. lieschäftgrüiulung 183J.
In meineüi Verlage sind erscliienen ;
1. Geognostische Reliefkarte der Umgegend von Coblenz
auf «rundlage des Messtischblattes der topographisclien Landesaulnalime
nnd geognostiscben üearbeituni? von E. Kayser; modellirt von Ur. Fr. Vogel
Maassstab 1 : i'5,i-iuu (vierfaehe Ueberhcihiing.) In elegantem schwarzen
Ilolzrahmen M. 45. — .
2. Geognostische Reliefkarte des Harzgebirges
auf firnndlage der .\nliagen'schen topographischen Karte inid der geo-
gnostischen Uebersichtskarte von K. A. I.ossen; modelUrt von Dr. K. Bnsi.
Maassstab 1: Kiu.oOn (.achtfache Ueberhohung.) In eleg. Holzrahmen M. IbO.—.
3 Gegnostisctae Reliefkarte vom Kaiserstuhl i./B.
auf (inindlaae der topographischen Landesaulnahme und der geognostischen
Karte von A.Knop (Leipzig Ts^2:; modellirt von Dr. Fr. Vogel. Maass-
"'">> 1:25 DUO (vierfache Ueberhöhung.) In elegantem schwarzen Holz-
' rahmen M. TtO. — .
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Verantwortlicher Redakteur: I. V. Dr. F. Kaunhowen, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für drn Inserat enthe^l: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: ü. Bernstein, Berlin bW. 1^
/^^- ^-^ Redaktion: ( Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 10. »September 1893.
Nr. 37.
Abonnement : Man abonnirt bei allen liuchhantllungeu und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeld bei der Post l.i 4 extra.
ij- Inserate: Die viergespalteue Petitzeile 40 .A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbiu*eaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollstän«li|»;er Quellenangabe gestattet.
Neuere Untersuchungen über das diluviale Torflager bei Klinge unweit Kottbus.
Nacli den Verüffeutlkliungcn von IL Creduer, K. Keilliack, A. Nohriug, IL Potuuie,
F. Wahnschaffe, C. A. Wclier und A. Weberbauer.
Im Anscilluss an die in der „Naturwissenschaftliclien
Wochenschrift" ül)cr das von Prot". A. Nehring' verdienst-
lich der Wissenschaft ersclilossene ililuviale Klinger Torf-
lager erschienenen Mittheilungen*) soll im Nachstehenden
über die
tersuchung-en
richtet
In
Sitzung-
sehen
scheu
Schaft
1892
Keilhack
Grund einer
neueren
be-
werden.
der Mai-
der deut-
geologi-
Gesell-
im Jahre
K.
auf
in
diesen Gegenstand betreffenden Un-
von nordischem Geschiebesand überlagert wird.
Während das diluviale Alter der Sehichteiifolge nicht zu
bezweifeln ist, hält es Keilhack bei dem Mangel an Grund-
moränen vor der Hand für unentschieden, ob das Torf-
lager den interglacialeu oder den altdiluvialen Schichten
zuzurechnen ist.
Die von A. Neh-
ring hieran ge-
knüpften Bemer-
Deoksand
gab
kuiigen enthalten
eine
fassung
Gemeinschaft mit
H. S c h r ö d c r
ausgeführten Be-
siehtiguiigeine ta-
bellarische Ueber-
sicht der Klinger
Schichten, welche
in den beiden
der Eisenbahn
zunächst gelege-
nen Gruben auf-
geschlossen sind.
Ausser der Neuauffindung eines Süsswasserkalkbänkchens
mit Fischschuppen, Valvatcndeckeln und Cliaia- Oosporen
im Liegenden des Lebertorfes (Nehring's Schicht 7) wurde
festgestellt, dass der dortige Schichtencomplex von dilu-
vialem grandigen Sand mit Feldspath unterteuft und
Figur 1.
*) Bd. VII, S. 31, 234, 451, 5-20.
Zusammen-
der von
ihm bereits in der
„Nat. Wochen-
schrift" und in
den Sitzungsbe-
richten derGesell-
schaft naturfor-
sch enderFreuude
zu Berlin ver-
öffentlichten Re-
sultate.
Das diese Mit-
tlieilungen ent-
haltende Heft der
Zeitschrift der
deutschen geolo-
gischen Gesellschaft war noch nicht erschienen, als
II. Grediicr den Klinger Thongruhen einen zweitägigen
Besuch abstattete und die Ergebnisse desselben für die
Berichte der math.-phys. Classe der Königl. Sachs. Gesell-
schaft der Wissenschaften 1892 niederschrieb. Von der
Ansicht ausgehend, dass die in jenen Schichten vor-
baudencu organischen Reste untauglich seien, um die
Unterer
Thunmergel
394
Natuvwissenschaftlicbe Wochensclirift.
Nr. 37
Frage zu entscbeideu, ob sie und die sie bergenden
Lagerstätten der präglacialeu oder einer interglacialen
Zeit entstammten, versnobte er eine Altersbestimmung
auf stratigrapbisebem Wege unter Berüciisicbtigung der
Lagerungs- und Verbandsverbältnisse anszufübren. An
der Hand des beigefügten, von Hrn. Creduer uns gütigst
zur Verfügung gestellten Protiics Fig. 1 aus dem südlieben
Tbeile der Sebulz'scben Tbongrube suebte er naebzu-
weisen, dass die von den .Steilwänden in terrassen-
förmigem Abbau angeschnittenen Diluvialscdiiebten vom
rein geologiscben Standpunkte aus in zwei Stufen zer-
fallen, von denen die untere drei Horizonte entbält.
Untere Stufe (Klinger Sebicbten):
u. th. = unterer Tbonmergel; t =^ Torfflötz, zu uutcrst
Lebertorf; o. <A. ^ oberer Tbonmergel, zu unterst mit
dünnen Lagen von Torf, im nördlieben Tbeile des Tage-
baues zu Oberst mit einer wolkig begrenzten hnmosen bis
torfigen Einlagerung.
Obere Stufe:
Unterlage
diseordant alj-
(h. = Deeksand. Seine
schneidend. Sowohl der
Decksand als auch der
im Liegenden auftretende
Grand f/r. enthalten nor-
disches und einbeimisches,
von Süden her staunnen-
des Material. Creduer
wendet sich zunächst
gegen die Nehriug'sche
Auffassung, dass der von
jenem als „Geschiebe-
sand" bezeichnete Deck-
sand, als ein Prodnct der
Schmelzwasser der letzten
Eiszeit zu betrachten sei.
Gegen diese Thatsache
scheint ihm der Umstand
zu sprechen, dass der
Decksaud aus weiter Entfernung stammende südliche Ge-
schiebe führt. Ferner hat das Vorkommen von Drei-
kantern in demselben keinerlei Beweiskraft für die Zuge-
Figur 2.
Profil in dem zur neuen Dominial-Tliongrube bei Klinge hinabführenden Einschnitt.
gr = saudiger Grand, local mit Nestern von grobem, kiesigen (Jrand; th = Thon-
mergel, ds = Decksand, stellenweise mit kiesiger Steinsohle, Seh = Schienengelelse.
biliscbe Massen anhäuften und Trübtheile der Hochwasser
absetzten.
Da die Ausbreitung des Decksandes, welcher den
Grand und die mit ihm in Wechsellagerung stehenden
Klinger Schichten diseordant überlagert, nach Credner's
Ansicht sich nicht durch einen zweiten Verstoss des Inland-
eises erklären lässt, so bietet sicli nach ihm kein Anhalts-
punkt, um auf stratigrai)bisclicni Wege die interglaciale
Stellung des dortigen Torflagers beweisen zu kiiunen.
In den Bemerkungen, welche A. Ne bring zu der
Credner'scben Arbeit in der Sitzung der Gesellschaft
naturforschender Freunde am 15. November 1892 machte,
gab er zunächst eine Definition der von Creduer nicht im
üblichen Sinne gebrauchten Begriffe „interglacial" und
„postglacial", die auf solche Ablagerungen anzuwenden
sind, welche einerseits während der Interglacialzeit, an-
dererseits nach der zweiten Eiszeit Mitteleuropas ent-
standen sind. Sodann trat Nehriug der Credner'scben
Ansicht entgegen, dass das untere Torfflötz zusammeu-
gescbüemmt worden sei. Seiner Auffassung nacii ist es
ein primäres Torflager.
In völliger Uebereinstiramung mit den Nehring'schen
Ausführungen befinden
sich die Mittheilungen,
welche F.W a h n s c h a f f e
auf Grund einer Besichti-
gung der Aufschlüsse in
der Sitzung der genannten
Gesellschaft am 20. De-
cember vortrug. Für die
primäre Beschaffenheit
des unteren Torfflölzes
scheinen ihm folgende
Umstände zu sprechen:
1. Das untere Torf-
flötz stellt sowohl in
seinem oberen.
'IW
hörigkeit zu
irgend
einem Formationse-liede , sondern
bekundet uns die Thatsache, dass die betreifenden Ge-
schiebe längere Zeit hindurcli äoliscber Einwirkung aus-
gesetzt gewesen sind. Die wellenförmigen Lagerungs-
verhältnisse des unteren Tbones und des Torfflötzcs sind
nicht, wie Nehring verniutbet, durch den Druck des sieb
vorschiebenden Binnenland-Eises der zweiten Eiszeit ver-
ursacht worden, sondern werden einfach durch die Con-
figuration des Untergrundes Ijedingt.
Auf Grund der Beobachtungen, w^elcbe Credner in
der etwas weiter östlich gelegenen neuen Dominial-Tlion-
grube angestellt bat, aus welcher das nebenstehende Profil
(Figur 2) abgebildet wurde, folgert er, dass die Klinger
Schichten durch auskeilende Wechsellagerung mit den
fluviatileu Diluvialsanden und -granden in engster Ver-
knüpfung stehen und deshalb mit dem obersten Horizonte
derselben gleicbalterig sein müssen. Diese Grande der
Hochfläche zwischen Spree und Neisse bei Kottbus stellen
nach ihm wabrscbeinHch die nördliche Fortsetzung der
Lausitzer Eandfaeies
Altdiluviums
und sollen
des Aitcliluviums vor
demnach dem durch fluviatile Beisteuer und Umlagerung
modificirten Abschmelzfelde der ersten und ausgedehn-
testen Eisinvasion Norddeutscblands angehören. Die in
langgestreckten schmalen Mulden vorkommenden Klinger
Schichten werden als versumpfte Flussarme anfgefasst, in
denen sich durch Strömungen angeschwemmte vegeta-
koblig-
torfigen, als auch in
seinemunteren, aus Leber-
tort bestehenden Tbeile
eine in den verschiedensten Niveaux vollkommen gleich-
massig entwickelte Schicht dar, welche keine Spuren
von grandigen, sandigen oder thonigen Zwischenlagerungen
entbält, was man doch erwarten sollte, falls die Fragmente
von Holzgcwäcbsen hier durch strömendes Wasser zu-
sammengeschwemmt wären.
2. In dem obersten Theile dieses Torfflötzes sab er
einen senkrecht stehenden Baumstu mpf mit deutlich
entwickelter Pfahlwurzel und gut erhaltenen Nebenwurzeln,
von einem Baume herrührend, der oflenbar an dieser
Stelle auf dem Moor gewachsen sein muss. Es stimmt diese
Beobachtung mit den Aussagen des Herrn Ziegelmeisters
Kayser überein, der häufig derartige aufrecht stehende
Baumstümpfe gesehen bat.
3. Der Erhaltungszustand der im Torf vorkommen-
den Blätter, Früchte und Holztheile ist, wie auch Nebring
mehrfach hervorgehoben hat, ein so vortreft lieber, dass an
einen meilenwciten Transport derselben in strömendem
Wasser nicht gedacht werden kann.
Es finden sich im Hangenden des oberen Thonflötzes
aus nordischem und südlichem Material bestehende Sande,
die zum Decksand gerechnet werden müssen, und wenn
ihre Gescbieliefübrung auch gerade innerhalb des Gruben-
gebietes nur unbedeutend ist, so siebt man doch in nächster
Nachbarschaft auf den Feldern und in dem Kiefernwäld-
ehen westlich von der Sebulz'scben Grube eine grosse
Zahl nordischer Blöcke. Sie sind entweder der Rückstand
eines durch strömendes Wasser aufbereiteten, durch das
Inlandeis abgelagerten Gescbiebemergels, oder sie sind
Nr. 37.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
395
von dem etwas weiter nördlicii liegenden Inlandeisrande
der zweiten Kiszeit durch Drift auf Eishlöcken dorthin
getragen worden. Für die letztere Annahme scheint der
Umstand zu sprechen, dass unter dem zum Tlieil ge-
schichteten Decksandc in den obersten Partien des oberen
Thonfliitzes, sowie auch des unteren Tortflötzes, wo das-
selbe, wie am südlichen Eingange in die Schulz'sche Grube,
nahe an die Obcrfliiche tritt und unmittelbar vom Deck-
sandc überlagert wird, eigenthümliche Htauchungen der
Schichten sich linden, die völlig der „concorted drift" ent-
sprechen und auf die Wirkung aufrenuender oder am
Boden schleifender Eisblöeke zurückgeführt worden sind.
Auch H. l'otonic glaubt sich und zwar auf Grunil
der Florula, die sich bisher in dem (unteren) TorfH(itz
gefunden hat, und deren verhältnissmässig gute Erhaltung
er ebenfalls an ( )rt und Stelle
constatiren konnte*), auf die
Wahn-
müssen.
Sitzung
irschen-
Uni dem Leser während des Studiums der Potonie-
schen Beschreibung sofort eine betpieme Vergleiehung mit
den Diagnosen Nehring's und Zenker 's zu ermöglichen,
giebt er die auf (4ruud seiner Ansichten und Untersuchung
über die Organe und Organtheile der beiden Folliculites-
Arten angewendeten Termini — soweit sie von denen der
beiden genannten Autoren abweichen — mit Beifügung
der Termini Nehring's (N.) und Zenker's (Z.) in der fol-
genden Weise:
1. Exocarp (von N. und Z. nicht constatirt).
2. Endocarp (Iniichtsehale N. — Hüllenparenchym,
Cortex, Epicarpium Z. — ).
3. Aussentiäche des Endocarps (Aussenfläche der
N. — Aeusserste Haut, Überhaut,
Fruclnsehale
Epidermis Z,
-)•
Seite Nehring's und
schaffe's stellen zu
In der letztgenannten
der Gesellschaft iinturfi
der Freunde vom 20. Dezember
1892 machte er niunlich darauf
aufmerksam, dass die von
Nehring in der „Naturwissen-
schaftlichen Wochenschr.-' VII,
S. 454 u. 456 abgebildeten
und als Paradoxocarpus cari-
uatus bezeichneten eigenthüm-
lichen „wurstförmigen" Früchte
zu einer schon von Zenker 1833
b eschricl)enen m i 1 1 e 1 1 e r t i -
ären, wohl ausgesttu'benen
Gattung gehören: zu Folli-
culites.
Da die erste ausführliche
Beschreibung des wichtigen
diluvialen Fossils 1. e. in der
„Naturw. Wochenschrift" er-
schienen ist, wollen wir als
Ergänzung dieser Beschreibung
hier näher auf die Untersuch-
ungen Potouie's eingehen.
P. giebt zunächst eine Be-
schreibung der Reste der Zen-
ker'schen, Art des Folliculitcs
Kalteunordheimensis — ti u. 10
in Fig. 3 — , die ersterer u. A.
von einer Anzahl mitteltertiärer
Fundinnikte zwischen der Rhön
und dem Fichtelgebirge, unter diesen auch von dem Fund-
punkt Kalten-Nordhcim Itei Meiningen und von mehreren
Tertiär-Fundorten der Wetterau untersucht hat. Man er-
sieht aus dieser Beschreibung, dass zwischen den Resten
des Paradoxocarpus und des Folliculites eine noch weit
grössere üebereinstimmung herrseht , als sie aus den
Diagnosen Nehring's und Zenker's hervorgeht. Es ergiebt
sieh, dass der Paradoxocarpus carinatus eine Folliculites- Art
ist, die zwar ausserordentlich hohe Verwandtschaft mit dem
Folliculites Kaltennordheimensis besitzt, aber als besondere
Art, also als Folliculites carinatus bestehen bleiben muss.
Eine einigermaassen den Botaniker befriedigende aus-
reichende Besehreibung und eingehendere Untersuchung
des Folliculites Kaltennordheimensis ist trotz der
eai'
call
Figur 3.
1— .5 Folliculites carinatus (Nehring) Potonle. — 1 Vier Früchte
resti. rutaniina iji natürlicher Grösse, 2—.') in ,, 2 u. 3 von der S'jite kg-
seht-n, 4 die klatleude CVarina nach vorn gezeichnet, 5 das Innere einer
Putanien - Hälfte. — (i— lu Follicnlites Kaltennordheimensis
Zenker. — i; Vier Früchte rcsp. Pntauiina in natürl. Gr., 7 n. S von der
Seite, it die klaffende Carina nach vorn gezeichnet, lo das Innere einer
Piitamen Hälfte. In allen Figuren hedeuteu ex = E.xocarp, «b = En-
docarp, / — Leiste, Carina, can — Caual des Pntamens, n — Narbe am
proximalen Ende des Putamens, ( = Testa, car = Caruncula.
dem Thüringer Wald
keit des Fossils in der
Weise nicht zu finden.
'•anzen Litteratur
Häufig-
raerkwürdiger
*) Er hat dort im
Abtheilung der Köiiigl.
sammliim^en fremaeht
Interesse der pflanzenpalaeontologisclien
Preuss. geologischen Landesanstalt Auf-
4. Testa, Sanienhaut
([dünnhäutiger resp. häutiger]
Sack oder Säckehen, Samen-
schale N. — [Zarte, durch-
scheinende] Membran, Sanien-
decke, Arillus Z. — ).
5. Caruncula (Hütchen N.
— Von Z. nicht constatirt resp.
übersehen).
Folliculites Kalteunordhei-
mensis ist wahrscheinlich eine
Frucht und kein Früchtchen.
Die Länge der Früchte beträgt
im Durchschnitt gegen 8 mm
oder etwas darüber oder dar-
unter, die Breite gegen 4 mm
oder etwas mehr oder weniger;
ihre Gestalt ist im Ganzen
ellipsoidigch-eiförmig bis cylin-
drisch, jedoch nicht vollkonimeu
sticlrund, sondern schwach zu-
sammengedrückt.
Die Fruehtwandung, das
Pericarp, sondert sich in
zwei Schichten, in eine äussere,
wie es scheint mehr lederige,
die P. als Exocarp, und in
eine innere holzfeste, aus
Sklerenchym bestehende, die
P. als Endocarp aufführt.
Die Frucht ist daher als
eine Drupa, Steinfrucht, zu
bezeichnen.
Die Epidermis des Exo-
carps ist schwach glänzend und glatt; jedoch sieht man
die Aussenfläche des Exocarjis an manchen Exemplaren,
die dasselbe noch in voller Integrität besitzen, von starken,
unregelmässigen Längsfurcheu durchzogen, die aber ver-
muthlieh durch nachträgliche Schrumpfung zu Staude
gekommen sind.
Der Steinkern, das Putamen, der Frucht ist gerade,
seltener mehr oder weniger sichelförmig gekrümmt, die
Gestalt ist dieselbe wie die der ganzen Frucht: sie neigt
zur cylindrischen. Der Querschnitt ist gewöhnlich mehr
elliptisch als krcisf(irmig. Die eine der beiden von der
grossen Ellipsen-Achse getroffeneu Längslinieu des Endo-
carps, und zwar, wenn der Steinkern gekrümmt ist, meist
die convex gebogene Linie, tritt mehr oder minder deut-
lich gekielt, leistcnftirmig-verschniälcrt, als Carina hervor,
zuweilen förmlicli eine Schneide bildend; hier ist das
Länge nach aufgesprungen; zuweilen
in 2 Klappen auseinander. In manchen
also auch das Endocarp an der der
Endocarp oft der
fällt es vollständiü-
Fällen
Leiste
zeigt
sich
gegenüberliegenden
Längslinie
aufklaft'end, in
396
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 37.
noch anderen endlich sind die beiden Endocarp-Hälften
vollständig von einander g-etrenut. Das Endocarp ist unter-
halb der Carina — genau wie oft bei recentcn Drupen
an der homologen Stelle auch — wescntlicli dickwandiger
als unter der der Carina gegenüber befindlichen Längs-
linie und wird parallel der äussersteu Kante der Carina
von einem feineu Canal durchzogen, in welchem sicher-
lich, entsprechend den Verhältnissen bei den reeenten
Steinkernen der Drupen — Fig. 4 — ein Leitbündcl ver-
lief, und zwar war in den untersuchten Fällen der Zwischen-
raum zwischen der Aussentläche des Putanicns und dem
Canal geringer, als der Zwischenraum zwischen dem Canal
und der Innenfläche des l'utamens. Der Canal beginnt
an der Narbe, also am proximalen Pol, und mündet am
distalen Pol in das Innere des Endocar])S-, natürlich ist
die Mündungsstelle in das Innere die Stelle, wo der Samen
angesessen hat, also ist hier die Placenta zu suchen.
Meist erscheint die erhaltene Testa mitsammt der Carun-
cula etwas in den Hohlraum des Putamens hinabgerückt.
In manchen Fällen kann man aber noch das Ansitzen
der Caruncula au der inneren Einmündungs-
stelle des Leitbüudel - Canais eonstatiren.
Der in Rede stehende Canal markirt
sich an der homologen Stelle bei recentcn
Drupen ebenfalls deutlich und auffällig
(z. B. bei der Pflaume, dem Pfirsich u. s. w.).
Der dem distalen Ende entsprechende
Pol ist abgerundet, der proximale Pul an
der Ausgangsstelle des die Putauienwandung
durchziehenden Leitbündelcanals nar])en-
förmig-rauh gestaltet, genau ebenso wie
an der homologen Stelle der recentcn
Putamina, wo die Ansatzstelle des Frucht-
stieles wie eine echte Blattnarbe erscheint.
Die Aussentläche des Endocarps ist mit
gewöhnlich deutlichen, stärkeren punkt- oder
kurz-strichförmigen , unregelmässigen Er-
habenheiten besetzt, die im (»anzen in Läugs-
zeilen stehend, den Steinkern als mit Läugs-
runzeln und Grübchen verschen erscheinen
lassen, ebenso wie bei reeenten Steinkernen,
fläche des Endocarps ist glatt und glänzend.
Von dem Samen ist nur die begreiflicher Weise meist
etwas versehrumpfte hellglänzende, durchscheinende Testa
und am „distalen-' Pol derselben — in manchen Fällen
ausserordentlich deutlich — das „schwarze Hütchen" Neh-
ring's übrig geblieben.
Die Testa, oder besser das, was von der Samenhaut
übrig geblieben ist, wird aus einer einzigen Lage dünn-
wandiger, gestreckt-parenchymatischer Zellen zusammen-
gesetzt, deren Wandungen sich oft corrodirt zeigen, so
dass sie ein perlschnurartiges Aussehen haben. Stellen-
weise sind die senkrecht auf der Ansscuflächc stehenden
Wandungen ganz verschwunden, und dann sieht man nur
eine homogene gelblich -braune Fläche: die erhaltene
Cuticula des Samens. Mit der Franz Schulze'schen Ma-
cerationsflüssigkcit behandelt, also mit chlorsaurem Kalium
in Salpetersäure, schwinden auch noch die letzten ßeste
der corrodirten Memljrauen, und es bleibt nur die Samen-
Cuticula übrig.
Das „Hütchen" hat etwa die Gestalt einer plau-con-
vexen Linse oder besser eines
hutes, es sitzt ausserhalb der
und gar der unter
des
das
den
eaiv
Figur 4.
Die eine Läugs-Hälfte des Stcin-
kenies vom Pfirsich (Prunus
Persica (L) Sieb et Zuce.) in ]•
71 = iiarben förmige Stelle am
proximalen Ende, can = der
durch das Endocarp an der
Leisteuseite {l) verlaufende ein
Leitbündel enthaltende Canal.
Die Innen-
Gestalt ganz
sehr dickwandigen Tiroler-
glei cht
Testa,
dem Namen
in der
Caruncula
bekannten Wucherung mancher Samen unserer reeenten
Pflanzen — so zeigen eine ganze Anzahl Euphorbiaceen-
Samen und die Samen von Melampyrnm die Carun-
cula von derselben Gestalt wie das
Folliculites — , und so ist denn die
„Hütchen" von
Deutung
dieses
Hütchens bei Folliculites als Caruncula fast selbstver-
ständlich.
P. hat die Caruncula bei einigen einheimischen Eu-
phorbia-Arten untersucht und findet sie gebildet aus einem
interstitienlosen, kleinzellig-parenchymatischen, mehr oder
minder dickwandigen bis coilenchymatischcn Gewebe, das
in concentrirter Schwefelsäure sich erst, aber nicht voll-
ständig, nach mehreren Stunden löst, während die inner-
halb der Testa befindlichen Gewebepartieu mit concentrirter
Schwefelsäure lieliandelf, in kürzester Frist vollständig
verschwinden. Wir dürfen wohl daraus schlicssen, dass
sich eine solche Caruncula vorkommendenfalls fossil besser
erhalten würde, als die inneren Bestandtheile der Testa,
und diese Erwägung unterstützt die Auffassung des „Hüt-
chens" als Caruncula, des „Säckehens" als Testa, als Haut
des verschwundenen Embryos resp. Endosperms + Em-
bryos, gewiss nicht gering.
P.ehandelt man die Caruncula des Folliculites mit
Schulze 'scher Macerations-Flüssigkeit, so hellt sie sicii auf
und lässt ein undeutliches Gewebe von dem Charakter
der von P. angesehenen Carunculae bei Eu-
phorbia erkennen. Man gewinnt u. a. die
Ueberzengung, dass das Kandgewebe
Caruncula -Hutes dickwandiger ist als
übrige Gewebe: genau cltenso wie an
untersuchten reeenten Carunculis.
Folliculites earinatus — 1 bis 5 in Fig. 3
— gleicht in anatomischer Beziehung dem
Folliculites Kaltennordheimcnsis ganz unge-
mein; so erscheinen z. B. die Wände der
Testa-Zellen in genau derselben Weise cor-
rodirt wie bei Folliculites Kaltennordhei-
mcnsis u. s. w.
Folliculites earinatus unterscheidet sich
von Folliculites Kaltennordheimensis nur
durch gewöhnlich schlankeren Bau,
durch zartere Oberflächenstractur des
dünnwandigeren Endocarps und durch
ein nicht so deutlich entwickeltes
kopfförmiges Anhängsel am proxi-
wo sich oft nur eine rauhe Stelle von
ganz entsprechend wie bei den
reeenten Steinkernen (der Amyg-
daleen, Drupaceen). Jedoch finden sich unter den Exem-
plaren des Folliculites earinatus auch solche, die gedrun-
generen Bau, eine etwas rauhere Oberflächenbeschafi'enheit
des Endocarps und deutliche Anhängsel am proximalen
Pol zeigen. Das Exocarp scheint bei Folliculites earinatus
noch seltener erhalten zu sein als bei Folliculites Kalteu-
nordlieimeusis.
Eine sichere Mittelform zwischen dem Folliculites
Kaltennordheimensis und dem Folliculites earinatus bildet
der Folliculites des (unter -diluvialen) Cromer Forest- bed
in England.
Danach dürfen wir wohl bis auf Weiteres annehmen,
dass sich von dem typischen Folliculites Kaltennord-
heimensis aus dem Jlitteltertiär bis zum typischen Folli-
culites earinatus die Mittelformen in den Schichten zwischen
den beiden genannten Horizonten befinden, dass der Folli-
culites Kaltcnuordlicimensis einer Pflanzenart angehört hat,
welche als der directe Vorfahre der Art, zu der der Folli-
culites earinatus gehört, anzusehen ist. Wir haben es
mit dem interessanten Fall einer phylogenetischen
Formenreihe zu thun, aus der bis jetzt 3 Mutatio-
nen bekannt geworden sind.
Bei den vergeblichen Bemühungen, welche die Be-
stimmung der Sternkerne des Folliculites earinatus vielen
erfahrenen Systcinatikern bisher gemacht hat, denen eine
Unterbringung unter eine noch lebende Art oder Gattung,
m
ilen Pol,
Narbenform findet,
proximalen Enden bei
Nr. 37.
Natnrwissenscliaftlichc Wochenschrift.
397
ja sogar FamiUe bisher nicht gelungen ist, ist es wohl
bis auf Weiteres annehmbar, dass unsere Reste einer Art
angeh(iren, die zur Diluvialzeit ausgestorben ist. Da aber
das Vorkounneu einer Oaruneula auf bestimmte Gattungen
beschränkt ist, so giebt die Constatirung dieses Organes
bei der fossilen Gattung Folliculites einen Fingerzeig,
wo die ^'crwandtschaft derselben zu suchen ist.
'rrotzdeni das Kndocarp der beiden Folliculites-Arten
oft aufgesprungen ist, sind sie doch nicht als „Folliculi"
anzusehen. Es sind Drupen, cinsamige Sehliess- Früchte,
deren Putamina, Steinkerne, sich der Regel nach erst
beim Keimen lilngs der Nähte öffneten, oder auch dann,
wenn sie überreif durch langes Liegen, wie unsere Fossilien,
durch äussere Agenticn angegriffen wurden, wie wir das
liei rccenten Drupen kennen.
Da Folliculites carinatus ausgestorben zu sein scheint,
weist diese Art wegen ihrer ungemein hohen Verwandt-
schaft mit Folliculites Kaltennordhcimensis ins Tertiäre
und da auch von der ausgestorbenen Gratopleura helvetica
Wel)cr ( vergl. „Nat. Wochenschr." Bd. VII S. 454 Fig. 6—9)
des Klinger Torfes bei ihrer nahen Verwandtschaft ndt
lloloplcura Victoria Caspary, die ebenfalls im Tertiär
vorkounnt — eine Verwandtschaft, die derartig ist, dass
r. dieGattungCratopleura zu Holopleura einziehen möchte —
dasselbe zu sagen ist, so wird schon deshalb der Fflanzen-
))aläontologe geneigt sein, die K linger Schichten eher
in die unteren oder mittleren Horizonte des Di-
luviums zu stellen, um so mehr, als die Gesammtflora
des Klinger Torfes für eine solche Auffassung keine Wider-
sprüche bietet.
Wie wir in unserer heutigen Flora Nord-
deutschlands Reliefe aus der Eiszeit antreffen*),
so finden wir im Dihniuni Reliefe aus der Tertiär-
zeit: denn als solche glaubt also P. bis auf Wei-
teres die beiden Arten Folliculites carinatus und
Cratopleura helvetica im Torf von Klinge auf-
fassen zu müssen.
Ueber die systenuitische Zugehfirigkeit des Folliculites
Kaltennordhcimensis und des Folliculites carinatus hat
dann H. Potonie in der Sitzung der Gesellschaft naturf.
Freunde vom 21. Februar 1893 eine Mittheilung gemacht.
Er versucht, die Berechtigung, die Fcdlieulites-Frttchte
als solche von Anacardiaeeen anzusehen, zu begründen.
Schon in seiner vorgenannten ersten Arbeit (Ges. nat.
Fr., 1892, S. 208) giebt er an. dass die fJonstatirung einer
Caruncula bei Folliculites einen Fingerzeig gebe, wo die
Verwandtschaft der Gattung zu suchen sei. „Ich würde
— sagte er damals — demnach zuerst die Gattungen der
Euphorbiaceen, Polygala, Melampyrum u. a. Gattungen,
die sich eben durch den Besitz einer Caruncula aus-
zeichnen, in Vergleich ziehen." Berücksichtigen wir die
Stellung der Anacardiaeeen zu den Familien der genannten
Gattungen, wenn wir von den weit abstehenden synijietalen
Scrophulariaceen mit Melampyrum absehen, so sehen wir
z. B. nach der Gruppirung Engler's, dass die drei in Rede
stehenden Familien nicht gar zu fern von einander unter-
gebracht sind, indem die Polygalaceen und Euphorbiaceen
zusammen in die 1.5. Reihe Gerauiales und die Anacar-
diaeeen in die Kl. Reihe Sapiudales gestellt werden.
Es ist im höchsten Grade beachtenswerth, dassPistacia-
Arten — die ja zu den Anacardiaeeen gehören — im
Tertiär angegeben werden. A. Schenk, der bekanntlieh
Vergleiche fossiler Reste mit recenten Gattungen nur mit
grösster Vorsicht als berechtigt anerkennt, stellt das Vor-
kommen der Gattung Pistacia im Tertiär und Quartär
zusammen, indem er sich über die Verbreitung dieser
*) Vergl. H. Potonio, Illustrirte Flora von Nord- und Mittel-
Deutschland mit einer Einführung in die Botanik. 4. Aufl. Ver-
lag von Julius Si)ringer. Berlin 188'J, S. 38.
Gattung u. a. dahin äussert, dass es ohne Zweifel die mit
dem Eintritt der Glacialperiode eintretenden Aenderuugen
gewesen seien, welche die Gattung in ihre heutige Nord-
grenze einengten. Auf den Hrdien von Greuoble kommen
übrigens auch noch heute Pistacia Terebinthus L. vor, die
„einen Theil ihres früheren Gebietes wieder erobert haben
mag". Auch Folliculites carinatus mag — falls das Torf-
moor zu Klinge in der That interglacial ist — nach dem
Verschwinden während der ersten Eisbedeckung wieder
nördlichere Grenzen gewonnen haben. Pistacia 'l'crebinthus
s))eciel], die kleine kugelige Früchte besitzt, ist nach der
Meinung Planchon's die Stammart von Pistacia vera. Der
Kenner der Anacardiaeeen, Herr Prof. Engler, schildert
in den natürlichen Pflanzenfamilieu die Früchte von Pistacia
als Steinfrüchte von schief-eiförmiger Gestalt, mehr oder
weniger zusammengedrückt, mit dünnem Exocarp und
hartem einsamigen Endocarp und die zusammen-
gedrückten Samen als mit dünner Schale versehen. Diese
wenigen Angaben passen trefflich zu Folliculites, und be-
rücksichtig,-en wir ferner, dass Rudolph Ludwig frucht-
stand-ähnliche Anhäufungen von Folliculites Kaltennord-
hcimensis abbildet, die zu Pistacia resp. Anacardiaeeen
passen könnten, da in Ludwig-'s J'igixr die Früchte ährig
an Achsen ansitzen, so erhellt, dass ein Vergleich von
Folliculites- mit Anacardiaceen-Früchten der näheren Prü-
fung durchaus werth ist.
P. hat sich daher mit den Früchten von Pistacia
näher beschäftigt und zunächst einmal den von Herrn
Prof. Ascherson' („Naturw. Wochenschr." VII S. 58— 59)
angegebenen „mächtigen Funiculus" näher angesehen.
Dieser ist nun aber — wie 1. c. bereits angegeben wurde —
nichts anderes als die „Caruncula" bei der Gattung Folli-
culites, und auch in allen übrigen Punkten stinnnt Folli-
culites mit den Pistacitn- Früchten überraschend überein.
Die trockenen Früchte von Pistacia vera mit ihrem
eingeschrumpften, dünnen, ledrigen Exocarp sind etwas
un.synnnetrisch-ellipsoidisch- eiförmig, mehr oder minder
seiflich sehwach zusammengedrückt, am proximalen Ende
al)gerundct, am distalen spitz. Ihre Länge beträgt etwas
mehr oder weniger als 2 cm. Meist löst sich das Exocarp,
wie das auch bei dem seltenen Vorhandensein desselben
bei Folliculites gewesen sein muss, ausserordentlich leicht
und in allen seinen Theilen ohne Weiteres von dem
Putamen ab. Diese Erscheinung erklärt sich durch das
Vorhandensein eines von den Autoren unterschiedenen
dünnen, zuletzt eintrocknenden Mcsocariis, das an den
trockenen Früchten kaum mehr constatirbar ist, und das
sich begreiflicher Weise an den mehr oder nnnder ver-
kohlten Folliculites-Früchten — falls es vorhanden war —
nicht mehr ernireu lässt, wie überhaupt das Exocarp von
Folliculites sich wegen seiner Erhaltung für eine anatomi-
sche Untersuchung unzugänglich gezeigt hat. Das Putamen
von Pistacia vera ist aueli am Gipfel ai)gerundet und
trägt dort eine sehr kleine aufgesetzte Spitze; die Aussen-
fläche ist glatt, so dass also von Folliculites Kaltennord-
hcimensis durch Folliculites carinatus bis Pistacia vera
die rauhe Oberflächenbcschaft'enheit abninnut und endlich
verschwindet. Alte und gut gereifte Pistacia- Früchte
trennen sich in ganz entsprechender Weise wie Folliculites
mit grosser Leichtigkeit wie Balgfrüchte (Folliculi) und
Leguminosen-Hülsen in zwei symmetrische Hälften; offen-
bar springen sie bei der Keimung wie Folliculi auf. Das
Endocarp ist verhältnissmässig dümiwandig und besteht
aus knochig - sclerenchymatischem Gewebe. Die Durcli-
trittsstelle des Leitbündels zum Samen befindet sich natür-
lich am proxinmlcu Ende, wo er jedoch auch in das
Innere mündet. Hier constatiren wir also die erste wesent-
liche Abweichung von Folliculites, bei welcher Gattung
ja der Leitbündelcanal durch die Putamenwandung bis
398
Natnrwisscnscliaftliclie Wochenschrift.
Nr. 37.
zum distalen Ende verläuft und erst dort in das Innere
mündet. Diese Tliatsache erscliüttert aber die Berechti-
gung, Foiliculites als Anacardiacec anzugeben, nicht im
Geringsten, da die Placenta der Anacardiaceen- Früchte
je nach der Gattung bald grundständig ist, wie bei Pistaeia
und Rhus, bald gii)t'elständig, wie bei Sehinus, und in
anderen Fällen Mitteilagen einninnnt.
Der Funieulus von l'istacia vera erweitert sich zwischen
dem Samen und dem Endocarp zu einem einen bedeuten-
den Kaum einnehmenden kreis- bis elliiitisch- eiförmigen,
bis 7 mm breiten Oaruncula-Gebilde, von Hacher, schUssel-
förmiger bis etwas kalmförniigcr Gestalt. P. legt Gewicht
darauf, dass auch, z. B. von Eichler und anderen Autoren,
bei Anaeardiaccen-Friichten der Terminus „Oaruncula" An-
wendung tiudet. Die Oaruncula reicht bis zur Mitte der
Frucht hinauf, wo auch der Samen dem Funieulus ansitzt:
die Anheftungsstellc des Samens befindet sich also am
Gipfel der „Oaruncula", respectivc, um es anders aus-
zudrücken, natürlich an der Spitze des Hach-schüssel- bis
kahnforniig verbreiteten Funieulus. Es lässt sich nicht
entscheiden, ob auch bei Foiliculites die Ansatzstelle des
Samens an der Oaruncula die gleiche ist. Der das Pistacia-
Endocarp vollständig ausfüllende Samen, ebenso wie es
von Foiliculites angcnonmien werden muss, ist von einer
dünnen Testa bekleidet. Es ist wohl eigentlich kaum
nöthig, ausdrücklich zu betonen, dass die Caruni'ula und
die Testa bei Pistaeia weit resistenzfähiger sind äusseren
Agentien gegenüber, als das Gewebe des Embryo; mit
Sehulze'scher Macerationsflüssigkeit und Säuren behandelt,
lässt sich das schnell constatiren. Wie bei Foiliculites
würde also bei Pistaeia bei der Fossilisation der Embryo
zuerst verschwinden.
Als Resultat des Vergleichs ist also zu sagen: alle
bei Foiliculites coustatirbaren Daten passen mit den-
jenigen, die wir an recenten Anacardiaceen-Früchten finden,
zusammen; kein einziger Punkt bietet einen Widerspruch.
Da wir ferner von dem Bau von Foiliculites für fossile
Früchte jetzt verhältnissraässig viel wissen, so liegt kein
Grund vor — so lange eben kein Widerspruch aufgedeckt
wird, was wohl nur durch günstigere Funde zu erwarten
wäre, oder bevor nicht ein noch ])assenderes Vergleichs-
object gefunden wird — diese Gattung nicht als Anacar-
diacec oder doch als vermuthlich zu dieser Familie gehörig
anzusehen. Nur wenn noch eine Familie oder Gattung
angegelten wird, bei denen die Vergleichspunkte ebenso auf-
fällig übereinstimmen wie zwischen Anacardiaceen-Früch-
ten und Foiliculites, wird die vorgeschlagene Unterbringung
der Früchte zweifelhafter; so lange das aber nicht ge-
schieht, dürfen oder besser müssen wir Foiliculites als höchst
wahrsclicinlich zu den Anacardiaceen gehörig ansehen.
Eine ausführlichere und zusammenfassende Arbeit über
die beiden Follieulites-Arten hat Potonie unter Beigabe
von 2 Tafeln im „Neuen Jahrbuch für Mineralogie etc."
(Stuttgart 1893, Bd. II, S. 86—113 Tafel V und VI) ge-
liefert. Der Tafel V dieser Abhandlung sind die hier
in Fig. 3 gebotenen Abbildungen entnommen, Tafel VI
bringt die anatomischen Details.
No. 40 des „Beiblattes zu den Botanischen Jahr-
büchern" von Engler (Leipzig 1893) bringt eine Arbeit
von 0. A. Weber, in der er sich über die diluviale
Vegetation von Klinge und über ihre Herkunft äussert.
Auf Grund seiner Beobachtungen ergiebt sich zunächst
die allgemeine Tliatsache, dass die Vegetation von der
achten bis zu der fünften klingischen Schicht*) zusammen-
hängend ist, dass in der vierten Schicht eine auffällige
Unterbrechung erfolgt und dass der Detritus in der dritten
wieder eine ziemlich reichhaltige Vegetation enthält.
*) Die Zahlen beziehen sich auf Nehrint^'s Classification der
Schiebten in der „Naturw. Wochenschr." Bil^ VII, No. 4, S. 31.
Die Vegetation der unteren vier Schiebten lässt deut-
lich iln-cn Entwickelungsgang erkennen. Das Gewässer,
das den unteren Thonmergel absetzte, hatte anfänglich
an seinen Ufern gar keine oder nur eine armselige Vege-
tation. Allmählich erschienen Kiefern, wahrscheinlich
gleieiizeitig mit ihnen die weniger reichlich Pollen er-
zeugenden 15irken und Espen, und ferner I\loose nebst
Oypcraceen. Höher liinauf treten diese Pflanzen reich-
licher auf, es gesellen sich Fichten, Haseln, Hainbuchen,
Eichen, Weiden, Farne nebst zaldreichen Sumpf- und
Wasserpflanzen zu ihnen. Die reichste Entfaltung zeigt
diese Flora in dem untersten Theile der sechsten
Schiebt. Die Fichte tritt innner zahlreicher hervor, neben
ihr nuiclien sich der Hülsenbusch (Ilex Aquifolium), die
breitl)lätterige Linde, der Massholder (Acer campestre)
an den Ufern des Gewässers bemerklich. Nach einer
nachträglich uns gemachten Mittheilung hat Herr W.
in der Schicht 6 auch Samen der Eibe (Taxus baccata)
gefunden. In der Oberkante der secbten Schicht wird
die Vegetation aber wieder ärmer, die Fichte tritt
vor der Kiefer innner stärker zurück und dies macht
sich in zunehmendem Maassc in der fünften Schicht be-
merklieh.
Nun erfolgt die angedeutete Unterbrechung. Das
Gewässer, das die vierte Schicht sich al)setzeu Hess, muss
in sich wie an seinen Ufern wieder eine sehr dürftige
Flora getragen haben, in der wahrscheinlich die Nadel-
hölzer, deren Pollen doch so massenhaft erzeugt und weit
verljreitet werden, gänzlich fehlten, oder es war überhaupt
keine Vegetation zu der Zeit vorhanden, und die spilrlich
bemerkten Reste sind vielleicht secundär in den Thon-
mergel eingelagert.
Um so auffallender ist es, dass wieder in dem Detritus
der dritten Schicht eine Waldvegetation erscheint, und es
ist eine berechtigte Frage, woher der Detritus stammen
mag. Die Annahme, dass er aus dem unteren Torfe her-
rühre, scheinen zwei Umstände zu verbieten: erstlich, dass
man dann wohl in dem Thonmergel der vierten Schicht
überall Spuren dieses Detritus gefunden hätte, und zwei-
tens die abweichende Zusannnensetzung der Vegetation,
insbesondere das Fehlen (oder vielleicht sehr spärliche
Vorkommen) der Fichte und der Hainbuche. Weit näher
scheint W. der Gedanke zu liegen, dass hier die Reste
eines ganz anderen, vielleicht jüngeren, zerstörten Torf-
lagers vorliegen. Es wird weiterer Untersuchung vorbe-
halten bleiben müssen, diese Vcrmuthung näher zu prüfen
und zu ergründen, wie der Zerstörungsvorgang selbst zu
denken ist.
Ueber die schon von Potonie (vergl. S. 397 Sp. 1 als
generisch mit der Gattung Holopleura Oaspary aus dem
Tertiär zusannncngelir>rig erkannte Gattung fossiler Nym-
pbaeaceen-Samen Orafoiilcura Weber''') aus dem Klinger
Torf hat A. Weberbauer (wie es scheint ohne auf die
Acusserung Potonie's aufmerksam geworden zu sein) iu
den Berichten der Deutschen Botan. Gesellschaft (Berlin
1S93, S. 3C)6— 374, Taf XVIII) einen Aufsatz veröffent-
licht, in welchem er die Beziehungen der beiden genannten
Gattungen zu der recenten Gattung Brasenia bespricht.**)
Er kommt zu dem Schluss, dass die beiden fossilen
Gattungen sogar zu ein und derselben Art gehören und
sogar in die reccnte Gattung Brasenia unterzubringen sind.
Er nennt die fossilen Samen Brasenia Victoria.
*) In seiner schon citirten Abhandlung im N. min. .Jahrb.
wiederholt Potonie in einer Fussnote (S. 87): „Ausser Foiliculites
cariuatus weist auch die mit der tertiären Holopleura Caspary
offenbar mindestens generisch zusammengehörige
„Cratopleura helvetica" Weber's aus dem Klinger Torf auf das
Tertiär."
**) Ueber Brasenia vergl. „Naturw. Wochenschr." Bd. VII,
S. 454 ff. u. Figg. 27-30.
Nr. 37.
Nat 11 rwisseiiscliat't liehe Wocl
•hriff.
H99
Wiilireiul bei dem mcxikani.seljcu Axulotl Geschlechts-
reife Larven alli;cinein bekannt sind, ja die liiiii;cn-
atlnnenden Thiere erst si)ät als zu ilineii gehörig- erkannt
wurden, gehören bei uiLSeru Lurchen derartige Ab-
weichungen zu den gi-össteii Seltenheiten. Bei dem bei
uns liäutigeii kleinen Molch, Triton taeiiiatus Laur., sind
von Jullien 1869 gesehleehtsrcife Männclieii und ^^■eibchen
in der Nähe von Chatillou gefunden worden. Neuerdings
besehreibt nun Fr. West hoff ein träehtiges Weibehen
dei'selben Art aus der Koerheide bei Münster in West-
falen.*) Das 1'hier hat die Länge der ausgewachsenen
luftatlnnenden Indi\iduen, ist aber abweichend gefärbt.
Ks fehlen die dunkleren Flecken und Punkte des Rückens
sowie die hellen Seitenpunkte, lieber den Rücken hin
läuft ein sich bis 1,0 mm erhebender Ilautkaniin. Die
C'loakenlippen sind nicht so stark und nicht gcköi'iit, wie
bei gewöhnlichen lungenathnienden Weibchen. Die Kienien-
spalte ist ofl'en. Es ragen jederseits drei grosse BUschel-
kiemen nach hinten heraus. Lungen felden völlig. In
den Eierstöcken nnd dem linken Oviduct liegen auf allen
Entwickelungsstufen betindliche Eier. C. M.
E. Jahns : Vorkommen von Betaiii nnd Cholin im
Wurmsamen. (D. Chem. Ges. Ber. 1893, 1493.) — Im
Jahre 1885 fanden Heckel und Schlagdenhauften in Ar-
temisia gallica Wild neben verschiedenen anderen Körpern
ein nicht näher untersuchtes Alkaloid, während in der
nach den sonstigen llefunden sclir nahe stehenden Arte-
misia Cina, der Stannnptianze des tifticinclleu Wnrnisaniens
nach Flüekiger ein solches nicht aufzutindcn war. Der
Verfasser hat jetzt, bei erneuter Prüfung des Wiu-msamens,
auch in diesem organische Basen aufgefunden und die-
selben als Betai'n und Cholin identitieiren können. Sp.
C. Liebermann: Ueber eine neue Synthese der
Allozimmtsäure. (D. Chem. Ges. Ber. 1893, 1571.) — Die
Tsomerie der Zimmtsäure und Allozimmtsäure ist nur er-
klärbar auf Grund der Van't Hoft-Wislicenus'schen Theorie,
nach welcher sich die Formeln ableiten:
CßH^-C
II
C' H-C-H
und
CO.II • C • H
Allozimmtsäure
diese Constitution
resp.
H • C • CO^H
Zimmtsilure
Einen hübsehen Beweis für
Structur erbringt die vorliegende Untersuchung. Aus der
Benzalmalonsäure, welcher zweifellos die Formel
<'oH5-C.H
II zukommt, hatten Claiscn und Crösmer
CO.H • C • CO2H
durch Erhitzen gegen 195° angeblieh quantitativ Zimmt-
säure und Kohlensäure erhalten; es war also die Kohlen-
säure der dem C^ H^ räumlich nächsten COall-Gruppe ab-
gespalten worden.
Ist das Formel- Verhältniss zwischen Ziinmt- und Allo-
zinnutsäure das oben angedeutete und lässt sich, statt der
oben erwähnten, die andere Carboxylgruppe in derselben
Weise abspalten, so müsste Allozimmtsäure entstehen.
Dies ist nun in der That der Fall. Schon bei dem
Versuch nach Claiscn und Crosmer entsteht neben der
Zimmtsäure, wie Lieberniann nachweist, Allozimmtsäure,
und zwar in solchem Verhältniss, dass etwa 5— 6 "/„ der
Benzalmalonsäure diese Zersetzung erlitten haben niuss.
Es sollen noch Bedingungen gesucht werden, unter denen
die Spaltung zu Allozimmtsäure die begünstigtere, das
jetzige Nebenprodnct also llauptproduct der Reaction wird.
'^P-
*) Geschlechtsreife Larve von Triton taeiiiiitus Laur. (Zoul
Anz. 1893, S. 256.)
Das Verhalten der Zeolitlie beim Erwärmen. —
Bekanntlich verlieren die Zeolitlie beim Erwärmen Wasser
und werden zu trül>en, undurchsichtigen Substanzen, deren
Aussehen die Vennuthung nahe legt, dass nach dem
Weggange des Wassers das Krystallgefüge Ndllkommen
zerstört und nunmehr ein regelloses Haufwerk von Zer-
setzungsi)rodueten an seine Stelle getreten sei. In der
That hat diese naheliegende Vermuthnng die Forscher
von der weiteren Untersuchung abgehalten. Ausserdem
trat der optischen Prüfung die Undurchsichtigkeit dieser
umgeänderten Zeolithe hindernd in den Weg. Erst Rinne
(Ueber die Umänderungen, welche die Zeolithe durch
Erwärmen bei und nach dem Trübewerden erfahren.
Sitzungsbericht der Königl. Aead. 1890, S. 11(33) hat
durch ein einfaches Verfahren auf optischem Wege nach-
gewiesen, dass diese Vernnithung eine irrige ist und dass
höchst interessante Umlagerungen in den Krystallen statt-
finden. Er fand nämlich, dass die erwärmt en und da-
durch trübe gewordenen Zeolithe ihre volle Durchsichtig-
keit wieder annehmen und eine genaue optische Prüfung
zulassen, sobald man sie in Gel oder Canadabalsam ein-
bettet.
Es zeigen die einzelnen Zeolithe nach Rinne folgendes
liöchst interessante Verhalten, das zu manchen anderen
Mineralien, wie Leucit, Boracif u. a. ein Anabigon sein
dürfte. Auch hier geht nämlich die molcculare Um-
lagerung unter Erhaltung der ursprünglichen
Kry st allform vor sich.
Der rhombische Natrolith zeigt nach der Erhitzung
und Aufhellung, dass er unter Beibehaltung seiner Form
monokliii geworden ist. Und zwar ist die frühere Axe c
jetzt zur Orthodiagonalc h geworden und demzufolge
haben die Flächen folgende liezeichnung jetzt anzu-
nehmen:
Natrolith normal :
oP
ooP
Natrolith, erhitzt:
P ^ und — P 00 .
Zugleich ist aber der Krystall zu einer Zwillings-
(iruppe vnngestaltet nach den Zwillingsebenen r_^ P^
und oP.
Bleiben erhitzte Natrolithe einige Stunden an der
Luft liegen, so hellen sie sich zwar nicht auf, aber die
optische Untersuchung zeigt, dass sie wieder rhombisch
geworden sind in Folge von Wiederaufnahme des vorhin
verlorenen Wassers.
Bei dem monoklinen Skolecit bleibt nach der Er-
hitzung bis zur vollkommeiißn Trübung wohl das niono-
kline System, aber die Grientirung ist eine andere ge-
worden. Aus 00 P'^ ist ^ P oa und umgekehrt geworden.
Die Zwillingsbildnng, welche im unerhitzten Skolecit nach
„P„ geht, verläuft auch jetzt nach ooPod, d. h. nach
dem früheren »Pc», so dass sich also die Substanz in
der alten Form gewissermaassen uin 90° gedreht hat. Er-
hitzt man diese umgeänderten Krystalle noch weiter, so
werden sie rhombisch. Eine Rückkehr zum wasserhaltigen
Zustande beim Liegen an feuchter Luft tindet nicht statt.
Besonders einfach stellen sich die Umänderungen
beim Thomsonit dar, bei dem alles erhalten bleibt, nur
die Doppelbrechung schwächer wird.
Der Desmin, welcher ebenso wie die folgenden
Harmotom und Phillipsit dadurch ausgezeichnet ist, dass
er durch Verzwillingung minder symmetrischer Individuen
Formen höherer Symmetrie erlangt, nimmt durch die Um-
lagerung diese höhere Syninietrie wirklich an.
Er wird durch das Erhitzen nun wirklich rhombisch
und zwar so, dass die Ebene der optischen Axen der
früheren Basis und die erste positive Mittellinie der Axe a
entspricht.
400
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 37.
Beim Liegen au feuchter Luft stellt sich der frühere
Zustand wieder ein.
Erhitzt man Phillipsit bis zum Trübe werden, so
erkennt man bei der Untersuchung, dass das trikliue
System und die Zwillingsbilduug- geblieben sind. Die
Ebene der optischen Axeu aber, welche im stumpfen
Winkel ß gegen oF geneigt liegt, hat sich um etwa 6U°
der l'arallelstellung mit dieser Fläche genähert. Erhitzt
man ihn nun noch stärker, so nimmt die optische Axen-
ebene schliesslich eine Stellung ein, welche sich nur wenig
von der senkrechten auf der Basis und der parallelen zu
CO P ^ unterscheidet; zugleich nähert der Axenwiid\cl
stark dem Werthe von Ö°. „Es ist (nach Rinne) un-
benommen bei letzterem Verhältnisse eine Annäherung an
die Zustände im tetragonalen Systeme zu sehen, dessen
Symmetrie der Phillipsit in seiner Flächenanlage in Folge
vielfacher Zwillingsbildung zur Schau trägt."
Bei dem Harmotom dagegen tritt nur eine Erhöhung
der Doppelbrechung und eine Annäherung der optischen
Axenebene an die Basis nni ungefähr bO° ein.
Der monokline Epistilbit, welcher durch Zwillings-
aufbau nach oo -P « rhombische Symmetrie in vollendetster
Weise nachahmt, wird durch Erwärmen rhombisch. In
der umgewandelten Substanz liegt die optische Axenebene
im oo P oo , a wird = b, i ^ a und c = c.
Phillipsit, Harmotom und Epistilbit kehren ebenfalls
beim Liegen an der Luft in ihren früheren wasserhaltigen
Zustand zurück.
Ganz besonders interessant sind aber die Verhältnisse
beim monoklinen Heulandit. Auch er ahmt rhombische
Symmetrie nach, was besonders deutlicli wird, wenn man
unter Üeibehaltung von oP das 2P der üblichen Auf-
stellung zu CO P macht. Seine Umänderungen lassen sich
nach Rinne in vier Stadien gruppireu, über welche er
folgendes angiebt:
Uuerhitzte Krystalle: Monoklin. Ebene der opti-
schen Axen senkrecht zu ^ P„. Erste positive Mittel-
linie in Axe b. Feldertheiluug auf dem seitlichen Pina-
koid.
L In Oel gekochte Krystalle: Rhombisch. Ebene
der optischen Axen parallel ooP^, negative Mittellinie
senkrecht uP. Keine Feldertheilung auf dem seitliehen
Pinakoid.
II. Bis zur vollzogenen Trübung erhitzte
Krystalle. Rhombisch. Ebene der optischen Axen
senkrecht auf oo P ^. Positive Mittellinie senkrecht /-" c^.
Feldertheilung auf ^ P]„.
in. Stark erhitzte Krystalle. Rhombisch.
Schwache Doppelbrechung. Eliene der oi)tischen Axen
senkrecht zum seitlichen l'inakoid. Positive Mittellinie
senkrecht P~. Keine Feldertheilung auf =» P\.
O ^ CO
IV. Auf glühendem Platinl)lech erhitzte
Krystalle. Rhombisch. Ausserordentlich schwache
Doppelbrechung. Sonst wie III.
Nur die ersten Stadien nehmen an der Luft wieder
Wasser auf.
Beim regulären Analeim ist schon lange die
optische Anomalie bekannt, und Bensaude (N. Jahrb. für
Min. 1882 I. S. 41) war zu der Anschauung gelangt, dass
die Krystalle aus Pyramiden bestehen, deren Basis die
Krystallfläehen sind und deren Spitzen im Mittelpunkte
des (Janzen liegen, so dass also etwa ein Ikositetraeder
aus 24 Pyramiden bestehen würde. Diese Erscheinungen
treten nun nach dem Glühen noch viel schärfer hervor
und ergeben eine bemerkenswerthe Aehnlichkeit mit
Leucit. Bei näherer Untersuchung kam Rinne in der
That zu dem Resultat, dass der entwässerte Analcim einen
trikliuen Natronleucit darstelle.
Und zwar ist derselbe, ganz dem rhombischen Kali-
leucit entsprechend, aufgebaut aus sechs pseudoquadrati-
schen Hauptsectoren, deren Längsrichtungen liegen wie
die drei Hauptaxen des Würfels, und die ihrerseits
zwillingsmässig in vier Einzelsectoren zerfallen, nach den
ihrer Längsrichtung parallelen zwei Würfelebenen. Es
ist das um so interessanter, als hier die Natronverbindung
ebenfalls einem System niederer Synnnetrie angehört,
ebenso wie bei Feldspath, Orthoklas und Albit.
Bezüglich des Chabasits, der in der Natur in positiv
und negativ doppclbrechendcn Krystallen vorkommt, ist
Rinne zu der Vei-nnithung gelangt, dass es wesentlich
eine Verschiedenheit des Wassergehaltes ist, welche diese
Unterschiede hervorruft. Bei seinen Untersuchungen stellte
sich heraus, dass die positiv doppelbrechenden Cliabasite
beim Erhitzen negativ werden. Bei weiterem Erhitzen
werden dann positive und negative Krystalle gleiehmässig
zu stark positiv doiii)elbrechenden, innner unter Bei-
behaltung der triklinen Zwillingsbilduug. Doch ist zu
beachten, dass Rinne sich bezüglich des Chabasits „mit
dem nöthigen Vorbehalte" äussert und auf weiterhin an-
zustellende chemische und optische Untersuchungen ver-
weist.
Aus allen diesen Untersuchungen geht nun hervor,
dass zunächst moleculare Umlagerungen tiefgreifender Art
bei den Zeolithen vor sich gehen, ohne dass die ursprüng-
liche Krystallform geändert wird. Man kannte solche
Vorgänge von den Paramorphosen her, wie beim Leucit,
BoracitjAragonit (Ueberführung in Kalkspath). Hier linden
wii- dasselbe bei durch Wasserverlust entstandenen Pseudo-
morphosen. Zu beachten ist feruer, dass wie ))eim Ara-
gonit die angedeutete hexagonale Symmetrie durch den
Uebergang zu Kalkspath erreicht wird, auch bei den
Zeolithen "dasselbe stattfindet (Desmin, Skolecit, Epistilbit,
Heulandit).
Andererseits sind diese Erscheinungen aber eine feste
Stütze für die Erklärung der optischen Anomalien der
Zeolithe von Prof C. Klein. Eine optische einheitliche
Substanz kann durch Entwässerung in ojjtiscli abnorme
übergeführt werden, deren Verhalten bei verschiedenen
Krystallen ein wechselndes ist, je nach dem mehr oder
minder grossen Wasserverluste, und deren Zwillingsaufbau
deutliche Beziehungen zu den ursprünglichen Krystall-
fläehen zeigt
Ferner betont Rinne noch die Beziehungen zwischen
den Zeolithen und den Mineralien, welche als wasserfreie
Silicate in der Natur vorliegen. Heulandit z. B.
CaÄl.,Si^Oic -\- 5HJ ) entspricht wasserfrei zunächst dem
Albit^ Na.^Al.ßif^Oif,, welcher mit dem Anorthit in be-
kannter Weise in Verbindung gebracht werden kann.
Vergleicht man die Formen beider, indem man bei dem
Heulandit das übliche oP zu „ P oo macht, wodurch
derselbe zu einem rhombisch erscheinenden Complex
P
P«:,oP und /'
wird, so ergiebt sich eine
Aehnlichkeit in den Hauptzonen, die sieh bis auf die
Winkelwerthe erstreckt :
Heulandit Anorthit
„P-:oP =116° 20' 116° 3'
oP-.P-^ = 129° 40' 128° 34'
P»:»P^ = 114° 0' 115° 23'
Aehnlich ist das Verhältniss zwischen der Desmin-
gruppc und den triklinen Feldspäthen, und auf Analcim
und Leucit ist vorher schon hingewiesen. Paul Siepert.
Nr. H7.
Ncaturwissenscliaftlicbe Wochenschrift.
401
Ueber eine neue Methode, srossse mikroskopische
Präparate lici «erinffer A'eryiMisserung- jtliotojjraphiscli
(larziistelleii, vorölTcntliclit I>r. O. Nieser in der lieriiiicr
kliiiiseiu'ii Wochi'iisciiritt einen Anlsatz. Er macht den
bereits in Lid. VII N». 31 S. 314 hescliriehenen und ah-
gebihleten Edini;er'schen Zeiciienapparat nutzbar durch
Einschaltung eines photographiselien Apparates. — Vcrgi.
die Figur.
Die pliotograpbisehe Reproduction mikroskopischer
Träparate, und zwar grosser (»bjecte in geringer Ver-
grösserung bei leichter Handhabung der Teclniik, wäre
damit erreicht. Der Edinger'sciie Zciciienapparat beruiit
auf einem Princip, das
bereits 1887 1 )r. Lange
in Brauuschwcig an-
wandte.
Durch einen zuerst
horizontalen, dann nach
abwärts rechtwinkelig
geknickten Tubus (^4),
an dessen einem Ende
eine Convexlinse, an
dessen Knickungsstelie
ein unter einem Winkel
von 45 "gestellter rian-
spiegel und an dessen
auderm Ende sich
wieder eine Convex-
linse befindet, werden
Stralilen von einer
Lampentlamnie iL) auf
■iinen Objectträger ge-
leitet und ein ver-
grössertes Bild dieses
beleuchteten Objectes
mittels einer Lupe (C)
auf eine weisse Fläche
— im Edinger 'sehen
Falle die als Zeichen-
tisch fungirende Stand-
platte des Ajiparats —
geworfen. Die Lampe
steht im Brennpunkte
der ersten Cmnexlinse,
die dadurch parallel
gemachten Strahlen
werden vom i^lan-
spiegel direct nach
unten reflectirt, fallen
auf die zweite Convexlinse und werden von dieser etwas
convergirend gemacht, so dass auf der Standplatte des
Apparats nach Kreuzung der Strahlen ein ziemlich grosser
Zerstreuungskreis gebildet wird. Unabhängig hiervon wird
von dem durch die durchfallenden Strahlen beleuchteten Ob-
jeet, das etwas vor der oberen Brennweite der Luite liegt,
mittelst dieser Lupe in dem hellen Flannnenprojections-
kreis ein umgekehrtes, reelles, vergriissertes Bild auf der
Standplatte entworfen, das durch Versehieben der Lupe
mittelst Zahntrieb scharf eingestellt und dann gezeichnet
werden kann. Der kleine Tisch (/<), auf dem das Oliject
liegt, kann ebenfalls an dem Ap])arate auf und ab ge-
schoben werden und dadurch die 7\.rt der Vergrcisscrungen,
die je nach Stärke der zwei dem Apparate beigegebenen
Lupen in der Breite zwischen 2- und 16 -fach schwankt,
beliebig variirt werden.
Zur photogra)ihisehen Aufnahme des Bildes hat N.
einige Lupenveränderungen vorgenoumien (Central Wirkun-
gen der Lupen), sowie eine Camera aus Holz ausführen
lassen, die in folgender Weise dem Edinger'schen Appa-
rate angepasst ist. Dasselbe besteht aus einem am
Boden quadratischen, 25 cm in den Dimensionen zciigen-
den, nach oben sieh etwas konisch einengenden Ilolz-
kasten (E), der nach oben mit einem Lederbalg in der
Art der photographiselien Bälge versehen ist. Als Ab-
schluss trägt er eine Schlussplatte, die lichtdicht sich
an den die Lupe tragenden Tisch des Edinger'schen
Apparates anschrauben lässt und zwei Oeffuungen zeigt;
die eine zum Aufnehmen der Lupe, die andere, mit
einem lichtdichten Deekel versehene, vordere, zum lieidj-
aehten des Bildes. Diese ziendieh grosse, quervcr-
laufende, rechteckige Oeffnung {D} gestattet in der be-
quemen Leseweite bi-
nocular das auf den
Boden des Apparates
ge\\orfene Bild zu be-
obachten und scharf ein-
zustellen. Der Kasten
selbst ist nach hinten
durch Einkerbungen in
seinem Boden in zwei
Hervorragungen des
Edinger'schen Appara-
tes einzuschieben, nach
vorn aussen trägt er
l)eiderseits Einschnitte,
die zwei Klennnschrau-
ben ermöglichen, den
Kasten nach hinten fest
anzupressen und zu-
gleich einen festen Wi-
derhalt an dem jeweili-
gen Tisch zu gewähren,
auf den der ganze Appa-
rat gestellt wird. Was
bei dem Holzmodell
noch besonders ins Auge
gefasst wurde, ist die
Art und Weise der
Plattenführung. N. hat
zu diesem Zweck in den
Boden des Holzkastens
einen Ausschnitt ma-
chenlassen, der seitlich
Läugsnuteu trägt, in
den Cassetten eines
einfachen jjhotogra-
phischen Apparates
hineinpassen und in
den Nuten als Führungsebenen gleiten. N. schiebt beim
Photographiren also nur eine mit Pappplatten geladene
Cassette (F) — für Visit- und Cabinetgrösse — ein, stellt
das Bild auf diesen Platten scharf ein, zieht die Cassette
aus und setzt an ihre Stelle eine mit photographischen
Platten lichtdicht geladene gleiche Cassette.
Es ist ihm hierdurch miiglich, fortwährend in massig
erleuchtetem Zimmer zu photographiren, ohne dass Schäd-
lichkeiten für die Platten daraus erwachsen. Was die
Beleuehtungsart und -Zeit betritt't, so nimmt er das ruhige
Petroleundicbt und setzt bei schwacher Vergrösserung
10 Seeunden, bei stärkerer 12— IS Seeundcn aus, je nach
der Farbe des Präparats. Es ist ihm hierdurch gelungen,
innerhalb eines Zeitraums von nur 2 Stunden 6 brauch-
bare Platten von 6 verschiedenen Objecten photographiren,
entwickeln und fixireu zu können. Al)gesehen von den
geringen Kosten, die die Anschaffung des einfachen Ap-
parates mit sich bringen- wird, ist auch seine Handhabung
eine einfache, leicht zu erlernende und wenig zeitraubende.
Der ganze Apjiarat kostet hv\ E. Leitz in Wetzlar 12pM.
402
Naturwissenschaftliche Wociicnschrift.
Nr. 37.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Privatiloccnt in clor nitMlioinisclien
riieultät clor Universität Berlin Dr. v. Noordon zum I'rot'essor. —
Der Privatdocent in der medicinischen Faeultät der Universität
Leipzig Dr. Wilhelm Moldenhauer zum ausserordeutlicbeu
Professor. — Der frühere Assistent an der Station für Nerven-
krankheiten der Charitee in Berlin I>r. Oppenheim zum Pro-
fessor.— Dr. Dittrich, ausserordentlicher Professor für gericht-
liche Medicin an der Universität Innsbruck, zum Professor an der
deutschen Universität Prag. — Der k. k. Gymnasialprofessor
Dr. Karl von Dalla Torre, Privatdocent für Botanik an der
Universität Innsbruck, zum ausserordentlichen Professor. — Der
Privatdocent für mathematische Physik an der Universität Wien
Dr. Adler zum au.sserordontlichen Professor. — Der Professor
Dr. Siemerling in Berlin zum Ordinarius für Psychiatrie und
Direetor der psychiatrischen Klinik an der Universität Tübingen.
Es sind gestorben: Der Arzt und Naturforscher Dr. .lulius
Knoch, bekannter Embryologe, im Gouvernement Rostroma. —
Dr. G. W. Coakley, Professor der Mathematik und Astronomie
au der Universität New-Yoi-k, daselbst. — Der Direetor dos
zoologischen Museums in Petersburg. Dr. Alexander Strauch,
in Wiesbaden. — Der Entomologe C. N. F. Brisont de Barnc-
ville in St. Gormain-en-Laye. — Der Lepidopterologe Fritz
Kühl in Zürich. — Der Medicinalrath Dr. Bach in Zeulenroda
(Thüringen). — Der Kartograph Professor Dr. Henry Lange
in Berlin.
Die Vereinigung deutscher lüathematiker tagt in München
vom 4. — 10. September d. J. Mit dieser Jahresversammlung ist
eine Ausstellung von Apparaten, Instrumenten, mathematischen
und physikalischen Modellen etc. verbunden, welche am 3. Sep-
tember in der Technischen Hochschule eröft'nct wird und bis zum
30. desselben Monats dauert.
Der nach Spalato auf den 8. September d. J. einberufene
Archäologen-Congress ist wegen der drohenden Choleragefahr bis
1804 verschoben worden.
Die VII. internationale Versammlung der Bohringenieure
und Bohrtechniker findet in der zweiten Hiilfto des September
dieses Jaln-es in Teplitz statt. Präsident: Bergdirector L. W. G.
Kreuzberg-Nürschau; Vicepräsident: Bergrath Kübrich.
Die Societe Göologique de France hält ihre Jahresversamm-
lung vom 14. bis 24. September d. J. in Le Puy (Dep. Haute-
Loire) ab. Zahlreiche Excursionen sind in die geologisch so ausser-
ordentlich interessante Umgegend dieser Stadt geplant.
Der ungarische Bergmannstag tritt am 10. September d. J.
in Nagybauya zusammen.
Dr. J. W. Gregory's Expedition an den Baringo - See ist
eine recht erfolgreiche gewesen. Der Forscher, wolchm- Ende
August in Mombasa glücklich anlangte, hat die (,|uelltlüsse des
Tana, sowie die Wasserscheide zwischen den Flüssen Tana und
Atlii erforscht und erstieg auf seinem Rückmärsche über Likipia
den über 17,000 Fuss hohen Kenia.
L i 1 1 e r a t u r.
Alph. de Candolle, Darwin, sein Lehen und seine Bedeutung.
Erweitert und deutsch herausgeg. von Abert Südekum (Wiss.
Volksbibl. No. 17). Siegbert Schnurpfeil. Leipzig. — Preis
0,20 M.
Die treffliche Schrift de Candolle's hat die üebersetzung wohl
verdient. Darwins Leben wird im 1. Abschnitt von Südekum be-
sprochen, dann erst folgen zwei Abschnitte aus der Feder de Can-
dolle's: 2. Darwin's Lehre imd o. Darwins Bedeutung. Kurz,
bündig und leicht verständlich findet der Laie in den Schriften
das Wissenswertlieste über den Darwinismus und Darwin.
Dr. Günther Bitter Beck von Mannagetta, Flora von Nieder-
Oesterreich. 2. Hälfte (2. Abtheil.) (Schluss). Mit 246 Figuren
in 30 Original-Abbildungen. Carl Gerold's Sohn. Wien 1893.
— Preis 15 M.
Von der gross angelegten Flora Beck's liegt hiermit der Schluss
vor. Das Gesammtwerk (in Gross 8°) umfasst 1396 Seiten, von
denen 62 engbedruckte auf das Register entfallen, ferner 74 be-
sonders paginirte Seiten, welche einen allgemeinen Theil enthalten.
Dieser verbreitet sich über die geographische Lage des Gebietes,
die hydrographischen, die orographischeu und geologischen Ver-
hältnisse. Der umfungreicliste Theil ist naturgemäss der Pflanzen-
gi'ograplii'' drs Gel)iotes gewidmet. Dieser Abscluiitt gliedert sich
in 1. PHanzonregionen und deren Klim.i, 2. Vegetationsgi'bieto,
3. Eintluss des Bodens auf die Vertheilung der Arten, 4. Verthei-
lung der Bodenflächo nach ihrer Bedeckung, 5. Statistik. Der
beschreibende (s])ecielle) Theil des vorliegenden Schlusses be-
handelt die gesammten Sympetalen.
Für die I<"orschor auf floristischem Gebiete ist die Flora Beck's
unentbehrlich, da in ihr Alles zusammengetragen ist, und durch
die zahlreicheren Litteraturhinweise der Weg zu woiterem
Studium beriuem gebahnt wird. Aber auch der Anfänger wird
das Buch mit grossem Vortheil benutzen, die Diagnosen und die
sonstige Einrichtung des Werkes sind diesem durchaus angepasst.
Zur Vertiefung einer zunächst laienhaften Beschäftigung mit der
Pflanzenwelt kann dem in Nieder-Oesterreich Sesshaften kaum
ein besseres Buch als das Beck'acho empfohlen werden.
H. Buschbaum, Flora des Regierungsbezirks Osnabrück und
seiner nächsten Begrenzung. Zum Gebrauehe in Schulen und
auf Excursionen liearbi'itet. Zweite, dundigesehene und ver-
mehrte Auflage. Osnabrück, Verlag der Rackhorst'schen Buch-
handlung. 1891. — Preis 2,75 M.
Die Umgebungen der alten westfälischen Bischofsstadt Osna-
brück gehören, wie geologisch so auch floristisch, zu den an-
ziehendsten Landschaften im nordwestlichen Deutschland. Die
letzten Ausläufer der niitteldcutscheu Bergzüge, der Teutoburger
Wald und die Weserkette, dringen hier am weitesten nach Norden
vor, so dass zwischen ihnen und der Nordsceküste nur ein Zwischen-
raum von etwa 1.50 km Breite übrig bleibt. Die in diesem Theile der
norddeutschen Ebene so entwickelte Moor- und lleideflora dringt
bis an den Fuss der Berge vor und steigt zum Theil sogar noch
an denselben auf, so dass man hier z. B. bei der bekannten Georg-
Marienhütte (wie in Westfalen mehrfach an analogen Ocrtlichkoiten)
eine so charakteristische Hoidepflanze, wie Erica Tetralix auf einem
Substrat von festem Gestein beobachten kann. Diese Localflora.
in der sich Vertreter des Berglandes und der Ebene mit charak-
teristisch-„atlantischer" Färbung begegnen, ist schon in früheren
Decennien eifrig erforscht worden; doch waren die auf dieselbe
bezüglichen Verötfentliehungen zerstreut und zum Theil schwer
zugänglich, bis der fleissigc und kenntnissreiche Verfasser des
hier besprochenen Büchleins zum ersten Male 1879 eine nach
zweckmässigem Plane bearbeitete, in erster Linie für den Schul-
gebrauch bestimmte Localflora herausgab, welche nunmehr in
einer neuen, wesentlich verbesserten Gestalt vorliegt. Für den
descriptiven Tlieil sind die besten Vorbilder in verständiger Weise
benutzt ; auch wurden, wie in den Büchern des mit Recht hoch-
geschätzen Floristen der benachbarten Provinz Westfalen, die
Cultur- und selbst die Zierpflanzen ausgiebig berücksichtigt. Eut-
s])richt also das Werk vollkommen seinem nächsten Zwecke, so
giebt es auch dem Pflanzengeographeu befriedigende Auskunft
über ein hochinteressantes, bis dahin wenig bekanntes Gebiet.
Wenn wir etwas tadeln möchten, so wäre es die nicht gerade
zweckmässige Abgrenzung des Gebietes dieser Flora. Der Re-
gierungsbezirk Osnabrück hat die schon für ein Verwaltungsgebiet
wenig günstige Form eines Winkelhakens mit der Hauptstadt
nahe der südöstlichen Ecke. Es konnte diese Begrenzung, ob-
wohl auch hier Gebiete sehr verschiedener Geschichte und Con-
fession (gehört doch auch die sogenannte „Mutfrica" mit Meppen,
dem Wahlkreise der „schwarzen Perle", zu diesem Bezirk) zu-
sammengeschweisst sind, nicht wohl anders ausfallen, weil clurch
das weit nach Süden vordringende Herzogthum t)ldenburg das
Emsland nahezu ganz von der übrigen Provinz Hannover abge-
trennt wird. Für ein Florengebiet hätten aber derartige politisch-
historische Rücksichten kein Gewicht haben sollen. Das Gebiet
reicht einerseits im Norden bis Papenburg, also bis an die Breite
von Bremen, schliesst aber andererseits die Gegend von Diepholz
und die noch näher liegenden, weit in dieselbe einspringenden
Theile Oldenburgs und Westfalens aus, bez. berücksichtigt sie
nur in ihren nächsten Grenzstreifen. Wir möchten dem verdfieust-
vollen Verfasser des sonst in jeder Hinsicht empfehlenswerthen
Buches anheimstellen, in einer hoffentlich nicht ausbleibenden
dritten Auflage das Gebiet in zweckmässiger Weise abzurunden.
P. Ascherson.
A. Acloque. Les lichens, etude sur l'anatomie, la physiologie et
la niorplinlon'ie de l'organisine lichenicpie. 82 Textfiguren.
J. B. Bailiiere & fils. Paris 1893.
Das Buch ist wohl geeignet, in die Flechtenkuude einzuführen-
Es beschäftigt sich im Wesentlichen mit den allgemeinen Erscheinun
gen dieser Gruppe und beliandelt die Systematik nur in Ueljersich'
im letzten (12.) Capitel. In dem ersten Capitel wird das Notlüge
über Bau und Leben der in Rede stehenden Organismen gesagt.
Capitel 10 beschäftigt sich aber mit dem Nutzen der Flechten
und Capitel 11 giebt Rathscliläge über Einsammlung, Cultur und
Aufbewahrung der Flechten.
Nr. 37.
Naturwissenschaftliche Wcx'henschrift.
403
Henri Coupin. L'aquarium d'eau douce et ses habitants.
animaux et vegetaux. (r>ibliothi'i|uo des ('oiuiaissancos utiK's.)
Mit 'J28 Tcxtfif^iu-L'n J. B. Baillicre v.t fils. Paris 1893. —
Pruis }ifh. 4 Fr.
Das Buch ist eines diu- geeignetsten für den Aquariiim-Frcuiid.
Es lässt i"d>er kaiini eine Frage, die demselben anftanidien künnte,
im Stieb. Das Wasser und seine Bebandhing. die AquariiimiiHanzcn,
die Jagd fürs Aquarium und der Transport der Tliiere, das Stnduim
der Thiere im Aquarium, die cinzehien Aliflirihingen der Tlnerc
und dieArten, die für dasSüsswasser-Ac|uarium in Uctracbt konnnen :
alb's findet gel)ührendo und faebmännisi-he Berücksichtigung. Oeui
Knaben, der Sinn für die Natur hat, kann kein besseres Buch in
die Hand gegeben werden, das ihn zu Beobachtungen in der Natur
.•mh'itot, aber auch der Erwachsene, (Ut Interesse an der Natur
liat, wird das Bncli mit Freuden benutzen.
Prof. Dr. H. Ost, Lehrbuch der technischen Chemie. 2. verli.
Auli. Mit 'i(lG Text-Alil)iblungen und 6 'I'atVhi. liobort tlppeii-
heim (Gusta,v Schmidt). Berlin 1893. — Phms 12 M.
Erst 1890 erschien die 1. Aufl. dieses treffliclien Compendinnis
(vergl. „Naturw. Wochensehr." Bd. VI, S. 103) und jetzt liegt
schon eim> neue vor. Die ganze Anhige ist dieselbe geblieben
wie die der 1. Aufl. (vergl. unser frülieres Referat). Das Buch
ist aber von 680 auf 712 Seiten angewachsen und bringt eine Text-
abbild, und 2 Tafeln mehr. Inhaltlich sind viele und stellenweise
wesentliche Verbesserungen zu bemerken. Neu sind die Ab-
schnitte: Rauchloses Pulver und Zündhölzer. Zahlreiche Unter-
stützungen aus Fachkreisen sind dem I[(>rrn Verf. zur Seite ge-
wesen. Das Buch ist das Beste seiner Art; wir zweifeln niclit
daran, dass es — wie einst Wagner's Technohigie — ein stan-
ding-work wird. Nicht nur als Lehrbuch für Studirende, sondern
durch das sorgfältige Register als Nach.schlagebuch ist es für die
W(dtesten Kreise und zwar nicht allein der Praxis von holiem
Worth.
Prof. Dr. Carl Neumann, Beiträge zu einzelnen Theilen der
mathematischen Physik, insbesondere der Elektrodynandk und
Ilydroilynamik, Kh'ktrnstatik und magnetischen Induction. Mit
Textfiguren. B. (.!. Teubner. Leijjzig 1893. — Preis 10 M.
Das vorliegende Werk besteht aus eiiu'r Reihe unter ein-
ander nur lose zusammenhängender Kapitel, deren gemeinsames
Band die Beziehung zur mathematischen l'heorie der Elektricitiit
ist. Nach des Verfassers Meinung wird man in der Lehre von
der Elektricität ebenso wenig, wie in der Wärmelehre die volle
Erklärung auf Gruiut bloss mechanischer Principieu jemals er-
bringen können, vielmehr werden hier s])eeifisch elektrische Prin-
cipieu, wie dort thermische, zunächst zu suchen sein. Die Auffindung
jenerelektrischen (.Irundprincipien wird aber naturgemäss erleichtert
werden, wenn zuvörderst die Consequenzen bereits constatirter
Gesetze, wie derer von Coulomb, Poissoii, Ampere und F. Neu-
niann, einem gründliehen Studium unterworfen werden. Solchem
Studium ist nun das vorliegende Werk gewidmet. Im ersten
Kapitel werden mathematische Hilfssätz(^ abgeleitet, das zweite
beschäftigt sich mit der Elektrodynamik, das dritte und vierte
mit Flächenströuien und das fünfte mit Strömen im Innern
und ander Oberfläche von Körpern. Alsdann werden in zwei Ka-
)>iteln Gesetze der Hydrodynamik besproclu'n, um dii^ von Kirch-
liofl' entdeckten Analogieen zwischen hydrodynamisclien und elek-
trodynamischen Erscheiiuingen näher beleuchten zu können, was
im acht<'n Kapitel geschieht. Neumann konnnt dabei zu dem be-
merkenswerthen Resultat, dass diese innnerhin sehr interessanten
Analogieen tiefere Gründe nicht haben urjd nicht etwa für einen
noch weiter zu erforschemlen gemeinschaftlichen Boden der beidi>n
Disciplinen sprechen. — Die letzten beiden Kajdtel Ijeschäftigen
sich mit den Gesetzi-n der Elektrostatik und des iuducirten Ma-
gnetismus. Endlicdi handelt ein rein mathematischer Anlunig noch
von der Verwandlung eines gegebenen Raumes in einen einfach
zusammenhängenden. Koerber.
A.mann, Apoth. J., Contributious a la tlore bryologique de la
Suisse. Bern. 0,(50 M.
Beck V. Mannagetta, Cust. Privatdoc. Dr. Günther Kitter,
Flora von Nieder-t )esterr<'ich. Wien. 45 M.
Boettger, Prof. Dr. O., Katalog der Batracliier-Sammlung im
Museum der Senekenbergischen naturforschenden Gesellscliaft.
Frankfurt a. M. 1 M.
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durch trigonometrische Reihen mit mehreren e. Variabein pro-
])ortiotialiMi Argumenten. Jurjew (Dorp.-it). 1,20 M.
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(L. sub Polypodio), leur groupement et leur dispersion y com-
])ris les Varietes exotiques. Bern. 0,()() M.
Dalla Torre, Prof. Dr. C. G. de, Catalogus Hymenoptei-onun
hujusque desc-ript(.irum systematicus et svnonvmicus. Cvni|jidae.
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das Gescddecht der PHanzeri betrefl'enden Versuchen und Beob-
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wenig Ijekaiinter Rinden, .lurjew (Dorpat). 1,80 M.
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Wiedersheim, Prof. Dir. Dr. Rob., Grundriss der vergleiclienden
Anatomie der Wirlielthiere. 3. Aufl. Jena. 18 .M.
Inhalt: Neuere Untersuchungen über das diluviale Torflager bei Klinge unweit Kottbus. (iMit Abbild.) — Geschlechtsreife Larven.
— E. Jahns: Vorkomnum von BetaTu und Cholin im Wurmsamen. — C. Liebermaini: Ueber eine neue Synthese der x\lloziunnt-
säure. — Das Vcrb.alten der Zeolithe beim Erwärmen. — Ueber eine neue Metliode, grosse mikroskopischePräparate bei geringer
Vergrösserung photographisch darzustellen. (Mit Abbild.) — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Alph. de Caudolle:
Darwin, sein Leben und seine Bedeutung. — Dr. Günther Ritter Beck von Mannagetta: FLu-a von Nieder-Oesterreich. —
H. Buschbauui: Flora des Regierungsbezirks Osnabrück und seiner nächsten Begrenzung. — A. Acloque: Les Lichens. —
Henri Coupin: L'ac^uarium d'eau douce et ses habitants, animaux et vegetaux. — Prof. Dr. H. Ost: Lehrbucl
Chi
Prof. Dr. Carl Neum.iun: Beiträge zu einzelnen Thelleu der uiatliematischen Physik
rbuch der technischen
Liste.
404
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 37.
^efxnij.
5'ür einen ctfjiifu'iiien .Ünabcn, iJor im Seifte bcr (^cfetlfdiaft für
ct()ifcl)c .Üulhir crjogcn iinb auf ben S^cfnd) einer .focOfcfiiile uorbcreitet
loerben foH, luirb Sinfnatjnte in eine gebilbcte gnnülie ober — nidjt ju
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Verlag: Ferd. Dümmiers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Drnck: G. Bernstein, Berlin SW. 12
^^ Redaktion:
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
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Sonnenstich und Hitzschlag.
Von Dr. Karl L. Schaefer.
In j'edem Sommer, besonders zur Zeit der Trnppen-
nianöver, hiirt man, dass bald bicr bald dort Ofiiciere
lind Mannschaften vom Hitzschlag befallen und ihm zum
Theil erlegen sind. Man hat gewiss mit Berechtigung
Hitzschlag und Sonnenstich geradezu als eine Militärkrank-
heit bezeichnet. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass
beides nicht auch in anderen Ständen und bei anderen
Gelegenheiten voikäme. Auch die Bedienungsmannschaften,
vor Allem die Feuerleute unserer Kriegsschitfe und Ocean-
dampfer sind, wenn sie nicht von einem vorsichtigen
Capitän und einem aufmerksamen Scliiflfsarzt davor be-
wahrt werden, öfter der (iefahr des Hitzschlages ausge-
setzt. Bei dem unerfahrenen Touristen, der trotz ^Müdigkeit
undSonnengluth vorwärts strebt, stellen sich zuweilen wenig-
stens die leichteren Anfangssymptome des Hitzschlages und
Sonnenstiches zusammen ein; die des letzeren allein treten
gelegentlich bei dem Parforceschwimmer, welcher den un-
bedeckten Kopf den blendenden und sengenden Sonnen-
strahlen darbietet, auf. Ein Opfer des echten Sonnenstichs
aber wird der Wanderer, der bei windstiller Luft am
Strassengraben einschläft und sich stundenlang die heisse
Mittagssonne auf den ungeschützten Kopf scheinen lässt.
Aeussert sich schon die längere Einwirkung der Licht-
und AVärmestrahlen auf die Haut von Menschen, besonders
Damen mit zartem Teint als eine leichte Entzündung,
durch Röthung, Brennen und spätere Abschilferung cha-
rakterisirt, so ist die stetig zunehmende Erhitzung der
behaarten Schädeldecke von noch weit schlimmeren Folgen
begleitet. Durch einfache Contaetwirkung theilt sich die-
selbe nämlich dem Innern des Schädels, dem Gehirn und
seinen Häuten mit. Wie überall, so ist auch hier zunächst
eine Erweiterung der Blutgefässe ein uothwendiger Effect
der Erwärmung, und das um so leichter, wenn, wie ge-
wöhnlich in diesen Fällen, der ähnlich wirkende Alkohol
schon vorgearbeitet hat. Die Erweiterung der Blutgefässe
ist aber der Anfang einer Entzündung, in diesem Falle
also einer Gehirnhaut-Entzündung, und in typisch ausge-
sprochenen Füllen von Sonnenstich lassen denn auch die
höheren Grade der Gehiruentzündung. mit ihren Symp-
tomen, Benommenheit oder Delirien, Krämpfen und tödt-
licher Lähmung der Ganglienzellen, nicht lange auf sich
warten.
Glü-^-klicherweise ist der Sonnenstich weit seltener als
der Hitzschlag, der deswegen auch von jeher im Vorder-
grunde des Interesses gestanden hat. Nichtsdestoweniger
war sein Wesen lange in Dunkel gehüllt. Mau theoreti-
sirte von einer Eindickung des Blutes durch den Wasser-
verlust bei der Transpiration oder machte ziemlich kritik-
los einfach die Uebcranstrengung für die Krankheit ver-
antwortlich. Dank der physiologischen Schulung unserer
jetzigen Militärärzte haben die letzten Decennien Auf-
klärung über die Entstehung und Bedeutung des Hitz-
schlages gebracht. Er ist nichts anderes als ein acutes
Fieber von zuweilen ausserordentlicher Höhe.
Für gewöhnlich lebt ja der Mensch im Wärmegleich-
gewicht, das heisst, wir haben eine Körpertemperatur
von etwas über 37° C, in der Axelhöhlc gemessen, und
werden durch complicirtc, theils automatische, theils re-
flectorische Vorgänge in unserem Körper vor jedem üeber-
schuss und jedem Deficit geschützt. Gegenüber dem uns
hier allein intercssirenden Wärmeüberschuss, der durch
kräftige und anhaltende Muskelarbeit, wie sie beispiels-
weise ein in feldniarschmässiger Ausrüstung marsehirender
Soldat zu leisten hat, geliefert wird, stehen uns folgende
Schutzmittel zu Gebote. Zunächst erweitern sich die
feinsten Blutgefässe, die Capillaren, der Haut. Dadurch
gelangt eine grössere Menge Blutes unmittelbar an die
Körperoberfläche und tiiidet hier Gelegenheit zur Wärme-
abgabe an die umgebende kühlere Luft. Alsdann be-
ginnen aber auch die Schweissdrüsen zu secerniren; der
Schweiss verdunstet und die Wärme, welche bei dieser
Verdunstung verbraucht wird, wird dem Körper entzogen.
406
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. ß8
Hat jedoch diese bedeutend abkühlende Verdunstung- eine
Weile g-edauert, so ist die den Körper umschliessende
Luftschicht zwischen Haut und Kleidung mit Wasserdanipf
gesättigt und deshalb nicht mehr im Stande, weitereu
Wasserdanipf aufzunehmen. DieÖch weiss Verdunstung stockt,
mit ihr die Abkühlung und Avir sehen uns genöthigt, un-
.sere Kleidung zu lockern, um anderer, trocknerer Luft den
Zutritt zur Haut zu ermüglichcn. Dabei wird ein massiger
Luftzug angenehm emjifunden, denn er beschleunigt den
Wechsel zwischen körperwarmer, feuchter und kühlerer,
trockener Luft in der nächsten Umgebung unserer Haut.
Von diesen Httlfsmitteln gegen eine Ueberhitzung der
inneren Organe kann nun der marschirende Soldat nicht
innucr Gebrauch machen. Die dicken und vorwiegend
dunklen Uniformstücke brauchen nur kurze Zeit den di-
recten Sonnenstrahlen ausgesetzt zu sein, um eine Tempe-
ratur anzunehmen, die die Körperwärme erheblich über-
schreitet. Alsdann kann von einer Wärmeabgabe natür-
lich nicht mehr die Kede sein, und auch die dem In-
fanteristen vorschriftsmässig gestatteten Erleichterungen
ermöglichen diese nur in ganz ungenügendem Maasse,
wenn Windstille herrscht und die Luft verhältuissmässig
feucht ist. Unter solchen Umständen sind die Truppen
schon nach kurzer Marschzeit geradezu von einer Hülle
von Wasserdampf umgeben, die eine weitere Schweiss-
verdunstung verhindert und die Mannschaften fortwährend
begleitet. Dauert inzwischen die Wärmezufuhr fort, so
muss sich demnach die Körpertemperatur fortwährend er-
höhen. Sie steigt auf 39°, 40° und darüber, und nun
beginnt der schädigende Einfluss auf das Centralncrven-
system. Wie immer, erlahmen zunächst die eomplicirteren
geistigen Vorgänge; das Interesse an Gesang, Unterhal-
tung und Umgebung hört auf und die seelische Thätigkeit
beschränkt sich auf die eigenen körperlichen Leistungen.
Allmählich wird das Fortbewegen des Körpers immer
schwerer, Willenskraft und Muskelinnervation lassen nach,
die Sinnesorgane beginnen ihre Thätigkeit einzustellen, und
die Hirnrinde fängt an auf die Erhitzung mit Hallucina-
tioneu zu reagii-en. In der Regel machen alsdann auch
sehr bald Bewusstlosigkeit mit oder ohne Convulsionen dem
Weitermarsch ein Ende.
In diesem Stadium, das übrigens zuweilen auffal-
lend schnell und intensiv eintritt, ist das Leben äusserst
bedroht und die Hirnfunction so schwer geschädigt, dass
oft später nach scheinbarer Wiederherstellung doch noch
der Tod eintritt. Es ist daher nunmehr schleunige Wärme-
entziehung geboten. Man pHegt zu diesem Zweck den
Erkrankten mit kaltem Wasser zu begiessen und ihm
Kälte auf den Kopf zu apphciren. Allein man hat hier-
bei oft genug Verschlimmerungen gesehen, und dies ist
auch theoretisch wohl verständlich. Die Kälte zieht näm-
lich die Hautgefässe energisch zusammen; das Blut wird
also nach dem Innern zurückgedrängt und kann seine
Wärme nun erst recht nicht abgeben. Ausserdem wird
aber auf diese Weise dem schon sehr geschwächten Herz-
muskel auch noch das liiudurchtreibeu des Blutes durch
die (Tcfässe bedeutend erschwert, denn die contrahirten
Capillaren setzen natürlich dem Blutstrom einen beträcht-
lichen Widerstand entgegen. Es werden daher neuerdings
lauwarme protrahirte Bäder gegen die Symptome des
Hitzschlages empfohlen. Diese sind indessen nicht über-
all sofort zu haben, und auf Manövermärschen ist das
Wasser wohl überhaupt selten sogleich in genügender
Menge zu beschaffen. Es dürfte daher auch hier die
Prophylaxis, die Verhütung des Uebels, das sicherste und
beste Mittel sein.
Wie wohl aus dem Vorstehenden zur Genüge hervor-
geht, verfällt man dem Hitzschlag weder in Folge einer
körperlichen „Schlap])heit" noch einer moralischen Wider-
standsschwäche gegenüber körperlichen Strapazen. Mit
demselben Rechte könnte man einem durch Kohlendunst
Erstickten „Schlappheit" seiner Athemmuskeln nachsagen!
Der Hitzschlag entsteht aus äusseren, vom menschlichen
Körper nicht compensirbareu physikalischen Schädlich-
keiten, und es kann daher nicht dringend genug davor
gewarnt werden, die ersten leichten, aber unverkennbaren
Symptome aus falschem Ehrgeiz zu vernachlässigen und
trotzdem den Weitermarsch forciren zu wollen.
Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893.
Wörtliche Auszüge aus einem Artikel von
Prof. R. Koch
in der Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten.
Bereits früher habe ich darauf aufmerksam gemacht,
dass die Cholera bei ihren Ausbrüchen zwei ganz ver-
schiedene Typen zeigt. Der eine besteht in einem ex-
plosionsartigen Verlaufe. Die graphische Darstellung eines
solchen Ausbruchs giebt eine Curve mit steil ansteigendem,
hoch hinaufgehenden ersten Schenkel und fast ebenso
steil abfallendem zweiten Schenkel. Der zweite Typus
erscheint, gra]>hisch, dargestellt dagegen wie eine nur
wenig über die Grundlinie sich erhebende Curve. Ham-
burg zeigt diese beiden Typen in seinen letzten Epide-
mieen in einer geradezu extremen Form. Die Curve
der Sommerepidemie erseheint wie ein sehr hohes und
spitzes Dreieck mit ganz schmaler Basis, die Curve der
Nachepidemie erhebt sieh so wenig über die Basis hinaus,
dass sie mit letzterer fast zusammenfällt.
Der erste Typus kommt dadurch zu Stande, dass der
Infectionsstoff auf einmal und gleichmässig über den be-
fallenen Ort ausgestreut wird. Es muss dann eine Epi-
demie entstehen, welche explosionsartig verläuft und in
graphischer Darstellung eine um so höhere und steilere
Curve bildet, je grösser die Menge des gleichsam
ausgesäten Infectionsstoffes war. Bedingung für diesen
Typus der Epidemie ist aber, dass die örtliche Verthei-
lung der Erkrankungsfälle eine einigermaassen gleich-
massige ist und dass die einzelnen Fälle keinen unmittel-
baren Zusanmienliang untereinander erkennen lassen.
Allerdings darf man sich, selbst wenn dieser Typus am
reinsten auftritt, die Vertheilung nicht zu gleichmässig
und zu schematisch vorstellen. Denn die Aussaat wird
wohl kaum jemals eine ganz gleichmässige sein und auch
der Boden, auf welchen sie fällt, ist nicht in allen seinen
Theilen in gleicher Weise geeignet, den Keim zur Ent-
wickelung zu bringen. Es werden individuelle Disposition,
Reinlichkeit, Ernährung, Bevölkerungsdichtigkeit, mancher-
lei Lebensgewohnheiten u. s. w. einen nicht zu unter-
schätzenden Einfluss ausüben. Eine gleichmässige Aus-
saat, wie sie bei diesem Typus vorausgesetzt wird, kann
nur durch etwas zu Stande kommen, was auf alle oder
doch die meisten Bewohner eines Ortes zu gleicher Zeit
wirken kann, wie Luft, Wasser, Boden, Nahrungsmittel.
Aber weder Luft noch Boden, noch Nahrungsmittel konnten
bisher als Vermittler explosionsartiger Cholera-Ausbrüche
Nr. 38.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
407
nachgewiesen werden. Auch Insecten, an welche man
mit Recht gedacht hat, können hier nicht in Frage
konnnen; da Cliolcraexplosionen gar nicht so selten in der
kalten .Jahreszeit vorkommen, wo die Uebertragung durch
Insecten bestimmt ausgeschlossen ist. Kleinere Gruijpen-
erkrankungen mögen durch inficirte Nahrungsmittel wohl
vorkommen und es ist auch nicht zu bestreiten, dass In-
secten durch Verschleppung des Infectionsstoffes auf Nah-
rungsmittel hierbei eine Rolle spielen können; aber die
plötzliche Infection ganzer Ortschaften, wie wir sie bei
der Cholera so oft erleben, lassen sich auf diese Weise
nicht erklären. Es bleibt also nur das Wasser; und das
dieses in der That der Träger des Cholerakeimes nicht
nur für einzelne Gruppen in der Bevölkerung einer Ort-
schaft, sondern für ganze Ortschaften und selbst ganze
Städte sein kann, haben frühere Epidemieen und ganz
besonders wieder die jetzige an den Choleraausbrüchen
in Hamburg, Altona und Nietleben bewiesen. Aber
gerade gegen die Annahme, dass der Infectionsstoflf durch
das Wasser verschleppt wird, hat mau den Einwand ge-
macht, dass die Vertheilung der Krankheit in solchen Epide-
mieen eine zu ungleiehmässige gewesen sei; das inficirte
Wasser gelange doch in alle Haushaltungen und trotzdem
finde man Häuser und ganze Strassen in dem mit solchem
Wasser versorgten Gebiet, welche wenig oder gar nicht
von Cholera ergriflen wurden; es müssten doch eigentlich,
wenn das Wasser die Ursache sei, alle Menschen, welche
damit in Berührung kommen, nach einem gewissen Pro-
centsatz ergriffen sein. Diese Voraussetzung würde aller-
dings dann richtig sein, wenn das Choleragift ein im
Wasser aufgelöster, ganz gleichmässig vertheilter Stoff
wäre, wenn alle erkrankten Menschen genau gleiche
Mengen davon zu sich genommen hätten nnd die Em-
pfänglichkeit für das Gift bei allen Menschen gleich gross
wäre. Aber wir wissen doch zur Genüge, dass nicht eine
einzige dieser Bedingungen zutrifft. Es besteht unzweifel-
haft, wie auch ganz besonders von bakteriologischer Seite
von jeher ^hervorgehoben ist, eine grosse Verschiedenheit
in der individuellen Disposition für Choleraerkrankung.
Ferner braucht wohl kaum darauf hingewiesen zu werden,
dass die Möglichkeit der Infection durch Wasser für ver-
schiedene Menschen eine sehr verschiedene sein muss, je
nach ihren Beziehungen zumWasser. Der eine geniesst über-
haupt kein Wasser, er kommt nur indirect durch die Ver-
wendung des Wassers im Haushalt damit in Berührung
und er ist somit der Gefahr der Infection entsprechend
weniger ausgesetzt, als ein anderer, welcher das AVasser
trinkt. Aber auch in Bezug auf den letzteren wird es
nicht gleichgültig sein, ob er viel oder wenig Wasser
trinkt, zu welcher Zeit er es trinkt, ob bei leerem oder
gefülltem Magen, ob seine Magen- und Darmfunetionen
gleichzeitig in Ordnung sind oder nicht, ob Excesse be-
gangen u. s. w. Auch die Vertheilung des Infectionsstoffes,
d. h. der Cholerabaeterien im Wasser, ist allem An-
scheine nach nicht so, wie man vielfach annimmt.
Die neuesten bakteriologischen Untersuchungen lassen
erkennen, dass die Cholcrabaktcrien vielleicht nur aus-
nahmsweise in grösserer Menge im Wasser vorkommen,
und es ist deswegen durchaus nicht nothwendig, dass in
jedem Tropfen oder in jedem Schluck inficirten Wassers
Cholcrabaktcrien enthalten seien. Es ist auch sehr die
Frage, ob sie von Anfang an ganz gleichmässig in dem
Wasser vertheilt sind oder, wenn sie dies sind, auch
bleiben. Man kann sich wohl denken, dass sie ebenso wie
andere Bakterien gelegentlich an festen Gegenständen,
z. B. der Innenwand einer Rohrleitung, festhaften, was
besonders dann der Fall sein wird, wenn die Bewegung
des Wassers vorübergehend oder dauernd verlangsamt ist.
Sie können dann an der Stelle, wo sie sich festgesetzt
haben, zu Grunde geben, nnter günstigeren Verhältnissen
sich aber auch vermehren, oder durch stärkere Strömungen
wieder losgerissen werden. Ucbcrhaupt muss die ungleich-
massige Bewegung des Wassers in einem Leitungsnetz
einen erhebliclicn Einfluss auf die Beförderung der Cho-
lerabaktcrien ausüben, und es kann allein dadurch schon
bewirkt werden, dass in einem Robrstrang viele, in einem
anderen Strang wenige Cholerabakterien in die ange-
schlossenen Häuser gespült werden. Sind dann zufällig
noch diese Häuser von Wohlhaltenden bewohnt, welche in
F'olge ihrer Lebensgewohnheiten an und für sich der
Cholera wenig Angriffspunkte bieten, dann kann es kom-
men, dass ganze Häuserreihen, selbst Strassen von der
Krankheit verschont bleiben, ohne dass man berechtigt
wäre, daraus einen Beweis gegen die Annahme der Wasser-
infection abzuleiten.
Der zweite Typus der Cholera unterscheidet sieh von
dem ersten nicht allein durch die Gestalt der Curve, son-
dern auch durcii einige andere charakteristische Eigen-
schaften. Die Vertlieilung der einzelnen Fälle ist bei dem-
selben keine glcichmässige; es bilden sieh in ganz
ausgesprochener Weise Herde, an denen sich die Krank-
heit einnistet. An einem solchen Herde entstehen auch
nicht plötzlich viele Fälle, sondern sie folgen einander,
bilden gewissermaasscn Ketten und es lässt sich sehr oft
ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den einzelnen
Fällen des Herdes ermitteln. Es erkrankt z. B. zuerst
ein von auswärts gekommener Mensch, nach wenigen
Tagen das eine oder andere Mitglied der Familie, in
welcher der Erkrankte verpflegt wurde, dann rasch hinter-
einander, oft aber auch in längeren Pausen, weitere An-
gehörige der Familie, Bewohner desselben Hauses, Nach-
barn, Menschen, welche in dem verseuchten Hause ver-
kehren u. s. w. Von dem ersten Herde kömnen durch
Verschleppung neue Herde in anderen Stadttheilen, in be-
nachbarten Orten ausgehen, in denen wiederum ketten-
förmig aneinandergereihte Fälle eine mehr oder weniger
grosse Gruppenerkrankung ausmachen.
Auch hier darf man nicht verlangen, dass in der Kette
der Erkrankungen jedes einzelne Glied deutlich erkennbar
sein muss. Es ist unmöglich den Verkehr der Menschen
untereinander l>is in seine feinsten Fäden blosszulegen und
jede Person herauszufinden, die mit einem Cholerakranken
direct oder indirect in Berührung gekommen ist. Würden
die einzelnen Cholerafälle von vornherein so schwer ver-
laufen, dass sie sämmtlich zur ärztlichen Kenntniss kom-
men müssten, würde die Ansteckungsfähigkeit der Cholera-
kranken mit der Ueberstehung des Choleraanfalles beendigt
sein und geschähe die Ansteckung nur durch unmittel-
baren Contact, dann würden allerdings trotz der verwickelten
Beziehungen des Verkehrs mit Hülfe der bakteriologischen
Diagnose mit nur wenigen Ausnahmen die einzelnen
Kettenglieder herauszufinden sein.
Aber wir wissen jetzt, dass unter den Cholerainficirten
neben schweren auch Erkrankungen so leichten Grades
vorkommen, dass sie in der Regel unerkannt bleiben; wir
wissen ferner, dass der eigentliche Choleraanfall nur den
am meisten in die Augen fallenden Theil der Erkrankung
bildet, und dass sowohl vor als nach demselben der In-
fectionsstoff in den Ausleerungen der Kranken enthalten
sein kann, also zu einer Zeit, wo diese Menschen für den
Verkehr noch nicht verdächtig oder schon wieder als un-
verdächtig gelten. Schliesslich kommt noch in Betracht,
dass die Uebertragung durchaus nicht immer unmittelbar
von dem Cliolerakranken ausgeht, sondern viel häufiger
noch durch Wäsche, Kleider, Betten, Nahrungsmittel, In-
secten u. s. w. auf indirectem Wege zu Stande kommt.
Wenn man dies Alles berücksichtigt, dann wird man es
gewiss erklärlieh finden, dass zwar in einer dünn gesäten
408
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 38.
Bevölkerung auf dem Lande mit wenig complicirten Ver-
kchrsverhältnisscu der Zusammenhang zwischen den ein-
zelnen Fällen noch ziemlich vollständig gefunden wird,
dass es aber in grösseren Städten nur hin und wieder ge-
lingt, die Zusammengehörigkeit der Glieder einer solchen
vielfach verschlungenen, oft auch in Verästelungen aus-
laufenden Kette zu ermitteln. Ganz besonders wird der
Ucberblick über diese Art der Choleraverbreitung dadurch
erschwert, dass sie sich fast ausschliesslich auf die un-
tersten dicht zusammengedrängten und fortwährend fluc-
tuirenden Schichten der IJevülkerung beschränkt, und nur
hier und da einmal auf die besser Situirten übergreift.
Und doch lässt sich dieser Typus der Cholera ziemlich
leicht an der tleckwcisen, herdförmigen Gru])pirnng der
Cholerafälle erkennen. Bei sorgfältigem Nachforschen
findet man in solchen Fällen regelmässig Choleranester,
in denen die Einschleppung und das weitere schrittweise
Umsichgreifen deutlich hervortritt.
Es würde nun aber irrig sein, anzunehmen, dass die
Cholera inmier nur den einen oder den anderen der beiden
Typen einhalten muss; denn es liegt doch auf der Hand,
dass beide miteinander combinirt sein können, oft genug
sogar combinirt sein müssen. So wird namentlich der
erste Typus, welcher meistens Anfangs rein auftritt, sich
im weiteren Verlaufe mit dem zweiten Typus combiniren
und schliesslich ganz in denselben übergehen. Auch
kommt es vor, dass die Ortsepidemie mit dem zweiten
Tj'pus beginnt, bis der Infectionsstotf zufällig seinen Weg
in das Wasser findet und dann je nach der Art der
Wasserversorgung kleine umschriebene Esplosionen be-
wirkt, oder einen ganzen Bezirk, unter Umständen auch
den ganzen Ort plötzlich inticirt.
Auch das darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Ge-
stalt der Choleracurve allein nicht ausschlaggebend für
den einen oder anderen Typus ist. Es kann die Curve
sehr niedrig bleiben und doch eine Wasserepidemie vor-
liegen; wenn nämlich die Aussaat der Cholerabakterien
durch das Wasser nur eine sehr dünne ist. Andererseits
ist auch nicht ausgeschlossen, dass viele und fast gleich-
zeitig entstandene Herde der Curve eine Gestalt geben
können, welche sich derjenigen des ersten Typus mehr
oder weniger nähert, so dass der zweite Typus die äussere
Form des ersten Typus annehmen kann. Man darf eben
bei der Beurtheilung von Choleraepidemiecn, wenn man
Irrtliümcr veiineiden will, nicht in das Schematisiren ver-
fallen, sondern muss jede einzelne Ortsepidemie für sich
untersuchen, um entscheiden zu können, wie viel davon
dem einen oder dem anderen Typus angehört. Die jetzige
Epidemie hat uns in dieser Beziehung ausserordentlich
lehrreiche Beispiele geliefert.
So gehörte die Hamburger Sommerepidemie in ihrem
ersten Theile ausschliesslich dem ersten Typus an. Von
Anfang an waren die Erkrankungen ohne Zusammenhang
und wiesen zuerst auf den Hafen als einzige Infections-
quelle hin. Wegen der J5eziehungen der Wasserver-
sorgung Hamburgs zur Elbe und indirect zum Hafen
niusste schon damals eine allgemeine Explosion befürch-
tet werden, welche leider auch nicht ausgeblieben ist.
Gegen Ende ging dann die Epidemie in den zweiten
Typus über.
Die Hamburger Winterepidemie dagegen hat sich
während ihrer ganzen Dauer fast rein in der Form des
zweiten Typus gehalten. Sie hatte von vornherein die
Neigung zur Herdbildung.
Einer dieser Herde hatte seinen Sitz in der Neustadt,
ein zweiter im Stadttheil St. Georg und der dritte in der
Vorstadt St. Pauli. Ol) alle drei Herde in Zusannnenliang
stehen, hat sich nicht ermitteln lassen. Es ist alter auch
nicht wahrscheinlich, dass dies der Fall gewesen und dass
die Krankheit etwa von dem ersten Herd in der Neustadt
nach St. Georg und St. Pauli verschleppt ist. Es hat
vielmehr den Anschein, dass die beiden ersten aus un-
entdeckt gebliebenen Nachzüglern der Sommerepidemie
hervorgegangen sind. Die Sommerepidemie war, wie
bereits früher angegeben ist, am 23. Oktober beendet.
Aber am 9. und 11. November wurden noch Fälle von
echter Cholera constatirt und diese werden wohl nicht
die einzigen gewesen sein. Wenn also am 6. December
die Nachepideniie ihren Anfang nahm, so war kein
grösserer Zwischenraum zwischen den beiden Hamburger
E])idenneen als höchstens vier Wochen, und da ist es
wohl nicht nothwendig, an eine neue Einschlej)ituug zu
denken. Ich wüsste auch nicht, woher die Cholera ein-
geschleppt sein sollte, da sie zu jener Zeit überall er-
loschen war.
Ob die Erkrankungen in St. Pauli als Herd zu be-
zeichnen sind, kann bezweifelt werden. Einige von ihnen
sind höchst wahrscheinlich auf Altona zurückzuführen,
andere stehen möglicher Weise mit dem Herd in der Neu-
stadt in Beziehung, so dass nur sehr wenig übrig bleibt.
Sehr charakteristisch ist für die Nachepidemie, dass
die Erkrankten ausnahmslos den untersten Volksschichten
angehrirten. Es waren zum Theil arbeits- und obdachlose
Menschen, Alkoholiker, welche in Bettlerherbcrgen und
Branntweinschänkcn hausten; umherziehende lläniller,
welche Streichhölzer, Wurst oder dergleichen verkauften
und durch ihr Gewerbe ebenfalls in jene Localc geführt
wurden; einzelne Matrosen, Hafenarbeiter, Polizei-
gefangene n. s. w. ]\Iit Ausnahme von acht Fällen Hessen
sich überall Beziehungen zu solchen Personen nachweisen,
welche vorher an Cholera erkrankt waren und von denen
sie direct oder indirect inficirt sein koimten. Dieser Nach-
weis ist allerdings nur der überaus gründlichen Unter-
suchung zu verdanken, welche die Sanitätspolizei auf
jeden einzelnen Fall verwendet hat. Eine oberflächliche
Untersuchung, wie sie früher unter ähnliehen Verbältnissen
üblicli war, hätte den Zusammenhang gewiss niclit heraus-
gefunden, und es wäre zu den vielen scheinbaren Cholera-
räthseln aus früheren Zeiten ein neues hinzugekonnnen.
Irgend eine gemeinsame Ursache, wie Einfluss des
Bodens, Wassers oder dergleichen konnte während dieser
Epidemie mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die
Wasserleitung konnte nicht in Frage kommen, da der
Cholerabezirk sich nicht wie im Sommer mit dem Bereich
der Wasserleitung deckte. Der Boden hätte insofern ver-
dächtig erscheinen können, als die Krankheit mit einzelnen
Localitäten verknüpft war. Doch konnte auch hierbei
niclit der Ort das Maassgebende sein, sondern die auf
demselben befindlichen Menschen, weil immer sofort nach
Entfernung der Kranken und Verdächtigen die Krankheit
aufhörte. Hätte das inficirendc Agens an der Localität
gehaftet, dann hätten trotz der Beseitigung der inficirteu
Menschen weitere Erkrankungen unter den ungehindert
in den betreffenden Häusern Verkehrenden vorkommen
müssen. Es bleilit also nur übrig, an Uebertragung von
Mensch zu Mensch zu denken. Für diese Auffassung
spricht auch entschieden die kettenförmige Verbindung
der meisten Fälle. Dabei ist aber innner wieder daran
zu erinnern, dass die Cholerainfection sich ganz anders
verhält, wie diejenige von Pocken, Masern u. s. w., bei
denen schon der einfache Contact oder selbst der vorüber-
gehende Aufenthalt in den Krankenräumen genügt, um
die lufcction zu Stande kommen zu lassen. Eine solche
unmittelbare Uebertragung tritt nur gelegentlich auf und
ist wohl nur da anzunehmen, wo in einer Familie hinter-
einander mehrere Cholerafälle entstehen, welche durch
eine dem lucubationsstadium entsprechende Zeit von ein-
ander getrennt sind. Etwas dem Entsprechendes ist auch
Nr. 38.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
4011
in der Hamburger Nachepideniie vori;-ekonnHen, indem in
zwei Familien je vier Personen an Cholera erkrankten.
Im üebrigen scheint die Infeetion immer eine indirecte
gewesen v.n sein, ohne dass sich erkennen liess, auf
welchem Umwege der Infectionsstofif von dem einen
Menschen zum andern gelangt war. Dies Verhalten der
Cholera erinnert ganz an das auf Auswanderer-, Pilger-
und Truppcntransportsehiffen Beobachtete, auf denen unter
den dicht zusammengedrängten und in schlechten sanitären
Vcrliältnisscn betindlichcn Menschen die Krankheit wochen-
lang in lose aneinander gcreiliten Fällen sich hinzog.
Eins der am meisten charakteristischen Beispiele dieser
Art ist die Choleraepidemie auf dem italienischen Aus-
wandererschiffe Matteo Bruzzo.
Wenn das Wasser in der Nachepidemie anch nicht
als gemeinsam wirkender Factor zur Geltung gckonmien
ist, so hat es doch seinen mächtigen Einfluss auf die
Cholera Verbreitung nicht ganz verleugnen können; denn
liei dem Ausbruch der Cholera nnter den Mannschaften
von zwei Schitfen, welche im Hamburger Hafen lagen,
ist es unzweifelhaft betlieiligt gewesen.
Das erste dieser lieiden Schiffe war der spanische
Dami)fer Murciano, welcher Anfangs am Asiaquai in der
Nähe eines Closets lag, das von einem an Cholera er-
krankten Hamburger Arbeiter benutzt sein soll. Am
8. Januar mussten zwei Leute vom i\[urciano als cholera-
krank in's Hosjntal geschafft werden; die übrige Mann-
schaft wurde darauf evaeuirt, und es fanden sich unter
derselben bei genauerer Untersuchung noch vier weitere
Cholerafälle. Darauf brachte man den Murciano nach
dem Htrandhafen, wo die Desiufection vorgenonunen und
die eingefrorenen Closets des Schiffes aufgethaut wurden.
An dieser zweiten Stelle lag er neben dem Dampfer
Gretchen Bohlen, unter dessen ans Negern bestehender
Besatzung am iö. Januar (drei Tage, nachdem der
Murciano daneben gelegt war) die Cholera ausbrach.
Auch von diesem Schiffe kamen ebenso wie vom Murciano
Anfangs zwei schwerkranke Leute in's Krankenbaus und
erst bei weiterer Untersuchung wurden noch vier leichte
Cholerafälle entdeckt.
Als die ersten Fälle auf dem Murciano auftraten,
dachte mau zunächst an eine Lifection durch das er-
wähnte Closet, und zwar an eine unmittell»are Infeetion
durch die Benutzung des Closets. Gegen diese Annahme
sprach jedoch der Umstand, dass von den 24 Personen,
aus denen die Mannschaft bestand und von denen gar
nicht einmal sicher war, dass sie das am Ufer befindliche
Closet benutzt hatten, sofort sechs Leute erkrankten,
während nnter den zahlreichen am Ufer verkehrenden
Hafenarl)eiteru, die ebenfalls auf das Closet angewiesen
waren, sich kein Cholerafall ereignete. Viel wahrschein-
licher musste es sein, dass die Lifection nicht direct durch
Benutzung des Closets, sondern indirect in der Weise zu
Stande gekommen war, dass der Closetinhalt in das Hafen-
wasser geflossen und durch dieses, das vielfach im
Schiffe zum Trinken und Reinigen gebraucht wurde, die
Mannschaft inficirt hatte. Die einzelnen Quais des Ham-
burger Hafens haben nämlicli Siele, welche nicht mit dem
städtischen Canalisationssystem verbunden sind, sondern
jedes für sich am Ende des Quais in den Hafen münden.
Alle Schmutzwässer dieser Siele, also auch der Lihalt
der zu ihnen gehörigen Spülclosets geht in die Elbe und
wird bei Ebbe und Fluth neben den am Quai liegenden
Schiffen hin und her geschwemmt. Auf diese Weise
konnte auch der Inhalt des fragliclien Spülclosets und
etwa in dieses gelangte Choleradejectionen durch Ver-
mittelung des Wassers auf ziendich kurzem Wege in das
Schiff gelangt sein.
Man bat es hier mit ganz denselben Verhältnissen zu
thun, welche höchst wahrscheinlich die Choleraepidenne
im vorhergehenden Sommer im Hamburger Hafen zum
Ausbruch gebracht liaben. Damals war es die Baracke
der russischen Auswanderer auf dem Amerikaquai, von
welcher aus durch das Siel des Quais ganz ungenügend
desintieirte oder, richtiger gesagt, undesinficirte Fäkalien
und Schnnitzwässer von der Reinigung beschmutzter
Wäsche in den Hafen gelangten. Diese Abgänge waren
gar nicht unbedeutend, denn es kamen täglich einige
Hundert Auswanderer an, welche sich mehrere Tage in
der Baracke aufhalten mussten, bis sie weiter Itefördert
werden konnten. Zur Zeit des Choleraausbrnclis befanden
sich in Folge dessen durchschnittlich tausend Auswanderer
in der Baracke, welche die Unterbrechung ihrer Reise
vielfach dazu benutzten, eine Reinigung ihres Vorraths
an schmutziger Wäsche und Bekleidungsstücken vor-
zunehmen. Gegen die Annahme, dass die russischen
Auswanderer die Cholera nach Hamburg gebracht haben,
ist eingewendet, dass unter denselben vor dem Ausbruch
im Hamburger Hafen keine Cholera vorgekommen sei.
Schwere, klinisch unverkennbare Fälle von Cholera sind
unter den Auswanderern allerdings nicht lieobaclitet, aber
beweist denn das, dass die Auswanderer überhaupt keinen
Ciiolera-Infectionsstoff eingeschleppt haben können? Sie
kamen zum grossen Theil aus schwer verseuchten Gegen-
den, und wer kann da wohl behaupten, dass nicht Leicht-
kranke oder Reconvalescenten, welche noch zwei bis drei
Wochen lang Cholerakeime in ihren Dejeetionen haben
können, darunter gewesen sind, oder dass nicht in den
massenhaften mitgeführten Betten, Wäschestücken u. s. w.
Choleradejectionen hafteten. So wie die Verhältnisse
lagen, wäre es wunderbar gewesen, wenn durch solche
Auswanderer kein Choleraiufectionsstoff eingeschleppt und
wenn, nachdem er einmal in die Auswandererbaracke
und von da in das Siel und von diesem in den Hafen
seinen Weg gefunden hatte, die Hafenbevölkerung nicht
inficirt wäre. Der Hamburger Hafen mit seinen damaligen
Einrichtungen bildete einen ausserordentlich schwachen
l'unkt gegenüber der drohenden Cholerainvasion und an
diesem musste die Cholera Fuss fassen, wenn ihr durch
einen unglücklichen Zufall Gelegenheit dazu geboten
wurde. Eine andere Einschleppung der Cholera, etwa
vmi französischen Häfen her, hat sich nicht nachweisen
lassen, und da bleibt nichts anderes übrig, als den Ans-
wandererverkehr zu beschuldigen, welcher, wie gezeigt
wurde, überreiche Gelegenheit dazu gel)oten hat.
Während man in Betreff des spanischen Dampfers
Murciano, wenigstens Anfangs, nocli unentschieden war,
ob die Infeetion dem Wasser zuzuschreiben sei, blieb bei
dem zweiten Schiffe von vornliercin kein Zweifel darüber.
Das Schiff war l)ereits am 5. Januar im Hamburger Hafen
angelangt; am 12. Januar wurde der Murciano in die
Nähe desselben gebracht, desinficirt und gereinigt und
am 15. Januar l)rach die Cholera auf (Tretehen Bohlen
aus. Die aus IT Negern bestehende ^Mannschaft war bis
dahin cholerafrei gewesen, hatte sonst keine Gelegenheit
zur Infeetion gehabt, aber, wie in diesem Falle bestimmt
festgestellt ist, reichlich Wasser direct aus der Elbe ge-
trunken. Da der Verlauf auf diesem zweiten Schiffe sich
genau so verhielt, wie auf dem ersten, so wurde dadurch
die Annahme, dass es sich auch auf diesem in der Tliat
um eine Wasserinfectiou gehandelt habe, noch sicherer
gemacht.
In der Hamburger Nachepidemie haben wir es zum
ersten Male mit einer Epidemie zu thun, bei welcher die
bakteriologische Diagnostik in möglichst vollständiger
Weise durchgeführt und jeder Fall als Cholera registrirt
ist, bei welchem Cholerabakterien gefunden wurden.
Unter diesen Fällen befinden sich nicht nur solche, weiche
410
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 38.
mau früiier für choleraverdächtig gehalten, sondern auch
solche, welche klinisch ganz unbedeutende, selbst gar
keine Symptome darboten und nur deswegen untersucht
wurden, weil sie mit unzweifelhaften Cholerakranken in
Berührung gewesen waren. In dieser Epidemie sind eben
zum ersten Male ausser den klinisch Verdächtigen auch
die ätiologisch Verdächtigen untersucht, was zu dem so
ausserordentlich wichtigen Ergebniss geführt hat, dass
auch unter diesen eine gewisse Anzahl von Cholera-
Inficirteu sich befinden, welche nur mit Hiüfe der bakterio-
logischen Untersuchung als solche herausgefunden werden
können.
Es steht jetzt die Thatsache fest, dass unter einer
Anzahl von Menschen, welche der Cholerainfection aus-
gesetzt gewesen sind, die daraus resultirenden Er-
krankungen qualitativ die ganze Stufenleiter von den
schwersten, schnell tödtlichen, Ijis zu den allerleichtesten,
nur noch bakteriologisch nacliwcisbaren Fällen aufweisen
können.
Auf den beiden erwähnten Choleraschiffeu des Ham-
burger Hafens erkrankten je zwei Leute unter Symi)tomeu,
welche sie klinisch als choleraverdächtig erscheinen lassen
mussten; sie wurden sofort isolirt. Hätte man nun nach
Desinfection der Schiffe die übrige Mannschaft, welche
ganz gesund zu sein schien, unbehelligt gelassen, dann
würden acht Menschen, in deren Dcjcctionen sich Oholera-
bakterieu befanden, Gelegenheit gehabt haben, den In-
fectionsstoff in der Umgebung des Hamburger Hafens
auf's Neue zu verschleppen. Gesetzt den Fall, dass die
Schiffsmannschaften nicht Ausländer, sondern Inländer
waren und nach der Abmusterung in ihre Heimathsortc
reisten, hier vielleicht Anfangs auch noch zur Entwickelung
leichter und unerkannt bleibender Fälle Veranlassung
gaben, während sie selbst niemals klinisch cholerakrank
waren, dann hätte auf solche Weise die Cholera auf
weitere Entfernung verschleppt werden können, ohne
dass spätere Untersuchungen auch nur den geringsten
Anhalt für die Herkunft der Cholera zu ergeben brauchten.
Den Erfahrungen, welche in der Hamburger Nach-
epidemie gemacht sind, verdanken wir auch das richtige
Verständniss für die Ergebnisse der bisher an Menschen
gemachten absichtlichen und unabsichtlichen Cholera-
Infectionsvcrsuche.
Wenn also bei den vereinzelten Laboratoriums-In-
fectionen und den nur wenige Personen umfassenden ab-
sichtlichen Infectionen*) nur leichte Erkrankungen ent-
standen sind, so entspricht dies noch vollkonmien dem,
was nach den bisherigen Erfahrungen erwartet werden
konnte. Selbst wenn jene Versuche ganz negativ aus-
gefallen wären, würden sie gegen die Specitität der
Cholcrabakterien noch nicht das Geringste beweisen, da
ja unter den gruppenweise auf gewöhnlichem Wege In-
ficirten die Mehrzahl auch nicht krank wird. Wenn der-
artige Experimente den beabsichtigten Zweck erreichen
sollen, dann müssen sie ganz den natürlichen Verhältnissen
angepasst sein. Es müsste also eine grössere Anzahl
von Personen sich der Infection mit Cholerabakterien
aussetzen. Einige davon müssten die Bakterien bei leerem
Magen zugleich mit vielem kalten Wasser zu sich nelmien;
andere müssten, wenn sich Durchfall und Cholcrabakterien
in den Ausleerungen eingestellt haben, Diätfehler begehen
und Speisen zu sich nehmen, welche erfahrungsgemäss
den Ausbruch der Cholera begünstigen u. s. w. Erst
wenn bei einer derartigen Versuchsanordnung und bei
Verwendung frischer, vollvirnlenter Culturen nur leichte
Erkrankungen resultiren, dann würde man weiter danach
zu suchen haben, unter welchen besonderen Bedingungen
Vgl. „Naturw. Wochenschr." Bd. VII, S. 501.
Rod.
beträchtlichen Zahl von Menschen das Leben ^
hat, nicht zu verhüten gewesen wäre
die schweren Cholerasymptome zu Stande kommen und
ob noch besondere Hülfsmoniente dazu erforderlich sind,
welche ausserhalb der Eigenschaften der Cholcrabakterien
und ausserhalb der Schwankungen im Zustande der Ver-
dauungsorgane liegen. Bis dahin liegt kein Grund vor,
die jetzige Auffassung zu bezweifeln, dass die Cholera-
bakterien für sich allein im Stande sind, je nach der in-
dividuellen Disposition der Infieirten, das eine Mal leichte
und ein anderes Mal schwere Cholerasymj)tome zu l)e-
wirken. Damit verlieren selbstverständlich die bisher an-
gestellten Versuche durchaus nicht ihre Bedeutung; sie
liefern auf jeden Fall einen höchst werthvollen Beitrag
zur Beurtheilung der Leistungsfähigkeit der Cholcra-
bakterien; aber sie ])e weisen nicht das, was diejenigen,
welche sie an sich angestellt haben, damit zu beweisen
gedachten.
Wenn man sich mit der Nietlebener Cholera-Epidemie
zu beschäftigen hat, dann drängt sich unwillkürlich die
Frage auf, ob denn dies Unglück, das einer nicht un-
eküstet
Gewiss war es zu
verhüten. Es hätte nur Sorge dafür getragen werden
müssen, dass die an und für sich zweckmässigen sanitären
Einrichtungen der Anstalt, das Wasserwerk mit den Fil-
tern und die Canalisation mit den Rieselfeldern, richtig
functionirten.
Man kann aber unmöglich verlangen, dass der ärzt-
liche Director einer Irrenanstalt oder der technische Beamte
der Regierung neben ihren Speeialkenntnissen auch noch
bessere Hygieniker sein sollen, als es manche Professoren
der Hygiene sind, denen es auch noch an dem genügenden
Verständniss für die feineren Vorgänge beim Filtrations-
jn-ocess in Sandfiltern und im Boden fehlt. Ueberhaupt
darf in den Anforderungen an die hygienische Veraut-
wortlichkeit der ärztlichen Anstaltsdirectoren nicht zu weit
gegangen werden. Es giebt gewisse Kenntnisse, die man
sich nicht mit dem gewöhnliehen für praktische Aerzte
berechneten hygienischen Studium aneignet und die auch
nicht aus Büchern zu erwerben sind, sondern nur durch
Specialstudium und durch die in der Praxis gemachten
Erfahrungen erlangt werden. Auf diesem Gebiet hört die
Verantwortlichkeit der mit gewöhnlicher hygienischer Vor-
bildung ausgerüsteten Aerzte auf, und ebensowenig wie man
einen Anstaltsdirector dafür zur Verantwortung ziehen wird,
dass in seiner Anstalt ein Dampfkessel wegen eines leicht
zu erkennenden und zu vermeidenden Fehlers esplodirt ist,
ebensowenig soll man denselben auch wegen einer Cliolcra-
explosion in Folge von Fehlern, die bei der Wasserfiltration
und bei der Berieselung gemacht sind, zur Rechenschaft
ziehen.
Hier giebt es nur ein Auskunftsmittel, auf das ich
bereits früher hingewiesen halte und das ich an dieser Stelle
nochmals so dringend als möglich befürworten möchte,
das ist die staatliche Ueberwachung derartiger Anlagen
durch Special-Sachverständige, die mit den einschlägigen
Verhältnissen vertraut sind und, mitten in der Praxis
stehend, sieh die erforderlichen Erfahrungen angeeignet
haben.
Aber wird der Staat sich hierzu verstehen V Soweit
ich die Verhältnisse zu übersehen vermag, glaube ich
nicht, dass er dies schon bald thun wird. Einmal wird
man sich bestimmt dazu entschliessen müssen; aber vor-
läufig hält man die ganze Frage noch nicht für spruch-
reif. Immer wieder begegnet man in den maassgebenden
Kreisen der Ausiclit, dass die Gelehrten ja unter sich noch
nicht einig seien und dass man deswegen noch damit
warten müsse, bestimmte Stellung zu dieser Frage zu
nehmen. Von bakteriologischer Seite werde zwar be-
hauptet, dass Cholera und Typhus durch Wasser verbreitet
Nr. 38.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
411
werden ivönuteii, aber von anderer nicht minder auto-
ritativer Seite werde das bestritten, und man wisse ja
übeiliaui)t noch nicht, ob die Cholerabakterien auch wirk-
licii die Ursache der Cholera seien und ob sie verdienten,
l)ci der Bekämpfung der Cholera so bcrUeksichtii;t zu
werden, wie von den Bakteriologen angerathen werde.
Wie tief derartige Anschauungen eingewurzelt sind, geht
am besten daraus hervor, dass vor noch nicht so langer
Zeit der Grundsatz aufgestellt wurde, dass die Lehrstühle
der Hygiene abwechselnd zu besetzen seien mit einem
llygieniker, welcher zugleich Bakteriologe sei, und mit
einem solchen, der der entgegengesetzten Richtung ange-
liöre, das heisst doch wohl, der von Bakteriologie nichts hiilt.
Wer sind denn nun aber die Gelehrten, welche über
die Bedeutung der Cholerabakterien nicht einig sein sollen?
Selbstverständlich können dies doch nur Leute sein, welche
sich selbst mit Bakteriologie beschäftigt haben, also die
sogenannten Bakteriologen. Nun kann ich mit Bestimmt-
heit behaupten, dass wohl kein namhafter Bakteriologe
existirt, welcher nicht die Cholerabakterien als die nächste
Ursache der Cholera gelten lässt. Selbst die Münchener
Schule, welche am längsten opponirt hat, musste sich ganz
allmählich dazu verstellen, ihm wenigsten die Eolle des X
in der bekannten Gleichung mit drei Unbekannten ein-
zuräumen. Der einzige Meinungsuntersehied unter den in
dieser Frage allein eompetenten Gelehrten besteht noch
darin, welche weiteren in und ausserhalb des Menschen
wirkenden Hilfsmomente und in welchem Umfange solche
anzunehmen sind. Aber über die eigentliche Haujjtfrage
sind die Gelehrten vollkommen einig.
Diejenigen Gelehrten, welche von den Cholerabakterien
nichts wissen wollen, sind also keine Bakteriologen, ihre
Gelehrsamkeit wurzelt auf einem anderen Gebiete. Aber
sie haben in der Discussion über die Cholerafrage einen
grossen Vortheil. Sie machen es nämlich eben so, wie
andere Leute, die von einer Sache nichts verstehen; sie
reden darüber mit einer Bestimmtheit und Sicherheit,
welche dem Laien, in diesem Falle also dem Nicht-
Bakteriologen, imponiren nniss und bisher auch noch immer
imponirt hat. Von dem ärztlichen Publicum und von den
Behörden, welche mit Cholera- Angelegenheiten zn thun
haben, werden sie deshalb als Autoritäten, als „Gelehrte",
angesehen, die mit den anderen Gelehrten noch nicht einig
geworden sind.
Dafür, dass die Nicht-Bakteriologen aufhören würden,
in diese Fragen hineinzureden und immer von Neuem dem
grossen Publicum den Sinn zu venvirren, liegen I)is jetzt
noch keine Anzeichen vor. Wenigstens hat v. Pettenkofer,
welcher doch, wie er selbst bei jeder Gelegenheit hervor-
hebt, sich nicht mit Bakteriologie l)eschäftigt hat, noch
in seiner letzten Publication sich gegen den jetzt von allen
Bakteriologen und selbst von seinen eigenen Schülern
eingenommenen Standpunkt erklärt und sich mit der
bakteriologischen Seite der Cholerafrage mit Seherzen
über den „Bacillenfang" und über die „Unmöglichkeit,
den Verkehr pilzdicht zn machen" abgefunden, obwohl er
doch recht gut wissen sollte, dass das l'rincip der jetzt
zur Anwendung konnncnden Choleramaassregehi nicht thirin
beruht, den Verkehr pilzdieht zu machen, llollcntlich wird
er sich nach den Erfahrungen, welche in der letzten
Ei)idemie mit den von ihm so hartnäckig bekämpften
^laassregeln gemacht sind, schon überzeugt haben, dass
dieselben denn doch nicht so schlecht sind, als er sich
vorgestellt hat.
Wenn v. Pettenkofer trotz alledem auch ferner auf
seinem ablehnenden Standpunkt beharren sollte, so würde
ich das zwar nicht vom wissenschaftlichen, jedoch vom
menschlichen Standpunkt begreifen. Es muss ihm, der
mit seinen viele .(ahre hindurch mit dem gn'issten Auf-
wand von Genie und Scharfsinn vertretenen Ansichten
verwachsen und mit ihnen alt gewi irden ist, ausserordent-
lich schwer werden, sich davon, wenigstens theilweise,
zu trennen. Aber unbegreiflich ist es mir, dass ein .Mann
wie Liebreich, welcher sich auch nicht mit Bakteriologie
beschäftigt hat und, wie fast jeder Satz in seinem vor der
Berliner Medicinischcn Gesellschaft gehaltenen Vortrage*)
beweist, von Bakteriologie thatsäcldich nichts versteht,
ausserdem offenbar auch nicht ein einziges Mal eine
Choleradejection bakteriologisch selbst untersucht hat, es
unternehmen kann, über die bakteriologische Cholera-
diagnostik im Besonderen und über die Bakteriologie mit
ihren bisherigen Leistungen im Allgemeinen den Stab zu
brechen. Was soll wold daraus werden, wenn auf der
einen Seite die Gelehrten der Bakteriologie sich alle er-
denkliche Mühe geben, um nachzuweisen, dass filtrirtes
Wasser auf seine Reinheit Ijakteriologisch geprüft werden
muss, und auf der anderen Seite der Gelein'te Liebreich
erklärt: „In Bezug auf die Wasserfrage hat die ]5akterio-
logie nichts Neues gebracht; gutes Wasser wurde schon
früher verlangt; dass fauliges Wasser krank macht, wussten
wir lange schon." Heisst das nicht mit aller Gewalt Ver-
wirrung anrichten?
Icli fürchte, dass man, so lange solche Reden geführt
werden, an maassgebender Stelle immer wieder sagen
wird: Die Gelehrten sind noch nicht einig und es muss
vorläufig Alles beim Alten bleiben. Wenn uns dann aber,
wie ich ebenfalls furchte, solche Katastrophen, wie in
Hamburg und Nietlebcn, auch in Zukunft nicht erspart
bleiben, dann möge man sieh auch an diejenigen „Ge-
lehrten" halten, welche sich das höchst verantwortliche
Amt vindieiren, über Dinge zu reden, von denen sie nichts
verstehen.
*) Vergl. „Natimv. Wocliensclir." Bd. VIII, S.319. Red.
Die XL. Versammlung der Deutschen Geologischen Gesellschaft in Goslar
vom 14. bis 19. August.
Die Geschäftsführung für die diesjährige Versamm-
lung lag in den Händen Professor Klockmann's aus
Klausthal; den Vorsitz hatte am 14. August Berghauptmann
von Strombeck aus Braunschweig, am 15. Geheimer
Ober-Bergrath Dr. Haueheeorne aus Berlin imd am 16.
Professor von Koenen aus Göttingen. Es waren gegen
60 Mitglieder anwesend.
Die XLI. Versammlung der Gesellschaft findet 1894
in Coburg statt im Anschlüsse an den in Zürich tagenden
Internationalen Geologen- Congress. Zum Geschäftsführer
derselben wurde der Königl. Landesgeologe Dr. Loretz
(Berlin) gewählt.
Von den Vorträgen erwähnen wir die folgenden:
Bergrath Stelzner (Freiberg) sprach über eigen-
thümliche Obsidianbomben aus Australien, von
denen er eine Anzahl, von 4 Fundpunkten stannnend, vor-
legte. Dieselben, bald massiv, bald einen dünnkrustigen
Hohlkörper vorstellend und in letzterem Falle auf dem
Wasser schwimmend, in Folge dessen sie über weite Ge-
412
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 38.
biete verbreitet werden krnnien. bestehen aus zwei Hähten
von verschiedener Wölbung- und zeigen auf der Oberfläche
conceutrische und radiale Sculptur und feine Löcher. Am
nierlvwürdigsten ist ihre Verbreitung über ein ausgedehntes
Gebiet, welches keine Vulcane besitzt, so dass nvu-
anzunehmen ist, dass sie von einem unbekannten Erup-
tionspunkte aus durch Wasser an ihre jetzige Lager-
stätte transportirt worden sind. Die Entstelning der eigen-
thümlichen Form ist auf den Widerstand der Luft zurück-
zuführen, welchen die emporgeschleuderten flüssigen Lava-
tropfen zu überwinden hatten. Aehnlichc Erscheinungen
flnden sich an einigen Meteoriten und bei den Geschossen
des Mausergewehres, wenn dieselben in Saud schlagen
und zu Hutpilzform zusammengepresst werden. Den Fund-
punkten dieser sonderbaren vulcanischen Bomben in
Australien, Ungarn und Mexico (in beiden letzteren aber
nur massive), welche der Vortragende aufzählt, fügt Pro-
fessor Wichmanu aus Utrecht noch einen neuen hinzu,
nämlich die Sundainsel Biliton, wo er ganz gleiche Ge-
bilde in alluvialen Zinnseifen jedem vulcanischen Herde
fei'u gefunden hat.
Professor Brackebusch (Bockenem) erläuterte die
von ihm vorgelegte geologische Karte von Mittel-
Argentinien in <S Blättern. Das Gebiet östlich und west-
lich der vortertiären Hauptkordillere ist durch seine
geologische Zusammensetzung scharf von einander unter-
schieden. Oestlich derselben sind die Gesteinsschichten
bis in das Rhät hinab nur äolischc oder Süsswasser-
bildungen, westlicli dagegen sind Rhät, Jura und Kreide
marinen Ursprunges mit zahlreichen Einlagerungen von
Eruptivgesteinen. Die Vulcane liegen auf .Spalten, welche
in nordnordwestlicher Richtung verlaufen, und stets auf
den Schnittpunkten dieser mit der Wasserscheide der beiden
Kordillereuketten. Das häufige Vorkommen von Salz in
den Sümpfen (Salinas) der Niederung ist darauf zurück-
zufühien, dass die zum Atlantischen Ocean strömenden
Flüsse aus den an Salzlagern reichen Juraschichten der
westlichen Kordillere entspringen. Sobald sich der Lauf
dieser Flüsse ändert, entstehen auch neue Salinas. In
grossartigem Maassstabe hat der Wind seine Einwirkung
auf die jüngsten Ablagerungen der Hochflächen geäussert,
indem er dieselben aufljcreitet und zu Wüstenboden um-
gewandelt hat.
Professor Lepsius (Darmstadt) erläuterte die von
ihm anfgenonniienc und vorgelegte geologische Karte
von Attika im Maassstabc 1 : 2ö,0(K). Nach seinen Unter-
suchungen gehört ein Theil der krystallinen Gesteine dieses
Landes entgegen der Meinung der österreichischen Geologen
(alle seien cretaceischen Alters) einem Grundgebirge an,
welches in zahlreichen Durchbrüchen auftritt und dis-
cordant von der Kreide überlagert wird, deren Gesteine
theilweise metamorphosirt worden sind.
Professor Klockmann (Klausthal) erläuterte die La-
gerungsverhältnisse des Rammeisberges. Die
ursprüngliche Aufeinanderfolge der an der Zusammensetzung
des Rannnelsberges hauptsächlich betheiligten devonischen
Gesteine ist die folgende: zu unterst Spiriferensandsteiu,
darüber die Calceola-Schichten und über diesen die Gos-
larer Schiefer. In diesen letzteren ist concordant das
berühmte seit bald 1000 Jahren bereits bebaute imd
noch Jahrhunderte lang abbauwürdige Erzlager des
Rammeisberges in einer Mächtigkeit bis zu 30 m und
einer Sti'eichlänge bis zu 1200 iü mit ca. 45° Einfallen
eingelagert.
Am Rammeisberge selbst treten die ge-
nannten Schichten aber in umgekehrter Reihenfolge auf,
zu Unterst die jüngeren Goslarer Schiefer und zu oberst
der ältere Spiriferensandsteiu. Dies ist darauf zurück-
zuführen, dass der Berg eine überkippte Falte darstellt,
wie denn überhau])t die ganze Gegend ein mächtiges,
recht complicirtes Faltungsgebiet ist. Als die Faltung
vor sich ging, war bereits das Erzlager vorhanden, daher
liegen denn auch seine ursprünglich ältesten Theile oben,
die jüngsten dagegen unten. Erstere sind öfters in ihren
obersten Partien gefaltet, letztere dagegen eben und be-
sitzen im Liegenden eine Zone zerquetschter Schiefer,
welche ihres beständigen Auftretens in der Nähe der Erze
wegen vom Bergmann als Leitschicht bezeichnet wird. In
Folge einer weiteren Faltung in der Richtung des Streichens
ist der eine Flügel des Lagers scheinbar in das Liegende
des bisher abgebauten verschoben worden. 1859 ist auch
dieser liegende Theil entdeckt und 1892 auf der tiefsten
Sohle noch edel ausgerichtet worden, wodurch eben
dem altberühmten Bergliaue sein ferneres Bestehen für
lange Zeiten gesichert ist. Die Zusammensetzung des
Lagers ändert sich in verticaler Richtung sowohl wie
in derjenigen des Streichens: die ältesten Erze bestehen
aus einem durch schiefrige Bestandtheilc verunreinigten
Kupferkiese (sogenannter Kupferkniest), auf welchen ge-
waltige Massen eines jüngeren, innigen Gemenges von
Kupfer- und Schwefelkies, bald derb, bald feingeschichtet
folgen — in der Streichrichtung folgen auf die gemengten
P>ze solche, die feink<'irnig sind und Schwerspath ent-
halten. Die Entstehung dieses Erzlagers wird auf directen
A))satz in einem Meeresbecken zurückgeführt, in welchem
JMetallsalze unbekannter Herkunft reducirt wurden, x.
Professor Berendt (Berlin) legte vor und besprach
die 16 Messtischblätter (aufgenommen von Berendt,
Wahnschaft'e und Schroeder) der Gegend zwischen
Teniplin, Fürstenwerder, Prcnzlau, Eberswalde
und Oderberg, auf welchen der der Uckermark an-
gehörende Theil der südbaltischen Endmoräne zur Dar-
stellung gelangt. Diese gewaltige Moräne, die älteste
und grösste Norddeutschlands, von der sich mehrfach
jüngere Endmoränen, entsprechend den Perioden des
Stillstandes des sich zurückziehenden diluvialen Inland-
eises abzweigen, zieht sich von der dänischen Grenze
durch Schleswig-Holstein, südlich Lübeck durch Mecklen-
Inu-g hin, tritt nahe Feldberg in die Uckermark ein,
welche sie in S. O.-Richtung bis Oderberg durchzieht,
übersehreitet die Oder, setzt sich über Schwiebus und
Bomst bis Lissa (Posen) fort und ist in Russisch
Polen südlich Kaiisch bis Radomsk wieder beobachtet
worden. Von den jüngeren Abzweigungen ist am be-
deutendsten bei ims die Endmoräne, welche von Oderberg
über Soldin und Dramburg durch ganz Hinterpommern
bis nach Schweiz an der Weichsel streicht. Die Ge-
biete dieser Endmoränen zeigen ihnen eigene Charaktere:
grossen Seenreichthum (theils Stauseen, hinter den Moränen;
theils Ausfüllungen der von den Abschmelzwassern gegra-
benen Rinnen vor denselben); vor den Moränen ferner oft
sehr bedeutende Sandmassen (abgelagert durch die Schmelz-
wasser), hinter denselben den Lehm des oberen Geschiebe-
mergels. Gebildet werden die Endmoränen aus Anhäu-
fungen von Blöcken aller Grössen, die oft fortlaufende
Züge bilden, oft als einzelne Kuppen untl Kegel auf-
treten, zuweilen auch (z. B. zwischen Feldberg und Fürsten-
werder) in Parallel-Zügen angeordnet sind, entsprechend
der Verschiebung des Eisraudes.*) x.
Im Anschluss an diesen Vortrag berichtete Dr.
Gottsche (Hamburg) über seine Untersuchung- und
*) Vergleiche über die südliche baltische Endmoräne in der
Uckermark und Mecklenburg-Strelitz den Original-Artikid und
die Karte des Herrn Prof. Berendt in Bd. II, S. 130 ft'. der
„Naturw. Woclicnschr." ; ferner Keilhack, der baltische Hülienrücken
in Hinterpommern und Westpreussen, „Naturw. Wochenschr."
Bd. VU, S. 57.
Nr. 38.
Naturwisscuscliiiftliche Wochouscln-ift.
413
Kärtiruiig der: südbaltiseheu Endmpräue in
Schleswig-Holstein,! wo sie den Westrand der frucht-
baren Ostholsteiuischen CTeschiebenierfjellandst'hai't bildet
und cbentalls die charakteristischen Eigenthümlichkeiten
ihrer südlieben Fortsetzung ausgeprägt zei^t. ■ .
iBezirksgeologe Dr. Koeh- (Berlin) sprach über die
tektoiiisoheu A^erhältnisse des Oberharzer Diabas-
zuges. Dieses, Diabasvorkonimen in einiger Eutt'ernuug-
vou' Klansthal ist vom Vortragenden Hntersueht und karto-
graiiUiseh dargestellt worden. Der Diabas bildet hier in
den, mittel- und oberdevouischen Schiefern eingeschaltete
Decken -. und grosse Diabastufflager, in denen Eisenerze
nichts seltenes sind. Der gesammte Sc.hiehtencomplex
hebt sich in Gestalt eines langgestreckten Zuges aus den
jüngeren Culmschichteu heraus und bildet eine überkippte
Mühle. AV'eitere Faltungen, Zerreissungen und Ueber-
schiebungen haben die Lagerungsverhältnisse ausser-
ordentlich coraplicirt gestaltet und machen eine richtige
Deutung sehr schwer.
Landesgeologe Dr. Keilhack (Berlin) berichtete über
die Wanderdünen an der hinterpomnierschen
Küste. Auf den 1 — 1'/„ km breiten Landbändern (Neh-
rungen), welche die beiden Haffseeen des Vietzker Seees
und seines Nachbarbeckens von dem Meere trennen, liegen
gegen 20 durch den Wind zusammengehäufte, 20 — 50 m
hohe, etwa dojjpelt so lange als breite Sandmassen, ohne
alle Vegetation, welchen man mit Recht den Namen
Wanderdünen beigelegt hat. Ihre Bewegung ist fast
genau nach Osten gerichtet, lässt hinter sich, also im
Westen, eine thalartige, von niedrigen, bewachsenen
Dünen zu beiden Seiten begrenzte Ebene, die sogenannte
Wanderbahn der Düne zurück und schreitet im Jahre
etwa 8 — 18 m vorwärts. Von Westen, derjenigen
Richtung, wo in dieser Gegend die meisten und heftigsten
Winde wehen, steigt die Sandmasse ganz laugsam an
und fällt nach Osten unter einer Neigung von 30—31°
(für Sand die grösstmögliche) nicht selten 20 — 30 m ab.
Die Wanderbahn ist in der Regel mit einem nach Osten
zu immer jünger werdenden Walde bedeckt und enthält,
wenn sie bis auf den Grundwasserspiegel ausgeblasen ist,
nicht selten kleine Tümpel nnt SüsswassermoUnsken.
Wird solch ein Tümpel wieder von Sand verschüttet, so
werden seine Bewohner mit begraben und bilden dann
inmitten der äolischen Ablagerungen dünne Bänke mit
einer Süsswasserfauna. Wenn die Wanderdüne auf ihrem
W&^a Wald antrifft, dringt sie in denselben hinein, ver-
schüttet ihn und lässt beim weiteren Vorschreiten später
die abgestorbenen Stumpfe wieder zu Tage treten. Der
Vortragende schätzt das höchste Alter dieser Dünen auf
nicht viel mehr als 500 Jahre und glaubt, dass ihre Ent-
stehung auf Vernichten der ursprünglichen Grasnarbe
durch weidendes Vieh oder unvernünftiges Abholzen der
einstigen Wälder zurückzuführen ist.*) x.
Professor Wich mann (Utrecht) berichtete über den
Ausbruch des Gunung Awu auf der zwischen
Mindanao und Celebes gelegenen Insel Sangi,
am 7. Juni 1892. Der bei dieser Eruption stattgehabte
Aschen- und Bimstein - Ausbruch, der viele Menschen
tödtete, lieferte einen reichlich Schwefelgase aushauchen-
den Schlammstrom, welcher durch die Entleerung des
den Krater füllenden Sees verursacht wurde. Ein eigent-
licher Lava-Erguss, wie irrigerweise behauptet wurde,
hat nicht stattgefunden. Augenblicklich befindet sich
im Krater nur eine Pfütze, an deren Rande Solfataren
tiiätig sind. Der Vortragende machte auf die Aehidich-
keit des Materiales dieses Schlammstromes mit dem
*) Vergl. auch über Wanderdünen den Original-Aufsatz de.s
Herrn Prof. Berendt in Bd. V, S. 4 der „Naturw. VVochenschr."
als Baustein i: SO geschätzten ;Tra§S;d«s Brohlthalcs auf-
merksam Und stellte den Vulcan Gunimg Awu in eine
Vulcanreihe,v,w,e\clje., derjenigen .4ej: ,Mc)lukken-Iusclu pa^-,
rallel läutt.f->fiifioi/rc'«';«if); r!;>dbi'>;f) rs;(,i . . i ?,•(.:
Professor Lepsius (Darmstadt) berichtete über die
Aiiffindung von Moränen im Taunus und Oden-
wald e. Dieselben gehen bis 150 m über der Rheinthal-
ebene hinab, sollen der Haupteiszeit angehören und sind
von Lriss bedeckt, den der Vortragende für ein einheit-
liches Ganze hält, das sich zwischen der vorletzten und
letzten Vereisung gebildet hat. Zur selben Zeit hätten'
sich weiter itnten fluvio-glaciale Schotter und in der
oberen Rlieihebene mächtige Schottermassen abgelagört.
Das vollständige Aequivalent des Löss sollen die Dünen
sein, nur mit dem Unterschiede, dass sie die gröberen
Ausblasungsproducte darstellen. Ein unmerklicher üeber-
gang beider Bildungen in einander lasse sich in einer
1 km breiten Zone konstatiren. Ferner sprach der Vor-
tragende über die Annahme dreier Eiszeiten und eine dem
entsprechende Eintheilung des süddeutschen Diluviums,
wobei er dann die Deckensehotter der löcherigen Nagel-
fluh als Producte dei- ersten, die A1)lagerungen der Hoch-
terrassen der zweiten und diejenigen der Niederterrassen
der jüngsten Eiszeit ansprach.
Die Wahl Goslars zum Versammlungsort der Deut-
schen Geologischen Gesellschaft war eine überaus günstige;
dies zeigte sieb so recht bei den Excursionen. Ist schon
die Stadt an und für sich als alte Kaiserstadt an histo-
rischen Erinnerungen sehr reich, so ist es an Naturschön-
heit die Umgebung noch weif mehr, und vor allen Dingen
tritt für den Mann der Wissenschaft der Harz mit seinem
ausserordentlich interessanten, complicirten Aufbau in den
Vordergrund. In seltener Vollständigkeit kann man an
ihm und in seiner Umgebung die Reihe der geologischen
Formationen und die während der Bildung derselben hier
vor sich gegangenen Veränderungen der festen Erdkruste
studiren. Der eigentliche Harz besteht aus Gesteinen,
deren jüngste dem unteren Steinkohlengebirge, dem Kulm,
angehören. Nach der Ablagerung dieser Formation trat
eine Erhebung des Gebirges ein, welche sich in Verbin-
dung mit anderen tektonischen Veränderungen und Be-
wegungen bis in ganz junge Perioden fortsetzte. Die
Folge davon ist, dass alle jüngeren Formationen nur
rings um das Gebirge auftreten und an seinem Rande
sämmtlich steil aufgerichtet sind. Diese Aufrichtung geht
vielfach so weit, dass unmittelbar am Fusse des Gebirges
eine Ueberkippung stattgefunden hat, so dass, wie wir
das bereits bei dem Referat über den Vortrag von Pro-
fessor Klockmann über den Rammeisberg ausgeführt
haben, die älteren Gebirgsglieder von den jüngeren unter-
lagert werden. Diese tektonischen Störungen haben na-
türlich auch das eigentliche Gebirge betroffen und hier-
durcli Faltungen, Ueber- und Unterschiebungen bedeutende
Veräudeiungen hervorgebracht, dazu kommt das Emi)or-
dringen von Gesteinsmassen aus dem Innern der Erde,
welche an ihren Berührungspunkten mit den Sedimentär-
gesteinen diese metamorphosirt haben, so dass ganz
fremdartige Gesteine entstanden sind, deren Zusammen-
hang mit dem unveränderten Gestein erst ein sehr ein-
gehendes Studium feststellen konnte.
Die obere Steinkohlenformation tritt nur lokal und
in einem ganz schmalen Bande auf, auf sie folgen aber
das Rothliegende, der Zechstein, Buntsandstein, ^lusehel-
kalk und Keuper um den ganzen Harz herum. Jura und
Kreide haben sich dagegen nur am Nordrande desselben
abgelagert, sind aber auch hier am Fusse des (Jebirges
von den dasselbe betreffenden tektonischen Veränderungen
in Mitleidenschaft gezogen worden.
414
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 38.
In dieses an historischem und naturwissenschaftlichem
Interesse, sowie an Naturschönheiten so überreiche Gebiet
waren die Excursionen der Theilnehmer an der Versamm-
lung gerichtet. Dass dieselben ausserordentlich anregend
waren, lässt sich wohl denken; dazu kam noch das
liebenswürdige Entgegenkommen der lokalen Behörden
und bergbaulichen und gewerblichen Instanzen, welche
den Mitgliedern der Gesellschaft alles sie Interessirende
vor Augen zu führen bemüht waren, sowie die fach-
männischen, an Ort und Stelle abgegebenen Erläuterungen
der in diesem Gebiete arbeitenden Gelehrten.
Nachdem am Nachmittage des 14. August die Sehens-
würdigkeiten der Stadt in Augenschein genommen waren,
wobei Kreisbauinspector von Beer als Führer diente,
wurde der Steinberg und Verlorene Berg besucht und hier
ein genussreicher Abend verlebt, dessen Arrangements der
städtische Oberförster Reuss bestens geleitet hatte. Der
Nachmittag des zweiten Tages (15. August) wurde zu
einer Excursion in die Randgesteine des Harzes benutzt.
Es wurde der östlich der Stadt gelegene Petersberg be-
sucht und seine steil aufgerichteten Jura- und Kreide-
schichten besichtigt; weiter ging es zu dem jenseits der
Gose gelegenen Sudmer-Berge, an dessen Aufbau zu
Unterst die Emscher Mergel und darüber noch jüngere
Schichten der oberen Kreide theilnehmen, die hier, im
Gegensatze zu den Schichten des Retersberges, nicht mehr
steil aufgerichtet sind, sondern nur noch eine ganz
schwache Neigung nach Norden zeigen. Der Vormittag
des dritten Versammlungstages war der Besichtigung des
Rammeisberges gewidmet, wobei Oberbergrath AVimmer
von der Betriebsleitung des Rammeisberges als Führer
diente. Hinsichtlich des geologischen Aufbaues dieser
Localität verweisen wir auf das obige Referat über den
Vortrag von Prof. Klockmann. Nachdem am 16. August
Nachmittags die Schlusssitzung stattgefunden hatte, wurde
am 17. eine Excursion nach der bei Vienenburg gele-
genen Gnibe Hercynia unternommen, welche in einem
gewaltigen Betriebe die werthvollen Abraumsalze (hier
Kalisalze) des oberen Zechsteins abbaut. lieber Oker
ging es nach Harzburg, wo die Gabbrobrüche des Radau-
thales besichtigt wurden, dann zurück nach Goslar. Der
18. und 19. August war zu einem grossen Ausflug in den
Oberharz bestimmt. Von Goslar ging es mit der Bahn
über Langeisheim nach Klausthal, von wo nach einem
erläuternden Vortrag über die geologischen Verhältnisse
des Oberharzes durch Professor Klockmann und Besichti-
gung der Sammlung der dortigen Bergakademie die
Silberhütte und der Iberg besucht wurden und die Mit-
glieder sich nach Grund begaben. Im wesentlichen be-
steht der eigentliche Oberharz aus Kulm; in diesen ragen
jedoch am Nordrande, im Iberge und südlich von Klaus-
thal devonische Massen hinein, oder treten inselartig
hervor. Dazu kommen Eruptivgesteine, wie Diabase,
Granit und Gabbro, und tektonische Störungen machen
die Lagerungsverhältnisse aller dieser Gesteine ausser-
ordentlich complicirt. Am 19. August ging es von Grund
über Klausthal zur Besichtigung des neu angelegten Kaiser-
Wilhelm-Schachtes, von dort zum Oberharzer Diabaszuge
(siehe oben bei Dr. Koch) und endlich nach Altenau, in
dessen Nähe der Granitstock von Oker interessante Con-
tactmetamorphosen hervorgebracht hat, und zur Romker-
halle. Hiermit war die Excursion lieendct und Abends
schieden bereits die Mitglieder der Versammlung von
einander.
System der Hyalonematiden. — Zu den Glas-
schwämmen oder Hexactinelliden, jenen in früheren Erd-
perioden mannigfacher als heute entwickelten, jetzt nur
in bedeutenden Meerestiefen lebenden Kieselschwämmen,
gehören die Hyalonematiden. Ihr System ist neuerdings
von Fr. Eilhard Schulze in den Sitzungsberichten
der Berliner Akademie (S. 541 ff.) einer Revision unter-
zogen worden. Die Hyalonematiden haben Amphidisken,
dagegen fehlen ihnen die Hexaster. Ihre äussere Haut
und in der Regel auch ihre Gastralmembran sind mit
senkrecht gestellten pentactinen oder hexactinen Pinulen
dicht besetzt. Die äussere Haut wird von pentactinen
Hypodermalien gestUzt, der osculare Grenzraum durch
gerade diactine Marginalia gebildet. Im Meeresboden
sind sie durch einen Nadelschopf von zwei- oder vier-
zähnigen Ankern befestigt. Sie kommen daher nur auf
lockerem, nie auf felsigem Grunde vor. Niemals ver-
schmelzen oder verkitten die Nadeln ihres Gerüstes. Die
Hohlräume weisen keine gesonderten Kammern auf, son-
dern die mit Geisseizellen besetzte membrana reticularis
ist unregelniässig ausgebaucht. Die äussere Form des
Körpers ist meist die eines dickrandigen Kelches. Sie
ist für die Gattungen und Arten von Bedeutung. Die
Gattung Semperella besitzt ein communicirendes System
gleichweiter Röhren, während die Gattungen Pheronema,
Poliopogon und Hyalonema ein baumförmig verzweigtes
Kanalsystem haben. Schulze begründet hierauf und auf
den bei Semperclla eigenthümlichen Nadelbau die Unter-
familien der Semperellinae und Hyalonematinae. Die ein-
gehendere Betrachtung der vier Gattungen zeigt, dass von
dem von den Urhyalonematiden aufsteigenden Stamm,
dessen Spitze Pheronema bildet, sich anfangs divergirend
Hyalonema und Semperella, später Poliopogon abgezweigt
haben. Sodann geht Verf. auf die Arten ein, um am
Schluss eine ausführliche Bestimmungsübersicht der Fa-
milie zu geben. Pheronema umfasst 6 Arten, die im
atlantischen Ocean, bei den Philippinen und Molukken in
200 bis gegen 3000 m Tiefe gefunden worden sind.
Poliopogon mit 2 Arten gehört den Canaren sowie dem
grossen Ocean, nördlich von Neu-Seeland, an und wurde
(von jeder Art ist nur ein Exemplar bekannt) in 2790, bezw.
1153 m Tiefe gedregt. Hyalonema unifast 20 Arten, von
denen zwei, H. cupressiferum und fruticosum, neu sind.
Die Hyalonemen sind vorzugsweise im Stillen Ocean und
meist in bedeutenden Tiefen (bis 4400 und 4600 m) ge-
funden worden, nur H. Sieboldi von Japan und H. toxeres
von St. Thomas fanden sich in flacheren Meeren (300 bis
500 ni, bezw. 417 m). Semperella umfasst die eine Art
S. Schultzei. Matzdorff.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Dr. Janosik, ausserordentlicher Pro-
fessor für Histologie und Embryologie an der böhmischen Univer-
sität Prag, zum Ordinarius. — Der ausserordentliche Professor
für Philosophie an der Universität Marburg Dr. P. Natorp zum
Ordinarius. — D. Davydow, Privatdocent am Veterinär-Institut
in Charkow, zum Professor für Pharmaoie und Pharmakognosie
an der Universität Warscliau. — Dr. Boeddinghans zum
Assistenten am chenuschen Laboratorium der Bergakademie zu
Freiberg in Sachsen.
Es hat sich habilitirt: Der Assistent am physiologischen
Laboratorium der Kgl. Versuchsstation für Gährungsgewerbe an
der Akademie Hohenheim Dr. Franz Lafar für Gährungs-
physiologie an der Technischen Hochschule in Stuttgart.
Dr. Karl Maria Finkeinburg, Profes.sor der Hygiene an
der Universität Bonn, beabsichtigt, seine Lohrthätigkeit einzustellen.
Es sind gestorben: Der Professor für Embryologie an der
Universität Edinburgh Brook daselbst. — Der Professor der
Mediciu Dr. John King in Cincimiati. — Professor M'Fadden
A. Newell, Superintendent of Public Instruction des Staates
Maryland, früher Lehrer der Naturwissenschaften am Lafayette
Nr. 38.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
41.")
— Patui- li. r. Vin.
College, hiTvon-agondoi- Schriftstell
Director des Belen- Observatoriums in Havaiinah. — Der durcl
seine wissenscliaftlielie Arbeiten bekannte Sanitätsrath Dr. B
Schmitz in Neueuahr. — Der frühere Oberbibliothekar
Königl. Bibliothek in Stockholm Dr. Gustav Kduard
ming in Södermanland. — Der Geheime Sanitätsrath Dr.
vant, bekannter medicinischer Schriftsteller, in Frankfurt a. M.
an der
K 1 e m -
Passa-
Die Englische Photographische Gesellschaft und ihr nahe-
stehende Körperschaften werden vom 10. l)is \2. (Ictober d. J.
eine allgemeine Versammlung in London ablialten. Geschäfts-
führer ist Mr. Chapman Jones, 50 Great Rüssel Street, W. C.
Eine Internationale Ausstellung für Armateur-Photographie
findet vom 1. bis 31. October d. J. in Hamburg in der Kunst-
halle statt.
Die Q-rönland- Expedition des amerikanischen Marinelieute-
nants Peary scheint ihren Bestimmungsort, die unter 77° n. Br.
an der Westküste Grönlands gelegene Inglefieldsbucht (vergl.
Naturw. Wochenschrift, VIII, S. 3U) erreicht zu haben.
Die internationale Preisaufgabe für den Königspreis für
das Jahr 1897 ist soeben vom Moniteur beige verötfentliclit worden
und lautet: „Die geologischen, hydrologischen und meteorologischen
Verhältnisse der Gebiete Aequatorial-Afrikas sollen vom sanitären
Gesichtspunkte aus behandelt werden. Nach dem jetzigen Stande
unseres Wissens über diese Verhältnisse sollen für die genannten
Gebiete die geeigneten diätetischen Grundsätze doducirt und mittels
geeigneter Beobachtungen das beste Regime in Lebensweise, Er-
nährung und Arbeit, in Bekleidung und Wohnung bestimmt werden,
um die Gesundheit und Kraft zu erhalten. Es soll die Syniptomeu-
lehre und die Ursache der Krankheiten, welche die Gebiete
Aequatorial-Afrikas charakterisiron, dargestellt und ihre Behand-
lung in vorbeugender und therapeutischer Hinsicht angegeben
werden. Es sollen ferner die Grundsätze festgestellt werden in
der Wahl und dem Gebrauche der Heilmittel, sowie in der Er-
richtung von Krankenhäusern und Sanatorien. Die Bewerber
sollen bei ihren wissenschaftlichen Nachforschungen und prak-
tischen Schlussfolgerungen besonders die Existenzbedingungen der
Europäer in den verschiedenen Theilen des Congo-Beckens berück-
sichtigen." Der Preis beträgt 25 000 Francs. An der Lösung der
Aufgabe können sich alle Nationen betheiligen. Die Arbeiten
sind bis zum 3L December 1896 dem Ministerium des Innern in
Brüssel einzureichen.
L i 1 1 e r a t u r.
Albert Brinkmann, Naturbilder. Schilderungen und Betrach-
tungen im Lichte der neuesten Naturanschauung. M. Heinsius
Nachfl. Bremen 1893. — Preis 3 M.
Dem Freunde der Natur unter den Laien ist das Buch zu
empfehlen. Es bringt 30 kurze Vorträge, die Verf. gehalten hat
namentlich aus den Gebieten der Zoologie und Botanik, aber
auch aus der Naturforschung ferner liegenden Gebieten, wie die
Vorträge „Das Brot", „Die Entwickelung der Telegraphie" u. s. w.
Wir haben mehrere der anregend geschriebenen Aufsätze gelesen
und gefunden, dass der Verfasser wohl orientirt ist.
Prof. Dr. O. Hertwig, Aeltere und neuere Entwickelungs-
Theorien. Rede gehalten zin- Feier des Stiftungstages der
militär. Bildungsanstalten am "2. Aug. 1892. August Hirsclnvald.
Berlin 1892. — Preis 1 M.
Behandelt den Gegenstand übersichtlich, kurz und bündig
und zwar im Speciellen die als Präformation und Epigenese be-
kannten Theorien.
Oudemans, C. A. J. A., Revisions des Champignons tant supc-
rieurs qu'inferieurs trouves jusqu'ä ce jour dans les Pays-
Bas. Vol. I. Hvmenomycetes, Gasteromycetes, Hypodermees,
Amsterdam (S. Müller). 1893. 638 S. 8".
Der vorliegende erste Band des seit Jahren vorbereiteten
Werkes soll in erster Linie nur die kritische Aufzählung der bis-
her in den Niederlanden beobachteten Hvmenomvceten, Gastro-
myceten, Uredineen und Ustelagineen tiringen, geht aber bei w(dtem
über dieses Ziel hinaus. Das Werk, hätte sich können eine »Pilz-
flora" der Niederlande nennen, wenn die ausführliehen Diagnosen
jeder Species gegeben wären. Indessen wird dieser scheiidjare
Mangel vollkommen ersetzt durch genaue Bestimmungstabellen
der einzelnen Arten, die dabei in sehr ausführlicher Weise charak-
tcrisirt werden und durch Benennungen, über die Unterscheidungs-
merkmale der nächst verwandten Species. Es ist deshalb das
Buch zum Bestimmen und Unterscheiden der Formen sehr ge-
eignet, zumal alles, w.as an Bemerkungen sich vorfindet, auf
eigener Beobachtung beruht. Da die Floren der Niederlande und
Deutschlands sich zum grossen Theil decken, so dürfte das Buch
sich bald auch in Deutschland einbürgern und der Pilzkunde neue'
Freunde zuführen. Ref. kann es jedem Sammler angelegentlichst
empfehlen. Lindau.
Arthur König, Aeltere Beiträge zur Physiologie der Sinnes-
organe in Neudrucken und Uebersetzungen. Heft i. Leopold
Voss. Hamburg und Leipzig 1893. — Preis 2,5Ü M.
Das vorliegende I. Heft des im Titel genannten Unternehmens
Arthur König's ist Hermann von Helmholtz zum 50jährigen
Dr.-Jubiläum gewidmet und betitelt sich demgemäss: Das Augen-
leuchten und die Erfindung des Augenspiegels dargestellt in Ab-
handlungen von E. von Brücke, W. Cumming, H. von Helm-
holtz und C. G. The od. Ruote. Es bringt die 6 wichtigen
Abhandlungen zu dem Gegenstande aus der Feder der genannten
Autoren. Das Unternehmen König's ist sicherlich verdienstlich:
werden doch dailurch die Fundamental-Abhandlungen, die Gruud-
und Ecksteine des Baues unserer heutigen Erkenntniss allgemein,
leicht und billig zugänglich gemacht.
Prof. Dr. E von Lommel, liehrbuch der Experimentalphysik.
Mit -124 Textfiguren. Johann Ambrosius Barth (Arthur Jleiner).
Leipzig 1893. ^ Preis 6,40 M.
Das vorliegende, aus den Vorträgen des bekannten Münchener
Universitätsprofessors hervorgegangene Buch stellt sich die Auf-
gabe, die Physik in ihrer gegenwärtigen Gestalt ohne ausgedehnte
mathematische f^ntwickelungen allgemein-verständlich dar-
zulegen. Die wichtigsten mathematischen Ableitungen sind mög-
lichst knapp in ergänzenden, kleingedruckten Abschnitten hinein-
gefügt worden. Die Fülle des gebotenen Stoffes muss bei der
Massigkeit des Preises sehr befriedigen. Die Darstellung ist ge-
drängt, aber dabei klar und bestimmt. Einfache Abbildungen in
grosser Zahl dienen zur Veranschaulichung der beschriebenen
Apparate. Das Werk dürfte sich zum Selbststudium in weiten
Kreisen empfehlen. Kbr.
Engler und Prantl, Die natürlichen PflanzenfamUien, fort-
gesetzt von A. Engler. Lief. 87 — 89. W. Engelinann in Leipzig.
1893. Preis k Lief. 1,50 in Subscription, sonst 3 M. — Lief. 87 u. 88,
ein Doppelheft bildend, enthält den Schluss der Amarantaceen
(bearbeitet von A. Schinz), die Batidaceen (U. Dammer), Cyno-
crambaceen (V. A. Penisen), und die Basellaceen (G. Volkens).
Damit ist die 1. Abtheilung des III. Theiles abgeschlossen, auf
die wir noch näher eingehen werden. Ferner bringt das Heft
den Schluss der Myrtaeeen (F. Niedenzu), die Combretaceen
(I). Brandis) und den Anfang der Melastomaeeen. Lief. 89 bringt
die Fortsetzung der Compositen (0. Hofl'mann).
Michaelis, Karl, Uelier die Wechselwirkung zwischen Pliosiiliaten
und Vanailaten des Kaliums und Natriums. Hamburg. 1,.J0 M.
Straubel, Dr. Rud., Theorie der Beugungsurscheinungen kreis-
förmig begrenzter, symmetrischer, nicht sphärischer \Velli'n.
Älünchen. 3 M.
Tavel, Doc. Dr. F. v., Bemerkungen über den Wirthwechsel der
Kcistpilze. Bern. U,60 M.
Walther. Prof Johs., Einleitung in die Geologie als historische
Wissenschaft. 2 Die Lebensweise der Meeresthierc. Jena.
.■^..'lO M.
Wellisch, Ingen, ehem. Assist. S., Die Berechnungen in der
praktischen Polygonouietrio. Wien. 2 M.
Wolf, Prof. Dr. Rud., Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte
und Litteratur. Zürich. S M.
Inhalt: Dr. Karl L. Schaefer: Sonnenstich und Hitzschlag. — Prof. R. K oc li: Die Cholera in Deutschland während des Wintei-s
1892 bis 1893. — Die XL. Versammlung di'r Deufschi'n Geologischen Gesellschaft in GosLar vom 14. bis 16. August. — System
der Hyalonematiden. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Albert Brinkm ann: Naturbilder. — Prof. Dr. 0. Hertwig:
Aeltere und neuere Entwickelungs-Theorien. — C. A. J. A. (Judemans: Revisions des Champignons tant superieurs quinferieurs
trouves jusqu'a ce jour dans les Pays-Bas. — Artliur König: Aeltere Beiträge zur Physiologie der Sinnesorgane in Neudrucken
und Uebersetzungen. — Prof. Dr. E. von Lommel: Lehrbuch der Experimentalphysik. — Engler und Prantl: Die natür-
lichen Pflanzenfamilien. — Liste.
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potouie, Berlin N. 4., Inv:ili(lciistr. 14, fiir ihn Iri,-;rrateiitlieil: Hugo Ur, n.stein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 24. September 1893.
Nr. 39.
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anstalten, wie hei der Expedition. Der Vierteijahrspreis ist ^ft 4.—
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sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaox, wie bei der Expedition.
Abdrnck iist nnr mit voIl!«tändi{>;er f^nellenangabe gestattet.
Die Transformation der Pflanzenwelt.
Nach Prof. M. Fau volle.
Auf der 9. Transformisten-Conferenz zu Paris lieferte
Professor 1\[. F au v eile ßeiträfte zur Entwickehuigsge-
schichte der Pflanzenwelt. (Bulletins de la Societe d'An-
thropologie de Paris 1891. 3. Fascic. S. 386—417.) — Nach
den Ausführungen des Vortragenden ist die Entstehung
der einzelnen Thier- und Pflanzenclassen durch eine Ah-
änderung der Nahrungsweise bedingt, wie sich eine
solche beim Uebergange aus einem Medium ins an-
dere einstellen nuisste. Die Erdgeschichte berechtigt uns
zu der Annahme, dass beide, Thiere und Pflanzen, im
marinen Elemente ihren Anfang nahmen, sodann, ent-
sprechend der fortschreitenden Entstehung von Siisswasser-
ansammlungen (Silur und Devon), in diese vordrangen,
um nach einem entsprechenden Aufenthalt in einem
sumpfigen oder von stagnirenden Gewässern durchzogenen
Terrain (Steinkohlenperiode) endlich trockenen, nur durch
Regenniederschläge feucht und fruchtbar gehaltenen Boden
zu gewinnen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Thier
und Pflanze aus einer einzigen Zelle hervorgegangen sind,
und zwar, wie Fauvelle annimmt, das erstere aus einer
farblosen, die zweite aus einer grünen Zelle. Die grüne
Pflanzenzelle muss die ältere von beiden gewesen sein; je-
doch soll ihr nach Fauvelle die Bildung des Chlorophylls
selbst vorausgegangen sein. Man hat hiergegen einzuwerfen
versucht, dass die grüne Färltung gewisser Thierspecies an
die Anwesenheit von Chlorophyll gebunden wäre, jedoch
ist dies nicht der Fall. Denn dieselbe beruht vielmehr auf
der Anwesenheit monocellulärer Algen, die sich in dem Ge-
webe eingenistet haben und mit dem Thiere gleichsam ein
Conubium nach Art der Flechten eingegangen sind.
Meeresalgen. Ueber die ersten Anfänge der grünen
Zelle wissen wir nichts genaues, denn die ersten marinen
Gewächse, die uns in der Paläontologie entgegentreten,
sind bereits polycellulärer Natur. Dass jedoch ihnen
unicelluläre Wesen vorausgegangen sind, ist sehr wahr-
Algen geht durch Endos-
scheinlich. Die Ernährung der
mose vor sich, der Aufbau der organischen Substanz
durch Vermittelung der Lichtstrahlen. Aus diesem Grunde
überschreiten die Meerwasseralgen auch selten die Tiefe
von 100 ni-, über 400 m hinaus kommen keine mehr vor.
Bekanntlich unterscheidet man blaue, grüne, braune resp.
schwarzgelbe und rothe Algen : es ist dies die Reihenfolge,
in welcher diese 4 Arten entsprechend der zunehmenden
Wassertiefe vom Ufer aus aufzutreten pflegen. Eine solche
stricte Differenzirung hinsichtlich des Staudortes der Pflan-
zen nach der Farbe ist ohne Zweifel auf die grössere oder
geringere ßrechbarkeit des Sonnenspectrums in den ver-
schiedenen Tiefen zurückzufiilireii. — Was das Verhältniss
der angeführten Arten zu einander betrifft, so ist bekannt,
dass die an den tiefsten Stellen wachsenden Algen, also
die rothen, die höchstentwickelten sind. Die Erklärung
liegt auf der Hand. Die nahe der Meeresoberfläche
wachsenden Pflanzen sind zu sehr den beständig über sie
wegstreifenden Winden und Stürmen ausgesetzt gewesen,
als dass sie eine ruhige Entwickelung hätten durchmachen
können ; bei tiefer wachsenden Algen war dies schon eher
der Fall. Die grünen Algen sind als der Normaltypus,
als das ursprüngliche zu betrachten. — Die blauen sind
schon entwickelter, wenngleich sie auch Zeichen der In-
sich tragen. Die meisten von ihnen sind
geschlechts-
feriorität an
fadenförmig; die Vermehrung gescliieht durch
lose Sehwärmsporen. — An den braunen und gelb-
schwarzen Algen sind die Anzeichen einer höheren Ent-
wicklungsstufe schon einschneidender. Sie sind riesen-
hafte Streifen, die sich immer aufs neue theilen. Die
Fucaceen zeichnen sich durch eine an die höheren Pflanzen
erinnernde morphologische Gliederung aus. Man trifft hier
auch geschlechtslose Sporen an, die in der Nähe des
Fusses sitzen, sich nicht mehr loshisen, vielmehr neuen,
im Zusammenhang mit der Mutterpflanze bleibenden In-
dividuen den Ursprung geben. — Die höchstentwickelten
418
Naturwissensdiaftliche Wochenschrift.
Nr. 39
Meeresalgen sind" die rothen. Die Initialzelle lässt hier
eine fadenförmige Alge entstehen, aus welcher sieh später
der Typus der Art entwickelt. Oft geschieht die Ver-
mehrung durch Brut-Knospen. Die vermeintliche Ver-
wandtschaft zwischen Florideen und Laubmoosen, die
man hieraus hat herleiten wollen, ist nur eine zufällige;
dagegen besteht hinsichtlich der Eibildung bei gewissen
Formen eine Annäherung*) an die Phanerogamen.
Süsswasseralgen. Die blauen und grünen Algen,
die in den Meeren seltener sind, herrscheu im Süsswasser
Landalgen. Die Entwickelung der Landalgen voll-
zog sich aus den niedrigst stehenden der Wasseralgen
zu dem Zeitpunkte, als der Boden sich zu heben begann.
Es versteht sich von selbst, dass diese Flüchtlinge erst
einen längeren oder kürzeren Aufenthalt in den Süss-
wasseransammlungen nehmen mussten, bevor sie sich dem
Inftförmigen Medium anzupassen vermochten. — Bestimmte
dieser Algen verloren bei diesem Uebergange infolge
mangelhaften Lichtzutrittes ihr Chlorophyll und, da sie
von in Auflösung begriftenen l'flanzen umgeben waren,
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cMlan^vn . c/ftirn
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vor; hingegen sind hier die braunen und rothen in der
Jlinderzahl vertreten. Natürlich, denn es fehlt ihnen die
Tiefe, die sie zu solchen umgestaltet hat. Dass die Süss-
wasseralgen niedriger stehende Typen als die entsprechen-
den Meerwasseralgen repräsentiren, erklärt sich leicht da-
durch, dass die Anpassung an das neue JMcdium für die
vollkommenere Species nicht mehr möghch war, sondern
nur für solche, die noch nicht weit in der Entwickelung
vorgeschritten waren.
*) F. denkt ohne Zweifel an das als weibliehos Organ
dienende Procarpium der Florideen, welches mit seinem haar-
förmig verlängerten, mit den männlichen Spermatien copulirenden
Theil (Trichogj'ne) allerdings an einen Fruchtknoten mit
Griffel erinnert.
absorl)irten sie nunmehr von diesen ihre Nahrung, wodurch
eine weitere Verarbeitung derselben durch die Sonnen-
strahlen überflüssig geworden war. Sie wurden zu Pilzen.
Es ist dies eine Hypothese Fauvelle's, die derselbe auf
die zwischen Süsswasseralgen und Pilzen bestehende
Aehnlichkeit — das Mycel gleicht den fadenförmig ver-
zweigten Algen — stützt. — Eine andere Gruppe von
farblos gewordeneu Algen, die sich hinsichtlich ihrer
niederen Entwickelungsstufe den blauen Algen nähern,
haben sich zu jenen Organismen umgewaudelt, die wir
im Allgemeinen als Bacterieu bezeichnen. — Diejenigen
grünen Algen dagegen, die bei der Anpassung an die
genügend feuchte Erdoberfläche ihr Chlorophyll beibe-
hielten, gaben möglicherweise den Laudpflauzen deu
Nr. 39.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
419
Ursprung. Einzelne von ihnen vernioelitcii ihr Dasein
nur in der Weise zu fristen, dass sie sieh loslösten und
einzeln zu vegetiren suchten. Es sind dies jene Algen,
die Felsen, Mauern und Baumstännuc bekleiden. Andere
wiederum behielten eine gewisse Verwandtschaft mit den
Pilzen bei und gingen mit diesen eine Art von Vernunft-
ehe ein, aus der beide Theile Nutzen schöpften. Trotz
dieser engen Verbindung behielten Pilze sowohl als auch
Algen die ihnen eigene Fortpflanzung bei, sodass mau sie
nocli jetzt von einander trennen kann. Es sind dies die
Flechten. Zu einer jüngeren Zeit sind andere tilamcntösc
Algen auch mit höheren Landpflanzen ähnliche Verbin-
dungen eingegangen, aus denen sie die zu ihrer Ernäh-
rung und Vermehrung nothwendige Nahrung beziehen.
Eine solche Alge ist die Myeoidea, die in den Intercellular-
räumen der Cameliablätter lebt.
Muscineen. Die Entstehung der Moose stellt sieh
Fauvelle folgendermaassen vor. Eine Algenspore fällt
auf sumpflges, vom Süsswasser diu-chtränktes Terrain.
Sie sprengt ihre Umhüllung und wächst zu einer grünen
Alge aus, die sich in den meisten Fällen nur verzweigen
und verästeln, mitunter aber auch lamellöse und selbst
massive Formen annehmen wird. Eine Zeit lang wächst
sie in der alten Weise ihrer Vorfahren weiter; in dem
Augenblick aber, wo der Hoden auszutrocknen beginnt,
werden sich mehrere ihrer Zellen in einem der bisherigen
Richtung entgegengesetzten Sinne theilen. Diese beiden
neuen protoplasmatischen Körper vermehren sich ihrer-
seits mehr und mehr und bilden schliesslich eine enibryo-
näre Masse, die sich leicht von dem Rest der Alge
unterscheiden lässt. Die im Contact mit dem Boden be-
findlichen Zellen verlieren ihr Chlorophyll und verlängern
sich in Gestalt von Haaren bis zu einer gewissen Tiefe
in die noch mit Flüssigkeit erfüllten Interstitien des Bodens.
Hierdurch befestigen sie die Pflanze. Gleichzeitig ver-
mehren sich wieder die oljeren grün gebliebenen Zellen
in verticaler aufsteigender Richtung und entwickeln in
der Luft einen mehr oder minder cylindrischen, mit laub-
artigen Anhängen besetzten Stengel. Die an dieser Stelle
eintretende Verdunstung wird weiter eine Absorption durch
die Haare (Wurzeln) zur Folge haben. Ein aufsteigender
Saftstrom mit den mineralischen Nährsalzen wird eine oder
mehrere Reihen von Zellen im Innern der Pflanze zerstören
und hin und wieder die Wände durchbrechen. Durch diese
übermässige Circulation findet das Problem der Luft-
vegetation seine Lösung. — Die soeben geschilderte Ent-
wickelung gleicht der unserer Moose, nur mit dem Unter-
schiede, dass bei diesen die Spore von einem Moose,
bei dem obigen Vorgange aber von einer Alge .stammt.
— Die Moose pflanzen sich durch Eier fort, die sich in
eine bestimmte Anzahl sich aussäender Sporen wieder
theilen. Was die geschlechtslosen Sporen anbetriflt, so
sind dieselben hier stets adhärent und geben die Mutter-
pflanze nur in der Form von Zweigen wieder. Indessen
lösen sich unter ihnen auch gewisse los, nachdem sie eine
kleine Alge*i, das Protonema, haben hervorkeimen lassen.
Dieser Vorkeim entwickelt sich auf sumpfigem Terrain
gleich einer Initialalgc und erzeugt ein oder mehrere
Moospflanzen. Die geschilderten Vorgänge, die denen
an den höchstentwickelten rothen .Algen gleichen, könnten
zu dem Schlüsse einer nahen Verwandtschaft zwischen
beiden Pflanzenclassen berechtigen, jedoch nur scheinbar.
Denn es ist nicht gut anzunehmen, dass eine rothe Alge
aus einer Tiefe von 50 m sich plötzlich an der freien
Luft, wenn auch auf sumpfigem Boden, zu einer Muscinee
entwickeln konnte.
Die eigentlichen Moose sind nicht zum Ausgangspunkt
*) d. i. einen algeuähnlichen Zellkörper.
folgenden
stehung
für eine höher organisirte Pflanzenelasse geworden. Da-
gegen trift't dies für die Lebermoose zu. Diese be-
stehen aus einem einem einfachen Laubblatt ähnlichen Zell-
körper, der auf der Oberfläche des sumpfigen Bodens
aufliegt. Seine nach dem Boden gekehrte Fläche
entwickelt Haare, die den schon früher am Ende des
Stengels erzeugten zu Hilfe konnuen, seine obere Fläche
ist der Sitz der Zeugungsorgane, die in derselben
Weise wie bei den Laubmoosen in Function treten. —
Die Lebermoose sind somit als Ausgangspunkt der Gefäss-
pflanzen zu betrachten, und zwar wurden sie dies durch
Mechanismus.
Gefäss-Kryptogamcn. Den Vorgang der Ent-
von Kryptogamen können wir uns folgender-
maassen vorstellen. Nehmen wir ein Lebermoos an, das
auf feuchtem, aber dem Luftzutritt mehr als bisher aus-
gesetztem Terrain wächst. Seine obere Blattflächc wird,
da sie der raschen Verdunstung ausgesetzt ist, verhärten
und das Aussehen gewöhnlicher Blätter annehmen. So-
mit sind die sexuellen Sporen gezwungen, sich auf der
Unterseite, mitten zwischen den Haaren, zu entwickeln,
wo sich die Befruchtung sodann in der gewohnten Weise
abspielt. Nur theilt sich unter diesen neuen Verhältnissen
das Ei, anstatt dass es Ausstreusporen entstehen lässt, in
eine celluläre Masse, die zum Emliryo einer neuen Pflanze
wird. Dies würde eine Gefässkryptogame sein. — Noch
heute sehen wir denselben Vorgang sich wiederholen.
Den Botanikern war es schon längst bekannt, dass der
Prothallus der Farnkräuter in der That nur ein Leber-
moos ist, das aus einem Protonema oder einer Fadenalge
hervorgegangen; aber sie haben bisher nicht daran ge-
dacht*), aus dieser Aufeinanderfolge der Formen einen
Schluss auf die Phylogenie der Pflanzen zu ziehen.
Der auf die soeben geschilderte Weise sich ent-
wickelnde Emliryo treibt nach unten zu eine Wurzel mit
o])erflächlichen Zellen von der Gestalt eines Haares und
nach oben zu einen Stengel, der sich mit Blättern be-
deckt. Aufsaugung und Verdunstung werden mehr und
mehr kräftig, somit auch der aufsteigende Saftstrom.
Die Zellen, durch welche derselbe treibt, verlieren nicht
nur ihr Protoplasma, sondern werden im Sinne des Stromes
durchbrochen. Es entstehen Gefässbündel. Auf den Blät-
tern bilden sich dann weiter Sporen aus, die auf den
Boden fallen und sieh zu einer Algen- und sodann zu
Algen-
einer Lebermoosform entwickeln, wie wir bereits oben ge-
sehen haben. — Bei einzelnen Formen lassen diese Sporen
ein eingeschlechtiges Prothallium entstehen; die gegen-
seitige Befruchtung kommt aucli hier, wie bisher, auf dem
Wege des flüssigen Mediums zu Stande. Hiermit ist der
erste Schritt zur Phanerogamie gekennzeichnet. Solche
Neigung zur Geschleehtsdifterenzirung der-Sporeu markirt
sich noch mehr bei anderen Familien. Am Ende der
Stengel entstehen bei diesen an den im Volumen reducirten
Blättern getrennt mäimliche Mikrosporen und weibliche
Makrosporen, die ditferente Prothallicn erzeugen. Gleich-
zeitig kürzt sich der Eutwickeiungsprocess ab: zuerst
nehmen die Alge und das Lebermoos an Volumen ab, so-
dann geht ihre Entwiekelung frühzeitiger vor sich. So
spielt sich bei den Selaginellen die Ausbildung des Vor-
keiines schon v(n" Lostrennung von der Mutterpflanze im
Sporangium al); bei den Salviniaceen ebenso frühzeitig
Itereits die Befruchtung. Aber innncr wird hier die männ-
liche Spore mittelst iln-er Cilien sich den Weg durch eine
wenu auch noch so dünne Wassersehicht zur weiblichen
Spore bahnen. Dieser Vorgang bleibt für die Gefäss-
kryptogamen charakteristisch; er zeigt gleichzeitig, dass
*) Die Fach botaniker haben es schon längst ausgesprochen
420
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 39.
sie ihrer Entstehung nach dem sumpfigen Terrain an-
gehören.
Phanerogamen. Die Phanerogamen durchlaufen
eine den Kry])togamen gleiche Entwickelung, nur mit dem
Unterschiede, dass die abgekürzten eml)ryona]en Phasen
sich bei ihnen immer auf der Mutterpflanze selbst abspielen,
und dass die Vereinigung der männlichen und weiblichen
Sporen nicht mehr das feuchte Medium, sondern die Luft
zum Vermittler hat. — Die Anthere gleicht bei den Pha-
nerogamen dem Mikrosporangium, das Pollenkorn der
Mikrospore, der Knospenkern oder vielmehr eine seiner
Zellen dem Mikrosporangium. Es ist dies der Embryo-
sack, dessen Protoplasma sich in ein Lebermoos, d. h. in
ein rudimentäres weibliches Prothallium (Eudosperm) um-
bildet. Eine oder mehrere Zellen des Embryosackes werden
zur weiblichen Makrospore. Bei der Befruchtung nun fällt
bekanntlich die Mikrospore oder das Pollenkorn auf das
Pistill, wird hier zurückgehalten und wächst in ein rudi-
mentäres Prothalhum aus, dessen eine Zelle sich in den
Pollenschlauch verlängert und seinen Kern in Contact mit
der weiblichen Spore bringt. Das so gebildete Ei ab-
sorbirt das rudimentäre Prothallium und erzeugt eine
celluläre Masse, den Embryo. Dieser löst sich indessen
nicht sogleich ab, wie dies bei den Kryptogamen der Fall
ist, sondern erst nachdem er sich in Folge der durch die
Gefässbündel der Mutterpflanze zugeführten Nahrung zum
Samenkorn ausgebildet hat. Also auch hier wieder ist
die Ontogenie die abgekürzte Phylogenie.
Von den Phanerogamen stehen den C4efässkryptogamen
am nächsten die Gymnospermen: ihre Carpellblätter sind
noch nicht vollständig über den Makrosporangien ge-
schlossen. Die Polaeontologie zeigt uns in der That, dass
sie zuerst aufgetreten sind. Die Angiospermen entwickelten
sich erst später durch hermetischen Sehluss des Pistills.
Diese Eintheilung ist somit vom phylogenetischen Stand-
pimkte aus ganz berechtigt. Dasselbe lässt sich bei dem
gegenwärtigen Stande der Wissenschaft jedoch nicht von
derjenigen Eintheilung der Angiospermen sagen, die nach
der Zahl der Cotyledonen geht. Indessen ist zu betonen,
dass unter den Gymnospermen die Cycadeen, die die
nächsten Verwandten der Kryptogamen sind, viel Ver-
wandtschaft mit den Monocotyledonen, die Coniferen solche
mehr mit den Dieotyledonen aufweisen.
Die Phanerogamen sind im grossen und ganzen Fest-
landsbewohner geblieben. Jedoch einzelne von ihnen
kehrten mit der Zeit wieder zum Sumpf und flüssigen
Element zurück, ohne jedoch dabei die wesentlichen Merk-
male ihrer Classe aufzugeben. Dasselbe trifft übrigens
auch für die Moose und Kryptogamen zu. Dieser Rück-
tritt ins Medium der Vorfahren erstreckt sich, abgesehen
vom sumpfigen Terrain, nur auf das Süsswasser. Eine
einzige Pflanze indessen hat auch einige Species in geringe
Meerestiefen gesandt, und dies bereits zur Tertiärzeit. Es
ist dies die Gattung Najas. Fauvelle selbst hat vor
einigen Jahren eine solche Najadee im Grobkalk aus der
Umgebung von Bicetre nachgewiesen.
Morphologie der Gefässpflanzen. Während sich
in den oben erwähnten Fällen die geschlechtslosen Sporen
von der Mutterpflanze loslösen, sind sie bei den Gefäss-
pflanzen adhärent. Es sind dies nach Fauvelle jene
Zellen in der Mitte des Vegetationspunktes, die von den
Botanikern als Initialzellen bezeichnet werden. Dieser
Beziehung zwischen den agamen Sporen der Algen und
den genannten Zellen hat man bisher noch keine Auf-
merksamkeit geschenkt. Die Vermehrung der Art ist so-
mit nicht nur als das Resultat der Vereinigung der freien
Geschlechtssporen, sondern auch als das der adhärenten
Sporen zu betrachten. Jedes Jahr kann man an einem
ausgewachsenen Baume unter derGesammtzahl von Zweigen
eine bestimmte Menge von unfruchtbaren herausfinden, denen
die Pflicht zufällt, für das nächste Jahr die Entstehung
der Blüthenäste vorzubereiten. Die Wurzel ihrerseits treibt
auch Wurzeln zweiten, dritten u. s. w. Grades, die in
gleicher Weise auch aus adhärenten Sporen hervorgehen.
Der Stengel endlich, um denselben Vorgang auch auf diesen
zu übertragen, verdoppelt und verdreifacht*) alle Jahre die
Zahl seiner Holz- und Bastbündel. Es kann hiernach kein
Zweifel darüber bestehen, dass eine Correlation zwischen
den oberirdischen und unterirdischen Enden einer Gcfäss-
pflanze existirt, wenn man auch nicht gerade behaupten
kann, dass alle Zweige eines Baumes einer gleichen Menge
von Wurzelfasern entsprächen, und dass ein Baum als die
Vereinigung von ebenso viel im Stengel und seinen Ver-
zweigungen vereinigten Individuen zu betrachten sei.
In derselben Weise wie für die Entstehung der Pflanzen-
classen sucht Fauvelle auch die der verschiedenen Thier-
classeu auf eine Veränderung des umgebenden Mediums
sowie auf die damit zusammenhängende Abänderung in
der Ernährung zurückzuführen. Den Ausgangspunkt für
seine Betrachtung bildet ein Vergleich zwischen der pri-
mordialen grünen und der primordialen farblosen Zelle. —
Die vegetabilische grüne Zelle nimmt ihre Nahrung aus
der mineralischen Materie ihrer Umgebung auf. Zum
Schutze gegen die Aussenwelt umgiebt sie sich bald mit
einer Hülle, die indessen die weitere Aufnahme der Nähr-
salze und auch die Umbildung derselben mit Hilfe der
Sonnenstrahlen nicht im geringsten ändert. Ihre Nach-
kommen ernährten sich in derselben Weise wie sie und
konnten daher im flüssigen Medium keine sonderlichen
Veränderungen erleiden, ausgenommen nur solche der
Farbe, Ausdehnung und Consistenz. Sie blieben Algen.
Die thierische farblose Zelle dagegen war von Anfang an
von der vegetabilischen abhängig; sie durfte sich daher
nicht mit einer festen Umhüllung umgeben, sondern be-
hielt ihre Motilität und Sensibilität bei. So lange sie in
isolirtem Zustande sich bewegte, konnte auch sie sich
keinen weiteren Veränderungen unterziehen. Anders im
Zellencomplexe. Da in diesem die einzelne Thierzelle auf
selbstständigc Nahrungsaufnahme aus der Aussenwelt an-
gewiesen war, so konnten die Zellen nur in der AVeise
im Zusammenhange weiter existiren, dass sie sich zu einer
kugelförmigen einzelligen Schicht, zu einer Sphärula, zu-
sammenformten. Die Folge der reichlichen Uebernährung
derselben war eine Einstülpung: die Gastrula. Die Gastrula-
formen theilten sich sodann weiter in zwei Gru])pen, in
solche mit einem festsitzenden, der oralen Oeftnung ent-
gegengesetzten Theile und in freilebende Formen, die auf
dem Meeresboden liegen blieben und sogleich eine zur
Längsaxe des Körpers bilaterale Gestalt annahmen. Die
Individuen beider Gruppen pflanzten sich wie die Pflanzen
durch Eier, d. h. durch die Vereinigung geschlechtlicher
Sporen fort; nur bestimmte festsitzende Gastrulaformen
pflanzten sich gleichfalls durch adhärente geschlechtslose
Sporen fort, ein Vorgang, der an die Vermehrung bei den
Moosen und besonders bei den Gefässpflanzen erinnert
(Thierstock, Pflanzenstoek). Auf solche Weise entstanden
die Spongien, Bryozoen, Polypen und Echinodermen, alles
Abk(immlinge des festsitzenden Gastrulathieres. — Die
freilel)enden Gastrulaformen konnten in Folge ihrer Loco-
motion reichlichere Nahrung zu sich nehmen, unter deren
Einflu.ss sich das Thier bis zu einer gewissen Grenze ver-
längern und, wenn es diese erreicht hatte, in Segmente
mit gleichzeitiger Differenzirung der Ernährungs- und Fort-
pflanzuugszellen theilen konnte. Es entstand so ein Wurm.
Von den Würmern erwarben sich die einen eine
durchsichtige, hornartige Oberhaut, die anderen eine solche
*) Allerdings nur in der Jugend !
Nr. 39.
Naturwisseuscbaftiiclic Wochenschrift.
421
von chitiuüser Beschaffenheit. Durch diese Differencirung-
ist ein neues wichtiges Eintheihnigsprincip gegeben. Aus
der ersten Gruppe gingen die Anneliden, dann die Mol-
lusken, ferner die P"'ische, die sich in Knorpel- und Knochen-
fische differenzirten, und schliesslich die Tunicaten hervor.
Die chitinösen Würmer erzeugten in dem marineu Medium
nur die Crnstaceen.
Bei der Entstehung von Sü.sswässern und stagnirenden
Gewässern gaben alle angeführten Würmernacbkomnicn,
mit Ausnahme der Tunicaten, Colonien ab. — Bei diesem
Uebergange vom flüssigen zum luftf(irmigcu Medium waren
die Schwierigkeiten für die Anpassung nicht so grosse im
Thierreiche wie im Pflanzenreiche. Die freilebende Gastrula-
forni gelangte leicht zur Absorption des Sauerstoffes durch
Einstülpung eines Respirationstractus, die festsitzende, die
für solchen Vorgang nicht vorbereitet war, konnte es nicht
und blieb im flüssigen Element.
Von den Nachkommen der keratinösen Würmer ver-
mochten die .\unciidcn und Mollusken nur kleine Colonien
auf das Festland zu schicken: die Lumbriciden und die
Gasteropoden. Die Fische dagegen waren hierin glück-
licher. l)ie Gruppe der Knochenfische gab den Batrachiern
den Ursprung. Die Khorpelfische machten sich gleichfalls
von dem flüssigen Medium los und wurden zu Kcptilien.
— Aus den chitinösen Würmern gingen als Landbewohner
die Asseln liervor, und aus den Würmern mit wasser-
führenden Gefässen die grosse Classe der tracheenathmen-
den Gliederthiere; die meisten von diesen letzteren be-
vorzugen nocii heute ein sumpfiges, resp. feuchtes Terrain;
Spinnen und Insecten dagegen haben sich vollständig dem
Aufentlialt in der Luft angepasst.
.\usser diesen beiden Tliierclassen sind nur noch die
Eidechsen, die Viigel und Säugethiere im Stande gewesen,
sich an das luftformige Medium zu gewöhnen. Die Ent-
hängt mit der Ab-
stehung der ^'ögel und Säugethiere
änderung der Temperatur zusammen.
M. u. B.
XXiV. Deutscher Anthropologencongress in Göttingen und Hannover
vom 5. bis 9. August 1893.
Zur Besichtigung der berühmten Blumenb ach 'sehen
Schädelsaninilung war eine Vorversammlung des
diesjährigen Anthropologencongresses in Göttingen
anberaumt. Prof Friedrich Merkel, zur Zeit der
Ordinarius der Anatomie an der G(ittinger Universi-
tät, übernahm die Führung. Von seinen Älittheiluugen
über die denkwürdige Schädelsammlung gelten wir hier
dasjenige wieder, was auch von allgemeinem Interesse
ist. Blumenbach legte die grosse Schädelsaninilung
vor fast 100 Jahren an in der Absieht, aus der Lehre
der Varietäten des menschlichen Schädels eine Rassen-
kunde aufzubauen. Er lebte in dem Glauben, aus den
Schädeln Typen reeonstruiren zu können, ein Glaube,
der heute den Anthropologen längst geschwunden ist.
Was Blumenbach noch als Kennzeichen niederer Bildung
und Rassenstellung betrachtete, ist heute vielfach anthro-
pologisch als gleichwerthig mit den höehstentwiekelten
Formen anerkannt oder, richtiger gesagt, als gleich werth-
los für die Rasseneintheilung der Menschheit. Es giebt
keine fundamentalen Unterscliiede zwischen dem Schädel
des diluvialen Neanderthalnienschen, des afrikanischen
Negers und hochcivilisirten Europäers. Blumenbach hat
mit Bienenfleiss gegen 400 Menschensehädel aus aller
Herren Länder zusammengetragen, für seine Zeit ein er-
staunlicher Erfolg seines Sanmielcifers. Ein Theil der
Schädel ist durch einen Herrn v. Asch aus St Petersburg
beigebracht worden, später haben noch Rudolf Wagner,
Jacob Heule und Merkel die Saunnlung entsprechend er-
gänzt, so dass die Zahl ihrer Nummern fast nahezu an
1000 beträgt.
Sie hat im „anatomischen Theater" eine musterhaft
geordnete und tibersichtliche Anordnung gefunden und
enthält zahllose Prachtstücke, welche Staunen und Ver-
wunderung der sachverständigen Besucher erweckten. Es
finden sich Schädel von Deutschen aller Stännne, von
Franzosen, Engländern, Türken. Juden (deren Schädel
und Skelette bei noch streng ritueller Beerdigung der
Juden für die Anthropologen sehr selten zugänglich sind),
ferner sind u. a. die Schädel von Australiern und Poly-
nesiern (Papua, Neuseeland, Neucaledonien u. dgl. rn.)
sehr zahlreich vorhanden, die zum Theil von einem deut-
schen Arzte in Sidney geschenkt worden sind, der seine
Schulden an die Gfittinger Universität damit beglichen
hat. Darunter findet sich ein Neuseeländerschädel mit so
reichen Tätowirungen, wie ihn selbst die Berliner Samm-
lung nicht aufzuweisen hat. Auch sonst zeigen die austra-
lisclicn Schädel nmncherlci interessante Sonderheiten, z. B.
Bemalungen. An den Schädeln der Lappen findet sich
zumeist die aft'enähnliehe Auftreibuug am liarten Gaumen,
Torus palatinus, die neuerdings namentlich von Waldeyer
als antliropoiogisehes Kennzeichen verfolgt wird. Wie
wenig aber aus Schädelbau auf Rasseneigenthüudichkeiten
Schlussfolgcrungen gemacht werden dürfen, wies Professor
Merkel durch den demonstrativen Vergleich von Schädeln
nach dem Ty|)us des Neanderthales und von Ostfriesen,
die von der Insel Marken und aus unseren Tagen stam-
men, nach. Ebenso täuschend ähnlich sehen die Schädel
von Darfonr-Negern, Südsecinsulanern von Honolulu, Basch-
kiren u. a. m. denen von iiannoveraner Menschenkindern.
Durch solche Beobachtungen konnte schon Heule die
Blumenbach'sche Grundidee der Rasseneintheilung als hin-
fällig darthun. Das Prachtstück der lUumenbacli'schen
Sanmdung ist ein altgriechischer Schädel, der ein un-
vergleichlich schönes Profil zeigt. Es ist ein Geschenk
von König Ludwig dem Ersten von Bayern an Blumen-
l)ach. Schliesslich weist die Sanmdung noch eine Reihe
von Mikrocephalenschädeln auf und als Curiosum eine
menschliche Wirbelsäule, durch die eine Banmwurzel
gewachsen ist. Angesichts der berühmten Schädel-
sammlung haben die deutschen Anthropologen von Neuem
ihr Verdict dahin abgegeben, dass ihr keine Bedeutung
zukonnnt in der Hinsicht, in der sie einst geschaffen
worden ist, aber sie behält dennoch ihren unverlierbaren
Werth als anatomisches und anthropologisches Studien-
material.
Der zweite Tag des Congresses galt einem Ausflug
nach der Heisterburg auf dem Deister bei Bad
Neundorf Die Heisterburg bildet hinsichtlich ihrer Ur-
sprungszeit seit vielen Jaln-en den Gegenstand lebhafter
Meinungsverschiedenheiten unter den Anthropologen und
Prähistorikern. Zur Seliliclitung dieses Streites sollte der
heutige Augenschein der Gelehrten ein Sehcrflein bei-
tragen, und das hat er in der Tiiat in der Richtung wenig-
stens gethan, dass die Fachleute darüber einig wurden,
aus welcher Zeit die Heisterburg nicht stammt. Die viel-
umstrittene Burg liegt am nördlichen .\usläufer des Deisters,
der mit dem parallelziehenden Süntel, einem Höhenzug
des Wesergebirges, und dem beide verbindenden Bücke-
422
Naturwissenschaftliche Wocheuschrift.
Nr. 39.
burger Cle])irg'e einen Kessel ciuschliesst, der eine weite
Ebene l)ilclet. In diesem Kessel hat einst die berühmte
üeberrumpelung' des Heeres Karls des Grossen durch seine
sächsischen Verbündeten stattgefunden, mit deren Hilfe
er die Slaven liekricgeu wollte. Dieses Terrain ist ver-
niuthlich auch der .Schauplatz der Schlacht bei Idistaviso
gewesen, in der Germanicus die Cherusker besiegte. So
knüpfen sich Erinnerungen aus sehr verschiedener Zeit
an diese Gegend, und die Heisterburg versetzten die Einen
in die heidnische Vorzeit zurück, die Anderen erklären sie
für römischen Ursprungs, und die Dritten schliesslich halten
sie für ein mittelalterliches Schutzwerk. Der Streit ist
zuerst durch den General von Oppermann hervorgerufen
worden, der bei der kartographischen Landesaufnahme
auch die norddeutschen Ringwälle eifrigst studirte. Er
hielt die Heisterburg für den Rest einer altgermanischen
Befestigung. Dann haben Dr. Stolzenberg und Dr. Schuch-
hardt, der jetzige Director des Kastner-Museums in Han-
nover, dort Ausgrabungen gemacht, die sie zu dem Schlüsse
kommen Hessen, dass die IJurg das bei Weitem am meisten
nach Osten vorgescho))ene Castell der Römer gewesen sei.
In j'üngster Zeit haben über dieses denkwürdige Monu-
ment in der Berliner Anthropologischen Gesellschaft Ver-
handlungen stattgefunden, in denen Virchow und Professor
Wilhelm Krause ihre übereinstimmende Ansicht daliin
äusserten, dass es sich um ein mittelalterliches Bauwerk
handelt. Die Zeit ist nicht genau festzustellen, sie schwankt
zwischen 60ü — lÜOÜ n. Chr., und als die Erbauer sind die
Sachsen zu betracliten. In diesem Sinne
heut die Mehrzahl der hier versammelten
entschieden, und die rönusche Annahme
Dr. Schucldiardt selbst bereits fast preisgegeben
Die Besiclitigung der Heisterburg ist auch für
Franken oder
hat sich auch
Anthropologen
ist von
worden
Laien niclit ohne Interesse, zumal sie mit einer landschaft-
lich schönen i'artie verbunden ist. Sie liegt etwa 1000 Fnss
über dem Meer. Von dem Badeorte Neundorf aus, dessen
schwefelhaltige Moorbäder einer Besichtigung werth sind,
führt ein schattiger und friedlicher enger Waldweg, der
von Buclien und Tannen dicht eingezäunt ist, immer höher
hinauf. Ein kleiner Umweg führt zu der Rodenberger
Höbe — das nah gelegene Rodenberg bat dem bekannten
Schriftsteller Julius Rodenberg seinen zweiten Namen ge-
geben — wo die sogenannte schöne Aussicht sich in der
That ihres Namens würdig erweist. Unter den Aussichts-
punkten in der weiten Ferne ist besonders anziehend das
Steinhuder Meer, in dessen Mitte die künstlich aufge-
schüttete Insel liegt, welche die 1795 dort erbaute Festung
Wilhelmstein trägt. Die Heisterburg setzt sich aus zwei
Theilen zusammen. Der Vorwall zieht sich etwa •'74 Stunden
lang auf dem Kanmi des Deistcrs entlang und ein enges
Thor tuhrt in das Innere. Der Wall ist mit Hilfe von
Sandstein, der sich dort in reicher Menge findet, aufge-
worfen. Der Wall ist aber nicht ringförmig, sondern stellt
nur eine Schutzmauer nach einer Seite hin dar. Auch
die Frage, ob es sich um künstliche oder natürliclie Erd-
erheliungen handelt, wurde discutirt und in crstcrer Hin-
sicht ausser Frage gestellt. Höheres Interesse nimmt noch
der eigentliche Wall in Anspruch, der ein viereckiges
Castell darstellt. Das Eingangsthor ist an einer Ecke an
seinen Resten noch deutlieh erkennbar. Der Aufbau des
Walles ist ein sehr kunstgerechter. In gerader Horizontale
lagern die einzelnen Steinschichten auf einander, die durch
Mörtel verbunden sind. Die Anwesenheit dieses Binde-
mittels ist für die Beurtlieilnng des Alters der Burg von
Wichtigkeit. Keine Spur findet sich von Ziegeln,
die Römer als Grundlagen all ihrer Mauerwerke
grosser
welche
benutzten. Auch im
sonstigen
Bau und in der
Anlage
Ausser
den Wällen selbst finden sich noch die Reste eines Wohn-
weicht die Burg von römischen Riugwällen sehr ab.
hauses und einer Cisterne. Bei den in neuester ZeitiWieder
von Dr. Schuchhardt vorgenommenen Ausgral)ungein haben
sich nur wenig Funde ergeben und aus diesen lassen sieh
keine Schlussfolgerungen auf ihr Alter machen. Zumeist
sind es Thonseherben, daneben noch, ein halbes Hufeisen^
ein Schleuderstein u, dergk m, So ist: denn die Frage
nach den Erbauern der Heisterburg einstweilen noch in
Dunkel gehüllt. Die Zukunft wird darüber hoffentlich
noch sichere Auskunft bringen. . ,. .•
In Hannover eröffnete Virchow den Gongress mit
einer Rede über den gegenwärtigen Stand derprär
historischen Forschung, besonders der, Frage
nach der Wiege des Menschengeschlechts, die
jetzt wieder in lebhaften Fluss gekommen ist, und er
zeichnete dann die Wege und Ziele,, welche diese For-
schung zu verfolgen habe, um zur Klarheit undi Wahrheit
zu gelangen. Die Deutsehe Anthropologische, Gesellschaft
hat ihre Thätigkeit begomien, kurz nachdem gerade in
Frankreich die ersten Spuren des diluvialen Menschen
gefunden waren, der sich als ein Zeitgenosse des Renn-
thiers auswies. Der anthropologischen Forschung bot sich
deshalb in erster Reihe die ^^u^'gab^ des Studiums des
Diluvial- und Hrddenmenschen. Die Auf*findung der schwei-
zerischen Pfahlbauten mit ihren reichen Ergebnissen Hess
auch in Deutscldand solche vermuthen. Kein See und
kein Sumpf, in dem sich ein Pfahl fand, blieb verschont.
Allniäblich ist eine ruhigere Auffassung der Dinge ein-
getreten, und der Diluvial- und Höhlenmensch ist auch in
Deutsehland gefunden worden, wie die Pfahlbauten. Da-
durch haben wir den Vorsprung, den andere Völker in
der Anthrojjologie iln-es Landes hatten, wieder eingeholt.
Von den Tertiärmensehen ist aber noch keine sichere
Spur gefunden. Denn die Feuersteinsplitter, die den Ein-
druck machen, als seien sie von Menschenhand geschlagen,
können durch die verschiedensten Ursachen, elementare Pir-
eignisse und dergleichen zertrümmert worden sein. Es ist kein
durchgreifender Unterschied zwischen natürlichen Sprung-
flächen und künstlichen Schlagmarken zu erkennen. Ist aucli
die Kunde von der Existenz des Diluviainienscbcn fest-
gesetzt, so fehlt uns doch jedes Kennzeichen über seinen
anthropologischen Charakter, d. h. seinen Rassentypus.
Denn Knochentheile, insbesondere Schädel, hat man aus
dieser Zeit nicht aufzuweisen. Durch die Sprachgelehrten
ist allgemein die Vorstellung erweckt worden, als ob unsere
Nation mit den Indiern in Beziehung' stehe. Unsere Vor-
fahren hätten einst in Asien gesessen und wären allmäh-
lich innner weiter nach Westen vorgerückt. Das ist die
berühmte arische Wanderung der
STossgestalteten und
blondhaarigen indogermanischen Rasse. In regelmässiger
Marschordnung haben sie sich auf irgend einem Wege,
der von Indien nach Europa führte, hinter einander her-
geschoben, so dass diejenigen, welche jetzt am meisten
nach Westen sitzen, die älteste Urbevölkerung darstellen,
die östlichsten die jüngsten dagegen sind. Durch eine
Reihe ebenso kühner wie gelehrter Untersuchungen ist
nun im Laufe der letzten fünf Jahre diese Rangordnung
der Nationen geradezu umgekehrt worden. Die Ureinwohner
hätten im hohen Norden Europas gesessen und von dort
hat eine allmähliche Wanderung nach Osten stattgefunden.
Diese Theorie ist sogar schon so weit ausgedehnt worden,
dass man Griechen und Römer als eine Descendenz der
Germanen dargestellt hat. Man hat ihre Sprache und
Mythologie auf die altnordische Edde zurückgeführt,
welche als das Grundbuch der ^Menschheit gepriesen
wird. Diese neue Auffassung von dem Werdegang
der europäischen Bevölkerung ist doch noch nicht
genügend bewiesen. Wenn dem so wäre, dann mUsste
gerade Hannover der eigentliche Sitz dieser Urbevölke-
rung gewesen sein. Es müssten die grossen Steindenk-
Nr. 39.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
423
niäler auf den Ilöhenzügön des Deister als Monumente
der Urarchitektur gelten, wie früher die Steinhäuser auf
den Gebirgen Vorderindiens. Es ist ja benierkenswertli,
dass sich an beiden Enden der Entwickelungsreihe die
gleichen Monumente aus der ältesten Zeit finden. Die
neue Theorie von der Wiege der Urbevölkerung Eurojjas
stützt sich zum guten Theil auf philologische Beweis-
gründe. So hat z. U. Professor Penker in Göttingen nach-
gewiesen, dass allen Sprachen der arischen Völker nur
solche Wörter gemeinsam sind, welche aus dem Norden
stammen. Zum Beispiel die Buche, der im Norden heimische
Baum, hat sich allmählich bis nach Griechenland und
Kleinasien verbreitet. Die Erforschung der ältesten Perio-
den der Menschheit stösst vornehmlich deswegen auf so
unüberwindliche Schwierigkeiten, weil wir keine Reste
vom Menschen selber haben und unsere Schlussfolgcrungen
auf die archäologischen Fundstücke aufbauen müssen.
Zwar war in den ältesten Zeiten die Bestattung der
Leichen üblich, aber schon 6 — 800 vor Chr. hat sich die
Leichenverbrennung eingebürgert, sich immer weiter ausge-
dehnt und bis mehrere Jahrhunderte n. Chr. erhalten. Des-
halb ist uns aus diesem mehr als tausendjährigen Zeitraum
wenig erhalten. Aus der älteren Steinzeit ist überhaupt
nichts übrig geblieben, dagegen aus der jüngeren eine
Reihe werthvoller Funde. In dieser Zeit haben die Leute
schon regelrechte Grabfelder und Friedhöfe gehabt, weil
sie ansässig waren, Ackerbau und Viehzucht getrieben
haben. In der Altmark hat man ein Gräberfeld ausge-
graben, dessen Funde so reichhaltig waren, dass man
einen anthropologischen Typus der dort sesshaft gewesenen
Bevölkerung hat feststellen können. Bei den Schädeln aus
dieser neolithisclien Periode hat mau durcligehonds Lang-
köpfigkeit gefunden, welche immer mit Blondhaarigkeit
verbunden zu sein pflegt. Daraus hat man vielleicht nicht
mit Unrecht den Schluss gezogen, dass die Menschen der
jüngeren Steinzeit den sogenannten arischen Typus gehabt
haben. Im hannoverschen Gebiete ist bisher wenig posi-
tives Material zur Entscheidung dieser Fragen gefunden
worden. Die Forschung wird hier besonders auf die Auf-
suchung neolithischer Gräberfelder zu richten sein. Die
Wissenschaft kann nicht recht vorwärts konunen, wenn
die Entdeckungen dem Zufall überlassen bleiben; es muss
eine systematische Methode zur Anwendung gebracht
werden, die bei einigem Eifer auch Erfolge zeitigen wird.
Baurath Prof. Köhler (Hannover) gab einen kurzen
Ueberblick über die Baugeschichte Hannovers.
Danach sprach Stadtbaninspector Rowald (Hannover)
über das Opfer beim Baubeginn. Die Sitte der
feierlichen Grundsteinlegung lässt sich auf religiöse Vor-
stellungen in uralter Zeit zurückführen. Schon den Ent-
schluss zum Bau schrieb man einer göttlichen Anregung
zu, bei der Wahl der Baustelle Hess man sich durch
mystische Erwägungen und Umstände leiten. Eine einmal
benutzte Baustelle durfte nie wieder veröden. So er-
neuerten die babylonischen Könige die Pyramiden, der
kapitolinische Tempel in Rom wurde viermal von Neuem
aufgebaut, an der Stätte des Kölner Doms stand schon
vor 2üU0 Jahren ein Gotteshaus. Hinsichtlich der Zeit
bevorzugte man für den Baubeginn Frühling und Herbst,
und zwar meist Tage, die den Heiligen geweiht waren,
im Leben des Erbauers irgend eine bedeutsame Rolle
spielten und dgl. m. Einzelne Wochentage, z. B. der
Montag gelten als unheilbringend. Ausser dem Grund-
stein wurden vielfach auch noch Ecksteine in den vier
Himmelsrichtungen gelegt. Die Lage des Grundsteins
wird sehr verschieden gewählt. Er liegt in den Kirchen
meist unter der Kanzel, im Berliner Ratldiause unter dem
Thurme, im neuen Reichstagsgebäude unter dem Prä-
sidialsitz. Die Gegenstände, die man meist dem Grund-
stein beifügt und heut zu Tage eben Dokumente der Zeit
sein sollen, waren früher Opfergaben, wie Münzen, j\Ie-
daillen, Früchte, Inschrifttafeln u. a. m. In ältester Zeit
suchte man den Schutz der G<itter durch Menschen- und
Thicropfer (Katzen) sich zu sichern, noch gegenwärtig
bei einzelnen wilden Stämmen Innerafrikas. Später traten
vornehndich der Wein als Opfergabe in den \'ordergrund.
Museumsdirector Dr. Schuchardt (Hannover) be-
richtete über einen neuen deutschen Limes, den er
aufgefunden hat. Der Vortragende glaubt einen dem
Limes Romanus entsprechenden Grenzwall aufgefunden
zu haben, der sich von dem Quellgebiet der Diemel über
Fulda und Werra bis an den Fuss des Harzes hinzieht.
Am deutlichsten ist die Linie erhalten von der Burg
Kniekhagen in Hessen, wo man sie von Dorf zu Dorf
verfolgen kann bis nach Arolsen, der Hauptstadt von
Waldeck. Die Linie muss ehemals mit Castellen stark
besetzt gewesen sein Auf der Strecke v(in Knickhagen
bis Graebenstein sind noch heute nicht weniger als fünf
Wachtthürme vorhanden. Kurz vor Arolsen geht die
Spur der Befestigung verloren und erst eine Stunde weiter
nach Osten wird der Wall wieder sichtbar. Ueber Leine-
felde und Worbis kommt er schliesslich bis an den Harz.
Die älteste Nachricht über diesen Grenzwall findet sich
in dem Archiv der Familie von Winringerode im 15. Jahr-
hundert. Die Befestigungslinie scheint eher als Zollgrenze
denn als Fortification gedient zu haben und auch in dieser
Hinsicht ähnelt sie dem Limes Romanus. Die Linie dieser
alten Landwehr bezeichnet noch heute die Sprachgrenze
zwischen Hoch- und Niederdeutsch. Die Einwohner dieser
Gegenden glaul)eu, dass der Wall für eine alte holländische
Handelsstrasse den Weg gezeichnet habe. Ein Theil der
Befestigung stammt sicherlich aus der Zeit Karls des
Grossen, in der die Sachsen ihr Gebiet gegen diesen zu
vertheidigen suchten. Aber etwas Genaueres über die
Entstehungsweise dieses „Limes" lässt sich nicht sagen,
und er muss noch weiteren Nachforschungen unterworfen
werden.
In der zweiten Sitzung nahm das hauptsächliche
Interesse ein Vortrag des Dr. M. Aisberg (Cassel) über
Rechtshändigkeit und Linkshändigkeit, sowie
deren muthmaassliehe Ursachen in Anspruch*). All-
gemein besteht die Annahme, dass der vorwiegende Ge-
brauch der rechten Hand auf Sitten und Gewöhnung
zurückzuführen sei. Diese Annahme ist schon von vorn-
herein deswegen unwahrscheinlich, weil sich die Rechts-
händigkeit bei allen Völkern der Erde, welche die sonst
denkbar verschiedensten Kulturzustäude haben, findet,
und ebenso auch bereits seit Jahrtausenden der Mensch-
heit eigenthümlich ist. Dass schon der Mensch der Renn-
thierzeit ein Rechtshänder gewesen ist, beweisen die in
südfranzösischen und deutschen Höhlen gefundenen
Schnitzereien auf Hörn und Manunufhbein, welche immer
ein nach links gerichtetes Thierkopfprofil zeigen. Diese
Kunstproduete können nur mit der rechten Hand gefertigt
sein. Die Ausnahme der Rennthierzeichnung im Kessler
Loch beweist nur, dass es auch schon damals Linkshänder
gegeben hat. In der Bronzezeit finden wir Werkzeuge
mit einem nur für die rechte Hand passenden Handgriff.
Auch die Sprache liefert einen Beweis für die Ursprüng-
lichkeit der Rechtshändigkeit. Mit der rechten Hand ist für
uns immer der Begrift" des Gcsetzmässigen und Geschickten
verbunden, die Linke besitzt vielfach ein geringschätziges
J5eiwort und hat unheilbringende Bedeutung. Der Ameri-
kaner Baldwin hat durch eine grosse Reihe von Beob-
achtungen festgestellt, dass beim Säugling bis zum 7. oder
*) Vergl. über (lensellieii Oef^'en.'stanil cl(>n (_)i-igin:il;irtiki'l ilos
Herrn Prof. v. Martens iu Bd. V. S. 461 der „Naturw. Woclionscdir."
424
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 39.
8. Lebensmonat eine Bevorzugung der einen oder der
anderen Hand nicht festzustellen ist. Erst zu dieser Zeit
pflegt das Kind in Zuständen der Erregung die rechte
Hand vornelnnlich zu bewegen. Aisberg hat durch eigene
Beobachtungen diese Thatsache bestätigen können. Wilson
theilt die Mensehen in drei Kategorien: 1. Rechtshänder,
2. Linkshänder, deren Häufigkeit 2 bis 4 pCt. ausmacht,
3. solche, die beide Hände mit gleicher Geschicklichkeit
gebrauchen können. Dass durch ausdauernde Uebung
eine (Jleichwerthigkeit beider Hände erzielt werden kann,
ist ebenso zweifellos, wie die Thatsache, dass nach Ver-
lust oder Lähnmng der rechten Hand die linke voll-
kommen deren Funktion zu Ul)eruehnieu im Stande ist.
Eine Reihe sicher festgestellter Fälle
beweist, dass die
Linkshändigkeit auch erblich ist. Der vorzugsweise Ge-
brauch der linken Hand kann wohl durch Achtsamkeit
und Uebung eingeschränkt, aber niemals ganz beseitigt
werden. Die liidvc Hand gebrauchen wir vielfach zur
Ausfuhrung von Arbeiten, wel 'he grosse Exaktheit und
Präcision in der manuellen Thätigkeit erfordern, ferner
bei ausserordentlichen Kraftanstrengungen, Widerstands-
leistungen und dgl. Von den bisher zur Erklärung der
vorwiegenden Rechtshändigkeit aufgestellten Theorien ist
keine gegenwärtig als zutreftend anzuerkennen, so die-
jenige, welche die Rechtshändigkeit auf den Gebrauch
der Watten bei gleichzeitigem Schutze der linken Körper-
seite mit dem Schilde zurückgeführt hat. Der Schild ist
vielen Völkern überhaupt unbekannt gewesen. Charles
Bell hat darauf hingewiesen, dass die rechte Körperhälfte
im Allgemeinen besser entwickelt sei. Das ist aber
vielleicht gerade eine Wirkung des vorwiegenden Ge-
brauchs der rechten Extremitäten. Buchanan hat die
nach rechts neigende Lage des Schwerpunktes des Kör-
pers als Ursache angenommen. Die rechte Körperhälfte
ist um 22 bis 23 Unzen schwerer als die linke. Der
Säugling aber, der schon rechtshändig ist, hat noch gar
keinen Schwerpunkt, und mit der so seltenen Unilagerung
der Organe im Innern des Körpers ist Linkshändigkeit
durchaus nicht verbunden, wie man es nach dieser Theorie
erwarten müsste. Neuere Untersuchungen namentlich von
Rüdiger (München) machen es nun aber zweifellos, dass
im Gewicht und in der Entwickelung der beiden
Hirnhälften ein erheblicher Unterschied besteht,
indem die linke nach beiden Richtungen hin überwiegt.
Da nun bekanntlich die Nervenfasern sich vor dem Ein-
tritt ins Gehirn kreuzen, so lässt sich aus dem üeber-
gewicht des linken Grosshirns die kräftigere Entwickelung
der rechten Hand schlussfolgern. Broca in Paris hat
zuerst darauf hingewiesen, dass das seelische Sprachcentrum
in der linken dritten Stirnwindung sitzt, welche stärker
entwickelt ist, schwerer wiegt als die rechte und in
Fällen von seelicher Sprachstörung, der sog. Aphasie,
fast ausschliesslich immer der Heerd der Erkrankung ist.
Die entsprechende Erfahrung von der Prävalenz der linken
Stirnwindnng hat man u. a. auch bei Gambetta, einem
der glänzendsten Redner, gemacht. Die Mehrheit der
Menschen sind linkshirnige Sprecher. Ist das linke
Sprachcentrum durch Erkrankung ausgeschaltet, so kann
wohl allmählich das rechte seine Functionen übernehmen.
Wie die dritte linke Stirnwindung überwiegt, so ist auch
überhaupt die ganze linke Hirnhälfte an Volumen und
Gewicht der rechten überlegen. Die
Hirnoberfläche sind zahlreicher und
Wenn
des linken Hirns als Ursache der Rechtshändigkeit richtig
ist, dann nmss auch die ürakehrung richtig sein, und in
der That hat man schon bei zwei linkshändigen Frauen
ein erhebliches Uebergewicht der rechten Hirnhälfte fest-
stellen können, ebenso bei einem irländischen Soldaten, der
Windungen der
mehr ausgebildet.
diese Annahme von der stärkeren Entwickelung
ein so vollständiger Linkshänder war, dass er das Ge-
wehr zum Schiessen über der linken Sclmlter anlegte und
mit der linken Hand schoss. Er wurde immer als linker
Flügelmann in der Kompagnie verwendet. Woher stammt
nun diese ungleiche Entwickelung der Hirnhemisphären
vmd die Präponderanz der linken? Aisberg stellt folgende
Vernnithung darüber auf Sie hat ihre Ursache in der
rechts und links verschiedenen Vertheilung der grossen
Blutgefässe des Halses, die zum Gehirn aufsteigen. Die
linke Arteria Carotis communis entspringt direct
aus dem Bogen der Aorta, die rechte dagegen erst als
ein Ast der aus der Aorta entspringenden Arteria
anonyma. Die vom linken Herzen kommende Blutwelle
erfährt daher rechts bei der Gabelung der Arteria
anonyma in die Carotis und Subclavia einen starken
Reil)ungswiderstand, der Blutdruck wird abgeschwächt,
während links die Blutwelle dem Hirn im ungehemmten
Strom zuflicsst, daher sind die Ernährungsverhältnisse des
linken Grosshirns günstiger, der Stoifwechsel ist gesteigert,
die Energie des Nervensystems grösser als rechts. In
Uebereinstinnnung mit diesen Verhältnissen der Blutbahn
steht die Thatsache, dass die freie Bahn der linken
Carotis häufiger den Weg für Fortschleppung von Blut-
gerinnseln (Emboli) aus dem Herzen nach dem Hirn ab-
geht. So erklärt sich die stärkere Entwickelung der
linken Hirnhemisphäre. Nun kommen Abnormitäten in
dem Ursprung der grossen Halsgefässe, eine Umkehrung
ihrer Lage u. dergl. mehr vor. Durch solche Abweichungen
vom Typus ist wahrscheinlich die Linkshändigkeit be-
dingt. Schon Hyrtl hat auf diese Möglichkeit aufmerksam
gemacht.
Die Verschiedenartigkeit der Blutzufuhr nach
dem Gehirn ist also als die Ursache der ungleichen Ent-
wickelung der Hirnhälften anzusehen. Zum Sehluss lenkt
Vortragender die Aufmerksamkeit noch darauf, dass auch
bei Thicren, Affen, Elephanten, Pferden, Papageien u. a.
eine Bevorzugung der rechten Extremitäten beobachtet
wird.
An den interessanten Vortrag knüpfte sich eine sehr
lebhafte Discussion. Geh. Rath Waldeyer erhob Be-
denken gegen die Richtigkeit dieser Theorie. Die Un-
gleichheit der Blutversorgung des Gehirns werde schon
einmal dadurch wieder aufgehoben, dass der Gesammt-
(piersehnitt der Gefässc auf beiden Seiten derselbe ist und
des Weiteren auch noch durch den sogenannten Circulus
arteriosus Willisis jede Verschiedenheit in der Blut-
versorgung der beiden Hirnhälften compensirt wird, weil
dieses kreisförmige Arteriensystem das Blut, das zur
rechten und linken Hemisphäre abgeführt wird, sammelt.
Die ungleiche Entwickelung der beiden Hirnhälften selbst
scheint Waldeyer unzweifelhaft zu sein. Wenn die Thiere
Rechtshänder auf Grund der Alsberg'schen Theorie wären,
dann dürfte der Ursprung der grossen Halsgefässe nicht
so mannigfaltig sein, wie er thatsächlich bei ihnen ist.
Zum Sehluss macht Waldeyer noch darauf aufmerksam,
dass kaum je ein Familienname an das Wort „rechts"
anknüpft, dagegen sehr häufig an das Wort „links" in
allen Dialecten und Sprachen. Uft'enbar ist hier die Links-
händigkeit die Ursache der Namengebung gewesen. Prof.
W. Krause (Berlin) betont, dass man die Rechtshändig-
keit von der Bevorzugung der ganzen rechten Körper-
liälfte unterscheiden müsse. Die letztere herrsche bei den
Thieren vielfach vor, beim Menschen dagegen die erstere.
Prof. Fritsch (Berlin) hält an der älteren Theorie
fest, dass die Rechtshändigkeit durch die Lage des sich
entwickelnden Foetus bedingt werde. Gemäss der stär-
keren rechtsseitigen Anlage wird dieselbe auch durch die
spätere Uebung noch verstärkt. Herr von Hey den
machte auf den Maler Adolf Menzel als ein exquisites
Beispiel von Linkshändigkeit aufmerksam. Ursprünglich
Nr. 39.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
425
vollkonnner Linksliändcr, hat er nur mit vieler Mühe ge-
lernt, aucii mit der rccliten Hand den Pinsel zu führen.
Die Ueberlegung, dass der Verlust der linken Hand iini
für seineu Beruf untauglich machen könnte, hat ihm den
Ansporn dazu geg;eben. Er ist jetzt im Stande, mit
beiden Händen in gleicher Geschicklichkeit zu arbeiten.
An der Discussion betheiligten sich des Weiteren noch
Virchow, Kanke (München), Mies (Köln) und Dr. Behla
(Lnckau).
Das Ergebniss der Discussion lässt sich dahin zu-
sammenfassen, dass das Problem der Rechtshändigkeit um
eine geistvolle Theorie, eine der werthvollsten, reicher
ist, die aber auch noch nicht die Lösung des Räthsels zu
bringen scheint.
Oberlehrer a. D. Dr. Meyer (Hannover) sprach über
den Roggen als Urkornder Indogermanen, General-
arzt Dr. Ornstein (Athen) über die Physiologie als
Hülfsmittel der Anthropologie. Dr. Stolpe (Stock-
holm) berichtete über die Ergebnisse der Ausgrabungen
in einer Höhle der bei Gothland gelegenen Karls-
insel, die von Wichtigkeit für die nordische Prähistorie
sind. Die Ibible ist von ungewöhnlich grosser Ausdehnung
und macht einen sehr wohnlichen Eindruck. Die Befunde
lassen den Schluss zu, dass hier eine Bevölkerung dau-
ernd sesshaft gewesen ist, welche Kannibalisnms trieb.
Unter den Geräthen befinden sich solche aus künstlich
zugeschlagenen Thierknoehen, z. B. Angelhaken, auch
das Mark der Knochen scheint gewonnen worden zu sein.
Auch vorgefundene Skelettknochen vom Mensehen zeigen
Schlagspuren, wie sie sich liei Steinhämmern und Stein-
äxten finden. Die Scbädelknochen sind meist zerschlagen.
Die knochenhaltige Bodenschicht ist fast fünf Meter hoch.
Conservator Krause (Berlin) legt Abbildungen von niega-
lithischcn Denkmälern aus der Provinz Hannover vor, die
sich in dieser Gegend Deutschlands in klassischer Form
finden. Die durch ihre Grösse, besonders ihre Höhe aus-
gezeichneten Steinhäuser haben als Familien- oder Massen-
gräber gedient. Gemeinsam mit Dr. Schöttensach (Heidel-
berg) hat Krause die megahthischen Steindenkmäler der
Altniark jetzt insgesammt aufgenommen und demnächst
sollen auch die westlichen Theile Deutschlands in ebenso
systematischer Aufzeichnung dargestellt worden. Freiherr
von Andrian (Wien) sprach über den Wetterzauber
der Alt-Arier.
Waldeyer (Berlin) besprach danach verschiedene
Missbildungen am Schädel, die als Rasscneigenthüm-
lichkeiten zu betrachten sind. Nachdem Stieda und
Lissauer zuerst auf einen Wulst am harten Gaumenbein
bei der ostin'eussischeu Bevölkerung aufmerksam gemacht
haben, hat W. auf dem vorjährigen Congress in Ulm*)
nachweisen können, dass diese Missbidung (Toms pala-
tinus genannt) bei allen Völkern vorkommt, dennoch aber
in aufiallend häufiger Weise bei den Lappländern. W.
hat jetzt weiteres Material an Schädeln dieser Art ge-
sannnelt und verfügt jetzt über neunzig Schädel von
Lappländern, von denen achtzig jene Missbildung zeigen
und vielfach sogar in einer sehr starken Ausbildung.
W. glaubt deshalb, diese Missbildung als ein Rassen-
charakteristikum betrachten zu müssen. Aehnliclie Wulst-
bildungen an den Knochen kommen, wenngleich weit
seltener, auch an der Hinterhauptsschuppe, an der Ver-
bindungslinie der beiden Stirnbeine und der beiden
Scheitelbeine und schliesslich auch noch an dem Ansatz
des grossen Schläfenmuskels vor. Eine anthro])ologische
Bedeutung konnnt auch den Abweichungen in dem Aus-
sehen des Flügelfortsatzes des Gaumenbeins zu. Gewöhn-
lich überragt die äussere Platte desselben bei Weitem
*) Vei-gl. „Naturw. Wochcnschr.« Bd. VII S. 3Ö5.
die innere Lamelle und bildet mit ihr eine Grube von
mittlerer Tiefe. Bei den Negern ist diese Durchselmitts-
form nun sehr häufig so verändert, dass beide Lamellen
schwach entwickelt sind, nahe bei einander stehen, und
die Flügelgrube deshalb nur schmal und kaum vertieft
ist. Andererseits findet sich bei den Slaven oft eine
ausserordentlich starke Entwiekelung der inneren Lamelle,
so dass die Flügclgrube sehr vertieft ist. — Zur Discussion
nahm Dr. Mies (Köln) das Wort.
Virchow .sprach über Zwergrassen*). Das Studium
der Zwergvölker hat durch die beiden jüngst von Dr. Stuhl-
mann nach Deutschland gebrachten beiden Akkamädchen
eine neue Anregung erhalten. Der dritte Akka ist be-
kanntlich auf der Reise verstorben. Virchow hat sein
Skelett erhalten und ist gegenwärtig mit der Untersuchung
desselben, sowie überhaupt mit einer Zusammenstellung
unserer Kenntnisse von den Zwergrassen beschäftigt. Er
macht darüber heute folgende Mittheilungen: Die Bezeich-
nung Akka (von Schweinfurt eingeführt) ist garnicht zu-
treffend, weil er weder einem Ortsnamen entspricht, noch
der eigenen Bezeichnung des Volkes. Letztere ist viel-
mehr „Ewe". Afrikanische Zwergrassen finden sich am
oberen Nil und am Kongogebiet, ausserdem in Südafrika,
die dazugehörigen Buschmänner. Die Akka sind Neger
von reinster Form, haben aber keine Verwandtschaft mit
den Nubiern. Sie haben spirallockiges Haar, das eine
Länge bis zu 3 cm erreicht und den Eindruck künstlicher
Drehung macht. Es ist nicht ganz schwarz, sondern hat
einen bräunlichen Ton. Auch die Haut ist etwas leichter,
als man sie sich beim Neger vorstellt. Sie hat einen un-
gewöhnlichen Reichthum an Talgdrüsen, durch deren
starke Secretion die Haut eine solche Fettdecke erhält,
dass sie, wenn sie angespannt ist, stark glänzend er-
seheint. Der Glanz schwindet aber, wenn sich die Haut
in Falten legt. Es ist derselbe Anblick im Unterschied
beim glatten oder gefalteten Sammet. Es handelt sich
lediglich um eine Reflexerscheinung. An Handflächen und
Fusssohlen fehlt jede Färbung der Haut, sie ist an diesen
Stellen vollkommen weiss. Wo die Talgseeretion aufhört,
ist auch die Grenze des Hautglanzes, und mit derselben
scharfen Grenze beginnt dort das Schwitzen der Haut,
das sich nur über die weissen Flächen ausdehnt. Was
die sonstigen körperlichen Eigenthümlichkeiten der Akka
anlangt, so fallen die langen Arme auf, die am Rumpfe
herabhängen und eine gewisse Thierähnlichkeit zeigen,
die aber sonst nirgends, besonders nicht an den Schädeln
nachweisbar ist. Von einer niedrigeren ethnologischen
Stellung dieses Volkes kann daher keine Rede sein. Zer-
sprengte Elemente der Zwergrasseu finden sich in ganz
Afrika, aber es findet sich kein Gebiet auf dem ganzen
Erdtheil, an dem sie sesshaft sind. Es sind Waldmenschen,
(in holländischer Sprache Orang-Utang), sie haben keine
Häuser und keine Wohnungen, stehlen ihren Nachbarn
die Nahrung, sind geschickte Jäger, beziehen aber ihre
spitzen Pfeile von ihren kunstgeübten Nachbarn. Sie be-
finden sich noch nicht einmal in der Steinzeit, sondern in
der Holzzeit. Auch in Asien findet sich eine Reihe
solcher Zwergrassen; auf Ceylon die Wedda, einer der
kleinsten Stämme, der mit den Australiern und Neu-
holländern verwandt ist, kein spiralloekiges Haar und
auch keinen Negerschädel haben. Ferner hat Quatre-
fages eine solche Menschenrasse auf den Andamanen, der
an der Westküste von Vorderindien gelegenen Inselgruppe,
entdeckt. Diese sog. Minkobis sind Negritos ihrer ethno-
logischen Stellung nach. Ihnen sehr nahe stehen die
Zwerge von der Halbinsel Malakka, von denen jüngst
die ersten Schädel naeli Europa gelangt sind. Zwischen
Ver
„Natiii-w. Woehenschi-." Uil. \'1I S. -127.
426
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 39.
den asiatischen und afrilianischen Zwergrassen besteht
ein sehr wesentlicher Unterschied im Schädelbau. Die
ersteren sind nämlich Brachycephalen (Kurzköpfe), die
letzteren Dolichocephalen (Langktipfe). Auch einzelne
Stämme der Dravidier in Vorderindien sind Zwerge.
Uebersieht man die gesamniten Zwergvölker mit all ihren
körperlichen Eigenschaften, so lässt sich keine unmittel-
bare Annäherung an die anthropoiden Atfen erkennen,
vielmehr sind sie vollkommen ausgebildete Menschen,
wenngleich sie auch nicht zu den höchst organisirten ge-
hören. Sie können unserer Gesellschaft vollkonmien würdig
betrachtet werden, und es erscheint durchaus möglich,
dass sie auf eine höhere Kulturstufe gebracht werden
können.
Ranke (München) machte darauf einige Mit-
theilungen über „Seh winimhautbildungen" beim
Menschen, worüber jüngst einer seiner Schüler, stud.
Birkner, eine grössere statistische Arbeit auf Grund des
im MUnchener anatomischen Institute vorhandenen Mate-
rials verötfentlicht hat. Man hat diese Schwinmihaut-
bildungen au den Fingern auch als Rassenmerkmale ge-
deutet, und Schaafi'hausen hat insbesondere auf ihre
starke Entvvickeluug bei den Negern aufmerksam gemacht.
Birkner hat bei seinen sich über 1000 Individuen er-
streckenden Untersuchungen, die sich namentlich auf die
Maassverhältnisse der Schwimmhäute bezogen, eine all-
mähliche, regelmässige Abnahme der Ausdehnung der
Schwimmhäute an den Fingern von der Geburt an bis
zum 7. Lebensjahre wahrgenommen. Die weibliehe Hand
steckt im Allgemeinen etwas mehr in der Schwimmhaut
als die männliche. Im höheren Alter nimmt diese relativ
an Länge zu wegen der spontanen Verkürzung der Finger.
Auch die Arbeit hat einen Einfluss auf die Schwimmhaut-
bildung, indem sie sie steigert. In dem Entwickelungs-
grad der Schwimmhäute kommen sehr grosse Schwan-
kungen vor, es können '/4 bis 73 der Fingerlänge in der
Schwimmhaut stehen. An fetten Händen ist sie weniger
auffällig als an mageren. Diese enorme Bildung ist also
keine Rasseneigenthündiehkeit der Neger, sie findet sich
auch bei den Affen, und nur bei den niederen Affen wird
durch die Schwimmhäute ein stärkeres Einziehen der
Finger bedingt. Dr. med. Albu.
Thiere als Mitbewoliiiei' von Ameisenbauten. —
Es ist bekannt, dass zahlreiche Thiere, namentlich Kerfe,
Mitbewohner von Ameisenbauten sind. Die bei uns am
Dung und an Thierleiehen lebenden Stutzkäfer (Histeriden)
stellen im tropischen Amerika zu diesen „Myrmecophilen"
ein Contingent von nicht weniger als etwa 40 Arten.
Mehrere neue unter ihnen lehrt uns Job. Schmidt
kennen. („Myrmecophile Histeriden aus Amerika." Deutsche
entom. Zeitsehr., 1893, S. 171.) Während sonst die
Histeriden in ihrem Bau recht eintönig sind, zeigen die
beschriebenen, aus Bolivia und Mexico stammenden
Ameisen- und Termitengäste, die nur klein (1 liis S'/e mm)
sind, zum Theil eine sehr absonderliche Organisation, die
sich aus ihrer Lebensweise erklärt. So kommen lang-
beinige und durch Einschnürungen ameisenartig aussehende
Formen vor. M.
lieber Amidoxylsäuren bieten W. v. Miller und
J. Ploechl in der Deutsch. Chem. Ges., Ber. 1893, 1545
eine Veröffentlichung. — Zwischen den Isonitrososäuren
/.NOH
von der allgemeinen Formel X-C und den
\COOH
/NH2,
Amidosäuren, X-CH Hessen sich als Zwischenpro-
\COOH
duct Hydroxylamin- oder Amidoxyl-Säuren von der Formel
/NHOH
X-CH erwarten. Versuche, diese Körper bei der
\COOH
durch verschiedene Mittel bewirkten Reduction der Iso-
nitrososäuren zu gewinnen, schlugen fehl, es entstanden
stets direct die Amidosäuren. Dagegen führte die von
den Verfassern frtüier beschriebene Jlethode, Anlagerung
von Blausäure an Anhydroverbiudungen und Verseifen
der erhaltenen Nitrile, zum Ziel. Aus Oximen entstehen
auf diese Weise die Nitrile der Amidoxylsäuren, welche,
diu-cli concentrirte Salzsäure verseift, die freien Säuren
liefern.
In Bezug auf Löslichkeitsverhältnisse gleichen diese
neuen Säuren vollkommen den Amidosäuren. Infolge des
noch vorhandenen Hydroxylaminrestes (-NHOH) sind sie
einerseits selbst gegen die schwächsten Oxydations-
mittel sehr empfindlich, andererseits befähigt, mit Alde-
hyden Condensationsproducte zu bilden. Sp.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Ks wurden eruannt: An der Universität Kiel: Dr. Georg
Iloppe-Sey 1 er zum ausserordentlichen Professor in der medi-
cinisehen Facultiit, und — Dr. Alberti, Custos an der Univer-
sitäts-Bibliothek, zum Professor. — Oberlehrer Dr. .Seheppig,
Director des Museums für Völkerkunde in Kiel, zum Professor. —
Der Professor am Polytechnieum in Zürich Dr. Ulrich Gruben-
mann von Trogen zum Ordinarius für Mineralogie an der Uni-
versität daselbst. — Dr. Lindfors, Docent an der Universität
Lund, zum Professor für Gynäkologie an der Universität Upsala. —
Dr. Jendrassek zum ausserordentlichen Professor für Nerven-
krankheiten an der Universität Budapest. — Klisee Reclus in
Paris zum Professor der Geographie an der Universität Brüssel.
— J^r. Gluzinski, ausserordentlicher Professor für allgemeine
und experimentelle Pathologie an der Universität Krakau, zum
Ordinarius.
Es hat sieh habilitirt: Dr. F ritsch für Chemie an der
Universität Marburg.
Der Professor der Chirurgie an der Universität Amsterdam
Dr. Tilanus tritt von seiner Lehrthätigkeit zurück. — Der Pro-
fessor der Zoologie an der Universität Jena Dr. Willy Ivüken-
thal begiebt sich zwecks wissenschaftlicher Forschungen auf ein
Jahr nach den Molukken.
Es sind gestorben: Dr. Parke, seinerzeit Arzt bei Stanley 's
Expedition zum Entsätze Emin Pascha's, in Schottland. — Der
Wirkliche Staatsrath Dr. Robert Wreden, bedeutender Ohren-
arzt, in AbasTuman. — Der Professor für Bodencultur Dr. Emil
Pereis in Wien. — Der Botaniker Rev. Henry Hugh Higgins
in Liverpool. — Der Botaniker Professor Dr. Friedrich Trau-
gott Kützing in Nordhausen. — Der Gründer der Linnean So-
ciety Rev. Leonard Blomefield in Bath.
L i 1 1 e r a t u r.
Brockhaas' Konversations-I.exikon. 14. vollständig ncubearb.
Aufl. 7. Bd. Foscari-Gilboa. Mit 50 Tafeln, darunter (3 farbige,
12 Karten und Pläne und 282 Textabbildungen. F. A. Brock-
haus. Berlin und Wien 1893. — Preis 10 Mk.
Die neue Aufl. von Brockhaus' Lexikon, von der wir hiermit
das Erscheinen des 7. Bandes anzeigen, trägt s-o recht das Gepräge
ihrer Zeit: den wichtigeren Neuigkeiten namentlich der Politik
folgt sie gewandt auf dem Fusse. In naturwissenschaftlicher
Hinsicht giebt das Lexikon bessere Aufschlüsse wie gewisse
Specialwerke. Wir werden zu dieser Bemerkung durch den guten
Artikel „Giftpflanzen" veranlasst, dem 2 Chromotafelu gewidmet
sind, und die Thatsache, dass wir in No 34, S, o67 eine Special-Arbeit
über Giftpflanzen tadeln mussten. Wir erwähnen nochmals, dass
das Lexikon in geographischer Beziehung einen besonderen Werth
besitzt nicht nur hinsichtlich der geographischen Verhältnisse, wie sie
unsere heutigen Kenntnisse gestaltet haben, sondern auch bezüg-
lich der Geschichte der Disciplin ; so sind die dem geschichtlichen
Abschnitt des Artikels „Geographie" beigegebenen Karten sehr
dankenswerth und interessant. Kurz, wir können nur wieder-
holen, dass das Werk weitgehenden Ansprüchen genügen muss
und auch, abgesehen von der Benutzung als Nachschlagewerk,
als Quelle der Belehrung empfehlenswerth ist.
Nr. 39.
Naturwissenschaftliebc Wochcnsdiril't.
427
TJBmil du Bois-Beymond, Maupertuis. Rede zur Feier des Ge-
liiirtstafres Frieilriolis IL und des Gi-liurtstaiies seiner Majestät
<les Kaisers und Königs in der Akademie der Wissenschaften
zu Berlin. Am 28. Januar 1802. Verlag von Veit u. Co. Leipzig
1893. — Preis 1,50 M.
Ans der so interessanten und zum Verständniss unsei'er heu-
tigen Wissenschaft so wichtigen französischen Gelehrten-Geschichte
vor der grossen Revolution, die du Bois-Keymond kennt wie keiner,
bietet dieser in der vorliegenden' Rede wiederum einen jener
geistvollen Beiträge, deren Zahl der Autor von Zeit zu Zeit
um einen mehrt. Man niuss die Roden du Bois-Reymond's ge-
lesen haben, und so begnügen wir uns hier mit der Anzeige, dass
die letzterschienene im Buchhandel nunmehr zu haben ist.
P. Ijanger, Fsychophysische Streitfragen. (Aus dem Programm
d. ilerzogl. Gvmuasiums zu ( )hrdruf.) C. Crapenthin in oiirdruf.
— Preis 0,8U"M.
In der vorliegenden Schrift versucht Verf. die in seiner 1876
erschienenen Schrift „Die Grundlagen der Psychophysik" gegen-
sätzlichen Standpunkte, die nach Erscheinen derselben aufgetreten
sind, zu widerlegen. Verf. glaubt, dass die von Fechner aus dem
Weber'schen Gesetz gefolgerte gesotzmässigo Beziehung zwischen
Reiz und Empfindung einem Trugschluss ihre Entstehung vci'dankt.
Dr. Immanuel Slunk, Physiologie des Menschen und der
Säugethiere. Lehrbuch für Studirende und Aerzte. o. verb.
und verm. AuH. Mit 100 Holzschnitten. August Hirschwald.
■ Berlin 1892.
Es ist ein Vorzug des Buches anderen Physiologieen gegen-
über, dass CS nicht allein den Menschen, sondern auch die Säuge-
thiere berücksichtigt. Dadurch gewinnt das Werk für den Special-
Naturforscher namentlich an Werth. Es ist derartig abgefasst, dass
möglichst wenig vorausgesetzt wird; wir finden demnach, wo noth-
wendig, Erläuterungen aus der Physik, Chemie und Anatomie.
Nicht zum geringsten wegen dieses elementaren Charakters des
Buches hat es eine grö.ssere Beliebtheit gewonnen. Als Nach-
schlagebuch ist es durch das sorgfältig bearbeitete Register wcrth-
voU. Incl. dieses Registers umfasst es 615 Seiten.
Prof. Dr. Oscar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Grund-
züge der allgemeinen Anatomie und Ph3'siohigie. Mit 168 Ab-
bildungen. Gustav Fischer. Jena 1892. — Preis 8 M.
Das Buch fasst in dankenswerther und w'ie sich bei dem Namen
Hertwig's von selbst versteht, den Gegenstand vertiefend die zahl-
reichsten, wichtigsten Ergebnisse der Arbeiten aus dem Gebiete
der Zellenlehre — • mit besonderer Berücksichtigung der thierischen
Zelle — zusammen, die ja gerade in unserer Zeit so grosse Fort-
schritte zu verzeichnen hat und noch immer eifrig von vielen
Seiten ausgebaut wird. Das Buch ist geschickt derartig abge-
fasst, dass es auch der von vornherein weniger Orientirte studiren
kann. Hertwig behandelt sein Thema in 9 Capiteln. In dem
1. bespricht er die Geschichte des Gegenstandes, in dem 2. die
chemisch-physikalischen und morphologischen Eigenschaften der
Zelle, in dem 3. — 7. die Lebenseigenschaften, dann 8. die Wechsel-
wirkungen zwischen Protoplasma, Kern und Zellproduct, und im
0. die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungsthooricn).
Ueberall macht er reichliche Litteratur-Angaben, die namentlich
dem Weiterarbeitenden sehr werthvoll sein müssen.
Dr. G. A. Berteis, Erdöl, Schlammvulkane und Steinkohle.
Betrachtungen und Beobachtungen (dier deren Ursprung und
Entstehen. S". Riga. Verlag von N. Kymmel. 1892. 70 SS.
Der Verfasser hatte behufs Abgabe eines Gutachtens den
kaukasischen Erdöldistrict bereist und war dabei zu einer An-
sicht über die Entstehung des Erdöls gekommen, die er wegen
nun anderweitiger Arbeiten nicht weiter verfolgen und in ihren
einzelnen Theilen begründen kann, die er aber doch nicht unter-
gehen lassen, sondern zur Anregung Anderer, dem von ihm gege-
benen C-irund weiterzubauen, benutzen will. Diesem Wunsche ist
vorstehcnules Schriftchon entsprungen. B. selbst fasst am Schlüsse
seine Resultate und Ansichten etwa in folgender Weise zusammen:
das Material aller bedeutenderer Erdölquellen stammt in der
Regel von marinen iM(>llusk(>n, seltener von Fischen. Die Bildung
des Oe'les war nur möglich 1) beim Vorhandensein grös.serer
Massen dieser Meerestluere und 2) liei einem Festlaiul nnt steilen
Uferrändern, von denen periodisch bei stärkeren Niederschlägen
mit reissender Gewalt grosse Schhimmmassen ins Meer geworfen
werden konnten, wodurch die Lebewidt begraben wurde. Beiile
Bedingungen haben zu vielen Zeiten, auch jetzt, stattgi'fund(ui,
das Erdrd ist clarum au keine bestiuunte Formation gebunden. —
In Süsswasserbecken sind wahrscheinlich keine odc^r nur verein-
zelte Erdöllager entstanden, wahrscheinlich weil jene Bedingungen
dort selten erfüllt sind. Die Zersetzung der organischen .Sub-
stanzen (Eiweisskör]ier und Fette), fand durch organisirte und
nicht orgMuisirte Fermente in (ilurch das entst(diende Ammoniak |
neutraler Lösung und Luftabschluss statt; das salzige gewöhnliche
Meerwasser vermag die Gährung nicht zu verhindern. Die Pro-
teinstoft'e gaben die vorwiegend schweren und naturgemäss
zugleich etwas Schwefel-, Phosphor- und Ammouiak-haltigeu
(Asphalt und Bitumen genannten) Kohlenwasserstoffe, aus den
Fetten entstaudi'u die leichten Kohlenwasserstoffe (Gele und Gase)
also wohl ineht erstere aus Ictzeren durch Condensation infolge
von Druck ; die stete Begleitung des Bitumes von Eisenkies wird
auf den Schwefelgelialt des Eiweisskörpers zurückgefidn-t. — Das
Vorhandens(;in von Ammoniak im Bitumen weist darauf hin, dass
hohe Temperaturen nie gelierrsciit haben. Der Druck, unter dem
die Erdülbildung stattfand, war in den meisten Fällen grösser als
der einer Atmosphäre. Wenn der Verf. aber meint, dass bei der
deutschen Colonie Miclielsfeld sich das Erdöl unter einem sehr
geringen Drucke gebildet habe, wie man ihn aus der geringen
Mächtigkeit der auflagernden Schichten von wenigen Handbreiten
schliessen müsse, so hat er offenbar nicht daran gedacht, dass
diese' geringe Mächtigkeit eine Folge der Erosion sein kann.
Verf. glaubt Grund zu haben, dass der Erdölbildungsprocess selbst
in den Tertiärscliicliten gegenwärtig noch nicht allerorts abge-
schlossen ist, sondern noch fortschreitet (er glaubt in der Guilaja
Bälka noch nicht völlig zersetzte Muscheltliiere in einer petro-
lösen Flüssigkeit gesehen zu haben, welche die Schalen erfüllte).
In den vorausgehenden Abschnitten behandelt der Verf. die
Ansichten von Helmersen, Abich, Romanowsky, iMendelejeft', Pabst,
(letzere in dieser Wochenschrift V. 276), Kngler, (vergl. diese
Wochcnschr. 111, 54) und Ochsenius u. A. über die Bildung des
Erdöls mehr oder nunder eingehend und kommt im V. Abschnitt
auch auf die Schlammvulkane zu spreclien, die er von den echten
Vulkanen durch keinen grundsätzlichen Unterschied trennt; erstere
haben nur ihren Herd in geringerer Tiefe, in Erdöllagern. Im
Allgemeinen ist aber dieser Abschnitt ebenso wie der grösste
Theil des Buches sehr aphoristisch abgefasst, es sind einige gute
Gedanken (insbesondere die Mitwirkung von Fermenten betr.)
verquickt mit vielen unreifen und zum Theil verworrenen. Immer-
hin wäre es wünschenswerth. wenn der von B. angeregten Frage,
inwieweit Fermente unter gewissen Bedingungen tbierischo Sub-
stanzen in Petroleum überführen können, weiter nachgegangen
würde. E. Zimmermann.
Baer, Geh. San.-R. Bez.-Phys. Ob.-Arzt Dr. A., Der Verbrecher
in anthro]i(d()gischer Beziehung. Leijizig. 15 M.
Ergebnisse der in dem AtUmtischcn Ocean von Mitte ,luli bis
Anfang November 188y ausgeführten Plaid^ton-E.xpedition der
Humboldt-Stiftung. (2. Bd.) Kiel. 2 M.
Groth, P., u. F. Grünling, Repertorium der nuneralogischen und
krvstallographischen Literatur vom Anfang d. J. 1885 bis An-
fang d. J. 1801. Leipzig. 21 M.
Harpf, Dr. Aug., Beiträge zur Kenntniss der chemischen Vor-
gänge l)eini Sulfitverfahren. Leipzig. 0,50 M.
Howorth, Henry. H., M., P., F., S., A., M., B., A., S., Das
Mammut und die Flut. London. 4,50 M.
Koken, Prof. Dr. Ernst, Die Vorwelt unil ihre Entwickelungs-
geschiclite. Lidpzig. 16 M.
Krause, Ernst H. L., Mecklenburgische Flora. Rostock. 3,80 M.
Pawlitschek, Gymn.-Prof. Dr. Alfr. , Beobachtungen an der
Makrolejjidopterenfauna von Radautz. Czornowitz. l),8Ü M.
Berichtigung.
Seite 414 Spalte 1 Zeile 13 von unten muss es heissen dick-
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Inhalt: Prof. M. Fauvelle: Die Transformation der Pflanzenwelt. (Mit einem Schema) — XXIV Deuts<-her Anthropologencon-
gress in Göttingen und Hannover vom 5. bis 9. August 1893. — Thiere als Mitbewohner von Ameisenbauten. — Ueber Ami-
do.xylsäuren. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — LItteratur: Brockhaus' Konversations-Lexikon. — Emil du Bois-Rey niond:
Maupertuis. — P. Langi'r: Psycho|ihysisclie Streitfragen. — Dr. Immanuel Munk: Physiologie des Menschen und der
Säugethiere. — Prof. Dr. Oscar Hertwig: Die Zelle und die Gewebe — Dr. G. A Berteis: Erdöl, Scldaninnulkau id
Steinkohle. — Liste. — Berichtigung.
428
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i)'t jugleict) beut Slnbenten bcS »erhienftüoüen Sotanitera ist)r. ßonrab
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ff!
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henrj' Potouie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Iiiserateutlieil; Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin .SW. 12
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. Sonntag, den 1. October 1893.
Nr. 40.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post- j Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge ent-
anstalten. wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist .Ä 4.— dö sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
Bringegeld bei der Post 15 -^ extra. JL bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur mit voHstän<ii»er t^nellenansabe gestattet.
Neue Beobachtungen über Höhlen der Schwäbischen Alb.
Das mächtige, aber reich zerklüftete Kalkgebirge der
Schwäbischen Alb ist durch eine grosse Anzahl von Grotten-
und Hühlenbildungen ausgezeichnet. In letzter Zeit sind
nun nicht nur neue Höhlen erschlossen worden, sondern
es ist auch durch den Stuttgarter Geologen K. Endriss
der Versuch gemacht worden, das von ihm näher studirte
Höhlensystem in der ümgebimg von Gutenberg in tektoni-
scher Hinsicht klar zu legen. Unter den neu entdeckten
Höhlen ist wegen ihrer Fauna namentlich die von Eber-
hard Fraas genau untersuchte Irpfclhöhle im Brenz-
thale von besonderem Interesse. Nachstehend soll daher
ein Ueberblick über die Forschungen in diesen beiden
Höhlengebieten gegeben werden.
a) Das Gutenberger Höhlensystem.
Unter der liebenswürdigen Führung von Dr. K. End-
riss und Pfarrer K. Gussmann hatte der Unterzeichnete
Gelegenheit, am 9. April d. J. mit drei anderen Theil-
nehmern am Stuttgarter Geographentage die Gussmanns-
höhle und die Gutenberger Höhle kennen zu lernen,
welche nebst der Wolfsschluchthöhle und der Krebs-
steiuer Höhle erst in den letzten Jahren Gegenstand
näherer Untersuchung gewesen sind.*) Dr. Endriss und
der genannte Pfarrer von Gutenberg haben 1890 einen
„Schwäbischen Höhlenverein" ins Leben gerufen, dessen
erste Publieation vor Kurzem erschienen ist.**) Aus der-
selben ergiebt sich über den Bau der Höhlen im Schwä-
bischen Albgebirge folgendes.
Von den grösseren Hohlräumen unserer Erdrinde ist
die eine Gruppe gleichzeitig mit dem umgebenden Ge-
stein entstanden, was besonders im Gebiet von Kalktuff-
formationen der Fall ist, die andere ist erst nach der
Entstehung der umgebenden Gebirgsmasse besonders durch
die Thätigkeit des Wassers namentlich in solchen Ge-
*) K. Endriss, Zur Geologie der Höhlen des Schwäbischen
Albgebirges in Ztschr. d. D. Gool. Ges. Bd. 44, 1892.
**) Schriften des Scluväbischen Hühlenvereins, No. 1, Ueber
den Bau der Höhlen des Schwäbischen Albgobirges im allgemeinen
und über den Bau der Gutenberger Höhle im besonderen, Stutt-
gart 1893. Vergl. auch die Blätter des Schwäbischen Albvereins,
Jahrg. 1SVI2. Nr. 10.
steinen gebildet, welche durch ihre chemische Beschaffen-
heit im Wasser leichter löslich sind. Zur ersten Gruppe
gehören die Tuffhöhlen in den Kalktuffmassen der Alb-
thäler, zur zweiten die Höhlen im eigentlichen Gebirgs-
körper der Alb die „Grundgebirgshöhlen".
Unter letzteren können wir wiederum solche unter-
'")cheiden, bei welchen die Höhlenbildung, die Erzeugung
von hohlen Räumen im Gebirge sich noch in der Gegen-
wart vollzieht, und die Höhlen, in welchen sich zur Zeit
keine höhlenbildenden, die vorhandenen Hohl-
räume wesentlich vergrössernde Vorgänge nach-
weisen lassen. Erstere werden von Quellbachgcwässern
dauernd oder nur zeitweise durchstWimt, ihre häufigsten
Vertreter sind die Quellgrotten; die grossen Quellgrotten
leiten dann zu den Quellbach höhlen über.
Die Gutenberger Höhle — vergl. das hier beige-
gebene Kärtchen und Läugsprofil — gehört nun zu den-
jenigen Höhlen, in welchen sich zur Zeit keine höhlen-
bildenden Vorgänge nachweisen lassen, sie ist der Typus
einer abgestorbenen und zugleich einer sehr alten
Höhle.
Der Eingang zur Gutenberger Höhle befindet sich
bei etwa 700 m Meereshöhe am Nordhang des bei Guten-
berg in das Lenniger Thal einmündenden kurzen Tiefen-
thaies, in der Luftlinie etwa 1 km nördlich von Gutenberg
(.540 m). Ein grosses Felsenportal im löcherigen, wenig-
geschichteten Kalkstein des Weissen Jura führt zu einer
schon längst bekannten Grotte, dem Heppeuloch. Nörd-
lich von dieser Grotte reiht sich nun an dieselbe ein
System von Hohlräumen an, welches im Winter 1889 90
von Karl Gussmann erschlossen wurde. Die bis jetzt neu
aufgefundenen Höhlen zusammen mit dem Heppeuloch
bilden die Gutenberger Höhle: sie zerfällt in einen öst-
lichen und in einen westlichen Höhlenzug, beide ver-
laufen etwa in NNO. ungefähr gleichgerichtet. Das Heppeu-
loch bildet den ersten Eaum des westlichen Höhlenzuges.
All dasselbe reiht sieh eine grosse Halle {E). Vom iiw.
Theil dieser Halle aus zieht sich der westliche Htiiilenzug
noch 70 m weit ins Gebirge hinein (vom nö. Theil der
430
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 40
Halle E zweigt nach NW. der Gang a ab). Am Ende
des westlichen Höhlenzuges scliliesst sieh nach 0. eine
weitere grosse Halle, die sog. Theilungshalle, an:
dieselbe verbindet den genannten Höhlenzug mit seinem
östlichen, nur etwa 6 — 8 m von ihm entfernten Nach-
bar; letzterer erstreckt sich sowohl nach N. wie nach S.
von der Theilungshalle aus; er wurde nach S. hin bis
jetzt 25 m weit, nach N. hin 20 m weit erschlossen; beide
Enden liegen jedoch in Ausfüllungsmassen ; der Zug setzt
sich nach beiden Richtungen weiter fort.
Im Bau der Höhle ist das Grundgebirge und
das Ausfülhnigsraaterial zu scheiden, denn es sind
Gesteinsmassen in die vom Grundgebirge umschlossenen
Hohlräume eingelagert.
1. Der Schichtenbau des Grundgebirges. Die
bis jetzt erschlossenen freien Hohlräume der Gutenberger
Binxfang
birges. Durch die Randecker Berghalbinsel, in welcher
sich die Gutenberger Höhle befindet, zieht sich eine Zone
grösster Zerreissung in der Senke, welche von der
Wolfsschlucht — 160 m w. von der Gutenberger Höhle —
nach dem nördlichen Steilrand desRandecker Maars streicht.
Letzterer ist eine Vulcanruine; jene Zerreissungszone
habe zur Entstehung dieses Vulcans wesentlich beigetragen.
3. Die Höhlenbildung. Die Spalten aber waren
die Wege, auf denen sich dann die Höhlenbildung
vollzog, lieber den hierbei entfalteten Mechanismus geben
zwei Stellen Aufschluss, die sog. „Klamm" und der Gang «;
beide
an der tiefsten Stelle der Wandung, links
und rechts eine Zone von abwechselnd convexen und con-
caven Stellen, die „Serpentinenzone", welche die Schich-
tung des Felsgesteines quer durchschneiden. Diese inter-
es^ianten Wandungstbrmen deutet Endriss auf rasch
\
3 ÄUiuriarvi2^festneßJLßt}2Ltil^i^Leh7n,SaruL iLTfwn-i HeppenlocK
ffÖhlenzutf O
0 o AfayffLSüune un huUerai Heppenloch (Grenze Gulefi ■
beft^-Schopriochj .
*^Billä3ll!i[|^IH5 /(aIJcsuuerd£ck£, locaL mti aul'qrloßertpn Malmblocken
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-.«S/fT.h&vl ^'"^ BodrnJ'lachc imr derAtisgrabiMg 1889/901-
- — — - -'— Projc££Ü3i di-r vtirhtüfstrjt. SpaUenzuge ui der ßetJce
ObWJÖ.
Vorplatz
Aufschuitun^
AHeppenloch, r vonleres, A hinteres; P hinteres Portal des Heppenloehs;
E Halle 'grosse EinschwenniinnsslialU'); A' grosses Knochenlager; jV kleine
Knochennester; i Gansi; G gntliiMlie IhiUe; 1 — 8 (im Hcihlcnziig IT) Kammern
durch Giinge mit einander verhmulcn ; J/ Maurische Halle; : Zwergpalast;
süesimsnische; (I obere Hiihle; 1 und '.' (Im Höhlenzug 0) Umbicgiragen ; '/'Thei-
lungshalle; t Spaltenzug; X (Jang; oh. mcteorolog. Observatorium des Schwab.
Ilühlenvereiiis ; D Gussmannsdom ; k Klamm.
Die kleineu Pfeile zeigen die Richtung des Schichtenfalls der Alluvionen an.
Der Grundriss'ist in den tiefsten Horizonten gezeichnet Im allgemeinen
giebt er das Bild von der Umgrenzung der jetzigen Bodentlache.
Die Grundlinie des Profils hat folgenden Verlauf:
Oestlicher Thürpfosten am vorderen Portal (Eingang) — westlicher
Thiirpfosten (am Gemjluerj des zweiten Thors, — Mitte der Schwelle der Treppe
— Mittellinie der Treppe — Treppenende. — In der weiteren Ei'streckung ist
der Verlauf in der Mittellinie des Hühlenzugs.
Die AUuvion b ers;i-eckte sich vor der Ausgrabung: 1. in der Halle E,
bis zu der im Profil ein;:etragenen Kalksinlerdecke (durch .\usgrabung eben-
falls f^rö.sstentheils entfernt) und bis zum Grundgebirge der Decke (im Nord-
theil der Halle), 2. im Höhlenzug W bis zu der gestrichelten Linie.
Die durch Kreuze angegebene -Formation im Heppenloch ist durch Aus-
grabung entfernt.
Höhle liegen grösstentheils im oberen Weissen Jura d,
gebildet durch eine ca. IS m mächtige Masse eines grauen
ungeschichteten
bis gelblich-grauen, mehr oder weniger
Kalksteines von grosser chemisch-physikalischer Ungleich-
heit seiner Theile. Am Aufbau des Grundgebirges be-
theiligt sich sodami noch der untere Weisse Jura d mit
festgefügten Bänken eines dichten, sehr gleichartig auf-
gebauten, blau-grauen bis gelblich-grauen Kalksteines.
2. Die „Spaltentektonik" des Grundgebirges.
Spalten spielen eine grosse Rolle, da hier zwei Hohl-
räume im Gebirge fast parallel verlaufen. Endriss glaubt
das Vorhandensein eines wohl entwickelten Spalten-
systems erwiesen zu haben, welches bei der Ausbildung
der Räume maassgebend war. In der Oberdelta- Stufe
bewirkte dasselbe eine viel stärkere Zersplitterung und
arbeitete somit der Ausräumung viel stärker vor, als in
der Unterdelta-Stufe, in welcher nur eine starke Kluftung,
die V2— 2 m breite „Klamm", bewirkt wurde.
Die Spaltungen hält Endriss für die Folge gebirgs-
bildeuder Vorgänge bei der Entstehung des Alb- Ge-
fliessende Wasser, auch Bachgewässer hin, welche hier
wahrscheinlich starke Strudel bildeten.
In der Entstehung der Hallen bildeten aber auch
die Sickerwasser jedenfalls eine hervorragende Rolle
und bewirkten die Abbröckelung des Gesteines; der Bach
führte dann den in der Höhle sich bildenden Schutt ab.
Jedenfalls ist die Hauptausbildung der Höhle durch
Einwärtsrücken der Höhlenbildung von den Aus-
trittsstelleu aus bewirkt worden. Die ersten Stadien waren
also die einer Quellgrottenbildung; ihr entgegen-
kommend konnte dann eine Versickerungsgrotten-
bildung arbeiten; doch haben die Tagwasser, welche die
Höhle durchflössen, im ganzen nur eine untergeordnete
Rolle gespielt; die Hauptausbildung der Höhle ist durch
Quellwasser vermittelt. Endriss fasst daher die Guten-
berger Höhle auf als durch Rückschreiten von Quellen ent-
standene Quellbachgrotte; auch stimmt dieselbe mit Quell-
grotten und Quellbaehhöhleu der Gegenwart vollkommen
liberein.
4. Die Ausfüllungsmassen. Auf eine Zeit eigent-
Nr. 40.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
431
licher Höhlenbildung- folgte dann eine solche, in welcher
die geschait'euen Hohlräume zum grossen Theile wieder
ausgefüllt wurden. Das Ausfüllungsmaterial bilden na-
mentlich Lehm-Schottermassen. Die grosse Halle E
war bereits vollständig mit Lehm und Schotter ausgefüllt.
Nur ein Theil der Ausfüllungsmasscn ist bei der Auf-
grabnng entfernt worden, ein grösserer Theil lagert noch
im sog. „Lehmberg" in Halle E, im Gang- a, im Heppen-
lüch und im westlichen Hölilenzug.
Die «auze Lehm-Schottermasse ist gleichzciti
aut-
gebaut; die eingelagerten Schotter stanunen grösstenthcils
aus höheren Stufen des Grundgebirges als derjenige Hori-
zont ist, in welchem sie lagern. Die Schichtnug des Lehms
weist auf Wasser-Transport hin, und zwar bildet der-
selbe eine Schwemmablagerung.
Die Schichtungsflächen
sind in der Halle nach einem Kegelmantel orii-ntirt; die
grössten Wassermassen sind nach dem Heppenloch ab-
geführt worden.
Ein Knocheulager mit Knocbenstttcken der vcr-
scliicdenartigsten Thiere, vielfach mit Sprüngen und Spalten
in den Knochen, fand sich im unteren Theile der Lehm-
Schottermassen vor. Die meisten Knochen waren mit
Sinter überzogen; das Knoehenlager erseheint als eine
seitlieh von den beiden Haupsstromwegen des Wassers
abgeschwemmte Masse, welche zu einer AUuvione ge-
hört. Zweifellose Spuren des Mensehen sind bis jetzt
im Gebiete der Lehm-Schottormassen nicht nachgewiesen.
In den letzteren überwiegt der Lehm liei weitem, der
Schotter tritt zurück, was auf Absatz durch wilde Ge-
wässer iiinweist; Lehm und Schotter entstammen jeden-
falls grrissteutheils dem Plateau über der Höhle, denn hier
lagern ähnliche Bildungen, eine Einfuhrstelle vom Plateau
in die Höhle ist jedoch noch nicht bekannt. Die zu-
führenden Gewässer brachten grossen, raschen Wasser-
andrang, wie solcher nach starkem Regen, beim Schmelzen
von Schnee und Eis auftritt.
Die Bestimmung der Einschwemmungszeit nach den
Knochenfunden weist auf früh-diluviale Zeit hin, ein-
zelne Funde selbst auf spät-tertiäre Zeit. (Vergl. bes.
A. Nehring, N. Jahrb. für Min. 1890, II, 34.)
5. Die jüngeren Ausfüllungsmassen, welche
ausserdem in der Höhle vorkommen, beziehen sieh haupt-
sächlich auf Tropfsteinablagerungen.
Sonach lässt sich die geologische Entwickelung der
Guteuberger Höhle in folgende Phasen zerlegen :
I. Die Schichten des Grundgebirges werden von tief,
gehenden Zerreissungen betroffen. Entstehung der bei-
den Spaltungszonen und der zu denselben quer
gerichteten Spaltenzüge.
II. Aus starken Quellen entwickeln sich im Gebiete
dieser Zonen starke Bäche, welche aus dem Grundgebirge
Material ausräumen. Der Ursprung der Bäche rückt immer
mehr bergeinwärts und damit scln-eitet auch die Höhlen-
bildung mehr und mehr in das Gebirge hinein vor. Haupt -
ausräumung der Hohlräume im Grundgebirge.
III. Wilde Gewässer lagern in den Hohlräumen Lehm-
Schottermassen ab. Entstehung der alten Alluvionen
in der Höhle.
IV. Kalkführende Sickerwasser setzen beim Verdunsten
Tropfstein ab. Abbröckelung; Verstürzung; locale Ein-
brüche in den Lehm; Schottermassen. Bildung dgjr
T ro p fst e in ab 1 a g eru n gen.
b) Die Irpfelhöhle im Brenzthale. (Zeitschr; d.
Deutsch, geol. Ges., 1893.)
Die Brenz bildet ein nach der Donau zu gerichtetes
Querthal durch den Theil der Schwäbischen Alb, welcher
als Aalbeeeh die östliche Abgrenzung gegen den Franken-
jura darstellt. Ihre Thalränder werden von den Gehängen
des obersten Weissen Jura gebildet; im Hauptthal
und in den Seitenthälern finden sieh zahlreiche Grotten
und Höhlen, darunter die berühmteste der schwäbischen
Höhlen, der Hohlenstein mit seinen Knochenmassen von
Höhlenbären und anderen Diluvialthieren, ferner der Bock-
stein, der Schlupf am Fohlenhaus, der Salzbuhl u. s. w.,
alle südlieh Giengen in den trockenen Seitenthälern der
Breng gelegen.
Im vorigen Jahre ist nun wieder in nächster Nähe
von Giengen eine solche Höhle, eben die Irpfelhöhle, mit
grösster Sorgfalt ausgegraben worden, deren faunistische
Ausbeute eine ungewöhnliche war; Dr. Eberhard Fraas
wurde zum Glücke gleich anfangs als wissenschaftlicher
Berather beigezogen und vermochte daher ein genaues
Bild der Höhle und der ganzen Art ihrer Ablagerung zu
geben: Ihre Fauna steht in engstem Zusammenhange
mit der damaligen diluvialen Landschaft, worauf
bei ähnliehen Fällen bisher viel zu wenig ge-
achtet worden ist. (Einen vorläufigen Bericht gab
E. Fraas bereits im Correspondenzbl. d. Deutsch. Ges.
für Anthropologie etc. Bd. 23 (LS93), S. 117.)
1. Stratigraphische Uebersicht.
Die Irpfelhöhle, volksthümlich der „Irpfel", liegt
2 km oberhalb (üengen am linken (östlichen) (ichänge
des Breuzthales, nur etwa 15 m über der heutigen Thal-
sohle in der Etage E der Weissen Jura. Ueber dem
Jura und in den Spalten desselben eingesenkt liegt das
Tertiär in Gestalt von obereozänen Bohnerzen, von
marinem Miozän mit Austern und Bohrmuscheln und von
obermiozänen Kalken und Mergeln mit Landschnecken.
Diluvialer Schutt ist nur spärlich an den Seiten des
Thaies und auf einigen niederen Terrassen vorhanden. Die
Moränen des Rheingletschers reichten nicht mehr so weit
thalaufwärts, sie endigten etwa 10 km unterhalb Giengen.
Das Brenzthal bildet von der Quelle bis zur Mündung
eine fortlaufende Kette von breiten Thalausbuchtungen
mit Sumpfwiesen, Rieden oder Seen, denn die harten
massigen Jurakalke der £- Etage bilden eine grosse An-
zahl von Felsenbarren gleich Querriegeln, die weichen
Jlergel der höheren Facies hingegen werden leicht aus-
gewaschen und abgeführt, wodurch die grossen Verbreite-
rungen des Thaies entstehen. In der Diluvialzeit muss
dies noch mehr der Fall gewesen sein, weil die Barren
noch nicht so weit ausgenagt waren ; darauf weisen auch
die weit ausgedehnten Torfmoore mit diluvialer Fauna
unzweideutig hin. Gerade unterhalb und oberhalb Giengen
breitet sich nun ein Ried aus, dessen Ränder von den
starren A'- Felsen gebildet sind. In diesen weiten sumpfigen
Ebenen und auf den Torfmooren tummelte sich in diluvialer
Zeit eine ganz andere Fauna als in den benach-
barten Wäldern, weshalb die Thierwelt der Irpfel-
höhle einen Steppen- und Wiesen-Charakter trägt
gegenüber anderen benachbarten Höhlen-Faunen, vor allem
der im tiefen Waldthale der Lone versteckten Bärenhiihle
des Hohlenstein. (Ueber letztere vergl. 0. Fraas, Jahresb.
d. Ver. f vat. Naturk. in Württemberg 1862, Bd. 18, S. 156.)
Die Irpfelhöhle ist nach ihren Dimensionen nur als
ein Schlupf zu bezeichnen; sie wurde eigentlich erst durch
die Ausgrabung geschaffen; der ganze vordere Theil war
bis oben mit Schutt gefüllt. Die Höhle lieginnt mit einem
frei stehenden Felsenthor, dann folgt der offene Vorraum,
welcher die meiste Auslieute an Knochen geliefert hat.
Hier ist offenbar das Dach der Höhle eingestürzt,
so dass der Felsenbogen den ehemaligen Höhleneingang
darstellt. Die Höhle selbst hat einen 3 m breiten, 2,5 m
hohen Eingang; mit wenigen Schritten erreicht man eine
hallenartige Verbreiterung, von welcher eine Reihe von
Verzweigungen ausgehen. Die Fortsetzung der Höhle geht
offenbar noch weiter in den Felsen hinein, doch versperren
432
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 40.
bis jetzt mächtige Felsblöeke den Weg. Wichtig für die
Untersuchung war sodann noch ein schmaler Kamin,
welcher in der SO. -Ecke nach oben führt und nicht sehr
weit vom Eingang der Höhle ins Freie mündet; derselbe
ist mit Bergschutt erfüllt. Die Schuttablageruugen
im Vorraum stellen eine mit Hühlenlehm verbundene
Breccie von Jurakalk dar. Inmitten dieser Masse lagen
die zahllosen, zwar zersplitterten und verbrochenen, sonst
aber vorzüglich erhaltenen Knochen. Die Schuttmassen
bilden eine secundäre Ablagerung-, welche aus dem Innern
der Höhle nach aussen transportirt war, wie das Einfallen
der Schichten nach aussen zu ergab; es müssen hier also
früher Wasser circulirt haben; jetzt ist die Höhle trocken.
Der Einsturz der Decke versperrte die weitere
Abfuhr des aus der Höhle ununterbrochen her-
ausgeschafften Materiales. So blieb eine reine,
unvermischte diluviale Höhlenfauna erhalten.
2. Die paläontologischen und anthropologi-
schen Funde sind nun folgende:
Ohne Interesse ist zunächst die ganz moderne
Fauna, welche durch Füchse und Katzen oder durch
den nach oben mündenden Kamin in die Hohle gelangt
ist. Eine Vermischung mit der im Höhlenlehm einge-
schlossenen Diluvialfauna ist ausgeschlossen. Letztere
trägt einen vollständig einheitliehen Charakter; Fraas
untersuchte etwa 950 Knochen und Zähne. Das Ergebniss
war folgendes:
I. Weitaus die meisten Raub thierkno eben gehören
der Höhlenhj-äne an, welche am läng.sten, vielleicht
allein die Irpfelhöhle beherrschte. In Süddeutschland sind
derartige Hyänenhorste sehr selten; verwandt ist nur
die Höhlenfauna von Ofnet bei Utzniemmingen im Ries
(1876 von 0. Fraas ausgegraben). Ein vollständig er-
haltener Hyänensehädel von bedeutenden Dimensionen ist
der erste derartige Fund in Württemberg.
II. Auffallend ist die geringe Vertretung des Höhlen-
bären, welcher in allen übrigen schwäbischen Höhlen die
erste Stelle einnimmt. Es sind fast nur isolirte Zähne
junger Thiere, die wohl von den Hyänen hierher ver-
schleppt werden konnten.
III. Nachgewiesen sind von Raubthicren ferner der
Höhlenlöwe, der Wolf (Canis lupus var. spelaeus) und
der Fuchs, letzterer zahlreich, so dass er als Mit-
bewohner der Höhle in einem schmarotzenden Verhält-
niss zu den Hyänen gestanden haben mag, wie der Schakal
zur heutigen afrikanischen Hyäne. Von Säugethieren
wurden ferner beobachtet: Mammuth (selten), Nashorn
(ziemlich häufig), vor allem Pferd, etwa die Hälfte
aller Knochen, denniach die Hauptnahrung der Hyänen
bildend, und Wildesel; unter den Wiederkäuern ist
das Rennthier am häutigsten, auch der Rieseuhirsch
ist sicher nachgewiesen, dagegen fehlt der Edelhirsch
nahezu ganz, ebenfalls schwach vertreten ist der Wisent;
vom Biber wurden nur 2 Zähne gefunden. Ausser einigen
Vogelknochen und Kieferfragmenten vom Hecht sind
besonders Hyänenexcremente sehr häutig. Vom Men-
schen sind nur eine Anzahl unzweifelhaft von Menschen-
hand bearbeitete Feuersteinlamellen aufgefunden; das
Material stammt nur theilweise aus dem Weissen Jura,
das übrige aus der in der Nähe nicht mehr vorkommenden
Moräne des Rheingletschers. Die neuerdings be-
strittene Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem
Mammuth ist somit für Süddeutsciiland sicher
nachgewiesen.
Die sonstigen Ergebnisse der Ausgrabung sind
folgende: Die Irpfelhöhle beherbergt eine ausge-
sprochene Diluvialfauna. Wir haben es zu thun mit
Raubthicren und deren Beute, welche meist aus
Pflanzenfressern bestand. Es liegt ein unzweifel-
hafter Hyänenhorst vor, die wenigen Knochenreste
vom Wolf und Höhlenlöwen sind eingeschleppt, vielleicht
auch diejenigen vom Höhlenbären; neben der Hj'äne be-
wohnte auch der Fuchs die Irpfelhöhle zur Diluvialzeit.
Unter den Beutethieren treten die Wald thiere ganz
zurück oder fehlen zum Theil überhaupt ganz, dafür ist
aber die Steppenfauna durch Pferd, Esel, Renn,
Rieseuhirsch vertreten, auch fehlen die Dickhäuter
als Bewohner der Sumpflandschaft keinesweges.
Eine Trennung von Mammutli- und Rennthierzeit
ist unthunlich, wenn das Renn auch in noch weit jüngere
Zeit hineinreicht. Prof. Fr. Regel.
Friedrich Trangott Kütziiig (f), ein Vorgänger
Darwin's. — Schon 1881*) habe ich den Algologen
Fr. Tr. Kützing als einen der Vorgänger Darwin's liin-
sichtlich der Descendenz-Theorie aufgeführt. Anlässlich des
kürzlich in Nordhauseu erfolgten Hinscheidens von Kütziug
will ich auf diese Thatsache nochmals nachdrücklich auf-
merksam machen. Die Abhandlung, in welcher sich Kützing
durchaus im Sinne der Descendenz-Theorie äussert, ist
erschienen in einem Schulprogramm der Realschule von
Nordhausen aus dem Jahre 1S56. Sie führt den Titel:
„Historisch-kritische Untersuchungen über den Artbegriflf
bei den Organismen und dessen wissenschaftlichen Werth."
Zunächst sucht Kützing darzulegen, worauf die AufTasung
von der Constans der Art beruht. Er erinnert daran,
dass Linnc namentlich durch seine Methode die Massen
der sich dem Forscher gegenüberstellenden organischen
Formen zum ersten Male so bewältigte, dass sie nunmehr
übersehen werden konnten, und neue Formen, sich leicht
einordnen Hessen. „Das Wesen der Linne'schen Methode,"
sagt Kützing, „besteht .... darin, alle Formen scharf
aus einander zu halten, zu trennen, zu isoliren". Nur
dadurch war sie befähigt Definitionen zu geben. „Sie
*) Oesterreichische botanische Zeitschrift. Vergl. auch „Natur-
wissenschaftliche Wochenschrift'' Band V: Aufzählung von Ge-
lehrten, die in der Zeit von Lamarck bis Darwin sich im Sinne
der Descendenz-Theorie geäussert haben" S. 444.
erreichte aber diesen Zweck nur dadurch, dass sie die orga-
nischen Körper nicht in ilirer Entstehung betrachtete,
sondern in den letzten Stadien ihrer Entwickelung." Man
unterschied constante und variable Formen, deren Ermit-
telung die Hauptaufgabe der uachlinne'schen Forscher
wurde. Die Folge lehrte jedoch immer, dass alle Formen
mehr oder minder variirten, so dass in Wirklichkeit die
Art innner relativen Werth besass. Die Bestimmung der
Art erhielt einen metaphysischen Grund, da die Arten die
von Anfaug her geschaffenen Formverschiedenheiten sein
sollten; jedoch hatte diese nietapliysiclie Begründung
keinen Werth, weil sie in praktisclieu Fällen ganz un-
brauchbar war. — Mit der Ausbildung der morpholo-
gischen Methode, die in der Metamorpliosenlelire ihren
Ursprung nahm, trat jedoch zwischen der morphologischen
und systematischen Betrachtungsweise ein Widerspruch
auf, der sogar bei bedeutenden Forschern, wie C. Nägeli
und A. Braun, gegen welche Kützing polemisirt, sich
geltend machte.
Naclidem noch die Anschauung A. Jordan's besprochen
worden ist, der bekanntlich auch die in der Cultur ent-
standenen Varietäten als Arten im alten Sinne behandelte,
folgt eine Darlegung der Sache nach der Ansicht Kütziug's
selbst. — Er liebt hervor, dass man zum Begriff der Art
durch Fixirung gelange, d. h., dass man bestimmte, von
mehreren ähnlichen Individuen entlehnte Merkmale zu-
Nr. 40.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
433
sammenstellc und diese als Kriterium für die Art i;e-
brauche, und sodann die ün\er;üiderliclikeit dieser ab-
stracten Art ausspreche; dann hat mau die Art im alten
Sinne, die jedoch mit der coucretcn Art nichts zu schatten
hat. Bei der Bestimmung- der abstracten Art wirkt die
concrete Art als Regulativ.
„Weil nun aber die concrete Art in ihren Individuen
variabel ist, und die Abstraction, wenn sie durch ver-
schiedene Individuen bedingt wird, auch zu einer ver-
schiedenen Darstellung der abstracten Art führt, so folgt,
dass dieselbe bei den verschiedenen Schriftstellern, wenn
jeder aus eigener Anschauung geschöpft hat, ebenfalls
verschieden dargestellt werden niuss."
Zum Schluss kommt auch Kützing wie Moritzi*) auf
die Aufgabe der künftigen Systematik zu sprechen und
sagt:
„Während nun die vergangene naturhistorische Epoche
auf Trennungen der natürlichen Verhältnisse hinarbeitete,
hat die neue Zeit es sich besonders zur wissenschaft-
lichen Aufgabe zu machen und zu erforschen: aufweiche
Weise die vielen, durch die bisherigen systematischen
Arbeiten aufgeschlossenen Formen durch die C4eschichte
ihrer Entwickelung natürlich mit einander verbunden sind."
Er weist dann auf die paläontologischen Studien
F. ünger's hin, die ihn in den Stand se'tzten, die alten,
längst morschen Schranken völlig zu durchbrechen.
„Denn", fährt Kützing fort, „in so zahlreichen Formen
und so entwickelt auch jetzt die heutige Pflanzenwelt die
Erde schmückt, so müssen jene doch zum Thcil als die
Nachkommen derjenigen Arten angesehen werden, welche
schon in den früheren und frühesten Perioden unseres
Erdkörpers vorlianden waren, und obgleich ein ununter-
brochener Zusammenhang der späteren Gebilde mit den
früheren stattgefunden hat, so sind dennoch Arten ver-
schiedener Perioden von einander verschieden, und dies
um so mehr, je weiter sich die Perioden von einander
entfernen. Jede Periode hat daher aucli ihren besonderen
Charakter und zwar so, dass in der ältesten die ein-
fachsten Gebilde, in der Steinkohlenperiode die Gefäss-
kryptogamen, in der Triasperiode die Monokotyledonen,
in der Juraperiode die Gymnospermen herrscheu und so
fort bis in die jetzige hinein, wo die dialypetalen Diko-
t^dedonen die überwiegenden Formen bilden. So sehen
wir also in der Erdrinde zugleich die Geschichte der
ganzen Pflanzenwelt niedergelegt, und ihr Studium zeigt
uns, wie sich die höher entwickelten Arten und Gruppen
allmälig aus niedrigstehenden emporgearbeitet haben.
Namentlich können die Species nach solchen Ergebnissen
nicht mehr als ein im Anfang Geschaffenes angesehen
werden, sie erscheinen vielmehr als Glieder einer Unge-
heuern Entwickelungsreilie, die sämmtlich ihre grosse
historische Bedeutung haben."
Kützing hat sich übrigens auch in früheren Schriften
über den Begrift' der Art, wie er selbst angiebt, in der
gleichen Weise ausgesprochen.**)
Auf Grund meiner vorn citirten Arbeit von 1881
über die Vorgänger Darwin's in der „Oesterr. botan.
Zeitschrift" machte mich Kützing besonders auf eine äl-
tere seiner Schriften aufmerksam, in denen er den Gegen-
stand ebenfalls berührt. Er schrieb mir: „ . . . . Ich
erlaube mir, Sie noch auf eine von mir bereits 1839 ver-
fasste Preisschrift aufmerksam zu machen: .,„F. T. Kützing,
Die Umwandlung niederer Algenformen in höhere etc.""'
Sie wurde mit der goldenen Medaille gekrönt und ist in
*) Vergl. „Natiirwisseuschaftl. Woclienschr." IV. S. 222.
_**) Man lese z. B. nur die Vorrede zu seinem 1851—52 in
Leipzig erschienenen Werke: „Grundzüge der philosophischen
Botanik."
den „„Naturkundige Verhandelingen van de Hollandsche
Maatschapy der Wetensschappen te Haarlem"" 1841 ab-
gedruckt . . ." Freilich hat sich der Hauptinhalt dieser
Abhandlung, nämlich die behauptete Umwandlung niederer
Algen in höhere, wie die seitdem so weit geförderte Ent-
wickelungsgeschichte der Algen gezeigt hat, nicht be-
stätigt, aber der Logik Kützing's macht doch die erwähnte
Kritik des Artbegriffs alle Ehre. H. Potonie.
spätestens im Laufe einiger Tage, zu Grunde gehen,
muss also doch Bedingungen geben, unter
sich länger lebend erhalten, unter welchen
lieber Bedinguiigen, unter denen die Lebensdauer
der Cliolerabacillen sich verlängert, äussert sich Pro-
fessor Dr. J. Uffclmann in der Berliner klinischen
Wochenschrift.
Ein dunkler Punkt in der Aetiologie der asiatischen
Cholera ist noch immer das W^iederauftreten derselben am
nämlichen Orte nach längeren, völlig freien Pausen ohne
erneute Einschleppung der Krankheitserreger. Die über-
wiegende Mehrzahl der Forscher vertritt aber die Ansicht,
dass die Cholerabacillcn nicht blos bei der Trocknung,
sondern auch im AVasser, im Sielwasser, in Fäcalien, auf
und in Nahrungsmitteln verhältnissmässig sehr rasch,
Es
welchen sie
sie Wochen
und selbst Monate hindurch entwickcluiigsfäliig und virulent
bleiben.
Da sie Dauersporen nicht bilden, so war zunächst
an die [Möglichkeit zu denken, dass eine schützende Hülle
ihr Absterben durch Trocknung um ein Wesentliches hin-
ausschiebt.
Ziemlich zahlreiche Versuche U.'s haben ergeben,
dass die Cliolerabacillen durch die vor völliger Trocknung
der Cholerafäces geschafi'ene Decke in der That conservirt
werden, dass die Verlängerung ihrer Lebensdauer aber
keine sehr erhebliche ist. Auf Porcellan angetrocknete
Cholerafäces enthielten, gleichviel mit welcher" Decke sie
überzogen worden waren, lebende Cholerabaeillen in der
Regel nur zwei bis drei, einige wenige Male fünf und
sechs Tage, die auf Papier, Leinwand und auf Flanell
angetrockneten ebenfalls allerhöchstens vier und sechs
Tage nach der Infection.
Weiterhin lag die Möglichkeit vor, dass die Cholera-
baeillen im Wasser, in nicht trocknenden Fäcalmassen,
in nicht trocknendem Bodenmatcrial und bei niedriger
Temperatur sich länger lebensfähig erhalten, bei einer
Temperatur, welche, einige Grade über Null liegend, diese
Bacillen selbst nicht vernichtet, bei welcher aber das
Wachsthum und der Stoffwechsel anderer Bakterien nahezu
sistirt ist, also etwa bei der Temperatur gut construirter
Eisschränke von -+-4° bis 4-7°C. Für die Möglichkeit
ihrer Conservirung bei niedriger Temperatur sprach also
die Erwägung, dass die Ursache ihres frühen Absterbeus
in höherer Temperatur ohne Frage die Concurrenz anderer,
lebhaft sich entwickelnder und offensive Stoffwechsel-
producte absondernder Bakterien ist, und dass diese Ur-
sache bei der Annäherung der Temperatur an den Null-
grad wegfallen oder fast wegfallen muss. Es sprach dafür
aber auch eine erst kürzlich von Dehio mitgetheiltc Beob-
achtung: Im Spätherbste 1871 herrschte zu Reval die
asiatische Cholera und erlosch daselbst am 21. November.
Im Laufe des Decembers begann man, die Aborte aus-
zuräumen und den Inhalt auf Wiesen zu bringen, welche
an dem offenen Canal der alten Wasserleitung sich hin-
ziehen, und auf welchen damals gerade Schnee lag. Als
dann Thauwetter eintrat — in dem U. vorliegenden Aus-
zug aus Dehio's Aufsatz ist das Datum leider nicht an-
gegeben — zeigten sich sofort neue Fälle von Cholera,
und zwar in Häusern, welche aus jener Leitung versorgt
434
Natui-wissenschaftlichc Wochenschrift.
Nr. 40.
wurden, insbesondere in einem Gefängnisse, in welchem
80 Inhaftirte eriirankten. Damit ist epidemiologisch der
sehr wichtige Beweis erbracht, dass die Erreger der
asiatischen Cholera in Fäcalmassen bei kühler Lufttem-
peratur sich viel längere Zeit, als man bisher annahm,
lebend erhalten können.
ü. hat nun Versuche über die Dauer der Lebens-
fähigkeit der Cholerabacillen in Flusswasser, in Sielwasser,
in Fäcalmassen, im Gemisch von Fäces und Urin, sowie
endlich im Bodenmaterial bei einer Temperatur augestellt,
welche im Durchschnitt bei -+- 6° lag, aber von -+- 4,5°
bis -f- 7° C. schwankte, ausnahmsweise auf ganz kurze
Zeit 8° erreichte.
Aus diesen Versuchen ergiebt sich, dass in der That
die niedere Temperatur von -f- 4,5° bis + ^° stark cou-
servirend und namentlich viel stärker conservirend auf die
Cholerabacillen wirkt, als die Bildung einer schützenden
Hülle um dieselben. In sämmtlichen Medien, denen sie
zugesetzt waren, hielten sie sich bei Eisschranktemperatur
viel länger lebend, als in den ebenso inficirten gleichen
Medien bei höherer Temperatur.
Das Resultat ist präciser:
1. Die Bildung eines Ueberzuges (der in den Ver-
suchen beschriebenen Art) vermag die Lebensdauer der
in Cholerafäces enthaltenen Cholerabacillen um etwas,
jedoch allerhöchstens bis zu (3 Tagen zu verlängern.
2. Bei einer Temperatur, welche etwa bei -+- 6° C.
liegt, bleiben Cholerabacillen
im Wasser der Ober-Waruow bei
Rostock wenigstens 20 Tage,
im Rostocker Leitungswasser . . „ 23 „
im „ Sielwasser ... „ ^ n
in Fäcalmassen bis 3B „
in Fäcal-Urinmassen 7 — 10 „
in Gartenerde wenigstens 12 ,,
am Leben.
3. Bei einer Temperatur, welche zwischen 0° und -+-1°
liegt, bleiben Cholerabacillen
in Fäcal-Urinmassen bis 12 Tage,
in Sielwasser . . . „ 12 „
in Gartenerde . . ,, 16 „
am Leben,
Für die Aetiologie ergiebt sich hieraus, dass Fluss-
wasser, Sielwasser, sowie Fäcalien und nicht trocknender
Boden in der kühlen Jahreszeit lebende Cholerabacillen
ziemlich lange beherbergen können. Das Wiederauftreteu
der Cholera nach längerer Pause ist an der Hand dieser
Feststellungen in vielen Fällen, in welchen dies bislang
nicht möglich oder schwierig war, leicht zu erklären,
zumal gar nicht ausgeschlossen erscheint, dass unter an-
deren Verhältnissen, bei anderer chemischer, wie bakterio-
logischer Beschaffenheit des Wassers, Sielwassers und
Bodens, sowie in Fäcalien, welche fast nur Reinculturen
der Cholerabacillen enthalten, eine noch längere Lebens-
dauer derselben bei niederer Temperatur vorkonnnt, als
von U. constatirt wurde.
Uiitersiicluingen über die Giftigkeit der Exspira-
tionsluft veröffentlicht Dr. med. Rauer in Heft 1 des
15. Bandes der Zeitschr. für Hygiene und Infcctionskrank-
heiten. — Die Frage, ob die Exspirationsluft giftig sei
oder nicht, sagt Dr. R., ist in den letzten Jahren ver-
schieden beantwortet worden. Ransome war der erste,
welcher behauptete, in der Ausathmungsluft gesunder
Menschen und Thiere organische Substanzen gefunden zu
haben, deren tägliche Menge er auf 0.2 gr pro die be-
stimmte. Diese Behauptung wurde in der Folge von
vielen Forschern einer eingehenden Prüfung unterzogen;
nur einige konnten die Angaben bestätigen (Seegen, No-
wack, Uffelmann). Die übrigen (v. Pettenkofer, v. Voit,
Hermanns) hatten dagegen negative Resultate. Da er-
schien im Jahre 1888 in den Berichten der Pariser Aka-
demie eine Mittheilung vonBrown-Sequard und d'Arsonval*)
über neue Versuche, welche geeignet sein sollten, die
strittige Frage nach giftigen Stoffen in der Ausathmungs-
luft endgültig zu lösen. Die Anordnung ihrer Versuche
war folgende. Entweder schütteten sie dem Versuchs-
thier in die Luftröhre durch eine Trachealcanüle destillirtes
Wasser, welches ausgehustet dann weitere Verwendung
fand, oder sie leiteten die Ausathmungsluft durch in Eis
gekühlte Spiralen und benutzten das gebildete Condens-
wasser. Diese auf so verschiedene Art gewonnenen
Flüssigkeiten wurden Versuchsthieren in wechselnden
Quautitäteu vom 20 bis 40 ccm injicirt. Die Injectionen,
mochten sie intravenös, subcutan, intraperitoneal, per os
oder per rectum erfolgen, tödteten die Versuchsthiere in
der Zeit von 16 bis 38 Stunden unter den gleichen Symp-
tomen, bestehend in Aenderungen der Circulation und Re-
spiration. Diese Wirkung glaubten Brown-Sequard und
d'Arsonval zurückführen zu können auf ein organisches,
alkaloidähnliches (»ift, das in den Lungen gleichsam se-
cernirt werde, sicli der Ausathmungsluft beimenge und in
den Flüssigkeiten gelöst enthalten sei. Diese Versuche
wurden vielfach controlirt (von Dastrc-Loy, Iloffmann-
Wellenhof, Russe - Giliberti, Lehmann - Jessen, Würtz),
konnten aber von keinem der genannten Forscher be-
stätigt werden. Trat in Folge der Injectionen bei den
Versuchsthieren der Tod ein, so musste er zurückgeführt
werden auf die schädigende Wirkung des Wassers, denn
bei Einverleibung der gleich grossen Menge destillirten
Wassers oder Kochsalzlösung starben die Thiere unter
denselben Symptomen, welche Brown-Sequard dem Gift
zuschrieb. Ein giftiges Agens konnte nirgends constatirt
werden.
Februar 1889 berichteten indess Brown-Sequard und
d'Arsonval über eine \reitere Reihe von Versuchen. Es
wurden mehrere geschlossene Käfige, deren jeder ein
Versuchsthier (Kaninchen) enthielt, so verbunden, dass
jedes Thier die Luft athmete, welche schon die voran-
gehenden Käfige passirt hatte, dass also nur Thier No. I
die unverdorbene Aussenluft erhielt. Durch eine Wasser-
strahlluftpumpe wurde ein continuirlicher Luftstrom durch
die Käfige gesogen. Das letzte Kaninchen, das die am
meisten veränderte Luft athmete, starb zuerst (nach zwei
Tagen), hierauf das vorletzte (nach drei Tagen) und so
fort in Zwischenräumen von Tagen. Die Thiere im ersten
und zweiten Käfig, also der Aussenluft am nächsten,
zeigten keine Alteration. Wurde zwischen zwei Käfige,
(z. B. zwischen 7 und 8) eine Röhre eingeschaltet, welche
in Schwefelsäure getränkte Bimssteinstücke enthielt, so
blieb das Thier hinter derselben (also in S) am Leben.
Die letale Wirkung der Ausathmungsluft wollten nun
Brown-Sequard und d'Arsonval zurückführen auf ein in
derselben enthaltenes organisches Gift, welche durch die
Schwefelsäure in eine ungiftige, nicht fiUchtige Modifica-
tion übergeführt werde. Die COä wurde nielit in Betracht
gezogen, da ihre quantitative Bestimmung zu niedere
Werthe ergab, um jene Wirkungen erklärlich zu machen.
— Gleichen Erfolg hatten die von Merkel angestellten
Versuche, bei welchen er dieselbe Versuchsanordnung
wie Brown-Secjuard einhielt, nur dass er statt der Ka-
ninchen Mäuse benutzte. Auch Merkel starben stets die
im Glas 5, bezw. 4 befindlichen Mäuse zuerst, dann die
Maus No. 3, während 1 und 2 am Leben blieben. Merkel
*) Vergl. „Naturw. Wochenschr." Bd. IV, S. 6.
Nr. 40.
Natiirwissenscbaftliche Wochenschrift.
435
glaubt daher ebenfalls an die Existenz eines org-anischen,
alkaloidiihnliehen Giftes in der Ausathniungsluft; dasselbe
sei nur im flüchtigen Znstande wirksam, mit Schwefel und
Salzsäure gebe es ungiftige, weil niciit mehr gasförmige
Verbindungen. Seiner chemischen Natur nach sei das
sogenannte Exspirationsalkaloid noch vollständig un-
bekannt.
Eine gewisse Bestätigung erfuhren diese Beobach-
tungen ferner durch Ben. der im Rostocker hygienischen
Institut die Versuche mit den hinter einander rangirten
Mäusen wiederhcdte. Auch hier starben die letzten Mäuse
zuerst. Aber bis zur Beendigung des Versuches brauchte
Ben 9 Tage, während bei Merkel der letale Ausgang nach
8^2 l»s 36 Stunden eintrat. Ben glaubte daher nicht
eine bestinmite, in der Athmungsluft vorhandene Noxe an-
nehmen zu sollen, sondern ist der Meinung, dass andere
schädigende Einflüsse, z. B. Temperatur- und Feuchtig-
keitsverhältsnisse, vielleicht auch die Ausdünstung von
Körperoberriäche und Excrcmenten mitgewirkt haben.
Inmierhin war damit keine befriedigende Aufklärung
gegeben für das höchst eigenthümliche Factum, welches
nunmehr in drei Versuchsreihen von verschiedenen Ex-
perimentatoren erhalten war: dass von hinter einander
rangirten Tliieren, bei welchen das folgende immer die
Luft aus dem Käfig des vorangehenden bezieht, die letzten
regelmässig und in bestinnnter Reihenfolge sterben. Das
Factum erschien dabei für die Lehre von der Hygiene
der Luft so bedeutsam, dass Herr Prof. Flügge mir rieth,
die betreffenden Versuche mit allen Vorsichtsmaassregelu
und unter Beachtung aller sonstigen möglicherweise mit-
wirkenden Factoren zu wiederholen.
1. Als Versucbsthiere wurden weisse Mäuse benutzt.
Dieselben waren in Glasgefässe von ungefähr V.., Liter
Inhalt eingeschlossen, deren Boden mit Hafer bedeckt
war. Durch den wohl gedichteten (paraffinirten) Kork
führten drei Röhren: die eine reichte bis auf den Boden
und diente für den Eintritt der Luft, die zweite endete
dicht unterhalb des Korkes und vermittelte den Austritt
der Luft, die dritte führte bis in die Höhe des Thieres
hinab, war in der Regel verschlossen und wurde zum
Absaugen der Luft für die Luftuntersuchung benutzt.
(Anfangs wurden auch Thermometer und Hygrometer in
den Gefässen angebracht; es zeigte sich aber bald, dass
in den verschiedenen Gefässen nur sehr geringe Diffe-
renzen vorhanden waren, die nur scheinbar grösser wurden,
wenn zufällig der Körper eines Thieres den Instrumenten
zu nahe kam und sie direct beeinflusste. Später wurden
diese Beobachtungen als offenbar irrelevant unterlassen.)
Eine Reihe derartiger Gefässe wurde durch Gunmii-
schläuehe luftdicht mit einander verbunden, und der
ganze Apparat an einen grossen Aspirator angeschlossen,
der einen vollständig gleichmässigen, genau messbaren
Luftstrom durch die Glasgefässe sog und in Folge seiner
bedeutenden Grösse auch für eine lange Versuchszeit aus-
reichte. Während der Versuche selbst wurden von Zeit
zu Zeit aus den Käfigen Luftproben entnommen, um vor
allem den procentischen Gehalt an COo zu bestimmen.
Ich verwandte zu diesem Zwecke geaichte Kölbchen von
500 bis 600 ccm Inhalt. Sie wurden mit AVasser gefüllt
und dann mit einem doppelt durchbohrten Gummistopfen
verschlossen, durch welchen eine lange Glasröhre bis auf
den Boden führte, während eine andere nur bis dicht an
den Stopfen reichte. Wurde das Kölbchen umgestürzt
und nun so mit dem Absaugerohr aus dem Käfig ver-
bunden, dass aus dem kurzen Rohr das Wasser abtliesseu
konnte, so füllte die Käfigluft allmählich nachrückend das
Kölbchen. Die Geschwindigkeit des Absaugens wurde
geringer gesetzt als die durch den Aspirator erzielte, um
nur Luft aus dem betreffenden Käfig- zu erhalten. Die
COo-Bestiramung wurde durch Al)Sorption mittels Stron-
tiumhydratwasser und Titriren mit Schwefelsäure ausge-
führt; und zwar wurde nach Füllung der Kolben mit
Luft durch die eine Oeflnung des Grummistopfens eine
abgemessene Menge Strontiumhydratwasser — neben
l'henolphtalein als Indicator — zugegeben, dann die Ab-
sorption unter drehender Bewegung des Kölbchens ab-
gewartet und nun in demselben Gefäss zurücktitrirt.
Bei den Anfangsversuchen wurde die Geschwindig-
keit des durchtretenden Luftstromes auf 11 bis 12 Liter
pro Stunde eingestellt. Bei dieser Ventilation blieben
jedoch sämnitliche Thiere ohne irgend merkbare Alteration
acht Tage und länger am Leben.
In der Folge wurde daher mit erheblieh geringerer
Ventilation operirt und es zeigte sich nun die schädliche
Einwirkung.
2. War die CO2 wirklich das einzig schädliche Agens
in der Luft der Käfige, dann mussten ungefähr die gleichen
Erscheinungen sich durch ein künstliches Gemenge von
Luft und reiner Kohlensäure hervorrufen lassen, in welchem
die CO2 in demselben Procentsatze wie in den Käfigen
vertreten war. In dieser Weise konnte der hypothetische
Giftstoff der Athmungsluft eventuell am sichersten aus-
geschlossen werden. R. traf daher folgende Versuchs-
anordnung. Eine grosse Flasche von 10 bis 14 Liter
Inhalt wurde mit einem Gasgemisch von bekanntem Pro-
ceutgehalt an COo gefüllt. Dieser Behälter wurde einer-
seits mit einer Äuslaufsflasche, andererseits mit einem
Mäusekäfig, der ebenso armirt war wie in den früheren
Versuchen, verbunden. Die aus der Auslaufsflasche in
den Gasbehälter übertretende Flüssigkeit drückte das
COo-Gemisch mit regulirbarer Geschwindigkeit in den
Mäusekäfig und von da in die umgebende Luft. Da
Wasser bei den grossen Oberflächen in den Flaschen
einen erheblichen Theil der CO., absorbiren und dadurch
die procentische Zusammensetzung des Gemisches ganz
bedeutend verändern konnte, wurde sowohl beim Auf-
saugen der COo als auch nachher zum Durchdrücken des
Gemisches conc. Kochsalzlösung verwendet, die bekannt-
lich so gut wie gar keine CO., absorbirt.
Durch die von R. angestellten und 1. c. mitgetheilten
Versuche ist der sichere Nachweis erbracht, dass in der
Ausathmungsluft kein organisches Gift vorhanden ist. In
der einen (2.) Versuchsreihe ist das Vorhandensein eines der-
artigen Stoffes völlig ausgeschlossen, da die COj aus
reinstem Material bereitet und die Ventilationsgrösse so
bedeutend war, dass keine Retention der Exspirations-
produete des Versuchsthieres stattfinden konnte. Trotz-
dem stimmen die Symptome und der schliessliche Tod
ganz genau mit dem Krankheitsbild in der ersten Ver-
suchsreihe, bei welcher die gleiche Ventilation eingehalten
wurde, überein. Ferner ist R. der Versuch Merkel's und
Brow-Seijuard's, das hypothetische Respirationsalkaloid
durch Schwefelsäure zu zerstören, nie gelungen. Denn
das Thier, welches durch die Säure geschützt werden
und deshalb später sterben sollte, als die anderen, er-
krankte immer eher und ging stets früher zu Grunde als
lue übrigen.
Die Erkrankung und der schliessliche Tod der Ver-
sucbsthiere ist mithin ausschliesslich zurückzuführen auf
die Wirkung der CO2. Dies geht deutlich auch daraus
hervor, dass ein Thier, von welchem durch hinreichende
Mengen eines COo absorbirenden Mittels (Natronkalk) die
CO, fern gehalten wurde, dauernd wohl blieb, während
der Natronkalk kaum geeignet ist, gegen ein organisches
Gift Schutz zu gewähren. Andererseits gingen auch
Thiere ebenso schnell zu (irunde, wenn der gesättigte
Natronkalk die COo nicht mehr absorbiren konnte.
Auch früher wurden schon die gleichen Krankheits-
4H6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 40.
erscheinung-en, die R. in seinen Versuchen beobachtete,
als charakteristisch für COo-Vergiftung beschrieben:
„Bei kleinen Dosen sind nur Reizerscheinungen con-
statirt, bei höherer procentischer Zusammensetzung folgen
den Reizerscheinungen Depressionserscheinungen : die Ath-
mung wird langsamer, die Athempausen verlängern sich.
Die Exspiration ist ruhig, nicht activ. Die Athemgrösse
des mit der grössten Anstrengung athmendcn Thieres ist
jedoch erhöht. Bleibt der COo-Gehalt unter 13 Procent,
so steigert sich die Dyspnoe noch etwas, um dann wieder
etwas abzunehmen. Ist der COo-Gehalt jedoch höher, so
treten nach der primären Dyspnoe sehr bald andere Er-
scheinungen auf. Die Inspirationsgrösse nimmt sichtlich
ab, während die Exspiration einen aetiven Charakter an-
nimmt und in krampfhaften Stössen vor sich geht. Je
höher der COo-Gehalt ist, desto rascher sinkt die Aus-
giebigkeit der Athembewegung. Dieselbe fällt bald unter
die normale Grösse, während zugleich auch die Frequenz
abnimmt. Zugleich constatirt man eine zunehmende
Schwäche, das Thier kann sich schwer auf den Beinen
halten, sinkt bald um, bleil)t auf der Seite oder Rücken
liegen, ohne andere Bewegung als die Athembewegung
zu machen."
Diesen von Friedländer und Härter gemachten An-
gaben über die Wirkung der CO.j, entsprechen genau die bei
R.'s Versuchen gemachten Erfahrungen. Als Reizerscbei-
nungen sind im Anfang der Versuche die steigende Un-
ruhe und die jagende Athmung anzusehen. Der COo-
Gehalt steigt schnell an, wie aus Tabellen, die R. bringt,
zu ersehen ist-, ist die angegebene Grenze (12 Procent)
erreicht, so wird die Athmung stark beeinflusst: die Pausen
werden länger, die Exspiration geschieht stossweise. Von
da ab ist die COo-Zunahme eine langsame. Dieses all-
mähliche Ansteigen ist ebenfalls Wirkung der starken
COo-Menge der Aussenluft auf die COo-Ausscheidung der
Thiere. Nach den Untersuchungen von Raoult nändich,
welcher den Stoffwechsel von Kaninehen bei Athmung
reiner und mit COg verunreinigter Luft verglich, gestaltet
sich die Athmung folgendermaassen :
Inspirirte Luft
i
Athemgrösse
Liter
) r 0 S t u n
COj-Verbrauch
ccm
de
COj-Ausscheiduug
ccm
COa-frei
im Mittel 12 Proc. CO,
71,1
97,5
1975
1008
1515
918
Sub finem vitae sinkt alsdann die Respirationsgrösse
auf '/,; der Norm; und nun kommt kaum mehr eine Ven-
tilation der Lunge zu Stande. Die obere Grenze des
C02-Gehaltes der Lungenluft ist erreicht; die Athmung
erlischt. Dieses Maximum liegt bei 15 • 5 Procent. Es
ist das dieselbe Zahl, welche auch P. Bert bei seinen
Versuchen erhalten hat.
Zwischen den ersten Versuchen und der letzten mit
künstlichen COo-Gemischen angestellten Versuchsreihe hat
sich allerdings ein geringer Unterschied in der Lebens-
dauer der Versuchsthiere ergeben. Auch dieser Unter-
schied lässt sich indess sehr wohl erklären. Produciren
die Mäuse die COj bis zu dem genannten Procentgehalt
selbst, so wird, um ein Volumen CO., zu bilden, ein Vo-
lumen 0 verbraucht. Die Luft verarmt auf diese Weise
allmählich an 0 und enthält bei 15 • 5 Procent COg statt
21 Volumprocente nur noch 5 • 5 Volumprocente Sauer-
stofi". Wird dagegen ein Gasgemisch, enthaltend 15 • 5
Procent CO,,, durchgeleitet, so enthält dasselbe immer
noch 17-75 Vol. 0. Im ersten Falle addirt sich zu der
verderblichen Wirkung der COg noch die des Sauerstoff-
mangels und hilft den Tod beschleunigen. Das wesent-
lich Wirksame bleibt aber zweifellos die COo, weil die
krampfhaften Zustände, welche man bei O-Mangel stets
findet, und die bis zum Tode bestehen bleiben, in den
Versuchen vermisst werden.
Für die Wirkung der COo spricht ferner noch die
Art, wie die Thiere nach Unterbrechen des Versuches
sich erholen. Wären die Erscheinungen auf ein alkaloid-
ähnliches Gift zurückzuführen, so wäre es nicht möglich,
dass die geschädigten Thiere sich in 2 Stunden so voll-
kommen erholen, dass man sie in Nichts von vollständig
normalen unterscheiden kann. Der Vergleich mit andern
alkaloidähnlichen Stoffen zeigt wenigstens , dass stets,
wenn ein Erholen noch möglich ist, dasselbe sehr lang-
sam erfolgt.
Aus den R.'schen Versuchen ergiebt sich demnach,
dass der Tod der Versuchsthiere bei der von Browu-
Sequard und von Merkel gewählten Versuchsanordnung
durch COo- Vergiftung erfolgt. Nichts spricht in diesen
Versuchen dafür, dass ausser der COo noch ein anderes
Gift durch die Athmung der Thiere geliefert wird; viel-
mehr werden wir zu dem Schluss gedrängt, dass die
Existenz eines solchen Giftes in der Athemluft unmöglich
ist, da nach Absorption der CO^ keinerlei schädigende
Wirkung mehr hervortritt und da künstliehe COo-Mischun-
gen denselben Effect haben, wie eine Exspirationsluft von
entsprechendem C()o-Gehalt.
Nun haben allerdings Merkel und Beu in anderen
Versuchsreihen durch Coudensation aus menschlicher
Exspirationsluft sehr geringe Mengen organischer Sub-
stanz gewinnen können (auf welche übrigens Beu die
Alkaloidreactionen mit negativem Resultat anwendete).
Hiernach müsste trotz der obigen Thierversuche die Aus-
scheidung organischer Stoife durch die Athmung als er-
wiesen angesehen werden. — Aber Merkel und Beu haben
bei diesen Experimenten einen dringend nöthigen Coutrol-
versucb unterlassen : sie mussten sieh überzeugen, ob denn
die Einathmungsluft nicht schon jene organischen Stoffe
enthielt. Nur wenn für diese das Fehlen der organischen
Stoffe nachgewiesen wurde, durften die in der Exspirations-
luft gefundenen als dtirch die Athmung producirt ange-
sehen werden. Von Uffelmann ist aber bereits wieder-
holt gezeigt, dass in der gewöhnlichen Zimmerluft sich
nachweisbare Mengen von organischen Stoffen finden. Es
ist danach wahrscheinlich, dass die 5 mg organischen
Stoffe, welche Beu aus 3000 Liter Exspirationsluft ge-
wann, theilweise oder ganz auch aus der gleichen Menge
Zimmerluft unter Einhaltung derselben Versuchsanordnung
gewonnen sein würden. Sollte aber selbst ein gewisser
üeberschuss an organischer Substanz für die Exspirations-
luft sich ergeben, so fehlt doch wieder jeder Anhaltspunkt
und jede Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich dabei
um schädliche, schon in geringster Dosis giftige Substanzen
handelt.
Das Experiment belehrt uns somit immer wieder aufs
Neue, dass ausser der CO., noch andere gasförmige, in
kleiner Dosis wirksame Gitfe von Menschen und Thieren
nicht abgeschieden werden. Damit stimmen auch alle
Erfahrungen überein. Bei mangelhaftester Ventilation
und in Räumen, die mit den gasförmigen Exereten reich-
lich erfüllt sind, sehen wir Thiere dauernd gesund leben
und ebenso Menschen, sobald bei denselben nur nicht
Ekelemptinduug durch solche Exerete ausgelöst wird.
Wenn in überfüllten Räumen gesunde Menschen von Un-
behagen oder Krankheitserscheinungen befallen werden,
so sind Störungen der Wärmeregulation durch die physi-
kalisch veränderte Umgebung, oder Ekelerregung durch
riechende Stoffe die Ursache.
Denkbar wäre es höchstens, dass kranke, bezw. ab-
norm emptindliche Menschen durch gewisse, in der Luft
Nr. 40.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
437
vorkomiuende gasförmige Stoffe in specifischer Weise ge-
schädigt werden. Diesen Schädigungen ist aber weder
durch Thicrvcrsuchc noch durch Experimente an normalen
und vollkommen accomodationsfähigen Menschen auf die
Spur zu konnnen; sondern das einzige hier ausreichend
feine Reagens sind die kranken Menschen selbst. Mit
solchen Versuchen an nervös reizbaren, bezw. asthma-
tischen oder an stärkeren Lungendefccten leidenden
Menschen ist im hygienischen Institut zu Breslau bereits
vor längerer Zeit der Anfang gemacht, und von diesen,
nicht aber ^on fortgesetzten Thierversuchen, dürfte eine
weitere Erkenntniss der schädlichen gasförmigen ßestand-
theile der Luft zu erwarten sein.
Eine algebraische Aufgabe uebst ihren Lösungeu. —
Einem russischen Lehrbuch der Algebra entnehme ich
die folgende Aufgabe, welche mehrere hübsche Lösungen
besitzt.
„Jacob, Peter und Mitrofan sind verheirathet mit
Ludmilla, Anna und Sophie, jedoch in anderer Reihen-
folge. Wie die Ehepaare zussammengcsetzt sind, soll aus
folgendem l>erechnet werden. Sie gehen auf den Markt,
Jacob mit Ludmilla, Peter mit Anna, Mitrofan mit Sophie.
Sie kaufen Sachen ein und es bezahlt jede Person pro
Stück so viel Rubel, als sie Gegenstände gekauft hat.
Nachher stellt sieh heraus, dass Jacob 11 Sachen mehr
als Ludmilla, Peter 23 mehr als Anna, Mitrofan 23 weniger
als Sophie gekauft hat, und dass jeder Ehemann 63
Rubel mehr ausgegeben hat, als seine Frau (nicht: als
seine Begleiterin). Wie waren die Ehepaare zusammen-
gesetzt?"
1. Lösung: Bezeichnet man die Anzahl der vom
i ten Ehepaar gekauften Sachen mit ,t, und i/i , nämlich
Xi für den Mann, iji für die Frau, so ist nach den Be-
dingungen der Anfgabe
^•^ - y'i = 63
oder, da a' — h" = (a -\-b) (« — h) ist,
{^i + yd b-i — Vi) = 63.
Dazu kommt noch die Bedingung, das j', und y''
ganze Zahlen sein müssen, also auch (jc, H- ?/,) und (x, — y,).
Nun ist die Zahl 63 auf drei Arten in ein Product zweier
ganzer Zahlen zu zerlegen, nämlich 63 = 1 ■ 63, ^ 3 • 21,
= 7.9.
Unsere Gleichung ist also nur möglich, wenn
X, -j- yi = 63 und zugleich X; — i/,- = 1,
oder Xi + y,- = 9 „ „ Xi — y,- = 7,
„ Xi -+- .(/,- = 21,, „ Xi — //; = 3 ist.
Dies giebt die drei Werthepaare:
a'i = 32, y/i = 31,
J-3 = 12,
y-2--
In Folge der noch nicht benutzten Bestimmungen der
Aufgabe vertheilen sieh diese Werthe für die Anzahl der
gekauften Sachen, wie man leicht sieht, folgeudermaassen
auf die 6 Personen:
Jacob x^ = 12, Ludmilla i/o = 1,
Peter
32,
Anna
y-i
9,
Mitrotan x., = 8, Sophie //i=31.
Da nun die Personen mit gleichem Index der x und
y verheirathet sind, so bilden Ehepaare
Jacob ( 144 Rubel) und Anna ( 81 Rubel)
Peter (1023 „ ) „ Sophie (961 „ )
^Mitrofan (64 „ ) „ Ludmilla (1 „ )
2. Lösung: Eine andere, zahlentheoretische Lösung
ist die folgende:
Beim Einkauf von n Sachen werden »- Rubel be-
zahlt, also bei
M=l, 2, ... 7, 8, 9, 10, 11, 12,... 31, 32, m
w2 = 1, 4, . . . 49, 64, 81, 100, 121, 144, . . . 961, 1024, m«
Die Differenzen zwischen diesen Quadratzahlen sind
3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 2b,... 61, 63, 65, (2 m -I- 1.)
Nun ist die Summe der sieben auf einanderfolgenden
Differenzzahleu
2 (2 m -M) = 3 -H 5 + 7 4-11 -+-13 -4- 15 = 63.
m := 1
Zweitens ist die Summe der drei Differenzzahlen
m = 11
2 (2 m -4- 1) =■ 19 + 21 4- 23 = 63.
m = 9
Drittens ist die Differenz zwischen den beiden Quadrat-
zahlen 961 und 1024 selbst gleich 63. Dies sind die
einzigen Möglichkeiten, die Zahl 63 als Summe von auf-
ein anderfolgenden ungeraden Zahlen darzustellen.
Also ist
322 — 31- = 63.
12-— 9^ = 63.
82— 12 = 63.
Und hieraus folgt dann weiter das Resultat wie oljen.
0. Thulesius.
. Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Dor Professor der Geodäsie an der Uni-
versität Berlin Dr. Friedrich Robert Helmer t zum Geheimen
Regierungsrath. — Der Professor der Anatomie an der Universität
Halle Dr. Joseph Eberth zum Director der anatomischen An-
stalt daselbst. — Dr. Stanislaus JoUes in Aachen zum Professor
für Mathematik an der Technischen Hochschule in Charlottenburg
bei Berlin. — Dr. Adolf Hof mann, ausserordentlicher Professor
für specielle Geologie der Lagerstätten und analytische Chemie
an der Bergakademie zu Przibram zum Ordinarius.
Es haben sich habilitirt: Oberlehrer Dr. Emil Häntzschel
für mathematische Physik an der Technischen Hochschule in
Charlottenburg bei Berlin. — In der medicinischen Facultät der
Universität Strassburg Dr. Klemperer und Dr. Wein traud. —
Dr. H. Burg er für Laryngologie und Rhinologie an der Univer-
sität Amsterdam.
Der Professor der Anatomie an der Universität Halle Dr. Her-
mann Welcker beabsichtigt, von seiner Stellung als Director
der anatomischen Anstalt zurückzutreten.
Es sind gestorben: Der Wirkliche Staatsrath Pawel Iwa-
nowitsch Nebolssin, verdienter Forscher auf den Gebieten
der Geographie und Ethnograpliie, in Wilna. — Der frühere Pro-
fessor der Medicin Dr. Hjalmar August Abel in in Stock-
holm.— Der Professor der Pharmacie Johann Michael Maisch
in Philadelphia. — Der ausserordentliche Professor für Pharmacie
an der Universität Tokio Dr. Yoshito Inoko in Berlin. — (Ober-
stabsarzt I. Cl. Dr. Leopold Müller in Berlin. Der Verstorbene
entfaltete eine reiche wissenschaftliche Thätigkeit.
Die 32. Jahresversammlung des Preussischen botanischen
Vereins iindet in Molirungeu am 2. uml 3. <_'ctuber statt.
Litteratur.
Alfred Möller, Die Pilzgärten einiger südamerikanischer
Ameisen. Mit 7 Tafeln und 4 Text-Abli. (lieft 6 der „Hotan.
Mittheil, aus den Tropen" herausgegeben von Schimiier). Gustav
Fischer in Jena. 1893. — Preis 7 M.
lieber den sehr interessanten Inhalt dieser gediegenen Schrift
liaben wir bereits ausführlich in No. 2.3 S. 247 berichtet, sodass
uns hier nur übrig bleibt, auf das äussere derselben aufmerksam
zu machen. Sie umfasst 127 S. und zerfallt nach einer kurzen
Einleitung in 4 Abschnitte und einen Anliang, der \or('inzeltc
438
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nv. 40.
Beobachtungen an den für die UntersnchunK gesammelten Ameisen
bringt. Die 4 Abschnitte sind überschrieben: I. Die Eilzgärteii
der Schleppameisen, K. Die Pilzgärten der Haarameisen und
in. Die Pilzgärten der Höckerameisen. Abschnitt IV enthält
einen Rückblick auf die mykologischen Ergebnisse. Die Ab-
bildungen sind tretTlich und sehr exact. Die fleissige und inhalt-
reiche Abhandlung wird in botanischen Kreisen die gebührende
Beachtung finden.
Prof. Dr. Emanuel Kayser, Lehrbuch der Geologie für Studi-
rende und zum Selbstunterricht. In zwei Theilen. Erster Theil.
Allgemeine Geologie. Mit 364 Texlfiguren. Stuttgart,- 1893.
Verlag von Ferdinand Enke. — Preis 15 M. ; ; -; - - i
Es hält schwer, neben einem so vorzüglichen Buche, wie es
Credner's Elemente der Geologie sind, welche mit dem Fortschreiten
der Wissenschaft stets Schritt gehalten haben, ein neues Lehr-
buch zu empfehlen, und doch befinden wir uns dem vorliegenden
Werke gegenüber in der augenehmen Lage, jeden Freund der
geologischen Wissenschaft auf dasselbe aufmerksam machen zu
müssen. Bürgt schon der Name des Verfassers alleia für die Güte
seines Buches, so überzeugt das Studium desselben jeden Kenner
bald von der Gediegenheit des darin Gebotenen. Das Buch ist
in erster Linie für den Studirenden berechnet, es führt demselben
in klarer, leicht verständlicher Weise das vor, was etwa „einem
fünfstündigen Wintercolleg' entspricht. Verfasser hat sich eben
auf das für den Lernenden allernothwendigste beschränkt und es
dabei meisterhaft verstanden, doch ein abgerundetes, in den ein-
zelnen Theilen wohlproportionirtes, lückenloses Ganzes zu bieten.
Da die Petrographie sich als eine selbststäudige Disciplin von
gewaltigem Umfange allmählich herausgebildet hat, deren Behand-
lung allein einen grossen Raum beanspruchen würde, der über
den Rahmen eines eng begrenzten Lehrbuches der gesammtcn
Geologie hinausginge, so hat Verfasser, abweichend voii seinen
Vorgängern, derselben nur in knappester, niclitsdestoweniger aus-
reichender Weise gedacht (S 74—111), wobei besonders die Frage
nach der Bildung der Gesteine berücksichtigt worden ist.
Der vorliegende Theil gliedert sich nach einer kurzen, sach-
lichen, überaus klaren Einleitung wie folgt: I. Physiographische
Geologie — astronomisch-geophysikalischer, geographischer und
petrographisch-tectonischer Abschnitt — . II. Dynamische Geolo-
gie — a) exogene Vorgänge: geologische Wirkungen der Atmo-
sphäre, geologische Wirkungen des Wassers, geologische Wir-
kungen der Organismen und als Anhang „Bildungsweise der
durch exogene Kräfte entstehenden Gesteine;" b) endogene
Vorgänge: vulcanische Ausbruchs- (Eruptions-) Erscheinungen,
Bewegungen der Lithosphäre, (Erdbeben oder seismische Er-
scheinungen, gebirgsbildende Vorgänge, mechanische Gesteins-
metamorphose, continentale Niveauveränderungen, Gründe der Be-
wegungen der Lithosphäre) und als Anhang „Bildungsweise der
durch endogene Kräfte entstehenden Gesteine." —
Die Ausstattung des 498 Seiten starken Bandes ist eine in
jeder Beziehung gediegene: Papier und Druck sind tadellos, die
zahlreichen Abbildungen entsprechen in Wahl und Darstellung
durchaus dem Zwecke des Buches. Sie sind vom Verfasser mit
grossem Geschicke ausgewählt und entstammen theils anderen
namhaften Werken, theils sind es Reproductionen von Photo-
graphien, von denen viele Prof. Kayser selbst aufgenommen.
Ein nicht unerheblicher Theil der Abbildungen sind für ein Hand-
buch der Geologie neu oder, wenn bereits vorhanden, oft nach
anderen, zweckdienlichen Gesichtspunkten neu angefertigt.
Den zweiten Theil dieses neuen Lehrbuches der Geologie
bildet das bereits im Jahre 1891 erschienene Lehrbuch der For-
mationskunde des' Verfassers, welches wir im VI. Bande der „Na-
turw. Wochen sehr." (1891) S. 174 eingehend besprochen haben.
Für die Beliebtheit desselben spricht hinreichend der Umstand,
dass es bereits in englischer Uebersetzung erschienen ist. Es unter-
liegt keinem Zweifel, dass auch der erste Band und damit das
ganze Werk sich schnell recht viele Freunde erwerben wird.
Bei einer Neuauflage des Buches, welche bei dem für das-
selbe günstigen Prognosticum nicht lange auf sich wird warten
lassen, wird der Herr Verfasser gewiss auch den seit dem Er-
scheinen seines Lehrbuches der Formationskunde nicht unwesent-
lichen Fortschritten der Pflanzenpaläontologie Rechnung tragen.
Der Preis des ganzen Werkes stellt sich auf 29 M. F. K.
A L Lavoisier u. P. S. de Laplace. Zwei Abhandlungen über
"die Wärme. (Aus den Jahren 1780 u. 1784.) Herausgeg. von
J Rosenthal. Mit 13 Textfiguren. (Ostwald's Klassiker der
exacten Wissenschaften. No. 40.) Wilhelm Engelmann, Leipzig.
1892. — Preis 1.20 M. , ■ ,
Die Abhandlungen erschienen 1780 und 1784 und enthalten
die Besehreibung grundlegender Versuche über die specifische
Wärme verschiedener Körper, die mit dem von den Verfassern
erfundenen Eiscaloriraeter angestellt wurden. Während die zweite
Abhandlung nur den Bericht über ergänzende, spätere Versuche
enthält, gliedert sich der Inhalt des ersten in vier Abschnitte,
deren erster nach einer theoretischen Einleitung das Calorimeter
beschreibt. Der zweite Abschnitt enthält die Versuchsresultate,
der dritte deren Prüfung und einige Betrachtungen über die
Theorie der Wäi-me, der vierte aber behandelt zum ersten Male
den Verbrennungs- und Athmungsprocess vom physikalisch-
chemischen Standpunkte aus auf Grund der von Scheele wenige
Jahre früher gemachten Entdeckung des Sauerstofts, der hi«r noch
als „air pur", bezeichnet wird, da Lavoisier den Namen „oxygene"
erst später, einführte. Kbr.
Gustav Wiedemann, Die Lehre von der Elektricität. 2. umge-
arbeitete u. vermehrte Aufl. Zugleich als 4. Aufl. der Lehre
vom Galvanismus und Elektromagnetismus. I. Bd. Mit 298
Holzschnitten und 2 Tafeln. Verlag von Friedrich Vieweg
& Sohn. Braunschweig 1893. — Preis 2G M.
Ein Decennium ist vorstrichen, seit das Monumentalwerk „Die
Lehre von der Elektricität" als gänzlich neugestaltete dritte Aufl.
der „Lehre vom Galvanismus und Elektromagnetismus" erschien.
Eine neue Aufl. muss daher als ein äusserst dringendes Zeit-
bedürfniss erscheinen, wenn man erwägt, dass gerade auf diesem
Gebiete der Physik in der Gegenwart aller Orten aufs emsigste
und erfolgreichste geforscht wird. Zugleich wird aber auch ein-
leuchten, welch' gewaltige Arbeitssumme der berühmte Leiter der
ersten physikalischen Fachzeitschrift in der vorliegenden neuen
Auflage deponirt hat; galt es doch, die Ergebnisse zahlloser
Specialuutersuchungen über Elektricität nicht blos in geordneter
Weise aneinanderzureihen, sondern auch mit einander in möglichst
inniger Weise zu verschmelzen und so jedem Fachgenossen einen
allgemeinen, vollständigen Ueberblick über den gegenwärtigen
Stand der Wissenschaft zu ermöglichen; dass dabei der Umfang des
Werkes von vier auf fünf Bände erhöht werden musste, dürfte
wohl Niemanden verwundern. — Was die Anordnung des Stofts
betrifft, so weicht Wiedemann von der bisher in Lehrbüchern
gebräuchlichen Trennung der Reibungs- und Berülirungselektricität,
die mehr historisch als sachlich gerechtfertigt ist, ab. Ein erster
Abschnitt behandelt nach einer historischen Einleitung die all-
gemeinen Eigenschaften der Elektricität, die Gesetze der elektro-
statischen Wechselwirkung und die Elektrometer. Der zweite
Abschnitt, der den gröbsten Theil des Werkes füllt, behandelt
die Elektricitätserregung durch Berührung heterogener Körper.
Zunächst wird hier nun die Elektricitätserregung bei Berührung
von Leitern (erster und zweiter Classe) abgehandelt, wobei die
Grundgesetze des galvanischen Stroms, die Bestimmungen des
Widerstandes und der elektromotorischen Kraft, und schliesslich
die Beschreibung der wichtigeren Formen galvanischer Elemente
ihre passende Stelle finden. Den Beschluss des ersten Bandes
bildet dann die Besprechung der Elektricitätserregung bei Be-
rührung von Nichtleitern unter einander und mit Leitern, wobei
die Elektrisirmaschinen in ihren verschiedenen Formen mit grosser
Ausführlichkeit besprochen werden, sodass die Erregung der Elek-
tricität durch Reibung nur als eine Folge der mit der Reibung
verbundenen innigen Berührung angesehen wird. Schliesslich
fiuden auch die Diaphragmenströme und die sogenannte elektrische
Endosmose im Anschluss hieran eine gebührende Darstellung.
Es dürfte wohl kaum irgend eine publicirte Wahrnehmung
auf elektrischem Gebiete geben, die in dem vorliegenden Werke
an passender Stelle nicht wenigstens mit Angabe der Quelle kurz
erwähnt wäre. So bietet das ohne Concurrenz dastehende Special-
wer'k einen köstlichen Schatz von zahllosen Erfahrungen, bei
deren theoretischer Deutung die verschiedenen einander ent-
gegenstehenden Ansichten mit erfreulicher Sachlichkeit und Un-
parteilichkeit zu Worte kommen. Kbr.
Monographs of the United States Geological Survey.
Band XVII. Leo Lesquereux, The flora of tlie Dakota
Group, a posthuinous work. Edited by T. H. Knowlton.
Government Printing Office. Washington 1891.
In einem 25(3 Quartseiten starken, mit 6G Tafeln ausgestatteten
Bande wird die bisher bekannt gewordene Flora der Dakota-
üruppe beschrieben. Die Dakotagruppe, welche besonders in den
Staaten Kansas, Nebraska und Minnesota entwickelt ist, besteht
der Hauptsache nach aus Sandsteinen (Dakota-Sandsteinen) und
wird dem Cenoman zugerechnet. Sie zeichnet sich unter allen
durch das erste Auftreten der Dicotyledonen so interessanten Ab-
theilungen der Kreideformation durch einen sehr grossen Reich-
thum an Pflanzen aus, welcher denjenigen aller bisher aus creta-
ceischen Ablagerungen bekannten Floren weit übertriflt, und wird
dadurch noch wichtiger, dass sie durch die Art und Weise der
Lao-erung der Pflanzenreste, ihre Vertheilung über die einzelnen
Fundpunkte unil ihre Erhaltung einen schlagenden Beweis für
die Autochthonie der Gewächse liefert. Die beste Vorstellung
von dem grossen Pflanzenreichtum der Dakota-Gruppe liefert ein
Ver^^leich derselben mit den Cenoman- Ablagerungen anderer
Nr. 40.
Naturwissenschaftliche Wochensclirift.
439
Länder. Während in Europa aus den letzteren im Ganzen etwa
110 Arten, durch Heer in Grönland 274 hckannt geworden s-ind,
steigt ihre Zahl in der Dakota-Gruppe Nord-Ainerika's auf 46U
Species, von denen G zu den Farnen, 12 zu den Cycadeen, 15 zu
den Coniferon, 8 zu den Monocotylcilonon und 419 zu den Dico-
tyledonen gehören. Nicht alle diese Arten werden ausführlich in
dem vorliegenden Bande boschrieben, sondern diejenigen, welche
bereits früher genügend bekannt geworden sind, wurden nur auf-
gezählt.
Band XVIII. Robert Parr Whitefield, Gastropoda and
Cephalopoda of the Raritan Clays and Greensand
Marls of New Jersey. Washington 1892.
Nachdem der Verfasser schon früher die Brachiopoden und
Lamellibranchiaten der Kreide und alttertifiren Schichten von
New Jersey monographisch behandelt hatte, bringt er in dem vor-
liegenden Bande die Molluskenfauna derselben durch die Dar-
stellung der Gasteroi.ioden und Cephalojioden zum Abschluss. Es
ist dem Verfasser gelungen, eine Reihe ])aläontologischer Hori-
zonte zu unterscheiden. In den zuunterst liegenden Raritan-
Thonon tritt im Nordosten des Staates über einem Pflanzen-füh-
renden Horizonte eine aus wenigen Formen bestehende Fauna
auf, welche auf das Vorhandensein früherer Aestuarien hin-
deutet; an einer anderen Stelle, nahe Camden, erscheint eine
ausgesprochene Süsswasserfauna, in welcher zwei Gattungen
aus der Familie der Unioniden mit im Ganzen 12 Arten be-
sonders zu nennen sind. Auf den Raritan-Tlion folgt der un-
tere Mergel mit einer reichen typisch marinen Fauna, welcher
sich bei genauerem Studium in zwei Horizonte scheiden lässt.
Die darüberliegendou mitileren Mergel schüessen eine sehr
charakteristische Partie von gelben , kalkhaltigen Sanden
mit zahlreichen Terebralulae ein. Der darauf folgende Schichten-
coniplex, welcher den gemeinsamen Namen des oberen Mergel
führt, enthalt an seiner Basis eine von den vorhergehenden zwar
verschiedene, aber in ihrem ganzen Habitus noch echt orota-
ceisehe Fauna, in seinen oberen Horizonten dagegen eine solche
von typisch eocänem Charakter. Diese vom Verfasser festgestellten
paläontologischen Horizonte stimmen sehr gut mit der schon seit
langer Zeit von den Geologen vorgenommenen stratigraphischen
Theilung überein — Rariton-Thon, Camden-Thon, unterer, mitt-
lerer, oberer Mergel. Von diesen enthält der obere Mergel nur
in seinen unteren (Kreide-) und oberen (Eocän)-Partien Mollusken-
Reste. Die Gesammtzahl der vom Autor beschriebenen Formen
beläuft sich an Gasteropoden auf 80 Gattungen mit 190 Arten, an
Cephalopoden auf 12 Gattungen und 22 Arten. Die Vertheilung
auf die einzelnen Horizonte ist die folgende :
Untere
Mergel
Kreide
Mittlere
Mergel
Untere Partie
der
oberen Mergel
Tertiär.
Eocän.
Obere Partie
der
oberen Mergel
Gastropoda
Cephalopoda
125
19
52
0
Unter den KreidcGastropodon sind die Muricidae (24), Volu-
tidae (\1), Strombidae (14), Fusidae (13), Fasciolariidae (13) und
Tornatellidae (12) am artenreichsten und von diesen erscheinen
die Fusidae und Vidutidae auch in den eocänen Schichten mit
10 resp. 8 Species, während die übrigen Familien, mit Ausnahme
der Pleurotomidae (7), hier meist nur durch je eine Form ver-
treten sind.
Für die Cephalopoden bilden die mittleren Mergel die Grenze
ihrer Verbreitung nach aufwärts ; Verfasser giebt zwar noch auf
Seite 26 2 Arten von Nautilidae aus dem Tertiär an, lässt die-
selben, und wohl mit Recht, in seiner Schlusstabelle weg. — Der
Erhaltungszustand des verarbeiteten Materiales ist ein recht
mangelhafter, da fast ausnahmslos nur Bruchstücke von Stein-
kernen, von den Gastropoden auch unvollständige Abdrücke zur
Verfügung standen.
Die vorliegende Monographie stellt einen stattlichen Quart-
baud von 296 Seiten dar und ist mit 50 Tafeln ausgestattet
Band XX. Arnold Hague, Geology of the Eureka
District, Newa da. With an Atlas. Wasliington 1892.
Der in vorliegender Monographie dargestellte Bezirk umfasst
ein verhältnissmässig kleines Bergmassiv im centralen Thcile des
Staates Nevada, z. Th. in Eureka, z. Th. in White Pine county,
zwischen den Seeen Lahontan im Westen und Bonneville im Osten,
und ist niclit mit dem vielgenannten Eureka-Minen-Bezirk zu ver-
wechseln, der nur einen Theil des hier beschriebenen Gebietes
bildet. Auf dem Plateau von Nevada erhebt sich zwischen dem
Diamond Valley im Norden, dem Fish Creek und Nowark Valley
im Süden und Osten und dem Autclope Vallej' im Westen eine
gewaltige, isolirte Bergmasse, welche nur durch schmale Grate
nach Süd- und Nordwesten, sowie nach Nordosten mit den bc-
nachb.arten Gebirgszügen verbunden ist. Sie besteht aus einer
Anhäufung von zerrissenen Ketten und einzelnen mächtigen Kuppen
und steigt in dem dem Centralrücken aufsitzenden Prospect Peak
bis zu 9,604 Fuss Höhe an. Dies ist der hier in Rede kommende
Eureka-Bezirk, der geologisch von ausserordentlichem Interesse
und durch seinen bedeutenden Montanbotrieb weit über die
Grenzen Amerikas hinaus bekannt geworden ist. An der Zu; ''
sainmensetzung dieses Berglandes nehmen paläozoische Gesteine :
vom Cambrium bis zum oberen Carbon in 30 000 Fuss Mächtigkeit
theil, welche durch tektonische Vorgänge zu 6 deutlich von ein-
ander geschiedenen Bergmassen zusammengestaut sind, die man
als Prospect Ridge, Fish Creek Mountains, Silverado and County
Peak Group, Mahogany Hills, Diamond Mountains und Carbon Hill
and Spring Hill Group bezeichnet. Zufolge dieser Faltungen, Ueber-
kippungen und Verwerfungen können die einzelnen Formationen
in mächtigen Aufschlüssen studirt werden. Das Cambrium, welches
in seinen 3 Abtheilungen des Unter-, Mittel- und Obercambriums
entwickelt ist, erreicht 7,700 Fuss Mächtigkeit; das concordant
darüber liegende Silur öüOO Fuss; das Devon ca. 8000 und die
Knhlenformation, deren oberste Partien nicht einmal mehr er-
halten sind, sogar 9,300 Fuss. Jüngere Sedimontärgesteine sind
bis zum Quarternär nicht vorhanden; die paläozoischen Forma-
tionsglieder werden dann direct vom letzteren überlagert, welches
weite Strecken bedeckt. Einen recht erheblichen Antheil an der Zu-
sammensetzung des Gebietes nehmen endlich vulkanische Gesteine,
welche in dem 8,392' hohen Richmond Mountain (östlich der
Stadt Eureka) und in dem 7,880' Indien Pinto Peak (im Centrum
des Bezirkes) zu gewaltigen Kegelbergen angehäuft sind. Die
abbauwürdigen berühmten Mineralien konunen in mächtigen Lagern
im Cambrium, Silur und Devon, namentlich aber in ersterem vor.
Alle diese kurz erwähnten Verhältnisse werden vom Verfasser
eingehend erörtert In einem Anhange A giebt der um die pa-
liiontologischo Erschliessung des Eureka-Bezirkes vordiente Mr.
C. Dr. Walcott eine Liste sämmllieher von dort bekannter
Fossilien und in einem Anhange B Mr. Joseph P. Iddings eine
Beschreibung der krystallinischen Gesteine, welche durch eine
Anzahl von Tafeln erläutert wird.
Der Band ist 420 + XVIII Seiten stark und mit S Tafeln
ausgestattet, ferner gehört dazu ein Atlas von 11 Blättern. Da-
von sind 9 Doppel-Blätter und bringen die geologischen Details
des Gebietes im Maassstabe 1:19 200 zur Darstellung; die beiden
anderen sind einfache Blätter und geben eine Ueborsicht des
Eureka-Bezirkes im Maassstabo von 1:86 400, das eine in topo-
graphischer, das andere in gofdogischer Beziehung.
Was endlich die Ausstattung der 3 vorliegenden Bände be-
trifft, so ist dieselbe die bekannte durchaus solide der Publi-
cationen der United States Geological Survej'.
Studer, B., et A. Escher v. der Lintli, Carte geologiijue de la
Suis-e. l:38U,OUO. Zürich. 12,60 M.
Titus, Prof. Dr. Carl, Das Sternenzelt. Berlin. 5,75 M.
Wehmer, Privatdoc. Dr. Carl, Beiträge zur Kenntnis einheimischer
Pilze. Ilannovi'r. 4 M.
Wenzel, Leodegar, Ein Beitrag zur Schwingungstheorie elastischer
Saiten. Klaiienfurt. 1 M.
Briefkasten.
Hr. N. — Jawohl, A. v. Humboldt soll sich niemals einer Prü-
fung unterzogen haben. So berichtet Heinrich Brugsch in
seiner in der Vossischen Zeitung erscheinenden Selbstbiographie
,Mein Leben und Wandern" Kapitel XII: „Die Zeit war allmäh-
lich herangerückt, um mich für die Prüfung zum Doctor der
Philosophie an der Universität zu Berlin vorzubereiten, und des-
halb sah ich mich genöthigt, meine ägyptisclien .arbeiten während
mehrerer Monate bei Seite zu legen und der Weltweisheit und
den freien Künsten als zukünftiger inagister liberalinin artium
meine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich beneidete fast
A. von Humbolilt, der mich versicherte, niemals in seinem
Loben eine Prüfung bestanden und dennoch sein Fort-
kommen gefuudon zu haben."
Inhalt: Neue Beobachtungen über Höhlen der Schwäbischen Alb. (Mit einer Karte). — Friedrich Traugott Kützing (t). ein Vor-
gänger Darwin's. — Ueber Bedingungen, unter denen die Lebensdauer der Cholerabacillen sich verlängert. — Untersuchuntjon
übei^ die Giftigkeit der Exspirationsluft. — Eine algebraische Aufgabe nebst ihren Lösungen. — Aus dem wissenschaftlichen
Leben. — Litteratur: Alfred Möller: Die Pilzgärten einiger südamerikanischer Ameisen. — Prof. Dr. Emanuel Kayser:
Lehrbuch der Geologie. — A. L. Lavoisier und P. S. de Laplace: Zwei Abhandlungen über die Wärme. — Gustav
Wiedeniann: Die Lehre von der Elektricität. — Monographs of the United States Geological Snrvey. — Liste. — Briefkasten.
440
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Abdrnck ist nnr mit vollstäiicIij»;er <|nellenaii»;abe g^estattet.
Lamarck's Theorie und die Vererbung körperlicher Abänderungen.
Nucli di:ii Ansiclitt'ii von Alfre<l Giard, Professor der Sorbonne u. s. w. in Paris.*)
Die primären Factoren der Evolution der Lebewesen
sind diejenigen, welche dircct anf die Individuen einer
lebenden («eneration oder indireet aul die Individuen der
folg'enden Generation, in letzterem Falle dnrch Einwirkung
auf die FortpHanzungsorgane der vorausgehenden, ein-
wirken. Hierher gehören das Lieht, die Temperatur, das
Klima, die Nahrung, die Besehatienheit des Wassers für
die im Wasser lebenden Wesen und anderes; ferner das
jedem thieri.sehen und jjflanzliehen Individuum eigenthiim-
iiehe Verhalten gegen seine nnorganisehe Umgebung und
gegen die mit ihm zusammentrert'enden anderen Lebewesen.
Die Wirkung der primären Faetoren in Verbindung
mit der Vererbung giebt zunächst Anlass zu neuen Rassen,
dann zu neuen Arten; es genügt hierzu, dass diese Factoren
eonstant oder periodisch wirken, und dass die durch sie
erzeugten Abänderungen den abgeänderten Wesen nicht
unvortheilhaft sind, da, wenn letzteres der Fall wäre, die
natürliche Auslese die minder begünstigten Varietäten so-
fort unterdrücken mUsste. Meist werden aber die primären
Factoren durch secundäre unterstützt. Diese secundären
Factoren erhalten und steigern die von den primären
Factoren hervorgebrachten Resultate und bestimmen die
Anpassung der variirenden Formen an ihre Umgebung.
Wenn bei hoch dift'erenzirten Lebewesen, also bei solchen,
die in Allem durchaus bestimmten Anssenbedingungen an-
gepasst sind, irgend ein Factor dieser Anssenbedingungen
sieh ändert, so geht das Lebewesen zu Grunde, da eine
Wiederherstellung des biologischen Gleichgewichtes von
nun ab unmöglich ist. So erklärt sich das Verschwinden
hochdiflferenzirter Formen (z. B. der Trilobiten, Ammo-
niten u. s. w.) in den geologischen Epochen, und so ver-
stehen wir, wie dnrch geringe Veränderungen der Lebens-
*) Zusammengestellt von den DDr. II. Mittmann und H. Potonie
nach mehreren von Herrn Giard eingesandten Aufsätzen in der
Kevue scientitique.
weise eine Vernichtung bestimmter Typen, z. B. des Orni-
thorhynehus, herbeigeführt werden könnte.
Bei denjenigen Organismen jedoch, welche sich noch
der Variationsfähigkeit erfreuen, welche noch eine Anzahl
Elemente besitzen, die noch nicht detinitiv fixirt sind, bei
diesen bewirken Aendernngen der primären Faetoren nur
augenblickliche Störungen und in Folge dessen mehr oder
minder weitgehende Variationen. Die hinzutretenden secun-
däi'en Factoren vernichten nun gewisse dieser Variationen
und fi.xiren die anderen, so einen neuen Gleichgewichts-
zustand oder, was in unserem Fall dasselbe heisst, neue
Arten schaft'end.
Es kommen hier die natürliche und geschlechtliche
Zuchtwahl, die räumliehe Absonderung u. a. secundäre
Factoren in Betracht.
Lamarck glaubte, die Entstehung aller neuen Formen
durch Wirkung der primären Factoren allein aus der Ver-
erbung erklären zu können (Lamarekismus), Darwin fügte
als wesentlicher die natürliche Zuchtwald und andere
secundäre Factoren hinzu (Darwinismus). Romanes, ein
Schüler Darwin's, endlich noch die „physiologische Se-
lection" u. s. w.
Andere Naturforseher, Darwinischer als Darwin selbst,
wollen nur die natürliche Zuchtwahl anerkennen. An der
Spitze der Ultra- Darwinisten steht Weismann. Auch Alfred
Rüssel Wallace hat stets diesem Factor eine durchaus
überwiegende Rolle bei der Bildung der Arten zu-
geschrieben.
August Weismann sagte auf der Naturforscher - Ver-
sammlung in Köln 1888: „Ich glaube zeigen zu
können, dass das thatsäehliche Bestehen einer Vererbung
erworbener Charaktere direct nicht zu erweisen ist, dass
es directe Beweise für die Richtigkeit des Lamarck'schen
Trincips nicht giebt." Weismaun formulirt zwei Grund-
; Sätze, welche dieses Lamarck'sche l'rincip ansmachen
I sollen : das Gesetz der Anpassung und das Vererbuiigs-
442
Natuiwissenschaftlicbe Woclicnschrift.
Nr. 41
pvincip. Beide sind in der folgenden Formulirung Weis-
mann's ansg-edriickt : *)
„Eine Aenderung- im Ban eines Theils kam naeli
Lamarclc's Ansielit hanptsäelilich dadnreh /n Stande, daf>s
die betreffende Art in nene Lebensverliältiiisse gerieth nnd
dadnreli veranlasst wnrde, nene Gewohnheiten anzunehmen.
Diese ihrerseits bedingten eine erhöhte oder eine veränderte
Thätigkeit gewisser Theile und in Folge dessen aueh eine
kräftigere oder eine schwächere Ausbildung derselben,
welche sich dann auf die Nachkommen übertrug. Da nun
diese Nachkommen unter denselben abgeänderten Ver-
hältnissen weiterlebten und also auch dieselbe abgeänderte
Art, jenen Theil zu gebrauchen, beibehielten, so musste
sich bei ihnen im Laufe ihres Lebens die von den Vor-
fahren überkommene Abänderung des Theils in derselben
Richtung noch weiter steigern, und so bei jeder folgenden
Generation, so lange, bis das Maximum der möglichen
Abänderung erreicht war."
Wenn Lamarck's Theorie unrichtig ist und nicht er-
wiesen werden kann, so begreift man, dass dann der
Werth der Hauptfactoren ungemein beeinträchtigt wird.
Da die üebertragung der durch diese Factorcn deutlich
bestimmten Charaktere nicht mehr eine wissenschaftliche
Thatsache ist, so wirken sie nur in unbestinnnter Weise
auf die Abäuderungsfähigkeit der Keime ein, ohne dass
es möglich ist, einen genauen, ursächlichen Zusammen-
hang zwischen dem wirkenden llauptfactor und der her-
vorgebrachten Veränderung nachzuweisen. Die Bildung-
neuer Arten wird etwas in wissenschaftlicher Hinsicht
ebenso schlecht Definirtes, wie die von gewissen Natur-
forschern (H. Milne-Edwards z. B.) ausgegangene Behaup-
tung von der Entstehung gewisser Arten durch die Um-
hildung eines Keimes im mütterlichen Organismus unter
dem Einflüsse einer äusseren Macht, jedoch mit dem von
den Gegnern Lamarck's zugestandenen Unterschiede, dass
an .Stelle einer planmässig schaffenden Vernunft die regelnde
Wirkung der natürlichen Zuchtwahl tritt, welche inmitten
unzähliger Abänderungen nur die an die ganze Umgebung
am besten angepassten bestehen lässt.
Bevor wir jedoch die Wirkung der Nebenfactoren
untersuchen, entsteht die Frage: bis zu welchem Grade
müssen wir die Einschränkungen zugeben, welche von
Weismann gegen die Wichtigkeit der Hanptfactoren an-
geführt werden, und vor allem, was müssen wir von der
gänzlichen Ableugnung des Lamarck'schen Princip.s denken?
Wenn wir Weismann in seiner zu weitgehenden Kritik
folgen, so sehen wir bald, dass er die Grenzen beträcht-
lich enger zieht, in welchen Lamarck das Gesetz der
Erblichkeit erworbener Abänderungen anwandte:
„Als Thatsachen, die ohne weiteres eine Üebertragung
erworbener Eigenthümlichkeiten beweisen können", sagt
Weismann
oder Verstümmelungen zu berufen."
Weismann behauptet übrigens, dass die aus Mangel
an Uebung verkümmerten Organe sich vollkommen er-
klären lassen auch ohne Zuhilfenahme des Lamarck'schen
Princips.
Schliesslich beschränkt er das, was man erworbene
Eigenschaften nennt, auf eine sehr eng begrenzte Classe
von „Abänderungen", die keineswegs dem entsprechen,
was Lamarck darunter verstand.
Unter den bei lebenden Wesen sich zeigenden Ab-
änderungen, die oft sämmtlich mit dem Namen „erworbene"
Abänderungen bezeichnet werden, unterscheidet Weismann
die somatogenen, d. b. diejenigen, welche nur die
*) Wir entnehmen dieselbe dem oben sclion erwälinten Vor-
trag Weismann's auf der Naturforsclier -Versammlung von 1888
zu Köln: Ueber die HypOtliese einer Vererbung von Verletzungen.
Red.
„brauchen wir uns nur auf die Verletzungen
Elemente des Körpers (somatischen Elemente), und die
blastogenen Abänderungen, welche die Fortplianzungs-
organe betreffen.
Wenn z. B. einem Menschen ein Finger al)gcschnittcn
worden ist, so soll seine vierfingerige Hand eine somatogcne
Eigenthündichkeit sein; wenn jedoch ein Kind mit sechs
Fingern geboren wii'd, so soll seine scchsfingerige Hand
aus einer besonderen Beschaffenheit des Keims cutstan(lc;i,
d. h. eine blastogene Eigenthündichkeit sein. Wenn man
diese Definition vorausschickt und die somatogenen Ab-
änderungen auf Verstümmelungen und Verwundungen be-
schränkt, wie es Weismann zu thun scheint, so ist es
sicher, dass die Mehrzahl der somatogenen Veränderungen
sich nicht vererben wird.
„Indem der Gärtner einen Strauch durch besondere
Wachsthunisbedingungen langsam umändert, lässt er Ver-
änderungen entstellen, von denen er hoffen kann, dass sie
Generationen hindurch sich wiederholen; aber wenn er
die Zweige eines Strauches willkürlich abgeschnitten hat,
so weiss er wohl, dass er weder durch Ableger noch
durch Samen aus diesem beschnittenen Strauch neue
Sträucher nnt denselben Abweichungen ziehen könnte."
Aueh scheint es uns, dass sich Weismann in seiner
Abhandlung „Ueber die Möglichkeit einer erblichen Üeber-
tragung von Verstümmelungen" zu viel Mühe gegeben hat
wegen eines dürftigen Ergebnisses. Bei einer solchen
Untersuchung muss jeder Fall besonders studirt werden;
und wenn Weismann, als er fünf Generationen von weissen
Mäusen die Schwänze abgeschnitten hatte, keine Verände-
rung bei den Nachkonnnen dieser Thiere fand, so beweist
das einzig, dass das Abschneiden des Schwanzes einer
Maus keine tiefgreifende Veränderung im Organismus
dieser Thiere nach sich zieht.
Eine ganze Reihe von Thatsachen hätte Weismann
für seine Ansicht anführen können; aber sie liefern keinen
besseren Beweis gegen die Erblichkeit der somatogenen
Veränderungen, wenn man diesem Worte eine weitere Be-
deutung giebt, als diejenige einfacher Verstümmelungen.
Ich meine die so seltsamen Erscheinungen freiwilliger
Verstünmielung oder Autotomie. Ungezählte Generationen
von Eidechsen haben freiwillig ihren Schwanz abgebrochen,
um verschiedenen Feinden zu entschlüpfen, ohne dass
jemals dieses Anhängsel bei der Nachkommenschaft dieser
Thiere wieder zu erscheinen aufgehört hätte. Vielleicht
hat der Organismus die Fähigkeit erlangt, diesen oder
jenen Theil leicht zu verlieren, und doch hört dieser zu-
weilen scheinbar nutzlose Theil nicht auf, bei jeder neuen
Generation wieder zu erscheinen, weil seine Unterdrückung
keine Nachwirkungen auf die anderen Organe ausübt.
Aber das ist nicht immer der Fall. Verstümmelungen,
Verwundungen, deren Wichtigkeit zu allererst unbedeutend
erscheint, ziehen jedoch oft erbliche somatogcne Um-
änderungen nach sich, weil sie in dem davon betroffenen
Organismus eine Störung veranlassen, die sich wahrschein-
lich auf die Zeugungselemente erstreckt.
Nachstehend einige durch Erblichkeit übertragbare
Wirkungen zufälliger Verletzungen:
1. Epilepsie bei den Nachkommen von Meerschweinchen,
Männchen oder Weibchen, bei welchen mau dieselbe Krank-
heit durch ein Durchschneiden des Hüftuervs oder des
Rückenmarks hervorgerufen hatte.
2. Vorfall des Auges bei den Nachkommen von Meer-
schweinchen, welche dieses Hervortreten des Auges nach
einer Verletzung der Rückgratwurzel zeigten.
3. Das Fehlen von Zehengliedern oder von ganzen
Zehen an einer der Hinterpfoten bei den Nachkommen
von Meerschweinchen, welche zufällig diese Zehen in Folge
einer Durchscbneiduug des Hüftnervs verloren haben.
Nr. 41.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
443
4. Muskelsclnviind am Sclicnkcl und Hein hei Aleer-
sdiweinciien, welche von solchen Individuen abstanuuen,
die Muskelschwund in Folge von Verkürzung des Hüft-
ner vs hatten.
Die Vererbung mehrerer dieser krankhaften Zustände
kann von Generation zu Generation gcscheheu.
Das Vorliandeuscin von gewissen Fällen solcher Ver-
änderungen hat man bis in die 5te und selbst bis in die
6te Generation bestätigt gefunden.
Es scheint mir nach dein Voriiergehcnden, dass die,
welche Weismann's Ansichten theilen, ihre Aufnierksiuukeit
nicht genügend auf die Nachwirkungen gerichtet iiaben,
welche gewisse somatogenen Verletzungen auf den davon
betroflFenen Organismus und damit auch auf die Nach
kommenschaft haben können.
Die Botaniker haben kürzlich noch andere merk-
würdigere Beispiele von Uebertragung erworbener Eigen-
schaften bekannt gemacht.
Nach den schönen Untersuchungen von A. K. Lund-
stroem sind die „Weichselzöpfe" genannten Entstellungen,
welche auf den Blättern von Linden u. a. Bäumen oder
Sträuchern durch den Stich von Milben hervorgebracht
werden, vollkommen erblich, selbst dann, wenn man diese
Gewächse vor den Schmarotzern schützt, welche diese
Entstellungen bei den Vorfahren erzeugt haben.
Eine gewisse Anzahl von erworbenen Eigensciiaften,
welche sich besonders in somatogenen Eigenthümiiclikeiten
kund thun, werden jedoch begleitet von blastogenen Um-
änderungen, welche gleichzeitig statttinden (und nicht blos
unmittelbar nachfolgen, wie in den vorhergehenden Fällen),
so dass es unmöglich wird, die von Weismann vorge-
schlagene Unterscheidung zu machen, und dass diese
Eigenschaften mit Recht von den meisten Naturforschern
als erbliche betrachtet werden.
Da in diesen Beispielen die Hauptfactoren das Einzel-
wesen zugleich mit der Nachkommenschaft umgeändert
haben, so kann das Lamarck'sche Princip durchaus nicht
bestritten werden. So schreibt z. B. Godron:
„Nach dem anglikanischen Bischof Heber bedeckt
sich das Fell der Hunde und Pferde, die aus Indien in
die Gebirge von Cacliemire gebracht werden, sehr bald
mit Wolle. In den Ländern der heissen Zone dagegen
wird das Haar der zahmen Säugethiere spärlich und kürzer.
Man hat in den sehr heissen Ländern sogar den voll-
ständigen Verlust der Haare beobachtet, und wir finden
Beispiele davon beim Guineahunde, bei gewissen Rindern
Sudamerikas u. s. w. Jedoch erfahren nicht alle unsere
Hausthiere, wenn sie in äquatoriale Gegenden gebracht
werden, eine gleich vollständige Einwirkung des Klimas,
und andererseits erhalten diese unltehaarten Rassen, wenn
sie in gemässigte oder kalte (Jegeuden gebracht werden,
durch die Wirkung der umgekehrten Ursachen, selbst nach
mehreren Generationen ihr ursprüngliches Haarkleid nicht
wieder."
Diese letzten Fälle beweisen doch, dass die hervor-
gebrachte Umänderung nicht einzig von der Wirkung der
Hauiitfactoren auf die Lebewesen herzuleiten ist, sondern
dass die blastogenen Eigenthümiiclikeiten in gleicher Weise
beeintlusst sind, und dass folglich das Princip Lamarck's
seine Anwendung findet.
Welcher Züciiter weiss nicht, dass er mehr Aussicht
hat, diese oder jene Rasse zu erlangen, indem er als Er-
zeuger Individuen nimmt, welche in der ausgesprochensten
Weise die Eigenthümliehkeitcn dieser Rasse an sieh tragen?
Uebrigens sind seiir häufig die zahmen Rassen nur zu dem
Zwecke gezüchtet worden, um gewisse Körpereigenschaften
unrzuändern, und so hat unbewusster Weise der Züciiter
gleichzeitig die entsprechenden blastogenen Veränderungen
hervorgebracht, welche die Uebertragung der somatogenen
Eigenthündichkeiten sichern.
Selbst wenn es sich um den Hauptfaetor, den Lamarck
besonders im Auge hat, die Lebensweise, handelt, können
wir ebenso die Uebertragung der erworbenen Abänderungen
darthun.
Es ist eine bekannte physiologische Thatsache, sagt
Godron, dass gerade die am iiäufigsten gebraueilten Organe
sieh am meisten entwickeln und die grösste Kraft er-
langen; die Muskeln dagegen, welche während einer
grossen Anzahl von Generationen keine Uebung mehr ge-
iiabt haben, selirnmpfen zusammen, und eine ähnliehe
Wirkung wird auf den Tlicil des Skeletts ausgeübt, den
diese Muskeln in Bewegung setzen. Dalier kommt es,
dass bei den (Jocliinchina- und Braniajmtrahühnern, die
während einer langen Reihe von Jahren in die Unmöglich-
keit versetzt waren, das Muskelsystem, das die Flügel
bewegt, auszubilden, die Brustiiiuskeiii weniger stark und
weniger thätig wurden, die Flügel sieh \erkürzten und
diese Vögel sehliessiich die Fäiiigki'it zu fliegen verloren
haben, und dies um so mehr, als nacii dem Gesetze des
Gleichgewichts der Organe die Beine eine übermässige
Entwickelung erlangt haben.
Wenn die wissenschaftlichen Umzüchter sich meistens
mit Experimenten liegnügen müssen, welche in unbewusster
W'eise durch die Natur oder durch die Züchter ins Werk
gesetzt sind, statt sieh auf Beweise zu stützen, die mit
der ganzen Strenge moderner wissenschaftlicher Genauig-
keit geführt sind, so geschieJit das doch in diesem wie in
vielen anderen Fällen wegen der beklagenswerthen Un-
zulänglichkeit unserer Laboratorien; und man muss doch
darüber erstaunen, dass es noch bei keiner Nation, selbst
bei denen, wo die Wissenschaft am meisten geehrt wird,
ein „transfornüstisches Institut" giebt, das den langen und
kostspieligen Versuchen gewidmet ist, die in Zukunft für
die Fortschritte der eutwickelungsgeschichtlichcn Biologie
unerlässlicli sind.
Die Anhänger der Ideen Weismann's halten stets ent-
gegen, dass in allen zuvor erwähnten Fällen das erblieh
Uebertragene nicht eine somatogene, sondern eine blasto-
gene EigenthUmlichkeit ist, kraft deren der Nachkömmling
in demselben und selbst in einem hciheren Grade als seine
Eltern für die llauptfact(u-en empfänglich ist, die diese
somatogene EigenthUmlichkeit bestimmen.
Diese wechselseitige Abhängigkeit zwischen der blasto-
genen und der somatogenen Abänderung ist schon schwer
erklärlich, wenn man darin nur ein einfaches mit der Ab-
stammung zufällig verbundenes Zusamnientreft'en sehen
will, das blos später durch die Zuchtwahl dauernd wird.
In Wirklichkeit geht alles vor sich, als ol) die somatogene
Eigenthündiehkeit selbst angeerbt wäre; und wenn wir
alle theoretische Voreingenonmienlieit beiseite lassen, so
scheint es viel einfacher und richtiger, die Sache in dieser
Weise aufzufassen. Denn wollte man sagen, ein Tiiier
erbe die Möglichkeit, in einem gegebenen Momente sein
Haar unter dem Einfiuss der Hitze zu verlieren, so hiesse
dies so viel wie, es vererbe den Ilaarverlust, der sich
bei seinem Nachkommen unter gleielien Beiiinguiigen zeigt.
Die Erörterung wird also nur ein einfacher Streit um Worte,
wenn man den Dingen auf den Grund gehen will.
Uebrigens giebt es noch andere Thatsaehen, welche
zeigen, dass die Trennung der Fortpflanzungszellen und
der somatischen Zellen nicht eine so vollständige ist, wie
es Weismann und seine Anhänger zu beiiaiipten seiu'inen.
Bei gewissen Lebewesen und insbesondere bei ge-
wissen Pflanzen seheint es sogar, dass irgend eine beliebige
somatische Zelle in gewissen bekannten Fällen fähig ist,
als eine jungfräulich gebärende Zeugungszellc aufzutreten
und das ganze Wesen wieder zu erzeugen. Das hat
444
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 41.
Sachs au bestimmten Zellen von Wurzeln, Blättern und
Knospen mehrerer Moosarten dargethan.
Man weiss auch, dass man, wenn man Begonien-,
blätter zerschneidet und diese Abschnitte einpflanzt, neue
Pflanzen erhält, welche Blüthen und Früchte tragen.
Ebenso wäre es ohne Zweifel mit gewissen Thieren,
deren wiedererzeugende Kraft sehr entwickelt ist (l)ci
Turbellarien und Oligochäten z. B.), wenn man es erreichen
könnte, die ktinstlich getrennten Stücke hinreichend zu
ernähren. Tlieoretisch könnte man sagen, dass jede Zelle
eines Plattwurms alles in sich besitzt, was zur Erzeugung
eines neuen Individuums nöthig ist.
Wie kann man behaupten, dass einer Umänderung
dieser somatischen Zellen nicht zugleich eine entsprechende
Umbildung des Products und der blastogenen Zellen des-
selben folgen sollte? '
Interessant in dieser Hinsicht sind gewisse Beob-
achtungen über den Einfluss, welchen das durch Pfropfen
veredelte Individuum nicht allein auf die somatischen
Elemente, sondern selbst auf die Früchte des Pfropfreises
haben kann.
„Es ist bekannt", sagt Darwin, „dass mehrere Arten .
von Pflaumenbäumen und Pfirsichbäumen Nordamerikas
durch Kerne in gleicher Beschaffenheit wiedererzeugt werden
können; aber Downing behauptet: wenn man einen Zweig
eines dieser Bäume auf einen andern Stamm i)fropfe, so
verliere er die P^igenschaft, seine eigene Gattung durch'
Kerne zu vermehren und werde wie die andern, d. h.
seine Früchte, seine Nachkömndinge seien sehr ver-
änderlich.
Umgekehrt kann das Pfropfreis bei dem neuen Stanmie
gewisse somatische Veränderungen hervorrufen, die es
selber hat. Wenn man z. I>. die buntgestreifte Abart des
Jasmins auf die gewöhnliche Sorte pfropft, so treibt diese
letztere zuweilen Sprosse mit buntgestreiften Blättern.
Derselbe Fall hat sich beim ßoscnlorbeer und bei der
Esche gezeigt.
Diese letzteren Beispiele veranlassen uns, Thatsachen
anderer Art anzuführen, die heute noch nicht genügend
erklärt sind, aber die auf unwiderlegliche Weise den Ein-
fluss somatischer Zellen auf die blastogenen Zellen zu be-
weisen scheinen.
Seit 1721) hatte man bemerkt, dass die weissen und
die blauen Erhsenarten sich wechselseitig kreuzten, wenn
sie sicli nahe bei einander befanden, so dass im Herbste
in denselben Hülsen weisse und blaue Erbsen sassen.
Aber diese Umänderung der Farbe der Frucht kann sich
selbst auf die Hülsen erstrecken, d. h. auf die somatischen
Zellen des mütterlichen Organismus, wie Laxton über-
zeugend nachgewiesen hat.
Viele ähnliche Beispiele von dem Einfluss des P,lüthen-
staubes gewisser Pflanzen auf den Fruchtknoten benach-
barter Abarten sind durch Gallcsio, Naudin, Anderson u. a.
gesammelt worden. Erinnern wir nur an den berühmten
Apfelliaum von Saint -Valery. Dieser Baum brachte in
Folge der Verkümmerung seiner Staubfäden keinen Blüthen-
staub hervor und musste jedes Jahr künstlich bet'ruclitet
werden. Dies wurde jährlich durch die jungen Mädchen
des Ortes ausgeführt vermittelst iles Blumenstaubes, der
von verschiedenen Sorten entnonnnen war. Daraus ent-
wickelten sich Früchte, verschieden an Grösse, Farbe und
Geschmack, welche den Früchten der Abarten entsprachen,
die das befruchtende Element geliefert hatten.
Da der Fruchtknoten der Gewächse nach Hervor-
bringung der Frucht vergeht und mit der Pflanze selbst
nur zeitweilige Verbindung zeigt, so ist es nicht wahr-
scheinlich, dass die somatischen Veränderungen, die durch
den Blüthensfaub hervorgebracht sind, sich auf die Zellen
der Zweige und des Stammes ausdehnen: diese Umände-
rungen können aus demselben Grunde keine nachhaltige
Einwirkung auf die späteren Früchte haben.
Aber bei den Thieren und besonders bei den Säuge-
thieren, bei denen die Leibesfrucht lange in enger Ver-
liindung mit der Mutter bleibt, kann man annehmen, dass
die Thätigkeit des männlichen Elements zuerst einen Ein-
fluss auf den niütterliehen Organismus und dann auch auf
die spätere Nachkonnnenschaft haben wird.
Das beweist in der That der oft erwähnte Fall der
Stute Lord Morton 's.
Diese fuchsrothe Stute von fast reiner aral)iseher
Rasse Hess man von einem Quagga decken, und nachdem
sie dann einen Bastard geworfen, kam sie in die Hände
Sir Gore Ousely's, der später von ihr zwei Fohlen durch
einen schwarzen arabischen Hengst erhielt. Diese Fohlen
waren theilweise isabellfarbig, und ihre Beine waren deut-
licher gestreift als die des Bastards und selbst als die
des Quaggas; l)ci beiden waren auch Hals und einige
andere K('irpertheile deutlich gestreift. Die Streifen auf
dem Körper und die Isabellfarbe sind bei unsern euro-
päischen Pferden sehr selten und bei den Arabern un-
bekannt. Aber was den Fall sehr auffällig macht, ist der
Umstand, dass bei den beiden Fohlen die Mähnenhaare
kurz und steif waren und sich in die Höhe richteten wie
beim (Quagga. Es besteht also kein Zweifel über die
Thatsache, dass dieses letztere deutlieh die Eigenschaften
des späteren Fohlens beeinflusst hatte, das von dem
schwarzen arabischen Hengste abstanmite.
Es scheint also, dass die Stute, während sie den
Bastard im Leibe trug, von ihm die Fähigkeit erlangt
hatte, ilie Eigenschaften des Quagga weiter zu übertragen.
Allgemein bekannt ist es, dass, wenn eine Hündin
das erste J\Ial durch einen Hund von fremder Rasse tra-
gend geworden war, ihre späteren Würfe eins oder mehrere
Junge von dieser fremden Rasse haben können, selbst
wenn sie seitdem nur von Hunden ihrer eigenen Rasse
gedeckt worden war.
Obige Thatsachen an sieh selbst, abgesehen von jeiler
Theorie, beweisen hinreichend die enge Abhängigkeit,
welche zwischen den Fortpflanzungselementen und den
somatischen Elementen besteht.
Um nicht das Gebiet der wissenschaftlich festgestellten
Thatsachen oder der mehr oder weniger leicht zu be-
stätigenden Hypothesen zu verlassen, werde ich den Ein-
fluss bei Seite lassen, der die auf die Sinne und das
Nervensystem der Mutter hervorgebrachten Eindrücke für
die Nachkommenschaft haben können.
Es scheint mir jedoch sehr schwer, zuzugeben, dass
die psychischen Erregungen und Eindrücke, welche so
energisch und deutlieh auf unsere Secretionen wirken,
keinen Einfluss auf die Erzeugnisse unserer Geschlechts-
drüsen haben sollten. Vielleicht muss man, abgesehen
von dem Einfluss des Temperaments und der Erziehung,
die in erster Linie angezogen werden müssen, als eine Ein-
wirkung dieser Art die Thatsache anführen, dass eine
ganze Generation mit der grössten Leichtigkeit Gedanken
aufninmit, die durcii die vorangehende lebhaft bekämpft
und zurückgewiesen worden wären. Es scheint mir un-
möglich, dass die geistige Bewegung, die durch begabte
Menschen in einem oder mehreren Zweigen des mensch-
lichen Wissens hervorgerufen war, eine geistige Bewegung,
die durch Gelehrte und Künstler weit verbreitet wird,
nicht eine Nachwirkung auf die Zeugungselcmente der
gleichzeitigen Generation und folglieh auch auf die nach-
folgende Generation ausüben sollte, welche so durcli eine
erbliche Uebertragung auf eine ganz neue Ordnung seelischer
Zustände vorbereitet wäre.
Zum Schlüsse führt uns eine letzte Betrachtung dazu,
die Meinung derjenigen zurückzuweisen, welche behaupten,
Nr. 41.
Naturwisseiischai'tliclie Wochenschrift.
445
dass die erworbenen kfirperlichen Eiijcn.schaften sich nicht
von den Eitern auf die Kinder Uljertragcn liönnen. Wenn
man, worauf schon Turner aufmcrlisam i^eniaciit hat, aus
dieser Anscliauunn'sweise tue letzten Folgcrunj;en zielit,
so wird man anzunelnnen genötliii;t, dass die Vorfahren
der gej;enwitrtig-en Lelicweseu und seihst das ürplasma
alle seitdem gezeigten Veränderungen in sieh selbst be-
sassen. Wir würden somit auf die Annahme von freilich
durch die Selection geregelten sehöpferisehen Kräften
zuriickgetuhrt werden. Die Tliür wäre von neuem für die
leitenden Kräfte geöffnet, die der Materie inne wohnen
oder ihr äusserlieh anhaften, und wir würden snmit auf
die erhabene nieehauische Auffassung vom Weltall ver-
zichten müssen, die Descartes ahnte und der später die
Gelehrten des XVIII. Jahrhunderts (Button und die En-
cyclopädisteu) gefolgt sind.
Wenn wir im Gegentheil die Uebertragung der Körper-
eigenschaften in dem dureii die oben auseinandergesetzten
Thatsaehen bewieseneu Maasse eiin'äumen, so wird die
Umbildung der Lebewesen viel schneller geschehen, da
sie nicht mehr einzig von den Zufällen der inneren Ver-
änderung abhängen, sondern durcii die Thätigkeit der
Ilauptfactoreu bestimmt werden wird.
Bevor wir zur rrüfung der Faetoreu zweiten Ranges
sehreiten, werden wir zuerst eine biologische Thatsaehe
zu untersuchen haben, welche wir überall da finden, wo
sieh neue organische Formen bilden: die erbliche Ueber-
tragung. Als wir, um die Entstehung neuer Formen zu
erklären, das l'rinci[i Laniarck's, das Gesetz üeli)ocuf's,
oder die Zuchtwaid und die andern Nebenfactoreu mit-
wirken Hessen, haben wir gesehen, dass wir inuner die
Wirksamkeit der Vererbung zugeben mussten.
Die Vererbung ist streng genommen weder ein Haupt-
factor noch ein Nebenfactor, sie ist eine Integrale, d. h.
die Summe der unendlich kleineu Veränderungen, die bei
jeder vorhergehenden Generation durch die Haui)tfact(nen
hervorgebracht worden sind. Die Gesetze der Vererbung,
die experimentell kaum studirt sind, bieten ein ungelieures
Feld für die Biologen. Mehrere dieser Gesetze und be-
sonders das Gesetz der homochronen oder gleichzeitigen
Vererbung liefern auch gute Beweise für das Lamarck'sche
Prineip. Die neuesten endjryohigischen Untersuchungen
fangen kaum an, uns den mechanischen Frocess der erb-
lichen Uebertragung und der geheimsten Ersclieinungen
der f\)rtpflanzung ahnen zu lassen.
Nur nachdem man alle erlangten Kenntnisse über
diese heiklen Funkte sorgfältig geprüft hat, kann man
mit Erfolg in das Studium der Nebenfaetoren eintreten.
Uaujteiifrass am Knieliolz des Uieseii??el»irs?es. —
Als ich am (>. Se|iteniber d. J. mich auf dem Kannne des
Kiesengebirges zwischen dem „Reifträger'- und der Sehnee-
grubenbaude befand, bemerkte ich an mehreren Gru}ipen
des Knielndzes (l'inus pumilio), welches bekanntlich zu
den Charakterptianzen des Riesengebirges gehört, deut-
liche Spuren von Raupenfrass und fand bald bei genau-
erem Nachsuchen an deu Nadeln des Knieholzes eine An-
zahl grau-grünlicher, mit hellen und dunklen Längs-
streifen versebener Lophyrus-Kaupen, welche offenbar
die Urheber jenes Frasses waren. Ich sannnelte etwa
ein Dutzend Exemplare, von denen sich mehrere im frisch-
gehäuteten Zustande befanden, und couservirte sie in
Alkohol, um sie demnächst genauer zu bestimmen.
Von dem stellvertretenden Herrn Forstmeister aus
Hermsdorf am Kynast, den ich in der Schneegrubenbaude
kennen lernte, erfuhr ich, dass die betr. Lt)})byrus-Art in
den Acten der Forstverwaltung als L. similis bezeichnet
werde, dass die Raupen seit Kurzem (d. h. in den letzten
Wochen vor dem 6. Sept. d. J.) in den Knieholzbcständen
der Oberförsterei Sehreiberhau stark schädigend aufge-
treten seien, und dass die reichsgräfl. Schaffgottsche
Forstverwaltung darauf bedacht sei, dieselben nniglichst
vertilgen zu lassen. Schon im Jahre 1881 habe man dort
einen ähnlichen Raupenfrass in deu Knieholzbeständen
beobachtet.
Da mich die Sache sehr interessirte, so habe ich nach
meiner Rückkehr aus dem Riesengebirg-c die mitgebrachten
Raupen hier in Berlin näher studirt und bin zu dem Re-
sultate gelangt,*) dass es sich bei den \on ndr gesam-
melten Exem[)laren nicht um Lophyrus sindlis, sondern
um L. rufns handelt.
Dass die Raupen (genauer: Afterraupen) der Kiefern-
Blattwespen (Gattung Lophyrus) an der gemeinen Kiefer
häufig beobachtet werden und stellenweise grossen Schaden
hervorrufen, ist bekannt, und man findet in der einschlägigen
Litteratur zahlreiche Angaben darüber**) Dagegen scheint
das Auftreten von Lophyrus-Raupen am Knieholz (Pinus
pumilio) bislier nur sehr selten beobachtet zu sein; ich
habe nach längerem Suchen in der mir zugänglichen
Litteratur nur den schon oben erwähnten Fall aus dem
Jahre 1881 gefunden, und zwar bei ludeich und Nitsche,
Lehrbuch der ndtteleuropäischen Forstiusektenkunde,
III. Abtheilung, 1893, S. 646, wo Bezug genonnnen wird
auf das Jahrbuch des sehlcsischen Forstvereins, 1882,
S. 58 f., und die Vereinsschrift des böhmischen Forst-
vereins, 1883, S. 91 ff'. Hier wird die betreffende Spccics,
welche 1881 schädigend aufgetreten ist, als Lophyrus
similis bezeichnet, und man könnte die Frage erheben,
ob die Bestimmung der Raupen damals mit voller Exact-
heit gemacht worden ist. leb werde versuchen, diese
Frage womöglich aufzuklären. Innnerhin erscheint es
bemerkenswerth, dass die Lophyrus-Raupen 1893 genau
in derselben Gegend des Riesengebirgskammes wie 1881
sich gezeigt haben.
In dem letztgenannten Jahre sind leider ansehnliidie
Partien der dortigen Knieholzbestäude durch jene Raujien
ruinirt und zum Absterben gebracht worden; hoffentlich
gelingt es der Forstverwaltung, den Raupenfrass des
Jahres 1893 möglichst zu beschränken und unschädlich
zu machen. Da das Knieholz des Riesengebirges nicht
nur wissenschaftlich und landschaftlich interessant, sondern
auch praktisch schi- wichtig ist, so muss man wünschen,
dass die vorhandenen Bestände nach Möglichkeit erhalten
bleiben. Prof. Dr. A. Nehring.
^) ITntei- Beihilfe der Herren Dr G. Rörig und Dr. Stadel-
maiiu, sowie unter Benutzung des Vergleiclismaterijils des hiesigen
Museums für Niiturkunde.
**) Sielu.» ludeieli und Nitsidio, Lehrbuch drr niittulcurop.
Forstiusektenkunde, und Eckstein, Die Kiefer und ihre tliierischen
Schädlinge, Berlin 1893.
Der Iiisecteiifliig ist von Alfred R. v. Dutezynski
eingehender untersucht worden. In einem liedeutsamen
Artikel des Autors in der „Zeitschrift für Luftschiffahrt",
auf den wir hierndt hinweisen, wird das Problem nnt
Saehkenntniss und Geschick behandelt. D. fasst die Re-
sultate seiner Untersuchungen in den folgenden Sät/.cn
zusammen :
I. Die Bewegung der Flügel während des Fluges
geschieht im Allgemeinen in der Form eines Kegels, dessen
Spitze gegen die Brust (an den Enden der Queraxe),
dessen Basis aber nach aussen gerichtet ist.
II. Die beiden Angrifl'spunkte der treilicnden Flügel
liegen in der Ebene der Flugaxe, wodurch dem grösstcn
Widerstände auch die grösste Kraft entgegengesetzt wird.
446
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 41.
III. Die Hebe- und riui;ar))eit erfolgt mit einer so
ausserordentiiciicn Geschwindigkeit aufeinander, dass sie
in der Praxis als ununterbrochen betrachtet werden kann,
wodurch der Flug dem Auge als vollkommen gleichmässig-
erscheint.
IV. Die Zeit der wirksamen Flügelschlagperiode ist
stets grösser als jene der unwirksamen.
V. Die Axen der Rotationskegel sind sowohl zur
Horizontalen als Verticalen in verschiedeneu Winkelu ver-
stellbar.
VI. Die Flügelfläclien sind ebenfalls verstellbar; und
zwar schlägt der Flügel zum Begiune mit der Schneide
nach vorne und oben, wogegen er in der zweiten Periode
nach ab- und rückwärts, mit der vollen Fläche auf die
Luft druckt.
VII. Die Wendung wird olnie Steuer bewirkt, und
zwar durch die Verstellung der Axe eines Flügels, und
somit durch die Differenz des Druckes an den Angriffs-
punkten der Flügel resp. der Queraxe des Thorax.
VIII. Der Bau des Flügels ist so beschaffen, dass
er bei dem geringsten Gewichte das Maximum der Steif-
heit bedingt, und er dieses Maximum der Steifheit nur
besitzt, wenn seine untere Fläche dem Drucke der Luft
ausgesetzt ist, also er beim Aufschlage des Flügels über-
haupt keine Arbeit leisten könnte.
IX. Die Muskulatur der Flügelbrust ist eine solche,
dass sie mit der vollen Kraft nur dann wirkt, wenn der
Flügel für die Hebe- resp. Vorwärtsbewegung eingestellt
ist, alle übrigen Muskeln sind nur als Verstcllniuskeln auf-
zufassen.
X. Der Hau der Flügell)rust und die Angriflsi)uukte
der Muskeln bestätigen die Rotation der Flügel.
XL. Versanunliiiig der Deutschen Geologischen
Gesellschaft in Goslar vom 14. bis 1(>. August (Nach-
trag). — Wir sind in der Lage, zu unserem Bericht oben-
genannter Versammlung (in No. 38 S. 411) den folgenden
Nachtrag liefern zu können.
Prof. Dr. Brack ebusch (Cordoba, z. Z. Bockenem)
erläuterte die von ihm vorgelegte geologische Karte
von Nordwest-Argentinien, vim welcher 4 Blätter
erschienen sind, während 3 in Handcolorit vorlagen. Das
Gebiet östlich und westlich der vortertiären Hauptkordillere
ist durch seine geologische Zusammensetzung scharf von
einander unterschieden. Oestlich derselben sind die Ge-
steinsschichten bis in das Rhät hinab nur äolische oder
Süsswasserbildungen, westlicii dagegen treten auch Jura
und Kreide marinen Ursprunges auf. Zahlreiche Ein-
lagerungen von mesozoischen Eruptivgesteinen finden sich
beiderseits. Die westliche (theilweise marine) mesozoische
Sehichtenreihe, welche in ihrer nördlichen Erstreckung
wesentlich an der Zusammensetzung der Westkordillere
theilnimmt, nimmt weiter nach Süden ein südöstliches
Streichen an und setzt sich wahrscheinlich bis zurSt.Georg's
Bai fort; daneben erscheint dieselbe aber auch längs der
interoceanischen Wasserscheide über die Magellanesstrasse
hinaus bis zum Feuerlande. Zwischen beide Verbreitungs-
gebiete legte sich zur Tertiärzeit ein grosser Jlcerbusen,
der den grössten Theil von Süd])atagonien einnahm.
Marine Tertiärschichten sind nur aus diesem, der heutigen
atlantischen Küste und den ehemaligen Meerbusen des
Rio Parana's und Rio Uruguay's bekannt. Die Vuleane
hegen auf Spalten, welche in nordwestlicher Richtung
verlaufen, und stets auf den Schnittpunkten dieser mit
der Wasserseheide der l)eiden Kordillerenketteu. Die
frühere Annahme einer grossen Längsspalte, dem Baue
der Kordillere entlang, ist irrig. Das häufige Vorkommen
von Salz in den Salzebenen (Salinas) der Niederung ist
darauf zurückzuführen, dass die zum Atlantischen Oeean
strömenden Flüsse aus den an Salzlagern reichen Jura-
schichten der westlichen Kordillere entspringen. Sobald
sich der Lauf dieser Flüsse änderte, entstanden auch neue
Salinas. In grossartigem Maassstabe hat der Wind seine
Einwirkung auf die jüngsten Ablagerungen der Hoch-
flächen geäussert, indem er dieselben aufbereitet und zu
Wüstenboden umgewandelt hat. Die Verbreitung der
Gletscher war zur Eiszeit eine sehr bedeutende. Aus dem
Moränenschutt haben sich später äolische Massen gebildet,
deren weichere Theile weite Gebiete als jüngerer Löss
bedeckten, während die härteren (sandigen) als enorme
Dünenablagerungen (medanos) von den Kordilleren bis
zum Atlantischen Gcean sich erstrecken. X.
Bezirksgeologe Dr. Koch (Berlin) sprach über die
tektonischeu Verhältnisse des Oberharzer Dia-
baszuges. Dieses Diabasvorkommen in einiger Entfernung
von Klausthal ist vom Vortragenden untersucht und karto-
graphisch dargestellt worden. Der Zug gliedert sich vom
Liegenden zum Hangenden in drei Zonen:
1. Wissenbaeher Schiefer mit zahlreichen Einschal-
tungen körniger Diabase,
2. Blattersteine und Sehalsteine mit Stringocephalen-
kalk- und Eisensteinlagern,
3. Cypridineuschiefer mit vorherrschend variolitisch
entwickelten Diabasen.
Dieser gesammte Schichtencomplex hebt sich in Ge-
stalt eines langgestreckten Zuges aus den jüngeren Gulni-
schichten heraus und bildet eine nach NW. überkippte
Sattelfalte, deren Bau durch Faltenverwerfungen, ver-
bunden mit bedeutenden Ueberschiebungen, sowie durch
zahlreiche Querzerreissungen gestört ist. Die Lagerungs-
verhiütnisse sind daher ausserordentlich complicirte und
haben erst in jüngster Zeit durch den Nachweis, dass
sich Oberdevon an der Zusammensetzung des Zuges be-
theiligt, ihre völlige Klarlegung gefunden. X.
Prof. Dr. Brackebusch legte eine grosse Anzahl
sehr verschieden ausgebildeter Imatrasteine aus dem
Rhät Argentiniens vor und besprach das Vorkom-
men der Culmforniation von Retamito, dessen
Pflanzenreste unlängst von Professor Szanocha beschrieben
sind. Vortragender kannte die Localität bereits im Jahre
1886 und hatte sein damals gesammeltes Material an Pro-
fessor Dr. Kurtz in Gordoba zur Bearbeitung übergeben.
Hieran schlössen sich einige Bemerkungen über die
Wahrscheinlichkeit einer carbonen Eiszeit in
Argentinien, die vom Vortragenden schon seit Jahren
vernuithet wurde, ehe er von der neueren Litteratur über
dies Thema Kenntniss erhalten hatte. X.
Bemerkung zu (lern Aufsatze über die Natur der
chemischen Elemente. — In Nr. 29 der „Naturw.
Wochenschr." hat Herr Dr. Spiegel einen Aufsatz ver-
öffentlicht, in dem er unter Anderem Preyers gene-
tisches System als eine „mit einigen interessanten
arithmetischen Zuthaten versehene Paraphrase" des
Mendelejefflschen i)eriodischen bezeichnet. Diese Bemer-
kung hat mich befrenulet. Da die Leser der „Naturw.
Wochenschr." I'reyers System ja aus dessen eigener Dar-
stellung kennen, so möchte ich mir nur erlauben, ganz
kurz darauf aufmerksam zu macheu, dass dieses eine An-
zahl ganz neuer Gesetzmässigkeiten, darunter die
sehr wichtigen betreffs der specifischen Wärme, ent-
hüllt hat. Ferner ist der Begriff der Stufenzahlen
wohl ebenso neu wie die Bezeichnung und führt eben
zur genetischen Auffassung. Hierzu kommt noch, dass
gerade Mendelejeff selbst sich bekanntlich durchaus gegen
Nr. 41.
Natnrwissenscliaftliclie Wochenscbiift.
441
jede genetisclie Auslegung seines periodischen Systems
verwaiirt liat, während andererseits die sännntlichen Haupt-
reihen, wie etwa Chlor, Brom, Jod, sciion lange v o r
Mendelejeft' anerkannt, und von Newiands nach dem
Atomgewichte geordnet waren. Meines Wissens hat über-
dies Preyer zuerst auf die höchst wiclitige nu^rkwürdige
Stellung" der organischen Elemente aufmerksam ge-
macht, die aus seiner Auffassung durchaus verständlich
wird, und der Chemie völlig neue Beziehungen zur Bio-
logie, dieser aber selbst bedeutsame Aufgaben eröftnet,
an die man vorher wohl kaum gedacht hatte, üeber-
haupt ergeben sich, neben dem rein Theoretischen, aus
l'reyers System Pläne für weitere Untersuchungen auf den
verschiedensten Gebieten, die wohl nicht ausbleiben werden;
und es wird sich mindestens zeigen müssen, was diese
Untersuchungen leisten. Vielleicht ergicbt sich dann, dass
auch die „Zusammenstellung des Materials" in der That
sehr schätzenswerth gewesen ist. — Dr. Jaensch.
Ueber Selhstentzfiiidimg:, insbesondere von Schilfs-
ladungen, Banmwolle und anderen Faserstott'en, Stein-
kohlen nnd Heuhaufen vcröttcntlicht Dr. L. lläpke
(A))handlungcu herausgegeben vom naturwissenschaftlichen
Vereine zu Bremen. XII. Bd., 3. Heft, S. 439 ff.) einen
Aufsatz, dem wir .die folgenden, allgemeines Interesse be-
ans])ruchenden Einzelheiten entnehmen. — Die Frage der
Selbstentzündung ist für den gesammten Handel und Ver-
kehr, für die Industrie, Landwirthschaft und selbst den
Haushalt von der grössten Wichtigkeit. Lange war man
über die Vorgänge dabei im Unklaren, bestritt einerseits
die Möglichkeit der Selbstentzündung überhaupt oder doch
für Stoffe, von denen sie heute allgemein als erwiesen
gilt, während mau sie andererseits wieder von solchen
Gegenständen, z. B. Baumwolle, annahm, bei denen sie
nie hat constatirt werden können oder geradezu für aus-
geschlossen gilt. Die ersten wissenschaftlichen Unter-
suchungen über diese Frage wurden in England unter-
nommen, in dessen gewaltigem überseeischen Verkehr die
meisten hierauf zurückzuführenden Schiffsunfälle sich er-
eigneten. Während dort verschiedentlich specielle Com-
missionen sich mit der Untersuchung der einschlägigen
Verhältnisse zu befassen hatten, ist man in anderen Län-
dern und auch in Deutschland der Frage noch nicht so
energisch näher getreten; denn obwohl in letzterem zu
wiederholten Malen Untersuchungen angestellt worden sind,
so hatten dieselben sich doch meist nur mit speciellcn
Fällen zu l)eschäftigcn und die Frage wurde bisiier nicht
von einem allgemeinen Standpunkte behandelt. Es darf
denn auch hierauf wohl zurückgeführt werden, dass die
deutsche einschlägige Litteratur keine bedeutende ist und
dass die grossen deutscheu Werke, wie Liebig's Annalen
der Chemie und Pharmazie, Poggcndoff's Annalen, Jahres-
bericht der ehemischen Technologie von Wagner und
Fischer etc. etc., diese Frage nicht in dem ihrer Wichtig-
keit entsprechenden Maasse behandeln. Am einschneidend-
sten ist die Frage der Selbstentzündung für die Schiff-
fahrt. Welche furchtbaren Unglücksfälle durch Selbst-
entzündung der Ladung schon auf dem Meere sich ereignet
haben, wieviel Menschenleben dadurch schon auf grausame
Weise vernichtet worden sind und wieviel werthvolles
Gut verloren gegangen ist, davon kann man sich einen
Begriff machen, wenn man nur die mit mehr oder minder
Sicherheit darauf zurückführbaren Schift'snnfälle eines Jahres
sich vergegenwärtigt. Der Verfasser hat die Frage seit
langer Zeit eingehend studirt, er hat alles ihm zugäng-
liche statistische Material gesannnclt und ist in seinen
Bemühungen in anerkennenswerthcr Weise von den Be-
hörden unterstützt worden; er darf nach allem als eine
Autorität auf diesem Gebiete gelten und ist auch ver-
schiedentlich als Saciiverständiger bei Brandkatastrophen
hinzugezogen worden. Aus seinen einleitenden l'.cmer-
kun.nen sei hier noch seine Erklärung des Vorganges der
Selltstentzündun.g wicdergegclicn: „Die Sclitstentzündun.:;'
entsteht durch chemische und i)hysikalischc Verändcnmgcn
kohlenstofthaltigcr Körper hauptsächlich unter Einwirkun.g
des atmosphärischen Sauerstoffs, wobei soviel Wärme ent-
steht, dass die Körper zerstört werden und in Brand gc-
rathen. Damit die frci.gewordene Wärme sich ansammelt
und nicht durch die umgebende Luft und andere Mittel
weggeführt wird, muss der zur Selbstentzündung geneigte
Stoft" ein schlechter W^ärmeleiter sein. Moleculare Uni-
lagerungen durch Störung des Gleichgewichtszustandes
kleinster Massentheilchen, mechanisch feine Zerstttekelung
und Vertheilung, Feuchtigkeit und äussere AVärme sind im
Verein mit rasch oxydirenden Stoffen die wichtigsten Ur-
sachen der Selbstentzündung. Bei gesteigerter Temperatur
findet naturgemäss auch eine gesteigerte Oxydation statt,
welcher Process tortsehreitet, bis der Entzündnn.nspunkt
erreicht ist und eine Feuererscheinun.g auftritt." Dass
auch hierlici mikroskopisch kleine Organismen, Spaltpilze,
eine Rolle spielen, darauf hat zuerst Professor Ferdinand
Colin in Breslau hingewiesen. Verf. giebt alsdann einen
kurzen geschichtlichen Ueberblick über die Erkenntniss
der Körper, welche zur Selbstentzündung neigen, führt
eine Reihe von Elementen und ihren Verbindungen (festen,
flüssigen und gasförmigen) an, welche hierher gehören,
sowie Beispiele von darauf zurückführbaren Bränden und
den dabei stattfindenden Vorgängen und konmit dann kurz
auf seine, Dr. Kiesling's und Dr. H. Ranke's Versuche zu
sprechen behufs Ermittelung der Entzündungstemperatur
verschiedener Stoffe. Nachdem er endlieh noch darauf
hingewiesen hat, wie schwierig es ist, die Versuche der
Wirklichkeit entsprechend zu- gestalten, da neben der Ver-
schiedenheit der Stoffe auch die jedesmalige Witterung
(Barometerstand, Temperatur und Feuchtigkeit der Luft,
Stand der Somie, Stärke des Windes etc.) nicht ohne Ein-
fluss ist, geht er auf die Besprechung der für Handel,
Verkehr, Industrie, Landwirthschaft und Haushalt wichtig-
sten Stoffe ein und behandelt zunächst die
Steinkohlen,
dieses jetzt und für die nächste Zukunft wichtigste Brenn-
material, welches an allen Stapel- und Lagerplätzen in
gewaltigen Mengen angehäuft ist und bei welchem die
meisten Selbstentzündungen vorkommen. Von den mine-
ralischen Beimengungen kommen hier die Verbindungen
des Eisens und Schwefels, der Schwefelkies oder Pyrit
und der Wasserkies oder Markasit, in Betracht, von denen
letzterer der gefährlichere ist, da er sich am leichtesten
zersetzt. Beide zersetzen sich an der Luft, indem der
Schwefel sich mit dem Sauerstoff derselben unter Erhitzen
verbindet und schwefelsaures Eisen entsteht. Beschleunigt
wird dieser Vorgang noch durch Zutritt von Feuchtigkeit,
wobei dann auch die Wärmeentwickclung eine intensivere
ist und schliesslich Selbstentzündung eintritt. Diese Kiese
sind in sehr wechselnden Mengen in den Kohlen vor-
handen; während manche nur Spuren davon enthalten,
glänzen andere durch reichliche Mengen derselben wie
Messing. Von den englischen Kohlen sind die der Zechen
von Cardift' und Wales, besonders aber der West Hardley
Maine an der Ostküste sehr arm daran nnd eignen sicii
deshalb auch besonders für den Schiffstransport, während
diejenigen der Garn -Grube in Wales davon sehr ange-
reichert sind und bei Seeleuten und Rhedern in bösem
Rufe stehen. Der verschiedene Gehalt der Kohle an diesen
gefährlichen Beimengungen je nach ihrer Herkunft nia.i;'
schon zu absichtlichen Täuschungen Veranlassung gegcl)en
448
Naturwisseuschaftliche Wochenschrift.
Nr. 41,
haben und Verf. ist der Meinung, dass beim Schififstransport
von Steinkohlen die betreffenden Behörden scharf auf
das Vorhandensein von Seliwefelkies und Wasserkies achten
und Kfdilen von solchen Gruben, welche ervviesenerniaassen
kiesreiche liefern, von der Verschiffung ausschliessen
müssteu. Liebig's im Jahre 1866 auf Veranlassung der
Vegesacker Seescbiffcr-Gescllschaft abgegebenes Gutachten
bezeichnet den Gehalt der Kohlen an Schwefelkiesen,
worauf Wasser und Luft leicht einwirken können, als Ur-
sache der Selbstentzündung. Kohlen dürften nicht nass
oder bei Regen verladen werden und seien
in grossen
Stücken weniger gefährlich denn als Kohlenklein. Um
den Einfluss der Luft und des Wassers abzuhalten, thue
mau gut, die Kohlen beim Verladen in das Schiff schicht-
weise mit Steinkohlentheer zu besprengen.
Eine andere grosse Gefahr für Kohleuladungen auf
Schiffen bildet der Kohlenwasserstoff oder das Gruliengas,
CH*, welches aus den Spalten und Rissen der Stückkohlen
besonders beim Einladen in den Schiffsraum und durch
heftige Bewegungen auf dem Transport entweicht und mit
S — 10 Theilen atmosphärischer Luft ein leicht exi)lodiren-
des Gemenge bildet, das sich an einem Funken oder Licht
sofort entzündet und furchtbare Explosionen hervorruft.
Diese Art der Entzündung hat mit Selbstentzündung nichts
zu tliun, bildet aber eine mindestens ebenso grosse Gefahr
für den Seemann, zumal das Grubengas nicht durch den
Geruch wahrnehmbar ist. Die Untersuchungen, welche
hinsichtlich der ersteren angestellt worden sind, haben
auch stets die letzteren berücksichtigen müssen, daher sind
beide nicht von einander zu trennen.
Alle liisher angestellten Ermittelungen uud darauf
bezüglichen Schriften, sowie die Untersuchungen des Verf.
(Bericht der im Jahre 1876 eingesetzten englischen
Commissiou; Steinkohlenladungen in Kauffahrtei-
schiffen etc., bearbeitet im Auftrage des Reichs-
amts des Innern, Berlin 188U; ferner das Buch des
Navigationslehrers W. Döring, Feuer im Schiff etc.,
Hamburg 1888) haben zu folgenden Ergebnissen betreffs
der Entstehung von Schifisbränden durch Selbstentzündung
der Kohlen uud Gasexplosionen, wie der Mittel und Wege
zur Verhütung derselben geführt: Der Zutritt von Luft,
besonders feuchter, bewirkt die < »xydation des Schwefel-
kieses, namentlich in bröcklicher Kohle; es tindet dabei
Wärmeentwickelung statt, welche sich bis zur Selbstentzün-
dung steigern kann. Begünstigt wird dies durch das Zer-
brechen der Kohlen beim Einladen und durch das Zer-
kleinern derselben durch Reiben in Folge schweren Ar-
beitens des Schiffes bei stürmischem Wetter. Diesen
Ursachen dürften auch die häufigen Fälle von Selbst-
entzündungen von Kohleuladungen auf Schiffen unter den
Tropen (der hohe Feuchtigkeitsgehalt der Luft) uud in
der Gegend von Cap Hörn zuzuschreiben sein. Mit der
Grösse der Ladung und der Länge der Reise wächst
auch die Gefahr. Rheder und Sehiftseigenthümer sollen
beim Empfang des Ladungsauftrages auf den Sehwefelkies-
gehalt der Kohlen achten. Eine allgemeine Ventilation
des Schiffsraumes ist nicht zu empfehlen, dagegen eine
kräftige Obertläehenventilation, bei welcher durch eine
Oett'nung ein starker Luftstrom über die Kohle geleitet
und durch eine zweite Üeffuung wieder ins Freie geführt
wird. Die Lagerung der Kohlen ist möglichst so zu be-
wirken, dass sie beim Stampfen uud Rollen des Schiffes
möglichst festliegen (Einbauen von Längs- und Quer-
schotten). Sehr wichtig sind Temperaturmessungen in
verschiedenen Theilen der Ladung, weil dadurch der See-
mann auf die Gefahr aufmerksam wird und vielleicht noch
rechtzeitig einen Nothhafen anlaufen kann. Der Seemann
soll ferner genaue Barometerbeobachtungen anstellen, da
sich die Explosionsgefahr bei abnehmendem Luftdruck,
namentlich beim plötzlichen Fallen des Barometers, stei-
gert. Ferner soll das Kohlenlager eines Schiffes nur mit
einer zuverlässigen Sicherheitslauipe betreten werden. Zum
Löschen von brennenden Schiffsladungen hält die eng-
lisciie Kommission Kohlensäure nicht für empfehlenswerth,
da dieselbe keinen kühlenden Eintiuss ausübt, sondern
allein Wasser und Dampf. Die Breussisehe Technische
Conunission für Seeschifffaln-t rieth von dem Erlasse sicher-
heitspiiiizciliclier Vorschriften ab und empfahl dafür Be-
lehrung und Wanumg der betreffenden Bernfskreise mittelst
kurzer gemeinverständliclier Anleitung — ihrer Anregung
entsprang die oben genannte Seinift (unentgeltliche Ver-
theilung derselben durch die Seemannsäinter an Schiffer,
Matrosen und Heizer; Unterricht auf den Navigations-
schulen — Prüfungen).
Verf. führt alsdann zur Illustrirung der Wichtigkeit
seiner Ausführungen 17 Kohlensehiffe an, welche von Mitte
181)0 bis zur selben Zeit 1892 verloren gegangen sind.
Davon sind 7 total verbrannt, 2 liefen mit brennender
Ladung Nothhafen an und 8 sind verschollen. Von diesen
hatten 12 die amerikanische Westküste, .3 andere Trojien-
gegendeu zum Ziel, und nur je eins verbrannte an der
norwegischen resp. fran/.ösisclien Küste. Die Liste ist
dabei keineswegs vollständig, sondern enthält nur die dem
Autor sicher bekannt gewordenen Fälle. Der Verlust aller
Nationen für Dampfer beläuft sich im Durchschnitt (ziem-
lich constant während der letzten Jahre) jährlich auf
180,000 Tonnen Netto und betrug für Segcischiffe 1891
480,000. 1892 sogar 634,000 Tonnen. Rechnet man nach
dem Vei-f. nur für Segelschiffe 4 "/;, als auf Selbstentzün-
dung und (iasexplosion, so ergiebt dies allein im letzten
Jahre über 20,000 Tonnen.
H. erwähnt alsdann noch das Preisausschreiben der
Deutschen Spediteur- und RhedereiZeitung (F. W. Rade-
niacher in Hamburg) „zur Erlangung eines chemischen
Mittels oder einer maschinellen Einrichtung, wodurch die
Selbstentzündung von Koldenladungen in Seeschiffen durch-
aus sieher uud ohne weiteres vermieden werden kann",
das Vermeiden des Kenterns der Schiffe und Löschen des
Brandes durch Kohlensäure, und bespricht alsdann die
Selbstentzündung von Stein- und Braunkohlenlagern. ( »b-
wohl auf dem Lande in Folge des Wegfallens der mecha-
nischen Wärmeentwickelung, wie solche durch die heftigen
Bewegungen des Schiffes bei unruhiger See hervorgerufen
wird, die Fälle von Selbstentzündung seltener sind, so
ereignen sich dieselben trotzdem nicht gar selten, wie aus
der grossen Menge der angeführten ersichtlich ist (z. B.
brannte am 8. September 189() das Kohlenlager von Rick-
mer's Reismühlen am Neustadtsdeich in Bremen, am 8. August
1891 dasjenige der Gasanstalt in Mainz etc. etc.). Wie
sehr die Feuchtigkeit hierbei mitwirkt, beweist der Brand
eines grossen Kohlenlagers in Iquique, das unter freiem
Himmel sich befand, während ein zweites, welches nur
überdacht war, keine abnorme Temperatur zeigte. Ueber-
liaupt vermehrt das Lagern der Kohlen unter freiem
Himmel nicht allein die Gefahr der Selbstentzündung,
sondern entwerthet dieselben auch, indem die Gasausbeute
(bis 7 %) geringer wird. Nachdem Verf. noch über die
IJildung von Bittersalz bei einem brennenden Kohlenlager
berichtet hat, erwähnt er endlich die Abhandlung von Vogler
(Hansa, Zeitschrift für Seewesen, 1889), in welcher die
Selbstentzündung der Steinkohle nicht ihrem Gehalt an
Schwefelkies, sondern ihrer porösen Beschaffenheit zuge-
schrieben wird.
In ebenso eingehender Weise behandelt H. als-
dann die
Baumwolle,
welche nach den Steinkohlen die meisten Schiffsbrände
verursacht hat. Aber nicht allein auf Schiffen kommen
Nr. 41.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
449
Brände dieses Stoffes vor, sondern auch in Laj^erschuppen,
Falirikeu und nicht am seltensten auf Eisenhahnwagen.
P^s iiandclt sich hier natürlicli um die so,i;-cnanntc rohe
Baumwolle, wie dieselhe in ungeheuren Quantitäten in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika (jäln-licli ca. 8 Mil-
lionen Ballen) producirt und in ausserordentlich fest-
gepackten Balkan in grossen Mengen nach Europa aus-
gefiiln-t wird (Bremen jährlicii ca. S(X),000, Liverpool
2-'/4 Millionen Ballen). Verf. führt ein umfangreiches Ma-
terial an Gutachten von Oomniissioncn und Gelehrten,
Erfahrungen mit Baumwolle beschäftigter Personen und
sehr viele statistische Daten über Brände etc. an, sowie
endlich seine eigenen Untersuchungen, und gieht eine
genaue Darstellung der Structur der Baumwollfaser. Sein
Gesaunntresume lautet dahin, „dass eine Scll)stcntzündung
feuchter Baumwolle absolut ausgeschlossen ist und jeder
Brand auf Funkentlug oder sonstige äussere Einwirkung
zurück/.ufidn-en ist". Die Gutachten von Prof. Kraut uml
Prof. Stahlschmidt haben die Unmöglicldvcit der Scllist-
entzünduug der Baumwolle dargethan; gleiches hat die
englische Commission 1887 erklärt und denselben Stand-
punkt nehmen Fachleute und Schiffsführer, wie Capitän
Corner und Willigerod, ein. Corner führt folgende Ur-
sachen für Baumwollbrände an: Funken von Locomotiven;
sorgloses Fortwerfen von zum Putzen der Maschinen be-
nutzten öligen Baumwollabfällen; Verstauung von Baum-
wollsamenmeld in der Nähe der Ballen; Rauchen auf den
Quais; lose Zündhölzer, welche sich in den Taschen der
an den Bauniwollschrauben arbeitenden Leute befinden
und oft zwischen die Ballen fallen; Wirthschaften auf den
Quais — und schlägt zur Verhütung folgende Maass-
nahmen vor: Gründliche Sicherung der Vcntilationsröhren;
Dichtung der Luken mit Werg, um sie vollständig luft-
dicht zu machen; vollständig dichter Ver.schluss der Ventile;
Anbringung von durchlöcherten Röhren, durch welche
jederzeit Dampf in den Raum getrieben werden kann.
Wer nicht mit der Structur der Baumwollfaser vertraut
ist, kann sich ihr Verhalten bei Bränden nicht erklären
und findet natürlich die l)C(juemstc Erklärung für die Ent-
stehung eines Brandes in der Selbstentzündung. Im Jahre
]Si'i>^ schlugen 7 Wochen nach einem Brande in Bre-
men plötzlich wieder helle Flannncn aus einem der ge-
retteten Ballen hervor, und in demselben Jahre gerieth
auf 2 Eisenbahnwagen in Wunstorf die Baumw(jllladung
in Brand, trotzdem manche Ballen mehrere Zoll tief von
Seewasser durchdiungen waren. Das Feuer wurde mit
vieler Mühe gelöscht, kam aber nach 6U .Stunden wieder
zum Ausbruch. Verf. führt noch zahlreiche ähnliche Bei-
spiele an, auf welche wir hier aber nur verweisen müssen.
Bei demselben Brande in Bremen (1868) gerieth ein Baum-
wollballen in die Weser und wurde erst 3—4 Wochen
später herausgefischt; als man jedoch die Reifen von dem-
selben entfernte, schlugen die hellen Flammen daraus
hervor. Die Erklärung dieser auffallenden Erscheinungen
liegt in der Structur der Baumwollfaser; dieselbe stellt
ein breites Band mit weiter Röhre dar, in welcher Luft
enthalten ist. Diese Luft, welche sich in verhältniss-
mässig grosser Jlenge auch in der kleinsten F'aser vor-
findet und trotz der starken Pressung an der ausser-
ordentlich grossen äusseren und inneren Oberfläche haftet,
gestattet dem angeflogenen Funken, der aussen sofort er-
löschen würde, ein Fortglimmen nach innen und ermög-
licht die Entstehung eines inneren Feuerherdes. Verfasser
fasst die Feuergefährlichkeit der Baumwolle in folgende
Sätze zusammen: Sie vermag sich leicht zu entzünden;
absorbirt die brenzlichcn Producte, so dass ein Schwelen
durch den Geruch nicht bemerkbar wird: diese Producte
sind sehr leicht entzündlich und nähren wieder den Funken;
die Baumwolle ist ein so schlechter Wärmeleiter, dass sie
das Feuer wochenlang im Innern zu bewahren vermag;
sie nimmt kein Wasser an und wird nur theilweise an der
äusseren ( )berlläche benetzt.
In einem Falle allerdings vermag sich Baumwolle von
selbst zu entzünden, wenn sie nändich mit Gel getränkt
ist. Fette Oele besitzen die Eigenschaft, aus der Luft
Sauerstoff zu absorbiren; diese Absorj)tion ist um so in-
tensiver, je grösser die Oberfläche ist, nnt welcher das
Oel mit der Luft in Berührung konnnt. Eine solch grosse
Oberfläche findet dasselbe nun in der Baumwolle; daher
die intensive Sauerstoft'aufnahmc und eine starke Wärme-
cntwickelung, welche unter Umständen bis zur Entzündung
sich steigern kann. Für Fabriken ist dies sehr wichtig;
mancher Brand hat schon hierin seine Ursache gehabt.
Besonders leicht zur Selbstentzündung neigen fettige Putz-
lappen von Baumwolle oder Twist.
Weiter bespricht Verfasser dann
Wolle, Seide, Werg und Jute
hinsichtlich ihrer Feuergefährlichkeit.
Die Wolle vermag sich ihrer Structur nach nicht
von selbst zu entzünden, wohl aber als Abfälle wiederum
in Verbindung mit fetten Oelen (Steinöl, Mcdinöl, Rüböl).
Am gefährlichsten ist eine Mischung von Baumwolle mit
Wolle. Die Fabriken wenden daher auch hier, gedrängt
schon durch die Versicherungsgesellschaften, grösste Vor-
sicht an.
Von der Seide hat der Chemiker Persoz festgestellt,
dass sie, mit fremden Stoßen beschwert (Rostbeize etc.),
leicht zur Selbstentzündung neigt. Beispiele dafür liefern
ein 1878 (October) auf dem Lloyddam})fer „Mosel" ent-
standener, nur mit Mühe gelöschter Brand, zwei andere
in Pariser Seidcnniagazinen, und endlich ein weiterer in
einem New- Yorker Packhause, welche sämmtlich von ge-
färbten Seidenballen ausgingen.
Dass Werg (zerschnittenes und zerzupftes, mit Theer
und Oel behaftetes altes Tauwerk, welches zum Kalfatern
der Schiffe benutzt wird) sich selbst entzünden kann, hält
Verf. in Folge eines Pjrandcs im Anitshause zu Wilhelms-
haven am 10. October 1891 für möglich und wahr-
scheinlich.
Ob Jute zur Selbstentzündung neigt, hält Verf. noch
für eine offene Frage. Ausgeschlossen ist da.ssellie, zumal
in Berührung mit Oel, bei ihrer Structur inclit. Ein auf
dem englischen Schifte „Montevideo" im Juni 1891 aus-
gebrochener Brand wird direct von vielen darauf zurück-
geführt. In Jutefabriken wacht man sehr scharf darüber,
dass die lagernden Juteballcn nicht mit Oel in Berührung
kommen.
Von besonderem Interesse sind H.'s Ausführungen
über die Selbstentzündbarkeit des
Heues.
Dass frisch gemähtes Gras und feuchtes Heu, wenn
sie in Haufen dicht zusammengepackt lagern, starke Wärme-
entwickelung hervorbringen, ist eine allen Landwirthen
bekannte Thatsache. Die Erhöhung der Temperatur in
den Haufen ist schon nach wenigen Stunden mit der Hand
fühlbar und kann sich unter Umständen bis zur Entzün-
dung steigern. Nachdem Ranke in München durch Ex-
periment die Möglichkeit der Selbstentzündung dargethan
hatte, hat Prof. Ferdinand Cohn in Breslau die hervor-
ragende Thätigkeit der Heubacillen dabei nachgewiesen
und Prof. Märkcr in Halle als die Ursache der bedeu-
tenden Temperatursteigerung drei Agentien bezeichnet:
In dem frischen, halbfeucht in die Scheunen gebrachten
oder zu Haufen im Freien zusammengeschichteten Heu
lebt die Zelle noch weiter und bewirkt durch ihren
Athmungsprocess eine bedeutende Wärmcentwickelung;
450
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 41.
dazu kommt alsbald eine lebhafte CTährthätigkeit der
mikroskopischen Organismen und endlich entwickelt sieh
durch dircete Oxydation eine ausserordentliche Wärme.
H. erörtert noch die Feuergefährlichkeit einer ganzen
Reihe anderer .Stoffe. Zwei Fälle sind bekannt geworden,
in denen die Entstehung des Brandes auf die Selbstent-
zündung von Torfstreu zurückgeführt wurde. In dem
einen Falle, wo zwei mit diesem Material beladene Eisen-
bahnwagen verbrannten, wird die JMöglichkeit der Selbst-
entzündung von fachmännischer Seite direet bestritten, in
dem anderen, auf einem Schiffe im Jahre 1889 einge-
tretenen, wurde der Brand dadurch hervorgerufen, dass
die die Torfstreu enthaltenden Säcke durch Leckage mit
Leinöl durchtränkt worden waren.
Von Selbstentzündung von Kohlenzündern, Fisch-
guano und Knochenmeld sind dem Verf. ])eglaubigte Fälle
berichtet worden. Durch das Fermentiren des Tabaks
entsteht ebenfalls eine beträchtliche Wärme, zumal wenn
derselbe in grossen Mengen angehäuft ist, wie es bei
Schift'sladungen der Fall ist; der Tabak „schwitzt" und
verkohlt unter Umständen. Dass Schiffsladungen von
Tabak in Brand geriethen, ist verbürgte Thatsachc — die
Segelschifte „Windflower", „Clementine" und „Bell". Ein
weiteres sehr gefährliches Material ist Zinkstaub, ein zur
Farbenfabrikation benutztes Pulver, welches in Folge seiner
sehr feinen Zcrtheilung bei Zutritt von Feuchtigkeit eine
intensive Oxydation eingeht, wobei eine bedeutende Wärme
entwickelt wird, die sich bis zur Entzündungstenii)eratur
steigern kann, wie denn auch aus der Praxis ein Fall
(der Dampfer „Lord Clyde") bekannt geworden ist. Von
anderen Stoffen sei hier noch der Badescbwämme ge-
dacht, von denen einmal eine grössere Quantität, welche
in einem Schuppen lagerte und mit Oel in Berührung ge-
kommen war, in Köln einen nicht unbedeutenden Brand
verursachte.
Verfasser führt noch andere Stoffe und Flüssigkeiten
an, von denen feststeht, dass sie durch grosse Wärme-
entwickelung Brände verursachen können, — wie Press-
kohleu, Putzlappen, Farbwaareu, Schwefel- und Saljjeter-
säure — ; indessen verbietet uns der Raum, näher darauf
einzugehen, und verweisen wir daher die Leser auf die
interessante und lehrreiche Abhandlung des Herrn Autors.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ei-uiuint: Dr. F. A. v. Zenker, onlciitlifher Pro-
fessor für Staatsarzneikunde und pathologische Analoiniy an der
Universität Erlangen, zum Kgl. Geheimen Rath. — Dr. E. A. K e h r e r ,
Doeent für (U'ganische Clicmie an der Techiiiscluui Hotdischule in
Stuttgart, zum Professor. — I^rofessor Dr. Reuschle zum zweiten
mathematischen Hauptlehrer an der Technischen Hoclischule in
Stuttgart. — Dr. P. Bruns, ordentlicher Professor und Director
der chirurgischen IClinik an der Universität Tübingen, zum General-
arzt. — Der ausserordentliche Professor für mathematische Physik
an der Universität Innsbruck Dr. A. Wassuiuth zum Ordinarius
an der Universität Graz. — Der Professor der Mathematik an der
Universität Innsbruck Dr. L. Gegenbauer zum Professor an
der Universität Wien. — Der Professor der Physiologie an dei*
Universität Prag Dr. E. Hering zum Hofrath. — An der Univer-
sität Wien der ordentliche Professor und Director des zweiton
<diemischen Laboratoriums Dr. A. Lieben zum Hofrath — und
der ausserordentliche Professor für Ophtahnologie Dr. O. Berg-
meister zum ordinirenden Arzte am Krankenhauso der Rudolfs-
Stiftung. — Am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich Pro-
fessor Dr. Alfred Werner zum ( h'dinarius für Chemie, — zu
Assistenten Dr. G. Stiner und Dr. A.Hirsch für Mathematik, —
Dr. E. Wälsch für darstellende Geometrie — und A. Grol) am
pHanzenphysiologischen Institut. — Geheimrath Professor Dr.
Mcndelejew zum Director des obersten Maass- und Gewichts-
hofes in St. Petersburg. — Der ausserordentliche Professor für
Mathematik an der Universität Warschau Dr. Sinin zum Ordi-
narius. — Admiralitätsrath Dr. Hagen zum Director der physi-
kalisch-technischen Reichsanstalt in Berlin. — Professor Dr. Käst
zum Director der Kgl. Klinik der Universität Breslau. — Dei'
Apotheker Paul Zenetti zum Assistenten am pharmazeutischen
Institut der Universität Strassburg.
Es haben sich habilitirt: An der Universität München der
Assistent am physiologischen Institut Dr. Max Cromer für Phy-
siologie — und Dr. R. May für innere Medicin.
Es ist gestorben: Der Director der meteorologisclieii C'entral-
station für Bayern Professor Dr. Karl Lang in München.
Eine üeberlandreise durch Asien hat Dr. Josef Troll soeben
beendet. Nachdem er in Kaschgar überwintert hatte, ist er glück-
lich durch .Sibirien und die Mongolei in Peking angekommen.
L 1 1 1 e r a t u r.
Dr. Eugen Rehfisch, Der Selbstmord. Fiselier's medicinische
Buchhandlung (II. Kornfeld). Berlin 1893. — Preis 1 Mk.
Der Selbstmord erwächst nacii Kehfisch auf demselben Boden
wie <lie Geisteskrankheit und in manchen Fällen das Verbrechen;
das wird g(^würdigt werden können durch den Vergleicli der
Statistiken, wie das der Verfasser thut. Verf. hat im Ganzen
gegen 300 000 Selbstmordfälle behandelt. Er findet, dass auf
4 männliche 1 weiblicher Selbstmörder kommt, nur in (irossstädten
ist das Verhältniss anders, in Berlin 2,8:1. Die Kinder liefern
1 Procent der Fälle, dann steigt die Zitier von der Pubertät bis
zum 30. Jahre rasch an. Vom 60. Lebensjahre ab sinkt sie wieder.
In der dienenden Classe ist der Selbstmord am häufigsten, auf
223 Personen I Selbstmord, während bei anderen auf 2 — l,') 000
Personen 1 Selbstmord zu constatiren ist. Beim Militär konnnen
im Ganzen 3 mal so viel Selbstmorde vor als im Civilstande. Die
Mehrzahl derselben fallen in den Sommer; im Mai, Juni, Juli
sogar 31,6 Procent, dieselben Monate, in denen die Geisteskrank-
lieiten am häufigsten ausbrechen.
Prof. Dr. Fr. Schultze, 0eber den Hypnotismus besonders in
praktischer Beziehung. Heft 105 iler deutschen Zeit- und
Streit-Fragen. Verlagsanstalt A. G. (vorm. J. F. Richter.) Ham-
burg 1892. — Preis 1. M.
Verf., der zuerst auf die hypnotischen Erscheinungen durch
die Ex])erimente Hansen's, die dieser 1879 und 1880 in Heidelberg
vorführte, aufmerksam wurde, erläutert die Eigenthümlichkeiten
des hypnotischen Schlafes und übt an den Experimenten der
Autoren Kritik. Die Heilwirkung des Hypnotismus und seine Be-
nutzung um Organe, an denen Operationen vorgenonnnen werden
sollen, schmerzlos zu macheu, hiUt Verf. für kaum erfolgreich,
jedoch ist die Benutzung des Hypnotismus bei Hysterie und Hypo-
chondrie beaclitenswerth. Bei den eigentlichen Geisteskrank-
heiten ist so gut wie gar kein Erfolg constatirt worden. So-
wie ein Schmerz, oder eine abnorme Empfindung oder eine
Seeionstörung ernsthafter und hartnäckiger Art ist, hört eben die
Heilwirkung des Hypnotismus auf. — Die Abliandhing lieimelt
den Naturforscher angenehm an: gehört sie doch zu denjenigen
über den Gegenstand, die denselben vorurtheilslos und ruhig be-
trachten.
Berichte der Ifaturforschenden Oesellschaft zu Freiburg i. B.
In Verbiuiluug mit Dr. F. llildebrand, .1. Lürotli, .1. von Kries,
(t. Steinnumn, E. Warburg, A. Weissmann, R. Wiedersheim,
Professoren an der Universität, herausgegeben von Dr. August
Gruber, Professor der Zoologie an der Universität Freiburg.
MI. Band, I. Heft. Mit 7 Tafeln und 24 Abbildungen im Text.
Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr (Paul
Siebeck). Freiburg i. B. und Leipzig 1893. — Pnus 9 iMk.
Rafael Herrmann: Das Kulmgebiet von Lenzkirch
im Schwarzwald. Dieses Kulmvorkommen ist das dritte einer
in W.-O. -Richtung streichenden Reihe, deren erstes sich von Baden-
weiler bis Schweighof erstreckt, wo es von Granit unterbrochen
wird, an dessen östlichem Rande der Kulm zum zweiten Male
auftritt und in beträchtlicher Ausdehnung sich über Schoenau bis
Menzenschwand fortsetzt, wo eine bedeutende Granitmasse ihn ab-
schneidet. Oestlich dieser liegt das Kulmgebiet \on Lenzkirch.
Dasselbe, im Allgemeinen ein Hochplateau, wird begrenzt von
den Flüssen Seebach (N.), Gutacli (O.), Geschindbacli (S<1.), Aha
(SW. und W.), durchflössen von der Haslach und zeigt eine „aus-
gesprochene Rundhöckerlandschaft", sowie deutliche Spuren einer
Moränenbedeckung. Nach Samlberger kommen folgende Pflanzen-
reste in dem Kulm von Lenzkirch vor: Archaeocalamites radiatus
Brongn. sp., Adiantites tenuifolius Goepp. sp., Lepidodendron
Velthcimianum Sterubg. sp. und Cordaites aft'. teuuistriatus Goepp.
sp. Umschlossen wird das Geliiet beinahe ringsum von granitischen
Gesteinen, während in Decken und Gängen zahlreich Porphyre
auftreten. Die Sedimentärgesteine lassen sich gut in zwei Coin-
plexe scheiden: 1. ältere schwarze Schiefer, bis jetzt ohne orga-
nische Einschlüsse (Thouschiefor und untergeoi'dnete Kieselschiefei'-
Nr. 41.
Natnrwisseiiscliat'tliche Wochenschrift.
451
ErHl»fffeHingen) iiiul f'iinkiii-nige Grauwiickun ; "2. jiinpu'e, weiche,
■ |)Haii/.ciit'(ilireiiile Scliic!t'ur, Con^loinci'iit(^ uml (!riui\vackcii. Diese
niitpr 2. :uit'Kefiilii-tcii jiiiifistoii Al)lapirnnf;'eii zeig<!ii koine. Coiitaet-
irintainorpiiose, »iiid in ilirer Lagcriiiif;- ungestört niiil enthalten
Geixillc älterer Gesteine (Granit, älterer Scliieter und Gliinnier-
porpliyrit). Die Flora entspricht der cles Kuhn in den Vogesen
•iind anderer Gebiete, die groben (.'onglonierate scheinen in den
vrtgesen zu t'elilen. Verfasser ist der Meinung, dass der Vogeson-
kidni vielleicht dem der unteren und mittleren Stufe bei Lenzkireli
entspricht. Mit dem Harz und Thüringen zeigt sich eine Ueber-
einatijff'innng dahin, dass sich dort sowohl wie bei Lenzkirch eine
ältbre.Schiefer- und eine jüngere Conglomeratbildung nnterseheiden
lässt. In allen diesen Gebieten und in den Vogesen nuiss das
Einpordringi'n der benachbarten Granitmassive in der Kuhnzeit
stattgefunden haben. Hierzu die Ueber.sichtskarte auf Tafel 1. —
A. VVeissinann: Historisches zur Lehre von der Con-
tiuuität des Keimplasmas. — L. Zehnder: Lieber die
Kefle.xion und die Kesoniianz der Hertz'schen elek-
trischen Schwingungen. Der Verfasser tritt etwaigen Miss-
(leufungen seiner Ariieit „Die Natur der Funken bei den Hertz-
sehen elektrischen Schwingungen", nauientlieli seitens des genannten
Gelehrten entgegen. — A. Gruber: Mikroskopische Vivi-
sectiou. Die vorliegende Abhamllung ist die Wiedergabe eines
poliuMren Vortrages über Stentor, speeicjl Stentor coeruleus.
Der lidialt gehört dem Gebiete der K.xpcrinieutalpliysiologie
an. Ein umfangreiches Litteraturverzeiehniss über die Gattung
Stentor und ülier vivisectorische Experimente an Protozoen ist
angeschlossen. — W. Seh midie: Beiträge zur Algonflora des
Schwarz Waldes und der Rh ein ebene. Verfasser hat ver-
schiedene Strecken dieser Gegenden untersucht und giebt in der
Arbeit ein Verzeichniss nebst theilweiser Artbeschreibung der von
ihm coiistatirten Formen, sowie natürlich Aufschlüsse über ihre Ver-
breitung etc. Er unterscheidet für Baden (die Gegeml um Bodensee,
Baar und Udenwald ist ausgenommen) o Florengebiete der Algen:
L das Gebiet des Schwarzwaldes, 2. der kalliroichen (iewässer
der Kheinebene, 3. der kalkarmen. Dieselben sind durch Fehlen
resp. Vorherrschen mancher Arten und Familien gut zu unter-
scheiden. Berücksichtigt sind fast ausschliesslich Desmidiaceen
und Palmellaceen; Diatomeen, Characeen und ilie blaugrünen
Algen siiul nicht in den Kreis der LTntersuchung gezogen. Es
werden aufgeführt aus der Ciasse der Rhodophyceae 4 Arten, aus
der der Chiorophyeeae 313; unter letzteren gehören 51 Speeios
der Fannlie der Palmellaceae und 191 der der Desniidiaceae an.
Hierzu .5 Tafeln. — Valentin Hacker: Ueber die Bedeu-
, tung des Hau ptnucle olus. Verf. bringt hier eine von ihm
! gemachte Beobachtung zur Kenntniss, welclie einen Beweis für
' seine in einer früheren, umfangreichen Arbeit (Das Keimbläschen,
seine Elemente und Lageveränderungen, I. Theil. Arcli. f. mikr.
Anat., 41. Bd, 1893) ausgesprochene Ansicht bildet, wonach der
Hauptnucleolus ein Organulum ist, „welches die bei der Umbildung
und dem Wachsthum der chromatischen Substanz entstehenden
Spaltproducto in sich aufnimmt, umsetzt und speichert". Er beob-
achtete an lebenden Eizellen von Echinus microtuberculatus ein
periodisches Wachsen und Abnehmen (bis zu gänzlichem Schwunde)
der grossen centralen Vakuole des Hauptnucleolus. Die Periode
dauerte bei den verschiedenen Objecten 4 — 8 Stunden. Verfasser
schliesst aus diesen Untersuchungen, dass der Hauptnucleolus mit
seinem Vakuolensystem ein pulsireuder Apparat ist, „welcher aus
dem umgebenden Kernsaft gewisse Stotl'e in sicli aufnimmt und
in seinem Innern umsetzt". — Fr. Pfaff: Untersuchungen
über die geologischen Verhältnisse zwischen Kandern
und Lörrach im badischeu Oberlande. Die Arbeit behan-
delt das Gebiet zwischen dem Sciuvarzwald im N. und dem Wiese-
Huss im S., resp. zwischen Kandern (N.) und Lörrach (S.), und
hat zum Hauptzweck, die Lagerungsverhältnisse südlich Kandern
längs der verlängertet! Haupt-Schwarzwald-Verwerfung aufzuklären
und zu ermitteln, in welcher Weise sich die Abbruchäerschei-
nuugen bei allmählicher Entfernung vom Schwarzwaldrande
ändern. Die Ergebnisse der Untersuchungen des Verfassers lassen
sich kurz dahin zusammenfassen, dass die nach der Carbon- Zeit
entstan<lene Haupt - Schwarzwalddislocation, welche sich in fast
genauer N.-S. -Richtung von Kandern über Lörrach l)is an den Dinkel-
berg bei Basel verfolgen lässt, und zwei weitere Dislocations-
linien, deren eine bei Kandern, deren andere ni der Gegend von
Egerten, südlich von Kandern, jede unter 60° etwa, auf die erste
stossen, in dem Gebiete ganz bedeutende Schichtenstörungen her-
vorgerufen haben. Die verlängerte Haupt-Schwarzwalddislocation
hat das Gebiet im W., die <^>uerdislocation dasselbe im SW. ge-
senkt. An der Zusammensetzung des Gebietes sind betheilijrt:
Granit, versteinerungsleeres Rothliegendcs (unteres, mittleres und
oberes), Trias (Buntsandstein, Muschelkalk inid Keuper), .Iura
(Lias, Dogger, Mahn), Tertiär (Oligocän, Miocän uikI Plincän) uml
Diluvium. Hierzu 1 Tafcd nut Kartenskizze und Profilen. —
Kenkitzi Horiuchi: lii'obaclitinigen über den Genitalapparat
eines zweijährigen Weibchens von Chilnpan^■e. Anatomische
Studien.
Berntbsen, Prof. Dr. A., Kurzes Lehrbuch der organischen
Chemie. 4. Autl. Braunschweig. 10,80 M.
Blasius, Wm., Stiirme und moderne Meleorologi<\ Braunschweig.
L'.ilO M.
Pischer-Sig^art, H., Dii; em-opäische Sumpfschildkröte. Fr.ink-
furt a.,M. I,--'(l M.
Franck, weil. Dir. Prof. Dr. Ludw., llanilimch der Airahunie
der Ha.usthiere mit beiomlerer Berücksichtigung des Pferdes.
3. Aufl. Stuttgart. 32 M.
Hagemann, Prof. Dr. Geo., Elemente der Philoso|due. f). Aufl.
Freiburg i./l!. 2,50 M.
Holzapfel, Prof. Dr. E., Das Rheinthal von Bingerbrück bis
Lahnstein. B.'rliu. 12 M.
Koenen. A. v., Das Norddeutsche Unter - Uligocän und seine
M.)llu.sken Fauna. Berlin. 21) M.
Krause, Prof. W., Die anatomisclu^ Niunmiclatur. Leipzig. 1 M.
Ludert, Hugo, Ueber lH'xauieta)ihosphorsaure Salze. H.amburg.
IM.
MöUmann, Apoth. Gust., Zusammenstidlung der Säugethiere,
Viigel, Reptilien, Anipliiliieu und Fiselii'. Quakenbrück. 1 M.
Obersteiner, Prof. Dr. Heinr., Die Lehre vom Hvpnotisuuis.
Wien. 1,80 M.
Briefkasten.
Herrn Reallehrer Dörfer in .Schwetzingen. — Ein Werk,
welches sich zum lii'stinniuui \'on Naturkiirpcrn eignet, ist Leunis,
Synopsis der 3 Naturreiche. Leunis hat gerade als einen wesent-
lichen Zweck dieses grossen Werki'S (jeder Theil ist einzeln käuf-
lich), das Bestinnnen der ( )bjecte angeselien, während in ilen nach
seinem Tode erfolgten Neu-Auflagen diese Tendenz etwas mehr zu-
rücktritt. Wir würden Ihnen daher empfehlen, den Versuch zu
machen, die letzte noch von Leunis selbst besorgte Aufl. (die gewiss
anti(|uarisch zu haben ist) zu beschaffen. Freilich finden Sie trotz
des Umfanges des Werkes sidbstredeud nur die wichtigeren und
häufigeren Dinge angeführt und beschrieben, aber es ist dennoch in
sehr vielen Fällen von grossem Werth als Nachschlagebuch. Red.
Hr. V. in K. — Die besten Bücher über die deutschen Käfer
sind Redtenbacher, Fauna Austriaca. Die Käfer. III. Aufl.
und Seidlitz, Fauna Baltica. Die Käfer. 11. Aufl. — Einem
Anfänger ist das erstere zu empfehlen. Für e.xacte Bestimmung
der Käfer taugt uKslir das Letztere; doch muss ein Anfänger sich
erst in das genaue Studium der Körpertheile vertiefen,*) bevor
er das Werk benutzen kann. — Loupcn in allen Numnu-rn können
Sie u. a. gut beziehen bei J. Klönne u. Müller, Berlin N. W.,
Lniseustrasse No. 49. (Fabrik für Mikroskope). Kolbe.
Hr. H. Nagel in Davos. — Ucdier Herstellung von
Präparaten Ijotanischer Objecto fiu<len Sie Genügendes in
dem guten Buch von W. Behrens, Leitfaden der botanischen
Mikroskopie. Mit 150 Abbildungen. Harald ßruhn in Braun-
schweig. 1890. - Preis 4 M. I'.
Ueber Anfertigung entoinolo gischer D auerpräparatc
findet man das Wissenswerthe in folgenden Werken:
1. Dr. Willy Kückenthal, Die mikroskopische Technik.
Mit 3 Holzschnitten. Jena, G.Fischer. 1885. Preis 75 Pf.
2. Dr. H. Dewitz, Anleitung zur Anfertigung und Auf-
bewahrung zootomischer Prä]>arate. Mit 12 Tafeln. —
Berlin, Ma,yer & Müller. IS8H.
3. Prof. M. Braun, Das zootomische Practicum. Mit 122
Figuren. Stuttgart. Ferd. Knke. 188G. Preis 7 M.
4. O. Bachmann, Leitfaden zur Anfertigung mikrosko-
jiischer Dauerju-äparate. Mit 87 Abbildungen. München.
R. Oldenbourg. 1879. Kolbe.
*) Hierzu empfehlen wir Ihnen Kolbe's Einführung in die
Insectenkunde. Red.
Inhalt: Prof. Alfred Giard: Lamarck's Theorie und die Vererbung körperlicher Abänderungin. — Raujienfrass am Kineholz
des Riesengebirges. — Der Insectenflug. — XL. Versammlung der Deutschen Geologischen Gesellschaft in (loslar vom 14.
bis 16. August. — Bemerkung zu dem Aufsatze über die Natur der ehemischen Elenuuite. — Ueber Selbsti'ntzündung,
insbesondere von Schiffsladungen, Baumwolle und aiuleren Faserstoffen, Steinkohlen und Heuhaufen. — Aus dem wissenschaft-
lichen Leben. — Lllleratur: Dr. Eugen Rehfisch: Der Selbstmord. — Prof. L^r. Fr. Schnitze: Ueber den ll\pnotismus
besonders in praktischer Beziehung. — Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Froiburg i. B. — Liste. — Briefkasten
452
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Schnlnuis. — Frankfurt a./O. nnd der
Scdiwäb. Schulausstellnnp; Augsburg
Die von Seiten des
Ministerium der geistliclieD, Unter-
riclits- u. Medicinal -AngelegenlieiteD
für die AussteUuug in Chicago (Höheres Schul-
weseu) bestimmten Präparate aus dem Gebiete
der Zoologie und vergleichenden Anatomie
wurden unsererseits geliefert.
Grosse Lagerbestäiide
in Lehrmitteln
aus di'iii ( li'saiiiiiitL;''bict di'i'
Zoologie, Paläontologie, Geologie
]\Iineralog'ie u. Botanik
S]>eciell (ift'eriren wir fürLelirz« eckr
systi-iiiiiUschc und biologische
Insecten - Sammlungen
mit Kinsclihiss der Entwickehingsreihen.
Land- und forstwirtschaftlich
schädliche n. nützliche Insecten.
An i'ntwiekelunirsg-eschielitliehen. in
S])rit oonservirten Präparaten (siehe
nebenstehende Metamorphosenreihe
von Cetonia aurata) können wir be-
sonders empfehlen:
Die Entwickclungsreihen von Apis
mellifica,Bombiis ter. estris.Vespa crabro,
Vespa vulgaris, Liiiibex variatiilis, Dytis-
cns mar^inalis, Ilydrophiltis pic'eus,
Mclolontha vnigaris, llylotiius aliietis,
Spoiidylis biiprestoidis, Khagiuni l>it'as(-ia.
tiiin, Myrmecoleon formicariiis Libelliila
qiiadriniaculata, Gryllus campcstris.
Ferner machen wir aufmerksam auf unsere
verkäuflichen
Sammel-, Fang- u, Präparir-Utensilien.
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Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck; G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den
15. October 1893.
Nr. 42
Abonnement: Man aboonirt bei allen Bnchhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeld bei der Post 15 ^S extra.
-j|- laserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 ^. Grössere Aufträf;e ent-
<i^ sprecheutleu Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft, Inseratenannabme
JL bei allen Annoncenbureaiix, wie bei der Expeditton.
Abdruck ist nur mit vollst
sln(li;:;or 4{ii€^ncnan<>;abo o;o»tatt4»t.
Ueber die Ursachen des natürlichen Todes.
Von R. L u 0 k s.
Werden durch irgend welche Umstände an einem
Organismus wielitige Organe verletzt oder sonstwie in
iliren FnnctioTien Terhindert, so tritt ein Stillstand der
Lebeusverrichtungcn ein, und die mit dem Leben der
organischen Wesen unauflöslich verbundenen eigenthüm-
liehen Erscheinungen des Stotfwechsels, der Bewegung etc.
verschwinden vollständig, der Organismus ist todt. Der
Eintritt des Todes kann ein ganz allmählicher, aber auch
ein sehr plötzlicher sein, je nach den Umständen, welche
ihn verursacht haben. Nun hat man beobachtet, dass am
Thierkörper, wenn der Tod bereits als detinitiv einge-
treten zu constatiren ist, noch mancherlei Erscheinungen
sich bemerk! )ar machen, welche an die Tbätigkeit des
lebenden Individuums erinnern, so dass man nicht mit
Bestimmtheit sagen kann, in welchem Moment der Tod
eintrat. .Solche postmortale Erscheinungen, wie z.B. Muskel-
zuckungeu, sind nicht nur bei niederen Thieren, als Cö-
lenteraten, Würmern etc., sondern auch in höheren Thier-
classen walirzunehmen, wie man sich leicht überzeugen
kann. Es geht daraus hervor, dass der Tod nicht gleich
den ganzen Organismus erfasst, sondern dass die einzelnen
Organe oft erst längere Zeit nach dem erfolgten defini-
tiven Tode abzusterben beginnen. Der Tod ist also nicht
ein Moment des Aufhörens sämmtlicher Lebenserschei-
nungen, sondern ein allmäliliches Verschwinden derselben.
Dabei hat man noch zu beachten, dass, im Gegensatze
zu dem durch Altersschwäche erfolgenden Tode, bei ge-
waltsamer Unterl)rechung des Lebens das entfliehende
Leben sicli oft noch erhalten lässt, wenn rechtzeitig Hilfe
eintritt. Wenn hier nun vom Tode gesprochen wird, dann
ist nicht nur der Zustand gemeint, wo alle Organe auf-
gehört haben zu fuuctioniren, sondern überhaupt derjenige,
von welchem aus eine Weiterfuhrung des Lebens nicht
mehr möglich ist.
Die gewaltsame Unterbrechung des Lebens, welche
uns täglich in so reichlichem Maasse entgegentritt, nennt
man den unnatürlichen oder gewaltsamen Tod, indem die
davon betrotfenen Wesen beim Ausbleiben der verderb-
liclien Einwirkungen wenigstens vor der Hand ilir Leben
weiter gefristet hätten. Es fragt sieh aber, ob die Dauer
ihres Lebens eine unbegrenzte sein würde, wenn sie von
allem verschont blieben, was einen unnatürlichen Tod im
Gefolge hat. Die Erfahrung beantwortet diese Frage mit
nein, indem nämlich auch alle diejenigen Organismen,
welche angenscheinlich allen auf gewaltsame Vernichtung
hingerichteten Einflüssen entzogen sind, früher oder sjiäter
dem Tode anlieimfallen. Der Eintritt dieses Zeitpunktes
kann wohl, wie gezeigt wurde, früher herbeigeführt wer-
den — beim gewaltsamen Tode — nicht aber beliebig
weit hinausgeschoben werden, sondern er findet bekannt-
lich stets innerhalb gewisser für die besondern Arten
charakteristischen Grenzen statt, so dass er dem unbe-
fangenen Beobachter als eine mit den organischen Wesen
unauflöslich verbundene Eigenschaft erscheint, also in
ihrer Natur begründet ist, weshalb man ihn auch als den
natürlichen Tod bezeichnet.
Es drängt sich uns nunmehr die Frage auf, warum
ein ()rganismus stirbt, der augenscheinlich von allen ver-
derblichen Einwirkungen verschont geblieben ist. Für die
Beantwortung dieser Frage bieten sich uns zwei Möglicli-
keiten dar, entweder ist das Unverletztsein nur ein schein-
bares, so dass die dem natürlichen Tode anheimfallenden
Organismen ebenfalls in Folge von Organverletzungen etc.
dem Tode verfallen, wobei es dann wunderbar bleibt,
dass der Eintritt desselben ein so präciser ist, oder aber
der Tod ist eine im Wesen der organischen Substanz be-
gründete Eigenthümlichkeit derselben. (Gölte.) Die zweite
Möglichkeit hat die geringste Wahrscheinlichkeit für sich,
indem es nicht denkbar ist, wie organische Substanz ent-
stehen konnte mit der immanenten Nothwendigkeit, nach
relativ kurzer Zeit zu Grunde zu gehen. Ausserdem be-
weisen die Protozoen gerade das Ciciientheil, indem sie
454
Naturwissenschaftliche Wocbenschrift.
Nr. 42
iu gewissem Sinne unsterblich sind. Ich schliesse mich
hier der Weissmann'schen Theorie von der „Continuität
des Keimplasmas" an, welche eine gewisse Unsterblich-
keit der organischen Grundsubstanz für unabweisbar hält.
Demnach bleibt zur Motivirung des natürliclicn Todes nur
noch die erste ]\Iöglichkeit, dass sänuntliehe Organismen
an den Folgen von erworbenen Verletzungen sterben.
Der hier nach bestimmter Zeit eintretende natürliche Tod
ist aber nicht eine Anpassungserscheinung (Weissmann)
in der Weise, dass die Einführung desselben in den Kreis
der Metazoen sich auf Zweckmässigkeit gründet, insofern
nändich, als diejenigen Individuen, welche der Art gegen-
über ihre Schuldigkeit getlian haben, überflüssig geworden,
indem sie den Xaehkonmien den Platz wegnehmen, ja
sogar schädlich sind dadurch, dass sie, im Kampfe ums
Dasein nach verschiedenen Seiten zu krüppelhaften Wesen
umgewandelt, nur noch schwächliche Nachkonmicn er-
zeugen werden, wodurch die Art in ihrer Existenz ge-
fährdet wird, sondern eine gewaltsame Unter-
brechung des Lebens, nur mit dem Unterschiede,
dass diesellje nicht erst bei dem betreffenden
Individuum sich herausgebildet hat, sondern
dass sie eine von den Vorfahren erworbene, auf
die Nachkommen vererbte und von diesen ver-
stärkte ist.
Die mit dem Alter eintretenden Involutionserschei-
nungen an einem Individuum sind daher nur eine AVieder-
holung der von seinen Vorfahren im Laufe sehr vieler
Generationen erworbenen und weiter vererbten Orgau-
zerstörungen und der Tod die dadurch bedingte Kata-
strophe. Die von den Wesen erworbenen Örgauverletzungen
müssen nämlich dauernde S|iarcn zurücklassen, da nur
wenige Organismen die Fähigkeit besitzen, verletzte oder
verlorene Organe vollkommen zu ersetzen. Etwas anders
liegt die Sache bei den Protozoen, welche, soweit man
eben sehen kann, die Reproductionsfähigkeit in hohem
Maasse besitzen, so dass eine erworbene Verletzung für das
betroffene Individuum nur eine zeitweilige ist und bis zur
nächsten Fortjjflanznngsperiode spurlos verschwunden sein
kann, und bei denen die ganze Organisation überhaupt
eine so niedrige ist, dass Organzerstörungen im eigent-
lichen Sinne des Wortes bei ihnen gar nicht vorkommen
können. Wenn auch scheinbar gewisse Stellen des
Körpers diesen, andere jenen Verrichtungen dienen
müssen, so ist doch jeder Verlust au ihrem Körper
in Folge der geringen morphologischen Dirterenzirung
wohl kaum mehr als Substanzverlust. Substanz aber
lässt sich vollkommen ersetzen, wie ja auch die That-
sachen lehren.
Die Unmöglichkeit bei den Metazoen, ganze Organe
oder doch hochdifferenzirte Theile derselben ersetzen zu
können, ist die erste Ursache des naturlichen Todes; denn
wenn die Elemente des Thierkörpers, die somatischen
Zellen selbst die Fähigkeit besitzen, sich bis ins Unend-
liche 7Ai vermehren, so wird doch die Wichtigkeit dieser
Fähigkeit hier illusorisch, da bei den höheren Thieren
die somatischen Zellen sich in einem bedeutenden Ab-
hängigkeitsverhältnisse befinden, wodurch eben die vor-
handene Arbeitstiieilung mögHch wurde. Die nächste
Folge davon ist nun die, dass Zerstörungen, welche au
einem Zellcomplex auftreten, die mit ihnen in Beziehung
stehenden übrigen Zellen in Mitleidenschaft ziehen müssen.
Durch einen Heilungsprocess können verloren gegangene
Zellen infolge ihrer eigenen Vermehrungsfähigkeit ersetzt
werden, das ist zweifellos, aber es ist fraglich, ob bei
der Heilung nicht Verschiebungen zu Ungunsten des be-
troffenen Organes stattfinden können und werden. Ist
jedoch ein Organ vollständig zerstört, oder sind Theile
desselben verloren gegangen, dann kann ein Ersatz nicht |
mehr stattfinden, weil der Verlust bestiunnte Zellgruppen
betrotfen hat, welche sich von allein nicht wieder erzeugen
können, deren Vorhandensein aber zur Anlage und Aus-
bildung des beschädigten Organs nöthig waren. Jede
ungünstige Veränderung, so gering sie auch immer sein
mag, muss aber auf die Ernährung, überhaupt auf die
ganze weitere Entwickelung des betroffenen Individuums
zurückwirken, unisomehr, je häufiger solche Widerwärtig-
keiten sich einstellen. Ich sage: „so gering die Y&r-
änderung auch sein mag", weil ich überzeugt bin, wie
ich auch in einem früheren Aufsatze über Vererbung er-
worbener ( »rganabänderungen nachzuweisen versucht habe,
dass es geraile die ganz geringen Veränderungen der (Or-
gane sind, welche, nachdem sie bereits auf das betrolfeue
Thier selbst nachtheilig gewirkt haben, auch auf die
Nachkommen desselben ihre abschwächenden Einflüsse
geltend machen, während bedeutende Umwandlungen dazu
weniger im Stande sind, weil sie die ganze weitere Ent-
wickelung in bedeutendem Maasse henmien, so dass sie
in vielen Fällen den Tod nach sieh ziehen und ebenso
oft das Individuum zur Fortpflanzung untauglich machen.
Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass sie nicht auch
bisweilen als bedeutende Faktoren in Rechnung zu ziehen
sind. Die Vererbung fehlerhafter Anlagen muss sich mit
mindestens annähernd derselben Kraft äussern, mit der
sich Orgauverbesserungen vererl)en, um so mehr, als auch
Seleetion auf beide gleichmässig ihre A\'irkung ausübt.
Die Verschlechterung wichtiger Organe wird aber in Ver-
bindung mit innner mehr hinzukommenden selbst erwor-
benen Fehlern früher oder später zu einer hochgradigen
Absciiwäcbung der Organe führen, dass das betrefl'ende
Wesen nicht weiter leben kann, weil sein Organismus
nicht mehr in ausreichender Weise funetionirt und der
Tod durch Erschöpfung eintritt. Man wird sich sehr wohl
au diesen Gedanken gewöhnen können, wenn mau stets
im Auge behält, dass die Verschärfung der fehlerhaften
Anlagen, welche wir kurz Todesursachen nennen können,
eine ganz geringe ist, so dass ihr definitiver Abschluss
erst im Laufe vieler Generationen erfolgen konnte. Dem-
nach müssen die ersten Metazoen ein sehr hohes Alter
erreicht haben, vorausgesetzt, dass sie keinen gewalt-
samen Tod starben. Nachdem der natürliche Tod aber
erst einmal gegeben war als unausbleibliche Folge der
relativ geringen Widerstandsfähigkeit des Thierk(>rpers
gegen nachtheilige Einwirkungen, musste er auch allge-
mein werden. Die Unregelmässigkeit, mit der er sieh an-
fangs einstellte, glich sich im Laufe der Zeit in Folge be-
ständiger Kreuzung immer mehr aus, bis er schliesslich,
für jede Art normirt, nur noch zwischen ganz geringen
Grenzen schwankend eintritt. Dass es wirklich für jede
Art eine durchschnittliche Lebensdauer giebt, ist zu bekannt,
um an dieser noch besonders erörtert zu werden. Ganz
bedeutimgslos für die obigen Ausführungen ist die That-
sache, dass die äusserste Lebensgrenze von einzelnen In-
dividuen um ein bedeutendes überschritten wird. Erb-
lichkeit, Langlebigkeit, bessere Constitution oder gar eine
Art von Rückschlag mögen die Ursachen davon sein.
Dass in der Zeit, nach welcher der Tod bei männlichen
und weiblichen Individuen einer Art eintritt, oft bedeu-
tende Unterschiede sich bemerkbar machen, sind Verhält-
nisse, die noch zu wenig aufgeklärt sind, um hier näher
beleuchtet zu werden.
Aus dem bisher Entwickelten ergiebt sieh mit unab-
weisbarer Gonsequenz ein Sehluss von der grö.ssten Trag-
weite. Es ist nämlich Thatsache, dass erworbene Ver-
letzungen etc. auf die entsprechenden Organe der Nach-
kommen schwächend einwirken, dass diese Schwächen
im Laufe vieler Generationen sich immer mehr erhöhen,
und schliesslich Ursachen zum natürlichen Tode werden,
Nr. 42.
Niiturwisscnselial'tliclie WoclicnscliiiCt.
455
so dass letzterer eine erworbene und vererbbare Eigen-
schaft ist, dann niiiss der Eintritt desselben immer früher
stattfinden, so dass die durchsclinittliche Lebensdauer der
Individuen einer Art eine innner kürzere wird. P^s dürfte
Wühl mit ciidger Mühe nachzuweisen sein, dass die durch-
schnittliche Dauer des Lebens tbatsäehlich im Abnehmen
begriften ist. Wenn die Abnahme auch noch so gering-
ist, so dürfte doch ihr Voriiandcnsein l)edeutungsvoll genug
sein. So schwerwiegend der gezogene Schluss ist, so
wahr ist er. l!ei manchen Insecteuarten ist die durch-
schnittliche Lebensdauer bereits soweit herabgesnnken,
dass ihre Mitglieder sich nicht mehr im reiten Zustande
fortpflanzen können, sondern bereits vor vollendeter Ent-
wickelung ihre Eier etc. ablegen, wie z. B. bei Palingenia.
Es ist hier nicht anzunehmen, dass die betretlcndc Art
seit ihrer Entstehung ein solch kurzes Leben besessen hat,
sondern es liegt hier ein Fall vor, aus welchem wir mit
liestinnntheit entnehmen können, dass es ganz eigenartige
Verhältnisse gewesen sein müssen, welche diese kurze
Lebensfähigkeit nothwendig erforderten. Zwar hält man
diese Verhältnisse für einen besondern Fall von Anpassung,
doch kann ich mich dieser Ansicht nicht auschliessen, da
keine zwingenden Gründe dazu vorhanden sind. Es ist
durchaus nicht erwiesen, dass die bewusstcn Insecteuarten
mehr der Verfolgung preisgegeben sind als andere, so
dass es hier nur auf möglichst schnelle Vermehrung ab-
gesehen sein sollte. Es lässt sich dann auch nicht ver-
stehen, warum das Thicr sofort nach dem Eierlegen ab-
stirltt. Hier wäre doch Langlebigkeit in ^'erl)indung■ mit
starker Fortptlairzungsfähigkeit das einzige Mittel, um der
Vernichtung der Art zu steuern. Ich halte dafür, dass
bei den paragenetisch sich fortpflanzenden Thieren die
aus sich stetig vermehrenden vererbten Todesursachen sich
ergebende Verkürzung der durchschnittlichen Lebensdauer
bereits auf einem sehr niedrigen Standpunkte angelangt
ist. Weitere Verkürzung muss das Aussterben der Art zur
Folge haben.
Es tritt nun an uns die Frage heran, wie es unter
solchen Umständen möglich war, dass gewisse Arten von
Thieren noch im Stande waren, sich auf einen solchen
relativ hohen Standpunkt der Entwickelung zu schwingen.
wie er heute vor uns liegt.
Die Antwort auf diese Frage
ist bereits angedeutet worden. Es werden wohl die-
jenigen Veränderungen der Organe vererltt, ^velche eine
Schwächung der letzteren nach sich ziehen, aber auch
und zwar in hohem Maasse auch solche Veränderungen,
welche auf Organverbesscrnugen hinzielen. Diese beiden
Vererbungsthätigkeitcn sind die Ursachen des Lebens und
des Todes. Beide sind in stetem Kampfe begriffen, dessen
augenblickliches Resultat zwar auf ein auf Zweckmässig-
keit gerichtetes Anpassungsin-inzip schliessen lässt, aber
man darf nicht vergessen, dass manches, was uns zweck-
mässig scheint, noch nicht innner zweckmässig ist, und
dass Anpassung nur auf Ausnutzung gegebener Verhältnisse
beruht, also Folge nicht Ursache ist.
Die Art aber in ihrer Entstehung, Entwickelung und
Rücktdldung giebt uns ein vollstäncligis Bild von dem
Werden und Vergehen des einzelnen Individuums und
umgekehrt. Wie jene im Laufe der Jahrtausende sich
zur vorhandenen Vollkonnneidieit em[torgeschwnngen hat,
so muss das Individuum alle die Phasen der Entwickelung
wenn auch in ungemein kurzer Zeit durchmachen, und
wie dieses im Kami)fe mit den Mühsalcn und Zufällig-
keiten des Lebens sich allmählich Ijis zu seiner Ver-
nichtung aufreibt, so kann auch jene den \er(lerblicheu
Einflüssen auf die Dauer nicht entrinnen, sondern geht
einem langsamen aber sicheren Untergänge entgegen.
Und nur wenigen Wesen, welche auf der Höhe der Ver-
vollkonminung stehen, ist es vergönnt, ihre untergegangeueu
Brüder auf kurze Zeit zn überdauern.
„Oligodynamische" Erscheinungen in lebenden Zellen.
Nach oiucT nacligeliLSseneu Arbeit von Carl von N;ii;eli.*)
Was man gewöhnlich als ganz reines Wasser be-
zeichnet, — sagt N. — nämlich nicht bloss das destillirte,
sondern auch das Brunnenwasser, ist für das Plasma
(Protoplasma) der gesunden Zellen unter gewissen Be-
dingungen todbringend, während das sogenannte unreine
Wasser, nämlich Fluss-, See- und Sumpfwasser diese
Wirkung nie hat. Die Untersuchungen wurden mit Süss-
wasseralgen angestellt, also mit Zellen, die an das Wasser
gewöhnt sind.
Die Veranlassung zu den Untersuchungen war folgende.
Im Winter 1880/81 waren von den Herren Dr. 0. Low
und Dr. Bokorny Studien über die Lebensursache des
Protoplasmas veröffentlicht worden mit der Behauptung,
die Lösungen von Silbernitrat werden durch lebendes,
nicht aber durch todtes Protoplasma rcducirt. Ich wollte
nur durch eigene Beobachtung ein Urtheil über die
Reactionserscheinungen bilden und kann die Angabe der
Verfasser, dass unter den verschiedenen Pflanzenzellen
die Süsswasseralgen und unter diesen die Spirogyren die
geeignetsten Objeete seien, bestätigen. Das Verhalten
des Zellinhaltes zu der Silberlösung Hess sich hier bald
in überzeugender Weise erkennen, insofern als die in der
Zellflüssigkeit gelösten Albuminate (Hygroplasma) sieh
*) Die in Rede stehende höchst bemerkenswerthe Arbeit ist in
den „Neuen Denkschriften der allfi;. schweizer. Gesellsch. für die
gesamiiiten Naturw." (Bd. XXXIII. Ahth. I, 189o) erschienen und
von S. Schwendoner herausgegeben und kurz bevorwortct worden.
körnig ausschieden und schwärzten, die ungelösten aber
(Stereoplasma, Protoplasma) ungeschwärzt blieben. Das
Interesse wendete sich aber sofort einer anderen Frage zu.
Um die Wirkung des Reagens besser studiren zu
können, wurde die von Low angewandte alkalisehe
Lösung von salpetersaurcm Silberoxyd (1 NAgO;. 1 NH.j
und .3,6 K.,0 in 100 000 Wasser), welche fast augenblick-
liches Absterben der Zellen verursachte, noch weiter ver-
dünnt und daneben auch die Wirkung des Silbersalzes,
ebenso des Ammoniaks und des Actzkalis allein geprüft.
Sowie nun mit steigender Verdünnung das Absterben
langsamer eintrat, zeigte sich die merkwürdige Erscheinung,
dass nicht die Veränderungen, die man früher beobachtet
hatte, langsamer und deutlicher, sondern dass ganz aiulers-
artige Veränderungen sichtbar wurden.
Wenn die Spirogyren durch die angegebene oder
wenig verdünntere Lösung des Silbersalzes getödtet werden,
so ninmit das bewalfnete Auge die nändiehen morpho-
logischen lirscheinungen wahr, wie wenn der Tod durch
eine andere giftige Verbindung oder durch Hitze ver-
ursacht wird oder wenn bei Zimmerkultur aus noch un-
bekannten Ursachen die Zellen absterben und in Fäulniss
übergehen. Der ganze Inhalt mit dem Plasmaschlanch
zieht sich wenig von der Membran zurück; die Bänder,
ohne ihre gegenseitige Anordnung zu verlassen, ändern
Farbe und (icstalt (Querschnitt); die Zellflüssigkeit trübt
sich körnig; tler ursprünglich centrale Kern rückt an die
456
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 42.
Wandung-; die Zelle verliert ihren Turgor. N. nennt dies
die Erscheinungen des gewöhnlichen Absterbens. Die des
ungewöhnlichen Absterbens, die bei sehr starker Ver-
dünnung des Giftes eintreten, bestehen vorzüglich darin,
dass die Chlorophyllbiinder von dem l'Iasniascldauch, der
vorerst noch genau in seiner ursprünglichen, wandständigen
Lage verbleibt, sicii ablösen, verkürzen und zusammen-
ballen, wobei die Zelle ihren Turg-or vorerst noch
behält.
Es war nun sehr auffallend, dass, während die ge-
wöhnliehen Veränderungen mit zunehmender Verdünnung
des Silbersalzes abnaiimen, die ungewöhnlichen im Gegen-
theil sieh steigerten. N. glaubte daraus schliessen zu
können, dass die ei'steren die Wirkung des Giftes, also
einer chemischen Ursache, die letzteren die Wirkung einer
andern, nicht chemischen Kraft seien. Und da jede der
bekannten Kräfte ausgeschlossen schien, so drängte sich
N. die Vernuitlmng auf, er könnte auf die >Spur der neuen
Naturkraft gekommen sein, deren Vorhandensein aus
theoretischen (Tründen ihm sein- wahrscheinlich war und
auf dereu Nachweisung er seit Jahren gelegcutlich seine
Aufmerksamkeit richtete.
Die Lösung des Silbcrsalzcs wurde stetig weiter ver-
dünnt. Die ungewöhnlichen, vorhin näher bezeichneten
Ersclieinungen traten nun in voller Reinheit hervor; aber
was ganz unerwartet und paradox war, die Wirkung
Illieb bei fortschreitender Abnahme des Giftes selbst bis
zum Verschwinden desselben ungeschwächt. In der
quadrillionfachen Verdünnung starben die Algen oft schon
in 0-— 4 Minuten. Bei dieser Verdünnung treffen auf 1 1
Wasser bloss noch 2 bis 3 Moleküle Sill)crnitrat,
27 Moleküle Ammoniak und 18 ^folcküle Kali, so
dass mit vollkonnnener Sicherheit in der Mehrzahl
der Versuchsgläser, welche je 100 ccm Flüssigkeit
enthielten, keine Spur des giftigen Silbersalzes enthalten
sein konnte. Die Vermuthung, dass das destillirte Wasser,
das zu den Verdünnungen verwendet wurde, die unge-
wöhnlichen Erscheinungen bewirkt halie, kam mir an und
für sich sehr unwahrscheinlich vor; denn dasselbe konnte,
wie wohl anzunehmen war, nur durch den Mangel an
Nährstoffen, also langsam wirken. Die stärkste Ver-
dünnung tödtct aber die am kräftigsten vegetirendeu Spi-
rogyren bei einer Temperatur, die dem lebhaftesten
Waehsthum entsprach, wie bereits bemerkt, oft in weniger
als 4 Minuten. Gegen die Annahme, dass das destillirte
Wasser die Ursache des Todes sei, sprachen auch die
hin und wieder mit solchem Wasser angestellten Versuche;
denn grössere Mengen der nämli'hen Pflanzen blieben
darin stets unverändert. Indess erwies sicli die daraus
gezogene Folgerung, dass reines Wasser unschädlich sei,
später bei der nälieren Kemitniss der ursächlichen Momente
als irrthümlich. Auch war es schon vorher selir auf-
fallend, dass die am stärksten verdünnte und eigentlich
giftfreie Flüssigkeit, wenn sie gekocht wurde, ihre nach-
theiligen P^igcnscliaftcn ganz oder grösstentheils verlor.
In diesem ersten Stadium der Untersuchung sah N.
keinen andern Ausweg als die Vermuthung, es könnte die
ungewülniliciie Veränderung durch eine von dem Silber-
salz auf das Wasser übergegangene und nunmehr von der
Substanz unabhängig wirkende Kraft verursacht werden.
Mit der quadrillionfachen Verdünnung schien die Grenze
der Nachwirkung erreicht zu sein.
N. nennt nun die specifisclien Wirkungen des Giftes
die chemischen, diejenigen der noch unlickannteu Ursache
die olygodynamisclien.
In der septillionfachen Verdünnung einer Quecksilber-
chloridlösung, die in 1 1 Wasser blos noch den trillionsten
Theil eines Moleküls HgCl, enthielt, starben die Zellen
mit denselben oligodynamischen Erscheinungen und in der
angestellt
Dazu waren aber stets verhältnissmässig
von Algen verwendet
gleichen Zeit wie in der trillionfachcn Verdünnung, bei
welcher auf 1 1 mehr als eine Million Moleküle traf.
Es war nun bewiesen, dass die Vernuitlmng, die
oligodynamischen Erscheinungen könnten von einer von
dem Gift auf das AVasser übergegangenen Kraft iier-
rühren, unrichtig sei; denn sonst hätte die übertragene
Kraft nach Maassgabe der Verdünnung abnehmen und ver-
schwinden müssen, während im Gegentheil bei einigen
Versuchsreihen die schädliche Wirkung ungeschwächt blieb
oder selbst noch zunahm. Die Ursache der Oligodynamik
musstc demnach im Wasser oder im Glase gesucht werden.
Culturen in reinem destillirteui Wasser, die zur Controlle
wurden, gaben meist ein günstiges Resultat.
rössere Mengen
worden. Nun nahm N. die Ver-
suche mit reinem Wasser wieder auf, jedoch mit viel
grösseren Mengen Flüssigkeit als früher, d. h. mit nur
wenig Spirogyra-Fäden ;iuf 10 ccm Wasser. Das Er-
gebniss entsprach der Erwartung. Die Spirogyreu starben
im destillirtcn Wasser fast inuner in kurzer Zeit, zuweilen
in weniger als 4 Minuten. Und IJrunnenwasser verhielt
sich häufig genau so wie destillirtes Wasser.
Aus der nun unzweifelhaft festgestellten Thatsache,
dass reines Wasser, wie es im chemischen Laboratorium
durch Destillation erhalten wird, und frisches, im gewöhn-
lichen Leben elienfalls als rein bezeichnetes Wasser, wie
es aus dem Hahn einer Brunnenleitung ausfliesst, auf
lebende Zellen tödtlieli wirken können, ergab sich die
Frage, woher diese verderblichen Eigenschaften stannuen.
Die nächsten Versuche hatten den Zweck, Aufklärung
hierüber zu ^■ers<•haf["en. Dieselben ergaben ganz un-
erwartete Resultate und schienen zu beweisen, dass die
Todesursache weder in einer chemischen Einwirkung,
noch in der Temperatur, noch in einer andern bekannten
Kraft zu finden sei.
Die oligodynamischen Erscheinungen können nicht
— wie Experimente zeigen — von einem im Wasser
absorbirten Gase herrühren. Dass sie durch eine feste,
gelöste Verbindung verursacht würden, war noch weniger
wahrscheinlich wegen der Ergebnisse, welche die Versuche
mit vielen unlöslichen und schwerlöslichen Körpern lieferten.
Einerseits wurde die oligodynamische Wirkung in destil-
lirteui Wasser vennelirt oder in neutralem Wasser lier-
vorgerufen durch Körper, \on denen man annehmen
durfte, dass sie nicht oder nur in minimalen Mengen
löslicli seien; andererseits wurde die (tligodynamische
Wirkung durch ganz unlösliche Körper und ferner durch
micellarhisliche (colloide) Substanzen, die für sich selbst
wirkungslos waren, geschwächt oder gänzlich aufgehoben.
Ferner l)lieben in Gläsern, welche einige Zeit gefüllt mit
oligodynamisch wirksamem Wasser gestanden hatten, sehr
deutliche und merkwürdig lokalisirte
zurück.
Zu den sebwerlösliehen Körpern, welche oligody-
namische Wirkung hervorbringen, gehören vor Allem die
eigentlichen Jletalle : Kupfer, Silber, Blei, Zinn, Eisen,
Quecksilber. Besonders zahlreiche Versuche wurden mit
gut gereinigten jMünzen angestellt, weil dicsellien eine
leichte quantitative Abstufung und Bestimmung der wirk-
samen Oberflächen erlaubten und zwar durchweg in
folgender Art.
Nachdem sieh gezeigt hatte, dass die Metalle dem
Wasser oligodynamische Eigenschaften erthcilen, wurde
das destillirte oder das Brunnenwasser, wenn dassell)e
nicht den hinreichenden Grad von Schädlichkeit besass,
vor der Verwendung mit Metallen behandelt. Meistens
diente hierzu das Kupfer. Durch einige Kupfermünzen,
die mehr oder weniger lang in mehrere Liter Wasser ge-
legt wurden, konnte ein beliebiger Grad von Oligodynamik
Nachwirkungen
Nr. 42.
Naturwissenschaftliche Woclicnschrift.
457
licrgestellt werden. — Solches Wasser Hess sich dann auf
verschiedene Weise wieder unschädlich machen. Seine
oli,i;-()dynaniischen Eigenschaften \vurden vermindert und
anfgeli(il)eii, indem unlösliche Körper einige Zeit in das-
selbe gelegt wurden. Von solchen Iviirpcrn sind zu nennen
einige wenige Elemente, wie Schwefel und Kohlenstoff,
auch Coaks, Steinkohlen, Torf, — ferner einige Super-
oxyde, wie Braunstein, — dann nentrale oder fast neutrale
organische Verbindungen, wie Stärkemehl, Cellulose (als
schwedisches Filtrirpapier, Baumwolle, Leinwand oder
Holz angewendet), Seide, Wolle, Stearinsäure, l'araftin etc.
Wie Baumwolle, Leinwand, Holz und Papier wirken auch
die Algenzellen selbst, so dass ihre relative .Menge bei
manchen Versuchen das Ergebniss sehr wesentlich beein-
flussen kann.
Es wurde eine Reihe von Gläsern mit je 100 ccm
destillirtem Wasser S(i behandelt, dass dieselben gruppen-
weise steigende Mengen von Algenfäden erhielten. Das
Ergebniss war, dass die Zellen um so früher sich ver-
änderten und abstarben, je weniger Fäden sich in dem
Glase befanden, und dass in den Nummern mit der grüssten
Menge von Spirogyren, die Zellen keine Veränderung
zeigten, sondern unversehrt fortvegetirten. — Eine andere
Vcrsuclisreihe bestand aus ungleicli grossen Gläsern; die
kleinsten derselben mit bloss 100 ccm, die griissten mit
1000 ccm schwach oligodamischem Wasser. Jedes Glas
Hiebst gleich
grosse Menge von AI{;'eu-
erhielt eine n)ö.i
fäden. In den grössten Gläsern starben die Zellen zuerst
ab; je \veniger Wasser die Gläser enthielten, um so länger
blieben die Zellen am Leben. Li den kleinsten mit 100 ccm
Wasser trat eine Veränderung der Zellen garnicht ein.
Die lebenden Zellen neutralisiren also gerade so wie
Lein- und BauniwoUenfaseru das oligodynamische Wasser.
Hiebei ist aber selbstverständlich, dass die steigende
Menge von Spirogyrenfädcn nur so weit günstig wirkt,
bis (las Wasser neutralisirt ist und dass sie von diesem
Punkte an schädlich wirkt.
Li gleicher AVeise wie feste Körper wirken micellar-
lösliche Verbindungen. Oligodynamisches Wasser, in
welchem man Gummi, Dextrin, Eiweiss, Leim auflöst,
wird je nach Umständen weniger schädlich oder neutral.
Die ehemisch verwandten molekularlöslichen Ver-
bindungen (Zucker) zeigten diese aufhebende Eigenschaft
entweder gar nicht oder in viel geringerem Gra(le.
Das Glas selber schien ungleich sich zu verhalten,
indem durch Glasplatten oder Glasperlen die oligody-
namische Wirkung des Wassers vermehrt oder vermindert
wurde. Ln allgemeinen schien es, als ob neutrales und
schwach oligodynamisches Wasser durch das Glas schäd-
licher, stark oligodynamisches dagegen weniger schädlich
werde. Dieses ungleiche Verhalten des Glases klärte sich
einigermaassen auf, als die Jletalle zur Erzeugung von
( tligodynauiik verwendet und dabei die Nachwirkung,
welche sie in den Glassgefässen zurücklassen, entdeckt
wurde. Im Verlaufe der Untersuchung kam es einige
Male vor, dass die ganz gleich angesetzten Gläser
einer Versuchsreihe nicht genau das gleiche Resultat
gaben, dass z. B. von den drei Kontrolgläsei'u, die bloss
Wasser enthielten, in dem einen die PHauzen früher oder
auch später oligodynamische Veränderungen zeigten als
in den beiden andern oder dass von den drei Gläsern,
die einen gleichen Zusatz zu dem Wasser erhalten hatten,
das eine Glas sich günstiger oder ungünstiger erwies als
die beiden andern. Diese Unregelmässigkeiten traten be-
sonders hervor, als Versuche mit Metallen angestellt
wurden. Für die Beantwortung der Frage nach der Ur-
sache der Störungen tauchte die Vermuthung auf, es
möchte die Nachwirkung eines früher in dem Glase be-
findlichen Kör])ers sich geltend machen. Und diese Ver-
nuithung wurde auch alsbald durch eigens hierfür angestellte
Versuche zur Gewissheit. Mau lege z. B. in ein Glas mit
etwas Wasser mehrere Goldstücke, lasse dieselben einige
Tage darin, nehme sie nun iieraus, giesse das Wasser
weg und spüle das (ilas gut aus, so hat das Glas oli-
godynamische Eigenschaften angenommen. Wenn man
mehrere Gläser in der angegebenen Weise behandelt,
andere Gläser dagegen bloss mit Wasser gefüllt hält; wenn
man nach dem Ausgiessen und Reinigen alle Gläser wieder
mit Wasser füllt und mit Spirogyren ansetzt, so weist
der Erfolg in den vorgängig mit den Goldmünzen be-
handelten Gläsern eine grössere Menge Olygodynamik
nach als in den übrigen, indem die Algeuzellen in jenen
friUier als in den letzteren sterben. Durch das Metall
werden an das Glas oligodymanische Eigenschaften ab-
gegeben, welche es nachher wieder dem Wasser ndttheilt.
Die Aufspeicherung in dem Glasgefäss kann selbst ziemlich
beträchtlich und auch ziemlich dauerhaft sein. Kupfer
(gereinigte oder neue Zweipfennigstücke eignen sich ganz
gut zu dem Versuche) macht das Glasgefäss stark oligo-
dynamisch. Nach der Reinigung sterben die Spirogyren
rasch darin ab; man kann das Gefäss dann noch
3 oder 4 mal nacheinander zur Kultur verwenden, bis
die Nacli Wirkung so geschwächt ist, dass sich das
Glas wie andere Gläser verhält, wobei selbstverständlich
bei jeder folgenden Kultur bis zum Absterben der Zellen
eine längere Zeit erfordert wird. Wenn der Versuch in
der angegebenen Weise ausgeführt wird, so koncentrirt
sich die Nachwirkung auf die Stelle, wo die Kupferstücke
das Glas berührten. Au dieser Stelle sterben die auf den
Grund sinkenden Spirogyrenfädcn zuerst ab, was man
schon mit blossem Auge wahrnimmt, indem dieselben dort
weiss werden, während sie sonst im Uebrigeu noch grün
sind. Man kann vernuige dieses Umstandes genau an-
geben, wo die Kupfermünzen in einem Glase gelegen
haben. Doch bedarf es zur Erzeugung der Nachwirkung
nicht der unmittelbaren Berüinung des Metalls. Wenn
man oligodynamisches Wasser in einem Glasgefäss stehen
lässt, oder wenn man in einem mit Wasser gefüllten Glas-
gefäss die Metallstücke frei aufhängt, so erhält das Glas
ebenfalls oligodynamische Eigenschaften, die es nachher
wieder auf neutrales Wasser übertragen kann, aber die-
selben sind glcichmässig über die ganze Oberfläche ver-
breitet. Gläser mit oligodynamischer Nachwirkung ver-
lieren dieselbe langsam, wenn man sie wiederholt mit
neutralem Wasser füllt und stehen lässt, und schneller,
wenn man sie in einer grossen Menge von neutralem
Wasser kocht. Es scheint nach dem Gesagten unmöglich,
dass die oligodynamischen Wirkungen von einer gelösten
Verbindung herrühren kiinnten. N. glaubt daher, die
Ursache müsse wohl in einem imponderablen Agens ge-
funden werden, entweder in der Elektricität oder eiuer
neuen analogen Kraft. (Fortsetzung folgt.)
Das Vorkonnueii des Fadeinvnniies (der Nematode)
Docliiiiiiis diiodeiialis Dub. (Aiicli.vlostoiiiuiii duodenale)
bei Ziegelarbeiterii bei Berlin hat Stabsarzt Dr. E.
Grawitz beobachtet (Berliner klin. Wochenschr.). — In
den neueren Lehrbüchern der Zoologie (z. B. in R. llertwig's
Lehrb., 2. Autl., Jena 1893, S. 248) ünden wir zur Orien-
tirung über den genaunlen, etwa 1 cm laugen (das ''/) oder
etwas kleineren (das o ) AVurm, dass derselbe im Dünn-
darm des Menschen lebt und durch Saugen starke Blut-
verluste und daran sich scbliesseude Bleichsucht (Chlorosis
aegyptiaca) erzeugt. Die Eier entwickeln sich in Schlamm
und feuchter Erde zu kleineu Larven, welche im Darm
458
Naturwisscnschaftliclie Woclienschrift.
Nr. 42.
des jreiischeii zu geschlechtsreifeu Thieren werden. Die
Kraiiklieit tritt besonders bei Leuten auf, die schlammiges
Trinkwasser nicht umgehen können (Fellahs von Aegypten)
oder die viel mit feuchter Erde zu thun haben (Ziegel-
arbciter). Schon lange war sie aus Aegypten und aus
dcH Tropen bekannt; sie trat bei den Arbeitern des Gott-
hard-Tunnels epidemisch auf und hat sich seitdem auch
in Deutschland verbreitet.
Der von Grawitz beo))achtete Fall bctriH't einen
17 Jahre alten Arbeiter Namens Fictro de Monte. Der-
selbe hatte in seiner früheren Jugend in Oberitalien bei
San Martino auf Weinljergen und Reisfeldern gearbeitet,
kam dann mit zahlreichen Landsleuten aus Italien nach
Graz, wo er mit denselben in einer Ziegelfabrik arbeitete,
später war er in der Gegend von München ebenfalls als
Ziegelarbeiter besciulftigt und siedelte von dort mit
mehreren seiner Landsleute nach einer Ziegelfabrik in der
Nähe von Berlin über. Der Patient gab an, bis auf eine
Halsentzündung zu Anfang dieses Jahres stets gesund
gewesen zu sein, auch jetzt war eine Halsentzündung die
Ursache seines Eintritts in die Cliarite. Es bestand eine
foliiculäre Angina, die in kurzer Frist l)eseitigt wurde.
Der Patient zeigte im Uebrigen keine Krankheitserschei-
nungen, besonders war seine Hautfarbe eine durchaus
gesunde und auch an den sichtbaren Schleimhäuten war
keine Blässe zu bemerken. Auch subjectiv hatte der
Kranke, ausser den Halsbeschwerden, keinerlei Klagen.
Trotzdem wurde eine genaue Untersuchung seines Stuhles
auf Würmer resp. deren Eier vorgenonnnen, und zwar
aus doppeltem Grunde: erstens weil der Kranke aus Italien
stannute, und zweitens, weil er Ziegelarbeiter war, —
beides Momente, welche an Anwesenheit von Anchylostomen
])ei dem Kranken denken Hessen. In der That fanden
sich denn auch im Stuhl Eier von Anchylostonuun duo
denale, ferner zahlreiche Eiei- von Trichoeei)halus disi)ar
und endlich späterhin ein Exemplar von Ascaris luml)ri-
coides.
Die Auchylostomeneier waren nicht gerade sehr zahl-
reich vorhanden, zu Anfang etwa in jedem mikroskopi-
schen Präparate ein Exemplar, später noch weniger, au
2 Tagen konnte G. in zablreiciien Präparaten kein ein-
ziges iinden, weiterhin waren dann wieder mehr vorhanden.
Sie zeigten säunutlich den Embryo in verschieden weit
vorgeschrittenen Stadien der Furchung. In der sommer-
lichen Zimmerwärme entwickelten sich in dem feuchten
Kothe die Emlnwonen in den Eiern zur Reife und zeigten
lebhafte Eigenbewegungen, im Uebrigen fanden sich im
Kothe nur die gewöhnlichen, aus den Speiseresten und
Verdauungssäftcu herrührenden Gebilde, dagegen keine
Charcot' sehen Kry stalle, die nach Leichtenstern so
häufig bei Anwesenheit besonders von Anchylostomen, aber
auch von anderen Entozoen im Darm gefunden werden.
Es wurde bei diesem Kranken nach dem Erheben dieses
Befundes eine ganz genaue Analyse seiner Blutzusammen-
setzung vorgenonnnen, bei welcher folgende Verhältnisse
gefunden wurden:
Zahl der rothen Blutkörperchen 4,3 Millionen,
„ „ weissen „ 5000 im ecui,
Gesannnttroekensubstanz . . 21,8 pCt.,
Trockensubstanz des Serums . 11,8 ,,
Morphologisch waren au den Blutkörperchen keine
Abweichungen und es bestätigten diese Befunde somit
lediglich das schon durch die Besichtigung des Kranken
vermuthete normale Verhalten seines Blutes.
Das Vorkonnnen von Anchylostomen im menschlichen
Darme und ihre verderbliche Wirkung auf den Gesammt-
organismus ist durch Griesiuger im Jahre 1851 zuerst con-
statirt worden, und zwar in Aegypten, wo Griesiuger
diese Schmarotzer als die eigentliche Ursache der sog.
ägyptischen Chlorose erkannte. Später veranlassten die
zahlreichen und exacteu Untersuchungen Wucherer's über
das Vorkommen und die krankmachende Wirkung der
Anchylostomen in Brasilien vielfache Nachforschungen über
die Verbreitung dieses Parasiten, und es fand sich durch
zahlreiche Beobachtungen, die in Kurzem von verschie-
denen Autoren in verschiedenen Ländern gemacht wurden,
dass das Anchylostonium in warmen Ländern eine weite
Verbreitung hat, so z. B. in den Niiländern, Algier, Seue-
gambien, Italien, Vorder- und Hinterin<lien, Japan, Peru,
Bolivia etc. vorkommt, so dass es scheint, als ob der
Parasit im warmen Klima seine eigentliche Heimath hat.
Ganz besonders zahlreich sind die Beobachtungen,
welche über ihn in Italien gemacht worden sind, und wir
verdanken deusell)cn, und zwar vornehmlich den durch
Perroneito mitgetheilten, die weitere Kenntuiss, uass An-
chylostomiasis eine Berufskrankheit darstellt, welche vor-
zugsweise Bergleute, Tunnelarbeitcr und Arbeiter in
Ziegeleien befällt. Ganz besonders bekannt wurde die
Epidemie — wie schon gesagt — unter den Arbeitern des
St. Golthard- Tunnels. Bald nach diesen Befunden in
Italien zeigte es sich sodann, dass der Parasit auch weiter
nördlich zu finden war, und zwar zunächst in Südfrank-
reich bei St. Etienne, sodann in den Bergwerken von
Schenniitz und Kremuitz, und zwar wurden an beiden
Stellen diese Befunde durch Anregung von Perroneito
eriioben, da sich die Aufnierksandvcit in Folge früherer
Beobachtungen gerade auf diese Gruben lenkte. Schon
lange waren nändich gerade in den genannten Berg-
werken schwere Erkrankungen an Anämien beobachtet
und beschrieben worden, ohne dass man die eigent-
liche Ursache derselben gekannt hätte, und ganz ähnlich
verhielt es sich nnt Beobachtungen über Anämie bei
Ziegellirennern bei Köln, über welche n(jcli im Jahre
1878 Rühle in Bonn eingehende Beschreibungen lieferte,
ohne die Anwesenheit von Anchylostomen zu kennen,
nachdem schon im Jahre 1860 von Heise in Rathenow
die Erkraidvuugeu der Arbeiter in den Ziegeleien längs
der Havel sehr ausführlich besehrieben und dabei auch
die Anämie der Former und Streicher besonders erwähnt
war. Im Jahre 1881 wurden dann durcii Menchc bei
Arbeitern auf den Ziegelfeldern bei Köln Anchylostomen
gefunden und darauf von Leichtenstern diese Epidemien,
sowie die Entwickelungsgeschichte des Parasiten mit allen
Details aufs Ausführlichste studirt. Diese Ziegelfelder in
der Umgebung von Köln waren durch walloinsche Arbeiter
aus der Umgebung von Luttieh inficirt worden, und nach
Firket ist es sehr wahrscheinlich, dass die Liitticlier Berg-
werke ihrerseits durch italienische Arbeiter inticirt worden
waren. Da nun gerade Gruben- und Ziegeleiarbeiter an-
scheinend einen starken Wandertrieb haben und ihre Ar-
beitsstelle häufig wechseln, so ist es sehr erklärlich, dass
au den verschiedensten Stelleu in Deutschland und ( »es(er-
reich-Ungarn das \^orkonnnen des Anehylostomum beob-
achtet worden ist, wie von Seifert in Ziegeleien bei Würz-
burg, von Völckers in Gruben bei Aachen, von v. Schopf
in den Kohlengruben zu Reschitza und Anina im Banat,
von Zappert bei den Bergleuten zu P)rennberg bei Oeden-
burg. Diese verstreuten Epidemien von Anchylostomiasis
sind, wie gesagt, erklärlieh, da wir besondeis durch die
Untersuchungen von Leichtenstern wissen, dass die mit
den Fäees entleerten und in der nächsten Nähe der Ziegel-
felder dep(mirten Eier des Wurmes sich zu Larven ent-
wickeln und durch allerhand Bedingungen, besonders durch
lehmbeschmutzte Hände in Mund und Darm anderer Ar-
beiter gelangen und dieselben inficireu können. Auf einen
zweiten, sehr wichtigen Modus der Infectiou hat v. Schopf
hingewiesen und denselben experimentell bestätigt, nändich
Nr. 4-2.
Natni-wisscnschaftliche Wochenschrift.
4f)9
die Uebortragiuii;- der eucystirteu Larven im aufge-
wirbelten, trockenen Staube, welcher durch Luftzug
besonilers in Bergwerken den Arbeitern ins Gesicht, Bart
und äussere Respirationswege getrieben wird und somit
durcii Verschlucken zur lufection führen kann.
Nach allen diesen Ausführungen kann es auffällig
erscheinen, dass bisher Beobachtungen über Anchylostonien
in Bt'rliu rcsj). dessen Umgebung fast garnicht verötfent-
licht worden sind, während sich gerade Ziegeleien be-
sonders längs der Wasserläufe in der nächsten Nähe so
zahlreich finden, dass die Zahl der in denselben jährlich
gebrannten Mauersteine auf etwa eine Milliarde geschätzt
wird. Nur die erwähnten Beobachtungen von Heise aus
dem Jahre 1860 lassen die Annahme zu, dass damals
Fälle von Anchylo-stomiasis unter den Ziegelarbeitern an
der Havel vorgekommen sind.
Der Eingangs erwähnte Befund nun bei dem italieni-
schen Ziegelarbeiter veranlasste G., in der Ziegelei selbst
weitere Nachforschungen anzustellen, zumal er erfuhr, dass
ausser genanntem Patienten noch lU Italiener dort arbei-
teten. Die Ziegelei selbst lictindet sieh in der Nähe von
llermsdorf, etwa 2 Meilen nördliidi von Berlin an der
Strecke der Nordbahn. Es arbeiten dort augenblicklich
160 Arbeiter, darunter 11 Italiener, ferner Polen und hiesige
Leute. Alle Italiener zeigten eine durchaus gesunde Fär-
bung der Haut und Schleimhäute. G. verschaffte sich von
9 Italienern Proben des Stuhles und suchte unter den
anderen Arbeitern 6 aus, von denen einer stark anämisch
aussah, und von denen G. ebenfalls Stuhl] )roben erhielt.
Die Untersuchung dieser Proben ergab bei o Italienern einen
ähnlichen Befund, wie bei dem zuerst genannten Patienten,
nämlich: Eier von Anchylostonien in spärlicher .Anzahl, nur
bei einem etwas reichlicher, ferner massenhafte Eier von
Ascaris lumbri(;oides und Triehocephalus dispar. Die
übrigen Italiener hatten sämnitlich reichliehe Tricho-
cephaleu-Eier, einige auch Ascariden-Eier, dagegen keine
Anchylostonien- Eier. Die Proben der anderen Arbeiter
enthielten zumeist gar keine Eier, bei einer fanden sich
solche von Ascaris, bei einer anderen von Triehocephalus.
Die gefundenen Anchylostomen-Eier bei den 3 Italienern
zeigten ebenso wie die früheren verschiedene Stadien des
Furchungsprocesscs des Embryo und der letztei'C gelangte
auch hier bei warmer Zimmertemperatur in Feuchtigkeit
binnen Kurzem zur Reife. Auch in diesen Fäces vermisste
G. trotz der Anwesenheit zahlreicher Entozoen in jedem
Falle die Charcot'schcn Krystallc. Viellcieht beruht dieser
negative Befund auf der Beschafilenheit der Nahrungs-
mittel; die Italiener nähren sich hier angeblich vorzugsweise
von Reis, Käse und Wasser. Die Arbeiter selbst fühlten
sich vollständig gesund, bei zweien von ihnen konnte G.
eine Blutuntersuchung vornehmen, welche bei dem einen
4,1b Millionen rotlie, (iOOO weisse Blutkiiriterchcn bei einem
S])ecifischen (iewichte des Blutes von 10.04 ergab, wäh-
rend sich bei dem anderen 4,3 Millionen rothe, 3500 weisse
Blutkörperchen mit einem spec. Gewicht des Blutes von
1055 fanden. Also auch bei diesen lagen ganz n(M-nialc
Blutverhältnisse vor. Dieses günstige Allgemeinbetinden
der mit Anchylostonien behafteten Leute erklärt sich wohl
aus der anscheinend geringen Zahl der vorliandcnen Para-
siten, deren Ansiedelung im Darm eine nennenswerthc
Störung der Blutmischung nicht zu bewirken vermochte.
Immerhin bedingen auch schon spärlich entleerte Eier,
wie oben auseinandergesetzt, eine Gefahr für die Träger
selbst und deren Mitarbeiter, und in dieser Beziehung ist
es bemerkenswerth, dass sich in den StiUden der anderen
Arbeiter keine Anchylostomen-Eier fanden, wobei freilich
zu berücksichtigen ist, dass die Italiener erst seit einigen
Monaten auf der Ziegelei arbeiten. x.
Ein weiterer -j JJeitraj? zur Mimicryfrage, der die be-
kannte Theorie der hier in Frage stehenden Schutz
färbungen zu stützen geeignet ist, wurde neuerdings von
A. Seitz**) bekannt gemacht. Er widerlegt den Einwurf,
dass das nachäffende Kleid schutzloser Kerfe wohl den
Menschen, nicht aber die scharfsinnigen Thiere zu täuschen
vermöge. Zunächst steht es nach Butlers Versuchen mit
Vögeln fest, dass die gescdiutzten Schmetterlinge schliesslich
doch irgend einen Feind linden. So wurde die zu den
holzbohrenden Scliwärnu'rn gehörende Zeuzera pyrina von
Vögeln gefürchtet, endlich aber doch von einer Drossel
verspeist. Der auffallende Umstand nun aber, dass die
Mimicry in den meisten Fällen bei Tagfaltern auftritt,
diese aber von Vögeln im allgemeinen verschont werden,
führte Skertschly, der diese Beobachtung auf Borneo
häutig machen konnte, zu dem Schluss, dass das mimetische
Kleid der Schmetterlinge als Schutz gegen ausgestorbene
Vögel erworben sei. Seitz ist nun der Ansicht, dass nicht
die Vögel, sondern die Aifen gefährliche Schmetterlings-
verfolger sind. Er brachte einen frisch entwickelten
Bienenschwärmer im Affenhaus mit indischen Makakcn
(M. rhesus) und brasilianischen RoUschwanzalfen (Cebus
robustus) zusammen. Die erstereu mieden den Schwärmer
auffallend, ein Cebus jedoch fing und verzehrte ihn.
Erstere kannten den Wespcnstachel, letzterer nicht. Es
kommen auch in der That in Indien Wespen von der
Färbung der Hornisse vm, in Bi-asilien dagegen nur blaue,
liraune und bunte Wespen, die anders gefärbt sind. Die
V'crkleidung des Hornissenschwärmers war daher dem
Cebus unbekannt. Uebrigcns sind die brasilianischen
mimetisch gefärbten Scimietterlinge gleichfalls blau, braun
u. s. w. gefärbt. Seitz ist schliesslich der Ansicht, dass
vielleicht noch andere Feinde in Betracht kommen, er ist
auch der Meinung, dass der Schutz, den die Mimicry ge-
währt, wahrscheinlich nicht gegen alle Feinde schützt.
Jedenfalls werden die Rhesus im vorliegenden Falle ge-
täuscht. Negative Ergebnisse beim Experinientiren mit
nachahmenden Färbungen sind aber sicher kein Beweis
■en die Miniicrvtlieorie.
C. M.
Dass die sog. Seerosen, die Actiiiien, mit einem
chemischen Sinn iiusgestattet sind, und veiniittelst des-
selben die Nahrung aufsiiüren, ist durch Pollock und Ro-
manes bekannt geworden. Neuere genauere Untersuchungen
über diesenSinn stclIteWillibald Nagel in Neapel an. (Der
(icschmackssinn tlcr Actinien. Zool. Anz. No. 400, S. 334.)
Während Stückchen von Sardincntlciseh und mit Flei.sch-
saft getränktes Papier crgrifi'en wurden, wenn auch letzteres
Sjiäter oft wieder fallen gelassen wurde, nahmen die Ver-
suehsthiere Papier gar nicht an. Auch ausgelaugtes Fleisch
wurde von ihnen nur langsam gei>ackt. Die Seerosen
hal)en also einen Geschmack. Fernere Versuche erwiesen,
dass er seinen Sitz in den Tentakeln hat. Andererseits
konnte nachgewiesen werden, dass die Actinien „kein
Schmerzgefühl, h(ichst\\ahrsclieinlicli überhaupt kein Ge-
fühl'" haben. Gegen Wärme sind die Tentakeln allein
empfindlich, und da sie auch der Sitz des Tastsinnes sind,
so sind sie als „Wechselsinnesorgane" aufzufassen, d. h.
(h'gauc, die den 3 genannten Sinnen gleichzeitig oder
abwechselnd dienen. Die Werkzeuge dieser verschiedenen
Sinne sind stäbcheutragende Epithelzellen. Für eine
specifische Anpassung der einzelnen Zellen fehlt jeder
Beweis.
*) Vgl. „N.aturw. Woclu'iischr.", VII. B. S. 383.
**) „Ueber den Wortli der iiiiinetisehen Verkleiduni;- im Kampf
iim's Dasein." „Zool. Anz." 1893. S. 381.
460
Naturwissenscliaftliche Wochenschrift.
Nr. 42.
Nagel konnte auch am Muudrande der Rippenqualle
Beroi' ein localisirtes Wechselsinnesorgan für die drei ge-
nannten Wahrnehmungen nachweisen.
Die von P. Fischer an Edwardsia lueifuga bco])achteten
Licht- und Schallcmplindlichkeiten fehlten den von Nagel
untersuchten Seerosen. M.
Zur Experinieiitalcmbr.vologie. — Im Ansehluss an
die ausfttinlichcn Älitthciiungen über exjierimentelle Tera-
togenie in No. 27 S. 265 ff. und No. 35 S. 386 des vor-
liegenden Bandes der „Naturvv. Wochenschrift" sei hier
noch eines wichtigen Versuches von J. Loeb (Pflügers
Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 54 S. 525 ff.) Erwähnung
gethan. Derselbe brachte Va Stunde nach der Befruchtung-
Eier des marinen Fisches Fundulus in eine Lösung von
1,5 gr KCl pro 100 ccm Seewasser. Die Eier entwickelten
sieh ganz normal und blieben bis zum sechsten Tage am
Leben, jedoch wurde niemals eine Blutcirkulation beob-
achtet. Abgesehen davon, dass die Gefässlumina uu-
regelmässig, stellenweise rosenkranzförmig aussahen, was
dem Mangel des intravaskulären Druckes zuzuschreiben
sein dürfte, war ein vollkonunenes Blutgefässsysteni ent-
wickelt, ebenso zeigten sich keine Anomalien in der Ent-
wickelung von Auge, Ohr, Urwirbeln u. s. w. Es er-
giebt sich also die bemerkenswerthe Thatsache, dass das
Wachsthum der Organe, insbesondere das Aussprossen der
Gefässe in dieser Zeit von der Blutcirculation und der
Herzthätigkeit, die sonst ca. 60 — 70 Stunden nach der
Befruchtung beginnt, unabhängig ist. Die einzige, mehr
nebensächliche Anomalie betraf die zwischen und auf den
Dottergefässeu gelegeneu Chromatophoreu. Diese pflegen
bei normaler Entwickelung, sobald die Cirkulation sich
einstellt, also durchschnittlich vom dritten Tage an, durch
amöboide Bewegungen auf die tiefässe zu kriechen, wo
sie fixirt werden. Diese Erscheinung bleibt bei den
circulationslosen Embryonen aus, so dass wohl auf eine
chemotaktische Wirkung des Blutes auf die Chrinnato-
phoren geschlossen werden niuss. Seh.
Eine bequeme Prüfung der Manganoxyde auf ihren
Gehalt an wirksamem Sauerstoff führt A. Carnot (Compt.
rcnd. 116, 1295) aus, indem er auf dieselben Salpeter-
säure und Wasserstoffsuperoxyd einwirken lässt, den ent-
wickelten Sauerstoff auffängt und niisst. Das Wasserstoff-
superoxyd wirkt auf Mangansuperoxyd bekanntlich nach
der Gleichung
MnOj -f ILO, = MnO + HgO + O2
und auf die niedrigen Manganoxyde ebenso, entsprechend
ihrem Gehalt an disponiblem Sauerstoff, so dass für je
1 Atom desselben 1 Molecül Wasserst(;ffsu])Croxyd in
Reaction tritt. Von dem entwickelten Sauerstoff ent-
spricht also die Hälfte dem in den Oxyden disponiblen.
Sp.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurdeu erniiniit: Dr. .lolm M. Coiilter zum Prilsidenten
der Lake Forest Uiüversity, Illinois. — l^rofessor von Hauer
zum Director der Bergakademie in Leoben. — Professor Ziegen-
lieim zum Diroctov der Bergakademie in Przibram. — Dr. llot-
gaus, Lehrer der Cliiriirgie an der ITniversitiit Groningen, zum
Ordinarius an der Universität Amsterdam. — Der ausserordentliche
Professor Dr. Julius Wagner von Jauregg in Graz zum
Ordinarius für Irrenheilkunde an der Universität Wien. —
Mr. C. H. Tawney zum Oberbibliothekar des indischen Amtes
in London.
Der ordentliche Professor für Philosophie an der Universität
Berlin Geheimer Kegierungsrath Dr. Eduard Zeller beabsich-
tigt in den Ruhestand zu treten. — Der bisherige Oberbibliothekar
im indischen Amte in London Dr. Rcinhold Rost tritt in den
Ruhestand.
Es sind gestorben: Contre- Admiral Tobias Freili(M-r von
Oosterroicher, ehemaliger Leiter der Küstenaufnahme im Adria-
tischen Meere und verdienter Geograph, in Wien. — Der Ingenieur
Thomas Hawskley in London. — Der Director der ober-
schlesischon Bergschule Dr. Geisenheimor in Tarne witz. —
Professor Hewith, Lehrer der Gelnirtshilfe am ITniversity Col-
lege, in London. — Der französische Reisende Müller auf einer
Forschungsreise im Innern Madagaskars.
Die Nordpol -Expedition des amerikanischen Marine -Lieute-
nants Pearv überwintert in der Bowdoin - Bucht in Nordgrönland
unter 78° ür/ n. Br.
L i 1 1 e r a t u r.
Otto Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen. Auf
Grund der anthrojiulugischeu Untersuchungen der \\'i.'lu']itlicli-
tigen in Baden und anderer Materialien. Gustav Fischer. Jena
1893. — Preis 7 Mk.
Auf die anthropologischen Untersuchungen Ammon's an den
Militärpflichtigen Badens haben wir schon Bil. IV, S. '244 kurz
hingewiesen; in der vorliegenden höchst bemerkenswerthen, um-
fangreichen Arbeit verwertliet er vornehmlich diese, Materialien
zu seinem interessanten Gegenstande. Die Untersuchungen au
den Wehrpflichtigen wurden zu dem Zwecke unternommen, die
örtlichen Verscliiedenheiten in der Beschaft'enheit der Bevölkeruug
festzustellen und daraus Schlüsse auf die vorgeschichtlichen Wan-
derungen und Besiedelungen abzuleiten ; wir müssen dem Verf.
zustinunen, dass das in seinem Buche behandelte Special-Thema
das ursprünglich gesetzte Ziel an Wichtigkeit weit überlritt't. Für
das Studium der Erscheinungen der natürlichen Auslese beim
Menschen ist Ammon's Werk grundlegend und zeichnet sich durch
Vertiefung aus, wie wir sie von Ch. Darwin gewöhnt sind. Das
Zusannnenstellen der Thatsachen und ihre exact-methodische
Gruppirung nimmt den Haupttheil der Arbeit ein, die sich aus
denselben ergebenden Schlussfolgerungen sind für den die That-
sachen würdigenden und logisch-denkenden Forscher zwingend
und so auch für den Verf., der im Vorwort gesteht, dass sie zum
Theil mit seinen früheren Ansichten im schroffsten Widerspruch
standen, und er sich daher — echt-menschlich — lange gesträubt
halje, dieselben als richtig anzuerkennen. Wie sehr spricht Veif.
aus unserem eigensten Empfinden heraus, wenn er sagt: „Für
den Naturforscher giebt es kein höheres Gesetz als die VVahrhoit"
und „bei einer neuen wissenschaftlichen Erkeuntniss handelt es
sich in erster Linie nur darum, ob sie erweislich wahr ist; die
praktischen Folgen, welche ihi-e Geltendmachung haben kann,
sind zunächst Nebensache." Bei der hohen Bedeutung des Buches
müssen wir ausführlicher auf seinen Inhalt eingehen, und wir
werden das baldigst in einem besonderen Artikel thun durch Ab-
druck des am Schlüsse des Buches von dem Verf. selbst gegebenen
übersichtlichen Gesaunntbildes über das in dem Buche Vorgetra-
gene. Freilich kann die alleinige Kenntnissnahme dieses Ab-
schnittes dem Naturforscher nicht genügen, wenn auch speciell
mancher Zoologe und Botaniker die (Quintessenz des Buches als
Resultat seiner Studien selbst gewonnen haben muss, denn sie
ergiebt sieh aus den Thatsachen der organischen Naturwissen-
schaften — wie ich meine - für den Logisch-denkenden olnie
Umwege. Diejenigen, deren wissenscliaftliche Arbeiten nicht aus-
schliesslich vom Verstände geleitet werden, sondern die auch
ihren Gemüthsbedürfnissen einen l'^.iufluss auf dieselben gestatten,
werden mit manclu'n Resultaten nicht einverstanden sein. In
Gebieten, die das Menschenleben nahe berühren, hat ja die reine
Wissenschaft, wenn das in einer bestimmten Riehtvnig erzogene
Gemüth unbefriedigend lassende Resultate wittert, einen schweren,
meist vergeblichen Kampf zu versuchen mit vorgefassten Mei-
nungen und Gefühlsregungen, die bestimmte Resultate wünsche n.
in einigen nebensächlichen, die allgemeinen Resultate kaum
tangirenden Punkten wenlen, das ist bei dem umfangreichen Gegen-
stand nicht anders zu erwarten, einige Modiflcationen nöthig
werden. P.
Thomas H. Huxley, Grundzüge der Physiologie. Mit Bewilli-
gung des Verfassers herausgegeben von Professor Dr. I. Rosen-
thal. Dritte verbesserte und erweiterte Auflage. Mit 118 Ab-
bildungen. Hamburg und Leipzig, Verlag von Leopold Voss.
1893. — Preis 9 M.
Hu.xley's Werk ,Grundzttge der Physiologie" ist — wie alle
Arbeiten dieses Autors — mustergültig. Die stets klare und dem
Anfänger durchaus a,ngepasste Schreibweise des Autors, die der
Uebersetzer geschickt zu wahren gewiis'^t hat, machen es so leicht
wie möglich, das Buch mit Erfolg zu studiren. Dem Autodidacten
Nr. 4-2.
NaturwisseuSLliaftlichc Wochenschrift.
461
und Laien, aber ancli den Mediein Studiroiiden als erste Kin-
fühviinf; kann man über den Gegenstand kaum ein besseres lUu-li
empfehlen. In 12 „Vorlesunpeu" werden die ])liysiologisehen und,
soweit nötliig, natürlich auch die morphologischen Thatsaehen
vorgeführt, und in 11 kürzeren Abschnitten bringt Rosenthal Er-
gänzungen zu den Vorlesungen. Ein gutes Register besehliesst
den Band.
Bedauerlicher Weise ist die Physiologie der Fortpflanzung in
dem Buche, trotzdem es doch wahrlieh kein Kinderbuch ist,
nicht behandelt.
Dr. Willibald Nagel, Die niederen Sinne der Insekten. Mit
19 autotypischen Aldiildungen. Verlag von Franz Pietzcker, ,
Tübingen 1892. — Preis 2 Mk.
Unsere und die Sinnesorgane der höheren Thii're entsprechen |
nicht denen der niederen Thiere. Bei diesen haben ilie Sinnesorgane i
einen sehr gleichmässigen Bau, und doch ist es natürlich, dass sie j
verschiedene Emptindungen für verschiedene äussere Eindrücke
haben müssen. Die niedrigsten Thiere, die Protozoen, reagiren :
nachweislich auf mehrere Sinnesreize, ohne dass sie eine sichtbare
Spur von eigenen Organen für die einzelnen Reizarten besitzen; |
die ()l)erfläche ihres einzelligen Körpers st(dlt demnach ein Uni-
versal sinn i'sorgan dar. Schon bei den ludieren Formen der
Protozoen, den Infusorien (Ciliaten), tritt eine Difl'erenzirung der i
Sinnesorgane ein, insofern ihre Wimpern eine besondere Siinies-
thiltigkeit ausüben.
i)eu Gegensatz zu einem llniversalsinnesorgau bilden die
speeifischen Sinnesorgane. Diese dienen nur je einer be-
stinunten Art von Sinnesthätigkeiten und sind am besten beim
Menschen und den höheren Thieren ausgebildet. Gesicht, Gehör,
Ge.schmack, (Icruidi uml Gefühl sind hier auf bestimmte, vonein-
ander getrennte Organe beschrankt.
Es giebt auch Sinnesorgane, welche abwechselnd verschiedenen
Sinnen dienen können; es sind die Wechs e 1 Sinnesorgane
So sind z. B. die Hantsinnesorgane der Insekten einander meist
so ähnlich, dass angenommen werden muss, dass theilweise ver-
schiedene Reize von demselben Organ aufgenonnuen werden können.
Daneben konniien aber auch änsserlich verschieden ausgerüstete
Sinnesorgane vor, welche deshalb specifische Funktionen an-
nehmen lassen Daraus folgt, dass die zu den Sinneswerkzeugen
führenden Nerven im Stande sein müssen, mehrerlei Arten von
Erregungszuständen fortzupflanzen. Anzunehmen ist indess, dass
die Zald der möglichen Empfindungsarten bei den Insekten eine
geringere ist als beim Menschen. Die Farben wirken auf die
Ins(^kten vielleicht nur als Gradunterschiede einer bestinunten Er-
regungsa.rt. Die verschiedenen Gerüche und Geschmacksarten .
geben sich gewiss nur insoweit kund, als das Insekt nur zwischen
angenehmen" und unangenehmen unterscheidet. Alle diese Fragen
und Verhältnisse sind in der Abhandlung eingehend auseinander-
gesetzt. Ferner enthält die Abhandlung eine Schilderung der
dickwandigen und massiven Haargebilde als Organe des mecha-
nischen Sinnes, dünnwandige Haargebilde als Organe des che-
mischen, mechanischen und thermischen Sinnes; dann je ein
Kapitel über die Bedeutung der chemischen Sinne für die Insekten,
über weitere unter den Begriff der niederen Sinne fallende
Sinnesthätigkeiten, über niedere Hörwerkzeuge (Wahrnehmung
von Erschütterung, Gleiehgewichtssiiui oder statischer^ Sinn,
Schmerzempfindlichkeit, Temperatursinn, Verhalten gegen Elektri-
zität), schliesslich über den Lichtsinn und über die Möglichkeit
des Bestehens noch weiterer unbekainiter Sinne („der sechste ;
Sinn"). . ;
Die ganze Ausführung über die niederen Sinne der Insekten i
in dieser Schrift steht auf der Höhe der gegenwärtigen Wissen-
schaft. Der Verfasser beherrscht das Material von einem höheren
Standpunkte der Intelligenz, als bisherige Forscher auf demselben
Gebiete. Die Abhandlung ist für Jeden, der sich über diesen
Gegenstand der Naturwissenschaft unterrichten will, reclit^ lesens- '■
werth und belehrend. Kolbe.
Dr. Erwin Schvilze und Friedrich Borcherding:, Fauna saxonica.
Ampbibia et reptilia. Verzeichniss der Lurche und Kriech-
thiere des mirdwestlichen Deutschlands. Mit 2-5 Abbildungen. ,
Gustav Fischer, Jena 1893. — Preis 1,80 Mk.
Die Amphibien des vorzüglichen Werkeheus bilden die 2. er-
weiterte Auflage von Sehulze's Fauna saxo-thuringia. Wir finden
lateinische und deutsche Diagnosen und gewissenhaft zusammen-
gestellte Fundpunkte. Von besonderem Werth sind die 2 ge-
wissenhaften Litteratur- Verzeichnisse. Allen, die sich mit der
Fauna unserer Heimath beschäftigen, wird das Heftchen unent-
behrlich sein.
G. Guerin, Traite pratique d'analyse chimique et de recherches
toxicologiques. Georges Carre. Paris 18!to.
Das Buch ist ausserordentlich geeignet, in den ganzen Um-
fang der chemischen Analyse einzuführen und den Fachmann zu
unterstutzen und zwar nicht nur den ausschliesslichen Gelchrton,
sondern auch den Mann der Praxis wie den Gerichtschemiker
u. s. w. Dem letzteren dürfte das Buch besonders werthvoll sein,
ist doch der Verfasser (professeur agrege ä la facidte de medecim^
de Nancy und Directeur du laboratoire des cliniques) in dem Ge-
biete der gerichtlichen Chemie ausgezeichnet bewandert.
Das Buch umfasst etwa .'JOO Seiten, enthält an geeigneten
Stellen Textfiguren und farbige Tafeln, unter di'uen zwei be-
sonders erwähnenswerth sind, welche die Borax- und Phosphor-
salzperl-Färbungen in derReductionsffammezurDarstellungbringen.
Max Ebeling, Leitfaden der Chemie für Bealschulen. Mit 22.5
Abbiliiungen. Weidmannsche Buchhandlung. Berlin 1892. —
Preis 2,20 M.
Der Verf., Oberlehrer an der 4. Realschule in Berlin, hat es
sich angelegen sein lassen, in dem Leitfaden die Praxis gebührend
zu berücksichtigen. Ein Theil der geschickt ausgewählten Ab-
bildungen bezieht sich auf diese; so erläutern Figg. 10:3 — lOH die
Herstellung von Glaswaaren, Fig. 179 das Innere eines Scharf-
feuerraumes eines Porzellanofens u. s. w. Das Buch umfasst
1-57 Seiten.
Ferdinand Kraft, Abriss des geometrischen Kalküls. Nach den
Werken des Prof. Dr. llerniauu Günther Grassinnnn. Mit Te;;t-
Figuren B. G. Teubner in Leipzig 1893. — Preis G Mk.
Ueber die Bedeutung der von Grassmann in seiner „Aus-
dehnungslehre" entwickelten Methoden besteht heut wohl kein
Zwcdfelmehr. Sowohl der allgemeine wissenschaftliche Werth,
als auch der grosse Nutzen ihrer Anwendung auf Geometrie und
Mechanik werden mehr und mehr anerkannt. Dass trotzdem die
Grassman'schen Ideen noidi nicht die wünschenswerthe Verbreitung
gefunden haben, liegt unstreitig an den Schwierigkeiten, welche
die allgemein und abstrakt gehaltene Darstellung Grassmann's
dem Studium entgegensetzt.
Deshalb kann ein Werk, welches sich, wie das vorliegende,
die Aufgabe stellt, durch einen „mehr praktischen als theo-
retischen Gedankengang" weitere Kreise mit den Elementen der
Ausdehnungslehre bekannt zu nuichen und auf das Studium des
erwähnten Grassmann'schen Werkes vorzubereiten, nur mit Freuden
begrüsst werden.
Im allgemeinen können wir uns mit der Art, in welcher Herr
Kraft seine Aufgabe gelöst, nur einverstanden erklären; der auf
das Konkrete gerichtete Gang der Entwickelung und die meist
klare Dai-stellung machen den vorliegenden Abriss zu einem
Werk, welches recht geeignet erscheint, in das Wesen des geome-
trischen Kalküls einzuführen. Im einzelnen jedoch hat das vor-
liegende Werk zu einigen nicht unerheblichen Bedenken Anlass
gegeben, zu deren Begründung mit einigen Worten auf das Wesen
des geometrischen Kalküls eingegangen werden muss.
Genau wie in der Algebra die Verknüpfung zweier Zahh'n
wird man die Verknüpfung zweier geometrischer Gebilde durch
eine abgekürzte Bezeichnung darstellen können, ja man wird sich
direkt der in der Algebra üblichen Operationszeichen bedienen
können, um geometrische Verknüpfungen anzudeuten. Natürlich
wird man aber dann <'rklären miissmi, welchen Sinn die aus der
Algebra entlehnten Zeichen in der Geometrie haben sollen. Denn was
unter Addition und Multiplication von Punktgrössen oder Strecken
verschiedener Richtung zu verstehen ist, wird auch der nicht er-
rathen können, welcher mit den Gesetzen des algebraischen Rech-
nens völlig vertraut ist.
Ganz willkürlich wird man allerdings bei der Bezeichnung
geometrischer Operationen durch algebraische Namen nicht vor-
gehen dürfen. Damit näudieh für die Umformung der Ausdrücke,
welche die durch Verknüpfung geometrischer Gebildi' entstan-
denen Ergebnisse darstellen, — d. h. für das geometrische Rechnen
— dieselben oder doch wenigstens ähnliche Regeln wie für das
Rechnen mit Zahlen gelten, wird man nur solche Operationen als
Addition oder Multiplication bezeichuen dürfen, welche nut den
entsprechenden algebraischen Ojierationen die fundamentalen
Eigenschaften gemeinschaftlich haben, aus welchen die Regeln für
das algebraische Rechnen fliessen.
Nach diesen Auseinandersetzungen ist der Gang, welchen
eine Darstellung der gi^onietrischen Rechenregeln zu nehmen hat,
eigentlich völlig bestinnut. Zunächst hat man diejenigen Eigen-
schaften zu fixiren, welche die Verknüpfung irgend welcher
Gebilde haben muss, wenn sie als Addition oder Multiplication
gelten soll, und aus diesen dann die allgemeinen Rechenregeln
.abzuleiten. Ferner hätte man von den Verknüpfungsweisen geo-
metrischer Gebilde nachzuweisen, dass sie jene Eigenschaften be-
sitzen, welche für die Addition oder Multiplication charakteristisch
sein sollten. Dann könnte man die eben erwähnten Rechenregeln
anwenden, um geometrische Sätze abzuleiten.
In der Mehrzahl der in Betracht kommenden Fälle verf^ihrt auch
Herr Kraft in der angegebenen Weise. Er setzt in der Einleitung
fest, dass die Verknüpfung zweier Gebilde a und b, weicht- zunächst
462
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 42.
durch a • b bezeichnet werde, allemal dann Addition heispcn soll, wenn
erstlich das commut.ative Gesetz a ■ h != h ■ a, zweitens das asso-
ciative Gesetz (a • b) • c = a • (b • c) und wenn drittens die Aufgabe
a • X ^ b für x stets eine eindeutige Lösung liefert. Das Ver-
knüpfnngszeichen für die Addition soll + sein. Eine zweite
Verknüpfnngsart (:) soll allemal dann eine Multiplication heissen,
wenn (a + h) '. c ^ a '. c + b : c und auch c'. (a + b) ^ c '. a -\- c '■ b '
ist. Auch hier wird das algebraische Zeichen für die Verknüpfung
gewählt.
Dann wird genau definirt, dass unter der Verknüpfung zweier
Strecken « und ß zu einer dritten Strecke y, die dritte Seite
eines Di-eiecks verstanden werden soll, dessen andere Seiten nach
Grösse und Richtung eben ilie Strecken « und ß sind. Nachdem
dann gezeigt ist, dass diese Verknüpfung alle für die Addition
festgesetzten Merkmale hat, wird
y = « + /«
gesetzt.
Ganz anders verfährt Herr Kraft in dem zweiten Abschnitt
des ersten Kapitels, welcher von der .Summation der Punktgrössen
handelt. Zunächst erscheint schon die Definition der Punktgrösse
für einen einzelnen Punkt sehr äusserlicli. F'.s wird gesagt, wenn
n Punkte in einem Punkt ^4 zusammenfallen, so soll die Ge-
,=amnitheit dieser Punkte eine Punktgrcisse heissen, welche durch
nA dargestellt w'ird. Dieses Zeichen ist also nur für ganze posi-
tive Zahlen «, nicht aber für negative oder gebrochene Zahlen
definirt. Was unter der Summe von Punktgröi5sen zu verstehen
ist, wird gar nicht deutlich definirt. Es wird nur gesagt:
„Weil Gleiches zu Gleichem addirt Gleiches giebt, so wird die
Summe der Punktgrössen eines Punktvereins eine gewisse Punkt-
grösse sein."
Sind aA, bB, eG. . . die zu addirenden Punktgrössen, ist xS
das näher zu bestimmende Ergebniss, so muss die Gleichung
aA + bB + cC . . . = xS bestehen.
Wenn nun aber keine besondere Voraussetzung über den
Sinn der Addition gemacht wird, so kann sie zunächst nur eine
rein formale Bedeutung haben. Sie sagt dann nichts weiter als
das gleichzeitige Vorhandensein der zu addirenden Elemente aus,
und die Summe ist dann nur ein abgekürzter und zusammen-
fassender Ausdruck für die Gesammtheit dieser Elemente. Zwar
kann auch die so aufgefasste Summe mit Hülfe der Formeln
a + b = b + a und (a + b) + c =^ a + (h + c) umgebildet werden,
aber diese Umgestaltungen sind rein formaler Natur. In welche
Gestalt auch immer die in Frage stehende Summe mit Hülfe der
angeführten Gleichungen gebracht werden möge, nie sagt sie
etwas anderes als das Vorhandensein der von vornherein ge-
gebenen Elemente aus. Deshalb ist die Wendung, vermöge
welcher Herr Kraft die Summe eines Vereins von Punkt-
grössen zu einer einzelnen Punktgrösse zusammenfasst, offenbar
unzulässig.
Die nähere Bestimmung der einzelnen Punktgrösse, welche
die Summe darstellen soll, gelingt nur deshalb, weil unter der
Form ungerechtfertigter Schlüsse da.sjonige eingeführt wird, was
als Erklärung an die Spitze der ganzen Entwickelung gestellt
werden mussto. nämlich der Begi'ifF der Aequivalenz nicht identi-
scher Vereine von Punktgi-össen.
Im zweiten Kapitel kommt der sogenannte Drehungsfactor
zur Sprache, dessen Einführung auf eine recht äusserliche Weise
begründet wird. Von der Thatsache ausgehend, das,*; die Drehung
einer Strecke um einen gestreckten Winkel in der Wirkung mit
der Hinzufügung des Factors — 1 identisch ist, wirft Herr Kraft
ohne weitere Ausführung die Frage auf: Welcher Factor x dreht
eine Strecke « aus der Anfangslage um einen rechten Winkel?
Natürlich wird / gefunden. Nachdem dann für die Winkel ip, welche
n
Vielfache von -- sind, das Resultat der Drehung durch
2w
dargestellt ist, wird dieses Resultat ohne weitere Begründung auf
beliebige Winkel übertragen. Im ersten Theile des dritten
Kapitels, welcher die äussere Multiplication der Strecken be-
handelt, schliesst sich Herr Kraft zuerst wieder etwas näher an
Grassmann an. Es wird zunächst gezeigt, dass die Verknüpfung
n • ß zweier Strecken zu dem Inhalt eines Parallelogramms, welcher
je nach dem Sinne der von ß nach « auszuführenden Drehung
als positiv oder negativ anzusehen ist, so lange völlig distributiv
bezüglich der Streckenaddition ist, als alles in einer Ebene bleibt.
Ohne Zweifel ist also die in Frage stehende Operation für den
Fall, dass alle in Betracht kommenden Linien und Punkte in
einer Ebene liegen, als Multiplication zu betrachten.
Herr Kraft überträgt nun aber, ohne irgend ein Wort der
Begründung zu verlieren, die bis dahin nur unter der angegebenen,
beschränkenden Voraussetzung gültige Formel (n, + «j) /? ^ «,/S
+ n,/5 auch auf den Fall, dass die drei Strecken «,,«,, /J nicht
in einer Ebene liegen. Das richtige Verfahren wäre offenbar
gewesen, zunächst den noch nicht definirten Begriff der Summe
zweier nicht in einer Ebene liegenden Flächenstücke so zu be-
stimmen, dass die Formel («, + «j) ■ ß = a, ■ ß + (if ß für beliebige
gegenseitige Lage der Stiecken richtig wird, und dann aus der
jetzt allgemein gültigen Formel den multiplicativen Charakter der
Verknüpfung tcß füf den ganzen Raum zu schliesson. ^
Das äussere Produkt von Punktgrö.ssen füln-t Herr Kraft durch
die Bemerkung ein, dass es dieselbe Eigenschaft liaben müsse,
wie das äussere Produkt aus zwei Strecken. Vermittelst einiger
rechnerischer Wendungen, welche aus dieser Bemerkung fliessen,
wird dann das Produkt aus zwei Punkten in ein solches aus einem
Punkt und einer .Strecke verwandelt und dann von diesem Pi'O-
dukt ausgesagt: „es fällt mit dieser Strecke zusammen und heisst
zur Unterscheidung von einer .Strecke ein Linientheil."
Uns scheint, dass dieses Verfahren sowohl an Strenge wie
auch an Verständlichkeit hinter dem von Grassmaun befolgten
zurücksteht. Zunächst kann man gegen die Art, wie Herr Kraft
das äussere Produkt der Punktgrössen einführt, das Bedenken er-
heben, ob es überhaupt eine solche Verknüpfung zweier Punkt-
grössen giebt, auf welche die für das äussere Produkt zweier
Strecken gültigen Rechenregeln anzuwenden sind. Dam aber
sieht man'' auch gar nicht ein, warum die Bedeutung des Pro-
duktes der Linientheil sein soll, d. h. nach blosser rechnerischer
Umwandlung durch Unterdrückung des einen Faktors gewonnen
werden soll. Diese Schwierigkeiten fallen fort, wenn man von
der Verknüpfung zweier Punktgrössen zu einer Strecke ausgeht und
zeigt, dass diese Verknüpfung die Eigenschaften des äusseren
Productes besitzt.
Das vierte Kapitel behandelt die Multiplication von geometri-
Gebilden li<iherer Stufe. Nachdem die in Betracht kommenden
Regeln entwickelt sind, zeigt der Verfasser ihre Anwendungen an
der Behandlung der Linien und Flächen zweiter Ordnung. Ein
zwar kurzes aber recht übersichtliches Kapitel über die Elemente
der Determinante schliesst diesen Abschnitt. Den Schluss des
ganzen Werkes bildet ein kurzes Kapitel über die (^uaternionen-
rechnung. Fritz Kötter.
Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerisclien Ge-
sellschaft für die gesammten Naturwissenschaften. Band
XXXIll, Abtheilung I. Comm.-Verlag von II. Georg in Ba.sel,
Genf und Lyon. 1893. — Das stattliche Heft entliält drei um-
fangreiche Arbeiten, und zwar I) Dr. Robert Emden, Ueber
das Gletscherkorn (mit fünf Tafeln), deren Hauptresultat
Verfasser in die folgenden Worte zusammenfasst; „Die Gletscher-
kornbildung ist keine Eigenthumlichkeit des Gletschereises, son-
dern eine durch einen moleeularen Umkrystallisationsprocess er-
klärbare Eigenschaft eines jeden Eises, und hat deshalb mit dem
Gletscher als solchem nichts zu thun, und die Bewegung des
Gletschers kann ohne dieselbe zustande kommen. Gletscherkorn-
bildung und Gletscher haben keine wesentliche wechselseitige Be-
deutung." — Die zweite Abhandlung ist eine von S. S ch wen-
de ner mit einer Vorbemerkung und von C. Gramer mit einer
Schlussbemerkung versehene nachgelassene Arbeit des berühmten
Botanikers Karl Nägeli, „Ueber oligodynami seh e_ Er-
scheinungen in lebenden Zellen." Ueber diese Arbeit findet
sich Ausführliches in dieser Nummer. — Die dritte Arbeit (mit
drei Tafeln) aus der Feder des Professors E. D. Fischer bringt
„Neue Untersuchungen zur vergleichenden Entwicke-
lung und Systematik der Pha lloideen."
Jahrbuch für Photographie und Keproductionstechnik für
das Jahr 1893, luM-ausgegeben von .Josef Maria Eder. 7. Jahr-
gang. Mit 145 Holzschnitten und Zinkotypien und 34 artistischen
Tafeln. Wilhelm Knapp in Halle a. S. 1893. — Preis 8 Mk. -
Für den Photogi-apheu von Fach und jeden, der sich eingehender
mit der photographischen Pra.xis beschäftigt, ist das „Jahrbuch
für Photographie" von grossem Werth. Wir finden in demselben
eine grosse Zahl Original-Aufsätze, jeinen Bericht über die Fort-
schritte der Photographie und Reproductionstechnik in den Jahren
1891 und 1892, ein Verzeichniss der in Oesterreich und im Deut-
schen Reich verliehenen Patente und eine Litteraturliste. Auch
die Naturfcirschung verfolgt mit Interesse die Fortschritte auf dem
Gebiete der photographischen Praxis; werden jener doch von
dieser wichtige Dienste geleistet. So finden wir unter den lllustra-
tions-Tafoln mikro-photographische Aufnahmen von Theilen der
Amphipleura pellucida, die erläutern, wie ausserordentlich brauch-
bar die Photographie auch für die Darstellung mikroskopischer
Objecte ist.
Antonio della Valle, Gammarini del golfo di Napoli. Berlin.
150 M.
Bardey, Dr. Ernst, Algebraische Gleichungen nebst den Resul-
taten und den Methoden zu ihrer Auflösung. Leipzig. 6 M.
Bartels, San.-B.. Dr. Max, Die Medicin der Naturvölker. Leipzig.
11 M.
Nr. 42.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
463
Bergslien, Knud, Kart over Di-. Fridtjof Nansens Polarcxpedi-
tioii lS'.1;;,-l8i»y Christiania. O.l» M'
Billroth, Thdr., n Alex. v. Winiwarter, Prof. DD., Die allfie-
iiii'in.' cliirui-^iscliL' l'atliiii(if;ir luid TlnTaiiit'. 15. Aufl. Borlin,
IC.riO M. '
Brauer, Prof. Dr. Frdr., n. J. Edler v. Bergenstamm, Die Zwi-
tlii«lcr lies kaisorl Mnsinnns zu Wien. Wien. 40,80 M.
Buchenau. Prof. Dr. Frz., lieber den Anfbau dos Palmiet-
Seliilt'es (l'rioniiini serratiim Drege) aus dem Caplando. Stutt-
gart. 24 M
Chittenden, J. Brace, A. M., A presentatioii of the theory of
Henniti'V form cif Laine's ec|uation, witli a di'termination of
the e.\|ilieit fornis in terms of tlie p function for the case n
(■(|üal to tlirec. Leipzig. 2,80 M.
Clapeyron, E., Ueber diij bcwegeado Kraft der Wärme. Berlin.
i,(;o M.
Claus, C, Ueber die sogenannten Bauebwirbel am integumentalen
.Skelett der Copepoden und die medianen Zwischenspalten der
Ruderf'usspaaro. Wien. 7,-0 M.
— Ueber die Entwiekhing- und das System der Pontelliden.
Wien. 12 M.
— Neue Beobachtungen über die Organisation und Entwicklung
von Cvclops. Wien. 16,80 M.
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Büssow. - 1566. Woldenberg. -- 1631. Rosenthal. - 1632. Staf-
feide. — 1633. Gr. Fahlenwarder. — 1634. Lotzen. — 1636.
Friedeberg. (In der Neumark.) — 1637. Driesen. (West.) —
1708. Altsorege. — 1709. Schiieidemühlchen. — 1710. Neubrück.
— 1711. Wronke. - 1775 Költschen. — 1777. Trebisch. —
1779. Waitze. — 1782. Klodzisko. — 1925. Neustadt. (Bei
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Zellen. — Das Vorkommen des Fadenwurmes (der Nematode) Dochmius duodenalis Dub. (Auchylostomuin duodenale) bei
Ziegelarbeitern bei Berlin. — Beitrag zur Mimicryfrage. — Die Actinien sind mit einem chemischen Sinn ausgestattet. —
Zur E.xperimeiitalembryologie. — Eine bequeme Prüfung der Mangano.xyde. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur:
Otto Amnion: Die natürliche Auslese beim Menschen. — Thomas H. Huxley: Gnindzüge der Physiologie. — Dr. Willi-
bald Nagel: Die niederen Sinne der Insekten. — Dr. Erwin Schulze und Friedrich Borcherding: Fauna saxonica.
Amphibia et reptilia. — G. Guerin: Traite pratique d'analyse chimicpie et de recherclies toxicologiques. — Ma.x Ebeling:
Leitfaden der Chemie für Realschulen. — Ferdinand Kraft: Abriss des geometrischen Kalküls. — Neue Denkschriften der
allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften. — Jahrbuch der Photographie und Repro-
ductionstechnik für das Jahr 1893. — Liste.
464
Natunvisseiischaftliche Wochensebrift.
Nr. 42.
s:
= 9llä jBcitet leil unjrcr fcijclnb imb ßcmcittBorftnnblid) ofirtjricbcncn
„Slllnemcincit 'JinturfuiibE" trirfjcint (ocbtii: =
Icrjimfdj
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^$rof. Dr. Stilj. lUnht.
ncußcorßciteic lluffanc
Mit 1000 Äbhilbungcn im ffitrt, 6 «arten u. 33 ©nfcln in i-nrticiitinirl!.
ÜtiSicfcntuflcnjuic 1 W!.(60fit.)ci5ev'-!)t>nlblcbcrliiinbcju je ISSJit. (Si JL*.
Sollftiiiibiii licflcn ton i)cr „Sllliicmrincu Suilnvfitnbc" tor: Srelim, iicricbcii, 10
.fiiilbk'bevbiintic ju je 15 iif. — Mnljcl, ißölf erf uitbc , 3 Molblciicvliänbi' ,iii je
t(j ffit. — JVcrner, liflnninilcbcn, _' J>nlblcLievbänbc jii je 16 llit. — 'Jlciimnlir,
isrbflfirtiicfitc, 2 Sjnlblcbovbänbc jn je 16 S)it.
C rfte i'iefcnmiicn burd) jobe SBudjtjaublung äur 9lnftd)t. — '$rof(.u'£tc fciftciif rot.
llrrlnn brs 6thlioiira|il)irrtlfn ?n|lituts in ffriviiti nnö ttücn.
atent-technisches
und
I Verwertliung Bureau
Betclie.
Berlin S.,
Kommaiidauteii.str. '2'i.
^Illilll|i{|illllllilill;i|il|il|!!|:<|::|:il'.lr:l.:li:|i:llillillll!l|i:lillll
i In Ferd. Diimmlers Verlags- Z
^ buchhandlung in Berlin er.scheint: ~
Z Einfiiti.3?"iing !~
2 in die Kenntnis der Insekten =
— von H. .T. Kollie, Kustos am —
_ KöniRl. Museum für Natuikunde _
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„Uie fremdläudischeu Stubeuvögel", die wir hiermit besonderer Beachtung eiiipfebleu.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonit.', Berlin N. 4., luvalidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Diimmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SVV. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. IS, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 22. October 1893.
Nr. 43.
Abonnement : Man aljonniit bei allen Buchhandlungen nnd Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeld bei der Post 15 ^ eitra.
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 .S>. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach üebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur mit vollständiger «^nellenangabe gestattet.
Eine Reise zur Weltaussteilung nach Cliicago.
Briof von dem Herrn ßector der Kgl. Ln,nJ\virth.scliaftlichen Hochschule zu Berlin rrofessor Dr. Hugo Werner
an (Hg Redaction.
New-York, den 24. September 1893.
Sehr geehrter Herr Schriftleiter!
Ihrem Wunsehe entsprechend, beehre ich mich, Ihnen
einiges über meine Reise nach Chicago für Ilire geschätzte
„Naturwissenschaftliche Wochenschrift" mitziitheilen, be-
merke aber, dass es in der Hauptsache nur landwirth-
schaftliche Dinge sind, über welche ich zu bericliten
vermag.
An Bord des Schnelldampfers „Fürst Rismarck" traten
wir Mittags 12 Uhr von Cuxhafen aus unsere Amerika-
fahrt an. Eine Beschreibung des Schiffes ist hier nicht
am Platze, wohl aber interessant zu wissen, dass die Be-
satzung aus 300 Köpfen besteht, das Schift' 1C> OOO Pferde-
kräfte besitzt, die zwei Schrauben treiben, deren Wellen
einen Durchmesser von 45 cm haben. Zur Erzeugung der
Dampfkraft für eine Eeise nach Amerika sind ferner
240 Doppclwagen Steinkohlen und zum Sclimieren der
Maschinen 1200 Pfund Schmieröl nöthig.
Am nächsten Mittag erreichten wir bei ruhiger See
Southampton. Erwähnenswerth ist, dass uns bei der Fahrt
durch die Nordsee Sehaaren von Möven bis Nachmittags
5 Uhr, als das Feuerschiff von Tersehelling in Sicht kam,
begleiteten, um die Abfälle der Küche in Empfang zu
nehmen, dann aber ihren Flug wieder heimwärts richteten.
Auch ein blinder Passagier, wie es schien ein Stieglitz,
hatte sich eingefunden, häufig das Schiff umflatternd und
sich darauf niederlassend; nach 3 Tagen wurde er nicht
mehr gesehen, ob verhungert oder verdurstet, wer kann
es sagen?
Von Southampton beginnt die eigentliche Oceanfahrt
und die grünen, langen Wellen der Atlantik nahmen uns
auf. Durch einen voraufgegangcneu Sturm war das Meer
in etwas erregter Stimmung, welche sich auch den Men-
schen mittheilte und sie vielfach zu Opfern zwang. In
nahezu parallelen Reilicn stürmten die Wellen))erge auf das
Schiff ein. Diese sog. Dünung wurde vom Schitt' nahezu
rechtwinklig geschnitten, so dass der pendelnde Ausschlag
des ca. 150 m langen Schiffes zwischen Spitze und Steuer
ein recht erheblicher war. Als diese Dünung nach 3 Tagen
aufhörte, war eitel Fröhlichkeit an Bord. Wir durchliefen
die 3053 Seemeilen (1 Seemeile = 1,8 km) zwischen
Southampton und New-York in nicht mehr als 6 Tagen
und 14 Stunden. Uebrigens waren wir, ti-otz der
Schönheit des Meeres und der Vortrefflichkeit der
Küche, doch froh, als Firc-Island in Sicht kam. Nachts
verblieben wir auf der Rhede und liefen bei schönstem
Wetter Morgens in den prachtvollen Hafen von New-
York ein.
Auf dem Schiffe bietet die Beobachtung des Thier-
lebens im Meere eine willkommene und interessante Unter-
haltung. Zunächst sind es die eigentlichen Seevögel, wie
die dreizehige Müve, welche entweder paarweis das Schiff
umkreisen oder schwimmend sieh ausruhen; auch der
kleine Schwalbcnstunnvogel zeigt sich sehr häufig. Einen
eigenthümlichen Anblick" bot auch eine grosse Schaar
Delphine, welche, weil theilweis mit ihrcu Körpern ans
dem Wasser hervorragend, als Wellenbrecher sich er-
wiesen, so dass ein täuschendes Bild der Brandung am
Lande entstand. Eine kleine Delphincnart, der Tümmler,
kommt sehr häufig vor und jedermann wird sich an den
lustigen Bogensätzen derseli)en aus dem Wasser heraus und
in das Wasser hinein ergfitzen; schaarenweis eilen sie mit
überaus grosser Geschwindigkeit auf das Schiff zu, um unter
demselben zu verschwinden. Auch vier Finwale konnte
ich in nicht allzugrosser Entfernung beobachten, doch
stiessen sie, vvie das die Abbildungen der Kinderbücher
zeigen, nicht einen soliden Wasserstrahl aus, sondern
stpssweise erfolgte ein Ausspritzen sich verstäubenden
466
Natuvwissenscliaftliche Wochenschrift.
Nr. 43
Wassers. Ehien wundervollen Anblick gewährte auch
das Meerleuchten im Golfstrom.
Von New -York aus trat ich meine Landreise, den
Hudson aufwärts liis Albany an. Dieser Fluss, welcher
mit dem Rhein verglichen zu werden ptiegt, zeigt haupt-
sächlich bis Ncwlim-gh grossartige Landschaften und ist
an manchen Stellen vielleicht dreimal so breit wie der
Rhein bei Cölu, doch der Rhein ist es nicht, dazu fehlt
es an den Städten und Burgen, den rebcnumkränzten
Bergen und den lustigen Mensclien. CTrossartig ist die
Scenerie, aber lieblieh nicht. Unsere Fahrt geht weiter
zu den Niagara -Fällen, die zu oft beschrieben sind, als
dass meine sehwache Feder hier noch einmal den Ver-
such machen sollte. Zuerst fühlte ich mich etwas ent-
täuscht, als ich den amerikanischen Fall sah, später, als
ich einen üebcrblick über beide Fälle erhielt und als ich
diese längere Zeit beobachtet hatte, begriff ich die Gross-
artigkeit dieser Naturerscheinung.
Bis jetzt hatte ich von Amerika nur eine Gebirgs-
landschaft gesehen und ti-at in Canada zuerst in die grosse
Ebene hine'in, welche zwischen den Alleghanis und dem
Felsengebirge liegt. Hier begannen meine landwirthsehaft-
lichen Studien.
Im Allgemeinen zeigt die Landwirthsehaft Nord-
Amerikas eine auftallende Einseitigkeit des Betriebes, was
auch eine grosse Einförmigkeit in den Gebäuden der Farmen
zur Folge "hat. Annähernd sieht in diesem grossen Gebiet
eine Farm so aus wie die andere, wenn man von den
wenigen grossen Farmen reicher Grundbesitzer absieht.
Diese Gleichförmigkeit ist die Folge eines vorherrschend
trockenen, warmen Klimas, das in den Mittelstaaten zum
ausgesprochenen Steppenklima wird, sowie eines fast
überall ebenen, nicht schweren Bodens und einer verhält-
nissmässig extensiven Cultur, deren Hauptfruchte Mais
und Weizen sind. Von diesen wird der Weizen von Osten
nach Westen zu immer mehr verdrängt, weil die West-
staaten ihn billiger zu erzeugen vermögen; dies hat zur
Folge, dass an seine Stelle der Futterhau tritt, also die
Viehzucht eine innner grössere Bedeutung gewinnt und
der Körnerbau innner mehr auf jene Gegenden beschränkt
wird, welche sich für den Anbau der Futtergewächse
ihrer trockenen, heissen Sonnuer wegen wenig eignen, auch
ziu- Zeit noch ohne Düngung, also durch Raubbau ge-
nügende Ernten liefern. liier in den West- und Nordwest-
Staaten werden eigentlich nur zwei Früchte im Wechsel
gebaut, der Mais und der Weizen. Unter dem Einfluss
der sich immer mehr entwickelnden Viehzucht hat sich
in den Ost- und einem Theil der iMittclstaaten eine Feld-
graswirthschaft herausgebildet und dürfte als Normal-
fruchtfolge häufig die untenstehende anzutreffen sein:
1. Mais (Kornmais).
2. „ (Futtermais).
3. Weizen und Hafer.
4. — 6. Kleegras.
Natürlich kommen mannigfache Abweichungen von dieser
Fruchtfolge vor.
Bekanntlieh bilden die meisten Staaten der Union
Rechtecke oder nähern sich diesen in der Form, die gleiche
Gestalt ist auch auf die Farmen und auf die Schläge
übertragen, welche also Rechtecke bilden, die in den holz-
reichen Gegenden mit Fenzen, d. i. Holzzäunen, oder in
der l)aumlosen Prairie mit lebenden Hecken oder Draht-
zäunen umgeben sind. Diese Umfriedigung dient zur Er-
möglichung" eines freien Weideganges der Thiere.
In der Mitte des Besitzthums liegen die Gebäude der
Farm, welche mit seltenen Ausnahmen aus Holz hergestellt
und ausserordentlich einfach und unseren deutschen Wirth-
schaften gegenüber wenig zahlreich sind. Neben dem
meist sehr kleinen weiss oder roth angestrichenen Wohn-
gebäude liegt der Stall für Pferde und Rindvieh, etwas
weiter entfernt der Schweinestall und zuweilen sind noch
einige Schuppen vorbanden. In der Regel sind die Farmen
von gleicher Grösse, nändieh KiO Acres umfassend. Nicht
selten sind die kleinen Gehöfte von Bäumen oder einem
Obst- und Gemüsegarten umgeben, doch häufiger sind die
Fälle, wo nur ein sehr bescheidener Gemüsegarten vor-
handen ist. Das Getreide wird sehr bald nach der Ernte
gedroschen und das Stroh, ebenso wie das Heu, in
Feimen untergebracht.
Was die Viehhaltung ani)etrifl't, so ist in den Ost-
und Mittelstaaten für Rindvieh und Schafe der Weidegang
ganz allgemein. Die Winterernährung stützt sicli auf
Sauerfutt'er von Mais, etwas Heu, Mais- und llaferschrot,
und nur in den selteneren Fällen wird Kraftfutter ver-
wandt. In den Steppen des Westens bleibt das Vieh
Sonnner und Winter im Freien. Das Rindvieh der Steppen,
welches nrsiirünglich spanischer Abkunft ist, jedoch zur
Verbesserung in neuerer Zeit mit frühreifen Shorthorns und
llerefords häufiger durchkreuzt wurde, zeigt den Charakter
des Steppenviehes, es ist also wenig mastfäliig, dick-
häutig, von schlankem, hochgestelltem Körperl)au und
es werden die Ochsen hauptsächlich zur Herstellung von
Fleischfabrikaten, welche nach Europa ausgeführt werden,
sowie zur Erzielung wcrthvoller Häute benutzt. Dieses
sog. Texas oder Range Cattle entstannnt den Ebenen von
Texas, New -Mexico, Colorado, Wyoming, Montana etc.
Die östlich von obigen gelegenen Staaten halten vorzugs-
weise „Natives", d." h. vor nicht gar zu langer Zeit ein-
geführte Rinder, welche den Mast- und IMilchschlägen des
nordwestlichen Europas entstammen und l)ereits die alten
Viehschläge, das „Common oder Shrub-Cattle", nahezu
verdrängt" haben. Dieses letztere, welches unserem Land-
vieh entspricht, stellt sieh als Kreuzungsproduct aller der-
jenigen Viehschläge dar, welche früher einmal von den
Colonisten aller Länder mit hinüber gebracht worden sind.
In den mittleren Staaten, welche vorzugsweise Ochsen-
zucht und Mästung betreiben, sind die Shorthorns, llere-
fords, Devons, sowie das Black und Red polled- Cattle
herrschend, während in den Oststaaten mit ihrem feuch-
teren Klima und den grossen Städten, welche mit Milch
und P)Utter versorgt werden sollen, die Milchschläge, wie
Holländer (Holstein-Friesian Cattle), Jersey's, Guernsey's
und A}rshires am häufigsten angetroffen werden.
An zweiter Stelle in der Viehzucht Amerikas steht
das Schwein, dessen Haltung sich fast ausnahmslos auf
den Maisbau stützt; weshalb die Schweinehaltung dort,
wo der Mais, wie im Westen, das Hauptgetreide bildet,
eine sehr ausgedehnte ist. Besonders aus den stark Mais
bauenden Staaten wird den grossartigen Export-Scldächte-
reien von Chicago, welche jährlicli zwischen 7 — 8 Millionen
Schweine schlachten, und von Cincinnati, deren Verlirauch
nicht viel weniger hoch sein wird, das Jlaterial zugeführt.
Eigentlich sind es 2 Schläge, der Berkshire und der Poland-
Cliina-Schlag, welche vorwiegend gehalten werden. In den
östlichen Staaten wird nur der Bedarf des Landes ge-
deckt, sodass mithin hier die Schweinezucht erheblieh zu-
rücktritt.
Von den Schafen findet sich die grösste Zahl in der
Stei)penregion und es werden hier überwiegend feinwollige
Merino-Schafe gehalten, während in den Oststaaten die
Fleischschafe, wie Shropshires, Cotswolds, Southdowns etc.
hervortreten.
Werfen wir einen I51ick auf die Bearbeitung der
Aeeker, so ergeben sich recht Ijedeutende Unterschiede.
Die älteren Besiedelungen, oder solche, welche einst-
mals aus dem baumlosen, humosen Prairieboden heraus-
Nr. 43.
Naturwissenselialtliche Wochenschrift.
467
geschnitten wurden, zeigen Felder, welche denen inDeutsch-
l;ind l)ey,iiglic'li ilirer tüchtigen ilearbcitung und ihrem
.Vusselicn gleichen. Doch wird das Bild ein anderes, wo
auf Waldbodcü in neuerer Zeit Bcsiedelungcn entstanden
sind oder die Farm mich nicht ganz zu Ackerland ge-
macht ist. Der Farmer hat die Vertilgung des Waldes
an vielen ytellen einfach durch Feuer oder dadurch bewirkt,
dass er einen Rindenkranz von entsprechender Breite am
Baume abschälte, infolgedessen derselbe abstarb. Es stehen
in solchen Feldern die grauweissen Baumlcichen so lange,
liis sie Sil weit verfault sind, dass ein .Sturm sie briciit, aber
die Stiimi)fe bleiben im Boden, bis auch sie dem Zahn
der Zeit verfallen. Zwischen diesen Baunn-esten wird nun
geackert, gesäet und geerntet. Selbstverständlich ist, dass
unter solchen erschwerenden Umständen von einer guten
Ackerwirthschaft keine Reile sein kann. Es kommt aber
auch vor, dass die Bäume gefällt wurden und am Boden
liegend allmählich verfaulen, wenn aus irgend einem Grunde
der Farmer die weitere Oultur des Landes untcrliess. Die
Stoekaussehläge wachsen dann empor und der Busch, in
welchem armseliges Vieh weidet, ist fertig.
Unzweifelhaft ist die Waldverwüstung in Nord- Amerika
eine zu ernsten Folgen führende Angelegenheit und hervor-
gegangen aus der dem Amerikaner eigenen Selltstsucht,
welche nicht danach fragt, in welchem Zustande das Land
den Nachkounnen überliefert wird, wenn nur ein augen-
blicklicher Gewinn herausschaut. Was soll man dazu
sagen, wenn ein Californier, John Muir, die Ansicht aus-
spricht, dass im Staate Washington die Bäume nichts
anderes als eine grössere Gattung von Unkraut seien, das
man auf jede Weise auszurotten habe. Die rücksichts-
bisen Wälderausrottungen, wie sie in den östlichen Staaten
geübt worden sind und noch geübt werden, krmnen leicht
dahin führen, dass das heisse, trockene Klima sich inmier
intensiver gestaltet und die Landwirthsehaft hierdurch
noch mehr, als bereits geschieht, leidet. Mit Hülfe einer
rationellen Forstwirthschaft könnten auch jetzt bereits
Renten aus dem Walde gezogen werden und die Wälder
blieben zum Heil des Volkes erhalten. Lii Jahre LS85
sandte die bayerisciie Regierung einen Faclnnann nach
Amerika, der den Auftrag hatte, die amerikanische Forst-
wirthschaft zu Studiren. Er berichtete, dass in bO Jahren
Amerika Holz wird einführen müssen, und da Amerika
wahrscheinlich für amerikanische Hölzer Vorliebe haben
wird, so empfehle er, solche zu pflanzen, um zu Zeiten
für die Deckung des Bedarfes bereit zu sein. In der
neuesten Zeit suchte der l'räsident llarrison Waldreser-
vationen zu schatfen, doch können sich diese nur auf die
neueren Staaten des Nordwestens beziehen, denn die
^^'aldungen in den östlichen und nnttleren Staaten be-
finden sich Ijercits sännntlich in l'rivathänden. Allerdings
besitzt das I^and gegenwärtig noch Wald genug, um die
Bevölkerung in Zukunft genügend mit Holz zu versehen,
dann hat aber sobald als möglich eine geordnete Wald-
wirthschaft zu beginnen.
In der Ebene habe ich fast ausschliesslich Laublnilzer
angetroffen, und die Mannigfaltigkeit der Bauniarten ist in
diesen weit grösser als in den Wäldern P^uropas. Zuerst sind
zu nennen die prachtvollen Eichen und Ahorne, darunter
der Zuckerahorn (Suggar niapple-tree), von dem viel
Zucker zum Verkauf kounnt, dann aber auch Buchen,
Hickorys, Tulpenbäume (Liriodendnin tulijjifera) n. a. m.
Die Gebirgswälder entsprechen in ihrem Aussehen mehr
denen der deutschen Mittelgebirge und es konnnen darin
namentlich schöne Föhren vor.
Auf dem Weltausstellungsplatz Chicagos wandte ich
mich zuerst der Agricultur-Halle, einem stolzen Renaissance-
bau am Seeufer, zu, und um einen Begritf seiner Grösse
zu geben, will ich erwähnen, dass das Gel)äude 800 Fuss
lang, 500 Fuss breit und das sog. Mammouth- Glasdach
LSÖ Fuss hoch ist.
Der erste iMudruck, welchen dieser mit den land-
wirthschaftlichen Erzeugnissen fast der ganzen Welt er-
füllte Raum machte, war in der That ein grossartiger.
Weder die Wiener, noch die Pariser Ausstellung wiesen
eine ähnliche Fülle auf.
Selbstverständlich sind es die Vereinigten Staaten und
Canada, welche von ihren reichen Schätzen am meisten
zur Ausstellung gebracht haben und allein die Hälfte des
gewaltigen Raumes füllen. Die verschiedenen Staaten der
Union haben jeder für sich und zwar in höchst geschmack-
voller Ausstattung und letztere entsprechend der Eigenart
des Landes ausgestellt.
Je nach den klimatischen und Bodenverhältnissen ge-
währen diese Einzelausstellungen eine sehr bedeutende
Altwechsclung. Die Erzeugnisse der subtropischen Zone
bis zu der des kälteren, gemässigten Klimas und selbst
der arktischen Zone sind hier aufgespeichert. Interessant
ist es aber, zu sehen, in welchen zahlreichen Spielarten
und Sorten der Mais von Punta arenas, der Südspitze
Süd-Amerikas, über den Aequator hinweg, bis tief nach
Gauada hineinreicht. Der Mais beherrscht aber nicht
nur die Agricultur-Ausstellung und drückt ihr ein eigen-
artiges Gepräge auf, sondern überhaupt die Landwirth-
sehaft Amerikas.
Die Südstaaten der Union glänzen durch prächtige
Baumwolle, Zuckerrohr und Producte daraus. Reis, Yams,
und die bekannte Rannc-Faserpllanze, deren Anbau, leider
vergeblich, viclfacii in Deutschland versucht worden ist,
ihre Stengel hatten eine Länge von 2,25 m erreicht,
ferner den Fisal-Hemp, die flachsartige Faser einer Aloe,
Prachtvoll waren die Früchte, wie Citronen, Orangen,
Oliven, Ananas, Ptirsiche, Cocosnüsse etc.
Die Weststaaten, allen voran Californien, zeichneten
sich durch einen grossen Reichthum au Südfrüchten aus,
so durch riesige Pfirsiche und Birnen, darunter solche,
welche per Stück ca. 1 kg wogen; ferner waren Mais-
kolben von 30 — 40 cm Länge, sowie eine 70 Pfd. schwere
Runkelrübe ausgestellt; letztere ist natürlich nur mit Hülfe
der Bewässerung zu diesem ungewöhnlich grossen Gewicht
gelangt.
In den Mittel-, Nord- und Oststaaten treten besonders
die europäischen Getreidearteu und namentlich die zahl-
reichen schönen Weizeusorten, neben dem Mais in den
Vordergrund.
Die meisten der Staaten hatten auch die Fauna ihres
Landes sehr zaidreich und schön, darunter auch die jagd-
baren Thiere ausgestellt. Hiernach liätte mau auf einen
grossen Reichthum an Wild schliessen müssen. Aber
das Gegentheil ist der Fall. Ich bin mehrere tausend
Kilometer durchfahren, ohne auch nur ein einziges Blal
ein Stück Wild zu sehen. Es sciieint, dass mit der Aus-
rottung der Wälder auch die des Wildes Hand in Hand
ging. Ich zweifie nicht daran, dass in grossen Wahlungen,
namentlich im Gebirge, Wild sich noch zahlreich findet,
aber sonst nirgends. In diesem Lande der Freiheit ist
ja auch die Jagd frei und nur in gewissen Schonzeiten
darf nicht geschossen werden. Die Folgen sind sichtbar
genug, denn der Amerikaner vertilgt Alles, wenn es ihm
nur augenblicklich einen kleinen Nutzen abwirft; dies hat
sich deutlich genug in der fast gänzlichen Vernichtung
von 4 Millionen Bisons von 1870 — 1876 gezeigt, welche
mau häufig nur der Zunge und Haut wegen tikltete. Jetzt
irren noch weniger als 100 Stück im Felsengebirge um-
her, 200 Stück sind in den Vcllow-Stone-Park eingetrieben
uml vielleicht ebensoviel befinden sich in den Zoologischen
468
Natnvwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 43.
Gärte«. Sie alle sind binnen kurzer Frist, in Folge der
lucestzucht, dem Tode verfallen, während sie noch vor
wenigen Jahren die weiten Prärien zwischen Mexico nnd
dem grossen Sclavensee und andererseits zwischen den
Allegiianies nnd dem Felseugebirge bevölkerten. Aehn-
lich ist es dem Elennthier, (Moose) Älces alces L. ergangen,
welches immer noch als Wild der Union bezeichnet wird,
wohl aber kaum noch in seinem letzten Znfluchtsortc im
Staate Maine angetroffen wird.
Bis zu welchem elenden Zustande das edle Waidwerk
in den Oststaaten herabgesunken ist, geht aus einer Er-
zählung eines reichen Grundbesitzers hervor. Bei einem
Besuch auf seiner Farm erzählte mir derselbe, dass in
seiner Fasanerie in diesem Jahre 7000 Fasanen ausge-
brütet seien. Auf meine Bemerkung, dass dann auf den
Feldern vorzügliche Fasanenjagden zu erlioft'eu seien, sah
er mich erstaunt an und sagte, dass sie dann von anderen
weggeschossen würden. Sie niüssten im Walde, der ein-
geziiimt sei, bleiben und damit sie nicht forttliegen,
werden ihnen die Schwungfedern herausgezogen.
Er werde in einiger Zeit einem Jagdclub 700 Fasanen
senden, wofür die Herren pro Stück 2 Dollars bezahlen;
todt kosten sie auch 2 Dollars, mithin hätten die Jäger
das Vergnügen, diese Fasanen zu schiessen, nahezu um-
sonst, da sie nur den Transport, sowie das Pulver und
Blei zu bezahlen hätten.
Die Ausstellung des National-Muscums, der Smitho-
nian Institution U. S., war eine ausserordentlich schöne,
namentlich, so weit sie die Fauna Nord-Amerikas betraf.
Es wurden, systematisch geordnet, die Familien der ameri-
kanischen Säugcthicre, Vögel, Rei)tilien, Fische, Insectenetc.
vorgeführt und zwar in vorzüglichen Exemplaren. Vor-
zugsweise zu nennen sind: Rocky Mountain Goat (Ma-
zama montana) weiss, mit dem schwarzen Hörn der Gemse.
Rocky Mountain sheei) (Ovis canadensis Shaw). Höchst
interessant war die Gruppe der amerikanischen Wallrosse,
z. B. Pacific Walrus (Odobaenus obesus Illiger), Steller's
Sea-Lion (Eumctopias Stellcri Lesson); ferner eine Gruppe
der in den Grenzen der Vereinigten Staaten vorkounnenden
Sehlangen und Schildkröten. Prächtig war auch eine Dar-
stellung der Prärichühncr in ihren Kämpfen im Frühjahr,
sowie "des Ptarmigan (Lagopus lagopus). Dieser hühner-
artige Vogel ist deshalb so sehr interessant, weil er im
Winter vollkommen weiss ist und mit dem Schmelzen des
Schnees nach und nach die braune Farbe der Moose und
Flechten seiner Umgebung anninunt.
Sehr schön dargestellt war auch die grössere und
kleinere Renuthierabart Nord-Amerikas, nändich das
grössere Woodland Caribou (Rangifcr tarandus caribou
[Kerr]), welches New-Foundland, Labrador, Nova Scotia
und Alaska bewohnt, auch zuweilen in Maine, New
Hampshire und Nord-Michigan angetroffen wird. Das
Geweih ist schmäler, gleicht also mehr dem des Hirsches.
Die kleinere Abart, P>arren-Gronnd Carribou (Rangifer ta-
randus groenlandicus [KerrJ), bewohnt den hohen Norden.
Ziemlich häufig scheint in den Vereinigten Staaten
eine kleine Dachsart zu sein, der American Badger
(Taxidea americana), welche fast von jedem Staate aus-
gestellt worden ist.
Eine grosse Zahl der Staaten der Union hatte auch
ihre anthropologischen Funde ausgestellt, insbesondere
Colorado. Zunächst sind es Indianer-Leichen in der be-
kannten hockenden Stellung in Zeuge eingenäht, welche
auffallen; dann aber auch die Beigaben, welche sämmt-
lich, verglichen mit den ägyptischen und trojanischen
Funden, ein hohes Alter nicht bekunden. Diese Beigaben,
ausser Waffen und Gefässen aller Art, bestanden haupt-
sächlich aus Mclonenkernen, Mais in Körnern und Kolben,
BaumwoUensamen, Bohnen, Haselnüssen und Samen,
welche als Portulacea bezeichnet waren. Benierkenswerth
ist, dass in einigen Fällen den Todten Krücken beigelegt
worden sind.
Höchst interessant war auch, dass der Staat New-
York, wo das Skelett eines Mastodon gigantcus zu Cohoes
in 50' Tiefe gefunden worden ist, eine treffliche Nach-
bildung eines Mammouth hat anfertigen lassen, so dass
man von diesem gewaltigen Thier, wie es im Leben aus-
gesehen, sich eine recht gute Vorstellung machen konnte.
Chicago verlassend, durchreiste ich zunächst die
Prärielandschaften von Illinois und Kentucky, wo der
fruchtbare Präriebodeu, entstanden durch aljgestorbene
Präriegräser, von denen das werthvollste, das Kentucky
bluc-grass (Poa pratensis) ist, einen bis i")' tiefen schwarzen
Humusboden bildet, welcher sich durch grosse Fruchtbar-
keit und leichte Bearbeitungsfähigkeit auszeichnet, sodass
mithin die Landwirthschaft sich hier in einem blühenden
Zustande befindet. Eine wundervolle Fahrt durch die
Alleghanies, welche reich an prächtigen Wäldern und
schönen (icbirgslandschaften sind, führte mich nach New-
York zurück.
Hier ist das noch im Bau begriffene naturliistorische
Museum erwähnenswerth, denn nach dem, was bisher
darin aufgestellt und die schöne Art, wie dies geschehen
ist, lässt darauf schlicssen, dass es sieh zu einem höchst
sehenswerthen Museum herausbilden wird, namentlich be-
züglich des Studiums der Fauna Amerikas. Beispiels-
weise ist eine prächtige Gruppe von sieben amerikanischen
Bisons, vom Stier bis zu dem noch gelb gefärbten Kalbe,
also in den verschiedenen Altersstufen und Geschlechtern
in ihrem Treiben auf der vertrockneten Prärie dargestellt;
auf letzterer sind nur noch einige Cacteen, Salbei- und
Wcrmuthpflanzen in Vegetation. Hier ist die Snhlstelle
nachgebildet nnd finden sich die schmalen Steige, welche
die hinter einander gehenden Thiere auf der Prärie ge-
treten haben und endlich auch die Losung. Es ist eine
anregende, lebemlige Darstellung des Treibens dieser im
Aussterben begriffenen Thierart. Ferner finden sich sehr
schöne ausgestopfte Exemplare des Rennthieres, des Big-
horns (Ovi.s^ montana), des Grizzly-bear (Ursus horribilisi,
sowie eine vortreff'liche Sammlung von Seelöwen, See-
elephantcn und Seebären. Weiter finden sich Riesen-
excmplare des American Alligator (Alligator mississippicnsis)
bis 3 m lang und des American Crocodil (Crocodilus ameri-
canus), welches aus Florida stammt und 4 m lang ist.
Auch fossile Skelette, in Amerika gefunden, erwecken
ein hohes Interesse, und zeichnen sich durch Vollständig-
keit aus.
Von diesen sind zu nennen: Aceratherinm tridac-
tyluni Osborn. Dieses dreizehige Rhinoceros ist im Sand-
stein von Daeota gefunden; ferner Hyracotherium venti-
colum, Co]ie, vom Wind-river aus Wyoming. Dieser Vor-
fahr des Pferdes besitzt an den Vor'derfüssen 4, an den
Hinterfüssen 3 Zehen.
Zum Schluss will ich noch auf einen Riesenbaum der
Scrpioia gigantea Descn. aus Califoriiien aufmerksam
machen, von dem im (iuerschnitt ein Stück Stamm auf-
gestellt ist. Letzteres besitzt einen Umfang von 1)0' und
der Baum soll 350' hoch gewesen sein. H. Werner.
Nr. 43.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
469
Die Bildung der Eiweisskörper in der Pflanze.
Kill J!evk-iit von Dr. Ksirl Thoiiiue.
Wenn wir bis jetzt auch noch über den chemischen
Aufbau des Eiwcissniolelvüls im Unklaren sind, so können
wir uns an der llaud der neueren Untersuchuni;en doeh
sclion ülier die Art und Weise, in welcher die Ptianze aus
den iiir zu Gebote stehenden Nährstoffen die Eiweisskörper
bildet, liestiunntcre Vorstellungen machen.
Ueber die Form wenigstens, in welcher die Baustofi'c
des Eiweisses von der Pflanze aufgcnonnnen werden,
scheinen die Untersuchungen, nachdem die von einer
Reihe von Forscliern behandelte Frage nach der Ver-
wendbarkeit des atmosphärischen Stickstoffs durch die
Arbeiten von Frank und Otto ihre endgültige Beant-
wortung im bejahenden Sinne gefunden hat, wohl noch
Ergänzungen und Erweiterungen, nicht aber mehr wesent-
lich Neues bringen zu können.
Es handelt sich, wenn wir zunächst diesen Punkt
einer Betrachtung unterziehen, um die Aufnahme der fünf
Stoffe: Stickstotf, Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasscrstotf und
Schwefel.
Was zunächst den Stickstoff angeht, so entwickelt
sich die chlorophyllhaltigc Pflanze für gewöhnlich am
besten, wenn wir ihr denselben in Form von Nitraten
bieten. Auch die Mehrzahl der Chlorophylllosen scheint,
wenn sie auch den Stickstoff in .Vnmionsalzen oder orga-
nischen Verbindungen vorziehen, bei der alleinigen Dar-
bietung von Nitraten wenigstens fortzukommen; auf
Schimmel- und Spaltpilze wirken nach 0. Loew (Ueber
das Verhalten niederer Pilze gegen verschiedene an-
organische StickstoflVcrbindungcn. Biol. Centralbl. J5d. X,
1890. No. 19 und 20) Nitrate sogar besser als Ammoniak-
salze, falls wasserstoffreiclie Kfirjier und labile Verbin-
dungen nebenbei als Nährstoffe vorhanden sind.
Dass unter Umständen chloioi)h} llhaltige Pflanzen
lediglieh durch Amnion salze ernährt werden können,
zeigen Versuche, welche Laurent (Reeherchcs sur la
valeur comparee des nitrates et des sels ammouiacaux
conmie aliment de la levure de biere et de quelques
autres plantes. Sep.-Abdr. aus den Annales de l'institut
Pasteur 1889) angestellt hat. Es gelang ihm in Nähr-
lösung Keimlinge von Pisum sativum, Avena sativa und
Zea Mays zur Entwickelung zu bringen; wurden die
Pflanzen dagegen in reinem Sande, der mit der Nährlösung
l)eschickt war, cultivirt, also unter Verhältnissen, welche
den natürlichen näher konnnen, so keindca die Samen
entweder gar nicht, oder die Keindinge entwickelten sich
bei weitem langsamer, gelangten aber wenigstens zur
Reife. Laurent überzeugte sich bei allen Versuchen, dass
keine Niti'iflcation stattgefunden hatte.
Dass gewisse grüne Pflanzen unter natürlichen Ver-
hältnissen ihren Stickstotf jedenfalls nicht in Form von
Nitraten aufnehmen, schlicsst Serno aus seinen Unter-
suchungen (Ueber das Auftreten und Verhalten der Sal-
petersäure in den Pflanzen. Landwirthsch. Jahrbücher,
Bd. XVIII. 1889). Er konnte bei Sumplpflanzen, wie
Myosotis, Lcdum, Caltha, Drosera, Comarum etc. in keinem
Theile des Pflanzenkörpers Salpetersäure nachweisen;
au(d] fand sich dieselbe nicht in dem wässerigen Auszuge
des betreffenden lloorbodens. C»b diese Pflanzen ähnlieh
den Papilionaceen vielleicht die Fähigkeit hal)en, elemen-
taren Stickstoff in grösserem Maasse zu assimiliren, dar-
über müssten Versuche entscheiden.
AVenn die chlorophylllosen Pflanzen, wie bemerkt, im
allgemeinen Ammoniak oder organische stiekstotyiialtigc
Nährmittel den Nitraten vorziehen, so ist uns schon seit
längerer Zeit in den Hefepilzen eine (iruppe bekannt,
welche durch Nitrate überhaupt nicht ernährt werden
kann. Die Vermuthung Laurent's (I. c), dass die Nicht-
verwendbarkeit der Nitrate in der Bildung von Nitriten,
welche gitfig auf die Pflanze wirken, ihren (Jrund hal)e,
fand derselbe durch das Experiment bestätigt. Auch wies
er nach, dass nicht die Nitrite an sich schädlich seien,
sondern die durch organische Säuren daraus frei ge-
machte sal[)etrige Säure die (iiftwirkung ausübe. Nun
hat 0. Loew auch bei den übrigen niederen Pilzen eine
stets stattflndende Reduetion der Nitrate zu Nitriten nach-
gewiesen (I. c). Entweder fehlen also hier freie Säuren,
welche salpetrige Säure entbinden könnten, oder es findet
sofortige weitere Verwendung der Nitrite statt. Das
letztere müssen wir auch für die Reductionsproducte, die
bei den höheren Pflanzen aus der Salpetersäure sicher
gebildet werden, annehmen, da diese Pflanzen ebensowenig
eine .Speichcrung von Annnoniaksalzen, wie von Nitriten
vertragen, worin vielleicht auch der Grund der Nichtver-
wendbarkeit der Annnoniaksalzc als Stickstoffquelle bei
den grünen Pflanzen zu suchen ist.
Ammoniak vermag ausser in Salzen von den grünen
Pflanzen auch als Gas in geringen Mengen aufgenonmicu
und verarbeitet zu werden.
Dasselbe gilt nach den Untersuchungen von Frank
und Otto auch für den atmosphärischen -Stick-
stoff (Siehe Dr. R. Otto. Die Assimilation freien atmo-
sphärischen Stickstoffes durch die Pflanze. Zusannnen-
fassendes Referat über die wichtigsten, diesen Gegenstand
betreffenden Arbeiten. Bot. Centralbl. Bd. XLVI, 1891,
S. 387; ferner die Referate der „Naturwissenschaftlichen
Wochenschrift" Bd. V, S. 48(5; Bd. VI, S. 59; Bd. VII,
S. 108; Bd. VIII, S. 296. Frank. Noch ein Wort zur
Stiekstofl'frage. Deutsche Landwirts(diaftliche Presse 1893).
Speciell bei den meisten Leguminosen — eine sichere
Ausnahme seheint von den untersuchten Arten nur Phaseidus
vulgaris zu machen — erfährt die Assimilation atmosphä-
rischen Stickstotfs durch den Reiz des von den A\'urzeln
aus sieh durch die ganze Pflanze verln-eiteuden, nnt dem
Zellplasnia in Symbiose stehenden Rhizoliium Legumino-
sarum, wenn die Pflanze auf einem an organischem Mateiiale
armen Boden wäcdist, eine derartige Steigerung, dass weit-
aus die grösstc Menge des Stickstoffs in elementarer F(n'ni
aufgenonunen wird. Der Pilz seihst scheint denselben da-
gegen nicht verarbeiten zu können, wie auch Loew (I. c.)
bestätigt. Die übrigen chlorophylllosen niederen Pflanzen
verhalten sich nach den bisherigen Untersuchungen ebenso,
doch ist eine neue Controle geboten.
Was endli(di die Aufnahme des Stickstoffs in orga-
nischen Verbindungen anlangt, so werden eine ganze
Reihe derselben, obenan die löslichen Eiweissstoffe und
Peptone, von den Pilzen jeder anderen Nährquelle vor-
gezogen; aber auch die grünen Pflanzen vermögen eine
Anzahl organischer Verbindungen zu benutzen, so nament-
lich Harnstort', Lcucin, Tyrosin, Glyk<ikoll u. a.
Wir konnnen zur .\ufnahnic des Kohlenstoffs.
Bis in die letzten Jahre mussten wir als die alleinigen
Kohlenstoff'quellen der ehlorophylUosen Gewächse orga-
nische Verbindungen ansehen. Durch die Untersuchungen
aber vor allem Winogradsky 's (Recherches sur les
organismes de la nitriflcatiou. Annales de l'institut Pas-
teur. 1890, 1891; siehe auch „Naturw. Wochenschr.'- ISd. V,
S. 478, Ueber den Zerfall der Gesteine und die Bildung
von Erde; Bd. VI, S. 131, Nitrifieation und Kohlenstoff-
470
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 43.
assimilation ohne Licht und Chlorophyll.) lernten wir
neuerdings in den von ihm als Niti-obacterien bezeichneten
Org-aniynien eine tiruppe von S})altpil'/,en kennen, die
ihren ganzen Kohlenstdtfbcdarf anorganischen Carboiiaten
cntuelunen zu können schienen. Winogradsky konnte so-
gar die Ilüppe'sche Beobachtung bestätigen, wonach
die Cultiiren bei alleiniger Darbietung von kohlensaurem
Amnion gediehen. Dem gegenüber fand Godlewski
(Zur Kcnntuiss der Nitrification. Anzeiger der Acad. d.
Wissensch. in Krakau 1892), da.ss bei Absperrung der
Luft durch Kalilauge keine Entwicklung stattfand, während
dieselbe in den mit der Luft connnunicirenden, sowie in
den durch Schwefelsäure oder Kaliumhypermanganat ab-
gesperi'ten Oultui-ge fassen stattfand. Er sehlicsst daraus,
dass der Kohlenstoff der Nitrobacterien aus der in der
Luft enthaltenen Kohlensäure stammt. j\lag nun die
Kohlensäure der Luft oder den Cai'bonatcn entstammen,
jedenfalls haben wir hier den interessanten Fall einer
Kohlensäureassimilation ohne Chlorophyll. Für die grünen
Pflanzen ist von anorganischen Verbindungen des
Kohleustotfs die freie Kohlensäure allein vcrwcndliar.
Aber auch sie wird luu' von den grünen Theileu aufge-
nommen, welche, solange sie unter dem Einflüsse des
Lichtes die Kohlensäure verarbeiten, Anzichungscentra
für dieselbe bilden. Im Dunkeln nehmen die grünen
Zellen ebensowenig Kohlensäure auf, wie nicht grüne
rtlanzentheile.
Von organischen Verbindungen vermag die grüne
Pflanze nach Acton (The assimilation of carbon by green
plants from ccrtain organic Compounds. Proceed. of the
Itoj-al ,Soc. of Lond. Vol. XLVI 189U) nur eine Anzahl,
nicht alle, Kohlehydrate und nächstverwandte Kcirper zu
benutzen, so Glykose, Sacharose, Glycerin (unter 10 Proc),
Inulin, Extract von natürlichem Hunuts, wenn diese Körper
den AVurzeln und, mit Ausnahme des letzteren, auch den
lüättern geboten werden. Doch ist die Fähigkeit der
grünen Pflanzen, sie zu verwerthen viel geringer, als bei
den Pilzen, bei denen die Aufnahme des Kohlenstofls in
organischer Form das Normale ist. Auch lösliche Stärke
wurde verarbeitet, aber nur von den Blättern. Viele an-
dere organische Verbindungen galien negative Resultate,
insbesondere Aldehyde und deren Derivate. Tlieoretisciie
Erwägungen hatten nun ergeben, dass höchst wahrschein-
lich hei der Eiweissbilduug Formaldehyd eine grosse
Rolle spiele. Da dasselbe sogar ein Gift für die Zelle
ist, so schloss 0. Loew (Ernährung von Pfliinzenzelicn
mit Formaldehyd. Bot. Centralbl. IJd. XLIV, S. 315),
dass dasselbe im Momente der Entstehung weiter verar-
beitet werde, und suchte nach einem Körper, der, ohne
Giftwirkung auf die Zelle auszuüben, leicht Fornialdeliyd
abs))altet, um so der Pflanze Molekül für Molekül zur
Verarbeitung darzubieten. Diesen Körper fand er in dem
oxymethylsulfousauren Natron: CH./ ^.. -kt , welches sehr
leicht, schon beim Kochen mit Wasser, in CHoO, Formal-
ilehyd und H Na SO.,, saures schwefligsaures Natron zer-
fällt. Es Hess sich bei Ernährung durch diesen Körper
bei Spirogyren reichliche Eiweissbildung nachweisen.
(Vergl. auch Bokorny. Ueber Stärkebildung aus Formal-
dehyd. Berichte der dcutsciien botanischen Gesellschaft
Bd.'jX, IS'Jl.)
Die Pilze und Spaltpilze vermögen als Kohlenstoff-
quelleu bei Zutritt von Luft fast alle organischen
KohlenstottVerbindungen, sofern sie in Wasser löslich und
nicht allzu giftig sind, zu benutzen. Obenan stehen die
Zuckerarten, insbesondere der Traubenzucker.
Ob die Pflanze elementaren Wasserstoff auf-
nehmen und verarbeiten kann, dafür liegen, soweit dem
Ref. bekannt, keine Untersuchungen vor. Die Frage
bietet auch wenig praktisches Interesse, da in der Natur
ein derartiges Verhältniss sich schwerlich irgendwo rea-
lisirt finden dürfte.
Dass der Sauerstoff ausser in dem AVasser auch in
elementarer Form den Pflanzen mit Ausnahme weniger
zur Verfügung stehen muss, ist seit den Untersuchungen
von Ingenhous und Saussure bekannt. Wie wir aber
später sehen werden, scheint er mit dem Aufbau der Ei-
weissstorte direct nichts zu thun zu haben.
l)er Schwefel endlich wird in Form von Sulfaten,
Sulfiten und llyposulfiten aufgenonnnen. Ob er als
Sehwefelwasserstoti' aufgenommen werden kann, ist noch
nicht geprüft. Die Pilze vermögen auch Eiweissstoftc als
Schwefelquelle zu benutzen.
Wenn wir nun die aufgenommenen Nährstoffe auf
ihrem Weg durch den Pflanzenk(irper \ erfolgen, so müssen
wir annehmen, tlass sie an den Orten ihres Verschwindens
verarbeitet werden, und die chemische Beschaffenheit der
Körper, deren Auftreten mit dem Verschwinden der Nähr-
stoffe Hand in Hand geht, niuss uns zu Schlüssen über
den Verlauf der Verarl)citung führen.
Die Salpetersäure können wir nacli den Unter-
suchungen von Frank und Serno (Frank: Ursprung und
Schicksal der Salpetersäure in der Pflanze; Ber. d. deutsch,
bot. Ges. 1887 ; Untersuchungen über die Ernährung der
Pflanze mit Sticksfoft', Berlin 1888; Serno: Uel>cr das Auf-
treten und Verhalten der Salpetersäure in der Pflanze;
Landw. Jahrb. Bd. XVIII, 1889) bei einer grossen An-
zaid von Pflanzen bis in die Blätter verfcdgen (Malvaceen,
Conifcren, Papaveraceen, Convidvulaceen, Lal)iaten, Com-
positen, Urtieeen); bei anderen geht sie kaum über die
Wurzel hinaus; speciell bei Pflanzen mit Mykorrhiza ist
sie nicht einmal in der Wurzel nachzuweisen, da sie
schon vor ihrem Eintritt in dieselbe assimilirt wird. An
Stelle der Nitrate treten Amidverbindnngen, namentlich
Asparagin (nacii Serno), und oxalsaure Salze auf. Die
Oxalsäure, welche nach den Pesnltateu Kohl's (Zur physio-
logischen Bedeutung des oxalsauren Kalkes in der Pflanze,
Bot. Centralbl. Bd. XLIV S. 337) von allen Pflanzen,
chlorophyllhaltigen und chlorophylllosen, produeirt wird,
macht also die Salpetersäure aus den Nitraten frei, und
dieselbe muss dann einem Reductionsprocess unterliegen.
Da nun Stoffe von stark rcducirender Wirkung in den
Pflanzenzellen nicht nachzuweisen sind, nimmt Loew
(Ueber die Verarbeitung der salpetersauren Salze in den
Pflanzen, Bot. Ceutralbi. Bd. XLII, S. 203) an, dass das
Protojilasma eine catalytische Wirkung auf Salpetersäure
und Dextrose ausülje, und hat diese Ansicht durch Ver-
suche, in welchen der catalytisch wirkemle Körper Platin-
niohr war, gestützt. Danach flndet zwischen den beiden
Körpern ein Atomaustausch in der Weise statt, dass die
Salpetersäure ihren Sauerstoff an die Dextrose abgiebt
und dafür aus letzterer Wasscrstoft' aufnimmt. Das ge-
bildete Anunoniak gelangt jedenfalls sofort zu weiterer
Verwendung.
Wo anorganische Ammousalze als Stickstofif-
(pielle benutzt werden, tritt das Anmioniak jedenfalls in
Verbindung nnt organischen Säuren, und es wäre denkbar,
dass die so gebildeten Salze direct weiter verarbeitet
werden. Für diese Ansicht spricht, dass organische
Annnonsalze eine viel bessere Nähninelle für Pilze sind,
als anorganische. Ganz eigenthnndiche cliemische Vor-
gänge müssen wir bei den oben erwähnten Nitrobacterien
annehmen. Während Winogradsky der Ansieht ist, dass
zunächst aus Kohlensäure und Annnoniak ein harnstoff"-
ähnlicher Körper entsteht und daraus die Eiweisskörper
gebildet werden, nimmt Loew (Ueber die Ernährungs-
weise des nitrificireudeu Spalti)ilzes Nitromonas, Bot.
Centralbl. Bd. XLVI, S. 222) an, dass das Ammoniak
Nr. 43.
Naturwissenschaftliche Woclienschrit't.
471
zuniichst durcli Sauerstoft' uiivollstäudig- zu salpetriger Säure
oxydirt wird: 2NH3 + 20. = 2N().H + 411, und'dass der
entstehende Wasserstoif sofort die Kohlensäure reducirt:
CO2 + 4H = CH2O -t- HoO.
In weicher Weise der elementare Stiekstol'f zu-
nächst Verbinduni;eii eini;eht, darüber sind wir nticii im
Unklaren. Frank und Otto (IJntersucliMnjueii über Stick-
stolTassimilation in der l'tlanze. „Naturw. Woclicnschr."
VI. S. 207) nehmen an, dass der Alehri^ehalt von Aspa-
ragin, welchen die i;'rüucn Blätter am Abend aufweisen,
auf Rechnuni;- des durch die Blätter selbst aufgenonnnencn
Stickstott'es zu setzen ist, wobei sie die Fraise, ob das
Licht direct oder nur mittelbar die Assimilation beein-
tiusse, zunächst offen lassen. Die Stickstoftaufuahnie durch
die Blätter wird indessen durch Kossowitsch (Durch
welche Organe nehmen die Leguminosen den freien Stick-
stoff aufV Botan. Zeitung 1892) bestritten. Seine sorg-
fältig angestellten Versuche machen es wahrscheinlich,
dass der Stickstoff nur durcii die Wurzeln aufgenommen
wird. Kossowitsch ninnnt an, dass derselbe auch in den
Wurzeln gebunden wird.
An Stelle der verarbeiteten Kohlensäure sehen
wir Kohlehydrate auftreten, zumal Stärke. Schon
Bayer war der Ansicht, dass eine S])altung der Kohlen-
säure stattfinde: CO3II0 = CH.,0 -f- O., [CO., = CO + 0;
CO + H^O = CH..0 + 0], wobei das dem' Volumen der
verbrauchten Kohlensäure gleiche Volumen Sauerstott", das
durch die Erfahrung gefordert wird, auftritt. Konnten
wir an der Thatsächlichkeit dieses Vorgangs kaum noch
zweifeln, nachdem E. Fischer (Synthesen in der Zucker-
gruppe. Ber.d. deutsch, ehem. Ges. Bd. XXIII; siehe darüber
„Naturw. VVochenseh." Bd. V, S. 423) Zucker aus Formal-
dehyd gewonnen hatte, so hat neuerdings Bokorny
(Ueber Stärkcbildung aus Fornialdehyd. Ber. d. deutsch,
ehem. Ges. Bd. XI, 181)1) den experimentellen Beweis
erbracht, dass bei Ernährung mit oxyniethylsulfonsaurem
Natron als alleiniger Kohlenstoffquelle, welches, wie oben
bemerkt, leicht Foi-maldehyd alispaltet, in Spirogyren
reichliehe Stärkemengen erzeugt werden. Seine Versuche
gestatten ferner den Sehluss, dass das Licht nicht nur
zur Ei-zeugung des Forniahlchydes aus Kohlensäure noth-
wcndig ist, sondern auch zur Condensation desselben zu
Kohlehydrat. Welche Kräfte, abgesehen von der Licht-
wirkung, bei der Bildung des Formaldehyds aus Kohlen-
säure wirksam sind, wissen wir nicht; nach Bokorny
(1. c.) ist Kalium imlirect bctheiligt.
Die Stärke hat an und für sich nichts mit der FA-
weissbildung zu thun. Jedenfalls tritt Fornialdehyd oder
daraus gebildete Glykosc mit den Eeductionsproducten
der Salpetersäure in direetc Wechselwirkung und nur, im
Falle eine Ueberjiroduction von Formaldehyd oder Gly-
kosc eintritt, wird der Ueberschuss zeitweise in Stärke
verwandelt.
Die Verwendung der Assimilationsproducte ist nach
Loew eine doppelte. Einmal wirkt, wie oben erwähnt,
Glykose bei der Reduction der Salpetersäure mit, und
zweitens tritt Formaldehyd in Wechselwirkung mit dem
gebildeten Ammoniak, wobei zunächst Asparaginsäure-
aldchyd entsteht, aus dem durch einen Condensationsvor-
gang Eiweiss sich bildet. Loew veranschaulicht diese
Vorgänge durch die Gleichungen:
1) 4CHoO -4- NH, == CJI,NOo -+- 2H.,(>
Aldehyd der Asparagiiisiiurc
2) 3C,H,N0, = C.oIli.NaOi + 2H.,0
3) ßCaH.-NaO, -+- GIL + ILS = C,oHn.,Ni8S033 + 2IL0
Einfach.ster Ausdruck für Kiweiss.
Nach dieser Auffassung ist also die Erzeugung
asparaginartiger Körper das Resultat bereits vollzogener
Wechselwirkung der Reductionsproducte der Salpetersäure
mit Assinulati(»nsproducten. Andere Forscher, so vor .\llem
Oscar Müller, nelniien an, dass zuerst die Uebcrl'idnning
der Salpetersaure in Asparagin erfolge, welches dann erst
mit 7\ssiiiiilationsprodncten zusannnen die Eiweisskör))er
bihU'. Fehlen nun letztere, so muss nach dieser Annahme
eine Anhäufung von Asparagin eintreten, und in der
That findet eine solche bei Pflanzen, die dunkel gehalten
werden, statt. Ferner sprechen für die Annahme die
Untersuchungen von Serno (1. e.) welcher an Stelle der
verschwundenen Sal])ctersä.ure Asparagin fand. Dem-
gegenüber haben I'feffer und Borodin die Auffassung,
dass Asparagin mit der Synthese der Eiweisskörper gar
nichts zu thun habe, dass es vielmehr beim Zerfall der-
selben auftrete und aus Mangel an Kohlehydraten nicht
wieder regenei'irt werden könne, sich also anhäufen müsse.
Versuche, welche Monte verde (Ueber den Einfluss der
Kohlehydrate auf die Anhäufung des Asparagins in den
Pfiauzen. (Arb. d. St. Petcrsb. Naturf. Ver. Abth. f. Bot. Bd.
XX.) anstellte, sollten zwischen beiden Theorien entscheiden.
Er bot einem Tlieile im Dunkeln gehaltener Pflanzen den
Kohlenstofl' in Form v(ui Traubenzucker, Rohrzucker und
Mannit; diese Pflanzen zeigten keine Asparaginbiidung,
während die Pflanzen, denen die Kiddehydrate nicht zur
Verfüguug standen, reichlich Asparagin gebildet hatten.
In dem Verhalten der ersteren erblickt er einen Gegen-
beweis .gegen Müller, da derselbe angenommen habe,
dass beim Fehlen von Assimilationsproducten eine Aspara-
ginanhäufung eintreten müsse. Assimilationsproducte sind
nun allerdings nicht vorhanden; aber es sind doch Kohle-
hydrate auf dem Umwege durch die Wurzel in die Blätter
gelangt, und gerade der Umstand, dass in diesem Falle
kein Asparagin auftritt, spricht doch unseres Eraehtens
für die Müller 'sehe Theorie der Eiweissbildung. Dennoch
möchten wir uns auch Müller nicht anschliesscn, sondern
sind vielmehr nicht abgeneigt, den von O. Loew an-
gedeuteten Verlauf der Eiweissbildung für richtig zu halten,
da auch nach E. Fischer (1. c.j die Annnoniakderivate
der Zucker für wichtige Zwischenglieder bei der Eiweiss-
synthese zu halten sind.
Wo die Aufnahme des Kohlenstoffs in organischen
V e ]• b i n d u n g e n erfolgt, wird der Verlauf der Ei weiss-
bildung wohl zum Tlieil ein anderer sein. Zumal werden
Kör])er wie Asparagin und \'erwaudte, welche als Kohlen-
und Stickstoffquelle zugleich dienen, eine direete Verar-
beitung erfahren, während bei Ernährung mit Kohle-
hydraten der Verlauf obigen Gleichungen ents])rechen wird.
Die Entstehung des Schwefelwasserstoffs, der in
der letzten derselben gefordert wird, aus .Sulfaten hai)en wir
uns ebenso zu denken, wie die des Ammoniaks aus Nitraten.
Es wäre noch der Herkunft der Säuren, vor allem
der Oxalsäui'c zu gedenken, durch welche die aufge-
nonunenen Mineralsäuren in Freiheit gesetzt werden. Es
entstehen, wie oben erwähnt, einmal Säuren bei der Re-
duction der Salpetersäure, indem die K(ddehydrate für
den abgegebenen Wasserstoff' Sauerstoff eintauschen; ferner
aber unterliegen jedenfalls die stickstoff'freien Spaltungs-
producte der Eiweisskörper einem Oxydationsi)rocess durch
den elementaren aus der Luft aufgenommenen Sauerstoff,
wie es auch in einigen Fällen wahrscheinlich ist, dass
schon bei der Spaltung direct Säuren entstehen.
Die Fortsehritte, welche die Frage nach der Bildung
der Eiweissstolfe in der Pffanze in letzter Zeit gemacht
hat, lassen uns hoffen, dass wir uns auf dem richtigen
Wege zu deren Lösung befinden und somit auch zur Er-
kenntniss der Constitution des Eiweissmoleküls.
472
Naturwisseusehaftlicbe Wochenschrift.
Nr. 43.
In der Erforschiiui^ des eigentlichen Cliolei-afj^iftes,
also der Sul)stanz oder der Substanzen, welche, von den
Koniniabacillen producirt, die Symptome der Cholera-
erkrankuni,' hervorrufen, hat Prof Eluunericli in München
kürzlich einen Fortschritt gemacht, dessen Tragweite
sich zwar heute noch nicht übersehen lässt, der aber
jedenfalls als sehr bemerkenswerth zu bezeichnen ist.
Der genannte Forscher macht auf die Bedeutung der
von den Chnlcrabactcrien rcichlicii erzeugten salpeterigen
Säure oder ihrer Salze aufiiierksani. Schon gegen ge-
ringe Mengen von Nitriten sind Thiere und gerade
in besonders hohem Maassc der Mensch sein- eniptind-
lich. Die Symi)tonie der Vergiftung gleichen in ihrem
Gesammtbilde einer Erkrankung an Cholera auffallend,
und E. ist denn auch der Ansicht, dass die Nitrite
die wesentlichste Ursache der Choleraerkrankung und
des tödtlichen Ausganges bilden, wobei er sich unter
anderem auf Versuche stützt, welche beweisen, dass
Choleraculturen, die mehr Nitrite liefern als andere, auch
entsprechend giftiger wirken. — Demnach hätte eine
zweckmässig geleitete Propliylaxe der Cholera auch die
möglichste Vermeidung nitrathaltiger Nahrungsmittel
anzustreben, damit die im Darm vorhandenen Konniui-
baeillen keine (iclegenheit linden, Nitrite aus den einge-
führten Nitraten zu bilden, und so die Cholera eben eme
unschuldigere Cholerine bleibt.
Im Gegensatz zur Pflanzenkost ist das Fleisch so gut
wie niti-atfrci, falls es nicht etwa in Form einer mit Sal-
peter zubereiteten Conscrve genossen wird. Es eni])tiehlt
sieh also, in Epidciniczciten nK'igiichst wenig Vegetabilien
zu geniessen, und die innner wiederholte Warnung vor dem
Essen von Salat und Gemüse wird theoretisch verständ-
licher. Auch manclie sonst keimfreie Leitungs- und
Brunnenwässer wirken durch ihren Nitratgehalt schädlich.
Daher können chennsche Untersuchungen des Trinkwassers
beim Herannahen der Cholera nicht dringend genug em-
pfohlen werden. Seh.
Elektri.sclie KnltHrversuche theilt Prof. Wollny
(München) in den „IVirschungen auf dem (iebiete der
Agrikulturpliysik'- iKi. Bd., Heft 3/4) mit. Die sichtbaren
Acusserungen der atmosphärischen Elektrieität legten die
Vermuthung nahe, dass dieselbe auch einen merklichen
Einfluss auf das Pflanzenwachsthum ausüben müsse. Die
im Boden eingewurzelte Land]»flanze bietet mit iin'cn
Zweigen der Luft eine grosse ( )bcrtläche dar, noch inniger
stehen die Wurzeln mit dem feuchten Erdreich in Berüh-
rung und ein grosser Theil des Prtanzenköri)ers besteht
aus stellenweise sehr wasserreichem Gewebe, welches
einen geeigneten I^lektricitätsleiter bildet. Es ist deshalb
sehr wahrscheinlich, dass ein Ausgleich der beständig-
wechselnden elektrischen Spannungsditferenzen zwischen
Atmosiihäre und Erdboden durch den Pflauzeukörper hin-
durch stattfindet.
Die ersten elektrischen Kulturversuche reichen bis zur
Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück. Der Gedanke,
die atmosphärische Elektrieität i)raktisch auszunützen, hat
sogar den Abbe Bertholon (1783) zur Construction eines
„Elektro-Vegetometers" veranlasst, welches dazu dienen
sollte, dieselbe den Pflanzen zugänglich zu machen. Die
zahlreichen, späteren Arbeiten, welche den Einfluss der
Elektrieität auf das Wachsthum und dieProductionsfähigkeit
zum Gegenstand hatten, führten zu vielfachen und unlös-
baren Widersprüchen, deren Ursachen zum grossen Theil
in der meist fehlerhaften Versuchsanordnuug zu suchen
sind. Abgesehen davon, dass wahrscheinlich in vielen
dieser Versuche gewisse wirksame Nebenumstände (nament-
lich Licht und Wärme) nicht genügend berücksichtigt
wurden, besitzen fast alle Untersuchungen dieser Art den
Fehler, dass die Zahl der Pflanzen eine zu geringe und
deshalb dem Zufall der weiteste S])ielraum gewährt war.
Prof. Wollny hat nun in den Jahren 1888, 1889 und
1891 Versuche in grösserem Maassstabe mit folgenden
Pflanzen angestellt: Kartott'cl, Sommerroggen, Erbse,
Ackerb(dnie, Sonnnerraps, Leindotter, Lein und Runkel-
rübe. Er gelangte daliei zu dem Schluss, dass die atmo-
sphärisclu' Elekti'icität sieh ohne Wirkung auf das Wachs-
tlium und Pniductionsvermiigen der Pflanze erweist.
Wenn auch die Versuche, die Elektrieität als Reiz-
mittel auf bewegliche Blätter und Blüthcntheile etc. an-
zuwenden (vgl. .,Natur\v. Wochenschr." Bd. VII, S. 313)
einige beachtcnswerthe Ergebnisse geliefert haben, so
sind doch die l)ctrcft'endcn Forschungen noch unzureichend,
um ein klares Bild des wahren Verlaufes dieser Vegeta-
tionserscheinungen unter dem Einfluss der Elektrieität zu
liefern.
R. M.
Interessante biolosisclieMittheiliuiffen übereinige Or-
tJiopteren ansOraii nuicht J.Vosselcr (Jahresh.Ver. vaterl.
Naturk. Wurttcndtcrg. 49. J. Stuttgart 1893. S.LXXXVIl).
— Er sannneite im Juni und J>di 1892 im westlichen Dran
und erbeutete etwa 60 Arten Geradflügler, von denen
9 Formen neu waren. Ohrwürmer und Schaben waren
selten, häutig Gottesanbeterinnen. Auch Grillen waren
nicht liäuflg, dagegen überaus gemein die Laub- und Feld-
heusehrecken. Einzelne Formen sind auf eng begrenzte
Gebiete beschränkt. Im allgemeinen ist die Fauna die
der Steppe; mit der westlichen Lage steht im Zusammen-
hang, dass wenig oder ungeflügelte Arten vorherrschen.
Einige Formen sind der Wüstenfarbe ausgezeichnet an-
gepasst, einige sind ausgesprochen Bergformen, wieder
andere leben stets in der Nähe des Wassers. Meist leben
die Heuschrecken auf dem Boden oder dürrem Grase.
Eine Locustide konnnt nur auf Disteln vor. Von den vier
Wanderheuschrecken des Mittelmeergebietcs kommt Pachy-
tylus migratorius L. mehr im Osten, Calo}denus Italiens L.
in Süd-Europa, Schistoeerca peregrina (Miv. und Stauro-
notus maroecanus Thunb. in Algier und südlich vor.
Die letzten beiden, namentlich Schistoeerca, sind Oran
gefährlich. Diese niisst erwachsen 6,ö cm und ist roscn-
roth oder gelb, mit Braun und Schwarz gemischt. Die
Eier werden von den Weibchen, die dabei eine sonder-
bare Stellung einnehmen, in Höhlungen des Bodens ein-
gekittet. Die jungen Larven kriechen im März oder April
blass aus der Erde und werden in wenigen Stunden
schwarz. Mit jeder Häutung ändert sich die Farbe. Zu-
erst treten weisse Flecken auf; nach der dritten Häutung
überwiegt rosenrotli, nach der vierten citronengelb. Mit der
sechsten und letzten kommt wieder das Rosenroth zur Gel-
tung, jedoch werden die erwachsenen Thiere nach etwa
14 Tagen gelb. Etwa nach der vierten Häutung schaaren
sich die bisher einzeln lebenden Thiere zusannncn. Vosseier
betheiligte sich an der Vernichtung der ungeheuren ge-
frässigen Schwärme. In Weingärten richten sie nament-
lich dadurch Schaden an, dass sie die Stiele der un-
reifen Trauben abbcissen, ohne diese zu fressen. Die
Thiere werden in Gruben getrieben und verbrannt oder
gegen ein aufgespanntes Tuch und an diesem entlaug in
ein Fass mit Erdöl gejagt. Auch triel) man sie auf
Stoppelfelder und zündete diese an. Die Eierhäufchen
werden von Kindern eingesammelt. Dass die Heuschrecken-
plage trotzdem nicht abninunt, konnnt daher, dass im Süden,
auf dem Hochplateau der Steppen und am Nordrande
der Wüste immer neue Schaaren unbehelligt vom Menschen
heranwachsen. Der natürlichen Feinde sind wenige. Larven
von Schmarotzerinsecten fand Verf. nicht. Lerchen und
Nr. 4:i
Naturwissensiliaftlifhe Woehensclirif't.
473
Ilüliiu'v tVcsson die HcuscIiroL'kcn y-cni. Die Infectioii mit
dem Pilz Lacliiiidinm acridiorum Giard sclieint wenig Er-
folg- gehabt zu haben. Die flugfertigen Tliiere warten,
bis alle Altersgenossen voll entwiekelt sind. Doeli lagern
aueli dann mtrli die Sehwärme oi't, (dnie zu wandern, im
sogenannten ilalfameer fuhr der Zug stundenlang dureh
solche Seinvarme, die die Luft vom l'oden bis zu 10 und
15 m H(ihe erfüllten. Der Flug der Thicre ist gut, ähn-
lich dem der Wasserjungfern.
Nur in den Hügelketten an der marokkanischen
Grenze und im Gebiete des grossen Atlas lebt die grillen-
iihnliche Eugaster Guyoni Gero. Sie Hüchtet vor den
Sonnenstrahlen in Felsspalten. Die Weibchen sind tlügel-
los, die Männchen zirpen mit ihnen, wobei der
Hinterrand der Mittelbrust als Schalldeekel wirkt. Werden
die Thiere angegritfen , so spritzen sie dem Feinde
bis auf ^j., Meter Entfernung kräftige Strahlen einer gelb-
licligrünen Flüssigkeit entgegen, die ätzt und namentlich
Schleimhäuten unangenehm wird. Sie konunt aus Poren,
die sich zwischen Hüfte und Scheukelring der zwei ersten
Beinpaare befinden. Mit grosser Sicherheit treffen die
Insekten genau die sich nahende Hand, indem sie, j'e nach
der Grösse des greifenden Köi'pers, die vier Strahlen con-
oder divergiren lassen. Es ergab sieh, dass es das Plut
ist, welches das Thier ausspritzt. Es liegt hier also der-
selbe Fall wie beim Oelkäfer vor. C. M.
Krenzuiigcii von wilden und /ahmen Meei*-
(scliweinchen. — Seit dem Erscheinen von Kengger's
Naturgeschichte der Säugethiere von Paraguay, Basel 1830,
sind die von diesem Autor S. 277 angeführten Beobachtungen
über das Verhältniss von Cavia aperea und Cavia cobaya
oft citirt und als allgemein gültig hingestellt worden.
Dem gegenüber habe ich bereits 1891 in meiner Ab-
handlung „über die Fortpflanzung und Abstannnung des
Meerschweinchens", welche im „Zo(dogischen Garten",
1891, Heft 3, erschienen ist, nachgewiesen, dass die
meisten Angaben Rengger's entweder geradezu unrichtig,
oder nicht allgemein gültig sind.
Inzwischen ist es mir durch die Güte des Herrn
Dr. Heck, Direetors des hiesigen Zoologischen Gartens,
möglich gewesen, die Frage, ob sich diejenige wilde
Meerschweinchen-Art, welche als Cavia ajjcrea bezeichnet
wird, mit dem Hausmeerschweinchen fruchtl)ar kreuzen
lässt, genauer zu verfolgen und zu prüfen. Hierbei hat
sich herausgestellt, dass die ßengger'schen Beobachtungen,
sofein sie als allgemein gültig hingestellt werden, völlig-
unzutreffend sind.*) Indem ich mir vorbehalte, über die
betreffenden Zuehtversuche im „Zoologischen Garten" aus-
führlich zu berichten, theile ich hier kurz die Haupt-
resultate mit:
1. Im Widerspruch mit den Angaben Rengger's lässt
sich die wilde Ca\ia aperea mit Cavia cobaya (dem Ilaus-
meerschweinchen) ohne alle Schwierigkeiten kreuzen, so-
wohl wenn man ein Männchen der wilden Art mit einem
Weibehen der zahmen Art zusammenbringt, als auch wenn
man umgekehrt verfährt.
2. Die erzielten Bastarde zeigen eine unbedingte
Fruchtbarkeit bei Anpaarung, d. h. bei der Paarung mit
einer der Stannn-Arten. Bei Paarung unter einander
scheinen die Bastarde, soweit die bisherigen Versuche
reichen, nur eine geringe Fruchtbarkeit zu entwickeln.
*) Renfjger giebt an, dass es ihm trotz mehrfacher Versuche
niemals gelungen sei, Hausmeerschweinchen mit Apereas zu
paaren. Auf Oruml dieser Angabe wird oft behauptet, dass eine
solche Paarung überhaupt nicht angiingig sei. Vergl. z. B. Blasius,
Säugethiere Deutschlands, S. 430.
3. I5ci allen den erzielten zahlreichen Bastarden hat
sich der bemcrkenswerthe Umstand gezeigt, dass die
gleichmässigc, feinnielirte Färbung des Haarkleides, welche
wir bei den wilden Cavien üiierhaupt und insbesondere
auch bei C. aperea sehen, mit grosser Zähigkeit festgehalten
wird. Fleckenbiblung in der Färbung des Haarkleides,
wie sie bei C. cobaya übli(di und speeiell auch bei den
zu vorliegenden Züchtungen verwendeten Exemplaren
vorhanden ist, hat sich bisher nur bei einem Bastard
und auch hier nur in sehr unbedeutendem Maasse gezeigt;
alle anderen sind gleichmässig gefärbt, ohne Flecken-
bildung. Die Haarfarbe der wilden Art wird also bei
der Vererbung sehr bevorzugt. Einige Exemplare zeigen
Melanismus; sie sind glänzend schwarz gefärbt.
4. Obige Versuche könnten zu Gunsten derjenigen
Ansicht gedeutet werden, dass Cavia aperea die wilde
Stammart des Hansmcerscdiweinehens sei. Dieser Ansieht
stehen aber wichtige historische Gründe entgegen, wie
ich in dem oben citirten Aufsatze nachgewiesen habe.
Als wirkliehe Stannnart des Hausmeerschweinchens hat
man die in Peru verbreitete Cavia Cutlcri anzusehen,
welche von den alten Peruanern domesficirt worden ist.
C. Cutlcri und C. aperea sind aber mit einander nahe
verwandt. Prof. Dr. A. Nehring.
Xantlialin, ein neues Alkaloid des Opiums, von T.
und A. Snuth ^^ Co. (Pharm. .Journ. and Trans. 52, 793/94).
Das neue Alkaloid wurde in den von der Krystallisation
der rohen Chlorhydrate von jMorphin und Codein hiiiter-
bleibenden Mutterlaugen aufgefunden. Aus diesen wird
es gemeinsam mit Narcotin und Paiiaveriu durch Ver-
dünnung und sorgfältige Neutralisation gefällt. Von beiden
letzteren Alkaloiden wird es auf Grund seiner geringen
Affinität zu Säuren getrennt, indem der gereinigte Nieder-
schlag mit einer zur völligen Lösung ungenügenden Menge
Salzsäure behandelt, der verbleibende Rückstand nach
sorgfältigem Auswaschen in verdünnter heisser Salzsäure
gelöst wird. Bei genügender Koncentration dieser Lösung
erstarrt dieselbe beim Erkalten als schwammige Masse,
nach Entfernung der dunklen Mutterlauge dem Narcein
gleichend, aber durch seine leuchtende gelbe Farbe von
ihm unterschieden. Das so erhaltene, aus verdünnter
Salzsäure uinzukrystallisirende Chlorhydrat scheidet schon
beim Kochen mit Wasser oder beim Erhitzen auf 150°
während einiger Stunden die freie Base als weisses Pulver
ab, das den Namen Xantlialin wegen der gelben Farbe
seiner Salze erhalten hat Dasselbe schmilzt bei 206°
und erhielt auf Grund der Analysen die Formel C.j7H.j(;N.0;i.
In Wasser und Alkalien ist das Alkaloid unlöslich, in
kochendem Weingeist schwer, in Benzol reichlicher, in
Chloroform sehr reichlich löslich. Das Chlorhydrat bildet
gelbe voluminöse Nadeln von der Zusammensetzung
C.j;H3öN.,09 • 2HC1 + 4H.(). — In concentrirter Schwefel-
säure löst sich Xanthnliii mit tief orangerother Farbe,
wird aber ohne Erhitzung nicht zersetzt; beim Stehen,
rascher nach Zusatz von Wasser, geht das dunkle Orange
in Blassgelb über, und es krystallisirt das Sulfat in gelben
Nadeln heraus. — Auch Saliietersäure löst das Xantlialin
in der Kälte ohne Zersetzung, bei grossem Ueberschuss
von verdünnter Salpetersäure kann die Lösung sogar bis
zum Sieden erhitzt werden. Das Nitrat bildet glänzende,
orangegelbe Nadeln. Das Xanthaliu wird in schwefel-
saurer Lösung durch Zinkgranalien leicht reducirt, wobei
die gelbe Farbe versehwindet und, nach dem Erkalten,
das Sulfat einer neuen Base, des Hydroxanthalius, (in Ver-
bindung mit Zink) auskiystallisirt. Diese Base wird aus
der wässerigen Lösung des Sulfats als harzartiger Körper
gefällt und dureh Umkrystallisiren aus Alkohol in Form
474
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 43.
weisser, harter Krystailc gewonnen. Dieselben schmelzen
bei 137°, sind wasserfrei und besitzen die Formel
CstHtoNoO,,. Die Salze sind farblos, leicht löslich und
krystallisiren gut. Mit concentrirter Schwefelsäure geben
die geringsten Spuren des Alkaloi'ds eine tiefviolette
Lösung, welche auf Zusatz von Wasser verschwindet,
durch Zufügung von mehr Vitriolöl aber wieder hervor-
gerufen wird. Sp-
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Professor Dr. Mo eli, DirHctor der städti-
schen Irrenanstalt in Horzberge bei Berlin, zum Hilfsarbeiter im
Cultusmiuisterium. — Mr. Leonard ,J. Spencer vom Sidney
Susse.x College in Cambridge zum Nachfolger des verstorbenen
Petrographen Thomas Davies an der mineralogischen Abtheilung
des British Museum in London. — Der Lehrer der Zoologie an
der Universität des Staates Michigan Dr. Henry B. Ward zum
Professor an der Universität Lincoln in Nebraska. — Prof. hon.
Dr. F. Treadwell zum Ordinarius für analytische Chemie am
eidgenössischen Polytechnicum in Zürich. — Der Mitarbeiter am
geographischen Institut in Weimar Dr. Kettler zum Professor. —
Professor Dr. Behrend Pick in Zürich zum Bibliothekar an
der herzoglichen Bibliothek in Gotha.
Prof. Dr. Paul Sorauer tritt von seiner Stellung als Leiter
der ptIanzeuphysiologi,schen Versuchsstation in Proskau zurück.
Es haben sich habilitirt: Dr. M. von Lenhossek, Prosector
an der anatomischen Anstalt der llniversität Würzburg, in der
medicinischen Facultät. — An der Universität Wien Dr. Meyer-
hofer für Chemie und — Dr. Hammerschlag für innere
Medicin.
Es sind gestorben: William Ruxton Davison, Curator des
Raffles-Museums, in Singapore. — Der Ornithologe Wilhelm
Theo bald, Prediger der evangelisch - reforniirten Gemeinde in
Kopenhagen. — Professor Dr. Karl Jenny, früher Lehrer an
der Technischen Hochschule in Wien, daselbst. — Dr. Etienne
Michel van Kempen, Professor der Anatomie an der Univer-
sität Loewen, daselbst. — Der Geologe und langjährige Director
der k. k. geologischen Reichsanstalt Hofrath Dionys Stur in
■\yien. — Dr. Friedrich Gustav Narr, ausserordentlicher Pro-
fessor der Physik an der Universität München, daselbst.
Ein subtropisches botanisches Laboratorium ist in Eutis im
Staate Florida errichtet worden und steht unter der Leitung von
Professor Swiuglo.
L i 1 1 e r a t u r.
Robert Mayer, Kleinere Schriften und Briefe. Nebst Mit-
theilungen aus seinem Leben. Herau.sg. von Prof. Jacob
J. Weyrauch. Mit zwei Tafeln. J. G. Cotta'sche Buchhandlung,
Nachfolger. Stuttgart 1893. — Preis 10 Mk.
In No. 27, S. 278 konnten wir die durch Prof. Weyrauch er-
folgte Herausgabo der dritten Auflage von Mayer's Sannnelwerk
„Die Mechanik der Wärme" anzeigen ; das vorliegende Buch bildet
eine vorzügliche Ergänzug zu diesem Werk. Mit derselben Liebe
und demselben Fleiss wie die erste hat der Herausgeber die vor-
liegende neue Veröffentlichung behandelt, für die ihm, abgesehen
von Anregungen, die durch dieselben die Wissenschaft selbst er-
halten wird, die Geschichte der Naturwissenschaften besonderen
Dank schuldet. Das Buch ist in 2G Abschnitte gegliedert:
1. Jugendbriefe an Laug, 18o2 — 1844; 2. Das Santonin, Inaugural-
Dissertation, 1838; 3. Tagebuch der Reise nach Ostindien 1840;
4. Familienbriefe von 1839 und 1840; 5. Erste Fassung des ersten
Aufsatzes, 1841; 6. Briefwechsel mit Carl Baur, 1841 — 1844; 7. Brief-
wechsel mit Wilhelm Griesinger, 1842—1845; 8. Erste Beurthei-
lungen über Mayer's ersten Aufsatz und über den Aufsatz „Die
organische Bewegung"; 9. Kleine Aufsätze, 184.5— 1866; 10. Mit-
theilungen an die Pariser Akademie, Prioritätsstreit mit Joule,
1846—1851; 11. Briefwechsel mit Gustav Reuschle, 1848 — 1871;
12. Zwischenfall mit Seyft'cr, 1849—18.50; 13. Mayer und die Fort-
schritte der Physik, 1850—1881; 14. Mittheilungen an die Akadenue
in München, Wien, Turin, 1851, 1869; 15. Göppingen, Winnenthal,
1851—1892; 16. Falsche Todesnachricht, 1854-1873; 17. Au.szeich-
nungen Mayer's, 1858—1875; 18. Tyndall, Clausius, Reusch, 1862
bis 1866; 19. Autobiographisches, 1863—1877; 20. Kennenburg,
1865-1871; 21. Mohr, Liebig, Schaft'hausen, 1867— 1869; 22. Mayer
als Rezensent; 28. Naturforscherversammlung zu Innsbruck, 1869
bis 1892; 24. Verschiedenes 1866-1877; 25. Familienbriefe, 1845
bis 1874; 26. Grabreden, 1878. Auf der einen Tafel ist Mayer im
Jahre 1868, auf der anderen sein Wohn- und Sterbehaus in Hoil-
bronn zur Darstellung gebracht worden.
Karl Neumann. Aus Liebe, Ehe und Eheleben der 'Vogelwelt
(Heft 169 der neuen Folge, 8. Serie von Virchow-Wattenbach's
Samndung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge).
Verlagsanstalt A. G. (vormals J. F. Richter) Hamburg 1893. —
Preis 0,60 Mk.
Das Heftchen stellt kurz das Bemerkenswertheste über das
geschlechtliche Loben der Vögel zusammen.
H. J. Kolbe, Einführung in die Kenntniss der Insecten. Mit
324 Abbildungen, 709 Seiten. Ferd. Dümmler's Verlagsbuch-
handlung. Berlin 1893. — Preis 14 Mk.
Das Erscheinen des Buches ( 14 Lieferungen ä 1 Mk.) hat lange
gedauert (von 1889 bis jetzt), aber in diesem Falle bewährt sich
das Sprüchwort: „Was lange währt, wird gut." Man kann dem-
jenigen, der nicht nur spielerig sammelnd, sondern mit dem Wunsch,
den Gegenstand wissenschaftlich zu erfassen, sich mit Insecten-
kunde beschäftigt, kein besseres Buch empfehlen als das von
Kolbe. Dabei ist aber wohl zu beachten, dass es durchaus auch
dem Verständnisa derjenigen angepasst ist, denen zoologische
Vorkenntnisse fohlen. Es befähigt den angehenden Entomologen,
sich allmählich fachmännisch in das von dem Autor (Custos an iler
zoologischen Sammlung des Königl. Museums für Naturkunde zu
Berlin) so durchdringend beherrschte Gebiet einzuarbeiten und
weist ihm durch die zahlreichen Litteraturangabon auch den Weg
zur Weiterforschung. In einer Schulbibliothek sollte es nirgends
fehlen. Die Litteratnrlisten und die geschickte Zusammenstellung
unserer Kenntnisse aus der allgemeinen Insectenkunde und
das vorzügliche und umfangreiche Register machen das Work
auch zu einem trefl'lichen Handbuch für den Fachmann, der es
oft mit Nutzen zu Rathe ziehen wird. Wir hoffen bald aus den
allgemeiner interessanten Abschnitten dos trefflichen Werkes Probon
ebenso wie von denjenigen Abbildungen bringen zu können, die
dem Buche einen besonderen Werth verleihen.
Fritz Bühl, Die palaearktischen Orossschmetterlinge und ihre
Naturgeschichte. 1. und 2. Doppel-Lieferung. Ernst Heyne.
Leipzig 1892. — Preis k 1,20 Mk.
Es kam dem Verfasser darauf an, die zahlreichen Species und
Varietäten der paläarktischen Grossschmetterlinge dem sich dafür
interessironden Publicum in einem Sammelwerke in Beschreibungen
zur Anschauung zu bringen. Die zahlreichen entomologischen
Zeitschriften haben bekanntlich eine grosse Zersplitterung des
littorarischen Materials im Gefolge, so dass es den meisten
Schmettei-lingsfreunden fast nicht möglich ist, sich die Beschrei-
bungen aller Arten zu verschaffen; jedenfalls ist dies sehr be-
schwerlich und umständlich. Die europäisch en Grossschmetter-
linge sind ja meist in selbstständigen Werken behandelt; aber es
finden sich in ihnen nicht alle Varietäten, welche namentlich in
den letzten Jahrzehnten bekannt geworden sind. Das Werk soll
alle Grossschmetterlinge Europas, Nordafrikas, West-, Nord-,
Central- und Ostasiens umfassen. Der Verfasser hat die Boschrei-
bungen theils selbst gemacht, theils aus der Litteratur entnommen.
Uebersichtstabellen der Arten und Varietäten enthält die erste
Lieferung nicht, obgleich solche bei grossen Gattungen, wie Par-
nassius, wohl angebracht wären. Das Buch ist daher mehr als
ein Sammelwerk der bekannten Arten und Varietäten der paläark-
tischen Grossschmetterlinge zu bezeichnen und hat als solches
praktischen Werth, namentlich wegen der zum Thoil recht aus-
führlichen Beschreibungen und der genauen Angabe des Vater
landes, der Oertlichkeit und der Flugzeit. Die Richtigkeit und
Vollständigkeit der Angaben entzieht sich natürlich der augen-
blicklichen Controlle.
Eine Einleitung zu dem Werke bilden Kapitel über „die
muthmaassliche Ableitung der Schmetterlinge und ihr erstes Auf-
treten", „Einwanderung und Verbreitung", „die geographische
Umgrenzung," ferner Kapitel über die Verwandlungsstadien und
Anleitungen zum Sammeln, Präpariren u. s. w.
Bei der Durchführung der ersteren Kapitel der Einleitung,
deren Inhalt sehr wenig befriedigt, sind mir mehrere bedenkliche
Unrichtigkeiten aufgestossen. So z. B. scheint es dem Verfasser
unbekannt zu sein, dass es in Deutschland Lepidoptoron giebt,
deren Raupen im Wasser loben, nämlich Paraponyx stratio-
tata und Acentropus niveus*). Bei Besprechung der etwaigen
Stammverwandtschaft der Lepidopteren und Neuropteren, speciell
Trichoptoren, deren Larven im Wasser leben, verweist <lor Ver-
fasser nämlich auf das Vorkommen von Wasserraupen (Palnstra)
in Amerika als merkwürdige Thatsache in dieser Beziehung. Bei
seiner 40 jährigen Erfahrung, deren sich der Verfasser im Vorwort
riüimt, hätte ihm das Vorkommen obiger Gattungen in unserer
Fauna nicht entgehen, beziehungsweise deren Lebensweise nicht
unbekannt bleiben sollen.
Die Paul Oppenheim 'sehe Deutung der angeblichen Jura-Lepi-
*) Vergl. H. J. Kolbe, Einführung in die Kenntniss der In-
secten. S. 522, 527.
Nr. 43.
Naturwissenscliaf'tlic'lie Wochenschrift.
475
doptercii ist längst widerlegt; die l)etreffenden Reste aus Jiira-
scliicliteii werden Hynienopteren und Cicadiden ziigesehriebcn.
Aueli in der Geologie sclieint der Verfasser niclit lie-
wandert zu si'in ; denn bei Besprecliuns der Eiszeit liinsielitlieli
der Vernielitung der damaligen Lepidoi)teren und der Bildung
einer ueueu Fauna verlegt der Verfasser die erste grosse Eiszeit
in die Mioeiinepoche (!), welelier alle Lebewesen nach seiner
Meinung zum ( Ipfer fielen.
Eine falsclio Vorstellung bewirkt aueb die Angabc, dass einige
Naelikonuneii der früheren Polarflora Deuts(ddands, die noeh jetzt
an einigen Plätzen unseres Landes vorkoinnuiu, nändich u. a.
Care.x inicrostachya, chordorrhiza und Salix niyrtil-
loides, an dem einzigen deutschen Fundorte (Heuschcuer-See)
jetzt ausgerottet seien. Nacli der mir zu Gebote stehenden Lit-
teratur kommen diese Moorpflanzen noch an anderen Punkten
Deutsclilands vor.*)
Die gegenwärtige Fauna soll sicli, wie der Verfasser meint,
in eine zalilreiche. nach Gattungen und Arten äusserst verschie-
dene Familie «palten!
Die Kapitel, in denen diese Verhältnisse und Tlioorien be-
handelt sind, liätten besser fortbleiben können. Im Uobrigen ist
dem Werke aller Erfolg zu wünschen. Kolbe.
Dr. Adolf Jos. Fick, Die elementaren Grundlagen der astrono-
mischen Geographie. Gemeinveraläudlich dargestellt. Mit zwei
Sternkarten und SO Text-Abbildungen. 2. durchgesehene Auf-
lage. Manz'selie k. und k. Hof-, Verlags- und Uuiversitäts-
Buclihandluiig (Julius Klinkhardt i*i Co.). Wien 1893.
Das Bueli ist gut geeignet den Autodidacten in das behan-
delte Thenui einzuführen, dessen Kenntniss freilich jedem Gebil-
deten geläufig sein sollte, denn ein wahres Verständniss geogi-a-
phiseher Dinge setzt diese Kenntniss voraus. Verf. wünscht sieh
auch Mütter als Leser seines Buches, um sie in die Lage zu
bringen, ihre Kinder über die wichtigen vorgetragenen Dinge be-
lehren zu können: möchte sein Wunsch vielfach in Erfüllung ge-
gangen sein und gehen!
Albrecht Wilke, Leitfaden für den Unterricht in Chemie und
Mineralogie an höheren Lehranstalten. H Eckardt, Kiel 1893.
Sehr geschickt behandelt der Leitfaden (Uieniie und Minera-
logie in aller Kürze. Der Mineralogie sind ein Abschnitt Pe-
trographie und einer, Geologisches, angeschlossen. An der Hand
des Lehrers dürfte der nur 88 Seiten umfassende Leitfaden gute
Dienste thun.
Arbeiten der Section für Mineralogie, Geologie und Palä-
ontologie des Naturwissenschaft!. Vereines für Steiermark.
Graz 189o. — K. Hoernes: Die Kohlenablagerungen, von Kadel-
dorf, Stranitzen undLubnitzergraben bei Rötschach und von St. Briz
bei Wöllan in LTntersteiermark. Untersuchungen über das Alter
der an genannten Lokalitäten auftretenden Kohlenablagerungen,
welche, als Sotzka-Schichten bezeichnet werden. Ebenfalls als zu
den Sotzka-Schichten gehörig, werden oligocäne, kohlenführende
Schichten angesehen, welche bei Sagor, Hrastnigg, Trifail und
Tüft'er anstehen. Unter anderen hatte Verfasser schon früher
darauf hingewii'sen, dass nach dem Vorgange Rolle's die Kohle
des Lubnitzeugrabens bei Rötschach der Kreide angehören könne.
Seine neuesten Untersuchungen, welche allerdings noch wi'iterer
Bestätigung bedürfen, haben zu dem Ergebniss geführt, dass die
Sotzka-Schichten älter sind, als die bei Sagor und Trifail an-
stehenden, und dass ein Theil der Kohlenvorkommen der eingangs
genannten Lokalitäten sicher zur Kreide gehört, wogegen ein an-
derer seiner Stellung nach bisher noch nicht festgelegt werden
konnte und vielleicht dem Eocän zuzurechnen sein dürfte. Die
Schichten von Sagor und Trifail sind (Jligocän. Die sogenauton
Sotzka-Schichten umfassen einen Comple.\ von dem Alter nach
sehr verschiedenen Ablagerungen, und ist es daher gerathen, den
Namen ganz fallen zu lassen. — Lovrekovic: Ueber die Am-
phibolite bei Deutsch-Landsborg. Geologische und petrographische
Studien über die in den Gneisen und krystallinischen Schiefern
am Ostabhang der Koralpen vorkommenden Amphibolite. Die-
selben treten dort als Zoisit- und als Granat-Amphibolite auf. —
*) Vergl. z. B. H. Potonie, Illustrirte Flora von Nord- und
Mitteldeutschland. 4. Aufl. Berlin 1889, S. 38 u. a.
C Doelter: Bericht über die geologische üurchfmschung des
Bachergebirges. Das Bachergebirge steigt im Czerni-KogI (Schwarz-
kogl) bis zu 1541) m empor, wird Tiach N. durch eine mit Tertiär-
schichten ausgefüllte WSW. zu DNO. verlaufende Spalte vom
Possruckgebiete getri'unt und ferner durch eine Linie umgrenzt,
welche sich längs des Missliugbaehes (SW. und S.), über Missling,
St. Florian nach Unter-Didlitsch, längs des Jesenitza-Baches nach
Lubnitz, längs des Lubnitzen-, Drann-, Augen- und Losnitzbaches
(SO.), ferner längs der Ebene von Pulsgau bis Rosswein (0.) und
endlich von der I)rau bis Lembach (,N.l und von dort bis Drau-
burg hinzieht. Die ältesten Schichten treten in diesem Gebiete
im O. und SO. auf und werden nach W. und NW. durch immer
jüngere ersetzt. Das Massiv des Gebirges bildet (iranit, den ein
Mantel von Schiefern umgiebt, an die sich noch weiter, z. B. im
NO. Trias- und ganz am Rande Tertiärschichten anlagern. Ver-
fasser bespricht die Geologie und den Bau des Gebirges und zum
Schluss das Vorkommen nutzbarer Mineralien. Die Erforschung
soll fortgesetzt und das Gebiet kartographisch dargestellt und
monographisch beschrieben werden. — J. A. Ippen: Zur Kennt-
niss der Eklogite und Amphibol Gesteine des Bacher-Gebirges.
Verfasser ist neben den Herren Duclter und Eigel einer der Er-
forscher des genannten Gebirges und hat speciell die Untersuchung
der Amphibol-, Eklogit- und Augitgi'steinn unternommen, deren
Resultat theilweise hier vorliegt. Die Untersuchungen sind ]ii-tro-
grai)hischer Natur.
Den Antiquar. Katalog No. 33 „Geologie und Palaeonto-
logie," u. a. enthaltend die Bibliotliek und Karten.sannnlung, des
Geologen Jul. Ewald bringt die Handlung Ma.x Weg in Leipzig
soeben zur Versendung. Der reichhaltige Katalog umfasst 97 S.
Die Preisliste No. 11 über physikalische Apparate, che-
mische Instrumente und Geräthschaften von Ferdinand Er-
necke, Präcisions-Mechaniker und Optiker in Berlin, ist Anfang
dieses Jahres zum Preise von 3 Mk. (für die Fachhnite gratis)
erschienen: ein stattliches ca. 8IJ0 Abbildungen enthaltendos Heft,
das da zeigt, wie die Firma bemüht ist, mit der Wissenschaft
Schritt zu halten. Kataloge, wie diu- vorliegende, haVien daher
für diejenigen, die sich für die Fortschritte der Instrumenten-
kunde interessiren, einen liesonderen Wertli. Zwei Inhaltsver-
zeichnisse erleichtern die Benutzung der Preisliste sehr wesentlich.
Eder, Dir. Dr. J. M., u. E. Valenta, Ueber den Verlauf der Bunsen-
schen Flammenreactionen im ultravioletten Spectrum. Wien.
0,20 M.
Ettinghausen, Prof. Dr. Const Frhr. v., Ueber neue Pflanzcn-
fossilien aus den T<'rtiärschichten Steiermarks. Wien. 2.40 M.
Finger, Dr. Jos., Ueber den Haujitpunkt einer beliebigen Axe
eines materiellen Punktsystems. Wien. 0,.50 M.
Hann, J., Der tägliche Gang der Temperatur auf dem 01)irgi|ifel.
Wien. 0,70 M.
Kerner de Marilaun, A., Schedae ad floram exsiccatam austro-
hungaricam Wien. 2,80 M.
Keyserling, Graf E., Die Spinnen Amerikas. Nürnberg. 35 M.
Lepsius, Rieh., (ienlogie von Attika. Berlin. 54 M.
Schneider. Prof. Dr. Osk., Sau Remo und seine Thierwelt im
Winter. Berlin. 2 M.
Schumann, Vict. , Ueber die Photographie der Lichtstrahlen
kleinster Wellenlängen. II. Tbl. Wien. 3 M.
Siebenrock, Assist. Frdr., Zur Osteologie des Halteria-Kopfes.
\Vien. 0,(iO M.
Stehlin, H. G., Zur Kenntniss der postenibryonalen Schädelmeta-
morphosen bei Wiedi'rkauern. Basel. 6,40 M.
Steindachner, Dr. Frz., Ichthyologische Beiträge (XVI). Wien.
1,40 iM.
Briefkasten.
Hr. Prof. G. — Der übliche Bericht über die Versamm-
lung Deutscher Naturforscher und Aerzte beginnt in der nächsten
Nummer. Wir haben die Veröft'entlichung einige Wochen hinaus-
geschoben, weil wir warten wollton, bis der authentische Wort-
laut der Hauptvorträge vorlag.
Inhalt: Prof. Dr. Hugo Werner: Eine Reise zur Weltausstellung nach Chicago. — Dr. Karl Thomae: Die Bildung der Ei-
weisskörper in der Pflanze. — Erforschung des eigentlichen Choleragiftes. — Elektrische Kulturversuche. — Biologische Mittheilungen
über Orthii]itereii aus Oran. — Kreuzungen von wilden und zahmen Meerschweinchen. — Xanthalin, ein neues Alkaloul des
Opiums. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteralur: Robert Mayer: Kleinere Schriften und Briefe. — Karl Neumann:
Aus Liebe, Ehe und Eheleben der Vogelwelt. — 11. .1. Kolbe: Einführung in die Kenntniss der Insecten. —Fritz Rühl: Die
palaearktischen Grossschmetterlinge und ihre Naturgeschichte. — Dr Adolf Jos. Pick: Die elemoutan'n Grundlagen der astro-
nomischen Geometrie. — Albrecht Wilke: Li'itfaden für den Unterricht in Chemie und Mineralogie an höheren Lehran-
stalten. — Arbeiten der Section für Mineralogie, Geologie und Paläontologie. — Antiquar. Katalog No. 33 „Geologie und
Paläontologie." — Preisliste No. 11 über physikalische Apparate, chemische Instrumente und Geräthschaften von Ferdinand
Ernecke. — Liste. — Briefkasten.
476
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 43.
= 8118 jlBcifcrXeil iiu|rEr ftjiclnb unb (jrmcindcrftniibliil) ncjctiricbtitfii
„angcmcintii iJlafiirfunbc" crjciicint jocbtit: =
Jl^rilmfdj
^:prof. Dr. golj. ^mikt.
Jireife,
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., luv.
Verlag: Ferd. Düinmlers Vcrlagsbuchhaudluug, Ber
alidenstr. 44, für den Inserateutheil: Hugo Bernsteiu in Berlin.
lin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung:, Berlin SW. 13, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 29. October 1893.
Nr. 44.
Abonnement: Man abonnirt bei allen BuehbandUmgen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Briugegeld bei der Post 15 ^ extra.
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sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereiukunft. Inseratenanuahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollständi«ter <|nellenaiigabe gestattet.
Mathematische Spielereien in kritischer und historischer Beleuchtung.
Von Prof. Dr. H. Schubert.
VIII. Das Nonnenspiel. (Solitilrspiel.)
Wer hat niebt in seiner Kiudbeit einmal das Gednld-
spiel geschenkt bekommen, das in Nord -Deutschland
Nonnenspiel und sonst meist Solitärspiel genannt wird?
Es besteht aus einem Kästchen, in welchem sich 32 Holz-
Pfl(ickchen befinden, und in dessen Deckel ;53 Löcher von
der Grösse angebraelit sind, dass die Pflöckeben gerade
hineingesteckt werden können, und dann aufrecht auf dem
Deckel stehen. l>ei den in Deutschland ültlicben Nonnen-
spielen bilden die 33 Löcher des Deckels die folgende
Figur:
Bei Anfang des Spiels werden die 32 Pflöekcben in
die 32 Löcher gesteckt, welche um das Mittelloch, das
frei bleibt, symmetrisch gnippirt sind. Die .Sj)ielregel be-
steht darin, dass, wenn von drei horizontal oder vertical
liegenden, aufeinanderfolgenden Löchern das eine äussere
frei, das andere äussere aber und das mittlere Loch be-
setzt sind, der in diesem andern äusseren Loch steckende
Pflock herausgenommen und in das freie äussere Loch
gesteckt werden darf, wobei aber dann nothwendiger
Weise auch der mittlere Pflock entfernt werden nniss.
Jede derartige Pflock- Veränderung soll ein „Zug" heissen.
Es ist klar, dass durch jeden Zug ein Pflock vom Spiel-
))retf verschwindet. Gewöhnlich betrachtet man a,ls Ziel
des Geduldspiels, die Züge so einzurichten, dass schliess-
lich nur noch ein einziger Pflock übrig bleibt. Natürlich
sind zur Erreichung dieses Zieles 31 Züge erforderlich.
Dem Anfänger wird es aber gewöhnlich so ergehen, dass
ihm schon nach wenigen Zügen mehrere Pflöcke stehen
bleiben, die er durch die Zug -Regel nicht mehr entferuen
kann. Man wird sich daher, bevor man grosse Uebung
in dem Spiele erlangt hat, schon damit begnügen, wenn
am Schluss nicht gar zu viel unentfernbare Pflöekcben
stehen geblieben sind; und man wird das Nonnens])iel
um so besser gespielt haben, je weniger solche Pflöckchen
einem sehliesslicli übrig geblieben sind. Hat man aber
ausreichend Geduld, so wird es einem endlich gelingen,
alle Pflöckchen bis auf einen zu entfernen; ja, es lässt
sich sogar erreichen, dass der übrig bleibende Pflock beim
31sten Zuge gerade auf das Mittelloch zu stehen kommt.
Vielfach steckt man sich auch als Ziel bei dem Nonnen-
spiel, es so einzurichten, dass auf ganz bestimmten vorher
bezeichneten Löchern Pflöckchen stehen bleiben, so dass
diese dann eine interessante Figur bilden. Andererseits
sucht man auch Probleme zu lösen, welche davon aus-
gehen, dass nicht alle Löcher des Spielbretts besetzt sind,
sondern nur solche, deren Pflöckchen ein Kreuz, ein Qua-
drat, ein Achteck oder sonst eine hübsche Figur bilden,
und man betrachtet es dann gewöhnlich als das Ziel des
Geduldspiels, diese Pflockchen sämintlich zu entfernen,
bis auf ein einziges, das beim letzten Zuge gerade auf
das Mittelloch gerathen soll. Diese letzteren Probleme
sind, wenn sie überhaupt lösbar sind, leichter als das
zuerst genannte, von 32 Pflöekcben ausgebende Problem.
Um die verschiedenen Probleme stellen, kritisch be-
handeln und lösen zu können, müssen wir eine Bezeich-
nung der 33 Löcher einführen. Es ist dabei zweckmässig
und übersichtlich, sich die Bezeichnung der Felder des
Damenbrctts für Schacii-Aufgaben zum Muster zu nehmen
und demgemäss die Verfical-Columnen von links nach rechts,
der Reihe nach, durch die 7 Buchstaben von A bis G,
478
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 44
dag-egcn die horizontalen Reihen, von unten nach oben,
der Reihe nach, durch die 7 Zahlen von 1 bis 7 7,u be-
zeichnen. So wird dann jedes Loch durch die Verbindung
einer Zahl mit einem Buchstaben unzweideutig- gekenn-
zeichnet, nämlich so:
C7
D7
K7
06
D6
E6
A5 B5
C5
D5
E5
FSjGö
A4JB4
04
D4
E4
F4 G4
A3 B3
03
D3 E3
F3
G3
0 2 D2 E2
Ol Dl El
Mit Hilfe dieser Bezeichnung kann man dann auch
die Züge selbst symbolisch darstellen; und zwar empfiehlt
es sich, einen Zug, welcher einen Pflock von einem Loch
in «in anderes versetzt, wie einen Bruch zu bezeichnen,
dessen Zähler und Nenner so heissen, wie das Anfaugs-
E4
und das Schlussloch. So würde z. B. ^^^-r den Zug be-
0 4
deuten, bei welchem ein in E 4 steckender Pflock auf das
unbesetzte Loch C 4 rückt, was nach der Spielregel nur
gestattet ist, wenn das dazwischen liegende Loch 1) 4
besetzt war, und der in ü 4 steckende Pflock bei dem
Zuge entfernt wird. Aus dieser Darstellungswcisc der
Züge geht hcivor, dass bei jeder Zug- Bezeichnung die
beiden oberhalb und unterhalb des Striches stehenden
Zeichen entweder gleiche Zahlen oder gleiche Buchstaben
haben. Im ersten Falle müssen die beiden Buchstaben
solche sein, dass zwischen ihnen nur ein Buchstabe im
Alphabet vorhanden ist, im zweiten Falle müssen die
beiden Zahlen sich um 2 unterscheiden.
Wir beginnen nun mit der inmier leicht auffindbaren
Lösung einiger von den oben zuletzt erwähnten Problemen,
bei welchen nur ein Theil der sämmtlichcn Löcher des
Spielbretts besetzt ist und dann verlangt wird, dass schliess-
licli nur ein Pflock im Mittelloeh stehen bleibt. In jedem
der Probleme bezeichnen die schwarzen Felder die an-
fänglich als besetzt betrachteten Löcher. Manche Probleme
haben mehrere Lösungen, von denen jedoch nur eine hier
mitgetheilt ist, und zwar mit Benutzung der oben einge-
führten Bezeichnung der Züge. Die Züge sind natürlich
in der aus der Nunierirung hervorgehenden Reihenfolge
zu maciien.
I. 9 Pflöcke, die ein Kreuz bilden:
^
Lösung: 1)
8)
D3
Dl'
DG
Di
2)
D5
D3'
... B4
"^D4'
4)
D4
D2'
5)
F4
D4'
6)
Dl
D3'
7)
D3
D5'
IT. 9 Pflöcke, die ein Dreieck bilden:
T •• i^F.3 -. E5 ,,03 ,, F3 ., D4 „, 05 B3
Losung: 1) -, 2) ^, 3) j^, 4) ^^, o) ^,^, f.) ^3, 7) ^,
8)
D2
D4'
in. 24 Pflöcke, die ein schräg liegendes Quadrat
bilden :
E3
El
E5
G!
Lösung: l) ^^^ 2) g-J, 3)^, 4)^, 5) g|, 6)^, 7)^,
DO
8) ^;, 9) -^ 10) ^^, 11) ^-. 12) ~, 13) ~, 14) ^, ir.) ^,
Ifi)
07
E7'
D4
B4'-
E7
E5'
E5
05'
04
06'
E3
D6
B6'
A4
04'
B6
ß4'
,„, B5 ,_, 02 ,^,, E3 „,04 .,,,01 „„> B3 D2
") B3' '^^ 04' 1^) 03' -°^ 02' ^') 03' ^^^ D3' ^"^^ D4-
IV. 16 Pflöcke, die eine Doppeltreppe bilden. (Der
übrig bleibende Pflock kommt auf I) 5 zu stehen.)
w//////ymm\ v/zv/mw/m, \i'Jim
Lösung: 1)
E5
E3'
21^
«•§
4)
E5
8)
03
05'
9)
06
E6'
10) ^. 11) ^'
D6'
0(5'
12)
E7'
B5
D5'
5)
13)
E7
07'
07
05'
G)
14)
05
03'
05
E5'
7)
15)
A4
Ü4'
F5
D.V
Von Problemen, welche umgekehrt von dem besetzten
Spielbrett ausgehen und dann verlangen, dass schliesslich
eine vorgeschriebene Figur übrig bleibt, sei beispielsweise
das folgende erwähnt. Die Löcher des Spielbretts sind
mit Ausnahme des mittleren, D 4, sämmtlich besetzt. Dann
soll so gezogen werden, dass schliesslich das Mittelloch
Nr. U.
Naturwisseuscliaf'tliclic WocliciiSL-liiirt.
47'J
D 4, sowie die 12 Lfidier (k'S Uiiifani;s mit Ansiiahiiui der
beiden Löciier A 4 und G 4 in der liorizontalcn Mittel-
linie besetzt sind, so dass also am Selduss noch 1 1 Pflöcke
vorhanden sind. Dieses Problem lässt sich dureii die
tollende Zuy- Serie lösen:
'' D4'
C5
17)
G3
E2
C2'
CG
E6'
0 5
4)
C5
C3'
,- C2
?6' 6)
12)^,
' E5
13)
E5
E7'
E5
C5'
14^^^
'^'C3'
„.ET
IM ^^
'^^A3'
8)
F5
D5'
E3
E5
A5'
■8) E3' '9) G3' 20) K5' -1' G5'
Gewöhnlich sncid mau jeddch beim Nonncns])iel nicht
die beiden soeben bcsiirochcnen Aut'!;-aben-Arten zu hiseu,
sondern man betrachtet es als das Ziel des Spiels, so zu
ziehen, dass alle Pflöcke, bis auf einen, entfernt, oder wie
man nach Analoi;ie des Dame-Sjtiels sagt, „gesch!ag:eu"
werden. Man kann sich diese Aufgabe dann noch da-
durch erschweren, dass man es so cinzuricliten sucht,
dass der allein übrig bleibende Pflock auf ein vorher be-
stinuntes Loch zu stehen kommt, gerade so wie man auch
als das anfänglich allein leere Loch statt des mittleren
irgend ein anderes wälden kann. Das anfangs allein leere
Loch soll im Folgenden immer Anfangsloeh, das am Schluss
allein besetzte Loch Schluss-Loch der Zug-Serie heissen.
Es ist bcvveislnxr, dass l)ei beliebig gewähltem Anfangs-
loeh nicht jedes, sondern nur einige ganz bestimmte Löcher
Selduss- Löcher werden können. Wenu man also zwei
ganz beliebige Löcher als Anfangs- und als Sehluss-Loch
auswählt, so kann es leicht vorkonniien, dass das Problem,
alle Pflöcke bis auf den letzten zu entfernen, ganz un-
lösbar ist. Wohl aber ist das Problem inniier lösbar,
wemi mau nur das Anfangsloeh, nicht aber auch das
Schlussloch von vornherein willkürlich Itcstimmt. Ins-
besondere lässt sich auch beweisen, dass das Nonnenspiel
immer gelingen kann, wenn man die Bestimmung trifft.
dass ein beliebig
gewähltes Loch Anfangs- und Schluss-
Loch zugleich sein soll. Doch erfordert die Auffindung
einer Lösung dieses Problems \\q\ Geduld und Ueber-
legung. Als Beispiel für eine solche Lösung wählen wir
die von Dr. Reiss in Frankfurt a. M. in Crelle's Journal
( Band 54) gelieferte Lösung der Aufgabe, von den 32 Pflöcken,
welche die sämnitlichen Lficher des Nonnenspiels mit Aus-
nahme des Mittelloehs besetzen, 31 Pflöcke nach der Spiel-
regel zu entfernen und es dabei so einzurichten, dass der
allein auf dem Brett bleibende 32ste Pflock gerade auf
das Mittelloch zu stehen konnut.
Diese Lösung lautet:
<4
^)iT
^'?1-
^)i'
^' E3'
«)|^-
„. D3 G3
^^T3' ^^'e3
»I&
■»)!■
">ii
-)ij'
1S^°^
^^^ B5'
-)S'
i^^E7 C4
15)^7' IG) CG
"'S
-)S
^<j
-)ä
-)||'
23) ^, 24) ^2
-)§!■
■«•l*.
9S^^^^
-)^'
''^ m
F4
3')d4-
Nachdem wir nun das Nounenspiel und seiue Probleme
etwas näher kennen gelernt haljcn, bleibt es uns noch
übrig, einiges Geschichtliche zu diesem früher mehr als
jetzt verbreiteten Geduldspiele hinzuzufügen. In der fran-
zösischen „Encyclopcdie mcthodique" wird berichtet, dass
es von einem französischen Reisenden erfunden sei, als
derselbe in Amerika beobachtete, wie die Indianer ihre
Pfeile an den AVänden ihrer Hütten aneinander reihten.
Andere behaupten, dass das Spiel aus China stamme, wo
es schon in sehr alter Zeit gespielt sein soll. Sichere
Nachrichten über das Nounenspiel finden sich jedoch nicht
früher, als aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Kein
Geringerer, als der berühmte Philosoph und Mathematiker
Leibnitz macht schon im ersten Bande der Verötrent-
lichungen der von ihm gegründeten Berliner Academie
auf unser Spiel aufmerksam. lu diesen Miscellanea Bero-
linensia (vom Jahre 1710) veröffentlicht Leibnitz eine
„Annotatio de quiltusdani ludis" genannte Althandlung, in
welcher er das Sdlitärspiel nnt den Worten einführt: Non
ita pridem iucrebuit huli genus singulare (picni „Soli-
tarium" ai)pellant. Später'") sein'eibt Leibnitz Folgendes
über das Spiel: „Das Solitarium genannte Spiel hat ndr
ziemlich gut gefallen. Ich habe dasselbe gerade umge-
kehrt augefasst. Statt nämlich nach der Si)ielregel die
Pflöcke vom Brett dadurcii zu entfernen, dass man mit
einem Pflock über einen andern Pflock auf einen leeren
Platz springt und den übersprungenen Pflock heraus-
innnnt, fange ich lieber mit einem leeren Brett an und
fülle die übersprungenen leeren Plätze aus. So zerstöre
ich nicht, sondern schaffe. Vor allem kann ich mir dann
die xVufgabe stellen, eine gewünschte Figur aus den hin-
gesetzten Pflöcken zu bilden, die sicher herstellbar ist,
falls es nur nach der alten Spielregel gelingt, sie zu zer-
stören." Dieser Vorschlag von Leibnitz, welcher üljrigens
das Wesen des Spiels gar nicht ändert, hat wohl damals
keine Verbreitung oder keinen Beifall gefunden, da das
Sjiiel, wie es scheint, sowohl früher wie jetzt immer so
gespielt wird, dass die Pflöcke entfernt werden. Von
Leibnitz bis zur Mitte unseres Jahrhunderts findet sich
das Sjjiel hier und da erwähnt, ohne dass jedoch irgend-
wo näher darauf eingegangen wird. Im Jahre 1853 aber
gab Dr. Reiss in Frankfurt a. M. eine erschöpfende Theorie
des Spiels, welcher 1857 dann auch die Ehre widerfuhr, in
das damals bedeutendste mathematische Journal, das
(■relle'sche, aufgenommen zu werden. Die nach dieser
grundlegenden Arbeit erschienenen Abhandhuigen über das
Nonnens|)iel liefern zwar Erweiterungen und Ergänzungen,
al)er nichts wesentlich Neues. Bes(tnders beachtenswcrth
ist von diesen Abhandlungen die von Hermary verfasste
und 1879 durch die Association francaise pour lavaneement
des scienees (Ccmgres de ]\Iontpellicr) veröffentlichte, so-
wie die sehr ausführliche und eingehende Besprechung,
die Herr Lucas in seinen „Recreations" dem Spiel zu
Theil werden lässt.
Nur eiuige v(hi den Resultaten der mathematischen
Behandlung mögen hier Platz finden. Zunächst ist zu
beachten, dass es für die Theorie des Spiels gleichgüKig
ist, welche Figur die Löcher des Spielbretts haben, und
dass es daher übersichtlicher ist, von einem unbegrenzten
Spielbrett nnt quadratiseh geordneten Lilchern in beliebig
grosser Anzahl auszugehen. Dann fragt es sieh, ob man
nicht Reihen von aufeinanderfolgenden Zügen, der Ver-
einfachung wegen, zu einem einzigen Zuge zusammen-
fassen kann. Dies erweist sieh als wichtig uud praktisch
nur in dem Falle, wo 5 Löcher die Figur des T bilden,
eins der beiden äusseren leer und die 4 übrigen Löcher
besetzt sind. Dann lässt sich immer so ziehen, dass die
l'flöeke in drei inneren Löchern verschwimlen. Jlan hat
nämlich, wenn in der lu'istehcndcn Figur a' das leere
Loch bedeutet, folgende drei Züge zu thnn:
1
a'
a
i
a'
a
k
a
1
a
1
Man kann daher diese drei Züge dadurch zu einem
„Tripelzug" zusammenfassen, dass man den in a stecken-
*) In einem von Leibnitz an lli'rrn von Montniort am 17. Ja-
nuar 17 lü geriehteton Briefe.
480
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 44.
den Pflock stehen lässt und die in i, k, 1 stehenden drei
Pflöcke einfach fortninimt. Natürlich bleibt die Sache
ebenso, wenn die :') Löcher statt der obigen Figur eine
der folgenden drei t^igureu bilden:
1
a
;i'
k
1
k
i
i
kj,
a
i
a'
a'
a
Jeden solchen Tripelzug wollen wir durch (i, k, 1)
bezeichnen, wenn i, k, 1 die drei Mittellöcher bedeuten.
Beispielsweise lässt sich die Entleerung der 25 mittleren
Löcher in einem Schachbrett von 7 mal 7 Löchern, dessen
Rand frei ist, bloss durch Tripclzügc bewerkstelligen,
wie aus der beistehenden Figur und Tripelzug- Serie her-
vorgeht :
1) (B4, B5. ß6)
2) (C4, C5, CG)
3) (D G, Eli. FOl
1) (D5, E5, F5)
5) (F4, F3, r-2)
(!) (F4, Eo, E2)
7) (0 2, C2, B2)
8) (D 3, C 3, B 3].
ABC I) E
Durch diese 8 Tripelzüge werden von den 25 Pflöcken
des mittleren Quadrats alle entfernt bis auf den im Mittel-
loch D 4 stehenden Pflock.
Um eins der Haujjtresultate in der oben erwähnten
Abhandlung von Rciss verstehen zu können, müssen wir
den Begritif der Congruenz zweier Löcher einführen. Den
Uebergang von einem Loch zu einem horizontal oder
vertical daneben befindlichen wollen wir einen Schritt
nennen. Dann hcis.sen zwei Löcher ., congrucnt", wenn
sie in liorizontaler Richtung um 0, 3, 6, 9 u. s. w. Schritte
und zugleich in verticaler Richtung um 0, 3, 6 u. s. w.
Schritte entfernt sind. Denken wir uns z. B. ein Schach-
brett mit 8 mal 8 Löchern, so würden z. B. cougruent
zu dem Eckloch A 1 die folgenden Löcher sein: A 1, A 4,
A 7, D 1, D 4, D 7, G 1, G 4, G 7.
A B C D E F G H
l^'erner würden sich als congrucnt zu E 5 diejenigen
ergeben, die in der vorstehenden Figur schattirt sind. Es
lässt sich leicht einsehen, dass auch auf dem unbegrenzt
gedachten Spielbrett nicht mehr als U firuppen von ein-
ander congruenten Löchern denkbar sind. Denn jedes
Loch muss congrucnt zu einem von 9 ein Quadrat bilden-
den, sonst aber beliebig ausgewählten Löchern sein. So
ergel)en sich also auch auf dem Spielbrett des Nonnen-
spiels in seiner gew(ihnliehen Form 9 Gruppen von ein-
ander congruenten Löchern, wie aus der beistehenden
Figur ersichtlich ist, wo alle einander congruenten Löcher
immer durch eine und dieselbe Zahl bezeichnet sind:
4
5
6
7
8
9
2
3
1
^
3
1
2
5
6
4
5
6
4
5
8
9
7
8
9
7
»
1
2
3
4
5
6
Mit Hilfe des soeben eingeführten Begriti's der Con-
gruenz lässt sich nun folgender von Reiss bewiesener
Lehrsatz aussi)rechcn : „Bei jeder Lösung dcsNonnen-
spiel-Problems muss das Schlussloch dem An-
fangsloch congrucnt sein, wenn das Spiel die
beistehende übliche Gestalt hat." Da jedes Loch
sich selbst congrucnt ist, so kann es natürlich auch vor-
kommen, dass das Schlussloch mit dem Anfangsloch identisch
ist. Umgekehrt ist auch von Reiss bewiesen, dass bei
einem Spielbrett von 33 Löchern jedes Pr(d)lem, das ver-
langt, alle Ptlöckc bis auf einen durch Schlagen zu ent-
fernen, lösbar ist, sobald man ein ganz beliebiges Loch
als Anfangsloch und ein dazu congruentes als Schlussloch
von vornherein bestimmt hat. Deshalb lassen sich die
lösbaren Probleme nach der Wahl der Anfangs- und
Schlusshicher bequem eintheilen. Um diese Eintheilung
v(U'zubereitcn, theilen wir die Löcher zunächst in Grupj)en
von unter sich congruenten. Derartiger (Jrupjten muss es,
wie oben gezeigt ist, bei jedem Spielbrett, also auch bei
unserm mit 33 Löchern, inimern neun geben. In der That
erhalten wir als einander congrucnt:
C7
D7
E7
C6
D6
E6
A5
B5
C5
D5
E5
F5
G5
A4
B4 C4
D4
E4
F4
G4
A3
B3
C3
D3
E3
F3
G3
C2
D2
E2
Cl Dl
El
1) D4, A4, D7, G4, Dl;
2) C 4, C 7, F 4, C 1 ;
3) E4, E7, B4, El;
4) C.5, C2, F5;
5) D5, A5, G5, D2;
G) E5, B5, E2;
7) C3, CG, F3;
S) D3, D6, A3, G3;
9) E 3, B 3, E 6.
Da nun in jeder Gruppe jedes Loch Anfangsloch und
dieses selbst, sowie jedes andere Schlussloch sein kann,
so erhalten wir aus der ersten Gruppe 5 mal 5, also
25 Probleme, aus der 2ten, 3ten, 5ten, 8ten Gruppe je 16
und aus der 4ten, 6ten, 7ten, 9ten je 9 Probleme, was im
ganzen 125 Probleme ergiebt. Diese Zahl lässt sich aber
crhebUch herabsetzen, und zwar zuvörderst durch die
Ueherlegung, dass durch genaue Umkehrung einer ein
Problem hisenden Zug- Serie innner die Lösung eines an-
dern Problems hervorgeht, wenn Anfangs- und Schluss-
loch verschieden sind. Betrachtet man zwei solche
Nr. 44.
Natuvwissenschaftlic'lie Wochenschrift.
481
Probloine nur als ein einziges, so erhält man aus der ersten
Grupj)e nur lu Probleme, aus der 2ten, ;Uen, .')ten, Sten
(iiru})iie je 10 und aus der 4ten, (Jten, 7ten, Uten je 6 Pro-
bleme, so dass sich im ganzen nur 79 Probleme ergeben.
Eine weitere Reduction dieser J'rdblem-Zaid wird durch
die Symmetrie des Spielbretts veranlasst. Denkt man das
S])iclbrctt um einen, zwei oder drei rechte Winkel im
Sinne eines Uhrzeigers oder im entgegengesetzten Sinne
gedreiit, so nehmen meist neue Liiehcr die Lagen der
alten ein, und S(i werden Probleme, die, der Be/eiehnung
nach, als verschieden gelten, dem Wesen nach identisch.
Löcher, die sich im eben angedeuteten Sinne nur durch
die Stellung des Spielbretts unterscheiden, sollen sym-
metrische heissen. Der Symmetrie nach kann man die
3;^ Löcher in folgender AVeise zusammenstellen. Es sind
zu einander symmetrisch:
I.
II.
III.
IV.
D4;
C4, DS, E4, 1)3;
C5, E.""), E.S, C.3;
B4, D6, F4, D-2;
V. B 3, B 5, C Ü, E 6, F 5,
VI. A 4, D 7, G 4, D 1 ;
A3. A 5, C 7, E 7, G .5
VTI
F3, E2, C2;
G3, El, Cl.
Fasst man alle Probleme, bei denen ebensowold die
Anfangslöchcr wie die Schlusshieher zu einander sym-
metrisch sind, auch noch zu einem einzigen Probleme zu-
sanmien, so erhält man im ganzen nur Iß verschiedene
Prol)leme, welche im Folgenden durch Bezeichnung des
Anfangslochs und des Schlusslochs dargestellt sind. Man
beachte dabei, dass jedes sonst noch denkbare lösbare
Problem sicii als nicht wesentlich verschieden von einem
dieser IG Probleme erweisen muss:
1) D4 bis D4, -2) D4 bis G4, 3) G4 bis G4, 4) G 4 bis D 7,
.'•)) G4 bis A4. G) E4 bis E4, 7) E4 bis E7, 8) E 7 bis E 7,
9) E4 bis Bi.-JlO) E7 bis B4, U) E7 bis El, V2) B4bisB4,
13) E 5 bis E .5, 14) E 5 bis E 2, 15) E 2 bis E 2, 16) E 2 bis B 5.
Für jedes dieser 1(5 Probleme hat Rciss eine Lösung
gegeben. Doch ist zu beachten, dass immer ausser der
Reiss'schen Lösung noch andere Lösungen existircn. Die
Reiss'sehen Lösungen nnigen hier, nach der Wiedergabe
von Herrn Lucas, Platz linden:
1) D 4 bis D 4 ist schon oben angegeben;
2) D 4 bis 6 4, ebenso wie 1), nur der letzte Zug
muss ^r-i statt ^q— ; heissen:
G 4 D 4
nur der erste
Zug
3) G 4 bis G 4, ebenso wie 2) ,
muss TT-, statt t^^ heissen :
G4 D4 '
4) G 4 bis D 7 wird durch folgende Zug-Reihe gelöst:
E4E2IMG3G^I^inmC^D3['nF3C4
G4' E4' F4' E3' E4' E2' E3' El' E2' F3' E3' D3' C2'
A3 A5 D3 A3 C2 E6 G5 E4 E7 C7 C6 D5 E7
03' A3' B3' C3' C4' E4' E5' E6' E5' E7' E6' F5' E5'
F5 B4 D4 B5 D5.
D5' D4' DG' D5' D7'
5) G4 bis A4, die ersten 24 Züge wie in 4), dann
aber weiter:
C4 E5 E7 B5 Eö C6 C4.
C6' C5' E5' D5' C5' C4' A4'
G) E 4 bis E 4 wird durch folgende Zug-Reihe gelöst :
EG G5 E4G4E3G3D3ElF3C3mE3B3
E4' E5' E6' E4' E5' E3' F3' E3' D8' E3' D3' CS' D3'
Cl DB A3 A5 B5 C4 A3 C2 D5 C7 E7 C4 C7
C3' B3' C3' A3' B3' C2' C3' C4' B5' C5' C7' CG' C5'
B5 E6 D4 C6 E6.
D5' C6' D6' EG' E4'
7) E4 bis E 7, ebenso wie 6), nur der letzte Zug
muss „ „ statt „ , heissen:
E7 E4 '
8) E7 bis E 7, eben.so wie 7), nur der erste Zug
muss i^ ^- statt „ , heissen ;
E 7 E4
9) E 4 bis B 4, in den er.sten 27 Zügen ebenso wie 6),*)
dann aber weiter:
EG E4 DG DJ.
E4' C4' D4' B4'
10) E7 bis B4, ebenso wie 9), nur der erste Zug
E 5 , ,, E 6 , .
muss i, > statt =r-r heissen-,
iL t jii 4
11) E 7 bis E 1, in den ersten G Zügen wie 10), dann
24 Züge horizontal .symmetrisch zu dem 7tcu bis 30ten Zuge
F ^
in G) und als 31ten Zug endlich :!^;
P2) B 4 bis B 4 wird durch folgende Zug-Reihe gelöst:
IM CG A5 C4 07 E7 EG D5 C7 B5 C2 A3 C4
BT C4' 05' CG' 05' 07' CG' ß5' 05' Dö' 04' 03' 02'
Cl El E2D3C1B3E4G5G3D5G5E6F4
C3' Ol' 02' B3' 03' D3' E6' Ed G5' F5' E5' E4' D4'
D4 F3 D2 A4 D4.
IF2' D3' D4' 04' B4'
13) E f) bis E 5 wird durch folgende Zug-Reihe gelöst:
E3 G3 G5 F5 E2 G3 E4 El Cj C2 D3 El F3
El' E3' G3' F3' E4' E3' E2' E3' El' E2' F3' E3' D3'
D5 E7 F5 C5 D7 E5 B5 C7 D5 A5 A3 B3 04
F5' E5' D5' E5' D5' 05' D5' 05' B5' 05' A5' B5' CG'
A_5 CG 03 04 E3.
05' 04' E3' E4' E5'
14) E 5 bis Vj 2, ebenso wie 13), nur der letzte Zug
muss :R-7i statt ^ heissen;
E 2 E 5
15) E2 bis E 2, ebenso wie 14), nur der erste Zug
E4 , ,, E3 , .
muss =rH statt ^^^ heissen;
E 2 E5
IG) E2 bis B .0, die ersten 28 Züge so wie 15), dann
D3 D4 B3
aber :
Die eben hergestellten Lösungen der 16 Fundamental-
probleme des Nonnenspiels beziehen sich nur auf ein
Spielbrett ndt 33 Löchern von der oben geschilderten Form.
In Frankreich sind jedoch Spielbretter mit 37 Löchern
von folgender Gestalt üblich:
07
D 7 j E 7
B6
C6
DG
E6
FG
A5
B5J05
D5
E5
F5
G5
A4
B4
C4 D4
E4
F4JG4
A3
B3
03
D3
E3
F3
G3
B2
0 2
D2
E2
F2
01
Dl
El
*) In Lucas' Arbeit ist liier ein Druckfehlev, es muss dort
VI statt VIIl heissen.
482
Natiirwisscnscliaftliche Wochenschrift.
Nr. 44.
Sehr bcmerkeiiswcrth ist, dass Reiss (Crelle's Journal
Band .54) uiatiicnialisch streng- bewiesen iiat, dass bei
diesen französischen Siiielbrettern nicht jedes Feld als
Anlangsfeld g■e\^:ihlt werden darf, wenn es gelingeu soll,
alle rtlöcke bis auf einen zu entfernen. Beispielsweise
ist das Nininenspiel-Problem geradezu unlösbar, wenn man
anfangs das lAlittelfeld 1)4 allein frei lässt. Es können
überhaupt nur IC) Felder als Anfangsfelder gewählt wer-
den, damit das Problem der Entleerung lösbar werde.
Diese 16 Felder gruppiren sich uaturgemäss in 4 Gruppen,
von einander cong-ruenten Feldern, nämlich:
Erste Gruppe: D 5, G 5, D 2, A5;
Zweite Gruppe: D 3, DG, G 3, Ao;
Dritte Gruppe: C 4, C 7, F 4, Gl;
Vierte Gruppe: E4, E 7, El, B 4.
Nun lässt .sieh folgende Regel beweisen: „Wenn das
Anfangsfeld in der ersten Gruppe gewählt wird, so muss
ein Feld der zweiten Gruppe .Schhissfeld werden, oder
umgekehrt; ebenso, wenn das Anfangsfeld in der dritten
Gruppe gewählt wird, so muss ein Feld in der vierten
Gruppe Schlussfcld werden, oder umgekelirt." Insbes<mdere
kann also niemals eins der 16 möglicheu Anfangsfelder
zugleich auch Schlussfeld werden.
Beispielsweise möge hier eine Lösung für diese fran-
zösische Form des Nonneuspiels Platz linden, und zwar
eine solche, welche G 3 als Anfangsloch, D 2 als .Schluss-
loch hat:
E3
El
D3
G3
B3
Ol
D3
A3
D6
F5
E7
Dö G5
G3'
E3
F3'
E3'
D3'
C3'
B3'
C3'
D3'
D5'
E5'
Fb' Eö
B5
C7
D.5
A5
D3
F4
F2
G4
Dl
C4
A4
D7 B6
D3'
05'
BS'
C5'
E3'
Ü4'
F4'
E4'
D3'
CG'
C4'
D5' DG
D.5
E4
FG
D3
B2
D7
Dö
B4
D4
D7'
EG'
DG'
B3'
B4'
D5'
D3'
D4'
D2
Hermary hat in seiner oben eitirten Abhandlung auch
eine Lösung für den Fall gegeben, dass das Spielbrett
noch 4 Löcher mehr hat, als das eben behandelte, im
ganzen also 41 Löcher. Die 4 hinzukommenden Löcher
würden bei unsrer Bezeichnungsweise D 8, H 4, D 0 und
Z 4 heissen, wenn wir links von der mit A Itezeichneten
Verticalreihe noch den Buchstaben Z als A vorhergehend,
hinzufügen. Wahrscheinlich ist bei einem solchen Spiel-
brett die Zahl der lösbaren Probleme noch beschränkter,
als bei einem Spielbrett mit 37 Löchern. Hermary meint
sogar, dass ausser der von ihm gelieferten Lösung und
derjenigen, welche die genau umgekehrte Zug- Reihe be-
sitzt, keine Lösung weiter existirt. Doch ist das noch
nicht bewiesen. Üeberhaupt bedarf die Theorie des
Nonnenspiels noch sehr der theoretischen Förderung. So
ist z. B. über die Anzahl der Lösungen eines Problems,
das zwei zulässige Löcher als Anfangsloch und als Schluss-
loch nimmt, noch gar nichts gefunden. (VVinl fortgesetzt.)
„Oligodynamische" Erscheinungen in lebenden Zellen.
Nach einer iiachgelasseuen Arbeit von Carl von Nilgoli.
(Fortsetzung.)
Mit der Teinperaturzunahme steigert sich die Schäd-
lichkeit des Wassers sehr erheblieh. Die vergleichenden
Beobachtungen zeigten, dass die einen Proben eines Ver-
suches, die in einer Temperatur von 15° C. gehalten
wurden, erst nach längerer Zeit, die andern aber je mehr
dieselben erwärmt wurden, um so schneller oligodynamische
Erscheinungen zeigten. Bei 30° C. trat fast augenblick-
lich Absterben ein.
Gegen die Folgerung, dass die Wärme die selbst-
ständige Ursache der oligodynamischen Veränderungen
sei, sprach aber der Umstand, dass die Spirogyren in den
grossen Culturgläsern, in denen sie gehalten wurden,
Wochen hindurch bei der nämlichen hohen Zimmertempe-
ratur gesund blieben, bei welcher kleine Portionen der-
selben, in die Versuchsgläser mit destillirtem oder ]5runnen-
wasser verpflanzt, abstarben. Als nun mehrere Versuche
in der Weise angestellt wurden, dass ein Theil der Gläser
mit destillirtem Wasser, ein anderer mit Brunnenwasser
und ein dritter Theil mit Wasser aus den grossen Cultur-
gläsern gefüllt, dann mit Spirogyren be]>tlanzt und darauf
erwärmt wurde, so ergab sich, dass in den beiden ersten
Partien die Pflanzen bald zu Grunde gingen, in der letzten
aber, selbst nachdem die Temperatur 26 llinutcn lang
zwischen 20 und 30° C. geschwankt hatte, auf die Dauer
unversehrt blieben. Dass rasche Temperaturschwankungen
die oligodynamischen Veränderungen nicht bewirken können,
zeigten hierauf bezügliche Versuche.
Auch das Licht ist nicht die Ursache der oligo-
dynamischen Erscheinungen.
Weit mehr als die Wärme schien die Elektricität
dazu angethan, die oligodynamischen Erscheinungen er-
klären zu können. Bei näherer Ueberlegung ergaben sich
aber verschiedene Bedenken, und zuletzt stellte sich die
Unmöglichkeit der genannten Annahme heraus. Es war
schon auffallend, dass die elektromotorische Spannungs-
reihe der Metalle eine ganz andere ist, als die Reihe,
welche sieh aus dem Grade der oligodynamischen AVir-
kung ergab. Während unter den Scliwermetallen in AVasser
Zink der stärkste Elektromotor ist, theilt Kupfer dem-
selben die stärksten oligodynamischen Eigenschaften mit.
U. s. VF. Bei directen Versuchen mit Elektricität befanden
sich die Spirogyren im Wasser. Es Hess sich somit ein
Vergleich mit den Erfahrungen über die oligodynamischen
Erscheinungen anstellen und mit Bestimmtheit die Schluss-
folgerung ziehen, dass die letztern einer andern Ursache
zugeschrieben werden müssen; denn elektrische Spannungen,
welche auf Wasser mit Spirogyreuzellen wirken, und
elektrische Ströme, welche durch solches Wasser gehen,
haben keine bemerkbaren Veränderungen zur Folge.
Es musste aus alledem geschlossen werden, dass für
die Erklärung der oligodynamischen Erscheinungen eine
Ursache ausserhalb des Rahmens unserer jetzigen Kennt-
nisse und Vorstellungen zu suchen sei. Die Erscheinungen
entsprachen weder den Begriffen, die wir von dem Ver-
halten einer Lösung, noch denen, die wir von den Wir-
kungen der bekannten Kräfte haben. Es nuisste entweder ein
neues Agens oder eine besondere Wirkungsart der gew(ihn-
lichen Agentien sein. Das Hauptaugenmerk richtete sich nun
auf tlie Entscheidung der Frage, ob gänzlich unlösliche
Körper oligodynamische Wirkungen ausüben oder nicht.
Körper, wie Kohle, Schwefel, Braunstein, Holz, Stärke-
mehl, schwedisches Filtrirpapier, Baumwolle, Wolle, Seide,
Federn u. s. w. vermögen dem Wasser keine oligodynami-
schen Eigenschaften mitzutheilcn.
Nun musste ferner entschieden werden, ob die Metalle
als feste Körper oder als Lösung wirkten. Die meisten
derselben sind in geringem Grade löslich; Gold und Platin
konnten als in Wasser unlöslich gelten.
Nr. 4J.
Naturwissenscluiftlifhe Wochcnsclirift.
4.S3
Das reine Gold, wclclie.s ans (xdldclilurid darn-estcllt
wurde, war v<dlk(uinncn iiidirt'crent, insdtVrn als es dem
Wasser, das durcli Oulturijndjeii sich als neutral erwiesen
hatte, nicht die j;erini;sten oligodynamischen Eigenschaften
ertheilte. P^benso verhielt es sieh mit Platin, indem Platin-
drälite, die mit Salzsäure gereinigt worden waren, neu-
trales Wasser in keiner Weise zu verändern vernujchten.
l'latinsehalen kann eine Nachwirkung anhaften. Dieselben
wurden nut Salzsäin-e gewaschen, was ihnen alle oligo-
dynamische Wirksandieit nahm. Auch dii' Gläser kann
man von der Nachwirkung befreien durch Waschen mit
verdünnter Salz- oder Salpetersäure.
Diese Wirkung der Säuren machte es wahrschein-
lich, dass dieselben einen im Wasser schwci' lösliidien Stoff
von der Wandung der Gefässe entfernten, und ferner lag
die Vermuthung nahe, dieser Stoff möchte ein Metall,
namentlich Kupfer sein.
Die oligodynaniischenEigcnsehaften des Wassers lassen
sieh in der That in allen Fällen auf Stoffe, die in dem-
selben gehist sind, zuriicktuhren. Nun weicht aber das
durch ]\Ietnllc oligodynannsch gewordene Wasser in seinem
Verhalten wesentlich ab von anderen Lösungen. Eine
Salz- oder Zuckerlösung verliert ihre Eigenschaften nicht,
wenn unlösliche Kiirper in dieselbe gelegt werden, und
sie ertheilt den Wandungen des Gefässes nicht die Fähig-
keit, reines Wasser wieder salzig oder süss zu machen,
während analoge Erscheinungen bei den Kupferlösuugen
eintreten.
Die Sättigung einer Lösung beruht nach der Annahme
der Physiker darauf, dass eine bestimnde Alenge von
Flüssigkeit nur eine bestimmte Menge von Lösungsmaterial
aufzunehmen vermag und dass, da der Lösungsprocess an
der Obertläclio der im Ueberschusse vorhandenen festen
Substanz stets f(n'tdanert, der Gleichgewichtszustand da-
ilureh erhalten wird, dass in der Zeiteinheit ebensoviel
Snijstanz von dem gelösten in den festen Zustand über-
geht als umgekehrt. Ein schwerlöslicher Körper ist also
ein solcher, bei welchem von der Flächeneinheit und in
der Zeiteinheit nur wenige Moleeüle sich in die Flüssig-
keit frei machen. Dies setzt voraus, dass die Bewegungen
der Flüssigkcitsmolecüle nur selten die Schwingungen der
Substanzmolecüle in tortschreitende Bewegungen überzu-
führen vermögen, woraus auch i'olgt, dass die letzteren
leicht sieh an festen Gegenständen anheften und somit
wieder in den unlöslichen Zustand übergehen. Wir haben
uns daher, wenn wir das Verhalten des durch Metalle
oligodynaniiseh gemachten Wassers zu Hilfe nehmen, fol-
gende Vorstellung von dem Vorgange zu machen. Konnnt
ein Stück Kupfer in reines Wasser, welches etwas Sauer-
stoff und etwas Kohlensäure enthält, so trennen sich lang-
sam, aber stetig, Kupfertheilchen los, welche sich im Wasser
vertheilen, und von denen ab und zu einzelne an die Wan-
dung des Getässes anstosscn und daran hängen bleiiien.
So nuiss nach Maassgabe, als die Lösung concentrirter
wird, auch die Zahl der an der Wandung haftenden un-
löslichen Kui)fertheilchen zunehmen. Wenn der Sättigungs-
grad erreicht ist, so kann eine Zeit lang noch ein Lösungs-
process an dem Kupferstüek fortdauern, indem aus der
Lösung mehr Theilchen an die Gcfässwandung sich an-
legen, als von derselben in die Flüssigkeit zurückkehren.
Zuletzt stellt sich ein Gleichgewichtszustand in der Weise
ein, dass der Kupferüberzug der Wandung ebenso viele
Jlolecüle aus der gesättigten Lösung empfängt, als er an
dieselbe abgiebt. Nimmt man das Kupferstüek heraus,
bevor Sättigung erfolgte, so dauert die Veränderung der
Lösung noch so lange an, bis ein Gleichgewichtszustand
in der Weise eingetreten ist, dass ebenso viel Kupfer-
theilchen aus der Lösung an die Glaswandung, als von
dieser in jene zurückgeben. Giesst man eine solche Kupfcr-
lösung dann in ein anderes (reines) Glasgefäss, so nimmt
ihre C(Micentration so lange ab, bis zwischen der [jösnng
und dem sich bildenden Kupferbeleg ein neues Gleich-
gewicht hergestellt ist. (liebt man aber reines Wasser
in ein mit einem Ku|)ferbeleg versehenes Glas, so gehen
von diesem so lange Kui)fertlieilchen in das Wasser, bis
das der Kupfermenge entsprechende Verhältniss zwischen
Lösung und Niederschlag erreicht ist. F^s besteht also
ein gewisses Verhältniss zwisc'hen der Concentration der
Kupfei'lösung und der Mächtigkeit des kupfernen Wand-
beleges, d. h. der Menge des der Flächeneinheit an-
haftenden Kupfers. Die Gesannntmenge des Kupferüber-
zuges aber im Verhältniss zur Menge des gelösten Kupfers
ist um so grösser, je grösser die Wanddäche, im Ver-
hältniss zum Wasser.
Wir verstehen nun vollkonnncn alle Erscheinungen,
welche die merkwürdige Ncutralisirung des oligodynami-
schen Wassers durch unlösliche Körper darbietet. Die-
selben wirken nicht anders als durch Vergrösserung der
die Lösung begrenzenden Oberrtäche. Bringt man Glas-
stäbe, Holz, Stärkemehl, Stearinkerzen u. s. w. in die Lö-
sung, so legen sieh Kupfertheilchen an diese Gegenstände
an und die Concentration wird um so mehr vermindert,
je grösser die Oberfläche derselben ist und je stärker ihre
Anziehung auf Kupfer wirkt. Dem entsprechend vermin-
dert sieh die Schädlichkeit des durch Kupfer oligodyna-
misch gewordenen Wassers stets durch solche Körper;
dasselbe kann auf diese Art zwar nicht frei von Kupfer,
aber doch gairz unschädlich (neutralisirt) werden, wenn
nändich die in Lösung belindliche Kupfermenge so ge-
ring wird, dass sie das Zellenleben nicht mehr zu be-
einträchtigen vermag. Dieser Umstand wurde denn auch
dazu benutzt, um das destillirte oligodynannsche AVasser
zu neutralisiren. Dasselbe wurde nämlich längere Zeit
tüchtig mit Schwefelpulver geschüttelt und dann tiltrirt,
worauf es sich als unschädlich erwies. Die lösliehen
Stoffe, die man dem durch Metalle oligodynamisch ge-
machten Wasser beimengt, verhalten sich, wie ich schon
angegeben habe, je nach ihrem ))hysikalischen Charakter
ungleich. Der molecularlöslichc Zucker verändert solches
Wasser nicht, während die micellarlösliidien Dextrin und
Gunnni dasselbe ebenso wie Stärkemehl und Baumwolle
neutralisiren. Die Ku])fertlieilchen legen sich an die Über-
fläche der Mieellc (unsichtbar kleine krystallinisehe Kör-
perchen), wie an feste Körper an, können aber durch die
vereinzelten ]\loleeüle der Molecularh'isungen nicht festge-
halten werden. Die Neutralisirung einer Kupferlösung
durch Eiweis, Leim, Gunnni l>tMnht auf einem ganz anderen
\'organg, als die Klärung einer trüben Flüssigkeit durch
Eiweiss. Im letzteren Falle werden die susi)endirten Theil-
ehen mechanisch in einen Bodensatz niedergerissen, im
ersteren Falle bleibt die Lösung ohne Niederschlag. Die
Micellartheoric erhält durch diese 'riiatsache eine neue
Bestätigung. Die bemerkenswerthe Erscheinung, dass in
einer bestimmten Menge von schwach oligodynamischem
Wasser eine kleine Anzahl von Spirogyrcnfäden rasch ab-
stirbt, während eine grössere Anzahl derselben viel später
erliegt und eine noch gnissere gar nicht afflcirt wird,
bietet nun keine Schwierigkeiten mehr dar. Die gelösten
Kupfertheilchen, welche auf die Algenfäden trefl'cn, setzen
sich zunächst an der Oberfläche und in der Substanz der
Seheide denselben an und erst, wenn sich hier ein ent-
sprechender Niederschlag gebildet hat, dringen sie auch
in erheblicher Menge in das Innere der Zellen ein. Nur
die letzteren vernnigcn die oligodynannschen \'erände-
rungen hervorzubringen. Je weniger Algenfäden sich in
einer gegebenen Lösungsmenge betindcn, um so grösser
ist die Zahl der Kupfertheilchen, welche für die Aufnahme
in die Zellhöhlungen disponibel bleibt. Sind die Spirogyreu
484
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 44.
in grosser Menge vorhanden, so heiindct sich nach Bil-
dung des Kuiifcrbclcges auf den Scheiden so wenig Kupfer
in Lösung, dass es dein Zellenlcbcn keinen Scliaden mehr
verursachen kann. Auch die verschiedenen Thatsachen,
die wir als Nachwirkung kennen gelernt haben, sind nun
vollkommen erklärt. Ein Glas, in welchem während einiger
Zeit Wasser mit Kupfer oder wässerige Kupferlösung- sich
befunden hat, besitzt einen Ueberzug von Metalltheilchen.
Derselbe giebt, wenn das Glas geleert und mit reinem
Wasser gefüllt wird, Kupfertheilchen an letzteres ab. Die
Concenfration der neuen Kupferlosung hängt von der
Menge des Wassers, von der Grösse der Oberfläche und
von der iMächtigkcit des Kupferbeleges ab. Dass sich
ziemlich viel Ku})fer an die Glaswandung ansetzen kann,
beweist die Thatsache, dass unter Umständen ein mit
Nachwirkung begabtes Glas mehrmals nacheinander seinen
Inhalt oligodynamisch zu machen vermag. Dass der Kupfer-
beleg ziendich fest an der Glaswandung anhaftet, ergiebt
sich aus dem Umstände, dass derselbe durch Reinigen mit
einer Bürste nicht entfernt wird. Wenn in einem reinen
Glas die Nachwirkung durch Kupferhisung oder durch ein
mitten im reinen Wasser aufgehängtes Kupferstück er-
zeugt wird, so vertheilt sich begreiflicherweise der Kupfer-
beleg ziemlich gleiehmässig über die Wandung. Wenn
aber das die Nachwirkung verursachende Kupferstück ein-
seitig die Wandung berührt, so müssen an dieser Stelle
viel mehr gelöste Kupfertlieilchen anprallen und sich an-
legen als an der übrigen Oberfläche, so dass der Kupfer-
überzug hier viel mächtiger wird. Dementsprechend geht
nach Entfernung des Kupferstückes und Ersetzung der
Lösung durch reines Wasser von dieser Stelle in der Zeit-
einheit eine weit grössere Zahl von Kupfertheilchen in
Lösung, und unter den im Glase befindlichen Siiirogyren-
fädeu erfahren diejenigen, die hier liegen, die oligodyna-
mische A\'irkung zuerst, oder wenn die Gesammfmenge
des Kupfers gering ist, auch allein. Die Stelle der Glas-
wandung, welche früher ein Ivujjferstück berührt hat, verhält
sich also wie ein im Wasser befindliches KupferstUck selber.
Die diesem anliegenden Algen sterben zuerst und die übrigen
im Wasser befindlichen um so früher, je näher sie liegen.
Es ist nun leicht, das mannigfaltige Verhalten des
Wassers von ungleichem Herkommen zu verstehen. Wenn
mau weiss, woher ein Wasser stammt, mit welchen lös-
lichen und unlöslichen Stoffen es in Berührung gekommen
ist, so kennt man deu grössern, geringern oder mangeln-
den Gehalt desselben an oligodynamischen Eigenschaften.
Das Wasser aus Quellen, Flüssen, Sümj)fcu, Torfmooren,
Seen ist neutral. Die schwerlöslichen, oligodynamisch
wirksamen Stoffe (Metalle), die es einmal entiialten mochte,
haben sich auf unlösliche Körper niedergeschlagen und
die geringen Mengen der noch in Lösung befindlichen
Verbindungen sind unschädlich.
Die meisten der leichtlöslichen Verbindungen lassen
durchaus keine Nachwirkung in den (iläsern zurück, sie
mögen in gesättigter oder verdümitcrer Lösung ^\'ährend
kürzerer oder sehr langer Zeit darin gestanden haben.
Dies wurde beobachtet an Schwefelsäure und anderen
Säuren, an Aefzkali, an verschiedenen Kali-, Natron- und
anderen Salzen, an verschiedenen organischen Substanzen.
Dagegen giebt es einige Verbind inigen, welche bezüglich
der Nachwirkung sich ähnlich wie metallisches Kupfer
verhalten. Lässt mau eine gesättigte Lösung von Kupfer-
chlorid einige Tage in einem Glasgefäss stehen, giesst
dieselbe aus, reinigt das Glas durcii mehrmaliges Aus-
spülen mit neutralem, destiilirfeui Wasser und Abreiben
mit einer Bürste und füllt es dann mit neutralem Wasser,
so erweist sieh dieses in kurzer Zeit oligodynamisch und
es feten an den Spirogyren die nämlichen Erscheinungen
ein, wie wenn früher metallisches Kupfer sich in dem
Glase befunden hätte. Wie Kupferchlorid verhalten sich
andere, leicht lösliche Kupfersalze, ebenso Silber- und
Quecksilbersalze. Dieses Ergebniss war gegen die Er-
wartung, da es im Widerspruche zu stehen schien mit der
Thatsache, dass ein Glas, in dem sich Wasser und Kupfer
befunden und ein dünner Beleg von Kupferoxydhydrat
gebildet hat, durch Ausspülen nnt verdünnter Salzsäure
von der Nachwirkung befreit wird, woraus N. den Schluss
zog, dass Kupferchlorid wegen seiner leichten Löslichkeit
an der Glaswandung nicht haften könne. Die beiden
genannten, scheinbar sich widersprechenden Thatsachen
lassen sieh durch folgende Erklärung, die übrigens schon von
vorneherein sich als sehr wahrscheinlich hätte darbieten
müssen, in Uebereinstinimung bringen. Wenn eine Lösung
sieh in einem Gefäse Ijcfindet, so legen sich Molecüle an
die Wandung an und bilden einen Beleg. Die Mächtig-
keit des letzteren, d. h. die Zahl der an der Flächen-
einheit befindlichen Molecüle, hängt ab von der Verwandt-
schaft der Gcfässwaudung zur Substanz des gelösten Stoffes,
von der Verwandtschaft desselben zum Wasser oder dem
Grade seiner Löslichkeit und von der Concenfration der
Lösung. Von der Verwandtschaft des gelösten Stoffes zur
Substanz der Gefässwandung wissen wir vorerst nichts-,
wir können aber vermuthen, dass Kupferoxydhydrat,
Kupferchlorid, salpefersaures Ku|ifer sich gegenüber von
Glas ziendich ähnlich verhalten werden. Was die Ver-
wandtscliaft zum Wasser betrifft, so nmss aus Lösungen
gleicher < 'oncentration um so mehr sich an die Wandung
anlegen, je geringer die Löslichkeit ist. Was endlich den
Concentrafiousgrad der Lösung- anlangt, so niuss von der-
selben Verbindung eine um grössere Zahl von Moleeülen
sich an die Wandung anlegen, je concentrirfer die Lösung-
ist. Hierdurch erklären sich alle be(djachfeten Thatsachen.
Vergleichen wir zunächst bloss das schwerlösliche Kupfer-
oxydhydrat und das leichtlösliche Kui)fercldorid. Beide
hal)cn in Lösungen von 1 : 10 Millionen Wasser oligodyna-
mische Wirkungen. Eine gesättigte Lösung von Kupfer-
oxydhydrat hinterlässt in dem Glase, in dem sie gestanden,
eine sehr starke Nachwirkung, während aus einer glciciicn
oder auch ziemlich eoncentrirteren Lösung von Kupfer-
chlorid sich so wenig an die Glaswand anlegt, dass eine
Nachwirkung an Spirogyrenzelleu nicht bemerkbar ist.
Aber in einer stark concentrirfen oder gesättigten Lösung
von Kupferchlorid wird der Wandbeleg so mächtig, dass
nach wiederholtem Reinigen, vvährentl dessen das Spül-
wasser doch nur kurze Zeit lösend einwirkt und nur einen
verhältnissmässig geringen Tlicil wegninnnt, hnmcr noch
genug für eine kräftige Nachwirkung übrig bleibt. Dass
der Beleg von Kupferoxydliydrat durcli Salzsäure haltiges
Wasser, welches Ku])fercldorid bildet, entfernt wird und
der Beleg von Kupferchlorid nach gleich langer Behand-
lung mit Wasser grösstentheils unversehrt zurückbleibt,
ist leicht begreiflich. Ln ersten Fall gerathcn alle Atome
des wandständigen Kupferoxydhydrats in heftige Bewe-
gung, indem sich das Gl der Salzsäure mit Cu, und das
H der Salzsäure mit OH des Kupferoxydhydrafs verl)indet.
p]s ist begreiflieh, dass die Molecüle Cl.jCu vermöge der
Bewegung, in der sie sich im ^lomenf ihrer Bildung be-
finden, zum weitaus grössten Theil als Lösung ins ^\'asscr
gehen, zu dem sie eine grosse Verwandtschaft haben, und
dass nur äusserst wenige vielleicht sieh an die Wandung
anlegen, welche eine geringe Airziehung ausübt. Anders
verhält es sich, wenn kupfcrfreics Wasser mit einem Beleg
von Kupferchlorid in Berührung kommt: Die in Ruhe
befindlichen iMolecüle des letzteren werden nur langsam
durch die Bewegungen der Wasserinoleeüle in Lösung
übergeführt.
(Fortsetzung folgt.)
Nr. 44.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
485
Die physiologische UtMUntiiiiur des Zellkerns. —
Eine ilcu iiliyisioloi;isclieii Vc rliültni.sscu i;ereclit wer-
dende Anschauung- von der IScdeutuni;- des Zellkerns,
dessen Rolle iin Zellenlebcn bisher fast aussehlicsslicii
von morphologischen Forschern auf Grund morphologischer
Erscheinungen erschlossen wurde, zu begründen, ist die
Absicht, welche JI. Verworn in seiner Arlicit tibcr „die
physiologische Bedeutung des Zellkerns ( PHüger's Ar-
chiv für die gesanmitc riiysiologici verfolgt. M. Verworn
stützt sich dabei auf ein breites Thatsaclicnniatcrial, in-
dem er sowohl die früheren Beobachtungen kritisch ver-
werthet, als auch durch umfassende experimentelle, be-
sonders viviseetorische ünter.suchungen an cinzelligeu
Meeresorganismen neue wichtige Anhaltspunkte gewinnt.
Besonders günstige ülijccte für ccllular-physidlogische
Experimente sind wegen ihrer beträchtiicben Grosse und
bedeutenden Lebensfähigkeit die grossen skeletUosen
Eadiolarien (Thalassicolla), mit denen Verf. am Mittel-
meer experimentirte, sowie die grossen Foraminiferen-
formen (Orbitolites), die dem Verf. am rothcn j\Ieere als
Versuchsol)jecte dienten. Bei den Thalassieollen gelingt
es durch eine leichte Operation, den Kern aus dem erbsen-
grosscu Protoplasmakörper zu entfernen und sowohl Kern
als Protoplasma isolirt für sich zu untersuchen. Des-
gleichen ist es bei den Orbitoliten niöglich, von den über
Centimeter langen l'seuddpodienbüschclu reines, nacktes
rmtiiplasnia ohne Zeilkern zu gewinnen. Auf die Einzel-
heiten der zahlreichen Versneiic einzugehen, würde hier
zu weit führen. Es sei nur erwälint, dass die kernlosen
Protoplasniamassen zunächst noch kurze Zeit normal weiter
leben, dass aber bald die einzelnen Lebenserseheinungen
nach und nach Störungen erleiden und schliesslich ganz
ausfallen, bis die rrotoplasmaniasse dem unvermeidlichen
Tode verfällt. Dabei zeigt sich die interessante That-
sache, dass die Degenerations-Erscheiuungcn dieser kern-
losen Protoplasmamasse volikonnnen mit den Erregungs-
Erscheinungen identisch sind, die durch Reize an den
unverletzten Protisten hervorgerufen werden. Auch der
isdiirte Kern geht nach kurzer Zeit unfehlbar zu Grunde.
Dagegen regeneriren sich Theilstücke, die nur ein wenig
Kernsubstanz und ein wenig Protoplasma besitzen, wieder
zu vollkommenen Individuen, was auch schon frühere
Beobachter, Nussbaum, Gruber, Balliiani, Klebs u. A. ge-
funden hatten. Dementsprechend gelang es Verworn,
Protoplasmamassen, die in Folge ihrer Kernlosigkeit in
Degeneration begriffen waren und schon keine sichtbaren
Lebens-Ersclieinungen mehr zeigten, durch Vereinigung
mit kernhaltigen Massen wieder lebendig zu nuiehen. .Sie
verhalten sich dabei dem normalen Protoplasma gegen-
über wie gereiztes Protoplasma, bis sie ihre normalen Eigen-
schaften wiedererlangt haben.
Das allgemeinste Ergel)niss, zu dem der Verl", ge-
langt, spricht er aus in dem Satz: „Die physiolo-
gische Bedeutung des Zellkerns liegt allein in
seinen Stoffweehselbeziehungen zum übrigen
Zellkörper. Nur durch seine Stoffweehselbe-
ziehungen besitzt er einen Einfluss auf die Func-
tionen der Zelle." „Auf den Stoffwechselbezieluuigen
zwischen Kern, Protoplasma und Aussenwelt beruht der
normale Lebensvorgaiig j'eder Zelle, dessen Ausdruck die
einzelnen Lebenserscheinungen sind." Dementsprechend
zeigt der Verf., dass sich in der That die verschiedenen
Lebenserseheinungen der Zelle aus den Stoffweehsel-
beziehungen zwischen Kern, Protojilasma und Medium her-
leiten lassen. Auch die Energiciiniduction, spi'cic'll die
Bewegungen, erklärt der Verf aus der Beziehung zwisciien
Kern, Protoplasma und Medium, eine Anschauung, die er
inzwischen ausführlicher in seiner grösseren Arbeit über
„Die Bewegung der lebendigen Substanz" begründet hat.
Als höchst lienierkenswerthes Resultat dieser hoch-
interessanten L'ntersuehungcn ist schliesslich zu erwäimen,
dass danach der Kern auch keineswegs als der alleinige
Träger aller erblichen Eigenscliaften angesehen werden
kann. V.'s Meinung geht dahin: „Was sicli vererbt,
das ist die für jeden Organismus eigenthümliehe
Art des Stoffwechsels. Protoplasma und Kern
sind beide Träger der Vererbungssubstanzen und
die Vererbung kommt nurzu Stande? durch üeber-
tragung von Sul)stanz beider Theile und iiirer Stotf-
wechselbeziehungcn auf die Nachkommen, ein
Vorgang, der ja auch in der Fortpflanzung durch
Theilung seinen ursprünglichsten und einfachsten
Ausdruck findet." X.
Ueber die Voluiiieii-Rednction bei irinwaiidliiiig
von rflanzen-Material in Steinkohle hat 11. l'otonie
in der Zeitschrift „Glückauf" (29. Jahrgang No. 80,
(Essen/Ruhr, Samstag, 7. Oetober 1893) einen kleinen
Beitrag geliefert. — Renault war durch anatomische
Llntersuelunig verkieselter Reste von Arthroi)itus, im Ver-
gleich mit solchen, ebenfalls noch zellige Structur zeigenden,
in Kohle verwandeUen, zu dem Resultat gekonnnen, dass
bei der Umwandlung dieser Reste in Steinkohle eine Ver-
ringerung des Raumiidialtes auf -^ bis ^^ anzunehmen sei.
Die Reuault'schen Zahlen beziehen sich nur auf die
Umwandlung von Zellen in Steinkohle, die in dersell)en
noch als solche zu erkennen sind. Es ist klar, dass anilere
Zahlen gewonnen werden müssen, wenn man sich die
viel weitgehendere Frage vorlegt: Welche Volum- Ver-
minderung haben die Pflanzen bei ihrer Um-
bildung zu Steinkohle erfahren? Eine Frage, welche
die Specialfrage nach der Umwandlung von einzelnen,
als solche noch erkeiml)ar gebliebenen Zellen in Stein-
kohle in sich schliesst. Denn es geht zwar aus der
mikroscopischen Untersuchung der Steinkohlen hervor,
dass je nach der Sorte derselben mehr oder minder zahl-
reiche als solche erkennbar gebliebene (Jewebereste sich
erhalten haben, dass jedoch die übrige Steinkohlcn-
substanz eine homogene Masse von Kohlenwasserstoffen
darstellt, die ursprünglich mehr oder minder flüssig ge-
wesen si'in muss.
P. hat zwei Beispiele zu der in Rede steheaden
Frage untersucht.
In einer früheren Arbeit*) hat er naelig-ewiesen, dass
die unter dem Namen Schizodendron Eichvv. und Tylo-
dendron Weiss bekannt gegebenen Petrefakten den Mark-
körpern rothliegender**) Coniferen entsprechen und zu
l)egrün(len versucht***), dass speciell die von Weiss als
Tylodendron bezeichneten Reste des Saar-Rhein-Gebietes
zu Walchia gehören. In einem Sandsteinbruche in den
Cuseler Schichten, etwa 1 km östlich von Otzeidiauseu,
hat er August 1893 Zweige von Walchia piniformis in den-
selben Blöcken zusannnen mit Tylodendron speciosum
gefunden. Die Tylodcmlron- Petrefakten, die hier als
Steinkerne aus Sandstein auftreten; lösen sieh sehr leicht
aus dem dieselben einbettenden Gestein heraus, da sie
*) Die füssili.' l'ilauzeiic;!ittuiig Tvlddcjulrou (.l:ihrbucli drr
ICöuis'l. Preuss. Geol. Landcsaiistalt für 188 (. S. 311 ff.).
**) Damals gab .er uoch das Vorkoinineii dva Petrefakten
auch in der obersten Steinkohlonformation an; er meint al)cr jetzt,
dass die Horizonte, in denen dieselben vorkommen, möglielierweisc
alle besser ins ITnterrotIdiegende gestellt werden.
***) Die systematiselie Zngcliörigkeit der versteinerten Hölzer
(vom Tvpns Araucarioxvlon) in den paläolitiselien Formationen
(Naturw'. Wochensehr. Bd. .i S. 163 ff. Nr. -.'1 vom 17. Febr. 1889).
— Diese Abliandlung ist aiieli liei Ferd. Dümnder in Br-rlin
separat ersehieuen.
486
Naturwissenschaftliche Wocheusehritt.
Nr. U.
— wie das bei seiner Deutung der Reste \erstiindlieli
ist — von einer KohlenliiUle iniigeben werden, die sich
ausserordentlich leicht sowohl von dem umgebenden Ge-
stein als auch von den Petrefakten ablöst. Dieser kohlige
Rest ist natürlich das Ecsidium des Holzkörpers und der
Rinde zusammen. Ein Vergleich des Volumens dieser
Kohle-Hedeckung mit dem Volumen von Holz incl. Rinde
an Tylodendron-Exemplaren, welche diese Theile noch
im urs})rünglichen Volumverliältniss zeigen, wie etwa an
verkieselten Stücken, bei denen die Zeilen wobl kaum,
wenn überhaupt, eine Rcduction iln-er ursprünglichen
Grösse erfahren haben, muss einen Bruch ergeben als
Ausdruck für die Grösse der Voinmenreduetion liei der
Umbildung der Holz- und Rindenthcile zu Steinkohle.
P. hat ja nun in der Arbeit im Jahrbuch der Geologischen
Landesanstalt 1. e. Tafel XII einen verkieselten Rest von
Tylodendron mit zum Theil noch anliaftendem Holztheil
bekannt gemacht, und wenn auch anzunehmen ist, dass
der gesannntc Holztheil in radialer Richtung an dem
Exemplar zu Lebzeiten dicker gewesen sein wird als der
an demselben erhalten gebliebene, und wenn auch zweitens
die Dicke der Rinde, da von derselben garnichts bekannt
ist, nicht zu ermitteln ist, so lässt sich doch durch den
Vergleich der kohligen P>edeckung der TylodendronReste
mit der Dicke des erhaltenen Holztheiles an dem er-
wähnten verkieselten Exemplar ein Bruch gewinnen, der
da angiebt, wieviel die Rcduction des ursprünglichen
Volumens bei der Umwandlung in Steinkohle mindestens
betragen iiaben muss. Wir werden dann wissen, dass in
dem in Rede stcdienden Fall die Rcduction sicher eine
noch bedeutendere gewesen sein muss, als sie auf Grund
der erwähnten Tylodendron-Materialien konstatirt werden
kann.
Dass an den Sandsteinkerneu mit kohliger Bedeckung
vor allem die Verminderung des Volumens in radialer
und tangentialer Richtung zu berttcksichtigen ist und be-
rechnet werden kann, ist ohne weiteres klar. Eine Rc-
duction in der Längsrichtung ist nicht constatirbar; viel-
mehr zeigt sieh, dass die Obertiächensculptur der
Sandsteinkerne genau mit der Oi)ertiächeubcschatfenheit
der verkieselten Tylodendron-Exemplare übereinstimmt: in
beiden Fällen verlaufen die Furchen durchaus gerade,
ein mehr oder minder welliger Verlauf der Furchen, wie
er sich gestalten müsste, wenn die kohlige Bedeckung
auch in der Längsrichtung eine ^^erminderung erfahren
hätte, ist nirgends zu bemerken, ebensowenig wie an der
überwiegenden Mehrzahl, z. B. der Calamiten-Steinkerne
etc., und dabei ist zu berücksichtigen, dass die Steinkerne
in ihrer Längsrichtung überall eine durchaus glciclnnässige
koiilige Bedeckung tragen. Mau muss sich vctrstellen,
dass die beim Verwesungsprocess vertiüssigten resp.
knetbar gewordenen Kohlenwasserstotfe, den Druek-
verliältnissen (die natürlich nur ganz schwach angenommen
zu werden brauchen) nachgebend, durch die resistenteren
epidermalen Gewebe zusannnengehalteu, die etwa durcii
Volumenvcrniinderung in der Längsrichtung entstandenen
Räume sofort ausgefüllt haben, so dass in der That an
Steinkernen, wie den in Rede stehenden, die alleinige
Berechnung der Volumen-Verminderung in radialer und
tangentialer Richtung richtige Zahlen ergiebt.
Nehmen wir einmal an, dass die einzelnen Zellen
sämmtlich als solche erkennbar bei ihrer Verkohlung vr-
halten geblieben sind, da V. W. von Gümbel als Resultat
seiner Untersuchungen angiebt, dass in der Flötzsteinkohle
„die organische Textur der ihr zu Grunde liegenden
PHanzen durch und durch in erkennbarer Form erhalten
ist", so müssten die Zellen der Kohlebedeckung der
Tylodendron-Steinkerne eine ausserordentlich bedeutendere
Volumenverminderung erlitten haben, als sie die Eingangs
erwähnten Renaultschcn Untersuchungen für seine Reste
ergeben haben.
Da wir annehmen können, dass die Tylodendron-
Sandsteinkerne, wie an den verkieselten Exem})lareu, die
ursprünglichen Grössenverliältnisse der Marksteinkör|)er
wiedergeben, so brauchen wir nur zur Ausführung der
Berechnung kohlig bedeckte Sandsteiukerne zu Grunde
zu legen, die etwa dieselben Dimensionen zeigen, wie der
Marksteinköi'per des von P. 1887 beschriebenen verkieselten
Restes. Auf dem Querschnitt beträgt der Radius (r) des
Markkörpers (unterlialb der Anschwellung des letzteren)
ca. 15 nun; Sandsteinkernc mit demselben Radius zeigen
eine kohlige Bedeckung von etwa 1 mm Dicke; denmaeh
ist der Radius dieses ganzen Fossils r -\- 1. An dem ver-
kieselten Exemplar beträgt die Dicke des erhalten ge-
l)liebeneu Holztheiles im Durchschnitt 40 mm, demnach
der Gesanmitradius r + 40. Hieraus ergiebt sich ohne
Weiteres eine ^'erminderung des Volumens in radialer
Richtung der den Jlarkkörper umgebenden Teile von
mindestens .. Es ist aber noch die Reduetiou in
40
tangentialer Richtung zu berücksichtigen. Das Volumen-
verliältniss von Kolüebcdeckung zu dem verkieselten Hidz-
theil ergiebt sich einfach aus der Berechnung ihrer Quer-
schnittstläelien. Für die Sandsteinkerne mit Koldebedcckung
ist dieselbe = (r -\- 1)- n — y'-tt, für das verkieselte
Exemi)lar (r -+- 40)" n — r" n. Das Verhältniss beider,
also (r + 1)% — r'-'/r : (r -+- 40)- /r — r'^n, ist der Bruch,
welcher die mindeste Rcduction der Pflanzensubstanz
an den zum Theil verkohlten Exemplaren angiebt. Die
Ausführung der Rechnung ergiebt rund ^l
Man darf dabei nicht ausser Acht lassen, dass in
Sand gebettete Ptlanzentheile bei der \'erwesung, wegen
der lockeren und durchlässigen Besehalfenheit desselben,
sehr viel mehr von ihrem ursprünglichen Material ab-
geben werden, als z. B. in thonigem Schlamm ver-
wesende. Die Walchia-Zweige in dem Otzenhausener
Steinbruch heben sich nur durch eine sehwach dunklere
Färbung aus dem umgebenden Gestein hervor und zeigen
keine oder kaum Spuren kohliger Reste; P. meint des-
iialb auch, dass aus der Unmöglichkeit der Konstatirung
von K(dde an gewissen an Pflanzenformen erinnernden
Zeichnungen im Gestein nicht ohne Weiteres geschlossen
werden darf, dass dieselben nun auch nicht pflauzHchen
Ursprunges sind.
Ausser den Tylodendren und Walchien finden sich
in dem Otzenhausener Steinbruch Artisicn-Steinkerne : die
Markkörper von Cordai'ten. Auch die dicksten derselben
zeigten nur eine minimale k(dilige Bedeckung, die ebenso
hinfällig war, wie diejenige an den Tylodendren. Artisien
aus einem festeren dichteren Sandstein, wie P. solche eben-
falls in diesem Jahre und zwar in Carbon-Sandstein der
Carsten-Centrum-Grube in Oberschlesien beobachtet hat,
zeigen, da die A'erwesung in einem solchen Mittel etwas
leichter hintaiigehalten wird, eine dichtere und stärkere
Kohlebedeckung. Der Radius (r) der Artisie, also des
Marksteiukörpers, des einen dieser Exemplare ist wiederum
gegen 15 mm lang, die kohlige Bedeckung sehwankt
von 1 bis 1,5 mm. Durch einen seitlichen Druck ist
dieselbe zum Theil von der Oberfläche seitwärts zu einer
im Durchschnitt 3 nun dicken Lage neben den Stciukern
hingepresst worden, hier ein 12 bis 22 cm breites, sich
allmäldich auskeilendes Kohlenband bildend. Diese Er-
scheinung si)rieht für die ursprüngliche Weichheit und
Knetbarkeit des Kohlematerials. Nehmen wir nun die
Dicke der Kohlebedeckung zu 1,5 nun, so würde das
seitwärts geprcsste Material unberücksichtigt bleiben.
Nr. 44.
Naturwissenscliiiftliche Woclienscltrirt.
487
Wir werden keinen zu grossen Fehler begehen, wenn wir
daher liier die Kohlehedcckuni;- in unserer Rechniuii;' zu
2,b nun anueinnen. Als V'crg-leielisdhjekte mit dem in
Itede stellenden Exemplar zieht l'dtdnie (!rand' Eury's
Reeoiistrnetioncn einer dünneren und einer dickeren Aelise
von Cordaites auf Taf. XXIX Fig. 1 und "2 seiner „Fl.
carlion. du dep. de la Loire et du Ceutre de la France''
heran. Das Verhältniss der Dicke der Kohlebedcekung
unseres Artisia-Steiukernes zu dem Radius desselben be-
trägt 2,b : 15 mm; das cntsiircchende \'erhältniss bei der
rce(mstruirten dünneren Aciisc der Figur (irand' Eury's
G,;") : 4,;") nun, und an dem dickeren Stammtheilc 70 : 30 nun.
Auf Grund dieser Zahlen würde die Volumverringerung
des Holz- incl. Rindcntheiles an unserem 8teinkern im
Vergleich mit dem dünneren Achsentheil - = und im
±6,0
Vergleich mit dem dünneren Achsentheil jr^ betragen. Wir
werden uns daher nicht gar zu weit von der Wahrheit
entfernen, wenn wir ein Mittel aus diesen beiden Hrüchen
nehmen, also rund -- als Reduetiousbruch für die kohlige
Bedeckung der in Rede stehenden Artisia.
Aus den Zahlen ^^ für die Tylodendren und ,
für die oberschlesische Artisie ersieht man jedenfalls,
trotz der unzweifelhaften Fehler, die unsere Rechnungen
einschliessen müssen, bestätigt, dass in einem dichteren
Medium sich mehr Kohlenwasserstoffe erhalten, als in
einem lockeren. Und betrachten wir nun noch zur Probe
auf diese Schlussfolgerung die kohligeu Reste auf den
Ptlanzentheilen des Carbon-Thonschiefers, der als .Schlannn
weit dichter und undurchlässiger gewesen sein muss, als
der zum Sandstein gewordene Sand, so sehen wir dieselbe
vollauf bestätigt; denn z. 15. kohlig erhaltene Fani-
Spreiten-Reste zeigen im Thonschiefer oft eine merkbare
Dicke, trotzdem wir berechtigt sind, in Analogie mit
unseren heutigen Arten anzunehmen, dass die Spreiten
der paläozoischen Farne nicht dicker gewesen sind, als
die der heutigen Arten. Gümbel meint sogar, dass die
Dicke der Kohlenrinde bei fossilen Farnspreitentheilen nicht
oder nur wenig, höchstens um die Hälfte geringer ist,
als die der Blatttheile in grüuem Zustande etwa gewesen
sein mag.
Es ergiebt sich also, dass die Volumen-Reduction
bei der Umwandlung von Pflanzen-Material in
Steinkohle abhängig ist von dem Bergmittel, in
welchem die Verwesung der Reste vor sich ging,
dass also eine allgemein gültige Zahl nicht ge-
funden werden kann.
Eine selbsttliätige Si>ii'itiis-(Tebläselaiupe ist von
der Firma Lehmbeck und Meeke in Berlin konstruirt
worden. Da diese Lampen eine bisher bei Spiritus- oder
Benzin-Gebrauch noch nicht erreichte hohe Temperatur,
ca. bis zu 1800° C. zu erzeugen im Stande sind, sich
durch genaue Regulirbarkcit (1er Flamme, grosse Hand-
lichkeit und saubere, solide Konstruktion auszeichnen und
für wissenschaftliche Zwecke sehr geeignet sind, so wollen
wir eine Beschreibung und Abbildung derselben bieten,
wie wir auch frühere ähnliche Apparate berücksichtigt
haben.
Es liegt diesen dochtlosen Lampen (zahlreiche Ver-
suche hatten die Erfinder davtm überzeugt, dass mittels
Doclitlami)eu keine so gewaltige Wärmeentwickclung
möglich sei) das Princiii zu Grunde, durch starke Ueber-
hitzung von Spiritusdämi)fen und vollständige Mischung
derselben mit vorgewärmter atmosphärischer Luft die
eigentliche Verl)rennungstemperatur so weit zu steigern,
dass sie derjenigen des Gasgebläses gleichkommt.
Die Erfinder lialicn zwei Lampen constniirt, deren
eine, selbsttbiitigeSpiritus-GebUlselampe Modell la (Fig. 1).
einen i'ünl'stiahligeii liunsenbrcnner von 1) mm Brenn-
weite ersetzt und eine Flammentemperatur von IßOO bis
1800° C. erzeugt, während die zweite, selbstthätige Spiritus-
Gebläselampe Modell IIa (Fig. 2), einen einfachen Bunsen-
brenner ersetzen S((li und eine Hitze von l"iOO — 1600° C.
iiervorbringt.
Die in Fig. 1 dargestellte Lampe besteht aus einem
etwa ISO Kuliikcentimeter Spiritus fassenden Kessel aus
starkem Metallblech, welcher auf einem mit Fu.ss und
Griff verseheneu Untergestell ruht und durch dessen Mitte
das vertikale, oben und unten offene Brennrohr geht, in
welches, fest mit ihm verbunden, ein zweites kürzeres,
engeres concentrisches Rohr eingelassen ist. An seiner
oberen abgerundeten Kante trägt der Kessel eine mit
Sicherheitsventil versehene Füllsehraube, während sein
Hohlraum mit einem Rohre in Verbindung steht, das in
Anlieizscliale
Figur 1.
mehrfachen Windungen um den oberen Theil des Brenn-
rohres läuft, dann nach abwärts führt und hier in ein durch
die Regulirsehraube absperrbares anderes l^ohr übergeht,
das durch eine Düse in das engere und kürzere, eonceu-
trisch in das Brennrohr eingelassene Rohr mündet, dessen
Wand unmittelbar über der Düsenoffnung von mehreren
Oeltnuugen durchbrochen wird. Unter dem Kessel be-
findet sich eine drehltarc Anheizschale und über derselben
eine gleichfalls drehbare Lösehplatte; in dem engen Rohr
ist Sieb 2 und über ersterem, im Brennrohr Sieb 1 an-
gebracht.
Die Handhabung des Apparates ist die folgende,
höchst einfache: Nachdem der Kessel etwa bis zu der Höhe,
wie Fig. 1 es zeigt, mit Spiritus gefüllt ist, wird die
Füllschraube geschlossen und die Regulirsehraube geöffnet.
Die herv(U-gcdrelite Anheizsehalc wird j'etzt entzündet und
wieder unter den Kessel zurückgedreht. Sobahl sich im
Brennrohr ein zischendes Geräusch (etwa nach drei
Minuten), hervorgebracht durch das Ausströmen der er-
wärmten Spiritusdämpfe, vernehmen lässt, löscht man die
Anheizseliale mittels der Löschiilatte aus und entzündet
die im Brennndir emp<irstnimendcn Spiritusdämpfe.
Infolge der den oberen Theil des nrennn ihres füllen-
den Flamme wird einerseits der Kessel erwärmt und der
darin enthaltene Spiritus zum schnellen Verdampfen
48fi
Naturwisscnscliaftliche Wochcnscliiift.
Nr. 44.
gebracht, andererseits aberbesomlers das Schlaiig-enrolir und
die es durcbströnienden Dämpfe starlv crliitzt und liinaiis-
g-epresst, so dass sie mit grosser Gewalt aus der Üiise in
das kurze conceiitriseiie Rohr emi)ortreten, bier durcb die
durclibrocbene Eobrwand hinzutretende, erwärmte atmo-
sphärische Luft mit sicli reissen, mit der sie sich beim
Durcligangc durch Sieb 2 innig mischen und ein leiclit
und unter grosser Hitzeentwickclnng lirennbaros Gemenge
bilden. Die etwa 25 cm boiie Stichtiamnie, welche, ohne
an Intensität zu verlieren, auch durcli einen knief(irniig
gebogenen Sehornstein nach der Seite gelenkt werden
kann, bringt J^iscndraht in kurzer Zeit zum Hchmelzen.
Ein Geflecht aus V-2 mm starkem Eisendraht mit 1 nun
weiten Masehen schmolz, wie wir uns selbst ül)crzcugen
konnten, in ca. 20 Minuten vollständig zu troptl)arer Masse
zusannnen.
Der in Fig. 2 dargestellten Lampe liegt dasselbe
Prinzip zu Grunde, nur sind, da hier nicht eine so hohe
Temperatur erzielt werden soll, die aus der Abbildung
ersichtlichen Konstructionsänderungen vorgenonnnen. Die
Handhabung derselben weicht nur insofern von der der
IienulirschrnubP
C7 \.
Figur 2.
erstbesehriebenen ab, als die Regulirsehraube hier erst
nach dem Erlöschen der Anheizschalc geöifnet wird. Ein
etwaiges Verstopfen der Düse wird bei beiden Lampen
leicht durch eine Nadel beseitigt.
Wie bereits eingangs gesagt, zeichnen sich diese
Lampen durch saubere, äusserst solide, ja sogar elegante
Konstruction aus, sind leicht transportirbar und unab-
hängig von jeder Schlauchleitnng. Man kann vermittels
der Regulirsehraube die Flamme ganz genau einstellen
und nach beendetem Gebrauch durch einfaches Zu-
schrauben zum sofortigen Erlöschen bringen. Der
.Spiritusverbrauch ist trotz der bedeutenden Wärmcent-
wickelung ein sehr massiger: Modell la verbraucht 180 ccm
in ca. oO Minuten Modell IIa '/a Liter in etwa drei
Stunden. Eine Gefahr bei der Handhabung ist ausge-
schlossen, da, sobald die Füllsehraube festgeschlossen,
ein Auslaufen des Spiritus unmöglich ist. Ist die erstere
Form mehr für wissenschaftliche Zwecke (Schmelzen
schwerflüssiger Metalle etc., Spectralanalyse etc.) geeignet,
so dürfte sich die zweite schnell viele Freunde unter den
Handwerkern (Löten, Auftauen von Leitungen etc. etc.)
erwerben.
Der Preis für Modell la stellt sich auf 15 für
Modell IIa auf 12 Mark. F. K.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der erste Assistent nn der pflnnzen-
pliysiolog-isc.lien Versuchsstation in Geisenlieiin Dr. Rudolf
Aderhold zum Leiter der jitianzenpliysiolosischen Versuchs-
station in Proskau. — Dr. F. Krügor zum ersten Assistenten
an der pttanzenphy^iiologischen Versuchsstation in Geisenheim. —
Oberstabsarzt Dr. Jalm zum Chefarzt des Garnisonhiza.i-etlies in
der Scharnliorststrasse in Berlin. — Dr. Joliann Woldrich,
Professor des akademischen Gymnasiums in Wien, zum Ordinarius
der Geologie an der böhmischen Universität in Prag. — Der
Privatdocent Dr. Ignaz Zakrzewski zum ausseroidentlichen
Professor für E.xperimentalphysik an der ITniversität Lemberg. —
Dr. Gg. Jauff inger zum ausserordentlichen Professor für Larj-n-
gologie an der ITniversität Innsbruck. — Dr. Johann Fritsch
zum ausserordentlichen l-'rofessor für Psychiatrie an der Univer-
sität Wien. — An der Bibliothek der Universität Prag Dr. Wenzel
Tille und Dr. Hugo Glaeser zu Amanuensen. — Privat-
docent Dr. Dreyser zum Aasistenten .am pharmakologischen
Institut der Universität Bonn. — Dr. Kichard Möhlau, ausser-
ordentlicher Professor für Farbenchemie an der Technischen Hoch-
schule in Dresden, zum Ordinarius. — Dr. Freiherr v. Dankel-
inann in P.erlin, bekannt durch seine geograpliischen und natur-
wissenschaftliidien Forschungen, zum Professor.
Es hat »ich liabilitirt: Privatdocent an der Universität Bonn
Dr. Emil Erlenmeyer für Chemie an der Universität Strassburg.
L i 1 1 e r a t u r.
Prof. Dr. Oscar Kertwig, Lehrbuch der Entwickelungs-
geschichte des Menschen und der Wirbelthiere. Vierte, thcil-
weise umgearbeitete Auflage. Mit 362 Abbildungen und zwei
Tafeln. Gustav Fischer. Jena 1893. — Preis IIJSO Mk.
Die ausgezeichnete Hertwig'sche Entwickelungsgeschichte
liegt hiermit in neuer Auflage vor. Sie hat selbstredend ent-
sprechend den Fortschritten in der umfangreichen Disciplin an
verschiedenen Stellen eine wesentliche Umarbeitung erfahren.
Für diejenigen, die das Buch noch nicht kenni'n, erwähnen wir.
dass es der Disposition des Inhaltes nacli als eine ver-
gleichende Entwickelungsgeschichte zu Ijezeichnen ist. Es zer-
fällt nach einer kurzen Einleitung und Aufzählung der wichtigsten
Hand- und Lelirbücher des Gebietes in 17 Kapitel. Jedes der-
selben wii'd pädagogisch sehr geschickt von einer ,.Zusammen-
fassung", welche in präcisen Sätzen die Ergebnisse jedes Ka])itels
bündig zusammenstellt, geschlossen und einer Litteratur-Liste, die
dem Weiter-Arbeitenden und demjenigen, der einen bestimmten
Gegenstand eingehender zu studiren wünscht, bequem die Bahn
weist.
Bei dem gediegenen Inhalt, der klaren Sehreiljweise und der
treti'lichen Disjiosition des Buches, auch wegen des für das ge-
bdtiMie (das Buch umfasst incl. Register 590 Seiten und liringt
zahlreiche Abbildungen) sehr massigen Preises desselben, ist es
kein Wunder, wenn es sich so schnellen, verdienten Eingang ver-
schafft hat.
Engler und Frantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien. Fort-
gesetzt von Engler. III. Theil. 1. Abtheilung. \'erlag viui Wilhelm
Eng.dmaiiU in Leipzig 1893. — Preis 9 Mk., in Subskription die
Hälfte.
Der vorliegende Theil enthält, wie .alle bisher erschienenen,
zahlreiche Abbildungen, von denen freilich in einem Werke wie
dem vorliegenden gftr nicht genug gebracht werden können. Es
sind 670 Einzelbilder in 74 Figuren auf nur 128 Seiten ; alle in
gleich trefflicher und exacter Ausführung. Der III. Theil bringt
die Polygonaceen, Chenopodiaceen, Amarantaceen, Batidaceen,
Cynocrambaeeen und Basellaceen, alles Familien, die besondere
Eigenthümlichkeiten zeigen und daher einen eigenen Reiz besitzen.
Den Schluss des Heftes bildet wie immer das Familien- und
Gattungs-Register, sowie ein Verzeichniss der Nutzjjtlanzen und
Vulgärnamen. Letzteres ist recht kurz gerathen, so vermissen wir
das Wort Spinat. Besonders hervorragend ist die Bearbeitung
der Chenopodi.aecen des zur Zeit in botanischi'Ui Interesse in
Afrika weilenden Dr. G. \'olkens. Unter den Figuren Ijetindet sich eine
Tafel, welche ein Landschaftsbild mit Saxaulbäumen (Haloxylon
Ammodendron) in der Sandwüste Kisil-Kum nach einer Original-
zeichnung von Prof. Sorokin.
E. J. Marey, Die Chronophotographie. Mit 47 Figuren. Aus
dem Französischen übersetzt von Dr. A. von Heydebreck.
(Photographische Bibliothek herausgegeben von Dr. F. Stolze.
Bd. II). Mayer & Müller. Berlin 1893. - Preis 2,50 M.
Die Analyse der Bewegungserschoinungen bei den Natur-
objecten ist vielfach bei der Schnelligkeit derselben nur auf in-
directeni Wege, mit Hülfe der Photographie, speciell der Chrono-
Nr. 44.
Naturwisscnscbaltliclie Woclienschrift.
4SVI
pliotosraphic, zu bewerkstelligen. Kino Darstellunf;- der Methode
die.ser pliotograpliischen I)isei|din findet sieh in dem vorliog'enden
enipt'ehlenswerthen lieft. Aneh die Anwendungen der Chrono-
photographie auf die Kunst und VVissensehaft finden gebührende
Berücksichtigung.
Bulletin of the United States Geological Survey. Government
Printing ( tffiee.
a. Correlation Papers.
No. 82. Charles A. Wliite, Cretaceous. Washington 1891.
Der Verfasser gieht eine allgemeine Ucbersicht über dici
Kreideablagerungen auf dem uordamerikanischen Continente, ohne
dabei auf eine Parallelisiruug derselben mit den cretaeeisehen
ßildungen_ anderer Erdtheile einzugehen. Er besehränkt sieli eben
nur auf die nordanierikaniselien Kreidevorkommen, welche er mit
einander vergleicht und zu identificiren sucht. Nach einer Reihe
allgemeiner einleitender Bemerkungen, z.B. über Zweck und Ent-
steluing seiner Arbeit u. s. w., giebt er ein sehr umfangreiches
Litteraturverzeichniss, welchem er eine historische Skizze über
die Entwiekelung der Kenntniss der nordamerikanischen Kreide
folgen lässt. Alsdann werden die Gebiete, in welchen die Kroide-
ablageruugeu entwickelt sind, einzeln besprochen, und zwar 1)
die Atlantische Küsten-, 2) die Golf-Küsten-, 3) die Texanische,
4) die Nord-Me.xikanische, 5) die südliche Inland-, G) die nördliche
Inland- und 7J die Pacifische Küsten-Region. Alle anderen Kreide-
Vorkommen, welche nicht in diese Anordnung mit einbegrili'en
sind, wie diejenige Süd-Mexicos, Central- Amerikas, Grünlands,
Alaskas, sowie endlich vereinzelte Punkte im Geliiete der A'er-
einigteu Staaten, die nicht den obengenannten 7 Regionen sieh
einfügen Hessen, werden gesondert ^ds Extra-Regional-Districts
behandelt. Es folgt alsdann eine Reihe von Profiltafeln und
zum Schkiss eine kurze Darstellung der einzelnen Kreidehorizonte.
— Ausgestattet ist das. 274 Seiten starke Heft mit 3 Tafeln, wovon
eine die Entwiekelung der verschiedenen Horizonte in den ein-
zelnen Regionen veranschaulicht, die beiden anderen Uebersiehts-
karten darstellen, und zwar die eine in Schwarzdruek die räum-
liche Ausd(dnning clor Regionen, die zweite das gesammte Kreide-
gebiet Nordamerikas in Buntdruck zeigt. — Für jeden Geologen,
der sich mit dem Studium der Kreide beschäftigen muss, ist die
vorliegende Arbeit eine ebenso willkounnene Ergänzung der cin-
schliigigen Litteratur wie ein unentbehrliches Handbuch.
No. 83. William Bullock Clark , Eoceno. Washington 1891.
In ähnlich umfassender Weise, wie im vorigen Hefte, wird
in diesem das Eocaen dargestellt. Nachdem der Verfasser in der
Einleitung u. a. festgestellt hat, was unter Eocaen in Amerika
zu verstehen ist (Eintheilung des amerikanischen Tertiärs in
Eocaen und Neocaen. Ersteres deckt sieh nur selten mit dem,
was in Europa darunter verstanden wird, und ist wieder in Unter-,
Mittel- und (_tl)cr-Eoeaen gegliedert), bespricht er die drei grossen
Gebiete, in welche mau in den Vereinigten Staaten das Eocaen
nach seiner geograpliisclien Verbreitung gliedert: 1) das Atlan-
tische und Golf-Küsten-Gebiet, 2) das Pacifische Küsten-Gebiet,
3) das Inland-Gebiet. Bei der Darstellung des ersteren, welches
wieder in 4 Provinzen (New Jersey, Mar3'hiud- Virginia, Carolina-
Georgia und Golf province) gotheift wird," erwähnt Verf. auch die
Versuche, welche zwecks Parallelisirung des Eocaens von Europa
und Amerika gemacht worden sind. Obwohl gewisse Aehulich-
keiten in den Ablagerungen und in der Fossilienführung vorhanden
sind, sind speciellere Identificirungs-Versuche zwischen den ein-
zelnen Horizonten nicht angebracht. Das amerikanische Eocaen
entspricht dem Eocaen und Oligocaon Europas. Das Heft ist
174 Seiten stark und enthält 2 Kartenskizzen, deren eine die Ver-
breitung und Gliederung des Eocaens in Alabama,, die andere eine
Uebersicht des ganzen Vorkommens innerlialb der Vereinigten
Staaten bietet. Ein umfangreiches Litteraturverzeichniss und ein
sorgfältig ausgearbeiteter Index erleichtern die Benutzung des
willkommenen Werkes ganz wesentlich.
No. 84. William Healey Dali and Gilbert Dennison
Harris, Neocene. Washington 1892.
Nach einem kurzen geschichtlichen Ueberblick über die Kennt-
niss der Känozoischen Periode in Amerika, werden die Grenzen
derselben gegen die älteren und die jüngeren Formationen fest-
gestellt, ihre Unterabtheilungeu (Eocaen, Miocaen, Pliocaen —
letztere beiden zu.sammen Neocaen) kurz besprochen und endlich
die geographische Verbreitung des Neocaens erläutert. Das
Neocaen zerfällt in drei durch ihre Verbreitung, Fauna u. s. w.
von_ einander geschiedene Gebiete: 1) Das Atlantische, 2) das
Pacifische Küsten-Gebiet mit marinen Ablagerungen und o] das
Inland-Gebiet mit Land- und Süsswasserbildungen.
Diese Regionen finden eine eingelu'ude Erörterung, indem ihr
Auftreten — von Norden beginnend — durch die einzelnen
Staaten hindurch verfolgt wird. Der Staat Florida, dessen Boden
ganz aus tertiärem Gestein besteht, ist besonders eingehend be-
schrieben, weil einerseits dies Gebiet fast ganz unbekannt war,
andererseits durch seine Beschaifenheit von specicllcm Interesse
ist. Zum ersten Male wird in der vorliegemlen Arbeit auf Grund
sorgfältiger Forschungen gezeigt, dass bis zum Pliocaen Florida,
soweit es bereits aus dem Meere hervorragte, eine vom Fcstlande
durch eine breite Strasse getrennte Insel war. Die Arbeit be-
schränkt sich nicht ;dlein auf das Gebiet der Vereinigten Staaten,
sondern erstreckt sich auch auf Britisch Columbion. Eine Anzahl
Textillustratiouen, Profile, Tabellen, sowie ein Verzeichniss der
Namen, welche für tertiäre Ablagerungen und Schichten-Com-
plexo in^ den Vereinigten Staaten angewandt werden, endlich ein
sorgfältiges Register erleichtern das Verständniss der werthvollen
Arbeit und orieutiren den sich damit Beschäftigenden schnell. Die
Stärke des Bandes beträgt ;iüO Seiten, ausgestattet ist derselbe
noch mit o Karten in Farbendruck: Geologische Karte von Florida,
Karte der Neocaenvorkonnnen in den Vereinigten Staaten und
Karte der Verbreitung des Neocaens in Alaska.
No. 85. Israel Cook Rüssel, The Newark Svstem. Was-
hington 1892
Das „Newark-System" ist ein wohl begrenzter, fossilien-
fiihrender Schichteucomjdex, welcher in die untere mesozoische
Formationsgru])iie geliört. Seine genaue Idcntifizirung mit euro-
)iäischen Formationsgliedern hat, wie dies mei-tens hinsichtlich
der amerikanischen Ablagerungen der Fall ist, bis jetzt nicht zum
Abschlüsse gebracht worden können. Die Batrachier und Crusta-
ceen weisen in die oberste Trias, erstei-e auf den Keuper, letztere
speciell auf das Rhaet; die Fische zeigen Anklänge an solche des
Jura. Die für die geologische Altersbestimmung so wichtigen
Pfianzen halien ebenfalls triassischen Charakter, und zwar halten
Heer, Stur und Zedier sie auf solche des Kcupers bezogen, Fon-
taine und Newlterry auf diejenigen des Rhaet, während in aller-
noucster Zeit S. F. Ward sie mit denjenigen des Lnnzer Saud-
steijis und der Ablagerungen von Neue Welt bei Basel, also
solchen der unteren karnischeu Stufe der alpinen Trias zusammen-
stellt. Bekannt ist das „Nowark-System" schon seit langer Zeit
und ist vielfach gedeutet und benannt worden : (_)ld red sandstone
(Maclure), Siluriau (J. H. Conrad), New red sandstone System
(Hitchcok), Permian (Murchison), u. a. Permian Triassic (Lyell),
Triassic and Jurassic (Dana.) etc., etc. — eine sorgsame Ueber-
sicht aller dieser Benennungen, ihrer Autoren, des Jahres und
des Werkes giebt der Verfasser auf Seite 16, 17 un<l 18 seiner
Arbeit. Verbreitet ist das „Newark System" in einer vielfach
unterbrochenen Zone längs der atlantischen Küste Nordamerikas :
New Brunswick, Nowa Scotin, im Connecticut-Thal und seiner
Nachbarschaft und in den Staaten Massachusetts und Con-
necticut, vom Staate New-York am rechten Ufer des Hudso:i
River in einem ununterlirocheneu, anfangs nach SW. (New Jersey
und Pennsylvania), dann fast nach S. (Maryland) gerichteten
Bande bis südlich Cul]ieper in Virginia und südlich liiervun in
mehreren isolirten Partien, endlich in Nord-Carolina. Das allge-
meine Streichen des ganzen Zuges ist NO. zu SW. Im Uebrigeu
verweisen wir auf die fleissigo Arbeit des Verfassers selbst, w-elche
durch ein sehr umfangreiches, ca. 200 Seiten einnehmendes Litte-
raturverzeichniss noch werthvoller wird. Ausgestattet ist der
314 Seiten starke Band mit 7 Karten, welche die Verbreitung des
Newark-Systems in Farbendruck zeigen (darunter die erste als
Uebersichtskarte), 6 Tafeln mit Abbildungen und Profileu und
mehreren Textillustrationen.
No. 86. Charles Richard van Hise; Archean and Algou-
kian. Washington 1892,
In einem stattlichen, 552 Seiten starken Bande giebt der
Verfasser eine Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der
Kenntniss der vorcamlirischen Gesteine in den Vereinigten Staaten
und in Canada. Das Cambrium schliesst nach dem Verfasser in
Amerika mit den Olcnellus-Schichten ab. Darunter folgt ein
Schichtencomplex von oft sehr grosser Mächtigkeit, bestehend
aus elastischen und ihnen ä(iuivalenten crystalliuischen Gesteinen.
An vielen Lokalitäten sind hierin Fossilien (eine kleine an Pa-
tella erinnernde Form, Liugula-artige Schalen, Trilobiten-Reste etc.)
gefunden worden, und es ist möglich gewesen, auch zuweilen eine
Gliederung dieses Schichten-Complexes durchzuführen; indessen
ist letzteres nur sehr vereinzelt angängig. Die U. S. Geological
Survey hat daher für diesen Complex die Bezeichnung Algonkian
angenommen. Nach unten zu wird derselbe von dem Archean
begrenzt, welches für Amerika den eigentlichen Gesteins-Unter-
grund bildet und aus Granit, Gneis und Schiefern besteht. Seine
untere Grenze ist nicht bekannt. Als Aufeinandi'rfolge der Zeit-
alter und Formationen in Amerika wird demnach die folgende
angenommen:
Zeitalter: Formation:
Zu Unterst Archäisches Archean.
Agnotozoisches oder
Proterozoisches
xMgonkian.
490
NatnrwissenschaftHt'lie Woclien.sclirif't.
Nr. 44.
Zeitalter:
Palacozoisclios
Forniiltion :
f Cainbriuin.
I Silur.
I Devon.
I Carbon.
Der Alltor bchaudelt die liauptsächliehsten Gebiete iu beson-
deren Capiteln in folgender Reihenfolge: 1) Ost-Ontario, West-
Quebee nnd das Gebiet zwischen Nord-Kanal, Huronen- und
Tcmiscamang-See; 2) das Gebiet des Oberen Sees; 3) das grosse
nördliche Gebiet (Hud8on-Ba3'-Gegend, Nord-Canada, den unteren
St. Lorenz-Strom und die Gegenil westlich davon bis zu den Seeen
St. John und Misstassini; 4) Üst-Canada und New-Foundland ;
5) isolirte Gebiete im Mississippi-Thal; 6) die Cordilleren; 7) die
östliclion Vereinigten Staaten. Bei den einzelnen Gebieten, welche
ihrerseits wieder in verschiedene Theile zerfallen, wird die darüber
bestehende Litteratur aufgeführt und besjirochen und die Ent-
wickolung der geologischen Kenntniss der lietreft'endeu Gegenden
liistoriseli-kritisch erörtert. Im Schlusscapitel wird ein umfassendes
Resume der verschiedenen Ansichten über das gesammte praecam-
brische Gebirge gegeben und die Resultate der Forscliungen,
sowie die Gesichtspunkte, von welcliem aus dieselben nnter-
nonnnen worden, einer eingehenden Besprechung unterzogen.
Ausgestattet ist das Werk mit 12 Karten, welche in Buntdruck
die in Rede stehenden Formationen in den einzelnen (^lebieten
oder Theileu derselben darstellen.
b. Verschiedene Schriften.
No. 'M. Frank Wigglcs worth Clarke. Report of work
done in the Division of Cheniistrv and Physics niainly
dnring the fiscal year 1S90— 91. Washington 1S92"(
Das 80 Seiten umfassende Heft bringt eine Ri'ihe von Ge-
steins-Analysen und crystallograpliischen Ifutersnchungeii, welche
in der chemischen und physikalischen Abtheilung der U. S. Geo-
logieal Survey ausgeführt worden sind.
No. 91. Nelson Horatio Darton, Reeord of North Ame-
rican Geology for 1890. Washington 1891.
Das SB Seiten starke lieft bringt ein Verzeichniss von Pnbli-
cationen geologischen Inhaltes, welche in Nord-Amerika gedruckt
sind oder, wenn ausserluilb ersidiienen, docli auf die GeoUigic
Nord-Amerikas Bezug haben, sowie kurze Inhaltsangaben dieser
Werke. Rein paläontologische oder mineralogische Arbeiten sind
nicht berücksichtigt.
No. 92. Carl Barus, T li e Compres sib il i t v of Liquids.
Washington 1892.
Die Ai-beit. ein Heft von 96 Seiten füllend, handelt über
Untersuchungen, welche der Verfasser im Laboratorium der
U. S. Geologieal Survey über die Thermodynamik von Flüssig-
keiten angestellt hat. Im 1. Capitel (Seite 17 — 67) wird die Ab-
hängigkeit des Volumens verschiedener Flüssigkeiten von Druck
und Temperatur erörtert und eine Anzahl aus Experimenten ge-
wonnener Resultate angeführt. Das zweite Capitel bringt eine
interessante Untersuchung über die Wirkung des Druckes auf das
elektrische Leitungsvermögen des Quecksilbers. Die Zusammen-
pressbarkeit des Wassers über 100° und seine auflösende Wir-
kung auf Glas bildet den Inhalt des 3. Abschnittes. Das 4. Ca-
pitel endlich behandelt die Löslichkeit vulkanisirten indischen
Gummis in verschiedeneu Flüssigkeiten. Untersuchungen, wie
die vorstehend genannten, sind für die Geologie von grossem
Werthe, da aus ihnen Scidüsse auf die bei der Gestaltung der
Erdrinde im Grossen wirkenden Kräfte gezogen werden können.
.i9 Tabellen und 29 Tafeln mit Abbildungen und graphischen
Darstellungen erleiclitern das Studium der fleissigen Arbeit.
No. 93. Samuel Hubbard Scudder, Some Insects of
Special Interest from Florissant, Colorado and other points
in the Tertiaries of Colorado and Utah. Washington 1892.
Ans dem Oligocän von Colorado (namentlicli Florissant) und
Utah beschreibt der Verfasser 9 neue Insecten-Arten, nnd zwar
2 Nenroiiteren, 1 Hemiptere (Cicada grandiosa), 2 Coleopteren,
2 Dipteren. 1 Leiiidoptere und 1 Hymenoptere. Die durch ihre
Grösse auffallende Cicade ist die erste aus Amerika fossil be-
kannte Cicadide. Die 28 Seiten umfassende Arbeit ist mit 3 Tafeln
ausgestattet.
No. 94. Carl Barus, The Meclianism of solid Viscosity.
Washington 1892.
Die Arbeit ist eine Fortsetzung der vom Verfasser im Bulletin
No. 73 (1891) veröftontlichten „Die Viscosität fester Substanzen"
und beschäftigt sich mit solchen Untersuchungen über die Zähig-
keit fester Substanzen, welche auf den viscose Bewegung beför-
dernden molekularen Bau Bezug haben.
Das Heft ist 138 Seiten stark und mit 24 Illustrationen und
59 Tabellen ausgestattet.
No. 95. Edward Singleton Holden, Earthquakes in
California in 1890 and 18:n. Washington 1892.
Die 32 Seiten füllende Arbeit ist eine Fortsetzung der Erd-
bebenverzeichnisse, zusammengestellt vom Verfasser und Prof.
Keeler, und unifasst den Zeitraum von Anfang 1890 bis Ende 1891.
Sie notirt und charakterisirt, je nach der Heftigkeit und Genauig-
keit der Beobachtung, resp. Meldung in chronologischer Reihen-
folge sämmtliche Erdbeben, welche auf dem Lick-Ctbservatorinm
des Mount Hamilton beobachtet oder gespürt, sowie alle die-
jenigen, welche brieflich gemeldet wurden oder durch Zeituiigs-
nacli lichten dortselbst zur Kenntniss gelangten. Verfasser giebt
zunächst die in Gebrauch betindlichen Instrumente (vor allen an-
deren Ewing's Seismographen) an, alsdann die Intensitäten-Scala
(von I bis X, wobei I die Bezeichnung für die schwächsten Stösse
— mikroseismische — ist) und darauf die Stationen an der paci-
fischen Küste, auf denen mittel^ Apparate Beobachtungen ange-
stellt werden. . Aus dem Jahre 1890 sind 30 Erdbebentage notirt,
von denen 4 dem Januar, 4 dem Februar, 3 dem April, 2 dem
Mai, 3 dem Juni, 5 dem Juli, 2 dem August, 4 dem September,
2 dem October und 1 dem December angehören. Die 34 Beben-
tage des Jahres 1891 vertheilen sich, wie folgt: Januar .5, Februar
1, April 3, Mai 3, Juni 3, Juli 3, August 1, September 5, Dctober
6, November 2, DecenJjer 3. Das heftigste Beben von 1891 war
dasjenige am 2. Januar.
No. 96. C a r I B a r u s , T h e V o 1 u m e T h c r m o d y n a m i c s o f L iq u i d s.
Das 100 Seiten starke Heft enthält Untersuchungen über die
Volumen-Thermodynamik von Flüssigkeiten und ist der Anfang
einer grösseren Reihe von Studien seitens des Verfassers. Im
1. und 3. Capitel stellt der Autor die Methoden dar, hohen Druck
(2000 bis 3000 Atmosphären) zu erzeugen und zu messen, im 2. Ca-
pitel behandelt er die Isometrik von Flüssigkeiten, im 4. die Iso-
thermalien.
Ausgestattet ist die beachtenswerthc Arbeit mit 8 Tafeln,
13 Textillustrationen und 46 Tabellen.
Filarszky, Dr. Nändor, Die Characeeu. Bu<lapest 6 M.
Haeckel, Ernst, Indische Reisebriefe. 3. Autl. Berlin. 6,50 M.
Heydebreck, Dr. A. v., Ueber die Gewissheit im Allgemeinen.
Leipzig. 1.20 M.
Jordan, Prof. W., Logarithmisch-trigxmometrische Tafeln für
neue (centesimale) Thrilung mit 6 Decimalstellen. Stuttgart.
12 M.
Kerville, Henri Gadeau de, Die leuchtenden Thiere und Pflanzen.
Leipzig. 3 M.
Kodis, Josepha, Zur Analyse des Apperceptionsbegritt'es. Berlin.
4 M.
Kuntze, Dr. Otto, Revisio generum plantarum secundum leges
nomenclaturae internationales. Leipzig. 50 M.
Ijauterborn, Rob., Ucdier Bau und Kerntheilung der Diatomeen.
Heidelberg. 1,20 M.
Meyer, Loth., GrundzÜL'c der theoretischen Chemie. 2. Aufl.
Leipzig. 5,50 M.
Planck, Prof. Max, Grundriss der allgemeinen Termochemie.
Breslau. 4 M.
Rohn, Karl, u. Erwin Papperitz, Prof. DD., Lchibuch der dar
stellenden (ieouietrie. |. Bd. Leipzig. 12 M.
Weber, Prof. Dr. Max, Zoologische Ergebnisse einer Reise in
\iederländi,-eli-Ostindien. 3. Bd Leiden. 20 M.
Weber's, Wilh., Werke. 5. Bd. Berlin. 18 M.
Weiss, Prof. Dr. E., Ueber die Bestinnnung der Bahn eines
lliiiuiudskörpers aus drei Beobachtungen. Wien. 2,50 M.
Wenzel, Karl, Die Rabenarten Norddeutschlands. Stettin. 1 M.
Berichtigung.
In No. 42 muss es auf Seite 455, erste Spalte, Zeile 34 von
oben pädogeu etisch statt paragenetisch heissen.
Inhalt: Pn.f. Dr. H. Schubert: Mathematische Spieh'reien in kritischer und historischer Beleuclitung. Vlll.— Carl von Nägeli:
,,( tligodynamischo" Erscheinungen in lebenden Zellen. — Die physiologische Bedeutung des Zellkerns. — Ueber die Volumen-
Reductiou bei Umwandlung von Pflnuzen-Material in Steinkohle." — Selbstthätige Spiritus-Gebläselanipe. — Aus dem wissen-
schaftlichen Leben. — Litteratur: Prof. Dr. Oscar Hert\\ig: Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen und der
Wirbelthirre. — Engl er und Pran tl: Die natürlichen Pflaiizenfamilien. — E. J. Marey: JUie Chronoiihotographie. — Bulletin
of the United States Geologieal Survey. — Liste — Berichtigung.
Nr. 44.
N;itiu\visscn.scliaftlichc Wochcnscliviit.
491
„Linnaea", Naturhistorisclies Institut.
(Naturalioii- i**.' Loluiuittel-HaiKlluug.)
Berlin N"W. Liiisenplatz 6.
Natiirwisseiiscliafteii.
Als Geschenke
ompfohlen wir für die reit'oro Jngeml
Saniniliiiigon
von
Mineralien :
2.") Arten kl. Format . . . .
er.
20
2rj Erze incl. Gold und Silber
M. .■>.-
„ 10.-
„ 12.-
Versteinerungen: 25 Arten aller Forma-
tionen 15 M., 50 desgl. 25 M., luo desgl.
.")U M.
t'onchylien : ' (Muscheln und Schnecken.)
3ii ArteQ der tropischen Meere S M., M desgl.
der ganzen Erde (Land, Süsswas.ser und
Meci') 15 M., Uiu desgl. der ganzen Erde
(Land, .Süsswasser und Meer) 30 M., .'>o desgl.
Land und Süsswasser Deutschlands 10 M.,
25 desgl. der Euroitäischen Meere S M.
Schmetterlinge: 25 Arten Deutschlands
6 M., 50 desgl. Deutschlands 12 M., loock-sgl.
Deutschlands 25 M., 10 desgl. aus üliersee-
ischen Ländern 5 M., 20 desgl. aus üher-
seeischen Ländern 12 M.
Käfer:
50 Arten Deutschlands 5 M.,
'»" .. „ 10 „
Verschiedene Colloctiouen ausländ. Käfer,
liaii|.tsächlich aus Dentseh-Ostafriea. ^lada*
giiscar, Kl. Asien, Oentralasicn, .lajian.
\ ._ Malay, Archipel, Australien und Kaiser
W'illielnislanit, lirasiiien, Chile etc. etc. zu
l'rrisen von M, .'i, 10, i.i, l'u, :'.o, 40 und 50 M.
Vogeleier:
2.'i Arten
M 7.50,
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Redaktion: f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. IS, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. Sonntag, den 5. November 1893.
Nr. 45.
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Abdrnck ist nni- mit voll!i)täii«lig;er Qaellenangabe gestattet.
„Oligodynamische" Erscheinungen in lebenden Zellen.
Nach einer nachfcelasseneu Arbeit von Carl von Niigeli.
(Fortsetzung.]
geboren
lanjj
Zellvvaiulung-
Die Spirogyren — mit denen N. experiuientirt bat —
bekanntlieb zu den im Wasser lebenden grimeu
Fäden (Wassertaden), sie sind gegliedert und jedes Glied
besteht aus einer cylindriscbeu Zelle. Man kann sich also
den Faden als einen durcb Querwände abgetbeilteu Hobl-
cylinder vorstellen. Diese Scbeidewände besteben meist
deutlicb aus zwei Platten, von denen jede einem Fach,
d. b. einer Zelle angehört. Jede Zelle enthält einen oder
mehrere gleicblanf'endc grüne .Spiralstreifen. .Spirogyra
nitida, welche sich neben der verwandten Spirogyra dubia
am geeignetsten für die Beobachtung der oligodynamischen
Erscheinungen erwies, besitzt einen Durchmesser von
0,1 mm. Die Zellen haben je nach dem Vegetations-
zustande eine sehr ungleiche Länge; bald sind sie kaum
er als der Durchmesser, bald übertreficn sie denselben
Ulf das 6 fache, sehr selten bis auf das 10 fache. Die
ist 4 Mik. (= 0,004 mm) dick und besteht
aus der eigentlichen Zellmembran und der den ganzen
Faden ununterbrochen überziehenden Seheide; letztere ist
doppelt so dick als erstere. Der feste, plasinatische In-
halt besteht aus drei concentrisch angeordneten Systemen.
Wie in allen Ptlanzeuzellen betiudet sieb zunächst an der
Membran der ihr dicht anliegende, äusserst düinie, farb-
lose Plasmaschlauch, welcher wegen seiner Diinuheit in
der natürlichen Lage nicht sichtbar ist, aber sofort deut-
licii wird, wenn er sich in verdünnten Lösungen von
Zucker, Glycerin, Salzen oder Weingeist von der Zell-
membran zurückzieht. Auf denselben folgen, jedoch auf
die Cylindertläche beschränkt, die grünen Spiralbänder,
welche bei Spirogyra nitida in der Zahl von 5, selten 4
oder 6 vorhanden sind, und in den kurzen Zellen '/s bis
1 Windung, in den langen 2 bis 21/2 Windungen be-
schreiben. Die Spiralbänder sind, wie bei allen Spiro-
gyren, rinnenförmig, mit balltruudeni Querschnitt und nach
innen gekehrter convexer Seite, so dass zwischen einem
Band und dem Plasmaschlauch ein halbkreisförmiger Canal
sicii befindet. Die beiden Ränder des rinuenförmigen
Bandes sind gezackt, so dass sie nur mit einzelnen Punkten,
nämlich mit den Spitzen der Zacken, den Plasmaschlauch
berühren. Die Einbuchtungen zwischen den Zacken stellen
bogenförmige Eingänge dar, durch welche eine Communi-
cation zwischen der Zellhöhlung und dem Hohlraum der
Rinne hergestellt und ebenso ein ungehinderter Durch-
gang für Körpereben, welche in der Längsrichtung
dem Plasmaschlauch sich fortbewegen,
Ein grünes Band,
ein von Pfeilern,
kann, getragener
Band ist an den
nimmt nach der Mittellinie an Dicke zu. Hier springt der
Rücken leistenartig oder kammartig vor und erscheint auf
der Flächenausicht als ein scharf begrenzter, dunkel-
grüner Rückenstreifen; zuweilen mangelt derselbe strecken-
weise, besonders an den Enden der Spiralbänder; manche
Spirogyra -Arten besitzen ihn gar nicht. In den Fäden
mit kurzen Gliedern haben die Spiralbänder sehr flach
ansteigende Windungen; sie sind breiter, sehr reich ge-
zackt und berühren sich beinahe, so dass die Zellen ganz
grün erscheinen. Strecken sich die Glieder in die Länge,
so wachsen Zellwandung und Plasmascblaucii stärker als
die Bänder; die letzteren rücken auseinander, indem ihre
Windungen steiler ansteigen; sie werden schmäler und
zugleich spärlicher gezackt. In den Spiralbändern be-
an
ermöglicht wird,
von der Seite angesehen, muss also wie
zwischen denen man unten durchgehen
Viaduct erscheinen. Das rinnenförmige
beiden (gezackten) Rändern dünn und
finden sich mit grösseren oder geringeren Abständen die
ringförmigen, aus vielen kleinen Theilkörnern bestehenden
Stärkekörner. Dieselben sind Morgens klein, werden
durch die assimilirende Tliätigkeit der Chloropbyllbänder
den Tag über grösser, um während der Nacht durch Auf-
lösung der Stärke wieder abzunehmen. Auch ausserhalb
der ringförmigen Stärkeköruer können in einem Chlorophyll-
494
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 45
band sich einzelne kleine Stärkekörnchen bilden. Den
beiden peripherischen Plasmasjstemenjdem Plasmaschlauch
und den demselben anliegenden grünen Spiralbändern
steht, durch einen grossen Abstand getrennt, das centrale
System gegenüber. Dasselbe wird durch den Zellkern
mit etwas anliegendem, festem Plasma gebililet. Wenn
man die Spirogyrenfädeu von der Seite ansieht, erscheint
der Zellkern bei Spirogyra nitida und vielen andern Arten
rechteckig, bei einigen dagegen linsenförmig. In Wirk-
lichkeit ist er bei den crsteren cylindrisch und in der
Richtung der Zellenaxe wenig verlängert; unmittelbar nach
der Zelltheilung ist er der Scheidewand genähert und in
der Achsenrichtung verkürzt. JMitten im Zellkern belindet
sich das aus dichterer Substanz bestehende kugelige Kern-
chen; äusserst selten sind zwei Nucleoli vorhanden. Von
den beiden Kanten des cylinderförniigen Kerns (scheinbar
von den Ecken des Rechteckes) strahlen Plasmafäden aus,
die, nicht selten nach aussen sich verzweigend, mit ihren
äussern Enden an den nach der Zcllhöhlung vorspringen-
den Rücken der Spiralbänder sich ansetzen, und zwar an
solche Stellen, wo Stärkekörner liegen. Durch diese in
kräftig vegetirenden Zellen sehr zahlreichen Plasmafäden
wird der Zellkern unbeweglich in der Mitte des Lumens
schwebend erhalten. An dem Plasmaschlauch, dem Zell-
kern und an den Plasmafäden haften winzige l'lasma-
köruchen, welche nach verschiedeneu Richtungen hin fort-
gleiten, oft auch wieder zurückgehen. Indem mehrere
Körnchen sich in gleicher Richtung bewegen, entsteht der
Anschein eines Strömchens. Viele Strömeheu zusammen
können mehr oder weniger deutlich ein Netz darstellen.
An den Plasmafäden laufen die Körnchen ziemlich aus-
schliesslich in der Läugsriclitung derselben, am Plasma-
schlauche überwiegend in der Richtung der Zellenachse;
hier gehen sie unter den Spiralbändern zwischen deren
Zacken hindurch. Der Raum in der Zelle, welcher zwischen
dem Kern und den peripherischen Plasmasystemen sich
befindet, und ebenso die Hohlräume zwischen den rinnen-
förmigcn Spiralbändern und dem Plasmaschlauche sind
mit der Zellflttssigkeit erfüllt, welche aus Wasser und
darin gelösten Stoffen besteht. Die letztern sind theils
molecularlösliche, organische und unorganische Verbin-
dungen, theils niicellarlösliches Plasma, welches in beson-
ders reichlicher Menge vorhanden ist und bei verschiedenen
krankhaften Veränderungen sich kin-nig ausscheidet.
Das geschilderte Verhalten der Spirogyreuzellen ist
das normale. Bei kräftigem Vegetatiouszustande lassen
Tausende von Fäden nicht die geringste Abweichung wahr-
nehmen. Wirken aber schwache, schädliche Einflüsse ein,
so treten geringe Störungen ein; man findet sie an wild-
wachsenden, häufiger aber an cultivirten Pflanzen. Die
einen sind Störungen im Theilungsvorgauge, die man als
Missgeburten bezeichnen könnte und die den Vegetations-
proeess weiter nicht beeinträchtigen. Hierher gehören
folgende Erscheinungen. Einzelne Querwände sind nicht
vollständig, sondern haben ein grösseres oder kleineres
Loch in der Mitte, durch welches die ZellflUssigkeiten und
manchmal auch die Chlorophyllbänder iler beiden Zellen
in ununterbrochener Verbindung stehen. Die Scheidewand-
bildung ist hier unvollendet geblieben. — Die erwähnte
Erhaltung der Spiralbänder ist ein Beweis dafür, dass
dieselben oft erst in einem späten Stadium der Theilung
sich spalten. Geschieht dies, so gerathen sie wohl auch
in Unordnung, so dass ein Band über ein oder mehrere
Bänder kreuzend hinweggeht, welcher Zustand anfänglieh
am Ende der cylindrischen Zelle, später aber im Verlaufe
des Wachsthums und der Zelltheilungen auch in der Mitte
einer Zelle beobachtet wird. Die unvollkommene Thei-
lung kann sich auch in der Lage des Zellkerns kund-
geben. Er befindet sich dann nicht in der Glitte seiner
Zelle, sondern oft sehr nahe dem einen Ende derselben.
So oft dies der Fall ist, wird ganz das nämliche in der
benachbarten Zelle beobachtet, so dass die beiden Kerne,
die durch Theilung aus einem Mutterkern hervorgegangen,
einander genähert sind. — Viel seltener kommen in einer
Zelle zwei Kerne vor, indem die Schcidewandbildung
ganz ausgeblieben ist. Dieselben können sogar noch durch
Plasmafäden mit einander verbunden sein. Die genannten
Unregelmässigkeiten haben keine nachtheiligen Folgen
für das vegetative Zellenleben. Andere Störungen, die
durch äussere schädliche Einflüsse verursacht werden,
steigern sich beim Andauern dieser Einflüsse, bis sie mit
Tod und Fäulniss enden. Sie treft'en alle Theile des In-
haltes und stellen das natürliche Absterben dar. Die
Spiralbänder bleiben beim natürlichen Absterben zwar am
Plasmaschlauch, aber verändern hier ihre Lage; sie wer-
den der Zellenachse mehr oder weniger parallel, biegen
sich hin und her und gerathen oft ganz in Unordnung,
wobei sie stellenweise bis zur Berührung sich nähern
k(lnnen; dann zerfallen sie in kleine Stücke. Die Spiral-
bänder verändern ferner ihre Gestalt; die Zacken ver-
mindern sich und verschwinden zuletzt ganz; das Band
wird schmäler, verliert seine Rinne und nimmt einen
ovalen oder rundlichen Querschnitt an. Die von dem Zell-
kern ausgehenden Plasmafäden werden beim natürlichen
Absterben weniger zahlreich und verlieren sich vollständig;
dabei rückt der Kern an die Wandung, vergrössert sich
und rundet sich ab. Seine Substanz wird körnig, ebenso
die des Kernchens, und die Kernmembran hebt sich ein-
seitig als Blase ab. Die strömende Bewegung hört auf.
In der Zellflüssigkcit, meistens zuerst au den Scheide-
wänden, scheiden sich winzige Körnchen aus, die sich in
tanzender Bewegung befinden und zuletzt oft die ganze
Zellhöhlung dicht "erfüllen. Der Plasmaschlauch wird
dunkel, erscheint körnig und zieht sich etwas von der
Membran zurück, indem die Turgescenz der Zelle sich
vermindert und in gänzliche Schlaffheit übergeht. Die
geschilderten Veränderungen charakterisireu das natür-
liche Absterben, wie man es so häufig bei Zimmerculturen
beobachtet. Auf den natürlicben Standorten ist es meistens
in den tieferen Theilen der Rasen und schliesslich in den
ganzen Rasen zu treffen. Die ersten Merkmale der Er-
krankung werden bald an den Chlorophyllbändern, bald
au den Strömchen, am Zellkern oder in der Zellflüssig-
kcit sichtbar. Nicht selten sterben zuerst die Endzellen
eines Fadens ab und trennen sich los. Seltener machen
mittlere Glieder den Anfang, wobei der Faden in Stücke
zerbricht. Häufig erkranken alle Zellen eines Fadens
gleichzeitig, wobei der letztere meist nicht in einzelne
Theile zerfällt.
Um einen Ueberblick über die krankhaften Verände-
rungen, welche durch die gemeiniglich als (<ifte bezeich-
neten Stoffe hervorgebracht werden, zu gewinnen, müssen
wir sie einmal von den oligodynamischen Veränderungen
unterscheiden. Die nämlichen Stofle, welche in minimalen
Mengen die letztern bewirken, verursachen in gWisseren
Gaben die crsteren, die, um eine Bezeichnung zu haben,
die chemischen oder chemisch-giftigen Wirkungen genannt
werden mögen, weil damit wohl ihr hauptsächlichster
Charakter augedeutet sein dürfte. Ferner ist zu bemerken,
dass die chemisch -giftigen Stoffe nicht eine besondere
Gruppe von Verbindungen darstellen, sondern alle lös-
lichen Verbindungen umfassen, indem auch die unschäd-
lichsten in hinrcicliender Concentration giftig werden. Hier
tritt aber der besondere Umstand ein, dass gerade diese
unschädlichsten Stoffe in noch grösserer Concentration
durch Diosmose physikalische Veränderungen bewirken,
welche selbstständig oder in Verbindung mit der chemisch-
üiftisen Action die' Tödtung der Zellen vollziehen. Die
Nr. 45.
Naturwisseiiscliiiftlichc Wocbenschrift.
495
löslic'licii Stoffe können also dix'i \er.scliicdene Kateiiurien
von tödtliclien Erkrankungen verursacben; iu grc'isstcr
Menge die physikalische, in grösster und massiger Menge
die ehemische, in geringster IMenge die oligodynamische,
wobei die Wirkungen der minimalen Mengen vorläutig
als oligodynamische zusannnengefasst \Ycrden. Auf die
])liysikalisehen Veränderungen der Zellen in concentrirten
Lösungen, wozu sieh am besten Zucker, Salze, Alkohol
eignen, braucht nicht näher eingetreten zu werden. Es
genügt, daran zu erinnern, dass je nach Umständen ent-
weder die ganzen Zellen zusammengedrückt, oder bloss
der von der Membran sich ablösende Plasraasclilauch cou-
trahirt wird, bis er zuletzt fast nur noch die unlöslichen
Inhaltsköriier umscidiesst. Was die chemisch-giftigen Ver-
änderungen betrifft, so sind dieselben sehr mannigfaltig,
indem sie nicht nur bei den verschiedenen chemischen
Verbindungen, sondern auch bei den verschiedenen Con-
ceutrationcn der nämlichen Verbindung und endlich auch
bei verschiedenen Vegctatinnsznständeu ungleich ausfallen
k(iunen. Durch die Einwirkung der chemisch - giftigen
Stoffe verlieren die Spiralbäudor, ohne ihre Lage am
Plasmaschlauche zu verändern, die Rinne und den kanmi-
artig'cn Rücken und werden mehr und mehr cylindrisch,
indem sie besonders bei der Einwirkung von Säuren noch
stärker aufquellen. Hie und da konmit es auch vor, dass
sie in grrissere oder kleinere Stücke zerfallen. Zuweilen
trennen sich die ringförmigen Stärkekörner in die einzelnen
Tlieilkörner. Die Plasmafäden, welche Kern und Spiral-
bänder verbinden, zerreissen. Der Kern geht an die Wan-
dung. Er quillt nebst dem Kernchen auf; oder beide
werden körnig und verkleinern sich etwas. Zuweilen
bläht sich seine Membran blasenförmig auf. Die Sti'öm-
chen stehen still. In der ZellHüssigkeit wird häufig keine
Veränderung sichtliar; in andern Fällen findet Trübung
und Körnchenausscheidung statt. Die Körnchen tanzen
entweder frei in der Flüssigkeit, wobei sie gleichmässig
durch die Zelle vcrtheilt, meistens aber einer Scheidewand
genähert sind. Oder sie lagern sich zwischen die Spiral-
bändcr und in der Rinne derselben an und bleiben un-
beweglich an den Bändern und dem Plasmaschlauch be-
festigt. Die Low 'sehe Silberlösung bewirkt reichlichen
Körnchenniederschlag und färbt denselben schwärzlich,
während Plasmaschlauch, Spiralbänder und Zellkern un-
geschwärzt bleiben. Der Plasmaschlauch contrahirt sich
etwas und die Turgescenz der Zelle hört auf.
Um sich einen raschen Ucberblick über die Ver-
änderungen, welche die Wärme an den .Spirogyrenzellen
hervorbringt, zu verschaffen, kann man einen an einem
Holzstäbchen hängenden benetzten Büschel von Fäden
einer Flamme oder dem lieissen Ofen auf kurze Zeit nahe
bringen, wobei natürlich die Fäden nass bleiben müssen.
Man findet dann von der Seite, die der Wärmequelle zu-
geführt war, bis zu der abgekehrten Seite alle firade der
Veränderung von abgestorbenen l)is zu vollkommen un-
veränderten Zellen. Oder man kann den Objectträger,
auf welchem Spirogyren ausgebreitet sind, kurze Zeit über
eine Flamme halten. Man beobachtet dann gleichfalls
von der Stelle, welche der Flamme am nächsten war, bis
zu den entfernteren Stellen die verschiedenen Abstufungen
der Wärmeeinwirkung.
Unter 30° C. zeigt Spirogyra nitida keine Verände-
rungen, insofern das Wasser oligodynamisch -neutral ist.
Bei 30 und 31° G. können die Veränderungen 24 Stunden
lang ausbleiben. Es kann aber auch sich etwas unlös-
liches Plasma aus der Zellflüssigkeit ausscheiden, die
Spiralbänder etwas in Unordnung gerathen und der Zell-
kern, indem die Plasmafäden thcilweise reissen, an die
Wandung gehen. Bei 33 bis 35° C. ziehen sich schon
nach einer Stunde, bald auch früher, bald später, die
Spiralbänder von dem Plasmaschlauch ins Innere der
ZcUhöhlung zurück, indem sie die Zacken verlieren und
den Querschnitt abrunden. In der Zellflüssigkcit scheiden
sich reichliche Körnchen aus. Bei 38 bis 40° C. nehmen
die Bänder, ohne sich vom Plasmaschlauch abzulösen, bald
einen rundlichen Querschnitt an, indem sie mehr oder
weniger aufquellen. Der Zellkern contrahirt sich und seine
Membran schwillt blasenförmig an. Aus der ZellHüssig-
keit scheidet sich etwas körniges Plasma aus; der Plasma-
schlauch wird dunkel und zieht sich etwas von der Zell-
membran zurück.
Die angegel)enen Veränderungen bei den angegebenen
Tcinperaturgraden kcinnen aber keinen Anspruch auf Be-
ständigkeit erheben, da sie offenbar sehr wesentlich von
dem Vegetationszustande, somit von der grösseren oder
geringeren Widerstandsfähigkeit der Pflanze abhängen.
Es geschieht einmal, dass die Spirogyrenzellen bei einer
bcstinnnten 'rem])eratur nach einem bestimmten Zeitraum
noch unverändert erscheinen, während sie ein ander Mal
bedeutende Umbildungen erfahren haben. Es geschieht
firner, dass bei der nämlichen Temperatur zu verschie-
denen Malen ungleiche Veränderungen eintreten. Es scheint
auch, als ob die zweite Art der Reaction, wie sie für
33 bis 35° C. geschildert wurde, ganz ausbleiben und
beim Steigern der Temperatur die erste in die dritte
Reaction übergehen könne.
Die Wirkung der Elektricität auf die Spirogyren-
zellen wurde, wie bereits erwähnt, in verschiedener Weise
geprüft, aber ohne Erfolg. Nur dann trat eine Reaction
in den Zellen von Spirogyra nitida ein, wenn ein benetztes,
an einem Holzstäbchen in der Luft hängendes Büschel
von Fäden mit seinem Ende den Condensator einer klei-
nen Elcktrisirmaschine berührte, so dass ein Strom auf
dasselbe überging. Nach etwa 25 Umdrehungen wurden
die ersten Veränderungen bemerkbar, die sich bei an-
haltendem Strome steigerten. Sie waren je nach der
Lage der Zellen zur Elektricitätsquelle ungleich.
Die dem Condensator zunächst befindlichen Zellen
zeigten folgende Veränderungen. Die Spiralbänder ver-
loren ihre Zacken und ihren Rückenstreifen und der rinnen-
förmige Querschnitt ging in eine planconvexe Gestalt über.
Nachher wurden sie im Querschnitt oval und rundlich.
Später zerrissen sie in grössere oder kleinere Stücke,
welche zuweilen noch so stark aufquollen, dass ihr Quer-
durchmesser doppelt und dreimal so gross wurde als die
ursprüngliche Breite des Bandes.
Während dieser Umbildung der Spiralbänder con-
trahirte sich der Zellkern ganz bedeutend und die Plasma-
fäden wurden dünner. Aus der Zellflüssigkeit schieden
sich Körnchen aus, die ziemlich gleichmässig durch die
Zellhöhlung vcrtheilt waren oder auch zu localcn An-
häufungen am Plasmaschlauch sich sammelten. Letzterer
erschien etwas dunkel und fast schwach ziegelbraun und
zog sich wenig von der Membran zurück, indem die Zellen
ihren Turgor verloren.
Die eben angegebenen Erscheinungen, welche in den
dem Gondensator zunächst gelegenen Zellen eintraten,
gingen in den entfernteren Zellen in wesentlich andere
über. Die Spiralbänder, die dort am Plasmaschlauch
haften blieben, lösten sich hier al) und zogen sich ab-
rollend gegen die Mitte der Zellhöhlung zurück. Der
Uebergang der einen Reaction in die andere erfolgte all-
mählich. Mit der Entfernung von dem Condensator nahm
die erstere au Intensität ab; dann begann die zweite und
steigerte sich bis zu einem bestimmten Abstand von dem
Condensator, von wo aus sie sich wieder verminderte, um
in noch griisserer Entfernung sich in den unveränderten
Zustand der Zellen zu verlieren.
496
Naturvvisseuscliaftliche Wocheuschrift.
Nr. 45
In der einzelnen Zelle begann das Zurückziehen der
Spiralbänder bald in einer mittleren (dem Zellkern ent-
sprechenden) Zone, bald an beiden Zellen-Enden, zuweilen
auch an einem Ende allein. Hin und wieder wurden ganze
Reihen von Zellen l)eoliachtet, welche Abrollung der Spiral-
bänder an dem einen Ende zeigten, und zwar war dieses
Ende das der einströmenden Elektricität entgegengesetzte.
Zu den Ursachen, welche krankhafte Veränderungen
in den Spirogyrenzellen bewirlcen, gehören auch mikro-
skopische Pilze. Dies wurde an Sp. dubia in folgender
Weise beobachtet. Innerhalb der Fäden wachsen Hyphen
von Saprolegnia von Zelle zu Zelle weiter, indem sie die
Scheidewände durchbrechen. Wenn dieselben mit ihrer
Spitze an die Wand einer unverletzten Spirogyrenzelle
anstossen, lösen sich die Spiralbänder der letzteren vom
Plasniaschlauchc los und ziehen sich ins Innere der Zcll-
höhlung zurück, indem sie nocli durch dünne J'lasmafädcn
mit dem wandständigen Plasmaschlauche zusammenhängen.
Sobald die Saprolegnia die Scheidewand durchbrochen
hat, ist die Turgescenz der Zelle plötzlich vernichtet, der
Plasmaschlaueh trennt sich von der Membran los-, es finden
Plasmaausscheidungen aus der Zellflüssigkeit statt, die
grünen P>änder quellen auf und ballen sich oft in eine
Masse zusammen. (Fortsetzung folgt.)
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
vom 11. bis 15. Seiitembcr 1893.
Wie üblich beschränken wir uns im Wesentlichen auf
eine Berichterstattung des Inhaltes der sechs Hauptvorträge
in den drei allgemeinen Sitzungen.
Die Redner waren: in der ersten allgemeinen Sitzung:
His, über den Aui'bau unseres Nervensystems, Pfeffer,
über die Reizltarkeit der Pflanzen-, in der zweiten Sitzung
Strümpell, über die Alkoholfrage vom ärztlichen Stand-
punkt aus, Günther, über Paläontologie und physische
Geographie in ihrer geschichtlichen Wechselbeziehung, und
in der dritten Sitzung Hensen, über einige Ergebnisse
der Plankton-Expedition der Humboldtstiftung, Hueppe,
über die Ursachen der Gährungen und Infectionskrank-
heiten imd deren Beziehungen zum Causalproblem und
zur Energetik. Nicht weniger als vier Mediciner haben also
Vorträge gehalten. Drei derselben sind von den Rednern in
der „Berliner klinischen Wocheuschrift" veröffentlicht
worden, sodass uns nunmehr ihr authentischer Text vorliegt,
und wir demgemäss in der Lage sind, ndt den Referaten
zu beginnen. Wir halten dabei die Reihenfolge des Er-
scheinens der Vorträge in der „Berliner klinischen Wochen-
schrift" ein.
Ferdinand Hueppe: Ueber die Ursachen der
Gährungen und Infectiouskrankheiten und deren
Beziehungen zum Causalproblem und zur Ener-
getik.
Das Wesen der Specifität im Sinne der specifischen
Entität der Gährungs- und Infectionserreger liegt nicht
sowohl in deren Species-Natur oder Species-Constanz, als
vielmehr in der Gleichartigkeit der äusseren Be-
dingungen, d. h. zur Annahme einer ontologischen Auf-
fassung ist kein Grund gegeben.
Wohl wissen wir jetzt, dass unter den kleinsten Lebe-
wesen sich Gattungen und Arten unterscheiden lassen.
In diesem Sinne der Möglichkeit der Trennung specifischer
Merkmale hatte man besonders krankheitserregende, farb-
stofifbildeude und gährungserregende (pathogene, chromo-
gene und zymogene) Bacterien als Arten getrennt. Nur in
diesem Sinne der Constanz der pathogenen Eigen-
schaften hätten die Infectionserreger als „Entitäten" in
Betracht kommen können. Pathogene Bacterien, die ihre
pathogenen Wirkungen freiwillig, d. h. durch zufällige
äussere und wechselnde Bedingungen oder im Versuche
durch künstliche Schatiüng solcher Bedingungen verlieren
und damit aufhören, pathogen und infectiös zu sein, sind
keine „Wesen" oder „Entitäten" mehr.
Nun haben wir sicher kennen gelernt, dass sogenannte
pathogene Bacterien unter anderen Bedingungen Farben
bilden oder Gährungen erregen und umgekehrt, und zwar
auch dies genau so „specifisch", wie die Infection. Diese
Thatsache der „Wirkungscyklen" ist jedoch nicht die
einzige, welche uns die Bedeutung der Bedingungen klar
macht und damit die gesuchte „Entität" aufhebt.
H. Buchner war es auf Grund systematischer Versuche zu-
erst gelungen, den Milzbrandliacillen ihre pathogenen Eigen-
schaften zu nehmen und sie auf den Stand einfacher Sapro-
phyten zurückzuführen. Eine ähnliche Beobachtung machte
etwas später zufällig Pasteur, nur dass er dieselbe als
Ausgang für die Schntzinipfungen benutzte und damit ein
neues Gebiet erschloss. Dieselbe Beobachtung wurde dann
später für fast alle i)athogenen Bacterien gemacht, sodass
man geradezu sagen kann, dass keine Eigenschaft
der Bacterien leichter zu beeinflussen ist, als
gerade die „speeifische". Dies gilt genau ebenso
tür die Gährungserreger.
Für die Pigmentbaeterien wurde
dieser Nachweis ebenfalls geführt.
Sind al)er die Arten der Mikrobien constant, wie
lässt sich dann dieser Wechsel verstehen? Die Individuen
jeder Art, auch von Mikrol)ien, sind in ihrem vererbbaren
Protoplasma mit einer Reihe möglicher Wirkungen aus-
gestattet die ihnen die Anpassung an die Aussen-Be-
dingungen ermöglichen. So lange diese Bedingungen
gleich bleiben, werden scheinbar nur ganz bestimmte
Eigenschaften vererbt, in Wirklichkeit werden die anderen
Wirkungsmöglichkeiten zunächst nur unterdrückt und
bleiben latent.
Je länger die Bedingungen für die eine Eigenschaft
günstig bleiben, um so sicherer wird diese vererbt, so
dass sie schliesslich allein übrig bleiben kann, al »er nicht
muss. Dieser Umstand ist nun gerade bei den pathogenen
^Eigenschaften in dem Maasse sicherer gegeben, als der
Parasitismus derselben mehr und mehr obligat wird, weil
in empfänglichen Wirthen, deren Constanz sich in ähn-
licher Weise erhält und vererbt, die Bedingungen am
wenigsten wechseln. Die sogenannten Tuberkelbacillen
sind viel schwerer zu ))eeinflussen als Milzbrand- oder
Cholerabacterien, Culturhefen schwerer als die weniger
an gleichartige Bedingungen angepassten Gährungs-
erreger.
Aber im Versuche kann man auch diese Schwierig-
keiten beseitigen und es ist Koch's grösste Leistung,
dass er die Tuberkelbacillen cultiviren lehrte und damit
die Möglichkeit eröft'nete, auch die schwierigsten dieser
Fragen im Veisuche zu fassen. Dasss dabei Koch's
Methodik allmählich ganz in den Dienst der Ideen anderer
Forscher getreten ist, die Koch aufs Messer bekämpfte,
ist ein merkwürdiges Zusammentreffen.
Nicht die vei-erbbare Entität mit ihrer Vererbung der
specifischen Constanz der Species ist also das allein Ent-
Nr. 45.
Natuvwissenscliaftliche Wochenschrift.
497
scheidende, sondern der Umstand, dass nur unter geeigneten
und g-leichniässigen und gleichbleihenden Bedingungen
gerade diese und iicine andei'cn der gegebenen verer))barcn
pjgenscliaften für die Arteriialtung geeignet sind. Der
Zimnitliauni vererbt seine aromatische Rinde nur in Ceylon,
aber niclit mehr, wenn er nach dem Contincnt verptianzt
wird. Das in der Industrie gewünschte A'crhältniss von
Allcohol und Glycerin wird durcli die Culturhefen nur 1)ei
bestiunnten Temperaturen der Gährräume gebildet; bei
höheren Temperaturen ändert sicii das Verhältniss zu
(iunsten des Glyccrins. Der Mikrokokkus ])rodigiosus
verliert über 40° die Fähigkeit, seineu herrlichen fuchsin-
ähulicheu Farbstoff zu bilden, und seine Fähigkeit, Milch-
säure aus Zucker abzuspalten, tritt immer reiner hervor,
so dass man nach Wood's Ermittelungen glauben könnte,
einen ganz besonders ty|)isclien Miiehsäureerreger vor sich
zu haben. Bei den pathogeneu Bacterieu hängt in ähn-
liciier Weise die Fähigkeit, Gift zu bilden, auch von der
Temperatur ab unter entsprechendem Vor- oder Zurücktreten
anderer Wirkungen.
So sehr es anzuerkennen ist, dass Naegeli und Weiss-
mann die Bedeutung der Vererbharkeit gegel)ener, aber
einmal doch erworbener Eigenschaften hervorgehoben
haben, so haben doch beide darin gefehlt, dass sie die
Bedeutung der äusseren Bedingungen für die Coustanz
der Vererbung unterscliätzen. Darin hat Moritz Wagner
von allen bisherigen Naturforschern wohl am klarsten
beobachtet und gedacht, wenn er die Bedeutung der Iso-
lirung, d. h. die Schaffung glcicliartiger und event. neuer
Bedingungen für die Eriialtung urs](rün.i;]irher Artmerkmale
und für die Aenderuug der Arten und damit für die Ent-
stehung neuer Arten scharf erfasste. Es kann nichts ver-
erben, was nicht irgendwie vorgebildet ist. Aber was
sieh vererbt von den gegebenen Möglichkeiten,
das hängt auch und entscheidend ab von den ge-
gebeneu Aussenbedingungen, welche als Reize
auf auslösbare Energie des Protoplasmas ein-
wirken, d. h. aber schliesslich nichts weiter, als dass
sich eine Art äusseren Bedingungen anpassen und in
diesem Sinne neue Eigenschaften erwerben kann, die
ihrerseits so lange vererbt werden, wie die neuen Be-
dingungen anhalten. Ist dieses lange genug der Fall, so
können die alten, urspi-ünglich scheinbar allein vorhanden
gewesenen Eigenschaften ganz verloren gehen und eine
neue Art mit neuen Eigenschaften und sogar mit neuen
Anpassungsmöglichkeiten Inidet sich, weil durch das Her-
vortreten bestimmter Eigenschaften, die an die morpho-
logische Structur gebunden sind, der ganze Bau bceinflusst
wei-den muss.
In dieser nicht ontologischcn Auffassung des der-
zeitigen Angepasstseins an zur Zeit vorhandene relativ
glciehlilcibende Bedingungen vermögen Gährungs- und
Infcctionserreger durch Ucl)ertragnng von bestiunnten
Protoplasmabewegungen, die event. auch an isolirbare
active Eiweisskörper, wie Enzyme, Toxalljuniine, als Reize
oder Anstösse gebunden sein könneir, bestimmte Bewegungs-
möglichkeiten auszulösen.
Dass die activen Eiweisskörper, gleichgültig ob sie
von der Zelle trennbar sind oder nicht, aber ganz
ausserordentliche Bewegungen ausführen und
dadurch au''h auslösen können, ist gerade durcli
die bacteriologischen Untersuchungen der letzten Jahre
sichergestellt. Welche geringen Mengen Enzyme ver-
mögen als Fermente hydrolytisclie Spaltungen oder Ge-
rinnungen herbeizuführen! Wie geringe Giftmengen
eiweissartiger Natur, Toxalbuminc, genügen, um die Ver-
giftungen von Ch((lera, Tetanus, Diphtherie herbeiziifüliren!
Und wie energisch schützen die activen Eiweissk(iri)cr des
Blutserums, Alexine, natürlich iunnuner und immuuisirter
Thiere das Thicr gegen die eindringenden Parasiten und
deren Gifte!
Welcdie gewaltige Energie dem Protoplasnux und
jedem activen lebenden Eiweiss im Gegensatze zu dem
todten P]iweiss, mit dem die Chemie bis jetzt arbeitet, zu
Gebote steht, lehren nicht nur diese drei Arten von
Wirkungen, die die Vorstellungen über den Chemisnuis
des Blutes vollständig umgestalten, sondern kann auch
vielleicht die Thatsache veranschaulichen, dass sich diese
gewaltigen Wirkungen innerhalb enger Tcmpcralurgrcnzen
abspielen, während der Chemiker, wenn er mit rein
anorganischen Kräften nur Theile dieser Vorgänge nach-
ahmen will, zu ganz ausserordentlichen Eingrifl'cn seine
Zuflucht nehmen muss und Temperaturen nicht unter 100°
anwenden kann.
Die Bewegungen des Protoplasma und die Activität
des lebenden Eiweiss werden uns verständlicher, wenn
wir zu ermitteln suchen, was denn diese Wirkungen für
die bewirkende Zelle selbst für eine Bedeutung haben
und da sehen wir sofort, dass es sich um eine Art Magen-
frage handelt. Die Gährungs- und Infcctionserreger müssen
sich ernähren und sie führen ihre Protoplasmabewegungen
in erster Linie aus, um durch Bewegungserregung in
anderen Molekülen, d. h. durch Zerlegung und Spaltung
derselben solche Atomgruppen frei zu machen, die sie für
ihren eigenen Aufbau nöthig haben. In dieser Beziehung hat
z. B. nach Pflüger das Cyan mit seiner Polymerisations-
fähigkeit, nach Loew das Formaldehyd oder die mit
demselben ismnere Gruppe CHOII eine ganz besondere
Bedeutung Wir erkcnueu auf diese Weise in inmier ge-
nauerer Weise, dass die Ernährungsfähigkcit einer
Substanz von ihrer chemischen Constitution ab-
hängt. Um aber diese freigemachten Atomgruppen der
eigenen Substanz statt der verbrauchten Stoffe oder für
die Vermehrung der Individuen zu assimiliren, dazu be-
darf es einer gewaltigen Energiemenge. Diese kann nun
in sehr verschiedener Weise bei diesem Vorgange der
Ernährung und Assimilation, w'clche ein synthetischer,
also Wärme, d. h. Energie eonsumiremler Vorgang ist,
gewonnen werden. Die Extreme sind gegeben, wenn
Luft oder Sauerstoff im freien Zustande ausgeschlossen
sind, resp. wenn sie frei zur Verfügung stehen.
Hiernach hatte Pasteur die echten (iährungen, die
nur bei Luftalischluss vor sich gehen sollen, grundsätzlich
von den unechten oder Oxydationsgährungen getreunt nnd
in der Abwesenheit der Luft resp. des freien Sauerstoffes
das Entscheidende gesucht. Zum Athmeu auf Sauerstoff'
angewiesen, sollten die deshalb sauerstoft'gierigen ^likrobien
bei Luftabschluss diesen Sauerstoff aus ehemischen Kör-
l)ern, z. B. aus Zucker frei machen und diese Körper
dadurch zerlegen, d. h. eben vergähren. Diesen Theil
des Vorganges fassen wir jetzt chemisch allerdings anders
auf, insofern wir erkennen, dass sauerstotfreicherc Körper
einen Theil ihres Sauerstoffs nicht direct und frei, sondern
in bestimmten Atomgrup[)en, z. B. in Form vou Hydroxyl-
gru])pen an leicht oxydable Körper mit labilen Wasser-
stofiatomeu abgeben.
In etwas anderer Form nähern wir uns hiermit den
Vorstellungen von M. Traube, der zuerst erkannte, dass
l)ei den Gährungen Oxydationen und Reductionen neben
einander verlaufen müssen. Damit ist eigentlich die Auf-
fassung von Pasteur ehemisch nicht mehr haltbar. Aber
auch biologisch ist sie nicht richtig, da es ganz reine
Spaltungen und Reductionen .giebt, die bei einem für
Aerobiose und Anaerobiose ehemisch geeigneten Nähr-
material sogar ausschliesslich bei Luftzutritt und Durch-
lüften, oder doch mindestens besser verlaufen, als bei
Luftabschluss, die also chemisch als reine Umlagerungeu
vou Atomgruppeu reine Gährungen im Sinne Pasteur's
498
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4.5
sind, biologisch aber gerade umgekehrt verlaufen. Die
Bildung- bestimmter Gährungsprodncte beruht nicht in der
Auiierobiose, sondern in der Gährfahigkeit, d.h. der Nähr-
fähigkeit und der potentiellen Energie der Substanzen;
die Gährfäliigkeit an sich ist unabhängig von An- und
Abwesenheit von Luft resp. freiem Sauerstoff und die
Anaerobiose hat lediglieh die Bedeutung, dass bei Luft-
abschluss chemisch die reinste Form der Si)altungs-
mögliehkeit vorliegt. Tritt Luft oder freier Sauerstoff
hinzu, so kann die Spaltung rein bleiben, wie eine Anzahl
Fälle beweisen, aber sie muss es nieiit mehr, und in der
Regel tritt sogar die Oxydation d. h. die weitere Zer-
legung durch Vermittelung von freiem Sauerstolfe hinzu.
In letzterer Weise verlieren, wie ich schon vor Jahren
nachgewiesen habe, die Cholerabacterien ihre Fähigkeit
der Giftliildung, Milchsäurebaeterien ihre Fähigkeit der
Vergährung des Zuckers.
Gerade umgekehrt, wie es Pastenr annahm, wird also
die Frage der Anaerobiose zu einer Frage der Constitution
der gährungsfähigen Substanzen. Jede Substanz ist
gährfähig und bei Lnftabschlnss für Mikrobien
zerlegbar, welche die Atomgruppen zur Synthese
des activen Eiweiss der Gährungserreger enthält,
und bei deren Zerlegung gleichzeitig die nTithige
Energie gewonnen werden kann, mit deren Hülfe
diese Synthese ausgeführt wird.
Bei Luftabschluss kann chemisch die Zerlegung der
Substanz, wenn auch verschiedenartig nach der Ver-
schiedenheit der Sauerstoftgruppen , die als Oxydations-
mittel dienen, stets nur eine obertiäehliehc sein. Um die
Energie zur Synthese zu gewinnen, also im mechanischen
Sinne, muss viel mehr Material zerlegt werden, als dem
blossen chemischen Bedürfnisse der Ernährung zur Ge-
winnung der Atomgruppen für den Aufbau entspricht.
Je höher aufgebaut das Material bei qualitativ entspre-
chenden Atomgruppen schon ist — gleichgültig, ob dies
durch nur einen oder durch mehrere Körper erreicht wird
— , um so geringer ist die Energie, welche zur Synthese
erforderlich ist. Pepton erfordert weniger Arbeit als As-
paragin, dieses weniger als Milchsäure oder Formaldehyd
oder endlich als Kohlensäure. In diesem Energiebedürf-
uisse liegt es begründet, dass einzelne Körper nicht mehr
bei Luftabschluss zur Synthese verwendet werden können,
trotzdem sie die zur Assimilation uöthigen Atomgruppen
oder Isomere derselben enthalten, sondern dass nur noch
durch wirkliche Oxydationen die nöthige Energie zum
Aufbau beschafft werden kann. ,
Die Anaerol)iose ist also eine besondere Anpassung
an bestimmte Ernähruugsbedinguugen, die wir vielfach
schon von vornherein clieniisch nach der Constitution der
zur Ernährung dienenden Substanzen und dynamisch nach
der Energiemenge beurtheilen können. Indem wir so die
Ernäluiing mit der W;u-mel)ildnng, d. h. mit der Energie-
seite der Frage in N'erbindung behandeln, hört die ana-
erobe Gährung auf, etwas ganz Appartes zu sein, und
die anaeroben Spaltungen werden mit den Oxydationen
durch vielerlei Uebcrgänge verbunden, wobei bald die
chemische Seite, bald die mechanische, bald die biolo-
gische sich der Vorstellung von Pasteur nicht fügt, die
nur den Extremen gerecht wird.
Ueber die Art der Energiegewinnung zur Synthese
des specitischen Protoplasmas und damit weiter der speci-
fischen Enzyme, Gifte imd Gälirungsproducte haben wir
auch einige Fortschritte zu verzeichnen. Dass die Oxy-
dation von Ammoniak zu Salpetersäure auch im Dunkeln die
Energie liefert, mit deren Hülfe gewisse Mikrobien Kolden-
säure assimiliren, ist nacliHueppe vonWirogrodsky bestätigt
worden. Dieser fand weiter, dass aucli die Oxydation
von Schwefelwasserstoff resp. von Ferrocarbonaten für
andere Mikrobien die Energie zum Aufbau liefern kann.
In der Meln'zahl der Fälle ist es, wie im thierischen Or-
ganismus, die Sijaltung und Oxydation complexer Molekel,
besonders von Eiweiss und Kohlenhydraten, welche die
Energie liefert, und im Pflanzenreiche sind es ja unter
Vermittelung des Chlorophylls in der Regel die Sonuen-
strahlen. Dass das höchste (ilied, die gewaltige synthe-
tisclie Arbeit der grünen Pflanze durch die Sonnenenergie,
und das niedrigste Glied, die Nitriflcation, in der Fähig-
keit der Synthese ans Kohlensäure übereinstimmen, ver-
wischt die letzte Grenze, die man zwischen Leben-
dem und Anorganischem als eine qualitative hatte
aufstellen können.
Wichtig ist es, dass nach allen diesen Ermittelungen
die Bildung des specifischen Protoplasmas, der
sjtecifischen Enzyme und Gifte mit der Ernährung
im engsten Zusammenhange steht, gleichgiltig, ob
die nöthigen Atomgru|»pen aus einfaclien Körpern oder
aus ganz coinplexen Substraten gewonnen werden, ob im
ersteren Falle Energie von aussen zugeführt werden muss,
ob im letzteren die Zerlegung der Substrate gleichzeitig
allein die Energie liefern kann.
Das im erörterten Sinne specitische Protoplasma
überträgt die mit seiner Ernäiirung und Energie-
gewinnung untrennbaren und im eingescliränkten
Sinne specifischen Bewegungen auf bewegungs-
fähige Körper, d. h. es löst deren Energie aus. Die
auslösende Bewegung wird damit zu einer (Qualität, die
oft scheinbar allein, in der Tliat aber nur mit entscheidet,
was erfolgt. Diese Bewegungen der specifischen Gälirungs-
und Infectionserreger bestimmen nämlich thatsächlich nur
die bestimmte Richtung der Zersetzung in den
Fällen, in denen sie überhaupt eine Bewegung
auslösen können, d. h. in denen ihre Bewegungsforni
adäquat ist einer der Bewegungsmöglichkeiten, welche
sich aus der At()mgru)ipirung der Molekel gährfähiger
Substanzen oder der ^licellen und Micellarverbände des
Protoplasmas der befallenen Wirthe ergeben. Ohne die
Bewegungsübertragung der Erreger bleibt die Energie
der gährfähigen Substanzen und der infectionszugäng-
lichen Organismen, (Jrgane, Gewebe, Zeliterritorien, der
Säfte und Zellen unausgelöst, latent, resp. erfolgt nur in
normaler pliysiologischer Weise und niclit in jener quan-
titativ und qualitativ abweichenden Weise, die wir eben
Krankheit nennen. Aber diese specifischen Er-
reger können nichts auslösen, was nicht im Bau
der Zellen vorher vorhanden war. Sowohl die all-
gemeinen Immunisirungen durch Activirung der nor-
malen activen Eiweisski'irper des Blutserums (Alexine), als
die specifischen Immunisirungen gegen bestimmte Micro-
parasiten und die Giftfestigungen des Wirthsorganismus
iiabeu sieh bei genauereu Untersuchungen als abhängig
von den lebenden Zellen des Organismus erwiesen,
wie gegenüber deu rein humoralpathologischeu Auffas-
sungen von Behring zu betonen ist. Auch hier sehen
wir, dass es sich um» eine Wesenheit handelt, bei der
zwei Wesen, der Wirthsorganismus mit seineu inneren
Ursachen und seiner potentiellen Energie und der Aus-
lösungsorganismus des Mikroparasiten, nothwendig zu-
sammen arbeiten. Beide Momente gehören un-
trennbar zusammen und deshalb ist weder die
kranke Zelle noch der Parasit allein das angeb-
lich gefundene ensmorbi.
Die Weinsäure kann nach unseren heutigen Kennt-
nissen drei verschiedene Gährungen erleiden. Der Trauben-
zucker kann mehrere Buttersäuregährungen, eine ganze
Anzahl verschiedener Alkoholgährungeu und verschiedene
Milchsäuregährungen eingehen, bei denen sogar die auf
chemischem Wege nicht erhaltbar gewesene linksdrehende
Nr. 45.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
499
Milchsäure entdeckt wurde. Bei den coniplicirteu Eiweiss-
körpern erhrdit sich die Zahl dieser Miig-lichkeiten so, dass
noch Niemand versucht hat, nur für todtcs Eiwciss alle
niög-lichen Gäliruiigcn zu sondern. Noch mehr aber
steigert sich die Möglichkeit der Zahl bei dem lebenden
aetiven Eiwciss und damit muss eine grosse Zahl von In-
fectionen möglich sein. Wir können uns so vom rein
chemischen Standpunkte kaum noch wundern,
dass die Mehrzahl aller Krankheiten pai-asitär ist.
Ja es ist bei diesen vielen ISewegungsmöglichkeitcn,
die gerade das Eiwciss bietet, fast nnbcgrciilich, dass
sieh trotzdem immer und immer wieder die be-
sondere Structur noch so entscheidend bemerk-
bar macht. Bei Zucker derselben empirischen Zu-
sammensetzung wie Rohrzucker, Maltose und Milchzucker
kennen wir die Constitution genügend, um die sehr viel
schwerere Vergährbarkeit des Milchzuckers gegenüber den
beiden anderen Zuckerarten zu verstehen. Bei dem lebenden
Eiwciss können wir nur aus den positiven oder negativen
Erfolgen der versuchten Auslösungen dieselben Thatsachen
ersehliessen, für die wir uns der Bezeichnung der Krank-
heitsanlage oder Disposition bedienen. Wir kennen
verschiedene Dis|)(isitionen der Gattungen, Arten und
Rassen; aber auch die Disjiosition des Indi\iduums
seiiwankt nach Alter, Geschlecht, Beschäftigung, Ernäh-
rung; das sociale Elend ist deshalb ein Factor, über den
sich kein Hygieniker schlangweg hinwegsetzen kann.
Gonorrhoe und Syphilis, Cholera und Abdoniinaltyphus
befallen von selbst nur den Menschen, das Rückfall'tieber
ist auf Menschen und einige Aflenarten übertragbar, die
sogenannten Tuberkelbacillen, die nur die parasitische
Anpassungsform eines pilzartigen pleomorphen Mikrobion
sind, befallen nur bestimmte Gattungen und Ai'teu der
Hausthiere und werden durch dieselben so beeintlusst,
dass Mafucci und Koch sogar zwei Species, die der
Säugethier- und Hulmertuberculose streng auseinander
halten wollten, was unrichtig ist, da man diese zwei ver-
schiedenen „Si)ecies" wechselweise in einander überfuhren
kann. Der Nährboden der Gewebe und Zellterritorien
macht sieh mit seinen retativ gleichbleibenden Bedin-
gungen so gewaltig bemerkbar, dass man bei Uebertra-
gung desselben Ausgangsmatcrials, z. B. bei Tuberkulose
und Hinderseuehe auf verschiedene Gattungen, Arten oder
Rassen von Wirthen schliesslich oft sogar verschiedene
Arten von Krankheitserregern vor sich zu haben
glaubt. Die Specificität der Mikroparasiten als „Entität"
oder „Wesen" wird durch solche Versuchsergebnisse
wieder recht eigenartig beleuchtet.
Wie man angesichts solcher Thatsachen die ent-
scheidende Bedeutung der Krankheitsanlage als „Ursache"
und die Vererbbarkeit der Kraukbeitsanlage bestreiten
kann, ist einfach unbegreiflich.
Einerseits die einschneidende Bedeutung der Bedin-
gungen, dann die Thatsachen der Wirkungscyklen
und der Beeinflussung der ^'irulenz heben die En-
tität der pathogenen und gährungserrege nden
Mikrobien auf. Schon die „specitische" Zelle des
einzelnen Organes ist eigentlich eine Wesenheit, die sich
aus der Wechselwirkung mit den übrigen, sieb gegen-
seitig regulirenden Zellen des Körpers ergiebt, wie es für
den Sonderfall der Geschwülste klar gcstellf ist. Man kann
deshalb an diese Erscheinungen einerseits den Maassstab
von rtlüger anlegen, nach dem .,die zahllosen Lebens-
erscheinungen — trotz allen Scheines der tiefsten Ver-
schiedenheit — doch nur Variationen eines und desselben
Grundphiinomenes" sind, aber man kann auch anderer-
seits ruhig die thatsächlichen Verschiedenheiten der ein-
zelneu Zellkategorien als specitische auffassen. Für die
Üntologie ist mit alledem gar nichts gewonnen.
Denn schon bei der einfachsten Form des Parasitis-
mus erweist sich dieser als ein Sonderfall der Sym-
biose, also als eine Entität aus zwei Wesen, der
Infections- und Wirthszelle.
Dasselbe Organ oder Gewebe kann durch
ganz verschiedenartige Krankheitserreger ana-
tomisch ähnliche Veränderungen eingehen oder
es können ganz ähnliche Symptome hervorge-
rufen werden. Auch durch solche Thatsachen wird die
Entität der Infectionserreger aufgehoben.
Aber dieselben Krankheitserreger können
auch ganz versciiiedene Symptome und sogar
ganz verschiedene Krankheiten veranlassen,
welche die Zellularpathologie scharf auseinanderhalten
muss. Durch solche Thatsachen wird die Bedeutung der
kranken Zellen als ens morld aufgehoben.
Wie wir bei verschiedenen functionirenden Zellen des-
selben Organismus, etwa bei Nerven-, Drüsen- oder Jluskel-
zellen einen ganz verschiedenen moleeularen Aufbau an-
nehmen müssen und zum Theii nachweisen können, so
müssen wir aneli annehmen, dass sich die gleichen Zell-
kategorien nicht bei jedem Indi\iduum derselben Art in
genau gleicher, sondern in nur ähnlicher Weise mit einer
gewissen Breite der Anpassungs- und Arbeitsmöglichkeit
vorfinden, d. h. dass die Energie nicht in stets
gleich leichter Weise auslösbar ist, dass sie
aber, wenn sie von gleichen Reizen ausgelöst
wird, in qualitativ gleicher Richtung ausgelöst
wird. Der Disposition der Rasse gegenüber erscheint
die Disposition des Individuums thatsächlich nur
als stärkere oder geringere, aber nicht als eine
qualitativ abweichende, etwa so wie der Techniker,
der zwei Maschinen genau gleich baut, bei der Prüfung
an seinen ludicatorcurven stets individuelle Schwankuugeu
zu verzeichnen hat.
Es giebt auffallende Beispiele, welche neben dem
qualitativen ein ausgesprochen quantitatives Moment
der Krankheitsreize erkennen lassen. Die algierischen
Schafe scheinen im Gegensatze zu unseren einheimischen
Rassen immun gegen Milzbrand zu sein und doch erliegen
sie grösseren Mengen des Parasiten. Einige Exemplare
der Baeterien der sogenannten Hühnercholera t(idtcn ein
Kaninchen sicher, während man einem Huhn viele Tau-
seude zum selben Erfolge einspritzen muss. Wenige Tu-
berkelbacillen führen den Tod eines Meerschweinchens
herbei, aber auch den gegen Tuberkulose immunen Hund
kann man durch diesell)en Mikrobien an typischer Miliar-
tuberkulose eingehen lassen, wenn nuxn ihm grosse Mengen
dieser Baeterien zuführt.
Die Untersuchungen über die physikalischen Vor-
gänge in den Nerven und Äluskcln hatten mehr und mehr
sicher gestellt, dass die Auslösung von der Quantität der
Reize derart beeintlusst wird, dass man ein allgemeines
Reizgesetz entwickeln konnte. Aehnliches stellte sich
immer deutlicher für alle anderen Reize der Physiologie
heraus und der Ablauf dei- psychophysischen Vorgänge
erwies sich deutlich in Abhängigkeit von denselben Gesetz-
mässigkeiten. Die Vorstellung eines „Schwellwerthes" der
Reize ist in der neueren Physiologie und Psychologie
ganz geläufig. Unbegreiflich ist es nur, dass kein
Physiologe bis jetzt versucht hat, derartige Reizgesetze,
welche die Reize geradezu mehr als eine Quan-
tität denn als Qualität aufzufassen zwingen, nnt
dem Energiegesetze in Einklang zu bringen. Aber die
Bedeutung dieses Gesetzes geht noch viel weiter. H. Schulz
ermittelte, dass dasselbe Gesetz auch für die Desinfection
gilt und ich selbst fand, dass es ebenso die Heiluugs-
vorgänge beherrscht. Das Reizgesetz ist ein für alles
organische Geschehen durchgreifendes Gesetz,
500
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 45
nach dem jede auslösende Energie unterhalb
eines bestimmten Punktes auf Protoplasma rei-
zend und anregend, jenseits desselben aber die
Leistungen herabsetzend, vernichtend, tödtend
wirkt. Es ist also wieder die Quantität des Reizes,
welche uns entscheidend entgegentritt. Und ein solches,
das ganze organische Reich beherrschendes (rcsetz der
Quantität sollte gar keine Beziehnngeu zum Energiege-
setze haben?
Beim Heben eines Gewichtes wird demselben eine
bestimmte Menge potentieller Energie (Arbeitsvermögen)
zugeführt; wird nun die Unterlage entfernt, oder in an-
derer Weise durch einen Anstoss das Gewicht zum Fallen
gebracht, so ist die kinetische Energie (Arbeit) der poten-
tiellen gleich. Wir wissen aber aus dem Versuche und
der Berechnung, dass bei dem Verhindern des unmittel-
baren Falles des gehobenen Gewichtes, d. h. bei Ver-
hindern des Ueberganges der potentiellen Energie in ki-
netische durch eine Unterlage die beiden Enei-gieraengen
doch schliesslich nach der Auslösung gleich sind, trotzdem
inzwischen Wärme gebildet wird, trotz des hiermit ver-
bundenen Energieverlustes! Es müsste in diesem Fall
die in Form der Wärme verloren gegangene Energie aber
aus nichts gewonnen worden sein, wenn sie nachher doch
wieder nach Fallen des Gewichts vorhanden ist! Die
Auslösung — muss man daher annehmen — führt so
viel Energie zu, als zur Ueberwindung der
Hemmung, als in specie zur Deckung des Wärme-
verlustes nöthig ist. Der Energievcrlust, der dadurch
entsteht, dass wir potentielle Energie nicht unmittelbar,
nicht ohne Auslösung oder Reiz in kinetische Energie
übergehen lassen, muss aber ganz verschieden gross aus-
fallen, je nach der Art und Form der Unterstützung des
Gewichtes. Zur Ueberwindung der geringeren Reibung
eines schräg gelagerten Gewichtes, d. h. zur Auslösung
dieser potentiellen Energie, genügt vielleicht der Druck
eines Fingers, während zur Ueberwindung der Hemmung
desselben, aber horizontal gelagerten Gewichtes auch
eventuell die Kraft eines Pferdes nicht hinreicht. Die
Auslösung erweist sich auch hier als eine Quan-
tität! Die Gerinnung des Käsestoffes erfolgt wohl durch
sehr geringe Mengen Lab, aber innnerhin muss eine be-
stimmte Jünimalmenge im Verhältniss zur i\lengc Milch
vorhanden sein, wenn die Gerinnung vollständig werden
soll. Wo wir uns auch umsehen, überall tritt die
Auslösung uns auch als Quantität entgegen.
Die Älöglichkeit der Gewinnung und Aufspeicherung
potentieller Energie hängt nun damit zusammen, dass wir
den Punkt vermeiden, an dem diese Energie unmittelbar
und ohne Auslösung in kinetische übergehen muss, dass
wir eine Henmnnig einführen. Diese Differenz ist es
nun, welche in der Auslösung als Reizgrösse zu-
geführt werden muss. In einem System sind
potentielle Energie plus Auslösungsenergie der
kinetischen Energie gleich. Nur für eine ganz be-
stimmte Versuchsanordnung ist ohne jede Einschränkung
die potentielle Energie allein der kinetischen gleich, näm-
lich dann, wenn die eine Energieform unnuttelbar in die
andere übergeht. In diesem Fall ist es widersinnig, von
Reiz oder Aushisung zu sprechen. Die Auslösung ist
eine in bestimmter Weise in den Energie Zu-
sammenhang eingreifende Quantität oder sie
ist überhaupt nicht vorhanden.
Im normalen physiologischen Geschehen wird die
potentielle Energie mögliehst hoch und von allen be-
kannten Fällen am labilsten aufgebaut, so dass relativ
kleine Reize zur Auslösung genügen und ein Ueber-
schreiten dieser Reizgrössen zu krankhaften Erscheinungen
führt. Ebenso sucht der Techniker seine Maschine so zu
bauen, dass die Auslösung als Reizgrösse möglichst klein
wird und eine Kinderhand den gewaltigen Dampfhammer
zu regiereu vermag. Der Physiker richtet seine Versuche
über Energie so ein, dass er gegenüber der Grösse des
Wärmeäquivalentes praktisch die Energiemenge der Aus-
lösung in der Rechnung vernachlässigen darf. Aber mit
alle dem verschwindet diese Grösse doch nicht,
sie wird damit nicht zu einer blossen Qualität.
In anderen Fällen , die doch eben so gut wie die
adäqualen Minimalreize der Physiologie zu berücksich-
tigen sind, wird aber die Reizgrösse sogar zu einer ge-
waltigen.
Bei der Befruchtung sehen wir die Auslösungsgrösse
etwa die Hälfte zur kinetischen Energie beitragen, bei
der Auslösung der Infectiou wenig disponirter oder spontan
scheinbar immuner Thiere dürfte die Reizgrösse sogar
mehr als die Hälfte zur Energie beitragen, die wir als
kinetische Energie in Form der speeitischen Krankheit
auftreten sehen. Gerade solche Vorgänge, welche, wie
die Gährungen, eigentlich nur quantitative Ueberschrei-
tungen des gewöhnlichen physiologischen Geschehens dar-
stellen, oder bei denen, wie bei den Krankheitsprocessen
oft ein einfaches Ueberschreiteu physiologischer Vorgänge
als specitische Qualität imponirt, sind deshalb so geeignet,
die Vorstellungen einer blos qualitativen Auffassung der
adäquaten Mininialreize zu corrigiren und uns ins Gedächt-
niss zu rufen, dass sich diese aus den gröberen Massen-
reizen als Sonderfälle in Folge häufiger Wiederholung
erst in langen Zeitperioden entwickelt haben. x.
Ein neuer Wanderziig des Taiiiieiiliühers. — Wie
im Herbste 1885,*) so hat auch in diesem Herbste (lS93j
der Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) einen Wander-
zug nach Deutschland unternommen. Es liegen mir be-
reits eine Anzahl vmi Meldungen vor, welche dieses mit
Bestinnnthcit erkennen lassen. Am 10. October erhielt
der Präparator des mir unterstellten Instituts, Herr
W. Viereck, 2 frisch erlegte Tannenhäher zum Ausstopfen
zugeschickt, welche am 9. October von dem Cand. rer.
nat. Weissermel in Gr. Kruschin (Westitreussen) zur Post
gegeben waren. Der Einsender schrieb dabei, dass in
der letzten Zeit sieh diese Species ziendich zahlreich bei
Gr. Kruschin gezeigt habe.
*) Der Wandprzug von 1885 liat liekaiintlich niue mouop-a-
phisclie Bearbuituug erfahren. Siehe Rnd. Blasiiis, „Der Wander-
zug der Tanuenliäher dureh Europa im Herbste 1885 und Winter
1885/86", Wien 188G.
Am 13. October erhielt ich von einem meiner Zu-
hörer, Herrn Stud. agr. 0. Wagener, ein frisch erlegtes
Exemplar aus der Oberförsterei Uszballen bei Lasdehneu
in Ostpreussen, mit der Bemerkung, dass sich die Tannen-
häher kürzlich einzeln bei Uszballen gezeigt hätten. In
der Rominter Heide (Ostpr.) seien sie, wie Herr Wagener
mir kürzlich mittheilte, zahlreich aufgetreten.
In Folge der Veröffentlichung obiger Notizen in der
Deutschen Jäger-Zeitung vom 11). October er. gingen mir
6 Postkarten zu, enthaltend Meldungen über simstige Fest-
stellungen von Tannenhäheru in Deutschland. Danach
hat man dieselben noch an folgenden Orten beobachtet:
bei AdHg Dorabrowken, Kr. Graudenz (beobachtet von
W. Oedenburgj, bei Hoheheide unweit Ducherow, Reg.-
Bez. Stettin, und im Greifswalder Kreise (beobachtet von
Oberförster Pyl), bei Billberge unweit Hämerten, Altmark
(beobachtet von Rittergutsbesitzer Bethge), bei Camburg
Nr. 45.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
501
a. d. Saale (beobachtet von A. Pfeil), bei Greiz, Eeuss
ä. L. O'cobachtet von H. Nuschj und bei (»ffenbacb a. M.
(beobachtet von Dr. Merz). Die eingesandten bezw. beob-
achteten Exeini)Iare gehören meistens der diinnschäbligeu
Varietät an, welclie iiir llauptvcrbrcitungsgeljiet in Sibirien
hat. Vielleicht hat auch in diesem .Jahre (wie 1885j ein
Missrathen der Zirbelnüsse in Sibirien den Anlass zu dem
Wanderzuge gegeben.
Prof. Dr. A. Nehring.
Die geologische Eiitwickeliing, Herkunft und Ver-
breitung der Säugethiere betitelt sich ein Aufsatz von
Karl A. von Zittel in den Sitzungsberichten der math.
phys. Classe der k. b. Acadeniic der Wissenschaften zu
München.
Aus der ganzen Entwickelungsgeschichte der Säuge-
thiere von der l'rias an bis zur .Tetztzcit erhellt trotz aller
Mangelhaftigkeit der paläontologischen Ueberlicferung mit
aller Bestimmtheit, dass der genetische Zusanuiienhang
zwischen den einzelnen Faunen ungeachtet vielfacher
Störungen durch geologische Ereignisse nie vollständig
unterbrochen wurde und dass jede einzelne Thiergeseli-
scliaft durch allmähliclie Transformation ihrer Elemente
aus einer früher vorliandenen hervorgegangen ist und zu-
gleich die Aussaat für die nächst folgenden lieferte.
Einzelne der Mikrofauna angehörige Gattungen [Didelphys,
Sciurus, Myoxus, Sorex) lassen sich zurückverfolgen bis
ins Eocaen und haben seit ihrem erstmaligen Erscheinen
wohl neue Arten hervorgel)racht, aber keine nennens-
werthen Umgestaltungen erlebt, wie überliaupt die poiy-
protodonten Marsupialier, Insectenfresser und Nager die
wenigst veränderlichen Säugethiertypen darstellen. Re-
cente Genera von ansehnlicherer Gi-össe tauchen vom
unteren Miocaen in inuner stärkerer Zahl auf und dauern
theilweise bis auf den heutigen Tag fort.
Unsere ganze thierische und pflanzliche Umgebung
wurzelt unbestritten in vergangenen Perioden und bei
keiner Thierclasse tritt der enge Zusammenhang zwischen
Urzeit und Jetztzeit schärfer zu Tage, als bei den Säuge-
thiereu.
Ueber iin'e Entstehung und früheste Vertheilung in
mesozoischer Zeit fehlen leider noch genügende Anhalts-
punkte, al)er die Gleichförmigkeit der aus Allotherien,
polyprotodonten Beutelthieren (oder i)rimitiven, vielleicht
marsupialen Insectenfressern) bestehenden jurassischen
Säugethierfaunen in Europa und Nord-Amerika, das Vor-
kommen einer typischen Allothericngattung in der süd-
afrikanischen Trias und die grosse Aehnlichkeit der ober-
cretaceisehen Genera mit ihren jurassischen Vorläufern
machen es überaus wahrscheinlich, dass in der mesozoischen
Periode eine einzige gleichförmige Säugetiiierfauna Europa
(und wahrscheinlich auch Asien), Nord-Amerika und Afrika
bevölkerte. Ob diesem ausgedehnten thiergeographischen
Reich damals auch Australien angehörte und ob sieh
dorthin, wie vielfach angenommen wurde, in späterer
Zeit die mesozoischen Formen zurückgezogen haben, lässt
sich auf Grund der verfügbaren Documente nicht mit
Gewissheit entscheiden. Unter allen Umständen hätten
sich in diesem Falle die jetzigen australischen Landsäugc-
thiere, wenn sie auch im Allgemeinen hinter ihren Stammes-
genossen in anderen Continenten zurückgeblieben sind,
sehr stark verändert und nur wenige Züge ihrer uralten
Vorfahren bewahrt.
Von der Tertiärzeit an ging die Verbreitung der
Landsäugethiere sicherlich von nicht mehr als drei
Entwickelungsheerden oder sogenannten Scböpfungs-
centren aus.
I. Das altertliümlichste, am frühesten von den übrigen
abgetrennte, noch jetzt am schärfsten begrenzte thier-
geographisehe Reich bildet Australien mit der Nachbar-
iusel Tasmanien. Trotz grosser Verschiedenheit in kli-
matischer und meteorologischer Hinsicht und ti'otz der
auffallenden Ditferenzen in den Nahrungsbedingungen
enthält dieses Reich sämmtliche jetzt existirende Mono-
trcnien und die Marsujjialier mit Ausnahme der heute in
Amerika, in der Tertiärzeit auch auf der ganzen nörd-
lichen Hemisphäre verbreiteten Didclphyiden, ausserdem
aber nur einige höchst wahrscheinlich in später Zeit von
aussen importirte Fledermäuse, Mäuse (P^cudoxiy^, Hy-
dromiia, .Iccadliomys, Hapalotls, Kclüothrix) und den Dingo,
eine Varietät des Haushundes. Nach A. Wallacc hatte
sich Australien schon am Sciduss der mesozoischen Periode
von den übrigen Continenten getrennt, urafasste jedoch
wäln-end eines Theiles der Tertiärzeit noch Neu-Guinea,
.Celebcs, die Salomons- und vielleicht auch die Fidschi-
Inseln und bcsass eine beträchtliche Ausdehnung nach
Süden und Westen. Noch lieute tinden sich auf Neu-
Guinea, Oelebes, Amboina und sogar Timor australische
Beutlcr mit indischen placentaien Säugethieren vermischt.
Für einen einstigen Zusammenhang mit »Süd -Amerika
kann das reichliche Vorkommen fossiler Bcutelthiere in
den Santa Cruz-Schichten von Patagonien geltend gemacht
werden.
n. Das zweite , ehemals nicht minder streng als
Australien abgeschlossene thiergeogra])hische Reich ist
Süd-Amerika oder Austro-Columbia. Bis in die jüngste
Tertiärzeit enthält dasselbe nur Edentaten, Toxodontia,
Typotherla, einige iK'icht eigenthündicii diftercnzirte Perisso-
daetylcn, iiistricomorphe Nager, platyrhine Affen und
Beuteltiiiere, die jedocli von den australischen sehr er-
heblich abweichen. Aus diesem Entwiekelungshecrd
empfing Afrika wahrscheinlich im Begiim der Tertiärzeit
einige versprengte Wanderer, wie die Vorläufer von
Orydrropvs und 3fa)ii!<, die vielleicht aus gemeinsamer
Wurzel mit den Typotherien hervorgegangenen Hyracoidea
und einige hystricomorphe Nager. Der einstige Zu-
sammenhang des südamerikanischen oder neotropischen
Reichs mit Australien und Süd-Afrika müsste aber
sicherlich schon in der älteren Tertiärzeit wieder gelöst
worden sein, denn die zu gleichen Ordnungen gehörigen
Formen in den drei Continenten haben hinreichend Zeit
gehabt, sich in ganz eigenartiger Weise zu specialisiren.
Wie am Sciduss der Tertiärzeit die süldiche und nördliciie
Hälfte von Amerika zu einem Welttheile zusanunenwuchsen
und wie sich ihre liciderseitigen Faunen durcheinander
schoben, ist früher (S. isl, 182) eingehender geschildert
worden.
III. Das dritte und grösste thiergeographische Reich,
die Arctogaea, umfasst nicht nur Europa, Asien und
Afrika, sondern auch Nord-Amerika. Fehleu über die
ältere Tertiärzeit bis jetzt auch noch alle palöontologischen
Ueberlieferungen aus Asien und Afrika, so erwecken
weder die reichhaltige mio-])liocäne Säugethierfauna Asiens,
noch die spärlichen Ueberrcste aus jüngeren Tertiär-
bildungen Afrikas, noch die Zusanunensetzuug der jetzt
in Süd-Asien und Afrika existirenden Fauna die Ver-
mutliung, dass neben den im älteren Tertiär von Europa
und Nord-Amerika bekannten Säugcthierstännnen, noch
andere fremdartige in irgend einem Theile von Eurasieu
entstanden sein müssten. Die bis jetzt bekannten tertiären
Formen aus Europa und Nord-Amerika genügen vielmehr
vollständig, um die Säugethiere von Europa, Asien, Afrika
und Nord-Amerika (mit Ausnahme einiger muthmaasslich
aus Australien und Süd-Amerika eingewanderten Formen)
davon abzuleiten. Das paläarktische, nearktischc, äthi-
opische und indische Reich von Sclater und A. R. Wallace
bilden (wie schon lluxley gezeigt) für die Säugethiere
ein einziges Verbreitungsgebiet, das sich freilich schon
502
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 45
während der Tertiär- und Diluvialzeit in mehrere Pro-
vinzen s])altete. Am frühesten wurde der Zusammenhang'
mit Nord-Amerika gelockert und schon im Miocän und
Pliocän steht die neue Welt der alten als eine selbst-
ständig-e tliiergeogTaphischc Provinz gegenüber, die freilich
nach der Eiszeit wieder einige nordische Gäste walir-
scheinlich über Ost-Asien erhielt. Nach Süd-Asien und
Afrika zog- sich am Schlus der Tertiärzeit ein Theil der
wärmeliebenden Formen, namentlich Hufthiere, Raub-
thiere und Affen zurück und beviilkerte eine Provinz,
welche von der Westküste Afrika's bis zum chinesischen
Meer reichte und wohl ancli noeli die Küstengebiete des
Mittelmeeres umspannte. Cejdon, die Snnda-Inseln, Phi-
lippinen und Madag-ascar standen in der jüngeren Tertiär-
zeit ohne Zweifel in Verbindung mit den benachbarten
Continenten und erhielten von jenen ihren Vorrath an.
Landsäugethieren. Afrika und Süd-Asien besitzen noch
jetzt eine Menge gemeinsamer Gattungen und enthalten,
strenge genommen, eine einzige einheitliche Säugetliier-
fauna, die sich wahrscheinlich erst in der Diluvialzeit so-
weit differencirte, dass sie heute auf zwei solbstständige
Provinzen vertlieilt werden kann. Gleichen Rang mit der
indischen und äthiopischen Provinz behau})tct Madagasear
mit den Mascarenen. Die Landsäugethiere dieses kleinen
Gebietes tragen unverkennbare Züge grosser und früh-
zeitiger Isolirung zur Schau. Abgesehen von dem Schwein
und einigen kleinen, in der Regel passiv wandernden
Nagern gehören die meisten Säugethiere besonderen,
speeifisch madagassischen Gattungen an. Die zahlreichen
Lemuren erinnern an obereocäne Vorläufer ans Europa und
auch die Raubthiere (Gryptoproctiden) und Insectenfresser
(Centetideu) weisen auf Ahnen aus dem älteren Tertiär
hin. Einheimische Hufthiere fehlen diesem Inselgebiet
vollständig.
Im Gegensatz zu dieser alterthündichen (madagassi-
schen) Provinz besitzen Europa und Nord-Asien (das so-
genannte paläarktische Gebiet) die jugendlichste Säuge-
thierfauna. Erst im Diluvium, wahrscheinlich unter Einfluss
der Eiszeit, hat sich dieselbe umgestaltet und allmählich
einen von der äthiopisch-indischen abweichenden Charakter
erhalten. Ob auch die jugendlichste Gestalt in der ani-
malischen Welt, der Mensch, inmitten dieser jüngsten
Fauna entstanden ist oder ob seine Wiege, wie Ameghino
glaubt, in einem andern Welttheil gesucht werden muss,
lässt sich vorläufig mit Sicherheit nicht entscheiden.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: A. Nicolas zum Professor für Anatomie
an der Universität Nancy. — Der Docent für Landwirthschaft
an der Universität Jena Dr. Konrad von Seelhorst zum au.sser-
ordentliclien Professor. — An der Universität Berlin Professor Dr.
Hans Virchow zum ersten Prosector am ersten anatomischen
Institute, Dr. Brösicke zum zweiten Prosector, Professor Dr.
W. Krause zum Custos. — Dr. Oswald Kruch zum Conser-
vator des Kgl. botanischen Instituts in Rom. — Dr. John M.
Coulter zum Präsidenten der Lake Forest Univei-sity, Illinois.
Dr. Achille Terracciano hat seine Stellung als Conser-
vator des Kgl. botanischen Instituts in Rom aufgegeben.
L i 1 1 e r a t u r.
Prof. Dr. Oscar Hertwig, Lehrbuch der Zoologie. Mit 568 Ab-
bildungen, zweite, umgearbeitete Auflage. Gustav Fischer. Jena
1893. — Preis 10 Mk.
Erst in No. 44 S. 449 von Band VII (1892) haben wir die erste
Auflage des trefflichen Buches angezeigt und besprochen und schon
jetzt liegt zu unserer Freude eine neue Auflage vor. Die ge-
schäftige und umsichtige Verlagsbuchhandlung hat gewiss einen
dankenswerthen Antheil an der verdienten schnellen Verbreitung
des Buches, da sie die Preise ihrer Werke — für deutsclie Ver-
hältnisse wenigstens — aussergewöhnlicli billig für das Gebotene
gestaltet, und ein „Lehrbuch" muss billig sein. Das vorliegende
Buch z. B. bringt nicht weniger als 568 vorzügliche Abliildungen
und umfasst in Grossoctav 576 Seiten. In der Disposition hat
Verf. an dem Buche nichts geändert, aber viele Verbesserungen
angebracht und hier und da Umarbeitungen vorgenommen. Im
übrigen verweisen wir auf unsere frühere Bespreeliung.
Prof. Dr. Eduard Strasburger, Das kleine botanische Practicum
für Anfänger. Anleitung zum Selbststudium der mikrosko-
pischen Botanik und Einführung in die mikroskopische Technik.
Zweite umgearbeitete Auflage. Mit 110 Abbildungen. Gustav
Fi.scher. Jena 1893. — Preis 5 Mk.
Das Buch ist sehr geeignet in das praktische Studium der
botanischen Anatomie einzuführen und mit Bedauern müssen wir
daran denken, dass nicht schon in der Zeit, als wir selbst unsere
botanischen Studien trieben, so zweckmässige Lehrmittel ühev
den Gegenstand vorhanden waren, wie sie Strasburger in seinen
beiden Practica geschaft'en hat. Die in dem Buche gestellten
Aufgaben sind in 32 Pensen eingetheilt, die nach ))ädagogischen
Gesichtspunkten geordnet sind. In einer Einleitung finden wir
die Instrumente und Reagentien behandelt, in dem ersten
Pensum den Gebrauch des Mikroskopes, die Herstellung der Prä-
parate und als erstes Untersuchungsobject den Bau der Stärke.
In geschicktester Weise gliedert sich der weitere Stoft' an, nicht
allein von dem leichteren zum schwierigeren und complicirteren fort-
schreitend, sondern im Grossen und Ganzen auch in einer Folge
der Thenuita, wie sie ein systematisch gegliedertes anatomisches
Lehrbuch vorbringen könnte. Der Inhalt ist dem Lernenden in
jeder Beziehung so bequem wie möglich gemacht; wir erwähnen
als Beispiel nur, da.'^s über jedem Pensum die für die Erledigung
desselben erforderlichen Pflanzen und die zu besitzenden Rea-
gentien genannt werden.
E. Hammer, Zeitbestimmung (TThr-Controle) ohne Instrumente
durch Benützung der Ergebnisse einer Landesvermessung.
Allgemein-verständlich dargestellt. Stuttgart, J, B- Metzlerscher
Vedag, 1893. — Preis 2 M.
Das Bedürfniss selbstständiger, zuverlässiger Zeitbestimmung
tritt namentlich auf dem Lande fühlbar hervor, wo „amtliche"
Zeitangaben oftmals weit und breit fehlen oder unzuverlässig sind.
Eine ganze Anzahl bequemer, kleiner Instrumente ist darum er-
sonnen worden, um diesem Bedürfniss möglichst ohne jede Rech-
nung abzuhelfen. Immerhin ist aber die Anschaffung solchen-
Apparate, wenn sie eine Genauigkeit bis auf Bruchthoile der
Minute geben sollen, kostspielig genug und es werden darum viele
Landwirthe dem Autor dankbar dafür sein, dass er eine becpieinc
Beobachtungsweise mit einem einfachen Fadensenkel angiobt, auf
Grund deren durch eine kleine Rechnung in wenigen Minuten die
Zeit mit hinreichender Genauigkeit ermittelt werden kann. Die
zahlreichen, trigonometrisch bestimmten Punkte der Landesver-
messung geben diese Möglichkeit an die Hand. Man beobachtet
mit dem Senkel den Augenblick, wo die Sonne genau das Azimut
der Verbindungslinie zweier ausgewählter Punkte passirt. Die Ab-
weichung dieses Azimuts vom Meridian lässt sich aus den bekannten
Coordinaten jener beiden Punkte leicht berechnen und daraus findet
sich dann die Zeit der Beobachtung unter Benutzung der Sonnen-
deklination und Zeitgleichung, welche Grössen der Autor bis 1896
in einer angehängten Tafel angiebt. Alle nöthigen Rechnungen
werden mit solcher Ausführlichkeit besprochen, dass jeder mit
dem Gebrauch der Logarithment.afel bekannte Leser ohne weitere
m.athematische Kenntnisse zur Lösung befähigt ist. — In einem
besonderen Anhang giebt Hammer noch eine ausführliche An-
leitung zur Bestimmung der Excentricität des Minutenzeigers einer
Taschenuhr. Für solche, die etwas mehr mathematische Kennt-
nisse besitzen, wird dieser Anhang ein interessantes Beispiel einer
Ausgleichungsrechnung sein. F. Kbr.
Lambert's Photometrie. (Photometria sive de mensura et gra-
dibus luuiinis, colorum et umbrae) [1760]. Herausg. von E. An-
ding. Mit 75 Te.xtfiguren. (Ostwald's Klass. der ex. Wiss.
No. 31—33.) — Preis 6,10 Mk.
Lambert, einer der genialsten und vielseitigsten Gelehrten-
köpfe des vorigen Jahrhunderts, als Philosoph ein Vorläufer
Kant's, als Astronom der Vorgänger von Laplace, ist als Phy.siker
hauptsächlich durch die in der „Photometria" gegebene Begründung
des photometrischen Calculs unsterblich geworden. Es ist ein
sehr dankenswerthes Unternehmen, das bisher nicht überall und
Jedem zugängliche Werk durch die vorliegende deutsche Ueber-
setzung den heutigen Physikern neu zu schenken, gereinigt von
manchen überflüssigen, weil nicht zur Sache gehörigen Abschwei-
fungen, befreit von zahlreichen, sinnstöreuden Druck- und Rechen-
fehlern und endlich in fliessendem Deutsch, kurzum in einem
Nr. 45.
Naturwissenschat'tliplic Woelicnschrit't.
503
Gewände, wcichps os auch für den modernen, eiligen Gelehrten
zu einem brjuichbaren Lehrbuche macht. Auf letzteren Titel kann
das Werk namentlich auch mit Rücksicht auf die zahlreichen An-
merkungen Anspruch erheben, durch welche der Heransgeber die
Continuität zwischen dem alten Buche und dem gegenwärtigen Stande
der Wissenschaft hergestellt hat. Lambert hat nämlich seinen Gegen-
stand mit einer solchen Vollständigkeit und erschöpfenden Gründ-
lichkeit behandelt, dass thatsächlich kaum eine einschlägige Frage
der heutigen Wissenschaft e.\istirt, die nicht schon von ihm in
Angriff genommen wäre. Anding hatte also nur nöthig, in An-
merkungen auf Irrthümer Lambert's hinzuweisen und die (^»uellen
anzugeben, in denen die betreifenden Probleme eine weitere Be-
handlung erfahren haben, um das Werk aus einem bloss historisch
interessanten in ein nützliches Compenilium umzuwandeln. Hätte
der Herausgeber dieser mit grosser Sorgfalt bearbeiteten Noten
noch ein mit geringer Mühe herstellbares Register angefügt, so
würde er zweifellos seinen oben genannten Zweck in "noch voll-
kommenerer Weise erreicht haben. F. Kbr.
G. Pizzighelli, Anleitung zur Photographie für Anfänger. Mit
lii T.'xtabi)ildungeu. ö. AuH. Wilhrhn Ivnapii, Halle a. S. 1893.
— Preis 3 M. "
Das handliche Bücholchen ist trefflich geeignet, seinen Zweck
zu erfüllen. Die 1. Aufl. erschien erst 18S7. Es zerfällt nach
einer ganz kurzen pjinleitung in 4 Abschnitte: 1. Der photogra-
l)hische Aufnahme-Apparat, 2. der Negativprocess, 3. der Positiv-
process, 4. die praktische Durchfidu-ung der photographischen
Aufnahmen.
komuien der Eisenerze genannten Gebietes. 1 Tafel mit Profilen.
— G. C. Comstock: Der gegenwärtige Stand des Breitenproblenis.
Verfasser hat Untersuchungen über die sieh ändernde Lage des
Nordpoles augestellt. Danach schreitet derselbe jährlich etwa um
4 Fuss in einer etwa der Westküste Grönlands folgenden Richtung
gegen Süden vor. — Frank Levorett.' Die Beziehung zwischen
Moränen und den Höhenrücken des Erie-Sees. Untersuchungen
iüjer die Glacialerscheinungen der Gegend um den Erie-See.
Hierzu eine Kartenskizze. — Hieram B. Loomis: Ueber die
Wirkungen, welche der Temperaturwechsel auf die Vertheilung
des Magnetismus hervorbringt. Verfasser berichtet über Experi-
mente, welche unternommen wurden, um möglichst genau die Ver-
änderungen festzustellen, welclie in Folge Erhitzeus und .\l>kühlens
eines Magnetes auftreten. 1 Tafel. — Edward Kremers: Die
Simonen-Gruppe der Teryene. Darstellung der Eutwickelung der
Kenntniss der eingangs genannten organischen Verbindungen. —
E. A. Birge: Verzeichniss der Crustacea Cladoeera von Madison,
Wisconsin. Anknüpfend an seine frühere Arbeit (Transact. Wis-
consin Ac, 1878) über den Gegenstand, giebt Verfasser in der
vorliegenden Abhandlung ein möglichst vollständiges Verzeichniss
ili'r Crustacea Cladoeera nebst — wo erforderlich — Beschreibung
iliM' Formen, deren Gesanimtzahl sich auf 64 belauft. 1 Tafel. —
i Wni. H. Hobbs: Notiz über Corussit aus Illinois und Wisconsin.
(Krystallographisch.)
Das uns von der Firma Richard Satth.'r in Braunschweig zu-
gehende Verzeichniss antiquar. Bücher No. (10 enthält die Biblio-
thek des verstorbenen Algologen F. T. Kützing, 200 Nummern,
unter denen aber 5 Sammelbände.
Transactions of the Wisconsin Academy of ScienceSj Arts
and Lettres. Vol. VIU. 1888-1891. Pnblished by Anthority
of l^aw. Democrat Printing Company, State Printers. Madison,
Wisconsin, 1892. — Uns liegt ein stattlicher 448 -t- XXVIII Seiten
umfassender, gediegen ausgestatteter Band vor, dem 13 Tafeln und
2 Porträts beigegeben sind. Derselbe enthält die Sitzungsberichte
der Akademie, giebt Kenntniss über die Vorgänge innerhalb der-
selben und ihre Beziehungen nach aussen und bringt eine Reihe
wichtiger, z. Th. recht umfangreicher Arbeiten auf den von der
Vereinigung gepflegten Gebieten. Wir führen von den Abhand-
lungen hier die folgenden an: Charles R. Barnes: Künstlicher
Schlüssel zu den Gattungen und Arten der Moose, welche in Les-
quereux und James' Handbuch der nordamerikanischen Moose"
anerkannt werden. — T. C. Chamberlin: Einige Beiträge zur
Kenntniss der Interglacialzeit. Verfasser berichtet über die Beob-
achtung interglacialer Ablagerungen , besonders im unteren
Mississippi-, sowie im oberen (_)hio-, im Alleghany-, Susquehanna-
und Delaware-Thal. — Wm. M. Wheeler: Ueber die Anhänge
des ersten Abdominalsegmentes bei Insecten-Embryonen. Verf.
berichtet über seine eigenen auf den Gegenstand bezüglichen
Untersuchungen, sowie über die anderer Autoren bis zum Jahre
1889. Unter den von ihm selbst beobachteten Formen nennen
wir u. a. Blatta germanica L. und Orientalis L. und Cicada sep-
temdecim Fabr. Am Schluss der von grossem Fleisse zeigenden
Arbeit giebt der Autor auf 5 Seiten ein umfangreiches Litteratur-
verzeichniss. Hierzu 3 Tafeln. — Wm. H. Hobbs: Ueber einige
metamorphosirte Eruptivgesteine in den krystallinischen Gesteinen
von Maryland. Petrographische Untersuchungen mit 3 Text-
figuren und einer Tafel. —
Chas. H. Chandler: Bemei'kungen über die Ericaceae. —
G. E. Culver: Notizen idjer ein wenig bekanntes (iebiet in
Nordwest-Montana. Verfasser berichtet üljer die Ergebnisse seiner
Theiluahme an einer Expedition, welche zur Erkundung eines im
Nordwesten von Montana zwischen 47 und 49° n. Br. und etwa
113 und 114° 30' w. L. gelegenen, wenig bekannten, bis 7000'
hiilieu Theiles des Rocky Mountains, das verschiedene noch vor-
handene und noch zahlreichere Spuren einstiger Gletscher besitzt,
unt(>rnommen wurde. Die Arbeit ist geographischen und geolo-
dischen Inhaltes und durch eine Skizze im Text und eine Tafel
erläutert. — G. C. Culver and Wm. H. Hobbs: Ueber ein
neues (')livin-Diabas- Vorkommen inMinnehaha County, Süd-Dakota.
— C. Dwigt Marsh: Ueber die Tiefwasser-Crustaceen des GJreen
Lake. Biologische Bemerkungen. — Derselbe: Bemerkungen
über die Tiefe und Temperatur des Green Lake. Hierzu 1 Tafel.
— C. R. van Hise: Die Eisenerze des Lake-Superior-Geldetes.
Untersuchungen über die LagerungsverhiUtniase und das Vor-
Chwolson. O., Actinometrische Untersuchungen zur Construction
eines Pyrlieliiuneters und eines Actinometers. Leipzig. 5,25 M.
Cvijie, Prof. Dr. Jovan, Das Karstphänomen. Wien. 4 M.
Lassar -Cohn, Privatdoc. Dr., Arbeitsmethoden für organisch-
cliemisclie L:ib(irat(]rien. 2. Aufl. Hamburg. 7,50 M.
Maximowicz, C. J., Diagnoses plantarum novarum asiaticarum.
Leipzig. 0,90 M.
Reiss, 'W., u. A. Stübel, Reisen in Südamerika. 2. Lfg. Berlin.
18 M.
Schimpf ky. Rieh., Deutschlands wichtigste Giftgewächse in
Wort und Bild. Gera 2,75 M.
Schiötz, O. E., Ueber di(! Reflexion longitndineller Wellen von
einer rigiil uiu-ndlichen, i'benen Fläche. Christiania. I M.
Schreiber, Prof. Dir. Dr. Faul, General-Bericht über den gegen-
wärtigen Stand unserer Kenntnisse über Gewitter und die be-
ijleitenden Erscheinungen im Königreich Sachsen. Chemnitz.
(1,30 M
Schroeder's, Ur. Carl, Handbuch der Krankheiten der weiblichen
(ieschlechtsorg.'iue. 11. Aufl. Leipzig. 14 M.
Traube, Privatdoc. Dr. J., Physikalisch-chemische» Methoden.
Hamburg. .") M.
Wetterwald, Dr. Xav., Die Kohlenstoff-Assimilation in histo-
rischer Darstellung. Basel. 2 M.
Wiesner, J., Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysio-
logiscliem Gebiete. Wien. 1 M.
Wreschner, Dr. Arth., Ernst Platner und Kant's Kritik der
reinen N'ernunft mit besonderer Berücksichtigung von Tetens
und Aenesideuuis. Leipzig. 2,50 M.
Zuchristian, Joh., Ueber den Einfluss der Temperatur auf die
PotcMiti.ildilferenzen dos Wechselstrondichtbogens. Wien. 0.30 M.
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logen-Conferenzen von der Conferonz in Leipzig. Leipzig. 2,50 M.
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Insei-atentheil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Diimmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW, 12.
^^■^ Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VÜL Band.
Soniita«:, den 12. November 1893.
Nr. 4(1
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post-
anstalton, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4.—
Bringegeid bei der Post \h 4 extra.
T
Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 41) 9,. Grössere AufträKe ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inserateuannalime
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck int nur mit vollstän«li«jer <|nelU'naiisal>p jjemtattet.
Ueber das Vorkommen von Mus alexandrinus Geoffr. in Vegesack.
Von S. A. Po ppo.
Die in Eui'opa vorkormiieiideii Ratten-Arten werden
jL;-cwülnilieli als Hausratte (Mus rattu.s L.), Wanderratte
(M. decunianus Pali.) und ägyptisclie Hatte (Mus alexan-
drinus Geofir.) unterschieden und bekanntlich ist die erst-
i;'cnannte schon seit dem Mittelalter in Europa einheimisch
und von hier aus durch ilie Schiffe über die anderen Erd-
theile verbreitet worden. Seit der ersten Hälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts hat sie jedoch allmählich der Wander-
ratte das Feld räumen müssen, und es wird fast überall
angenominen, dass sie nur noch an wenigen kleineren
Orten in geringer Individueuzahl vorkommt und Ijald ganz
verschwinden wird. L. Geisenheyner hat Jedoch neuer-
dings in seiner Wirbelthierfauna von Kreuznach (s. Na-
turw. Wochcnschr." VII. Bd., 1892, No. lU) nachgewiesen,
dass diese Annahme für das Nahethal nicht zutrift't, wo
sie durchaus nicht selten ist. Auch in Lübeck tindet sie
sich nach brieflicher Mittheilung des Herrn Ür. H. Lenz
noch jetzt, und ich selbst halie ihr Vorkommen in Urcmen
1881 (cf. Poppe, Zur Säugethierfauua des mmhvestlichen
Deutschland, Abb. d. Na't. Ver. Bremen Bd. VII, 1882),
sowie 1885 in meinem Wohnorte Vegesack an der Weser
eonstatiren können. Der Umstand nun, dass hier in Häusern
der Bremerstrasse im Laufe der letzten Jahre wiederholt
Ratten vom Habitus der Hausratte, aber einer l<'ärbung,
die der der Wanderratte glich, beobachtet wurden, ver-
anlasste mich, der Sache näher zu treten, und es gelang
mir, zu eonstatiren, dass diese Exemplare nicht nur in
verschiedenen Häusern der Bremerstrasse, sondern auch
in dem an Vegesack grenzenden Nachbarorte Aumund
vorkommen. In der Sitzung des Nat. Vereins in Bremen
am 14. März 1892 habe ich dann in einem Vortrage
meine Ansicht, dass wir in den fraglichen Ratten den
Mus alexandrinus Geoffr. vor uns haben und dass diese
sogen. Art mit M. rattus L. identisch ist, dargelegt. Seit
der Zeit habe ich mir typisches Material der ägyptischen
Ratte in ganzen Thicren aus Genua sowie in Scluideln
aus Frankreich verschafft und auch verschiedene Exem-
plare der fraglichen Form aus Häusern der Hafen-,
Neuen- und Langenstrasse in Vegesack eriiaiten. Das
Ergebniss meiner Untersuchungen, das mit den Angaben
De risle's in dessen Allhandlung: „De l'existence d'une
race negre chez le rat, ou de l'identite specitique du ]\Ius
rattus et du Mus alexandrinus" (Ann. Sc. nat. Tome IV,
1865) im Wesentlichen übereinstimmt, gedenke ich si)äter
ausführlich an anderer Stelle zu publiciren und will hier
nur einige Punkte hervorheben , die von allgemeinem
Interesse sind, und zugleich aus De l'Isle's Arbeit das
Wichtigste anführen.
Nach J. H. Blasius' classischer „Naturgeschichte der
Säugethiere" beherbergt Europa .S Arten von Ratten, die
er in 2 Gruppen ordnet, nämlich: kurz ohrige und
langohrige. Zu der ersten (iruppe gehört die Wander-
ratte, zu der zweiten die Hausratte und die ägyptische
Ratte. Die Wanderratte ist, abgesehen von den kurzen
( »hren, noch dadurch charakterisirt, dass ihre Oberseite
bräunlich-grau, ihre Unterseite grauweiss gefärbt, dass
der Schwanz kürzer als der Körper ist, dass die Gaumeu-
falten gekörnelt sind und der Gaumen keine Längsfurche
besitzt. Hausratte und ägyptische Ratte stimmen ausser
den langen ( »hren darin iibcrein, dass ihr Schwanz länger
als der Körper ist; sie unterscheiden sich aber durch ihre
Färbung, die bei ersterer auf der Oberseite schwarz, auf
der Unterseite nur wenig heller ~ grauschwarz — ist,
bei letzterer oben braungrau, unten gelblichweiss. So-
dann soll M. rattus nach Blasius glatte Gaumenfalten
und keine Längsfurchen am Gaumen haben, während
bei M. alexandrinus der (Jaumen von einer tiefen
furche durchzogen
sollen.
Nach de l'Isles' und meinen Untersuchungen steht
j^edoch fest, dass sowohl die Hausratte wie auch die
ägyptische Ratte gekörnelte Gaumeufalten und keine
Längs-
und die Gaumenfalten gekörnelt sein
506
Natnvwissenscliaftliche Woclienschrift.
Nv. 4r,
Längsfurche am Gaumen besitzen.*) Sie sind hinsicbtlieli
des Habitus, der Pliysiognomie, der Augen, der Ohren,
der Gaumenfalten und der Schädelbildung absolut iden-
tisch und unterscheiden sich einzig und allein nur durch
die Färbung. Die schwarzen Exemplare kommen in der
Bretagne zusannncn mit den braungrauen in denselben
Löchern vor, und ich selbst erhielt aus einem Hause in
Auniund innerhalb einer Woche 4 jugendliche Exemplare
von fast derselben Grösse, von denen 3 oben braungelb-
grau, unten gelblichweiss waren, während das vierte die
typische M. rattus-Färbung zeigte. Hinsichtlich der
Gaumenfalten, des Schädelbaus und der Anzahl der
Schwauzwirbel stimmen alle 4 Exemplare vollkonnnen
üljcrein — sie gehörten offenbar zu einem Wurfe. Mus
decumanus aber ist in demselben Hause nicht beobachtet
worden. Andere adulte Exemplare aus Vegesack zeigten
auf dem Rücken elicnfalls schwarzgelbbraune Färbung,
waren an den Seiten meist heller grau, am Bauch grau,
weissgrau mit gelbem Anflug oder scharf abgesetzt gelb-
weiss. Auch de l'Isle hat bei den gefangenen Exem-
plaren eine Eeihe von Zwischenstufen zwischen der Rattus-
und Alexandrinusfärbung constatirt. Er fand Exemplare
von Alexandrinus, die, wenn auch noch zweifarbig, doch
an der Unterseite viel dunkler als gewöhnlich waren und
ungewöhnlich helle, mehr graue als schwarze Rattus;
dann wieder Exemplare, die oben schwarz wie Rattus,
unten weiss wie Alexandrinus, andere, die oben grau-
braun wie Alexandrinus, unten schwärzlich wie Rattus
waren. Seine Experimente mit beiden Formen während
2'/o Jahren haben ergeben, dass die Ehen zwischen beiden
stets mit Kindern gesegnet und die Mischlinge unter ein-
ander eben so fruchtbar waren. Von diesen Mischlingen
hatten einige die typische Färbung von Rattus, andere
die von Alexandrinus, wieder andere tlieilten sich in die
Färbung beider. Die verschiedenen Färbungen traten
bei Jungen d esselben Wurfes auf, wenn das Männehen
Alexandrinus, das Weibchen Rattus war (von 39 Jungen
in 6 Würfen waren 19 schwarz, 19 oben braun, unten
weiss und 1 halbschwarz). War jedoch das Männchen
Rattus, das Weibchen Alexandrinus, so waren alle Jungen
schwarz, d. h. Rattus (22 in 4 Würfen). Wurden diese
schwarzen Mischlinge wieder unter einander gekreuzt, so
waren die Jungen vorzugsweise schwarz (14 von 18) aber
auch einige (3) zweifarbig und 1 von getbeilter Färbung.
Der Versuch, Wanderratte und Hausratte zu kreuzen,
ist bisher Niemanden gelungen, auch de l'Isle nicht, der
zur Vorsicht ein sehr junges Männchen der Wanderratte
mit einer sehi' jungen weiblichen Hausratte zusammen-
brachte. Dieselben gewöhnten sieh auch an einander und
es hat wahrscheiulich auch eine Begattung stattgefunden,
die aber steril blieb. Als er jedoch genöthigt war, die
Wohnung zu wechseln, erwachte, wahrscheinlich durch
die Erschütterung des Wagens, bei der Wanderratte die
alte Wildheit: sie tödtete die Hausratte und frass sie auf
Die Angabe Geoffroy's, dass die ägyptische Ratte
einen längeren Schwanz als die Hausratte habe, hat
de l'Isle, der das typische Exemplar, das Geofifroy seiner
Beschreibung zu Grunde gelegt hat, vergleichen konnte,
*) Noack (B(.'itr. zur Kenntniss der Siiugßthierfauiia von Ost-
afrika) glaubt nach dem glatten Gaumen (sie!) an einem ge-
trockneten Rattenkopf mit Haut und Haarresten constatiren zu
können, dass M. rattus in Sansibar vorkommt, und erklärt die An-
nahme von Peters, dass M. rattus und M. alexandrinus artlicli
identisch seien, für unrichtig. Seine Ausführung ist jedoch schon
aus dem Grunde nicht beweisend, da ich mich durch Autopsie
überzeugt habe, dass der fragliche Schädel einem typischen
Mus decumanus angehört. Es ist sein- zu bedauern, dass
Blasius neben der Abbildung des Schädsls von M. decumanus
nicht auch eine solche von M. rattus gegeben hat, da dann solche
Irrthümer nicht vorkonnnen und die Museen keine falsch be-
stimmten Rattenschädel aufweisen würden.
nicht bestätigt gefunden. Der Schwanz erschien bei
einigen der Vegesacker Exemplare auffallend kurz, war
aber stets länger als der Körper, z. B. 14 : 20, 15,7 : IS, 8,
16:20,9, 16:21, 17,5:19,5, 18:20,5, 19:23,5. Von
Schwanzwirbeln habe ich 31 — 37 gezählt, während bei M.
decumanus 29 — 32 vorhanden waren. Die Zahl der Wirbel
scheint demnach zu variiren, doch ist die Möglichkeit der
Verstümmelung des Schwanzes nicht ausgeschlossen.
Der Schädel der ägyptischen wie der Hausratte ist
kleiner als der der Wanderratte, seine Jochbogen er-
strecken sich tiefer nach unten und sind nicht so weit
nach aussen ausgebogen, seine Scheitelfläche ist breit und
convex, während dieselbe bei M. decumanus schmal und
fast platt ist. Die starken Leisten der Oberseite, die am
vorderen Ende der Stirnbeine beginnen, biegen sich bei
der Hans- und ägyptischen Ratte vom vorderen Rande
der Scheitelbeine stark nach aussen und von der Mitte
derselben wieder nach innen, ein Oval beschreibend.
Bei der Wanderratte verlaufen sie von der Mitte des
Aussenrandes der Stirnbeine an fast in gerader Linie bis
zur Mitte des Zwischenscheitell»eins, dessen Hinterrand
einen flachen Bogen bildet. Jugendliche Schädel der
Wanderratte, bei denen diese Leisten noch nicht aus-
geltildet sind, ähneln sehr denen von Alexandrinus und
Rattus, da ihre Scheitelfläche mehr gewölbt ist. Sie sind
jedoch, ebenso wie die adulten, von diesen durch die Ge-
stalt des Os interparietale leicht zu unterscheiden. Wäh-
rend dasselbe nämlich bei der ägyptischen und Hausratte
an einen Kreisabschnitt, bei dem der Hinterrand den
Bogen, der nach vorn etwas convexe Vorderrand die
Sehne darstellt, erinnert, zeigt es bei Mus decumanus die
Gestalt eines Trapezoids, wobei der nach aussen etwas
convexe Hinterrand die längste Seite darstellt. Die Fora-
mina incisiva reichen bei der ägyptischen und der Haus-
ratte bis über den Anfang der Backenzähne hinaus,
während dieselben bei M. decumanus nie denselben er-
reichen. Die Angabe de l'Isle's, dass Alexandrinus und
Rattus sich durch einen specitisehen Geruch auszeichnen,
während M. decumanus frei davon sein soll, habe ich in
der Mehrzahl der Fälle bestätigt gefunden, doch sind mir
auch geruchlose ägyptische und Hausratten vorgekonnuen
und andererseits zeichnete sich eine Wanderratte durch
einen besonders penetranten Geruch aus.
Was nun die Frage betritft, welche der beiden bis
dahin als distinete Arten betrachteten Formen als Stannu-
art, welche als Varietät anzusehen sei, so beantwortet
de l'Isle dieselbe, wie mir seheint mit Recht, dahin, dass
Mus alexandrinus die Stammart und M. rattus eine kli-
matische Rasse derselben sei. Seine Experimente haben,
wie oben bemerkt, das Resultat ergeben, dass Mischehen
zwischen der ägyptischen und der Hausratte mehr schwarze
als braungraue Junge ergeben, dass also im Laufe der
Zeit die Anzahl der schwarzen im Verhältniss zu den
braungrauen zunehmen muss. Er weist nun darauf hin,
dass bei einer ganzen Reibe von Wirbelthieren sieh ein-
zelne Individuen finden, die schwarz gefärbt sind. Unter
den Reptilien sind solche bei der Ringelnatter und der
Kreuzotter beobachtet (bei letzterer als Pelias prester be-
zeichnet), unter den Amphibien bei der gemeinen Kröte
(Bufo vulgaris), die in den Alpen immer dunkler wird,
je mehr sie in die Höhe steigt. Unter den Nagethieren
sind vom Hamster, Bobac und Hasen schwarze Individuen
bekannt und beim Eichhörnchen sind dieselben so häufig,
dass sie sich in einigen Gegenden zahlreicher als die
rothen finden.
Sodann bemerkt de l'Isle, dass alle Arten der Gattung
Mus, soweit sie im Freien leben, zweifarbig, oben
braun, unten weiss sind (von den europäischen Arten z. B.
die Waldmaus M. silvatieus, die Brandmaus M. agrarius
Nr. 4ß
Natnrwisseiisc'liaftlichc Woclieuscluii't.
507
und die Zwergniaus M. niinntus), dass aber die beiden
Arten, die sieb an das Ziisaiunicnleben mit dem Menscben
i;e\v(ihnt baben, die llaiisniaus (M. niiisciihis) und die
Hausratte, fast sanz seliwar/, sind. Je länger dieser
Farasitisnius dauert, desto mein- nuiss aueb die schwarze
Farbe die vorberrsebende werden. So kennen wir die
Hausmaus, die seit dem Altertlium als liausgenossin des
Mcnscben l)elvannt ist und deren Name im Grieebiscben,
Latcinisclien und Deutscbcn derselbe ist, gar nicbt niebr
in der ursiiriingliclien Erdl'iirbung und nur ausnahmsweise
finden sich isabellfarbene, wcissgcfleckte oder weisse
Exemplare. De l'Isle's Voraussage, dass diese schwarze
Färbung im Laufe der Zeit auch bei der Wanderratte
auftreten würde, ist inzwischen eiugetroHen, da scliwarze
A\'anderratten im Zoologischen Garten zu Berlin in grosser
Individuenzald beobachtet worden sind und ein Driitcl
der Wanderratten im Jardin des Plantcs in Paris dunkel-
braun, fast schwarz ist. Auch in Süd-Amerika kununt
eine dunkele Varietät der Wanderratte vor, die A^'ater-
house als Mus maurus beschrieben bat.*)
!Mus alexandrinus ist noch jetzt nicht nur in Aegypten,
sondern aueb im tropischen Afrika in den mcnscblichen
*) Dass Mus d'.'cumanus sich immer mt-lir an ilas Zusammen-
leben mit dem Menschen gewöhnt und nicht nur in den unteren
Kiiumen der Häuser verkehrt, sondern auch die oberen Kiiunie
aufsucht, konnte ich in der Nähe Vogosacks, in Seliönebeck, bcoh-
acliten, wo sie in einem Arbeiterhauso der dortiireu Ziegelei den
Hausboden bewohnt, zwischen den versclialten Dachsparren um-
herklettert und bei Regenwetter aus der Dachtraufe zu trinken
pflegt. An einem hohen Fabrikgebäude in der Umgegend klettert
sie am Epheu liis in den zweiten Stock hinauf.
Wohmuigen verbreitet, und zwar ist sie dort stets braun
gefärbt. Die Veränderung in der Färbung dürfte daher
mehr durch die Einwandcruug in klimatisch vcrscliiedenc
Länder und den Wechsel in der Nahrung als durch das
Zusanmienlebcn mit dem Menschen verursacht sein. Frei-
lich sind auch die Ratten gezwungen, in grösseren
Städten ein mehr uächtliclics Leben zu führen und sieb
während des Tages versteckt zu halten. In Spanien und
im südlichen Italien und Frankreich ist die typische Fär-
bung von M. alexandrinus die vorberrsebende, auch in
Argentinien ist sie nach Hurnieister überall gemein, wäh-
rend die Varietät rattus sich bislier nur in den Zoll-
Niederlagen in IJuenos Ayres findet. Auch in Süd-Bra-
silien ist Mus alexandrinus nach von Jhering in den Küsten-
orten sehr häufig. Im nördlichen Italien und Frankreich
ist die Varietät rattus die liäufigere Form und was spe-
cicU Deutschland betrifft, so ist der typisciie M. alexan-
drinus, wie es scheint, bisiier nur in Stuttgart beobachtet
worden, denn das Bonner Exemplar, das nach Troscbel
zu dieser Art gehören sollte, ist, wie ich mich durch
Untersuchung des Schädels überzeugt liabe, ein M. decu-
manus. Um so interessanter ist ihr Vorkommen in Vege-
saek und Umgegend, wo sie sich dauernd zu halten
sclicint. Ich zweifele übrigens nicht daran, dass sie sich
auch an anderen Orten finden wird, wo sie vielleicht nur
wegen ihrer äusseren Aehnliehkeit mit der Wanderratte bis-
her übersehen worden ist. Alle Mittbeilungen über das Vor-
kommen von Mus alexandrinus sowie ihrer schwarzen Varie-
tät rattus würde ich mit Dank entgegen nehmen und erkläre
mich gern bereit, zweifelhafte Exemplare zu bestimmen.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
vom 11. bis 15. September 1893.
IL
Adolf Strümpell: Ueber die Alkobolfrage vom
ärztlichen Standpunkt aus.
Unzählige Male schon hervorgehoben sind die mannig-
fachen und nahen Beziehungen zwischen Alkoholismus
und Verbreclien. Was schon die gewöhnliche Beobachtung
des alltäglichen Lebens ergiebt, bestätigt in zahlen-
mässigcr Deutlichkeit die Statistik. Wo man diese auch
befragt bat, in Frankreich, in Schweden, in Oesterreieh
und in Deutschland, überall dasselbe Ergebniss, überall
der hohe Procentsatz der Vergehen und Verbrechen,
welche theils direct in trunkenem Zustande, theils von
notorischen Trunkenbolden verübt wurden. Sehr häufig
sind beide, Alkoholismus und Verbrecherthum, die notb-
wendigen coordinirten Folgen einer angeborenen abnormen
geistigen Veranlagung, einer psyehopatliischen Degene-
ration; aber in Wirklichkeit kommt dieser krankhaften
Veranlagung gar nicht eine so besonders grosse Bedeutung
zu; denn bei einer Unterscheidung zwischen Gelegen-
heitstrinkern und Gewolndieitstrinkcrn hat sicli stets er-
wiesen, dass eine überwiegend grosse Anzahl von Ver-
gebungen der erstgenannten Kategorie zur Last fällt.
Von 1130 l'ersonen, welche im Jahre 1889 in Deutschland
wegen Kcirpcrvcrletzung bestraft wurden, waren 750
Trinker, und zwar fiOO Gelegenheitstrinker und nur
150 Gewobnlieitstrinker.
Bezuglicli der Bedeutung der alkoholischen Getränke
als Nahrungsmittel Folgendes: Dass dem Köri)er ins-
besondere bei reichlichem Biergenuss erhebliche Mengen
von Nahrungsstotf zugeführt werden, ist unbestreitliai' und
von ganz besonderer Bedeutung. Aber wie verlialten sich
der Nährwertb und der Preis des Bieres zu einander'?
Für eine Mark erhält dei' Arbeiter in Bayern ungefähr
4 Liter Bier. Diese 4 Liter Bier enthalten, reichlich ge-
rechnet, 240 gr Kohlehydrate und kaum 32 gr Eiweiss.
Für dasselbe Geld, für eine Mark, erhält der Arbeiter
aber, wenn er sich Brod kauft, 2000 gr Kohlehydrate und
daneben noch 250 gr Eiweiss. Man sieht also, dass der
Preis des billigsten 15ieres in Bezug auf seinen Nährwertb
ungefähr acht Mal höber ist, als derjenige des Brodes,
und noch weit bölier, wenn man ihn mit dem Preise der
Kartoffeln, der Erbsen und anderer Nahrungsmittel ver-
gleicht. Noch viel ungünstiger stellen sich diese Zahlen
heraus, wenn man an die weit höheren Bierpreise denkt,
welche der bessere Mittelstand, namentlich in Norddeutscb-
land bezahlen muss. Die gedankenlose Verschwendung,
welche Hunderttausende wenig bemittelter Menschen mit
dem Biergenuss unausgesetzt treiben, tritt besonders klar
hervor, wenn man die Zahlen etwas näher ins Auge
fasst. Arbeiter, welche einen Verdienst von täglich 3 Mark
haben, geben oft jeden Teg nur für ihre eigene Person
50 Pfennige für Bier aus, d. i. also ein Sechstel ihres ge-
sammten Einkommens. Und dabei bandelt es sich, wie
schon aus diesen Zahlen hervorgeht, keineswegs um
Trunlvcnbolde, sondern um fieissige, ordentliche Menschen,
welche der allgemeinen Sitte gemäss ihren Biergenuss für
etwas Nothwcndiges und ganz Selbstverständliches halten.
Aehnliehe Berechnungen für andere Stände (Lehrer, niedere
Beamte, Kaufleute u. a.) ergeben ganz ähnliche Resultate,
nur dass, wie meistens in solchen Fällen, die ärmeren
Bevölkernngsklassen weit ungünstigere Verhältnisse dar-
bieten, als die wohlhabenderen. Hunderte von Studenten
auf deutschen Hochschulen resp. deren Eltern geben täg-
lich 1— IV, Mivrk, das macht im Jahr 300—400 Mark,
nur für Bier aus. Ohne zu übertreiben, kann mau
508
NatuiwisscuseliarUiclic Woclicuscbril't.
Nr. 4C.
behaupten, dass dieVermög-eusuuistände von vielen Hundert-
tausenden sich sofort in der merklichsten AVeise bessern
würden durch den einfachen Eutschhiss der Massigkeit
bei diesem theuersten aller Nahruniisulittel, welches der
gewöhnliclie Mann geniesst. Die früher vielfach betonte
„eiweisssparende" Wirkung des Alkohols hat sich bei
neuereu genauen Untersuchungen als keineswegs stets
vorhanden herausgestellt. Es scheint vielmehr, dass unter
sonst gleichen Verhältnissen bei gleichzeitiger Alkoholzufuhr
sogar eine geringe Steigerung- des Eiweisszerfalls eintritt.
Mit Recht liezeichnet man die gegenwärtige Epoche
der Medicin als die ätiologische. In der Erkennung der
Krankheitsursachen erblickt der Arzt jetzt eine der h(ichsten
Aufgaben seiner Forschung. Wie viele Krankheitsursachen
giebt es, welche sich an Ausbreitung und Bedeutung nur
einigermaasen der chronischen Alkohol-Intoxication ver-
gleichen lassen? Höchstens zwei Infectionskraukheiten:
die Tuherculose und die Syphilis.
Zunächst eine kurze allgemein-toxikologische Bemer-
kung. Wir sehen z. B. bei der chronischen Bleivergiftung-
in der Regel, dass die dem verderblichen Einflüsse des Bleies
ausgesetzten Arbeiter täglich nur höchst geringe, dem Ge-
Avicht nach oft kaum bestimmbare Meni;-en Blei durch
den Staub, durch
verunreinigte Nahrungsmittel u. dergl.
aufnehmen. Die Einzelwirkungen dieser alltäglich auf-
genommenen Giftmengen sind so unbedeutend, dass sie
sich meist nicht durch die allergeringste Störung des
körperlichen Wohlbefindens vcrrathen. Nachdem aber
vielleicht Jahre lang diese ununterbrochene tägliclie Ein-
wirkung- der kleinsten Giftmengen stattgefunden hat, tritt
oft fast mit einem Schlage oder in wenigen Tagen irgend
ein schweres Symptom der Bleivergiftung, eine Kolik, eine
Lähmung der Hände, ein epileptischer Aufall oder dergleichen
auf. Hierbei muss also nothwendigerweise eine Summation
zahlreicher ganz geringer Einzelwirkungen stattgefunden
haben, die nun mit einem Male die Höhe eines ein-
greifenden Reizes oder einer das organisirte Gewebe zer-
störenden Kraft gewinnt. Diese eigenthündiche und in
theoretischer Hinsicht sehr interessante Thatsaehe der
Summation kleinster Giftwirkungen findet sich fast bei
allen chronischen Intoxicationen und erklärt uns in vielen
Fällen das sonst scheinbar unvermittelte plötzliche Auf-
treten schwerer Krankheitserscheinungen. Auf diese Weise
verstehen wir z. B. den plötzlichen Ausliruch der schwersten
Urämie bei einem vorher scheinbar im besten Wohlsein
befindlichen Nierenkranken, so verstehen wir auch bei
einem Trinker das plötzliche Auftreten eines Dilirium
tremens oder die mit einem Mal sich einstellende Kraft-
losigkeit seines geschädigten, aber bis dahin noch völlig
rüstig arbeitenden Herzmuskels. Allem Anschein nach ist
es vorzugsweise das Gewebe unseres Nervensystems,
welches diesen sich summirenden Wirkungen von im
Einzelnen scheinbar geringfügigen toxischen Einflüssen
am meisten ausgesetzt ist. Die Betrachtung der chronischen
Alkoholwirkung lehrt uns, dass es sich bei dieser im
Körper so leicht verbrenubaren Substanz gewiss nicht um
eine Summation des toxischen Stoffes selbst, sondern um
ein andauerndes Nachbleiben der durch die chemischen
Wirkungen desselben einmal eingetretenen, an sich auch
noch so geringen Veränderungen in dem Nervengewebe
selbst handeln nuiss. Diese Veränderungen wachsen all-
mählich immer mehr und mehr an, bis sie schliesslich in
den dauernd krankhaften Zustand übergehen.
Es bedarf also durchaus nicht stets der häufig wieder-
holten acuten schweren Vergiftung mit äusserlich bemerk-
baren auffälligen Symptomen, um schliesslich doch ein
schweres chronisches Krankheitsbild zu erzeugen. Es sind
keineswegs nur die notorischen Vieltrinker und richtigen
Trunkenbolde, welche den schädlichen Wirkungen des
Alkoh(di.smus verfallen, sondern auch zahlreiche Personen,
welche die Bezeichnung als „Trinker" mit Entrüstung-
zurückweiseu würden.
AVie bei fast allen anderen acuten und chronischen
Intoxicationen, so zeigt sich auch beim Alkoholismus die
interessante Thatsaehe der so ungemein verschiedenen
individuellen A'eranlagung gegenüber den Einwirkungen
ein und desselben Giftes auf den menschlichen Körper.
Von 100 Schriftsetzern, die unter fast vollkommen gleichen
Bedingungen in demselben Arbeitssaal bei derselben Be-
schäftigung täglich ungefähr die gleichen geringen Mengen
Blei in ihren Körper aufnehmen, erkrankt der Eine
vielleicht schon nach wenigen Monaten an schweren Va--
scheinungen des Saturnismus und wird immer wieder von
neuem krank, sobald er zur früheren Beschäftigung zurück-
kehrt, der Andere dagegen erkrankt vielleicht erst nach
Jahren, ein Dritter niemals. Und neben dieser verschiedenen
individuellen Veranlagung im Allgemeinen besteht zweifellos
auch noch eine individuell verschiedene Disposition der
einzelnen Organe. Der eine dem Blei Ausgesetzte er-
krankt an Lähmung der Hände, der Andere au einem
Darmleiden, der Dritte an chronischer Nieren - Ent-
zündung u. s. w.
Diese Thatsachen finden ihr Analogen in der Patho-
logie des chronischen Alkoholismus. Der Ausbruch der
sunnnirten Alkoliolwirkung kann durch gleichzeitige anders-
artige Schädlichkeiten bedingt sein. So sehen wir be-
kanntlich oft bei einer acuten fiel)crhaften Krankheit, nach
einem Traume, nach einem stärkeren Blutverlust mit einem
Mal die längst vorbereiteten, aber bis dahin noch vfdlig
latenten Wirkungen des Alkohols zum Ausbruch kommen.
Bei der acuten Toxication treten die Lälimungs-
erscheinungen an den höheren psychischen Vorgängen am
meisten hervor, weil sie am leichtesten bemerkliar sind.
Jede etwas genauere Beobachtung zeigt aber auch schon
bei geringeren Graden der Vergiftung die gleichzeitige
P>eeinflussung der motorischen Innervationsvorgänge, die
Unsicherheit der Bewegungen und die Erschwerung der
Sprache, während die sensiblen Leitungswege eine weit
grössere Widerstandskraft zu besitzen scheinen. Genau
entsprechend diesen bekannten Erscheinungen des acuten
Rausches, sehen wir auch die zwei Hauptformen nervöser
Erkrankung in Folge chronischer Intoxication in den-
selben eben genannten Gebieten auftreten, einmal im Ge-
bieti' der höheren Bewusstseinsvorgänge in der Form des
alkoholischen Deliriums im Gebiete des motorischen
Nervensystems, in der Form des alkoholischen Tremors
und der alkoholischen motorischen Lähmungen und
Ataxien, mit einem Wort der sogenannten alkoholischen
Polyneuritis. Letztere ist bekanntlich eine der häufigsten
und wichtigsten Formen der grob anatomischen Nerveu-
degeneration in Folge fortgesetzter chemisch-toxischer
Einwirkungen. Fraglich und noch unentschieden ist es
nur, ob dieses Absterben der peripherischen Nerven-
fasern durch eine unmittelbare Einwirkung der Alkohol-
molecüle auf die Nervenfasern selbst stattfindet, oder ob
wir die eigentliche Wirkungsstätte des Giftes in den Zell-
resp. Kerncentren der Nervenfasern zu suchen haben,
sodass die letzteren also erst secundär in Folge der
Schädigung ihrer entfernten Ernährungscentren absterben.
Die Häufigkeit des alkoholischen Deliriums tritt, mit
der Gesammtzahl der Bevölkerung verglichen, nur in
einigen grossen Städten hervor, welche ^on einer zahl-
reichen schnapstrinkenden .Arbeiterschaft bewohnt werden.
In Hamburg werden jährlich ca. 150 Deliranten ins all-
gemeine Krankenhaus aufgenommen, während die jährliehe
Anzahl derselben in der Berliner Charite sogar circa
500 — 600 beträgt. In den besseren Bevölkerungsschichten
und insbesondere bei Biertrinkern ist das alkoholische
Nr. 4ß.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
009
Delirium eine recht seltene Erkrankung, wenngleich es
freilich auch hier noch oft genug die Schlu.ssscL'ne in dem
Lelieiisdiaina eines Trinkers bildet. Auch den alko-
holischen Ncuritiden konant ihrer relativen Sciteidieit
wegen keine sehr grosse praktishe Bedeutung zu. hnnier-
hin wird ihr Vorkommen weit häutiger erkannt werden,
wenn die Kcnntniss dieser Krankheit erst noch mehr in
die weiteren ärztlichen Kreise eingedrungen sein wird.
Namentlich ist das Auftreten einer alkoholischen l'oly-
neuritis keineswegs nur hei Sehnapstrinkern, sondern auch
schon bei starken Biertrinkern festzustellen.
lieber den KinHuss des Alkohols auf die übrigen
Körperorgane Folgendes :
Unzählbare Fälle acuter und noch weit häufiger chro-
nischer Erkrankung der Pharynx-, Magen- und Darni-
schleimhaut, sind die Folge einer aiulauernden unmittel-
baren Heizung dieser Tlieile.
Seine wesentliche und bedeutungsvolle Einwirkung
entfaltet der Alkohol erst, wenn er in die Circulation
aufgenommen ist und nun in unmittelbare Berührung und
Wechselwirkung mit den C4ewebszellen der verschiedenen
inneren Organe tritt. Gleich nach seiner Resorption sind
die in der Peripherie der Leberläppchen gelegenen Zellen
die ersten, welche von dem alkoholhaltigen Blut der Pfort-
adereapillaren umspiUt und einer toxischen Beeinflussung
daher direct ausgesetzt werden. Es giebt wenige krank-
hafte Processe, an welchen wir den Vorgang des primären
Zelltodes im eigentlichen Organgewebe durch eine un-
mittelbare chemische Schädigung ndt allen ihren in dem
widerstandskräftigeren interstitiellen Stützgewebe sich ab-
spielenden Folgezuständen so klar übersehen können, wie
bei der alkoholischen Lebercirrhose.
Diejenigen Organveränderungen, welche bei weitem
in erster Linie genannt werden müssen, wenn von dem
schädlichen Einflüsse der alkoholischen Getränke auf
unsere Gesundheit die Bede ist, sind die Erkrankungen
des Herzmuskels und seiner nervösen Apparate, die Er-
krankung der Arterien und die Erkrankungen der Nieren.
Die alkoholische J^rkrankung der Arterien, die chronische
alkoholische Endartcriitis, lässt sich jedoch ])raktisch nicht
genau umgrenzen, da hierbei in Wirklichkeit meist die
mannigfachsten Krankheitsursachen zusammenwirken. Auch
macht sich ihre klinische 15edeutung weniger in selbst-
ständigen Krankheitsformen, als in secundären Folgeer-
scheinungen geltend.
Während die toxisch - alkoholische Entstehung der
meisten bisher genannten Erkrankungen, wie insbesondere
des Delirium tremens, der multiplen Neuritis, der Leber-
cirrhose u. a. längst allgemein anerkannt wird, ist die
häufige Entstehung chronischer Herz- und Nierenleiden
durch den fortgesetzten Alkoholgenuss eine lange nicht
genügend ins allgemeine Bewusstsein der Aerzte einge-
drungene Thatsache. Und doch ist die praktische Be-
deutung gerade dieser Formen des Alkoholisnuis — ganz
abgesehen von ihrer Häufigkeit — eine so ungemein
grosse, weil gerade sie keineswegs nur durch die concen-
trirten alkoholischen Getränke, sondern ganz vorzugsweise
durch den anhaltenden unmässigen Biergenuss hervor-
gerufen werden. Darum sind es viel umfassendere Be-
völkerungsschichteu, bei denen diese Zustände beobachtet
werden, keineswegs nur die ärmeren und geistig tiefer
stehenden Klassen unseres Volkes, sondern gerade die
wohlhabenderen und gebildeteren Stände, vor allem frei-
lich, namentlich in Bayern, der durch Beruf und Geschäft
zu der Branindustric in Berührung stehende relativ grosse
Theil der Bevölkerung. Nichts ist vom ärztlichen Stand-
punkte aus falscher, als zu glauben, dass durch die zu-
nehmende Verdrängung anderer alkoholischer Getränke
durch das Bier der verderbliche Einfluss des Alkoholis-
mus vermindert wird, dass letzterer seine Opfer vorzugs-
weise nur in denjenigen Ländern findet, wo der Brannt-
wein einem auf niedriger Culturstufe stehenden Volke
seine Armutli und seine Nofli vergessen helfen soll. Nein,
gerade unter der täuscdicmlen Maske eines scheinbar
wohlschmeckenden und dabei noch nahrhaften Genu.ss-
mittels hat der Alkohol seinen verderblichen Eingang ge-
funden in Kreise, welche ihm sonst vielleicht ganz ver-
schlossen geblieben wären. Während schon das Wort
„Schnaps'- in guter Gesellschaft ungern genannt wird,
während man mit dem Begriff eines Branntweintrinkers
überall den Gedanken an eine sittlich verkonnnene, ihrem
geistigen und körperlichen Verfall sich unaufhaltsam
nähernde Existenz verbindet, herrschen über den l'>ier-
genuss fast allgemein, in den unteren und den höchsten
Schichten Ansichten, welche jeder vernünftigen und vor-
urtheilslosen ärztlichen Einsieht zuwiderlaufen. Denn
nicht nur die hundertfache Erfahrung, sondern die ein-
fachste Ueberlegung der thatsächlichen Verhältnisse lehrt
uns, wie die unleugbar vorhandenen Vorzüge des l>ieres
gegenüber anderen alkoholischen Getränken reichlich auf-
gewogen werden durch die Nachtheile, welche der so
häufige sinnlose Massengenuss dieses Getränks hervorruft.
Hierdurch wird nicht nur der verhältnissmässig geringe
procentische Alkoholgehalt in eine keineswegs bedeutungs-
lose absolute Menge verwandelt, sondern noch ein zweites
besonderes Moment hinzugefügt, nämlich die Einführung
ganz hervorragend grosser Mengen von Flüssigkeit und
von Nahrungsstoflfen, welche sich meist zu der gewöhn-
lichen Nahrungs- und Wasseraufnahme noch hinzuaddiren.
Alle diese iAIomente spielen ihre grösste Rolle bei der
Entstehung der muskulären Erkrankungen des Herzens,
welche wir daher auch ganz vorzugsweise bei starken
Biertrinkern Ijeobachten. Die anatomisch hauptsächlich
nachweisbare Veränderung ist dabei die Hypertropjne
des Herzmuskels und zwar zunächst vorzugsweise am
linken Ventrikel. Jede derartige Hypertrophie kann nichts
anderes sein, als der Ausdruck und die Folge einer an-
dauernd erhöhten Arbeitsleistung des Herzens. Welche
Momente es aber sind, welche dem Herzen des starken
Biertrinkers eine übermässige Arbeitslast aufbürden, lässt
sich leicht nachweisen. In erster Linie ist es gewiss die
grosse Wassermenge selbst, welche, ehe sie durch Nieren,
Haut und Lunge wieder ausgeschieden wird, vom Blut
aufgenommen und durcdi das Herz in Bewegung gesetzt
werden muss. Welche Flüssigkeitsmengen aber bei
starken Biertrinkern dem Kreislauf täglich zugeführt
werden, ist wirklich zuweilen kaum glaublich. Schon
eine tägliche Menge von 3 — 4 Liter, d. h. 6 — 8 Pfund
Flüssigkeit über das gewöhnliche Maass hinaus kann auf
die Dauer nicht ohne Einfiuss auf das Herz bleiben.
Dass eine Ueberbelastung des Kreislaufes um eine die
normale mittlere Blutmenge fast ums Doppelte über-
steigende FlUssigkeitsmenge zunächst zur Hypertrophie,
dann aber zur vorzeitigen Erlahmung des Herzmuskels
führen muss, ist nicht schwer verständlich. Daher in
Bayern die Häufigkeit der sogenannten idiopathischen
Herzvergrösserungen, wie sie zahlenmässig in München
festgestellt ist.
Die übermässige Flüssigkeitszufuhr zum Blut ist jedoch
hierbei nur einer der mannigfachen Factoren, welche das
Zustandekonnnen des hypertrophischen „Bierherzens'- er-
klären. Daneben ist vor allem auch der Gehalt des
Bieres an festen Nährstoffen in Betracht zu ziehen, zumal
da es sich hier wieder um grosse Gesannntmeugeu handelt.
Bei einem Gehalt des Bieres von nur 5 ])Ct. Extractiv-
stoflfen (die Müuehener Biere enthalten nicht selten ti pCt.),
repräsentiren 5 Liter Bier bereits eine Menge von 250 gr.
Kohlehydraten. Bedenkt man, dass der tägliche Gesaumit-
510
NaturwissenscLartliche Wochenschrift.
Nr. 46
bedarf an Kohlehydraten eines erwachsenen sieli gut
nährenden Mannes nur etwa 500 gr. beträgt, so erlvcnnt
man sofort die bedeutende Vcrniein-ung der Zufuhr von
Nahrungsstoffen, welche der starke IJiertrinker seinem
Körper darbietet. Auch diese Ueberlastung des Blutes
und der Gewebe mit Nährmaterial bringt eine Reihe
schädlicher Folgen mit sich, indem hierdurch das speci-
lische Gewiclit des Blutes dauernd erhöht, die Herzarbeit
somit wiederum erschwert, ferner wahrscheinlicli ein ver-
mehrter Heiz auf die kleinen Gefässe und dadurch eine
neue Ursache arterieller Drucksteigerung hervorgerufen
wird. Die Unfähigkeit der Gewebszellen, das im Ueber-
maass zugefülnte P^rnährungsmaterial völlig zu verbrauchen,
führt zu der unnöthig grossen Aufspeicherung desselben
und so entsteht jene allgemein bekannte Fettleibigkeit
der unmässigen Biertrinker, welche als solche ihrerseits
wiederum eine neue Reihe die C'irculation und die Ath-
mung erschwerender Umstände mit sich bringt. Zu dem
allen kommt nun schliesslich noch die specilisch toxische
Wirkung des Alkohols hinzu. P^ünf Liter Bier enthalten
mindestens 100 — 150 gr. reinen Alkohols, welchem wahr-
scheinlich eine Hauptrolle bei der Entstehung der mit der
llerzliypertrophie liäufig verbundenen myodegenerativen
und nervösen Veränderungen zukonmit.
Vielleicht noch häufiger, als die Affectionen des Herz-
muskels sind die Nierenkrankheiten der Alkoholistcn und
zwar wiederum keineswegs nur der Wein- und Brannt-
weintrinker, sondern ganz vorzugsweise auch der starken
Biertrinker. Auch hierbei wirken wahrscheinlich ver-
schiedenartige Umstände in dem gleichen Sinne schädi-
gend ein. Neben der zu starken Wasserdurchtränkung
und Secretionsüberbürdung der Nierenepithelien ist wohl
die grösste Bedeutung der specifischen Alkoholeinwirkung
auf diese E])ithelicn selbst zuzuschreiben. Vom kliniscii-
toxicologischen Standpunkt ist die doppelte Form im Auf-
treten der Alkohol-Nephritis interessant. Am längsten be-
kannt und von den Aerzten allgemein anerkannt ist die
ganz aliniähiicli entstehende und langsam fortschreitende
Epitheldegeneration der Nieren, welche ihren grob-anato-
mischen Ausdruck schliesslich in der Entwickelung einer
sog. Nierenscln'um})fung (granulirte Niere) findet. Weniger
allgemein liekaunt ist die acute alkoholische Nephritis,
acut in dem Sinne, dass hierbei die Summation lang fort-
gesetzter chronischer Intoxicationswirkungen zu dem plötz-
lichen Ausbruch einer schweren Functionsstörung der
Nierenepithelien führt. Wie die alkoholische Neuritis, so
tritt demnach auch die alkoholische Nephritis zuweilen
als scheinbar primäre acute Krankheit auf, obwohl ihre
Entstehung von langem her vorbereitet ist und vielleicht
erst eine anderweitige äussere Veranlassung — eine Er-
kältung oder dergl. — den letzten Anstoss zu ihrem .auf-
treten giebt. Die acute alkoholische Nephritis ist im
Gegensatz zu vielen infectiösen und anderen toxischen
Nephritiden meist nicht hämorrhagischer Natur. Sie geht
oft mit starker Oedementwickelung einher, kann rasch
zum Tode fuhren oder in eine chronische Nephritis über-
gehen. Völlige Heilungen seheinen nur selten zu sein.
Zu den zahlreichen bisher bekannten hemmenden, die
normale Function der Organzellen schädigenden und her-
absetzenden Giftwirkungen des Alkohols gehören auch
gewisse Einflüsse auf den Ablauf der allgemeinen Stoff-
wechsel-Vorgänge. Bekanntlich ordnen wir diese letzteren
in drei grosse Hauptgruppen, je nach der chemischen
Natur der drei hauptsächlichsten Arten von Nahrungs-
stoffen, welche dem Organismus zu seiner Erhaltung zu-
geführt werden müssen. Wir unterscheiden und untersuchen
im einzelnen die chemischen Umsetzungen der Eiweiss-
körper, der Kohlehydrate und des Fettes. Dement-
sprechend giebt es auch drei hauptsächlichste Anomalien
des Stoffwechsels, je nachdem die Störung sich auf <lie
eine oder die andere der drei genannten Gruppen von
Nährstoffen bezieht. Die krankhafte Aenderung in dem
Umsatz der Eiweisssubstanzcn tritt uns unter den klinischen
Erscheinungen der echten Gicht (der abnormen Harn-
säurebildung, der Arthritis urica mit ihren zahlreichen
Nebenerscheinungen) entgegen, die krankhafte Störung in
der Verbrennung der Kohlehydrate Itezcichnen wir als
Diabetes mellitus (Zuckerharnrulir), während endlich die
Anomalien des Fettumsatzes als krankhafte Fettleibigkeit
und Fettsucht auftreten. Bei allen diesen genannten
Krankheitszuständen handelt es sich um eine Herabsetzung,
eine Hemmung und Unvollständigkeit der normaler Weise
nothwendigen chemischen Umsetzungen. Den (irund hier-
von müssen wir alter in letzter Hinsicht stets in einer
Verminderung der chemischen Energie, der chemischen
Leistungsfähigkeit gewisser bestimmter oder aller Organ-
zellen suchen. Es kommen hierbei wohl im wesentlichen
zwei Factoren in Betracht: einmal angeborene, d. h. mit
der von vornherein gegebenen Körperconstitution zusammen-
hängende Sciiwäehezustände der Zellen, wodurch diese
früher oder später nicht mehr im Stande sind, die ihnen
zukommenden chemischen Aufgaben in genügender Weise
auszuführen: sodann aber auch im Verlaufe des Lebens
erst entstandene, d. h. durch äussere Schädlichkeiten erst
herbeigeführte krankhafte Veränderungen der Zellen,
welche in gleicher Weise die normalen Zellfunctionen be-
einträchtigen. Zu der letztgenannten Gruppe von Schäd-
lichkeiten gehören vor allem die Einwirkungen ganz be-
stimmter chemischer Gifte. So ist z. B. das Auftreten
einer echten typischen Gicht in Folge chronischer Blei-
vergiftung eine allgemein bekannte Thatsache, so kennen
wir" zabireiehe Gifte (Phloridzin u. A.), die zu einem
künstlichen Diabetes füln-en, so lassen sich endlich meln--
tache Tliatsachen anfuhren, zu Gunsten einer Beeinflussung
des Fettumsatzes durch gewisse Gifte, wie z. B. Arsen,
Phosphor u. A.
Von der Gicht (dem Podagra, ,,Zipperlein") ist es ja
eine längst allgemein gewordene Anschauung, dass die-
selbe besonders häufig — wenn auch freilich keineswegs
innner — in Folge einer zu üppigen Lebensweise im
Verein mit andauerndem reichlichem Alkoholgenuss ent-
steht. Von der abnormen Fettleibigkeit ist es ebenso
allgemein bekannt, dass sie bei Trinkern, und zwar Bier-
trinkern ganz vorzugsweise entsteht. Nur liegen hier
natürlich die Veriiältnisse insofern anders, als man selbst-
verständlich in erster Linie nicht dem Alkohol als solchem,
sondern dem quantitativen Uebermaass der zugleich zu-
geführten Nährstoffe die Hauptrolle bei der Entstehung
der abnormen Fettleibigkeit zuschreiben wird. Bei ge-
nauerer Beobachtung und Ueberlegung lassen sich aber
auch hier in gewissen Fällen Momente nachweisen, welche
anscheinend deutlich auf eine ungenügende Fettverbren-
nung im Organismus hinweisen.
In Bezug auf die dritte der erwähnten Stoffwechsel-
Anomalien, den Diabetes mellitus ist auf das Bestehen einer
besonderen, mit Alkoholismus zusammenhängenden Form
hinzuweisen. Es sind solche Fälle, welche den Aerzten
unter der Bezeichnung ,, Diabetes der Fettleibigen'' längst
bekannt sind. Eine ganze Reihe interessanter klinischer
Complicationen des Diabetes, wie z. B. ausser der schon
erwähnten Fettleibigkeit und Polyneuritis, mit chronischer
Nephritis, mit echter (Jicht, mit Lebereirrhose u. A. werden
uns klarer und verständlicher, wenn wir auf die Möglich-
keit einer gemeinsamen coordinirtcn toxischen Entstehung
der genannten Zustände mehr achten, als es bisher meist
geschehen ist.
Nr. 46.
N.^tnrwisscnst'linf'lliclic Wochenschrift.
511
„Oligodynamische" Erscheinungen in lebenden Zellen.
Niicli ciiiri- ii.icliKelassüneii Arbeit von C:irl von Nili;i'li.
(Sclilu.-;«,)
Die durch uiiiiiiiiale Meiig'en x»n löslichen Htoffen ver-
ursachten oligodynamischen Erseheiniingcn sind folgende.
Besonders charaivteristiseli ist die Reaetion auf die
Sjjiralhändcr. Dieselben lösen sich vom Plasniaschiauch
los und ziehen sieli, ohne ihren Querschnitt /.n ändern,
ins Innere der Zellhöhlung zurück. Dabei bleiben iln'e
Zacken durch zarte Plasmafäden mit dem Plasinaseidanch
verbunden. Man sieht oft Bänder, die schon weit von
dem letztern sich entfernt haben und noch durch eine
grosse Menge feiner Fäden mit ihm zusanmienhängen.
Diese Fäden reissen nach und nacii entzwei. Das Ab-
hisen der Spiralbänder beginnt meistens in der mittleren
Zone, die den Zellkern umgiebt, und setzt sieh dann auf
die beiden Seitentheile der Zelle fort. Es kann aber auch
von einem der beiden Zelienenden, selten von beiden zu-
gleich, ausgehen, oder an der ganzen Oberfläehe gleich-
zeitig stattfinden. Indem sich die Spiralbänder von der
Wandung zuriickziclieii, rollen sie sich häutig mehr oder
weniger ab, so dass ihre Windungen sich vermindern; sie
können selbst an ihren Endtheilen oder ausnahmsweise
in ihrer ganzen Länge gerade werden. — Darauf verlieren
sie die Zacken und den Rückenstreifen; sie quellen etwas
auf, indem das rinnenförmige Band einen cylindrisehen
oder ovalen Querschnitt anninnnt. Der cylindrische Quer-
schnitt hat ungefähr einen der ursprünglichen Breite gleich
konnnenden Durchmesser; beim ovalen Querschnitt ist der
eine Durchmesser etwas grösser, der andere etwas kleiner,
als die ursprüngliche Breite. Sehr oft zeigen die Bänder
nun deutliche Querfalten, später können sie noch sehr
stark anschwellen. Zuletzt haben sich die Spiralbänder
in einen soliden Klumpen zusammengeballt, welcher den
sich abrundenden Kern umschliesst. Dieser Klumpen hat
eine rundliche oder ovale (Gestalt, indem er auf die Mitte
der Zelle beschränkt ist, oder eine mehr cylindrische Form,
indem er eine grössere oder kleinere Partie der Zellen-
länge einnimmt. Er liegt auf der einen Seite der Wan-
dung an. Die geschilderten Umwandlungen der Spiral-
bänder k(innen sämmtlich durch eine Verkürzung derselben
erklärt werden. Je nacli den Eichtungen, in denen die
werden die Bänder durch gegen-
mehr oder weniger abgerollt und die
ganze Masse parallel mit der Zellenachse mehr oder weniger
zusannnengezogen, wobei indess häufig das eine oder
andere Band mit seinem Ende an dem der Zellen hängen
bleibt. Neben diesen Verkürzungen sind Exijansionen in
anderen Richtungen thätig, wodurch sich der Querschnitt
der Bänder verändert. Die oligodynamischen Verände-
rungen der Spiralbänder stehen mit denjenigen, welche
auf ehemisch -giftige Einwirkung oder beim natürlichen
Absterben eintreten, in einem scharfen Gegensatz, insofern,
als
Plasniaschiauch
Verkürzung thätig ist
läufige Drehuni;'
)ei den letzteren eine Ablösung der Bänder von dem
nicht eintritt. Hier ist eine Verkürzung
in denselben zwar im Allgemeinen ebenfalls wirksam,
aber sie verursacht neben ihrer theilweisen Geradstreckung
(Abrollung) eine Ablösung des Plasmaschlauches von der
Zellmembran. Zuweilen findet auch partielle Verlängerung
der Bänder statt, welche ein Hin- und llcrbiegen der-
selben zur Folge hat, was bei der reinen oligodynamischen
Reaetion wohl nicht vorkommt. Dagegen sind die Ver-
änderungen des (^ucrsehnittes der Bänder der beiden Re-
actionen ziendich gleich. Das ungleiche Verhalten der
Spiralbänder hat zur Folge, dass das oligodynamische
Absterben der Spirogyren von dem natürlichen und dem
chemisch-giftigen sclmn durch das blosse Auge nnter-
seheidbar ist. Im crsteren Falle erscheinen die Fäden
weiss, weil der ganze Inhalt innerhalb des Plasma-
sehlauches sich in einen kleinen Klumpen zusannnenballt.
Im zweiten Falle bleiben die Fäden grün, weil der wand-
ständige Inhalt seinen Platz nicht verlässt, und verändern
nur langsam ihre Farbe in braun oder grau. Ebenso
charakteristisch für die oligodynamische Reaetion ist das
Verhalten der Zellen bezüglicli^ des Plasmaschlauches und
der Turgescenz. Wenn die Spiralbänder sich ablösen und
zusammenballen, so bleibt der Plasniaschiauch noch un-
verändert in seiner Lage an der Zellmembran. Die Ström-
chen der wandständigen Körnchen dauern fort und die
Zelle behält ihren Turgor. Erst siiäter stehen die Ström-
clien still; der Plasmaschlauch wird dunkel und zieht sich
etwas von der Membran zurück und die Zelle wird schlaff.
Diese Erscheinungen weichen gänzlich ab von denen, die
man beim natürlichen Absterben und bei der chemisch-
giftigen Reaetion beobachtet. Hier löst sich der Plasiua-
schlaueh von der Membran ab und die Zellen werden
schlaff, sobald Veränderungen an den Spielbändern sicht-
bar sind. Die Färbung durch Anilinrotli zeigt die beiden
Reaetionen deutlich an. Im unveränderten, lebenden Zu-
stande wird die Zellineinl)ran roth, der Inhalt bleibt farb-
los. Bei der ehemiseh-giftigen Erkrankung färbt sich der
Inhalt, die Membran nicht. Bei der oligodynamischen
Erkrankung wird die Membran roth gefärbt, während der
Plasmaschlauch mit den zu einem Klumpen contrahirten
Spiralbändern und dem übrigen Inhalt noch farblos bleibt.
Erst etwas später, wenn der Plasmasehlauch dunkel wird,
kehrt sich das Verhalten um, indem die Zellmembran sich
entfärbt und das J'lasma dagegen Farbstoff aufspeichert.
Die oligodynamische Reaetion besteht also in einer sjie-
citischeu Empfindsamkeit des grünen Plasmas. Die Spiral-
bänder, die aus diesem Plasma gebildet sind, führen
ausserordentliche Lageveränderungen aus, während das
übrige Plasma mich unberührt erscheint, indem der Plasnia-
schiauch, die Plasniaströinehen und das in der Zellfiüssig-
keit gelöste Plasma keine Veränderung ihrer Functionen
wahrnehmen lassen. Während die oligodynamischen Um-
wandlungen der Spiralbänder von den chemisch -giftigen
wesentlich abweichen, stinnnen sie ziemlich mit denjenigen
überein, welche schwache Elektricitäts- und Wärmewir-
kungen und der Einiluss anstossender Saprolegniafäden
hervorbringen. Vielleicht ist jedoch die Wärmewirkung
in dieser Parallele auszusehliessen. Da das für die Oligo-
dynamik charakteristische Zurückziehen der Spiralbänder
vom Plasmaschlauch bei den W'rsuehen mit allmählicher
Steigerung der Temperatur nicht immer eintritt, so wäre
es nicht unmöglich, dass es da, wo es durch Wärme ver-
ursacht scheint, durch minimale Mengen gelöster Stofie
bewirkt würde, welche bei gewöhnlicher Temperatur voll-
kommen unschädlich, bei höherer Temperatur tödtlieh sein
können. Wenn die oligodynamische Einwirkung in die
chemisch-giftige oder in die natürliche Erkrankung über-
geht, so sind die Erscheinungen von gemischtem Charakter.
Die Ablösung der Spiralliäiider von dem Plasmasclilaueh
erfolgt dann stellenweise und in geringem Maassc.
Fragen wir nach den ursächlichen Momenten, welche
auf die oligodynamische Reaetion Einfluss haben, so ist
einmal die physiologische Beschaffenheit der Spirogyren-
zellen von grösstcr Bedeutung. Nicht nur giebt es zwischen
den verschiedenen Species eine Abstufung in der Reaetious-
512
Natni'wisscnspliaf'tlicho Wochenschrift.
Nr. 4(;
fähif;keit für oligodynamische Einwirkung-, so dass selbst
bei gcwisseu Species (wie z. B. bei Spirogvra orthospira
und verwandten) die Spiralbänder sich nur wenig und
undeutlich vom Plasmaschlaueli zurückziehen, während
sich der Mantel, den sie in jeder Zelle darstellen, mehr
oder weniger verkürzt. — Auch die nämliche Species hat
vcine sehr ungleiche Emptindlichkeit je nach ihrem Vege-
tationszustande. So ist Spirogyra nitida am Morgen früli
viel empfindlicher als Abends. Am Schluss des Tages
befinden sich in den Zellen reichliche Assimilationsproducte,
wehdie beim Reginn des Tages grösstentheils aufgebraucht
sind. Von den uns bekannten Assimilationsproducten
(Stärke und Lecithin) vermag die Stärke wohl keinen
unmittelbaren Eintiu^s auf das Plasma auszuüben. Da-
gegen könnte man dies von dem Lecithin annehmen,
welches jedenfalls in feinster Vertheilung durch die Zelle
verbreitet und vielleicht in einzelnen Molccülen den Plasma-
micellen anhängt. Sollte allenfalls eine \vechselnde ^lengc
von Lecithin in dieser Art in das Plasma der Spiralbänder
eingelagert sein, so wäre die wechselnde Reactionsfähig
keit derselben in genügender Weise erklärt. Allein es ist
eben so wohl möglich, dass noch andere wirksame Assi-
milationsproducte entstehen oder dass das Plasma der
grünen Bänder seilest durch die Assimilationsthätigkeit
seine Constitution etwas verändert und befestigt. Der
Einfluss des Vegetationszustandes auf die Keactionsfähig-
keit zeigt sieh ferner darin, dass kurzgliedrige Fäden, in
denen die Windungen der Spiralbänder enge beisammen
liegen, viel resistenter sind als langgliedrige der gleichen
Species, in denen die Bänder weit gewunden sind. Wenn
man Spirogyra nitida aus dem Freien holt, so hat sie
häutig kurze Zellen und ist für Versuche wenig geeignet;
nach einer Zimmercultur \on 1 bis 2 Tagen sind ihre
Zellen länger und emptindlich geworden. Ebenso haben
Pflanzen, die in kälteren Räumen cultivirt werden, kürzere
und wenig sensible Zellen und erlangen die für oligo-
dynamische Versuche tauglichsten Eigenschaften erst nach
einem Aufenthalt in der wärmeren Zinmiertemperatur.
Die länger dauernde Einwirkung einer bestinnnten Tem-
peratur verleiht also den Siiirogyrenzellen bestimmte Eigen-
schaften, welche in einer veränderten Temperatur einige
Zeit anhalten und dann in die den neuen ^'erhältnissen
entsprechenden Eigenschaften übergehen. Die verschie-
denen Wärmegrade haben aber auch einen sofortigen Ein-
fluss auf die Zelle, indem mit der Erh(ihung derselben die
Emptindlichkeit für oligodynamische Einwirkung in sehr
bedeutendem Maasse zunimmt. Kurze Zellen mit engen
und lange Zellen mit weiten Windungen ziehen bei höherer
Temperatur ihre Spirall)änder nicht nur schneller, sondern
in absolutem Maasse auch weiter von dem Plasniaschlaueh
zurück; das Maxinuim wird bei 30° C. erreicht. — p]s ist
selbst häutig der Fall, dass in der nändichen schwach
oligodynamischen Flüssigkeit bei der niedrigeren Tem-
peratur die Spiral Itänder sich gar nicht vom Plasma-
schlauch lostrennen, während sie dies bei der höheren
Temperatur nach kürzerer oder längerer Zeit thun. Unter
den ursächlichen Momenten, welche die verschiedenen
Reactionen der Spirogyrenzellen bewirken, ist aber be-
sonders der Concentratiousgrad der Lösung von ent-
scheidender Bedeutung. Einmal ist unzweifelhaft, dass
die stärkere Conceutration einer Verbindung chemisch-
giftige, die schwächere dagegen oligodynamische Erkran-
kung verursacht. Liisungen von 1 Thcil Kupferchlorid
oder salpetersaurem Kupferoxyd in 1000 oder 10000 Theilen
Wasser haben die erstere, Lösungen von 1 Theil Salz in
1 Million, in 10, 100 und lOOÖ Millionen AVasser die
letztere zur Folge. 1 Theil salpetersaures Kali in weniger
als 100 Theilen Wasser bewirkt chemisch-giftige, in mehr
als 1000 AVasser oligodynamische Erkrankung. Verdünnt
man die Lösungen, welche deutliche oligodynamische Re-
actionen hervorrufen, stetig weiter, so langt man früher
oder später bei einem Punkte an, wo die charakteristische
Lostrennung der Spiralbänder vom Plasmaschlauch nicht
mehr eintritt. Die einzige Veränderung, die man nun-
mehr an den Zellen beobachtet, ist mehr oder wenige)-
starke Ausscheidung von unlöslichem Plasma aus der Zell-
tlüssigkeit, das sicli vorzugsweise an den Enden der Zellen
anhäuft. 1 Theil Chlorbarium oder salpetersaures Barvt
in 1000 bis lOOOO Theilen Wasser verursacht die erstere,
in 100 000 Theilen Wasser die letztere Rcaction. 1 Theil
salpetersaures Kupfer in 1 bis 10 Millionen Wasser be-
wirkt die erste, in 100 bis lOOO Millionen die zweite Rc-
action. Diese Veränderungen, welche durch eine noch
geringere schädliche Einwirkung als die, welche die
charakteristische oligodynamische Reaction bedingt, her-
vorgerufen werden, gleichen denen, die bei der natür-
lichen f^rkrankung, bei der schwächsten Schädigung durch
Wärme (31 bis 33° C.) oder durch Elektricität beobachtet
werden. Man hat sich denuiach die Fi-age zu stellen, ob
sie als die schwächste oligodynamische Reaction zu be-
trachten oder der natürlichen Erkrankung zuzuzählen
seien. Dadurch werden wir auf die andere Frage ge-
führt, welche Bewandtniss es denn eigentlich mit dem
natürlichen Absterben der Spirogyren habe. Der natür-
liche Tod tritt im Zimmer und in der freien Natur stets
an einzelneu PHanzen ein, und zwar sind es vorzüglich
die am tiefsten im Wasser befindlichen, welche absterben.
Da sie im Uebrigen den gleichen Einflüssen ausgesetzt zu
sein scheinen, wie alle andern, so könnte man ihre Er-
krankung auf den spärlicheren Genuss von Licht und
Sauerstoff zu setzen geneigt sein. Jedoch geschieht es
zuweilen, dass bei Zinuncrcultur die ganzen Rasen in
einem Glase, und im Freien alle in einem Tümpel oder
Graben befindlichen Pflanzen erkranken und absterben.
Mangel an Luft und Licht kann nicht Schuld daran sein,
weil meistens auch die an der Oberfläche befindlichen
Fäden zu Grunde gehen. Ebenso wenig kann man die
Ursache des Todes in einem Mangel an atmosphärischen
oder mineralischen Nährstoffen erkennen. Im Freien fehlen
die Nährstoffe sicherlich nicht, und im Zimmer sterben
die Pflanzen, auch wenn man dem Wasser, in dem sie
sich befinden, alle Ufithigen Nährstoffe künstlich zusetzt.
Es ist wahrscheinlich, dass Excretionsstoffe und Fänlniss-
stort'e, die sich im Wasser lösen, die Ursache des natür-
lichen Absterbens sind, und dass bei Zimmercultur der
Vorgang sich folgendermaassen gestaltet. Bringt man in
eine grössere Menge von oligodynamisch-nentralem Wasser
wenige Spirogyi-enfäden, so findet Waclisthum und Ver-
mehrung statt. Nach längerer oder kürzerer Zeit, wenn
die Zahl der Fäden hini-eichend zugenommen hat, sterben
einzelne derseli)en ab, und zwar vorzugsweise in der
unteren Partie der Rasen. Hier ist die Menge der ge-
histen Excretionsstoffe grösser als an der Oberfläche, wo
die flüchtigen durch Verdunstung in die Luft gehen und
die nicht flüchtigen durch den ausgeschiedenen Sauerstoff,
sowie durch den Sauerstoff der Luft reichlicher oxydirt
werden. Mit der Zunahme der Gesammtmasse vermehrt
sich auch die Zahl der abgestorbenen und in Fäulniss
übergehenden Fäden, und wenn die Menge der im Wasser
befindlichen Auswurfs- und Fäulnissstofte eine gewisse
Höhe erreicht hat, so sterben alle Pflanzen ab. Zur Er-
haltung der Spirogyren in der Cultur pflanzt man daher
am zweckmässigsten, wenn ihre Masse zugenommen hat,
die gesunden Pflanzen in kleineren Partien in frische
Gläser um. Die gegebene Erklärung- für das natürliche
Absterben scheint aber nicht für alle Fälle auszureichen,
denn in den Lebensverhältnissen von Spirogyra scheint
eine gewisse Periodicität zu herrschen, so dass die Pflanzen,
Nr. 4(;.
Natnrwlsseiischaftliche Wochenschrift.
.513
^enh die ^eiig'enferäfiou; ton der Spore aus gereelmet,
eine gewisse Höhe erreicht, gCifcn bcstinmite äussere Ein-
flüsse eine geringere WidersfahdstaiiJgkeJt besitzen. Da-
her mag es kommen, dass scheinliar unter g^leiehen Um-
ständen Pflanzen der gleichen Art, aber von verscliiedenem
Herkonmien, sicii ungieicli verhalten, und dass Pflanzeii
von der nändiehen Provenienz unter sclieinbar verschie-
denen Umständen einem gleichen Al)sterben unterliegen.
tJebrigens ist zu bemerken, dass auch die Temperatur
einen wesentlichen Factor bildet, indem in kälteren Perioden
die Pflanzen viel länger aushalten als in wärmeren. Wenn
der natürliche Tod dtlrch geringe Mengen von Auswurfs-
tinci Fäiilnissstöft'en Verursacht wird, so dürfen wir ver-
muthen, dass äitch ändere schädliche Verbindungen in
entsprechenden geringen Mengen das Gleiche bewirken,
und wir können kaum daran zweifeln, wenn, wie dies
wirklich der Fall ist, die Veränderungen im /^elleninhalte
die nämlichen sind. Wir sind also berechtigt, von manchen
lösliehen Stoffen zu sagen, dass sie in grösserer Menge
chemisch-giftiges, in geringerer oligodynamisches und in
noch geringerer Menge natürliches Alisterben bedingen.
Es gilt dies von den Kupfer-, Silber-, Quecksilber-, Blei-
vcrbindungcn u. a. m. Wenn man aber hieraus folgern
wollte, die oligodynamische Reaction sei nichts anderes
als eine geschwächte chemisch-giftige oder eine verstärkte
Wirkung des natürlichen Abstcrhens, so wäre dieser Schluss
voreilig. Es giebt zwei Thatsachen, welche dagegen
sprechen. Die eine Thatsaehe besteht in der gänzlichen
Verschiedenheit zwischen den Veränderungen des Zell-
iniialtes bei der oligodynamischen und den beiden andern
Reactionen. Letztere beide sind einander nahe verwandt.
Man kann den natürlichen Tod der .S|iirogyren als die
langsame Wirkung eines chemisch - giftigen Stoffes an-
sehen, da er im Wesentlichen die nändiehen Erscheinungen
dar))ietet, die bei einer chemischen Vergiftung eintreten.
Aber die oligodynamischen Veränderungen unterscheiden
sich von beiden nicht dem Grade, sondern der Natur
nach. Man kann die oligodynamische nicht als eine weiter
fortgeschrittene, natürliche Erkrankung betrachten, weil
die Erscheinungen der letzteren nicht etwa die Anfangs-
stadien der ersteren darstellen, sondern im Gegenthcil ihr
mangeln. Ebenso kann man die chemisch-giftige Erkran-
kung nicht eine gesteigerte oligodynamische nennen, weil
die Erscheinungen dieser bei jener nicht vorhanden sind.
Die andere Thatsaehe ist die, dass nicht alle Stotfe, wenn
ihre Lösungen stetig mehr verdünnt werden, oligodyna-
mische Erscheinungen verursachen. Es giebt Verbindungen,
die bei stärkerer Concentration chemisch -giftige Erkran-
kung, in schwächerer natürliches Alisterben hervorbringen;
so verhält sieh beispielsweise salpetrigsaures Ammoniak.
Ein Theil in 1000 oder 10 000 Wasser bewirkt chemische
Vergiftung; verdünnt man stärker, so treten die gleichen
Erscheinungen ein, aber viel langsamer. Bei millionfacher
und stärkeren Verdünnungen bleiben die Spirogyrenzelien
unverändert. Ablösen der Spiralbänder, welches eine
oligodynamische Reaction anzeigen würde, kommt bei
keiner Verdünnung vor. Man sieht hier deutlich, dass
die von den weitest gehenden Verdünnungen bewirkten
Veränderungen nichts anderes sind, als schwache Gift-
wirkungen. Von den Verbindungen, welche keine oligo-
dynamische Reaction zur Folge haben, bis zu denjenigen,
welche dieselbe am ausgezeichnetsten hervorbringen, giebt
es eine allmähliche Abstufung. Wenn es nun als sicher
betrachtet werden kann, dass die chemisch -giftige und
die oligodynamisclie Reaction verschiedener Natur sind,
so wirft sich sofort die Frage auf, wie es geschehe, dass
bei grösster und bei geringster Lösungsconcentration die
erste, bei mittlerer dagegen die zweite zu Stande kommt.
Denn man muss natürlich annehmen, dass die eine und
die ander»' Einwirkung: bei jeder Verdünnung nach Maass-
gabe der Sub^tanzmenge erfolge. Das merkwürdige Ver-
halten der Spiiogrrenzellen in den drei Verdünnungsstufen
erklärt sich dadurch, dass die concentrirtere Lösung ihre
chemisch -giftige Wirkung sehr rasch vollzieht und dass
daher für die oligodynamische keine Zeit übrig bleibt.
Bei schwächerer Concentration aber geht die chemisch-
giftige Erkrankung so langsam vor sich, dass die oligo-
dynamische Veränderung mehr oder weniger vollständig
sich abspielen kann. In der allergeringsten Verdünnung
vermag die oligodynamische Einwirkung keine sichtbaren
Erscheinungen mehr hervorzurufen, während die chemisch-
giftige den natürlichen Tod herbeiführt. Diese Erwägung
macht es begreiflich, dass schwerlösliche Stotfe keine
chemisch-giftige, sondern bloss oligodynamischeWirkungen,
oder auch nicht einmal diese, sondern bloss natürliches
Absterben zu vollbringen vermögen. Wir können dies-
bezüglich drei Kategorien von schwerlöslichen Stoften
unterscheiden.
1. Wenn eine Verbindung sich langsam, aber zuletzt
doch in erheblicher Menge löst, so sterben die Spirogyren,
welche man in die gesättigte Lösung bringt, durch
ehemisch -giftige Einwirkung ab, ohne dass es zu einer
oligodynamischen Reaction kommt. Bringt man dagegen
den festen Körper in Wasser mit Spiicigyren, so erkranken
diese oligodynamisch, weil anfänglich während einer hin-
reichend langen Dauer die Lösung sehr verdünnt ist.
Dies ist der Fall mit Silberoxydhydrat, welches sich in
3000 Theilen Wasser löst und in dieser Concentration
sofort chemisch-giftige Erkrankung bewirkt. Verdünnt man
die gesättigte Lösung auf ^^, ^q^qö^^ und j^^,^^,
so treten oligodynamische Verändernngen ein. Oligo-
dynamische Erscheinungen beobachtet man auch stets,
wenn man die Spirogyren mit noch so grossen Mengen
von Silberoxydhydrat oder von metallischem Silber in das
Wasser bringt. Weiter gehende Verdünnungen der Lösung
oder geringere Mengen der festen Körper vermögen selbst-
\erständlich keine oligodynamische Reaction, sondern nur
natürliches Absterben zu verursachen.
2. Verbindungen, die sich in viel geringerer Jlenge
lösen, als die unter 1 aufgeführten, bringen oligodyna-
mische Reaction hervor, man mag eine gesättigte wässerige
Lösung anwenden oder die feste Verbindung in noch so
grosser Menge dem Wasser beifügen, während eine
schwächere Einwirkung bloss den natürlichen Tod be-
wirkt. Zu dieser Kategorie geh<iren metallisches Kupfer,
Kupferoxyd, Knpferoxydhydrat, Quecksilber, Quecksilber-
oxyd, Chlorsilber, Nickeloxyd.
3. Körper, die noch weniger löslich sind als die-
jenigen der Kategorie 2, vermögen wenigstens bei ge-
wöhnlicher Temperatur keine oligodynamischen Erschei-
nungen, sondern nur die des natürlichen Absterbcns zu
verursachen. Dies ist der Fall mit \\'isnnit, Cadmium,
metallischem Arsen, Mangansuperoxyd.
Die Blatttbnneii fo.ssiler Pflanzen in Beziehnng
zn der vernmtlilichen Intensität der Niederscliläge. —
In seiner in der „Naturw. Wochenschr." VIII No. 2S
S. 284 eingehend besprochenen Al)handlung „Regenfall
und Blattgestalt" hat E. Stahl gezeigt, dass die Zer-
theilung der Blattspreite in mehr oder weniger V(m ein-
ander unabhängige Lamellen den \oitheil bcr\(irbringt,
dass, bei im Uebrigen gleicher Stiuctur und gleicher Ge-
sanmitoberflächc, die Spreiten schwächer gebaut sein
köimen, als wenn sie ganz sind. „Hieraus ergiebt sich
514
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4C.
— sagt Stahl — , dass die Herstelhnig einer gegen Regen
und Wind gleich resistenten, getheilten Spreite einen ge-
ringeren Materialaufwand erheisclit als die einer einfachen
ungetheilten." (Stahl S. 162.) VorStahl hat sich schonL.Kny
dem Sinne nach in gleicherweise geäussert. Er sagt nämlich
in seiner Arbeit „Üeber die Anpassung der Laubblätter an
die mechanischen Wirkungen des Regens und Hagels." (Ber.
d. Deutsch, bot. GeselLsch. Bd. III, 1885, S. 211): „Als . . .
Schutzmittel gegen die mechanischen Wirkungen des
Regens luid Hagels betrachten wir die .,Zertheilung
der Blattspreite" u. s. w., und ferner: „Ebenso, wie
zertheilte, werden schmale und sehr biegsame Blatt-
spreiten . . . befähigt sein, den mechanischen Wir-
kungen der atmosphärischen Niederschläge auszuweichen."
Denn es leuchtet ohne Weiteres ein, „dass, wenn die
Spreite tief gebuchtet oder in eine grössere Zahl kleiner,
selbstständig gestielter Abschnitte zerlegt ist, die Beweg-
lichkeit der einzelnen Theile sehr erhöht wird und letztere
dem Anprall eines sie treflenden Stosses leichter durch
Biegung ausweichen können, als dies bei einer grösseren,
ungetheilten Spreite möglich ist." Experimente beweisen
das Gesagte und die Natur zeigt die Richtigkeit der
Anschauung überall, sobald man erst einmal auf die
Sache aufmerksam gemacht worden ist. So treten nach
Stahl (S. 163) z. B. grob-gefiederte oder völlig ganz-
randige Blätter den fein-zerschlitzten gegenüber bei den
erdbewohnenden Farnen der feuchten Tropenregionen
ganz bedeutend zurück. „Dieser Umstand spricht dafür,
dass wir in der Spreitentheilung nicht bloss eine An-
passung' au den Wind zu sehen haben, denn gerade die
farnreichen Schluchten der Wälder der tropischen Ge-
birge gehören zu den allerwindstillsten Standorten."
Namentlich lehrreich muss es natürlich sein, verwandte
Arten mit einander zu vergleichen, und diesbezüglich habe
ich in dem genannten Referat der Stahrscheu Arbeit in
der „Naturw. Wochenschr." den von diesem (S. 166) er-
wähnten Fall bei den europäischen Arten der Pappeln
erwähnt. Sehen wir uns also — um es hier zu wieder-
holen — die europäischen Arten der Pappeln an, so be-
merken wir, dass bei Populus alba, der Silberpappel, die
grössten Blätter, die an jüngeren und üppigen Trieben
oft bis 15 cm lang und 12 cm breit werden, die Ein-
schnitte des Blattraudes am tiefsten sind, die Spreite nicht
selten drei- bis fünflappig ist, während dieselbe bei Po-
pulus tremula, der Zitterpappel, und Populus nigra, der
Schwarzpappel, deren Blätter immer nur geringe Grösse
erreichen, niemals so weit getheilt, höchstens nut Rand-
kerben oder Zähnen versehen ist.
Ich möchte nun, was ich in aller Kürze bereits in
meinem Bericht „Neues aus der Botanik II" in der Phar-
maceutischen Zeitung — Berlin, S. 623 gethan habe —
hier nachdrücklicher darauf aufmerksam machen, dass
das Auftreten grossflächiger, ungetheilter Blatt-
spreiteu im Ganzen erst eine Errungenschaft im
Verlaufe der Entwickelung der Pflanzenwelt
darstellt. Je tiefer wir in den geologischen For-
mationen in die Vorzeit hinabsteigen, um so
schmaler resp. zertheilter und kleinfiedcriger
sind im Allgemeinen die uns überkommenen
Blattreste, eine Thatsache, die im Lichte der
Kny - Stahl'schen Untersuchungen betrachtet,
mit der Anschauung in Einklang steht, dass die
Regengüsse der früheren Erdperioden im Grossen
und Ganzen stärker gewesen sind als heute.
Sieht man z. B. — sage ich in meiner Flora des
Eothliegenden von Thüringen (Herausg. v. d. Kgl. Preuss.
geolog.'Landesaustalt. Berlin 1893, S. 236—237) — die
Vorfahren der Ginkgo l)iloba durch, zunächst des Tertiärs,
dann der Kreide-, der Juraperiode, der Trias, des Perm
und endlich des obersten Carbons — etwa an der Hand
von 0. Heer's Abhandlung „Zur Geschichte der Ginkgo-
artigen Bäume" (S. 1 — 13 in den botanischen Jahrbüchern
für Systematik, Pflanzengeschichte und Pflanzengeographie,
Herausgegeben von H. Engler. I. Bd. Leipzig 1881.) — ,
so wird man unschwer bemerken, dass im Grossen und
Ganzen die Blattlappen der als Vorfahren von Ginkgo
angesehenen Arten von den jüngeren Formationen be-
ginnend und zu den älteren herabsteigend immer schmaler
und linealer werden bis zu der zu den ältesten Salis-
burieen-Arten gehörig angeseheneu Art Trichopytys hetcro-
morpha Saporta aus dem Perm von Lodcve mit fast
linienförmigen Blatttheilen, oder also umgekehrt, dass die
Blätter im Grossen und Ganzen vom Palaeozoicum an-
fangend bis heute immer mehr an spreitiger Substanz zu-
nehmen, die einzelnen Lappen gehen aus der linealen
Gestalt immer deutlicher in die Keilform über, bis sie bei
Gingko breitkeilförmig geworden sind. Die Blattlappen
der Baicra digitata sind verhältnissmässig schmal-lineal.
Die Laubblätter von Baiera Münsteriana aus dem Rhät
sind spreitiger und daher viel leichter als zum Typus der
Laubl)läfter von Ginkgo biloba gehörig zu erkennen, nur
sind die Blattlappen immer noch schmaler und lineal, die
Nervatur ist die gleiche.*)
Auch an den fossilen Farn (Filices) lässt sich das
Gesagte mit Leichtigkeit constatiren, sogar schon inner-
halb der palaeozoischen Formationen, die ja eine beson-
ders reichliche Entwickelung dieser Gruppe aufweisen.
]Man braucht nur einige umfangreichere Alibildungswerke
durchzusehen, um sich von dem Gesagten zu überzeugen.
Durchblättern wir z. B. die Abbildungen zu D. Stur's
Culm-Flora von 1875, so wird uns dies verhältnissmässig
zahlreiche Vorkommen eines Farntypus mit schmal-linealen
bis fadenförmigen Fiederchen letzter Ordnung auffallen
(Typus Rhodea). In dem der Zeit nach folgenden geo-
logischen Horizont, dem der Ostrauer- resp. AValdenburger-
Schichten finden sich zwar ebenfalls noch Farn mit sehr
schmal-linealen F. 1. 0., aber nicht so zahlreich wie im
Culm, und es überwiegen die Formen mit kleinen, sich
der Kreisform nähernden F. 1. 0. (Typus Sphenopteris
i. e. S. = Eusphenopteris), wie die Stur'sehen Abbildungen
seiner Flora der Ostrauer- und Waldenburger-Schichteu
von 1877 zeigen. Durchblättern wir nun des genannten
Autors Werk „Die Farne der Carbonflora der Schatzlarer
Schichten" von 1885, so bemerken wir Formen, die man
zum Typus Rhodea stellen könnte, nur noch ganz unter-
geordnet. An seine Stelle tritt ein Typus, den ich durch
den ..Gattungs"-Namen Palmafopteris von der Sammel-
gaftung Sphenopteris i diese Gattung also im weitesten
Sinne) abgegliedert habe, der sich zwar noch durch
schmale, aber doch palmat zusammentretende F. 1. 0. cha-
rakterisirt. Es überwiegen bei weitem die Farn des
Typus Eusphenopteris, und es kommt der Typus Ma-
riopteris, der die Schatzlarer Schichten besonders aus-
zeichnet, hinzu mit grösseren, im Ganzen länglich-di-ei-
eckigen Fiederchen 1. 0. Auch der Typus Pecopteris
mit am Grunde breit-ansitzenden Fiederchen 1. 0. tritt
nunmehr bemerkenswerther auf, ein Typus, der ja in dem
demnächst höheren Horizont häufiger und darüber, im
Rothliegenden, sogar herrschend wird. Dass ein pecopte-
ridisches Fiederchen weniger leicht und schnell einem
durch schwere Regentropfen bewirkten Sfoss ausweicht
als ein Fiederchen von dem eusphenopferidisehen Typus,
das nur durch einen ganz schmalen Theil, oft nur durch
ein Stielchen ansitzt, ist ohne Weiteres einleuchtend.
*) Auf die obif^a", iu meiner Rothliegeiideii Flora von Thü-
ringen veröttVntliclite Thatsache habe ich sclion in der März-
Sitzung 1892 des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg
aufmerksam gemacht.
Nr. -U]
Naturwisseuschaftliche Wochenschrift.
.515
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass
die bannifcirmigen Pteridophjten des l'ahieozoieums wie
die Lepidodendreen, Si^illarieen, Calamariaceen alle
nur schmale, oft lineale Blätter besitzen. Nur die Cor-
daitacecn haben zwar breitere, bandförmige Blätter, die
aber immer nocii, mit den Blättern der rccenten Bäume
verg-lichen, schmal namentlich im Verhältniss zu ihrer Läng'e
sind. Ist das alles ein „Zufall''? Die Blätter der Baum-
kronen sind der Wucht der Regentropfen besonders aus-
gesetzt, und es ist gewiss erlaul)t. ja einzig möglich, die
Eigenthiindichkeiten der fossilen Pflanzen nach den Er-
kenntnissen, die uns das Studium der recenten verschafft,
zu beurtheilen. H. Potonie.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden einaiint: Dr. T. Rliyiiier Mar^-liall zum Ijehrer
für Cliemio am St. Muiigos College in Glasgow. — Dr. Ludwig
Wober, Docent der Physik au der Technii^chen Hoelischule in
Miiuclien, zum Regierungsrath am Königl. Patentamt in Berlin. —
Der Docont für Frauenheilkunde an der Univei'sitilt Moskau
Dr. (iubarew zum Professor an der Universität Dorpat. — Unser
Mitarbeiter der Geheime Regierungsrath Prof. Dr. Foerster zum
Geheimen Ober-Regierungsrath. — Dr. Wang zum ausserordent-
lichen Professor an der Hochschule für Bodencultur in Wien. —
Oberbergrath von Amnion in Dortmund zum ililfjarbeiter im
Ministerium für öffentliche Arbeiten in Berlin.
Professor Dr. Dskar Fraentzel tritt von seiner Stellung
als leitender Arzt der Nebenabtheilung der Charite in Berlin und
Lehrer an der Universität zurück. — Der Professor der Mineralogie
an iler Universität Zürich Dr. A. Kenngott tritt von seiner
Lehrtliätigkeit zurück. — Der Professor für Frauenheilkunde an
der Universität Bonn Dr. Gustav Veit ist in den Adelstand
erhoben worden.
Es haben sich habilitirt: Unser Mitarbeiter der Bergingenieur
Dr. F. M. iStajiff für dynamische Geologie an der Technischen
Hochschule in Ciiarlottenburg bei Berlin. — Dr. Ivonrad
Ivretschmer für Erdkunde an der ITniversität Berlin.
Es sind gestorben: Der Geologe J. W. Davies in Halifax. —
Der Geologe G. VV. Shrubsole in Chester — Der Chemiker
W. H. Mellville. — Der Professor der Geologie Juan Vila-
iiova y Piera in Madrid. — Der durch seine wissenschaftlichen
Forschungen bekannte Geheime Sanitätsrath Dr. Moritz Meyer
in Berlin. — Der durch die bildliche Ausstattung von Brehm's
Thiorleben bek.annte Thierzeichner Gustav Mützel in Berlin.
Der frühere Professor der Medicin an der Universität Marburg
Dr. Ernst Frerichs in Wiesbaden. — Der auch als Schrift-
steller vielfach thätig gewesene Arzt Dr. Julius Berg in Berlin.
— Der Professor der Ingenieurwissenschaften Franz Grashof
an der Technischen Hochschule in Karlsruhe.
Gruppe „Unterricht und Erziehung" der Berliner Gewerbe-
Ausstellung 1896. — Die Leser werden durch die Tagesblätter
von dem Plan, 18'.i6 eine Berliner Gewerbe- Ausstellung zu ver-
anstalten, bereits gehört haben; uns interessirt besonders die
Gruppe XIX ..Erziehung und Unterricht", deren etwa 70 Vor-
stands-Mitglieder am 31. Getober zusammengetreten sind.
In der Begrüssungsrede wurde von dem provisorischen Vor-
sitzenden, Geh. Commerzienrath L. M. Goldberger, auf die
culturelleii Aufgaben hingewiesen, denen gerade diese Gruppe
gerecht zu werden habe, der es vor allen anderen obliege, den
engen Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen den
praktischen und idealen Aufgaben der Ausstellung vor Augen
zu führen.
Alsdann erstattete Commerzienrath K ü h n e m a n n Berieht über
den gegenwärtigen Stand des Gesammtunternehmens und Professor
Schwalbe über die Ziele der Gruppe.
Es erfolgte hierauf die Wahl des engeren Gruppenvor-
standes: Den Vorsitz führen: Geheimrath Goldberger und Pro-
fessor Dr. B. Seh walbe, Director des Dorotheenstädtisclien Real-
■Gymnasiums.
Als Schriftführer fungiren Professor Dr. Fr. Bach mann und
Professor Dr. A. Trendel en bürg.
Dem Gru]ipenvorstand gehören — wie gesagt — über 70 Mit-
glieder an. Zur Feststellung drs endgültigen Grnppenprogranims
und der weiteren Organisation wurde eine Arbeits -Commission
mit dem Rechte der Cooptation gewählt, welcher zunächst die
Nachgenannten angehören:
1. Für die Abtheilung: Einrichtung von Schulen; Schul-
Hygiene die Herren Real-Gymuasial-Director Dr. Tb. Bach, der
Director des Kaiser und Kaiserin Friedrich Krankenhauses Prof.
B a g i n s k y . Oberlehrer Prof. G. E c k 1 e r , Schulrath Prof. C. E u 1 e r
und Frau Schepeler-Lette.
■2. Für die Abtheilung: Lehr- und Unterrichtsmittel jeder Art:
physikalische und chemische Apparate, Ausstattung von Lidir-
zinunern, Globen, Athmten, Karten, Bilder, Modelle, Naturalien-
sammlungen, Bücher, Hefte u. s. w. die Herren Geh. Reg.-Rath
Bertram, Prof. R. ßoernstein, Stadtschulrath Fürstenau,
Lehrer H. Gallee, Vorsitzender des Berliner Lehrervereins,
Geheimer Regierungs- und Proviuzial - Schulrath Gruhl. Ciym-
nasial - Oberlehrer G. Heyne, Prof. L. Kny, Gvmnasial-Director
Dr. Kubier, Geh. Reg.-Rath Kundt, Geh. Reg.-Rath H. Lan-
dolt. Geh Reg.-Rath K. Mob ins, Prof. K. Müllenhoff,
Dr.H.Paetel, Dr. H. Potonie, Geh. Reff.-Rath N. Pringsb eim ,
Geh. Reg.-Rath F. Eilhardt Schnitze, Prof. K. Schumann,
Director Prof. Waetzoldt und Prof O. Warschauer.
3. Für die Abtheilung: Zeichenunterricht. Handfertigkeits-
arbeiten die Herren F. Groppler, Lehrer der 2. Berliner
Schüler-Werkstatt, Zeichenlehrer und Landschaftsmaler M. Linde-
mann-Frommel und Dr. Max Weiss, Vorsitzender der „Steno-
graphischen Gesellschaft Gabelsberg". •
4. Für die Abtheilung: Kunstgewerliliche und Fortbildungs-
schulen die Herren O. Jessen, Director der 1. Ilandwi'rker-
Schule, P. Szymanski. Subdirector der 1. Handwerker-Schule
und Frau Clara Hessling, Lehrerin.
Ein Congress für Mathematik, Astronomie und Astro-
physik hat auf der Chicagoer Weltausstellung vom "iL — 26. August
getagt.. Eine grosse Reihe, zum Theil wissenschaftlich hoch-
bedeutsamer, zum Theil aber auch populärer Vorträge über die
verschiedensten auf der Tagesordnung der Gegenwart stehenden
Fragen wur.den bei dieser Gelegenheit in einem edlen Wettstreit
w'ohl sämmtlicher Culturnationen gehalten. In astronomischer
Hinsicht spielten natürlich die neuesten Fortsehritte der Hinmiels-
photographie und Spectralanalvse die Hauptrolle. Besonders werth-
voUe Mittheilungen über diese Gegenstände wurden von Pickering,
Haie, Keeler, Langley und Max Wolf gemacht. Wer nähere In-
formation über diesen internationalen Gedankenaustausch zu er-
halten wünscht, findet in der vortrefflichen amerikanischeil.
Zeitschrift „Astronomy and Astrophysiks" (Wm. Wesley and
Son, 28 E.ssex St, Strand, London) die überwiegende Zahl der
Vorträge abgedruckt.
Die Forschungsreise, welche der Geologe Thoroddsen im
verflossenen Sommer in gewisse nocli w^'nig bekannte Gegenden
Islands unternommen hat, ist eine sehr erfolgreiche gewesen. Er
hat speciell die Gebiete um die (.Quellen der Flüsse Skaptä und
Hverfisfljot in geologischer und geographischer Hinsicht studirt
und hat namentlich in ersterer Beziehung hochinteressante That-
sachen zu Tage gefördert, auf die wir später, w'enn der Gelehrte
seine Ergebnisse erst bekannt gegeben haben wird, eingehend
zurückkommen werden. Soviel sei hier schon erwähnt, dass vul-
canische Erscheinungen von ungeahnter Gewaltigkeit beobachtet
worden sind, welche die Island bewegenden plutonischen Kräfte
noch ungeheurer erscheinen lassen, als man sie bisher bei-eits
kannte.
Die Reise des russischen Forschers Potanin zur Explorirung
des noch immer sehr wenig bi'kannten Tibet hat in Folge des
Todes seiner Frau, welche ihn begleitete, ein unrrwartet frülu-s
Ende gefunden.
Briefkasten.
Herrn V. Schleiflf in Bergen a. Rügen. — Sie werden dem-
nächst über den von Ihnen erörterten Gegenstand in der „Naturw.
Wochenschr." in dem Referat zweier Bücher von Dr. Ernst Krause,
die die von Ihnen aufgeworfene Frage eingehend behandeln,
mehrerlei finden.
Inhalt: S. A. Poppe: Ueber das Vorkommen von Mus aloxandrinus Gooft'r. in ^ egesack. — 6i. Versammlung der Gesellschaft
deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg. II. — Carl von Nägel i: „Oligodynamische" Erscheinungen in lebenden
Zielen. (Schluss.) — Die Blattformeii fossiler Pflanzen in Beziehung zu der vorniuthliehen Intensität der Niederschläge. —
Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Briefkasten.
516
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 46.
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Inv
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlaf;sbiiehhandlung, Ber
alidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo B.^rnstein in Berlin,
lia SW. 12. — Drnck: tt. Bernstein, Berlin SVV. 12.
vi^^ Redaktion: ' Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
Vin. Band.
Sonnttig. den 11)
November 1893.
Nr. 47.
Abonnement: Man ahonnirt bei allen Buchhanrilunppn und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M 4,—
Bringegeld bei der Post li ^ extra.
r Inserate: Die viergesi)altene Petitzeile 4(1 -Ä. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
.4b4lriick ist nnr mit vollständig^er 4{aellenniis;al>c «gestattet.
Der Begriff der Bllithe.
Von H. Potonie.
DcrTennimis „Blütlie" lässt .sich iiacli un.scrcii beutig-en
Kenntnissen niciit mehr auf die „Phanerogamen" (Eni-
l)r}'oi)hyta sipbonog'ama) allein bescliriinken, sondern
man mnss ihn — wenn man nicht geradezu Termini
scbroft' in einer bestimmten IJegritisliestimmung auch
dann iieibehalten will, wenn sieb herausstellt, dass
die Detinitionen derselben unzweckmiissige waren, also
wenn man nicht den Hanptnacbdruck auf die Worte,
sondern auf die Tbatsacben legt — auch auf die Sporen
tragenden Sprosse und Spross- Enden derjenigen Pteri-
do))hyten anwenden, bei denen die Hauptfnnction dieser
Sprosse und Spross-Knden im Gegensatz zu den Sprossen
mit ansschliesslicb assimilirenden Blättern in der Er-
zeugung von Sporen besteht. P^s kommen durch eine
solche zweckmässige Uebertragung des Wortes „Rliitbe"
die ganz falschen Bezeichnungen für die in Rede stehen-
den Sprosse der Pteridophyten, mit denen man sieb be-
holfen bat, wie vor allem ihre Bezeichnung als „Fructi-
fieationen" in Wegfall, da doch die vSporangien oder
Sporangienkapscln mit einer Frucht (fructus), welche am
zweckmässigsten detinirt wird als „die Fruchtblätter einer
Bliithe mit den reifen Samen und etwaigen anderen Theilen
der Blüthc und iiire Umgebung, die sich gelegentbcb (in
bestimmten Fällen) nach dem Verblühen während der
Samenreife besonders ausbildet", also kurz als das Organ
oder bei Früchtchenbildung als die Organe zusammenge-
nommen, welche aus einer Blütlie und eventuell ihrer Um-
gebung nach ihrer Befruchtung hervorgehen.*) Samen
kommen aber bei den ganzen Pteridophyten nicht vor und
auch nicht eine Befruchtung auf der Mutterpflanze, und so
kann man auch bei ihnen nicht von Fructificationen reden,
wenn man nicht etwas Falsches sagen will. Einen doppelten
Fehler enthält die Bezeichnung- der in Rede stehenden
*) Vergl. meine ,. Elemente der Botanik", 2. Ansgabo, Berlin
188;), S. 24, resp. meine „Tllusfrirte Flora", ,4. Auflage, Berlin
1889, S. 22.
Organe der Zoidiogamen als „Frucbtähren", da die Blütben
dieser Abtbeilung einfache, selten verzweigte, wie z. B.
gegabelte Sprosse bei tropischen Lycopodium - Arten
vorstellen, also Achsen, denen nur Blätter, Sporophylle,
ansitzen, bei den fossilen (palaeozoischen) Calamariaceen
zuweilen diese untermischt mit sterilen Blättern, die aber
mit sterilen Blüthenblättern zu vergleichen sind (nicht mit
Laubblättern). Mit „Aehren", also Hauptachsen, denen
seitlich ungestielte Blütben ansitzen*), haben somit die
.,Fruchtähren" der Pteridophyten bei dem total verschie-
denen Aufbau gar nichts zu thun. — Diese Beispiele
mögen genügen, denn auch die anderen Bezeichnungen
für die Blütben dcrZoidiogamen, wie ,,Sporen-Aehre'"u.s. w.,
sind ebenfalls ohne weiteres als falsch und schlecht ge-
bildet zu erkennen.
So schön es wäre, wenn auch die Genus- und Species-
Namen stets sachgemäss gebildet wären, so zeigt doch
die Praxis sehr bald die Unzweckmässigkeit, in dieser
lieziehung Aenderungen vorzunehmen. Die erfahrensten
Systematiker sind sich darüber einig, dass hier nur eine
stricte Befolgung des Prioritätsprincipes, wie dasselbe
z. B. in Alph. de CandoUe's „Lois de la nomenclatur
botanique" (adoptees par le congres international de bo-
tanique tenu ä Paris en aout 18ti7) dargelegt wird. Man
niuss überhaupt in der Wissenschaft ebensowohl wie in
der Praxis Termini im engeren Sinne und Namen unter-
scheiden, denn ebenso wie es unzweckmässig ist, jemanden,
der „Karl" lieisst, umzubenennen, weil er ganz und gar
nichts mit einem „Kerl" in des heutigen Sinnes Bedeutung
zu thun hat, so muss man sich sehr vorsehen, wissen-
schaftliche Namen zu ändern. .Jedenfalls sollte man, um
heillose Verwirrungen zu vermeiden, im allgemeinen nur
Congressen nothwendig erscheinende Namensänderungen,
beziehungsweise Reformen der einmal gegebenen und all-
*) 1. c. Elemente S. I^S, resp. Flora S. 24.
518
Nalnrwissensclinftliclic Woclicnscln-iCt.
Nr. 41
gemein zur Aiiwenduug gebrachten Nomenclatur-Gesetze
überlassen. Wenn jeder Einzelne diesbczüglicb nach seinen
Special- Ansichten verfahren wollte, würde die Nonienclatur
noch coniplicirter und unentwirrbarer werden, als sie in
vielen Fällen leider schon so ist. Eine Ansnahnie wird
man mit den Bezeichnungen für die grösseren Gruppen
des organischen Reiches machen können, denn hier handelt
es sich nm weniger zahlreiche Aendeiungen, und die Namen
dieser Gruppen sind ja von vorn herein auf Eigenthiini-
liehkeiten gemünzt. Konniien wir zu der Einsicht, dass
die Deutungen und Ansichten, welche diese ursprüni;lichen
Namen veranlasst haben, durch Fortschritte in der Wissen-
schaft unzeitgemäss gewor-
den sind, so liegt es m
der Natur der Sache, die
falschen Namen zu ändern.
Bezttglich der Termini
von Organen oder Organ-
theilen stehe ich nun aber
ganz auf dem .Standpunkt,
dass eine Veränderung der-
selben unbedingt zu ver-
langen ist, sobald sieh de-
finitiv in denselben falsche
Ansichten wiederspiegcln.*)
Namentlich für den
Lernenden, für den An-
fänger, ist eine sachgemässe
Terminologie unschätzbar;
aber nicht minder für die
Wissenschaft. Es ist frei-
lich iniGrunde gleichgiltig —
sage ich in der schon citir-
ten Schrift**), — wie man
eine Sache nennt, vorausge-
setzt, dass man sich ver-
steht. Wer wollte aber leug-
nen, dass eine gute, zweck-
mässige Terminologie ein
äusserst werthvoller Apparat
für die Forschung ist? Ja,
füge ich hinzu, eine gute
Terminologie hilft die AVis-
senschaft förderu wie ein
heisstletzteres anderes als seinen Mitmenschen Zeit sparen, —
niemals bei Seile lassen."
Ich habe mich denn auch in meinen genannten Büchern
beniiilit, auf eine möglichst zweckentsprechende Definition
der Termini zu achten, und in der in Vorbereitung l)e-
gritTenen Neu -Auflage meiner Elemente werde ich dcm-
gemäss auch die durchaus zeitgemässe üebertragung des
Wortes „Blüthe" auf die „fructificirenden" Spross- Enden
und Sprosse der Pteridophyten ausführen.
Schon A. Engler, Director des Kgl. botanischen Gar-
tens und Museums zu Berlin, dem wir — wie schon früher
in der „Naturw. Wochenschr." Bd. VTII, S. 32 ff. mitge-
theilt — die Bezeichnungen
Embryophyta zoidiogama
für die höheren Kryptoga-
Mikrrtsporcn =
- Mikrosnoraiifrie =
S]>o]o]jhyn —
Pullen
Pnllon.sack--
St:iiil)ljlatt-
Phaneroga-
sagt bezü.i;--
■ Makrosporen
SporanKiiini
^- Sporopliyll
Embrvnsack ■
NueelUiy
= Frnehtblalt
r---
... Mikrospore
= Poilenkorn
m-
--• Protlialiitnn
— ProtlialUnm
i
-.- Sporniatozoiden
= Polleiischlauch
-- Arcliegonien
= Arehe*?OTiien
"C'^V.
-■ ProtlKiIliiim
= Endosperm
■^■
-- Makrosp(n-e
= Einbryn.sack
Makrosjioranghnn = Niu'ellns
Bei Selaginella Tehlenii, aber bei ]
anderen Pteridojjhyteu vorhan-
den: Indusium = Integument J
guter, den an die Natur ge-
stellten Fragen entsprechen-
der physikalischer Apparat.
Und ist der so unendlich
werthvolle Apparat der ma-
thematischen, so trefflich
zweckentsprechenden Zei-
chen etwa etwas anderes
als eine im höchsten Grade
sachgemässe terminologische Zeichensprache? Ich wieder-
hole auch hier noch einmal, was ich schon in dieser
Wochenschrift VIII, S. 32, gesagt habe: „Die Rück-
sichtnahme auf eine schnelle __und leichte Auffassung
wissenschattlicher Dinge sollte der Gelehrte, dem es
wahrhaft darum zu thun ist, seiner Wissenschaft Jünger
zu gewinnen und leicht verstanden zu werden — und was
*) Vergl. z.B. „Niiturw Woclicnsclir." Bd. III, S. lü.;'., wo ich
dio Notliwendigkeit, die Termini „traeheales Sy-stem" der PHaiizrii
Hiid „Triiche'iden" (von dem Bau derjenigen bei den Gymnospermen)
umzubenennen klarlege und für die sachentsprechenden Termini
„Hydrom"' und „Hydro -Stereide", wie schon in einer früheren
Arbeit , Zusammensetzung der Leitbündel bei den Gefässkryptn-
gamen" (Jalirb. des Kgl. botan. Gartens und botan. Museums zu
Berlin, II, Berlin 1883, S. 10 ff.) nochmals eine Lanze breche.
**) Zusammensetzung der Leitbündel, S. 11.
men (Bryophyta incl. Ptcri
dophyta) und E. siphono-
gama für die
men verdanken
lieh der Anwendung des
Wortes „Blüthe" in seinem
„Syllabus der Vorlesungen
über spec. und med. -pharm.
Botanik" (Grosse Ausgabe,
Berlin 1892), S. 54, bei der
Charakterisirung der Pteri-
dophyten: „Die Sporangien
tragenden Blätter bilden
bisweilen eine gesonderte
Sprossformation, die schon
als Blüthe bezeichnet wer-
den kann", und er wieder-
holt diese Worte in den „Na-
türlichen Pflanzenfamilien"
(Lief. 91/92, I. Theil, 3. Abt.,
Leipzig 1893, S. 2).
Franz Buclienau deünirt
in einer kürzlich erschiene-
nen Arbeit über Einheitlich-
keit der botanischen Kuiist-
ausdrücke und Abkürzungen
(Extra- Beilage zum 13. Bd.
der Abth. des naturw. Ver-
eins zu Bremen, 1893, S. 7)
wie folgt: „Unter Blüthe
versteht die Wissenschaft be-
kanntlich einen Spross oder
ein Spross -Ende, welches
Geschlechtsblätter trägt. "
Sind etwa die Sporophylle
der Pteridophyten etwas an-
deres als Geschlechtsblätter
im Sinne der Embryophyta
siphonogama? Der einzige Unterschied besteht darin,
dass die Sporen der Pteridophyten sich vor der Be-
fruchtung aus dem Sporangium lösen, frei werden,
während die Spore (der Embryosack) der Siphonogamen in
dem Sporangium (dem Nucelius) verbleibt, und somit die
Befruchtung auf der Mutterpflanze erfolgt.
Um diese Verhältnisse und überhaupt die Homologieen
der Pteridophyten- und Siphonogamen (Phanerogamen-)
Blüthe zu veranschaulichen und auf möglichst kurzem
Wege verständlich zu machen, pflege ich in meiner Vor-
lesung über Pflanzeupalaeontologie an der Kgl. Berg-
akademie das hier in der Figur wiedergegebene Schema
an die Tafel zu zeichnen, und da ich mich überzeugt
habe, dass dasselbe gute Dienste leistet, werde ich das-
selbe auch in der Neu -Auflage meiner Elemente der
Botanik repr( iduciren.
Nr. 41
Naturwissenschaftliche Woehenschiift.
all»
Ich will im Foii;cii(icn eine kurze Davstclluiif;' der
jjeschlcchtliclien Forfpflanzuii.^-.sOrii'ane der Fteridophyten
geben im Vergleich mit denjenigen der Sipiionoganiae; es
wird aus derselben für denjenigen, der aus der obigen
Anregung nicht genügend den Zwang, den Begriff der
Blütlie in der erwähnten Weise zu erweitern, enii)funden
hat, die Nothwcndigkeit — möeiite ich sagen — zu diesem
Vorgelien erfielillieb werden. Es handelt sieli daltei freiiieh
nur um eine Kecapitulatiou aus den Elementen der Botanik,
aber es ist doch gut, sich bei unserer Frage die in Rede
stehenden Vei'hältnisse einmal näher zu rücken.
Die Ptcridiiphyten erzeugen also bekannliieh aus mi
gesehleehtlieii entstehenden Sporen ein kleines, grünes,
mehrzelliges Gebilde, den Vorkeim, das Prothallium, meist
in Form eines auf dem Erdboden liegenden Lä|)pehens,
auf welchem Behältnisse (Antlieridien) mit Si)ermatoz(iTden,
d. h. also mit kleinen, frei durch Cilien bewegliehen „männ-
lichen" Zellen (daher zoidi(igam = thierehig) entstehen und
Behältnisse (Areiiegonien), die grössere, in ihnen verblei-
bende, unheweglielie .,weihliehe" Zellen, Eizellen, entiiaiten.
Das Prothallium stellt die 1. „proembryonale'' Generation
dar. Nach der — wie immer bei frei beweglichen Sperma-
tozoiden durch AVasser vermittelten — Befruchtung geht
aus der Eizelle des weiblichen Orgaues eine zweite (die
.,end)ryonale") Generation hervor, zunächst ein junges
i'flänzcben, ein Embryo, der — da die Eizelle im Arclic-
gonium verbleibt — ebenfalls mit dem Prothallium, welches
abstirbt, im Verbände verbleibt. Die "2. Generation zeichnet
sich durch besondere Grösse und Augenfälligkeit aus und
erzeugt an ihren Blättern in besonderen Behältern, d(;n
Sporaugicn, wieder Sporen.
Wir haben hier den Fall angenonniien, dass die Spo-
ren unter einander gleich und gleichwerthig sind, dass es
sich mit anderen Worten um „isospore" Arten handelt;
aber es giebt ja eine ganze Anzahl Pteridophyten, bei
denen zweierlei Sporensorten geljildet werden, nändieh
kleinere (Mikrosporen in Mikrosporangienj u\id grfissere
(Makrosporen in Makrosporangien), die sich dadurch von
einander unterscheiden, dass die ersteren nur Prothallien
mit Antlieridien, also mit Spermatozoiden, die letzteren nur
Prothallien nntArchegonien, also mit Eizellen, erzeugen. Alan
nennt diese Pteridophyten ungleichsporige = heterospore.
Die Blätter können \ . entweder alle und an allen
Theilen gleichmässig Sporangien erzeugen, also dann
zwei llauptfuiictionen hal)cn, nämlich a) die Function der
Assimilation und b) die der Fortpflanzung, oder 2. die
Blattei- erzeugen zwar alle ebenfalls Sporangien, aber es
tritt wie bei den Ophiogiossaeeen, bei Osmunda und
vielen anderen eine Sonderung in einen assimilirenden
und einen Sporangien tragenden Abschnitt ein; 3., also
wieder bei anderen Arten, tritt eine Arbeitstheilung in
solche Blätter ein, die ausschliesslich der Assimilation,
und in solche, die vorwiegend oder ausschliesslicli der
Sporangien-Erzeugung dienen, wie bei unserem Blechnum
Spieant u. a., bei welchen letzteren dann die assimiliren-
den Flächen mehr oder minder zurücktreten oder fehlen.
Geht die Arbeitstheilung so weit, dass sich ein Spross
in einen assimilirenden und einen spitzensländige Sporan-
gien bildenden Tlieil unterscheidet, oder dass sieb assi-
milirende und Sporangien bildende ganze Sprosse indi-
vidualisiren, wie bei Equisetuni, Lyeopodium u. s. w., so
erhält man äusserlich stark auffalicnde, besondere Fort-
pflanzungssiirosse, die den BlUthen der Sijdionogamen homo-
log sind und daher, da, unsere theoretiseh-morphologiscben
Termini die Homologieen zum Ausdruck bringen sollen
und müssen, auch nicbt anders denn als Blüthen bezcielmet
werden können. In wieweit wir bis jetzt mit den Ibnno-
logieen der Siphonogamen-Blüthe und derjenigen der Pte-
ridophyten-Blüthen bekannt sind, veranschaulicht nun das
S. filS gebotene Figuren-Schema. Um diese Homologieen
möglichst klar hervortreten zu lassen, habe ich in dieser
Skizze eine hoch entwickelte Pteridopliyten-Blüthe —
links in der Figur, wo die Verhältnisse bei Selaginella
veranschaulicht werden — mit einer Sii)honogamen-Blüthe,
ans einer der Gruppen, die sich systematisch an die Pte-
ridophyten zunächst anschliessen — rechts in der Figur,
wo die Verhältnisse bei einer Coniferen-Blüthe zur Dar-
stellung gelangt sind — verglichen.
Die Si])honoganien leiten sich ja von den Pterido-
l)hyten mit zweierlei Sporen, also von den heterosporen
Pteridophyten, wohin Selaginella gehört, ab. Wie in den
Mikrosporen der Heterosporeae entstehen in den Pollen-
zellen der Si])honogamen und in ihren Makrosporen resp.
Embryosäcken durch Zellliildung mehr oder minder deut-
lich entwickelte Prothallien oder Andeutungen solcher,
welche die proembryonale Generation vorstellen. Nach
der Befruchtung geht aus der Eizelle der Siphonogamen
die embryonale Generation hervor, die als Embryo zu-
nächst in dem End)ryosaek, oder, wie wir hier auch jetzt
sagen können, in der Makrospore verbleibt. Da auch
diese Makrospore nicht aus dem zugehörigen Makrospo-
rangium, dem Nucellus, heraustritt, so verbleibt also der
Embryo durch Vermittclung der wenigzelligen proembryo-
nalen Generation noch eine Weile in Zusammenhang mit
der vorausgehenden embryonalen Generation. Der P^m-
bryo mitsammt dem Sporangium gliedert sich dann als
„Samen" ab und entwickelt, unter günstige Bedingungen
gebracht, den Endjryo zu einer vollentwickelten, neuen
embryonalen Generation. — Nebenbei bemerkt macht auch
diese Darstellung einleuchtend klar, wie äusserst verkehrt
es ist, von den Sjjoren der Pteridophyten als ..Samen" zu
sprechen.
An der Hand unseres Figuren-Schemas wollen wir
uns nun die Homologieen der einzelnen Theile noch ein-
mal vergegenwärtigen, auch derjenigen Theile, die im
Vorausgehenden noch keine Erwähnung gefunden haben.
Links findet sich also das Schema einer Selagincllaceen-
Blüthe, rechts sehematische .Vnsiehten einer männlichen
(oben) und einer weiblichen (in der Mitte) Conil'eren-
Blüthe. Es sind nun honndog hei den
1' t !• 1- i d o p li y t f n : G \- in ii o ^ p o r m e ii :
die Mikrospore dem Pollcnkorn,
das Mikrosporangium ,, Pollensack,
., männl. Sporophyll „ Staubblatt,
die Makros])ore ., Embryosack,
das Makrosporaugium „ Nucellus,
., Indusiuni ,, Integument,
„ weibl. Sporophyll ., Fruchtblatt,
„ männl. Prothallium „ Prothallium im Pollenkorn,
die Spermatozoiden „ Pollenschlauch,
das weibl. Prothallium ., Endosperm,
die Archegonicn den Archegonien im Endosperm.
Ein „Eichen", eine „Samenknospe" ist mithin ein
Sorus mit nur einem einzigen und zwar einsporigen Spo-
rangium : ein monangis(dier Sorus. Monangische Sori
kommen übrigens auch bei den Pteridophyten vor.
Die Betrachtung der Homologieen der gcsclileeditliehen
Fortpfianzungsorgane zwischen Siphonogamen und Pteri-
dophyten legt die Frage nahe nach dem Zusammenhang
der Pteridophyten nacli unten: dies veranlasst mich hier
ein Referat über einen von dem Ordinarius für Botanik an
der Münchener Universität Prof. K. Goebel in der von
diesem redigirten Zeitsidirilt ..FIm'a" (1892. Ergänzungs-
band S. 92) verört'endicliten .Aufsatz, der sich „.Vrcliego-
niatenstudien" betitelt, anzuschliessen. Goebel beschäf-
tigt sicii in dem I. .Abscdmitt dieses Aufsatzes mit der
einfachsten Form der Moose, welche — wie er mit Recht
520
Naturwissenschaftliche Wocheuschrift.
Nr. 47
mit dem Prothallium,
meint — den Auschluss der Pteridnphytcn an die Bryo-
phyten, also die Honiologieen dieser beiden die Embryo-
phyta zoidiogama bildenden Abtheilungen, deshalb in ein
klares Lieht zu setzen geeignet erscheinen, weil die
Moose und Pteridopiiyten einen gemeinsamen phyloge-
netischen Ursprung haben müssen, die Moose aber nach
oben nicht weiter führen, sodass vielmehr die höchsten
Moose von den niedersten Pteridophyten beträchtlich ab-
weichen.
Es findet bei den heutigen Botanikern keine An-
fechtung homolog zu setzen:
bei den Moosen: bei den Pteridopiiyten:
1. die Antheridien u. Arche-
gonien erzeugende Ge-
neration (= Protonema (
und beblätterte Sprosse) J
•2. die Sporen erzeugende \ ., , . o* i i di- j.
C4enerition, das Sporo- "" '^'' >" Stengel und Blat-
gonium. die meist ge- ( ^^' gegljederten Sporen
stielte Spornbüchse, J erzeugenden Generation.
1. ist die proembryonale, 2. die embryonale Generation.
Vergleichen wir die höchstentwickelten Bryophyten
allein, so ist es nicht möglich, eine dirccte Entwickelung
der Pteridophyten aus denselben abzuleiten, schon bei
äusserer Betrachtung fallen gewaltige Unterschiede auf
Die geschlechtliche Generation der höchsten Moose zeigt
wohleutwickelte beblätterte Stämmchen, die entsprechende
Generation der Pteridophyten nur thalloide, kleine, ver-
gängliche Bildungen. Die II. Generation der höchsten
Moose ist eine meist gestielte Sporenkapsel und weiter
nichts, da jede Beblätterung fehlt, die entsprechende Gene-
ration der Pteridophyten zeichnet sich aber gerade durch
Stamm- und Blattentwickelung aus. Man muss sich, um
die Pteridophyten von den Moosen ableiten zu können,
also den gemeinsamen Vorfahren beider Gruppen zu
nähern suchen, und das hat eben Goebel durch Unter-
suchung der einfachsten Form der Moose zu thun versucht.
Schon früher hatte er sich dahin ausgesprochen, dass die
gemeinsamen Vorfahren der Moose und Farn algenähn-
liche Tiiallophyten sein müssten, aus verzweigten Zellfäden
bestehend, denen die Geschlechtsorgane ansassen. Eine
l>lattentwickelung trat zum Schutz der (icschlechtsorgane
auf, worauf ihn die Hüllen gewisser Lebermoose hin-
wiesen.
Goebel hat nun auch eine, freilich längst bekannte
Laubmoosgattung näher untersucht, nämlich Buxbaumia,
welche Eigenthümlichkeiten zeigt, die durchaus seine An-
schauungen unterstützen.
Die L (männliche) Generation von Buxliaumia ist so
klein, dass sie mit blossem Auge nicht wahrnehmbar ist.
Aus der Spore erwächst ein Protonema, also ein faden-
algenähnliciies Gebilde wie überiiaupt bei den Moosen,
und diesen sitzen sehr kurze Zweige an. Diese Zweige
bestehen nur aus einem chlorophylllosen, bräunlichen,
l)lättchenförmigen (icbilde, das nur eiu einziges Antiie-
ridium undiüllt; ein Stännnchen fehlt. Das aus der Spore
entstehende Gebilde mitsammt Antheridium erinnert also
sehr an den Bau der Fadenalgen, bei denen freilich nur
die Oogonien Umhüllungen besitzen.
Die weiblichen Pflanzen von Buxbaumia zeigen com-
plicirteren Bau, wohl veranlasst durch die Xothwendig-
keit, den Embryo zu ernähren. Sie besitzen minimal
kleine Stännnchen mit je einem Archegonium, das von
mehreren chlorophylllosen Blättern undiüllt wird. Schon
die Chlorophylllosigkeit der Blätter deutet darauf hin,
dass es sich in ihnen nicht um Assimilations Organe
handelt, während das Protomena grün ist.
Goebel glaulit nicht, dass Buxbaumia etwa von höheren
Moosen abstammend als ein phylogenetisch nachträglich
reducirter Tj'pus anzusehen sei, sondern er meint, dass es
sich hier um eine auf niedrigerer Stufe stehen gebliebene
Gattung handele
Wie man sieht, ist bei den Moosen noch keine Spur
einer Andeutung von BlUthen in dem definirten Sinne vor-
handen. Die 2. Moosgeneration, die embryonale Gene-
ration, besteht ja nur aus einer Sporenkapsel; erst durch
weitgehende, allmähliche Differenzirung, Gliederung,
kommen wir zunächst durch eine Sonderung der embryo-
nalen Generation in Stamm und Blätter, dann durch
weitere, endlich sich auf die einzelnen Sprosstheile und
Sprosse ausdehnende Arbeitstheilung zu Organen, die wir
als Blüthen bezeichnen.
Sehr interessant ist zur Beleuchtung der Honiologieen
die Thatsache, dass auch bei derjenigen Farn-Familie,
die sich in mancher Hinsicht von dem Urtypus der Farn am
wenigsten entfernt zu haben scheint, Prothallien vorkommen,
die durch ihre fadenförmige Gestaltung an die Protoneiuen
der Moose erinnern. Hierüber macht Goebel in dem
II. Abschnitt der genannten Arbeit: „Weitere Unter-
suchungen über die Geschlechtsorgane der Hyraenophylla-
ceen" Jlitthcilung. Die Archegonien der Hymenophylla-
cee Trichomanes rigidium u. a. sitzen auf Trägern, die
sich von denjenigen von Buxbaumia im Wesentlichen nur
dadurch unterscheiden, dass die Archegonien nicht um-
hüllt sind. Hiermit ist der Anschluss an die Moose nach
Möglichkeit erreicht: aus umhüllten Archegonienträgern
entwickelt sich eben bei den hTiheren Moosen das Stämni-
chen der I. Generation.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
vom 11. bis 15. Septeri
1893.
HI.
Wilhelm His: Ueber den Aufbau unseres
Nervensystems.*) Seitdem wir wissen, dass bei Wirbel-
losen und bei Wirbelthiercn die Nervenfasern aus Nerven-
zellen hervorgehen, ist mit zunehmender Bestimmtheit die
Vorstellung ausgebildet worden, dass innerhalb der Central-
*) Der Veröflentlichung in der Berliner klin. '\^'ocllenschr.
sind schematische Abbildunfji'n beigegeben; wir lialien auf die Re-
productiou derselben aus Platzrüeksichten verzichtet, weil der
Leser bei der klaren Dai'Stelliing des Herrn Verfassers leicht in
der Lage ist, sich die Schemata selber zu skizziren. Freilich
fördern aber auch solche Selbstskizzen das Verständniss ganz
wesentlich. Red.
Organe die Nervenzellen die maassgebende Rolle spielen, und
dass besonders sie die Uebergangsstationen der Erregung
sind. Die ersten Schemata, welche mau sich entwarf, waren
sehr einfacher Natur. Man dachte sich die Centrah irgane
als ein System von netzförmig unter sich verbundenen
Zellen, in welches von der Rückseite her die sensiblen
i Fasern einmünden, und von dem nach der Bauchseite hin
die motorischen Fasern ausgehen. Einfache Verltindungs-
fasern zwischen vurderen und hiutereii^larkzelleii sollten die
Reflexe vermitteln, andere vom Gehirn herabkoinmende oder
zu ihm heraufsteigende Fasern sollten die Willensimpulsc
übertragen und der bewussten Empfindung dienen, wieder
andere sollten die Coordiiiation von Bewegungen ermöglichen.
Nr. 47.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
■)21
Die dirccten Zellenverbincliingen haben vor der fort-
schreitenden lleobachtung nicht Stich gehalten. Die meisten
Ausläufer der centralen Nervenzellen lösen sieh in ein Astvverk
feiner Fäden ;uif, von denen soviel sieher ist, dass sie nicht
in andere Zellen einmünden. Nun hat Deiters I8ü5 die
folgenreiche Entdeckung gemacht, dass eine jede centrale
Zelle neben ihren baumförmig verzweigten Ausläufern
einen einfachen, wie er damals annahm, unverzweigten
Fortsatz abgiebt, den sogen. Axencylinder- oder Nerven-
fortsat'z, weicher in eine Nervenfaser übergeht. So ent-
stehen, wie wir jetzt wissen, die sännntlichen Bewegungs-
fasern als Fortsätze von Nervenzellen, welche in der vor-
deren Hälfte des Markes gelegen sind. Eine ähnliche
Entstehung von Empfindungsfasern aus Zellen der hinteren
Markhälfte wurde zwar seit Deiters oftmals \ernmthet,
aber sie Hess sich niemals thatsächlich nachweisen. Da-
für führten die Forschungen von Gerlach 1870 zu der Ent-
deckung von einer Theilung und feinen Verzweigung der
ins Mark eintretenden Emptindungsfasern. G. vernmthete,
dass die Endzweige der Empfindungsfasern ein feines Netz-
werk bilden, in welches von der vorderen Seite her, die
verzweigten Ausläufer der motorischen Ncrvcnzelleu ein-
münden. Dies G.'sche Nervennetz erschien nun als das
gesuchte Zwischenglied zwischen Bahnen verschiedener
Herkunft, und es erfreute sich bis vor Kurzem einer all-
gemeinen Zustimmung. P''fir die theoretischen Betrach-
tungen bot es den Vortheil, dass es den vielseitigen Ueber-
leitungen von Erregungen Raum liess, olnie dass man
nöthig hatte, die liebgewonnene Voraussetzung einer un-
unterbrochenen intratibrillären Leitung zu verlassen.
Ernstliche Bedenken gegen centrale Nervennetze sind
erst 1886 erhoben worden. Entwickelungsgeschichtlich
Hess sich nachweisen, dass die Nervenfasern allmählich
aus Zellen herauswachsen. Jede Faser musste somit
während längerer Perioden ihrer Entwickelung frei aus-
laufen, und es lag kein Grund vor, eine spätere Aende-
rnng dieses Verhältnisses anzunehmen. Dazu kam, dass
wir schon damals eine Reihe von freien Nervenendigungen
an der reripherie kannten: die Muskelnerven, die Nerven
der Hornhaut, diejenigen der Epidermis, die der Pacini-
sclien und der Krause'sehen Körper laufen nach-
weislich entweder in feine Endbäumchen, oder in dickere
Stümpfe aus. l'rincipicUe Unterschiede in der periphe-
rischen und centralen Endigungsweise von Nervenfasern
anzunehmen, erschien aber ungerechtfertigt.
Nur wenige Jahre sind seit diesen ersten Angriffen
auf die centralen Nervennetze vergangen. Diese Spanne
Zeit hat uns aber eine ungeahnte Fülle neuer Beobach-
tungen und dannt an vielen Stellen klare Anschauungen
an die Stelle blosser Vermuthungen gebracht. Wir ver-
danken die erreichten Fortschritte einerseits der f]inführung
neuer histologischer Untersuchungsweisen, anderenthcils
dem Eingreifen entwickelungsgeschichtlicher Forschung.
Schon seit einer Reihe von Jahren hatte Golgi in
Pavia durch Behandeln von Gehirnsubstanz mit chrom-
sauren Salzen und mit Silbersalpeter Präparate bekonnnen,
an welchem die Nervenzellen und ihre Ausläufer als
dunkle Figuren in grösster Schärfe hervortraten. Er
machte zunächst die wichtige Entdeckung, dass die für
nnverzweigt gehaltenen Nervenfortsätze centraler Zellen
feine Nebenzweige abgeben können, und dass es überdies
im Gehirn und Rückenmark zahlreiche Zellen giebt, deren
Nervenfortsätze sich schon nach kurzem Verlauf in letzte
Endzweige auflösen. Die centralen Nervenzellen zerfallen
somit in solche mit langem und solche mit kurzem Nerven-
fortsatz. Erstere hielt G. für motorisch, letztere für sen-
sibel. Die baumförmig verzweigten, sog. Protoijlasnuifort-
sätze der Nervenzellen erklärte G. für blosse Ei-nährnngs-
organe der Zellen und stellte ihre nervöse Bedeutung in
Abrede. Damit fiel auch ihre Theilnahme am Gerlach-
schen Nervennetz dahin, statt dessen sind aber Golgi und
seine Schüler für ein Nervennetz eingetreten, welches aus
den feinen Nebenzweigen langer Nervenfortsätze und aus
den Endzweigen der angehlieli sensiblen Zellen hervor-
gehen soll.
Ramon y Cajal in Barcelona hat sich der (iolgi'schen
Methode bemächtigt, dieselbe voi'zugsweise auf Embryonen
und junge Thiere angewandt und damit Ergebnisse er-
reicht, die manche der obwaltenden Fragen fast mit einem
Schlag theils gelöst, theils in neues Licht gerückt haben.
Dank der (".'sehen und neuerer Arbeiten können wir
jetzt unsere Kenntnisse vom Verhalten der Nervenzellen
und Nervenfasern in Centrnni und Peripherie in wenigen
Hauptsätzen zusanunenfassen.
Jede dem Centralorgan entstammende Nervenfaser
entspringt als Axcnfortsatz aus einer Nervenzelle. Ihr
der Zelle abgewendetes Ende läuft frei und in der Regel
mit einem Büschel \o\\ \erzweigten Endfäden aus. Die
meisten Nervenzellen geben ausser dem Nervenfortsatz
noch eine Anzahl von baund'örmig verzweigten Ausläufern,
die sog. Protoplasmafortsätze oder Dendriten ab, die auch
ihrerseits frei endigen.
Die Emptindungsfasern \vurzeln nicht in Zellen des
Gehirns oder Rückenmarks; sie hängen nut Zellen der
sog. Spinalganglinicn zusammen, denen sie seitenständig
angefügt sind. Der centrale Al)schnitt der Emptindungs-
fasern theilt sich nach seinem Eintritte ins .Mark zuerst
in zwei, dann in mehrere Fasern, welche, soweit wir
ihnen folgen können, alle frei auslaufen, und ebenso en-
digt der periiiherische Theil der Emptindungsfasern in
freien Endbäumchen oder in Stümpfen. Demnach setzt
sich das Nervensystem aus zahllosen von einander ge-
trennten, in Fasern auslaui'cnden Zellenbezirken zusammen,
den sog. Nerveneinheiten oder Neuronen. In der grauen
Substanz von Gehirn und Rückenmark bilden die End-
verzweigungen dieser Einheiten einen dichten Filz, aber
kein Netzwerk. Der ununterbrochene Zusammenhang der
sämmtlichen Nervenelcmente innerhalb der grauen Sub-
stanz, den man noch bis vor Kurzem angenommen hatte,
besteht in Wirklichkeit nicht.
Ein jeder im Centralnervcnsystem ablaufender phy-
siologische Vorgang nimmt mindestens zwei, in der Regel
aber noch mehr Systeme von Nerveneinheiten in Anspruch.
Zur Erklärung einige Beispiele:
Die von einer bestimmten Hiiutstclle kommende ]uii|irini-hings-
faser tritt an der spinalen Ganglienzelle vorbei ins Rückenmark;
hier theilt sie sich in einen anf- und einen absteigenden Ast.
Jeder von ihnen giebt in gewissen Abstanden feine Seitenzweige
ab, die sog. Collateralon, welche in die graue Substanz eintreten,
während die beiden Hau])täste innerhalb der hinteren Längs-
stränge des Markes ihren Weg nehmen. Der absteigende Ast er-
schöpft sich in der Regel bald durch die Abgabe von Collateralen.
Der obere schlägt die Riclitung nach dem Gehirn ein. Ein Theil
der aufsteigenden Fasern erreicht auch unzweifelhaft das ver-
längerte Mark, wahrscheinlich gehen alle Kuipfindungsfasern so-
weit hinauf, indessen ist es kaum möglich, dies auf directem \Yegc
nachzuweisen.
Die in die graue Suliatanz eintretenden Collateralen treten
nach vorn, ein grosser Theil derselben erreicht das Gebiet der
motorischen Zellen und umgreift diese mit seinen Endbäumchen.
Die zu den motorischen Zellen führenden Collateralen sind die
sensible Strecke von Rctiexbahuen. Von den durch sie umfassten
Zellen führen die Bewegungsnerven zu den gegebenen Muskeln.
Da sich nun die Collateralen einer jeden Emptindungsfaser durch
verschiedene Stockwerke <les Markes hindurch erstrecken, so ver-
mag dieselbe Emptindungsfaser ein ausgedehntes Gebiet von
Muskeln direct zu beeiuHussen. Dabei ist vorauszusetzen, dass
mit der Länge der Bahnen die Leitungswiderstände wachsen.
Von der Stärke der Erregung wird es unter sonst gleichen Xeben-
bedingungen abliängen, ob sich ein Kelh'X auf die motorischen
Centren der l^inirittsebene beschränkt, oder ob er weitere Bezirke
in Mitleidenschaft zieht.
Die motorischen Centren des Rückenmarkes sind nun aber
522
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 47
nicht nur rcflectorisch erregbar, sie unterstehen aiu-h der directen
Herrschaft des Willens. Die Willensbahnen kennen wir schon seit
längerer Zeit. Als sog. I'yramidenstriinge verlaufen sie von den
mittleren Windungen des Grosshirns aus, ununterbrochen durch
die tiefer gelegenen Hirntheile herab, und sie treten mit allen
Stockwerken des Rückenmarkes in Verbindung. Sie entsenden
ihre Zweige in dessen graue Massen liinein, wo dieselben frei
endigen.
Der Ursprung der Pyramidenfasern liegt in den grossen
Pyraniidenzellen der Gehirnrinde, deren jede ausser ihrem Nerven-
fortsatz noch ein weit ausgebreitetes System von baumförmig ver-
zweigten Nebenfortsätzen abgiebt.
Sehen wir ab von den vom Gehirn kommenden Willensliahnen
und von den zu ihm hin führenden Emjjfindungsfnsern, so besteht
der beim sensibeln Reflex in Wirksamkeit tretende Apparat aus
einem zweigliedrigen Bogen. Eine sensible und eine motorische
Nerveneinheit bilden die beiden Sclienkel des Bogens, wobei wir
allerdings nicht übersehen dürfen, dass eine jede der beiden Ein-
heiten ausser den in die Hauptleitnng eingeschalteten Bahn-
strecken auch Nebenbahnen umfasst, über deren Beziehungen zum
Hauptprocess wir kein genügendes Urtheil haben
Sehr übersichtlieh stellt eine der Tafeln von Retzius in einem
und demselben Querschnitt die Elemente des Retlexbogens vom
Regenwurm dar: die in der Haut entspringenden sensiblen Fasern,
ihren Eintritt ins Centralorgan und die grossen motorischen Zellen
des letzteren mit ihren zu den Muskeln hintretenden Stammfasern.
Auch hier sind indessen Nebenausläufer der Stammfaseru vor-
handen, deren Bedeutung wir nicht direct zu entziti'ern vermögen.
Bei den sog. höheren Sinnesorganen compliciren sich im All-
gemeinen die Verhältnisse dudurch, dass der Zuleitungsapparat
zwei- oder mehrgliedrig wird. Riechorgan, Gehörorgan und Auge
bilden in der Hinsiclit eine fortlaufende Stufenleiter.
Beim Riechorgan gehen die Nervenfasern von Zellen aus,
welche die Schleimhaut unmittelbar bekleiden. Diese Fasern er-
reichen zunächst den Riechlappen des Gehirns und eine jede der-
selben löst sich in ein Endbäumehen auf, welches an einem
kugeligen Körper, dem sog. Glomerulus, sich ausbreitet. Grosse,
dem Riechlappen angehörige Zellen entsenden nach dem Glome-
rulus Dendritenfasern, welche sich auch ihrerseits an diesem zer-
theilen und deren Endzweige sich mit denen der Riechfasern ver-
schränken. Die Nervenfortsätze dieser Zellen treten zu weiter
abliegenden Theileu des Gehirns und erreichen hier fernere
Zellonstationen. Neben den in die Hauptleitnng eingeschalteten
Nerveneinheiten entliält der Riechlappen theils kleinere, tbeils
etwas grössere, radiär gestellte Zellen (Körner- und Sternzellen),
deren Fortsätze sich innerhalb der Dicke des Riechlappens ver-
theilen. —
Im Gehörorgan ist die erste Reizaufnahme besondern Sinnes-
zellen übertragen, die mit Haaren oder Borsten besetzt und in
ein epitheliales Stützgerüst eingelassen sind. In den Gebilden
des Vorhofes ist dies Gerüst einfacher gebaut, etwas complicirter
in der Schnecke, wo es den Namen des Corti'schen Organes trägt.
Die Fasern des Hörnerven kommen aus bipolaren Zellen des Vor-
hofs- und des Schncckenganglions. Ihre peripherischen Enden
laufen, wie wir jetzt durch Retzius wissen, in der Umgebung der
Sinneszellen mit feinen Endzweigen aus. Die centralen Fasern
dagegen dringen in bestimmte Bezirke des verlängerten Markes,
um sich da zwischen den in ihnen vorhandenen Zellen zu zer-
theilen. Von den letzteren entstehen neue Fasern welche zu
höher gelegenen Hirntheilen, zunächst zu den untr-roi Vierhügehi
hin zu verfolgen sind. Somit umfasst die aeustische Leitung vom
Endorgan bis zu den Vierhügeln mindestens drei Glieder: die
Sinneszidle, eine durch die Ganglien führende Bahn erster, und
eine vom verlängerten Mark ausgehende zweiter Ordnung. Im
Verlauf di'r h^tzteren befinden sich zahlreiche Abzweigungen und
Nebenleifungen.
Noch verwickelter ist der nervöse Leitnngsapparat des Seh-
organes angeordnet. Ein erstes System von Uebertragungsvor-
richtungen ündet sich in der Netzhaut des Auges, ein zweites in
der Rinde des Mittelhirns. Die lichterregbaren Thcile der Netz-
haut sind die Stäbchen und Zapfen. Beiderlei Bildungen hängen
durch Vermittelung von Zellenleiberu mit besonderen Fasern zu-
sammen. Die Stäbchenfasern sind fein und endigi'n in einfachen
Knöpfchen, die Zapfenfasern dagegen erscheinen breit und sie
laufen in ein conisches Endstück mit feinen Wurzelfäden aus.
Diese Theile nehmen die aussei sten Schichten der Netzhaut ein.
Ihnen kommen von innen her andere Tbeile entgegen : die mitt-
lere Netzhautlage (die sog. iiuiere Körnerschicht) enthält nämlicli
zahlreiche bipolare Zellen, die mit ihren Fortsätzen die Leitung
von den äusseren nach den iiuieren Schichten übernehmen. Die
äusseren Fasern der bipolaren Zellen gehen in verzweigte Büschel
auseinander, von welchen die einen je einem Zapfenfaserende zu-
gekehrt sind, während die anderen eine Anzahl von Stäbchen-
faserenden umgreifen. Die inneren Enden der bipolaren Zellen
sind minder reich verzweigt und sie endigen in der sog. Ganglien-
zellenschicht. In diesem Äbschintt der Netzhaut liegen nämlicli
grössere und kleinere Zellen in flacher Lage ausgebreitet, von
denen ji'de einen Nervenfortsatz an den Sehnerven abgiebt. Von
ihrer äu.sseren Oberfläche gehen dicke Ausläufer ab, welche in ein
dichtes Buschwerk sicli verzweigen. Ihre Büsche liegen ver-
schränkt mit den Endverzwi'ignngi'U der bipolaren Zellen. So
haben wir also von der Aussenfläcbe der Netzhaut bis zum Seh-
nerven drei von einander getrennte Glieder des Leitungsapparates:
1. die Stäbeben und Zapfen nebst ihren Zellen und Fasern, 2. die
bipolaren Zellen, 3. die eigentlichen Ganglienzellen. Damit ist
aber der Aufbau des Apparates nicht erschöpft. Noch finden sich
in der mittleren Netzhautlage zwei Gruppen von Nervenzollen,
von denen die einen ihre protoplasmatischen Verzweigungen nach
auswärts senden, die anderen nach einwärts. Die ersteren kann
man als horizontale Zellen bezeichnen; sie umfassen mit ihren End-
büschen grössere Gruppen von Stäbchen- und Zapfenfasern; sie
geben auch feine horizontal verlaufende Nervenfortsätze ab, deren
Ende unterhalb der Stäbchenfaserenden auslaufen. Dic^ zweite
Zellenform (nnzweckmässigerweise Spongioblasten genannt) wur-
zelt mit ihrem protoplasmatischen Astwerk zwischen der Sidiicht,
welche auch die Enden der Nervenzellmi enthält.
Als besonders beachtenswerthe Elemente enthält endlich die
Netzhaut Fasern, welche, vom Sehnerven herkommend, in die
mittlere Schicht eindringen und hier mit freien Verzweigungen
endigen.
Die mit dem Sehnerven das Auge verlassenden Fasern treten
in die Aussenscineht der Vierhügelrinde ein. Hier laufen sie in
reiche Endqnasten aus. Eine mittlere Schicht der Rinde enthält
zahlreiche grössere Zellen, deren Dendritenfasern in die Ausseu-
schicbt vordringen und hier zwischen den Quasten der Sehneryen-
fasern endigen." Jede dieser Zellen entsendet nach einwärts einen
Nervenfortsatz, welcher in die tiefer liegende Markschicht eindringt
und von da in entlegenere Hirntheile gelangt.
Zwischen diesen Zellen liegen in geringerer Zahl solche, deren
Nervenfortsätze statt nach einwärts, nach aussen gehen, um in die
Sehnervenschicht zu gelangen. Diese Zellensehen wir als Ursprungs-
stätten jener Fasern an, welche in den mittleren Netzhantschiehton
frei endigen. Der Sehnerv enthält demnach nebeneinander Bahnen,
die vom Auge zum Gehirn, und solche, die vom Gehirn zum Auge
hinleiten.
Audi die Vierhügelrinde enthält ausser den in die Leitungs-
bahn eingeschalteten Nerveneinheiten solche von lokaler Bedeu-
tung. Theils sind deren Fort.sätze der Fläche, theils der Tiefe
nach orientirt; erstere Elemente liegen in den äu.?seron, letztere
in den mittleren Schichten zerstreut.
Der Zusaiiinicnliang- nervöser Elemente ist, wie sieh
aus dem Mitgethcilten ergiebt, ein unerwartet loser, da
die Einheiten überall von einander unabhängig- sich er-
weisen. Es führt uns dies zur Ueberzeugung, dass inncr-
hall) der grauen Marksubstanz die Leitung der Erregungen
von einem Fasersystem auf ein anderes durch nngcformte
Zwischenmassen vermittelt werden nntss. Gleichwohl be-
stehen besondere anatomische Einrichtungen, welche die
erforderliche C4esetzmässigkeit in der Ueberleitung sicher-
stellen. Bis jetzt kennen wir zwei Haupttypen von Lei-
tungsansehlüssen. In dem einem Falle begegnen sich die
Endbüsche von zwei oder von mehreren zusammengehörigen
Einheiten, indem sie sich in einander Hechten, oder doch
einander zugekehrt sind. Im zweiten Falle bildet das
Endbäumchen des einen Nervenbezirks ein korbartiges
Gehäuse um den Zellenleib eines anderen. In l)eiden
Fällen erscheint die Zelle als das eigentliche Sammel-
becken für die Strömie zugeführter Erregung. Die Weitcr-
leitung geschieht von da in allen den Fällen, die wir ge-
nauer beurtiieilen können, nach der Richtung des Xerveu-
fortsatzcs. So bei den motorischen Zellen des Rücken-
marks, bei den Pyramidenzellen des Gehirns, bei den
grossen Ganglienzellen der Netzhaut. Dem gegenüber er-
scheinen die Dendritenfortsätzc wie ein System von Wurzeln,
welche aus umfänglichen Zuleitnugsbczirken dieErregungen
aufnehmen und der Zelle zuführen.
V(m besonderem Interesse erscheint die Einrichtung
der Collateralen, vermöge deren eine einzige Nervenfaser
grössere Strecken von getrennten Zcllenbezirkcn zu be-
herrschen \'crmag. Erst seitdem wir wissen, dass die zum
Gehirn aufsteigenden Empfinduiigsfascrn durch zahlreiche
Seitenzweige mit den Bewegungscentren des Rückenmarks
in Verbintiung stehen, ist unserem Verstäudniss das alte
Nr. 47.
Natnrwisscnsphaftliclie Wochcnschril't.
)23
Problem zu^'änglicb geworden, dass dicsell)cn Nerven so-
wolil Reflexe auslösen, als hewnsste Ein])fiiiduni;' veran-
lassen kiiiiueii.
lii den Centralorganen und zum Tlieil schon in den
Sinnesorganen trefl'en wir neben den in eine grosse Lei-
tungsbalm eingesclialteten Ncrveneinlieiten solche, welche
sich den Hauptbahnen nicht einordnen. Es sind dies
Zellen kleineren oder mittleren Calibers, deren Merveii-
fortsät/.e den betreffenden Bezirk nicht übersehreiten und
sieii gieicii den Dendritenlbrtsatzen darin verlieren. Diese
Elemente scheinen eine vorwiegend iocale Hednitung zn
haben, sei es. dass sie Keizausgleiclumgen vermitteln, dass
sie gewisse allgemeine Stimmungen des Organes unterhalten
oder in irgend einer anderen Weise am Gesannntvorgang
sich betheiligen. In manchen Centraltheilen sind diese
Nebenaijparate besonders reichlich vorhanden und ihre Be-
deutung darf demnach in keiner Weise unterschätzt werden.
Ein vielgebrauciites älteres Bild vergleicht die Ge-
sanmitheit von Gehirn, Rückenmark und Nerven mit
einem reichverzweigten Telegraphensystem, in welchem
die Nervenfasern als die Leitungsdrähte, die Nerven-
zellen als die End- und Zwischenstatiouen functioniren.
Dies Bild dürfen wir nicht streng nehmen, denn es fehlt
dem Nervensystem jener Charakter des Geschlossenseins,
wie er einem' arbeitenden Telegraphcnsystem nothwendig
zukommt. Ein zutreffenderes Bild haben wir in der Ver-
waltung eines grösseren Landes, bei welcher zahlreiche
Behörden in bestimmter Gliederung einander bei und über-
geordnet sind. Wohl sendet eine (»rtsbehörde in gege-
benem Falle ihre Depesche nach der übergeordneten In-
stanz, um sieh Verwaltungsbefeide zu erbitten; allein die
Antwort erfolgt nicht durch einfache Umschaltnng einer
Leitung, sie ist das Ergebniss einer besonderen Ver-
arbeitung innerhalb der Oherbchörde. Oberbehörden,
Zwischen- und Unterbehörden umfassen mehr (ider minder
umfängliche Bnreaux mit Beamten ungleiclicr Stciilung.
Die Umwandlung einer Meldung in einen Befehl verknüpft
sich mit verschiedenen Nebenvorgängen, mit l'rDtokolürun-
geu, mit Vergleichung von Präeedenzfällen mit Rücksicdit-
nahme auf gleichzeitige V(n-gänge, mit ausgleichenden
Nebenbcfchlen an andere Unterbehörden u. a. ni. Das
Endergeb^i;^s einer Entscheidung wird durch augenl)lick-
liche Stimnnmgen der beans[)ruchten Behörde, duich vnran-
gegangene oder gleichzeitige Befehle höher stehender Be-
hörden beeinflusst werden und was dergleichen Umstände
mehr sind.
Der in einander greifenden Thätigkeit der einzelnen
Nerveneleniente wird durcii die neueren Untersuchungen
mehr Raum gelassen und die Individualität eines jeden
Elementes konmit mehr zu ihrem Recht. Andererseits be-
gegnen wir in der formlosen Zwischenmasse der Mark-
substanz einem Bestandtheil, welcher Einflüssen allge-
meiner Natur, bes(nulers solchen der Ernährung, sehr zu-
gänglich sein muss. Für die experimentelle Forschung
aber ergiebt eine jede Aendeiung der theoretischen Grund-
lagen neue Angriffspunkte und von ihr darf die Auf-
hellung mancher der noch \orhaudenen Schwierigkeiten
erwartet werden.
Die Trüger der Vererbung. — Als „Träger der
Vererbung" bezeichnet Wilh. Haacke*) diejenigen Theile
des Zellleibes, an welche die Fähigkeit der Vererbung
morphologischer Eigenschaften gebunden ist.
Weismann und seine Anhänger haben sieh durch
die augenfälligen Vorgänge an den Chromosomen des Zell-
kerns derart fesseln lassen, dass sie dem extranueleären
Zellplasma nicht mehr genügende Aufmerksamkeit zu-
wandten. Diese einseitige Berücksichtigung des Kerns
hat Weis mann schliessbch dahin geführt, denselben für
omnipotent zu halten. Haacke behauptet dagegen,
dass die „thatsäehliehen Verhältnisse", denen zufolge die
Chromosomen die alleinigen Vererbungsträger sind, aus-
schliesslich in der Einbildungskraft derjenigen existiren,
auf welche die Forschungen über Zelltheilung, die so
lange und so ausschliesslich den Kern ins Auge fassten,
einen allzu einseitigen Eindruck gemacht haben. Er ver-
sucht nun den Nachweis zu führen, dass nicht die Chro-
nu)somen, sondern die Folkörper (Centrosomen) den
morphologischen Aufbau der Zelle Iteherrschen,
und deshalb als die „hauptsächlichsten Träger der Ver-
erbung" angesehen werden müssen.
Man könnte zwar hiergegen einwenden, dass in pflanz-
lichen Zellen bisher noch keine indi^idualisirte l^obnasse
gefunden worden ist**); jedoch betont Strasburger***),
dass das Fehlen einer solchen oder einer irgendwie sicht-
bar sieh machenden polaren Action an den in J5ikluug
begriffenen Richtungsspindeln noch nicht ein wirkliches
Fehlen sich von den Polen aus geltend machender Kräfte
bedeutet. Bei Pflanzen scheinen die während der Kern-
theilung polar wirksamen Massen bei jedem Theilungs-
schritt neu aufzutreten und sind auch in den ausgeprägtesten
Fällen nicht deutlieh gegen das umgebende Cytoplasma
abgesetzt.
*) Vergl. Biolog. Centralblatt, Bil. XIII, No. 17 u. 18.
**) Ist neuerdings gelungen. — Red.
***) Strasburger, Histolog. Beitrüge, Heft I, S. 112 u. llo.
Haacke stützt sieh zunächst auf die von O. Hertvvig
in dessen Werk „Die Zelle und die Gewebe" gegebenen
Abbildungen der Zelltheilungsvorgänge und meint, dass
dieselben auf jeden Unbefangenen den Eindruck niaolien
müssen, dass die Formgestaltung von den Polk(')ri)ern und
nicht von den Chromosomen ausgeht. Auch auf den von
Flemming, Solger u.a. gegebenen Altbildungen von in
Theilung begriffenen thierischen Zellen beherrscht das
ausserhalb des Kerns gelegene Centrosoma, wie die es
umgebende strahlige Sphäre zeigt, die Anordnung des
Zellplasmas, also den morphologischen Aufbau des
Organismus, welcher ja doch zweifellos dasjenige dar-
stellt, was hauptsächlich durcli eine Vererbungstheorie zu
erklären ist. Eltcnso erwecken die von Strasburger u. a.
gegebenen Abbildungen von Theilungszuständen pflanz-
licher Zellen durchaus nicht den Eindruck, dass die oft
sehr unregelmässig angeordneten Chromosomen eine grosse
Rolle in der Formgestaltung des Organismus spielen.
Zu Gunsten der Weis mann 'sehen Anschauung könnte
man zwar entgegnen, dass Boveri's*) Experimente be-
weisen, dass der Kern der Träger der Vererbung ist.
Boveri hat bekanntlich Seeigel-Eier, die ihres Kerns be-
raubt waren, mit dem Sperma einer fremden Art befruchtet
und daraus Larven dieser letzteren erhalten. Allein mit
den Kernen hat Boveri sieher auch die Polkörper ent-
fernt; wenigstens hat er nicht den Nachweis geführt, dass
diese in den ihres Kerns beraubten Eiern zurückgeblieben
waren.
Auch 0. Hertwig betont, das Wesen des Befruchtungs
proeesses bestehe „darin, dass ein vom Samenfaden und
ein von der Eizelle abstannnender Kern, ein Samenkern
und ein Eikern, ein jeder begleitet von seinen
Central körperchen, sieh zusannnenlegen und zu einem
Keimkern verschmelzen". Das Studium der Befruchtungs-
erscheinungen hat also nur den Nachweis geliefert, dass
*) Vergl. „Natiirw.W(icb..nsclir." Vlll. Bd., No.27, S. '270 oben.
524
Naturwissenscbaffliche Woclienschvift.
Nv. 4';
entweder der Kern, d. h. die Cliromosoraen, oder die
Centralkörper , oder auch beide Träger der Vererbung
sind; dafür aber, dass die Chromosomen des Kerns es
allein seien, wie Weismann will, liegen keinerlei Be-
weise vor.
Gegen die Auffassung Weisniann's spricht ferner
auch die morphologische Beschaffenheit der Zellkerne;
denn Hertwig betont ausdrücklicii: „In allen Eleuientar-
theilen bei Pflanzen und Thiereu zeichnet sich der Kern
dui'ch eine überraschende Gleichförmigkeit aus: Wenn
wir von einzelnen Ausnahmen al)sehen, die eine besondere
Erklärung erheischen, erscheint uns der Kern in allen
Elementartheilen desselben (Organismus inuncr nahezu in
derselben Form und (Jrössc, während das Protoplasma an
Masse ausserordentlichem Wechsel unterworfen ist. In
einer Endothclzelle, einem Muskel- oder Sehneukörperchen,
ist der Kern nahezu el)Cuso bcscluiffen und ebenso sub-
stanzreich, wie in einer Epidermis-, einer Leber- oder
Knorpelzelle, während in dem ersten Falle das Proto-
plasma nur noch in Spuren nachweisbar, im letzteren
reichlicher vorhanden ist.'' Wenn die Chromosomen allein
Träger der Vererbung wären, so müssten die Kerne sehr
verschieden sein, denn nach Weisniann's Anschauung
wandern die Biojjhoren in das umgebende Zellplasma aus,
um diesem ihre specifischc Natur aufzuprägen. Was das
Plasma also au Differenzirung gewinnt, verliert der Kern,
und die Kerne müssten deshalb ebenso verschieden sein,
wie die Zellleiber; wenn sie es aber nicht sind, so folgt
daraus, dass sie eben nichts zu thun iiaben mit den an
das Protoi)lasma gebundenen erblichen Eigenthümlich-
keiten. Hertwig bezeichnet zwar andererseits in üeljcr-
einstimmung mit Koux „die Kerntheilungsfignren als
Mechanismen, welche es ermöglichen, den Kern nicht blos
seiner Masse, sondern auch der Masse und Beschaffen-
heit seiner einzelnen Qualitäten nach zu theilen", bringt
aber für diese Behauptung keinerlei Beweis bei.
Wenn der Kern wirklich, wie Hertwig selbst be-
hauptet, in allen möglichen Zellen auffallend gleichförmig
sein soll, so kann er doch gar nicht in seine Qualitäten
zerlegt sein! Wie sollte er es dann auch fertig bringen,
den ganzen Organismus zu reproduciren, was bei vielen
Pflanzen und niederen Thieren bekanntlich oft schon
wenige, beliebig aus dem Znsammenhang herausgelöste
Zellen im .Stande sind, falls man sie unter geeignete
Existenzbedingungen bringt';'
Ein weiterer Umstand, der gegen Weisniann's
Theorie spricht, ist der zweifellos bestehende ursächliche
Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylogenie; wo-
gegen Weisniann's Idologie und Determinantenlehre
sich mit der Anschauung, dass säinintliche Thierarten
selbstständige und unabhängige »Schöiifiingen sind, sehr
gut verträgt. Wollte man Weismanns Lehre mit voller
Consequenz zu Ende führen, so würde man schliesslich
zur alten Eiuschachtelungstheorie zurückkehren müssen.
Aus seinen Untersuchungen über die Vererbung per-
sönlicher Eigenschaften bei Mäusen schlicsst Haacke,
dass es sich im Zellleben um eine >Symbiose zwischen
den Chromosomen einerseits und dem Polkörper nebst dem
extranucleären Plasma andererseits handelt. Demnach
würde es eine Vererbung der Eigenschaften des Centro-
somas bezw. des dasselbe zusammensetzenden Plasmas,
und ebenso eine Vererbung der Eigenschaften der Chromo-
somen (d. h. des Kerns) geben. Zu den letzteren kommen
bei vielen Zellen noch andere Gebilde, welche gleichfalls
ihre Eigenschaften von Zelle zu Zelle übertragen, z. B.
die Chlorophvllkörper der Pflanzen. Alle diese neben dem
Polkörper in der Zelle befindlichen Gebilde (der Kern,
die Chlorophyllkörper und andere) vererben die chemi-
schen Eigenschaften des Organismus. Sie alle sind
Organe des Stoffwechsels, sie bedingen aber nicht
den Formenaufbau des Körpers, oder doch nur insoweit,
als der letztere von den chemischen Eigenschaften des
Kerns und anderer Gebilde in der Zelle beeinflusst wird.
Auch ,M. N'erworn gelangt in seiner, in dieser Wochen-
schrift (vergl. „Naturw. '\Vochcnschr." Bd VII l. Nr. 44,
S. 4H.Ö) referirten Arbeit über „die physiol. Bedeutung
des Zellkerns" zu dem Schlüsse, dass die physiolo-
gische Bedeutung des Zellkerns wesentlich in
seinen Stoffwechselbeziehnngen zum übrigen Zell-
körper liegt. Haacke's Versuche an Mäusen drängen zu
der Ucberzengung, dass der Kern vor allem die Vererbung
der Farben bewirkt, dass dagegen dasCentrosoma bezw.
das Plasma, aus welchem es zusammengesetzt ist, die
morphologischen Eigenschaften vererbt. Durch Kreu-
zung von gewöhnlichen weissen Ziermäusen (Klettermäusen)
mit schwarzen japanischen Tanzmäusen erhielt H. alle
möglichen Combinationen gemischtfarbiger Nachkommen.
Paart man letztere wieder, so erhält man in der 8. Ge-
neration zuweilen reinfarbige Tanzmäuse und weisse
reine Klettermäuse, welche, wenn man sie weiter unter
einander paart, immer Nachkommen liefern, die den Eltern
vollständig gleichen. Aber auch die Jläuse mit gemischten
Charakteren lassen sich durch entsprechende Zuchtver-
suche wieder in schwarze und farbige Tanzniäuse und in
weisse und farbige Klettermäuse zerlegen. In vielen Fällen
gelangt man also sehr bald wieder zu reinrassigen Thieren,
d. h. zu Thieren, die ihre Eigenschaften streng vererben,
ohne jemals wieder Rückschläge zur früheren Rasse zu
zeigen, die doch nach Weisniann's Theorie leicht ein-
treten müssten.
Dieses Ergebniss der Züchtungsversuche an langen
Stammbäumen von mehr als 30U0 Mäusen steht durchaus
im Einklang mit Haacke's Ansicht über die Bedeutung
der Reductionstheilung, welche Apomixis, Entmischung,
ist und nicht, wie Weismann wül, Mischung, „Am-
phimixis".
Weisniann's Dctcrminantenlehre und Idologie sind
also direct durch die praktische Erfahrung widerlegt; sie
lassen sich in keiner Weise mit den von Haacke beob-
achteten Vererbungserseheinnngen in Uebereinstimmung
bringen. Dr. Robt. Mittniann.
Zur Myrmekophilie des Adlerfarns. — In dem Be-
richt über den Figdor'schen Aufsatz über extranuptiale
Nectarien beim Adlerfarn in No. 40, Bd. VI der „Naturw.
Wochenschr.'- heisst es am Schlüsse:
„Ob Pteridium aquilinuni wirklich den Myrmekophilen
— wie es von Delpino geschieht — zuzuzählen ist, konnte
F. leider nicht endgiltig entscheiden und erst weitere
Beobachtungen müssen über diese interessante Frage Auf-
schlnss geben."
Im verflossenen Sommer hatte ich nun Gelegenheit,
mich zu überzeugen, dass der Adlerfarn wirklich myrme-
koi)hil ist. An einer ganzen Anzahl von Standorten des
Farns in der Umgebung von Barmen und Elberfeld fand
ich, dass bei wenigstens zwei Dritteln der Exemplare die
Nectarien von einer bis mehreren Ameisen i meist Lasius
niger L.) besetzt waren, und zwar fast immer nur die Nec-
tarien an der Basis derjenigen Fiedern erster oder zweiter
Ordnung, welche gerade in der Entfaltung begriff'en
waren, während ältere Nectarien von den Ameisen meist
nicht mehr beachtet wurden.
In vielen Fällen fand ich die Oberfläche der Nectarien
verletzt, wobei die Verletzungen mitunter Löcher von der
Grösse eines Stecknadelkopfs darstellten, meistens aber
geringer und oft nur mit der Lupe zu erkennen waren.
Wie ich in zwei Fällen direct beobachten konnte, sind
diese Nectarien von den Ameisen angefressen.
Nr. 4-;
Naturwisfsciiscliaf'tlifhc Wochenschrift.
525
Im Gegensatz zu Figdor und in Uebei-cinstinmiung
mit F. Darwin fand icli, dass die Farbe der Ncctarieu
von vornherein eine grüne ist, nielit „ursprünglieli braun".
Allerdings waren ältere Nectarien vielfaeli braun gefärbt,
und es zeigte sich, dass gerade diese immer ^'el■lctz^ng•en
trugen, als deren Folge wir also die ISraunfärbung
anzusehen haben. Die grün bleibenden und später un-
deutlich werdenden Neetarien waren innner unversehrt.
Eine directe Gegenleistung der Ameisen, etwa in der
Zurückweisung eines den Adlerfarn besuchenden Pflanzen-
fressers bestehend, konnte nicht beobachtet werden. Aber
man darf wohl den Umstand, dass auf dem Farn niemals
andere Insccten angetrotfeu werden, auf Rechnung des
Anieisenbesuches setzen.*) Dr. Thoniae.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es «iirdcii cTniinnt: F. Mat oiis t- li i'k ziiin |ii-ovisoriseliPii
Assistenten am botanischen Institute der k k. deiitsclien Universität
in Prag. — Der Akademiker Di-. Tlieodor PIcske zum Direotor
des zoologischen Museums der Kaiserliclien Akademie der Wisson-
scliaften in St. Petersburg. — Der Professor der Philosophie an
der Universität Münclien Dr. Stumpf zum Di-dinarius an der
Universität Berlin. — Dr. Strauch. Corpsro?sarzt lieim (i. Armee-
corps in Breslau, zum Docenten für Thierlieilknnde an der d(n-tigen
Universität. — An der Universität Wien der ausserordentliche
Professor Dr. Palt auf zum Prosector — und der au.'<serordentliche
Professor Dr. K ra us zum Abt heil ungsvorsi and der Wiener Kranken-
häuser. — Dr. Ferdinand I^oewl, ausserordrntlicdun- Pnifessor
der Geographie an der Universität Wien, zum ( »i-dinarius an di-r
UniviM-sität Czerno« itz
Professor Di-. Henoch tritt von seiner Strllung als Lehrer
an der Universität und Director der Ivlinik für Kinderkrankheiten
an der Charite zu Berlin zurück. — Professor G. Seh weinf u rt h
ist in wissenschaftlichem Interesse nach der Colonia Eritrea gereist.
Es sind gestorben: Die Natuiforschei-in Ida von Boxberg
auf ihrem Rittergute Zschorna bei Radebiirg, Königreich Sachsen.
— Professor Dr Friedrich Wilhelm Pfeiffer, ehemaliger
Director der städtischen Bibliothek in Breslau, in Freibnrg im
Breisgau.- Der Physiker Dr. Adolf Steinheil in München. —
Der Elektrotechniker Karl Reitz in Indianopolis U.S. — Der
Professor der Chirurgie an der Pariser Universität Leon Le Fort
in Brion am I^oiret. — Der ungarische Naturforscher Dr. Karl
Akin in Fiume. — Der durch seine weitgehende F'örderung
astronomischer Forschungen, besonders auf dem Gebiete dei-
Astropliysik , bekannti' mecklenburgische Kammerlierr Frei-
herr von Bülow in Kiel. — Der Lciiidopterologe C. Frei-
herr von Gnmppenberg, Postmeister in Baudieig, daselbst. —
Der frühere Ingenieur der zoologischen Station in Ni-apel Eucen
von Petersen daselbst. — Dr. l^edru, Director der Ecole
de medecine et de pharmacie in Clermont Fervant, daselbst.
— Der auch als Schriftsteller thätig gewesene Petersburger Arzt
Dr. Eduard Bary in Baden-Baden. — Der Psychiater Dr. De-
lasianvc, Arzt an der Salpetriere in Paris, daselbst. — Der auch
wissenschaftlich vielfach thätig gewesene Chefarzt an der Busch-
tiehrader Eisenbahn Dr. Friedrich Fischel in Franzensbad. —
Der langjährige Redacteur des British Medical Journal Dr Henry
in London. — Der Director der Wasserheihniftalt Ilmenau Sanitäts-
ratli Dr. Emil Proller in Kissingen. — Der Professor der Ge-
burtshilfe am t^»ueens College Dr. Holster Bill in Belfast. —
Unser Mitarlieiter der Chemiker Dr. WMlliam Luzi in Leipzig. —
Der Physiologe Dr. H. M. Ashdown in Edinburgh. — Der .Staats-
geologe der Cai)-Colonie S. C. Bain in Roudebosch, Cape Town.
W'ie uns Herr Prof.ssor Schweinfurtli mitthoilt, soll ein Denk-
mal für £min Pascha in Neisse errichtet werden geradeso wie
seinerzeit für Nachtigal in Stendal. Bekanntlich ist der letztere
in dieser Stadt auf der Schule gewesen, eben.-o wie Emin in
Neisse. Für das Emin -Denkmal haben sich nu-hrerc bekannte
Persönlichkeiten zu einem Comite zusammengefunden.
Ein staatliches Museum wird demnächst in Pretoria erriclitet
werden, nachdem die .Summen dafür aufgebracht sind.
*) Nach Mittheilung des Herrn Custos H. J. Kolbe konnnen
auf dem Adlerfarn Raupen von Lepidoptcren , z. B. Eriopus
pur]nireo fasciatus vor; im übrigen werden ja aber die Farn-
kräuter bekanntlich überhaupt wenig von Insccten befallen und in
den Herbarien werden sie nur selten angefressen. Sonach dürften
die Ameisen wohl schwerlich in dem obigen Falle als Vertheidiger
Ein Internationaler Gartenbau - Verein ist auf der Welt-
ausstellung in Chicago gegründet worden. Sein Hauptzweck ist,
den Austausch von Pflanzen, Sämereien und Büchern zu erh-iehtern.
Zum 50jährigen Doctor- Jubiläum Rudolf Virchow's am
21 Oetober 1893 hat die Berliner klin. \\'ochenschrift ihre No. 43
in zwei, a mid b, zertbeilt, v<in « elclier die No. 43a ausschliess-
lich R. Virchow gewidmet ist und aus verschiedenen Federn sein
Wirken für Medicin. Hygiene und Anthropologie zur Dar.stellung
bringt. Wir linden (! Artikel, nämlich 1. E. v. Rindfleisch, allge-
meine Pathologie und pathologische Anatomie, 2. W. W^aldeyer,
allgemeine und beschreibende Anatomie, Entwickelungsgeschichte
untl Zoologie, 3. F. Hueppe, öfi'entliche Gesundheitspflege und
Seuchenlehre. 4. P. Langerhaus, praktische Hygiene im Dienste
der Stadt Berlin, 5. Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte,
und 6. B. Fi'änkel, Thätigkeit in medicinischen Gesellschaften
(Einleitung). In dieser Ehren -Nnunuer werden gleichzeitig die
Schriften und Notizen Virchow's, die dieser veröffentlichte, zu-
sammengestellt
Von Dr. C. Baenitz' Herbarium Europaeum sind sechs neue
Lieferungen erschienen.
Lief 7.5 und 76 umfassen 108, resp. 102 No. aus Mitteleuro|Ki
und berücksichtigen in erster Linie die schwierigen Gattungen :
Hieracium (40 No.), Rubus (19 No.) und die Pteridophyten
("21 No.). Die Mehrzahl di-r Hieracien hat der Herausgebir
Dr. C. Baenitz, welcher seinen Wohnsitz von Königsberg i. Pr.
nach Breslau verlegte, im Altvater-, Riesengebirge und um Breslau
gesannnelt. Das vom Herausgeber bei Breslau lu-u entdeckte
Fingi-rkraut hat Prof. Dr. v. Borbas-Budapcst, einer unserer besten
Ki-nner dieser Gattung, dem Entdecker zu Ehren Potentilla
Baenitzii benamit. Auch andere vom Herausgeber in Schlesien
gemachte Entdeckun>;en dürften weitere Kreise interessiren: so
das Equisetum limosum L. f. ramosissima Baenitz, Asplenium al-
pertue Mett. f. monsti-osa glomerata Baenitz etc. Den Freunden
der Giattung Rosa dürfte R. abortiva Junger eine willkommene
Gabe sein.
Lief. 77 bringt aus Skaudieuavien, Russland, Italien und Frank-
reich 40 No. — Prof Dr. Murbecks Viola- und Potentilla-Arten
sind besonders schön präparirt worden
Lief. 78 gehört ganz der Pyrenäenhalbinsel an; sie enthält
78 No., von Dr. Buchtien in Portugal und El. Reverchon in
Spanien gesammelt. Neue Arten und Formen von Freyn. Will-
konnn und Lauge, auch .Seltenheiten ersten Ranges bietet diese
Abtheilnng.
Lief. 79 umfasst öO No aus Bosuien, Bulgarien, Griechenland
und Macedonien von Buramüller, Brandis, Charrel, Fiola, v. Held-
reich, P. Sintenis und Strubrny gesammelt.
Im Anschluss an Lii-f 79 mit Rücksicht auf die verwandten
Formen der Balkanhalbinsel bilden .tI No. de r 80. Lief, den Schluss
der diesjähriuen reichen und interessanten Ausgabe. Ausser zwei,
von Dr. Hartmann gesammelten No. hat der berühmte Reisende
Paul Sintenis auf einer vorjährigei\ Reise in Paphlagonien (Kleiu-
asicn) die übrigen Arten präparirt. darunter eine grössere Zahl
neuer, von Freyn, Huth und Sintenis aufgestellter Arten.
Das Inhaltsvi'i'zeichniss dieser Lirferungen kann gratis be-
zogen werden durch den Herausgebi'r Dr. C. Baenitz in Breslau
((ir. Fürstenstr. '22 1).
L i 1 1 e r a t u r.
Ergebnisse der in dem Atlantischen Ocean von Mitte Juli bis
Anfang Kovember 1889 ausgeführten Plankton -Expedition
der Humboldt-Stiftung. Auf (irund von gemeinschaftlichen
Untersuchungen eiiuT Keihc von Fach-Forschern herausgegeben
von Prof ^'ictor Hensen. Verlag von Lipsius & Fischer in
Kiel und Leipzig 1892 und 1893
Von diesem mächtigen Werk, das auf .') starke Quart-Bände
berechnet ist, liegen uns bis jetzt vor
1. Band I A: Prof Dr. Otto Krüinmel, Reisebe-
schreibung der Plankton-Expedition. Nebst Einleitung
von Dr. Hensen und Vorberichten von Drr. Dahl, Apstein,
Lohniaim, Borgert, Schutt und Brandt. Mit 100 Figuren im
Text, sowie b Karten, 2 l'afeln und einer Photogravure. 1892. —
Preis 30 M.
2. Bd. I C: Prof Dr. Dtto Krümmel. Geophysika-
lische Beobachtungen der Plankton-Expedition. Mit
2 Karten. 1893. — Preis 10 M.
3. Bd. II G a ii: Dr. Fi-. Dahl, Die Halobatiden der
Plankton-Expedition. Mit 8 Textfiguren. 1893.
4 Bd HG a /5: Dr. H. Lohniann, Die Halacarinen
der PI ankton-Exjied ition. Mit II Textfiguien und 13 Tafeln.
1893. — Preis mit dem vorigen zusammen l(i M.
.j Bd. II K (1: Dr. Ernst Van hoffen, Die Alkalephen
der JMankton-Expediton. Mit 4 Taf.lu und I Karte. 1892.
526
Natiirwisseuschat'tlichc Wochcnschrill.
Nr. 47
— Preis 8 Mark. (In Subscription ist das ganze Werk 10 "/o
billiger).
Ueber die Plankton-Expedition haben wir schon früher in der
„Naturw. Wochensohr." ausführlich berichtet, vergl. Bd. V. S. 31 tf.
lind S. 111 ff. In dem ersten Artikel „V. Hensen's Plankton-
Expedition im Sommer 1889" nach einem Vortrage des Prof.
Krümmel ist Genügendes über den Verlauf der Reise mitgetheilt,
sodass wir an dieser Stelle auf ein eingeliendes systematisches
Referat von Bd. lA verzichten müssen.
Eingeleitet wird der Band durch einen kurzen Abschnitt aus
der Feder des Prof. V. Hensen, der über den Reiseplau und
über die Vorgeschichte der bedeutenden wissenscliaftlichen Expe-
dition Anfschluss giebt. Es werden dann in einem zweiten Ab-
schnitt einige allgemeinere Ergebnisse der Expedition mitgetheilt,
wie wir das ebenfalls schon in dem nach einem Vortrage des
Prof. K. Brandt wiedergegebenen Artikel Bd. V. S 111: „Ueber
die biologischen Untersuchungen der Plankton-Expedition" kurz
gethan haben.
Da die Expedition in erster Linie dem Studium des Plankton*)
galt, so wollen wir über die Vertheilung desselben noch eine
specicllere Angabe machen.
Es ist schon 1. c. S. 112 in der „Naturw. Wochenschr." auf
das Ergebniss aufmerksam gemacht worden, dass die kälteren
Regionen des atlantischen Oceans sowie auch die Nord- und Ost-
see sehr viel reicher an Plankton sind, als die wärmeren Striche
des Oceans. Sehr instructiv erläutert wird diese Thatsache durch
die Karte auf der Tafel I, in welcher der Weg, den der „Na-
tional", das Schill' der Expedition, genommen hat, eingetragen ist,
der als Abscisse für Ordinaten dient, die Art und Volumen der
Fänge mit dem Planktonnetz angeben. Man sieht unmittelbar
aus dieser Karte, wie sehr viel reicher an Plankton die kälteren
Atlantic-Regionen sind als die ivärmeren. und zwar ist die Menge
des Planktons im Norden, in der kältesten besuchten Region, bei
Grönland, weitaus die grösste, in einer Kältezunge, die der Ocean
nordwestlich Ascension, dem südlichsten Punkt der Expedition,
besitzt, sehr viel weniger bedeutend und verhältnissmässig recht
unbedeutend in den übrigen wärmsten Regionen.
Der III. Abschnitt wie die folgenden aus der Feder des Prof.
O. Krümmel behandelt die Fahrt durch den Nordatlantischen
Ocean nach den Bermudas-Inseln. Diesem Artikel sind wie den
folgenden zahlreichere Textfiguren eingeschaltet, die zwar zum
Theil nur verschiedene Episoden aus der Reise veranschaulichen,
also keinen wissenschaftlichen Inhalt haben, aber, da sie kleine
Kunstwerke sind, den Text angenehm beleben. Andere sind treff-
liche landschaftliche Charakterbilder, die einen treuen Einblick in
die Natur der bereisten Gegonden gestatten und daher für den
Geographen und Pflanzeugeogrniihen von Interesse sein müssen.
Entworfen sind diese Bilder von Marinemaler R. Eschke, der die
Expedition mitgemacht hat. Eine gute Photogravure giebt eine
Anschauung von dem chaotischen Gewirr des Urwaldes am Ma-
garitluss bei Para.
Die folgenden Abschnitte sind überschrieben: IV. „Vier Tage
auf Bermudas'' mit einem Anhange „Die Landfauna von Bermuda"
von Fr. Dahl, und V. „Durch die Sargasso-See nach den Kap-
verden."
Dahl giebt hier wie in den späteren Abschnitten über die
Kapverden, Ascension und Azoren einen guten LTcbcrblick über
die Gesammt-Fauna.
Bezüglich der Sargasso-See folgendes:
Columbus ist der eigentliche Endecker der Sargasso-See und
auch der Vater des Mythus von der Ortsbeständigkeit einer grossen
Fucusbank südwestlich von den Azoren. Seine Nachfolger haben
erfunden, dass die Tang-Ansammlung den Fortgang eines Schiffes
hemmen kann. Namentlich A. v, Humboldt's Autorität hat die
Ansicht, die er mehrmals und ausführlich vorgetragen hat, dass
die Sargasso-See ortsbeständig sei, verbreitet und lange als die
richtige erscheinen lassen Nach O. Kuntze giebt es aber kein
eigentliches Sargassonieer, es handelt sich um treibende, von den
Küsten losgerissene Sargassumstücke. Capt. Haltemann meint,
das Kraut des Sargassomeeres stamme vorzugsweise von den
Bahamabänken, wo es von Stürmen losgerissen werde. Nicht alles
losgerissene Kraut treibe an der Oberfläche, dort finde sich nur
das frische, bräunlich-gelbe Sargassum; anderes halte sich in etwas
frösserer Tiefe, etwa 6 Fuss von der Oberfläche entfernt auf,
ieses sei gelblicher, trage weniger Schwimmblasen und habe ein
fleischigeres Geäste, was Kuntze für Anzeichen vorgnschrittenen
Verfalles erklärt. Von einer gleichmässigen Vertheilung des Krauts
kann keine Rede sein. Es treibt in langen Streifen genau
pai'allel der herrschenden Windrichtung u. s. w. Die Plankton-
Expedition fand verhältnissmässig sehr viel Sargassum treibend
vor. Eine Zählung ergab auf 525 Dm je ein Pflanzenbüschel, eine
andere Zählung je eine Pflanze auf G60 Dm, eine dritte 2.555 Stück
auf 1 Dkm. Die Vertheilung ist sehr ungleichniässig, denn das
*) Vergl. die von Hrn. Prof. von Martens gegebene Erklärung
des Wortes Plankton in' der „Naturw. Wochenschr." VI S. 194.
in 1 Minute gezählte Quantum schwankte von 0 bis 83 Stück.
An anderen Stellen traten die Sargassumbüschel in Feldern und
5 — '.) m breiten Streifen auf, letztere parallel der Windrichtung.
Eine gleichmässige Vertheilung angenommen, würde hier etwa ein
zusammenhängendes Pflanzenstück auf je 175 Dm kommen. Das
Planktonvolumen übertrifft das Sargassovolumen bei Weitem. Am
Strande wachsend, auf Klippen und abgestorbenen Riffen, fand
sich Sargassum auf Bermudas. Die Azoren, Kapverden und Ascen-
sion waren frei.
Die grosse Sargasso-Bank von Flores und Cowo A. von Hum-
boldt's ist weiter nichts als die Summe aller aus den verschiedensten
Zeiten herrührenden Beobachtungen entlang der Segelroute von
Segelschiffen, die nach des Seemanns Ausdruck „ihren Durchstecher
durch den Passat" machen. Humboldt's Untersuchungen sind
überhaupt in der in Rede stehenden Frage unkritisch, denn auch
die anderen Angaben sind so zu erklären wie die erwähnte: „wo
mehr Beobachter, da sind mehr Sargassovorkommen" notirt. Auch
<_). Kuntze trifl't nicht ganz das Richtige.
Krümmel zeigt, dass das Sargassum im Sommer aus dem Golf-
stromgebiet nach Südosten wandert und, dem herrt^chenden
Meeresstrom weiter folgend, im Winter 30° Br. und im Frühling
25° Br. überschreitet: einer Hochtluthwelle ähnlicdi, pflanzt sich
das Maximum, vom langsamen Strom getragen, erst sü<lUch, dann
südwestlich fort. Die Sargassumstücke kommen also aus dem
Floridastrom, und zwar genauer aus dem Ursprungsgebiet im
karaibischon Mittelmeer, dessen Inseln und Küsten der Strom mit
starkem Laufe bestreicht. Praktiker, erfahrene Seeleute, wissen,
dass jeder sommerliche Tropenorkan mit wüthender Brandung
das Kraut abreisst und der Trift liberantwortet, sodass selbstredend
der Floridastrom liesonders reichlich besetzt sein muss. Das
Kraut kann schwimmend wohl ein Paar Jahre Dauer erreichen,
da es Lebensbedingungen in sich und der Umgebung findet.
„Freilich aber werden die Ernährungsverhältnisse gegenüber dem
Wachsthum am Strande insofern ungünstiger sein, als der Stroin
die losgelöste Pflanze mit ihrer ganzen Wasserumgebung
zugleich fortführt, deren Nahrungsstoffe sich also verringern und
schliesslich fast erschöpfen müssen, wenn nicht die Atmosphäre
für neue Zufuhr, etwa durch salpetersäurereiche Gewitterregen
soi'gt." Dieser Ungunst der Ernährung wird im Allgemeinen die
Abwesenheit oder doch ausserordentliche Seltenheit von geschlecht-
lichen Fortpflanzungsorganen beim treibenden Sargasso zuzu-
schreiben sein.*) Eine Vermehrung durch Sprossbildung kann
ebenfalls als ausgeschlossen gelten, dazu sind die Bedingungen
der Ernährung zu ungünstig. Das Endschicksal jedes treibenden
Stückes ist immer dasselbe: die Bryozoen umspinnen mit ihren
Kalknetzen die Schwimmblasen, die schliesslich spröde werden
und abbrechen, w<u'auf die Alge versinkt.
Zu Abschnitt V, aus welchem wir vorstehend die interessante
Frage nach dem Wesen des sog. Sargasso-See referirt haben, die
endlich befriedigender als jemals Beantwortung gefunden hat,
finden wir 2 Anhänge: 1. C. Apstein, Vorbericht über die
Alciopiden und Tomopteriden der Plankton - Expedition , und
2. H.Lohmann, Vorbericht über die Appendikid arien der Plankton-
Expedition, die sich nächst den Copepoden ihrer Zahl nach als
die wichtigsten mehrzelligen Plankton-Organismen erwiesen ha'ien.
Der VI. Abschnitt behandelt die Reise über die Kapverden zum
Aecpiator, und auch hierzu sind 2 Anhänge gegeben, nämlich 1. Fr.
Dahl, Die Landfauna der Kapverden, und 2. A. Borgert, Vor-
bericht über einige Phaeodarien- (Tripyleen-) Familien der
Plankton-Expedition.
Dahl schildert die Vogelwelt der Kapverden als ziemlich bunt
zusammengewürfelt. Bei anderen Thiergruppen sind 2 Transport-
mittel, die Strömung und der Wind, deutlich als Vehikel zu er-
kennen. Durch die Meeresströmung werden n ich t fliegende Thierc
herbeigeführt, und zwar theilweise von den Kanaren und Madeira,
seltener von Südeuropa, theilweise auch von dem etwas nördlich
gelegenen Theil der afrikanischen Küste. Durch den Wind da-
gegen wurden fliegende Insecten von der gegenüberliegenden
afrikanischen Küste herübergetrieben.
Der VII. Abschnitt behandelt die Reise vom Aequator über
Ascension nach Para, mit einem Anhang von Fr. Dahl, Die
Landfauna von Ascension.
Abschnitt VIII beschreibt 2 Wochen in und bei Parä. Von
den beiden Anhängen zu diesem Abschnitt behandelt Fr. Dahl
wiederum die Fauna von Para, der andere, von den sämmtlichen
„Anhängen" der umfangreichste, aus der Feder des Botanikers
der Expedition Franz Schutt, schildert das Pflanzenleben der
Hochsee. Jlanches in dieser Abhandlung Mitgetheilte ist auch der
in der „Naturw. Wochenschr." VIII S. 153 durch Herrn Professor
E. V. Martens bereits ausfiüirlich besprochenen Arbeit Schütt's
„Analytische Plankton -Studien" zu entnehmen, man wolle dess-
*) Diese Annahme steht in Widerspruch mit der Thatsache.
dass die Pflanzen geschlechtliche Fortpflanzungs-Organe gerade
unter ungüubtigeren Ernährungs- Bedingungen hervorzubringen
i pflegen. P.
Nr. 47.
Natnrwisscnscliaft liehe Woc-henschrif't.
527
halb ilio citirtc Besprechung vergleichen. Die (1.) Diatomiiceen
unterscheidet. Schutt als Grunddiatomeen und Planktondiatomeen,
die an ihre Lebensweise im freien Wasser besondere Anpassungen
zeigen. Man kann die D. in nahtfülirende und nahtt'reie trennen,
je nachdem jede der beiden Schalen eines Indiviihnuns aus zwei
gleichen Stücken zusammengesetzt i.st, die an ihrer Verbindungs-
linie wie durch eine verdickte ..Naht" verbunden eischeinen, oder
dieser ..Naht" entbehren. Es ist z. B. bemerkenswertli, dass die I
Grunddiatomeen allermeist Nähte besitzen, wiihn'nd die Plankton-
diatomeen hingegen überwiegend nahtfrei sind. Es erklärt sich
das aus der Theorie Max Schultze's, nach welchem der feine Spalt,
der die Naht der Länge nach durchzieht, zum Durchtritt für das
Plasma hehufs Eigenbewegung der Diatomeen, die gerade für
Grunddiatomeen den Planktondiatomeen gegenüber von Nutzen
sein muss, bestimmt ist. Für die Planktondiatomeen ist wie er-
siclitlich der Besitz der Naht danach überflüssig. Ausser dem
Fehlen von Merkmalen, die die Grunddiatomeen charakterisiren,
zeigen die Planktondiatomeen auch eine Reihe von positiven An-
passungserseheinungen an das Leben im freien Wasser. Wir er-
wähnen nur die Thatsache, dass die Planktondiatunieen an Volumen
die Grunddiatomeen übertreffen und wasser- (saft-) haltiger sind,
wodurch eine dem Wesen nützliche Annäherung ihres specitischen
Gewichtes an das ihres Mediums erfolgt. Auch Scliwebeapparate
z. B. in Form langer fadenförmiger Anhängo sind zu bemerken
U.S.W. — Die (2.) Peridinoen*J sind bekanntlich durchweg Plankton-
fnrmen, während die (.S ) Flagellaten untergeordnet vertreten sind.
Die (4.) Pyrocysteen, kleine einzellige Algen, spielen ebenfalls im
Plankton keine grosse Rolle, während die (5.) Schizophyten, näm-
lich die Oscillariaceen, Nostocaceen, Rivulariaceen, Chroococcaceen
und Bakterien sehr reich vertreten sind; die letzteren sind fern
von den Küsten in der eigentlichen Hochsee freilich nur in ver-
schwindend geringer Menge zu finden. Die (6.) Haplochlorophyten
(Zygnemaceen, Protococcaceen, Hydrodictyaceen, Pleurococcaceen
und \'(iIvocaceen) besitzen in der Hochsee nur wenige Vertreter.
Die bisher genannten Gruppen (1.— Ü.) fasst Schutt als „Haplo-
phyten" zusammen, er stellt sie den „Syniidiyten" gegenüber,
welche sänimtliche Pflanzen von den Confervales an umfassen, die
höher organisirt sind als die Haplophyten. Die Cldoroph3'ceen
haben keine Bedeutung für die Hochsee, die Charales noch weniger
und die Phaeophyceen (Fucaceen, Laminariaceen und Rhodo-
phyceen) kommen, wie z. B. Sargassum, nur als Pseudo-Plankton-
Pflanzen in von ihrem Standort losgerissenen Stücken vor.
Abschnitt IX schildert die Heimreise ül)er die Azoren. Zu
demselben sind wiederum "2 Anhänge beigegeben: 1. Fr. Dahl,
Die Landfauna der Azoren und 2. K.Brandt, Ueber Anpassungs-
erscheinungen und Art der Verbreitung von Hochsoethieren. Unter
den letzten fällt die möglichste Herabsetzung des specitischen
Gewichtes der Organismen zunächst ins Auge, und zwar 1. durch
Aushildung von Gallertsubstanz durch wässrige Aufcjuellung vieler
Oller aller Gewebe, '_'. durch Au.sscheidung von Gas in besonderen
Behältern, und 3. durch reichliche Fettbildung. Dazu kommt noch
häufig 4. eine bedeutende ( )berflächen-Vergrösserung und damit
Erhöhung des Reibung.-widerstandes. Die Farbenanjiassung äussert
sich vor allem bekanntlich dadurch, dass viele Hochseethiere. die
an der Oberfläche leben, eine rein-blaue Farbe besitzen. Die Be-
wohner der Sargassum-Büschel zeigen eine vollkommene Farben-
anpassung an die grünlich-braune Alge. Krebse, die an derselben
leben, sind braun-bunt, während die an freischwimmenden Hoch-
seethicren angeklammerten blau sind. Die bei Hochseethieren so
ausserordentlich häufige Erscheinung des Lenchtens ist Brandt
geneigt als eine Folgeerscheinung der Anpassung an das Hoch-
seelebcn anzusehen, indem das Fett, das mit dem Leuchten in
enger Beziehung steht, wie gesagt, in erster Linie der Verringe-
rung des spec Gew. dient, sodass das Leuchten zunächst nur
eine Begleiterscheinung ist, die freilich bei vielen Thieren dann
zur Hau|)tfunktion erhoben worden ist. Manche Thiere kommen
in grossen Anhäufungen vor. Die koloniebildende Radiohirie
Myoxosphaera coerulea wnrde in gleielimässiger Vertheilung idier
die Strecke von gegen läOO Seemeilen hin conslatirt. Schwärme
pelagischer Thiere finden sieh häufig besonders als Folge der die
gleichmässige Vertheilung störenden Meeresströnuuungen.
Bd. I C „Geophysikalische Beobachtungen", gliedert sich in
\. meteorologische und 2. oceanographische Beobachtungen. Der
1. Alischnitt bringt Nachrichten über Windstärken, die oberen
Wolken, Regenverhältnis.'^e u. s. w., der "J. über Tiefseelothungen,
*) Vergl über diese Gruppe den reich illustrirten Artikel „Die
neuesten Fortschritte auf dem Gebiete der Peridineen-Forscluing"
in der „Naturw. Wochensehr." Bd. VIT No. 18 S. 173 ff.
Salzgehalt, Farbe des Wassers und Beobachtungen an Wellen.
Von den beigegebenen beiden Karten veranschaulicht die eine den
Salzgehalt der MeeresolxM'fläche, .-lus der zu ersehen ist, dass der
stärkste Salzgehalt des Atlantic in einer ungefähr von dem 2ü. und
30. nördl. Breitengrad begrenzten breitgezogenen Ellipse gefunden
wird Die 2. Karte veranschaulicht die herrschende Wasserfarbe,
aus der hervorgeht, dass eine ähnliehe, aber vom 30° der Länge
nach durchschnittene, also nördlicher als die vorige liegende
Ellipse tiefes Kobaltblau von grösster Transparenz zeigt, während
von dieser Ellipse aus nach den Küsten hin nach einander ver-
zeichnet sind: Kobaltblau, Grünliidiblau. ausgeprägt Grünblau
und endlich „Dunkel- oder Ostsi-egrün, meist stark getrübt''.
DieArbeitBd.il Ga« nimmt um- 9 Seiten ein. Halebatiden,
jene an inisere Hydrometra und auch zu den Hydroinetridae ge-
hörigen Wasserwanzen, sind bisher nur in den tro))isclien Theilon
der Oceane beobachtet worden: noch vieles in ihrem Leben be-
darf der Aufhellung.
Umfangreicher, gegen 90 S. einnehmend und mit XIII Tafcdu
versehen, ist die Abhandlung Bd. II Guß. Im Gegensatz zu der
vorigen Insectengruppe sind die Halacarinen Bewohner des Meeres-
bodens, mit Ausnahme weniger Arten, die im Süsswasser vor-
kommen, also gerade umgekehit wie die im Süsswasser mit den
genannten verwandten Hydrachniden. von denen einige wenige
Arten auch im Meerwasser vorkommen. Die Meeresmilben bilden
einen wesentlichen und beständigen Bestandtheil der Meeresfauna.
Zwischen dem Sargassum wurden merkwüidigerweise keine ge-
funden, aber das Absuchen der Küstenalgen und die Plankton-
fänge ergaben 9 Arten, von denen 4 neu.
Bd. II K d uinfasst 28 Seiten mit 4 Tafeln mit Darstellungen
der Thiere und ihrer Theile und einer Karte, welche die geogra-
phische Verbreitung der Cathammata zur Darstellung bringt, die
erste, grössere Abbildung der acraspeden Medusen. Man kann
aus derselben u. a. ohne Weiteres herauslesen, dass die Cliarvb-
deidae (Verf theilt die Cathammata in 1. Charybdeiilae, 2. In-
coronata und 3. Coronata) der wärmeren Meerregion angehören,
etwa vom 30° nördl. bis zum 30° südl. Breite. P.
B. Farwick, Nützliche Vogelarten nebst ihren Eiern, deren
Schutz behördlich angeordnet ist, nebst erläuterndem Text.
VII Farbenilrucktafeln. Herausgegeben von Hans Buscher, litho-
graphische Kunstanstalt. Comm. -Verlag von Friedrich Wolfrum,
Düsseldorf. 181)2. —
Auf 7 Farbentafeln bringt obiges Werk, in ziemlich guter
Darstellung, an welcher man bis« eilen einige Härte in den Farben-
tönen mouiien könnte, die Abbildungen einer Anzahl von Arten
besonders nützlicher Vögel, dci-en Tödten oder Fangen behördlich
untersagt ist. Aus einer dem Prospect für das Werk beige-
druckten Verordnung der Kgl. Regierung in Düsseldorf ersieht
Ref, dass der Autor sich im Wesentlichen an die in der er-
wähnten Verordnung genannten N'ögel gehalten hat und so er-
klärt es sich vielleicht, dass einige Arten, welche man in <'inem
Werk wie das obige suchen muss, nicht berücksichtigt sind,
während andere, die wegen ihres seltenen Vorkommens für die
Praxis kaum Bedeutung haben, wie z. B. die Mandelkrähe, in
Bild und Text vertreten sind. Was der Autor bietet, ist wichtig
und richtig und so kann man dem Werk nur eine weite Ver-
breitung wünschen. Besonders dürfte es Landwirthen, Volks-
und Landschullehrern zu empfehlen sein, da es in der Hand
des Lehrers ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel für den
Unterricht in der Thierkunde sein wird. Dr. Ernst Schaft'.
Fritsch, Prof. Dr. K. v., Zumoffens Höhlenfunde im Lib.inon.
Halle. 3 M.
Lie, Prof. Sophus, ^'orlesungen idier continuirliche Gruppen mit
i;eonietrisclien und anderen Anwendungen. Leipzig. 24 M.
Löwl, Prof. Dr. Ferd., Die gebirgbildeiulen Felsarten. Stuttuart.
4 M.
Lombroso, C, u G. Ferrero, Das Weib als Verbreclu^rin uiul
Prostituirte. llanihurg. 18,.'i(l .M.
Scheffler, Dr. Herrn., Beleuchtung und Beweis eines Satzes aus
Legendre's Zahlentheorie. Leipzig. 1 M.
— Die Aeqüivalenz der Naturkräfte und das Energiegesetz als
Weltgesetz. Leijizig. 9 M.
Schmidt, Dr. K. E. F., Beziehungen zwischen Blitzspur und
Saftstrom lud Bäunu'n. Ilalh'. 1 M.
Jlllialt: H. Potonie: Der Begritf der Blüthe. (Mit Abbild.) — 65. Versammlung deutscher X-iturfnri-clier und Aerzti' in Xürn-
berg. — Die Träger der Vererbung. — Zur Mvrmekophilie des Adleifarns. ~ Aus dem wissenschaftlichen Leben. — LItteratur:
Ergebnisse der in dem Atlantischen Ocean von Mitte .luli bis Anfang November 1889 ausgeführten Plankton-Exijedition der
Humboldt-Sliftung. — B. Farwick: Nützliche Vogelarten, nebst ihren Eiern, deren Schutz behördlich angeordnet ist, nebst
erläuterndem Text. — Liste.
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^ftp" Xlt. Siehe Bespreclning in der
„NaturwIssensch.Wochenschr." Bd. VIII. 1893 Nr. 44
Verautwortlicher Redakteur: Dr. Henry l'otonie, Berlin N. 4., Invali
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin
drustr. 41, für den Inseratentheih llii^o r..Miisteiii
SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW 12.
llrrlill. -
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 26. November 1893.
Nr. 48.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Viertcljahrspreis ist M 4.—
Biingegeld bei der Post \i -^ extra.
Inserate : Die viergespalteue Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nur niit vollständiger <^uellt>naiigabe gestattet.
Ueber die Bedeutung wissenschaftlicher Ballonfahrten.
Von Dr. E. Koebke.
Bei der Eutwiekeluiig, welche die Meteorologie in
neuerer Zeit genommen hat, wurde schon früh erkannt,
dass nur dann ausreichende Erklärungen für die wahr-
genommenen Witterungserscheinungen gegeben werden
können, wenn die vcrticalen Aenderungen im Znstand der
Atmosphäre der Untersuchung zugänglich gemacht würden;
der einzige Weg, um solche Untersuchungen auszuführen,
besteht darin, regelmässige Beobachtungen an Stationen
auszuführen, welche möglichst nahe an einander und in
möglichst verschiedener Höhe sich befinden. Aus diesen
C4ründen wurde schon bald von den Meteorologen auf die
Wichtigkeit der Errichtung von Bergobservatorien
hingewiesen und eine ganze Anzahl solcher Stationen er-
baut, von denen die höchsten in den einzelnen Ländern
die folgenden sind: In Deutschland der Wendelstein
(1828 m), in Oesterreich der Sonnblick (3103), in der
Schweiz der Säutis (2467), in Frankreich der Pic du
Midi (2370) — auch das nach den neuesten Berichten
im Bau vollendete Montblanc-Observatorium dürfte
demnächst mit den Beobachtungen beginnen — , in Italien
der Etna (2990), in Portugal die Sierra da Estrella
(1441), in Grossbritannien der Ben Nevis (1343) und
endlich in Nordamerika der Pike's Peak (4308). Von
dem letzteren, der bisher höehstgelegencn Gipfelstation,
liegen bereits langjährige, ausführliche Beohachtungs-
resultatc vor. Aber trotz der Bedeutun
Stationen besitzen, kann ihnen doch
immer
welche diese
nur ein be-
schränkter Tlieil der zu lösenden Aufgaben zufallen; sie
bilden auf jeden Fall immer nur einen Uebergang von
den Verhältnissen an den Tieflandstationen zu jenen der
höheren Regionen, denn alle dort gewonnenen Resultate
stehen immer noch in hohem Grade in Abhängigkeit von
den Einflüssen der Erdoberfläche, die sich ja selbst bei
den steilsten Gebirgen doch immer nur allmählich zum
Gipfel erhebt. Erst wenn wir über Sinn und Grösse der
Uiitcr,schiedc genau unterrichtet sind, welche zwischen den
im Inneren des Luftmeeres und den auf Gebirgsstationen
gewonnenen Beobachtungen bestehen, erhalten die letzteren
ihren wahren Werth.
Zur Ermittelung dieser Unterschiede und zur Erforschung
der Verhältnisse in der freien Atmosphäre giebt es kein
anderes Hilfsmittel, als den Luftballon; daher ist es zu
erklären, dass in letzter Zeit den zu wissenschaftlichen
Zwecken mit demselben ausgeführten Fahrten ein so hohes
Interesse gewidmet wird. Bevor wir auf diese Fahrten
näher eingehen, sei noch auf die Bedeutung hingewiesen,
welche in neuester Zeit der Eiffelthurm (305 m hoch)
für die Meteorologie gewonnen hat. Da die auf demselben
angestellten Beobachtungen nahezu frei von dem Einflüsse
des umgebenden Erdgeländes sind, so können sie wohl
als die Zustände der freien Atmosphäre charakterisircnd
angesehen werden, und in der That sind seit der kurzen
Zeit seines Bestehens schon sehr werthvolle Resultate
erzielt worden, von denen wir einige hier anführen wollen.
Die Windgeschwindigkeit beträgt hier etwa das Drei-
fache derjenigen am Erdboden. Ihr täglicher Gang ist,
wie die umstehenden Diagramme (Fig. 1 u. 2) erläutern
mögen, ganz verschieden von demjenigen unten; während
nämlich in der Thalsohlc in allen Monaten das Minimum um
Sonnenaufgang, das Maximum gegen 1 — 2 Uhr Nachmittags
stattfindet, zeigt sich auf der Spitze des Thunnes gerade
das Gegentheil, in den Sommermonaten tritt das Jlinimum
zwischen 9 und 10 Uhr Morgens, das ]\Iaximum gegen
11 Uhr Abends ein, in den Wiutermonaten tritt eine
weitere Verschiebung ein.
Bei der Temperatur liegt das tägliche Minimum im
Allgemeinen höher, das Maximum tiefer als in der Thal-
station, die Amplitude der täglichen Variation ist etwa
zweimal schwächer an der Spitze als am Fusse des Eitfel-
thunncs. Dasselbe gilt von der jährlichen Variation, da
die Gipfeltemperatur relativ uiedrij.
Winter ist.
im Sommer, hoch im
530
Naturwisscuscbaftlicbc Wochenschrift.
Nr. 48
So intei-cssaiit nud wichtig auch diese Resultate sind
und so wünschenswerth die Vermehrung- ähnlicher Beob-
aehtungsstationen wäre, so muss man doch beachten, an
welche geringen Höhenunterschiede man bierliei gebunden
ist. Will man ans grösseren Höhen von ganz tVeigelegeneu
Punkten Beobachtungen haben, so muss man zum Luft-
ballon gehen. Seit der Erfindung desselben sind denn
auch bei Fahrten fast regelmässig meteorologische Beob-
achtungen angestellt worden; ja zum Thcil wurden Fahrten
nur zu diesem Zwecke unternommen. Wir heben hier nur
hervor die Fahrten von Barral und Bixio, welclie am
17. Juli ISÖO sicii bis zu einer Höhe von über 700ü ni
erhoben, wobei sie unter anderem eine Temperatur von
— 39,7° C. beobachteten, die Fahrten von Glaishcr aus
den seclizigcr Jahren, die in Bezug auf Kühnheit und
Eeichhaltigkcit der Ergebnisse bisher unerreicht dastehen
— er gelangte bis zu mindestens 8800 m — , endlich die
Fahrten des Ballons Zenith im
Jahre 1875, bei dessen letzter, am
5. April, Croce-Spinelli und
Sivel in einer Höhe von wahr-
scheinlich 8600 m ihren Tod fanden. ^1''*^'^
In neuester Zeit ist von den
Franzosen ein Unternehmen ins
A\'erk gesetzt worden, welches
durch seine Originalität Interesse
erregt. Unter Leitung von Hermite
werden unbemannte, mit Kegistrir-
Instrumenten ausgerüstete Ballons
in die Luft gesandt, welche wegen
ihres geringen Gewichtes ganz be-
trächtliche Höhen erreichen. So re-
Jüui — September.
Fuss
Figur 1
gistrirte
ein am 21. März abge-
schickter, 113 cbm fassender Ballon
während einer siebenstündigen
Fahrt als niedrigsten Barometer- Siutz(
stand 103 mm, was unter Berück-
sichtigung derTemperatur, als deren
niedrigste — 51° C. verzeichnet
wurde — nachher gefror die Tinte
— , einer Höhe von etwa 16 000 m
entspricht. Da an der Erdoberfläche
17° Wärme herrschten, so beträgt j-„gg
die mittlere Temperaturabnahme
0,54° C. pro 100 m.
Verdienen nun auch diese
Fahrten und die durch dieselben
in meteorologischer Hinsicht erzielten
Figur
Ergebnisse
höchste Interesse, so ist doch bei ihnen allen
das
ein
Uebelstand zu beachten, der für die Verwerthung dieser
Beobachtungen erschwerend ins Gewicht fällt, es ist der
Umstand, dass die Temperaturablesungen, welche auf
diesen Fahrten gemacht worden sind, nur mit der aller-
grössten Vorsiebt zu gebrauchen, zum Thcil sogar ganz
werthlos sind. Es beruht dies auf den folgenden Gründen.
Bekanntlieh hängt der Stand eines Thermometers nicht
allein von der Temperatur der umgebenden Luft, sondern
auch davon ab, in welchem Maasse dasselbe durch Ein-
oder Ausstrahlung beeinflusst wird. Um diesen letzteren
Einflüssen abzuhelfen, sind für die Aufstellung der Thermo-
meter die verschiedensten Schutzvorrichtungen erfunden
worden, unter denen die Hüttenaufstellung die bekannteste
ist. Diese Schutzvorrichtungen lassen sich aber im Luft-
ballon nicht anbringen, und gerade in ihm treten die
Strahlungseinflüssc am allerschärfsteu hervor, weil in ihm
stets vollständige Windstille herrscht — er fliegt ja mit
dem Winde. Deshalb eben sind in den Temperaturangaben
der älteren Fahrten, wo die Thermometer zumeist ganz
ungeschützt aufgestellt waren,
beträchtliclic Fehler.
Es war deshalb von Bedeutung, dass Professor Assniann
ein Instrument konstruirte, bei welciicm die erwähnten Uebcl-
stände nach den von ihm angestellten Versuchen ganz
Avcgfallen. Schon früher hatte man durch l'enutzung des
Schleuderthermometers bei Temperatnrablesungen die
Strahlnngseinflüsse zu vermeiden gesucht: An einem Faden
wurde ein Thermometer vor der Ablesung einige Minuten
durch die Luft geschleudert, um hierbei die wahre Luft-
temperatur anzunehmen. Professor Assmanu benutzt das
umgekehrte Princip, er führt nicht das Thermometer durch
die Luft, sondern die Luft an dem Thermometer vorbei;
zu diesem Zwecke sind bei dem As]»irationspsychro-
nieter zwei Thermometer, ein trockenes und ein be-
feuchtetes — der Unterschied in den Angaben beider
Thennometer giebt ein Mittel zur Bestimmung der Luft-
feuchtigkeit — , in je zwei mit einander verbundenen, blank
l)olirten Röhren eingeschlossen, durch welche von einem
Ventilator die Luft hindurchge-
saugt wird. Eine lange Reihe von
Versuchen führte den Erfinder dazu,
die möglichst günstige Form für
diese umhüllenden Röhren und den
V^entilator zu finden; er fand seine
langen Bemühungen durch das Er-
gebniss gekrönt, dass das P.sychro-
metcr in der Sonne und im Schat-
ten, unter sonst gleichen Verhält-
nissen, denselben Stand zeigte. In
diesem Apparat nun war ein Mittel
gefunden, das für die IJeobach-
tungen im Luftballon von höchster
Bedeutung ist, und es war des-
halb gerechtfertigt, dass der Wunsch
entstand, nunmehr auch eine Reihe
von Fahrten unter Benutzung dieses
lustiumcntes auszuführen, durfte
man doch jetzt sehr werth volle und
vor allem einwandsfreie Tempera-
turbeobachtungen erwarten.
Freilich sind auch gegen die
Verwendung des Aspirationspsy-
chrometers bei Ballonfahrten in
neuerer Zeit durch den amerika-
nischen Meteorologen Professor
Hazen Bedenken geltend gemacht
worden, die darin gipfeln, dass
bei solchen Fahrten, bei sehr
schnellem Steigen oder Fallen des Ballons, wo die Tempe-
ratur sich rasch ändert, der durch den Ventilator in dem
Instrument erzeugte Luftstrom so gering ist, dass seine An-
gaben hinter den wahren Werthen zurückbleiben müssen. In-
wieweit diese Bedenken gerechtfertigt sind, werden genaue
Untersuchungen lehren. Nur das eine möchte der Verfasser
aus eigener Erfahrung hervorheben: wir haben es hier mit
einem äusserst empfindlichen Instrument zu thun, das nur
einem geübten und durchaus gewissenhaften Beobachter an-
vertraut werden darf, da es leicht ist, mit demselben imierhalb
gewisser Grenzen jede beliebige, etwa gewünschte Tem-
peratur zu erzielen, wenn man nur dem Luftstrom, welcher
an den Thermometern vorbeigeführt wird, irgend welche
Wärmequellen, etwa die vom eigenen Körper ausgestrahlte
Wärme, zuführt. Namentlich muss diese Vorsicht während '
der Befeuchtung des einen Thermometers geübt werden,
indem nach derselben, ebenso wie nach jedem Aufziehen
des Ventilator -Uhrwerkes, dem Insti-ument Zeit gelassen
werden muss, sich einzustellen.
Wir gehen nunmehr über zur I5esprechung des in
diesem Jahre vom Deutsehen Verein zur Förderung der
Lultseliiftfahrt ins AVerk gesetzten Unternehmens, durch
0 c t 0 b c r — D e c c m b c 1'.
! « 6 s to /?" ?f * e 8 fo n"
Nr. 48.
Natunvissenscluiftliclic Wocliensclirift.
531
eine grössere Reibe von Falirten, bei denen vor allen
Dingen auf die Anstellungen einwandfreier Beob-
achtungeu Rücksiclit genonniien werden soll, zur Er-
forscluing des Zustandes der Atniospbäre wertbvolle Bei-
träge zu liefern. Es dürfte deslialb zunäebst am Platze
sein, noch einmal genauer die Aufgaben anzuführen, welelie
bei diesen Fahrten ilu'er Lösung möglichst entgegengefübrt
werden sollen. (Nach W. von Bezold, Himmel und Erde,
Üetoberheft 18'J2.)
Nachdem man erkannt hatte, dass die Vertheilung
des Luftdrucks, die Entstehung und Fortbewegung baro-
metrischer Maxima und Minima, den Charakter des Wetters
bedingen, wurde man bald dazu geführt, die Entstehung
solcher Gebiete hohen und niedrigen Luftdruckes durch
locale Erwärmungen über einzelnen Theilen der Erdober-
fläche, sowie durch Abkühlung an anderen Stellen unter
Mitwirkung der ablcnkeudeu Kraft der Erdrotation zu
erklären; diese Lehre, die sogenannte Convectious-
theorie, der vornehmlich die meteorologische Forschung
in den letzten Jahrzehnten gewidmet war, deren absolute
Iliclitigkeit aber auch durch Beobachtungen, namentlich an
Bergobservatorien, in Frage gestellt worden ist, bedarf vor
allen Dingen der weiteren Begründung und der JModifi-
cirung. Des weiteren ist die Wolken- und Niedersclilags-
bildung näher zu untersuchen; als deren wesentlichste
Ursache ist ja die Abkühlung anzusehen, Avclcbc die Luft
beim Aufsteigen erfährt; da nun die Beobachtung der
Wolken lehrt, dass dem aufsteigenden Luftstrome des
barometrischen Jlinimums in verschiedenen Höben Luft
aus dem benachbarten Maximum beigemischt wird, so
kommt es darauf au, die Veränderungen festzustellen,
welche das Gesetz von der Temperaturabnahme mit der
Höhe erfährt, wenn man ans der ncbelfreien Luft, sei sie
nun trocken oder von Regentropfen durchsetzt, in die
Wolken selbst eintritt, und durch Temperaturbestimmungen
unterhalb und innerhalb der Wolken festzustellen, wie
bedeutend die Erwärmung oder Abkühlung ist, welche die
Luft bei solchen Vorgängen erleidet. Von höchstem Liter-
esse werden diese Untersuchungen namentlich dann, wenn
der Ballon die obere Begrenzung der Wolken passirt, da
au dieser Fläche eine gewaltige Reflexion der Sonnen-
strahlen eintritt, welche ebenso wie die damit Hand in
Hand gehende Verdunstung zu eigeuthümlichen Erschei-
nungen führen muss. Auch über die Beschaffenheit der
Wolken selbst muss Aufschluss erhalten werden, wurde
doch schon verschiedentlich bei Ballonfahrten l)eobachtet,
dass innerhalb der Wolken die Temperatur weit unter
dem Gefrierpunkt lag, ohne dass hier Eispartikelchen an-
getroffen wären. Endlich ist von Wichtigkeit die Be-
stinunung derjenigen Hohen, bis zu denen sich die Wirk-
sand^eit atmosphärischer Wirbel erstreckt, sowie nament-
lich derjenigen Höhe, in welcher ein Zuströmen der Luft
nach der barometrischen Depression in ein Ausströmen
übergeht.
Sollen nun alle diese Aufgaben ihrer Lösung ent-
gegengeführt werden, so wäre dazu freilich erforderlich,
dass solche Fahrten bei jeder beliebigen Witterung, im
Hochdruck- oder Tiefdruck- Gebiet, bei klarem und bei
bedecktem Himmel, bei Tag und bei Nacht unternommen
werden; leider bietet hier die Ballontechuik Hindernisse
dar, die nicht leicht zu überwinden sind. Schon bei
einigermaassen windigem Wetter, von Sturm ganz zu
schweigen, gehört die Füllung eines grösseren Ballons
nahezu zu den Unmöglichkeiten, und man ist deshalb
darauf beschränkt, bei leidlich windstillem Wetter zu
fahren. Auch auf die Landung muss ja innuer Rücksicht
genommen werden: Ist der Ballon über den Wolken, so
darf doch der Luftschitier die Richtung der Fahrt nicht
verlieren, namentlich in unseren Gegenden, wo die Gefahr,
dass die See erreicht w-erde, sd nahe liegt, und ist des-
halb genöthigt, möglicherweise die interessantesten Beob-
achtungen zu unterbrechen, luii durch die Wolken hinab-
zusteigen und die Erde erblicken zu können. Aber selbst
bei so beschränkten Bedingungen, unter denen Fahrten
unternounnen werden können, darf noch eine ganz ge-
waltige Ausbeute in wissenschaftlicher Hinsicht erhoff't
werden.
Es mag noch erwähnt wi'rden, dass bei Gelegenheit
des schon erwähnten Unternehmens auch nichtmeteoro-
logische Fragen berücksichtigt werden sollen. S(j handelt
es sich um die Untersuchung von der Besehaflfenheit der
Luft in h('iheren Gebieten, um Bestimmung der Luft-
elektricität in verschiedenen Höhen u. a.
Da nach dem Vorstehenden einer der wesentlichsten
Zwecke der Luftfahrten stets die Ermittelung derjenigen
Zustände sein wird, welche gleichzeitig in verschiedenen,
senkrecht über einander gelegeneu Luftschichten herrschen,
so erwächst die Aufgabe, möglichst unterhalb der ganzen
vom Ballon zurückgelegten Bahu aus derjenigen Zeit
Beobachtungen zu erhalten, während welcher derselbe sich
im Zenith befindet. Demgemäss werden vor jeder Ballon-
fahrt die Vorsteher der in der voraussichtlichen Fahrt-
richtung gelegenen meteorologischen Beobaehtungsstationeu
telegraphisch ersucht, innerhalb der ihnen mitgetheilten
Zeitpunkte mriglichst oft, .jedenfalls aber zu jeder vollen
Stunde Ablesungen an den ihnen zu Gebote stehenden
Instrumenten zu machen. In dieser Weise ist bei den
Fahrten mit dem „HumboUlt" und dem „Phönix" tnr die
Bearbeitung der Ballonbeobachtungen werthvolles Material
erhalten worden.
Diese Fahrten, welche, wie bekannt, allgemein das
höchste Interesse erregt haben, sollten ja zur Erforschung
so mancher atmosphärischer Vorgänge beitragen; es ist
deshalb für dieselben ein reiches Programm aufgestellt
worden, über dessen bisherige Erledigung kaum wesent-
liche Punkte veröffentlicht worden sind. In der That wer-
den die ganzen Ergebnisse nach Beendigung der Fahrten
einer eingehenden Bearbeitung unterzogen werden, so dass
die Resultate eineu stattliciieu Band füllen dürften. Ueber
die Technik des Ballons hat der technische Leiter der
Fahrten, Prcmierlieutenant Gross, kürzlieh eingehende
Mittheilungen gegebeu.*) Es dürfte interessiren, hier eine
Beschreibung der Fahrt zu geben, au welcher Verf. thcil-
genommen hat, und die am 7. April d. J. stattfand.
Die Auffahrt erfolgte an diesem Tage um ü Uhr
"26 Minuten Älorgeus von Charlottenburg aus unter Leitung
von Premierlieutenant Gross, während die wissenschaftliehen
Beobachtungen ausser dem Verfasser Herr Berson ausführte.
Eine nördliche Luftströmung, die iu grösserer Höhe in
eine etwas östliche überging, führte uns über Schöneherg,
Tcmpelhof, Dahme, Ilerzberg, Torgau, Riesa, Griuuna,
Altenburg, Saalburg, üljcr den Thürinn'er \Vi\\d nach ( )ber-
franken, wo wir um G Uhr Abends nahe der Eiseidiahn-
station Kronaeh glücklich landeten. Der Ballon war nnt den
immer mitgeführten Instrumenten ausgerüstet, zur Beob-
achtung des Luftdruckes dienten ein Aneroid- und ein
(iueeksilberbarometer, von denen letzteres die Ilanpt-
beobachtungen liefern S(»llte, ausserdem ciu Barograph
des Systemes Richard Freres, welcher namentlich ffir den
Leiter des Ballons sehr angenehm ist, insofern, als er das
Steigen und Fallen des Ballons durch die von ihm auf-
gezeichnete Curve ohne weiteres erkennen lässt. Das zur
Bestimmung der Lufttemperatur dienende Aspirations-
psychrometcr hängt ausserhalb des Korbes zwischen den
Schenkeln eines Holzgestänges und wird mittelst Fern-
*) Vergl. Zoitsclirift für LiiftscliifAilirt luul I'livsik der Atmo-
spluire, Bd. XII, 1893, lieft 7-9.
532
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 48
rolires abgelesen; nur zum Befeuchten des einen Thermo-
meters wird es herangezogen; als Vergleiclisinstrnment
führten wir noch ein Schleuderthermometer mit, wahrend
ein zweites Aspirationsspychrometer
innerhalb des Korbes hing, aber von
der Körperwärme in so augenschein-
licher Weise beeiuflusst wurde, dass
die damit erzielten Resultate ohne
w'eiteres verworfen werden mussten.
Die Sonnenstrahlung wird durch ein
Schwarzkugcltherniometer ermittelt,
welches stets direct dem Sonnenschein
ausgesetzt wurde. Endlich wurde ein
])hotographischcr Apparat mitgeführt,
mit welchem verschiedene sehr hüb-
sche Abnahmen der Erde erzielt
wurden. Die Beobachtungen wurden
in der Weise ausgeführt, dass von
fünf zu fünf Minuten auf Commando
gemeinsame Ablesungen gemacht wur-
den, während in der Zwischenzeit auf
sänmitlichc Erscheinungen in der Atmosphäre, namentlich das
Auftreten von Wolken," die Aufmerksamkeit gelenkt wurde.
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Figur 3.
eine schwache Luftbewegung; ein liarometrisches Maxinuuii
breitete sich langsam von den britischen Inseln her aus.
Die Temperatur war in Deutschland überall gestiegen und
war fast an allen Orteu über dem
Normalwerth.
Die AVindrichtung war, wie schon
erwähnt, Nord - Süd, in höheren Ke-
gionen Nordost - Südwest. In Folge
dieser Vertheilung herrschte angeneh-
mes, klares, warmes Wetter; der Himmel
war bei der Auffalnt wolkenlos, erst
im Laufe der Fahrt kamen Cumulus-
wolken auf, die aber nie so dicht
wurden, dass sie uns den Anblick der
Erde entzogen hätten. Bei der Lan-
dung waren sie wieder ganz ver-
schwunden.
Was nun den Gang der einzelnen
Elemente während der Fahrt anbetrifl't,
so ist derselbe durch die folgenden
Diagramme (Fig. 4 — 6) inlietreff des
Luftdruckes, der Lufttemperatur und der Luftfeuchtigkeit
veranschaulicht.
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al-
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70
60
3*
IV. Fahrt des „Humboldt", den 7. April 1893.
1. Luftdruckcurve.
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2. T e m p e r a t u r c u r v e.
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3. Feuchtigkeitscurve.
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Figur 6.
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AVas die Wetterlage dieses Tages anbetrifft, so lag,
wie die beistehende Wetterkarte von 7 Uhr Morgens (Fig. 3)
erkennen lässt, hoher, gleichmässig vcrtheilter Luftdruck
auf dem ganzen Gebiete, und es herrschte dcmgemäss nur
Es erhellt daraus, dass Luftdruck und Temperatur
einen ganz regelmässigen, einander entsprechenden Gang
haben; bei fallendem Luftdruck ninnnt die Teiuperatur ab,
bei stei gendem zu, es treten also an diesem Tage keine anor-
Nr. 48.
Naturwissenschaftliche Wochcuschrift.
533
malen Verhältnisse auf. Die vielen Schwankungen in der
Luftdruckcurve entsprechen den geringen Höhenände-
rungen, welche durch Ballastauswerfeu veranlasst werden.
Das Barometer erreichte seinen niedrigsten Stand von
390 mm hei — 19° C. um 4 Uiu- 8 Jlinnten, was einer
Hülie von ö'iUO m cntspriclit.
Die Aufenthaltsdauer in den Hohen von 1000 zu
1000 Metern
geben
die folj.
,-enden
Zahlen
an
A
M f c n t li u 1
t
Hoho
bei
ici
Ali in
ihrt
»L'iiii Alistici;
0—1000
20 Minuten ;[,■
j^ 1 Minuten
1000—2000
1 Stun
de
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10 „
2000—3000
2b
))
34 „
3000—4000
1 .
10
31 „
4000—5000
1 .,
12
15 „
>5000
23
>
V
r
(ü
Summe 6 Stunden 31) Minuten 1 Stunde 37 iMinuten
Sie lassen zugleich erkennen, in wie kurzer Zeit der
Abstieg l)cwerkste]ligt wurde.
Die Temperatur betrug an der Erde vor der Auffahrt
13° C, sie erreichte dann ziemlich schnell den Gefrier-
punkt, hielt sieh zwischen 0 und — 5° längere Zeit und
sank dann allmäldich bis zu — 19^ herunter. Wenn wir
ilie gleichzeitigen Beobachtungen an den Basisstationen
benützen, so finden sich für die Temperaturabnahme mit
der Höhe pro 100 m die folgenden Zahlen.
Die Temperaturabnahme betrug:
in 1000 m Höhe
2000 „ „
3000 „ „
4000
5000
5215
0,97° C.
pro
100 m
0,87 „
V
V ?1
0,72 „
n
71 IT
0,(38 „
j)
Tl V
0,,0 „
))
n V
0,71 „
)i
v ri
Hierbei sind als Basisstationen für die ersten beiden
Höhen Berlin, für 3-4000 ni Torgau und für 5000 m Rudol-
stadt gewählt worden, indem dies die der Flugbahn am
nächsten gelegenen Stationen sind, welche zu den ent-
sprechenden Zeiten Beobachtungen angestellt haben.
Berücksichtigt man nur die Ballonbeobachtungen, so
ergeben sich für die Temperaturabnahme
zwischen 40 und 1000 m Plöhe 0,97° C. pro 100 m
1000 „ 2000
2000 „ 3000
3000 „ 4000
4000 ., 5000
n !i
0,58
11
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0,30
0 51
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0,79
71
n
n
Ji
völkung
auf d
lese
z
ahlen
t
Tl
n
n
n
Ein Einfluss der Bewölkung auf diese Zahlen tritt
nicht scliarf iiervor. Die Cumulus-Wolken kamen gleich nach
10 Uhr im Süden auf, zuerst ganz fein, ballten sich dann
immer dichter zusammen, und füllten allmählich, vom
ganzen Horizont aus aufkommend, die Atmospliäre aus.
Nur zeitweise waren sie direct unter uns; ihre Höhe dürfte
zwischen 1000 und 2000 m geschwankt haben. Zwischen
2 und 3 Uhr wurden sie dünner und verschwanden all-
mählich wieder ganz.
Den unregelmässigsten Verlauf zeigt die dritte Curve,
welche die relative Feuchtigkeit darstellt; diese zeigt ganz
bedeutende Schwankungen während der Fahrt.
Sie nahm zu von 52 auf 78 pCt. bis zu 1350 m
ab „ 78 „ 38V« . „ . 2215
zu
ab
38V2 „ BO "
80 „ 12V, „
2935
zu
„ 3695 „
„ 5005 .,
n
n
n "" )1 -;- /a 17 77
71 12 /o „ G8 „ „
in der Höhe über 5000 ra betrug sie 49V2 l'Ct. in 5215,
17 pCt. in 5108 m Höhe. Es kann nicht unsere Aufgabe
sein, diese Verhältnisse hier einer eingehenderen Dis-
cussion zu unterziehen; es werden namentlich über die
Feuchtigkeitsveriiältnisse erst die ganzen Beobachtungen
bei ihrer zusammenhängenden Bearbeitung Aufklärung
geben können.
Von Interesse dürften noch die Angaben über die
verschiedenen Geschwindigkeiten sein, welche der Ballon
in den einzelnen Höhen zurückgelegt hat. Dieselljen lassen
sich leicht bestimmen, indem die Zeit notirt wird, zu
welcher sich der Ballon senkrecht über liestimmten Punkten
der Erdoberfläche bcliudet; die Entfernung dieser Punkte
braucht dann nur ausgemessen zu werden längs der vom
Ballon zwischen ihnen zurückgelegten Bahn, um die Ge-
schwindigkeit zu erhalten.
Der Ballon legte zurück in
0— 1000 m Höhe 7Vokminl260Sec., d.h. 6,0mproSce..
1000-2000 „ „ 23 " „ „ 4080 „ . „ 5,6 „ „ „
2000-3000 „ „ 76 „ „8700 „ „ 8,7 „ „ „
3000-4000 „ „ 50 V2 ,1 7, 4740 „ „ 10,7 „ „ „
4000—5000 „ ,, 63 ,, „ 4080 ,, „ 15,4 „ „ „
Seine mittlere Geschwindigkeit betrug demnach 9,3 m pro
Secunde. Die Horizontalbewegung des Ballons war so-
nach nur eine sehr seh wache; für die Landung kam diese
geringe Windgeschwindigkeit sehr von statten, indem die
Landung ganz glatt ohne erhebliehe Schleiffahrt bewirkt
wurde.
Was den Eindruck betrifft, welchen eine solche Luft-
fahrt auf den Neuling macht, so lässt sieh derselbe nur
schwer beschreiben. Die Fülle des Sehenswerthen und
Interessanten ist so gross, dass das Ange kaum den immer
neuen Erscheinungen zu folgen vermochte. Körperliches
Unbehagen stellte sieh beim Verfasser trotz der erreichten
beträchtlichen Höhe nur in geringem Maasse ein. Erst
in der höchsten Höhe trat Herzklopfen, verbunden mit
leichten Athemlieschwerden auf, nie aber so stark, dass
dadurch irgend\vie die Thätigkeit des Bcobachtcns gestört
worden wäre. Nur ])eim Abstieg führte der ungemein
schnelle Luftwechsel Kopfschmerz herbei, der indes als-
bald nach der Landung sich wieder verlor.
Es ist zweifellos, dass die auf dieser Fahrt erzielten
Resultate einen schätzcnswerthcn Beitrag liefern werden,
der erst bei der zusammeniiängenden Bearbeitung des
Beobachtungsmateriales hervortreten wird. Hoffen wir,
dass diese Bearbeitung den Nutzen der Fahrten zeigen
und über manche Punkte in der Physik der Atmo-
sphäre Aufklärung geben möge.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
vom 11. bis 15. September 1893.
IV.
' W. Pfeffer: Die Reizbarkeit der Pflanzen. —
Die Wechselwirkung mit der Aussenwelt ist bekanntlich
nothwendig, um lebendigen Wesen die unerlässlichen Be-
dingungen für ihr Fortkommen, für ihre Thätigkeit zu
gewähren. Ohne Zufuhr von Nahrung stirbt die Pflanze
so gut den Hungertod wie das Thier, und bei Mangel von
Sauerstoff, Jiei ungeeigneter Temperatur kommt auch in
der Pflanze die Lebensthätigkeit zum Stillstand. Diese
allgemeinen, diese formalen Bedingungen setzen w'ir indess
als gegeben voraus und richten unsere Pjlieke nur auf die
Reizbarkeit, auf die zu dieser Kategorie gehörigen Reac-
tionen, mit welchen die lebensthätige Pflanze auf innere
und äussere Eingriffe und Anstösse antwortet. Eine wahr-
534
Natnrvvisscnscliaftlic'lie AVocbcnscliiift.
Nr. 48
nehmbare Keactioii, eine Bewegung, ein Stoffwechsel-
process oder irgend ein anderer Vorgang ist die einzige
Sprache, dnrcli weiche uns die Reizbarlceit der stummen
Lebewesen verratlicn wird. Bei dem Wurme, der sicli
bei Berührung Icrümmt, bei dem Schmetterling, der dem
Lichte zufliegt, ist die Bewegung in demselben Sinne das
Erzeugniss der Reizung, wie bei der berührten Sinn-
pflanze (Mimosa pudica) das Zusammenschlagen der Blätter,
wie bei der auf dem Blumentisch stehenden Pflanze das
laugsame Hinkrümmeu nach dem Fenster, nach dem
helleren Lichte, wie bei der frei herumschwimmenden
Schwärmzellc das Schwimmen nach dem Lichte oder nach
einer anlockenden Nahrung.
Für die Simipflanze ist aber die Berührung nur die
Veranlassung, dass sicIi die Blättchen mit eigener Kraft-
cntwickciung zusannuenschlagen und die nach dem Fenster
sieh krünunende Pflanze wird nicht etwa durch die Licht-
strahlen mechanisch dorthin gezogen, sondern nur veran-
lasst, mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden Betriebs-
kraft die nöthige Krümmung und Wendung auszuführen.
In gleicher Weise steuert auch der Schmetterling, und
ebenso die pflanzliche Schwärmspore, mit den eigenen
Bewegungskräften dem als Reiz wirkenden helleren Lichte
zu und in analogem Sinne ist das durch einen Spalt
fallende Licht für den Jlensehen nur die Veranlassung,
mit Hilfe seiner Bewegungskraft den Weg aus der Dunkel-
heit zum Lichte zu suchen.
In der nur veranlassenden, in der nur auslösenden
Wirkung liegt der allgemeine Charakter der Reizerschei-
nungen, und wenn wir von Reizung ledcn, so hal)cn wir
eben die im lebendigen Organismus durch irgend einen
Anstoss veranlassten Auslösuugsvorgänge im Auge. Um
aber eine Auslösung zu ermöglichen, bedarf es ebenso-
wohl in den von Menschenhand gebauten Apparaten, wie
in dem lebendigen Organismus geeigneter Einrichtungen
und Fälligkeiten und durchaus von diesen hängt Qualität
und Quantität der ausgelösten Reaction ab. Während
ein Fiugerdruck gegen die starre Wandung des Dampf-
kessels keinen Erfolg hat, vermag derselbe Fingerdruck,
wenn er in geeigneter Weise gegen den Dampfspcrrer
wirkt, den Gang der durch Dampf betriebenen Maschine
zu veranlassen, oder auch, indem er den Taster am Tcle-
graphenapparat niederdrückt, Glockengeläute und andere
Signale in der Nähe oder in weitester Ferne hervorzurufen.
Ebenso reagirt nicht jede Pflanze auf Druck oder Stoss,
und die Reizerfolge, welche durch solchen Anstoss in
den sensibelen Pflanzen erzielt werden, treten uns in sehr
verschiedener Erscheinungsform entgegen. Während z. B.
in Folge solcher Reizung die Blättchen der Sinnpflanze
plötzlich zusammenschlagen, veranlasst Berührung in der
parasitischen Flachsseide die Bildung der in den Wirth
eindringenden Saugwurzeln, in anderen Pflanzen hin-
wiederum ist die Antwort auf den Reiz ein Stofi'wechsel-
process, der äusserlich durch keine Bewegung verrathen wird.
Reizbarkeit in unserem Sinne ist aber nicht etwa ein
Ausnahmefall, ein besonderes Vorrecht einzelner Pflanzen,
im Gegenthcil eine fundamentale Eigenschaft aller leben-
digen Substanz, und so ist thatsächlich eine jede Pflanze,
die niederste wie die höchste, die frei herumschwärmende,
wie die an die Scholle gebannte, zu Reizreactionen der
verschiedensten Art befähigt, zu Reactionen, die freilich
zum guten Theil dem olterflächlichen Blick entgehen.
In der speciflsch verschieden ausgebildeten Reizbarkeit,
in der besonderen Sensibilität, besteht auch das allge-
meinste Mittel, um im Verkehr mit der Aussenwelt zweck-
entsprechend und demgemäss verschiedenartig zu reagiren.
Handelt es sieh doch einmal darum, die ganze Pflanze,
oder Organe dieser, in die für ihre Tliätigkeit geeignete
Stellung zu bringen, im anderen Falle aber um Anpassung
an neue Verhältnisse, um Reactionen gegen nachtheilige
Einflüsse oder überjiaupt um irgendwclciie Veränderungen
im Stofi'wechscl oder Kraftwechscl der Pflanze. Den über-
aus vielseitigen und wechsclvuUen Aufgaben entsprechend
ist eben die Sensibilität und das Rcactionsvermögen in
verschiedenen Pflanzen und wiederum in den einzelnen
Organen derselben Pflanze in bunter, jedoch zweckent-
sprechender Mannigfaltigkeit ausgebildet. Zweckent-
sprechende Reizbarkeit ist aber auch ganz unerlässlich,
um einer Pflanze in den nicht überall gleichen und oft in
weiten Grenzen veränderlichen Verhältnissen die Bedin-
gungen für ihr Fortkonnnen zu sichern.
In der That ist die Eutwickelung und das ganze
Getriebe der Pflanze mit den mannigfachsten Reizvorgängen
verkettet.
Gedacht wurde schon der Sinnpflanze, sowie des
Ileliotropismus, der Wendung von Stengeln und Blättern
gegen die Lichtquelle. Für die Erzielung zweektlien-
liclier Lage ist ferner die Reizwirkung der Schwerkraft,
der Geotropisnms, von hoher Bedeutung. Vermöge dieses
Geotropismus krümmt sich in der horizontal gelegten
Keimpflanze der Stengel aufwärts, die Wurzel abwärts,
l)is beide Organe die verticale Stellung erreicht haben.
Damit ist die Gleichgewichtslage gewonnen, in welcher
diese Organe verharren und weiter wachsen, denn die
Veranlassung zu einer geotropischeu Krümmung ist immer
nur dann gegeben, wenn eine Störung der normalen
Gleichgewichtslage zwangsweise hergestellt wird. In
dieser Gleichgewichtslage flnden sich demgemäss in der
Natur die Organe einer Pflanze und bei uns, wie bei un-
seren Antipoden, ist die bekannte Richtung von Stengel
und Wurzel wesentlich durch die geotropisehe Reizung-
bedingt. Die entgegengesetzte Krümmungsrichtung, welche
in Stengel und Wurzel durch denselben äusseren Anstoss
veranlasst wird, ist eines der vielen Beispiele, dass die
einzelnen Glieder einer l'flanze in speciflsch verschiedener,
also unter Umständen auch in gerade entgegengesetzter
Weise auf die gleiche Reizursache reagiren.
Von den vielseitigen Reizbewegungen der Wurzel
mag hier noch ihr Hinwenden nach dem feuchten Medium,
ihre hydrotropische Reizbarkeit, erwähnt werden. Tritt
diese mit dem Geotropismus in Couflict, so sehlägt die
Wurzel diejenige Richtung ein, welche sich als Resultante
aus beiden Bestreitungen ergiebt. Deshalb wächst die
geotropisch abwärts strebende Wurzel an ciusciiüssigen
Gehäugen nicht in die Luft, sondern wird durch den
hydrotropischen Reiz veranlasst, sich nach dem feuchten
Bledium zu begeben, also in schiefer Riclituug in den
Boden vorzudringen.
Sehr merkwürdig ist das Empfindungsvermögen,
welches die Ranken der Erbse, des Kürbis, der Zaun-
rübe zum Umschlingen der ihnen Halt gewährenden festen
Stütze veranlasst. Denn während zur Auslösung dieser
Reizbewegung schon die Berührung mit einem Seiden-
fadchen genügt, welches nur den 5000sten Theil eines
Milligrannnes wiegt, sind dieselben Ranken gegen die
kräftigsten Zerrungen durch den Wind oder durch einen
Wasserstrahl vollkonnncn unemplindiicli und reagiren selbst
dann nicht, wenn die Intensität des anprallenden Queck-
silberstrahles bis zum Zerquetschen der Ranke gesteigert
wird. Die Ranken unterscheiden also den festen und
flüssigen Aggregatzustand, und diese Eigenschaft ist in
der That für die Pflanze sehr zweckentsi)rechend. Denn
kein Sturmwind, kein noch so kräftiger Platzregen ver-
anlasst in der Ranke eine Reizbewegung, die doch nur
unnütz wäre, während die Ranke durch die Berührung
mit einer Halt gewährenden festen Stütze zum Umklammern
dieser veranlasst wird.
Ausser den schon genannten Agentien veranlassen
Nr. 48.
Natiirwisscnschaftliehc Wochcnsclirift.
auch eheniischc, thermische, ck'ktrische und andere Ein-
flüsse niannigfaclie Rcizbewei;niii;-eu. Doeli antwortet die
Pflanze auf diese und andere auslösende Anstösse niclit
nur mit aurtallii;'cn lieweyuns't'n, sondern selir g'eM-(ihnlich
mit IJeaetionen, die äusserlieli nielit oder doch nicht so-
gleich wahrnehnd)ar werden. Ja man darf ohne Scheu
liehaupteu, dass der lehensthätige Protoplasmaorganismus
fast j'eden äusseren Eingriff, fast jeden Weeiisel irgend-
wie als Reiz empliiidet, wenn aucli nicIit iimucr eine
merkliche Reactimi \('ranlasst wii'd.
Zu diesen ausscrlicii nicht licrvortrcteiiden Reizer-
folgen zählt u. a. die Verstärkung der Zcllwände in Folge
eines Zugreizes. Demgeraäss wird ein Stengel mit höherer
mechanischer Inanspruchnahme thatsächlich tragfälliger,
und in dem Maasse, wie die heranwachsende Frucht des
Kürbis schwerer wird, nimmt auch die Tragfähigkeit des
Fruchtstieles zu. Ebenso ist es die Folge einer zweck-
entsprechenden Reaction, dass die Wurzel energischer
arbeitet, wenn sie beim Uebertritt in einen zähen Boden
zur Ueberwindung- eines höheren Widerstandes gezwungen
wird. Ferner veranlasst eine Verletzung vielfach eine
von der Wundstelle aus sich verbreitende Protoplasma-
strömung, und die Steigerung der Athmungsthätigkeit,
sowie die Gesannntheit der auf Vernarbung hinarbeitenden
Stoffwechselprocesse sind weitere Folgen des Wundreizes.
Ueberhaupt sind viele Wachsthums- und Stoffwechsel-
processe ein sprechendes Zeugniss für sehr mannigfache,
jedoch zumeist nur wenig durchsichtige Reizwirkungen.
Nicht minder ist in den zu freier Ortsbewegung be-
fähigten Pflanzen die Sensibilität in vielseitigster Weise
ausgebildet und auch für diese Organismen sind auffallige
Reizungen durch Licht, Wärme, Berührung, Elcktricität,
Schwerkraft, chemische Wirkungen u. s. w. in reichem
Maasse bekannt.
Es ist u. a. ein fra])pantcs Schauspiel, wenn die bis
dahin ohne ein bestinmites Ziel herumschwimmenden Bac-
terien bei Darbietung von etwas Fleisch oder Fleisch-
extract nun sgleich, sich drängend und stosseud, nach
dem anlockenden Körper eilen und demgemäss auch in
eine mit dem Köder gefüllte Capillare steuern, welche
ihnen als Falle gestellt wurde. Bei zu hoher Couceutra-
tion des Lockmittels, oder nach Zugabe von Alkohol oder
Säure zu diesem, prallen die Bacterien in einiger Ent-
fernung von der Capillare zurück und vermeiden so ein
Medium, das auf sie durch die hohe Concentratiou oder
durch die giftigen Beigaben schädlich oder tödtlich wirken
würde.
Während die beweglichen Bacterien durch Pepton,
Asparagin, Kalisalze, überhaupt durch viele Ki'irper, frei-
lich in spccitisch ungleichem Grade, angelockt werden,
sind die Samenfäden der Farne und Laubmoose sehr
wählerisch. Denn die ersteren werden fast allein durch
Aei)felsäure, die letzteren nur durch Rohrzucker angelockt,
und zwar werden die Samenfäden durch diese specifischcn
Reize zu der zu befruchtenden Eizelle gelenkt.
Wie nicht selten, ist auch in diesen Organismen eine
ungemein feine Sensibilität ausgebildet. Denn bei Bac-
terien und Samenfäden genügt schon der billionste und
trillionste Thcil eines Milligrannnes des Reizmittels, um
Anlockung zu erzielen. Diese winzigen Organismen ver-
m(')gen also noch minimale Mengen des Reizstoffes zu
unterscheiden, die keine Waage, keine chemische Reac-
tion anzuzeigen vermag.
Dieses sichere Hinsteuern frei beweglicher Organismen
nach dem anlockenden Ziele muss in dem nach seinem
sul)jectiven Gefühle urtheilenden Beobachter den Schein
eines vernünftigen Wollens und Handelns unvermeidlich
und weit mehr erwecken, als scli)st die auffälligsten Be-
wegungen der festgewurzelten Pllanzen. Denn diese sind,
weil an die Scholle gebannt, nur zu Bew^egungen durch
Krünnncn ihrer Glieder befähigt, vermögen also nur durch
Krünnnungsbewegungen oder durch Wachsthumsverlänge-
ruugen eine Annäiierung oder Entfernung gegenüber einem
reizenden Agens auszuführen. Doch die den Eigenschaften
angemessene formale (Jestaltung der Reactionen ist ohne Be-
lang für das Wesen der Reizbarkeit, die thatsächlich in
freibeweglielien und festgewurzelten Pflanzen in gleicher
I\lannigf,iltigkeit ausgebildet ist. Und wenn einer frei-
schwinnnenden .\lge die fortschreitende ISewegung un-
möglich gemacht wird, so ist der zwangsweise festgehaltene
Organismus nur noch befähigt, mit Körperwendungen auf
geeignete Richtungsreize zu antworten.
Da ai)er die meisten Reizreactionen höherer Pflanzen
langsam verlaufen, da ferner nur dem bewaffneten Auge
von den freisehwinnnenden Organismen Kenntniss wird,
so ist es wohl zu verstehen, wie dem Menschen sich die
Ansieht aufdrängte, dass die Blumen nicht in gleichem
Sinne reizbar seien wie die Thierc. Einem solchen
Glauben wäre gewiss nicht der Mensch verfallen, wenn
es ihm vergönnt gewesen wäre, von seiner Kindheit ab in
mehr als tausendfacher ^'ergrösscrung alles Leben und
Treiben der Pflanzenwelt zu überblicken. Von Jugend
auf hätte sich vor dem Auge dieses Menschen das grosse
Heer der frei hcrumschwärmenden niederen Pflanzen und
niederen Organismen herumgetummelt, und die Eile, mit
welcher ein Bacterium sich nach der in einiger Entfer-
nung auftauchenden Nahrung wendet, würde als Analogen
zu dem Raulithiere erscheinen, das auf die wahrgenommene
Beute losstürzt. Ein solches Auge würde aber auch, wie
es in der That das Mikroskop zeigt, die wachsenden
Stengel und Wurzeln gleichsam in herumtastender Be-
wegung erblicken und an jeder höheren Pflanze schnell
verlaufende Reizreactionen erkennen. Unter dem Ansturm
solcher Eindrücke wären zweifellos Reizbarkeit und Em-
pfindung als ein selbstverständliches Gemeingut aller
Pflanzen angesprochen worden. Ja in diesem Glauben
würde die Menschheit auch dann schon aufgewachsen
sein, wenn unsere Wälder und Fluren, an Stelle der starr
erscheinenden Pflanzen, mit solchen Pflanzen geschmückt
wären, welche, wie die stets angestaunte Sinnpflanzc, bei
Berührung, bei anderen Anstössen sensitiv zusanuneu-
zucken. Sicher hätte dann Aristoteles den Pflanzen eine
empfindende Seele zuerkannt, und schon die wirkliche
Pflanzenwelt erweckt durch ihre Lebenserscheinungen jene
dunklen Gefühle, welche Naturvölker, welche die Stimme
der Poesie und des sinnigen Gemüthcs in den Pflanzen
emi)findsame oder auch beseelte Wesen erblicken Hess und
erblicken lässt.
In der Beurtheilung des Wesens der Reizreactionen
dürfen wir überhaupt nicht mit der Schnelligkeit der Aus-
führung rechnen, welches stets nur nach einem relativen
Maassstal) abgeschätzt wird. Ein Bacterium, welches
unter dem Mikroskop eiligst durch das Gesichtsfeld
schiesst, das sehr flink auf die lockende Nahrung los-
stürzt, liewcgf sich thatsäeblich nicht entfernt so schnell,
als die langsam kriechende Schnecke, und doch wieder
schnell im Vergleich zur eigenen geringen Grösse. Denn
während der Mensch, kräftig ausschreitend, in der Se-
kunde ungefähr die Hälfte der eigenen Kör])erlänge
durclnnisst, vermag ein Bacterium in derselben Zeit das
3- bis .'"> fache des eigenen Durchmessers zurückzulegen.
Die Erde dagegen, welche in rasendem Fluge den AVeJten-
raum durcheilt, durchläuft in der Sekunde ungefähr den
420. Theil ihres Durchmessers. Gegen solche absolute
Schnelligkeit aber, und noch mehr gegen die Eile, mit
welcher ein Lichtstrahl von der Sonne zu unserem Planeten
gelangt, sind wiederum äusserst langsam die schnellsten
Bewegungen und Reizvorgänge in den flinksten Thiercn.
536
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 48
Abstrahireu wir sachg-euiäss von allen Besonderheiten,
von allen specifischen EigenthUnilichkeiten in dem Ver-
laufe und dem Erfolge der Rcactionen, so verbleibt den
so überaus mannigfach gestalteten Reizvorgängen als
gemeinsames Band der Charakter von Auslösungsvor-
gäng-en.
Als Reizbarkeit und Rcizreactiou bezeichnen
wir eben diejenigen Auslösungsvorgänge, welche
sich im lebendigen Organismus abspielen. Eine
andere, die Gesanmithcit aller Reizvorgänge umfassende
Definition ist in der That unmöglich, mit dieser Definition
wird al)er auch das gemeinsame Wesen aller Reizvor-
gänge voll und ganz gekennzeichnet. Mit der Einreihung
in die Auslösungsvorgänge ist klar und unzweideutig aus-
gesprochen, dass jcdwelcher Reiz nur den Austoss zu den
ausgelösten Rcactionen und Erfolgen giebt, dass diese,
gleichviel, wie verwickelt und verkettet sie sein mögen,
stets nach Maassgabe der specifischen Eigenschaften und
Einrichtungen des Organismus ausfallen, dass ferner die
mechanische Ausführung der Reaction durch die dem
Organismus zur Verfügung stehenden Kräfte besorgt wird.
Ausgesprochen ist ferner mit obigem, dass nicht jeder
beliebige Eingriff zu einer Reizung führt, dass weiter
eine einfache mechanische Wechselwirkung, d. h. eine
ä(iuivaleute Energieübertragung, keinen Reizvorgang vor-
stellt, dass aber natürlich in einer ausgelösten Reactious-
kette sich eine solche Energieverwandlung ein- oder
einigemal abspielen muss. Ein jedes Geschehen also, das
ohne Auslösung zu Stande kommt, in welchem nicht ein
äusserer oder innerer Austoss nur die \'eranlassung wird,
dass die Pflanze mit Hilfe ihrer potentiellen Fähigkeiten
und Energiemittel etwas ausführt, ist kein Reizvorgaug.
Ein solcher liegt also nicht vor, wenn eine Zellhaut in
der Quellung, eine Zelle durch osmotische Kraft Wasser
aufsaugt und hierdurch Bewegungen ausführt, oder wenn
ein Ast durch das angehäugte Gewicht entsprechend ge-
bogen wird.
Bei mangelnder Einsicht können freilich Zweifel auf-
tauchen, ob ein uns entgegentretendes Geschehen zu den
Auslösungen zu rechnen ist, und in solcher Lage befindet
mau sich öfters gegenüber solchen physiologischen Vor-
gängen, welclie unzureichend aufgehellt sind. Umsomehr
ist CS wichtig, sicii in princii)icller Hinsicht volle Klarheit
an den von Menschenhand gebauten Apparaten und Ma-
schinen zu verschaffen, deren Bau und Getriebe durch-
sichtig vor uns liegt. Anknüpfend an solche Beispiele
wurde schon hervorgehoben, dass ein Fingerdruck nur au
geeigneter Stelle auslösend wirkt, dass derselbe Finger-
druck ebensowohl die Thätigkeit einer Dampfmaschine,
als elektrische Signale, oder das Ertönen der Harmonien
einer Spieldose veranlassen kann. Ebenso antworten
auch verschiedene PHanzen auf den gleichen Austoss mit
verschiedenen Reizrcactioncn, und wenn dieserhalb sich
die eine Pfianze uacli dem Lichte hinwendet, die andere
aber das Licht flieht, so ist dieses an sich nicht wunder-
barer, als dass, nach geschehener Auslösung, die eine
Dampfmaschine vermöge der gebotenen Constellationcn
sich vorwärts, die andere sich rückwärts bewegt.
Auch ist CS selbstverständlich, dass zwischen dem
auslösenden Agens und der ausgelösten Action jede be-
liebige formale und energetische Disproportionalität be-
stehen kann. Die geringe Energie eines Funkens genügt,
um durch Entzündung einer Pulvermasse die riesigsten
mechanischen Leistungen zu veranlassen, der leichte
Flügelschlag eines Vogels vermag die Lawine zu er-
zeugen, welche Wald und Wohnstätten hinwegfegt, und
an derselben Maschine ist die ausgelöste Action nach
Form und Arbeilsgrösse dieselbe, gleichviel, ob die Oetf-
nung des Dampfsperrers sehr geringen oder beliebig
grossen Kraftaufwand erforderte. Durcii eine erfolgreiche
Auslösung muss ferner nicht plötzlich die ganze disponible
Spannkraft in Action gesetzt werden, wie es bei der Ex-
plosion des Pulvers und ebenso bei der Sinnpflanze zu-
trifft, deren Blätter bei jeder Reizung die volle Bewegungs-
amplitude ausführen, vielmehr wird sehr oft die ausge-
löste Action mit zunehmender Energie des auslösenden
Anstosses gesteigert. Das ist u. a. der Fall, wenn mit
fortschreitender Verschiebung des Dampfsperrers der Gang
der Maschine beschleunigt wird, und derartige Beziehungen
bestehen zweckentsj)rechcnd in den meisten Reizrcactioncn
der Pflanzen, wie u. a. in zahlreichen Bewegungen, welche
mit der zunehmenden Reizwirkung des Lichtes, der Wärme,
der chemischen Einflüsse ausgiebiger sieh gestalten, lieber
ein gewisses Maass, über die gebotenen Fähigkeiten hin-
aus, kann natürlich eine Action weder in todten Apparaten,
noch in lebendigen Organismen ansteigen, und auch an
]\Liscliincn sind Einrichtungen im Gebrauche oder her-
stellbar, welche regulatorisch wirken, oder die bei zuneh-
mender Intensität der auslösenden Wirkung einen ver-
langsamten Gang und endlich Stillstand erzielen. Regu-
latorische Vorgänge der mannigfachsten Art spielen gerade
im Organismus eine sehr ausgedehnte und ungemein be-
deutungsvolle Rolle. Auch bietet die Pflanze, was ge-
wöhnlich nicht beachtet wird, Beisi)iele, in welchen die
Energie des auslösenden Anstosses den Energiewerth der
ausgelösten Action übertrifft. (Schluss folgt.)
Das Ziisammoiileben zweier verscbiedenen Thier-
arteii hat mau allgemein als Symbiose bezeichnet. Es
sind im Laufe der letzten Jahre mannigfach eigenthüm-
liche hierher gehörende Verhältnisse bekannt geworden.
Einen neuen Fall beschreibt A. Alcock in den Ann. and
Mag. of Nat. Hi.st., V. 10., C. ser., London 1<S92, S. 207.
(A case of Commcnsalism between a Gyinnoblastic Antho-
medusoid and a Scorpaenoid Fish.) Er unterscheidet zu-
fällige, commensale und parasitische Lebeusgenossen-
schaften und stellt die für die gymnoblastischen Hydrozoen
bekannten Fälle zusammen. Man findet die Polypen als
zufällige Ansiedler auf Krusterpanzern, Weichthiergehäusen,
Ascidien, Moosthieren, Schwämmen und Tintenfischen.
Eine wirkliche Tischgenossensc.haft sclieinen Corynitis
Agassizii mit Schwämmen, Hydrantheca margarica mit
dem Moosthier Flustra, Lar sabellum mit dem Rölircn-
wurin SaljclLi und Stylacfis verniicola mit einem Tiefsee-
ringclwurm eingegangen zu sein.
Wenigstens fanden sie
sich stets nur auf diesen ihnen fern stehenden Thieren.
Unzweifelhaft commensalistisch leben Stylacfis spongicola
und abyssicola sowie ein Eudendrium mit Hornschwämmen
der Tiefsee zusammen. Ihre Hydrorhiza bildet mit ihrem
cbitinösen Perisarc ein Wohngerüst für den Schwamm und
bestimmt somit seine Form. Andererseits sind die Nähr-
polypen dieser Thiere nur klein. Ferner sind Tubularia
parasitica und eine Gorgonia (achtstrahlige Koralle) der-
art vereinigt, dass letztere den Stamm der ersteren als
Stütze benutzt, ohne eine eigene Achse zu besitzen. Peri-
gonimus miuutus bildete regelmässig einen fransenartigen
Besatz um die Oeft'nung der Schale der Schnecke Turri-
tella communis. Weiter fanden sich Merona cornucopiae
stets auf Astarte sulcata und Deutalium eutalis sowie
Campaniclava cleodorac auf den Schalen von 32 von 40
untersuchten Individuen der pelagisehen Cleodora tricu-
spidata. In den letzten Fällen hat der Polyp Nutzen von
der Fortbewegung des Wohnthieres, das er selbst mit
Nr. 48.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
537
seinen Nesselorganen schützt. Schmarotzend endlich leben
Polypodium hydriforme, das die Stcrleteier schon im Ovar
befällt, und llVdricbthys niirus, welcher den Fisch Seriola
zonata besiedelt. Letztgenannter Parasit entbehrt der
Fangarnie. Corydendrium parasiticuni schmarotzt auf einem
anderen Hydroidpolypen, Eudendrium racemosum.
Der vorliegende Fall betrifft eine Stylactisart, St.
minoi genannt, die sich zuerst auf einem aus 70 Faden
Tiefe an der Coromandelküste im Godavari- Delta er-
beuteten Fisch, Minous inermis, vorfand. Beide Thiere
waren bisher unbekannt. Der Polyi) fand sich auf anderen
in demsell)en Fisehzuge gefangenen Tliieren nicht. Ein
zweiter Fundort dieses Fisches war die MalabarUüste, ein
dritter lag in der Nähe des Ganges-Delta. Auch in diesen
beiden Fällen trugen die Minous inermis den genannten
Polypen, während alle anderen niiterbeuteten Thiere frei
von ihm waren, so auch eine zweite Minousart. Stets
waren also in auffälliger Weise die beiden Connncnsalisten
vereint. Beide unterstützen sich gegenseitig beim Nah-
rungsfang. C. M.
Wie hält der fliegende Raubvogel die Fänge? —
Zu den überraschenden Beobachtungen, die Herr E. Ziemer
mittheilt (vergl. „Naturw. Wochensehr." XIU, S. ooG), be-
merkt O. Kleinscbmidt (in A. lleichenow's „Ürnithol.
Monatsberichten"):
An etwa 30 Schleiereulen, die ich vor einigen Jahren
ting und wieder fliegen Hess, machte ich Studien über die
Haltung der Fänge. Zu Beginn des Fluges Hessen sie
die Beine senkrecht herabhängen und streckten sie später
mehr wagrecht nach hinten. Ob noch später der Lauf
nach vorn gebogen und somit das ganze Bein unter die
Bauch- und Weichenfedern gezogen wurde, vermochte ich
in keinem Fall zu ermitteln. Am leichtesten werden Beob-
achtungen auf der Krähenhütte, wo man Raubvögel aus
grösster Nähe sehen kann, ohne von ihnen eräugt zu
werden, Aufsehluss über die angeregte Frage geben. Nach
meiner Meinung sind aber stets die folgenden theoretischen
Gesichtspunkte zu beachten, wenn man Jrrthümer ver-
meiden will:
Durch den plötzlichen Anblick des Menschen er-
schreckt, reckt der an ihm vorüberfliegende Vogel den
Hals mehr als gewöhnlich aus, kommt so ein wenig aus
der Balance und muss deshalb die Fänge ausstrecken,
um das Gleichgewicht zu halten. Am deutlichsten wird
diese Erscheinung bei einem Fehlschuss. — Beim Auf-
fliegen und vor dem Niedersetzen oder Aufbäumen lässt
jeder Raubvogel eine ganze Weile die Fänge herabhängen.
— Vor oder während des Stossens nach der Beute ist
ähuliclies zu bemerken.
Im Sitzen kann der Raubvogel einen Fang so ein-
ziehen, dass auch bei knapp anliegendem Gefieder keine
Spur davon zu sehen ist. Warum sollte er es nicht auch
im Fliegen thunV Es wäre aber recht gut möglich, dass
die Fänge bald eingezogen, bald nach hinten ausgestreckt
würden; das letztere z. B., um bei stark gefülltem Kropf
das Gleichgewicht zu halten oder um durch die blutigen
oder schnmtzigen Fänge das Getieder nicht zu verunreinigen
und zu verkleben.
Bekanntlich sieht man auch andere Vögel, besonders
Emberiza miliaria, die Füsse oft im Flug weit nach hinten
ausstrecken.
Dies alles, meine ich, muss man berücksichtigen, um
nicht ein Urtheil auf Ausnahmefälle zu bauen. Ich will
damit aber die Frage noch keineswegs als erledigt und
die Mittheilungen des Herrn Ziemer durchaus noch nicht
als Ausnahmefälle betrachtet haben. Sichere Beo])achtungen
lassen sieh auf diesem Gebiet sehr schwer anstellen. So
war es mir z. B. unmöglich, zu ermitteln, wie die Lach-
möve im Flug die Beine hält, obsehou die Vögel ganz
niedrig über mich hinstriciien. Meist waren die Füsse
ausgestreckt an die untere Fläche des Schwanzes ange-
schmiegt; bei kaltem Wetter dagegen schienen sie un-
sichtbar, ob von den Bauchfedern oder den Unterschwanz-
decken verborgen, weiss ich nicht. Wohl das letztere!
Energieciuellen der Bacterien. — In den Scientific
Proceedings of the Royal Dublin Society vol. 8, part 1
macht Herr G. Johns tone Stoney, der Vicepräsident
der R. D. S., eine Mittheilung unter dem Titel „Suggestion
as to a possible source of the energy for the life of ba-
cilli, and as to the cause of their small size", die auch
in das Aprilheft des Philosophical Magazine übergegangen
ist, und welche auch dann uns beachtenswerth erscheinen
dürfte, wenn man sich nicht durchaus den Meinungen des
genannten Physikers anschliessen will.
Herr Stoney weist darauf hin, dass in der, nach
unserer Stellung zu Zeit und Raum und nach der Fähig-
keit unserer sinnlichen Wahrnehmung uns zugänglichen
Welt, die Zerstreuung der Energie so sehr überwiegt,
dass Beispiele für den umgekehrten Proeess nur sehr selten
klar und scharf nachgewiesen werden können, wenn sich
deren auch einige undeutlich und ge'wissermaassen nur
vermuthungsweise und von Ferne uns zeigen. Ein solches
Beispiel will er in dem hier zu referirenden Aufsatz er-
örtern; und er bemerkt mit Recht, dass derartige Wahr-
nehmungen von grosser Wichtigkeit seien. Denn wenn
wir die Permanenz des Universums annehmen, dann mu.ss
es Theile desselben geben oder gegeben haben oder solche
Tbeile müssen wenigstens der Anlage nach (potentiell)
vorhanden sein, wo die Concentration der Energie in ganz
demselben Maasse überwiegt, wie dies sonst mit der Zer-
streuung derselben, unserem Wissen nach, der Fall ist.
Der Autor weist auf die uitrogenen Bacillen des Bo-
dens hin, die, wie man annimmt, durch rein mineralische
Nahrung erhalten werden, während sie Producte liefern,
die ebensoviel oder mehr potentielle Energie liefern, als
die Nahrung enthält. Wenn diese Annahme richtig ist,
so muss solchen Bacillen noch eine beträchtliche Menge
Energie zufliessen, vermöge deren sie aus jenen Materialien
Protoplasma und die anderen zu ihrem Aufbau dienenden
organischen Bildungen zu entwickeln vermögen. Nun ist
es richtig, dass viele dieser Bacillen sich an solchen Orten
befinden, wohin ihnen diese Energie schwerlich von unserer
grossen allgemeinen Energiequelle, der Sonne, aus zuge-
führt werden kann. Herr Stoney glaubt sogar dies ein-
schränkende „schwerlich" durch ein „ganz gewiss nicht"
ersetzen zu dürfen. Und er stellt nun die Hypothese auf,
dass diese Energiequelle in den die Bacillen umgebenden
Gasen und Flüssigkeiten, d.h. in dereuMolecularbewegungen
zu suchen sein möchte.
Die mittlere Geschwindigkeit eines Luftmolecüls ist
rund 500'" (pro See); aber es werden für einzelne Mole-
cüle grössere Geschwindigkeiten vorkommen. In Betreft"
der Geschwindigkeiten der Molecüle einer Flüssigkeit sind
unsere Kenntnisse nicht so weit entwickelt wie hinsicht-
lich der Gase; aber die Erscheinung der Verdampfung
und andere machen es doch wahrscheinlich, dass auch
hier moleculare Geschwindigkeiten vorkommen, die wenig-
stens in ausgezeichneten Fällen mit denen der Gase ver-
gleichbar werden. Nur diese schnellen bewegten Molecüle
der eine Mikrobe umgebenden Gas- oder Flüssigkeits-
massen können offenbar die Energie, von der die Rede,
liefern. (Nur sie können z. B. weit genug in die Mikrobe
eindringen.) Wenn dies aber stattfindet, dann muss die
umgebende Gas- oder Müssigkeitsmengc sich abkühlen;
538
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4S
und ein Betrag von Energie, der der hier verlorenen
Wärmemenge genau aequivalent ist, wird dann der Mi-
krobe zugeführt sein und sie zur Entrichtung organischer
Bildung befähigen. Eine solche Anschauung über die
Energiequellen der Bacillen lässt übrigens auch die klei-
neren Dimensionen der letzteren als zweckmässig und vor-
theilhaft erscheinen. In der That werden Bacillen mit
einem Durchmesser von */., bis Vn Mikron einigermaassen
gewissen molecularen Dimensionen nahegebracht.
Herr Stoney verhehlt sich nicht, dass die von ihm
aufgestellte Ansicht über die Energiequellen der Bacillen
nicht in Uebereinstimmung zu bringen ist mit dem zweiten
Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, wonach die
Wärme nicht von einem kälteren zu einem wärmeren
Körper übergehen kann, wenn nicht ein aequivalenter com-
pensirender Vorgang gleichzeitig stattfindet bezw. vorher-
gegangen ist.
Zu diesem Punkte bemerkt er, dass es sich aber hier
um elective Molecularvorgänge handele, während der
zweite thermodynamische Hauptsatz nur als ein Durch-
schnittsresultat zu betrachten sei aus einer gewisser-
maassen statistischen Betrachtung der ungeheuren Anzahl
aller in der Natur wirklich vorkommenden Molecular-
vorgänge der hier in Betracht zu ziehenden Art. Die
Möglichkeit solcher electiven Molecularvorgänge ist nun
in der That nicht rundweg abzuweisen, wenn auch aller-
dings nicht jeder besonderen Lösung dynamischer Glei-
chungen ein reales Correlat in der wirklichen Welt zu
entsprechen braucht.
Immerhin muss daran erinnert werden, dass wir hin-
sichtlich der Vorgänge der organischen Welt auch sonst
in die Lage kommen können, wenigstens vor der Hand
Ausnahmen am zweiten thermodynamischen Hauptsatze
zuzulassen. Und mit Rücksicht darauf dürfte die Stouey-
sche Hypothese auch hier Erörterung linden, umsomehr,
als sie Anregung zur Behandlung der Frage giebt, wo
die nothwendige aequivalentc Concentration von Energie
stattfindet gegenüber der sonst wahrgenommenen Dissi-
pation derselben. Grs.
lieber das HalbLydrat des Calciuinsulfats von
A. Potilitzin (Jouru. d. russ. phys.-chem.Gesellsch. 1893 [1]
207, D. Chem. Ges. Ber. 26, 571 R.). — Dieses Hydrat,
dem die Formel 2 (Ca SO^) • HgO zukommt, kann durch
unvollständige Entwässerung von Gyps oder durch Addition
von Wasser zum entwässerten Sulfat gewonnen werden.
Gyps, CaSO^ • 2H.2O, beginnt beim Erwärmen auf 62—65°
an der Luft langsam, aber stetig Wasser zu verlieren,
bis die obige Verbindung entstanden ist. Das vollständige
entwässerte Galciumsulfat absorbirt beim Liegen an der
Luft anfangs schnell Wasser, bis dieselbe Zusammen-
setzung erreicht ist, während dann die weitere Absorption
nur sehr langsam und nur in mit Wasserdampf gesättigter
Luft schneller erfolgt. Bei längerem Verweilen in solcher
Luft geht endlich das Halbhj^drat in das gewöhnliche
wasserhaltige Sulfat über. Durch die Eigenschaften dieses
Halbhydrates sollen die Sonderheiten übersättigter Gyps-
lösungen erklärt werden, indem sich beim Lösen von
wasserfreiem Gyps zunächst das leichter lösliehe Halb-
hydrat bilde, dieses dann in Wasser allmählich in das
schwerer lösliche Dihydrat übergehe. Sp.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernaunt: Dr. Fritz Erk in Miinoliin zum Director
der Kgl. bayc-'r. metoorologisehen Central-Statioii daselbst. — Au
der Kgl. Bibliothek in Berlin die Custoden Dr. Georg Hermann
Valentin — und Dr. Eduard Ippel zu Bibliothekaren. — An
der Universität Wien dio aus.serordentliehen Professoren in der
medieinischen Facultät Dr. Moritz Kai)osi und — Dr. Isidor
Neumann zu Ordinarien — und der ausserordentlie.he Prtit'essor
für Zoologie Dr. Karl Grobben zum ordentlichen Prot'i'ssor. —
Dr. Ernst Lecher, Privatdocent für Experimental-Physik an
der Universität Wien, zum ausserordentlichen Profes-sor und Director
des physikalischen Caliinets an der Universität Innsbruck. — Mr.
Charles Stewart zum Professor der Physiologie an der Royal
Inr<titution of Great Britain in London. — Dr. Carl Berg zum
I-'rofessor der Zoologie an der Universität Bui'nos Ayres. — Der
Privatdocent Dr. Senbi-rt zum ausserordentlichen Professor für
analytische und pharmaceutisehe Chemie an der Universität
Tübingen. — Dr. Arthur von Oettingen, früher Professorder
Physik an der Universität Dorpat, zum Ordinarius an der Univer-
sität Li'ipzig.
Es sind gestorben: Der Professor für allgemeine Geschichte
der Wissenschaften am College de France Pierre Laffitte in
Paris. — Der Naturforscher Sir Andrew Clark in London. —
Der Professor der Agricultur Dr. E. Leconteu.x in Paris. —
Dr. Friedrich Falk, Professor für forensische Medicin an der
Universität Berlin. — Bergingenieur Georg Bieneck in Breslau.
Eine Bronce - Statue Chevreul's wurde am 20. October in
seiner Vaterstadt Angers enthüllt.
Die Redaction der „Ornithologischen Monatsberichte" (Dr.
Ant. Reichenow Berlin, Museum für Naturkunde, Invalideiistr. 43)
bittet ihr alle diesjährigen Beobachtungen des Tannenhehers (Nu-
cifraga caryocatactes) mitzutheilen, da es sich möglicherweise
wieder um grössi're Wanderschaaren handelt.
L i 1 1 e r a t u r.
Th. W. Engelmann, XJeber den TJrsprung der Muskelkraft.
Mit 4 Figuren. Wilhelm Engelmann in Leipzig, iy'J3. — Preis
■2 Mark. '
Auf Grund seiner eingehenden Untersuchungen kommt Verf.
zu dem Resultat, dass die Ursache der Kraftentwickelung bei der
lebendigen Muskelcontraction in der Erwärmung doppelln-echender
Theilchen gelegen sei.
Prof. Dr. G Haberlaadt, Eine botanische Tropenreise. Indo-
malayische Vegetationsbilder und Reiseskizzen. Mit 51 Ab-
bildungen. Wilhelm Engelmann, Leipzig IS'JS. — Preis 8 Mk.
Hier liegt wieder einmal ein Buch vor, das man so recht aus
ganzem Herzen empfehlen kann: ein prächtiges Weihnaclitsgescheidi
für jeden, der der Natur nicht stumpf gegenübi^rsteht. Denn
Uaberlandt hat — obwohl sein Werk dem Botaniker mannigfaches
Neues bietet — überhaupt für den naturwissenschaftlich Gebildeten
geschrieben, nicht allein für den Fachmann. Schon die leichte
Schreibweise des Autors hebt sich angenehm von dem leider noch
so oft geübten schwerfälligen und ungeschickten Styl anderer Ge-
lehrten ab. Die biologische Betrachtung steht in den Haberlandt-
schen Auseinandersetzungen im Vordergrunde, wie das demjenigen
selbstverständlich sein wird, der den Autor, Professor der Botanik
an der Universität Graz, aus seinen früheren Schriften kennt.
In der That sollte es, wie H. Eingangs erwähnt, die Pflanzen-
welt der Tro]ien sein, welche für die Beurtheilung derjenigen
unserer gemässigten Zone zu Grunde gelegt wird, nicht umgekehrt;
denn erst naehträglii-h haben sich eine Reihe von Anpassungen
unserer heimischen Gewächse an die Ungunst des Klimas heraus-
gebildet, aus denen dann allgemeine und weittragende Folgerungen
für das gesammte Gewächsreich abgeleitet worden sind. Ganz
recht: die Botanik ist noch ,,nordisch - europäisch", und diesen
Fehler kann sie nur abstreifen, wenn Biologen zahlreicher in die
Tropen gehen, um dort die der Wissenschaft anhaftende Ein-
seitigkeit allmählich abstreifen zu helfen. In den Tropen „können
sich "alle pHanzlichen Lebensvorgänge mit grössenn- Vollkonnnon-
licnt, in typischer Weise abspielen; die Anpassungen an äussere
Verhältnisse, so mannigfaltig sie sind, verschleiern in viel ge-
ringerem Grade die inneren Gestaltnngstriebe". Jeder Botaniker
wird daher einen hinausreisenden Collegen beneiden um dii> Ein-
drücke und Anschauungen, welche er gewinnen muss, die den
Blick erweiti-rn und vertiefen; aber dieses Gefühl wird mit dem
des Dankes verbunden sein, wenn die gesammelten Erfahrungen
so trefHich wii' von unserem Autor mitgetheilt werden und so
dem an die Scholle Gebannten wenigstens ein Ersatz geboten wird.
Wir können unmöglich auf den reichen Inhalt der H. 'sehen
Schrift eingehen: man muss sie ganz lesen. Es sei nur bemerkt,
dass es sich also um eine Schilderung der Tropen-Vegetation von
den Standpunkten der „Allgemeinen Botanik" ans handelt, aber
eingekleidet in anmuthende Reiseskizzen und ausgestattet mit
wahrhaft künstlerisch von dem Autor ausgeführten Abbildungen.
Nr. 48.
Naturwissenschaftliche Wochensclirift.
.539
welche ansnezi'iohnete Anschamingen bioten. Um wenigstens einen
Einblick in ilas Bnch zu gewähren, werden wir baldigst in der
„Naturw. VVoehenschr." einen kurzen Ali.scdniitt ans demselben
zum Abdruck bringen. P.
Dr. Joseph Gottlieb Kölreuter's Vorläufige Nachricht von
einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen
und Beobachtungen, nebst Fortsetzungen 1, 2 und 3. (17ül
bis 17G(i.) Herausgegeben von W. Pfeft'er. (Ostwalii's Klassiker
der exacten Wissenschaften No. 41.) Wilhelm Engehnann in
Leipzig 1893 — Preis i M.
Die Wahl der bisher in Ostwald's Klassikern zum Abdruck
gelangten Werke älteren Datums ist eine sehr glückliche. Auch der
vorliegende Neudruck der Kölreuter'sclien Untersuchungen über
das Geschlecht der l'tlanzen ist eine klassische Arbeit, die jeder
Botaniker in der Hand gehabt haben sollte. K. J. Cauierarius,
J G. Kölreuter und Christian Conrad Sprengel sind :'> Leuchten
der Wissenschaft, denen wir die grundlegenden Ansichten über
das Geschlecht der Pflanzen verdanken. In erster lieilie waren
es Bastardirungsversuche, die Kölreuter anstellte; er war der erste,
der — von wissenschaftlichen Gesichtspunkten geleitet — Bastarde
erzog, und seine Arbeiten sind bis jetzt über diesen Gegenstand
fundamental geblii'ben in der Weise, dass jeder, der sieh mit dem
Gegenstande beschäftigt, auf Kölreuter's Werk zurückgreifen muss.
Schon Kölreuter hat u. a. naclidriicklich betont, dass zwar nicht
bei allen, al)er doch recht zahlreichen Pflanzen die Honigsaft
sammelnden Insectcn den Blüthenstaub übertragen und öfters zur
Erzielung von Bestäubung nothwendig sind, und doch konnte
diese so wichtige Erkenntniss — auch ti'otz Christian Conrad
SprengcFs meisterhaften Werkes über diesen Special-Gi'genstand
von 1793 bis zum Jahre 186'i, als Darwin wieder nachdrücklich
darauf aufmerksam machte, für die Wissenschaft unbenutzt bleiben !
Wie menschlich ist doch auch die Wissenschaft! P.
Engler und Prantl, Die natürlichen F flanzenfamilien, fintgeselzt
\on A. Ellgier. Liefeiungen 91.1 — 9'-'. Wilhelm Engehnann in
Leipzig 1S93. — Preis der Lief. 3, in Subscription i,50 Älk.
Schon wieder können wir das Erscheinen dreier Lieferungen
des ausgezeichneten Werkes anzeigen: Lief 90, welche die Fort-
setzung der Li'guminosae (bearbeitet von P. Taubert) bringt, und
Doppellieferung 91/92, welche über Lebermoose (bearbeitet
von V. Schiffner) handelt. Auf 2 Seiten linden wir vorher eine
Charakteristik und die Eintheilung der Embryophyta zoidiogama
(Archegoniatae) aus der Feder Engler's. LTnter anderem ist in
derselben bemerkenswert!!, dass Engler, wie schon in seinem Syl-
labns. den Begriff der Blüthe in zAveckmässigster Weise erweitert.
In der Charakteristik der Pteridiiphyta linden wir nämlich die
Angabe: „Die Sporangieu tragenden Blätter bilden bisweilen eine
gesoudt^rte Sprossformation, die schon als Blüth e bezeichnet
werden kann." Ich selbst muss sagen, dass gemäss unserer
heutigen Kenntnisse es in der That einzig richtig und zweck-
mässig ist, für die mit Sporophyllen besetzten Sprosse, die sich
von der Laubregion äusserlich unterscheiden, wie bei den homo-
logen Organen der Phanerogamen oder Embryophyta siphonogania
den Namen Blüthe anzuwenden, um endlich einmal die ilurchans
ungerechtfertigten Bezeichnungen ,.Fructificati(Uien'', „Sporen-
Aeliren"' und ähnliche zu beseitigen. Ich habe schon Gelegen-
heit gehabt, in der „Naturw. Wochenschr.'' einen Aufsatz übi-r
den Begriff der Blüthe zu veröfl'entlicheii, der die in Reile stehende
Frage beleuchtet (N'r. 47). Die bekanntlich nur fossil vorkommenden
Sphenophyllales bringt der genannte Gelehrte zwischen die Equi-
setales und Lycopodiales; icii habe in der „Naturw. Wochenschr."
VllI S. 219 ff', begründet, dass besser gegliedert wird: I. Filicales
2. Sphenophyllales, 3. Efpiisetales und 4. Lycopodiales. Aus der
Bemerkung bei den Sphenophyllales „Sporangien einzeln auf
der Blattspreite oder in der Blattachsel" geht hervor, dass die
neuesten Zeiller-Williamson'schen Untersucliungen nnil meine Be-
merkung zur Unterbringung der Gruppe nicht mehr Berücksichti-
gung finden konnten; aber es wird das durch die von mir über-
noinmeni' Bearbeitung der Sphenophyllales, Calaniariaceen und
Lepidephyten in den natürlichen Pflanzenfauiilien wieder ausge-
glichen werden, in der die erwähntc'n neuesten Untersuchungen
Berücksichtigung finilen können, da sich das Erscheinen derselben
noch eine ganze Zeit hinausschiebt.
Die Abbildungen sind wie immer ausgezeichnet. Lief. 90 ent-
hält deren 56 in 7 Figuren, Dopijellief 91, 9"-' nicht weniger als
258 in 52 Figuren. H. P.
Prof. Dr. Otto Wünsche, Die Alpenpflanzen. Eine Anleitung
zu ihrer Kenutinss. Gebr. Thu.st (K. Brämiiiiger) in Zwickau i.S.
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Das bequem in der Tasche zu transportirende Büchelchon ist
sehr geeignet, den Liebhaber der Alpenflora — und wer wäi'e
das nicht? — in die Kenntniss denselben einzuführen, da es sich
mit Geschick bemüht, dein Laien verständlich zu sein Ausser
den echten Alpenptianzen sind auch die Phanerogamen und Pteri-
dophyten niederer Höhen (.'i'lü— I lOH) m aufgenommen worden und
ebenso die Arten der Voralpenregion. Es war dies nöthig, da
der Anfänger ja noch nicht in Alpen und andere Arten zu scheiden
weiss, was er ja u. a durch das Buch lernen soll. Das Buch ist
eine Flora zum Bestimmen der Arten nach der bekannten, be-
quemen Lainarck'schen Methode: es wird gewiss die Freude au
den anziehenden Alpenpflanzen mehren helfen.
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diopsidartigeii Pyroxen, gemeine Hornblende und basischen
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wenn der Primärfiiiike in Oel überspringt Wien. 0,30 M.
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furt a,M. 14 M.
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des Fichten- und Lärchenholzes. Wien. 2 M.
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Leipzig. 1,20 M.
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Prag. 0,48 M.
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Mazelle, Ed., Der jährliche und tägliche Gang und die Ver-
.änderliehkeit der Lufttemperatur. Wien. 1,80 M.
Meyer, Dr. Hans, Ostafrikanischc Gletscherfahrten. Leipzig. 12 M.
Noväk, Gymn. -Prof. Jos., Die Flechten der Umgebung von
Deutschbrod, nebst einein Verzeichniss der überhaupt in Böhmen
entdeckten Arten. Prag. 2 M.
Piesch, stud. phil. Bruno, Ueber den elektrischen Widerstand
des Ceylongraiilivts. A\'ien. 0,20 M.
Reverdin, F., ii H. Fulda, Tabellarische Uebersicht der Xa]dita-
linderivate 2 Thh-. Basel, lli .M.
Romanes. George John, M. A., LL. D., F. B. S„ Eine kritische
Darstellung der VN'eiäinann'schen Theorie. Leipzig. 4 M.
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lichen Leben. — Litteratur; Th. W. Engelmanii: Ueber den Ursprung der Muskelkraft, — Prof Dr. G. Haberlandt: Eine
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540
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Verantwortlicher Redaktenr: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44,
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12.
für den lusoratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
- Druck: G. Bernstein, Berlin SVV- 12.
^^ Redaktion: ( Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 3. December 1893.
Nr. 49.
Abonnement : Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M i.—
Bringegeld bei der Post 15 .( extra.
i
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge ent -
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr saiit vollstäiKlijfer <^nellcnangabe gestattet.
Die natürliche Auslese beim Menschen.
Von Otto Am 1110 11.*)
Die zweielterliche Fortpflanzung' Jn'iiigt eine viel
grössere Mannigialtigkcit versebieden gearteter Individuen
hervor, als dies dnreh die individuelle Variabilität allein
möglich wäre. Die durch die „Ainphiniixis" **) entstehenden
neuen Combinationen elterlicher Anlagen bilden das Ma-
terial, in welches die natürliche Auslese einsetzt. Die
günstigenConibinatioiien werden erhalten und ausgesondert,
um zu allgemeinen Culturzweckeii, d. h. zum Nutzen der
Art, verbraucht zu werden, die ungünstigen gehen im
Kampfe ums Dasein unter, und die grosse Menge von
neutralen Combinationen, d. h. von solchen, die gerade
hinreichend sind zum Bestehen des Daseinskampfes, ohne
hervorragende Leistungen erzeugen zu können, werden
durch viele Generationen hindurch erhalten als ürmaterial,
bis unter den Nachkommen einmal der Fall eintritt, dass
eine günstige Conibination elterlicher Eigenschaften eine
Begabung über Mittel entstehen lässt. Wenn ich ge-
zwungen bin, mich so auszudrücken, als unterstelle ich
eine bewusste Zielstrebigkeit, so liegt dies au der Be-
schaftenlieit unserer Sprache, welche bis jetzt ausschliess-
lich an die teleologische Denkweise angepasst ist und den
richtigen Ausdruck nur unter Anwendung von Umschrei-
bungen gestattet. Ich schicke deswegen hier ein für
allemale voraus, dass nach meiner Auffassung die be-
stehenden Einrichtungen der menschlichen Gesellschaft
nicht als solche aufzufassen sind, welche zu einem be-
stimmten Zwecke geschaifen wurden, sondern, als sidche,
die unter einer Menge möglicher und wirklieh versuchter
*) Abgedruckt mit freundl. Genehmigung des Verlages aus
dem gleichuamigeu Buch des Verfassers (Verlag von Gustav Fischer
in Jena, 1893. Preis 7 Mk.), in welchem er am Schluss die obige
Zusammenfassung giebt. Vergl. die Besprechung des Buches in der
„Naturw. Wochenschr." VIII, S. 4(i0.
**) Der Herr Verfasser huldigt der Lehre Weismann's, die in
Bd. VIT S. 141 der „Naturw. Wochenschr." l-iesprechnng gefunden
bat. — Itei-I.
Einrichtungen sich als die zweckmässigsten erprobten und
im Kampfe ums Dasein siegreich waren. Die Analogie
mit der natürlichen Auslese bei den Individuen wird uns
richtig leiten: auch das angepasste Individuum ist nicht
eigens geschaffen, sondern es stellt nur eine günstige
Conibination dar, welche unter unzähligen verschiedeneu
Combinationen durch den Kamjif ums Dasein ausge-.
wählt ist. .
Das ürmaterial für die natürliche Auslese beim ;\Ien-
sehen bildet in der Gegenwart der Bauernstand, der aus
der Verschmelzung von germanischen Freien mit unfreien
Mischlingen hervorgegangen ist. Seit unbestimmbar langer
Zeit ist der das Feld bebauende Mensch an seine Lebens-
bedingungen angepasst. Wenn wir die Veränderungen
ausser Acht lassen, welche in den letzten Jahrzehnten in
der rationellen Landwirthschaft vor sich gegangen sind,
und welche nach und nach auch au den Bauernstand er-
höhte Anforderungen stellen, so begegnen wir einer Gleich-:
mässigkeit der Lebensbedingungen, welche die innige
Anpassung der Bauern erklärt. Es versteht sich vou
selbst, dass auch der Bauer kein vollständiger Dauertypus
ist, der nur Seinesgleichen hervorbringt Auch unter den
Bairern giebt es körperlich starke und körperlich schwache,
seelisch günstig und seelisch ungünstig veranlagte Indivi-
duen. Die natürliche Auslese ist fortwährend in Thätig-
keit, um die Bauern im Stand der Anpassung zu er-
halten. Sie wirkt aber auf die körperliche und auf die
seelische Ausstattung nicht in gleichem, sondern in ent-
gegengesetztem Sinne ein. In Bezug auf die körperliche
Veranlagung nimmt die natürliche Auslese die schwachen
Individuen hinweg, indem diese entweder schon im Kindes-
alter aus Mangel an rationeller Ptlege zu Grunde gehen,
oder im reiferen Knabenalter zur Erlernung eines Hand-
werks nach den Städten geschickt werden. In Bezug auf
diie seelischen Anlagen werden umgekehrt gerade die am,
höchsten begabten Individuen vorzugsweise hcrausgenom-
542
Naturwissenschaftliche Woclienschi-ift.
Nr. 49
men, um in den Städten ihren Fähigkeiten entsprechende
Aufgaben zu erfüllen. Diese allbekannten Thatsaclien er-
klären uns, wie es konunt, dass der Bauernstand sich durch
lange Zeit hindurch gesund und kräftig erhält, aber hin-
sichtlich seiner seelischen Anlagen ein gewisses Niveau
nicht überschreitet.
Der Bevölkerungsstrom, welcher den Geburten-Ueber-
schuss der ländlichen Bevölkerung nach den Städten führt,
ist nicht ausschliesslich durch das Spiel des Zufalles zu-
sammengesetzt, sondern er ist zum Theil das Erzeugniss
einer natürlichen Auslese. Die Kopfniessuugen haben uns
darüber belehrt, dass die nach den Städten Wandernden
etwas mehr Langköpfe enthalten, als die auf dem Lande
Zurückbleil)enden, und wir haben uns ül)erzeugen müssen,
dass den Langköpfen eine andere Art der Begabung inne-
wohnt, als den Rundköpfen; die Verschiedenheit, ja in
vielen Fällen Gegensätzlichkeit der seelischen Anlagen
von Lang- und Rundköpfen ist uns auch sonst noch im
Laufe unserer Untersuchungen häufig aufgestossen. Wir
haben die seelischen Eigenschaften der Langköpfe auf
die alten Germanen, die der Rundköpfe auf asiatische
Einwanderer zurückgeführt, welche schon in vorgeschicht-
licher Zeit durch die Pforte des Donauthales in das Herz
Europas vorgedrungen und als Ackerbauer sesshaft ge-
worden sind. Dem hoehgemuthen Sinn des Germanen,
der sich immer das Erhabenste zur Aufgabe stellt und
nur im unaufiiörlichen Streben seine Befriedigung findet,
dem es aber häufig trotz seiner ausgezeichneten Verstandes-
schärfe an der klugen Berechnung und an der zähen Aus-
dauer fehlt, haben wir den bescheideneren Sinn des Rund-
kopfes gegenüber gestellt, der zufrieden auf seiner Scholle
ausharrt, und der, in höhere Lebenslagen versetzt, nicht
selten durch Fleiss und Ausdauer die glänzende Begabung
des Langkopfes schlägt, jedenfalls aber für sein eigenes
Wohl besser zu sorgen versteht, als dieser.
Die Einwanderer gelangen, zum allergrössten Theile
wenigstens, in den Städten in günstigere Ernährungsver-
hältnisse, als sie von Haus aus gewohnt sind. Es ent-
steht ein Activ-Ueberschuss in ihrer physiologischen Bilanz,
der sich nicht nur in einem beschleunigten AV^achsthum
des Körpers, sondern zugleich in einer frühzeitigeren Ent-
wickelung äussert. Auch die seelischen Anlagen erfahren
eine Steigerung ihrer Thätigkeit, und zwar nicht immer
alle in gleichem Grade, so dass oft eine Störung des
seelischen Gleichgewichtes die Folge ist. Bei Manchen
werden die intellectuellen Anlagen vorzugsweise in leichtere
Erregbarkeit versetzt, bei Anderen mehr die sinnlichen
Triebe, und die vorkommenden Zwischenstufen sind von
der grössten Mannigfaltigkeit. Alte, längst eingeschlafene
wilde Urtriebe wachen wieder auf, andere Anlagen, die
bisher im Vordergrunde standen, können durch jene zu-
rückgedrängt werden. Die vielgestaltigen äusseren An-
regungen, welche das Lel)en einer Stadt darbietet, wirken
ebenfalls darauf hin, die seelischen Anlagen in lebhaftere
und raschere Thätigkeit zu versetzen und sie durch üebung
leistungsfähiger zu machen. Alles geräth bei den Ein-
wanderern in Gährung. Allmählich sondert sich das ver-
worrene Durcheinander. Ein Theil der Individuen verfällt
dem Laster und dem Verbrechen, ein anderer Theil ge-
langt mit Mühe dazu, sieh das nackte Dasein in den
Städten zu fristen, ein dritter, und zwar der wichtigste
Theil, beginnt auf der socialen Leiter in die Höhe zu
steigen. Merkwürdigerweise sind es hauptsächlich die
Rundköpfe, welche auf dieser Stufe des städtischen Le-
bens aufgerieben werden, wogegen die Langköpfe sich
besser behaupten, vermuthlich durch ererbte grössere sitt-
liche Widerstandskraft gegen die Versuchungen, die an
die Einwanderer herantreten. Der ganze Vorgang ist
nichts anderes, als die Anpassung des aus ländlichen Ver-
hältnissen hervorgegangenen Menschen an die städtische
Lebensweise, insbesondere an eine stärkere Ernährung
und an die anregenderen äusseren Eindrücke, die das
Kaleidoskop einer Stadt darbietet. Dass diese Anpassung
an völlig neue Lebensbedingungen nicht ohne grosse
Opfer von Individuen geschehen kann, ist in der Natur
der organischen Welt begründet.
Die für die höheren Culturzwecke tauglichen Indi-
viduen werden durch die Ständebildung, welche im Dienste
der natürlichen Auslese wirkt, von der breiten, gährenden
Masse der städtischen Bevölkerung abgesondert und er-
fahren eine nochmalige Verbesserung der Ernährung. Es
ist anzunehmen, dass hierdurch abermals ein gewisser
Theil der Individuen geopl'ert wird, welcher durch die
Steigerung der sinnlichen Trieljc das (41eichgewiciit der
seelischen Anlagen einbüsst, und damit stimmt die oft
beobachtete, aljer meist missverstandene Thatsache über-
ein, dass es nicht wenige Aergerniss erregende Glieder
des Mittelstandes giebt. Dieser Theil muss jedoch wegen
der vorau.sgegangenen ersten Siebung verhältnissmässig
kleiner sein, als beim unteren Stande. Bei einem anderen
Theile wird durch die Versetzung in einen günstigeren
Nährboden hauptsächlich die Intelligenz, die Erfindungs-
gabe, der Unternehmungsgeist und eine Reihe anderer
vortheilhafter Anlagen in höherem Grade ausgebildet und
zum Vortheil der Gesammtheit ausgenützt. Die günstigeren
Lebensbedingungen des Mittelstandes dienen der natür-
lichen Auslese nicht allein dadurch, dass sie die Individuen
des unteren Standes anspornen, durch Aufbietung aller
Geisteskräfte sich emporzuarbeiten, sondern sie bringen
selbst eine weitere Steigerung der Geisteskräfte hervor.
Auf die ganze Masse der städtischen Bevölkerung ausge-
dehnt, würden die günstigeren Lebensbedingungen des
Mittelstandes in beiden Richtungen ihre Wirkung ver-
fehlen: sie würden nicht nur den Wettbewerb abstumpfen,
sondern auch hauptsächlich eine Steigerung der sinnlichen
und thierisehen Triebe der Massen hervorrufen. Dass die
Natur hier mit einer doppelten Abstufung und Siebung
verfährt, ist jedenfalls sehr vortheilhaft und sparsam;
selbstverständlich haben wir daher in der Bildung der
Stände eine Einrichtung zu erblicken, welche aus der
natürlichen Auslese hervorgegangen ist und der natürlichen
Auslese dient.
Die bedeutsamste Wirkung der Ständebildung ist die
Verhinderung der Panmixie. Die beliebige Mischung von
Individuen der verschiedensten Herkunft bringt niclit nur
an sich schon neben einer Minderzahl günstiger (Kom-
binationen eine Mehrzahl ungünstiger hervor, sondern be-
fördert auch den Eintritt von Rückschlägen auf vergangene
Formen der menschliehen Entwickelung. In Folge der
Ständebildung werden auf der Stufe des Mittelstandes nur
solche Individuen mit einander verbunden, welche schon
eine erste Auslese bestanden haben; wenigstens bildet
dies die Regel, und die Ausnahmen krmnen wir übergehen,
weil wir als bekannt voraussetzen dürfen, dass die natür-
liche Auslese nie so zielmässig vor sich geht, wie eine
methodische. Je ähnlicher die Eltern einander hinsicht-
lich ihrer Anlagen sind, desto günstiger gestalten sieh die
Aussichten auf eine im gleichen Sinne begabte Nach-
kommenschaft, je unähnlicher die Eltern, desto seltsamer
erscheinen in den Nachkommen die günstigen und die
ungünstigen Anlagen mit einander gemischt, desto grösser
wird die Wahrscheinlichkeit von Rückschlägen. Unter
allen Misehlingsarten sind nur diejenigen im Daseins-
kampfe begünstigt, welche einem der reinen ursprüng-
lichen Typen nahe stehen mit einer kleineu Beimengung
des andern Typus, also die Langköpfe mit etwas dunklerer
Färbung und die Rundköpfe mit etwas hellerem Pigment.
Auf das Gebiet der seelischen Anlagen übertragen würde
Nr. 49.
Naturwissenschaftliche Wochen.schrit't.
Ü43
dies heissen: die Germanen, die eine Beinienginii;- des
stillen Fleisses und der das Ziel fest ins Au.i;-e fassenden
Beharrlichkeit der Rundk(>pfe, und die Rundköpfe, welche
etwas von dem idealistischen ( ieiste.sfluge der Germanen
bekonnnen haben. Alle dazwischen lieg-enden Mischformen
.i;elan,:icn nicht zu grösseren Erfolgen, sondern sind der
Vernichtung durch den Kamjif ums Dasein preisgegeben,
denn sie wurden nur gesehaft'en als unvermeidliche Neben-
producte bei der Ilervorbringung jener Besseren.
Neben der Verhinderung der Panmixie im köipcr-
liclien Siinie ist die Stäudebildung aber auch durcli die
Absonderung des Nachwuchses bei der Erziehung und
beim Schulunterricht von Bedeutung. Alles Grosse und
Jlächtige in der geistigen Welt der Menschheit wird nur
durch Fernhaltung vom Gewöhnlichen und (iieraeinen zur
vollen Reife gebracht, und jedenfalls ist die Trennung
vonniitlien im Kindesalter, in welciiem die eigenen Schutz-
triebe der Individuen noch nicht genügend entwickelt
sind, um störenden Einflüssen Widerstand zu leisten. Die
durch honiochrone Vererbung übertragene späte Entwicke-
lung der Sclmtztriebe bei den Kindern hängt im allge-
meinen mit der höheren Organisation und im besonderen
mit der Anpassung an die elterlichen Schutztriebe zu-
sannnen, welche jene entbehrlich maclien. Das Bestrel)en
der Glieder des Mittelstandes, auch der erst frisch auf-
gestiegenen, ihre Kinder von denen des unteren Standes
abzusondern, beruht auf einem ganz i'ichtigen elterlichen
Instincte. Dass aber die Erwachsenen verschiedenerstände
bei passender Gelegenheit nicht auf gleichem Fusse mit
einander sollten verkehren können, folgt daraus keines-
wegs, denn die Cliineserei von gesellschaftlicher Absonde-
rung ist weder nothweudig noch nützlich. Sie ist sogar
schädlich, denn sie beraubt die höheren Stände der Kennt-
niss des Wesens und der Lebensbedingungen der unteren.
Ob man demjenigen, der über ferne Länder und Zeiten
genaue Auskunft geben kann, aber dem Leben seiner
ärmeren Mitmenschen fremd gegenüber steht, die Bezeich-
nung eines allgemein gebildeten Mannes ertheilen kann,
scheint mir zweifelhaft.
Zum grössten Theile aus dem Mittelstande, zum
kleineren unmittelbar aus der Landbevölkerung oder aus
dem unteren Stande der Städte, geht der Stand der
studirten Berufsarteu, der Gelehrten und höheren Beamten
hervor. Finden wir im gewerblichen Mittelstande haupt-
sächlich die etwas heller gefärbten Rundköpfe vertreten,
welche doi-t vermöge ihres praktischen Sinnes und ihrer
klugen Berechnung bedeutende Erfolge erzielen, so be-
gegnen wir im studirten Stande einer wahren Auslese von
Langkö]ifen mit etwas dunklerem Pigment. Die Lang-
köpfe sind es, welche die obersten Gvnmasialclassen be-
völkern, tlieils weil sie durch ihren Eifer für die wissen-
schaftliche Forschung zum Studium getrieben werden,
theils weil ihrem aristokratischen Sinn die Laufbahn des
Beamten am meisten zusagt. Beides beruht auf Vererbung
aus der Zeit der Germanen, welche, wie wir gesehen
haben, sowohl durch ihre hohe Fassungsgabe, als durch
ihr Herrschertalent ausgezeichnet waren. Die Ruudköpfe,
welche wir in den Gymnasialclassen bis einschliesslich
Untersecunda in grosser Zahl, sogar in stärkerem Ver-
hältnisse als bei den Wehrpflichtigen, nachgewiesen haben,
treten meist mit dem Berechtigungsschein zum einjährigen
Militärdienst aus, um sich dem Gewerbe, dem Handel und
dem subalternen Beamtendienst zu widmen und siiäter
wiederum die fragliciien Schulclassen mit ihren rund-
köpfigen Söhnen zu bevölkern.
Aus der ungegliederten Masse der Einwanderer, die,
wie früher gezeigt wurde, etwas langköpfiger sind als die
Landbevölkerung, sondert sich dcnmach im Laufe zweier
Stadtgenerationen eine hellere rundköptige Gruppe, die
der gewerbe- und handeltreibinden Bürger und der Sub-
alteru-Beaniten, sowie eine dunklere langköptige Gruppe,
die der Gelehrten und höheren Beamten ab. Eine That-
sache wie diese, die das Durchschlagen der ursprünglichen
ererbten Rassen -Anlagen trotz der ganz verschiedenen
äusseren Verliältnisse der Gegenwart so überzeugend dar-
thut, muss zu den merkwürdigsten gerechnet werden,
welche die Anthropologie, das heisst die Kunde v(]ni Menschen
und von seiner Naturgeschichte, hat klar legen können.
Dass die Eniporhebung begabter Individuen in bessere
ICrnährungs- und Lebensbedingungen und die Bildung von
Ständen nur im Interesse der Art und nicht im Interesse
der abgesonderten Individuen selb.st geschieht, wird da-
durch bewiesen, dass die Nachkommenschaft der letzteren
dem Aussterben verfällt und dass eine fortwäin-ende Er-
neuerung durch das Aufsteigen frischer Individuen statt-
tindet. Innerhalb zweier Generationen wird fast die ge-
sammte Stadtbev(ilkerung bis auf einen verschwindenden
Rest, der die Ani)assung am besten erträgt, durch neue
nachdrängende Individuen ersetzt. Der ansässige liürger-
stand ist oft der Schauplatz grober Entartung, und schlechte
Propheten wollen daraus die Fäulniss uud den Untergang
des Bürgerstandes ableiten; aber nicht der Stand artet
aus, sondern nur die einzelnen Glieder k<innen ausarten,
und der Rahmen füllt sich gleich wieder mit gesundem
und tüchtigem Nachschub, denn hier herrscht kein Still-
stand, sondern Alles ist fortwährend im Flusse. Dass eine
grössere industrielle Unternehmung vom Vater auf den
Sohn übergeht, bildet schon nicht mehr die Regel, und
dass gar noch ein Enkel sie behauptet, dies gehört
zu den beinahe sagenhaften Vorkommnissen. Auch in den
Beamtenfamilien giebt es keine Vorrechte, und selten er-
halten sich solche Familien gleich brauchbar durch mehrere
Generationen; in der Regel verschwinden bald ihre Namen
und andere treten an ihre Stelle, so dass es allgemein
bemerkt wird, wenn bereits der Grossvater eines Beamten
eine ähnliehe Stellung wie er selbst eingenommen hat.
Nur der Landadel allein lebt unter Bedingungen, welche
gebildeten Familien eine Dauer durch eine grössere Zahl
von Generationen ermöglichen; aber früher oder später
werden auch adlige Familien vom Schicksal ereilt, und
zwar desto rascher, je höher ihr Rang ist. Die Leitung
der öft'entlichen Angelegenheiten und die Leitung der
Gtttererzeugung erfordern eine Anzahl von Persönlich-
keiten, welche in ents])rcchendem Grade begabt und aus-
gebildet sind, um verwickelte Geschäfte überschauen und
im richtigen Gange erhalten zu können. Auf dem Vor-
handensein der nöthigen Zahl solcher Persönlichkeiten
beruht in letzter Linie das, was wir Cultur nennen, und
beruht auch die Ueberlcgenheit eines Volkes über das
andere. Es ist demnach leicht einzusehen, dass im Laufe
der Geschichte Völker mit zweckmässiger Ständegliederung
ihre Einrichtungen auf Kosten solcher mit unzweckmässiger
Ständegliederung ausbreiteten, und dass Völker ohne alle
Ständebildung überhaupt nicht vorkommen können, weil
sie gänzlich unfähig wären, den Wettbewerb zu bestehen.
Zur richtigen Wirkung der Stäudebildung gehört, dass
die Stände nicht zu Kasten verknöchern, sondern dass
ein beständiges Vergehen der alten uud ein Aufsteigen
neuer Individuen aus der Masse des Volkes stattfindet,
also den Ständen immer frisches Blut zugeführt wird.
Das Individuum gilt hierl)ei nichts, die Art gilt Alles; und
diejenigen Individuen, welche anfangs scheinbar bevtu'-
zugt werden, bezahlen diesen Vorzug entweder mit ihrem
eingenen oder mit dem Untergang ihrer Nachkonnnenschatt.
Die Ursachen des Aussterbens der höheren Stände
sind verwickelter Art, lassen sich aber sammt und sonders
unter den Begriff' bringen, dass die einseitige Ausbildung
des Geistes nnt dem körperlichen Gedeihen unvereinbar
544
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4y
ist. Wir haben gesehen, dass seliou die städtischen Wehr-
jitiichtigen des unteren Standes im 20. Jahre zwar grösser
sind als die ländlichen, aber durch ihren geringeren Brust-
umfang die beginnende körperliche Entartung verrathen.
Hätten wir auch den Brustumfang bei den Söhnen der
höheren Stände messen können, so würden wir zweifellos
ein noch ungünstigeres Ergebniss gefunden haben. Die
verfeinerte geistige Ausbildung legt sociale Rücksichten
auf: ganz unabhängig von der Frage, ob die Fruchtbar-
keit an sich eine verminderte ist, kann als ausgemacht
angesehen werden, dass nur eine beschränkte Kiuderzahl
standesgemäss erzogen werden kann, abgesehen von den
Ausnahmefällen, in denen besonders günstige Privatver-
hältnisse vorhanden sind. Die längere Lebensdauer der
einzelnen Individuen kann den Jlangel einer weniger zahl-
reichen Nachkommenschaft nicht ausgleichen, und es be-
darf schon aus diesem Grunde eines fortwährenden Nach-
schubes aus den unteren Ständen, um die Reihen der
höheren gefüllt zu erhalten. Die Frage, ob das Mengen-
verhältniss der höheren zu den unteren Ständen im Laufe
der Zeit eine Verschiel)ung zu Gunsten der erstereu oder
der letzteren erlitten hat, haben wir auf Grund unserer
vorhandenen Materialien nicht zu lösen vermocht; sie ist
eine der wichtigsten Fragen für die weitere Forschung.
Vielleicht sind die von Zeit zu Zeit eintretenden Industrie-
Krisen das harte aber nothwendige Mittel, durch welches
die unverhältnissmässige Vermehrung der unteren Classe
gehemmt und ein zweckentsprechendes Verhältniss zwischen
Führenden und Geführten, Begabten und Jlinderbegabten
wieder hergestellt wird.
Es ist noch ausdrücklich zu betonen, dass weder ein
Rückstrom von den Städten nach dem Lande, noch ein
Zurücktreten von Individuen aus einem höheren in einen
niederen Stand vorkommt, abgesehen wieder von einzelnen
Ausnahmefällen, die an der Regel nichts ändern. Die
Gewölniung an bessere Ernährung und an geistige Arbeit
macht es den Individuen unmöglich, sich wieder in härtere
Lebensbedingungen zu fügen, und bei ihren Nachkommen
ist meist das Nämliche der Fall. Familien, welche in den
höheren Ständen im Kampfe ums Dasein unterlegen sind,
pflegen daher ganz vom Schauplatz zu verschwinden.
Wahrscheinlich spricht sich hierin ein tieferes Gesetz der
Natur aus. Ein organisches Wesen kann leichter aus
einer einfachen Existenz in eine verwickeitere übergehen,
als aus einer verwickeiteren in eine einfache. Eine Raupe
verwandelt sieh in einen Schmetterling, niemals abei- wird
ein Schmetterling in eine Raupe zurückverwandelt. Die
emporgehobenen Individuen, welche ihrem Zwecke für die
allgemeine Cultur nicht mehr entsprechen, werden als un-
nütz bei Seite geworfen. Der Rückstrom von den Städten
nach dem Lande wäre nichts weniger als günstig für die
Gesammtheit. Die städtischen Arbeiter würden ihre auf
eine höhere Stufe der Cultur zugeschnittenen Gewohnheiten
auf das Land hinaustragen und die einfachen Sitten der
bäuerlichen Bevölkerung untergraben. Auch die städtischen
Laster würden mit verpflanzt werden und die Gesundheit
der naturgemässen, genau angepassten Instincte des Land-
volkes anstecken. Das hiesse aber die Quelle vergiften,
aus welcher die Menschheit ihre besten Kräfte zieht, um
sich beständig zu erneuern. Das ganze sociale Gebäude er-
scheint so weise eingerichtet, dass die Meinung begreiflich ist,
alles sei mit Vorbedacht im Einzelnen so geschaften, wie
es ist; und dennoch müssen wir vom Standpunkt des
Naturforschers immer wieder betonen, dass diese wunder-
bare Zweckmässigkeit nur durch Anpassung vermöge der
natürlichen Auslese zu Stande gekonnnen ist, nicht ohne
unzählige vergebliche Versuche und nicht ohne einen un-
geheuren Verbrauch an Individuen.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
vom 11. bis 15. September 1893.
IV. (Schluss.)
Um einen wahrnehmbaren Reactionserfolg zu erzielen,
muss jeder Anstoss eine gewisse Intensität, den Schwellen-
werth des Reizes, übersteigen. Die Erfolge werden dann
sogleich oder erst nach gewisser Zeit, nach einem ge-
wissen Latenzstadium, bemerklich, um sich schnell oder
langsam, während kurzer oder langer Zeit abzuspielen.
Doch hierin liegt wiederum keine Eigenthümlichkeit der
physiologischen Reactionen. Denn wenn z. B. eine Uhr
durch einen auslösenden Stoss in Gang gesetzt wird, so
verstreicht el)enfalls eine gewisse Zeit, bevor, als weiterer
Erfolg der Auslösung, das Schlagwerk ertönt.
Eine specifische Eigenheit der Reizvorgänge ist es
auch nicht, dass der Organismus gewöhnlich mit zweck-
entsprechenden Reactionen antwortet. Denn zweckent-
sprechend und selbstregulatorisch arbeiten und reagiren
gar viele der im Dienste der Wissenschaft und der Technik
benutzten Apparate. Der geniale Gedanke Darwin's, dass
sich nur zweckentsprechende Eigenschaften der Organis-
men ausbildeten, resp. erhielten, macht die zweckent-
sprechende Reactionsfähigkeit gegen die übliche Umgebung
ebenso verständlich, wie das nicht immer vortheilhafte Ver-
halten gegenüber solchen Verhältnissen, welche normaler
Weise dem Organismus nicht begegnen. So ist es auch
verständlich, dass in einem Bacterium eine schützende
Emptindung für das todtbringende Ouecksilbersublimat
nicht ausgebildet ist, dass also ein Bacterium bei Gegen-
wart dieses Stoffes dem anlockenden Reize des Fleisch-
extractes folgt und unvermeidlich ins Verderben rennt.
während derselbe Organismus schädliche Concentration des
Lockmittels flieht.
Mit Unrecht ist auch der Rückgang auf den Aus-
gangspunkt als eine specifische Eigenheit der Reizvor-
gänge angesprochen worden. Denn wenn auch in be-
stimmten Fällen die selbstregulatorische Wiederherstellung
des früheren Zustandes Thatsache und eine physiologische
Nothwendigkeit ist, gipfelt gerade das Wesen und die
Bedeutung zahlreicher anderer Reizvorgänge darin, dass
eine andere, den neuen Verhältnissen entsprechende
Gleichgewichtslage geschaffen und erhalten wird. Zu
dieser Kategorie zählen u. a. die allbekannten Reizbewe-
gungen im Geotropismus und Heliotropismus, während
z. B. die Blätter der Sinnpflanze nach einer Reizung
immer wieder in die ausgebreitete Stellung zurückkehren.
Uebrigens benutzt auch die Technik bekanntlich sowohl
solche Apparate, welche bei einer Auslösung in eine neue
Gleichgewichtslage übergehen, als auch andere, welche
nach der Reaction selbstregulatorisch in die Ausgangs-
lage zurückkehren.
Sobald man in sachgemässer Weise den Kern der
Sache herausschält, so wird, insbesondere im Vergleich
mit Mechanismen, in unzweifelhafter Weise klar, dass
alle die mannigfachen und vielgestaltigen Reizreaetionen
stets den Charakter der Auslösungsvorgänge tragen. So-
fern eben diese im lebensthätigen Organismus sich ab-
spielen, reden wir von Reizvorgängen, um mit diesem Worte
sogleich den Schauplatz der Auslosungen näher zu kenn-
zeichnen. Die Herstellung und der Gewinn geeigneter
Nr. 49.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
545
Dispositionen und Energiemittel ist natürlich sowohl in
Organismen als in Mechanismen die nothwendige Bedin-
gung für die Actionsfähigkeit, und sobald die Gesammt-
hcit der Thätigkeiten in Verband mit der Ausiösung ent-
sprechend selljstregulatoriscli gelenkt wird, ist auch ein
Mechanismus im Stande, eine veranlasste Reaetion dauernd
fortzusetzen oder nach der Aetion den reactionstaliigen
Zustand inmier wieder herzustellen.
Um eine ^^ariation im Geschehen, also auch um eine
Keizreaction zu erzielen, bedarf es jedenfalls irgend einer
Veränderung in den inneren oder äusseren Verhaltnissen.
Denn nicht etwa auf einen constanten Druck, sundern auf
Drucksehwankung, auf Stoss, antwortet die .Sinn])flanze
oder die Kanke mit Bewegung, und eine Steigerung der
einseitigen Beleuchtung ist nothwendig, um die schwach
heliotropisch gekrümmte Pflanze zu einer weiteren Be-
wegung nach der Liclit(|uelle hin zu veranlassen. In
diesem Falle befand sich die Pflanze durch den schwäche-
ren heliotropischen Reiz in einer den Verhältnissen ent-
sprechenden Gleichgewichtslage, oder anders ausgedrückt,
in einem statischen Reizznstand, der eben so lange sich
constant erhält, bis eine Zunahme oder Abnahme des
Lichtreizes von neuem eine Bewegung und dadurch den
üebergang in eine neue Gleichgewichtslage veranlasst.
Ein analoges Verhältniss ist aber geboten, wenn
durch Erhöhung der Temperatur das Wachsthum in einer
kältestarren Pflanze erst erweckt, oder in einer schon
thätigeu Pflanze beschleunigt wird. Denn der Teniperatur-
wechsel ist hier nur Veranlassung, nur Reiz, da er cl)en
nur Thätigkciten auslöst, welche mit den in der Pflanze
zur ^'erfügung stehenden Mitteln und Kräften, nicht aber
durch die zugeführte Wärme betrieben werden. MitConstanz
der Temperatur befindet sich also die Pflanze in einem
statischen Reizzustand, welcher bekanntlich eine noth-
wendige formale Bedingung für die Realisirung und das
Ausmaass der vitalen Thätigkcit ist. In solchem Sinne
ist überhaupt die Induction gewisser Reizzuständc eine
allgemeine, eine formale Bedingung für die Thätigkeit
des Organismus, womit indess nicht gesagt ist, dass die
Gcsammtheit der AUgemeiubedingungen auf Reizindnctionen
hinausläuft.
Ein auslösender Anstoss muss aber nicht gerade von
der Aussenwelt ausgehen. Denn so gut, wie die im Gange
befindliche Uhr durch ihr inneres Getriebe das Sehlag-
werk zeitweise auslöst, werden auch im Entwickclungs-
gang und in der Thätigkeit des Organismus Constella-
tionen geschaffen, welche als innere Reizursachen be-
stimmte Auslösungsvorgänge veranlassen. Bei solchen
inneren Reizen liegen l)egreiflicher AVeise die Reizur-
sachen gewöhnlich nicht so durchsichtig, wie bei äusseren
Reizwirkungen, in welchen der Anstoss nach AVunsch
variirt und mit dem ausgelösten Erfolg in Vergleich ge-
bracht werden kann. AVenn deshalb die Betrachtungen
über das Wesen der Reizbarkeit besser zunächst an die
externen Reize anknüpfen, so kann doch nicht nachdrück-
lich genug betont werden, dass sich in der lebensthätigen
Pflanze interne Reize in buntester Mannigfaltigkeit und
Verkettung unablässig abspielen. Ja ohne die Mitwirkung-
innerer Reize wäre die gesetzmässige Entwickelung und
regulatorische Thätigkeit des Organisnms ganz undenkbar,
wäre es unmöglich, dass die einzelnen Glieder der Pflanze
in gegenseitiger Abhängigkeit entstehen und arbeiten,
dass beispielsweise die Verletzung in der Krone eines
Baumes eine bis in die AVurzelu sich erstreckende Reiz-
reaction zu veranlassen vermag. Und so gut wie die
rythmischen Pulsationen des Herzens, fordern einen inneren
Auslösungswechsel diejenigen periodischen Bewegungen
der Blätter des Klees und anderer Pflanzen, welche allein
durch innere, durch autonome Ursachen veranlasst werden.
In einer Auslösung, und entsprechend in jeder Rei-
zung, sind zunächst der veranlassende Anstoss, der Reiz-
anstoss oder Reiz und der Erfolg, die Reizreaction oder
der Reizerfolg, zu unterscheiden. Allein durch den Reiz-
erfolg wird uns die Reizbarkeit verrathen, die in jedem
Falle eine specifische Perceptionsfähigkeit voraussetzt.
An diese nächste Wechselwirkung zwischen dem aus-
lösenden Agens und dem percipirenden Theile des Or-
ganisnuis hat sich als Folge und Bindeglied die zum End-
ziel führende Kette von Actionen zu schliessen, also der
Reactionsverlauf, die Reaetionskette oder die Reizungskettc.
So einleuchtend diese Beziehungen sind, so schwierig
ist es, alle diese Glieder im Organismus zu durchschauen,
und thatsächlich gelang es noch in keinem Falle, den
Act der Perception und die Gcsammtheit der bis zum End-
erfolg sich am-eihcndcn Vorgänge ohne jedwelche Lücke
aufzudecken. Doch sind die Erfahrungen ausreichend,
um, neben dem Einblick in das Wesen der Sache, zu
lehren, dass sieh in der Pflanze gar oft ungemein com-
plicirte Reactionsketten abspielen. Mit der Erkenntniss
des Wesens der Reizvorgänge, mit der klaren Frage-
stellung ist aber <ler Weg für weiteres Eindringen ge-
bahnt, und die schon gewonneneu Erfahrungen und Re-
sultate sind der Morgendämmerung vergleichbar, aus
welcher das hellere Licht des Tages mit Sicherheit hervor-
gehen wird und hervorgehen muss.
Um aber in der l3ämmerung, auf dem Wege zum
Licht, nicht zu irren, muss man sich darüber klar sein,
dass die l)este Kenntniss des auslösenden Anstosses und
des Enderlolges keinen vollen Aufschluss über die Re-
aetionskette zu geben vermag, dass wir dem Enderfolge
nicht ansehen, ob er mit gleichen oder mit verschiedenen
Mitteln erreicht wurde, dass ferner gleiche Reize zu ver-
schiedenen, ungleiche Reize zu demselben Enderfolg
führen können. Einem Menschen, welcher durch den Druck
auf einen Knopf die Veranlassung giebt, dass ein Or-
chestrion sogleich oder erst nach einiger Zeit seine Har-
monien ertönen lässt, dem aber jedwelche Einsicht in die
verbindende und vermittelnde Kette versagt ist, einem
solchen Menschen bleibt es ebenfalls verborgen, ob durch
den auslösenden Druck direct der Sperrhaken gelöst
wurde, oder ob durch den Druck ein elektrischer Strom
geschlossen wurde, der in der Nähe oder Ferne eine Uhr
in Gang setzte, welche reflectorisch auslösend auf das
Orchestrion wirkte, oder ob vielleicht die Explosion einer
Mine, resp. irgend ein chemischer Process als A' ermittelungs-
glied eingeschaltet wurde. Auch verrathen die erklingenden
Töne nicht, ob die Betriebskraft des Orchestrion durch
ein fallendes Gewicht, durch eine gespannte Feder, durch
AVasser- oder durch Dampf kraft geliefert wird.
Im Lichte dieser und ähnlicher Erwägungen wird
man auch richtig zu würdigen wissen, warum mit der
einfachen Thatsache einer Veränderung im Reizerfolge
zunächst unentschieden bleibt, ob die maassgebende Ur-
sache in dem Acte der Perception oder im Verlaufe der
Reizreaction zu suchen ist. In den gebotenen Disposi-
tionen, Reizstimnuingen, ist naturgemäss das Reactions-
vermögen der Pflanze in quantitativer, aber auch in quali-
tativer Hinsicht modificirbar. Derartige Verschiebungen,
welche eine sehr bedeutungsvolle Rolle im Pflanzenlcben
spielen, werden ebensowohl im normalen Entwickelungs-
gang geschaffen, als auch durch äussere Eingriffe erzielt,
und es vermag also auch die Induction eines Reizzustandes
die Pflanze in einen Zustand zu versetzen, in welchem
sie anders als zuvor auf einen Reiz reagirt.
A'^ou diesen Verschiebungen der Reizstimmung will
ich hier nur der interessanten Thatsache gedenken, dass
Pflanzen, in ähnlicher AVeise wie der Alensch. mit Zu-
nahme des Reizes eine Abstumpfung der Enipfindlicidveit
546
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 49
erfahren. Wie der Bettler durch eine Mark, durch ein ein-
faches Mittagsmahl angespornt wird, nach (Gewinnung
eines solchen ihm werthvoll und köstlich dünkcndcn Lohnes
eifrig zu streben, nach einem Lohne, welcher dem im
Ueberfluss lebenden .Millionär keiner Anstrengung werth
erscheint, so wird auch das im nahrungsarmen Medium,
im Hungerzustande befindliche ßacterium schon durch
eine äusserst geringe Menge des als Reiz wirkenden
Fleischextractcs veranlasst, dem ihm nutzbringenden Stoffe
schleunigst zuzueilen, während derselbe Organismus nach
Versetzung in Nahi-ungsiiberfluss nur durch einen absolut
grösseren Gewinn zu gleichem .Streben gereizt werden kann.
Ebenso wie bei uns der schon bestehende Reiz des
Lichtes, des Druckes um dasselbe Multiplum, also bei
schon vorhandener stärkerer Reizung um einen viel
höheren absoluten Werth gesteigert werden nuiss, um als
Reizzuwachs merklich zu werden, ebenso verhält es sich
mit den Ptlanzen. Auch in dem Empfindungsvermögen
der Pflanzen finden wir die im sog. Weber'schen Gesetz
ausgesprochene Relation wieder, deren Zustandekommen
also nicht etwa, wie der Begründer des sog. psyclio-
lihj'sisciien Gesetzes, wie Fechner auf Grund seiner Studien
am Menschen annahm, an höhere psychische Functionen
gebunden sein muss.
Eine Pflanze, oder auch ein einzelnes Organ einer
Pflanze, ist iiltrigens niemals nur für einen Reiz empfäng-
lich, und in demselben Organe können sich dcnigemäss
gleichzeitig heterogene Reizvorgänge abspielen. So ver-
mag z. B. während der Ausführung der geotropischen
Reizkrünnnung ein mechanischer Zug die Verstärkung der
Zellwaud, ein Wuudreiz Plasmaströmungen zu veranlassen.
Darin liegt zugleich der Beweis, dass nicht jedwelche
Reizung in einem Pflanzenorgan, in einer einzelnen Zelle,
denselben Erfolg hat, dass sich also die Zelle nicht wie
unser Auge verhält, in welchem die verschiedensten An-
stösse eine Lichtcmpfindnng veranlassen. Von einer
solchen einseitigen Befähigung eines Organes, von speci-
fischeu Energieen im Sinne von Johannes Müller, kann
also bei Pflanzen nicht die Rede sein. In der That wäre
auch ein winziges Baeterium, in welchem alle vitalen
Functionen auf kleinstem Räume zusammengedrängt sind,
undenkbar, wenn alle Reize nur eine einzige Reaetion,
etwa Bewegungen, hervorriefen. Ja wir müssen sogar
S]iecifische Sensibilitäten für alle diejenigen in ihrem Er-
folge gleichgestalteten Reizreactionen voraussetzen, welche
sich vereint, aber auch unabhängig von einander vor-
finden. Denn nur so ist es verständlich, dass das eine
Pfianzenorgan für geotropische, heliotropische, hydro-
tropische Reize, das andere Organ nur für geotropische
oder nur für heliotropische Reizung empfänglich ist.
Eine Ausbildung distincter Sinnesorgane, deren Auf-
gabe speciell auf die Wahrnehmung eines einzelnen Agens
))crechnet ist, tritt bekanntlich bei den niederen Thieren
und ebenso bei den Pflanzen zurück. Distincte Sinnesorgane
sind aber ebensowenig eine Bedingung für die Reizbar-
keit, wie für das Leben, dessen Pulse auch schon im ein-
fachsten Protoplasmakörper schlagen. Ja selbst die JMannig-
faltigkcit der Sensibilität ist in den Pflanzen nicht geringer
als in den höheren' Thieren, deren Empfindlichkeit gegen
einzelne Reize vielfach von den Pflanzen übertrofl'en wird.
Sensibcle Ranken reagiren n. a. auf äusserst sanfte Stösse,
die wir nicht zu empfinden vermögen, und bewegliche
Bacterien werden schon durch den billionsten oder
trillionsten Theil eines Milligramm von Fleischextract,
von Sauerstoff n. s. w. angelockt, also von winzigen
Mengen, die wir nicht mehr wägen, die wir uns kaum
vorstellen können. Ferner werden viele Pflanzen durch
ultraviolette Strahlen kräftig gereizt, d. h. durch ein Agens.
für welches wir keine directe Sinneswahruehmung be-
sitzen, von dem wir nur indirect, durch die Wirkung auf
andere Körper, Kenntniss gewinnen.
P>leil)t in der Pflanze die auffällige Reizreaction viel-
fach auf die percipirende Zone beschränkt, so ist doch
irgend eine Fortpflanzung der Reizung allgemein im
Spiele und nicht selten erstreckt sich die Ausbreitung auf
grosse Entfernung. Allerdings handelt es sieh zumeist
nicht um eine so einfache und auffällige Reizleitung wie
in der Sinnpflanze, in welcher das Zusanniienschlagen
eines Blättchens sehr bald die Reizbewegung in näheren
und ferneren Blättern ^-eranlasst. Vielnielir dreht es sich
sehr gewöhnlieh um das Ausstrahlen von Processen, die
nahe oder ferne von der Perceptionsstelle die Veranlassung
zu weiteren Reactionen geben, welche nur zum Theil
äusserlich bemerkbar werden.
Eichen und Buchen schmücken sich z. B. zum zweiten
Male mit grünem Laube, wenn die im Frühjahr erschie-
nenen Blätter durch Menschenhand, durch Maikäferfrass
oder durch Frost vernichtet werden. In diesem Entlauben
ist der Anstoss gegeben, welcher diejenigen Knospen zum
Austreiben veranlasst, welche normaler Weise bis zum
nächsten Frtth.jahr oder für immer gcschlunnnert hätten.
Von den austreibenden Knospen aber geht eine Reizung
aus, welche in der Basis des Stammes und in den Wurzeln
gewisse Wachsthumserfolge und Stoffmetamorphosen ver-
ursacht, eine Reizung, die um bis dahin zu gelangen, in
hohen Bäumen eine Strecke von mehr als 20 Metern zu
durchlaufen hat.
Ferner mag hier auf die räumliche Trennung von
Perce])tion und Reaetion in der hydroti-opisehen Krünnnung
der Wurzel hingewiesen werden. Diese Reizkrümmung
vollzieht sich in einiger Entfernung von der Wurzelspitze,
welche letztere sieh selbst nicht krümmt, wohl al)er allein
befähigt ist, die Feuchtigkeitsdifterenz in der Luft als
Reiz zu empfinden. Lehrreich sind ferner die Blätter des
inseetenfangenden Sonnenthaues, bei welchem ein Contact-
reiz nur das Köpfehen des Tentakels pereipirt, von dem
aus der zur Krümmung führende Impuls dem sich krüm-
menden Theil des Tentakels übermittelt wird. Diese und
ähnliche Fälle erinnern unmittelbar an die von Sinnes-
organen ausgehenden Reizreactionen, wenn auch in der
Pflanze die Arbeitstheilung nicht so weit fortgeschritten
ist, dass die einzige Hauptaufgabe der Wurzelspitze oder
des genannten Drüsenköpfchens in der Perception eines
einzigen Reizes gipfelt.
Eine dauernde gegenseitige Beeinflussung aller Organe,
somit auch der einzelnen Zellen, ist überhaupt, wie schon
hervorgehoben wurde, eine absolute Nothwendigkeit, um
das zu gedeihliciier Entwickelung, zu gedeihlicher Thätig-
keit unbedingt erforderliche Zusammenwirken der Glieder
in normalen und abnormen Verhältnissen, in guten und
schlechten Tagen regulatorisch zu leiten. Ohne eine all-
seitige, den jeweiligen äusseren und inneren Veränderungen
und Bedürfnissen entsprechende Reizbecinfiussung wäre
es ganz undenkbar, dass die Thätigkeit, wie es that-
sächlich geschieht, regulatorisch in zweckentsprechende
Bahnen gelenkt und in diesen erhalten wird, dass sieh
z. B. die Entwickelung von Wurzel- und Spross.system in
correlativer Abhängigkeit abspielt, dass der Stengel, der
Fruclitstiel in dem Maasse erstarkt, wie die zu tragende
Last, d. h. die mechanische Inanspruchnahme gesteigert
wird, dass ein zunehmender Widerstand eine vermehrte
Arbeitsthätigkeit der Pflanze veranlasst, dass die Nähr-
stoffe gerade dahin wandern, wo sie nothwendig sind.
In diesen und ähnlichen Fällen handelt es sich aller-
dings nicht mehr um einen einzelnen, einfachen Reizvor-
gaug: Vielmehr spielen sich unzweifelhaft verwickelte
Ketten von Reizungen und mechanischen Uebertragungen
ab, in welchen wiederum die erregten Actionen zum Aus-
Nr. 49.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
.547
gangspunkt mechanischer Wechselwirkungen und Aus-
lösungen werden, die sich mit den von anderen Orten
ausstralilenden Einflüssen in mannigfachster Weise durch-
kreuzen und combiniren. Der Eiidcrfolg allein aber ver-
mag nicht zu verrathen, welcher Art die zu ihm hin-
führenden verschlungenen Wege waren und weim Avir
z. B. die Lichtentziehung als den äusseren Anstoss für
das Verweilen der Pflanzen feststellen, wenn wir con-
.statiren, dass durch gewisse äussere Einflüsse Pflanzen
zu frühzeitigem Hlühen und Fruchten, Algen zur Vermeh-
rung auf vegetativem oder sexuellem Wege veranlasst
werden, so ist damit nicht bestinnnt, welche Kette von
Vorgängen zu dem endlichen Ziele führte.
Es wäre aber auch unbillig, schon jetzt eine voll-
ständige causale Aufhellung der verwickelten Processe
zu verlangen, während doch die volle Einsicht in viel
einfachere Vorgänge sehr oft wie durch einen Nebel ver-
schleiert erscheint, der wohl die allgemeinen Unu'isse und
einzelne hervorstechende Momente, aber nicht das ge-
sammte lunengetriebe zu durchschauen gestattet. Doch
die Fälle, in welchen kritische Studien den Nebel mehr
und mehr zu zerstreuen vermochten, bieten die sichere
Gewähr, dass Licht, mehr Licht der Lohn der siegreich
fortschreitenden Forschung sein wird.
Der weiter und weiter strebende causale Rückverfolg
einer vitalen Erscheinung muss nothwendiger Weise
schliesslich in das Getriebe des lebendigen Protoplasma-
körpers führen. Denn ohne diesen giebt es kein Leben,
mit den Protoplasten ist auch der Organismus todt und
somit unfähig, eine von dem Leben abhängige Auslösung,
also eine Keizreaction, zu vollführen. Der Protoplasma-
körper, dieser Elementarorganismus, ist aber, in analogem
Sinne, wie jeder Organismus, aus ungleiehwerthigen Or-
ganen aufgebaut, aus deren Thätigkeit und Zusammen-
wirken die Gesammtheit der Lebensthätigkeit resultirt.
Diese differenten Theile sind aber sicherlich nicht nur in
der Thätigkeit, sondern auch in der Perception und Fort-
führung der Reize von ungieichwerthiger functioneller Be-
deutung. Doch dürfen wir in diesem Mikrokosmus, eben-
so wie in den brichst entwickelten l'tlanzen, im allgemeinen
nicht solche Organe erwarten, die ausschliesslich einer
Einzelfunctiou dienstbar sind.
Eben weil im Protoplasmakörper, in diesem Elementar-
organisnnis, das ganze (Jeheimniss des Lebens und also
auch der mit dem Leben verketteten specitischen Sensibili-
täten ruht, kann auch schon in den cinlächsten Organismen,
in einem IJacterium oder in einem Schleimpilze, die Emptind-
lichkcit gegen Reize ebenso reich und mannigfaltig ausge-
bildet sein, wie in der hoch entwickelten l'tlanzenart.
Die Gemeinsamkeit dieses, derselben Gattung zuge-
hörenden Elementarorganismus schlingt, wie schon betont
wurde, das einende Band um Pflanzen und Thiere. Ebenso
wie in anatomischer und morphologischer Hinsicht, stellen
auch Pflanzen und Thiere dieselben allgemeinen physio-
logischen Probleme, und für beide muss in gleichem Sinne
die Frage beantwortet werden, in wie weit Pflanzen und
niederen Thieren psychische Regungen zuzugestehen sind.
Auf das Psychische in anderen Lebewesen vermögen wir
aber stets nur nach unseren pers(inlichen Gefühlen zu
schliessen; objectiv gelangen nur Veränderungen, gelangen
also auch nur Reizerfolge zu unserer Wahrnehmung und
diese Erfolge können nicht verrathen, ob in dem bei Be-
rührung zuckenden Wurme oder bei dem der Nahrung
zueilenden Hactcrium, ob in diesen oder anderen Reiz-
vorgängen irgend eine psychische Mitte durchlaufen wird,
ob etwa irgend eine Stufe eines aufdämmernden Bewusst-
seins erreicht wird. \Vn dürfen indess innnerhin, ebenso
wie bei niederen Thieren, in einem wohlberechtigten, aber
nur metaphysischen Sinne v(m einem Empfinden, von einer
Sensibilität der Pflanze reden. x.
lieber IJalsam uiulMyrrlie hielt Prof. Dr. G.Schwein-
furth in der Pharm. Ges. in Berlin einen Vortrag, dem
die Pharm. Ztg. (Berlin) das folgende Referat widmet:
Neben dem Weihrauch liefert der Balsamstrauch das
vornehmste Product in der Gesammtregion der Aromaten,
jener Striche, welche das Wunderland Punt, in das die
Alten deu Ursitz der Götter verlegten und welches später
mit dem Namen des glücklichen oder richtiger des ge-
segneten Arabien belegt wurde, in sich schliessen. Nach
unseren Begriffen trostlos öde, sonnendurchglühte, steinige,
zum Ackerbau meist untaugliche Gebiete sind es, wo
die schöpferische Kraft des Bodens trotz der kümmer-
lichen Gewandung der Flora eine Fülle von Aromen aller
Art hervorbringt, wo an den scheinbar dürren Zweigen
der so laubarmen Bäume als Ueberschuss der latenten
Naturkraft dicke Knollen heilsamen Harzes und Thränen
duftenden Balsams hervortreten. Auch heutigen Tags
noch haben die Araber eine ausserordentliche Vorliebe
für Wohlgerüche aller Art und unaufhörlich sind bei den
Wohlhabenden die Durehräucherungen von Körper und
Gewandung mittelst aromatischer Substanzen.
Es war bereits in frühester Zeit bekannt, dass der
„Mekkabalsam", wie wir ihn zu bezeichnen pflegen, einen
weit grösseren Verbreitungsbezirk hatte, als der Weih-
rauch, der nur in zwei begrenzten Distrikten, in Süd-
arabieu und im Somallande, zu haben war. Heute wird
Balsam nur in den zum heiligen Gebiete von Mekka ge-
hörigen Thillern stets von ein und derselben Pflanzenart,
Commiphora (Balsamodendron ) Opobalsanuim, eingesannuelt,
obgleich dieselbe südlich des Wendekreises im gesannnfen
Küstengebiete des Rothen Meeres und auf den Inseln
überall verbreitet zu sein scheint. Die Varietäten, welche
neuere Systematiker nach der Gestalt der Blätter oder
der Zahl der Fiederjoche zu unterscheiden versuchten,
sind nicht hinreichend constant; allenfalls Hessen sich
einige Formen mit besonders dichter Behaarung an deu
Blättern als Unterart festhalten. Redner fand den Balsam-
strauch, der unter Umständen ein Bäumchen wird, im
südlichen Nubien auch landeinwärts verbreitet, doch
scheint derselbe im tieferen Binnenlande zu fehlen. Wäh-
rend Weihrauch- und Myrrhenbäume die mittleren Berg-
landschaften bevorzugen, ist der Balsamstrauch in Arabien
und Nubien auf die Küstenfläche und die unterste Ge-
birgsstufe bis GUU m Höhe beschränkt, nur im Sommal-
lande fand Hildebrandt ihn in Höhenlagen bis zu 16Ü0 m.
Schon in alter Zeit wurde der Balsamstrauch in
Palästina und in Egypten angebaut, nur im ersteren Lande
jedoch in grösseren Gärten, wo bereits zur Zeit Alexanders
des Grossen eine gewinnbringende Ausbeutung geübt
wurde. Die meisten späteren Autoren, die des Balsams
erwähnen, gedenken auch gleichzeitig dieser merkwürdigen
Gärten, die hauptsächlich bei Jericho, im Depressions-
gebiete des Jordanthaies, angelegt waren. Flavius Jo-
sephus erwähnt, dass diese Culturen auf die Zeit des Be-
suches der Königin von Saba zurückzuführen seien,
indem Salomo von ihr unter anderen Geschenken auch
lebende Balsambäume erhielt. Es ist indessen wohl an-
zunehmen, dass bei der Verbreitung der Früchte durch
den Handel (xaonoßd/Mapor) diese selbst zu Aussaat-
versuchen benutzt worden sind. In Aegypten sind der-
artige Versuche in früheren Zeiten schon wiederholt mit
Erfolg gemacht worden, neuere aber in den Gärten Kairos,
548
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 4n
vermuthHch iu Folge der kalten Winternächte, miss-
gliickt.
Es ist anzunehmen, dass an allen Stellen des alten
Testamentes, wo von einem tlüssigen Wohlg-eruehe Namens
„mor" die Rede ist, nicht Myrrhe gemeint ist, wie alle
Bibelübersetzer, offenbar verleitet durch den Gleichklang
des althebräischen Wortes mit der neuarabischen Bezeich-
nung für Myrrhenharz, angenommen zu haben scheinen,
sondern Mekkabalsam, denn myrrlia, (T/ivoi'/j, ist ein festes
Harz, das als flüssiger Wohlgerucli nicht anfgcfasst werden
kann. Im alten Testamente ist keine Andeutung ül)er
Myrrhe im Sinne des lateinischen Namens nachzuweisen.
Die Art der Gewinnung des Balsams ist noch nicht
sieher bekannt. Die Zweigspitzen des Balsamstrauches
sind nur in einer Ausdehnung von wenigen Centimetern saft-
strotzend und wie gefirnisst. Wenn man sie abbricht, so
tritt nur ein feines Safttrö])fchen aus und es erscheint fast
unausführbar, irgendwie nennenswerthe Mengen durch
Aufsammeln derselben zu erlangen, obwohl Theophrast von
einem „freiaustiiessenden" Safte spricht. WahrscheinHch
ist, dass, da der Balsam auf dem Wasser schwimmt, die
zerstampften Zweigspitzeii mit lieissem Wasser Übergossen
werden. Je nachdem man auch die Blätter und Rindeu-
stücke mit verwendet, dürfte die Farbe dunkler oder
heller, die Consistenz dicker oder dünner ausfallen. Die
Bemerkungen der älteren Autoren, welche bei der Ge-
winnung von Einschnitten in die Rinde sprechen, dürften
auf die übhche Verwechselung mit der ^lyrrhe zurück-
zuführen sein; aus der Stanimrinde ist durchaus kein
Balsam zu erhalten. Der Geruch des Mekkabalsams er-
innert an den grüner Kiefernza))fen, sein Preis beträgt in
den Drogenljazaren zu Kairo über 60 M. pro Pfund.
Die Myrrhe stannnt von 3 — 4 Arten derselben Gattung.
Die aus Arabien in den Handel konnnende Sorte ist nach
Defiers hauptsächlich von Conmiiphora abyssinica abzu-
leiten, während Schweinfurth seilest an C. Schimperi eine
Harzausscheiduug beobachtete, welche der käuflichen
Myrrhe vollkommen glich. Diese beiden Arten sind auch
im nordahyssiuischen Gebirgslande sehr verbreitet, werden
aber daselbst nicht ausgebeutet. Aus Abyssinien und
Nubien sind noch einige weitere Connniphoraarten bekannt,
welche an verletzten Stellen des Stammes gleichfalls ein
der Myrrhe sehr ähnliches Gunnniharz ausscheiden, das-
selbe wird jedoch bis jetzt nicht, oder doch nur in sehr
unwesentlichen Mengen in den Handel gebracht. Die-
jenige Art, welche die vom Somallande in den Handel
gebrachte, bereits von Plinius erwähnte, von der arabischen
abweichende Sorte liefert, ist ntich nicht nachgewiesen.
Die von Nees van Esenbeck beschriebene C. Myrrha,
welche Ehrenberg in Yemeu sammelte und welche an-
geblich die eigentlielie Stammptlanze der Myrrhe sein sollte,
eine Angabe, die in alle pharmakognostischen u. s. w.
Werke Eingang fand, liefert weder Myrrhenharz, noch ist
an ihr überhaupt ein Geruch oder eine Ausscheidung
irgend welcher Art wahrzunehmen. Ehrenberg's Herbar-
notiz besagte auch nur: „liefert vielleicht auch Myrrhe,
doch ist dies nicht genügend constatirt."
Zur Lelii'e vom Luftwechsel hat Prof. Dr. G. Wolff-
hügel eine Arbeit geliefert (Arch. Hyg.1893, Bd. 18 S.251).
Die Abhandlung, ein Beitrag zur Festgabe für Petten-
kofer, geht von dessen Anschauung aus, die Aufgabe des
Luftwechsels sei es nur, sich gegen die gasförmigen Ver-
unreinigungen der Luft, und zwar ausschliesslich gegen
die in einer anderen Weise nicht zu Iteseitigenden Aus-
scheidungen von Lunge und Haut der Menschen zu richten.
Erst, wo die Reinlicldvcit nichts mehi- zu leisten vermag,
beginne die Aufgabe der Ventilation. (Pettenkofer, Ueber
den Luftwechsel in Wohngebäuden. München 1858,
S. 72 tt'.). K()nnte es auch scheinen, als ol) die herrschende
bakteriologische Anschauung dem Luftwechsel erweiterte
Aufgaben zuweise, so ergaben doch die einschlägigen Unter-
suchungen Resultate, welche mit der Auffassung Petten-
kofers nicht im Widerspruch stehen.
Bekanntlich hat Pettenkofer zur Beurtheilung der Luft
bewohnter Räume in erster Linie den Kohlensäurogehalt
herangezogen, nicht weil derselbe das eigentlich Schädi-
gende oder Belästigende darstellt, sondern weil er einer-
seits leicht zu ermitteln ist, andererseits im Freien nur
geringe Schwankungen zeigt und in geschlossenen Räumen
nicht durch Flächenwirkung und Absorption merklieh be-
einflusst wird. Nach eingehender Erwägung der für und
wider dieses Verfahren geltend gemachten Gründe, der
einschlägigen Experimental-Üntersuehungen und der ander-
weitigen Vorschläge zur Beurtheilung der Luft und des
daraus folgenden Ventilationsbedarfes kommt Wt)lfl'hügel
zu dem Schluss, dass Pettenkofer's Verfahren bisher noch
immer das Vortheilhafteste und dass deshalb, so lange
kein besserer Ersatz vorhanden ist, dai'an festzuhalten
sei, wenngleich es auf strenge Wissenseliaftlichkeit keinen
Anspruch mache. Sp.
Ueber den von Schneider Trichospliaerium Sieboldii
genannten meerbewolinenden Khizopctden, den auch Karl
Möbius in seiner Rhizopodenfauna der Kieler Bucht auf-
führt, machen R. Greef und F. C. Noll neuere Mit-
theilungen (s. Zool. Anz., 15. Jahrgang, S. 60 und 209).
Erstcrer hat das Thier, freilich ohne es zu benennen,
im Jahre 1869 in Ostende entdeckt und bemerkt nun,
dass die feinen Stacheln, die seinen Körper bedecken,
dünne Kalknadeln sind. Es sind also keine organischen
Gebilde. Greef beobachtete ferner lange stäbchenförmige
Pseudopodien, während Möbius lappige Protoplasmafort-
sätze gefunden hat. Vielleicht sind demnach die Ostender
und die Kieler Form zwei Abarten. Die Pseudopodien
dringen aus runden Schalenöffnungen. Der protoplasma-
tische Binnenk(irpcr besteht aus hellem Ectoplasma und Va-
cuolen und Nahrung enthaltendem dunkclenEntoplasuia. Die
Fortpflanzung besteht in Theilung oder Knospung. Ueber
die Ernährung der fragliehen Protozoen berichtet Noll.
Er fand zahlreiche Exemplare des Thieres an der mit
Diatomeen dicht überzogenen Wand seines Zimmer-
Aquariums. Sie frassen diese Algen reichlich, so dass
einerseits der Ijraune Diatomeenbelag an den von ihnen
besiedelten Stellen bald schwand, andererseits die Tricho-
sphaerien sieh rasch vermehrten. Die Schale der Rhizo-
poden muss dehnbar seiu, denn es wurden Diatomeen ver-
zehrt, deren Durchmesser grösser als der der Schalen-
poren war. C. M.
Ueber Jodoso- und Jodoverbindungen. — Vor etwa
Jahresfrist ver(iffentlichteu Victor Meyer und Willi. Wächter
eine Mittheilung*) fll)er einen aus Orthojodbcnzoesäure
durch rauchende Salpetersäure erhaltenen, um ein Atom
Sauerstoff reicheren Körper, welcher sich als echte Säure
erwies. Da Orthobrombenzoesäure ein derartiges Ver-
halten nicht zeigte, so war anzunehmen, dass das hinzu-
tretende Sauerstoffatom durch das Jod gebunden werde,
die Verbindung mithin die Constitution
/J=0
habe. Da eine solche Constitution derjenigen der Nitroso-
verliindungcn RN^O entspricht, so wurde für den neuen
*) Deutscli. Chem. Ges. Ber. 25, 2632.
Nr. 4it,
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
549
Körper der analog gebildete Namen Jodosobenzoesäurc
gewählt. Bald stellte sich heraus, dass der neue Kör])er
in nächster iJeziehung zn einer bereits bekannten Classe
von Verbindungen stellt. C. Willgerodt hatte durch Ein-
wirkung von Chlor auf in Chloroform oder anderen wenig
angreifbaren Mitteln gelöste aromatische Jodverbindungen
die sogenannten Jodidchloride erhalten*), welche sich
von den Ausgangskörpern durch den Mehrgehalt von
zwei Chloratcnnen unterscheiden und diese nicht am aroma-
tischen Kern, sondern am Jod gebunden enthalten, so
dass L. B. der einfachste ]Je|)iäseritant dieser Körper-
classe, das l'henvljodidchlorid, die Constitution C,;!!;, J=Cf,
besitzt. Es lag die Annahme nahe, dass diese Kcirper zu
den Jodüsoverbindungen in demselben Verhältnisse stän-
den, wie die Chloride der Metalle zu deren (Oxyden, und
in der That fand Willgerodt diese Annahnu' durch das
Experiment bestätigt.**) Er vermochte sowohl durcii
freie wie dui'cli kohlensaure Alkalien die Jodidehlf)ridc in
Jodosoverbindungen überzuführen und gelangte auf diese
Weise glatt zum einfachsten Repräsentanten derselben,
dem Jodosol)euzol, C,;H,-,"J=0. Von diesem stellte es sich
heraus, dass es, ganz wie ein zweiwerthiges basiselies ( Ixyd,
mit Säuren, auf welche es nicht oxydii-end wirkt, salzartige
Verbindungen zu bilden \crniag und dass das salzsaure
Salz mit dem Phenyljodidchlorid identisch ist. In üebcr-
einstimniung mit der hierdurch constatirten basischen Natur
der J=0-Gruppc steht es, dass, wie Paul Askenasy und
Victor Meyer***) ausführlich darlegen, die Jodosobenzoe-
säurc zwar eine eclite Säure, aber eine der schwächsten,
schon durch K(d]lensäure vollständig austreibbaren ist.
Der Umstand, dass die Meta- und Parajodbenzoesäuren
nicht in Jodososäuren übertuhrbar sind und dass diese
Erscheinung sich auch bei den liölicren Homologen wieder-
holt, legt allerdings die Ansicht nahe, dass die Jodoso
benzoesäure überhaupt keine eigentliche Carbonsäurc sei,
sondern dass sich die Seitenketten darin zu einem Fünf-
ring ordnen, die Constitution also
J-OH
\ /
sei, und Victcn- Meyer sowohl wie ^\'illgerodtt) scheinen
dieser Ansiciit den Vorzug zu geben. Doch wäre hiermit
die ebenfalls von Victor Meyer und seinen Schülern con-
statirte Thatsache, dass Nitro])roducte von Säuren, welche
nicht jodosirt werden können, ihrerseits dieser Reaction
zugänglich sind, kaum in Einklang zu bringen.
Wie die Jodosoverbindungen den Nitrosokörpern, so
sollten den Nitrokörpern Jodoverbindungen, also solche, die
eine ~JO.j-Gruppe enthalten, entsprechen, und es wurden Ver-
suche, solche Verbindungen zu gewinnen, von V. Meyer be-
reits in seiner ersten Mittheilung über die Jodosobenzocsäure
in Aussieht gestellt. Willgerodt fand, dass Jodosobenzol,
wenn es an der Luft bei 90 — 100° erhitzt wird, in der That
in Jodobenzol, CgHp^JOo, übergeht. Seine anfängliche
Ansicht, dass hierbei der Sauerstoff der Luft oxydirend
einwirke, ist später gleichzeitig von ihm und von V. Meyer
dahin berichtigt worden, dass zwei Molecüle Jodosoben/.ol
sich umsetzen zu je einem Molecül Jodobenzol und Jod-
benzol, deren letzteres sich bei der angegebenen Tempe-
ratur verflüchtigt.
*) Jouni. f. praktischo Chetnir 33, 154,
""■) Deutfch. Chera Gi'S. Ber. 25, 349.5.
***) Deutsch. Chem. Gos. Ber. 2«, 1354.
t) Deutsch, Chem, Ges. Ber. 26, 1S02.
Im Gegensatz zu den basischen Jodosoverbindungen
zeigen sich die Jodo\crbindungcn vollständig neutral, ohne
jede Fälligkeit zur Salzbildung.
Es erscheint nun höchst wahrscheinlich, dass auch
die weiteren Versuche, den Azoverbindungen entsprechende
Körper, in denen ein oder beide Stickstoifatome durch
Jod ersetzt sind, zum Ziele führen und uns mit neuen
interessanten Körperklassen bekannt machen werden.
Bedauerlich ist, dass die Reizbarkeit des Herrn Will-
gerodt ihn neuerdings gegen V. Mej'cr in ein-M- saciilich
ebenso unberechtigten wie formell unschönen A\'cise auf-
treten lässt, weil dieser es gewagt hat, einig.' Angaben
Willgerodt's nachzuprüfen und, soweit er zu anderen Re-
sultaten gelangte, zu berichtigen. Nichts könnte der Ent-
wickejung der cliemischcn Wissenschaft hinderlicher sein,
als wenn das Reservatrecht auf ein in Arbeit genommenes
Gebiet soweit ausgedehnt würde, dass kein anderer mehr
das Recht zur Nacliprüfung haben sollte. Noch dazu
scheint Willgerodt seine eigenen Worte aus der Zeit
besserer Einsicht plötzlich vergessen zu haben, dass erst
„die hochinteressante Arbeit von V. Meyer u. W. Wächter
ihn veranlasste, das Studium seiner Jodidchhu'ide wieder
aufzunehmen"; andernfalls hätte er kaum zu dem (ilaulien
gelangen können, dass „die Bearbeitung des Jodoso- und
Jodbenzols ihm allein zustehe". Iloft'entlich legt sich diese
Erregung l)ald wieder, so dass wir fernerhin die beiden
hervorragenden Forscher in Ruhe nebeneinander das inter-
essante Ge.biet der aromatischen Jodverbindungen er-
schliessen sehen. Dr. L. Spiegel.
Neuer Komet. — Am 16. October wurde von Brooks
im Sternbilde der Jungfrau ein neuer, im Telesko]) leicht
sichtbarer Komet entdeckt, der gegenwärtig am Morgen-
himnicl gesehen werden kann. Sein Perihel hat derselbe
nach einer ersten Bahnbestimmung l)ereits am 19. Septbr.
passirt, wobei er der Sonne nicht viel näher kam, als
unser Planet. Die Bewegung ist retrograd; der schein-
bare Lauf am Himmel ist nordöstlich durcli das Stern-
bild Haar der Berenice gerichtet. F. Kbr.
/^-Lyrae. — An diesem bekannten, veränderlichen
Stei-n von kurzer Periode ist neuerdings, was schon
Pickering vermuthete, von Belopolsky in Pulkovvo er-
wiesen worden, dass nämlich der Stern ähnlich wie Algol
aus zwei optisch nicht trennbaren Körpern besteht, die
in 13 Tagen um einander kreisen und durch partielle
Verdeckungen die Liehtschwankungen hervorrufen. Es
hat sich diese Thatsache hier wiederum auf spectro-
graphischem Wege durch die Schwankungen der hellen
uml dmikelen Linien in den zwei supcrponirten Spectren,
welche die photographischen Aufnahmen zeigten, erwiesen.
F. Kbr.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es uurilen eriiaiuit: Der «jrihiitliclie l'nil'i-s.sor iler Bdtiiuik
im der Universität Berlin Dr. Simon Seh wendener zum (}e-
heinien Regioruugsrath. — An der Kgl. Biljliotliek zn Berlin die
Hilfscustodeu Dr. Hans Paalzow — "und Dr. Alfred Schulze
zu Custoden. — Der Botaniker, C'onsul a. D. L. Krug in Gross-
Lichterfeldc bei Berlin zum Professor. — Dr. Kurt We igelt in
Berlin, Generalsecretär des deutschen Fischerei-Vereins, zum Pro-
fessor. — Der ausserordentliche Professor für analytisclie Chemie
an der Technischen Hoclischule in Wien Dr. Rudolf Benedikt
zum Ordinarius. — An der Universität Dorpat Dr. Wassiliew
zum Professor für klinische Medicin — und Dr. Tschi.scli zum
Professor für Irrenheilkiinde. — Der ausserordentliche Professor
der Pathologie und Therapie an der Universität Charkow Dr.
Scliiltow zum Ordinarius. — Am Veterinär -Institut zu Dorpat
der Staatsrath ausserorch'utliche Professor für Vetcrinärwesen Dr.
Gutmann zum Ordinarius und — der Staatsrath Prosector Dr.
550
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 49
Kundsien zum ausserordentlichen Professor. — Der ansser-
ordentlielip Professor der Physik an der Univer.sität Kasan Dr.
Goldhammer zum Ordinarius. — Der ausserordentliche Professor
der Pharmaeologie an der Universität Kasan Dr. Rodsajewski
zum Professor an der Universität Charkow. — Der Professor in der
medicinischen Faeultät der Universität Kasan Dr. Bechterew
zum Lehrer an der militär-medicinischen Akademie in St. Peters-
burg. — Privatdoceut für organische Chemie an der Universität
Odessa Dr. Selinski zum ausserordentliclien Professor an der
Universität Moskau. — An der Universität Petersburg: der Pro-
fessor der Botanik A. Batalin zum Director des Kaiserl. Botani-
schen Gartens — und der Professor der Chemie A. Dianin zum
provisorischen Nachfolsrer Inostranzew's.
Es haben sich habilitirt: Der Kcgierungsrath am Kaiserlichen
Gesundheitsamte Dr. Wilhelm Ohlmüller für Hygiene an der
Universität Berlin. — Dr. Friedrich Reinke in der medicini-
schen Faeultät der Universität Rostock. — ■ Dr A. Tornquist
für Geologie und Paläontologie an der Universität Strassburg.
Der Wirkliche Staatsrath Professor in der medicinischen
Faeultät der Universität Dorpat Dr. Alexander Rosenberg
hat seinen Abschied erhalten. — Der Professor der Psychiatrie
an der Universität Petersburg Dr. Mershejewski legt sein
Amt nieder.
Es sind gestorben: Der Kgl. Bezirksgeologe Anton Halfar
in Berlin. — Der Naturforscher George Bennett in Sydney,
Australien. — Der Entomologe Dr. H.A.Hagen in New-York. —
Der Director der Universitäts Frauenklinik und Professor an der
Universität Halle Geheimer Medicinalrath Dr. Kaltenbach in
Halle. — Der Ornithologe Dr. Baldamus in Wolfenbüttel. —
Professor Dr. Hermann Seger, bekannt durch seine Arbeiten
auf dem Gebiete der chemischen Technologie, in Berlin.
Dr. Stuhlmanii hat sich wieder nacli < )stafrika zurück-
begeben, um das Küstengebiet wissenschaftlich zu durchforschen.
L i t t e r a t u r.
Ernst H. L. Krause, Mecklenburgisclie Flora. Wilh. Werther's
Verlag. Rostock 1803.
Unser Mitarbeiter, der Stabsarzt Dr. E. H. L. Krause ist
ein gewiegter Florist und namentlich vorzüglicher Kenner der
Mecklenburgischen Flora, sodass wir aus keiner berufeneren Feder
ein Werk über dieselbe wünsclien konnten. Sie ist daher nicht
nur für den Botanophilen von Werth, sondern auch für den Fach-
mann. Kulturpflanzen hat Verf. — soweit sie nicht jetzt wild
wachsen — weggelassen, jedoch auch von diesen auch diejenigen
nicht aufgeführt, welche nur ausnahmsweise verwildert oder an
nur einem bestimmten, beschränkten Fundpunkt vorkummen. Dass
Verf. die Autoren-Namen weggelassen hat, ist zwar nicht störend,
da der Fachmann kaum irgendwo zweifelhaft sein wird, welche
Art gemeint sei und diese Hinzufügungen für den Anfänger, für
welchen das Buch in erster Linie geschrieben ist, keinen grossen
Werth haben, aber dennoch in einem wissenschaftlichen Buch
wie dem vorliegenden zu bedauern, weil die Autoren-Bezeich-
nungen den Fachmann entschieden schneller orientiren. Deutsche
Namen hat K. löblicher Weise nicht künstlicli gebildet, wo die
wissenschaftlichen Namen alli^emein bekainit sind wie z. B. Chrys-
anthemum. Er sagt treffend: Es ist Unsinn, internationale Vo-
kabeln für ein nationales Unglück zu halten.
Dr. W. Breslich und Dr. 0. Koepert, Bilder aus dem Thier-
und Pflanzenreiche. Für Srhule und Haus bearbeitet. Heft 1:
Säugethiore. Stephan Geibd. Alteuburg, S.-A. 1893. — Preis
2 Mk. 60 Pf
Die Verfasser wollen durch ihr Buch kein Lehrbuch der
Zoologie und Botanik für Schulen ersetzen, sondern vor allem ein
solches ergänzen, da auch die besten Leitfäden doch immer nur
ein Gerippe der Thier- und Pflanzenkunde entlialten. In ihnen
tindet der Lernende das Wichtigste der Mor])hologie, Sj'stematik,
und auch theilweise der Physiologie und Biologie. Am dürftigsten
kommt aber letztere in der Regel fort, obwolil sie gerade das be-
sondere Interesse des Schülers erregt Diese Lücke soll das Werk
ausfüllen. Es werden daher in dem vorliogend<'n Heft die Lebens-
äusserungen wichtiger Säugethiere geschildert. Das Buch ist als
ein kurzer und geschickter Auszug aus den Quellen der Biologie
anzusehen, das ebensow'ohl dem Schüler wie dem Lehrer dien-
lich sein kann.
Dr. Eduard Zache, Geognostische Skizze des Berliner Unter-
grundes. Mit 4 Abb. (VViss. Beilage zum Progranun der ü. Real-
schule (Höheren Bürgerschule) zu Beilin Ostern 1893). R.
Gaertuers Verlag. Berlin 1893. — Preis 1 Mk.
Das Schriftchen bietet eine geschickte, knappe und leicht-fass-
lich geschriebene, fachmännische Uebersicht der geognostischen
Verhältnisse Berlins und der Entstehung derselben. Wer sich
daher kurz und mit möglichster Zeitersparniss über diesen Gegen-
stand zu unterrichten wünscht, und dieser Wunsch dürfte bei den
Gebildeten der Hauptstadt vielfach rege sein, der vertiefe sich in
die Zache'sche Skizze, und er wird dem Verf. für die gebotene An-
regung und Belehrung Dank wissen. Die Disposition der nur
25 Quartseiten umfassenden Arbeit ist eine sehr einfache: zunächst
erhält der Leser eine knappe, aber genügende Orientirung über die
Topographie der Stadt, sodann findet die Geognosie derselben und
zwar zuerst das Quartär und dann das Tertiär Besprechung. Einige
Profile und Kärtchen unterstützen das Verständniss wesentlich.
Prof. Dr. W. Hampe, Tafeln zur qualitativen chemischen
Analyse. 3. verb. u. verm Aufl. Grosse'sche Buchhandlung.
Clausthal 1893. — Preis 4.50 Mk.
Das kleine Werk zeichnet sich unter der grossen Anzahl
seinesgleichen vortheilhaft aus durch eine den Stoft' erschöpfende
Reichhaltigkeit. In den zwölf Tabellen sind fast sämmtliche
Reactioneu der Elemente und ihrer Verbindungen mit Einschluss
der zehn wichtigsten organischen Säuren angegeben. Dabei ist
vom Verfasser bei jedem einzelnen Reagenz das Verhalten der-
selben bei Zusatz einer geringen Menge und im Ueberschuss er-
läutert. Um ferner einem mechanischen Befolgen der Tabellen
vorzubeugen, das den inneren theoretischen Zusammenhang der
einzelnen Trennungsmethoden unberücksichtigt lässt, führt der
Verfasser stets vor Augen, was z. B. in einem entstehenden
Niederschlage alles enthalten sein kann, und fügt ausserdem den
resultirenden Verbindungen die Formeln bei. Wenn der Anfänger
nur einigermaassen mit den allerwichtigsten Reactionen der Basen
und Säuren und den einfachsten Manipulationen der chemischen
Pra.\is vertraut ist, wird es ihm ein Leichtes sein, nach den
Tabellen zu arbeiten Aber auch dem in der Analyse Bewan-
derten werden sie dann und wann erwünschten Aufschluss geben,
da auch das Verhalten der seltener vorkommenden Elemente, wie
Thallium, Indium etc , gegen die Reagentien in gedrängter Kürze
angegeben ist, und man dadurch des Nachschlagens in einem
grösseren Handbuch enthoben wird.
Neben den unverkennbaren grossen Vorzügen haften den
Tabellen aber auch einige Nachtheile an, welche durch die Fülle
des verarbeiteten Stoffes bedingt sind. Die Menge der ange-
gebenen Reactionen auf trockenem Wege, deren Wichtigkeit als
Vorprüfung der zu analysirenden Substanz wohl Niemand be-
zweifein wird, könnte für den Anfänger etwas knapper bemessen
sein. Vor allen Dingen aber sind die zum Tlieil mehrfach zu-
sammengefalteten Tabellen für den praktischen Gebrauch im
Laboratorium entschieden zu umfangreich und unhandlich. Viel-
leicht hätte sich das durch die Wahl eines anderen Formats de.s
ganzen Büchleins vermeiden lassen. In dieser Gestalt ist das
Werkchen neben einem Lehrbuch der Chemie zum Gebrauch am
Studirtisch äusserst empfehlenswerth, oder als Nachschlagebuch,
das jeder, der qualitative chemische Analyse treibt, dann und
wann gerne zur Hand nimmt. Dr. H.
Prof. Dr. Carl Titus, Das Sternenzelt. Mit 73 Abbildungen.
Verlag des Vereins der Bücherfreunde. Berlin 1893.
Für die populäre Darstellung der vorliegenden elementaren
Astronomie hat w-esentlich das prächtige Werk Arago's zur Grund-
lage gedient. Sie will mehr anregen als systematisch belehren.
Wir finden daher in dem Buche 12 einzelne Aufsätze, von denen jeder
ein abgeschlossenes Thema behandelt. Es macht sich in ihnen
die heutige Forsehungsrichtung begreiflicherweise bemerklich, so
ist der eine der Aufsätze betitelt: „Forschungen und Phantasien
über den Planeten Mars", ein anderer: „Die Photographie im
Dienste des Astronomen." Sehr lesenswerth ist der Schlussaufsatz :
„Die sog. 4. Dimension in der Astronomie", in welchem Verf. mit
Recht an den Liebmann'sehen Satz erinnert: „Die Raumanschauung,
die wir besitzen, kann nicht abgeleitet, sondern nur charakterisirt
werden", und darauf aufmerksam macht, dass allen Speculationen
über Dimensionen stets schon unser Erfahrungsraum zu Grunde
liegt.
August Trinius, Alldeutschland in Wort und Bild. Eine
malerische .Schilderung der deutschen Heimath. Mit 65 Illustratio-
nen. Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung. Berlin 189J. —
Preis 5,70 Mk.
Von dem anziehenden Werk liegt nunmehr der 2. Band vor mit
G5 geschickt ausgewählten, charaktervollen Illustrationen, zum
grössern Theil flotte Skizzen, anderntheils directe Reproductionen
nach guten Photographien. Der Band behandelt die Vogosen, den
Spessart, den Odenwald, das Eifelgebirge, das Bayerische Ober-
land, den Taunus, Wilhelmshöhe und den Schwarzwald. Jeder,
der sich für die Eigenthümlichkeiten seiner weitereu Heimath
Nr. 49.
Natiirwissensehaftliche Wochenschrift.
.551
iiiteressii't, ist das hülisuh ge.schricbeiie Bucli des guten l<iciinrTs
derselben warm zn cmptVliliMi. Wer eine Erholungsreise machen
will, wird sich mit Freuden von dem kundigen Führer über die
Gegend, Land und Leute unterrichten lassen, um dann mit düp]ieltem
Genuss zu wandern und zu schauen. — Ein nettes Weihnachts-
geschenk!
li'Intermediaire des Hathematiciens ist di'r Titel einer
neuen t'ranzüsischen, matheuiatischen Zeitschrift, die vom Januar
189-t ab in dem Verlage von GauthierVillars et Fils zu Paris er-
scheinen wird. Die Herausgeber, C. A. Laisant und Emile
Leraoine, beabsichtigen unter dem genannten Titel ein für die
Mathematik ganz neues mathematisches Unternehmen zu schatten,
das wesentlich dem wissenschaftlichen Verkehr di'r Mathematiker
aller Länder insofern gewidmet sein soll, als Fragen wissenschaft-
lichen, bibliographiseheu und biogra|jliiscben Inhalts aus dem Ge-
biete der Mathematik, an deren Erledigung dem oder jenem ge-
legen ist, veröft'entlicht und aus dem matliematischen Leserkreise
heraus beantwortet werden. Man darf dem Fortschreiten des
eigenartigen Journals mit Interesse entuegensehen und wohl
namentlich für das bisher sehr vernachlässigte biograpliische
Moment schätzenswerthe Aufschlüsse erwarten. Wir machen
auf das Untm-nehmen mit dem Bemerken aufmerksam, dass
etwaige Correspondenzen, Anfragen u. s. w. an die oben genannte
Verlagsbuchhandlung (Paris, Quai des Grands- Augustius 55) zu
richten sind.
29. Bericht der Oberhessischen Gesellschaft für Natur-
imd Heilkunde. Giessen im Mai 1893.
Das Heft ist mit dem Bildniss des verstorbenen, besonders
als Pliänologen bekannten Prof. Dr.H. Hoffmann geschmückt, das zu
einer Biograpliie und Schilderung der wissenschaftlieljen Wirksam-
keit desselben aus der Feder seines SehiUers und Mitarlieiters auf
]diänologischein Gebiete Dr. E. Ihne gehört. Der Nekrolog ent-
hält auch ein vollständiges Verzeichniss der zahlreichen Schriften
Hotfmanns; die Thätigkeit des letzteren als Pilzforscber hat der
Mykologe Schroeter in Breslau bearbeitet. Gleichfalls von
Ihne sind die für 1891 eingelaufenen „Phänologischo Beobach-
tungen" zusammengestellt worden. Die Veröffentlichung dieser
Beobachtungen geschah früher von Hotfmann, von jetzt an wird
dies Ihne thun. (Im Sonderabdruck liegt bereits Jahrgang 1892
vor.) Beide Forscher zusammen haben bekanntlich seit 1882
und 188o weitere Kreise zu phänologischer Thätigkeit angeregt,
als deren Folge die seit dieser Zeit in den Giessener Berichten
jährlich abgedruckten Daten anzusehen sind. Den Beobachtungen
lässt Ihne, wie früher Hofi'mann, ein Verzeichniss der neuen
phänologischen Litteratur folgen. x.
Der 29. Bericht enthält ferner: Friedrich Roth, Die Tuffe
der Umgegend von Giessen (ausführliche Untersuchung); Ihne,
Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen im botanischen
Garten in Giessen 1890 und 1891; Prof Dr. Streng, Ueber die
basaltischen Kraterbildungen nördlich und nordöstlich von Giessen
(Untersuchung und Vortrag); August Köhler, Beiträge zur Ana-
tomie von Siphonaria (Vortrag); Streng, Eine Reise in das Land
der Mormonen (vorläufige Mittheilung). Von den 25 Auszügen
aus gehaltenen Vorträgen, grössteutbeils medicinischen Inhaltes,
sind umfangreichere naturwissenschaftlichen Inhaltes: Hansen,
Stoff bildung bei Meeresalgen; Rausch, Zur Geschichte der
Sirenen, und Pitz, Ueber die Saitenorgel.
Arndt, Prof. Dr. Rud., Kraft und Kräfte. Greifswald. 1,-50 M.
Bergbohm, Dr. Jnl., Entwurf einer neuen Integralrechnung auf
Grund der Potenzial-, Logarithuial- und Numeralreelinuug.
2. Heft. Leijjzig. 2 M.
Dinichert, Rob., Etüde des courants faradiiiues k laiile du
galvanometre et de relectrodynamometre. Bern. 1,20 i\J.
Fhotographiacher Apparat. — Von Herrn Max Steckelmann
in Berlin winl gegenwärtig ein kleiner photographischer A])parat
für den Preis von oO Mk. in den Handel gebracht, der sich trotz
seiner Billigkeit durch eine recht gediegene Ausführung auszeichnet.
Sehr gut ist die Holzarbeit an der Camera und ebenso leistet der
ausziehbare, mit Lederecken versehene Balg genügende Gewähr
für seine Haltbarkeit. Die Linse liefert sein- klare bis nach den
Rändern zu scharfe Bilder, welche einetirösse von 9:12 cm besitzen.
In den Preis mit einbegriffen ist eine vollständige photograpliische
Ausrüstung, sodass nichts fehlt, um fertige Bilder herstellen zu
können. Dem Anfänger, für welchen dieser Apparat sehr geeignet
sein dürfte, wird aussei-dem die gedruckte Anleitung zum Photo-
graphiren, welche ihn über das ganze Verfahren gein'igend auf-
klärt, sehr willkommen sein. Bei genauer Befolgung der ange-
gebenen Vorschriften wird er sehr bald gute Bilder i^rh alten. D»
sich der Apparat ausserdem durch Leichtigkeit auszeichnet, so-
dass er auf Reisen bei|uem mitgenommen werden kann, so möchte
ich die AnschaffuiiK allen ilen<'n empfehlen, welche die sich ihnen
darbietenden Landscbaftsbilder als eine angenehme Erinnerung
von ihren Reisen mit nach Haus bringen möchten.
Professor Dr. Wahuschaft'e.
Erklärung.
In seiner „Entgegnung" (Naturwiss.Wocbenschrift 1893, No. 2ii,
S. 264) sagt Herr Dr. 0. Kuntze: „Die Berichtigung . . . betrifft
seine eigenen (des Unterzeichneten), in meinem Manuscript revi-
dirten Bestimmungen." Dieser Erklärung gegenüber sehe ich mich
genöthigt, kurz den Sachverhalt darzulegen.
Herr Di'. O. Kuntze schrieb in Ramacaida einen Bericht über
die Reise, die er mit uns — Dr. Bodenbender und mir — ge-
meinsam von Villa Mercedes bis Ramaeai'da gemacht. In diesen
Bericht hatte er alle die PHanzennamen als sichere Bestimmungen
aufgenommen, die ich ihm während der Reise gegeben. Ich hatte
ihm wiederholt gesagt, dass diese Namen keine Bestimmungen
seien, sondern nur Fingerzeige, wo man die Pflanzen ungefähr zu
suchen habe, und, von mir durum ersucht, vei-sprach er mir. den
Bericht nicht eher zu veröffentlichen, ehe er nicht die betreffen-
den Bestimmungen revidirt (dies geschah in Dr. Bodenbender's
Beisein). In Chile angekommen, schickte Dr. 0. Kuntze sein
Manuscript nach Berlin und Hess es dem Botanischen Verein der
Provinz Brandenburg anbieten , der es zurückwies. Als Dr.
O, Kuntze darauf 1893 nach Cnrdoba zurückkehrte, machte ich
ihn auf das Illojale seines Verfahrns aufmerksam, und er ver-
sprach mir W'iederum, vor einer Veröffentlichung seines Manuscripts
eine Revision der Pflanzenbenennungen vorzunehmen. Dies ist
nicht geschehen, und im Januar 1893 erschien Dr. Kuntze's Bericht
in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift".
Wenn Herr Dr. Kuntze nun, nachdem ich zweimal gegen die
Veröffentlichung der von mir provisorisch gegebenen Pflanzen-
namen protestirt, und nachdem er mir zweimal eine Revision
derselben versprochen, die er nicht ausgeführt — wenn Herr
Dr. Kuntze nun von „seinen (dos Unterzeichneten) eigenen, von
ihm revidirten Bestimmungen" spricht, so ist dies eine Handlungs-
weise, für die die richtige Bezeichnung zu wählen ich den Lesern
dieser Zeitschrift überlasse.
Cördoba, Rep. Argentina. 22. IX. 1893. Dr. F. Kurtz.
Briefkasten.
Herrn R., Breslau. Eine Zusaunnenstellung der wichtigsten
mathematischen Zeitschriften finden Sie in der Rectoratsrede des
Herrn Geheimrath Prof. Dr. Lampe (Zeitschrift für niathem. und
naturwiss. Unterrieht, 1893). Im Uebrigen verweisen wir Sie auf
das Jahrbuch für die Fortschritte der Mathematik, herausgegeben
von E. Lampe (Berlin, Georg Reimer).
*) Der Redaction der „Naturw. Wochenschr." ist der Artikel
des Herrn Dr. Kuntze (der sich damals auf Reisen befand) von
dem damaligen Vorsitzenden dc>s Botanischen Vereins, Herrn Pro-
fessor P. Magnus, mit einem Begleitschreiben vom 2. Mai 1892
zugegangen, das mit den Sätzen beginnt: „ . . . . Herr Dr. Otto
Kuntze hatte mir beiliegendes Manuscript für den Botanischen
Verein der Provinz Brandenburg zugesandt. Das Schriftf'ührer-
amt lehnt es aber ab, denselbi'n aufzunehmen, da wir haujitsäch-
lich die heimische Flora zu berücksicditigen haben, und der Verein,
wie Sie wissen, nicht gerade in glänzenden Finanzverhältnissen
sich befindet, sondern noch in einem durch den Druck des Inhalts-
verzeichnisses hervorgerufenen Deficit sich befindet. — Ich wollte
das Manuscript ursprünglich an Dr. Andree für den „Globus"
senden. . . ." u. s. w. — Ked.
Inlialt: Utto Amnion: Die natürliclie Auslese lieim Menschen. — 65. Versamndung der Ciesellschaft deutscher Naturforscher uml
Aerzte in Nürnberg. IV. (Schluss.) — Ueber Balsam und Myrrhe. — Zur Leln-e vom Luftwechsel. — Ueber den von Schneider
Trichosphaerium Sieboldii genannten mi'erbewolnuMiden Rhizopoden. — Ueber Jodoso- und Jodoverbindungen. — Neuer
Komet. — /JLyr.ae. - Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: 29. Bericht der i iberhessischen Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde. — Ernst H. L. Krause: Meckleid)urgische Flora. — Dr. W. Breslich und Dr. O. Koepert: Bilder aus
dem Tbier- und Pflanzenreiche. — Dr. Eduard Zache: Geognostische Skizze <les Berliner Untergrundes. — Prof Dr. W.
Hampe: Tafeln zur qualitativen chemischen Analyse. — Prof. Dr. Carl Titus: Das Sternenzelt. — August Trinius:
Alldeutschland in Wort und Bild. — L'lntermediaire des Mathematiciens. — Liste. — Photographischer Apparat. — Erklärung.
Briefkasten.
552
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£1^^ Hierzu eine Beilage von der Verlagsbuchhandlung von Wilhelm Engelmann in Leipzig, betretend:
„Zoologisches Centralblatt'», die wir hiermit Ijesonderer Beachtung empfehlen.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potouie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo Bernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 10. Decemljer
1893.
Nr. 50.
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buebbandlungen und Post-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist JC 4.—
Bringegeld bei der Post \i 4 extra.
i^
Inserate : Die viergespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Äxinoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollständiger <^aellenangabe s^cstattet.
Die natürliche Auslese beim Menschen.
Von Otto Ammon.
(Schluss.]
Die hier geschilderten Vorgänge der natiirlicheu
Auslese erklären uns eine bisher dunkle Frage der An-
thropologie: warum der Kopf-Index der deutschen Be-
völkerungen sich seit der germanischen Urzeit um den
ansehnlichen Betrag von mindestens 6 Einheiten erhöht
hat. Ursprünglich müssen die Lebensbedingungen der Er-
haltung und Vermehrung der Langköpfe günstig gewesen
sein, wie aus ' der ungeheuren Ausbreitung der arischen
Völker in vorgeschichtlichen Zeiten hervorgeht. Nachher
aber, im Beginn der geschichtlichen Zeit, kehrt sich die
AVirkung der Auslese um. Wenn immerwährend ein
grösserer Procentsatz von Laugköpfen aus der Land-
bevölkerung herausgenommen wird, um zum allgemeinen
Nutzen verbraucht zu werden und somit niemals mehr auf
das Land zurückzukehren, daun ist es klar, dass der
durchschnittliche Index beständig zunehmen nuiss. In der
Gegenwart sind es hauptsächlich die Städte, welche in
diesem Sinne wirken; in der Vergangenheit, als das Laud
noch nicht so stark bevölkert und die Anziehungskraft
der Städte eine weniger grosse war, wirkte dieser Factor
sicherlich weit schwächer. Aber in frühereu Zeiten gab
es andere Kräfte, welche beständig in dem gleichen
Sinuc arbeiteten: die Kriege und Felideu, deren Lasten
hauptsächlich von den germanischen Edelfreien und Freien
zu tragen waren, und die Klöster und Stifter, welche
durch das Gelöbniss der Ehelosigkeit die geistig hervor-
ragenden Persönlichkeiten der Nachkommenscliaft be-
raubten. An Beispielen kann man zeigen, wie ungemein
verheerend besonders der letztere Factor im Mittelalter
gewirkt hat, wo es eine selbstständige Gelehrten-Existenz
ausserhalb der kirchlichen Anstalten kaum gab und die
:ine, wie auch die ledigen Töcliter der
Unterkunft in
solchen sucheu mussten. Während die langkriptige Rasse
iu langsamerem oder schnellerem Aussterben
nachgeborenen Söl
germanischen Adelsfamilien nothgedniugen
begriffen
war, vermehrte sich die Zahl der an der Scholle klebeudeu
Rundköpfe ohne ernstliehe Beschränkung, und selbst die-
jenigen unter den Unfreien, welche von veriiältnissmässig
reinerem gerinanischera Geblüt waren, erlitten durch das
Aufsteigen in den Stand der Ministerialen, aus denen der
niedere Adel der Gegenwart hervorging, eine unaufhörliche
Einbusse, da
sie aus den gleichen Ursachen dem Aus-
sterben anheimfielen. Alle diese Thatsachen zusammen-
genommen enthüllen uns in hinreichender Deutlichkeit
den Vorgang, durch welchen der mittlere Kopf-Index der
deutsehen Bevölkerung sich so bedeutend erhöht hat:
durch die natürliche Auslese und Vernichtung der Lang-
köpfe. Da eine im gleichen Sinne gerichtete Auslese der
hellen Pigmente nicht stattfindet, so hat die deutsche Be-
völkerung die blauen Augen und die blondeu Haare der
germanischen Stammrasse viel treuer bewahrt, als die
lange Kopfform.
Man könnte einwenden, die hier geschilderten Vor-
inge beträfen nur die „städtische Auslese" und uicht
überhaupt, also nicht das Ganze,
der Auslese-Vorgänge. Der Ein-
denn die städtische Auslese ist
„die" Auslese beim Menschen; es
seelischen Aulagen
Stände bilden die
die natürliche Aus-
()hue die Städte
die „natürliche Auslese"
sondern nur einen Theil
wand wäre unbegründet,
eben in der Gegenwart
giebt wenigstens in Bezug auf die
keine andere. Die Städte und die
äussere Vorrichtung, innerhalb deren
lese beim Menschen sich vollzieht.
könnte
Germanen waren, eine Auslese geben, unter den heutigen
Zuständen alter nicht, und ohne Stände hat es niemals
eine Auslese gegeben «nd kann es schlechterdings keine
geben. Die Ständebildung, die von manchen Philosophen
und Politikern als ein Hemmschuh der menschlichen
Kultur und des geistigen Fortseiirittes angeseln'u wird, ist
im Gegentiieil die erste Vorbedingung der Kultur und
es unter Zuständen, wie diejeuigen der alten
554
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 50
der Ausgangspunkt eines jeden Fnrtsclirittes, weil es ohne
Aufliebung der Panmixie keine vollkonuneueren Varietäten
innerlialb der Art geben kann. Die Einrichtungen, welche
die natürliche Auslese für den Menschen geschaifcn hat,
ähneln denjenigen, welche ein Züchter bei methodischeni
Verfahren treffen luüsste, in geradezu auffallender Weise,
so dass ich den Ausdruck „natürliche Züchtung", den icii
sonst als zu roh für die Anwendung auf den Menschen
vermieden habe, hier nicht ganz zurückweisen kann.
Vergegenwärtigen wir uns, wie ein Züchter verfahren
würde, um aus einer wilden Pferderasse, die sich in einem
weiten Gebiete in grosser Menge vorfindet, veredelte
Varietäten zu erzeugen. Der Züchter würde zuerst eine
gewisse Anzahl der Tliiere einfangen lassen und diese in
einem grossen Pferche unterbringen, wo sie einer Ijessercn
Fütterung theilhaftig werden, nach der Iiekanntcn Züchter-
Regel: „Die halbe Rasse kommt durchs Maul hinein".
Schon beim Einfangen der Thiere würde man sich Mühe
geben, die schöneren Exemplare zu bekommen, und dann
würde man beobachten, welche derselben sich unter dem
Einflüsse der gesteigerten Fütterung am besten entwickeln.
Man würde wahrscheinlich an einigen der Thiere Merk-
male hervortreten sehen , welche sie zur Ausbildung als
starke Zugpferde brauchbar machen, andere würden
vielleicht mehr zu schnellen Reitpferden tauglich er-
scheinen. Der methodische Züchter würde alsbald darauf
bedacht sein, die hervorragenderen Individuen von der
Panmixie abzuhalten und er würde innerhalb des grossen
Pferches Unterabtheilungen durch Zwischenzäune an-
bringen. Die geräumigste der Abtheilungen würde für
die grosse Menge der mittelmässigen Thiere bestimmt
bleiben, während die kleineren dazu dienen, die eine die
Zugpferde, die andere die Reitpferde aufzunehmen. Die
erlesenen, besonders tauglichen Thiere würde der Züchter
mit dem vorzüglichsten Futter versehen und immer nur
unter sich paaren, während er der grossen Menge natürlich
nicht die gleiche Aufmerksamkeit widmen könnte. Er
würde aber jedes edlere Thier unter der Menge, welches
er für geeignet hielte, in einen der kleineren Pferche ver-
setzen, um beständig für die ßlutauffrischung zu sorgen.
Genau so macht es die Natur beim Menschen. Der grosse
Pferch, das sind die Städte; die kleineren Einzäunungen
sind die Stände.
Die Vergleichung am Schlüsse des vorigen Satzes er-
fordert eine Einschränkung, die fiü' den Menschen be-
sonders bezeichnend ist. Bei Thicren handelt es sich in
der Regel nur um körperliche Eigenschaften, welche durch
die methodische Züchtung im Verein mit besserer Fütterung
gesteigert werden sollen, beim Menschen um seelische
Anlagen, welchen man aber auch nur auf dem Umwege
durch den Körper beizukommen vermag. Es wäre ein
idealer Zustand, wenn mau beim Menschen durch bessere
Ernährung die seelischen Eigenschaften, welche dem In-
dividuum oder der Art zum Vortheil gereichen, für sich
allein zu einer lebhafteren Thätigkeit anzuregen im
Stande wäre. Die Na+ur des Organismus steht dem je-
doch entgegen. Von der vermehrten Nahrungszufuhr, die
dem iMenschen zunächst bei dem Uebergange in die
Stadt und im höheren Grade beim Aufsteigen auf der
socialen Stufenleiter zu Theil wird, geht ein beträchtlicher
Theil lediglich in den Körper über, dessen Wachs-
thum und Entwickelung beschleunigt werden. Nur ein
Theil dient zur Belebung der seeHschen Anlagen, und
auch von diesen werden nicht bloss die nützlichen, sondern
zugleich die schädlichen gesteigert, ohne dass man bei
einem Individuum vorher beurtheileu könnte, ob die nütz-
lichen oder die schädlichen die Oberhand erlangen werden;
allein die Probe kann entscheiden. Wir möchten mit
anderen Worten einzig die eigentlich menschlicheu Seelen-
anlagen besser ernähren, können dies aber nur thun, in-
dem wir zunächst das Thier im Menschen füttern. Bei
der Mehrzahl der Individuen frisst das Thier Alles, die
wilden Triebe werden oft ins Erschreckende zur Thätig-
keit gebracht, bei einer anderen Gruppe werden Thier
und Mensch ungcfäln- in gleichem Maassc berücksiclitigt,
und nur in einer kleinen, besonders günstig veranlagten
Gruppe kommt die Verbesserung der Lebenslage aus-
schliesslich oder doch voi-wiegend den nützlichen seeli-
schen Anlagen, den eigentlich menschlichen zu Gute.
Die natürliche Züchtung opfert alle Uebrigen, um die
wenigen Individuen der letztgenannten (iruppe zum \'or-
theil der ganzen Art in eine ci-höhtc Seelcntiiätigkcit zu
versetzen. So wunderbar und durchdacht die Ein-
richtungen erscheinen, auf welche die natürliche Auslese
einzuwirken vermag, so roh und das menschliche Gefühl
verletzend sind oft diejenigen, welche dem Einflüsse der
natürlichen Auslese entzogen sind. Augenscheinlich ver-
mag die natürliche Auslese keine Menschenvaiietät zu
Stande zu l)ringen, auf welche eine erhöhte Nahrungs-
zufuhr nur veredelnd einwirkt, und es ist auch unschwer
einzusehen, warum dieses nicht möglich ist: die künstliche
Steigerung der seelischen Anlagen hat unfehlbar das
Aussterben der Varietät zur Folge, und es hiesse die
ganze Art vernichten, wenn das Experiment zu gleicher
Zeit mit sämmtlichen Individuen angestellt würde, um die
untauglichen ein- für allemal auszuscheiden. Deswegen
wird dasselbe immer nur mit einem Thcile der Individuen
vorgenommen, die, wenn sie ihre Schuldigkeit gcthau
haben, durch andere aus der grossen Menge heraus ersetzt
werden können.
Nach alledem gelangen wir zu dem Schlüsse, dass
die natürliche Auslese in der lliat auf den Menschen
einwirkt. Mit diesem Schlüsse im Einklänge steht die
\veitere Tbatsache, dass die Vermehrung der Mensehen
sich längst an der äussersten Existenzmöglichkeit stösst.
Eine durch keinen Mangel, weder an Landgebiet, noch
an Nahrung, eingeschränkte Bevölkerung verdoppelt ihre
Zahl schon in '2b Jahren. Nehmen wir an, dass Deutsch-
land zur Zeit Hermann des Chcruskers eine Million Ein-
wohner gehabt habe, so müsste diese Zahl bis zur Gegen-
wart auf eine Unsumme angewachsen sein, die sich durch
eine Ziffer von 30 Stellen ausdrückt. Setzen wir die Zu-
nahme nur derjenigen gleich, welche gegenwärtig wii'klich
stattfindet, bezw. durch einen Geburtenttberschuss von
jährlich 600 000 bei einer Gesammtbevölkerung von
50 Millionen, d. i. 1,2 " „ ausgedrückt ist, so würden wir
von einer Million am Anfange der christlichen Zeitrechnung
bis zur Gegenwart auf mehr als 600 Billionen konnuen,
während die wirkliche Bevölkerung, wie gesagt, nur
50 Millionen beträgt. Krieg, Hungersnoth, Seuchen, Ent-
artung und Auswanderung, die Kämpfe ums Dasein in
jeder Form, haben demnach im Laufe der Jahrhunderte
die Reihen der Menschheit in ungeheuerem Maasse ge-
lichtet, und es hiesse alle Gesetze der Natur verkennen,
wollte man annehmen, dass hierbei nur der blinde Zufall
gewaltet habe und dass nicht die übrigbleibenden In-
dividuen die natürliche Auslese einer besser augepassten
Varietät dargestellt hätten. Gewiss waltet die natürliche
Auslese nicht so sicher, wie die methodische. Neben den
schwächlichen rafft sie häufig die stärksten Individuen
hinweg, die sich der Gefahr am meisten aussetzen, neben
den unbegabten, die sich keinen Platz zu erobern wissen,
müssen häufig genug auch die geistig höchststehenden
durch irgend einen körperlichen Maugel dem Kampfe ums
Dasein erliegen. Aber ebenso gewiss genügt es, dass ein
kleiner Procentantheil mehr von den starken und von den
begabten Individuen erhalten bleibt, um im Laufe der Zeit
eine natürliche Auslese der Menschheit herzustellen. Die
Nr. 50,
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
555
(ibig'cii Zaiilen g-eben einen Begriff' davon, mit welchen
nnerniessliciien (»pfcrn die Anpassung- erl^auft wird. Jeder
Naturforscher kennt die Rolle, welche die Malthus'sche
Schrift über die Grenzen der Bcviilkernng-szunahme bei
der Entdeckung des Gesetzes der natürlichen Auslese durch
Darwin und Wallace gespielt hat.
Wir haben uns im ^'erfülge der \orliegendcn Ab-
handlung überzeugen können, dass der Satz von Wallace,
die natürliche Auslese wirke beim Menschen hauptsächlich
auf die Vervollkommnung des Geistes hin, im Grossen
und Ganzen zutreffend ist, weil eben der Kampf ums
Dasein beim Menschen in erster Linie durch die Geistes-
fähigkeiten ausgefochten wird. Allein so ganz, wie
Wallace glaubte, ist die Einwirkung auf den Körper des
Menschen nicht ausgeschlossen. Allerdings kann der
Mensch durch seine Erfindungen, wie Kleidung, Werk-
zeuge, Maschinen, Wohnung, sowie eine Menge anderer
Dinge, die Wirkung der natürlichen Auslese im Sinne einer
weiteren Vervollkonnnnung ausschliessen, da in Bezug auf
diejenigen Körpertheile Panniixie eintritt, welche dem Wett-
bewerb entzogen werden. Ja, in manchen Beziehungen
wirkt der Mensch sogar auf die Verschlechterung seines
Körpers hin. Die J^rfindung der Augengläser stellt die
Kurzsichtigen im Wettkani j)f des Lebens den Normalsiehtigen
gleich und bewirkt dureli Panniixie eine Herabdrückung
(les allgemeinen Durchschnittes in der VoUkonnnen-
heit des Sehorganes. Aehnlich werden durch die Hygiene
und durch die Heilung mancher Krankheiten eine Jlenge
schwächlicher Individuen erhalten, welche sonst der natür-
lisheu Auslese zum Opfer gefallen wären, und daraus
folgt nach den einfachsten Sätzen der Arithmetik, dass
der durchschnittliche Grad von Kraft und Gesundheit er-
niedrigt wird. Auf der anderen Seite jedoch gicbt es
namentlieji im Innern Bau des Menschen ( )rganc, in Be-
zug auf welche genügende künstliche Ersatzmittel bis
jetzt nicht erfunden sind, und vielleicht nie erfunden
werden. Bei wilden Völkern gebären die Frauen auf-
fallend leicht, weil durch den Mangel jeder Hilfe eine in-
dividuelle Abweichung von dieser Norm tödtlieh wirkt.
Die natürliche Auslese bewahrt dadurch die günstige
Eigenschaft, und in gewissem Grade wirkt sie auch bei
eivilisirten Völkern im gleichen Sinne. Jede erfolgreiche
Kunsthilfe bei einer Geburt erhält das individuelle Leben,
wird aber kraft der Vererbung zum Ausgangspunkte eines
Stammbaumes schwer gel)ärender P^rauen. Die natür-
liche Auslese in liczug auf den rudimentären Wurmfort-
satz des Blinddarmes strebt darnach, das unnütze An-
hängsel zu beseitigen, und die Ansteckungskrankheiten
raffen eine Menge von Individuen dahin, um die Ueber-
lebenden zu einer Acrhältnissmässig innnuneren Varietät
auszubilden. Dies Alles ist aber von untergeordneter
Wichtigkeit gegenüber der natürlichen Auslese der Ver-
dauungsorgane, welche bei dem Urmatcrial des Menschen,
dem Bauernstande, stattfindet. Das Absterben der zahl-
losen Säuglinge, welche die sorglose Kinderernährung des
Landvolkes zu Grunde gehen lässt. ist ein Vorgang der
natürlichen Auslese, der die Grundlage der Gesundheit
und Kraft des Landvolkes bildet, und nicht nur dies,
sondern auf ihm beruht zum grossen Thcile auch die
Steigerung der seelischen Anlagen, widelie bei der Ver-
setzung in günstigere Ernährungsverhältnisse beobachtet
wird. Dieser Punkt ist am gehörigen Orte eingehend er-
örtert worden und es soll daher an dieser Stelle nur
daran erinnert werden. Wir sehen denmach, dass, unbe-
schadet der Voranstellung des (ieistes, dcnnoeh der
Körper seine Bedeutung bei der natürlichen Auslese be-
hält. Ist doch ein ererbter guter (icsundheitsziistand das
einzige Mittel, durch welches die Angehörigen iler höheren
Stände bei ihrer schädlichen sitzenden Lebensweise etwas
länger erhalten werden können, als dies im Durchschnitt
der P^all ist, wie denn ein gesunder, leistungsfähiger
Körper immer eine wichtige Waffe im Kampfe ums Da-
sein gei)ildet hat und stetsfort bilden wird. Der Geist
des Mensehen, die Summe seiner nützlichen seelischen An-
lagen, bleibt aber seine Ilauptausrüstung, und auf diese
wirkt daher die natürliche Auslese vorzugsweise ein. Die
Art und Weise, wie dies geschieht, dui-cli die auslesende
Kraft der Städte und durch die die erlesenen Individuen
weiterzüchtende Bildung der Stände, das ist in meinem
Buche in grossen Zügen darzulegen versucht worden.
Der künftigen Forschung und Darstellung verbleibt
die Aufgabe, in die Einzelheiten des Kampfes ums Dasein
einzudringen. Die Ursachen und Vorgänge, welche das
Aussterben der höheren Stände zur Folge haben, werden
näher zu ermitteln, und es werden praktische Folgerungen
aus den Ergebnissen der Untersuchung zu ziehen sein.
Insbesondere lohnt es sich, die bedeutenden Schädlichkeiten
des vielen Sitzens der Jugend der gebildeten Stände
scharf ins Auge zu fassen, und zu prüfen, ob sich nicht
Manches dadurch bessern Hesse, dass man unnütz ge-
wordene Bildungs -Rudimente endlich über Bord wirft.
Ferner sind die einzelnen Gestalten der Daseinskämpfe
eingehend darzustellen. Bei den Studirten ist ein Theil
der Entscheidungen des Wettbewerbs in die Schulen und
in die otficiellen Prüfungen verlegt, ohne deren Bestehen
Niemand in den Stand eintreten kann; die Prüfungen
allein geben aber nicht die endgültige Entscheidung, son-
dern die Brauchbarkeit im Leben konunt elienfalls in Be-
tracht, bei einigen Klassen der Studirten mehr, als bei
anderen. Im gewerblichen und industriellen Leben giebt
es keine Prüfungen, hier entscheidet einzig und allein das
Leben selbst. Es wäre festzustellen, welche seelischen
Eigenschaften hier und dort vorhanden sein mi'issen, um
einen günstigen Ausgang für das Individuum herbei-
zuführen. Möchten doch die Psychologen ihre abstracten
Lehrgebäude einen Augenblick im Stiche lassen, um sich
mit diesen wichtigen, aus dem vollen Menschenleben
herausgegriffenen Fragen zu beschäftigen! Sie würden viel-
leicht finden, dass es nicht blos Intelligenz, Flciss und
Arbeitskraft sind, welche zum Erfolge verhelfen, sondern
dass häufig List und Rücksichtslosigkeit dazu mitwirken.
Auch würde das Studium der im Kampfe Unterliegenden
sehr interessante Ergebnisse versprechen. Es soll durch-
aus nicht behauptet werden, dass die Opfer des Daseins-
kampfes lauter durchaus unbegalite Leute seien, wenn
dies auch bei einer grossen Zahl derselben zutreffen mag.
Es können Individuen einzelne hohe, geradezu glänzende
Gaben besitzen, und dennoch können sie unterliegen müssen,
wenn gewisse andere Eigenschaften fehlen, oder wenn
sieh eine Eigenschaft hinzugesellt, die jene in ihrer Wirk-
sandvcit lähmt. Hohe Intelligenz mit einem Jlangel an
Arbeitskraft gepaart führt ebensowenig zum Ziele, als
Arbeitskraft ohne den nöthigen Verstand. Ja, es können
Verstand und Arbeitskraft im Vereine nutzlos werden,
wenn die Widerstandsfähigkeit gegen sittliche Ver-
lockungen nicht Uiit im Bunde ist. Wer hätte niclit schon
solche Persönlichkeiten gekannt, die mit einem über-
legenen Verstände ausgestattet waren und eine erstaun-
liche Arbeitskraft besassen, auf die aber nie ein Verlass
war, weil sie als Kinder des Augenblickes jedem fremden
Antriebe folgten und ihre Stellungen im Leben entweder
cinbüssten, oder überhaupt nie solche zu erlangen wussten ?
Endlich wird die merkwürdige Einrichtung unter den Ge-
sichtsjinnkt der natürlichen Auslese zu bringen sein, welche
wir Strafrechlspficge nennen, und die von Haus aus nichts
anderes ist, als eine Anstalt zur Reinigung des niensch-
liehen Keimplasmas von gemeinschädlichen Anlagen. Da
bei der jetzigen Jurisprudenz der genannte Gesichtspunkt
556
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 50
gänzlich zurücktritt, so wird es uns nicht Wunder nehmen,
wenn die Justiz ihre Aufgabe nicht in vollkommenerer
Weise erfüllt, als dies die natürliche Auslese im all-
gemeinen thut. Es ist leicht einzusehen, dass der Grund-
satz, die Vorstrafen eines Individuums in Anschlag zu
bringen, ein vollkommen richtiger ist, dass er aber noch
viel weiter ausgedehnt werden sollte, indem man den
Werth der ganzen Persönlichkeit für die menschliche
Gesellschaft in Rechnung zieht. In diesem Sinne würde
nach dem Gesetze der Natur nicht bloss die bisherige Uu-
bescholtenheit eines Missethäters zu berücksichtigen sein,
sondern es müssten zu seinen Gunsten auch die guten
Thateu, durch die er der Menschheit genützt hat, in die
Wagschale geworfen werden. Trotz aller Schlagworte
von der Gleichheit Aller vor dem Gesetz hat der gesunde
Instinct nie ganz aufgehört, nach diesem Gesichtspunkte
zu urtheilen, und in dem Augenblicke, da ich dies schreibe,
sehe ich in einem grossen Nachbarlande die öffentliche
Meinung ebenso wie die Justiz in Verwirrung versetzt
durch die seltsame Aufgabe, den gefeierten Schöpfer
eines der modernen Weltwunder am Abend seines Lebens
wie einen gemeinen Schurken zu liehandeln, ohne auf
seine Verdienste und seinen Ruhm Rücksicht zu nehmen.
Hier ist der wissenschaftlichen Forschung noch ein weites
Feld eröffnet.
Die Forschung wird aber auch über unsern eigenen
Welttheil und über die Gegenwart hinausschaucn müssen,
um sich der Schranken von Grt und Zeit zu entledigen.
Suchte sich in einer entfernteren Vergangenheit unser Be-
völkerungs-Ueberschuss Unterkunft in Euroi)a selbst, nn-
aufhörliciie Wanderzüge und Kriege hervorrufend, so sehen
wir seit 400 Jahren einen machtvollen AVanderstrom nach
dem neuentdeckten Amerika gerichtet. Dass der farbige
Eingeborene vor dem Athem des weissen Mannes dahin-
schmilzt, wie der Alpenschnee vor dem Föhnsturm, ist
hierbei nicht die einzige Auslese-Erscheinung. Die Zu-
sammensetzung des Wanderstromes selbst versinnlicbt eine
natürliche Auslese, deren wirkende Kräfte zu verschiedenen
Zeiten sehr ungleiche Ergebnisse geliefert haben. Waren
es ursprünglich vorzugsweise abenteuernde Gesellen, welche
der Dui-st nach Gold oder der Hang zu einem ungebun-
denen Leben über den Ocean trieb, so folgte darauf eine
Periode, in welcher brave Ackerbauer und Handwerker
des gleichen Weges zogen, um ihre Arbeitskraft und ihre
als dies
Die faulen.
Intelligenz in lohnenderer Weise zu verwerthen
mi
alten Vaterlande damals möglieh war.
wie auch die unbegabten Elemente blieben zurück, und
diese Auslese hat ebensosehr zum Vortheil Amerikas als
zum Nachtheil Europas ausschlagen müssen. Bildeten
doch schon die hohen Reisekosten und die Gefahren einer
Seefahrt in früherer Zeit eine Schranke, welche den
Mittellosen und den Muthloseu von der Auswanderung
abhielten. Dann folgten Perioden nnt sehr verschieden-
artiger Beschaffenheit des Auswandererstromes. In einer
gewissen Zeit waren es die politisch comproniittirten
Persönlichkeiten und viele andere hochstrebende Geister,
welche, an der Besserung der öft'entlichen Zustände der
alten Welt verzweifelnd, sich jenseits des Oceans eine
neue Heimath suchten; dieser Wanderstrom hat Europa
eine Menge unruhiger, dabei meist über Mittel begabter
Köpfe entzogen und der Union ein vorzügliches, idealistisch
angelegtes Bevölkerungsclement zugeführt. Es folgten
Zeiten, in denen Europa arme, verkommene Leute, ja, oft
geradezu die Bewohner der Strafanstalten, auf öffentliche
Kosten nach Amerika schickte, um sich ihrer ein- für alle-
mal zu entledigen; dieser Wanderzug war für das neue
Vaterland weniger vortheilhaft als für das alte, aber
seine Nachtheile für letzteres wurden durch eine neue
Auslese abgeschwächt, da man in Amerika faule oder
sonst unnütze Leute ohne Mitleid zu Grunde gehen Hess.
Seitdem sich die öffentlichen Zustände in Deutschland er-
heblich verbessert haben, und das Emporblühen der In-
dustrie einem grossen Theile des ländlichen Bevölkerungs-
tiberschusses Verdienst gewährt, tritt bei uns das ungeheure
Anwachsen der grösseren Städte in die Erscheinung, und
der Auswandererstrom hat wiederum seine Beschaffenheit
gewechselt: er wird jetzt hauptsächlich aus den Latifun-
diengegenden des Nordostens von Deutschland genährt.
In den letzten Jahren wurde in Amerika über die gering-
werthige Art des Zuzuges aus Russland sehr geklagt,
und es war sogar die Rede davon, dass man die Ein-
wanderung auf eine bestimmte Zeit gänzlich verbieten
solle. Die Wirkung aller dieser Wandlungen auf den
Verlauf der natürlichen Auslese diesseits und jenseits des
Wassers erfordert ein eingehendes Studium.
Von der Gegenwart rückwärts schauend, wäre der
geschichtliche und vorgeschichtliche Verlauf des Kampfes
ums Dasein zu untersuchen, mit andern Worten, die ganze
Entwickeluug der Menschheit nach der jederzeitigcu
Richtung der natürlichen Auslese zur Darstellung zu
bringen. Man würde Aufschlüsse darüber zu erforschen
haben, durch welche Einwirkungen die Menschheit ihre
jeweilige Beschaffenheit erlangt, je nach Umständen geän-
dert oder festgehalten hat, und dabei würde insbesondere
der Vorgeschichte die grösste Aufmerksamkeit zuzuwenden
sein. In meinem Buche wurden beispielsweise die see-
lischen Ausrüstungen der alten Germanen und des aus
Asien eingewanderten rundköpfigen Volkes als Thatsachen
eingeführt, mit denen mau zu rechneu habe. Die Wiss-
begierde wird jedoch vor diesen Thatsachen nicht Halt
machen, sondern sie wird fragen: wie und wodurch sind
gerade diese seelischen Anlagen herausgebildet worden?
Und vielleicht kann es gelingen, aus der fortgeschrittenen
Kenntniss der äusseren Verhältnisse ein Bild der Lebens-
bedingungen des vorgeschichtlichen Menschen zu entwerfen
und richtige Schlüsse auf Ursache und Verlauf der Ent-
wickelung zu ziehen. Ja, es ist nicht au.sgeschlossen,
dass die vielgestaltigen und auf den ersten Blick ver-
worren aussehenden Verzweigungen der seelischen An-
lagen der verschiedenen Menschenrassen durch Berück-
sichtigung der äusseren Lebensbedingungen erklärt werden
können; noch mehr, dass man, auf die Stamniesvorfahrcn
des Menschen zurückgehend, dahin gelangen wird, alle
einzelnen seelischen Anlagen auf eine gemeinsame AVurzel
zurückzuführen, aus der sie durch Differenzirung ent-
standen sind. X.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
11. bis 15. Septem)).'!- 1893.
Siegmund Günther: Paläontologie und physi-
scheGeographie in ihrer geschichtliche nWechsel-
beziehung. — Damit derjenige fundamentale Zweig der
physischen Erdkunde, welchen wir als Morphologie der
Erdoberfläche kennen, von den Fortschritten der Petre-
factenkunde Vortheil ziehen konnte, mussten erst zwei
Vorfragen ihre Erledigung gefunden haben: Sind die so-
genannten Fossilien wirklich dieUeberreste ehemals lebender
Wesen, und lässt sich aus der Beschaffenheit derjenigen
Thiere und Pflanzen, welche man im Gesteine angetroffen
hat, ein Schluss auf das relative Alter der Felsmassc, auf
Nr. 50.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
."157
die Zeit machen, um welche dieselbe aus dem alles iiber-
fluthendcu Wasser sich abzuscheiden, fcstzuwerden be-
gann? Es hat Jahrhunderte gedauert, bis man in der
Beantwortung dieser Fragen zu der klaren Antwort ge-
langte, welche für die dynamische Geologie unerlässlich
war, und der Entwickeluugsprocess war nichts weniger
als ein gleichmässiger, stetiger, vielmehr drängt sich uns
nur allzu oft die den Historiker der Wissenschaft nicht
befremdende Wahrnehmung auf, dass eine gesunde An-
sieht, statt sofort Boden und weitere Verbreitung zu ge-
winnen, vomünkraute der sonderbarsten Ideenverbindungen
voUkonnnen überwuchert und anscheinend wieder ganz
vom Sciiauplatze verdrängt wurde, bis dann endlich doch
die Wahrheit über den Irrthum einen vollständigen Sieg
davontrug. Unsere Darlegung wird uns manchen inter-
essanten Beleg für die Richtigkeit der soeben aufgestellten
Behauptung liefern: glänzende Geistesblitze, divinatorische
Vorahnungen von Errungenschaften künftiger Zeiten, und
daneben wieder auffällige Rückfälle in einen Gedanken-
kreis, den man von den Männern, mit welclien man es
zu tliun hat, nach ihrem sonstigen Verhalten längst tiber-
wunden erachten sollte. AI)er gerade dieses Ringen um
die Erkenntniss bietet demjenigen, der geschichtlich zu
denken gelernt hat und nicht vergisst, dass unsere moderne
Wissenschaft nicht wie eine Athene aus dem Kopfe des
Zeus hervorgehen konnte, den grössten Reiz, und so möge
es um so eher gestattet sein, einen Ueberblick über den
merkwürdigen Werdeprocess zu geben, als es uns leider
an einer systematischen Darstellung der Geschichte der
Geologie vorläufig noch gebricht. Es wird dabei möglich
sein, auch über einzelne Persönlicldvciten und Leistungen
Licht zu ^•erbreiten, deren Verdienst, soweit es liier in
Betracht konnnt, entweder noch gar keine oder doch nicht
die richtige Würdigung erfahren hat, und es wird dies
auf einem deutschen Naturforschertage schon deshalb am
Platze sein, als es sich hier, insoweit neue Perspectiven
eröffnet werden können, durchweg um Männer unseres
Volkes bandelt, von denen noch dazu der eine, ein Nürn-
berger von hohem wissenschaftlichen Range, an einem
Tage, wie dem iieutigen, unsere Aufmerksamkeit auf sich
zu ziehen, ein besonderes Recht hat.
Es kann Wunder nehmen, dass das angeblich so
wenig naturwissenschaftlich veranlagte griechische Alter-
tlnim in diesen Dingen sich ganz auf dem richtigen Wege
befand, und dass, wenn nicht im Slittelalter die bekannte
Reaction gegen die Wissenschaft der Antike Platz gegriffen
hätte, durch einfache Weiterbildung des Vorgefundenen
eine richtige Einsicht in den Sachverhalt erlangt werden
konnte. Der Lyder Xanthus, ein älterer Zeitgenosse
des grossen Reisenden Herodot, hatte sich, wie unlängst
mit Recht hervorgehoben ward, eine Art abgeschlossenen
Systems piiysikalisch geographischer Natur geschaffen,
indem er den Satz aufstellte, dass das feste und flüssige
Element auf der Erde, weit davon entfernt, an stabile
Grenzen gebunden zu sein, vielmehr ununterbrochen, wenn
auch langsam, ihre Plätze mit einander vertauschten —
ein Gedanke, welchen nachmals der grosse Geograph
S trabe in mustergiltiger Weise für die Ei'klärung einer
Fülle von geophysikalischen Erscheinungen verwerthete.
Die zahlreiclicn Sehalthierüberbleibsel, welche er in den
Gebirgen seiner Heimath antraf, reichten für ihn, der die
Verhältnisse unbefangen so nahm, wie er sie fand, aus,
um seine Anschauung gerechtfertigt zu finden. Auch
Herodot selbst und der gelehrte Alexandriner Erato-
sthenes theiltcn diese Auffassung, welche unter den ge-
bildeten Männern des Alterthums jedenfalls die herrschende
war, wie u. a. eine Stelle in Ovid's „Metamorphosen"
deutlicli genug beweist. Dass überhaupt Interesse für
dasjenige herrschte, was man dem Boden entnahm, dar-
über vergewissert uns eine Nachricht des Suetonius von
den Samndungen des Kaisers Au gustus, und wenn auch
den Forschungen Reinach's zufolge von keinem paläon-
tologischen Museum die Rede sein kann, so darf man
doch wohl annehmen, dass sich unter den Raritäten des
Kaisers auch tertiäre und diluviale Thierknochen befunden
haben mögen.
Während des Mittelalters herrschten, wie schon er-
wähnt, abergläubige Vorstellungen; auf eine Einwirkung
der Gestirne wollte man die Versteinerungen zurückführen,
und wenn selbst der wohlunterrichtete Ristoro d'Arezzo
die Wasserbedeckung oder Wasserentblössung einer Erd-
gegend davon abhängig sein Hess, dass diese Gegend
einer sternärmeren oder sternreicheren Partie des Himmels-
gewölbes gegenüberstehe, so darf man auch in der Aus-
brütung von figurirten Steinen durch die Sternenwärme
kaum etwas absonderliches finden. Ganz entschieden
machte, als der erste, Front gegen dieses Phantasiespiel
der geniale, in allen Sätteln gleich gerechte Künstler,
Ingenieur und Naturforscher Lionardo da Vinci, der
sich eingehend ndt fossilen Fischen und Muscheln befasstc,
auf die ungeheure Anzahl der versteinerten Arten hinwies
und die Bildung der Abdrücke in feuchtem, nach und
nach erhärtendem Schlamme vortrefflich erläuterte, ja
sogar die Blatt- und Algenabdrücke richtig identifieirte,
welche er noch in sehr bedeutenden ^leereshöhen antraf.
Die verschiedenen Möglichkeiten, wie Versteinerungen sich
bilden können, hatte er klar übersehen und sogar die
anatomischen Verhältnisse einzelner fossiler Formen ent-
sprechend gedeutet. Sehr überzeugend war sein Einwurf:
wenn wirklich astrale Kräfte im Spiele wären, wie lasse
es sieh dann begreifen, dass petrificirte Gebilde, die hin-
sichtlich ihrer Lage völlig mit einander übereinstimmten,
gleichwohl so beträchtliche Verschiedenheiten aufwiesen?
Schade nur, dass Lionardo 's Speculationen in seinen
schwer lesbaren Tagebüchern begraben blieben und so
nicht den Nutzen stiften konnten, der nicht hätte aus-
bleiben können, wenn sie schon vor vierhundert Jahren
mit der Druckerpresse liekanntschaft gemacht hätten.
Auch Fracastoro, ein Zeitgenosse des grossen
Malers, kam von sich aus zur richtigen Interpretation der
Petrefacten, nicht minder bei allen Exceutricitäten, die
ihn sonst kennzeichnen, der Polyhistor Cardano, und von
anderweiten Vertretern der Naturkunde im 16. Jahrhundert,
welche auf den gleichen Boden traten, sind namentlich
Gessner und Kentman zu nennen. Allein es stand eben
noch Meinung gegen Meinung, und selbst Stimmen von
Gewicht Hessen sieh in entgegengesetztem Sinne verneh-
men. So betrachtete noch ein Agricola, den man nicht
ohne Grund unter den Begründern der neueren Minera-
logie und Bergwerkskunde mit Ehren nennt, eine gewisse
durch die oberen Erdschichten vertheilte ..Materia pinguis"
als die Erzeugerin der Fossilien, und Fallopio sah in
ihnen das Ergebniss tumultuarischer Erdexhalationen.
Gerade die Männer von der Feder gefielen sich in diesen
sonderbaren Hypothesen, während einfachere Gemüther
von unverdorbener Denkkraft sich von sidchem Nebel nicht
umfangen Hessen; dachte doch noch ein Linne an Ge-
schlechter im Mineralreiche ! So erseheint als ein überaus
beachtenswerthes Beispiel objeetiver Betrachtung der Dinge
der berühmte Keramiker Palissy, der in seiner 1536 zu
Paris erschienenen Schrift „Ueber die Kunst, reich zu
werden", das Wesen der Versteinerung von Muscheln so-
wohl wie von Hölzern mit ganz unzweideutigen Worten
auseinandersetzt und späterhin seine Erörterungen auch
auf Fische ausdehnt und dabei bemerkt, dass manche
dieser versteinerten Seethierc lebenden Exemplaren, wie
sie das der Stadt Saint<mge benachbarte Meer in Menge
enthalte, ganz vollkonnnen glichen. Die naive Sprache
558
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 50
Palissy's verleiht seinen Ausführungen einen besonde-
ren Reiz.
Im Verlaufe eines ganzen Jahrhunderts hat die Wissen-
schaft auf diesem Gebiete keinen nui- irgend nennens-
werthen Fortschritt zu verzeichnen gehabt; erst im Jahre
1669 giebt Lhwyd's „Lithophylacii Britannici Icouo-
graphia" ((Oxford 1669) der Betrachtung dieser Fragen
erneuten Anstoss, und im gleiclien Jahre tritt Steno mit
seiner tief durchdachten Lehre von der Schichtenbildung
hervor, deren Wesen bis zum heutigen Tage für die Physik
der Erde maassgebend geblieben ist. Dachte derselbe
allerdings auch noch nicht daran, mittelst der thierischen
und pflanzlichen Einschlüsse die stratigraphischeu Alters-
verhältnisse festzustellen, so war doch die Annahme, dass
jedes solche Fossil an dem Orte, an dem man es betriftt,
dereinst einmal im lebenden Zustande sich befunden haben
müsse, nur eine ganz einfache Consequenz der geologischen
Theorie.
Ziemlich um dieselbe Zeit erweiterte sich das paläon-
tologische Wissen abermals durch Scilla's Nachweis, dass,
wie die Fische, so auch die Korallen ihre Vorläufer in
vergangenen Perioden der Erdgeschichte gehabt hätten,
aber auch der Irrthum forderte gerade damals sehr ge-
bieterisch seine Rechte, und die entschiedene Verwahrung,
welche ein Leibniz in der „Protogäa" von 1680 gegen
die Anzweifler der organisclien Natur der Petrefacten
einlegte, hatte nichts weniger als einen durchgreifenden Er-
folg. War doch sogar der tüchtige Lister, dem man
den ersten Versuch einer geologischen Karte, und zwar
von England, verdankt, noch nicht ganz im Klaren dar-
über, ob auch nur die Muscheln der Urzeit die Stamm-
arten der heutigen Bivalven oder ob sie nicht direct aus
der Erde hervorgegangen seien, wie denn Ploth (1677)
noch immer von einer .,Plastic Virtue in the Earth"
fabuliren konnte. Und gerade damals, ja strenge ge-
nommen schon etwas früher, hatte ein anderer Brite ein
Princip mit wenigen Worten ausgesprochen, an dem die
Nachwelt nichts zu ändern fand, welches alle die grossen
Dienste in sich schloss, die der Geophysik von der Ver-
steinerungskunde geleistet worden sind.
Dies war der grosse Experimentator Hooke , der Rival
Newton 's, durch dessen überstrahlenden Namen .seine
Verdienste mehr in den Schatten gestellt wurden, als dies
eine unparteiische Geschichtsforschung anerkennen darf.
Ganz nebenbei begegnen wir in seiner Abhandlung über
Erdl)eben der Aeusserung, dass durch die Fossilien eine
Chronologie der Erdablagerungen ermöglicht sei; man
könne sich denken, dass ebenso, wie Münzen mit dem
Bildnisse eines Regenten eben dadurch die Epoche ihrer
Prägung genau zu bestimmen gestatteten, durch den Ver-
gleich zweier in den Schichten A und B entdeckter Ver-
steinerungen die Frage, ob A oder B früher abgesetzt
worden sei, der Entscheidung zugeführt werden könne.
„Some species are peculiar to certain places." Man kann
es nur beklagen, dass dieser Grundsatz nicht weiter
beachtet wurde und später wieder ganz von Neuem auf-
gefunden werden musste. Dabei ist jedoch nicht ausser
Acht zu lassen, dass Hooke den Versteinernngsprocess
selber nicht ganz richtig anffasste, sondern an eine be-
sondere, durch geheinmissvolle Kräfte bedingte Ueber-
führung der organischen in anorganische Körper dachte,
wobei er sich mit der oben erwähnten Irrlehre von Ploth
zusammenfand.
Noch immer waren eben die speeifisch-naturhistorischen
Kenntnisse nicht ausgebildet genug, um unter dem rein
anatomischen Gesichtspunkte jedesmal Familie und Gattung
eines neu ermittelten Naturobjectes zu tixiren, insbesondere
wenn es sich nur um schleclit erhaltene Fundstücke oder
um zerstreute Körpertheile höherer Thiere handelte. Einige
sehr charakteristische Fälle dieser Art mögen hier im Zu-
sammenhange besprochen werden. Als 1695 bei Gotha
die Knochen eines vorweltlichen Elcphanten ausgegraben
wurden, plädirte das ganze Medicinalcollegium genannter
Stadt für eine „vis formativa seu plastica", welche jene
hervorgebracht habe, und es bedurfte einer dem Gegen-
stande gewidmeten Monographie des klarer blickenden
Tenzel (Ossium fossilium docimacia, Frankfurt a. M. 1704),
um dem wirklichen Sachverhalte zu seinem Rechte zu ver-
helfen. Ueberaus belehrend ist in gleicher Hinsicht auch
der „Oedipus osteolithologicus", den ein geachteter Ge-
lehrter Schaft'hausens, David Spleiss, herausgab. Auf
dem später als classisch erfundenen Boden Cannstadts
hatte man damals schon die Knochen grosser Thiere ge-
funden, über deren Herkunft hin und her gerathen wurde.
Spleiss erkannte, dass die Provenienz von Säugethieren,
wie sie in der Gegenwart nicht mehr vorhanden sind,
ausser allem Zweifel sei, andererseits aber legte er auch
Gewicht darauf, dass es eben echte Thierknochen in
„petrificirtem" Zustande und keine Versteinerungen seien.
I^ür uns scheinen diese Worte einen offenkundigen Zwie-
spalt in sich zu schliessen, aber in Wahrheit kann den
Autor dieser Vorwurf nicht treffen: eine „Versteinerung"
war etwas für sich bestehendes, ein „Spiel der Natur",
und hatte mit den Organismen der Gegenwart niu- eine
äussere Aehnlichkeit, wogegen die Cannstadtcr Thier-
knochen von wirklichen Vierfüsslern abstammten und nur
in einen etwas anderen Zustand übergegangen waren.
Am plausibelsten sei es noch, meint Spleiss, an die
Ueberreste von Opferthieren aus germanisch ■ römischer
Zeit zu denken!
Auch bedeutendere Männer wurden irre an ihren
wohl erworbenen Ueberzeugungen , wenn ihnen fossile
Thiere unter die Augen kamen, für welche in der modernen
Schöpfung Analoga auszumitteln schwer oder jiositiv un-
möglich war. Während der Züricher Naturforscher
Scheuchzer die fossilen Fische durchaus zutreffend be-
stimmte und auch bei seiner Verwechselung eines Sala-
manders mit einem Menschenskelett nur in sehr verzeih-
licher Weise irrte, stutzte er zuerst vor den Anmioniten,
und wir haben keine Ursache, deshalb mit ihm zu rechten,
wenn wir uns vergegenwärtigen, dass ein Leopold von
Buch noch hundert Jahre später, in der schönen akademi-
schen Rede, welche er 1806 zu Berlin „Ueber das Fort-
schreiten der Bildungen in der Natur" hielt, das Einreihen
der Anmioniten in das zoologische System für eine
schwierige Sache erklärte! Wie sollte der Binnenländer
am Gehäuse die Natur von Kephalopoden erkennen, von
denen er nicht einmal die annoch vorhandenen Formen
im Originale kannte? So blieb denn Scheuchzer dabei,
an einen „lusus naturae" oder auch an die AusbrUtung
von Keimen durch die Erdwärme zu glauben. Und wie
man damals im ersten Freudenrausche über die grossen
Erfindungen von Newton und Leibniz der Mathematik
auch das Unmögliche zutrauen zu dürfen vermeinte, so
dachte der Altdorfer Professor Sturm, damals ohne Zweifel
der bedeutendste Vertreter exacter Wissenschaften auf
deutschen Universitäten, sogar daran, die Entstehung der
Ammonitengehäuse aus nassem Schlamm an der Hand der
cartesianischen Wirbel zu demonstriren. Wieder war es
ein Nürnberger, der durch seine „Oryctographia Norica"
zu verdientem Ansehen gelangte Medieiner und Natur-
historiker Baier (sen.), der die thierische Wesenheit der
ihm aus dem Fränkischen Jura in tausenderlei Arten und
Spielarten bekannten Gewinde verfocht, wie er anderer-
seits eine solche Beschaffenheit für gewisse paläontologische
Gebilde, die Dendriten und Geoden, in Abrede stellte.
Nur den Belemniten gegenüber musste auch er die Segel
streichen; sie waren und blieben ihm ein Naturspiel und
Nr. no.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
559
ein Räthsel, wie sie es bisher schon den schwcizeri.sclien
Alpenforschern, einem Scheuchzer, Cajjpeller u. s. \v.,
gewesen waren. Man niUsste sich eher vei-wundern, wenn
Baier zu einer anderen Anschauung gelangt wäre, da
man, wie ein Paläontologe unserer Tage, Koken, hervor-
hebt, von manchen Kojjffüsslern der geologischen Ver-
gangenheit sich gar nicht recht vorzustellen vermag, wie
das Thier mit der ihm anhaftenden grotesken Röhre im
Leben eigentlich durchkam. Trotzdem jedoch hat der
Scharfsinn eines jugendlichen Forschers damals auch dieses
Räthsel bereits gelöst oder doch seine künftige Lösung
vorbereitet.
Die Universitätsl)ibliothek zu Erlangen besitzt einen
wahren, aber allerdings noch wenig ausgenützten Schatz
in dem handschriltlichen Uriginalbricfwcclisel des Nürn-
berger Gehcimraths Trew aus dem zweiten und dritten
Viertel des vorigen Jahrhunderts, und aus diesem ist von
uns wieder die Correspondenz zwischen Trew imd dem
Tübinger Gmelin als sehr bemerkenswerth zu bezeichnen.
Da bemerkt nun Ersterer u. A., bereits im Jahre 1727
habe ein gewisser Ehrhart einen zwingenden Grund da-
für, dass man es hier mit wirklichen Thieren zu thuu
habe, aufgefunden. Er erhielt nämlich aus der reichen
Fundgrube jurassischer Versteinerungen von Boll einen
Belemniten, bei dem die Miueralisirung nicht bis zur
Alveolarhöhle vorgesehritten war, und damit war somit
die schu'ierige Frage in einer für Jedermann überzeugenden
Weise gelöst. Hält man diese verschiedeneu, nach dem
Wissen des Vortragenden bisher nirgendwo von neueren
Schriftstellern angemerkten Thatsachen gegen einander,
so darf man wohl die These aufstellen : Die eine der Ein-
gangs erwähnten Vorfragen durfte um 1730 insofern als
gelöst gelten, als in wissensehaftlicheu Kreisen auch l)e-
züglich der räthselvollsten Petrefacten, der Nautiliden,
Ammoniten und Belemniten, kein Zweifel mehr darüber
obwaltete, dass man wirkliche Angehörige des Thierreiches
vor sieh habe. Dass mit dieser Erkenntniss Fehler in
Einzelbestimmungen noch nicht ausgeschlossen waren, ver-
steht sich ganz von selbst; ein vergleichender Anatom
von solchem Rufe, wie er Camper, dem Erfinder eines
der wichtigsten Hilfsinittel der Anthropometrie, eignete, hielt
noch die Reptilienüberreste aus der Kreide von Maestricht
für solche von walfischähnlichen Thieren, und Fälle ähn-
licher Art würde ein Specialhistoriker der Paläontologie
in Menge aufzuzählen im Stande sein. Ja noch bis in
unser Jahrhundert herein klingt der alte Irrthum nach,
wenn schon in zeitgemässer Modification. Der l)ekannte
Mineraloge K. v. Raumer, gewiss ein Kenner seines
Faches, aber von den Lehren der herrschenden Natur-
philosophie allzusehr durchdrungen, Hess 1819 eine Be-
sehreibung der schlesisch - böhmischen Grenzgebirge er-
scheinen, in welcher er die überraschende Ansieht aufstellte.
Stein- und Braunkohlen seien nicht das, wofür sie damals
schon allgemein gehalten wurden, sondern man habe darin
eine „Entwickelungsfolge von nie geborenen Pflanzen-
erahryonen" zu erkennen.
Auch für die zweite der beiden Fundamentalfragen,
von denen es abhing, ob die terrestrische Morphologie in
der Paläontologie eine ihrer fruchtbarsten Hilfswissen-
schaften zu begrüssen hatte, ergaben sich mehr und mehr
neue Aufschlüsse. Woodward' s Sintfluthypothese, im
übrigen ein eigenartiges Gemisch theologischer und natur-
wissenschaftlicher Gedankengänge, enthielt doch auch einen
Grundsatz von grosser Tragweite : Gesteinslagen, in denen
sich Fossilien von vollkommener Uebereinstimmung vor-
finden, sind als gleichzeitig entstandene Sedimente zu be-
tracliten. Nur in England, dem i)alä()ntologiscli am besten
durchforschten Lande, konnte eine so wichtige wie ein-
fache Wahrheit ans Licht treten, und nur England bot
auch dem auf diesem Grunde weiter arbeitenden Forscher
das nöthige Material zu seinen Untersuchungen. Strachey
sanmielte 1719 in verschiedenen Kohlenminen; Packe
bearbeitete 1743 die Geognosie von Ost-Kent; 1766 er-
schienen die „Fossilia Hautonensia" von Brander. Gleich-
zeitig kamen verbesserte Methoden zur kartogra])hischen
Darstellung geologischer Thatsachen in Aufnahme, und
solche Diagramme waren unbedingt erforderlich, wenn
die paläontolugische Altersbestimmung einer festen Grund-
lage theilhaftig werden sollte. In Frankreich waren Fon-
tenelle, Reaumnr und nachher vor allem der wackere
Guettard, in England war der schon genannte Packe
für eine derartige übersichtliche Abbildung der Fund-
stätten thätig. In Deutschland stammen geologisch-petro-
graphische Karten erst aus einer etwas späteren Zeit, und
bei der relativ besten ihrer Art, die man aus dem 18. Jahr-
hundert besitzt, bei derjenigen von Flurl, bildet die
Versteinerungskunde noch nicht den Handweiser, was frei-
lich bei dem Mangel an Fossilien im eigentlichen Alt-
bayern nur natürlich ist.
Diejenigen Geologen, welche den Zusammenhang
zwischen der Lage einer Felsschieht und den in ihr ent-
haltenen Einschlüssen näher zu ergründen suchten, waren
namentlich Vallisnieri in Italien, der auch den Einfluss
der Dislocationen auf die Lagerung zu berücksichtigen
lehrte, Lehmann in Deutschland, den man allgemein als
den Bahnbrecher für Wem er 's Reformen zu bezeichnen
pflegt, und Rouelle in Frankreich (1703—1770). Dem
letzteren ist die Wissenschaft für zwei hochwichtige Be-
reicherungen ihres Besitzstandes zu Dank verpflichtet; er
unterschied nämlich eine „alte, mittlere und neue Erde",
indem er das Felsgerüste der Erdkruste durch zwei weit-
verzweigte Parallelflächeu in Stockwerke abschied, und
er bemerkte zuerst jene feineren Unterschiede im Bau
zeitlich zusammengehöriger Versteinerungen, die man später
mit dem Namen der Faciesverschiedenheit zusammen-
zufassen sieh gewöhnt hat. Jene Dreitheilung, für welche
Arduino die zweekmässigere Bezeichnung der „primären,
secundären und tertiären Felsen" in Vorschlag gebracht
hat, erwiess sich bekanuterinaassen als äusserst zählebig,
sie ging über in Werner' s Terminologie, der sieh binnen
kurzem kein Culturland zu vcrschliessen vermochte, und
sie hat sich, wiewohl in etwas anderer Bedeutung, bis
auf die Gegenwart erhalten. Ganz besonders einsehneidend
aber gestaltete sieh der neue Faciesbegrifl' für gewisse
Probleme der physischen Geographie. Konnte man bis-
lang von einer nicht völlig azoischen Gesteinsart nur eben
aussagen, dass sie sieh aus Wasser niedergeschlagen habe,
so erött'nete sicdi von jetzt ab auch die Möglichkeit, über
die Beschaffenheit des Wasserbeckens, zu dessen Inhalt
das Sediment in seinem aufgelösten Zu.stande beigetragen
hatte, etwas näheres aussagen zu können, ob sein Wasser
salzig, brackisch oder sUs? war, ob man es mit einem
freien Meere, mit einem seichten Busen oder mit einem
Süsswassersee zu thuu hatte. Der in Rouelle's Geist
am meisten fortwirkende Geologe war Soldani, der u. a.
auch die merkwürdige Analogie zwischen den thierischen
Mittelmeerbcwohnern von einst und jetzt aufdeckte; er
unterschied in dem berühmt gewordenen Grolikalkbecken
von Paris, welches nicht viel später Cu vi er 's Ruhm be-
gründen sollte, mit Bestinnntheit |)elagische und lacustre
Muschelarten und deutete solchergestalt den Weg an,
dessen Betretung zu klarer Einsicht in die Schwankungen
der Wasserbedeckung an einer liestimmten Erdstelle führen
konnte und auch wirklich führte. Von deutschen Fach-
männern, die beim Studium unserer obigen zweiten Vorfrage
mit Erftdg bcthciligt waren, führen wir noch FUchsel
und Raspe aus der Werners Auftreten einleitenden
Periode an; von Raspe wurde (1763) auch damit ein
560
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. .50
neuer anregender Gedanke in die Discussion geworfen,
dass er auf die Ivlimatische Verscliiedcnheit der Zeiträume
aufmerksam machte, in welche die eine oder andere Ver-
steinerung zu verlegen sei.
Nicht namhaft gemacht pflegt in der Regel jener
Naturforscher Gmelin auf unserem Arheitsfeldc 7ai werden,
der allerdings den Geographen wohl hekaiint ist, der aber
auch ein emsiger und denkender Paläontologe war. Seineu
„Nucleus lithologiae figuratae" beherbergt, wie so vieles
andere, die uus erinnerliche Trew'sche Correspondenz,
und aus dieser Abhandlung ersehen wir, dass ihr Ver-
fasser sein Cabinet, zu welchem ihn eben wesentlich die
unerschöpflichen Trias- und Juragebirge Württembergs
verholfen hatten, für gründliche Studien auszunützen ver-
stand. Neben Gmelin soll aber auch noch eines anderen
deutschen Gelehrten gedacht werden , der durch sein
Mahnwort vielleicht nicht unerheblich mit dazu beigetragen
hat, die Versteinerungskunde aus einer falschen Bahn
hinaus- und auf den richtigen Pfad zu bringen, welchen
betretend sie allein die unentbehrliche Gehülfin der Erd-
bildungslebre werden konnte. Es erscheint als eine ein-
fache Pflicht der Gerechtigkeit, diesen Namen einer un-
verschuldeten Vergessenheit zu entreissen.
Ignaz V. Born, ein Deutschbühme, war in allen auf
Geologie bezüglichen Dingen wohl zu Hause. Da be-
merkte er, dass in den Reihen der Paläontologen die
blosse Sammelliebhaberei allzusehr einreisse; man legte
Museen an und stellte, um v. Born 's eigene Worte zu
gebrauchen, „ekelhafte Register unbestinunter, verworrener,
oft lächerlicher Benennungen" zusannnen. Methodische
Ergründung des Wesens der Versteinerungen fehle voll-
ständig, und dafür sei die unsystematische Art und Weise,
wie man zumeist gearbeitet habe, verantwortheh zu machen.
Aus solchen Erwägungen flössen v. Born 's „Zufällige
Gedanken über die Anwendung der Conchylien- und Petrc-
factenkunde und die physikalische Erdbeschreibung", ein
Aufsatz, von dem nur zu bedauern ist, dass er sich nicht
der aphoristischen Form entrungen und die richtigen
Eiuzelanregungen zu einem systematischen Ganzen ver-
dichtet hat. In den unzähligen versteinerten Schalthieren,
die man kennen gelernt habe, sei Stoff gegeben zu den
wichtigsten Schlüssen über Veränderungen auf der Erd-
oberfläche, auf das Zurücktreten und Vordringen der Ge-
wässer, ja sogar auf klimatische Schwankungen der Vor-
zeit. Der Autor verbreitet sich dann über die Mittel, wie
eine solche Vertiefung der Wissenschaft zu erreichen und
das relative Alter zweier durch ihre Einschlüsse gekenn-
zeichneten Gebirge zu ermitteln sei. Von Interesse ist
auch V. Borns Stellungnahme gegen die damals grosses
Ansehen behauptende Kataklysmenlehre Button 's; allein
selbst dieser das ruhige Walten der Natur so wenig an-
erkennende Theoretiker müsse einräumen, dass sich die
allermeisten Felsbänke folgeweise aus dem Wasser nieder-
geschlagen hätten.
Gewiss gebührt v. Born ein Ehrenplatz in der Reihe
der Männer, welche die Epoche Werner's vorbereiteten,
und in seiner scharfen Betonung der Bedeutung einer
vorweltlichen Fauna ist er dem Freiberger Oryktognosten
sogar überlegen ; denn es muss daran festgehalten werden,
dass letzterer bei der Begründung seiner Formationen-
lehre — und diesen Ruhm wird ihm niemand streitig
machen wollen — sich viel zu sehr von rein petrographischen
und viel zu wenig von paläontologischen Gesichtspunkten
leiten Hess und in Folge dessen sein System nicht zu
jenem Grade der Vollkommenheit erhob, den er anderen-
falls erreicht haben würde. In seiner späteren Zeit gab
er solchen Ueberlegungen selbst mehr Raum, und gewiss
war es seine Einwirkung, auf welche hin zwei seiner be-
deutendsten Schüler, v. Schlot heim und v. Buch, die
Ausgestaltung seines Grundgedankens durchfidn-ten.
Des Erstgenannten Leistungen ist vorzugsweise die
Ausbildung der Paläophytologie zu danken, während
V. Buch die organische Verbindung der Stratigraphie —
und damit indirect der ganzen Morphologie — mit der Ver-
steinerungskunde zu einem vorläufigen Abschluss brachte.
Gestützt auf letztere, gab v. Buch die erste ausreichende
Definition der Karbonformation, der „Steinkohlengebirge",
wie der damalige Ausdruck war; sie lieferte ihm die Mittel,
aus den sehr unbestimmten Secundärgebilden Jura und
Kreide als selbststäudige Bestandtheile al)zugliedern und
auch mit der Eintheilung des Tertiärs in dem Alter nach
verschiedene Lagen den vielversprechenden Anfang zu
machen. Man darf sagen, dass die allgemeinen Directiven,
welche v. Born dreissig Jahre vor dem Beginne der
Glanzzeit des grössten deutschen Geologen gegeben hatte,
von diesem — der wohl die Abhandlung seines Vorgängers
gar nicht kannte — selbstthätig aufgenommen und in der
glücklichsten Weise zur Feststellung gesicherter, concreter
Erfahrungssätze verwerthet worden sind.
Heute ist die Paläontologie soweit ausgebildet, dass
sie in den meisten Fällen sogar den Horizont anzugeben
vermag, wohin ein irgendwie aufgefundener versteinerter
Thicr- und Pflanzenkörper gehört, und damit ist die
Dynamik der Erdkruste in den Stand gesetzt, sich von
den oft so abenteuerlichen Dislocationen und Schichten-
störungen causale Rechenschaft zu geben, mit denen uns
ein immer tiefer eindringendes Studium der Erdgebirge
bekannt machte. Der Geophysiker stellt bloss die Frage
der Altersfolge, der Paläontologe beantwortet ihm die-
selbe, und im Uebrigen gehen beide Disciplinen ihre ge-
sonderten Bahnen. Damit es aber so weit kommen, damit
auch hier die Arbeitstheilung im ausgedehntesten Maasse
Platz greifen konnte, mussten zuvor die erwähnten Zwischen-
stadien der Erkenntniss durchlaufen werden. Ging die
Absicht auf der einen Seite dahin, gewisse Persönlich-
keiten und wissenschaftsgeschichtliche Momente mehr in
den Vordergrund zu rücken, als dies in der üblichen Dar-
stellung geschieht, so sollte auf der anderen Seite ein
noch höher stehender Zweck erreicht und an einem
interessanten Beispiele dargelegt werden, wie nur durch
gegenseitiges Ineinandergreifen verschiedener Wissens-
abzweigungen die Erkenntniss auf die zur Zeit erreichte
Höhe gebracht werden konnte, auf eine Höhe, die zu er-
klimmen es langer und mühsamer, durch die mannig-
fachsten Zwischenfälle unterbrochener und beeinträchtigter
Geistesarbeit bedurfte.
Wiederkäuende Menschen sind der Gegenstand eines
in der Gesellschaft für Natur- und Heilkuude zu Dresden
gehaltenen Vortrages von R. Schmalz (Jahresber. 1893,
S. 161). Vom einfachen sog. Aufstossen sonst Gesunder
nach einer etwas schweren Mahlzeit bis zum echten
Wiederkäuen, der Rumination, giebt es eine continuirliche
Reihe von Uebergäugen. Dass das Aufstossen von Gasen
einen ruminirenden Charakter annehmen kann, hat Re-
ferent selbst an einem Kranken beobachtet. Das Wieder-
heraufkommen von Speisen oder Getränk aus dem Magen
kommt schon seltener vor, ist aber noch keine eigentliche
Rumination. Die regurgitirten Bissen haben meist ihren
Geschmack durch den Aufenthalt im Magen noch nicht
verloren; sie schmecken gewöhnlich nicht einmal sauer,
so dass sie ohne Widerwillen noch einmal gekaut und
verschluckt werden können. In wohl schon als patho-
logisch zu bezeichnenden Fällen kommen diese Regurgi-
tationen längere Zeit hindurch nach jeder Mahlzeit in
Nr. nO.
Natnrwissiiischaftliche Woclieuschrift.
oGl
vytlimisclicn Pansen vor. Ganz iilnilicli dem Acte des
tiiicrischen Wiederkauens wird die eii;-entliiiudiclie Er-
scheinung aber, wenn sie den uacli.stehenden Verlauf
nimmt. „Vor jedem Aufsteigen eines Bissens Ijeobaclitet
man ein tiefes Einathnien, welehem ein kurzes Aniialten
des Athcms folgt; darauf tritt eine kräftige Contraction
der Bauelmiuskeln mit kurzem Heben der Baueliwand ein,
und man Ijemerkt gleichzeitig, während Kopf und Hals
leicht gestreckt werden, das Aufwärtssteigeu des Bissens
am Halse und den Beginn der Kaubewegungen.'- Hier
bandelt es sich beim Menschen offenbar ebenso wie beim
Tliier um einen wohlcoordinirten Reflexvorgang. Wie
weit im Einzelfalle nervöse Störungen, Disposition,
.Schwäche der Magenmuskulatur u. dergl. zum Zustande-
kounnen der Rumination mitwirken, lässt sich natürlich
nicht allgemein entscheiden. Schacfer.
Einen Beitrag zui- Aiitotomie, jener zum Zweck
der Vertheidigung eintretenden freiwilligen Verstümmelung,
liefert PaurGaubert (Bull. Soc. zool. France, T. 17,
S. 224). Nvmphon gracile, eine in den Algen zu
Concarneau häutige Asselspinne (Pycnogonide), warf ihre
Gliedmaassen sehr leicht ab. Der Bruch geschah zwischen
dem ersten und zweiten Glied. Es ist das hier besonders
merkwürdig, weil sich der Verdauungscanal und die Ge-
schlechtsorgane in die Beine hinein verzweigen. Wahr-
scheinlich findet hier, wie bei dem Taschenkrebs und dem
Weberknecht, eine Reproduction statt. Sie konnte nicht
beobachtet werden, da die Thiere sich nicht lange am
Leben erhalten Hessen. Während beim Taschenkrebs und
bei Spinnen schliesslich alle Gehfüsse abgestossen wurden,
wurden von Nymphou höchstens zwei Beine abgeworfen.
C. M.
Eine Mittheilung über die aiigebUche Nicht-Aus-
rottung de.s anierikauischen Bison (Bison ameiicanus),
des fälschlicherweise als „BütfeP' bezeichneten gewaltigen
Bewohners der Prärien des fernen Westens, bringt Nr. 51
des XXIV. Bandes vom „AVeidniann". Hiernach sollen in
diesem Sommer von einem Händler aus Edmonton in
Nordwest-Canada 10 Köpfe, von einem anderen 2ü Häute
von Bisons auf den Markt gebracht worden sein. Ferner
sollen die beiden Händler ausgesagt haben, dass am
Sklavensee und am Friedensfluss ca. 200 Stück des so
seltenen Wildes erlegt wurden. Möglicherweise gehörten
diese Bisons zu einer bisher den Nachstellungen ent-
gangenen Heerde — so vermuthet man wenigstens, und es
wird die Hoffnung ausgedrückt, dass die Regierung des
in Betracht kommenden Gebietes alsbald strengste Ge-
setze zum Schutz der auf diese Weise vielleicht noch vor
dem gänzliclien Untergang zu bewahrenden Thierart er-
lassen werde.
Wir können übrigens nicht unterlassen zu liemerkcii,
dass uns die obige Notiz von höchst fragwürdigem Werthe
zu sein scheint, da die Amerikaner über das Schicksal
der Bisons und über die letzten Reste derselben genaue
Nachforschungen angestellt haben, und in einer Arbeit
von Hornaday (The Extermination of the American Bison.
Smithsonian Report 1886/87, Washington) der Nachweis
geführt wurde, dass das Aussterben der Bisons nur eine
Frage der nächsten Jahrzehnte sei. Jedenfalls bedarf die
aus Edmonton stannuende Nachricht sehr der P>estätigung.
Allerdings wäre dieselbe mit Freude zu begrüssen, da es
jeden (lenkenden Alenschen nur mit Bedauern erfüllen
kann, wenn er scheu muss, wie eine interessante niul
wichtige Säugethierspecies vom Erdboden verschwindet.
Dr. Ernst Schall'.
Ueber die A'criiiclituug der Feldmäuse nach dem
Loeffler'schen Verfahren haben wir wiederholt in der
„Naturw. Wochenschr." berichtet (vergl. Bd. VII, S. 396
und VIII, 273 und 361). Privatdocent Dr. Eckstein
äussert sich zu der Frage in der „Forstlich-naturwissenschaft-
lichen Zeitschrift" (1893. 11. Heft) wie folgt: Der land-
wirthsehaftliche Verein Bremervörde hat in der zweiten
Aprilhälftc dieses Jahres die Vertilgung der wieder recht
zahlreich auftretenden Feldmäuse mit dem \'erfahren des
Prof. Dr. Loeft'ler-Greifswald unter Leitung des Dr. Abc!
von dort angestellt. Das Auslegen der durch Mäusetyphus-
Bacillen inficirten Brotwürfcl geschah am 20. — 22. April.
Verschiedene Untersuchungen, welche 8 — 14 Tage nach
Auslegen der Brotwürfcl auf den belegten Aeckeru an-
gestellt wurden, ergaben, dass, mit seltenen Ausnahmen,
sämmtliche Brotwürfel verzehrt and ca. 75 ",,, der bis
dahin bewohnten Gänge nicht mehr begangen wurden,
aus welchem Umstände mit Sicherheit zu schliessen war,
dass die darin befindlichen Thiere erepirt waren. —
Etwa acht Tage später ergab die Besichtigung der
Felder wieder eine erhebliche Zunahme der Mäuse — es
war die junge Brut der nicht vergifteten Jläuse heran-
gewachsen — und neue Versuche mit Saccharin-Strychnin-
Hafer der Firma A. Wasmuth & Co. in Ottensen wurden
angestellt. Schon am nächsten Tage nach dem Legen
wurde beim Nachsuchen eine erhebliche Anzahl todter
Mäuse gefunden und dieser Umstand regte zu weiterem
Vorgehen an.
Die bei diesen Versuchen erzielten Resultate waren
folgende :
Das Loeffler'sche Verfahren ist durchaus zweckent-
sprechend, seine Wirkung ist jedoch von der Witterung
abhängig, da nasse Witterung i)ckanntermaassen die Wir-
kung desselben abschwächt. Das Auslegen der Brotwürfcl
ist etwas unbequem.
Das Vergiften der Mäuse durch Wasmuth's Saccharin-
Strychnin-Hafer ist gleichfalls durchaus wirksam, die
wiederholte Anwendung desselben aber ebenso nothwendig,
wie die der Mäusetyphus-Bacillen. Der Erfolg ist ein
weit rascherer, das Legen derselben in die Mauselöcher
mit einem Legeapparat ein bequemes, und die Verwen-
dung dieses Giftes hat durch die Art der Anwendung
keine Naehtheile für die Vogelwelt zu Tage gefördert.
Somit steht fest, mit beiden Mitteln kann der Land-
mann sich der Mäuseplage erwehren, wenn er sie zur
rechten .Zeit und mit genügender Ausdauer anwendet.
Die nothwendigen Kosten werden wie die aufgewandte
Mühe durch den nut Sicherheit zu erzielenden Erfolg
reichlich belohnt.
Der gegenwärtige Stand des Breiten-Problems ist
eine kleine Abhandlung (Transactions of the Wisconsin
Academy of Sciences, Arts and Letters, Vol. VIII, S. 229,
Madison, Wisconsin, 1892) überschrieben, in welcher Pro-
fessor G. C. Comstoek der Frage über die Veränderung
der Lage des Erd-Poles näher tritt. Uralte Ueberlieferungen
machen es nicht unwahrscheinlich, dass in entlegenen
Zeiten die Lage derllimniclsgegendeu eine von der heutigen
ganz verschiedene war. So scheinen z. B. die alten ägyp-
tischen Tempel nach den Hauptpunkten des Compasses
orientirt zu sein, als dieselben eine von der heutigen ganz
abweichende Stellung hatten. In neuer Zeit ist denn auch
der Gedanke ausgesprochen worden, ob mau nicht aus
der heutigen Lage der ägyptischen Pyramiden zu den
Hinunelsgegcuden auf die Grösse der Positionsveränderung
des Poles und damit der Rotationsaxe der Erde schliessen
könnte. Die Stellung der Erdaxe schien in dem allge-
meinen Wechsel der Naturerscheinungen eins der wenigen
562
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. ;')()
feststehenden Momente zu sein; aber aucli diese geradezu
als Glaubenssatz behandelte Anschauung- wurde völlig er-
schüttert und darf heute als überwunden betrachtet werden,
nachdem Dr. Küstner bei seineu ausserordentlich sorg-
fältigen Breiteubestimmungeu behufs Ermittelung der Con-
stanten der Aberration gefunden hatte, dass während der
Dauer seiner Untersuchungen sich die Breite des fest-
gelegten Ortes um V2Secunde geändert hatte. Systematisch
auf drei deutschen Observatorien (auf Veranlassung der
internationalen geodätischen Association) durchgeführte
Messungen, sowie weitere Messungen in Amerika ergaben
übereinstimmende, den Küstner'schen ähnliche Resultate.
Fergola zeigte 1884 auf der Conferenz der internationalen
geodätischen Association an der Hand eines l)edeutenden
Beobachtungsmaterials, dass im Verlaufe der letzten 100
Jahre die Breiten in Europa sich fortgesetzt vermindert
hätten, und auf seine Veranlassung hin unternahm man
systematische Messungen in verschiedenen Ländern, welche
jedoch nicht recht von statten gingen. Auf Wunsch
mehrerer mit der Glaeialtheorie beschäftigter Geologen
stellte Professor Comstock vor 4 Jahren eingehende Unter-
suchungen über die Veränderung der Breiten an, deren
Ergebnisse er im Sommer 1892 der American Association
for the Advancement of Science vorlegte. Seine Resultate,
betreffend amerikanische Stationen, sind kurz die folgen-
den: Die Breite der amerikauischen Beobacbtungspunkte
vergrössert sich von Jahr zu Jahr, mit anderen Worten:
der Nordpol rückt beständig, und zwar längs der West-
küste Grönlands, im Jahre etwa 4 Fuss den amerikani-
schen Stationen näher und entfernt sich in gleichem Ver-
hältnisse von denen Europas. C. macht den Vorschlag,
so bald als möglich umfassende, systematische Unter-
suchungen über diesen Wechsel der Breiten anzustellen,
und zwar auf Stationen, die in den Vereinigten Staaten
und längs der Ostküste Asiens liegen müssten. Hier würde
man die grössten Werthe für die
iährliehe Breitenänderung
erhalten, da die hier befindlichen Observatorien in der
Richtung der Wanderbahn des Poles liegen. Jeder unter
anderer Länge gelegene Beobachtungspunkt, wie die
Stationen Deutschlands und auf den Hawaiischen Inseln,
auf denen augenblicklich hierauf bezügliche Messungen
angestellt werden, sei durch seine Lage weniger be-
günstigt und müsse daher nicht so in die Augen fallende
Resultate ergeben.
Soweit die Ausführungen Comstock's. — Die hier kurz
augedeuteten Verhältnisse sind für die Geologie von ganz
gewaltiger Tragweite. Ihre definitive Bestätigung würde
die Beantwortung gewisser, heute noch schwebender Fragen
auf eine bisher ungeahnte, von der jetzigen ganz ab-
weichende Weise beschleunigen und ganz neue Perspectiven
eröffnen. Die geologisch-paläontologische Forschung hat
ergeben, dass in heute unter Eis begrabenen Ländern,
z. B. Grönland, Spitzbergen etc. etc., in früheren Erdperioden
ein Klima geherrscht haben muss, welches als ein subtropi-
sches bezeichnet werden kann. Die fossilen Pflanzenreste
aus dem Tertiär, der Kreide- und der Steinkohlenformation
jener Länder gehören an Ort und Stelle erzeugten Ge-
wächsen an, deren Verwandte man heute nur in tropischen
und subtropischen Gegendeu findet. Man hat hieraus, in
Uebereinstimmung mit der Kant - Laplace'schen Theorie
über die Entstehung unseres Planeten, geschlossen, dass
ein gleichmässig heisses Klima einst über die ganze Erde
geherrscht habe, welches, noch unbeeinflusst durch einen
Wechsel der Jahreszeiten, es jenen ent.ichieden tropischen
Gewächsen ermöglichte, in den heute polaren Gegenden
zu gedeihen. Diese Erklärung wird durch die Eingangs
behandelten Untersuchungen hinfällig. In Folge der all-
mählichen Veränderung der Lage unserer Erdaxe müssen
natürlich auch die Klimazonen wandern und heute unter
Eis begrabene Gebiete im Laufe von Jahrtausenden einen
Wechsel vom polaren zum subpolaren, gemässigten, sub-
tropischen und tropischen und wieder zum polaren Klima etc.
durchmachen. Viele bisher gar nicht in das Gesanmitbild
hineinpassende Erscheinungen, wie das nacligewiesene
Auftreten von Eiszeiten in verschiedenen Formationen,
z. B. der Steinkohleuformation etc., finden dadurch ihre
Erklärung. Endlich sprechen auch Befunde an fossilen
Pflanzen gewisser Abschnitte der Carbonzeit dafür, dass
während ihres Bestehens ein Klimawechsel, d. h. ein
periodist'her, jährlicher Wechsel zwischen einer günstigen
und einer ungünstigeren Jahreszeit bestanden haben muss.
Eiu neuer 8tern siebenter Grösse wurde am 26. Oc-
tober von Mrs. Fleming auf einer photographiseheu Stern-
aufnahme vom 10. Juli dieses Jahres entdeckt. Leider
kann das neue Gestirn nur von (Jrten der südlichen Erd-
halbkugcl aus beobachtet werden, da es in 50° südlicher
Declination und 230° Rectascension steht. Auf Grund der
Bekanntmachung dieser Entdeckung sah Kapteyn seine
früheren Aufnahmen derselben Stelle des Himmels nach
und glaul)t auf Platten aus den Jahren 1875 und 1887
den fraglichen Stern ebenfalls gefunden zu haben, jedoch
nur in der Helligkeit eines Sternes neunter Grösse.
Kbr.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Mr. H Uline znni Ciirator des Her-
bariums der Lake Forest University, Illinois. — Der Obser\aior
am Observatorium zu Paris Dr. O. Callendreau zum Professor
der Astronomie an der Ecole Polytechnique. — Dr. Aeh zum
Assistenten am ersten ehemischen Institut der Universität Berlin.
— Dr. Wandollek zum Assistenten an der zoologischen Ab-
tlieilung di'S iMuscums für Naturkunde in Berlin.
Dr. L. Schulte ist als Assistent am Museum der Kgl. Preuss.
Geologischen Landesanstalt eingetreten. — Unser früherer Mit-
redacteur und jetzige Mitarbeiter Dr. Harry Gravelius ist als
wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in das Bureau des Kgl. Wasser-
ausschusses eingetreten. — Dom Berghauptmann Freiherrn von
der Heyden-Rynsch in Halle — und dem Berghau|itn)ann
Achenbacli in Clausthal ist der Charakter als Wirklicher Ge-
heimer Oberbergrath mit dem Range der Räthe 1. Classe verliehen
worden.
Es sind gestorben: Der Entomologe Professor Dr. P. M. F er -
rari in Genua. — Der Naturforscher William Dinning in
Newcastle. — Das Mitglied der Akademie der Wissenschaften in
Paris Chambrelent. — Der ordentliche Professor der Mechanik
an der Technischen Hochschule in München Dr. Johann Rau-
schinger. — Der Keimpflanzen - Forscher Geheimer Kriegsrath
A. Winkler in Berlin.
I
L i 1 1 e r a t u r.
Breliin's Thierleben. Kleine Ausgabe für Volk und Schule. 2. Aufl.,
gänzlich ncubcarboitet von Richard Schmidtlein. III. Bd. Mit
1 Karte, 1 Tafel in Farbendruck und 713 Textabbildungen.
Bibliographisches Institut in Leipzig. 1893. — Preis 10 i\I.
Auch der 3. (Schluss-) Band des „kleineu Brehm" ist nunmehr
von der rülnigen Verlagshandlung ausgegeben worden. Er be-
handelt die Kriechthiere, Lurche, Fische, Insecten, Krebse, Würmer,
bis zu den Urthieren. Das Gesammtwerk, 3 stattliche, nnister-
gidtig ausgestattete Bande, jeder von fast lOüO Seiten Stiiike,
bildet ein hübsches Weihnachtsgeschenk. Die Karte, die in dem
vorliegenden III. Bande Platz gefunden hat, ist die der Verbrei-
tung wichtiger Thiere. Im Uebrigen verweisen wir auf die
früheren Besprechungen der Bände I und II.
Dr. Harry Gravelius, Lehrbuch der höheren Analysis. Zum
Gebrauche bei Vorlesungen an Universitäten und technischen
Hochschulen. I. Band : Leh rb u eh der Differentialrech-
nung. Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin 180:3. —
Preis 6 M.
Schon seit längerer Zeit macht sich das Bedürfniss und das
Streben geltend, die Ergebnisse der neueren functionentheorctischen
Nr. 50.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
.')(*)3
Forseluiiigen bei der Darstelhiiig der liölicren Aiialysis zu ver-
werthen und die letztere damit auf einer wolilgesieherten Grund-
lage aufzubauen. Diese Tendenz verfolgt aucli das Werk, von
dem uns der erste Band, die Ditfoventialreclinuiig, vorliegt. Um
es gleich vorwegzunehmen, bemerken wir, das» der Herr Verfasser
in seiner Darstellung ein grosses Geschick bekundet und mit dem
ersten Bandit die HoflFnung erweckt, dass wir ein sehr schätzens-
werthes Lehrbuch der höheren Analysis aus seiner Feder erhalten
werden, ein Werk, welches allgemeine Beachtung seitens der
mathematischen Kreise verdient.
Vor Allem wird der kundige Leser den tiefen Einfluss er-
kennen, den die berühmten Vorlesungen von Weierstrass auf die
Darstellung ausgeübt haben. Aber auch die Forschungen anderer
Mathematiker, die an dem Aufbau der neueren Fuuctionentheorie
und an dem gründlichen Ausbau einzelner Theilo derselben mit-
gewirkt haben, finden die gebührende Berücksichtigung; wir
brauchen nur an Namen wie Heine, Hankel, G. Cantor, Dini,
Pringshi'im u. a. zu erinnern.
Im Allgemeinen findet das Werk auch hinsicditlich der Dispo-
nirung unsere Sympathie. Um an dieser .Stelle nicht zu sehr
ins Detail zu gehen, erwähnen wir nur, dass zunächst die irra-
tionalen Zahlen mit Zuhilfenahme von Heine's Zahlzeichen einge-
führt und die allgemeinen Eigenschaften des Systems der reellen
Zahlen entwickelt w(n-den; alsdann werden ilie reelle Veränder-
liche und ihre Functionen und besonders die Stetigkeil der
letzteren eingehend behandelt. Nach Ableitung der Grundlehren
der Differentialrechnung für Functionen einer und mehrerer
reellen Veränderlichen folgt dann ein wichtiges Capitel über die
Darstellung der Functionen durch Potenzreihen und über den von
Herrn G. Cantor eingeführten Begriff der Punktmengen. Die
Elemente der Theorie der Maxinia und Minima füllen das nächste
Capitel, welchem sich ein anderes anscliliesst, das über Anwen-
dungen auf die Geometrie handelt. In diesem verdienen nament-
lich die Paragraphen Beachtung, welche über die in Lehr-
büchern wenig oder gar nicht berücksichtigten räumlichen Linien-
systeme handeln. Den Beschluss des vorliegenden Bandes bildet
ein kurzes Capitel über die coniple.xe Veränderliche. Es wird auf-
fallen, dass diesem wichtigen Gegenstande so wenig Beachtung
gewidmet ist, doch müssen wir ein Urtheil hierüber aussetzen,
da der Verfasser auf denselben in einem späteren Bande ein-
gehend zurückzukommen verspricht.
Uebrigens ist noch zu bemerken, dass der Herr Verfasser
keine Uebungsbeispiele beigegeben hat und auf die bekannten
Aufgabensammlungen, namentlich die von Fuhrmann, verweist.
Ein abschliessendes Urtheil über das Gravelius'sche Buch
kann nach den obigen Worten noch nicht abgegeben werden, da
wichtige Theile erst später zur ausführlichen Behandlung kommen.
Wie der Herr Verfasser die gesammte höhere Analysis zu er-
ledigen gedenkt, welche Grenzen er sich gesteckt und wie er die
einzelnen Materien zu disponiren beabsichtigt, hat er uns nicht
verrathen.
Die Ausstattung des Werkes seitens der Verlagsbuchhandlung
ist als „gut und billig" zu bezeichnen. A. G.
L. Carnot, Betrachtungen über die bewegende Kraft des
Feuers und die zur Entwickelung dieser Kraft geeigneten
Maschinen (1824). Uebersetzt und herausgegeben von W. (_)st-
wald. Mit 5 Textfiguren. ((Jstwald's Klass. d. e. Wiss. Xo. Ö7).
Wilhelm Engelmann. Leipzig 1892. — Preis 1,20 Mk.
Die Abliandlung betrachtet die Wärmemaschinen zum ersten
Mal von einem theoretischen Gesichtspunkte aus und führt zu
den wichtigen Resultaten, welche gegenwärtig den Inlialt des sog.
zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorio bilden. Ob-
gleich bereits 1824 erschienen, datirt die historische Wirksamkeit
der Schrift doch erst aus weit späterer Zeit, da dieselbe anfangs
als Einzelbrochüre keine weite Verbreitung fand. Erst als 1843
Clapeyron auf die Bedeutung des „Carnot'schen Kreisprozesses"
hingewiesen und nachdem dann namentlich 1850 Clausius an
diesen Satz den weiteren Ausbau der mechanischen Wärniethoorie
angeknüpft hatte, wurde man allgemein auf die Arbeit des in-
zwischen längst verstorbenen, französischen ( Ifficiers aufmerksam.
Immerhin aber war die Originalarbeit bisher nicht leicht zu erlangen
und es ist darum besonders verdienstlieh, die schwungvolle Ab-
handlung in einer angenehm lesbaren Uebersetzung dem deutschen
Publicum zugänglich gemacht zu haben. Khr.
Atti deUa Reale Accademia dei Lincei, Rendiconti. (Serie
(|uiiita, volunic II".) — Dii' 'rsteu secdis Lieferungen des ersten
Halbjahrsbandes 1898 sind in No. 28, Band \T1I der „Xaturw.
Wochenschr." kurz inhaltlich skizzirt worden. Aus den übrigeui
sechs Lieferungen dieses Halbjahrsbandes ersclieinen folgende Ab-
handlungen besonders erw.ähuenswerth: Righi, Ueber einige
experimentale Anordnungen für den Beweis und das Studium der
Hertz'schen elektrischen Schwingungen; Ghira, Ueber das Mole-
kularvolumen einiger Borverbindungen; Golgi, Ueber den Ur-
sprung des vierten cerebralen Nerven; Volterra, Ueber die
Schwingungen der elastischen Körper; Clerici, Bemerkungen
über die Bodenbeschaft'enheit Roms; Magnanini, über den o.s-
motischen Druck; Guglielmo, Beschreibung einer neuen Form
des Quecksilberbarometers; Agamennone, Die Erdbeben und
die magnetischen Störungen; Righi, Versuche mit Hertz'sclHui
Schwingungen von kleiner Wellenlänge; Volterra, Ueber die
Integration der Differentialgleichungen der Bewegung eines iso-
tropen elastischen Körpers.
Das Akademische Berlin. Winter-Halbjahr 1893/94. Mayer
u. Müller. Berlin. — Preis 0.80 M. — Auch die vorliegende 2. Aus-
gabe des von Dr. A. Römer vorfassteu Heftes wird dem Studi-
renden Dienste leisten; es folgt den Veränderungen in i\pn Per-
sonalien, an den Hochschulen Berlins geschickt. Im Uebrigcn
verweisen wir auf die Besprechung der ersten Ausgabe in diesem
Bande der ,,Naturw. Wochenschr." S. 244.
Ein Catalog der farbigen Sterne bildet die neueste Publi-
cation di-r Kieler Sternwarte. Die Arbeit, deren Autor Herr
Friedrich Krüger ist, stellt eine Erweiterung und Vervollständi-
gung einer von der Kieler Universität gekrönten Preisschrift dar,
und wird sicherlich den auf colorimetrischem und spectralanaly-
tischem Gebiete arbeitenden Astronomen eine sehr willkommene
Gabe sein, sowie auch die Aufsuchung veränderlicher Sterne, die
bekanntlich zumeist durch eine röthliche Farbe gekennzeichnet
sind, wesentlich unterstützen. Während der 1874 erschienene
Catalog rother Sterne von Schjellerup deren nur 402 aufzählte, die
1877 von Birmingham veröffentlichte Liste diese Zahl auf 723,
und die Neubearbeitung der letzteren durch E.spin (1888) dieselbe
auf 1472 steigerte, führt das KrUger'sche Verzeichniss 2297 far-
bige und durch ein Absorptionsspectrum bemerkenswerthe Sterne
auf, obgleich es sich auf den zwischen — 23° und + 90° Declination
liegenden Theil des Himmels beschränkt. Ausser der näheren,
allerdings nur durch Schätzung gewonnenen Farbenbestimmuug.
führt der Verfasser bei jedem Stern auch die bisher bekannt ge-
wordenen oder sich auf eigene Beobachtungen stützenden Angaben
über das Spectrum an, und die Sorgfalt, mit der die einschlägige
Litteratur berücksichtigt worden ist, berechtigt zu der Annahme,
dass das Werk an Vollständigkeit kaum etwas zu wünschen übrig
lassen dürfte. Hoffentlich wird der Krüger'sche Catalog neue
Anregung zur weiteren Erforschung der in vieler Hinsicht so
interessanten Sterne vom dritten Vogel'schen Spectraltypus geben.
Uns scheint es, dass die Bevorzugung der spectroskopischen Beob-
achtung die rein colorimetrischen Messungen in zu starkem Maasse
in den Hintergrund gedrängt hat und dass eine ausgedehntere
messende Farbenbestimmung der Sterne , wie sie seiner Zeit
Zöllner bei einigen Fixsternen und Planeten durchgeführt hatte,
neben der spektroskopischen Mappirung auch heute noch eine
nützliche und dankbare Aufgabe bilden würde. Kbr.
Altmann, Rieh., Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen
zu den Zellen. 2. Autl. Leipzig. 32 M.
Bachmann, Reallehr. Otto, Leitfaden zur Anfertigung mikro-
skoiiischer Dauerpräparate. 2, Aufl. München. 6 M.
Bastian, A., Ccuitroversen in der Ethnologie. Berlin. 2,40 M.
Bastian, Adph., Vorgeschichtliche Schöpfungslieder in ihrem
ethnischen Elementargedanken. Berlin, .'i M.
Caro, Chem. N., Darstellung von Chlor- und Salzsäure unabhängig
von der Lelilanc-Soda-lndustrie. Berlin. 3 i\I.
Dölp, weil. Prof. H., Die Determinanten, nebst Anwendung auf
die Lösung algebraischer und analytisch-geometrischer Aufgaben.
4. Aufl. Darmstadt. 2 M.
Freytag, Gust.. Karte der Hochalpen-Spitze und des Ankogel-
Gebietes. Wien. 2.50 M.
Inhalt: (If to Am mon: Die natürliche Auslese beim Menschen. (Schluss.) — 65. Versammlung iler Gesellschaft deutscher Karurforscher
und Aerzte in Nürnberg. V. — M'iederkäuende Menschen. — Beitrag zur Autotomie. — • Angebliche Nicht-Ausrottung des ameri-
kanischen Bisons. — Ueber die Vernichtung der Feldmäuse. — Der gegenwärtige Stand des Breiten-Problems. — Ein neuer
Stern. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Brehsu's Thierloben. — Dr. Harry Gravelius: Lehrbuch der
höheren Analysis, — L. Carnot: Hetracdituugeu über die bewegende Kraft des Feuers und die zur Entwickelung flieser Kraft
geeigneten Maschinen (1824). — Ein Catalog der farbigen Sterne. — Atti dolla Reale Accademia dei Lincei, Rendiconti. —
Das Akademische Berlin. — Liste.
564
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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SjiP~ Dieser Nummer liegt ein Prospekt der b^irma T. O. Weigel Nachf. in Leipzig, Itetrefiend: „Naturwissenschaft-
liche M'erke'' bei, den wir hiermit besonderer Beachtung empfelil
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potoniti, Berlin N. 4., luvalidenstr. 44, für den Inseratentheil: Hugo Beinstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Diimmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin S\V. 12.
^v^ Redaktion: 7 Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 17. Decenil3er 1893.
Nr. 51.
Abonnement : Man abonnirt bei allen Buchhandlungen und Poat-
anstalten, wie bei der Expedition. Dei- Vierteljahrspreis ist Jl 4.—
Bringegeld bei der Post LS 4 extra.
Inserate : Die viergespaltene Petitzelle 40 ■)<. Grössere Aufträge ent-
sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahnie
bei allen Annoncenbureaox, wie bei der Expedition.
Abdruck ist nnr mit vollständiger C^aellenangabo gestattet.
Ueber Aufnahme und Speicherung von Kupfer durch die Pflanzenwurzeln.
Von \)\-. Ricli. <lttn, As.sisteiiteii am jitlaiizi'uijhysiologiscken In.stitut der Kj;!. Landwirtliscliaftlichen NT^ > --^2-''%vO/
Hooliacliule zu Berlin. ^~Ö^ Ä K»"
Die Aufiialime und .Speieberung des Knjjfers, (ider
l)esser gesagt von Ki^ipt'erverbiudungeu diivcli ilip Pflanze^
ist schon seit /iemücli lauger Zeit der Gegenstand vieler
wissensehaftlielicr Untersucliungen gewesen, iiacli welchen
das Kupfer jedenfalls als weit verbreitet im Ptlanzen-
reiebe angesehen werden nmss. Ebenso ist durch die-
selben auch wohl endgültig der Beweis erbracht, dass die
Verbindungen des Kupfers von den Pflanzen aufgenommen
und gesiieichert werden können.
Allerdings divergiren bezüglich der Art und Weise
dieser Aufnahme und Speicherung die Ansichten der
einzelnen Forscher gar sehr. — Da es nun nicht luög-
lieh ist, diese Ansichten hier im Einzelnen kurz wieder-
zugeben, so sei hinsichtlich dieses Punktes auf das vor
Kurzem erschienene, .sehr interessante Buch des Professors
Dr. A. Tschirch in Bern: „Das Kupfer vom Stand-
punkte der gerichtlichen Chemie, Toxikologie
und Hygiene u. s.w." (Stuttgart, F. Enke, 1893) ver-
wiesen, welches neben il.:'n eigenen Forschungen des Ver-
fassers auch die sehr ausführliche Litteratur der Kupfer-
frage in ihrem ganzen Umfange enthält.
Im Xaehfolgenden werde ich alsf» vorwiegend nur
die Ergebnisse neuerer Untersuchungen, betreffend die
Aufnahme und Si)eicherung des Kupfers durch die i'tianze,
anführen und im Anschluss daran einige Versuche über
das Verhalten der Pflanzenwurzeln gegen Kupfcrsalz-
lösungen mittheilen, welche ich vor einiger Zeit im ]>flanzen-
physiologischen Institut der Kgl, Landwirthscbaftlicheu
Hochschule zu Berlin ausgefülirt habe.
Schon im Jahre 1832 hat de CandoUe^'O die An-
sicht vertreten, dass das Kupfer von den Pflanzen auf-
genommen werden kann, und nach den Untersuchungen
Forschammers**), im Jahre 18.55, gehört da.sselbe zu
*) Physiologie vegetale ISS'i 1, S. 889.
**) Poggend. Ann. XIV S. 60; Jahrbueli der Clieiiiio 185,0,
VIII, S. 987.
den von den Pflanzen aus dem Boden aufnehmbaren Me-
tallen, und zwar sind es nach der Ansicht dieses Forscliers
die Alkalichloride, welche das Kupfer im Boden hislich
machen. Gorup-Besanez*) zog dann einige Jahre
später (1863) Pflanzen (Polygonum Fagopyrum,
Pisum sativum, Seeale cereale) in mit Kupfer-
carbonat gemischtem Boden, vermochte aber nicht Kupfer
in der Ernte nachzuweisen.
Entgegen dieser letzteren Ansicht sprechen dann für
die Aufnahme von Kupfer durch die Pflanze neuei-e
V^ersuche von Francis Phillipps (1882)**) mit Kupfer-
carbonat bei Geranium, Colea, Ageratura, Achy-
ranthes nnd Viola tricolor. Ebenso wies Freitag
(1882)
in
den Blattern der Eichen und Birken bei
Mansfeld Kupfer nach und glaubt, dass Kupfer in grösserer
oder geringerer Menge von der Pflanze absorbirt werde.
Hierzu im Gegensatz soll wiederum nach im botanischen
Garten zu Erlangen angestellten Versuchen f) (1888)
Kupfer nicht von der Pflanze aufgenommen werden.
Auch A. Tschirch hat sich, wie erwähnt, in neuester
Zeit sehr eingehend mit dieser und anderen, das Kupfer
betreffenden Fragen beschäftigt. Nach seinen im Jahre
1891 und 1892 mit Kupfersulfat bei Weizen und Kartoffeln
angestellten Versuchen -ff) wird das Kupfer unzweifelhaft
von den Pflanzen aufgenommen, und zwar mehr bei
doppelter als bei einfacher Kupferung; aber seihst bei
starker Kupferung des Bodens nur in geringer Menge.
Eine schädliche Wirkung des Kupfers auf die Pflanzen
beobachtete Tschirch bei diesen Versuchen nicht, obwohl
auf eine 2 qm grosse Fläche im Ganzen 4 kg Kupfer-
*) Ann. d. Cheni. u. Pharm, L8G3. S. 243.
**) Cheni. News XLM, 1882, S. 224.
***) Bot. Centrallil. Xll, 1882, S. 127.
t) Bot. Centralbl. 1888, S. 36.").
tt) Tschirch: Das Kupfer u. s. w., Stuttgart, F. Knke,
189;}, S. 13 u. folg.
566
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 51
Sulfat gebracht waren; die Pflanzen entwickelten sich
normal, trugen normale BlUthen und Früchte, während
nach Francis Phillipps*) grössere Mengen Kupfers
giftige Wirkungen auf die Pflanzen ausüben sollen, indem
(lie Ausbildung der Wurzeln gestört, die Lebensthätigkeit
der Pflanzen geliennnt oder die Pflanzen auch ganz und
gar getödtet werden. (Nach Tscliirch mag dieses für
Niihrstofflösungen zutreffen, wo die Wurzeln in der
Kupfersulfatlösung schweben und noch ganz andere Wir-
kungen mit im Spiele sind, für den Boden nicht.)
Nach Tschirch's weiteren Untersuchungen ist die
lebende Pflanze im Stande, Kupfer sowohl durch die
Wurzeln als auch durch die Epidermis aufzunehmen, und
wird es auch immer aufnehmen, wenn es iiir im Boden
geboten wird. Da nach diesem Forscher aber wohl alle
Ackerböden Kupfer enthalten, so ist die Möglichkeit auch
nicht ausgeschlossen, dass auch alle Pflanzen kleine Mengen
davon aufzunehmen vermögen.
Haselhoff**) hat dann vor Kurzem bei seinen Unter-
suchungen über die schädigende Wirkung von kupfer-
sulfat- und kupfernitrathaltigem Wasser auf Boden und
Pflanzen unter anderem gefunden, dass kupfersalzhaltige
(kupfersulfat- und kupfernitrathaltige) Rieselwasser die
Pflanzennährstofl'e des Bodens, besonders Kalk und Kali,
lösen und auswaschen, während dabei Kupferoxyd vom
Boden absorbirt wird. Bei fortdauernder Berieselung
kann durch diese Absorption dann schliesslich soviel Kupfer
im Boden angehäuft werden, dass dasselbe auf die Pflanzen
schädlich wirken und die Fruchtbarkeit des Bodens ver-
mindern muss. — Weiter zeigten Wasserkulturversuche
ndt wachsenden Pflanzen (Mais und Pferdebohnen) in
kupfersulfathaltigem Wasser beim Mais eine schädliche
Wirkung des Kuitfersulfats bei 0,005 gr. CuO pro
1 1. ; bei den Bohnen hingegen eine nachtheilige Wirkung
auf das Wachsthum erst bei 0,010 gr. CnO pro 1 1.
Grössere Mengen Kupferoxyd Hessen die Krankheits-
erscheinungen um so schneller und intensiver auftreten.
Nach Haselhoff's Versuchen sind mithin lösliche Kupfer-
salze für die Pflanzen schädlich, diese schädigende Wir-
kung tritt bei einem Gehalt von 0,010 gr. CuO pro
1 1. auf, während bei 0,005 gr. CuO pro 1 1 noch
keine durchgreifend schädliche Wirkung vorhanden ist.
Schliesslich haben auch meine eigenen Versuche***),
welche ich zur Entscheidung obiger und ähnlicher Fragen im
Sommer 1891 im pflanzenphysiolog. Institut der Kgl. Land-
wirthschaftl. Hochschule zu Berlin nach Art der Wasser-
kulturcn mit mehr oder weniger kupferhaltigen und kupfer-
freien Lösungen bei verschiedenen Pflanzen angestellt habe,
ergeben, dass in der That das Kupfer giftige Wir-
kungen auf die Pflanzen ausübt, die Ausbildung
der Wurzeln stört und die Lebensthätigkeit der
Pflanzen hemmt oder dieselben gar tödtet, wenn
die Pflanzen mit ihren Wurzeln nach Art der
Wasserkulturen in mehr oder weniger concen-
trirten Kupfersulfatlösungen wachsen.
Meine Versuche bezweckten im Wesentlichen Folgendes:
1. einmal genauer morphologisch die Ausbildung des
Wurzelsystems, sowie auch der oberirdischen Theile
bei verschiedenen Pflanzen (Phaseolus vulgaris,
Zea Mays, Pisum sativum) zu verfolgen, wenn die-
selben längere Zeit mit ihren Wurzeln in Kupfer-
sulfatlüsungen sowie in destillirtem und Wasser-
leitungs-Wasser wachsen,
**) Landwirth. Jahrb. Bd. XX, 1891, S. 2Ö1.
***) Ausfülirlicher sind dieselben initgethoilt uuter dem Titel :
„Untersucliungen über das Verhalten der PHanzenwurzeln gegen
Kupl'ersalzlösungen'' (Zeitscln-il't für PHanzcnkrankbeiten, 1893,
Bd. III, Heft üj.
2. festzustellen, ol) sich in diesen Fällen Kupfer in der
Wurzelmasse in bedeutenderer Menge ansammelt,
ob dasselbe also in dieser sehr löslichen Form
von den Wurzeln mit Begierde aufgenounnen wird
und als solches in den Wurzeln resp. den ober-
irdischen Tbeilen naclizuweisen ist.
Ueber die Versuche im Einzelnen, sowie die Versuchs-
anstellung selbst sei auf meine oben citiite ausführlicliere
Abhandlung in der Zeitschrift für Pflanzenkraidvlieitcu,
1893, Bd III, Heft G, verwiesen.
1. Die Versuche mit Phaseolus vulgaris in
destillirtem Wasser, Leitungswasser und Lei-
tungswasser mit Knpfersalzlösung ergaben unter
anderem, dass für Phaseolus eine verdünnte Kupfer-
salzlösung (0,00699 gr CuO pro 1 1), selbst wenn die Wur-
zeln in dieselbe eintauchen und sich eigentlich recht ab-
norm entwickeln, doch nicht allzu schädlich zu sein sclieint,
wie ja auch nach dem Versuch von Haselhoff bei der
Bohne die schädliche Wirkung erst bei 0,010 gr CuO pro
1 1 eingetreten ist. Die Wurzeln der Pflanze waren fast
ausnahmslos stark gebräunt, einige jüngere, noch weisse
Wurzeln zeigten auch schon mehr oder weniger kranke
Stellen. Die" Bräunung war stets am stärksten an den
Endt'n der Wurzeln und den Ansatzstellen der Neben-
wurzeln.
Die chemische Untersuchung der Gesammtvvurzelmasse
auf Kupfer ergab bloss mit Ammoniak eine ganz minimale
Blaufärbung, "welche also nur auf eine sehr geringe
Spur Kupfer in der Wurzelmasse deutet, während mit
Schwefelwasserstoff" und Ferroeyankalium keine Kupfer-
reaction erhalten wurde. Die auf gleiche Weise unter-
suchten Sprosse (Stengel nebst Blättern) Hessen hingegen
nicht die geringste Spur Kupfer mit diesen drei Eca-
gentien erkennen.
Die Phaseoluspflanze hatte also trotz ihres krank-
haften und kümmerlich ausgebildeten Wurzelsystems keine
irgendwie erhebliche :\Ienge Kupfer von der Kupfer-
suifathisung (6,99mg CuO enthaltend), in welcher die Pflanze
sich mit ihren Wurzeln über 4 Wochen befunden, in den
Wurzeln gespeichert. Und noch viel weniger hatte sich
Kupfer in den oberirdischen Theilen der Pflanze angehäuft.
2. Die Versuche mit Maispflanzen in Leitungs-
wasser, destillirtem Wasser, verdünnter und con-
centrirter Kupfersulfatlösung, wo je 4 ursprünglich
normale Pflanzen in Lösungen, die, wie folgt, zusannnen-
gesetzt waren:
A. B.
3,5 1 VVasserleitungs - Wasser Zfi I destdhrtes Wasser + 1 1 5 ecni
+ 17.5 com Normahuilirstott- Normalnährstofl'lösung.
lösung.
t .
3,5 1 Wasserl.-Wasser + 175 ecm
Noruiahiährstofflüsung-fO,078 gr
Kupfersulfat = 0,0fit7gr Cu.
wuchsen, ergaben, dass alle 4 Pflanzen der Culturen
A., B. und ganz besonders bei C, während sich die
Pflanzen 3 Wochen lang in der Kupfersulfatlösuug ent-
wickelt hatten, auch nicht die geringste Spur Kupfer
in den Wurzeln gespeichert hatten. Dagegen
zeigten sänuntliche Pflanzen in C. eine ganz anormale
unterirdische, wie oberirdische Entwickelung, die
nur auf die Anwesenheit des Kupfersalzes in der
Culturlösung zurückzuführen ist.
Die in der Gesannntwurzelmasse aUer 4 Pflanzen von
der Cultur D. angetroffene, sehr minimale Spur Kupfer
(sehr geringe Blaufärbung mit NHg) Hess sich quantitativ
gar nicht bestimmen, so dass also auch in diesem Falle
wohl kaum von einer Si)eicherung von Kupfer in der
Wurzel gesprochen werden kann. Andererseits trat aber
I
D.
3,51 Wasserl.-Wasser -\- 175 ecm
Norinalnilhrstott'lösung+0,15Ggr
Kupfersulfat = 0,0394 gr Cu.
Nr. 51.
Natnrwissenscliai'tliche Wochenschrift.
nCu
auch liier wieder der scli;ldii;ende Einflus.s des Kupfer-
salzes auf die Wurzeln sowohl wie auf die oberirdischen
Theilc sehr deutlich hervor.
3. Die in ganz gleicher Weise, wie bei B., mit
Erbsenpflanzen ausgeführten Versuche in Lei-
tungswasser (A.), destillirteni Wasser (ß.), ver-
dünnter (C.) und concentrirter (D.) Ku|)fersulfat-
lösuug zeigten bei der späteren cliemisciien Prüfung auf
Anwesenheit von Kupfer in den Wurzeln als auch in den
oberirdischen Theilen (von je 4 Pflanzen) folgendes:
A.
ganz
frei
mz frc
Unterirdi.se li:
gunz frei eine geringe
Spur (aehv ge-
ringe Färbung
mit NH,).
0 Vi e r i r d i s c h :
ganz frei. ganz frei.
D.
eine Spur (ge-
ringe Färbung
mit NH,i).
ganz frc
Es war also auch liier bei je 4 Erbsenpflanzen die
Kupferaufnahnie in den Wurzeln, nachdem dieselt)en über
41/0 Wochen sich in der Kupfersulfatlösung befunden hatten,
eine äusserst minimale und quantitativ durchaus
nicht bestimmbare, während die oberirdischen
Organe vollständig frei davon waren. Sehr hervor-
tretend war dagegen auch im vorliegenden Falle eine
durcli die Gegenwart des Kupfersullats veranhisste Schädi-
gung sowohl der Wurzeln als auch der oberirdischen
Theile aller Pflanzen in C. und D.
Diese Versuche zeigen also auch, wie dies ja schon
Haselhoff (1. c.) ausgesprochen, dass die Pflanzen in
ku])fersulfathaltigeni Wasser geschädigt werden; das
Wurzelsysteni erfährt eine ganz abnorme Ausbildung,
ebenso die oberirdischen Theile.
Andererseits haben sie dargethan, dass die Pflanzen
(Bohnen, Mais, Erbsen) selbst bei langem Verweilen ihrer
Wurzeln in einer verhältnissmässig concentrirten Kupfer-
sulfatlösung so gut wie gar kein Kupfer aufgenonimen
haben. Würde man andernfalls nicht in der Gesammt-
wurzelmasse (von 4 Pflanzen) bei der den Pflanzen zu
Gebote gestandenen bedeutenden Kupfermenge auch mit
den anderen Reagentien (Seh wefcl wasserstofl' und Ferroeyan-
kalium) Kupfer-Keactionen erhalten haben und nicht bloss
eine ganz minimale Blaufärbung mit Ammoniak"? Das
lebende Protoplasma lässt jedenl'alls das Kupfer osmotisch
sehr schwer oder vielleicht gar nicht eindringen. Augen-
scheinlich kann aber die Berührung mit Kupferlösung für
die Zelle tödtlich wirken; in todte Zellen aber wird natür-
lich Kupferlösung eindringen. Sonst hätte sich das Kupfer,
wenn es wirklich in irgendwie erheblicher Menge von
diesen Pflanzen aufgenommen wäre, auch wohl in den
oberirdischen Theilen nachweisen lassen müssen, was auch
niclit der Fall gewesen.
Es erscheinen auch mir, ebenso wie liumni=-j, nacii
dem Vorstehenden die Resultate von Pichi**) höchst
unwahrscheinlich, welcher nach Zuführung sowohl von
gelöstem als auch von gepulvertem Kupfersulfat durch
die Wurzeln bei der betretfenden Pflanze Krystalle von
Kupfervitriol im Innern der Mcsophyllzellen, namentlich
in der Nähe der Mittellippen, mikroskopisch gefunden
haben will. Hiernach mUsste ja das Kupfer in ausser-
ordentlich grosser Menge ohne Schaden von der Pflanze
aufgencnnmen sein; das scheint aber nach den vorstehenden
Untersuchungen sehr wenig wahrscheinlich, ganz abgesehen
davon, dass nach Untersuchungen von Nägeli Kupfer ein
sehr scharfes Gift für Pflanzenzelleu ist.
*) Ber. d. Deutsch, bot. Ges., 1893, Bd. XI, S. 79 u. folg.
**) Lltalia agricola, 1889, No. I, ferner Bolletino della Soeieta
Italiana, 1892, S. 203.
65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg
vom 11. bis 15- September 1893.
VI.
V. Henseu: Mittheilung einiger Ergebnisse
der Plankton-Expedition der Humboldt-Stiftung.
— Die untersuchte Meeresstrecke hat gut 15 000 See-
meilen betragen. Am 18. Juli schwammen wir nördlich
Schottland auf dem einsamen Ocean. Einsam in Bezug
auf jedes sichtbare Leben, denn nach den von Dr. Dahl
ausgeführten Zählungen aller deutlich sichtbaren Vögel
wurde auf unserer Reise 28 Tage lang überhaupt kein
Vogel gesehen, nnd in 67 weiteren Tagen wurden nur
71 Vögel gezäiilt. In dieser Richtung erwies sich der
Ocean etwa 160 mal einsamer als die Mitte der Nordsee,
wo es doch schon einsam genug ist!
Das Fundament für unser Unternehmen bildete erstens
die Zuversicht, dass meine Fangmethode sieh bewähren
werde. Diese besteht hauptsächlich darin, dass ein
grosses Netz aus sehr feinmaschigem Zeug mit relativ
engem kaum meinem Brustumfang entsin'echenden Ein-
gang leer in die Tiefe hinaligesenkt und dann tischend
vertical in die Höhe gezogen wird. Dadurch sollte eine
für die specielle Untersuchung und Zählung ausreichende
Menge der in den verschiedenen Tiefen unter der Olieifläche
sich aufhaltenden Organismen gewonnen und wohlerhalten
zu Tage befördert werden. Früher hatte man die Netze
lediglich horizontal gezogen und an die Möglichkeit nicht
geglaulit, durch einfachen verticalen Aufzug, genügendes
Material zu erhalten; da ich aber mein Verfahren schon
vielfach und sogar auf dem Ocean selbst geprüft hatte,
durfte ich dessen sicher sein. Ich hatte einzig die Be-
fürchtung, dass die Fänge vielleicht zu gross ausfallen und
das Netz verstopfen könnten, aber das ist nicht einge-
treten, die 3Iethode hat sieh bewährt. Wir bekamen
also bei einem Zug aus gleicher Tiefe ein Filtrat gleicher
Wa.sserinassen und den Inhalt aller Schichten einer gleich
langen und gleich dicken Wassersäule und konnten nicht
nur relativ, sondern auch, in Folge von Bestimmungen
über die Durchlässigkeit des Netzzeuges, absolut bestimmen,
was sich unter einer Meeresoberfläche von entsprechender
Grösse vorfand.
Unser Fundament bildete zweitens die Hoffnung, dass
die Organismen im Meere gleiehniässig genug vertheilt
seien, um zu erlauben, aus regelmässigen Stichproben
einen Rüekschluss zu machen auf das Verhalten weiter
Mecresstrecken, d. h. auf Flächen von tausenden von
Quadratkilometern. Diese Hoffnung beruhte auf meinen
praktischen Erfahrungen in der Ostsee, die trotz relativ
ungünsliger Verhältnisse schon eine grosse Gleiclimässig-
keit in der Vertheilung des Planktons erkennen Hessen,
ferner auf der Erwägung, dass bei den so gleichartigen
Lebensbedingungen in dem Ocean die Vertheilung kaum
anders als gleiehniässig sein könne. In der Thal \\ ird
wegen der absoluten Abhängigkeit der Producti<in be-
lebter Materie von den äusseren Bedingungen eine Ver-
änderung der i'inen xon einer Veränderung der anderen
begleitet sein müssen.
Unser Ergebniss ist gewesen, dass diese meine Hoff-
nung sich in ausgedehnterem Maasse bestätigt, als ich
erwartete. Man kann sich vcrhältiiis.-^niässig leicht eine
568
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 51
ziemlich erschöpfende Kunde über den Inhalt weiter
Meeresstrecken verschaifen. Die l)eziigliche Erfahrung-
möchte ich in folgender Weise illustriren. Wäre ein
Htromgebiet des Oceans über Europa ausgebreitet und
fischte das Planktouuetz hier über Nürnberg, so würde
es bei einem bald darauf über München, Wien und Berlin
gemachten Zuge beinah in allen Beziehungen das Gleiche
fangen. Von den etwa 300 Formen, die bei der Zählung
der Fänge leicht unterschieden werden können, würden
vielleicht ein oder zwei seltenere Wesen, die hier ge-
funden wurden, dort ausfallen, dafür würde dann etwa
die gleiche Menge neuer Formen an jenen Plätzen auf-
treten. Im Uebrigen würde nicht nur dasselbe Verhält-
niss der Organismen zu einander, sondern auch dieselbe
absolute Zahl gefunden werden bis zur Genauigkeit von
im Mittel ± 20"/,,. Jetzt hegen auf festem nicht culti-
virtem Lande die Verhältnisse so, dass selbst bei langem
Suchen hier und dort kein Fleckchen gleicher Grösse ge-
funden werden dürfte, dass eine entsprechende Gleichheit
aller Bewohner aufweisen könnte. Man hat auch keinen
Grund, auf dem Lande Gleichheit zu erwarten, falls sie
nicht durch Cultur erzeugt worden ist.
Als Grundlage für die Expedition diente drittens fol-
gende Ueberlegung. Die Huminsubstanzen der Erde ent-
wickeln fortwährend Kohlensäure; verschiedene Arten
von Bacterien arbeiten daran, die Ammoniak- und Amid-
Verbindungen des Hunnis zu Gunsten der Pflanzen in
salpetrige und Salpetersäure zu verwandeln, unter Um-
ständen sogar den Stickstotf der Luft zu binden. Das
Gestein und die Formation der Oberfläche bietet die
mannigfaltigste Gelegenheit zur Entwickelung von Lebens-
gemeinschaften. Neben einander liegen Gebirge und Thäler,
Wald, Feld, Wiese, Haide und Moor, Seen, Flüsse und
Bäche, alle mehr oder weniger reich von Pflanzen über-
wachsen und mit einem Ueberfluss von Verstecken in und
auf der Erde versehen. Dazu kommt die mehr oder
weniger strenge Isolirung kleinerer oder grösserer Land-
flächen durch Wasser, Gebirge oder Wüsten. Diese Iso-
lirung kann besondere Entfaltungen der Fauna und Flora
bedingen. Darum findet man einen grossen Reichthum
mannigfaltigster Lebensformen in verschiedenartigster
Mischung hart neben einander. Diese sind in so viel-
fältiger Weise geschützt nnd ganz oder doch mit ihren
Wurzeln verborgen, dass sie unübersichtlich werden und
der Quantität nach nicht erfasst werden können.
In gleicher, nur weniger verwickelter Weise verhalten
sich die Lebensgemeinschaften an den Küsten, wo die
Organismen immer noch festen Boden und mancherlei Ver-
stecke finden.
Ganz anders liegen die Dinge auf hoher See. Hier
liegt der Grund so ausserordentlich tief, dass eine Ver-
bindung zwischen ihm und der Oberfläche nicht nachzu-
weisen ist und jedenfalls kaum in Betracht kommt. Es
fehlen im Oberflächenwasser alle Verstecke und die
Lebensbedingungen müssen sehr einfache sein, sobald
nur die Küsten nicht mitzählen. Sonne, Regen und Wind
sind die drei Urfactoren, die einen Wechsel hervorbringen
und den Zufluss von Energien vermitteln. Diese Factoren
können sieh zwar sehr verschieden combiniren, aber
immerhin sind diese Combinationen verglichen mit den
Verhältnissen auf dem Lande wenig zahlreich und werden
darum eher dem menschlichen Verständniss zugängig sein.
Daher, so meinte ich, wird man nirgends so tief in die
Lebenswege, in das Nebeneinander der Organismen, in
die Geschichte ihres Entstehens und ihres Vergehens, in die
Abhängigkeit der Arten von den unorganischen Bedin-
gungen einzudringen vermögen, als in den Oceanen. Das
Leben in diesen scheint überdies am wenigsten von allen
jenen Revolutionen betroffen werden zu können, die auf dem
Festlande so unendlichen Massen von Lehensformen im
Verlauf ungemessen langer Perioden den Untergang
gebracht haben. Das haben für die Tiefsee-Thiere auch
in der That die Untersuchungen von AI. Agassiz und An-
deren, die manche für untergegangen gehaltene Typen
noch lebend aufgefunden haben, und die Erfahrungen der
Paläontologen, die einige noch heute lebende Seethicrc
in den ältesten Ablagerungen wiederfinden, genügend er-
wiesen.
Dies war der Standpunkt, auf den ich, nach Allem,
was damals bekannt war, bei dem Antritt der Expedition
mich zu stellen ein Recht hatte. Es fragt sich nun, wie
sich unsere Ergebnisse zu diesen Erwägungen verhalten.
Ich kann sagen, dass die Erfahrungen, die wir gemacht
hallen, die dargelegten Ansichten durchaus stützen, dass
aber darüber hinaus unsere Einsicht in den Lebensstrom,
der dem Ocean eut(]uillt, geklärt und gewachsen ist.
Es hat sich ergeben, dass die Annahme, Wind,
Sonnenschein und Regen allein erzeugten und erhielten
das Leben im Ocean, unrichtig ist. Diese Erfahrung ist
gegenüber der grossen Genügsamkeit mancher Land-
pflanzen recht autt'allend; ob nicht doch durch die ge-
nannten Urfactoren allein das Leben dauernd unter-
halten werden könnte, weiss ich nicht, aber im Ocean
unterhalten sie es thatsächlich nicht allein, denn es kommt
eine nenuenswerthe Masse von Stoff" hiir/>u, den die
Küsten, den die Flüsse, den das Festland fortwährend an
das Meer abgeben.
Durch unsere Expedition wird festgestellt, dass sich
überall in den von uns befahrenen Theilen des Meeres
Bestandtheile der Küstengewässer vorfinden und dass es
nicht allzu lange Zeit gedauert haben kann, ich meine
Iniclistens ein Jahr, bis Theile des Küstenwassers in die
'SliüQ des Oceans gelangt sind. Der langwierige Streit
über die Sargassowiesen mitten im Atlantic dürfte durch
unsere Expedition definitiv dahin erledigt sein, dass die
Pflanzen vergehende Theile der Küstenbewachsung sind.
Grosses Gewicht ist ferner darauf zu legen, dass wir
überall ziendich zahlreiche Larven von Thieren nach-
weisen, die nur von den Küsten herstammen können,
Larven von höheren Krebsen, von Schnecken, von Muscheln,
von Seesternen und von Actinien, ja sogar eine ]\lilbe
der Flussmündung bei Para wurde von Hrn. Dr. Lohmann
600 Seemeilen vom Laude treibend aufgefischt. Wo wir
mit unserem kleinen Netz auch nur ein Thier fingen,
haben wahrscheinlich Milliarden desselben getrieben.
Diesen Thatsaehen reiht sich die wichtige Erfaln-ung an,
dass die hohe See entschieden arm an Masse der trei-
benden Organismen ist, ärmer als die Küste; diese ist
wiederum ärmer als die Buchten und Flussmündungen.
Die eigentlichen Brackwasser zeigten mir freilich eine
etwas verminderte Fruchtbarkeit, aber nach den cpianti-
tativcn Untersuchungen des Hrn. Dr. Apstein sind wieder-
um viele Landsecn l)cdeutend reicher an treibendem Ma-
terial als die Buchten der Küste.
Es ist schon durch die Challenger-Expedition erkannt
worden, dass die Bewohner der oceanischen Tiefen an-
zusehen sind als von den Küsten her ausgewanderte und
dann modificirte Formen; es liegt nahe, zu fragen,
ob Aehnliches für die Wesen des Planktons anzunehmen
sei? Ob etwa gar der Wohnsitz der treibenden Bewohner
des Oceans nur an den Küsten ab hängen liege, da,
wo der Grund noch erreichbar, nur bis 100 und 1000 m
abfällt. Die bisher vorHegenden, niemals quantita-
tiven Untersuchungen schienen diese Möglichkeit nicht
sicher auszusehliessen. Unsere Expedition verneint für
die gegenwärtige Zeit ein solches Verhalten, denn wir
finden zwar bei xVnnäherung an die Küsten und bei län-
gerer Fahrt nahe dem Abfall in die Tiefe eine gewisse
Nr. 51.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
h(\'.}
Verniehning der meisten Pianlcton-Organismen, aber diese
Vermehrung ist nicht entfernt s o gross, dass man die
Fänge mitten im Ocean lediglich aus einer Zerstreuung
der an den Küsten entstehenden Massen deuten könnte.
Ferner ist die Thatsache ausgiebig festgestellt worden,
dass es eine Reihe von Thieren giebt, die sicli n u r auf
hoher See finden, die aber in der Nähe der Küsten,
selbst schon über Tiefen, die mehr als 400 Meter be-
tragen, verschwinden oder nur in grösster Spärlichkeit
angetroffen werden. Auf Bermuda lagen wir im Gezeiten-
strom nur 500 Meter von der freien See entfernt, wo die
Küste rasch zu grossen Tiefen abfällt. Trotzdem war
das Plankton völlig verändert. Ein Zug fing dort z. B.
3821 Larven von Borstenwürmeru, während die 10 be-
nachbarten Hochseefänge davon zusammen 41 Stück er-
gaben. Die Krebsgattung der Corycäiden war auf Ber-
muda gar nicht vertreten, während die 10 Fänge aus der
Nachbarschaft davon 3177 Stück ergaben; ähnlich war der
Unterschied bezüglich sehr vieler anderer Formen. Ich ver-
mag noch nicht diesen merkwürdigen Ausfall der Hochsee-
thiere in einem gleichsalzigen und gleichwarmen Küsten-
wasser theoretisch zu begründen. Dass eine besondere
Fauna auf der hohen See ausgebildet ist, hat man schon
seit langer Zeit angenommeu, eine genaue Abgrenzung
derselben wird von der Expedition mit Hülfe vieler nume-
rischen Beispiele vorgenommen werden können. Trotzdem
also der atlantische Ocean überall eine gewisse, wenn
auch nicht allzugrosse Zufuhr von Stoffen und Organismen
aus dem Lande und von den Küsten erhält, hat sich doch
in ihm ein besonderes, selbstständiges Leben entwickelt.
Dementsprechend sieht man in den tropischen Theilen des
Oceans rings um das Schiff die fliegenden Fisclie sehweben,
Physalien mit ihren faustgrosseu violetten Schwimmblasen vor
dem Winde treiben, die weiss schimmernden Kämme der
Velellen hin und her kreuzen, und bei stehendem Schiff
Porpiten, die kleinste Art der Segelqualleu, auf der
Wasserfläche dahin gleiten. Dann sieht man auch die
kleinen Seespinnen auf den Wellenkänmien laufen, die
mehr als fingerlangen Schleimmassen gewisser Radiolarien-
colonien stossen gegen die Oberfläche, während in der
Tiefe einige Fische, Rippencjuallen, Pyrosomen, Salpen,
Siphonophoren und selbst manche Krustenthicre dem auf-
merksamen Auge erkennbar werden. Im Norden mit
seinem trüberen Wasser sieht man freilich nichts von
diesen Thieren, aber das Netz füllt sich mehr mit Thieren
und Pflanzen als im Süden. Die Körper dieser Organis-
men gehen bis zu unsichtbarer Kleinheit hinab, immerhin
findet diese Kleinheit eine Grenze, die, wie Hr. Sachs
ausgeführt hat, durch das Raumerforderniss des Zellen-
inlialts bedingt wird, aber auch wohl durch die absolute
Grösse des Eiweissmoleküls angewiesen sein dürfte. Ab-
gesehen von einigen spärlich vorkommenden Bacterien
überschreiten selbst die kleinsten Formen um ein Viel-
faches, die Grösse der menschlichen Blutkörperchen. Diese
kleinsten Formen stehen an Häufigkeit stets und entschie-
den den grösseren einzelligen Wesen nach. Ich habe mir
im Verein mit Hrn. Dr. Schutt auf einer früheren Fahi-t
in den Ocean grosse Mühe gegeben, durch möglichst
dichtes aber noch durchlässiges Zeug selbst die sehr
kleinen Formen alle zu gewinnen, aber dabei vermehrte
sich ihre relative Anzahl nicht erheblich, so dass icli
die Dichte des für das Planktonnetz gebrauchten Zeuges
für ausreichend halten darf, um uns, wenn auch
nicht die ganze Masse, so doch eine genügende An-
zahl der verschiedenen kleinsten Formen vor Augen zu
führen.
Sobald man die Verhältnisse auf dem Lande zum
Maassstab ninmit, fällt es recht auf, dass das gleichzeitig-
vorhandene Volumen an Pflanzen gegen das vorhandene
Thiervolumen sehr zurücktritt. Das ist ein ausgesprochener
Charakter des Hochsce- Planktons.
Die nähere Untersuchung der Fänge ergiebt, dass
die verschiedenen Theile des Oceans trotz ihrer voll-
ständigen und l)reiteu Continuität verschiedene und cha-
rakteristische Bewohner hal)cn. Nicht nur, dass in den
grösseren Tiefen bis mindestens 5000 Meter hinab ganz
besondere Formen, wenn auch in grosser Zerstreuung,
leben, was zuerst Hr. Chun nachgewiesen hat, son-
dern die Oberfläehenbewohner halten sich zu einem
gewissen Tlieil streng an gesonderte Provinzen, d. h. nur
dort können sie leben, in anderen Regionen gehen sie zu
Grunde. Durch den Florida- und Golfstrom ist der Süden
scharf vom Norden getrennt, im Süden und im Norden
unterscheiden sich viele Bewohner des Ostens von denen
des Westens, doch sind namentlich im Süden, der eine
grössere Mannigfaltigkeit von Gestalten aufweist, noch
weitere, besondere Gebiete zu unterscheiden. Diese
Scheidung ist nicht so zu verstehen, dass in jedem Bezirk
nur neue Formen auftreten, sondern so, dass einige Arten
auf bestimmte Kreise beschränkt sind, während sich an-
dere, ja die Mehrzahl, auf sehr weite Regionen hin aus-
dehnen, oder gar kosmopolitisch sind. Wir haben viele
Formen, die sich ausgesiirochen in der einen, viele, die
sich deutlich in der anderen Weise verhalten, selbstver-
ständlich finden sieh dann auch Zwischenformen. Die
Untersuchungen sind aber noch nicht weit genug fort-
geschritten, um ganz allgemeine Angaben machen zu
krmnen. Man kann gespannt darauf sein, wie sich dabei
die absoluten Mengenverhältnisse herausstellen werden.
Ich kann berichten, dass innerhalb der einzelnen Genera
die weitverbreitetsten Arten an Menge der Individuen
ausserordentlich die engverbreiteten .\rten übertreffen und
dass die letzteren da, wo sie vorkommen, nicht gerade
besonders gut zu gedeihen pflegen, die einen besser, die
anderen schlechter, einige sehr wenig gut. Mehrfach
wiederholt es sich für ein Genus, dass die am weitesten
verbreitete Art gegen 50 "/u f^er ganzen Genussunmie, die
enger verbreiteten 30 "/q, 10 %, 7 "/o ausmachen, während
auf die ziemlich häufig gefundenen, ganz eng begrenzten
Avteu nur 1 7o oder weniger fallen. Es fragt sich, wo-
durch ein so eigcnthümlichcs Verhalten zu erklären istV
Dass die bctrefi'cnden Formen besonders wählerisch und
zart sein, dass sie einen nur feinen Lebensfaden haben
werden, darf wohl angenommen werden, aber warum sind
sie so beschaffen? Sind es neu entstehende, sind es alte
vergehende Formen, oder floss vielleicht gerade in der
Periode unserer Reise die ihnen adäquate Nahrung be-
sonders spärlich? Letztere, scheinbar am nächsten lie-
gende Erklärung nuichte ich nicht gelten lassen, denn hei
der Gleichförmigkeit der Zustände auf der See, Itci der
Gleichniässigkeit des Klimas in den Tropen, findet sie zu
wenig Unterstützung; namentlich aber sind die selten vor-
kommenden Arten fast immer neu, die weitverbreiteten
fast immer schon beschrieben. Kämen von den selteneren
Arten zu anderen Zeiten grössere ]\Iengen vor, so wären
sie sicher schon aufgefunden worden. Würde es sich bei
dieser Sache nur um einzelne Arten weniger Familien
handeln, so wäre es wohl aussichtslos, nach dem „wes-
halb'- zu fragen, da uns aber mit numerischen Angaben
gestützte und zahlreiche Beispiele aus den verschiedensten
Pflanzen- und Thierfamilien vorliegen werden, so lässt
sieh mancher Beitrag zu dieser, die Descendenzlein-e Ite-
rührenden Frage erwarten.
Es wird festgestellt, dass Arten eines Genus, die zu-
nächst auf Grund bestinnnter Structuren von den anderen
Arten des Genus unterschieden werden, sich überdies
noch dadurch auszeichnen, dass sie riiuiidich, also in ,Vb-
hängigkeit von physikalisch - geographischen Zuständen
570
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 51
enger oder weiter verbreitet sind, und dass sie mit ab-
solut i;erini;er oder grosser Individuenzalil in die Masse
des Genus und in die Masse aller Meeresorganismen ein-
gehen. Durch diese Feststellungen werden eine Anzahl
einfacher Gleichungen gewonnen, die es g-estatteu sollen,
falsche Vermuthangen zu eliminiren und eine oder die an-
dere unbekannte Grösse zu bestimmen, d. h. auf andere
Grössen zu reduciren.
Natürlich uiuss man der Daten, auf die man sich
stützen will, sicher sein. lu einer grossen Reihe von
Gattungen, namentlich unter den einzelligen Wesen, haben
wir alle bisher bekannten inid eine grosse Zahl unbe-
schriebener Formen erworben. Das giebt aber keinen
genügenden Maassstab, weil man sich früher mit so kleinen
Wesen der Hochsee wenig beschäftigte. Von höheren
Organismen sind, soweit bis jetzt die Untersuchung reicht,
viele Familien in unseren Fängen vollzählig vertreten, so-
fern sie in unserem Gebiet, also südatlantischer, arc-
tischer und antarctischer Ocean, Mittelmeer und Nordsee
ausgeschlossen, gefunden worden sind. Zu den 17 bisher
in dem Atlantic beschriebenen Salpeu und Dolioliden hat
Hr. Traustedt zwei neue Salpen hinzufügen können.
Eine, behufs der zonalen Vertheilung fortgeführte Unter-
suchung der Hrn. Borgert und Apsteiu hat ergeben, dass
jedenfalls alle Dolioliden und alle schon bekannten
Salpen gefangen wurden. Für die höheren Krebse lässt
sich aus der 15earl)eitung von Hrn. Dr. Ortniann ent-
nehmen, dass zu den etwa 47 bisher sicher als den
pelagischen Hochseeformen zuzuzählenden Dekapoden
und Mysideen 11 neue Arten hinzukommen, während
9 bereits beschriebene Arten nicht gefangen worden
sind. Viele Hunderte unserer Krebschen hatten frei-
lich in dem wilden Trubel in den mit Fang gefüllten
Gläsern und durch die nachträgliche Auslese ihie charak-
teristischen Merkmale verloren, so dass unter ihnen noch
einige der vermissten Species enthalten sein könnten.
Ausserdem vermochten gerade diese Krebschen vermöge
ihrer grossen Beweglichkeit dem Netz leicht zu entfliehen.
Rechnet man, dass auf 38 bekannte 1 1 neue Arten ge-
fangen wurden, so werden für die 9 nicht gefangenen
noch etwa 3 unbeschriebene Arten zu erwarten sein.
Mögen auch di'eimal so viele neue Species noch vor-
konunen, so wunderbar reich, M'ie man es bisher gerne
wollte, dürfen wir uns die Mannigfaltigkeit des Oceans
nicht mehr vorstellen. Sobald die Arten auf zwcige-
schleclitliche Fortpflanzung angewiesen sind, können sich
die Individuen wenig \veit von einander entfernen, sonst
würden sie sich nicht vereinigen können, daher beruht es
nicht einfach auf Zufall, wenn sie gefangen werden.
Die Planktonfahrt hat unzweifelhaft nicht alle bezüg-
lichen Formen zur Untersuchung geliefert, aber die Sunune
des noch Fehlenden fällt für die meisten Familien nicht
erheblich ins Gewicht. Es ergiebt sich übrigens, dass
mit etwas grösseren Netzen, etwas mehr Zeit und mit
noch weiter getriebener, sofort gemachter Auslese des
Fangs, eine so gut wie erschöpfende Kunde der Plankton-
rflanzcn und Thiei'c in der lichtdurchströmten Fläche der
Hochsee zu erlangen sein wird. Dem Laien erscheint
damit die Aufgabe gelost, für die Wissenschaft aber ist
nur gewonnen, dass das Feld ganz urbar gemacht wird,
so dass es mit sicherem Erfolg mit ihren Troblemen be-
säet und daraus Verständniss der Natur geerntet werden
kann. —
Ich habe innner wieder zu betonen, dass auf hoher
See die maassgebenden Factoren ungleich einfacher sein
müssen und einfacher sind, als auf dem Lande oder an
den Küsten, also als an allen jenen Orten, von wo aus
bisher den Botanikern, Zoologen und Paläontologen die
neuen Formen in überwältigenden und unerschöpflichen
Massen zuströmten.
Die Lebensgemeinschaften, die Eiei-, die jungen und
die alten Individuen liegen uns vor, die Nährpflanzcn,
die Pflanzenfresser, die Raubthierc und Parasiten wie sie
alle nach Art und Zahl zusammengehören, finden sich,
mit Ausnahme der ganz grossen Raubthierc, in einem
oder wenigen Fängen vereint bei einander, es fehlt daher
nicht an l)iologischen Anknüpfungspunkten. Die Materie
schwillt an unter unseren Händen.
Ich hoffe nur, dass wir die erwachsende Arbeit glück-
lich und solide beenden können, dann ist es sicher, dass
die Expedition nicht nur viele Thatsaehen unserer natur-
wissenschaftlichen Kunde hinzufügen wird, sondern dass
sie auch ein neues und ergiebiges Gebiet genauer und
nach bestinnntem System zu betreibender Forschungen
aufgedeckt hat. Hoffentlich wird sie allen Naticnien
zeigen kömien, wie dabei am richtigsten und sichersten
die angeschlagenen Gänge weiter zu treiben und aus-
zubauen sein werden. x.
Ueber die Kesnltate von 48 mit Tiiberciilin be-
liaiidelteii Tuberculosen berichten die Doctoren Schiess
Bey und Kartulis (ans dem ägyptischen Regierungs-
hospital in Alexandrien) in der Zeitschrift für Hygiene
und Infeclionskrankheiten.
Es sind zwei Jahre — sagen die Autoren — , dass
wir (sofort nach der Koeh'schen Entdeckung) das Tnber-
culin gegen die Tuberculose anwenden. Bis jetzt sind im
Ganzen 68 Fälle mit diesem Mittel eingespritzt worden.
Mit Ausnahme von 7 Lepra- und 13 Controlfällen waren
die übrigen 48 Tuberculose, wovon 27 ambulant, 21 aber
im Hospital behandelt wurden.
Im Beginn des neuen Behaudlungsverfahrens bestand
imser Contingent aus 13 Tuberculosen, 5 Leprösen und
2 zweifelhaften Fällen. Die Erfolge, die wir damals durch
das neue Verfahren erzielt hatten, waren so ermuthigend,
dass wir uns entschlossen, die Tuberculinbehandlung weiter
fortzusetzen. Es war aber keine leichte Aufgabe, Kranke
zu finden, bei denen Hoffnung war, sie durch längere
Zeit beobachten zu können. Unser Wunsch nämlich war
anfangs, dem Rathe Koch's folgend, nur Fälle von be-
ginnender Tuberculose anzunehmen. Durch die ersten
Fälle indess wurden wir bald belehrt, dass das Tubercuiin
in unserem Klima als ein gefahrloses Mittel zu l)etraehten
war, weshalb auch vorgeschrittene Fälle zur Behandlung
herangezogen werden konnten. Die Erfolge haben unsere
Erwartungen erfüllt und noch übertroffen.
Das Tubercuiin hat sich gegen den tuberculösen Pro-
cess als ein Specificum ersten Ranges erwiesen.
Unsere Kranken, mit wenigen Ausnahmen, waren
mittellos und ausser Stande, sich ihrem Leiden entsprechend
zu pflegen. Auch die im Hospital Behandelten wurden
nicht in besonders gute Ernährungs- und Pflegeverhält-
nissc versetzt, indem sie durchaus nicht ^on den übrigen
lIos])italkranken bevorzugt wurden.
Wenn dabei die mit Tubercuiin behandelten Fälle
sich zusehends bald besserten und viele davon geheilt
wurden, während der Zustand der nicht mit Tubercuiin
behandelten Flithisiker sich verschlimmerte, muss dies nur
der Tuberculinbehandlung zugeschrieben werden. Bei
einer langjährigen Ilospitalerfahrung haben wir nie ähn-
liche Resultate gesehen. Bei keinem der von uns früher
im Hospitale behandelten Phthisiker, Aegypter, Euro-
päer oder sonstigen Fremden konnten wir eine dauernde
Nr. 51.
Naturwis.senscliaf'tlichc Wochenschrift.
571
Heilung feststellen; allerdings hatten wir in der Privat-
praxis (Tclegenlii'it, bedeutende Besserungen und selbst
Heilungen von tuberculösen Processtm zu sehen ; es han-
delte sich daltei um leichte Fälle in ihrem Anfangsstadium,
und zumeist bei Europäern, die durch günstige Ver-
niögensverhältnissc in die Lage gesetzt waren, unser Klima
aufzusuchen und sich hier mit allem erdenklichen Oomfort
zu umgeben.
Gesetzt auch, vorgeschrittenere Erki'ankungen ki'innten
durch unser Klima günstig beeinllnsst werden, wie viele
Kranke sind in der Lage, diese kostspielige ürhandlungs-
weise sieh zu versehaft'enV
Davon, dass das Tuberculin nicht nur ein vorzüg-
liches, sondern auch ein gefahrloses Mittel ist, wenn es
mit Vorsicht den Kranken einverleibt wird, überzeugten
wir uns bei den ambulant behandelten Kranken. Obwohl
viele derselben mit vorgeschrittenen Leiden beliaftet waren
und elend aussahen, konnten wir in keinem l'^alle eine
naehtheilige ^Virkung■ des Mittels beobachten. Unerklärlich
sind uns deshalb verschiedene ungünstige Mittheilungen
über die Wirkung des Tuberculins. Auf dieselben hier
einzugehen, ist nicht der Zweck dieser Arbeit, aber nicht
unerwähnt möchten wir lassen, dass hierin wieder ein zu
grosser Eifer den grössten .Schaden hervorgeljracht hat.
Eine chronische Krankheit wie die Tubereulose mit Erftilg
zu bekämpfen, erheischt vor allem Geduld. Und welch'
unmögliche Hoffnungen hat man in das Tuberculin ge-
setzt. Obwohl Koch in seiner zweiten Mittheilung den
Schwerpunkt seines Heilverfahrens in die möglichst früh-
zeitige Anwendung des Mittels legte, indem er sagte:
„Das Anfangsstadium der Phthise soll das eigentliche
Object der Behandlung sein, weil sie diesem gegenüber
ihre Wirkung voll und ganz entfalten kann", zog man
doch zur Behandlung alle Stadien der Tuberculose heran;
und wenn die ersehnten Erfolge auch in den schlimmsten
Fällen ausblieben und die Krankheit ihren gew(ihnlichen
Verlauf nahm und sich verschlimmerte, sollte das Tuberculin
allein schuldig sein. Nach unserem Dafürhalten seheinen
zwei Factoren hierbei eine Rolle gespielt zu haben. Einer-
seits die ungeeignete Wahl der Fälle, und andererseits
die grossen Dosen, die man anfangs anzuwenden pflegte.
Bei genauerer Untersuchung der zu behandelnden Kranken
mit s<n-gfältiger Individualisirung nebst Anwendung sehr
geringer Anfangsdosen läuft man keine Gefahr, einen
Schaden zu bringen.
Dass das Tuberculin in Verbindung mit der klimatischen
Kur und diätetisch -hygienischer Behandlung sicherer die
Heilung fördert, ist uns selbstverständlich. Wir anerkennen
auch gern den Vortheil unserer Kranken, nämlich das
milde ägyptische Klima, Es ist schon seit alten Zeiten
bekannt, dass Brustkranke ihre Heilung in Aegypten
suchten. Unser Alexandriner Klima insonderheit zeichnet
sich durch eine gleichmässige Wintertemperatur aus. Der
kalten Tage im Jahre sind sehr wenige, und sehr selten
sinkt die Temperatur unter -t-8° C, Die Temperatur-
Schwankungen betragen höchstens 5°, gewöhnlieh 2° bis
3°, so dass die Nächte nicht so kühl sind wie in Cairo
und Oberägypten. Der Regentage sind gleichfalls wenige.
Der Sommer, welcher von Anfangs Jlai bis Ende November
dauert, ist allerdings in den Monaten August, Seniptembcr
und October sehr feucht, die Temi)eratur steigt aber sehr
selten über + 30° C. in den heissesten Sonnncrtageu, und
die Luft wird im Sommer durch Nordwinde abgekühlt.
Dadurch werden die Kranken in den Stand gesetzt, sich
den ganzen Tag im Freien bewegen zu können, und sehr
selten hat man sich gegen ungünstiges Wetter zu schützen.
Durch diese günstigen klimatischen Verhältnisse war der
Gedanke nahe gelegt, dass wir einen Theil unserer Kranken
ambulant behandeln könnten. Nur bei wenigen Fällen i
haben wir die Hospitalbehandlung der ambulanten vor-
gezogen, jedoch betraf dies nur Kranke, die unter sehr
schlechten Verhältnissen loljten, oder deren Leiden weit
vorgeschritten war.
In den letzten Jahren sind mehrere Mittel gegen die
Tuberculose empfohlen worden. Wir begnügen uns, hier
um- das Arsen, das Tannin, das Jodoform, insbesondere
aber das Creosot*) und Guajakol zu nennen. In dem Zeit-
räume von sieben Jahren haben wir in unserem Hos])ital,
so.vie auch in der Piivat])raxis iiei durchschnittlich 30'J
Schwindsüchtigen im Jahre alle dii'se Mittel angcuandl,
wir müssen aber gestehen, dass wir mit keinem von diesen
Mitteln in unserem Klima einen nciuienswcrtlien Erfolg
gesehen haben.
Das Tubi'rculin setzt uns in den Stand, beginnende
Tuberculose unter ganz gewohnlichen Verhältnissen zu
behandeln. Die Kraidcen können damit auch ambulant be-
bandelt werden und ihrer Beschäftigung nachkommen. Auch
vorgeschrittene Kranke, wenn sie dur"h die Tubereulin-
behandlung gebessert werden, werden bald arbeitsfähig.
Unter unseren Krankengeschichten findet man Fälle von
sehr vorgeschrittener Phthise, deren Träger während der
Behandlung nicht einen Tag ihre Beschäftigung unter-
brochen haben.
Bei beginnender Tuberculose führt das Tuberculin
sicher und rasch zur Heilung; demnach ist es auch mit
keiner anderen Kur und mit keinem von den bereits be-
kannten Mitteln zu vergleichen.
Wenn wir die mit Tuberculin behandelten Fälle einer
kurzen Uebersieht unterwerfen, so fällt vor Allem auf,
dass durch dieses .Alittel geringe Veränderungen in den
Lungen (I.) leicht und in kurzer Zeit heilbar sind. Vor-
geseln-ittene Fälle (II.) beanspruchen längere Zeit, um ge-
heilt zu werden, während weit vorgeschrittene Phthisis i III.)
wenig Aussicht auf Heilung bietet. Die Kranken der
ersten Gruppe erforderten eine bis vier Jlonate dauernde
Behandlung, um gesund erklärt zu werden. Die kürzeste
Behandlungszeit dieser Kategorie war drei Jlonate. Je
nach der Intensität der Erkrankung erfolgte die Heilung
bei den zwei folgenden Gruppen nach einem viel längeren
Zeitraum. Eine bedeutende Rolle spielen hierbei die
hygienischen Bedingungen, sowie auch die Ernährung der
Kranken. Wenn einige unserer Patienten nur kurze Zeit
zur Besserung bezw. Heilung gebraucht haben, so nniss
dies den guten Verhältnissen, unter welchen dieselben
lebten, zugeschrieben werden.
Die Behandlung eines Phthisikers erheischt nach
unserer Erfahrung eine grosse Geduld und Ausdauer, so-
wohl von Seite des Patienten als auch von der des Arztes.
Bei Beginn der BehantUung stellten wir uns die erforder-
liche Zeit als eine viel kürzere vor. Einige Fälle bieten
allerdings einen rascheren Heiluugsverlauf, andere dagegen
zeigten, wie vorsichtig mau mit der Heilungserklärung
sein musste.
In Bezug auf die Heilung, ob dieselbe eine dauernde
ist oder nur kurze Zeit dauert, betindcn wir uns in der
glücklichen Lage, versichern zu krmnen, dass in den bis
jetzt als geheilt erklärten Fällen die Heilung eine end-
gültige ist. So ist ein Patient, welcher die letzte Ein-
spritzung am 4. April 1891 erhielt, bis heute, 18 Monate
nach seiner Entlassung, ganz gesund geblieben.
Sehr nachtheilig war für die Tubercuhisen die Aus-
setzung des Mittels während der Behandlung, AVir haben
nämlich beobachtet, dass bei Kranken, die oft während
der Einspritzungstage abwesend waren, oder sogar auf
längere Zeit die Einspritzung einstellten, der Erfolg aus-
blieb. Solche Fälle boten während dieser Zeit eine Nei-
*) Vergl. „Naturw. Woclicuschr.'- VI, S. .518. — Red.
572
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 51
n-ung- zur Verschlimmerung-. Wir gewannen daher den
Eindruck, dass während der l'-ehandlung das Mittel auf
längere Zeit nicht ausgesetzt werden darf.
Die beiden Autoren ziehen aus ihren Beobachtungen
die folgenden Schlüsse:
1. Beginnende Lungcnphthisis ist mit dem Tuberculin
sieher und" binnen 3 bis 4 Monaten zu heilen. — 2. Vor-
geschrittene Fälle von Phthisis heilen langsam, von sechs
Monaten bis zu einem Jahr. — 3. Schwere Fälle mit
nicht sehr grossen Cavernen können unter besonderen
günstigeren hygienischen Verhältnissen geheilt werden. —
4. Sehr schwere Fälle mit grossen Cavernen, hektischem
Fieber und Nachtschweiss sind für die Tni)erculinbehand-
lung nicht geeignet. — 5. Ilauttuljcreulose, wie Scrophul-
odernia, Hautgeschwüre werden schneller als Lupus ge-
lieilt. — 6. Gewisse Formen von Knochen- bezw. Gelenk-
tuberculose, sowie Drüsentuberculose werden mit Tuberculin
und mit Combiuation von chirurgischen Eingriffen schneller
geheilt als mit chirurgischen Eingriffen allein. — 7. Das
Tuberculin ist ein gefahrloses iAlittel, wenn es in kleinen
Anfangsdosen verabreicht wird. — 8. Kleine Dosen allein
von Tuberculin sind nicht im Stande, eine dauernde Heilung
der Tuberculose zu bewirken. — 9. Das ägyptische Klima
eignet sich besonders für die Tuberculinbehandlung. —
10. Die poliklinische Behandlung der Lungentuberculose
mit dem Tuberculin ist nur bei leichten Fallen angezeigt,
schwere Fälle müssen in Anstalten behandelt werden.
ein so gut wie absoluter Schutz gegen Mikroorganismen
ist, können dann durch diese kleine Verletzungen, wenn
sie auch nur mikrciskopisch sind, alle möglichen Bacterien
und Sporen in den Körper eindringen; daher die l)e-
sondere Gefährdung derjenigen Personen, welche über-
grosse, zu Entzündungen neigende Mandeln besitzen!
Schaefer.
Symbiose und Kampf ums Dasein unter den
Mikro'bien. — Ein Vortrag von Nowack „Ueber Misch-
infection im Allgemeinen und bei Gonorrhoe im Besonderen"
(Sitzung vom 17. Deeembcr 181)2 der Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde in Dresden, Jahresbericht 1893,
S. 48) giebt eine interessante Zusammenstellung der
wichtigsten bisherigen Arbeiten über die gegenseitige
Beeintiussung von Mikrobien, die zusammen auf dem näm-
lichen Nährboden wachsen.' Zum grossen Theil ist der
Charakter derselben der einer Hcnnnung. So heben die
Bacillen des blauen Eiters sowohl im Reagenzglas wie im
Thierkörper die Virulenz der Milzbranderreger auf. Des-
gleichen sind Erysipelcoccen und Friedländersche Bacillen
Antagonisten des Milzbrandes, während andererseits der
B. fluorescens putridus ein Gegner des Typhusbacillus ist.
Neben diesen antagonistischen Bacterien giebt es nun eine
ebenso grosse Zahl symbiotischer, d. h. solcher, die
friedlich und gedeihlich auf der nämlichen Stelle mit ein-
ander wachsen, und endlich metabiotischer Mikrobien,
d. h. solcher, die sich gegenseitig den Nährboden erst
tauglich machen. Letzteres geschieht z. B. dadurch, dass
Aerobien zu Gunsten von Anaerobien den Sauerstoff der
Umgebung absorbiren; dass die eine Art die für die
zweite nöthige Wärme producirt; oder dass gewisse Spalt-
pilze den Nährboden für andere ehemisch präpariren. So
gelingt es, um nur ein Beispiel zu geben, durch Impfung
mit B. prodigiosus Kaninchen, die sonst dagegen immun
sind, für mafignes Oedem empfänglich zu machen. Als
Paradigmata für die Symbiose können verschiedene Misch-
infectionen, so das Eindringen von Eitererregern in tyi»höse
Darmgeschwüre, die mancherlei Nachkrankheiten nach
der Influenza und dem Tripper u. a. m. angesehen werden.
Hierher gehört auch, wie Referent der allgemeinen
WichtigkeU der Thatsache wegen hinzufügen möchte, die
öfter zu machende Beobachtung, dass eine Hals- und vor
allem eine Mandelentzündung die Veranlassung einer mehr
oder weniger schweren lufectionskrankheit werden kann.
Die rasche Schwellung entzündeter Mandeln lässt nämlich
Risse in dem nicht genügend dehnbaren Schleimhaut-
überzuge entstehen. Während eine intacte Schleimhaut
Ueber einen eigenthüniHclien Aufentlialtsoi-t der
Afterskor]»ione, zu denen unser bekannter Büchcrskorpion
gehört, nändieh den Körper anderer Gliederfusser, sagt
Ludwig in Leunis Synopsis der Thierkunde, 3. Auflage,
2. Bd., 's. 569: .,mitunter trifft man sie, wie schmarotzend,
auf dem Körper von Fliegen, Ohrwürmern, Wanzen, After-
spiimen u. s. w. an." Es sind für diese wenig l)ekaunte
Thatsache neuerdings mehrere Belege bekannt gemacht
worden. F. v. Wagner beschreibt einen Fund, der bei
Schwerin gemacht worden ist (Zool. Anz. No. 406, S. 434).
Eine Schnake oder Kammmticke, Ctenophora pecti-
nicornis, trug au den Beinen vier Exemplare eines
augenloscn Chernes. Sie hatten sich, ohne ihre Beine
zu benutzen, mit ihren Scheeren am Ober- oder Unter-
sehenkel der Fliege angeklammert. Offenbar benutzten
sie das Kerbthier nur als Mittel, einen anderen Ort zu
erreichen. F. Leydig theilt mit (Zool. Anz. No. 411,
S. 36), dass er den Bücherskorpion an der Afterspinne
Phalangium opilio sowie an einer Sehmeissfliege an-
traf. Er ist jedoch der Meinung, dass hier nicht nur
Schmarotzerthum vorgetäuscht wird, sondern wirklich vor-
liegt. Die Skorpione stechen wohl ihre Wohnthiere an.
Bestärkt wird Leydig in dieser Ansicht dadurch, dass er
an einem brasilianischen Bockkäfer, Acrocinus longi-
manus, unter den Flügeln einen stattUchen Chelifer
americanus fand. Es handelt sich hier wohl um, wenn
auch gelegentlichen, Parasitismus. Ergänzend bemerkt
weiter "H. v. Iheriug, dass er unter den Flügeln zweier
Pyrophorusarten oft Chernetiden fand. Auch auf
anderen Käfern fanden sie sich. Ihering schliesst sich
der Ansicht Wagners an-, die Stelle unter den Flügeln
würde gewählt, weil hier Schutz vorhanden sei. Doch
hält er "eine auf die Lösung der Frage abzielende Unter-
suchung für erforderlieh. Jedenfalls würde ein Orts-
wechsel der baumbewohnenden Skorpione und .Milben in
den Cami)ros ohne diese „Reitthiere" schwerlich auf
weitere Strecken gelingen. Verfasser ist der Ansicht,
dass vielleicht die Ansiedelung der Unio-Embryonen auf
Cypriniden Europas auch hierher gehört. In l)eiderlei
Fällen würde der vermuthliche „Commeusale'' oder
„Parasit" nur ein „Reitgast" sein. C. M.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurdmi ernannt: Bergrath von Bcrnuth in Witten
:i d liuhr ziuii Obevbergratli. — An der Technischen Hochschule
in München Privatdocent Dr. M. Edrlmuun zum ausserordent-
liclu'n Professor der Pliysilc - und Privatdocent Dr. K Luide
zum I'lxtraordinarius für mechanische Teclm(dogie. — Dr. W 1 1 1 1 am
Patten zum Professor der Biologie am Darmouth College in
Hannover, New Hampshire, U.S. - Dr. Braun zum Assist_enten
am mineralogischen Institut der Technischen Hochschule ni Karls-
ruhe — Ob.^rbergrath Salscha in Ivrakau zum Berghauiitmaini.
— Der Privatdocent für Frauenheilkunde an der Universität Ijerlin
i:)r. August Martin zum Professor. .
Dr. Adolf Karl Vogt, ordentlicher Professor der Hygiene
an der Universität Bern, legt sein Lehramt nieder.
Es sind gestorben: Unser Mitarbeiter, der Professor der Botanik,
an der Universität Wien, Dr. Josef Boehm. - Der Physiker
Dr John Tyndall in London. — Der Bibliothekar an lUt Kg.
Biblioth.'k Dr. W i 1 h e 1 in G r ii t z m a ch e r in Berlin. - Der General-
Consul G. II. von Kreitner, bekannt als Geograph und Keise-
Schriftsteller, in Yokohama. — Der Chemiker am Owens College
Nr. 51.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
r)73
.losi'ph Hey wood in London. — Dhi- iiiusHcrordentliche Professor
der Geologie an der Universität Halle Dr. David August Brauns
in Gauderslieim. — Der Technologi' Dr. G. van Muyden in
Friedenau bei Berlin. — Der Professor tier Mathematik nrul Astro-
nomie an der Universität Zürich Dr. Rudolf Wolf.
L i 1 1 e r a t u r.
Sanitätsrath Dr. Max Bartels, Die Medicin der Naturvölker.
Ethniihigiseln' Bcirräge zur Urgesi-iiiehte der Medicin. Mit
175 Original - Holzscluiitten im Text. Leipzig. Th. Grieben's
Verlag (L. Fernau). 1893. — Preis 9 Mk.
In allen Zweigen der Wissenschaft, mag es die Medicin,
.Juristerei, Botanik, Zoologie oder sonst etwas sein, giebt es grosso
Gebiete, weh-Iie bisher wenig oder gar nicht bearbeitet sind. Es
inuss nur „der richtige Mann" konnnen zur Bearbeitung dieser
Gebiete, und man ist erstaunt, welche Fülle des Hochinteressanten
und Wichtigen zu Tage gefördert wird. Ein solcher ist auch der
Verfasser -vorstehenden Werkes. Als hervorragender Anthropologe
längst bekannt, erwarb er sich unschätzbare Verdienste dureli
Herausgabe und spätere völlige Neubearbeitung von Ploss „Das
Weib", ein Werk, das in den beiden letzten Anflagen die Schöpfung
Bartel's ist. und dessen hohe Bedeutung von jedem Anthropologen
und Gynäkologen, wie von jedem, der für die Culturgeschichte
Interesse zeigt, anerkannt ist. Das vorliegende Werk schliesst
sich dem genannten würdig an. Es sind in demselben nicht die
Krankheitsarten besprochen, denen die Naturvölker unterworfen
sind, sondern die medicinischen Anschauungen, welche sie haben,
und die Mittel und Wege, wie sie sich mit den Krankheiten ab-
linden. Ein immenses Material ist in dem Werk verarbeitet, und
je mehr man in demselben liest, um so mehr begreift man. welche
grosse Ausdauer und Mühe dazu gehört, das Material zu sichten
und die Uebersicht zu gewinnen, wie sie das Werk zeigt. Un-
gemein werthvoll für das Verständuiss ist die grosse Zahl von
Abbildungen, welche zum grössten Thoil nach eigenen photo-
graphischen Aufnahmen von Gegenständen des Kgl. Museums
für Völkerkunde in Berlin angefertigt sind. Viele der ethno-
graphischen Gegenstände werden dadurch überhaupt zum ersten
Male in Abbildungen vorgeführt. In einem besonderen Anhang
sind sämmtliclie Abbildungen mit grosser Genauigkeit erklärt.
Ebenso sind in einem besonderen Anhang die im Ti>xt ungemein
zahlreichen geographischen und Völkernamen alphabetisch geordnet
und erlä\itert: eine sehr zweckmässige Einrichtung.
Das Buch wird eingetheilt in 15 grössere Abtheilungen, von
denen jede eine Zahl von Unterabtheilungen hat. In der ersten
Abtheilung ist von den „Quellen zu einer Vorgescliichte der Me-
dicin" die Rede. Die zweite behandelt „die Krankheit", und zwar
zunächst „das Wesen der Krankheit". Vielfach werden die Krank-
heiten mit den Dämonen in ursächliche Verbindung gebracht, wie
es ja auch Martin Luther that, der es als zweifellos hinstellte,
d<ass Pestilenz, Fieber und andere schwere Krankheiten nichts
anderes seien, denn des Teufels Werke. Eine Anzalil von Völker-
schaften ninunt an, dass der böse Geist in den Körper hinein-
fährt und nun ist es die Krankheit. An eine derartige Besitz-
ergreifung durch einen Dämon glauben u. A. Stämme in Alaska
und Britisch-Columbien,die Austral- Neger in Victoria, die Siamesen.
Andere nehmen wieder an, dass die Dämonen von bestimmten
Körperthoilen Besitz ergreifen, so die Mos((üito -Indianer in Hon-
duras; auch die alten Assyrer und Akkader hatten ähnliche An-
schauungen. Im Seranglao- und Gorong - Archipel — d. i. im
östlichen malayischen — fährt nicht der Dämon selber, sondern
dessen Schatten in den Kranken hinein und verzehrt die Ein-
geweide des Betreffenden. Von den zahlreichen Kranhkeitsdämonen
in Slam leben einige in Wäldern, diese fallen von den Bäumen
auf die Vorübergehenden oder sie stellen Netze. Den europäischen
Völkern ist der Begriff der Besessenheit wahrscheinlich durcli
biblische Vorstellungen zum Bewusstsein gekommen. Der deutsche
Sprachgebrauch beweist die Art der Auffassung zur Genüge. Die
Krankheit tritt an den Menschen heran, sie packt und ergreift
ihn, sie wirft ihn nieder, rüttelt und schüttelt ihn, zehrt und nagt
an ihm, tödtet ihn oder lässt ihn wieder los, so dass ihr der
Mensch glücklich entrinnt.
Bildlichen Darstellungen von Krankheitsdämonen begegnen
wir verliültnissniässig selten. Bei den Singhalesen werden sie
durch Holznuisken dargestellt, mit allen möglichen Farben bi'uialte,
widerwärtig verzerrte Menschengesichter. Auch die Onondasa-
Indianer in Nordamerika haben Ilolzmasken, welche die bösen
Geister Hondoi bediuiten, die den Menschen Krankheit und Un-
glück bringen. Versöhnt werden sie durch Tänze, wie durch
Speise- und Tabaksopfer. Ebenso finden wir bildliche Darstellungen
bei den wandernden Zigeunern des südöstlichen Europa. „Die-
selben glauben, dass Ana, die schöne Königin der Keshalyi oder
Feen, sich wider ihren Willen mit dem abscheulichen Könige der
Lo(;olico, der Dämonen, vermählt und ihm neun Kinder geboren
habe. Das sind dii' neun jMise<;e, die Bösen, d. h. die Dämonen,
welche Krankheiten bringen. .Sie gingen mit (ünander Ehen ein
und haben luizählige Kinder gezeugt, welche ähnliche Eigenschaften
wi(^ die Eltern besitzen. Hieraus erklären sich die vielfachen
\'ariationen im Vi-rlaufe der Krankheiten. Um .«ich vor diesen
Dämonen zu schützen, muss man seinen Leib oder seinen Arm
mit einer besonderen Binde umgeben, in welche das Abbild des
Dämons in bestimmten Farben von der Zauberfrau hineingenäht
ist. Auch in kh-inp Holztäfeh-hen brennt sie die Däinoneniigurei)
mit einer glühenden Xadel ein." Von diesen neun Dänicjuen wollen
wir hier anführen Shilalyi. die Kalte, von der Gestalt einer
kleinen weissen Maus mit unzähligen Füssen, .<ie erzeugt das kalte
Fieber; Bitoso, den Fastenden, er verursacht Kopf- und
Magenschmerzen u. s. w., „er hat die Gestalt eines vielköpfigen
kleinen Wurmes, der in dem betr. Körpertheil durch seine un-
gemein raschen Bewegungen .Schmerzen verursacht"; Minceskre,
die vom weiblichen Geschlech tst h e il e, verursacht die
Krankheiten der Genitalien sowohl bei den Frauen, wie bei den
Männern, mit Fiinschluss aller venerischen Erkrankungen. Sie ruft
diese Krankheiten dadurch hervor, dass sie des Nachts als ein
haariger Käfer über den Leib des Menschen hinwegkriccht."
Es sind ferner die Seelen der Verstorbenen, welche Krank-
heiten bringen. Sie trennen sich nach dem Tode vom Körper,
fliegen in der Luft herum und suchen sich einen amleren Körper
als Wohnung aus, der dann ebenfalls krank wird. Solche An-
schauungen finden wir bei den .Jakota-Indianern und auf einigen
Inseln des malayischen Archipels. Besonders gefürchtet werden
von einigen Völkern die Geister von Frauen, welche während der
Entbindung oder im Wochenbett starben, ferner u. A. von Jung-
frauen, vcin todtgeborenen oder gleich nach der Geburt gestorbenen
Kindern. Die Krankheit als Thier aufgofasst, das in den Körper
gerathen ist, finden wir sehr häufig. Gbenan steht der Wurm,
welcher mancherlei Krankbi'iten veranlasst, aber wir finden ferner
ein Inseet, den Frosch, die Schlange, den Hirsch, Bär u. s. w. Ein
Vogel im Kopfe des Kranken veranlasst auf Eetar, nördlich
Timor, die Epilepsie, auf den Tanembar- und Tinialao - Inseln
«ausserdem Geisteskrankheiten. Der Deutsche sagt ja auch. Jemand
hat einen Vogel oder einen Vogel im Kopfe. Aber auch fremde
Substanzen im Körper sind die Krankheit, Strohhalme bei den
Australnegern in Victoria, eine Bohne ]nn den Xosa-Kaftern, ein
I^rdklumpen auf Eetar, ein Stück Kohle in Süd-Australien. Ein-
zelne Indianerstämme Nordamerikas betrachten als die verkörperte
Krankheit ein Eisenstück, aber auch die Tatzen des Bären, die
Stacheln des Stachelschweines u. s. w. Eine besondere Art von
Fremdkörpern ist das in den Körper des Kranken eingedrungene
magische Geschoss, in Form einer Gewehrkugel, eines Steines,
einer Kugel von Haaren. Die Ipurina-Indianer in Brasilien glauben,
dass Abwesende von ihren Medicin -Männern durch ihre mit
magischer Kraft versehenen Medicin Steine verletzt und getödtet
werden können. „Der Medicin Mann wirft sie in der entsprechen-
den Richtung, in welcher er tien Auserlesenen vermuthet, gegen
diesen. Derselbe empfindet dann sofort einen heftigen Stich, wie
von einer Wespe, und von dieser Zeit an siecht er langsam dahin
und stirbt." Einige Indianer des westlichen Nordamerikas glauben,
dass eine magische Kugel oder ein Stein in das Herz geschossen
werden kann, der die Krankheit erzeugt und nach dem Tode noch
darin gefunden werden könne. Aehnliches haben wir bei unserem
Hexenschuss, den die Einwohner von Wales als Elbenscbuss
bezeichnen. In Irland wurden von Bauern als Amulet gegen den
Elbenscbuss in Silber gefasste Feuerstein -Pfeilspitzen gebraucht,
die sie als Eiben -Pfeile betrachteten. Die Ansicht, dass die
Krankheit eine Strafe sei, ist fast über die ganze Welt, und wie
Jedermann weiss, bei den civilisirten Nationen verbreitet. „Un-
endlich erfindungsreich ist der menschliche Geist in Versuchen,
seinen Nebenmenschen Schaden zu bringen; und so trefi^en wir
auch die complicirtesten Maassnahmen, durch welche ein ver-
hasster Gegner krank gemacht oder gar getödtet werden soll.
Für gewöhnlicdi wird ein langsames Dahinsiechen bezweckt, und
nur selten handelt es sich um directe Vergiftungen. Meistentheils
ist es irgend eine Form der Behexung, der Bezauberung oder das
Auslegen eines magischen Giftes, welches nur in eine gewisse
Nähe von dem ausei-korenen Opfer zu gelangen braucht, um seine
schädlichen Wirkungen zu entfalten. Die Bezauberungen jedoeli
sind auf unglaubliche Entfernungen hin wirksam, untl von dem
unfehlbaren Eintreten des gewünschten Erfolges ist der diui Zauber
Ausübende fest überzeugt, ebenso wie sehr häufig irgend ein Er-
krankter keinen Augenblick darüber im Zweifel ist, dass er seine
Leiden den Zaubermanipulationen irgend eines Feindes in der
Ferne zu verdanken habe." Auf einigen Inseln südlich Neu-
Guinea gräbt man verderbenbringende Gegenstände in die Erde;
geht das auserwählte Ojifer über diese Stelle hin, so bricht die
beabsichtigte Krankheit bei ihm aus. Auf den Timorlao- Inseln
hat das Vergraben dieser Gegenstände den Sinn, dass sie beim
Darüberschreiten in den Kiirper hineinfahren und nun die Krank-
heit sind. Unter Verwünschungen werden zu diesem Zwecke
Dornen, spitze Steine, Fischgräten u. s. w. vergraben. Vermag
574
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 51
derjenige, welcher eine Person krank mMelii^n will, etwas von ihr
in seinen Besitz zu bringen, so gelingt der Zanbor um so leichter.
Daher finden wir auch bei vielen Völkern die Sitte, abgeschnittene
Nägel, ausgekämmte Haare, ja selbst den Speichel so zu ver-
nichten, dass Niemand ihrer' habhaft werden könne. Weitere
Krankheitserscheinungen sind der Wille oder die gnädige Fügung
der Gottheit, sympathetische Uebertragung, böse Winde, der böse
Blick u. s. w.
In dem dritten Abschnitt des Buches werden „die Aerzte"
behandelt, die sociale Stellung der Medicin- Männer, ihre über-
natürlichen Fähigkeiten, auffallendes Benehmen u. s. w. Ein ab-
sonderliches Leben führen sie in Victoria, „um den Glauben an
ihre überirdische Gewalt rege zu halten. Sie essen getrennt und
zu ungewöhnlichen Zeiten, sie schlafen, wenn die anderen wachen.
Medicin-Mann der Schwarzfuss-Indianer.
und sie behaupten, lange Wanderungen zu unternehmen, wenn
die anderen im Lager alle im Schlafe liegen. Selten jagen und
fischen sie, oder thun irgend eine Arbeit. Sie machen eigenthüm-
liche Geräusche in der Nacht, wandern fort und suchen ihr Volk
zu erschrecken. Durch ihre Klugheit und Verschmitztheit und
durch ihre Geschicklichkeit, den Zufall zu benutzen, indem sie
Wache halten, wenn die anderen schlafen, erhalten sie sich ein
Uebergewicht über die Mitglieder ihres Stammes und sie verstehen
es, angenehm zu leben und Vortheil von ihrer fremdartigen Lebens-
weise zu ziehen." Consultationen sind sehr verbreitet, selbstver-
ständlich auch der Brodueid. Bei den Austi'alnegern Victorias
gewinnen die Medicin- Männer Kinfluss durch vieles Geschwätz,
Selbstlob und Herabsetzung Anderer. Letztere geht bisweilen so
weit, dass dem Patienten die Tödtung des Concurrenten ange-
rathen wird. Die Wohnung der Aerzte zeigt nicht selten auch,
vermöge ihrer Ausnahmestellung, irgend welche Sonderheiten.
Aerztliches Honorar wird oft nur bezahlt, wenn die Behand-
lung erfolgreich war. So bei den Zulu, den Annamiten, den
Koniagas in Nordwest - Amerika u. A. Nach der Schwere des
Falles richtet sich der Preis bei den Isthmus - Indianern. Auch
^'orausbezahlung findet statt, so bei den Dacota - Indianern. In
anderen Fällen werden Opfergaben gegeben, so in Liberia, auf
Sumatra, bei eleu Betschuanen und den Xosa-Kafl'ern. Bisweilen
ist die Behandlung sehr kostspielig, so bei den Ganguella-Negern
in Central - Afrika, bei den Negern von der Loango - Küste, be-
sonders theuer ist sie bei einigen Indianern. Aljer es ist der
ärztliche Beruf bei einigen Naturvölkern auch nicht
ohne Gefahr, so bei den Californiern. den Creek- und Oregon-
Indianern, welche beim Tod des Kranken den Zauber des Medicin-
Manues dafür verantwortlich machen und diesen ebenfalls tödten.
Bei einer ganzen Zahl von Völkerschaften haben sich auch Spe-
cialisten ausgebildet. Selbstverständlich darf der Medicin-Mann
nicht wie jeder Andere gekleidet herumgehen, sondern hat nicht
selten eine höchst phantastisch zusammengesetzte Amtstracht,
so bei den Ätna - Indianern in Alaska und besonders bei den
Schwarzfuss - Indianern am Yellowstone River. (Vergl. die hier
beigegebene Figur.)
George Catlin hat darüber folgendes gesagt: „Sein Kopf und
Körper waren ganz mit der Haut eines gelben Bären bedeckt,
dessen Kopf ihm als Maske diente, und dessen Klauen ihm auf
die Handgelenke und die Knöchel hevabreichteu. Dieser Anzug
ist das seltsamste Gemisch von Gegenständen des Thier- und
Pflanzenreichs. An der Haut des gelben Bären, welcher hier
selten vorkommt, daher als eine Ausnahme von der regelmässigen
Ordnung der Natur und folglich als grosse Medicin betrachtet
wird, sind Häute von mancherlei Thieren befestigt, die ebenfalls
Anomalien oder Missbildungen und daher Medicin sind; ferner
Häute von Schlangen, Fröschen und Fledermäusen, Schnäbel,
Zehen und Schwänze von Vögeln, Hufe von Hirschen, Ziegen und
Antilopen, mit eniom Worte, etwas von Allem, was in ilieseni
Theile der Welt schwimmt, fliegt oder läuft."
Die Vorbereitungen zum ärztlichen Studium sind auch
mancherlei Art. „Fasten und Beten, Waldeinsamkeit und Hal-
lucinationen spielen dabei eine hervorragende Rolle." Später
schliesst sich der Candidat mit einem oder mehreren Coliegon
einem Medicin-Mann an, um allmählich in die Pra.\is eingeführt
zu werden. Nicht selten geht der eigentlichen Approbation ein
besonderes Examen voraus. Bei den Xosa - Kaftern bleibt der
Candidat zur Vorbereitung eine Zeit lang einsam in seiner Hütte.
Nach dieser Zeit treten auf Geheiss des Häuptlings die Aerzte
zum Examen zusammen und übergeben dazu dem Candidaten den
nächsten schweren Krankheitsfall. „Hier muss er zeigen, ob er
im Staude ist, den Patienten wiederherzustellen, oder denjenigen,
der gehe.xt hat, herauszuriechen. Hat er das zuw<'ge gebracht,
so erfolgt seine Approbation in etwas absonderlicher Weise. Das
Kraut oder die Wurzel, deren Eigenschaften die Geister ihm offen-
bart haben, wird in Stücke geschnitten und in Wasser gekocht.
Diese Abkochung giesst ihm dann der vornehmste der Medicin-
Männer über den Kopf, und diese Ceremonie beweist dem Volke,
dass sie von jetzt ab in ihm eine geschickte und geeignete Per-
sönlichkeit zu erblicken haljen, um die Heilkunst oder die Kunst
des Ausrieehens von Hexereien auszuüben. Es kann dem Can-
didaten aber auch die Approbation verweigert werden. Dann
niu.^s er sich noch weiteren Unterricht ertheilen lassen und ist
gezwungen, sich später noch einmal einer Prüfung zu unterziehen.
Ein nochmaliges Durchfallen macht ihn jedoch untauglich für den
ärztlichen Stand."
Wir wollen es uns versagen, weiter des Nähi>ren auf die hoch-
interessanten Einzelheiten des Werkes einzugehen und wollen zum
Schluss nur noch den Hauptiidialt der einzelnen Abschnitte an-
führen. Dieselben enthalten: „Die Diagnostik der Naturvölker,
die Medikamente und ihre Anwendung, die Arzneiverordnungs-
lehre der Naturvölker, die Wasserkur, Massagekuren. Verhaltungs-
vorschriften für den Kranken, die übernatürliche Diagnose, die
übernatürliche Krankenbehandlung, einzelne Capitel der speciellen
Pathologie und Therapie, die Gesundheitspflege und die f^pidemien,
die kleine Chirurgie und die grosse Chirurgie."
Nicht imr der Mediciner, sondern jeder Gebildete wird seine
Freude an der Leetüre des Werkes haben und reiche Belehrung
finden. Dem Verfasser die höchste Anerkennung und der beste
Dank für diese neue Gabe! Stabsarzt Dr. Matz.
Bericht über die Leistungen auf dem Gebiete der Forst- und
Jagdzoologie. Von Dr. Karl Eckstein, Privatdocent an
iler Forst-Akademie Eberswalde. Zweiter und dritter Jahrgang.
1891 und 1892. Pet. Weber. Berlin 1893. — Preis 4 M.
Bei dem enormen Anwachsen der Litteratur auf den ver-
schiedensten Gebieten des Wissens ist die Nothweudigkeit um-
fassender Litteraturberichte immer dringender geworden und es
ist dieser Nothweudigkeit z. Th. seit längerer Zeit schon Rech-
nung getragen. Wir erinnern beispielsweise an die zoologischen
Berichte im Archiv für Naturgeschichte, ferner im Zool. Anzeiger
und im Zool. Record. In der oben angeführten, überaus fleissigen
Arbeit wird uns ein neuer Jahresbericht, dessen erster Jahrgang
Nr. 51.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
r>(i)
für 1890 bereits tViüier erschien, vorgelegt und zwar für das, wenn
auch ansclieinend ziemlich eng begrenzte, al)cr doch immerhin
rocht umfangreiche Gebiet der Forst-nnd Jagdzoologie. Der Verf.,
durch eine Reihe forstzoologischer Arbeiten bekannt, referirt nicht
nur über die deutsche, sondern auch über die österreichische,
diinische und schwedische Litteratur; ausserdem ist der vorliegende
Bericht gegenüber dem ersten insofern erheblich erweitert, als
auch einerseits die übrigen Zweige der angewandten Zoologie,
z. B. Thierzucht, Fischerei u. s. w. berücksichtigt werden, anderer-
seits spuciell die auf die Vogelzucht bezügliclien Arbeiten, welche
in anderen zoologischen Jahresberichten niclit aufgenonuuen
werden, obwohl sie mancherlei Bemerkenswerthes enthalten, mit
aufgeführt werden. Da der Verfasser sich nicht mit einer Auf-
zählung der Titel begnügt, sondern bei den meisten Arbeiten kurz
den Inhalt angiebt, so enthält der 18"2 Seiten starke Bericht für
1891 und 1892 eine grosse Fülle werth voller Nachweise für fast
alle Klassen der Thierwelt. Zu unserem Bedauern hörten wir vor
einiger Zeit, dass aus geschäftlichen Gründen das junge Unter-
nohmen einem raschen Ende entgegen gehe. Hotfcntlich bewahr-
heitet sich diese Nachricht nicht.
Dr. Ernst Schaft'.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Herausgegeben von Dr.
G. Brandes. Gß. Bd. .5. Folge, 4. Bd., 1. u. 2, Heft. Mit 1 Tafel
und 1 Textfigur. C. E. M. Pfeft'er. Leipzig 18!t3.— Preis 2 Mk.
Ausser 22 Litteratur-Besprechungeii und eiiu'r Liste neu ei"-
scbienener Werke bringt das Heft 4 (.)riginal-Abhan<llüugen, näm-
lich: G. Brandes, Die Blattläuse und der Honigthau, ein Auf-
satz, auf den wir im Anschluss au unsere Mitthoibnig über Büsgeu's
in der „Naturw. M'^ocheuschr." VI, S. 130 besprocliene Unter-
suchungen über denselben Gegenstand ausführlich zurückkommen
werden. 2. H. Erdmann, Ueber Grösseuordnungen. 13. G.
Kleine, Ueber Einwirkung von Aethylenbromid etc, auf Trimetyl-
amin. 4. Dr. von Schi ech ten dal, Bemerkungen zu Dr. Eck-
.stein's ,,Pflanzengallen und Gallenthiereu", in welchen der auf
dem Gebiete der Cecidiologie wohl bewanderte Autor dankens-
werthe Ergänzungen und Verbesserungen zu der auch in der
„Naturw. Wochenschr." Bd. VII, S. 181, besprochenen Arbeit
Eckstein's liefert.
Bücherkataloge gingen uns zu:
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Prof Hartmann und des Prof. Marthe und zwar namentlich Werke
über und ziu- Geographie.
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No. 73 über boschreibende Naturwissenschaften.
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Neljenkarteu , nebst vollständigem alphabetischen Namenvcr-
zeichniss. 3. Anti. Bielefeld. 28 M.
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schweig. 7,öO M.
Backe, F., Ueber die Bestimmbarkeit der Gesteinsgemengtheile,
besonders der Plagioklasse auf Grui.d ihres Lichtbrechungsver-
mc-igens. Wien. 0,70 M.
Beilstein, Prof. Dr. F., Handbuch der organischen Chemie.
3. All«. 1. Bd. Hamburg. 49 M.
Berthelot, Sekr. M., Praktische Anleitung zur Ausführung theruio-
chennscher Messungen. Lei))zig. 2 M.
Binz, Arth., Ueber das optische Drehungsvermögen homologer
und isomerer Terpenderivate und über neue Abkömmlinge des
Fenchylamins. Göttingen. 1 M.
Brick, Dr. C, Ueber Nectria cinuabarina. Hamburg. 0,50 M.
Dippel, Prof. Dir. Dr. Leop., Handbuch der Läubholzknnilc.
Berlin. GO M.
£!der, Dr. Jos. Maria, u. Ed. Valenta, Ueber den Verlauf der
Bunsen'schen Fhimmenreactionen im ultravioletten Spectrum.
Wien. 1,60 M.
Fischer, Ed., Die Sklerotienkrankheit der Alpenrosen (Sclero-
tinia Kliododendri). Bern. 0,60 M.
Haacke, Dr. Wilh., Die Schöpfung der Thierwelt. Leipzig. I.t M.
Haeckel, Ernst, Der Monismus als Band zwischen Ridigion und
Wissenschaft. G. Aufl. Bonn. 1,60 M.
Haenle, Dir. Dr. Ose, Einführung in die organische Chemie.
Berlin. 2 M.
Heinitz, Geo., Elementare Berechnung der Zahl /<, welclu' den
((uadratischen Restcharakter bestimmt, (iöttingen. 1 .M.
Hugruenel, E., Beitrag zur Erklärung der Erdbeben und der
sehlagenil(>u \Vetter. Potsdam. 1 M.
Koerber, Gymn. - Oberlehr. Dr. Felix, u Paul Spiss, Physik
Berlin. 4M.
Kobert, Dir. Prof. Dr. Rud., Compendium der Arzneiverordnungs-
Udire für Studiri'iiil.' luid Aerzte. 2. Autl. Stuttgart. 7 M.
Kohl, Cust.-Adjunct Frz. Frdr., Hymenopteren, von Herrn Dr. Fr.
Stühbuann in (»stafrika gesammelt. Hamburg. 1 M.
Kohn, Frivatdoc. Dr. Gust., Ueber eine Eigenschaft der Invari-
anten von CiivarianteM. Wien. 0.30 M.
Kühling, Privatdoc. Dr. O., Handbuch der stickstoft'lialtigen
Ch'tlioenn(lensatious|u'iidncte. Berlin. IG M.
Kuthe, Max, Ueber Menthylamin. Dessau. 1 M.
Mayr, Dr. Gust., Formiciden. von Herrn Fr Stuldmanu in Ost-
Afrika gesammelt. Haudjurg. 0,50 M.
Molisch, Prof. Dr. Hans, Zur Physiologie des Pollens, mit bc- •
sonderi'r Rücksieht auf die chemotropischen Bewegungen der
Pollensehläuelip. Wien. 0,70 M.
Moog. Joh. Bapt., Ueber Elektrolyse einiger substituirter organi-
scher Säuren. München. 1,40 M.
Nernst, Frof. W., u. Dr. A. Hesse, Siodi- und Schmelzpunkt,
ihre Theorie und jiraktisehe Vi-rwerthung mit besonderer Be-
rücksielitigung organischer Verbiiulungen. Braunschweig. 2,40 M.
Pagenstecher, Dr. Arnold, Lepidopteren, gesauimelt in Ost-
Afrika 1888/89 von Dr. Frz. Stuhlmann. Hamburg. 1 M.
Pauli, B.ob., Bestiunnung der Emplindlichkeitskonstanten eines
Galvanometers mit astatischem Nadelpaar und aperiodischer
Dämpfung Göttingen. 3 M.
Pfeffer, Dr. Geo., Ostafrikaniscbe Fische, gesammelt von Herrn
Dr. F. Stuldmaini im Jahre 1SS8 und 1889. Hamburg. 2,'>0 M.
Potonie's, Dr. H., Naturwissenschaftliche Repetitorienr I. Heft:
Koerber-Spies, Physik. Berlin. 4 M.
Puluj, Prof. J., Ueber einen Phasenindicator und einige unt
demselben ausgefüiirte Messungen. Wien. 0,70 M.
Kawitz, Privatdoc. Dr. Bernh., Grundriss der Histologie. Berlin.
7 M.
Sadebeck, Dir. Prof, Dr. R., Die ])arasitischen Exoasceen. Ham-
burg. 5 M.
Schmidt, Archidiac. Adf., Atlas der Diatomaceen-Kunde. 47 Hft.
Leipzig. <> M.
Schuberg, Privatdoc. Dr. Aug., Carl Semper, Professor der
Zoologie und vergleichenden Anatomie an der königlichen
Universität Würzburg. Würzliurg. 0,G0 M.
Schrötter v. Kristelli, stud. med. Herrn. Ritter, Uebei- den
Farbstoff des Arillus von Af/.elia Ciianzensis Welwitsch und
Ravenala Madagascariensis Sonnerat, nebst Bemerkungen über
den anatomischen Bau der Samen Wien. 1,20 M.
Sobotka, J., Ueber Berüln-ungscurven der Schraubungsregel-
thichiui mit umschriebenen Cy linderflächen. Prag. 1,20 M.
Speckmann, G.. Beiträge zur Zahloulehre. Oldenburg. 2 M.
Thompson, Henry Dallas, Hyjierelliptische Schnittsysteme und
Zusannuenurilnung di'r algebraischen u. transcendentalen Tliefa-
cbarakteristikini. (iöttingen. 2 M.
Tornquist, Dr. Alex., Fragmente einer O.xfordfauna von Altaiii in
Deutsch-Ostafrika, nach dem von Dr. Stühbuann gesannuelten
Material. Hamburg. 2 M.
Vogel, Geo. Clem., Der Vermehrungsprocess im Tliierreiche.
Dresden. 2.50 M.
Letzte Entgegnung.
Auf Seite 551 der „Naturu-. Woelinnselir." d. J. behauptet
Herr Dr. F. Kurtz, dass er die Publication meines von ihm selbst
gelesenen Reisebriefes („Botanisclie E.xcursion durch die Pampas"
in No. 1 — 3 dieser Wochenschrift d. J.), zu welchen Reisebriefeii
mich übrigens der damalige Vorsitzende des brandenburgischeu
botanischen Ver(MU8, Herr Prof. Dr. Paul Maginis, schriftlich am
9. November 1891 für di'u Verein aufgefordert hatte, von di'r
Superrevision der Bestimmungen abhängig gemacht habe. Das
muss ich entschieden bestreiten; ich habe die Bestimmungen nur
als provisorische von Herrn Dr. F. Kurtz erhalten und an deren
Richtigkeit wenig Zweifel zu hegen brauchen, und ich habe mich
zu weiter nichts verpflichtet, als diese Bestimmungen wie pro-
visorische zu l)ehandeln, was ich ja aucli nur gethan habe.
Dr. Otto Kinitze.
Da die Leser, die sich für den Streitfall der Herren Kurtz
und Kuntze interessiren, nunmehr zur Genüge die Ansichten bei-
der Herren kennen, erklären wir die Discussion in der Angelegen-
heit in der „N.iturw. Woehensehr." für geschlossen. — Red.
Inhalt: Dr. Rieh. Otto: Ueber Aufnahme und Speicherung von Kupfer durch die Pflanzenwurzeln. — 65. Versammlung der
(iesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Nürnberg. — Ueber die Resultate von 48 mit Tuberculin behandelten
Tuberculosen. — Symbiose und Kampf ums Dasein unter den Mikrobieu. — Ueber einen eigenthümlichen Aufenthaltsort der
Afterskorpione. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Sanitätsrath Dr. Max Bartels: Die Medicin der N'atur-
völker. (Mit Abbild.) — Bericht über die L<dstungen auf dem Gebiete der Forst- und Jagdzoologie. — Z<?itscbrifl für Natur-
wissenschaften. — Bücherkataloge. — Liste. — Letzte Entgegnung,
£0P' Dii'ser Nummer liegt ein Prospekt der Rengerschen BuchhandlUDg, (loMiarill .UViiisdi
Atlas zur allgemeinen Zoologie" bei, den wir hiermit besonderer Beachtung empfehlen.
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IJi^ XB. .'^iche Besprechung in der
„NaiurwIssensch.Wochenschr." Bd. \'in. ISI'o Xr.-14.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Inseratentheil; Hugo Uernstein in Berlin.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagabuchhandlang, Berlin SW. 12. — - Druck: G. Bernstein, Berlin SW. 12.
Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band.
Sonntag, den 24.
December 1893.
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sprechenden Rabatt. Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannahme
bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdrnck ist nur mit vollständiger Qnollenangabe gestattet.
Die Mangrove.
Von Prof. Dr. G. II aber lau dt.*)
Ueberall, wo in den feuchten Gebieten der Tropen-
zoue die Meeresküste flach und schlammig ist und der
Ansturm der Brandung nicht allzu heftig wird, an den
Ufern der Buchten und Inselgruppen, an den Mündungen
grösserer Flüsse und Ströme, findet man im Bereich von
Ebbe und Fluth einen Wald- und Buschgürtel vor, die
Vegetation der Mangrove, welche in biologischer und
physiognoraischer Hinsieht zu dem Merkwürdigsten gehört,
was die tropische Pflanzenwelt aufweist.
Die auffallendsten Anpassungen der Mangrovepflanzen
sind jene, die mit der Fluthbcwegung zusammenhängen;
die breiten Gestelle der Stelzenwurzeln, das „Lebend-
gebären" der Keimpflanzen sind derartige Adaptationen,
die seit jeher die Aufmerksamkeit der Tropenreisenden
auf sich gelenkt und dabei nicht selten ganz irrige Coin-
binationen veranlasst haben. Doch auch die Anpassungen,
welche mit der Beschaffenheit des schlammigen Bodens,
mit dem Salzgehalt des Seewassers im Zusammenhang
stehen, sind höchst überraschend und eigenartig.
Meine erste flüchtige Bekanntschaft mit der Mangrove
habe ich in der Nähe des neuen Hafens von Batavia, bei
Taudjong Priok,und an den Küsten einiger kleiner Korallen-
inseln gemacht. Mehrere Arten von Mangrovebäumen
werden im botanischen Garten zu Buitenzorg im Quartier
der Sumpfgewächse mit Erfolg cultivirt und lassen sich
hier aufs Bequemste beobachten. Die ganze Eigenartig-
keit der Mangrovelandschaft habe ich jedoch erst auf der
Heimreise kennen gelernt, und zwar an der Mündung des
Serangoon- (Sairanggong-) Flusses an der Nordküste der
Insel Singajiore und am Strande der kleinen Insel l'ulu
Obin nordöstlich von Singapore. Der österreichische Consul,
Herr D. Brandt, besitzt auf dieser grösstentheils mit
*) Abdruck mit freiindliclier Genebiniiiuiig der Verlassliuch-
liaiidluiig, der wir auch die Cliches der Abbildungen verdanken,
uis des Vi'rfassers Buch „Eine botani.sche Tro|ieiireise" (Wilhelm
Sngelmann in Leipzig). Vergl. „Natiirw. Woclienschr.'' \'III, S. 538.
aus
E
Dschungel und Urwald bewachsenen Insel einige Kaflfcc-
und Pfefferplantagen; seiner Freundlichkeit verdankte ich
es, dass ich das Bungalow des Verwalters als behagliches
Absteig- und Nachtquartier aufsuchen konnte.
Auf heisser, schnurgerader Strasse durchquerte ich
zu Wagen die Insel Singapore und langte nach ein-
stüudiger Fahrt in früher Nachmittag.sstunde an der Mün-
dung des Sairanggong-Flusses an. Hier wurde sofort eine
kleine chinesische Dschunke bestiegen und nahe dem Ufer
stromabwärts gerudert. Die Hitze über dem trägen, miss-
farbigen Wasserspiegel war fast unerträglich; kein Vogel-
laut oder Inscctengezirpe unterbrach die Stille; nur manch-
mal krachte es in den Wurzelgestellen am Ufer, wenn
eines der häufigen Krokodile sich Bahn brach. Zahlreiche
Gasblasen stiegen auf und platzten mit leisem Paften.
Ein unangenehmer Sumpfgeruch erfüllte die schwüle Luft
und erinnerte an die pernieiöse Malaria, die hier zu
Hause ist.
Die Dschunke fuhr knapp neben dem Maugrovesaum
des rechten Ufers dahin. Den Hauptbestandtheil des
Waldes bilden die dichten buschigen Bäume einer Rhizo-
phora-Art, Rh. mueronata, die überall im malayischen
Archipel an der Zusammensetzung der ^langrovevegetation
den hauptsächlichsten Antheil nimmt. Es sind 3 — 7 m
hohe Bäume mit lebhaft hellgrünen Blättern (von der Ge-
stalt eines kleinen Blattes von Ficus clastica), die an den
Enden der weit abstehenden Zweige zu dichten, steilen
Rosetten zusammengedrängt sind (Fig. 1). Der Eindruck
des Lichten, den die Rhizophora- Kronen erwecken, wird
durch die zahllosen Liehtreflexe des glänzenden Laubes
und durch die hellgelbe Farbe der älteren Blätter nicht
wenig verstärkt, ^\'ie lange grüne Schoten hängen die
ausgewachsenen Keimpflanzen von den Aesten herunter.
Höchst charakteristisch ist der breite bandartige Saum,
den Wurzeln und Laubwerk knapp über dem AVasscr-
spiegel bilden. Zueist ein ganz dunkler, schwarzlirauner
578
Naturwissenschaftliche Wochenschvift.
Nr. 52
Streifen, das Gewirre der Stelzenwurzehi, und scliarf da-
von abgegrenzt ein im Sonnenschein fast schneeweisses
3 dem Breite, die untersten Theile der
beim höchsten Stande der Fluth unter
Band von etwa
Kronen, welche
Wasser tauchen
durch den
war.
und jetzt, wo die Fhith sciion gesunken
weisslichen Salz- und Schlanuubelag auf
den dunklen Wurzelgestellen
den Blättern sich scharf von
und dem frischgrünen Laubwerke abhoben.
Hinter diesem Rhizophora- Gürtel glauben wir hier
und da eine Weide zu sehen, mit schmalen, silbergrau
glänzenden Blättern; es ist eine Avicennia officinalis, deren
gelbliche Blüthenköpfchen einen höchst intensiven Duft
verbreiten. Zuweilen
drängt sich ein dunk-
lerer Baum vor, der
über und über mit roth-
grünen Früchten be-
hangen ist; zwischen
dem Kranze der
Kelchzipfel schauen
die abwärtshängen-
den Keimpflanzen
hervor; dies ist Bru-
guiera eriopetala,
während dahinter
noch eine andere Art
dieser Rhizophoreen-
Gattung, Bruguiera
gymnorrhiza, ihre
dunklen und hohen
Schirmkronen aus-
breitet. Da und dort
gewährt eine Lücke
in der undurchdring-
lichen Wand der Rhi-
zophora einen Ein-
blick in das Innere
des Mangrovewaldes.
Ueberrascht blicken
wir auf ein Bäum-
cheu mit buschiger
Krone, Carapa obo-
vata, aus welcher die
kopfgrossen, goldig-
braunen Kugelfrüchte
hervortreten und die
schwachen Zweige
nach abwärts ziehen.
Daneben erhebt sich
ein Busch von Aegi-
ceras majus, mit
seinen prächtigen
weissen Blüthendol-
den und den dichten Büscheln
Früchtchen. Eine stattliche Höhe erreicht die Lythracee
Sonneratia acida, \vährend die Nipapahne (Nipa fruticans)
anscheinend stammlos ihr
Wasser emporragen lässt
Nach kaum halbstündiger Bootfahrt eiTeichen wir den
Meeresarm und sehen jetzt schon auf Pulu Obin hinüber;
im Nordosten erheben sich schwarz - violette Gewitter-
wolken, die lichtgrüne Oberfläche der See beginnt sieh
zu kräuseln, der chinesische Schiffer spannt ein Segel aus
und rasch durchfurcht nun das Boot die bewegte Wasser-
fläche. Bald sieht man ganz deutlich den schwarzen
Wurzelsaum des Mangrovegürtels, darüber das hellgrüne
Laub und dahinter die weissen Säulenstärame der Urwald-
bäume mit ihren phantastisch geformten Aesten und Kronen.
Nach einer weiteren halben Stunde erreichen wir knapp
Figur 1.
Jüngeres Exemplar von Rhizophora mucronata; links eine einzelne verzweigte Stelzen
Wurzel. (Koralleninsel Edam bei Batavia.)
hornfürmig
gekrümmter
e glänzenden Blattwedel aus dem
vor Ausbruch des Ungewitters die Landungsbrücke in-
mitten des stark gelichteten Mangrovewaldes. Rechts und
links von der Brücke bietet sich hier die schönste Ge-
legenheit dar, zur Zeit der Ebbe die Eigenthümlichkeiten
der Mangrovevegetation zu studiren, ohne gerade eine
Kletterpartie auf dem Gewirre der Stelzenwurzehi unter-
nehmen zu müssen.
Unter den verschiedenen ]\Iangrovepflanzen besitzen
bloss die Rliizophoraceen ein Wurzelgestell, und nur bei
der Gattung Rhizophora selbst ist dasselbe von grösserer
Mächtigkeit. Dafür sind auch nur diese Bäume im Stande,
als weit in das Meer hinausgescholiene Vorposten, gleich
winzigen Inselchen,
dem Anprall der
Wellen genügend zu
widerstehen. Dem
kurzen Stamme ent-
springen allseits die
bogigen Stelzenwur-
zeln, welche erst in
horizontaler Richtung
und dann in weit-
ausgreifendem Bogen
abwärts wachsen. So
ruht der Stamm, der
am Grunde bald ab-
stirbt, auf einem
2 — 3 m hohen, breit
fundirten System
elastischer Streben,
die sich, sobald eine
Woge anprallt, auf
der Zngseite mehr
gerade strecken, auf
der Druckseite stär-
ker krümmen , um
schliesslich immer
wieder die ursprüng-
liche Form der Krüm-
mung anzunehmen
(Fig. 1). Sehr häufig
gabelt sich eine Wur-
zel in zwei Aeste,
indem die Spitze ab-
stirbt und dahinter
Nebenwurzeln ent-
stehen. Auch kommt
es häufig vor, dass
auf der Unterseite
der primären Wurzel
eine ganze Reihe von
Seitenwurzeln
steht, welche
Baum noch fester verankern helfen. Selbst von
Zweigen senken sich vertical Wurzeln herab, die
Boden sich reichlich verzweigen.
Während Rhizophora mucronata meist aufrechte BäUme
bildet, kriechen die alten Stämme von Rh. conjugata in
mancherlei Windungen über dem Wasser dahin, getragen
von den nach beiden Seiten hin ausstrahlenden Stelzen-
wurzeln, die selbst noch den unteren Aesten entspringen.
Man kann sich denken, welch abenteuerliche Gestalten
auf diese Weise zu Stande kommen.
Nächst dem Wurzelgestelle sind es die im Geäste
pendelnden Keimpflanzen, welche unser lebhaftes Inter-
esse erregen. Wieder ist es Rhizophora mucronata, welche
auch die Erscheinung der „Viviparie" besonders schön
zeigt und die längsten Keimpflanzen entwickelt (Fig. 2).
Sehen wir uns eine frisch vom Baume gepflückte Frucht
ent-
den
den
im
Nr. 52.
Natuvwissenschaftliche Wochenschrift.
579
näher an, so finden wir, dass sie sich in zwei Theile
gliedert; der obere Theil mit den zurüci^geschlagenen,
spröden Kelclibliittern gleicht einer raulisclialigen Leder-
birne von rothbrauner Farbe. Dies ist der eigentliche
Fruclitköri)er, ans dessen Schale nnten ein langer, stab-
artiger kSteng-el hervorragt, das Hypocotyl des Keindings,
der an der Mutterpflanze
Wj
4
kegelför-
er Theil ein Saugorgan
die Länge von einem Meter
erreichen kann. Die ge-
wöhnliche Länge beträgt
60 — 70 cm. Oben ist dieser
Stengel ca. 1,5 cm dick,
nach unten zu wird er
stärker und das keulige
untere Ende, welches in
eine harte, kegelförmige
Spitze ausläuft, erreicht
eine Dicke von 2 — 2,3 cm
und darüber. Auf dem
Längsschnitte durch die
Frucht (Fig. 3) zeigt sich,
dass die Keimblätter zu
einem merkwürdigen Ge-
bilde verwachsen sind,
dessen oberster
m
\orstellt, durch welches
der Keinding die für sein
starkes Wachsthum nöthi-
gen ISaustoft'e aufnimmt.
Dann folgt ein breiterer
Wulst, dessen Bedeutung-
wohl die ist, dass er das
Herausrutschen des immer
schwerer werdenden Keim-
lings verhindert; schliess-
lich folgt der röhrenförmi-
ge Scheidentlieil, der 1 bis
2 cm weit aus der Frucht
heraus wächst und die
Stammknospe umschliesst.
Hat das Hypocotyl die
oben erwähnte Länge er-
reicht, dann löst sich der
untere Rand der Keim-
blattscheide vom Stengel
los und der Keimling fällt
herunter. Dank seiner nach
unten zu kculenförnng- ver-
dickten Gestalt fällt er in
senkrechter Stellung zur
Erde und bohrt sich zur
Ebbezeit oder bei seichtem
Wasserstand fest in den
scidannnigen Boden ein.
Nun mag die Fluthwelle
kommen, sie kann dem
befestigten Keinding nicht
mehr viel anhaben, zumal
er sich schon nach weni-
gen Stunden durch Seitenwurzcln noch fester im Boden
verankert. Die ersten Internodicn des ziemlich lang-
sam wachsenden jungen Stammes sind stark gestreckt,
so dass die sich entfaltenden Laubblätter zur Fluthzeit
gerade noch über den Wasserspiegel hervorragen. Auch die
Verzweigung tritt erst in jener Höhe ein, welche die Fluth
bei ihrem höchsten Stande erreicht. Noch später wachsen
ganz nahe dem Boden die ersten Stelzenwurzeln aus dem
sich stark verdickenden Stamme hervor.
iSükLWSStJä
Fracht und Keimliug von Rhizoiihora
mucronatu (verklein.) (Tandjoug Priok).
Aehnlich verhalten sich
die Keimpflanzen der übrigen
Rhizophora-Arten. Bei allen
fällt bloss der Keimling vom
Baume herab, die Frucht
dagegen bleibt sammt dem
Keimblattkörper am Zweige
hängen. Bei Bruguiera da-
gegen fällt die ganze Frucht
sammt dem angewachsenen
Keimling herunter, was bei
der von nnr im botanischen
Garten zu Buitenzorg genauer
beobachteten Br. eriopetala
in Bezug auf die erste Befesti-
gung des Keimlings im Boden
entschieden von Vortheil ist.
Das aus der Frucht hervor-
ragende dicke Hypocotyl wird
nämlich am Baume bloss
ungefähr fingerlang, so dass
es häufig nicht senkrecht
herabfällt und sich nur un-
genügend oder auch gar nicht
in den Bodenschlamm ein-
bohrt (Fig. 4). Dafür dringen
nun mehrere von den zahl-
reichen, spitzen und festen
Kelchzipfeln in den Boden
ein, und da sie etwas ge-
krümmt sind, so verankern sie den horizontal auf dem
Boden liegenden Keimling vorläufig in genügender Weise.
Rasch wächst nun die
Hauptvvurzel aus und
befestigt das Pflänz-
chen dauernd im
Boden. — •
Als ich zur Zeit
der Ebbe den stark
gelichteten Mangro-
vegürtel neben der
Landuugsbrücke auf
Pulu Obin durch-
streifte, da niusste
ich mich fortwährend
in Acht nehmen, um
nicht über die zahl-
reichen aufrechten
ur 3.
Längsschnitt durch die Frucht von
Rhizophora mucronata, natürl. Grösse;
/' Fruchtschale, s Samenschale, c En-
dosperm, c Cotyledonarkörper, A Co-
tvledouarscheide.
Wurzelschlingen
zu
stolpern, welche sich
in grosser Anzahl
zwischen den Bru-
guieren über den
schlammigen
Boden
erheben. Diese eigen-
thümlichen Bildungen
kommen dadurch zu
Stande, dass die un-
terirdisch kriechen-
den Wurzeläste sich
stellenweise schräg
über den Boden er-
heben und nach
knieförmiger Krüm-
mung wieder in den
Schlamm eindringen.
Figur 4.
Frucht und Keimling von Bruguiera eriopetala.
(Natürliche Grösse.) (B. G. 13g.)
Bei Bruguiera gymnorhiza erreichen diese
Wurzelstttcke eine beträchtliche Dicke und Höhe
geknieten
und
bilden
um die Stämme ein sonderbares Zick-
580
Naturwissenschaftliche Woclienschrift.
Nr. 52
zack von schwarzbraunem Astwerk. Noch eine andere
Mangrovepflanze, Lumnitzera coceinea, zeigt diese Er-
scheinung, wenn auch in kleinerem Maassstabe. Was be-
deuten nun diese cigcnthümlichen Wurzelkniee? Die Ant-
wort darauf lautet ganz überraschend. Mat hat es in
ihnen, wie auf Grund ihres anatomischen Baues und eigens
hierzu angestellter Versuche mit Sicherheit zu behaupten
ist, mit eigenen Kespirationsorganen zu thun, deren Auf-
gabe darin besteht, das unterirdische Wurzelsystem mit
Sauerstoff zu versehen. Es ist ja leicht begreiflich, dass
in dem wasserdurchtränkten Schlamme, in welchem die
wachsenden Wurzeln sich ausbreiten, eine mehr oder
minder beträchtliche Sauerstoftarmuth herrscht, so dass
dem Wurzelsystem der zur Athmung nöthige Sauerstoif
von oberirdischen Theilen der Pflanze her zugeführt wer-
den muss. Durch Ausbildung jener AVurzelkniee hat sich
die Pflanze auf einfache Weise zu helfen gewusst. Die
Durchlüftung des Wurzelsystems kann so auf kürzestem
W^ege erfolgen.
Noch auffallender sind die „Athemwurzeln" der Avi-
cennia-Arten und von Sonneratia acida, deren Bedeutung
zuerst von Goebel erkannt worden ist. Einige mächtige
Exemplare des letztgenannten schönen Mangrovebaumes
befinden sich im Sunipfpflanzenquarticr des Gartens zu
Buitenzorg. Wie lichte Spargel.sjjrosse erheben sich aus
dem dunklen Schlamme die senkrecht emporstehenden
Athemwurzeln; dieselben sind geotroiiiscli nach aufwärts
wachsende Seitenäste der horizontal im Schlamme dahin-
kriechenden Bodenwurzeln-, ihr unterirdischer Theil ist
dünner als der spindelförmig in die Luft ragende Theil,
der eine Höhe von mehreren üecimetern erreichen kann.
Die Oberfläche der Wurzel ist mit einer gelbbraunen Kork-
haut bedeckt, die sich in unregelmässigen Fetzen ab-
schilfert, worunter ein weisses lockeres Parenchj-mgewebe
zum Vorschein kommt. Die Luftcanäle desselben stellen
die Communication zwischen der äusseren Atmosphäre und
den Durchlüftungsräumen des Wurzelkörpers her.
Auch bei anderen Pflanzen, namentlich Sumpfgewächsen,
welche in wasscrdurchtränktem Erdreich wurzeln, kommen
nicht selten ähnliche Athemorgane vor, wenn sie auch
niemals so gross und auffallend werden, wie bei den oben
erwähnten Mangrovebäumen.
Die eben geschilderten Athemwurzeln sind ein lehr-
reiches Beispiel für die Mannigfaltigkeit der Functionen,
welche die Wurzeln der Tropengewächse übernehmen
können. Wenn bei den Pflanzen unserer Gegenden die
Wurzel als jenes Glied des Pflanzenkörpers erscheint,
welches der „Metamorphose" am wenigsten unterliegt und
dessen Functionen mit seiner Aufgabe als Befestigungs-
und Ernährungsorgan, bisweilen auch noch als Reserve-
stoflspeicher, erschöpft sind, so wetteifert dagegen die
AVurzel der Troi)enpflanzen mit Blatt und Stamm in Bezug
auf die Verschiedenartigkeit der physiologischen und bio-
logischen Aufgaben, die sie zu übernehmen im Stande ist.
Wie mannigfaltig sind allein schon ihre mechanischen
Leistungen, als Säulen-, Bretter-, Stütz- und Stelzenwurzel
wie als Haft- und Rankenwurzel bei Lianen und Epiphyten.
Welch ungewöhnliche Metamorphose zeigen die Dorncn-
wurzeln der MyrniecodiaknoUen und des humussannnelnden
Wurzelgeflechtes von Grammatophyllum speciosum. Noch
merkwürdiger ist die Umwandlung der Luftwurzeln ver-
schiedener Orchideen zu grünen, bandförmigen Assimi-
lationsorganen; doch auch die gewöhnliehen Luftwurzeln
der epiphytischen Orchideen und Araceeu mit ihrem wasser-
aufsaugenden Capillarapparat, der Wurzelhülle, sind eigen-
artig genug. Dazu kommen schliesslich noch die oben
besprochenen Athemwurzeln verschiedener Mangrove-
pflanzen.
Alle diese, so verschiedenen Aufgaben dienenden
Organe sind Luftwurzeln oder aus solchen hervorgegangen.
Häufige Luftwurzelbildung ist aber bloss in einem sehr
feuchten Klima möglich, wo der Feuchtigkeitsgehalt der
Luft gross genug ist, um die durch die Wurzelhaube
nur unvollkommen geschützten Vegetationsspitzen der
Wurzeln nicht austrocknen zu lassen. Es ist sonach
kein Zufall, wenn wir gerade im feuchten Tropenklima
einer solchen Mannigfaltigkeit in Bezug auf Bau und
Function der Wurzeln begegnen, welche sogar den all-
gemeinen physiognomischen Eindruck der Pflanzenwelt
mitbestimmt. —
Nach dieser Abschweifung kehren wir wieder zur
Mangrovevegetation zurück. Es sind jetzt noch einige
Eigenthümlichkeiten des Laubes zu schildern, welche die
Maugrovepflanzeu mit der übrigen Strandtlora gemein
haben. Bei Betrachtung des anatomischen Baues der Laub-
blätter tritt uns nämlich, wie Schimper gezeigt hat, die
anscheinend paradoxe Thatsache entgegen, dass sich das
Laub durch dieselben Einrichtungen, welche wir auch bei
Pflanzen trockener Standorte, bei Steppen- und Wüsten-
pflanzen antreffen, vor zu starker Transpiration zu schützen
sucht. Das ist gewiss bei Pflanzen, die eine halb aqua-
tische Lebensweise führen, eine ganz unerwartete Schutz
maassregel. Die Aussenwände der Epidermiszellen sind
dick und stark cuticularisirt, die Spaltöft'nungcn häufig
eingesenkt, Schlcimzellen sind nicht selten und ein mehr
oder minder mächtiges Wassergewebe verleiht den Blät-
tern eine fleischige Beschaffenheit. In letzterer Hinsicht
fiel mir besonders auf, dass die älteren, bereits vergilbten
Laubblätter von Rhizophora mucronata, welche auffallend
lange an den Zweigen sitzen bleiben, bedeutend dicker
und fleischiger sind, als die ausgewachsenen grünen Blätter;
die mikroskopische Untersuchung lehrte denn auch, dass
diese Dickenzunahme auf einem nachträglichen Wachs-
thum des Wassergewebes beruht. Das aUernde Blatt,
welches nicht mehr zu assimiliren vermag, wandelt sich
in ein Wasserreservoir um; gewiss ein sehr merkwürdiger
Functionswechscl, den ein und dasselbe Blatt während
seiner Lebenszeit durchmacht.
Schon in einem früheren Capitel ist der Schlüssel
zum Verständniss des „xerophilen Charakters" der Strand-
flora mitgetheilt worden. Wie Schimper auf Grund von
Culturversuchen gezeigt hat, beeinträchtigt eine beträcht-
liche Koclisalzanhäufung in den Geweben des Blattes in
hohem Maasse seine Ernährungsthätigkeit; die Assimi-
lationsenergie des grünen Gewebes wird bedeutend herab-
gesetzt. Die Pflanzen des Meeresstrandes müssen dem-
nach die Wasseraufnahnie seitens der Wurzeln möglichst
einschränken, da mit dem Wasser eben auch Kochsalz
aufgenommen wird. Dies hat zur Voraussetzung, dass die
Transpiration so sehr als möglich verniin<lert wird, und
so erklärt sich das Auftreten jener Schutzmittel, die oben
aufgezählt wurden. x.
Nr. b2.
Naturwissenschaftliche VVochensciirift.
581
Das Reifen der Früchte und Samen frühzeitig von der iVliitterpflanze getrennter Blüthenstände.
Von 1'. Gi'iiebiiür.
Wohl schon seit den ältesten Zeiten, jedciitalls seit-
dem essbare Früchte Gegenstand der Versendung und des
Handels sind*), ist man auf eine Erscheinung aiit'nierksani
geworden, die man allgemein mit dem Namen des Nach-
reifens bezeichnet. Saftige Früchte werden, besouders
dann, wenn sie nach entfernten Bestimmungsorten be-
fördert werden sollen, und längere Zeit unterwegs sein
müssen, noch che sie ihre völlige Keife erlangt haben,
von der Mutterpflanze getrennt und so werden bekannt-
lich viele Aepfcl und Birnen, die Apfelsinen und Feigen
unreif versandt. Ebenso werden die Früchte solcher
Pflanzen, die zur Zeit der Reife sofort aufspringen und
die Samen weit fortschleudern, wie Impatiens, Viola,
Oxalis und viele andere, um den Verlust der besten
Samen zu vermeiden, vor der Reife abgenommen. Nie-
mals aber ist, soweit mir bekannt, mit diesem Nachreifen
ein Verlust oder nur eine Abnahme der Keimkraft der
Samen verbunden. Es sind mir jedoch keine Beob-
achtungen oder Versuche bekannt geworden, aus denen
hervorginge, wie weit bei verschiedenen Pflanzenarten die
Fähigkeit entwickelt ist, solche unreif abgetrennten Früciite
bezw. Samen oder auch an ganzen von ihrem Mutterboden
entfernten Exemplaren befindliche zur Keimfähigkeit zu
bringen. In der That ergiebt sieh bei einer Verg'leichung
verschiedener Pflanzen eine so grosse Verschiedenheit, wie
sie kaum erwartet werden konnte, denn während eine
ziemlich grosse Anzahl, und zwar nicbt nur von sogen.
succulenten Pflanzen, selbst die jüngsten Frueiitanlagen
zur Reife brachte, fand bei anderen nicht einmal ein Nach-
reifen schon ausgewachsener Samen statt, allerdings be-
wegt sich die Mehrzahl der Pflanzen in der Mitte zwiscben
beiden Extremen: die Samen fast oder ganz ausgewaciisener
Früchte erhalten auch, wenn sie aligetrennt sind, ihre
völlige Keimfähigkeit.
Veranlasst wurden die nachstehenden Versuche durch
die Beobachtung, dass Exemplare von Senecio vulgaris L.,
die in den ersten Tagen des April 1892, also zu einer
Zeit, wo noch die Blüthenköpfchcn nicht vollständig ent-
wickelt waren, aus dem Erdboden gezogen und in einem
kühlen Zimmer trocken aufbewahrt wurden, während des
allmählichen Verdorrens eine grosse Anzahl reifer Samen
erzeugten. Der noch mehrmals an derselben Pflanze auch
während des Sommers wiederholte Versuch lieferte das-
selbe Resultat (jedoch in kürzerer Zeit); wenn Befruch-
tung der Blüthen stattgefunden hatte, so war auch mit
Sicherheit auf reife Samen zu rechnen, gesetzt, dass ein
genügend (ca. 6—8 cm) lange« Stengelstück an dem
Blüthenköpfchcn belassen wurde und das Object nicht
der Sonne ausgesetzt blieb, sondern an einen kühlen und
schattigen Ort gebracht wurde.
Am verbreitetsten scheint diese eigenartige Erschei-
nung, abgetrennte junge Früchte zur Reife zu bringen, ab-
gesehen von Crassulaeeen und anderen Succulenten-Familien,
bei Amaryllidaceen, Liliaceen und Orchideen zu sein.
Das interessanteste Beispiel sowohl wegen der Grössen-
zunahme der betreffenden Organe als wegen der langen
Zeit, die die Pflanze zur Ausbildung der Früchte bedarf,
ist die bekannte Zinnnerpflanze Vallota purpurea Herb,
aus der Familie der Amaryllidaceen. Die Blüthenstände
der genannten Pflanze, von denen einige bezeichnete
*) Ich erinnere hier nur an jenen Korb voll karthaf;ischer
Feigen, an welche der alte Cato im römischen Senate sein ceterum
censeo knüpfte.
Blüthen befruchtet waren, wurden je nach dem Verwelken
der Blüthen zwischen dem 4. und 9. October 1892 am
(irunde abgetrennt und locker zwischen Fliesspapier oder
in Watte liegend auf dem Herbarienständer an einem
trockenen kühlen Orte bei matter Beleuchtung aber un-
gehindertem Luftzutritt aufbewahrt.
Zu dieser Zeit zeigten die Fruchtknoten, deren Narben
bestäubt waren, noch keinen Unterschied von den un-
befruchteten. Aber schon nach kurzer Zeit begannen die
Blüthenstände, die keine befruchteten Samenanlagen ent-
hielten, zu welken, und zwar fast in allen Theilen gleich-
massig, während bei den übrigen die unbestäubten Blüthen
mit den Fruchtknoten und Blüthenstielen abtrockneten,
der übrige Blüthenstand aber mit Einschluss des Schaftes
fest und saftig blieb und nur allmählich von unten nach
oben abstarb. Nach etwa 4 Wochen war ein ca. 2 cm
langes Stück trocken; Anfang December war nur noch
etwa die Hälfte des Stengels grün und am 29. Januar
zeigte die Frucht, die eine Länge von 33 mm und eine
Dicke von 14 mm erreicht hatte, eine leichte Gelbfärbung,
ohne jedoch welk zu sein. Der Stengel war bis auf ein
ca. 2 cm langes Stück trocken, das Blüthenstielclien unver-
ändert grün. Im Februar trocknete die Frucht zusammen,
sprang an einer Seite auf und die ausgesäeteu Samen
keimten bei erhöhter Temperatur nach ca. 3 Wochen in
normaler Weise. Der im laufenden Jahre wiederholte
Versuch mit derselben Art scheint zu gleichem Erfolge
zu führen. Leider steht mir jetzt nur ein Blüthenstand,
der zwei Früchte trägt, zur Verfügung, derselbe ist am
9. October 1898 abgeschnitten worden und zeigt heute
am 3. December ein noch 11 cm langes grünes Stengel-
stUck, die Früchte haben eine Länge von 23 und 25 mm
und eine Breite von 13 mm erreicht. — Die Samen ver-
brauchen augenscheinlich während dieser langen Zeit von
nahezu 4 Monaten die in dem dicken saftigen Stengel
aufgespeicherten Reservestoffe und dessen Feuchtigkeits-
gehalt, die Verdunstung ist auf ein Minimum beschränkt,
da die Spaltöffnungen, wie die vorgenommene Unter-
sucbung ergab, vollständig fest geschlossen sind und die
Ej)idermis ausserdem mit dem der Pflanze eigenthümlichen
reifartigen Wachsüberzuge bedeckt ist. Die Vergrösserung
der Fruchtknoten ist eine s.dn- beträchtliche zu nennen,
wenn man bedenkt, dass nach der Blüthe, als die Stengel
abgeschnitten wurden, dieselben nur 10 — 12 mm lang
und ca. 6 mm breit waren. Herr Geheinirath Prof.
L. Wittmack hat, wie er mir freundlichst mittheilte, die-
selbe Beobachtung an einer andern Amarvllidacec Hippe-
astrum robustum (vergl. Garteuflora 1892 V'erhandluugen)
gemacht.
In ähnlicher Weise haben eine grössere Anzahl von
Pflanzen die Fähigkeit gezeigt, ihren Samen die Keim-
fähigkeit zu erhalten, nur bei den wenigsten so auffallend,
wie bei Vallota, weil die Blüthezeiten meist in den Sonmier
fallen, und in Folge der grösseren Wärme der Reife-
proeess schneller vor sich geht. So zeigte Narcissus
poetieus L. die Eigenschaft im höchsten Grade. Am 7. Mai
1892 abgeschnittene Blüthen entwickelten ihre grossen
schwarzen Samen zur völligen Reife. Das nordafrikanische
und indische Ackcrunkraut Asphodelus tenuifolius Cav.,
von dem ich im vorigen Jahre durch die Güte des Herrn
Geheinu'ath Prof. Dr. L. Wittmack Samen, die in in-
dischem Weizen gefunden waren, erhielt, erzeugt eben-
falls Früchte, wenn es bald nach der Blütlie aus der Erde
gezogen wird. Von anderen Vertretern der Liliaceen
582
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 52
sind es besonders noch einige Alliumarten, die die ge-
nannte Eigenschaft besitzen, so besonders Allium Schoeno-
prasum L. und A. Cepa L. und weniger auffällig A. fistn-
losnm L., welche sämmtlich in blühendem Zustande von
der Zwiebel abgetrennt wurden (bei A. Schoenoprasum L.
habe ich den Versuch mehrniais mit gleichem Erfolge
wiederholt) ; in ähnlicher Weise scheinen sich A. sphaero-
cephalum L. u. A. obliqunni L. zu verhalten, denn ich
besitze Exemplare dieser Arten, die augenscheinlich zur
Blüthezeit oder doch bald nachher, mit noch wohlerhal-
tenen Blüthen unter schwachem Druck gepresst sind und
deren Fruchtknoten reife Samen enthalten). Die Früchte
anderer, oft mit den genannten nahe verwandten Allium-
Arten, scheinen eine bedeutend weniger grosse Lebeus-
zähigkeit zu besitzen, so missglüekten Versuche mit
A. Porrum L. und besonders mit A. acutanguluni 8chrad.
Einige Arten von Orchidaceen scheinen auch ganz
besonders zur Erhaltung ihrer befruchteten »Samenanlagen
befähigt zu sein, denn eine nicht geringe Anzahl, so
vor allen Orchis laxiflorus'-') Lndc. var. paluster (Jacq.),
0. latifolius L., 0. incarnatus L., 0. macnlatus L., Epipactis
palustris (L.) Crtz., E. latifolia (L.) AU., sowie Neottia Nidus
avis (L.) Rieh, und weniger Goralliorrhiza iunata ß. Br.,
(letztere, wenn sie etwas feucht oder in geschlossener Luft
aufbewahrt wird) entwickelten iln'c Samen, nachdem sie
während der Blttthc aus dem Erdboden gezogen waren, in
mehr oder weniger grosser Zahl. Die Samen waren bei
mikroskoi)ischer Betrachtung von den in normalen Ver-
hältnissen reif gewordenen nicht zu unterscheiden. Mein
verehrter Freund Herr Obergärtner E. Wocke theilte mir
mit, dass er ähnliche Beobachtungen an Ophrys apifera
Huds. gemacht habe, die er auf Wiesen bei Zanle unweit
Triest sammelte.
Dagegen konnte ich von Orchis militaris (L. ex p.)
Huds. (von 3 Pflanzen 1 Frucht), 0. coriophora L., Gymua-
denia conopea (L.) R. Br., Malaxis paludosa (L.) Sw., Li-
paiis Loeselii (L.) Rieh, und Listera ovata (L.) R. Br.
wenig oder gar keine Samen und nur, wenn sie in weit vor-
geschrittenen Stadien gesammelt waren, erhalten.
Unter den Dikotylen finden sich zunächst unter
den Polygonaceen einige Pflanzen, die, ziemlich jung ab-
geschnitten, Samen zur Reife gelangen lassen, so Rumex
maritinuis L. und R. acetosella L., Polygonum Convol-
vulus L. uüd P. aviculare L. (bedeutend weniger P. Bi-
storta L. und P. amphibinm L.), unter den Chenopodia-
ceen zeigt Salsola Kali L. die Eigenschaft in hervor-
ragendem Maasse, weniger Atriplex patuluni L. und A
hastatum L. sowie Chenopodium album L. — Montia
minor Gmel. Hess eine grosse Anzahl junger Samen zur
Reife gelangen.
Unter den Sympetalen sind besonders einige Convol-
vulaceen, die Orobanchaceen und eine Anzahl Compositen
zu nennen. Von Pharbitis purpurea (L.) Aschers, waren
einige Zweige mit ganz jungen Früchten abgetrennt
worden und, trotzdem die Blätter sehr bald verwelkten
und die Zweige täglich einige Stunden von der Sonne
getroffen wurden, erhielten sich die Früchte einige Wochen
grün und erzeugten je einen bis einige (allerdings immer
wenige) Samenkörner. Die Cuscuta-Arten erhalten sich
noch längere Zeit lebend, wenn auch der abgetrennte Zweig
der Nährpflanze abgestorben ist, während dieser Zeit ent-
wickeln sich die .Blüthen und Früchte weiter und er-
zeugen reife Samen. Eine ähnliehe Lebenszähigkeit zeigen
die Orobanchaceen, deren isolirte Blüthenstengel im Stande
sind, selbst die Samenanlagen von Blüthen reifen zu lassen,
deren Oorolleu zur Zeit des Abschneidens noch geöffnet
*) Orchis ist nach Saint-Lager (vgl. Ascherson in dieser Zeit-
schr. 1893, S. 354) masculiui genevis.
waren und daher ist auch wohl die Erscheinung zu erklären,
dass mau oft in Herbarien Orobanchaceen findet, deren
Corollen vollständig unversehrt und ausgebreitet sind,
während die stark angeschwollenen Fruchtknoten reife
Samen enthalten. Ich erhielt sowohl von solchen Pflanzen
von Phelipaea ramosa, Ph. arenaria und Orobanciie
Hederae, die ich aus der Erde entfernte und trocken auf-
bewahrte, als auch von solchen Exemplaren der ersteren Art,
von denen ich bei Beginn dei' Blüthenentwickeluug die
Nährpflanzen entfernte, normal ausgebildete Samen.
Von Campanula pyramidalis L. war im Juli 1891
ein grosser Blüthenstand im Berliner Botanischen Garten
durch den Wind abgebrochen, derselbe blühte, nachdem
ich ihn in der beschriebenen Weise zwischen trockenes
Fliesspapier gelegt hatte, noch einige Zeit fort und ent-
wickelte selbst aus relativ jungen Fruchtknoten keim-
fähige Samen, trotz der Sommerwärme wurde der Frucht-
stand erst nach ca. 1 Monat trocken. E. Wocke hat die-
selben Verhältnisse an Exemplaren dieser Art vom Monte
Spaccato bei Triest beobachtet.
Schliesslich wären noch einige Compositen zu er-
wähnen, die die genannte Fähigkeit besitzen, ausser dem
schon genannten Senecio vulgaris L., von dem ich auf
dem Lande oftmals gehört habe, dass man das Kreuz-
kraut nur ausrotten könne, wenn man alles verbrenne,
weil, — so setzte man allerdings mit grotesker Ueber-
treibung hinzu, — jedes trockene Stückchen wieder weiter
zu wachsen vermöge (!), würden von Seuecio-Arten noch
S. vernalis W.K. und silvaticus L. vorzugsweise in Be-
tracht kommen, bedeutend weniger S. viscosus L. und
S. Jacobaea L. Von anderen hierher gehörigen Gattungen
seheinen besonders Tussilago Farfarus L., Carlina vul-
garis L. und C. aeaulis L. Spilanthes oleracea Jacq.,
Galinsoga parviflora Cav., Achillea Millefolium L. und
Matricaria discoidea DC. Beachtung zu verdienen, in zweiter
Linie etwa Carduus nutans L. (C. acanthoides L. ent-
wickelte keine Samen), Chrysanthemum Tanacctnm Karsch
und Aster Tripolium L. Herr Wocke hat von Exem-
plaren von Cirsium (aeaule oleraceum), die er in blühen-
dem Zustande sammelte, reife, keimfähige Samen er-
halten, ebenso wurden Frnchtköpfe von Jurinca moUis
Rchb. reif.
Unter den hier aufgeführten Pflanzengru])pen wird
man einige der grössten Familien, besonders die Cruci-
feren*) und Leguminosen vermissen; bei denselben gingen
jüngere Früchte nach dem Abtrennen stets zu Grunde.
Auch Versuche an einigen Juueaceen, Iridaceen, Caryo-
phyllaceen u. a. lieferten negative Resulate. Das Extrem
in dieser Richtung scheinen die Magnolien zu bilden,
deren Samen, trocken aufbewahrt, allerdings überhaupt nur
eine kurze Zeit, ca. 2— o Monate, keimfähig bleiben;
denn Früchte der Magnolia tri))etala L. wurden, trotzdem
sie erst vollständig ausgewachsen abgepflückt waren,
nicht mehr reif, von den ausgestreuten Samen keimte nicht
ein einziger.
Eine grosse Zahl derjenigen Arten, bei denen wir
diese für die Erhaltung der Art so dienlich erscheinende
Anpassnngserscheinung in hohem Maasse ausgebildet
finden, sind nut die häufigsten und lästigsten unserer
Unkräuter**), bei anderen, wie bei den Orobanchaceen, ist
*) Wocke hat das Reifen junger Samen bei Exeinjilai-en
einiger alpiner Draben beobachtet, von denen die ganzen Pflanzen
aus dem Erdboden gezogen waren.
**) Diese Eigenthümlichkeit bildet eine nicht unwichtige Er-
gänzung der Eigenschaften der Allerwelts-Unkriuiter, auf welche
neuerdings Focke und Buchenau (Abb. Naturw. Vereins Bremen
XII, S. 424 und .554), u. a. auch bei Senecio vulgaris und Galin-
soga parviflora hingewiesen haben: sich rasch zur Samenreife zu
entwickeln und in mehreren Generationen im Laufe eines Sommers
zu erscheinen.
Nr. 52.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
583
die Fortpflaiizuns", weil au das Vorhandensein einer be-
stimmten Nährpflanze gebunden, zweifelhaft, bei noch
anderen, wie den Orchidaceen, die vegetative Vermehrung
schwierig. Danach scheint es, als ob wir es hier in der
That mit einer weit verbreiteten Schntzanpassung der
Pflanzen /u tlnni haben.
Die vorstehende Liste solcher Pflanzen, die die Eigen-
tiiümlichkcit besitzen, dass ihre geschlechtliche Vermeh-
rung durch das Abtrennen der Früchte oder durch äussere
Beschädigung der l'flanze, selbst durch Entwurzelung zu
einer Zeit, wo die Samen noch der Keimfähigkeit ent-
behren, eine Einbusse erleidet, soll keineswegs auf
irgend welche Vollständigkeit Anspruch machen, weder
was die Zahl der Spccies noch die Bedingungen der
Fruchtreife unter diesen abnormen Verhältnissen anbetrifft.
Einer späteren Untersuchung wird es vorbehalten bleiben,
festzustellen, inwici'crn der natürliche Feuchtigkeitsgehalt
der Luft, die Höhe der jeweiligen Ti'mpcratur und die
Luftbewegung auf die Aus])ildung solcher isolirti'r Frucbt-
stände einzuwirken im Stande ist.
Den Herren Prof. Dr. Ascherson, Geh. Kath Prof. Dr.
L. Wittmaek und Obergärtner Wocke sage ich für die
freundliche Unterstützung bei der vorliegenden Arbeit
besten Dank.
Die Blattläuse und der Houigthau betitelt sich ein
Artikel von Dr. 6. Brandes, Privatdocenten der Zoologie
in Halle, den er in der von ihm herausgegebenen „Zeitscbr.
für Natnrw." 66. Bd. (1893) veröft'entliclit. Sowohl über die
Blattläuse als auch über den Honigthau findet man häufig
falsche Angaben; so begegnet man trotz der eingehenden
Abhandlung Witlaezil's über die Anatomie der Aphideu in
zoologischen Arbeiten noch häufig der Meinung, die so-
genannten Ilonigröhren sonderten ein süsses Secret aus,
das von den Ameisen als Leckerbissen geschätzt würde
— und ebenso findet man in botanischen Lehrbüchern
trotz der ausführlichen und gewissenhaften Untersuchungen
Büsgen's*) noch oft genug die Ansicht von einer vege-
tabilischen Herkunft des Honigthaues vertheidigt.
Als in diesem ausserordentlich trocknen Sommer die
Naturerscheinung des Honigthaus in so auft'allender Weise
eintrat, dass fast alle Bäume und Sträucher mehr oder
weniger lackirte Blätter zeigten, fand man in der Tages-
presse und in faehwissenschaftliehen Zeitschriften mehr-
fach widersprechende Angaben über die Entstehung des
Honigthaus. Dies veranlasste mich, sagtBr., meine Aufmerk-
samkeit der eigenthümlichen Erscheinung zuzuwenden.
Vorausschicken will ich, dass meine Beobachtungen
die von Büsgen in's Eingehendste begründete Ansicht von
der animalischen Herkunft des Honigthaus vollauf be-
stätigen; trotzdem glaube ich über das von mir Beob-
achtete berichten zu dürfen, da allem Anscheine nach
noch immer Zweifel herrschen betreffs dieser Erscheinung,
und ich auch einige neue Thatsaeheu ermittelt habe; vor
allem will ich aber im Nachfolgenden versuchen, die
eigenthümliche Production des Honigthaus aus dem Bau
und der Lebensweise der Blattläuse zu erklären.
Vor Sonnenaufgang gebt es träge zu in den Blatt-
laus-Schaaren, die auf der Unterseite der Blätter und an
der Spitze der Zweige, wo die Rinde noch nicht allzusehr
verkorkt ist, ihr Wesen treiben. Erst wenn die Sonnen-
strahlen die wärmebedürftigen Thiere treffen, wird es
lebhaft. Sie wechseln ihre Plätze, bohren also an anderer
Stelle ihre langen Saugborsten ein, häufig nur versuchs-
weise, da sie natürlich nicht voraussagen können, ob sie
stets ein Gefässbündel, aus dessen Weichbast sie meist
die Säfte saugen, treffen werden, sie stossen und treten
einander und dann machen sie auch eigentbümliclie, uns
hier besonders interessirende Uebungen: plötzlich sieht
man nämlich das eine oder andere Thierchen wage-
recht vom Zweige sich abheben, wie ein Turner, der an
der Kletterstange die Fahne macht (nur dass die Aphiden
sich mit denVordergliedmaassen nur abzustemmen brauchen,
da sie ja vermittels des langen Rüssels sicher vor Anker
liegen), in demselben Augenblicke sieht man ein etwa
millimeterdiekes krystallklares Kügelchen am hinteren
Körperpole erscheinen, das durch kräftiges Stossen mit
*) Vergl. „Naturw. Wochenschr." VI. S. 130.
den Hintergliedniaassen weit fortgeschleudert wird. Wir
dürfen also nicht, wie es bisher immer geschah, von einem
Spritzen, sondern müssen von einem Schleudern der
Blattläuse sprechen. Wie dieses Fortschleudern geschieht,
lässt sicii nicht deutlich beobachten, doch vermuthe ich,
dass die eigcnthüudiehen, verhältnissmässig langen Borsten,
die den After umgeben, als elastische Träger des Tröpf-
chens dienen, und dass der Stoss des hinteren Extremi-
tätenpaares diese Borsten trifft, die dann ihrerseits die
Belastung fortschncllen.
Die fortgeschleuderten Kügelchen fallen zu Boden
oder treft'en auf Blätter des von den Blattläusen be-
wohnten oder eines benachbarten Strauches, wo sie je
nach ihrer Grösse und der Höhe, von der sie herunter-
geworfen wurden, zu einem mehr oder weniger grossen
Fleckchen sich al)platten. Es liegt auf der Hand, dass
diese Kügelchen meistens die Oberfläche der Blätter
treffen, aber es kommt auch oft genug vor, dass die
Unterseite den Tropfen auffängt. Nur plattet er sieh
hier selten ab, da er in der auf der Unterseite meist
vorhandenen Behaarung hängen bleibt und dann in seiner
ursprünglichen Form erhärtet, wobei er ein opakes Aus-
sehen annimmt. Diese Tropfen fallen nun neben und auf
einander und bilden in kurzer Zeit eine gleicbmässige
Schicht, deren Entstehung aus einzelnen Tröpfchen nicht
mehr zu erkennen ist. Die Berechnungen Büsgen's über
die Stärke der Honigthau-Production sind meines Er-
achtens zu gering ausgefallen, und zwar deshalb, weil er
die Saftzufuhr der zum Versuch dienenden Blätter durch
Abpflücken unterbrach, ich halje im Freien Uhrschälchen
unter die Blätter gehängt und auf diese Weise — aller-
dings ohne exakte Zählungen gemacht zu haben — eine
viel grössere Leistungsfähigkeit gefunden.
Wenn die Anhänger des vegetabilischen Honigthaus
dies für unmöglich halten, weil die Thierchen unter solchen
Umständen fortwährend trinken müssten, so kann ich nur
sagen, dass dies auch wirklich geschieht. Sie thun nichts
anderes, als neue Stellen anbohren und saugen, alles
andere wird nebenbei abgemacht. Sie haben aber auch
nichts zu thun. Wir finden nämlich in den Sommer-
monaten nur Weibchen (geflügelte und ungeflügelte): es
gilt also nicht, einen Hausstand in Ordnung zu halten;
ferner sind diese sehr fruchtbaren Weibchen vivipar, und
zwar verlassen die jungen Thiere den Körper in einem
vollständig entwickelten Zustande, so dass auch die Sorge
für die Eier und die junge Brut gänzlich fortfällt. Sic
können also fortwährend „beim vollen Glase" sich gütlich
thun und sie müssen dies auch, wenn sie anders überhaupt
leben wollen. Die eigenthümliche sommerliche Fort-
pflanznngsweise erfordert nändich eine Menge Nahrung,
andererseits macht sie im Körper viel Raunmnsprüche und
hat daher die Rückbildung der bei den Insekten die
Nieren vertretenden malpighischen Gefässe zur Folge ge-
habt. Diese galten bisher als völlig fehlend, jetzt glaubt
584
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 52
sie Witlaczil in dem sogenannten „secundären Dotter"
entdeckt zu haben. Jedoch sind sie jedenfalls sehr ru-
dimentäre Bildungen, da ihnen ein Lumen völlig fehlt,
und auch die Verbindung mit dem Darme nur eine ganz
oberflächliche zu sein seheint.
Es fehlen also den Blattläusen Organe, die die Ab-
fallproducte einer complicirten Verdauung aus den Körper-
säften entfernen könnten, also dürfen wir hier dement-
sprechend nur eine sehr unvollkonnnene Verdauung
voraussetzen. Dass der Honigthau nicht identisch ist
mit dem Safte der betreftenden ]5äume, also ein Ver-
dauungsvorgang im Magen der Aphiden bestimmt statt-
findet, beweisen uns die chemischen Analysen des Honig-
thaus und der zuckerartigen Substanzen der Blätter.
Ich will eins dieser Resultate anführen: Lindenblätter
enthielten unter 5 g Zucker ca. 4 g Rohrzucker und 1 g
Invertzucker, die Auswurfstoffe der aut den Lindenblättern
lebenden Blattläuse in der gleichen .Menge ca. 2V ., g Rohr-
zucker, ly., g Invertzucker und 1 g Dextrin. Die Ver-
dauung hat also eine Spaltung des Rohrzuckers zu Gunsten
von Invertzucker und Dextrin veranlasst. Eine weitere
Verdauung der zuckerhaltigen Nahrung würde die Säfte
der Thiere mit giftigen Stoffen beladen, für die ein Aus-
weg nicht gefunden werden könnte; daher die Ver-
sehwendung des Materials, über die auch Büsgen in der
oben citirten Honigthau-JIonographie seine Verwunderung
ausspricht.
Man wird mir vielleicht den Vorwurf machen, mit
dieser Erklärung allzusehr anthropomorphischen Vor-
stellungen gefolgt zu sein, aber ich meine mit Unrecht,
denn ich will ja gar nicht behaupten, dass der Causal-
nexus nun wirklieh ein solcher gewesen ist, wie er aus
meiner Darstellung sich ergiebt. Ebensogut wie von der
Fortpflanzungsart als gegebener Grösse könnte man auch
von der Ernälu'ungsweise ausgehen: mir kommt es lediglich
darauf an, zu zeigen, dass die auffallende Verschwendung
von werthvolleni Nahruugsmaterial auf's Innigste zu-
sammenhängt mit dem Bau und der Lebensweise der
Aphiden.
Auch nniss weiter in Betracht gezogen werden, dass
die so unvollkommen verdauten Auswurfstoffe den Blatt-
läusen doch noch in gewisser Hinsieht nützlich werden.
Es ist allgemein bekannt, dass die Ameisen dieses
krystallklare, süsse Excret mit Begierde verzehren und
daher aus sehr egoistischen Gründen als eine eifrige
Schutztruppe der Blattläuse auftreten, indem sie deren
ärgste Feinde, die Larven der Coccinelliden, angreifen
und von den befallenen Zweigen entfernen.
Wenn von gegnerischer Seite behauptet wird, die
Blattläuse stellten dem süssen Honigthau nach, so entbehrt
dies sicher jeder thatsächlichen Beobachtung: niemals
sitzen die Thiere auf den Honigthauflächen, auch wäre
es ihnen überhaupt mechanisch unmöglich, mit den langen
dünnen Saugborsten den flächenhaft ausgebreiteten Gummi-
Zucker aufzunehmen.
Was die Meinung angeht, der Honigthau quelle als
Tropfen an der zai-testen Stelle des Blattes, der Blatt-
spitze, hervor, so wird es Niemandem gelingen, jemals ein
Blatt zu Gesicht zu bekommen, das an seiner Spitze einen
Honigthautropfen zeigt, ohne vollständig oder doch zum
grössten Theile von dem Excrete bedeckt zu sein:
an der nach abwärts hängenden Blatfspitze läuft lediglich
der angehäufte Honigthau ab. Würden diese Tropfen
den feinen Si)rUhregen Itilden, den man bei günstiger Be-
leuchtung häutig beobachten kann, so würde er Jedermann
ohne weheres sichtbar und fühlbar werden müssen, denn
die Zähigkeit des Honigthaus würde bis zum Herunter-
fallen des Tröpfchens eine starke Ansammlung von IMasse
nöthig machen, und dann würde mau auch die Tröpfchen
sehr mannigfach
vorgetragenen
senkrecht hinabfallen sehen und nicht in
wechselnden Curven.
Sollte Jemand an der Richtigkeit der
Ansieht noch Zweifel hegen, so prüfe er bei geeigneter
Witterung selbst. Häufig mag es scheinen, als ob an
einem Baume trotz reichlichen Honigthaues keine Blatt-
läuse sind. Vielleicht sitzen sie an einem benachbarten
höheren Baume, vielleicht sitzen sie sehr versteckt an den
Spitzen der höchsten Zweige; — um ihre Anwesenheit
nachzuweisen, beklebe man die am stärksten lackirten
Blätter mit Papier und man wird sehr bald kleine Tröpf-
chen auf demselben nachweisen können. Vorausgesetzt
natürlich, dass es frischer Honigthau ist, der die Blätter
bedeckt, denn es ist ja auch möglich, dass die Blattläuse
den Baum aus irgend welchen Gründen verlassen haben.
Es mögen sich auch Pflanzen mit zahlreichen Blatt-
läusen finden, die keine Spur von Honigthau auf ihren
Blättern zeigen, trotzdem die betrefl'enden Pflanzen eben-
falls zuckerhaltige Säfte haben. Ein Umstand, der uns
durchaus nicht in Erstaunen setzt: die Natur lässt sich
eben nicht schematisiren. Es giebt sehr viele Arten von
Aphiden, von denen einige vielleicht ganz anders organi-
sirt sind — Untersuchungen in dieser Richtung stehen
noch aus.
Zum Schluss will ich noch bemerken, dass man häufig
Blattläuse sieht, an deren beiden sogenannten „Honig-
röhren" je ein Honigthautröpfchen hängt; es ist dies ab-
norm; es gelang dem Thiere nicht, die Kügelchen ordentlich
fortzuschnellen, und diese klebten daher an den hervor-
ragenden „Honigröhren" fest. Die letzteren haben gar
nichts mit dem Honigthau zu thun : sie lassen beim Angriff
der Florfliegen ein sehr schnell erstarrendes röthliches
(Carotin) Wachs austreten, mit dem sie den Feinden die
Zangen zu verschmieren suchen. x.
Nachtrag zu dem Aufsatz: Der Begriff der Blütlie.
(In No. 47, Bd. VIII, der „Naturwissenschaftlichen Wochen-
schrift."). — Prof. K. Goebel hat die Ausdehnung des
Begriffes der „Blüthe" auf die sogenannten Fructificationen
in Sprossform der Pteridophyten schon im Jahre 1884 in
seiner „Vergl. Entwickelungsgeschichte der Pflanzen-
organe" S.272 (Schenk's Handb. d. Bot., III. Bd., 1. Hälfte,
Breslau) vorgenommen. An dieser Stelle finden wir die
Bemerkung: „Bei den heterosporen Gefässkryptogamen
greift die Sexualdift'erenz schon auf die Sporen und Spo-
rangien zurück, und wir können dementsprechend auch
die Sjjorangienstände dieser Pflanzen als „Blüthen" be-
zeichnen, um so mehr, als sie in der That das Prototyp
der Blüthen der Samenpflanzen sind. Es sind auch hier
deutlich umgel)ildete Laubsprossen, die sich zu „Blüthen"
gestalten. So sitzen bei Isoetes die Sporangien auf der
Basis gewöhnlicher Laubblätter. Der Spross, der sie
trägt, ist aber nicht ein Sexualspross, sondern wächst
später vegetativ weiter, ein Fall, der sich bei den weib-
lichen Blüthen von Cycas wiederholt." Ja, schon in der
Aeusserung von 1882 desselben Autors in seinen „Grund-
zügen der Systematik" (Leipzig), S. 339: „die Blüthe im
weitesten Sinne des Wortes wird gebildet von den Ge-
schlechtsorganen (d.h. den Sporophyllen) imd dem sie
tragenden Axengebilde" ist dasselbe, nur kürzer ausge-
sprochen.*) Schade aber, dass in der Praxis die Ueber-
tragung auch von Goebel bis jetzt nicht zur Anwendung
gekommen ist: man wird die Botaniker an den zweck-
mässigeren Gebrauch des Wortes Blüthe gewöhnen müssen,
und ich selbst habe damit begonnen, indem ich in meinen
neueren paläophytologischen Abhandlungen stets an Stelle
*) Vergl. aueli 1. c. S. oöO oben und Anmerkinif;; I.
Nr. 52.
Naturwissenschaftliche Wocheuschiift.
585
von „FriK'titicationcn" u. dergl., dort, wo es sich um mit
Sporoph}llen besetzte, \ün den rein vej;etativen Spross-
tbeilen wohl abgegliederte Sprosse oder Spross- Enden
handelt, den Terminus Hlüthe angewendet habe, wie icli
das auch in Zukunft thun werde.
Uebrigens habe ich in meiner Auseinandersetzung
(„Naturw. Wochensehr." VIII, 8.517 tf.), zu der die vor-
liegende Mittlieilung einen Naelitrag bildet, Herrn Prof.
Engler mehr deshalb eitirt, um grösseren Nachdruck zu
linden, als dass ich der Meinung gewesen wäre, dass ihm
die Priorität gebiiiire; ich freue mich sehr, dass ich hier
Gelegenheit habe, auch die obigen Aeusserungcii eines so
gewiegten Morphologen wie Herrn Prof. Goebel's nunmehr
in die Wagschale zu werfen. Es war mir, bevor ich den
Artikel 1. c. sehrieb, dunkel erinnerlich, dass ich auch schon
in früheren Schriften ttltcr die Erweiterung des Begriffes
der ßiütlie auf die Sprosse der Pteridophytcn mit Ge-
schlechtsblättern Andeutungen gelesen hatte, aber da mich
das Gedächtniss im Stich gelassen hatte, und auch gelegent-
liche Anfragen bei iiiesigen Botanikern mir nur den Hin-
weis seitens des Herrn Prof. E. Koehue einbrachte, dass
seiner Erinnerung nach, jedoch ohne sich dafür verbürgen
zu wollen, die in Rede stehende Anwendung des Wortes
Blüthe auch von einem „amerikanischen Botaniker" ver-
fochten werde, so Hess ich's leider bei dem Citat nur
eines Autors bewenden.
Herr Prof. Goebel hat die Güte gehabt, mich auf
W. C. Belajeff's Verr.ft'entliehung von 1891 (., Zur Lehre
von dem Pollenschlauche der Gymnosi)ermen.'' Berieht der
Deutschen botan. Gesellschaft,"^ Bd. IX, Berlin, S. 280 ff.)
besonders hinzuweisen, weil hiernach die früher angenom-
menen und von mir in dem 1. c. S. 518 gebotenen Schema
behaupteten Homologien:
Seinginella : Gymnospennen :
Prothallium = Prothallium
Spermatozoiden = Pollenschlauch
ins Schwanken gerathen sind.
Die Darstellung der Vorgänge im Pollen- Korn und
-Schlauch der Siphonogamen vor Belajefif war z. B. nach
Goebel's zusammenfassender Darstellung von 1884 (1. c.
S. 427) die folgende: „Die üebereinstimmung der Pollen-
körner mit den Mikrospuren zeigt sich zunächst darin,
dass eine Theilung in 2 Zellen auftritt, von denen die
eine, dem Antheridium entsprecliende, zum Pollenschlauch
auswächst, während die andere sterile die Protlialliumzelle
darstellt, die sich noch weiter theilen kann.''
Belajeft" hat nun gezeigt, dass die Verhältnisse keines-
wegs so einfach sind, und E. Strasburger hat dessen Unter-
suchungen bestätigt. Bclajeff hatdieEntwickelung von Gym-
nospermen-Pollenkörnern, namentlich diejenigen der Eibe
(Taxus Ijaccata) verfolgt und ist zu dem bemerkenswertheu
Resultat gekommen, dass der Pollenscblauch keineswegs
als die generative Zelle (ähnlich den Spermatozoiden) an-
gesehen werden kann; der Pollenschlauch ist nur eine
vegetative Zelle, denn in denjenigen Fällen, in welchen
im Polleukorne der Gj'uinospermen, wie bei Taxus, sich
eine kleine (früher als Prothallium gedeutete) Zelle bildet,
wird dieselbe nicht — wie früher angenommen — resorbirt,
sondern sie tlieilt sich in zwei Zellen, von denen die eine
zur Sjtitze des Pollenschlauches w'andernd zur befruchten-
den, also generativen Zelle wird. H. Potonie.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Ks wurden ernannt: Der ausserordentliche Professor für
Elektrotechnik an der Technischen Hochschule in Prag Dr. Do-
malik zum Ordinarius. — Dr. H. H. Tumor, erster Assistent
am Kgl. Observatorium in Greenwich zum Professor der Astronomie
an der Universität Oxford. — Die Bei'grätlie Schantz in Zeitz. —
Dörell in Grund a. Harz - undViedenz in Eberswalde zu Ober-
bergräthen. — Dr. Nicole zum Director des Bacteriologischen
Institutes in Constantinopel. — Mr. W.F.C. Gurlev zum Director
der Geologischen Landesaufnahme des Staates Illinois. — Der
Geologe \V. T. Mc Gee zum Leiter des Bureau of Ethnology in
Washington, U. S. — An der Universität von Pennsylvanien Pro-
fessor E. D. Cope zum Lehrer für vergleichende Anatomie und
Zoologie — und Professor A. P. Brown zum Lehrer für Geologie
und Mineralogie.
Es sind gestorben: Der Professor der Chemie an der Universität
Giessen Dr. Eugen Le 11 mann. — Der Chemiker Liardet in
Melbourn in Folge Explosion in seinem Laboratorium. — Der
amerikanische Bergingenieur A r t h u r F r e d e r i c k W e n il t in Berlin.
— Der Kgl. ungarische Geologe Dr. Georg Fr i mies zu Belcnyes
in Ungarn. — Der Geologe H. W. Crosskey zu Birmingham. —
Der Bergingenieur Adolf Stein zu Tolucca in Mexiko. — Der
Director des Agriculture College in Aspatria Dr. Wcbb. — Der
Schriftsteller, besonders auf geographischem Gebiete, Julius
Loewenberg in Berlin.
In Joliannesliurg, Süd -Afrika, ist \T)r einiger Zeit ein Süd-
afrikanischer Ingenieur- und ArcMtekten - Verein gegründet
worden. Die Vorträge handeln hauptsächlich über Borgbauweseu
und werden in den Verhandlungen des Vereins publicirt. Prä-
sident: Bergingenieur Hennen Jennings.
Die neunte Versammluug Russischer Naturforscher tagt
vom l.i. bis 2:3. Januar 1891 in Moskau.
L i 1 1 e r a t u r.
1. Dr. Ernst Krause (Carus Sterne), Tuisko-Land, der arischen
Stämme und Götter Urheimath Erläuterungen zum Sagen-
sehatze der Veden, Edda, Ilias und Odyssee. Mit Tij Abliildungen
im Text und einer Karte. Verlag von Carl Flemming. Glogau
18',) 1.
2. Krause, Die Troja-Burgen Nordeuropas, ihr Zusammenhang
mit der indogermanischen Trojasage von der entführten und
giifangonen Sonnenjungfrau (Syrith, Brunhild, Ariadne, Helena),
den Trqjaspielen, Schwert- und Labyrinthtänzen zur Feier ihrer
Lenzhefreiung. Nebst einem Vorwort über den deutschen Ge-
lehrtendünkel. Mit 2G Abbildungen im Text. Glogau 1893.
1. Unter dem Einfluss der Bibelsagen, wonach Asien als die
Heimath des Menschengeschlechtes betrachtet wird, von wo aus die
übrigen Theile der Erde bevölkert worden sein sollten, hat man
auch die noch in mehr oder weniger voller Reinheit den Norden
und einen Theil Mitteleuropas bewohnenden Arier, die lang-
schädelige Rasse mit blondem Haar und blauen Augen, von dort-
her in ihre jetzigen Sitze gelangen lassen.
Es erschien ganz natürlich, dass die Erde in den Gegenden,
wo sie heute noch dem Menschen die Existenzbedingungen am
leichtesten gewährt, auch in grauer Vorzeit zuerst bewohnt wurde,
und dass erst spätere zwingende Verhältnisse die sich stark ver-
mehrende Bevölkerung theilweise dazu trieben, andere, allmählich
immer entlegenere, weniger günstige Landstriche zu ihrem Wohnsitze
zu erwählen. Im Zusammenhange hiermit mussten natürlich auch
alle Helden- und Göttersagen des Nordens, welche Verwandtschaft
mit südlichen zeigten, auf diese als ihren Ursprung zurückzuführen,
von diesen nur Ausstrahlungen mit lokalen, den Verhältnissen
des Klimas, des Landes und der veränderten Lebensweise seiner
Bewohner entsprechenden Färbungen sein, Nibelungenlied,
Gudrun etc. nur nordische Variationen der älteren Ilias und
CIdyssee. Den unumstösslichen Beweis hierfür glaubte die Sprach-
forschung erbracht zu haben, als sie wirkliche Verwandtschaft in
Bau und Wortwurzeln zwischen der .altheiligen Sprache der Inder,
dem Sanskrit, und den arischen Sprachen nach« ies — die Frucht
dieser Entdeckung war die indogermanische Sprachenfaniilie, welche
von der lange gesuchten Ursprache (anfangs sogar der Menschheit)
ausstrahlen sollte. Zweifel blieben nicht aus, und gewichtige Be-
denken stiegen auf. Viele der der sogenannten Ursprache der
Menschheit angeschweissten jüngeren Sprachenglieder erwiesen sich
auch dem enragirtesten Anhänger der Theorie als unvereinbar
damit, und hinsichtlich der in Indien vermeintlich entdeckten
Urheimath der dolichocephalen, blonden, blauäugigen Arier lehrten
ilie Kolonisationserfahrungen der Engländer, dass letztere An-
nahme unhaltbar sei. Man verlegte schliesslich die Urheimath
der Arier auf das Plateau von Pamii\ Obwohl also eine Spaltung
in den Meinungen seit lange bestand, so hatte die alte Hypothese
doch noch ihre eifrigen Anhänger, und namentlich in den Kreisen
der Sprachforscher waren diese vertreten.
Hiergegen wendet sich Dr. Ernst Krause, indem er die Fr.age
nach der Herkunft der Arier vom naturwissenschaftlichen, ethno-
logischen und prähistorischen Standpunkte aus zu lösen sucht.
Wenn wir uns die Geliiete ansehen, in welchen uns heute die
arische Rasse mit ihren charakteristischen Eigenschaften (dolicho-
cephal, blondhaarig und blauäugig) geschlossen am reinsten ent-
gegentritt, so bleiben wir bei Nord- und Mitteleuro])a stehen.
Besonders das Erstere — Skandinavien und Jütland — dann aber.
586
Naturwissenschaftliche Wocheuschriit.
Nv. 52
allerdings in nach Süden stetig abnehmendem Vei-hitltnisse,
Mitteleuropa weisen in der Gegenwart diejenigen Bedingungen
des Klimas und alle sonstigen Lebensverhältnisse auf, unter
denen die Rasse bestehen und sich fortpflanzen kann. Begegnen
wir ihren Angehörigen in ähnlicher reiner Erhaltung in südlicheren
Ländern, in einem wärmeren Klima, so geschieht dies stets in einer
solchen Höhe über dem Meere, dass der Unterschied der gerin-
geren geographischen Breite durch den der bedeutenderen Er-
hebung ausgeglichen wird. Hierzu kommt natürlich als wesent-
lich hinzn, dass sich diese zerstreuten Stanimesglieder möglichst
frei von 'fremden Elementen gehalten haben. Beispiele hierfür
und zugleich Wegweiser für die alten einst eingeschlagenen
Strassen bilden die Osseten im Kaukasus, das Bergvolk der Kurden,
die Kafirs oder Siah Posch in den hohen Gebirgen Afganistans, die
Kabylen im Atlas und die Sphakioten auf den Gebirgen Kretas.
Die vielgerühmte Heimat der Arier, Indien, und selbst das aus-
hülfsweise dafür eingeschobene Plateau des Pamir lassen keine
Spur arischer Bevölkerung erkennen, trotz der im ersteren seit
Tausenden von Jahren gebräuchlichen Sprache des Sanskrit; ja,
wie die Kolonisationsversuche der Engländer gelehrt haben, sind
sänimtliche Lebensbedingungen dortselbst dem Fortkommen der
arischen Rasse entgegen. Dass dieselbe in jenen Gegenden einst
aufgetreten ist, wird durch die Sprachverwandtschaft des Sanskrit,
durch die megalithisehen Denkmule, durch Verwandtschaft der
Sagen und durch die in der Nähe tler früheren Strassen noch be-
findliehen Stammesrelicte bewiesen: aber die Rasse war dort nicht
autochthon, sondern sie war von Norden aus, aus dem nördlichen
und mittleren Europa eingewandert. Starke Vermehrung in der
Heimath und kriegerischer Sinn trieben die kampfesfreudigen
Schaaren hinaus, theils längs der Küsten, theils den grossen
Strömen folgend ins Land hinein, über die Gebirge weiter bis an
die fernen Meeresgestade. Ueberall traten sie als die Sieger und
Herren auf, das beweisen noch alte Anklänge der Sprache, wie
Aryas im Sanskrit, worunter die Adligen und Herren verstanden
werden, und in den Tagen Homers werden dii> Personen edler
Abkunft, sowie die Göttergestalten der Pallas Athene, Demeter
und des Apoll stets als blond im Gegensatz zu dem gemeinen,
brünetten Volke geschildert. Welche Wege die alten Arier ge-
zogen sind, das bezeichnen die von ihnen hinterlassenen mega-
lithisehen Denkmale (Menhirs, Dolmen und Kromlecs); aber in
fast allen südlicher gelegenen Gegenden ist die blonde Rasse
vollständig in die brünette, brachycephale Bewohnerschaft auf-
gegangen, da sie niclit die für ihre Existenz erforderlichen Be-
dnigungen fand; und nur dort, wo sie sich rechtzeitig in das Ge-
birge zurückzog und sich von Vermischung frei hielt, hat sie bis
auf den heutigen Tag ihre Nachkommenschaft erkennbar erhalten.
Verfasser geht alsdann im weiteren Verlauf seiner Unter-
suchungen auf die Beziehungen zwis-chen unseren altnordischen
Heldensagen und denen der Griechen (llias und Odyssee) ein und
begründet, dass die ersteren die ursprünglichen, die letzteren
dagegen die z. Th. ganz entstellten Umbildungen jener sind.
Die griechische Trojasage und der nordische Eddamythus haben
beide naturgeschiehtliche Grundlage, es ist die Darstellung des
Kampfes zwischen Winter und Sommer. Die starke Burg, welche in
unglaublich kurzer Zeit erbaut wird, ist das Eis, der Held, der sie
zerstört, die Sonne. In den nordischen Sagen ist dieser Kern
noch leichter zu erkennen, in den berühmten griechischen da-
gegen ist eine so weitgehende Zusammeumischung verschieden
zeitlicher, z. Th. ganz abweichender Elemente vor sich gegangen,
dass dieselben geradezu zu einer Karrikatur der einfach schönen
Muttersagen geworden sind. In gleicher Weise behandelt Verf.
die Beziehungen der auftretenden Helden, Götter und der ihnen
geweihten Thiere, sowie endlich auch die Odyssee in ihrem Ver-
hältniss zum Norden. Ausführlicher auf den Inhalt des Werkes
einzugehen, hiesse ein neues Buch darüber schreiben; wir müssen
uns hier damit begnügen, dem Leser die Leetüre desselben auf
das wärmste zu empfehlen. Aber nicht allein dem gebildeten
Laien ist das Buch zu empfehlen, auch der Mann der Wissen-
schaft wird es mit vielem Interesse und nicht ohne Nutzen lesen
und daraus Anregung zu weiterem Nachdenken und zu neuen
Studien und Untersuchungen schöpfen nach einer Seite hin, die
leider bisher nicht genug gewürdigt oder durch Vorurtheil unbe-
achtet gelassen; ist die Fülle der neuen Gedanken doch eine so
grosse, dass viele derselben eben nur haben angedeutet werden
können.
2. Der Verfasser nennt die Mythologie „den Niederschlag
der Naturdeutungsversuche der Kiudheitsvölker" und glaubt, sie
am kürzesten und tretTcudsten als „Volksnaturgeschichte" be-
zeichnen zu können. Von dieser Auffassung ausgehend, welcher
auch Referent unbedingt zustimmt, verfolgt Ernst Krause in
seinem jüngsten Werke „Die Trojaburgen Nordeuropas etc." seine
iu Tuisko-Land zum Theil nur in allgemeinen Umrissen wieder-
gegebenen Anschauungen über die Herkunft der Arier w'citer und
erbringt eine Menge neuer, auf gründliche, weitgehende Forschungen
und scharfsinnige, glückliche Schlüsse basirte Beweise für die
Richtigkeit seiner Ansicht. Jeder, der das vorliegende Buch
nach der Leetüre von Tuisko-Land gelesen hat, wird zugestehen
müssen, dass sich ihm jetzt das Gebäude der Krause'schen Her-
leitung der Arier zu einem bestimmten, festen Ganzen fügt, in
dem wohl noch verschiedene Theile des endgültigen Ausbaues
harren, welches aber in seiner wirklichen Gestaltung bereits fest
dasteht. Dass der Troja-Mythus auf einer altgermanischen Natur-
sage beruhe, war in Tuisko-Land für jeden, der ohne Vor-
eingenommenheit den Ausfülu-ungen des Verfassers folgte, bereits
klar; hier nun erhält er die Beweise dafür. Die altnordische Bau-
meistersage der Edda, der Freyja-Mythus, die Brunhild- und
Syrith-Lieder, die Dornröschen-Dichtung, die Erzählungen der
Perser und Inder von einem dreiköpfigen winterlichen Dämon,
der die Sonnenjungfrau in seine Gewalt zu bringen trachtet, die
älteste Fassung der Trojasage, die Laomedousage, die Sage von
der Himmelfahrt der Sonnenbraut, deren verchristlichter Form
in Südslavischen Ländern .die Feier des St. Georgsfestes am
23. April gilt, und endlieh das christliche Osterfest selbst sind
alle mit einander identisch. Der Kern aller ist ein uralter Natur-
mythus bezw. Naturkult, die genannten Sagen und Mythen und
Gebräuche sind die Darstellungen desselben, je nacli der Ent-
wickelungsstufe und den Lebensverhältnissen des betreffenden
Volkes. Alles sind mehr oder weniger durchsichtige Darstellungen
eines Naturvorganges, des, wie Verfasser sich treffend ausdrückt,
sich stetig wiederholenden „Jahreszeiten-Dramas", der Niederlage
der Sonne während des Winters und ihres Sieges im Frühlinge.
Dieser ganze Kern deutet aber nur auf den Norden, dorthin, wo
das Schwinden und schliessliche gänzliche Wegbleiben der Sonne
während der einen Jahreszeit am schärfsten "sich in der ganzen
Natur bemerkbar machte. Ihrem Wiedererscheinen und schliess-
lichen Siege galten die Feste. Die Kindheitsvölker brachten für
diese Vorgänge Personen in Handlung, die Sonne in Jungfrauen-
gestalt (Braut Christi), gefangen von Riesen, Dämonen, Un-
geheuern u dgl. (Antichrist) (je nach dem Volke), befreit vom
Donnergott, Heroen u. s. w. (Christus); Freyjas Befreiung aus
den Händen des Bergriesen durch den Ponnergett Thor; die Be-
freiung der im Thurme gefangen gehaltenen Jungfrau durch den
Knaben mit dem Wunderrosse (Norden Russlands); Brunhilds
Befreiung durch Siegfried aus dem Schlosse; Brunhilds Erweckung
durch Sigurd (hieraus ist die Dornröschensage entstanden) etc. etc.
Der Namen des der Sonnenjungfrau nachstellenden Dämons ist bei
allen arischen Völkern ähnlich: Maha Druh (der grosse Druh in
den indischen Veden); Druja oder Drogha bei den Persern; Trojan
oder Trojanu bei den Slaven. Er wird als grosser Falien-
steller geschildert, welcher die Sonnenjungfrau in der „Sonnen-
falle", einem dem kretonsischen ähnlichen Labyrinthe fängt. Der-
artige Labyrinthe sind aus vielen Ländern, namenflicli aber den
nordischen, wie England, Skandinavien, Russland, Deutschland,
Dänemark etc. bekannt, bestehen aus labyrinthisch angeordneten
Steinsetzungen (sogenannte Feldlabyrinthe), und führen überall
gleiche Namen: Trojaburgen, Trojastädte, Trojamauern — und
werden auf Island in den dortigen Sagen als Thierfallen ge-
schildert. Bei den Festen, welche der Befreiung der Sonnen-
jungfrau gewidmet waren, waren verschiedene Gebräuche üblich,
namentlich Tänze, welche mit den Labyrinthen in Verbindung
standen und auch gleiche Namen, wie Troja-Tanz, Traa-Tanz
(der Salier in Rom), Troja-Spiel (Labyrinthreiter), Labyrinth-Tanz
(auf Kreta und Dolos zur Begrüssung des aus Troja zurück-
gekehrten Apolls) führten. Hierher gehört auch der Georgs-
Reigen in südslavischen Ländern. Alle diese Feste fallen in die
Zeit der Wiederkehr des Frühlings. Wir haben hier natürlich
nur in allerknappster Form auf die Beweise des Verfassers ein-
gehen können, in welcher geschickten, klaren und überzeugenden
Weise er dieses ungeheuere Material, von dem wir nur das
wichtigste herausgegriffen haben, das in Wirklichkeit noch durch
zahlreiche alte Lieder und Gesänge, sowie viele, viele Sagen,
Märchen, Mythen, Legenden, Gebräuche, kirchliche und prä-
historisclie Alterthümer vermehrt wird, verarbeitet und daraus den
Kern geschält hat, davon vermag nur die Leetüre des Werkes
selbst einen Begriff zu gewähren. Es kann kaum ausbleiben, dass
der Verfasser mit seinen Anschauungen durchdringt, sind sie doch
die auf natürliche Vorgänge sieh stützenden, daher einfachsten
und der Wirklichkeit entsprechende. Für die Bedeutung des
ersten Werkes des Verfassers, „Tuisko-Land", sprechen auch nicht
zum wenigsten die mehrfachen heftigen Angriffe Seitens der
Gegner, welche wohl sofort herau.sgefühlt luiben, dass dieses ihren
veralteten, auf blossen philologischen Tüfteleien basirten An-
schauungen gefährlich werden könnte. „Die Trojaburgen" etc. sind
aber niu' die directe Fortsetzung und enthalti'U <lie ausführlichen
Beweisführungen des ersten. In welcher Weise der Verfasser an-
gegritten worden ist und wie er seine Gegner abfertigt, das zeigt
die Vorrede zu seinen Trojaburgen. Wir wünschen ihm von
Herzen Glück zu seinem Werke und zweifeln keinen Augenblick,
dass es sich sehr viele Freunde erwerben wird: möchte es eines
der von den Gebildeten unseres Volkes am meisten gelesenen
Bücher werden.
Nr. 52.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
587
Dr. Max Herz, Untersuchungen über Wärme und Fieber. Mit
HI l''ii;iireii. Wilhelm Biaunuillor, Wien und I>oiiizig l.s!l.'!. —
l'reis'2,50 M.
Verf. hat in dem Werk eine ganze Reihe interessanter Untcr-
snehiingen nnd theoretischer Betrachtungen niedergelegt, welche
er anstellte, um die eomplicirte und durcluius noch nicht ganz
aufgeklärte Lehre von der Wärmeregulirung und dem Fieber zu
vereinfachen. Nach einer allgemeinen Einleitung wii'd das Grund-
gesetz von der naturgemässen Wärmereaction des Protoplasmas
besprochen. Es folgen dann Gährungsversuche, und zwar wandte
sich Verfasser, ausgehend von der Annahme, dass das, was als
gültige Reaction für jedes Protoplasma betrachtet werden soll, am
klarsten dort vor Augen tritt, wo nicht zu comi)liciite Organ-
systeme wie Blutgefässe und Nerven des thierischen Organismus
in Frage kommen, an die Pflanze. Die Wärmepruduction der
gährenden Thieihefe wurde, wie schon vielfach zuvor, untersucht.
Besprochen ist dann weiter die thierische Isoliruug, das Fieber
einzelliger Organismen, die Quellen der Fiuberwärme, und die
Wärmeabgabe im Fieber. Stabsarzt Dr. Matz.
G. John Bomanes, Die geistige Entwickelung beim Menschen.
Ursprung der menschlichen Befähigung. Aiitorisirte deutsche
Ausgabe. Ernst Günther's Verlag. Leipzig 18".)3. — Preis G Mk.
Dass der Verf. die geistigen Eigenschaften (bosser die Eigen-
thümlichkeiten des Nervensystems) des Menschen als allmählicli
aus den thierischen hervorgegangen ansielit, ist wohl selbstver
ständlich, da er .sich sonst bei seiner Anerkennung des Dar-
vvinisnuis unlogisch vei'halten würde.
Hinsichtlich der Gemüthsbewegungen findet R. keinen Unter-
schied der Art nach bei Thieren und Menschen, abgesehen von
denjenigen, welche zur Wahrnelnnung des Krliabenen und zur
Religion gehören, alle anderen Arten der Gemüthsbewegungen
(R. gliedert sie in über "20 Arten) kommen auch bei den Thieren
vor, wenn auch manche nur wenig entwickelt. Auch der um-
gekehrt beim Thiere stärker hervortretende Instinct ist dem Men-
schen eigenthüuilicli, nnd Aeusserungen des Willens kommen
ebensowohl wie beim Menschen beim Thiere vor u. s w. Verfasser
hat vor allem in seinem Buch die Aehnlichkeiten zwischen den
geistigen Thätigkeiten des Menschen und der Thiere nachzuweisen
und die hervortretenden Unterschiede als stufenweise Ausbildungen
gleicher Anlagen zu begründen versucht.
F. Sarrazin, Wandkarte zur Darstellung der Hagelstatistik
(1880—1892) von Norddeutschland, östlicher Theil, von der
russischen Grenze bis zum Flussgebiet der Weser. Nebst
erläuterndem Text. Berlin 1893. Dietrich Keimer. — Preis
7 Mk.
Der Herr Verfasser dieser bedeutsamen Arbeit ist auf dem Gebiete
der Hagelstatistik und auf dem der Erforschung der Naturgesetze
des Hagels schon seit längerer Zeit mit Erfolg thätig. Mit dieser
Hagelkarte Norddeutschlands hat er nun aber eine That geleistet,
welche nicht nur für die zunächst betheiligten Kreise, die L.and-
wirthe, sondern ganz vornehudich auch für die Wissenschaft von
hohem Interesse ist. Dieses Interesse wird noch erweitert durch
den Umstand, dass Herr Sarrazin bei Anlage der Karte darauf
Bedacht genommen hat, dieselbe auch zugleich als Waldkarte zu
zeichnen, wodurch sein Werk namentlich auch für hydrographi^die
Arbeiten, in denen die Wald- und Wasserfrage zu berücksichtigen
ist. sieh höchst forderlich erwiesen hat.
In der Karte bezeichnen einfache rothe Punkte dieji/nigen
F(ddmarken, welche in dem Zeitraum 1880—1892 wenigstens zwei
bis dreimal ersatzfähigen Hagelschaden erlitten haben; dagegen
sind durch kleine rothe Kreise solche Bezirke angezeigt, welche
in dieser Zeit wenigstens viermal und bis zu achtmal crsatz-
fiihig verhagelt worden sind. Der Herr Verfasser hat ferner
durch seine Forschungen die Existenz von Zugstrassen der Hagel-
wetter, sogenannte Hagelstriche festgestellt, welche er in der
Karte durch rothe Pfeile gekennzeichnet hat. Diese Hagelstriche
besitzen meist eine west-östliche Richtung (NW. nach SO.), ent-
sprechend den Zugstrassen der meisten Gewitter.
Es sind zunächst vier Hauptgesetze, welche wir so aus der
Karte zu lesen vermögen: 1. als Brutstätten der Gewitter und
des Hagels sind die Flussniederungen, fl.achen Seen, versumpften
Ebenen, Wiesen und Moore anzusehen, die bei anhaltender In-
solation sich stark erwärmen; 2. die Bodenerhebungen tragen zur
Verschärfung der Unwetter wesentlich bei, indem sie die Rcgon-
bildung und die stärkere Entwickelung der Elektricität begün-
stigen; 3. die Luvseiten sowohl der Gebirge, wie der isolirten
Berge sind erheblich mehr gefährdet, als die Leeseiten ; und end-
lich zeigt sich ■!., dass das Küstengebiet der Nord- und Ostsee
in Folge der dort herrschenden Land- und Seewinde relativ
hagelfrei ist, sofern nicht versumpfte Niederungen oder aber
Bodenerhebungen (nothwendige) Ausnahmen bedingen — Der
Hagel ist also eine Erscheinung von vorherrschend örtlicher Natur.
Hagel und Gewitter finden ihren Ursprung im Wasser, d. h. in
den über dem Wasser entstehenden feuchten Luftströmon uml
finden ihre Verschärfung in den Bodenerhebungen. So erstaunen
wir denn nicht im mindesten, wenn wir durch die Karte eine
ganze Reihe von Hagelherdcn oder Hagelnestern kennen lernen,
die Verf. durch grosse rothe Kreise gekennzeichnet hat. Diese
Hagelherde kennzeichnen die Brutstätten, aus denen die rein ört-
lichen (oder Wärme-) Gewitter und in deren Gefolge die Hagel-
wetter entspringen. Bei fortschreitenden Wirbclgowittern schliessen
sich diese Herde dann zusammen und bilden so die Zugstrassen.
— Die Auseinandersetzungen des Verf. über den Einfluss der Be-
waklung auf die Hagelerschoinungen sind in hohem Maasse be-
merkenswerth.
Geradezu unschätzbaren Werth für die Pra.\is, für den von
der Hagelgefahr direct bedrohten Landwirth, erhält die Arbeit
durch die eingehende, auf langjährige Statistiken gegründete
Besprechung, welche Herr Sarrazin den einzelnen in der Karte
dargestellten Gebieten (Provinzen, Kreisen) widmet. Und gerade
aus diesem Grunde ist der überdies vorzüglich ausgestatteten
Arbeit die weiteste Verbreitung zu wünschen, denn es kann nur
zu Nutz und Frommen der deutschen Laudwirthschaft dienen,
wenn dieselbe sich mit den Sarrazin'schen Ergebnissen eingehend
vertraut macht. Gravelius.
Ein Füll -Federhalter amerikanischer Construction, „Swan"-
Füll-Federhalter, gcdit uns zur Besprechung zu von der Firma
Romain Talbot, Berlin C. Er ist sauber gearbeitet nud dürfte
sich, da er zweckentsprr>chend ist, Eingang verschaffen. Dem
Naturforscher, z. B. dem kartirenden Geologen, der es vorzieht,
auch unterwegs, im Freien, Eintragungen in das Tagebuch mit
Tinte auszuführen, kann der Federhalter empfohlen werden. Auch
dem Hefte corrigirenden Lehrer dürfte aus der Benutzung des-
selben ein gewisser Vortheil erwachsen. Wer nicht zu schnell
schreibt und das ewige Eintauchen der Feder vermeiden will, wird
ebenfalls dem FüU-Federhalter sein Interesse entgegenbringen.
Frenzel, Prof. Dr. Jobs., Mikroüraphio der Mitteldarnulrüse (Leber)
der Mollusken. 2. Thl- 1. Hälfte. Halle. 20 M.
Jaekel, Privatdoc. Kust. Dr. Otto, Die eocänen Selachier vom
Monte Bolca. Berlin. 30 M.
Kaindl, Doc. Dr. Kaim. Frdr., Die Huzulen. Wien. .5 M.
Xjandolt, Dir. Hans, u. Rieh. Börnsteia, Prof. DD., Physikalisch-
chemische Tabellen. 2. Aufl. Berlin. 2-1 ,"\1
Müller, liuise, Grundzüge einer vergleichenden Anatomie der
Blumenblätter. Halle. "30 M.
Naumann, Prof. Dir. Dr. Alex., Techuisch-thermochemische Be-
rechnungen zur Heizung insbesondere mit gasförmigen Breini-
stoft'en. Braunschweig, ü M.
Nestler, Dr. A., Der anatomische Bau der Laubblätter der Helle-
borc'en. Halle. 4 M.
Roth, Justus, Allgemeine und chemische Geologie. 3. Bd. 2. Abtli.
Berlin. .i5..0ü M.
Tumlirz, Prof. Dr. 0, , Bestimmung der Lösungswärme eines
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sättigung. Wien. 0,60 M.
Weierstrass, K. , Formeln und Lehrsätze zum Gebrauche der
elliptischen Functionen. Berlin. 10 M.
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Das Titelblatt nebst Inhalts-Verzeichniss wird mit der letzton
Nummer dieses B.-mdrs, mit Nummer .')3. geln-acht werden.
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(Mit Aljbild.) — P. Graelmer: Das Reifen der Früchte und Samen früh-
ide. — Die Blattläuse und der Honigthau. — Nachtrag zu dem Aufsatz:
Inhalt: Prof. Dr. G. Haberlandt: Die Maugro\e,
zeitig von der Mutterpflanze gi'trennfer l'.lütln'uständ. . ^.^ ..^...^.-......-^ «.... .... ^^„...e,"""". j, --
Der Begriff der Blüthe. — Aus dem wissenschaftlichen Leben.— LItteratur: 1. Dr. Ernst Krause: (Carus-Sterne), Tuisko-Land.
'i Kruse: Troia-Burcen Nordeuronas — Dr. .Ma.\ Herz: Untersuchungen über Wärme und Fieber. — G.John Romanos:
-• "'— ■" ■■■> ■'■■" '■■■■ "J- ■■■dstatistik (1880—1892) von
erläutcrnilem Text. —
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Die geistige i^ntwickelung beim Mei schon. — F. Sarrazin: Wandkarte zur Darstellung der Hageist
Norddeutschland, östlicher Theil, von der russischen Grenze bis zum Flussgebiet der Weser. Nebst
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588
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nr. 52.
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., In
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lin SV^^. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW 12.
^v^ Redaktion: ~f Dr. H. Potonie.
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, Berlin SW. 12, Zimmerstr. 94.
VIII. Band. Sonntag, den 31. December 1893.
Nr. :^?>
Abonnement: Man abonnirt bei allen Buehbandlungen und Post- -v Inserate: Die viersespaltene Petitzeile 40 A. Grössere Aufträge cnt-
anstalten, wie bei der Expedition. Der Vicrteljahrspreis ist .//^ 4.— Ggi iprcchenden Rabatt, Beilagen nach Uebereinkunft. Inseratenannalime
Bringegeld bei der Post l.^ 4 e.\tra Postzeitungsliste Nr. 4575. Jt bei allen Annoncenbureaux, wie bei der Expedition.
Abdruck ist iinr mit vollständiger <^aellenani;abe gostattot.
Ueber die Gleichzeitigkeit des Menschen mit der sogenannten Mammuthfauna.
Von Prof. Dr. A. Nehring.
Bekamitlicli hat der berühmte dänische Zoologe und
Altertluunst'orscher Japetus Stcenstrup vor einigen
Jahren eine zieniiicli uiufang-reiche Abhandhing- veröffent-
licht*), iu welcher er die Gleichzeitigkeit des Menschen
mit dem Mammntli und der Mammut! ifauna auf das Ent-
schiedenste bestreitet. Stcenstrup knüpft seine Betracli-
tungcn an die sogenannte JMannnutlijiiger- Station von
Prcdmost in Mähren und sucht nachzuweisen, dass dort
bei Predmost die .Menschen nicht auf lebende Mammuthe
Jagd gemaclit liätten, sondern nur auf eingefroren ge-
wesene Mammuth-Cadaver, welche aus einer früheren
Epoche sich unter dem Einflüsse der Eiszeit conservirt
hätten. Man habe es hierbei vor Allem auf das Elfen-
bein der .Stosszähne abgesehen gehabt. Zugleich be-
hauptet Steenstrup, dass der Mensch nirgends mit dem
Mammuth und der gleichzeitigen Fauna zusammengelebt
habe.
Diese Ansicht hat auf viele Leser einen grossen Ein-
druck gemaclit. ]\Iaiiche Forsclier haben sie geradezu
acceptirt, zumal da Iludolf Virchow sicli auf der vor-
tihrigen Anthropologen-Versammlung in Ulm zu Gunsten
derselben aussprach. (Siehe den Bericht über die Ver-
handlungen jener Versammlung im Correspondenzblatte der
deutschen Anthrop. Ges. 1892, S.92.) So z. B. ist Prof Aurel
von Török in Budapest kurzlieh bei folgendem Aus-
spruche angelangt: „dass wir schon jetzt genotliigt sind
zu erklären: dass auf Grundlage der bislierigen That-
sacheu der Mensch mit dem Mammuth uiciit zu
sammenleben konnte, und dass das Alter der Men.sch-
heit nicht über die sogenannte Renntliierzeit hinaus sicher
verfolgt werden kann".**)
Im Gegensatze hierzu haben viele andere Forscher
sich entschieden gegen die Steenstrup'sche Mammnth-
*) ,Die Mainiiiutlijiif;rr-Strttioii bei Prcdmost", ans d. Diiiii-
sclien übers, in d. Mitth. d. Aiitlirop. Gfs. in Wien 1890,' S. 1 - ai.
**) Siehe „Etbnolog. Mittheiluugen aus Ungarn", herausge-
geben von A. Herrmann, 1893, Juniheft.
tlieorie ausgesprochen, und es erscheint bei dem Wider-
streit der Meinungen sehr naheliegend, dass diejenigen,
welche keine eigenen Untersuchungen über die betreffende
Frage ausgeführt halien, zweifelhaft werden, wie sie die-
selbe beantworten sollen.
So hat E. Friedel, der verdienstvolle Begründer
und Director des Märkischen Provinzial-Museums hier-
selbst, in der „Brandenburgia", Bd. I, Berlin 1892,
S. 178 ff., unter Bezugnahme auf J. Steenstrup' s und
Rudolf Virchow 's Ansichten die Frage zur Discussion
gestellt: „Lebten das Mammuth und die Thiere, deren
Gebeine bei Artefacten in den verschiedenen Diluvial-
Schichtungen vereint gefunden werden, mit dem ]\lensclien
zusammen"?^'
Nach meiner Ansicht ist diese Frage für eine ganze
Reihe von Fundorten zu bejahen! Dass es manche un-
zuverlässige Funde giebt, bei denen es sich um ver-
schiedenalterige Objeete oder um ungenaue Beobachtungen
handelt, ist gewiss; alier hierdurch kann die Beweiskraft
der zuverlässigen Funde nicht gcstTirt werden.
Ich habe kürzlich die Resultate meiner eigenen be-
züglichen Ausgrabungen, welche von mir vorzugsweise in
dem Diluvium von Thiede bei Braunschweig aus-
geführt sind, in einer mit 13 Abbildungen versehenen
Abhandlung zusammengestellt. Dieselbe trägt den Titel:
„Ueber die Gleichzeitigkeit des Menschen mit
llyaena sjielaea" und ist in dem 23. Bande der .Mitthei-
lungen der Wiener Autliropolog. Gesellschaft, 1893, S. 204 tt'.
erschienen. Indem ich diejenigen Leser, welche sich für
den, Gegenstand intercssiren, auf jene Abhandlung ver-
weise, erlaube ich mir, hier einige Bemerkungen zu den
von E. Friedel a. a. O. aufgestellten Fragen und sonstigen
Acusserungcn hinzuzufügen.
Wenn Friedel fragt: „Wo haben denn die zahllosen
Mammuthe und Nasluirner gelebt, deren Reste in so un-
geheuren Mengen in unseren Gegenden vorkommen?", so
antworte ich: jene Mammuthe und Nasluirner hnlieii in
590
Naturwissenschaftliclie Wochenschrift.
Nr.
Deutschland selbst gelebt, und zwar in Süd- und Mittel-
deutschland, sowie auch in dem sudlichen Theile ron
Norddeutschland. Uebrigens war ihre Zahl, wenn auch
gross, doch nicht so „ungeheuer", wie man aus Friedel's
Worten schliessen könnte.
Friedel bezeichnet die bei uns in Norddeutschland
vorkommenden Knochenreste jener Thiere als „(Geschiebe"
und meint, dass man, wie für andere Geschiebe so auch
für diese ein Vaterland werde finden oder feststellen
können*). Mag man den Ausdruck „Geschiebe" für die
häufig stark abgerollten Mammuth- oder Rhinoceros-
Knochen mancher Kies- oder Sandgruben Norddeutsch-
lands gelten lassen; für die von mir untersuchten Fund-
orte Thiede bei Braunschweig und Westeregeln bei Magde-
burg kann ich jenen Ausdruck in Bezug auf die dort
vorkommenden Reste der sogenannten Mammuthfauua
(Elephas primigenius, Rliinoc. tichorhinus, Felis spelaea,
Hyaena spelaea etc.) durchaus nicht als zutreffend an-
erkennen. Mein sehr verehrter Freund Friedel möge es
mir nicht übelnehmen, dass ich hierin nicht mit ihm über-
einstimme.
Wenn man in dem lössartigen Diluvium von Thiede
den Schädel einer Hj'aena spelaea nebst einer grossen
Zahl der zugehörigen Skelettheile desselben Indivi-
duums in wunderbar gutem Erhaltungszustande nahe
bei einander gefunden hat, so kann man diese Dbjecte
(welche sich in meinem Besitze befinden) kaum als „Ge-
schiebe" bezeichnen, zumal da die umgebende Löss-Ab-
lagerung schwerlich als das Pmduct eines Flusses oder
etwa als eine Gletscherbildung aufgefasst werden darf.
Ich habe bei Thiede und Westeregeln zuweilen
ganze Wirbelreihen**) von Rhinoceros und Equus noch
im natürlichen Zusammenhange bei meinen Ausgrabungen
vorgefunden; ferner einen unversehrten Rhinoceros-Schädel
nebst zugehörigem Unterkiefer etc. In allen diesen Fällen
kann man von „Geschieben" nicht reden. Ja, selltst auf
die dort vereinzelt gefundenen Skelettheile der betreffen-
den Thiere passt jener Ausdruck nicht, da dieselben
durchweg einen vorzüglichen Erhaltungszustand und keine
Spur von Abrollung zeigen.
Auch der von Steenstrup gebrauchte Ausdruck:
„niembra disjeeta" ist nach meiner Ansicht für meine
oben bezeichneten Funde nicht passend, wenigstens nicht
in dem Sinne, den Steenstrup damit verbindet. Jene
Knochen etc. sind nicht verschwcramte, vielfach um-
gelagerte Ueberreste von Thieren, welche weitab gelebt
haben, sondern sie stammen von solchen Thieren, welche
in der Gegend des heutigen Fundortes gelebt oder doch
mindestens während der guten Jahreszeit sieh aufge-
halten haben. Dass die betretfenden Cadaver eine Zeit
lang offen dagelegen haben, so dass sie zerfallen und
manche ihrer Theile von Raubthieren verschleppt werden
konnten, ehe sie von einer schützenden Masse lössartiger
Ablagerungen umhüllt wurden, scheint mir die Regel ge-
wesen zu sein. Daher findet man zwar häufig eine
grössere Anzahl zusanmiengehöriger Skelettheile, meist
nahe bei einander, aber man findet fast niemals ein
ganzes zusammenhängendes Skelett; wenigstens habe
ich selbst bei meinen Ausgrabungen ein solches nicht
beobachtet, abgesehen etwa von den Ueberresten zweier
jungen Füchse, welche man allenfalls dahin rechnen könnte.
Von manchen Forschern ist mir eingewendet worden,
dass man auf die Funde von Thiede und Westeregeln
nicht viel Werth legen könne, weil dieselben in „Gyps-
*) Fi-iedel deutet an, das» dieses Vaterland möglicherweise
in Russland oder Asien zu suchen sei.
**) Nicht ganze Wirbelsäulen, sondern nur eine gewisse
Anzahl (z. B. 6 — 10) auf einander folgender Wirbel, also Wirbel-
reihe n.
spalten" gemacht seien; in diesen könne alles Mögliehe
„passiren". Dieser Einwand ist für die von mir genauer
untersuchten Partien der Gypsbrüche von Thiede und
Westeregeln gänzlich unzutreffend; es handelte sich dort,
wo ich meine Ausgrabungen gemacht habe*), nicht um
schmale Spalten von Gypsfelseu, sondern um grosse, zu-
sammenhängende Diluvial-Ablageruugen, welche in be-
deutender vertikaler und horizontaler Entwickelung zer-
rissene Felsgruppen von Gyps (resp. Anhydrit) undiüllten
und völlig bedeckten. Von einer freistehenden Felsen-
masse mit schmalen Spalten war dort, wo ich gegraljcn
und meine paläolithischen Funde gemacht habe, gar keine
Rede! In dem Osttlieile des Thieder Gypsbruches war
es während der Jahre, in denen ich dort hauptsächlich
gesammelt habe, bei dem Betriebe der Steinbruchsarbeit
üblich, dass die diluvialen Ablagerungsmasscn terrassen-
förmig abgegraben und abgekarrt wurden, um an die
darunter liegenden, oft säulen- oder pfeilerförmig empor-
ragenden Gypsfelseu zu gelangen. Hieraus ist schon zu
ersehen, dass dort die diluvialen Ablagerungen als zu-
sammenhängende blassen vorkamen, nicht aber als Aus-
füllungen schmaler Felsspalten**); sonst hätte man sie nicht
terrassenförmig abgraben können. Ganz analog waren
die Verhältnisse in der südlichen Grube des Gypsberges
von Westeregeln. Uebrigens verweise ich auf meine
früheren Ausgrabungsberichte und auf die Skizzen, welche
ich von beiden Fundorten publicirt habe. (Archiv für
Anfhrop., Bd. X, S. 367 und mein Buch über „Tundren
und Steppen", S. 153.) Aus diesen ergiebt sich zur Ge-
nüge, dass es sich nicht um blosse Gypsspalten handelt.
Nach meinen Beobachtungen zeigten die frisch an-
geschnittenen Partien der beiden genannten Fundpunkte
durchaus keine Spuren von nachträglichen Lagerungs-
störungen, auf welche etwa ein Nebeneinanderliegen von
()l)jeeten menschlicher Thätigkeit mit Thicrrcsten der so-
genannten Mannnuthzeit zurückgeführt werden könnte.
Ich muss die paläolithischen Instrumente, welche ich
namentlich bei Thiede gefunden habe, für gleich-
alterig mit jenen Thierresten halten, im Gegensatze
zu Steenstrup, der freilich meine Funde in der citirten
Abhandlung garnicht einmal erwähnt.
Gegen ein nachträgliches Herbeischwemmen und Zu-
sanmieuschwemmen von Thierresten, welche schon einmal
anderwärts abgelagert waren, spricht dort auch der Um-
stand, dass die betreffenden Arten eine einheitliche, zu-
sammengehörige Fauna darstellen, welche in der Gegend
der genannten Fundorte zeitweise sehr wohl gehaust
haben kann. Ich habe bei meinen eigenen Ausgral)ungen
an den oben bezeichneten Fundpunkten bei Thiede und
Westeregeln niemals Reste von Thieren gefunden, welche
entweder der Speeies nach, oder wegen ihres Erhaltungs-
zustandes den \'erdaeht erweckt hätten, dass sie ungleich-
alterig mit den im gleichen Niveau gefundenen Objecten
wären.***)
Bemerkenswertli erscheint es, dass unter den Tau-
senden von Knochen, welche bei Thiede und Westeregeln
ausgegraben sind, soweit meine eigenen Beobachtungen
reichen, kein einziger Rest vom Höhlenbären (Ursus spe-
*) Nämlich im östlichen Theile des Thieder Gypsbruches
und in der südlichen Grube des Gypsberges von Westerogeln.
**) Der Genauigkeit wegen bemerke ich. dass solche sclimale
Felsspalten auch vorkamen; aber sie spielten eine nebensächliche
Rolle und standen mit den grösseren Ablagerungsmassen im Zu-
sammenhange.
***) Ueber einige besondere Funde jüngeren Datums an anderen
Punkten des Gypsberges von Westeregeln habe ich speciell be-
richtet. — Ausserdem sind natürlich die in Folge des Steinbruch-
betriebes erfolgten neuerlichen Rutschungeu und Aufschüttungen
ganz bei Seite zu lassen. Ich habe hier nur die intakten Fund-
schichten im Auge.
Nr. 53.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
591
iaeus) vorgekommen ist. Dass der Höhlenbär eliemals
gleichzeitig mit Jlanimutli und Rhinoccros ticliorhinus in
Deutschland gelebt und namentlicli im Harz zahlreich ge-
haust hat, ist sicher. Warum hat die Bode keine Hühlen-
bären-Restc nach Westeregeln, die Oker solche nicht nach
Thiede geschwemmt? Meine Antwort lautet: „weil die
bei Thiede und Westeregeln in den näher bezeichneten
Fundschichten abgelagerten Thierreste überhaupt nicht
als „menibra disjecta" im Stcenstrup'schen Sinne von
weither zusanimengeschwemuit sind."
Wenn Steen.strup auf die mit Haut und Haar in
Sibirien conservirten, gefrorenen Cadaver von Mammuth
und Rhinoccros, auf die gelegentliche Rlosslegung der-
selben an steilen Flussufern und ihre gelegentliche Fort-
sehwcmmung an einen andern Ort hinweist und glaubt,
dass dergleichen einst nach der Eiszeit auch in Deutsch-
land häutig vorgekommen sei, so möchte ich dem ent-
gegenhalten, dass das Vorkonunen solcher durch Kälte
conservirter Cadaver in Sibirien relativ sehr selten ist.
.ledenfalls kann ihre Zald gegen die der verwesten, nur
durch Skelettheile, Zähne etc. augedeuteten sibirischen
Exemplare garniclit in Betracht kommen. Ebenso kann
bei uns in Deutsehland, falls wir überhaupt für die
Mammuthzeit eine gelegentliche Conservirung ganzer
Mammuth-Cadaver durch Bodenkälte in unseren Gegenden
analog den sibirischen ^'o^konlmnisse^ annehmen wollen,
dieses nur ein sehr seltener Fall gewesen sein, der für
das normale Vorkonunen der JMammuth-Reste kaum in
Rechnung gezogen werden darf. Steenstrup nimmt aber
für unsere Gegenden nicht nur die Conservirung einzelner
Mannuuthleichen mit Haut und Haar, sondern sogar die
Conservirung ganzer „ M a m m u t h - A a s f e 1 d e r " an.
Auch die Ablagerung von Thiede rechnet Steenstrup
zu den ..Mammuth-Leichenfeldern" und seheint die dort
von mir nachgewiesenen ])aläolithisehen Steininstrumente
ebenso zu bcurtheilen, wie die Funde Maska's bei Pred-
most, d. h. sie für viel jünger zu halten. Ich kann ihm
aber nicht beistimmen. Ich habe zwar Mammuthreste bei
meinen eigenen Ausgrabungen am genannten Fundorte
nur in geringer Zahl gefunden; dagegen konnte ich dort
die Fuudverhältnisse zahlreicher Reste von Rhinoccros
tichorhinus und Hjäna spelaea (welche zur Manmiuth-
fauna gehören), sowie einer gewissen Zahl mensch-
lieher Artefaete mit voller Sicherheit feststellen und
darf mir deshalb wohl ein Urtheil über diese Sache
erlauben.
Uebrigens mehren sich beständig die Funde, welche
gegen die Steenstrup'sehc Mammuttheorie sprechen; ebenso
steigt die Zahl derjenigen Forseher, welche sieh gegen
dieselbe erklären. So z. B. haben Prof Jlaska in Feltsch
und Dr. Kriz in Steinitz, welche beide die berühmte Fund-
stätte bei Predniost durch eigene genaue Untersuchungen
kennen, mir kürzlieh noch geschrieben, dass sie jene
Theorie durchaus nicht als richtig anzuerkennen ver-
möchten. In nächster Zeit werden mehrere Publieationen
über dieses Thema erfolgen.
Wünschenswerth ist es jedenfalls, dass man bei
allen Funden, auf welche man die Gleichzeitigkeit
des Mensehen mit der Mammuthfauna stützen will, mit
der nöthigen Vorsicht und Exaetheit verfährt. Flüchtige
Beobachtungen des Einen können unter Umständen die
genauen Beobachtungen eines Andern fraglich erseheinen
lassen und eine Verdächtigung mühsam errungener Re-
sultate herbeiführen.
Leopold Kronecker. — Vor nunmehr zwei Jahren ging
plötzlich durch die ganze wissenschaftliehe Welt die er-
schütternde Kunde von dem am 29. December 1891 erfolgten
Dahinscheiden Leopold Kronecker's, eines der grt'issten
deutsehen Mathematiker der letzten Deecnuien. Die
„Naturw. Wochcnschr." hat von diesem für die Mathematik
so unersetzlichen Verluste bisher nur in einer kurzen An-
zeige *j Kunde gegeben, und es dürfte daher nicht un-
angemessen erseheinen, in der Sterbewoehe des Dahin-
geschiedenen ausführlicher seines Lebensganges und seines
vielseitigen und tiefgreifenden Forschens zu gedenken. Es
ist umsomchr Veranlassung dazu vorhanden, als Kronecker
in diesem Monate seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert
haben würde.
Am 7. December 1823 erblickte Leopold Kronecker
zu Liegnitz als Sohn eines angeschenen und hochgebildeten
Kaufmannes das Lieht der Welt. Nachdem er durch einen
Hauslehrer vorbereitet worden war und die Vorschule des
Conreetors Werner, dessen er gern gedachte, absolvirt
hatte, trat er in das Gymnasium seiner Vaterstadt ein.
Hier war es besonders der später zu so grosser Bedeutung
und Berühmtheit gelangte Kunnner, welcher den tiefsten
Einfluss auf seinen Entwiekelungsgang ausübte und seine
Voi'liebe und grosse Begabung für die Mathematik förderte.
Zwischen Lehrer und Schüler entspann sich hier bereits
ein Frcundschaftsverhältniss, das bis zum Tode keine
Trübung erfahren hat, und welches von nachhaltigster
Wirkung auf Kronecker's Forschungsgang gewesen ist.
Kronecker hebt dies selbst in der Widmung seiner Fest-
schrift zu Kummer's fünfzigjährigem Doctorjubiläum mit
folgenden Worten hervor: „In Wahrheit verdanke ich Dir
*) „Naturw. Wochenschr." Bd. VII, S. 20. Uebrigens ist an
dieser Stelle irrthümlich der 30. December 1891 als Kronecker's
Todestag angegeben.
mein mathematiselies Dasein; ich verdanke Dir in der
Wissenschaft, der Du mich früh zugewendet, wie in der
Freundschaft, die Du mir früh entgegengebracht hast,
einen wesentlichen Theil des Glückes meines Lebens."
Im Frühjahr 1841 ging Kronecker nach Berlin, um
hier unter Dirichlet, Jacobi und Steiner zu studiren, später
wandte er sieh nach Breslau, wo er die Vorlesungen
Kummer's, der einen Ruf an die dortige Universität er-
halten hatte, besuchte. Er wm-de als Student mit Eisen-
stein befreundet, und er erzählte später oft, wie sie sich
bisweilen spät in der Nacht besucht hätten, um einander
eine neue Entdeckung mitzuthcilcn. Auch in Bonn studirte
Kronecker kurze Zeit, und er sprach stets mit Freude von
diesem Aufenthalte, wo er in die burseheusehaftliche Be-
wegung hineingezogen wurde und Freundschaftsbande mit
Männern knüpfte, die später gleichfalls zu hoher Bedeu-
tung gelangt sind. Obwohl die Mathematik das eigent-
liche Feld Krcmecker's war, sehloss er sich doch nicht
einseitig gegen die übrigen Wissensgebiete ab, und er hat
sich sowolü in den Naturwissenschaften als auch in der
Philosophie tiefe Kenntnisse erworben. Im Mendelssohn-
sehen Hause zu Berlin kam er mit vielen hervorragenden
Zeitgenossen in Berührung, unter denen besonders Alexander
von Humboldt zu erwähnen ist.
Kronecker wurde im Jahre 184:') zu Berlin auf Grund
einer Dissertation über die eoniplcxen Einheiten proniovirt,
einer Abhandlung, welche Kronecker 1882 nochmals, und
zwar vervollständigt, abdrucken Hess.
Durch besondere Umstände wurde Kronecker nun
aber gezwungen, sein Interesse und seine Thätigkeit der
Landwirthschaft zu widmen und nach dem Tode seines
Oheims Prausnitzer dessen Bankgeschäft zu ordnen. Er
entledigte sieh dieser Aufgaben mit solchem Geschick,
dass seiner Familie ein bedeutendes Vermögen erbalten
592
NaturwissenscliaCtlichc Woclieiisclirift.
Nr. 53
blieb. Er verheirathete sich dann 1848 mit seiner Cousine
Fanny Prausnitzer und lebte mit dieser ungemein liebens-
würdigen, geistig bedeutenden Frau bis kurz vor seinem
eigenen Daliinscbciden in glückliclistcr Ehe.
Diese Zeit, in der Kronecker der Wissenschaft äusser-
licb entzogen war, und welche von 1845 bis 1855 reichte,
bildet für Kronecker's Entwickelung und für seine Erfolge
sicher einen sehr wichtigen Lebensabschnitt, über den wir
wohl erst später genaue Aufschlüsse eriialtcn werden.
Der Umstand, dass er gegen Ende dieser Periode mit
Arbeiten von fundamentalster Bedeutung hervortrat, be-
weist, dass er während dieser Zeit tiefe Studien gemacht
hat; aber wir wissen auch, dass er in dieser Zeit eine
sehr ausgedehnte wissenscliaftliche Correspondenz fülnte,
und in seinem Nachlasse finden sich Briefe, namentlich
an Kummer, in denen oft auf rein geschäftliclie Mittliei-
lungen und Familiennaciirichtcn eingehende mathematische
Erörterungen und Untersuchungen folgen. Eine Heraus-
gabe dieses Briefwechsels im Auszuge dürfte grosses In-
teresse erwecken.
Der äussere Lebensgang Kronecker's verlief nun unter
den wohlhabenden Verhältnissen, in denen er lebte, sehr
glücklich; er siedelte 1855 naeli Berlin über und führte
hier ein gastliches Haus, in dem man die bedeutendsten
Männer der Gegenwart antraf, mit denen Kronecker zum
Theil, wie z. B. mit Momrasen, eng befreundet war. Die
in Kronecker's Hause verlebten Stunden sind für jeden
werthvoll und angenehm anregend gewesen. Aeussere
Ehren sind dem hervorragenden Manne vielfach zu Theil
geworden. Im Jahre 1861 wurde er von der Akademie
der Wissenschaften in Berlin zum Mitglied e gewählt, in
deren Berichten und Abhandlungen seine wichtigsten Ent-
deckungen veröÖentlicht sind. Er war aber nicht nur in
wissenschaftlicher, sondern auch in geschäftlicher Be-
ziehung eines der hervorragendsten Akademiemitglieder,
wobei iimi seine Gewandtheit in pral^tischen Dingen wie
in der Form ganz besonders zu Statten kam. Er hat
hiervon nicht nur bei der Revision der Akademiestatuten
und vielen anderen Gelegenheiten Zeugniss abgelegt, son-
dern auch noch bis kurz vor seinem Tode in Angelegen-
heit der Helmholtz-Stiftung, die bei der Feier des siebzig-
sten Geburtstages von Helmholtz' wesentlich nach seinen
Vorschlägen begründet wurde. Auch die Geschäfte der
Redaction des Journals für Mathematik, welches er seit
Borchardt's Tode herausgab, hat er mit Geschick er-
ledigt, wobei ihm allerdings Prof. Lampe einen grossen
Theil der Last tragen half. Körperlich war Kronecker
sehr rüstig, wenn auch von sehr kleiner Statur. Noch
bis kurz vor dem Tode seiner Frau machte er im Thier-
garten häufig lange Spaziergänge, und Verfasser, der bis-
weilen das Glück hatte, ihn hierbei zu begleiten, wird
stets mit Bewunderung an die Ausdauer denken, mit
welcher Kronecker ohne geistige und körperliche Er-
müdung, oft bis drei Stunden sclmell gehend, seine Ge-
danken über die schwierigsten und feinsten matliematischen
Fragen entwickelte. Es ist nur wenigen seiner Faeh-
geuossen möglich gewesen, ihm hicrliei stets gedanklich
zu folgen, so sehr beherrschte er den Stoft". Häufig möi;en
diese Mittheilungen, mit denen Kroneeker wahrhaft Ver-
schwendung trieb, wesentlicii dem Umstände entsprossen
sein, dass er sich selbst zur Klarheit durchringen wollte,
indem er anderen seine Gedanken vorfi'ug und sie ihnen
klar zu machen suchte.
Obwohl Kronecker ursprünglich keine Lehrthätigkeit
hatte, benutzte er doch das ihm als Akademiemitglied
zustehende Recht, Vorlesungen an der Universität zu halten.
Einen Ruf an die Göttiuger Universität hatte er 1868 ab-
gelehnt. Im Jahre 1883 wurde ihm aber nach Kummer's
Rücktritt eine ordentliche Professur an der Berliner Uni-
versität übertragen, und hier hat er mit grossem Eifer
und Erfolge eine segensreiche Thätigkeit entfaltet. Seinen
Schülern (seine Vorlesungen waren oft von Professoren
und Docenten aus weiter Ferne besucht) brachte er grosses
Interesse und Wohlwollen entgegen.
Seit dem Tode seiner Frau, welche ihm am 21. August
1891 entrissen wurde, war er sichtlich körperlich und
seelisch gebrochen, wenn er auch bis kurz vor seiner Er-
krankung (Mitte December 1891) weiter arbeitete. Am
29. December 1891 folgte er seiner Gattin ins Grab. —
Die grössten wissenschaftlichen Verdienste hat sich
Kronecker auf dem Gebiete der Zahlentheorie und der
Algebra erworben; er galt hier unbestritten als Meister.
Bereits seine ersten Arbeiten, von der Dissertation an,
bewegen sich auf diesem Felde. Besonders glücklieh war
er in der Anwendung der Theorie der elliptischen Func-
tionen auf zahlentheoretische und algebraische Probleme.
Aber auch andere Gebiete beherrschte er mit grosser
Genialität; so bildet z. B. seine Untersuchung über das
Diriehlet'sche Integral ein Meisterstück ersten Ranges,
und ebenso sind seine Untersuchungen über die Potential-
theorie, über die Clausius'schen Coordinaten, u. v. a.
Leistungen, die von der Originalität und Tiefe des
grossen Forschers eindringlieh zeugen. Es ist natür-
lich durchaus unmöglich, auch nur ein ungefähres Bild
von dem Umfange und von der Bedeutung der wissen-
schaftlichen Lebensarbeit Kronecker's an dieser Stelle zu
entwerfen, giebt es doch selbst kaum einen Mathematiker,
der alle Theile der vielseitigen Schöpfungen des Dahin-
geschiedenen gleichmässig beherrscht und in ihrer Be-
deutung und Tragweite zu würdigen versteht.
Kronecker war ein durchaus arithmetisches Genie;
aber dennoch versfand er die Geometrie unter Umständen
meisterhaft zu verwenden. Seine arithmetische Anschauung,
an der er auch •.vegen der bisweilen vielleicht übertriebenen
Anforderungen an Strenge festhielt, hat er oft in originellen
Wendungen bekundet. So hat er des öfteren gesagt:
„Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles
andere ist Menschenwerk". Auf einem der oben erwähnten
Spaziergänge sagte er zum Verfasser dieser Zeilen: „Ich
betrachte die Mathematik nur als eine Abstracfion der
arithmetischen Wirklichkeit". Besonders in den letzten
Jahren seines Lebens kehrte er diesen Standpunkt immer
stärker hervor, sowohl öffentlich u. a. in seiner Arbeit
über den Zahlbegnff, als auch in seinen Vorlesungen und
im persönlichen Verkehr. Wie sehr ihm diese Anschauung
Herzenssache war, und wie fest er auf ein Durchdringen
seiner Auffassung des Zahlbegriffs vertraute, hat Verfasser
oft Gelegenheit gehabt zu bemerken. So that er auch bei
einem Besuche des Verfassers am 17. Oetober 1890, als
sich das Gespräch auf die Geometrie wandte, mit Bezug
auf seine arithmetischen Grundanschauungen ganz sieges-
gewiss und triumphirend den Ausspru"h: .,Mir gehört die
Zukunft! Mir gehört die Zukunft!"
Kronecker's Art zu arbeiten war eine eminent pro-
diictivc; er war nicht in dem gewöhnlichen Sinne des
^Vortes systematisch, sein Streben war wesentlich nnr auf
das Erke'nnen und auf die Entdeckung des Wahren ge-
richtet. Seine Arbeiten sind deshalb vielfach schwer ver-
ständlich. Mit dem bewundernswerthesten Ideenreich-
thnm verband Kronecker eine ausserordentlich grosse
Arlicitskraft; ott sah mau in seinem schönen Hause,
Bellevnesfrasse 13, noch um 2 Uhr des Nachts Licht in
seinem Arbeitszimmer. Dass er noch grosse Pläne hatte,
wissen alle, die mit ihm in der letzten Zeit in Berührung
gekommen sind, und im Hinblick auf die Ausführung
derselben wünschte er oft, noch ein Jahrzehnt ordentlich
arbeiten zu können. Leider sollte ihm das nicht be-
schieden sein.
Nv. 53.
Naturwissenschaftliche Wochensclirift.
593
In nicht hoch genug zu schätzender Würdigung der hoch-
bedeutenden Verdienste des grossen Mathematikers bat die
Akademie der Wissenscliaften zu üeriiii bahl nach seinem
Daliinsclieiden den Besebluss gefasst, seine Abliandiungen
sowie seine von tiefer Originalität zeugentlen Vorlesungen in
angemessener Form herauszugeben; sie ehrt sich sell)st,
indem sie einem ihrer hervorragendsten Mitglieder in der
würdigen Ausgabe seiner Werke ein Denkmal errichtet,
das noch in später Zukunft zeugen wird von dem be-
deutungsvollen Forschen und Schäften eines Mannes, w'ie
die Wissenschaft deren nur wenige aufzuweisen hat.
Fall von Leherheniie (Heriüa liepatica). — In
No. 44 der Berliner klinischen Wochenschrift vom 30. Oc-
tober 1893 berichtet Prof. W. J. Kusniin in Moskau
über einen sehr seltenen Fall von Leiierhernie (Hernia
hepatica), welcher bis jetzt fast einzig dastehen dürfte.
Es handelte sich dabei um einen linksseitigen Scbnür-
lappen der Leber, welcher auftrat in Form einer einge-
klemmten Hernia epigastrica, indem der Oberlappen sich
beim .Vustreten zwischen die Fasern des Rectus abdominis,
des geraden Bauchmuskcls, klemmte, das Rauchfell bildete
den Herniensack. Der Fall betraf eine •iSjährige Küchin,
welche dreimal entbunden war. Die Krankheit war ein
Jahr zuvor entstanden, es hatte sich eine wallnuss-
grosse Anschwellung zwischen Nabel und Herzgrube ge-
bildet, die anfangs wenig schmerzte und sich von selbst
wieder zurückbildete. Die Geschwulst wurde dann grösser,
nahm die Dimensionen der Fäuste eines Erwachsenen an
und war äusserst schmerzhaft. Es wurde daher die
Operation gemacht, wobei sich im Bruchsack, von diesem
einklemmend umfasst, ein Theil des linken Oberlappens
befand, ohne Anzeichen von Mortification, aber mit Er-
scheinungen einer Stauungs-Hyperämie und geringen Blut-
ergüssen. Die Leber wurde von der Einklemmung befreit
und eingericlitet. Es trat völlige Heilung ein. Die Ge-
sehwulst war nicht durch das Tragen eines Corscts ent-
standen — wie sonst bei Schuürlebern häufig — wohl
aber hatte das feste Zusammenschnüren der Kniebänder
einen bedeutenden Einfluss mit ausgeübt. Dazu kam
schwere Arbeit, zumal das überanstrengende Aufheben
von Lasten, das besonders gleich nach dem Wochenbett
nicht ohne Einfluss geblieben war.
Ein Beispiel grosser Lebenszähigkeit von Skorpionen
erzählt Joseph Noe (C. r. Soc. Biol. Paris, T. 5, 1893,
S.598j. Er konnte in Streichholzschächtclclien eingesperrte
Exemplare von Scorpio occitanus, ohne ihnen Nahrung zu
geben, in einem ungeheizten Zimmer überwintern, so dass sie
6 bis 7 Monate fasteten. Sc. eurojjaeus erlag dem Hunger
viel früher, Scolopendra morsitans schon nach 6 Wochen.
0. M.
Zur vergleichenden Physiologie des Nervensystems
der Coleopteren liefert A. Binet (in The Mmiist, \'ol. 4,
S. 65) einen Beitrag, der vielleicht von allgemein biologi-
scher Bedeutung ist. Es ist eine unter dem Namen des
BeH'schen (Gesetzes bekannte Thatsaehe, dass der periphere
Theil des Wirlielthier-Rückenmarkes die sensiblen Fasern
aufnimmt, während der centrale nur nidtorischc abgiebt.
Vor Binet hatte nun schon Faivre in dieser Beziehung
besonders an Dyiiscus e.xperimentirt und den äusseren,
ventralen Theil des Bauchmarks sensibel, den inneren
motorisch functionirend gefunden. Seine üntersuchungs-
metliode war die, dass er verschiedene Theile des Nerveu-
strangs zerstörte und dann prüfte, ob damit Sensibilität
oder Motilität verschwunden wäre. Konnte z. B. durch
mechanische Reizung eines Beines eine Reflexbewegung
der anderen Beine ausgelöst werden, während das uereizte
Bein selbst unbeweglich blieb, so w'ar dessen Motilität
verloren, die Sensibilität erhalten. Das Umgekehrte musste
der P^all sein, wenn von einem Beine aus keine Reflex-
bewegungen mehr in anderen Regionen hervorgerufen
werden konnten, das Bein sich aber auf Reizung anderer
Theile hin bewegte. Binet kam nun auf einem ganz
anderen Wege, durch vergleichend anatomische Unter-
suchungen zu eben demselben Resultate. Er mikroskopirte
Bau und \'crlauf der Flügelnerven von Blaps mortisaga,
Timareha tenebricosa und Carabus auratns, denen die
Flügel ganz fehlen, und deren Flügeldecken unbeweglich,
wenn auch sensiliel sind. Es zeigte sich dabei, dem
physiologischen Befunde entsprechend, dass hier der ven-
trale Zweig des Flügelncrven erhalten i.st; die dorsalen
Partien aber bis auf unbedeutende, andere Functionen er-
füllende, Reste fehlen. Seh.
Ueber die Rolle, die das Wasser bei der Bewe-
gung der grönländischen Eismassen spielt, tlieilt
Dr. Erich v. Drygalski, der die im Sommer aus-
geführte Grönland-Exi)edition der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin geleitet hat (Verhandl. der genannten
Ges. Bd. XX, S. 452 u. 453) vorläufig das Folgende mit.
Die Inlandeisströme liegen im Meer, sie schwimmen
nicht, — denn nur in einem äussersteu, beim Karajak
gut erkennbaren Theil des Randes geht ihnen der Boden
verloren — , aber sie sind in hohem Maass vom Wasser
durchtränkt, nicht nur soweit der Fjord dringt, sondern
auch weiter oben im Land, wo sich zahlreiche Wasser-
blasen am Eisrand sammeln. Die innige Berührung mit
dem Wasser muss die Bewegung erleichtern. Auch wird
durch Wasser allein die Bewegungsmöglichkeit otfen ge-
halten; denn es giebt keine Bewegung ohne die Schmelz-
temperatur, und dass diese sich in den unteren Schichten
erhält, dafür sorgt die grosse Wärmezufuhr durch Wasser,
die in der kurzen Sommerzeit auf Spalten und Löchern
von der Oberfläche zur Tiefe erfolgt. Die Kälte des
Winters dringt nur langsam in die Eismasseu ein, die
Spalten unterstützen ihr Vordringen unerheblich; das haben
Arbeiten mit elektrischen Kabeln gezeigt. Aber das
Wasser findet gewaltsamen Zutritt, und im ^'erhältniss zu
der geringen, in der langen Winterszeit eindringenden
Kälte wird in dem kurzen Sommer eine ungeheure Wärme-
menge in die Tiefe geschafft. So beruht die Bewegung
des Eises mehr auf den unteren Schichten; man wird
kaum einen Vergleich zwischen der Bewegungsart eines
Eisstromes und eines Wasserstromes durchführen können.
Auch bei der mikroskopischen Untersuchung der Eis-
strukturen tritt eine Antheilnalime des Wassers hervor.
Das Inlandeis i.st eine um seinen Schmelzpunkt sehwan-
kende Masse, auf der Wechselwirkung zwischen der festen
und der flüssigen Form beruht seine Bewegung und seine
Arbeit, das zeigt sein ^^lrkonnnen, seine Wärme und seine
Struktur.
Und blicken wir weiter. Das Innere Grönlands ist
Eis, die Kustenfelsen bestehen zum überwiegenden Theil
aus Gneiss; jenes bildet die heutige, der Gneiss die erste
Erstarrungskruste der Erde, und eine auft'allende äussere
Aehnlichkeit besteht zwischen ihnen. Wenn der (Jneiss
ein Sehmelzfluss gewesen, der in ähnlicher Weise, wie
das Inlandeis heute, um seinen Schmelzpunkt geschwankt
und sieh dadurch bewegt bat, dann wären manclie
Einzelheiten seiner Struktur und Bildung erklärt. Heute
ist er erstarrt und bildet die Form, in der sieh vor unsern
Augen der Erstarrungsprozess des Wassers vollzieht.
594
Naturwisseiischaftliclie Woelienschrift.
Xr. 53
Jodstickstoif uud StickstoifwasserstoiFsäure. —
In nicineui jüngst in dieser Woeheuselirift Kr. 43 er-
schienenen Artikel „Ueber Jodoso- und Jodoverbiii-
dungeii" wurde erwähnt, dass Victor Meyer nach Ent-
deckung- dieser eigenartigen Körper auch auf solche
zu fahnden bescbloss, die den Azovcrbiudnngen gleichen,
aber in der Gruppe N = N ein oder beide Sfickstoffatome
durch dreiwerthiges Jod ersetzt enthalten. Es lag nahe,
unter den bereits liekannten Verlnndungen nach möglicher-
weise in dieser Art zusamnicngesetzeu Substanzen Umschau zu
halten, und, während ich jenen Artikel sehrieb, üel mein
Gedanke auf den Jodstickstott'. Man hatte dieser Ver-
bindung ursprünglich nach Analogie des Chlorstickstoifs
die Formel NJ3 zuertheilt; aber nähei'e Untersuchungen
ergaben, dass neben Stickstoff' und Jod zumeist noch
Wasserstoff" in den verschiedenen Jodstickstoff'en enthalten
war. Bineau gab zuerst die Formel XHJo, welche dann
für die zumeist erhaltenen und verliältnissniässig con-
stantesten Präparate von Gladstonc, Guyard, Stahlschmidt,
Mallet und Raschig bestätigt wurde. Nimmt man nun,
wie es durch die Entdeckung der Jodoso- und Jodo-
verbindungen nahe gelegt wird, an, dass dreiwertliiges
Jod allgemein in analoge Verbindungen einzutreten ver-
mag wie Stickstoff", so fällt die Analogie zwischen dem
so zusannnengesetzten Jodstickstoft' und der gleich ihm
furchtbar explosiven, von Curtius entdeckten Stickstoff-
wasserstotfsäure, dem Azoiniid, in die Augen. Die fol-
genden Formeln mögen dies verdeutlichen:
NH< i!
Azoimid.
NH^
Jodstickstoft'.
Einer der gesuchten Jod-substituirten Azokörper wäre,
wenn diese Constitution richtig, also längst bekannt.
Hierzu musste aber eine weitergehende Analogie der beiden
Kiirper, al.s sie ihre allerdings ausserordentlich starke
Explosivität anzeigt, aufgefunden werden.
Das Azoimid ist bekanntlich eine starke Säure, die
mit den Halogenwasserstoffsäuren auf einer Stufe steht.
Liess sich auch nach den Erfahrungen, die bei den
Jodoso- und Jodoverbindungen, vergliclien mit den ent-
sprechenden Nitroso- und Nitroverbindungen, gemacht
wurden, erwarten, dass diese Säurefunction bei Ersatz
der beiden doppelt gebundenen Stickstoffatorae durch Jod
\vcsentlich abgeschwächt sein müsste, so erschien es doch
wahrscheinlich, dass dieselbe wenigstens andeutungsweise
noch vorhanden sein dürfte.
Charakteristisch für das Azoimid ist sein Silbersalz,
das Stickstoft"silber, und ich bescbloss, einen V^ersuch zur
Darstellung eines analogen Körpers aus Jodstickstoff" zu
wagen. Doch die heutige Chemie ist schnell und
durch eine schöne Untersuchung von J. Szuhay, welche
in dem soeben erschienenen Heft der „Berichte" ver-
öft'entlicht ist*), sehe ich mich der wenig angenehmen
Arlteit mit diesen äusserst bedenklichen Körpern über-
hoben.
Szuhay ist ohne jede Voreingenonmienheit daran ge-
gangen, die Constitution des Jodstickstoff's aufzuklären. Nach-
dem er die Formel NHJo bestätigt gefunden, suchte er den
Wasserstoff' durch Metalle zu ersetzen. Während die Ein-
wirkung von Kaliundiydroxyd nicht zum Ziele führte, fand
zwischen feuchtem Silberoxyd und Jodstickstoff' eine Reac-
tion statt und so resultirte ein Körper, ebenso explosiv wie die
Wasserstoff'verbindung und der Zusammensetzung NAgJ^
entsprechend. In dieser liess sich das Silber durch Kalium
oder Natrium bei Einwirkung der betreffenden Cyanide
*) D. Chem. Ges. Ber. 26,1933.
ersetzen, doch sind die entstehenden Verbindungen so
leicht zersetzlieh, dass sie nicht in festem Zustande iso-
lirt werden konnten. Auch eine Bleiverbindung scheint
zu existiren.
Ist somit die vermuthete Analogie mit der Stickstoff-
wasserstoffsäure, wie auch Szuhay am Schlüsse seiner Ab-
handlung andeutet, wahrscheinlich gemacht, so wird die
.\nnahme der Constitution
HN< II
\J
mit zwei dreiwerthigen Stickstoffatomen weiterhin gestützt
durch die früher von Stahlschmidt*) beobachtete Ein-
wirkung von Jodmcthyl auf Jodstickstoft", wobei ein
Körper der Zusammensetzung N(CH3)4J5 entsteht. Wäre
der Jodstickstoff'; wie man sonst allein annehmen könnte,
ein durcli zwei einwerthige Jodatome substituirtes Am-
moniak, also H-Nr; T, so könnte hierbei nur die Ver-
bindung N(CH3)oJ3
H3C
\ J
N(CH3),J3 = H3C-N<
/ J
J
entstehen. Nach der dem Azoimid entsprechenden Formel
aber kann man sich vorstellen,, dass die Bindungen zwischen
den beiden Jodatomen gelöst und die so freiwerdenden
zwei Valenzen jedes dieser Atome durch die Radikale des
Jodmethyls gesättigt werden. Der oben erwähnte Körper
N(CH3)4J5 würde danach die Constitution
H3C
H3C-N
CH,
/CHo
'\J
haben.
Nach alledem darf wohl die Vernuithung, dass in
dem gewöhnlichen Jodstickstoft" eins dijodsubstituirte Azo-
verbindung vorliege, mindestens auf den Rang einer
Hypothese Anspruch erheben. Dr. L. Spiegel.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Es wurden ernannt: Der Privatduccnt für Franonlieilkunde
an der Universität Bonn X)\. Johannes Kocks zum Professor. —
Geheimer Eath Professor Dr. L. Wittmack an Stelle des ver-
storbenen Gehoimraths R. Hartmann zum ordentliehon Mitgliede
der Gesellschaft Naturforschender Freunde in Berlin. — Der
Botaniker Holst zum I^oamten der deutschen Kilimandscharo-
Station.
Es sind gestorben: Der Assistent am Museum d'Histoire Natu-
relle Paul Fischer in Paris, einer der ersten C'oncliyliologen
Frankreichs. — Oberbergrath Gustav Pfannmiiller in Darm-
stadt. — Der eigentliche Erfinder der elektrischen Glüh- und
Bogenhtmpen Henry Göbel in New-York. — Der auch litte-
rarisch thätig gewesene Geheime Sanitätsrath Dr. Charles
August La Pierre in Tegel bei Berlin. — In Wiesbaden Pro-
fessor Dr. Friedrich Karl Medicus, ehemaliger Director des
Landwirthschaftlichen Institutes Hof Geisberg. — Der Grönland-
forscher Heinrich Johannes Rink in Christiania. — Der Pro-
fessor der Philosophie Karl Ludwig jNIichelet in Berlin. —
Der auch auf geographischem Gebiete (Afrika) thätig gewesene
Professor Dr. Karl G. Büttner in Berlin.
L i 1 1 e r a t u r.
Wilhelm Wandt, Vorlesungen über die Menschen- und Thier-
Seele. ■_'. umgearbeitete Aufl. \crlag von Leo])old Voss. Ham-
burg und Leipzig 1892. — Preis 10 M.
Die erste Aufl. erschien vor 30 Jaliren, als die experimentelle
Psychologie noch Zukunfsprogramm war. Wundt nennt diese
*) Ann. Phys. 119,421.
Nr. 5B.
Niiturwisseiiscliaftliehe Wocliciisclirift.
■)9ri
1. Aufl. eine Jiigondsünde. Die Neii-Bearbcitiinj;' wiir liestinimt
(liircli (He Erwägungen: 1., dass trotz der Mängel doch manche
Austnlu'ungen der 1 Aufl. sich noch heute behaupten können,
■J. lastete alles das aus dem Inhalt des älteren Werkes, was den
Anschauungen W's. nicht mehr entsprach oder zuwiderlief, „als
eine Art Schuld" auf den Verf., der er ledig zu werden wiinscht<'.
— Alle in das Gebiet der Völkerpsychologie reiclienden Aus-
führungen hat W. entfernt, also sich auf die lndi\idualps_vchologie
des Menschen und der Tbiere beschränkt. Das Wundt's Vor-
lesungen in einer philosophischen Bibliothek nicht fehlen dürfen,
braucht wohl nicht erst gesagt zu werden.
S. S. Buckman, Vererbungsgesetze und ihre Anwendung auf
den Menschen. Autorisirte deutsche Ausgabe. Darwinistische
Schriften. 1. Folge, Bd. 18. Ernst Günther's Verlag. Leipzig
18i)3. - Preis 2 Mk.
Verf. drückt die Thatsache der Vererbimg mit den Worten
aus: „Gleiches bringt Gleiches hervor, so weit die umgebenden
Zustände dies zulassen." So durchdacht wie dieser Satz ist das
ganze Heff, das auch der kenntnissreiche Darwiniaiu'r mit Vor-
theil lesen wird, um so mehr als Verf. manche Annahmen, auch
Ch. Darwin's, geschickt kritisirt; aber auch jedem, der sich erst
über den interessanten Gegenstand orientiren will, muss es em-
pfohlen werden, denn die klare Schreibweise des Verf. macht es
leicht, seinen Gedankengang zu verfolgen. Zum Schluss macht
B. auf die Unhaltbarkeit der Annahme der Nicht - Erblichkeit
j.erworbener Charaktere" aufmerksam. Beachten wir das folgende
aus den Thatsaehen sich ergebende Resultat: ,.Dor Nachkomme
neigt dazu, die verschiedenen aufeinanderfolgenden Lebensphasen
des Erzeugers in einem etwas früheren Alter darzustellen, voraus-
gesetzt, dass die Umgebung annähernd dieselbe sei" (S. 11), — so
wird man leiclit den Fehler in der WVismann'schen Annahme be-
merken, den B. durch Beispiele gut erläutert.
Bezüglich einiger Punkte seheint uns der Verf. zu hypothetische
Ansichten zu entwickeln, aber im Ganzen ist die von ihm ge-
lieferte Arbeit — wie gesagt — durchaus beachtenswerth.
Professor Dr. Johannes Ranke, Der Mensch. 2. gänzlich neu-
bearbeitete Auflage. 1, Lief. Leipzig und Wien. Verlag des
Bibliographischen Instituts, 1893. — Preis 1 Mk.
Wir pflegen zwar aus nahe liegenden Gründen — nämlich erstens
weil bei der Ijebi'rfüUe des einlaufenden Materiales dann kein Ende
zu finden wäre, und zweitens, weil es für den Leser eines Referates
nur in den seltensten Fällen Interesse hat, ein Buch stückweise
besprochen zu flndeu — nicht einzelne, wenig umfangreiche Lie-
ferungen zu erwähnen. In dem vorliegenden Falle mag aber als
Entschuldigung dienen, dass es sich um ein bereits bekanntes und
anerkanntes Werk handelt, bei welchem wohl vorauszusetzen ist,
dass es weitere Kreise interessiren dürfte, vorläufig zu hören, dass
eine Neu-Auflage im Erscheinen begriffen ist. Ein näheres Ein-
gehen auf das Werk ist freilich vor dem Abschluss desselben nicht
möglich.
Prof. Dr. Julius Kennel, Lehrbuch der Zoologie. Mit 310
Textabb. (mit gegen U 00 Einzelfiguren). Ferdinand Enke.
Stuttgart 18H:',. — Preis 18 M.
Wieder sind wir in der Lage, das Erscheinen eines trefflichen
Lehrbuches der Zoologie anzuzeigen, diesmal aus der Feder
des ordentl. Professors der Zoologie und Directors des zoologischen
Museums der Universität Dorpat. Der Hauptnaclidruck liegt in
dem vorliegenden Lehrbuch auf die vergleichend -morpbologiscli-
anatomische Betrachtung. Grosse Sorgfalt ist auf die Auswahl
und Ausführung der Abbildungen gelegt worden. Leider ist
ja in diesem Punkte in Lehrbüchern so viel gesündigt worden,
namentlich durch Herübernahme von alten und schlechten, von
deren Verlegern angebotenen Cliches. Die von Kennel gebrachten
Illustrationen sind im Gegentheil fast alle Originale. Das Buch
ist nicht allein als Lehrbuch, sondern durch das sorgfältige Re-
gister als Nachschlagebuch geeignet: es soll ja auch ausgespro-
chenerniaassen nicht allein dem Studium für den Anfänger dienen,
sondei'n — wie das Erscheinen des Buches in <ler „Bibliothek des
Arztes, eine Sammlung medieinischer Lehrbücher für Studirende
und Praktiker' andeutet — in Specialfällen Rath geben. Von
einer Darstellung der Darwin'schen Theorie bat Verf. abgesehen;
die ganze Arbeit gliedert sieh in zwei Theile: I. Allgemeine Zoo-
logie (nebst Protozoa) und II. Specielle Zoologie der Metazoa.
In der speciellen Gruppirung der letzteren und der systematischen
Stellung einzelner Tbiere wird der Fachmann manche Besonder-
heiten finden. Der I. Theil bespricht zunächst den Begriff der
Thierart, Species, sodann die thierische Zelle, dann die Protozoa,
die auch gleich an dieser Stelle aus pädagogischen Gesichtspunkten
von dem speciellen Theil getrennt vollständig abgehanilelt werden,
während von den Metazoen im allgemeinen Theil nur die Fur-
schung des Eies und die Keimblätterbildung Berücksichtigung
finden. Die beiden letzten Kajiitel des allgemeinen Theiles sind
überschrieben: „Die Gewebe" und „Die Organe". Als Einleitung
der Metazoa wird ihre Ableitung uiul ihr Verwandtschaftsver-
hältniss. ihr Stammbaum, besprochen.
K. Schütte, Die Tucheier Haide vornehmlich in forstlicher
Beziehung. (Abhandlungi.'n zur Landeskunde di'r Provinz West-
preussen. Herausgegeben von iler Provinzial-Conunission zur Ver-
waltung der Westjn-eus.-iischi'n Provinzial-Museen. Heft V.) Com-
missionsverlag von Tli. Brntling. Danzig 1893.
Vornehm lieh in forstlicher Beziehung hat der Verfasser das Gebiet
der Tucheier Haide gesidiildert, da aber der Wald das eigentliche, ja
geradezu ausschliessliche Lebenselement jener eigentbümlichen
Gegend ist, so darf man wohl erwarten, dass die Arbeit auch alle
anderen Verhältnisse berücksichtigt hat. Und in dieser Erwartung
wird man nicht getäuscht, das Heft liefert im eigentlichen Sinne des
Wortes einen wichtigen Beitrag zur Landes- und Volkskunde von
Westpreussen. Sein Inhalt entspricht voll und ganz der Wirklich-
keit; der Verfasser zeigt sich als einen genaueren Kenner der \'erliält-
nisse. die er nicht blos als gegeben vorführt, sondern auch auf
ihre Ursachen und Folgen hin prüft. Seit einem Menschenalter
inmitten des von ihm dargestellten Gebietes hervorragend thätig,
hat er dasselbe und seine Bewohner sich allmählich entwickeln
und letztere auf eine menschenwürdige Stufe des Daseins gelangen
sehen. Trotzdem er ein recht bedeutendes statistisches Material
zu verarbeiten hatte, ist seiner Schrift doch die in solchen Fällen
nur allzu leicht sich einstellende Trockenheit gänzlich fern, viel-
mehr weht dem Leser aus derselben wirkliches Leben entgegen.
Geradezu prächtig ist z. B. die Person des alten Förster-Originales
Dobelke gezeichnet. Es ist ganz unzweifelhaft, dass sich Seliütte"3
„Die Tucheier Haide" recht viele Freunde erwerben und dazu
beitragen wird, endlich eine richtige JIciuung über ein viele
Quadratmeilen umfassendos Gebiet unseres Vaterlandes zu ver-
breiten, worüber im Grossen und Ganzen eine Ansicht herrscljte
wie man dieselbe wohl über gewisse nicht im besten Rufe stehende
Gegenden da hinten in der Türkei zu hören gewohnt ist. —
Es ist ein eigentbümliches Land, das sich südöstlich von der
pommerschen Seenplatte der Hauptsache nach zwischen den
Flüssen Brahe und Schwarzwasser bis nahe an die Weichsel und
Netze erstreckt. In den Kreisen Konitz, Bereut, Pr. Stargard,
Tuchel und Schwetz dehnt es sich über einen Flächenraum von
.'{5 Qnadratmeilen aus, in durchschnittlich 120 m Meereshöhe und
zeigt die typische Zusammensetzung des diluvialen Bodens, vor-
wiegend grosse Sandstrecken, aus denen stellenweise, aber nur
untergeordnet, Lehm hervortritt. Die bei weitem meiste Boden-
fläche ist mit Wald bestanden, der, mit Ausnahme verhältniss-
mässig kleiner Lücken und Streifen, ein geschlossenes Ganzes
bildet, das grösste zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands.
Das Klima ist rauh, die Winter treten früh ein, sind lang und
streng und bringen fast ausnahmslos eine Kälte von 20° R. und
darunter mit sich, während einerseits späte, andererseits wieder
früh sich einstellende Nachtfröste der Vegetation hart zusetzen
und ganz gewaltige Temperaturschwankungen innerhalb weniger
Stunden demjenigen, welcher mir vorübergehend dort weilt, den
Aufenthalt noch melir verleiden. Von den Beispielen, welche
^'erf. für die Spätfröste giebt. seien hier die folgenden angeführt:
22. Mai 1863 — 4° R, 1. Juni 18G.J — i°, 10. Mai 1878 — ü°,
2). Mai 1880 — 5°, und als Beweise für die bedeutenden Tempe-
raturschwankungen: 15. Februar 1871 Abends 18° R. Frost, am
folgenden Morsen 2° Wärme, am 19. Mai desselben Jahres Schnee,
am 26. Mai +'21° R. im Schatten, am 28. Mai -t- 23°, am 1. und
3. Juni Nachtfrost. Dies ist die Tucheier Haide, einst ein nicht
ohne Grund verrufenes, von jedem, welchen Amt und Beruf dort-
hin führte, gefürchtetes Land, dessen schlechter Charakter heute
jedoch. Dank des weisen, zielbewussten, dui-ch keine kleinliehe
Bekrittelung in Folge nicht sofort in die Erscheinung tretender
Erfolge beeinflussten Vorgehens seitens des Staates der Ge-
schichte angehört. In diesem weiten Waldlande, wo noch die
Eibe in grösserer Anzahl im Cisbusch der Oberförsterei Linden-
busch vorkommt*), hat der Staat eine grosse Culturarbeit geleistet.
Unter der mit Unrecht viel geschmähten Ordensherrschaft wohl
verwaltet, war es nach des Deutsch-Ordens Niederlage 1166 für
3 Jahrhunderte polnischer Wirthschaft anhi'iingefallen und unter
dieser in jenen Zustand der Verwahrlosung gerathen, dass sein
schlechter Ruf nur allzu begründet war. Mit der Erwerbung sei-
tens des preussisclien Staates 1772 begann eine neue Zeit: die
Forsten wurden planmässig bewirthschuftet, dem Holze Absatz-
Wege und -Stellen geschaSeu, die Raubwirthschaft der Bewohner
der Haidedörfer unterdrückt und die Bevölkerung zu einem arbeit-
samen, arbeitwilligen, geregelten Leben erzogen. Im Etatsjahre
1890/91 wiesen die 18 Oberförstereien des Gebietes einen Uober-
schuss von 1 192 998 M auf, im Jahre 1880 dagegen 16 726 Thaler.
Es würde zu weit führen, wollten wir hier noch weiter auf die
Vergl. auch .Naturw. Wocbenschr." Bd. A'll, S. 343.
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Naturwissenscliat'tlic'lie Wocliciisolirift.
Nr. 53
fleissige Arbeit eingehen, wer sicli über die Bewohner u. s. w.
des Gebietes unterrichten will, findet das Wissenswertheste darin
vor. Zum Schluss behandelt der Verf. das nördlich daranstossende
Gebiet der Kassubei und die Aufgabe, welche der Staat in diesem
durch die Mis.swirthschaft der Bevölkerung herabgekommenen,
entwaldeten Lande zu lösen hat.
Wilhelm von Bezold. Bericht über die Thätig-keit des König-
lich Preussischen Meteorologischen Instituts im Jahre 1892.
Berlin 1S'J3.
Das Heft bietet eine Uebersicht über das für das Meteoro-
logische Institut so äusserst wichtige Jahr 1.S9'2, in welchem die
1885 begonnene Eeorganisation desselben im Grossen und Ganzen
zum Abschluss gelangte, was durch die Vollendung des Regen-
stationsnetzes in Preussen und durch die Indienststellung des
Meteorologisch-Magnetischen Observatoriums auf dem Telegraphen-
berge bei Potsdam äusserlich zum Ausdruck kam. Letztere ver-
ursachte eine bedeutende Verschiebung im Personalbestande des
Institutes. Abschnitt A bringt die Neu-Vertheilung des Personals
zum Ausdruck. In Abschnitt B wild eine Uebersicht über das
dem Institute unterstellte Stationsnetz, seine Veränderungen,
Ausrüstungen und Thätigkeit gegeben, in C eine solche über die
Inspectionsreisen der Institntsbeamten innerhalb des Netzes. Ab-
schnitt D enthalt eine Uebersicht über die Neuordnung der
Publicationen des Institutes, die Veröffentlichungen desselben im
Jahre 1892 und diejenigen der Beamten. Abschnitt E berichtet
über die Sammlungen, F endlieh behandelt speciell das Meteoro-
logisch-Magnetische (Jbservatorium bei Potsdam, dessen Vollendung,
Ausrüstung und Indienststellung, sowie endlich die dort während
des kurzen Zeitraumes geleisteten magnetischen Arbeiten, für
welche das Berichtsjahr in Folge seiner magnetischen Maximum-
Erscheinungen ein ganz aussergewöhnlich günstiges war. Der
letzte Abschnitt G giebt endlich Aufselduss über die Inanspruch-
nahme des Institutes von aussen her.
Dr. Felix Koerber und Paul Spies, Physik (Dr. H. Potonie's
Naturwissenschaftliche Repetitorien. HeftI). Fischer's medicin.
Buchhandlung (H. Kornfeld). Berlin 1893. — Preis 4 Mk.
Von Dr. H. Potonie's Naturwissenschaftlichen Repetitorien
liegt nunmehr ausser der Chemie und Botanik auch die Physik
vor. Obwohl von zwei Autoren bearbeitet, scheint die Einheit-
lichkeit der Darstellung nirgend empfindlich gestört zu sein. Aller-
dings rührt das Werkchen zum grössten Theile von dem erst-
genannten Verfasser her, denn Herr Spiess hat nur einen Tiieil
der Mechanik und die Lehre von der Elektricität bearbeitet.
V\''as die Benutzung des vorliegenden Repetitoriums anlangt,
so dürfte dasselbe sehr wohl geeignet sein, Studirenden der Medicin
nnd Pharmacie nach dem Besuch einer Vorlesung über Experi-
mental-Physik als Grundlage für Wiederholungen zu dienen. Auch
Studireiide der Naturwissenschaften werden, insofern sie die Physik
als Nebenfach betreiben, ohne Zweifel mit Vortheil das Büchel-
chen benutzen. Das, was in den festen Bestand der Experimental-
physik überjjegangen ist, findet sich in gedrängter, aber zusammen-
hängender, klarer Darstellung in dem letzteren, so dass sich das
Werk fast mehr als ein kurzes Lehrbuch oder ein Leitfaden
charakterisirt. Denn ein Repetitoiium im engeren Sinne, welches
nur das Skelett des betreffenden Gebietes enthält und von einer
zusammenhängenden Darstellung Abstand nimmt (wie z. B. die
geschichtlichen Repetitorien), muss sich jeder für seine Zwecke
selbst anlegen; es spielen da eine ganze Reihe persönlicher Mo-
mente mit, die in einer schematischen Darstellung nicht berück-
sichtigt werden können.
Es will uns deshalb scheinen, als ob das vorliegende Heft
sogar weiteren Ansprüchen genügen und nicht nur zu W^ieder-
holuugszwecken benutzt werden wird. Jedenfalls wünschen wir
dem Werke recht grosse Verbreitung.
Dass sich bei der Durchsicht des Buches hin und wieder
Wünsche aufdrängen, ist nicht zu verwundern; gewiss wird der
eine dieses, der andere noch jenes aufgenommen zu sehen wünschen,
während anderes hätte gekürzt werden können. Wir wollen nicht
alle unsere Wünsche hier aufführen, um nicht den Werth der vor-
liegenden Arbeit herabzusetzen, wenn auch nur dem Scheine nach.
Aber wenn wir u. a. nur den Wunsch aussprechen, dass auch die
Hertz'schen Entdeckungen, die jeder akademisch - naturwissen-
schaftlich Gebildete dem Wesen nach kennen niuss, bei einer
neuen Auflage berücksichtigt werden, so dürfte dies kaum be-
gründeten Widerspruch erfahren. A. G.
Geological Survey of Canada. — 1. Walter F. Ferrier,
C a t a 1 0 g u e o f a S t r a t i g r a p h i c a 1 C o 1 1 e c t i o n o f C a n a d i a n
Rocks preparcd for the World's Exposition, Chicago
1893. Government Printing Bureau. Ottawa 1893.
Das Heft, 130 und XX Seiten stark, bringt das Verzeichniss
der aus 1500 Nummern bestehenden stratigraphischen Sammlung,
welche die Geologische Landesaufnahme von Canada auf der
Weltausstellung in Chicago ausgestellt hat. Auf Seite V bis XIX
giebt der Verfasser eine kurze Uebersicht über die Formationen,
welchen die Stücke angehören, ihre Verbreitung und die auf sie
bezügliche Litteratur. Die Eiutheilung der Collection, sowie die
Disposition der vorliegenden Arbeit entspricht der Altersaufeinander-
folge der Formationen, mit deren ältester, der Laurentiscben, be-
gonnen wird. Innerhall) der Formationen schreitet die Reihenfolge
der Fundpunkte von Ost nacli West fort. Die Sammlung ist mit
grossem Geschicke ausgewählt und zusammengestellt und giebt
ein lehrreiches, vollständiges Bild von den Gesteinen, welche an
der Zusammensetzung des Canadischen Bodens theilnehmen.
2. G. Christian Hoffmann, Catalogue of Section
One of the Museum of the Geological Survey, Embra-
cing the Systematic Collection of Minerals and the
Collections of Economic Minerals, and Rocks, andSpe-
cimens Illustrative of Structural Geolog}'. Printed by
S. E. Dowson, Printer to the Queens Most Excellent Majesty.
Ottawa 1893.
Das Heft enthält ein Verzeichniss der aus P549 Nummern
bestehenden Abtheilung I des Museums der Geologischen Landes-
aufnahme von Canada. Die Abtheilung umfasst eine systematische
Sammlung von Mineralien, eine Sammlung nutzbarer Mineralien
und endlich eine Sammlung von Gesteinen und Proben, welche
die Zusammensetzung des Canadischen Bodens erläutern. Die
erste Sammlung ist nach der in der sechsten Auflage (1892) von
Dana's „System of Miner.ilogy" angenommenen Eintheilung, die-
jenige der technisch nutzbaren Mineralien rein nach pi-aktischen
Gesichtspunkten geordnet. In der letzteren wiederum richtet sich
die Anordnung innerhalb der einzelnen Mineralspecies ganz nach
deren praktischer Bedeutung. Die Erze sind in zwei Suiten ver-
treten, deren eine nur Handstücke von den wichtigsten und best-
bekannten Fundpunkten enthält, während die andere eine Zu-
sammenstellung von sämmtlichen Fundorten derselben in der
ganzen Dominian ist. Ein vierfacbi.-r Index, welcher Seite 175 bis
Ö56 umfasst, erleichtert das .\ufHnden jedes Stückes ganz wesent-
lich. Im ersten Index sind die Schaukästen verzeichnet, im zweiten
die Nummern der Stücke der Reihe mich, im dritten die Ursprungs-
orte in alphabetischer Folge und im vierten alphabetisch die
Gesteine selbst. — Der X und 256 Seiten starke Catalog, dem
ein Plan der von der Sammlung im Museum der Geologischen
Landesaufnahme eingenommenen Räumlichkeiten beigegeben ist,
dient nicht allein der Orientirung in der Sammlung selbst, sondern
gewährt auch dem blossen Leser einen Ueberblick über das Vor-
kommen der Mineralien und Gesteine und ihre Theilnahme an der
Zusammensetzung des canadischen Bodens.
Weismann, Prof. Aug., Die Allmacht der Naturzüchtung. Jena.
2 M.
Wislicenus. Johs., Die Chemie und das Problem -von der Materie.
Leipzig. l,-'0 M.
Zimmer, G. C, Ueber das Wesen der Naturgesetze. Giessen.
2 M.
Berichtigung.
Seite 581, Spalte 2, Zeile 17 von unten muss es in der Klammer
heissen: vergl. Gartenflora 1893, S. 476.
Inhalt: Prof. Dr. A. Nehring: Ueber die Gleichzeitigkeit des Menschen mit der sogenannten Mammuthfauna. — Leopold
Kronecker. — Fall von Leberheruie (Hcrnia hepatica). — Lebenszähigkeit von Skorpionen. — Zur vergleichenden Physiologie
des Nervensystems der Coleopteren. — Ueber die Rolle, die das Wasser bei der Bewegung der grönländischen Eismassen
spielt. — Jodstickstoff und StickstottVasserstoft'säure. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Litteratur: Wilhelm Wundt:
Vorlesungen über die Menschen- und Thier-Seele. — S. S. Biickman: Vererbungsgesetze und ihre Anwendung auf den
Menschen. — Pro f. Dr. J o h a n n e s R a u k e : Der Mensch. — P r o f. Dr. J u 1 i u s K e n n e 1 : Lehrbuch der Zoologie. — R. Schütte:
Die Tucheier Haide vornelunlich in forstlicher Beziehung. — Wilhelm von Bezold: Bericht über die Thätigkeit des König-
lich Preussischen Meteorologischen Instituts im Jahre 1892. — Dr. Felix Koerber und Paul Spies: Physik. — C4eological
Surve}- of Canada. — Liste. — Berichtigung.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Henry Potonie, Berlin N. 4., Invalidenstr. 44, für den Inseratentlieil: Hugo Bernstein in Berlin. —
Verlag: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchliandlung, Berlin SW. 12. — Druck: G. Bernstein, Berlin SW 1?.
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