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Full text of "Nekyia; Beiträge zur Erklärung der neuentdeckten Petrus-Apocalypse"

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1] 


NEKYIA 


BEITRÄGE  ZUR  ERKLÄRUNG  DER  NEÜESTDECKTEN 


PETRUSAPOKALYPSE 


VON 


ALBRECHT  DIETERICH 


37 


J7^ 


LEIPZIG 

DBUCK  ÜXD  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNEE 
1893 


Hier  bei  diesen  Griechen 
Ist  von  dergleichen  kaum  die  Spur  zu  riechen; 
Neugierig  aber  war'  ich  nachzuspüren, 
Womit  sie  Hollenqual  und  Flammen  schüren. 

Goethe  Klassische  Walpurgisnacht. 


YoYVfort. 

Meiner  Arbeit  ein  Wort  vorauszuschicken  veranlafst  mich 
nur  die  angenehme  Pflicht  des  Dankes  für  vielfache  freund- 
liche Hülfe.  Den  gröfsten  Dank  schulde  ich  meinem  verehrten 
Lehrer  Hermann  Usener,  der  mir  eine  Korrektur  gelesen  und 
mich  durch  die  mannigfachsten  Winke  und  Nachweise  unter- 
stützt hat  (auch  vielfach,  wo  ich  es  im  einzelnen  nicht  bemerkt 
habe);  Wilhelm  Schulze  danke  ich  für  vielerlei  Rat  und  Hülfe 
(die  auch  nicht  immer  bei  dem  einzelnen  bezeichnet  ist)  bei 
der  Durchsicht  der  Druckbogen  und  Adolf  Jülicher  für  die 
freundliche  Unterstützung   in   manchen   theologischen    Fragen. 

Marburg  i.  H.,  September  1893. 

Albrecht  Dieterich. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Vorwort III 

Einleitung.    Die  neue  Apokalypse  von  Akhmini 1 

Text  und  Übersetzung  2;  Fragmente  der  Petrusapokalypse  11; 

Zugehörigkeit  des  Textes  von  Akhmim  13. 

I.  Griechischer  Volksglaube  vom  Totenreich 19 

1.  Der  Göttergarten  und  der  Ort  der  Seligkeit 19 

Der  Göttergarten  im  Westen  20;  das  Lichtland  23;  Schil- 
derungen des  Seligkeitsortes  in  der  antiken  Litteratur  30; 
die  'gerechten'  Völker  des  Westens  und  Nordens  35;  die 
äul'sere  Erscheinung  der  Seligen  38;  Nimbus  und  Strahlen- 
kranz 40;  Katakombendarstellungen  43. 

2.  Die  furchtbaren  Wesen  der  Tiefe 46 

Der  Todet^gott  46;  die  Fresser  der  Tiefe  48;  Kerberos  49; 
capKocpdiTOC  52.  • 

3.  Erinyen  und  Strafdämonen 54 

Erinyen  -  Keren  54 ;  Dämonen  59 ;  öyy^Xoi  60 ;  die  sich 
rächenden  Seelen  61. 

II.  Mysterienlehren  über  Seligkeit  und  Unscligkeit es 

1.  Chthonische  Geheimkulte;  Eleusis  und  Delphi 63 

Der  Demeterhymnus  64;  die  Sühnungen  Delphis  66;  das 
Sittliche  in  den  Mysterien  65;  das  Unterweltsbild  des  Poly- 
gnot  68;  der  Hades  in  den  Fröschen  des  Aristophanes  70. 

2.  Die  altorphischen  Kulte  und  ihre  eschatologischen  Lehren    .      72 

Die  Herkunft  der  orphischen  Kulte  73 ;  Anfänge  einer 
orphischen  Litteratur  in  Athen  75;  Entstehung  der  ersten 
Büfsertypen  (die  homerische  Nekyia)  75;  die  ewige  Trunken- 
heit der  Seligen,  der  Satyrnchor  77;  die  Verdammten  liegen 
im  Schlammpfuhl  81. 

III.  Orphisch-pythagoreische  Hadesbücher 84 

1.  Die  Inschriften  auf  den  unteritalischen  Tbtentafeln     ....     84 


—      V     — 

Seite 

Seelenwanderungslehre  88,  Lethe  und  Mnemosyne  90;  dva- 
\\njxr\  refrigeratio  95 ;  Uranos  und  Ge,  die  Eltern  des  Men- 
schengeschlechts 100;  die  Totentafel  von  Kreta  107. 

2.  Eschatologische  Leliren  und  Mythen  bei  Empedokles,  Pindar, 
Piaton 108 

Empedokles  108;  Pindaros  109;  Piatons  eschatologische 
Mythen  im  Phaidros,  in  der  Republik,  im  Gorgias  und 
im  Phaidon  113;  Rekonstruktion  eines  Threnos  des  Pin- 
daros 119;  die  orphischen  Quellen  jener  Lehren  und 
Mythen  122;  die  orphischen  und  pythagoreischen  Kaxa- 
ßdceic  eic  "Aibou  128. 

3.  Weitere  Reste  und  Spuren  orphischer  EEadeslitteratur  .    .    .     136 

Pseudo-Demosthenes'  erste  Aristogeitonrede  137;  Stellung 
der  stoischen  Lehre  140,  Bions  und  seiner  Nachahmer  141 ; 
Menippos,  Lukian  142;  die  Neupythagoreer  und  ihre  Lehre 
143;  Plutarchs  eschatologischer  Mythus  in  de  sera  num. 
vind.  145;  Lukians  vera  historia  148;  das  sechste  Buch 
der  Aeneis  Vergila  150;  Entwickelung  und  Bedeutung  der 
orphischen  Nekyien  159. 

IV.  Sünder  und  Strafen  im  Hades 163 

1.  Entwickelung  der  Typen  der  Sünder 163 

Altgriechische  Hauptsittengebote  163;  eleusinische  Gebote 
165;  Einwirkung  platonischer  und  stoischer  Ethik  170; 
Tafel  antiker  und  altchristlicher  Lasterkataloge  174;  Tafel 
der  Sünder  in  der  Apostellehre,  dem  phokylideischen  Ge- 
dicht, dem  zweiten  Buche  der  Sibyllinen,  dem  Texte  von 
Akhmim  176;  das  pseudophokyHdeische  Gedicht  jüdisch 
oder  christlich  178;  der  Einschub  eines  Stückes  des  pseudo- 
phokylideischen  Gedichts  ins  zweite  Sibyllinenbuch  183; 
das  zweite  Buch  der  Sibylltnenorakel  184;  ägyptische  christ- 
liche Litteratur  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhun- 
derts 190;  das  Bild  von  den  zwei  Wegen  191. 

2.  Entwickelung  der  Typen  der  Strafen 195 

Die  Feuerpein  196;  der  ursprünglich  lustrale  Charakter 
der  Unterweltsstrafen  200;  Einwirkung  der  Analogie  irdi- 
scher Strafen  und  Qualen  202;  Einwirkung  des  alten 
Rechtes  der  Wiedervergeltung  206;  die  Strafen  in  orphi- 
scher Hadealitteratur  und  die  in  der  Petrusapokalypse  211. 

V.  Jüdische  Apokal}^tik 214 

Sünden  und  Strafen  im  IV.  Buch  Esra  214;  das  Buch 
Daniel  215;  Wendung  der  jüdischen  Anschauungen  in  der 
Makkabäerzeit  216;  griechische  Einflüsse  in  der  Henoch- 
apokalypse  217,  in  der  Lehre  der  Essener  221;  Mischungen 
des  Griechischen  und  Jüdischen  222. 


—     VI     — 

Seite 

Schlafs.    Die  Entstehung  der  Apokalypse  Ton  Akhmim 225 

Komposition  und  Erweiterung  der  Sünder-  und  Strafen- 
klassen in  der  Apokalypse  225 ;  ihr  Ursprung  in  der  orphi- 
schen  Hadeslitteratur  227;  Orphiker  und  Christen  im 
2,  Jahrhundert  228;  Orpheus  und  Petrus  231. 

Sachliches  Register 23.S 

Stellenregister 23G 


Die  neue  Apokalypse  von  Akhmim. 

Der  Pergamentcodex,  der  in  einem  Grabe  zu  Akhmim  in 
Oberägypten  gefunden  worden  ist,  enthält  das  Stück  eines 
Evangeliums  des  Petrus,  die  Erzählung  des  Leidens  und  der  Auf- 
erstehung Christi,  und  ein  apokalyptisches  Stück,  das  sich  offen- 
bar als  Bericht  desselben  Petrus  giebt,  und  grofse  Stücke  der 
Henochapokalypse.  Die  Petrusapokalypse  enthält  hauptsäch- 
lich eine  Schilderung  des  Ortes  der  Seligen  und  des  Ortes  der 
Verdammten,  die  Christus  auf  einem  Berge  dem  Petrus  zeigt, 
eschatologische  Bilder,  die  in  früherer  christlicher  Litteratur 
ohne  jede  Analogie  sind.  Schon  beginnt  dieser  merkwürdige 
alte  Text  vielfach  Licht  zu  werfen  in  alle  möglichen  Schluchten 
und  Seitenwege  späterer  christlicher  Schriftstellerei  und  einen 
langen  ununterbrochenen  Weg  der  Tradition  zu  beleuchten  bis  zu 
dem  Himmel  und  der  Hölle  des  Dichters  der  göttlichen  Komödie. 
Wo  aber  hat  dieser  Weg  seineu  eigentlichen  Anfang?  Woher 
nahm  der  altchristliche  Apokalyptiker  die  Farben,  den  Ort  der 
Seligkeit  und  der  Qual  zu  malen?  Es  mufs  von  der  gröfsten 
Bedeutung  sein  für  die  Erkenntnis  der  Genesis  nicht  nur  alt- 
christlicher Eschatologie,  sondern  überhaupt  der  Anlehnungen, 
die  für  das  älteste  christliche  Schrifttum  und  den  altchrist- 
lichen Kult  zu  suchen  sind,  wenn  es  gelingt,  den  Ursprung 
dieser  Visionen  mit  Sicherheit  nachzuweisen.  Ehe  ich  meine 
Beiträge  vorlege  zur  Lösung  dieser  Frage  nach  der  Herkunft 
und  den  Quellen  der  Petrusapokalypse  und  nach  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  der  Formen  der  Jenseitsanschauung,  wie 
sie  hier  auf  einmal,  scheinbar  so  plötzlich  und  unvermittelt  auf- 
tauchen, mufs  ich  den  Text  des  apokalyptischen  Stückes  selbst 
geben  ^  und  über  dieses  einige  Worte  vorausschicken. 

1  Sicheres  Fundament  für  die  Recension  des  Textes  ist  jetzt  allein 
die  Ausgabe  0.  von  Gebhardts:  Das  Evangelium  und  die  Apokalypse 
des  Petrus,  die  neuentdeckten  Bruchstücke  nach  einer  Photographie  der 
Handschrift  zu  Gizeh  in  Lichtdruck  hrsgg.  Leipzig,  1893. 

Dioterich,  Xekyia.  1 


Pergamentcodex  von  Akhmim,  S.  19 — 13. 

TToXXoi    eH    auTUüv    ^covxai    qjeuboTrpocpfiTai    Kai    obouc    Kai 
bÖYluaia  TTOiKiXa    rrjc  dTTOiXeiac   bibdSouciv,    eKeivoi   be  uioi  rfic    2 
omwXeiac    Y^vricoviai.     Kai    löre    eXeucexai    6    Geoc    im   tou[c]    3 
TTicTouc  )uou  Touc   TTeivuJvxac  Kai  bivpuJvxac   Kai   GXißojuevouc  Kai 
5  ev   xouxLu   xuj    ßiuj   xdc  ijjuxdc   dauxuJv  boKijudZ^ovxac  Kai  Kpivei 
xouc  uiouc  xfic  dvo)uiac. 

Kai  irpocGeic  ö  Kupioc  eqpiT  ayouiuev  eic  xö  öpoc,  euHu)|Lieea.    4 
dTTepxöjuevoi  be  jaex'  auxoö  f]|ueTc  oi  buubeKa  )LiaGr|xai  dberjGriluev,    5 
ÖTTuuc  beiHrj  fi|uiv  eva  xuiv  dbeXqpujv  fjjuujv  biKaiuJv  xüjv  eSeXGöv- 
10  xiuv  diTÖ  xoO  KÖcjuou,   iva  ibujjuev  uoxaTioi  eici  xrjv   luopqpriv  Kai 
Gapcr|cavx6c  TrapaGapcuvuüiLiev  Kai  xouc  dKOuovxac  fijLiujv  dvGpoJTrouc. 


Kai  euxo)Lievu)V  fijuijuv  dq3[vuj]  9[ai]vovxai  buo  dvbpec  ^cxüjxec    6 
ejUTTpocGe   xoö   Kupiou,    Trpöc   o[uc]    ouk    ebuvr|6ri|uev   dvxißXei|;ai* 
eHripxexo  Ydp  dfro  xfic  övpeuuc  aiixujv  dKxiv  ujc  fiXiou  Kai  cpuuxei-    7 

15  vöv  f]V  au[xa)v  xö]   evbu)ua  ottoTov   oubeTTOxe   6(pGaX|uöc   dvGpiu- 
7r[ou  eibev  oube  ya.]p  cxöjua  büvaxai  eSriTHcacGai  r|  Kap[bia  em- 
vofic]ai   xrjv   böHav  rjv   evebebuvxo   Kai    xö   KdX[Xoc   xfic  ö]q;€ujc 
auxdiv.    ouc  ibövxec  eGaiußoiGriiLiev  ■  xd  )uev  ydp  cuujuaxa  auxüuv  fjv    8 
XeuKÖxepa  irdcric  xiovoc  Kai  epuGpöxepa  iravxöc  pöbou.     cuveKC-    9 

20  Kpaxo  be   xö  epuGpöv  aOxujv  xlu  XeuKÜJ,     Kai  dTrXOuc  ou  buva)Liai 
eHriYricacGai  xö  KdXXoc   auxujv.     r\  xe  fäp  köixx]  auxüuv  ouXr|  fjv  lo 
Kai   dvGripd   Kai   eiriTTpeiTOuca   auxiLv  xiu  xe   TTpocujTruj   Kai  xoic 
uj)Lioic   ujcirepei   cxeqpavoc    Ik  vdpbou   cxdxuoc   ireTTXeYiievoc    Kai 
TroiKiXujv    dvGujv    f|   ujcTiep   Tpic   ev  depi.     xoiauxr]   iiv  auxüuv  fi 


C  =  Codex  von  Akhmim.  Der  Güte  des  Herrn  Prof.  von  Gebhardt 
danke  ich  es,  dafs  ich  die  Probeabzüge  seiner  Lichtdruckausgabe  des 
Codex  schon  benutzen  konnte.  Die  Zahlen  rechts  sind  die  Verszahlen  Har- 
nacks  und  v.  Gebhardts.  Die  römischen  Zahlen  rechts  bezeichnen  die 
verschiedenen  Gruppen  des  Stratbrts. 


2  TTOiKiXoi  C      6i5a£ujciv   C      eKoivoi   C  3   zwischen  tot€   und 

eXeucGTOi  zeigt  das  Facsimile  ein  Loch,  das  wie  einige  andere  der  Schreiber 
schon  vorgefunden  hat,   v.  Gebhardt  S.  29      oOc  C,  so  öfter.  4  tou 

mcTouc  C  irivujvTac  aus  tticujvtoc  korrigiert  in  C  binjov  .  .  .  C  7  koi 
aus  Kuc  korrigiert  in  C  okc  C,  so  öfter.  <^Kai^  euSu()|ue0a  James  opouc  C 
9  <(tujv^  öiKoiujv  Harnack  u.  a.       11  ävoüc  C,  so  öfter.       12  von  aqpvi« 


3     — 


Viele  von  ihnen  werdpn  Lügenpropheten  sein  und  werden 
Wege  und  listige  Lehren  des  Verderbens  predigen;  jene  aber 
werden  Söhne  des  Verderbens  werden,  und  dann  wird  Gott 
kommen  zu  meinen  Getreuen,  die  da  hungern  und  dürsten 
und  in  Drangsal  sind  und  in  diesem  Leben  ihre  Seelen  be- 
währen, und  wird  richten  die  Söhne  der  Ungerechtigkeit. 

Und  der  Herr  fügte  hinzu  und  sprach:  „Lafst  uns  auf  den 
Berg  gehen,  lafst  uns  beten."  Da  wir  aber  mit  ihm  fortgiengen, 
baten  wir,  die  zwölf  Jünger,  er  möchte  uns  einen  von  unsern 
gerechten  Brüdern,  die  aus  der  Welt  gegangen,  zeigen,  damit 
wir  schauen  könnten,  welcher  Gestalt  sie  sind,  dafs  wir  getrost 
würden  und  Trost  geben  könnten  auch  denen,  die  es  von  uns 
hören. 

Und  indem  wir  noch  bitten,  erscheinen  plötzlich  zwei 
Männer  und  stehen  vor  dem  Herrn.  Auf  die  vermochten  wir 
nicht  geradeaus  zu  sehen.  Denn  es  gieng  von  ihrem  Antlitz  aus 
ein  Strahl  wie  von  der  Sonne,  und  leuchtend  war  ihr  Gewand, 
wie  es  niemals  eines  Menschen  Auge  sah,  und  kein  Mund 
kann  erzählen  oder  ein  Herz  erdenken  den  Glanz,  in  den  sie 
gehüllt  waren,  und  die  Schönheit,  die  von  ihrem  Angesicht 
ausgieng;  drum  da  wir  sie  sahen,  wurden  wir  voll  Staunens. 
Denn  ihre  Leiber  waren  weifser  als  aller  Schnee  und  röter  als 
jede  Rose.  Und  Rot  und  Weifs  war  bei  ihnen  vereinigt.  Und 
in  einem  Worte,  ich  kann  ihre  Schönheit  nicht  auseinander- 
setzen. Denn  ihr  Haar  war  lockig  und  glänzend  und  leuchtete 
über  ihrem  Antlitz  und  ihren  Schultern  gleichwie  ein  Kranz, 
geflochten  aus  Nardenblüten  und  bunten  Blumen,  oder  wie 
der  farbige  Bogen  in  der  Luft,  Derart  war  ihre  Herrlichkeit, 
Da  wir  also  ihre  Schönheit  sahen,  erschraken  wir  vor  ihnen, 
da  sie  so  plötzlich  erschienen, 

ist  cp  noch  deutlich  zu  sehen,  auch  ein  Stück  des  uu  14  auTtü  C  qpivxi- 
vov  C  15  av  C  16  eibev  oub^  T^p  Lods,  v.  Gebhardt  u.  a.  f\  Kap[bia 
^Trivofica]i  Lods,  v.  Gebhardt,  vgl.  dessen  Ausgabe  S.  30      f\  Kap[6ia  \u)- 

? 

pfjcaji  V.  Wilamowitz  Ind.  Gott.  aest.  1893  p.  32        17  koXuu \\)€iuc  C 

evebe&uvTO  korrigiert  aus  tbuvxo  in  C  19  AeuKorepov  C  20  tuuv  Xeu- 
Kujv  C       22  av9epa  C      23  uucirepeic  C     lücrrepei  ßlass,  Janaes      24  xomu- 

TT^V    C 

1* 


—     4     — 

25  euTTpeTTeia.     ibövxec  ouv  autüjv  t6   KdXXoc  €K9a)Lißoi  fe-jova^ev  il 
Trpöc  auTouc,  eTreibf)  dqpvuu  eqpdvricav. 

Ktti    TTpoceXGiJuv   TLu    Kupiuj   eiTTov    Tivec  eiciv  outoi;   XeTei  12  13 
|uor  ouToi  eiciv  01  dbeXcpoi  fiiuüjv  01  biKaioi,  u)v  iiGeXricaie  [idjc 
ILiopqpdc  ibeiv.    Kayiij  e'qpriv  auTui'  Kai  ttoO  eici  Trdvrec  oi  bkaioi  14 

30  r|  TToTöc  ecTiv  6  aiu)v,  dv  dj  eici  touttiv  exovxec  rfiv  böEav;  Kai  15 
6  Kupioc  ^'beiSe   jaoi   ineyicTov  x^Jpov  eKxöc  tou[t]ou   toö  köc|uou 
iiTrepXajLiTTpov    xtu    cpouii,    Kai    xöv   depa    xöv    eKei  dKXiciv  nXiou 
KaxaXa|Li7r6|uevov  Kai  xfjv  y^v  auxr]v  dv9o0cav  d|uapdvxoic  dvGeci 
Kai   dp(ju|udx(juv   TrXripri    Kai   q)uxu)V   euav6d)V    Kai    dcpBdpxuuv    Kai 

35  KapTTOv   euXoYimevov  cpepövxuuv.     xocoOxov  be   r\v  xö   dv6oc  ibc  16 
<^öc|afiv>  Kai  eqp'  fiiaäc  eKeiGev  cpepecBai. 

Ol  be  oiKr|xopec  xoO  xöttou  eKeivou  evbebu|uevoi  fjcav  evbu)Lia 
d.-^fe'Kojy   qpujxeivuuv   Kai  ö|uoiov  fjv  xö   evbv^a   auxujv   xr]   x^P^  i'' 
auxüjv.    dYYC^oi  be  rrepiexpexov  auxouc  eKcTce.    icri  be  fjv  fi  b65a  18  19 
40  xujv  eK6i  oiKrixöpiuv,  Kai  juia  cpuuvr]  xöv  Kupiov  Geöv   dveuqpruuouv 
euqppaivöjaevoi  ev  eKeivuj  xuj  xöttuj.     XeYei  fi|uTv  6  Kupioc*  ouxöc  20 
ecxiv  6  xÖTTOc  xüjv  dpxiepeoiv  ujuujv,  xuiv  biKaiuuv  dvGpuuTTUüv. 


Gibov    be    Kai    exepov   xorrov    KaxavxiKpuc    eKeivou    auximi-  21 
pöxaxov.    Kai  fjv  xöttoc  KoX[d]ceajc.    Kai  01  KoXaZ;ö)Lievoi  eKei  Kai  oi 
45  KoXdZiovxec   dYY^^oi    CKOxeivöv   eixov  xö    ^vbu|ua   Kaxd  xöv  depa 

XOO    XÖTTOU. 

Kai  xivec  fjcav  eKei  eK  xf|c  Y^iJuccric  Kpe)ud)Lievor   ouxoi   be  22  I 
fjcav  Ol  ßXaccprmoövxec  xfjv  öböv  xfjc  biKaiocuvric   Kai  uTieKeuo 
auxoTc  TTup  (pXeYÖ)Lievov  Kai  KoXdZiov  auxouc. 

50  Kai  Xi|uvri  xic  fjv   jueYdXri   ireTcXripuJiaevri  ßopßöpou   qpXeYOjue-  23 II 

vou,   ev  d>  fjcav  dvGpoiTTOi  xivec  dTiocxpeqpovxec  xfjv  biKaiocüvr|V 
Ktti  eTTCKeivxo  auxoTc  dYYC^oi  ßacavicxai. 


25  iö()T€c  G  28  rmOuv  C  \)\xa)v  Harnack  u.  a.  35  uüc<(öc)ui')v)> 
Usener  38  qpiUTivai  C  40  aveuqpr^inouv  aus  av€q)ri|Liouv  korrigiert  in  0. 
42  TOTTUJC  Tuuv  opxEpu)  C  dipxiiT<JJv   V.  Wilamowitz   a.  a.  0.   p.  32,  v. 

Schubert  Theol.  Litztg.  1893  col.  37  u.  a.  biKaiov  üvoiv  C  43  eraipov 
Tonuj  KavTOVTiKpuc  eKeivou  aux|ii»lpovTU)v  C  aCixMIP^^xaTOv  Blass,  v.  Geb- 
hardt    Zur  Bedeutung  vgl.  Aristot.  de  color.  p.  792»  11,  ep.  Petr.  I  19,  GIG 


-     5 


Und  ich  trat  zu  dem  Herrn  und  sprach:  „Wer  sind  diese?" 
Er  antwortet  mir:  „Das  sind  unsere  gerechten  Brüder,  deren 
Gestalt  ihr  ja  schauen  wolltet."  Und  ich  sagte  zu  ihm:  „Und 
wo  sind  alle  Gerechten  oder  wie  sieht  der  Himmel  aus,  in  dem 
die  wohnen,  die  solchen  Glanz  tragen?"  Und  der  Herr  zeigte 
mir  einen  sehr  weiten  Ort  aufserhalb  dieser  Welt  über  und 
über  glänzend  im  Lichte  und  die  Luft  dort  von  Sonnenstrahlen 
durchleuchtet  und  das  Land  selbst  blühend  von  unverwelk- 
lichen  Blumen  und  erfüllt  von  Wohlgerüchen  und  von  Ge- 
wächsen, die  herrlich  blühen  und  unvergänglich  sind  und  ge- 
segnete Frucht  tragen.  So  stark  war  die  Blüte,  dafs  der  Duft 
auch  zu  uns  von  dort  getragen  wurde. 

Die  Bewohner  jenes  Ortes  waren  bekleidet  mit  einem  Ge- 
wände strahlender  Engel,  und  ihr  Gewand  war  gleichen  Aus- 
sehens wie  ihr  Land,  und  Engel  weilten  dort  unter  ihnen. 
Und  gleich  war  die  Herrlichkeit  derer,  die  dort  wohnen,  und 
mit  einer  Stimme  priesen  sie  Gott  den  Herrn  frohlockend  an 
jenem  Orte.  Und  es  spricht  der  Herr  zu  uns:  „Dies  ist  der 
Ort  eurer  Hohenpriester,  der  gerechten  Menschen." 

Ich  sah  aber  auch  einen  anderen  Ort,  jenem  gerade  gegen- 
über, der  ganz  finster  war.  Und  es  war  ein  Ort  der  Strafe. 
Und  die,  welche  gestraft  wurden,  und  die  strafenden  Engel 
hatten  ein  dunkles  Gewand  an  gemäfs  der  Luft  des  Ortes. 

Und  es  waren  welche  dort,  die  waren  an  der  Zunge 
aufgehängt.  Das  waren  die,  welche  den  Weg  der  Gerech- 
tigkeit lästerten,  und  unter  ihnen  brannte  Feuer  und  pei- 
nigte sie. 

Und  es  war  da  ein  grofser  See  gefüllt  mit  brennendem 
Schlamm,  in  dem  sich  solche  Menschen  befanden,  welche 
die  Gerechtigkeit  verdrehten,  und  Engel  bedrängten  sie  als 
Folterer. 


no.  4466,  3,  Hesych.  s.  v.  44  KoXacZoMevoi  C  45  cxoXaZovxec  aus  cko- 
XaZovTCC  korrigiert  iu  C  ckotivov  C  auTUUv  ev6ebu|iieva  C  auTtliv  tö  ?v- 
6u|aa  Blass,  James  ckotgivöv  eixov  tö  ävbv\xa  aöxCDv,  ^v&eöu|n^voi  kotci 
TÖv    d^pa   ToO   TÖTTou    V.    Wilamowitz   a.    a.   0.  48  bioKaiocuvr)c  G 


52  ßaviCTai  C 


—     6     — 

fjcav  be  Ktti  aXXai  Yuv[a]TKec  [tJOov  TrXoKd|iUJV  eHriptrijuevai  24 III 
dvuuTepuu  ToO  ßopßöpo[u]  eKeiv[ou]  toO  dvairacpXdZ^ovToc  •  auT[ai 
56  ö]e  ficav  ai  irpöc  |uoixeiac  K0C|ari6eicai,  oi  be  cu|a|LiiY[evTec]  auiaic 
TU)  |Liidc)aaTi  Tfjc  laoixeiac  eK  tujv  ttoöujv  [fjcajv  K[p€jLid|uevoi  K]ai 
xdc  KCcpaXdc  eixov  ev  tlu  ßopß6p[iu  Kpu]qp[9eicac  Kai]  ^XeYOV 
ouK  ^TTicTeuoiLiev  eXeucecGai  eic  toötov  tov  töttov. 

Kai  Touc  qpoveic  ^ßXeirov  Kai  toOc  cuveibörac  auroic  ßeßXr)-  25  TV 

60  luevouc  ev  xivi  töttiu  T€0Xi|U|uevLjj  Kai  neTrXripiuiLievLU  epTteriJuv 
TTOvripuJv  Kai  irXriccoiuevouc  uttö  tOuv  GripiuJV  eKeivujy  Kai  oütuj 
crpeqpoiLievouc  ekci  ev  xfj  KoXdcei  eKeivr],  eireKeivio  be  auioTc 
CKwXriKec  ujcrrep  veqpeXai  ckötouc,  ai  be  vpuxai  tujv  ireqpoveu- 
liievujv  ecTUJcai  Kai  eqpopujcai  xfiv  KÖXaciv  eKeivuuv  tujv  cpoveuüv 

65  eXeYov  6  0eöc,  biKaia  cou  f\  Kpicic. 

TrXriciov  be  xoO  töttou   eKeivou  eibov  erepov  töttov  Te9Xi|u-  26  V 
|Li[ev]ov,  ev  tL  6  ixujp  Kai  fi  bucuubia  tujv  KoXaZiojuevmv  KaTeppee, 
Kai  ujCTrep  Xi|uvr|  cYiveTO  eKei.     KdKeT  eKd6riVT0  Y^vakec  e'xoucai 
TÖv  ixoipa  juexpi  T[a)]v  TpaxriX[uuv]  Kai  dvTiKpuc  auTÜJV  ttoXXoi 

70  Ttaibec,  o[i'Tive]c  dujpoi  eT[i]KT0VT0,  KaBriiuevoi  eKXaiov.  Kai 
TtporipxovTO  eS  aij[TUJV  dKTivJec  trupöc  Kai  Tdc  YuvaiKac  ^'tiXticcov 
KaTd  Tuj[v]  öqpGaXjuuiv.  auTai  be  rjcav  ai  d[Ya|uoi  cuXXaßoJöcai 
Kar  eKTpuucacai. 

Kai  e'Tepoi   [dvbpec]   Kai  YuvaTK[e]c  cpXeYOiaevoi  rjcav  |uexpi  27  VI 

76  ToO  fiiuicouc  auTÜJV  Kai  ßeßXr||uevoi  ev  töttiu  CKOTeivu»  Kai  juacTi- 
Z;ö)Lievoi  1)1X0  7Tveu|udTUJV  TiovripuJv  Kai  ecGiöjaevoi  Td  crrXdYXva 
UTTÖ  CKUjXriKUJV  dKOi|LiriTUJv.  ouTOi  be  rjcav  oi  biuuHavTec  touc 
biKaiouc  Kai  TiapabövTec  auTouc. 

Kai  ttXticiov  eKeivujv  TidXiv  YuvaiKec  Kai  dvbpec  )Liacu))aevoi  28  VII 

80  auTuuv  Td  x^^^il  Kai  KoXaZ;ö|uevoi  Kai  TTeTTupuj)Lievov  cibripov  KttTd 
TuJv  öqpGaX|uüJv  Xa)aßdvovTec.  outoi  be  fjcav  oi  ßXacq)Ti|LiricavTec 
Kai  KOKUJC   eiTTÖVTeC  TTjV   oböv  TTic   biKaiocuvr|c. 


53  aXXoi  C  eSripTtiineva  C  55  r]v  C,  ai  Harnack  u.  a.  auTiuvC  aöxak 
Usener  jueixtctc  C  inoixeiav  Harnack  u.  a.  56  fjcav  Kpe|Lid|Lievoi  koi  James, 
V.  Gebhardt  Überbleibsel  des  av  von  ricav  sind  zu  erkennen  67  ßop- 
ßöp[LU,  Kai]  q)[ujviri  lueYÖXr)]  ^Xcyov  v.  Gebhardt  KpuqpGeicac  Sudhaus 
58  eXeuceOai  C  62  Ko\atei  C  63  CKo\riKec  C  67  o  ixujp  C  ip  ö 
Harnack  u.  a.  70  oiTivec  James,  v.  Gebhardt,  vgl.  dessen  Ausgabe  S.  34, 
o'i  auTaic  Diels  71  diKTivec  Diels,  qpXÖYec  James,  v.  Gebhardt.  Vor 
Resten,  die  von  oYec  und  vec  sein  können,  unten  Rest  einer  Hasta,  die 
nur  von  qp  oder  i   (nicht  von  X)  sein  könnte.     In  jenem  Falle  wäre   für 


Es  waren  aber  auch  sonst  noch  Weiber  da,  die  an  den  Haaren 
aufgehängt  waren  oben  über  jenem  aufbrodelnden  Schlamm. 
Das  waren  die,  welche  sich  zum  Ehebruch  geschmückt  hatten, 
und  die,  welche  sich  mit  ihnen  vermischt  hatten  in  der  Schande 
des  Ehebruchs,  waren  an  den  Füfsen  aufgehängt  und  mit  dem 
Kopf  in  jenen  Schlamm  gesteckt,  und  sie  sprachen:  „Wir 
glaubten  nicht,  dafs  wir  an  diesen  Ort  kommen  würden." 

Und  die  Mörder  erblickte  ich  und  ihre  Mitschuldigen,  die 
geworfen  waren  an  einen  engen  Ort,  der  voll  war  von  bösem 
Gewürm;  und  sie  wurden  gebissen  von  jenen  Tieren  und  mufsten 
sich  so  dort  in  jener  Qual  winden.  Es  bedrängten  sie  Würmer 
wie  Wolken  der  Finsternis.  Und  die  Seelen  der  Gemordeten 
standen  da  und  sahen  auf  die  Qual  jeuer  Mörder  und  sprachen: 
„0  Gott,  gerecht  ist  dein  Gericht." 

Nahe  an  jenem  Orte  sah  ich  einen  andern  engen  Ort,  in 
dem  das  Blut  und  der  Unrat  derer  die  bestraft  wurden  herab- 
flofs  und  dort  wie  ein  See  wurde.  Und  dort  safsen  Weiber, 
die  hatten  das  Blut  bis  an  den  Hals,  und  ihnen  gegenüber  safsen 
viele  Kinder,  die  da  unzeitig  geboren  waren,  und  weinten.  Und 
von  ihnen  giengen  Feuerstrahlen  aus  und  trafen  die  Weiber 
über  das  Gesicht.  Das  waren  die,  welche  unehelich  empfangen 
und  abgetrieben  hatten. 

Und  andere  Männer  und  Weiber  waren  in  Flammen  bis 
zu  der  Mitte  und  sie  waren  geworfen  an  einen  finstern  Ort 
und  wurden  gegeifselt  von  bösen  Geistern  und  ihre  Eingeweide 
wurden  aufgezehrt  von  Würmern,  die  nicht  ruhten.  Das  waren 
die,  welche  die  Gerechten  verfolgt  und  sie  verraten  hatten. 

Und  nicht  weit  von  jenen  wiederum  Weiber  und  Männer, 
die  sich  die  Lippen  zerbissen  und  gepeinigt  wurden  und  feuriges 
Eisen  über  das  Gesicht  bekamen.  Das  waren  die,  welche  ge- 
lästert hatten  und  geschmäht  den  Weg  der'  Gerechtigkeit. 

X  kein  Raum     72  ricav  am ucai  C    Vgl.  Sibyllin.  II  281  f. 

ÖTiöcoi  Z[ii)vr|v  xfjv  TrapöeviKif^v  ctTr^Xucav  Xd6pn  |iiCYÖ^€voi,  ßccai  6'  ^vi 
YOCTcpi  q)6pT0uc  ^KTpiücKouciv.  Apocal.  Pauli  p.  60  Tischend,  aörai  eiciv 
ai  ouK  fiKOUcav  tüjv  foveujv  aÜTÜüv,  äXXö  irpö  tojv  -fömjuv  Ijniavav  Tf)v  irap- 
Qeviav  aÜTU)v.  Die  Folgenden  sind  ai  q)6eipacai  ^auräc  koi  tö  ßp^qpr] 
aÖTÖiv  airoKTeivacai.  —  ai  dT<i,uiuc  xä  ßp^cpri  xeKOÖcai  v.  Gebhardt  (vgl. 
dessen  Ausg.  35).  Meine  Ergänzung  kann  dem  Räume  genügen ;  es  lassen 
sich  Gruppen  von  13  Buchstaben  in  C  messen,  die  so  weit  geschrieben 
sind,  dafs  sie  jenes  Spatium  ausfüllen  75  ckoxivuj  C  78  irapaööxec  C 
80  TieiTUpuJiaevujv  C 


-     8     — 

Kai   KaxavTiKpu    toutuuv   aWoi    ttciXiv  avbpec   koi  juvaiKec  29  Vlll 
Totc  YXojccac  auTUJV  )aacuj)Lievoi  Km  nOp  cp\eYO|Liev[o]v  e'xovTec  ev 
85  TU)  cTÖ|uaTi.     ouToi  06  r|cav  oi  ipeubofidpiupec. 

Kai  ev  eiepuj  tivi  töttiu  xa^iKCC  fjcav  öEuiepoi  Hiqpüjv  Kai  30 IX 
TravToc  oßeXiCKOu,  -rreTTupuuiuevoi,  Kai  Y^vaiKec  Kai  ävbpec  potKr] 
puTT-apd  ev5ebu)aevoi  ekuXiovio  ett'  auiojv  KoXaSöjuevoi.  outoi  be 
rjcav  Ol  rrXouToOvTec  Kai  tuj  ttXoutiu  auTÜuv  ireTroiGÖTec  Kai  }xr\ 
90  eXerjcavtec  opqpavouc  Kai  XY\pac  dXX'  d|ueXricavT6c  ific  evToXfic 
ToO  9eo0. 

ev  be  ^Tepa  Xi|uvri  jueTdXr)  Kai  TreirXiipujiiievri  ttuou  Kai  ai\ia-  31 IX 
Toc  Kai  ßopßöpou  dvaZieovToc  eiCTr|Keicav  dvbpec  Kai  xuvaiKec  |uexpi 
Yovdxuuv.    ouToi  be  fjcav  01  baveiZiovtec  Kai  dTraiTouvrec  tökouc 
95  tökuuv. 

dXXoi  dvbpec  Kai  t^vaiKec  dirö  KprijLivoO  jbieYdXou  KaiacTpe-  32  XI 
(pö|uevoi  nPXovTo  KttTuu  Kai  itdXiv  riXauvovTO  iittö  tujv  eTTiKeijuevuuv 
dvaßfjvai  dvuu  em  toO  KpriiuvoO  Kai  KaxecTpeqpovTO  eKcTGev  Kdiuu 
Kai  ficuxiav  ouk  eixov  anö  Tauxric  ine  KoXdceuuc.  outoi  be 
100  fjcav  oi  juidvavTec  Td  cuu)LiaTa  lauToiv  djc  Y^vaiKec  dvacTpeqpö- 
juevoi,  ai  be  iuct'  auTUJV  Y^vaiKec*  auTai  ficav  ai  GUYKOifiriGeicai 
dXXriXaic  ujc  dv  dvfip  Tipöc  YuvaiKa. 

Kai    Trapd    tu)    Kpriiuvu)    eKeivLU    töttoc    rjv    -rrupöc    nXeiCTou  33  XII 
Ye)Liujv  KaKei   eiCTr|Keicav  dvbpec  oiTivec  TaTc  ibiaic   x^pci  Höava 
105  eauToTc  eTroiricav  dvTi  Oeoö. 

Kai  Trap'  eKeivoic  dvbpec  eTepoi  Kai  YuvaiKec  pdßbouc  irupoc      XIII 
exovTec   Kai   dXXrjXouc   TUTTTOvxec   Kai   luribe-rroTe   Trauöjuevoi   Tfic 
ToiouTr|C  KoXdceu)c.  <(outoi  be  fjcav  01  .  .  .  .)> 

Ktti  eTepoi  irdXiv  ef^vc  CKeivujv  YuvaiKec  Kai  dvbpec  (pXeYÖ-  34  XIV 
110  i^evoi    Kai    CTpe(pö|uevoi    Kai    Tr|YaviZ;ö|.ievoi.      outoi    be    ^cav   01 
dcp^vxec  Tr)v  oböv  toö  Oeoö. 

84  auTOv  C  85  ovbr]   be  ricav  C  88  outo  C  92   iroiou  C 

93  ßopßopuu  avaleovrec  C        icrriKeicav  C         94  ouro  C         öaviZovrec  C 
9(5  <^Ka\y   äXXoi  James  104  icxriKeicav   C  108   keine    Lücke  in  C 

Die  Angabe  der  Sündei-,   die  mit  outoi  bl  fjcav  ol  beginnen  mulste ,  ist 
ausgefallen         111  äq)^vTec  v.  Gebhardt         r|  aqpOavxec  C 


-     9     - 

Und  diesen  gerade  gegenüber  waren  wieder  andere  Männer 
und  Weiber,  die  sich  die  Zungen  zerbissen  und  brennendes 
Feuer  im  Munde  hatten.     Das  waren  die  falschen  Zeugen. 

Und  an  einem  anderen  Orte  waren  Kieselsteine  spitzer 
als  Schwerter  und  jede  Speerspitze,  die  waren  glühend,  und 
Weiber  und  Männer  in  schmutzigen  Lumpen  wälzten  sich  auf 
ihnen  gepeinigt.  Das  waren  die  Reichen  und  die  auf  ihren 
Reichtum  vertrauten  und  sich  nicht  erbarmt  über  Waisen 
und  Witwen,  sondern  das  Gebot  Gottes  vernachlässigt  hatten. 

Und  in  einem  anderen  grofsen  See,  der  mit  Eiter  und 
Blut  und  aufbrodelndem  Schlamm  gefüllt  war,  standen  Männer 
und  Weiber  bis  an  die  Kniee.  Das  waren  die  Wucherer  und 
die  Zinseszins  forderten. 

Andere  Männer  und  Weiber  wurden  von  einem  gewaltigen 
Abhang  hinab  gestürzt,  kamen  hinunter  und  wurden  wiederum 
von  den  Drängern  auf  den  Abhang  hinaufzugehen  getrieben  und 
von  dort  hinabgestürzt  und  hatten  keine  Ruhe  vor  dieser  Pein. 
Das  waren  die,  welche  ihre  Leiber  befleckt  und  sich  benommen 
hatten  wie  Weiber,  und  die  Weiber  bei  ihnen,  das  waren  die, 
welche  bei  einander  gelegen  hatten  wie  ein  Mann  beim  Weibe. 

Und  bei  jenem  Abhang  war  ein  Ort  voll  gewaltigen  Feuers, 
und  dort  standen  Männer,  welche  sich  mit  eigener  Hand  Götzen- 
bilder gemacht  hatten  statt  Gottes? 

Und  bei  jenen  waren  andere  Männer  und  Weiber,  welche 
Stäbe  von  Feuer  hatten  und  sich  schlugen  und  niemals  auf- 
hörten mit  solcher  Züchtigung.     Das    waren   die,  welche  .... 

Und  wiederum  waren  nahe  bei  jenen  andere  Weiber  und 
Männer,  die  gebrannt  und  gefoltert  und  gebraten  wurden. 
Das  waren  die,  welche  den  W^eg  Gottes  verlassen  hatten. 


-     10     — 

Das  Fragment  beginnt  in  einer  Rede  Christi  über  die 
letzten  Dinge,  von  den  falschen  Propheten  und  dem  Kommen 
Gottes  zum  Gerieht.  Danach  folgt  auf  Bitten  der  zwölf  Jünger 
die  Erscheinung  der  beiden  Seligen.  Dann  beginnt  Petrus 
allein  zu  fragen,  und  ihm  allein  (ebeiHe  |lioi  v.  15)  werden  die 
beiden  Orte  des  Jenseits  gezeigt.  Dafs  es  nicht  ursprünglich 
zusammengehören  kann,  wenn  erst  zwei  Selige  gezeigt  werden 
und  dann  der  Ort  der  Herrlichkeit  mit  allen  Seligen,  welche 
ungefähr  gleich  beschrieben  werden,  liegt  auf  der  Hand.  Die 
Fuge  ist  noch  deutlich  da,  wo  Petrus  allein  zu  reden  beginnt. 
Nicht  dafs  beide  Stücke  mechanisch  aneinander  gesetzt  wären: 
verschiedene  Überlieferungen  sind  ineinander  gearbeitet.  Die 
Erscheinung  der  zwei  Seligen  hat  in  vielem  die  frappanteste 
Ähnlichkeit  mit  der  Erzählung  von  der  Verklärung  (Marc.  IX 
2—13;  Matth.  XVII  1—13;  Luc.  IX  28—36),  auch  in  einzel- 
nen Ausdrücken.^  Man  kann  annehmen,  dafs  eine  der  Ver- 
klärungsgeschichte ähnliche  Erzählung  durch  die  Jenseitsvision 
beeinüufst  zu  einem  Bericht  von  der  Erscheinung  zweier  Himm- 
lischen wurde;  auch  diese  beiden  werden  nun  ganz  so  wie  die 
Bewohner  des  Landes  der  Seligkeit  ausführlich  geschildert  — 
eine  Wiederholung,  die  in  dem  jetzigen  Texte  ohne  solche 
Vorgänge  unbegreiflich  wäre. 

Dafs  Petrus  es  ist,  der  von  jenem  Punkte  an  das  Wort 
führt  und  also  als  Erzähler  des  Ganzen  gedacht  ist,  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen.  Wir  haben  also  eine  Apokalypse 
des  Petrus  vor  uns,  und  wenn  die  bisherigen  Wortführer  in 
diesen  Fragen  Recht  haben,  so  ist  es  die  Apokalypse  des 
Petrus^,  die  zuerst  Clemens  Alexandrinus  und  das  Muratorische 
Fragment    erwähnen,    die    lange    noch    sogar    in    kirchlichem 

1  Die  beiden  Männer  werden  nach  mehr  jüdischer  Überlieferung 
Moses  und  Elias  genannt.  Die  beiden  leuchtenden  Männer,  welche  in 
dem  Petrnsevangelium  v.  30  in  das  Grab  Christi  herniederkommeu,  sind 
auch  ohne  Namen,  und  man  hat  kein  Recht  sie  ohne  weiteres  Moses  und  Elias 
zu  benennen.  Wie  im  Petrusevangelium  vielleicht  ursprünglich  (Harnack  68), 
werden  auch  sonst  zwei  solche  Männer  bei  der  Himmelfahrt  Christi  erwähnt. 
Zu  Marc.  XVI  4  steht  im  Codex  Bobbieneis :  et  descenderunt  de  caelis  angelü 
et  surgit  in  claritate  et  viri  duo  simul  mcenderunt  cum  eo. 

2  S.  besonders  Harnack,  Bruchstücke  des  Evangeliums  und  der 
Apokalypse  des  Petras,  2  Aufl.  1893,  S.  5  f. 


—    11    — 

Gebrauch  gewesen  ist,  jedenfalls  als  ein  ganz  bestimmtes  Buch 
bestimmten  Umfangs  (Harnack  a.  a.  0.  S.  6)  weit  bekannt  war. 
Ob  der  Text  von  Akhmim  wirklich  mit  dieser  identisch  ist,  läfst 
sich  nur  durch  eine  wenn  auch  kurze  Betrachtung  der  Sätze  ent- 
scheiden, die  aus  ihr  citiert  werden.  Wir  dürfen  uns  nicht  er- 
lassen sie  alle  anzuführen,  da  die  letzten  Zusammenstellungen 
meines  Erachtens  in  mehreren  Punkten  der  Korrektur  bedürfen. 

I.  bio  Ktti  TTeTpoc  ev  xrj  ctTTOKaXuqjei  q)Tici*  Kai  dcTpa-rrri 
TTupöc  Ttribujca  otTrö  tujv  ßpeqpüjv  eKeivujv  Kai  rrXriccouca 
Touc  ö(p9aX)uouc  tujv  xuvaiKUJV.    Clem.  Alex.  ecl.  proph.  41.^ 

II.  auTiKa  6  TTetpoc  ev  rrj  dTiOKaXuipei  qprjciv  xd  ßpeqpri 
eEa|LißXuj0evTa  xfic  d|Lieivovoc  ecö|aeva  luoipac^,  xaOxa 
dxTe^MJ  xriiLieXouxuJ  7rapabi&oc0ai,  iva  Yvuuceujc  ^xeiaXa- 
ßövxa  xfic  d|ueivovoc  xux»;)  laovfic,  7Ta6övxa  d  av  eiraGev 
Kai  ev  cuu|Liaxi  Yevö)Lieva,  xd  b'  exepa  [x6vr\c  xfic  coixripiac  xeu- 
Hexai  WC  fibiKriiueva  eXeri6evxa,  Kai  juevei  dveu  KoXdceujc  xoOxo 
Yepac  Xaßövxa.  xö  be  xdXa  xüjv  YuvaiKUJv,  peov  d-rrö  xujv 
|aacxa»v  Kai  7TTiTVU|iievov,  qpr|civ  6  TTexpoc  ev  ttj  dTtOKaXuipei, 
xevvr|cei  Gnpia  Xetrxd  capKoqpdYa  Kai  dvaxpe'xovxa  eic 
auxdc  KaxecGiei,  bid  xdc  d)Liapxiac  yivecGai  xdc  KoXdceic  bibdc- 
Koiv.  CK  xiuv  d|aapxiuJv  YevvdcGai  auxdc  (pr|civ,  ibc  bid  xdc 
d|Liapxiac  eirpaGr)  6  Xaöc  Kai  bid  xfiv  eic  Xpicxov  diri- 
cxiav,  ujc  qpr|civ  6  dTTÖcxoXoc,  uttö  xujv  öqpeujv  ebdKVOVXo. 
Clem.  ecl.  48.  49.^ 


1  In  den  Sätzen  des  Clemens  ecl.  41  ^  Tpc«pi1  9ici  tö  ßp^qpr)  to 
^Kxee^vxa  TriiLieXoOxuj  irapaöibocGai  dTT^Xu),  viqp'  oö  iraibeOecGai  t€  Kai 
aöHeiv,  Kol  ^covrai,  q)iiciv,  lüc  oi  ^Karöv  ^tujv  ^vToOGa  ttictoi'  öiö  koI 
TT^Tpoc  ^v  Trj  dtroKaXunjei  qprici'  Kai  dcrpairri  ktX.  sollte  doch  selbst- 
verständlich sein,  dafs  ^  Tpa^pil  nicht  auch  die  Apokalypse  des  Petrus 
bezeichnen  kann,  deren  Satz  ja  mit  &iö  Kai  angefügt  wird. 

2  treipac  ist  überliefert.  Die  alte  Änderung  (Grabes)  jucipac  ist 
unzweifelhaft.  Schon  in  Platons  Phaidros  p.  248^  heifst  es  gerade  in 
der  Partie  von  jenseitiger  Strafe  und  Seelen  Wanderung:  iv  be  toOtoic 
diraciv,  öc  |i^v  äv  öixaiujc  biaYÖTri,  ä|aeivovoc  |uoipac  |LieTa\a)Lißdvei, 
öc  6'  dv  dbiKUJC,  x^ipovoc.  Vgl.  auch  Method.  sympos.  II  5  p.  15:  Geiac 
Ydp  uüc  Itroc  elTreiv  fioipac  Tf]c  öri|uioupYiKf|c  tö  CTrepjua  |ueTaXa)ußdvov 
(auf  diese  Stelle  weist  mich  AJülicher  hin). 

3  Zahn  Gesch.  d.  ntl.  Kanons  II  2,  811  will  irapabiöOTOi  schreiben  und 
in  dem  Satz  nur  eine  Erklärung  des  vorangegangenen  seitens  des  Clemens 
selbst  aus  ecl.  41  sehen.     Dafs  toöto  „im  andern  Falle  höchst  massig 


—     12     — 

III.  öOev  bi]  Ktti  TTiiLieXoiJXOic  otYTtXoic,  Kctv  ck  |uoixeiac 
löciv,  xd  diTOTiKTÖjueva  TTapabiboc9ai  TrapeiXrjcpaiuev  ev  Oeo- 
TTveucToic  YP«MM«civ  ei  yotp  Trapd  ifiv  fvuJiuriv  eyivovto  Kai  tov 
0ec|u6v  xfic  iLiaKopiac  eKeivr|C  qpuceuac  toö  0eoO,  ttujc  dYTeXoic 
laOta  TiapebiboTO  rpacpricöiaeva  juerd  ttoWtic  dvaTrauceuuc  Kai 
pacTOJvric;  ttujc  be  Kai  KairiYopricovia  cqpujv  auTiJuv  xouc  Yoveic 
euTrappricidcTuuc  eic  tö  biKacxripiov  eKkXriCKOv  xoO  XpicxoO  'cu 
ouK  eqpGövricac  fi|uiv,  iB  Kupie,  xö  koivöv'  Xe'Yovxa  'xouxo 
qpujc,  ouxoi  be  fi)udc  eic  Gdvaxov  eSeBevxo,  Kaxaqppovri- 
cavxec  xfic  cfic  evxoXfjc'.  Methodius  sympos.  II  6  ed.  Jahn 
p.  16.^ 

wäre",  wenn  damit  nicht  Clemens  selbst  wieder  das  Wort  näbme^  geht 
über  mein  sprachliches  Verständnis.  —  Hinter  iva  Y^iwceuuc  juexaXaßövxa 
xf|c  di|ueivovoc  rvxt}  |uoipac  das  ganz  gleichartige  Participium  iraGövxa  a 
äv  ^iraöev  etc.  als  Zuthat  des  Clemens  abzuschneiden,  wie  Harnack  thut, 
geht  doch  nicht  an.  Erst  mit  Tä  6'  ^xepa  xeOEexai  setzt  er  mit  dem 
Indikativ  ein  und  macht  nur  allgemeine  Angaben.  Darum  citiert  er  im 
folgenden  Satz  wieder  ausdrücklich  die  Apokalypse.  Das  letzte  Citat 
üjc  qprjciv  6  äTTÖcxoXoc  wird  auf  I.  Cor.  X  9  bezogen  |ur|be  dKTT6ipäZ;u)|U€v 
TÖv  Xpicxöv,  KaOibc  küi  xivec  auxujv  direipacav,  xai  Otto  tu)v  öcpeuuv  dTTUü- 
Xovxo.  Aber  von  dem  biä  xcic  ä|uapxiac  ^irpderi  6  Xaöc  steht  nichts  da; 
das  müfste  Zusatz  des  Clemens  oder  überhaupt  eine  andere  Stelle  ge- 
meint sein  (Hilgenfeld  Evangeliorum  sec.  Hebraeos,  sec.  Petrum  etc.  quae 
supersunt  ed.  II  p.  73,  verwirrt  die  beiden  Sätze  und  schreibt  eTreipdceri: 
wegen  Sünden  versucht  werden  und  Christum  versuchen  hat  wenig  mit 
einander  zu  thun;  das  Volk  wurde  verkauft  wegen  seiner  Sünden,  in  die 
babylonische  Gefangenschaft;  AJülicher  weist  mich  auf  die  Anrede  des 
Kupioc  an  ö  Xaöc  luou  Jes.  LH  3  hin:  bujpeäv  dirpdGrixe).  Eine  Auseinander- 
setzung, dafs  Strafe  Folge  der  Sünde  sei,  mufs  in  der  Apokalypse  ge- 
standen haben,  und  dabei  kann  recht  wohl  angeführt  gewesen  sein,  dafs 
das  Volk  Israel  biä  xdc  äjuapTiac  inpäBr].  Dann  stammt  auch  das  Fol- 
gende daher  und  bedeutet  eine  Höllenstrafe:  die  ötticxoi  eic  Xpicxöv 
werden  von  Schlangen  gebissen  (vgl.  den  Text  oben  v.  25),  immerhin  in 
Anknüpfung  an  die  alttestamentliche  Geschichte  (Num.  XXI  6  ff.)  und 
I.  Cor.  X  9.  und  ist  es  nicht  das  Natürliche,  dafs  ö  öttöcxoXoc  wieder 
Petrus  in  der  Apokalypse  ist? 

1  Das  Citat  aus  der  Ypc^il  Clem.  ecl.  41  spricht  von  ausgesetzten 
Kindern,  das  aus  der  Apokalypse  ebenda  48  von  abgetriebenen.  Den 
Unterschied  sieht  auch  Zahn  a.  a.  0.  811,  aber  in  f\[xd.c  eic  ödvaxov  ili- 
öevxo  sieht  er  'die  Unterlage  für  den  Ausdruck  des  Clemens  xö  ßp^qpn 
^KxeödvTa'.  Als  ob  nicht  von  drtOTiKxöiaeva  deutlich  genug  bei  Metho- 
dius gesprochen  wäre;  etc  edvaxov  ^Kxeö^vxa  'in  mortem  eiecta'  pafst 
doch  natürlich  so  von  diesen  sehr  gut  und   hat  mit  jenen   ßp^qpn  ^Kxe- 


-     13     - 

IV.  -rrepiouciac  b'  evcKev  XeXexOuu  KOKeTvo  tö  XeXeY^evov 
ev  Tf)  dTroKaXuijiei  toö  TTexpou.  eicctYCi  xov  oupavov  ä|Lia  rrj  yri 
Kpi9r|cec6ai  oütoic-  f]  Yfj,  (pr]d,  Trapactricei  -rravtac  tuj  Geuj 
Kpivou|uevouc^  ev  niuepa  Kpiceuuc  xai  auxfi  laeXXouca^ 
KpivecGai  cuv  Kai  tlu  Trepiexovri  oupaviu.  Der  heidnische 
Schriftsteller,  den  Makarius  bekämpft,  bei  Makarius  Magnes 
IV  6  und  IV  16,  ed.  Blondel  p.  164  und  185. 

V.  KOI  eKeivo  b'auGic  \eyei,  ö  Kai  ctceßeiac  liecTÖv  uTidpxei, 
TÖ  pfiiia  qpdcKOV  Kai  raKrjcerai  Träca  buvaiiic  oupavoO  Kai 
eXixOriceTai  6  oupavöc  die  ßißXiov,  Kai  travTa  rd  dctpa 
Treceirai  ujc  qpuXXa  eH  diLnreXou  Kai  ujc  TTiiTTei  qpvjXXa 
dTTO  cuKrjc.     Makarius  IV  7  p.  165  Bl. 

Finden  sich  diese  Fragmente  in  dem  neuen  Bruchstück 
oder  passen  sie  in  die  fehlenden  Partieen?  Das  erste  ent- 
spricht ziemlich  genau  einem  Satz  des  Bruchstücks: 

Cod.  Akhmim.     Z.  70  ff.  Fragment  I. 

Kai  TTporipxovTG  eS  au[Ta)V  Kai  dcTpoTTfi  TTupöc  Trribujca 
dKTiv]ec  TTupöc  Kai  rdc  TuvaiKac  dirö  tüjv  ßpeqpüJv  (cKeiviuv)  Kai 
etiXticcov  Kaid  Ta)[v]  öqpGaXiauJv.    irXriccouca  touc  6(p0aX)LioiJC  tuiv 

TuvaiKU»v. 
Das  zweite  Bruchstück  —  der  Anfang  von  III  geht  auf  das 
gleiche  —  findet  sich  nicht.  Kann  von  der  dj^eivoiv  ^oTpa  der 
abgetriebenen  Kinder,  wie  sie  einem  Engel  übergeben  werden 
u.  s.  w.,  in  den  fehlenden  Partieen  geredet  sein?  War  für 
solche  Unterscheidungen  in  der  strikten  Trennung  von  Himmel 
und  Strafort  Platz?  Ganz  verneinen  lässt  es  sich  nicht, 
ebenso  wie  die  in  dem  Texte  fehlende  Strafe  der  Weiber,  die 
in  II  weiterhin  angegeben  wird,  möglicherweise  in  einer  Fort- 


öivTa  gar  nichts  zu  thun.  Darin  hat  Zahn  unzweifelhaft  Recht,  dafs  er 
in  dem  Kupioc  in  der  Petrusapokalypse  den  Schöpfer  der  Welt  gemeint 
erkennt,  während  Methodius  natürlich  gleich  an  Christas  dachte.  Eine 
Apokalypse  'jüdischen  Ursprungs  oder  atl.  Namens'  brauchte  es  darum 
auf  keinen  Fall  zu  sein,  auch  wenn  es  nicht  die  Petrusapokalypse  wäre. 
In  dem  neuen  Bruchstück  hält  auch  Gott  selbst  das  Weltgericht.  —  Ob 
Harnack  den  zweiten  direkt  citierten  Satz  bei  Methodius  mit  Absicht 
ausgelassen  hat,  weifs  ich  nicht. 

1  Kpivofi^ouc  IV  16,  ausgelassen  ist  es  IV  6. 

2  laeXXouca  xai  amx]  KpivecGai  IV  16. 


—     14     — 

Setzung  der  Strafenliste  folgen  konnte.  Aber  wo  sollen  die 
abgetriebenen  Kinder  (III)  die  Eltern  selbst  vor  das  Gericht 
Gottes  rufen?  Und  endlich  IV  und  V:  wo  soll  von  der  Auf- 
erstehung aller  am  Tage  des  Gerichts  die  Rede  sein,  wo  von  dem 
Gericht  über  Himmel  und  Erde,  von  dem  Zerschmelzen  und  Zu- 
sammenrollen des  Himmels  und  dem  Herabfallen  der  Sterne? 
Wir  haben  ja  die  apokalyptische  Rede  im  Anfang  des  Bruchstücks 
von  da  an,  wo  von  dem  Auftreten  der  falschen  Propheten  geredet 
wird,  bis  zum  Gericht  Gottes  über  Gerechte  und  Ungerechte. 
Da  müfsten  diese  Dinge  stehen,  aber  sie  stehen  nicht  da. 
Zudem  kann  ich  mich  der  Überzeugung  nicht  entschlagen,  dafs 
die  Schilderung  der  Hölle  in  dem  Bruchstück  von  Akhmim 
vollständig  vorhanden  ist,  wie  sie  in  der  betreffenden  abge- 
schriebenen Schrift  vorhanden  war.  In  dem  Codex  steht 
S.  2  —  10  das  Evangelium,  S.  19 — 13  in  umgekehrter  Folge 
geschrieben  die  Apokalypse,  21 — 66  die  Heuochstücke.  Das 
Pergament  ist  von  vornherein  mit  einer  gewissen  Berechnung 
eingeteilt  für  die  allein  beabsichtigten  Stücke.-"^  Der  Schreiber 
wird  ebenso  wie  er  die  Leidens-  und  Auferstehungsgeschichte 
allein,  aber  sie  vollständig^,  aus  dem  Evangelium  abschrieb 
für  den  Toten,  hier  die  kleine  eschatologische  Rede  und  die 
Vision  von  Himmel  und  Hölle  allein  haben  abschreiben  wollen, 
diese  aber  vollständig.''^  Und  es  sind  14  Typen  von  Sündern 
und  Strafen,  das  Doppelte  der  in  solchen  Dingen  so  beliebten 
Siebenzahl  (s.  unten). 

Man  könnte  sich  denken,  dafs  die  Petrusapokalypse,  wie 
es  ja  gerade  in  dieser  Litteratur  so  häufig  ist,  vielfache  Wand- 
lungen durchgemacht,  Erweiterungen  und  Umbildungen  er-, 
fahren  habe  und  so  Reste  und  Spuren  verschiedener  Recensionen 


1  Harnack  S.  1  Anna,  meint  deshalb,  die  Vorlage  sei  bereits  lücken- 
haft gewesen. 

2  Am  Ende  des  Evangeliums  werden  nur  ein  oder  ein  paar  Wort« 
fehlen.     Der  Schlufs  ist  deutlich  durch  Verzierungen  markiert. 

3  Das  Facsimile  zeigt  auch,  dafs  vorher  und  auch  am  Schlüsse 
nichts  etwa  in  diesem  Codex  verloren  gegangen  ist,  sondern  nichts 
weiter  überhaupt  geschrieben  war.  Das  Ende  fällt  innerhalb  einer  Seite, 
nicht  etwa  an  den  Schlufs.  Der  Schlufssatz  ist  vollständig,  und  keine 
Buchstabenreste  sind  danach  zu  erkennen  (v.  Gebhardt,  S,  8).  Über  dem 
Anfang  steht  auch  wie  beim  Evangelium  ein  Ereuz. 


—     15     - 

aufbewahrt  sein  könnten.  Aber  es  ist  so  bestimmt  immer 
von  der  Petrusapokalypse  die  Rede,  dafs  diese  wenigstens  in 
der  alten  Zeit,  die  für  uns  nur  in  Betracht  kommt,  im  wesent- 
lichen dieselbe  geblieben  sein  mufs. 

Den  ersten  Sätzen  des  Bruchstücks  von  Akhmim  sind 
aufserordentlich  ähnlich  viele  Sätze  der  apokalyptischen  Reden 
Christi  Matth.  XXIV,  XXV,  auch  Marc.  XIII,  Luc.  XXI.  Die 
Reden  (auf  dem  Berge)  beginnen  stets  damit,  dafs  viele  Ver- 
führer kommen  würden,  ttoXXoi  vj/euboTrpoqpfiTai  (auch  der  Aus- 
druck Matth.  XXIV  12,  22.  Marc.  XIII  22).  Christus,  wie  es 
da  natürlich  heilst,  kommt  dann  —  auch  das  fehlt  nie  —  auf 
den  Wolken  des  Himmels,  wie  dort  das  Kommen  Gottes  er- 
zählt wird.^  Vom  Gericht  wird  erzählt,  und  das  Ganze  schliefst 
bei  Matthäus  damit,  dafs  die  Einen  zu  ewiger  Strafe,  die 
Andern  zu  ewigem  Leben  kommen  würden  (XXV  46).  Diese 
stehenden  Hauptsachen  der  eschatologischen  Prophezeiung 
Christi  bilden  hier  die  ersten  Sätze  des  Bruchstücks.  Es  be- 
ginnt TToXXoi  iE  auTwv  ecovrai  i|;euboTrpoqpfiTai  xai  öbouc  Kai 
bÖYiuara  TioiKiXa  rfic  dTrujXeiac  biboEouciv,  eKeivoi  be  uioi  ttic 
diTUjXeiac  TtvrjCOVTai.  Es  mufs  also  etwas  vorausgegangen 
sein,  auf  das  sich  das  auxujv  und  eKtivoi  gleicherweise  be- 
ziehen kann.  Es  kann  nur  im  allgemeinen  von  Christen  oder 
dergl.  gesprochen  sein,  aus  denen  die  falschen  Propheten 
kommen  werden,  und  eben  jene  werden  sie  verführen  und  zu 
Grunde  richten.  Man  kann  den  Anfang  des  zweiten  Kapitels 
im  zweiten  Petrusbrief  vergleichen,  der  ja  so  manche  Ver- 
wandtschaft mit  dem  neuen  Texte  zeigt :  efevovro  be  Kai  v|ieubo- 
TTpoqpfiTai  evTUJ  Xaui  Kai  evu^Tv  ecovrai  vpeubobibdcKaXoi,  oixi- 
V6C  irapeicdEouciv  aipeceic  drrujXeiac  Kai  xöv  dfOpdcavTa  aÜTOuc 
becTTÖTriv  dpvou)aevoi,  endYOVTec  eautoic  xaxivfiv  dTTuuXeiav.  Kai 
TToXXoi  eEaKoXou0r|Couciv  auTuJv  xaic  drrujXeiaic,  bi'  ouc  f^  oböc 
xfic  dX^eeiac  ßXaccpri|UTi6r|cexai.  Gleich  darauf  ist  von  den 
Engeln  die  Rede,  die  gesündigt  haben  und  die  Gott  ceipaTc 
Cöqpou  xapxaptücac  TiapebujKev  eic  Kpiciv  XTipou)Lievouc.  Jedenfalls 
wird  man  es  für  mindestens  sehr  wahrscheinlich  halten,  dafs 

1  Dafs  die  Sterne  vom  Himmel  fallen  würden  u.  s.  w.,  kommt  da 
innerhalb  der  Reden  an  der  richtigen  und  allein  möglichen  Stelle 
vor.     Matth.  XXIV  29  ff.,  Marc.  XUI  24  ff.,  Lac.  XXI  25  ff. 


—     16     — 

mit  dem  ttoWoi  eH  auToiv  ktX.  das  eigentlich  Eschatologische 
erst  begann,  wie  mit  demselben  Gedanken  die  eschatologischen 
Reden  Christi  zu  beginnen  pflegen,  und  dafa  man  den  Text 
absichtlich  erst  von  da  an  abschrieb,  um  ihn  dem  Toten  mit 
ins  Grab  zu  geben. 

Nach  der  direkten  Rede  im  Anfang  geht  die  Erzählung 
weiter  Kai  TipocBeic  6  Kupioc  ecpr)'  dYUJ|uev  eic  tö  öpoc,  euEuu- 
jueGa.  dTrepxöjuevGi  be  juex'  autou  fiiueTc  oi  buubeKa  inaOriiai 
eberiöriiuev,  öttuuc  beiSr]  ktX.  Also  es  ist  ganz  die  Art  des 
evangelischen  Berichts.  Und  es  ist  schärfer  zu  betonen  als 
es  geschehen  ist^,  dafs  nur  vom  irdischen  Leben  Jesu  die 
Rede  sein  kann.  Alle  Offenbarungen  aber  als  selbständige 
Litteraturwerke  geben  sich  als  von  dem  auferstandenen  oder 
erhöhten  Christus  ausgegangen.  Es  giebt  wiederum  nur  die 
Analogie  der  apokalyptischen  Stücke  im  Matthäusevangelium 
und  den  parallelen  Berichten. 

Es  wird  zu  folgern  sein,  dafs  wir  nicht  eine  selb- 
ständige Apokalypse,  nicht  die  Petrusapokalypse  vor  uns 
haben,  sondern  ein  Stück  eines  Evangeliums.  Die  kurze  apo- 
kalyptische Rede  Chtisti,  der  Gang  auf  den  Berg,  dann  die 
der  Verklärung  so  nahe  stehende  und,  wie  wir  sahen,  wohl 
aus  ihr  entwickelte  Vision  der  zwei  Gerechten  und  dann  die 
Vision  von  Himmel  und  Hölle  sind  herausgenommen  als 
passend  zur  Mitgabe  ins  Grab,  ebenso  wie  die  Partie  von 
dem  Leiden  und  der  Auferstehung  Christi  aus  dem  Petrus- 
evangelium. Dafs  jene  aber  aus  eben  diesem  selben  Evange- 
lium stammen,  ist  nicht  nur  das  Natürlichste,  sondern  auch 
dadurch  klar,  dafs  hier  wie  dort  Petrus  die  Erzählung  gibt 
und  gelegentlich  selbst  mit  seinem  ey^b  hervortritt.^  Die 
apokalyptische  Partie  würde  vor  der  Leidens-  und  Auferstehungs- 
geschichte ihre  Stelle  gehabt  haben.  Dazwischen  wird  ebenso 
wie  in  den  synoptischen  Evangelien  nicht  sehr  viel  gestanden 
haben. 

Ich  wüfste  nicht,  dafs  gegen  diese  Annahme  irgend  etwas 
spräche,  zu  der  wir  meines  Erachtens  geradezu  gezwungen  werden. 

1  Harnack  83.  Ich  weifs  nicht,  wie  die  Möglichkeit  'oflen  bleiben' 
soll,  'dafs  die  Apokalypse  die  Zeit  nach  der  Auferstehung  voraussetzt'. 

2  Evang.  v.  26,  Apoc.  v.  14,  Harnack  2. 


-     17     — 

Aus  diesem  Stück  des  Petrusevangeliums  ist  erst  die 
selbständige  Petrusapokalypse  herausentwickelt.  Wir  sehen 
in  den  Fragmenten  einerseits  deutlich  unzweifelhafte,  wenn  auch 
nicht  ganz  genaue  Übereinstimmung,  andererseits  deutlich  die 
Ausmalung  und  Erweiterung.^  Natürlich  ist  es  nun  eine  Offen- 
barung des  erhöhten  Christus  an  Petrus  allein  geworden  und  eine 
Vision  des  Petrus  von  den  Orten  des  Jenseits.  Wir  haben 
den  Gang  deutlich  genug  vor  uns:  das  apokalyptische  Stück 
des  Evangeliums  wurde  gesondert  fortgepflanzt  (auch  einst 
schon  gewifs  in  demselben  Gebrauch  wie  später  in  Akhmim), 
und  nichts  ist  natürlicher  als  dafs  sich  daraus  eine  Apoka- 
lypse des  Petrus  entwickelte.-  Das  Evangelium  fällt  nicht 
später  als  in  den  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts^,  die 
Petrusapokalypse  erwähnen  zuerst  Clemens  von  Alexandria 
und  das  Muratorische  Fragment,  sie  gehört  in  die  zweite 
Hälfte  oder  an  das  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts:  ein  Zeit- 
verhältnis, wie  wir  es  annehmen  müfsten,  auch  wenn  wir  es 
durch  keinen  Anhaltspunkt  stützen  könnten.* 

Man  sieht  auch  noch  deutlich  einen  Punkt  in  dem  apo- 
kalyptischen Stück  von  Akhmim,  wo  eine  weitere  apokalyp- 
tische Litteratur  ansetzen  konnte.  Als  die  Jünger  um  den 
Anblick  der  Seligen  bitten,  fügen  sie  hinzu  (v.  5)  iva  ibuifiev 
TTOTaTToi  eici  Tf|V  |aop(pf]V  Kai  Gapcr|cavTec  7Tapa6apcuvu)^iev 
Ktti  Touc  ttKOVJOVTac  fmijuv  dvepuuTTOuc.  Ist  es  Zufall,  dafs 
in  einem  anderen  Stück  der  Petruslitteratur,  das  dieses  Tiapa- 


1  Z.  B.  der  eschatologischen  Prophezeiung  im  Anschlufs  etwa  an 
Matth.  XXrV,  vgl.  Matth.  XXIV  35  mit  frgm.  IV  Apoc.  und  Jesaias 
XXXIV  4  (fast  gleich  frgm.  V  Apoc). 

2  Das  Vorbild  gieng  nicht  verloren,  weil  es  ja  in  dem  Evan- 
gelium stand. 

3  Harnack  80. 

4  Lehrreich  ist  es,  die  von  der  Petrusapokalypse  abhängige  Paulus- 
apokalypse zu  vergleichen.  Da  ist  offenbar  alles  noch  vjel  weiter  aus- 
gesponnen. Da  finden  sich  auch  die  Kinder,  die  einem  besonderen 
Engel  übergeben  werden  u.  s.  w.,  nach  Erwähnung  der  Weiber,  die  ihre 
Kinder  abgetrieben  haben,  Tischendorf  p.  61.  An  der  Stelle,  wo  er 
stehen  müfste,  findet  sich  dieser  Zug  in  unserem  Bruchstück  eben  nicht. 
Das  Verhältnis  zwischen  dem  letzteren  und  der  Paulusoffenbarung  erklärt 
sich  auch  nur  durch  das  Zwischenglied  der  eigentlichen  Petrusapokalypse. 

Dieterich,  Xekyia.  2 


—     18     - 

Gapcuveiv  besorgen  will,  dem  zweiten  Petrusbrief,  sich  der  Ver- 
fasser gerade  auf  die  Offenbarung  und  Verklärung  auf  dem 
heiligen  Berge  beruft  (I  16  ff.)? 

Die  Teile  der  apokalyptischen  neuen  Handschrift  haben 
alle  ihre  Analogie  in  den  Evangelien  bis  auf  die  Partie  von 
dem  Lande  der  Seligen  und  dem  Orte  der  Qual.  Diese  ist  ohne 
alle  und  jede  Analogie.  Wir  glaubten  oben  eine  Art  Fuge 
des  Einschubs  in  das  übrige  noch  zu  erkennen.^  Wie  dem 
auch  sei,  es  ist  in  gewissem  Sinne  ein  fremdes  Stück,  das 
hier  —  wohl  in  einer  lokal  besonderen  Entwicklung  der  Tra- 
dition  —  hereingekommen  ist,  und  eben  dieses  Eintreten  des 
Stückes  in  die  christliche  heilige  Überlieferung  ist  der  An- 
fangspunkt der  langen  und  reichen  apokalyptischen  Litteratur, 
die  Himmel  und  Hölle  beschreibt. 

Wir  dürfen  dieses  Stück  gesondert  betrachten  und  fragen, 
woher  es  genommen  ist.  Jene  anderen  Fragen  zu  entscheiden 
und  weiterzuführen,  mufs  ich  anderen  Berufenem  überlassen, 
und  ob  man  mir  betrefi's  der  Bestimmung  des  neuen  Textes 
Recht  gibt,  ob  man  ihn  für  ein  Stück  des  Petrusevangeliums 
oder  der  Petrusapokalypse  hält^,  bleibt  für  die  Untersuchung 
des  Ursprungs  jener  Himmels-  und  Höllenvision  gleichgiltig. 
Ich  nenne  den  Text  der  Einfachheit  halber  —  und  es  ist  ja 
in  jedem  Falle  berechtigt  —  im  folgenden  Petrusapokalypse. 
Wo  ich  die  als  solche  citierte,  nach  meiner  Ansicht  davon 
verschiedene  meine,  werde  ich  es  ausdrücklich  sagen. 


1  Ein  Teil  der  Beschreibung  der  Seligen  an  ihrem  Orte  ist  offen- 
bar dann  übergegangen  in  die  ursprünglich  gewifs  anders  gewendete 
Beschreibung  der  zwei  Seligen,  s.  oben. 

2  Nachträglich  sehe  ich  in  Nr.  7516  der  Deutschen  Zeitung  (Wien), 
die  mir  die  lledaktion  auf  meine  Bitte  frenndlichst  zusandte,  dafs  EBor- 
mann  das  neue  Bruchstück  der  sonst  citierten  Petrusapokalypse  zugehörig 
sein  und  diese  einen  Teil  des  Evangeliums  bilden  lassen  wollte  (nur 
in  einem  Satze  deutet  er  es  an).  Dafs  das  unmöglich  ist,  wii-d  nach 
dem  oben  Gesagten  klar  sein.  Wie  hätte  man  die  Apokalypse  über- 
haupt neben  dem  Evangelium  anführen  und  sogar  ihren  Umfang  an- 
geben können. 


I. 

Griechischer  Volksglaube  vom  Totenreich. 

1. 

Die  grauenvolle  Hölle  der  Apokalypse  scheint  mit  der 
Unterwelt  des  griechischen  Volkes  kaum  die  geringste  Ähn- 
lichkeit zu  haben  namentlich  für  den,  der  nur  an  die  schon 
in  den  homerischen  Gedichten  fast  ganz  durchgedrungene  und 
scheinbar  zu  allen  Zeiten  griechischen  Glaubens  herrschende 
Vorstellung  von  dem  stillen  schattenhaften  Reiche  des  Hades 
denkt.  Ebenso  wenig  scheint  die  glanzvolle  Schilderung  des 
lichtumflossenen  Ortes  der  seligen  Gerechten  und  ihrer  strahlen- 
den Gestalt  in  jenem  Glauben  hoffnungsloser  Resignation 
Entsprechendes  zu  finden. 

Und  doch  wird  es  ein  leichtes  seih,  gerade  dieses  Licht- 
bild seligen  Lebens  nicht  nur  im  allgemeinen,  sondern  in  allen 
seinen  einzelnen  Zügen  als  ein  Spiegelbild  hellenischer  Phan- 
tasie nachzuweisen.  Wer  zunächst  dieser  freundlicheren  Auf- 
gabe nachgeht,  wird  sich  gleich  des  elysischen  Gefildes  er- 
innern, das  schon  in  den  homerischen  Gedichten  kurz  beschrieben 
wird,  dort  wo  der  weissagende  Proteus  dem  Menelaos  ver- 
helfst, er  werde  nicht  sterben,  sondern  von  den  Göttern  ent- 
rückt werden  zu  dem  elysischen  Feld,  zu  den  Enden  der  Erde, 
wo  leichtestes  Leben  den  Menschen  bestimmt  ist,  wo  der 
blonde  Rhadamanthys  wohnt  „nimmer  ist  Schnee  dort  noch 
heftiger  Sturm  noch  Regen,  sondern  stets  sendet  des  Zephyrs 
sanft  säuselndes  Wehen  Okeanos  herauf  den  Menschen  Kühlung 
zu  bringen."^  Aber  nur  dieses  eine  Mal  hören  wir  bei  Homer 
von  dem  Wunderlande  am  Okeanos.    Menelaos  stirbt  nicht,  er 

1  Odyss.  IV  563  ff. 


—     20     — 

wird  von  den  Göttern  entrückt;  und  am  Schlafs  jener  Schil- 
derung steht:  „weil  du  die  Helena  hast  und  für  sie  ein  Eidam 
des  Zeus  bist."  Es  ist  eine  Ausnahme,  die  dem  Verwandten 
der  unsterblichen  zu  Teil  wird:  er  wird  selbst  zum  Götter- 
lande entrückt.  Auch  hier  zeigt  sich,  dafs  unter  der  Ober- 
fläche homerischer  Anschauungen  eine  Menge  von  Vorstellungen 
verborgen  liegen,  die  hier  überhaupt  zurückgedrängt  oder  nur 
von  dem  Ritterstande,  in  dem  und  für  den  die  Heldenlieder 
gesungen  wurden,  beseitigt  oder  doch  nach  ihren  Meinungen 
geändert  waren.  Wohl  hat  man  damals  auch  von  anderen 
Helden  gesungen,  die  wie  Menelaos  entrückt  worden  seien  und 
später  noch  manchen  hinzugefügt^,  auch  wo  man  gemäfs  der 
immer  mehr  geltenden  homerischen  Weltanschauung  im  all- 
gemeinen keine  andere  Unsterblichkeit  kannte  als  die  der 
Ruhm  verleiht,  und  Hesiod  läfst  sein  viertes  Geschlecht,  das 
Geschlecht  der  Heroen,  teilweise,  nachdem  es  von  der  Erde 
geschieden,  an  den  Enden  der  Erde  wohnen  auf  den  Inseln 
der  Seligen  —  wie  da  schon  jenes  Gefilde  am  Okeanos  be- 
nannt wird  —  leidlos,  und  ihnen  bringt  die  Erde  dreimal  des 
Jahres  süfse  Frucht.^  Aber  wir  können  erschliefsen,  dafs  die 
Hellenen  von  alters  einen  Garten  der  Götter  gekannt  haben, 
der  an  den  Enden  der  Erde  am  Okeanos  in  ewiger  Blüte 
prange,  ebenso  wie  sie  andererseits  von  einem  Götterberg  im 
Norden  wufsten,  dem  auch  bei  Homer  so  wohlbekannten  Gipfel 
des  Olympos,  der  nicht  vom  Winde  erschüttert  wird  noch 
vom  Regen  benetzt,  dem  kein  Winter  sich  naht,  sondern  un- 
bewölktes Himmelslicht  ist  ausgebreitet  und  leuchtender  Glanz 
zieht  sich  darüber.^  Ob  sich  die  Vorstellung  von  dem  Garten 
als  den  Dorern,  die  von  dem  Berge  als  den  Aiolern  und 
loniern   ursprünglich    eigen*  erweisen    liefse,    mag  dahin  ge- 

1  Achill,    Ibyc.  fr.  33;    Diomedes  und  Achill,   Skolion  bei  Bergk 
LG  IIP  p.  647,  10  u.  a.     Siehe  besonders  llohde  Psyche  82  f. 

2  Hes.  gpT»  Kol  i^|i.  166  flf.     Rohde  a.  a.  0.  96. 

3  Od.  VI  43: 

oöt'  dv^iLioici  Tivdcc€Tai  ouxe  ttot'  öjißpuj 
öeüexai  oöre  xiiwv  ^TTiTriXvarar  äWä  ^xäK'  aXdpt] 
TT^irTUTai  dvveqpeXoc,  XeuKi^  ö*  dm&^öpojLiev  aiY^V)- 

4  So  V.  Wilamowitz  Herakles  II  129. 


—     21     — 

stellt  bleiben;  jedenfalls  ist  auch  der  Glaube  an  den  Götter- 
garten uralt.  Dort  sind  die  Götter  und  dort  sind  die  Heroen  \ 
und  es  ist  deutlich  genug,  dafs  das  Reich  der  Götter  und 
der  Seligen  ursprünglich  dasselbe  ist.  Darum  ist  auch 
die  oben  angeführte  Beschreibung  des  Olymp  so  gleich  der- 
jenigen der  Gefilde  der  Seligen.  „In  den  Gärten  des  Zeus," 
sagt  Sophokles,  „darf  nur  der  Selige  pflügen."*  Derselbe  hat 
auch  von  dem  alten  Garten  des  Phoibos  geredet,  über  dem 
Meer  an  den  Grenzen  der  Erde,  wo  der  Strom  der  Nacht 
fliefst  und  sich  der  Himmel  erschliefst.^  Der  Garten  wurde 
immer  mit  der  Sonne  und  dem  Sonnengotte  in  Verbindung 
gedacht:  er  lag  dort,  wo  die  Sonne  aufgeht  oder  nach  der 
verbreitetsten  Vorstellung,  wo  sie  untergeht,  im  äufserten 
Westen.*  Dort  waren  die  Stallungen  der  Helios,  die  Ruhe- 
und  Futterstellen  seiner  Rosse ^,  dort  geht  Helios,  der  Sohn 
des  Zeus,  wenn  er  zu  den  Tiefen  der  finsteren,  heiligen  Nacht 
gekommen  zu  seiner  Mutter,  seiner  jugendlichen  Gattin  und 
seinen  lieben  Kindern,  in  den  schattigen  Lorbeerhain.^  Dort 
ist  sein  Palast,  voll  von  Wohlgerüchen,  wo  in  goldener  Kammer 
seine  Strahlen  liegen.^  Nichts  anderes  als  der  alte  Götter- 
garten ist  auch  der  Garten  der  Hesperiden,  der  ebenfalls  jen- 

1  Freilich  bei  Pollux  I  6  oi  ^iv  -fäp  äKptß^cxepoi  criKÖv  töv  tüüv  fjpijüurv 
X^TOUCXv,  oi  hk  iroiTiTai  Kai  töv  tOüv  öeOüv,  ibc  oi  TpaYiu6oi'  <5tYvöv  eic 
ctiKÖv  6eo0.  (Fragm.  trag,  adesp.  424N*)  wird  ctiköc  nicht  jenen  Garten, 
sondern  das  Heiligtum  (das  AUerbeiligste)  bezeichnen,  Usener  Ehein.  Mus. 
XXIX  34,  49. 

2  Soph.  fragm.  297  N*  iv  Aiöc  Krj-rroic  dpoöcöai  (iövov  €Öbai|uovoc 
öXkoOc.  öXkoüc  habe  ich  für  öXßouc  geschrieben,  mit  leichtester  und  un- 
umgänglicher Änderung.  Bergks  öpüecöai  hilft  nichts,  um  von  den  an- 
deren Versuchen  zu  schweigen. 

3  Soph.  fragm.  870  N*: 

UTT^P    TC    TTÖVTOV    TTCIVT '    IlT '    ScxaTO    X60VÖC 

vuKTÖc  xe  rnifctc  oupavoö  t'  ävairruxäc, 
Ooißou  iroXaiöv  Kfjirov. 
TC  nach  Ooißou  hat  GHermann  gestrichen. 

4  'Wo  die  Sonne  schlafen  geht',  siehe  Rohde  griech.  Rom.  268,  2. 

5  Enrip.  Phaeth.  fr.  771  Nl     Tümpel  Äthiopenländer  166,  98. 

6  Stesichor.  fr.  8  B*. 

7  Eurip.  Phaeth.  fr.  773,  13:  Käiiixiupioic  öcualci  9u|iiüjciv  eicö- 
bouc  ööfiurv. 


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seits  des  Okeanos  an  die  Enden  der  Erde  gesetzt  wird,^    Eben 
zu  ihm  führt  Helios  hinab.^ 

Die  vollste  und  schönste  Vorstellung  von  jenem  herrlichen 
Garten  gibt  das  Lied  im  Hippolytos  des  Euripides  (v.  732ff.), 
das  mehr  als  alle  deutenden  Worte  uns  den  wunderbaren 
poetischen  Zauber  dieser  griechischen  Jenseitsvorstellung  ent- 
hüllen wird;  in  einer  die  Stimmung  treffenden  Übersetzung 
mag  es  hier  stehen: 

0  war'  ich  von  hinnen, 
o  dafs  mich  die  Schatten 
der  Wolken  umfiengen, 
ein  Gott  mich  befiedert 
den  Scharen  der  Vögel 
des  Himmels  gesellte! 
Dann  schwang'  ich  mich  über  die  wogende  Salzflut 
zu  Adrias  Küsten,  Eridanos  Strudel, 
wo  Helios  Töchter  um  Phaethon  klagen; 
es  rinnen  die  Thränen  der  Mädchen  zum  Meere, 
gerinnen  zu  gleifsendem  Bernstein. 
Zum  Garten  der  Götter 
der  Flug  mir  gelänge, 
wo  menschlichen  Schiffern 
der  Alte  der  Tiefe 
zu  fahren  verwehrt, 
wo  Atlas  die  Grenzen  des  Himmels  behütet, 
und  Hesperos  Töchter  die  güldenen  Apfel. 
Da  steht  der  Palast,  wo  der  König  der  Götter 
die  Hochzeit  begangen,  da  sprudelt  der  Nektar, 
da  spendet  die  Erde,  die  ew'ge  den  Göttern 
die  Speise  des  seligen  Lebens.^ 

1  Eurip.  Phaeth.  fr.  781,9,25,44.  Hesiod.  Theog.  215.  274.  334.  518. 
Mimnerm.  fr.  11  vgl.  Eurip.  Phaeth.  fr.  773,  11  ff": 

bl^ujal  — ,  di  Traxpöc  kotö  craSiaoOc 
caipouci  6u)|Lia  koI  ööiaiuv  KeifiriXia 
KoG'  ViiLi^pav  qpoißObci. 

2  Mimnerm.  fr.  12.  Auch  der  Hesperid engarten  wird  von  Hesiod 
als  Insel  gedacht,  Theog.  215,  276.  Auf  den  Inseln  der  Seligen  läfst 
Alexander  Aitolos  (Athen.  VII  p.  266«,  Meineke  Anal.  Alex.  236)  den 
Helios  seine  Rosse  weiden.        3  v.  Wilamowitz'  Übersetzung. 


-     23     - 

Das  Lied  steht  ganz  für  sich  an  der  Stelle,  ohne  Zu- 
sammenhang mit  der  Handlung  des  Stückes;  der  Sehnsucht 
des  Dichters  selbst  gibt  es  Ausdruck,  der  Sehnsucht  nach 
dem  Seligenlande.  So  individuell  sie  hier  ausgesprochen  sein 
mag,  sollten  nicht  ähnliche  lyrische  Töne  älterer  Poesie  in 
ihm  nachklingen?  Merkwürdig  genug  bleibt  der  unverhohlene 
Ausspruch  des  Wunsches  ewiger  euöai)aovia  zu  geniefsen  und 
bei  den  Göttern  zu  sein.^ 

Dort  ist  ja  das  Gefilde  der  Seligen,  dort  überhaupt  nach 
uralter  Auffassung  das  Reich  der  Toten.     Das  bricht  auch  in 
den  Versen  der  Odyssee  durch,  die  beschreiben,  wie  Hermes  die 
Seelen  der  Freier  wegführt  (XXIV  Anfang)  zu  den  Fluten  des 
Okeanos,  zum  Leukasfelsen,  zu  den  Thoren  des  Helios.     Wie 
diese    alte  Vorstellung    zu    allen  Zeiten    im    griechischen  Be- 
wufstsein  haften  blieb,  obgleich  längst  eigentlich  damit  unver- 
einbare  Auffassungen   herrschend    waren,    mag  nur  noch   ein 
Lied  später  nachchristlicher  Zeit  beweisen,  in  dem  Helios,  der 
Herr    auch    des    Hades,    augerufen    wird    einen    Dämon    her- 
aufzusenden,  wenn  er  komme  in   die  Tiefe   der  Erde   und   zu 
dem  Orte   der  Toten  (Papyrus   von  Paris,  v.  1963,  herausgg. 
von  Wessely   in   den   Denkschriften   der  Wiener  Akad.  1888): 
kXOGi,  jadKttp,  K\r]löj  ce  tov  oupavoö  fiTeinovfia 
Ktti  Yöinc  xoicöc  xe  Kai  'Aiboc,  Iv6a  vejuovrai 
&ai|Liovec  dv6pu)Trujv  oi  Trpiv  qpdoc  eicopöuiVTec, 
Ktti  bf)  vOv  XiTo.uai,  uctKap,  dq)6iTe  becTTOia  köc^ou, 
f|V  Yctiic  Keu0)iia)va  luöXric  vcküujv  eiri  xiJ^pov, 
TT€|LiijiOV  baijiova  toOtov  .  .  .^ 
Es  wird  uns  nicht  wundern,  den  Helios  selbst  als  Seelen- 
empfanger   zu   finden^    oder  von    der  Wanderung   der  Seelen 
unter   dem  Schutze   der  Todesgöttin  zum  Reiche   des  Sonnen- 
gottes zu  hören.*     Ja,  die  Strahlen  der  Sonne,  die  hinabgehen 


1  S,  V.  Wilamowitz  Hippolytos  S.  217  f. 

2  Vgl.  Dilthey  Rhein.  Mus.  XXVII  408. 

3  EGerhard  archaeol,  Ztg.  1861  S.  130  f.  134. 

4  Vgl.  EGerhard  antike  Bilderwerke  Taf.  XCIII  4,  ebenda  S.  244, 
266,  336.  Ein  Fragment  eines  Sarkophagreliefs  zeigt  eine  Art  'Toten- 
genius' vor  dem  Sonnengott,  'nach  dessen  Kinn  er  schutzflehend  reicht, 
während  der  Gott,  dessen  Linke  die  Peitsche  des  Lichtwagens  hält,  mit 


-     24     - 

in  den  Westen,  und  die  Menschenseelen,  die  dort  weilen,  mag 
mannigfach  ursprüngliche  mythische  Auffassung  in  eins  geschaut 
haben.     Licht  ist  Leben,    das  Lebenslicht  verlischt^;   aber  die 
hier  erloschenen  Strahlen  sind   drunten  im  Palast  des  Helios 
aufbewahrt,  im  Sonnengarten.     So  wird  eine  Stelle  des  Euri- 
pideischen  Ion  verständlich  und  vor  Korrektur  geschützt.    Ion 
hat  ein  grofses  Zeltdach  zu  heiligem  festlichen  Mahle  errichtet, 
nach  sacraler  Vorschrift  (v.  1134  ff)  fjXiou  qpXÖYa 
KaXdic  9uXdHac  ouxe  irpöc  juecac  ßoXdc 
dKTivoc^  oöt'  au  irpöc  TeXeuTuucac  ßiov, 
TrXeOpou  CTae|ur|cac  jufiKOC  eic  euYuuviav  .  .  . 
Aus  diesem  Ausdruck  von  den  Strahlen,  die  ihr  Leben  endigen, 
in    sonst    einfachster    Auseinandersetzung    fühlt    man    älteste 
echte  mythische  Anschauung  heraus. 

Aber  es  würde  uns  weit  abführen  den  mannigfachen  Nuancen 
dieser  alten  Vorstellungen   nachzuspüren.     Noch  mag   an  den 

der  Rechten  das  Haupt  seines  Schützlings  berührt.  Zum  Throne  des 
Gottes  führt  ihn  Luna,  die  tiefverschleiert,  kenntlich  durch  eine  Mond- 
sichel, mit  ihrer  Rechten  den  Körper  des  Knaben  umfafst,  während  die 
Linke  etwa  ein  Scepter  aufstützt.'  Solche  Darstellungen  später  Zeit 
könnten,  wenn  ihre  Deutung  im  einzelnen  sicher  stände,  von  grofser  Be- 
deutung sein  für  das  Verständnis  von  Lehren  etwa  wie  sie  Plutarch  de 
fac.  lun.  p.  945°  ausführt  (s.  RHeinze  Xenokrates  125  ff.). 

1  Es  ist  eine  häufige  und  bei  vielen  Völkern  wiederkehrende  An- 
schauung. Bekannt  ist  das  Lebenslicht  in  der  Nornagestsage,  die  doch 
sehr  verschieden  ist  von  der  Meleagersage  und  durchaus  nicht  nur  von 
ihr  abgeleitet  werden  darf.  Die  Römer  opferten  dem  Saturn  Fackeln 
statt  Menschen,  Macrob.  Sat.  I  7.  Weiteres  bei  Wackernagel  Haupts 
Zs.  VI  280  ff.,  besonders  vgl.  was  er  über  die  Faekelläufe,  das  bairische 
'Tobaklaufet'  u.  dgl.  sagt.  Rohde  griech.  Rom.  195  f.  —  Man  erinnere 
sich  auch  der  Bedeutung  der  umgestürzten  Fackel.  —  Die  Seele  ist 
Feuer  nach  mannigfachsten  Lehren  (z.  B.  auch  Plutarch.  de  occult.  viv. 
p.  1130''  auxriv  xe  xi'iv  njuxiiv  €vioi  tu)v  q)i\ocöcpujv  qpujc  €ivai  ttj  oucia 
vo|Li(Z;ouciv).  Es  mag  auch  die  Meinung,  dafs  die  Sonne,  der  Mond,  die 
Milchstrafse  Sitz  der  Seelen  sei,  älter  sein  und  tiefer  liegen,  als  man  ge- 
wöhnlich annimmt.  Die  Seelen  als  Sterne  z.  B.  Aristoph.  Frieden  832, 
Plat.  Rep.  p.  621^,  s.  Ettig  Acheruntica  311,  2.  Vgl.  Plut.  de  ser.  num. 
vind.  p.  563f.  BSchmidt  Volksleben  der  Neugriechen  246.  S.  auch  Usener 
Religionsgesch.  Unters.  76. 

2  }ii.cac  ßo\äc  ÖKtivac  ist  überliefert.  Man  mufs  nur  in  dKxtvoc 
ändern:  la^ca  ÖKric  ist  'Mittag',  |a^cai  ßoXal  öktIvoc  in  bekannter  Um- 
wendung  (statt  ßoXai  ji^cric  ÖKtivoc)   'die  mittäglichen  Sonnenstrahlen'. 


-     25     - 

Sonnentisch  im  Lande  der  Äthiopen  (über  diese  s.  u.)  erinnert 
sein  und  all  die  fabelhaften  Geschichten  von  Überflufs  und 
Reichtum,  die  sich  das  Volk  zuerst  von  dem  Sonnenlande  und 
dem  Gottergarten  erzählt  hat.  Als  die  Vorstellung  von  dem 
Totenreich  unter  der  Erde  herrschend  war,  wurden  alle  jene 
Herrlichkeiten  auch  in  die  Tiefe  verlegt,  und  so  hat  es  ja  die 
attische  Komödie  so  gern  dargestellt.  Ihr  sonnig  heiteres 
Schlaraffenland  ist  drunten  im  düsteren  Hades.  ^ 

Aber  das  alte  vor  anderen  Vorstellungen  verblassende 
Bild  des  Sonnenlandes  im  Osten  und  Westen  ist  noch  in 
anderen  Spuren  erhalten  geblieben,  die  aus  dem  verwischten 
Gesamtbilde  verstreut  zurückseblieben,  schwer  in  ihrer  ur- 
sprünglichen  Bedeutung  zu  erkennen  waren.  Die  Namen,  die 
der  Mythus  dem  Sonnenlande  des  Ostens  und  Westens  ge- 
geben, wurden,  je  mehr  man  die  wirklichen  Länder  des  Ostens 
und  Westens  kennen  lernte,  auf  diese  übertragen.  So  heifst 
Lykia  nichts  anderes  als  Lichtland  —  und  es  ist  deutlich  das 
Totenreich  bei  Homer  IL  XXV  683,  wo  Sarpedon  dorthin  durch 
Schlaf  und  Tod  gebracht  wird  —  und  ebenso  Phoinike  das 
rote  Land,    das  Land    des   Sonnenaufgangs.^      Ebenso   ist   es 

1  Auch  die  Herden  des  Helios,  die  himmlischen  Rinder  etc.,  sind 
später  im  Hades,  dessen  Reichtum  (über  diesen  s.  Graf  ad  aur.  aetat. 
symb.  p.  63  sq.  Ettig  Acheruntica  297,  1)  nun  auch  besonders  darin  be- 
stehend gedacht  wird.  Apollod.  II  5,  10  Mevomoc  bi  Ikei  töc  "Aibou 
ßöac  ßöcKUJv.  Vgl.  Geryoneus  mit  seiner  Herde  auf  Erytheia,  dem  roten 
Sonneneiland  im  Westen.  Mit  ihm  kämpft  Herakles  wie  mit  Menoitios. 
Apollod.  II  5,  12,  6  |uiav  tuiv  "Ai6ou  ßoOüv  dudcqpoEev.  Dadurch  erklärt 
sich  Pherekrat.  KpairaraX.  fr.  82  K :  einer  wird  gefragt,  ob  er  ein  Messer 

«eingesteckt  habe,  damit  er  die  ßöea  Kpia  im  Hades  als  zahnloser  Greis 
bewältigen  könne.  (Vgl.  EGraf  Philol.  L,  IV  NF,  1891,  p.  606.)  In 
solchen  Zusammenhang  gehört  auch  die  TT€pc6q)övr|  ßouqpöpßn  pap. 
Paris.  2748  Wess.,  Orph.  ed.  Abel  p.  290.  Die  Auffassung  des  Totengottes 
als  Hirte  ist  uralt,  und  das  zeigt  diese  Vorstellungen  noch  in  anderem 
Lichte.  Hades  treibt  bei  Pind.  Ol.  IX  33  unter  dem  Bilde  eines  Hirten 
mit  seinem  Stabe  die  Toten  in  eine  hohle  Gasse.  Die  himmlischen  Rinder 
sind  auch  alte  Anschauung  für  das  Licht,  Hermes  führt  sie  in  den  Westen 
hinab.  Er  ist  auch  liJUxcTTOiaiTÖc.  Aufserdem  hätten  wir  den  oben  be- 
rührten Zusammenhang  zwischen  Strahlen  und  Seelen.  Doch  will  ich 
in  diese  Tiefen  mythischer  Anschauung  nicht  eindringen. 

2  (poivtE  ist  der  heilige  Baum  des  Apollo.  cpoiviKCC  waren  dann 
typisch  für  die  östlichen  oder  westlichen  Länder,   wenn  auch  keine  da 


-     26     - 

mit  Aithiopia'  und  auch  mit  dem  roten  Meere,  der  epuöpd 
0d\acca,  dem  See,  aus  dem  die  Sonne  auftaucht.-  Es  ist 
deutlich  zu  sehen,  wie  diese  Namen  hin-  und  herschwanken, 
bald  diesen,  bald  jenen  östlichen  Ländern,  Inseln  oder  Meeren 
zugeteilt,  bis  sie  schliefslich  irgendwo  fest  werden.^  Man 
kann  noch  beobachten,  wie  mit  fortschreitender  geographi- 
scher Kenntnis  diese  Bezeichnungen  sich  vorschieben  von 
den  Grenzen  des  griechischen  Pestlandes  zu  den  Inseln  bis 
nach  Spanien  und  in  den  atlantischen  Ocean  im  Westen  und 
bis  nach  Indien  im  Osten.*  Aber  die  alte  mythische  Be- 
deutung ist  noch  deutlich  genug,  wo  von  einer  glückseligen 
Stadt  am  roten  Meer  in  den  Vögeln  des  Aristophanes  ge- 
sprochen wird  (v.  144)  und  vor  allem  in  dem  Fragment  des 
Aisehylos,  dessen   Wortlaut  ich  beifügen  mufs  (fr.  192  N^): 

qpoiviKÖTTeböv  t*  epuGpäc  lepöv 

XeOjLia  6a\dccric, 

XaXKOKcpauvöv  re  irap'  'QKeavuj 

Xi)Livav  TTavTOTpöqpov  AiGiöttujv, 

iv'  ö  TTavTÖTTTac  "HXioc  aiei 

XPijut'  dGdvaTov  KdjuaTÖv  6'  ittttuüv 

öepiLiaTc  ubttToc 

)Lia\aKoO  TTpoxoaTc  dvaTrauei. 
Nicht  anders  ist  es  mit  dem  Flufs  Aithiops,  dem  Sonnen- 
strom ^  und  mit  dem  Eridanos,  dem  feurigen  Lichtstrom,  dem 

wuchsen,  Rohde  gr.  Rom.  223,  1.  —  Erytheia,  die  rote  Insel,  wo  Geryo- 
neus  seine  Herden  weidet,  gehört  natürlich  ebendahin  Hea.  Theog.  292. 
Antimachos  fr.  4.  ApoUod.  II  5,  10.  (Erythras  ist  ein  Sohn  des  Perseus 
Plin.  n.  h.  VI  153.  Erytheia  heifst  eine  Hesperide,  schol.  Apoll.  Rhodi 
IV  1399;  Eiythrios  und  Leukon  als  Brüder,  Söhne  des  Athamas,  Apollod. 
I  9,  2.)  Sie  wurden  nachher  in  der  Gegend  von  Gades  und  Tartessos  in 
Spanien  lokalisiert  (s.  namentlich  Strab.  III  148). 

1  S.  Tümpel  Athiopenl ander  140  u.  sonst.  Über  die  Bedeutung 
des  Worts  s.  Cartius  Grundz.*"'  250. 

2  Xi|avri  itepiKaWric,  aus  der  Helios  aufgeht,  Hom.  Od.  III  1.  Zu 
'HXiou  \{|uivri  u.  dgl.  8.  Abraxas  97. 

8  Tümpel  a.  a.  0.  139  158.  185flF.  188.  197.  Crusius  in  Roschers 
Lex.  II  884.  891  f.  und  ders.  in  den  Verhandl.  der  40.  PhilologenVers.  zu 
Görlitz  36  ff. 

4  Einige  hauptsächliche  Bemerkungen  bei  v.  Wilam.  Herakl.s  II 131  f. 

ö  Aisch.  Prom.  808  ot  irpöc  i^\(ou  vaiouci  irriYaTc,  ?v6a  iroTaiuöc 


—     27     - 

Flufs  des  Göttergartens,  auch  des  Landes  der  Hyperboreer.  Er 
ist  dann  der  Po,  die  Rhone,  ein  Flufs  im  äuTsersten  West,  im 
Keltenlande.*  An  seinen  Ufern  weinen  die  Sonnenjungfrauen 
über  den  gestürzten  Lichtgott,  und  ihre  Thränen  werden  zu 
Bernstein  (fiXeKipov).^  Man  hätte  sich  nicht  den  Kopf  zu 
zerbrechen  brauchen,  wie  der  Eridanos  auch  zum  Strom  im 
Hades  wird^:  das  Totenland  im  Westen  war  ja  eben  im 
Wandel  der  Auffassungen  unter  die  Erde  in  den  Hades  ver- 
legt worden.  Und  ich  will  hier  nicht  unterlassen  zu  bemerken, 
dafs  ich  mir  den  Pyriphlegethon  im  Hades  nicht  anders  er- 
klären kann  zu  einer  Zeit,  die  weit  entfernt  war  an  ein  Feuer 
in  der  Unterwelt  zu  denken.* 

Endlich  ist  ein  gleiches  zu  sagen  nicht  nur  von  der  Insel 
Leuke,  sondern  auch  von  dem  Leukasfelsen,  an  dem  vorüber 
Hermes  die  Seelen  der  Freier  zum  Toteulande  führt  (Od. 
XXIV  11.)  Später  ist  er  an  vielen  Orten  lokalisiert  worden; 
was  er  ursprünglich  war,  zeigen  deutlicher  als  die  hauptsächlich 
Apollinischeu  Sühngebräuche,  die  einen  dem  Tode  geweihten 
Menschen  zum  leukadischen  Felsen  hinabzustürzen  forderten  ^ 


AiGlovi;.  vgl.  T.  805  oi  xP^cö^^utov  oIkoüciv  äpapi  väyta  TTXoüxiuvoc 
TTÖpou.  i^Xiou  TXTYfai  'Sonnenstiom' ,  nicht  Quellen  der  Sonne,  v.  Wila- 
mowitz  Herakles  II  128. 

1  EridanOs  (qpepauTric,  Trupöeic,  dcxepöeic  u.  ä.  genannt)  als  die  Rhone 
in  Iberien  nach  Aischylos  in  den  Heliaden  fr.  73 N*  (Plin.  n.  h.  XXXVII  32). 
Po  und  Ehone  liefs  man  auch  zusammenfliefsen,  Plin.  1.  c,  Pausan.  1 4, 1  u.  s. 

2  Es  erklärt  sich  von  selbst,  warum  dieser  Lichtstein  im  Licht- 
strom sich  findet  ('HXeKTpOujv  ein  Name  des  Sonnengottes,  Tümpel 
Athiopenländer  164),  ebenso  wie  die  Ziuninseln  vor  seiner  Mündung  sind, 
Herod.  III  115. 

3  Bisher  nur  aus  Vergil  Aen.  VI  659  als  solcher  bekannt,  im  Ely- 
sium  inter  adoratum  laiiri  nemus,  und  superne  plurimus  Eridani  per 
silvatn  volvüur  amnis.  Jetzt  ist  auch  ein  Scholion  zu  Eur.  Orest.  981, 
das  im  Vatican.  am  Rande  steht,  herangezogen  eic  töv  'Hpiöavöv  irora- 
fxöv  Kp^fiaxai  6  TävraXoc  (Vgl.  Serv.  zu  Verg.  Aen.  VI  603.),  Knaack 
Jahrb.  f.  Phil.  CXXXV  319.    ^ 

4  Vom  Verbrennen  der  Leichen  kann  der  Name  doch  nicht  kommen 
(so  Rohde  Psyche  50);  das  hat  mit  der  Unterwelt  nichts  zu  thun.  Den 
Totenbach  Alibas  und  den  See  Alybas  im  Lande  der  Hyperboreer  (s.  Cro- 
sius  bei  Röscher  I  2826)  kann  ich  in  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  nicht 
erklären. 

5  Vgl.  Müller   Dorier  P  233.  329.   Apollodor.   bei   Strab.  X  452  fjv 


-     28     - 

die  Na<?hrichten  von  den  Hyperboreern,  die  sich,  wenn  sie  das 
Ende  ihres  langen  Lebens  erreicht  hatten,  vom  leukadischen 
Felsen  stürzten  und  sich  so  den  Tod  gaben.^  Am  deutlichsten 
aber  läfst  uns  eine  Stelle  des  Euripideischen  Kyklops  er- 
kennen, wie  geläufig  die  ursprüngliche  Vorstellung  auch  da- 
mals noch  dem  Volk  von  Athen  war.  Der  Silen  will  für  den 
lang  entbehrten  Wein  von  dem  Vorrat  des  Kyklopen  dem 
Odysseus  und  seinen  Gefährten  Speise  in  Tauseh  geben:  Menn 
ich  bin  wohl  rasend  darauf  begierig  einen  Becher  nur  aus- 
zutrinken, auch  wenn  ich  aller  Kyklopen  Herden  hätte  dafür 
geben  müssen,  und  mich  ins  Meer  zu  stürzen  vom  leukadi- 
schen Felsen,  wenn  ich  nur  einmal  noch  mich  betrunken  und 
sorglos  in  die  Welt  geblickt.'^  Was  heifst  da  dieses  'und 
mich  ins  Meer  zu  stürzen  vom  leukadischen  Felsen'  anders 
als  "^und  zu  sterben'?  Es  ist  eine  ganz  typische  fest  gewor- 
dene Redewendung;  wer  stirbt,  stürzt  sich  vom  leukadischen 
Felsen.  Natürlich,  um  über  den  Okeanos  zu  dem  Totenland, 
dem    Sonnengarten     im    Westen    zu    kommen.^      Alle    diese 


h^  Kai  Trdxpiov  TOic  AeuKobioic  Kar'  dviauTÖv  4v  rfl  Qvciq.  toO  'AttöXXujvoc 
diTÖ  rf\c  CKOTTTic  ^nTTeicöai  riva  tujv  iv  alriaic  övtwv  äitoxpoiTfic  x<ipiv. 
Die  Apollonpriester  im  magnesischen  Hylai  springen  von  steilen  Ab- 
hängen herab.  Töpffer  Rhein.  Mus.  XLIII  145  f.,  att.  Geneal.  266.  Vgl. 
auch  Kephalos,  Sappho  und  Phaon.    An  all  das  kann  nur  erinnert  werden. 

1  Crusius  bei  ßoscher  I  2828.  Ebenso  gaben  sich  gelbst  den  Tod 
die  Bewohner  der  glückseligen  Inseln  in  der  Erzählung  des  lambulos, 
Rohde  gr.  Rom.  230,  1. 

2  Cycl.  164 ff.: 

u)C  ^Kirieiv  y'  öv  kOXiko  |Liaivoi|UT)v  |uiav 
TTdvTiuv  KukXujttujv  dvTiöoOc  ßocK/i|LiaTa 
f)TilJa(  t'  ^c  äX.|Liriv  AeuKciboc  ir^Tpac  ötto, 
ö-rraH  |ue0uc6elc  KaraßaXijOv  xe  xctc  öqppöc. 

Jede  Änderung  der  Überlieferung,  wie  sie  auch  Kirchhoff  an  zwei  Stellen 
vorgenommen  hat,  ist  vom  Übel. 

3  Jch  will  nur  an  eine  Bemerkung  Useners  erinnern,  de  carm. 
quod.  Phocaico  p.  41.  Er  spricht  von  der  Vorstellung,  die  den  Tod  als 
eine  Schiffahrt  durch  den  Okeanos,  den  Götterflufs,  zum  Lande  der 
Seligen  auffafst,  und  weist  darauf  hin,  dafs  die  Reliefs,  die  einen 
trauernden  Mann  auf  einem  Felsen  sitzend  zeigen,  vor  ihm  das  Meer, 
daneben  gewöhnlich  ein  Schiff  angedeutet,  nicht  anders  als  auf  diese 
Vorstellung  zu  deuten  sind,  der  Fels  auf  den  'leukadischen'.    Michaelis 


-     29     — 

Namen  sind  von  den  Bezeichnungen  des  Lichts  und,  so  zu 
sagen,  der  Lichtfarben  genommen.^  Das  in  Erinnerung  zu 
rufen,  wird  der  kurze  Überblick  genügt  haben.  In  rot  und 
weifs,  in  brennend  und  blutig  rot  sind  die  Lande  des  Lichts 
getaucht,  übergössen  von  buntem  Glanz  und  mannigfaltigem 
Farbenschimmer.  Dieselben  Farbenbilder  sind  es  denn  auch 
wieder,  in  denen  die  Gottheiten  des  Lichts,  die  Bewohner 
jenes  Götterlandes  gezeichnet  werden;  zum  Beispiel  Eos  Xeu- 
KÖTTxepoc  (Eur.  Troad  847)^,  XeuKÖv  npöcujTTOv  doOc  (Elektr. 
730),  XeuKÖTTuuXoc  (Aiscb.  Fers.  386  u.  s.),  XeuKinTroc  (Theokr. 
XIII  11),  pobobdtKTuXoc,  pobÖTTTixuc  (Hym.  Hom.  XXXI  6  u.  s.), 
poboeibric  (Nonn.  Diou.  XXXV  249),  pobÖTTenXoc  (Quint.  Smyrn. 
III  608),  pobocrecpric  (Nonn.  Dion.  XXXIV  106),  poböcqpupoc 
(Quint.  Smyrn.  I  138.  vgl.  Hymn.  mag.  II  2,  21  Abel)  roseo  ore 
(Ovid.  Met.  VII  705),  sie  fährt  roseis  qiiadrigis  (Verg.  Aen.  VI 
538),  rosms  higis  (ebd.  VII  25),  KpoKÖTrenXov  (epigr.  Kaibel 
994,  3),  croceis  equis  (consol.  Liv.  292),  purpurea  aurora  (Ovid. 
Metam.  III 1 84)  ^,  epu0aivo|aevri  (Hymn.  orph.  LXX  VII 2),  aiTXr|6Cca 
(Apoll.  Rhod.  I  519),  aieoxv  (lo.  Gaz.  descr.  II  203).  Bild  des 
weifsesten  Glanzes  ist  besonders  auch  der  Schnee;  so  ist  Eos 
XiovoßXeqpapoc  (Mesomed.  Hym.  II  7),  xiovÖTreZ;a  (Nonn.  Dion. 
XXII  136). 

Aber  ich  will  nicht  weiter  so  bekannte  Dinge  vortragen. 
Mögen    wir    schon    jetzt    einmal    einen    Seitenblick    auf    die 


hatte  jene  Reliefs  zusammengestellt,  arch.  Ztg.  XXIX  (1872)  142  ff.  Die 
wie  ich  meine,  einmal  ausgesprochen,  jedem  evidente  Erklärung  gibt 
uns  die  besten  Belege  für  die  Allgemeinheit  und  Volkstümlichkeit  jener 
Vorstellungen.  Ich  kann  mich  nur  wundern,  dafs  jene  Bemerkung  meines 
Wissens  noch  nicht  weiter  verfolgt  und  zur  Erklärung  manches  Ähn- 
lichen herangezogen  worden  ist.  (In  denselben  Kreis  von  Darstellungen 
scheint  mir  auch  das  von  FMarx  im  Bulletino  1,  1886,  S.  247  fi.  auf  Sinis 
den  Fichtenbeuger  erklärte  Basrelief  der  Villa  Albani,  auf  das  mich 
Ernst  Kuhnert  aufmerksam  macht,  zu  gehören.) 

1  Ob  Rhodos  die  Heliosinsel  auch  in  dieser  Weise  zu  erklären  ist, 
mag  dahingestellt  sein.  Aufgefafst  ist  sie  gewifs  nachher  als  die  'rosige' 
Insel,  Tümpel  Äthiopenländer  209. 

2  Das  \€\jKÖv  ist  die  Farbe  des  Lichts,  sogar  geradezu  der  Sonne: 
XeuKÖv  b'  fjv,  ri^Xioc  Ouc,  vom  Schleier  der  Hera,  II.  XIV  185. 

3  Vgl.  auch  Rapp  bei  Röscher  I  1258. 


—     30     — 

Schilderung  der  Seligen  in  der  Apokalypse  und  ihres  Wohnortes 
werfen  (v.  8 f.):  rd  jiiev  yäp  cuj|LiaTa  auToiv  fjv  XeuKÖrepa  Trctcric 
Xiövoc  Kai  epuöpoTepa  iravToc  pöbou,  cuveKeKparo  be  t6  epuepöv 
auTUJV  TUJ  XeuKUJ.  Kai  dirXujc  ou  buva)aai  eHriYvicaceai  tö  KdXXoc 
auTuJv.  Wir  sind  so  weit  zu  den  ältesten  griechischen  An- 
schauungen zurückgegangen,  dafs  wir  nun  deutlich  sehen,  wie 
hier  bis  in  das  Einzelnste  der  Worte  die  urgriechische  Auf- 
fassung vom  Seligenlande  zu  Grunde  liegt. 

Und  in  der  näheren  Beschreibung  dieses  Landes  selbst, 
von  dem  hier  nur  gesagt  wird,  dafs  es  eKxoc  toutou  toö  köc|hou 
liege,  sind  wir  nun  im  Stande,  sofort  die  lichtgesättigten 
Farben  des  uralten  Sonnen gartens  der  Hellenen  wieder  zu  er- 
kennen (v.  15):  e'beiHe  )lioi  juieYiCTov  x^pov  £kt6c  toutou  toO 
KÖC|uou  L)TTepXa|UTrpov  tuj  qpu)Ti,  Kai  tov  depa  xov  eKei  dKiiciv  fiXiou 
KaTaXa)LiTTÖ)Lievov  Kai  ifiv  t^v  auxriv  dvGoucav  djuapdvxoic  dvOeci 
Kai  dpuj|adxuuv  TrXrjpr)  Kai  qpuxmv  euavOuJV  Kai  dcpOdpxujv  Kai 
KapTTÖv  euXoYilMevov  qpepövxujv.  xocoöxov  bk  fjv  xö  dvBoc  ibc 
öc|ufiv  Ktti  eqp'  fijadc  tKeiBev  cpepecGai. 

Wie  dieses  Bild  zu  allen  Zeiten  bei  den  Griechen  sich 
gleich  geblieben  ist  und  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  sich 
fortpflanzte,  bis  es  auch  dieser  Apokalyptiker  den  Seinen 
offenbarte,  wäre  leicht  an  einer  Fülle  von  Beispielen  zu  zeigen. 
Einige  besonders  typische  sei  es  mir  erlaubt  herauszugreifen, 
die  ich  z.  T.  wörtlich  anführe,  damit  auch  die  kleinen  und 
kleinsten,  oft  so  frappanten  Ähnlichkeiten  ins  Auge  fallen. 
Zunächst  sei  ein  Fragment  aus  einem  Threnos  des  Pindaros 
verglichen  (fr.  129.  130  B'*),  das  eine  Stätte  der  Seligen  unter 
der  Erde  preist: 

xoTci  Xdiairei  |li^v  |uevoc  deXiou  xdv  ev9dbe  vuKxa  Kdxuu, 

cpoiviKopöboic  b'  evi  Xei)au)vecci  rrpodcxiov  aOxujv 

Kai  XißdvLu  cKiapöv  Kai  xpuceoic  Kapixoic  ßeßpiööc. 

Kai  xoi  |Liev  iTTTTOic  Y^iuvacioic  xe,  xöi  be  Tieccoic, 

xoi  be  cpopiuiYTtcci  xeprrovxai,  Trapd  be  cqpiciv  euavGfic  ctTrac 

xeSaXev  öXßoc" 
öb)ud  b'  epaxöv  Kaxd  x^Jpov  Kibvaxai 
aiei  9ua  iluyvüvxujv  irupi  xnXecpaveT  rravxoTa  BeuJv  em  ßiuiuoic. 

•  In  den  platonischen  eschatologischeu  Schilderungen   tritt 


—     31     — 

der  Ort  der  Seligen^  mehr  zurück,  dagegen  ist  er  um  so 
ausgiebiger  gezeichnet  im  pseudoplatonischen  Axiochos,  der 
sich  wohl  hier  und  da  mehr  den  Anschauungen  der  breiteren 
Volksschichten  annähert  (p.  371°):  eic  töv  tüjv  euceßdiv 
XUJpov  — ,  ev9a  dqpöovoi  faev  iLpai  iraYKdpTTOu  xovfic 
ßpvjouci,  TTTiYal  be  ubdiijuv  KaGapiIiv  peouci,  TravToToi   be   Xei- 

jiuivec  dvGeci  ttoikiXoic  eapiCöiaevoi .    oöre  fdp  xei^a 

ccpobpöv  ouie  GdXnoc  eTTiTvetai.  dXX'  euKparoc  dfjp  xeixai  dira- 
Xaic  f^Xiou  dKTiciv  dvaKipvdinevoc. 

Wie  lebendig  der  Glaube  an  ein  Land  der  Seligkeit  im 
fernen  Westen  sogar  unter  den  Römern  gegen  Ende  der 
Republik  gewesen  sein  mufs,  davon  giebt  ein  beredtes  Zeugnis, 
dafs  Sertorius  allen  Ernstes  von  Iberien  aus  die  Inseln  der 
Seligen   im   Weltmeer  gesucht  hat.^     Und  es  ist  nicht  etwa 


1  Die  erste  utopische  Schilderung  eines  goldenen  Zeitalters  oder 
glückseligen  Landes,  von  der  wir  wissen,  scheint  von  Solon  gewesen 
zu  sein.     Fr.  38 B*  ist  doch  unverkennbar  aus  einer  solchen  Schilderung: 

TTIVOUCI  KOi  TpiÜYouciv  o'i  fi^V  iTpia, 
o'i  6'  äpTOv  auTüuv,  ot  bi  cv\i[ieyn'jpiivovc 
Toüpouc  q)aKoTcr  KeiSi  5'  ouxe  ^^e^^äTUJv 
ätrecTiv  oub^v,  äcca  t'  dvepiÜTroia  yh 
(p^pei  |u^\aiva,  iravTa  t'  dqpBövuic  irdpa. 
Sollte  es  ganz  zufällig  sein,  wenn  sich  Piaton  im  Timaios  (p.  20®;  21^ 
itoiriTUJv  iroirj^aTa,   äre   bi  via  kqt'  ^keIvov  töv  xpövov  övra  xä  CöXiJUvoc 
iroXXoi  tOüv  irai&uuv  fjcainev)  und  Kritias  (p.  113*)  für  solche  Schilderungen 
auf  Solons  Poesie  beruft,   wenn  das  auch  zunächst  nur  eine  seiner  ge- 
wöhnlichen Einkleidungsformeln  sein  mag?    Es  kommen  ganz  dieselben 
Züge  vor  im  Kritias  p.  114«  Kai  öca  xjXx]  irpöc  xä  x€kxöviuv  öiaTrovr]|LiaTa  irap^- 
Xexai,  TTdvxa  qp^pouca  aq)6ova  xd  xe  au  irepi  xä  Z^iua  kxX.     p.  115*  in  ö^xöv 
f1^epov  Kapiröv  xöv  xe   Er|pöv,  6c  i^juiv  xpoqpfic  ^'v€Kd  dcxt  Kai   öcoic  x^piv 
xoö  cixou  iTpocxpiü|ie6a  —  KaXoO^ev  bt  auxoO  xä  n^pr]  Eüjiiravxa  öcirpia  — 
Kol  xöv  öcoc  EOXivoc,  Tnüfioxa  koI  ßptü^axa  Kai  dXeimaaxa  qpepiuv,  irai6iäc 
xe  öc  SveKo  fi&ovfic  xe  Y^TOve  öucGricaOpicxoc  dKpobpüujv  KapTröc,   öca  xe 
irapauOGia  irXTic.uovfic  fiexaööpTTia  dYaTrrixä  Kd|ivovxi  xiGeijev,  diravTa  xaöxa 
1^  xöxe  -jroxe  oöca  fjcp'  i^Xiuj  vficoc  iepd  xe  KoXd  xe  Kai  Sau^acxä  Kai  nkr]- 
öeciv  äiteipa  l9epe.     Näher  kann  ich  hier  nicht  darauf  eingehen. 

2  Sallust.  hist.  fragm.  I  61  Kritz.  Plutarch  erzählt  die  Geschichte 
auch  Sertor.  8  und  berichtet  von  Schiffern,  die  dem  Sertorius  von  den 
Inseln  erzählt  hätten.  Es  sind  die  bekannten  Züge:  6|aßpoic  bk  xpiü^evai 
nexpioic  ciravioic,  xä  bi  TrXdcxa  TrveOjiaci  ^oXaKoTc  Kai  öpocoßöXoic,  oö 
IJÖvov  dpoöv  Kai  9uxeü€iv  irapexouciv  äYaöi^jv  Kol  iriova  x^Äipav,    dXXä  Kai 


—     32     — 

nur  ein  poetisches  Bild,  wenn  Horatius  in  dem  16.  Epodus  *unter 
dem  Eindruck  der  Greuel  des  perusinischen  Krieges  und  der 
Landung  des  Antonius'  den  Bessern  zur  Auswanderung  rät 
und  in  den  glänzendsten  Farben  jenes  westliche  Land  mühe- 
losen ruhigen  Glückes  vorzeichnet.  Solche  Pläne  mögen  allen 
Ernstes  den  Flüchtlingen  von  Philippi  durch  den  Kopf  ge- 
gangen sein.^ 

Auch  in  der  Unterwelt  Vergils  ist  ein  solches  Elysium, 
ein  odoratum  lauri  nemus  (VI  658),  wo  largior  campos  aether  et 
lumine  vestit  purpureo,  seiner  zahlreichen  Nachahmer  unter  den 
römischen  Dichtern  nicht  zu  gedenken. 

Aus  dem  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  mögen  noch  zwei 
Schilderungen  genannt  sein,  die  sich  in  den  Schriften  des 
Plutarchos  und  Lukianos  finden.  Der  erstere  erzählt  (de  sera 
num.  vind.  c.  XXII  p.  565^)  von  einem  Ort  im  Jenseits  toic 
ßttKXiKOic  avTpoic  6|noiuJCijXri  Kai  x^uupöxriTi  Kai  xXoaic  dvBeujv 
dirdcaic  biaireiroiKiXiuevov  eHeirvei  he  juaXaKriv  Kai  Ttpa- 
eiav  atjpav,  öcjudc  dvaqpepoucav  fibovr^c  xe  Gaujuaciac  — . 
Und  Lukian,  der  die  zu  seiner  Zeit  so  verbreiteten  phantastischen 
Schilderungen  solcher  wunderbaren  Länder  verspotten  will  (in 
der  Vera  hist.),  hält  sich  ganz  an  die  traditionellen  Züge,  die  er 
nur  hier  und  da  etwas  greller  aufträgt  (a.  a.  0.  II  c.  5):  fibr|  be 
TrXriciov fjiuev  Kai  0au|uacTr|  Tic  aupa  Trepieirveucev  ni^dc,  fibeia 
Kai  euuubiTC,  oi'av  q)riciv  6  cuYTPCt^pe'JC  'Hcioboc  dTiöZ^eiv  Tfjc 
ei)bai)novoc  'Apaßiac  oTov  Y^tp  diro  pöbuuv  Kai  vapKiccujv  koi 

KOpTTÖv  auToqpufj  qpdpouciv,  äTTOXpuJVTa  TrXfiöei  Kai  y^ukOthti  ßöcneiv  äveu 
irövujv  Ktti  irpaYiuaTeiac  c\o\älovTa  öfiiaov.  &f\p  bä  äXvrcoc  lOpOüv  re  Kpdcei 
Kai  laexaßoXflc  laexpiÖTrixi  Kaxexei  xäc  vricouc.  oi  |li^v  y^P  ^vO^vbe  xfic  Y^ic 
diroTiveovrec  li.n)  ßopeai  Kai  äirriXiuJTai  öiä  |ifiKOC  eKTTCCövxec  eic  xönov  dxavf] 
biacTteipovxai  koI  irpoaTToXeiiTouci.  ueXaTioi  bi  irepi^^^ovxec  dpYCCxai  koI 
li(pvpoi,  ßXrjxpouc  |a^v  üexoüc  kuI  ciropdbac  ^k  öaXdxxrjc  4irdYovx€C,  xd  bk 
TToXXd  voxepaic  alGpiaic  ^TTiijJÜxovxec  i^cuxfi  xp^qpouciv.  üicxe  |ii^xpi  tujv 
ßapßdpuiv  öüxöai  mcxiv  icxupdv,  aüxööi  xö  'HXOciov  eivai  irebiov,  Kai  x)^v 
xu)v  eüöai|aövujv  oiKriciv,  r^v  "0|Liripoc  ö|ivr|ce. 

1  Siehe  Kiefsliag  zu  v.  41.  Dal's  Horaz  SaUusts  Historien  benutzt 
hat,  zeigen  schon  die  Schollen  zu  jenem  Epodus.  Sallust,  Horaz,  Plu- 
tarch  stimmen  derart,  auch  in  den  speciellen  Zügen  der  Schilderung  der 
Inseln  überein,  "dafs  Sallust  als  gemeinsame  Quelle  angesehen  werden 
mul's,  8.  Linker  in  den  Verhandl.  der  Philol.-Vers.  zu  Frankfurt  a.  M. 
1861  S.  118  f. 


-     33     - 

uttKivGujv  Kai  Kpivcjuv  Ktti  luuv,  eti  be  |uiuppivr|C  Kai  bdqpvrjc 
Kai  djuTreXavöiic,  toioötov  fiiaiv  tö  fjbu  TipoceßaXev  — .  ev9a  bx\ 
KaBetupoijiev  \i|nevac  t€  ttoXXouc  nepi  iräcav  dKXucxouc  Kai  ^eya- 
Xouc,  TTOTtt^ouc  TgbiauTeic  ^Hievrac  npcM«  ec  ifiv  GdXaccav,  exi 

be  Xeimxivac  Kai  uXac  Kai  öpvea  )iouciKd .    TTpoiövtec  be  bid 

XeijuuJvoc  euavBoüc  evTUYXdvo)aev  xoTc  qppoupoic  Kai  Trepmö- 
Xoic*  o'i  be  bricaviec  fiinäc  pobivoic  cietpdvoic  —  dvnYov  ujc 
TÖv  dpxovta.  —  (cap.  12)  KaSdnep  tö  XuKauyec  fjbri  irpöc  eou, 
jLiribeTTou  dvaxeiXavToc  fiXiou,  xoioOxo  cpuJc  e-rtexei  xfjv  fnv.  Kai 
lievxoi  Kai  ujpav  |Liiav  Tcaci  xoö  exouc.  dei  jap  irap'  auxoTc  eap 
ecxi,  Kai  eic  dv€^oc  irveT  6  Ziecpupoc,  fi  be  x^P^  ^«ci  |aev 
dv9eci,  TTdci  be  qpuxoTc  fiiaepoic  xe  Kai  CKiepoTc  xeGriXev. 

Damit  mag  diese  Reihe  beschlossen  sein.-^  Es  ist  mfehr 
denn  hinreichend  dargethan,  mit  welcher  unbesiegbaren  Zähig- 
keit, wie  sie  solchen  alten  religiösen  Vorstellungen  eigen  ist, 
der  Glaube  an  dieses  Land  des  ewigen  Lichtes  trotz  allen 
wechsehiden  Jenseitsvorsteilungen  und  religiösen  Richtungen 
festgehalten  wurde  ^  und  wie  er   sozusagen  Satz  für  Satz,  ja 

1  Über  die  essenische  Lehre  von  der  Stätte  der  Seligkeit  imip 
uiKeavöv,  nach  loseph.  bell.  lud.  II  8,11,  die  ganz  und  gar  griechisches 
Kolorit  bat,  wird  unten  noch  zu  handeln  sein;  ebenso  über  ähnliche 
Stücke  der  jüdischen  Apokalypsen.  Doch  mag  gerade  hier  eine  Stelle 
der  neben  dem  Evangelium  und  der  Apokalypse  gefundenen  Henoch- 
ofFenbarung  stehen,  die  einen  Berg  der  Seligkeit  beschreibt  (bei  Bouriant 
Memoires  publ.  par  les  membres  de  la  mission  archeol.  fran9.  au  Caire 
T.  IX  fasc.  1,  1892,  p.  134  f.)  ou6^  irore  ujcqppavjLiai  k'oI  ouöeic  ^xepoc 
aÜTUiv  TiucppövGri  Kai  ouöev  erepov  öuoiov  auxu)  öc|Liriv  elxev  evwbic- 
xepov  TTdvTUJV  äpu^jadrujv  Kai  xa  cpüXXa  auxoö  Kai  xö  övöoc  Kai 
xö  ö^vöpov  oO  cpGivei  cic  xöv  aiOüva,  oi  bi  irepi  xöv  Kapiröv  lücei 
ßöxpuec  qpoiviKUJv.  Wer  das  oben  Angeführte  kennt,  kann  keinen 
Augenblick  im  Zweifel  sein,  dafs  an  solchen  Stellen  griechische  Vor- 
stellungen zu  erkennen  sind. 

2  Man  könnte  diese  gleiche  Anschauung  noch  viel  weiter  hinab 
verfolgen  bis  zu  Nonnos  Dion.  XIII  349  S.  Nuficpai  ö'  ^CTrepibcc  ji^Xoc 
ItiXckov  kxX.,  und  etwa  Claudian  de  consul.  Stilich.  II  467  ff.: 

Sic  fatus  croceis  rorantes  ignibus  hortus 
Ingreditur  vallemque  suam,  quam  flammeus  ambit 
Mivus  et  irriguis  larguin  iubar  ingerit  herbis, 
Quas  Solis  pascuntur  equi;  flagrantibus  inde 
Gaesariem  sertis  et  lutea  Tora  iubaeque 
Subligat  aUpedum. 

Dieterich,  Nekj-ia.  3 


34     - 


Wort  für  Wort  hinübergieng  in  die  JenseitshoffnuDg  der  christ- 
lichen Gemeinde.  Weiterer  Erklärung  bedarf  das  jetzt  nicht, 
aber  es  mögen  über  die  Bewohner  des  jenseitigen  Landes  und 
das  Bild,  das  man  sich  von  ihnen  machte,  noch  einige  An- 
deutungen gestattet  sein. 


In  panegyrischer  Absicht  sind  vielfach  solche  Schilderungen  von  einer 
anbrechenden  Periode  des  Glückes  und  der  Seligkeit  verwandt,  wie  be- 
kanntlich schon  von  augusteischen  Dichtern,  so  z.  B.  noch  von  Mamertin. 
grat.  act.  c.  23  (Panegyrici  ed.  Bashrens  p.  262  ff.)  und  noch  Sidon. 
Apollinar.  Panegyr.  auf  Anthemius,  carm.  II  103  ff.  Die  späteren  christ- 
lichen Beschreibungen  nach  der  Apokalypse,  die  wohl  ziemlich  alle  von 
ihr  abhängig  sind,  aber  deshalb  doch  aus  mannigfacher  Volksüberlieferung 
daneben  noch  gespeist  sein  können,  zu  verfolgen,  liegt  gänzlich  aufser 
meiner  Absicht.  Interessant  in  mancher  Weise  wäre  die  Partie  in  der 
Vision  des  Satyros  (in  der  Passio  Perpetuae:  The  acts  of  the  martyrdom 
of  Perpetua  and  Felicitas  by  Harris  and  Gifford.  London  1890  p.  55  ff., 
und  Texts  and  studies,  contributions  to  biblical  and  patristic  literature. 
vol.  I  no.  2  by  Robinson.  Cambridge  1891.  p.  79  ff.):  z.  B.  IHeXeövxec 
TÖv  TTpujTov  KÖc|uov  (pCüc  XajuirpÖTaTOv  eibojuev  —  —  Kfiiroc  e'xujv  ^öbou 
6^v6pa  Kai  ttöv  -fivoc  tuiv  dvG^ujv,  tö  bi  iivj;oc  tOüv  6dv6pujv  fjv  uücel  ku- 
irapiccou  |ufjKoc,  äKaTairaOcTUJC  bk  Kara^piipexai  toi  bivbpa  rä  cpvWa  auxujv. 
lat.  Vers.:  quarum  fdlia  cadebant  (so  AB,  ardebant  C)  sine  cessatione. 
Sollte  wirklich  canebant  (Robinson)  das  richtige  sein,  und  das  griech.  erst 
eine  Übersetzung  eines  verschriebenen  cadebant,  so  wäre  eine  merkwürdige 
Parallele  die  Stelle  des  Lukian  in  der  oben  angeführten  Schilderung 
der  seligen  Inseln  (ver.  bist.  II  c.  5)  aOpai  bi  rivec  ii6eiai  iiveoucai  fip^jua 
Ti'iv  vKr]v  öiecäXeuov,  üjcre  Kai  dirö  xiuv  kXööujv  kivou)u^vudv  repirva  koi 
cuvexn  M^^n  dtrecupi^eTO  ktX.  Dazu  aus  einer  Beschreibung  des  Ortes  der 
Seligkeit,  die  im  übrigen  der  Apokalypsenpartie  aufserordentlich  nahe 
steht,  in  der  Geschichte  von  Barlaam  und  loasaph  (bei  Boissonade  Anec- 
dota  graeca  IV  p.  280):  xd  xe  qpüWa  xuJv  &^v6puDV  XiYupöv  ÖTrrixei  avpq. 
xivl  XeTTxoxdxr].  —  Auf  einer  christlichen  Grabschrift  des  4.  Jahrb.  de 
Rossi  Inscr.  Christ.  I  141,  nr.  317  steht:  per  eximios  paradisi  regnat  odores 
tempore  continuo  vernant  übt  gramina  rivis.  Bei  Dracontius  (5.  Jahrb.) 
de  deo  III  679  wandeln  die  Seligen  inter  odoratos  flores  et  amoena  vireta. 
Noch  in  dem  Rithmus  domni  Gibuini  (Erzbischof  von  Lyon  1077—82) 
in  den  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  1891  nr.  VII  p.  99  f.  heilst  es  Para- 
disi amena  regio,  |  quam  possedit  quondam  primus  Jiomo  |  quam  pulcra  es 
sanctis  animabus  et  requies.  —  In  te  spirant  odora  gramina,  |  rubet  rosa, 
albescunt  lilia  \  et  arbusta  profundunt  bdlsama  \  quam  pulcra  etc.  — 
Pulcher  (h)ortus,  mcllita  flumina,  |  sonat  aura  Icnis  per  nemora,  \  ibi  flores 
et  mala  punica,  j  quam  pulcra  etc.  —  Dann  folgt  eine  Schilderung  nach 
cap.  21  der  Johannesapokalypse. 


—     35     - 

Von  alters  her  hat  man  sich  in  den  fernen  Ländern  des 
Ostens,  Westens  oder  auch  des  Nordens  glückselige  Völker 
wohnend  gedacht,  die  gerecht  und  in  vollkommener  Tugend 
die  immer  bereiten  reichen  Gaben  ihres  blühenden  Landes 
geniefseu.  Namentlich  wird  vielfach  geschildert  das  Volk  des 
äufsersten  Nordens,  die  Hyperboreer,  bei  denen  Apollo  immer 
wieder  einkehrt  Sie  sind  ihm  ein  heiliges  priesterliches  Volk.^ 
Die  Lage  dieses  Landes  schwankt  in  der  Überlieferung  hier 
und  da:  auch  nach  Westen  werden  die  Hyperboreer  verlegt, 
auch  zum  Hesperidengarten.^  Dieser  Name  ist  geographisch 
fest  nie  geworden.  Es  bricht  doch  auch  hier  immer  wieder 
hindurch,  dafs  es  das  Land  der  guten  seligen  Geister  der 
Verstorbeneu,  ursprünglich  natürlich  zugleich  das  Götterland 
gewesen  ist,  wohin  man  weder  zur  See  noch  zu  Lande  den 
wunderbaren  Pfad  findet  (Pind.  Pyth.  X  30).  Später  erzählte 
man  dann  von  den  merkwürdigen  Barbarenvölkern  in  jenen 
äufsersten  Ländern  und  fabulierte  die  seltsamsten  Wunder- 
dinge zusammen.  Typisch  aber  bleibt  immer  der  Zug  der 
'Gerechtigkeit'  bei  allen  diesen  Völkern,  wie  der  ruhigen  unge- 
trübten Seligkeit.  Es  sind  die  Ausläufer  der  alten  Vorstellung 
von  den  'gerechten'  Geistern,  die  im  Lande  der  Glückseligkeit 
bei  den  Göttern  wohnen.  Homer  nennt  schon  die  milch- 
trinkenden Nomaden  im  Norden  die  gerechtesten  der  Menschen 
(II.  Xni  6),  Aischylos  die  fernen  Gabier  bn|uov  evbiKiuTaTOV 
dTTctVTUJV  Ktti  cpiXoHevuüTaTov  (fragm.  196N-);  von  der  Gerechtig- 
keit der  Skythen,  der  Argimpäer  wird  früh  erzählt.^  Und 
als  man  in  hellenistischer  Zeit  eine  Menge  von  Schilderungen 
solcher  Wundervölker,  von  Reiseromanen  und  Glückseligkeits- 
utopieen  verfafste,  geht  dieser  Zug  immer  durch:  man  redet 
von  den  'gerechten'  Serern*,  Euhemeros  läfst  auf  seiner  seligen 
Insel  ein  frommes  Menschengeschlecht  wohnen,  unter  den 
Meropes  des  Theopomp  heifst  die  eine  grofse  Stadt  Eusebes, 
und  die  Einwohner  entsprechen  diesem  Namen;  so  heifst  es 
auch  später  noch  von  den  Athiopen  dcKOuci  be  euce'ßeiav  Kai  bi- 

1  Rohde  griech.  Rom.  212  f. 

2  Ausführliches  bei  Crusios  in  Roschers  Lexikon  I  2815  ff. 

3  Rohde  a.  a.  0.  203, 1,  2. 

4  Rohde  a.  a.  0.  203,  5. 

3* 


—     36     — 

Kaiocuvtiv.^  Als  die  luder  so  recht  eigentlich  zum  Wundervolke 
werden,  sind  sie  die  Gerechten,  und  sogar  die  Pygmäen  in  Indien 
und  die  Hundsköpfe  sind  gerecht.^  An  diesen  Punkt  in  dem 
Bilde  der  fernen  Völker  setzte  dann  manche  socialistische 
Utopie  an,  and  es  ist  bekannt,  wie  sogar  mit  bitterer  oder  wohl- 
wollender Tendenz  die  Vortrefilichkeit  jener  Barbaren  der  Ver- 
worfenheit des  eigenen  Volkes  vorgehalten  wurde. 

Eine  der  merkwürdigsten  Schriften  ist  das  Buch  des 
Hekataios  von  Abdera,  der  zur  Zeit  des  ersten  Ptolemäers, 
wohl  in  Alexandria  lebte  und  schrieb.^  Er  verfafste  ein  Buch 
über  die  Hyperboreer  und  wollte  wirklich  ein  gottgeliebtes 
Idealvolk  als  ^ein  Musterbild  frommer  Götterverehrung'  zeichnen. 
Hekataios  schliefst  sich,  wie  es  scheint,  in  allem  Hauptsäch- 
lichen an  alte  Vorbilder  an*,  und  man  hat  hier  so  recht  die 
hervorstechendsten  Züge  solcher  Idealschilderungen  bei  einan- 
der.^ Ihre  Insel  wird  ganz  in  der  oben  besprochenen  Art 
geschildert;  sie  seien  wie  Priester  des  Apollo,  weil  dieser  Gott 
täglich  von  ihnen  unaufhörlich  in  Gesängen  gepriesen  werde.*' 
In  der  Stadt  des  Gottes  seien  die  meisten  Einwohner  Kitha- 
risten  und  unaufhörlich  sängen  sie  mit  Saitenspiel  im  Tempel 
dem  Gotte  Hymnen  und  priesen  seine  Thaten.''  Auch  dieser 
Zug  ist  in  ähnlichen  Schilderungen  geradezu  typisch.  Auf 
der  seligen  Insel  des  lambulos  werden  Sonne  und  Gestirne 
als  Götter  mit  Hymnen  und  Lobliedern  verehrt.^     Auch  auf 

1  Nicol.  Damasc,  irapaböHoiv  dGuJV  cuvoyujtii  42  p.  176  West.  — 
Es  mag  bereits  hier  nebenbei  bemerkt  sein,  wie  falsch  es  ist,  bei  'oi 
öiKaioi'  oder  '■^i  biKaiocOvri'  gleich  von  'alttestamentlich-jüdischer'  oder 
*  urchristlicher '  Färbung  zu  sprechen,  wie  Harnack  a.  a.  0.  S.  50  thut. 
Das  wäre  noch  von  manchem  Ausdruck  zu  sagen  (z.  B.  öböc  rf\c  öikoio- 
cüvric  n.  dgl.  s.  u.). 

2  Rohde  a.  a.  0.  203,  4. 

3  Rohde  a.  a.  0.  208. 

4  Crusius  bei  Röscher  I  2828. 

6  Fragmente  bei  Müller  FHG  II  p.  386—388. 

6  fr.  2  (Diodor  II  47,  2)  öiä  tö  töv  Geöv  toötov  kuG'  i^|u^pav  utr' 
auTUJV  OfiveTcGai  jaex'  i^bfic  cuvextöc. 

7  fr.  2  (Diodor  a,  a.  0.)  koI  uöXiv  |n^v  (nrctpxeiv  iepäv  toO  GeoO 
toOtou,  tu)v  bk  KOTOiKouvTiuv  ouTi^v  Touc  uXeicTouc  eivai  KiGapiCToic,  Kai 
cuvexüjc  ^v  t(\)  vauj  KiGapiZovxac  vijavouc  X^t^iv  tui  laex'  dibf\c  dTTocejuvü- 
vovxuc  aiixoO  xäc  irpctteic.  8  Rohde  a.  a.  0,  231. 


—     37     — 

der  seligen  Insel  des  Lukian  (ver,  bist.  II  e.  5)  hört  man  Flöten- 
und  Saitenspiel  und  Lobgesaug^,  und  sogar  die  Blätter  der 
Bäume,  von  den  linden  Lüften  bewegt,  säuseln  Lieder.  Die 
Bewohner  des  vergilischen  Elysiums  singen  ebenso  im  Chore 
den  frohen  Päan  (Aen.  VI  657,  vgl.  644).  Man  wird  nament- 
lich durch  jene  Beschreibung  des  Hekataios  an  den  frommen 
Bund  der  Pythagoreer  erinnert  mit  ihrem  Apollondienst  und 
ihrer  Musikliebe  und  mit  ihrer  Lehre  von  der  Harmonie  der 
Sphären.  Ihre  Ideale  tauchten  ja  damals  wieder  in  ganz  neuer 
Frische  auf.  Jene  Vorstellungen  haben  auch  ihre  Wurzel  in 
uralter  mythischer  Anschauung:  es  sei  nur  noch  daran  er- 
innert, dafs  es  uns  ohne  Zweifel  ebendahin  weist,  wenn  die 
Hesperiden,  die  Hüterinnen  des  Sonnengartens,  von  alters  die 
Hellstimmigen,  die  Sängerinnen  genannt  werden  (Xixuqsuuvoi, 
doiboi),  oder  wenn  gar  von  der  Sonne  selbst  gesagt  wird,  dafs 
sie  ^pfeife'.  Sie  heifst  geradezu  bei  den  Griechen  Mer  Pfeifer', 
merkwürdigerweise,  wie  es  scheint,  besonders  in  den  pytha- 
goreisch-orphischen  Kreisen  der  späten  Zeit.^ 

Doch  genug.  Soviel  ist  klar,  dafs  der  himmlische  Lob- 
gesang der  Seligen  auch  alte  griechische  Vorstellung  ist^  und 
gerade  auch  noch  in  alexandrinischer  Zeit  bei  ihrer  Beschrei- 
bung nie  fehlt.  Und  in  der  Apokalypse  heifst  es  von  den 
'Gerechten'  (v.  19):  |aia  (puuvrj  tov  Kupiov  Oeöv  dveucpruuouv  eu- 
qppaivö,uevoi  ev  eKeivtu  tuj  töttlu.^ 


1  ^iraivoövTuuv  ist  wobl  doch  nicht  in  ^TrctbövTUUv  zu  ändern  (Rohde 
195  Anm.,  was  übrigens  schon  in  Bekkers  Texte  steht). 

2  Zu  f^Xioc  cupiKTJ^c  u.  dgl.  vergleiche  Abraxas  23  f.  Im  orph. 
Fragm.  162  Ab.  heifst  es:  TrveOfiaci  cupiZiiuv  q)U)vaidv  t'  depo)aiKTOic.  Auch 
im  deutschen  Volksglauben  gibt  es  Ähnliches,  s.  Grimm  DM  622. 

3  Hildebrand  Vom  deutschen  Sprachuntemcht  101  mag  recht 
haben,  dafs  'die  Engel  im  Himmel  pfeifen  hören'  (pfeifen  d.  i.  musicieren, 
vgl.  Stadtpfeifer)  bis  auf  das  Altertum  zurückgeht.  Er  erinnert  an  die 
Kunstdarstellungen  musicierender  Engel,  namentlich  auch  in  der  Renais- 
sance und  will  darin  gar  direkt  die  'Harmonie  der  Sphären'  in  christ- 
licher Umkleidung  erkennen. 

4  Ein  Zug,  der  auch  mit  griechischen  Anschauungen  zusammen- 
hängen kann,  ist  dieser  (Apok.  v.  18):  ö-fT^^oi  be  irepieTpexov  auTouc  ^xeice. 
Da  sind  äfT^^oi,  was  bei  den  Griechen  Götter  waren,  und  dort. weilen 
die  Götter,  gehen  und  kommen  wieder  in  jenen  Sonnenlanden,  bei  den 
gerechten  Völkern,  von  denen  ich  oben  sprach.    Waren  doch  alle  jene 


—     38     — 

Die  äufsere  Erscheinung  der  Seligen,  wie  sie  die  Apo- 
kalypse gibt,  erinnert  in  allen  Einzelheiten  an  die  Art,  wie 
der  Grieche  Lichtgottheiten  sich  denkt  und  abbildet.  Abge- 
sehen von  dem  Weifs  und  Rot,  in  dem  sie  erstrahlen  (s.  o.), 
ist  die  mehrfach  betonte  Schönheit  ihres  Antlitzes  (KdXXoc  Tf]C 
öqjeujc)  so  recht  eigentümlich  diesen  schönsten  Wesen.^  Ebenso 
das  leuchtende  Gewand,  das  ähnlich  aussah  wie  das  Lichtland 
selbst  (öfioiov  fiv  t6  e'vbu|ua  auTUJV  irj  x^P«  öutujv,  v.  17),'^  Viel 
charakteristischer  schon  ist  der  Ai/fedruck  (v.  7)  eHripxexo  arrö 
Tfic  öipeujc  auTuJv  oektiv  ujc  fiXiou,  falls  wir  recht  thun  uns  an 
griechische  Ausdrucksweise  nicht  nur  von  Helios  selbst  zu  er- 
innern, der  eTTibepKexai  dKTivecciv  (Hesiod.  theog.  760.  Hjmu. 
Cer.  70.  Aisch.  Prom.796),  sondern  von  seinem  ganzen  Geschlecht, 
das  leicht  kenntlich  war  an  dem  Geflimmer  der  Augen,  das  ihm 
wie  ein  goldener  Strahl   aus   dem   Gesichte   drausf.^     Welche 


Lande  selbst  ursprünglich  das  Götterland.  Bei  den  Äthiopen  schniansen 
die  Götter  schon  in  der  Ilias  (z.  B.  I  423  f.),  bei  den  Hyperboreern  weilt 
Apollo,  Artemis  u.  s.w.,  zu  den  Phäaken  kommen  die  Götter  ^vap^eTc 
(Od.  VII  201  f.),  die  Meropes  des  Theopomp  besuchen  die  Götter  oft, 
wegen  ihrer  grofsen  Frömmigkeit  (vgl.  Eohde  a.  a.  0.  212,  1.  206). 
Die  Vorstellung  vom  'Götterverkehr'  ist  eng  mit  der  vom  Lande  der 
Seligkeit  verbunden :  Trapä  Tiinioic  Oeüjv  Find.  Olymp.  II  65 ;  sie  liegt  auch 
dem  Aiöc  Ö6öv  Ol.  II  76  zu  Grunde,  vgl.  Zr^vöc  lueXdGpiuv  koitoi  Eurip. 
Hippol.  749.  8.  Gerhard  in  den  Sitzungsber.  d.  Berl.  Ak.  d.  W.  1861, 
S.  64  Anm.  103.  In  ältester  Zeit,  im  goldenen  Zeitalter,  verkehren  die 
Götter  mit  den  Menschen  Arat.  Phain.  102  f.  Catull.  LXIV  384  f.  Das  sind 
Vorstellungen  vieler  Völker,  wie  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden 
braucht.  Etwas  anderes  ist  es  mit  der  Einkehr  der  Götter  in  den 
Wohmmgen  einzelner  frommer  Menschen,  s.  Rohde  a.  a.  0.  506  iF. 

1  Vgl.  Namen  wie  KaWövri,  KaXXicTTi  u.  a.,  s.  Usener  Rhein.  Mus. 
XXIII  324. 

2  Z.  B.  hom.  Hymn.  XXXI,  13  leuchtet  dem  Helios  das  schöne  fein- 
gewobene Gewand  um  den  Körper: 

KaXöv  bk  irepi  xpoi  XdiLiirexai  IcGoc 
XeiTTOupY^c  TTvoiri  dv^|ninv. 

Ovid,  Met.  II 23  imrpurea  velatus  vcste  u.  s.  Wenn  Hades  selbst  gelegent- 
lich den  Strahlenkranz  trägt,  so  soll  ihn  das  aber  doch  wohl  nur  als 
den  König  der  Toten  kennzeichnen,  Stephani  Mdmoires  de  l'acad.  imp. 
de  St,  Petersb,  6.  sdrie,  tom.  IX  p.  487. 

3  Apoll.  Rh.  Argon.  IV  727: 


—     39     - 

merkwürdige  Bedeutung  die  Lichtgestalt  für  die  Griechen  haben 
kounte,  ruag  mau  beiläufig  an  Pythagoras  sehen,  der  sich 
durch  seine  goldstrahleuden  Glieder  den  Seinen  als  'AttöXXujv 
Trrepßöpeioc  offenbarte,  ja  gelegentlich  dadurch,  dafs  er  seinen 
'goldenen  Schenkel'  sehen  liefs  (xpucoöv  jaripöv),  allen  Zweifel 
besiegte.^  Das  letztere  macht  ihm  dann  auch  der  Schwindler 
Alexandros  bei  Lukian  nach."  Sehr  bedeutsam  aber  ist  für 
uns  eine  Aufserung  Piatons  (Rep.  V  p.  474®),  namentlich  durch 
ihre  Verallgemeinerung:  XeuKOuc  be  Geujv  Tiaibac  eivai  (seil, 
(paie  u|U€ic  Ol  epujTiKoi). 

Auch  die  Beschreibung  des  lockigen  Haupthaares,  welches 
das  Haupt  der  Gerechten  wie  ein  blumiger  Strahlenkranz  um- 
leuchtet (v.  10)  fi  le  Y«P  KÖjuri  auTuJv  ouXii  fjv  Kai  dvBripa  Kai 
eTTiTTpeiTOuca  auTUJV  tuj  le  ttpocuuttuj  küi  toTc  ujjaoic  ibcTiepel 
cTecpavoc  ck  vdpbou  ciaxuoc  ireTrXeTlnevoc  Kai  ttoikiXujv  dvBujv  f| 
LucTTep  Tpic  ev  de'pi,  hat  sofort  ihre  Analogie  in  dem  Strahlen- 
kranz griechischer  Gottheiten,  und  an  den  Helios  xpucoKÖ|Liac, 
dK€pciKÖ|uric  brauche  ich  nur  zu  erinnern.^  Und  gerade  auch 
das  Lockige  scheint  mit  den  Vorstellungen  von  Lichtgottheiten 
verbunden  gewesen  zu  sein.  So  wird  bei  Kallimachos  im 
Hymnus  auf  den  delischen  Apoll  (v.  302)  Hesperos  genannt 
ouXoc    e9eipaic.     Freilich    gehört    das    früh    zum   Kennzeichen 


TTäca  fäp  'HeXiou  ^everi  dpi&riXoc  iödcöai 
fjev,  eirel  ßXeqpäpuuv  äTroxriXööi  laapjuapuYticiv 
oiöv  xe  xpuc^rjv  dvTuuinov  lecav  aixXriv. 
Vgl.  Schol.  zu  1 172  (toütou  5e  tüjv  öcpOaXiaiJUv  dTroXctiaiTeiv  q)adv  öktivoc). 

1  lambl.  Vit.  Pyth.  19;  28.  Ail.  var.  bist.  IV  17.  LDiog.  VIH  11.  Ähn- 
lich wie  das  ckeXoc  x«Xkoöv  der  Empusa  bei  Aristoph.  Frösche  295  (a.  de 
byinn.  orpbic.  p.  43)  die  chthoniscbe  Gottheit  bezeichnet,  so  hier  der 
|Lir|pöc  xP^coöc  den  Lichtgott  oder  Lichtheros.  (Vgl.  das  xpucoOv  und 
XoXkoöv  cdvöaXov  der  Göttin,  de  hymn.  orph.  p.  44.) 

2  Lukian  Alexandr.  40:  iroXXdKtc  bk  iv  rrj  6(j[5ouxia  Kai  xoTc  uucxi- 
KoTc  CKipxrjjuaci  YU|Livu)Gelc  6  |ur]pöc  auxoO  iZev:ixY]bec  xp^coOc  eHeqpdvri,  6^p- 
juaxoc  lue  xö  eiKÖc  lirixpOcou  irapaxee^vxoc  koI  irpöc  xi?|v  aÖTi')v  xuiv  Xa|a- 
iräömv  dirocxiXßovxpc,  ujcxe  koI  YevojLi^vric  irox^  Zirixriceujc  ÖOo  xicl  xuiv 
|iUjpocö(puJv  ütt^p  aöxoO  eixe  TTuöaföpou  xi^v  v}juxriv  exoi  biä  xöv  xpwcouv 
luripöv  ei'xe  aXXr]v  ojuoiav  auxtü  kxX. 

3  Dionys.  Helioshymn.  10  xP"C^aiciv  dYaXX6|uevoc  KÖ|Liaic.  Vgl. 
hom.  Hymn.  auf  ApoUon  134. 


—     40     — 

idealer  Schönheit,  wie  denn  Athene  den  Odysseus,  als  sie  ihn 
schöner  als  andere  einem  Gotte  ähnlich  machen  will  (bei 
Nausikaa,  Od.  VI  229  ff.  vgl.  XXIII  158  ff.)  derart  ausstattet: 
juei^ovd  t'  eicibeeiv  Kai  Trdccova,  Kcib  hk  Kdpr|Toc 
oöXac  fjKe  KÖ)aac,  uaKivOivo»  dvöei  6|uoiac. 
Und  hier  mufs  denn  betont  werden,  dafs  die  hellenistischen 
Dichter,  besonders  die  erotischen,  und  dann  weiter  die  Roman- 
schriftsteller, um  ideale  Schönheit  zu  schildern,  den  Pinsel  in 
diese  Lichtfarben  zu  tauchen  pflegten.  So  wurden  diese  Züge 
typisch,  und  man  darf  nicht  allzuviel  im  einzelnen  Wort  und  Aus- 
druck suchen.  Da  spielte  auch  der  strahlende  Blick  der  Augen 
eine  Rolle,  auch  lockiges  Haar;  von  Schnee  und  Milch  und 
Rosen  zur  Schilderung  der  Schönheitsfarben  war  viel  die  Rede, 
und  besonders  geläufig  war  der  Vergleich  mit  Blumen  aller 
Art,  mit  Rosen,  Anemonen,  Hyacinthen.^  Mit  diesen  Ideal- 
farben alexandrinischer  Poesie  sind  also  auch  die  Seligen 
unserer  Offenbarung  gezeichnet. 

Aber  gerade  die  Beschreibung  des  Glanzes  um  das  Haupt 
wie  eines  Blütenkranzes  und  wie  einer  Iris,  eines  farbigen 
Kreises  in  der  Luft,  fordert  doch  noch  andere  Erwägungen. 
Es  ist  schon  erwähnt,  dafs  solcher  Lichtglanz  von  den  Griechen 
im  allgemeinen  ihren  Göttern  zugeschrieben  wurde  ^,  auch  wohl 
den  grofsen  Helden,  wenn  sie  besonders  göttergleich  erscheinen.^ 

1  Viele  Belege  bei  ßohde  gr.  Rom.  151  ff. 

2  Statt  vieler  anderen  ein  Beispiel,  Ion  1549 f.: 

ea*  TIC  oiKuuv  Öuo66kujv  uirepreXric 

ävxriXiov  itpöciuTTOv  iKqpaivei  0eu)v; 
'Die  Form  der  Frage  zeigt  zur  Genüge,  dafs  der  das  Gesicht  umstrahlende 
sonnengleiche  Lichtglanz  nur  das  aufser  Zweifel  setzte,  dafs  die  Erschei- 
nung eine  Gottheit  war,'  Stephan!  Nimbus  und  Strahlenkranz  in  den 
Mdmoires  de  l'academie  imperiale  des  sciences  de  St.  Petersbourg,  6.  ser. 
tom.  IX  S.  364;  vgl.  dort  überhaupt  S.  361  ff. 

3  11.  V  4  ff.  von  Diomedes: 

baii.  oi  ^K  KÖpuGöc  re  koI  äcTTiöoc  ÖKoiiaaTOv  iröp, 

dcTdp'  ÖTTUjpiva)  ^vaXiYKiov,  öcre  inäXicxa 

Xajuirpöv  uajuqpaivrici,  XeXou|u^voc  'ßKeavoio. 

Toiöv  Ol  TtOp  6ai€v  äitö  Kparöc  xe  Kai  dijauiv. 
Von  Achilleus  II.  XVIII  203  ff.  XIX  273  ff.  (toö  ö'  ändveuGe  c^Xac  t^v€t' 
rii3Te  iLi^vric).    Von  Ascanius  heifst  es  bei  Vergil  Aen.  II  682  f. : 


-     41     - 

Am  häufigsten  aber  wird  er  den  Lichtgottheiten  zugedacht, 
und  auch  in  der  Kunst  wird  der  Nimbus  oder  der  Strahlen- 
kranz ihnen  vor  allen  gegeben.  So  beschreibt  auch  noch  ein 
Zaubergebet  später  Zeit  den  grofsen  Lichtgott  als  rrupivÖTpixa, 
ev  xiTuJvi  XeuKO)  kqi  x^aiuubi  KOKKivr],  ^xovia  Tiupivov  creqpavov.^ 
Gerade  von  Kirke,  der  Tochter  des  Helios  (v.  1216),  heifst  es 
in  den  orphischen  Argonautica  (v.  1219  f.): 
diTÖ  Kpaiöc  fttP  e0eipai 

TTupcaic  dKTivecciv  dXiYKioi  rjuupriVTO* 

CTiXße  be  KttXd  Ttpocujira,  qpXoTÖc  h'  dTTeXajUTrev  duT|ur|. 

Auf  Kunstwerken  findet  sich  Nimbus  oder  Strahlenkranz 
häufiger  erst  seit  der  Zeit  Alexanders  des  Grofsen,  und  recht 
häufig  erst  etwa  seit  Augustus.^  Die  ersten  irdischen  Herr- 
scher, die  sich  solchen  Schmuck  beilegten  oder  beilegen 
liefsen,  scheinen  —  für  die  griechische  Welt  wenigstens  — 
die  Könige  nach  Alexander  gewesen  zu  sein.  Und  auch  da 
liegt  keine  andere  Vorstellung  zu  Grunde  als  die,  dafs  sie 
dadurch  gewissermafsen  als  göttlich  erscheinen,  wie  sich  denn 
der  erste  der  syrischen  Könige,  der  eine  Strahlenkrone  zu 
tragen  pflegte,  Antiochos  IV,  zugleich  0e6c  eTriq)aviic  nannte. 
In  Rom  wurde  schon  dem  Cäsar  das  Recht  zugesprochen,  die 
goldene  Strahlenkrone  im  Theater  zu  tragen^;  Nero  war  der 
erste ^der  sich  bei  seineu  Lebzeiten  auf  den  Münzen  mit  der 
Strahlenkrone    abbilden    liefs.*     Aus   viel   späterer  Zeit    wird 


licce  levis  summo  de  vertice  visus  Juli 
Fundere  lumen  apex,  tractuque  innoxia  molli 
Lamhere  flamtna  comas  et  circutn  tempora  pasci  etc. 
Mehr  bei  Stephani  a.  a.  0.  370  ff.     Natürlich   gehört   aber  nicht   ohne 
weiteres  hierher,  wenn  nur  der  Glanz  der  Waffen  beschrieben  werden  soll. 

1  Pap.  Paris.  635  ff.  Wess. 

2  Diese  Darstellungen  hat  seiner  Zeit  zusammengestellt  Stephani 
a.  a.  0.  S.  373  ff. 

3  Florus  IV  2,  91  in  thcatro  distincta  radiis  corcyna,  Dio  Cass.  XLIV  6 
TÖv  CTe9avov  töv  6m\i0ov  Kai  öidxpucov,  ü  icou  toTc  tujv  Ge&v. 

4  Stephani  S.  476.  Von  Traian  sagt  Plin.  Panegyr.  52  horum  unum 
si  praestitisset  alitis,  Uli  iam  dudum  radiatum  Caput  et  media  inter  deos 
sedes  auro  staret  aut  ebore,  augustioribusque  aris  et  grandioribus  victimis 
invocaretur.  Vgl.  Lucan  VII  458  f. :  fulminibus  manes  radiisque  ornabit 
et  astris  |  Jnque  deum  templis  iurahit  Borna  per  umbras;  Statins  Theb.  1 28. 


—     42     - 

sogar  (las  Merkwürdige  berichtet,  dafs  sich  die  Kaiser  das 
Haupt  mit  Goldstaub  bestreuten.^  Besonders  charakteristisch 
ist,  was  Herodianos  von  Commodus  anführt  (histor.  I  7,  5): 
ö(p0a\)uujv  Te  yap  apGjaiai  Kai  irupujbeic  ßoXai  köjliii  t€  qpücei 
HavGrj  Kai  ou\r|,  ibc  ei  ttotc  qpoiTUJri  bi'  f^Xiou,  tocoötov  eKXd)u- 
Treiv  auTijj  rrupoeibec  ti  iJuc  touc  |Liev  oiec0ai  pivrijua  xP^coö 
TTpoiövTi  erriTTdcceceai,  touc  be  eKOeidCeiv  XeYOViac  ai^Xriv  xivct 
oupdviov  rrepi  iriv  KecpaXfiv  cuYT£T£vfic9ai  auTUJ.  Natürlich 
liefsen  sich  auch  die  Kaiser  in  Konstantiuopel  mit  Nimbus, 
Strahlenkranz,  Strahlenkrone  darstellen,  und  dieser  Schmuck 
war  fortan  für  den  Herrscher  geradezu  bezeichnend  bis  in 
späteste  Zeit;  auch  in  den  Bildern  alter  Handschriften  werden 
sie  so  unterschieden ^  Sogar  Herodes  oder  Pharao  finden  sich 
damit  gelegentlich  ausgestattet.^ 

Andererseits  aber  finden  wir  auf  einer  ganzen  Reihe  von 
Kunstdarstellungen  diejenigen,  welche  gewisse  Kulthandlungen, 
namentlich  Opfer  besorgen,  mit  Nimbus  oder  Strahlenkrone 
versehen^,  unzweifelhaft  auch  da  von  dem  Gedanken  aus,  dafs 
die  opfernden  Personen,  während  sie  den  Dienst  der  Gottheit 
thun,  dieser  geweiht  und  gewissermafsen  selbst  göttlich  sind. 
Es  ist  deutlich,  dafs  sich  eine  Anzahl  dieser  Darstellungen 
auf  Mysteriendienst  bezieht,  auch  auf  Dionysosmysterien;  die 
Teilnehmer  au  bakchischen  Festen,  die  ßdKXOi  und  ßdKxai 
werden  selbst  sogar  mit  diesem  Schmucke  gekrönt.^  Dafs 
der  Myste  der  Isis  so  geschmückt  wurde,  berichtet  Apuleius 
(Metamorph.  XI  24)  ausdrücklich:  at  manu  dextera  gerebam 
flammis  adultam  faciem  et  caput  decore  Corona  cinxerat,  palmae 
candidae  foliis  in  modum  radiorum  prosistentibus.  sie  ad  instar 
solis  exornato  me  et  in  vicem  simulacri  constituto,  repente  velis 


1  Trebell.  vit.  Gallieni  c.  16  crinibus  suis  auri  scohem  aspersit; 
radiatus  saepe  processit. 

2  Stephani  a.  a.  0.  458. 

3  Stephani  a.  a.  0.  494.     FXKraus  Roma  sotterr.  223. 

4  Deren  eine  ganze  Anzahl  Stephani  S.  465  ff.  zusammengestellt 
hat;  vgl.  namentlich  467  ff. 

5  Stephani  472.  Sogar  ein  Satyr  hat  eine  Strahlenkrone  auf  einem 
Vasengemülde  (Stephani  470).  Das  könnte  vielleicht  mit  Vorstellungen 
im  Zusammenhang  stehen,  wie  ich  sie  unten  S.  77  erörtert  habe. 


-     43     - 

reductis  in  aspednm  populus  errdbat.  Sollten  solche  Darstel- 
lungen nicht  auch  mit  den  Unsterblichkeitshoffnungen  der 
Mysten,  die  ja  0eoi  zu  werden  erwarteten,  —  ihre  Schau- 
stellungen beschäftigten  sich  ja  so  viel  mit  solchen  Hoff- 
nungen —  im  Zusammenhange  stehen?  Denn  mit  der  An- 
schauung von  der  Göttlichkeit  der  Seelen  der  Verstorbenen^ 
hängt  es  doch  deutlich  zusammen,  wenn  sich  in  der  That  Dar- 
stellungen finden,  auf  denen  die  Psyche,  der  heroisierte  Verstor- 
bene eine  Strahlenkrone  trägt.^ 

So  ist  denn  für  uns  auf  den  altchristlichen  Bildwerken 
der  Nimbus  und  Strahlenkranz  nicht  nur  bei  Christus  und 
den  Aposteln,  sondern  auch  bei  den  Heiligen  und  Seligen  als 
übernommen  aus  heidnischer  Kunstübung  durchaus  erklärt. 
Die  ersten  Bilder  derart  finden  sich  auf  den  Goldgläsern  der 
Katakomben,  die  frühestens  dem  3.  Jahrhundert  angehören 
sollen.^  Auch  da  sind  Heilige  dargestellt,  denen  von  Vögeln 
die  Strahlenkronen  gebracht  werden  oder  Christus  reicht  sie 
ihnen*;  späterer  Zeit  erst  sollen  alle  die  Bilder  angehören,  auf 
denen  die  Heiligen  und  die  Seligen  in  so  grofser  Anzahl  mit 


1  Mehr  darüber  s.  unten. 

2  Aus  den  ersten  christlichen  Jahrhunderten;  Stephan!  gibt  etliche 
an  S.  495  ff.  Auf  einer  etruskischen  Aschenkiste  ist  ein  bärtiger  Mann 
mit  der  Strahlenkrone  dargestellt,  der  eben  von  den  Ungetümen  der 
Unterwelt  niedergeworfen  wird.  Nur  mit  aller  Reserve  möchte  ich  der 
Erwägung  anheimgeben,  ob  nicht  die  pompeianischen  Wandgemälde 
nr.  969—971  bei  Heibig,  auf  denen  man  die  uimbusgeschmückten  Gestalten 
für  Lichtgottheiten  hält,  ähnlich  zu  erklären  wären.  Auf  einem  Stein 
oder  Felsen  sitzen  die  betreffenden  Gestalten  z.  T.  wehmütigen  Ausdrucks,  so 
viel  die  Abbildungen  Mus.  Borb.  XI  33  und  Pittur.  d'Erc.  II  65  zu  urteilen 
gestatten.  Die  Nimbuslosen  wären  wie  die  aufzufassen,  welche  auf 
den  attischen  Grabreliefs  und  Grabvasen  neben  dem  Verstorbenen  dar- 
gestellt sind. 

8  de  Waal  in  Kraus'  Real-Enc.  des  christl.  Altertums  II  496. 
Wenig  bei  V Schnitze  Katakomben  147.  Wie  in  heidnischen  Darstellungen 
der  Opfernde,  so  hat  jetzt  z.  B.  auch  der  Taufende  den  Nimbus  wie 
auf  dem  Goldglas  de  ßossi  Bullett.  crist  1876,  tav.  I.,  vgl.  Acta  Anthusae 
ed.  Useuer  (Analect.  BoUand.  XII  1893)  p.  17,  16  ff. 

4  FXKraus  Roma  sotterr.  224.  Es  wird  da  natürlich  schon  z.  T. 
die  Auffassung  bestimmt  durch  Sätze  wie  Apoc.  loh.  II  10  yivou  ttictöc 
axpi  0avdTou  Koi  biüciu  coi  töv  cxeqpavov  iff.  huf\c.  Darum  ist  so  oft 
gerade  das  Überreichen  des  Kranzes  dargestellt. 


—     44     — 

der  Strahlenkrone  dargestellt  sind.^  Aber  ob  es  berechtigt  ist, 
eine  Entwicklung  zu  konstruieren,  so  dafs  erst  Christus,  dann 
die  Apostel,  dann  die  Heiligen  u,  s.  w.  den  Nimbus  erhalten 
hätten,  oder  gar  ein  Kriterium  des  Alters  eines  Bildes  darin 
zu  finden,  dafs  ein  Martyr  oder  Heiliger  den  Nimbus  trägt, 
—  wie  es  gewöhnlich  geschieht  — ,  ist  doch  mehr  als  zweifel- 
haft. Dafs  am  häufigsten  Christus,  die  Apostel,  später  auch 
Maria  diesen  Schmuck  erhalten,  ist  ja  nur  natürlich.  Den 
Seligen  allen  schreibt  unsere  Apokalypse  die  Strahlenkrone  in 
deutlichster  Schilderung  zu,  einen  Kranz  wie  von  Narden- 
blüten,  und  ein  solcher  Blütenkranz  wird  oft  genug  in  den 
Katakomben  dargestellt:  es  können  recht  wohl  auch  da,  so- 
weit ich  es  beurteilen  kann,  gerade  Nardenblüten  gemeint 
sein.^  Sehr  oft  sind  diese  Blütenblätter  noch  um  die  Krone 
gezeichnet.  Jedenfalls  ist  es  sehr  wertvoll,  die  genaue  Be- 
schreibung solchen  Schmuckes  der  Seligen  aus  dem  2.  Jahr- 
hundert nun  zu  besitzen,  und  wenn  auch  die  Darstellung  der 
Kunst  erst  nach  längerer  Zeit  nachgefolgt  sein  könnte,  so  ist 
es  doch  schon  darum  unmöglich  bestimmte  Grenzen  zu  ziehen, 
weil  ja  diese  Dinge  aus  den  längst  vorhandenen  und  aus 
üblichen  antiken  Vorstellungen  und  Darstellungen  übernommen 
wurden,  freilich  vielleicht  an  verschiedenen  Orten  zu  verschie- 
dener Zeit.  Man  mufs  bedenken,  dafs  die  Datierungen  der 
altchristlichen  Bilder  einstweilen  jedes  Vertrauens  unwert  sind. 
'Die  Denkmäler  christlicher  Kunst,  deren  Wichtigkeit  man 
hüben  und  drüben  übertreibt,  können  ja  einen  Wert  für  die 
Geschichte  erst  dann  erhalten,  wenn  durch  Thatsachen  der 
Kirchen-  und  Dogmengeschichte  feste  Grenzen  für  sie  gesteckt 
sind.'  (Usener  Religionsgesch.  Unters.  286.)  Hier  ist  die 
Thatsache,  die  wir  festlegen,  die  Beschreibung  aller  Seligen 
mit  dem  Strahlenkranz  in  dem  Texte  des  2.  Jahrhunderts. 
Möchten  nun  auch  bildliche  Darstellurigen  dieser  Dinge  gerade 
in  Rom  später  erst  nachgefolgt  sein,  in  Ägypten  waren  jeden- 
falls diese  Anschauungen  schon  damals  vollständig  in  die 
Christengemeinde  übergegangen. 


1  Z.  B.  Garucci  II  tav.  11,  tav.  99,  101,  102,  103  u.  s. 

2  Z.  B.  Garucci  I  tav.  99. 


—    45     - 

und  noch  viel  weiter  erstreckt  sich  die  Übereinstimmung 
des  apokalyptischen  Himmelsbildes  mit  den  altchristlichen 
Darstellungen.  Der  Ort  der  Seligen  ist  auf  den  letzteren  als 
ein  Garten  dargestellt  mit  Rosen  und  Lilien  hauptsächlich 
aufser  anderen  Gewächsen,  schon  auf  den  Goldgläsern  der 
Katakomben^;  oft  sieht  man  Vögel  zwischen  den  Zweigen.^ 
Rosen  und  Lilien  auf  Grabsteinen  sollen  nichts  anderes  als 
den  Garten  der  Seligkeit  andeuten.^  Die  Seligen  selbst  sind 
in  langen  weifsen  Gewändern  dargestellt  mit  purpurnen  Streifen 
oder. sonstigem  Purpurschmuck,  auch  mit  Perlen  und  Blüteu- 
guirlanden  uud  sehr  oft  mit  dem  Nimbus  oder  einer  Strahlen- 
krone oder  einem  Blütenkranz.  Sie  haben  die  Geberde  der 
sog.  Oranten,  d.  h.  sie  beten  an  und  preisen  Gott.* 

Die  Übereinstimmung  zwischen  diesen  Denkmalen  der 
alten  Christen  und  der  Schilderung  des  neuen  Pergamentcodex 
kann  nicht  wohl  vollständiger  sein.  Und  während  jene  bis 
heute  nicht  sicher  datiert  werden  können,  haben  wir  in 
dieser  ein  Zeugnis  der  gleichen  ausgebildeten  Himmelsanschau- 
ungen aus  dem  2.  Jahrhundert,  ein  deutliches  Zeugnis  zu- 
gleich des  vollständigen  Übergangs  der  antiken  in  die  christ- 
liche Vorstellung.  Denn  das  Bild  der  Gerechten  und  die 
Farben  des  Landes,  in  dem  sie  in  ewigem  Lichte  selig  sind 
und  den  Herrn  preisen,  wie  sie  in  dem  Pergament  des  ägyp- 
tischen Grabes  geschildert  sind  und  wie  sie  die  Bilder  der 
Katakomben  unserem  Auge  zeigen,  stammen,  das  ist  augen- 
scheinlich, aus  uraltem  griechischem  Glauben,  echtem  Volks- 
glauben, der  von  den  wechselnden  Richtungen  der  Zeiten  un- 
berührt, bis  in  die  kleinsten  Züge  treu  bewahrt  wird.  Jedenfalls 
aber  kann  kein  Himmel  hellenischer  sein  als  der  dieser  Apo- 
kalypse des  Petrus. 

1  Z.  B.  Garacci  Vetri  tav.  IX. 

2  de  Rossi  Rom.  sott.  I  323  tav.  XII  s.  namentlich  III  tav.  I— III. 

3  de  Rossi  Bullett.  crist.  1868,  14. 

4  Diese  Gestalten,  auch  inmitten  des  Gartens,  sind  sehr  häufig, 
vgl.  bes.  auch  de  Rossi  Rom.  sott.  I  95  III  tav.  I.  Ganicci  storia  II 
tav.  11,  15,  34,  36,  45  ii.  s.  w.  105.  IV  242,  243,  244  u.  s. 


-     4G     - 

2. 
Das  Land  des  Todes  hatte  bei  den  ältesten  Griechen  nicht 
blofs  leuchtende  Farben.  Der  Gedanke  eines  unterirdischen 
Aufenthaltes  der  Verstorbenen  war  gewifs  fast  ebenso  alt  als 
die  Sitte  des  Begrabens.  Das  Grab  war  die  Wohnung  des 
Verstorbenen.  Schon  die  Herren  und  das  Volk  von  Mykenai 
haben  ihre  Toten  unter  die  Erde  gelegt  und  haben  ihnen 
fortdauernd  Opfer  gespendet,  weil  sie  glaubten,  dafs  ihre 
Seelen  aus  ihrem  dunkeln  Reiche  drunten  noch  mächtig 
wirken  könnten.  Nur  stumme  Denkmäler  lassen  uns  das 
erschliefsen ,  und  in  den  Gedichten  Homers  sind  nur  wenige 
Rudimente  solchen  alten  Glaubens  zu  erkennen.  Aber  in 
späterer  Zeit  und  in  anderen  Gegenden  deuten  auch  die  Litte- 
raturdenkmale  solche  Vorstellungen  an,  obgleich  der  home- 
rische Hades  nun  schon  fast  überall  die  lichte  Hoffnung  und 
die  finstern  Schrecken  des  Todes  zu  einem  einförmigen  Grau 
der  Resignation  gemischt  hatte.  Auch  in  Attika,  wo  erst  am 
Ende  der  sogenannten  Dipylonperiode  im  7.  Jahrhundert  die 
allgemeine  Sitte  des  Begrabens  derjenigen  des  Verbrennens, 
wie  sie  das  Epos  kennt  und  die  Bewohner  der  kleinasiatischen 
Küste  sie  lange  schon  übten,  Platz  machte^,  begegnen  uns 
hier  und  da  ältere  vom  Einflufs  des  Epos  noch  unberührte 
Anschauungen  von  Tod  und  Todesgottheiten,  die  in  jener  alten 
Sitte  wurzelten.  Den  Thanatos  im  schwarzen  Gewände,  den 
Herrscher  der  Toten,  erwartet  Herakles,  der  die  Alkestis  wieder 
zu  den  Lebenden  zurückführen  will,  zu  finden  wie  er  am 
Grabe  das  Blut  des  Opfers  trinkt.^     Gelegentlich  ist  es  Hades 


1  Brückner  Entwicklung  der  Bestattung  in  Attika  in  den  Sitzungs- 
berichten der  arch.  Ges.  zu  Berlin  1891,  Dezember,  im  Jahrbuch,  d. 
arch.  Inst.  VII  1892,  Anzeiger  19  ff. 

2  Eurip.  Alk.  843 ff.: 

^\ödjv  b'  övaKTtt  TÖv  |ne\d)UTTeuXov  vcKpObv 

Gdvarov  qpuXöEuj,  koI  viv  euprjceiv  öoküj 

TiivovTa  TOjLißou  irXridov  irpoccpaYUdTUJv. 

TTpocqpdTMOTa  in  singularischer  Bedeutung  wie  auch  Hek.  265  '€Xdvr)v  viv 

alxeiv    xP'lv    TÜcpuj    Trpoc(päY|uaTa.      Vgl.    Porson    zu   Eurip.   Orest.  1051. 

Robert  Thanatos,  39.    Winckelmannsprogram.  von  Berlin,   1879,  S.  32 


—     47     - 

selbst,  dem  'Sehnsucht'  zugesehrieben  wird,  Menschen  zu  Ver- 
schmausen'.^  Dieselbe  Anschauung  ist  es,  aus  der  heraus  Aus- 
drücke geprägt  sind  wie  "Aibou  ludYCipoc,  der  Metzger  des  Hades 
von  dem  menschenschlachtenden  Cyklopen,  d.  h.  der  das  Men- 
schenfleisch dem  Hades  zum  Schmause  bereitet.^  Und  von 
einem  Genossen  der  schrecklichen  Tafel  des  Todesgottes  stand 
in  einem  Stück  des  Aristias:^ 

cuvbeiTTVOC  f|  eTTiKUJiLioc  f|  pLala-fperac 
"Aibou  TpaneZieiJC,  aKpaiea  vribuv  exoiv. 
Die  beiden  letztern  sind  offenbar  Ausdrücke  volkstümlicher 
attischer  Sprache,  beide  standen  in  Satyrspielen.  Am  deut- 
lichsten wird  aber  diese  Vorstellung  durch  eine  Gestalt  des 
Unterweltsbildes  Polygnots  in  der  Lesche  zu  Delphi:  dort  war 
ein  Hadesdämon  Eurynomos  (ein  alter  Name  des  Unterwelts- 
gottes) gemalt,  von  einer  Farbe  zwischen  dunkelblau  und 
schwarz,  wie  die  Fliegen  aussehen,  die  sich  ans  Fleisch  setzen; 
er  zeigt  die  Zähne  und  sitzt  auf  einem  Geierbalg.  Er  fresse 
das  Fleisch  der  Toten  ringsherum  ab  und  lasse  nur  die  Knochen 
übrig.*     Pausanias  oder  vielmehr  sein  gelehrter  Gewährsmann 


erwähnt  diesen  Thanatos  nur  vorübergehend  und  scheint  seiner  Volks- 
tümlichkeit wenig  geneigt  zu  sein.  Ganz  ähnlich  wird  seine  Gestalt 
noch  in  dem  jüdisch -hellenistischen  Testament  Abraams  beschrieben, 
Texts  and  studies  II  2  p.  96  ff. 

1  Klytaimnestra  fragt  mit  Bezug  auf  den  Tod  der  Iphigenie 
in  Sophokl.  Elektr.  542 f.: 

f|  tOüv  eiaOüv  "Aibric  tiv'  i'iuepov  xdicvujv 

f\  TtJÜv  ^Keivr]c  ('€Xdviic)  Scxe  6a(cac0ai  TiXeov ; 

2  Eur.  Kykl.  397. 

3  Fr.  3  (Knpec)  N^. 

4  Pausan.  X  28,  7:  baijUDva  eivai  tujv  ^v  "Aibou  cpaciv  oi  AeXcpuJv 
eEriYriTtti  töv  €upüvo)nov  Kol  übe  räc  cdpKoc  irepieceiei  tüjv  veKpüJV 
inöva  ccpiciv  diroAeiiTiuv  Tct  öct«.  —  Kuavoö  Trjv  xpöav  ^le-zalv  ^cti  koi 
ln^Xavoc,  ÖTtolai  Kai  tu)v  lauiujv  eiciv  ai  -irpöc  rä  Kp^a  irpociZidvoucai,  xouc  be 
ööövTac  qpaivei,  KaGe^oin^viy  bä  (m^CTpuuTai  ol  6^piua  tuttöc.  Robert  Nekyia 
des  Polygnot,  Hall.  Winckelmannsprogr.  1892,  S.  8,  vgl.  S.  61,  dessen  Text- 
recension  der  Pausaniaspartie  ich  benutze,  schreibt  Xu-fKÖc.  Einem  Luchs 
bin  ich  in  solchem  Zusammenhange  noch  nicht  begegnet,  wohl  aber  vielen 
Geiern.  Wäre  wirklich  ö^pina  bei  einem  Geier  unmöglich,  so  dürfte  wohl 
gerade  Yuiröc  kaum  angetastet  werden.  Nun  findet  sich  aber  in  mittel- 
griechischer abergläubischer  Litteratur  €k  b^piaaroc  fvndc  Byzant.  Zeitschr. 


—     48     — 

haben  ihn  aus  der  Litteratur  nicht  gekannt.  Woher  soll  es 
aber  dann  Polygnot  haben,  wenn  nicht  aus  gewifs  noch  sehr 
lebhafter  Volksanschauung?  Deutlicher  kann  man  die  ur- 
sprüngliche Vorstellung  nicht  ausgesprochen  finden:  es  ist  die 
Erdtiefe  selbst,  deren  geöffneter  Rachen  den  Toten  verschlingt, 
das  Fleisch  frifst,  d.  i.  verwesen  macht  und  nur  die  Knochen 
übrig  läfst.  Nicht  etwa  als  allegorische  Gestalt,  als  *die  Ver- 
wesung' meine  ich  ihn  gedacht,  sondern  es  ist  echteste  refle- 
xionslose mythische  Anschauung.  Wie  gräfslich  einst  Fresser 
und  Fresserinnen  der  Unterwelt  gedacht  wurden,  mag  ein  Hin- 
weis auf  die  Gorgo  erläutern,  die  nach  alter  Meinung,  die  hier 
und  da  durchblickt,  im  Hades  hauste:  Odysseus  fürchtet,  dafs 
Persephone  das  Haupt  des  schrecklichen  Ungeheuers  aus  dem 
Hades  sende.^  Schreckhafte  Bilder  und  fürchterliche  Masken 
hatte  man  noch  später  von  vielen  chthonischen  Gottheiten, 
geheiligte  Überbleibsel  dieser  rohen  ursprünglichen  Anschauung 
von  den  Mächten  der  Unterwelt;  schreckliche  Masken  z.  B. 
vom  chthonischen  Dionysos^,  von  der  Demeter-Erinys  im 
Pheneos^  oder  der  Praxidike  in  Lykien.*  Die  Vorstellung 
von  dem  fressenden  Ungeheuer  der  Tiefe  heftete  sich  über- 
haupt vielfach  an  andere  Gottheiten,  wie  es  z.  B.  der  Kult- 
name der  Demeter  dbriqpdYOC  oder  des  Dionysos  uj)uriCTr|C  zeigt.^ 
In  der  Kinder-  und  Ammenstube  lebten  jene  grausen  Gestalten 
immer  noch   fort  als  Schreckmittel,  und  mit  deshalb  werden 


I  S.  560  Nr.  11.  Der  Geierbalg  wird  als  Schreibmaterial  benutzt.  Vgl. 
bei  Legrand  Bibliotheque  grecque  vulgaire  tom.  II  in  dem  mittelgriechi- 
schen iarpocoqpTov  des  loannes  Staphidas  p.  11,  Z.  308:  äTpioxivapiou 
öepjuav,  p.  15  Z.  435:  toO  äexoö  tö  6^p|ua  Tf\c  KeqpaXfjc. 

1  XI  663  |ur)  ,uoi  fopYeiriv  KeipaXi^iv  6eivoio  ireXiüpou  ü  "Aiöoc  tt^ih- 
xpeiev  ÖYauri  TTepcetpöveia.  Vgl.  Apollodor.  II  5,  12,  4.  Herakles  zieht  in 
der  Unterwelt  sein  Schwert  gegen  Gorgo,  wird  aber  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dafs  es  nur  ein  Schattenbild  ist.  So  nur  konnte  man  später 
die  Gorgo  in  der  Unterwelt  begreifen, 

2  Wiener  Vorlegebl.  XI  3.  Hermes  XX  123. 

3  Pausan.  VIII  15. 

4  Hesych  v.  TTpaubiKri.  Dies  und  mehr  bei  MMayer  arch.  Jahrb. 
VII  (1892)  S.  200  f. 

5  Polemo  fr.  39  Preller.  Vgl.  MMayer  arch.  Ztg.  43  S.  119  ff.,  be- 
sonders aber  Dilthey  Rhein.  Mus.  XXVII  419. 


-     49     - 

diese  Wesen  so  vielfach  zu  'kinderfressenden'  Unholden,  die 
uns  ja  in  grofser  Zahl  noch  wohlbekannt  sind.  Nur  eine 
Gestalt  aber  mag  in  diesem  Zusammenhange  zu  erläutern  ge- 
stattet sein,  da  ihr  ursprüngliches  Wesen  auch  in  den  neuesten 
Darstellungen  immer  noch  gänzlich  verkannt  wird.^  Der 
Kerberos  ist  von  Haus  aus  nichts  anderes  als  ein  fressendes 
Ungeheuer  der  Tiefe,  die  fressende  Erdtiefe  selbst  in  Gestalt 
eines  furchtbaren  Hundes.  Bei  Hesiod  (Theog.  311)  steht  Ke'p- 
ßepov  uj|aricTriv,  'Aibeuu  Kuva  xa^^KeoqpuJVOV.^  Aufserdem  heifst 
es  nur  einmal,  dafs  er  den,  der  heraus  will,  auffrifst,  wenn 
er  ihn  fafst  (Theog.  769  ff.)  ecGiei  ov  kg  Xdßrici  ttuXuüv  eKTOcGev 
iövra.  Die  wenn  auch  noch  so  rationalistisch  verunstaltete 
Erzählung  des  Philochoros^  von  dem  König  Aidoneus  und 
seinem  Hunde  Kerberos,  welchem  Peirithoos,  weil  er  des  Königs 
Tochter  Köre  entführen  wollte,  zum  Frafse  vorgeworfen  wird, 
macht  in  diesem  letzten  Punkte  unzweifelhaft  von  alter  Über- 
lieferung Gebrauch,  und  in  der  That  findet  sich,  wenn  auch 
erst  in  später  Zeit,  die  Erzählung  so  wie  gewöhnlich,  von 
der  Unterwelt,  von  Persephone  u.  s.  w.  mit  dem  Zuge,  dafs 
Peirithoos  dem  Kerberos  zum  Frafse  vorgeworfen  wird.^    Hätte 


1  Z.  B.  im  Artikel  Kerberos  in  Roschers  Lexikon. 

2  Über  die  chthonische  Bedeutung  von  xciXköc  und  damit  gebildeter 
Bezeichnungen  s.  de  hymn.  orph.  p.  43  f.  Ich  hätte  hinzufügen  können 
den  König  Chalkon  von  Kos,  Sohn  des  Eurypylos  und  der  Klytia,  der 
Tochter  des  Merops.  Er  stiefs  mit  seinem  Fufs  die  Quelle  Burinna  auf 
Kos  aus  dem  Felsen,  Theokr.  VII  6  mit  Schol.  Auch  die  xaXKf|  irapö^voc 
auf  dem  Grabe  des  Midas  (Plat.  Phaidr.  264<i)  gehört  dahin  (s.  u.).  Vgl. 
auch  Ps.-Aristot.  bei  Porphyr,  de  vit.  Pythag.  c.  41  töv  ck  xciXkoO  Kpouo- 
pdvou  Yivöjuevov  fjxov  qpujvifiv  eivai  tivoc  tüjv  6aipövu)v  4vairetXr]ppdvriv 
TU)  x^Xku)  u.  viel  ähnliches. 

3  fr.  45  u.  46  bei  Müller  FHG  p.  391.  Vgl.  Immisch  bei  Röscher 
11  1124. 

4  Tzetzes  in  Ar.  Ran.  142  (s.  Herwerden  in  der  gröfs.  Ausg.  des  OR 
p.  214):  0r)ceijc  koI  TTeipiGouc  cuveöevTO  dpTrdcai  ti*iv  TTepce9Övriv,  Ipüjxa 
cxövTOC  auTfic  ToO  TTeipieou.  KaxeXGövxec  ouv  ^v  tlu  "Ai&t;i  KaTecxeör^cav. 
Kai  6  ixiv  TTeipiGouc  luc  apTraE  toj  Kepßepui  Kaxdßpiupa  fifverai,  ©rjceuc 
6^  uüc  cuvepYÖc  äX\'  oux  äpiraS  KaxacxeGeic  ^6^0ri  ■  licrepov  bk  ktX.,  s.  Nauck 
Trag,  fragm.^  p.  547.  Das  mufs  aus  älterer  echter  Überlieferung  sein. 
Woher  hätte  Tzetzes  sonst  diese  Version,  die  bis  auf  die  rationalistische 
Verzerrung  genau  mit  dem  alten  Philochoros  stimmt? 

Dieterich,  Nekjia.  4 


-     50    — 

man  die,  wenn  auch  noch  so  thörichte  Deutung  des  Kerberos 
als  Kpeoßöpoc  überhaupt  vorgebracht,  wenn  man  nicht  dadurch 
wenigstens  eine  bekannte  Thätigkeit  des  Tieres  bezeichnete?^ 
Und  ebensowenig  wäre  man  darauf  gekommen,  ihn  als  den 
'Seelenfresser'  zu  erklären,  hätten  nicht  im  Volksglauben  solche 
Erklärungen  einen  Anlafs  und  Anhalt  gehabt.^  Wie  wäre  es 
auch  nur  möglich  gewesen  eine  rationalistische  Deutung  wie 
bei  Servius:  Cerberus  terra  est  et  consumptrix  omnium  corporum 
(zu  Aen.  VI  395)  auszusprechen,  wenn  man  nichts  anderes 
unter  dem  Tiere  gedacht  hätte  als  den  allenfalls  die  Ankömm- 
linge erschreckenden  Thorhund  der  Unterwelt  und  Hofhund 
des  Hades?  Man  wird  nun  auch  späte  Aasdrücke  nicht  bei 
Seite  schieben  wollen,  wie  wenn  z.  B.  bei  Plutarch  es  heifst, 
dafs  sich  fast  alle  gern  vom  Kerberos  zerfleischen  liefsen,  wenn 
sie  nur  am  Leben  bleiben  könnten.^  Auch  bei  Lukian  ist  mehr- 
fach das  Zerfleischen  durch  den  Kerberos  eine  Art  der  Peini- 
gung in  der  Unterwelt*,  und  am  deutlichsten  tritt  an  einer 
Stelle  des  Kataplus,  wo  es  sich  darum  handelt,  wie  ein  Tyrann 
in  der  Unterwelt  bestraft  werden  soll,  und  Rhadamanthys  fragt, 
ob  man  ihn  in  den  Pyriphlegethon  schleudern  oder  dem  Ker- 
beros vorwerfen  solle,  dann  aber  eine  ganz  neue  besondere 
Strafe  für  ihn  erfunden  wird,  da  tritt  unzweideutig  hervor, 
dafs  das  Zerreifsen  durch   den  Kerberos   etwas  in  der  Volks- 


1  Serv.  zu  Verg.  Aen.  VI  395,  VIII  297;  dazu  Mythogr.  Vatic.  I 
n.  57  (auch  myth.  II  n.  11)  unde  Cerberus  dicitur  quasi  Kpeoßöpoc  i.  e. 
carnem  voraus. 

2  K^pßepoc  irapct  tö  räc  xfipac  (ipux<ic)  ^x^iv  irpöc  ßopotv,  Porphyr, 
bei  Euseb.  praep.  ev.  III  11,8.  Schol.  Hesiod.  Theog.  311  (Flach  Glossen 
u.  Schol.  244,  vgl.  318,  391)  K^pßepoc  bi,  irapöcov  ol  Otto  ceicfaoO  Karairov- 
Ti2:6|aevoi  ßißpibcKOVTai  tö  K^ap,  fJTOi  ti^v  tpuxi'iv  Kai  Iv  "Ai6ri  KaTaTovrai. 
S.  Immisch  a.  a.  0.  S.  1131.  —  Plutarch.  de  fluv.  16,  1  heilst  es  K^pße- 
poc,  ov  Ivioi  KaXcöci  Ooßepöv,  Was  cpößoc  heifsen  kann,  habe  ich  Abraxas 
89  ff.  auseinandergesetzt,  qpoßepöc  wird  oft  von  Dingen  des  Hades  gesagt. 
Pap.  Paris.  265  Wess.  heilst  Typhon,  der  Unterweltsgott,  cpoßepöc,  v.  397 
wird  bei  dem  ixi-^ac  Ooßepöc  beschworen.  Barlaam  und  Joasaph  p.  280 
in  Boissonades  Anecd.  Graec.  IV  tragen  tiv^c  qpoßepoi  den  Schlafenden 
zum  Himmel  und  zur  Hölle. 

3  Plutarch.  Sri  oö6^  Z^fiv  ^cxiv  i'jbdujc  Kax'  'Gttikgupov  c.  27  p.  1105'"*: 
Tiu  Kepß^pu)  6ia&dKvec9ai. 

4  Nekyom.  c.  14:  X(|Liaipa  ecTrdpaTxe  xai  ö  K^pßepoc  ^bctp&aTTTev. 


-    51     - 

meinung  gewöhnliches  war,  wenn  auch  in  dieser  Zeit  als  Strafe 
und  Höllenpein.^ 

Im  Volke  also  war  die  alte  Anschauung  immer  bis  zu 
einem  starken  Grade  lebendig  geblieben  neben  der  ja  begreif- 
licherweise bald  herrschend  gewordenen  Auffassung,  nach  welcher 
vor  den  anderen  grofsen  Unterweltsherren  der  fürchterliche 
Hund  zur  Pforte  hatte  weichen  müssen  und  sogar  freundlich 
vor  dem  Ankömmling  die  Ohren  senkt.  Gerade  diese  Wand- 
lung und  Milderung  ist  für  den  kuujv  "Aibou   sehr  natürlich.^ 

Es  gab  noch  eine  ganze  Anzahl  ähnlicher  solcher  Vor- 
stellungen, wie  ich  sie  für  den  Kerberos  als  ursprünglich 
postuliert  habe.  Ich  erinnere  nur  an  den  Löwen,  der  die 
'^Seele'  verschlingt^:  so  hat  denn  auch  Kerberos  später  wohl 
einen  Löwenkopf  oder  Löwentatzen.*     Auch  die  Chimaira  ist 

1  Eatapl.  c.  27:  xiva  av  oOv  KoXacGeir]  xpöirov;  ap'  4c  töv  TTupi- 
qpX.eYeOovTä  4ctiv  ei^ßXriT^oc  f]  TrapaboT^oc  tuj  Kepßepuj;  KYN.  |aTiba|nOüc, 
äW  ei  GdXeic,  lyu)  coi  Kaivriv  xiva  koI  irpdiroucav  aöxiD  Tijuujpiav  uiroBri- 
cofiai.  —  Man  könnte  auch  noch  Stellen  wie  Lucan.  Pharsal.  VI  701  f. 
hinzufügen:  ianitor . .,  qui  viscera  saeva  spargis  nostra  cani.  Der  ianitor 
ist  da  ein  anderer  als  Cerberus,  aber  wohl  hier  kaum  Anubis  oder  Her- 
manubis  (Ettig  Acheruntica  407  addend.  ad  p.  279  adn.  2),  eher  neben 
Hekate  der  spätere  TaprapoCxoc  und  KXei5oOxoc  Typhon  (de  hymn. 
orph.  45  f.)  oder  der  später  typische  Thürhüter  Aeacus,  vielleicht  aber 
ein  allgemeiner  ianitor  Orci,  s.  Spiro  de  Eur.  Phoen.  Berl.  1884  p.  55,  82 
(Statins  Theb.  VI  498). 

2  'Hund'  vielfach  soviel  als  Diener,  s.  v.  Wilamowitz  Herakl.II  135; 
Immisch  bei  Röscher  II  1133.  Ob  aber  in  der  Bezeichnung  der  Keren, 
Erinyen,  Sphinx  u.  s.  w.  als  'Hunde'  der  Unterwelt  nicht  doch  noch 
etwas  anderes  liegt,  vgl.  Dilthey  arch.  Ztg.  1874,  78flF.,  s.  auch  Pap. 
Paris.  V.  1434  €ivo6(a,  küujv  la^Xaiva.  Wenn  Hekate  als  Hund  sogar  dar- 
gestellt wird,  vgl.  Hesych.  ä^aK\xa  'GKdTric  (Dilthey  Rhein.  Mus.  XXVII  394), 
so  hat  man  doch  vielleicht  an  alte  theriomorphe  Vorstellung  zu  denken, 
und  eins  der  Wesen,  die  in  der  späteren  Hekate  vereinigt  waren,  wird 
auch  eine  hundegestaltete  Fresserin  der  Unterwelt  gewesen  sein.  Die  Ra- 
dikalmetapher von  'Hund'  und  'Licht'  ist  mir  nicht  unbekannt,  Usener 
Rhein.  Mus.  XXIII  334 ff. 

3  Usener  de  carm.  Phoc.  p.  38  ff. 

4  Usener  a.  a.  0.  p.  39.  Z.  B.  auch  auf  der  Vase  Ruvo- Karls- 
ruhe 388.  Bellerophon  heifst  auch  Xeovxoqpövxric ,  Usener  a.  a.  0.  p.  40. 
Die  Überwindung  des  Kerberos  durch  Herakles  ist  ursprünglich  natür- 
lich auch  eine  Form  des  Kampfes  mit  dem  Unhold  des  Todes,  s.  Ettig 
Acheruntica  Anhang  I. 

4* 


-     52     - 

öfter  in  der  Unterwelt,  sie  zerreifst  die  Frevler  \  und  es  finden 
sich  noch  eine  ganze  Anzahl  Ungeheuer  dort  ein,  deren  ur- 
sprüngliches Wesen  freilich  recht  verschieden  sein  mag.  Die 
Vorstellung  aber  von  solchen  furchtbaren  Wesen  der  Unter- 
welt ist  bei  vielen  Völkern  in  derselben  Weise  ausgebildet 
wie  bei  den  Griechen.  Die  Inder  haben  ihren  grauenvollen 
Totengott,  der  selber  seine  Opfer  holt,  sie  haben  die  rdli- 
shasas  im  Totenreiche,  Riesen  schwarzer  Farbe  mit  rotem  Haar 
und  Bart;  sie  heifsen  atrin  die  Fresser.^  Auch  die  Ägypter 
haben  die  'Fresserin  der  Unterwelt',  ein  fürchterliches  Nil- 
pferd.^ In  einem  alten  ägyptischen  Gebet  heifst  es:  'o  Herr 
rette  den  Osiris  (d.  i.  den  Toten)  von  dem  Gotte,  der  die 
Herzen  verschlingt  und  sich  von  Leichen  nährt.'*  Bemerkens- 
wert genug  ist  es,  dafs  in  einem  orphischen  Hymnus  später 
Zeit  Hekate  angerufen  wird  Kapbiöbaire,  aiiiiOTTÖTi,  und  dabei 
steht  Mie  du  deine  Mahlzeiten  in  den  Gräbern  hast'  und  aufserdem 
ein  Epitheton,  das  uns  ganz  besonders  wichtig  ist,  capKoqpdxoc.^ 


1  Lukian.  dial.  mort.  XXX  1  6  ju^v  Xr)CTi^c  oÖTOci  CujCTparoc  kc  töv 
TTupiqpXeY^öovTa  d)ußeßXric0uj,  ö  &'  iepöcuXoc  üiiö  rfic  Xijuaipac  öiacira- 
cör|TU),  6  hk  TÜpavvoc  — .  Nekyom.  14  Xi|Liaipa  ^c-rrctpaTTe.  Vgl.  Vergil. 
Aen.  VI  288  u.  s.  —  Auf  ebensolche  Ungetüme  bezieht  sich  auch  Aristoph. 
Frösche  473  ff.,  s.  u. 

2  Jedoch  die  zwei  Hunde  der  indischen  Unterwelt  von  der  Er- 
klärung des  griechischen  Kerberos  fernzuhalten,  scheint  mir  sehr  richtig 
(Rohde  Psyche  280,  Immisch  bei  Röscher  I  1134);  nur  die  mythische 
Grundanschauung  ist  auf  beiden  Seiten  dieselbe  oder  doch  sehr  verwandt, 
8.  Zimmer  altindisches  Leben  421  f. 

3  Wiedemann  Religion  der  alten  Ägypter  131.  —  Bekannt  sind 
auch  die  schrecklichen  Unterweltsungetüme  der  Etrusker,  der  gräuliche 
Charun  u.  dgl.,  s.  Müller-Deecke  Etrusker  II  102  ff.  Ebenso  ist  aufzu- 
fassen die  nordische  Schlange  Nidhöggr,  nicht  wie  SBugge  Studien  über 
die  Entstehung  der  nord.  Götter-  u.  Heldensagen,  deutsche  Übers,  von 
Brenner,  S.  483  ff.  unklar  genug  auseinandersetzt;  er  stellt  den  Hergang 
gerade  auf  den  Kopf. 

4  S.  Ettig  Acher.   S.  279 ,  2.     'Herz'    heifst  im  Ägyptischen   gan 
direkt  'Leben'. 

5  Orph.  Hymn.  p.  294,  47 ff.  Abel  (Pap.  Paris.  2854 ff.): 

veprepia  vuxict  t'  di&ujva{a  ckotio  t€, 

ficuxe  Kai  bacuXriTi,  rdqpoic  ?vi  öalrac  ^xouca, 

vOH,  fpeßoc,  xtüoc  eöpCi . 


—     53     - 

Das  ist  ganz  die  uralte  Anschauung,  die  wir  von  der  Todes- 
gottheit kennen  lernten.  Da  tritt  sie  wieder  hervor,  wie  in  dem 
alten  Glauben,  so  in  den  späten  dem  Volke  nahestehenden 
Liedern.  Brauche  ich  noch  zu  sagen,  woher  die  Bezeichnung  cap- 
KoqpdYOC  für  das  kleine  Haus  des  Toten  kommt,  in  dem  sein 
Fleisch  verwest?  Es  ist  ja  nur  die  Auskleidung  jener  Grube, 
des  schwarz  sich  öffnenden  Maules  des  fleischfressenden  Todes- 
ungeheuers. Das  Histörchen  von  einem  Stein,  der  zuerst  sar- 
cophagtis  genannt  sei,  weil  er  die  Leichen  schneller  verwesen 
mache,  ist  natürlich  ein  ätiologischer  Einfall  später  Zeit.^ 
Wir  haben  in  unserem  *  Sarkophag'  und  *Sarg'  noch  ein 
Rudiment  urältester  griechischer  mythischer  Anschauung. 

Jene  ältesten  und  rohesten  Formen,  in  denen  man  die 
Schrecken  des  Todes  und  des  Grabes  erfafste,  auch  sie  sind, 
wie  wir  sehen,  nie  wieder  aus  dem  Volksbewufstsein  ent- 
schwunden, das  den  Hades  immer  mit  allerlei  Schrecknissen 
und  furchtbaren  Untieren  bevölkerte."^  So  sind  dort  nach 
Aristophanes  Fröschen  öcpeic  Kai  Gnpia  )iupia  (v.  143),  beivct 
Gripia  (278) ,    im  Axiochos  z.  B.  sind   die  zu  Strafenden  Gripci 


V.  53  (2864 ff.): 

ai.uoTTÖTic,  BavoTiiY^,  cpGopriTÖve,  Kapbiöbaire, 
capKoq)CtTOC,  KoirerÖKTUTr',  äuupoßöp',  olcTpoirXdveia  — . 
V.  48  war  baiToc  gelesen;  Wessely  hat  im  Texte  bana,  bemerkt  aber 
in  der  Anmerkung  nichts  dazu.  Falls  hana  dasteht,  ist  es  in  diesen 
Versen  zu  halten,  s.  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XVI  S.  778.  In  der  merk- 
würdigen &iaßoXirj  irpöc  CeXriviiv  (=  'GKäxTiv)  heilst  es  im  Pariser  Papyrus 
V.  2654 ff.: 

11  öeivü  ce  bebpaKivax  tö  irpäTiuia  toöt'  JAeHev, 
KTUveiv  fäp  avGpujTTÖv  c'  ^qpr]  irieiv  xe  ai^a  toütou, 
cdpKoc  qpaYeiv  iiixpriv  x€  criv  X^fei  xä  evxep'  auxoO 
Kai  6^pm'  ^Xeiv  öopKric  ctirav  — , 
einem   kunstvollen   Beschwörungsgedicht   von    einigen    30    Versen,    das 
den  Versuch  einer  Herstellung  und  eines  eingehenden  Kommentars  wie 
wenige  verlohnte.  —  Beschwörung  an  Zfjiüpva,  ebenda  v.  1504:   if(u  6e 
X^TW  ce  capKoqpÖTOV  Kai  (pXoTiKfiv  xfic  Kapbiac  kxX. 

1  Plin.  n.  h.  II  216.    XXXVI  131. 

2  Bei  den  Neugriechen  wird  mancherlei  von  schauerlicher  Mahl- 
zeit des  Charos,  ihres  hauptsächlichen  Todesgottes,  erzählt,  B.  Schmidt 
Volksleben  der  Neugriechen  246.  Schon  ein  späteres  altgriechisches  Epi- 
gramm (647,  16  Kaibel)  nennt  den  Toten  Xunpiiv  öalxa  Xctpujvi. 


-     54     - 

7T€piXiXMijO|uevoi  (p.  372*),  und  auch  in  der  Petrusapokalypse  ist 
ja  ein  Ort  gefüllt  mit  ^pireTd  rrovripd  (v.  25)  und  mit  öripia 
und  CKUuXr|Kec,  die  den  Verdammten  die  Eingeweide  fressen 
(v.  27);  auch  sie  dienen  nun  zur  Strafe  und  Qual.  Das  Fragment 
der  bei  Clemens  citierten  Petrusapokalypse  (ecl.  49,  s.  oben 
fragm.  II  S.  11)  redet  gar  von  Gripia  Xeirict  capKOcpdtYa,  die  aus 
den  zu  peinigenden  Weibern  selber  hervorgehen  und  sie  dann 
auffressen.  Das  ist  doch  auch  in  letzter  Linie  entnommen 
von  dem,  was  im  Grabe  mit  dem  Menschenleibe  vorgeht:  die 
Würmer  fressen  sein  Fleisch. 

1» 

3. 

Solche  Schreckensbilder  freilich  waren  den  homerischen 
Sängern  fremd:  da  verzehrte  die  reine  Flamme  den  toten  Leib, 
und  nur  die  schattenhafte  Seele  schwirrte  hinab  in  das  düstere 
Königreich  des  Hades  und  der  Persephone.  Und  doch  gibt 
es  auch  für  sie  noch  ganz  andere  Wesen  in  der  Tiefe.  Zwei- 
mal stehen  in  den  Schwurformeln  zur  Bezeichnung  des  unter- 
irdischen Reiches  geradezu  die  Erinyen. 

II.  III  276  f.: 

'HeXioc,  öc  TTOtvi'  eqpopqic  Kai  ttoivt'  cTraKoüeic 

Ktti  TToxaiLioi  Ktti  faia  Kai  o'i  uTrevepBe  Ka|aövTac 

dv9pa)Trouc  Tivuc9ov,  ötic  k'  eiriopKOV  ojuöccr]. 

IL  XIX  258: 

icTUJ  vOv  Zeuc  TTpÜJTa,  9ea)v  uTraxoc  Kai  dpicroc, 
ffi  re  Kai  'HeXioc  Kai  'Gpivuec,  ai  6'  uttö  töiöv 
dv0pa)Trouc  xivuvxai,  öxic  k'  erriopKOV  öjaöcci;]. 

Diese  beidemale  fast  gleiche  Formel  zeigt,  wie  es  auch  die 
übrigen  Teile  des  Schwurs  bestätigen,  dafs  sie  aus  einer  Zeit 
anderer  Anschauungen  als  feste  Überlieferung  behalten  in  die 
homerische  Welt  eigentlich  nicht  pafst.^  Helios  und  Gaia  und 
die  Erinyen  sind  die  drei  grofsen  Mächte.  Das  Merkwürdigste 
aber:  hier  ist  eine  Strafe  in  der  Unterwelt  vorhanden  für  den 
Meineidigen.  'Er  verfällt  den  Höllengeistern,  denen  er  sich  selbst 
gelobt  hat.'     Aber  man  darf  nicht  sagen,  es  habe  für  keinen 


1  Rohde  Psyche  60. 


-     55     - 

auclereri  Frevler  solche  Strafe  gegeben,*  Die  Erinyen  rächen 
Mord,  Vergehungen  gegen  Familienrecht,  namentlich  den  Frevel 
der  Kinder  gegen  die  Eltern^,  freilich  auf  der  Oberwelt  im  Leben, 
wie  sonst  auch  den  Meineid.^  Wir  wissen  ja,  was  die  Erinys 
ursprünglich  ist:  'die  zürnende  sich  selbst  ihre  Rache  holende 
Seele,  die  erst  in  späterer  Umbildung  zu  einem  den  Zorn  der 
Seele  vertretenden  Höllengeist  geworden  ist'.*  Ahnlich  ist  es 
mit  den  Keren  (ursprünglich  bedeutet  ihr  Nanie  'Seelen'),  die 
ihnen  so  ähnlich  geschildert  werden.  Wieder  sind  es  nach- 
homerische, besonders  attische  Dichter,  die  ältere  rohere  Auf- 
fassungen durchblicken  lassen.  Die  Erinyen  schlürfen  das 
Blut  aus  den  Gliedern  der  noch  Lebenden  ebenso  wie  die 
Keren,  beide  verfolgen  in  gleicher  W^eise  die  Frevler,  wir 
hören  von  den  herznagenden  Keren;  Kfjpec  '€pivuec  bezeichnet 
geradezu  dieselben  Wesen. "^  Nehmen  sie  da  nicht  auch  die- 
selbe Art  an  wie  die  Todesungeheuer,  von  denen  wir  oben 
sprachen?*^     Freilich   werden  die  Erinyen  wie  die  Keren  da- 

1  Rohde  a.  a.  0.  60. 

2  n.  IX  454.    Od.  II  135.  XI  278. 

3  Hesiod  Erg.  802  f. 

4  Rohde  Psyche  247.    Er  verspricht  darüber  einen  Anhang. 

5  Die  Erinyen  schlürfen  Blat,  verfolgen  die  Spur  des  Blutes,  Aisch. 
Enmen.  264,  vgl.  254  (bcpii]  ßpoxeiiuv  aijudTUJv  jue  irpocTeXö),  Agam.  1189. 
Weiteres  bei  Dilthey  arch.  Ztg.  1874,  83  f.,  Rohde  Psyche  246.  Die  Keren 
bluttrinkend  bei  Hesiod  Schild  des  Her.  251  ff.  Keren  und  Erinyen  mit 
gleichen  Ausdrücken  Hes.  Theog.  217,  Eurip.  El.  1252.  Kfjpec  '€pivüec 
Aisch.  Sept.  1055,  s.  Crusius  bei  Röscher  H  1163. 

6  Ker  war  auf  dem  Kypseloskasten  mit  Krallen  dargestellt,  Paus. 
VI  9,  1;  mit  Zähnen,  Krallen  u.  ä.  öfter  auch  die  Harpyien,  Lamien  u.  a., 
s.  MMayer  arch.  Ztg.  1885  Taf.  7,  2,  vgl.  die  Figur  auf  einer  schwarz- 
figurigen  etruskischen  Vase  in  Berlin  (Furtwängler  2157).  Über  solche 
alte  Vorstellungen  eines  Todesvogels  hat  MMayer  Hermes  XXVII  481  ff. 
mancherlei  zusammengestellt  im  Anschlufs  an  die  Darstellung  eines 
grofsen  Vogels  mit  weiblichem  Menschenantlitz  auf  einer  altkorinthischen 
Aryballos  und  der  Inschrift  Fouc  (er  zieht  herzu  Etym.  magn.  irujüYTec" 
ai  aiOuiai).  Auch  die  Sirenen  und  ihre  ähnliche  Darstellung  bespricht 
er  (Eur.  Hei.  168  xOovöc  KÖpai,  Soph.  fragm.  777  N^  Ceipfivac  .  .  Opcouvre 
Touc  "Ai6ou  vö|uouc);  über  die  Sirenen  auf  Gräbern  Weifshäupl  Die  Grab- 
gedichte der  griech.  Anthologie  in  den  Abhandlungen  des  arch.  epigr. 
Seminars  der  Universität  Wien  VII  81  f.;  auf  Unterweltssarkophagen: 
OJahn  Sitzungsber.  der  sächs.  Akad.  d.  Wiss.  1856,  283 f. 


—    56     — 

mals  vielfach  als  durch  die  Lüfte  fahrend  gedacht,  sie  raffen, 
die  sie  verfolgen,  durch  die  Luft  fort.^  Das  ist  ursprünglich 
der  schwärmende  Totenzug,  die  wilde  Jagd^;   es  ist  ja  über- 


1  Die  Harpyien,  die  durch  die  Luft  dahinraffenden  Todesgöttinneu 
sind  mit  den  Erinyen  nahe  verwandt,  s.  bes.  Aisch.  Eumen.  50.  Ich 
glaube  nicht,  dals  Rohde  65  f.  recht  hat,  wenn  er  meint,  das  Eatrafft- 
werden  durch  die  Harpyien  bei  Homer  sei  eine  Entrückung  Lebender. 
Od.  I  235  ff. :  die  Götter  haben  ihn  äicxov  gemacht  d.  h.  eben  in  den 
"Aibric  geschafft.  'Denn  ich  würde  mich  nicht  —  gestorben  wäre  er 
freilich  dann  auch  (6avövTi  uep)  —  so  betrüben,  wenn  er  in  Troja  ge- 
fallen oder  nach  dem  Kriege  zu  Hause  gestorben  wäre.  Dann  hätten 
ihm  die  Achaier  ein  Grab  gemacht  und  er  hätte  seinem  Sohne  viel 
Ruhm  erworben,  nun  aber  haben  ihn  äK\enJuc  die  Harpyien  dahingerafft.' 
Also  gestorben  ist  er  auch,  aber  ohne  dafs  jemand  weifs  wo  und  wie, 
ohne  dafs  ihm  jemand  noch  hat  Liebe  und  Ehre  erweisen  können. 
Über  seinen  Tod  aber  würde  sie  sich  nicht  so  betrüben,  wenn  er  in  der 
Schlacht  oder  auch  zu  Hause  geehrt  gestorben  wäre.  Wenn  Penelope 
Od.  XX  61  ff.  sich  wünscht,  dafs  sie  entweder  der  Pfeil  der  Artemis  gleich 
töte  'oder  nachher'  (f|  eireira)  ein  Sturmwind  sie  entraffe  zur  Mündung  des 
Okeanos,  so  ist  doch  nicht  ein  Gegensatz  zwischen  schnell  sterben  und 
durch  die  Harpyien  entführt  werden,  also  nicht  sterben,  sondern  zwischen 
zwei  Arten  des  schnellen  Sterbens:  wenn  jenes  nicht  sein  kann,  dann  — , 
vgl.  V.  79.  80.  kot'  fiepöevxa  K^\eu6a  und  ^v  upoxoric  äv|Joji()öou  'QKcavoio 
sind  ja  doch  so  recht  die  Bezeichnungen  für  den  Todesweg  und  das 
Totenreich.  Deutlich  auch  von  den  Harpyien  bei  der  Geschichte  von 
den  Pandareostöchtem  XX  78  Kai  ^'  g&ocav  CTUYepficiv  '€pivuciv  6)1191- 
■noKevew  d.  h.  sie  brachten  sie  in  den  Hades  (s.  0.).  Schneller  ruhmloser 
Tod  ist  es,  den  die  Harpyien  bringen ;  aufser  bei  Odysseus  werden  sie  nur 
bei  Frauen  genannt. 

2  Die  Vorstellungen  vom  wilden  Heer  und  seiner  Beziehung  zum 
bakchischen  Schwärm,  von  der  Jägerin  Erinys,  dem  Oiacoc  der  Eumeniden, 
der  ßdtKxri  '€pivüc  u.  s.  w.  hat  meisterhaft  Dilthey  in  der  arch.  Ztg.  1874, 
82  ff.  auseinandergesetzt.  Die  gemeinsamen  Wurzeln  dieser  verschiede- 
nen Vorstellungen  findet  er  in  der  Unterwelt.  —  In  den  Kreis  der  Toten- 
dämonen gehört  auch  der  MeXioöxoc,  den  die  kyprischen  Bleitäfelchen 
in  den  Proceedings  of  biblical  archaeology  XXllI,  1891,  S.  174  ff.  (I  32  u.  s.) 
und  die  Zauberpapyri  (pap.  Mimaut  v.  45  Wess.  wird  durch  die  kypri- 
schen Täfelchen  herzustellen  sein ;  aufserdem  auf  der  Bleitafel  von  Ale- 
xandria, Rhein.  Mus.  XVIII  563,  Z.  12  pap.  Brit.  XL  VI  5  "H\ie  MiOpa 
Cdpam  äviKrixe  MeXioOxe  MeXiK^pxa,  XLVII  33  Caßauüö,  MeXioOxe  xOpawe) 
uns  bekannt  gemacht  haben.  niXea  heifst  das,  was  sichtbar  vom  Men- 
schen übrig  bleibt,  wenn  er  gestorben  ist,  z.  B.  Aisch.  Eumen.  264  f.  äXX' 
dvTiöoOvai   bei   c'   öttö   Kuvtoc  f)oqpelv   ^puOpöv   ^k  neX^iuv  ireXavov   im 


-     57     — 

haupt  alter,  lange  festgehaltener  Glaube,  dafs  die  Seeleu  in 
der  Luft  weileu.  Als  nun  aber  diese  Geister  in  jenes  dunkle 
Reich  der  Tiefe  versetzt  waren,  führten  sie  auch  da  ihr  Rache- 
und  Strafamt,  bald  zu  immer  allgemeineren,  von  der  ursprüng- 
lichen Vorstellung  losgelösten  Höllengeistern  geworden.  So 
sind  sie  es  schon,  um  nun  darauf  zurückzukommen,  in  den 
Eidesformeln  bei  Homer,  und  wenn  sie  da  den  Meineid 
strafen  —  doch  schon  ein  allgemeineres  Strafamt  gegenüber  der 
Rache  für  Mord,  welche  die  zürnende  Seele  des  Ermordeten, 
seine  Erinys,  ursprünglich  selbst  sich  schaffte  — ,  so  werden  sie 
auch  in  den  Anschauungen,  die  so  fremd  und  vereinzelt  in 
die  homerischen  hineinragen,  den  Mord  und  schwere  Ver- 
brechen gegen  Familienrecht  geahndet  haben.  Sie  sind  da  so 
sehr  Repräsentanten  der  Unterwelt,  dafs  z.  B.  Ibocav  'GpivOciv 
djLiqpiTToXeueiv  —  an  einer  Stelle,  die  offenbar  gleiche  ältere 
Anschauungen  zur  Schau  trägt  (Od.  XX  78)  —  nichts  anderes 
heifst  als  'sie  brachten  in  die  Unterwelt'.  Jedenfalls  sehen 
wir,  in  wie  alter  Zeit  man  sich  schon  strafende  Höllengeister 
dachte,  und  wir  konnten  wenigstens  andeuten,  wie  diese  Ge- 
stalten entstanden  sind. 

Sie  sind,  heifst  es  nun  z.  B.,  den  Toten  und  den  Lebenden 
zur  Sühne  geboren,  sie  kommen  durch  das  x^cjua  aus  der 
Unterwelt  herauf  den  Frevler  zu  holen,  sie  führen  den  Frevler 


Chor  der  Eameniden.     Eurip.  El.  1227  KciXuitTe   |u^Xea  juarpöc,  Suppl.  70 
v6Ku'  ctiacpißaXeiv  XuTpä  |ie\r|,  u.  s.,  Epigr.  Kaibel  104^: 

äXXä  TU  |uev  KeuBei  mKpä  kövic  d|aq)ixu6eica,  > 

v|juxnv  ö'  ^K  iJeXduJv  oöpavöc  cOpüc  ixei. 
Pap.  Paris,  v.  1525  [ir[be  biä  tujv  )ueXAv,  äXXö  6ict  rfic  Mjuxnc  (ein  ursprüng- 
lich mehr  philosophischer  Aasdruck  für  das  gleiche  ist  CKfivoc  z.  B. 
Pap.  Par.  1951  toö  ßioöavdTou  uveüjuaTOC  oGirep  dirö  cktivouc  Kar^xi"  i^fX. 
u.  ö.).  MeXioöxoc  also  ist  der  die  |i^Xri  hat,  der  recht  eigentliche  Grabes- 
und TodesdämoD,  gewifs  gedacht  -wie  die  oben  besprochenen.  Andeuten 
will  ich  nur,  dafs  ich  auf  dieselbe  Weise  den  MeX^atpoc  erkläre.  "Wer 
sich  des  Meleagros  iu  der  Unterwelt  erinnert,  die  Vorstellungen  von 
den  Todesgottheiten  als  Jägern  und  Jägerinnen  bedenkt  ('A-fpiuivia  sind 
ein  Totenfest  in  Argos,  Hesych.  NeKucia,  auch  Zagreus  hat  man  als 
'Erzjäger'  erklärt),  -wer  sich  überhaupt  in  den  von  Dilthey  erschlossenen 
Kreis  von  Vorstellungen  versetzt  hat,  wird  die  Erklärung  nicht  für  zu 
gezwungen  ansehen. 


—     58     - 

hinab  zu  seiner  Strafe.^  In  der  Unterwelt  aber,  wo  immer 
mehr  ihr  ständiger  Platz  ist,  sind  sie  recht  eigentlich  Diene- 
i'innen  zur  Vollstreckung  der  Strafen.^  So  heifsen  sie  dann 
später  vielfach  TToivai,  auch  auf  den  unteritalischen  Unter welts- 
bildern  ist  das  beigeschrieben  ^,  und  im  Axiochos  ist  von  den 
TToivai  mit  ihren  Fackeln  in  der  Unterwelt  die  Rede  (372*). 
Fackel  nämlich  und  Geifsel  sind  später  ihre  ständigen  Attri- 
bute, namentlich  auch  auf  den  ebengenannten  unteritalischen 
Unterweltsdarstellungen.  Da  steht  z.  B.  eine  Erinys  über  dem 
Sisyphos  die  Geifsel  schwingend,  mit  der  sie  ihn  antreibt.* 
Auf  einem  anderen  Vasenbild  fesselt  eine  Erinys  den  Peirithoos, 
Theseus  liegt  schon  gefesselt  da;  ihr  Antlitz  ist  deutlich  geier- 
artig gemalt  und  erinnert  sehr  an  gewisse  ursprüngliche  Vor- 
stellungen von  Todesdämonen. ^  Diese  Darstellungen  haben, 
wie  unten  noch  besprochen  werden  wird,  den  engsten  Zusammen- 
hang mit  orphisch-pythagoreischen  Lehren;  als  ein  Ausspruch 
des  Pythagoras  wird  es  angeführt,  dafs  die  Erinyen  die  unge- 
reinigten Seelen  der  Abgeschiedenen  in  unzerbrechlichen  Fessehi 
halten.*^ 

Mit  den  Fackeln  der  TToivai  werden  die  zu  Strafenden  im 
Axiochos  immerwährend  gebrannt,  und  in  späteren  Unterwelts- 
beschreibungen werden  fast  immer  die  Geifseln  (|udcTiTec)  er- 

1  AiBch.  Eumen.  321  f.: 

fiörep,  ä  |Li'  gxiKTec,  &  laäxep 
NOH,  äjuaupoTci  Kai  beöopKÖciv  iroiväv. 
264  ff.: 

äW  ävTi&oövai  6ei  c'  änö  Züjvtoc  jioqpeiv 
ipu6pöv  ^K  |Lie\^ujv  TT^Xavov  dirö  bk  coö 
ßocKOv  qpepoijuav  tf[h  TTUüjaaToc  öucttötou  • 
Kol  2u»VTd  c'  icxvdvac'  ÖTTdEoiuai  kötuu, 
dvTiTTolv'  lue  TIV13C  laaxpoqpövou  60ac. 
Vgl.  auch  Crusius  in  Roschers  Lex,  II  1163  u.  s. 

2  Rosenberg  Erinyen  72  ff. 

3  Wiener  Vorlegebl.  Ser.  E,  Taf.  II,  vgl.  z.  B.  Lukian  de  luct.  c.  VI 
'6pivüec  Kol  TToivai  Kai  0ößoi  (über  Oößoi  Abraxas  89  ff.).  Prokl.  Hymn. 
VII  41  ^lyeSavalc  TToiviriav  eXcup  koI  KÜpjna  yev^cOai  xeijaevov  kv  bairdboiciv. 

4  Wiener  Vorlegebl.  Ser.  E,  Taf.  I,  vgl.  Taf.  U. 

5  Wiener  Vorlegebl.  Ser.  E,  Taf.  VI  4. 

6  L  Diog.  VIII  31. 


-     59     - 

wähnt,    wenn    auch    nicht    immer    ausdrücklich    die    Erinyen 
genannt  sind.^ 

Freilich  sind  an  die  Stelle  dieser  Erinyen  später  vielfach 
bai|iiovec  getreten,  die  dieses  Amt  der  Strafe  oder  Peinigung 
versehen.  Dämonen  im  Sinne  der  späteren  Dämonologie  hat 
es  für  uns  erkennbar  vor  Piaton  nicht  gegeben.-  baiuovec 
waren  Götter,  und  die  Verstorbenen  wurden  nach  altem  Glauben 
bai)aovec.  Seit  Piaton  waren  dann  baiuovec  Seelen  der  Abge- 
schiedenen oder  Mittelwesen  zwischen  Göttern  und  Menschen. 
Zwischen  guten  und  bösen  Dämonen  zu  scheiden,  wie  es  z.  B. 
Xenokrates,  der  die  Dämonologie  Piatons  weiterbildete,  aus- 
drücklich that,  war  nur  zu  natürlich:  einerseits  waren  die 
baiuovec,  die  göttlich  gewordenen  Seelen,  schon  bei  Hesiod  zu 
guten  Wächtern  der  Menschen  geworden,  andererseits  konnten 
die  Seelen  nach  allgemeinem  Glauben  mächtig  schaden;  man 
versöhnte  sie  und  opferte  ihnen.  Man  sieht  noch,  wie  aus 
solchen  Faktoren  die  Strafdämonen  des  Hades  geworden  sind: 
in*  Piatons  Phaidon  p.  113^  bringt  jeden  sein  baijLUJUV  zur 
Unterwelt  und  zum  Gericht.  Ungefähr  dasselbe  bedeutet  die 
MoTpa  ebenda:  toutouc  r\  iipocriKOUca  MoTpa  piTTiei  eic  töv 
Tapiapov,   Ö9ev  ounoie  eKßaivouciv.^    Wenn  Kyros  in  der  Ab- 


1  Lukian  ver.  bist.  II  c.  26  u.  c.  29,  Nekyom.  c.  14,  Verg.  Aen.  VI  570, 
Ovid.  Met.  IV  452,  Sen.  Herc.  für.  989  u.a.  Die  römischen  Furiae  sind 
ganz  die  griechiscben  Erinyen:  selbständige  Furien  in  der  Litteratur 
gibt  es  nicbt  und  sie  sind  aucb  nicbt  irgendwie  über  die  griechischen 
Erinyen  hinaus  weiterentwickelt.  Von  dem  ursprünglichen  Wesen  der 
römischen  Fnriae  wissen  wir  nichts.  Man  brachte  den  Namen  später  mit 
furere  zusammen  (Maviai).  Cic.  de  nat.  deor.  III 18,  46  identificiert  Furiae 
und  Erinyes  in  einer  Weise,  die  zeigt,  dafs  dieselbe  noch  nicht  geläufig 
war.  Auf  Furrina  und  ihren  Hain  als  aXcoc  '€pivuu»v  kam  man  wohl 
blofs  durch  den  Gleichklang.  Etwas  altrömisches  aber  ist  die  Vorstel- 
lung von  den  Larvae,  den  Geistern  böser  Menschen,  die  in  der  Unter- 
welt die  Menschen  quälen,  Plin.  n.  h.  I  praefat.  10;  Sen.  apocol.  IX  dedi 
Larvis  et  . . .  vapulare  placet.  Plut.  quaest.  Rom.  51  spricht  von  Adprixec 
dpivuuOöeic  Tivec  Kai  ^Toivl^ol  6ai|J0V6c  eiricKOTroi  ßieuv  koI  oikujv.  Bei  Dion. 
Hai.  II  72  (KoXoOiaevoi  irap'  "€XXiiciv  '€pivÜ€c)  werden  sie  auch  gemeint  sein. 

2  RHeinze  Xenokrates  91  ff. 

3  Ich  wöfste  das  am  besten  zu  erläutern  durch  die  Moipa  in  der 
Pistis  Sophia,  den  Todesgeist  des  Einzelnen,  der  als  der  böse  Feind 
inmier  hinter  ihm  geht,  p.  345,  47,  50  u.  s.    So  hat  im  ersten  Leidener 


—     60     — 

schiedsrede  an  seine  Söhne  bei  Xenophon,  wo  er  von  der 
Unsterblichkeit  der  Seele  spricht,  die  Seelen  der  Ermordeten 
die  Mörder  mit  Schrecken  erfüllen  läfst^,  so  klingt  da  deut- 
lich die  alte  Vorstellung  von  den  rächenden  Seelen  selbst 
durch,  es  sind  nur  baijuovec  TTaXa)iivaToi  noch  einmal  besonders 
gedacht  wie  einst  schon  die  Erinyen,  von  denen  man  auch 
als  von  'Gpivuec  juriTpöc  u.  dgl.  reden  konnte.  Also  die  bai)uovec 
als  die  Wächter  der  einzelnen  Menschen,  die  baijuovec  als  sich 
rächende  Seelen  wie  ursprünglich  die  Erinyen,  die  baijiiovec 
als  Mittelwesen  zwischen  Göttern  und  Menschen,  als  Diener 
der  Götter  und  Vollstrecker  ihrer  Befehle:  aus  diesen  Vor- 
stellungsreihen sind  die  bai)Liovec  als  Peiniger  in  der  Unter- 
welt hervorgegangen  und  sie  übernehmen  aufserdem  gleich 
Gestalt  und  Farbe  von  den  schon  lange  ausgebildeten  Gestalten 
der  peinigenden  Erinyen, 

In  Piatons  Republik  sind  es  avbpec  ciYpioi  biciTTupoi, 
welche  die  Sünder  drunten  peinigen  und  in  den  Tartarus 
werfen  (615'').  Die  wilden  Unholde  der  Tiefe,  die  Erinyen 
mit  dem  Feuerbrand,  baifiovec,  wie  sie  im  Phaidon  dasselbe 
Amt  versehen:  alle  solche  verwandte  Vorstellungen  mögen 
auch  diese  Figuren  hervorgebracht  haben,  und  dazu  mag  noch 
der  Gedanke  an  menschliche  Folterer  und  Strafbeamte  mit 
hineinspielen.  Solche  Stellen,  namentlich  auch  die  des  Phaidon, 
mögen  der  Anlafs  gewesen  sein,  dafs  die  Stoiker  wie  auch 
noch  die  Neuplatoniker  von  strafenden  Dämonen  sprachen.^ 
Nach  Chrysippos  z.  B.  waren  böse  Dämonen  von  den  Göttern 
als  KoXacTtti  im  touc  dvociouc  Kai  dbiKOuc  dvGpiUTrouc  bestellt.^ 

Diese  griechischen  bai)Liovec  wurden  später,  wo  griechische 
und  jüdische  Religion  sich  vermischten,  zugleich  zu  den 
Engeln,  wie  sie  die  Juden  bereits  kannten,  gr.  aj-^eKo\.     Das 

Zauberpapyrus  (meiner  Ausgabe  Jahrb.  f.  Phil.,  XVI.  Suppl.  p.  807)  jeder 
seine  N^i^ecic,  die  mit  ihm  öiaxpißei  ti*iv  -iräcav  uupav  — .  Vgl.  die  rächende 
Todesgöttin  MoTpa  ctiravTa  7Tepinntaro|u^vri  u.  a. :  Abraxas  74  und  95. 

1  Kyrup.  VIII  7,  18:  Tctc  bi  tu)v  äöiKO  itaGövTUJv  iijuxotc  oöiru)  ko- 
revoricare  ov'ouc  ju^v  cpößouc  xoic  juiaiqpövoic  ^jußdWouciv,  oiouc  bi  iraXain- 
vaiouc  Toic  dvocioic  feTTiTr^Mitouci ;  ktX. 

2  Vgl.  Zeller  III  1,  320*. 

3  Plut.  quaest.  Rom.  51.  Man  vergleiche  besonders  auch  Sallustius 
de  diis  et  mundo  c.  19. 


—  ei- 
lst für  unsere  Kenntnis  zuerst  bei  Philo  geschehen^,  und  in  der 
Litteratur  der  spateren  Zeit,  wohin  man  auch  sieht,  namentlich 
in  den  orphischen  Hymnen,  den  Zauberpapyri^,  in  der  christ- 
lichen Litteratur  ebenso  wie  in  der  ähnliche  Dinge  behandeln- 
den heidnischen  werden  diese  beiden  Bezeichnungen  vollständig 
promiscue  für  dieselben  Wesen  gebraucht.  ciYTe^oi  wird  wohl 
im  Laufe  der  Zeit  überwiegend. 

Nach  diesem  Überblick  werden  die  Quälgeister  in  der 
Apokalypse  des  Petrus  verständlich  sein.  An  dem  dunkeln 
Ort,  der  dem  Lichtort  ^gegenüber'  liegt,  sind  oi  KoXctZiovTec 
aYTt^oi,  die  ein  dunkles  Gewand  anhaben  KttTci  töv  ctepa  toö 
TOTTOu  (v.  21).  Genannt  werden  ctYTe^oi  ßacavicrai,  die  den 
Frevlern  eTieKeivio  (v.  23).^  Die  Sünder  werden  gegeifselt  von 
bösen  Geistern  ()aacTi£ö|aevoi  tjttö  TtveuiudTUJV  -rrovnpüjv,  v.  27). 
Als  die  Strafe  der  Mörder  erzählt  ist,  heifst  es:  ai  be  vpuxai  tuiv 
7T6(poveujuevujv  ecTuucai  Kai  eqpopüjcai  Trjv  KÖXaciv  eKeivmv  tujv 
qpove'ujv  eXe^ov  6  6eöc,  biKaia  cou  r\  Kpicic  (v.  25).  Da  sind  die 
Seelen  der  Ermordeten  in  der  Unterwelt.  Deutlicher  könnte  es 
gar  nicht  sein  als  durch  diesen  so  zu  sagen  aus  einer  ganz 
anderen  Unterwelt  stehen  gebliebenen  Rest,  dafs  es  der  grie- 
chische Hades  isi^  aus  dem  diese  Hölle  wurde.  Wie  könnten 
sonst  in  diese  letztere  die  Seelen  der  Ermordeten  kommen?  Ja, 
man  kann  sagen,  diese  Seelen  der  Ermordeten  denen  der  Mörder 


1  RHeinze  Xenokrates  112  f.  Natürlicli  mufs  bei  den  Griechen 
schon  vorher  äTT^^oi  ^üie  Bedeutung  gehabt  haben,  die  eine  solche  Ver- 
wendung des  "Wortes  möglich  macht.  Vielleicht  wäre  eine  solche  Be- 
deutungsentwicklung in  der  Richtung  der  Beispiele  zu  suchen,  die  EMaafs 
anführt  Indogerm.  Forschungen  I  1892,  S.  161  ff. 

2  Eine  Reihe  der  verschiedenen  Namen,  die  für  diese  Dämonen 
gebraucht  werden,  stehen  zusammen  in  einem  Zauberhymnus  an  Hekate 
pap.  Paris,  v.  2859,  Abel  p.  294:        cu  "föp  öucüXuktoc  'Avd-fKTi, 

Moipa  b'  eqpuc  '€pivüc  Bdcavöc  t'  'OX^tic  tc,  Aikti  cü. 
Auf  dem  Gefäfs  von  Altamura  (Wiener  Vorlegebl.  Ser.  E,  Taf.  11)  steht 
iiber  der  Furie,  die  den  Sisyphos  geifselt,  NAN.  Das  ist  nicht  MANIA, 
wie  man  früher  meinte,  sondern  wie  Christ  erkannt  hat,  ANANKH,  s. 
GKörte  Über  Personifikationen  psychologischer  Affekte  in  der  späteren 
Vasenmalerei  79,  und  "Winkler  Die  Darstellungen  der  Unterwelt  auf 
unteritalischen  Vasen,  in  den  Breslauer  Philol.  Abhandl.  III  5  p,  25. 

3  Ich  erinnere  noch  besonders  an  die  Erinys  auf  dem  unteritali- 
schen Bilde,  die  den  Sisyphos  bedrängt  (^TriKeixai). 


—     62     — 

gegenüber  sind  ursprünglich  die  sich  drunten  rächenden  Seelen 
selbst  nach  ältester  griechischer  Auffassung,  die  alten  Erinyen 
selbst.  Und  endlich  da,  wo  die  Apokalypse  die  Strafe  der  Weiber, 
die  ihre  Leibesfrucht  getötet  haben,  angeführt  hat,  fährt  sie 
fort  (v.  26):  Kai  dvTiKpuc  auxüjv  ttoXXoi  Traibec,  oiiivec  dijupoi 
eriKTOVTO,  Ka0r||uevoi  e'KXaiov.  xai  TiporipxovTO  eH  auiOuv  dKxTvec 
TTupöc  Kai  Tctc  Y^vaiKac  e'-rrXriccov  Karct  tujv  öqp0aX)iiiJuv.  Also 
auch  diese  Kinderseelen  sitzen  in  dieser  Hölle,  in  die  sie 
doch  auf  keine  Weise  gehören,  den  Sünderinnen  gegenüber: 
und  hier  geht  auch  von  ihnen  selbst  die  Strafe  und  Rache 
aus.  Ich  vergleiche  eine  Stelle  eines  orphischen  Hymnus  auf 
die  Eumeniden  (LXX  5  ff.): 

TUJV  dbiKUuv  Tijuuüpol,  eq)ecTriKuTai  dvdyKr), 
KuavöxpuüToi  dvaccai,  dTracrpaTTTOucai  dn'  öccuuv 
öeivf)V  dvTauYfi  cpdeoc  capKOcpOöpov  ai^Xriv. 
Das  entspricht  sich  genau  ^,  und  es  zeigen  auch  diese  Höllen- 
geister, dafs  sie  zu  gutem  Teile  aus  altem  griechischen  Volks- 
glauben stammen.  Sie  konnten  wir  schon  jetzt  betrachten, 
ehe  wir  das  übrige  Bild  der  Hölle  näher  untersuchen,  weil 
auch  sie  ebenso  wie  die  quälenden  Untiere  dieses  finsteren 
Ortes  der  Tiefe  aus  allgemeinster  griechischer  Anschauung 
kommen,  die  nicht  besonderen  religiösen  Richtungen  angehört 
und  nur  etwa  von  solchen  mit  Vorliebe  aufgegriffen  und 
ausgebildet  wurde.  Ist  doch  auch  das  Jenseitsbild,  das  im 
Volksglauben  der  heutigen  Griechen  noch  am  lebendigsten 
vorhanden  ist,  wo  es  nicht  die  späteren  christlichen  Lehren 
bis  zur  Unkenntlichkeit  übermalt  haben,  einerseits  jenes  herr- 
lich leuchtende  und  unermefslich  reiche  Land  des  Lichtes  und 
der  Freude,  andererseits  die  dunkle  Tiefe  mit  ihren  Quälgeistern 
und  mit  dem  grausigen  gierigen  Charos.  Das  ist  in  der  Volks- 
seele durch  die  Jahrtausende  haften  geblieben. 


1  Zu  dem  kotci  tujv  Ö9Ga\|Liujv  der  Apokalypse  könnte  man  viel- 
leicht auch  vergleichen,  dafs  Phineus  seine  Erblindung  einer  Erinys  zu- 
schrieb, die  ihm  auf  die  Augen  gesprungen  wäre,  ApoUon.  Argon.  II  220 
ou  Y^P  lnoOvov  ^tt'  öqpGaXiJO'iciv  '€pivuc  Xhi  liti^t]  ktX. 


II. 

Mysterienleliren  über  Seligkeit  und  Unseligkeit. 

1. 

Eine  Anschauung  des  homerischen  Hades  gibt  das  Ge- 
dicht von  der  Hadesfahrt  des  Odysseus.  Waren,  wie  wir  fest- 
stellen konnten,  die  Erinyen  schon  in  vorhomerischer  und 
gewifs  auch  in  homerischer  Zeit  in  anderen  als  den  'home- 
rischen' Kreisen  oder  auch  bei  dem  Volke  anderer  Gegend 
die  unterirdischen  Rächerinnen  des  Mords  und  des  Meineids, 
wie  wir  sie  später  immer  wiederfinden:  hier  findet  sich  davon 
nichts.  Alle  haben  ein  gleiches  Schattendasein.  Und  doch 
nicht  alle  ein  gleiches.  In  diesem  Hades  sind  die  bekannten 
drei  Büfser,  Tityos,  Tantalos  und  Sisyphos.  Gewifs  sind  es 
ganz  besonders  von  den  Göttern  Bestrafte,  wie  die  Giganten 
einst,  wie  Prometheus,  ausnahmsweise  Verurteilte,  wie  jene 
Heroen  des  Elysiums  ausnahmsweise  Begnadete.  Und  doch 
kann  man  nicht  alles  *Erweckliche'  abweisen,  wo  etwas  der- 
artiges mit  beabsichtigt  gewesen  sein  mufs  von  dem,  der 
diese  drei,  über  welche  die  Sage  ganz  anderes  widersprechendes 
erzählte,  zu  diesem  Nebeneinander  in  diesem  Hades  gruppierte. 
Je  weniger  sie  dahin  passen,  um  so  deutlicher  ist  der  Eifer 
jenes  Unbekannten,  diese  doch  wohl  auch  warnenden  Typen 
ewiger  Bufse  der  allbekannten  Hadesschilderung  Homers  nicht 
fehlen  zu  lassen.  Aber  das  ist  der  Geist  einer  ganz  anderen 
Zeit,  und  es  ist  längst  erkannt,  dafs  erst  nach  vielen  Wand- 
lungen im  6.  Jahrhundert  diese  Büfserepisode  von  ganz  be- 
sonderen religiösen  Richtungen   eingeschoben   werden  konnte. 

Die  hauptsächlichste  Veränderung  im  ganzen  religiösen 
Leben  ist  vor  sich  gegangen  durch  die  immer  mehr  aufkom- 
menden und  sich  immer  reicher  ausgestaltenden  Kulte  der 
chthonischen  Gottheiten,  hoher  mild   herrschender  göttlicher 


—     64     — 

Wesen,  die  nichts  mit  jenen  rohen  Ungeheuern  der  Tiefe  ge- 
mein hatten.  Jenen  Gottheiten  zu  gefallen,  ihre  Gunst  zu  er- 
werben, auf  dafs  man  es  einst  gut  bei  ihnen  habe  in  ihrem 
Reiche,  in  das  ja  alle  einmal  hinab  müssen,  das  war  wohl 
zunächst  einer  der  einfachen  Grundgedanken  dieser  Kulte. 
Man  mufs  länger  den  Unteren  gefallen  als  den  Oberen,  sagt 
Antigone. 

Eine  der  blühendsten  Kultstätten  dieser  Art  wurde  Eleusis. 
Von  dort  haben  wir  ein  Denkmal  aus  dem  7.  Jahrhundert  in 
dem  homerischen  Demeterhymnus.  Wer  Köre,  die  Herrin  der 
Unterwelt,  heilst  es  da,  nicht  ehrt  durch  Opfer  und  Gaben, 
der  wird  allezeit  Bufse  leisten  müssen.  Und  aufserdem 
(v.  480 ff.):  'Selig  der  Mensch,  der  das  (die  Weihen)  erschaut 
hat;  wer  aber  uneingeweiht  ist  und  unteilhaftig  der  Weihen, 
der  wird  nicht  gleiches  Los  haben  nach  seinem  Tode  im 
dumpfigen  Dunkel  des  Hades.' ^  Da  finden  wir  also  zum 
ersten  Male  im  Hades  selbst  unterschieden  zwischen  Geweihten 
und  Ungeweihten,  Seligen  und  Unseligen,  solchen,  die  belohnt 
und  solchen,  die  bestraft  werden.  Wer  geweiht  ist,  wird  selig 
werden,  wer  nicht  geweiht  ist,  wird  nicht  selig  werden:  so 
verkündet  die  seligmachende  Kirche  von  Eleusis.  In  wie  weit 
man  sich  die  Seligkeit  und  Unseligkeit  im  einzelnen  ausge- 
malt hat,  kann  man  für  die  älteste  Zeit  mit  Bestimmtheit 
nicht  sagen.  Es  ist  von  vornherein  sehr  wahrscheinlich,  dafs 
man  die  Seligkeit  mit  den  Farben  jenes  alten  Götterlandes, 
das  wir  oben  besprachen,  ausmalte,  und  wir  hören  in  der 
That,  dafs  man  in  Eleusis  solches  zeigte:  wunderbares  Licht, 
liebliche   Auen,    wunderbare    Gesänge   und    Reigentänze.     Die 


1  So  andeutend,  zurückhaltend,  wie  es  auch  die  Weise  der  atti- 
schen Grabsteine  meist  ist  über  die  Dinge  des  Jenseits  zu  reden,  klingen 
auch  noch  später  eleusinische  Verse,  wie  in  der  Grrabschrift  des  Hiero- 
phanten  'Gcpriju.  dpx-  HI  (1883)  p.  81  no.  8: 

opTia  iräciv  eqpaive  ßpOToTc  qpaeciiußpOTa  ArioOc 
GivaGT^c,  öeKdriu  5'  i^XGe  irpöc  döavdxouc. 
''H  KaXöv  Ik  [iiaKdpwv  laucxripiov,  ou  juövov  elvai 
TÖv  GdvttTOv  GvriToic  oO  kcköv,  äW  dYctööv. 
Vgl.  auch  p.  79,  v.  7": 

dW  öxav  eic  inaKdpujv  2\0uj  koI  |üiöpa|aov  ti^iap — . 


—    65     — 

Unterweltsgottheiten  erscheinen  selbst  in  leuchtendem  Ge- 
wände.^ Auch  der  Ort  der  Unseligkeit  ist  wohl,  wenigstens 
später,  irgend  wie  gezeigt  worden.  Bei  Lukian  erscheint  in 
der  Unterwelt  eine  fackeltragende  Erinys,  und  es  wird  be- 
sonders darauf  hingewiesen,  dafs  man  ähnliches  bei  den  Eleu- 
sinien  schaue.^  Vielleicht  wird  unten  noch  wahrscheinlich 
werden,  dafs  solche  Vorführungen  schon  früher  dort  statt- 
fanden. Jedenfalls  haben  diese  Mysterien,  ihre  lepd  (pdcjuata 
und  LiucTiKai  övpeic  viel  dazu,  beigetragen,  die  Zweiteilung  des 
Jenseits  und  seiner  Bewohner  in  allgemeiner  Vorstellung 
durchzuführen  und  von  dem  Ort  der  Geweihten  und  Unge- 
weihten  detailliertere  Anschauung  zu  geben. 

Schon  lange  ehe  der  Einflufs  von  Eleusis  weitreichender 
wurde,  mufs  der  Apollonkult  von  Delphi  eine  in  manchen 
Beziehungen  ähnliche  Bedeutung  gehabt  haben.  Wenigstens 
ist  dort  ünsterblichkeitsglaubeu  und  Seelenkult  gepflegt^  und 
bei  dem  ungeheuren  Einflüsse  der  heiligsten  Ofienbarungsstätte 
des  Gottes  viel  verbreitet  worden.  Auch  auf  Eleusis  hat  Delphi 
anfangs  und  auch  später  noch  vielfach  eingewirkt.*  Bis  auf 
wenige  Spuren  ist  für  uns  die  apollinische  Religion  von  Delphi 


1  Plut,  de  an.  VI  2  (vgl.  Stob.  anth.  69,  604)  qpOüc  eaufictciov  Kai 
cefAvörrixac  dKOUc.uÖTUJV  iepüüv  Kai  qjavTOCiidTiuv  ä^ivjv.  Themist.  or. 
XX  p.  235^  cu  "p/uj|aaTeOuuv  toüc  ^tratiouc  irepii^peic  t€  aÖTOic  töv  2^öqpov  Kai 
4-nJ)j.vouc  TO  äf&\fiaTa,  üjctc  ö  fi^v  äpri  irpociibv  toTc  d&öroic  qppkric  xe 
^veuijairXaTO  Kai  iXiYTOu  —  ÖTiöre  b^  6  upoqprjTric  iKeivoc  ävaTrerdcac  xd 
■npoTRiXaia  xoö  veüj  Kai  xouc  xifOüvac  irepicxeiXac  xoö  dYdX|iaxoc  ^ire- 
beiKvu  xü)  |auou)Li^vLu  ^ap(aapüccov  x€  rjbri  Kai  aöfq  KaxaAa)HTrö)ievov  öecTte- 
cia.  —  Lobeck  Agl.  52,  61  f. 

2  Lukian.  Eatapl.  22  (als  Mikyllos,  der  Schuster,  und  Eyniskos  die 
Unterwelt  sehen)  MIK.  eitr^  juoi  —  ^x6X^c9r|c  TÖp  Ob  Kuvickc  xd  '6Xeu- 
civia  — ,  oux  öjuoia  xoic  Ikci  xd  i\Qäbe  coi  öoKei;  KYN.  €u  X^feic.  löou  oöv 
Trpoc^pxexai  bqtbouxoücd  xic  qpoßepöv  xi  Kai  direiXrixiKÖv  irpocßX^- 
Tiouca*  fj  dpa  irou  '€pivüc  ^cxiv;  dann  wird  Ticiqpövn  genannt,  das 
Totengericht  des  Rhadamanthys  u.  dgl. 

3  Rohde  Psyche  169  f. 

4  Vgl.  z.  B.  noch  CIA  IV  27*»  (Urkunde  über  die  dirapxai):  Ke- 
Xeudxuu  bi  xal  ö  icpoq)dvxiic  Koi  6  &<jt&oOxoc  ^ucxr|piolc  dirdpxecGai 
xoüc  "€XXTivac  xoö  Kap-rroO  Koxd  xd  irdxpia  Kai  xi'iv  |uavxeiav  xriv  iy 
AeXqpuiv. 

Dieterich,  Xekjia.  5 


—     66     - 

verschwunden:  Pindaros  und  Aischylos,  beide  auch  der  eleu- 
sinisehen  Weihen  teilhaftig,  lassen  uns  hier  und  da  ihre  Tiefe 
ahnen.  Wir  wissen  aber  von  den  Sühnungen  Delphis,  wir 
erinnern  uns,  wie  die  erinyenverfolgten  Mörder  in  Delphi 
Sühne  suchen.  Apollo  selbst  hat  für  Mord  acht  Jahre  Dienst- 
barkeit dulden  müssen;  die  Mythen  von  den  Muttermördern 
Orestes,  Alkmeon,  von  dem  Vatermörder  Oidipus  sind  eng  au 
Delphi  geknüpft.  Die  Gebräuche  der  Mordsühne  sind  immer 
sehr  gleichartig  gewesen  denen  der  Einweihung  in  die  Myste- 
rien, in  die  Kulte  der  chthonischen  Gottheiten  (Lobeck  Aglaoph. 
183  ff.):  es  sind  Reinigungen,  Lustrationsriten,  die  mit  den 
Unterirdischen  versöhnen  sollen  oder  würdig  machen  ihnen  zu 
nahen.  So  lassen  sich  auch  die  Ceremonien  bei  Sterbefällen 
auf  diesen  Lustralgedanken  zurückführen:  *alles  .vom  Xouipöv 
bis  zur  iLieXiTOUTTa,  die  dem  Gestorbenen  mitgegeben  wird, 
spricht  den  Gedanken  aus,  der  Tote  solle  versöhnt  mit  den 
Unterirdischen  im  Hades  anlangen.'^  Schon  diese  Andeutungen 
können  uns  sagen,  dafs  wohl  niemals  jene  chthonischen  Kulte 
und  Mysterien  ganz  ohne  Berücksichtigung  des  Sittlichen  nur 
'Geweihte'  und  'Ungeweihte'  unterschieden  haben,  so  sehr  das 
auch  die  logische  Folgerung  ihrer  Lehre  sein  mag.  Auch  abge- 
sehen davon,  dafs  Mörder  von  vornherein  von  den  Weihen  ausge- 
schlossen waren,  wird  man  in  Eleusis  nie  anders  als  euceßeic  und 
dceßeic  mit  |Lie|uuri|uevoi  und  djuuriToi  mehr  oder  weniger  unbe- 
wufst  gleichgesetzt  haben.  Die  TTpöppricic  der  Hierophanten  und 
Daduchen  hat  gewifs  mehr  und  andere  als  nur  Mörder  schon 
in  alter  Zeit  ausgeschlossen,  wenn  auch  die  Notiz  des  Pollux 
(VIII  90)  vom  ßaciXeuc,  der  irpoaTopeuei  toTc  ev  aiiia  d-rre- 
XecGai  lauciripiujv  nur  auf  späte  Zeit  zu  bezielien  sein  mag. 
Die  Nachbildung  einer  solchen  7Tp6ppr|Cic  bei  Aristophanes^  in 
den  Fröschen  (v.  354 — 371)  nötigt  jedenfalls  zu  glauben,  dafs 
eine  ganze  Anzahl  Frevler  damals  genannt  zu  werden  pflegten, 
wohl  auch  gerade  die,  welche  sich  schwer  am  Vaterlande  ver- 
sündigt hatten,  die  dann  auch  Piaton  unter  den  Bestraften  in 


1  Diela  sibyll.  Blätter  48,  2. 

2  Man  erkennt  vielfach,   wie  die  Mysterienformeln  nur  leise  von 
Aristophanes  umgebogen  sind. 


—     67     — 

der  Unterwelt  ganz  ausdrücklich  nennt  ^;  ocioi,  Ka0apoi  'die 
Reinen'  nannten  sich  die  Eingeweihten,  weil  sie  von  jedem 
Frevel  gereinigt  waren  und  so  würdig  den  hehren  Gottheiten 
zu  nahen.  Und  aus  der  Stelle  in  der  Mysterienrede'  des  An- 
dokides  31  )nemjric0e  Kai  empaKaxe  toTv  6eoiv  rd  iepd,  iva  ti- 
liiuupricriTe  |iev  touc  dceßoövxac,  cujlryre  be  touc  inribev  dbiKouvtac 
geht  doch  soviel  klar  hervor,  dafs  es  sich  bei  den  Weihen 
nach  allgemeiner  Vorstellung  am  Ende  des  5.  Jahrhunderts 
auch  um  dceßoOvTec  und  um  firibev  dbiKeiv  handelte.  Im 
übrigen  mufs  der  Sinn  doch  wohl  sein,  dafs  man  durch  das 
Schauen  der  heiligen  Dinge  den  rechten  Wert  und  die  rechte 
Würdigung  jenes  Unterschiedes  lerne. 

Es  wird  in  jedem  religiösen  Kult  so  gehen,  der  Ein- 
weihungsriten und  Sakramente  hat,  dafs  man  unwillkürlich  die 
sittlichen  Unterscheidungen  der  im  Volke  geltenden  Moral  da- 
mit gleichsetzt,  ob  aufgenommen  und  der  Gnadenmittel  teilhaftig 
oder  nicht,  und  zwar  gerade  dann,  wenn  diese  Religion  im 
Volke  noch  lebendig  ist.  Später  erst  fängt  man  an  zu  be- 
denken, dafs  das  Erfüllen  der  Formen  doch  noch  nicht  'bessere', 
dafs  am  Kulte  teilnehmen  noch  nicht  fromm  sein  heifse,  dafs 
es  nicht  auf  die  äufseren  Ceremonien,  sondern  auf  das  Leben 
und  die  Gesinnung  ankomme.  *Soll  es  dem  Dieb  Pataikion 
nur  darum  nach  seinem  Tode  besser  ergehen  als  Epameinon- 
das,  weil  er  geweiht  war?'  So  konnte  erst  Diogenes  über  die 
Eleusinien  spotten;^  Erst  späte  Zeit  hat  sagen  können  dfveia 
b""  IcTi  qppoveiv  öcia.^ 

Es  ist  zu  beklagen,  dafs  man  von  Delphis  Einflufs  auf 
die  Vorstellungen  vom  Hades  so  gut  wie  nichts  weifs.  Dürfte 
man  aus   den  Versen  in   der  Tityosbeschreibung  der  homeri- 


1  Frösche  v.  361: 

f|  Tfic  TTÖXeujc  xei|ia3o|i^vTic  äpxujv  Kaxa&uupoboKclTai, 

f]  TTpoöibuuciv  9poüpiov  f)  vaOc. 
Republ.  p.  615^:  koi   oixivec  ttoXXujv  Gavdxujv  f[cav  aixioi  r\  iröXeic  irpo- 
bövxec  f\  cxpaxÖTte&a  Kai  elc  bouXeiac  ^fißeßXr|KÖx€c. 

2  Plutarch.  de  aud.  poet.  4.     Rohde  Psyche  272. 

3  Aus  einer  Inschrift  in  Epidauros  bei  Porphyr,  de  abst.  II  19, 
p.  149,  18  N,  nach  Theophrastos;  das  Epigramm  gehört  gewifs  erst  seiner 
Zeit  an,  Bernays  Theophrastos  Schrift  über  Frömmigkeit  76  f. 

6* 


-     68     — 

ihen  Nekyia,  die  besagen,  dafs  dieser  sich  an  Leto  vergriffen  habe, 
der  Gattin  des  Zeus,  als  sie  nach  Pytho  kam  durch  das  an- 
mutige Panopeus,  dürfte  man  daraus  schliefsen,  dafs  diese  Tityos- 
geschicMe  auf  delphische  Tradition  letztlich  zurückgeht?^ 

Gewifs  nicht  ohne  Einwirkung  delphischer  Lehren  ist  das 
Bild  der  Unterwelt,  das  Polygnot  in  der  Lesche  dort  gemalt 
hatte.  Er  hat  auch  die  Kaiaßacic  des  Odysseus  dargestellt 
und  sich  hauptsächlich  nach  Homer  gerichtet,  auch  die  drei 
Büfser  nicht  fehlen  lassen.  Aber  noch  anderer  Frevler  Strafe 
stellte  er  dar,  wie  Pausanias  erzählt:  ein  Mann,  der  gegen 
seinen  Vater  gefrevelt  hat,  wird  von  dem  Vater  gewürgt. 
Die  erklärende  Beischrift  wird  iraTpaXoiac  gelautet  haben. 
Daneben  ist  einer  dargestellt,  der  Heiligtümer  geraubt  hat 
und  seine  Strafe  erhält.  Das  strafende  Weib,  so  scheint  es, 
gibt  ihm  Gift  zu  trinken.^  Das  sind  also  nicht  mythische 
Personen,  sondern  allgemeine  Typen  von  Frevlern,  die  in  der 
Unterwelt   gestraft   werden.     Der   eine   wird   genau   mit   dem 


1  Andere  Schlüsse,  wie  sie  Seeck  zieht  Quellen  der  Od.  363,  siud 
kaum  berechtigt. 

2  Pausan.  X  28,  If. :  lul  bä  toO  'Ax^povxoc  Ti]  öxörj  judXiCTa  bTrö 
ToO  Xdpujvoc  Trjv  vaOv  ävi]p  oö  öikcioc  ^c  itaxdpa  ä^X^^M^^öc  ^ctiv  vnö 
ToO  iraxpöc.  irepi  irXeiCTOU  y<^P  ^ttoioOvto  ol  trdXai  Yov^ac  kt\.  —  ^v  6^  rrj 
TToXuYvuuTou  Ypaqpi^  TrXriciov  toO  dvöpöc,  öc  tuj  Traxpi  ^Xujaaivexo  Kai  öi' 
aOxö  iv  "Aibou  KOKä  dvaiTi|UTT\rici,  iepd  cecuXT^KUjc  dvrip  {jir^cxe  6iKriv.  f\ 
bk  Yuvri  1^  KoXdtouca  aöxöv  cpdpiaoKa  dXXa  xe  Kai  ^c  aiKiav  oibev  dvGpiü- 
TTUJv.  Nachher  sagt  Pausanias  xd  tc  xöv  cuXrjcavxa  iep^a.  Man  könnte 
denken,  dals  ein  Priester  selbst  das  Heiligtum  beraubt  habe  und  seine 
Schuld  darum  um  so  gröfser  sei,  ähnlich  wie  später  die  Diener  der  Ge- 
meinde, die  diTiCKOTroi  oder  bidKovoi  in  der  Hölle  oft  besonders  hart  ge- 
straft werden  sollen  (s.  u.).  Aber  jene  erste  Stelle  ist  unantastbar  mit 
ihrem  iepd,  und  so  xnufs  doch  wohl  auch  an  der  zweiten  iepd  geschrieben 
werden.  Die  Strafe  durch  das  Gift  sehe  ich  keine  Berechtigung  zu  be- 
zweifeln, wie  Robert  will,  der  kürzlich  im  XVI.  Haller  Winckelmanns- 
programm  Polygnots  Nekyia  rekonstruiert  und  behandelt  hat;  bei  Vale- 
rius  Place.  II  193  heilst  es  von  Tisiphone  im  Hades  pocula  libat,  tor- 
menti  genus  (nach  Verg.  Aen.  VHI  487).  Es  ist  das  wohl  übernommen 
von  dtr  bekannten  Todesstrafe  durch  den  Giftbecher.  Die  Erinys  hat 
giftigen  Hauch  und  giftigen  Geifer,  sie  träuft  von  Gift,  Verg.  Aen. 
VII  341  Gorgoneis  Allecto  infecta  venenis,  Stat.  Theb.  I  106  (Tisiphcme) 
suff'usa  venenis  tenditur.  Tisiphone  kocht  in  einem  Hexenkessel  Gift 
Ovid.  Metam.  IV  504.     Vgl.  Rapp  bei  Röscher  I  1312. 


—     69     — 

gestraft,  was  er  gethan  hat;  der  andere  mit  einer  allgemeinen 
Strafe,  wie  sie  auf  der  Oberwelt  als  Todesstrafe  üblich  war. 
Der  lepd  cecuXriKUJC  dvrip  ^st  so  recht  begreiflich  gerade  in  Delphi 
mit  seinem  unermefslich  reichen  Tempelschatz.  Man  kennt 
ja  die  vielen  Geschichten  von  solchen,  die  Kostbarkeiten  ge- 
raubt hatten  und  bestraft  wurden;  meist  scheint  man  dort  den 
lepöcuXoc  mit  dem  Tode  bestraft  zu  haben.  ^  Natürlich,  dafs 
man  gerade  auch  dem  Tempelräuber  mit  schwerer  Strafe  nach 
diesem  Leben  drohte,  und  dais  man  diese  auch  gern  malen 
liefs,  zu  warnen  und  abzuschrecken.  Aber  auch  Demeter- 
mysterien kennt  das  Bild  des  Polyguot.  In  dem  Fahrzeuge 
des  Charon  sitzen  Tellis  und  Kleoboia,  die  letztere  mit  einer 
cista  mystica  auf  dem  Schoofse.  Sie  habe  zuerst  die  Demeter- 
weihen von  Faros  nach  Thasos  gebracht.  Dafs  Tellis  Ahnherr 
des  Archilochos  sei,  sieht  ganz  wie  eine  Ciceronierfindung 
aus^,  dagegen  hängt  der  Name  offenbar  mit  xeXoc  zusammen 
und  ist  Kurzform  etwa  für  TeXecqpöpoc.  So  pafst  der  Bringer 
der  Weihen  erst  recht  neben  die  Trägerin  des  heiligen  Käst- 
chens. Welche  Seligkeit  diese  Geweihten  erwartete,  ist  uns 
unbekannt.  Dagegen  sind  Uneingeweihte  von  Polygnot  deut- 
licher dargestellt  gewesen.  Zwei  Weiber,  eine  jung  und  eine  schon 
älter,  waren  zu  sehen,  wie  sie  in  zerbrochenen  Scherben  Wasser 
trugen,  mit  der  Beischrift  djiuriTOi.  Aufserdem  waren  noch  an 
einer  anderen  Stelle  (unterhalb  des  Steins  des  Sisyphos)  ein 
alter  Mann,  ein  Knabe  und  zwei  Frauen  dargestellt,  die  alle 
Wasser  trugen.  Der  Alten  war  aber  ihr  Wasserkrug  zer- 
brochen, sie  schüttete  nur  noch  den  in  den  Scherben  ent- 
haltenen Wasserrest  in  das  Fafs.'  Diese  Personen  sind  solche, 
welche  die  Weihen  von  Eleusis  für  nichts  geachtet  haben. 

1  Plut.  de  ser.  num.  vind.  c.  12  p.  b51^  d2  ^Keivou  b^  (toö  Aicijü- 
irou)  9aci  koI  rfjv  ximupiav  tujv  lepocuXiuv  ^itl  rriv  NauirXiav  dtrö  Tfjc 
'Yaiiireiac  ^eTaxeOnvai,  s.  Ulrichs  Reisen  I  S.  47,  18. 

2  Dann  löst  sich  auch  die  Schwierigkeit,  wenn  es  überhaupt  in 
irgend  einem  Falle  eine  ist,  dafs  Tellis  als  Ephebe  dargestellt  war, 
was  Robert  a.  a.  0.  S.  59  beseitigen  will. 

3  Pausan.  X  31,  3:  ai  5d  üirep  riiv  TTcvöedXeiav  qj^poucai  ^^iy  eiav 
uöujp  ^v  Koreaföciv  öcTpdKoic  TretTOirixai  bk  i^  \i^  Sri  lüpaia  tö  ciöoc,  i^i 
be  fibri  Tfjc  i^XiKiac  irporiKOUca.  Ibia  la^v  bi]  oöö^v  e-rriYpa,u|ia  ^irl  ^Kax^pa 
T&v  -fuvaiKUJv,  ^v  KOivLu  b^  4cTiv  lu  d^qpoTdpalC  eivai  cqpäc  tüiv  oö  )ue.uur|M^vDuv. 


—     70     - 

Also  die  einfache  Scheidung  zwischen  Geweihten  und  Un- 
geweihten  und  doch  daneben  die  beiden  Sondertypen.  Der 
Greis,  der  Knabe  und  die  beiden  Frauen  sollen  doch  wohl 
ausdrücken,  dafs  es  'allen'  ohne  Unterschied  so  gehen  wird, 
wenn  sie  ungeweiht  hin  abkommen.^ 

Aufser  diesem  delphischen  Bilde  haben  wir  noch  eine 
andere  etwas  ausführlichere,  attische  Darstellung  der  Unter- 
welt aus  jener  Zeit,  die  Kaxdßacic  des  Dionysos  in  den  Fröschen 

Vielleicht  ist  es  doch  nicht  blols  Nachlässigkeit  des  Pausanias,  dafs  er 
nichts  vom  durchlöcherten  Fafs  sagt.  Die  Scherben  sind  zerbrochen, 
d.  h.  sie  haben  Risse,  und  es  fliefst  alles  heraus.  Der  Krug  der  einen 
zerbricht,  so  dafs  sie  nachher  kein  Wasser  mehr  in  ihm  tragen  kann. 
Wie  bei  dem  unten  zu  erwähnenden  kockiviu  vbwp  qpdpeiv  ist  hier  die 
Durchlöcherung  auf  die  Schöpfgefäfse  übertragen.  In  das  Fafs  kommt 
überhaupt  nichts  (sonst  würde  es  ja  schliefslich  doch  einmal  voll  werden). 
Diese  Vorstellung  hat  auch  Bion  gemeint,  von  dem  es  bei  Laert.  Diog. 
IV  50  heifst  äXefe  toOc  ^v  "Ai6ou  |nä\Xov  äv  KoMZecSai,  ei  öXoKXripoic 
Kai  )Lii?i  TexpriiLi^voic  dYY^ioic  iLibpocpöpouv. 

1  Man  kann  jetzt  mit  einiger  Sicherheit  die  Geschichte  dieser 
Gestalten  angeben.  Die  Hochzeit  wird  nicht  nur  ein  t^Xoc  genannt,  die 
Riten  bei  Hochzeit  und  Mysterienweihe  sind  ziemlich  die  gleichen,  beide 
sind  Lustrationsriten,  Diels  sibyll.  Blätter  48,  2.  Eine  Hauptrolle  bei 
beiden  spielt  das  Xourpöv.  Wem  das  nicht  vollendet  wurde,  der  schöpft 
drunten  ewig  weiter,  ohne  zu  Ende  zu  kommen.  Darum  stellte  man 
den  ÖYajxoi  eine  Xourpocpöpoc  aufs  Grab  (dafs  sie  ohne  Boden  ist,  hat 
aber  eine  nicht  hierher  gehörige  Bedeutung),  Rohde  Psyche  292.  Vgl. 
EKuhnert  arch.  .Jahrb.  VIII,  1893  S.  110  f.  Männer  und  Weiber,  so  Wasser 
tragend,  sind  auch  auf  einer  schwarzfigurigen  Lekythos  (6.  Jahrh.)  dar- 
gestellt, die  Heydemann  veröffentlicht  hatte  Arch.  Ztg.  1870,  Taf.  31, 
Nr.  22,  S.  42  f.  und  erst  Furtwängler  richtig  gedeutet  hat  Arch.  Jahrb.  V 
1890,  Anzeiger  S.  24  (Sitzungsber.  der  arch.  Ges.).  Ausschliefslich  Weiber 
werden  es  wohl  erst,  als  man  diese  Vorstellung  auf  die  Danaiden  über- 
trägt, die  nicht  bis  zum  t^Xoc  der  Ehe  gekommen  sind.  Dann  wurde 
das  Wassertragen  zuletzt  als  eine  Strafe  für  diese  aufgefafst,  weil  sie  ihre 
Verlobten  ermordet.  —  Solche  Übertragung  geschah  gewifs  erst  in  mysti- 
schen Kreisen,  die  gern  ihre  erbaulichen  Erzählungen  mit  den  grofsen 
Namen  des  Mythus  schmückten.  Es  ist  nicht  zufällig,  daXs  sich  die  Da- 
naiden in  diesem  Zusammenhang  zuerst  in  der  auf  die  Traditionen  solcher 
Kreise  zurückgehenden  Partie  des  Axiochos  linden  (s.  u.).  Man  kann 
daran  erinnern,  dafs  im  Heer  der  Artemis  besonders  die  vor  Hochzeit  und 
Brautnacht  gestorbenen  sich  befinden.  Merkwürdigerweise  sind  es  im 
christlichen  Aberglauben  die  ungetauft  Gestorbenen,  Dilthey  Rhein. 
Mus.  XXVII  334. 


—     71     — 

des  Aristophanes.  Da  wird  zunächst  ein  grofser  See  erwähnt, 
ein  Abgrund  (Xijuvri  jueYa^Hi  «ßuccoc  v.  157),  dann  ein  Ort  mit 
Schlangen  und  unzähligen  ganz  entsetzlichen  Untieren  (öcpeic 
Ktti  0ripia  juupia,  beivöraxa  v.  143,  6  töttoc,  ou  rd  0ripia  rd 
beivd  V.  278).  Eine  furchtbare  Empuse  tritt  den  Ankommen- 
den V.  293  ff.  entgegen,  andere  Ungeheuer  sind  v.  474  ff',  ge- 
nannt. Weiterhin  ist  dort  Finsternis,  gewaltiger  Schlamm 
und  immerwährender  Kot;  darin  liegen  die  TrarpaXoiai,  )ur|Tpa- 
XoTai,  eTTiopKOi  und  die  sich  am  Gastfreund  vergangen  haben.-^ 
Dann  aber  kommt  ein  herrlicher  Ort,  der  in  den  glänzendsten 
Farben  geschildert  wird; 

V.  154     evTeO0ev  auXÜJV  Tic  ce  -rrepieiciv  Tivori, 

övjjei  Te  qpujc  KdXXicTov,  ujcirep  evGdbe, 

Kai  iLiuppivujvac  Kai  öidcouc  eubai)Ltovac 

dvbpujv  Y'JvaiKUUV  Kai  KpÖTOV  x^ip^v  ttoXuv. 

Das    sind    oi    juejuiirnaevoi,    die   Geweihten.     Von    der   juaKdpuJV 

euujxia   ist  noch   mehrfach   die   Rede,    und   die  Mysten  selbst 

beschreiben  ihre  Seligkeit  in  einem  schönen  Liede  (v.  448  ff.): 

Xujpujjuev  ec  TioXuppöbouc 

Xeiiaojvac  dv9e|auibeic 

TÖv  fiiueTepov  Tpötrov 

röv  KaXXixopu)TaTov 

TraiCoviec,  öv  öXßiai 

MoTpai  HuvdYouciv. 

jLiövaic  ydp  fi|uiv  fiXioc 

Kai  cpeYTOC  iXapöv  ecTiv 

1  V.  145  elra  ßöpßopov  itoXuv 

Kol  CKOüp  deivuüv  ^v  b^  xoOrqj  k€1|u^vouc, 
et  uou  £^vov  TIC  fi&iKrice  TninroTe, 
f|  Ttaiöa  ßivüjv  TdpYupiov  üqpeiXero, 
f|  jar^T^p'  fiXöricev,  f\  iraTpöc  yvöOov 
feirdraHev,  f|  'iriopKov  öpKov  üuiaocev. 
V.  273      AION.  Ti  kxi  T&VTavQol;  EA.  ckötoc  koI  ßöpßopoc. 
AlON.  KOTeiöec  oöv  ttou  touc  iroTpaXoiac  aÖTöei 
Kai  TOUC  feiriöpKouc,  oöc  ^XeYev  i^jliiv; 
Ob  V.  148  noch  etwas  bestimmtes  parodiert  oder  ob   er  überhaupt  nur 
scherzhaft  hinzugefügt  ist,  läfst  sich  schwer  sagen,     Usener  macht  mich 
darauf  aufmerksam,  dafs  wohl  der  noch  heute  (in  der  Militärjustiz)  be- 
sonders schwer  gestrafte  Diebstahl  an  Kameraden,  bezw.  Zeltgenossen 
zu  Grunde  liegt. 


-     72     — 

öcoi  |ue)Uur|)Lie0'  eu- 
ceßfi  xe  bir|YO|Liev 
TpÖTTOV  Ttepi  Touc  Hevouc 
Kai  TOUC  ibiuuTac. 

Das  sind  uns  bekannte  Klänge.  Und  wenn  wir  bedenken, 
dafs  in  dieser  Scene,  die  auch  den  Mystenzug  nach  Eleusis 
kopiert  und  lakchos-  und  Demeterlieder  nachbildet,  hauptsäch- 
lich eleusinische  Dinge  gemeint  sind,  so  ist  die  Darstellung 
des  Lebens  der  Seligen,  das  Spätere  in  derselben  Weise  für 
Eleusis  bezeugten,  auch  für  diese  frühere  Zeit  sicher.  Auch 
der  grausen  Erinys,  die  nach  Lukian  in  Eleusis  geschaut  wurde, 
erinnern  wir  uns.  Der  TraipaXoiac,  juriTpaXoiac  und  eiriopKoc 
sind  hauptsächliche  Frevler:  dieselben,  die  nach  ältester  An- 
schauung schon  die  Erinyen  strafen.  Der  Verletzer  des  Hevoc 
kommt  dazu,  der  delphische  kpöcuXoc  fehlt  hier.  Deutlich 
ist  auch  hier  zu  sehen,  wie  )ne|auri|uevoi  und  eiiceßeic,  djLiuriToi 
und  dceßeic  zusammengedacht  werden,  namentlich  auch  in  den 
Worten  des  zuletzt  angeführten  Liedes. 

Mag  nun  auch  das  meiste  von  eleusinischen  Riten  her- 
genommen sein,  die  Spitze  des  Spottes,  der  Parodie  kann  sich 
unmöglich  auf  diese  allerheiligsten  Weihen  richten.  Und  es 
ist  etwas  ganz  eigenartiges  in  der  Scenerie  dieser  Unterwelt, 
das  uns  nirgends  bisher  begegnet  und  das  im  eleusinischen 
Glauben  unmöglich  ist:  der  Pfuhl  von  Schlamm  und  ewigem 
Kot,  in  dem  die  Sünder  liegen.  Wer  hat  das  damals  geglaubt 
und  wer  hat  das  zuerst  gelehrt? 

2. 

Zwei  Stellen  des  Piaton  geben  uns  die  unzweideutigste 
Auskunft.  Ich  mufs  sie  hierhersetzen:  Plat.  Rep.  p.  363° 
MoucaToc  be  toutuuv  veaviKuuiepa  xdYaGd  Kai  6  uiöc  auioO 
(Orpheus)  rrapd  Geujv  biböaci  xoTc  biKaioic"  ec  "Aibou  ydp 
dYayövxec  xtu  Xöyiö  Kai  KaxaKXivavxec  Kai  cujuttöciov  xoiv 
ociujv  KaxacKeudcavxec  dcxeqpavujiiievouc  ttoioOci  xöv  dirav- 
xa  xpovov  r\bY\  biayeiv  jueGuovxac,  fiYncd^evoi  KdXXicxov 
dpexfic  juicGöv  )ie9riv  aiiuviov*  oi  b'  exi  xoüxaiv  juaKpoxepouc 
diToxeivouci  |Liic9ouc  rrapa  Oeujv    ixaTbac  fdp  Traibiuv  (paci  Kai 


—     73     — 

T^voc  KttTÖTTicGev  XemecGai  toö  öciou  Kai  euöpKou.  raOra 
bf]  Ktti  aXXa  Tttöta  eyKiuiLiidrouci  biKaiocuvriv.  touc  be  dvo- 
ciouc  au  Kai  dbiKOuc  ec  trriXöv  Tiva  KaropuTTouciv  ev 
"Aibou  Kai  KOCKivu)  ubujp  dvaYKdlouci  (pepeiv.  ^  Phaid. 
p.  69°  Kai  Kivbuveuouci  Kai  oi  idc  TeXerdc  fiiuTv  oijToi  KaiacTr)- 
caviec  ou  cpaöXoi  rivec  eivai,  dXXd  tuj  övti  trdXai  aiviiTecGai, 
ÖTi  öc  dv  d)iur|Toc  Kai  dieXecxoc  eic  "Aibou  d9iKriTai,  ev 
ßopßöpiu  Keicexai.  6  be  KeKaOapinevoc  eKeice  dq)iKÖ|ie- 
voc  \xeTä  Beüuv  oiKr|cer  eici  ydp  br|,  qpaciv  oi  irepi  xdc  Te- 
Xerdc, vap0r|KOcp6poi  juev  rroXXoi,  ßdKXOi  be  le  TiaOpoi. 
Also  es  war  die  Lehre  orphischer  Mysterien,  dafs  die  Ge- 
weihten —  auch  da  zugleich  als  die  Reinen  und  Gerechten 
angesehen  —  bekränzt  beim  Gelage  im  Hades  sich  freuen 
würden  in  ewiger  Trunkenheit,  die  Ungeweihten  dagegen, 
die  Unreinen  und  Ungerechten  würden  ewig  in  Schmutz  und 
Schlamm  liegen.  Diese  groteske  Unterwelt  ist  grundverschieden 
von  allem  sonstigen  griechischen  Jenseitsglauben.  Die  Meinung, 
dafs  die,  welche  sich  nicht  haben  reinigen  lassen,  dafür  ewig  im 
Schmutze  liegen  müssen,  ist  in  ihrer  barbarischen  Sinnbildlich- 
keit ohne  weiteres  klar^;  die  aicuvioc  )ue6r|  der  Geweihten 
weist  deutlich  in  den  Kreis  der  Dionysoskulte. 

Von  Thracien,  aus  den  Bergregionen  des  Pangaeus  und 
Orbelus,  der  Rhodope  und  des  Haemus,  war  der  Dionysoskult 
gekommen  und  mit  ihm  Orpheus,  ursprünglich  selbst  ein 
Gott,  dann  ein  Priester,  ein  Sänger,  ein  Stifter  der  heiligen 
Weihen  anderer  Götter.  Zagreus  gehört  auch  in  diesen  Kreis. 
Man  mag  mit  Recht  die  thracischen  fexai  döavaiiZiovTec  und 
die  Trauser,  die  den  Toten  glücklich  preisen^,  vergleichen, 
denn  irgend  welche  Unsterblichkeitsvorstellungen  waren  mit 
all  diesen  aus  dem  Norden  gekommenen  Kulten  verbunden. 
In  Delphi  fanden    diese  Dinge  Eingang*  und   auch  in  Attika, 


1  Daza  Plutarch.  comp.  Cim.  et  Luculi.  p.  521  ificirep  TTXdxuJv 
ImcKuüirrei  touc  irepl  töv  'Opqp^a  toTc  €u  ßcßiuuKÖci  9(icK0VTac  diro- 
KCicGai  T^pcic  tv  "Aiöou  ju^Qiiv  atiuviov. 

2  Rohde  Psyche  288,  1. 

3  Herod.  V  4  töv  ö'  ditoTivöfievov  iraiZovTdc  Te  Kai  i^&Ö|li€voi  yt 
KpÜTTTouci,  ^mX^YOvTec  öcu;v  kokOüv  ^EaTraXXaxöeic  fcri  ev  irdcr)  eüöaiiaoviT). 

4  Auch  Zagreus  frühe,  Lübbert  im  Bonner  Ind.  Sommer  1888,  p.  IV. 


—     74     — 

doch  wohl  erst  durch  Delphis  Vermittelung^;  nach  Eleusis 
kamen  sie  erst  nach  unserm  Demeterhymnus.  Frühe  finden 
sie  sich  auch  zu  Phlya  in  dem  mystischen  Gentilgottesdienst 
der  Lykomiden,^  Wo  Dionysos  Eingang  fand,  ist  in  der 
Regel  auch  Orpheus  zu  finden.^  Auch  Herodot  nennt  die 
orphischen  und  die  bakchischen  Mysterien  zusammen  (II  81). 
Orpheus  galt  gewöhnlich  als  der  Stifter  dieser  Geheimlehren.* 
In  Eleusis,  in  Phlya,  auch  in  Delphi  wurde  er  als  Stifter  oder 
heiliger  Sänger  genannt;  in  Eleusis  trat  er  neben  Eumolpos 
und  Musaios.  Aber  es  mufs  doch  noch  eine  besondere  Art 
*orphischer'  Weihen  gegeben  haben  neben  jenen  grofsen  Kulten, 
in  denen  der  göttliche  Thracier  eine  Rolle  spielte,  auch  neben 
dem  überall  mächtig  um  sich  greifenden,  so  zu  sagen,  neben  dem 
grofsen  allgemeinen  Dionysoskult.  Wir  wissen  nichts  gewisses 
darüber  in  ältester  Zeit.  Aber  man  darf  wohl  vermuten,  dafs 
in  solchen  Winkelkulten  die  Überlieferungen  von  dem  ewigen 
Rausche  und  dem  Schlammpfuhle  festgehalten  und  weiter 
verbreitet  sind,  die  doch  ganz  so  aussehen,  als  ob  sie  mit 
zu  den  ursprünglichsten  Bestandteilen  jener  von  Hause  aus 
so  wilden  und  rohen,  orgiastischen  nordischen  Kulte  gehörten. 
Im  6.  Jahrhundert  hat  man  in  Athen  bewufst  diese  ent- 
legeneren mystischen  Traditionen  aufgegriffen,  in  einer  Zeit 
allgemeinster  Gährung  auch  in  religiösen  Dingen,  um  von  der 
Sünde  und  Unreinheit  der  Menschen  und  von  der  Strafe  drunten 
eindringlich  zu  predigen.     Da    erst^   scheint  der  Anfang  mit 


1  Wenn  dem  Orakel  Dem.  Mid.  §  52  etwas  thatsächliclies  zu 
Grunde  liegt,  s.  EMaafs  im  Ind.  von  Greifswald,  Winter  1891,  p.  III  f. 

2  Dort  ein  Apollon  Aiovucööotoc,  ein  Aiövucoc  'AvGioc,  eine  Köpr) 
TTpuJTOYÖVTi,  Hymnen  des  Orpheus  u.  s.  w.,  Töpffer  att.  Gen.  39. 

3  Auch  im  Peloponnes  wurde  Orpheus  wie  es  scheint  noch  ver- 
ehrt; im  Tempel  der  Demeter  Eleusinia  auf  dem  Taygetos  stand  ein 
Eöavov  des  Orpheus,  TTeXacYiöv  üjc  qpaciv  ^pTov,  Pausan.  III  20,  6.  Auch 
als  Stifter  des  Kults  der  Demeter  xQovia.  in  Sparta  galt  er,  Pausan. 
III  14,  5.  Er  scheint  da  auch  chthonische  Bedeutung  gehabt  zu  haben, 
und  seine  Verbindung  mit  Demeter  scheint  ähnlich  aufgefafst  werden  zu 
müssen  wie  die  des  Hades  mit  der  Köre,  s.  Wide  Lakonische  Kulte  178  f. 

4  Ariötoph.  Frösche  1032  'Opcpeüc  ixkv  yäp  TeXexdc  G'  i^|uiv  kot^- 
beile  u.  8. 

5  Vorher  läXst  sich  keine  orphische  Litteratur  nachweisen.    Mit  der 


-     75     - 

einer  ^orphischen'  Litteratur  gemacht  zu  sein.  Denn  den 
Orpheus  nahm  man  zum  Propheten,  eine  Autorität,  die  älter 
schien  als  Homer  und  Hesiod.  Damals  wird  der  Vers  ge- 
schrieben sein,  von  den  vielen  Thyrsosschwingern  und  den 
wenigen  Bakchen,  damals  auch  mannigfaches  Theogonische 
gedichtet  sein.  Wir  können  uns  nur  sehr  unvollkommen  von  dem 
Kreis  des  Onomakritos  im  pisistratischen  Athen  eine  Vorstellung 
machen.^  Die  priesterliche  und  geistlich  poetische  Wirk- 
samkeit tlieser  Leute  mufs  sehr  ausgedehnt  und  erfolgreich 
gewesen  sein.  Die  ßeste  orphischer  Poesie  und  Lehre  weisen 
vielfach  schliefslich  auf  Athen  und  wohl  auf  diese  Männer 
zurück.  Jene  Zeit  war  mystisch  erregt  und  den  schreckenden 
Offenbarungen  von  Sünde  und  Strafe  geneigt.  Und  doch 
wurde  man  schliefslich  in  Athen  gegen  Onomakritos  aufge- 
bracht und  verjagte  ihn. 

Die  erste  Platostelle  schrieb  ausdrücklich  jenen  Orphikern 
auch  die  Lehre  zu,  dafs  die  Ungeweihten  im  Hades  in  einem 
Siebe  Wasser  tragen  müfsten.^     Also  diese  Figuren  stammen 

Einwirkung  solcher  auf  die  alten  Philosophen  ist  es  eine  ganz  proble- 
matische Sache.  Auch  die  Erwähnung  des  Orpheus  bei  Heraklit  ist  ja 
nichts  als  eine  Konjektur  Cobets,  wie  Kern  wieder  betont  hat,  Hermes 
XXV  6, 1.  Auf  die  Reinigungsbräuche  dionysisch-orphischer  Kulte  alter 
Art  scheint  aber  Heraklit  anzuspielen  fr.  130  Byw.  KaGaipovxai  be  ai|iaTi 
maivö|i€voi,  üiCTTep  äv  et  Tic  ^c  uriXöv  4fißäc  TtriXiL  dirovi^oiTO. 
Andere  Andeutungen,  die  späteren  orphischen  oder  orphisch-pythagorei- 
sehen  Lehren  ähnlich  sehen  (fr.  64,  67),  lasse  ich  jetzt  bei  Seite.  Zu- 
nächst ist  bei  der  Art  unserer  Zeugnisse  eine  Entlehnung  der  Orphiker 
aus  Heraklit  viel  wahrscheinlicher  (s.  namentlich  auch  Diels  Archiv  f. 
Gesch.  der  Philos.  II  91  f.).  Der  Vergleich  des  Götterkönigs  mit  einem 
spielenden  Kinde  braucht  gewifs  auf  nichts  Orphisches  zu  gehen  (Kern 
Herm.  XXV  6),  sondern  kann  original  herakliteisch  sein.  Es  kommt  eben 
auf  die  Gesamtauffassung  der  Entwicklung  dieser  Dinge  an;  strikte  zu 
beweisen  ist  im  einzelnen  fast  nichts.  Von  Empedokles  wird  unten  die 
Rede  sein.  —  Nebenbei  bemerkt  ist  es  schier  unglaublich,  da&  man 
in  dem  Heraklitcitat  bei  Plutarch  de  fac.  lun.  c.  28  p.  943,  Herakl.  fr.  38 
ßyw.  ai  vjjuxcxi  6c]uuüvTai  koG'  "Aiöriv  aus  öcj^iuvTai  gemacht  hat  öcioövTai. 
Eben  wegen  des  Ausdrucks  öcjaOuvTai  citiert  Plutarch  I 

1  Auch  Methapos  scheint  dahin  zu  gehören,  Kern  Hermes  XXV  12. 

2  Wenn  Pausanias  sagt  von  den  Wassertragenden,  das  seien  die, 
welche  die  Weihen  von  Elensis  verachtet  hätten  (X  31,  4),  so  ist  das  seine 
eigene   oder  seiner  Quelle  Erklärung.    In  später  Zeit  fand  ja  auch  das 


—     76     - 

auch  aus  solchen  Kreisen.  Die  Ähnlichkeit  dieser  Geschichten, 
der  von  Tantalos,  von  Sisyphos  und  auch  von  Oknos  in  ihrer 
ganzen  Conception  fällt  in  die  Augen.  So  hat  es  die  gröfste 
innere  Wahrscheinlichkeit,  alle  diese  Gruppen,  wenigstens  so- 
weit sie  eine  erbauliche  Tendenz  haben,  ebenda  entstanden  zu 
zu  denken.  Tantalos  hat  ja  mit  der  Geschichte  von  dem,  der 
ewig  dürstend  und  hungernd  die  Speise  über  sich  und  das 
Wasser  unter  sich  doch  nie  erreichen  kann,  —  in  der  Sage 
safs  jener  am  Göttermahl,  zu  Häupten  hing  ihm  ein  furchtbarer 
Stein  ^  —  ebensowenig  zu  thun  wie  die  Danaiden  mit  den 
nie  zu  Ende  kommenden  Schöpferinnen  oder  Sisyphos  mit 
einem  ewig  erfolglosen  Steinwälzer.  Auch  Tityos  endet  ja  in 
der  Sage  ganz  anders.  Diese  tendenziösen  Umwendungen  und 
Benennungen  sind  aus  einem  Geiste  vorgenommen.  Merk- 
würdig, dafs  dasselbe  Gepräge  einer  volkstümlichen  Erzählung 
oder  eines  Märchens  wie  die  Oknosgeschichte"  auch  die  Geschichte 
von  dem  yepuüv^  hat,  der  mitten  unter  den  schönsten  Genüssen 
sie  nie  erreichen  kann,  und  ähnlicher  Art  ist  der  Volksglaube, 
dafs  die,  welche  unverheiratet  gestorben  seien,  nun  zu  dem 
XouTpöv  ewig  ohne  Ende  Wasser  tragen  müfsten  (das  wird  doch 
wohl  das  Ursprüngliche  gewesen  sein).  Sollte  sich  auch  von 
einem  Steinwälzer  das  Volk  eine  ähnliche  Geschichte  erzählt 
haben?*     Haben  also  jene  Mystiker  harmlose  attische  Volks- 


Orphische  in  Eleusis  Eingang.  Da  scheint  sogar  eleusinische  Lehre  ge- 
worden zu  sein,  dafs  die  Ungeweihten  drunten  im  Schlamm  liegen  würden, 
Aristid.  Eleusin.  p.  421  Dind.  Auf  dem  Bilde  des  Polygnot  safs  ja  auch 
Orpheus  unmittelbar  vor  dem  Haine  der  Persephone  (ohne  Eurydike). 
Man  denkt  unwillkürlich  an  die  unteritalischen  Unterweltsbilder,  über  die 
unten  noch  zu  reden  sein  wird. 

1  Comparetti  Philologus  XXXII  227  ff.  Vgl.  auch  Thrämer  Per- 
gamos  84  ff. 

2  In  zwei  verschiedenen  Versionen,  die  ganz  und  gar  nicht  zu- 
sammenpassen. 

3  Odyss.  XI  684,  690. 

4  Sisyphos  ist  sonst  früher  als  weiser  Mann  im  guten  Sinne  be- 
rühmt, Theogn.  702.  —  Man  verglich  ihn  scherzhaft  mit  dem  KdvGapoc, 
der  ebenso  seine  Mistkugel  wälzt,  s.  Ettig  Achcrunt.  292.  Aisch. 
fr.  2ö3  N*  aus  dem  Cicuqpoc.  Vgl.  das  Sprichwort  KavGdpou  cocpiÜTepoc, 
Crusius  Verband],  der  Philologenvers,  zu  Görlitz  1889  S.  34.     Vielleicht 


—     77     — 

Überlieferungen  und  Märchen  aufgegriffen,  umgestempelt  zu 
Hadesstrafen  und  mit  grofsen  mythischen  Namen  ausgestattet? 
Tityos  dagegen  ist  wegen  seines  wohl  besonders  bekannten 
schlimmen  Frevels  herzugenommeu^,  und  auf  ihn  ist  die  be- 
kannte Götterstrafe  übertragen,  die  eigentlich  bedeutet,  dafs 
ihm  die  Todesgeier  am  Leben  fressen  (s.  oben)  und  er  doch  nie 
sterben  kann.^ 

Wie  aber  auch  diese  Gestalten  im  einzelnen  zu  beurteilen 
sein  mögen,  erst  in  der  Zeit  aufblühender  Mystik  können  sie 
in  den  Homer  eingesetzt  sein,  freilich  von  Männern,  die  schon  in 
bewufster  Spekulation  weit  über  die  rohe  Lehre  von  der  jueGr)  und 
dem  ßöpßopoc  hinausgiengen,  aber  doch  wohl  auch  von  Orphikern. 
Vielleicht  kann  dem  zu  einer  gewissen  Bestätigung  dienen, 
dals  noch  Aischylos  die  Gestalt  und  die  Strafe  des  Sisyphos 
in  engste  Beziehung  zu  orphischer  Lehre  in  seinem  SatyrspieF 
Sisyphos  gesetzt  hat.  Zagreus  wird  dort  angerufen  (fr.  228). 
Und  da  das  Stück  unzweifelhaft  in  der  Unterwelt  spielt  und 
der  Chor  des  Satyrspiels  aus  Satyrn  bestehen  mufs,  so  kann 
ein  Satyrchor  in  der  Unterwelt  nur  zugleich  als  Mysten- 
chor  gedacht  werden.*  So  werden  die  Mysten  in  der  Kunst 
später  als  Satyrn  dargestellt,  und  diese  sind  ja  so  recht  die 
Mysten,  die  der  ewigen  Trunkenheit  geniefsen,  das  Gefolge 
des  Dionysos.     Noch  in  später  Zeit  heifst  es  auf  einer  römi- 


nannte  man  im  Volksscherze  den  Kdv6apoc  geradezu  Cicuqpoc.    Sollten  da 
Metamorphosensagen  hineinspielen? 

1  Bei  ihm  allein  wird  das  Vergehen  genannt,  579  f. 

2  Der  später  auch  in  die  Unterwelt  versetzte  Ixion  war  samt 
seiner  Strafe  längst  im  Volksglauben  vorhanden,  aber  zwischen  Himmel 
und  Erde.  Ähnlich  war  es  mit  anderen,  die  später  in  den  Hades  gesetzt 
wurden. 

3  Das  beweist  der  Ton  mehrerer  Fragmente  226,  227,  233.  Dar- 
über werde  ich  in  anderm  Zusainmenhang  ausführlicher  zu  sprechen 
haben. 

4  Ein  Mystenchor  trat  ja  auch  in  Aristophanes  Fröschen,  in  Kritias 
Peirithoos  auf  (fr.  593).  Bei  Aristotel.  de  art.  poet.  p.  1456*  2  tö  6^  t^- 
TopTov  TepaTüüöec  otov  aX  xe  OopKi&ec  koi  TTpoinrieeuc  Kai  8ca  ^v  "Aiöou 
beziehen  sich  die  letzten  Worte  wohl  gerade  auf  den  Sisyphos  des 
Aischylos;  die  beiden  vorher  genannten  Stücke  sind  auch  solche  des 
Aischylos. 


-     78     — 

scheu  Inschrift  gerade  aus  Thracien  auf  den  Tod  eines  Knaben, 
der  in  die  Schar  der  dionysischen  Mysten  aufgenommen  war, 
dafs  ihn  jetzt  Bromio  signatae  mystides  aufnehmen  würden 
als  Satyrn  zum  Genossen  auf  blumiger  Aue.^  Wie  zuweilen 
auf  Bildwerken  der  trunkene  Chor  der  seligen  Mysteu-Satyrn 
neben  den  Büfsern,  z.  B.  auch  dem  Sisyphos,  dargestellt  ist^, 
so  offenbar  bei  Aischylos.  Er  hat  unzweifelhaft  die  Lehren 
dionysisch-orphischer  Mysterien  parodiert. 

Auch  an  Spott  der  Komödie  über  dieselben  Dinge  hat  es 
nicht  gefehlt.  Auf  nichts  anderes  als  jenes  Gelage  der  Mysten 
beziehen  sich  die  Verse  aus  den  Pfannenleckern  des  Aristo- 
phanes:  'Denn  wir  würden  nicht,  wenn  wir  gestorben  sind,  be- 
kränzt zur  Schau  liegen  noch  mit  Bakcharisöl  gesalbt,  wenn  wir 
nicht  drunten  augekommen  sofort  zechen  müfsten.'^  Eben  da- 
hin gehört  ein  Fragment  aus  dem  Pythagorista  des  Aristo- 
phon,  wo  zugleich  eine  Hadesfahrt  verspottet  wird*  —  wie  wir 
unten  sehen  werden,  wurden  Pythagoreer  und  Orphiker  als- 
bald fast  als  identisch  betrachtet  — ;  dort  heifst  es,  dafs  die 
Pythagoreer  allein  von  den  Toten  mit  dem  Pluton  zusammen 
schmausten    wegen    ihrer    Frömmigkeit.^      So    erwähnt    denn 

1  CIL  in  686  (Macedonien,  bei  Philipp!) 
12  et  separatus  item  vivis  in  Elysiis; 

sie  plaeitum  est  divis  a(e)terna  vivere  for(ma) 

qui  bene  de  supero  lutnine  sit  meritus. 
17  nunc  seu  te  Bromio  signatae  mystides  at  se 

florigcro  in  prato  congreg(em  utij  Satyrum 

sive  canistriferae  poscunt  sibi  Naides  aegu(e) 

qui  ducihus  taedis  agmine  festa  trahas. 
Man  vergleiche  Plutarch  Alex.  2 :  (ai  irepl  töv  Ai|aov  Gpflccai)  ?voxoi  toic 
'OpqpiKOic  KOI  TOtc  uepi  töv  Aiövucov  öpYiacjLioTc  ^k  toö  udvu  iraXaioö. 

2  Vgl.  z.  ß.  das  Sarkophagrelief  bei  Jahn  in  den  Berichten  der 
Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1856  Taf.  III  (S.  275—277),  bei  Robert  Ant.  Sarkophag- 
reliefs II  Taf.  52,  Fig.  140,  S.  153. 

3  Aristoph.  TaYlviCToi  fr.  488  K: 

ou6^  fäp  äv  dtiroSavövTec  4cT€qpavuu|advoi 
TrpouKei|ie0 '  ovbi.  ßaKKÖpei  Kexpi^^voi, 
el  ix-f\  KaxaßdvTOC  eOG^iuc  uiveiv  ^6ei. 

4  Rohde  Rhein.  Mus.  XXVI  657  (s.  u.). 
6  Aristophon  fr.  12.  13  K.: 

äcpx]  KttToßdc  ek  TT^v  biaixav  tüüv  koituj 
ibeiv  ^KdcTOUC,  öiaqj^peiv  b^  iräiiTraXu 


-     79     - 

auch  die  Unterweltsschilderung  des  Axiochos,  die  sich  orphi- 
schem  Glauben  fast  ganz,  wenn  auch  z.  T.  nur  im  Anschlufs 
an  Piatons  Angaben  anschliefst,  cu)inTÖcia  eu|aeXfi  (p.  371"*). 
Solche  Anspielungen  finden  sich  dann  auch  weiterhin  immer 
wieder;    so    beschreibt  Plutarch^   den   Ort   der    Seligen   Kpäciv 

oiov  6  oivoc  ToTc  )Lie0ucKO)uevoic  ejaTioioöcav Kai  töv 

TÖTTov  ev  kukXuj  Kttteixe  Kai  fi\ix)C  Kai  Tiäca  )nouca  TraiSöviiuv 
Kai  Tep-rroiiievujv  eXete  be  Tauir]  töv  Aiövucov  eic  öeouc  dveX- 
9eTv  Kai  ifiv  Ce|ueXriv  dvdYeiv  ücrepov.  Schon  dieser  letzte 
Satz  zeigt,  dafs  Plutarch  die  Tradition  von  Dionysoskulten 
wiedergibt,  welche  die  alten  dionysisch-orphischen  Lehren  damals 
so  eifrig  weiter  pflegten.  Kein  Wunder,  dafs  auch  Lukian''^, 
nun  freilich  die  wunderbaren  Dinge  des  Schlaraffenlandes  ein- 
mischend, von  dem  cu)li7TÖciov  auf  dem  elysischen  Felde  er- 
zählt. Auf  nichts  anderes  bezieht  es  sich  auch,  wenn  in  einer 
Grabelegie  auf  einen  Knaben  aus  römischer  Zeit  gesagt  wird, 
dafs  ihm  die  Thiasoten  des  Dionysos  den  Kranz  geflochten 
hätten.^  Mehrere  der  angeführten  Stellen  —  auch  die  aus 
Piaton  oben  citierte  —  sprachen  es  ja  aus,  dafs  die  Mysten 
bekränzt    drunten   cujuuöciov   halten   sollten.^     Endlich   mögen 


TOUC  TTuSaTopiCTcic  tujv  VCKpiWV  inövoici  fÄp 
TOÜToicx  TÖV  TTXoOruJva  cuccirelv  Sqpri 
br  eöc^ßeiav  —  euxepfi  0eöv  — . 

1  Piut.  de  ser.  nuru.  vind.  p.  565  f. 

2  Ver.  bist.  II  14  (vgl.  5). 

3  Kaibel  Epigr.  153  auf  ein  Knäblein  von  7  Jahren: 
7  ff.    irdcac  fäp  \oißdc  xe  Kai  öcca  )Li^wr|Xe  öeotciv 

€tveK'  ^lif^c  MJUxnc  oO  Xitt€  laeiXixioic. 

Kol  fäp  n'  6ö|n[ö\Ttoio]  öuriTTÖXoi  eipeciuüvriv 

TJeOEavTec  [lieTÖXriv  djtr]acav  eÜKXetriv. 

CT^|H)aa  bi  [\ioi  irX^HavTo]  AiiuvOcou  eiacuirai, 

Trup96[pou  ^v  Arioöc  liucTiJKCt  t'  dSex^Xeov. 

4  In  wie  weit  solche  Vorstellung  auf  die  Darstellungen  der  sog. 
'Totenmahle',  die  ursprünglich  damit  jedenfalls  nichts  zu  thun  haben, 
eingewirkt  hat,  bedürfte  einer  weitläufigeren  Einzeluntersuchung;  s. 
besonders  Le  Blant  rev.  archeol.  XX  1869,  233  ff.,  über  solche  Beziehung 
etruskischer  Grabgemälde  Heibig  Annali  dell'  Instit.  1870,  18  ff.  Die  sehr 
gewöhnliche  Auffassung  der  himmlischen  Seligkeit  als  eines  Mahles  bei 


-     80     - 

hier  nur  noch  die  Verse  des  alexandrinischen  Epigrammatikers 
Dioskurides  auf  Anakreon  einen  Platz  finden,  die  von  diony- 
sischer Trunkenheit  im  Hades  reden,  nicht  ohne  deutlich  an  die 
bekannten  Herrlichkeiten  der  Fluren  der  Seligen  zu  erinnern 
(Anthol.  Pal.  Vn  31): 

CjLiepbir]  uj  em  OpriKi  TttKeic  Kai  eir'  ecxaiov  öcieOv 
KOJjuou  Ktti  Tidcric  Koipave  Travvuxiboc, 
TepTTVÖTttTe  Moucriciv  'AvdKpeov,  ai  Vi  BaOuXXai 
XXujpöv  uTTep  KuXiKuuv  TToXXdKi  ödKpu  x^txc, 
ai»TÖ)aaToi  xoi  Kpfivai  dvaßXu^oiev  dKpi^tou, 
KiiK  luaKdpuJV  TTpoxoai  vcKiapoc  djußpociou, 
auTÖjuaToi  be  qpepoiev  lov,  tö  9iXecTT6pov  dvGoc, 
KTiTTOi  Ktti  laaXaKfi  iLiupia  ipecpoiio  bpöciu" 


den  Christen,  in  ihren  Büchern  (z.  B.  auch  Luc.  XII  37,  XXII  29)  und 
Bildern  (s.  z.  B.  Le  Blant  les  sacrophages  d'Arles  p.  XXXVI,  die  Zusam- 
menstellung bei  FXKraus  Realencykl.  der  christl.  Altertümer  II  355  flF.), 
ist  gewifs  nicht  ohne  Einwirkung  jenes  orphischen  Glaubens  entwickelt 
(über  pie  zeses  u.  dgl.  s.  unten).  Freilich  findet  sich  ähnlicher  Glaube 
bei  den  verschiedensten  Völkern,  je  nach  deren  Kulturzustand  roher 
oder  verfeinerter.  An  die  Gelage  von  Walhalla  brauche  ich  nur  zu  er- 
innern, auch  der  indische  Yama  sitzt  mit  Göttern  und  Seligen  unter 
herrlichen  Bäumen  beim  Trunk  (Zimmer  altind.  Leben  412),  und  Völker- 
schaften Mittelamerikas  lassen  die  Verstorbenen  bei  den  Göttern  in  unter- 
irdischen Höhlen  einkehren,  um  die  Glückseligkeit  einer  ewigen  Trunken- 
heit zu  geniefsen,  Max  Müller  Essays,  deutsche  Übers.  II  238  vgl.  Ettig 
Acheruntica  296,  3.  So  ist  es  natürlich,  dafs  die  Vorstellung  von  der 
Trunkenheit  und  dem  Schlammpfuhl  im  Jenseits  herkam  von  den  rohen 
und  sinnlichen,  leidenschaftlichen  und  religiös-schwärmerischen  und  doch 
wieder  stumpfen  und  düstern  Thraciern.  Merkwürdig,  dafs  wir  auch 
gerade  bei  den  Thraciern  in  später  Zeit  von  Gelagen  am  Grabe  der 
Verstorbenen  hören  und  zwar  durch  Inschriften,  die  den  Thiasoten  des 
Liber  Pater  bestimmte  Summen  zu  dem  Zwecke  widmen,  dafs  von  den 
Zinsen  an  dem  betreffenden  Grabmal  von  ihnen  alljährlich  Schmau- 
sereien abgehalten  würden,  und  zwar  an  dem  Tage  der  Rosalien,  'wenn 
der  Sommereinzug  gefeiert  wurde  und  bakchische  Festlust  herrschte', 
8.  Tomaschek  in  den  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  d.  Wiss.  LX  18G8, 
Phil.  bist.  Classe,  S.  351  ff.  Über  die  Bedeutung  dieser  Sitte  vgl.  Rapp  Be- 
ziehungen des  Dionysoskult  zu  Thrakien  und  Kleinasien  13.  Dafs  es 
noch  alt  nationaler  Brauch  (vgl.  Herod.  V  8)  ist,  zeigen  die  Orts-  und 
Eigennamen  und  ihre  altertümlichen  Endungen,  s.  Töpffer  att.  Genea- 
logie 36. 


—     81     — 

öcppa  Ktti  ev  ArioOc^  olvtüiuevoc  dßpct  xopeucvjc, 
ßeßXriKUiC  xpuceriv  X^ipac  eir'  GupurruXriv.^ 

Ebenso  wenig  wie  das  Glück  der  Seligen  wurde  die  Qual 
der  Verdammten  vergessen^,  aber  doch  traten  in  der  nächsten 
Zeit  diese  Bilder  viel  mehr  in  den  Hintergrund  und  wurden 
erst  in  den  späten  Jahrhunderten,  deren  wüstem  Aberglauben 
solche  rohe  Schreckmittel  wieder  recht  zusagten,  mit  be- 
sonderer Vorliebe  hervorgeholt  und  ausgemalt.  Ein  später 
orphischer  Hymnus  nennt  die  Göttin  des  Totenreichs  geradezu 
ßopßopoqpöpßa'*,  und  Lukian^  erzählt  von  einem  Strome  des 
Schlammes  (ßopßöpou)  in  dem  Strafort  der  Unterwelt,  einem 
des  Blutes  und  einem  des  Feuers,  die  gewaltig  fluten.  Der- 
selbe führt  auch  in  seinem  Alexandros  (c.  28)  einen  Orakelvers 
des  Lügenpropheten  an  als  Antwort  auf  die  Frage,  was  Epikur 
im  Hades  mache,  inoXußbivac  exujv  -rrebac  dv  ßopßöpLU  KderiTai. 

Dieser  Vorstellung  entsprachen  jene  Sühne-  und-  Reini- 
gungsriten der  Orphiker,  wie  sie  von  ihnen  auch  im  5.  Jahr- 
hundert angewendet  wurden:  sie  beschmierten  mit  Lehm  und 
Schlamm  oder  auch  Gips  und  wischten  ihn  wieder  ab  zur  Ver- 
siunbildlichung  der  Reinigung  und  Lustration.  Über  diese 
Riten  des  TrepiiadtTeiv  und  besonders  über  eine  Partie  in  Ari- 
stophanes'  Wolken,  die  solche  Gebräuche  orphischer  Katharten 
damaliger  Zeit  verspottet,  habe  ich  an  anderer  Stelle  ausführ- 
licher gesprochen.^  Dafs  das  die  Leute  waren,  die  den  Rausch 
drunten  und  den  Schlammpfuhl  kannten,  zeigt  deutlich  genug 


1  ==  dv  "Aibou. 

2  Anspielung  auf  die  Geliebte  des  Anakreon  und  zugleich  den 
Namen  der  Unterweltsgottheit. 

3  Auch  bei  Elat.  Phaid.  p.  113^  heifst  es  von  dem  einen  der  ünter- 
weltsflOsse  (dem  Pyriphlegethon)  ^KiriiTTei  eic  töttov  |uefav  irupi  iroXXuj 
Kaö|H6vov  Kai  X{|ivr|v  troiei  neiZcu  thc  irap'  i^|jiv  öaXdTTrjc,  teoucav  uöa- 
Toc  Kai  irriXoC.     ^vreüöev  6e  X^^P^  kükXuj  GoXepöc  koI  TrT]Xu)6iic  ktX. 

4  Papyr.  Paris,  v.  1416  Wess.  s.  de  hymn.  orph.  p.  49.  Weitere 
Verse  des  Hymnus  heifsen  (Pap.  v.  1418 f.): 

t:Iix\\iov  b '  '€pivüv  öpYOYopYOvicrpiav  (s.  oben  'S.  54  f.) 
H/uxäc  Ka|növTÜ)v  4E€T€ipoucav  irupi. 

5  Ver.  bist.  11  c.  30. 

6  Rhein.  Mus.  XL VIII  275  ff. 

Dieteri-ch,  Nekjia.  6 


-     82      - 

die  oben  angezogene  Republikstelle  des  Piaton,  wo  er  im  un- 
mittelbaren Anschlurs  an  jene  Lehren  die  Gaukler  und  Propheten 
schildert^  die  zu  den  Thüren  der  Reichen  gehen  und  sie  glauben 
machen,  dafs  sie  Gewalt  von  den  Göttern  bekommen  hätten 
durch  Opfer  und  Beschwörungen  das  Unrecht,  das  einer  selbst 
oder  seine  Vorfahren  begangen,  zu  heilen;  wenn  einer  einem 
Feinde  schaden  wolle,  so  könnten  sie  das  sehr  leicht,  da  sie 
durch  gewisse  Zwing-  und  Bannsprüche  die  Götter  ihnen  zu 
dienen  bewegen  tonnten.  Es  werden  auch  Dichterstellen  an- 
gegeben, die  diese  Gaukler  anzuführen  pflegten,  von  dem  be- 
quemen Weg  des  Lasters  und  von  dem  langen  und  steilen 
der  Tugend  und  es  wird  eines  Haufens  von  Büchern  des 
Musaios  und  Orpheus,  die  sie  herbeibrächten,  Erwähiiung 
gethan.  Danach  vollführten  sie  ihre  Weihen  und  wOfsten 
Privatleute  und  sogar  ganze  Städte  zu  bereden,  da  sie  Er- 
lösung und  Reinigung  brächten,  noch  bei  Lebzeiten;  durch 
ihre  Weihen  könnten  sie  erlösen  von  dem  Unheil  dort;  die 
aber  nicht  hätten  opfern  lassen,  erwarte  Schreckliches.^ 

Da  haben  wir  das  beste  Bild  von  diesen  damals  schon 
so  abergläubischen  Beschwörern  und  religiösen  Charlatanen.^ 
Diese  Orphiker  hat  Piaton  verachtet  und  bekämpft;  andere 
Orphiker  hat  er  anerkannt,  von  ihnen  gelernt  und  in  seine 
Schriften  vieles  übernommen.  Von  diesen  anderen  wird  nach- 
her zu  reden  sein. 

Die  Gläubigen  der  niedrigen  Winkelmysterien  waren  später 
noch  gerade  so,  nur  noch  zahlreicher  und  noch  abergläubischer 
und  übten  womöglich  noch  plumper  ihre  rohen  Reinigungen. 
Ich  will  nur  die  irriXaiceic  und  KaxaßopßopuOceic  erwähnen  (Plut. 
de  superst.  3),   die   sie  zu  Plutarchs  Zeit  als  Sühnemittel  an- 


1  Tijüv  ^KGt  KaKuJv  diroXiiouciv  riiLiäc,  lui*)  Gücavxac  bk  6€ivct  itepi- 
ludvei.     Das  ganze  von  364«=— 365^ 

2  Wie  sehr  schon  damals  mit  Orpheus  und  Orphischem  Beschwörung 
und  Zauber  verbunden  war,    zeigt  namentlich  auch  Eurip.  Cycl.  646 f.: 

dW  Gib'  ^TTUjbi'iv  'Opcp^ujc  ÖYöSi^v  ircivu 

ujc  auTÖjuaTOv  töv  haXöv  eic  tö  Kpaviov 

CTCixovG'  öqpdiTTeiv  töv  ilioviüttu  uaiöa  yhc- 
(Vgl.  Alcest.  966  tf.) 


—     83     - 

wandten,  ja  sie  wälzten  sieh  nackt  im  Schlamme  und  sagten 
dabei,  was  sie  gesündigt  hätten.^  ( 

Wie  weit  aber  schon  im  5.  Jahrhundert  von  den  orphi- 
schen  Telesten.das  Unterweltsbild,  das  jene  Riten  zur  Voraus- 
setjung  haben,  ausgemalt  war,  zeigt  eben  die  Stelle  der  ari- 
stophanischen Frösche  von  Finsternis  und  Schlamm  und  ewig 
fliefsendem  Kot.  Und  aufserdem  läfst  einen  Blick  in  noch 
weiter  ausgemalte  widerliche  Vorstellungen  derart  thun,  wie  sie 
für  uns  erst  wieder  in  spätester  Zeit,  ja  erst  in  der  Apokalypse 
des  Petrus  auftauchen,  ein  Fragment  des  aristophanischen  Gery- 
tades:  irgend  welche,  die  in  den  Hades  hinabkommen,  soll  weg- 
schwemmen 6  xfic  biappoiac  TrotaiLiöc.  Der  Witz  hat  keinen  Sinn, 
wenn  nicht  irgend  wer  damals  an  einen  solchen  Flufs  im  Hades 
glaubte.    Wir  wissen  ja  nun,  wer  dergleichen  aufgebracht  hat.^ 

Ehe  wir  andere  Wege  verfolgen,  mag  uns  wiederum  ein 
Blick  auf  die  Apokalypse  zeigen,  dafs  es  gerade  diese  Vorstellung 
ist,  mit  der  hauptsächlich  die  Schilderung  des  Straforts  im  Hades 
bestritten  wird:  (v.  23)  Xi)iivri  Tic  fjv  ineTaXti  ireTrXTipuJinevri  ßopßöpou 
qpXetoiaevou,  ev  d)  TJcav  ktX.  (v.  26)  töttov  Te6Xi^)ievov,  ev  w  ö 
iXibp  Ktti  f[  bucujbia  tujv  KoXai^o|Lievujv  Kateppee  Kai  ÜJCTrep  Xi^vq 
efiveTO  eKei.  (v.  31)  ev  be  exepa  Xtjiivri  .uexaXri  Kai  TreTrXrjpuj- 
lae'vr)  iruou  Kai  ai)iaTOC  Kai  ßopßöpou  dvaZieovTOC.  Dieser  furcht- 
bare Pfühl  ist  das  immer  wieder  variierte  Hauptmittel  der 
Qual,  das  erste,  was  in  dieser  Hölle  gedacht  war;  daran  hat 
sich  alles  andere  erst  angeschlossen. 


1  c.  7   TroXXäKic  bk  t^I-ivöc  dv  iTr]Xiu  ia)Xiv6oü|ievoc  ^HoYopeüei  Tivcic 
äjLiapTiac  aÖTOö  Kai  trXrimaeXeiac  ktX. 

2  Ariatoph.  Gerytades  fr.  149.  150,  v.  12ff.  K.     Überliefert  ist: 

TOÜTOuc  YÖp  r|v  TToXXu)  EuvdXBij  suXXaßibv 

6  Ttic  bia^^oiac  -noianöc  oixncexai. 
Von  äöoqpoiTai,  feigen,  erbärmlichen  Leuten,  die  dranten  nichts  aus- 
richten werden,  ist  die  Rede.  iroXuc  hat  man  geschrieben,  unmöglich 
nach  Sinn  und  Sprachgebrauch.  f]v  iroXXoi  Euv^XBuuav,  Xaßiüv  (Kock) 
verstehe  ich  gar  nicht.  In  -rroXXu)  steckt  der  Fehler.  Wenn  sie  das  und 
das  fafst,  wird  sie  der  Diarrhöflufs  fortschwemmen,  in  dem  Doppelsinn 
der  furchtbaren  Angst  und  eines  bekannten  Kotflusses  der  Unterwelt. 
Ich  komme  immer  wieder  auf  ropfiü  zurück:  das  ist  das  Ungeheuer, 
das  Odysseus  fürchtet  in  der  Unterwelt;  aufserdem  vgl.  Frösche  477 
biacirdcovrai  FopTÖvec.  S.  oben  S.  48  f.  Usener  schlägt  vor  f\v  jaöXiuci, 
v^pöev  EuXXaßdiv  ktX. 

6* 


III. 

Orpliisch-pytliagoreisclie  Hadesbüclier. 


Pythagoras  aus  Samos  hat  wohl  scKon  in  seiner  ionischen 
Heimat  die  orphisch-dionjsischen  Mysterien  und  ihre  Propheten 
kennen  gelernt.  Dafs  er  aufserdem  stark  von  apollinischer 
Religion,  vielleicht  gerade  delphischen  Traditionen  beeinflufst 
war,  deutet  eigentlich  schon  sein  Name  an,  es  ist  aber  auch 
durch  vieles  in  Glauben  und  Sitte  seiner  Anhänger  aufser 
Zweifel  gesetzt.  Jedenfalls  aber  hat  sich  mit  der  Ordenslehre, 
die  er  in  Unteritalieu  verbreitet,  alsbald  die  orphische  Doktrin 
aufs  engste  verbunden.  Wir  werden  den  Pythagoras  *für  einen 
jener  religiösen  Reformatoren  des  sechsten  Jahrhunderts  zu 
halten  haben,  die  in  der  tieferen  Deutung  des  längst  geheiligten 
Dienstes  der  chthonischen  Götter  eine  beruhigende  Lösung  des 
dunkeln  Rätsels  von  der  Existenz  des  Übels  und  des  Schmerzes 
suchten:  zu  einer  Zeit,  da  von  ernsteren  Gemütern  zugleich 
die  Qual  des  Daseins  und  der  Schauder  vor  der  drohenden 
Vernichtung  drückender  als  früher  und  bis  zur  Pein  lebhaft 
empfunden  wurde.'^  Der  pythagoreische  Bund  bezweckte  ja 
in  der  Hauptsache,  ehe  nach  mannigfachen  Wandlungen  seiner 
Lehre ^  auch  andere  Interessen  stärker  hervortraten,  nichts 
anderes  als  Rettung  der  Seelen,  Befreiung  aus  diesem  Leibe 
und  Bewahrung  vor  den  Strafen  des  Jenseits.  Wir  können 
von  pythagoreisch-orphisch-bakchischen  Gemeinden  uud  Myste- 
rien  in  Unteritalien   sprechen;    denn   die    einzelnen  Elemente 


1  Rohde  Rhein.  Mus.  XXVI  556. 

2  ADöring  Wandlungen  in  der  pythagoreischen  Lehre  im  Archiv 
f.  Gesch.  der  Philos.  V  503  fF. 


—     85     — 

sind  alsbald  für  uns  wenigstens  ununterscheidbar  in  einander 
geflossen.  Das  Dunkel,  das  immer  noch  über  diese  mysti- 
schen Brüderschaften  gebreitet  war,  ist  vor  kurzer  Zeit  wesent- 
lich gelichtet  worden  durch  die  Funde,  die  man  in  Gräbern 
um  Thurioi  und  Petelia  gemacht  hat,  gerade  in  jenen  Gegenden, 
wo  vor  mehr  als  zweitausend  Jahren  die  geheimnisvollen 
Ordensgenossen  gewandelt  sind.  Auf  den  Goldtäfelchen,  welche 
die  Toten  in  der  Hand  gehalten  zu  haben  scheinen,  stehen 
Verse  verschiedener  Art. 

Drei  Täfelclien,  deren  Inschriften  auf  einen  zu  Grunde 
liegenden  Text  zurückgehen^  geben  einen  Hymnus,  das  Gebet, 
das  der  Myste  drunten  vor  der  Königin  der  Unterirdischen 
und  den  andern  Göttern  sprechen  soll,  um  als  Geweihter 
jener  Mysterien  erkannt  und,  nachdem  die  Leiden  des  kukXoc, 
der  Wanderung  für  die  Seele  überstanden  sind,  eingelassen  zu 
werden  zu  den  Wohnungen  der  Heiligen.  Die  Antwort,  die 
ihm  werden  wird,  steht  gleich  dahinter:  'Seliger  und  Gebene- 
deiter, du  wirst  nicht  mehr  ein  Sterblicher,  sondern  ein  Gott  sein.' 
Ein  merkwürdiges,  nicht  mehr  metrisches  Sätzchen  hat  sich  als 
eine  Art  Mystenparole,  ein  Symbolum  der  Geweihien  erwiesen.* 

Wortreicher  steht  dieselbe  Verheifsxmg  auf  einem  andern 
Blättchen  in  Form  eines  Orakels  ohne  das  Gebet  des  Mysten, 
nur  mit  der  vorausgeschickten  Anweisung,  drunten  nach  rechts 
zu  gehen,  'nachdem  man  alles  sorgfältig  beobachtet  habe.'^ 


1  Diesen  Hyninns,  der  in  3  Varianten  erhalten  ist,  habe  ich  be- 
handelt de  hymnis  orph.  p.  31;  für  den  Text  nnd  dessen  Einzelerklärung 
mufs  ich  darauf  verweisen. 

2  Diese  Inschrift  (zuletzt  bei  Kaibel  IGSl  no.  642;  vgL  de  hymn. 
orph.  37,  4)  lautet: 

'AXX'  ÖTTÖTO^  vjjuxi^  TipoXiirrj  cpdoc  rieXioio, 
beEiöv  €...oiac  bei  Tiva  irecpuXaTM^vov  eO  ^dXa  irävTa* 
Xaipe  iraGubv  tö  Trä0r],ua"  tö  ö'  oöttui  TT[p]öc6e  ^Treirövöeic  • 
0€Öc  ^[t]€vou  iE  dvepujTrou,  epiqpoc  ^c  föXa  Sirexec. 

Xaip[€],  xoipe»  beSiäv  öboiTiopOüv 
Xei|iilrvdc  re  iepouc  KaT[d  t']  äXcea  (t)e[p]c€[q)]oveiac. 
An  der  Herstellung  des  zweiten  Verses  verzweifle  ich  (Kaibel:   eiciöi  ujc 
bei,  hat  ^oiac  dagestanden?),  da  offenbar  nicht  nur  das  metrische  Qeföge 
gelöst  ist,    wie    so  oft  in  der  Überlieferung  dieser  mystischen  Poeme, 
sondern  auch  das  Überlieferte  durch  Ausfall  von  Worten  und  Einschub 


—     86     - 

Ein  drittes  Täfelchen  gibt  ausführliche  Schilderung  dessen, 
was  man  im  Hades  finden  werde:  zur  linken  eine  Quelle  mit 
einer  weifsen  Cypresse  dabei,  der  man  sich  nicht  nahen  solle. 
Eine  andere  Quelle  der  Mnemosyne  werde  man  finden,  aus 
der  kaltes  Wasser  fliefse.  Dann  folgen  die  Worte,  die  man 
sagen  soll,  und  man  wird  von  dem  Wasser  getränkt  werden 
und  dann  mit  den  anderen  Heroen  herrschen.  Die  letzten 
Reihen  sind  verstümmelt  und  unverständlich.  Diese  Inschrift 
ist  für  uns  so  wichtig,  dafs  der  Text  derselben  hier  stehen 
mag  (bei  Kaibel  a.  a.  0.  nr.  641): 

eupr|cceic  b'  'Aibao  ööjuujv  en   apicrepct  xprivriv, 
TTCip  b'  auTfii  XeuKriv  ecxriKuiav  Kurrdpiccov 
Tauirjc  Tfic  Kprjvnc  )ar|&e  cxeböv  ejUTreXaceiac. 
eupriceic  h'  exepav,  li^c  Mvriiuocuvric  dirö  \i|Livric 
vpuxpöv  übujp  TTpopeov  qpuXaKCc  b'  eiriTTpocGev  eaciv. 
emeiv  y^c  fraic  ei|ui  Kai  oupavoö  dciepöevroc, 
auidp  ejLioi  fevoc  oupdviov  TÖbe  b'  icie  Kai  auroi- 
h\\\)r\i  b'  eijui  auri  Kai  dTTÖWujLtar  dXXd  box'  alvpa 
ijjuxpöv  (jbuup  TTpopeov  xfic  Mvr|)uocuvric  olttö  Xijuvric. 
Kau[xoi  co]i  buucouci  irieTv  Beitic  dTT[d  Kpr|v]ric, 
Kai  xöx'  eireix'  d[XXoici  jueO']  fipuuecciv  dvdHei[c. 

.  .  .  iric  xöbe 9aveT[c]0[ai] 

xöb'  efpa[\\)e 

CKÖxoc  djLicpiKaXvjipac. 

Diese  Verse,  offenbar  ausführlicheren  Schilderungen  des  Hinab- 
gangs zum  Hades  entnommen ,  wurden  in  verschiedene 
Formen  gefafst  den  Toten 'mitgegeben,  als  Anweisung  ge- 
wissermafsen  ihres  Wegs  und  dessen,  was  sie  zu  beobachten, 
und  der  Worte,  die  sie  drunten  zu  sprechen  hätten. 

Auf  einer  weiteren  Tafel  haben  die  Herausgeber  leider 
nur  die  Namen  TTpUüxÖYOVOC,  ffi  Tra)Li|ur|xujp,  KußeXn,  Köpr|,  Tuxri; 
Odvnc,  ArmriXTip  entziffert \  Namen  freilich,  die  aufs  deutlichste 


anderer  Formeln  geradezu  sinnlos  geworden  ist;  sieben  Füfse  in  einem 
Verse  wären  sonst  in  solcher  Poesie  gar  nicht  ohne  Beispiel  (s.  unten 
S.  107). 

1  Journal  of  hellenic  studies  III  114,  Notizie  degli  scavi  1879,  157. 
Kaibel  hat  diese  Namen  übersehen  (s.  Gomperz  D.  Ltztg.  1892  Nr.  51 


-     87     - 

zeigen,    dafs   die   orphische   Lehre,  die   wir  genauer  erst  aus 
viel  späterer  Zeit  kennen,   schon  damals  bis  zu  der  charakte- 
ristischen   Gestalt    des    TTpujTÖYOVOC    Octviic    entwickelt    war. 
Kybele,    die   grofse  Mutter,    war  ja  auch  schon  froh  in    den 
Kult  von  Eteusis   gekommen  und  ist  gewifs   schon  in  Athen 
in  den   orphisch- dionysischen  Kult  aufgenommen^,    vielleicht 
samt  manchen  fremdländischen  Bräuchen,  wie  sie  die  fremden 
Kultgenossen  der  Mr|Tr|p  itieYciXri  namentlich  imPeiraieus  geräusch- 
voll ausübten.    Gerade  mit  orphischen  Riten  scheint  denn  auch 
die  grofse  Mutter  nach  Eom  in  den  Kult  der  Bona  Dea  ge- 
kommen zu  sein.*     Von  der  Allmutter  Erde  wird  gleich  noch 
die  Rede  sein,  Köre  aber  und  Demeter  nehmen  nicht  Wunder 
in   solchem  Älysterienkult.^     Auffallen  könnte  die  Tyche,  die 
in  solchem  Kreise  für  uns  erst  wieder  im  LXXII.  Hymnus  der 
orphischen  Liedersammlung   erscheint,  wo   sie   merkwürdiger- 
weise auch  als  TU)aßibir|   angerufen  wird.     Sollte   sie  in  jener 
orphisch-pythagoreischen  Lehre  als  eine  Verteilerin  der  neuen 
Lebenslose  in  der  Unterwelt  eine  RoHe  spielen?* 

col.  1644).  Meine  Bemühungen,  über  den  Text  dieser  Tafel,  der  lesbar 
aber  unverständlich  sein  soll,  weitere  Auskunft  zu  erlangen,  sind  erfolg- 
los geblieben. 

1  Oder  war  gar  schon  in  der  thracischen  Heimat  mit  ihm  ver- 
bunden gewesen,  s.  Strabo  X  p.  469  ff.  mit  den  Citaten  aus  Pindar  und 
Aischylos. 

2  Vgl.  Philologua  LH  (1893)  6,  7  ff. 

3  Unter  den  orphischen  Hymnen  stehen  XL  ArmriTpoc  'GXeuci- 
vi'ac  (darin  zugleich  Köre  v.  13),  XLI  Miirpöc  'Avxaiac  (darin  Eubn- 
leus  V.  8),  XLII  MicTic  zusammen,  in  denen  ganz  ausdrücklich  (XL  6, 
XLI  4,  XLII  5)  die  eleusinische  Herkunft  der  Gottheiten  betont  wird. 
Ganz  analog  stehen  zusammen  auf  einer  Inschrift  von  Faros  bei  Bechtel 
Inschr.  ion.  Dial.  Nr.  65  (zuerst  publiciert  'AGi^vaiov  V  15  Nr.  5):  'Epa- 
ciuirr)  TTpdcujvoc  "Hpr),  Ar||jr|Tpi  Becpoqpöpip  koI  Köpt)  koI  Ali  Gußou- 
Xei  Kol  Baßoi.  Dieses  inschriftliche  Zeugnis  für  Baßiü  wie  andere 
(CIG  4142;  Kuhns  Zs.  XXYIII  386  Nr.  2;  Bull,  de  corr.  hell.  1879,  377), 
auf  die  mich  Wilhelm  Schulze  aufmerksam  macht,  habe  ich  Philol.  LIl4ff. 
heranzuziehen  versäumt.  Das  Vorkommen  der  BaßiO  mit  den  eleusini- 
schen  Mysteriengottheiten  gerade  in  Faros  ist  für  die  Geschichte  dieser 
Göttin  und  vielleicht  auch  der  Mise  nicht  unwichtig  (s.  Philol.  a.  a.  0. 
S.  12). 

4  Sonst  wird  Tyche  in  orphischer  Lehre  nur  einmal  bezeugt  bei 
SimpHc.  in  Aristot.  phys.  aixscult.  II  4,  p.  333, 15  Diels:  koI  irap'  'Opqpei  bk 


Denn  die  Lehre  von  der  Seelenwanderung  ist  auch  auf 
den  Täfelchen  das  Bemerkenswerteste,  *Ich  habe  Bufse  ab- 
gelegt wegen  ungerechter  Thaten',  sagt  der  Myste,  der  nun 
aus  dem  schrecklichen  schmerzensreichen  'Kreis'  entronnen 
ist.^  Dieser  kukXoc  ist  der  Kreislauf  immer  neuer  Geburten, 
bis  die  Seele  dahin  zurückkehrt,  von  wo  sie  ausgegangen  ist, 
und  der  Kreis  damit  geschlossen  ist.  Denn  sie  ist  göttlichen  Ge- 
schlechts, ist  ein  Gott  gewesen  und  wird  nun  wieder  ein  Gott^, 

|Livr||LiTic  xer()XY\Ke  {^  Tüxi)  0^»  das  auf  den  Hymnus  geht,  kann  man 
nicht  wissen.  Vielleicht  ist  sie  geradezu  eine  Art  Todesgöttin  wie  MoTpa 
auch  in  dem  Täfelchen  dXXd  fxe  Moip'  dbd|Liaccev  — ,  s.  de  hymn.  orph. 
S.  31,  V.  5.  Dazu  vgl.  jetzt  in  der  Inschrift  von  Gytheion  in  der  '€q)r|)a. 
dpx.  1892  (Athen  1893)  p.  199: 

f^pirace  _  v^  v^  _  Moipa  rrpöc  äGavdxouc. 
Aufserdem  s.  Soph.  fragm.  624  N*: 

ou  Y^P  'n^PÖ  noipac  r^  Tüxr)  ßidSexai. 
Moipa  und  TOxn  werden  nebeneinander  genannt,   Eurip.  Iph.  Aul.  1137, 
Verteilerin  der  Lebenslose  ist  die  eine  Moipa  (LachSsis)  in  der  Unter- 
welt bei  Plato  (Rep.  X  p.  eiT")  vgl.  fragm.  trag.  ine.  505  N^: 
r^  xd  evrixujv  Kai  xd  öeia  irdvx'  eTriCKOTTOÖc'  <(dei^ 
Kai  vejuouc'  t^jliujv  ^Kdcxm  xt^v  kox'  dSiav  Tüxn 
laepiba. 
Die  Seelenwanderung  wird  auch  als  xpoxöc  xfjc  Y^veceujc  (orph.  Frgm.  226), 
als  rota  (Verg.  Aen.  VI  748)  bezeichnet.     Tyche  mit  dem  Rade  wäre  sehr 
wohl  als  Verteilerin  der  Lebenslose  und  Lenkerin  des  kükXoc  zu  denken. 
Tyche  und  Moira  sind  später  immer  mehr  in  einander  geflossen.     Auch 
TOxai  giebt  es  später  (Abraxas  105  f).     Bei  Nicetas  Eug.  hat  Tüxn   die 
merkwürdigen  Beinamen  dTpva,  iraXainvaia,  dXdcxuip,  Rohde  gr.  Rom.  282, 1. 
Die  Neugriechen  reden   auch   von   der  TOxti   eines  einzelnen  Menschen, 
BSchmidt  Volksleben  der  Ngr.  221.     Über   ähnliche  Vorstellungen  von 
der  Moira  s.  Abraxas  74  und  95. 

1  In  dem  Text  de  hymn.  orph.  31  bes.  v.  4  und  8. 

2  Dafs  die  seligen  Geister  der  Verstorbenen  zu  den  'Göttern  ein- 
gehen, ist  uralter  Glaube  (vgl.  Hesiods  Werke  122).  &ai|aovec  werden  sie 
öfter  genannt  (Aisch.  Pers.  618,  Eur.  Ale.  1003;  so  ist  auch  Ale.  1140  ludxnv 
cuväipac  öai|Liövujv  xip  Koipdviu,  nämlich  dem  Odvaxoc,  zu  erklären;  schon  be- 
ginnt sich  der  Ausdruck  6ai|aovec,  der  für  die  Verstorbenen  als  'Götter'  ge- 
bräuchlich geworden  war,  abzuschwächen  so  sehr,  dafs  man  auch  die  Toten 
als  dem  Thanatos  unterthan  typiijch  so  nennen  kann :  man  darf  solch  leises 
Durchscheinen  späterer  Bedeutung  nicht  übersehen,  am  wenigsten  durch 
Änderung  zukleben),  was  in  alter  Zeit  wenigstens  so  viel  als  Öeöc  ist. 


—     89     - 

nachdem  sie  das  näQr]^a  erlitten  hat  (das  sie  früher  noch 
nicht  ausgeduldet  hatte:  nämlich  als  sie  früher  in  den  Hades 
kam,  da  sie  dann  immer  wieder  in  einen  Leib  eingehen  und 
noch  weiter  leiden  mufste);  die  Seele  hat  nun  endlich  für  unge- 
rechte Thaten  die  Strafe  abgebüfst.  Es  wird  also  ein  Sünden- 
fall göttlicher  Geister  gelehrt. 

Wer  diese  Seelenwanderung  zuerst  gelehrt,  ob  die  Pytha- 
goreer,  ob  die  Orphiker  —  bald  diesen,  bald  jenen  wird  das 
zugeschrieben  — ,  ob  sie  von-  solchen  Mystikern  selbständig  ent- 
wickelt oder  von  anderen  übernommen  und  von  wem,  das  ist  alles 
bisher  nicht  auszumachen  grewesen.    Für  uns  tritt  diese  Lehre 


Es  ist  eigentlich  schwer  zu  begreifen,  wie  Bernays  die  Vorstellnng,  die 
dem  ÖTTicuu  be  öeol  reX^Bovrai  v.  104  des  pseudo-phokylideischen  Gedichts 
zu  Grunde  liegt,  mit  so  grofser  Entschiedenheit  für  'ungriechisch'  und 
'unrömisch'  erklären  konnte  (über  das  Phok.  Ged.,  Gesamm.  Schriften 
I  205).  Hamack  hätte  das  auch  nicht  für  christlichen  Ursprung  geltend 
machen  sollen,  der  freilich  eine  Menge  Beispiele  für  diese  Ausdrucks- 
weise auch  bei  den  Christen  anführt,  Dogmengesch.  I  82,  2;  Theol.  Litztg. 
1885  Sp.  160.  Auch  der  Schlufs  der  vielfach  verwandten  pythagoreischen 
Xpucä  SiTT]  lautet,  v.  70 f.: 

f|v  ö'  diroX6iv|;ac  cu)|ua  Ic  aiO^p'  ^XeuGepov  fX9r)c, 
ecceai  dGävaroc  9eöc  ä)aßpoTOC,  oök^ti  GvriTÖc. 
Ahnlich  schon  Empedokles  (v.  355  Stein) : 

Xaiper',  ifw  ö'  ömuiv  Oeöc  a|ußpoTOC,  ouk^ti  övriTÖc 
TTUjXeüiaai  luexö  iräci  T6Ti|i^voc . 

Für  Römisches  brauche  ich  nur  an  die  dei  parentes  zu  erinnern  (Steu- 
ding  bei  Röscher  Lex.  II  244),  z.  B.  Comel.  Nep.  fr.  28  p.  123  flalpi: 
«6i  inortua  ero,  parentabis  mihi  et  invocabis  deum  par entern.  In  eo 
tempore  non  pudet  te  eorum  deum  preces  expetere,  quos  vicos  ac  prae- 
sentes  relictos  atque  desertos  hahueris?  vgl.  Catull  68, 65.  —  Die  dem  Dionysios 
von  Halikamass  zugeschriebene  Ars  rhet,  VI  5  gibt  sogar  als  allgemeine 
rhetorische  Vorschrift  für  die  Grabrede,  man  müsse  zuletzt  über  die  Seele 
sprechen,  dafs  sie  unsterblich  sei,  und  dafs  es  für  solche  Männer  wie  diese, 
die  unter  den  Göttern  sein  werden,  besser  war,  dorthin  zu  gehen.  Eine 
Stelle  des  aischvleischen  Agamemnon  (v.  1547  fif.)  Tic  K  ImTÜjißiov  aivov 
lir'  dvöpi  eeiuj  —  irovricei  (der  Chor  fragt  so,  als  Agamemnon  er- 
schlagen und  keiner  von  seinen  Blutsverwandten  da  ist)  zeigt,  dafs 
auch  damals  in  Griechenland  der  nächste  Verwandte  die  Pflicht  hatte, 
dem  Toten  als  einem  0eöc  die  laudatio  funebris  zu  halten.  Doch  würde 
es  hier  zu  weit  führen,  diese  laudationcs  und  ihren  sacralen  Inhalt  zu 
verfolgen. 


-     90     - 

in  Griechenland  zuerst  in  den  besprochenen  orphisch-pytha- 
goreischen  Kreisen  auf.  Das  Leben  oder  die  Leben  sind  Strafe 
für  alte  Schuld,  das  ist  die  Lehre,  und  dort  wird  auch  zuerst 
das  Wort  von  dem  Kerker  dieses  Leibes  (cüjjua  —  cnjua)  ge- 
sprochen sein,  das  bald  dem  Philolaos  als  dem  ersten,  bald 
den  Orphikern  ausdrücklich  zugeteilt  wird.^ 

Dafs  die  beiden  Quellen  der  Lethe  und  der  Mnemosyne 
so  erst  für  die  Seelenwanderungslehre  gruppiert  und  gedeutet 
sind,  liegt  auf  der  Hand;  darum  können  sie  aber  doch  auf 
alten  volkstümlichen  Glauben  zurückgehen,  auch  wenn  wir 
dafür  kein  Zeugnis  haben^,  und  vielleicht  beide  aus  alten  Vor- 
stellungen vom  'Jungbrunnen'  geflossen  sein.^  Ob  die  Mne- 
mosyne- und  Lethequelle  in  der  Höhle  des  Trophonios  zu 
Lebadea  nach  Pausanias'  Schilderung*,  der  auch  von  einer 
Tuxri  dyaeri  neben  einem  bai|aujv  dtaGöc  (nebeneinander  au- 
gerufen auch  in  den  orphischen  Hymnen  LXXH  und  LXXHI) 
spricht  und  Demeter  dort  erwähnt,  erst  der  Einwirkung  orphi- 
schen Glaubens  ihr  Dasein  oder  ihre  Benennung  verdanken, 
würde  sich  mit  Sicherheit  schwerlich  entscheiden  lassen.  Von 
dem  Vorhandensein  derselben  Vorstellungen  im  späteren  orphi- 
schen Kult  zeugt  der  LXXVH.  Hymnus  auf  Mnemosyne,  der- 
mit  der  Bitte  schliefst  (v.  9 f.): 

fUJCTaic  |Livr|)uriv  ETreYeipe 
euiepou  xeXeTfic,  XriGriv  b'  diro  roivb'  dTTÖTreiLiTTe. 

Von  Pythagoras  wird  es  als  etwas  ganz  besonderes  angegeben, 
dafs  er  im  Leben  und  im  Tode  Erinnerung  ()Livr||uriv)  gehabt 
habe  an  das,  was  er  erlebt  (Laert.  Diog.  VH  4).    Eine  Trennung 


1  Plat.  Kratyl.  p.  400*'  wird  es  denen  äjnqpl  'Opq)^a  zugeschrieben, 
den  Philolaos  citiert  Clem,  AI.  Strom.  III  433,  Theodoret.  graec.  äff.  cur. 
V  14. 

2  AViGnc  ireöiov  kommt  zum  ersten  Male  gerade  in  jener  Frösche- 
seene  vor,  s.  Rohde  Psyche  290. 

3  Grimm  Deutsche  Mythol.^  554.     Rohde  gr.  Roman  207. 

4  Pausan.  IV  39 ff.:  \'va  \ri0ri  Y^vrirai  trdvTUJv  ä  x^oic  ^qppövTiZe  Kol 
^Ttl  Tuj6e  äWo  aöOic  xibwp  it(v€iv  MvrnuocOvric*  ärrö  toütou  tö  lavrmoveüeiv 
Tct  öqpO^vra  oi  KOToßdvTi.  Der  Wiederaufgestiegene  wird  auf  einen 
öpövoc  MvniuocüvJic  gesetzt,  er  mufs  sagen,  was  er  gesehen  und  gehört, 
und  das  wird  ihm  dann  ausgelegt. 


—     91     — 

der  Toten  im  Hades  in  solche,  die  der  |Livri|uri  pflegen,  und 
solche,  die  der  XriGn  anheimgefallen  sind,  ohne  dafs  aber  die 
Symbolik  der  beiden  Quellen  erwähnt  würde',  gibt  auch 
Plutarch  an  einer  freilich  sehr  verderbten  und  im  einzelnen  viel- 
fach unverständlichen  Stelle  au  (de  occult.  viv.  c.  VII  p.  1130''): 
das  Leben  der  Seligen  schildert  er  auch  mit  Versen  des  oben 
(S.  30)  angeführten  Pindarfragments  und  erwähnt  dann  auch 
biarpißdc  exouciv  ev  jLivr||iiaic  Kai  Xö-foic  tujv  tctovötujv 
Ktti  ÖVTUJV.  Er  erwähnt  dann  auch  das  Geschick  der  Gott- 
losen: fi  be  TpiTri  Tuiv  dvociujc  ßeßiujKÖTWv  Kai  irapavömuv  oböc 
(von  zwei  Wegen  ist  bisher  nicht  die  Rede  gewesen)  ecTiv 
eic  epeßöc  ti  Kai  ßdpaOpov  ujGoöca  rdc  ipuxdc, 

evOev  TÖv  direipov  epeuYovxai  ckötov 

ßXriXpoi  bvoqpepäc  vuktöc  iTOTajLioi 
(offenbar  aus  demselben  Pindargedicht,  wo  also  auch  von  dem 
Aufenthalt  der  Ungerechten  drunten  die  Rede  war)  bexö,uevoi 
Ktti  dTTOKpÜTTTOVTec  dTVOici  Kai  Xr|9ri  touc  KoXaCojLievouc. 
Fragen  wir,  woher  Plutarchos  diese  Schilderung  entnahm,  so 
wird  jedem  der  beachtet,  wie  eng  diese  Prosasätze  zusammen- 
hängen mit  den  citierten  Versen  —  und  die  zwei  zuletzt  an- 
geführten sind,  wie  auch  das  Metrum  zeigt,  aus  demselben 
Pindargedicht,  aus  dem  die  zuerst  ausgeschriebenen  waren, 
die  wir  mit  einer  ganzen  Reihe  der  nächst  folgenden  aus 
desselben  Plutarch  consol.  ad  Apoll,  c.  35  kennen,  —  jedem 
wird  klar  sein,  dafs  das  ganze,  soweit  es  angeführt  wurde,  teils 
wörtlich,  teils  paraphrasiert  denselben  pindarischen  Threnos 
wiedergibt.  Wo  wir  aber  dessen  Quelle  zu  suchen  haben, 
kann  erst  später  erörtert  werden,  und  dann  wird  auch  die  Tpiti] 
öböc  nicht  mehr  unerklärt  bleiben. 

Zunächst  gilt  es  noch  ein  merkwürdiges  Beispiel  einer 
verwandten  Auffassung  der  Xr|9ri  zu  erklären,  das  erst  durch 
die  neue  vatikanische  Epitome  des  Apollodor  bekannt  wird. 
Dort  heifst  es  (c.  VI  3  p.  58  Wagner):  Griceuc  be  ^erd  TTei- 
piOou  Tiapaf  evö)Lievoc  eic  "Aibou  eHaTraidTai,  koi  ibc  Heviujv  laexa- 

1  Ein  Gegensatz  zweier  Quellen  scheint,  wenn  ich  recht  verstehe, 
wenigstens  durch  bei  Lukian  de  Inct.  c.  5  TrcpaiiwG^vrac  hä  Tr)v  Xl^vr|v 
ec  TÖ  ecu)  Xeijuibv  utrob^x^Tai  |i^Tac,  tu»  äcq)o6^Xuj  KardqjUTOC,  xai  ttotöv 
,uvrifir|c  iroX^iaiov  XriSiic  toöv  b\ä  toOto  ujvö)iacTai. 


—     92     — 

Xriv|JO|Lievouc  TrpuJTov  ev  tlu  ific  ArjGric  eiire  Ka9ec0fivai 
Gpöviu,  &  TrpoccpuevTec  CTteipaic  öpaKÖVTUJv  KareixovTo. 
Auf  dem  Gemälde  des  Polygnot  waren  die  beiden  gemalt  em 
Gpövuuv  Ka6eZ;ö,uevoi\  und  von  Panyassis  wird  berichtet^,  dafs 
bei  ihm  Griceuc  Kai  TTeipiöooc  erri  tujv  Gpövuuv  Trapdcxoivxo 
cxfjiua  ou  KttTct  bec|udjTac,  rrpoccpuec  be  dirö  xoö  xp^toc 
dvTi  beciLiOuv  ccpiciv  eqpri  xfiv  Trexpav.  Von  einem  Thron 
der  Lethe  ist  da  noch  keine  Rede^,  aber  ein  solcher  furcht- 
barer Fels  ist  gewifs  wieder  zu  erkennen  in  den  Drohworten 
des  ianitor  Orci  an  den  vermeintlichen  Herakles  in  den  aristo- 
phanischen Fröschen  (v.  465  ff.),  namentlich  wenn  sie  eine 
*  Nachbildung  der  Drohungen  des  Aiakos  an-  den  wirklichen 
Herakles,  der  den  auf  eben  jene  Weise  gefesselten  Peirithoos 
zu  befreien  kommt,  aus  dem  Peirithoos  des  Kritias  sind^;  sie 
lauten  v.  470 ff.: 

xoia  CxuYÖc  c€  jueXavoKctpbioc  Tre'xpa 
'Axepövxiöc  xe  CKÖireXoc  aijuaxocxaTnc 
qppoupoüci  KuiKuxoO  xe  irepiöpoiuoi  Kuvec^  kxX. 
In  der  Hypothesis  eben  jenes  Peirithoos^  heifst  es:  TTeipiGouc 
em  TTepceqpövric   juvricxeiav   eic  "Aibou  xaxaßdc   xijuujpiac  exuxe 
xfjc  TTpeTTOucTic  ttiixöc  |uev  YCtp  eTTi  Ttexpac  dKivrjXUJ  KaGe- 
bpqt  irebriGeic  bpaKÖvxujv  eqppoupeixo  xdcfiaciv.^ 

1  Pausaa.  X  39,  4. 

2  Fragm.  9  Kink.     Pausan.  a.  a.  0. 

3  Deshalb  ist  eine  Herleitung  der  Apollodorstelle  aus  Pauyaasis 
(Wagner  epit.  Vatic.  ex  Apoll,  bibl.  p.  156  f.)  nicht  thunlich. 

4  S.  v.  Wilamowitz  Anal.  Eurip.  171  f.  Dafs  sie  nicht  nach  dem 
Theseus  des  Euripides  gemacht  sind,  wie  die  auf  jeden  Fall  verwirrten 
Scholien  wollen,  scheint  mir  sicher,  vgl,  Nauck  trag,  fragm.*  p.  478.  Es 
finden  sich  noch  Zeugnisse  der  Grammatiker  über  die  ir^Tpa  toiv  icxiu»v, 
die  auf  tragische  Verse  zurückzugehen  scheinen,  bes.  s.  Photins  lex.  u. 
AicTTOC  und  Aicirm,  vgl.  WHoffmann  Jahrb.  f.  Philol.  1862,  599  ff. 

5  Vielleicht  auch  an  den  Alaivou  \i9oc  v.  194  darf  man  erinnern. 

6  Bei  Gregor.  Corinth.  in  ßhet.  gr.  VII  p.  1312  ff.  (vgl.  v.  Wilamo- 
witz a.  a.  ü.  p.  168). 

7  Unzweifelhaft  ist  das  Sitzen  des  Perithoos  als  eben  jene  Strafe 
aufzufassen  auf  dem  berühmten  Relief  (früher  der  Villa  Albani),  Zoega 
bassiril.  103.  —  Auch  der  V^rgilvers  Aen.  VI  617  meint  diese  Strafe 
und  er  erwähnt  sie  sogar  noch  von  Theseus:  sedet  aeternumque  sedehit 
infelix  TJieseus.    Das  kann  nicht  nur  nach  dem  Homervers  Od.  XI  631 


-     93     — 

Ehe  dieser  schreckliche  Felssitz  Thron  der  Lethe  heifsen 
konnte,  wie  es  meines  Wissens  für  uns  nur  bei  Apellodor 
vorkommt  und  in  einem  Verse  des  Horatius,  der  dort  unzweifel- 
haft eine  solche  Überlieferung  meint  (carm.  IV  7,  27 ff.): 

iiec  Lethaea  valet  Theseus  abrumpere  caro 

vineula  Pirithoo, 
ehe  eine  solche  Benennung  möglich  war,  mufste  Lethe  eben 
durch  den  Gegensatz  von  Mnemosyne  in  den  mystischen  Lehren 
der  Seelenwanderung  die  Bedeutung  der  Strafe  bekommen 
haben.  So  gewifs  zunächst  die  XrjGri  im  Hades  nichts  anderes 
hat  bedeuten  sollen  als  das  Vergessen  alles  irdischen  Leids 
und  alles  irdischen  Strebens,  die  ^Bewufstlosigkeit  der  d)aevriva 
KCipriva',  wie  es  allgemein  bei  Theognis  steht  (v.  704 f.)  TTepce- 
qpövriv  — ,  fixe  ßpoToTc  irapexei  XrjOriv,  ßXciTrTOUca  vöoioVwie 
es  auch  der  Vers  eines  Tragikers^  meint 

ctTTavT'  ec  "AibrjV  ^X6e  koi  AtjGtic  bö^ouc, 

SO  gewifs  ist  jene  andere  Auffassung  eine  totale  Umformung 
der  ursprünglichen  Redeweise,  eine  von  den  Seelenwanderungs- 
lehrern ausgegangene  neue  Deutung.  Diese  liegt  bereits  bei 
Piaton  in  voller  Deutlichkeit  vor  (Rep.  X  p.  621*'°);  er  spricht 
vom  irebiov  Arjönc  und  vom  TTOTa)iöc  Ar|9ric;  und  man  erinnere 
sich  der  Flüsse,  welche  die  Frevler  in  Xrjön  versenken,  bei 
Plutarch-Pindar.  Ob  die  zeitlich  wohl  früheste  Erwähnung 
der  Lethe  bei  Aristophanes  in  jener  Fröschescene  (v.  186) 
bereits  in  eben  diesem  Sinne  zu  nehmen  ist,  wird  sich  kaum 
entscheiden  lassen;  die  oben  besprochene  Tendenz  der  ganzen 


gemacht  sein   (v.  Wilamowitz  Homer.  Unters.  141),   denn  da  stand  ja 
nichts  von  jenem  Sitzen. 

1  Rohde  Psyche  290,  2. 

2  Fragm.  adesp.  372  N-.  Es  wird  Eoripides  sein,  wie  sich  nach 
den  kürzlich  über  den  thesauriis  sententiarum ,  der  dem  Plutarch  zur 
Hand  war,  geführten  Untersnchungen  mindestens  sehr  wahrscheinlich 
machen  Heise.  Die  allerdings  beträchtlich  späteren  Erwähnungen  der 
irüXai  Xfi6r|c  u.  dgl.  brauchen  dem  Gedanken  nach  gar  nicht  spät  zu 
sein.  Man  setzte  Xr|9ii  offenbar  ganz  allgemein  zu  allen  möglichen 
Dingen  des  Hades  hinzu.  Den  bekannten  Stellen  ist  hinzuzufügen  der 
Vers  eines  Grabepigramms  aus  Naukratia  dXXct  ce  irpöc  AdGac  dvioxnov 
?boc  in  Flinders  Petrie  Naukratia  I  p.  63,  n.  11,  v.  4,  plate  XXXI. 


—     94     - 

Scene  und  die  mit  Piaton  stimmende  Bezeichnung  (ArjGric  rre- 
biov)  könnten  es  immerhin  wahrscheinlich  erscheinen  lassen. 
Was  die  Übereinstimmung  dieser  Erwähnung  Piatons  und 
Pindars  mit  den  Goldtäfelchen  bedeutet,  wird  unten  klar 
werden.  Jedenfalls  ist  das  augenscheinlich,  dafs  dem  Apol- 
lodor  eine  durch  orphisch  -  pythagoreische  Doktrin  beein- 
flufste  Dichtung  letztlich  zu  Grunde  liegen  mufs;  auch  auf 
die  Überlieferung  des  Pausanias  über  das  Trophoniosheiligtum 
fällt  neues  Licht,  da  sich  dort  ein  Gpövoc  der  Mnemosyne 
findet,  ebenso  parallel  jenem  Throne  der  Lethe  wie  die  Quelle 
der  Mnemosyne  derjenigen  der  Lethe. 

Späte  Nachwirkungen  eben  dieser  letzteren  Vorstellung 
von  den  beiden  Quellen,  um  auch  sie  nicht  unerwähnt  zu 
lassen,  sind  noch  deutlich  bei  den  gnostischen  lustinianern 
zu  sehen,  wo  der  Neophyte,  der  den  Einweihungsschwur  ge- 
leistet und  die  unerhörten  Geheimnisse  geschaut,  von  dem 
lebendigen  Wasser  trinkt;  es  werden  zwei  Wasser  unterschieden, 
drunten  ^unter  der  Feste  der  bösen  Schöpfung'  für  die  clioi- 
schen  und  psychischen  Menschen,  droben  das  lebendige  Wasser 
für  die  pneumatischen  Menschen.^  In  der  gnostischen  Pistis 
Sophia  wird  zweimal  von  einem  poculum  öblivionis  geredet: 
*denn',  heifst  es  an  einer  Stelle,  'wenn  die  Seele  aus  dem 
Becher  getrunken  hat,  vergifst  sie  aller  Orte,  in  die  sie  ge- 
kommen ist,  und  aller  Strafen,  in  die  sie  gegangen  ist.'^ 

1  Hippolyt.  ref.  omn.  haer.  V  27  (p.  230  DS)  ecTi  6^  ö  öpKOC  outoc  • 
öjLivüuu  TÖv  ^ttdvuj  TtdvTUJV,  TÖv  dYCtBöv ,  Tripficai  xd  jnucxripia  *raÖTa  Kai 
^Heiireiv  |iri6evl  |Liri6^  dvaKdiuipai  drrö  toO  d^aGoO  dtrl  Ti^jv  kticiv.  iireibdv 
hk  ö|uöcr),  eic^pxerai  irpöc  töv  a^aQbv  Kai  ßXe-rrei,  öca  ö(p6aX|Liöc  ouk  cibe 
Kol  oöc  OUK  fiKouce  Kai  ^iri  Kap&iav  dvOpujTrou  oOk  dv^ßr],  koI  irivei  diro 
TOö  ZujvTOC  liöaxoc,  ÖTtep  ^cxi  Xouxpöv  aOxoic,  Oüc  vo|ui2Iouci,  itiiTi^ 
ZiuJvxoc  ü6axoc  ä\\o|advou.  6iaK€xuüpicxai  yöp,  qj^civ,  dvd  ^xdcov  ööaxoc 
Kai  öbaxoc,  Kol  Scxiv  libujpxööiTOKdxu)  xoOcTepeiü|iaxoc  xf|C  irovri- 
pdc  Kxiceuuc,  ^v  (|j  Xouovxai  ol  xoixol  koI  vjjuxikoI  ävGpiuTroi,  koI 
€6ujp  ^cxlv  öuepdvüu  xoO  cxepeuü|Liaxoc  xoö  dYCtöoö  ZOJv,  dv  iL 
Xoüovxai  Ol  irveujuaxiKoi  ZAvxec  äyOpiutroi,  ^v  (L  IXoücaxo  'eXtuelj-i 
Kai  Xoucd|aevoc  ou  pexe|ueXri9ri.  In  den  letzten  Worten  erkennt  mau  aufs 
deutlichste  die  alte  Sonnenquelle,  in  der  aucli  der  ägyptische  Ra  sein 
Angesicht  wäscht,  s.  Abraxas  97,  4. 

2  p.  336  (ed.  Schwartze-Petermann) :  tempore  quo  Hiux'l  tWo  hiberit 
e  poculo,  obliviscitur  totiujv  omniunif  in  quos  venu,  et  KoXaceujv  omnium, 


—     95     - 

ipuxpöv  ubuup  heifst  auf  dem  Täfelchen  das  Wasser  aus 
dem  Quell  der  Mnemosyne;  ähnlich  wird  auf  zahlreichen  Grab- 
inschriften der  Herrscher  der  Toten  Aidoneus  oder  meist  der 
in  später  Zeit  immer  allgemeiner  als  Uuterweltsgott  verehrte 
ägyptische  Osiris  in  stehender  Formel  für  die  Seele  des  Toten 
gebeteu:  er  gebe  dir  das  kalte  Wasser.^  Ich  bin  überzeugt, 
dafs  man  in  diesem  ipuxpöv  den  Anklang  an  ^)vxr]  und  auch 
an  ctvavpuxeiv,  euipuxeiv  u.  dgl.  bewufst  gesucht  hat,  scheint 
doch  bei  den  Orphikern  typischer  Ausdruck  von  der  endlichen 
Erlösung  der  Seelen  gewesen  zu  sein  (fr.  226  Ab.) 

kukXou  t'  dXXOcai  xai  dvaipöHai  KaKÖrriTOC, 
und  nicht  ohne  Absicht  wird  in  jenen  Inschriften  mehrmals  euipü- 
Xei  Kttl  boiri  coi  tö  q;uxpöv  übujp nebeneinander  gesetzt.  Man  meint 
ein  Seelenwasser,  ein  Wasser  des  Lebens,  der  Rekreation.^ 

Atheuaeus  hat  uns  eine  Angabe  des  Grammatikers  Nikau- 
dros  aus  Thyatira  erhalten,  der  etwa  unter  dem  dritten  Ptole- 
mäer  zu  Alexandria  seine  'Attikci  övö^ara  verfafste^:  NiKav- 
bpoc    h'    6    Guaxeiprivöc    KaXeicöai   qpnci    vjjuKTripia'*   xai   touc 


in  quos  tneavit.    p.  388:  ferens  aquam  ohlivionis  tradet  eain  w^ym,  ut  ob- 
liviscatur  ra'um  omnium  tt  TOTttuv  otnnium,  in  quos  intravit. 

1  Kaibel  IGIS  1842  (Rom): 

»jjuxpöv  Gbiup  boir]  coi  ävaE  Iv^piuv  'Aiöuuveuc, 
ib  M^av  fißric  Yctp  coi  dTTiüXeTO  q)iXTaTOV  ävöoc. 
1488  0(,eoic)  K(aTax6ovioic).  eOvpuxei,  Kupia,  Kai 
boi  COI  6  'Ocipic  TÖ  \|/uxpöv  ö6u)p. 
1705  (via  Nomentana  bei  Rom): 

D     M 

IVLIA  •  POLTICE 

DOESE 

OSIRIS 

TOPSYCRON 

HTDOR 

(6ibr|   coi  'Ocipic  tö    v^uxpöv   ööujp)    1782  (bei  Rom):  —  euvpüxci,    Kupia* 

öo  (==  bü>)  coi  'Ocipic  TÖ  vjjuxpöv  öbujp.    Für  Osiris  vgl.  z.  B.  1047  ö  \ii.fac 

'Oceipic  6  (?xi"v)  rryv  KOTcEouciav  xal  tö   ßaciXeiov  tOüv  vepT^puiv  öeOuv, 

also  g^naa  wie  oben  Aidoneus  gedacht. 

2  Auch  in  dem  Elysium  des  pseudo-platonischen  Axiocbos  fliefsen 
uTiTal  übctTUJv  KaÖapuiv  (p.  371°). 

3  Susemihl  Gesch.  d.  griech.  Litt,  in  der  Alexandrinerzeit  II  187. 

4  ipuKTTipa  A,  ipuKTT^pac  E;  schon  verbessert  von  Casaubonus. 


—     96     — 

dXcujbeic  Ktti  cucKiouc  töttouc  touc  toTc  0eoTc  dvei|Lievouc,  ev 
oTc  ecTiv  dvavjJuHai  (Athen.  XI  p.  503*').  Die  beiden  Stellen, 
die  dafür  angeführt  sind,  sind  eine  aus  den  Neaniskoi,  also 
der  Lykurgostetralogie  des  Aischylos  (fr.  146  N^) 
aupac^  uTTOCKioiciv^  ev  vpuKtripioic, 
eine  Stelle,  die  irgendwie  mit  dem  thracischen  Dionysoskult 
Zusammenhang  haben  mag,  und  eine  andere  aus  dem  Phaethon 
des  Euripides  (fr.  782  N^): 

vpuKTripia 
bevbpea  qpiXaiciv  lijXevaici  beHeiai^, 
Worte,  die  sich  recht  wohl  auf  den  Hain  des  Sonnengottes 
beziehen  könnten  (s.  oben  S.  21).  Jedenfalls  ist  es  wertvoll, 
dafs  der  Grammatiker  oder  seine  Gewährsmänner  eine  solche 
stehende  Bedeutung  von  ipuKxripia  aus  dem  attischen  Sprach- 
gebrauch entnommen  hat. 

Nun  halte  man  neben  solches  dvavjjuxeiv  und  ijJUKxripiov 
die  in  den  altchristlichen  Inschriften  und  der  altchristlichen 
Litteratur  so  häufigen  refrigerare  und  refrigerium.  Sehr  zahl- 
reich sind  die  Acclamationen  auf  den  Grabschriften  in  refrigerio 
anima  tua;  in  refrigerio  et  in  pace  u.  ä.  oder  aber  rcfrigcra, 
refrigcres,  refrigeret,  refrigeretis,  selten  nur  refrigereris,  häufiger 
deus  te  refrigeret,  tibi  deiis  refrigeret  u.  ä.^  Bei  weitem  am 
häufigsten  ist  jenes  intransitive  refrigerare,  in  dem  niemand 
die  direkte  Übersetzung  eben  jenes  dvaijjuxeiv  verkennen  wird. 
Auch  in  den  litterarischen  Überlieferungen  ist  refrigerium  und 
refrigerare  für  den  Zustand  der  Seligen  nach  dem  Tode  geradezu 
typisch.^     Und  nicht  etwa  blofs  bei  den  Christen  findet   sich 

1  caOpac  ist  überliefert,     aöpac  Valckenaer. 

2  üirriKÖoiciv  A,  Ottockioiciv  E. 

.3  XdScxai  A,  verbessert  von  Casaubonus. 

4  Zahlreiche  Belege  bei  FXKraus  Realencykl.  des  christl.  Altert. 
11  684  ff.  vgl.  VSchultze  Katakomben  268. 

5  Z.  B.  Irenaeus  I  7,  1  iustorum  quoque  animas  refrigerare  et 
ipsas  (griech.  ävarcaücecOai);  VII  6  in  loco  medietatis  refrigeraturum 
. . .  animabus  cum  demiurgo  refrigeraturis  (ävairaucoin^vujv)  in  ae^ernum. 

II  34, 1  de  Lazaro  eo  qui  refrigerabat  in  sinu  Ahmhae.  ~  Tert.  Marc. 

III  24  post  dccursum  vitae  apud  inferos  in  sinu  Abrahae  refrigerium, 

IV  34   utramque   mercedem   creatoris   sive   tormenti    sive   refrigerii 
apud  inferos.     Cyprian.  mortal.  XI  ad  refrigerium  iusti  vocantur,  ad 


-     97     - 

diese  Bezeichnung,  sondern  ebenso  in  einer  Grabinschrift  so- 
genannter collegia  funeraticia,  die  de  Rossi  Roma  sott.  III  39  ff. 
ausführlicher  behandelt  hat.  Die  letzten  Worte  heifsen  hoc 
peto  I  aeco  (==  ego)  Syncratius  a  bohis  unibersis  \  sodalis  ut  sene 
hile  refrigerefis.  Darunter  steht  zur  Bezeichnung,  dafs  es 
eine  Inschrift  des  Familienfuneralcollegiums  der  Syncratii^  ist, 
Syncratiorum.  Und  sogar  auf  dem  Grabe  eines  romischen 
Ritters  in  Rom,  und  zwar  gerade  eines  Lupercus,  findet  sich 
derselbe  typische  Ausdruck  (CIL  VI  2160):  T)[is]  mfanibusj. 
In  Iwc  tumulo  iacet  corpus  exanimis  (für  exanime),  cuius  Spiritus 
inter  de(e)os  receptus  est,  sie  enim  meritus  est.  M.  Ulpius 
MaximUrS  eques  Bomanus  qui  et  lupercus  cucurritj  [hjuius 
loci  refrigerafnjsj  cuius  fania  in  [ajetema  nota  est  etc. 

So  waren  diese  Vorstellungen  und  ihre  so  eigenartigen 
Bezeichnungen  in  der  Kaiserzeit  gewifs  in  vielen  und  in  den 
verschiedenartigsten  Kulten  verbreitet;  sie  waren  ohne  Zweifel 
genommen  aus  griechischen  Mysterienkulten.  Sie  sind  dann 
auch  weiterhin  von  den  Christen  beibehalten,  bald  gewifs 
nicht  mehr  in  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung.  In  einem 
Grabritual  der  griechischen  Kirche  heilst  es  noch:  KÜpie,  ctvd- 
Tiaucov  Tf]V  ipuxnv  ToO  K€KOi.ur|)uevou  bouXou  cou  xoöbe,  ev 
TÖTTiu  x^oepuJ)  fev  TÖTTUJ  ctvaipuHeujc,  evGa  dire'bpa  öbiivri, 
XÜTTri  Ktti  CT6vaY|iöc.  Die  lateinische  Übersetzung  lautet:  domine, 
animae  servi  tui  N.  defuncti  in  loco  lucido,  in  loco  amoeno,  in 
loco  refrigerii,   unde  dolor,   aerumna  et  suspirium  omne  exulat, 


supplicium  rapiuntur  iniusti.  Ähnlich  Actor,  III  19  tU  cum  venerint 
tempora  refrigerii  a  conspectu  domini  etc.  Vnlg.  (griech.:  av  IXBoici 
Koipoi  ävavjJÜEeuJC  dirö  -rrpoctüirou  toü  Kupiou).  Psalm.  LXV  12:  eduxisti 
nos  »n  refrigerium  Vulg.  ((iva\|JUXTiv  Sept.).  Jerem.  VI  16:  et  invenietis 
refrigerium  (äyvicijöv)  animabus  vestris.  In  der  Sap.  Sal.  IV  7  öiKaioc 
bk  i&v  qpedcT)  TeXeuxficai,  ev  ävairaücei  Icrai,  die  alte  lat.  Über- 
setzung hat  in  refrigerio'  Weitere  Belege  für  diese  Worte  findet  man 
bei  Koffmane  Gesch.  des  Kirchenlateins,  I.  Entstehung  und  Entwicklung 
des  Kirchenlateins  bis  auf  Augustin  und  Büeronymus  S.  49,  Ducange 
glossar.  med.  et  inf.  latin.  s.  v.  (s.  auch  refrigeratio ,  das  aber  nicht  so 
wie  refrigerium  für  'Seligkeit'  typisch  geworden  ist)  und  vor  allem 
Rönach  Itala  und  Vulgata*  321  f.  und  378  f. 

1  Über  diese  FamiliencoUegien  s.  die  Zusammenstellung  von  Schiefs 
Die  römischen  collegia  funeraticia  nach  den  Inschriften,  München  1888, 
S.  30ff. 

Dietericb,  Nekyia.  7 


—     98     — 

da  requiem}  Und  auch  in  der  Liturgie  der  römischen  Kirche 
heifst  es  noch  im  Kanon  der  Messe  beim  Memento  für  die 
Verstorbenen:  locum  refrigerii  ut  indulgeas  deprecamur?  Scliwer- 
lich  ahnte  man,  dafs  solche  Sitte  in  letzter  Linie  herstammt 
aus  ritualen  Formeln  unteritalischer  orphischer  Kulte.  Denn 
wie  eng  die  zu  Grunde  liegende  Vorstellung  mit  der  jenes 
ijiuxpöv  ubuup  zusammenhängt,  zeigen  ganz  besonders  deutlich 
die  Worte  einer  griechischen  Grabinschrift  aus  Ägypten "^i 
TTobicov  (==  TTÖTicov)  auTTii  OTTO  öbaboc  (sic)  dvaTrauceoic. 
Dem  ubuüjl)  dvaTrauceiuc  würde,  wie  auch  sonst  so  oft  dvotTraucic 
durch  refrigerium  wiedergegeben  wurde,  genau  entsprechen 
aqua  (fons)  refrigerii.  Und  nur  neben  diese  Analogieen  gestellt 
scheinen  mir  jene  so  vielfach  in  Grabinschriften  gefundeneu 
Acclamationen  niE  ZHCAIC,  PIE  ZESES  und  ähnliche*  ihre 
richtige  Erklärung  zu  finden:  das  Wasser  des  Lebens,  der  er- 
frischende, wiederbelebende  Trank  der  ewigen  Seligkeit  ist 
gemeint. 

Die  berührten  Zeugnisse   stellen   eine   unleugbare  direkte 
Linie  der  Tradition   dar.     Dagegen   alle   die  Aussprüche  vom 


1  S.  bei  Goar  Euchologion  sive  rituale  Graecorum  etc.  p.  424. 

2  FXKraus  Realencyklop.  II  685. 

3  Revue  arch^oT.  1883  p.  204. 

4  Z.  B.  bull,  di  arch.  crist.  ser.  II,  IV  p.  20  uie  Ziricaic,  p.  144  hihe 
zeses,  hihe  multis  annis,  vgl.  bes.  ser.  IV,  I  125  fif.  irie  i^ricric,  VI  23 
2ricT)c  iv  öeCp.  de  Rossi  Rom.  sott.  II  272  me  ^v  0eiu,  Rev.  arch.  XLIV 
(1882)  p.  298  nr.  20  %,  vivas  cum  tuis  piae  zeses,  nr.  21  (dulcis  ani)ma  pie 
zese,  XXVn  (1874)  389  nie  Z:i^caic.  Jahrb.  des  Vereins  von  Altertnms- 
freunden  im  Rheinl.  XVI  75  [m]e  Zrjcaic  KaXuJc,  irie  ^rjcaic  tv  aToGoic, 
TTie  zeses,  LXIV  128  -nie  lr\caic  äei  iv  äYaOoic  (vgl.  LXXI  124).  CILX 
8062,  11  pie  zeses.  Dies  wenige  nur  als  Andeutung  der  Mannigfaltig- 
keit solcher  Sprüche.  Man  vergleiche  auch,  was  OJahn  über  Aufschriften 
römischer  Trinkgefäfse  zusammenstellt  Jahrb.  des  Vereins  von  Altertunis- 
freunden im  Rheinl.  XIII  (1848)  105  ff.  Triceiac 'ist  gewöhnlichster  Trink- 
spruch der  Griechen,  wie  vivas  der  Römer.  Ohne  die  oben  angegebenen 
Beziehungen  aber  bleiben  diese  Sprüche  auf  den  Gräbern  unverständlich. 
Nicht  hierher  dürfen  gezogen  werden  die  inschriftlichen  Formeln  da 
calda  u.  ä.  bei  den  altchristlichen  Mahldarstellungen,  ebenso  wenig  wie 
etwa  das  da  fridam  pusillutn  auf  der  Wand  einer  pompeianischen  Taberne 
(strada  di  Mercurio  nr.  9)  mit  der  Darstellung  eines  Sklaven,  der  einem 
Soldaten  den  Trank  bereitet  (CIL  IV  1291). 


—     99     - 

Wasser  des  Lebens  in  jüdisch-hellenistischer  und  christlicher 
Litteratur  ^  in  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  der  Vorstellung 
der  griechischen  Kulte  zu  bringen,  wäre  kaum  statthaft,  da 
eben  jenes  Bild  bei  so  vielen  Völkern  in  gleicher  Weise  an- 
getroffen wird. 

Dafs  der  Tote  von  Durst  gepeinigt  wird,  ist  ein  uralter 
Glaube;  durch  die  Grabspenden  wird  er  getränkt.  Wenn  hier 
die  Seele  klagt  hi\\)r]i  b'  eijii  auT],  so  wird  man  an  den  Auai- 
vou  XiGoc  in  jener  Scene  der  Frösche  (v.  194)  erinnert^,  und 
es  mag  im  Kreise  dieser  Anschauungen  noch  mancherlei  ge- 
geben haben,  das  uns  entgeht.^  Die  Schrecken  des  Totenreichs 
bestehen  auch  dem  heutigen  Griechen  besonders  darin,  dafs 
es  finster  und  dafs  es  wasserlos  ist:  ^denn  Wasser  und  Licht 
sind  den  Griechen  die  zwei  köstlichsten  und  zum  Leben  un- 


1  Apocal.  loh.  XXn  l  Kai  ?6ei5e  |ioi  Kaöapöv  iroTainöv  öboxoc 
Zu)f\c,  Xa|uirpöv  \hc  KpucraXXov,  ^KTropeuö)aevov  ^k  toö  6p6vou  xoO  9eo0  xai 
Toö  dpviou  (ich  erinnere  auch  an  den  oben  erwähnten  Sonnenstrom  und 
Sonnenquell:  Plaut.  Trin.  IV  2,  98  ad  caput  amnis  qui  de  caelo  exoritur 
sub  solio  loris).  v.  17 :  Kai  6  öuyiliv  eXGexai  Kai  6  Ö^Xujv  Xafißav^TU)  xö 
ö&uip  roific  bujpedv.  Vgl.  Ev.  loh.  IV  10—14.  Ev.  loh.  VU  37 ff.:  iäv  Tic 
bnpqt,  ^px^cGuJ  irpöc  |a6  koI  ttiv^tu).  ö  iricTeümv  elc  k^i,  KaQuic  cmev  f\ 
fpacpi],  TTOTafioi  Ik  ttjc  koiXioc  auxoö  ^eücouav  uöaxoc  20Dvxoc.  Dem 
ähnlich  dann  von  einem  Märtyrer  in  dem  Schreiben  der  Gemeinde  zu 
Lyon  Euseb.  h.  e.  V  1,  22:  er  wird  durch  ein  Gesicht  getröstet  öirö  xoO 
oupaviou  TPiTn^  "TOÖ  u&aToc  xt^c  Zuific  xoö  ^Eiovxoc  ^k  xf^c  vii&üoc  xoö 
XpiCTOü  bpociZ;öfievoc  Kai  ev6uva^oü|nevoc.  Auch  in  der  Apocal.  Henoch 
z.  B.  kommen  Brunnen  der  Gerechtigkeit  und  der  Weisheit,  qpujxivr) 
Tiryff]  übaxoc  u.  dgl.  vor  und  man  braucht  da  nicht  noch  direkt  das 
AVasser  des  Lebens  dex  babylonischen  Mythologie  heranzuziehen  (Schwally 
Das  Leben  nach  dem  Tode  u.  s.  w.  Giefsen  1892,  S.  141).  Im  Judentum 
findet  sich  auch  weiterhin  diese  Vorstellung  Sifre  84*:  die  Worte  der 
Thora  werden  verglichen  mit  dem  Wasser.  Wie  das  Wasser  Leben  ist 
für  die  Welt,  so  sind  auch  die  Worte  der  Thora  Leben  für  die  Welt 
(Weber  System  der  altsynagog.  Theologie  20  f.). 

2  Man  vergleiche  dazu  Aisch.  Eum.  331  fif.:  ö^xvoc  Ü  'Cpivüujv,  ö^cfiioc 
q)peviüv,  dqpöpiuiKxoc,  au  ovo  ßpoxoTc.  v.  267  Kai  J^ujvxö  c'  icxvävac' 
äirdEoiLiai  köxuj,  dvxiiroiv'  luc  xivrjc  )jaxpoq)övou  60ac. 

3  Propert.  IV  5,  2 

terra  tuum  spinis  obducat,  Jena,  sepulcrum. 
Et  itto,  quod  non  ins,  sentiat  umbra  sitini. 


-     100     — 

entbehrlichsten  Dinge' ^;  das  Köstlichste  zu  schildern  gebrauchen 
sie  mit  Vorliebe  den  Vergleich  ^cdv  Kpuö  vepö'  *wie  kaltes 
Wasser'.^    Die  Opfer  des  Charos  in  seinem  Totenzuge  bitten  ihn 

0  lieber  Charon,  halt  am  Dorf,  halt  an  der  kühlen 

Quelle^ 

und  die  Toten  heifsen  sogar  einfach  oi  bn|;ac|aevoi  und  oi  dßpe- 
Xoi^  Die  Kenntnis  solcher  Anschauungen  trägt  nicht  wenig 
dazu  bei,  uns  die  Bitte  des  alten  Griechen  um  das  ipuxpöv 
i)b(jup  verständlich  zu  machen. 

Ein  hauptsächlicher  Glaubensartikel  aber  der  unteritali- 
schen Mysterien  läfst  sich  nicht  so  weit  verfolgen.  Der  Myste 
rühmt  sich  göttlichen,  himmlischen  Geschlechts  zu  sein  und 
nennt  sich  ein  Kind  des  Uranos  und  der  Ge.  Porphyrios 
berichtet  auch  von  einer  solchen  Lehre  (de  abstiu.  III  25 
p.  222,  2)  oder  vielmehr  schon  Euripides,  denn  er  verweist 
auf  diesen,  der  zeige,  dafs  die  gemeinsamen  Eltern  aller  Lebe- 
wesen Uranos  und  Ge  seien,  gerade  da,  wo  er  von  der  Ver- 
wandtschaft aller  Lebewesen  unter  einander  spricht,  weil  sie 
dieselbe  Nahrung  und  dieselben  'Geister'  (rrveujuaTa)  hätten.^ 
Da  ist  diese  Lehre  auch  vereinigt  mit  der  orphisch-pythago- 
reischen  Seelenwanderungslehre  und  offenbar  auch  mit  der  die 
Fleischkost  verdammenden  Lebensweise.  In  der  orphischen 
Litteratur  findet  sich  auch  sonst  die  ffi  }JLr\Tr\p  TrdvTUJV^  wie 
ja  auch  aus  den  Zeichen  des  einen  Goldblättchens  Vf]  Tra|Li)ariTUjp 
erkannt  worden  ist.    In  den  Hymnen  wird  Ge  als  'Mutter  der 


1  Waclismuth  Das  alte  Griechenland  im  neuen  21. 

2  Wachsmuth  a.  a.  0.  51,  19. 

3  Fauriel  neugr.  Volkslieder  II  9,  übers,  v.  Müller,  s.  Wachsmuth 
a.  a.  O.  51,  17. 

4  Passow  carm.  popul.  nr.  371,  6  vgl.  359: 

Xujpic  vepö  ßpeTM^vo'  pai,  X'J'^pic  qpiuTici  Kau|u^vo. 

5  Porphyr,  de  abstin,  III  25  p.  222,  2:  cvTfev^c  -fwiiv  tö  tiDv  Xoiitujv 
Zdnuv  Y^voc.  Kol  YCtp  Tpoqpai  ai  aurai  iröciv  auTOic  koI  irveüiLiaTa  die 
GöpiiriÖTic  Kai  q)oiviouc  ^xei  ^odc  xä  Zi&a  irävTa  xai  koivoOc  ÖTrdvTUJv 
öeiKvuci  Yoveic  oöpavöv  koI  Yfiv(Eur.Fragm.  1004N*).  Dafs  das  Frag- 
ment in  die  Kreter  gehört,  ist  wahrscheinlich  (v.  Wilamowitz  Ind. 
lect.  Gott.  aest.  1893  p.  17),  aber  doch  nicht  sicher. 

6  Diodor.  I  12,  4,  orph.  Fragm.  165  (da  mit  Demeter  gleichgesetzt). 


—     101     - 

seligen  Gotter  und  der  sterblichen  Menschen'  angerufen^  und 
der  Himmel  als  Allerzeuger,  Anfang  und  Ende  von  allem,- 
Bei  Euripides  finden  sich  aber  schon  Spuren  solcher  Lehre 
deutlich  genug.  Himmel  und  Erde,  sagen  berühmte  Verse  der 
Melanippe  (Pragm.  484  N^),  seien  eine  Gestalt  gewesen;  als  sie 
aber  von  einander  getrennt  waren,  gebaren  sie  alles  und  brachten 
es  ans  Licht,  Bäume,  Vögel,  Tiere  des  Landes  und  des  Meeres 
und  das  Geschlecht  der  Menschen.  Nicht  nur,  dals  es  gerade 
auch  schon  in  älterer  Zeit  orphische  Theogonien  gegeben 
hat,  in  denen  Uranos  und  Ge  als  erstes  Paar  am  Anfang 
stand  ^,  nicht  nur,  dafs  diese  dort  auch  nach  einigen  Über- 
lieferungen zuerst  vereinigt  in  der  Form  des  Welteis,  sich 
dann  trennten  und  gemeinsam  weitere  Wesen  zeugten*,  nicht 
nur  solche  parallele  Traditionen  gestatten  uns  die  Kreise  aus- 
findig zu  machen,  in  denen  solche  Weltanschauungen  gepflegt 
wurden:  die  Theogonie,  welche  Apollonios  Rhodios  den  Orpheus 
vortragen  läfst,  hat  mehr  denn  eine  allgemeine  Ähnlichkeit 
mit  den  Versen  des  Euripides: 

Eurip.  Melanipp,  Fragm.  484:  Apollon.  Rhod.  Arg.  I  494 ff.: 
KOUK  ejiöc  6  inOGoc,  d\X'  ejufic  dv  be  Kai  'Opqpeuc 

Urirpöc  Tidpa  Xairj  dvacxö|uevoc  KiGapiv  ttei- 

poZiev  doiöfic 

1  XXXT  1  rata  Ged,  jnfiTep  (laKäpiuv  9vr|Türv  t'  dvepiOrnuv. 

2  IV  1  f.     Oöpave  traTT^v^Top,  köc|liou  jn^poc  aibf  dxeipec, 

TTpecßuT^/eBX',  dpxi^  irdvTiuv  irövriuv  xe  TeXeuTiPi. 

3  Plat.  Tim.  p.  40^.     Lobeck  Aglaopham.  494. 

4  Fragm.  39  Abel  (Athenag.  leg.  pro  Christ,  p.  294)  oöroc  6  'HpaicXfic 
(=  Xpövoc)  ef^vvticev  i}Tiepfiif(.Qec  iböv,  6  cu|i-iTXiipoO|ievov  imö  ßiac 
ToO  T^fevvriKÖTOc  ^K  TrapaTpißf]c  eic  ÖOo  ^ß^dTT  tö  iLxev  ouv  Karo 
K0pU9T(^v  aÖTOö  oöpavöc  etvai  ^TeXecGr],  tö  5^  KarevexO^v  yf[. 
—  Fragm.  38  (Clem.  recogn.  X  c.  30):  Chaos  —  qucLsi  ad  ovi  im- 
manis  modum  per  immensa  tempora  iffedum  peperisse  ac  protulisse  ex 
se  ditplicem  quandam  speciem,  quam  Uli  masculofeminam  vocant  ex 
contraria  admixtione  kuius  modi  diversitatis  speciem  concretam;  et  hoc 
esse  principium  omnitim,  quod  primum  ex  materia  puriore  processerit 
quodque  procedens  discretionem  quattuor  elementorum  dederit 
et  ex  duobus  quae  prima  sunt  elementis  fecerint  caelutn,  ex 
aliis  autem  terram,  ex  quibus  iam  omnia  participatione  sui 
incicem  nasci  dicit  et  gigni.    Haec  quidem  Orpheus.    Auch  in  samo- 


—     102     — 

u)c  oupavöc   Te    YCiid   t'  fjv      ri^ibev  b'  üuc  Yaia  Kai  oupa- 
laopcpri  |uia.  voc  Y[he  GdXacca 

t6  Trpiv  671 '  dWrjXoici  inirj  cuv- 
apripöia  )uopcprj 
eitel  h'  exujpicer|cav  dXXr|-      veiKeoc   eH    oXooio    biCKpiGev 

Xujv  öix«,  djuqpic  CKacia 

TiKTouci  Trdvxa  KdvebcuKaveic     r\h'  ibc  eiUTrebov  alev  ev  aiGepi 

cpdoc,  TeK|uap  exouciv 

bevbpri,  TTereivd,  0fipac  oüc  6'      dcxpa  ceXrivairi  re  Kai  rieXioio 

dX|ur|  xpeqpei  KeXeuöor 

Yevoc  Te  0vriTU)V.  ouped   0'  ibc   dveteiXe    Kai   ibc 

TToxaiuoi  KcXdbovTtc 
aiJTrjciv    vuiuqpriciv    Kai    epTreid 
TidvT'  eYevovTO. 

Es  ist  gerade  keine  schlechte  Üerlieferung,  der  Tzetzes 
folgt,  wenn  er  zu  den  Euripidesversen,  die  er  citiert  (2 — 4 
des  Fragments),  hinzufügt  (Exeg.  II.  p.  41)  KaGd  cpriciv  'Opcpeuc 
xe  6  TtaXaiöc  Kai  'Hcioboc,  "GjLiTreboKXfic  re  cuv  aiiioTc  6  'AKpa- 
tavTivoc  Kai  'Ava^ayöpac  6  KXaZ:o|uevioc  Kai  ö  toO  'AvaHaYÖpou 
TOUTOui  |ua0riTfic  Gupnribric.  Empedokleische  Einwirkungen  sind 
deutlich  in  der  orphisclien  Theogonie  des  Apollonios  (unmög- 
lich wäre  auch  das  Umgekehrte  nicht,  s.  unten  über  Empe- 
dokles),  auch  anaxagoreische  Züge  kommen  später  in  solche 
Lehren  (s.  unten  S.  153  f.  über  Vergils  Aen.  VI  724  ff.);  ange- 
knüpft aber  könnten  solche  Doktrinen  haben  an  hesiodische 
Verse,  welche  die  Götter  öfter  direkt  als  von  Uranos  und  Ge 
entsprossen  erwähnen,  so  Theog.  105  f.: 

dGavdtuJV  lepöv  ycvoc  ai^v  dovxujv, 

o'i  rrjc  t'  eHcYevovTO  Kai  Oupavoö  dctepöevroc, 

Worte,  die  auch  in  der  Form  sehr  an  den  Mystenspruch  der 
unteritalischen  Kiiltgenossen  erinnern.  So  allgemein  auch  eine 
Anschauung,  wie  sie  der  Hesiodvers  ausspricht,  gewesen  sein 
mag*,    die    weitere    Ausdeutung   und    anthropogonische  Ver- 

thrakischer  Mysterienlehre  sollen  Himmel  und  Erde  die  grofsen  Götter 
ein,  nach  Varro  de  1.  1.  V  68. 

1  Z.  B.  auch  Selon  Fragm.  36  B*,  jetzt  vollständiger  in  Aristot.  de 
rep.  Athen,  c.  12: 


—     103     - 

wenduug  derselben  ist  von  den  Mysterieukulten  ausge- 
gangen. 

Dafs  sich  solche  Lehren  bei  Euripides,  namentlich  auch 
die  in  dem  erwähnten  Fragment,  nicht  mit  denjenigen  des 
Anaxagoras  decken  und  dafs  diese  nicht  als  Quelle  jener  Sätze 
gelten  können,  ist  längst  erwiesen.^  Die,  wenn  auch  noch  so 
fragmentarische  Kenntnis  des  pythagoreisch -orphischen  Glau- 
bens in  Unteritalien  läfst  uns  Überlieferungen  ahnen,  die  auf 
den  Tragiker,  dem  die  orphische  Mystik  in  ihren  guten  und 
schlechten  Seiten  recht  wohl  bekannt  war^,  eingewirkt  haben 
müssen.  Darum  mögen  hier  auch  die  merkwürdigen  Verse 
aus  der  Helena  (v.  1013 ff.)  eine  Stelle  finden: 

Ktti  fäp  Ticic  TÜJvb'  ecTi  Toic  Te  vepTepoic 
KOI  ToTc  dvuj0ev  Ttäciv  dv9pa)Troic.    6  voOc 
TUJV  KaxGavövTUJV  Ix]  juev  ou,  yv<jO|iitiv  h'  ex^i 
dGdvaTov  elc  dGdvaxov  ai0£p'  l|HTrecd)V.^ 

Es  ist  am  Ende  eine  Sache  subjektiver  Betrachtungsweise,  wie 
stark  man  sich  die  Einwirkung  religiöser  Lehren  auf  solche 
ja  auch  ohne  das  recht  wohl  möglichen  Verse  vorstellen  will, 
und  es  liegt  mir  fern,  etwa  auch  das  berühmte  Chryslppos- 
fragment  (839  N^),  das  neben  die  Gaia  den  Aither  des  Zeus 
stellt,  den  Erzeuger  der  Menschen  und  Götter,  ganz  aus 
solchen  Einflüssen  zu  •  erklären ,  wenn  ich  auch  darauf  hin- 
weisen möchte,  wie  später  noch  in  den  orphischen  Hymnen 
Aither  neben  üranos  gepriesen  wird  (üranoshymnus  IV, 
Aitherhymnus  V)  als  Trdci  lihoiciv  €vauc)ua,  als  der,  welcher 
allen  Geschöpfen  Leben  gibt,   alles  Leben  entzündet  (V  3).* 


cu|U|napTupoiri  toöt'  äv  ^v  biKt]  xpövou 

liriTrip  laeYicxri  5ai|uöviuv  '0\u|Lnr(iJuv 

äptcxa,  rf\  judXaiva,  ific  äfd)  iroxe  kt\. 
Vgl.  Eurip.  Fragm.  195 N^:  äiravTa  tiktci  %Qihv  izäXiv  xe  Xajußdvei;  dazu 
Menand.  monost.  89,  539,  668;  Enuius  Epicharm.  fr.  IV  Vahl. 

1  V.  Wilamowitz  Analecta  Eurip.  163  ff, 

2  V.  Wilamowitz  Homer.  Unters.  824,  22;  Herakles  I  28. 

3  V.  Wilamowitz  Analecta  Eurip.  164,  4.  Er  schreibt  —  dv9ptü- 
Ttoic  önOüc.  ö  Koxöavdjv  fäp  — •  Man  kann  kaum  sagen  ö  voOc  —  y\/dj^r\v 
exei,  und  ich  wäre  sehr  versucht  lavrmriv  für  fviw|ur]v  einzusetzen. 

4  Dafs  oOpavöc  und  ai6rip  ziemlich  identisch  gedacht  sind,  zeigen 
auch  die  Verse  des  Euripidesfragments  839,  lOff. : 


—     104    — 

Die  Chrysipposverse  fügen  auch  hinzu,  dafs  zu  Erde  und 
Aither  wieder  zurückkehre,  was  daraus  entstanden  sei.  Damit 
ist  der  später  so  geläufige  Glaube  ausgesprochen,  dafs  nach 
dem  Tode  der  Leib  zur  Erde,  die  Seele  aber  zum  Himmel 
oder  zum  Aither  gehe.  So  steht  es  ganz  deutlich  in  den 
Hiketiden:  woher  ein  jedes  gekommen  ist,  dahin  lafst  es  wieder 
gehen,  den  Geist  zum  Aither,  den  Leib  zur  Erde.^  Genau  so 
hat  das  aber  schon  Epicharmos  gesagt:  Erde  geht  wieder  zur 
Erde  und  der  Geist  zum  Himmel,  woher  sie  gekommen  sind.^ 
Also  auch  da  sind  wieder  Uranos  und  Ge  als  Eltern  sozu- 
sagen des  Menschen  gedacht,  und  wir  wären  mit  Epicharmos 
wieder  im  Bereich  der  pythagoreischen  Lehre  des  Westens, 
die  ohne  Zweifel  auch  hier  von  ihm  übernommen  ist. 

Über  jene  anfängliche,  alles  ins  Leben  rufende  Hochzeit 
des  Himmels  und  der  Erde,  über  die  auch  später  noch  die 
Orphiker  in  mannigfacher  Art  gelehrt  und  gedichtet  haben  ^, 


Tct  b'  dir'  alGepiou  ßXacTÖvra  Tovfjc 
eic  oupdviov  TrdXiv  f[XQe  ttöXov. 

1  Eur.  Suppl.  531  ff.: 

Mcax'  i\br]  fi)  KaXucpGrivm  veKpoOc, 
öGev  6'  Skoctov  elc  tö  ca)|u'  dq)iKeTO, 
^vxaOe'  direXBetv,  Trveu|iia  [i^  irpöc  atGdpa, 
t6  c(I)|Lia  &'  elc  y^v.     oöti  fäp  KCKTriiaeGa 
i^lLi^repov  aÖTÖ  irXi^iv  tvoiKficai  ßiov, 
KÖueiTa  Til^v  ep^niocav  outö  bei  Xaßeiv. 
Eine   Anzahl   weiterer   ähnlicher   Stellen   aus   Euripides    und    auch   aus 
anderen,   meist  späten  Schriftstellern  ist  zu  finden  bei  Valckenaer  Dia- 
tribe  65  ff. 

2  Fragm.  23  (Clem.  AI.  Strom.  IV  p.  541**  €i)C€ß)^c  töv  voOv  ireqpuKdJc 
ou  irdSoic  y'  oüb^v  KaKÖv  KorGaviüv.  ctvuj  tö  Trveö|Lia  öiajuevei  Kar' 
oöpavöv.  Fragm.  35  (Plut.  cons.  ad  Apoll.  15  p.  110):  xaXiuc  ouv  6  '£m- 
Xapiuoc-  cuveKpiGrj,  (pr\ci,  koI  feieKpiGri  koI  dTrfjXGev  öGev  fjXGe  itdXiv,  fä  niv 
elc  fdy,  uveOiLia  6'  äviw  t(  TU)v5e  xaXeiröv;  ovbä  hi. 

3  Auch  über  den  iepöc  ydiuoc  des  Zeus  und  der  Hera  ist  später  bei 
den  Orphikern  gedichtet.  Dio  Chrys.  XXXVI  p.  453  toGtov  O|avoöci 
"itaiöec  coqjujv  ^v  d^j!)iiToic  TeXeraic  "Hpac  Kai  Aiöc  ehba\.\xova 
Yd|nov.  Vgl,  Prokl.  in  Plat.  Tim.  V  p.  16":  ^k  tujv  |iiuctikOüv  Xöyujv  koI 
TUJv  ^v  d-rroß^riTOic  XeYO|i^vuJV  iepObv  y^^I^iuv.  s.  orph.  Fragm,  220.  Ich 
will  die  Gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen  einen  Vers  des  XII,  orphi- 
Bchen  Hymnus  an  den  Herakles  als  grofsen  Zeiten-  und  Weltengott 
(iraYYev^Top  v.  6)  richtig  zu  geben,  v.  10  ist  überliefert: 
TipuJTOYÖvoic  CTpdvj/ac  ßoXiciv  |iieYaXiOvu|a€  vaiiuv  (Pierson  u.  Abel  öainov), 


—    105    - 

erfahren  wir  noch  etliches,  das  uns  jenen  Vorstellungs- 
kreis weiter  zurückverfolgen  läfst.  Proklos  berichtet  zu  Pia- 
tons Timaios\  dafs  der  Theologe  d.  i.  Orpheus  die  erste  Ehe 
die  zwischen  üranos  und  Ge  genannt  habe.  Denn  nicht  bei 
vollständiger  Vereinigung  sei  eine  Ehe  vorhanden,  sondern 
wenn  sich  auch  Trennung  der  Kräfte  und  Thätigkeiten  zeige. 
Das  sei  eben  bei  Uranos  und  Ge  zuerst  der  Fall  gewesen. 
Deshalb  hätten  auch  die  heiligen  Satzungen  der  Athener  vor- 
geschrieben, dem  üranos  und  der  Ge  die  Ehen  vorher  zu 
weihen,'^  Sollten  auch  hier  die  Orphiker  einst  schon  an  atti- 
schen Glauben  angeknüpft  haben,  wie  es  an  manchem  anderen 
Punkte  schon  hat  bewiesen  werden  können?     Wie  dem  auch 


zu  lesen  ist: 

TrpiuTOTÖvoic  CTpdvtjac  ßoXiciv  lueTaXurv  öjaevaiiuv, 
die    erstzeugenden    Strahlen   wohl   zugleich   wie   Fackeln    zum    grofsen 
Hymenäus  gedacht.    Proklos  in  seinem  5.  Hymnus  hat  den  Feuergott 
Hephaistos  und  die  Aphrodite  als  Paar  der  Weltenhochzeit,  v.  4 f.: 
iepöv  ibpücavTo  Karct  UToXieGpov  a^aXiLia, 
cü^ßoX'  exov  voepoio  fäfiov,  voepOuv  i))ievaiu)v 
'H<paiCTOU  irupöevTOC  i&'  oupavir|C  'Acppoöirric. 

1  Prokl.  zu  Plat.  Tim.  V  293  irpiüxriv  fäp  vü|H(pT]v  diroKaXd  (6  9eo- 
Xöfoc)  t{\v  rf\y/  Kai  -irpiuncTov  -ft^Mov  ti^v  evujciv  auTf|c  tt^v  irpöc  töv 
Oupavöv.  oö  fctp  ^v  Toic  jxdXicxa  fivuj^^voic  ö  töMOC,  5iö  (pävryzoc  ouk, 
ecTi  Y<iMOC  Kai  Nuktöc  i^vuj|i^va)v  äXXTjXotc  votituic,  dXX'  ev  toic  nexä  Tf\c 
^vujceujc  Kai  tö  5iripii|advov  tujv  6uvd|ueu)v  Kai  toiv  fevepteiOüv  ^möeiKvu- 
laevoic.  Koi  Soike  öiö  tüöto  Kai  Oupavüj  toütuj  Kai  Tri  -rrpocriKeiv  6  ydfioc 
lue  ^Keivov  Oupavöv  Kai  ffiv  feKeivr|v  ^ireiKoviZioiLi^voic.  8  6ii^  Kai  oi  Gec^oi 
Tiüv  'Aörivaioiv  eiöÖTCC  irpoceTaTTOv  Oupavtl)  Kai  fr)  uporeXeiv  touc  fdiuGuc. 

2  An  die  Riten  der  Plemochoen  am  Schlufs  der  grofsen  Eleusinien 
will  ich  nur  erinnern,  ^enn  Lobeck  Proklos  zu  Plat.  Tim.  p.  293 
richtig  bezogen  und  verbessert  hat  (Aglaoph.  775  ff.),  so  liegt  da  sicher 
der  Glaube  an  einen  ähnlicheu  iepöc  T<iMOC  zu  Grunde:  ^v  toic  '6X€uci- 
vioic  iepoic  eic  fxb/  töv  oupavöv  dvaßX^irovTcc  ^ßöujv  'öe',  KOToßX^vpavTec 
6e  cic  TTiv  ffiv  "'küc'.  —  Den  attischen  Tritopatorenglauben  lasse  ich  mit 
Absicht  bei  Seite.  Die  merkwürdigen  Überlieferungen,  dafs  sie  die  ersten 
Wesen  seien  und  von  Uranos  und  Ge  stammten  (Philochoros,  Phano- 
demos,  Demon  bei  Suidas  s.  v.  TpiTOirdTopec,  Hesych.  s.  v.),  dafs  man 
ihnen  vor  der  Hochzeit  Opfer  gebracht  hätte,  Traditionen,  die  auch  bei 
den  Orphikem  weiter  gehen,  bin  ich  aufser  stände  ausreichend  zu  er- 
klären. Zudem  wird  das  alles  bei  richtiger  Deutung  nicht  hierher  ge- 
hören, die  jetzt  geläufige  Deutung  aber  der  Tritopatoren  als  Windgeister, 
Ahnenseelen  u.  dgl.  ist  falsch. 


-     106     - 

sei,  die  Kosmogonie  der  grofsgriechischen  Ordensbrüder,  die  zu 
ihren  Hauptetappen  Phanes-Protogonos,  etwa  das  Weltei  und 
üranos  und  Ge  hatte,  und  ihre  Anthropogonie  einfach  aus 
Uranos  und  Ge  ist  klar  und  kann  ihren  Ursprung  nach  ver- 
schiedenen Seiten  hin  nicht  verleugnen.  Von  der  späteren 
Anthropogonie  der  Orphiker  aus  dem  Blute  des  Dionysos  und 
der  Asche  der  Titanen  ist  also  da  noch  keine  Rede. 

Um  am  Ende  unseres  Weges  noch  einmal  zu  Euripides 
zurückzublicken,  so  konnte  er  die  besprochenen  Aufserungen 
zum  Teil  wohl  schon  im  Anschlufs  an  attischen  Volksglauben 
thun,  aber  es  traten  uns  doch  die-  Spuren  ausgebildeter  orphi- 
scher  Lehre  entgegen,  die  weder  daraus  noch  aus  Einwirkung 
philosophischer  Doktrin  allein  zu  erklären  sind.  Die  pytha- 
goreisch-orphischen  Lehren  wirkten  damals  wieder  stark  auf 
Athen  zurück,  und  den  Epicharmos  endlich  hat  Euripides  auch 
sonst  vielfach  benutzt.  Die  merkwürdige  Thatsache,  dafs  kurz 
nach  431  in  der  öffentlichen  Grabschrift  für  die  Toten  von  Potei- 
daia,  während  auf  den  uns  bekannten  Grabschriften  des  6.  und 
5.  Jahrhunderts  überhaupt  nie  von  irgend  welchem  Leben 
nach  dem  Tode  und  weiterhin  auch  nur  selten  vom  Hades 
die  Rede  ist,  dafs  nun  auf  einmal  auch  da  der  Satz  steht: 
•  der  Aither  nahm  ihre  Seele  auf,  die  Leiber  die  Erde,  so  mag 
das  der  Einflufs  der  Philosophie,  der  Poesie  und  jener  Mystik 
zugleich  bewirkt  haben.  Den  Satz  hat  man  dann  später  öfter 
über  die  Gräber  gesetzt^,    ohne    damit   im    entferntesten    die 


1  Grabschrift  von  Poteidaia  CIA  I  442,  nach  431  v.  Chr.: 
AiGr^p  pL^n  vpuxctc  öirebäHaxo  cijO[|aaTa  bk  xöibv] 
TUJvbe.     TToTeiöaiac  b'  ä|uq)l  irOXac  I6[anev]. 
Att.  Grabschr.  (Peiraieus.  4.  Jh.)  Kaibel  p.  41: 

6üpu|Lidixou  ijjuxii^v  Kai  O-rrep^idXouc  öiavolac 
alGVjp  ÖTpöc  ^xei,  cu)|ua  bi  rOiußoc  ööe. 
Kaibel  ep.  156  (ungef.  1.  Jh.): 

YJaia  ^xäv  eic  qpdoc  fjpe,  CißOpxie,  yaia  bi  KcüGei 
cu)|ua,  TTVoi'iv  6'  alGi^p  fXaßev  irdXiv,  öcirep  S6iuKev. 
Kaibel  ep.  160  (röm.  Zeit): 

^vveoKaiöeK^Tic  yäp  äirA  xöovöc  'H[\uciöv&€ 
^pXO|Lidvri  Trebiov  GvriTÖv  ikvca.  [ß(ov. 


—     107     - 

konkreten    Hoffnungen    jener    orphischen    Gläubigen    zu    ver- 
binden. 

Dagegen  haben  wir  von  dem  Fortleben  jener  unteritali- 
schen Glaubenslehren  in  derselben  Form  und  in  derselben 
Sitte  in  den  letzten  Tagen  ein  sehr  bedeutsames  neues  Zeugnis 
erhalten.  In  einem  Grabe  zu  Eleutherne  auf  Kreta  hat  sieh 
ein  Goldblättchen  gefunden  mit  folgender  Inschrift,  die  etwa 
dem  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  angehört: 

Aivpai  auoc  lf\h  Kai  ctTTÖXXuiLiai.  —  'AXXd  rrie  jjlov 

Kpdvac  aiei  peuu  em  öeHid  Tfj  Kucpdpicoc  (sie). 

TIC  b*  eci,  TTU)  b'  eci;  —  fäc  uiöc  tijlii  kqi  lupavu) 

dcTepöevToc.^ 
Die  auch  hier  wie  so  oft  in  diesen  sakralen  Überlieferungen 
zerrütteten,  aber  noch  deutlich  erkennbaren  drei  hexametri- 
schen Verse  (der  dritte  hat  wohl  auch  von  vornherein  7  Füfse 
gehabt)  wiederherzustellen,  möchte  ich  nicht  wagen.^  Durch- 
aus   klar  ist    der  Sinn:    der  in  den  Hades   eintretende  Myste 


äW  'AiÖTic  ß]ouX[fi]civ  ÖKaiuiTr^av  äpirac'  'Av(i[YKTic 
alBepi  5ouc  vj;ux]iiv,  dJjfxa  bä  KeKpoiriij. 
Es  ist  beachtenswert,  wie  hier  die  beiden  Vorstellungen  vom  Elysion 
und  vom  Aither  formelhaft  zusammen  stehen. 

Auf  den  Isotelen  Gerys  CIA  II  2724,  v.  9:  evTi)Liov  xöovioici  9eoic 
v-nebiiaTo  yaia,  II  4307 

[nc  laev  cüJiLi'  ^vlj  Y[fl  Kjeixai-,  ipox»!  ^'  ^v  '0\ü)aTr[uj]. 
Am  Grabtempelchen  des  Dionysios  auf  dem  Dipylonfriedhof  Kaibel 
ep.  35: 

euXoTia  |  fjc  cü  Tuxibv  eöavec,  Aiovücie,  Kai  töv  dvdYKTic 
Koivöv  OepceqpövTic  iräciv  e'xetc  GdXa)uov. 
cÜJ|Lia  |uev  ivQäbe  cöv,  Aiovücie,  foia  KaXüiiTei, 
v^ux^v  6'  dGdvarov  koivöc  iy^ei  xainlac. 
Kaibel  ep.  90  (4.  Jh.  Athen): 

öcT^a  |Li^v  Kai  cdpKoc  ^x^i  xödjv  iraiba  töv  i'ibOv, 
ijioxi*!  b'  euceß^iuv  oixerai  elc  GdXcjuov  — . 

1  AJoubia  veröflFentlicht  die  Inschrift  im  Bulletin  de  corr.  hellen. 
XVII  1893,   122  ff.    und    vergleicht    sie    bereits    mit   Kaibel   IGIS   638. 

2  Die  Vorschläge  von  Gomperz  bei  Joubin  a.  a.  0.  p,  125  sind  mir 
nicht  wahrscheinlich,  nie  juou  Kpdvac  erklärt  mir  Wilhelm  Schulze  als 
TtC  ?ji  |nou  Kpdvac  =  Iy  Mou  Kpdvac,  vgl.  locr.  k  b&^ivj  ==  iK  briiuou,  i 
NauTTÖKTuu  =  if  NauirdKTOu  u.  ä.  Dann  sind  die  beiden  ersten  Verse  ziem- 
lich glatt. 


—    108     - 

klagt  über  seinen  Durst.  Die  Quelle  antwortet  ihm  selbst 
(Mnemosyne  ?),  fragt  ihn  aber  erst,  wer  er  sei.  Er  sagt  dann 
seinen  Mystenspruch,  der  ihm  die  Gefilde  der  Seligkeit  öffnet. 
Es  bedarf  keines  Wortes,  wie  genau  die  gleichen  Hauptsätze, 
namentlich  der  gröfseren  Tafel  von  Petelia  (s,  oben  S.  86), 
hier  wiederkehren,  die  Hauptsätze,  die  wir  zu  erläutern  ver- 
sucht haben.  Wir  sehen  mit  unseren  Augen  die  Constanz 
der  Überlieferung  in  diesen  orphischen  Gemeinden  vom  vierten 
Jahrhundert  v.  Chr.  bis  zum  zweiten  n.  Chr.  und  wir  sehen 
die  Ausbreitung  der  unteritalischen  Kulte  in  der  späteren  Zeit. 
Und  es  kann  kein  Zweifel  sein,  dafs  dieser  Text  wie  jener 
von  Petelia  aus  einem  gröfseren  Ganzen  herausgenommen  ist.^ 
Die  Fahrt  des  Toten  zum  Hades  war  in  einem  Gedicht  be- 
schrieben, in  einer  orphisch  -  pythagoreischen  Kaxdßacic  eic 
"Aibou.  Die  Formeln,  die  der  Geweihte  bei  seinem  Eintritt 
in  den  Hades  kennen  mufs,  um  des  Wassers  des  Lebens  teil- 
haftig zu  werden  und  den  Eintritt  in  den  Hain  der  Seligkeit 
zu  erlangen,  werden  ihm  immer  mit  ins  Grab  gegeben,  viele 
Jahrhunderte  lang  in  gleicher  Weise.  Zuerst  haben  diese 
Formeln  ohne  Zweifel  gestanden  in  einer  unteritalischen 
Nekyia. 

2. 

Längst  aber,  ehe  die  Hauptsprüche  aus  der.  Nekyia  der 
unteritalischen  Ordensbrüder  wohl  zum  vielhundertsten  Male 
auf  den  goldenen  Täfelchen  für  die  Toten  aufgezeichnet  wurden, 
waren  ihre  hauptsächlichsten  Lehren  von  der  himmlischen 
weimat,  vom  Sündenfall,  von  der  Wanderung  der  Seele  über- 
nommen worden  von  einem  Manne,  der,  selbst  ein  orphisch- 
pythagoreischer  Priester  und  Prophet,  nach  den  Regeln  des 
Ordens  lebte  (z.  B.  kein  Fleisch  afs),  ja  der,  wie  man  er- 
zählte, sogar  Tote  auferweckt  hatte.  Er  predigte,  bekränzt 
mit  Tänien  und  mit  Binden  geschmückt,  dem  Volke  diese 
Weisheit  und  hinterliefs  sie  in  einem  Buche,  das  er  KaGapjnoi 
nannte,  den  folgenden  Geschlechtern.     'Es  ist  ein  Spruch  der 


1  Wie  auch  Joubin  betont.  Gomperz  vermutet  mit  Recht,  dafs 
zwischen  bi\\iai  und  aöoc  die  Partikel  der  Verbindung  mit  dem  Vorher- 
gehenden ausgefallen  sei. 


-     109     — 

Notwendigkeit,  ein  alter  Beschlufs  der  Götter':  wer  gefehlt, 
welcher  baiiaijuv  (=  Gott)  Mord  oder  Meineid  begangen,  mufs 
dreifsigtausend  Hören  fern  von  den  seligen  Göttern  umher- 
irren, durch  alle  möglichen  Formen  sterblicher  Geschöpfe,  so- 
gar auch  durch  Pflanzen  und  Tiere.^  Soweit  uns  auf  beiden 
Seiten  Einzelheiten  überliefert  sind,  stimmt  hier  alles  zu- 
sammen: die  orphisch-pythagoreische  Mysterienlehre  und  Em- 
pedokles.^ 

Pindaros  kommt  in  dem,  was  uns  erhalten  ist,  zweimal 
auf  solche  Lehren  der  Seelenwanderung,  Bufse  und  Belohnung 
im  Jenseits,  zu  sprechen:  in  einem  Threnos,  wahrscheinlich 
auf  den  Tod  des  Siciliers  Gelon,  der  478/7  gestorben  war^, 
von  dem  uns  eine  Strophe  erhalten  ist  (fr.  133),  und  in  der 
2.  olympischen  Ode,  die  einen  Wagensieg  des  Theron,  des 
Schwiegersohnes  des  Gelon,  vom  Jahre  472  feiert,  Theron 
wird  schon  mit  dem  Gedanken  an  den  Tod  sich  vertraut  ge- 
macht haben,  denn  er  starb  noch  in  demselben  Olympiaden- 
jahr.* So  trägt  denn  Pindar  gerade  in  diesen  beiden  Liedern 
Mysterienlehren  vor,  die  er  als  solche  deutlich  selbst  bezeichnet. 
Ol.  II  56  spricht  er  von  dem,  'der  auch  das  Künftige  kennt' 
(was  nach  dem  Tode  kommt),  und  als  er  seine  Andeutungen 
schliefst,  sagt   er,  dafs   er  noch  viel  Geschosse  zu  versenden 

1  Empedokl.  fragm.  rec.  Stein  p.  77,  v.  369  ff.: 

?CTiv  'AvdxKTic  }>r]na,  9eu)v  \|;rjq)iC|Lia  iraXaiöv  ktX., 
anfserdem  besonders  p.  79. 

2  S.  besonders  OKern  Empedokles  und  die  Orphiker  im  Archiv  f. 
Gesch.  d.  Philos.  I  498  ff.  Er  vergleicht  zu  empedokleischen  Versen  vor 
allem  auch  die  orphischen  Fragmente  153.  222.  223.  227.  228.  Aulser- 
dem  s.  namentlich  S.  505.  Das  orphische  ÖLva\\i\jia\.  (ävairveöcai)  kokö- 
TriToc  Fragm.  226  mit  dem  empedokleischen  vi^cTeOcai  koköttitoc  ohne 
weiteres  in  Zusammenhang  zu  bringen  möchte  ich  nicht  wagen;  immer- 
hin scheint  auch  mir  der  Vergleich  'nicht  unnütz  zu  sein'  (Kern  S.  505). 
—  Dafs  ich  Kerns  Auffassung  der  rhapsodischen  Theogonie  auch  hier 
nicht  teile  und  viele  Einzelheiten  seiner  Beweisführung  nicht  billige, 
kann  bei  Seite  bleiben.  In  den  Lehren,  auf  die  es  uns  hier  ankommt, 
Orphisches  und  Pythagoreisches  scheiden  zu  wollen,  wäre  natürlich 
verfehlt. 

3  Böckh  Pindari  interpret.  (U  2)  p.  624,  vgl.  p.  121;  Lübbert  Ind. 
Bonn.  Wintersem.  1887/8  p.  VI  f. 

4  Böckh  a.  a.  0.  p.  117;    EBöhmer  Pindars   sicilische  Oden  p.  77. 


-     110     - 

habe,  die  da  sprechend  sind  für  die,  welche  sie  verstehen,  für 
die  Wissenden,  die  Eingeweihten.^  Selbstverständlich  sind  es 
Mysterien,  in  die  Gelon  und  Theron  eingeweiht  waren,  die  Zeit- 
genossen des  Empedokles,  die  gerade  mit  seiner  Vaterstadt 
die  engsten  Beziehungen  hatten.  Darum  geht  Pindar,  der 
solche  Lehren  selbst  in  Sicilien  wird  genauer  kennen  gelernt 
haben,  hier  auf  sie  ein,  aus  ihnen  Trost  spendend  dem  den 
Tod  Erwartenden  und  den  den  Toten  Beklagenden.^ 

Es  läfst  sich  von  vornherein  erwarten,  dafs  diese  Mysterien 
die  bei  den  Westgriechen  damals  so  verbreiteten  waren,  von 
denen  aus  etwas  späterer  Zeit  uns  die  Goldtafeln  Zeugnis 
geben.  In  jenem  Pindarfragment  wird  gesagt,  dafs  Persephone 
die  Seelen,  deren  Bufse  sie  für  alte  Schuld  annimmt,  wieder 
hinaufsendet  unter  die  Sonne  im  neunten  Jahre;  sie  werden 
hehre  Könige,  an  Macht  Gewaltige  und  die  höchsten  an  Weis- 
heit und  später  werden  sie  heilige  Heroen  von  den  Menschen 
genannt.  Wir  sehen,  dafs  auch  hier  wie  auf  den  Täfelchen 
und  wie  bei  Empedokles  eine  alte  Schuld  angenommen  wird, 
die  gebüfst  werden  mufs:  also  ebenso  wie  dort  ist  es  eine 
fluchbringende  Sünde  einst  göttlicher  Geister,  die  durch  Seelen- 
wanderung gesühnt  wird.  Persephone  hat  zu  entscheiden,  ob 
die  Schuld  abgebüfst  ist^,  gerade  wie  auf  den  Tafeln  die  Seele 


.  1  v.  83  f.:  ß^Xri  .  .  .  (piuväevra  cuverotciv. 

2  Wie  er  anderwärts  auch  andere  Mysterien  feiert  (Fragm.  137  die 
Eleusinien).  Die  unteritalischen  Mysterienlehren  dagegen  scheinen  auch 
im  Fragment  131  gemeint  zu  sein: 

öXßia  h'  öiravTec  axf.q.  Xuciitovov  xeXeuTdv. 

Kai  c\jj\xa  |u^v  Trävxiuv  ^TreTOi  GavdTijj  TrepicBevei, 

Zifjöv  ö'  In  Xeiirexai  aiujvoc  el'öujXov  xö  fäp  ^cti  laövov 

^K  6ea)v  exibei  b^  irpaccövTiuv  (aeX^UJv,  aTctp  eübövrccciv  ev  iroXXoic  öveipoic 

beiKvuciTepTTViuv  ^qp^piTOicav  x"XeTruJv  xe  Kpiciv. 

S.  Böckh  a.  a.  0.  622  (a  qua  sententia  postea  sihi  transitum  haud  dubie 
parabat  ad  exponendam  animarum  apud  inferos  condicionem ,  qualem 
Olymp.  II  et  in  priori  (129.  130  B)  ac  tertio  (132  B,  unecht)  quartoque 
(133  B)  Threnorum  fragmento  cxplicat  etc.).  Vermutungen  über  Veran- 
lassung und  Adresse  dieses  und  des  unten  S.  119  ff.  zu  besprechenden 
Threnos  will  ich  nicht  aussprechen;  dafs  auch  diese  beiden  für  Sicilien 
bestimmt  waren,  darf  man  für  wahrscheinlich  halten. 

3  Auf  den  Tafeln  iroiväv  6'  ävxoTr^xica  fpYUJv  ^vcko  ouxi  biKoiujv, 
8.  de  hyranis  orphicis  p.  31,  v.  4. 


-r      111      - 

sie  anruft,  die  Königin  der  Unterirdischen/  Diejenigen,  deren 
Bufse  sie  gnädig  annimmt,  werden  früher  wieder  ins  Erden- 
leben geschickt,  sie  erhalten  zunächst  die  bevorzugtesten  und 
besten  Lebenslose,  und  werden  endlich  zu  heiligen  Heroen, 
wie  auch  nach  jenen  Inschriften  die  begnadigte  Seele  mit  den 
anderen  Heroen  herrschen  wird.^ 

Ausführlicher  noch  geht  auf  diese  Dinge  die  zweite  olym- 
pische Ode  ein,  die  eigentlich  schon  von  der  zweiten  Strophe 
an  auf  dionysische  Mysterien  hindeutet,  z.  B.  auf  die  CejueXric 
dvaxuJTn  durch  den  '  epheubekränzten  Sohn'^,  auf  Ino  u.  a.: 
Mer  Toten  hilfloser  (unvorsichtiger?)  Sinn  leidet  hier  sogleich 
Strafe',  heifst  es  da  (v.  57  ff.),  und  'was  in  diesem  Reich  des 
Zeus  gesündigt  ist,  richtet  unter  der  Erde  einer,  der  das  Urteil 
spricht  mit  feindlichem  Zwang.'  Es  folgt  eine  Schilderung 
des  seligen  Lebens  der  Edlen  (besonders  werden  hervorgehoben 
die  an  Eidestreue  ihre  Freude  hatten,  vgl.  Empedokles  v.  372): 
'die  anderen  ertragen  nicht  anzusehende  Mühe'.  Dies  letzte 
weist  auf  ganz  bestimmte  Vorstellungen  von  unterirdischen 
Strafen  hin;  denn  nur  im  allgemeinen  würde  ein  solcher  Aus- 
druck nicht  gebraucht  sein:  bestimmtes  freilich  erfahren  wir 
erst  aus  Berichten  und  Andeutungen  viel  späterer  Zeit.  Aber 
alle  die  beiderorts  (im  Leben  und  unter  der  Erde)  dreimal  es 
fertig  brachten,  von  allem  Unrecht  die  Seele  fern  zu  halten, 
steigen  oben  zu  den  seligen  Gefilden  empor  'auf  des  Zeus 
Weg',  wie  dann  weiter  in  prächtigen  Bildern  geschildert  wird. 
Auch  die  Entscheidung  des  Rhadamanthys  wird  erwähnt,  den 
der  Vater  Zeus  als  Beisitzer  habe,  und  Rhea  habe  den  obersten 
Thron  inne.  Dies  letztere  mag  auch  die  Kybele  der  Täfelchen 
erklären  können.  Aber  auch  sonst  die  gleiche  Seelenwanderungs- 
lehre: was  hier  begangen  ist,  wird  drunten,  was  "drunten,  hier 
bestraft  in  einem  kukXoc  Yeveceuic.  Dafs  das  Vergehen  drunten 
nichts  anderes  ist,  als  die  durch  falsche  Lockungen  und  sinn- 


1  de  hymnis  orphicis  p.  31  v.  1,  6,  10.  Vgl.  EKuhnert  im  arch. 
Jahrb.  VIII  1893,  S.  106  mit  Anm.  9. 

2  Kai  tot'  Sttcit'  äXAoici  laeO'  i^piüecciv  dvdHeic,  oben  S.  86,  v.  11. 

3  Über  die  CejueXric  ävaYUJYn  vgl.  Plutarch.  quaest.  graec.  c.  12 
p.  293°  und  besonders  ihre  Erwähnung  in  der  unten  auf  ihre  Quelle 
zurückzuführenden  Partie  in  Plutarch.  de   ser.  num.  vind.  c.  22  p.  566*. 


—     112     - 

liehe  VorspiegeluDgen  verschuldete  falsche  Wahl  eines  neuen 
Lebensloses,  ist  noch  nicht  lange  durch  den  Vergleich  pla- 
tonischer Stellen  (s.  u.)  erkannt  worden*:  so  erst  sind  die 
ändXaiivoi  cppevec  der  Toten  erklärt.  Die  dreimal  recht  ge- 
wählt haben,  die  soviel  TÖXfia  hatten,  die  Seele  von  allem 
Unrecht  fern  zu  halten,  werden  erlöst:  also  auch  hier  eine 
schnellere  Befreiung  derer,  deren  Bufse  Persephone  annimmt.^ 
Wie  ein  Kommentar  sind  diese  pindarischen  Verse  zu 
den  Täfelchen  der  orphischen  Mysten.  Und  erst  recht  deut- 
lich wird  uns  einzelnes  werden,  namentlich  eben  jene  T^er- 
schuldung  der  Seelen  im  Hades  bei  der  Wahl  eines  neuen 
Lebens,  wenn  wir  die  eschatologischen  Mythen  Piatons  be- 
trachtet und  in  ihnen  eine  noch,  ausführlichere  Darstellung 
derselben  unteritalischen  Geheimlehren  erkannt  haben.^ 


1  Von  Lübbert  Ind.  Bonn.  Wintersem.  1887/8  p.  XIX  f. 

2  Die  neun  Jahre  bezeichnen  nur  den  büfsenden  Aufenthalt  der 
Seelen  drunten  vor  der  Heraufsendung  zum  letzten  Leben,  ehe  sie 
Heroen  werden.  Vielleicht  kommt  da  in  der  That  Delphisches  bei 
Pindar  herein:  die  Oktaeteris,  das  grofse  ßufsjahr,  das  auch  Apollon 
und  Herakles  durchmachen  mufsten,  Lübbert  a.  a.  0.  p.  VIII. 

3  Frühere  Vermutungen  in  ähnlicher  Richtung  aufzuführen  und  zu 
besprechen,  darf  ich  mir  erlassen,  da  meine  Ausführung  mit  ganz  neuem 
Material  arbeiten  kann.  Deshalb  kann  ich  auch  die  neue  Arbeit  von 
Karl  Thiemann  Die  platonische  Eschatologie  in  ihrer  genetischen  Ent- 
wicklung, Beilage  zum  Programm  des  Leibnizgymn.  zu  Berlin,  Ostern 
1892,  im  einzelnen  unberücksichtigt  lassen;  hier  und  da  findet  er  den 
richtigen  Weg  zu  Pindar  und  den  Orphikern.  Seine  Auffassung  von 
dem  Verhältnis  der  platonischen  Mythen  zu  einander,  soweit  sie  uns 
hier  angehen  (Thiemann  will  auch  alle  anderen  eschatologischen  Stellen 
bei  Piaton  herbeiziehen),  erledigt  sich  durch  das  oben  Gesagte  von  selbst. 
—  Während  des  Druckes  kommt  mir  die  Abhandlung  von  ADöring  zu 
über  die  eschatologischen  Mythen  Piatons  im  Archiv  für  Gesch.  d.  Philos. 
VI  1893  Heft  4,  S.  476  ff.  Ich  freue  mich  der  vollkommenen  Überein- 
stimmung mit  seinem  Resultat:  'In  der  That  stellt  sich  bei  genauerer 
Prüfung  heraus,  dafs,  wenn  wir  die  in  wesentlichen  Zügen  abweichende 
Darstellung  im  Timäus  bei  Seite  lassen,  die  vier  Schilderungen  in  Phädrus, 
Gorgias,  Phädon  und  Republik  nicht  nur  im  allgemeinen  demselben  Vor- 
stellungskreise angehören,  sondern  dafs  sie  sich  im  wesentlichen  zu  einem 
einheitlichen  Bilde  ergänzen'  u.  s.  w.  (S.  476).  'Es  dürfte  hiermit  der 
von  mir  ausschliefslich  in  Aussicht  genommene  Nachweis  geliefert  sein, 
dafs    wir    hier    im   wesentlichen   eine    einheitliche  Conception    vor    uns 


-     113     - 

Platou  redet  zuerst  im  Phaidros  ausführlicher  von  der 
Seelenwanderungslehre. ^  Er  spricht  von  der  Seele,  die  der 
Gottheit  nicht  zu  folgen  vermag,  sondern  durch  Vergessenheit 
und  Sünde  beschvrert  zur  Erde  hinabsinkt  (XriGric  xe  Kai  KttKiac 
TrXTic0€ica,  p.  248"),  von  einer  Satzung  der  Adrasteia,  dafs  die 
Seele,  die  etwas  von  der  Wahrheit  geschaut  hat,  bis  zur 
nächsten  Periodos  leidlos  bleibt,  und  wenn  sie  das  weiter  zu 
thun  vermag,  für  immer  ohne  Schaden  bleibt;  dann  von  einem 
Gesetz  bei  der  ersten  Geburt,  nach  dem  bei  dieser  keine  Seele 
in  Tierleiber  eingehe,  sondern  je  nachdem  sie  mehr  oder 
weniger  von  der  Wahrheit  geschaut,  eine  Philosophenseele 
werde,  die  eines  Königs  u.  s.  w.^  Neun  Stufen  derart  werden 
genannt,  zuletzt  der  Tyrann.  An  ihren  Ausgangsort  kommt 
die  Seele  nicht  zurück  in  zehntausend  Jahren  aufser  die  der 
Philosophen^,  die  nach  der  dritten  tausendjährigen  Periodos 
zurückgehen.  Alle  werden  nach  dem  ersten  Leben  gerichtet, 
die  einen  leiden  an  den  Straf  orten  unter  der  Erde  Strafe, 
die  anderen  werden  an  einem  himmlischen  Ort  belohnt, 
wie  sie  es  verdienen.  Im  tausendsten  Jahr  kommen  beide 
zur  Erlösung  und  Wahl  des  zweiten  Lebens  und  wählen, 
welches  eine  jede  will.     Da  kommen  auch  menschliche  Seelen 

haben,  deren  Abrifs  im  Phädrus  vorliegt,  ein  compliciertes,  aber  ein- 
heitliches Phantasiegebilde,  eine  antike  Divina  Comedia,  die  bis  ins  ein- 
zelne hinein  nach  vorstehender  Darstellung  bequem  zusammengesetzt 
werden  kann'  (S.  488).  Ich  hatte  die  Stücke  in  4  Parallelrubriken  neben- 
einander gestellt  und  zu  einem  Ganzen  aneinander  geschoben,  habe  aber 
diese  Zusammenstellung  als  zu  weitläufig  und  zum  Beweis  unnötig  nicht 
abdrucken  lassen;  sie  bestätigt  bis  auf  wenige  Einzelheiten,  auf  die  ich 
nun  nicht  mehr  eingehen  kann,  Dörings  Darlegung.  Die  Untersuchung 
über  die  Herkunft  der  Mythen  hat  Döring  ausdrücklich  bei  Seite  gelassen. 

1  Merkwürdig  sind  gleich  in  den  ersten  Worten  dieser  Partie  un- 
verkennbare Anklänge  an  die  Mysterienlehren  und  ihre  Ausdrucks  weise, 
p.  248*':  iräcai  bk  uoXüv  exoucai  uövov  dreXeic  Tf\c  toö  övtoc  Qiac  dir^p- 
XOVTOi  Kai  dTr€X0oöcai  Tpoqpr)  boEacrf)  xP'J^vrai.  oü  5'  evex'  A  TroXXrj 
c-rroubr')  tö  dXr|0€iac  ibeTv  ireöiov  ou  ^cxiv,  f\  re  bi]  irpocriKouca  vpuxnc 
TU)  dpiCTU)  vom'i  4k  toO  4k et  Xeimljvoc  ru^xävei  oöca  ktX. 

2' Auch  bei  Pindar  standen  die  Herrscher  und  die  Weisen  am 
höchsten  in  seiner  Seelenwanderungsskala,  fr.  133,  4  f. 

3  p.  249*  TrXiiv  ji  toö  q)iXocoqpr)cavTOC  dööXuJC  f|  iraiöepacTi^cavTOC 
jxexä  qpiXocoqpiac. 

Dieterich,  Nekyia.  8 


—     114     — 

in  Tierleiber.^  Dann  ist  noch  von  der  Erinnerung  (dvd)iivricic)  die 
Rede  an  das,  was  unsere  Seele  schaute,  als  sie  noch  bei  Gott  war. 
Deshalb  steigen  auch  mit  Recht  nur  die  Seelen  der  Philosophen 
empor:  sie  haben  immer  die  Erinnerung  (fivriiaTi).  Wer  daran 
immer  recht  gedenkt  —  schliefst  diese  Ausführung  —  wird,  immer 
eingeweiht  in  vollendete  Weihen,  allein  wahrhaft  vollendet.^ 
Die  weitläufigste  Schilderung  dieser  Dinge  gibt  Piaton  in 
der  Republik,  in  der  Vision  des  Pamphyliers  Er,  der  im 
Kriege  gefallen  nach  zwölf  Tagen  auf  dem  Scheiterhaufen 
wieder  zu  sich  kam  und  erzählte,  was  seine  Seele  gesehen 
(p.  614'' fP.).  Von  den  Schlünden  wird  berichtet,  zwischen 
denen  die  Richter  sitzen  und  die  Gerechten  rechts  hinauf  zum 
Himmel  gehen  lassen,  die  Ungerechten  links  hinab,  nachdem 
sie  jenen  Zeichen  des  Richterspruchs  und  auch  diesen  sicht- 
bare Zeichen  für  alles,  was  sie  gethan,  angeheftet  haben.  Er 
sagt,  er  müsse  den  Menschen  von  den  Dingen  dort  berichten, 
und  die  Richter  heifsen  ihn  alles  hören  und  schauen.  Er 
sieht  auch  Seelen  von  der  Erde  ankommen,  die  schmutzig  und 
staubig  aussehen,  und  vom  Himmel  solche,  die  rein  sind.  Sie 
gehen  zu  der  Flur  (eic  töv  Xeiiaujva)  und  lagern  sich.  Dort  er- 
zählen sich,  die  unter  der  Erde  gewesen,  von  ihren  Leiden, 
die  aus  dem  Himmel  von  dem  Glück  und  der  unermefslichen 
Schönheit,  die  sie  geschaut.  Eine  solche  ^Reise'  (iropeia)  dauere 
tausend  Jahre.  Für  jedes  Unrecht  müsse  zehnfach  gebüfst 
werden  (daher  tausend  Jahre,  da  das  Menschenleben  etwa 
hundert  habe),  ebenso  werde  Gutes  gelohnt.  Hauptfrevler  werden 
aufgezählt,  namentlich  Sünder  gegen  Götter  und  Eltern;  Mörder 
werden  genannt,  besonders  auch  solche,  die  Städte  und  Heere 
verraten  haben.  Ein  Tyrann  Ardiaios,  der  Vater  und  Bruder 
ermordet,  wird  besonders   erwähnt.     Er  erhält  die  Auskunft, 

1  'önd  aus  einem  Tiere,  was  Mensch  war,  wieder  in  einen  Men- 
schen' steht  dabei,  p.  249^.  Das  pafst  jedenfalls  nicht  genau  für  die 
erste  Wahl;  denn  bei  der  ersten  Geburt  sollen  ja  noch  keine  Seelen  in 
Tierleiber  eingegangen  sein.  —  Zu  dieser  Erlösung  und  Wahl  eines  neuen 
Lebens  pafst  auch  eigentlich  nicht,  wenn  es  oben  (p.  248^)  nach  Auf- 
führung der  neun  Stufen  heilst:  ^v  bä  toOtoic  öiraciv  öc  |n^v  äv  "biKaiuuc 
öioYciT'ilj  ÖMCivovoc  luoipac  i^eTaXaiaßdvei,  öc  ö'  äv  dbiKWC,  xeipovoc. 

2  249°  Tolc  bä  toioOtoic  dvr'ip  ()uo(ivr)naciv  öp6u)c  xP^^M^voc  reX^ouc 
del  TcXcTäc  xcXoiiiLicvoc  T^Xeoc  övtuic  |iövoc  fi-jveTai. 


—     115    — 

dafs  jener  nie  wieder  herauskommen  werde.  Solche,  die  *un- 
heilbare'  Sünder  sind  oder  noch  nicht  hinreichend  gebüfst 
haben,  läfst  der  Schlund  nicht  durch,  sondern  brüllt  bei  ihrem 
Herannahen.  Man  sieht  feurige  wilde  Männer,  die  den  Sündern 
Hände  und  Füfse  und  Kopf  zusammenbinden,  sie  hinabstürzen, 
schinden,  auf  Dornen  schleifen  und  dabei  erklären,  weshalb 
die  Frevler  solches  litten  und  in  den  Tartaros  kämen.  Die 
aber  auf  dem  'Gefilde'  brechen  nach  sieben  Tagen  auf  bis 
dahin,  wo  sie  eine  Lichtsäule  sehen  und  die  Ananke.  Dann 
folgt  die  glänzende  Schilderung  von  der  diamantenen  Spindel 
der  Ananke  mit  den  acht  leuchtenden  Wirtein,  von  den  acht 
Sirenen  und  ihrem  Gesang  und  dann  von  den  Moiren,  den 
Töchtern  der  Ananke,  in  weifsen  Kleidern  mit  Kränzen  auf 
dem  Haupt,  der  Lachesis,  Klotho  und  Atropos.  Auch  sie 
singen,  harmonisch  mit  den  Sirenen,  Vergangenheit,  Gegen- 
wart und  Zukunft.  Die  Wahl  neuer  Lebenslose  wird  dann 
ausführlicher  beschrieben.  Die  Schuld  ist  an  dem,  der  wählt: 
Gott  ist  unschuldig,  ist  der  Hauptgedanke.^  Alle  möglichen 
Lebensstellungen  und^  Lebensschicksale,  auch  Tiere  sind  zur 
Wahl.  Es  kommt  darauf  an,  recht  zu  wählen.  Auch  die 
vom  Himmel  kommen,  wählen  oft  schlecht  äre  ttövujv  d^üin- 
vacTOi  (vgl.  Pindars  aTiaXainvoi  cppevec),  überhaupt  ein  wider- 
licher, lächerlicher  und  zum  Mitleid  stimmender  Anblick;  etliche 
Beispiele  werden  angeführt..  Endlich  gibt  Lachesis  jedem  den 
Dämon,  den  er  sich  gewählt,  als  Wächter  seines  Lebens.  Zuletzt 
müssen  alle  zur  Flur  der  Lethe  und  zum  FluTs  Ameles  oder  Lethe, 
wie  er  auch  gleich  darauf  genannt  wird.  Davon  müssen  alle 
trinken.  Um  Mitternacht  werden  sie  unter  Donner  und  Erschüt- 
terung alle  fortgerissen  zur  neuen  Geburt,  schwirrend  wie  Sterne. 

1  alxia  eXo^dvou"  Geöc  dvaixioc,  p.  617^  Ein  Zeugnis  von  dem 
Fortleben  dieses  Spruches  haben  wir  in  der  Inschrift  unter  einer  Piaton- 
herme aus  Tibur,  die  dem  ersten  vorchristlichen  Jahrhundert  angehört 
aiTia  ^Xofi^vLu-  6cöc  dvamoc  neben  ijnixri  &e  iraca  äGdvaxoc  (aus  Phaidr. 
p.  245«),  bei  Kaibel  IGIS  1196.  Noch  im  sechsten  Jahrhundert  ist  er, 
wie  mich  Usener  belehrt,  ein  Sehlagwort  der  Debatten  über  Willens- 
freiheit. (Julian  von  Halikarnafs  im  Comment.  zu  Hiob.  38,  7  f.  123^  der 
Pariser  Hs.  dXX'  li^  ^Kdcrou  ^oxOnpd  Tvu»nn  Taüra  KaTaTrpdxTexai,  Kai  6 
eeöc  ajicpirroc  xü)v  öirö  ^xdcxou  bpiuiiivwv  KaxAv.  aixia  -föp  ^Xop^vou, 
9rici  xic  xüjv  TraXaiiüv,  6  Geöc  dvaixioc.) 

8* 


-     116     - 

Diese  beiden  Ausführungen,  die  von  den  sog.  eschatolo- 
gischen  Mythen  Piatons  zeitlich  am  weitesten  auseinander  liegen, 
die  eine  am  Anfang,  die  andere  am  Ende  seiner  Schriftstellerei, 
stimmen  ganz  genau  zusammen-,  die  eine  ist  nur  eine  detail- 
liertere Ausführung  derselben  Lehren.  Man  möge  nur  das  ein- 
zelne vergleichen.  Auch  die  Zahlen  der  Perioden  der  Seelen- 
wanderung 1000,  10000  u.  s.  w.  sind  dieselben.  Was  nur  in 
der  einen  Schrift  steht,  ergänzt  die  andere,  und  alles  pafst 
vorzüglich  in  ein  Gesamtbild.^  Ja,  sogar  einzelne  Sätze  der 
Phaidroserzählung,  wie  die  von  der  Wahl  und  Erlösung  eines 
neuen  Lebens  sind  für  uns  nur  durch  die  Republikstelle  ver- 
ständlich, zum  deutlichen  Beweise,  dafs  beide  Mythen  ein  ein- 
heitliches Ganzes  sind,  und  dafs  Piaton  eine  Kenntnis  dieser 
Dinge  bei  seinen  Lesern  voraussetzte,  die  man  aus  seinen 
Schriften  nicht  hätte  gewinnen  können. 

Schon  diese  Übereinstimmung  der  beiden  zeitlich  so  weit 
getrennten  Schilderungen  macht  es  fast  zur  Gewifsheit,  dafs 
eine  ganz  bestimmte  Quelle  benutzt  ist  und  freie  Phantasie 
Piatons  höchstens  in  kleinen  Umwendungen  und  Ausschmück- 
ungen gesucht  werden  darf.  Ehe  wir  aber  seiner  Vorlage 
weiter  nachgehen,  möge  ein  Blick  auf  die  beiden  hauptsäch- 
lichen anderen  eschatologischen  Mythen  Piatons  im  Gorgias 
und  Phaidon  gestattet  sein. 

Im  Gorgias  wird  zunächst  (p.  523  ff.)  von  der  Abänderung 
des  Verfahrens  im  jenseitigen  Gericht  erzählt;  früher  hielten 
Lebende  über  Lebende  Gericht.  Da  fand  Täuschung  durch 
Aufseres,  falsches  Zeugnis  und  ähnliche  Dinge  statt.  Zeus  ordnet 
an,  dafs  sie  nach  dem  Tode  ^nackt'  (xuinvoi)  gerichtet  werden. 
Seine  Söhne  setzt  er  nach  ihrem  Tode  zu  Richtern  ein,  zwei  aus 
Asien  Minos  und  Rhadamanthys,  einen  aus  Europa  Aiakos. 
Rhadamanthys  richtet  die  aus  Asien,  Aiakos  die  aus  Europa, 
Minos  prüft  das  Urteil  noch  einmal,  damit  das  Gericht  mög- 

1  Es  ist  doch  selbstverständlich,  dafs  au.ch  in  der  Republik  ein 
'Sündenfall'  gedacht  sein  mufs  und  die  Wiedergeburten  als  Strafe  ge- 
meint sind.  Ich  begreife  nicht,  -warum  Piaton  das  hier  aufgegeben  haben 
soll  (Heinze  Xenokrates  145).  Ananke  lenkt  ja  auch  die  Wahl.  aipeic0uj 
ßiov,  il)  cuvdcrai  ii  dvdTKric  617®,  aber  ahia  tXon^vovl  Auf  den  Timaios 
brauche  ich  hier  nicht  einzugehen;  das  ist  ganz  andere  Spekulation. 


•      —     117     — 

liehst  gerecht  sei  für  die  Menschen  über  die  'R«ise'  (Tropeia). 
Die  Richter  haben  Stäbe  in  der  Hand,  Minos  einen  goldenen, 
und  richten  auf  dem  'Gefilde'  (Xei|iid)v)  an  dem  Kreuzwege, 
wo  der  eine  Weg  zu  den  Inseln  der  Seligen,  der  andere  zum 
Tartaros  führt.  Die  'nackten'  Seelen  zeigen  die  Striemen  und 
Narben  der  Sünden  (auch  da  wird  besonders  Meineid  genannt). 
Die  Gerechten  kommen  zu  den  Inseln  der  Seligen,  die  Unge- 
rechten zu  den  Straforten:  das  ist  uraltes  Gesetz.  Die  'heil- 
baren' Sünder  werden  gestraft  zu  ihrem  eigenen  Nutzen  und 
zu  ihrer  Besserung,  die  unheilbaren  leiden  zur  Warnung  der 
anderen  ewig  das  Furchtbarste  und  Schmerzlichste;  sie  sind 
aufgehängt  im  Hades  im  Gefängnis.  Auch  hier  wird  ein  Tyrann 
Archelaos  besonders  erwähnt;  überhaupt  seien  unter  den  Mäch- 
tigen die  meisten  Frevler.  Die  fromm  gelebt,  besonders  die 
Philosophen,  kommen  zu  den  Inseln  der  Seligen. 

Im  Phaidon  wird  bei  Gelegenheit  der  unterirdischen 
Ströme  einiges  weitere  angeführt  (p.  llS^flF.).^  Auch  da  wird 
ausdrücklich  gesagt,  dafs  die  Seelen  der  Verstorbenen  gewisse 
bestimmte  Zeiträume  drunten  weilen,  die  einen  längere,  die 
anderen  kürzere  und  dann  wieder  zu  den  Geburten  der  Lebe- 
wesen emporgesendet  werden  (eic  xdc  tüuv  ZIluujv  -feveceic).  Im 
übrigen  wird  das  Gericht  erwähnt:  die  heilbaren  Frevler 
werden  gestraft  entsprechend  ihren  Freveln  und  für  gute 
Thaten  entsprechend  gelohnt,  unheilbare  Frevler  wirft  die 
Moira  für  ewig  in  den  Tartaros  (unter  den  Frevlern  werden 
Tempelräuber,  Mörder  und  solche,  die  Vater  und  Mutter  mifs- 
handelt,  besonders  erwähnt).  Jene  anderen  bleiben  im  Tar- 
taros ein  Jahr,  kommen  dann  in  bestimmte  Flüsse  zur  Qual, 
und  wenn  sie  von  den  Seeleu  derer,  an  denen  sie  gesündigt, 
zu  denen  sie  schreien  und  flehen,  Verzeihung  erlangt  haben, 
sind  sie  von  der  Strafe  befreit,  sonst  geht  es  wieder  denselben 
Gang.    Die  Frommen  aber,  besonders  die  Philosophen,  kommen 


1  Die  Stelle  iin  Phaidon  von  den  Seelen,  die  um  die  Gräber  irren, 
80"^ ff.  und  was  dazu  gehört,  lasse  ich  fort,  weil  sie  ganz  aus  den  Ge- 
dankenreihen, die  ich  verfolge,  herausfällt,  und  sogar  zu  der  anderen 
Phaidonstelle  im  Widerspruch  steht.  Die  Art  der  Seelenwandertmg  frei- 
lich ist  auch  da  wie  sonst  dargestellt. 


-     118     - 

in  herrliche  Orte,  die  es  nicht  leicht  sei  zu  schildern  und  dazu 
mangele  gegenwärtig  die  Zeit. 

Auch  diese  beiden  Erzählungen  passen  in  den  Hauptsachen 
genau  zu  jenen  beiden  anderen.^  Freilich  mag  die  Geschichte  von 
der  Veränderung  im  Verfahren  des  jüngsten  Gerichts  im  Gorgias, 
die  wie  eine  volkstümliche  Fabel,  fast  wie  ein  attisches  Volks- 
märchen aussieht,  aus  anderen  Traditionen  hier  angefügt  oder  auch 
Erfindung  des  Piaton  selbst  sein:  die  Richter  kommen  auch  in 
dem  Bilde  der  Republik  vor,  das  durch  diese  ausführlichere  Schil- 
derung in  dem  Punkte  ergänzt  wird.  Im  Phaidon  will  die  Angabe 
von  der  Strafe  bis  zur  Verzeihung  derer,  an  denen  gesündigt 
ist,  nicht  zu  bestimmten  Angaben  über  Zeit  der  Strafe  u.  dgl. 
passen:  sie  scheint  auf  altattische  Rechtsanscliauungen  zurück- 
zugehen.^ Aber  alles  hauptsächliche  ist  ohne  jeden  Wider- 
spruch gegen  die  übrigen  Mythen.  Sie  ergänzen  sich  zu  einem 
grofsen  Bilde  vom  Sündenfall  der  göttlichen  Geister,  dem 
ersten  Einzug  in  Leiber,  dem  Gerichte  drunten,  von  Strafe  und 
Lohn,  der  Wahl  eines  zweiten  Lebens,  dem  ganzen  Kreislauf 
der  Seelenwanderung  durch  10000  Jahre.  Mag  Piaton  in 
Ausschmückung  des  einzelnen  hier  und  da  variieren,  auf  diese 
Hauptsachen  hat  er  grofses  Gewicht  gelegt  und  sie  immer 
gleich  berichtet,  bald  diesen,  bald  jenen  Punkt  ausführlicher 
schildernd.  Schon  die  Art,  wie  er  diese  Mythen  einführt,  zeigt 
das:  dreimal  stehen  sie  am  Schlufs  des  Dialogs  an  ganz  be- 
vorzugten Stellen,  Piaton  nimmt  geradezu  den  Ton  eines  Pre- 
digers an  und  fügt  jedesmal  die  ernstesten  Ermahnungen  hinzu, 
*Damit  es  uns  hier  und  auf  der  tausendjährigen  Reise,  die  wir 
zu  durchlaufen  haben,  gut  geht',  das  sind  die  letzten  Worte 
des  grofsen  Werkes  vom  Staat.  *  Dessentwegen,  was  wir 
durchgegangen  haben',  sagt  er  im  Phaidon  zu  seinem  Mythos, 
^müssen  wir  alles  thun,  um  Tugend  und  Klugheit  im  Leben 


1  Es  ist  geringfügig,  dafs  Piaton  im  Gorgias  von  den  volkstüm- 
lichen Inseln  der  Seligen  redet,  während  im  Phaidros  z.  B.  der  ganze 
übrige  Zusammenhang  einen  himmlischen  Ort  verlangte. 

2  Die  vor  dem  Tode  noch  ausgesprochene  Verzeihung  des  Ermor- 
deten schlofs  dort  nachträgliche  Verfolgung  aus  und  hob  die  Unreinheit 
des  Mörders  auf,  im  Falle  unfreiwilligen  Totschlags  hatten  die  Ver- 
wandten das  Recht  zu  verzeihen. 


-     119     - 

zu  erlangen;  denn  schön  ist  der  Kampfpreis  und  grofs  die 
Hoffnung'  (p.  114°).  Es  sind  die  letzten  Ermahnungen  des 
sterbenden  Sokrates.  Es  folgt  nur  noch  die  Erzählung  seines 
Todes.  Im  Gorgias  sagt  er  ausdrücklich,  dafs  ihm  diese  Ge- 
schichte nicht  ein  |UÖ6oc,  sondern  ein  Xö^oc  sei,  und  man  solle 
den  nicht  für  die  Fabel  eines  alten  Weibes  halten  und  ver- 
achten. Das  dürften  wir  nur,  wenn  wir  besseres  und  wahreres 
finden  könnten  (p.  523*  und  527*).  Mit  Ermahnungen,  die 
daran  geknüpft  sind,  'Gerechtigkeit  übend  zu  leben  und  zu 
sterben'  und  auch  andere  zu  bekehren,  schliefst  er  den  Dialog. 
Es  ist  an  der  Zeit,  dafs  wir  uns  der  Lehren  des  Empe- 
dokles  und  des  Pindaros  erinnern.  Stimmen  nicht  die  wenigen 
Sätze,  die  wir  von  diesen  beiden  über  dieselben  Dinge  haben, 
genau  zu  diesen  Ausführungen  Piatons  bis  ins  Kleinste?  So- 
gar die  Zahlenangaben  stimmen  überein.  Was  bedeuten  die 
30  000  Hören,  die  bei  Empedokles  die  gefallenen  Geister 
durch  die  irdischen  Leiber  wandern  müssen,  ehe  sie  zu  dem 
Ausgangsorte  zurückkehren?  ujpa  mufs  eine  ganz  bestimmte 
Bedeutung  haben,  sonst  hat  die  Zahlangabe  ja  keinen  Sinn, 
ujpa  ist  die  Jahreszeit,  deren  in  vorattischer  Zeit  das  Jahr 
stets  drei  hat:  also  sind  30000  Hören  =  10  000  Jahre, 
die  gleiche  Zahl,  die  Piaton  für  dieselbe  Sache  angibt. 
Die  dreimal  oben  und  unten  die  Seele  von  Unrecht  frei  ge- 
halten, kommen  zu  den  Seligen  zurück,  sagt  Pindar.  Wer 
dreimal  nacheinander  richtig  gewählt,  kehrt  dahin  zurück, 
sagt  Piaton  im  Phaidros.  Das  ist  dasselbe.  Von  den  Richtern 
wird  wenigstens  Rhadamanthys  als  Sohn  des  Zeus  auch  bei 
Pindar  genannt  (Ol.  H  75).  Erst  recht  stimmen  alle  Haupt- 
punkte der  Lehre;  wie  denn  jene  dTraXaiuvoi  cppevec  bei  Pindar 
und  die  Vergehen,  die  in  der  Unterwelt  begangen  und  hier 
bestraft  werden,  erst  durch  Piatons  Republik  überhaupt  für 
uns  verständlich  wurden.  Jetzt  erst  wird  auch  für  uns  die 
oben  (S.  91)  erwähnte  Plutarchstelle  (de  occulte  viv.  cap.  7, 
p.  11  SO*')  ganz  verständlich  werden.  Nachdem  das  Leben  der 
Seligen  beschrieben  ist,  hauptsächlich  durch  pindarische  Verse, 
werden  Flüsse  der  Unterwelt  erwähnt  und  dann  ohne  rechten 
Übergang  Seelen,  die  dort  in  Unterhaltung  und  Erinnerung 
an  Vergangenes  und  Gegenwärtiges   sich   die  Zeit  vertreiben. 


—     120 


Was  das  zu  bedeuten  hat,  wird  ohne  weiteres  klar,  wenn  wir 
neben  die  Worte  bei  Plutarch  eine  Stelle  Piatons  aus  dem 
besprochenen  Republikinythus  stellen: 

Fiat.  Rep.  p.  614^:  Kai  rdc  Fluide  occulte  viv.p.l ISO'': 

dei  d(piKVou|Lievac  ujcirep  €k 
TToWfic  TTopeiac  qpaivecGai  fiKeiv 
Kai  dcjLievac  eic  töv  Xeijuujva 
dmoucac  oiov  ev  TtavriYupei 
KaxacKrivdcBai  Kai  äcaalecQai 
xe  dXXrjXac  öcai  Yvujpi|uai  Kai 
TTuvGdveceai  rdc  xe  ck  xfic  y^IC 
f]Koucac  Trapd  xüjv  exe'puuv  xd 
ekcT  Kai  xdc  eK  xoO  oiipavoO  xd 

irap'    EKeivaic.     biriYeicöai    be      biaxpißdc    exouciv    ev    |avri|aaic 
d\\r|\aic    xdc   |Liev   öbupojuevac      Kai  Xöyoic  xüjv  y^Tovöxujv  Kai 
xe   Kai  KXaoucac  dva)ui|uvr;iCKo-      övxoiv    TrapaTre^Trovxec    auxouc 
luevac  öca  xe   Kai  oia  irdBoiev     Kai  cuvövxec. 
Kai  iboiev  ev  xrj  uttö  yf\c  tto- 
peia  —   eivai  be  xfjv  iropeiav 
XiXiexfj  — ,  xdc  be  au  ck  xoO 
oupavoO    eiJTTaGeiac    biriYekOai 
Kai  9eac  djurixdvouc  xö  KdXXoc. 

Es  sind  also  diejenigen  Seelen  gemeint,  die  nicht  zu  den  Ge- 
filden der  Seligen  eingegangen  sind,  sondern  durch  lange  Wan- 
derung ihre  Schuld  abbüfsen  müssen  und  sich  immer  wieder 
drunten  auf  dem  XeijuiLv  versammeln  bis  zur  Wahl  eines  neuen 
Lebens.  Die  dritte  Klasse  von  Seelen  sind  die,  welche  zu 
ewiger  Qual  verurteilt  sind,  und  nun  sind  auch  die  weiteren 
Worte  Flutarchs  verständlich:  f]  be  xpixr]  xoiv  dvociiuc  ßeßiou- 
KÖxujv  Kai  7Tapavö|utJuv  oböc  ecxiv  eic  epeßöc  xi  Kai  ßdpa9pov 
luGoöca  xdc  ipuxdc  kxX.  Diese  Dreiteilung  ist  an  allen  den 
besprochenen  Fiatonstellen  durchgeführt  (mit  denselben  Worten 
von  den  oboi  üorg.  p.  524*  vgl.  Fhaidr.  249").  Das  Fragmen- 
tarische und  Unverständliche  der  Flutarchsätze  erklärt  sieb 
z.  T.,  soweit  nicht  der  Text  lückenhaft  und  verderbt  ist,  dar- 
aus, dafs  sie  einem  pindarischen  Gedichte  ohne  volle  Einsicht 
in  dessen  Gedankengang  entnommen  sind,  und  zwar,  wie  oben 
bereits  ausgeführt  wurde,  dem,  aus  welchem  am  Anfang  und 


—     121     — 

Ende  der  Auseinandersetzung  die  Verse  direkt  citiert  sind.  Zur 
Wiederherstellung  desselben  pindarischen  Gedichts  sind  aber 
vielleicht  noch  aufserdem  zu  verwenden  etliche  Stellen  aus 
dem  Hadesmythus  des  pseudoplatonischen  Axiochos.  Nament- 
lich in  einigen  Sätzen  machen  sich  sofort  die  poetischen  Worte 
und  metrischen  Reste  bemerklich  (p.  371'' ff.),  die  man  natür- 
lich nicht  zu  vollen  Versen  wiederherstellen  kann:  öcoic  }xk\ 
ouv  ev  TU)  lr\v  bai|aa)v  dTa0öc  eveitveucev,  eic  töv  tüüv 
euceßüjv  xiJiJpov  oiKiZiovrai,  ev9a  äqpOovoi  juev  ujpai  iraf KOip- 
TTOu  Yovfic  ßpuouci,  TTinai  ö'  ubdxujv  Kaöapüjv  peouci,  irav- 
ToToi  Ö€  Xeijaüjvec  av0eci  ttoikiXoic  eapiZ;ö]uevoi,  biarpi- 
ßai  be  qpiXocöqpujv  xai  6eaTpa  iroiriTÜJv  Kai  kukXioi  xopoi  kqi 
ILtouciKCt  dKOucpara,  cuintröcid  xe  eupeXn  Kai  eiXairivai  auxoxopri- 
THTOi  Kai  dKripaxoc  dXuTiia  kqi  fibeia  biaixa*  ouxe  fäp  xei}iu 
cqpobpöv  ouxe  BdXTioc  eY"nTvexai,  dXX'  euKpaxoc  dfip  x^iTai 
dTiaXaic  fiXiou  dKXiciv  dvaKipvd)Lievoc.  evxaööa  xoic 
p6|LiuTi|iievoic  ecxi  xic  npoebpia  (vgl.  noch  p.  37  P  Cicucpou  Trexpoc 
dvr|Vuxoc,  ou  xd  xeppaxa  auGic  dpxetai  ttövujv^).  Man 
fühlt  noch  Reste  daktylisch -logaoedischen  Metrums  heraus. 
Neben  diese  Stelle  hat  man  bereits  gerückt^  die  Worte  aus 
Plutarchs  consol.  ad  Äpollon.  c.  34  p.  120^ f.:  ei  b'  6  xuuv 
TTaXaiiiJv  xe  iroiriTUJV  Kai  cpiXocöqpuüv  Xöfoc  ecxiv  dXr|9ric, 
ÜJCTTcp  eiKoc  exeiv,  oüxu)  Kai  xoic  euceßeci  xujv  pexaXXaEdvxouv 
ecxi  xic  xipf)  Kai  Tipoebpia,  KaGdirep  XeTCfai,  Kai  X'J'Jpoc 
xic  diroxexaYpe'voc,  ev  il»  biaxpißouciv  ai  xouxiuv  ipuxai,  KaXdc 
eXtribac  exeiv  ce  bei  .  .  .  Xexexai  be  uttö  xou  peXiKoö  TTivbdpou 
xauxi  Trepi  xujv  euceßeiuv  ev  "Aibou'  xoici  Xdpirei  und  nun  folgt 
eben  jenes  Fragment,  das  auch  in  dem  Schriftchen  de  occulte 
viv.  citiert  wird.  Man  darf  nicht  nur  die  gleiche  Quelle  für 
den  Verfasser  des  Axiochos  und  für  Plutarch  annehmen,  son- 
dern auch  unbedenklich,  glaube  ich,  jenen  TraXaiOuv  iroirixüüv 
XÖYOC  und  jenes  KaGdirep  Xeyexai  wieder  aufgenommen  erachten 
durch  das  mit  Xe-fexai  be  eingeführte  Pindarcitat,  und  dann 
stammen  jene  metrischen  Anklänge  des  Axiochos  —  wozu 
eben    das    Metrum    vorzüglich    pafst  —    aus    ebendemselben 

1  Das  einzelne  stellt  zusammen  und   erörtert  Buresch  Consolatio- 
num  histor.  critica  p.  18  f. 

2  Buresch  a.  a.  0.  p.  19. 


—     122     — 

Pindarliede,  dessen  Hauptinhalt  Plutarch  in  de  occulte  viv. 
angibt. 

Auf  jeden  Fall  ist  für  uns  nunmehr  ein  Threnos  Pindars 
dem  Sinne  nach  rekonstruiert,  in  dem  das  Schicksal  der  Seelen 
geschildert  war  genau  übereinstimmend  mit  den  Schilderungen 
der  platonischen  Mythen,  besonders  desjenigen  am  Schlüsse 
des  Staates.  Der  gemeinsame  Ursprung  dieser  Lehren  aber 
kann  nun  gewifs  nicht  mehr  zweifelhaft  sein. 

Und  Piatons  Mythen  stimmen  in  allem,  was  die  erhaltenen 
Reste  zu  kontrolieren  uns  gestatten,  zu  den  Täf eichen  von 
Thurioi  und  Petelia:  in  diesen  und  in  jenen  der  himmlische 
Ursprung  der  Seelen,  der  schmerzenvolle  Kreislauf,  das  Ab- 
büfsen  der  Schuld  wegen  alter  Sünden,  das  Eingehen  in  die 
Gefilde  der  Seligkeit  (Persephone  tritt  allerdings  bei  Piaton 
gänzlich  zurück);  zur  rechten  gehen  wie  in  Piatons  Republik 
so  nach  den  Inschriften  die  zu  Belohnenden  und  zur  Linken  die 
zu  Strafenden,  links  ist  die  Lethe  in  beiden  Überlieferungen. 
Sollten  wir  nun  nicht  die  Anspielungen  bei  Piaton  verstehen 
von  der  )Livr||ui-|  der  seligen  Philosophenseelen,  Trpoc  fäp  CKei- 
voic  dei  ecTiv  |Livr)|ur|  (Phaidr.  249"),  und  unmittelbar  daneben 
die  Bezeichnung  der  Lehre  als  xeXeoi  leXeiai?  Es  ist  das- 
selbe, wenn  von  Pythagoras  gesagt  wird,  er  sei  immer  im 
Besitz  der  |iivr||UTi  gewesen.^  Dort  ist  nur  abstrakt  gesagt,  was 
der  Quell  der  Mneme  konkret,  mythisch  und  symbolisch  sein 
soll.  Die  Wiedererinnerung  an  das,  was  die  Seele  einst  sah 
in  ihrer  göttlichen  Heimat,  hilft  sie  erlösen:  wer  sie  empfängt, 
ist  erlöst.  Sollte  es  noch  zu  kühn  sein,  in  jener  offenbar  viel 
älteren  Vorstellung  der  unteritalischen  Mysterien,  die  nun  für 
uns  erst  um  Piatons  Zeit  oder  etwas  später  durch  diese  Täfel- 
chen ans  Licht  treten,  eine  Quelle  der  platonischen  Lehre 
von  der  dvd|Livr|Cic  zu  finden?  Das  kann  hier  nur  ange- 
deutet werden,  sonst  würde  sich  herausstellen,  dafs  diese 
Mysterienlehren    überhaupt   von  viel   gröfserem  Einflüsse  auf 


1  S.  bes.  Laert.  Diog.  VIII  4  nach  Herakleides  Pont.:  töv  bk  '6p|inv 
elireiv  aurq)  ^A.^c6ai  Sri  äv  ßoüXr|Tai  tt^v  öGavacfac.  alxricacGai  oöv  Z&vxa 
Koi  TeXeuTUJVTa  iuvrinnv  ^X^iv  tujv  cujußaivövTuuv.  ^v  ^kv  oöv  ttj  Zujtj  irdv- 
TUJv  öia)LivT])noveöcai  •  ^irei  bk  diroödtvoi,  Tripf|cai  ti'iv  aöri^v  |avr||Lir|v.  Darum 
kannte  er  seine  Metempsychosen. 


-     123     - 

die  ganze  Psychologie,  ja  die  ganze  Ideenlehre  gewesen  sind, 
als  man  hatte  annehmen  können. 

Ist  es  so  schon  mehr  als  wahrscheinlich,  dafs  Piaton  jene 
Erzählungen  aus  westgriechischen  orphisch  -  pythagoreischen 
Vorlagen  geschöpft  habe,  so  wird  das  immer  sicherer,  wenn 
wir  noch  aufser  den  erörterten  Hauptlehren  eine  Anzahl  be- 
sonderer Einzelheiten  gerade  in  orphischer  und  pythagoreischer 
Tradition  wiederfinden.  Für  Sündenfall  und  Seelenwanderung 
(der  Leib  ein  Kerker)  weist  Piaton  selbst  auf  Orphiker  als 
Urheber  hin.^  Aber  weiter  wird  im  Phaidros  in  jener  Partie 
(s.  oben  S.  113)  eine  Satzung  der  Adrasteia  genannt.  Diese 
Göttin  spielt  eine  grofse  Rolle  in  der  orphischen  Litteratur, 
wird  als  grofse  Weltengöttin  in  der  Theogonie  des  Hellanikos 
und  Hieronymus  angeführt  (Damaskios  quaest.  de  prim.  princ. 
p.  387,  orph.  Fragm.  36)  und  zugleich  Ananke  genannt.  ISie 
ist  die,  welche  alle  Gesetze  und  SchicksalsschlOsse  gibt,  wie 
Hermias  aus  orphischer  Litteratur  zu  der  Platonstelle  belegt.^ 
In  orphischen  Hymnen  ist  sie  auch  vorgekommen,  denn  in 
der  die  Sammlung  einleitenden  euxri  irpöc  MoucaTov  wird  auch 
'die  Herrscherin  Adrasteia'  (v.  36)  unter  den  zu  preisenden 
Gottheiten  genannt.  Das  älteste  Zeugnis  für  die  orphische 
Adrasteia  ist  der  Vers   des   aischyleischen  Prometheus  (935): 

Ol  TTpocKuvouvrec  rfiv  'Aöpdcieiav  coqpoi.^ 
Die   vier  Hadesflüsse   des  Phaidon  werden  auch   mehrfach  in 
orphischen  Büchern  bezeugt  (Fragm.  155,  156,  321).     Den  See 
an    der    gleichen    Stelle    des    Phaidon,    der    von   Wasser    und 


1  öoKoöci  ludvToi  |joi  judXiCTa  GdcGai  oi  ä|uq)i  'Opqpea  toöto  tö  övo.ua 
(cfi^a),  lue  öiKTiv  öi&oOcric  Tf\c  v|;uxnc,  Cratyl.  p.  400. 

2  Orph.  Fragm.  109.  110.  111.  Adoi  und  Kpövioi  vÖ|lioi  werden  er- 
wähnt als  von  ihr  ausgehend.  Man  wird  an  das  Gesetz  eitl  Kpövou  im  plat. 
Gorg.  p.  523*  erinnert  über  Seligkeit  der  Gerechten  und  Strafe  der  Un- 
gerechten. Äufserdem  vgl.  Philostrat.  vit.  Apollon.  VUI  7  von  Pjtha- 
goras:  irapeXOurv  b'  Ic  irXeiuj  cw^aja  Karct  töv  'A&pacreiac  9ec|iöv, 
öv  Miuxn  ^vaXXdxTei,  irdXiv  eiravfjXeev  kc  ävGpuiirou  eiboc  ktX. 

3  Vgl.  OKem  de  Orphei  Epimenidis  Pherecydis  theog.  p.  45,  einiges 
weitere  bei  Posnansky  Nemesis  und  Adrasteia  71  fi.,  Tümpel  bei  Pauly- 
Wissowa  I  408.  Es  ist  bedeutsam,  dafs  dieser  Hinweis  auf  die  Weisen 
des  Westens  sich  gerade  in  der  Tragödie  findet,  welche  die  deutlichen 
Spuren  des  Aufenthaltes  in  Sicilien  trägt. 


-     124     - 

Ichlamm  siedet,  kennen  wir  bereits  als  orphisch.  Die  Ananke, 
ie  in  der  Republik  geschildert  wird,  wird  auch  in  jener 
Theogonie  beschrieben  gleich  der  Adrasteia,  die  bis  an  die 
Grenzen  des  Kosmos  fasse.^  Auch  in  den  orphischen  Argo- 
nautika  (v.  12)  wird  sie  unter  den  ersten  Wesen  der  Welt 
genannt.  Dafs  wir  in  solchem  Falle  berechtigt  sind,  spätere 
Citate,  wo  sie  sich  mit  Piaton  in  diesen  Partien  berühren,  als 
älter  orphisch  in  Anspruch  zu  nehmen,  bestätigt  auch  in 
diesem  Falle  noch  ein  Euripidesvers,  es  sei  ein  Wort  der 
Weisen,  dafs  nichts  stärker  sei  als  die  gewaltige  Ananke.^ 
Diese  Weisen  sind  ohne  Zweifel  die  Orphiker.  Der  brüllende 
Schlund^  ebendort  bei  Piaton  erinnert  daran,  dafs  nach  Ari- 
stoteles an.  post.  II  11  p.  94^  32  die  Pythagoreer  sagten,  der 
Donner  schrecke  die  Sünder  im  Tartaros.*  Die  Harmonie  der 
Sifenen  erinnert  an  die  Sphärenharmonie  der  Pythagoreer;  und 
in  lamblichs  Leben  des  Pythagoras  ist  in  der  That  von  der 
Harmonie  die  Rede,  in  der  die  Sirenen  seien  (r\  dpiuovia,  ev 
f]  ai  ceipfivec  c.  18  p.  60,  3  Nauck).^  Die  Moiren  im  weifsen 
Gewände  kennt  nach  des  Clemens  Zeugnis  (Strom.  V  p.  244'', 
orph.  Fragm.  253)  geradeso  auch  Orpheus  (MoTpai  XeuKÖCToXoi). 
Wenn  bei  der  trümmerhaften  Überlieferung  solcher  Lit- 
teratur  so  viel  zusammentrifft,  uns  in  orphisch-pythagoreische 
Kreise  zu  weisen,  so  wird  kein  Zweifel  sein,  dafs  die  einheitliche 

1  S.  Ettig  Acheruntica  308,  3.     Vgl.  Abraxas  101  f. 

2  Helen.  514: 

XÖYOC  T<ip  ^CTiv  ouK  ^|liöc,  coqpujv  ö'  ^'ttoc, 

beivf^c  'AvdYKrjc  oöb^v  IcxOetv  uX^ov. 
Vgl.  V.  Wilamowitz  Homer.  Unters.  224,  22,  OKern  a.  a.  0.  Die  Alkestia- 
verse  967  von  der  Ananke,  gegen  die  auch  orphische  Sprüche  nichts 
helfen,  besagen  doch  über  den  Inhalt  der  orphischen  Sprüche  nichts. 
Es  sind  gerade  Beschwörungen,  die  die  Ananke  zu  brechen  sich  an- 
heischig machen. 

3  Ob  man  hier  an  die  Vorstellung  des  Hades  als  eines  brüllenden 
Ungeheuers  denken  darf  (wofür  sich  viel  Parallelen  beibringen  liefsen, 
einiges  bei  Ettig  Acheruntica  308,  1),  ist  mir  doch  sehr  zweifelhaft. 
Wenigstens  hätte  eich  die  Verwendung  der  Vorstellung  bei  Piaton  ganz 
von  der  ursprünglichen  Anschauung  entfernt. 

4  S.  Zell  er  Philos.  d.  Griechen  P  451,  3. 

5  Vgl.  dazu  auch  die  Auseinandersetzung  bei  Macrob.  Commentar. 
in  somu.  Scip.  11  3,  1. 


—     125     — 

Conception  der  platonischen  Mythen  eben  daher  rührt,  dafs  sie 
aus   einem  orphisch- pythagoreischen  Werke   geschöpft  sind. 
Wo  Piaton  abweicht,  k(Äinen  wir  natürlich  im  einzelnen  nicht 
entscheiden;   es  ist  aber   wahrscheinlich,  dafs   er  sich  bis  ins 
Detail  eben  jenem  Werke  angeschlossen  hat,  und  es  ist  nicht 
zufällig,  dafs  er  gerade  in  der  Republik  sich  am  engsten  und 
vollständigsten   an  dasselbe    angeschlossen    zu   haben   scheint. 
Er  hatte  wohl  schon  in  Athen  solche  Werke  kennen  gelernt, 
dann    aber  in   Sicilien,    wie    vordem    auch   Pindar,    noch   viel 
genauer  ihre  Bekanntschaft  gemacht,    Ihre  Lehren  hält  Piaton 
in  allem  Ernste  sehr  hoch  und  verbreitet  sie  selbst  mit  Eifer, 
wenn  er  sie  auch  mehr  oder  weniger  in  seinem  Sinne  wendet. 
Er  kannte,  wie  wir  sahen,  verschiedene  orphische  Richtungen, 
die    eine    bekämpft    und  verspottet  er   aufs   heftigste,   das   in 
Griechenland  gang  und  gäbe  Treiben  der  Orpheotelesten  und 
ihre  Weisheit  vom  ewigen  Rausch  und  ewigen  Kote  drunten. 
Die    anderen   erkennt   er  aufs    höchste    an    und    benutzt   ihre 
Bücher,  nimmt  vieles  von  ihnen  an  und  vertritt  es  mit  beson- 
derer Wärme.     Diese   anderen   waren  so   geworden   durch  die 
Vereinigung    mit    den    Pythagoreern,    in    Unteritalien.      Der 
Schlamm  scheint  auch  bei  ihnen  in  dem  Unterweltsbilde  nicht 
gefehlt  zu  haben,  aber  nur  eine  der  mannigfachen  Strafen  aus- 
gemacht zu  haben.    Man  kann  vielleicht  sagen,  dafs  die  unter- 
italische Lehre  entstanden   sei  durch  Vereinigung   der  Lehre 
von    der    Seelenwanderung,    die    doch    ursprünglich    als    ein 
büfseuder    Kreislauf    der    Seele    bis    wieder    zurück    zu   ihrer 
himmlischen  Heimat  gedacht  war,  mit  der  zunächst  ganz  ver- 
schiedenen von  bestimmter  Belohnung  und  Strafe  der  Geweihten 
und   Ungeweihten    in    der  Unterwelt.     Man    hätte    dann   jene 
Seelenwanderungslehre  zuerst  von  den  Pythagoreern  ausgehend 
zu    denken.      Die   alten   rohen  Vorstellungen   der   thracischen 
Orpheusdiener  und   griechischen  Winkelpropheten  waren  ver- 
edelt durch  die  priesterlichen  Lehren  des  apollinischen  Weisen, 
und  so  hat  diese  edle  Mystik  tief  und  nachhaltig  schon   auf 
den  jungen  Piaton  eingewirkt  und  den  alternden  fast  ganz  zu 
ihrem  Evangelium  bekehrt.     Es   mufs   ein   grofses   orphisches 
Buch  gewesen  sein,  in  dem  in  Form  des  Berichtes  über  einen 
Hinabstieg   zum   Hades,    ähnlich    wie  in  der  Republik    auch, 


—     126     - 

über  alles  das,  was  der  Hinabsteigende  gesehen,  von  diesem 
selbst  berichtet  wird:  von  den  Totenrichtern,  von  dem  Ge- 
richt^, von  den  zu  Bestrafenden   und%ihren  Strafen,   von  den 

1  Wenn  man  bei  Pindar  Rhadamanthys,  bei  Piaton  Minos  Ebada- 
manthys  und  Aiakos  als  Richter  und  dieselben  auf  den  unteritalischen 
Bildern  findet,  so  wird  doch  die  natürliche  Annahme  die  sein,  dafs 
schon  in  der  gemeinsamen  Quelle,  die  wir  erschlossen  haben,  diese 
Richter  genannt  waren.  Und  z.  B.  jenes  platonische  oiTiep  Kai  X^yov- 
TOi  dK€i  öiKtiZieiv  (Apol.  p.  41%  Rohde  Psyche  284,  3)  wird  doch  schon 
damals  jeder  unbefangene  Leser  auf  ein  Gericht  über  das  im  Leben  Be- 
gangene bezogen  haben;  denn  das  war  ganz  bekannt,  wie  z.  B.  etliche 
Aischylosstellen  zeigen.  Angesichts  der  Stelle  Suppl.  230 f.: 
KÖKcI  öiKd^ei  Tä|LiTrXaKr||aa6 ',  ibc  Xö^oc, 
Zeuc  äXXoc  ^v  KajuoOciv  öctütoc  öikoc 
kann  man  doch  nicht  sagen,  dafs  Aischylos  diese  Gedanken  ""seinem 
eigenen,  von  dem  Popularglauben  streng  abgekehrten  Geiste'  entnommen 
habe  (Rohde  a.  a.  O.  284).  Wer  würde  glauben,  dafs  die  Vorstellung 
von  einem  Buche  Gottes  im  Himmel,  in  das  unsere  Sünden  aufgezeichnet 
werden,  wenn  man  davon  in  späterer  Litteratur  liest,  dafs  diese  Vorstellung 
schon  im  5.  Jahrhundert  vorhanden  gewesen  ist?  Es  sei  gestattet,  mit 
ein  paar  Worten  auf  dieses  lehrreiche  Beispiel  einzugehen,  lehrreich  be- 
sonders auch  dafür,  dafs  so  charakteristische  Vorstellungen  in  ganz  ver- 
schiedenen Kulturkreisen  unabhängig  von  einander  entstehen  können. 
In  der  Apoc.  loh.  XX  12  steht  von  dem  Buche,  das  beim  jüngsten 
Gerichte  geöffnet  wird,  und  die  Toten  werden  gerichtet  nach  den  Thaten, 
die  in  dem  Buche  geschrieben  stehen.  Bis  ins  einzelne  ausgemalt  findet 
sich  dieses  Gericht  im  Testament  Abraams  (Texts  and  studies  II  2  p.  90 f.): 
auf  dem  Tische  liegt  ein  grofses  Buch  sechs  Ellen  dick  und  zehn  Ellen 
breit,  zwei  Engel  sitzen  daran  mit  Tinte,  Feder  und  Papier.  Ein  Engel 
hat  •  eine  grofse  Wage  (man  denkt  an  die  v|;uxocTacia).  Jene  beiden 
anderen  Engel  aber  schreiben  auf,  ö  ixkv  Ik  öeHiOüv  Tctc  öiKaiocüvac,  6  &e 
^S  äpicxepüüv  xäc  äjuapTiac.  Beim  Gericht  wird  das  Buch  geöffnet.  Der 
eigentliche  Richter  ist  merkwürdigerweise  Abel.  Die  Vorstellungen  sind 
jüdisch  und  wohl  ausgegangen  von  Maleachi  III  16,  und  die  Bilder  von 
Gott  selbst  mit  der  Wage  und  namentlich  von  dem  Buch  der  Gedächt- 
nisse, in  dem  jedes  Menschen  Geschick  und  jedes  Thaten  geschrieben 
stehen,  werden  bis  zum  heutigen  Tage  in  der  jüdischen  Liturgie  alljähr- 
lich vorgetragen  (Machsor  für  den  Neujahrstag,  vgl.  Pirkeh  Aboth  III  20, 
IV  29,  Stellen,  die  mir  Herr  cand.  phil.  Bergel  hier  nachweist).  Durch 
lateinische  apokalyptische  Litteratur  werden  diese  Dinge  im  Mittelalter 
verbreitet  und  auch  nach  Deutschland  übertragen.  Auf  einiges  sehr  be- 
merkenswerte macht  mich  Edward  Schröder  aufmerksam:  im  Muspilli 
ist  es  der  Teufel,  der  sich  alle  Thaten  der  Menschen  aufschreibt  und 
beim  jüngsten  Gericht  alles  vorbringt  (v.  69  ff.).     Öfter  aber  schreibt  ein 


-     127     - 

Flüssen  der  Qual  und  dem  Tartaros,  von  den  zu  Belohnenden 
und  den  Gefilden  der  Seligen,  von  der  zweiten  Wahl  der 
Lebenslose,  dazu  auch  von  dem  ersten  Süudenfall  und  der 
Bufse,  die  dafür  gesetzt  sei.  Ein  solches  Werk  mufs  schon 
Empedokles,  mufs  Pindaros  vor  sich  gehabt  haben;  dafs  es 
ganz  dasselbe  gewesen  sei,  darf  man  nicht  behaupten,  denn 
gerade  in  mystischen  und  religiösen  Kreisen  wechseln  die 
Fassungen  solcher  Bücher  schnell,  wie  man  das  so  deutlich 
an  den  zahlreichen  orphischen  Theogonien  sieht.  Trümmer 
einer  solchen  Nekyia,  die  freilich  durch  den  fortwährenden 
Einzelgebrauch  etwas  verändert  sein  werden,  müssen  auch  die 

Engel  auf,  was  der  Mensch  gutes  thut,  ein  Teufel,  was  er  böses  thut;  'so 
zeigen  sich  beide  in  Steinbildern  rechts  und  links  an  dem  romanischen 
Portale  des  Bonner  Münsters,  sitzend  und  jeder  in  ein  Blatt  schreibend, 
das  er  auf  den  Knieen  hält'  (WWackernagel  in  Haupts  Ztschr.  VI  149fiF.), 
genau  wie  in  dem  Abraambuche  die  beiden  Engel!  Doch  das  nur  nebenbei. 
Eben  die  Vorstellung  von  dem  Buche,  in  dem  die  Thaten  der  Menschen 
registriert  werden,  meint  Eurlpides  in  dem  Melanippefragment  506 N*: 
ÖOKelTe  Trr|f)äv  Tä&iKrmaT'  eic  Beoüc 
TTTepoTci,  KctTreir'  ^v  Aiöc  Ö^Xtou  TTTUxaic 
Ypäqpeiv  Tiv'  aöxd,  Zfiva  ö'  eicopujvTÖ  viv 
6vTiToTc  öiKdZietv;  oö6'  ö  iräc  av  oöpavöc 
Aiöc  YpdqpovTOC  räc  ßporOüv  a\iafniac 
iEapK^ceiev  oö6'  ^Kdvoc  Qv  ckottüuv 
ireiiireiv  ^küctiu  Zr]]iiav. 

Wir  werden  nun  auch  die  sprichwörtlichen  Redensarten  von  öiqpGepa 
Aiöc  u.  ä.  besser  verstehen,  z.  B.  dpxaiörepa  Tf\c  öiqpöepac  X^ycic:  kiii 
Tujv  ca9pd  Tiva  Kcd  pujpct  6ir|T0U|a^vuJv  ^  fäp  biqpG^pa,  ^v  fj  boK&  ö  Zeuc 
dtroYpdqpeceai  xct  Yivö^eva,  iraiiTTdXaioc,  prov.  Diogen.  in  paroem.  ed.  Gais- 
ford  p.  174,  vgl.  Zenob.  IV  11,  a.  a.  0.  p.  307  (qpacl  yäp  töv  Aia  eic 
biqpG^pac  Tivctc  dTTOYpdqpecOai  tä  irpaTTÖiieva  toic  dvöpujiToic)  und  aufser- 
dem  Lukian.  de  merc.  cond.  c.  12:  köv  |i^v  tic  f\  ttoXitiic  öirö  qpöövou  f\ 
yeiTCUv  Ik  tivoc  eÜTeXoOc  alxiac  irpocKCKpouKUJC  dvaKpivö|U6voc  eiirr)  jioixöv 
r\  iraibepacTi^v  toOt'  ^kcivo  Aiöc  ö^Xtujv  ö  ladpTUC,  dv  bi  irävTec  d|na 
^Ef^c  eiratvOüciv  öitotttoi.  Woher  diese  Vorstellung  bei  den  Griechen 
stammt  und  wen  Euripides  mit  seinem  Spotte  hat  treffen  wollen,  kann 
uns  nicht  zweifelhaft  sein.  Bei  Lukian.  Katapl.  c.  5  hat  die  Klotho  ein 
solches  Buch;  vgl.  OMüller  Arch.  der  Kunst  §  398,  1,  OJahn  Arch.  Bei- 
träge 170  f.  Jedenfalls  soll  man  sich  aber  nicht  darüber  täuschen,  dafs  auch 
die  Vorstellung  vom  letzten  Gericht  schon  recht  ausgebildet  und  die 
Kenntnis  derselben  schon  recht  verbreitet  war.  Auf  alle  die  anderen  ein- 
zelnen eschatologischen  Bilder  näher  einzugehen,  ist  hier  unmöglich. 


-     128     - 

Verse  der  unteritalischen  Täfelchen  sein,  am  intaktesten  scheint 
sich  das  gröfste  Stück  in  lauter  Hexametern  erhalten  zu  haben, 
wo  beschrieben  wird,  welchen  Weg  man  drunten  zu  gehen 
habe  und  was  man  sagen  müsse  und  welches  Los  den  Begna- 
digten erwarte.  Natürlich  wurde  dasselbe  immer  wieder  her- 
ausgegriffen, weil  das  für  den  Toten  das  wichtigste  war. 

Wir  wissen,  dafs  es  ein  solches  Gedicht  gegeben  hat  mit 
dem  Titel  'Opqpeuuc  eic  "Aibou  Kaxdßacic.  Natürlich  ist  es  in 
diesem  Gedichte  Orpheus  selbst,  der  hinabsteigt  in  die  Unter- 
welt^, nicht  um  Burydike  zu  holen,  sondern,  dafs  er  den  Men- 
schen ein  Bote  werde  der  Diuge  da  drunten^  und  sie  dadurch 
für  seine  Lehre  gewinne  und  zu  dem  öciujc  lr\v  bekehre.  Wir 
düi:fen  jetzt,  nachdem  Ernst  Kuhnert  im  letzten  Hefte  des 
archäologischen  Jahrbuchs  (1893,  Heft  4,  S.  104 ff.)  den  Zu- 
sammenhang zwischen  den  Unterweltsdarstellungen  auf  den 
bekannten  unteritalischen  Prunkvasen  der  Gräber  und  den 
orphischen  Mysterienlehren  unwidersprechlich  nachgewiesen 
hat,  wir  dürfen  nun  diese  Vasenbilder,  die  aus  derselben  Zeit 
und  derselben  Gegend  wie  die  oben  besprochenen  Goldtäfelchen 
stammen  und  ebenso  wie  diese  ins  Grab  mitgegeben  wurden,  zur 
Erklärung  jenes  Hinabgangs  des  Orpheus  heranziehen:  er  ist 
nicht  im  Hades  die  Gattin  zu  holen  —  sie  fehlt  auf  den 
hauptsächlich  in  Betracht  kommenden  Bildern  — ,  sondern  als 
der  'Stifter  der  nach  ihm  benannten  Mysterien'  ist  er  dar- 
gestellt, Vie  er  für  die  durch  seine  Weihen  Geläuterten  bei 
Persephone  um  ein  seliges  Leben  bittet'  (Kuhnert  107).  Die 
Mysten  selbst  sind  deutlich  genug  zu  erkennen.  Orpheus  ist 
der  Erstling  derer,  die  da  hinabgehen  zu  der  Seligkeit,  die 
er  allen  seinen  Geweihten  verheifst:  er  hat  den  Seinigen  seinen 


1  S.  Ettig  Acheruntica  286.  Die  Vermutung,  dafs  die  eic  "Aibou 
KOTÖßacic  mit  der  Minyas  identisch  sei,  halte  ich  für  endgiltig  beseitigt, 
s.  bes.  Rohde  Psyche  278,  2.  —  Die  Ergänzung  des  Marmor  Parium  ep.  14 
dtp'  oö  'Opqpeuc  .  .  ^H^GriKe  .  .  Kai  töv  oOtoO  [^c  "Aiöou  Koraßaepöv]  ist 
wohl  ziemlich  sicher. 

2  Wie  es  auch  von  Er  heifst  in  Piatons  Rep.  p.  614*"  ^auToö  bi 
irpoceXeövTOC  elireiv  öxi  bioi  äy^eXov  dvepiOuoic  Y^vccBai  xiJüv  ^k€T  ktX. 
Es  ist  dasselbe  Motiv,  das  auch  in  der  Petrusapokalypse  anklingt  (v.  5) 
iva  'ibu)|Li€v  iroTaiToi  eici  xr^v  iLiopqpt'jv  Koi  OapcricavTec  TTapaöapcüviufiev  Kai 
Touc  diKoOovTac  r\}x(uv  dvGpiÜTTOuc. 


-     129     - 

Hiuabgang  verkündet,  auf  dafs  sie  denselben  Weg  fanden,  und 
hat  ihnen  geoffenbart  das  Glück  des  ewigen  Lebens,  das  ihrer 
harrt,  wenn  sie  erlöst  sein  werden  von  dem  Kerker  dieses 
Leibes,  und  die  ewige  Strafe  derer,  die  gefrevelt  und  seine 
heiligen  Weihen  verachtet.  Gewifs  nicht  anders  hat  man  sich 
dies  priesterliche  Gedicht  zu  denken,  diese  Offenbarung  des 
Orpheus  von  den  Dingen  des  Jenseits.  Die  Betrachtang  der 
Weiterentwicklung  dieser  Lehren  und  ihrer  litterarischen  Schick- 
sale wird  unsere  Auffassung  des  orphischen  Gedichtes  be- 
stätigen, das  zum  ersten  Male  einen  Hinabgang  zum  Toten- 
reich in  religiöser,  in  erbaulicher  Absicht  beschrieben  hat  und 
das  die  erste  griechische  Apokalypse  gewesen  ist. 

Wie  eng  diese  Dichtung,  die  ja  aus  den  orphisch-pytha- 
goreischen  Kulten  Grofsgriechenlands  stammte,  mit  pythago- 
reischer Lehre  zusammenhieng,  mag  auch  daraus  hervorgehen, 
dafs  sie  schon  Epigenes,  ein  alexandrinischer  Grammatiker, 
der  älter  war  als  Kallimachos^  mit  anderen  orphischen  Büchern 
einem  Pythagoreer  zuschreiben  wollte.^  Kein  Wunder,  dafs 
es  auch  frühe  schon  eine  Hadesfahrt  des  Pythagoras  gab: 
Herakleides  vom  Pontos  und  Hieronymos  von  Rhodos  im 
dritten  Jahrhundert  v.  Chr.  hatten  sie^,  und  wir  erfahren 
durch  die  Vermittelung  des  Laertios  Diogenes  (VÜI  21) 
wenigstens  einiges  von  ihrem  Inhalt:  9ri<^i  ^^  lepiuvu^oc  KateX- 
eövra  auTÖv  (TTu6aTÖpav)  eic  "Aibou  xfiv  |aev  'Hciöbou  ipuxnv 
iöeiv  Trpöc  kiovi  xö^kuj  bebejuevriv  Kai  xpiloucav,  ifiv  he  '0}ir\pov 
Kpe^a^evriv  otTrö  bevbpou  Kai  öqpeic  irepi  auxfiv  dv0'  iLv  eiirov 

1  Susemihl  Gesch.   d.   griech.  Litt,   in  der  Alexandrinerzeit  I  344. 

2  Clem.  Alex.  Strom,  I  p.  144,  s.  Ettig  Acheruntica  286. 

3  Weil  kein  strikter  Beweis  dafür  beizubringen  ist,  dafs  vor  Hera- 
kleides Pontikos  sich  irgend  eine  derartige  Schrift  mit  Pythagoras  be- 
schäftigt habe  (Diels  im  Archiv  f.  Gesch.  d,  Philos.  III  469),  kann  man 
doch  nicht  behaupten,  dafs  Herakleides  das  alles  erfanden  habe.  Alle 
innere  Wahrscheinlichkeit,  die  Art  der  erhaltenen  Spuren  weist  doch 
darauf  hin,  dafs  diese  Nachrichten  an  die  alte  orphische  Dichtung  an- 
knüpften. Welcher  Art  das  Buch  des  Herakleides  irepl  tOüv  koG'  "Ai&riv 
war,  kann  man  ja  nicht  wissen;  wenn  man  über  die  Art  und  Tendenz 
der  Bücher  gleichen  Titels  von  Protagoras,  Demokritos,  Antisthenes 
etwas  vermuten  darf,  so  ist  es  das,  dafs  sie  die  orphisch-pythagoreische 
Hadesmythologie  bekämpften  oder  verspotteten.  Denn  der  Volksglaube 
vom  Hades  in  damaliger  Zeit  bot  so  einförmige  blasse  und  so  wenig 

Dieterich,  Nekyia.  9 


—     130     - 

irepi  Oeujv,  KoXa2;o)aevouc  he  mi  toüc  jjlx]  GeXovtac  cuveivai  laic 
auTuJv  YuvaiHiv.^  Es  bestätigt  sich,  dafs  eine  Hauptstelle  in 
diesen  Kaxaßdceic  die  Schilderung  der  unterirdischen  Strafen 
einnahm.  Die  Strafe  der  Verleumder  der  Götter,  welche  die 
Polemik  der  mystischen  Richtungen  gegen  die  alte  Poesie 
widerspiegelt,  und  die  der  Unsittlichen,  die  höchst  charakte- 
ristisch bezeichnet  werden,  sind  gewifs  nicht  die  einzigen,  die 
Pythagoras  sah.  Dasselbe  Buch  scheint  Hermippos  gekannt 
zu  haben  (L.  Diog.  VIII  41),  er  erzählt  aber  eine  verspottende 
Anekdote  dazu,  die  derjenigen  von  Zalmoxis  bei  Herodot 
(IV  94)  ganz  ähnlich,  vielleicht  ihr  nachgemacht  ist.^  Dafs 
in  demselben  pythagoreischen  Buche  auch  die  verschiedenen 
Metempsychosen  des  Pythagoras  erzählt  waren,  ist  möglich, 
aber  nicht  sicher.^  Wahrscheiolich  könnte  es  erscheinen  nach 
dem  Bericht  des  Herakleid^s  Pontikos  (L.  Diog.  VIII  4),  der 
sich  auf  Worte  des  Pythagoras  über  sich  selbst  beruft;  dort 
heilst  es  von  Euphorbos,  er  habe  von  Hermes  verliehen  be- 
kommen xfiv  ific  ipuxfic  TrepiTTÖXriciv,  ujc  7TepieTroXr|6r|  Kai  elc 
öca  cpuxd  Kai  Kua  TtepieYeveTO  Kai  öca  f]  vjjuxin  ev  tu»  abr] 
^7ra0e  Kai  ai  Xottrai  xiva  uTTO)Lievouciv.  Immerhin  macht 
der  Bericht  den  Eindruck,  als  ob  nur  in  die  Partie  der  Euphor- 
bosmetempsychose  innerhalb  einer  umfangreicheren  Schilderung 
der  Metempsychosen  eine  oder  die  Kaxdßacic  eingeschoben  sei. 
Es  scheint,  als  ob  schon  in  solchen  Büchern  der  Hinab- 
gang die  Form  einer  Entrückung  der  Seele  angenommen  habe. 
Und  dem,  was  so  von  Pythagoras  erzählt  wird,  stehen  sehr 
nahe  die  Geschichten,  wie  sie  von  Hermotimos*,  Zalmoxis 
(Herod.  IV  94 ff.),  Aristeas^  erzählt  werden,  die  alle  wie 
namentlich   auch   der  Hyperboreer   Abaris   mit   der   orphisch- 

grelle   Farben,    dafs  ihn   weder   zu  schildern  noch  anzugreifen  jemand 
würde  unteroopamen  haben. 

1  S.  Hiiler  in  der  Satura  philologa  HSauppio  oblata  p.  106  f. 

2  Rohde  Rhein.  Mus.  XXVI  557,  1. 

3  Jedenfalls  braucht  nicht  die  bei  Laert.  Diog.  VIII  14  erwähnte 
Ypacpr]  dieselbe  mit  der  KaTdßacic  zu  sein  (Rohde  a.  a.  0,);  vergleiche 
aufaerdem  Ettig  a.  a.  0.  289,  3. 

4  Rohde  Rhein.  Mus.  XXVI  558  Anm. 

5  Fragm.  epic.  graec,  p.  244  Kinkel  (toütou  cpaö.  t»^v  H^uxriv  öt€ 
dßoüXcTO  ^HUvm  Kol  ^xravi^vai  trdXiv  Suid.). 


—     131     - 

pythagoreischen  Legende  und  Litteratur  eng  verbunden  sind. 
Unter  ihrem  Namen  hat  es  auch  apokryphe  Schriften  gegeben: 
von  Zamolxis  und  Abaris  Zaubersprüche  (Plat.  Charmid.  158^), 
von  Abaris  Orakel^  auch  eine  Theogonie   und  Ka0ap|ioi,  von 
Aristeas  aufser  anderm  auch  eine  Theogonie  (Suid.).    So  ist  es 
wohl  auch  mehr  als  eine  litterarische  Einkleidung,   wenn  im 
pseudoplatonischen  Axiochos  (p.  STl^fiF.)  den  Hadesmythus,  der 
ganz  wie  wir  es  für  jene  orphisch-pythagoreischen  Kaxaßdceic 
voraussetzen,   Belohnungen  und  Strafen  in  der  Unterwelt  be- 
richtet,   die    Hyperboreer    Opis    und  Hekaergos    auf   ehernen 
Tafeln^  nach  Delos   gebracht  haben   sollen^;   das   soll  wieder 
durch   den  Magier  Gobryes  berichtet  sein,  ähnlich  wie   etwa 
in  Lukians   Menippos  (c.  6)    der  chaldäische  Magier  Mithro- 
barzanes    die    Kaxdßacic    zu    veranstalten    versteht,    von    den 
zahllosen   ähnlichen  Angaben  solcher  fiktiven  Gröfsen  in  der 
späten  Litteratur  zu  schweigen.    Ob  aber  nicht  der  Pamphylier 
Er  in  der  platonischen  Republik  auch  mehr  als  eine  Erfindung 
Piatons  ist?     Sollte  er  schon   orphisch-pythagoreische  Hades- 
visionen    angeblich     solcher    nordischer     oder    orientalischer 
Wundermänner  gekannt  haben?    Und  eine  solche  Vision,  eine 
Entrückung  der  Seele  wie  derjenigen  des  Er,  die  dann  in  den 
Leib   zurückkehrt   (oc   TeXeuTrjcac  dveßioi),    wird  in   der  That 
auch  schon,  die  älteste  Pythagoras- Kaxdßacic  enthalten  haben.* 
Eine    ganz  versprengte  Notiz  läfst   uns    noch    erkennen, 
wie  gerade  solche  Visionen  nun  auch  auf  den  Namen  anderer 
Hauptvertreter  der  orphisch-pythagoreischen  Richtung  giengen. 
Bei  Servius   zu  Verg.  Georg.  I  34  heifst  es:    Varro  alt  se  le- 
gisse  Empedocli  a  quadani  vi  divina  mortalem  adspedum  de- 
tersum  eumque  inter  cetera  tres  portas  vidisse  tresque  vias, 
unam  ad  Signum  scorpionis,  qua  Hercules  ad  deos  isse  diceretur. 

1  Von  Herakleides  Pont,  werden  citiert  Xöyoi  tujv  eic  'Aßapiv  dva- 
q)€pOfi^vurv  Bekker  Anecd.  gr.  I  145. 178,  s.  Bethe  bei  Paaly-Wissowa  1 15. 

2  Was  die  xa^Kai  öeXroi  bedeuten  sollen,  kann  man  aus  PoUux 
YIII  128  sehen:  b^Xroi  xa^KoT,  aic  fjcav  itdXai  ^vxeTUTruj^^oi  oi  vö(.ioi 
Ttepi  TU)v  iepujv  koI  tüjv  Traxpiiuv  (vgl.  auch  Soph.  Trachtn.  683). 

3  S.  darüber  auch  Crusius  bei  Eoscher  II  2812.  Vgl.  orph.  Fragm. 
267,  wonach  Orpheus  einen  Vers  erhalten  haben  soll  de  oraculo  ApoUinis 
Hyperborei,  s.  Ettig  313,  1. 

4  Rohde  Rhein.  Mus.  XXVI  557,  Ettig  289. 

9* 


—     132     — 

Manche  Korabination  ruft  diese  unscheinbare  Notiz  hervor; 
für  jetzt  mag  nur  darauf  aufmerksam  gemacht  sein,  wie  auch 
hier  wieder  die  drei  Wege  im  Jenseits  dieselbe  Bedeutung 
haben,  die  oben  bei  Piaton  und  in  der  Plutarch-Pindarstelle 
erklärt  wurde. 

Weiterhin  ist  dann  die  ausgebildete  Form  der  eigent- 
lichen Kaiaßacic  sowohl  wie  der  blofsen  Vision  zu  einer  immer 
mehr  angewendeten  litter  arischen  Einkleidung  geworden  für 
mannigfachen  Inhalt.  Etwa  das  nächste  Stadium  der  Ent- 
wickelung  ist  wiederum  an  einem  westgriechischen  wirklichen 
oder  vermeintlichen  Heros  des  Pythagoreismus  zu  beobachten. 
Im  Anfang  des  Epicharmus  des  Ennius  stand  ohne  Zweifel 
der  Vers  (fr.  I  Vahl.) : 

nam  videbar  somniare  med  ego  esse  mortuum. 
Dieser  eine  Vers  reiht,  scheint  mir,  allein  die  merkwürdige 
Schrift  in  jene  Litteraturgattung  ein:  wer  damals  träumte,  er 
sei  gestorben,  träumte  weiter,  dafs  er  in  den  Hades  komme, 
und  folgten  dann  Sätze  philosophischer  Weisheit,  so  vernahm 
er  diese  in  der  Unterwelt,  vernahm  sie  da  aus  dem  Munde 
eines  von  ihm  befragten  berühmten  Weltweisen.  So  wurde  nun 
auch  der  eigentlich  philosophischen  Lehre  überweltliche  oder 
vielmehr  unterweltliche  Autorität  verschafft.  Von  der  weiteren 
Entwickelung  dieses  litterarischen  Typus  ins  Parodische  und 
Satirische  bei  Sotades  und  Sopater,  Timon,  Krates,  Menippos 
u.  a.  habe  ich  hier  nicht  zu  reden.  Das  aber  ist  uns  nun 
verständlich,  dafs  man  in  Sicilien  den  typischen  Vertreter 
pythagoreischer  Spruchweisheit  zum  Hades  fahren  liefs,  damit 
er  dort  aus  dem  Munde  des  Meisters  selbst  die  hohen  Lehren 
vernehme,  dafs  man  diese  Lehren  zunächst  die  beliebten  epi- 
charmischen  Verse  selbst  sein  liefs,  und  indem  man  sie  mit 
leichtester  Mühe  in  die  bestimmte  Form  einkleidete,  eine  'Etti- 
Xapiuou  eic  "Aibou  Kaidßacic  ausgehen  liefs.  Eine  solche  hat 
Ennius  übersetzt,  denn  schon  die  entsprechende  Passung  der 
anderen  Titel  des  Ennius  (Euemerus,  Sota)  zeigt,  dafs  nicht 
dieser  selbst,  sondern  Epicharmus  es  ist,  der  beginnt:  mir 
träumte,    ich  sei  gestorben.^     Diese  Einführung   der  Traum- 


1  So  allein  ist  es  auch  zu  erklären ,    dafs  die  Citate   des  echten 


-     133     - 

vision  hat  denn  auch  ihre  Geschichte^,  wie  z.  B.  Tiinarchus 
in  dem  Hadesmjthus  bei  Plutarch  de  deo  Socratis  (c.  22) 
nicht  weifs  eit'  eTpriTopev  eit'  ibveiponöXei. 

Aber  dies  alles  weiter  zu  verfolgen  ist  hier  nicht  der 
Ort.  Das  haben  wir  gesehen,  wie  gewaltig  die  erste  unter- 
italische Jenseitsoffenbarung  gewirkt  hat  und  wie  alsbald  nach 
verschiedenen  Seiten  hin  an  sie  angeknüpft  ist.  Nur  noch  die 
Vermutung  mag  gestattet  sein,  dafs  auch  die  Kaiaßacic  eic 
"Aibou  und  ihre  Verspottung  in  der  attischen  Komödie  durch 
jene  Bücher  des  Westens,  wenn  nicht  angeregt,  so  doch  in 
vielem  beeinflufst  worden  ist,  nicht  nur  in  dem  späteren  Pytha- 
gorista  des  Aristophon,  in  dem  geradezu  der  Spott  über  eine 
pythagoreische  Hadesfahrt  der  Gegenstand  des  Stückes  war^, 
sondern  auch  in  früheren,  freilich  meist  bis  auf  weniges  ver- 
lorenen Stücken^,  ja,  wohl  auch  in  den  Fröschen.  Dafs  damals 
schon  von  pythagoreischer  Hadeslitteratur  in  Athen  Kenntnis 
vorhanden  war,  scheinen  mir  die  Verse  des  Sophokles  in  der 
Elektra  zu  beweisen  (v.  62): 

)\br]  fap  eibov  iroWaKic  Kai  touc  coq)Ouc 
XÖYUJ  )LidTriv,0v^cKOVTac"  ei0'  öiav  bö|aouc 
e\9ujciv  au0ic,  eKTeTi)nriVTai  TiXeov. 
Die  Schollen  weisen  ganz  richtig  auf  Pythagoras  hin.*    Gerade 
auch  der  Ausdruck  oi  coqpoi,  wenn  man  sich   anderer  Stellen 
der  Tragiker   erinnert  (s.  oben  S.  123  f.),  weist  auf  Orphiker- 
Pythagoreer  hin.     So  konnte  auch  Piaton  schon,  als  er  den 


Epicharm  bei  Euripides  (s.  Diels  sibyll.  Blätter  34,  1  zu  v.  Wilamowitz 
Herakles  I  29,  54)  mit  den  Versen  des  römischen  Übersetzers  eines 
falschen  Epicharm  übereinstimmen. 

1  S.  z.  B.  Ps.-Plut.  Plac.  philos.  V  1,  4  (p.  416  Diels),  Ettig  314. 

2  Rohde  griech.  Roman  260,  3. 

3  Z.  B.  auch  in  den  MeraXXfic  des  Pherekrates  stieg  eine  Frau 
durch  die  laurischen  Gruben  zum  Hades  und  erzählte  nachher,  was  sie 
gesehen,  Fragm.  108  ff.  K.  Ähnlich  war  es  in  den  KpairaxaXoi  und  einer 
Anzahl  anderer  Stücke. 

4  Von  ihm  heifst  es  z.  B.  auch  nach  Hieronjmus  bei  LDiog. 
Vin  21  nach  der  Erzählung  von  der  Hadesentrückung  koI  6i^  koI  biä 
toOto  Ti|UTi9fjvai  ötiö  tuiv  ^v  Kpöxujvi.  Die  Scholien  erzählen  eine  Ge- 
schichte wie  die  LDiog.  VIII  41  und  verbinden  sie  mit  dem  Bericht  von 
den  Metempsychosen. 


-     134     - 

Phaidros  schrieb,  in  Athen   solche  apokalyptischen  Produkte 
der  unteritalischen  Mystik  kennen. 

Aber  auch  von  der  weiteren  Tradition  der   alten  eigent- 
lichen Hadesfahrt  des   Orpheus   selbst  hören  wir.     Natürlich 
macht  ihr  Text  allerlei  Wandlungen  durch,  aber  es  ist  gewifs 
eben    dies    orphische  Hadesbuch,    von    dem  Diodor  berichtet, 
dafs    dort    die    Strafen    der    Gottlosen    und    die    Gefilde    der 
Frommen  geschildert  seien  (Diod.  I  96,  4  ff.  orph.  Fragm.  153). 
Und  später  hören  wir  wieder  mehr  von  diesem  Gedichte  des 
Orpheus,  und  dessen  Schilderungen  sind  es,  die  zur  Zeit  der 
Neuplatoniker    allbekannt,    von    ihnen    immer    herangezogen 
werden,  namentlich  wenn  es  gilt  den  Piaton  zu  erklären.     Da 
hören  wir  wieder  von  Reinigungen  im  Acher on,  die  dort  be- 
schrieben seien,  und  lesen  Verse  wie  diese  (Fragm.  154): 
o'i  )uev  k'  euaYeu)civ  ijtt'  aiiYOtc  iieXioio, 
auTic  dTro(p0i|uevoi  juaXaKdiTepov  oitov  e'xouciv 
ev  KaXuj  \ei|ua)vi  ßa6uppoov  d)uq)'  'Axepovia, 
und  von  denen,  die  im  Tartarus  gestraft  werden: 
o'i  b'  abiKa  peHavTec  utt'  auYCic  iieXioio 
üßpiv  e',  o'i  KttTdYOVTai  urrö  TrXdtKa  Kuukutoio 
Tdprapov  ec  Kpuöevia. 
Vom  einzelnen  hören  wir  weiterhin  nur'^,  dafs  von  Erlösungen 


1  Das  Citat  des  Servius  zu  Aen.  VI  565  fertur  namque  ab  Orpheo, 
quod  du  peierantes  per  Stygem  paludem  novem  annorunt  spatio  puniuntur 
in  Tartaro  (vgl.  Empedokles  v.  372 ff,,  p.  78  Stein)  kann  recht  wohl  in 
der  orphischen  Kaxcißacic  gestanden  haben  (fr.  157  Abel),  kaum  aber  das 
andere  Serviuscitat  zu  Aen.  VI  392  lectum  est  in  Orpheo,  quod  quando 
Hercules  ad  inferos  descendit,  Charon  territus  eum  statim  suscepit,  oh 
quam  rem  anrto  integro  in  compedibus  fuit.  Man  kann  nicht  wissen,  wo 
in  der  mannigfachen  orphischen  Litteratur  dergleichen  erwähnt  wurde 
(auch  wenn  es  wirklich  in  der  Hadesfahrt  gestanden  hätte,  würde  noch 
lange  nicht  folgen,  dafs  das  Ganze  eine  Fahrt  des  Herakles  sei,  wie 
Lobeck  Agl.  813  meinte,  s.  Ettig  286).  Dafs  keins  von  beiden  Citaten 
in  den  Orpheus  des  Lucanus  gehört,  wie  man  MHaupt  opusc.  II  219 
immer  wieder  geglaubt,  hat  schon  Ettig  376,  1  aus  der  Citationsformel 
schlagend  dargethan.  Bei  dem  ersten  Fragment  mufste  nun  gar  erst 
Bäbrens  aus  dem  ab  ein  in  machen.  Hosins  durfte  diese  Sätze  nicht 
wieder  unter  die  Fragmente  des  lucanischen  Orpheus  setzen  (Ausgabe 
S.  328  f),  ebensowenig  die  obscöne  Geschichte  von  den  osälla  aus  Serv. 


—     135     - 

neuer  Lebenslose  unter  der  Erde  und  von  Metempsycliosen 
ebendort  die  Rede  war,  also  genau  die  Hauptsachen,  die  sich 
uns  auch  anderwärts  als  Inhalt  jenes  alten  Gedichts  ergeben 
hatten.  Ebendahin  wird  auch  gehören  ein  Fragment  über 
Seelenwanderung,  besonders  Wanderung  der  Seelen  in  Tiere 
(Fragm.  224),  dann  heifst  es  (v.  5 f.): 

ÖTTTTÖTe  b'  avGpujTTOC  TTpoXiirri  qpdoc  iieXioio, 
vjjuxac  dGavaiac  Kaidtei  KuXXrjVioc  'GpMfic 
Yttiric  ec  Keu0|ud)va  ireXoupiov  — . 
Der  Anklang,  z.  T.  wörtliche  Gleichheit  der  Verse  mit  denen 
einer  der  unteritalischen  Inschriften  (oben  S.  85,  2)  fällt  ohne 
weiteres  auf.  Und  bedürfte  es  noch  eines  Beweises,  wie  zäh 
sich  die  alten  Verse  bis  in  so  späte  Zeit  erhalten  konnten, 
so  hätte  ihn  der  Fund  des  kretischen  Täfelchens  aus  dem 
zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  erbracht.  Dort  hat  man  das 
orphische  Hadesbuch  gehabt,  gewifs  dasselbe,  das  auch  in 
Ägypten  die  Neuplatoniker  allein  kannten  und  benutzten.  Gerade 
auch  in  dieser  Zeit  ist  das  orphische  Buch  vom  Hinabgang 
zum  Hades  dasjenige  gewesen,  welches  die  Lehren  von  der  Selig- 
keit und  den  Strafen  im  Jenseits  bewahrt  und  verbreitet  hat 
und  als  das  sozusagen  klassische  Buch  dafür  von  den  Neu- 
platonikern  angeführt  wird. 

Nur  mühsame  Untersuchungen  können  nun  das  verlorene 
Buch  wiedergewinnen.  Den  Hauptinhalt  des  verschollenen 
Gedichtes  konnten  wir  rekonstruieren,  seinen  Gang  wieder- 
verfolgen und  seinen  Sinn  wiedererkennen.  Ganze  Stücke 
sind  erhalten  geblieben  dank  seiner  einzigen  Stellung  und  ge- 
waltigen Wirkung  in  der  Litteratur,  und  auch  hier  haben 
glückliche  Funde  dieser  Jahre  den  Schlüssel  gegeben  zu  dem 
verborgenen  Schatze.  Aber  auch  die  weiter  versprengten 
Stückchen  sind  zu  sammeln,  damit  wir  namentlich  auch  die 
Sündertypen  und  die  Höllenstrafen   dieser  hellenischen  Nekyia 

zu  Verg.  Georg.  II  389  {et  hoc  in  OrpJieo  lectum  est);  weisen  doch  die  ver- 
schiedenen Bedeutungen  des  Wortes,  die  in  Betracht  kommen,  alle  auf 
Dionysoskult  und  seine  obscönen  Riten  hin.  Wo  sollte  denn  das  über- 
haupt bei  Lucan  gestanden  haben?  Denn  die  sicheren  Fragmente  seines 
Orpheus  machen  unzweifelhaft,  dafs  er  nur  die  Geschichte  mit  Eurydike, 
jedenfalls  nach  alexandrinischem  Vorbild,  behandelt  hat^ 


-     136     - 

Kar'  iloxr\\,  von  denen  uns  bisher  nur  wenige  Andeutungen  auf- 
gestofsen  sind,  vergleichen  können  mit  denjenigen  der  ersten 
christlichen  Nekyia. 


Weniges  ist  aus  jenem  in  bestimmten  Genossenschaften 
gehegten  Glauben  allmählich  in  allgemeineren  Volksglauben 
übergegangen.  Ein  Ort  der  Frommen  drunten  und  einer  für 
die  Frevler,  auch  mit  dem  Gedanken  an  Belohnung  und 
Strafe  mag  wohl  hier  und  da  allgemein  aufgenommen  worden 
sein.  Aber  es  ist  doch  sehr  charakteristisch,  mit  welcher 
Zurückhaltung  und  geflissentlichen  Unbestimmtheit  über  diese 
Dinge  z.  B.  auch  bei  den  attischen  Rednern  gesprochen  wird^, 
die  für  allgemeine  Volksvorstellungen  ihrer  Zeit  vielleicht  die 
zuverlässigste  Quelle  sind,  wie  selten  selbst  in  den  uns  er- 
haltenen Grabreden.^  Eine  viel  gröfsere  Rolle  spielt  dort  der 
Gedanke  der  diesseitigen  Vergeltung. 

Früh  schon  kommt  es  vor,  dafs  man  geliebte  Menschen 
im  Hades  wiederzusehen  hofft ^,  und  solchen  Gedanken  wider- 


1  Meufs  Jahrb.  f.  Philol.  CXXXIX  (1889)  449  fif.  801  ff. 

2  Lysias  sagt  Xu  10  oT|uai  bä  outouc  ■f]n<uv  xe  äxpoöcGai  Kai  dinäc 
eicecGai  xi^jv  vjifiqpov  qp^povrac.  Geradezu  stehend  wird  für  dergleichen 
die  bedingte  Form  et  b'  ?CTiv  avcöricic  ^v  "Atöou...,  djcirep  utto- 
\a)aßdvo|a6v ,  Hypereid.  epit.  p.  71  Bl.,  Stob.  anth.  124,36.  Ameipsias 
I  676  fr.  29K  el  |li^v  Gavoöciv  äcxi  Tic  ti|uIi*i  Kdriu,  KoraßiuiLiev.  Über 
die  Grabinschriften  s.  o.  Kaibel  Epigr.  62  (Athen,  3. — 2.  Jh.) 

el  bi  TIC  euceßtac  napÄ  TTepceqxivrii  x^^pic  Ictiv, 
Kol  col  Tf^cöe  ^i^poc  6u)K€  TÜxri  q)9i)ui^viii. 
48  (Athen,  3.  Jh.): 

oi6a  bä  col  ÖTi  Kol  kutö  ff\c,  ei  irep  xP^lCfoic  Y^pac  ?ctiv, 
irpiuTrii  coi  Ti|aa{,  TiTGTi,  xcapä  TT€pc€9Öviii  TTXoütuuvi  tc  KeiVTOi. 
ÄhnUch  CIA  II  3897 

(■ir)dvTiJUv  luv  e^mc  Iczi  TUxeTv  eö6a(|Lioci  GvriTOic 

(2)ll»cd   T€   ^KOtVltlVOUV   KOl   90l|Lt^VTl    |Ll(eT)^X^- 

Vgl.  Tacit.  Agric.  c.  46  st  quis  piorum  manilms  locus,  si,  ut  sapientibus 
placet,  non  cum  corpore  exstinguuntur  magnae  animae,  placide  quiescas  etc. 

3  Iphigenie  wird  dem  Vater  in  der  Unterwelt  entgegenkommen 
Aisch.  Agam.  1522,  Antigene  spricht  davon,  wie  sie  dem  Vater  und  der 
Mutter  drunten  hätte  entgegentreten  sollen,  Soph.  OB  1356,  sie  wird  mit 


-     137     - 

spricht  es  durchaus  nicht,  wenn  gesagt  wird,  dafs  der  Tote  nun 
keinen  Schmerz  mehr  leide,  nichts  mehr  fühle ^,  allgemeine, 
natürliche  Gedanken,  die  wohl  immer  auch  von  denen  aus- 
gesprochen sind,  die  durchaus  nicht  sagen  wollten,  dafs  mit 
dem  Tode  alles  aus  sei.  Aber  eine  Vergeltung  im  Jenseits, 
Strafen  in  der  Unterwelt  werden  an  so  vielen  Stellen,  an 
denen  ihre  Erwähnung  jedem,  der  an  sie  glaubte,  nur  natür- 
lich, ja  notwendig  gewesen  wäre,  nicht  genannt.  Mit  den 
wenigen  Stellen,  an  denen  dergleichen  ausgeführt  wird,  hat  es 
immer  eine  besondere  Bewandtnis.  So  findet  sich  bei  allen 
attischen  Rednern,  um  zunächst  zu  diesen  zurückzukehren, 
soviel  ich  weifs,  nur  eine  einzige  Stelle  in  der  dem  Demosthenes 
zugeschriebenen  ersten  Rede  gegen  Aristogeiton,  wo  es  heifst, 
dafs  einer  nicht  der  Gnade  der  Hadesgötter  würdig  sei,  sondern  zu 
den  Gottlosen  verstofsen  zu  werden  verdiene,  um  der  Schlechtig- 
keit seines  Lebens  willen.^  Erst  recht  sind  wir  aber  verwun- 
dert über  den  unmittelbar  vorhergehenden  Satz  laeG'  u)v  b*  oi 
liUfpäcpoi  Touc  dceßeic  fpdq)ouciv  eic  "Aibou,  fiexct  tou- 
Tuuv,  juex'  'Apäc  xai  BXacqpriuiac  xai  OGovou  Kai  Cidceujc  Kai 
NeiKOuc  Trepiepxeiai :  er  kennt  nicht  91X10,  nicht  xdpic,  sondern 
in  seiner  Begleitung  sind  jene  schrecklichen  Wesen,  wie  sie 
die  Maler  den  Gottlosen  im  Hades  beigeben.  Diese  Wesen 
sind  offenbar  ebenso  als  Erinyen  gedacht  wie  etwa  in  der 
Plutarchstelle  de  exil.  c.  9  p.  602**  ejib  öe  KCtKeivov  ('AXKjueiuva) 
ekd^uj  (peuTOvra  rroXiTiKdc  dpxdc  xai  cxdceic  koi  cuKoq)avTiac 
epivuiubeic  eXecGai.    So  haben  die  Stoiker  die  Erinyen  gedeutet, 


dem  Vater  und  Bruder  binabkommen  Antig.  888.  In  Piatons  Phaidon 
p.  68*  beifst  es  sogar:  f|  ävöpumivujv  ji^v  iraiöiKÜJv  Kai  YuvaiKuiv  koI 
ui^urv  äiro8avövTUJV  ttoXXoI  bi]  ^k6vt€C  riG^Xrjcav  eic°Ai&ou  ^XGeiv 
vTzö  ToCmic  dTÖfievoi  xfic  IXiriboc  rfic  toO  övjjecBai  re  iK€i  Ouv  ^ireGüjiouv 
Kol  Suv^cecGai. 

1  Z.  B.  Theogn.  955  f.  Keico|iai  üjcre  XiBoc  aq)90TT0C.  Aisch.  Fragm. 
255  N*  öXtoc  b'  o\)bb/  äiTT€Tai  vexpoö.  Vgl.  Soph.  OC.  955,  Eurip.  Ale.  937. 
Soph.  Tracb.  1175  toic  fäp  Gavoöci  |i6xGoc  ou  npocfifyeTax ,  und  viel 
äbnlicbes. 

2  Demosth.  XXV  §  53  eiG'  ov  oub^  rürv  ^v  "Ai6ou  Geiliv  eiKÖc  kxi 
Toxtiv  'iXeiuv,  dXX'  eic  Toi)c  dceßeic  liicGnvai  5id  xrjv  irovr|piav 
Toö  ßiou. 


-     138     — 

als  die  Sünden,  die  dem  Menschen  Verderben  bringen,  und  die 
Strafen  zugleich:  (piXrjbovia,  cpiXoTrXouTia,  (f>i\oboHia  u.  a.  sind 
ihnen  die  Furien^,  nicht  unähnlich  den  Teufeln,  von  denen 
man  in  Deutschland  im  16.  Jahrhundert  so  viel  gepredigt  und 
geschrieben,  dem  Aufruhrteufel,  dem  Lustteufel,  dem  Geiz- 
teufel und  ihren  unzähligen  CoUegen.^  Die  Stoiker  liefsen 
diese  eigentlich  infernalischen  Wesen  umdeutend  schon  in 
diesem  Leben  wirken :  jene  Maler  aber,  welche  die  Demosthenes- 
stelle  erwähnt,  liefsen  sie  im  Hades  die  Gottlosen  züchtigen; 
was  können  es  anders  für  Einzelstrafen  sein,  als  die,  welche 
auf  den  unteritalischen  Unterweltsbildern  die  Frevler  züchtigen, 
dort  freilich  noch  allgemeiner  nur  als  TToivai,  'AvdxKTi  be- 
zeichnet; können  überhaupt  andere  Bilder  gemeint  sein  als 
solche,  die  anschliefsend  an  diese  einzigen  ünterweltsbilder,  die 
es  gab,  die  Darstellung  des  einzelnen,  namentlich  der  Strafen 
immer  mehr  ausbildeten?  Nur  eine  Stelle  wüfste  ich  anzu- 
führen, die  eben  solche  Bilder  für  das  4.  oder  3.  vorchrist- 
liche Jahrhundert  aus  der  griechischen  Welt  uns  bezeugt; 
denn  auf  ein  griechisches  Original  gehen  unzweifelhaft  die 
plautinischen  Verse  in  den  Captivi  des  Plautus  V  4,  1  ff.  zurück: 
Vidi  ego  multa  saepe  picta  quae  Ächerunti  fierent 
Cruciamenta:  verum  enim  vero  nulla  adaequest  Acheruns 
Atque  ubi  ego  fiii  in  lapicidinis. 
Diese  und  die  Rednerstelle  stützen  sich  gegenseitig.  Und  ist 
es  sehr  wahrscheinlich,  dass  das  Original  der  plautinischen 
Captivi  beträchtlich  späterer  Zeit  als  der  demosthenischen  an- 
gehört^, sollten  dann  wirklich  jene  Worte  der  Aristogeitonrede 

1  Sehr  zahlreiche  weitere  Belege  findet  mau  bei  ENorden  Jahrb.  f. 
Philol.  Suppl.  XVIII  338  f. 

2  Eine  Notiz  Krumbachers  in  den  Studien  zu  den  Legenden  des 
h.  Theodosios,  Sitzungsber.  der  philos.  histor.  Classe  der  bair.  Ak.  d. 
Wiss.  1892,  S.  349,  2,  ist  in  diesem  Zusammenhange  sehr  bedeutsam. 
In  einem  Cod.  Vatic.  gr.  840  stehe  fol.  222^^  *ein  Verzeichnis  von  56 
Lastern,  die  als  Luftgeister  bezeichnet  werden':  xä  tüöv  reXuJveiujv. 
TÖ  xfic  KOTaXuXiäc,  rfic  Xciöopiac,  toO  <p9övou  u.  s.  w.  Über  die 
Luftgeister  der  Telonien  liSchmidt  Volksleben  d.  Neugriechen  171  ff. 

3  Auch  V.  Wilamowitz  sagt  in  dem  neuesten  Programm  von  Göt- 
tingen (für  das  Wintersem.  1893/94:)  p.  13:  Captivos  fortassc  ne  Atlienis 
quidem  neque  florente  aetate  natam  esse  ttsi  sensu  tantum  ductus  suspicoi\ 


—     139     — 

so  von  Demosthenes  gesagt  sein,  der  so  wenig  wie  seine  Kunst- 
crenossen  in  jener  Zeit  je  etwas  ähnliches  ausgesprochen  hat? 
Es  ist  ein  sehr  bedeutsames  Zusammentreffen,  dass  in  der- 
selben 25.  Rede  (§  11)  ganz  deutlich  und  ausdrücklich  ein 
orphischer  Hymnus  unserer  Sammlung  citiert  wird,  wie  auch 
eine  Gegenüberstellung  sofort  zeigen  wird^: 

Demosth.  XXV  11:  orph.Hymn.LX  Aiktic,  v.2f.: 

Ktti  xfiv  ctTTapaiTriTOV  Kai  ce|ivfiv 
AiKTiv,    tiv    6    Tttc   dfnuTaTac 

fj  mTv  TeXeiac  Kaiabeitac  'Opqpeuc  ii  Kai  Zrivöc  avaKTOc  im  Gpövov 
irapä  TÖv  tou  Aioc  Bpövov  iepöv  iZei 

qprici  KaGriMCvriv  Travia  id  oupavööev  KaGopOuca  ßiov  Gvr)- 
TUJV  dvGpuuTTUJV  ecpopdv.  xujv  TToXuqpüXuJV. 

Der  Redner  bekennt  sich  ausdrücklich  zu  den  orphischen  TeXexai 
und  führt  einen  Satz  aus  einem  heiligen  Liede  derselben  an,  so- 
dafs  man  annehmen  mufs,  er  gehöre  selbst  zu  einer  orphischen 
Gemeinde,  in  der  diese  Lieder  im  Gebrauch  waren.  Und  nun 
nehme  man  die  anderen  oben  angeführten  Aufserungen  des- 
selben Redners  hinzu:  er  war  selbst  orphisches  Gemeindeglied 
oder  stand  doch  diesen  Kulten  sehr  nahe;  er  spielt  auf  ihre 
Lehren  an  und  citiert  Lieder,  die  so  wohl  kaum  vor  dem 
3.  Jahrhundert  vorhanden  waren.  Bedenkt  man  aufserdem, 
dafs  deutliche  Spuren  stoischer  Lehre  zu  erkennen  sind,  die 
ja  später  stark  in  die  orphischen  Mysterien  eindrangt,  so  wird 
ein  Zweifel  nicht  sein  können,  dafs  die  Rede  nicht  von  De- 
mosthenes ist,  sondern  etwa  von  einem  Rhetor  der  älteren 
alexandriuischen  Zeit  stammt;  in  der  alexandrinischen  Bibliothek 
war  sie  schon  als  Rede  des  Demosthenes  aufgenommen.  Ge- 
rade das  aber  ist  das  Resultat  der  Untersuchungen,  die  auf  Grund 
ganz  anderer  Judicien  über  diese  Rede  geführt  sind,  ohne  dafs 
die  oben  erörterten  Punkte  auch  nur  mit  einem  Worte  erwähnt 
wären,  das  Resultat  auch  der  meines  Wissens  letzten  sorgfäl- 
tigen Untersuchung  über  die  Echtheit  der  Rede  von  Lipsius 
(Leipziger  Studien  VI  1883,  319  ff.).    Ich  habe  absichtlich  ohne 

1  Die  Übereinstimmung  ist  längst  bemerkt,  aber  z.  B.  auch  von 
Lobeck  (Agl.  391  f.)  ganz  anders  beurteilt  gemäfe  seiner  heute  erledigten 
Auffassung  der  orphischen  Hymnen. 

2  S.  Abraxas  83  fiF. 


—     140    — 

Rücksicht  darauf  meine  Gründe  entwickelt,  die  das  anderweit 
gewonnene  Ergebnis  zu  bestätigen  geeignet  sind. 

Es  zeigten  sich  auch  hier  schon  die  Spuren  stoischen  Glau- 
bens, der  vom  dritten  Jahrhundert  an  immer  mehr  die  ganze 
griechische  Welt  durchdrang;  so  bestimmte  er  immer  stärker  die 
Auffassung  nicht  nur  der  Gebildeten,  sondern  bald  auch  der  Un- 
gebildeten. Den  Volksglauben  nahmen  die  Stoiker  auf,  indem 
sie  ihn  umdeuteten,  allegorisierten.  Ihnen  sind  auch  die  Inseln 
der  Seligen  nur  bildlicher  Ausdruck;  sie  reden  wohl  auch  von 
einer  Reinigung  der  Seelen:  die  der  Guten  steigen  in  den 
Äther,  aber  die  der  Schlechten  erhalten  sich  nicht.  ^  Nur  an 
einer  einzigen  Stelle  wird  von  der  Annahme  wirklicher  Strafen 
in  stoischer  Lehre  berichtet^:  Zenon  habe  gelehrt,  dafs  die 
Sitze  der  Frommen  und  Gottlosen  getrennt  seien,  jene  be- 
wohnten ruhige  und  entzückende  Orte,  diese  büfsten  an  finsteren 
Orten  und  in  schauerlichen  Schlünden  von  Schlamm.^  Da  sehen 
wir  also  sogar  den  gewifs  schon  in  manchen  Gegenden  recht 
verbreiteten  orphischen  Glauben  von  dem  stoischen  Philosophen 
aufgenommen,  eine  Concession  der  stärksten  Art,  die  wir  auch 
bei  keinem  anderen  Stoiker  antreffen.  Natürlich  griffen  diesen 
schwachen  Punkt  mit  besonderm  Eifer  die  Epikureer  an*, 
denen  ja  überhaupt  die  Menschen  von  der  Angst  vor  jen- 
seitiger Strafe  und  einem  Gerichte  dort  zu  befreien  ein  Haupt- 
stück ihrer  Mission  war.  Lucretius  erklärt  (III  976  ff.)  die 
Qualen  des  Tantalus,  Tityus  und  Sisyphus  auch  allegorisch 
wie  die  Stoiker,  wir  erfahren  dann  aber  plötzlich  von  Dingen, 
die  'nirgends  sind  noch  sein  können'  nach  Lucretius,  die  aber 


1  Zeller  IV  202. 

2  Vgl.  RHeinze  Xenokrates  135. 

3  Lactant.  Vll  7,  13  esse  inferos  Zeno  Stoicus  docuit  et  sedes 
pioruni  ah  impiis  esse  discretas;  et  illos  quidem  quietas  ac  delectahiles  in- 
colere  regiones,  hos  vero  luerc  poenas  in  tenebrosis  locis  atque  in  caeni 
voraginibus  horrendis. 

4  Vgl.  Usener  Epicurea  fr.  341,  s.  fr.  336  ff.  Auch  an  den  Wänden 
der  Halle  von  Oinoanda  steht  aus  einem  Briefe  Epikurs:  q)oßoO|aai  t^P 
oö6^v  bid.  Touc  TiTuouc  Kttl  Touc  (T  avxdXouc,  oöc  äva^pdcpouciv  tv  "Ai- 
(bou)  Tivdc,  ovbt  qpp(T(TU))  'vf]v  jLiübriciv  ^v(eun)oü|aevoc  ti^v  (toö  c)i]ü- 
laaToc,  Usener  Rhein.  Mus.  XLVII  428  no.  12. 


—     141     - 

doch   ein   von  itm   bekämpfter  Glaube  in   die  Unterwelt  ver- 
setzte, aufser  dem  Cerberus  und  den  Furien  (v.  1015): 

verbera,  carnifices,  robur,  pix,  lammina,  taedae. 
Das  sind  ganz  solche  unterirdische  Qualen,  wie  wir  sie  schon 
hier  and  da  erwähnt  fanden,  ins  Römische,  und  z.  T.  nicht 
blois  in  römische  Worte,  sondern  auch  in  römische  Verhält- 
nisse übertragen.^  Wer  mögen  die  Bufsprediger  gewesen  sein, 
die  in  Rom  mit  Hölle  und  Teufel  die  Menschen  schrecken  und 
bekehren  wollten? 

Hätten  wir  mehr  von  den  solche  Lehren  bekämpfenden 
Schriften  oder  auch  von  der  reichen  Litteratur  des  Spottes 
und  der  Parodie  über  solche  eschatologischen  Vorstellungen 
—  denn  sehr  oft  pflegen  sich  diese  letzteren  in  der  sogen, 
höheren  Litteratur  nur  in  Spott  oder  Polemik  zu  erhalten  — , 
so  wüfsten  wir  auch  eher,  was  in  den  apokalyptischen  Rollen 
stand,  welche  die  Propheten  dieser  Zeit  in  ihren  Ranzen  trugen 
und  aus  denen  sie  den  Sünden  der  Menschen  ewige  Strafen 
verkündeten.  Wir  wissen  nur  wenig  noch  von  dem  Spott  der 
Kyniker  über  diese  Dinge  in  allen  möglichen  litterarischen 
Formen,  den  dann  z.  T.  semitische  Spottvögel  mit  besonderem 
Eifer  weiter  kultivierten;  wir  wissen  besonders  von  ihnen  allen 
nicht,  welche  Vorstellungen  von  Hölle  und  Vergeltung  sie 
lächerlich  machen  wollten.  Von  Bion,  dem  Borystheuiten, 
wird  erwähnt  (Laert.  Diog.  IV  49,  50),  dafs  er  sarkastisch 
gesagt  habe  euKoXov  ttiv  eic  "Aibou  öböv  Kaxapuovxac  youv 
dmevai,  und  ebenda  wird  auch  seine  oben  angeführte  (S.  70  Anm.) 
spöttische  Aufserung  über  die  Strafe  des  Wassertragens  aus- 
geschrieben. In  dem  gleichen  Tone  wie  ihr  Meister  und  Vor- 
bild werden  auch  weiterhin  die  kynischen  Tugeudprediger  und 
die  stoisch-kynischen  Diatribenschreiber  über  die  Dinge  einer 
jenseitigen  Welt  sich  ausgelassen  haben;  jedenfalls  waren  sie 


1  Verbera  wohl  mit  den  lidcrrfec  der  Erinyen,  auf  deren  Fackeln 
aach  die  taedae  gehen  werden.  Die  carnifices  erinnern  an  die  schreck- 
lichen Männer  der  platonischen  Republik,  zu  pix  s.  u.;  lammina  ist  eine 
glühende  Metallplatte,  ein  sehr  häufiges  Torturmittel:  lamminae  ardentes 
Cic.  Verr.  V  163,  lamna  candens  Hör.  epist.  1 15,  36  u.  s. ;  robur  ist  stehender 
Ausdruck  für  das  schauerliche  unterirdische  Gefängnis  im  carcer,  in 
welchem  auch  Hinrichtungen  vollzogen  wurden,  auch  TuUianum  genannt 


—     142     - 

jederzeit  weit  entfernt,  etwa  selbst  apokalyptische  Geheimnisse 
zu  verkünden  oder  zu  verbreiten. 

Von  etlichen  Stücken  der  erwähnten  Art  von  Litteratur 
können  wir  uns  aber  noch  einigermafsen  eine  Vorstellung 
machen  nach  Lukians  mehrfachen  sarkastischen  Schilderungen 
der  Unterwelt,  deren  Betrachtung  uns  in  manchem  Punkte 
weiterführen  wird;  in  der  NeKuo)LiavTeia  MeviirKou  wird  er  sich 
eng  an  des  Menippos  Nekyia  angeschlossen  haben.  Da  ist 
auch  von  der  Asphodeloswiese,  von  Minos  Richterstuhl  die 
Rede,  von  Furien,  vom  Bestrafungsort  und  einigen  furchtbaren 
Strafen;  man  hört  den  Schall  der  Geifseln,  das  Wehklagen  derer, 
die  auf  dem  Feuer  gebraten  werden,  Marterwerkzeuge  sind  da, 
der  Kerberos  und  die  Chimaira  zerfleischen  die  Gottlosen. 
Auch  einige  Scherze  über  Seelenwanderungslehre  fliefsen  mit 
ein.  Die  Pointe  ist,  dafs  Tiresias  nach  dem  besten  Lebenslos 
gefragt  wird.  ^  Auch  im  Philopseudes  (c.  24  ff.)  wird  eine 
Vision  der  Unterwelt  erzählt,  von  einem,  der  lange  krank 
gewesen  ist  und  von  einem  schönen  Jüngling  in  weifsem  Ge- 
wände zum  Thron  des  Plutos  geführt  wird,  um  gleich  wieder 
zurückgeschickt  zu  werden.  Hauptsächlich  sind  es  Philosophen, 
die  er  dort  hat  treffen  wollen.  Ahnlich  ist  der  KaxdTrXouc: 
da  sind  merkwürdigerweise  die  Toten  nach  Alter  und  Schicksal 
getrennt,  wie  in  der  Nekyiomanteia  nach  q)0\a  und  I6vti,  im 
Philopseudes  nach  qpOXa  und  (ppfixpai.  Über  Tityos,  Sisyphos, 
Tantalos,  auch  über  das  Trinken  mit  den  Heroen  auf  den 
Inseln  der  Seligen,  über  Minos  und  das  Gericht  (wobei  wieder 
besonders  Mörder  und  Tempelräuber  genannt  werden)  macht 
sich  Lukian  auch  lustig  in  den  letzten  Kapiteln  des  Zeuc  e\eY- 
x6)iievoc  (c.  17  ff.).  Abgesehen  von  den  Totengesprächeu,  in 
denen  immer  wieder  klar  gemacht  wird,  dafs  alle  angeblichen 
Güter  des  Lebens  dort  unten  nicht  mehr  sind,  dafs  alle  gleich 
verzichten  müssen  —  nur  wenige  Andeutungen  auf  einzelne  volks- 
tümliche Hadesvorstellungen  kommen  vor  — ,  ist  die  ausführ- 
lichste parodische  Schilderung  dieser  Dinge  in  dem  zweiten  Teile 


1  Bekanntlich  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dafs  Horatius  in  der 
5.  Satire  des  zweiten  Buches,  wenigstens  was  die  Einkleidung  betrifft, 
die  Nekyia  des  Menippos  benutzt  hat.     Für  uns  ergibt  das  aber  nichts. 


—     143    — 

der  wahren  Geschichten  zu  fiuden.  Da  verspottet  er,  die 
Travestie  dick  auftragend,  die  phantastischen  utopischen  Reise- 
romane und  ähnliche  Litteraturprodukte  seiner  Zeit.  Da  steht 
eine  Schilderung  der.  Insel  der  Seligen,  die  ich  bereits  oben 
erwähnte,  eine  Schilderung  der  fünf  Inseln  der  Gottlosen,  wo 
auch  Feuer,  Schwefel,  Pech  vorhanden  sind-,  Geifseln  werden 
erwähnt,  der  Boden  *starrt  von  Schwertern  und  Spitzen,  ja 
sogar  Flüsse  von  Schlamm,  Blut  und  Feuer  fehlen  nicht. 
Geht  dergleichen  auch  zunächst  auf  solche  Romanschilderungen 
zurück,  das  können  wir  ohne  weiteres  sagen:  erfunden  oder 
ausgebildet  sind  diese  Züge  da  sicher  nicht,  sondern  von  solchen, 
welche  die  Menschen  schrecken  und  bekehren  wollten.  Und 
von  welchen  Philosophen?  Weder  von  Kynikern  noch  Stoikern. 
Die  Pythagoreer  haben  nie  ganz  aufgehört  zu  existieren^, 
oder  wenigstens  die  Anhänger  der  orphisch- pythagoreischen 
Geheimlehren  sind  nie  ganz  ausgestorben  gewesen.  Diese 
Mysterien  waren  z.  T.  arg  in  ünsittlichkeit  verkommen  und 
eine  Gefahr  für  den  römischen  Staat  geworden.  Aber  kurz 
nach  der  Katastrophe,  die  in  Italien  über  diese  Kulte  herein- 
brach, hören  wir  doch  noch  von  Pythagoreern  einer  ernstern, 
neuen  Art  in  Rom  und  in  Alexandria,  die  an  altpythagoreische 
Lehre  und  auch  an  jene  Mysterien  anknüpften  und  viel  mehr 
praktische  Theologen  und  Telesten  als  spekulative  Denker 
waren,  noch  viel  mehr  als  die  Neupythagoreer  späterer 
Zeit.  Ich  brauche  nur  an  Nigidius  Figulus,  Vatinius  u.  a. 
zu  erinnern.  Bald  kann  man  zwei  Richtungen  unterscheiden, 
die  beide  an  Piaton  anknüpfen,  der  ja  selbst  so  viel  Pytha- 
goreisches und  Pythagoreisch-Orphisches  aufgenommen  hatte. 
Die  einen  aber  nehmen  noch  besonders  stoische,  die  anderen 
peripatetische  Einflüsse  auf.  Die  Hauptwerke  beider  Rich- 
tungen fallen  in  das  erste  Jahrh.  v.  Chr.,  wohl  in  dessen  erste 
Hälfte.  Der  ersteren  Art  sind  die  Pythagoreer  des  Alexander 
Polyhistor  (Laert.  Diog.  VII  24 ff.):  die  Seele  ist  mit  der 
Gottheit  verwandt,  unsterblich,  besteht  aus  feurigem  und  kaltem 
Äther,  aus  Wärme  und  Luft,  die  Seelen  der  Guten  kehren 
zur  Gottheit  zurück,  die  als  Heroen  und  Dämonen  im  Luft- 


1  Rohde  gr.  Roman  67,  257. 


—     144     — 

räum  verehrt  werden;  die  Unreinen  werden  von  den  Erinyen 
in  unzerreifsbare  Bande  gelegt:  Reinigungen  und  Waschungen 
sind  sehr  nötig  zur  Heiligkeit.  Man  erkennt  noch  den  alten 
Mysterienglauben  durch,  und  so  hat  diese  Lehre  weit  gewirkt, 
so  auf  Philo  von  Alexandrien  und  auf  Seneca,^  Auch  zwei 
verschiedene  Lehren  von  der  Seelenwanderung  hatten  die  beiden 
Richtungen,  nach  der  einen  geht  die  Seele  nach  Ablauf  des 
grofsen  Weltjahres  aus  den  himmlischen  Aufenthaltsorten 
wieder  in  den  menschlichen  Körper,  im  Jenseits  gibt  es 
Glückseligkeit,  aber  auch  Strafen,  nach  der  zweiten  sind  die 
Seelen  in  ewigem  Übergänge  aus  menschlichen  in  Tierleiber 
und  umgekehrt,  die  Seelen  der  Guten  und  Schlechten  gehen 
in  die  Leiber  entsprechender  Tiere.^  Diese  letztere  Lehre  er- 
innert besonders  an  Empedokles,  aber  auch  bei  Piaton  steht 
sie  ja  am  SchluTs  der  Republik  (620'^)  und  findet  sich  ebenso 
bei  Ovid,  bei  Seneca,  bei  Plotiu,  noch  bei  Claudian.^  Seneca 
(epist.  198,  19)  gibt  als  den  Urheber  den  Nigidius  Figulus 
und  den  Anaxilaus  von  Larissa  an.  Sie  ist  eben  alt  pytha- 
goreisch-orphisch.  Jene  andere  Richtung  der  Neupythagoreer, 
die  z.  T.  aus  Stoikern  schöpft,  hat  sich  an  Posidonius  ange- 
schlossen. Aber  Posidonius  hat  von  Strafen  der  Seelen  nichts 
gelehrt,  wie  wir  wissen,  höchstens  in  allegorischem  Sinne.* 
Gerade  also  auch  in  dem,  was  uns  hier  besonders  angeht, 
werden  wir  immer  wieder  auf  pythagoreisch-orphische  Litte- 
ratur  zurückgewiesen,  die  ja  gerade  in  den  letzten  Jahrhun- 
derten vor  Chr.  wieder  frisch  zu  blühen  anfing.  Nigidius 
Figulus,  Vatinius  und  die  Häupter  der  neuen  mystischen  Rich- 
tung waren  Zeitgenossen  des  Lucretius.  Es  bleibt  kaum  etwas 
anderes  übrig  als  die  Vermutung,  dafs  sich  seine  Bekämpfung 
der  Höllenstrafen  gegen  solchen  Glauben  richtete. 

Aber  es  werden  sich  noch  weitere  und  deutlichere  Spuren 
der  mächtig  anwachsenden  orphisch-pythagoreischen  Mystik  nach- 
weisen lassen.    An  Piatons  Mystik,  namentlich  in  seinen  eschato- 


1  Vgl.  besonders  Schmekel  Philosophie  der  Mittelstoa  429  ff. 

2  Schmekel  a.  a.  0.  432  ff. 

3  S.  Birt  de  Senecae  apocolocyntosi  et  apotheosi  lucubratio,  Mar- 
burger Index  1888/9.  p.  IV. 

4  B.Heinze  Xenokrates  136. 


^     145    — 

locrischen  Mythen  hat  zunächst  Xenokrates  angeknüpft,  an  ihn 
vielfach  Posidonius.  Dies  ist  kürzlich  überzeugend  dargelegt. 
Man  hat  auch  versucht  zu  zeigen,  dafs  Plutarch  gerade  in  seineu 
Hadeserzählungen  direkt  aus  Xenokrates  schöpfe.  Für  den 
Hauptteil  des  Schlusses  von  de  fac.  lun.  gebe  ich  das  ohne 
weiteres  zu,  halte  nur  nicht  für  nötig,  dafs  der  Zug,  die  Seelen 
in  der  Luft  bestraft  werden  zu  lassen,  auf  Xenokrates  zurück- 
geführt werde.  Der  Timarchmythus  ist  richtig  so  erklärt,  dafs 
der  Hades  das  irdische  Leben  ist:  'lebend  sind  wir  die  Büfser, 
die  das  Volk  sich  als  Abgeschiedene  in  der  Unterwelt  denkt'. 
Von  der  oberen  Welt  sieht  Tiraarch  in  den  Abgrund,  auf 
unsere  Erde  herab.  Die  Umdeutung  auf  dieses  Leben  ist 
dann,  wie  ich  schon  erwähnte,  von  Stoikern  und  auch  Epi- 
kureern teilweise  übernommen.  Es  mag  sich  in  der  That  der 
Timarchmythus  aus  einer  umdeutenden  Weiterbildung  der  pla- 
tonischen Mythen  hinreichend  erklären  lassen,  wenn  auch  wohl 
einzelne  Dinge  vorkommen,  die  ein  Mann  mit  der  Absicht  jener 
Deutung  wie  Xenokrates,  da  sie  nicht  im  Piaton  standen,  nicht 
hinzugesetzt  hätte,  die  also  noch  anderswoher  stammen.^  Nun 
aber  der  dritte  eschatologische  Mythus  Plutarch s:  Aridaios, 
das  etwa  erzählt  Plutarch  de  sera  num.  vind.  (c.  22,  p.  563^ff.), 
war  drei  Tage  tot  und  erwacht  dann  wieder  zum  Leben  und 
ist  nun  gerechter  als  alle  Cilicier.  Er  erzählt,  was  er  in  den 
drei  Tagen  erlebt  hat.  Er  sieht  zuerst  die  mannigfachen  Be- 
wegungen der  leuchtenden  Seelen  hinauf  und  hinab.  Die  Seele 
eines  Verwandten,  der  jung  gestorben  war,  kommt  heran  und 
begrüfst  ihn  als  Thespesios:  so  solle  er  von  jetzt  an  heifsen. 
Diese  Seele  führt  ihn  nun  (also  eine  später  häufige  Form,  dafs 
einer  die  Vision  zeigt  oder  bei  der  Kaiaßacic  führt).  Er  sieht 
die  Seelen  mit  ihren  Narben,  er  schaut  die  Adrasteia,  die 
Tochter  der  Ananke,  hoch  oben  als  Rächerin  des  Unrechts. 
Poine,  Dike,  Erinys  sind  ihre  Helferinnen,  welche  die  heil- 
baren und  unheilbaren  Sünder  strafen.  Die  f^arben  der  ver- 
schiedenen   Seelen    werden    weitläufiger     beschrieben.      Dann 

1  Die  vier  dpxai  in  der  Unterwelt  im  Timarchmythus  haben  ilire 
merkwürdige  Parallele  in  den  vier  CTOixeia,  die  an  die  vier  Flüsse  der 
Unterwelt  geknüpft  werden,  in  zwei  orphischen  Citaten  des  Olympiodor 
zu  Piatons  Pbaidon  Fragm.  155,  166. 

Dietorich,  Nekyia.  10 


_     146     - 

sieht  er  den  leuchtenden  Ort  der  Seligkeit,  wie  eine  bakchische 
Höhle,  grünend  und  blühend,  herrlicher  Duft  und  eine  selige 
Stimmung  ist  an  dem  ganzen  Ort,  wie  sie  der  Wein  den  Be- 
rauschten schafft;  da  leben  die  Seelen  fortwährend  herrlich 
und  in  Freuden.  Alles  umgibt  ßaKxeia  Kai  ye\wc.  Dorthin 
sei  Dionysos  zu  den  Göttern  aufgefahren  und  danach  habe  er 
Semele  eingeführt.  Dann  kommen  sie  zu  einem  grofsen  Krater, 
in  dem  allerlei  Flüssigkeiten  gemischt  werden.  Drei  Dämonen 
sitzen  darum  und  mischen.  Bis  dahin,  sagt  der  Begleiter,  sei 
Orpheus  gekommen,  als  er  der  Seele  seines  Weibes  nachgieng; 
er  habe  sich  nicht  richtig  erinnert  und  falsch  berichtet,  dafs 
es  das  dem  Apollo  und  der  Nacht  gemeinsame  delphische 
Orakel  sei,  dem  Apollo  sei  aber  nichts  mit  der  Nacht  gemein. 
Aus  dem  Krater  kämen  die  Träume  und  Gesichter,  das  Orakel 
des  Apollo  aber  sei  nicht  zu  sehen.  Jenes  sei  ein  Orakel  des 
Mondes  und  der  Nacht.  Dann  zeigt  der  Begleiter  ihm  den 
leuchtenden  Dreifufs,  der  bis  zum  Parnafs  leuchte,  und  die 
weissagende  Sibylle  im  Monde.^  Nun  aber  geht  es  zum  Orte 
derer,  die  bestraft  werden.  Er  sieht  seinen  eigenen  Vater, 
der  reiche  Gastfreunde  vergiftet  hat,  hier  erst  überführt  ist 
Von  denen,  welche  die  Strafen  besorgen,  zu  gestehen  gezwungen', 
und  nun  in  einem  ßdpa9pov  steckt.  Andere  winden  sich  im 
Kote  und  kehren  das  Innere  nach  aufsen,  wie  Seewürmer 
(Skolopendren),  die  das  Innere  nach  aufsen  kehren.  Andere 
umschlingen  sich  und  fressen  sich  auf  vor  Zorn  und  Neid 
zur  Strafe  für  Thaten  des  Zornes  im  Leben.  Nebeneinander 
sind  Seen  siedenden  Goldes,  eisigen  Bleies,  harten  Silbers; 
Dämonen  stehen  dabei  und  stecken  wie  Metallarbeiter  die 
Seelen  aus  einem  in  den  anderen:  es  sind  die  Seelen  der  Un- 
ersättlichen und  Habsüchtigen.  Andere  sehen  sie  aufserdem; 
mancher  Strafen  gehen  sogar  noch  auf  die  Nachkommen  über. 
Endlich  wird  nur  kurz  der  Seelen  Erwähnung  gethan,  die  zu 
einer  neuen  Geburt  und  in  die  Leiber  aller  möglichen  Lebe- 
wesen übergehen.     Da  wird  noch  besonders  Nero  erwähnt. 

Dafs    dieser    Mythus    sich    auch    in    der    Hauptsache    an 
Piaton    anschliefst,    liegt  am   Tage.     Aber    es   ist   eine  Fülle 


1  Der  Sinn  der  Sätze  567'*  ist  mir  unklar. 


-     147     - 

ganz  eigentümlicher  Züge  hinzugekommen,  und  dafs  der 
Mythus  in  dieser  Bereicherung  nicht  auf  Xenokrates  zurück- 
geht, dürfte  ohne  weiteres  sicher  sein.^  Wer  den  Hades  in 
dieses  Leben  und  in  die  Luft  verlegt,  Piatons  Mythen  nur  mit 
dieser  Pointe  umdeutend,  wird  jene  Strafen,  die  nur  für  den 
Hades  erfunden  sein  können,  nicht  einführen,  überhaupt  nicht 
brauchen  können.  Ebenso  wenig  kann  ein  allegorisch  deutender, 
wenn  auch  ein  noch  so  coucessionsbereiter  Stoiker  solche  Dinge 
vorgebracht  oder  gar  erdacht  haben,  und  es  liefse  sich  auch 
nicht  eine  sichere  Spur  stoischer  Lehren  entdecken.  Dafs 
endlich  Plutarch  die  eigenartigen  Einzelheiten  nicht  selbst 
erfunden  hat,  bedarf  kaum  eines  Wortes. 

Und  es  sind  bestimmte  Anzeichen  ihres  Ursprunges  vor- 
handen: die  euujxia  wie  der  Trunkenen,  die  avxpa  ßaKXiKd  an 
dem  Orte  der  Seligen,  wo  Dionysos  zu  den  Göttern  gekommen 
sei,  weisen  uns  schon  in  eine  bestimmte  Richtung.  Der  'Krater 
erinnert  uns  sofort  an  das  dem  Orpheus  zugeschriebene  Gedicht 
Kparrip  —  denn  so  wird  das  Buch  meist  citiert,  nicht  Kpaippec  — , 
über  dessen  Inhalt  man  freilich  im  Unklaren  ist  (Fragm.  158 — 
162).  Aber  von  Plutarch  wird  ja  sogar  Orpheus  genannt,  der 
auch  bis  zu  dem  Kparrip  hingekommen  sei,  aber  gegen  eine  Er- 
klärung desselben,  die  sich  auf  Delphi  bezieht,  polemisiert  Plutarch, 
korrigiert  sie  und  setzt  eine  andere  dafür  ein.  Das  Orakel  der 
Nacht,  das  demnach  Orpheus  nannte,  kennen  wir  in  der  That 
aus  der  orphischen  Litteratur  (Fragm.  88).  Es  ist  eine  Korrektur, 
die  der  delphische  Priester  zu  machen  sich  veranlafst  sieht, 
und  auf  Delphisches  scheinen  sich  auch  die  nächsten  Sätze 
über  den  leuchtenden  Dreifufs  zu  beziehen.  Dagegen  ist  die 
folgende  Schilderung  des  Straforts  das  offenbare  Gegenstück  zu 
der  des  Seligenortes  und  trägt  in  der  Beschreibung  der  Seen 
und  des  Schlammes  die  deutlichsten  Zeichen  des  gleichen  Ur- 
sprungs an  sich,  die  noch  viel  unverkennbarer  und  zahlreicher 
sind  als  in  der  platonischen  Republik. 

So  bestätigt  auch  hier  der  Befund  im  einzelnen  so  schlacrend. 
wie  man  es  nur  wünschen  kann,  die  Anschauung  von  der 
Provenienz    solcher    Höllenmythologie,    die    sich    uns    immer 


1  So  auch  RHeinze  Xenokrates  128,  1. 

10=" 


—     148     - 

mehr  befestigt.  Denn  Leute  welcher  anderen  philosophischen 
oder  religiösen  Richtung  sollen  sich  beeif'ert  haben  diese 
schauerlichen  Höllenstrafen  auszudenken  und  litterarisch  zu 
formulieren?  Es  bliebe  auch  vom  allgemeinen  Gesichtspunkt 
aus  gar  nichts  anderes  übrig  als  die  Anhänger  der  orphisch- 
pythagoreischen  Mystik  und  deren  Erneuerer,  die  ersten 
Neupythagoreer,  dafür  verantwortlich  zu  machen.  Und  je 
weniger  in  die  uns  bekannten  Lehren  der  eigentlichen  späteren 
pythagoreischen  Philosophie  jene  Hölle  recht  passen  will, 
umsomehr  werden  wir  zu  der  eigentlich  orphischen  Litteratur 
und  Predigt  zurückgewiesen.  Wir  sahen  oben,  dafs  bis  zum 
Zeitalter  der  Neuplatoniker  die  Ausgestaltung  jener  Dinge  des 
Jenseits  immer  wieder  auf  orphische  Werke  als  auf  die  klas- 
sische Formulierung  zurückgeführt  wird.  Wie  aber  gerade 
auch  im  2.  Jahrh.  nach  Christus  die  orphische  Litteratur 
blühte,  ist  bekannt  genug.  Und  wie  weitverbreitet  waren 
damals  gerade  die  mit  ihr  so  eng  verbundenen  dionysischen 
Kulte  in  Kleinasien,  Ägypten  und  in  der  ganzen  hellenistischen 
Welt,  mit  ihren  ßouKÖXoi  und  cdxupoi,  ciXrivoi  und  KpaxripiaKoi.  * 
Das  sind  die  Nachfolger  der  unteritalischen  Mysten,  und  die 
orphische  Litteratur,  die  sie  pflegten,  ist  die  Weiterentwickelung 
jener  unteritalischen,  ihre  eschatologischen  Schriften  sind  die 
Abkömmlinge  der  unteritalischen  xaiaßdceic. 

Wenn  es  also  keinem  Zweifel  mehr  unterliegt,  dafs 
Plutarch  jene  Hadesvorstellungen  in  de  sera  num.  vind.  aus 
solcher  Litteratur  direkt  oder  auch  indirekt  durch  eigne  Kenntnis 
orphisch-dionysischer  Kultlehren  geschöpft  hat,  sollte  es  anders 
sein  mit  den  oben  besprochenen  Hadesschilderungen  Lukians, 
der  die  orphisch-dionysischen  Kulte  auch  sonst  genau  kennt 
und  beschreibt  (z.  B.  de  saltat.  79)?  Für  die  der  plutarcheischen 
in  vielem  so  ähnlichen  Schilderungen  der  vera  hist.,  wo  er  die 
utopische  Schlaraffenlandlitteratur  verspottet,  hat  schon  Photius 

1  Wie  ich  näher  gezeigt  habe  de  hymn.  orph.,  bes.  4  fF.  Eiwiges 
mochte  sogar  in  jener  Zeit  in  delphische  Lehre  eingedrungen  sein,  wie 
wir  das  von  anderem  Orphischen  in  später  Zeit  wissen,  und  dem  Plutarch 
schon  dadurch  sehr  nahe  liegen.  Man  sieht  ja,  wie  sich  an  einer  Stelle 
orphische  mit  delphischer  Lehre  auseinandersetzt.  Doch  ist  da  im 
einzelnen  natürlich  nicht  viel  zu  erkennen. 


-     149     - 

als  sein  Objekt  das  Buch  des  Antonius  Diogenes  Von  den 
Wundern  jenseits  Thule'  bezeichnet,  und  aus  Gründen,  die 
unseren  Erwägungen  ganz  fern  stehen,  hat  man  gerade  die 
Beschreibung  der  \f\coc  dceßüJv  auf  ihn  zurückgeführt.^  An- 
tonius Diogenes  aber  war  Pythagoreer,  und  die  von  ihm 
erhaltenen  pythagoreischen  Bruchstücke  zeigen  'ein  stark  über- 
wiegendes Interesse  für  die  praktische,  durch  einen  absonder- 
lichen mystischen  Aberglauben  unterstützte  Lebensweise  der 
pythagoreischen  Sekte' ^,  und  man  weist  ihn  mit  gutem  Grunde 
zu  den  ältesten  Neupythagoreern.  Antonius  Diogenes  "hat  in 
der  Hadesepisode  seines  Romans  die  alten  Orphiker  und  Pytha- 
goreer nachgeahmt.^ 

Es  ist  gewifs  kein  Zufall,  dafs  wir  auch  da  wieder  in 
dieselbe  Linie  münden,  in  ganz  bestimmte  Kreise  von  Menschen 
und  Schriften,  die  von  allen  anderen  sich  scharf  und  bestimmt 
unterscheiden,  deren  Lehren  selbst  in  der  späteren  allem 
Mystischen,  der  Sündenangst  und  jeglicher  Bekehrung  so  zu- 
gänglichen Zeit  niemals  eigentlich  volkstümlich  geworden  sind, 
es  sei  denn  da  wo  fast  alles  Volk  in  diese  Kulte  eingeweiht  war. 

Plutarch  und  Lukian  sind  ungefähre  Zeitgenossen  des 
christlichen  Apokalyptikers,  dessen  Offenbarung  ja  in  ihrer 
ganzen  Art  und  in  Einzelheiten  so  ähnlich  dem  oben  betrachteten 
Mythus  des  Plutarch  und  vielfach  der  Schilderung  in  der  vera 
bist  des  Lukian  ist.  Gerade  die  für  die  Herkunft  dieser 
Partieen  charakteristischen  Züge  sind  bei  Petrus  noch  viel 
zahlreicher,  krasser,  deutlicher  ausgeprägt. 


1  Rohde  gr.  Born.  192  ff. 

2  Rohde  a.  a.  0.  257,  s.  Rohde  257  Anm.  2:  'in  nicht  eigentlich 
wissenschaftlichen,  sondern  auf  altpjthagoreischen  Aberglauben  und 
abergläubische  Vorschriften  gerichteten  Untersuchungen  treten  auch 
die  dem  Plutarch  gleichzeitigen  Pythagoreer  auf,  Lucius  aus  Etrurien 
und  die  Schüler  des  Alexikrates'  u.  s.  w. 

3  Die  Derkyllis ,  die  bei  Antonius  hinabsteigt,  wird  auch  geführt 
und  belehrt  von  dem  Schatten  einer  früher  verstorbenen  Dienerin  Myrte. 
Rhode  S.  262  Anm.:  'Antonius  mochte  eine  solche  Episode  einzulegen 
namentlich  durch  die  orphischen  und  pythagoreischen  Vorbilder  angetrieben 
sein;  für  diese  Schulen  war  ja  freilich  nichts  wichtiger  als  eine  authen- 
tische Bestätigung  jener  Verheifsungen  einer  seligen  Unsterblichkeit  der 
Gerechten  und  der  Strafen  der  Unfrommen,  in  welcher  ihre  Lehre  gipfelte.' 


—     150     — 

Doch  mag  zunächst  noch  ein  Wort  über  eine  Schilderung 
der  Unterwelt  gesagt  sein,  die  schon  geraume  Zeit  vor  den 
Schriften  des  Plutarch  und  Lukian  als  die  wenn  auch  nicht 
erste,  so  doch  auf  alle  folgenden  wirksamste  in  römische 
Dichtung  aufgenommen  wurde,  die  bekannte  Hadesfahrt  des 
Aeneas  bei  Vergil.  Verwandtschaft  mit  Piatons  Schilderung 
ist  unverkennbar,  aber  es  wird  viel  mehr  angeführt  und  aus- 
geführt als  bei  diesem  zu  finden  war,  und  dies  Neue  ist,  was 
keines  Wortes  bedarf,  von  Vergil  nicht  erfunden.  Man  hat  Zenos, 
des  einzigen  Stoikers,  der  unsers  Wissens  Lohn  und  Strafe 
drunten  annahm,  Schrift  über  den  Staat  als  Quelle  heran- 
gezogen.^ Aber  das  ist  widerlegt  und  bereits  deutlich  erkannt, 
dafs  die  platonischen  und  ^stoischen  Bestandteile  wenigstens 
durch  eine  pythagoreische  Schrift  vermittelt  sein  müfsten.'^ 
Deutlicher  ist  die  pythagoreische  Lehre  zu  erkennen  an  etlichen 
Stellen  der  Georgica  (namentlich  IV  219  £F.)  und  bei  Ovid  an 
mehreren  bedeutsamen  Stellen.^  Nach  eben  diesen  Ausführungen 
geht  denn  auch  die  Seele  wieder,  wenn  sie  geläutert  ist,  in 
den  Äther  zurück,  wie  bei  den  Neupythagoreern  stoischer 
Richtung.  In  dem  sechsten  Buche  der  Aeneis  ist  das  aber  nicht 
so.  Und  noch  vieles  andere  kann  beweisen,  dafs  die  Annahme 
einer  philosophischen  neupythagoreischen  Quelle  durchaus  nicht 
die  vergilische  Nekyia  genügend  zu  erklären  imstande  ist.  Nur 
die  Hauptsachen,  die  für  meinen  Zweck  von  durchschlagender 
Bedeutung  sind,  kann  ich  hier  kurz  besprechen.  Abgesehen 
von  dem,  was  der  homerischen  Nekyia  nachgebildet  ist,  tritt 
besonders  hervor  die  ganz  merkwürdige  Topographie  dieser 
Unterwelt.  Da  werden  zunächst  in  dem  eigentlichen  Hades 
—  noch  nicht  über  den  Acheron  gesetzt  sind  die  Unbegra- 
benen  —  die  Seelen  der  kleinen  Kinder  genannt,  derer  die 
durch  falschen  Urteils'spruch  gestorben  sind,  der  Selbstmörder, 
derer  welche  die  Liebe  umgebracht  hat,  und  zuletzt  der  vor 
Troja  gefallenen  Helden.     Dann  kommt  ein  Scheideweg:  rechts 


1  Hirzel  Untersuch,  zu  Ciceros  philos.  Schriften  II  25  ff. 

2  Schmekel  De  Ovidiana  Pythagoreae  doctrinae  adumbratione  dis.« 
Greifßwald  1885  p.  69  ff.  vgl.  52 ff.,  Philosophie  der  Mittelstoa  451,1. 

3  S.  Schmekels  Dissert.  a.  a.  0.  u.  s. 


—     151     — 

geht  es  zum  Elysium,  wo  die  Seligen  wohnen,  links  zum 
Tartarus,  wo  die  Frevler  gestraft  werden.  An  das  Elysium 
aber  grenzt  ein  Thal,  in  dem  der  Lethestrom  fliefst,  an  dem 
unzählige  Seelen  umherschwirren.  Anchises  erklärt  dem  Sohne, 
dafs  das  die  Seelen  seien,  die  in  neue  Leiber  eingehen  und 
vorher  Vergessenheit  des  Früheren  trinken  müfsten.  Jeder 
meiner  Leser  erkennt  sofort  die  *drei  Wege'  wieder,  die  wir 
bei  Plutarch-Piudar  und  bei  Piaton  fanden  und  für  deren 
Quelle  in  Anspruch  nehmen  mufsten.  Hier  aber,  wo  dort 
die  Fluren  der  Lethe  sich  befinden,  auf  denen  sich  die 
versammeln,  die  wieder  zu  neuem  Leben  ausgehen  müssen, 
hier  sind  da  fünf  merkwürdige  Klassen  von  Seelen  lokalisiert. 
Diese  Einteilung  der  Seelen  pafst  zu  jener  Teilung  in  drei 
Gruppen  nach  ihrem  Schicksal  drunten  auf  keinen  Fall.  Homer 
teilt  die  Insassen  des  Hades  nach  Männern  und  Weibern^,  Lukian 
gibt  eine  Teilung  an  Katd  qpOXa  Kai  qppriipac  (s.  oben  S.  142) 
und  im  KaxdTrXouc  (c.  5  und  6)  deutet  er  eine,  wenn  auch  nicht 
ausdrücklich  als  drunten  dauernd  bezeichnete,  Einteilung  der 
Toten  an  in  Kinder,  Greise,  solche  die  im  Kampfe  gefallen 
sind,  solche  die  sich  wegen  der  Liebe  selbst  umgebracht  haben, 
die  durch  Richterspruch  umgekommen,  die  bei  Schiffbruch  zu 
Grunde  gegangen  sind  u.  a.  Da  sind  schon  sehr  stark  ver- 
schiedene Einteilungsprinzipien  vermischt:  Teilungen  nach 
dem  Alter,  in  dem  die  Betreffenden  gestorben  sind,  und  nach 
der  Todesart,  die  freilich  bei  den  hello  clari,  den  trojanischen 
Helden,  kaum  noch  hervortritt,  hat  ja  auch  Vergil  nach  irgend 
einem  bestimmten  Vorbild  in  Anwendung  gebracht.  Bei  Silius 
tritt  denn  auch  die  Konsequenz  solcher  Einteilung,  nicht  mehr 
durch  so  feine  Kunst  wie  die  vergilische  gemildert,  deutlich 
hervor:  da  sind  drunten  (Punica  XIH)  aufser  den  Seligen  und 
Verdammten  Krieger,  Gesetzgeber,  Landleute,  Dichter,  Schiff- 
brüchige, Frauen,  Kinder.^ 


1  Vgl.  dazu  Porphyr,  -rrepi  Cxu^öc  Stob.  ecl.  I  p.  1024  ff.,  der  sich 
daran  anschliefst. 

2  Durch  die  Güte  des  Verfassers  erhalte  ich  während  des  Druckes 
die  Abhandlung  von  ENorden  Vergilstudien ,  I.  Die  Nekyia;  ihre  Com- 
position  und  ihre  Quellen,  Hermes  XXVIll  1893,  360  ff.  Ich  freue  mich 
sehr    der    vollkommenen    Übereiastimmung    mit   dem   Hauptergebnisse 


—     152     — 

Auf  diesen  Teil  der  Unterwelt  kommt  Vergil  nicht  mehr 
zurück.  Der  weitere  Hades  hat  .mit  jenem  zuerst  geschilderten 
eigentlich  gar  keinen  Zusammenhang.  In  der  folgenden 
Schilderung  des  Tartarus,  der  Frevler  und  ihrer  Strafen,  deren 
Auswahl  uns  wohl  auch  manchen  Wink  geben  könnte  (siehe 
darüber  unten),  mag  zunächst  nur  an  den  Vers  vom  Theseus 
erinnert  sein:  sedet  aeternumque  sedehit  (QU)  und  an  das,  was 


Nordens:  dafs  die  Nekyia  'im  wesentlichen  entnommen  ist  einer  pytha- 
goreisch-orphischeu  Unterweltsbeschreibung'.  Beide  Ausführungen  können 
sich,  hoffe  ich,  ergänzen  und  bestätigen.  Freilich  bin  ich  in  vielem 
einzelnen  durchaus  abweichender  Ansicht,  und  ich  glaube,  dafs  manches 
von  Norden  Vorgebrachte  durch  meine  obige  freilich  nmr  die  Haupt- 
sachen berührende  Darlegung,  an  der  ich  nichts  ändern  zu  müssen 
glaube,  sich  von  selbst  erledigt.  So  bin  ich  auch  durchaus  nicht  über- 
zeugt, dafs  die  zwei  ursprünglich  verschiedenen  Unterwelten  in  Ein- 
klang gebracht  werden  können.  Die  Klassen  der  Kinder,  Selbstmörder 
u.  8.  w.  unter  die  ja  ganz  bekanntermafsen  einst  wie  heute  im  Zauber 
so  bedeutsamen  äujpoi  und  ßmioedvaxoi  (Jb.  f.  Philol.  Suppl.  XVI  792) 
unterbringen  zu  wollen,  so  manche  Berührungen  auch  da  sind,  halte  ich 
für  einen  verfehlten  Versuch.  Was  über  die  an  Liebe  Gestorbenen  und 
die  mythologischen  Beispiele  ausgeführt  wird  (376  ff.),  billige  ich  durch- 
aus, aber  den  gefallenen  Helden  als  ßiaioöavdroic  einen  besonderen,  doch 
irgend  wie  eine  Strafe  bedeutenden  Ort  anzuweisen,  wäre  in  jeder 
antiken  Unterwelt  unmöglich  (möchten  auch  noch  viel  öfter  unter 
solchen,  die  durch  Gewalt  umgekommen  sind,  theoretisch  solche,  die  im 
Kriege  gefallen  sind,  angeführt  werden).  Und  ein  Versuch  die  Helden 
im  Elysium  ob  patriam  pugnando  volnera  passi  (v.  660)  mit  den  troja- 
nischen Helden  im  ersten  Räume  der  Unterwelt  ganz  in  Einklang  zu 
bringen,  richtet  sich  eigentlich  selbst  durch  Erörterungen  wie  S,  389 
Anm.  1.  Gewifs  hat  der  Dichter  mit  einziger  Kunst  die  Fugen  der 
zusammengefügten  Stücke  überglättet;  aber  wir  sehen  sie  doch.  Und 
die  Hauptsache:  wer  gibt  uns  das  Recht  den  ersten  Raum  des  Hades 
als  eine  Zwischenregion,  die  Seelen  dort  als  noch  nicht  in  den  'eigent- 
lichen' Hades  aufgenommen  zu  betrachten?  Das  kann  doch  niemand 
zwischen  den  Zeilen  lesen,  und  der  Acheron,  jenseits  dessen  noch  die 
äratpoi  sind,  grenzt  doch  deutlich  genug  die  'eigentliche'  Unterwelt  ab. 
Es  wäre  durchaus  nicht  'überflüssig  zu  fragen'  (S.  388),  warum  Vergil 
das  Hauptmoment  ausläfst,  ohne  das  kein  Leser  den  Sinn  entdecken 
•konnte,  den  Norden  hineinlegen  will.  —  An  dieser  Stelle  mag  auch  be- 
merkt sein,  dafs  ENordens  Aufsatz  in  der  Beilage  zur  Münchener  Allg. 
Zeitung  1893,  nr.  107  (Beilage  nr.  89)  Die  Petrusapokalypse  und  ihre 
antiken  Vorbilder  erst  in  meine  Hände  kam,  als  mein  Manuskript  im 
wesentlichen  abgeschlossen  war. 


—     153     — 

oben  (S.  92)  dazu  bemerkt  wurde.  Die  Schilderung  der  Seligkeit 
und  des  elysischen  Lebens  —  Orpheus,  der  Hhracische  Priester' 
spielt  dort  zu  Gesang  und  Tanz  der  Seligen  (645  f.)  —  er- 
innert uns  bis  in  die  einzelnen  Ausdrücke  hinein  an  das  oben 
(S.  30)  citierte  Pindarfragment,  das  ja  demselben  Threnos  an- 
gehört, dessen  auf  die  drei  Wege  und  das  verschiedene  Schicksal 
der  Seelen  bezüglichen  Inhalt  wir  oben  wiedererkennen  und 
auf  seine  Quelle  zurückführen  konnten.  Die  zuletzt  folgende 
Schilderung  des  Lethethals  mit  den  Seelen,  die  zu  neuem 
Leben  auszugehen  im  Begriff  sind,  macht  es  dann  dem  Dichter 
möglich,  die  Reihe  der  Nachkommen  des  Aeneas  durch  den 
Anchises  zeigen  zu  lassen,  indem  er  die  künftigen  Inkorpora- 
tionen der  einzelnen  angibt.  Zunächst  aber,  während  Anchises 
und  sein  Sohn,  auf  das  Gewimmel  des  Lethethals  hinabschauen 
und  Aeneas  nach  dessen  Sinn  und  Bedeutung  fragt,  gibt  An- 
chises eine  weiter  ausgreifende  Erklärung  des  Ursprungs  der 
Seelen  und  ihrer  Schicksale,  die  sozusagen  erst  die  Theorie 
des  ganzen  Unterweltsgetriebes  gibt  und  zugleich  dem  Dichter 
dazu  dient,  seine  Beschreibung  der  Geschicke  bestimmter 
Seelen,  die  in  patriotischem  Sinne  auszudeuten  ihm  ein  haupt- 
sächlicher Zweck  ist,  vorzubereiten  und  ganz  begreiflich  zu 
machen.  Die  Rede  des  Anchises  aber  entspricht  in  jedem  ein- 
zelnen Satze  genau  dem,  was  wir  im  vorigen  Abschnitt  als  Inhalt 
derorphisch-pythagoreischen  xaraßdceic  festgestellt  haben.  Jedem 
meiner  Leser  wird  das  beim  Überblicken  der  Verse  724 ff.  ohne 
weiteres  klar  sein.  Gleich  der  Anfang  entspricht  genau  der 
Lehre  von  der  Entstehung  der  Welt  und  der  Seelen,  die  wir  oben 
ausführlicher  besprochen  haben  (S.  100  ff.).  Ich  will  nur  neben 
die  ersten  dieser  Verse  den  Anfang  des  Liedes  des  Orpheus  stellen, 
das  er  bei  ApoUonios  Rhodios  singt  (I  496  ff.,  orph.  Fragm.  35): 
fieibev  h'  u)c  foia  Kai  oupavoc      Priticipio  caelum  ac  terram  cam- 

r\be.  9dXacca  posqiie  liquentis 

TÖ  rrpiv  ctt'  dXXr|Xoici  \x\r\  cuv-      Lucentetnqiw  glohum  Liinae  Ti- 

apripöta  fiopcprj,  taniaque  astra 

veiKeoc  eH  öXooio  biexpiöev  d|u-      Spiritus  intus  cdit  totamque  in- 

cpic  eKttCTa'  fusa  per  artus 

nb'  ujc  ejLiTrebov  aiev  ev  aiSepi      Mens  agitat  moleni  et  magno  se 

TeK^ap  exouciv  corpore  miscet. 


-     154     - 

acxpa   ceXrivairi  re  Kai  neXioio      Inde      Jiominum     pecKdumque 
KeXeuOor  yemis  — . 

Dazu  nehme  man  noch  das  oben  (S.  101  f.)  angeführte  und  be- 
sprochene Euripidesfragment,  und  die  Quelle  dieser  Lehre 
wird  wie  dort  so  hier  nicht  mehr  unklar  sein.  Man  glaubt 
wie  in  den  Apolloniosversen  den  Einflufs  empedokleischer,  so 
in  den  Vergilverseu  anaxagoreischer  Doktrin  zu  erkennen,  und 
es  wäre  durchaus  begreiflich,  wenn  diese  Systeme  im  Laufe  der 
Zeit  auf  orphische  Dichtung  gewirkt  und  ihre  Wandlung  z.  T. 
bestimmt  hätten.  Ob  man  aber  nicht,  da  gerade  in  den  mit 
dieser  Lehre  verbundenen  Dingen  die  Abhängigkeit  des  Empe- 
dokles  von  den  unteritalischen  orphisch-pythagoreischen  Offen- 
barungen aufser  Zweifel  steht,  ob  man  nicht  auch  hier  das 
Verhältnis  umgekehrt  aufzufassen  hat?  Ich  mufs  das  dahin- 
gestellt sein  lassen. 

Die  folgenden  Verse  bei  Vergil  weisen  in  die  gleiche 
Richtung:  die  feurige  Natur  der  Seele  (s.  oben  S.  24,  1)  und 
ihr  himmlischer  Ursprung,  das  Eingehen  in  den  'schuldigen' 
Leib,  den  Kerker  {clausae  .  .  carcere  caeco  :  ca))Lia  —  crijua).  Auch 
nach  dem  Tode  ist  das  Unheil  noch  nicht  beseitigt:  die  Seele 
trägt  die  Spuren  des  Lebens  im  Körper, 

penitusque  necesse  est 
Miilta  diu  concreta  modis  inolescere  miris, 
eine  deutliche  Anspielung  auf  die  Lehre  von  den  Narben  und 
Striemen,    welche    die   Seele   von   den   Lastern   an   sich   trägt. 
Sie  zu  beseitigen,  sind  die  sühnenden  Strafen  da. 

Ergo  exercentur  poenis  veterumque  maloriim 
Supplicia  expendunt:  aliae  panduntur  inanis 
Suspensae  ad  ventos;  aliis  suh  gurgite  vasto 
Infectum  eluitur  scelus  aut  exuritur  igni. 

Die  vetera  mala,  die  culpa  primigenia  werden  gehülst,  und  die 
Arten  der  Strafe  sind  uns  sehr  wohl  bekannt.  Schon  in  der 
pythagoreischen  eic  "Aibou  Kaiaßacic  ist  Homer  an  einem 
Baume  aufgehängt,  dafs  er  büfse  (oben  S.  129),  in  Piatons 
Gorgias  sind  die  Seelen  der  Frevler  drunten  zur  Strafe  auf- 
gehängt, in  den  Flüssen  der  Unterwelt  werden  die  Seelen 
auch    gereinigt    in    Piatons    Phaidon,    wie    z.    ß.    nach    einem 


-     155     - 

orphischen  Fragment  der  Kaiaßacic  eic  "Aibou  (Fragni.  154) 
dieselben  ev  tu»  'Axe'povTi  KaOaipovrai.  Für  die  Sühne  durch 
Feuerbrand  mag  für  jetzt  nur  auf  die  Fackeln  der  Erinyen 
verwiesen  sein,  mit  denen  sie  drunten  die  Seeleu  brennen 
(Äxiochos  372*,  weiteres  auch  über  die  lustrale  Bedeutung  des 
Feuers  s.  unten  S.  197 ff.).  Quisque  suos  patimur  manis  heifst  es 
dann,  und  sehr  fein  ist  da  manes  zur  Bezeichnung  der  Einzel- 
seelen gewählt,  wie  sie  durch  das  Leben  in  den  bestimmten 
Körpern  geworden  sind:  je  nachdem  diese  manes  sind,  d.  h. 
durch  die  Sünden  und  Befleckungen  des  Lebens  inficiert  wurden, 
müssen  wir  leiden.  Es  scheint,  als  sei  diese  Stelle  die  Ver- 
anlassung gewesen,  dafs  manes  geradezu  das  bedeuten  kann, 
was  unten  die  Seelen  zu  leiden  haben':  sie  haben  die  manes 
abzubüfsen.  Denn  die  Seelen  haben  weitere  Geschicke,  sie 
wandern  weiter  in  andere  Körper  und  werden  dann  wieder 
andere  manes.  So  meint  es  Vergil.  Zunächst  aber  beschliefst 
er  die  Schilderung  der  Strafen  nach  dem  ersten  Körperleben 
der  Seele: 

exinde  per  amplum 
Mittimur  Elysium  et  pauci  laeta  arva  tenemtts. 

Die  Seelen  also  kommen  alle,  nachdem  sie  ihre  Strafen  ab- 
gebüfst,  ins  Elysium.  Das  kann  nur  so  verstanden  werden, 
dafs  sie,  wie  es  in  Piatons  Republik  (p.  615)  geschildert  wird, 
nicht  nur  für  alles  Böse  (zehnfach)  bestraft,  sondern  auch  für 
alles  Gute  (zehnfach)  belohnt  werden,  und  das  an  den  Orten 
der  Freude.  So  heifst  es  auch  in  dem  Mythus  des  Phaidros 
(p.  249^^):  Kpi0eTcai  be  ai  jiev  eic  rot  uttö  thc  biKaiujTripia 
eXGoöcai  biKTiv  eKxivouciv,  ai  b'eic  roupavoö  riva  töttov 
uTcö  Tf\c  biKTic  KOucpicBeTcai  bidtouciv  ctEiiuc  oij  ev  dv- 
epuüTTOu  eibei  eßiuucav  ßiou.  tuj  be  xi^iociiu  diaqpöxepai 
dcpiKVOU|uevai  eni  KXripuuciv  te  kqi  aipeciv  toö  beuiepou 
ßiou  aipouvrai  öv  av  e0eXr)  eKdcTr).  So  kommen  in  der  Republik- 
stelle auch  diejenigen  wieder  auf  dem  Lethefeld  zusammen, 
die  zuletzt  an  Orten  der  Seligkeit  waren^  und  erzählen  von 
deren  Herrlichkeit  (p.  614®,  615*).     Wenige  dürfen  schon  jetzt 


1   Servins   zur    Vergilstelle   mattes  id  est  supplieia.      Stat.   Theb. 
VIII  84,  AuBon.  ephem.  57. 


-     156     - 

für  immer  im  Elysium  bleiben  et  pauci  laeta  arva  tenemus,  und 
wir  erinnern  uns  ja,  wie  wir  an  den  verschiedenen  Fundstellen 
orphischer  Lehre  den  Satz  antrafen,  dafs  die  Besten  (bei  Piaton 
die  Philosophen)  viel  früher  als  die  anderen  von  dem  kükXoc 
der  Seelenwanderung  befreit  und  für  immer  in  den  Hain  der 
Seligen  aufgenommen  werden  (s.  oben  S.  113,  117,  119).  Die 
erste  Person  tenemus  rechtfertigt  sehr  fein,  dafs  Anchises  selbst 
schon  hier  ist  und  dem  Sohne  als  memoTj  der  nicht  mehr  von 
der  Lethe  zu  trinken  braucht,  alle  diese  Dinge  erklären  und 
das  Künftige  verkünden  kann.  Nach  diesen  letzten  Worten 
aber  'nur  wenige  bleiben  wir  in  den  seligen  Gefilden'  kann 
es  unmöglich  weiter  gehen:  'bis  lange  Zeit  die  festeingewachsene 
Befleckung  beseitigt  und  die  Seele  ganz  in  ihrer  ursprüng- 
lichen himmlischen  Reinheit  wieder  hergestellt  hat/  Denn 
dafs  im  Elysium  die  Reinigung  fortgesezt  werde,  ist  auf  keine 
Weise  denkbar:  bei  denen,  die  dort  bleiben,  ist  sie  vollendet. 
Betrachten  wir  zunächst  die  dann  folgenden  letzten  Verse 
des  Anchises: 

JSas  omnis,  uhi  müh  rotam  volvere  per  annos, 
Lethaeum  ad  fluvium  deus  evocat  agmine  magno 
Scilicet  immemores  snpera  ut  convexa  revisant 
Rursus  et  incipiant  in  corpora  velle  reverti. 

Anchises  kehrt  zurück  zu  dem  Punkte,  von  dem  er  ausgieng. 
Vater  und  Sohn  sehen  auf  das  Lethethal  mit  den  schwirren- 
den Seelen  hin;  Aeneas  begriff  nicht,  dafs  wirklich  Seelen  von 
da  wieder  ins  Leben  zurück  sollten  (v.  719  ff.):  wie  das  zu- 
geht, was  das  für  Seelen  sind,  die  sie  sehen,  will  Anchises 
erklären,  um  dann  unter  ihnen  die  proles  suorum  zeigen  zu 
können.  'Diese  alle'  —  er  weist  auf  sie  hin  —  'ruft  der 
Gott  jedesmal,  wenn  sie  den  Kreislauf  von  1000  Jahren 
durchgemacht  haben,  zum  Letheflufs,  damit  sie  ohne  |uvr||UTi 
zum  irdischen  Leben  zurückkehren  und  in  neue  Leiber  ein- 
gehen.' Die  Trepioboc  von  1000  Jahren  ist  uns  wohl  bekannt 
aus  dem  orphischen  Hadesbuche,  wie  wir  es  rekonstruiert 
haben  (s.  S.  116^  119),  und  über  das  jedesmalige  Versammeln 
der  Seelen  auf  dem  Lethefelde,  über  die  Lehre  von  XriGn  und 
\x\r\}xr]  (s.  S.  90  ff.)  brauche  ich  nun  kein  Wort  mehr  zu  ver- 


-     157     - 

Heren.  Der  kukXoc  aber,  die  rota  im  ganzen  hat  zehn  Tte- 
pioboi  von  1000  Jahren,  wie  jene  Lehre  angab,  und  nach 
10000  Jahren  erst  ist  die  Seele  wieder  ganz  befreit  von  den 
Nachwirkungen  ihres  Sündenfalles  in  das  Körperliche,  erst 
dann  ist  sie  wieder  göttlich  wie  einst.  Bis  das  erreicht  ist, 
wird  jenes  evocare  des  Gottes  immer  wiederholt.  Nun  sind 
auch  jene  vorhergehenden  Verse  bei  Vergil  ihrem  Sinne  nach 
durchaus  klar; 

Donec  longa  dies  perfecta  temporis  orbe 
Concretam  exemit  labetn  purumque  relinquU 
ÄetJierium  sensum  atque  anrai  simplicis  ignem. 

Der  temporis  orbis  mufs  ja  auch  ein  bestimmt  umgrenzter 
sein:  es  sind  eben  jene  10000  Jahre  des  kukXoc  ßapuTrev9r|C. 
Wozu  der  Satz  mit  donec  in  dem  vergilischen  Texte  zu  be- 
ziehen ist,  leidet  keinen  Zweifel  mehr.  Müssen  wir  diese  drei 
Verse  hinter  die  vier  Verse  has  omnis  —  reverti  stellen?  Ich 
glaube,  dafs  die  kleine  Härte,  die  das  Vorangehen  des  Satzes 
mit  donec  vor  dem  Hauptsatze  zunächst  hat,  dadurch  sich 
erklärt  oder  beseitigt,  dafs  mit  dem  has  omnis  etc.  absichtlich 
am  Schlüsse  der  ganzen  Rede  gewissermafsen  mit  erhobener 
Stimme  hingewiesen  wird  auf  die  Seelen  da  drunten  und  auf 
den  zu  erklärenden  Punkt  zurückgegriffen  wird,  um  dessent- 
willen  Anchises  überhaupt  redet.  Durch  einen  Punkt  statt 
des  Kommas  hinter  tenenms  und  ein  Komma  statt  des  Punktes 
hinter  ignem  wäre  also  die  viel  mifshandelte  und  nie  verstan- 
dene Stelle  in  Ordnung  gebracht.^ 


1  Dadurch  halte  ich  auch  die  ganze  Auseinandersetzung  Nordens 
a.  a.  0.  399  ff.  für  erledigt.  Abgesehen  davon,  dafs  mich  diese  Methode 
mit  der  Herausgabe  der  Aeneis  im  einzelnen  kritisch  zu  arbeiten  sehr 
gefährlich  dünkt  und  mir  diese  'höhere'  Kritik,  die  dem  Dichter  in 
'ipsa  penetralia  folgt',  grundsätzlich  zu  hoch  ist,  würde  in  den  beiden 
Varianten,  die  Norden  S.  404  hinstellt,  nach  unseren  Erörterungen  jedes- 
mal etwas  sehr  wichtiges  fehlen.  Norden  beweist  ja  von  der  ersten 
Variante  selbst,  dafs  Vergil  so  nicht  schreiben  konnte:  dann  konnte  er 
doch  auch  im  ersten  Entwurf  nicht  so  schreiben!  Man  kann  gewifs  oft 
nicht  anders  als  einen  falschen  Weg  gehen,  so  lange  man  nicht  im  Be- 
sitz aller  sachlichen  Instanzen  ist.  Was  wäre  aus  der  Stelle  geworden, 
wenn  man  die  Platonstellen  in  der  Republik  etwa  nicht  hätte!     Nach- 


—    158    — 

Ich  brauche  kaum  noch  zu  sagen,  dafs  Vergil  auch  diese 
ganze  Lehre  nicht  aus  Piaton  allein  schöpfen  konnte;  er  fand 
dort  durchaus  nicht  alles,  was  er  anführt.  Aber  was  er  an- 
führt, ist  aufs  Haar  das,  was  wir  als  Lehre  der  orphisch- 
pythagoreischen  Kaxaßdceic- Gedichte  ermittelt  habeu.  Ein 
solches  Gedicht,  in  welchem  Stadium  der  Entwickelung  dieser 
Gedichte  das  von  ihm  benutzte  auch  immer  anzusetzen  sein 
mag\  hat  Vergil  verwendet,  natürlich  auch  in  der  Schilderung 
des  Elysiums,  des  Tartarus  und  des  Lethethals.  Ob  jene 
nach  Kindern,  Selbstmördern,  Helden  u.  a.  geteilte  Hadespartie 
auch  schon  in  dieser  Quelle  stand?  Bezeichnenderweise  sagt 
Anchises  in  seiner  Rede,  die  doch  diese  Unterwelt  recht  eigent- 
lich erklären  soll,  von  diesen  Dingen  kein  Wort  mehr.  Frei- 
lich kann  eine  Stelle  des  Mythus  in  Piatons  Republik  (p.  615°) 
TuJv  b'  eu0uc  Yevojuevuuv  Kai  öXiyov  xpovov  ßiouvTUJV  Tiepi  aXXa 
e'XeYev  ouk  ciSia  |uvr||uric  andeuten,  dafs  auch  in  den  orphischen 
Gedichten  vom  Schicksal  der  kleinen  Kinder  drunten  Beson- 
deres gelehrt  wurde ^,  ob  dasselbe  wie  bei  Vergil  und  ob  da- 
neben auch  von  den  anderen  Seelen  wie  bei  Vergil,  wer 
will  es  wissen?  Hier  kommt  auf  diese  Frage  auch  kaum 
etwas  an. 

Das  ist  sicher:  Vergil  hat  direkt  aus  einem  orphisch- 
pythagoreischen  Gedicht  geschöpft,  einem  Ausläufer  jener  unter- 
italischen Poeme,  aus  denen  auch  Piaton  geschöpft  hatte,  denen 
jene  goldenen  Grabtäfelchen  entstammen,  die  auch  Empedokles 
und  Pindar  kannte,  die  Antonius  Diogenes  nachahmte,  welche 
Lukian  verspottet,  die  auch  Vorläufer  waren  der  Schriften, 
die  Plutarch  benutzte. 

Vergil  hat  den  Anstofs  gegeben  zu  den  zahlreichen  Hades- 
schilderungen der  römischen  Dichter,  die  bis  in  Einzelheiten 
von    ihm    abhängig    sind.      Es    kann    deshalb    keinen    Nutzen 


dem  wir  nun  auch  noch  die  Goldfäfelchen  haben,  verstehen  wir  ho£Fent- 
lich  hier  den  Vergil  ganz. 

1  Natürlich  nach  den  stoischen  Einwirkungen.  Sie  sind  ja  überall 
in  dieser  Litteratur  später  vorhanden  und  weisen  uns  nicht  im  geringsten 
nach  anderer  Richtung  (s.  Abraxas  83  tf.). 

2  Merkwürdigerweise  wurde  auch  in  den  christlichen  Apokalypsen 
von  diesen  freilich  in  ganz  anderer  Weise  Besonderes  gelehrt,  s.  S.  11  f. 


—     159     - 

haben,  auch  auf  sie  im  einzelnen  noch  einzugehen,  es  würde 
uns  viel  zu  weit  führen.  Selten  wird  auch  mit  Sicherheit 
auszumachen  sein,  woher  sie  die  abweichenden  Einzelheiten 
haben.  Ich  darf  zunächst  auf  GEttig  Acheruntica  S.  360  ff. 
verweisen,  namentlich  für  Seneca,  Lucan,  Silius,  Statins.  Ich 
will  nur  andeuten,  dafs  auch  weiterhin  ein  Entnehmen  ge- 
wisser Dinge  aus  orphischer  Litteratur  weder  unmöglich  noch 
unwahrscheinlich  ist.  Hat  man  doch  noch  zu  Claudians  Zeit 
orphische  Bücher  gelesen,  nachgeahmt  und  nicht  wenig  be- 
nutzt.^    Und  hier  mag  denn  noch  an  die  Worte  eines  Christen 


1  Auf  etliche  Claudianstellen  macht  mich  Birt  aufmerksam.  Das 
Lesen  orphischer  Bücher  erwähnt  Claudian  im  Epithalamium  de  nuptiis 
Honorii  Aug.  232  ff. : 

nee  volvere  libros 
Desinit  aut  Chraios,  ipsa  genetrice  magistra, 
Maeonius  q^uaecumque  setiex  aut  Thracius  Orpheus 
Aut  Mytilenaeo  modulatur  pectine  Sappho  etc. 

vgl.  carm.  min.  XXII I  11  (p.  300  Birt): 

Orpheos  alii  libros  impune  lacessunt. 

Ein  orphischer  Hymnus  auf  Inno  wird  erwähnt  carm.  min.  XXXI  33 
(p.  329  Birt),  ebenda  v.  25  ff.  eine  orphische  Titanomachie.  Diese  Stellen 
führt  Birt  im  Index  zu  Orpheus  an.  Ebenda  verweist  er  auf  Orphisches 
£.  V.  Natura  und  Nomos  (p.  448).  Das  Bild  von  der  Höhle  der  Zeiten 
de  consul.  Stilich.  II  424 ff.,  vor  dessen  Thor  die  Natura  sitzt  cunctisque 
volantes  dependent  membris  animae  —  ein  senex  schreibt  auf  man- 
sura  iura: 

numeros  qui  dividit  astris 
Et  cursus  stabilesque  moras  quihus  omnia  vivunt 
Ac  pereunt  fixis  cum  legibus  — 

erinnert  sehr  an  die  Höhle  der  Nacht  in  dem  orph.  Fragm.  109.  110  Ab. 
Vor  der  Thür  sitzt  Adrasteia:  iv  Toic  irpoGüpoic  ttQci  vo|Lio0€ToOca  ToOt 
eexouc  v6|Liouc.  In  der  Höhle  ist  Phanes,  der  Lichtgott.  Vgl.  orph. 
Fragm.  84  koI  uepl  ^Keivou  |u^v  (Oövtitoc)  'Opqpeuc  qprici- 

tuOto  TraTi?ip  Tioirice  Kaxct  ctt^oc  rjepoeifj^c. 

Ob  das  der  Greis  ist,  etwa  als  Chronos  =  Kronos  aufgefafst  (orph. 
Hymn.  XIII  5  aiujvoc  Kpövoc  iraTT evexop)  ?  Die  Seelen  an  der  Natura  er- 
innera  sehr  an  die  durch  die  xöcuara  auf-  und  niedersteigenden  Seelen 
in  Piatons  Republik  und  an  die  Ananke  (im  Phaidros  heifst  dieselbe 
Adrasteia),    welche   die   Seelenwanderung   bestimmt   und   regelt.      Eine 


—     160    — 

etwas  früherer  Zeit,  eines  Schriftstellers  des  zweiten  Jahrhun- 
derts, gemahnt  sein,  der  gerade,  wo  er  von  den  Strafen  im 
Jenseits  spricht,  deutlich  auf  die  heidnischen  Schriften,  die 
ähnliches  schon  gelehrt  hätten,  hinweist.  Minucius  Felix  sagt 
im  Octavius  c.  35  at  tarnen  admonentur  Jiomines  doctissimorum 
libris  et  carminibus  poetarum  illius  ignei  fluminis  et  e  Stygia 
pdlude  impios  ambientis  ardoris^  etc.  Er  kennt  die  heidnischen 
Gedichte  sehr  wohl,  in  denen  von  dem  glühenden  Schlamm- 
pfuhl zu  lesen  war  —  gerade  auch  der  Ausdruck  doctis- 
simi  und  poetae  weist  in  die  Richtung,  die  wir  verfolgen.  Man 
darf  freilich  nie  vergessen,  wie  umfangreich  und  mannig- 
faltig diese  Litteratur  war,  von  der  uns  nur  so  kärgliche 
Bruchstückchen  erhalten  sind,  damit  man  nicht  die  vielen 
Zeugnisse  zu  einer  imaginären  Gröfse  zu  vereinigen  versuche. 
Denn  wie  eine  so  aufserord'cntlich  mannigfaltige  Reihe  der 
verschiedensten  Kosmogonieen  und  Theogonieen  von  früher  Zeit 
bis  zu  den  Neuplatonikern  reicht,  so  auch  eine  gleiche  Reihe 
von  eschatologischen  Dichtungen  gewifs  nicht  geringerer 
Mannigfaltigkeit.  Alle  die  versprengten  Reste  dieser  Poesieeii 
in  ein  solches  Werk  pressen  zu  wollen,  wäre  eine  gründliche 
Verkeunung  des  Wesens  dieser  immer  wechselnden  mystischen 
Litteratur.     Der  Gang  ist  bei  den  Theogonieen   ähnlich^  wie 


Höhle  mit  zwei  Thören,  durch  welche  die  Y^v^ceic  Kai  otTroYGv^ceic  tu)v 
v|JUXUJV  vor  sich  gehen,  bei  Pherekydes  fr.  V  Kern  (de  Orphei  Epimenidis 
Pherecydis  theogoniis  p.  88).  —  Die  Stelle  bei  Claudian  in  Rufin.  II  416, 
die  von  der  Seelenwanderung  handelt,  ist  oben  erwähnt.  An  Vergil 
erinnert  v.  491  fF.: 

Quos  ubi  per  varias  annis  ter  müle  figuras 
Mgit,  Lethaeo  purgatos  flumine  tandem 
liursus  ad  humanae  revocat  primordia  formae. 
Da  sind  ueploboi  von  3000  Jahren  angenommen. 

1  Et  de  Stygia  palude  saepius  ambientis  ardoris  ist  überliefert. 
inferos  saepientis  ardoris  Usener  Jahrb.  f.  Philol.  1869,  416.  Ich  ändere 
nach  einem  doctissimus  poeta,  der  gewils  von  Dichtungen,  wie  sie  bei 
Minucius  gemeint  sind,  abhängig  ist,  Orac.  Sibjll.  II  294  ff. : 

dTCtp  öctepov  aure 
^K  TTOxanoO  |Li€YdXou  TrOpivoc  rpoxöc  djaqpiKax^pEei 
aÖToOc,  ÖTTi  fta  Toiciv  ÖTdcOaXa  ^py«  ja^inriAev. 

2  Über  die  Mannigfaltigkeit  in  der  Entwickelung  der  Theogonien 
vgl.  namentlich  Abraxas  126  ff. 


—     161     - 

bei  den  Eschatologieen.  In  Athen  sind  die  ersten  Spuren 
solcher  Dichtung  zu  finden  (dort  ist  auch  Orphisch-eschato- 
logisches  in  den  Homer  hineingedichtet),  dann  blüht  sie  auf 
in  ünteritalien,  durch  Pythagoreer  beeinflufst  und  mit  deren 
Lehren  untrennbar  vermischt,  und  daran  werden  die  mannig- 
faltigsten Werke  der  orphisch- dionysischen  Kultvereine  der 
hellenistischen  Welt  angeknüpft  haben,  und  wie  die  theo- 
gonische  Dichtung  besonders  in  Ägypten  blühte,  so  wird 
auch  die  eschatologische  dort  die  Form  bekommen  haben,  die 
für  die  Folgezeit  dauerte.  Die  Neuplatouiker  kennen  eine 
orphische  Kaxdßacic  eic  "Aibou  geradeso  gut  wie  eine  (rhap- 
sodische) Theogonie. 

Diese  orphischen  Eschatologieen  heben  sich  scharf  ab 
von  allen  anderen  griechischen  religiösen  oder  philosophischen 
Lehren,  das  wird  uns  bereits  deutlich  entgegen  getreten  sein. 
Ihr  Hauptcharakteristikum  ist,  dafs  sie  die  Strafen  des  Jen- 
seits mit  einer  gewissen  Rohheit  und  Fürchterlichkeit  aus- 
malen in  der  Absicht  zu  schrecken,  zu  bekehren,  zu  er- 
wecken. Dergleichen  kennt  unsere  ganze  antike  Überlieferung 
nur  aus  diesen  orphischen  Lehren  und  Schriften.  Volkstüm- 
lich sind  höchstens  ganz  allgemeine  Züge  geworden^,  und  wo 
Schriftsteller  jene  Dinge  vorbringen  und  jene  Bücher  benutzen, 
scheiden  sich  stets  deutlich  diese  eigenartigen  mystischen  Sätze 
für  den  unbefangenen  Leser  von  ihrer  Umgebung  und  stechen 
grell  von  der  ganzen  übrigen  Schriftstellerei  der  betreffenden 
Autoren  ab.  Alles  was  uns  bis  jetzt  an  Strafen  und  Qualen 
in  jener  ausgesuchten  Schreckhaftigkeit  begegnete,  gieng  auf 
orphische  Schriften  zurück.  Die  litterarische  Entwickelung 
der  orphischen  Nekyien  haben  wir  darzustellen  versucht  und 
die  Reste  derselben  aus  den  verschiedenen  Überlieferungen 
wieder  zu  gewinnen  und  zu  sammeln.  Das  Hauptsächliche 
auch  in  dem  Höllenbilde  der  Petrusapokalypse  sind  die  Sünder 
und    ihre    Strafen-     Ehe    wir    aber    mit    unseren  Ergebnissen 


1  So  ist  auch  in  Rom  späterhin  eine  Scheidung  der  sedes  der  pii 
und  impii  allgemeine  Meinung  (bei  Cicero,  Sallust,  Properz  u.  s.);  nach 
Aurel.  Vict.  Caes.  73  ruft  das  Volk  die  Terra  mater  und  die  dei  Inferi 
an  sedes  impias  ut  GälUeno  darent. 

Dietericli,  Ifekyia.  11 


-     162     - 

die  Apokalypse  des  Petrus  vergleichen,  müssen  wir  die  Sünden 
und  Strafen  der  orpliischen  Apokalypsen  nach  der  Entwicke- 
lung,  die  wir  beobachten  konnten,  überschauen  und  zusammen- 
stellen, damit  sich  zeige,  wie  weit  hier  die  Sündertypen  und 
Strafformen  analog  sind  und  ob  auch  im  einzelnen  Orpheus 
dem  Petrus  die  Hölle  geliefert  hat.  Das  aber  ist  uns  nun 
klar,  dafs  der  Hades  der  früheren  Auffassung  zu  einer  Hölle, 
einem  Orte  der  Strafe  und  der  Qual  für  die  Sünder  geworden 
ist  durch  die  orphischen  Ordensbrüder. 


IV. 
Sünder  und  Strafen  im  Hades. 

1. 

Schon  in  ältester  Zeit  rächen  die  Erinyen  Verletzung  der 
Pflichten  gegen  die  Mutter,  den  Vater,  den  älteren  Bruder 
und  sie  strafen  den  Eidbruch.^  Auch  bei  Homer  kommt  schon 
vor,  dafs  sie  den  Fremden  und  Bettlern  zur  Seite  stehen.^ 
Ausdrücklich  werden  in  den  Hiketiden  des  Aischylos  als  die 
drei  Gebote,  die  in  den  Satzungen  der  Dike  geschrieben  stehen, 
genannt:  den  Fremden  ihr  Recht  werden  zu  lassen,  die  Götter 
der  Heimat  zu  ehren  und  die  Eltern.^  Ganz  übereinstimmend 
verkündet  der  Eumenidenchor  des  Aischylos  demjenigen  Strafe 
im  Hades,  der  an  Gott,  an  den  Eltern  oder  am  Hevoc  frevelt.* 


1  S.  oben  S.  54  £F.  Auch  in  orphischen  Versen  bei  Stob.  flor.  79,  28 
heifst  es  öeival  fäp  Karä  YOictv  '€pivüec  ekl  TOKr|iuv.  Orph.  Argon.  1162 
aUv  '6pivüc  aiiiOTOc  ^juqjüXoio  —  OcTepöirouc  ^Trerai.  Als  Zeugen  des 
Schwnrs  sind  sie  genannt  in  den  orph.  Argon.  352,  vgl.  orph.  Lith.  589 
äpai  t'  dYvdiitTTOiciv  '€pivOci  Tcäfxv  |i^Xoucai. 

2  Z.  B.  '6pivviec  tttujxujv  Od.  XVU  475. 

3  Aisch.  Suppl.  701  ff.: 

Edvoici  t'  €uEu)iß6Xouc, 

irplv  ^HoirXi^eiv  'Apri, 

biKoc  äxep  TTTiiidTUJv  &i6oiev. 

9€ouc  b\  di  -fÖLV  exowciv,  dcl 

Tioiev  efXiwpiouc  traTpibaic 

öa9vn<pöpoic  ßoueüToici  Ti^aic. 

TÖ  Yctp  TeKÖvTUJV  c^ßac 

xpiTov  TÖÖ'  4v  6ec)aioic 

AiKac  Y^TPö'TTai  jieTiCTOTi|aou. 

4  Eumenid.  269  ff.: 

ötpei  bk  KCl  TIC  dXXoc  fjXixev  ßpoTüüv 
f\  Qeöv  {\  H^vov  Tiv.'  dceßoövrcc  f\ 

11* 


—     164    — 

Dieselben  drei  Hauptgesetze  der  altgriechischen  Moral  werden 
auch  in  der  Folgezeit  öfter  erwähnt;  so  stirbt  der  euripideische 
Bellerophon  getrost,  da  er  gegen  Götter,  Fremde  und  seine 
Angehörigen  immer  recht  gehandelt  habe^:  also  das  sind  deut- 
lich die  Dinge,  die  den  Menschen  rechtfertigen,  auch  wenn 
sich  sein  Wahrheitsdrang  gegen  den  herrschenden  Götter- 
glauben aufgelehnt. 

Als  Hauptvergehen  gegen  die  Götter  hat  von  Alters  her 
der  Eidbruch  gegolten.  Er  wird  deshalb  sehr  oft  besonders 
angeführt,  z.  B.  schon  in  jener  Pindarode,  wo  nach  orphi- 
schen  Lehren,  wie  wir  sahen,  der  Lohn  der  Braven  im  Jen- 
seits beschrieben  wird,  werden  besonders  nur  erwähnt  'die  an 
Eidestreue  ihre  Freude  hatten.'^ 

Wir  finden  die  Verletzer  gerade  der  eben  genannten 
Hauptgesetze  der  Moral  beisammen  in  dem  Schlammpfuhl  der 
Hölle  in  der  oben  behandelten  Scene  der  aristophanischen 
Frösche:  die  Verletzer  der  Hevoi,  die  |nr|Tpa\oTai,  TrarpaXoiai 
und  eTTiopKOi.^     Ob  diese  Typen  zu   dem  gehören,   was  eleusi- 


TOKfiac  qpiXouc, 

?Xov6'  ^KacTov  Tfic  biKTic  liraEia. 
Hi-^fac  fäp  "Ai&ric  ^ctIv  eööuvoc  ßpoTiIiv 
fe'vepGe  xÖovöc, 

öeXTOYpäqpuj  bä  irdvT'  eTTOiTrqi  (ppevi. 
Vgl.  540  ff.     "Vgl.  WSchulze  Quaest.  epic.  404. 

1  Äilian.  n.  a.  V  34  toioOtöv  xiva  Kai  töv  BeXXepoqpövxriv  j^puuiKiJüc 
Kai  lueTaXovpOxiwc  eic  Gdvarov  TrapecK€uac|u^vov  6  GCipmibric  (i^vei*  Tr€iToir]K€ 
YoOv  TTpöc  Ti'iv  ^auToO  MJUxnv  X^YOvra  aÖTÖv 

fjcG'  eic  OcoOc  |U6v  euceßrjc,  öt'  rjcO',  del 
H^voic  t'  eirripKeic  oö5'  eKajuvec  eic  91X0UC,  Fragm.  311 N*. 
Es  ist  aufseroidentlich  charakteristisch  für  griechische  Religiosität,  dafs 
dieser  Bt'llerophon  doch,  eic  Oeouc  eöceßnc  ist.     Sehr  merkwürdig  klingt 
Fragm,  946  (Orion.  Flor.  Eurip.  2  p.  56,  20): 

6Ö  ic6',  örav  Tic  eöceßOüv  Güri  öeoic, 

KÖv  luiKpct  eOij,  TUYX<ivei  ciUTiipiac. 

Aufserdem  vgl.  z.  B.  Eu»ip.  Fragm.  852,  948,  949  11.  a. 

2  01.11  lief.: 

äXXd  Trapd  |i^v  ti|li(oic 

öeOüv,  oiTivec  ^\a\pov  eüopKiaic, 

äbciKpvv  vdjuovTai 

aiüüva"  Tol  6'  dtrpocöpaTOV  ÖKXtovTi  ttövov  ktX. 

3  S.  oben  S.  71,  1. 


-     165     — 

uischer  Lehre  entnommen  ist,  oder  ob  sie  erst  orphische  Theo- 
logie so  formuliert  hat,  ist  ohne  weiteres  nicht  zu  entscheiden. 

Nun  erfahren  wir  aus  dem  zweiten  Buche  des  Kallima- 
cheers  Hermippos  irepi  tujv  vo)ao9eTU)V,  dafs  Triptolemos  den 
Athenern  Gesetze  gegeben  haben  solle  und  dafs  drei  davon 
nach  dem  Philosophen  Xenokrates  noch  in  Eleusis  in  Geltung 
seien:  Yoveic  ri^av,  öeouc  KapTTOic  dfdXXeiv,  l(ba  ,uf]  civecGai. 
Die  Polemik  des  Xenokrates  gegen  das  dritte  wird  angeführt.^ 
Also  galten  zur  Zeit  des  Xenokrates  die  drei  Gesetze  in  eleu- 
sinischer  Religion.  Das  dritte  ist  offenbar  aus  den  pythago- 
reisch-orphischen  Kulten,  die  bekanntlich  Fleisch  zu  essen  und 
Tiere  zu  töten  verabscheuten^,  übernommen;  sie  hatten  also 
um  diese  Zeit  schon  Einflufs  auf  Eleusis  gewonnen.  Der  sonst 
mystischen  Dingen  gar  nicht  abgeneigte  Xenokrates  bekämpft 
diese  Einflüsse,  Es  wird  durch  jene  Einwirkungen  das  dritte 
Hauptgesetz   von   den  Hevoi   auf  die  ^tua  verallgemeinert  sein. 

Durch  Eleusis  wurden  also  doch  wohl  jene  ethischen 
Sätze  alsbald  fester  formuliert  und  verbreitet,  wie  uns  ja  auch 
oben  schon  mancherlei  Anzeichen  verrieten,  dafs  sittliche 
Scheidungen  von  vornherein  die  Trennung  zwischen  Geweihten 
und  üngeweihten  veränderten  und  vertieften.  Zu  Delphi  waren 
ja  auch  auf  dem  Bilde,  das  die  Abhängigkeit  von  Mysterien- 
lehren der  Demeter  so  deutlich  zur  Schau  trug,  der  TrarpaXoiac 
und  der  lepöcuXoc  im  Hades  hülsend  dargestellt,  und  der 
Tempelräuber  ist  fortan  auch  ein  Typus  des  Frevels  gegen 
die  Götter   geblieben.^     Auch   in  dem   Gespräch   des  Sokrates 

1  Bei  Porphyr,  de  abstin.  IV  22,  p.  267,  22ff.N:  tuiv  to(vuv  'Aerj- 
vTja  vo|ioGeTU)v  TpiiTTÖXe^ov  TraXaiörarov  -rrapeiXriqpaiuev  trepl  oö  "Ep^int- 
iroc  ^v  öeuT^piu  Trepi  tujv  vo|ao6€TU)v  Ypä9€i  toüto"  'qpaci  Koi  Tpnr- 
TÖXeiiov 'AGrivaioic  voiaoeexficai  Kai TU)v  vöjuujv  cutoö  TpeicIxiEevoKpdxTic 
6  (piX6coq)oc  X^-f^i  biaji^veiv  '€Xeudvi  Toucbe*  ^oveTc  Ti)aäv,  9eouc  Kopirolc 
äYctXXeiv,  l(ua  ^r\  civecGar  toüc  |aev  ouv  ööo  KaXCüc  irapaöoGrivai  —  — . 
Trepl  Ö€  Toö  TpiTou  ömiTopei,  ti  iroTe  ktX. 

2  Statt  vieles  anderen  weise  ich  hin  anf  Porphyr,  de  abstin.  III  25 
p.  222,  2N  oJYTev^c  i^|iiv  tö  tujv  Xonruiv  td)wy/  y^voc  ktX.  und  das 
oben  in  seinem  richtigen  Zusammenhang  besprochene  Enripidesfragment 
ebenda  p.  222,4ff.:  üjctc  cuTf^viuv  övtujv,  ei  qpaivoiTo  xaTct  TTuGofö- 
pav  Kai  »puxiiv  tt^v  aörnv  elXrjxÖTa,  öiKoiujc  av  Tic  (iceßr]C  KpivoiTO  tujv 
otKeiujv  |Li»^  dTrexöfievoc. 

3  Bei  Phaedrus  append.  VI  8  ff.  werden  jene  Hauptsätze  der  Moral 


—     166     — 

und  Hippias  in  des  Xenophon  Memorabilien  IV  4,  19  f.  werden 
diese  Gesetze  als  'göttliche'  zugegeben:  i-^w  \iiv,  €(pri,  Geouc 
oTjLiai  Touc  vö|uouc  toutouc  toTc  dvGpuJTTOic  0eTvar  Kai 
YOip  TTapd  TTäciv  dvGpuuTTOic  TrpujTov  vo)LiiZ;eTai  Öeouc 
ceßeiv.  —  oiiKOÜv  Kai  Yoveac  Ti|uäv  iravTaxoO  \o\xileTai; 
Kai  TouTO,  ecpx].  Weiteres  wie  jix]  xoveac  Traici  iLxixvucOai  wird 
nicht  mehr  als  Gottes  Gesetz  zugestanden.^  Man  vergleiche 
damit  die  Erörterung  des  Platonikers  Xenokrates. 

Dafs  jene  Vorschriften  auch  früh  in  der  Gnomenlitteratur, 
die  hauptsächlich  für  die  Jugend  galt,  und  in  den  Sentenzen- 
büchern, die  in  der  Schule  gebraucht  wurden,  eine  bevorzugte 
Stelle  hatten,  ist  selbstverständlich.    Schon  bei  Pindaros  mahnt 
Cheiron  seinen  Zögling,   den  Peliden,  wie   gewifs   damals  der 
rechte  Lehrer  seinen  Schüler  zu  ermahnen  pflegte,  Pyth.VI  23ff.: 
fidXicTa  |uev  Kpovibav, 
ßapuöirav  CTeporrdv  KepauvuJv  re  rrpoTaviv, 
BeuiJv  ceßec9ar 
TauTac  be  |Lir|7T0Te  Ti|Lidc 
djueipeiv  Toveuuv  ßiov  TTerrpujiLxevcv. 
Dies    ist    die    öpGd   eqpriiuocuva   (v.  19).     Und    es    kann   kaum 
zweifelhaft    sein,    wie    die    nächstfolgenden    Vorschriften    des 
alten  Ritterspiegels  Xeipujvoc  urroOfiKai  gelautet  haben  werden 
nach  den  Versen,   welche   die  Pindarscholiasten  zu   der  Stelle 
anführen,  die,  wie  sie  ausdrücklich  sagen,  der  Anfang  des  Ge- 
dichts waren: 

Gö  vöv  )aoi  xd  cKacra  laerd  qppeci  TreuKaXi|ir)ci 
qppdZ^ecGar  rrpOuTov  |uev,  6t'  dv  b6)uov  eicacpiKTiai, 
epbe'iLiev  lepd  KaXd  GeoTc  deiYeveiriciv. 

(Hesiod.  Fragm.  182  Rz.) 

Geradeso  stehen  denn  auch  diese  Kegeln  am  Anfang  der 
späten  Ausläufer  griechischer  poetischer  Gnomenlitteratur,   so 

mit  etlichen  anderen,  die  den  bei  Verg.  Aen.  VI  genannten  (wo  auch  der 
delphische  iepöcuXoc  Phlegyas  erwähnt  ist)  sehr  ähnlich  sind,  auf  ein 
Orakel  des  delphischeu  Apollo  zurückgeführt. 

1  Weiteres  darüber  bei  Dümmler  Prolegomena  zu  Piatons  Staat, 
Progr,  zur  Rektoratsfeier  der  Universität  Basel,  1891,  S.  53.  Bei  Platoii 
kommt  natürlich  der  Satz  von  Göttern  uud  Eltern  auch  öfter  vor,  z.  B. 
Sympos.  p.  218°. 


—     167     — 

im  phokylideischen  Gedicht  nach  den  ersten   vorgeschobenen 

Sätzen,  V.  8: 

TTpuJTa  Oeöv  Tijua,  laereTreiTa  be  ceTo  Tovfiac. 

Die  dem  Pythagoras  zugeschriebenen  xp^ca  e-mr\  beginnen*: 
dGavctTouc  juev  -rrpaiTa  Geouc,  vöpau  ibc  bidKeivxai, 
Ti^a  Kai  ce'ßou  öpKOV,  erreiG'  fipiwac  dYauoijc 
Touc  xe  KaiaxBoviouc  ceße  baijuovac,  evvo)ua  pe'ZiuJV, 
Toiic  xe  TOveTc  xi)Lia  xouc  x'  d^Xicx'  eKYeYauJxac. 

Diese  Gedichte  stehen,  so  viel  Veränderungen  und  Einschübe 
sie  im  Laufe  der  wechselnden  Zeiten  erlitten  haben,  noch  in 
direktem  Traditiouszusammenhange  mit  den  alten  Gnomen- 
sammlungen. Dafs  jene  ersten  Vorschriften  nicht  im  min- 
desten für  jüdisch  gehalten  werden  müssen,  dürften  die  an- 
geführten Beispiele  genugsam  erwiesen  haben. 

Gerade  in  den  beiden  Hadesmythen  Piatons,  die  sich  am 
engsten  an  pythagoreisch-orphische  Quellen  anschliefsen,  finden 
sich  auch  eben  diejenigen  Sünder  in  dem  jenseitigen  Strafort, 
die  jenen  Vorschriften  entsprechen: 

Phaidon:  Republik: 

kpöcuXoi  eic  Geouc  dceßeic 

unxpaXoTai )  ,  ,       ,     „  . 

^   „  eic  foveac  aceßeic 

TtaxpaXoiai  J 

dvbpocpövoi  auxöxeipec. 

Offenbar  waren  die  unteritalischen  Höllendichtungen  noch  nicht 
über  die  Typen  der  Verdammten  hinausgegangen,  welche  die 
alten  Sittenvorschriften  auch  von  Eleusis  an  die  Hand  gaben.^ 
In  der  Republik  werden  aber  noch  besonders  als  grofse 
Strafe  duldend  erwähnt  *die  Städte  verraten  oder  Heere  und 
in  Knechtschaft  gebracht  haben' ^,  also  doch  wohl  Vaterlands- 

1  Bei  Nauck  in  lamblichi  vit.  Pyth.  p.  204. 

2  So  heifst  es  auch  noch  bei  Lnkian  im  Zeuc  IXcTXÖMevoc  c.  18: 
KYN.    Tivac  KoXdJIei  inaXicxa; 

Z€YC.    Toiic  TTOvripouc  6r|\a?)r|,  otov  dv5p096vouc  koI  iepocuXouc. 

KYN.    Tivac  bä  rcapä  toOc  fipujac  äTroTTd)LnT€i; 
Z€YC.    TOUC  äYöGoüc  re  Kai  öciouc  Koi  Kar'  dperi^v  ßcßiuuKÖTac. 

3  p.  615^  f\  TTÖXeic  -rrpobövTec  f\  CTparÖTieöa  xai  eic  bouAdac  ^|uße- 
ßXriKÖTec,  vgl.  Arißtoph.  Frosche  361,  s.  oben  S.  67,  1.     Die  Ähnlichkeit 


—     168     — 

Verräter.  Dafs  solcher  Frevel  schon  Ende  des  5.  Jahrhunderts 
mit  den  anderen  zusammengestellt  wurde,  zeigt  deutlich  eine 
Stelle  des  Antiphon  (de  Her.  caed.  §  10),  der  als  die  drei  gröfsten 
Sünden  angibt  tö  diroKTeiveiv  .  .  .  kqi  tö  lepocuXeTv  Kai  tö 
rrpobibövai  ttiv  ttöXiv.  War  das  nicht  schon  von  alters  her 
so  in  Geltung,  so  mag  man  sich  wohl  denken,  dafs  der  Verrat 
der  eigenen  Stadt  und*  des  eigenen  Heeres  nach  den  Perser- 
kriegen oder  auch  gerade  in  den  Kämpfen  des  peloponnesi- 
schen  Krieges  neben  den  schlimmsten  Dingen  besonders  ge- 
nannt und  gebrandmarkt  zu  werden  anfieng.  Allgemeiner  redet 
von  den  gemeinsamen  Gesetzen  von  Hellas  in  der  gleichen 
Reihe  Euripides  (Fragra.  853  N^): 

TpeTc  eiciv  dpexai  Tctc  xpewv  c'  dcKeiv,  tc'kvov, 
öeouc  xe  xijuäv  touc  re  qpucavxac  Yovfic 
vö|uouc  xe  Koivouc  'GXXdboc*  Kai  xaOxa  bpujv 
KttXXicxov  eHeic  cxe'cpavov  eiiKXeiac  dei. 
Kein  Wunder,  dafs  dies  Moment  auch  gerade  die  Römer  her- 
vortreten liefsen.     So  ist  nach  Ciceros  somn.  Scip.  c.  3  denen, 
die  dem  Vaterland  dienen,   die  Seligkeit,   die  er  mit  uns  be- 
kannten Sätzen  ausführlicher  beschreibt,  gesichert:  qui  patriam 
conservarint,  adiuverint,  auxerint,  certum  esse  in  caelo  definitum 
locum,  ubi  beafo  aevo  sempiterno  fruantur. 

Neben  solchen  feststehenden  Typen  ist  es  bemerkenswert, 
wenn  es  schon  bei  Pindar  heifst,  dafs  der,  welcher  auf  seinen 
Schätzen  liegend  über  den  Armen  lache,  sein  Leben  ohne 
Ehre  für  den  Hades  beschliefse  (Isthm.  I  68).  Ich  erinnere 
an  die  Parallele  unter  den  Büfsern  der  vergilischen  Unterwelt 
(VI  610)  ^aut  qui  divitiis  soll  incubuere  repertis  nee  partem 
posuere  suis",  die  uns  wohl  berechtigt,  diesen  Zug  aucli  für 
die  orphische  Quelle  in  Anspruch  zu  nehmen,  der  auch  Pindar 
diese  Angabe  entnommen  haben  wird. 

Ein  Sündertypus,  der  später  eine  so  grofse  Rolle  spielt,  der- 
jenige-der  Unzüchtigen,  Ehebrecher  u.  dgl.,  kommt,  was  begreif- 
lich genug  ist,  erst  spät  auf.    Freilich  sollen  schon  nach  Pytha- 


mit  der  Formel  des  Eisangeliegesetzes  (Hypereid.  pro  Euxen.  6)  ist  nicht 
zufällig:  auch  da  Wechselwirkung  zwischen  jenem  Glauben  und  der 
irdischen  Rechtspraxis. 


—     109     — 


goras  (Laert.  Diog.  VIII  21)  in  der  Unterwelt  bestraft  werden 
Ol  luif)  GeXovrec  cuveivai  xaTc  auituv  YwvaiHi,  eine  sehr  bemerkens- 
werte Art    der    Bezeichnung    dieser  Unzüchtigen;    dann    aber 
ist  die  erste   mir  bekannte  Stelle,    die   solche  Frevler  in   die 
Holle  setzt,^  Plautus  Trin.  549  f.,  nach  Philemon: 
Sicut  fortunatorum  memorant  insulas, 
Quo  cuncti  qni  aetatem  egerint  caste  suam 
ConvenianL 
Natürlich  waren   die,   welche    nicht   caste  ihr  Leben   geführt 
hatten,  im  entgegengesetzten  Orte  des  Jenseits.^ 

Diese  kurz  besprochenen  einfachen  Sündertypen  führt  auch 
Vergil  in  seiner  Unterwelt  an: 

Frevel   gegen  die  :  ptdsahis  parens     609  !  vendidit  hie  auro  pa- 


Götter  repräsentie- 
ren die  Strafen  des 
Ixion,  Theseus,  Phle- 
gyas  etc.  615  f.  Phle- 
gyas  hatte  den  Apol- 
lotempel in  Delphi 
angezündet,  war  also 
der  schlimmste  lepö- 
cuXoc. 

discite  iustitiam  mo- 
niti  et  non  temnere 
divos     620 


quibus  invisi  fratres  i      triam     621 

6Ö8  I  qui  arma  secuti  ini- 
pia     612 
fixit   leges   atque  re- 
fixit     622 


qui  divitiis  soll  incu- 
hiere  repertis    6io 


oh    adidterium    caesi  nee  veriti  dominorum 

612  '     fallere  dextras   613 

nee    partem    posnere  ctntellifascastosce-\    zugleich  emopKOi 

suis    611  leratuni      insisterefrausinnexaclientimd 

i      linien     563  dominum      potentem 

ihie  thalamum  invasit\      imposuit     62 1 

'      natae  vetitosque  hy- 

I      tnenaeos    623 

1  Aus  solcher  Auffassung  ist  auch  nur  der  Scherz  bei  Ovid  ver- 
ständlich, Amor.  II  6,  49 ff.: 

Golle  sub  Elysio  nigra  netnus  ilice  frondet, 
Udaque  perpetuo  gratnine  terra  viret. 


-     170     - 

Die  uns  bekannten  Frevel  sind  zuweilen  weiter  ausgemalt, 
wie  es  römische  Verhältnisse  nahe  legten:  z.  B.  die  impia 
arma  in  den  Bürgerkriegen,  der  Gesetzesschacher.  Das  Clienten- 
verhältnis  veranlafst  eine  besondere  Angabe^;  freilich  sind  die 
in  der  letzten  Reihe  Zusammengestellten  einfach  die  q;eOcTai, 
von  denen  wir  noch  hören  werden.  Doch  sollten  zuerst  diese 
einfachen  Sündertypen  vorgeführt  werden,  die  in  der  Hauptsache 
jene  mystische  Litteratur  zur  Quelle  hatten.  Auf  die  letztere 
selbst  hatten  freilich  schon  allerlei  weitere  Lehren  und  Speku- 
lationen eingewirkt,  von    denen  ein  paar  Worte  zu  sagen  sind. 

In  dem  Hadesmythus  des  Gorgias  hat  Piaton  bei  Schil- 
derung der  Sünden,  die  sich  in  den  Narben  der  Seelen  zeigen, 
offenbar  von  seiner  eigenen  Tugendlehre  aus  die  Laster  ge- 
wählt e-rriopKiai,  dbiKiai,  vpeOboc,  dXa^oveia,  eHoucia,  Tpuqpri, 
üßpic,  aKpaiia,  dcujUjueTpia,  aicxpöxric.  Man  sieht  deutlich,  wie 
die  Gegensätze  von  cocpia,  biKaiocvjvr) ,  dvbpeia,  cujcppocuvri  be- 
vorzugt sind. 

Späterhin  bat  dann  stoische  Lehre  ganz  besonders  auf  die 
feste  Gruppierung  solcher  Laster  eingewirkt.  Die  Stoiker  deuteten 
ja  die  Hadesstrafen  überhaupt  allegorisch;  schon  in  diesem 
Leben  folge  der  Sünde  die  Strafe.  Sie  fassten  die  Laster 
geradezu  als  Erinyen,  die  den  Menschen  zur  Strafe  führten. 
Auch  in  den  Geschichten  von  Tantalos,  Sisyphos  u.  s.  w.  fanden 
sie  bestimmte  urrövoiai,  so  bei  jenem  die  Habsucht,  bei  diesem 
den  Ehrgeiz.  Besonders  häufig  treten  bei  ihnen  als  Poenae 
oder  eben  als  Laster  hervor  cpiXriöovia  (luxuria),  (piXonXouTia 
(avaritia),  cpiXoboHia  (ambitio)  und  nicht  selten  kommt  nun 
hinzu   beicibaiiaovia  (stiperstitio).^     Auch   (p06voc    kommt   wohl 

st  qua  fides  dubiis  volucrum  locus  ille  piarum 
dicitur,  ohscenae  quo  prohibentur  aves  etc. 
Bei  Vergil  sind  merkwürdigerweise  im  Elyeium  (Aen.Vl661)  sacerdotescasti. 

1  Darüber  mehr  jetzt  bei  Norden  Hermes  XXVIII  1893,  391  f. 

2  Viele  Belege  bei  Norden  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XVIII  331  fiF. 
Böser  Zauber  wird  früh  auch  rechtlich  mit  Strafe  bedroht  (schon  in  den 
zwölf  Tafebi;  vgl.  auch  in  der  Fpdrpa  toTc  FaXeioic  Cauer  del.  *  p.  175 
nr.  253,2:  ai  Zi.  Tic  KOTiapaOceie  Fa^^evop  FaXeio).  Spät  erst  wird  Magie 
im  allgemeinen  bestraft;  bekannt  sind  die  Verfolgungen  später  Zeit  (cod. 
Tbeodos.  IX  tit.  XVIII  6,  Ammian.  Marcellin.  XXIX  1,  vgl.  Abel  praefat. 
zu  Orpb.  Lithica  2  f.);  die  Stellung  des  Zaubers  und  der  Magie  im  Recht 


—     171     — 

hinzu  ^,  und  es  werden  auch  als  die  drei  Laster,  welche  die 
Menschen  zu  allen  Verbrechen  treiben,  genannt  ira,  cupiditas, 
libido}  So  kommen  diese  Zusammenstellungen  immer  fast 
gleich  vor  bei  Varro,  Horaz,  Persius,  Plutarch  und  an  vielen 
andern  Orten. 

Gerade  bei  Plutarch  in  dem  oben  behandelten  Hades- 
mythus in  de  sera  nura.  vind.  ist  die  Einwirkung  jener  Auf- 
stellungen deutlich  zu  sehen.  Drunten  werden  besonders  be- 
straft die,  welche  Hevoi  umgebracht  haben,  dann  aber  wird 
entsprechend  gesühnt  lavnciKaKia  und  KaKo9u|uia,  auXriCTia  und 
TrXeoveEia.  Weiterhin  werden,  namentlich  bei  Erörterung  der 
Narben  der  Seelen,  genannt:  dveXeuBepia,  TrXeoveHia,  uj)aÖTr|C, 
TTiKpia,  dKpacia  -rrepi  fibovdc,  KOKÖvoia  iLierd  cpöövou,  ßiaiöiric, 
äjuaöia,  (piXiibovia.  Es  bedarf  keines  Wortes,  wie  die  stoische 
Ethik,  unter  deren  Einfluss  ja  fast  das  ganze  spätere  Alter- 
tum steht,  solche  Lasterkataloge  bestimmt,  ja  geschaffen  hat. 

Welcherlei  Anschauungen  mag  Lukian  wiedergeben,  wenn 
er  aufzählt  |ioixoi,  nopvoßocKOi,  TeXuJvai,  KÖXaKec,  cuKOcpotviai, 
TiXoucioi,  TOKOfXucpoi,  eiTi  ttXoutoic  Ktti  dpxaic  TeTucpuj)nevoi, 
dXa2!övec  (Nekyom.  c.  11),  wozu  dann  ipeucdiaevoi  (vera  bist.  II 31), 
dvbpoqpövoi,  lepöcuXoi  (Zeuc  eXe-fX-  c.  18)  u.  a.  kämen?  Dafs 
die  einzelnen  Hauptsüuden  immer  weiter  specialisiert  werden, 
ist  natürlich  und  braucht  nicht  im  einzelnen  ausgeführt  zu 
werden.  So  sind  denn  die  Sünden  der  Apokalypse  z.  T.  ohne 
weiteres  aus  dieser  Entwickelung  zu  verstehen:  die  Hurer,  die 
Weiber,  welche  die  Leibesfrucht  abgetrieben  haben,  die,  welche 
unnatürliche  Unzucht  getrieben  haben  —  die  Mörder  —  die 
i)jeubo|idpTup€c  —  die  Reichen,  die  Witwen  und  Waisen  ver- 
nachlässigt, die  Wucherer  und  Zinsnehmer.  Andere  Typen 
sind  erst  aus  anderen  Entwickelungen  hinzugekommen.  Die 
Götzendiener  bringt  natürlich  jüdische  Anschauung  herzu. 

zu  verfolgen,  wäre  eine  dankbare  Aufgabe  (vgl.  auch  Hatch  Griechentum 
und  Christentum,  übers,  v.  Preuschen,  212). 

1  Plut.  de  sera  num.  vind.  p.  556^. 

2  Z.  B.  Lact.  inst.  div.  VI  c.  19,  4  von  den  Stoikern:  tres  sunt 
iyitur  affectus,  qui  homines  in  omnia  facinora  praecipites  agunt:  ira 
cupiditas  libido.  fropterea  poetae  tres  Furias  esse  dixerunt,  quae 
mentes  hominum  exagitant:  ira  ultionem  desiderat,  cupiditas  opes, 
libido  voluptates. 


-     172     - 

Die  Reihe  von  Frevlern,  welche  die  bisherige  Übersicht 
griechischer  Quellen  ergibt,  stelle,  ich  gleich  mit  noch  anderen 
altchristlichen  Zeugnissen  zusammen,  damit  man  sehe,  bis  zu 
welchem  Grade  sie  zu  jenen  stimmen  (s.  die  Tabelle  S.  174  und 
175).  Selbstverständlich  ist  der  Einflufs  des  Dekalogs  in  den 
christlichen  Lasterkatalogen  sehr  stark;  aber  eine  Anzahl  von 
Angaben  und  Ausdrücken  ist  so  deutlich  nach  der  griechischen 
Anschauung  geprägt,  dafs  sich  die  übrigen  erst  später  von 
anderer  Seite  aus  in  christlicher  Entwickelung  selbst  hinzu- 
gekommenen ganz  von  selbst  ausscheiden.  Die  Arten,  die 
der  Hirt  des  Hermas  aufführt  (s.  Harnack  in  seiner  Ausg. 
p.  LXXIX),  und  einen  Katalog  aus  gnostischen  Schriften 
(s.  Schmidt  Gnostische  Schriften  in  koptischer  Sprache  S.  411) 
habe  ich  gleich  beigefügt.  Namentlich  die  besondere  Klasse 
der  'Verräter  und  Ankläger'  im  Hirten  zeigt,  dafs  man  unter 
den  Christen,  die  schon  Verfolgungen  zu  erdulden  hatten  und 
die  Verräter  aus  ihren  eigenen  Reihen  hervorgehen  sahen  — 
denn  nur  von  Christen  wird  geredet  — ,  dafs  man  da  erst 
solche  Typen  unterscheiden  konnte.  Ebenso  fühlt  man  aus 
der  Angabe  derer,  die  den  Weg  der  Wahrheit  verlassen  und 
falsche  Lehren  verbreiten,  die  Polemik  einer  Zeit  heraus,  die 
schon  mit  Irrlehren  und  Irrlehrern  kämpfte.  Und  auch  die 
ßXdccpriiuoi  und  nieuboTTpoqpfiTai  sind  jedenfalls  nicht  ohne  christ- 
liche oder  doch  jüdische  Einflüsse  zu  denken.^  Diesen  letzteren 
stellen  sich  sofort  an  die  Seite  die  Typen  der  Apokalypse  oi 
ßXac(pri|uoOvTec  rr\\  öböv  xf^c  biKaiocuvric,  oi  ßXacqpTiiaricavTec 
Kai  KaKUJC  eiTTÖvxec  rriv  oböv  rfic  biKaiocuvric,  dTTOCTpeqjoviec 
Tf]V  biKaiocuvriv,  oi  biuuHavTec  toOc  biKaiouc  Kai  Ttapabövrec 
auTOuc,  Ol  dqpevTcc  rfiv  öböv  xoO  0€oö.  Auch  das  Buch  des 
Hermas  gehört  in  die  erste  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts. 

Nun  aber  möge  man  noch  eine  andere  Zusammenstellung 
überblicken,  die  eine  Gruppe  merkwürdiger  Litteraturdenkmale 
ohne  weiteres   eng  verbindet^  (s.  die  Tabelle  S.  176  f.).     Nur 

1  Etwas  immerhin  ähnliches  ist  es,  wenn  schon  nach  Pythagoras 
Homer  und  Hesiod  drunten  gepeinigt  werden  ävö'  il)v  emov  irepl  öeiöv, 
LDiog.  VIII  21. 

2  Auch  hier  wird  die  Tabelle  überzeugender  reden  als  lange  Aus- 
einandersetzungen.   Die  betreffenden  Schriften  gehen,  soweit  sie  solche 


—     173     - 

hier  und  da  ist  auf  Verwandtschaft  dieser  Schriften  ge- 
legentlich hingewiesen.^  Auch  hier  kann  ich  nur  die  haupt- 
sächlich   in  Betracht   kommenden  Punkte    kurz   herausheben. 

Die  bibaxri  tujv  buubeKa  dTrocTÖXwv,  deren  Vorschriften,  wie 
sie  in  cap.  2  und  3  und  dann  cap.  5  gegeben  werden,  —  dafs 
I  3—11  1  die  recht  eigentlich  christlichen  Zusätze  ursprünglich 
fehlten,  ist  durch  eine  ganze  Anzahl  Schriften,  welche  die 
Didache  ohne  diese  Verse  benutzen,  aufser  ZweifeP  —  hier 
in  allen  hauptsächlichen  Ausdrücken  vorangestellt  sind,  ist 
mit  Sicherheit  der  Zeit  zwischen  etwa  120  und  165  zuzu- 
weisen^ und  man  hat  bereits  ^erhebliche',  ja  nahezu  schlagende 
Gründe  dafür  beigebracht,  dafs  die  Schrift  nach  Ägypten  ge- 
hört.* Sie  gibt  uns  einen  Einblick  in  die  merkwürdige  Art 
alter  Christengemeinden  in  diesem  Lande,  dessen  ^älteste  Ge- 
schichte' in  kirchengeschichtlicher  Beziehung  ^für  uns  ein 
Vacuum  ist'.^ 

Von  dem  pseudophokylideischen  Gedicht  habe  ich  nur 
einige  Hauptsätze  zugeschrieben,  welche  die  Verwandtschaft 
mit  der  Apostellehre  durchaus  noch  nicht  erschöpfen,  aber 
doch  für  unsem  Zweck  genügend  veranschaulichen.  Nament- 
lich die  Reihe  von  Hauptsätzen  des  Anfangs  entsprechen  fast 


Sündentypen  angeben,  so  ziemlich  ganz  in  diese  Zusammenstellung  auf. 
Die  abgekürzten  Sätze  der  Tafel  werden  ohne  weiteres  verständlich  sein. 

1  S.  jetzt  Harnack  Geschichte  der  altchristl.  Litteratur  I  87. 

2  Auf  die  Verwandtschaft  zwischen  Didache  und  Ps.-Phokylides 
hat  Usener  zuerst  aufmerksam  gemacht  bei  Bemaya  Gesamm.  Abh.  I, 
VI  1 ;  nachher  hat  eigentlich  nur  Rendel  Harris  in  der  Ausgabe  der  Di- 
dache (The  teaching  of  the  Apostles,  Baltimore-London  1887)  diese  Ver- 
wandtschaft durch  eine  sorgfältige  Zusammenstellung  (auch  mit  einer 
Anzahl  Sibyllinenversen)  illustriert,  S.  40  fi".  Bei  der  Petrusapokalypse  ist 
nur  James  in  seiner  vorzüglichen  Abhandlung  und  Ausgabe  der  Apoka- 
lypse über  allgemeine  Andeutungen  der  Verwandtschaft  zwischen  Apoka- 
lypse, Sibyllinen,  Phokylidea  hinausgekommen,  S.  78  ff.,  worauf  ich  hier- 
mit angelegentlichst  verwiesen  haben  will.  Irgend  welche  Folgerungen 
zieht  er  freilich  nicht. 

3  Harnack  Didache,  grofse  Ausgabe,  158 ff.  Die  Zeit  des  Hirten 
des  Hermas  ist  nicht  so  fest  zu  umschreiben,  als  dafs  man  daraufhin 
die  obere  Zeitgrenze  noch  weiter  hinabrücken  dürfte. 

4  Harnack  a.  a.  0.  159  ff.,  163  ff. 

5  Harnack  a.  a.  0.  163. 


—    174    - 


^Tr{opKol 
lepöcuXoi 


Apoc.  loh.  XXI  8 

eßbeXuYM^voi 
Apoc.  loh.  XXII  16 


Gal.  V  19 


I  Cor.  XI  9 

Rom.  ]  29  ff. 
öeocTUTcTc 


Coloss.  III  5  ff. 
ßXacqpriiiia 


Hermas  Fast.  (s. 
Harnack  ed.  xoai.  p. 
LXXIX)  ßXdccprmoi  \ 
di  äcpiouciv  Triv  öööv 
Ti^iv  äXriBivriv 

GnostischeWerke 
(s.  CSchmidt  Gnost. 

Schriften  in  kopt. 
Sprache,  S.  411) 

Flucher,  Lästerer 

Apokalyps.  Petr. 

ßXacqprmoOvxec  I,  cf. 

II,  VII;  äqp^vTec  ti?iv 

Ö5ÖV  ToO  eeoö  XIV 


TTOTpa- 
Xoiai 
etc. 


Yoveu- 

civ 

ÖTrei- 

eeic 


ävbpo- 
qpövoi 


q)0veic 
(poveic 

qpövoi 


laecTOi 
cpövou 


Mörder 


qpovfic 
IV 


9iXTi6ov{a  (libido) 
ÖKpacia  irepl  i^öovdc 


)noiXoi 
uopvoßocKoi 


TTÖpVOl 
TTÖpVOl 


lioixeia,  TTopvela, 

ÖKaeapcia,    äc^X- 

Yeia 


iröpvoi,  inoixoi, 

laaXaKoi,   äpcevo 

Kolxai 

Schande  von 

Weib  mit  Weib, 

Mann   mit  Mann 

(v.  26,  27)    TTop- 

v€ia 


TTOpveia,  ÖKoGap- 

cia,  TrdGoc,  ^meu- 

|Liia  KOKri,  aicxpo 

XoYia 

^Tri0u|ar]TiKOi, 

iröpvoi  etc. 


Päderasten  u.  ä. 

|Lioixo(  III;  Ol  [nid- 
vavT€c  TÖL  cuO|LiaTa 
^auTüuv  üjc  YVJval- 
Kec  dvacxpeqpöine- 
voi  —  aicuYKOi|uri- 
öeicai  dXXriXaic  ibc 
äv  dvi'ip  Trpöc  yv- 
vaiKO  XI  cf.  V, 


dirXriCTia 


qpiXoboHla 

(amhitio) 

TÖqjoc   kv\ 

dpxalc 


|u^9ai 
kOüijoi 


jLidGucoi 


ößpicrai, 

ötrepriqpa- 

voi,  dXa- 

Z;öv€c 


Hoch- 
mütige 


~     175    - 


^)euca|ievoi 


:    fivriciKOKia, 
KaKoQujLiCa  ko- 

,    KÖVOia    |i€Tä 

q)eövou, 


TTXeoveHia 

(cupiditas) 

qjiXoirXouTia. 

Töqpoc  kvX 


KÖXa- 
Kec 


TTiKpia  (ira)  ttXoütiuv,  to- 

'KOYXÜqpOl,   T€- 

!        Xuivai. 


öiriCTOi ,   träv- 

rec  oi  v^jeubcic 

iräc   ö   cpiXAv 

Kttl  iroioiv 

i|;€Oboc 


vjfiöupiCTai, 

KaxaXdXoi 

fxecToi  böXou 


eic  aXXriXouc 


ölHiUXOl      ÜTIO- 
KpiTOl 


v}jeu6o^äp- 
Tupec  VIII 


?x6pai ,  Speic, 
2fiXoi,  Ou)Lioi, 
4pi6€iai,  6ixo- 
CTOCiai,  aipd- 
C€IC,  (pöövoi. 
Xoiöopoi 


Tiovripia,  Ko- 
Kia,  jiecTol 

q)9övou,  ?pi- 
6oc,  KaKon- 

Geiac,  iqpeupe- 

TOi    KOKÜIV, 

dcuvGexoi, 
dcTopfoi,     1 

äCTTOvboi. 

öpYn,  Sujaöc, 
KUKia        I 


KaraXtiXot 


irXeov^KTai, 

KX^TTTai,   äp- 

TraY€C. 

dveXermovcc 

irXeoveEia 


irXeovetia 


Ol  h\ä  TÖV 

ttXoGtov 

dirapvouvrai 

TÖV   KÜplOV 


Verläumder         Räuber 

(XIII?),  8.  u.  ttXoutoövtcc 
S.  209  Kai  Tuj  ttXoü- 
TU)  aÜTUJv  Tre- 
•nroieöxec  koI 
\ir\  ^XerjcavTCC 
öpqpavouc  Kai 
Xripac   IX,   oi 

öaveiZiovTCC 
Kai  dTraiTOüv- 

T€C  TÖKOUC 
TÖKUJV   X 


Ö€iXoi 

Kliv€C 


beiXla 


6eia- 
&ai|uo- 

via 
(super- 

stitio) 


<pap- 
liOKelc 
9ap- 

ItiOKOl 

qpap- 
^aK€ia 


€i6uuXo- 
Xdxpai 
€i6ujXo- 
Xdxpai 

eibuiXo- 
Xaxpia 


ei&iuXo- 
Xdxpai 


eiöujXo- 
Xaxpia 


cibiuXo- 
Xdxpai 


j  (dela- 

\tores  et 

prodi- 

tores), 

irpo- 

öörai 


oixivec     oi  öiiü- 
xaic  iöiaic  Eavxec 
Xepci      I   xouc 
^öava  ka\}-\  öikoi- 
xoic^iroiri-jouc  Kai 
cav  dvxi  \  rrapa- 
öeoO  Xil  jbövxcc 
aüxoüc 
VI 


176 


Didache 

oÖK  dfriopKrjCCic  | 

ßXaccpri|u{a  j  ei  ^i] 

^YKaTaXiTn;)C  4v- 

ToXäc  Kupiou, 

qjuXdEeic  6^  ö 

irap^XaßGC  jurixe 

irpocTieeic  ix-qje 

dcpaipuJv  I  vgl. 

X  l  2  eäv  bi  aÖTÖc 

ö  bibdcKUUv  cxpa- 

(peic  bi&dcKr| 
öXXjiv  bii^axi^v  cic 
TÖ  KOTaXöcai   — . 


Phokylidea 
irpÜJTa  9e6v  xipLa 
|Lirif)'  tmopKricric 


Sibyllin.  IT 
255—286 

ßXdcq)Tl|UOV  ÖTTÖCOl 

pL€-fav  dödvaxov 

Beöv  ^YKCiT^Xei- 

\\iav 


Apocalyps. 
Petr. 

ßXacq)r||uoOvT€C 

Ti'iv  oböv  TfjC  5i- 

Kaiocüvr|c  1  j  diro 

CTp^qjovrec  xi^iv 

biKaiocOvr]v  II  |  oi 

ßXacqpn^^lcavTec 

Kai  KaKÜJC  gittöv 

Tee  Triv  ö&öv  xfjc 

biKaiocüvric  VII 

oi  ä9^vTec  xriv 

oböv  Toö  0eoö 

XIV 


xijLia 

ceio 

fovfiac 

KttXÖV 

Heivi- 
Zeiv 


ou  (po- 

veviceic 

(pövoi 


oö  iLioixeOceic  |  oö 
TTopveüceic  |  (joi- 
Xeiai  I  ^TTiGuiuiai 
TTopveiai  I  atcxpo- 
XoYia 


ai|uaxi 
Xeipa 
|uiai- 
veiv 


yoveic 
KdXXi- 
irov, 
rjirei- 
Orjcav 


oi)  iraiboqpSo- 
priceic  I  oö  (po- 
veOceic  x^kvov 
^v  qpopqt '  ovb^ 
Yevvri9^v  diro- 
Kxeveic  I  qpo- 

VeiC     T^KVUUV    I 

(pGopeic  -rrXd- 
ciuaxoc  06OÖ  I 


(pövouc 
e-troir)- 

cav, 
öcoi  bä 

cuvi- 
cxopec 

eici  I 


Ol  <po 
veiCKOi 
oi  CUV 
ei6ö- 
xec  ai) 
xoTc  IV 


YajLioKXoTT^eiv  | 

dpceva  Küirpiv 

öpiveiv  I  CTT^piuaxa 

ILll*)   KXdTTxeiv  I  f) 

bä   TToXXi^  XpUCpi^ 

Trpöc  d|u^Tpouc 

eXKex'  ^pujxac  j 

allerlei  Unzucht 

V.  177  ff. 


KXei|jiYa|uoi  |  xi^v 
cdpKa  dceXYeiaic 
luidvavxec  |  öttöcoi 
JÜujvriv  xj^v  irap- 
6eviKr)v  dir^Xucav 
XdGpri  |nicYÖ|aevoi 


ai  Trpoc  MOtxeiac 

KOCjuriGeicai  —  oi 

cu|a|LiiY^vxec  aö- 

xaic  xiu  |uidc|uaxi 

xf|c  iLioixeiac  III 

oi  laidvavxec  xci 

cujjuaxa  lauxOöv 

u)c  Y^vaiKec  dva- 

cxpeq)öfi€voi,  ai 

b^  |uex'  aöxOuv 

YuvaiKec  aöxai 

fjcav  ai  cuYK0i|ur|- 

BeTcai  dXX)'-)Xaic  ii)C 

äv  dvvip  irpöc  Y"- 

vaiKO  XI 


qpiXdpYwpoc  I  ouK 
^XeoOvxec  tcxujxöv 


qpeeipoi  ßpd- 

qpoc  f|aßpuov 

evboOi  fa- 

cxpöc  |ar]56 

xeKOÖca  Kuciv 

{yn\iri  Kai  y^- 

v(jiv  ?Xu)pa. 


öccai  &'  iv\ 
Yacxepi  qpöp- 
xouc  ^Kxpiu- 

CKOUCIV,    öcoi 

xoKexouc   ^i- 

TTXOUCIV   d6^- 
C|HU)C 


ai  Sy^I^O'  '^^^' 
XaßoOcai  koI 
tKxpiücacai  V 


^ix]  -rrXouxeiv  d&iKiuc 

|Lii^  GXiße  TT^vrixa  | 

TTXUJXH)  euGü  bibov  \ 

irXoOxov  ^X'J^'v  ci^v 

Xeipa  irevrixeOouciv 

öpeEov  I  qpiXoxpni^o- 

cüvri   jurixrip  KaKÖxr]- 

xoc  dirdciic  ]  |arib^ 

XPncxric  I  |Lir]  Yot^JpoO 

^Til  ttXoüxlu  I  itXoüxou 

|UTT  qpeiöou 


xoKicxal  Kai  xökov 
^K  xÖKOJv  cuvaGpoi- 

Z^OVXeC    KOX'    OIKOUC, 

öpq)aviKouc  xnP<^c  xe 

KaxaßXdirxouciv 

^Kacxa 


oi  TTXouxoövxec  Koi 
xtü  ttXoüxuj  aOxuJv 
TrerroiGöxec  Kai  m'i 

IXeiicavxec  öpqpavouc 
xal  xnpöc  IX  oi 

baveitovxec  koI  diroi- 
xoOvxec  xökouc  xö- 

KUJV    X 


1  qpop^  für  qpGop^  ist  eine 
bchlagende  ßessernng  von  Wil- 
helm Schulze. 


—     177     — 


ouK  dmöu.uri- 
ceic  Td  ToO 

irXriciov  |  oök 
ecri  irXeove- 

KTtic  o\)bi  äp- 

ira:  |  KÄoirrj  j 
KXoTTai  1  äp- 

ixajai  I  trXeo- 
veSia 


oÖK  ?cri    ou  vjJ€ubo|uap-  ou    xaKoXoYri-  oö   pui-^eu- 
\}n€pr\cpa-  (Tupr)C6ic  |  oök  ceic  |  ou  |ivri-|  ceic  [  oö 
voc     Kevö-  ecr)  öiTviOiaujv  ciKOKriceic  ouk  cpapiaaKeu- 

60E0C  !     I  oö6e  6iyXuuc-  kcr)  KaKorjGric  |c€ic  oiujvo- 
uTrepriqpa-  'Coc   ouk  ecrm  ou  Xrm/r)  ßou-j  cköitoc  | 
via :  övjioc  •  6  Xö^oc  cou     Xriv  TrovT]päv  i  liraoiböc 
dXa^oveia  ^jeubi^c  |  ötto-  Kord  toü  uXr]-      |aa6r||ja- 

KpiTTjC    I     V(J6Ö-IciOV  cou  |  Op'ff]  TIKOC  TTepi- 


ei&uiXoXa- 

xpia  I  €1- 

SiuXoXa- 

xpiai 


Cfia  1  vjjeubo-    I  |aTi&^  Zr\kw- 
^aprupiai  |   .Tr\c  firjö^  ^pi- 

UTTOKpiCeiC  I  öl-|    CTIKÖC   )ur|6^ 


TrXoKapöia  bö- 

Xoc     dYairOüv- 

xec  ijjeOöoc 


eufiiKÖc  I  Zr\- 
XoTuma 


tiIjv  dXXo-    '^11  YoupoO     böXouc  ^d-     bpfi]  |  |ifivic  '    qpdpuaxa 


Ka0aipurv 

|na-f6iai 

qpap^aKiat 


xpiiuv  dir^x^-  i<^oq)iri  |if|x 
c6ai  I  KX&irecdXKri  |  ciu- 
jqppocüvri    1 
^€TaXTl- 
vopit] 


KX^TTXai 


TTxeiv    lyeübea 
|jjl  ßdZeiv  I 
jiapxupir|v 

ijjeubfi  (pۆYeiv 

I   TTICXIV   4v 

TTdci  (puXdc- 

C€IV 


üßpicxai     ijjeOcxai  |  56- 

ÜTr€pj^9a-  iXioi  1  mcxoX^- 

voi       j  xai  I  v|»eu&a- 

Trdxai    iricxeic 

dmipvricavxo 

Xaßövxec 


i|jeu6o^dpxu- 
pec  VIII 


zf\\oc  I  <peö- 

voc 


|LUlxeux€iv, 

jiafiKOüv 

ßißXujv 


(XIII?)    8. 

S.  209 


qpap^aK0l 

cpap\ia- 

Kibec 


öiuiKxai 
dtaeoüv 


€i6u)XoXd- 
xpai 


oixivcc 
xaTc  löiaic 

Xepci 
Söava  ^au 


euceß^ujv 

Kcpaicxai  I 

d-fimv  981- 

crivopec 

dv&pujv 


Ol  öitüEav- 

X6C  xoüc 

öiKaiouc 

'Kai    Trapa- 

erroi-  6övxec  aö- 


Ticav  avxi 
eeoO  XII 


xoüc  VI 


Dieterich,  Xekyia. 


12 


—     178     - 

genau  denen  der  Didache.  Die  andeutenden  Stichworte  der 
Tabelle  werden  dem  Nachprüfenden  hinreichende  Anhalts- 
punkte und  auch  ohne  weitere  Erklärung  verständlich  sein. 

Seit  Bernays'  vorzüglicher  Abhandlung  pflegt  man  dieses 
phokylideische  Gedicht  für  das  Werk  eines  hellenistischen 
Juden  zu  halten;  nur  hier  und  da,  namentlich  von  Harnack 
ist  betont,  es  stamme  von  einem  Christen.  Beide  Ansichten, 
kann  man  sagen,  sind  falsch  und  sind  richtig  zugleich.  Dafs 
eine  grofse  Anzahl  von  Sätzen  und  Vorschriften  direkt  nach 
jüdischen  Schriften  des  alten  Testaments  formuliert  ist,  kann 
nach  Bernays'  Ausführungen  gar  keinem  Zweifel  unterliegen; 
ebensowenig  läfst  sich  aber  bei  einigen  wenigen  Stellen  be- 
streiten, dafs  sie  nur  aus  bereits  christlichen  Anschauungen 
heraus  so  ausgesprochen  werden  konnten.  Wir  sahen  bereits 
oben,  dafs  das  Wort  von  den  Göttern,  zu  denen  die  Seelen 
der  Toten  werden,  recht  wohl  mit  griechischer  Anschauung 
zu  vereinen  ist^;  freilich  auch  Christen  konnten  so  sprechen, 
niemals  aber  Juden.  Es  zeigte  sich  auch  bereits,  wie  der 
Satz  von  Gott  und  den  Eltern,  der  nach  den  ersten  ohne 
Zweifel  durch  den  Dekalog  beeinflufsten ,  aber  auch  nicht 
aus  ihm  allein  erklärbaren  Sätzen  (z.  B.  jurir'  apceva  KuTTpiv 
öpiveiv)  folgt,  so  recht  in  die  Reihe  griechischer  Moralvor- 
schriften pafst.  Und  so  ist  es  noch  mit  manchem  andern 
Satze.  Zu  v.  5  }ir\  TtXouieiv  dbiKuic,  dW  il  öciujv  ßioieueiv 
vergleiche  man  den  Satz  des  berühmten  Skolions  von  den  vier 
Glückseligkeiten  tö  Tpixov  be  irXouTeTv  dböXujc  (Bergk*  III 
p.  646,  8)  und  den  alten  Vers  der  theognideischen  Sammlung 
145  f.: 

ßouXeo  b'  euceßeujv  öXiyoic  cuv  xpilMCtciv  okeTv 
f|  TiXouTeiv  dbiKUJC  xpriMaia  Tracdjuevoc, 
ähnlich  dem  solonischen  Ausspruch,  Fragm.  12,  77, 

Xprmara  b'  ijueipu),  dbiKUüc  be  TreTräcGai 

ouK  eGeXuj  — , 
gewifs   eine  immer  weiter  fortgepflanzte  griechische  Gnome.^ 
Zahlreiche   Stellen  können  beweisen,   dafs  jenes  dreifach   va- 

1  S.  oben  S.  88,  2;  Bernays  ändert  Geoi  in  vdoi. 

2  |ii?i  trXoOxei  kokujc  steht  auch  unter  den  dem  Thaies  zugeschrie- 
benen Sätzen  bei  LDiog.  I  9. 


-     179     - 

riierte  ttcxvtiuv  itierpov  apicTOV  (v.  69),  xaXöv  b'  em  ^erpov 
ÜTTaciv  (v.  14),  TÖ  fäp  liexpov  ecxiv  apicxov  (v.  98)  eine  alte 
crriechische  Sentenz  ist.^  Auch  in  den  so  vielfach  verwandten 
pythagoreischen  XP^^^  ^Trri  steht  laexpov  b'  em  ttSciv  apicxov 
(v,  38).  Wie  bei  Theognis  Kaipöc  b"  em  rräciv  apicxoc  er- 
halten ist  (v.  401) ,  so  steht  dieser  Satz  auch  in  Hesiods 
Werken  und  Tagen  (v.  694),  wo  unzweifelhaft  pexpov  für  xaipöc 
gestanden  hat: 

)iexpa  q)uXdccec6ar  juexpov  b'  em  iräciv  apicxov. 
So  wird  bei  Macrobius  (Sat.  V  16,  6)  der  Satz  als  homerisch 
citiert^:    ein    alter  Paroimiakos    wie  jene,    die  Usener  (altgr. 
Versbau  45  flF.)  besprochen  hat. 

Die  Vorschrift  |ifi  koköv  eö  epHric  (v.  152)  wird  sich  auf 
keine  andere  Weise  verstehen  lassen  als  aus  altgriechischer 
Tradition,  die  sich  bis  hierher  bewahrt  aus  Sätzen  wie  jenem 
theognideischen  (v.  105) 

beiXoOc^  eu  epbovxi  ^axalOxdxr|  x^Pic  ecxiv. 
Den  Vers  füllen   bei  Phokylides   die  Worte  cneipeiv  Tcov  ecx* 
evi  KÖvxiu,  bei  Theognis  lautet  der  zugehörige  Pentameter: 

Tcov  Kai  CTreipeiv  ttövxov  dXöc  ttoXitic. 
Der  Zusammenhang    der    gnomologischen  Tradition   ist  auch 
hier  deutlich  genug.     Die  Regel  (v.  48) 

mib'  exepov  Keü0oic  Kpabii,i  voov,  dXX'  dxopeuujv 
erinnert  an  alte  Verse  wie  den  Iliasvers  (IX  313) 

öc  x'  exepov  juev  KeuGr]  evi  q)peciv,  dXXo  be  emr). 
So  wäre  noch  manches  anzuführen.*  Nur  zu  dem  folgenden  Vers 

|Lirib'  tbc  Trexpoqpufic  ttoXuttouc  Kaxd  x^J^jpov  d|aeißou, 
der  nach  Bernays'  so  geistvoller  Auseinandersetzung  (Ges.  Abb.  I 
210  ff.)  sich   gegen  jene  griechische  Schmiegsamkeit  und  Ver- 
satilität   richtet,    die   schon   Theognis^  eben    mit  jenem  Ver- 

1  Nauck  de  Pythagorae  aureo  carmine  hinter  lamblichi  vit.  Pyth. 
p.  222. 

2  S.  Nauck  a.  a.  0. 

3  6eiAoüc  bezeichnet  ja  bei  Theognis  das  gleiche  wie  kokoOc. 

4  Z.  B.  auch  v.  27  ö  ßioc  xpoxöc,  wozu  Bernays  Ges.  Abb.  I  206,  1 
auf  Lobeck  Aglaoph.  905^  verweist. 

5  V.  215  ff.: 

TrouXÜTrou  öp-p^v  icxe  TroXuTrXÖKOu,  6c  ttotI  Tr^rprj, 
Tri  irpocomXfiCTi,  toioc  \beiv  dqpdvr]. 

12* 


—     180     - 

gleich   des   Polypen    empfiehlt,    mag   auf   die  Verse    des  Ion 

von  Chios  verwiesen  sein  (Fragm.  36  N^) : 

Ktti  Tov  TrexpaTov  TrXeKxdvaic  dvai)aociv 
CTUYU)  |ieTa\XaKTfipa  ttouXuitouv  xpooc, 

zum  deutlichen  Zeugnis,  dafs  auch  die  entgegengesetzte  Mei- 
nung schon  in  altgriechischer  Weisheit  vertreten  war. 

Weiterhin  lassen  sich  in  dem  Gedichte  eine  ganze  Anzahl 
Sätze  als  stoisch  erkennen,  so  v.  153  —  173  von  dem  KctiuaToc 
aller  Wesen,  auch  der  Gestirne  (judKapec),  v.  63  ff.,  was  von 
opYri,  Mfivic,  lr\Koc  gesagt  wird,  v.  67  die  Unterscheidung  des 
doppelten  epuuc ,  v.  70  ff.  die  Auseinandersetzung  über  das 
qpGoveiv  und  die  äqpGovoi  Oupavibai  und  die  ojnövoia  des  W^elt- 
alls/  Auch  das,  was  von  dem  öttXov  jedes  einzelnen  Wesens  ge- 
sagt ist,  das  ihm  Gott  gegeben  habe.(v.  124 — 128)  —  dem  Men- 
schen aber  habe  er  den  Xoyoc  verliehen  —  wird  aus  solchen 
Gedankenkreisen  stammen.  Das  Jüdische  in  dem  Gedicht  nach 
Bernays  anzuführen  wäre  sehr  überflüssig,  und  das  Christliche 
ist  sehr  gering,  aber  es  ist  vorhanden.^  Dafs  wir  ^konkrete 
christologische  Lehrstücke,  wie  sie  in  den  Zeiten  vor  Fixierung 
der  christlichen  Urkunden  weit  mehr  noch  als  die  Moral  von 
Freund  und  Feind  gepredigt  oder  angegriffen  wurden'  —  wie 
Bernays  meint  (a.  a.  0.  216)  —  vergeblich  suchen,  wird  es 
nun,  da  wir  die  Lehre  der  zwölf  Apostel  kennen,  nicht  mehr 
unmöglich  erscheinen  lassen  das  Moralgedicht  auch  in  christ- 
lichen Gemeinden  gebraucht  zu  denken;  entspricht  es  doch 
z.  T.  so  genau  den  Lehren  und  der  Art  jenes  alten  christ- 
lichen Katechismus. 

Es  läfst  sich  recht  wol  annehmen,  dafs  alte  griechische 
Gnomensammlungen,  die  des  Phokylides  Namen  trugen  wie 
unsere  Hheognideische'  Sammlung  den  des  Theognis,   und  die 


vOv  |Li^v  Tf)?)'  ^qp^Treu,  ttot^  6'  äXXoioc  XP<^o  yiveu. 

Kp^ccuuv  TOI  coqpiri  Yiverai  dTpotrlric. 
Die  Herkunft  dieser  Vorschrift  aus  alter  episch- didaktischer  Poesie  er- 
weist Bergk  comment.  de  reliq.  com.  attic.  219'f.     Weiteres  ist  angeführt 
Bernays  Ges.  Abhandl.  I  211,  1 — 3. 

1  Darauf  hat  PWendland  hingewiesen  Neue  Fragmente  Philos  145. 

2  Einige  Anklänge  an  Stellen  des  neuen  Testaments  führt  Heinrici 
an  in  den  Theolog.  Abhandlungen  Carl  v.  Weizsäcker  gewidmet  S.  333,  2. 


—     181     — 

echt  Phokylideisches  enthalten  haben,  sich  namentlich  im 
Schulgebrauch  fortpflanzten,  veränderten,  verminderten  und 
vergröfserten.  Die  sokratische  Pädagogik  hat  mit  Vorliebe 
solche  Sammlungen  verwendet,  und  Isokrates  z.  B.  wünscht 
ausdrücklich  solche  Zusammenstellungen  zu  praktischem  Ge- 
brauch (ad  Nicocl.  §  43).  ^  Den  stärksten  umgestaltenden  Ein- 
flufs  wird  die  Lehre  und  Moral  der  Stoa,  die  vom  3.  Jahrhun- 
dert an  so  breit  über  das  antike  Leben  sich  ausdehnte  und  so 
tief  in  alle  Schichten  eindrang,  gewonnen  haben.  Eine  solche, 
daher  schon  stark  beeinflufste  Gnomensammlung  aber  war 
gewifs  auch  in  Alexandria  in  Schule  und  Leben  bekannt  und 
beliebt.  In  Alexandria  entwickelte  sich  jenes  Gemisch  von 
Lehren  und  Völkern,  das  wir  heute  viel  besser,  als  Bernays 
es  konnte,  verstehen  und  in  einzelnen  Gruppierungen  kennen. 
Wie  stark  dort  Jüdisches  eindrang  in  die  griechische  Philo- 
sophie, eindrang  in  die  griechischen  Kulte,  sich  verband  mit 
Pythagoreisch-Orphischem  zu  essenischen,  zu  therapeutischen 
Ordensgenossenschaften,  wissen  wir  ziemlich  genau.  Man  denke 
sich  in  irgend  welchem  derartigen  stark  jüdisch  beeinflufsten 
Verein  die  cpujKuXibou  YVUJ|Liai  gebraucht,  weiterüberliefert  und 
umgestaltet.  Und  es  fehlen  vielleicht  auch  nicht  ganz  die 
Spuren  des  damals  immer  mächtiger  werdenden  pythago- 
reischen^ oder,  so  darf  ich  wohl  sagen,  orphischen  Einflusses. 
Sollten  ganz  zufällig  am  Schlufs  des  erhaltenen  Gedichts 
die  Ausdrücke  Ka6ap|uoi  und  luucxripia  stehen?  Werden  doch 
über  einzelnen  Teilen  der  xpvcä  eirri,  die  ganz  in  dieselbe  Art 
gnomischer  Poeme  gehören  und  ihrer  Grundlage  nach  aus 
derselben  Zeit  stammen  werden,  mag  auch  die  Form  manche 
Spuren  noch  späteren  Gebrauchs  tragen,  Averden  doch  da  Über- 
schriften eingesetzt  wie  irapacKeuri,  KoiGapcic,  xeXeiÖTric^,  die  ganz 
deutlich  der  Mysterienterminologie    und   den  Stufen  der  Ein- 


1  S.  Bergk  Griech.  Litteraturgesch.  II  316, 

2  Die  schwierigen  Verse  100—108  will  ich  hier  nicht  erörtern; 
jüdische  und  pythagoreisch  -  stoische  Unsterblichkeitsauffassung  scheint 
mir  da  unvermittelt  nebeneinander  zu  stehen. 

3  S.  Les  vers  dor^s  de  Pjthagore  expliquea  par  Fahre  d'  Olivet, 
178  ff.,  dazu  207  f. 


—     182     - 

weihung  entsprechen^,  und  wenn  aueli  ganz  äufserlich  und 
ohne  irgend  welche  tiefere  Beziehung  zum  Inhalt  zugefügt, 
doch  den  Gebrauch  des  Gedichts  in  solchen  Kreisen  verbürgen. 

Das  wenige  Christliche  im  phokylideischen  Gedicht  zeigt, 
dafs  es  auch  von  Christen  noch  benutzt  ist,  die  aber  nur 
einen  Anfang  machten,  ihre  Gedanken  schärfer  in  dem  Ge- 
dicht zum  Ausdruck  kommen  zu  lassen.^  Es  waren  Christen 
wie  die,  welche  die  Didache  benutzten,  ägyptische  Christen, 
wie  zu  behaupten  kein  Bedenken  uns  abhält.  So  ist  der 
Strom  griechischer  Gnomenpoesie  nach  langem  Wege,  verän- 
dert in  seinem  Laufe  durch  mancherlei  Zuflüsse,  namentlich 
nicht  weit  vor  seiner  Mündung  durch  einen  starken  Einflufs, 
dessen  gesonderte  Flut  sich  noch  lange  bemerklich  macht, 
endlich,  wenigstens  in  Ägypten,  eingemündet  in  die  christliche 
Gemeinde.  Ohne  die  Apostellehre  würde  uns  das  nie  so  deut- 
lich haben  werden  können. 

Das  phokylideische  Gedicht  ist  in  seiner  jetzigen  Gestalt 
älter  als  die  Didache.  Es  stammt  aus  der  ersten  Zeit,  da  Christ- 
liches wirksam  geworden  war.  In  der  Didache  sind  die  Gedanken 
schon  ganz  in  ein  Gemeindebuch  verarbeitet;  jenes  Gedicht  wird 
man  aus  mancherlei  Gründen  dann  bei  Seite  geschoben  haben.^ 
Das  Gedicht  vor  70  n.  Chr.  (der  Zerstörung  Jerusalems)  anzu- 
setzen, hat  nur  für  den  Bedeutung,  der  mit  Bernays  einen  Propa- 
ganda machenden  Juden  als  Verfasser  sich  vorzustellen  für 
notwendig  hält.  Wir  werden  in  die  nicht  lange  Zeit  erster 
Wirkungen  des  Christentums  in  Ägypten  gedrängt.  Eine  gewisse 
Zeit  mufste  immerhin  vergehen,  ehe  das  griechisch -jüdische 
Schulgedicht  davon  afficiert  werden  konnte,  und  man  kann  bei 
einzelnen  Kreisen  nicht  so  leicht  mit  Sicherheit  sagen,  wann 
bei  ihnen  das  Christliche  derartig  einzudringen  begonnen  hat. 


1  Z.B.  Theo  expos.  rer.  math.  ad  leg.  Plat,  ut.  ed.  Hiller  p.  14, 18 ff'. 

2  In  dem  v.  129  hören  wir  zugleich  den  Xötoc  der  jüdisch-helle- 
nistischen  Philosophie  und  schon  wie  von  ferne  die  coqpir)  der  gnosti- 
sühen  Theosophie  anklingen. 

3  Darum  ist  seine  Entwickelung  da  stehen  geblieben.  Die  Ein- 
setzung der  irapGevfri  und  äfö.Ttr\  in  v.  13  u.  ä.  sind  erst  wieder  ganz 
späte  Weiteränderungen,  die  nicht  aus  dem  Gebrauche  im  Lebeu,  sondern 
aus  der  Lektüre  in  der  Mönchszelle  hervorgiengen. 


-     183     — 

Doch  hätten  sich  in  den  späteren  Jahrzehnten  des  zweiten 
Jahrhunderts  solche  Einflüsse  viel  stärker  geltend  machen 
müssen,  sollte  das  Gedicht  weiter  als  das  gelten,  was  es  sein 
wollte.  Wir  können  mit  ziemlicher  Sicherheit  für  die  Fertig- 
stellung des  G-edichts,  wie  wir  es  haben  (bis  auf  kleine  spätere 
Änderungen),  als  die  Zeit,  wo  seine  Weiterentwickelung,  Weiter- 
veränderung und  Erweiterung  stehen  geblieben  ist,  die  Zeit 
von  80  bis  spätestens  130  in  Anspruch  nehmen. 

Aber  wir  haben  noch  eine  Spur  weiterer  Verwendung  des 
gnomischen  Poems.  Ein  grofses  Stück  desselben  (v.  5 — 79), 
gerade  das,  welches  die  meiste  Analogie  mit  der  Didache  hat, 
ist  in  das  zweite  Buch  der  sog.  sibyllinischen  Weissagungen 
übernommen  (v.  56 — 148).  Die  Veränderungen,  die  der  Text 
da  zeigt,  sind  charakteristisch  genug.  Nur  die  hauptsäch- 
lichsten führe  ich  an.  Vor  dem  Vers  TtpoiTa  6eöv  xijia  kt\. 
ist  eingeschoben : 

^r\hk  iiaTr\v  eiöwXa  ce'ßou*  töv  ö'  aqpGiiov  aiei 

TTpOJTa   .  . . 

Die  eibujXoXaipia,  die  merkwürdigerweise  gar  nicht  im  pho- 
kylideischen  Gedicht  vorkommt  —  der  Grieche  kannte  diesen 
Begriff  nicht,  und  dem  jüdisch-hellenistischen  Synkretismus  lag 
es  fern  dagegen  anzugehen  — ,  hätte  ein  Jude,  wie  ihn  Bernays 
sich  denkt,  nicht  übergangen  (aus  Schonung  seiner  Proselyten, 
meint  Bernays;  das  wäre  dann  aber  gerade  sein  Haupttrumpf 
gewesen).  In  der  Didache  hat  sie  ihre  Stelle.  Hinter  dem 
C7Tep)LiaTa  )ifi  KXeTTxeiv  ist  aufser  einer  Verstärkung  des  Fluches 
von  der  Sibylle  noch  eingesetzt 

jiiriT'  dpcevoKoiieiv  ^ix]  cuKoqpavieTv  ixryre  qpoveueiv, 
uns  durchaus  nicht  unbekannte  Vorschriften.     cuKoqpavxeiv  ist 
dem  Gedicht  sonst  fremd.    Aufser  anderem^  sind  v.  93fiF.  zwei 


1  Die  Verse  3  und  4  sind  nicht  mit  übernommen: 

junre  fQMOKXoir^eiv  ^rjT'  öpceva  Küirpiv  öpiveiv 
jurire  ööXouc  ^dirreiv  yir\Q'  aiiaari  x^Tpa  maiveiv. 
Schon  vorher  v.  53  steht  bei  der  Sibylle 

Ol  b'  ä^anwa  fäiiov  xe,  YaiaoKXoTriüJv  x'  dtr^xo^xai  — , 
äpcevoKoixeiv  wird  dann  in  jenem  Verse  73  nachgeholt,  ebenso  qpoveüeiv. 
Zwischen  47  u.  48  (Sib.  119)  ist  eingeschoben: 

larjxe  ööXouc  ^dirxeiv  nf\  uppc  qpiXov  fixop  ötrXüüeiv. 


—     184     - 

Verse  über  das  jüngste  Gericht  eingelegt,  dazu  die  Vorschrift 
|ur)Te  qppevac  ßXdTrieiv  oivlu  jurib'  eKi^erpa  iriveiv 

und  daneben: 

aiiua  be  jur]  (pafeeiv,  eibujXoGuTUüv  b'  direxecOai, 

die  aus  den  Acta  apostolorum  bekannte  urchristliche  Vor- 
schrift, die  auch  die  Didache  in  ganz  ähnlichem  Zusammenhang 
(VI  3  f.)  enthält  Trepi  be  ttic  ßpuuceujc  ö  buvacai  ßdciacov  dirö 
be  ToO  eibuiXoBuTou  Xiav  Ttpöcexe.  Statt  der  längeren  Partie 
über  q)6oveTv,  die  Oupavibai,  die  OjLiövoia,  also  statt  der  so 
deutlich  griechisch-stoischen  Auseinandersetzung  über  die  gött- 
lichen Gestirne  —  man  mochte  schon  damals  wie  später  bis 
auf  Bernays  direkt  von  Göttern  geredet  glauben  —  nur  die 
Verse  (143  fiP.): 

Hr\  (pGovepöc,  jur]  ciTriCTOC  ecri,  jaf)  Xoibopoc  icGi, 
|Lir|Te  KaKOTVUJ)iiuJv,  juf)  ipeubaTrairic  dfiexpriTOC, 

in  uns  bereits  in  solchem  Zusammenhange  geläufigen  Aus- 
drücken. Wenn  nach  dem  ganzen  gnomischen  Stück  in  dem 
Sibyllinenbuche  gesagt  wird  (v.  150): 

TouTo  ttuXti  lujr\c  Kai  eicoboc  d9avaciac, 
so  erinnert  das  stark  an  den  'Weg  des  Lebens'  der  Didache.^ 
Dann  aber  folgt  nun  im  zweiten  Buche  der  sibyllinischen 
Orakel  ein  eschatologischer  Teil,  eine  Weissagung  von  den 
letzten  Dingen,  vom  Gericht,  von  Lohn  und  Strafen  im  Jen- 
seits. Unter  den  Zeichen  des  Endes  ist  auch  eines,  das  von 
Hesiod    an    bis   in    die   christliche   Zeit  typisch    gewesen    ist.^ 


1  Vgl.  auch  die  christlichen  Grabinschriften  wie  axitr]  i^  iriiXi]  toO 
Kupiou"  biKaioi  elceXeücovxai  dv  aürrj,  CIG  8934,  s.  Revue  arch.  XIX 
1869,  456. 

2  Hesiods  Werke  180 f.: 

Zefjc  b'  öX^cei  Kai  toöto  y^voc  juepöirujv  ävOpuOitujv, 
eöx'  öv  Yeivö|Lievoi  tToXioKpöxaqpoi  reX^Guuciv. 
Vgl.    die   syrische  Apokalypse   bei  Lagarde  reliq.  iur.   ant.  graec.  1856 
p.  81,  27 :  Jesus  prophezeit  dem  Johannes  und  Petrus  irepi  xoö  x^Xouc: 
da  steht  auch  iroXiol  ^covxai  ol  xiKxöjuevoi.     Sibyll.  11  164  f. : 
äW  ÖTtöxav  xö6e  cfiiaa  qpavrj  Kaxä  köcjhov  ÖTravxa, 
^K  Yevexf^c  iraiöec  TroXioKpöxaq)oi  fe^faiuTec  — . 
Vgl.  Cyprian.  ad  Demetrian.  c.  3. 


-     185     - 

Die  Worte  von  den  ijieubaTTdTai  dvTi  TrpoqpriTÜuv  (v.  165  f.) 
erinnern  au  eschatologische  Stücke  des  neaeu  Testaments,  auch 
an  den  Eingang  der  Petrusapokalypse.     Die  Verse    (v.  163  f.) 

vriTTioi,  oube  voouvTec  Ö6',  fiviKa  qpOXa  TuvaiKiuv 

^n  TiKTouciv,  eqpu  tö  Gepoc  |iepÖTTiJUV  dvGpuuTruuv, 
werden  bei  Clem.  Alex.  Strom.  III  p.  445  als  aus  dem  Evan- 
gelium der  Ägypter  citiert.  Beliar  (den  auch  Paulus  II.  Cor. 
VI  15  erwähnt,  auch  da  BeXidX  und  BeXidp  in  den  Varianten)  wird 
ebenso  wie  Sibyll.  v.  167  als  am  Enrie  kommender  Antichrist 
genannt  in  den  Testamenten  der  12  Patriarchen,  einer  der  Apo- 
kalypse auch  sonst  sehr  ähnlichen,  nur  mehr  jüdischen  eschato- 
logischen  Schrift  der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts.  Vieles 
steht  überhaupt  aus  jüdischer  Überlieferung  in  diesem  Sibyllen- 
buche, von  den  Hebräern,  die  ihre  Stammesgenossen  suchen 
werden  (v.  171  ff.),  von  der  Wiederkunft  des  Thesbiten  (187  ff.), 
und  deutlich  genug  mahnen  uns  die  Michael,  Gabriel,  Raphael, 
üriel  an  die  Apokalypse  des  Henoch.^  Diese  Engel  führen 
die  Seelen  (217  ff.)  änö  Zöqpou  iiepöevioc  zum  Gericht  vor  den 
Thron  Gottes,  der  selbst  richten  wird  (wie  Petrusapok.  v.  3): 
V.  242 f.  ist  es  Christus,  der  Fromme  und  Gottlose  richtet, 
offenbar  die  spätere  Formulierung. 

Ein  feurisrer  Strom  wird  vom  Himmel  herabströmen  und 
alles  vernichten,  und  mit  sehr  stoischen  Farben  wird  die  ge- 
waltige eKTTupuJCic  beschrieben  (v.  196  —  213).^  Nach  einer  bis 
ins  einzelne  ausgemalten  Schilderung  leiblicher  Auferstehung 
(v.  221— 227)  heilst  es,  dafs  Uriel,  der  hier  zum'Hadespförtuer 
geworden  ist,  die  Thore  brechen  und  alle  die  traurigen  Gestalten 
zum  Gericht  führen  werde, 

eibuuXujv  (!)  xd  judXicia  TraXaixeveuJV  Tiinvujv 

r\bi  re  fifdvTUJV, 

1  Dillmana  Apokalypse  des  Henoch  S.  82  ff. 

2  Sib.  V.  200 ff.: 

äxap  oöpdvtoi  qpiucTfipec 
elc  ?v  cu^ji/iEoua  koI  etc  luoptpriv  Trav^pTnaov, 
äcxpa  Top  oupavöGev  re  öaXdcq)  irdvTa  ireceiTai, 
erinnern  immerhin  sehr  an  die  aus  der  späteren  Petrusapokalypse  bei 
Makarius  IV  7  (oben  S.  13  fragm.  V)  citierten  Worte  Koi  TOKrjccTai  -rröca 
6ijva|iic  oupavoö  Kai  l\ix6ric€Tai  6  oöpavöc  lüc  ßißXiov,  koI  irdvra  xd  dcxpa 
-neceixai  lüc  cpOWa  il  djiTT^Xou  koi  üjc  irmxei  qpOXXa  dTrö  cuKfic. 


-     186     — 

die  vor  dem  KaTaKXuc|Li6c  lebten,  nacli  einer  in  jüdisch-helle- 
nistischer Zeit  geläufigen  Bezeichnung.  ^  Dann  folgt  das  Ge- 
richt durch  Gott  und  Christus  zu  seiner  Rechten.^  In  den 
feurigen  Strom  müssen  sie  alle,  oi  xe  biKaioi  Traviec  cuiGricoviai. 
Also  die  Lehre  vom  Fegefeuer,  die  einst  Piaton  orphischen 
Schriften  entnommen,  die  orphische  Bücher  fortgepflanzt,  die 
Origenes  in  Ägypten  sich  aneignete,  die  dort  auch  die  Gnostiker 
später  vertraten,  diese  Lehre  findet  sich  auch  hier.  Dann 
folgen  die  Listen  der  Sünder,  die  dort  gepeinigt  werden,  deren 
frappierende  Ähnlichkeit  auch  mit  den  Typen  der  Petrusapo- 
kalypse unsere  obige  Tabelle  zu  zeigen  genügen  wird.  Weitere 
Qualen  werden  angeführt  (v.  287) 

Touc  ä|iia  rrdviac 
ÖYTe^oi  d9avdToio  6eo0   xoO   aiev  eövTOC 
ev  qpXoTivaic  judcTiHi  Kai  ev  irupivaic  dXucecci, 
bec)LioTc  dppriKTOici  irepicqpiYHavTec  ÖTiepGev, 
öeivoidTUJc  KoXdcouciv. 
Es   sind   ganz  die  alten  Vorstellungen  von  den  Strafgeistern.^ 

l'TTfiTa  be  vuKTÖc  djiioXYuJ 
ev  feevi;]  Gripecc'  ütto  Taptapioici  ßaXoOvrai, 
TToXXoTc,  bei|iiaXeoiciv,  öttou  ckotoc  e'cxiv  djuexpov. 
Dann    wird  noch    die    Qual  des  xpoxöc  Tiupivoc  erwähnt  und 
das  Wehgeheul  und  vergebliche  Flehen  utto  xdpxapov  eupouevxa 
geschildert.     Dreifach  müssen   sie  hülsen,  was    sie  gesündigt 
(303  f.)^- 

err'  oux  öcioici  be  x^J^poic 
XICOUCIV  XpiC  XÖCCOV   ÖCOV    KttKÖV   i'iXixov   epYOV, 
baiÖ)Ll€VOl    TTUpi    TTOXXUJ 

und  dann  heifst  es  noch  (311  f.): 


1  S.  Abraxas  143. 

2  Sollte  man  die  grofse  Säule  (|a^Y"v  be  re  Ktova  Trf|Sr)  v.  240)  mit 
der  Lichtsäule  in  Piatons  Republik  (ki'ujv  qpiuTÖc  bei  dem  Thron  der 
Ananke,  welche  die  neuen  Lebenslose  verteilt)  vergleichen  dürfen? 

3  S.  oben  S.  57,  58  f. 

4  In  den  alten  orphischen  Gedichten  müssen  sie  zehnfach  büfsen  ' 
aber  es  wird  auch  bei  Pindar  und  Piaton  angeführt,  dafs,  wer  dreimal 
die  uepioboc  von  1000  Jahren  richtig  durchgemacht  habe,  erlöst  sei; 
irepio&oi  von  dreimal  1000  Jahren  sind  es  bei  Ciaudian.  in  ßufin.  II  491. 


—     187     — 

CTTTd  Top  aiuuvuuv  iLieiavoiac  fi)uaT'  ebiuKev 
dvbpdci  Tr\a2;o|iievoic  biet  x^ipöc  TTapOevou  ctYvfic. 
Sieben  aiujvec  der  Bufse  werden  ihnen  gegeben,  und  auszuführen 
(biet  X^ipoc)  hat  das  die  heilige  Jungfrau.  Darf  man  da  nicht 
an  die  Aikh,  'Abpctcteia  der  Orphiker,  die  Ananke,  welche  die 
Seelenwanderuug  bei  Piaton  lenkt,  erinnern,  an  die  Aikti- 
'Acrpaia,  die  TTapBevoc  qpujTÖc,  die  später  allerdings  in  der 
christlichen  'heiligen  Jungfrau'  z.  T.  weiterlebte?^  Haben 
wir  geradezu  ein  Dokument  des  Übergangs  jener  Vorstellungen 
in  die  christlichen?  Ich  bin  um  so  weniger  imstande,  das 
festzustellen  und  etwa  einen  Schlufs  für  die  Zeitbestimmung 
des  Buches  daraus  zu  ziehen  (die  christliche  'heilige  Jung- 
frau' als  Fürbitterin  bei  Gott  kommt  meines  Wissens  zuerst 
bei  Irenaeus  adv.  haer.  V  19,  also  in  der  zweiten  Hälfte  des 
zweiten  Jahrhunderts  vor),  als  die  Verse  305 — 312  sehr  wahr- 
scheinlich erst  später  in  der  weiteren  Tradition  des  Sibyllencorpus 
aus  dem  späten  achten  Buch  v.  350—358  hierhergesetzt  sind.^ 
Die  anderen,  (v.  313  ff.) 

ÖTTÖcoic  le  biKri  KaXd  t'  ep'fa  |ue)ir|Xei, 
r\he  Kai  euceßir]  le  biKaiÖTaioi  le  Xo-fic/ioi, 
werden  die  Engel  aus  dem  Feuer  heben  (314  ff.): 
€ic  cpujc  dHouciv  re  Kai  eic  Coifiv  d|iiepi)iVov, 
evGa  TTcXei  xpißoc  dGavaioc  juefdXoio  öeoTo^ 
Kai  ipiccai  TTTiYai*  oivou,  laeXiiöc  xe  fdXaKTOc. 
Yttia  b'  iCTi  TidvTUJV,  ou  teixeciv,  ou  TrepiqppaYiuoTc 
oube  |nepiZ;o|ievri  Kapnouc  TÖxe  nXeiovac  oTcei 
auTOjudTTi,  Koivoi  xe  ßioi,  Kai  ttXoOxoc  djioipoc. 

ou   fdp    TTXUJXÖC   CKei   KXX. 


1  S.  Abraxas  101 S. 

2  So  auch  Rzach  z.  d.  St.  Aach  pafst  ja  kaum  das  dreifache 
Büfsen  zu  den  sieben  Aionen  der  Bufse.  Übrigens  klingen  die  Worte 
von  den  Tagen  der  sieben  Aionen  sehr  gnostiach:  man  denke  an  die 
sieben  Wochentage  =  sieben  Planeten  Sphären,  die  rettende  Sophia 
u,  dgl.  z.  B.  bei  den  Ophiten.  In  valentianischer  Gnosis  ist  die  zukünftige 
Läuterung  ein  Fortschritt  durch  die  Reihe  der  sieben  Himmel,  CSchmidt 
Gnostische  Schriften  528.  (Der  siebenfache  Himmel  ist  auch  rabbinisch, 
Eabisch  Eschatologie  des  Paulus  212  f.) 

3  Vgl  Pindars  Aiöc  öööc,  Ol.  II  76,  8.  oben  S.  37,  4. 


—     188     — 

Wir   kennen   diese  Farben    des    goldenen   Zeitalters    und    der 
Seligkeit, 

Endlieh  wird  auch  den  Frommen  gewährt  (332  f.)  Ik 
juaXepoTo  irupöc  iLiaKpaiLUVUiv  t'  oittö  ßpuY|iiuJv  dvGpiUTTOuc  cujcai 
durch  Flehen  zu  Gott.  Ist  das  etwa  Umbildung  jener  alten 
Lehre,  dafs  die  Seelen  der  Geschädigten  erst  Verzeihung  ge- 
währen müssen,  ehe  die  Frevler  von  ihrer  Qual  befreit  werden?^ 
Jene  Geretteten  aber  wird  Gott  senden  (335  flF.)  biet  Xaov  eauioö 

eic  Z^iuriv  eiepav  xai  aiijuviov  dGavaioiciv 
'HXuciuj  irebio),  öGi  oi  ireXe  KUjuaia  juaKpdt 
Xijuvric  devdou  'Axepoucidboc  ßaOuKÖXTrou. 

Dies  zweite  Buch  der  Sibyllinen  ist  vorn  angeknüpft  an 
die  Aufzählung  der  Geschlechter,  wie  sie  im  ersten  begonnen: 
das  zehnte  ist  das  letzte  Geschlecht.  Alsbald  aber  beginnt 
die  Schilderung  der  letzten  Dinge.  Es  folgen  die  Regeln, 
deren  Einhalten  zur  Unsterblichkeit  führt,  das  *Thor  des  Lebens' 
und  *der  Weg  zur  Unsterblichkeit'  (v.  150)  und  dann  die 
apokalyptische  Schilderung.  Am  Schlüsse  sind  wieder  einige 
Verse  von  der  Sibylle  ganz  äufserlich  angehängt  (339 — 347). 

Didache  und  Fetrusapokalypse  sind  hier  sozusagen  zu 
einem  verbunden,  d.  h.  jene  so  durchaus  ähnlichen  Vorschriften 
und  Visionen  liegen  in  ihrer  Vereinigung  vor  uns.  Wie  die 
Didache  das  positive  Gegenstück  zu  der  Apokalypse  genannt 
werden  könnte  —  wer  solche  Visionen  hat,  dem  gelten  als 
Moralvorschriften  ähnliche  wie  die  der  Didache  — ,  hier 
haben  wir  die  Verbindung,  die  nicht  zufällig  sein  kann:  *Lehre' 
und  'Offenbarung',  wie  sie  in  den  gleichen  Kreisen  verbreitet 
gewesen  sein  mufs.  Besafsen  wir  schon  seit  einigen  Jahren 
eine,  in  einem  Teile  jenen  Phokylidesversen,  die  auch  in  dem 
Sibyllenbuche  stehen,  so  verwandte  'Lehre  der  12  Apostel', 
wie  sie  christliche  Gemeinden  in  Ägypten  um  die  Mitte  des 
2.  Jahrhunderts  gebraucht  haben,  nun  haben  wir  auch  eine 
'Offenbarung  des  Petrus',  die  mit  jenen  Sibyllenversen  so 
genau  stimmt,  wie  sie  zu  eben  dieser  Zeit  in  eben  der  Gegend 
in  christlichen  Gemeinden  gebraucht  worden  ist. 


1  So  in  Platous  Republik,  s.  oben  S.  118. 


-     189     - 

Wir  dürfen  schliefsen,  dafs  diese  Verse  des  jetzigen  zweiten 
Buches  der  sibyllinischen  Weissagungen  schon  verbunden  und 
im  Umlauf  waren,  ehe  sie  in  das  Corpus  eingesetzt  wurden.^ 
Für  die  Entstehung  und  Ausbildung  dieses  vorsibyllinischen 
Poems  werden  wir  ganz  von  selbst  in  die  ungefähre  Zeit- 
epoche des  phokylideischen  Gedichts  und  der  Didache  ge- 
wiesen. Dafs  es  immerhin  um  ein  beträchtliches  später  zu- 
stande gekommen  ist  als  jenes,  ist  selbstverständlich  und 
wurde  auch  durch  die  Abweichungen  deutlich.  Auch  mufs 
es  nach  der  Zeit  der  Didache  fallen,  werden  doch  in  ihm 
auch  TTpecßuxepoi  und  tepapoi  birjKOvec  genannt,  während 
in  jener  dTTÖcxoXoi  und  aufserdem  bibdcKaXoi,  irpoqpfiTai,  öioko- 
voi  und  dmcKOTTOi  vorkommen.  Zudem  nötigen  eine  Anzahl  oben 
erwähnter  Instanzen,  in  die  zweite  Hälfte  des  zweiten  Jahrhun- 
derts hinabzugehen,  wenn  freilich  auch  Einzelheiten  in  weiterem 
Gebrauch  und  in  weiterer  Überarbeitung  hinzugekommen  sein 


1  Auch  mit  dem  1.  Buche,  an  das  sie  dann  enger  angeknüpft 
werden,  haben  sie  zunächst  keinen  näheren  Zusammenhang.  Dort  wird 
fast  ganz  jüdisch  Schöpfung,  Sündenfall  u.  8.  w.  erzählt,  die  verschie- 
denen aufeinander  folgenden  Geschlechter  z.  T.  gewifa  nach  griechischer 
Tradition  geschildert.  In  der  sonst  ganz  biblischen  Erzählung  von 
Noah  hört  man  aus  der  Offenbarung  Gottes  an  ihn  v.  128 — 146  deutlich 
die  Mystik  und  Magie  der  späthellenistischen  Zeit  heraus,  die  sich  schon 
fast  gnostisch  anläfst.  Zu  v.  137—140  vgl.  Jahrb.  f.  Philol.,  XVI.  Suppl. 
774,  Abraxas  140 f.  Zahlenmystische  Offenbarungen  schliefsen  mit  den 
Worten  (146):  ouk  ä)aur|Toc  ecrj  xfic  uap'  l^ol  coqpiric.  Auch  das  pafat 
am  besten  nach  Ägypten.  —  Von  Christus  werden  durchaus  im  Änschlufs 
an  neutestamentliche  Schriften  Prophezeiungen  angefügt  und  dann  wird 
von  der  Zerstörung  Jerusalems  geweissagt.  Das  1.  Buch  ist  durchaus 
ein  Werk  für  sich,  wenigstens   ohne  näheren  Zusammenhang  mit  dem 

2.  Buch.  Dem  widerspricht  nicht,  dafs  jetzt  1.  und  2.  Buch  als  einen  Be- 
richt von  Weltschöpfung  bis  Weltuntergang  sich  gibt  und  auch  in  den 
Hss.  wohl  als  ein  Buch  überliefert  wird,  Buresch  Philol.  LI  422  ff.  An 
das  Buch  von  den  Geschlechtem  hat  man  aus  anderer  Quelle  einen  sonst 
ganz  unverhältnismäfsig  grofsen  Bericht  über  das  Gericht  und  die  letzten 
Dinge  angeschoben  oder  angearbeitet  und  auch  den  phokylideischen  Teil. mit 
übernommen,  dessen  Vorhandensein  man  ja  sonst  gar  nicht  erklärt.    Das 

3.  Buch  setzt  wieder  ganz  anders  ein;  es  ist  das  älteste  und  am  reinsten 
jüdische  der  ganzen  Sammlung.  Dafs  Verse  des  2.  im  3.  und  8.  Buche 
wiederkehren,  kann  sehr  verschieden  erklärt  werden.  Es  ist  für  uns 
ohne  Bedeutung. 


-     190     - 

können.  Und  die  Formulierung,  die  in  den  Sibyllinen  heute 
vorliegt,  mag  recht  viel  später  sein.  Sie  ist  erst  durch  Um- 
setzung in  das  Sibyllinenbuch  und  die  weitere  Überlieferung 
mit  demselben  zustande  gekommen.  Darum  ist  unser  Ansatz 
für  das  zu  Grunde  liegende  Gedicht  inhaltlich  nicht  weniger 
zwingend. 

Dieses  ist  auch  jünger  als  die  Petrusapokalypse;  nicht  nur 
dafs  die  Typen  der  Sünden  und  Strafen  weiter  und  breiter  aus- 
gesponnen sind,  es  entscheiden  auch  hier  die  besonderen  Strafen 
für  TTpecßuTepoi  und  bir|KOvec,  die  schon  eine  weitere  Ausbil- 
dung der  apokalyptischen  Bilder  nach  den  Erlebnissen  der 
Christengemeinde  darstellen. 

Dafs  jenes  Poem  aus  Ägypten  stammt,  ist  von  vorn 
herein  sehr  wahrscheinlich,  auch  wenn  die  Beobachtungen  über 
die  Sprache  der  Sibyllen  überhaupt,  welche  die  Eigentümlich- 
keiten des  ägyptischen  (alexandrinischen)  Griechisch  zeige, 
nicht  durchaus  zwingend  sein  sollten.^  Aber  hier  stützt 
eines  der  besprochenen  Werke  das  andere.  Wie  Didache, 
Carmen  pseudophocylideum ,  zweites  Sibyllenbuch,  Petrus- 
apokalypse wird  noch  manches  andere  hierher  gehören, 
das  ich  hier  nicht  verfolgen  kann,^  Es  ist  eine  in  ihrer 
Eigenart  gar  nicht  zu  verkennende,  eine  ägyptisch-christliche 
Litteratur,  hauptsächlich  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahr- 
hunderts. Es  waren  eigentümliche  Gemeinden,  die  zuerst  dort 
christlich  wurden,  anknüpfend  in  Lehre  und  heiliger  Poesie 
an  die  griechischen,  pythagoreisch- orphischen,  jüdischen,  esse- 
nischen Gemeinden,  wie  sie  dort  in  bunter  Mannigfaltigkeit 
blühten.^  Wir  überblicken  ja  annähernd,  wie  dann  auch  heid- 
nische Gnostikergemeinden  zu  christlichen  wurden.  Aber  von 
jenen  Richtungen  wird  allmählich  erst  unsere  Kenntnis  deut- 
licher. Sie  waren  gespeist  von  griechischer  durch  die  Jahr- 
hunderte fortgepflanzter  und  umgestalteter  Moralweisheit;  stark 


1  S.  Buresch  Jahrb.  f.  Philol.  1891,  533,  538,  539  und  namentlich 
Philol.  LI  85  ff.     Einige  der  Beispiele  halte  ich  für  schlagend. 

2  Z.  B.  aufser  dem  Petrusevangelium  das  Kerygma  Petri  (s.  jetzt 
V.  Dobschütz  das  Kerygma  Petri ,  Texte  und  Unters.  XI  1,  bes.  S.  67  flF.), 
der  2.  Petrusbrief  u.  dgl.,  Harnack  Evangel.  und  Apok.  des  Petrus  *  90. 

3  Abraxas  148  ff. 


—     191     - 

war,  liier  mehr  dort  weniger,  der  Einschlag  jüdischer  Ge- 
danken und  jüdischer  Litteratur,  und  es  wäre  merkwürdig, 
wenn  nicht  auch  die  ebendort  damals  so  blühenden  orphischen 
Kultgemeinden  Spuren  hinterlassen  hätten  in  diesen  ägyptischen 
Moral-  und  Offenbarungsbüchern,  die  wir  nur  zu  finden  zu 
geringe  Mittel  haben. 

Nach  einer  Richtung  hin  möchte  ich  mir  eine  Andeutung 
nicht  versagen.  Dafs  die  alte  prodiceische  Allegorie  von  den 
zwei  Wegen  es  ist,  die  bei  den  urchristlichen  Schriftstellern 
die  Einkleidung  ihrer  Moralmahnungen  in  dieses  Bild  veran- 
lafste,  scheint  mir  nicht  mehr  zweifelhaft.^  Wird  doch  bei 
Justin  (Apol.  II  11)  direkt  auf  ihn  verwiesen,  und  auch  der 
Hirt  des  Hermas  zeigt  ganz  direkte  Anlehnung.  Sogar  in 
dem  lateinischen  Fragment  der  Didache  stehen  noch  an  den 
beiden  Wegen  zwei  Engel  iinus  aequitatis,  alter  iniquitafis^ : 
und  diese  lateinische  Übersetzung  geht  auf  eine  ältere  Gestalt 
des  Textes  der  Didache  zurück."''  Alle  die  Stellen,  in  denen  pa- 
rallele Versionen  dieser  Parabel  von  den  zwei  Wegen  vor- 
kommen —  auch  Evang.  Matth.  VII  13  f.  — ,  brauche  ich  nicht 
anzuführen,  höchstens  mag  die  Schrift  Diiae  viae  vel  iudicium 
Petri\  in  der  auch  die  gleichen  Moral  Vorschriften  wie  in  der 
Didache  vorkommen ,  gerade  hier  erwähnt  sein.  Auch  bei 
ägyptischen  Gnostikern,  bei  den  Naassenern,  ist  das  Bild  ver- 
wendet, wie  Hippolytos  bezeugt  (V  8  p.  164,  76  ff,  DS):  /iiKpct 
be  ..  ecTi  rd  itiucxripia  rd  rf\c  TTepceqpövTic  Kdruj,  trepi  iIjv 
lauciripiujv  Km  tfic  oboO  xfic  dTOucrjc  exet,  oucric  TiXareiac 
Ktti  eupuxuupou  Ktti  q)epoucTic  touc  diroXXuiievouc  eiri 
tfiv  TTepceqjövnv  ....  Kai  6  TTOiriific  he  qprjciv* 


1  Ganz  sicher  ist  mir  das  geworden  durch  die  eben  erschienene 
die  Parallelen  sorgfältig  zusammenstellende  Abhandlung  von  CTaylor 
The  two  ways  in  Hermas  and  Xenophon  im  Journal  of  Philologie  XXI 
no.  42  (1893)  S.  243  tf.  Einige  dahingehende  Bemerkungen  halte  auch 
Norden  gemacht  Beiträge  zur  Geschichte  der  grieoh.  Philos.  387  f. 

2  V.  Gebhardt  hinter  Harnacks  Ausgabe  des  Hermas  S.  277. 

3  So  jetzt  auch  Hamack  Gesch.  d.  altchristl.  Litteratur  I  87. 

4  Hilgenfeld  Evangeliorum  ^sec.  Hebraeos,  sec.  Petrum  etc.  ed.  II, 
1884,  p.  110  ff. 


—     192    — 

AuToip  vTx'  avxY\v  ^CTiv  diapTTiTÖc  ÖKpioecca, 
KoiXri,  TTriXiubric"  r]  b'  fiYrjcacGai  apicTri 
äXcoc  de  ijuepöev  TroXuTi|nriTou  'AqppobiTtic.  ^ 
Gleich    darauf  werden    auch  die   oben  erwähnten   Worte   aus 
Matthäus   über  die  beiden  Wege  citiert  (p.  166,  95  ff.).     Wer 
jener    rroiriTric    ist,    läfst    sich    vielleicht    nicht   mit    absoluter 
Sicherheit,  aber  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  angeben. 

Auch  Lactantius  redet  im  Anfang  (cap.  3)  des  sechsten 
Buches  seiner  Institutiones  divinae  ausführlich  von  den  zwei 
Wegen  qiias  et  poetae  in  carminibus  et  phüosophi  in  disputa- 
tionihus  suis  induxerunt  Er  erzählt  dann  auch  von  solchen, 
die  sagten  vitae  cursum  Y  litterae  esse  similem,  quod  unusguisqiie 
hominum  cum  primae  adulescentiae  Urnen  attigerit  et  in  suum 
locum  venerit  partes  uhi  se  via  findit  in  amhas  (aus  Vergil 
Aen.  VI  540 !)  haereat  mutdbundus  ac  nesciat  in  quam  se  partem 
potitis  inclinet.  Si  ducem  nacttis  fuerit  etc.  Weiterhin  erwähnt 
er:  poetae  fortasse  melius,  qui  hoc  hivium  apud  inferos  esse 
voluerunt.  Danach  geht  der  eine  Weg  in  Elysios  campos,  der 
andere  —  auch  da  führt  Lactantius  wieder  Worte  des  6.  Buches 
der  Aeneis  an  —  at  laeva  malorum  exercet  poenas  et  ad  impia 
Tartara  mittit.  Wir  erkennen  da  sofort  die  zwei  Wege  (bez. 
drei  Wege),  die  uns  oben  so  vielfach  beschäftigt  haben,  und 
es  könnte  fast  scheinen,  als  ob  wirklich  der  irdische  Scheide- 
weg erst  eiue  Umdeutung  des  unterirdischen  in  der  bekannten 
Art  wäre.  Aber  wir  wissen  auch,  wem  man  die  Verwendung 
des  mystischen  Zeichens  Y  zur  Bezeichnung  des  moralischen 
Kreuzwegs  zuschrieb.  Die  Persiusverse  (III  56  f.)  Et  tibi  quae 
Samios  diduxit  litter a  ramos,  Surgentem  dextro  monstravit  li- 
mite  collem,  erklären  die  Scholien^  so:  gwae  Pythagoras  Santo 
insula  ortus  praecepit,  qui  Y  ad  modum  Jmmanae  vitae  figuravit 
.  . .  et  in  sinistra  parte  rami  velut  vitia  sunt,  quae  devexior  fa- 
cilem  ad  se  praestat  ascensum.  est  altera  dextera  in  qua  virtutis 
opera  celebrantur,  arduum  ac  difficilem  limitem  pandens.  quam 
qui  evaserint  quieta  sede  excipiuntur.  Da  werden  wir  also  ganz 
deutlich  in  pythagoreisches  Gebiet  gewiesen. 

1  Eine  sehr  selten  vorkommende  Erwähnung  aphrodisischer  Aus- 
sichten im  Elysium,  vgl.  Apul.  met.  VI  18. 

2  Schol.  bei  Jahn-Bücheler  zu  den  Versen. 


-     193     — 

An  der  Stelle,  wo  Xenophou  den  Heraklesmythus  des 
Prodikos  erzählt  (Memor.  II  1,  20),  führt  er  auch  die  Hesiod- 
verse  an  (Werke  287  ff.): 

rfiv  |uev  Yap  KaKÖTnxa  Kai  iXaböv  ecriv  eXecGai 
prjibiujc*  XeiTi  )aev  oböc,  ludXa  b'  cfT^JÖi  vaier 
Tfic  b'  dpeific  ibpüjxa  9eoi  TrpoTrdpoiGev  eOriKav, 
und  diese  drei  Verse  mit  dem  Zusatz  Kai  xiva  öböv  inaKpdv  re 
KOI   dvdvTTi    citiert  Piaton    an  der  Stelle,   wo   er   das  Treiben 
der  Orpheotelesten   schildert   (s.  oben  S.  82),   und  sagt,    dafs 
sie  diese  Verse  anzuwenden  pflegten  (Rep,  II  p.  364  c).     Dafs 
sich   die   Orphiker   vielfach  an  Hesiod  in  ihrer  Dichtung  an- 
schlössen —    auch   epya  Kai  fmepai  hatten   sie  nach  den   he- 
siodischen  —  wissen  wir.^     Sie  haben   es   offenbar  auch  hier 
gethan,  und  jenes  Bild  haben  Orphiker  und  Pythagoreer  eifrig 
weiter  gepflegt.     Auch   der  Troir|Tr|C   bei  Hippolytos  wird  Or- 
pheus sein.^ 

Die  Einkleidung  in  das  Bild  von  den  zwei  Wegen  beherrscht 
denn  auch  die  ganze  von  uns  besprochene  moralische  und  apoka- 
lyptische Litteratur^:  die  Petrusapokalypse  zeigt  die  beiden  töttoi, 
zu  denen  die  Wege  führen,  und  führt  auch  die  Laster  auf,  die 
zum  Tartarus  bringen.  Auch  so  schliefst  sich  dies  eigenartige 
ägyptische  Schrifttum  des  zweiten  Jahrhunderts  zusammen. 

Nicht  als  ob  ich  etwa  alle  diese  Dinge  für  ausschliefslich 
orphisch-pythagoreisch  erklären,  nicht  als  ob  ich  die  Stücke 
dieser  Litteratur  ebenso  aus  orphischer  Litteratur  geschöpft  sein 
lassen  wollte,  wie  oben  platonische  und  plutarchische  Mythen 
oder  Stücke  des  6.  Aeneisbuches.*    Am  wenigsten  wäre  das  zu 

1  S.  Abraxas  127. 

2  So  auct  Preller  Griech.  Mythol.  I  646  Anm. 

3  Auch  bei  den  Sibyllinen,  s.  Taylor  a.  a.  0.  254;  dort  ist  es  auch 
zu  Phokylides  zugesetzt,  oben  S.  184. 

4  Nur  in  einem  Punkte  möchte  ich  etwas  weitergehen.  Ich  will 
meine  Vermutung,  die  sich  schwer  streng  beweisen  lassen  wird,  wenigstens 
unter  dem  Texte  andeuten.  Ist  die  apokalyptische  Schilderung  des  Si- 
byllenbuches von  der  offenbar  vorausliegenden  Petrusapokalypse  ab- 
hängig? Wären  auch  die  Zusätze  der  Sibylle  vielleicht  alle  aus  natür- 
licher Fortentwickelung  zu  erklären,  so  wäre  doch  das  Fehlen  der  Strafen 
und  so  manche  andere  Auslassung  unbegreiflich,  wenn  der  Poet  die  in 
der  Gemeinde  in  Geltung  befindliche  Apokalypse  vor  sich  gehabt  hätte  und 

Dieterich,  Nekyia.  13 


-     194     — 

rechtfertigen  bei  *den  ethischen  Ausführungen,  die  wir  ja  viel 
weiter  und  allgemeiner  verbreitet  finden.  Aber  wer  sich  nicht 
durch  die  geringen  Reste,  die  wir  haben,  täuschen  läfst  über 
die  ungeheure  Macht  und  Ausbreitung  orphischer  Litteratur 
in  jener  Zeit  und  in  jenen  Ländern,  wer  bedenkt,  wie  bei  den 
Autoren  der  Zeit  Orpheus  der  allbekannte  Repräsentant  einer 
umfangreichen  Poesie  und  einer  die  hellenistische  Welt  beherr- 
sehenden  Religion  ist,  der  wird  mich  recht  verstehen,  wenn  ich 
auf  diesem  Wege  so  vieles,  vielleicht  auch  nicht  Altorphische 
oder  Altpythagoreische,  gerade  an  einem  Hauptpunkte  des  Aus- 
tausches in  die  christliche  Gemeinde  übergegangen  glaube,  und 
mir  nicht  vorwerfen,  dafs  ich  zu  vieles  für  orphisch  halte  und 
in  einen  apokryphen  Mysterienkult  hineinzwingen  wolle.  Es 
ist  kein  Zufall,  dafs  wir  immer  wieder,  auch  wo  es  niemand 
vermutet  hätte,  in  dieselbe  Richtung  gedrängt  werden:  da 
sind  eben  die  Quellen  des  Griechischen  im  Christlichen. 

Freilich    konnte    ich    nur    die    Hauptlinien    solcher    Be- 
ziehungen andeuten,  zumal  ich  in  weitere  Erörterungen  weder 


sie  zur  Lektüre  seiner  Glaubensgenossen  hätte  in  Verse  umsetzen  wollen. 
Und  wober  hätte  er  das  Fegefeuer,  seine  so  eigentümlich  ausgesponnene 
Schilderung  des  Landes  der  Seligen,  die  elysisclie  Flur,  den  acherusischen 
See  in  ihrer  bestimmten  Art  und  so  manches  andere,  das  uns  oben  schon 
an  ganz  bestimmte  Tradition  erinnerte?  Recht  ähnlich  klingen  die  beiden 
oben  (S.  134)  angeführten  hexametrischen  Fragmente,  die  uns  aus  einer 
orphischen  Hadesfahrt  von  Proklos  überliefert  werden  (Fragm.  154  Ab.).  Ich 
halte  es  für  sehr  wahrscheinlich,  dafs  die  sibyllinischen  oder  wenigstens 
die  diesen  zu  Grunde  liegenden  Hexameter  gemacht  sind  mit  Benutzung 
einer  orphischen  Nekyia;  mit  Benutzung,  sage  ich:  nicht,  dafs  sie  ab- 
geschrieben, ganz  oder  teilweise  wörtlich  übernommen  seien;  aber  der 
Verfasser  hat  sich  im  Inhalt  zum  grofsen  Teil  an  ein  solches  Gedicht 
angeschlossen.  Und  wenn  der  Verfasser  dieser  Verse  die  Apokalypse 
nicht  benutzt  hat,  so  kann  die  Übereinstimmung  zwischen  beiden,  die 
über  allgemein  Sachliches  oder  vereinzelt  anklingende  Worte  weit  hin- 
ausgeht, nur  dadurch  erklärt  werden,  dafs  sie,  jeder  zu  seinen  Zwecken 
und  in  seiner  Weise,  ein  oder  auch  verschiedene  verwandte  orphische 
Gedichte  benutzten.  Welche  andere  gemeinsame  Quellen  wären  bei  so 
frappanter  Übereinstimmung  überhaupt  denkbar?  —  Die  engsten  Be- 
ziehungen zwischen  der  sibyllinischen  Orakelpoesie  und  orphischen 
Lehren  der  Theogonie  habe  ich  an  einer  Inschrift  aus  Perinth  erwiesen 
de  hymn.  orph.  p.  6ff.  Und  man  denke  nur,  dafs  im  6.  Buche  der  Aeneis 
die  Sibylle  die  Führerin  ist. 


—     195     - 

der  sibyllinischen  Orakelpoesie  noch  der  Didache  mich  ein- 
lassen kann.  Und  ausführlichere  Behandluug  der  Gruppe  von 
ägyptischen  religiösen  Litteraturwerken  des  2.  Jahrhunderts,  so 
reizvoll  sie  ist  und  so  reiche  Ergebnisse  sie  verspricht,  ist 
hier  nicht  am  Platze:  denn  sie  würde  ganz  von  dem  eigent- 
lichen Ziel  dieser  Untersuchungen  abführen.  Gehören  aber 
wirklich  die  orphischen  Nekyien,  welche  die  Neuplatooiker 
in  Ägypten  kennen  lernten  und  als  allbekannt  voraussetzen 
konnten,  in  dasselbe  Land  und  dieselbe  Zeit  wie  diese  Litte- 
ratur,  in  dasselbe  Land  wie  auch  die  Petrusapokalypse,  so 
wird  auch  schon  deshalb  niemand  die  grofse  innere  Wahr- 
scheinlichkeit der  Beziehungen  zwischen  diesen  und  jenen 
Büchern  abstreiten.  Mag  aber  immerhin  die  Betrachtung  der 
Entwicklung  der  Sündertypen ^  uns  nur  im  allgemeinen  und 
etwa  in  der  Form  des  Ausdrucks  den  Übergang  aus  orphischer 
Hadeslitteratur  in  christliches  Schrifttum  in  Ägypten  als 
wahrscheinlich  erscheinen  lassen,  so  mufs  eine  Untersuchung 
über  die  Entwicklung  der,  wo  wir  ihnen  bis  jetzt  begegneten, 
so  ganz  eigenartigen  Typen  der  Strafen  in  der  Unterwelt  die 
Grenzen  enger  ziehen  und  die  Vermutungen,  die  bis  jetzt 
vielleicht  nur  wahrscheinlich  geworden  sind,  entweder  wider- 
legen oder  aber  schlagend  bestätigen. 


TÖ7T0C    KoXdceuJC   heifst    die  Holle    der  Petrusapokalypse; 
KÖXacic  heifst   bei    den  Neugriechen    die  Hölle  ^     Strafe  und 


1  Eine  weitere  Verfolgung  der  Sündertypen  in  die  christliche 
Litteratur  hinein  liegt  aufserhalb  unseres  Zweckes.  Abgesehen  davon 
würde  die  Vergleichung  der  späteren  Apokalypsen,  die  ich  eben  in  der 
Ausgabe  von  James  erhalte  (Texts  and  stndies  ed.  by  Robinson,  II  3 
Apocrypha  anecdota  by  James),  manches  merkwürdige  ergeben;  nament- 
lich die  Apocalypsis  Mariae  virginis  115  £f.  ist  eine  sehr  bedeutsame  Weiter- 
bildung der  Petrusapokalypse.  Jene  Sündertypen  finden  wir  aber  auch 
in  einem'  fast  ganz  jüdischen  Buche,  wie  den  Testamenten  der  12  Patri- 
archen wieder  (ed.  Sinker  Cambridge  1869):  die  einzelnen  Patriarchen 
warnen  geradezu  vor  je  einer  der  Hanptsünden,  die  ihnen  selbst  Unglück 
gebracht  hat.     (P^uben  Tropveia,  Simeon  cpSövoc  u.  s.  w.) 

2  BSchmidt  Volksleben   der  Neugr.  247.     KoXdZieiv  ist,  wie  schon 

13* 


—     196     — 

Pein  war  das  Hauptsächliche  geworden.  Mannigfache  Arten 
von  Strafen  sind  uns  im  Laufe  unseres  Weges  schon  be- 
gegnet. Den  uralten  Glauben  an  furchtbare  Untiere  der  Tiefe 
habe  ich  oben  erklärt.^  Das  hauptsächlichste  Mittel  der  Pein 
in  der  Apokalypse,  mit  dem  in  mannigfacher  Variation  die 
meisten  der  einzelnen  Sünderklassen  bestraft  werden,  der  ßöp- 
ßopoc,  die  XijLivri  (Trupöc,  bucuubiac,  Truou  — ),  ist  oben  in  seiner 
Herkunft  und  Weiterüberlieferung  genugsam  erklärt  worden. 
Daneben  spielt  nun  die  Qual  durch  Feuer  eine  grofse 
Rolle,  und  der  See  und  der  Schlammpfuhl  sind  selbst  feurig. 
Wie  ich  den  Pyriphlegethon  entstanden  und  in  die  Unterwelt 
verlegt  denke,  habe  ich  oben  angedeutet.  Bald  mufste  man 
sich  den  feuerflammenden  Strom  als  ein  Mittel  der  Qual  denken; 
denn  die  alte  Vorstellung  war  verloren,  sobald  man  sich  den 
Flufs  unter  der  Erde  dachte.  Man  mag  ihn  nun  immerhin 
auch  in  einer  unbestimmten  Verbindung  mit  dem  Leichen- 
verbrennen  gedacht  haben,  ehe  die  Vorstellungen  von  Hades- 
qualen bestimmter  von  bestimmten  Richtungen  ausgebildet 
wurden. 


viele  Stellen  uns   zeigen  konnten,   früh  der   typische  Ausdruck  für  das 
Strafen  drunten. 

1  Dahin  gehören  auch  die  Schlangen,  die  früh  erwähnt  werden; 
Homeros  wird  in  der  alten  Pythagoras-Katabasis  von  Schlangen  umringt 
(LDiog.  VIII  21),  Peirithoos  wird  auf  seinem  Sitze  von  Schlangen  fest- 
gehalten (s.  S.  92)  u.  mehr  dgl.  Auch  die  jüdische  Anschauung  von 
dem  cKuOXriS  ist  aus  demselben  Glauben  hervorgegangen  (Jes.  LXVI  24, 
s.  unten),  vgl.  Jes.  Sir.  VII 17  öti  ^Kbkricic  dceßoOc  iröp  Kai  CKuOXriS.  Selb- 
ständig ist  aber  auch  aus  den  Vorstellungen  von  den  Fressern  der  Unterwelt 
der  nordische  Glaube  von  dem  Schlangensaal  hervorgegangen;  der  Saal  ist 
geflochten  aus  Schlangenrücken  und  der  Saal  steht  auf  Nastrond  (Leichen- 
strand). Dafs  das  erst  aus  christlichen  Schriftstellern  übernommen  sei, 
wird  durch  Bugges  Beispiele  (Studien  über  die  Entstehung  der  nordi- 
schen Götter-  und  Heldensagen,  übers,  von  Brenner  S.  482 ff.)  nicht  im 
allermindesten  bewiesen.  Die  Erzählung  in  der  Völuspa  von  den  Mör- 
dern und  Meineidigen,  die  in  schweren  Strömen  waten,  kann  freilich 
leicht  durch  Christliches  beeinflufst  sein,  zumal  in  diesem  Teile  der 
Völuspa.  Vielleicht  wird  sich  noch  einmal  beweisen  lassen,  dafs  von 
der  Petrusapokalypse  aus  durch  die  Paulusapokalypse  diese  Dinge  in  die 
christliche  Litteratur  des  Mittelalters  und  so  auch  in  die  späteren 
Sagen  des  Nordens  überliefert  sind. 


—     197     — 

Feuer  reinigt  in  lustralem  Sinne.  Das  hat  spätere  Zeit 
(so  viel  wir  wissen)  auch  bei  der  Totenverbrennung  deutlieh 
ausgesprochen: 

TTupKaif)  b'  auTjoTci  be[)Liac]  ipuxnv  xe  Kd9[ripey]^ 
oder: 

ev0dbe  AidXoTOC  KaGapuji  Trupi  TuTa  KaGripac 

dcKrixric  coqpirjc  uiixeT*  ec  dGavdTouc.^ 
Von   Empedokles,    der   in   den   Aetna   sprang,   sagt    Laertios 
Diogenes  (Anth.  Pal.  YII  123): 

Ktti  cu  ttot',  'EjiTTebÖKXeic,  öieprj  qpXoTi  cd)|iia  KaGripac  — 
TTÖp  dTTÖ  Kprixripujv  eKTTiec  dGdvaxov. 
Feuer  reinigt  von  Sterblichem,  Unreinem.^  Thetis  Trepirjpei 
dem  Achilles  xdc  Gvrixdc  cdpxac,  ecpGeipev  ö  fjv  auxuj  Gvrjxöv 
durch  Feuer*;  ebenso  macht  es  Demeter  mit  Demophoon  oder 
Triptolemos.^  So  wird  auch  meist  bei  der  Apotheose  des 
Herakles  vom  Scheiterhaufen  aus  die  Bedeutung  des  Feuers 
aufgefafst:  Kai  -fdp  eKeivoc  dTToßaXujv  öttöcov  dvGpojtreiov  eixe 
TTopd  xfic  )ur|Tpöc,  Ktti  KaGapöv  xe  Kai  dKripaxov  qpepujv  xö  GeTov 
dveTTxaxo  ec  xouc  Geouc,  bieuKpivrjGev  uttö  xoö  irupöc.^  Aus 
denselben  Vorstellungen  geht  der  Gebrauch  des  Feuers  bei 
allerlei  Verjüngungszauber  hervor.' 


1  Kaibel  ep.  109  von  der  athemschen  Barg  aus  römischer  Zeit. 

2  Kaibel  ep.  104.     Vom  Lykabettos.  Rom.  Zeit. 

3  Sollte  nicht  auch  ähnliches  liegen  in  dem  Homervers  II.  VII 409  f. 

ou  T<ip  TIC  (peibih  veKÜujv  KaxaTeGveiiÜTiuv 
Yitvet',  lirei  kc  edvtuci,  itupöc  fieiXicc^fiev  dixa. 
Wie  bei  den  Indem  (Rohde  Psyche  29)  wird  doch  auch  bei  den  Griechen 
eine  lustrale  Reinigung  (vom  Körper)  mit  dem  Verbrennen  zugleich  ge- 
meint sein.  Selbst  für  die  homerischen  Griechen  wird  man  das  nicht 
mit  voller  Bestimmtheit  in  Abrede  stellen  dürfen,  wenn  auch  die  ur- 
sprünglich mit  dem  Ritus  verbundenen  Vorstellungen  in  ganzen  Volks- 
kreicen  zurückgetreten  sein  mögen. 

4  Rohde  Psyche  29,  4. 

5  Rohde  a.  a.  0.  29,  4,  der  auch  an  den  Volksgebrauch  erinnert 
'Feuer  auf  der  Strafse  anzuzünden  und  mit  den  Kindern  durch  die 
Flammen  zu  springen,  s.  Grimm  Deutsche  Myth.*  520.' 

6  Lukian  Hermot.  c.  7,  vgl.  Rohde  a.  a.  0.  VgL  auch  Seneca  Herc. 
Oet.  1966. 

7  S.  Moses  Chorenensis  in  Progymn.  III  (Nauck  Trag.  fr.  p.  550): 


—     198     — 

Eine  wenn  auch  späte  Überlieferung  liifst  Tlietis  das 
Acliilleuskind  in  die  Styx  eintauchen,  damit  es  unsterblich 
werde,  und  die  von  Friedrich  Marx  in  der  archäologischen 
Zeitung  XLIII  1885  (S.  169  ff.)  besprochenen  Bildwerke  zeigen, 
dafs  man  nicht  nur  das  Kind  der  Thetis  in  der  flammenden 
stygischen  Flut  gefeit  werden  liefs,  sondern  dafs  man  auch  nach 
einem  sonst  fast  verschollenen  Mythus  den  Ares  von  Athene 
in  eine  Urne  tauchen  liefs,  aus  der  die  Flammen  hervor- 
schlagen: dafs  darin  stygische  Flammenflut  gedacht  ist,  geht 
aus  dem  Kerberos  darüber  auf  dem  Bilde  der  Ciste  aus 
Palestrina  (Monum.  dell'  Inst.  IX,  tav.  LVIII,  eine  Abbildung 
auch  bei  Marx  a.  a.  0.)  deutlich  hervor.  So  sollen,  was  an 
dem  Kinde  sterblich  ist,  die  unterirdischen  Flammen  ver- 
zehren, und  es  liegt  am  Tage,  dafs  man  gerade  diesen  eine 
das  leiblich  Vergängliche  und  Sterbliche  verzehrende  Kraft 
zuschrieb:  wen  diese  Feuertaufe  von  den  Schlacken  der 
Menschlichkeit  gereinigt,  der  war  unsterblich,  war  ein  Gott. 
Mufs  man  nicht  in  den  Zusammenhang  solcher  Anschauungen 
auch  das  unterirdische  Feuer  rücken,  das  bei  Piaton  die 
Seelen  von  ihren  Malen  und  Flecken  reinigt,  dafs  sie  wieder 
göttlich  werden,  wie  sie  es  einst  waren?  Eine  lustral  reinigende 
Flamme  ist  dieses  Fegefeuer. 

Aus  dieser  Bedeutung  des  Feuers  erklärt  sich  ja  auch 
der  gewifs  uralte  Brauch  prodigia  (lepaia)  zu  verbrennen,  wie 
es  auch  bei  den  Griechen  mehrfach  bezeugt  wird.  Die  Kinder 
der  Melanippe,  so  kam  es  auch  in  des  Euripides  Melauippe 
coqpri  vor,  sollen  nach  der  Meinung  des  abergläubisch  frommen 
Hellen  als  ßouTevn  lepaia,  wofür  man  sie  hält,  verbrannt 
werden  (6\oKauTo0v  la  ßpeqpri);  die  Mutter  selbst  soll  sie 
evTa(pioic  schmückend  In  Theokrits  Herakliskos  (XXIV  89) 
werden  die  Schlangen,  die  den  Kleinen  angegriffen,  verbrannt, 
Kttie  be  TUJb'  ciYpiaiciv  eiri  cxi^aici  bpciKOVie  vukti  )iieca  —  die 
Asche  streut  man  in  den   Flufs  ohne   sich  umzudrehen,  und 


nempe  ut  Medea  laniatum  arietem  in  lebetim  coniccerit  ignemque  siib- 
diderit,  utque  fervente  cum  motibus  lebete  viventis  arietis  speciem  osten- 
derü  eoque  modo  illusis  fiUabus  Peliam  laniandum  curaverit  etc.  Nichts 
anderes  als  das  Feuer  soll  die  Neubelebung  oder  Verjüngung  bewirken. 
1  Gregor.  Corinth.  Ehet.  VII  p.  1313  ff.  Nauck  Trag.  fr.  p.  509  ff. 


-     199     - 

Pliryuichos  erklärt  (Bekker  Anecd.  graec.  p.  10)  oiTpioic  Kaia- 
Kttöcai  HuXoic.  Ta  TcpaTuubri  ifiv  qpuciv  ctt'  ctYpioic  eKaiov 
HuXoic.  So  wurden  denn  auch  später  noch  zuweilen  die  so- 
genannten qpapiLiaKOi,  die  zur  Sühne  einer  Stadt  zum  Tode  Ver- 
urteilten, verbrannt.^ 

Das  unterirdische  Feuer  ist  erst  sekundär  als  Mittel  der 
Qual  gedacht;  als  solches  hat  man  auch  alsbald  die  Fackeln 
der  Erinyen  aufgefafst,  die  ursprünglich  ganz  ausgesprochen 
lustrale  Bedeutung  hatten.^  Das  Feuer  als  so  recht  eigentliches 
Element  der  unterirdischen  Pein  findet  sich  verhältnismäfsig  spät 
(z.  B.  deutlich  Lukian  vera  bist.  II  c.  27),^  Bei  den  Griechen 
wird  nie  ganz  die  Vorstelluug  seiner  reinigenden  Kraft  zurück- 
getreten sein;  die  'Unheilbaren'  z.  B.  bei  Piaton  werden  nie 
mit  Feuer  gestraft.  Hinzugetreten  sind  dann  freilich  Lehren 
wie  die  von  der  eKirupuucic,  die  durch  die  Stoiker  überallhin  draog. 

1  Tzetz.  Chiliad.  V  736. 

2  Aischin.  in  Timarch.  §  190  ixr]be  touc  riceßriKÖTac  KaGoTiep  ^v 
Tpafip&iaic  TToiväc  ^\aiiveiv  koI  KoXd^eiv  ögciv  i^madvaic.  Also 
schon  in  Tragödien  kam  das  vor.  Axioch.  p.  372*  Xa^x-n&civ  ^Tri|nö- 
voic  iTupoO|Lievoi  TToivuJv,  von  den  Verdammten.  Cic.  de  leg.  I  14,  40 
Furiae  non  ardentibus  taedis  sicut  in  fahulis,  sed  etc.  Über  die 
lustrale  Bedeutung  der  Fackeln  s.  Diels  sibyll.  Blätter  48  mit  Anm.  1; 
'die  Fackel,  die  am  deutlichsten  die  dem  Feuer  innewohnende  Kraft  der 
Reinigung  zu  verkörioern  schien,  die  bereit  sein  mufste  die  sufßmenta, 
dann  das  Opferfeuer  zu  entzünden,  die  nächtliche  oder  unterirdische 
Feste,  wie  sie  häufig  mit  dem  chthonischen  Dienste  verbunden  waren, 
erleuchtete,  ist  die  stete  Begleiterin  des  Sühnkultus,  in  welcher  Form 
er  auch  erscheinen  mag.'  Dort  auch  weitere  Belege  und  besonders  auch 
bei  Usener  Religionsgesch.  Unters.  312,  28.  Sehr  wichtig  ist  die  Stelle 
der  aristoph.  Wespen  1361  ff. : 

ÖXX'  u)C  Tdxicxa  crfiöi  xdcbe  xctc  beräc 
Xaßoöc',  iv'  aÜTÖv  TuuBdcuu  veaviKüüc, 
oioic  iro0'  ouTOC  ^i-ie  rrpö  tujv  |uucTr|piu)v. 
Feuerschnaubend,  feuerblickend  (vgl.  orph.  Hymn.  LXIX  6,  oben  S.  62), 
mit  feurigem  Gewand   (Ik  xituuvujv   m)p   uv^ouca  Eur.  IT  288)  scheinen 
die  Erinyen  früh  gedacht  zu  sein,  s.  Roschers  Lex.  I  1312  f.  Der  erste  Vers 
von  Eurip.  Phaethon  fr.  781  N^  ist  nicht  sicher  herzustellen: 
■irupöc  t'  ^pivOc  iv  vcKpoic  Oeprivuai 
tujc'  fi&'  dvirjc'  dxuöv  fejuqpavfi  — . 

3  Ein  feuriger  Strom  im  Anschlufs  an  den  Pyriphlegethon  findet 
sich  natürlich  früher;  am  deutlichsten  bei  Piaton  Phaid.  p.  113^ 


-     200     — 

Für  die  Kreise,  welche  jüdischen  Einflüssen  zugänglich 
waren,  ist  dann  das  Wort  des  Jesaias  von  dem  Wurm,  der 
nicht  sterben,  und  dem  Feuer,  das  nicht  verlöschen  wird  (Kai 
TÖ  TTup  auTuJv  ou  cßec9r|ceTai  Jes.  LXVI  24  Sept.),  wirksam 
geworden  und  die  durch  fremde  Einflüsse  erst  so  entwickelte 
Anschauung  von  dem  feurigen  Thal  Ge-Hinnom,  Gehenna. 
In  den  ägyptischen  Papyri  ist  gelegentlich  yevva  rrupöc  die 
Unterwelt.^  Die  Stelle  Marc.  IX  49  zeigt  den  Einflufs  des  Jesaias- 
satzes:  ßXri0fivai  eic  Tr\v  -fievvay/  toö  irupöc,  öttou  6  CKuuXriH 
auTUJv  Oll  TeXeuia  Kai  tö  ttOp  ou  cßevvuiai.  In  der  Johannes- 
apokalypse XXI  8  ev  TT]  XijLivri  Tri  Kaiojue'vr)  frupi  Kai  Geiiu,  6 
ecTiv  beuTepoc  Gdvaioc  haben  wir  dann  dieselbe  Hölle,  die 
auch  Lukian  kennt  mit  den  TTOTaiuoi  Tiupöc,  dem  iroXu  trOp 
Kaiöjaevov,  der  ocjuf)  oTov  Geiou  Kai  ttitttic  in  der  vera  hist. 
(II  c.  27  K),  von  deren  Vorbildern  wir  oben  sprachen.  Nichts 
kann  aber  wieder  den  lustralen  Charakter  dieser  Qualingre- 
dienzien der  Hölle  deutlicher  machen  als  GeTov,  der  stets  in 
lustralem  Gebrauch  gewesene  Schwefel,  und  nicht  anders  ist 
das  Pech  drunten  zu  erklären.^  Neugriechisch  heifst  die  Hölle 
auch  heute  noch  einfach  TTicca.  Lukian  nennt  neben  Geiov 
und  TTicca  noch  accpaXioc,  und  auch  da  weist  beispielsweise 
ein  Bericht  des  Zosimos  hist.  nov.  II  1  vom  grofsen  Säkular- 
fest und  -opfer  in  Rom,  wo  oi  beKaTrevre  dvbpec  dm  ßrnaaioc 
KaGrijuevoi  toi  br||LiLu  biavejaoviai  xd  KaGdpcia*  raOia  be  eciiv 
babec  Kai  GeTov  Kai  dctpaXrov  auf  denselben  Ursprung  dieser 
unterirdischen    Dinge.  ^     Ganz    besonders    deutlich    ist    solche 

1  Pap.  Paris.  3072  Wess. 

2  Gegen  böse  Geister,  bei  Beschwörung  der  Inferi,  beim  Zauber 
gebraucht,  Abraxas  36,  2.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  247.  Anders  mag  es  ge- 
meint sein,  wenn  in  der  Apokalypse  der  Jungfrau  Maria  (bei  James  122, 25  f.) 
ein  Flufs  in  der  Hölle  beschrieben  wird  xal  i^v  i^  i6^a  xoO  ttoto.uoö  ^Keivou 
CKoreivoT^pa  triccric.  Schon  Homer  sagt  jueXdvTepov  riüre  iricca.  —  Auch 
über  Sodom  und  Gomorrha  regnet  Feuer  und  Schwefel,  Genes.  XIX  24 ; 
das  hängt  mit  der  Beschaffenheit  der  Gegend,  von  der  die  Sage  aus- 
gieng,  zusammen. 

3  Späterhin  findet  sich  dergleichen  natürlich,  ohne  dafs  der  alte 
Sinn  noch  durchblickte,  aber  es  werden  fast  immer  dieselben  Dinge 
angeführt.  Z.  B.  in  einem  äthiopischen  certamen  apostolorwn  (Lipsius 
Apokr.  Apostelgeschichten!  618  f.)  erzählt  ein  wiedererweckter  Jüngling 
(die  bekannte  Form  der  Hadesschilderungen),  wie  er  drunten  von  40 


-     201     — 

Auffassung     der    Hadesstrafen     noch     bei    Vergil     Aen.    VI 
739  ff.: 

Ergo  exercentur  poenis  veterumque  malorum 
Supplicia  expendunt:    aliae  panduntur  inanes 
Suspensae  ad  ventos,  aliis  suh  gurgite  vasto 
Infestiim  eluitur  scelus  aut  exuritur  igni. 
So  lehrt  die  orphische  Theologie  durch  den  Mund  des  Anehises. 
Luft,  Wasser,  Feuer  sind  die  reinigenden  Elemente.    Ich  habe 
oben  darauf  hingewiesen,  wie  schon  in  der  alten  pythagoreischen 
eic  "Aibou  Karaßacic  Homeros  in  der  Unterwelt  an  einem  Baume 
aufgehängt  war^,  wie  in  Piatons  Gorgias   die  Frevler  im  Ge- 
fäuguisse  drunten   aufgehängt   sind:    in  der  Petrusapokalypse 
ist  das  Aufliängen  an  Haaren   oder  Füfsen  eine  Hauptstrafe. 
Natürlich  hat  man  da  nur  noch  an  die  Qual,  nicht  an  Lustra- 
tion  gedacht.     Für  die  Reinigung  siib  gurgite  vasto  habe  ich 
schon  auf  Piatonstellen   verwiesen  und  ein    orphisches  Frag- 
ment herangezogen,  in  dem  die  Ungerechten  im  Acheron  gerei- 
nigt werden  (KaGaipoviai).    Die  Bedeutung  aber  des  igne  exuri 
ist  uns  nun  auch  hinlänglich  klar. 

Es  ist  nur  natürlich,  dafs  alle  diese  Dinge  später  nur 
noch  als  Qualen  und  Strafen  aufgefafst  wurden.  Das  Feuer 
ward  nun  ein  Feuer  der  Qual.  So  werden  es  auch  schon 
die  orphischen  Verse  meinen,  denen  das  Feuer  das  Charakte- 
ristische des  Tartaros  ist.  Da  heifst  es:  qpXöE  Tapxdpou 
criMöVTpia    und    Tdpiapa,    xcic)aa    cpaeivöv.'-^     Da    steht    freilich 


Bauleuten  mit  brennenden  Fackeln  ein  Haus  von  Pech  und  Schwefel 
habe  errichten  sehen,  in  dem  sein  Vater  habe  verbrannt  werden  sollen. 

1  Nebenbei  bemerkt  hängen  auch  wieder  an  Bäumen  die  Frevler 
drunten  in  der  späten  visio  Pauli,  s.  Herman  Brandes  Visio  S.  Pauli, 
Halle  1885,  S.  38;  an  allen  möglichen  Körperteilen  sind  sie  aufgehängt. 

2  Pap.  Paris,  v.  2334  ff.,  Abraxas  S.  35.  Ich  hätte  dort  so  edieren 
müssen: 

aiM^iov  aipu)'     yjakK^ov  tö  cdvbaXov 
Tfjc  Taprapouxou,  cT^|a)na,  xXeic,  KtipÜKiov, 
^ö^ßoc  ciöripoöc  Koi  küujv  Kuavoxpooc, 
KXeiöpov  Tpixujpov,  ^cxdpa  irupouindvri, 
CKÖTOC,  ßu9öc,  q)\ö£  TapTÖpou  crmdvTpia 
<t)6ßouc,  '€pivvöc,  öaifiovac  Tcpacxiouc    (Pap.  t'  Ipacriöuc). 
Pap.  Berol.  343  (Abel  Orphica  p.  287): 


—     202     - 

nocli  in  demselben  Verse  neben  der  Flamme  des  Tartaros  die 
Finsternis  (ckötoc),  wie  sie  gerade  dem  Tartaros  seit  ältester 
Zeit  zukam.  ^  Auch  die  Kälte  wird  ihm  einst  schon  zu- 
geschrieben, und  in  der  späteren  Zeit  wird  nun  der  Qual 
der  Flammen  die  der  äufsersten  Kälte  entgegengesetzt.  In 
gnostischen  Schriften  werden  in  der  Hölle  neben  Orten  des 
Feuers  für  bestimmte  Frevler  auch  Orte  des  Schnees  und  der 
Kälte  angeführt.  Freilich  kann  dergleichen  auch  an  andere 
Dinge  angeknüpft  haben.  Lukian  führt  als  eine  Bestrafung 
an,  dafs  einer  auf  den  Haimos  geführt  wird  und  dort  nackt 
auf  dem  Schnee  liegen  mufs  mit  zusammengebundenen  Füfsen, 
nachdem  er  vorher  mit  Pech  gequält  ist  (ApaTrexai  33). 

Seitdem  man  die  Dinge,  die  mit  den  Frevlern  in  der 
Unterwelt  vorgiengen,  nur  noch  als  Strafen  und  Qualen  auf- 
fafste,  malte  man  sie  natürlich  immer  mehr  aus  und  vervoU^ 
ständigte  sie  nach  Art  der  Strafen  und  gerade  der  schreck- 
lichsten, welche  die  irdische  Gerechtigkeit  oder  auch  Un- 
gerechtigkeit anwandte.  Ganz  abgesehen  davon,  dafs  natürlich 
der  Erinyen  oder  Dämonen  mit  den  judcTiYec^  Vorbild  die 
irdischen  |uacTiYoqpöpoi  (PoUux  III  145)  sind  oder  des  unter- 
irdischen Kerkers  die  Fesseln  in  irdischem  Gefängnis^,  haben 
besondere  Qualen,  wie  sie  namentlich  auch  von  den  alten 
Tyrannen  erzählt  wurden,  dem  Höllenbilde  die  gräfslichsten 
Züge  geliefert.  Plato  z.  B.  (Gorgias  p.  473°)  erwähnt  als 
solche  Tyrannengrausamkeiten  cxpeßXoOv,  eKTe'iuveiv  (entmannen), 
Touc  ö(p6aX)aouc  ^KKdeiv,  dvaciaupoöv  und  auch  KaraTTiTTOuv. 


öpKiZm  TÖ  TtOp  TÖ  cpav^v  upujTOv  ^v  dßOccuj, 
6pK(Z;uj  Ti^v  ci^v  bOvaiuiv  rf\v  iräci  lueYicxriv, 
6pKiZ;u)  TÖv  cpÖeipovTa  |li^xp*c  "Aiboc  eictu. 

Der   letzte  Vers    klingt  merkwürdig  ähnlich  Matth.  X  28  töv    öuvd|H€- 

vov  Kai  MJUX»lv  Kai  cu)|na  duoXdcai  ^v  feivvr]. 

1  IL  Schol.  VIII  13. 

2  Vgl.  auch  Sibyll.  II  288.  Verg.  Aen.  VII  557.  570;  lunkos  irepl  Tripiuc 
gtob.  flor.  CXVII  9  ladcTiHi  koI  K^vrpoic  üjcuep  iirl  CKiivnc  ai  xiöv  Tpayiw- 
bu)v  €i)|iev(6€c  —  ähnlich  noch  bei  Claudian  carm.  min.  XXIII  51 : 

Sic  non  Tartareo  Ftiriarum  verbere  pulsus 
Irati  relegam  carmina  grammatici. 

3  Z.  B.  dXücei  laoKpqt  h(.hi\xivo\  Luk.  Nekyom.  c.  11,  Sibyll.  II  288  f., 
catet  ae  etc.  Verg.  Aen.  VI  558. 


-     203     — 

Von  deu  milesisclien  Optimalen  erzählte  Herakleides  Pontikos 
(bei  Athenaios  XII  p.  524'*),  dafs  sie  alle,  die  sie  in  ihre 
Gewalt  bekamen,  mit  deu  Kindern  KaTeTrixTiucav.  Lukian 
(ApaTTexai  33)  redet  sogar  von  TTiTTouiai,  denen  einer  zur  Strafe 
übergeben  werden  soll.  Bei  Plautus  (Captivi  596)  wird  einem 
ange  wünscht: 

At  pol  te,  si  hie  sapieU  senex, 
Pix  atra  agitet  apud  carnuficem  tuogue  capiti  inluceat. 

In  Rom  gab  es  einen  Ausdruck  tiinica  punire  molesta  (luvenal 
VIII  235)  und  das  bedeutet,  dafs  einer  mit  allerlei  brennbaren 
Stoffen  wie  Pech,  Werg,  Wachs  u.  a.  bedeckt  und  verbrannt 
wird.  Das  geschah  besonders  bei  solchen,  die  Brand  gestiftet 
hatten.  ^ 

Es  geht  nicht  an,  alle  solche  Strafen  zu  besprechen.  Auch 
das  Rädern  (xpoxiZ^eiv)  ist  alte  Strafe  (Antiph.  de  venef.  §  20). 
Blenden  ist  sehr  gebräuchlich,  z.  B.  auch  als  Strafe  der 
Ehebrecher,  namentlich  im  Orient,  an  dessen  Grausamkeiten 
man  vielfach  bei  Ausmalung  •  der  unterirdischen  Strafen  er- 
innert wird.  ^  Dafs  der  Giftbecher  auch  im  Hades  An- 
wendung fand,  war  schon  oben  (S.  68)  zu  erwähnen.^ 
Geifselung  war  ja  eine  ganz  gebräuchliche  Strafe,  namentlich 
auch  bei  Sklaven.  Dabei  wurden  sie  häufig  aufgehängt,  z.  B. 
in  Terenz  Phormio  sagt  der  Sklave  Geta  (v.  220)  ego  pJedar 
pendens,  im  Eunuchus  (v.  1020)  wird  dem  Parmeno  gedroht 
tu  iam  pendehis.  Häufig  wird  dabei  auch  noch  ein  Gewicht 
an  die  Hände  oder  Füfse  gehängt.  So  heifst  es  in  der  Asinaria 
des  Plautus  (v.  301): 
Ntidus  vindus  cetitum  pondo's,  quando  pendes  per  pedes  .  . . 

1  Vgl.  Martial  X  25.  Seneca  epist.  XIX.  Tac.  Annal.  XV  44.  Vgl. 
Rupert!  zu  der  Juvenalstelle  und  zu  I  155. 

2  Plutarch  weist  bei  seiner  Hadesbeschreibung  in  de  ser.  num. 
vind.  c.  23  ganz  ausdrücklich  auf  die  Perser  hin. 

3  Erdrosseln,  Hinrichten  mit  dem  Schwerte,  mit  der  Keule,  mit 
dem  Strang,  in  eine  Grube  Stürzen,  vom  Felsen  Stürzen,  Säcken  (vgl. 
Jahrb.  f.  Philol.,  Suppl.  XVI  784),  Ertränken  sind  hauptsächliche  Todes- 
strafen, die  freilich  für  den  spätem  Hades  zu  einfach  sind.  S.  C.  Fr. 
Hermann,  Grundsätze  und  Anwendung  des  Strafrechts  im  griech.  Alter- 
tum in  den  Abb.  d.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingen  VI  (1853—1855)  300  flF. 


—     204     - 

(v.  303)  Ad  pedes  quando  adligatumst  aeguom  centumpondium, 
TJbi  manus  manicae  complexae  sunt  atque  addudae  ad 

trdbem.  ^ 
Das  Aufhängen  (auch  das  Aufhängen  an  den  Füfsen)  kommt 
ja  dann,  wie  wir  wissen,  als  Höllenstrafe  vor,  auch  in  der 
Petrusapokalypse.  Etwas  ähnliches,  um  noch  ein  anderes 
Beispiel  dieser  Art  anzuführen,  wie  die  Strafe  des  Kinyras 
bei  Lukian,  der  in  der  Unterwelt  an  den  aiboia  freilich  aus 
besonderem  Grunde  aufgehäugt  ist,  findet  sich  als  offenbar 
gewöhnlichere  Strafe  auf  einem  Vasenbilde  aus  Lokris,  das 
HBlümner  publiciert  hat^:  ein  Sklave  ist  in  einer  Topfer- 
werkstatt an  Hals,  Händen  und  Beinen  an  der  Decke  auf- 
gehängt und  wird  von  einem  anderen  geprügelt,  und  dazu 
^hat  man  ihm  noch  einen  langen  Strick  an  das  Geschlechts- 
glied angebunden  und  das  andere  Ende  dieses  straff  an- 
gezogenen Strickes  unten  auf  dem  Erdboden  an  einem  Haken 
oder  Ringe  festgemacht'. 

Noch  eine  Strafe  derart  wird  hier  von  Bedeutung  sein, 
die  nach  Herodots  Bericht  (I  92)  Eroisos  an  einem  Wider- 
sacher hat  zur  Anwendung  bringen  lassen:  cttI  Kvdcpou  cXkiuv 
biecpGeipev.  Darauf  bezieht  sich  auch  Hesychius  (s.  erri  Kvd- 
q)ou  e'XK€iv)  6  oöv  Kpoicoc  xöv  exBpöv  irepieHaive  xaTc  dKdvGaic 
Kai  ouTiuc  eqpGeipev. '^  Dasselbe  meint  Platoo ,  wenn  seine  unter- 
irdischen Foltermänner  die  Seelen  der  Frevler  ciXkov  i-n 
dcTTaXdGiuv  KvdTrTOViec  (Rep.  p.  616"),  und  in  der  Petrus- 
apokalypse müssen  sich   solche  an   einem  Orte  herumwälzen. 


1  So  soll  ja  auch  schon  Hera  zwischen  Himmel  und  Erde  auf- 
gehängt werden  zur  Strafe,  die  Füfse  sollen  mit  Ambossen  beschwert 
und  die  Hände  mit  goldenen  Fesseln  gebunden  werden,  Hom.  II.  XV  18  ff. 

2  Mitteilungen  des  athen.  Instituts  XIV  1889,  S.  151.  EBethe 
macht  mich  darauf  aufmerksam ,  dafs  wol  auch  die  alexandrinische 
Bronce  Mitteil,  des  athen.  Instit,  X  1885,  Tafel  X,  ähnlich  zu  erklären 
ist,  jedenfalls  nicht,  wie  es  Schreiber  gethan  hat.  Dafs  der  'ö^poi^oc' 
einen  Bissen  würgt,  der  mit  beiden  Händen  die  Kehle  hinabgedrückt 
werden  müsse,  ist  ganz  unwahrscheinlich :  er  wird  irgendwie  gequält,  hat 
wahrscheinlich  eine  Schlinge  um  den  Hals.  Das  durchbohrte  Geschlechts- 
glied hat  auf  jeden  Fall  die  Bedeutung  irgend  einer  Qual  (Infibulation 
ist  es  nicht). 

3  Vgl.  Plutarch  de  Herod.  malign.  p.  858<^. 


-     205     — 

wo  Kieselsteine  sind,  spitzer  als  Schwerter  und  jede  Speer- 
spitze (IX).  ^ 

Die  Qualen,  welche  die  Märtyrer  zu  erdulden  hatten, 
mögen  auch  später  nicht  ohne  Einflufs  auf  die  Bilder  der 
Höllenqualen  gewesen  sein.  Was  die  Gottlosen  ihren  Opfern 
nur  kurze  Zeit  hier  auf  Erden  anthun  können,  werden  sie 
selbst  drunten  ewig  leiden.^  So  kommen  in  dem  Brief  über 
die  Märtyrer  von  Lyon  z.  B.  (Euseb.  h.  e.  V  1  ff.)  ganz  ähnliche 
Qualen  vor  wie  in  der  Apokalypse,  die  lactCTixec,  das  xriYttviCeiv 
u.  ä.  Auch  die  0r|pia,  die  ja  von  Alters  drunten  hausen,  werden 
nun  hier  und  da  nach  Art  der  Bestien  gedacht  sein,  denen 
die  Armen  zum  Opfer  vorgeworfen  wurden. 

Deutlicher  aber  kann  die  Anknüpfung  der  unterirdischen 
Strafen  an  die  irdischen  gar  nicht  hervortreten  als  in  der 
Art,  wie  man,  griechische  Vorstellung  so  zu  sagen  über- 
setzend, in  gewissen  Kreisen  Roms  sich  die  Unterwelt  dachte, 
nach  dem  Zeugnis  des  Lucretiusverses : 

Verhera,  carnifices,  robur,  pix,  lamniina,  taedae. 

Eine  bestimmte  Beziehung  zwischen  Strafart  und  Ver- 
brechen tritt  sehr  oft  auch  in  ältestem  Strafrecht  oder  auch 
in  den  in  alter  Zeit  üblichen  Grausamkeiten  hervor.  Der  Ehe- 
brecher wird  geblendet,  weil  sein  Auge  ihn  verführt  hat,  dem 
Entsiegler  eines  Orakelspruchs  wird  die  Hand  abgeschnitten, 
mit  der  er  das  gethan  (auch  die  Zunge  wird  ihm  wohl  aus- 
geschnitten, damit  er  nicht  ausplaudern  könne)  ^;  den  Selbst- 
mördern, den  auTÖxeipec  wird  noch  nach  dem  Tode  die  Hand 
abgehauen*;  verbrannt  werden,  die  Brand  gestiftet  haben,  und 


1  Entsetzliche  Strafen,  die  sehr  an  Höllenstrafen  gemahnen, 
finden  sich  auch  im  alten  deutschen  Rechte,  namentlich  in  Wald-  und 
Forstrechten ,  z.  B.  in  dem  alten  Weistum  der  Dreieich  in  dem 
Buche  von  FrScharff  Das  Recht  der  Dreieich  (auf  das  mich  üsener 
aufmerksam  macht)  398  ff.  (vgl.  Grimm  Weistümer  VI  397 ,  I  498  f.), 
vgl.  auch  Günther  in  dem  gleich  anzuführenden  Buche  201  ff.  Es  hat 
solche  Dinge  in  anderer  Art  gewifs  auch  im  Ältertume  gegeben,  aber 
wir  wissen  kaum  noch  davon. 

2  Vgl.  Gallonius  de  martjrum  cruciatibns  p.  360. 

3  Zenob.  VI  11. 

4  In  Athen:  Aischines  Ctesiph.  244. 


-     200     - 

viel  dergleichen  könnte  man  anführen.^  Etwas  verschieden 
ist  es,  wenn  etwa  Mithradates  dem  Römer  Gold  in  den  Hals 
giefsen  läfst,  weil  er  dessen  nicht  genug  kriegen  könne. 

Gleiches  mit  Gleichem  zu  vergelten  ist  ein  uralter  Rechts- 
satz, der  älteste  Sfcrafrechtssatz,  der  in  religiösen  Anschauungen 
wurzelt.  Auch  bei  den  Griechen  tritt  das  deutlich  hervor; 
nirgends  wird  es  deutlicher  gesagt  als  in  der  weihevollen  Ver- 
kündigung uralt  heiliger  Satzung  durch  den  Chor  der  Choe- 
phoren  bei  Aischylos  (306  ff.): 

'AW  Ol  lueYöX^cti  MoTpai,  AiöGev 
Tfjbe  TeXeuTctv 

rj  TÖ  biKaiov  iLieTttßaivei. 
otVTi  |Liev  ^xöpctc  xXuuccric  exöp« 
Y^iJJCca  TeXeicGuu.     xoucpeiXojuevov 

Trpdccouca  Aiky]  juey'  auieT* 
dvTi  he  TrXriYTic  qpoviac  qpoviav 
TtXriYri'v  tivetuü.     bpdcavxi  Tra6eiv, 

TpiYepujv  )a09oc  Totbe  -q)uuveT. 

Alten  Gesetzgebern  wie   dem  Zaleukos  werden   solche  Grund- 


1  Schon  in  der  Zwölftafelgesetzgebung  in  Rom  waren  Strafen  in 
diesem  Sinne  angeordnet:  si  membrum  rupsit,  ni  cum  eo  pacit,  talio  esto 
(Taf.  VII  2  Scholl).  Wahrscheinlich  war  auch  Brandstiftung  da  schon 
mit  dem  Feuertode  bedroht  (Taf.  VII  9  s.  Voigt  Zwölftafeln  I  719). 
Deutlich  geht  auf  ein  gleiches  Princip  z.  B.  Martial  III  85  ff.  : 
Quis  tibi  persuasit  nur  es  absinder  e  moecho? 
Non  hac  peccatum  est  parte,  marite,  tibi. 
Der  Ehebrecher  wurde  noch  im  jüngeren  römischen  Rechte  kastriert; 
darauf  geht  auch  z.  B.  Horaz  Sat.  I  2,  44ff.  und  viele  andere  Stellen;  die 
altattische  Strafe  der  ^aqpaviöiucic  für  den  |uoixöc  ist  mir  aus  dem  Grundsatz 
der  Talion  nicht  recht  verständlich;  sie  wäre  es,  wenn  sie  ursprünglich 
Strafe  für  Päderasten  (die  Gewalt  gebraucht  hatten  u.  ä.)  angewendet 
wäre.  Das  Talionsprincip  spricht  ganz  deutlich  aus  Cicero  de  leg.  III  20: 
noxiae  poena  par  esto,  ut  in  suo  vitio  quisgue  plectatur,  vis  ca- 
pite,  avaritia  multa,  honoris  cupiditas  ignominia  sanciatur. 
Eine  sehr  reichhaltige  Sammlung  dieser  Dinge  (auch  für  das  Altertum) 
findet  man  in  dem  Buche  von  LGünther  Die  Idee  der  Wiedervergeltung 
in  der  Geschichte  und  Philosophie  des  Strafrechts  I  (1889)  (das  grie- 
chische Recht  und  die  griechische  Philosophie  76  ff.,  das  älteste  römische 
Recht  109  ff.,  das  neuere  römische  Recht  130  ff.). 


—     207     — 

Sätze  zugeschrieben  (so  sagt  auch  Demosthenes  Timocr.  140 
ÖVTOC  Yap  auToBi  vöjuou,  ectv  Tic  6qp0a\)a6v  eKKÖvyr),  dvieKKÖnjai 
Ttapacxeiv  töv  dauToO,  Kai  ou  xp^IM^tujv  Ti|ur|ceujc  oiibeiuiäc); 
man  hielt  sie  stets  *für  uralt.  Etwas  bestimmteres  berichtet 
Aristoteles  über  Vertreter  dieser  Rechtsgrundsätze  (nikomach. 
Ethik  V  8):  boKei  be  xici  Kai  tö  dvTi7TeTrov0öc  eivai  dirXuJc 
biKaiov,  ujCTtep  oi  TTuBaxöpeioi  Iqpacav.  ujpiZiovTO  y^P 
«ttXüjc  tö  bkaiov  tö  dvTiireTTOvGöc  dWiu  .  .  KaiToi  ßouXovTai 
YG  toOto  XeYeiv  Kai  tö  'PabajudvGuoc  biKaiov  et  Ke  TrdGoi 
Td  t'  epeHe,  biKr|  y'  iGeia  y^voito. ^  Also  die  Pythagoreer 
haben  diese  Wiedervergeltungslehre  gepflegt,  und  ihrem  Toten- 
richter Radamanthys  wurden  alte  Verse,  die  diese  Lehre  aus- 
sprachen, beigelegt.  Es  ist  lehrreich,  dafs  auch  die  priesterlich 
regierten  Pythagoreergemeinden  das  Talionsrecht  pflegten,  natür- 
lich in  engster  Verbindung  mit  dem  Religiösen:  ähnlich  wie 
es  der  priesterliche  Codex  der  mosaischen  Gesetzgebung  lehrt; 
der  rohe  Vergeltungstrieb  und  das  religiöse  Sühnebedürfnis, 
die  Wurzeln  des  Criminalrechts,  greifen  da  ineinander.  Be- 
sonders lehrreich  ist  die  Bestrafung  und  Entsühnung  lebloser 
Gegenstände,  von  der  wir  noch  im  Altertum  so  oft  hören. 
Später  haben  alsbald,  wenigstens  in  der  Theorie,  andere  Straf- 
rechtslehren Platz  gegriff'en.  In  der  Sophistenzeit  ist  auch 
da  Neues  hervorgetreten,  und  Protagoras,  der  sich  vielfach 
mit  Rechtsfragen  beschäftigt  und  z.  B.  auf  Perikles  mit  seinen 
Gedanken  grofsen  Einflufs  hatte,  betonte  den  Zweck  der  Ab- 
schreckung und  Prävention  bei  der  Strafe.  Piaton  legt  ihm 
den  Protest  gegen  brutale  Vergeltung  in  den  Mund  (Protag.  324^) 
und  läfst  ihn  die  Abschreckungstheorie,  ein  dTTOTporrfic  eveKa 
KoXdCeiv  verkünden.  Protagoras  'hat,  wenn  nicht  alles  täuscht, 
das  Strafrecht  zuerst  aus  seiner  uranfäuglichen  Verquickung 
mit  der  Theologie  gelöst  und  ihm  rationelle  das  Heil  der 
Gesellschaft  fördernde  Ziele  gewiesen'.^  Die  Abschreckungs- 
theorie entsprach  im  wesentlichen  auch  Piatons  Anschauung, 
und  er  betont  das  sehr  stark  auch  bei  den  Strafen  der  Unter- 


1  Vgl.  magn.   moral.   I  34    oi  TTuGaYÖpeioi    iLovto  öikoiov  eivai   ä 
TIC  ^TTOiTice  toöt'  (ivTiTioOeiv. 

2  Gomperz  Apologie  der  Heilkunst  37  vgl.  86,  2  in  den  Sitzungs- 
ber.  der  Wiener  Ak.  d.  Wias.  1889. 


—     208     — 

weit,  namentlich  bei  denjenigen  der  'Unheilbaren',  dafs  sie  zu 
Nutzen  der  anderen  eingesetzt  seien  (Gorg.  p.  525 ''  ff.).  Der 
Ausdruck  TrapabeitluaTa  für  die  Strafen  der  Sünder  kehrt  mehr- 
fach wieder.  Die  Wiedervergeltungstheorie  tritt  immer  mehr 
wenigstens  in  der  philosophischen  Spekulation  zurück,  bis  sie 
bezeichnend  genug  bei  den  von  den  Pythagoreern  so  stark 
beeinflufsten  Neuplatonikern  wieder  voll  hervortritt.  Da  wird 
denn  auch  die  Seelenwanderung  ganz  nach  dem  Princip  der 
Wiedervergeltung  geregelt:  schlechte  Herren  werden  das 
andere  Mal  Sklaven;  wer  einen  Mord  begangen  hat,  mufs  im 
andern  Leben  durch  Mord  sterben;  wer  die  Mutter  gemordet 
hat,  wird  im  anderen  Leben  als  Mutter  vom  Sohne  getötet. 
Dasselbe  hatte  Piaton  gemeint,  wenn  er  sagt  (Gesetze  IX  870''), 
dafs  die  Seelen  der  Mörder  nicht  blofs  im  Hades  bestraft 
würden,  sondern  in  einen  Leib  gekommen  wieder  das  gleiche 
erdulden  müfsten,  was  sie  gethan. 

Es  begegneten  uns  schon  mehrfach  Unterweltsstrafen,  die 
ganz  durch  jenes  Gesetz  der  Wiedervergeltung  bestimmt  sind. 
So  leidet  der  TraxpaXoiac  in  der  polygnotischen  Nekyia  ewig 
dasselbe,  was  er  seinem  Vater  gethan.  Ähnlich  ist  es  auch, 
wenn  -Phaidra,  die  sich  erhängt  hat,  im  Hades  ewig  hängen 
mufs.^  Bei  Lukian  (vera  bist.  H  31)  ist  z.  B.  der  geile  Kinyras 
in  der  Unterwelt  ewig  il  aiboiuuv  dvripTr||uevoc. 

In  der  Petrusapokalypse  ist  jene  Art  der  Wiedervergeltung 
ein  ganz  hauptsächlich  bestimmendes  Gesetz:  an  der  Zunge  sind 
aufgehängt,  die  den  Weg  der  Gerechtigkeit  gelästert  haben; 
dieselben  zerbeifsen  sich  an  einer  anderen  Stelle  die  Lippen, 
und  die  falschen  Zeugen  zerbeifsen  sich  die  Zungen  und  haben 
brennendes  Feuer   im   Mund.^     Nichts  anderes  liegt  ja  auch 

1  Das  und  nichts  anderes  bedeuten  doch  die  Worte  bei  Pausaaias 
X  29,  4  öp^  bi  i.c  Ti?iv  dbeXqpi^v  Oaibpav  tö  tc  dXXo  aiuipouia^vriv  cujjua 
Iv  ceipqt  Kol  rate  X^pdv  djucpoT^paic  iKax^pujGev  rfic  ceipQc  ^\o]x^vr]v 
TrapeTxe  b^iö  cxfj|ua  Kaitrep  ^c  tö  euirpeTT^CTepovTreTroiriiLi^vov  cujußöXXeceat 
Tci  ^c  xfjc  Oaibpac  Ti]v  TeXeuTrjv.  Wie  sollte  denn  auch  durch 
eine  Schaukel  der  Tod  durch  Erhängen  angedeutet  sein? 

2  In  späteren  Höllenschilderungen  findet  sich  noch  manches  der 
Art:  feurige  Spiralen  im  Ohre  haben  die  TrapaKpooTai  in  der  Apokalypse 
des  Esdra  (p.  28  Tischendorf),  die  Frauen,  die  ihre  Kinder  nicht  gesäugt 
haben,    müssen    nun    4    Tiere    an    der   Brust   haben.      In   gnostischen 


—     209     - 

ursprünglich  der  Strafe  des  Steckens  im  ßöpßopoc  zu  Grunde: 
wer  sich  nicht  hatte  'reinigen'  lassen,  wer  nicht  'rein'  war, 
mufste  drunten  ewig  im  Schmutze  liegen. 

Durch  Ergänzung  einer  Lücke,  wenigstens  dem  Sinne 
nach,  glaube  ich  noch  ein  weiteres  Beispiel  zu  gewinnen.  In 
der  13.  Gruppe  werden  solche  aufgeführt,  die  sich  fortwährend 
schlagen;  es  fehlt  die  Angabe,  welcher  Art  Frevler  es  sind. 
Vergleicht  man  eine  Stelle  aus  dem  Hadesmythus  des  Plutarch 
in  de  sera  num.  vind.  567^  aXXac  be  eqpri  vpuxac  ibeTv,  ujcrrep 
rdc  exiövac  TrepiTTeTrXeYluevac  cuvbuo  Kai  cuvipeic  Kai  irXeiovac, 
dXXrjXac  ecöioucac  ijtto  )dvr|CiKaKiac  Kai  KaKo9u|aiac  ojv  eiraGov 
ev  TUJ  lf\v  r\  ebpacav,  so  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein,  dafs 
es  die  Zornigen  oder  Streitsüchtigen  waren,  ein  Typus,  der 
ja  unter  diesen  Sündern  kaum  jemals  fehlt.  Das  ist  zugleich 
eine  etwas  andere  Art  der  Strafe:  sie  müssen  ewig  weiter 
thun,  was  sie  im  Leben  gesündigt  haben,  aber  zugleich  auch 
leiden,  was  sie  anderen  angethan  haben.^ 

Wie  und  wo  sich  allmählich  bestimmte  Typen  der  Hollen- 
strafen ausbilden,  ist  bei  den  nur  gelegentlichen  Anführungen, 
die  wir  haben,  nicht  wol  möglich  zu  verfolgen.  So  viel  aber 
dürfen  wir  sagen,  dafs  die  Höllenstrafen,  die  auf  scharf  durch- 
geführter Talion  beruhten,  in  pythagoreischen  Kreisen  zuerst 


L 


Schriften  wird  die  Zunge  des  Lästerers  an  pferdeköpfige  Dämonen  ge- 
bunden u.  dgl.  (Schmidt  p.  411).  Mancherlei  ergeben  auch  die  von 
James  eben  neu  publicierten  Apokalypsen,  z.  B.  steht  in  der  Apok.  der 
Jungfrau  Maria  (p.  118,  33  ff  James)  koI  eI6ev  y^ivoiko  Kpe|Lia|i^vr|v  ^k 
TuJv  öuo  uJTUuv  Kol  TrdvTa  Tct  Gripia  r^pxovTO  ^k  toö  CTÖiaaroc  aöxfic  Kol 
KaTdTpuj'fov  aurriv .  Kai  fipiÜTncev  Vj  KexapiTUJju^vri  töv  äpxicxpdxriTov  • 
TIC  icrw  amr\  Kai  xi  xö  dtjadpxrnna  auxfic;  Kai  etirev  ö  äpxicxpdxr^Yoc- 
aöxri  fecxiv  f]  iTapaKpou)|Li^vri  etc  xoOc  oikouc  touc  dXXoxpiouc  koI 
xu)v  irXriciov  aux^c  Kai  cufißdXXouca  irpöc  xö  iroieTv  |ndxac  Xöyouc 
TTOvripoüc  Kai  b\ä  xoOxo  ilj&e  oiixuuc  Ko\d2€xai. 

1  Es  ist  das  die  ganz  wörtlich  und  eigentlich  genommene  Aus- 
führung des  alten  Satzes,  der  auch  eine  der  drei  Grundlehren  der  Di- 
dache  der  Apostel  ist  (1  2)  Tvdvxa  6^  öca  ^dv  eeXficrjc  |ni^  Yivec6ai  coi, 
Kai  cu  dXXiu  ixi]  troiei.  Auch  das  ist  schon  altgriechische  Weisheit  ge- 
wesen, Isocrat.  Nicocl.  VIII  61:  a  irdcxovxec  öqp'  ^x^poiv  bpfiZecQe,  xaOxa 
xoic  ciXXoic  |ifi  TTOieixe  (vgl.  Günther  a.  a.  0.  86,  29).  In  der  helle- 
nistischen jüdischen  Litteratur  Alexandriens  tritt  der  Satz  dann  wieder 
auf,  Tob.  IV  16. 

Dieterich,  Nokyia.  ■  14 


—     210    — 

erdacht^,  und  dafs  die  Strafen,  die  in  den  unteritalischen 
Hadesbücliern  einen  Hauptteil  des  Inhalts  ausmachten,  zum 
guten  Teile  in  diesem  Sinne  gefafst  sein  werden.  Der 
ßöpßopoc  als  Bufse  der  ^unreinen'  weist  ja  ebendahin  und  ist 
zunächst  in  bestimmten  Lehren  die  einzige  Strafe  gewesen. 
Aus  Versen  wie  in  Aristophanes  Fröschen  v.  470  ff.  (uach  Kritias 
Peirithoos)  von  dem  blutigen  acheruntischen  Fels,  den  Un- 
tieren, die  den  Bedrohten  drunten  zerreifsen  sollen^  (s.  oben 
S.  92),  ahnt  man,  dafs  einst  in  denselben  Kreisen  noch  viel 
mehr  Einzelvorstellungen  von  den  Schrecken  der  Unterwelt 
vorhanden  waren  —  aber  man  kann  dem  nicht  mehr  nach- 
kommen. Noch  eins  kann  man  deutlich  sehen:  die  homerischen 
Büfsertypen  haben  immer  gröfseren  Einflufs  gehabt,  und  bis 
in  späteste  Zeit  erkennt  man  in  ihren  Strafen  das  Vorbild 
vieler  anderen  Strafarten.  ^    Die  in  der  Apokalypse  fortwährend 

1  Das  Princip  ist  wie  bekannt  auch  im  mosaischen  Rechte  stark 
ausgeprägt,  aber  nie  finden  sich  dort  ähnliche  Fälle  wie  die  für  uns 
so  wichtigen  im  griechischen  und  römischen  Rechte,  wie  man  sich  aus 
dem  Buche  von  Günther  S.  42  ff.  überzeugen  kann.  (Abhauen  der  Hand 
für  gewisse  rohe  Gewaltgriffe  der  Weiber  wird  auch  da  verfügt  5.  Mos. 
XXV  11.)  Jedenfalls  sind  dort  nie  diese  Dinge  in  die  Vorstellung  der 
Unterwelt  hineingekommen;  darüber  unten  ausführlicher. 

2  Auf  ähnliche  etruskische  Vorstellungen,  wie  sie  die  Wandgemälde 
der  Gräber  erkennen  lassen,  bin  ich  absichtlich  nicht  eingegangen;  auch 
da  sind  geflügelte  Ungeheuer,  geierartige  Untiere,  Schlangen  fürchterlicher 
Art  zu  sehen  Monum.  dell'  Instit.  IX  Taf.  14,  4,  vgl.  Taf.  U^  und 
namentlich  Taf.  15;  da  sind  auch  Theseus  und  Peirithoos  zu  erkennen, 
über  ihnen  ein  furchtbares  geflügeltes  Ungeheuer  mit  Geiergesicht  und 
Schlangen  ums  Haupt.  König  und  Königin  der  Unterwelt  sind  zu  seheu, 
eine  Art  jüngstes  Gericht  u.  dgl.  Ebenso  habe  ich  oben  die  etruskischen 
Bilder  nicht  berücksichtigt,  welche  ganz  analoge  Vorstellungen  vom 
Leben  der  Seligen  zeigen  wie  griechische  Schilderungen,  ja  wie  die 
späteren  Katakombenbilder:  ein  Gastmahl  ist  oft  zu  erkennen,  blühende 
Bäume  mit  Vögeln,  flötende  und  ausgelassen  tanzende  Personen  (auch 
gelegentlich  Jagdscenen),  s.  namentlich  Monum.  dell'  Instit.  I  32.  33. 
Auf  Etrurien  hat  Griechisches,  namentlich  in  der  Kunst  stark  eingewirkt. 
Auch  die  bakchischen  Geheimkulte  sind  früh  in  Etrurien  eingedrungen, 
sie  sollen  ja  z.  T.  nach  Rom  über  Etrurien  gekommen  sein  (vgl.  Livius 
bei  Erzählung  der  Verfolgung  der  Bakchanalien  XXXIX  8  Graecus  ig- 
nobilis  in  Etruriam  venu  etc.).  Da  ist  es  schwer  oder  unmöglich  Grie- 
chisches und  Etrurisches  zu  scheiden. 

3  S.  z.  B.  Lukian  irepl  irdvGouc  8. 


211     - 


einen  Abhang  hinauf  und  wieder  hinunter  getrieben  werden, 
sind  schliefslich  doch  auch  etwas  stärker  veränderte  Nachahmer 
des  Sisyphos.  Auch  das  Rad  des  Ixion  ist  immer  in  Er- 
innerung geblieben.  Noch  heute  glauben  die  Neugriechen, 
dafs  die  Buhldirnen  drunten  um  ein  feuriges  Rad  gedreht 
würden.  ^ 

Bei  Piaton  erst  wieder  hören  wir  von  bestimmten  Strafen ; 
dann  zerstreut  an  mehreren  anderen  Stellen.  Es  ist  am  besten 
die  unseren  Apokalypsenstrafen  analogen,  die  uns  begegnet 
sind,  kurz  ausammenzustellen: 


TTup  qp\eYÖ|U6vov  Kai  KoXdZiov 

TÖTTOC  TtUpÖC   TlXeiCTOU    T^|U.IJUV 


iroXO  tröp  Katö|jevov  Lukian  vera  bist. 
II  27  {exuritur  igni  Verg.  Aen. 
VI  742) 


X(|uvr]  jueYÖXri  TreirXripuuiLi^vri  ßopßöpou 
cpXeYOjudvou  (ßöpßopoc  ävairaqpXöZiuJv) 


ßöpßopoc,  CKuJp  deivuuv  Arist.  Frösche 


TÖ1T0C  Te6Xi)U|u^voc  ^v  iu  ö  ixiJup  Kai 
■(\  6uciu6(a  tOuv  KoXaZion^vujv  Kax^^^ec 
Kai  üjcuep  Xifivri  ^Yivero 

Xi)avri  jueYdXri  iretrXripiuinevri  ttüou  Kai 
ai|naToc  Kai  ßopßöpou  dvaZ^ovxoc 


EK   TfiC   Y^lÜCCr|C   Kp€Hd|Ll€VOl 

CK  TU)v  TTXoKd)iiJuv  ^EripTri|Li^vai 
^K  Tojv  Tro6ujv  dvaKpe^d)ti6voi 


TÖTTOC  Te0Xi|Li|Lidvoc  Kol  ueuXiipiuiu^voc 
^p-rreTtuv  Trovripujv  —  irXriccöiLievoi 
ÜTTÖ  TOJV  G)'ipiujv  dKeivuuv  —  ckiwXtik€c 
—  ^c0iö|uevoi  xd  cirXdYXva  öirö  cKU)Xr|- 

KlUV   dKOlfirjTUUV 


öia^^oiac    TTOTajaöc    Arist.    Fragm. 
149,  50 

TToraiuiol   ßopßöpou,   aiinaxoc,    irupöc 

Lukian  vera  bist.  II  30 
iToxaiioi  xpucoO  irepi^^ovToc  (juoXOß- 

bou,a6ripou)  Fluide  seranum.vind. 
dvripxriiudvoi   ^K6i  ev  "Ai&ou   kv  xiu 

öec|aiuxr]piuj  Fiat.  Gorg.  pandun- 

tur  inanes  suspensae   ad   ventos 

Verg.  Aen.  VI  740 
kK  tOliv  ai6oiujv  dvripxrnu^voc  Lukian 

vera  bist.  II  30 

(cf.  c.  26  ^K  xdiv  aiöoiuiv  öficai) 
('0|uripou  MJUxn)  Kpe|ua|U€vri  d-rrö  6^v- 

öpou  Kai  öqpeic  irepi  auxrjv  nach 

Pythagoras,  Laert.  Diog.  VIII  21 

öcpeic  Kai  9r|pia  Arist.  Frosch.  143 
öetvd  Oripia  278  öfipec  Axioch. 


1  BSchmidt  Volksleben  der  Neugr.  248. 


14* 


212 


|uacu)|uevoi  Tct  x^i^l  —  TTG-mipiJuiadvov 
cvöripov  KOTä  Tiüv  öipSaX^üüv  Xa|ußd- 
vovxec 

Toic  fXiJjccac  |Liaciij|uevoi  koI  irOp  qpXe- 
YÖ)nevov  Sxovxec  iv  t(b  CTÖjuaTi 

XÜXiKec  öEuTepoi  EtcpOüv  Kai  iravTÖc 
ößeXiCKou  7re7rupu)(a^voi  —  f>äKr] 
^uTtapct  ^vbe6u|ui^voi  4ku\iovto  ^tt' 
auTUJv 

ÖTTÖ  KpriiavoO  |ueY(iXou  Kaxacxpeqpö- 
|H6voi  fjpxovTO  Kdxuj  KOI  TrdXiv  rjXaO- 
vovTO  ÖTTÖ  TU)v  litiK€xnivwv  dvaßf]vai 
äviu  feirl  ToO  KpriiLivoö  koI  Karecxp^- 
qpovTO  ^KeiGev  Kiiriw  Kai  i^cuxiöv 
ouK  eixov 

^cxß6ouc  ^xovxec  Kai  dWrjXouc  tO- 
TTTOvrec  Kai  jurib^TtOTe  uauöjLievoi 

q)XeTÖ|uevoi  Kai  CTpecpö|uevoi  Kai  ty]- 
YaviZ:ö|Lievoi 


^tt'  dcTraXdGmv  ^Xkciv  Plut.  Rep.  X 

p.  616» 
^bacpoc  luaxai'paic  koI  cköXoiiji  Trdvxr) 
^ErivBiiKei  Lukian  vera  bist.  II  30 
'Ax€p6vTioc   CKÖTieXoc    ai|iaTOCTaYr)C 

Arist.  Frösche  471. 


djcitep  ^xiövai  irepnTe'irXcYiiidvai  dXXrj- 
Xouc  ^cGioucai  Plut.  d.  sera  niim.  vind. 

ävGpuuTToi   ÖTTTuOiuevoi    Lukian    vera 
bist.  II  29. 


Ich  brauche  zur  Erklärung  dieses  Ergebnisses  nicht  viele 
Worte  zu  machen.  Nur  an  den  Stellen,  die  wir  aus  ganz 
anderen  Gründen  auf  pythagoreisch -orphische  Hadesbücher 
und  Unterweltslehren  mit  Sicherheit  zurückführen  konnten, 
finden  sich  denen  der  Petrusapokalypse  ähnliche  Höllenstrafen, 
sonst  in  der  ganzen  weiten  antiken  Litteratur  —  und  ich  hoffe, 
dafs  mir  keine  hauptsächliche  Analogie  entgangen  ist  —  nie 
und  nirgends.  Und  diese  Dinge  stechen  so  scharf  von  allem 
anderen  Jenseitsglauben  ab,  dafs  die  geschichtliche  Zusam- 
mengehörigkeit aufser  Zweifel  stünde,  auch  wenn  wir  nicht  die 
Linie  der  litterarischen  Tradition  so  deutlich  hätten  ziehen 
können,  wie  es  nur  je  in  einer  so  bruchstücksweise  erhaltenen 
Litteratur  möglich  ist.  Die  Höllenstrafen  der  Petrusapokalypse 
haben  keine  anderen  Analogieen  als  die  unterirdischen  Strafen 
der  orphisch- pythagoreischen  Nekyien.  Diesen  Beweis  liefert 
die  obige  Nebeneiuanderstellung. 

Die  orphischeu  Kultgenossen  mit  ihrer  Lehre  und  Poesie 
haben  auch  diese  Straftypen  der  Hölle  ausgebildet.  So  sehr 
es  natürlich  ist,    dafs  gerade  in  der  Blütezeit  der  orphisch- 


-     213     - 

dionysisch -pythagoreischen  Kulte  späterer  Zeit  vieles  von 
diesen  Dingen  in  weitere  Kreise  drang,  so  wenig  lassen  doch 
unsere  litterarischen  Zeugnisse  Zweifel  aufkommen,  wo  und 
wo  allein  diese  Dinge  ihren  Ursprung  haben,  wo  sie  gepflegt 
und  weitergebildet  wurden,  wo  allein  sie  eine  litterarische 
Tradition  hatten:  ein  neues  noch  längeres  litterarisches  Leben 
wurde  ihnen  zu  Teil  in  anderen  neuen  Richtungen,  die  an  die 
antike  Tradition  anknüpften  mit  eben  dieser  Petrusvision,  die 
wir  nun  wieder  besitzen. 


V. 
Jüdische  Apokalyptik. 

Mancher  Leser  wird  wol  schon  den  Vorwurf  für  mich 
bereit  halten,  dafs  ich  orientalische,  namentlich  jüdische  Ein- 
wirkungen auf  die  Apokalypse  unberücksichtigt  lasse  und  unter- 
schätze, weil  ich  sie  nicht  kenne  oder  nicht  kennen  wolle. 
Diesem  Vorwurf  mufs  ich  von  vornherein  begegnen;  denn  es 
hat  wirklich  schon  Leute  gegeben,  die,  freilich  offenbar  durch 
keinerlei  Kenntnis  apokalyptischer  Litteratur  gestört,  den  In- 
halt der  Petrusoffenbarung  ganz  gelassen  für  jüdisch  erklärten. 
Soll  also  der  griechische  Ursprung  der  Apokalypse  wirklich 
aufser  Zweifel  gesetzt  werden,  so  ist  es  notwendig  einen  Blick 
wenigstens  auf  die  zeitlich  vorausliegende  jüdische  Apokalyptik 
zu  werfen.  Sollten  die  eschatologischen  Bilder  nicht  daher 
stammen? 

Man  mag  nur  einmal  mit  den  eben  besprochenen  Typen 
der  Strafe  —  das  sei  gleich  anzuführen  erlaubt  —  die  Liste 
der  sieben  Sünden  und  Strafen  (beides  ist  untereinander  gemengt) 
der  Verdammten  im  IV.  Buch  Esra,  der  auch  späterhin  ver- 
breitetsten  von  allen  diesen  Apokalypsen,  vergleichen.  Die 
nicht  beobachteten  die  Wege  des  Höchsten,  die  Gott  gehafst 
haben,  werden  bestraft  Septem  viis  (VI  56  f.  p.  609  i.  Fritzsche) : 
via  prima,  quod  restiterunt  legi  ÄUissimi,  via  secunda,  qiiod 
non  possunt  converti  et  facere  iona  in  quihus  salventur,  via 
tertia,  quod  vident  mercedem  repositam  Ulis  qui  crediderimt,  via 
quarta,  quando  noverunt  et  intellexenmt  supplicium,  quod  para- 
tum  est  eis  in  novissimo,  in  quo  corripientur  animae  impiorum, 
quia,  mm  haberent  tempus  operationis,  non  suhiccerunt  se  prae- 
ceptis  Altissimi,  via  quinta,  quod  vident promptttaria  animarum 
aliarum  quae  custodiuntur  ah  angelis  in  quiete  multa,  via  sexta, 


—     215    — 

quod  vidmt  suppliciumj  quod  ex  Jioc  nunc  paratum  est  eis,  via 
septima,  quae  maior  est  ceteris  viis  praedictis,  quod  tabescimt 
in  confiisione  et  consumuntur  in  pudore  et  marcescunt  in  timore, 
quia  vident  (jloriam  ÄUissimi,  in  cuius  conspedu  nunc  peccant 
dum  vivunt,  et  coram  quA)  futurum  est  ut  in  novissimo  iudicentur. 
Das  ist  nichts  anderes  als  die  allgemeine  Strafe  ewig  unab- 
wendbarer Pein  mit  der  besonderen  Qual,  dafs  sie  die  Seligkeit 
der  Gerechten  sehen,  auseinandergezogen  in  sieben  allgemeine 
erbaulich  umschriebene  Strafen.  Nicht  anders  der  Lohn  derer, 
die  beobachteten  den  Weg  des  Höchsten:  sie  sehen  das  An- 
gesicht Gottes  leuchten  wie  Sonne  und  Sterne  und  sehen  die 
Qual  der  Gottlosen.  Auch  das  ist  in  sieben  Belohnungen 
ausgesponnen   (VI  65  ff.,  p.  610  f.  Fritzsche). 

In  der  ersten  jüdischen  Apokalypse,  dem  Buche  Daniel, 
das  den  Anfang  dieser  Litteratur  bildet,  wird  nur  gesagt 
(XII  1):  'viele  von  den  im  Staube  der  Erde  Schlummernden 
wachen  auf,  die  einen  zum  ewigen  Leben,  die  anderen  zum 
ewigen  Abscheu.  Da  leuchten  die  Lehrer  wie  der  Glanz 
des  Himmels  und  die  Gerechten  wie  die  Sterne  immer  und 
ewig.'  Dasselbe  hebräische  Wort  für  Abscheu  (p'ii'^'l)  kommt 
im  alten  Testament  nur  noch  vor  Jes.  LXVI  24,  wo  es 
bei  den  Sept.  lautet  Kai  eHeXeucoviai  Kai  öipovrai  rd  KuiXa 
TuJv  dvGpuuTTUJV  Tojv  TtapaßeßriKÖTUJV  ev  e^ioi*  6  ^dp  CKuuXriS 
auTUJV  ou  TeXeuTrjcei  Kai  tö  Tiöp  auTÜJV  ou  cßec6r|C€Tai  Kai  ecoviai 
eic  öpaciv  rrdcri  capKi,  die  letzten  Worte  merkwürdig  genug 
für  das,  was  nach  dem  Hebräischen  bedeutet  *und  sie  werden 
sein  ein  Abscheu  für  alles  Fleisch.'^ 

Das  Buch  Daniel  ist  die  einzige  Schrift  dieser  Gattung  von 
den  uns  bekannten,  die  hebräisch  überliefert  ist  und  so  zuerst 
geschrieben  war.  Denn  bei  einigen  anderen  scheint  es  durchaus 
wahrscheinlich,  dafs  sie  gleich  zuerst  griechisch  niedergeschrieben 
wurden.  Die  fünf  Versionen  des  Esra,  die  wir  haben,  sind 
alle  schliefslich  aus  einem  nicht  erhaltenen  griechischen  Texte 
geflossen^,  der  vorliegende  syrische  Text  wenigstens  des  Baruch 

1  Dies  Gericht  ist  diesseits  in  Jerusalem  und  Geenna  gedacht.  Ins 
Jenseits  verlegen  dieselbe  Vorstellung,  die  ja  dann  immer  wiederkehrt, 
schon  Judith  XVI  17,  Sir.  VII  17  u.  s. 

2  Schürer  Gesch.  d.  jüd.  Volkes  II  646. 


-     216     — 

ist  aus  einem  griecliischen  geflossen  ebenso  wie  die  erhaltene 
lateinische  Übersetzung  der  dvdXriM^ic  Mujüceujc  eine  Über- 
setzung aus  dem  Griechischen  ist.  Freilich  ist  die  Sprache 
der  ersten  Grundschrift  mit  unseren  Mitteln  so  leicht  nicht  zu 
entscheiden.  Bei  dem  Buch  Henoch  war  man  am  meisten 
geneigt  eine  hebräische  oder  aramäische  Grundschrift  anzu- 
nehmen^; und  auch  der  neue  Fund  des  griechischen  Textes 
beweist  nicht  zwingend,  dafs  er  der  ursprüngliche  ist^;  ein 
paar  in  den  Text  genommene  hebräische  Worte  sind  sogar 
dem  Gegenteil  günstig.^ 

In  der  Makkabäerzeit  werden  neue  Anschauungen  immer 
mächtiger,  die  Messiashoffnung  und  der  Auferstehungsglaube. 
Der  Glaube  an  Vergeltung  nach  dem  Tode  tritt  erst  von  da 
an  für  uns  litterarisch  hervor,  zunächst  gewöhnlich  formuliert 
nach  Anleitung  von  Jesaias  LXVl  24.  Die  Auferstehung 
wird  leiblich  gedacht  und  ganz  körperlich  ausgemalt  im  An- 
schlufs  an  Ezechiel  XXXVII.*  Wir  erinnern  uns  der  wörtlich 
an  diese  Partie  anklingenden  Verse  des  zweiten  Sibyllenbuches 
und  der  Phokylidesverse.^ 

Weiter  werden  die  Dinge  des  Jenseits  zunächst  kaum  aus- 
geführt; aber  dies  wenige,  z.  B.  die  Jesaiasworte  LXVI  24, 
sind  so  sehr  der  Ausdruck  des  allgemeinen  Glaubens  geworden, 
dafs   sie   selbst  in  einem  Buche   wie  Jesus  Sirach,   das  sonst 


1  Nur  Volkmar  und  Philippi  nahmen  ein  griechisches  Original  an, 
Schürer  a.  a.  0.  627. 

2  Bouriant  Memoires  publiees  par  les  membres  de  la  mission  arcbeo- 
logique  fran9aise  au  Caire  t.  IX  fasc.  I  p.  109. 

3  S.  ADillmann  in  den  Sitzungsber.  der  berl.  Akad.  d.  Wiss.  LI. 
LH.,  8.  December  1892,  S.  1062  ff. 

4  Aufserdem  ist  früher  nur  von  einer  Auferstehung  die  Rede 
Jesaias  XXVI  19:  Aufleben  T^^erden  deine  Toten,  meine  Leichen  auf- 
erstehen; wachet  auf  und  jubelt  die  ihr  im  Staube  lieget.  Denn  Tau 
der  Lichter  ist  dein  Tau  und  die  Erde  wird  Schatten  zu  Tage  bringen 
(nach  Delitzsch  im  Commentar  zu  Jesaia  289). 

6  Deutlich  tritt  auch  die  Hoffnung  auf  leibliche  Auferstehung  hervor 
im  2.  Makkabäerbuch ,  Schwally  Das  Leben  nach  dem  Tode  nach  den 
Vorstellungen  des  alten  Israel  und  des  Judentums  einschliefshch  dos 
Volksglaubens  im  Zeitalter  Christi  S.  168. 


-     217     - 

gar  keine  jenseitige  Vergeltung  kennt,  wie  auch  immer  eine 
Stelle  gefunden  haben  (VII  17).^ 

Über  diese  Vorstellungen  von  der  feevva  toO  irupöc,  der 
diTuuXeia,  der  KÖXacic  aiuOvioc  u.  dgl.  gehen  auch  die  Stellen 
des  neuen  Testaments^  —  abgesehen  etwa  von  der  Johannes- 
apokalypse ^  —  nicht  hinaus.  Die  Geschichte  von  dem  reichen 
Mann  und  dem  armen  Lazarus  (Luc.  XVI  19  ff.)  mag  populär- 
jüdischem  Glauben  der  Zeit  durchaus  entsprechen.^ 

Viel  mehr  und  anderes  tritt  hervor  zuerst  mit  der  Apo- 
kalypse des  Henoch.    Was  von  dem  Messiasreiche  gesagt  wird 


1  Vgl.  Baruch  LIX  incredulis  tormentum  ignis  reservatur.  Gehenna 
kommt  vor,  vgl.  c.  LI,  LH. 

2  Die  Stellen  bei  Schwally  174  ff.;  am  deutlichsten  an  Jes.  LXVI  24 
anknüpfend  Marc.  IX  44,  46,  48. 

3  Xi,uvri  ToO  TTupöc  macht  doch  schon  einen  Unterschied,  wenigstens 
des  Ausdrucks,  s.  oben  S.  83.  Auf  die  Johannesapokalypse,  die  ganz 
anderer  Art  und  Provenienz  ist  als  die  Petrusapokalypse,  habe  ich 
keine  Veranlassung  weiter  einzugehen.  Manches  stammt  auch  aus 
griechischen  Quellen,  aber  diese  Quellen  sind  ganz  andere  als  bei  der 
Petrusapokalypse.  Über  einen  Kapitel  12  zu  Grunde  liegenden  grie- 
chischen Mythus  habe  ich  früher  eine  Vermutung  zu  begründen  ver- 
sucht (Abraxas  117 ff.),  und  ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit  Protest 
einlegen  gegen  die  Art,  wie  man  auf  theologischer  Seite  über  meine 
Hypothese  referiert  hat.  Ein  paar  Sätze  aus  den  Anmerkungen  werden 
herausgegriffen,  die  erst  durch  die  Erörterung  des  Textes  Sinn  haben, 
und  dann  heifst  jene  Vergleichung  ein  'wildes  Verfahren'  u.  s.  w.  Dafs 
ich  auf  sechs  Seiten  eine  ausführliche  Begründung  versuche ,  dafs  ich  im 
einzelnen  die  Möglichkeit  der  Anknüpfung  darzuthun  mich  bemühe,  wird 
verschwiegen.  Nichts  wird  erwähnt  von  den  Aufführungen  des  pythonischen 
Mythus  in  Kleinasien,  nichts  von  den  Münzen  von  Ephesus  (wo  die  Apoka- 
lypse verfafst  wurde)  mit  der  Darstellung  der  fliehenden  Leto  gerade  aus 
dem  zweiten  Jahrhundert,  nichts  von  all  dergleichen.  Ist  das  ein  'wildes 
Verfahren',  sind  das  'Parallelen  aus  der  Mythologie  aller  Völker'? 
Mir  liegt  sehr  fern  in  das  Urteil  über  meine  Vermutung  hineinzureden, 
aber  solche  Referate  erwecken  geringe  Hoffnung  auf  ehrliche  gemein- 
same Arbeit  an  diesen  Problemen.  Vor  einem  Vergleiche  mit  der  wüsten 
Methode  AWirths  in  seinem  mehr  als  leichtfertigen  Buche  'Danae  in 
christlichen  Legenden',  der  mir  auch  von  theologischer  Seite  angethan 
worden  ist,  glaubte  ich  meine  Arbeit,  so  grofse  Mängel  sie  hat,  denn 
doch  geschützt. 

4  Sehr  ähnlich  Apoc.  Henoch  c.  22. 


-     218     — 

oder  von  der  Belohnung  der  Frommen  dadurch,  dafs  sie  sich 
weiden  an  den  Qualen  der  Gottlosen  (vgl.  oben  zu  Esra  S.  215) 
und  vieles  andere,  ist  nicht  merkwürdig  und  durchaus  mit 
den  berührten  jüdischen  Anschauungen  übereinstimmend.  Die 
Geenna  erscheint  auch  bei  Jerusalem  lokalisiert.  Aber  nun 
tritt  hier  in  dieser  Litteratur  'zum  ersten  Male  der  Begriff  der 
Hölle  in  dem  Sinne,  den  dies  Wort  noch  heutigen  Tages  hat, 
in  den  Gesichtskreis'.^  Von  dem  Pfuhl  der  Feuerflammen 
wird  geredet,  wie  vorher  nie,  und  diese  Dinge  treten  so  sehr 
in  den  Vordergrund,  wie  es  bisher  ganz  unerhört  war.  Hier 
findet  auch  Vergeltung  schon  in  der  Scheol  statt  ^,  und  dieselbe 
ist  in  Orte  der  Seligen  und  Unseligen  geteilt.  Die  letzte 
EntscheiduDg  findet  erst  statt,  wenn  das  messianische  Reich 
kommt.  Offenbar  ist  auch  eine  Art  Fegefeuer  gedacht.^  Diese 
Wandlung  der  Scheol  zur  Hölle  hat  mar;  auf  parsische  Ein- 
flüsse zurückführen  wollen*,  aber  es  ist  richtig  entgegen- 
gehalten, dafs  die  Ähnlichkeiten  nur  aus  späten  Schriften 
der  Sasanidenzeit  erwiesen  sind.^  Und  soll  in  jener  Zeit  die 
mazdäische  Religion  einen  so  überwältigenden  Einflufs  gehabt 
haben  können? 

Jenes  Totenreich  liegt  bei  Henoch  im  Westen,  und  das 
finstere  Land  durchfliefsen  grofse  Ströme.  Das  will  man 
neuerdings  —  da  es  natürlich  nicht  jüdisch  sein  kann  —  auf 
babylonische  Einwirkung  zurückführen,  da  dort  der  Eingang 
der  Unterwelt  im  Westen  liege  und  sich  zwar  keine  Flüsse 
darin  finden,  aber  der  Ort  der  Seligen  an  der  Mündung  der 
Ströme  auf  einer  Insel  liege.*'     Das  heifst  doch  nur,  dafs  er 


1  Schwally  a.  a.  0.  138. 

2  Bouriant   a.  a.  0.  p.  119,  3:     t6tg    dTrevexOncovTai    eic   tö    x^oc 

TOÖ    TTUpÖC    KOl    etc    TlflV    ßdcOVOV   KOl    eiC    TÖ    6eC|UlJUTripiOV    Tf\C    CUYK\eiC€UJC 

ToO  aiOjvoc.  Der  neu  gefundene  griechische  Text  des  Henochbuches 
ist  jetzt  auch  herausgegeben  von  ADillmann  in  den  Sitzungsber.  der 
berl.  Akad.  d.  Wiss.  LIII,  15.  December  1892,  S.  1079—1092. 

3  ßdcavoc  bis  zum  Tage  des  Gerichts,  Bouriant  p.  133. 

4  Hübschmann  Jb.  f.  prot.  Theol.  V  (1879)  222. 

5  Schwally  a.  a.  0.  145. 

6  Schwally  a.  a.  0.  137. 


-     219     — 

im  Meere,  wo  das  Land  aufhört,  ebeu  auf  einer  Insel  liege, 
und  hat  überhaupt  gar  nichts  mit  jenen  Details  zu  thun.  Ich 
weifs  nicht,  warum  man  einer  gewissen  Modeneigung  für  die 
Babylonier  folgend  die  längst  erkannte  klare  Anlehnung  an 
das  griechische  Totenreich  im  Westen  mit  seinen  bekannten 
Strömen  abweist.^  Und  ist  denn  überhaupt  —  aus  allgemeinem 
Gesichtspunkt  betrachtet  —  möglich,  dafs  babylonische  Schriften 
und  babylonische  Kultur  damals  auf  einmal  so  stark  einge- 
drungen wären?  Das  war  ja  gar  keine  Kultur  und  gar  keine 
Kulturmacht  mehr. 

Früher  wäre  das  sehr  natürlich,  in  dieser  Zeit,  in  der 
jene  Dinge  doch  offenbar  ganz  neu  hervortreten,  ist  es  geradezu 
unmöglich.  Die  Kultur,  die  alle  Welt  beherrschte  und  die 
auch  auf  vielen  Wegen  nach  Palästina  drang,  deren  sich  die 
Juden  allerorten  bemächtigten  und  der  sie  sich  akklimatisierten, 
war  jetzt  die  hellenische  oder  hellenistische.  Ist  ein  Zweifel 
möglich  über  die  Herkunft  des  Neuen  in  jener  jüdischen  Schrift, 
das  jüdischen  Ursprungs  nicht  sein  kann  und  das  so  genau 
mit  griechischen  Traditionen  stimmt?  Und  nun  erinnere  ich 
an  die  Schilderung  des  Ortes  der  Seligen  in  der  Henochapo- 
kalypse  (oben  S.  33,  1)^  die  in  so  deutlich  griechischen  Farben 
gehalten  ist. 

Etwas  merkwürdiges  ist  es,  dafs  bei  Henoch  in  dem 
TTup  ineya  Kaiö|Lievov  xai  q)XeTÖ|uevov  die  Sterne  gebunden 
sind  und  brennen  zur  Strafe  für  ihre  Übertretungen  d.  h.  für 
Nichteinhaltung  ihrer  bestimmten  Zeiten.^    Ich  vergleiche  ein 


1  Schwally  a.  a.  0.:  'Man  denkt  gewöhnlich  an  griechische  Ein- 
flüssj!  ...  Es  ist  aber  wahrscheinlich,  dafs  diese  Vorstellungen  selbst 
aus  der  babylonischen  Kosmologie  stammen'.  Also  ohne  den  geringsten 
Grund  gibt  man  die  durchaus  treffende  Analogie  auf  gegen  eine  in  den 
Hauptpunkten  unzutreffende,  nur  den  alten  Babyloniern  zu  Gefallen. 

2  Über  die  Himmelsvorstellungen  der  jüdischen  Apokalypsen  gibt 
eine  Zusammenstellung  Eugene  de  Faye  Les  apocalypses  juives,  These, 
Lausanne  1892,  p.  135  ff. 

3  6ecjuu)Tripiov  toöto  ifivero  toic  äcrpoic  koI  xaic  6uvd)Lieci  xoO 
oüpavoö  —  Kai  oi  dcT^pec  oi  K\j\iö|Lievoi  Iv  x(u  irupl  outoi  eiciv  oi  irapa- 
ßdvTEC  irpocTaTMCi  iöJ  kv  dpxrj  rnc  dvaroXfic  aÖTÜJv  ÖTi  töttoc  eHuj  toO 
oöpavoö  Kevöc  ecTiv,  oxi  ouk  eEfjXSov  fev  toTc  Koipoic  auxujv,  Boüriant 
p.  130.   —   l'  dcT^pac  Toö  oupavoö  bebeixivovc  koI  l^^ijip^vovc  —   koI 


—     220     — 

Wort  des  Herakleitos,  dafs  die  Dike  und  die  Erinyen,  ihre 
Helferinnen,  die  Sonne  erreichen  und  strafen  würden,  wenn 
sie  ihre  Bahn  verlasse,^  Der  Abstand  der  Zeiten  scheint  un- 
geheuer, aber  man  ahnt  die  Gänge  der  Überlieferung,  wenn 
man  in  dem  Bericht  des  Hippolytos  über  Valentins  Lehre  ein 
altes  pythagoreisches  Symbolum^  von  jenem  Heraklitsatz  be- 
einflufst  findet  (VI  26,  p.  266,  55  ff.  DS):  öGev  6  mdxujv  epw- 
Tr|9eic  UTTO  xivoc"  ri  ecii  cpiXococpia;  eqpr)  x^PiC|uöc  MJUxfjc  dirö 
ca)|LiaToc,  TTu0aYÖpou  Kai  toütujv  tüliv  Xöyujv  Y£VÖ|ievoc  |ua6ri- 
Trjc,  ev  oic  \ifei  Kai  bi  aiviT^diiJuv  Kai  toioutoiv  Xöyujv  eK 
Tfic  ibiac  iäv  dirobTiiuric,  ixx]  eiricTpeqpou.  ei  be  |ufi,  'Gpi- 
vuec  AiKTic  eTTiKOupoi  ce  juexeXeucovTai,  ibir|v  KaXuJv  xö 
ciJu)Lia,  '6pivuac  be  id  TTd0ri.  Und  wenn  wir  bei  Henoch  lesen, 
dafs  die  Strafe  der  Gestirne  10000  Jahre  dauere,  darf  man  an 
dieselbe  Zeit  einer  Bufsperiode  in  der  Seelenwanderungslehre 
der  Pythagoreer  und  Orphiker  denken? 

Ich  wage  es  nicht  zu  behaupten.    Aber  unwahrscheinlich 


^v  TTupl  Kaio|idvouc,  a.  a.  0.  p.  132.  Einiges  andere  bemerkenswerte  der 
neuen  Henochstücke  will  icb  wenigstens  andeuten.  Sehr  bezeichnend 
ist,  wie  die  Ankunft  des  Herrn  geschildert  wird,  Bour.  p.  111.  —  Die 
äYY^^oi  vermählen  sich  mit  den  Töchtern  der  Menschen  und  lehren  sie 
Zauberei  (^iraoibäc,  cpapiuaKeiac,  ßordvac,  ^iZoTOjaiac)  Bour,  p.  115.  —  Von 
den  Giganten  ist  in  der  bekannten  Art  jüdisch-hellenistischer  Litteratur 
die  Eede,  Abraxas  143,  Budde  Biblische  Urgeschichte  391  ff.  Vom  himm- 
lischen Thron  der  jLieYÖtXn  böia  gehen  Feuer,  Blitz,  Feuerströme  aus,  Bour. 
p.  124,  Tgl.  Apoc.  Job.  XXII  1.  Die  Wohnplätze  in  der  Scheol  sind 
gegliedert  nach  Kang  und  Stand,  Geschlecht  und  Stamm  (Schwally  138), 
vgl.  oben  S.  142.  Die  auserwählte  Gemeinde  der  Gerechten  betet  für 
die  noch  nicht  erlösten  Menschenkinder  Bour  p.  39,  5,  Schwally  142,  vgl. 
Sibyll.  II  330  ff.,  s.  oben  S.  118.  Eine  sehr  merkwürdige  Angabe  ist,_  dafs 
die  Weiber  der  gefallenen  Engel  zu  Sirenen  werden,  al  y^voikcc  auTi&v 
TUJv  TrapaßdvTUJV  ä^jfiXwv  eic  cipfivac  YevrjcovTOi  Bour.  p.  131,  132. 

1  Herakleit.  Fragm.  29  By w.  Plut.  de  exil.  11  p.  604  "HXioc  Yap  oux 
ÜTrepßnceTai  n^rpa,  (pnclv  6  'HpdKXeiroc.  ei  bk  ixx],  'GpivOec  |liiv  Aiktic  ^it(- 
Koupoi  ^Seupricouciv.  Plutarch.  de  Is.  c.  48  p.  370  fiXiov  bk  (seil.  'HpdKXeiTÖc 
cpriciv)  |Liri  ÖTTcpßricecGai  touc  TtpocriKovrac  6pouc.  el  bä  |ar),  K\u)9ac  (YXiwTTac 
überliefert,  verbessert  von  Hubniann  vgl.  Hesych.  s.  v.)  |liiv  AiKric  ^m- 
Koüpouc  eHeupriceiv. 

2  Vgl.  LDiog.  VIII  17,  Porphyr,  v.  Pyth.  42,  lambl.  protr.  XXI  14 
p.  107,  14;  114,  29 f.  ed.  Pistelli,  anderes  bei  Vßose  Aristot.  ps.  p.  201  ff. 
(Die  Stellen  weist  mir  Usener  nach.) 


—     221     — 

wären  solche  Beziehungen  nicht  nach  dem,  was  wir  von  den 
Essenern  wissen,  den  recht  eigentlichen  Repräsentanten  einer 
Vereinigung  des  Jüdischen  und  Pythagoreisch- Orphischen. 
Konnte  doch  sogar  ein  essenischer  Hymnus  mitten  zwischen 
orphischen  Gesängen  und  gnostischer  Mystik  aufgedeckt  wer- 
den.^ Auch  da  kommen  die  Giganten,  kommt  die  tevva  rrupöc 
vor,  das  reine  Jerusalem  als  Sitz  Gottes,  dj  tö  ctcßecTov  TrOp 
bid  TravTÖc  aiujvoc  TrpocTrapdKeiTai.  Dieser  Hymnus  ist  ja 
wie  die  Henochapokalypse  in  Ägypten,  in  einem  Grabe  ge- 
funden —  beider  Entstehung  wird  etwa  in  die  gleiche  Zeit 
gehören. 

Gerade  den  Essenern  wird  ja  auch  eine  durchaus  griechisch- 
pythagoreisch-orphische  Seelenlehre  zugeschrieben:  der  Leib 
ist  der  Kerker,  befreit  eilt  die  Seele  in  die  Höhe  gerade- 
so, wie  in  der  Weisheit  Salomons  von  der  Seele  gelehrt 
wird.^  Der  Strafort  der  Seelen  ist  dort  freilich  wie  bei  Philo, 
im  Anschlufs  auch  an  bestimmte  griechische  Traditionen,  in 
der  Luft.^  Den  Essenern  wird  auch,  wie  wir  schon  oben  be- 
rührten, ein  Glaube  an  ein  Seligenland  jenseits  des  Okeanos 
im  Westen  von  Josephus  (bell.  Jud.  H  8,  11)  zugeschrieben, 
dessen  genaue  Ähnlichkeit  mit  dem  griechischen  er  sogar 
selbst  hervorhebt.  Wie  kann  man  es  wagen  dem  Josephus 
ganz  einfach  den  Glauben  zu  verweigern?  Tendenziöse  Fälschung 
derart  wäre  dem  Josephus  erst  noch  nachzuweisen.  Und  wie 
konnte  er  solche  Dinge,  die  so  viele  genau  kannten,  fälschen? 
Wie  sollte  er  dazu  gekommen  sein?  Ebenso  hat  man  seine 
AufseruDgen  über  Pharisäer  und  Sadduzäer  anzunehmen,  und 
wenn  manches  mit  Andeutungen  etwa  des  neuen  Testaments 


1  Abraxas  138  ff. 

2  Ganz  vereinzelt  ist  da  eine  Stelle  wie  HI  13.  14  lucKopia  cxeipa  ^ 
äjuiavTOC,  fiTic  ouK  ä-^viu  Koixriv  ^v  irapaiTTuOiiaTi,  2Eei  Kapiröv  ^v  tni- 
ckottt)  vpuxuJv  Koi  euvoOxoc  ö  |Liri  ^pYacdjuevoc  ^v  x^'pl  <iv6|ui|ua  jurib^  ev- 
eu|ar|0elc  Kaxä  toO  Kupiou  trovripof  6oeriC€Tat  -^äp  auTiu  rfic  TriCTeuuc 
Xdpic  ^KXeKxf)  Kol  KXfipoc  ^v  vail)  Kupiou  9u|LiTip^cTepoc. 

3  Der  Ort  wird  bezeichnet  als  Hades,  wie  schon  bei  Xenokrates, 
Plutarch  u.  a.  Philo  scheint  für  unheilbare  Sünder  eine  Art  Hölle  an- 
zunehmen, obgleich  er  allgemein  äceßOJv  x^j^'pov  sagt  und  dann  wieder 
nicht  TÖv  |uu9euö|a€vov  ^v  "Aiöou  gelten  lassen  will,  Schwally  a.  a.  0.  156, 
Zeller  V  397. 


—     222     — 

nicht  zu  stimmen  scheint,  hat  man  zu  bedenken,  wie  mannig- 
faltig die  Richtungen  der  Pharisäer  sein  konnten.  Pharisäer 
haben  unter  der  Erde  Belohnungen  und  Strafen  angenommen, 
ewiges  Gefängnis  den  einen,  für  die  anderen  Wiederaufleben. 
Bei  der  Annahme  einer  ei|uap)iievTi  betont  Josephus  selbst  die 
Ähnlichkeit  mit  stoischem  Glauben.  Die  Seele  ist  ihnen  ein  Teil 
Gottes,  die  in  dem  Leibe  aus  vergänglichem  Stoffe  Wohnung 
nimmt;  die  reinen  Seelen  erhalten  den  heiligsten  Ort  des 
Himmels  und  werden  von  da  im  Umlauf  der  Zeiten  wieder 
in  heilige  Leiber  gesandt.  Die  Seelen  der  Gottlosen  nimmt 
der  finsterste  Hades  auf. 

Also  sogar  die  Seelenwanderung  drang  dort  ein,  die  doch 
nur  noch  in  pythagoreisch-orphischen  Kulten  fortgelehrt  wurde. 
Wir  haben  kaum  eine  Ahnung  von  der  Mannigfaltigkeit  der 
Einwirkungen  hin  und  her.  In  Ägypten  wenigstens  lernen 
wir  die  Abstufungen  der  Verschmelzung  in  den  mannigfachen 
Gemeinden  und  Kulten,  Lehren  und  Schriften  etwas  besser  kennen. 

Die  gewöhnliche  Betrachtungsart  der  Denkmale  dieser  Zeiten, 
ob  sie  jüdisch  seien,  ob  griechisch,  ähnlich  wie  bei  anderen 
Schriften  die  scharf  formulierte  Fragestellung,  ob  judenchrist- 
lich, ob  heidenchristlich,  hat  sehr  irregeführt  und  das  histo- 
rische Verständnis  derselben,  wie  sie  geworden  sind,  verbaut. 
Darum  das  meist  so  fruchtlose  Zerlegen  in  so  und  so  viele 
Grundschriften  und  so  und  so  viele  Interpolationen.  Die  Ver- 
einigung und  Verschmelzung  der  verschiedensten  Dinge  ist  ganz 
anders  und  viel  allmählicher  und  in  naturgemäfserer  Entwick- 
lung vor  sich  gegangen,  als  die  reinlichen  Konstruktionen  der 
Zusammenfügung  zulassen  wollen.  So  hat  man  scheinbar 
schlagend  bewiesen,  dafs  es  die  Therapeuten  des  Philo  nicht 
gegeben  haben  könne.  Und  es  hat  sie  doch  gegeben.^  Gerade 
in  ihrem  Kult  haben  wir  den  lehrreichsten  Querschnitt  vor 
Augen  aus  dem  langen  Verschmelzungsprocess  griechisch-orphi- 
scher  und  jüdisch-essenischer  Gemeinden. 

Diese  wichtigen  Mischungen  und  Übergänge  können  aber 
hier  nicht  weiter  erörtert  werden.  Und  was  gezeigt  werden 
sollte,  ist  klar:   die  alte  jüdische  Apokalyptik  hat  von  denen 

1  Ich  kann  schon  jetzt  auf  Untersuchungen  Paul  Wendlands  ver- 
weisen, die  in  Kürze  erscheinen  werden. 


-     223     - 

der  Petrusapokalypse  ganz  und  gar  verschiedene  eschatologische 
Bilder,-  und  man  sieht  deutlich,  wie  und  wo  in  der  jüdisch- 
hellenistischen  Litteratur  die  Einwirkung  der  griechischen  An- 
schauungen beginnt  und  weiter  um  sich  greift.^  Darum  soll 
natürlich  nicht  geleugnet  werden,  dafs  gewisse  Sündentypen, 
des  Verlassens  des  Weges  der  Gerechtigkeit,  des  Götzendienstes 
und  der  Schmähung  Gottes,  noch  nicht  in  den  älteren  griechi- 
schen Nekyien  gestanden  haben  können,  sondern  erst  aus 
jüdischen  oder  christlichen  Vorstellungen  hinzugethan  sind. 
Über  diese  Zusätze  wird  gleich  noch  ein  Wort  zu  sagen  sein. 
Ebenso  gut  können  die  nur  innerhalb  einer  weiterausgemalten 
Qual  erwähnten  CKuiXtiKec  dKOijuriTOi  in  Erinnerung  au  die 
griechische    Übersetzung    des    Jesaiassatzes    eingesetzt    sein.^ 


1  Ein  Versuch,  den  eben  MGaster  gemacht  hat  im  Journal  of  the 
royal  asiatic  society  of  Great  Britain  and  Ireland,  1893,  July,  p.  571  ff. 
(Hebrew  Visions  of  Hell  and  Paradise),  die  Petrusapokalypse  auf  jüdische 
Schriften,  auf  Mischna  und  Talmud  zurückzuführen,  die  doch  Jahrhun- 
derte später  entstanden  sind  als  die  Petrusapokalypse,  könnte  nur 
dann  überhaupt  diskutierbar  sein,  wenn  bewiesen  werden  könnte,  dafs 
die  spätjüdischen  Schriften  auf  alte  jüdische  Litteratur  zurückgiengen 
oder  auch  nur  zurückgehen  könnten.  Gerade  das  Gegenteil  aber  ist 
ohne  weiteres  darzuthun.  So  kann  die  Gastersche  Zusammenstellung 
höchstens  zeigen,  wie  in  die  spätere  jüdische  Schriftstell erei  immer  mehr  , 
fremde  Elemente  eindringen,  ja  was  die  eschatologischen  Dinge  anbe- 
trifft, wie  ohne  Zweifel  gerade  die  Petrusapokalypse  und  ihre  Ausläufer 
wie  auf  alle  folgende  apokalyptische  Schriftstellerei ,  so  auch  auf  die 
jüdische  gewaltig  eingewirkt  hat. 

2  Das  Feuer,  das  nicht  erlischt  und  der  Wurm,  der  nicht  ruht 
(nach  Jesaias  bezw.  Marc),  tritt  auch  später  noch  oft  als  das  Haupt- 
sächlichste der  Hölle  hervor.  Usener  notiert  mir  eine  Stelle  aus  der  Vita 
s.  Martiniani  in  cod.  Vindobon.  gr.  hist.  3  (s.  XI)  f.  113^  (Selbstgespräch 
des  h.  Martin.),  wo  freilich  auch  schon  Einwirkungen  der  Petrusapoka- 
lypse sich  zeigen,  namentlich  in  den  ÖYT^^oi  KoXdZovxec:  ^vvörjcov  oOv 
Tr)v  aiijuviov  ^Keivriv  KÖXaciv,  Mapxiviavd'  Xdße  KOTCt  voOv  tö  uöp  Ixeivo  tö 
aiuuviov,  Tov  CKUüXriKa  töv  äKoi|nriTOv,  töv  ßpuT^öv  tujv  ö6övtujv.  tö 
Yap  irpöcKoipov  Kai  öparöv  toOto  iröp  KCii  Otto  libaroc  cßevvuTOi  Koi  xaTov 
cp^YTOc  ^x^i'  TÖ  bä  aiiJÜviov  koi  dTeXeÜTTiTOv  irup  oöxe  uirö  liöaroc 
cßevvuTOi  Tru)TroT€  oöxe  q)^TTOC  i^ei  [cf.  Petr.-Ap.  2.  43  töttov  aux^il- 
pöraTov]-  Ol  CKiüXiiKec  exeivoi  oök  ^peinoOciv  ttot^.  ol  äYYe^oi  oi 
6Tri  Tiuv  KoXdceujv  dv^vboToi  eiciv  koI  dvriXeelc  irpöc  Ti|nujpiav. 
Xomöv  ^vvöricov  xauTa  ttdvTa,  Mapxiviavi  ktX. 


—     224     - 

Aber  von  allen  den  charakteristischen  Typen  der  Sünden  und 
Strafen,  die  in  der  Petrusapokalypse  aufgezählt  werden",  findet 
sich  in  den  älteren  jüdischen  apokalyptischen  Büchern  keine 
Spur;  sie  finden  sich  allesamt  wieder  in  der  älteren  griechi- 
schen Litteratur.  Der  negative  Beweis  ist  erbracht,  dafs  die 
Hölle  der  Apokalypse  keine  jüdische  ist,  dafs  ihr  Verfasser 
aus  jüdischen  Schriften  nicht  geschöpft  haben  kann. 


Die  Entstehung  der  Apokalypse  von  Äkhmim. 

Wer  die  Typen  der  Sünder  und  Strafen  in  der  Petrus- 
apokalypse mustert,  wird  zunächst  die  zweimalige  Anführung 
derer,  die  den  Weg  der  Gerechtigkeit  geschmäht  haben,  auf- 
fallend finden  (I  und  YII).  Vergleicht  man  Gruppe  VII  mit 
VIII,  so  scheint  sich  ohne  weiteres  herauszustellen,  dafs  die 
Strafe  für  die  Blasphemischen  (VII),  die  Lippen  zerkauen  zu 
müssen  und  feuriges  Eisen  über  das  Gesicht  zu  bekommen,  erst 
gemacht  ist  nach  der  Strafe  für  die  falschen  Zeugen  (VIII), 
die  Zungen  zerkauen  zu  müssen  und  brennendes  Feuer  im 
Munde  zu  haben.  Und  auch  die  Beschreibung  der  ersten  Gruppe 
in  ihren  allgemeinen  Wendungen  erregt  den  Verdacht,  später 
erst  zugefügt  zu  sein^,  und  die  Strafe  des  Aufhängens  an  der 
Zunge  konnte  leicht  nach  dem  Aufhängen  an  den  Haaren  oder 
Füfsen  in  der  Gruppe  III  hinzugesetzt  werden.  Es  ist  sehr 
wahrscheinlich,  dafs  die  Sünden  der  Schmähung  Gottes  und 
des  Weges  der  Gerechtigkeit  u.  ä.  erst  durch  jüdische  Ein- 
flüsse oder  vielmehr  in  der  Weiterausmalung  der  ursprüng- 
lichen apokalyptischen  Bilder  in  christlichen  Kreisen  so  stark 
hervortraten.  Und  es  ist  ganz  natürlich,  dafs  erst  da  solche 
Sünden  zugefügt  werden  konnten,  wie  die  den  Weg  Gottes  zu 
verlassen  (XIV),  die  Gerechtigkeit  zu  verdrehen  (11)  —  man 
hört  schon  die  Polemik  gegen  die  Ketzer  heraus  —  oder  gar 
die  Gerechten  zu  verfolgen  und  zu  verraten  (VI).  Die  Strafen 
dieser  Sünder  sind  denn  auch  mit  ganz  allgemeinen,  in  den 
übrigen  Gruppen  schon  vorhandenen  und  viel  prägnanter  aus- 
geführten Qualen  bestritten:  sie  sind  in  einem  See  mit  Schlamm 
(II,  wie  m,  V,  X),  sie  werden  gebrannt  und  gebraten  (XIV), 

1  Das  hat  auch  v.  Wilamowitz  schon  ausgesprochen  Ind.  Gott.  aest. 
1893  p.  32. 

Diet-cricb,  Kekyia.  J5 


—     226     — 

sie  werden  gegeifselt  und  aufgezehrt  von  Würmern  (VI,  wie 
IV).  Und  nicht  anders  ist  es  mit  denen,  die  sich  mit  eigner 
Hand  Götzenbilder  gemacht  hatten  (XII):  sie  sind  an  einem 
Ort  voll  gewaltigen  Feuers.  Dagegen  sehe  man  nun  die  Rede- 
weise in  der  Schilderung  der  anderen  Gruppen  und  ihrer  so 
ganz  eigenartigen  Strafen:  die  Weiber,  die  sich  zum  Ehebruch 
geschmückt,  sind  an  den  Haaren  aufgehängt  über  dem  auf- 
brodelnden Schlamm,  und  die  sich  mit  ihnen  vermischt  in  der 
Schande  des  Ehebruchs,  sind  an  den  Füfsen  aufgehängt  und 
mit  dem  Kopf  in  den  Schlamm  gesteckt  und  sprechen:  „Wir 
glaubten  nicht,  dafs  wir  an  diesen  Ort  kommen  würden*'  (III). 
Die  Mörder  und  ihre  Mitschuldigen  sind  an  einem  Ort  voll 
bösen  Gewürms,  sie  werden  dort  gebissen  und  Würmer  be- 
drängen sie  wie  Wolken  der  Finsternis;  davor  stehen  die 
Gemordeten  und  sprechen:  „0  Gott,  gerecht  ist  dein  Gericht" 
(IV).  In  Blut  und  Unrat  sitzen  bis  an  den  Hals  die  Weiber, 
die  unehelich  empfangen  und  abgetrieben  hatten.  Ihnen 
gegenüber  sitzen  die  Kinder,  von  denen  strafende  Feuerstrahlen 
ausgehen  (V).  Die  falschen  Zeugen  zerbeifsen  sich  die  Zungen 
und  haben  brennendes  Feuer  im  Mund  (VIII).  Die  Reichen, 
die  auf  den  Reichtum  vertraut  und  sich  nicht  erbarmt  über 
Witwen  und  Waisen,  werden  in  schmutzigen  Lumpen  über 
glühende  spitze  Kieselsteine  gewälzt  (IX),  und  in  aufbrodeln- 
dem Schlamm  von  Eiter  und  Blut  stehen  bis  an  die  Knie  die 
Wucherer  und  die  Zinseszins  forderten  (X).^  Diese  beiden  letzten 
Typen  gehören  gewifs  ursprünglich  zusammen:  darum  die  all- 
gemeine Strafe  der  Wucherer,  die  eigentlich  schon  einmal  da 
war  (V).  Die  unnatürliche  Unzucht  getrieben  haben,  werden 
fortwährend  einen  Abhang  hinuntergestürzt  und  müssen  wieder 
hinauflaufen  (XI),  und  mit  Stäben  von  Feuer  müssen  sich  fort- 
während schlagen  die  —  wenn  ich  oben  recht  geschlossen 
habe  — ,  welche  gehässig,  neidisch,  zornig  waren  (XIV).  Das 
sind  die  acht  oder  vielmehr  sieben  ursprünglichen  Gruppen, 
und  man  sieht  deutlich,  wie  diese  später  erst,  wol  erst  nach 
der  Übernahme  in  die  Christengemeinde,  ausgeweitet  wurden 


1  Für  die  Ziffer  IX  oben  S.  8  Z.  92  rechts,  die  durch  ein  Verßehen 
stehen  geblieben  ist,  lese  man  X. 


-     227     - 

zu  vierzehn  Gruppen.  Die  Sünden,  die  zu  brandmarken  man 
jetzt  ein  besonderes  Interesse  hatte,  wurden  hinzugesetzt  und 
deren  Strafen  durch  Wiederholung  und  geringe  Variation  der 
vorhandenen  dazu  erfunden.  Eine  Sünderklasse  wurde  sogar 
zweimal  gesetzt  —  wol  nur  der  zu  erreichenden  Zahl  14 
zuliebe. 

Woher  die  sieben  ursprünglichen  Gruppen  stammen,  kann 
nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  In  ihnen  gerade  ist  ja  auch  die 
Erwähnung  der  Seelen  der  Ermordeten  und  der  abgetriebenen 
Kinder  so  verräterisch  stehen  geblieben.  Und  nunmehr  glaube 
ich  die  Summe  meiner  Untersuchungen  ziehen  zu  können.  Die 
sieben  Typen  der  Sünder  sind  gerade  die,  welche  die  antike  An- 
schauung herausgebildet  und  der  christlichen  überliefert  hat: 
dafür  kann  ich  auf  meine  oben  gegebenen  Zusammenstellungen 
verweisen;  die  sieben  Typen  der  Strafen  sind  ohne  jede  Ana- 
logie in  jüdischer  Apokalyptik,  aber  gerade  sie  finden  ihre 
genauen  Analoga  in  der  auf  orphisch- pythagoreische  Tradi- 
tionen zurückgehenden  antiken  Litteratur.  Auch  das  ist  schon 
allein  meine  oben  (S.  211)  gegebene  Zusammenstellung  zu 
beweisen  geeignet.  Gemeinsam  mit  diesem  Höllenbilde  ist  auch 
das  Himmelsbild,  dessen  ganz  griechischen  Charakter  ich  oben 
zuerst  nachwies,  überliefert  gewesen.  Dafs  die  Lehre  der 
Seelenwanderung,  die  wol  einige  Gnostiker^,  aber  nicht  diese 
Christengemeinden  übernahmen,  unberücksichtigt  blieb,  ist 
nur  natürlich;  hat  man  doch  sogar  später  in  der  weiteren 
Geschichte  christlicher  Apokalypsen  immer  mehr  das  Bild  des 
Himmels  in  den  Hintergrund  treten  lassen,  zunächst  es  nach 
der  Höllenvision  in  immer  mehr  verkürzter  Gestalt  folgen  und 
endlich  ganz  fortfallen  lassen^,  so  dafs  schliefslich  nur  die 
Schrecken  der  Hölle  übrig  blieben,  für  welche  die  Phantasie 


1  In  den  gnostischen  Büchern,  die  CSchmidt  Gnostische  Schriften 
in  koptischer  Sprache  bespricht  (bes.  vgl.  S.  410),  findet  sich  zuweilen 
ganz  die  alte  orphische  Lehre  sehr  ähnlich  der  Ausführung  in  Platons 
Republik.  Die  irapcXriiu-rTTopec  ^pivaloi  führen  die  Seele,  übergeben  sie 
den  Peinigern,  Lichtjungfrauen  werden  beschrieben,  die  richten.  Ein 
TTapaXn.uTTTric  stöfst  die  Seele  wieder  in  einen  Körper,  welcher  den  von 
ihr  begangenen  Sünden  entspricht  u.  dgl. 

2  S.  Hßrandes  Visio  S.  Pauli  37  f. 

15* 


—    228     - 

der  mittelalterlichen  Menschen  stets  mehr  Interesse  gehabt 
hat  als  für  die  Herrlichkeit  des  Himmels. 

Die  ägyptische  Christengemeinde  aber  hat  die  Vision  von 
Himmel  und  Hölle  aus  der  griechischen  orphischen  Gemeinde 
herübergenommen. 

Wir  haben  die  Entwicklung  der  griechischen  apokalypti- 
schen Litteratur  darzustellen  versucht,  den  Weg  der  orphischen 
Kulte  von  Thrakien  nach  den  religiösen  Centren  Griechenlands, 
besonders  nach  Athen  und  weiter  nach  Unteritalien,  ihre  Ver- 
einigung mit  der  pythagoreischen  Bundeslehre  und  nun  die 
Verbreitung  ihrer  Bücher  über  die  hellenistische  Welt  und 
ihre  Einwirkung  auf  mancherlei  Werke  anderer  Litteratur. 
Die  orphisch-dionysischen  Kulte,  die  in  der  Zeit  nach  Christi 
Geburt,  besonders  im  zweiten  Jahrhundert,  so  aufserordent- 
lich  blühten,  sind  die  direkten  Erben  jener  unteritalischen 
Ordensbrüder  und  ihrer  heiligen  Bücher.  An  den  Küsten 
Kleinasiens  bis  zum  Pontos  überzogen  sie  Stadt  und  Land, 
und  ganz  besonders  in  Ägypten  wuchs  und  erstarkte  ihre 
Organisation.  Immer  mehr  werden  wir  durch  neue  Funde 
aufgeklärt  über  diese  verschüttete  religiöse  Welt.  Dies  war 
der  griechische  Kult,  der  die  Unsterblichkeitshoffnung  aus- 
bildete und  ausbreitete,  dies  war  der  Glaube,  dem  sich  die 
hellenistischen  Völker  zuwendeten,  als  auch  sie  die  Sehnsucht 
nach  der  Ewigkeit  einer  anderen  Welt  unwiderstehlich  erfafste, 
dies  die  Mystik,  welche  die  Griechen  hegten  und  pflegten,  ehe 
die  exotischen  Religionen  des  Orients  die  in  immer  mächtigerem 
Sündenbewufstsein  erzitternden  Nerven  noch  stärker  reizten 
und  befriedigten.  Man  kann  sagen,  dafs  die  orphische  Religion 
in  gewissen  Ländern  im  zweiten  Jahrhundert  die  Hauptmacht 
war,  die  dem  Christentum  gegenüberstand.  Das  Christentum 
trat  mit  der  stärksten  Betonung  des  Eschatologischen  auf:  *Thut 
Bufse,  denn  das  Himmelreich  ist  nahe  herbeigekommen';  der 
orphische  Glaube  war  die  griechische  Jenseitsreligion,  die  seit 
Jahrhunderten,  wenn  auch  lange  nur  in  Winkeln  und  im  Ver- 
borgenen, dann  aber  siegreich  in  der  griechischen  Welt  ge- 
predigt hatte:  *Lafst  euch  reinigen,  auf  dafs  ihr  den  ewigen 
Strafen  der  Unterwelt  entfliehen  möget'.  Es  ist  nicht  zufällig, 
dafs   Clemens  von  Alexandria  fortwährend  gerade  gegen    die 


—     229     — 

orphischen  Mysterien  polemisiert  und  fortwährend  in  ihren  Aus- 
drücken und  Bildern  redet,  um  zu  zeigen,  dafs  das  alles  das 
Christentum  erst  recht  erfülle,  und  es  ist  ebensowenig  ein 
Ungefähr,  dafs  Kelsos  dem  Origenes  als  Haupttrumpf  jene 
Mysterien  vorhält,  in  denen  auch  das  Heidentum  Lehren  der 
Unsterblichkeit  habe  wie  das  Christentum. 

Man  darf  aber  nicht  etwa  dem  Eindruck,  den  die  Polemik 
der  Kirchenväter  auf  uns  macht,  folgend  zwischen  den  orphi- 
schen und  christlichen  Kultgenossen  eine  unübersteigliche 
Kluft  sich  denken.  Man  stelle  sich  doch  nur  die  Verhältnisse 
vor ,  wie  sie  konkret  gewesen  sein  müssen.  In  den  griechischen 
Landen  wurden  ja  Griechen  Christen;  sie  nahmen  viel  ihres 
alten  Glaubens  mit  hinüber.  Wo  die  orphischen  Kulte  blühten, 
werden  die  meisten  Christen  vorher  Orphiker  gewesen  sein; 
denn  es  pflegt  so  zu  gehen,  dafs  gerade  aus  religiös  erregten 
Gemeinschaften,  die  schon  in  manchen  Dingen  ähnlichen 
Glauben  haben,  eine  kommende  neue  Lehre  ihre  Proselyten 
zuerst  und  am  leichtesten  gewinnt.  Ja,  es  werden  ganze 
orphische  Gemeinden  allmählich  Christlichem  sich  genähert 
haben.  Die  beste  Illustration  solcher  Vorgänge  sind  die  Orpheus- 
bilder der  christlichen  Katakomben:  wie  es  früher  schon  an- 
gedeutet war^,  so  ist  es  auch  von  theologischer  Seite  jetzt  aus- 
führlicher dargethan,  dafs  diese  Bilder  gar  nicht  anders  als  in 
Anknüpfung  an  die  orphischen  Kulte  zu  erklären  sind.^  Ja, 
die  Bilder  werden  Orpheus  selbst  darstellen  sollen,  nicht  Christus 
unter  seiner  Gestalt.  Gerade  auf  alexandrinischen  Münzen  des 
zweiten  Jahrhunderts  finden  sich  die  gleichen  Darstellungen 
von  Orpheus^:  so  wichtig  und  anerkannt  war  dort  sein  Kult. 
Und  die  jenen  Katakombendarstellungen  analoge  Verwendung 
von  Orpheusbildern  in  antiken  Gräbern,  die  der  letzte  Bearbeiter 
der  christlichen  Orpheusdarstellungen  vermifst,  ist  ja  vorhan- 
den in  jenen  unteritalischen  Vasengemälden,  die  den  orphischen 
Mysten  ins  Grab  gestellt  wurden  (s.  oben  S.  128).     Noch  sei 

es  erlaubt,  an  einem  Beispiel  den  Übergang  der  Orpheusbilder 
# 

1  VgL  auch  De  hynmis  orphicis  54, 

2  Alfred  Heulsner  Die  altchristlichen  Orpheusdarstellungen,  Leipz. 
Dissert.  1893. 

3  De  hymnis  orphicis  54,  2. 


—     230     — 

in  christlichen  Gebrauch  zu  veranschaulichen.  Im  Centralmuseum 
zu  Athen  befindet  sich  eine  plastische  Gruppe  aus  einem  Stück 
Marmor,  die  aus  Aegina  stammt^:  um  den  Orpheus  herum 
sind  im  Bogen  die  verschiedensten  Tiere  gruppiert.  Auf  der 
phrygischen  Mütze  des  Orpheus  sitzt  der  römisch-byzantinische 
Reichsadler.  Auf  der  Basis  ist  ein  Löwe  dargestellt,  der  ein 
Reh  zerfleischt;  das  bedeutet  ohne  Zweifel  wie  so  oft  den 
würgenden  Tod^,  und  dadurch  ist  es  auch  wenigstens  wahr- 
scheinlich, dafs  das  Bildwerk  zum  Grabschmuck  gedient  hat 
Das  Fragment  eines  zweiten  Bildwerkes  derselben  Art  befindet 
sich  im  Museum  des  Tschinili-Kiosk  in  Constantinopel.^  Auf 
der  Basis  desselben  ist  ein  Kreuz  eingemeifselt,  und  das  be- 
weist, *dafs  das  Bildwerk  zu  irgend  einer  Zeit  eine  christliche 
Bedeutung  hatte'.  Man  hat  das  im  antiken  Kult  gebräuchliche 
Monument  einfach  weiter  verwendet  und  es  nur  mit  einem 
Kreuz  bezeichnet.  So  wenig  war  ein  Gegensatz  des  orphischen 
und  christlichen  Kultes  vorhanden. 

Wir  haben  ja  oben  betont,  wie  frei  von  sogenannten 
christologischen  Elementen,  von  den  Hauptpunkten  späterer 
ausgebildeter  christlicher  Lehre  die  erste  christliche  Litteratur 
Ägyptens  war,  wie  auch  griechische  Spruchweisheit  ohne  viel 
Änderung  in  die  Christengemeinde  übergehen  konnte.  Der 
Grieche,  der  Christ  wurde,  behielt  eben  diese  ihm  wertvollen 
Überlieferungen  bei. 

Über  die  Entwicklung  der  orphischen  zu  heidnischen 
gnostischen  Gemeinden  und  deren  allmähliche  Christianisierung, 
über  diesen  so  wichtigen  Weg  des  Übergangs  in  Ägypten  kann 
ich  hier  nicht  ausführlicher  handeln.  Es  ist  genug,  wenn  wir 
in  dem  Übergang  der  orphischen  Himmels-  und  Höllenvision 
in  die  christliche  Schrift  nichts  unerklärliches  mehr  finden. 
Wie  einst  die  pythagoreisch  -  orphischen  Kultgenossen  im 
vierten  Jahrhundert  vor  Chr.  ihren  Toten  Verse  ihrer  apo- 
kalyptischen Dichtung  mit  ins  Grab   gaben,    wie  die  Brüder 


1  Veröffentlicht  von  JStrzygowski  in  der  Eömiscben  Quartalsohrift 
IV  1890,  Tafel  VI,  dazu  S.  104 ff.  Ohne  jeden  Grund  will  er  auch  dies 
Monument  für  christlich  halten. 

2  Usener  De  carmine  quodam  Phocaico  14  ff. 

3  JStrzygowski  a.  a,  0.  106. 


—     231     - 

desselben  Ordens  auf  Kreta  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Chr. 
dieselben  Verse  den  Ihrigen  in  die  Gruft  legten,  so  haben  auch 
die  Brüder  der  Christengemeinde  in  Ägypten  Stücke  ihrer 
heiligen  Schriften,  die  von  Seligkeit  und  ewiger  Pein  im  Jen- 
seits erzählten,  in  die  Gräber  ihrer  Verstorbenen  gelegt. 

Und  wenn  ich  am  Schlüsse  zurückgreifen  darf  auf  den 
Beweis,  den  ich  am  Anfang  geführt  zu  haben  glaube,  dafs 
der  Text  von  Akhmim  ein  Stück  ist  des  Petrusevangeliums, 
so  sehen  wir  den  für  die  Religionsgeschichte,  für  die  Genesis 
christlichen  Schrifttums  unendlich  wichtigen  Übergang  sozusagen 
vor  unseren  Augen  sich  vollziehen,  dafs  aus  der  antiken  Litte- 
ratur  der  orphischen  Gemeinde  im  Anfang  des  zweiten  nach- 
christlichen Jahrhunderts  die  Schilderung  von  Himmel  und  Hölle 
übernommen  wird  in  ein  Evangelium  der  Christengemeinde.^  Ea 
mag  das  nur  in  einer  lokalen  Überlieferung  der  heiligen  Ge- 
schichte stattgefunden  haben,  und  die  spätere  Sichtung  der 
heiligen  Überlieferungen  hat  solche  merkwürdige  Stücke  aus 
dem  Evangelienkanon  wieder  beseitigt.^  Aber  gerade  an  das 
eschatologische  Stück  des  Petrusevangeliums  hat  zunächst  die 

1  Das  Petrusevangelium  zeigt  deutliche  Spuren  von  'Gnostischem', 
und  es  bestätigt  auch  das  wieder  die  Wichtigkeit  'gnostischer'  Kulte 
bei  dem  Prozefs  des  Übergangs  von  Griechischem  in  Christliches.  Ich 
müfste,  um  nicht  mifsverstanden  zu  werden,  sehr  ausführlich  darüber 
handeln,  wie  solche  frühe  gnostische  Gemeinden  anzusehen  sind.  Aber 
ich  habe  weder  Neigung  noch  Verpflichtung,  die  Flut  der  neuen  Litteratur 
über  das  Evangelium  noch  mehr  anzuschwellen. 

2  Den  Zeugnissen  über  das  Fortleben  eines  Petrusevangeliums  kann 
ich  eines  hinzufügen,  das  ich  Usener  verdanke.  In  dem  cod.  Vindob. 
bist.  gr.  3  8.  XI  f.  265  ff.  steht  Bioc  Kai  iroXiTefa  koI  jxapTvipiov  toO  6t(ou 
äirocTÖXou  Kol  lepoindprupoc  TTaYKpaxiou  (Inc.  ^Y^vexo  |U6Td  tö  ävaXnqpOfi- 
vai  TÖv  KÜpiov  fiiailiv  'IricoOv  XpiCTÖv  eic  xouc  oöpavoüc  Kai  Kaöecöfivai  ^v 
beZiq.  ktX.):  'es  ist  ein  für  und  wohl  auch  in  Tauromenion  auf  Sicilien 
verfafster  christlicher  Roman',  jedenfalls  später  als  das  5.  Jahrhundert. 
Dort  steht  f.  268'  oiirwc  oOv  ^ttoiouv  oi  äyioi  diröcxoXoi  ev  xe  iröXeciv  Kai 
KUü|icuc  ÖTtö  'lepocoXO|uujv  eujc  'Avxioxeiac.  'Ava\ofr]C&ixevoc  (sie)  bk 
TTexpoc  TteTTOiriKev  xriv  icxopiav  ÖTtacav  xfic  ^vav6pu)TrriC€U)c 
xoö  Kupiou  riiuujv  'Iricoö  Xpicxoö  Ka6djc  xfiv  ^KKXriciav  bieKÖc- 
laricev  (bieKoc|noiicav  cod.,  corr.  Usener)  dir'  dpxnc,  öxe  ö  ctYTe^oc  xö 
Xaipe  K^KpOTev  xrj  irape^viu  jui^xpic  öxou  xai  dveXricpÖTi  6  Kupioc. 
ei  hk  oÖK  fjv  KeKpu|Li|a^vov  auxoTc,  dXX'  kv  äTipq  nöXei  f\  Ktifii;!  kaiovbäleTO 
uap'  aöxolc  kxX. 


—     232     — 

selbständige  Petrusapokalypse  und  dann  die  ganze  reiche  Apo- 
kalyptik  der  späteren  Zeit  angesetzt.  Die  apokalyptische  Lit- 
teratur  der  griechischen  Kulte,  die  uns  nur  in  so  wenigen 
versprengten  Trümmern  erhalten  ist,  bildet  eine  geschicht- 
liche Linie  mit  den  ersten  christlichen  Offenbarungen  vom  Jen- 
seits und  mit  dem  Glauben  von  Himmel  und  Hölle  in  der 
christlichen  mittelalterlichen  Welt.  Das  Dokument  der  Über- 
nahme aus  den  antiken  heiligen  Büchern  des  Orpheus  in  das 
christliche  Evangelium  sind  die  Pergamentblätter  aus  dem 
Grabe  von  Akhmim. 


Sachliches  Eegister. 


Die  Zahlen  hinter  dem  Komma  bezeichnen  die  Anmerkungen. 


Abaris  130. 
Adrasteia  123. 

Ägyptische    christliche    Litteratur 
190. 

Aithiopia  26. 
Alibas,  Alybas  27,  4. 
'AvdfKri  124. 
ävaMJUxeiv,  dvavijuxn  95. 
Anthropogonie,  orphische  100. 
Antonius  Diogenes  149. 
dudXa|ivoi  qpp^vec  112. 
Aristeas  130. 
Auferstehungsglaube,  jüdischer  216. 

Baßu)  87,  3. 

Begraben  der  Toten  46. 

Belial  186. 

Bildwerke,  altchristliche  43. 

ßöpßopoc  73.  81. 

Buch  des  Gerichts  126,  1. 

Büfsertypen,  homerische  63.  76. 

XaXKÖc  49,  2. 
Chthonische  Kulte  63. 

Danaiden  70. 

Delphi    65.   166;    Polygnots    Bild 

68;  Sühnungen  66. 
6^\-roi  Aiöc  127. 
Pseudo-Demosthenes'   erste  Aristo- 

geitonrede  137. 
ödp|ia  TU1TÖC  47,  4. 


Didache  173. 
biqpGdpai  Ai6c  127, 
Durst  der  Toten  99. 

Eleusis  64. 

gXxeiv  ini  Kvdqpou  204. 

Elysium  19,  bei  Homer  20. 

Empedokles  108.  119.  131. 

Eridanos  26. 

Erinyen  54,  220. 

^puOpd  edXacca  26. 

Eschatologische  Eeden  Christi  15. 

Essener  221. 

Etruskische    UnterweltsvorsteUun- 

gen  210,  2. 
Eurynomos  47. 

Fackeln,  lustrale  Bedeutung  199,  2. 
Farben  des  Lichtlandes,  der  Licht- 
gottheiten 29. 
Feuerpein  196.  201. 
Fresser  der  Unterwelt  47.  52. 

Ge  100, 

Gerechtigkeit   der   Barbarenvölker 

35. 
Giganten  185. 
Göttergarten  21. 
Gorgo  48. 
Grabreden  89. 
Grabschriften  106. 

Hades,  Diarrhöflufs  83,  2;  Folterer 
im  H.  60;  Hand  des  H.  51 ;  Eichter 


-     234 


im  H.  126,  1;  Thürhiiter  im  H. 
51,1;  Wasserträger  im  H.  70; 
Heiden  im  H.  25,1;  Sonnen- 
strahlen im  H.  23;  Trunkenheit 
im  H.  78;  Wiedersehen  im  H. 
136,  3;  Hades  bei  Homer  63,  in 
römischer  Vorstellung  141,  in 
Volks  Vorstellungen  136. 

Hadesbücher  84. 

Harpyien  56,  1. 

Hekataios  von  Abdera  36. 

Henochapokalypse  217. 

Herakleides  Pontikos  129. 

Herakleitos  75. 

Hermotimos  130. 

Hesperiden  37. 

iepöcuXoc  69. 

Hymnen  der  Gerechten  36. 

Hyperboreer  35. 

Judenchristliche  Litteratur  222. 
Jungfrau,  heilige  187. 

Katakomben  43. 
KaratTiTTcOv  203. 
Kerberos  49. 
Keren  56. 
Kinderseelen  62. 
Kleoboia  69. 
KÖXacic  195. 
kOkXoc  YGvkeujc  111. 

Lebenslicht  24,  1. 
Lethe  90. 

Leuke,  Leukasfels  27. 
Lichtstrom  26. 
Lukans  Orpheus  134,  1. 
Lukians  Hadesschilderungen  142. 
Lustrale  Bedeutung  der  Strafen  197. 
Lykia  25. 

Manes  155. 
Mater  magna  87. 
ILi^Xea  56,  2. 
Meleagros  67. 
Meliuchos  66,  2. 
Menippos,  Nekyia  142. 


|a^0Ti  aitbvioc  73. 
Mnemosyne  90. 

Mysterien  63,  Sittliches  in  den 
Mysterien  67. 

Nacht,  Orakel  der  Nacht  147. 
Neupythagoreer,  verschiedene  Rich- 
tungen 143. 
Nimbus  40. 

Orpheus  74;  Orpheusbilder,  heid- 
nische und  christliche  229 ;  Orphi- 
ker  verschiedener  Richtungen  125; 
Orphiker  und  Christen  229;  or- 
phische  Bücher,  Lektüre  und  Be- 
nutzung 159;  orphische  Dionysos- 
kulte 148;  orphische  eic  "Aibou 
Karaßacic  128;  orphische  Hades- 
bücher 160;  Orpheus  Kpaxrip 
147 ;  orphische  Litteratur  75; 
orphische  Religion  194;  orphi- 
scher  Ursprung  der  platonischen 
Mythen  123;  orphische  Winkel- 
mysterien 82. 

irarpaXoiac  68. 

Pech  200. 

Peirithoos  91. 

Trepi|ndTTeiv  81. 

Persephone  110. 

Petrus  als  Erzähler  der  Apokalypse 
10;  Fragmente  der  Petrusapoka- 
lypse  11;    Petruscvangelium    16. 

Pharisäer  222. 

Phoinike  25. 

qpoivit  25,  2. 

Phokylideisches  Gedicht  173;  Pho- 
kylides  im  2.  Sibyllinenbuch  183. 

Pindar  109;  119, 

TTie  Zricaic  98. 

Piatons  eschatologische  Mythen  113 ; 
Phaidros  113,  Republik  114,  Gor- 
gias  116,  Phaidon  117;  orphischer 
Ursprung  der  platonischen  Mythen 
123. 

Plutarchs  eschatologische  Mythen 
146. 


235    — 


TToivai  58. 

Polygnot,  Hadesbild  68. 

Polypen  179. 

Poseidonios  144. 

Prodigia  198. 

TTpöp^riac  in  Eleusis  66. 

Protagoras  87 ,  Sti  afrech tstheorie 
207. 

ijjuxpöv  i)5ujp  95. 

Pyriphlegethon  27.  196. 

Pythagoras  84,  pythagoreische  cic 
"Ai6ou  KttToßdceic  129;  pythago- 
reisches Strafrecht  207. 

Refrigeratio,  refrigerare  96. 

CapKoqpdYOC  52. 

Satyrchor  77. 

Schwefel  200. 

Seelenwanderung  88.  144;  Perioden 
der  S.  118.  156. 

Selige ,  äufsere  Erscheinung  38 ; 
lockiges  Haupthaar  der  S.  39;  S. 
auf   christlichen  Bildwerken  43. 

Sertorius  31. 

Sibyllinenorakel  Buch  I — HI,  Zu- 
sammenhang 189, 1;  II.  Buch  183. 

Sirenen  55,  6;  124. 

Strafdämonen  59;  Strafengel  60. 

Strafrecht,  ältestes  206. 

Strahlenkranz  40. 

Sünder  bei  Piaton  167;  bei  den 
Stoikern  170,  bei  Lukian  171;  in 
der  eleusinischen  Lehre  165;  in 
der  altchristlichen  Litteratur  174; 


in  den  gnostischen  Schriften  172; 
Sünder  gegen  Götter,  Eltern, 
Freunde  163. 

Talionsrecht  206. 

Tellis  69. 

Thanatos  46. 

Theseus  92. 

Thrakische  Unsterblichkeitslehre  73. 

Thron  der  Lethe,  der  Mnemosyne94. 

Todesgottheiten  46. 

Totenmahle  79,  4. 

Totentafeln,  unteritalische  85. 

Totenzug,  bakchischer  56. 

Traumvisionen  132. 

Tritopatoren  105,  2. 

tunica  molesta  203. 

Tyche  87. 

Unterweltsbilder,  unteritalische  128. 
Uranos  100. 

Yergil  Aeneis  6.  Buch  150. 
Visionen  132. 

Wasser  des  Lebens  95.  99. 

Wege,  zwei,  in  ethischer  und  escha- 

tologischer  Litteratur  191;    drei 

120.  131.  151. 
Wiedervergeltungsrecht  206. 

Xenokrates  165. 

T,  mystisches  Zeichen  des  Pytha- 
goras 192. 

Zalmoxis  130. 


stellen  register . 


Aischylos  Agam,  1547 
Choeph.  306 
Eumen.  269 
Prom.  935 
Suppl,  230 
701 
Fragm.  (N")  146 
192 
Anthol.  Pal.  VII    31 
VII  123 
Apocal.  Mariae  Virg.  Texts 

and  studies  11  3  p.  118 
Apollon.  Rhod.  Argon.  I  494 
1496 
Apollod.  Epit.   Vatic.  VI  3 

p,  58  W 
Apuleius  Metamorph.  XI  24 
Aristias  Fragm.  3  N^ 
Aristoph,  Frösche  154 
470 
Wespen  1361 
Fragm.  149.  159  K 
(Geryt.) 
Aristophon  Fragm.  12.  13K 
AthenaioB  XI  p.  503°  (Nikan- 
dros) 


Seite 

89 
206 
163 
123 
126,  1 
163 

96 

26 

80 
197 

209 
101 
153 

91 
42 
47 
71 
92 
199 

83 
78,  5 

95 


Bion  bei  Laert.  Diog.  IV  49   141 

Claudian  de  consul.  Stilich. 

n  424  159 

de  consul.  Stilich. 

II  467  33,  2 

Claadian  epithal.  de   nnpt. 
Hon,  Aug.  232  159 


Seite 

Clemens  Alex.  ecl.  proph.  41, 
48,  49  11 

Daniel  XI  1  Sept.  215 

Pseudo  -  Demosthenes   XXV 

§  52  137 

Pseudo  -  Demosthenes   XXV 

§  11  139 


Empedokles  v.  365  Stein 

89 

Ennius  Epicharm.  Fragm.  I 

Vahl. 

132 

Epicur.  Fragm.  341  üs. 

140 

IV.  Esra  VI  56 

214 

Eurip.  Helen.  1313 

103 

Hippol.  732 

22 

Ion  1134 

24 

1549 

40 

Kykl.  164 

28 

397 

47 

646 

82,  2 

Suppl.  531 

104,  1 

Fra,gm.  (N*)484(Melanipp.; 

)101 

506(Melanipp.; 

1127 

311(Belleroph.; 

)164,  1 

781  (Phaeth.) 

199 

782  (Phaeth.) 

96 

863 

168 

1004 

100 

Henochapokalypse  bei  Bou- 
riant  p.  130  219 

p.  134  33,  1 

Herakleit.  Fragm.  29  Byw.     220 
Fragm.  180  Byw.     75 


237 


Seite 

Hermippos  bei  Porphyr,  de 

abstin.  IV  22  165 

Herodian.  bist.  I  7,  5  42 

Hesiod  Theogon,  105  102 

Werke  166  20 

287  193 

694  179 

Hippolyt.  refut.  omn.  haar. 

V27,  p.  230  DS        94,  1 

VI  26,  p.  266  DS      220 

Homer.  II.  VII  409  197 

III  276,  XIX  258     54 

Demeterhymn.  480        64 

Horatius  carm.  IV  7,  27  93 

epod.  XVI  32 

Jesais  LXVI  24  200.  215 

Inschriften 

IGSI  nr.    641  Kaibel 
nr.    642       „ 
nr.  1196      „ 
Bull,  de  corr.  heU.  XVII 122 
'6q)r|M-  <ipX-  III  P-  81,  nr.  8 
Epigramm.  153  Kaibel 
CIL  m    686 
VI  2160 
Ion  Fragm.  36  N^ 
loseph.  bell.  lud.  II  8,  11 
Isokrat.  Nikokl.  VEI  61 


86 
85,  2 

115,  1 

107 
64,  1 
79,  3 
78,  1 
97 

180 

221 

209 


Lactant.  Inst.  dir.  VI  6  192 

Laert.  Diog.  VIII    4  130 

VIII  21  129 

VIII  41  130 

Lukian.  Alexandr.  40  39 

Ver.  bist.  II    2  143 

II    5  32.  24 

37.  149 

n  12  33 

n27 


Katapl.  22 
Lucretius  III    976 
III  1015 

Makarius  Magnes  IV  6  (ed. 
Blondel  p.  164) 


200 

65,2 
140 
141 


13 


Seite 

Makarius  Magnes  IV  7  (p.  165)  13 
Makarius  Magnes  IV 16  (p.  185)  13 
Marc.  IX  49  200 

Methodius  sympos.  U  6  (ed. 

Jahn  p,  16)  12 

Minucius  Felix  Octav.  35       160 


Orpheus  Argon.  1219 
Hymn. 


41 

XII  10    104,  3 
LX    2    139 


LXX    5 
LXXVII    9 

p.  294, 79 Abel  52,  5 

pap.  Paris. 

V.  1963 

T.  2334 

V.  2654 

Fragm.  164 

224 

226 

Ovid.  Amor.  II  6.  49 


62 
90 


23 
201,  2 

53 
134 
135 

95 
169.  1 


Panyassis  Fragm.  9K 
Passio  Perpet.,  Texts  and  stu- 

dies  I  2,  79 
Pausanias  X  28,  1 
X  28,  7 
Persius  III  56 
II  Petrus  II  1 
Pindar  Ol.  II  56 

Pyth.  VI  23 
Threnos,  rekonstruiert 
Fragm.  129.  130 
131 
133 
Piaton  Phaid.  p.  69'= 
p.  113<i 
Phaidr.  p.  249»  »> 
Republ, 


363° 
364° 
474« 
615« 
616* 


92 

34 

68,  2 

47 
192 

15 
109 
166 
120 

30 
110,2 
109 

73 

59 
155 

72 
193 

39 
158 
205 


Pseudo-Platon  Axioch. 
p.  371° 


31.  121 


-     238 


Seite 

Seite 

Plautus  Asiuaria  301 

203 

Servius  zu  Verg.  Aen.  VI  395 

50 

Captivi  596 

203 

zu  Verg.  Geoi'g.  I 

34  131 

Captivi  998 

138 

Solon  Fragm.  36  B 

102, 

1 

Trinummus  649 

169 

38  B 

31, 

1 

Pliitarch  consol.  ad  Apollon. 

Sophokles  Elektr.  62 

1S3 

34  p.  120'' 

121 

Fragm.  (N^)  297.  870 

21 

de  Isid.  48  p.  370 

220 

Sertor.  8 

31,  2 

Testam.  Abraami,  Texts  and 

de  sera  num.  vind. 

studies  II  2  p,  92 

126, 

1 

c.  22  p.  563'^ 

145 

Tbeognis  105 

179 

p.  565 

32 

145 

178 

p.  567*^ 

209 

Tzetzes  zu  Aristo pb.  Frösche 

de  occult.  viv.  p. 

142 

49, 

4 

1130°                91. 

120 

Pollux  1  6 

21 

Yergil  Aen.  VI  617 

92, 

7 

Porphyrioa  de  abstin.  III  25 

100 

VI  739 

201 

Proklos  zu  Plat.  Tim.  V  293 

105,  1 

Pythagoras  carm.  aurl  1 

167 

Xenophon  Cyropaed.  VIII  7, 18  60 

70 

89 

Memorab.  II  1,20 

193 

Sallustius  bist.  fr.  61  Kritz      31,  2       Zosimos  bist.  II  1 


200 


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