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1]
NEKYIA
BEITRÄGE ZUR ERKLÄRUNG DER NEÜESTDECKTEN
PETRUSAPOKALYPSE
VON
ALBRECHT DIETERICH
37
J7^
LEIPZIG
DBUCK ÜXD VERLAG VON B. G. TEUBNEE
1893
Hier bei diesen Griechen
Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
Neugierig aber war' ich nachzuspüren,
Womit sie Hollenqual und Flammen schüren.
Goethe Klassische Walpurgisnacht.
YoYVfort.
Meiner Arbeit ein Wort vorauszuschicken veranlafst mich
nur die angenehme Pflicht des Dankes für vielfache freund-
liche Hülfe. Den gröfsten Dank schulde ich meinem verehrten
Lehrer Hermann Usener, der mir eine Korrektur gelesen und
mich durch die mannigfachsten Winke und Nachweise unter-
stützt hat (auch vielfach, wo ich es im einzelnen nicht bemerkt
habe); Wilhelm Schulze danke ich für vielerlei Rat und Hülfe
(die auch nicht immer bei dem einzelnen bezeichnet ist) bei
der Durchsicht der Druckbogen und Adolf Jülicher für die
freundliche Unterstützung in manchen theologischen Fragen.
Marburg i. H., September 1893.
Albrecht Dieterich.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort III
Einleitung. Die neue Apokalypse von Akhmini 1
Text und Übersetzung 2; Fragmente der Petrusapokalypse 11;
Zugehörigkeit des Textes von Akhmim 13.
I. Griechischer Volksglaube vom Totenreich 19
1. Der Göttergarten und der Ort der Seligkeit 19
Der Göttergarten im Westen 20; das Lichtland 23; Schil-
derungen des Seligkeitsortes in der antiken Litteratur 30;
die 'gerechten' Völker des Westens und Nordens 35; die
äul'sere Erscheinung der Seligen 38; Nimbus und Strahlen-
kranz 40; Katakombendarstellungen 43.
2. Die furchtbaren Wesen der Tiefe 46
Der Todet^gott 46; die Fresser der Tiefe 48; Kerberos 49;
capKocpdiTOC 52. •
3. Erinyen und Strafdämonen 54
Erinyen - Keren 54 ; Dämonen 59 ; öyy^Xoi 60 ; die sich
rächenden Seelen 61.
II. Mysterienlehren über Seligkeit und Unscligkeit es
1. Chthonische Geheimkulte; Eleusis und Delphi 63
Der Demeterhymnus 64; die Sühnungen Delphis 66; das
Sittliche in den Mysterien 65; das Unterweltsbild des Poly-
gnot 68; der Hades in den Fröschen des Aristophanes 70.
2. Die altorphischen Kulte und ihre eschatologischen Lehren . 72
Die Herkunft der orphischen Kulte 73 ; Anfänge einer
orphischen Litteratur in Athen 75; Entstehung der ersten
Büfsertypen (die homerische Nekyia) 75; die ewige Trunken-
heit der Seligen, der Satyrnchor 77; die Verdammten liegen
im Schlammpfuhl 81.
III. Orphisch-pythagoreische Hadesbücher 84
1. Die Inschriften auf den unteritalischen Tbtentafeln .... 84
— V —
Seite
Seelenwanderungslehre 88, Lethe und Mnemosyne 90; dva-
\\njxr\ refrigeratio 95 ; Uranos und Ge, die Eltern des Men-
schengeschlechts 100; die Totentafel von Kreta 107.
2. Eschatologische Leliren und Mythen bei Empedokles, Pindar,
Piaton 108
Empedokles 108; Pindaros 109; Piatons eschatologische
Mythen im Phaidros, in der Republik, im Gorgias und
im Phaidon 113; Rekonstruktion eines Threnos des Pin-
daros 119; die orphischen Quellen jener Lehren und
Mythen 122; die orphischen und pythagoreischen Kaxa-
ßdceic eic "Aibou 128.
3. Weitere Reste und Spuren orphischer EEadeslitteratur . . . 136
Pseudo-Demosthenes' erste Aristogeitonrede 137; Stellung
der stoischen Lehre 140, Bions und seiner Nachahmer 141 ;
Menippos, Lukian 142; die Neupythagoreer und ihre Lehre
143; Plutarchs eschatologischer Mythus in de sera num.
vind. 145; Lukians vera historia 148; das sechste Buch
der Aeneis Vergila 150; Entwickelung und Bedeutung der
orphischen Nekyien 159.
IV. Sünder und Strafen im Hades 163
1. Entwickelung der Typen der Sünder 163
Altgriechische Hauptsittengebote 163; eleusinische Gebote
165; Einwirkung platonischer und stoischer Ethik 170;
Tafel antiker und altchristlicher Lasterkataloge 174; Tafel
der Sünder in der Apostellehre, dem phokylideischen Ge-
dicht, dem zweiten Buche der Sibyllinen, dem Texte von
Akhmim 176; das pseudophokyHdeische Gedicht jüdisch
oder christlich 178; der Einschub eines Stückes des pseudo-
phokylideischen Gedichts ins zweite Sibyllinenbuch 183;
das zweite Buch der Sibylltnenorakel 184; ägyptische christ-
liche Litteratur der ersten Hälfte des zweiten Jahrhun-
derts 190; das Bild von den zwei Wegen 191.
2. Entwickelung der Typen der Strafen 195
Die Feuerpein 196; der ursprünglich lustrale Charakter
der Unterweltsstrafen 200; Einwirkung der Analogie irdi-
scher Strafen und Qualen 202; Einwirkung des alten
Rechtes der Wiedervergeltung 206; die Strafen in orphi-
scher Hadealitteratur und die in der Petrusapokalypse 211.
V. Jüdische Apokal}^tik 214
Sünden und Strafen im IV. Buch Esra 214; das Buch
Daniel 215; Wendung der jüdischen Anschauungen in der
Makkabäerzeit 216; griechische Einflüsse in der Henoch-
apokalypse 217, in der Lehre der Essener 221; Mischungen
des Griechischen und Jüdischen 222.
— VI —
Seite
Schlafs. Die Entstehung der Apokalypse Ton Akhmim 225
Komposition und Erweiterung der Sünder- und Strafen-
klassen in der Apokalypse 225 ; ihr Ursprung in der orphi-
schen Hadeslitteratur 227; Orphiker und Christen im
2, Jahrhundert 228; Orpheus und Petrus 231.
Sachliches Register 23.S
Stellenregister 23G
Die neue Apokalypse von Akhmim.
Der Pergamentcodex, der in einem Grabe zu Akhmim in
Oberägypten gefunden worden ist, enthält das Stück eines
Evangeliums des Petrus, die Erzählung des Leidens und der Auf-
erstehung Christi, und ein apokalyptisches Stück, das sich offen-
bar als Bericht desselben Petrus giebt, und grofse Stücke der
Henochapokalypse. Die Petrusapokalypse enthält hauptsäch-
lich eine Schilderung des Ortes der Seligen und des Ortes der
Verdammten, die Christus auf einem Berge dem Petrus zeigt,
eschatologische Bilder, die in früherer christlicher Litteratur
ohne jede Analogie sind. Schon beginnt dieser merkwürdige
alte Text vielfach Licht zu werfen in alle möglichen Schluchten
und Seitenwege späterer christlicher Schriftstellerei und einen
langen ununterbrochenen Weg der Tradition zu beleuchten bis zu
dem Himmel und der Hölle des Dichters der göttlichen Komödie.
Wo aber hat dieser Weg seineu eigentlichen Anfang? Woher
nahm der altchristliche Apokalyptiker die Farben, den Ort der
Seligkeit und der Qual zu malen? Es mufs von der gröfsten
Bedeutung sein für die Erkenntnis der Genesis nicht nur alt-
christlicher Eschatologie, sondern überhaupt der Anlehnungen,
die für das älteste christliche Schrifttum und den altchrist-
lichen Kult zu suchen sind, wenn es gelingt, den Ursprung
dieser Visionen mit Sicherheit nachzuweisen. Ehe ich meine
Beiträge vorlege zur Lösung dieser Frage nach der Herkunft
und den Quellen der Petrusapokalypse und nach der geschicht-
lichen Entwicklung der Formen der Jenseitsanschauung, wie
sie hier auf einmal, scheinbar so plötzlich und unvermittelt auf-
tauchen, mufs ich den Text des apokalyptischen Stückes selbst
geben ^ und über dieses einige Worte vorausschicken.
1 Sicheres Fundament für die Recension des Textes ist jetzt allein
die Ausgabe 0. von Gebhardts: Das Evangelium und die Apokalypse
des Petrus, die neuentdeckten Bruchstücke nach einer Photographie der
Handschrift zu Gizeh in Lichtdruck hrsgg. Leipzig, 1893.
Dioterich, Xekyia. 1
Pergamentcodex von Akhmim, S. 19 — 13.
TToXXoi eH auTUüv ^covxai qjeuboTrpocpfiTai Kai obouc Kai
bÖYluaia TTOiKiXa rrjc dTTOiXeiac bibdSouciv, eKeivoi be uioi rfic 2
omwXeiac Y^vricoviai. Kai löre eXeucexai 6 Geoc im tou[c] 3
TTicTouc )uou Touc TTeivuJvxac Kai bivpuJvxac Kai GXißojuevouc Kai
5 ev xouxLu xuj ßiuj xdc ijjuxdc dauxuJv boKijudZ^ovxac Kai Kpivei
xouc uiouc xfic dvo)uiac.
Kai irpocGeic ö Kupioc eqpiT ayouiuev eic xö öpoc, euHu)|Lieea. 4
dTTepxöjuevoi be jaex' auxoö f]|ueTc oi buubeKa )LiaGr|xai dberjGriluev, 5
ÖTTuuc beiHrj fi|uiv eva xuiv dbeXqpujv fjjuujv biKaiuJv xüjv eSeXGöv-
10 xiuv diTÖ xoO KÖcjuou, iva ibujjuev uoxaTioi eici xrjv luopqpriv Kai
Gapcr|cavx6c TrapaGapcuvuüiLiev Kai xouc dKOuovxac fijLiujv dvGpoJTrouc.
Kai euxo)Lievu)V fijuijuv dq3[vuj] 9[ai]vovxai buo dvbpec ^cxüjxec 6
ejUTTpocGe xoö Kupiou, Trpöc o[uc] ouk ebuvr|6ri|uev dvxißXei|;ai*
eHripxexo Ydp dfro xfic övpeuuc aiixujv dKxiv ujc fiXiou Kai cpuuxei- 7
15 vöv f]V au[xa)v xö] evbu)ua ottoTov oubeTTOxe 6(pGaX|uöc dvGpiu-
7r[ou eibev oube ya.]p cxöjua büvaxai eSriTHcacGai r| Kap[bia em-
vofic]ai xrjv böHav rjv evebebuvxo Kai xö KdX[Xoc xfic ö]q;€ujc
auxdiv. ouc ibövxec eGaiußoiGriiLiev ■ xd )uev ydp cuujuaxa auxüuv fjv 8
XeuKÖxepa irdcric xiovoc Kai epuGpöxepa iravxöc pöbou. cuveKC- 9
20 Kpaxo be xö epuGpöv aOxujv xlu XeuKÜJ, Kai dTrXOuc ou buva)Liai
eHriYricacGai xö KdXXoc auxujv. r\ xe fäp köixx] auxüuv ouXr| fjv lo
Kai dvGripd Kai eiriTTpeiTOuca auxiLv xiu xe TTpocujTruj Kai xoic
uj)Lioic ujcirepei cxeqpavoc Ik vdpbou cxdxuoc ireTTXeYiievoc Kai
TroiKiXujv dvGujv f| ujcTiep Tpic ev depi. xoiauxr] iiv auxüuv fi
C = Codex von Akhmim. Der Güte des Herrn Prof. von Gebhardt
danke ich es, dafs ich die Probeabzüge seiner Lichtdruckausgabe des
Codex schon benutzen konnte. Die Zahlen rechts sind die Verszahlen Har-
nacks und v. Gebhardts. Die römischen Zahlen rechts bezeichnen die
verschiedenen Gruppen des Stratbrts.
2 TTOiKiXoi C 6i5a£ujciv C eKoivoi C 3 zwischen tot€ und
eXeucGTOi zeigt das Facsimile ein Loch, das wie einige andere der Schreiber
schon vorgefunden hat, v. Gebhardt S. 29 oOc C, so öfter. 4 tou
mcTouc C irivujvTac aus tticujvtoc korrigiert in C binjov . . . C 7 koi
aus Kuc korrigiert in C okc C, so öfter. <^Kai^ euSu()|ue0a James opouc C
9 <(tujv^ öiKoiujv Harnack u. a. 11 ävoüc C, so öfter. 12 von aqpvi«
3 —
Viele von ihnen werdpn Lügenpropheten sein und werden
Wege und listige Lehren des Verderbens predigen; jene aber
werden Söhne des Verderbens werden, und dann wird Gott
kommen zu meinen Getreuen, die da hungern und dürsten
und in Drangsal sind und in diesem Leben ihre Seelen be-
währen, und wird richten die Söhne der Ungerechtigkeit.
Und der Herr fügte hinzu und sprach: „Lafst uns auf den
Berg gehen, lafst uns beten." Da wir aber mit ihm fortgiengen,
baten wir, die zwölf Jünger, er möchte uns einen von unsern
gerechten Brüdern, die aus der Welt gegangen, zeigen, damit
wir schauen könnten, welcher Gestalt sie sind, dafs wir getrost
würden und Trost geben könnten auch denen, die es von uns
hören.
Und indem wir noch bitten, erscheinen plötzlich zwei
Männer und stehen vor dem Herrn. Auf die vermochten wir
nicht geradeaus zu sehen. Denn es gieng von ihrem Antlitz aus
ein Strahl wie von der Sonne, und leuchtend war ihr Gewand,
wie es niemals eines Menschen Auge sah, und kein Mund
kann erzählen oder ein Herz erdenken den Glanz, in den sie
gehüllt waren, und die Schönheit, die von ihrem Angesicht
ausgieng; drum da wir sie sahen, wurden wir voll Staunens.
Denn ihre Leiber waren weifser als aller Schnee und röter als
jede Rose. Und Rot und Weifs war bei ihnen vereinigt. Und
in einem Worte, ich kann ihre Schönheit nicht auseinander-
setzen. Denn ihr Haar war lockig und glänzend und leuchtete
über ihrem Antlitz und ihren Schultern gleichwie ein Kranz,
geflochten aus Nardenblüten und bunten Blumen, oder wie
der farbige Bogen in der Luft, Derart war ihre Herrlichkeit,
Da wir also ihre Schönheit sahen, erschraken wir vor ihnen,
da sie so plötzlich erschienen,
ist cp noch deutlich zu sehen, auch ein Stück des uu 14 auTtü C qpivxi-
vov C 15 av C 16 eibev oub^ T^p Lods, v. Gebhardt u. a. f\ Kap[bia
^Trivofica]i Lods, v. Gebhardt, vgl. dessen Ausgabe S. 30 f\ Kap[6ia \u)-
?
pfjcaji V. Wilamowitz Ind. Gott. aest. 1893 p. 32 17 koXuu \\)€iuc C
evebe&uvTO korrigiert aus tbuvxo in C 19 AeuKorepov C 20 tuuv Xeu-
Kujv C 22 av9epa C 23 uucirepeic C lücrrepei ßlass, Janaes 24 xomu-
TT^V C
1*
— 4 —
25 euTTpeTTeia. ibövxec ouv autüjv t6 KdXXoc €K9a)Lißoi fe-jova^ev il
Trpöc auTouc, eTreibf) dqpvuu eqpdvricav.
Ktti TTpoceXGiJuv TLu Kupiuj eiTTov Tivec eiciv outoi; XeTei 12 13
|uor ouToi eiciv 01 dbeXcpoi fiiuüjv 01 biKaioi, u)v iiGeXricaie [idjc
ILiopqpdc ibeiv. Kayiij e'qpriv auTui' Kai ttoO eici Trdvrec oi bkaioi 14
30 r| TToTöc ecTiv 6 aiu)v, dv dj eici touttiv exovxec rfiv böEav; Kai 15
6 Kupioc ^'beiSe jaoi ineyicTov x^Jpov eKxöc tou[t]ou toö köc|uou
iiTrepXajLiTTpov xtu cpouii, Kai xöv depa xöv eKei dKXiciv nXiou
KaxaXa|Li7r6|uevov Kai xfjv y^v auxr]v dv9o0cav d|uapdvxoic dvGeci
Kai dp(ju|udx(juv TrXripri Kai q)uxu)V euav6d)V Kai dcpBdpxuuv Kai
35 KapTTOv euXoYimevov cpepövxuuv. xocoOxov be r\v xö dv6oc ibc 16
<^öc|afiv> Kai eqp' fiiaäc eKeiGev cpepecBai.
Ol be oiKr|xopec xoO xöttou eKeivou evbebu|uevoi fjcav evbu)Lia
d.-^fe'Kojy qpujxeivuuv Kai ö|uoiov fjv xö evbv^a auxujv xr] x^P^ i''
auxüjv. dYYC^oi be rrepiexpexov auxouc eKcTce. icri be fjv fi b65a 18 19
40 xujv eK6i oiKrixöpiuv, Kai juia cpuuvr] xöv Kupiov Geöv dveuqpruuouv
euqppaivöjaevoi ev eKeivuj xuj xöttuj. XeYei fi|uTv 6 Kupioc* ouxöc 20
ecxiv 6 xÖTTOc xüjv dpxiepeoiv ujuujv, xuiv biKaiuuv dvGpuuTTUüv.
Gibov be Kai exepov xorrov KaxavxiKpuc eKeivou auximi- 21
pöxaxov. Kai fjv xöttoc KoX[d]ceajc. Kai 01 KoXaZ;ö)Lievoi eKei Kai oi
45 KoXdZiovxec dYY^^oi CKOxeivöv eixov xö ^vbu|ua Kaxd xöv depa
XOO XÖTTOU.
Kai xivec fjcav eKei eK xf|c Y^iJuccric Kpe)ud)Lievor ouxoi be 22 I
fjcav Ol ßXaccprmoövxec xfjv öböv xfjc biKaiocuvric Kai uTieKeuo
auxoTc TTup (pXeYÖ)Lievov Kai KoXdZiov auxouc.
50 Kai Xi|uvri xic fjv jueYdXri ireTcXripuJiaevri ßopßöpou qpXeYOjue- 23 II
vou, ev d> fjcav dvGpoiTTOi xivec dTiocxpeqpovxec xfjv biKaiocüvr|V
Ktti eTTCKeivxo auxoTc dYYC^oi ßacavicxai.
25 iö()T€c G 28 rmOuv C \)\xa)v Harnack u. a. 35 uüc<(öc)ui')v)>
Usener 38 qpiUTivai C 40 aveuqpr^inouv aus av€q)ri|Liouv korrigiert in 0.
42 TOTTUJC Tuuv opxEpu) C dipxiiT<JJv V. Wilamowitz a. a. 0. p. 32, v.
Schubert Theol. Litztg. 1893 col. 37 u. a. biKaiov üvoiv C 43 eraipov
Tonuj KavTOVTiKpuc eKeivou aux|ii»lpovTU)v C aCixMIP^^xaTOv Blass, v. Geb-
hardt Zur Bedeutung vgl. Aristot. de color. p. 792» 11, ep. Petr. I 19, GIG
- 5
Und ich trat zu dem Herrn und sprach: „Wer sind diese?"
Er antwortet mir: „Das sind unsere gerechten Brüder, deren
Gestalt ihr ja schauen wolltet." Und ich sagte zu ihm: „Und
wo sind alle Gerechten oder wie sieht der Himmel aus, in dem
die wohnen, die solchen Glanz tragen?" Und der Herr zeigte
mir einen sehr weiten Ort aufserhalb dieser Welt über und
über glänzend im Lichte und die Luft dort von Sonnenstrahlen
durchleuchtet und das Land selbst blühend von unverwelk-
lichen Blumen und erfüllt von Wohlgerüchen und von Ge-
wächsen, die herrlich blühen und unvergänglich sind und ge-
segnete Frucht tragen. So stark war die Blüte, dafs der Duft
auch zu uns von dort getragen wurde.
Die Bewohner jenes Ortes waren bekleidet mit einem Ge-
wände strahlender Engel, und ihr Gewand war gleichen Aus-
sehens wie ihr Land, und Engel weilten dort unter ihnen.
Und gleich war die Herrlichkeit derer, die dort wohnen, und
mit einer Stimme priesen sie Gott den Herrn frohlockend an
jenem Orte. Und es spricht der Herr zu uns: „Dies ist der
Ort eurer Hohenpriester, der gerechten Menschen."
Ich sah aber auch einen anderen Ort, jenem gerade gegen-
über, der ganz finster war. Und es war ein Ort der Strafe.
Und die, welche gestraft wurden, und die strafenden Engel
hatten ein dunkles Gewand an gemäfs der Luft des Ortes.
Und es waren welche dort, die waren an der Zunge
aufgehängt. Das waren die, welche den Weg der Gerech-
tigkeit lästerten, und unter ihnen brannte Feuer und pei-
nigte sie.
Und es war da ein grofser See gefüllt mit brennendem
Schlamm, in dem sich solche Menschen befanden, welche
die Gerechtigkeit verdrehten, und Engel bedrängten sie als
Folterer.
no. 4466, 3, Hesych. s. v. 44 KoXacZoMevoi C 45 cxoXaZovxec aus cko-
XaZovTCC korrigiert iu C ckotivov C auTUUv ev6ebu|iieva C auTtliv tö ?v-
6u|aa Blass, James ckotgivöv eixov tö ävbv\xa aöxCDv, ^v&eöu|n^voi kotci
TÖv d^pa ToO TÖTTou V. Wilamowitz a. a. 0. 48 bioKaiocuvr)c G
52 ßaviCTai C
— 6 —
fjcav be Ktti aXXai Yuv[a]TKec [tJOov TrXoKd|iUJV eHriptrijuevai 24 III
dvuuTepuu ToO ßopßöpo[u] eKeiv[ou] toO dvairacpXdZ^ovToc • auT[ai
56 ö]e ficav ai irpöc |uoixeiac K0C|ari6eicai, oi be cu|a|LiiY[evTec] auiaic
TU) |Liidc)aaTi Tfjc laoixeiac eK tujv ttoöujv [fjcajv K[p€jLid|uevoi K]ai
xdc KCcpaXdc eixov ev tlu ßopß6p[iu Kpu]qp[9eicac Kai] ^XeYOV
ouK ^TTicTeuoiLiev eXeucecGai eic toötov tov töttov.
Kai Touc qpoveic ^ßXeirov Kai toOc cuveibörac auroic ßeßXr)- 25 TV
60 luevouc ev xivi töttiu T€0Xi|U|uevLjj Kai neTrXripiuiLievLU epTteriJuv
TTOvripuJv Kai irXriccoiuevouc uttö tOuv GripiuJV eKeivujy Kai oütuj
crpeqpoiLievouc ekci ev xfj KoXdcei eKeivr], eireKeivio be auioTc
CKwXriKec ujcrrep veqpeXai ckötouc, ai be vpuxai tujv ireqpoveu-
liievujv ecTUJcai Kai eqpopujcai xfiv KÖXaciv eKeivuuv tujv cpoveuüv
65 eXeYov 6 0eöc, biKaia cou f\ Kpicic.
TrXriciov be xoO töttou eKeivou eibov erepov töttov Te9Xi|u- 26 V
|Li[ev]ov, ev tL 6 ixujp Kai fi bucuubia tujv KoXaZiojuevmv KaTeppee,
Kai ujCTrep Xi|uvr| cYiveTO eKei. KdKeT eKd6riVT0 Y^vakec e'xoucai
TÖv ixoipa juexpi T[a)]v TpaxriX[uuv] Kai dvTiKpuc auTÜJV ttoXXoi
70 Ttaibec, o[i'Tive]c dujpoi eT[i]KT0VT0, KaBriiuevoi eKXaiov. Kai
TtporipxovTO eS aij[TUJV dKTivJec trupöc Kai Tdc YuvaiKac ^'tiXticcov
KaTd Tuj[v] öqpGaXjuuiv. auTai be rjcav ai d[Ya|uoi cuXXaßoJöcai
Kar eKTpuucacai.
Kai e'Tepoi [dvbpec] Kai YuvaTK[e]c cpXeYOiaevoi rjcav |uexpi 27 VI
76 ToO fiiuicouc auTÜJV Kai ßeßXr||uevoi ev töttiu CKOTeivu» Kai juacTi-
Z;ö)Lievoi 1)1X0 7Tveu|udTUJV TiovripuJv Kai ecGiöjaevoi Td crrXdYXva
UTTÖ CKUjXriKUJV dKOi|LiriTUJv. ouTOi be rjcav oi biuuHavTec touc
biKaiouc Kai TiapabövTec auTouc.
Kai ttXticiov eKeivujv TidXiv YuvaiKec Kai dvbpec )Liacu))aevoi 28 VII
80 auTuuv Td x^^^il Kai KoXaZ;ö|uevoi Kai TTeTTupuj)Lievov cibripov KttTd
TuJv öqpGaX|uüJv Xa)aßdvovTec. outoi be fjcav oi ßXacq)Ti|LiricavTec
Kai KOKUJC eiTTÖVTeC TTjV oböv TTic biKaiocuvr|c.
53 aXXoi C eSripTtiineva C 55 r]v C, ai Harnack u. a. auTiuvC aöxak
Usener jueixtctc C inoixeiav Harnack u. a. 56 fjcav Kpe|Lid|Lievoi koi James,
V. Gebhardt Überbleibsel des av von ricav sind zu erkennen 67 ßop-
ßöp[LU, Kai] q)[ujviri lueYÖXr)] ^Xcyov v. Gebhardt KpuqpGeicac Sudhaus
58 eXeuceOai C 62 Ko\atei C 63 CKo\riKec C 67 o ixujp C ip ö
Harnack u. a. 70 oiTivec James, v. Gebhardt, vgl. dessen Ausgabe S. 34,
o'i auTaic Diels 71 diKTivec Diels, qpXÖYec James, v. Gebhardt. Vor
Resten, die von oYec und vec sein können, unten Rest einer Hasta, die
nur von qp oder i (nicht von X) sein könnte. In jenem Falle wäre für
Es waren aber auch sonst noch Weiber da, die an den Haaren
aufgehängt waren oben über jenem aufbrodelnden Schlamm.
Das waren die, welche sich zum Ehebruch geschmückt hatten,
und die, welche sich mit ihnen vermischt hatten in der Schande
des Ehebruchs, waren an den Füfsen aufgehängt und mit dem
Kopf in jenen Schlamm gesteckt, und sie sprachen: „Wir
glaubten nicht, dafs wir an diesen Ort kommen würden."
Und die Mörder erblickte ich und ihre Mitschuldigen, die
geworfen waren an einen engen Ort, der voll war von bösem
Gewürm; und sie wurden gebissen von jenen Tieren und mufsten
sich so dort in jener Qual winden. Es bedrängten sie Würmer
wie Wolken der Finsternis. Und die Seelen der Gemordeten
standen da und sahen auf die Qual jeuer Mörder und sprachen:
„0 Gott, gerecht ist dein Gericht."
Nahe an jenem Orte sah ich einen andern engen Ort, in
dem das Blut und der Unrat derer die bestraft wurden herab-
flofs und dort wie ein See wurde. Und dort safsen Weiber,
die hatten das Blut bis an den Hals, und ihnen gegenüber safsen
viele Kinder, die da unzeitig geboren waren, und weinten. Und
von ihnen giengen Feuerstrahlen aus und trafen die Weiber
über das Gesicht. Das waren die, welche unehelich empfangen
und abgetrieben hatten.
Und andere Männer und Weiber waren in Flammen bis
zu der Mitte und sie waren geworfen an einen finstern Ort
und wurden gegeifselt von bösen Geistern und ihre Eingeweide
wurden aufgezehrt von Würmern, die nicht ruhten. Das waren
die, welche die Gerechten verfolgt und sie verraten hatten.
Und nicht weit von jenen wiederum Weiber und Männer,
die sich die Lippen zerbissen und gepeinigt wurden und feuriges
Eisen über das Gesicht bekamen. Das waren die, welche ge-
lästert hatten und geschmäht den Weg der' Gerechtigkeit.
X kein Raum 72 ricav am ucai C Vgl. Sibyllin. II 281 f.
ÖTiöcoi Z[ii)vr|v xfjv TrapöeviKif^v ctTr^Xucav Xd6pn |iiCYÖ^€voi, ßccai 6' ^vi
YOCTcpi q)6pT0uc ^KTpiücKouciv. Apocal. Pauli p. 60 Tischend, aörai eiciv
ai ouK fiKOUcav tüjv foveujv aÜTÜüv, äXXö irpö tojv -fömjuv Ijniavav Tf)v irap-
Qeviav aÜTU)v. Die Folgenden sind ai q)6eipacai ^auräc koi tö ßp^qpr]
aÖTÖiv airoKTeivacai. — ai dT<i,uiuc xä ßp^cpri xeKOÖcai v. Gebhardt (vgl.
dessen Ausg. 35). Meine Ergänzung kann dem Räume genügen ; es lassen
sich Gruppen von 13 Buchstaben in C messen, die so weit geschrieben
sind, dafs sie jenes Spatium ausfüllen 75 ckoxivuj C 78 irapaööxec C
80 TieiTUpuJiaevujv C
- 8 —
Kai KaxavTiKpu toutuuv aWoi ttciXiv avbpec koi juvaiKec 29 Vlll
Totc YXojccac auTUJV )aacuj)Lievoi Km nOp cp\eYO|Liev[o]v e'xovTec ev
85 TU) cTÖ|uaTi. ouToi 06 r|cav oi ipeubofidpiupec.
Kai ev eiepuj tivi töttiu xa^iKCC fjcav öEuiepoi Hiqpüjv Kai 30 IX
TravToc oßeXiCKOu, -rreTTupuuiuevoi, Kai Y^vaiKec Kai ävbpec potKr]
puTT-apd ev5ebu)aevoi ekuXiovio ett' auiojv KoXaSöjuevoi. outoi be
rjcav Ol rrXouToOvTec Kai tuj ttXoutiu auTÜuv ireTroiGÖTec Kai }xr\
90 eXerjcavtec opqpavouc Kai XY\pac dXX' d|ueXricavT6c ific evToXfic
ToO 9eo0.
ev be ^Tepa Xi|uvri jueTdXr) Kai TreirXiipujiiievri ttuou Kai ai\ia- 31 IX
Toc Kai ßopßöpou dvaZieovToc eiCTr|Keicav dvbpec Kai xuvaiKec |uexpi
Yovdxuuv. ouToi be fjcav 01 baveiZiovtec Kai dTraiTouvrec tökouc
95 tökuuv.
dXXoi dvbpec Kai t^vaiKec dirö KprijLivoO jbieYdXou KaiacTpe- 32 XI
(pö|uevoi nPXovTo KttTuu Kai itdXiv riXauvovTO iittö tujv eTTiKeijuevuuv
dvaßfjvai dvuu em toO KpriiuvoO Kai KaxecTpeqpovTO eKcTGev Kdiuu
Kai ficuxiav ouk eixov anö Tauxric ine KoXdceuuc. outoi be
100 fjcav oi juidvavTec Td cuu)LiaTa lauToiv djc Y^vaiKec dvacTpeqpö-
juevoi, ai be iuct' auTUJV Y^vaiKec* auTai ficav ai GUYKOifiriGeicai
dXXriXaic ujc dv dvfip Tipöc YuvaiKa.
Kai Trapd tu) Kpriiuvu) eKeivLU töttoc rjv -rrupöc nXeiCTou 33 XII
Ye)Liujv KaKei eiCTr|Keicav dvbpec oiTivec TaTc ibiaic x^pci Höava
105 eauToTc eTroiricav dvTi Oeoö.
Kai Trap' eKeivoic dvbpec eTepoi Kai YuvaiKec pdßbouc irupoc XIII
exovTec Kai dXXrjXouc TUTTTOvxec Kai luribe-rroTe Trauöjuevoi Tfic
ToiouTr|C KoXdceu)c. <(outoi be fjcav 01 . . . .)>
Ktti eTepoi irdXiv ef^vc CKeivujv YuvaiKec Kai dvbpec (pXeYÖ- 34 XIV
110 i^evoi Kai CTpe(pö|uevoi Kai Tr|YaviZ;ö|.ievoi. outoi be ^cav 01
dcp^vxec Tr)v oböv toö Oeoö.
84 auTOv C 85 ovbr] be ricav C 88 outo C 92 iroiou C
93 ßopßopuu avaleovrec C icrriKeicav C 94 ouro C öaviZovrec C
9(5 <^Ka\y äXXoi James 104 icxriKeicav C 108 keine Lücke in C
Die Angabe der Sündei-, die mit outoi bl fjcav ol beginnen mulste , ist
ausgefallen 111 äq)^vTec v. Gebhardt r| aqpOavxec C
- 9 -
Und diesen gerade gegenüber waren wieder andere Männer
und Weiber, die sich die Zungen zerbissen und brennendes
Feuer im Munde hatten. Das waren die falschen Zeugen.
Und an einem anderen Orte waren Kieselsteine spitzer
als Schwerter und jede Speerspitze, die waren glühend, und
Weiber und Männer in schmutzigen Lumpen wälzten sich auf
ihnen gepeinigt. Das waren die Reichen und die auf ihren
Reichtum vertrauten und sich nicht erbarmt über Waisen
und Witwen, sondern das Gebot Gottes vernachlässigt hatten.
Und in einem anderen grofsen See, der mit Eiter und
Blut und aufbrodelndem Schlamm gefüllt war, standen Männer
und Weiber bis an die Kniee. Das waren die Wucherer und
die Zinseszins forderten.
Andere Männer und Weiber wurden von einem gewaltigen
Abhang hinab gestürzt, kamen hinunter und wurden wiederum
von den Drängern auf den Abhang hinaufzugehen getrieben und
von dort hinabgestürzt und hatten keine Ruhe vor dieser Pein.
Das waren die, welche ihre Leiber befleckt und sich benommen
hatten wie Weiber, und die Weiber bei ihnen, das waren die,
welche bei einander gelegen hatten wie ein Mann beim Weibe.
Und bei jenem Abhang war ein Ort voll gewaltigen Feuers,
und dort standen Männer, welche sich mit eigener Hand Götzen-
bilder gemacht hatten statt Gottes?
Und bei jenen waren andere Männer und Weiber, welche
Stäbe von Feuer hatten und sich schlugen und niemals auf-
hörten mit solcher Züchtigung. Das waren die, welche ....
Und wiederum waren nahe bei jenen andere Weiber und
Männer, die gebrannt und gefoltert und gebraten wurden.
Das waren die, welche den W^eg Gottes verlassen hatten.
- 10 —
Das Fragment beginnt in einer Rede Christi über die
letzten Dinge, von den falschen Propheten und dem Kommen
Gottes zum Gerieht. Danach folgt auf Bitten der zwölf Jünger
die Erscheinung der beiden Seligen. Dann beginnt Petrus
allein zu fragen, und ihm allein (ebeiHe |lioi v. 15) werden die
beiden Orte des Jenseits gezeigt. Dafs es nicht ursprünglich
zusammengehören kann, wenn erst zwei Selige gezeigt werden
und dann der Ort der Herrlichkeit mit allen Seligen, welche
ungefähr gleich beschrieben werden, liegt auf der Hand. Die
Fuge ist noch deutlich da, wo Petrus allein zu reden beginnt.
Nicht dafs beide Stücke mechanisch aneinander gesetzt wären:
verschiedene Überlieferungen sind ineinander gearbeitet. Die
Erscheinung der zwei Seligen hat in vielem die frappanteste
Ähnlichkeit mit der Erzählung von der Verklärung (Marc. IX
2—13; Matth. XVII 1—13; Luc. IX 28—36), auch in einzel-
nen Ausdrücken.^ Man kann annehmen, dafs eine der Ver-
klärungsgeschichte ähnliche Erzählung durch die Jenseitsvision
beeinüufst zu einem Bericht von der Erscheinung zweier Himm-
lischen wurde; auch diese beiden werden nun ganz so wie die
Bewohner des Landes der Seligkeit ausführlich geschildert —
eine Wiederholung, die in dem jetzigen Texte ohne solche
Vorgänge unbegreiflich wäre.
Dafs Petrus es ist, der von jenem Punkte an das Wort
führt und also als Erzähler des Ganzen gedacht ist, kann
keinem Zweifel unterliegen. Wir haben also eine Apokalypse
des Petrus vor uns, und wenn die bisherigen Wortführer in
diesen Fragen Recht haben, so ist es die Apokalypse des
Petrus^, die zuerst Clemens Alexandrinus und das Muratorische
Fragment erwähnen, die lange noch sogar in kirchlichem
1 Die beiden Männer werden nach mehr jüdischer Überlieferung
Moses und Elias genannt. Die beiden leuchtenden Männer, welche in
dem Petrnsevangelium v. 30 in das Grab Christi herniederkommeu, sind
auch ohne Namen, und man hat kein Recht sie ohne weiteres Moses und Elias
zu benennen. Wie im Petrusevangelium vielleicht ursprünglich (Harnack 68),
werden auch sonst zwei solche Männer bei der Himmelfahrt Christi erwähnt.
Zu Marc. XVI 4 steht im Codex Bobbieneis : et descenderunt de caelis angelü
et surgit in claritate et viri duo simul mcenderunt cum eo.
2 S. besonders Harnack, Bruchstücke des Evangeliums und der
Apokalypse des Petras, 2 Aufl. 1893, S. 5 f.
— 11 —
Gebrauch gewesen ist, jedenfalls als ein ganz bestimmtes Buch
bestimmten Umfangs (Harnack a. a. 0. S. 6) weit bekannt war.
Ob der Text von Akhmim wirklich mit dieser identisch ist, läfst
sich nur durch eine wenn auch kurze Betrachtung der Sätze ent-
scheiden, die aus ihr citiert werden. Wir dürfen uns nicht er-
lassen sie alle anzuführen, da die letzten Zusammenstellungen
meines Erachtens in mehreren Punkten der Korrektur bedürfen.
I. bio Ktti TTeTpoc ev xrj ctTTOKaXuqjei q)Tici* Kai dcTpa-rrri
TTupöc Ttribujca otTrö tujv ßpeqpüjv eKeivujv Kai rrXriccouca
Touc ö(p9aX)uouc tujv xuvaiKUJV. Clem. Alex. ecl. proph. 41.^
II. auTiKa 6 TTetpoc ev rrj dTiOKaXuipei qprjciv xd ßpeqpri
eEa|LißXuj0evTa xfic d|Lieivovoc ecö|aeva luoipac^, xaOxa
dxTe^MJ xriiLieXouxuJ 7rapabi&oc0ai, iva Yvuuceujc ^xeiaXa-
ßövxa xfic d|ueivovoc xux»;) laovfic, 7Ta6övxa d av eiraGev
Kai ev cuu|Liaxi Yevö)Lieva, xd b' exepa [x6vr\c xfic coixripiac xeu-
Hexai WC fibiKriiueva eXeri6evxa, Kai juevei dveu KoXdceujc xoOxo
Yepac Xaßövxa. xö be xdXa xüjv YuvaiKUJv, peov d-rrö xujv
|aacxa»v Kai 7TTiTVU|iievov, qpr|civ 6 TTexpoc ev ttj dTtOKaXuipei,
xevvr|cei Gnpia Xetrxd capKoqpdYa Kai dvaxpe'xovxa eic
auxdc KaxecGiei, bid xdc d)Liapxiac yivecGai xdc KoXdceic bibdc-
Koiv. CK xiuv d|aapxiuJv YevvdcGai auxdc (pr|civ, ibc bid xdc
d|Liapxiac eirpaGr) 6 Xaöc Kai bid xfiv eic Xpicxov diri-
cxiav, ujc qpr|civ 6 dTTÖcxoXoc, uttö xujv öqpeujv ebdKVOVXo.
Clem. ecl. 48. 49.^
1 In den Sätzen des Clemens ecl. 41 ^ Tpc«pi1 9ici tö ßp^qpr) to
^Kxee^vxa TriiLieXoOxuj irapaöibocGai dTT^Xu), viqp' oö iraibeOecGai t€ Kai
aöHeiv, Kol ^covrai, q)iiciv, lüc oi ^Karöv ^tujv ^vToOGa ttictoi' öiö koI
TT^Tpoc ^v Trj dtroKaXunjei qprici' Kai dcrpairri ktX. sollte doch selbst-
verständlich sein, dafs ^ Tpa^pil nicht auch die Apokalypse des Petrus
bezeichnen kann, deren Satz ja mit &iö Kai angefügt wird.
2 treipac ist überliefert. Die alte Änderung (Grabes) jucipac ist
unzweifelhaft. Schon in Platons Phaidros p. 248^ heifst es gerade in
der Partie von jenseitiger Strafe und Seelen Wanderung: iv be toOtoic
diraciv, öc |i^v äv öixaiujc biaYÖTri, ä|aeivovoc |uoipac |LieTa\a)Lißdvei,
öc 6' dv dbiKUJC, x^ipovoc. Vgl. auch Method. sympos. II 5 p. 15: Geiac
Ydp uüc Itroc elTreiv fioipac Tf]c öri|uioupYiKf|c tö CTrepjua |ueTaXa)ußdvov
(auf diese Stelle weist mich AJülicher hin).
3 Zahn Gesch. d. ntl. Kanons II 2, 811 will irapabiöOTOi schreiben und
in dem Satz nur eine Erklärung des vorangegangenen seitens des Clemens
selbst aus ecl. 41 sehen. Dafs toöto „im andern Falle höchst massig
— 12 —
III. öOev bi] Ktti TTiiLieXoiJXOic otYTtXoic, Kctv ck |uoixeiac
löciv, xd diTOTiKTÖjueva TTapabiboc9ai TrapeiXrjcpaiuev ev Oeo-
TTveucToic YP«MM«civ ei yotp Trapd ifiv fvuJiuriv eyivovto Kai tov
0ec|u6v xfic iLiaKopiac eKeivr|C qpuceuac toö 0eoO, ttujc dYTeXoic
laOta TiapebiboTO rpacpricöiaeva juerd ttoWtic dvaTrauceuuc Kai
pacTOJvric; ttujc be Kai KairiYopricovia cqpujv auTiJuv xouc Yoveic
euTrappricidcTuuc eic tö biKacxripiov eKkXriCKOv xoO XpicxoO 'cu
ouK eqpGövricac fi|uiv, iB Kupie, xö koivöv' Xe'Yovxa 'xouxo
qpujc, ouxoi be fi)udc eic Gdvaxov eSeBevxo, Kaxaqppovri-
cavxec xfic cfic evxoXfjc'. Methodius sympos. II 6 ed. Jahn
p. 16.^
wäre", wenn damit nicht Clemens selbst wieder das Wort näbme^ geht
über mein sprachliches Verständnis. — Hinter iva Y^iwceuuc juexaXaßövxa
xf|c di|ueivovoc rvxt} |uoipac das ganz gleichartige Participium iraGövxa a
äv ^iraöev etc. als Zuthat des Clemens abzuschneiden, wie Harnack thut,
geht doch nicht an. Erst mit Tä 6' ^xepa xeOEexai setzt er mit dem
Indikativ ein und macht nur allgemeine Angaben. Darum citiert er im
folgenden Satz wieder ausdrücklich die Apokalypse. Das letzte Citat
üjc qprjciv 6 äTTÖcxoXoc wird auf I. Cor. X 9 bezogen |ur|be dKTT6ipäZ;u)|U€v
TÖv Xpicxöv, KaOibc küi xivec auxujv direipacav, xai Otto tu)v öcpeuuv dTTUü-
Xovxo. Aber von dem biä xcic ä|uapxiac ^irpderi 6 Xaöc steht nichts da;
das müfste Zusatz des Clemens oder überhaupt eine andere Stelle ge-
meint sein (Hilgenfeld Evangeliorum sec. Hebraeos, sec. Petrum etc. quae
supersunt ed. II p. 73, verwirrt die beiden Sätze und schreibt eTreipdceri:
wegen Sünden versucht werden und Christum versuchen hat wenig mit
einander zu thun; das Volk wurde verkauft wegen seiner Sünden, in die
babylonische Gefangenschaft; AJülicher weist mich auf die Anrede des
Kupioc an ö Xaöc luou Jes. LH 3 hin: bujpeäv dirpdGrixe). Eine Auseinander-
setzung, dafs Strafe Folge der Sünde sei, mufs in der Apokalypse ge-
standen haben, und dabei kann recht wohl angeführt gewesen sein, dafs
das Volk Israel biä xdc äjuapTiac inpäBr]. Dann stammt auch das Fol-
gende daher und bedeutet eine Höllenstrafe: die ötticxoi eic Xpicxöv
werden von Schlangen gebissen (vgl. den Text oben v. 25), immerhin in
Anknüpfung an die alttestamentliche Geschichte (Num. XXI 6 ff.) und
I. Cor. X 9. und ist es nicht das Natürliche, dafs ö öttöcxoXoc wieder
Petrus in der Apokalypse ist?
1 Das Citat aus der Ypc^il Clem. ecl. 41 spricht von ausgesetzten
Kindern, das aus der Apokalypse ebenda 48 von abgetriebenen. Den
Unterschied sieht auch Zahn a. a. 0. 811, aber in f\[xd.c eic ödvaxov ili-
öevxo sieht er 'die Unterlage für den Ausdruck des Clemens xö ßp^qpn
^KxeödvTa'. Als ob nicht von drtOTiKxöiaeva deutlich genug bei Metho-
dius gesprochen wäre; etc edvaxov ^Kxeö^vxa 'in mortem eiecta' pafst
doch natürlich so von diesen sehr gut und hat mit jenen ßp^qpn ^Kxe-
- 13 -
IV. -rrepiouciac b' evcKev XeXexOuu KOKeTvo tö XeXeY^evov
ev Tf) dTroKaXuijiei toö TTexpou. eicctYCi xov oupavov ä|Lia rrj yri
Kpi9r|cec6ai oütoic- f] Yfj, (pr]d, Trapactricei -rravtac tuj Geuj
Kpivou|uevouc^ ev niuepa Kpiceuuc xai auxfi laeXXouca^
KpivecGai cuv Kai tlu Trepiexovri oupaviu. Der heidnische
Schriftsteller, den Makarius bekämpft, bei Makarius Magnes
IV 6 und IV 16, ed. Blondel p. 164 und 185.
V. KOI eKeivo b'auGic \eyei, ö Kai ctceßeiac liecTÖv uTidpxei,
TÖ pfiiia qpdcKOV Kai raKrjcerai Träca buvaiiic oupavoO Kai
eXixOriceTai 6 oupavöc die ßißXiov, Kai travTa rd dctpa
Treceirai ujc qpuXXa eH diLnreXou Kai ujc TTiiTTei qpvjXXa
dTTO cuKrjc. Makarius IV 7 p. 165 Bl.
Finden sich diese Fragmente in dem neuen Bruchstück
oder passen sie in die fehlenden Partieen? Das erste ent-
spricht ziemlich genau einem Satz des Bruchstücks:
Cod. Akhmim. Z. 70 ff. Fragment I.
Kai TTporipxovTG eS au[Ta)V Kai dcTpoTTfi TTupöc Trribujca
dKTiv]ec TTupöc Kai rdc TuvaiKac dirö tüjv ßpeqpüJv (cKeiviuv) Kai
etiXticcov Kaid Ta)[v] öqpGaXiauJv. irXriccouca touc 6(p0aX)LioiJC tuiv
TuvaiKU»v.
Das zweite Bruchstück — der Anfang von III geht auf das
gleiche — findet sich nicht. Kann von der dj^eivoiv ^oTpa der
abgetriebenen Kinder, wie sie einem Engel übergeben werden
u. s. w., in den fehlenden Partieen geredet sein? War für
solche Unterscheidungen in der strikten Trennung von Himmel
und Strafort Platz? Ganz verneinen lässt es sich nicht,
ebenso wie die in dem Texte fehlende Strafe der Weiber, die
in II weiterhin angegeben wird, möglicherweise in einer Fort-
öivTa gar nichts zu thun. Darin hat Zahn unzweifelhaft Recht, dafs er
in dem Kupioc in der Petrusapokalypse den Schöpfer der Welt gemeint
erkennt, während Methodius natürlich gleich an Christas dachte. Eine
Apokalypse 'jüdischen Ursprungs oder atl. Namens' brauchte es darum
auf keinen Fall zu sein, auch wenn es nicht die Petrusapokalypse wäre.
In dem neuen Bruchstück hält auch Gott selbst das Weltgericht. — Ob
Harnack den zweiten direkt citierten Satz bei Methodius mit Absicht
ausgelassen hat, weifs ich nicht.
1 Kpivofi^ouc IV 16, ausgelassen ist es IV 6.
2 laeXXouca xai amx] KpivecGai IV 16.
— 14 —
Setzung der Strafenliste folgen konnte. Aber wo sollen die
abgetriebenen Kinder (III) die Eltern selbst vor das Gericht
Gottes rufen? Und endlich IV und V: wo soll von der Auf-
erstehung aller am Tage des Gerichts die Rede sein, wo von dem
Gericht über Himmel und Erde, von dem Zerschmelzen und Zu-
sammenrollen des Himmels und dem Herabfallen der Sterne?
Wir haben ja die apokalyptische Rede im Anfang des Bruchstücks
von da an, wo von dem Auftreten der falschen Propheten geredet
wird, bis zum Gericht Gottes über Gerechte und Ungerechte.
Da müfsten diese Dinge stehen, aber sie stehen nicht da.
Zudem kann ich mich der Überzeugung nicht entschlagen, dafs
die Schilderung der Hölle in dem Bruchstück von Akhmim
vollständig vorhanden ist, wie sie in der betreffenden abge-
schriebenen Schrift vorhanden war. In dem Codex steht
S. 2 — 10 das Evangelium, S. 19 — 13 in umgekehrter Folge
geschrieben die Apokalypse, 21 — 66 die Heuochstücke. Das
Pergament ist von vornherein mit einer gewissen Berechnung
eingeteilt für die allein beabsichtigten Stücke.-"^ Der Schreiber
wird ebenso wie er die Leidens- und Auferstehungsgeschichte
allein, aber sie vollständig^, aus dem Evangelium abschrieb
für den Toten, hier die kleine eschatologische Rede und die
Vision von Himmel und Hölle allein haben abschreiben wollen,
diese aber vollständig.''^ Und es sind 14 Typen von Sündern
und Strafen, das Doppelte der in solchen Dingen so beliebten
Siebenzahl (s. unten).
Man könnte sich denken, dafs die Petrusapokalypse, wie
es ja gerade in dieser Litteratur so häufig ist, vielfache Wand-
lungen durchgemacht, Erweiterungen und Umbildungen er-,
fahren habe und so Reste und Spuren verschiedener Recensionen
1 Harnack S. 1 Anna, meint deshalb, die Vorlage sei bereits lücken-
haft gewesen.
2 Am Ende des Evangeliums werden nur ein oder ein paar Wort«
fehlen. Der Schlufs ist deutlich durch Verzierungen markiert.
3 Das Facsimile zeigt auch, dafs vorher und auch am Schlüsse
nichts etwa in diesem Codex verloren gegangen ist, sondern nichts
weiter überhaupt geschrieben war. Das Ende fällt innerhalb einer Seite,
nicht etwa an den Schlufs. Der Schlufssatz ist vollständig, und keine
Buchstabenreste sind danach zu erkennen (v. Gebhardt, S, 8). Über dem
Anfang steht auch wie beim Evangelium ein Ereuz.
— 15 -
aufbewahrt sein könnten. Aber es ist so bestimmt immer
von der Petrusapokalypse die Rede, dafs diese wenigstens in
der alten Zeit, die für uns nur in Betracht kommt, im wesent-
lichen dieselbe geblieben sein mufs.
Den ersten Sätzen des Bruchstücks von Akhmim sind
aufserordentlich ähnlich viele Sätze der apokalyptischen Reden
Christi Matth. XXIV, XXV, auch Marc. XIII, Luc. XXI. Die
Reden (auf dem Berge) beginnen stets damit, dafs viele Ver-
führer kommen würden, ttoXXoi vj/euboTrpoqpfiTai (auch der Aus-
druck Matth. XXIV 12, 22. Marc. XIII 22). Christus, wie es
da natürlich heilst, kommt dann — auch das fehlt nie — auf
den Wolken des Himmels, wie dort das Kommen Gottes er-
zählt wird.^ Vom Gericht wird erzählt, und das Ganze schliefst
bei Matthäus damit, dafs die Einen zu ewiger Strafe, die
Andern zu ewigem Leben kommen würden (XXV 46). Diese
stehenden Hauptsachen der eschatologischen Prophezeiung
Christi bilden hier die ersten Sätze des Bruchstücks. Es be-
ginnt TToXXoi iE auTwv ecovrai i|;euboTrpoqpfiTai xai öbouc Kai
bÖYiuara TioiKiXa rfic dTrujXeiac biboEouciv, eKeivoi be uioi ttic
diTUjXeiac TtvrjCOVTai. Es mufs also etwas vorausgegangen
sein, auf das sich das auxujv und eKtivoi gleicherweise be-
ziehen kann. Es kann nur im allgemeinen von Christen oder
dergl. gesprochen sein, aus denen die falschen Propheten
kommen werden, und eben jene werden sie verführen und zu
Grunde richten. Man kann den Anfang des zweiten Kapitels
im zweiten Petrusbrief vergleichen, der ja so manche Ver-
wandtschaft mit dem neuen Texte zeigt : efevovro be Kai v|ieubo-
TTpoqpfiTai evTUJ Xaui Kai evu^Tv ecovrai vpeubobibdcKaXoi, oixi-
V6C irapeicdEouciv aipeceic drrujXeiac Kai xöv dfOpdcavTa aÜTOuc
becTTÖTriv dpvou)aevoi, endYOVTec eautoic xaxivfiv dTTuuXeiav. Kai
TToXXoi eEaKoXou0r|Couciv auTuJv xaic drrujXeiaic, bi' ouc f^ oböc
xfic dX^eeiac ßXaccpri|UTi6r|cexai. Gleich darauf ist von den
Engeln die Rede, die gesündigt haben und die Gott ceipaTc
Cöqpou xapxaptücac TiapebujKev eic Kpiciv XTipou)Lievouc. Jedenfalls
wird man es für mindestens sehr wahrscheinlich halten, dafs
1 Dafs die Sterne vom Himmel fallen würden u. s. w., kommt da
innerhalb der Reden an der richtigen und allein möglichen Stelle
vor. Matth. XXIV 29 ff., Marc. XUI 24 ff., Lac. XXI 25 ff.
— 16 —
mit dem ttoWoi eH auToiv ktX. das eigentlich Eschatologische
erst begann, wie mit demselben Gedanken die eschatologischen
Reden Christi zu beginnen pflegen, und dafa man den Text
absichtlich erst von da an abschrieb, um ihn dem Toten mit
ins Grab zu geben.
Nach der direkten Rede im Anfang geht die Erzählung
weiter Kai TipocBeic 6 Kupioc ecpr)' dYUJ|uev eic tö öpoc, euEuu-
jueGa. dTrepxöjuevGi be juex' autou fiiueTc oi buubeKa inaOriiai
eberiöriiuev, öttuuc beiSr] ktX. Also es ist ganz die Art des
evangelischen Berichts. Und es ist schärfer zu betonen als
es geschehen ist^, dafs nur vom irdischen Leben Jesu die
Rede sein kann. Alle Offenbarungen aber als selbständige
Litteraturwerke geben sich als von dem auferstandenen oder
erhöhten Christus ausgegangen. Es giebt wiederum nur die
Analogie der apokalyptischen Stücke im Matthäusevangelium
und den parallelen Berichten.
Es wird zu folgern sein, dafs wir nicht eine selb-
ständige Apokalypse, nicht die Petrusapokalypse vor uns
haben, sondern ein Stück eines Evangeliums. Die kurze apo-
kalyptische Rede Chtisti, der Gang auf den Berg, dann die
der Verklärung so nahe stehende und, wie wir sahen, wohl
aus ihr entwickelte Vision der zwei Gerechten und dann die
Vision von Himmel und Hölle sind herausgenommen als
passend zur Mitgabe ins Grab, ebenso wie die Partie von
dem Leiden und der Auferstehung Christi aus dem Petrus-
evangelium. Dafs jene aber aus eben diesem selben Evange-
lium stammen, ist nicht nur das Natürlichste, sondern auch
dadurch klar, dafs hier wie dort Petrus die Erzählung gibt
und gelegentlich selbst mit seinem ey^b hervortritt.^ Die
apokalyptische Partie würde vor der Leidens- und Auferstehungs-
geschichte ihre Stelle gehabt haben. Dazwischen wird ebenso
wie in den synoptischen Evangelien nicht sehr viel gestanden
haben.
Ich wüfste nicht, dafs gegen diese Annahme irgend etwas
spräche, zu der wir meines Erachtens geradezu gezwungen werden.
1 Harnack 83. Ich weifs nicht, wie die Möglichkeit 'oflen bleiben'
soll, 'dafs die Apokalypse die Zeit nach der Auferstehung voraussetzt'.
2 Evang. v. 26, Apoc. v. 14, Harnack 2.
- 17 —
Aus diesem Stück des Petrusevangeliums ist erst die
selbständige Petrusapokalypse herausentwickelt. Wir sehen
in den Fragmenten einerseits deutlich unzweifelhafte, wenn auch
nicht ganz genaue Übereinstimmung, andererseits deutlich die
Ausmalung und Erweiterung.^ Natürlich ist es nun eine Offen-
barung des erhöhten Christus an Petrus allein geworden und eine
Vision des Petrus von den Orten des Jenseits. Wir haben
den Gang deutlich genug vor uns: das apokalyptische Stück
des Evangeliums wurde gesondert fortgepflanzt (auch einst
schon gewifs in demselben Gebrauch wie später in Akhmim),
und nichts ist natürlicher als dafs sich daraus eine Apoka-
lypse des Petrus entwickelte.- Das Evangelium fällt nicht
später als in den Anfang des zweiten Jahrhunderts^, die
Petrusapokalypse erwähnen zuerst Clemens von Alexandria
und das Muratorische Fragment, sie gehört in die zweite
Hälfte oder an das Ende des zweiten Jahrhunderts: ein Zeit-
verhältnis, wie wir es annehmen müfsten, auch wenn wir es
durch keinen Anhaltspunkt stützen könnten.*
Man sieht auch noch deutlich einen Punkt in dem apo-
kalyptischen Stück von Akhmim, wo eine weitere apokalyp-
tische Litteratur ansetzen konnte. Als die Jünger um den
Anblick der Seligen bitten, fügen sie hinzu (v. 5) iva ibuifiev
TTOTaTToi eici Tf|V |aop(pf]V Kai Gapcr|cavTec 7Tapa6apcuvu)^iev
Ktti Touc ttKOVJOVTac fmijuv dvepuuTTOuc. Ist es Zufall, dafs
in einem anderen Stück der Petruslitteratur, das dieses Tiapa-
1 Z. B. der eschatologischen Prophezeiung im Anschlufs etwa an
Matth. XXrV, vgl. Matth. XXIV 35 mit frgm. IV Apoc. und Jesaias
XXXIV 4 (fast gleich frgm. V Apoc).
2 Das Vorbild gieng nicht verloren, weil es ja in dem Evan-
gelium stand.
3 Harnack 80.
4 Lehrreich ist es, die von der Petrusapokalypse abhängige Paulus-
apokalypse zu vergleichen. Da ist offenbar alles noch vjel weiter aus-
gesponnen. Da finden sich auch die Kinder, die einem besonderen
Engel übergeben werden u. s. w., nach Erwähnung der Weiber, die ihre
Kinder abgetrieben haben, Tischendorf p. 61. An der Stelle, wo er
stehen müfste, findet sich dieser Zug in unserem Bruchstück eben nicht.
Das Verhältnis zwischen dem letzteren und der Paulusoffenbarung erklärt
sich auch nur durch das Zwischenglied der eigentlichen Petrusapokalypse.
Dieterich, Xekyia. 2
— 18 -
Gapcuveiv besorgen will, dem zweiten Petrusbrief, sich der Ver-
fasser gerade auf die Offenbarung und Verklärung auf dem
heiligen Berge beruft (I 16 ff.)?
Die Teile der apokalyptischen neuen Handschrift haben
alle ihre Analogie in den Evangelien bis auf die Partie von
dem Lande der Seligen und dem Orte der Qual. Diese ist ohne
alle und jede Analogie. Wir glaubten oben eine Art Fuge
des Einschubs in das übrige noch zu erkennen.^ Wie dem
auch sei, es ist in gewissem Sinne ein fremdes Stück, das
hier — wohl in einer lokal besonderen Entwicklung der Tra-
dition — hereingekommen ist, und eben dieses Eintreten des
Stückes in die christliche heilige Überlieferung ist der An-
fangspunkt der langen und reichen apokalyptischen Litteratur,
die Himmel und Hölle beschreibt.
Wir dürfen dieses Stück gesondert betrachten und fragen,
woher es genommen ist. Jene anderen Fragen zu entscheiden
und weiterzuführen, mufs ich anderen Berufenem überlassen,
und ob man mir betrefi's der Bestimmung des neuen Textes
Recht gibt, ob man ihn für ein Stück des Petrusevangeliums
oder der Petrusapokalypse hält^, bleibt für die Untersuchung
des Ursprungs jener Himmels- und Höllenvision gleichgiltig.
Ich nenne den Text der Einfachheit halber — und es ist ja
in jedem Falle berechtigt — im folgenden Petrusapokalypse.
Wo ich die als solche citierte, nach meiner Ansicht davon
verschiedene meine, werde ich es ausdrücklich sagen.
1 Ein Teil der Beschreibung der Seligen an ihrem Orte ist offen-
bar dann übergegangen in die ursprünglich gewifs anders gewendete
Beschreibung der zwei Seligen, s. oben.
2 Nachträglich sehe ich in Nr. 7516 der Deutschen Zeitung (Wien),
die mir die lledaktion auf meine Bitte frenndlichst zusandte, dafs EBor-
mann das neue Bruchstück der sonst citierten Petrusapokalypse zugehörig
sein und diese einen Teil des Evangeliums bilden lassen wollte (nur
in einem Satze deutet er es an). Dafs das unmöglich ist, wii-d nach
dem oben Gesagten klar sein. Wie hätte man die Apokalypse über-
haupt neben dem Evangelium anführen und sogar ihren Umfang an-
geben können.
I.
Griechischer Volksglaube vom Totenreich.
1.
Die grauenvolle Hölle der Apokalypse scheint mit der
Unterwelt des griechischen Volkes kaum die geringste Ähn-
lichkeit zu haben namentlich für den, der nur an die schon
in den homerischen Gedichten fast ganz durchgedrungene und
scheinbar zu allen Zeiten griechischen Glaubens herrschende
Vorstellung von dem stillen schattenhaften Reiche des Hades
denkt. Ebenso wenig scheint die glanzvolle Schilderung des
lichtumflossenen Ortes der seligen Gerechten und ihrer strahlen-
den Gestalt in jenem Glauben hoffnungsloser Resignation
Entsprechendes zu finden.
Und doch wird es ein leichtes seih, gerade dieses Licht-
bild seligen Lebens nicht nur im allgemeinen, sondern in allen
seinen einzelnen Zügen als ein Spiegelbild hellenischer Phan-
tasie nachzuweisen. Wer zunächst dieser freundlicheren Auf-
gabe nachgeht, wird sich gleich des elysischen Gefildes er-
innern, das schon in den homerischen Gedichten kurz beschrieben
wird, dort wo der weissagende Proteus dem Menelaos ver-
helfst, er werde nicht sterben, sondern von den Göttern ent-
rückt werden zu dem elysischen Feld, zu den Enden der Erde,
wo leichtestes Leben den Menschen bestimmt ist, wo der
blonde Rhadamanthys wohnt „nimmer ist Schnee dort noch
heftiger Sturm noch Regen, sondern stets sendet des Zephyrs
sanft säuselndes Wehen Okeanos herauf den Menschen Kühlung
zu bringen."^ Aber nur dieses eine Mal hören wir bei Homer
von dem Wunderlande am Okeanos. Menelaos stirbt nicht, er
1 Odyss. IV 563 ff.
— 20 —
wird von den Göttern entrückt; und am Schlafs jener Schil-
derung steht: „weil du die Helena hast und für sie ein Eidam
des Zeus bist." Es ist eine Ausnahme, die dem Verwandten
der unsterblichen zu Teil wird: er wird selbst zum Götter-
lande entrückt. Auch hier zeigt sich, dafs unter der Ober-
fläche homerischer Anschauungen eine Menge von Vorstellungen
verborgen liegen, die hier überhaupt zurückgedrängt oder nur
von dem Ritterstande, in dem und für den die Heldenlieder
gesungen wurden, beseitigt oder doch nach ihren Meinungen
geändert waren. Wohl hat man damals auch von anderen
Helden gesungen, die wie Menelaos entrückt worden seien und
später noch manchen hinzugefügt^, auch wo man gemäfs der
immer mehr geltenden homerischen Weltanschauung im all-
gemeinen keine andere Unsterblichkeit kannte als die der
Ruhm verleiht, und Hesiod läfst sein viertes Geschlecht, das
Geschlecht der Heroen, teilweise, nachdem es von der Erde
geschieden, an den Enden der Erde wohnen auf den Inseln
der Seligen — wie da schon jenes Gefilde am Okeanos be-
nannt wird — leidlos, und ihnen bringt die Erde dreimal des
Jahres süfse Frucht.^ Aber wir können erschliefsen, dafs die
Hellenen von alters einen Garten der Götter gekannt haben,
der an den Enden der Erde am Okeanos in ewiger Blüte
prange, ebenso wie sie andererseits von einem Götterberg im
Norden wufsten, dem auch bei Homer so wohlbekannten Gipfel
des Olympos, der nicht vom Winde erschüttert wird noch
vom Regen benetzt, dem kein Winter sich naht, sondern un-
bewölktes Himmelslicht ist ausgebreitet und leuchtender Glanz
zieht sich darüber.^ Ob sich die Vorstellung von dem Garten
als den Dorern, die von dem Berge als den Aiolern und
loniern ursprünglich eigen* erweisen liefse, mag dahin ge-
1 Achill, Ibyc. fr. 33; Diomedes und Achill, Skolion bei Bergk
LG IIP p. 647, 10 u. a. Siehe besonders llohde Psyche 82 f.
2 Hes. gpT» Kol i^|i. 166 flf. Rohde a. a. 0. 96.
3 Od. VI 43:
oöt' dv^iLioici Tivdcc€Tai ouxe ttot' öjißpuj
öeüexai oöre xiiwv ^TTiTriXvarar äWä ^xäK' aXdpt]
TT^irTUTai dvveqpeXoc, XeuKi^ ö* dm&^öpojLiev aiY^V)-
4 So V. Wilamowitz Herakles II 129.
— 21 —
stellt bleiben; jedenfalls ist auch der Glaube an den Götter-
garten uralt. Dort sind die Götter und dort sind die Heroen \
und es ist deutlich genug, dafs das Reich der Götter und
der Seligen ursprünglich dasselbe ist. Darum ist auch
die oben angeführte Beschreibung des Olymp so gleich der-
jenigen der Gefilde der Seligen. „In den Gärten des Zeus,"
sagt Sophokles, „darf nur der Selige pflügen."* Derselbe hat
auch von dem alten Garten des Phoibos geredet, über dem
Meer an den Grenzen der Erde, wo der Strom der Nacht
fliefst und sich der Himmel erschliefst.^ Der Garten wurde
immer mit der Sonne und dem Sonnengotte in Verbindung
gedacht: er lag dort, wo die Sonne aufgeht oder nach der
verbreitetsten Vorstellung, wo sie untergeht, im äufserten
Westen.* Dort waren die Stallungen der Helios, die Ruhe-
und Futterstellen seiner Rosse ^, dort geht Helios, der Sohn
des Zeus, wenn er zu den Tiefen der finsteren, heiligen Nacht
gekommen zu seiner Mutter, seiner jugendlichen Gattin und
seinen lieben Kindern, in den schattigen Lorbeerhain.^ Dort
ist sein Palast, voll von Wohlgerüchen, wo in goldener Kammer
seine Strahlen liegen.^ Nichts anderes als der alte Götter-
garten ist auch der Garten der Hesperiden, der ebenfalls jen-
1 Freilich bei Pollux I 6 oi ^iv -fäp äKptß^cxepoi criKÖv töv tüüv fjpijüurv
X^TOUCXv, oi hk iroiTiTai Kai töv tOüv öeOüv, ibc oi TpaYiu6oi' <5tYvöv eic
ctiKÖv 6eo0. (Fragm. trag, adesp. 424N*) wird ctiköc nicht jenen Garten,
sondern das Heiligtum (das AUerbeiligste) bezeichnen, Usener Ehein. Mus.
XXIX 34, 49.
2 Soph. fragm. 297 N* iv Aiöc Krj-rroic dpoöcöai (iövov €Öbai|uovoc
öXkoOc. öXkoüc habe ich für öXßouc geschrieben, mit leichtester und un-
umgänglicher Änderung. Bergks öpüecöai hilft nichts, um von den an-
deren Versuchen zu schweigen.
3 Soph. fragm. 870 N*:
UTT^P TC TTÖVTOV TTCIVT ' IlT ' ScxaTO X60VÖC
vuKTÖc xe rnifctc oupavoö t' ävairruxäc,
Ooißou iroXaiöv Kfjirov.
TC nach Ooißou hat GHermann gestrichen.
4 'Wo die Sonne schlafen geht', siehe Rohde griech. Rom. 268, 2.
5 Enrip. Phaeth. fr. 771 Nl Tümpel Äthiopenländer 166, 98.
6 Stesichor. fr. 8 B*.
7 Eurip. Phaeth. fr. 773, 13: Käiiixiupioic öcualci 9u|iiüjciv eicö-
bouc ööfiurv.
- 22 -
seits des Okeanos an die Enden der Erde gesetzt wird,^ Eben
zu ihm führt Helios hinab.^
Die vollste und schönste Vorstellung von jenem herrlichen
Garten gibt das Lied im Hippolytos des Euripides (v. 732ff.),
das mehr als alle deutenden Worte uns den wunderbaren
poetischen Zauber dieser griechischen Jenseitsvorstellung ent-
hüllen wird; in einer die Stimmung treffenden Übersetzung
mag es hier stehen:
0 war' ich von hinnen,
o dafs mich die Schatten
der Wolken umfiengen,
ein Gott mich befiedert
den Scharen der Vögel
des Himmels gesellte!
Dann schwang' ich mich über die wogende Salzflut
zu Adrias Küsten, Eridanos Strudel,
wo Helios Töchter um Phaethon klagen;
es rinnen die Thränen der Mädchen zum Meere,
gerinnen zu gleifsendem Bernstein.
Zum Garten der Götter
der Flug mir gelänge,
wo menschlichen Schiffern
der Alte der Tiefe
zu fahren verwehrt,
wo Atlas die Grenzen des Himmels behütet,
und Hesperos Töchter die güldenen Apfel.
Da steht der Palast, wo der König der Götter
die Hochzeit begangen, da sprudelt der Nektar,
da spendet die Erde, die ew'ge den Göttern
die Speise des seligen Lebens.^
1 Eurip. Phaeth. fr. 781,9,25,44. Hesiod. Theog. 215. 274. 334. 518.
Mimnerm. fr. 11 vgl. Eurip. Phaeth. fr. 773, 11 ff":
bl^ujal — , di Traxpöc kotö craSiaoOc
caipouci 6u)|Lia koI ööiaiuv KeifiriXia
KoG' ViiLi^pav qpoißObci.
2 Mimnerm. fr. 12. Auch der Hesperid engarten wird von Hesiod
als Insel gedacht, Theog. 215, 276. Auf den Inseln der Seligen läfst
Alexander Aitolos (Athen. VII p. 266«, Meineke Anal. Alex. 236) den
Helios seine Rosse weiden. 3 v. Wilamowitz' Übersetzung.
- 23 -
Das Lied steht ganz für sich an der Stelle, ohne Zu-
sammenhang mit der Handlung des Stückes; der Sehnsucht
des Dichters selbst gibt es Ausdruck, der Sehnsucht nach
dem Seligenlande. So individuell sie hier ausgesprochen sein
mag, sollten nicht ähnliche lyrische Töne älterer Poesie in
ihm nachklingen? Merkwürdig genug bleibt der unverhohlene
Ausspruch des Wunsches ewiger euöai)aovia zu geniefsen und
bei den Göttern zu sein.^
Dort ist ja das Gefilde der Seligen, dort überhaupt nach
uralter Auffassung das Reich der Toten. Das bricht auch in
den Versen der Odyssee durch, die beschreiben, wie Hermes die
Seelen der Freier wegführt (XXIV Anfang) zu den Fluten des
Okeanos, zum Leukasfelsen, zu den Thoren des Helios. Wie
diese alte Vorstellung zu allen Zeiten im griechischen Be-
wufstsein haften blieb, obgleich längst eigentlich damit unver-
einbare Auffassungen herrschend waren, mag nur noch ein
Lied später nachchristlicher Zeit beweisen, in dem Helios, der
Herr auch des Hades, augerufen wird einen Dämon her-
aufzusenden, wenn er komme in die Tiefe der Erde und zu
dem Orte der Toten (Papyrus von Paris, v. 1963, herausgg.
von Wessely in den Denkschriften der Wiener Akad. 1888):
kXOGi, jadKttp, K\r]löj ce tov oupavoö fiTeinovfia
Ktti Yöinc xoicöc xe Kai 'Aiboc, Iv6a vejuovrai
&ai|Liovec dv6pu)Trujv oi Trpiv qpdoc eicopöuiVTec,
Ktti bf) vOv XiTo.uai, uctKap, dq)6iTe becTTOia köc^ou,
f|V Yctiic Keu0)iia)va luöXric vcküujv eiri xiJ^pov,
TT€|LiijiOV baijiova toOtov . . .^
Es wird uns nicht wundern, den Helios selbst als Seelen-
empfanger zu finden^ oder von der Wanderung der Seelen
unter dem Schutze der Todesgöttin zum Reiche des Sonnen-
gottes zu hören.* Ja, die Strahlen der Sonne, die hinabgehen
1 S, V. Wilamowitz Hippolytos S. 217 f.
2 Vgl. Dilthey Rhein. Mus. XXVII 408.
3 EGerhard archaeol, Ztg. 1861 S. 130 f. 134.
4 Vgl. EGerhard antike Bilderwerke Taf. XCIII 4, ebenda S. 244,
266, 336. Ein Fragment eines Sarkophagreliefs zeigt eine Art 'Toten-
genius' vor dem Sonnengott, 'nach dessen Kinn er schutzflehend reicht,
während der Gott, dessen Linke die Peitsche des Lichtwagens hält, mit
- 24 -
in den Westen, und die Menschenseelen, die dort weilen, mag
mannigfach ursprüngliche mythische Auffassung in eins geschaut
haben. Licht ist Leben, das Lebenslicht verlischt^; aber die
hier erloschenen Strahlen sind drunten im Palast des Helios
aufbewahrt, im Sonnengarten. So wird eine Stelle des Euri-
pideischen Ion verständlich und vor Korrektur geschützt. Ion
hat ein grofses Zeltdach zu heiligem festlichen Mahle errichtet,
nach sacraler Vorschrift (v. 1134 ff) fjXiou qpXÖYa
KaXdic 9uXdHac ouxe irpöc juecac ßoXdc
dKTivoc^ oöt' au irpöc TeXeuTuucac ßiov,
TrXeOpou CTae|ur|cac jufiKOC eic euYuuviav . . .
Aus diesem Ausdruck von den Strahlen, die ihr Leben endigen,
in sonst einfachster Auseinandersetzung fühlt man älteste
echte mythische Anschauung heraus.
Aber es würde uns weit abführen den mannigfachen Nuancen
dieser alten Vorstellungen nachzuspüren. Noch mag an den
der Rechten das Haupt seines Schützlings berührt. Zum Throne des
Gottes führt ihn Luna, die tiefverschleiert, kenntlich durch eine Mond-
sichel, mit ihrer Rechten den Körper des Knaben umfafst, während die
Linke etwa ein Scepter aufstützt.' Solche Darstellungen später Zeit
könnten, wenn ihre Deutung im einzelnen sicher stände, von grofser Be-
deutung sein für das Verständnis von Lehren etwa wie sie Plutarch de
fac. lun. p. 945° ausführt (s. RHeinze Xenokrates 125 ff.).
1 Es ist eine häufige und bei vielen Völkern wiederkehrende An-
schauung. Bekannt ist das Lebenslicht in der Nornagestsage, die doch
sehr verschieden ist von der Meleagersage und durchaus nicht nur von
ihr abgeleitet werden darf. Die Römer opferten dem Saturn Fackeln
statt Menschen, Macrob. Sat. I 7. Weiteres bei Wackernagel Haupts
Zs. VI 280 ff., besonders vgl. was er über die Faekelläufe, das bairische
'Tobaklaufet' u. dgl. sagt. Rohde griech. Rom. 195 f. — Man erinnere
sich auch der Bedeutung der umgestürzten Fackel. — Die Seele ist
Feuer nach mannigfachsten Lehren (z. B. auch Plutarch. de occult. viv.
p. 1130'' auxriv xe xi'iv njuxiiv €vioi tu)v q)i\ocöcpujv qpujc €ivai ttj oucia
vo|Li(Z;ouciv). Es mag auch die Meinung, dafs die Sonne, der Mond, die
Milchstrafse Sitz der Seelen sei, älter sein und tiefer liegen, als man ge-
wöhnlich annimmt. Die Seelen als Sterne z. B. Aristoph. Frieden 832,
Plat. Rep. p. 621^, s. Ettig Acheruntica 311, 2. Vgl. Plut. de ser. num.
vind. p. 563f. BSchmidt Volksleben der Neugriechen 246. S. auch Usener
Religionsgesch. Unters. 76.
2 }ii.cac ßo\äc ÖKtivac ist überliefert. Man mufs nur in dKxtvoc
ändern: la^ca ÖKric ist 'Mittag', |a^cai ßoXal öktIvoc in bekannter Um-
wendung (statt ßoXai ji^cric ÖKtivoc) 'die mittäglichen Sonnenstrahlen'.
- 25 -
Sonnentisch im Lande der Äthiopen (über diese s. u.) erinnert
sein und all die fabelhaften Geschichten von Überflufs und
Reichtum, die sich das Volk zuerst von dem Sonnenlande und
dem Gottergarten erzählt hat. Als die Vorstellung von dem
Totenreich unter der Erde herrschend war, wurden alle jene
Herrlichkeiten auch in die Tiefe verlegt, und so hat es ja die
attische Komödie so gern dargestellt. Ihr sonnig heiteres
Schlaraffenland ist drunten im düsteren Hades. ^
Aber das alte vor anderen Vorstellungen verblassende
Bild des Sonnenlandes im Osten und Westen ist noch in
anderen Spuren erhalten geblieben, die aus dem verwischten
Gesamtbilde verstreut zurückseblieben, schwer in ihrer ur-
sprünglichen Bedeutung zu erkennen waren. Die Namen, die
der Mythus dem Sonnenlande des Ostens und Westens ge-
geben, wurden, je mehr man die wirklichen Länder des Ostens
und Westens kennen lernte, auf diese übertragen. So heifst
Lykia nichts anderes als Lichtland — und es ist deutlich das
Totenreich bei Homer IL XXV 683, wo Sarpedon dorthin durch
Schlaf und Tod gebracht wird — und ebenso Phoinike das
rote Land, das Land des Sonnenaufgangs.^ Ebenso ist es
1 Auch die Herden des Helios, die himmlischen Rinder etc., sind
später im Hades, dessen Reichtum (über diesen s. Graf ad aur. aetat.
symb. p. 63 sq. Ettig Acheruntica 297, 1) nun auch besonders darin be-
stehend gedacht wird. Apollod. II 5, 10 Mevomoc bi Ikei töc "Aibou
ßöac ßöcKUJv. Vgl. Geryoneus mit seiner Herde auf Erytheia, dem roten
Sonneneiland im Westen. Mit ihm kämpft Herakles wie mit Menoitios.
Apollod. II 5, 12, 6 |uiav tuiv "Ai6ou ßoOüv dudcqpoEev. Dadurch erklärt
sich Pherekrat. KpairaraX. fr. 82 K : einer wird gefragt, ob er ein Messer
«eingesteckt habe, damit er die ßöea Kpia im Hades als zahnloser Greis
bewältigen könne. (Vgl. EGraf Philol. L, IV NF, 1891, p. 606.) In
solchen Zusammenhang gehört auch die TT€pc6q)övr| ßouqpöpßn pap.
Paris. 2748 Wess., Orph. ed. Abel p. 290. Die Auffassung des Totengottes
als Hirte ist uralt, und das zeigt diese Vorstellungen noch in anderem
Lichte. Hades treibt bei Pind. Ol. IX 33 unter dem Bilde eines Hirten
mit seinem Stabe die Toten in eine hohle Gasse. Die himmlischen Rinder
sind auch alte Anschauung für das Licht, Hermes führt sie in den Westen
hinab. Er ist auch liJUxcTTOiaiTÖc. Aufserdem hätten wir den oben be-
rührten Zusammenhang zwischen Strahlen und Seelen. Doch will ich
in diese Tiefen mythischer Anschauung nicht eindringen.
2 (poivtE ist der heilige Baum des Apollo. cpoiviKCC waren dann
typisch für die östlichen oder westlichen Länder, wenn auch keine da
- 26 -
mit Aithiopia' und auch mit dem roten Meere, der epuöpd
0d\acca, dem See, aus dem die Sonne auftaucht.- Es ist
deutlich zu sehen, wie diese Namen hin- und herschwanken,
bald diesen, bald jenen östlichen Ländern, Inseln oder Meeren
zugeteilt, bis sie schliefslich irgendwo fest werden.^ Man
kann noch beobachten, wie mit fortschreitender geographi-
scher Kenntnis diese Bezeichnungen sich vorschieben von
den Grenzen des griechischen Pestlandes zu den Inseln bis
nach Spanien und in den atlantischen Ocean im Westen und
bis nach Indien im Osten.* Aber die alte mythische Be-
deutung ist noch deutlich genug, wo von einer glückseligen
Stadt am roten Meer in den Vögeln des Aristophanes ge-
sprochen wird (v. 144) und vor allem in dem Fragment des
Aisehylos, dessen Wortlaut ich beifügen mufs (fr. 192 N^):
qpoiviKÖTTeböv t* epuGpäc lepöv
XeOjLia 6a\dccric,
XaXKOKcpauvöv re irap' 'QKeavuj
Xi)Livav TTavTOTpöqpov AiGiöttujv,
iv' ö TTavTÖTTTac "HXioc aiei
XPijut' dGdvaTov KdjuaTÖv 6' ittttuüv
öepiLiaTc ubttToc
)Lia\aKoO TTpoxoaTc dvaTrauei.
Nicht anders ist es mit dem Flufs Aithiops, dem Sonnen-
strom ^ und mit dem Eridanos, dem feurigen Lichtstrom, dem
wuchsen, Rohde gr. Rom. 223, 1. — Erytheia, die rote Insel, wo Geryo-
neus seine Herden weidet, gehört natürlich ebendahin Hea. Theog. 292.
Antimachos fr. 4. ApoUod. II 5, 10. (Erythras ist ein Sohn des Perseus
Plin. n. h. VI 153. Erytheia heifst eine Hesperide, schol. Apoll. Rhodi
IV 1399; Eiythrios und Leukon als Brüder, Söhne des Athamas, Apollod.
I 9, 2.) Sie wurden nachher in der Gegend von Gades und Tartessos in
Spanien lokalisiert (s. namentlich Strab. III 148).
1 S. Tümpel Athiopenl ander 140 u. sonst. Über die Bedeutung
des Worts s. Cartius Grundz.*"' 250.
2 Xi|avri itepiKaWric, aus der Helios aufgeht, Hom. Od. III 1. Zu
'HXiou \{|uivri u. dgl. 8. Abraxas 97.
8 Tümpel a. a. 0. 139 158. 185flF. 188. 197. Crusius in Roschers
Lex. II 884. 891 f. und ders. in den Verhandl. der 40. PhilologenVers. zu
Görlitz 36 ff.
4 Einige hauptsächliche Bemerkungen bei v. Wilam. Herakl.s II 131 f.
ö Aisch. Prom. 808 ot irpöc i^\(ou vaiouci irriYaTc, ?v6a iroTaiuöc
— 27 -
Flufs des Göttergartens, auch des Landes der Hyperboreer. Er
ist dann der Po, die Rhone, ein Flufs im äuTsersten West, im
Keltenlande.* An seinen Ufern weinen die Sonnenjungfrauen
über den gestürzten Lichtgott, und ihre Thränen werden zu
Bernstein (fiXeKipov).^ Man hätte sich nicht den Kopf zu
zerbrechen brauchen, wie der Eridanos auch zum Strom im
Hades wird^: das Totenland im Westen war ja eben im
Wandel der Auffassungen unter die Erde in den Hades ver-
legt worden. Und ich will hier nicht unterlassen zu bemerken,
dafs ich mir den Pyriphlegethon im Hades nicht anders er-
klären kann zu einer Zeit, die weit entfernt war an ein Feuer
in der Unterwelt zu denken.*
Endlich ist ein gleiches zu sagen nicht nur von der Insel
Leuke, sondern auch von dem Leukasfelsen, an dem vorüber
Hermes die Seelen der Freier zum Toteulande führt (Od.
XXIV 11.) Später ist er an vielen Orten lokalisiert worden;
was er ursprünglich war, zeigen deutlicher als die hauptsächlich
Apollinischeu Sühngebräuche, die einen dem Tode geweihten
Menschen zum leukadischen Felsen hinabzustürzen forderten ^
AiGlovi;. vgl. T. 805 oi xP^cö^^utov oIkoüciv äpapi väyta TTXoüxiuvoc
TTÖpou. i^Xiou TXTYfai 'Sonnenstiom' , nicht Quellen der Sonne, v. Wila-
mowitz Herakles II 128.
1 EridanOs (qpepauTric, Trupöeic, dcxepöeic u. ä. genannt) als die Rhone
in Iberien nach Aischylos in den Heliaden fr. 73 N* (Plin. n. h. XXXVII 32).
Po und Ehone liefs man auch zusammenfliefsen, Plin. 1. c, Pausan. 1 4, 1 u. s.
2 Es erklärt sich von selbst, warum dieser Lichtstein im Licht-
strom sich findet ('HXeKTpOujv ein Name des Sonnengottes, Tümpel
Athiopenländer 164), ebenso wie die Ziuninseln vor seiner Mündung sind,
Herod. III 115.
3 Bisher nur aus Vergil Aen. VI 659 als solcher bekannt, im Ely-
sium inter adoratum laiiri nemus, und superne plurimus Eridani per
silvatn volvüur amnis. Jetzt ist auch ein Scholion zu Eur. Orest. 981,
das im Vatican. am Rande steht, herangezogen eic töv 'Hpiöavöv irora-
fxöv Kp^fiaxai 6 TävraXoc (Vgl. Serv. zu Verg. Aen. VI 603.), Knaack
Jahrb. f. Phil. CXXXV 319. ^
4 Vom Verbrennen der Leichen kann der Name doch nicht kommen
(so Rohde Psyche 50); das hat mit der Unterwelt nichts zu thun. Den
Totenbach Alibas und den See Alybas im Lande der Hyperboreer (s. Cro-
sius bei Röscher I 2826) kann ich in ihrer ursprünglichen Bedeutung nicht
erklären.
5 Vgl. Müller Dorier P 233. 329. Apollodor. bei Strab. X 452 fjv
- 28 -
die Na<?hrichten von den Hyperboreern, die sich, wenn sie das
Ende ihres langen Lebens erreicht hatten, vom leukadischen
Felsen stürzten und sich so den Tod gaben.^ Am deutlichsten
aber läfst uns eine Stelle des Euripideischen Kyklops er-
kennen, wie geläufig die ursprüngliche Vorstellung auch da-
mals noch dem Volk von Athen war. Der Silen will für den
lang entbehrten Wein von dem Vorrat des Kyklopen dem
Odysseus und seinen Gefährten Speise in Tauseh geben: Menn
ich bin wohl rasend darauf begierig einen Becher nur aus-
zutrinken, auch wenn ich aller Kyklopen Herden hätte dafür
geben müssen, und mich ins Meer zu stürzen vom leukadi-
schen Felsen, wenn ich nur einmal noch mich betrunken und
sorglos in die Welt geblickt.'^ Was heifst da dieses 'und
mich ins Meer zu stürzen vom leukadischen Felsen' anders
als "^und zu sterben'? Es ist eine ganz typische fest gewor-
dene Redewendung; wer stirbt, stürzt sich vom leukadischen
Felsen. Natürlich, um über den Okeanos zu dem Totenland,
dem Sonnengarten im Westen zu kommen.^ Alle diese
h^ Kai Trdxpiov TOic AeuKobioic Kar' dviauTÖv 4v rfl Qvciq. toO 'AttöXXujvoc
diTÖ rf\c CKOTTTic ^nTTeicöai riva tujv iv alriaic övtwv äitoxpoiTfic x<ipiv.
Die Apollonpriester im magnesischen Hylai springen von steilen Ab-
hängen herab. Töpffer Rhein. Mus. XLIII 145 f., att. Geneal. 266. Vgl.
auch Kephalos, Sappho und Phaon. An all das kann nur erinnert werden.
1 Crusius bei ßoscher I 2828. Ebenso gaben sich gelbst den Tod
die Bewohner der glückseligen Inseln in der Erzählung des lambulos,
Rohde gr. Rom. 230, 1.
2 Cycl. 164 ff.:
u)C ^Kirieiv y' öv kOXiko |Liaivoi|UT)v |uiav
TTdvTiuv KukXujttujv dvTiöoOc ßocK/i|LiaTa
f)TilJa( t' ^c äX.|Liriv AeuKciboc ir^Tpac ötto,
ö-rraH |ue0uc6elc KaraßaXijOv xe xctc öqppöc.
Jede Änderung der Überlieferung, wie sie auch Kirchhoff an zwei Stellen
vorgenommen hat, ist vom Übel.
3 Jch will nur an eine Bemerkung Useners erinnern, de carm.
quod. Phocaico p. 41. Er spricht von der Vorstellung, die den Tod als
eine Schiffahrt durch den Okeanos, den Götterflufs, zum Lande der
Seligen auffafst, und weist darauf hin, dafs die Reliefs, die einen
trauernden Mann auf einem Felsen sitzend zeigen, vor ihm das Meer,
daneben gewöhnlich ein Schiff angedeutet, nicht anders als auf diese
Vorstellung zu deuten sind, der Fels auf den 'leukadischen'. Michaelis
- 29 —
Namen sind von den Bezeichnungen des Lichts und, so zu
sagen, der Lichtfarben genommen.^ Das in Erinnerung zu
rufen, wird der kurze Überblick genügt haben. In rot und
weifs, in brennend und blutig rot sind die Lande des Lichts
getaucht, übergössen von buntem Glanz und mannigfaltigem
Farbenschimmer. Dieselben Farbenbilder sind es denn auch
wieder, in denen die Gottheiten des Lichts, die Bewohner
jenes Götterlandes gezeichnet werden; zum Beispiel Eos Xeu-
KÖTTxepoc (Eur. Troad 847)^, XeuKÖv npöcujTTOv doOc (Elektr.
730), XeuKÖTTuuXoc (Aiscb. Fers. 386 u. s.), XeuKinTroc (Theokr.
XIII 11), pobobdtKTuXoc, pobÖTTTixuc (Hym. Hom. XXXI 6 u. s.),
poboeibric (Nonn. Diou. XXXV 249), pobÖTTenXoc (Quint. Smyrn.
III 608), pobocrecpric (Nonn. Dion. XXXIV 106), poböcqpupoc
(Quint. Smyrn. I 138. vgl. Hymn. mag. II 2, 21 Abel) roseo ore
(Ovid. Met. VII 705), sie fährt roseis qiiadrigis (Verg. Aen. VI
538), rosms higis (ebd. VII 25), KpoKÖTrenXov (epigr. Kaibel
994, 3), croceis equis (consol. Liv. 292), purpurea aurora (Ovid.
Metam. III 1 84) ^, epu0aivo|aevri (Hymn. orph. LXX VII 2), aiTXr|6Cca
(Apoll. Rhod. I 519), aieoxv (lo. Gaz. descr. II 203). Bild des
weifsesten Glanzes ist besonders auch der Schnee; so ist Eos
XiovoßXeqpapoc (Mesomed. Hym. II 7), xiovÖTreZ;a (Nonn. Dion.
XXII 136).
Aber ich will nicht weiter so bekannte Dinge vortragen.
Mögen wir schon jetzt einmal einen Seitenblick auf die
hatte jene Reliefs zusammengestellt, arch. Ztg. XXIX (1872) 142 ff. Die
wie ich meine, einmal ausgesprochen, jedem evidente Erklärung gibt
uns die besten Belege für die Allgemeinheit und Volkstümlichkeit jener
Vorstellungen. Ich kann mich nur wundern, dafs jene Bemerkung meines
Wissens noch nicht weiter verfolgt und zur Erklärung manches Ähn-
lichen herangezogen worden ist. (In denselben Kreis von Darstellungen
scheint mir auch das von FMarx im Bulletino 1, 1886, S. 247 fi. auf Sinis
den Fichtenbeuger erklärte Basrelief der Villa Albani, auf das mich
Ernst Kuhnert aufmerksam macht, zu gehören.)
1 Ob Rhodos die Heliosinsel auch in dieser Weise zu erklären ist,
mag dahingestellt sein. Aufgefafst ist sie gewifs nachher als die 'rosige'
Insel, Tümpel Äthiopenländer 209.
2 Das \€\jKÖv ist die Farbe des Lichts, sogar geradezu der Sonne:
XeuKÖv b' fjv, ri^Xioc Ouc, vom Schleier der Hera, II. XIV 185.
3 Vgl. auch Rapp bei Röscher I 1258.
— 30 —
Schilderung der Seligen in der Apokalypse und ihres Wohnortes
werfen (v. 8 f.): rd jiiev yäp cuj|LiaTa auToiv fjv XeuKÖrepa Trctcric
Xiövoc Kai epuöpoTepa iravToc pöbou, cuveKeKparo be t6 epuepöv
auTUJV TUJ XeuKUJ. Kai dirXujc ou buva)aai eHriYvicaceai tö KdXXoc
auTuJv. Wir sind so weit zu den ältesten griechischen An-
schauungen zurückgegangen, dafs wir nun deutlich sehen, wie
hier bis in das Einzelnste der Worte die urgriechische Auf-
fassung vom Seligenlande zu Grunde liegt.
Und in der näheren Beschreibung dieses Landes selbst,
von dem hier nur gesagt wird, dafs es eKxoc toutou toö köc|hou
liege, sind wir nun im Stande, sofort die lichtgesättigten
Farben des uralten Sonnen gartens der Hellenen wieder zu er-
kennen (v. 15): e'beiHe )lioi juieYiCTov x^pov £kt6c toutou toO
KÖC|uou L)TTepXa|UTrpov tuj qpu)Ti, Kai tov depa xov eKei dKiiciv fiXiou
KaTaXa)LiTTÖ)Lievov Kai ifiv t^v auxriv dvGoucav djuapdvxoic dvOeci
Kai dpuj|adxuuv TrXrjpr) Kai qpuxmv euavOuJV Kai dcpOdpxujv Kai
KapTTÖv euXoYilMevov qpepövxujv. xocoöxov bk fjv xö dvBoc ibc
öc|ufiv Ktti eqp' fijadc tKeiBev cpepecGai.
Wie dieses Bild zu allen Zeiten bei den Griechen sich
gleich geblieben ist und von Jahrhundert zu Jahrhundert sich
fortpflanzte, bis es auch dieser Apokalyptiker den Seinen
offenbarte, wäre leicht an einer Fülle von Beispielen zu zeigen.
Einige besonders typische sei es mir erlaubt herauszugreifen,
die ich z. T. wörtlich anführe, damit auch die kleinen und
kleinsten, oft so frappanten Ähnlichkeiten ins Auge fallen.
Zunächst sei ein Fragment aus einem Threnos des Pindaros
verglichen (fr. 129. 130 B'*), das eine Stätte der Seligen unter
der Erde preist:
xoTci Xdiairei |li^v |uevoc deXiou xdv ev9dbe vuKxa Kdxuu,
cpoiviKopöboic b' evi Xei)au)vecci rrpodcxiov aOxujv
Kai XißdvLu cKiapöv Kai xpuceoic Kapixoic ßeßpiööc.
Kai xoi |Liev iTTTTOic Y^iuvacioic xe, xöi be Tieccoic,
xoi be cpopiuiYTtcci xeprrovxai, Trapd be cqpiciv euavGfic ctTrac
xeSaXev öXßoc"
öb)ud b' epaxöv Kaxd x^Jpov Kibvaxai
aiei 9ua iluyvüvxujv irupi xnXecpaveT rravxoTa BeuJv em ßiuiuoic.
• In den platonischen eschatologischeu Schilderungen tritt
— 31 —
der Ort der Seligen^ mehr zurück, dagegen ist er um so
ausgiebiger gezeichnet im pseudoplatonischen Axiochos, der
sich wohl hier und da mehr den Anschauungen der breiteren
Volksschichten annähert (p. 371°): eic töv tüjv euceßdiv
XUJpov — , ev9a dqpöovoi faev iLpai iraYKdpTTOu xovfic
ßpvjouci, TTTiYal be ubdiijuv KaGapiIiv peouci, TravToToi be Xei-
jiuivec dvGeci ttoikiXoic eapiCöiaevoi . oöre fdp xei^a
ccpobpöv ouie GdXnoc eTTiTvetai. dXX' euKparoc dfjp xeixai dira-
Xaic f^Xiou dKTiciv dvaKipvdinevoc.
Wie lebendig der Glaube an ein Land der Seligkeit im
fernen Westen sogar unter den Römern gegen Ende der
Republik gewesen sein mufs, davon giebt ein beredtes Zeugnis,
dafs Sertorius allen Ernstes von Iberien aus die Inseln der
Seligen im Weltmeer gesucht hat.^ Und es ist nicht etwa
1 Die erste utopische Schilderung eines goldenen Zeitalters oder
glückseligen Landes, von der wir wissen, scheint von Solon gewesen
zu sein. Fr. 38 B* ist doch unverkennbar aus einer solchen Schilderung:
TTIVOUCI KOi TpiÜYouciv o'i fi^V iTpia,
o'i 6' äpTOv auTüuv, ot bi cv\i[ieyn'jpiivovc
Toüpouc q)aKoTcr KeiSi 5' ouxe ^^e^^äTUJv
ätrecTiv oub^v, äcca t' dvepiÜTroia yh
(p^pei |u^\aiva, iravTa t' dqpBövuic irdpa.
Sollte es ganz zufällig sein, wenn sich Piaton im Timaios (p. 20®; 21^
itoiriTUJv iroirj^aTa, äre bi via kqt' ^keIvov töv xpövov övra xä CöXiJUvoc
iroXXoi tOüv irai&uuv fjcainev) und Kritias (p. 113*) für solche Schilderungen
auf Solons Poesie beruft, wenn das auch zunächst nur eine seiner ge-
wöhnlichen Einkleidungsformeln sein mag? Es kommen ganz dieselben
Züge vor im Kritias p. 114« Kai öca xjXx] irpöc xä x€kxöviuv öiaTrovr]|LiaTa irap^-
Xexai, TTdvxa qp^pouca aq)6ova xd xe au irepi xä Z^iua kxX. p. 115* in ö^xöv
f1^epov Kapiröv xöv xe Er|pöv, 6c i^juiv xpoqpfic ^'v€Kd dcxt Kai öcoic x^piv
xoö cixou iTpocxpiü|ie6a — KaXoO^ev bt auxoO xä n^pr] Eüjiiravxa öcirpia —
Kol xöv öcoc EOXivoc, Tnüfioxa koI ßptü^axa Kai dXeimaaxa qpepiuv, irai6iäc
xe öc SveKo fi&ovfic xe Y^TOve öucGricaOpicxoc dKpobpüujv KapTröc, öca xe
irapauOGia irXTic.uovfic fiexaööpTTia dYaTrrixä Kd|ivovxi xiGeijev, diravTa xaöxa
1^ xöxe -jroxe oöca fjcp' i^Xiuj vficoc iepd xe KoXd xe Kai Sau^acxä Kai nkr]-
öeciv äiteipa l9epe. Näher kann ich hier nicht darauf eingehen.
2 Sallust. hist. fragm. I 61 Kritz. Plutarch erzählt die Geschichte
auch Sertor. 8 und berichtet von Schiffern, die dem Sertorius von den
Inseln erzählt hätten. Es sind die bekannten Züge: 6|aßpoic bk xpiü^evai
nexpioic ciravioic, xä bi TrXdcxa TrveOjiaci ^oXaKoTc Kai öpocoßöXoic, oö
IJÖvov dpoöv Kai 9uxeü€iv irapexouciv äYaöi^jv Kol iriova x^Äipav, dXXä Kai
— 32 —
nur ein poetisches Bild, wenn Horatius in dem 16. Epodus *unter
dem Eindruck der Greuel des perusinischen Krieges und der
Landung des Antonius' den Bessern zur Auswanderung rät
und in den glänzendsten Farben jenes westliche Land mühe-
losen ruhigen Glückes vorzeichnet. Solche Pläne mögen allen
Ernstes den Flüchtlingen von Philippi durch den Kopf ge-
gangen sein.^
Auch in der Unterwelt Vergils ist ein solches Elysium,
ein odoratum lauri nemus (VI 658), wo largior campos aether et
lumine vestit purpureo, seiner zahlreichen Nachahmer unter den
römischen Dichtern nicht zu gedenken.
Aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. mögen noch zwei
Schilderungen genannt sein, die sich in den Schriften des
Plutarchos und Lukianos finden. Der erstere erzählt (de sera
num. vind. c. XXII p. 565^) von einem Ort im Jenseits toic
ßttKXiKOic avTpoic 6|noiuJCijXri Kai x^uupöxriTi Kai xXoaic dvBeujv
dirdcaic biaireiroiKiXiuevov eHeirvei he juaXaKriv Kai Ttpa-
eiav atjpav, öcjudc dvaqpepoucav fibovr^c xe Gaujuaciac — .
Und Lukian, der die zu seiner Zeit so verbreiteten phantastischen
Schilderungen solcher wunderbaren Länder verspotten will (in
der Vera hist.), hält sich ganz an die traditionellen Züge, die er
nur hier und da etwas greller aufträgt (a. a. 0. II c. 5): fibr| be
TrXriciov fjiuev Kai 0au|uacTr| Tic aupa Trepieirveucev ni^dc, fibeia
Kai euuubiTC, oi'av q)riciv 6 cuYTPCt^pe'JC 'Hcioboc dTiöZ^eiv Tfjc
ei)bai)novoc 'Apaßiac oTov Y^tp diro pöbuuv Kai vapKiccujv koi
KOpTTÖv auToqpufj qpdpouciv, äTTOXpuJVTa TrXfiöei Kai y^ukOthti ßöcneiv äveu
irövujv Ktti irpaYiuaTeiac c\o\älovTa öfiiaov. &f\p bä äXvrcoc lOpOüv re Kpdcei
Kai laexaßoXflc laexpiÖTrixi Kaxexei xäc vricouc. oi |li^v y^P ^vO^vbe xfic Y^ic
diroTiveovrec li.n) ßopeai Kai äirriXiuJTai öiä |ifiKOC eKTTCCövxec eic xönov dxavf]
biacTteipovxai koI irpoaTToXeiiTouci. ueXaTioi bi irepi^^^ovxec dpYCCxai koI
li(pvpoi, ßXrjxpouc |a^v üexoüc kuI ciropdbac ^k öaXdxxrjc 4irdYovx€C, xd bk
TToXXd voxepaic alGpiaic ^TTiijJÜxovxec i^cuxfi xp^qpouciv. üicxe |ii^xpi tujv
ßapßdpuiv öüxöai mcxiv icxupdv, aüxööi xö 'HXOciov eivai irebiov, Kai x)^v
xu)v eüöai|aövujv oiKriciv, r^v "0|Liripoc ö|ivr|ce.
1 Siehe Kiefsliag zu v. 41. Dal's Horaz SaUusts Historien benutzt
hat, zeigen schon die Schollen zu jenem Epodus. Sallust, Horaz, Plu-
tarch stimmen derart, auch in den speciellen Zügen der Schilderung der
Inseln überein, "dafs Sallust als gemeinsame Quelle angesehen werden
mul's, 8. Linker in den Verhandl. der Philol.-Vers. zu Frankfurt a. M.
1861 S. 118 f.
- 33 -
uttKivGujv Kai Kpivcjuv Ktti luuv, eti be |uiuppivr|C Kai bdqpvrjc
Kai djuTreXavöiic, toioötov fiiaiv tö fjbu TipoceßaXev — . ev9a bx\
KaBetupoijiev \i|nevac t€ ttoXXouc nepi iräcav dKXucxouc Kai ^eya-
Xouc, TTOTtt^ouc TgbiauTeic ^Hievrac npcM« ec ifiv GdXaccav, exi
be Xeimxivac Kai uXac Kai öpvea )iouciKd . TTpoiövtec be bid
XeijuuJvoc euavBoüc evTUYXdvo)aev xoTc qppoupoic Kai Trepmö-
Xoic* o'i be bricaviec fiinäc pobivoic cietpdvoic — dvnYov ujc
TÖv dpxovta. — (cap. 12) KaSdnep tö XuKauyec fjbri irpöc eou,
jLiribeTTou dvaxeiXavToc fiXiou, xoioOxo cpuJc e-rtexei xfjv fnv. Kai
lievxoi Kai ujpav |Liiav Tcaci xoö exouc. dei jap irap' auxoTc eap
ecxi, Kai eic dv€^oc irveT 6 Ziecpupoc, fi be x^P^ ^«ci |aev
dv9eci, TTdci be qpuxoTc fiiaepoic xe Kai CKiepoTc xeGriXev.
Damit mag diese Reihe beschlossen sein.-^ Es ist mfehr
denn hinreichend dargethan, mit welcher unbesiegbaren Zähig-
keit, wie sie solchen alten religiösen Vorstellungen eigen ist,
der Glaube an dieses Land des ewigen Lichtes trotz allen
wechsehiden Jenseitsvorsteilungen und religiösen Richtungen
festgehalten wurde ^ und wie er sozusagen Satz für Satz, ja
1 Über die essenische Lehre von der Stätte der Seligkeit imip
uiKeavöv, nach loseph. bell. lud. II 8,11, die ganz und gar griechisches
Kolorit bat, wird unten noch zu handeln sein; ebenso über ähnliche
Stücke der jüdischen Apokalypsen. Doch mag gerade hier eine Stelle
der neben dem Evangelium und der Apokalypse gefundenen Henoch-
ofFenbarung stehen, die einen Berg der Seligkeit beschreibt (bei Bouriant
Memoires publ. par les membres de la mission archeol. fran9. au Caire
T. IX fasc. 1, 1892, p. 134 f.) ou6^ irore ujcqppavjLiai k'oI ouöeic ^xepoc
aÜTUiv TiucppövGri Kai ouöev erepov öuoiov auxu) öc|Liriv elxev evwbic-
xepov TTdvTUJV äpu^jadrujv Kai xa cpüXXa auxoö Kai xö övöoc Kai
xö ö^vöpov oO cpGivei cic xöv aiOüva, oi bi irepi xöv Kapiröv lücei
ßöxpuec qpoiviKUJv. Wer das oben Angeführte kennt, kann keinen
Augenblick im Zweifel sein, dafs an solchen Stellen griechische Vor-
stellungen zu erkennen sind.
2 Man könnte diese gleiche Anschauung noch viel weiter hinab
verfolgen bis zu Nonnos Dion. XIII 349 S. Nuficpai ö' ^CTrepibcc ji^Xoc
ItiXckov kxX., und etwa Claudian de consul. Stilich. II 467 ff.:
Sic fatus croceis rorantes ignibus hortus
Ingreditur vallemque suam, quam flammeus ambit
Mivus et irriguis larguin iubar ingerit herbis,
Quas Solis pascuntur equi; flagrantibus inde
Gaesariem sertis et lutea Tora iubaeque
Subligat aUpedum.
Dieterich, Nekj-ia. 3
34 -
Wort für Wort hinübergieng in die JenseitshoffnuDg der christ-
lichen Gemeinde. Weiterer Erklärung bedarf das jetzt nicht,
aber es mögen über die Bewohner des jenseitigen Landes und
das Bild, das man sich von ihnen machte, noch einige An-
deutungen gestattet sein.
In panegyrischer Absicht sind vielfach solche Schilderungen von einer
anbrechenden Periode des Glückes und der Seligkeit verwandt, wie be-
kanntlich schon von augusteischen Dichtern, so z. B. noch von Mamertin.
grat. act. c. 23 (Panegyrici ed. Bashrens p. 262 ff.) und noch Sidon.
Apollinar. Panegyr. auf Anthemius, carm. II 103 ff. Die späteren christ-
lichen Beschreibungen nach der Apokalypse, die wohl ziemlich alle von
ihr abhängig sind, aber deshalb doch aus mannigfacher Volksüberlieferung
daneben noch gespeist sein können, zu verfolgen, liegt gänzlich aufser
meiner Absicht. Interessant in mancher Weise wäre die Partie in der
Vision des Satyros (in der Passio Perpetuae: The acts of the martyrdom
of Perpetua and Felicitas by Harris and Gifford. London 1890 p. 55 ff.,
und Texts and studies, contributions to biblical and patristic literature.
vol. I no. 2 by Robinson. Cambridge 1891. p. 79 ff.): z. B. IHeXeövxec
TÖv TTpujTov KÖc|uov (pCüc XajuirpÖTaTOv eibojuev — — Kfiiroc e'xujv ^öbou
6^v6pa Kai ttöv -fivoc tuiv dvG^ujv, tö bi iivj;oc tOüv 6dv6pujv fjv uücel ku-
irapiccou |ufjKoc, äKaTairaOcTUJC bk Kara^piipexai toi bivbpa rä cpvWa auxujv.
lat. Vers.: quarum fdlia cadebant (so AB, ardebant C) sine cessatione.
Sollte wirklich canebant (Robinson) das richtige sein, und das griech. erst
eine Übersetzung eines verschriebenen cadebant, so wäre eine merkwürdige
Parallele die Stelle des Lukian in der oben angeführten Schilderung
der seligen Inseln (ver. bist. II c. 5) aOpai bi rivec ii6eiai iiveoucai fip^jua
Ti'iv vKr]v öiecäXeuov, üjcre Kai dirö xiuv kXööujv kivou)u^vudv repirva koi
cuvexn M^^n dtrecupi^eTO ktX. Dazu aus einer Beschreibung des Ortes der
Seligkeit, die im übrigen der Apokalypsenpartie aufserordentlich nahe
steht, in der Geschichte von Barlaam und loasaph (bei Boissonade Anec-
dota graeca IV p. 280): xd xe qpüWa xuJv &^v6puDV XiYupöv ÖTrrixei avpq.
xivl XeTTxoxdxr]. — Auf einer christlichen Grabschrift des 4. Jahrb. de
Rossi Inscr. Christ. I 141, nr. 317 steht: per eximios paradisi regnat odores
tempore continuo vernant übt gramina rivis. Bei Dracontius (5. Jahrb.)
de deo III 679 wandeln die Seligen inter odoratos flores et amoena vireta.
Noch in dem Rithmus domni Gibuini (Erzbischof von Lyon 1077—82)
in den Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1891 nr. VII p. 99 f. heilst es Para-
disi amena regio, | quam possedit quondam primus Jiomo | quam pulcra es
sanctis animabus et requies. — In te spirant odora gramina, | rubet rosa,
albescunt lilia \ et arbusta profundunt bdlsama \ quam pulcra etc. —
Pulcher (h)ortus, mcllita flumina, | sonat aura Icnis per nemora, \ ibi flores
et mala punica, j quam pulcra etc. — Dann folgt eine Schilderung nach
cap. 21 der Johannesapokalypse.
— 35 -
Von alters her hat man sich in den fernen Ländern des
Ostens, Westens oder auch des Nordens glückselige Völker
wohnend gedacht, die gerecht und in vollkommener Tugend
die immer bereiten reichen Gaben ihres blühenden Landes
geniefseu. Namentlich wird vielfach geschildert das Volk des
äufsersten Nordens, die Hyperboreer, bei denen Apollo immer
wieder einkehrt Sie sind ihm ein heiliges priesterliches Volk.^
Die Lage dieses Landes schwankt in der Überlieferung hier
und da: auch nach Westen werden die Hyperboreer verlegt,
auch zum Hesperidengarten.^ Dieser Name ist geographisch
fest nie geworden. Es bricht doch auch hier immer wieder
hindurch, dafs es das Land der guten seligen Geister der
Verstorbeneu, ursprünglich natürlich zugleich das Götterland
gewesen ist, wohin man weder zur See noch zu Lande den
wunderbaren Pfad findet (Pind. Pyth. X 30). Später erzählte
man dann von den merkwürdigen Barbarenvölkern in jenen
äufsersten Ländern und fabulierte die seltsamsten Wunder-
dinge zusammen. Typisch aber bleibt immer der Zug der
'Gerechtigkeit' bei allen diesen Völkern, wie der ruhigen unge-
trübten Seligkeit. Es sind die Ausläufer der alten Vorstellung
von den 'gerechten' Geistern, die im Lande der Glückseligkeit
bei den Göttern wohnen. Homer nennt schon die milch-
trinkenden Nomaden im Norden die gerechtesten der Menschen
(II. Xni 6), Aischylos die fernen Gabier bn|uov evbiKiuTaTOV
dTTctVTUJV Ktti cpiXoHevuüTaTov (fragm. 196N-); von der Gerechtig-
keit der Skythen, der Argimpäer wird früh erzählt.^ Und
als man in hellenistischer Zeit eine Menge von Schilderungen
solcher Wundervölker, von Reiseromanen und Glückseligkeits-
utopieen verfafste, geht dieser Zug immer durch: man redet
von den 'gerechten' Serern*, Euhemeros läfst auf seiner seligen
Insel ein frommes Menschengeschlecht wohnen, unter den
Meropes des Theopomp heifst die eine grofse Stadt Eusebes,
und die Einwohner entsprechen diesem Namen; so heifst es
auch später noch von den Athiopen dcKOuci be euce'ßeiav Kai bi-
1 Rohde griech. Rom. 212 f.
2 Ausführliches bei Crusios in Roschers Lexikon I 2815 ff.
3 Rohde a. a. 0. 203, 1, 2.
4 Rohde a. a. 0. 203, 5.
3*
— 36 —
Kaiocuvtiv.^ Als die luder so recht eigentlich zum Wundervolke
werden, sind sie die Gerechten, und sogar die Pygmäen in Indien
und die Hundsköpfe sind gerecht.^ An diesen Punkt in dem
Bilde der fernen Völker setzte dann manche socialistische
Utopie an, and es ist bekannt, wie sogar mit bitterer oder wohl-
wollender Tendenz die Vortrefilichkeit jener Barbaren der Ver-
worfenheit des eigenen Volkes vorgehalten wurde.
Eine der merkwürdigsten Schriften ist das Buch des
Hekataios von Abdera, der zur Zeit des ersten Ptolemäers,
wohl in Alexandria lebte und schrieb.^ Er verfafste ein Buch
über die Hyperboreer und wollte wirklich ein gottgeliebtes
Idealvolk als ^ein Musterbild frommer Götterverehrung' zeichnen.
Hekataios schliefst sich, wie es scheint, in allem Hauptsäch-
lichen an alte Vorbilder an*, und man hat hier so recht die
hervorstechendsten Züge solcher Idealschilderungen bei einan-
der.^ Ihre Insel wird ganz in der oben besprochenen Art
geschildert; sie seien wie Priester des Apollo, weil dieser Gott
täglich von ihnen unaufhörlich in Gesängen gepriesen werde.*'
In der Stadt des Gottes seien die meisten Einwohner Kitha-
risten und unaufhörlich sängen sie mit Saitenspiel im Tempel
dem Gotte Hymnen und priesen seine Thaten.'' Auch dieser
Zug ist in ähnlichen Schilderungen geradezu typisch. Auf
der seligen Insel des lambulos werden Sonne und Gestirne
als Götter mit Hymnen und Lobliedern verehrt.^ Auch auf
1 Nicol. Damasc, irapaböHoiv dGuJV cuvoyujtii 42 p. 176 West. —
Es mag bereits hier nebenbei bemerkt sein, wie falsch es ist, bei 'oi
öiKaioi' oder '■^i biKaiocOvri' gleich von 'alttestamentlich-jüdischer' oder
* urchristlicher ' Färbung zu sprechen, wie Harnack a. a. 0. S. 50 thut.
Das wäre noch von manchem Ausdruck zu sagen (z. B. öböc rf\c öikoio-
cüvric n. dgl. s. u.).
2 Rohde a. a. 0. 203, 4.
3 Rohde a. a. 0. 208.
4 Crusius bei Röscher I 2828.
6 Fragmente bei Müller FHG II p. 386—388.
6 fr. 2 (Diodor II 47, 2) öiä tö töv Geöv toötov kuG' i^|u^pav utr'
auTUJV OfiveTcGai jaex' i^bfic cuvextöc.
7 fr. 2 (Diodor a, a. 0.) koI uöXiv |n^v (nrctpxeiv iepäv toO GeoO
toOtou, tu)v bk KOTOiKouvTiuv ouTi^v Touc uXeicTouc eivai KiGapiCToic, Kai
cuvexüjc ^v t(\) vauj KiGapiZovxac vijavouc X^t^iv tui laex' dibf\c dTTocejuvü-
vovxuc aiixoO xäc irpctteic. 8 Rohde a. a. 0, 231.
— 37 —
der seligen Insel des Lukian (ver, bist. II e. 5) hört man Flöten-
und Saitenspiel und Lobgesaug^, und sogar die Blätter der
Bäume, von den linden Lüften bewegt, säuseln Lieder. Die
Bewohner des vergilischen Elysiums singen ebenso im Chore
den frohen Päan (Aen. VI 657, vgl. 644). Man wird nament-
lich durch jene Beschreibung des Hekataios an den frommen
Bund der Pythagoreer erinnert mit ihrem Apollondienst und
ihrer Musikliebe und mit ihrer Lehre von der Harmonie der
Sphären. Ihre Ideale tauchten ja damals wieder in ganz neuer
Frische auf. Jene Vorstellungen haben auch ihre Wurzel in
uralter mythischer Anschauung: es sei nur noch daran er-
innert, dafs es uns ohne Zweifel ebendahin weist, wenn die
Hesperiden, die Hüterinnen des Sonnengartens, von alters die
Hellstimmigen, die Sängerinnen genannt werden (Xixuqsuuvoi,
doiboi), oder wenn gar von der Sonne selbst gesagt wird, dafs
sie ^pfeife'. Sie heifst geradezu bei den Griechen Mer Pfeifer',
merkwürdigerweise, wie es scheint, besonders in den pytha-
goreisch-orphischen Kreisen der späten Zeit.^
Doch genug. Soviel ist klar, dafs der himmlische Lob-
gesang der Seligen auch alte griechische Vorstellung ist^ und
gerade auch noch in alexandrinischer Zeit bei ihrer Beschrei-
bung nie fehlt. Und in der Apokalypse heifst es von den
'Gerechten' (v. 19): |aia (puuvrj tov Kupiov Oeöv dveucpruuouv eu-
qppaivö,uevoi ev eKeivtu tuj töttlu.^
1 ^iraivoövTuuv ist wobl doch nicht in ^TrctbövTUUv zu ändern (Rohde
195 Anm., was übrigens schon in Bekkers Texte steht).
2 Zu f^Xioc cupiKTJ^c u. dgl. vergleiche Abraxas 23 f. Im orph.
Fragm. 162 Ab. heifst es: TrveOfiaci cupiZiiuv q)U)vaidv t' depo)aiKTOic. Auch
im deutschen Volksglauben gibt es Ähnliches, s. Grimm DM 622.
3 Hildebrand Vom deutschen Sprachuntemcht 101 mag recht
haben, dafs 'die Engel im Himmel pfeifen hören' (pfeifen d. i. musicieren,
vgl. Stadtpfeifer) bis auf das Altertum zurückgeht. Er erinnert an die
Kunstdarstellungen musicierender Engel, namentlich auch in der Renais-
sance und will darin gar direkt die 'Harmonie der Sphären' in christ-
licher Umkleidung erkennen.
4 Ein Zug, der auch mit griechischen Anschauungen zusammen-
hängen kann, ist dieser (Apok. v. 18): ö-fT^^oi be irepieTpexov auTouc ^xeice.
Da sind äfT^^oi, was bei den Griechen Götter waren, und dort. weilen
die Götter, gehen und kommen wieder in jenen Sonnenlanden, bei den
gerechten Völkern, von denen ich oben sprach. Waren doch alle jene
— 38 —
Die äufsere Erscheinung der Seligen, wie sie die Apo-
kalypse gibt, erinnert in allen Einzelheiten an die Art, wie
der Grieche Lichtgottheiten sich denkt und abbildet. Abge-
sehen von dem Weifs und Rot, in dem sie erstrahlen (s. o.),
ist die mehrfach betonte Schönheit ihres Antlitzes (KdXXoc Tf]C
öqjeujc) so recht eigentümlich diesen schönsten Wesen.^ Ebenso
das leuchtende Gewand, das ähnlich aussah wie das Lichtland
selbst (öfioiov fiv t6 e'vbu|ua auTUJV irj x^P« öutujv, v. 17),'^ Viel
charakteristischer schon ist der Ai/fedruck (v. 7) eHripxexo arrö
Tfic öipeujc auTuJv oektiv ujc fiXiou, falls wir recht thun uns an
griechische Ausdrucksweise nicht nur von Helios selbst zu er-
innern, der eTTibepKexai dKTivecciv (Hesiod. theog. 760. Hjmu.
Cer. 70. Aisch. Prom.796), sondern von seinem ganzen Geschlecht,
das leicht kenntlich war an dem Geflimmer der Augen, das ihm
wie ein goldener Strahl aus dem Gesichte drausf.^ Welche
Lande selbst ursprünglich das Götterland. Bei den Äthiopen schniansen
die Götter schon in der Ilias (z. B. I 423 f.), bei den Hyperboreern weilt
Apollo, Artemis u. s.w., zu den Phäaken kommen die Götter ^vap^eTc
(Od. VII 201 f.), die Meropes des Theopomp besuchen die Götter oft,
wegen ihrer grofsen Frömmigkeit (vgl. Eohde a. a. 0. 212, 1. 206).
Die Vorstellung vom 'Götterverkehr' ist eng mit der vom Lande der
Seligkeit verbunden : Trapä Tiinioic Oeüjv Find. Olymp. II 65 ; sie liegt auch
dem Aiöc Ö6öv Ol. II 76 zu Grunde, vgl. Zr^vöc lueXdGpiuv koitoi Eurip.
Hippol. 749. 8. Gerhard in den Sitzungsber. d. Berl. Ak. d. W. 1861,
S. 64 Anm. 103. In ältester Zeit, im goldenen Zeitalter, verkehren die
Götter mit den Menschen Arat. Phain. 102 f. Catull. LXIV 384 f. Das sind
Vorstellungen vieler Völker, wie nicht weiter ausgeführt zu werden
braucht. Etwas anderes ist es mit der Einkehr der Götter in den
Wohmmgen einzelner frommer Menschen, s. Rohde a. a. 0. 506 iF.
1 Vgl. Namen wie KaWövri, KaXXicTTi u. a., s. Usener Rhein. Mus.
XXIII 324.
2 Z. B. hom. Hymn. XXXI, 13 leuchtet dem Helios das schöne fein-
gewobene Gewand um den Körper:
KaXöv bk irepi xpoi XdiLiirexai IcGoc
XeiTTOupY^c TTvoiri dv^|ninv.
Ovid, Met. II 23 imrpurea velatus vcste u. s. Wenn Hades selbst gelegent-
lich den Strahlenkranz trägt, so soll ihn das aber doch wohl nur als
den König der Toten kennzeichnen, Stephani Mdmoires de l'acad. imp.
de St, Petersb, 6. sdrie, tom. IX p. 487.
3 Apoll. Rh. Argon. IV 727:
— 39 -
merkwürdige Bedeutung die Lichtgestalt für die Griechen haben
kounte, ruag mau beiläufig an Pythagoras sehen, der sich
durch seine goldstrahleuden Glieder den Seinen als 'AttöXXujv
Trrepßöpeioc offenbarte, ja gelegentlich dadurch, dafs er seinen
'goldenen Schenkel' sehen liefs (xpucoöv jaripöv), allen Zweifel
besiegte.^ Das letztere macht ihm dann auch der Schwindler
Alexandros bei Lukian nach." Sehr bedeutsam aber ist für
uns eine Aufserung Piatons (Rep. V p. 474®), namentlich durch
ihre Verallgemeinerung: XeuKOuc be Geujv Tiaibac eivai (seil,
(paie u|U€ic Ol epujTiKoi).
Auch die Beschreibung des lockigen Haupthaares, welches
das Haupt der Gerechten wie ein blumiger Strahlenkranz um-
leuchtet (v. 10) fi le Y«P KÖjuri auTuJv ouXii fjv Kai dvBripa Kai
eTTiTTpeiTOuca auTUJV tuj le ttpocuuttuj küi toTc ujjaoic ibcTiepel
cTecpavoc ck vdpbou ciaxuoc ireTrXeTlnevoc Kai ttoikiXujv dvBujv f|
LucTTep Tpic ev de'pi, hat sofort ihre Analogie in dem Strahlen-
kranz griechischer Gottheiten, und an den Helios xpucoKÖ|Liac,
dK€pciKÖ|uric brauche ich nur zu erinnern.^ Und gerade auch
das Lockige scheint mit den Vorstellungen von Lichtgottheiten
verbunden gewesen zu sein. So wird bei Kallimachos im
Hymnus auf den delischen Apoll (v. 302) Hesperos genannt
ouXoc e9eipaic. Freilich gehört das früh zum Kennzeichen
TTäca fäp 'HeXiou ^everi dpi&riXoc iödcöai
fjev, eirel ßXeqpäpuuv äTroxriXööi laapjuapuYticiv
oiöv xe xpuc^rjv dvTuuinov lecav aixXriv.
Vgl. Schol. zu 1 172 (toütou 5e tüjv öcpOaXiaiJUv dTroXctiaiTeiv q)adv öktivoc).
1 lambl. Vit. Pyth. 19; 28. Ail. var. bist. IV 17. LDiog. VIH 11. Ähn-
lich wie das ckeXoc x«Xkoöv der Empusa bei Aristoph. Frösche 295 (a. de
byinn. orpbic. p. 43) die chthoniscbe Gottheit bezeichnet, so hier der
|Lir|pöc xP^coöc den Lichtgott oder Lichtheros. (Vgl. das xpucoOv und
XoXkoöv cdvöaXov der Göttin, de hymn. orph. p. 44.)
2 Lukian Alexandr. 40: iroXXdKtc bk iv rrj 6(j[5ouxia Kai xoTc uucxi-
KoTc CKipxrjjuaci YU|Livu)Gelc 6 |ur]pöc auxoO iZev:ixY]bec xp^coOc eHeqpdvri, 6^p-
juaxoc lue xö eiKÖc lirixpOcou irapaxee^vxoc koI irpöc xi?|v aÖTi')v xuiv Xa|a-
iräömv dirocxiXßovxpc, ujcxe koI YevojLi^vric irox^ Zirixriceujc ÖOo xicl xuiv
|iUjpocö(puJv ütt^p aöxoO eixe TTuöaföpou xi^v v}juxriv exoi biä xöv xpwcouv
luripöv ei'xe aXXr]v ojuoiav auxtü kxX.
3 Dionys. Helioshymn. 10 xP"C^aiciv dYaXX6|uevoc KÖ|Liaic. Vgl.
hom. Hymn. auf ApoUon 134.
— 40 —
idealer Schönheit, wie denn Athene den Odysseus, als sie ihn
schöner als andere einem Gotte ähnlich machen will (bei
Nausikaa, Od. VI 229 ff. vgl. XXIII 158 ff.) derart ausstattet:
juei^ovd t' eicibeeiv Kai Trdccova, Kcib hk Kdpr|Toc
oöXac fjKe KÖ)aac, uaKivOivo» dvöei 6|uoiac.
Und hier mufs denn betont werden, dafs die hellenistischen
Dichter, besonders die erotischen, und dann weiter die Roman-
schriftsteller, um ideale Schönheit zu schildern, den Pinsel in
diese Lichtfarben zu tauchen pflegten. So wurden diese Züge
typisch, und man darf nicht allzuviel im einzelnen Wort und Aus-
druck suchen. Da spielte auch der strahlende Blick der Augen
eine Rolle, auch lockiges Haar; von Schnee und Milch und
Rosen zur Schilderung der Schönheitsfarben war viel die Rede,
und besonders geläufig war der Vergleich mit Blumen aller
Art, mit Rosen, Anemonen, Hyacinthen.^ Mit diesen Ideal-
farben alexandrinischer Poesie sind also auch die Seligen
unserer Offenbarung gezeichnet.
Aber gerade die Beschreibung des Glanzes um das Haupt
wie eines Blütenkranzes und wie einer Iris, eines farbigen
Kreises in der Luft, fordert doch noch andere Erwägungen.
Es ist schon erwähnt, dafs solcher Lichtglanz von den Griechen
im allgemeinen ihren Göttern zugeschrieben wurde ^, auch wohl
den grofsen Helden, wenn sie besonders göttergleich erscheinen.^
1 Viele Belege bei ßohde gr. Rom. 151 ff.
2 Statt vieler anderen ein Beispiel, Ion 1549 f.:
ea* TIC oiKuuv Öuo66kujv uirepreXric
ävxriXiov itpöciuTTOv iKqpaivei 0eu)v;
'Die Form der Frage zeigt zur Genüge, dafs der das Gesicht umstrahlende
sonnengleiche Lichtglanz nur das aufser Zweifel setzte, dafs die Erschei-
nung eine Gottheit war,' Stephan! Nimbus und Strahlenkranz in den
Mdmoires de l'academie imperiale des sciences de St. Petersbourg, 6. ser.
tom. IX S. 364; vgl. dort überhaupt S. 361 ff.
3 11. V 4 ff. von Diomedes:
baii. oi ^K KÖpuGöc re koI äcTTiöoc ÖKoiiaaTOv iröp,
dcTdp' ÖTTUjpiva) ^vaXiYKiov, öcre inäXicxa
Xajuirpöv uajuqpaivrici, XeXou|u^voc 'ßKeavoio.
Toiöv Ol TtOp 6ai€v äitö Kparöc xe Kai dijauiv.
Von Achilleus II. XVIII 203 ff. XIX 273 ff. (toö ö' ändveuGe c^Xac t^v€t'
rii3Te iLi^vric). Von Ascanius heifst es bei Vergil Aen. II 682 f. :
- 41 -
Am häufigsten aber wird er den Lichtgottheiten zugedacht,
und auch in der Kunst wird der Nimbus oder der Strahlen-
kranz ihnen vor allen gegeben. So beschreibt auch noch ein
Zaubergebet später Zeit den grofsen Lichtgott als rrupivÖTpixa,
ev xiTuJvi XeuKO) kqi x^aiuubi KOKKivr], ^xovia Tiupivov creqpavov.^
Gerade von Kirke, der Tochter des Helios (v. 1216), heifst es
in den orphischen Argonautica (v. 1219 f.):
diTÖ Kpaiöc fttP e0eipai
TTupcaic dKTivecciv dXiYKioi rjuupriVTO*
CTiXße be KttXd Ttpocujira, qpXoTÖc h' dTTeXajUTrev duT|ur|.
Auf Kunstwerken findet sich Nimbus oder Strahlenkranz
häufiger erst seit der Zeit Alexanders des Grofsen, und recht
häufig erst etwa seit Augustus.^ Die ersten irdischen Herr-
scher, die sich solchen Schmuck beilegten oder beilegen
liefsen, scheinen — für die griechische Welt wenigstens —
die Könige nach Alexander gewesen zu sein. Und auch da
liegt keine andere Vorstellung zu Grunde als die, dafs sie
dadurch gewissermafsen als göttlich erscheinen, wie sich denn
der erste der syrischen Könige, der eine Strahlenkrone zu
tragen pflegte, Antiochos IV, zugleich 0e6c eTriq)aviic nannte.
In Rom wurde schon dem Cäsar das Recht zugesprochen, die
goldene Strahlenkrone im Theater zu tragen^; Nero war der
erste ^der sich bei seineu Lebzeiten auf den Münzen mit der
Strahlenkrone abbilden liefs.* Aus viel späterer Zeit wird
licce levis summo de vertice visus Juli
Fundere lumen apex, tractuque innoxia molli
Lamhere flamtna comas et circutn tempora pasci etc.
Mehr bei Stephani a. a. 0. 370 ff. Natürlich gehört aber nicht ohne
weiteres hierher, wenn nur der Glanz der Waffen beschrieben werden soll.
1 Pap. Paris. 635 ff. Wess.
2 Diese Darstellungen hat seiner Zeit zusammengestellt Stephani
a. a. 0. S. 373 ff.
3 Florus IV 2, 91 in thcatro distincta radiis corcyna, Dio Cass. XLIV 6
TÖv CTe9avov töv 6m\i0ov Kai öidxpucov, ü icou toTc tujv Ge&v.
4 Stephani S. 476. Von Traian sagt Plin. Panegyr. 52 horum unum
si praestitisset alitis, Uli iam dudum radiatum Caput et media inter deos
sedes auro staret aut ebore, augustioribusque aris et grandioribus victimis
invocaretur. Vgl. Lucan VII 458 f. : fulminibus manes radiisque ornabit
et astris | Jnque deum templis iurahit Borna per umbras; Statins Theb. 1 28.
— 42 -
sogar (las Merkwürdige berichtet, dafs sich die Kaiser das
Haupt mit Goldstaub bestreuten.^ Besonders charakteristisch
ist, was Herodianos von Commodus anführt (histor. I 7, 5):
ö(p0a\)uujv Te yap apGjaiai Kai irupujbeic ßoXai köjliii t€ qpücei
HavGrj Kai ou\r|, ibc ei ttotc qpoiTUJri bi' f^Xiou, tocoötov eKXd)u-
Treiv auTijj rrupoeibec ti iJuc touc |Liev oiec0ai pivrijua xP^coö
TTpoiövTi erriTTdcceceai, touc be eKOeidCeiv XeYOViac ai^Xriv xivct
oupdviov rrepi iriv KecpaXfiv cuYT£T£vfic9ai auTUJ. Natürlich
liefsen sich auch die Kaiser in Konstantiuopel mit Nimbus,
Strahlenkranz, Strahlenkrone darstellen, und dieser Schmuck
war fortan für den Herrscher geradezu bezeichnend bis in
späteste Zeit; auch in den Bildern alter Handschriften werden
sie so unterschieden ^ Sogar Herodes oder Pharao finden sich
damit gelegentlich ausgestattet.^
Andererseits aber finden wir auf einer ganzen Reihe von
Kunstdarstellungen diejenigen, welche gewisse Kulthandlungen,
namentlich Opfer besorgen, mit Nimbus oder Strahlenkrone
versehen^, unzweifelhaft auch da von dem Gedanken aus, dafs
die opfernden Personen, während sie den Dienst der Gottheit
thun, dieser geweiht und gewissermafsen selbst göttlich sind.
Es ist deutlich, dafs sich eine Anzahl dieser Darstellungen
auf Mysteriendienst bezieht, auch auf Dionysosmysterien; die
Teilnehmer au bakchischen Festen, die ßdKXOi und ßdKxai
werden selbst sogar mit diesem Schmucke gekrönt.^ Dafs
der Myste der Isis so geschmückt wurde, berichtet Apuleius
(Metamorph. XI 24) ausdrücklich: at manu dextera gerebam
flammis adultam faciem et caput decore Corona cinxerat, palmae
candidae foliis in modum radiorum prosistentibus. sie ad instar
solis exornato me et in vicem simulacri constituto, repente velis
1 Trebell. vit. Gallieni c. 16 crinibus suis auri scohem aspersit;
radiatus saepe processit.
2 Stephani a. a. 0. 458.
3 Stephani a. a. 0. 494. FXKraus Roma sotterr. 223.
4 Deren eine ganze Anzahl Stephani S. 465 ff. zusammengestellt
hat; vgl. namentlich 467 ff.
5 Stephani 472. Sogar ein Satyr hat eine Strahlenkrone auf einem
Vasengemülde (Stephani 470). Das könnte vielleicht mit Vorstellungen
im Zusammenhang stehen, wie ich sie unten S. 77 erörtert habe.
- 43 -
reductis in aspednm populus errdbat. Sollten solche Darstel-
lungen nicht auch mit den Unsterblichkeitshoffnungen der
Mysten, die ja 0eoi zu werden erwarteten, — ihre Schau-
stellungen beschäftigten sich ja so viel mit solchen Hoff-
nungen — im Zusammenhange stehen? Denn mit der An-
schauung von der Göttlichkeit der Seelen der Verstorbenen^
hängt es doch deutlich zusammen, wenn sich in der That Dar-
stellungen finden, auf denen die Psyche, der heroisierte Verstor-
bene eine Strahlenkrone trägt.^
So ist denn für uns auf den altchristlichen Bildwerken
der Nimbus und Strahlenkranz nicht nur bei Christus und
den Aposteln, sondern auch bei den Heiligen und Seligen als
übernommen aus heidnischer Kunstübung durchaus erklärt.
Die ersten Bilder derart finden sich auf den Goldgläsern der
Katakomben, die frühestens dem 3. Jahrhundert angehören
sollen.^ Auch da sind Heilige dargestellt, denen von Vögeln
die Strahlenkronen gebracht werden oder Christus reicht sie
ihnen*; späterer Zeit erst sollen alle die Bilder angehören, auf
denen die Heiligen und die Seligen in so grofser Anzahl mit
1 Mehr darüber s. unten.
2 Aus den ersten christlichen Jahrhunderten; Stephan! gibt etliche
an S. 495 ff. Auf einer etruskischen Aschenkiste ist ein bärtiger Mann
mit der Strahlenkrone dargestellt, der eben von den Ungetümen der
Unterwelt niedergeworfen wird. Nur mit aller Reserve möchte ich der
Erwägung anheimgeben, ob nicht die pompeianischen Wandgemälde
nr. 969—971 bei Heibig, auf denen man die uimbusgeschmückten Gestalten
für Lichtgottheiten hält, ähnlich zu erklären wären. Auf einem Stein
oder Felsen sitzen die betreffenden Gestalten z. T. wehmütigen Ausdrucks, so
viel die Abbildungen Mus. Borb. XI 33 und Pittur. d'Erc. II 65 zu urteilen
gestatten. Die Nimbuslosen wären wie die aufzufassen, welche auf
den attischen Grabreliefs und Grabvasen neben dem Verstorbenen dar-
gestellt sind.
8 de Waal in Kraus' Real-Enc. des christl. Altertums II 496.
Wenig bei V Schnitze Katakomben 147. Wie in heidnischen Darstellungen
der Opfernde, so hat jetzt z. B. auch der Taufende den Nimbus wie
auf dem Goldglas de ßossi Bullett. crist 1876, tav. I., vgl. Acta Anthusae
ed. Useuer (Analect. BoUand. XII 1893) p. 17, 16 ff.
4 FXKraus Roma sotterr. 224. Es wird da natürlich schon z. T.
die Auffassung bestimmt durch Sätze wie Apoc. loh. II 10 yivou ttictöc
axpi 0avdTou Koi biüciu coi töv cxeqpavov iff. huf\c. Darum ist so oft
gerade das Überreichen des Kranzes dargestellt.
— 44 —
der Strahlenkrone dargestellt sind.^ Aber ob es berechtigt ist,
eine Entwicklung zu konstruieren, so dafs erst Christus, dann
die Apostel, dann die Heiligen u, s. w. den Nimbus erhalten
hätten, oder gar ein Kriterium des Alters eines Bildes darin
zu finden, dafs ein Martyr oder Heiliger den Nimbus trägt,
— wie es gewöhnlich geschieht — , ist doch mehr als zweifel-
haft. Dafs am häufigsten Christus, die Apostel, später auch
Maria diesen Schmuck erhalten, ist ja nur natürlich. Den
Seligen allen schreibt unsere Apokalypse die Strahlenkrone in
deutlichster Schilderung zu, einen Kranz wie von Narden-
blüten, und ein solcher Blütenkranz wird oft genug in den
Katakomben dargestellt: es können recht wohl auch da, so-
weit ich es beurteilen kann, gerade Nardenblüten gemeint
sein.^ Sehr oft sind diese Blütenblätter noch um die Krone
gezeichnet. Jedenfalls ist es sehr wertvoll, die genaue Be-
schreibung solchen Schmuckes der Seligen aus dem 2. Jahr-
hundert nun zu besitzen, und wenn auch die Darstellung der
Kunst erst nach längerer Zeit nachgefolgt sein könnte, so ist
es doch schon darum unmöglich bestimmte Grenzen zu ziehen,
weil ja diese Dinge aus den längst vorhandenen und aus
üblichen antiken Vorstellungen und Darstellungen übernommen
wurden, freilich vielleicht an verschiedenen Orten zu verschie-
dener Zeit. Man mufs bedenken, dafs die Datierungen der
altchristlichen Bilder einstweilen jedes Vertrauens unwert sind.
'Die Denkmäler christlicher Kunst, deren Wichtigkeit man
hüben und drüben übertreibt, können ja einen Wert für die
Geschichte erst dann erhalten, wenn durch Thatsachen der
Kirchen- und Dogmengeschichte feste Grenzen für sie gesteckt
sind.' (Usener Religionsgesch. Unters. 286.) Hier ist die
Thatsache, die wir festlegen, die Beschreibung aller Seligen
mit dem Strahlenkranz in dem Texte des 2. Jahrhunderts.
Möchten nun auch bildliche Darstellurigen dieser Dinge gerade
in Rom später erst nachgefolgt sein, in Ägypten waren jeden-
falls diese Anschauungen schon damals vollständig in die
Christengemeinde übergegangen.
1 Z. B. Garucci II tav. 11, tav. 99, 101, 102, 103 u. s.
2 Z. B. Garucci I tav. 99.
— 45 -
und noch viel weiter erstreckt sich die Übereinstimmung
des apokalyptischen Himmelsbildes mit den altchristlichen
Darstellungen. Der Ort der Seligen ist auf den letzteren als
ein Garten dargestellt mit Rosen und Lilien hauptsächlich
aufser anderen Gewächsen, schon auf den Goldgläsern der
Katakomben^; oft sieht man Vögel zwischen den Zweigen.^
Rosen und Lilien auf Grabsteinen sollen nichts anderes als
den Garten der Seligkeit andeuten.^ Die Seligen selbst sind
in langen weifsen Gewändern dargestellt mit purpurnen Streifen
oder. sonstigem Purpurschmuck, auch mit Perlen und Blüteu-
guirlanden uud sehr oft mit dem Nimbus oder einer Strahlen-
krone oder einem Blütenkranz. Sie haben die Geberde der
sog. Oranten, d. h. sie beten an und preisen Gott.*
Die Übereinstimmung zwischen diesen Denkmalen der
alten Christen und der Schilderung des neuen Pergamentcodex
kann nicht wohl vollständiger sein. Und während jene bis
heute nicht sicher datiert werden können, haben wir in
dieser ein Zeugnis der gleichen ausgebildeten Himmelsanschau-
ungen aus dem 2. Jahrhundert, ein deutliches Zeugnis zu-
gleich des vollständigen Übergangs der antiken in die christ-
liche Vorstellung. Denn das Bild der Gerechten und die
Farben des Landes, in dem sie in ewigem Lichte selig sind
und den Herrn preisen, wie sie in dem Pergament des ägyp-
tischen Grabes geschildert sind und wie sie die Bilder der
Katakomben unserem Auge zeigen, stammen, das ist augen-
scheinlich, aus uraltem griechischem Glauben, echtem Volks-
glauben, der von den wechselnden Richtungen der Zeiten un-
berührt, bis in die kleinsten Züge treu bewahrt wird. Jedenfalls
aber kann kein Himmel hellenischer sein als der dieser Apo-
kalypse des Petrus.
1 Z. B. Garacci Vetri tav. IX.
2 de Rossi Rom. sott. I 323 tav. XII s. namentlich III tav. I— III.
3 de Rossi Bullett. crist. 1868, 14.
4 Diese Gestalten, auch inmitten des Gartens, sind sehr häufig,
vgl. bes. auch de Rossi Rom. sott. I 95 III tav. I. Ganicci storia II
tav. 11, 15, 34, 36, 45 ii. s. w. 105. IV 242, 243, 244 u. s.
- 4G -
2.
Das Land des Todes hatte bei den ältesten Griechen nicht
blofs leuchtende Farben. Der Gedanke eines unterirdischen
Aufenthaltes der Verstorbenen war gewifs fast ebenso alt als
die Sitte des Begrabens. Das Grab war die Wohnung des
Verstorbenen. Schon die Herren und das Volk von Mykenai
haben ihre Toten unter die Erde gelegt und haben ihnen
fortdauernd Opfer gespendet, weil sie glaubten, dafs ihre
Seelen aus ihrem dunkeln Reiche drunten noch mächtig
wirken könnten. Nur stumme Denkmäler lassen uns das
erschliefsen , und in den Gedichten Homers sind nur wenige
Rudimente solchen alten Glaubens zu erkennen. Aber in
späterer Zeit und in anderen Gegenden deuten auch die Litte-
raturdenkmale solche Vorstellungen an, obgleich der home-
rische Hades nun schon fast überall die lichte Hoffnung und
die finstern Schrecken des Todes zu einem einförmigen Grau
der Resignation gemischt hatte. Auch in Attika, wo erst am
Ende der sogenannten Dipylonperiode im 7. Jahrhundert die
allgemeine Sitte des Begrabens derjenigen des Verbrennens,
wie sie das Epos kennt und die Bewohner der kleinasiatischen
Küste sie lange schon übten, Platz machte^, begegnen uns
hier und da ältere vom Einflufs des Epos noch unberührte
Anschauungen von Tod und Todesgottheiten, die in jener alten
Sitte wurzelten. Den Thanatos im schwarzen Gewände, den
Herrscher der Toten, erwartet Herakles, der die Alkestis wieder
zu den Lebenden zurückführen will, zu finden wie er am
Grabe das Blut des Opfers trinkt.^ Gelegentlich ist es Hades
1 Brückner Entwicklung der Bestattung in Attika in den Sitzungs-
berichten der arch. Ges. zu Berlin 1891, Dezember, im Jahrbuch, d.
arch. Inst. VII 1892, Anzeiger 19 ff.
2 Eurip. Alk. 843 ff.:
^\ödjv b' övaKTtt TÖv |ne\d)UTTeuXov vcKpObv
Gdvarov qpuXöEuj, koI viv euprjceiv öoküj
TiivovTa TOjLißou irXridov irpoccpaYUdTUJv.
TTpocqpdTMOTa in singularischer Bedeutung wie auch Hek. 265 '€Xdvr)v viv
alxeiv xP'lv TÜcpuj Trpoc(päY|uaTa. Vgl. Porson zu Eurip. Orest. 1051.
Robert Thanatos, 39. Winckelmannsprogram. von Berlin, 1879, S. 32
— 47 -
selbst, dem 'Sehnsucht' zugesehrieben wird, Menschen zu Ver-
schmausen'.^ Dieselbe Anschauung ist es, aus der heraus Aus-
drücke geprägt sind wie "Aibou ludYCipoc, der Metzger des Hades
von dem menschenschlachtenden Cyklopen, d. h. der das Men-
schenfleisch dem Hades zum Schmause bereitet.^ Und von
einem Genossen der schrecklichen Tafel des Todesgottes stand
in einem Stück des Aristias:^
cuvbeiTTVOC f| eTTiKUJiLioc f| pLala-fperac
"Aibou TpaneZieiJC, aKpaiea vribuv exoiv.
Die beiden letztern sind offenbar Ausdrücke volkstümlicher
attischer Sprache, beide standen in Satyrspielen. Am deut-
lichsten wird aber diese Vorstellung durch eine Gestalt des
Unterweltsbildes Polygnots in der Lesche zu Delphi: dort war
ein Hadesdämon Eurynomos (ein alter Name des Unterwelts-
gottes) gemalt, von einer Farbe zwischen dunkelblau und
schwarz, wie die Fliegen aussehen, die sich ans Fleisch setzen;
er zeigt die Zähne und sitzt auf einem Geierbalg. Er fresse
das Fleisch der Toten ringsherum ab und lasse nur die Knochen
übrig.* Pausanias oder vielmehr sein gelehrter Gewährsmann
erwähnt diesen Thanatos nur vorübergehend und scheint seiner Volks-
tümlichkeit wenig geneigt zu sein. Ganz ähnlich wird seine Gestalt
noch in dem jüdisch -hellenistischen Testament Abraams beschrieben,
Texts and studies II 2 p. 96 ff.
1 Klytaimnestra fragt mit Bezug auf den Tod der Iphigenie
in Sophokl. Elektr. 542 f.:
f| tOüv eiaOüv "Aibric tiv' i'iuepov xdicvujv
f\ TtJÜv ^Keivr]c ('€Xdviic) Scxe 6a(cac0ai TiXeov ;
2 Eur. Kykl. 397.
3 Fr. 3 (Knpec) N^.
4 Pausan. X 28, 7: baijUDva eivai tujv ^v "Aibou cpaciv oi AeXcpuJv
eEriYriTtti töv €upüvo)nov Kol übe räc cdpKoc irepieceiei tüjv veKpüJV
inöva ccpiciv diroAeiiTiuv Tct öct«. — Kuavoö Trjv xpöav ^le-zalv ^cti koi
ln^Xavoc, ÖTtolai Kai tu)v lauiujv eiciv ai -irpöc rä Kp^a irpociZidvoucai, xouc be
ööövTac qpaivei, KaGe^oin^viy bä (m^CTpuuTai ol 6^piua tuttöc. Robert Nekyia
des Polygnot, Hall. Winckelmannsprogr. 1892, S. 8, vgl. S. 61, dessen Text-
recension der Pausaniaspartie ich benutze, schreibt Xu-fKÖc. Einem Luchs
bin ich in solchem Zusammenhange noch nicht begegnet, wohl aber vielen
Geiern. Wäre wirklich ö^pina bei einem Geier unmöglich, so dürfte wohl
gerade Yuiröc kaum angetastet werden. Nun findet sich aber in mittel-
griechischer abergläubischer Litteratur €k b^piaaroc fvndc Byzant. Zeitschr.
— 48 —
haben ihn aus der Litteratur nicht gekannt. Woher soll es
aber dann Polygnot haben, wenn nicht aus gewifs noch sehr
lebhafter Volksanschauung? Deutlicher kann man die ur-
sprüngliche Vorstellung nicht ausgesprochen finden: es ist die
Erdtiefe selbst, deren geöffneter Rachen den Toten verschlingt,
das Fleisch frifst, d. i. verwesen macht und nur die Knochen
übrig läfst. Nicht etwa als allegorische Gestalt, als *die Ver-
wesung' meine ich ihn gedacht, sondern es ist echteste refle-
xionslose mythische Anschauung. Wie gräfslich einst Fresser
und Fresserinnen der Unterwelt gedacht wurden, mag ein Hin-
weis auf die Gorgo erläutern, die nach alter Meinung, die hier
und da durchblickt, im Hades hauste: Odysseus fürchtet, dafs
Persephone das Haupt des schrecklichen Ungeheuers aus dem
Hades sende.^ Schreckhafte Bilder und fürchterliche Masken
hatte man noch später von vielen chthonischen Gottheiten,
geheiligte Überbleibsel dieser rohen ursprünglichen Anschauung
von den Mächten der Unterwelt; schreckliche Masken z. B.
vom chthonischen Dionysos^, von der Demeter-Erinys im
Pheneos^ oder der Praxidike in Lykien.* Die Vorstellung
von dem fressenden Ungeheuer der Tiefe heftete sich über-
haupt vielfach an andere Gottheiten, wie es z. B. der Kult-
name der Demeter dbriqpdYOC oder des Dionysos uj)uriCTr|C zeigt.^
In der Kinder- und Ammenstube lebten jene grausen Gestalten
immer noch fort als Schreckmittel, und mit deshalb werden
I S. 560 Nr. 11. Der Geierbalg wird als Schreibmaterial benutzt. Vgl.
bei Legrand Bibliotheque grecque vulgaire tom. II in dem mittelgriechi-
schen iarpocoqpTov des loannes Staphidas p. 11, Z. 308: äTpioxivapiou
öepjuav, p. 15 Z. 435: toO äexoö tö 6^p|ua Tf\c KeqpaXfjc.
1 XI 663 |ur) ,uoi fopYeiriv KeipaXi^iv 6eivoio ireXiüpou ü "Aiöoc tt^ih-
xpeiev ÖYauri TTepcetpöveia. Vgl. Apollodor. II 5, 12, 4. Herakles zieht in
der Unterwelt sein Schwert gegen Gorgo, wird aber darauf aufmerksam
gemacht, dafs es nur ein Schattenbild ist. So nur konnte man später
die Gorgo in der Unterwelt begreifen,
2 Wiener Vorlegebl. XI 3. Hermes XX 123.
3 Pausan. VIII 15.
4 Hesych v. TTpaubiKri. Dies und mehr bei MMayer arch. Jahrb.
VII (1892) S. 200 f.
5 Polemo fr. 39 Preller. Vgl. MMayer arch. Ztg. 43 S. 119 ff., be-
sonders aber Dilthey Rhein. Mus. XXVII 419.
- 49 -
diese Wesen so vielfach zu 'kinderfressenden' Unholden, die
uns ja in grofser Zahl noch wohlbekannt sind. Nur eine
Gestalt aber mag in diesem Zusammenhange zu erläutern ge-
stattet sein, da ihr ursprüngliches Wesen auch in den neuesten
Darstellungen immer noch gänzlich verkannt wird.^ Der
Kerberos ist von Haus aus nichts anderes als ein fressendes
Ungeheuer der Tiefe, die fressende Erdtiefe selbst in Gestalt
eines furchtbaren Hundes. Bei Hesiod (Theog. 311) steht Ke'p-
ßepov uj|aricTriv, 'Aibeuu Kuva xa^^KeoqpuJVOV.^ Aufserdem heifst
es nur einmal, dafs er den, der heraus will, auffrifst, wenn
er ihn fafst (Theog. 769 ff.) ecGiei ov kg Xdßrici ttuXuüv eKTOcGev
iövra. Die wenn auch noch so rationalistisch verunstaltete
Erzählung des Philochoros^ von dem König Aidoneus und
seinem Hunde Kerberos, welchem Peirithoos, weil er des Königs
Tochter Köre entführen wollte, zum Frafse vorgeworfen wird,
macht in diesem letzten Punkte unzweifelhaft von alter Über-
lieferung Gebrauch, und in der That findet sich, wenn auch
erst in später Zeit, die Erzählung so wie gewöhnlich, von
der Unterwelt, von Persephone u. s. w. mit dem Zuge, dafs
Peirithoos dem Kerberos zum Frafse vorgeworfen wird.^ Hätte
1 Z. B. im Artikel Kerberos in Roschers Lexikon.
2 Über die chthonische Bedeutung von xciXköc und damit gebildeter
Bezeichnungen s. de hymn. orph. p. 43 f. Ich hätte hinzufügen können
den König Chalkon von Kos, Sohn des Eurypylos und der Klytia, der
Tochter des Merops. Er stiefs mit seinem Fufs die Quelle Burinna auf
Kos aus dem Felsen, Theokr. VII 6 mit Schol. Auch die xaXKf| irapö^voc
auf dem Grabe des Midas (Plat. Phaidr. 264<i) gehört dahin (s. u.). Vgl.
auch Ps.-Aristot. bei Porphyr, de vit. Pythag. c. 41 töv ck xciXkoO Kpouo-
pdvou Yivöjuevov fjxov qpujvifiv eivai tivoc tüjv 6aipövu)v 4vairetXr]ppdvriv
TU) x^Xku) u. viel ähnliches.
3 fr. 45 u. 46 bei Müller FHG p. 391. Vgl. Immisch bei Röscher
11 1124.
4 Tzetzes in Ar. Ran. 142 (s. Herwerden in der gröfs. Ausg. des OR
p. 214): 0r)ceijc koI TTeipiGouc cuveöevTO dpTrdcai ti*iv TTepce9Övriv, Ipüjxa
cxövTOC auTfic ToO TTeipieou. KaxeXGövxec ouv ^v tlu "Ai&t;i KaTecxeör^cav.
Kai 6 ixiv TTeipiGouc luc apTraE toj Kepßepui Kaxdßpiupa fifverai, ©rjceuc
6^ uüc cuvepYÖc äX\' oux äpiraS KaxacxeGeic ^6^0ri ■ licrepov bk ktX., s. Nauck
Trag, fragm.^ p. 547. Das mufs aus älterer echter Überlieferung sein.
Woher hätte Tzetzes sonst diese Version, die bis auf die rationalistische
Verzerrung genau mit dem alten Philochoros stimmt?
Dieterich, Nekjia. 4
- 50 —
man die, wenn auch noch so thörichte Deutung des Kerberos
als Kpeoßöpoc überhaupt vorgebracht, wenn man nicht dadurch
wenigstens eine bekannte Thätigkeit des Tieres bezeichnete?^
Und ebensowenig wäre man darauf gekommen, ihn als den
'Seelenfresser' zu erklären, hätten nicht im Volksglauben solche
Erklärungen einen Anlafs und Anhalt gehabt.^ Wie wäre es
auch nur möglich gewesen eine rationalistische Deutung wie
bei Servius: Cerberus terra est et consumptrix omnium corporum
(zu Aen. VI 395) auszusprechen, wenn man nichts anderes
unter dem Tiere gedacht hätte als den allenfalls die Ankömm-
linge erschreckenden Thorhund der Unterwelt und Hofhund
des Hades? Man wird nun auch späte Aasdrücke nicht bei
Seite schieben wollen, wie wenn z. B. bei Plutarch es heifst,
dafs sich fast alle gern vom Kerberos zerfleischen liefsen, wenn
sie nur am Leben bleiben könnten.^ Auch bei Lukian ist mehr-
fach das Zerfleischen durch den Kerberos eine Art der Peini-
gung in der Unterwelt*, und am deutlichsten tritt an einer
Stelle des Kataplus, wo es sich darum handelt, wie ein Tyrann
in der Unterwelt bestraft werden soll, und Rhadamanthys fragt,
ob man ihn in den Pyriphlegethon schleudern oder dem Ker-
beros vorwerfen solle, dann aber eine ganz neue besondere
Strafe für ihn erfunden wird, da tritt unzweideutig hervor,
dafs das Zerreifsen durch den Kerberos etwas in der Volks-
1 Serv. zu Verg. Aen. VI 395, VIII 297; dazu Mythogr. Vatic. I
n. 57 (auch myth. II n. 11) unde Cerberus dicitur quasi Kpeoßöpoc i. e.
carnem voraus.
2 K^pßepoc irapct tö räc xfipac (ipux<ic) ^x^iv irpöc ßopotv, Porphyr,
bei Euseb. praep. ev. III 11,8. Schol. Hesiod. Theog. 311 (Flach Glossen
u. Schol. 244, vgl. 318, 391) K^pßepoc bi, irapöcov ol Otto ceicfaoO Karairov-
Ti2:6|aevoi ßißpibcKOVTai tö K^ap, fJTOi ti^v tpuxi'iv Kai Iv "Ai6ri KaTaTovrai.
S. Immisch a. a. 0. S. 1131. — Plutarch. de fluv. 16, 1 heilst es K^pße-
poc, ov Ivioi KaXcöci Ooßepöv, Was cpößoc heifsen kann, habe ich Abraxas
89 ff. auseinandergesetzt, qpoßepöc wird oft von Dingen des Hades gesagt.
Pap. Paris. 265 Wess. heilst Typhon, der Unterweltsgott, cpoßepöc, v. 397
wird bei dem ixi-^ac Ooßepöc beschworen. Barlaam und Joasaph p. 280
in Boissonades Anecd. Graec. IV tragen tiv^c qpoßepoi den Schlafenden
zum Himmel und zur Hölle.
3 Plutarch. Sri oö6^ Z^fiv ^cxiv i'jbdujc Kax' 'Gttikgupov c. 27 p. 1105'"*:
Tiu Kepß^pu) 6ia&dKvec9ai.
4 Nekyom. c. 14: X(|Liaipa ecTrdpaTxe xai ö K^pßepoc ^bctp&aTTTev.
- 51 -
meinung gewöhnliches war, wenn auch in dieser Zeit als Strafe
und Höllenpein.^
Im Volke also war die alte Anschauung immer bis zu
einem starken Grade lebendig geblieben neben der ja begreif-
licherweise bald herrschend gewordenen Auffassung, nach welcher
vor den anderen grofsen Unterweltsherren der fürchterliche
Hund zur Pforte hatte weichen müssen und sogar freundlich
vor dem Ankömmling die Ohren senkt. Gerade diese Wand-
lung und Milderung ist für den kuujv "Aibou sehr natürlich.^
Es gab noch eine ganze Anzahl ähnlicher solcher Vor-
stellungen, wie ich sie für den Kerberos als ursprünglich
postuliert habe. Ich erinnere nur an den Löwen, der die
'^Seele' verschlingt^: so hat denn auch Kerberos später wohl
einen Löwenkopf oder Löwentatzen.* Auch die Chimaira ist
1 Eatapl. c. 27: xiva av oOv KoXacGeir] xpöirov; ap' 4c töv TTupi-
qpX.eYeOovTä 4ctiv ei^ßXriT^oc f] TrapaboT^oc tuj Kepßepuj; KYN. |aTiba|nOüc,
äW ei GdXeic, lyu) coi Kaivriv xiva koI irpdiroucav aöxiD Tijuujpiav uiroBri-
cofiai. — Man könnte auch noch Stellen wie Lucan. Pharsal. VI 701 f.
hinzufügen: ianitor . ., qui viscera saeva spargis nostra cani. Der ianitor
ist da ein anderer als Cerberus, aber wohl hier kaum Anubis oder Her-
manubis (Ettig Acheruntica 407 addend. ad p. 279 adn. 2), eher neben
Hekate der spätere TaprapoCxoc und KXei5oOxoc Typhon (de hymn.
orph. 45 f.) oder der später typische Thürhüter Aeacus, vielleicht aber
ein allgemeiner ianitor Orci, s. Spiro de Eur. Phoen. Berl. 1884 p. 55, 82
(Statins Theb. VI 498).
2 'Hund' vielfach soviel als Diener, s. v. Wilamowitz Herakl.II 135;
Immisch bei Röscher II 1133. Ob aber in der Bezeichnung der Keren,
Erinyen, Sphinx u. s. w. als 'Hunde' der Unterwelt nicht doch noch
etwas anderes liegt, vgl. Dilthey arch. Ztg. 1874, 78flF., s. auch Pap.
Paris. V. 1434 €ivo6(a, küujv la^Xaiva. Wenn Hekate als Hund sogar dar-
gestellt wird, vgl. Hesych. ä^aK\xa 'GKdTric (Dilthey Rhein. Mus. XXVII 394),
so hat man doch vielleicht an alte theriomorphe Vorstellung zu denken,
und eins der Wesen, die in der späteren Hekate vereinigt waren, wird
auch eine hundegestaltete Fresserin der Unterwelt gewesen sein. Die Ra-
dikalmetapher von 'Hund' und 'Licht' ist mir nicht unbekannt, Usener
Rhein. Mus. XXIII 334 ff.
3 Usener de carm. Phoc. p. 38 ff.
4 Usener a. a. 0. p. 39. Z. B. auch auf der Vase Ruvo- Karls-
ruhe 388. Bellerophon heifst auch Xeovxoqpövxric , Usener a. a. 0. p. 40.
Die Überwindung des Kerberos durch Herakles ist ursprünglich natür-
lich auch eine Form des Kampfes mit dem Unhold des Todes, s. Ettig
Acheruntica Anhang I.
4*
- 52 -
öfter in der Unterwelt, sie zerreifst die Frevler \ und es finden
sich noch eine ganze Anzahl Ungeheuer dort ein, deren ur-
sprüngliches Wesen freilich recht verschieden sein mag. Die
Vorstellung aber von solchen furchtbaren Wesen der Unter-
welt ist bei vielen Völkern in derselben Weise ausgebildet
wie bei den Griechen. Die Inder haben ihren grauenvollen
Totengott, der selber seine Opfer holt, sie haben die rdli-
shasas im Totenreiche, Riesen schwarzer Farbe mit rotem Haar
und Bart; sie heifsen atrin die Fresser.^ Auch die Ägypter
haben die 'Fresserin der Unterwelt', ein fürchterliches Nil-
pferd.^ In einem alten ägyptischen Gebet heifst es: 'o Herr
rette den Osiris (d. i. den Toten) von dem Gotte, der die
Herzen verschlingt und sich von Leichen nährt.'* Bemerkens-
wert genug ist es, dafs in einem orphischen Hymnus später
Zeit Hekate angerufen wird Kapbiöbaire, aiiiiOTTÖTi, und dabei
steht Mie du deine Mahlzeiten in den Gräbern hast' und aufserdem
ein Epitheton, das uns ganz besonders wichtig ist, capKoqpdxoc.^
1 Lukian. dial. mort. XXX 1 6 ju^v Xr)CTi^c oÖTOci CujCTparoc kc töv
TTupiqpXeY^öovTa d)ußeßXric0uj, ö &' iepöcuXoc üiiö rfic Xijuaipac öiacira-
cör|TU), 6 hk TÜpavvoc — . Nekyom. 14 Xi|Liaipa ^c-rrctpaTTe. Vgl. Vergil.
Aen. VI 288 u. s. — Auf ebensolche Ungetüme bezieht sich auch Aristoph.
Frösche 473 ff., s. u.
2 Jedoch die zwei Hunde der indischen Unterwelt von der Er-
klärung des griechischen Kerberos fernzuhalten, scheint mir sehr richtig
(Rohde Psyche 280, Immisch bei Röscher I 1134); nur die mythische
Grundanschauung ist auf beiden Seiten dieselbe oder doch sehr verwandt,
8. Zimmer altindisches Leben 421 f.
3 Wiedemann Religion der alten Ägypter 131. — Bekannt sind
auch die schrecklichen Unterweltsungetüme der Etrusker, der gräuliche
Charun u. dgl., s. Müller-Deecke Etrusker II 102 ff. Ebenso ist aufzu-
fassen die nordische Schlange Nidhöggr, nicht wie SBugge Studien über
die Entstehung der nord. Götter- u. Heldensagen, deutsche Übers, von
Brenner, S. 483 ff. unklar genug auseinandersetzt; er stellt den Hergang
gerade auf den Kopf.
4 S. Ettig Acher. S. 279 , 2. 'Herz' heifst im Ägyptischen gan
direkt 'Leben'.
5 Orph. Hymn. p. 294, 47 ff. Abel (Pap. Paris. 2854 ff.):
veprepia vuxict t' di&ujva{a ckotio t€,
ficuxe Kai bacuXriTi, rdqpoic ?vi öalrac ^xouca,
vOH, fpeßoc, xtüoc eöpCi .
— 53 -
Das ist ganz die uralte Anschauung, die wir von der Todes-
gottheit kennen lernten. Da tritt sie wieder hervor, wie in dem
alten Glauben, so in den späten dem Volke nahestehenden
Liedern. Brauche ich noch zu sagen, woher die Bezeichnung cap-
KoqpdYOC für das kleine Haus des Toten kommt, in dem sein
Fleisch verwest? Es ist ja nur die Auskleidung jener Grube,
des schwarz sich öffnenden Maules des fleischfressenden Todes-
ungeheuers. Das Histörchen von einem Stein, der zuerst sar-
cophagtis genannt sei, weil er die Leichen schneller verwesen
mache, ist natürlich ein ätiologischer Einfall später Zeit.^
Wir haben in unserem * Sarkophag' und *Sarg' noch ein
Rudiment urältester griechischer mythischer Anschauung.
Jene ältesten und rohesten Formen, in denen man die
Schrecken des Todes und des Grabes erfafste, auch sie sind,
wie wir sehen, nie wieder aus dem Volksbewufstsein ent-
schwunden, das den Hades immer mit allerlei Schrecknissen
und furchtbaren Untieren bevölkerte."^ So sind dort nach
Aristophanes Fröschen öcpeic Kai Gnpia )iupia (v. 143), beivct
Gripia (278) , im Axiochos z. B. sind die zu Strafenden Gripci
V. 53 (2864 ff.):
ai.uoTTÖTic, BavoTiiY^, cpGopriTÖve, Kapbiöbaire,
capKoq)CtTOC, KoirerÖKTUTr', äuupoßöp', olcTpoirXdveia — .
V. 48 war baiToc gelesen; Wessely hat im Texte bana, bemerkt aber
in der Anmerkung nichts dazu. Falls hana dasteht, ist es in diesen
Versen zu halten, s. Jahrb. f. Phil. Suppl. XVI S. 778. In der merk-
würdigen &iaßoXirj irpöc CeXriviiv (= 'GKäxTiv) heilst es im Pariser Papyrus
V. 2654 ff.:
11 öeivü ce bebpaKivax tö irpäTiuia toöt' JAeHev,
KTUveiv fäp avGpujTTÖv c' ^qpr] irieiv xe ai^a toütou,
cdpKoc qpaYeiv iiixpriv x€ criv X^fei xä evxep' auxoO
Kai 6^pm' ^Xeiv öopKric ctirav — ,
einem kunstvollen Beschwörungsgedicht von einigen 30 Versen, das
den Versuch einer Herstellung und eines eingehenden Kommentars wie
wenige verlohnte. — Beschwörung an Zfjiüpva, ebenda v. 1504: if(u 6e
X^TW ce capKoqpÖTOV Kai (pXoTiKfiv xfic Kapbiac kxX.
1 Plin. n. h. II 216. XXXVI 131.
2 Bei den Neugriechen wird mancherlei von schauerlicher Mahl-
zeit des Charos, ihres hauptsächlichen Todesgottes, erzählt, B. Schmidt
Volksleben der Neugriechen 246. Schon ein späteres altgriechisches Epi-
gramm (647, 16 Kaibel) nennt den Toten Xunpiiv öalxa Xctpujvi.
- 54 -
7T€piXiXMijO|uevoi (p. 372*), und auch in der Petrusapokalypse ist
ja ein Ort gefüllt mit ^pireTd rrovripd (v. 25) und mit öripia
und CKUuXr|Kec, die den Verdammten die Eingeweide fressen
(v. 27); auch sie dienen nun zur Strafe und Qual. Das Fragment
der bei Clemens citierten Petrusapokalypse (ecl. 49, s. oben
fragm. II S. 11) redet gar von Gripia Xeirict capKOcpdtYa, die aus
den zu peinigenden Weibern selber hervorgehen und sie dann
auffressen. Das ist doch auch in letzter Linie entnommen
von dem, was im Grabe mit dem Menschenleibe vorgeht: die
Würmer fressen sein Fleisch.
1»
3.
Solche Schreckensbilder freilich waren den homerischen
Sängern fremd: da verzehrte die reine Flamme den toten Leib,
und nur die schattenhafte Seele schwirrte hinab in das düstere
Königreich des Hades und der Persephone. Und doch gibt
es auch für sie noch ganz andere Wesen in der Tiefe. Zwei-
mal stehen in den Schwurformeln zur Bezeichnung des unter-
irdischen Reiches geradezu die Erinyen.
II. III 276 f.:
'HeXioc, öc TTOtvi' eqpopqic Kai ttoivt' cTraKoüeic
Ktti TToxaiLioi Ktti faia Kai o'i uTrevepBe Ka|aövTac
dv9pa)Trouc Tivuc9ov, ötic k' eiriopKOV ojuöccr].
IL XIX 258:
icTUJ vOv Zeuc TTpÜJTa, 9ea)v uTraxoc Kai dpicroc,
ffi re Kai 'HeXioc Kai 'Gpivuec, ai 6' uttö töiöv
dv0pa)Trouc xivuvxai, öxic k' erriopKOV öjaöcci;].
Diese beidemale fast gleiche Formel zeigt, wie es auch die
übrigen Teile des Schwurs bestätigen, dafs sie aus einer Zeit
anderer Anschauungen als feste Überlieferung behalten in die
homerische Welt eigentlich nicht pafst.^ Helios und Gaia und
die Erinyen sind die drei grofsen Mächte. Das Merkwürdigste
aber: hier ist eine Strafe in der Unterwelt vorhanden für den
Meineidigen. 'Er verfällt den Höllengeistern, denen er sich selbst
gelobt hat.' Aber man darf nicht sagen, es habe für keinen
1 Rohde Psyche 60.
- 55 -
auclereri Frevler solche Strafe gegeben,* Die Erinyen rächen
Mord, Vergehungen gegen Familienrecht, namentlich den Frevel
der Kinder gegen die Eltern^, freilich auf der Oberwelt im Leben,
wie sonst auch den Meineid.^ Wir wissen ja, was die Erinys
ursprünglich ist: 'die zürnende sich selbst ihre Rache holende
Seele, die erst in späterer Umbildung zu einem den Zorn der
Seele vertretenden Höllengeist geworden ist'.* Ahnlich ist es
mit den Keren (ursprünglich bedeutet ihr Nanie 'Seelen'), die
ihnen so ähnlich geschildert werden. Wieder sind es nach-
homerische, besonders attische Dichter, die ältere rohere Auf-
fassungen durchblicken lassen. Die Erinyen schlürfen das
Blut aus den Gliedern der noch Lebenden ebenso wie die
Keren, beide verfolgen in gleicher W^eise die Frevler, wir
hören von den herznagenden Keren; Kfjpec '€pivuec bezeichnet
geradezu dieselben Wesen. "^ Nehmen sie da nicht auch die-
selbe Art an wie die Todesungeheuer, von denen wir oben
sprachen?*^ Freilich werden die Erinyen wie die Keren da-
1 Rohde a. a. 0. 60.
2 n. IX 454. Od. II 135. XI 278.
3 Hesiod Erg. 802 f.
4 Rohde Psyche 247. Er verspricht darüber einen Anhang.
5 Die Erinyen schlürfen Blat, verfolgen die Spur des Blutes, Aisch.
Enmen. 264, vgl. 254 (bcpii] ßpoxeiiuv aijudTUJv jue irpocTeXö), Agam. 1189.
Weiteres bei Dilthey arch. Ztg. 1874, 83 f., Rohde Psyche 246. Die Keren
bluttrinkend bei Hesiod Schild des Her. 251 ff. Keren und Erinyen mit
gleichen Ausdrücken Hes. Theog. 217, Eurip. El. 1252. Kfjpec '€pivüec
Aisch. Sept. 1055, s. Crusius bei Röscher H 1163.
6 Ker war auf dem Kypseloskasten mit Krallen dargestellt, Paus.
VI 9, 1; mit Zähnen, Krallen u. ä. öfter auch die Harpyien, Lamien u. a.,
s. MMayer arch. Ztg. 1885 Taf. 7, 2, vgl. die Figur auf einer schwarz-
figurigen etruskischen Vase in Berlin (Furtwängler 2157). Über solche
alte Vorstellungen eines Todesvogels hat MMayer Hermes XXVII 481 ff.
mancherlei zusammengestellt im Anschlufs an die Darstellung eines
grofsen Vogels mit weiblichem Menschenantlitz auf einer altkorinthischen
Aryballos und der Inschrift Fouc (er zieht herzu Etym. magn. irujüYTec"
ai aiOuiai). Auch die Sirenen und ihre ähnliche Darstellung bespricht
er (Eur. Hei. 168 xOovöc KÖpai, Soph. fragm. 777 N^ Ceipfivac . . Opcouvre
Touc "Ai6ou vö|uouc); über die Sirenen auf Gräbern Weifshäupl Die Grab-
gedichte der griech. Anthologie in den Abhandlungen des arch. epigr.
Seminars der Universität Wien VII 81 f.; auf Unterweltssarkophagen:
OJahn Sitzungsber. der sächs. Akad. d. Wiss. 1856, 283 f.
— 56 —
mals vielfach als durch die Lüfte fahrend gedacht, sie raffen,
die sie verfolgen, durch die Luft fort.^ Das ist ursprünglich
der schwärmende Totenzug, die wilde Jagd^; es ist ja über-
1 Die Harpyien, die durch die Luft dahinraffenden Todesgöttinneu
sind mit den Erinyen nahe verwandt, s. bes. Aisch. Eumen. 50. Ich
glaube nicht, dals Rohde 65 f. recht hat, wenn er meint, das Eatrafft-
werden durch die Harpyien bei Homer sei eine Entrückung Lebender.
Od. I 235 ff. : die Götter haben ihn äicxov gemacht d. h. eben in den
"Aibric geschafft. 'Denn ich würde mich nicht — gestorben wäre er
freilich dann auch (6avövTi uep) — so betrüben, wenn er in Troja ge-
fallen oder nach dem Kriege zu Hause gestorben wäre. Dann hätten
ihm die Achaier ein Grab gemacht und er hätte seinem Sohne viel
Ruhm erworben, nun aber haben ihn äK\enJuc die Harpyien dahingerafft.'
Also gestorben ist er auch, aber ohne dafs jemand weifs wo und wie,
ohne dafs ihm jemand noch hat Liebe und Ehre erweisen können.
Über seinen Tod aber würde sie sich nicht so betrüben, wenn er in der
Schlacht oder auch zu Hause geehrt gestorben wäre. Wenn Penelope
Od. XX 61 ff. sich wünscht, dafs sie entweder der Pfeil der Artemis gleich
töte 'oder nachher' (f| eireira) ein Sturmwind sie entraffe zur Mündung des
Okeanos, so ist doch nicht ein Gegensatz zwischen schnell sterben und
durch die Harpyien entführt werden, also nicht sterben, sondern zwischen
zwei Arten des schnellen Sterbens: wenn jenes nicht sein kann, dann — ,
vgl. V. 79. 80. kot' fiepöevxa K^\eu6a und ^v upoxoric äv|Joji()öou 'QKcavoio
sind ja doch so recht die Bezeichnungen für den Todesweg und das
Totenreich. Deutlich auch von den Harpyien bei der Geschichte von
den Pandareostöchtem XX 78 Kai ^' g&ocav CTUYepficiv '€pivuciv 6)1191-
■noKevew d. h. sie brachten sie in den Hades (s. 0.). Schneller ruhmloser
Tod ist es, den die Harpyien bringen ; aufser bei Odysseus werden sie nur
bei Frauen genannt.
2 Die Vorstellungen vom wilden Heer und seiner Beziehung zum
bakchischen Schwärm, von der Jägerin Erinys, dem Oiacoc der Eumeniden,
der ßdtKxri '€pivüc u. s. w. hat meisterhaft Dilthey in der arch. Ztg. 1874,
82 ff. auseinandergesetzt. Die gemeinsamen Wurzeln dieser verschiede-
nen Vorstellungen findet er in der Unterwelt. — In den Kreis der Toten-
dämonen gehört auch der MeXioöxoc, den die kyprischen Bleitäfelchen
in den Proceedings of biblical archaeology XXllI, 1891, S. 174 ff. (I 32 u. s.)
und die Zauberpapyri (pap. Mimaut v. 45 Wess. wird durch die kypri-
schen Täfelchen herzustellen sein ; aufserdem auf der Bleitafel von Ale-
xandria, Rhein. Mus. XVIII 563, Z. 12 pap. Brit. XL VI 5 "H\ie MiOpa
Cdpam äviKrixe MeXioOxe MeXiK^pxa, XLVII 33 Caßauüö, MeXioOxe xOpawe)
uns bekannt gemacht haben. niXea heifst das, was sichtbar vom Men-
schen übrig bleibt, wenn er gestorben ist, z. B. Aisch. Eumen. 264 f. äXX'
dvTiöoOvai bei c' öttö Kuvtoc f)oqpelv ^puOpöv ^k neX^iuv ireXavov im
- 57 —
haupt alter, lange festgehaltener Glaube, dafs die Seeleu in
der Luft weileu. Als nun aber diese Geister in jenes dunkle
Reich der Tiefe versetzt waren, führten sie auch da ihr Rache-
und Strafamt, bald zu immer allgemeineren, von der ursprüng-
lichen Vorstellung losgelösten Höllengeistern geworden. So
sind sie es schon, um nun darauf zurückzukommen, in den
Eidesformeln bei Homer, und wenn sie da den Meineid
strafen — doch schon ein allgemeineres Strafamt gegenüber der
Rache für Mord, welche die zürnende Seele des Ermordeten,
seine Erinys, ursprünglich selbst sich schaffte — , so werden sie
auch in den Anschauungen, die so fremd und vereinzelt in
die homerischen hineinragen, den Mord und schwere Ver-
brechen gegen Familienrecht geahndet haben. Sie sind da so
sehr Repräsentanten der Unterwelt, dafs z. B. Ibocav 'GpivOciv
djLiqpiTToXeueiv — an einer Stelle, die offenbar gleiche ältere
Anschauungen zur Schau trägt (Od. XX 78) — nichts anderes
heifst als 'sie brachten in die Unterwelt'. Jedenfalls sehen
wir, in wie alter Zeit man sich schon strafende Höllengeister
dachte, und wir konnten wenigstens andeuten, wie diese Ge-
stalten entstanden sind.
Sie sind, heifst es nun z. B., den Toten und den Lebenden
zur Sühne geboren, sie kommen durch das x^cjua aus der
Unterwelt herauf den Frevler zu holen, sie führen den Frevler
Chor der Eameniden. Eurip. El. 1227 KciXuitTe |u^Xea juarpöc, Suppl. 70
v6Ku' ctiacpißaXeiv XuTpä |ie\r|, u. s., Epigr. Kaibel 104^:
äXXä TU |uev KeuBei mKpä kövic d|aq)ixu6eica, >
v|juxnv ö' ^K iJeXduJv oöpavöc cOpüc ixei.
Pap. Paris, v. 1525 [ir[be biä tujv )ueXAv, äXXö 6ict rfic Mjuxnc (ein ursprüng-
lich mehr philosophischer Aasdruck für das gleiche ist CKfivoc z. B.
Pap. Par. 1951 toö ßioöavdTou uveüjuaTOC oGirep dirö cktivouc Kar^xi" i^fX.
u. ö.). MeXioöxoc also ist der die |i^Xri hat, der recht eigentliche Grabes-
und TodesdämoD, gewifs gedacht -wie die oben besprochenen. Andeuten
will ich nur, dafs ich auf dieselbe Weise den MeX^atpoc erkläre. "Wer
sich des Meleagros iu der Unterwelt erinnert, die Vorstellungen von
den Todesgottheiten als Jägern und Jägerinnen bedenkt ('A-fpiuivia sind
ein Totenfest in Argos, Hesych. NeKucia, auch Zagreus hat man als
'Erzjäger' erklärt), -wer sich überhaupt in den von Dilthey erschlossenen
Kreis von Vorstellungen versetzt hat, wird die Erklärung nicht für zu
gezwungen ansehen.
— 58 -
hinab zu seiner Strafe.^ In der Unterwelt aber, wo immer
mehr ihr ständiger Platz ist, sind sie recht eigentlich Diene-
i'innen zur Vollstreckung der Strafen.^ So heifsen sie dann
später vielfach TToivai, auch auf den unteritalischen Unter welts-
bildern ist das beigeschrieben ^, und im Axiochos ist von den
TToivai mit ihren Fackeln in der Unterwelt die Rede (372*).
Fackel nämlich und Geifsel sind später ihre ständigen Attri-
bute, namentlich auch auf den ebengenannten unteritalischen
Unterweltsdarstellungen. Da steht z. B. eine Erinys über dem
Sisyphos die Geifsel schwingend, mit der sie ihn antreibt.*
Auf einem anderen Vasenbild fesselt eine Erinys den Peirithoos,
Theseus liegt schon gefesselt da; ihr Antlitz ist deutlich geier-
artig gemalt und erinnert sehr an gewisse ursprüngliche Vor-
stellungen von Todesdämonen. ^ Diese Darstellungen haben,
wie unten noch besprochen werden wird, den engsten Zusammen-
hang mit orphisch-pythagoreischen Lehren; als ein Ausspruch
des Pythagoras wird es angeführt, dafs die Erinyen die unge-
reinigten Seelen der Abgeschiedenen in unzerbrechlichen Fessehi
halten.*^
Mit den Fackeln der TToivai werden die zu Strafenden im
Axiochos immerwährend gebrannt, und in späteren Unterwelts-
beschreibungen werden fast immer die Geifseln (|udcTiTec) er-
1 AiBch. Eumen. 321 f.:
fiörep, ä |Li' gxiKTec, & laäxep
NOH, äjuaupoTci Kai beöopKÖciv iroiväv.
264 ff.:
äW ävTi&oövai 6ei c' änö Züjvtoc jioqpeiv
ipu6pöv ^K |Lie\^ujv TT^Xavov dirö bk coö
ßocKOv qpepoijuav tf[h TTUüjaaToc öucttötou •
Kol 2u»VTd c' icxvdvac' ÖTTdEoiuai kötuu,
dvTiTTolv' lue TIV13C laaxpoqpövou 60ac.
Vgl. auch Crusius in Roschers Lex, II 1163 u. s.
2 Rosenberg Erinyen 72 ff.
3 Wiener Vorlegebl. Ser. E, Taf. II, vgl. z. B. Lukian de luct. c. VI
'6pivüec Kol TToivai Kai 0ößoi (über Oößoi Abraxas 89 ff.). Prokl. Hymn.
VII 41 ^lyeSavalc TToiviriav eXcup koI KÜpjna yev^cOai xeijaevov kv bairdboiciv.
4 Wiener Vorlegebl. Ser. E, Taf. I, vgl. Taf. U.
5 Wiener Vorlegebl. Ser. E, Taf. VI 4.
6 L Diog. VIII 31.
- 59 -
wähnt, wenn auch nicht immer ausdrücklich die Erinyen
genannt sind.^
Freilich sind an die Stelle dieser Erinyen später vielfach
bai|iiovec getreten, die dieses Amt der Strafe oder Peinigung
versehen. Dämonen im Sinne der späteren Dämonologie hat
es für uns erkennbar vor Piaton nicht gegeben.- baiuovec
waren Götter, und die Verstorbenen wurden nach altem Glauben
bai)aovec. Seit Piaton waren dann baiuovec Seelen der Abge-
schiedenen oder Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen.
Zwischen guten und bösen Dämonen zu scheiden, wie es z. B.
Xenokrates, der die Dämonologie Piatons weiterbildete, aus-
drücklich that, war nur zu natürlich: einerseits waren die
baiuovec, die göttlich gewordenen Seelen, schon bei Hesiod zu
guten Wächtern der Menschen geworden, andererseits konnten
die Seelen nach allgemeinem Glauben mächtig schaden; man
versöhnte sie und opferte ihnen. Man sieht noch, wie aus
solchen Faktoren die Strafdämonen des Hades geworden sind:
in* Piatons Phaidon p. 113^ bringt jeden sein baijLUJUV zur
Unterwelt und zum Gericht. Ungefähr dasselbe bedeutet die
MoTpa ebenda: toutouc r\ iipocriKOUca MoTpa piTTiei eic töv
Tapiapov, Ö9ev ounoie eKßaivouciv.^ Wenn Kyros in der Ab-
1 Lukian ver. bist. II c. 26 u. c. 29, Nekyom. c. 14, Verg. Aen. VI 570,
Ovid. Met. IV 452, Sen. Herc. für. 989 u.a. Die römischen Furiae sind
ganz die griechiscben Erinyen: selbständige Furien in der Litteratur
gibt es nicbt und sie sind aucb nicbt irgendwie über die griechischen
Erinyen hinaus weiterentwickelt. Von dem ursprünglichen Wesen der
römischen Fnriae wissen wir nichts. Man brachte den Namen später mit
furere zusammen (Maviai). Cic. de nat. deor. III 18, 46 identificiert Furiae
und Erinyes in einer Weise, die zeigt, dafs dieselbe noch nicht geläufig
war. Auf Furrina und ihren Hain als aXcoc '€pivuu»v kam man wohl
blofs durch den Gleichklang. Etwas altrömisches aber ist die Vorstel-
lung von den Larvae, den Geistern böser Menschen, die in der Unter-
welt die Menschen quälen, Plin. n. h. I praefat. 10; Sen. apocol. IX dedi
Larvis et . . . vapulare placet. Plut. quaest. Rom. 51 spricht von Adprixec
dpivuuOöeic Tivec Kai ^Toivl^ol 6ai|J0V6c eiricKOTroi ßieuv koI oikujv. Bei Dion.
Hai. II 72 (KoXoOiaevoi irap' "€XXiiciv '€pivÜ€c) werden sie auch gemeint sein.
2 RHeinze Xenokrates 91 ff.
3 Ich wöfste das am besten zu erläutern durch die Moipa in der
Pistis Sophia, den Todesgeist des Einzelnen, der als der böse Feind
inmier hinter ihm geht, p. 345, 47, 50 u. s. So hat im ersten Leidener
— 60 —
schiedsrede an seine Söhne bei Xenophon, wo er von der
Unsterblichkeit der Seele spricht, die Seelen der Ermordeten
die Mörder mit Schrecken erfüllen läfst^, so klingt da deut-
lich die alte Vorstellung von den rächenden Seelen selbst
durch, es sind nur baijuovec TTaXa)iivaToi noch einmal besonders
gedacht wie einst schon die Erinyen, von denen man auch
als von 'Gpivuec juriTpöc u. dgl. reden konnte. Also die bai)uovec
als die Wächter der einzelnen Menschen, die baijuovec als sich
rächende Seelen wie ursprünglich die Erinyen, die baijiiovec
als Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen, als Diener
der Götter und Vollstrecker ihrer Befehle: aus diesen Vor-
stellungsreihen sind die bai)Liovec als Peiniger in der Unter-
welt hervorgegangen und sie übernehmen aufserdem gleich
Gestalt und Farbe von den schon lange ausgebildeten Gestalten
der peinigenden Erinyen,
In Piatons Republik sind es avbpec ciYpioi biciTTupoi,
welche die Sünder drunten peinigen und in den Tartarus
werfen (615''). Die wilden Unholde der Tiefe, die Erinyen
mit dem Feuerbrand, baifiovec, wie sie im Phaidon dasselbe
Amt versehen: alle solche verwandte Vorstellungen mögen
auch diese Figuren hervorgebracht haben, und dazu mag noch
der Gedanke an menschliche Folterer und Strafbeamte mit
hineinspielen. Solche Stellen, namentlich auch die des Phaidon,
mögen der Anlafs gewesen sein, dafs die Stoiker wie auch
noch die Neuplatoniker von strafenden Dämonen sprachen.^
Nach Chrysippos z. B. waren böse Dämonen von den Göttern
als KoXacTtti im touc dvociouc Kai dbiKOuc dvGpiUTrouc bestellt.^
Diese griechischen bai)Liovec wurden später, wo griechische
und jüdische Religion sich vermischten, zugleich zu den
Engeln, wie sie die Juden bereits kannten, gr. aj-^eKo\. Das
Zauberpapyrus (meiner Ausgabe Jahrb. f. Phil., XVI. Suppl. p. 807) jeder
seine N^i^ecic, die mit ihm öiaxpißei ti*iv -iräcav uupav — . Vgl. die rächende
Todesgöttin MoTpa ctiravTa 7Tepinntaro|u^vri u. a. : Abraxas 74 und 95.
1 Kyrup. VIII 7, 18: Tctc bi tu)v äöiKO itaGövTUJv iijuxotc oöiru) ko-
revoricare ov'ouc ju^v cpößouc xoic juiaiqpövoic ^jußdWouciv, oiouc bi iraXain-
vaiouc Toic dvocioic feTTiTr^Mitouci ; ktX.
2 Vgl. Zeller III 1, 320*.
3 Plut. quaest. Rom. 51. Man vergleiche besonders auch Sallustius
de diis et mundo c. 19.
— ei-
lst für unsere Kenntnis zuerst bei Philo geschehen^, und in der
Litteratur der spateren Zeit, wohin man auch sieht, namentlich
in den orphischen Hymnen, den Zauberpapyri^, in der christ-
lichen Litteratur ebenso wie in der ähnliche Dinge behandeln-
den heidnischen werden diese beiden Bezeichnungen vollständig
promiscue für dieselben Wesen gebraucht. ciYTe^oi wird wohl
im Laufe der Zeit überwiegend.
Nach diesem Überblick werden die Quälgeister in der
Apokalypse des Petrus verständlich sein. An dem dunkeln
Ort, der dem Lichtort ^gegenüber' liegt, sind oi KoXctZiovTec
aYTt^oi, die ein dunkles Gewand anhaben KttTci töv ctepa toö
TOTTOu (v. 21). Genannt werden ctYTe^oi ßacavicrai, die den
Frevlern eTieKeivio (v. 23).^ Die Sünder werden gegeifselt von
bösen Geistern ()aacTi£ö|aevoi tjttö TtveuiudTUJV -rrovnpüjv, v. 27).
Als die Strafe der Mörder erzählt ist, heifst es: ai be vpuxai tuiv
7T6(poveujuevujv ecTuucai Kai eqpopüjcai Trjv KÖXaciv eKeivmv tujv
qpove'ujv eXe^ov 6 6eöc, biKaia cou r\ Kpicic (v. 25). Da sind die
Seelen der Ermordeten in der Unterwelt. Deutlicher könnte es
gar nicht sein als durch diesen so zu sagen aus einer ganz
anderen Unterwelt stehen gebliebenen Rest, dafs es der grie-
chische Hades isi^ aus dem diese Hölle wurde. Wie könnten
sonst in diese letztere die Seelen der Ermordeten kommen? Ja,
man kann sagen, diese Seelen der Ermordeten denen der Mörder
1 RHeinze Xenokrates 112 f. Natürlicli mufs bei den Griechen
schon vorher äTT^^oi ^üie Bedeutung gehabt haben, die eine solche Ver-
wendung des "Wortes möglich macht. Vielleicht wäre eine solche Be-
deutungsentwicklung in der Richtung der Beispiele zu suchen, die EMaafs
anführt Indogerm. Forschungen I 1892, S. 161 ff.
2 Eine Reihe der verschiedenen Namen, die für diese Dämonen
gebraucht werden, stehen zusammen in einem Zauberhymnus an Hekate
pap. Paris, v. 2859, Abel p. 294: cu "föp öucüXuktoc 'Avd-fKTi,
Moipa b' eqpuc '€pivüc Bdcavöc t' 'OX^tic tc, Aikti cü.
Auf dem Gefäfs von Altamura (Wiener Vorlegebl. Ser. E, Taf. 11) steht
iiber der Furie, die den Sisyphos geifselt, NAN. Das ist nicht MANIA,
wie man früher meinte, sondern wie Christ erkannt hat, ANANKH, s.
GKörte Über Personifikationen psychologischer Affekte in der späteren
Vasenmalerei 79, und "Winkler Die Darstellungen der Unterwelt auf
unteritalischen Vasen, in den Breslauer Philol. Abhandl. III 5 p, 25.
3 Ich erinnere noch besonders an die Erinys auf dem unteritali-
schen Bilde, die den Sisyphos bedrängt (^TriKeixai).
— 62 —
gegenüber sind ursprünglich die sich drunten rächenden Seelen
selbst nach ältester griechischer Auffassung, die alten Erinyen
selbst. Und endlich da, wo die Apokalypse die Strafe der Weiber,
die ihre Leibesfrucht getötet haben, angeführt hat, fährt sie
fort (v. 26): Kai dvTiKpuc auxüjv ttoXXoi Traibec, oiiivec dijupoi
eriKTOVTO, Ka0r||uevoi e'KXaiov. xai TiporipxovTO eH auiOuv dKxTvec
TTupöc Kai Tctc Y^vaiKac e'-rrXriccov Karct tujv öqp0aX)iiiJuv. Also
auch diese Kinderseelen sitzen in dieser Hölle, in die sie
doch auf keine Weise gehören, den Sünderinnen gegenüber:
und hier geht auch von ihnen selbst die Strafe und Rache
aus. Ich vergleiche eine Stelle eines orphischen Hymnus auf
die Eumeniden (LXX 5 ff.):
TUJV dbiKUuv Tijuuüpol, eq)ecTriKuTai dvdyKr),
KuavöxpuüToi dvaccai, dTracrpaTTTOucai dn' öccuuv
öeivf)V dvTauYfi cpdeoc capKOcpOöpov ai^Xriv.
Das entspricht sich genau ^, und es zeigen auch diese Höllen-
geister, dafs sie zu gutem Teile aus altem griechischen Volks-
glauben stammen. Sie konnten wir schon jetzt betrachten,
ehe wir das übrige Bild der Hölle näher untersuchen, weil
auch sie ebenso wie die quälenden Untiere dieses finsteren
Ortes der Tiefe aus allgemeinster griechischer Anschauung
kommen, die nicht besonderen religiösen Richtungen angehört
und nur etwa von solchen mit Vorliebe aufgegriffen und
ausgebildet wurde. Ist doch auch das Jenseitsbild, das im
Volksglauben der heutigen Griechen noch am lebendigsten
vorhanden ist, wo es nicht die späteren christlichen Lehren
bis zur Unkenntlichkeit übermalt haben, einerseits jenes herr-
lich leuchtende und unermefslich reiche Land des Lichtes und
der Freude, andererseits die dunkle Tiefe mit ihren Quälgeistern
und mit dem grausigen gierigen Charos. Das ist in der Volks-
seele durch die Jahrtausende haften geblieben.
1 Zu dem kotci tujv Ö9Ga\|Liujv der Apokalypse könnte man viel-
leicht auch vergleichen, dafs Phineus seine Erblindung einer Erinys zu-
schrieb, die ihm auf die Augen gesprungen wäre, ApoUon. Argon. II 220
ou Y^P lnoOvov ^tt' öqpGaXiJO'iciv '€pivuc Xhi liti^t] ktX.
II.
Mysterienleliren über Seligkeit und Unseligkeit.
1.
Eine Anschauung des homerischen Hades gibt das Ge-
dicht von der Hadesfahrt des Odysseus. Waren, wie wir fest-
stellen konnten, die Erinyen schon in vorhomerischer und
gewifs auch in homerischer Zeit in anderen als den 'home-
rischen' Kreisen oder auch bei dem Volke anderer Gegend
die unterirdischen Rächerinnen des Mords und des Meineids,
wie wir sie später immer wiederfinden: hier findet sich davon
nichts. Alle haben ein gleiches Schattendasein. Und doch
nicht alle ein gleiches. In diesem Hades sind die bekannten
drei Büfser, Tityos, Tantalos und Sisyphos. Gewifs sind es
ganz besonders von den Göttern Bestrafte, wie die Giganten
einst, wie Prometheus, ausnahmsweise Verurteilte, wie jene
Heroen des Elysiums ausnahmsweise Begnadete. Und doch
kann man nicht alles *Erweckliche' abweisen, wo etwas der-
artiges mit beabsichtigt gewesen sein mufs von dem, der
diese drei, über welche die Sage ganz anderes widersprechendes
erzählte, zu diesem Nebeneinander in diesem Hades gruppierte.
Je weniger sie dahin passen, um so deutlicher ist der Eifer
jenes Unbekannten, diese doch wohl auch warnenden Typen
ewiger Bufse der allbekannten Hadesschilderung Homers nicht
fehlen zu lassen. Aber das ist der Geist einer ganz anderen
Zeit, und es ist längst erkannt, dafs erst nach vielen Wand-
lungen im 6. Jahrhundert diese Büfserepisode von ganz be-
sonderen religiösen Richtungen eingeschoben werden konnte.
Die hauptsächlichste Veränderung im ganzen religiösen
Leben ist vor sich gegangen durch die immer mehr aufkom-
menden und sich immer reicher ausgestaltenden Kulte der
chthonischen Gottheiten, hoher mild herrschender göttlicher
— 64 —
Wesen, die nichts mit jenen rohen Ungeheuern der Tiefe ge-
mein hatten. Jenen Gottheiten zu gefallen, ihre Gunst zu er-
werben, auf dafs man es einst gut bei ihnen habe in ihrem
Reiche, in das ja alle einmal hinab müssen, das war wohl
zunächst einer der einfachen Grundgedanken dieser Kulte.
Man mufs länger den Unteren gefallen als den Oberen, sagt
Antigone.
Eine der blühendsten Kultstätten dieser Art wurde Eleusis.
Von dort haben wir ein Denkmal aus dem 7. Jahrhundert in
dem homerischen Demeterhymnus. Wer Köre, die Herrin der
Unterwelt, heilst es da, nicht ehrt durch Opfer und Gaben,
der wird allezeit Bufse leisten müssen. Und aufserdem
(v. 480 ff.): 'Selig der Mensch, der das (die Weihen) erschaut
hat; wer aber uneingeweiht ist und unteilhaftig der Weihen,
der wird nicht gleiches Los haben nach seinem Tode im
dumpfigen Dunkel des Hades.' ^ Da finden wir also zum
ersten Male im Hades selbst unterschieden zwischen Geweihten
und Ungeweihten, Seligen und Unseligen, solchen, die belohnt
und solchen, die bestraft werden. Wer geweiht ist, wird selig
werden, wer nicht geweiht ist, wird nicht selig werden: so
verkündet die seligmachende Kirche von Eleusis. In wie weit
man sich die Seligkeit und Unseligkeit im einzelnen ausge-
malt hat, kann man für die älteste Zeit mit Bestimmtheit
nicht sagen. Es ist von vornherein sehr wahrscheinlich, dafs
man die Seligkeit mit den Farben jenes alten Götterlandes,
das wir oben besprachen, ausmalte, und wir hören in der
That, dafs man in Eleusis solches zeigte: wunderbares Licht,
liebliche Auen, wunderbare Gesänge und Reigentänze. Die
1 So andeutend, zurückhaltend, wie es auch die Weise der atti-
schen Grabsteine meist ist über die Dinge des Jenseits zu reden, klingen
auch noch später eleusinische Verse, wie in der Grrabschrift des Hiero-
phanten 'Gcpriju. dpx- HI (1883) p. 81 no. 8:
opTia iräciv eqpaive ßpOToTc qpaeciiußpOTa ArioOc
GivaGT^c, öeKdriu 5' i^XGe irpöc döavdxouc.
''H KaXöv Ik [iiaKdpwv laucxripiov, ou juövov elvai
TÖv GdvttTOv GvriToic oO kcköv, äW dYctööv.
Vgl. auch p. 79, v. 7":
dW öxav eic inaKdpujv 2\0uj koI |üiöpa|aov ti^iap — .
— 65 —
Unterweltsgottheiten erscheinen selbst in leuchtendem Ge-
wände.^ Auch der Ort der Unseligkeit ist wohl, wenigstens
später, irgend wie gezeigt worden. Bei Lukian erscheint in
der Unterwelt eine fackeltragende Erinys, und es wird be-
sonders darauf hingewiesen, dafs man ähnliches bei den Eleu-
sinien schaue.^ Vielleicht wird unten noch wahrscheinlich
werden, dafs solche Vorführungen schon früher dort statt-
fanden. Jedenfalls haben diese Mysterien, ihre lepd (pdcjuata
und LiucTiKai övpeic viel dazu, beigetragen, die Zweiteilung des
Jenseits und seiner Bewohner in allgemeiner Vorstellung
durchzuführen und von dem Ort der Geweihten und Unge-
weihten detailliertere Anschauung zu geben.
Schon lange ehe der Einflufs von Eleusis weitreichender
wurde, mufs der Apollonkult von Delphi eine in manchen
Beziehungen ähnliche Bedeutung gehabt haben. Wenigstens
ist dort ünsterblichkeitsglaubeu und Seelenkult gepflegt^ und
bei dem ungeheuren Einflüsse der heiligsten Ofienbarungsstätte
des Gottes viel verbreitet worden. Auch auf Eleusis hat Delphi
anfangs und auch später noch vielfach eingewirkt.* Bis auf
wenige Spuren ist für uns die apollinische Religion von Delphi
1 Plut, de an. VI 2 (vgl. Stob. anth. 69, 604) qpOüc eaufictciov Kai
cefAvörrixac dKOUc.uÖTUJV iepüüv Kai qjavTOCiidTiuv ä^ivjv. Themist. or.
XX p. 235^ cu "p/uj|aaTeOuuv toüc ^tratiouc irepii^peic t€ aÖTOic töv 2^öqpov Kai
4-nJ)j.vouc TO äf&\fiaTa, üjctc ö fi^v äpri irpociibv toTc d&öroic qppkric xe
^veuijairXaTO Kai iXiYTOu — ÖTiöre b^ 6 upoqprjTric iKeivoc ävaTrerdcac xd
■npoTRiXaia xoö veüj Kai xouc xifOüvac irepicxeiXac xoö dYdX|iaxoc ^ire-
beiKvu xü) |auou)Li^vLu ^ap(aapüccov x€ rjbri Kai aöfq KaxaAa)HTrö)ievov öecTte-
cia. — Lobeck Agl. 52, 61 f.
2 Lukian. Eatapl. 22 (als Mikyllos, der Schuster, und Eyniskos die
Unterwelt sehen) MIK. eitr^ juoi — ^x6X^c9r|c TÖp Ob Kuvickc xd '6Xeu-
civia — , oux öjuoia xoic Ikci xd i\Qäbe coi öoKei; KYN. €u X^feic. löou oöv
Trpoc^pxexai bqtbouxoücd xic qpoßepöv xi Kai direiXrixiKÖv irpocßX^-
Tiouca* fj dpa irou '€pivüc ^cxiv; dann wird Ticiqpövn genannt, das
Totengericht des Rhadamanthys u. dgl.
3 Rohde Psyche 169 f.
4 Vgl. z. B. noch CIA IV 27*» (Urkunde über die dirapxai): Ke-
Xeudxuu bi xal ö icpoq)dvxiic Koi 6 &<jt&oOxoc ^ucxr|piolc dirdpxecGai
xoüc "€XXTivac xoö Kap-rroO Koxd xd irdxpia Kai xi'iv |uavxeiav xriv iy
AeXqpuiv.
Dieterich, Xekjia. 5
— 66 -
verschwunden: Pindaros und Aischylos, beide auch der eleu-
sinisehen Weihen teilhaftig, lassen uns hier und da ihre Tiefe
ahnen. Wir wissen aber von den Sühnungen Delphis, wir
erinnern uns, wie die erinyenverfolgten Mörder in Delphi
Sühne suchen. Apollo selbst hat für Mord acht Jahre Dienst-
barkeit dulden müssen; die Mythen von den Muttermördern
Orestes, Alkmeon, von dem Vatermörder Oidipus sind eng au
Delphi geknüpft. Die Gebräuche der Mordsühne sind immer
sehr gleichartig gewesen denen der Einweihung in die Myste-
rien, in die Kulte der chthonischen Gottheiten (Lobeck Aglaoph.
183 ff.): es sind Reinigungen, Lustrationsriten, die mit den
Unterirdischen versöhnen sollen oder würdig machen ihnen zu
nahen. So lassen sich auch die Ceremonien bei Sterbefällen
auf diesen Lustralgedanken zurückführen: *alles .vom Xouipöv
bis zur iLieXiTOUTTa, die dem Gestorbenen mitgegeben wird,
spricht den Gedanken aus, der Tote solle versöhnt mit den
Unterirdischen im Hades anlangen.'^ Schon diese Andeutungen
können uns sagen, dafs wohl niemals jene chthonischen Kulte
und Mysterien ganz ohne Berücksichtigung des Sittlichen nur
'Geweihte' und 'Ungeweihte' unterschieden haben, so sehr das
auch die logische Folgerung ihrer Lehre sein mag. Auch abge-
sehen davon, dafs Mörder von vornherein von den Weihen ausge-
schlossen waren, wird man in Eleusis nie anders als euceßeic und
dceßeic mit |Lie|uuri|uevoi und djuuriToi mehr oder weniger unbe-
wufst gleichgesetzt haben. Die TTpöppricic der Hierophanten und
Daduchen hat gewifs mehr und andere als nur Mörder schon
in alter Zeit ausgeschlossen, wenn auch die Notiz des Pollux
(VIII 90) vom ßaciXeuc, der irpoaTopeuei toTc ev aiiia d-rre-
XecGai lauciripiujv nur auf späte Zeit zu bezielien sein mag.
Die Nachbildung einer solchen 7Tp6ppr|Cic bei Aristophanes^ in
den Fröschen (v. 354 — 371) nötigt jedenfalls zu glauben, dafs
eine ganze Anzahl Frevler damals genannt zu werden pflegten,
wohl auch gerade die, welche sich schwer am Vaterlande ver-
sündigt hatten, die dann auch Piaton unter den Bestraften in
1 Diela sibyll. Blätter 48, 2.
2 Man erkennt vielfach, wie die Mysterienformeln nur leise von
Aristophanes umgebogen sind.
— 67 —
der Unterwelt ganz ausdrücklich nennt ^; ocioi, Ka0apoi 'die
Reinen' nannten sich die Eingeweihten, weil sie von jedem
Frevel gereinigt waren und so würdig den hehren Gottheiten
zu nahen. Und aus der Stelle in der Mysterienrede' des An-
dokides 31 )nemjric0e Kai empaKaxe toTv 6eoiv rd iepd, iva ti-
liiuupricriTe |iev touc dceßoövxac, cujlryre be touc inribev dbiKouvtac
geht doch soviel klar hervor, dafs es sich bei den Weihen
nach allgemeiner Vorstellung am Ende des 5. Jahrhunderts
auch um dceßoOvTec und um firibev dbiKeiv handelte. Im
übrigen mufs der Sinn doch wohl sein, dafs man durch das
Schauen der heiligen Dinge den rechten Wert und die rechte
Würdigung jenes Unterschiedes lerne.
Es wird in jedem religiösen Kult so gehen, der Ein-
weihungsriten und Sakramente hat, dafs man unwillkürlich die
sittlichen Unterscheidungen der im Volke geltenden Moral da-
mit gleichsetzt, ob aufgenommen und der Gnadenmittel teilhaftig
oder nicht, und zwar gerade dann, wenn diese Religion im
Volke noch lebendig ist. Später erst fängt man an zu be-
denken, dafs das Erfüllen der Formen doch noch nicht 'bessere',
dafs am Kulte teilnehmen noch nicht fromm sein heifse, dafs
es nicht auf die äufseren Ceremonien, sondern auf das Leben
und die Gesinnung ankomme. *Soll es dem Dieb Pataikion
nur darum nach seinem Tode besser ergehen als Epameinon-
das, weil er geweiht war?' So konnte erst Diogenes über die
Eleusinien spotten;^ Erst späte Zeit hat sagen können dfveia
b"" IcTi qppoveiv öcia.^
Es ist zu beklagen, dafs man von Delphis Einflufs auf
die Vorstellungen vom Hades so gut wie nichts weifs. Dürfte
man aus den Versen in der Tityosbeschreibung der homeri-
1 Frösche v. 361:
f| Tfic TTÖXeujc xei|ia3o|i^vTic äpxujv Kaxa&uupoboKclTai,
f] TTpoöibuuciv 9poüpiov f) vaOc.
Republ. p. 615^: koi oixivec ttoXXujv Gavdxujv f[cav aixioi r\ iröXeic irpo-
bövxec f\ cxpaxÖTte&a Kai elc bouXeiac ^fißeßXr|KÖx€c.
2 Plutarch. de aud. poet. 4. Rohde Psyche 272.
3 Aus einer Inschrift in Epidauros bei Porphyr, de abst. II 19,
p. 149, 18 N, nach Theophrastos; das Epigramm gehört gewifs erst seiner
Zeit an, Bernays Theophrastos Schrift über Frömmigkeit 76 f.
6*
- 68 —
ihen Nekyia, die besagen, dafs dieser sich an Leto vergriffen habe,
der Gattin des Zeus, als sie nach Pytho kam durch das an-
mutige Panopeus, dürfte man daraus schliefsen, dafs diese Tityos-
geschicMe auf delphische Tradition letztlich zurückgeht?^
Gewifs nicht ohne Einwirkung delphischer Lehren ist das
Bild der Unterwelt, das Polygnot in der Lesche dort gemalt
hatte. Er hat auch die Kaiaßacic des Odysseus dargestellt
und sich hauptsächlich nach Homer gerichtet, auch die drei
Büfser nicht fehlen lassen. Aber noch anderer Frevler Strafe
stellte er dar, wie Pausanias erzählt: ein Mann, der gegen
seinen Vater gefrevelt hat, wird von dem Vater gewürgt.
Die erklärende Beischrift wird iraTpaXoiac gelautet haben.
Daneben ist einer dargestellt, der Heiligtümer geraubt hat
und seine Strafe erhält. Das strafende Weib, so scheint es,
gibt ihm Gift zu trinken.^ Das sind also nicht mythische
Personen, sondern allgemeine Typen von Frevlern, die in der
Unterwelt gestraft werden. Der eine wird genau mit dem
1 Andere Schlüsse, wie sie Seeck zieht Quellen der Od. 363, siud
kaum berechtigt.
2 Pausan. X 28, If. : lul bä toO 'Ax^povxoc Ti] öxörj judXiCTa bTrö
ToO Xdpujvoc Trjv vaOv ävi]p oö öikcioc ^c itaxdpa ä^X^^M^^öc ^ctiv vnö
ToO iraxpöc. irepi irXeiCTOU y<^P ^ttoioOvto ol trdXai Yov^ac kt\. — ^v 6^ rrj
TToXuYvuuTou Ypaqpi^ TrXriciov toO dvöpöc, öc tuj Traxpi ^Xujaaivexo Kai öi'
aOxö iv "Aibou KOKä dvaiTi|UTT\rici, iepd cecuXT^KUjc dvrip {jir^cxe 6iKriv. f\
bk Yuvri 1^ KoXdtouca aöxöv cpdpiaoKa dXXa xe Kai ^c aiKiav oibev dvGpiü-
TTUJv. Nachher sagt Pausanias xd tc xöv cuXrjcavxa iep^a. Man könnte
denken, dals ein Priester selbst das Heiligtum beraubt habe und seine
Schuld darum um so gröfser sei, ähnlich wie später die Diener der Ge-
meinde, die diTiCKOTroi oder bidKovoi in der Hölle oft besonders hart ge-
straft werden sollen (s. u.). Aber jene erste Stelle ist unantastbar mit
ihrem iepd, und so xnufs doch wohl auch an der zweiten iepd geschrieben
werden. Die Strafe durch das Gift sehe ich keine Berechtigung zu be-
zweifeln, wie Robert will, der kürzlich im XVI. Haller Winckelmanns-
programm Polygnots Nekyia rekonstruiert und behandelt hat; bei Vale-
rius Place. II 193 heilst es von Tisiphone im Hades pocula libat, tor-
menti genus (nach Verg. Aen. VHI 487). Es ist das wohl übernommen
von dtr bekannten Todesstrafe durch den Giftbecher. Die Erinys hat
giftigen Hauch und giftigen Geifer, sie träuft von Gift, Verg. Aen.
VII 341 Gorgoneis Allecto infecta venenis, Stat. Theb. I 106 (Tisiphcme)
suff'usa venenis tenditur. Tisiphone kocht in einem Hexenkessel Gift
Ovid. Metam. IV 504. Vgl. Rapp bei Röscher I 1312.
— 69 —
gestraft, was er gethan hat; der andere mit einer allgemeinen
Strafe, wie sie auf der Oberwelt als Todesstrafe üblich war.
Der lepd cecuXriKUJC dvrip ^st so recht begreiflich gerade in Delphi
mit seinem unermefslich reichen Tempelschatz. Man kennt
ja die vielen Geschichten von solchen, die Kostbarkeiten ge-
raubt hatten und bestraft wurden; meist scheint man dort den
lepöcuXoc mit dem Tode bestraft zu haben. ^ Natürlich, dafs
man gerade auch dem Tempelräuber mit schwerer Strafe nach
diesem Leben drohte, und dais man diese auch gern malen
liefs, zu warnen und abzuschrecken. Aber auch Demeter-
mysterien kennt das Bild des Polyguot. In dem Fahrzeuge
des Charon sitzen Tellis und Kleoboia, die letztere mit einer
cista mystica auf dem Schoofse. Sie habe zuerst die Demeter-
weihen von Faros nach Thasos gebracht. Dafs Tellis Ahnherr
des Archilochos sei, sieht ganz wie eine Ciceronierfindung
aus^, dagegen hängt der Name offenbar mit xeXoc zusammen
und ist Kurzform etwa für TeXecqpöpoc. So pafst der Bringer
der Weihen erst recht neben die Trägerin des heiligen Käst-
chens. Welche Seligkeit diese Geweihten erwartete, ist uns
unbekannt. Dagegen sind Uneingeweihte von Polygnot deut-
licher dargestellt gewesen. Zwei Weiber, eine jung und eine schon
älter, waren zu sehen, wie sie in zerbrochenen Scherben Wasser
trugen, mit der Beischrift djiuriTOi. Aufserdem waren noch an
einer anderen Stelle (unterhalb des Steins des Sisyphos) ein
alter Mann, ein Knabe und zwei Frauen dargestellt, die alle
Wasser trugen. Der Alten war aber ihr Wasserkrug zer-
brochen, sie schüttete nur noch den in den Scherben ent-
haltenen Wasserrest in das Fafs.' Diese Personen sind solche,
welche die Weihen von Eleusis für nichts geachtet haben.
1 Plut. de ser. num. vind. c. 12 p. b51^ d2 ^Keivou b^ (toö Aicijü-
irou) 9aci koI rfjv ximupiav tujv lepocuXiuv ^itl rriv NauirXiav dtrö Tfjc
'Yaiiireiac ^eTaxeOnvai, s. Ulrichs Reisen I S. 47, 18.
2 Dann löst sich auch die Schwierigkeit, wenn es überhaupt in
irgend einem Falle eine ist, dafs Tellis als Ephebe dargestellt war,
was Robert a. a. 0. S. 59 beseitigen will.
3 Pausan. X 31, 3: ai 5d üirep riiv TTcvöedXeiav qj^poucai ^^iy eiav
uöujp ^v Koreaföciv öcTpdKoic TretTOirixai bk i^ \i^ Sri lüpaia tö ciöoc, i^i
be fibri Tfjc i^XiKiac irporiKOUca. Ibia la^v bi] oöö^v e-rriYpa,u|ia ^irl ^Kax^pa
T&v -fuvaiKUJv, ^v KOivLu b^ 4cTiv lu d^qpoTdpalC eivai cqpäc tüiv oö )ue.uur|M^vDuv.
— 70 -
Also die einfache Scheidung zwischen Geweihten und Un-
geweihten und doch daneben die beiden Sondertypen. Der
Greis, der Knabe und die beiden Frauen sollen doch wohl
ausdrücken, dafs es 'allen' ohne Unterschied so gehen wird,
wenn sie ungeweiht hin abkommen.^
Aufser diesem delphischen Bilde haben wir noch eine
andere etwas ausführlichere, attische Darstellung der Unter-
welt aus jener Zeit, die Kaxdßacic des Dionysos in den Fröschen
Vielleicht ist es doch nicht blols Nachlässigkeit des Pausanias, dafs er
nichts vom durchlöcherten Fafs sagt. Die Scherben sind zerbrochen,
d. h. sie haben Risse, und es fliefst alles heraus. Der Krug der einen
zerbricht, so dafs sie nachher kein Wasser mehr in ihm tragen kann.
Wie bei dem unten zu erwähnenden kockiviu vbwp qpdpeiv ist hier die
Durchlöcherung auf die Schöpfgefäfse übertragen. In das Fafs kommt
überhaupt nichts (sonst würde es ja schliefslich doch einmal voll werden).
Diese Vorstellung hat auch Bion gemeint, von dem es bei Laert. Diog.
IV 50 heifst äXefe toOc ^v "Ai6ou |nä\Xov äv KoMZecSai, ei öXoKXripoic
Kai )Lii?i TexpriiLi^voic dYY^ioic iLibpocpöpouv.
1 Man kann jetzt mit einiger Sicherheit die Geschichte dieser
Gestalten angeben. Die Hochzeit wird nicht nur ein t^Xoc genannt, die
Riten bei Hochzeit und Mysterienweihe sind ziemlich die gleichen, beide
sind Lustrationsriten, Diels sibyll. Blätter 48, 2. Eine Hauptrolle bei
beiden spielt das Xourpöv. Wem das nicht vollendet wurde, der schöpft
drunten ewig weiter, ohne zu Ende zu kommen. Darum stellte man
den ÖYajxoi eine Xourpocpöpoc aufs Grab (dafs sie ohne Boden ist, hat
aber eine nicht hierher gehörige Bedeutung), Rohde Psyche 292. Vgl.
EKuhnert arch. .Jahrb. VIII, 1893 S. 110 f. Männer und Weiber, so Wasser
tragend, sind auch auf einer schwarzfigurigen Lekythos (6. Jahrh.) dar-
gestellt, die Heydemann veröffentlicht hatte Arch. Ztg. 1870, Taf. 31,
Nr. 22, S. 42 f. und erst Furtwängler richtig gedeutet hat Arch. Jahrb. V
1890, Anzeiger S. 24 (Sitzungsber. der arch. Ges.). Ausschliefslich Weiber
werden es wohl erst, als man diese Vorstellung auf die Danaiden über-
trägt, die nicht bis zum t^Xoc der Ehe gekommen sind. Dann wurde
das Wassertragen zuletzt als eine Strafe für diese aufgefafst, weil sie ihre
Verlobten ermordet. — Solche Übertragung geschah gewifs erst in mysti-
schen Kreisen, die gern ihre erbaulichen Erzählungen mit den grofsen
Namen des Mythus schmückten. Es ist nicht zufällig, daXs sich die Da-
naiden in diesem Zusammenhang zuerst in der auf die Traditionen solcher
Kreise zurückgehenden Partie des Axiochos linden (s. u.). Man kann
daran erinnern, dafs im Heer der Artemis besonders die vor Hochzeit und
Brautnacht gestorbenen sich befinden. Merkwürdigerweise sind es im
christlichen Aberglauben die ungetauft Gestorbenen, Dilthey Rhein.
Mus. XXVII 334.
— 71 —
des Aristophanes. Da wird zunächst ein grofser See erwähnt,
ein Abgrund (Xijuvri jueYa^Hi «ßuccoc v. 157), dann ein Ort mit
Schlangen und unzähligen ganz entsetzlichen Untieren (öcpeic
Ktti 0ripia juupia, beivöraxa v. 143, 6 töttoc, ou rd 0ripia rd
beivd V. 278). Eine furchtbare Empuse tritt den Ankommen-
den V. 293 ff. entgegen, andere Ungeheuer sind v. 474 ff', ge-
nannt. Weiterhin ist dort Finsternis, gewaltiger Schlamm
und immerwährender Kot; darin liegen die TrarpaXoiai, )ur|Tpa-
XoTai, eTTiopKOi und die sich am Gastfreund vergangen haben.-^
Dann aber kommt ein herrlicher Ort, der in den glänzendsten
Farben geschildert wird;
V. 154 evTeO0ev auXÜJV Tic ce -rrepieiciv Tivori,
övjjei Te qpujc KdXXicTov, ujcirep evGdbe,
Kai iLiuppivujvac Kai öidcouc eubai)Ltovac
dvbpujv Y'JvaiKUUV Kai KpÖTOV x^ip^v ttoXuv.
Das sind oi juejuiirnaevoi, die Geweihten. Von der juaKdpuJV
euujxia ist noch mehrfach die Rede, und die Mysten selbst
beschreiben ihre Seligkeit in einem schönen Liede (v. 448 ff.):
Xujpujjuev ec TioXuppöbouc
Xeiiaojvac dv9e|auibeic
TÖv fiiueTepov Tpötrov
röv KaXXixopu)TaTov
TraiCoviec, öv öXßiai
MoTpai HuvdYouciv.
jLiövaic ydp fi|uiv fiXioc
Kai cpeYTOC iXapöv ecTiv
1 V. 145 elra ßöpßopov itoXuv
Kol CKOüp deivuüv ^v b^ xoOrqj k€1|u^vouc,
et uou £^vov TIC fi&iKrice TninroTe,
f| Ttaiöa ßivüjv TdpYupiov üqpeiXero,
f| jar^T^p' fiXöricev, f\ iraTpöc yvöOov
feirdraHev, f| 'iriopKov öpKov üuiaocev.
V. 273 AION. Ti kxi T&VTavQol; EA. ckötoc koI ßöpßopoc.
AlON. KOTeiöec oöv ttou touc iroTpaXoiac aÖTöei
Kai TOUC feiriöpKouc, oöc ^XeYev i^jliiv;
Ob V. 148 noch etwas bestimmtes parodiert oder ob er überhaupt nur
scherzhaft hinzugefügt ist, läfst sich schwer sagen, Usener macht mich
darauf aufmerksam, dafs wohl der noch heute (in der Militärjustiz) be-
sonders schwer gestrafte Diebstahl an Kameraden, bezw. Zeltgenossen
zu Grunde liegt.
- 72 —
öcoi |ue)Uur|)Lie0' eu-
ceßfi xe bir|YO|Liev
TpÖTTOV Ttepi Touc Hevouc
Kai TOUC ibiuuTac.
Das sind uns bekannte Klänge. Und wenn wir bedenken,
dafs in dieser Scene, die auch den Mystenzug nach Eleusis
kopiert und lakchos- und Demeterlieder nachbildet, hauptsäch-
lich eleusinische Dinge gemeint sind, so ist die Darstellung
des Lebens der Seligen, das Spätere in derselben Weise für
Eleusis bezeugten, auch für diese frühere Zeit sicher. Auch
der grausen Erinys, die nach Lukian in Eleusis geschaut wurde,
erinnern wir uns. Der TraipaXoiac, juriTpaXoiac und eiriopKoc
sind hauptsächliche Frevler: dieselben, die nach ältester An-
schauung schon die Erinyen strafen. Der Verletzer des Hevoc
kommt dazu, der delphische kpöcuXoc fehlt hier. Deutlich
ist auch hier zu sehen, wie )ne|auri|uevoi und eiiceßeic, djLiuriToi
und dceßeic zusammengedacht werden, namentlich auch in den
Worten des zuletzt angeführten Liedes.
Mag nun auch das meiste von eleusinischen Riten her-
genommen sein, die Spitze des Spottes, der Parodie kann sich
unmöglich auf diese allerheiligsten Weihen richten. Und es
ist etwas ganz eigenartiges in der Scenerie dieser Unterwelt,
das uns nirgends bisher begegnet und das im eleusinischen
Glauben unmöglich ist: der Pfuhl von Schlamm und ewigem
Kot, in dem die Sünder liegen. Wer hat das damals geglaubt
und wer hat das zuerst gelehrt?
2.
Zwei Stellen des Piaton geben uns die unzweideutigste
Auskunft. Ich mufs sie hierhersetzen: Plat. Rep. p. 363°
MoucaToc be toutuuv veaviKuuiepa xdYaGd Kai 6 uiöc auioO
(Orpheus) rrapd Geujv biböaci xoTc biKaioic" ec "Aibou ydp
dYayövxec xtu Xöyiö Kai KaxaKXivavxec Kai cujuttöciov xoiv
ociujv KaxacKeudcavxec dcxeqpavujiiievouc ttoioOci xöv dirav-
xa xpovov r\bY\ biayeiv jueGuovxac, fiYncd^evoi KdXXicxov
dpexfic juicGöv )ie9riv aiiuviov* oi b' exi xoüxaiv juaKpoxepouc
diToxeivouci |Liic9ouc rrapa Oeujv ixaTbac fdp Traibiuv (paci Kai
— 73 —
T^voc KttTÖTTicGev XemecGai toö öciou Kai euöpKou. raOra
bf] Ktti aXXa Tttöta eyKiuiLiidrouci biKaiocuvriv. touc be dvo-
ciouc au Kai dbiKOuc ec trriXöv Tiva KaropuTTouciv ev
"Aibou Kai KOCKivu) ubujp dvaYKdlouci (pepeiv. ^ Phaid.
p. 69° Kai Kivbuveuouci Kai oi idc TeXerdc fiiuTv oijToi KaiacTr)-
caviec ou cpaöXoi rivec eivai, dXXd tuj övti trdXai aiviiTecGai,
ÖTi öc dv d)iur|Toc Kai dieXecxoc eic "Aibou d9iKriTai, ev
ßopßöpiu Keicexai. 6 be KeKaOapinevoc eKeice dq)iKÖ|ie-
voc \xeTä Beüuv oiKr|cer eici ydp br|, qpaciv oi irepi xdc Te-
Xerdc, vap0r|KOcp6poi juev rroXXoi, ßdKXOi be le TiaOpoi.
Also es war die Lehre orphischer Mysterien, dafs die Ge-
weihten — auch da zugleich als die Reinen und Gerechten
angesehen — bekränzt beim Gelage im Hades sich freuen
würden in ewiger Trunkenheit, die Ungeweihten dagegen,
die Unreinen und Ungerechten würden ewig in Schmutz und
Schlamm liegen. Diese groteske Unterwelt ist grundverschieden
von allem sonstigen griechischen Jenseitsglauben. Die Meinung,
dafs die, welche sich nicht haben reinigen lassen, dafür ewig im
Schmutze liegen müssen, ist in ihrer barbarischen Sinnbildlich-
keit ohne weiteres klar^; die aicuvioc )ue6r| der Geweihten
weist deutlich in den Kreis der Dionysoskulte.
Von Thracien, aus den Bergregionen des Pangaeus und
Orbelus, der Rhodope und des Haemus, war der Dionysoskult
gekommen und mit ihm Orpheus, ursprünglich selbst ein
Gott, dann ein Priester, ein Sänger, ein Stifter der heiligen
Weihen anderer Götter. Zagreus gehört auch in diesen Kreis.
Man mag mit Recht die thracischen fexai döavaiiZiovTec und
die Trauser, die den Toten glücklich preisen^, vergleichen,
denn irgend welche Unsterblichkeitsvorstellungen waren mit
all diesen aus dem Norden gekommenen Kulten verbunden.
In Delphi fanden diese Dinge Eingang* und auch in Attika,
1 Daza Plutarch. comp. Cim. et Luculi. p. 521 ificirep TTXdxuJv
ImcKuüirrei touc irepl töv 'Opqp^a toTc €u ßcßiuuKÖci 9(icK0VTac diro-
KCicGai T^pcic tv "Aiöou ju^Qiiv atiuviov.
2 Rohde Psyche 288, 1.
3 Herod. V 4 töv ö' ditoTivöfievov iraiZovTdc Te Kai i^&Ö|li€voi yt
KpÜTTTouci, ^mX^YOvTec öcu;v kokOüv ^EaTraXXaxöeic fcri ev irdcr) eüöaiiaoviT).
4 Auch Zagreus frühe, Lübbert im Bonner Ind. Sommer 1888, p. IV.
— 74 —
doch wohl erst durch Delphis Vermittelung^; nach Eleusis
kamen sie erst nach unserm Demeterhymnus. Frühe finden
sie sich auch zu Phlya in dem mystischen Gentilgottesdienst
der Lykomiden,^ Wo Dionysos Eingang fand, ist in der
Regel auch Orpheus zu finden.^ Auch Herodot nennt die
orphischen und die bakchischen Mysterien zusammen (II 81).
Orpheus galt gewöhnlich als der Stifter dieser Geheimlehren.*
In Eleusis, in Phlya, auch in Delphi wurde er als Stifter oder
heiliger Sänger genannt; in Eleusis trat er neben Eumolpos
und Musaios. Aber es mufs doch noch eine besondere Art
*orphischer' Weihen gegeben haben neben jenen grofsen Kulten,
in denen der göttliche Thracier eine Rolle spielte, auch neben
dem überall mächtig um sich greifenden, so zu sagen, neben dem
grofsen allgemeinen Dionysoskult. Wir wissen nichts gewisses
darüber in ältester Zeit. Aber man darf wohl vermuten, dafs
in solchen Winkelkulten die Überlieferungen von dem ewigen
Rausche und dem Schlammpfuhle festgehalten und weiter
verbreitet sind, die doch ganz so aussehen, als ob sie mit
zu den ursprünglichsten Bestandteilen jener von Hause aus
so wilden und rohen, orgiastischen nordischen Kulte gehörten.
Im 6. Jahrhundert hat man in Athen bewufst diese ent-
legeneren mystischen Traditionen aufgegriffen, in einer Zeit
allgemeinster Gährung auch in religiösen Dingen, um von der
Sünde und Unreinheit der Menschen und von der Strafe drunten
eindringlich zu predigen. Da erst^ scheint der Anfang mit
1 Wenn dem Orakel Dem. Mid. § 52 etwas thatsächliclies zu
Grunde liegt, s. EMaafs im Ind. von Greifswald, Winter 1891, p. III f.
2 Dort ein Apollon Aiovucööotoc, ein Aiövucoc 'AvGioc, eine Köpr)
TTpuJTOYÖVTi, Hymnen des Orpheus u. s. w., Töpffer att. Gen. 39.
3 Auch im Peloponnes wurde Orpheus wie es scheint noch ver-
ehrt; im Tempel der Demeter Eleusinia auf dem Taygetos stand ein
Eöavov des Orpheus, TTeXacYiöv üjc qpaciv ^pTov, Pausan. III 20, 6. Auch
als Stifter des Kults der Demeter xQovia. in Sparta galt er, Pausan.
III 14, 5. Er scheint da auch chthonische Bedeutung gehabt zu haben,
und seine Verbindung mit Demeter scheint ähnlich aufgefafst werden zu
müssen wie die des Hades mit der Köre, s. Wide Lakonische Kulte 178 f.
4 Ariötoph. Frösche 1032 'Opcpeüc ixkv yäp TeXexdc G' i^|uiv kot^-
beile u. 8.
5 Vorher läXst sich keine orphische Litteratur nachweisen. Mit der
- 75 -
einer ^orphischen' Litteratur gemacht zu sein. Denn den
Orpheus nahm man zum Propheten, eine Autorität, die älter
schien als Homer und Hesiod. Damals wird der Vers ge-
schrieben sein, von den vielen Thyrsosschwingern und den
wenigen Bakchen, damals auch mannigfaches Theogonische
gedichtet sein. Wir können uns nur sehr unvollkommen von dem
Kreis des Onomakritos im pisistratischen Athen eine Vorstellung
machen.^ Die priesterliche und geistlich poetische Wirk-
samkeit tlieser Leute mufs sehr ausgedehnt und erfolgreich
gewesen sein. Die ßeste orphischer Poesie und Lehre weisen
vielfach schliefslich auf Athen und wohl auf diese Männer
zurück. Jene Zeit war mystisch erregt und den schreckenden
Offenbarungen von Sünde und Strafe geneigt. Und doch
wurde man schliefslich in Athen gegen Onomakritos aufge-
bracht und verjagte ihn.
Die erste Platostelle schrieb ausdrücklich jenen Orphikern
auch die Lehre zu, dafs die Ungeweihten im Hades in einem
Siebe Wasser tragen müfsten.^ Also diese Figuren stammen
Einwirkung solcher auf die alten Philosophen ist es eine ganz proble-
matische Sache. Auch die Erwähnung des Orpheus bei Heraklit ist ja
nichts als eine Konjektur Cobets, wie Kern wieder betont hat, Hermes
XXV 6, 1. Auf die Reinigungsbräuche dionysisch-orphischer Kulte alter
Art scheint aber Heraklit anzuspielen fr. 130 Byw. KaGaipovxai be ai|iaTi
maivö|i€voi, üiCTTep äv et Tic ^c uriXöv 4fißäc TtriXiL dirovi^oiTO.
Andere Andeutungen, die späteren orphischen oder orphisch-pythagorei-
sehen Lehren ähnlich sehen (fr. 64, 67), lasse ich jetzt bei Seite. Zu-
nächst ist bei der Art unserer Zeugnisse eine Entlehnung der Orphiker
aus Heraklit viel wahrscheinlicher (s. namentlich auch Diels Archiv f.
Gesch. der Philos. II 91 f.). Der Vergleich des Götterkönigs mit einem
spielenden Kinde braucht gewifs auf nichts Orphisches zu gehen (Kern
Herm. XXV 6), sondern kann original herakliteisch sein. Es kommt eben
auf die Gesamtauffassung der Entwicklung dieser Dinge an; strikte zu
beweisen ist im einzelnen fast nichts. Von Empedokles wird unten die
Rede sein. — Nebenbei bemerkt ist es schier unglaublich, da& man
in dem Heraklitcitat bei Plutarch de fac. lun. c. 28 p. 943, Herakl. fr. 38
ßyw. ai vjjuxcxi 6c]uuüvTai koG' "Aiöriv aus öcj^iuvTai gemacht hat öcioövTai.
Eben wegen des Ausdrucks öcjaOuvTai citiert Plutarch I
1 Auch Methapos scheint dahin zu gehören, Kern Hermes XXV 12.
2 Wenn Pausanias sagt von den Wassertragenden, das seien die,
welche die Weihen von Elensis verachtet hätten (X 31, 4), so ist das seine
eigene oder seiner Quelle Erklärung. In später Zeit fand ja auch das
— 76 -
auch aus solchen Kreisen. Die Ähnlichkeit dieser Geschichten,
der von Tantalos, von Sisyphos und auch von Oknos in ihrer
ganzen Conception fällt in die Augen. So hat es die gröfste
innere Wahrscheinlichkeit, alle diese Gruppen, wenigstens so-
weit sie eine erbauliche Tendenz haben, ebenda entstanden zu
zu denken. Tantalos hat ja mit der Geschichte von dem, der
ewig dürstend und hungernd die Speise über sich und das
Wasser unter sich doch nie erreichen kann, — in der Sage
safs jener am Göttermahl, zu Häupten hing ihm ein furchtbarer
Stein ^ — ebensowenig zu thun wie die Danaiden mit den
nie zu Ende kommenden Schöpferinnen oder Sisyphos mit
einem ewig erfolglosen Steinwälzer. Auch Tityos endet ja in
der Sage ganz anders. Diese tendenziösen Umwendungen und
Benennungen sind aus einem Geiste vorgenommen. Merk-
würdig, dafs dasselbe Gepräge einer volkstümlichen Erzählung
oder eines Märchens wie die Oknosgeschichte" auch die Geschichte
von dem yepuüv^ hat, der mitten unter den schönsten Genüssen
sie nie erreichen kann, und ähnlicher Art ist der Volksglaube,
dafs die, welche unverheiratet gestorben seien, nun zu dem
XouTpöv ewig ohne Ende Wasser tragen müfsten (das wird doch
wohl das Ursprüngliche gewesen sein). Sollte sich auch von
einem Steinwälzer das Volk eine ähnliche Geschichte erzählt
haben?* Haben also jene Mystiker harmlose attische Volks-
Orphische in Eleusis Eingang. Da scheint sogar eleusinische Lehre ge-
worden zu sein, dafs die Ungeweihten drunten im Schlamm liegen würden,
Aristid. Eleusin. p. 421 Dind. Auf dem Bilde des Polygnot safs ja auch
Orpheus unmittelbar vor dem Haine der Persephone (ohne Eurydike).
Man denkt unwillkürlich an die unteritalischen Unterweltsbilder, über die
unten noch zu reden sein wird.
1 Comparetti Philologus XXXII 227 ff. Vgl. auch Thrämer Per-
gamos 84 ff.
2 In zwei verschiedenen Versionen, die ganz und gar nicht zu-
sammenpassen.
3 Odyss. XI 684, 690.
4 Sisyphos ist sonst früher als weiser Mann im guten Sinne be-
rühmt, Theogn. 702. — Man verglich ihn scherzhaft mit dem KdvGapoc,
der ebenso seine Mistkugel wälzt, s. Ettig Achcrunt. 292. Aisch.
fr. 2ö3 N* aus dem Cicuqpoc. Vgl. das Sprichwort KavGdpou cocpiÜTepoc,
Crusius Verband], der Philologenvers, zu Görlitz 1889 S. 34. Vielleicht
— 77 —
Überlieferungen und Märchen aufgegriffen, umgestempelt zu
Hadesstrafen und mit grofsen mythischen Namen ausgestattet?
Tityos dagegen ist wegen seines wohl besonders bekannten
schlimmen Frevels herzugenommeu^, und auf ihn ist die be-
kannte Götterstrafe übertragen, die eigentlich bedeutet, dafs
ihm die Todesgeier am Leben fressen (s. oben) und er doch nie
sterben kann.^
Wie aber auch diese Gestalten im einzelnen zu beurteilen
sein mögen, erst in der Zeit aufblühender Mystik können sie
in den Homer eingesetzt sein, freilich von Männern, die schon in
bewufster Spekulation weit über die rohe Lehre von der jueGr) und
dem ßöpßopoc hinausgiengen, aber doch wohl auch von Orphikern.
Vielleicht kann dem zu einer gewissen Bestätigung dienen,
dals noch Aischylos die Gestalt und die Strafe des Sisyphos
in engste Beziehung zu orphischer Lehre in seinem SatyrspieF
Sisyphos gesetzt hat. Zagreus wird dort angerufen (fr. 228).
Und da das Stück unzweifelhaft in der Unterwelt spielt und
der Chor des Satyrspiels aus Satyrn bestehen mufs, so kann
ein Satyrchor in der Unterwelt nur zugleich als Mysten-
chor gedacht werden.* So werden die Mysten in der Kunst
später als Satyrn dargestellt, und diese sind ja so recht die
Mysten, die der ewigen Trunkenheit geniefsen, das Gefolge
des Dionysos. Noch in später Zeit heifst es auf einer römi-
nannte man im Volksscherze den Kdv6apoc geradezu Cicuqpoc. Sollten da
Metamorphosensagen hineinspielen?
1 Bei ihm allein wird das Vergehen genannt, 579 f.
2 Der später auch in die Unterwelt versetzte Ixion war samt
seiner Strafe längst im Volksglauben vorhanden, aber zwischen Himmel
und Erde. Ähnlich war es mit anderen, die später in den Hades gesetzt
wurden.
3 Das beweist der Ton mehrerer Fragmente 226, 227, 233. Dar-
über werde ich in anderm Zusainmenhang ausführlicher zu sprechen
haben.
4 Ein Mystenchor trat ja auch in Aristophanes Fröschen, in Kritias
Peirithoos auf (fr. 593). Bei Aristotel. de art. poet. p. 1456* 2 tö 6^ t^-
TopTov TepaTüüöec otov aX xe OopKi&ec koi TTpoinrieeuc Kai 8ca ^v "Aiöou
beziehen sich die letzten Worte wohl gerade auf den Sisyphos des
Aischylos; die beiden vorher genannten Stücke sind auch solche des
Aischylos.
- 78 —
scheu Inschrift gerade aus Thracien auf den Tod eines Knaben,
der in die Schar der dionysischen Mysten aufgenommen war,
dafs ihn jetzt Bromio signatae mystides aufnehmen würden
als Satyrn zum Genossen auf blumiger Aue.^ Wie zuweilen
auf Bildwerken der trunkene Chor der seligen Mysteu-Satyrn
neben den Büfsern, z. B. auch dem Sisyphos, dargestellt ist^,
so offenbar bei Aischylos. Er hat unzweifelhaft die Lehren
dionysisch-orphischer Mysterien parodiert.
Auch an Spott der Komödie über dieselben Dinge hat es
nicht gefehlt. Auf nichts anderes als jenes Gelage der Mysten
beziehen sich die Verse aus den Pfannenleckern des Aristo-
phanes: 'Denn wir würden nicht, wenn wir gestorben sind, be-
kränzt zur Schau liegen noch mit Bakcharisöl gesalbt, wenn wir
nicht drunten augekommen sofort zechen müfsten.'^ Eben da-
hin gehört ein Fragment aus dem Pythagorista des Aristo-
phon, wo zugleich eine Hadesfahrt verspottet wird* — wie wir
unten sehen werden, wurden Pythagoreer und Orphiker als-
bald fast als identisch betrachtet — ; dort heifst es, dafs die
Pythagoreer allein von den Toten mit dem Pluton zusammen
schmausten wegen ihrer Frömmigkeit.^ So erwähnt denn
1 CIL in 686 (Macedonien, bei Philipp!)
12 et separatus item vivis in Elysiis;
sie plaeitum est divis a(e)terna vivere for(ma)
qui bene de supero lutnine sit meritus.
17 nunc seu te Bromio signatae mystides at se
florigcro in prato congreg(em utij Satyrum
sive canistriferae poscunt sibi Naides aegu(e)
qui ducihus taedis agmine festa trahas.
Man vergleiche Plutarch Alex. 2 : (ai irepl töv Ai|aov Gpflccai) ?voxoi toic
'OpqpiKOic KOI TOtc uepi töv Aiövucov öpYiacjLioTc ^k toö udvu iraXaioö.
2 Vgl. z. ß. das Sarkophagrelief bei Jahn in den Berichten der
Sachs. Ges. d. Wiss. 1856 Taf. III (S. 275—277), bei Robert Ant. Sarkophag-
reliefs II Taf. 52, Fig. 140, S. 153.
3 Aristoph. TaYlviCToi fr. 488 K:
ou6^ fäp äv dtiroSavövTec 4cT€qpavuu|advoi
TrpouKei|ie0 ' ovbi. ßaKKÖpei Kexpi^^voi,
el ix-f\ KaxaßdvTOC eOG^iuc uiveiv ^6ei.
4 Rohde Rhein. Mus. XXVI 657 (s. u.).
6 Aristophon fr. 12. 13 K.:
äcpx] KttToßdc ek TT^v biaixav tüüv koituj
ibeiv ^KdcTOUC, öiaqj^peiv b^ iräiiTraXu
- 79 -
auch die Unterweltsschilderung des Axiochos, die sich orphi-
schem Glauben fast ganz, wenn auch z. T. nur im Anschlufs
an Piatons Angaben anschliefst, cu)inTÖcia eu|aeXfi (p. 371"*).
Solche Anspielungen finden sich dann auch weiterhin immer
wieder; so beschreibt Plutarch^ den Ort der Seligen Kpäciv
oiov 6 oivoc ToTc )Lie0ucKO)uevoic ejaTioioöcav Kai töv
TÖTTov ev kukXuj Kttteixe Kai fi\ix)C Kai Tiäca )nouca TraiSöviiuv
Kai Tep-rroiiievujv eXete be Tauir] töv Aiövucov eic öeouc dveX-
9eTv Kai ifiv Ce|ueXriv dvdYeiv ücrepov. Schon dieser letzte
Satz zeigt, dafs Plutarch die Tradition von Dionysoskulten
wiedergibt, welche die alten dionysisch-orphischen Lehren damals
so eifrig weiter pflegten. Kein Wunder, dafs auch Lukian''^,
nun freilich die wunderbaren Dinge des Schlaraffenlandes ein-
mischend, von dem cu)li7TÖciov auf dem elysischen Felde er-
zählt. Auf nichts anderes bezieht es sich auch, wenn in einer
Grabelegie auf einen Knaben aus römischer Zeit gesagt wird,
dafs ihm die Thiasoten des Dionysos den Kranz geflochten
hätten.^ Mehrere der angeführten Stellen — auch die aus
Piaton oben citierte — sprachen es ja aus, dafs die Mysten
bekränzt drunten cujuuöciov halten sollten.^ Endlich mögen
TOUC TTuSaTopiCTcic tujv VCKpiWV inövoici fÄp
TOÜToicx TÖV TTXoOruJva cuccirelv Sqpri
br eöc^ßeiav — euxepfi 0eöv — .
1 Piut. de ser. nuru. vind. p. 565 f.
2 Ver. bist. II 14 (vgl. 5).
3 Kaibel Epigr. 153 auf ein Knäblein von 7 Jahren:
7 ff. irdcac fäp \oißdc xe Kai öcca )Li^wr|Xe öeotciv
€tveK' ^lif^c MJUxnc oO Xitt€ laeiXixioic.
Kol fäp n' 6ö|n[ö\Ttoio] öuriTTÖXoi eipeciuüvriv
TJeOEavTec [lieTÖXriv djtr]acav eÜKXetriv.
CT^|H)aa bi [\ioi irX^HavTo] AiiuvOcou eiacuirai,
Trup96[pou ^v Arioöc liucTiJKCt t' dSex^Xeov.
4 In wie weit solche Vorstellung auf die Darstellungen der sog.
'Totenmahle', die ursprünglich damit jedenfalls nichts zu thun haben,
eingewirkt hat, bedürfte einer weitläufigeren Einzeluntersuchung; s.
besonders Le Blant rev. archeol. XX 1869, 233 ff., über solche Beziehung
etruskischer Grabgemälde Heibig Annali dell' Instit. 1870, 18 ff. Die sehr
gewöhnliche Auffassung der himmlischen Seligkeit als eines Mahles bei
- 80 -
hier nur noch die Verse des alexandrinischen Epigrammatikers
Dioskurides auf Anakreon einen Platz finden, die von diony-
sischer Trunkenheit im Hades reden, nicht ohne deutlich an die
bekannten Herrlichkeiten der Fluren der Seligen zu erinnern
(Anthol. Pal. Vn 31):
CjLiepbir] uj em OpriKi TttKeic Kai eir' ecxaiov öcieOv
KOJjuou Ktti Tidcric Koipave Travvuxiboc,
TepTTVÖTttTe Moucriciv 'AvdKpeov, ai Vi BaOuXXai
XXujpöv uTTep KuXiKuuv TToXXdKi ödKpu x^txc,
ai»TÖ)aaToi xoi Kpfivai dvaßXu^oiev dKpi^tou,
KiiK luaKdpuJV TTpoxoai vcKiapoc djußpociou,
auTÖjuaToi be qpepoiev lov, tö 9iXecTT6pov dvGoc,
KTiTTOi Ktti laaXaKfi iLiupia ipecpoiio bpöciu"
den Christen, in ihren Büchern (z. B. auch Luc. XII 37, XXII 29) und
Bildern (s. z. B. Le Blant les sacrophages d'Arles p. XXXVI, die Zusam-
menstellung bei FXKraus Realencykl. der christl. Altertümer II 355 flF.),
ist gewifs nicht ohne Einwirkung jenes orphischen Glaubens entwickelt
(über pie zeses u. dgl. s. unten). Freilich findet sich ähnlicher Glaube
bei den verschiedensten Völkern, je nach deren Kulturzustand roher
oder verfeinerter. An die Gelage von Walhalla brauche ich nur zu er-
innern, auch der indische Yama sitzt mit Göttern und Seligen unter
herrlichen Bäumen beim Trunk (Zimmer altind. Leben 412), und Völker-
schaften Mittelamerikas lassen die Verstorbenen bei den Göttern in unter-
irdischen Höhlen einkehren, um die Glückseligkeit einer ewigen Trunken-
heit zu geniefsen, Max Müller Essays, deutsche Übers. II 238 vgl. Ettig
Acheruntica 296, 3. So ist es natürlich, dafs die Vorstellung von der
Trunkenheit und dem Schlammpfuhl im Jenseits herkam von den rohen
und sinnlichen, leidenschaftlichen und religiös-schwärmerischen und doch
wieder stumpfen und düstern Thraciern. Merkwürdig, dafs wir auch
gerade bei den Thraciern in später Zeit von Gelagen am Grabe der
Verstorbenen hören und zwar durch Inschriften, die den Thiasoten des
Liber Pater bestimmte Summen zu dem Zwecke widmen, dafs von den
Zinsen an dem betreffenden Grabmal von ihnen alljährlich Schmau-
sereien abgehalten würden, und zwar an dem Tage der Rosalien, 'wenn
der Sommereinzug gefeiert wurde und bakchische Festlust herrschte',
8. Tomaschek in den Sitzungsber. der Wiener Akad. d. Wiss. LX 18G8,
Phil. bist. Classe, S. 351 ff. Über die Bedeutung dieser Sitte vgl. Rapp Be-
ziehungen des Dionysoskult zu Thrakien und Kleinasien 13. Dafs es
noch alt nationaler Brauch (vgl. Herod. V 8) ist, zeigen die Orts- und
Eigennamen und ihre altertümlichen Endungen, s. Töpffer att. Genea-
logie 36.
— 81 —
öcppa Ktti ev ArioOc^ olvtüiuevoc dßpct xopeucvjc,
ßeßXriKUiC xpuceriv X^ipac eir' GupurruXriv.^
Ebenso wenig wie das Glück der Seligen wurde die Qual
der Verdammten vergessen^, aber doch traten in der nächsten
Zeit diese Bilder viel mehr in den Hintergrund und wurden
erst in den späten Jahrhunderten, deren wüstem Aberglauben
solche rohe Schreckmittel wieder recht zusagten, mit be-
sonderer Vorliebe hervorgeholt und ausgemalt. Ein später
orphischer Hymnus nennt die Göttin des Totenreichs geradezu
ßopßopoqpöpßa'*, und Lukian^ erzählt von einem Strome des
Schlammes (ßopßöpou) in dem Strafort der Unterwelt, einem
des Blutes und einem des Feuers, die gewaltig fluten. Der-
selbe führt auch in seinem Alexandros (c. 28) einen Orakelvers
des Lügenpropheten an als Antwort auf die Frage, was Epikur
im Hades mache, inoXußbivac exujv -rrebac dv ßopßöpLU KderiTai.
Dieser Vorstellung entsprachen jene Sühne- und- Reini-
gungsriten der Orphiker, wie sie von ihnen auch im 5. Jahr-
hundert angewendet wurden: sie beschmierten mit Lehm und
Schlamm oder auch Gips und wischten ihn wieder ab zur Ver-
siunbildlichung der Reinigung und Lustration. Über diese
Riten des TrepiiadtTeiv und besonders über eine Partie in Ari-
stophanes' Wolken, die solche Gebräuche orphischer Katharten
damaliger Zeit verspottet, habe ich an anderer Stelle ausführ-
licher gesprochen.^ Dafs das die Leute waren, die den Rausch
drunten und den Schlammpfuhl kannten, zeigt deutlich genug
1 == dv "Aibou.
2 Anspielung auf die Geliebte des Anakreon und zugleich den
Namen der Unterweltsgottheit.
3 Auch bei Elat. Phaid. p. 113^ heifst es von dem einen der ünter-
weltsflOsse (dem Pyriphlegethon) ^KiriiTTei eic töttov |uefav irupi iroXXuj
Kaö|H6vov Kai X{|ivr|v troiei neiZcu thc irap' i^|jiv öaXdTTrjc, teoucav uöa-
Toc Kai irriXoC. ^vreüöev 6e X^^P^ kükXuj GoXepöc koI TrT]Xu)6iic ktX.
4 Papyr. Paris, v. 1416 Wess. s. de hymn. orph. p. 49. Weitere
Verse des Hymnus heifsen (Pap. v. 1418 f.):
t:Iix\\iov b ' '€pivüv öpYOYopYOvicrpiav (s. oben 'S. 54 f.)
H/uxäc Ka|növTÜ)v 4E€T€ipoucav irupi.
5 Ver. bist. 11 c. 30.
6 Rhein. Mus. XL VIII 275 ff.
Dieteri-ch, Nekjia. 6
- 82 -
die oben angezogene Republikstelle des Piaton, wo er im un-
mittelbaren Anschlurs an jene Lehren die Gaukler und Propheten
schildert^ die zu den Thüren der Reichen gehen und sie glauben
machen, dafs sie Gewalt von den Göttern bekommen hätten
durch Opfer und Beschwörungen das Unrecht, das einer selbst
oder seine Vorfahren begangen, zu heilen; wenn einer einem
Feinde schaden wolle, so könnten sie das sehr leicht, da sie
durch gewisse Zwing- und Bannsprüche die Götter ihnen zu
dienen bewegen tonnten. Es werden auch Dichterstellen an-
gegeben, die diese Gaukler anzuführen pflegten, von dem be-
quemen Weg des Lasters und von dem langen und steilen
der Tugend und es wird eines Haufens von Büchern des
Musaios und Orpheus, die sie herbeibrächten, Erwähiiung
gethan. Danach vollführten sie ihre Weihen und wOfsten
Privatleute und sogar ganze Städte zu bereden, da sie Er-
lösung und Reinigung brächten, noch bei Lebzeiten; durch
ihre Weihen könnten sie erlösen von dem Unheil dort; die
aber nicht hätten opfern lassen, erwarte Schreckliches.^
Da haben wir das beste Bild von diesen damals schon
so abergläubischen Beschwörern und religiösen Charlatanen.^
Diese Orphiker hat Piaton verachtet und bekämpft; andere
Orphiker hat er anerkannt, von ihnen gelernt und in seine
Schriften vieles übernommen. Von diesen anderen wird nach-
her zu reden sein.
Die Gläubigen der niedrigen Winkelmysterien waren später
noch gerade so, nur noch zahlreicher und noch abergläubischer
und übten womöglich noch plumper ihre rohen Reinigungen.
Ich will nur die irriXaiceic und KaxaßopßopuOceic erwähnen (Plut.
de superst. 3), die sie zu Plutarchs Zeit als Sühnemittel an-
1 Tijüv ^KGt KaKuJv diroXiiouciv riiLiäc, lui*) Gücavxac bk 6€ivct itepi-
ludvei. Das ganze von 364«=— 365^
2 Wie sehr schon damals mit Orpheus und Orphischem Beschwörung
und Zauber verbunden war, zeigt namentlich auch Eurip. Cycl. 646 f.:
dW Gib' ^TTUjbi'iv 'Opcp^ujc ÖYöSi^v ircivu
ujc auTÖjuaTOv töv haXöv eic tö Kpaviov
CTCixovG' öqpdiTTeiv töv ilioviüttu uaiöa yhc-
(Vgl. Alcest. 966 tf.)
— 83 -
wandten, ja sie wälzten sieh nackt im Schlamme und sagten
dabei, was sie gesündigt hätten.^ (
Wie weit aber schon im 5. Jahrhundert von den orphi-
schen Telesten.das Unterweltsbild, das jene Riten zur Voraus-
setjung haben, ausgemalt war, zeigt eben die Stelle der ari-
stophanischen Frösche von Finsternis und Schlamm und ewig
fliefsendem Kot. Und aufserdem läfst einen Blick in noch
weiter ausgemalte widerliche Vorstellungen derart thun, wie sie
für uns erst wieder in spätester Zeit, ja erst in der Apokalypse
des Petrus auftauchen, ein Fragment des aristophanischen Gery-
tades: irgend welche, die in den Hades hinabkommen, soll weg-
schwemmen 6 xfic biappoiac TrotaiLiöc. Der Witz hat keinen Sinn,
wenn nicht irgend wer damals an einen solchen Flufs im Hades
glaubte. Wir wissen ja nun, wer dergleichen aufgebracht hat.^
Ehe wir andere Wege verfolgen, mag uns wiederum ein
Blick auf die Apokalypse zeigen, dafs es gerade diese Vorstellung
ist, mit der hauptsächlich die Schilderung des Straforts im Hades
bestritten wird: (v. 23) Xi)iivri Tic fjv ineTaXti ireTrXTipuJinevri ßopßöpou
qpXetoiaevou, ev d) TJcav ktX. (v. 26) töttov Te6Xi^)ievov, ev w ö
iXibp Ktti f[ bucujbia tujv KoXai^o|Lievujv Kateppee Kai ÜJCTrep Xi^vq
efiveTO eKei. (v. 31) ev be exepa Xtjiivri .uexaXri Kai TreTrXrjpuj-
lae'vr) iruou Kai ai)iaTOC Kai ßopßöpou dvaZieovTOC. Dieser furcht-
bare Pfühl ist das immer wieder variierte Hauptmittel der
Qual, das erste, was in dieser Hölle gedacht war; daran hat
sich alles andere erst angeschlossen.
1 c. 7 TroXXäKic bk t^I-ivöc dv iTr]Xiu ia)Xiv6oü|ievoc ^HoYopeüei Tivcic
äjLiapTiac aÖTOö Kai trXrimaeXeiac ktX.
2 Ariatoph. Gerytades fr. 149. 150, v. 12ff. K. Überliefert ist:
TOÜTOuc YÖp r|v TToXXu) EuvdXBij suXXaßibv
6 Ttic bia^^oiac -noianöc oixncexai.
Von äöoqpoiTai, feigen, erbärmlichen Leuten, die dranten nichts aus-
richten werden, ist die Rede. iroXuc hat man geschrieben, unmöglich
nach Sinn und Sprachgebrauch. f]v iroXXoi Euv^XBuuav, Xaßiüv (Kock)
verstehe ich gar nicht. In -rroXXu) steckt der Fehler. Wenn sie das und
das fafst, wird sie der Diarrhöflufs fortschwemmen, in dem Doppelsinn
der furchtbaren Angst und eines bekannten Kotflusses der Unterwelt.
Ich komme immer wieder auf ropfiü zurück: das ist das Ungeheuer,
das Odysseus fürchtet in der Unterwelt; aufserdem vgl. Frösche 477
biacirdcovrai FopTÖvec. S. oben S. 48 f. Usener schlägt vor f\v jaöXiuci,
v^pöev EuXXaßdiv ktX.
6*
III.
Orpliisch-pytliagoreisclie Hadesbüclier.
Pythagoras aus Samos hat wohl scKon in seiner ionischen
Heimat die orphisch-dionjsischen Mysterien und ihre Propheten
kennen gelernt. Dafs er aufserdem stark von apollinischer
Religion, vielleicht gerade delphischen Traditionen beeinflufst
war, deutet eigentlich schon sein Name an, es ist aber auch
durch vieles in Glauben und Sitte seiner Anhänger aufser
Zweifel gesetzt. Jedenfalls aber hat sich mit der Ordenslehre,
die er in Unteritalieu verbreitet, alsbald die orphische Doktrin
aufs engste verbunden. Wir werden den Pythagoras *für einen
jener religiösen Reformatoren des sechsten Jahrhunderts zu
halten haben, die in der tieferen Deutung des längst geheiligten
Dienstes der chthonischen Götter eine beruhigende Lösung des
dunkeln Rätsels von der Existenz des Übels und des Schmerzes
suchten: zu einer Zeit, da von ernsteren Gemütern zugleich
die Qual des Daseins und der Schauder vor der drohenden
Vernichtung drückender als früher und bis zur Pein lebhaft
empfunden wurde.'^ Der pythagoreische Bund bezweckte ja
in der Hauptsache, ehe nach mannigfachen Wandlungen seiner
Lehre ^ auch andere Interessen stärker hervortraten, nichts
anderes als Rettung der Seelen, Befreiung aus diesem Leibe
und Bewahrung vor den Strafen des Jenseits. Wir können
von pythagoreisch-orphisch-bakchischen Gemeinden uud Myste-
rien in Unteritalien sprechen; denn die einzelnen Elemente
1 Rohde Rhein. Mus. XXVI 556.
2 ADöring Wandlungen in der pythagoreischen Lehre im Archiv
f. Gesch. der Philos. V 503 fF.
— 85 —
sind alsbald für uns wenigstens ununterscheidbar in einander
geflossen. Das Dunkel, das immer noch über diese mysti-
schen Brüderschaften gebreitet war, ist vor kurzer Zeit wesent-
lich gelichtet worden durch die Funde, die man in Gräbern
um Thurioi und Petelia gemacht hat, gerade in jenen Gegenden,
wo vor mehr als zweitausend Jahren die geheimnisvollen
Ordensgenossen gewandelt sind. Auf den Goldtäfelchen, welche
die Toten in der Hand gehalten zu haben scheinen, stehen
Verse verschiedener Art.
Drei Täfelclien, deren Inschriften auf einen zu Grunde
liegenden Text zurückgehen^ geben einen Hymnus, das Gebet,
das der Myste drunten vor der Königin der Unterirdischen
und den andern Göttern sprechen soll, um als Geweihter
jener Mysterien erkannt und, nachdem die Leiden des kukXoc,
der Wanderung für die Seele überstanden sind, eingelassen zu
werden zu den Wohnungen der Heiligen. Die Antwort, die
ihm werden wird, steht gleich dahinter: 'Seliger und Gebene-
deiter, du wirst nicht mehr ein Sterblicher, sondern ein Gott sein.'
Ein merkwürdiges, nicht mehr metrisches Sätzchen hat sich als
eine Art Mystenparole, ein Symbolum der Geweihien erwiesen.*
Wortreicher steht dieselbe Verheifsxmg auf einem andern
Blättchen in Form eines Orakels ohne das Gebet des Mysten,
nur mit der vorausgeschickten Anweisung, drunten nach rechts
zu gehen, 'nachdem man alles sorgfältig beobachtet habe.'^
1 Diesen Hyninns, der in 3 Varianten erhalten ist, habe ich be-
handelt de hymnis orph. p. 31; für den Text nnd dessen Einzelerklärung
mufs ich darauf verweisen.
2 Diese Inschrift (zuletzt bei Kaibel IGSl no. 642; vgL de hymn.
orph. 37, 4) lautet:
'AXX' ÖTTÖTO^ vjjuxi^ TipoXiirrj cpdoc rieXioio,
beEiöv €...oiac bei Tiva irecpuXaTM^vov eO ^dXa irävTa*
Xaipe iraGubv tö Trä0r],ua" tö ö' oöttui TT[p]öc6e ^Treirövöeic •
0€Öc ^[t]€vou iE dvepujTrou, epiqpoc ^c föXa Sirexec.
Xaip[€], xoipe» beSiäv öboiTiopOüv
Xei|iilrvdc re iepouc KaT[d t'] äXcea (t)e[p]c€[q)]oveiac.
An der Herstellung des zweiten Verses verzweifle ich (Kaibel: eiciöi ujc
bei, hat ^oiac dagestanden?), da offenbar nicht nur das metrische Qeföge
gelöst ist, wie so oft in der Überlieferung dieser mystischen Poeme,
sondern auch das Überlieferte durch Ausfall von Worten und Einschub
— 86 -
Ein drittes Täfelchen gibt ausführliche Schilderung dessen,
was man im Hades finden werde: zur linken eine Quelle mit
einer weifsen Cypresse dabei, der man sich nicht nahen solle.
Eine andere Quelle der Mnemosyne werde man finden, aus
der kaltes Wasser fliefse. Dann folgen die Worte, die man
sagen soll, und man wird von dem Wasser getränkt werden
und dann mit den anderen Heroen herrschen. Die letzten
Reihen sind verstümmelt und unverständlich. Diese Inschrift
ist für uns so wichtig, dafs der Text derselben hier stehen
mag (bei Kaibel a. a. 0. nr. 641):
eupr|cceic b' 'Aibao ööjuujv en apicrepct xprivriv,
TTCip b' auTfii XeuKriv ecxriKuiav Kurrdpiccov
Tauirjc Tfic Kprjvnc )ar|&e cxeböv ejUTreXaceiac.
eupriceic h' exepav, li^c Mvriiuocuvric dirö \i|Livric
vpuxpöv übujp TTpopeov qpuXaKCc b' eiriTTpocGev eaciv.
emeiv y^c fraic ei|ui Kai oupavoö dciepöevroc,
auidp ejLioi fevoc oupdviov TÖbe b' icie Kai auroi-
h\\\)r\i b' eijui auri Kai dTTÖWujLtar dXXd box' alvpa
ijjuxpöv (jbuup TTpopeov xfic Mvr|)uocuvric olttö Xijuvric.
Kau[xoi co]i buucouci irieTv Beitic dTT[d Kpr|v]ric,
Kai xöx' eireix' d[XXoici jueO'] fipuuecciv dvdHei[c.
. . . iric xöbe 9aveT[c]0[ai]
xöb' efpa[\\)e
CKÖxoc djLicpiKaXvjipac.
Diese Verse, offenbar ausführlicheren Schilderungen des Hinab-
gangs zum Hades entnommen , wurden in verschiedene
Formen gefafst den Toten 'mitgegeben, als Anweisung ge-
wissermafsen ihres Wegs und dessen, was sie zu beobachten,
und der Worte, die sie drunten zu sprechen hätten.
Auf einer weiteren Tafel haben die Herausgeber leider
nur die Namen TTpUüxÖYOVOC, ffi Tra)Li|ur|xujp, KußeXn, Köpr|, Tuxri;
Odvnc, ArmriXTip entziffert \ Namen freilich, die aufs deutlichste
anderer Formeln geradezu sinnlos geworden ist; sieben Füfse in einem
Verse wären sonst in solcher Poesie gar nicht ohne Beispiel (s. unten
S. 107).
1 Journal of hellenic studies III 114, Notizie degli scavi 1879, 157.
Kaibel hat diese Namen übersehen (s. Gomperz D. Ltztg. 1892 Nr. 51
- 87 -
zeigen, dafs die orphische Lehre, die wir genauer erst aus
viel späterer Zeit kennen, schon damals bis zu der charakte-
ristischen Gestalt des TTpujTÖYOVOC Octviic entwickelt war.
Kybele, die grofse Mutter, war ja auch schon froh in den
Kult von Eteusis gekommen und ist gewifs schon in Athen
in den orphisch- dionysischen Kult aufgenommen^, vielleicht
samt manchen fremdländischen Bräuchen, wie sie die fremden
Kultgenossen der Mr|Tr|p itieYciXri namentlich imPeiraieus geräusch-
voll ausübten. Gerade mit orphischen Riten scheint denn auch
die grofse Mutter nach Eom in den Kult der Bona Dea ge-
kommen zu sein.* Von der Allmutter Erde wird gleich noch
die Rede sein, Köre aber und Demeter nehmen nicht Wunder
in solchem Älysterienkult.^ Auffallen könnte die Tyche, die
in solchem Kreise für uns erst wieder im LXXII. Hymnus der
orphischen Liedersammlung erscheint, wo sie merkwürdiger-
weise auch als TU)aßibir| angerufen wird. Sollte sie in jener
orphisch-pythagoreischen Lehre als eine Verteilerin der neuen
Lebenslose in der Unterwelt eine RoHe spielen?*
col. 1644). Meine Bemühungen, über den Text dieser Tafel, der lesbar
aber unverständlich sein soll, weitere Auskunft zu erlangen, sind erfolg-
los geblieben.
1 Oder war gar schon in der thracischen Heimat mit ihm ver-
bunden gewesen, s. Strabo X p. 469 ff. mit den Citaten aus Pindar und
Aischylos.
2 Vgl. Philologua LH (1893) 6, 7 ff.
3 Unter den orphischen Hymnen stehen XL ArmriTpoc 'GXeuci-
vi'ac (darin zugleich Köre v. 13), XLI Miirpöc 'Avxaiac (darin Eubn-
leus V. 8), XLII MicTic zusammen, in denen ganz ausdrücklich (XL 6,
XLI 4, XLII 5) die eleusinische Herkunft der Gottheiten betont wird.
Ganz analog stehen zusammen auf einer Inschrift von Faros bei Bechtel
Inschr. ion. Dial. Nr. 65 (zuerst publiciert 'AGi^vaiov V 15 Nr. 5): 'Epa-
ciuirr) TTpdcujvoc "Hpr), Ar||jr|Tpi Becpoqpöpip koI Köpt) koI Ali Gußou-
Xei Kol Baßoi. Dieses inschriftliche Zeugnis für Baßiü wie andere
(CIG 4142; Kuhns Zs. XXYIII 386 Nr. 2; Bull, de corr. hell. 1879, 377),
auf die mich Wilhelm Schulze aufmerksam macht, habe ich Philol. LIl4ff.
heranzuziehen versäumt. Das Vorkommen der BaßiO mit den eleusini-
schen Mysteriengottheiten gerade in Faros ist für die Geschichte dieser
Göttin und vielleicht auch der Mise nicht unwichtig (s. Philol. a. a. 0.
S. 12).
4 Sonst wird Tyche in orphischer Lehre nur einmal bezeugt bei
SimpHc. in Aristot. phys. aixscult. II 4, p. 333, 15 Diels: koI irap' 'Opqpei bk
Denn die Lehre von der Seelenwanderung ist auch auf
den Täfelchen das Bemerkenswerteste, *Ich habe Bufse ab-
gelegt wegen ungerechter Thaten', sagt der Myste, der nun
aus dem schrecklichen schmerzensreichen 'Kreis' entronnen
ist.^ Dieser kukXoc ist der Kreislauf immer neuer Geburten,
bis die Seele dahin zurückkehrt, von wo sie ausgegangen ist,
und der Kreis damit geschlossen ist. Denn sie ist göttlichen Ge-
schlechts, ist ein Gott gewesen und wird nun wieder ein Gott^,
|Livr||LiTic xer()XY\Ke {^ Tüxi) 0^» das auf den Hymnus geht, kann man
nicht wissen. Vielleicht ist sie geradezu eine Art Todesgöttin wie MoTpa
auch in dem Täfelchen dXXd fxe Moip' dbd|Liaccev — , s. de hymn. orph.
S. 31, V. 5. Dazu vgl. jetzt in der Inschrift von Gytheion in der '€q)r|)a.
dpx. 1892 (Athen 1893) p. 199:
f^pirace _ v^ v^ _ Moipa rrpöc äGavdxouc.
Aufserdem s. Soph. fragm. 624 N*:
ou Y^P 'n^PÖ noipac r^ Tüxr) ßidSexai.
Moipa und TOxn werden nebeneinander genannt, Eurip. Iph. Aul. 1137,
Verteilerin der Lebenslose ist die eine Moipa (LachSsis) in der Unter-
welt bei Plato (Rep. X p. eiT") vgl. fragm. trag. ine. 505 N^:
r^ xd evrixujv Kai xd öeia irdvx' eTriCKOTTOÖc' <(dei^
Kai vejuouc' t^jliujv ^Kdcxm xt^v kox' dSiav Tüxn
laepiba.
Die Seelenwanderung wird auch als xpoxöc xfjc Y^veceujc (orph. Frgm. 226),
als rota (Verg. Aen. VI 748) bezeichnet. Tyche mit dem Rade wäre sehr
wohl als Verteilerin der Lebenslose und Lenkerin des kükXoc zu denken.
Tyche und Moira sind später immer mehr in einander geflossen. Auch
TOxai giebt es später (Abraxas 105 f). Bei Nicetas Eug. hat Tüxn die
merkwürdigen Beinamen dTpva, iraXainvaia, dXdcxuip, Rohde gr. Rom. 282, 1.
Die Neugriechen reden auch von der TOxti eines einzelnen Menschen,
BSchmidt Volksleben der Ngr. 221. Über ähnliche Vorstellungen von
der Moira s. Abraxas 74 und 95.
1 In dem Text de hymn. orph. 31 bes. v. 4 und 8.
2 Dafs die seligen Geister der Verstorbenen zu den 'Göttern ein-
gehen, ist uralter Glaube (vgl. Hesiods Werke 122). &ai|aovec werden sie
öfter genannt (Aisch. Pers. 618, Eur. Ale. 1003; so ist auch Ale. 1140 ludxnv
cuväipac öai|Liövujv xip Koipdviu, nämlich dem Odvaxoc, zu erklären; schon be-
ginnt sich der Ausdruck 6ai|aovec, der für die Verstorbenen als 'Götter' ge-
bräuchlich geworden war, abzuschwächen so sehr, dafs man auch die Toten
als dem Thanatos unterthan typiijch so nennen kann : man darf solch leises
Durchscheinen späterer Bedeutung nicht übersehen, am wenigsten durch
Änderung zukleben), was in alter Zeit wenigstens so viel als Öeöc ist.
— 89 -
nachdem sie das näQr]^a erlitten hat (das sie früher noch
nicht ausgeduldet hatte: nämlich als sie früher in den Hades
kam, da sie dann immer wieder in einen Leib eingehen und
noch weiter leiden mufste); die Seele hat nun endlich für unge-
rechte Thaten die Strafe abgebüfst. Es wird also ein Sünden-
fall göttlicher Geister gelehrt.
Wer diese Seelenwanderung zuerst gelehrt, ob die Pytha-
goreer, ob die Orphiker — bald diesen, bald jenen wird das
zugeschrieben — , ob sie von- solchen Mystikern selbständig ent-
wickelt oder von anderen übernommen und von wem, das ist alles
bisher nicht auszumachen grewesen. Für uns tritt diese Lehre
Es ist eigentlich schwer zu begreifen, wie Bernays die Vorstellnng, die
dem ÖTTicuu be öeol reX^Bovrai v. 104 des pseudo-phokylideischen Gedichts
zu Grunde liegt, mit so grofser Entschiedenheit für 'ungriechisch' und
'unrömisch' erklären konnte (über das Phok. Ged., Gesamm. Schriften
I 205). Hamack hätte das auch nicht für christlichen Ursprung geltend
machen sollen, der freilich eine Menge Beispiele für diese Ausdrucks-
weise auch bei den Christen anführt, Dogmengesch. I 82, 2; Theol. Litztg.
1885 Sp. 160. Auch der Schlufs der vielfach verwandten pythagoreischen
Xpucä SiTT] lautet, v. 70 f.:
f|v ö' diroX6iv|;ac cu)|ua Ic aiO^p' ^XeuGepov fX9r)c,
ecceai dGävaroc 9eöc ä)aßpoTOC, oök^ti GvriTÖc.
Ahnlich schon Empedokles (v. 355 Stein) :
Xaiper', ifw ö' ömuiv Oeöc a|ußpoTOC, ouk^ti övriTÖc
TTUjXeüiaai luexö iräci T6Ti|i^voc .
Für Römisches brauche ich nur an die dei parentes zu erinnern (Steu-
ding bei Röscher Lex. II 244), z. B. Comel. Nep. fr. 28 p. 123 flalpi:
«6i inortua ero, parentabis mihi et invocabis deum par entern. In eo
tempore non pudet te eorum deum preces expetere, quos vicos ac prae-
sentes relictos atque desertos hahueris? vgl. Catull 68, 65. — Die dem Dionysios
von Halikamass zugeschriebene Ars rhet, VI 5 gibt sogar als allgemeine
rhetorische Vorschrift für die Grabrede, man müsse zuletzt über die Seele
sprechen, dafs sie unsterblich sei, und dafs es für solche Männer wie diese,
die unter den Göttern sein werden, besser war, dorthin zu gehen. Eine
Stelle des aischvleischen Agamemnon (v. 1547 fif.) Tic K ImTÜjißiov aivov
lir' dvöpi eeiuj — irovricei (der Chor fragt so, als Agamemnon er-
schlagen und keiner von seinen Blutsverwandten da ist) zeigt, dafs
auch damals in Griechenland der nächste Verwandte die Pflicht hatte,
dem Toten als einem 0eöc die laudatio funebris zu halten. Doch würde
es hier zu weit führen, diese laudationcs und ihren sacralen Inhalt zu
verfolgen.
- 90 -
in Griechenland zuerst in den besprochenen orphisch-pytha-
goreischen Kreisen auf. Das Leben oder die Leben sind Strafe
für alte Schuld, das ist die Lehre, und dort wird auch zuerst
das Wort von dem Kerker dieses Leibes (cüjjua — cnjua) ge-
sprochen sein, das bald dem Philolaos als dem ersten, bald
den Orphikern ausdrücklich zugeteilt wird.^
Dafs die beiden Quellen der Lethe und der Mnemosyne
so erst für die Seelenwanderungslehre gruppiert und gedeutet
sind, liegt auf der Hand; darum können sie aber doch auf
alten volkstümlichen Glauben zurückgehen, auch wenn wir
dafür kein Zeugnis haben^, und vielleicht beide aus alten Vor-
stellungen vom 'Jungbrunnen' geflossen sein.^ Ob die Mne-
mosyne- und Lethequelle in der Höhle des Trophonios zu
Lebadea nach Pausanias' Schilderung*, der auch von einer
Tuxri dyaeri neben einem bai|aujv dtaGöc (nebeneinander au-
gerufen auch in den orphischen Hymnen LXXH und LXXHI)
spricht und Demeter dort erwähnt, erst der Einwirkung orphi-
schen Glaubens ihr Dasein oder ihre Benennung verdanken,
würde sich mit Sicherheit schwerlich entscheiden lassen. Von
dem Vorhandensein derselben Vorstellungen im späteren orphi-
schen Kult zeugt der LXXVH. Hymnus auf Mnemosyne, der-
mit der Bitte schliefst (v. 9 f.):
fUJCTaic |Livr|)uriv ETreYeipe
euiepou xeXeTfic, XriGriv b' diro roivb' dTTÖTreiLiTTe.
Von Pythagoras wird es als etwas ganz besonderes angegeben,
dafs er im Leben und im Tode Erinnerung ()Livr||uriv) gehabt
habe an das, was er erlebt (Laert. Diog. VH 4). Eine Trennung
1 Plat. Kratyl. p. 400*' wird es denen äjnqpl 'Opq)^a zugeschrieben,
den Philolaos citiert Clem, AI. Strom. III 433, Theodoret. graec. äff. cur.
V 14.
2 AViGnc ireöiov kommt zum ersten Male gerade in jener Frösche-
seene vor, s. Rohde Psyche 290.
3 Grimm Deutsche Mythol.^ 554. Rohde gr. Roman 207.
4 Pausan. IV 39 ff.: \'va \ri0ri Y^vrirai trdvTUJv ä x^oic ^qppövTiZe Kol
^Ttl Tuj6e äWo aöOic xibwp it(v€iv MvrnuocOvric* ärrö toütou tö lavrmoveüeiv
Tct öqpO^vra oi KOToßdvTi. Der Wiederaufgestiegene wird auf einen
öpövoc MvniuocüvJic gesetzt, er mufs sagen, was er gesehen und gehört,
und das wird ihm dann ausgelegt.
— 91 —
der Toten im Hades in solche, die der |Livri|uri pflegen, und
solche, die der XriGn anheimgefallen sind, ohne dafs aber die
Symbolik der beiden Quellen erwähnt würde', gibt auch
Plutarch an einer freilich sehr verderbten und im einzelnen viel-
fach unverständlichen Stelle au (de occult. viv. c. VII p. 1130''):
das Leben der Seligen schildert er auch mit Versen des oben
(S. 30) angeführten Pindarfragments und erwähnt dann auch
biarpißdc exouciv ev jLivr||iiaic Kai Xö-foic tujv tctovötujv
Ktti ÖVTUJV. Er erwähnt dann auch das Geschick der Gott-
losen: fi be TpiTri Tuiv dvociujc ßeßiujKÖTWv Kai irapavömuv oböc
(von zwei Wegen ist bisher nicht die Rede gewesen) ecTiv
eic epeßöc ti Kai ßdpaOpov ujGoöca rdc ipuxdc,
evOev TÖv direipov epeuYovxai ckötov
ßXriXpoi bvoqpepäc vuktöc iTOTajLioi
(offenbar aus demselben Pindargedicht, wo also auch von dem
Aufenthalt der Ungerechten drunten die Rede war) bexö,uevoi
Ktti dTTOKpÜTTTOVTec dTVOici Kai Xr|9ri touc KoXaCojLievouc.
Fragen wir, woher Plutarchos diese Schilderung entnahm, so
wird jedem der beachtet, wie eng diese Prosasätze zusammen-
hängen mit den citierten Versen — und die zwei zuletzt an-
geführten sind, wie auch das Metrum zeigt, aus demselben
Pindargedicht, aus dem die zuerst ausgeschriebenen waren,
die wir mit einer ganzen Reihe der nächst folgenden aus
desselben Plutarch consol. ad Apoll, c. 35 kennen, — jedem
wird klar sein, dafs das ganze, soweit es angeführt wurde, teils
wörtlich, teils paraphrasiert denselben pindarischen Threnos
wiedergibt. Wo wir aber dessen Quelle zu suchen haben,
kann erst später erörtert werden, und dann wird auch die Tpiti]
öböc nicht mehr unerklärt bleiben.
Zunächst gilt es noch ein merkwürdiges Beispiel einer
verwandten Auffassung der Xr|9ri zu erklären, das erst durch
die neue vatikanische Epitome des Apollodor bekannt wird.
Dort heifst es (c. VI 3 p. 58 Wagner): Griceuc be ^erd TTei-
piOou Tiapaf evö)Lievoc eic "Aibou eHaTraidTai, koi ibc Heviujv laexa-
1 Ein Gegensatz zweier Quellen scheint, wenn ich recht verstehe,
wenigstens durch bei Lukian de Inct. c. 5 TrcpaiiwG^vrac hä Tr)v Xl^vr|v
ec TÖ ecu) Xeijuibv utrob^x^Tai |i^Tac, tu» äcq)o6^Xuj KardqjUTOC, xai ttotöv
,uvrifir|c iroX^iaiov XriSiic toöv b\ä toOto ujvö)iacTai.
— 92 —
Xriv|JO|Lievouc TrpuJTov ev tlu ific ArjGric eiire Ka9ec0fivai
Gpöviu, & TrpoccpuevTec CTteipaic öpaKÖVTUJv KareixovTo.
Auf dem Gemälde des Polygnot waren die beiden gemalt em
Gpövuuv Ka6eZ;ö,uevoi\ und von Panyassis wird berichtet^, dafs
bei ihm Griceuc Kai TTeipiöooc erri tujv Gpövuuv Trapdcxoivxo
cxfjiua ou KttTct bec|udjTac, rrpoccpuec be dirö xoö xp^toc
dvTi beciLiOuv ccpiciv eqpri xfiv Trexpav. Von einem Thron
der Lethe ist da noch keine Rede^, aber ein solcher furcht-
barer Fels ist gewifs wieder zu erkennen in den Drohworten
des ianitor Orci an den vermeintlichen Herakles in den aristo-
phanischen Fröschen (v. 465 ff.), namentlich wenn sie eine
* Nachbildung der Drohungen des Aiakos an- den wirklichen
Herakles, der den auf eben jene Weise gefesselten Peirithoos
zu befreien kommt, aus dem Peirithoos des Kritias sind^; sie
lauten v. 470 ff.:
xoia CxuYÖc c€ jueXavoKctpbioc Tre'xpa
'Axepövxiöc xe CKÖireXoc aijuaxocxaTnc
qppoupoüci KuiKuxoO xe irepiöpoiuoi Kuvec^ kxX.
In der Hypothesis eben jenes Peirithoos^ heifst es: TTeipiGouc
em TTepceqpövric juvricxeiav eic "Aibou xaxaßdc xijuujpiac exuxe
xfjc TTpeTTOucTic ttiixöc |uev YCtp eTTi Ttexpac dKivrjXUJ KaGe-
bpqt irebriGeic bpaKÖvxujv eqppoupeixo xdcfiaciv.^
1 Pausaa. X 39, 4.
2 Fragm. 9 Kink. Pausan. a. a. 0.
3 Deshalb ist eine Herleitung der Apollodorstelle aus Pauyaasis
(Wagner epit. Vatic. ex Apoll, bibl. p. 156 f.) nicht thunlich.
4 S. v. Wilamowitz Anal. Eurip. 171 f. Dafs sie nicht nach dem
Theseus des Euripides gemacht sind, wie die auf jeden Fall verwirrten
Scholien wollen, scheint mir sicher, vgl, Nauck trag, fragm.* p. 478. Es
finden sich noch Zeugnisse der Grammatiker über die ir^Tpa toiv icxiu»v,
die auf tragische Verse zurückzugehen scheinen, bes. s. Photins lex. u.
AicTTOC und Aicirm, vgl. WHoffmann Jahrb. f. Philol. 1862, 599 ff.
5 Vielleicht auch an den Alaivou \i9oc v. 194 darf man erinnern.
6 Bei Gregor. Corinth. in ßhet. gr. VII p. 1312 ff. (vgl. v. Wilamo-
witz a. a. ü. p. 168).
7 Unzweifelhaft ist das Sitzen des Perithoos als eben jene Strafe
aufzufassen auf dem berühmten Relief (früher der Villa Albani), Zoega
bassiril. 103. — Auch der V^rgilvers Aen. VI 617 meint diese Strafe
und er erwähnt sie sogar noch von Theseus: sedet aeternumque sedehit
infelix TJieseus. Das kann nicht nur nach dem Homervers Od. XI 631
- 93 —
Ehe dieser schreckliche Felssitz Thron der Lethe heifsen
konnte, wie es meines Wissens für uns nur bei Apellodor
vorkommt und in einem Verse des Horatius, der dort unzweifel-
haft eine solche Überlieferung meint (carm. IV 7, 27 ff.):
iiec Lethaea valet Theseus abrumpere caro
vineula Pirithoo,
ehe eine solche Benennung möglich war, mufste Lethe eben
durch den Gegensatz von Mnemosyne in den mystischen Lehren
der Seelenwanderung die Bedeutung der Strafe bekommen
haben. So gewifs zunächst die XrjGri im Hades nichts anderes
hat bedeuten sollen als das Vergessen alles irdischen Leids
und alles irdischen Strebens, die ^Bewufstlosigkeit der d)aevriva
KCipriva', wie es allgemein bei Theognis steht (v. 704 f.) TTepce-
qpövriv — , fixe ßpoToTc irapexei XrjOriv, ßXciTrTOUca vöoioVwie
es auch der Vers eines Tragikers^ meint
ctTTavT' ec "AibrjV ^X6e koi AtjGtic bö^ouc,
SO gewifs ist jene andere Auffassung eine totale Umformung
der ursprünglichen Redeweise, eine von den Seelenwanderungs-
lehrern ausgegangene neue Deutung. Diese liegt bereits bei
Piaton in voller Deutlichkeit vor (Rep. X p. 621*'°); er spricht
vom irebiov Arjönc und vom TTOTa)iöc Ar|9ric; und man erinnere
sich der Flüsse, welche die Frevler in Xrjön versenken, bei
Plutarch-Pindar. Ob die zeitlich wohl früheste Erwähnung
der Lethe bei Aristophanes in jener Fröschescene (v. 186)
bereits in eben diesem Sinne zu nehmen ist, wird sich kaum
entscheiden lassen; die oben besprochene Tendenz der ganzen
gemacht sein (v. Wilamowitz Homer. Unters. 141), denn da stand ja
nichts von jenem Sitzen.
1 Rohde Psyche 290, 2.
2 Fragm. adesp. 372 N-. Es wird Eoripides sein, wie sich nach
den kürzlich über den thesauriis sententiarum , der dem Plutarch zur
Hand war, geführten Untersnchungen mindestens sehr wahrscheinlich
machen Heise. Die allerdings beträchtlich späteren Erwähnungen der
irüXai Xfi6r|c u. dgl. brauchen dem Gedanken nach gar nicht spät zu
sein. Man setzte Xr|9ii offenbar ganz allgemein zu allen möglichen
Dingen des Hades hinzu. Den bekannten Stellen ist hinzuzufügen der
Vers eines Grabepigramms aus Naukratia dXXct ce irpöc AdGac dvioxnov
?boc in Flinders Petrie Naukratia I p. 63, n. 11, v. 4, plate XXXI.
— 94 -
Scene und die mit Piaton stimmende Bezeichnung (ArjGric rre-
biov) könnten es immerhin wahrscheinlich erscheinen lassen.
Was die Übereinstimmung dieser Erwähnung Piatons und
Pindars mit den Goldtäfelchen bedeutet, wird unten klar
werden. Jedenfalls ist das augenscheinlich, dafs dem Apol-
lodor eine durch orphisch - pythagoreische Doktrin beein-
flufste Dichtung letztlich zu Grunde liegen mufs; auch auf
die Überlieferung des Pausanias über das Trophoniosheiligtum
fällt neues Licht, da sich dort ein Gpövoc der Mnemosyne
findet, ebenso parallel jenem Throne der Lethe wie die Quelle
der Mnemosyne derjenigen der Lethe.
Späte Nachwirkungen eben dieser letzteren Vorstellung
von den beiden Quellen, um auch sie nicht unerwähnt zu
lassen, sind noch deutlich bei den gnostischen lustinianern
zu sehen, wo der Neophyte, der den Einweihungsschwur ge-
leistet und die unerhörten Geheimnisse geschaut, von dem
lebendigen Wasser trinkt; es werden zwei Wasser unterschieden,
drunten ^unter der Feste der bösen Schöpfung' für die clioi-
schen und psychischen Menschen, droben das lebendige Wasser
für die pneumatischen Menschen.^ In der gnostischen Pistis
Sophia wird zweimal von einem poculum öblivionis geredet:
*denn', heifst es an einer Stelle, 'wenn die Seele aus dem
Becher getrunken hat, vergifst sie aller Orte, in die sie ge-
kommen ist, und aller Strafen, in die sie gegangen ist.'^
1 Hippolyt. ref. omn. haer. V 27 (p. 230 DS) ecTi 6^ ö öpKOC outoc •
öjLivüuu TÖv ^ttdvuj TtdvTUJV, TÖv dYCtBöv , Tripficai xd jnucxripia *raÖTa Kai
^Heiireiv |iri6evl |Liri6^ dvaKdiuipai drrö toO d^aGoO dtrl Ti^jv kticiv. iireibdv
hk ö|uöcr), eic^pxerai irpöc töv a^aQbv Kai ßXe-rrei, öca ö(p6aX|Liöc ouk cibe
Kol oöc OUK fiKouce Kai ^iri Kap&iav dvOpujTrou oOk dv^ßr], koI irivei diro
TOö ZujvTOC liöaxoc, ÖTtep ^cxi Xouxpöv aOxoic, Oüc vo|ui2Iouci, itiiTi^
ZiuJvxoc ü6axoc ä\\o|advou. 6iaK€xuüpicxai yöp, qj^civ, dvd ^xdcov ööaxoc
Kai öbaxoc, Kol Scxiv libujpxööiTOKdxu) xoOcTepeiü|iaxoc xf|C irovri-
pdc Kxiceuuc, ^v (|j Xouovxai ol xoixol koI vjjuxikoI ävGpiuTroi, koI
€6ujp ^cxlv öuepdvüu xoO cxepeuü|Liaxoc xoö dYCtöoö ZOJv, dv iL
Xoüovxai Ol irveujuaxiKoi ZAvxec äyOpiutroi, ^v (L IXoücaxo 'eXtuelj-i
Kai Xoucd|aevoc ou pexe|ueXri9ri. In den letzten Worten erkennt mau aufs
deutlichste die alte Sonnenquelle, in der aucli der ägyptische Ra sein
Angesicht wäscht, s. Abraxas 97, 4.
2 p. 336 (ed. Schwartze-Petermann) : tempore quo Hiux'l tWo hiberit
e poculo, obliviscitur totiujv omniunif in quos venu, et KoXaceujv omnium,
— 95 -
ipuxpöv ubuup heifst auf dem Täfelchen das Wasser aus
dem Quell der Mnemosyne; ähnlich wird auf zahlreichen Grab-
inschriften der Herrscher der Toten Aidoneus oder meist der
in später Zeit immer allgemeiner als Uuterweltsgott verehrte
ägyptische Osiris in stehender Formel für die Seele des Toten
gebeteu: er gebe dir das kalte Wasser.^ Ich bin überzeugt,
dafs man in diesem ipuxpöv den Anklang an ^)vxr] und auch
an ctvavpuxeiv, euipuxeiv u. dgl. bewufst gesucht hat, scheint
doch bei den Orphikern typischer Ausdruck von der endlichen
Erlösung der Seelen gewesen zu sein (fr. 226 Ab.)
kukXou t' dXXOcai xai dvaipöHai KaKÖrriTOC,
und nicht ohne Absicht wird in jenen Inschriften mehrmals euipü-
Xei Kttl boiri coi tö q;uxpöv übujp nebeneinander gesetzt. Man meint
ein Seelenwasser, ein Wasser des Lebens, der Rekreation.^
Atheuaeus hat uns eine Angabe des Grammatikers Nikau-
dros aus Thyatira erhalten, der etwa unter dem dritten Ptole-
mäer zu Alexandria seine 'Attikci övö^ara verfafste^: NiKav-
bpoc h' 6 Guaxeiprivöc KaXeicöai qpnci vjjuKTripia'* xai touc
in quos tneavit. p. 388: ferens aquam ohlivionis tradet eain w^ym, ut ob-
liviscatur ra'um omnium tt TOTttuv otnnium, in quos intravit.
1 Kaibel IGIS 1842 (Rom):
»jjuxpöv Gbiup boir] coi ävaE Iv^piuv 'Aiöuuveuc,
ib M^av fißric Yctp coi dTTiüXeTO q)iXTaTOV ävöoc.
1488 0(,eoic) K(aTax6ovioic). eOvpuxei, Kupia, Kai
boi COI 6 'Ocipic TÖ \|/uxpöv ö6u)p.
1705 (via Nomentana bei Rom):
D M
IVLIA • POLTICE
DOESE
OSIRIS
TOPSYCRON
HTDOR
(6ibr| coi 'Ocipic tö v^uxpöv ööujp) 1782 (bei Rom): — euvpüxci, Kupia*
öo (== bü>) coi 'Ocipic TÖ vjjuxpöv öbujp. Für Osiris vgl. z. B. 1047 ö \ii.fac
'Oceipic 6 (?xi"v) rryv KOTcEouciav xal tö ßaciXeiov tOüv vepT^puiv öeOuv,
also g^naa wie oben Aidoneus gedacht.
2 Auch in dem Elysium des pseudo-platonischen Axiocbos fliefsen
uTiTal übctTUJv KaÖapuiv (p. 371°).
3 Susemihl Gesch. d. griech. Litt, in der Alexandrinerzeit II 187.
4 ipuKTTipa A, ipuKTT^pac E; schon verbessert von Casaubonus.
— 96 —
dXcujbeic Ktti cucKiouc töttouc touc toTc 0eoTc dvei|Lievouc, ev
oTc ecTiv dvavjJuHai (Athen. XI p. 503*'). Die beiden Stellen,
die dafür angeführt sind, sind eine aus den Neaniskoi, also
der Lykurgostetralogie des Aischylos (fr. 146 N^)
aupac^ uTTOCKioiciv^ ev vpuKtripioic,
eine Stelle, die irgendwie mit dem thracischen Dionysoskult
Zusammenhang haben mag, und eine andere aus dem Phaethon
des Euripides (fr. 782 N^):
vpuKTripia
bevbpea qpiXaiciv lijXevaici beHeiai^,
Worte, die sich recht wohl auf den Hain des Sonnengottes
beziehen könnten (s. oben S. 21). Jedenfalls ist es wertvoll,
dafs der Grammatiker oder seine Gewährsmänner eine solche
stehende Bedeutung von ipuKxripia aus dem attischen Sprach-
gebrauch entnommen hat.
Nun halte man neben solches dvavjjuxeiv und ijJUKxripiov
die in den altchristlichen Inschriften und der altchristlichen
Litteratur so häufigen refrigerare und refrigerium. Sehr zahl-
reich sind die Acclamationen auf den Grabschriften in refrigerio
anima tua; in refrigerio et in pace u. ä. oder aber rcfrigcra,
refrigcres, refrigeret, refrigeretis, selten nur refrigereris, häufiger
deus te refrigeret, tibi deiis refrigeret u. ä.^ Bei weitem am
häufigsten ist jenes intransitive refrigerare, in dem niemand
die direkte Übersetzung eben jenes dvaijjuxeiv verkennen wird.
Auch in den litterarischen Überlieferungen ist refrigerium und
refrigerare für den Zustand der Seligen nach dem Tode geradezu
typisch.^ Und nicht etwa blofs bei den Christen findet sich
1 caOpac ist überliefert, aöpac Valckenaer.
2 üirriKÖoiciv A, Ottockioiciv E.
.3 XdScxai A, verbessert von Casaubonus.
4 Zahlreiche Belege bei FXKraus Realencykl. des christl. Altert.
11 684 ff. vgl. VSchultze Katakomben 268.
5 Z. B. Irenaeus I 7, 1 iustorum quoque animas refrigerare et
ipsas (griech. ävarcaücecOai); VII 6 in loco medietatis refrigeraturum
. . . animabus cum demiurgo refrigeraturis (ävairaucoin^vujv) in ae^ernum.
II 34, 1 de Lazaro eo qui refrigerabat in sinu Ahmhae. ~ Tert. Marc.
III 24 post dccursum vitae apud inferos in sinu Abrahae refrigerium,
IV 34 utramque mercedem creatoris sive tormenti sive refrigerii
apud inferos. Cyprian. mortal. XI ad refrigerium iusti vocantur, ad
- 97 -
diese Bezeichnung, sondern ebenso in einer Grabinschrift so-
genannter collegia funeraticia, die de Rossi Roma sott. III 39 ff.
ausführlicher behandelt hat. Die letzten Worte heifsen hoc
peto I aeco (== ego) Syncratius a bohis unibersis \ sodalis ut sene
hile refrigerefis. Darunter steht zur Bezeichnung, dafs es
eine Inschrift des Familienfuneralcollegiums der Syncratii^ ist,
Syncratiorum. Und sogar auf dem Grabe eines romischen
Ritters in Rom, und zwar gerade eines Lupercus, findet sich
derselbe typische Ausdruck (CIL VI 2160): T)[is] mfanibusj.
In Iwc tumulo iacet corpus exanimis (für exanime), cuius Spiritus
inter de(e)os receptus est, sie enim meritus est. M. Ulpius
MaximUrS eques Bomanus qui et lupercus cucurritj [hjuius
loci refrigerafnjsj cuius fania in [ajetema nota est etc.
So waren diese Vorstellungen und ihre so eigenartigen
Bezeichnungen in der Kaiserzeit gewifs in vielen und in den
verschiedenartigsten Kulten verbreitet; sie waren ohne Zweifel
genommen aus griechischen Mysterienkulten. Sie sind dann
auch weiterhin von den Christen beibehalten, bald gewifs
nicht mehr in ihrer ursprünglichen Bedeutung. In einem
Grabritual der griechischen Kirche heilst es noch: KÜpie, ctvd-
Tiaucov Tf]V ipuxnv ToO K€KOi.ur|)uevou bouXou cou xoöbe, ev
TÖTTiu x^oepuJ) fev TÖTTUJ ctvaipuHeujc, evGa dire'bpa öbiivri,
XÜTTri Ktti CT6vaY|iöc. Die lateinische Übersetzung lautet: domine,
animae servi tui N. defuncti in loco lucido, in loco amoeno, in
loco refrigerii, unde dolor, aerumna et suspirium omne exulat,
supplicium rapiuntur iniusti. Ähnlich Actor, III 19 tU cum venerint
tempora refrigerii a conspectu domini etc. Vnlg. (griech.: av IXBoici
Koipoi ävavjJÜEeuJC dirö -rrpoctüirou toü Kupiou). Psalm. LXV 12: eduxisti
nos »n refrigerium Vulg. ((iva\|JUXTiv Sept.). Jerem. VI 16: et invenietis
refrigerium (äyvicijöv) animabus vestris. In der Sap. Sal. IV 7 öiKaioc
bk i&v qpedcT) TeXeuxficai, ev ävairaücei Icrai, die alte lat. Über-
setzung hat in refrigerio' Weitere Belege für diese Worte findet man
bei Koffmane Gesch. des Kirchenlateins, I. Entstehung und Entwicklung
des Kirchenlateins bis auf Augustin und Büeronymus S. 49, Ducange
glossar. med. et inf. latin. s. v. (s. auch refrigeratio , das aber nicht so
wie refrigerium für 'Seligkeit' typisch geworden ist) und vor allem
Rönach Itala und Vulgata* 321 f. und 378 f.
1 Über diese FamiliencoUegien s. die Zusammenstellung von Schiefs
Die römischen collegia funeraticia nach den Inschriften, München 1888,
S. 30ff.
Dietericb, Nekyia. 7
— 98 —
da requiem} Und auch in der Liturgie der römischen Kirche
heifst es noch im Kanon der Messe beim Memento für die
Verstorbenen: locum refrigerii ut indulgeas deprecamur? Scliwer-
lich ahnte man, dafs solche Sitte in letzter Linie herstammt
aus ritualen Formeln unteritalischer orphischer Kulte. Denn
wie eng die zu Grunde liegende Vorstellung mit der jenes
ijiuxpöv ubuup zusammenhängt, zeigen ganz besonders deutlich
die Worte einer griechischen Grabinschrift aus Ägypten "^i
TTobicov (== TTÖTicov) auTTii OTTO öbaboc (sic) dvaTrauceoic.
Dem ubuüjl) dvaTrauceiuc würde, wie auch sonst so oft dvotTraucic
durch refrigerium wiedergegeben wurde, genau entsprechen
aqua (fons) refrigerii. Und nur neben diese Analogieen gestellt
scheinen mir jene so vielfach in Grabinschriften gefundeneu
Acclamationen niE ZHCAIC, PIE ZESES und ähnliche* ihre
richtige Erklärung zu finden: das Wasser des Lebens, der er-
frischende, wiederbelebende Trank der ewigen Seligkeit ist
gemeint.
Die berührten Zeugnisse stellen eine unleugbare direkte
Linie der Tradition dar. Dagegen alle die Aussprüche vom
1 S. bei Goar Euchologion sive rituale Graecorum etc. p. 424.
2 FXKraus Realencyklop. II 685.
3 Revue arch^oT. 1883 p. 204.
4 Z. B. bull, di arch. crist. ser. II, IV p. 20 uie Ziricaic, p. 144 hihe
zeses, hihe multis annis, vgl. bes. ser. IV, I 125 fif. irie i^ricric, VI 23
2ricT)c iv öeCp. de Rossi Rom. sott. II 272 me ^v 0eiu, Rev. arch. XLIV
(1882) p. 298 nr. 20 %, vivas cum tuis piae zeses, nr. 21 (dulcis ani)ma pie
zese, XXVn (1874) 389 nie Z:i^caic. Jahrb. des Vereins von Altertnms-
freunden im Rheinl. XVI 75 [m]e Zrjcaic KaXuJc, irie ^rjcaic tv aToGoic,
TTie zeses, LXIV 128 -nie lr\caic äei iv äYaOoic (vgl. LXXI 124). CILX
8062, 11 pie zeses. Dies wenige nur als Andeutung der Mannigfaltig-
keit solcher Sprüche. Man vergleiche auch, was OJahn über Aufschriften
römischer Trinkgefäfse zusammenstellt Jahrb. des Vereins von Altertunis-
freunden im Rheinl. XIII (1848) 105 ff. Triceiac 'ist gewöhnlichster Trink-
spruch der Griechen, wie vivas der Römer. Ohne die oben angegebenen
Beziehungen aber bleiben diese Sprüche auf den Gräbern unverständlich.
Nicht hierher dürfen gezogen werden die inschriftlichen Formeln da
calda u. ä. bei den altchristlichen Mahldarstellungen, ebenso wenig wie
etwa das da fridam pusillutn auf der Wand einer pompeianischen Taberne
(strada di Mercurio nr. 9) mit der Darstellung eines Sklaven, der einem
Soldaten den Trank bereitet (CIL IV 1291).
— 99 -
Wasser des Lebens in jüdisch-hellenistischer und christlicher
Litteratur ^ in unmittelbaren Zusammenhang mit der Vorstellung
der griechischen Kulte zu bringen, wäre kaum statthaft, da
eben jenes Bild bei so vielen Völkern in gleicher Weise an-
getroffen wird.
Dafs der Tote von Durst gepeinigt wird, ist ein uralter
Glaube; durch die Grabspenden wird er getränkt. Wenn hier
die Seele klagt hi\\)r]i b' eijii auT], so wird man an den Auai-
vou XiGoc in jener Scene der Frösche (v. 194) erinnert^, und
es mag im Kreise dieser Anschauungen noch mancherlei ge-
geben haben, das uns entgeht.^ Die Schrecken des Totenreichs
bestehen auch dem heutigen Griechen besonders darin, dafs
es finster und dafs es wasserlos ist: ^denn Wasser und Licht
sind den Griechen die zwei köstlichsten und zum Leben un-
1 Apocal. loh. XXn l Kai ?6ei5e |ioi Kaöapöv iroTainöv öboxoc
Zu)f\c, Xa|uirpöv \hc KpucraXXov, ^KTropeuö)aevov ^k toö 6p6vou xoO 9eo0 xai
Toö dpviou (ich erinnere auch an den oben erwähnten Sonnenstrom und
Sonnenquell: Plaut. Trin. IV 2, 98 ad caput amnis qui de caelo exoritur
sub solio loris). v. 17 : Kai 6 öuyiliv eXGexai Kai 6 Ö^Xujv Xafißav^TU) xö
ö&uip roific bujpedv. Vgl. Ev. loh. IV 10—14. Ev. loh. VU 37 ff.: iäv Tic
bnpqt, ^px^cGuJ irpöc |a6 koI ttiv^tu). ö iricTeümv elc k^i, KaQuic cmev f\
fpacpi], TTOTafioi Ik ttjc koiXioc auxoö ^eücouav uöaxoc 20Dvxoc. Dem
ähnlich dann von einem Märtyrer in dem Schreiben der Gemeinde zu
Lyon Euseb. h. e. V 1, 22: er wird durch ein Gesicht getröstet öirö xoO
oupaviou TPiTn^ "TOÖ u&aToc xt^c Zuific xoö ^Eiovxoc ^k xf^c vii&üoc xoö
XpiCTOü bpociZ;öfievoc Kai ev6uva^oü|nevoc. Auch in der Apocal. Henoch
z. B. kommen Brunnen der Gerechtigkeit und der Weisheit, qpujxivr)
Tiryff] übaxoc u. dgl. vor und man braucht da nicht noch direkt das
AVasser des Lebens dex babylonischen Mythologie heranzuziehen (Schwally
Das Leben nach dem Tode u. s. w. Giefsen 1892, S. 141). Im Judentum
findet sich auch weiterhin diese Vorstellung Sifre 84*: die Worte der
Thora werden verglichen mit dem Wasser. Wie das Wasser Leben ist
für die Welt, so sind auch die Worte der Thora Leben für die Welt
(Weber System der altsynagog. Theologie 20 f.).
2 Man vergleiche dazu Aisch. Eum. 331 fif.: ö^xvoc Ü 'Cpivüujv, ö^cfiioc
q)peviüv, dqpöpiuiKxoc, au ovo ßpoxoTc. v. 267 Kai J^ujvxö c' icxvävac'
äirdEoiLiai köxuj, dvxiiroiv' luc xivrjc )jaxpoq)övou 60ac.
3 Propert. IV 5, 2
terra tuum spinis obducat, Jena, sepulcrum.
Et itto, quod non ins, sentiat umbra sitini.
- 100 —
entbehrlichsten Dinge' ^; das Köstlichste zu schildern gebrauchen
sie mit Vorliebe den Vergleich ^cdv Kpuö vepö' *wie kaltes
Wasser'.^ Die Opfer des Charos in seinem Totenzuge bitten ihn
0 lieber Charon, halt am Dorf, halt an der kühlen
Quelle^
und die Toten heifsen sogar einfach oi bn|;ac|aevoi und oi dßpe-
Xoi^ Die Kenntnis solcher Anschauungen trägt nicht wenig
dazu bei, uns die Bitte des alten Griechen um das ipuxpöv
i)b(jup verständlich zu machen.
Ein hauptsächlicher Glaubensartikel aber der unteritali-
schen Mysterien läfst sich nicht so weit verfolgen. Der Myste
rühmt sich göttlichen, himmlischen Geschlechts zu sein und
nennt sich ein Kind des Uranos und der Ge. Porphyrios
berichtet auch von einer solchen Lehre (de abstiu. III 25
p. 222, 2) oder vielmehr schon Euripides, denn er verweist
auf diesen, der zeige, dafs die gemeinsamen Eltern aller Lebe-
wesen Uranos und Ge seien, gerade da, wo er von der Ver-
wandtschaft aller Lebewesen unter einander spricht, weil sie
dieselbe Nahrung und dieselben 'Geister' (rrveujuaTa) hätten.^
Da ist diese Lehre auch vereinigt mit der orphisch-pythago-
reischen Seelenwanderungslehre und offenbar auch mit der die
Fleischkost verdammenden Lebensweise. In der orphischen
Litteratur findet sich auch sonst die ffi }JLr\Tr\p TrdvTUJV^ wie
ja auch aus den Zeichen des einen Goldblättchens Vf] Tra|Li)ariTUjp
erkannt worden ist. In den Hymnen wird Ge als 'Mutter der
1 Waclismuth Das alte Griechenland im neuen 21.
2 Wachsmuth a. a. 0. 51, 19.
3 Fauriel neugr. Volkslieder II 9, übers, v. Müller, s. Wachsmuth
a. a. O. 51, 17.
4 Passow carm. popul. nr. 371, 6 vgl. 359:
Xujpic vepö ßpeTM^vo' pai, X'J'^pic qpiuTici Kau|u^vo.
5 Porphyr, de abstin, III 25 p. 222, 2: cvTfev^c -fwiiv tö tiDv Xoiitujv
Zdnuv Y^voc. Kol YCtp Tpoqpai ai aurai iröciv auTOic koI irveüiLiaTa die
GöpiiriÖTic Kai q)oiviouc ^xei ^odc xä Zi&a irävTa xai koivoOc ÖTrdvTUJv
öeiKvuci Yoveic oöpavöv koI Yfiv(Eur.Fragm. 1004N*). Dafs das Frag-
ment in die Kreter gehört, ist wahrscheinlich (v. Wilamowitz Ind.
lect. Gott. aest. 1893 p. 17), aber doch nicht sicher.
6 Diodor. I 12, 4, orph. Fragm. 165 (da mit Demeter gleichgesetzt).
— 101 -
seligen Gotter und der sterblichen Menschen' angerufen^ und
der Himmel als Allerzeuger, Anfang und Ende von allem,-
Bei Euripides finden sich aber schon Spuren solcher Lehre
deutlich genug. Himmel und Erde, sagen berühmte Verse der
Melanippe (Pragm. 484 N^), seien eine Gestalt gewesen; als sie
aber von einander getrennt waren, gebaren sie alles und brachten
es ans Licht, Bäume, Vögel, Tiere des Landes und des Meeres
und das Geschlecht der Menschen. Nicht nur, dals es gerade
auch schon in älterer Zeit orphische Theogonien gegeben
hat, in denen Uranos und Ge als erstes Paar am Anfang
stand ^, nicht nur, dafs diese dort auch nach einigen Über-
lieferungen zuerst vereinigt in der Form des Welteis, sich
dann trennten und gemeinsam weitere Wesen zeugten*, nicht
nur solche parallele Traditionen gestatten uns die Kreise aus-
findig zu machen, in denen solche Weltanschauungen gepflegt
wurden: die Theogonie, welche Apollonios Rhodios den Orpheus
vortragen läfst, hat mehr denn eine allgemeine Ähnlichkeit
mit den Versen des Euripides:
Eurip. Melanipp, Fragm. 484: Apollon. Rhod. Arg. I 494 ff.:
KOUK ejiöc 6 inOGoc, d\X' ejufic dv be Kai 'Opqpeuc
Urirpöc Tidpa Xairj dvacxö|uevoc KiGapiv ttei-
poZiev doiöfic
1 XXXT 1 rata Ged, jnfiTep (laKäpiuv 9vr|Türv t' dvepiOrnuv.
2 IV 1 f. Oöpave traTT^v^Top, köc|liou jn^poc aibf dxeipec,
TTpecßuT^/eBX', dpxi^ irdvTiuv irövriuv xe TeXeuTiPi.
3 Plat. Tim. p. 40^. Lobeck Aglaopham. 494.
4 Fragm. 39 Abel (Athenag. leg. pro Christ, p. 294) oöroc 6 'HpaicXfic
(= Xpövoc) ef^vvticev i}Tiepfiif(.Qec iböv, 6 cu|i-iTXiipoO|ievov imö ßiac
ToO T^fevvriKÖTOc ^K TrapaTpißf]c eic ÖOo ^ß^dTT tö iLxev ouv Karo
K0pU9T(^v aÖTOö oöpavöc etvai ^TeXecGr], tö 5^ KarevexO^v yf[.
— Fragm. 38 (Clem. recogn. X c. 30): Chaos — qucLsi ad ovi im-
manis modum per immensa tempora iffedum peperisse ac protulisse ex
se ditplicem quandam speciem, quam Uli masculofeminam vocant ex
contraria admixtione kuius modi diversitatis speciem concretam; et hoc
esse principium omnitim, quod primum ex materia puriore processerit
quodque procedens discretionem quattuor elementorum dederit
et ex duobus quae prima sunt elementis fecerint caelutn, ex
aliis autem terram, ex quibus iam omnia participatione sui
incicem nasci dicit et gigni. Haec quidem Orpheus. Auch in samo-
— 102 —
u)c oupavöc Te YCiid t' fjv ri^ibev b' üuc Yaia Kai oupa-
laopcpri |uia. voc Y[he GdXacca
t6 Trpiv 671 ' dWrjXoici inirj cuv-
apripöia )uopcprj
eitel h' exujpicer|cav dXXr|- veiKeoc eH oXooio biCKpiGev
Xujv öix«, djuqpic CKacia
TiKTouci Trdvxa KdvebcuKaveic r\h' ibc eiUTrebov alev ev aiGepi
cpdoc, TeK|uap exouciv
bevbpri, TTereivd, 0fipac oüc 6' dcxpa ceXrivairi re Kai rieXioio
dX|ur| xpeqpei KeXeuöor
Yevoc Te 0vriTU)V. ouped 0' ibc dveteiXe Kai ibc
TToxaiuoi KcXdbovTtc
aiJTrjciv vuiuqpriciv Kai epTreid
TidvT' eYevovTO.
Es ist gerade keine schlechte Üerlieferung, der Tzetzes
folgt, wenn er zu den Euripidesversen, die er citiert (2 — 4
des Fragments), hinzufügt (Exeg. II. p. 41) KaGd cpriciv 'Opcpeuc
xe 6 TtaXaiöc Kai 'Hcioboc, "GjLiTreboKXfic re cuv aiiioTc 6 'AKpa-
tavTivoc Kai 'Ava^ayöpac 6 KXaZ:o|uevioc Kai ö toO 'AvaHaYÖpou
TOUTOui |ua0riTfic Gupnribric. Empedokleische Einwirkungen sind
deutlich in der orphisclien Theogonie des Apollonios (unmög-
lich wäre auch das Umgekehrte nicht, s. unten über Empe-
dokles), auch anaxagoreische Züge kommen später in solche
Lehren (s. unten S. 153 f. über Vergils Aen. VI 724 ff.); ange-
knüpft aber könnten solche Doktrinen haben an hesiodische
Verse, welche die Götter öfter direkt als von Uranos und Ge
entsprossen erwähnen, so Theog. 105 f.:
dGavdtuJV lepöv ycvoc ai^v dovxujv,
o'i rrjc t' eHcYevovTO Kai Oupavoö dctepöevroc,
Worte, die auch in der Form sehr an den Mystenspruch der
unteritalischen Kiiltgenossen erinnern. So allgemein auch eine
Anschauung, wie sie der Hesiodvers ausspricht, gewesen sein
mag*, die weitere Ausdeutung und anthropogonische Ver-
thrakischer Mysterienlehre sollen Himmel und Erde die grofsen Götter
ein, nach Varro de 1. 1. V 68.
1 Z. B. auch Selon Fragm. 36 B*, jetzt vollständiger in Aristot. de
rep. Athen, c. 12:
— 103 -
wenduug derselben ist von den Mysterieukulten ausge-
gangen.
Dafs sich solche Lehren bei Euripides, namentlich auch
die in dem erwähnten Fragment, nicht mit denjenigen des
Anaxagoras decken und dafs diese nicht als Quelle jener Sätze
gelten können, ist längst erwiesen.^ Die, wenn auch noch so
fragmentarische Kenntnis des pythagoreisch -orphischen Glau-
bens in Unteritalien läfst uns Überlieferungen ahnen, die auf
den Tragiker, dem die orphische Mystik in ihren guten und
schlechten Seiten recht wohl bekannt war^, eingewirkt haben
müssen. Darum mögen hier auch die merkwürdigen Verse
aus der Helena (v. 1013 ff.) eine Stelle finden:
Ktti fäp Ticic TÜJvb' ecTi Toic Te vepTepoic
KOI ToTc dvuj0ev Ttäciv dv9pa)Troic. 6 voOc
TUJV KaxGavövTUJV Ix] juev ou, yv<jO|iitiv h' ex^i
dGdvaTov elc dGdvaxov ai0£p' l|HTrecd)V.^
Es ist am Ende eine Sache subjektiver Betrachtungsweise, wie
stark man sich die Einwirkung religiöser Lehren auf solche
ja auch ohne das recht wohl möglichen Verse vorstellen will,
und es liegt mir fern, etwa auch das berühmte Chryslppos-
fragment (839 N^), das neben die Gaia den Aither des Zeus
stellt, den Erzeuger der Menschen und Götter, ganz aus
solchen Einflüssen zu • erklären , wenn ich auch darauf hin-
weisen möchte, wie später noch in den orphischen Hymnen
Aither neben üranos gepriesen wird (üranoshymnus IV,
Aitherhymnus V) als Trdci lihoiciv €vauc)ua, als der, welcher
allen Geschöpfen Leben gibt, alles Leben entzündet (V 3).*
cu|U|napTupoiri toöt' äv ^v biKt] xpövou
liriTrip laeYicxri 5ai|uöviuv '0\u|Lnr(iJuv
äptcxa, rf\ judXaiva, ific äfd) iroxe kt\.
Vgl. Eurip. Fragm. 195 N^: äiravTa tiktci %Qihv izäXiv xe Xajußdvei; dazu
Menand. monost. 89, 539, 668; Enuius Epicharm. fr. IV Vahl.
1 V. Wilamowitz Analecta Eurip. 163 ff,
2 V. Wilamowitz Homer. Unters. 824, 22; Herakles I 28.
3 V. Wilamowitz Analecta Eurip. 164, 4. Er schreibt — dv9ptü-
Ttoic önOüc. ö Koxöavdjv fäp — • Man kann kaum sagen ö voOc — y\/dj^r\v
exei, und ich wäre sehr versucht lavrmriv für fviw|ur]v einzusetzen.
4 Dafs oOpavöc und ai6rip ziemlich identisch gedacht sind, zeigen
auch die Verse des Euripidesfragments 839, lOff. :
— 104 —
Die Chrysipposverse fügen auch hinzu, dafs zu Erde und
Aither wieder zurückkehre, was daraus entstanden sei. Damit
ist der später so geläufige Glaube ausgesprochen, dafs nach
dem Tode der Leib zur Erde, die Seele aber zum Himmel
oder zum Aither gehe. So steht es ganz deutlich in den
Hiketiden: woher ein jedes gekommen ist, dahin lafst es wieder
gehen, den Geist zum Aither, den Leib zur Erde.^ Genau so
hat das aber schon Epicharmos gesagt: Erde geht wieder zur
Erde und der Geist zum Himmel, woher sie gekommen sind.^
Also auch da sind wieder Uranos und Ge als Eltern sozu-
sagen des Menschen gedacht, und wir wären mit Epicharmos
wieder im Bereich der pythagoreischen Lehre des Westens,
die ohne Zweifel auch hier von ihm übernommen ist.
Über jene anfängliche, alles ins Leben rufende Hochzeit
des Himmels und der Erde, über die auch später noch die
Orphiker in mannigfacher Art gelehrt und gedichtet haben ^,
Tct b' dir' alGepiou ßXacTÖvra Tovfjc
eic oupdviov TrdXiv f[XQe ttöXov.
1 Eur. Suppl. 531 ff.:
Mcax' i\br] fi) KaXucpGrivm veKpoOc,
öGev 6' Skoctov elc tö ca)|u' dq)iKeTO,
^vxaOe' direXBetv, Trveu|iia [i^ irpöc atGdpa,
t6 c(I)|Lia &' elc y^v. oöti fäp KCKTriiaeGa
i^lLi^repov aÖTÖ irXi^iv tvoiKficai ßiov,
KÖueiTa Til^v ep^niocav outö bei Xaßeiv.
Eine Anzahl weiterer ähnlicher Stellen aus Euripides und auch aus
anderen, meist späten Schriftstellern ist zu finden bei Valckenaer Dia-
tribe 65 ff.
2 Fragm. 23 (Clem. AI. Strom. IV p. 541** €i)C€ß)^c töv voOv ireqpuKdJc
ou irdSoic y' oüb^v KaKÖv KorGaviüv. ctvuj tö Trveö|Lia öiajuevei Kar'
oöpavöv. Fragm. 35 (Plut. cons. ad Apoll. 15 p. 110): xaXiuc ouv 6 '£m-
Xapiuoc- cuveKpiGrj, (pr\ci, koI feieKpiGri koI dTrfjXGev öGev fjXGe itdXiv, fä niv
elc fdy, uveOiLia 6' äviw t( TU)v5e xaXeiröv; ovbä hi.
3 Auch über den iepöc ydiuoc des Zeus und der Hera ist später bei
den Orphikern gedichtet. Dio Chrys. XXXVI p. 453 toGtov O|avoöci
"itaiöec coqjujv ^v d^j!)iiToic TeXeraic "Hpac Kai Aiöc ehba\.\xova
Yd|nov. Vgl, Prokl. in Plat. Tim. V p. 16": ^k tujv |iiuctikOüv Xöyujv koI
TUJv ^v d-rroß^riTOic XeYO|i^vuJV iepObv y^^I^iuv. s. orph. Fragm, 220. Ich
will die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen einen Vers des XII, orphi-
Bchen Hymnus an den Herakles als grofsen Zeiten- und Weltengott
(iraYYev^Top v. 6) richtig zu geben, v. 10 ist überliefert:
TipuJTOYÖvoic CTpdvj/ac ßoXiciv |iieYaXiOvu|a€ vaiiuv (Pierson u. Abel öainov),
— 105 -
erfahren wir noch etliches, das uns jenen Vorstellungs-
kreis weiter zurückverfolgen läfst. Proklos berichtet zu Pia-
tons Timaios\ dafs der Theologe d. i. Orpheus die erste Ehe
die zwischen üranos und Ge genannt habe. Denn nicht bei
vollständiger Vereinigung sei eine Ehe vorhanden, sondern
wenn sich auch Trennung der Kräfte und Thätigkeiten zeige.
Das sei eben bei Uranos und Ge zuerst der Fall gewesen.
Deshalb hätten auch die heiligen Satzungen der Athener vor-
geschrieben, dem üranos und der Ge die Ehen vorher zu
weihen,'^ Sollten auch hier die Orphiker einst schon an atti-
schen Glauben angeknüpft haben, wie es an manchem anderen
Punkte schon hat bewiesen werden können? Wie dem auch
zu lesen ist:
TrpiuTOTÖvoic CTpdvtjac ßoXiciv lueTaXurv öjaevaiiuv,
die erstzeugenden Strahlen wohl zugleich wie Fackeln zum grofsen
Hymenäus gedacht. Proklos in seinem 5. Hymnus hat den Feuergott
Hephaistos und die Aphrodite als Paar der Weltenhochzeit, v. 4 f.:
iepöv ibpücavTo Karct UToXieGpov a^aXiLia,
cü^ßoX' exov voepoio fäfiov, voepOuv i))ievaiu)v
'H<paiCTOU irupöevTOC i&' oupavir|C 'Acppoöirric.
1 Prokl. zu Plat. Tim. V 293 irpiüxriv fäp vü|H(pT]v diroKaXd (6 9eo-
Xöfoc) t{\v rf\y/ Kai -irpiuncTov -ft^Mov ti^v evujciv auTf|c tt^v irpöc töv
Oupavöv. oö fctp ^v Toic jxdXicxa fivuj^^voic ö töMOC, 5iö (pävryzoc ouk,
ecTi Y<iMOC Kai Nuktöc i^vuj|i^va)v äXXTjXotc votituic, dXX' ev toic nexä Tf\c
^vujceujc Kai tö 5iripii|advov tujv 6uvd|ueu)v Kai toiv fevepteiOüv ^möeiKvu-
laevoic. Koi Soike öiö tüöto Kai Oupavüj toütuj Kai Tri -rrpocriKeiv 6 ydfioc
lue ^Keivov Oupavöv Kai ffiv feKeivr|v ^ireiKoviZioiLi^voic. 8 6ii^ Kai oi Gec^oi
Tiüv 'Aörivaioiv eiöÖTCC irpoceTaTTOv Oupavtl) Kai fr) uporeXeiv touc fdiuGuc.
2 An die Riten der Plemochoen am Schlufs der grofsen Eleusinien
will ich nur erinnern, ^enn Lobeck Proklos zu Plat. Tim. p. 293
richtig bezogen und verbessert hat (Aglaoph. 775 ff.), so liegt da sicher
der Glaube an einen ähnlicheu iepöc T<iMOC zu Grunde: ^v toic '6X€uci-
vioic iepoic eic fxb/ töv oupavöv dvaßX^irovTcc ^ßöujv 'öe', KOToßX^vpavTec
6e cic TTiv ffiv "'küc'. — Den attischen Tritopatorenglauben lasse ich mit
Absicht bei Seite. Die merkwürdigen Überlieferungen, dafs sie die ersten
Wesen seien und von Uranos und Ge stammten (Philochoros, Phano-
demos, Demon bei Suidas s. v. TpiTOirdTopec, Hesych. s. v.), dafs man
ihnen vor der Hochzeit Opfer gebracht hätte, Traditionen, die auch bei
den Orphikem weiter gehen, bin ich aufser stände ausreichend zu er-
klären. Zudem wird das alles bei richtiger Deutung nicht hierher ge-
hören, die jetzt geläufige Deutung aber der Tritopatoren als Windgeister,
Ahnenseelen u. dgl. ist falsch.
- 106 -
sei, die Kosmogonie der grofsgriechischen Ordensbrüder, die zu
ihren Hauptetappen Phanes-Protogonos, etwa das Weltei und
üranos und Ge hatte, und ihre Anthropogonie einfach aus
Uranos und Ge ist klar und kann ihren Ursprung nach ver-
schiedenen Seiten hin nicht verleugnen. Von der späteren
Anthropogonie der Orphiker aus dem Blute des Dionysos und
der Asche der Titanen ist also da noch keine Rede.
Um am Ende unseres Weges noch einmal zu Euripides
zurückzublicken, so konnte er die besprochenen Aufserungen
zum Teil wohl schon im Anschlufs an attischen Volksglauben
thun, aber es traten uns doch die- Spuren ausgebildeter orphi-
scher Lehre entgegen, die weder daraus noch aus Einwirkung
philosophischer Doktrin allein zu erklären sind. Die pytha-
goreisch-orphischen Lehren wirkten damals wieder stark auf
Athen zurück, und den Epicharmos endlich hat Euripides auch
sonst vielfach benutzt. Die merkwürdige Thatsache, dafs kurz
nach 431 in der öffentlichen Grabschrift für die Toten von Potei-
daia, während auf den uns bekannten Grabschriften des 6. und
5. Jahrhunderts überhaupt nie von irgend welchem Leben
nach dem Tode und weiterhin auch nur selten vom Hades
die Rede ist, dafs nun auf einmal auch da der Satz steht:
• der Aither nahm ihre Seele auf, die Leiber die Erde, so mag
das der Einflufs der Philosophie, der Poesie und jener Mystik
zugleich bewirkt haben. Den Satz hat man dann später öfter
über die Gräber gesetzt^, ohne damit im entferntesten die
1 Grabschrift von Poteidaia CIA I 442, nach 431 v. Chr.:
AiGr^p pL^n vpuxctc öirebäHaxo cijO[|aaTa bk xöibv]
TUJvbe. TToTeiöaiac b' ä|uq)l irOXac I6[anev].
Att. Grabschr. (Peiraieus. 4. Jh.) Kaibel p. 41:
6üpu|Lidixou ijjuxii^v Kai O-rrep^idXouc öiavolac
alGVjp ÖTpöc ^xei, cu)|ua bi rOiußoc ööe.
Kaibel ep. 156 (ungef. 1. Jh.):
YJaia ^xäv eic qpdoc fjpe, CißOpxie, yaia bi KcüGei
cu)|ua, TTVoi'iv 6' alGi^p fXaßev irdXiv, öcirep S6iuKev.
Kaibel ep. 160 (röm. Zeit):
^vveoKaiöeK^Tic yäp äirA xöovöc 'H[\uciöv&€
^pXO|Lidvri Trebiov GvriTÖv ikvca. [ß(ov.
— 107 -
konkreten Hoffnungen jener orphischen Gläubigen zu ver-
binden.
Dagegen haben wir von dem Fortleben jener unteritali-
schen Glaubenslehren in derselben Form und in derselben
Sitte in den letzten Tagen ein sehr bedeutsames neues Zeugnis
erhalten. In einem Grabe zu Eleutherne auf Kreta hat sieh
ein Goldblättchen gefunden mit folgender Inschrift, die etwa
dem zweiten Jahrhundert n. Chr. angehört:
Aivpai auoc lf\h Kai ctTTÖXXuiLiai. — 'AXXd rrie jjlov
Kpdvac aiei peuu em öeHid Tfj Kucpdpicoc (sie).
TIC b* eci, TTU) b' eci; — fäc uiöc tijlii kqi lupavu)
dcTepöevToc.^
Die auch hier wie so oft in diesen sakralen Überlieferungen
zerrütteten, aber noch deutlich erkennbaren drei hexametri-
schen Verse (der dritte hat wohl auch von vornherein 7 Füfse
gehabt) wiederherzustellen, möchte ich nicht wagen.^ Durch-
aus klar ist der Sinn: der in den Hades eintretende Myste
äW 'AiÖTic ß]ouX[fi]civ ÖKaiuiTr^av äpirac' 'Av(i[YKTic
alBepi 5ouc vj;ux]iiv, dJjfxa bä KeKpoiriij.
Es ist beachtenswert, wie hier die beiden Vorstellungen vom Elysion
und vom Aither formelhaft zusammen stehen.
Auf den Isotelen Gerys CIA II 2724, v. 9: evTi)Liov xöovioici 9eoic
v-nebiiaTo yaia, II 4307
[nc laev cüJiLi' ^vlj Y[fl Kjeixai-, ipox»! ^' ^v '0\ü)aTr[uj].
Am Grabtempelchen des Dionysios auf dem Dipylonfriedhof Kaibel
ep. 35:
euXoTia | fjc cü Tuxibv eöavec, Aiovücie, Kai töv dvdYKTic
Koivöv OepceqpövTic iräciv e'xetc GdXa)uov.
cÜJ|Lia |uev ivQäbe cöv, Aiovücie, foia KaXüiiTei,
v^ux^v 6' dGdvarov koivöc iy^ei xainlac.
Kaibel ep. 90 (4. Jh. Athen):
öcT^a |Li^v Kai cdpKoc ^x^i xödjv iraiba töv i'ibOv,
ijioxi*! b' euceß^iuv oixerai elc GdXcjuov — .
1 AJoubia veröflFentlicht die Inschrift im Bulletin de corr. hellen.
XVII 1893, 122 ff. und vergleicht sie bereits mit Kaibel IGIS 638.
2 Die Vorschläge von Gomperz bei Joubin a. a. 0. p, 125 sind mir
nicht wahrscheinlich, nie juou Kpdvac erklärt mir Wilhelm Schulze als
TtC ?ji |nou Kpdvac = Iy Mou Kpdvac, vgl. locr. k b&^ivj == iK briiuou, i
NauTTÖKTuu = if NauirdKTOu u. ä. Dann sind die beiden ersten Verse ziem-
lich glatt.
— 108 -
klagt über seinen Durst. Die Quelle antwortet ihm selbst
(Mnemosyne ?), fragt ihn aber erst, wer er sei. Er sagt dann
seinen Mystenspruch, der ihm die Gefilde der Seligkeit öffnet.
Es bedarf keines Wortes, wie genau die gleichen Hauptsätze,
namentlich der gröfseren Tafel von Petelia (s, oben S. 86),
hier wiederkehren, die Hauptsätze, die wir zu erläutern ver-
sucht haben. Wir sehen mit unseren Augen die Constanz
der Überlieferung in diesen orphischen Gemeinden vom vierten
Jahrhundert v. Chr. bis zum zweiten n. Chr. und wir sehen
die Ausbreitung der unteritalischen Kulte in der späteren Zeit.
Und es kann kein Zweifel sein, dafs dieser Text wie jener
von Petelia aus einem gröfseren Ganzen herausgenommen ist.^
Die Fahrt des Toten zum Hades war in einem Gedicht be-
schrieben, in einer orphisch - pythagoreischen Kaxdßacic eic
"Aibou. Die Formeln, die der Geweihte bei seinem Eintritt
in den Hades kennen mufs, um des Wassers des Lebens teil-
haftig zu werden und den Eintritt in den Hain der Seligkeit
zu erlangen, werden ihm immer mit ins Grab gegeben, viele
Jahrhunderte lang in gleicher Weise. Zuerst haben diese
Formeln ohne Zweifel gestanden in einer unteritalischen
Nekyia.
2.
Längst aber, ehe die Hauptsprüche aus der. Nekyia der
unteritalischen Ordensbrüder wohl zum vielhundertsten Male
auf den goldenen Täfelchen für die Toten aufgezeichnet wurden,
waren ihre hauptsächlichsten Lehren von der himmlischen
weimat, vom Sündenfall, von der Wanderung der Seele über-
nommen worden von einem Manne, der, selbst ein orphisch-
pythagoreischer Priester und Prophet, nach den Regeln des
Ordens lebte (z. B. kein Fleisch afs), ja der, wie man er-
zählte, sogar Tote auferweckt hatte. Er predigte, bekränzt
mit Tänien und mit Binden geschmückt, dem Volke diese
Weisheit und hinterliefs sie in einem Buche, das er KaGapjnoi
nannte, den folgenden Geschlechtern. 'Es ist ein Spruch der
1 Wie auch Joubin betont. Gomperz vermutet mit Recht, dafs
zwischen bi\\iai und aöoc die Partikel der Verbindung mit dem Vorher-
gehenden ausgefallen sei.
- 109 —
Notwendigkeit, ein alter Beschlufs der Götter': wer gefehlt,
welcher baiiaijuv (= Gott) Mord oder Meineid begangen, mufs
dreifsigtausend Hören fern von den seligen Göttern umher-
irren, durch alle möglichen Formen sterblicher Geschöpfe, so-
gar auch durch Pflanzen und Tiere.^ Soweit uns auf beiden
Seiten Einzelheiten überliefert sind, stimmt hier alles zu-
sammen: die orphisch-pythagoreische Mysterienlehre und Em-
pedokles.^
Pindaros kommt in dem, was uns erhalten ist, zweimal
auf solche Lehren der Seelenwanderung, Bufse und Belohnung
im Jenseits, zu sprechen: in einem Threnos, wahrscheinlich
auf den Tod des Siciliers Gelon, der 478/7 gestorben war^,
von dem uns eine Strophe erhalten ist (fr. 133), und in der
2. olympischen Ode, die einen Wagensieg des Theron, des
Schwiegersohnes des Gelon, vom Jahre 472 feiert, Theron
wird schon mit dem Gedanken an den Tod sich vertraut ge-
macht haben, denn er starb noch in demselben Olympiaden-
jahr.* So trägt denn Pindar gerade in diesen beiden Liedern
Mysterienlehren vor, die er als solche deutlich selbst bezeichnet.
Ol. II 56 spricht er von dem, 'der auch das Künftige kennt'
(was nach dem Tode kommt), und als er seine Andeutungen
schliefst, sagt er, dafs er noch viel Geschosse zu versenden
1 Empedokl. fragm. rec. Stein p. 77, v. 369 ff.:
?CTiv 'AvdxKTic }>r]na, 9eu)v \|;rjq)iC|Lia iraXaiöv ktX.,
anfserdem besonders p. 79.
2 S. besonders OKern Empedokles und die Orphiker im Archiv f.
Gesch. d. Philos. I 498 ff. Er vergleicht zu empedokleischen Versen vor
allem auch die orphischen Fragmente 153. 222. 223. 227. 228. Aulser-
dem s. namentlich S. 505. Das orphische ÖLva\\i\jia\. (ävairveöcai) kokö-
TriToc Fragm. 226 mit dem empedokleischen vi^cTeOcai koköttitoc ohne
weiteres in Zusammenhang zu bringen möchte ich nicht wagen; immer-
hin scheint auch mir der Vergleich 'nicht unnütz zu sein' (Kern S. 505).
— Dafs ich Kerns Auffassung der rhapsodischen Theogonie auch hier
nicht teile und viele Einzelheiten seiner Beweisführung nicht billige,
kann bei Seite bleiben. In den Lehren, auf die es uns hier ankommt,
Orphisches und Pythagoreisches scheiden zu wollen, wäre natürlich
verfehlt.
3 Böckh Pindari interpret. (U 2) p. 624, vgl. p. 121; Lübbert Ind.
Bonn. Wintersem. 1887/8 p. VI f.
4 Böckh a. a. 0. p. 117; EBöhmer Pindars sicilische Oden p. 77.
- 110 -
habe, die da sprechend sind für die, welche sie verstehen, für
die Wissenden, die Eingeweihten.^ Selbstverständlich sind es
Mysterien, in die Gelon und Theron eingeweiht waren, die Zeit-
genossen des Empedokles, die gerade mit seiner Vaterstadt
die engsten Beziehungen hatten. Darum geht Pindar, der
solche Lehren selbst in Sicilien wird genauer kennen gelernt
haben, hier auf sie ein, aus ihnen Trost spendend dem den
Tod Erwartenden und den den Toten Beklagenden.^
Es läfst sich von vornherein erwarten, dafs diese Mysterien
die bei den Westgriechen damals so verbreiteten waren, von
denen aus etwas späterer Zeit uns die Goldtafeln Zeugnis
geben. In jenem Pindarfragment wird gesagt, dafs Persephone
die Seelen, deren Bufse sie für alte Schuld annimmt, wieder
hinaufsendet unter die Sonne im neunten Jahre; sie werden
hehre Könige, an Macht Gewaltige und die höchsten an Weis-
heit und später werden sie heilige Heroen von den Menschen
genannt. Wir sehen, dafs auch hier wie auf den Täfelchen
und wie bei Empedokles eine alte Schuld angenommen wird,
die gebüfst werden mufs: also ebenso wie dort ist es eine
fluchbringende Sünde einst göttlicher Geister, die durch Seelen-
wanderung gesühnt wird. Persephone hat zu entscheiden, ob
die Schuld abgebüfst ist^, gerade wie auf den Tafeln die Seele
. 1 v. 83 f.: ß^Xri . . . (piuväevra cuverotciv.
2 Wie er anderwärts auch andere Mysterien feiert (Fragm. 137 die
Eleusinien). Die unteritalischen Mysterienlehren dagegen scheinen auch
im Fragment 131 gemeint zu sein:
öXßia h' öiravTec axf.q. Xuciitovov xeXeuTdv.
Kai c\jj\xa |u^v Trävxiuv ^TreTOi GavdTijj TrepicBevei,
Zifjöv ö' In Xeiirexai aiujvoc el'öujXov xö fäp ^cti laövov
^K 6ea)v exibei b^ irpaccövTiuv (aeX^UJv, aTctp eübövrccciv ev iroXXoic öveipoic
beiKvuciTepTTViuv ^qp^piTOicav x"XeTruJv xe Kpiciv.
S. Böckh a. a. 0. 622 (a qua sententia postea sihi transitum haud dubie
parabat ad exponendam animarum apud inferos condicionem , qualem
Olymp. II et in priori (129. 130 B) ac tertio (132 B, unecht) quartoque
(133 B) Threnorum fragmento cxplicat etc.). Vermutungen über Veran-
lassung und Adresse dieses und des unten S. 119 ff. zu besprechenden
Threnos will ich nicht aussprechen; dafs auch diese beiden für Sicilien
bestimmt waren, darf man für wahrscheinlich halten.
3 Auf den Tafeln iroiväv 6' ävxoTr^xica fpYUJv ^vcko ouxi biKoiujv,
8. de hyranis orphicis p. 31, v. 4.
-r 111 -
sie anruft, die Königin der Unterirdischen/ Diejenigen, deren
Bufse sie gnädig annimmt, werden früher wieder ins Erden-
leben geschickt, sie erhalten zunächst die bevorzugtesten und
besten Lebenslose, und werden endlich zu heiligen Heroen,
wie auch nach jenen Inschriften die begnadigte Seele mit den
anderen Heroen herrschen wird.^
Ausführlicher noch geht auf diese Dinge die zweite olym-
pische Ode ein, die eigentlich schon von der zweiten Strophe
an auf dionysische Mysterien hindeutet, z. B. auf die CejueXric
dvaxuJTn durch den ' epheubekränzten Sohn'^, auf Ino u. a.:
Mer Toten hilfloser (unvorsichtiger?) Sinn leidet hier sogleich
Strafe', heifst es da (v. 57 ff.), und 'was in diesem Reich des
Zeus gesündigt ist, richtet unter der Erde einer, der das Urteil
spricht mit feindlichem Zwang.' Es folgt eine Schilderung
des seligen Lebens der Edlen (besonders werden hervorgehoben
die an Eidestreue ihre Freude hatten, vgl. Empedokles v. 372):
'die anderen ertragen nicht anzusehende Mühe'. Dies letzte
weist auf ganz bestimmte Vorstellungen von unterirdischen
Strafen hin; denn nur im allgemeinen würde ein solcher Aus-
druck nicht gebraucht sein: bestimmtes freilich erfahren wir
erst aus Berichten und Andeutungen viel späterer Zeit. Aber
alle die beiderorts (im Leben und unter der Erde) dreimal es
fertig brachten, von allem Unrecht die Seele fern zu halten,
steigen oben zu den seligen Gefilden empor 'auf des Zeus
Weg', wie dann weiter in prächtigen Bildern geschildert wird.
Auch die Entscheidung des Rhadamanthys wird erwähnt, den
der Vater Zeus als Beisitzer habe, und Rhea habe den obersten
Thron inne. Dies letztere mag auch die Kybele der Täfelchen
erklären können. Aber auch sonst die gleiche Seelenwanderungs-
lehre: was hier begangen ist, wird drunten, was "drunten, hier
bestraft in einem kukXoc Yeveceuic. Dafs das Vergehen drunten
nichts anderes ist, als die durch falsche Lockungen und sinn-
1 de hymnis orphicis p. 31 v. 1, 6, 10. Vgl. EKuhnert im arch.
Jahrb. VIII 1893, S. 106 mit Anm. 9.
2 Kai tot' Sttcit' äXAoici laeO' i^piüecciv dvdHeic, oben S. 86, v. 11.
3 Über die CejueXric ävaYUJYn vgl. Plutarch. quaest. graec. c. 12
p. 293° und besonders ihre Erwähnung in der unten auf ihre Quelle
zurückzuführenden Partie in Plutarch. de ser. num. vind. c. 22 p. 566*.
— 112 -
liehe VorspiegeluDgen verschuldete falsche Wahl eines neuen
Lebensloses, ist noch nicht lange durch den Vergleich pla-
tonischer Stellen (s. u.) erkannt worden*: so erst sind die
ändXaiivoi cppevec der Toten erklärt. Die dreimal recht ge-
wählt haben, die soviel TÖXfia hatten, die Seele von allem
Unrecht fern zu halten, werden erlöst: also auch hier eine
schnellere Befreiung derer, deren Bufse Persephone annimmt.^
Wie ein Kommentar sind diese pindarischen Verse zu
den Täfelchen der orphischen Mysten. Und erst recht deut-
lich wird uns einzelnes werden, namentlich eben jene T^er-
schuldung der Seelen im Hades bei der Wahl eines neuen
Lebens, wenn wir die eschatologischen Mythen Piatons be-
trachtet und in ihnen eine noch, ausführlichere Darstellung
derselben unteritalischen Geheimlehren erkannt haben.^
1 Von Lübbert Ind. Bonn. Wintersem. 1887/8 p. XIX f.
2 Die neun Jahre bezeichnen nur den büfsenden Aufenthalt der
Seelen drunten vor der Heraufsendung zum letzten Leben, ehe sie
Heroen werden. Vielleicht kommt da in der That Delphisches bei
Pindar herein: die Oktaeteris, das grofse ßufsjahr, das auch Apollon
und Herakles durchmachen mufsten, Lübbert a. a. 0. p. VIII.
3 Frühere Vermutungen in ähnlicher Richtung aufzuführen und zu
besprechen, darf ich mir erlassen, da meine Ausführung mit ganz neuem
Material arbeiten kann. Deshalb kann ich auch die neue Arbeit von
Karl Thiemann Die platonische Eschatologie in ihrer genetischen Ent-
wicklung, Beilage zum Programm des Leibnizgymn. zu Berlin, Ostern
1892, im einzelnen unberücksichtigt lassen; hier und da findet er den
richtigen Weg zu Pindar und den Orphikern. Seine Auffassung von
dem Verhältnis der platonischen Mythen zu einander, soweit sie uns
hier angehen (Thiemann will auch alle anderen eschatologischen Stellen
bei Piaton herbeiziehen), erledigt sich durch das oben Gesagte von selbst.
— Während des Druckes kommt mir die Abhandlung von ADöring zu
über die eschatologischen Mythen Piatons im Archiv für Gesch. d. Philos.
VI 1893 Heft 4, S. 476 ff. Ich freue mich der vollkommenen Überein-
stimmung mit seinem Resultat: 'In der That stellt sich bei genauerer
Prüfung heraus, dafs, wenn wir die in wesentlichen Zügen abweichende
Darstellung im Timäus bei Seite lassen, die vier Schilderungen in Phädrus,
Gorgias, Phädon und Republik nicht nur im allgemeinen demselben Vor-
stellungskreise angehören, sondern dafs sie sich im wesentlichen zu einem
einheitlichen Bilde ergänzen' u. s. w. (S. 476). 'Es dürfte hiermit der
von mir ausschliefslich in Aussicht genommene Nachweis geliefert sein,
dafs wir hier im wesentlichen eine einheitliche Conception vor uns
- 113 -
Platou redet zuerst im Phaidros ausführlicher von der
Seelenwanderungslehre. ^ Er spricht von der Seele, die der
Gottheit nicht zu folgen vermag, sondern durch Vergessenheit
und Sünde beschvrert zur Erde hinabsinkt (XriGric xe Kai KttKiac
TrXTic0€ica, p. 248"), von einer Satzung der Adrasteia, dafs die
Seele, die etwas von der Wahrheit geschaut hat, bis zur
nächsten Periodos leidlos bleibt, und wenn sie das weiter zu
thun vermag, für immer ohne Schaden bleibt; dann von einem
Gesetz bei der ersten Geburt, nach dem bei dieser keine Seele
in Tierleiber eingehe, sondern je nachdem sie mehr oder
weniger von der Wahrheit geschaut, eine Philosophenseele
werde, die eines Königs u. s. w.^ Neun Stufen derart werden
genannt, zuletzt der Tyrann. An ihren Ausgangsort kommt
die Seele nicht zurück in zehntausend Jahren aufser die der
Philosophen^, die nach der dritten tausendjährigen Periodos
zurückgehen. Alle werden nach dem ersten Leben gerichtet,
die einen leiden an den Straf orten unter der Erde Strafe,
die anderen werden an einem himmlischen Ort belohnt,
wie sie es verdienen. Im tausendsten Jahr kommen beide
zur Erlösung und Wahl des zweiten Lebens und wählen,
welches eine jede will. Da kommen auch menschliche Seelen
haben, deren Abrifs im Phädrus vorliegt, ein compliciertes, aber ein-
heitliches Phantasiegebilde, eine antike Divina Comedia, die bis ins ein-
zelne hinein nach vorstehender Darstellung bequem zusammengesetzt
werden kann' (S. 488). Ich hatte die Stücke in 4 Parallelrubriken neben-
einander gestellt und zu einem Ganzen aneinander geschoben, habe aber
diese Zusammenstellung als zu weitläufig und zum Beweis unnötig nicht
abdrucken lassen; sie bestätigt bis auf wenige Einzelheiten, auf die ich
nun nicht mehr eingehen kann, Dörings Darlegung. Die Untersuchung
über die Herkunft der Mythen hat Döring ausdrücklich bei Seite gelassen.
1 Merkwürdig sind gleich in den ersten Worten dieser Partie un-
verkennbare Anklänge an die Mysterienlehren und ihre Ausdrucks weise,
p. 248*': iräcai bk uoXüv exoucai uövov dreXeic Tf\c toö övtoc Qiac dir^p-
XOVTOi Kai dTr€X0oöcai Tpoqpr) boEacrf) xP'J^vrai. oü 5' evex' A TroXXrj
c-rroubr') tö dXr|0€iac ibeTv ireöiov ou ^cxiv, f\ re bi] irpocriKouca vpuxnc
TU) dpiCTU) vom'i 4k toO 4k et Xeimljvoc ru^xävei oöca ktX.
2' Auch bei Pindar standen die Herrscher und die Weisen am
höchsten in seiner Seelenwanderungsskala, fr. 133, 4 f.
3 p. 249* TrXiiv ji toö q)iXocoqpr)cavTOC dööXuJC f| iraiöepacTi^cavTOC
jxexä qpiXocoqpiac.
Dieterich, Nekyia. 8
— 114 —
in Tierleiber.^ Dann ist noch von der Erinnerung (dvd)iivricic) die
Rede an das, was unsere Seele schaute, als sie noch bei Gott war.
Deshalb steigen auch mit Recht nur die Seelen der Philosophen
empor: sie haben immer die Erinnerung (fivriiaTi). Wer daran
immer recht gedenkt — schliefst diese Ausführung — wird, immer
eingeweiht in vollendete Weihen, allein wahrhaft vollendet.^
Die weitläufigste Schilderung dieser Dinge gibt Piaton in
der Republik, in der Vision des Pamphyliers Er, der im
Kriege gefallen nach zwölf Tagen auf dem Scheiterhaufen
wieder zu sich kam und erzählte, was seine Seele gesehen
(p. 614'' fP.). Von den Schlünden wird berichtet, zwischen
denen die Richter sitzen und die Gerechten rechts hinauf zum
Himmel gehen lassen, die Ungerechten links hinab, nachdem
sie jenen Zeichen des Richterspruchs und auch diesen sicht-
bare Zeichen für alles, was sie gethan, angeheftet haben. Er
sagt, er müsse den Menschen von den Dingen dort berichten,
und die Richter heifsen ihn alles hören und schauen. Er
sieht auch Seelen von der Erde ankommen, die schmutzig und
staubig aussehen, und vom Himmel solche, die rein sind. Sie
gehen zu der Flur (eic töv Xeiiaujva) und lagern sich. Dort er-
zählen sich, die unter der Erde gewesen, von ihren Leiden,
die aus dem Himmel von dem Glück und der unermefslichen
Schönheit, die sie geschaut. Eine solche ^Reise' (iropeia) dauere
tausend Jahre. Für jedes Unrecht müsse zehnfach gebüfst
werden (daher tausend Jahre, da das Menschenleben etwa
hundert habe), ebenso werde Gutes gelohnt. Hauptfrevler werden
aufgezählt, namentlich Sünder gegen Götter und Eltern; Mörder
werden genannt, besonders auch solche, die Städte und Heere
verraten haben. Ein Tyrann Ardiaios, der Vater und Bruder
ermordet, wird besonders erwähnt. Er erhält die Auskunft,
1 'önd aus einem Tiere, was Mensch war, wieder in einen Men-
schen' steht dabei, p. 249^. Das pafst jedenfalls nicht genau für die
erste Wahl; denn bei der ersten Geburt sollen ja noch keine Seelen in
Tierleiber eingegangen sein. — Zu dieser Erlösung und Wahl eines neuen
Lebens pafst auch eigentlich nicht, wenn es oben (p. 248^) nach Auf-
führung der neun Stufen heilst: ^v bä toOtoic öiraciv öc |n^v äv "biKaiuuc
öioYciT'ilj ÖMCivovoc luoipac i^eTaXaiaßdvei, öc ö' äv dbiKWC, xeipovoc.
2 249° Tolc bä toioOtoic dvr'ip ()uo(ivr)naciv öp6u)c xP^^M^voc reX^ouc
del TcXcTäc xcXoiiiLicvoc T^Xeoc övtuic |iövoc fi-jveTai.
— 115 —
dafs jener nie wieder herauskommen werde. Solche, die *un-
heilbare' Sünder sind oder noch nicht hinreichend gebüfst
haben, läfst der Schlund nicht durch, sondern brüllt bei ihrem
Herannahen. Man sieht feurige wilde Männer, die den Sündern
Hände und Füfse und Kopf zusammenbinden, sie hinabstürzen,
schinden, auf Dornen schleifen und dabei erklären, weshalb
die Frevler solches litten und in den Tartaros kämen. Die
aber auf dem 'Gefilde' brechen nach sieben Tagen auf bis
dahin, wo sie eine Lichtsäule sehen und die Ananke. Dann
folgt die glänzende Schilderung von der diamantenen Spindel
der Ananke mit den acht leuchtenden Wirtein, von den acht
Sirenen und ihrem Gesang und dann von den Moiren, den
Töchtern der Ananke, in weifsen Kleidern mit Kränzen auf
dem Haupt, der Lachesis, Klotho und Atropos. Auch sie
singen, harmonisch mit den Sirenen, Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft. Die Wahl neuer Lebenslose wird dann
ausführlicher beschrieben. Die Schuld ist an dem, der wählt:
Gott ist unschuldig, ist der Hauptgedanke.^ Alle möglichen
Lebensstellungen und^ Lebensschicksale, auch Tiere sind zur
Wahl. Es kommt darauf an, recht zu wählen. Auch die
vom Himmel kommen, wählen oft schlecht äre ttövujv d^üin-
vacTOi (vgl. Pindars aTiaXainvoi cppevec), überhaupt ein wider-
licher, lächerlicher und zum Mitleid stimmender Anblick; etliche
Beispiele werden angeführt.. Endlich gibt Lachesis jedem den
Dämon, den er sich gewählt, als Wächter seines Lebens. Zuletzt
müssen alle zur Flur der Lethe und zum FluTs Ameles oder Lethe,
wie er auch gleich darauf genannt wird. Davon müssen alle
trinken. Um Mitternacht werden sie unter Donner und Erschüt-
terung alle fortgerissen zur neuen Geburt, schwirrend wie Sterne.
1 alxia eXo^dvou" Geöc dvaixioc, p. 617^ Ein Zeugnis von dem
Fortleben dieses Spruches haben wir in der Inschrift unter einer Piaton-
herme aus Tibur, die dem ersten vorchristlichen Jahrhundert angehört
aiTia ^Xofi^vLu- 6cöc dvamoc neben ijnixri &e iraca äGdvaxoc (aus Phaidr.
p. 245«), bei Kaibel IGIS 1196. Noch im sechsten Jahrhundert ist er,
wie mich Usener belehrt, ein Sehlagwort der Debatten über Willens-
freiheit. (Julian von Halikarnafs im Comment. zu Hiob. 38, 7 f. 123^ der
Pariser Hs. dXX' li^ ^Kdcrou ^oxOnpd Tvu»nn Taüra KaTaTrpdxTexai, Kai 6
eeöc ajicpirroc xü)v öirö ^xdcxou bpiuiiivwv KaxAv. aixia -föp ^Xop^vou,
9rici xic xüjv TraXaiiüv, 6 Geöc dvaixioc.)
8*
- 116 -
Diese beiden Ausführungen, die von den sog. eschatolo-
gischen Mythen Piatons zeitlich am weitesten auseinander liegen,
die eine am Anfang, die andere am Ende seiner Schriftstellerei,
stimmen ganz genau zusammen-, die eine ist nur eine detail-
liertere Ausführung derselben Lehren. Man möge nur das ein-
zelne vergleichen. Auch die Zahlen der Perioden der Seelen-
wanderung 1000, 10000 u. s. w. sind dieselben. Was nur in
der einen Schrift steht, ergänzt die andere, und alles pafst
vorzüglich in ein Gesamtbild.^ Ja, sogar einzelne Sätze der
Phaidroserzählung, wie die von der Wahl und Erlösung eines
neuen Lebens sind für uns nur durch die Republikstelle ver-
ständlich, zum deutlichen Beweise, dafs beide Mythen ein ein-
heitliches Ganzes sind, und dafs Piaton eine Kenntnis dieser
Dinge bei seinen Lesern voraussetzte, die man aus seinen
Schriften nicht hätte gewinnen können.
Schon diese Übereinstimmung der beiden zeitlich so weit
getrennten Schilderungen macht es fast zur Gewifsheit, dafs
eine ganz bestimmte Quelle benutzt ist und freie Phantasie
Piatons höchstens in kleinen Umwendungen und Ausschmück-
ungen gesucht werden darf. Ehe wir aber seiner Vorlage
weiter nachgehen, möge ein Blick auf die beiden hauptsäch-
lichen anderen eschatologischen Mythen Piatons im Gorgias
und Phaidon gestattet sein.
Im Gorgias wird zunächst (p. 523 ff.) von der Abänderung
des Verfahrens im jenseitigen Gericht erzählt; früher hielten
Lebende über Lebende Gericht. Da fand Täuschung durch
Aufseres, falsches Zeugnis und ähnliche Dinge statt. Zeus ordnet
an, dafs sie nach dem Tode ^nackt' (xuinvoi) gerichtet werden.
Seine Söhne setzt er nach ihrem Tode zu Richtern ein, zwei aus
Asien Minos und Rhadamanthys, einen aus Europa Aiakos.
Rhadamanthys richtet die aus Asien, Aiakos die aus Europa,
Minos prüft das Urteil noch einmal, damit das Gericht mög-
1 Es ist doch selbstverständlich, dafs au.ch in der Republik ein
'Sündenfall' gedacht sein mufs und die Wiedergeburten als Strafe ge-
meint sind. Ich begreife nicht, -warum Piaton das hier aufgegeben haben
soll (Heinze Xenokrates 145). Ananke lenkt ja auch die Wahl. aipeic0uj
ßiov, il) cuvdcrai ii dvdTKric 617®, aber ahia tXon^vovl Auf den Timaios
brauche ich hier nicht einzugehen; das ist ganz andere Spekulation.
• — 117 —
liehst gerecht sei für die Menschen über die 'R«ise' (Tropeia).
Die Richter haben Stäbe in der Hand, Minos einen goldenen,
und richten auf dem 'Gefilde' (Xei|iid)v) an dem Kreuzwege,
wo der eine Weg zu den Inseln der Seligen, der andere zum
Tartaros führt. Die 'nackten' Seelen zeigen die Striemen und
Narben der Sünden (auch da wird besonders Meineid genannt).
Die Gerechten kommen zu den Inseln der Seligen, die Unge-
rechten zu den Straforten: das ist uraltes Gesetz. Die 'heil-
baren' Sünder werden gestraft zu ihrem eigenen Nutzen und
zu ihrer Besserung, die unheilbaren leiden zur Warnung der
anderen ewig das Furchtbarste und Schmerzlichste; sie sind
aufgehängt im Hades im Gefängnis. Auch hier wird ein Tyrann
Archelaos besonders erwähnt; überhaupt seien unter den Mäch-
tigen die meisten Frevler. Die fromm gelebt, besonders die
Philosophen, kommen zu den Inseln der Seligen.
Im Phaidon wird bei Gelegenheit der unterirdischen
Ströme einiges weitere angeführt (p. llS^flF.).^ Auch da wird
ausdrücklich gesagt, dafs die Seelen der Verstorbenen gewisse
bestimmte Zeiträume drunten weilen, die einen längere, die
anderen kürzere und dann wieder zu den Geburten der Lebe-
wesen emporgesendet werden (eic xdc tüuv ZIluujv -feveceic). Im
übrigen wird das Gericht erwähnt: die heilbaren Frevler
werden gestraft entsprechend ihren Freveln und für gute
Thaten entsprechend gelohnt, unheilbare Frevler wirft die
Moira für ewig in den Tartaros (unter den Frevlern werden
Tempelräuber, Mörder und solche, die Vater und Mutter mifs-
handelt, besonders erwähnt). Jene anderen bleiben im Tar-
taros ein Jahr, kommen dann in bestimmte Flüsse zur Qual,
und wenn sie von den Seeleu derer, an denen sie gesündigt,
zu denen sie schreien und flehen, Verzeihung erlangt haben,
sind sie von der Strafe befreit, sonst geht es wieder denselben
Gang. Die Frommen aber, besonders die Philosophen, kommen
1 Die Stelle iin Phaidon von den Seelen, die um die Gräber irren,
80"^ ff. und was dazu gehört, lasse ich fort, weil sie ganz aus den Ge-
dankenreihen, die ich verfolge, herausfällt, und sogar zu der anderen
Phaidonstelle im Widerspruch steht. Die Art der Seelenwandertmg frei-
lich ist auch da wie sonst dargestellt.
- 118 -
in herrliche Orte, die es nicht leicht sei zu schildern und dazu
mangele gegenwärtig die Zeit.
Auch diese beiden Erzählungen passen in den Hauptsachen
genau zu jenen beiden anderen.^ Freilich mag die Geschichte von
der Veränderung im Verfahren des jüngsten Gerichts im Gorgias,
die wie eine volkstümliche Fabel, fast wie ein attisches Volks-
märchen aussieht, aus anderen Traditionen hier angefügt oder auch
Erfindung des Piaton selbst sein: die Richter kommen auch in
dem Bilde der Republik vor, das durch diese ausführlichere Schil-
derung in dem Punkte ergänzt wird. Im Phaidon will die Angabe
von der Strafe bis zur Verzeihung derer, an denen gesündigt
ist, nicht zu bestimmten Angaben über Zeit der Strafe u. dgl.
passen: sie scheint auf altattische Rechtsanscliauungen zurück-
zugehen.^ Aber alles hauptsächliche ist ohne jeden Wider-
spruch gegen die übrigen Mythen. Sie ergänzen sich zu einem
grofsen Bilde vom Sündenfall der göttlichen Geister, dem
ersten Einzug in Leiber, dem Gerichte drunten, von Strafe und
Lohn, der Wahl eines zweiten Lebens, dem ganzen Kreislauf
der Seelenwanderung durch 10000 Jahre. Mag Piaton in
Ausschmückung des einzelnen hier und da variieren, auf diese
Hauptsachen hat er grofses Gewicht gelegt und sie immer
gleich berichtet, bald diesen, bald jenen Punkt ausführlicher
schildernd. Schon die Art, wie er diese Mythen einführt, zeigt
das: dreimal stehen sie am Schlufs des Dialogs an ganz be-
vorzugten Stellen, Piaton nimmt geradezu den Ton eines Pre-
digers an und fügt jedesmal die ernstesten Ermahnungen hinzu,
*Damit es uns hier und auf der tausendjährigen Reise, die wir
zu durchlaufen haben, gut geht', das sind die letzten Worte
des grofsen Werkes vom Staat. * Dessentwegen, was wir
durchgegangen haben', sagt er im Phaidon zu seinem Mythos,
^müssen wir alles thun, um Tugend und Klugheit im Leben
1 Es ist geringfügig, dafs Piaton im Gorgias von den volkstüm-
lichen Inseln der Seligen redet, während im Phaidros z. B. der ganze
übrige Zusammenhang einen himmlischen Ort verlangte.
2 Die vor dem Tode noch ausgesprochene Verzeihung des Ermor-
deten schlofs dort nachträgliche Verfolgung aus und hob die Unreinheit
des Mörders auf, im Falle unfreiwilligen Totschlags hatten die Ver-
wandten das Recht zu verzeihen.
- 119 -
zu erlangen; denn schön ist der Kampfpreis und grofs die
Hoffnung' (p. 114°). Es sind die letzten Ermahnungen des
sterbenden Sokrates. Es folgt nur noch die Erzählung seines
Todes. Im Gorgias sagt er ausdrücklich, dafs ihm diese Ge-
schichte nicht ein |UÖ6oc, sondern ein Xö^oc sei, und man solle
den nicht für die Fabel eines alten Weibes halten und ver-
achten. Das dürften wir nur, wenn wir besseres und wahreres
finden könnten (p. 523* und 527*). Mit Ermahnungen, die
daran geknüpft sind, 'Gerechtigkeit übend zu leben und zu
sterben' und auch andere zu bekehren, schliefst er den Dialog.
Es ist an der Zeit, dafs wir uns der Lehren des Empe-
dokles und des Pindaros erinnern. Stimmen nicht die wenigen
Sätze, die wir von diesen beiden über dieselben Dinge haben,
genau zu diesen Ausführungen Piatons bis ins Kleinste? So-
gar die Zahlenangaben stimmen überein. Was bedeuten die
30 000 Hören, die bei Empedokles die gefallenen Geister
durch die irdischen Leiber wandern müssen, ehe sie zu dem
Ausgangsorte zurückkehren? ujpa mufs eine ganz bestimmte
Bedeutung haben, sonst hat die Zahlangabe ja keinen Sinn,
ujpa ist die Jahreszeit, deren in vorattischer Zeit das Jahr
stets drei hat: also sind 30000 Hören = 10 000 Jahre,
die gleiche Zahl, die Piaton für dieselbe Sache angibt.
Die dreimal oben und unten die Seele von Unrecht frei ge-
halten, kommen zu den Seligen zurück, sagt Pindar. Wer
dreimal nacheinander richtig gewählt, kehrt dahin zurück,
sagt Piaton im Phaidros. Das ist dasselbe. Von den Richtern
wird wenigstens Rhadamanthys als Sohn des Zeus auch bei
Pindar genannt (Ol. H 75). Erst recht stimmen alle Haupt-
punkte der Lehre; wie denn jene dTraXaiuvoi cppevec bei Pindar
und die Vergehen, die in der Unterwelt begangen und hier
bestraft werden, erst durch Piatons Republik überhaupt für
uns verständlich wurden. Jetzt erst wird auch für uns die
oben (S. 91) erwähnte Plutarchstelle (de occulte viv. cap. 7,
p. 11 SO*') ganz verständlich werden. Nachdem das Leben der
Seligen beschrieben ist, hauptsächlich durch pindarische Verse,
werden Flüsse der Unterwelt erwähnt und dann ohne rechten
Übergang Seelen, die dort in Unterhaltung und Erinnerung
an Vergangenes und Gegenwärtiges sich die Zeit vertreiben.
— 120
Was das zu bedeuten hat, wird ohne weiteres klar, wenn wir
neben die Worte bei Plutarch eine Stelle Piatons aus dem
besprochenen Republikinythus stellen:
Fiat. Rep. p. 614^: Kai rdc Fluide occulte viv.p.l ISO'':
dei d(piKVou|Lievac ujcirep €k
TToWfic TTopeiac qpaivecGai fiKeiv
Kai dcjLievac eic töv Xeijuujva
dmoucac oiov ev TtavriYupei
KaxacKrivdcBai Kai äcaalecQai
xe dXXrjXac öcai Yvujpi|uai Kai
TTuvGdveceai rdc xe ck xfic y^IC
f]Koucac Trapd xüjv exe'puuv xd
ekcT Kai xdc eK xoO oiipavoO xd
irap' EKeivaic. biriYeicöai be biaxpißdc exouciv ev |avri|aaic
d\\r|\aic xdc |Liev öbupojuevac Kai Xöyoic xüjv y^Tovöxujv Kai
xe Kai KXaoucac dva)ui|uvr;iCKo- övxoiv TrapaTre^Trovxec auxouc
luevac öca xe Kai oia irdBoiev Kai cuvövxec.
Kai iboiev ev xrj uttö yf\c tto-
peia — eivai be xfjv iropeiav
XiXiexfj — , xdc be au ck xoO
oupavoO eiJTTaGeiac biriYekOai
Kai 9eac djurixdvouc xö KdXXoc.
Es sind also diejenigen Seelen gemeint, die nicht zu den Ge-
filden der Seligen eingegangen sind, sondern durch lange Wan-
derung ihre Schuld abbüfsen müssen und sich immer wieder
drunten auf dem XeijuiLv versammeln bis zur Wahl eines neuen
Lebens. Die dritte Klasse von Seelen sind die, welche zu
ewiger Qual verurteilt sind, und nun sind auch die weiteren
Worte Flutarchs verständlich: f] be xpixr] xoiv dvociiuc ßeßiou-
KÖxujv Kai 7Tapavö|utJuv oböc ecxiv eic epeßöc xi Kai ßdpa9pov
luGoöca xdc ipuxdc kxX. Diese Dreiteilung ist an allen den
besprochenen Fiatonstellen durchgeführt (mit denselben Worten
von den oboi üorg. p. 524* vgl. Fhaidr. 249"). Das Fragmen-
tarische und Unverständliche der Flutarchsätze erklärt sieb
z. T., soweit nicht der Text lückenhaft und verderbt ist, dar-
aus, dafs sie einem pindarischen Gedichte ohne volle Einsicht
in dessen Gedankengang entnommen sind, und zwar, wie oben
bereits ausgeführt wurde, dem, aus welchem am Anfang und
— 121 —
Ende der Auseinandersetzung die Verse direkt citiert sind. Zur
Wiederherstellung desselben pindarischen Gedichts sind aber
vielleicht noch aufserdem zu verwenden etliche Stellen aus
dem Hadesmythus des pseudoplatonischen Axiochos. Nament-
lich in einigen Sätzen machen sich sofort die poetischen Worte
und metrischen Reste bemerklich (p. 371'' ff.), die man natür-
lich nicht zu vollen Versen wiederherstellen kann: öcoic }xk\
ouv ev TU) lr\v bai|aa)v dTa0öc eveitveucev, eic töv tüüv
euceßüjv xiJiJpov oiKiZiovrai, ev9a äqpOovoi juev ujpai iraf KOip-
TTOu Yovfic ßpuouci, TTinai ö' ubdxujv Kaöapüjv peouci, irav-
ToToi Ö€ Xeijaüjvec av0eci ttoikiXoic eapiZ;ö]uevoi, biarpi-
ßai be qpiXocöqpujv xai 6eaTpa iroiriTÜJv Kai kukXioi xopoi kqi
ILtouciKCt dKOucpara, cuintröcid xe eupeXn Kai eiXairivai auxoxopri-
THTOi Kai dKripaxoc dXuTiia kqi fibeia biaixa* ouxe fäp xei}iu
cqpobpöv ouxe BdXTioc eY"nTvexai, dXX' euKpaxoc dfip x^iTai
dTiaXaic fiXiou dKXiciv dvaKipvd)Lievoc. evxaööa xoic
p6|LiuTi|iievoic ecxi xic npoebpia (vgl. noch p. 37 P Cicucpou Trexpoc
dvr|Vuxoc, ou xd xeppaxa auGic dpxetai ttövujv^). Man
fühlt noch Reste daktylisch -logaoedischen Metrums heraus.
Neben diese Stelle hat man bereits gerückt^ die Worte aus
Plutarchs consol. ad Äpollon. c. 34 p. 120^ f.: ei b' 6 xuuv
TTaXaiiiJv xe iroiriTUJV Kai cpiXocöqpuüv Xöfoc ecxiv dXr|9ric,
ÜJCTTcp eiKoc exeiv, oüxu) Kai xoic euceßeci xujv pexaXXaEdvxouv
ecxi xic xipf) Kai Tipoebpia, KaGdirep XeTCfai, Kai X'J'Jpoc
xic diroxexaYpe'voc, ev il» biaxpißouciv ai xouxiuv ipuxai, KaXdc
eXtribac exeiv ce bei . . . Xexexai be uttö xou peXiKoö TTivbdpou
xauxi Trepi xujv euceßeiuv ev "Aibou' xoici Xdpirei und nun folgt
eben jenes Fragment, das auch in dem Schriftchen de occulte
viv. citiert wird. Man darf nicht nur die gleiche Quelle für
den Verfasser des Axiochos und für Plutarch annehmen, son-
dern auch unbedenklich, glaube ich, jenen TraXaiOuv iroirixüüv
XÖYOC und jenes KaGdirep Xeyexai wieder aufgenommen erachten
durch das mit Xe-fexai be eingeführte Pindarcitat, und dann
stammen jene metrischen Anklänge des Axiochos — wozu
eben das Metrum vorzüglich pafst — aus ebendemselben
1 Das einzelne stellt zusammen und erörtert Buresch Consolatio-
num histor. critica p. 18 f.
2 Buresch a. a. 0. p. 19.
— 122 —
Pindarliede, dessen Hauptinhalt Plutarch in de occulte viv.
angibt.
Auf jeden Fall ist für uns nunmehr ein Threnos Pindars
dem Sinne nach rekonstruiert, in dem das Schicksal der Seelen
geschildert war genau übereinstimmend mit den Schilderungen
der platonischen Mythen, besonders desjenigen am Schlüsse
des Staates. Der gemeinsame Ursprung dieser Lehren aber
kann nun gewifs nicht mehr zweifelhaft sein.
Und Piatons Mythen stimmen in allem, was die erhaltenen
Reste zu kontrolieren uns gestatten, zu den Täf eichen von
Thurioi und Petelia: in diesen und in jenen der himmlische
Ursprung der Seelen, der schmerzenvolle Kreislauf, das Ab-
büfsen der Schuld wegen alter Sünden, das Eingehen in die
Gefilde der Seligkeit (Persephone tritt allerdings bei Piaton
gänzlich zurück); zur rechten gehen wie in Piatons Republik
so nach den Inschriften die zu Belohnenden und zur Linken die
zu Strafenden, links ist die Lethe in beiden Überlieferungen.
Sollten wir nun nicht die Anspielungen bei Piaton verstehen
von der )Livr||ui-| der seligen Philosophenseelen, Trpoc fäp CKei-
voic dei ecTiv |Livr)|ur| (Phaidr. 249"), und unmittelbar daneben
die Bezeichnung der Lehre als xeXeoi leXeiai? Es ist das-
selbe, wenn von Pythagoras gesagt wird, er sei immer im
Besitz der |iivr||UTi gewesen.^ Dort ist nur abstrakt gesagt, was
der Quell der Mneme konkret, mythisch und symbolisch sein
soll. Die Wiedererinnerung an das, was die Seele einst sah
in ihrer göttlichen Heimat, hilft sie erlösen: wer sie empfängt,
ist erlöst. Sollte es noch zu kühn sein, in jener offenbar viel
älteren Vorstellung der unteritalischen Mysterien, die nun für
uns erst um Piatons Zeit oder etwas später durch diese Täfel-
chen ans Licht treten, eine Quelle der platonischen Lehre
von der dvd|Livr|Cic zu finden? Das kann hier nur ange-
deutet werden, sonst würde sich herausstellen, dafs diese
Mysterienlehren überhaupt von viel gröfserem Einflüsse auf
1 S. bes. Laert. Diog. VIII 4 nach Herakleides Pont.: töv bk '6p|inv
elireiv aurq) ^A.^c6ai Sri äv ßoüXr|Tai tt^v öGavacfac. alxricacGai oöv Z&vxa
Koi TeXeuTUJVTa iuvrinnv ^X^iv tujv cujußaivövTuuv. ^v ^kv oöv ttj Zujtj irdv-
TUJv öia)LivT])noveöcai • ^irei bk diroödtvoi, Tripf|cai ti'iv aöri^v |avr||Lir|v. Darum
kannte er seine Metempsychosen.
- 123 -
die ganze Psychologie, ja die ganze Ideenlehre gewesen sind,
als man hatte annehmen können.
Ist es so schon mehr als wahrscheinlich, dafs Piaton jene
Erzählungen aus westgriechischen orphisch - pythagoreischen
Vorlagen geschöpft habe, so wird das immer sicherer, wenn
wir noch aufser den erörterten Hauptlehren eine Anzahl be-
sonderer Einzelheiten gerade in orphischer und pythagoreischer
Tradition wiederfinden. Für Sündenfall und Seelenwanderung
(der Leib ein Kerker) weist Piaton selbst auf Orphiker als
Urheber hin.^ Aber weiter wird im Phaidros in jener Partie
(s. oben S. 113) eine Satzung der Adrasteia genannt. Diese
Göttin spielt eine grofse Rolle in der orphischen Litteratur,
wird als grofse Weltengöttin in der Theogonie des Hellanikos
und Hieronymus angeführt (Damaskios quaest. de prim. princ.
p. 387, orph. Fragm. 36) und zugleich Ananke genannt. ISie
ist die, welche alle Gesetze und SchicksalsschlOsse gibt, wie
Hermias aus orphischer Litteratur zu der Platonstelle belegt.^
In orphischen Hymnen ist sie auch vorgekommen, denn in
der die Sammlung einleitenden euxri irpöc MoucaTov wird auch
'die Herrscherin Adrasteia' (v. 36) unter den zu preisenden
Gottheiten genannt. Das älteste Zeugnis für die orphische
Adrasteia ist der Vers des aischyleischen Prometheus (935):
Ol TTpocKuvouvrec rfiv 'Aöpdcieiav coqpoi.^
Die vier Hadesflüsse des Phaidon werden auch mehrfach in
orphischen Büchern bezeugt (Fragm. 155, 156, 321). Den See
an der gleichen Stelle des Phaidon, der von Wasser und
1 öoKoöci ludvToi |joi judXiCTa GdcGai oi ä|uq)i 'Opqpea toöto tö övo.ua
(cfi^a), lue öiKTiv öi&oOcric Tf\c v|;uxnc, Cratyl. p. 400.
2 Orph. Fragm. 109. 110. 111. Adoi und Kpövioi vÖ|lioi werden er-
wähnt als von ihr ausgehend. Man wird an das Gesetz eitl Kpövou im plat.
Gorg. p. 523* erinnert über Seligkeit der Gerechten und Strafe der Un-
gerechten. Äufserdem vgl. Philostrat. vit. Apollon. VUI 7 von Pjtha-
goras: irapeXOurv b' Ic irXeiuj cw^aja Karct töv 'A&pacreiac 9ec|iöv,
öv Miuxn ^vaXXdxTei, irdXiv eiravfjXeev kc ävGpuiirou eiboc ktX.
3 Vgl. OKem de Orphei Epimenidis Pherecydis theog. p. 45, einiges
weitere bei Posnansky Nemesis und Adrasteia 71 fi., Tümpel bei Pauly-
Wissowa I 408. Es ist bedeutsam, dafs dieser Hinweis auf die Weisen
des Westens sich gerade in der Tragödie findet, welche die deutlichen
Spuren des Aufenthaltes in Sicilien trägt.
- 124 -
Ichlamm siedet, kennen wir bereits als orphisch. Die Ananke,
ie in der Republik geschildert wird, wird auch in jener
Theogonie beschrieben gleich der Adrasteia, die bis an die
Grenzen des Kosmos fasse.^ Auch in den orphischen Argo-
nautika (v. 12) wird sie unter den ersten Wesen der Welt
genannt. Dafs wir in solchem Falle berechtigt sind, spätere
Citate, wo sie sich mit Piaton in diesen Partien berühren, als
älter orphisch in Anspruch zu nehmen, bestätigt auch in
diesem Falle noch ein Euripidesvers, es sei ein Wort der
Weisen, dafs nichts stärker sei als die gewaltige Ananke.^
Diese Weisen sind ohne Zweifel die Orphiker. Der brüllende
Schlund^ ebendort bei Piaton erinnert daran, dafs nach Ari-
stoteles an. post. II 11 p. 94^ 32 die Pythagoreer sagten, der
Donner schrecke die Sünder im Tartaros.* Die Harmonie der
Sifenen erinnert an die Sphärenharmonie der Pythagoreer; und
in lamblichs Leben des Pythagoras ist in der That von der
Harmonie die Rede, in der die Sirenen seien (r\ dpiuovia, ev
f] ai ceipfivec c. 18 p. 60, 3 Nauck).^ Die Moiren im weifsen
Gewände kennt nach des Clemens Zeugnis (Strom. V p. 244'',
orph. Fragm. 253) geradeso auch Orpheus (MoTpai XeuKÖCToXoi).
Wenn bei der trümmerhaften Überlieferung solcher Lit-
teratur so viel zusammentrifft, uns in orphisch-pythagoreische
Kreise zu weisen, so wird kein Zweifel sein, dafs die einheitliche
1 S. Ettig Acheruntica 308, 3. Vgl. Abraxas 101 f.
2 Helen. 514:
XÖYOC T<ip ^CTiv ouK ^|liöc, coqpujv ö' ^'ttoc,
beivf^c 'AvdYKrjc oöb^v IcxOetv uX^ov.
Vgl. V. Wilamowitz Homer. Unters. 224, 22, OKern a. a. 0. Die Alkestia-
verse 967 von der Ananke, gegen die auch orphische Sprüche nichts
helfen, besagen doch über den Inhalt der orphischen Sprüche nichts.
Es sind gerade Beschwörungen, die die Ananke zu brechen sich an-
heischig machen.
3 Ob man hier an die Vorstellung des Hades als eines brüllenden
Ungeheuers denken darf (wofür sich viel Parallelen beibringen liefsen,
einiges bei Ettig Acheruntica 308, 1), ist mir doch sehr zweifelhaft.
Wenigstens hätte eich die Verwendung der Vorstellung bei Piaton ganz
von der ursprünglichen Anschauung entfernt.
4 S. Zell er Philos. d. Griechen P 451, 3.
5 Vgl. dazu auch die Auseinandersetzung bei Macrob. Commentar.
in somu. Scip. 11 3, 1.
— 125 —
Conception der platonischen Mythen eben daher rührt, dafs sie
aus einem orphisch- pythagoreischen Werke geschöpft sind.
Wo Piaton abweicht, k(Äinen wir natürlich im einzelnen nicht
entscheiden; es ist aber wahrscheinlich, dafs er sich bis ins
Detail eben jenem Werke angeschlossen hat, und es ist nicht
zufällig, dafs er gerade in der Republik sich am engsten und
vollständigsten an dasselbe angeschlossen zu haben scheint.
Er hatte wohl schon in Athen solche Werke kennen gelernt,
dann aber in Sicilien, wie vordem auch Pindar, noch viel
genauer ihre Bekanntschaft gemacht, Ihre Lehren hält Piaton
in allem Ernste sehr hoch und verbreitet sie selbst mit Eifer,
wenn er sie auch mehr oder weniger in seinem Sinne wendet.
Er kannte, wie wir sahen, verschiedene orphische Richtungen,
die eine bekämpft und verspottet er aufs heftigste, das in
Griechenland gang und gäbe Treiben der Orpheotelesten und
ihre Weisheit vom ewigen Rausch und ewigen Kote drunten.
Die anderen erkennt er aufs höchste an und benutzt ihre
Bücher, nimmt vieles von ihnen an und vertritt es mit beson-
derer Wärme. Diese anderen waren so geworden durch die
Vereinigung mit den Pythagoreern, in Unteritalien. Der
Schlamm scheint auch bei ihnen in dem Unterweltsbilde nicht
gefehlt zu haben, aber nur eine der mannigfachen Strafen aus-
gemacht zu haben. Man kann vielleicht sagen, dafs die unter-
italische Lehre entstanden sei durch Vereinigung der Lehre
von der Seelenwanderung, die doch ursprünglich als ein
büfseuder Kreislauf der Seele bis wieder zurück zu ihrer
himmlischen Heimat gedacht war, mit der zunächst ganz ver-
schiedenen von bestimmter Belohnung und Strafe der Geweihten
und Ungeweihten in der Unterwelt. Man hätte dann jene
Seelenwanderungslehre zuerst von den Pythagoreern ausgehend
zu denken. Die alten rohen Vorstellungen der thracischen
Orpheusdiener und griechischen Winkelpropheten waren ver-
edelt durch die priesterlichen Lehren des apollinischen Weisen,
und so hat diese edle Mystik tief und nachhaltig schon auf
den jungen Piaton eingewirkt und den alternden fast ganz zu
ihrem Evangelium bekehrt. Es mufs ein grofses orphisches
Buch gewesen sein, in dem in Form des Berichtes über einen
Hinabstieg zum Hades, ähnlich wie in der Republik auch,
— 126 -
über alles das, was der Hinabsteigende gesehen, von diesem
selbst berichtet wird: von den Totenrichtern, von dem Ge-
richt^, von den zu Bestrafenden und%ihren Strafen, von den
1 Wenn man bei Pindar Rhadamanthys, bei Piaton Minos Ebada-
manthys und Aiakos als Richter und dieselben auf den unteritalischen
Bildern findet, so wird doch die natürliche Annahme die sein, dafs
schon in der gemeinsamen Quelle, die wir erschlossen haben, diese
Richter genannt waren. Und z. B. jenes platonische oiTiep Kai X^yov-
TOi dK€i öiKtiZieiv (Apol. p. 41% Rohde Psyche 284, 3) wird doch schon
damals jeder unbefangene Leser auf ein Gericht über das im Leben Be-
gangene bezogen haben; denn das war ganz bekannt, wie z. B. etliche
Aischylosstellen zeigen. Angesichts der Stelle Suppl. 230 f.:
KÖKcI öiKd^ei Tä|LiTrXaKr||aa6 ', ibc Xö^oc,
Zeuc äXXoc ^v KajuoOciv öctütoc öikoc
kann man doch nicht sagen, dafs Aischylos diese Gedanken ""seinem
eigenen, von dem Popularglauben streng abgekehrten Geiste' entnommen
habe (Rohde a. a. O. 284). Wer würde glauben, dafs die Vorstellung
von einem Buche Gottes im Himmel, in das unsere Sünden aufgezeichnet
werden, wenn man davon in späterer Litteratur liest, dafs diese Vorstellung
schon im 5. Jahrhundert vorhanden gewesen ist? Es sei gestattet, mit
ein paar Worten auf dieses lehrreiche Beispiel einzugehen, lehrreich be-
sonders auch dafür, dafs so charakteristische Vorstellungen in ganz ver-
schiedenen Kulturkreisen unabhängig von einander entstehen können.
In der Apoc. loh. XX 12 steht von dem Buche, das beim jüngsten
Gerichte geöffnet wird, und die Toten werden gerichtet nach den Thaten,
die in dem Buche geschrieben stehen. Bis ins einzelne ausgemalt findet
sich dieses Gericht im Testament Abraams (Texts and studies II 2 p. 90 f.):
auf dem Tische liegt ein grofses Buch sechs Ellen dick und zehn Ellen
breit, zwei Engel sitzen daran mit Tinte, Feder und Papier. Ein Engel
hat • eine grofse Wage (man denkt an die v|;uxocTacia). Jene beiden
anderen Engel aber schreiben auf, ö ixkv Ik öeHiOüv Tctc öiKaiocüvac, 6 &e
^S äpicxepüüv xäc äjuapTiac. Beim Gericht wird das Buch geöffnet. Der
eigentliche Richter ist merkwürdigerweise Abel. Die Vorstellungen sind
jüdisch und wohl ausgegangen von Maleachi III 16, und die Bilder von
Gott selbst mit der Wage und namentlich von dem Buch der Gedächt-
nisse, in dem jedes Menschen Geschick und jedes Thaten geschrieben
stehen, werden bis zum heutigen Tage in der jüdischen Liturgie alljähr-
lich vorgetragen (Machsor für den Neujahrstag, vgl. Pirkeh Aboth III 20,
IV 29, Stellen, die mir Herr cand. phil. Bergel hier nachweist). Durch
lateinische apokalyptische Litteratur werden diese Dinge im Mittelalter
verbreitet und auch nach Deutschland übertragen. Auf einiges sehr be-
merkenswerte macht mich Edward Schröder aufmerksam: im Muspilli
ist es der Teufel, der sich alle Thaten der Menschen aufschreibt und
beim jüngsten Gericht alles vorbringt (v. 69 ff.). Öfter aber schreibt ein
- 127 -
Flüssen der Qual und dem Tartaros, von den zu Belohnenden
und den Gefilden der Seligen, von der zweiten Wahl der
Lebenslose, dazu auch von dem ersten Süudenfall und der
Bufse, die dafür gesetzt sei. Ein solches Werk mufs schon
Empedokles, mufs Pindaros vor sich gehabt haben; dafs es
ganz dasselbe gewesen sei, darf man nicht behaupten, denn
gerade in mystischen und religiösen Kreisen wechseln die
Fassungen solcher Bücher schnell, wie man das so deutlich
an den zahlreichen orphischen Theogonien sieht. Trümmer
einer solchen Nekyia, die freilich durch den fortwährenden
Einzelgebrauch etwas verändert sein werden, müssen auch die
Engel auf, was der Mensch gutes thut, ein Teufel, was er böses thut; 'so
zeigen sich beide in Steinbildern rechts und links an dem romanischen
Portale des Bonner Münsters, sitzend und jeder in ein Blatt schreibend,
das er auf den Knieen hält' (WWackernagel in Haupts Ztschr. VI 149fiF.),
genau wie in dem Abraambuche die beiden Engel! Doch das nur nebenbei.
Eben die Vorstellung von dem Buche, in dem die Thaten der Menschen
registriert werden, meint Eurlpides in dem Melanippefragment 506 N*:
ÖOKelTe Trr|f)äv Tä&iKrmaT' eic Beoüc
TTTepoTci, KctTreir' ^v Aiöc Ö^Xtou TTTUxaic
Ypäqpeiv Tiv' aöxd, Zfiva ö' eicopujvTÖ viv
6vTiToTc öiKdZietv; oö6' ö iräc av oöpavöc
Aiöc YpdqpovTOC räc ßporOüv a\iafniac
iEapK^ceiev oö6' ^Kdvoc Qv ckottüuv
ireiiireiv ^küctiu Zr]]iiav.
Wir werden nun auch die sprichwörtlichen Redensarten von öiqpGepa
Aiöc u. ä. besser verstehen, z. B. dpxaiörepa Tf\c öiqpöepac X^ycic: kiii
Tujv ca9pd Tiva Kcd pujpct 6ir|T0U|a^vuJv ^ fäp biqpG^pa, ^v fj boK& ö Zeuc
dtroYpdqpeceai xct Yivö^eva, iraiiTTdXaioc, prov. Diogen. in paroem. ed. Gais-
ford p. 174, vgl. Zenob. IV 11, a. a. 0. p. 307 (qpacl yäp töv Aia eic
biqpG^pac Tivctc dTTOYpdqpecOai tä irpaTTÖiieva toic dvöpujiToic) und aufser-
dem Lukian. de merc. cond. c. 12: köv |i^v tic f\ ttoXitiic öirö qpöövou f\
yeiTCUv Ik tivoc eÜTeXoOc alxiac irpocKCKpouKUJC dvaKpivö|U6voc eiirr) jioixöv
r\ iraibepacTi^v toOt' ^kcivo Aiöc ö^Xtujv ö ladpTUC, dv bi irävTec d|na
^Ef^c eiratvOüciv öitotttoi. Woher diese Vorstellung bei den Griechen
stammt und wen Euripides mit seinem Spotte hat treffen wollen, kann
uns nicht zweifelhaft sein. Bei Lukian. Katapl. c. 5 hat die Klotho ein
solches Buch; vgl. OMüller Arch. der Kunst § 398, 1, OJahn Arch. Bei-
träge 170 f. Jedenfalls soll man sich aber nicht darüber täuschen, dafs auch
die Vorstellung vom letzten Gericht schon recht ausgebildet und die
Kenntnis derselben schon recht verbreitet war. Auf alle die anderen ein-
zelnen eschatologischen Bilder näher einzugehen, ist hier unmöglich.
- 128 -
Verse der unteritalischen Täfelchen sein, am intaktesten scheint
sich das gröfste Stück in lauter Hexametern erhalten zu haben,
wo beschrieben wird, welchen Weg man drunten zu gehen
habe und was man sagen müsse und welches Los den Begna-
digten erwarte. Natürlich wurde dasselbe immer wieder her-
ausgegriffen, weil das für den Toten das wichtigste war.
Wir wissen, dafs es ein solches Gedicht gegeben hat mit
dem Titel 'Opqpeuuc eic "Aibou Kaxdßacic. Natürlich ist es in
diesem Gedichte Orpheus selbst, der hinabsteigt in die Unter-
welt^, nicht um Burydike zu holen, sondern, dafs er den Men-
schen ein Bote werde der Diuge da drunten^ und sie dadurch
für seine Lehre gewinne und zu dem öciujc lr\v bekehre. Wir
düi:fen jetzt, nachdem Ernst Kuhnert im letzten Hefte des
archäologischen Jahrbuchs (1893, Heft 4, S. 104 ff.) den Zu-
sammenhang zwischen den Unterweltsdarstellungen auf den
bekannten unteritalischen Prunkvasen der Gräber und den
orphischen Mysterienlehren unwidersprechlich nachgewiesen
hat, wir dürfen nun diese Vasenbilder, die aus derselben Zeit
und derselben Gegend wie die oben besprochenen Goldtäfelchen
stammen und ebenso wie diese ins Grab mitgegeben wurden, zur
Erklärung jenes Hinabgangs des Orpheus heranziehen: er ist
nicht im Hades die Gattin zu holen — sie fehlt auf den
hauptsächlich in Betracht kommenden Bildern — , sondern als
der 'Stifter der nach ihm benannten Mysterien' ist er dar-
gestellt, Vie er für die durch seine Weihen Geläuterten bei
Persephone um ein seliges Leben bittet' (Kuhnert 107). Die
Mysten selbst sind deutlich genug zu erkennen. Orpheus ist
der Erstling derer, die da hinabgehen zu der Seligkeit, die
er allen seinen Geweihten verheifst: er hat den Seinigen seinen
1 S. Ettig Acheruntica 286. Die Vermutung, dafs die eic "Aibou
KOTÖßacic mit der Minyas identisch sei, halte ich für endgiltig beseitigt,
s. bes. Rohde Psyche 278, 2. — Die Ergänzung des Marmor Parium ep. 14
dtp' oö 'Opqpeuc . . ^H^GriKe . . Kai töv oOtoO [^c "Aiöou Koraßaepöv] ist
wohl ziemlich sicher.
2 Wie es auch von Er heifst in Piatons Rep. p. 614*" ^auToö bi
irpoceXeövTOC elireiv öxi bioi äy^eXov dvepiOuoic Y^vccBai xiJüv ^k€T ktX.
Es ist dasselbe Motiv, das auch in der Petrusapokalypse anklingt (v. 5)
iva 'ibu)|Li€v iroTaiToi eici xr^v iLiopqpt'jv Koi OapcricavTec TTapaöapcüviufiev Kai
Touc diKoOovTac r\}x(uv dvGpiÜTTOuc.
- 129 -
Hiuabgang verkündet, auf dafs sie denselben Weg fanden, und
hat ihnen geoffenbart das Glück des ewigen Lebens, das ihrer
harrt, wenn sie erlöst sein werden von dem Kerker dieses
Leibes, und die ewige Strafe derer, die gefrevelt und seine
heiligen Weihen verachtet. Gewifs nicht anders hat man sich
dies priesterliche Gedicht zu denken, diese Offenbarung des
Orpheus von den Dingen des Jenseits. Die Betrachtang der
Weiterentwicklung dieser Lehren und ihrer litterarischen Schick-
sale wird unsere Auffassung des orphischen Gedichtes be-
stätigen, das zum ersten Male einen Hinabgang zum Toten-
reich in religiöser, in erbaulicher Absicht beschrieben hat und
das die erste griechische Apokalypse gewesen ist.
Wie eng diese Dichtung, die ja aus den orphisch-pytha-
goreischen Kulten Grofsgriechenlands stammte, mit pythago-
reischer Lehre zusammenhieng, mag auch daraus hervorgehen,
dafs sie schon Epigenes, ein alexandrinischer Grammatiker,
der älter war als Kallimachos^ mit anderen orphischen Büchern
einem Pythagoreer zuschreiben wollte.^ Kein Wunder, dafs
es auch frühe schon eine Hadesfahrt des Pythagoras gab:
Herakleides vom Pontos und Hieronymos von Rhodos im
dritten Jahrhundert v. Chr. hatten sie^, und wir erfahren
durch die Vermittelung des Laertios Diogenes (VÜI 21)
wenigstens einiges von ihrem Inhalt: 9ri<^i ^^ lepiuvu^oc KateX-
eövra auTÖv (TTu6aTÖpav) eic "Aibou xfiv |aev 'Hciöbou ipuxnv
iöeiv Trpöc kiovi xö^kuj bebejuevriv Kai xpiloucav, ifiv he '0}ir\pov
Kpe^a^evriv otTrö bevbpou Kai öqpeic irepi auxfiv dv0' iLv eiirov
1 Susemihl Gesch. d. griech. Litt, in der Alexandrinerzeit I 344.
2 Clem. Alex. Strom, I p. 144, s. Ettig Acheruntica 286.
3 Weil kein strikter Beweis dafür beizubringen ist, dafs vor Hera-
kleides Pontikos sich irgend eine derartige Schrift mit Pythagoras be-
schäftigt habe (Diels im Archiv f. Gesch. d, Philos. III 469), kann man
doch nicht behaupten, dafs Herakleides das alles erfanden habe. Alle
innere Wahrscheinlichkeit, die Art der erhaltenen Spuren weist doch
darauf hin, dafs diese Nachrichten an die alte orphische Dichtung an-
knüpften. Welcher Art das Buch des Herakleides irepl tOüv koG' "Ai&riv
war, kann man ja nicht wissen; wenn man über die Art und Tendenz
der Bücher gleichen Titels von Protagoras, Demokritos, Antisthenes
etwas vermuten darf, so ist es das, dafs sie die orphisch-pythagoreische
Hadesmythologie bekämpften oder verspotteten. Denn der Volksglaube
vom Hades in damaliger Zeit bot so einförmige blasse und so wenig
Dieterich, Nekyia. 9
— 130 -
irepi Oeujv, KoXa2;o)aevouc he mi toüc jjlx] GeXovtac cuveivai laic
auTuJv YuvaiHiv.^ Es bestätigt sich, dafs eine Hauptstelle in
diesen Kaxaßdceic die Schilderung der unterirdischen Strafen
einnahm. Die Strafe der Verleumder der Götter, welche die
Polemik der mystischen Richtungen gegen die alte Poesie
widerspiegelt, und die der Unsittlichen, die höchst charakte-
ristisch bezeichnet werden, sind gewifs nicht die einzigen, die
Pythagoras sah. Dasselbe Buch scheint Hermippos gekannt
zu haben (L. Diog. VIII 41), er erzählt aber eine verspottende
Anekdote dazu, die derjenigen von Zalmoxis bei Herodot
(IV 94) ganz ähnlich, vielleicht ihr nachgemacht ist.^ Dafs
in demselben pythagoreischen Buche auch die verschiedenen
Metempsychosen des Pythagoras erzählt waren, ist möglich,
aber nicht sicher.^ Wahrscheiolich könnte es erscheinen nach
dem Bericht des Herakleid^s Pontikos (L. Diog. VIII 4), der
sich auf Worte des Pythagoras über sich selbst beruft; dort
heilst es von Euphorbos, er habe von Hermes verliehen be-
kommen xfiv ific ipuxfic TrepiTTÖXriciv, ujc 7TepieTroXr|6r| Kai elc
öca cpuxd Kai Kua TtepieYeveTO Kai öca f] vjjuxin ev tu» abr]
^7ra0e Kai ai Xottrai xiva uTTO)Lievouciv. Immerhin macht
der Bericht den Eindruck, als ob nur in die Partie der Euphor-
bosmetempsychose innerhalb einer umfangreicheren Schilderung
der Metempsychosen eine oder die Kaxdßacic eingeschoben sei.
Es scheint, als ob schon in solchen Büchern der Hinab-
gang die Form einer Entrückung der Seele angenommen habe.
Und dem, was so von Pythagoras erzählt wird, stehen sehr
nahe die Geschichten, wie sie von Hermotimos*, Zalmoxis
(Herod. IV 94 ff.), Aristeas^ erzählt werden, die alle wie
namentlich auch der Hyperboreer Abaris mit der orphisch-
grelle Farben, dafs ihn weder zu schildern noch anzugreifen jemand
würde unteroopamen haben.
1 S. Hiiler in der Satura philologa HSauppio oblata p. 106 f.
2 Rohde Rhein. Mus. XXVI 557, 1.
3 Jedenfalls braucht nicht die bei Laert. Diog. VIII 14 erwähnte
Ypacpr] dieselbe mit der KaTdßacic zu sein (Rohde a. a. 0,); vergleiche
aufaerdem Ettig a. a. 0. 289, 3.
4 Rohde Rhein. Mus. XXVI 558 Anm.
5 Fragm. epic. graec, p. 244 Kinkel (toütou cpaö. t»^v H^uxriv öt€
dßoüXcTO ^HUvm Kol ^xravi^vai trdXiv Suid.).
— 131 -
pythagoreischen Legende und Litteratur eng verbunden sind.
Unter ihrem Namen hat es auch apokryphe Schriften gegeben:
von Zamolxis und Abaris Zaubersprüche (Plat. Charmid. 158^),
von Abaris Orakel^ auch eine Theogonie und Ka0ap|ioi, von
Aristeas aufser anderm auch eine Theogonie (Suid.). So ist es
wohl auch mehr als eine litterarische Einkleidung, wenn im
pseudoplatonischen Axiochos (p. STl^fiF.) den Hadesmythus, der
ganz wie wir es für jene orphisch-pythagoreischen Kaxaßdceic
voraussetzen, Belohnungen und Strafen in der Unterwelt be-
richtet, die Hyperboreer Opis und Hekaergos auf ehernen
Tafeln^ nach Delos gebracht haben sollen^; das soll wieder
durch den Magier Gobryes berichtet sein, ähnlich wie etwa
in Lukians Menippos (c. 6) der chaldäische Magier Mithro-
barzanes die Kaxdßacic zu veranstalten versteht, von den
zahllosen ähnlichen Angaben solcher fiktiven Gröfsen in der
späten Litteratur zu schweigen. Ob aber nicht der Pamphylier
Er in der platonischen Republik auch mehr als eine Erfindung
Piatons ist? Sollte er schon orphisch-pythagoreische Hades-
visionen angeblich solcher nordischer oder orientalischer
Wundermänner gekannt haben? Und eine solche Vision, eine
Entrückung der Seele wie derjenigen des Er, die dann in den
Leib zurückkehrt (oc TeXeuTrjcac dveßioi), wird in der That
auch schon, die älteste Pythagoras- Kaxdßacic enthalten haben.*
Eine ganz versprengte Notiz läfst uns noch erkennen,
wie gerade solche Visionen nun auch auf den Namen anderer
Hauptvertreter der orphisch-pythagoreischen Richtung giengen.
Bei Servius zu Verg. Georg. I 34 heifst es: Varro alt se le-
gisse Empedocli a quadani vi divina mortalem adspedum de-
tersum eumque inter cetera tres portas vidisse tresque vias,
unam ad Signum scorpionis, qua Hercules ad deos isse diceretur.
1 Von Herakleides Pont, werden citiert Xöyoi tujv eic 'Aßapiv dva-
q)€pOfi^vurv Bekker Anecd. gr. I 145. 178, s. Bethe bei Paaly-Wissowa 1 15.
2 Was die xa^Kai öeXroi bedeuten sollen, kann man aus PoUux
YIII 128 sehen: b^Xroi xa^KoT, aic fjcav itdXai ^vxeTUTruj^^oi oi vö(.ioi
Ttepi TU)v iepujv koI tüjv Traxpiiuv (vgl. auch Soph. Trachtn. 683).
3 S. darüber auch Crusius bei Eoscher II 2812. Vgl. orph. Fragm.
267, wonach Orpheus einen Vers erhalten haben soll de oraculo ApoUinis
Hyperborei, s. Ettig 313, 1.
4 Rohde Rhein. Mus. XXVI 557, Ettig 289.
9*
— 132 —
Manche Korabination ruft diese unscheinbare Notiz hervor;
für jetzt mag nur darauf aufmerksam gemacht sein, wie auch
hier wieder die drei Wege im Jenseits dieselbe Bedeutung
haben, die oben bei Piaton und in der Plutarch-Pindarstelle
erklärt wurde.
Weiterhin ist dann die ausgebildete Form der eigent-
lichen Kaiaßacic sowohl wie der blofsen Vision zu einer immer
mehr angewendeten litter arischen Einkleidung geworden für
mannigfachen Inhalt. Etwa das nächste Stadium der Ent-
wickelung ist wiederum an einem westgriechischen wirklichen
oder vermeintlichen Heros des Pythagoreismus zu beobachten.
Im Anfang des Epicharmus des Ennius stand ohne Zweifel
der Vers (fr. I Vahl.) :
nam videbar somniare med ego esse mortuum.
Dieser eine Vers reiht, scheint mir, allein die merkwürdige
Schrift in jene Litteraturgattung ein: wer damals träumte, er
sei gestorben, träumte weiter, dafs er in den Hades komme,
und folgten dann Sätze philosophischer Weisheit, so vernahm
er diese in der Unterwelt, vernahm sie da aus dem Munde
eines von ihm befragten berühmten Weltweisen. So wurde nun
auch der eigentlich philosophischen Lehre überweltliche oder
vielmehr unterweltliche Autorität verschafft. Von der weiteren
Entwickelung dieses litterarischen Typus ins Parodische und
Satirische bei Sotades und Sopater, Timon, Krates, Menippos
u. a. habe ich hier nicht zu reden. Das aber ist uns nun
verständlich, dafs man in Sicilien den typischen Vertreter
pythagoreischer Spruchweisheit zum Hades fahren liefs, damit
er dort aus dem Munde des Meisters selbst die hohen Lehren
vernehme, dafs man diese Lehren zunächst die beliebten epi-
charmischen Verse selbst sein liefs, und indem man sie mit
leichtester Mühe in die bestimmte Form einkleidete, eine 'Etti-
Xapiuou eic "Aibou Kaidßacic ausgehen liefs. Eine solche hat
Ennius übersetzt, denn schon die entsprechende Passung der
anderen Titel des Ennius (Euemerus, Sota) zeigt, dafs nicht
dieser selbst, sondern Epicharmus es ist, der beginnt: mir
träumte, ich sei gestorben.^ Diese Einführung der Traum-
1 So allein ist es auch zu erklären , dafs die Citate des echten
- 133 -
vision hat denn auch ihre Geschichte^, wie z. B. Tiinarchus
in dem Hadesmjthus bei Plutarch de deo Socratis (c. 22)
nicht weifs eit' eTpriTopev eit' ibveiponöXei.
Aber dies alles weiter zu verfolgen ist hier nicht der
Ort. Das haben wir gesehen, wie gewaltig die erste unter-
italische Jenseitsoffenbarung gewirkt hat und wie alsbald nach
verschiedenen Seiten hin an sie angeknüpft ist. Nur noch die
Vermutung mag gestattet sein, dafs auch die Kaiaßacic eic
"Aibou und ihre Verspottung in der attischen Komödie durch
jene Bücher des Westens, wenn nicht angeregt, so doch in
vielem beeinflufst worden ist, nicht nur in dem späteren Pytha-
gorista des Aristophon, in dem geradezu der Spott über eine
pythagoreische Hadesfahrt der Gegenstand des Stückes war^,
sondern auch in früheren, freilich meist bis auf weniges ver-
lorenen Stücken^, ja, wohl auch in den Fröschen. Dafs damals
schon von pythagoreischer Hadeslitteratur in Athen Kenntnis
vorhanden war, scheinen mir die Verse des Sophokles in der
Elektra zu beweisen (v. 62):
)\br] fap eibov iroWaKic Kai touc coq)Ouc
XÖYUJ )LidTriv,0v^cKOVTac" ei0' öiav bö|aouc
e\9ujciv au0ic, eKTeTi)nriVTai TiXeov.
Die Schollen weisen ganz richtig auf Pythagoras hin.* Gerade
auch der Ausdruck oi coqpoi, wenn man sich anderer Stellen
der Tragiker erinnert (s. oben S. 123 f.), weist auf Orphiker-
Pythagoreer hin. So konnte auch Piaton schon, als er den
Epicharm bei Euripides (s. Diels sibyll. Blätter 34, 1 zu v. Wilamowitz
Herakles I 29, 54) mit den Versen des römischen Übersetzers eines
falschen Epicharm übereinstimmen.
1 S. z. B. Ps.-Plut. Plac. philos. V 1, 4 (p. 416 Diels), Ettig 314.
2 Rohde griech. Roman 260, 3.
3 Z. B. auch in den MeraXXfic des Pherekrates stieg eine Frau
durch die laurischen Gruben zum Hades und erzählte nachher, was sie
gesehen, Fragm. 108 ff. K. Ähnlich war es in den KpairaxaXoi und einer
Anzahl anderer Stücke.
4 Von ihm heifst es z. B. auch nach Hieronjmus bei LDiog.
Vin 21 nach der Erzählung von der Hadesentrückung koI 6i^ koI biä
toOto Ti|UTi9fjvai ötiö tuiv ^v Kpöxujvi. Die Scholien erzählen eine Ge-
schichte wie die LDiog. VIII 41 und verbinden sie mit dem Bericht von
den Metempsychosen.
- 134 -
Phaidros schrieb, in Athen solche apokalyptischen Produkte
der unteritalischen Mystik kennen.
Aber auch von der weiteren Tradition der alten eigent-
lichen Hadesfahrt des Orpheus selbst hören wir. Natürlich
macht ihr Text allerlei Wandlungen durch, aber es ist gewifs
eben dies orphische Hadesbuch, von dem Diodor berichtet,
dafs dort die Strafen der Gottlosen und die Gefilde der
Frommen geschildert seien (Diod. I 96, 4 ff. orph. Fragm. 153).
Und später hören wir wieder mehr von diesem Gedichte des
Orpheus, und dessen Schilderungen sind es, die zur Zeit der
Neuplatoniker allbekannt, von ihnen immer herangezogen
werden, namentlich wenn es gilt den Piaton zu erklären. Da
hören wir wieder von Reinigungen im Acher on, die dort be-
schrieben seien, und lesen Verse wie diese (Fragm. 154):
o'i )uev k' euaYeu)civ ijtt' aiiYOtc iieXioio,
auTic dTro(p0i|uevoi juaXaKdiTepov oitov e'xouciv
ev KaXuj \ei|ua)vi ßa6uppoov d)uq)' 'Axepovia,
und von denen, die im Tartarus gestraft werden:
o'i b' abiKa peHavTec utt' auYCic iieXioio
üßpiv e', o'i KttTdYOVTai urrö TrXdtKa Kuukutoio
Tdprapov ec Kpuöevia.
Vom einzelnen hören wir weiterhin nur'^, dafs von Erlösungen
1 Das Citat des Servius zu Aen. VI 565 fertur namque ab Orpheo,
quod du peierantes per Stygem paludem novem annorunt spatio puniuntur
in Tartaro (vgl. Empedokles v. 372 ff,, p. 78 Stein) kann recht wohl in
der orphischen Kaxcißacic gestanden haben (fr. 157 Abel), kaum aber das
andere Serviuscitat zu Aen. VI 392 lectum est in Orpheo, quod quando
Hercules ad inferos descendit, Charon territus eum statim suscepit, oh
quam rem anrto integro in compedibus fuit. Man kann nicht wissen, wo
in der mannigfachen orphischen Litteratur dergleichen erwähnt wurde
(auch wenn es wirklich in der Hadesfahrt gestanden hätte, würde noch
lange nicht folgen, dafs das Ganze eine Fahrt des Herakles sei, wie
Lobeck Agl. 813 meinte, s. Ettig 286). Dafs keins von beiden Citaten
in den Orpheus des Lucanus gehört, wie man MHaupt opusc. II 219
immer wieder geglaubt, hat schon Ettig 376, 1 aus der Citationsformel
schlagend dargethan. Bei dem ersten Fragment mufste nun gar erst
Bäbrens aus dem ab ein in machen. Hosins durfte diese Sätze nicht
wieder unter die Fragmente des lucanischen Orpheus setzen (Ausgabe
S. 328 f), ebensowenig die obscöne Geschichte von den osälla aus Serv.
— 135 -
neuer Lebenslose unter der Erde und von Metempsycliosen
ebendort die Rede war, also genau die Hauptsachen, die sich
uns auch anderwärts als Inhalt jenes alten Gedichts ergeben
hatten. Ebendahin wird auch gehören ein Fragment über
Seelenwanderung, besonders Wanderung der Seelen in Tiere
(Fragm. 224), dann heifst es (v. 5 f.):
ÖTTTTÖTe b' avGpujTTOC TTpoXiirri qpdoc iieXioio,
vjjuxac dGavaiac Kaidtei KuXXrjVioc 'GpMfic
Yttiric ec Keu0|ud)va ireXoupiov — .
Der Anklang, z. T. wörtliche Gleichheit der Verse mit denen
einer der unteritalischen Inschriften (oben S. 85, 2) fällt ohne
weiteres auf. Und bedürfte es noch eines Beweises, wie zäh
sich die alten Verse bis in so späte Zeit erhalten konnten,
so hätte ihn der Fund des kretischen Täfelchens aus dem
zweiten Jahrhundert n. Chr. erbracht. Dort hat man das
orphische Hadesbuch gehabt, gewifs dasselbe, das auch in
Ägypten die Neuplatoniker allein kannten und benutzten. Gerade
auch in dieser Zeit ist das orphische Buch vom Hinabgang
zum Hades dasjenige gewesen, welches die Lehren von der Selig-
keit und den Strafen im Jenseits bewahrt und verbreitet hat
und als das sozusagen klassische Buch dafür von den Neu-
platonikern angeführt wird.
Nur mühsame Untersuchungen können nun das verlorene
Buch wiedergewinnen. Den Hauptinhalt des verschollenen
Gedichtes konnten wir rekonstruieren, seinen Gang wieder-
verfolgen und seinen Sinn wiedererkennen. Ganze Stücke
sind erhalten geblieben dank seiner einzigen Stellung und ge-
waltigen Wirkung in der Litteratur, und auch hier haben
glückliche Funde dieser Jahre den Schlüssel gegeben zu dem
verborgenen Schatze. Aber auch die weiter versprengten
Stückchen sind zu sammeln, damit wir namentlich auch die
Sündertypen und die Höllenstrafen dieser hellenischen Nekyia
zu Verg. Georg. II 389 {et hoc in OrpJieo lectum est); weisen doch die ver-
schiedenen Bedeutungen des Wortes, die in Betracht kommen, alle auf
Dionysoskult und seine obscönen Riten hin. Wo sollte denn das über-
haupt bei Lucan gestanden haben? Denn die sicheren Fragmente seines
Orpheus machen unzweifelhaft, dafs er nur die Geschichte mit Eurydike,
jedenfalls nach alexandrinischem Vorbild, behandelt hat^
- 136 -
Kar' iloxr\\, von denen uns bisher nur wenige Andeutungen auf-
gestofsen sind, vergleichen können mit denjenigen der ersten
christlichen Nekyia.
Weniges ist aus jenem in bestimmten Genossenschaften
gehegten Glauben allmählich in allgemeineren Volksglauben
übergegangen. Ein Ort der Frommen drunten und einer für
die Frevler, auch mit dem Gedanken an Belohnung und
Strafe mag wohl hier und da allgemein aufgenommen worden
sein. Aber es ist doch sehr charakteristisch, mit welcher
Zurückhaltung und geflissentlichen Unbestimmtheit über diese
Dinge z. B. auch bei den attischen Rednern gesprochen wird^,
die für allgemeine Volksvorstellungen ihrer Zeit vielleicht die
zuverlässigste Quelle sind, wie selten selbst in den uns er-
haltenen Grabreden.^ Eine viel gröfsere Rolle spielt dort der
Gedanke der diesseitigen Vergeltung.
Früh schon kommt es vor, dafs man geliebte Menschen
im Hades wiederzusehen hofft ^, und solchen Gedanken wider-
1 Meufs Jahrb. f. Philol. CXXXIX (1889) 449 fif. 801 ff.
2 Lysias sagt Xu 10 oT|uai bä outouc ■f]n<uv xe äxpoöcGai Kai dinäc
eicecGai xi^jv vjifiqpov qp^povrac. Geradezu stehend wird für dergleichen
die bedingte Form et b' ?CTiv avcöricic ^v "Atöou..., djcirep utto-
\a)aßdvo|a6v , Hypereid. epit. p. 71 Bl., Stob. anth. 124,36. Ameipsias
I 676 fr. 29K el |li^v Gavoöciv äcxi Tic ti|uIi*i Kdriu, KoraßiuiLiev. Über
die Grabinschriften s. o. Kaibel Epigr. 62 (Athen, 3. — 2. Jh.)
el bi TIC euceßtac napÄ TTepceqxivrii x^^pic Ictiv,
Kol col Tf^cöe ^i^poc 6u)K€ TÜxri q)9i)ui^viii.
48 (Athen, 3. Jh.):
oi6a bä col ÖTi Kol kutö ff\c, ei irep xP^lCfoic Y^pac ?ctiv,
irpiuTrii coi Ti|aa{, TiTGTi, xcapä TT€pc€9Öviii TTXoütuuvi tc KeiVTOi.
ÄhnUch CIA II 3897
(■ir)dvTiJUv luv e^mc Iczi TUxeTv eö6a(|Lioci GvriTOic
(2)ll»cd T€ ^KOtVltlVOUV KOl 90l|Lt^VTl |Ll(eT)^X^-
Vgl. Tacit. Agric. c. 46 st quis piorum manilms locus, si, ut sapientibus
placet, non cum corpore exstinguuntur magnae animae, placide quiescas etc.
3 Iphigenie wird dem Vater in der Unterwelt entgegenkommen
Aisch. Agam. 1522, Antigene spricht davon, wie sie dem Vater und der
Mutter drunten hätte entgegentreten sollen, Soph. OB 1356, sie wird mit
- 137 -
spricht es durchaus nicht, wenn gesagt wird, dafs der Tote nun
keinen Schmerz mehr leide, nichts mehr fühle ^, allgemeine,
natürliche Gedanken, die wohl immer auch von denen aus-
gesprochen sind, die durchaus nicht sagen wollten, dafs mit
dem Tode alles aus sei. Aber eine Vergeltung im Jenseits,
Strafen in der Unterwelt werden an so vielen Stellen, an
denen ihre Erwähnung jedem, der an sie glaubte, nur natür-
lich, ja notwendig gewesen wäre, nicht genannt. Mit den
wenigen Stellen, an denen dergleichen ausgeführt wird, hat es
immer eine besondere Bewandtnis. So findet sich bei allen
attischen Rednern, um zunächst zu diesen zurückzukehren,
soviel ich weifs, nur eine einzige Stelle in der dem Demosthenes
zugeschriebenen ersten Rede gegen Aristogeiton, wo es heifst,
dafs einer nicht der Gnade der Hadesgötter würdig sei, sondern zu
den Gottlosen verstofsen zu werden verdiene, um der Schlechtig-
keit seines Lebens willen.^ Erst recht sind wir aber verwun-
dert über den unmittelbar vorhergehenden Satz laeG' u)v b* oi
liUfpäcpoi Touc dceßeic fpdq)ouciv eic "Aibou, fiexct tou-
Tuuv, juex' 'Apäc xai BXacqpriuiac xai OGovou Kai Cidceujc Kai
NeiKOuc Trepiepxeiai : er kennt nicht 91X10, nicht xdpic, sondern
in seiner Begleitung sind jene schrecklichen Wesen, wie sie
die Maler den Gottlosen im Hades beigeben. Diese Wesen
sind offenbar ebenso als Erinyen gedacht wie etwa in der
Plutarchstelle de exil. c. 9 p. 602** ejib öe KCtKeivov ('AXKjueiuva)
ekd^uj (peuTOvra rroXiTiKdc dpxdc xai cxdceic koi cuKoq)avTiac
epivuiubeic eXecGai. So haben die Stoiker die Erinyen gedeutet,
dem Vater und Bruder binabkommen Antig. 888. In Piatons Phaidon
p. 68* beifst es sogar: f| ävöpumivujv ji^v iraiöiKÜJv Kai YuvaiKuiv koI
ui^urv äiro8avövTUJV ttoXXoI bi] ^k6vt€C riG^Xrjcav eic°Ai&ou ^XGeiv
vTzö ToCmic dTÖfievoi xfic IXiriboc rfic toO övjjecBai re iK€i Ouv ^ireGüjiouv
Kol Suv^cecGai.
1 Z. B. Theogn. 955 f. Keico|iai üjcre XiBoc aq)90TT0C. Aisch. Fragm.
255 N* öXtoc b' o\)bb/ äiTT€Tai vexpoö. Vgl. Soph. OC. 955, Eurip. Ale. 937.
Soph. Tracb. 1175 toic fäp Gavoöci |i6xGoc ou npocfifyeTax , und viel
äbnlicbes.
2 Demosth. XXV § 53 eiG' ov oub^ rürv ^v "Ai6ou Geiliv eiKÖc kxi
Toxtiv 'iXeiuv, dXX' eic Toi)c dceßeic liicGnvai 5id xrjv irovr|piav
Toö ßiou.
- 138 —
als die Sünden, die dem Menschen Verderben bringen, und die
Strafen zugleich: (piXrjbovia, cpiXoTrXouTia, (f>i\oboHia u. a. sind
ihnen die Furien^, nicht unähnlich den Teufeln, von denen
man in Deutschland im 16. Jahrhundert so viel gepredigt und
geschrieben, dem Aufruhrteufel, dem Lustteufel, dem Geiz-
teufel und ihren unzähligen CoUegen.^ Die Stoiker liefsen
diese eigentlich infernalischen Wesen umdeutend schon in
diesem Leben wirken : jene Maler aber, welche die Demosthenes-
stelle erwähnt, liefsen sie im Hades die Gottlosen züchtigen;
was können es anders für Einzelstrafen sein, als die, welche
auf den unteritalischen Unterweltsbildern die Frevler züchtigen,
dort freilich noch allgemeiner nur als TToivai, 'AvdxKTi be-
zeichnet; können überhaupt andere Bilder gemeint sein als
solche, die anschliefsend an diese einzigen ünterweltsbilder, die
es gab, die Darstellung des einzelnen, namentlich der Strafen
immer mehr ausbildeten? Nur eine Stelle wüfste ich anzu-
führen, die eben solche Bilder für das 4. oder 3. vorchrist-
liche Jahrhundert aus der griechischen Welt uns bezeugt;
denn auf ein griechisches Original gehen unzweifelhaft die
plautinischen Verse in den Captivi des Plautus V 4, 1 ff. zurück:
Vidi ego multa saepe picta quae Ächerunti fierent
Cruciamenta: verum enim vero nulla adaequest Acheruns
Atque ubi ego fiii in lapicidinis.
Diese und die Rednerstelle stützen sich gegenseitig. Und ist
es sehr wahrscheinlich, dass das Original der plautinischen
Captivi beträchtlich späterer Zeit als der demosthenischen an-
gehört^, sollten dann wirklich jene Worte der Aristogeitonrede
1 Sehr zahlreiche weitere Belege findet mau bei ENorden Jahrb. f.
Philol. Suppl. XVIII 338 f.
2 Eine Notiz Krumbachers in den Studien zu den Legenden des
h. Theodosios, Sitzungsber. der philos. histor. Classe der bair. Ak. d.
Wiss. 1892, S. 349, 2, ist in diesem Zusammenhange sehr bedeutsam.
In einem Cod. Vatic. gr. 840 stehe fol. 222^^ *ein Verzeichnis von 56
Lastern, die als Luftgeister bezeichnet werden': xä tüöv reXuJveiujv.
TÖ xfic KOTaXuXiäc, rfic Xciöopiac, toO <p9övou u. s. w. Über die
Luftgeister der Telonien liSchmidt Volksleben d. Neugriechen 171 ff.
3 Auch V. Wilamowitz sagt in dem neuesten Programm von Göt-
tingen (für das Wintersem. 1893/94:) p. 13: Captivos fortassc ne Atlienis
quidem neque florente aetate natam esse ttsi sensu tantum ductus suspicoi\
— 139 —
so von Demosthenes gesagt sein, der so wenig wie seine Kunst-
crenossen in jener Zeit je etwas ähnliches ausgesprochen hat?
Es ist ein sehr bedeutsames Zusammentreffen, dass in der-
selben 25. Rede (§ 11) ganz deutlich und ausdrücklich ein
orphischer Hymnus unserer Sammlung citiert wird, wie auch
eine Gegenüberstellung sofort zeigen wird^:
Demosth. XXV 11: orph.Hymn.LX Aiktic, v.2f.:
Ktti xfiv ctTTapaiTriTOV Kai ce|ivfiv
AiKTiv, tiv 6 Tttc dfnuTaTac
fj mTv TeXeiac Kaiabeitac 'Opqpeuc ii Kai Zrivöc avaKTOc im Gpövov
irapä TÖv tou Aioc Bpövov iepöv iZei
qprici KaGriMCvriv Travia id oupavööev KaGopOuca ßiov Gvr)-
TUJV dvGpuuTTUJV ecpopdv. xujv TToXuqpüXuJV.
Der Redner bekennt sich ausdrücklich zu den orphischen TeXexai
und führt einen Satz aus einem heiligen Liede derselben an, so-
dafs man annehmen mufs, er gehöre selbst zu einer orphischen
Gemeinde, in der diese Lieder im Gebrauch waren. Und nun
nehme man die anderen oben angeführten Aufserungen des-
selben Redners hinzu: er war selbst orphisches Gemeindeglied
oder stand doch diesen Kulten sehr nahe; er spielt auf ihre
Lehren an und citiert Lieder, die so wohl kaum vor dem
3. Jahrhundert vorhanden waren. Bedenkt man aufserdem,
dafs deutliche Spuren stoischer Lehre zu erkennen sind, die
ja später stark in die orphischen Mysterien eindrangt, so wird
ein Zweifel nicht sein können, dafs die Rede nicht von De-
mosthenes ist, sondern etwa von einem Rhetor der älteren
alexandriuischen Zeit stammt; in der alexandrinischen Bibliothek
war sie schon als Rede des Demosthenes aufgenommen. Ge-
rade das aber ist das Resultat der Untersuchungen, die auf Grund
ganz anderer Judicien über diese Rede geführt sind, ohne dafs
die oben erörterten Punkte auch nur mit einem Worte erwähnt
wären, das Resultat auch der meines Wissens letzten sorgfäl-
tigen Untersuchung über die Echtheit der Rede von Lipsius
(Leipziger Studien VI 1883, 319 ff.). Ich habe absichtlich ohne
1 Die Übereinstimmung ist längst bemerkt, aber z. B. auch von
Lobeck (Agl. 391 f.) ganz anders beurteilt gemäfe seiner heute erledigten
Auffassung der orphischen Hymnen.
2 S. Abraxas 83 fiF.
— 140 —
Rücksicht darauf meine Gründe entwickelt, die das anderweit
gewonnene Ergebnis zu bestätigen geeignet sind.
Es zeigten sich auch hier schon die Spuren stoischen Glau-
bens, der vom dritten Jahrhundert an immer mehr die ganze
griechische Welt durchdrang; so bestimmte er immer stärker die
Auffassung nicht nur der Gebildeten, sondern bald auch der Un-
gebildeten. Den Volksglauben nahmen die Stoiker auf, indem
sie ihn umdeuteten, allegorisierten. Ihnen sind auch die Inseln
der Seligen nur bildlicher Ausdruck; sie reden wohl auch von
einer Reinigung der Seelen: die der Guten steigen in den
Äther, aber die der Schlechten erhalten sich nicht. ^ Nur an
einer einzigen Stelle wird von der Annahme wirklicher Strafen
in stoischer Lehre berichtet^: Zenon habe gelehrt, dafs die
Sitze der Frommen und Gottlosen getrennt seien, jene be-
wohnten ruhige und entzückende Orte, diese büfsten an finsteren
Orten und in schauerlichen Schlünden von Schlamm.^ Da sehen
wir also sogar den gewifs schon in manchen Gegenden recht
verbreiteten orphischen Glauben von dem stoischen Philosophen
aufgenommen, eine Concession der stärksten Art, die wir auch
bei keinem anderen Stoiker antreffen. Natürlich griffen diesen
schwachen Punkt mit besonderm Eifer die Epikureer an*,
denen ja überhaupt die Menschen von der Angst vor jen-
seitiger Strafe und einem Gerichte dort zu befreien ein Haupt-
stück ihrer Mission war. Lucretius erklärt (III 976 ff.) die
Qualen des Tantalus, Tityus und Sisyphus auch allegorisch
wie die Stoiker, wir erfahren dann aber plötzlich von Dingen,
die 'nirgends sind noch sein können' nach Lucretius, die aber
1 Zeller IV 202.
2 Vgl. RHeinze Xenokrates 135.
3 Lactant. Vll 7, 13 esse inferos Zeno Stoicus docuit et sedes
pioruni ah impiis esse discretas; et illos quidem quietas ac delectahiles in-
colere regiones, hos vero luerc poenas in tenebrosis locis atque in caeni
voraginibus horrendis.
4 Vgl. Usener Epicurea fr. 341, s. fr. 336 ff. Auch an den Wänden
der Halle von Oinoanda steht aus einem Briefe Epikurs: q)oßoO|aai t^P
oö6^v bid. Touc TiTuouc Kttl Touc (T avxdXouc, oöc äva^pdcpouciv tv "Ai-
(bou) Tivdc, ovbt qpp(T(TU)) 'vf]v jLiübriciv ^v(eun)oü|aevoc ti^v (toö c)i]ü-
laaToc, Usener Rhein. Mus. XLVII 428 no. 12.
— 141 -
doch ein von itm bekämpfter Glaube in die Unterwelt ver-
setzte, aufser dem Cerberus und den Furien (v. 1015):
verbera, carnifices, robur, pix, lammina, taedae.
Das sind ganz solche unterirdische Qualen, wie wir sie schon
hier and da erwähnt fanden, ins Römische, und z. T. nicht
blois in römische Worte, sondern auch in römische Verhält-
nisse übertragen.^ Wer mögen die Bufsprediger gewesen sein,
die in Rom mit Hölle und Teufel die Menschen schrecken und
bekehren wollten?
Hätten wir mehr von den solche Lehren bekämpfenden
Schriften oder auch von der reichen Litteratur des Spottes
und der Parodie über solche eschatologischen Vorstellungen
— denn sehr oft pflegen sich diese letzteren in der sogen,
höheren Litteratur nur in Spott oder Polemik zu erhalten — ,
so wüfsten wir auch eher, was in den apokalyptischen Rollen
stand, welche die Propheten dieser Zeit in ihren Ranzen trugen
und aus denen sie den Sünden der Menschen ewige Strafen
verkündeten. Wir wissen nur wenig noch von dem Spott der
Kyniker über diese Dinge in allen möglichen litterarischen
Formen, den dann z. T. semitische Spottvögel mit besonderem
Eifer weiter kultivierten; wir wissen besonders von ihnen allen
nicht, welche Vorstellungen von Hölle und Vergeltung sie
lächerlich machen wollten. Von Bion, dem Borystheuiten,
wird erwähnt (Laert. Diog. IV 49, 50), dafs er sarkastisch
gesagt habe euKoXov ttiv eic "Aibou öböv Kaxapuovxac youv
dmevai, und ebenda wird auch seine oben angeführte (S. 70 Anm.)
spöttische Aufserung über die Strafe des Wassertragens aus-
geschrieben. In dem gleichen Tone wie ihr Meister und Vor-
bild werden auch weiterhin die kynischen Tugeudprediger und
die stoisch-kynischen Diatribenschreiber über die Dinge einer
jenseitigen Welt sich ausgelassen haben; jedenfalls waren sie
1 Verbera wohl mit den lidcrrfec der Erinyen, auf deren Fackeln
aach die taedae gehen werden. Die carnifices erinnern an die schreck-
lichen Männer der platonischen Republik, zu pix s. u.; lammina ist eine
glühende Metallplatte, ein sehr häufiges Torturmittel: lamminae ardentes
Cic. Verr. V 163, lamna candens Hör. epist. 1 15, 36 u. s. ; robur ist stehender
Ausdruck für das schauerliche unterirdische Gefängnis im carcer, in
welchem auch Hinrichtungen vollzogen wurden, auch TuUianum genannt
— 142 -
jederzeit weit entfernt, etwa selbst apokalyptische Geheimnisse
zu verkünden oder zu verbreiten.
Von etlichen Stücken der erwähnten Art von Litteratur
können wir uns aber noch einigermafsen eine Vorstellung
machen nach Lukians mehrfachen sarkastischen Schilderungen
der Unterwelt, deren Betrachtung uns in manchem Punkte
weiterführen wird; in der NeKuo)LiavTeia MeviirKou wird er sich
eng an des Menippos Nekyia angeschlossen haben. Da ist
auch von der Asphodeloswiese, von Minos Richterstuhl die
Rede, von Furien, vom Bestrafungsort und einigen furchtbaren
Strafen; man hört den Schall der Geifseln, das Wehklagen derer,
die auf dem Feuer gebraten werden, Marterwerkzeuge sind da,
der Kerberos und die Chimaira zerfleischen die Gottlosen.
Auch einige Scherze über Seelenwanderungslehre fliefsen mit
ein. Die Pointe ist, dafs Tiresias nach dem besten Lebenslos
gefragt wird. ^ Auch im Philopseudes (c. 24 ff.) wird eine
Vision der Unterwelt erzählt, von einem, der lange krank
gewesen ist und von einem schönen Jüngling in weifsem Ge-
wände zum Thron des Plutos geführt wird, um gleich wieder
zurückgeschickt zu werden. Hauptsächlich sind es Philosophen,
die er dort hat treffen wollen. Ahnlich ist der KaxdTrXouc:
da sind merkwürdigerweise die Toten nach Alter und Schicksal
getrennt, wie in der Nekyiomanteia nach q)0\a und I6vti, im
Philopseudes nach qpOXa und (ppfixpai. Über Tityos, Sisyphos,
Tantalos, auch über das Trinken mit den Heroen auf den
Inseln der Seligen, über Minos und das Gericht (wobei wieder
besonders Mörder und Tempelräuber genannt werden) macht
sich Lukian auch lustig in den letzten Kapiteln des Zeuc e\eY-
x6)iievoc (c. 17 ff.). Abgesehen von den Totengesprächeu, in
denen immer wieder klar gemacht wird, dafs alle angeblichen
Güter des Lebens dort unten nicht mehr sind, dafs alle gleich
verzichten müssen — nur wenige Andeutungen auf einzelne volks-
tümliche Hadesvorstellungen kommen vor — , ist die ausführ-
lichste parodische Schilderung dieser Dinge in dem zweiten Teile
1 Bekanntlich ist es sehr wahrscheinlich, dafs Horatius in der
5. Satire des zweiten Buches, wenigstens was die Einkleidung betrifft,
die Nekyia des Menippos benutzt hat. Für uns ergibt das aber nichts.
— 143 —
der wahren Geschichten zu fiuden. Da verspottet er, die
Travestie dick auftragend, die phantastischen utopischen Reise-
romane und ähnliche Litteraturprodukte seiner Zeit. Da steht
eine Schilderung der. Insel der Seligen, die ich bereits oben
erwähnte, eine Schilderung der fünf Inseln der Gottlosen, wo
auch Feuer, Schwefel, Pech vorhanden sind-, Geifseln werden
erwähnt, der Boden *starrt von Schwertern und Spitzen, ja
sogar Flüsse von Schlamm, Blut und Feuer fehlen nicht.
Geht dergleichen auch zunächst auf solche Romanschilderungen
zurück, das können wir ohne weiteres sagen: erfunden oder
ausgebildet sind diese Züge da sicher nicht, sondern von solchen,
welche die Menschen schrecken und bekehren wollten. Und
von welchen Philosophen? Weder von Kynikern noch Stoikern.
Die Pythagoreer haben nie ganz aufgehört zu existieren^,
oder wenigstens die Anhänger der orphisch- pythagoreischen
Geheimlehren sind nie ganz ausgestorben gewesen. Diese
Mysterien waren z. T. arg in ünsittlichkeit verkommen und
eine Gefahr für den römischen Staat geworden. Aber kurz
nach der Katastrophe, die in Italien über diese Kulte herein-
brach, hören wir doch noch von Pythagoreern einer ernstern,
neuen Art in Rom und in Alexandria, die an altpythagoreische
Lehre und auch an jene Mysterien anknüpften und viel mehr
praktische Theologen und Telesten als spekulative Denker
waren, noch viel mehr als die Neupythagoreer späterer
Zeit. Ich brauche nur an Nigidius Figulus, Vatinius u. a.
zu erinnern. Bald kann man zwei Richtungen unterscheiden,
die beide an Piaton anknüpfen, der ja selbst so viel Pytha-
goreisches und Pythagoreisch-Orphisches aufgenommen hatte.
Die einen aber nehmen noch besonders stoische, die anderen
peripatetische Einflüsse auf. Die Hauptwerke beider Rich-
tungen fallen in das erste Jahrh. v. Chr., wohl in dessen erste
Hälfte. Der ersteren Art sind die Pythagoreer des Alexander
Polyhistor (Laert. Diog. VII 24 ff.): die Seele ist mit der
Gottheit verwandt, unsterblich, besteht aus feurigem und kaltem
Äther, aus Wärme und Luft, die Seelen der Guten kehren
zur Gottheit zurück, die als Heroen und Dämonen im Luft-
1 Rohde gr. Roman 67, 257.
— 144 —
räum verehrt werden; die Unreinen werden von den Erinyen
in unzerreifsbare Bande gelegt: Reinigungen und Waschungen
sind sehr nötig zur Heiligkeit. Man erkennt noch den alten
Mysterienglauben durch, und so hat diese Lehre weit gewirkt,
so auf Philo von Alexandrien und auf Seneca,^ Auch zwei
verschiedene Lehren von der Seelenwanderung hatten die beiden
Richtungen, nach der einen geht die Seele nach Ablauf des
grofsen Weltjahres aus den himmlischen Aufenthaltsorten
wieder in den menschlichen Körper, im Jenseits gibt es
Glückseligkeit, aber auch Strafen, nach der zweiten sind die
Seelen in ewigem Übergänge aus menschlichen in Tierleiber
und umgekehrt, die Seelen der Guten und Schlechten gehen
in die Leiber entsprechender Tiere.^ Diese letztere Lehre er-
innert besonders an Empedokles, aber auch bei Piaton steht
sie ja am SchluTs der Republik (620'^) und findet sich ebenso
bei Ovid, bei Seneca, bei Plotiu, noch bei Claudian.^ Seneca
(epist. 198, 19) gibt als den Urheber den Nigidius Figulus
und den Anaxilaus von Larissa an. Sie ist eben alt pytha-
goreisch-orphisch. Jene andere Richtung der Neupythagoreer,
die z. T. aus Stoikern schöpft, hat sich an Posidonius ange-
schlossen. Aber Posidonius hat von Strafen der Seelen nichts
gelehrt, wie wir wissen, höchstens in allegorischem Sinne.*
Gerade also auch in dem, was uns hier besonders angeht,
werden wir immer wieder auf pythagoreisch-orphische Litte-
ratur zurückgewiesen, die ja gerade in den letzten Jahrhun-
derten vor Chr. wieder frisch zu blühen anfing. Nigidius
Figulus, Vatinius und die Häupter der neuen mystischen Rich-
tung waren Zeitgenossen des Lucretius. Es bleibt kaum etwas
anderes übrig als die Vermutung, dafs sich seine Bekämpfung
der Höllenstrafen gegen solchen Glauben richtete.
Aber es werden sich noch weitere und deutlichere Spuren
der mächtig anwachsenden orphisch-pythagoreischen Mystik nach-
weisen lassen. An Piatons Mystik, namentlich in seinen eschato-
1 Vgl. besonders Schmekel Philosophie der Mittelstoa 429 ff.
2 Schmekel a. a. 0. 432 ff.
3 S. Birt de Senecae apocolocyntosi et apotheosi lucubratio, Mar-
burger Index 1888/9. p. IV.
4 B.Heinze Xenokrates 136.
^ 145 —
locrischen Mythen hat zunächst Xenokrates angeknüpft, an ihn
vielfach Posidonius. Dies ist kürzlich überzeugend dargelegt.
Man hat auch versucht zu zeigen, dafs Plutarch gerade in seineu
Hadeserzählungen direkt aus Xenokrates schöpfe. Für den
Hauptteil des Schlusses von de fac. lun. gebe ich das ohne
weiteres zu, halte nur nicht für nötig, dafs der Zug, die Seelen
in der Luft bestraft werden zu lassen, auf Xenokrates zurück-
geführt werde. Der Timarchmythus ist richtig so erklärt, dafs
der Hades das irdische Leben ist: 'lebend sind wir die Büfser,
die das Volk sich als Abgeschiedene in der Unterwelt denkt'.
Von der oberen Welt sieht Tiraarch in den Abgrund, auf
unsere Erde herab. Die Umdeutung auf dieses Leben ist
dann, wie ich schon erwähnte, von Stoikern und auch Epi-
kureern teilweise übernommen. Es mag sich in der That der
Timarchmythus aus einer umdeutenden Weiterbildung der pla-
tonischen Mythen hinreichend erklären lassen, wenn auch wohl
einzelne Dinge vorkommen, die ein Mann mit der Absicht jener
Deutung wie Xenokrates, da sie nicht im Piaton standen, nicht
hinzugesetzt hätte, die also noch anderswoher stammen.^ Nun
aber der dritte eschatologische Mythus Plutarch s: Aridaios,
das etwa erzählt Plutarch de sera num. vind. (c. 22, p. 563^ff.),
war drei Tage tot und erwacht dann wieder zum Leben und
ist nun gerechter als alle Cilicier. Er erzählt, was er in den
drei Tagen erlebt hat. Er sieht zuerst die mannigfachen Be-
wegungen der leuchtenden Seelen hinauf und hinab. Die Seele
eines Verwandten, der jung gestorben war, kommt heran und
begrüfst ihn als Thespesios: so solle er von jetzt an heifsen.
Diese Seele führt ihn nun (also eine später häufige Form, dafs
einer die Vision zeigt oder bei der Kaiaßacic führt). Er sieht
die Seelen mit ihren Narben, er schaut die Adrasteia, die
Tochter der Ananke, hoch oben als Rächerin des Unrechts.
Poine, Dike, Erinys sind ihre Helferinnen, welche die heil-
baren und unheilbaren Sünder strafen. Die f^arben der ver-
schiedenen Seelen werden weitläufiger beschrieben. Dann
1 Die vier dpxai in der Unterwelt im Timarchmythus haben ilire
merkwürdige Parallele in den vier CTOixeia, die an die vier Flüsse der
Unterwelt geknüpft werden, in zwei orphischen Citaten des Olympiodor
zu Piatons Pbaidon Fragm. 155, 166.
Dietorich, Nekyia. 10
_ 146 -
sieht er den leuchtenden Ort der Seligkeit, wie eine bakchische
Höhle, grünend und blühend, herrlicher Duft und eine selige
Stimmung ist an dem ganzen Ort, wie sie der Wein den Be-
rauschten schafft; da leben die Seelen fortwährend herrlich
und in Freuden. Alles umgibt ßaKxeia Kai ye\wc. Dorthin
sei Dionysos zu den Göttern aufgefahren und danach habe er
Semele eingeführt. Dann kommen sie zu einem grofsen Krater,
in dem allerlei Flüssigkeiten gemischt werden. Drei Dämonen
sitzen darum und mischen. Bis dahin, sagt der Begleiter, sei
Orpheus gekommen, als er der Seele seines Weibes nachgieng;
er habe sich nicht richtig erinnert und falsch berichtet, dafs
es das dem Apollo und der Nacht gemeinsame delphische
Orakel sei, dem Apollo sei aber nichts mit der Nacht gemein.
Aus dem Krater kämen die Träume und Gesichter, das Orakel
des Apollo aber sei nicht zu sehen. Jenes sei ein Orakel des
Mondes und der Nacht. Dann zeigt der Begleiter ihm den
leuchtenden Dreifufs, der bis zum Parnafs leuchte, und die
weissagende Sibylle im Monde.^ Nun aber geht es zum Orte
derer, die bestraft werden. Er sieht seinen eigenen Vater,
der reiche Gastfreunde vergiftet hat, hier erst überführt ist
Von denen, welche die Strafen besorgen, zu gestehen gezwungen',
und nun in einem ßdpa9pov steckt. Andere winden sich im
Kote und kehren das Innere nach aufsen, wie Seewürmer
(Skolopendren), die das Innere nach aufsen kehren. Andere
umschlingen sich und fressen sich auf vor Zorn und Neid
zur Strafe für Thaten des Zornes im Leben. Nebeneinander
sind Seen siedenden Goldes, eisigen Bleies, harten Silbers;
Dämonen stehen dabei und stecken wie Metallarbeiter die
Seelen aus einem in den anderen: es sind die Seelen der Un-
ersättlichen und Habsüchtigen. Andere sehen sie aufserdem;
mancher Strafen gehen sogar noch auf die Nachkommen über.
Endlich wird nur kurz der Seelen Erwähnung gethan, die zu
einer neuen Geburt und in die Leiber aller möglichen Lebe-
wesen übergehen. Da wird noch besonders Nero erwähnt.
Dafs dieser Mythus sich auch in der Hauptsache an
Piaton anschliefst, liegt am Tage. Aber es ist eine Fülle
1 Der Sinn der Sätze 567'* ist mir unklar.
- 147 -
ganz eigentümlicher Züge hinzugekommen, und dafs der
Mythus in dieser Bereicherung nicht auf Xenokrates zurück-
geht, dürfte ohne weiteres sicher sein.^ Wer den Hades in
dieses Leben und in die Luft verlegt, Piatons Mythen nur mit
dieser Pointe umdeutend, wird jene Strafen, die nur für den
Hades erfunden sein können, nicht einführen, überhaupt nicht
brauchen können. Ebenso wenig kann ein allegorisch deutender,
wenn auch ein noch so coucessionsbereiter Stoiker solche Dinge
vorgebracht oder gar erdacht haben, und es liefse sich auch
nicht eine sichere Spur stoischer Lehren entdecken. Dafs
endlich Plutarch die eigenartigen Einzelheiten nicht selbst
erfunden hat, bedarf kaum eines Wortes.
Und es sind bestimmte Anzeichen ihres Ursprunges vor-
handen: die euujxia wie der Trunkenen, die avxpa ßaKXiKd an
dem Orte der Seligen, wo Dionysos zu den Göttern gekommen
sei, weisen uns schon in eine bestimmte Richtung. Der 'Krater
erinnert uns sofort an das dem Orpheus zugeschriebene Gedicht
Kparrip — denn so wird das Buch meist citiert, nicht Kpaippec — ,
über dessen Inhalt man freilich im Unklaren ist (Fragm. 158 —
162). Aber von Plutarch wird ja sogar Orpheus genannt, der
auch bis zu dem Kparrip hingekommen sei, aber gegen eine Er-
klärung desselben, die sich auf Delphi bezieht, polemisiert Plutarch,
korrigiert sie und setzt eine andere dafür ein. Das Orakel der
Nacht, das demnach Orpheus nannte, kennen wir in der That
aus der orphischen Litteratur (Fragm. 88). Es ist eine Korrektur,
die der delphische Priester zu machen sich veranlafst sieht,
und auf Delphisches scheinen sich auch die nächsten Sätze
über den leuchtenden Dreifufs zu beziehen. Dagegen ist die
folgende Schilderung des Straforts das offenbare Gegenstück zu
der des Seligenortes und trägt in der Beschreibung der Seen
und des Schlammes die deutlichsten Zeichen des gleichen Ur-
sprungs an sich, die noch viel unverkennbarer und zahlreicher
sind als in der platonischen Republik.
So bestätigt auch hier der Befund im einzelnen so schlacrend.
wie man es nur wünschen kann, die Anschauung von der
Provenienz solcher Höllenmythologie, die sich uns immer
1 So auch RHeinze Xenokrates 128, 1.
10="
— 148 -
mehr befestigt. Denn Leute welcher anderen philosophischen
oder religiösen Richtung sollen sich beeif'ert haben diese
schauerlichen Höllenstrafen auszudenken und litterarisch zu
formulieren? Es bliebe auch vom allgemeinen Gesichtspunkt
aus gar nichts anderes übrig als die Anhänger der orphisch-
pythagoreischen Mystik und deren Erneuerer, die ersten
Neupythagoreer, dafür verantwortlich zu machen. Und je
weniger in die uns bekannten Lehren der eigentlichen späteren
pythagoreischen Philosophie jene Hölle recht passen will,
umsomehr werden wir zu der eigentlich orphischen Litteratur
und Predigt zurückgewiesen. Wir sahen oben, dafs bis zum
Zeitalter der Neuplatoniker die Ausgestaltung jener Dinge des
Jenseits immer wieder auf orphische Werke als auf die klas-
sische Formulierung zurückgeführt wird. Wie aber gerade
auch im 2. Jahrh. nach Christus die orphische Litteratur
blühte, ist bekannt genug. Und wie weitverbreitet waren
damals gerade die mit ihr so eng verbundenen dionysischen
Kulte in Kleinasien, Ägypten und in der ganzen hellenistischen
Welt, mit ihren ßouKÖXoi und cdxupoi, ciXrivoi und KpaxripiaKoi. *
Das sind die Nachfolger der unteritalischen Mysten, und die
orphische Litteratur, die sie pflegten, ist die Weiterentwickelung
jener unteritalischen, ihre eschatologischen Schriften sind die
Abkömmlinge der unteritalischen xaiaßdceic.
Wenn es also keinem Zweifel mehr unterliegt, dafs
Plutarch jene Hadesvorstellungen in de sera num. vind. aus
solcher Litteratur direkt oder auch indirekt durch eigne Kenntnis
orphisch-dionysischer Kultlehren geschöpft hat, sollte es anders
sein mit den oben besprochenen Hadesschilderungen Lukians,
der die orphisch-dionysischen Kulte auch sonst genau kennt
und beschreibt (z. B. de saltat. 79)? Für die der plutarcheischen
in vielem so ähnlichen Schilderungen der vera hist., wo er die
utopische Schlaraffenlandlitteratur verspottet, hat schon Photius
1 Wie ich näher gezeigt habe de hymn. orph., bes. 4 fF. Eiwiges
mochte sogar in jener Zeit in delphische Lehre eingedrungen sein, wie
wir das von anderem Orphischen in später Zeit wissen, und dem Plutarch
schon dadurch sehr nahe liegen. Man sieht ja, wie sich an einer Stelle
orphische mit delphischer Lehre auseinandersetzt. Doch ist da im
einzelnen natürlich nicht viel zu erkennen.
- 149 -
als sein Objekt das Buch des Antonius Diogenes Von den
Wundern jenseits Thule' bezeichnet, und aus Gründen, die
unseren Erwägungen ganz fern stehen, hat man gerade die
Beschreibung der \f\coc dceßüJv auf ihn zurückgeführt.^ An-
tonius Diogenes aber war Pythagoreer, und die von ihm
erhaltenen pythagoreischen Bruchstücke zeigen 'ein stark über-
wiegendes Interesse für die praktische, durch einen absonder-
lichen mystischen Aberglauben unterstützte Lebensweise der
pythagoreischen Sekte' ^, und man weist ihn mit gutem Grunde
zu den ältesten Neupythagoreern. Antonius Diogenes "hat in
der Hadesepisode seines Romans die alten Orphiker und Pytha-
goreer nachgeahmt.^
Es ist gewifs kein Zufall, dafs wir auch da wieder in
dieselbe Linie münden, in ganz bestimmte Kreise von Menschen
und Schriften, die von allen anderen sich scharf und bestimmt
unterscheiden, deren Lehren selbst in der späteren allem
Mystischen, der Sündenangst und jeglicher Bekehrung so zu-
gänglichen Zeit niemals eigentlich volkstümlich geworden sind,
es sei denn da wo fast alles Volk in diese Kulte eingeweiht war.
Plutarch und Lukian sind ungefähre Zeitgenossen des
christlichen Apokalyptikers, dessen Offenbarung ja in ihrer
ganzen Art und in Einzelheiten so ähnlich dem oben betrachteten
Mythus des Plutarch und vielfach der Schilderung in der vera
bist des Lukian ist. Gerade die für die Herkunft dieser
Partieen charakteristischen Züge sind bei Petrus noch viel
zahlreicher, krasser, deutlicher ausgeprägt.
1 Rohde gr. Born. 192 ff.
2 Rohde a. a. 0. 257, s. Rohde 257 Anm. 2: 'in nicht eigentlich
wissenschaftlichen, sondern auf altpjthagoreischen Aberglauben und
abergläubische Vorschriften gerichteten Untersuchungen treten auch
die dem Plutarch gleichzeitigen Pythagoreer auf, Lucius aus Etrurien
und die Schüler des Alexikrates' u. s. w.
3 Die Derkyllis , die bei Antonius hinabsteigt, wird auch geführt
und belehrt von dem Schatten einer früher verstorbenen Dienerin Myrte.
Rhode S. 262 Anm.: 'Antonius mochte eine solche Episode einzulegen
namentlich durch die orphischen und pythagoreischen Vorbilder angetrieben
sein; für diese Schulen war ja freilich nichts wichtiger als eine authen-
tische Bestätigung jener Verheifsungen einer seligen Unsterblichkeit der
Gerechten und der Strafen der Unfrommen, in welcher ihre Lehre gipfelte.'
— 150 —
Doch mag zunächst noch ein Wort über eine Schilderung
der Unterwelt gesagt sein, die schon geraume Zeit vor den
Schriften des Plutarch und Lukian als die wenn auch nicht
erste, so doch auf alle folgenden wirksamste in römische
Dichtung aufgenommen wurde, die bekannte Hadesfahrt des
Aeneas bei Vergil. Verwandtschaft mit Piatons Schilderung
ist unverkennbar, aber es wird viel mehr angeführt und aus-
geführt als bei diesem zu finden war, und dies Neue ist, was
keines Wortes bedarf, von Vergil nicht erfunden. Man hat Zenos,
des einzigen Stoikers, der unsers Wissens Lohn und Strafe
drunten annahm, Schrift über den Staat als Quelle heran-
gezogen.^ Aber das ist widerlegt und bereits deutlich erkannt,
dafs die platonischen und ^stoischen Bestandteile wenigstens
durch eine pythagoreische Schrift vermittelt sein müfsten.'^
Deutlicher ist die pythagoreische Lehre zu erkennen an etlichen
Stellen der Georgica (namentlich IV 219 £F.) und bei Ovid an
mehreren bedeutsamen Stellen.^ Nach eben diesen Ausführungen
geht denn auch die Seele wieder, wenn sie geläutert ist, in
den Äther zurück, wie bei den Neupythagoreern stoischer
Richtung. In dem sechsten Buche der Aeneis ist das aber nicht
so. Und noch vieles andere kann beweisen, dafs die Annahme
einer philosophischen neupythagoreischen Quelle durchaus nicht
die vergilische Nekyia genügend zu erklären imstande ist. Nur
die Hauptsachen, die für meinen Zweck von durchschlagender
Bedeutung sind, kann ich hier kurz besprechen. Abgesehen
von dem, was der homerischen Nekyia nachgebildet ist, tritt
besonders hervor die ganz merkwürdige Topographie dieser
Unterwelt. Da werden zunächst in dem eigentlichen Hades
— noch nicht über den Acheron gesetzt sind die Unbegra-
benen — die Seelen der kleinen Kinder genannt, derer die
durch falschen Urteils'spruch gestorben sind, der Selbstmörder,
derer welche die Liebe umgebracht hat, und zuletzt der vor
Troja gefallenen Helden. Dann kommt ein Scheideweg: rechts
1 Hirzel Untersuch, zu Ciceros philos. Schriften II 25 ff.
2 Schmekel De Ovidiana Pythagoreae doctrinae adumbratione dis.«
Greifßwald 1885 p. 69 ff. vgl. 52 ff., Philosophie der Mittelstoa 451,1.
3 S. Schmekels Dissert. a. a. 0. u. s.
— 151 —
geht es zum Elysium, wo die Seligen wohnen, links zum
Tartarus, wo die Frevler gestraft werden. An das Elysium
aber grenzt ein Thal, in dem der Lethestrom fliefst, an dem
unzählige Seelen umherschwirren. Anchises erklärt dem Sohne,
dafs das die Seelen seien, die in neue Leiber eingehen und
vorher Vergessenheit des Früheren trinken müfsten. Jeder
meiner Leser erkennt sofort die *drei Wege' wieder, die wir
bei Plutarch-Piudar und bei Piaton fanden und für deren
Quelle in Anspruch nehmen mufsten. Hier aber, wo dort
die Fluren der Lethe sich befinden, auf denen sich die
versammeln, die wieder zu neuem Leben ausgehen müssen,
hier sind da fünf merkwürdige Klassen von Seelen lokalisiert.
Diese Einteilung der Seelen pafst zu jener Teilung in drei
Gruppen nach ihrem Schicksal drunten auf keinen Fall. Homer
teilt die Insassen des Hades nach Männern und Weibern^, Lukian
gibt eine Teilung an Katd qpOXa Kai qppriipac (s. oben S. 142)
und im KaxdTrXouc (c. 5 und 6) deutet er eine, wenn auch nicht
ausdrücklich als drunten dauernd bezeichnete, Einteilung der
Toten an in Kinder, Greise, solche die im Kampfe gefallen
sind, solche die sich wegen der Liebe selbst umgebracht haben,
die durch Richterspruch umgekommen, die bei Schiffbruch zu
Grunde gegangen sind u. a. Da sind schon sehr stark ver-
schiedene Einteilungsprinzipien vermischt: Teilungen nach
dem Alter, in dem die Betreffenden gestorben sind, und nach
der Todesart, die freilich bei den hello clari, den trojanischen
Helden, kaum noch hervortritt, hat ja auch Vergil nach irgend
einem bestimmten Vorbild in Anwendung gebracht. Bei Silius
tritt denn auch die Konsequenz solcher Einteilung, nicht mehr
durch so feine Kunst wie die vergilische gemildert, deutlich
hervor: da sind drunten (Punica XIH) aufser den Seligen und
Verdammten Krieger, Gesetzgeber, Landleute, Dichter, Schiff-
brüchige, Frauen, Kinder.^
1 Vgl. dazu Porphyr, -rrepi Cxu^öc Stob. ecl. I p. 1024 ff., der sich
daran anschliefst.
2 Durch die Güte des Verfassers erhalte ich während des Druckes
die Abhandlung von ENorden Vergilstudien , I. Die Nekyia; ihre Com-
position und ihre Quellen, Hermes XXVIll 1893, 360 ff. Ich freue mich
sehr der vollkommenen Übereiastimmung mit dem Hauptergebnisse
— 152 —
Auf diesen Teil der Unterwelt kommt Vergil nicht mehr
zurück. Der weitere Hades hat .mit jenem zuerst geschilderten
eigentlich gar keinen Zusammenhang. In der folgenden
Schilderung des Tartarus, der Frevler und ihrer Strafen, deren
Auswahl uns wohl auch manchen Wink geben könnte (siehe
darüber unten), mag zunächst nur an den Vers vom Theseus
erinnert sein: sedet aeternumque sedehit (QU) und an das, was
Nordens: dafs die Nekyia 'im wesentlichen entnommen ist einer pytha-
goreisch-orphischeu Unterweltsbeschreibung'. Beide Ausführungen können
sich, hoffe ich, ergänzen und bestätigen. Freilich bin ich in vielem
einzelnen durchaus abweichender Ansicht, und ich glaube, dafs manches
von Norden Vorgebrachte durch meine obige freilich nmr die Haupt-
sachen berührende Darlegung, an der ich nichts ändern zu müssen
glaube, sich von selbst erledigt. So bin ich auch durchaus nicht über-
zeugt, dafs die zwei ursprünglich verschiedenen Unterwelten in Ein-
klang gebracht werden können. Die Klassen der Kinder, Selbstmörder
u. 8. w. unter die ja ganz bekanntermafsen einst wie heute im Zauber
so bedeutsamen äujpoi und ßmioedvaxoi (Jb. f. Philol. Suppl. XVI 792)
unterbringen zu wollen, so manche Berührungen auch da sind, halte ich
für einen verfehlten Versuch. Was über die an Liebe Gestorbenen und
die mythologischen Beispiele ausgeführt wird (376 ff.), billige ich durch-
aus, aber den gefallenen Helden als ßiaioöavdroic einen besonderen, doch
irgend wie eine Strafe bedeutenden Ort anzuweisen, wäre in jeder
antiken Unterwelt unmöglich (möchten auch noch viel öfter unter
solchen, die durch Gewalt umgekommen sind, theoretisch solche, die im
Kriege gefallen sind, angeführt werden). Und ein Versuch die Helden
im Elysium ob patriam pugnando volnera passi (v. 660) mit den troja-
nischen Helden im ersten Räume der Unterwelt ganz in Einklang zu
bringen, richtet sich eigentlich selbst durch Erörterungen wie S, 389
Anm. 1. Gewifs hat der Dichter mit einziger Kunst die Fugen der
zusammengefügten Stücke überglättet; aber wir sehen sie doch. Und
die Hauptsache: wer gibt uns das Recht den ersten Raum des Hades
als eine Zwischenregion, die Seelen dort als noch nicht in den 'eigent-
lichen' Hades aufgenommen zu betrachten? Das kann doch niemand
zwischen den Zeilen lesen, und der Acheron, jenseits dessen noch die
äratpoi sind, grenzt doch deutlich genug die 'eigentliche' Unterwelt ab.
Es wäre durchaus nicht 'überflüssig zu fragen' (S. 388), warum Vergil
das Hauptmoment ausläfst, ohne das kein Leser den Sinn entdecken
•konnte, den Norden hineinlegen will. — An dieser Stelle mag auch be-
merkt sein, dafs ENordens Aufsatz in der Beilage zur Münchener Allg.
Zeitung 1893, nr. 107 (Beilage nr. 89) Die Petrusapokalypse und ihre
antiken Vorbilder erst in meine Hände kam, als mein Manuskript im
wesentlichen abgeschlossen war.
— 153 —
oben (S. 92) dazu bemerkt wurde. Die Schilderung der Seligkeit
und des elysischen Lebens — Orpheus, der Hhracische Priester'
spielt dort zu Gesang und Tanz der Seligen (645 f.) — er-
innert uns bis in die einzelnen Ausdrücke hinein an das oben
(S. 30) citierte Pindarfragment, das ja demselben Threnos an-
gehört, dessen auf die drei Wege und das verschiedene Schicksal
der Seelen bezüglichen Inhalt wir oben wiedererkennen und
auf seine Quelle zurückführen konnten. Die zuletzt folgende
Schilderung des Lethethals mit den Seelen, die zu neuem
Leben auszugehen im Begriff sind, macht es dann dem Dichter
möglich, die Reihe der Nachkommen des Aeneas durch den
Anchises zeigen zu lassen, indem er die künftigen Inkorpora-
tionen der einzelnen angibt. Zunächst aber, während Anchises
und sein Sohn, auf das Gewimmel des Lethethals hinabschauen
und Aeneas nach dessen Sinn und Bedeutung fragt, gibt An-
chises eine weiter ausgreifende Erklärung des Ursprungs der
Seelen und ihrer Schicksale, die sozusagen erst die Theorie
des ganzen Unterweltsgetriebes gibt und zugleich dem Dichter
dazu dient, seine Beschreibung der Geschicke bestimmter
Seelen, die in patriotischem Sinne auszudeuten ihm ein haupt-
sächlicher Zweck ist, vorzubereiten und ganz begreiflich zu
machen. Die Rede des Anchises aber entspricht in jedem ein-
zelnen Satze genau dem, was wir im vorigen Abschnitt als Inhalt
derorphisch-pythagoreischen xaraßdceic festgestellt haben. Jedem
meiner Leser wird das beim Überblicken der Verse 724 ff. ohne
weiteres klar sein. Gleich der Anfang entspricht genau der
Lehre von der Entstehung der Welt und der Seelen, die wir oben
ausführlicher besprochen haben (S. 100 ff.). Ich will nur neben
die ersten dieser Verse den Anfang des Liedes des Orpheus stellen,
das er bei ApoUonios Rhodios singt (I 496 ff., orph. Fragm. 35):
fieibev h' u)c foia Kai oupavoc Priticipio caelum ac terram cam-
r\be. 9dXacca posqiie liquentis
TÖ rrpiv ctt' dXXr|Xoici \x\r\ cuv- Lucentetnqiw glohum Liinae Ti-
apripöta fiopcprj, taniaque astra
veiKeoc eH öXooio biexpiöev d|u- Spiritus intus cdit totamque in-
cpic eKttCTa' fusa per artus
nb' ujc ejLiTrebov aiev ev aiSepi Mens agitat moleni et magno se
TeK^ap exouciv corpore miscet.
- 154 -
acxpa ceXrivairi re Kai neXioio Inde Jiominum pecKdumque
KeXeuOor yemis — .
Dazu nehme man noch das oben (S. 101 f.) angeführte und be-
sprochene Euripidesfragment, und die Quelle dieser Lehre
wird wie dort so hier nicht mehr unklar sein. Man glaubt
wie in den Apolloniosversen den Einflufs empedokleischer, so
in den Vergilverseu anaxagoreischer Doktrin zu erkennen, und
es wäre durchaus begreiflich, wenn diese Systeme im Laufe der
Zeit auf orphische Dichtung gewirkt und ihre Wandlung z. T.
bestimmt hätten. Ob man aber nicht, da gerade in den mit
dieser Lehre verbundenen Dingen die Abhängigkeit des Empe-
dokles von den unteritalischen orphisch-pythagoreischen Offen-
barungen aufser Zweifel steht, ob man nicht auch hier das
Verhältnis umgekehrt aufzufassen hat? Ich mufs das dahin-
gestellt sein lassen.
Die folgenden Verse bei Vergil weisen in die gleiche
Richtung: die feurige Natur der Seele (s. oben S. 24, 1) und
ihr himmlischer Ursprung, das Eingehen in den 'schuldigen'
Leib, den Kerker {clausae . . carcere caeco : ca))Lia — crijua). Auch
nach dem Tode ist das Unheil noch nicht beseitigt: die Seele
trägt die Spuren des Lebens im Körper,
penitusque necesse est
Miilta diu concreta modis inolescere miris,
eine deutliche Anspielung auf die Lehre von den Narben und
Striemen, welche die Seele von den Lastern an sich trägt.
Sie zu beseitigen, sind die sühnenden Strafen da.
Ergo exercentur poenis veterumque maloriim
Supplicia expendunt: aliae panduntur inanis
Suspensae ad ventos; aliis suh gurgite vasto
Infectum eluitur scelus aut exuritur igni.
Die vetera mala, die culpa primigenia werden gehülst, und die
Arten der Strafe sind uns sehr wohl bekannt. Schon in der
pythagoreischen eic "Aibou Kaiaßacic ist Homer an einem
Baume aufgehängt, dafs er büfse (oben S. 129), in Piatons
Gorgias sind die Seelen der Frevler drunten zur Strafe auf-
gehängt, in den Flüssen der Unterwelt werden die Seelen
auch gereinigt in Piatons Phaidon, wie z. ß. nach einem
- 155 -
orphischen Fragment der Kaiaßacic eic "Aibou (Fragni. 154)
dieselben ev tu» 'Axe'povTi KaOaipovrai. Für die Sühne durch
Feuerbrand mag für jetzt nur auf die Fackeln der Erinyen
verwiesen sein, mit denen sie drunten die Seeleu brennen
(Äxiochos 372*, weiteres auch über die lustrale Bedeutung des
Feuers s. unten S. 197 ff.). Quisque suos patimur manis heifst es
dann, und sehr fein ist da manes zur Bezeichnung der Einzel-
seelen gewählt, wie sie durch das Leben in den bestimmten
Körpern geworden sind: je nachdem diese manes sind, d. h.
durch die Sünden und Befleckungen des Lebens inficiert wurden,
müssen wir leiden. Es scheint, als sei diese Stelle die Ver-
anlassung gewesen, dafs manes geradezu das bedeuten kann,
was unten die Seelen zu leiden haben': sie haben die manes
abzubüfsen. Denn die Seelen haben weitere Geschicke, sie
wandern weiter in andere Körper und werden dann wieder
andere manes. So meint es Vergil. Zunächst aber beschliefst
er die Schilderung der Strafen nach dem ersten Körperleben
der Seele:
exinde per amplum
Mittimur Elysium et pauci laeta arva tenemtts.
Die Seelen also kommen alle, nachdem sie ihre Strafen ab-
gebüfst, ins Elysium. Das kann nur so verstanden werden,
dafs sie, wie es in Piatons Republik (p. 615) geschildert wird,
nicht nur für alles Böse (zehnfach) bestraft, sondern auch für
alles Gute (zehnfach) belohnt werden, und das an den Orten
der Freude. So heifst es auch in dem Mythus des Phaidros
(p. 249^^): Kpi0eTcai be ai jiev eic rot uttö thc biKaiujTripia
eXGoöcai biKTiv eKxivouciv, ai b'eic roupavoö riva töttov
uTcö Tf\c biKTic KOucpicBeTcai bidtouciv ctEiiuc oij ev dv-
epuüTTOu eibei eßiuucav ßiou. tuj be xi^iociiu diaqpöxepai
dcpiKVOU|uevai eni KXripuuciv te kqi aipeciv toö beuiepou
ßiou aipouvrai öv av e0eXr) eKdcTr). So kommen in der Republik-
stelle auch diejenigen wieder auf dem Lethefeld zusammen,
die zuletzt an Orten der Seligkeit waren^ und erzählen von
deren Herrlichkeit (p. 614®, 615*). Wenige dürfen schon jetzt
1 Servins zur Vergilstelle mattes id est supplieia. Stat. Theb.
VIII 84, AuBon. ephem. 57.
- 156 -
für immer im Elysium bleiben et pauci laeta arva tenemus, und
wir erinnern uns ja, wie wir an den verschiedenen Fundstellen
orphischer Lehre den Satz antrafen, dafs die Besten (bei Piaton
die Philosophen) viel früher als die anderen von dem kükXoc
der Seelenwanderung befreit und für immer in den Hain der
Seligen aufgenommen werden (s. oben S. 113, 117, 119). Die
erste Person tenemus rechtfertigt sehr fein, dafs Anchises selbst
schon hier ist und dem Sohne als memoTj der nicht mehr von
der Lethe zu trinken braucht, alle diese Dinge erklären und
das Künftige verkünden kann. Nach diesen letzten Worten
aber 'nur wenige bleiben wir in den seligen Gefilden' kann
es unmöglich weiter gehen: 'bis lange Zeit die festeingewachsene
Befleckung beseitigt und die Seele ganz in ihrer ursprüng-
lichen himmlischen Reinheit wieder hergestellt hat/ Denn
dafs im Elysium die Reinigung fortgesezt werde, ist auf keine
Weise denkbar: bei denen, die dort bleiben, ist sie vollendet.
Betrachten wir zunächst die dann folgenden letzten Verse
des Anchises:
JSas omnis, uhi müh rotam volvere per annos,
Lethaeum ad fluvium deus evocat agmine magno
Scilicet immemores snpera ut convexa revisant
Rursus et incipiant in corpora velle reverti.
Anchises kehrt zurück zu dem Punkte, von dem er ausgieng.
Vater und Sohn sehen auf das Lethethal mit den schwirren-
den Seelen hin; Aeneas begriff nicht, dafs wirklich Seelen von
da wieder ins Leben zurück sollten (v. 719 ff.): wie das zu-
geht, was das für Seelen sind, die sie sehen, will Anchises
erklären, um dann unter ihnen die proles suorum zeigen zu
können. 'Diese alle' — er weist auf sie hin — 'ruft der
Gott jedesmal, wenn sie den Kreislauf von 1000 Jahren
durchgemacht haben, zum Letheflufs, damit sie ohne |uvr||UTi
zum irdischen Leben zurückkehren und in neue Leiber ein-
gehen.' Die Trepioboc von 1000 Jahren ist uns wohl bekannt
aus dem orphischen Hadesbuche, wie wir es rekonstruiert
haben (s. S. 116^ 119), und über das jedesmalige Versammeln
der Seelen auf dem Lethefelde, über die Lehre von XriGn und
\x\r\}xr] (s. S. 90 ff.) brauche ich nun kein Wort mehr zu ver-
- 157 -
Heren. Der kukXoc aber, die rota im ganzen hat zehn Tte-
pioboi von 1000 Jahren, wie jene Lehre angab, und nach
10000 Jahren erst ist die Seele wieder ganz befreit von den
Nachwirkungen ihres Sündenfalles in das Körperliche, erst
dann ist sie wieder göttlich wie einst. Bis das erreicht ist,
wird jenes evocare des Gottes immer wiederholt. Nun sind
auch jene vorhergehenden Verse bei Vergil ihrem Sinne nach
durchaus klar;
Donec longa dies perfecta temporis orbe
Concretam exemit labetn purumque relinquU
ÄetJierium sensum atque anrai simplicis ignem.
Der temporis orbis mufs ja auch ein bestimmt umgrenzter
sein: es sind eben jene 10000 Jahre des kukXoc ßapuTrev9r|C.
Wozu der Satz mit donec in dem vergilischen Texte zu be-
ziehen ist, leidet keinen Zweifel mehr. Müssen wir diese drei
Verse hinter die vier Verse has omnis — reverti stellen? Ich
glaube, dafs die kleine Härte, die das Vorangehen des Satzes
mit donec vor dem Hauptsatze zunächst hat, dadurch sich
erklärt oder beseitigt, dafs mit dem has omnis etc. absichtlich
am Schlüsse der ganzen Rede gewissermafsen mit erhobener
Stimme hingewiesen wird auf die Seelen da drunten und auf
den zu erklärenden Punkt zurückgegriffen wird, um dessent-
willen Anchises überhaupt redet. Durch einen Punkt statt
des Kommas hinter tenenms und ein Komma statt des Punktes
hinter ignem wäre also die viel mifshandelte und nie verstan-
dene Stelle in Ordnung gebracht.^
1 Dadurch halte ich auch die ganze Auseinandersetzung Nordens
a. a. 0. 399 ff. für erledigt. Abgesehen davon, dafs mich diese Methode
mit der Herausgabe der Aeneis im einzelnen kritisch zu arbeiten sehr
gefährlich dünkt und mir diese 'höhere' Kritik, die dem Dichter in
'ipsa penetralia folgt', grundsätzlich zu hoch ist, würde in den beiden
Varianten, die Norden S. 404 hinstellt, nach unseren Erörterungen jedes-
mal etwas sehr wichtiges fehlen. Norden beweist ja von der ersten
Variante selbst, dafs Vergil so nicht schreiben konnte: dann konnte er
doch auch im ersten Entwurf nicht so schreiben! Man kann gewifs oft
nicht anders als einen falschen Weg gehen, so lange man nicht im Be-
sitz aller sachlichen Instanzen ist. Was wäre aus der Stelle geworden,
wenn man die Platonstellen in der Republik etwa nicht hätte! Nach-
— 158 —
Ich brauche kaum noch zu sagen, dafs Vergil auch diese
ganze Lehre nicht aus Piaton allein schöpfen konnte; er fand
dort durchaus nicht alles, was er anführt. Aber was er an-
führt, ist aufs Haar das, was wir als Lehre der orphisch-
pythagoreischen Kaxaßdceic- Gedichte ermittelt habeu. Ein
solches Gedicht, in welchem Stadium der Entwickelung dieser
Gedichte das von ihm benutzte auch immer anzusetzen sein
mag\ hat Vergil verwendet, natürlich auch in der Schilderung
des Elysiums, des Tartarus und des Lethethals. Ob jene
nach Kindern, Selbstmördern, Helden u. a. geteilte Hadespartie
auch schon in dieser Quelle stand? Bezeichnenderweise sagt
Anchises in seiner Rede, die doch diese Unterwelt recht eigent-
lich erklären soll, von diesen Dingen kein Wort mehr. Frei-
lich kann eine Stelle des Mythus in Piatons Republik (p. 615°)
TuJv b' eu0uc Yevojuevuuv Kai öXiyov xpovov ßiouvTUJV Tiepi aXXa
e'XeYev ouk ciSia |uvr||uric andeuten, dafs auch in den orphischen
Gedichten vom Schicksal der kleinen Kinder drunten Beson-
deres gelehrt wurde ^, ob dasselbe wie bei Vergil und ob da-
neben auch von den anderen Seelen wie bei Vergil, wer
will es wissen? Hier kommt auf diese Frage auch kaum
etwas an.
Das ist sicher: Vergil hat direkt aus einem orphisch-
pythagoreischen Gedicht geschöpft, einem Ausläufer jener unter-
italischen Poeme, aus denen auch Piaton geschöpft hatte, denen
jene goldenen Grabtäfelchen entstammen, die auch Empedokles
und Pindar kannte, die Antonius Diogenes nachahmte, welche
Lukian verspottet, die auch Vorläufer waren der Schriften,
die Plutarch benutzte.
Vergil hat den Anstofs gegeben zu den zahlreichen Hades-
schilderungen der römischen Dichter, die bis in Einzelheiten
von ihm abhängig sind. Es kann deshalb keinen Nutzen
dem wir nun auch noch die Goldfäfelchen haben, verstehen wir ho£Fent-
lich hier den Vergil ganz.
1 Natürlich nach den stoischen Einwirkungen. Sie sind ja überall
in dieser Litteratur später vorhanden und weisen uns nicht im geringsten
nach anderer Richtung (s. Abraxas 83 tf.).
2 Merkwürdigerweise wurde auch in den christlichen Apokalypsen
von diesen freilich in ganz anderer Weise Besonderes gelehrt, s. S. 11 f.
— 159 -
haben, auch auf sie im einzelnen noch einzugehen, es würde
uns viel zu weit führen. Selten wird auch mit Sicherheit
auszumachen sein, woher sie die abweichenden Einzelheiten
haben. Ich darf zunächst auf GEttig Acheruntica S. 360 ff.
verweisen, namentlich für Seneca, Lucan, Silius, Statins. Ich
will nur andeuten, dafs auch weiterhin ein Entnehmen ge-
wisser Dinge aus orphischer Litteratur weder unmöglich noch
unwahrscheinlich ist. Hat man doch noch zu Claudians Zeit
orphische Bücher gelesen, nachgeahmt und nicht wenig be-
nutzt.^ Und hier mag denn noch an die Worte eines Christen
1 Auf etliche Claudianstellen macht mich Birt aufmerksam. Das
Lesen orphischer Bücher erwähnt Claudian im Epithalamium de nuptiis
Honorii Aug. 232 ff. :
nee volvere libros
Desinit aut Chraios, ipsa genetrice magistra,
Maeonius q^uaecumque setiex aut Thracius Orpheus
Aut Mytilenaeo modulatur pectine Sappho etc.
vgl. carm. min. XXII I 11 (p. 300 Birt):
Orpheos alii libros impune lacessunt.
Ein orphischer Hymnus auf Inno wird erwähnt carm. min. XXXI 33
(p. 329 Birt), ebenda v. 25 ff. eine orphische Titanomachie. Diese Stellen
führt Birt im Index zu Orpheus an. Ebenda verweist er auf Orphisches
£. V. Natura und Nomos (p. 448). Das Bild von der Höhle der Zeiten
de consul. Stilich. II 424 ff., vor dessen Thor die Natura sitzt cunctisque
volantes dependent membris animae — ein senex schreibt auf man-
sura iura:
numeros qui dividit astris
Et cursus stabilesque moras quihus omnia vivunt
Ac pereunt fixis cum legibus —
erinnert sehr an die Höhle der Nacht in dem orph. Fragm. 109. 110 Ab.
Vor der Thür sitzt Adrasteia: iv Toic irpoGüpoic ttQci vo|Lio0€ToOca ToOt
eexouc v6|Liouc. In der Höhle ist Phanes, der Lichtgott. Vgl. orph.
Fragm. 84 koI uepl ^Keivou |u^v (Oövtitoc) 'Opqpeuc qprici-
tuOto TraTi?ip Tioirice Kaxct ctt^oc rjepoeifj^c.
Ob das der Greis ist, etwa als Chronos = Kronos aufgefafst (orph.
Hymn. XIII 5 aiujvoc Kpövoc iraTT evexop) ? Die Seelen an der Natura er-
innera sehr an die durch die xöcuara auf- und niedersteigenden Seelen
in Piatons Republik und an die Ananke (im Phaidros heifst dieselbe
Adrasteia), welche die Seelenwanderung bestimmt und regelt. Eine
— 160 —
etwas früherer Zeit, eines Schriftstellers des zweiten Jahrhun-
derts, gemahnt sein, der gerade, wo er von den Strafen im
Jenseits spricht, deutlich auf die heidnischen Schriften, die
ähnliches schon gelehrt hätten, hinweist. Minucius Felix sagt
im Octavius c. 35 at tarnen admonentur Jiomines doctissimorum
libris et carminibus poetarum illius ignei fluminis et e Stygia
pdlude impios ambientis ardoris^ etc. Er kennt die heidnischen
Gedichte sehr wohl, in denen von dem glühenden Schlamm-
pfuhl zu lesen war — gerade auch der Ausdruck doctis-
simi und poetae weist in die Richtung, die wir verfolgen. Man
darf freilich nie vergessen, wie umfangreich und mannig-
faltig diese Litteratur war, von der uns nur so kärgliche
Bruchstückchen erhalten sind, damit man nicht die vielen
Zeugnisse zu einer imaginären Gröfse zu vereinigen versuche.
Denn wie eine so aufserord'cntlich mannigfaltige Reihe der
verschiedensten Kosmogonieen und Theogonieen von früher Zeit
bis zu den Neuplatonikern reicht, so auch eine gleiche Reihe
von eschatologischen Dichtungen gewifs nicht geringerer
Mannigfaltigkeit. Alle die versprengten Reste dieser Poesieeii
in ein solches Werk pressen zu wollen, wäre eine gründliche
Verkeunung des Wesens dieser immer wechselnden mystischen
Litteratur. Der Gang ist bei den Theogonieen ähnlich^ wie
Höhle mit zwei Thören, durch welche die Y^v^ceic Kai otTroYGv^ceic tu)v
v|JUXUJV vor sich gehen, bei Pherekydes fr. V Kern (de Orphei Epimenidis
Pherecydis theogoniis p. 88). — Die Stelle bei Claudian in Rufin. II 416,
die von der Seelenwanderung handelt, ist oben erwähnt. An Vergil
erinnert v. 491 fF.:
Quos ubi per varias annis ter müle figuras
Mgit, Lethaeo purgatos flumine tandem
liursus ad humanae revocat primordia formae.
Da sind ueploboi von 3000 Jahren angenommen.
1 Et de Stygia palude saepius ambientis ardoris ist überliefert.
inferos saepientis ardoris Usener Jahrb. f. Philol. 1869, 416. Ich ändere
nach einem doctissimus poeta, der gewils von Dichtungen, wie sie bei
Minucius gemeint sind, abhängig ist, Orac. Sibjll. II 294 ff. :
dTCtp öctepov aure
^K TTOxanoO |Li€YdXou TrOpivoc rpoxöc djaqpiKax^pEei
aÖToOc, ÖTTi fta Toiciv ÖTdcOaXa ^py« ja^inriAev.
2 Über die Mannigfaltigkeit in der Entwickelung der Theogonien
vgl. namentlich Abraxas 126 ff.
— 161 -
bei den Eschatologieen. In Athen sind die ersten Spuren
solcher Dichtung zu finden (dort ist auch Orphisch-eschato-
logisches in den Homer hineingedichtet), dann blüht sie auf
in ünteritalien, durch Pythagoreer beeinflufst und mit deren
Lehren untrennbar vermischt, und daran werden die mannig-
faltigsten Werke der orphisch- dionysischen Kultvereine der
hellenistischen Welt angeknüpft haben, und wie die theo-
gonische Dichtung besonders in Ägypten blühte, so wird
auch die eschatologische dort die Form bekommen haben, die
für die Folgezeit dauerte. Die Neuplatouiker kennen eine
orphische Kaxdßacic eic "Aibou geradeso gut wie eine (rhap-
sodische) Theogonie.
Diese orphischen Eschatologieen heben sich scharf ab
von allen anderen griechischen religiösen oder philosophischen
Lehren, das wird uns bereits deutlich entgegen getreten sein.
Ihr Hauptcharakteristikum ist, dafs sie die Strafen des Jen-
seits mit einer gewissen Rohheit und Fürchterlichkeit aus-
malen in der Absicht zu schrecken, zu bekehren, zu er-
wecken. Dergleichen kennt unsere ganze antike Überlieferung
nur aus diesen orphischen Lehren und Schriften. Volkstüm-
lich sind höchstens ganz allgemeine Züge geworden^, und wo
Schriftsteller jene Dinge vorbringen und jene Bücher benutzen,
scheiden sich stets deutlich diese eigenartigen mystischen Sätze
für den unbefangenen Leser von ihrer Umgebung und stechen
grell von der ganzen übrigen Schriftstellerei der betreffenden
Autoren ab. Alles was uns bis jetzt an Strafen und Qualen
in jener ausgesuchten Schreckhaftigkeit begegnete, gieng auf
orphische Schriften zurück. Die litterarische Entwickelung
der orphischen Nekyien haben wir darzustellen versucht und
die Reste derselben aus den verschiedenen Überlieferungen
wieder zu gewinnen und zu sammeln. Das Hauptsächliche
auch in dem Höllenbilde der Petrusapokalypse sind die Sünder
und ihre Strafen- Ehe wir aber mit unseren Ergebnissen
1 So ist auch in Rom späterhin eine Scheidung der sedes der pii
und impii allgemeine Meinung (bei Cicero, Sallust, Properz u. s.); nach
Aurel. Vict. Caes. 73 ruft das Volk die Terra mater und die dei Inferi
an sedes impias ut GälUeno darent.
Dietericli, Ifekyia. 11
- 162 -
die Apokalypse des Petrus vergleichen, müssen wir die Sünden
und Strafen der orpliischen Apokalypsen nach der Entwicke-
lung, die wir beobachten konnten, überschauen und zusammen-
stellen, damit sich zeige, wie weit hier die Sündertypen und
Strafformen analog sind und ob auch im einzelnen Orpheus
dem Petrus die Hölle geliefert hat. Das aber ist uns nun
klar, dafs der Hades der früheren Auffassung zu einer Hölle,
einem Orte der Strafe und der Qual für die Sünder geworden
ist durch die orphischen Ordensbrüder.
IV.
Sünder und Strafen im Hades.
1.
Schon in ältester Zeit rächen die Erinyen Verletzung der
Pflichten gegen die Mutter, den Vater, den älteren Bruder
und sie strafen den Eidbruch.^ Auch bei Homer kommt schon
vor, dafs sie den Fremden und Bettlern zur Seite stehen.^
Ausdrücklich werden in den Hiketiden des Aischylos als die
drei Gebote, die in den Satzungen der Dike geschrieben stehen,
genannt: den Fremden ihr Recht werden zu lassen, die Götter
der Heimat zu ehren und die Eltern.^ Ganz übereinstimmend
verkündet der Eumenidenchor des Aischylos demjenigen Strafe
im Hades, der an Gott, an den Eltern oder am Hevoc frevelt.*
1 S. oben S. 54 £F. Auch in orphischen Versen bei Stob. flor. 79, 28
heifst es öeival fäp Karä YOictv '€pivüec ekl TOKr|iuv. Orph. Argon. 1162
aUv '6pivüc aiiiOTOc ^juqjüXoio — OcTepöirouc ^Trerai. Als Zeugen des
Schwnrs sind sie genannt in den orph. Argon. 352, vgl. orph. Lith. 589
äpai t' dYvdiitTTOiciv '€pivOci Tcäfxv |i^Xoucai.
2 Z. B. '6pivviec tttujxujv Od. XVU 475.
3 Aisch. Suppl. 701 ff.:
Edvoici t' €uEu)iß6Xouc,
irplv ^HoirXi^eiv 'Apri,
biKoc äxep TTTiiidTUJv &i6oiev.
9€ouc b\ di -fÖLV exowciv, dcl
Tioiev efXiwpiouc traTpibaic
öa9vn<pöpoic ßoueüToici Ti^aic.
TÖ Yctp TeKÖvTUJV c^ßac
xpiTov TÖÖ' 4v 6ec)aioic
AiKac Y^TPö'TTai jieTiCTOTi|aou.
4 Eumenid. 269 ff.:
ötpei bk KCl TIC dXXoc fjXixev ßpoTüüv
f\ Qeöv {\ H^vov Tiv.' dceßoövrcc f\
11*
— 164 —
Dieselben drei Hauptgesetze der altgriechischen Moral werden
auch in der Folgezeit öfter erwähnt; so stirbt der euripideische
Bellerophon getrost, da er gegen Götter, Fremde und seine
Angehörigen immer recht gehandelt habe^: also das sind deut-
lich die Dinge, die den Menschen rechtfertigen, auch wenn
sich sein Wahrheitsdrang gegen den herrschenden Götter-
glauben aufgelehnt.
Als Hauptvergehen gegen die Götter hat von Alters her
der Eidbruch gegolten. Er wird deshalb sehr oft besonders
angeführt, z. B. schon in jener Pindarode, wo nach orphi-
schen Lehren, wie wir sahen, der Lohn der Braven im Jen-
seits beschrieben wird, werden besonders nur erwähnt 'die an
Eidestreue ihre Freude hatten.'^
Wir finden die Verletzer gerade der eben genannten
Hauptgesetze der Moral beisammen in dem Schlammpfuhl der
Hölle in der oben behandelten Scene der aristophanischen
Frösche: die Verletzer der Hevoi, die |nr|Tpa\oTai, TrarpaXoiai
und eTTiopKOi.^ Ob diese Typen zu dem gehören, was eleusi-
TOKfiac qpiXouc,
?Xov6' ^KacTov Tfic biKTic liraEia.
Hi-^fac fäp "Ai&ric ^ctIv eööuvoc ßpoTiIiv
fe'vepGe xÖovöc,
öeXTOYpäqpuj bä irdvT' eTTOiTrqi (ppevi.
Vgl. 540 ff. "Vgl. WSchulze Quaest. epic. 404.
1 Äilian. n. a. V 34 toioOtöv xiva Kai töv BeXXepoqpövxriv j^puuiKiJüc
Kai lueTaXovpOxiwc eic Gdvarov TrapecK€uac|u^vov 6 GCipmibric (i^vei* Tr€iToir]K€
YoOv TTpöc Ti'iv ^auToO MJUxnv X^YOvra aÖTÖv
fjcG' eic OcoOc |U6v euceßrjc, öt' rjcO', del
H^voic t' eirripKeic oö5' eKajuvec eic 91X0UC, Fragm. 311 N*.
Es ist aufseroidentlich charakteristisch für griechische Religiosität, dafs
dieser Bt'llerophon doch, eic Oeouc eöceßnc ist. Sehr merkwürdig klingt
Fragm, 946 (Orion. Flor. Eurip. 2 p. 56, 20):
6Ö ic6', örav Tic eöceßOüv Güri öeoic,
KÖv luiKpct eOij, TUYX<ivei ciUTiipiac.
Aufserdem vgl. z. B. Eu»ip. Fragm. 852, 948, 949 11. a.
2 01.11 lief.:
äXXd Trapd |i^v ti|li(oic
öeOüv, oiTivec ^\a\pov eüopKiaic,
äbciKpvv vdjuovTai
aiüüva" Tol 6' dtrpocöpaTOV ÖKXtovTi ttövov ktX.
3 S. oben S. 71, 1.
- 165 —
uischer Lehre entnommen ist, oder ob sie erst orphische Theo-
logie so formuliert hat, ist ohne weiteres nicht zu entscheiden.
Nun erfahren wir aus dem zweiten Buche des Kallima-
cheers Hermippos irepi tujv vo)ao9eTU)V, dafs Triptolemos den
Athenern Gesetze gegeben haben solle und dafs drei davon
nach dem Philosophen Xenokrates noch in Eleusis in Geltung
seien: Yoveic ri^av, öeouc KapTTOic dfdXXeiv, l(ba ,uf] civecGai.
Die Polemik des Xenokrates gegen das dritte wird angeführt.^
Also galten zur Zeit des Xenokrates die drei Gesetze in eleu-
sinischer Religion. Das dritte ist offenbar aus den pythago-
reisch-orphischen Kulten, die bekanntlich Fleisch zu essen und
Tiere zu töten verabscheuten^, übernommen; sie hatten also
um diese Zeit schon Einflufs auf Eleusis gewonnen. Der sonst
mystischen Dingen gar nicht abgeneigte Xenokrates bekämpft
diese Einflüsse, Es wird durch jene Einwirkungen das dritte
Hauptgesetz von den Hevoi auf die ^tua verallgemeinert sein.
Durch Eleusis wurden also doch wohl jene ethischen
Sätze alsbald fester formuliert und verbreitet, wie uns ja auch
oben schon mancherlei Anzeichen verrieten, dafs sittliche
Scheidungen von vornherein die Trennung zwischen Geweihten
und üngeweihten veränderten und vertieften. Zu Delphi waren
ja auch auf dem Bilde, das die Abhängigkeit von Mysterien-
lehren der Demeter so deutlich zur Schau trug, der TrarpaXoiac
und der lepöcuXoc im Hades hülsend dargestellt, und der
Tempelräuber ist fortan auch ein Typus des Frevels gegen
die Götter geblieben.^ Auch in dem Gespräch des Sokrates
1 Bei Porphyr, de abstin. IV 22, p. 267, 22ff.N: tuiv to(vuv 'Aerj-
vTja vo|ioGeTU)v TpiiTTÖXe^ov TraXaiörarov -rrapeiXriqpaiuev trepl oö "Ep^int-
iroc ^v öeuT^piu Trepi tujv vo|ao6€TU)v Ypä9€i toüto" 'qpaci Koi Tpnr-
TÖXeiiov 'AGrivaioic voiaoeexficai Kai TU)v vöjuujv cutoö TpeicIxiEevoKpdxTic
6 (piX6coq)oc X^-f^i biaji^veiv '€Xeudvi Toucbe* ^oveTc Ti)aäv, 9eouc Kopirolc
äYctXXeiv, l(ua ^r\ civecGar toüc |aev ouv ööo KaXCüc irapaöoGrivai — — .
Trepl Ö€ Toö TpiTou ömiTopei, ti iroTe ktX.
2 Statt vieles anderen weise ich hin anf Porphyr, de abstin. III 25
p. 222, 2N oJYTev^c i^|iiv tö tujv Xonruiv td)wy/ y^voc ktX. und das
oben in seinem richtigen Zusammenhang besprochene Enripidesfragment
ebenda p. 222,4ff.: üjctc cuTf^viuv övtujv, ei qpaivoiTo xaTct TTuGofö-
pav Kai »puxiiv tt^v aörnv elXrjxÖTa, öiKoiujc av Tic (iceßr]C KpivoiTO tujv
otKeiujv |Li»^ dTrexöfievoc.
3 Bei Phaedrus append. VI 8 ff. werden jene Hauptsätze der Moral
— 166 —
und Hippias in des Xenophon Memorabilien IV 4, 19 f. werden
diese Gesetze als 'göttliche' zugegeben: i-^w \iiv, €(pri, Geouc
oTjLiai Touc vö|uouc toutouc toTc dvGpuJTTOic 0eTvar Kai
YOip TTapd TTäciv dvGpuuTTOic TrpujTov vo)LiiZ;eTai Öeouc
ceßeiv. — oiiKOÜv Kai Yoveac Ti|uäv iravTaxoO \o\xileTai;
Kai TouTO, ecpx]. Weiteres wie jix] xoveac Traici iLxixvucOai wird
nicht mehr als Gottes Gesetz zugestanden.^ Man vergleiche
damit die Erörterung des Platonikers Xenokrates.
Dafs jene Vorschriften auch früh in der Gnomenlitteratur,
die hauptsächlich für die Jugend galt, und in den Sentenzen-
büchern, die in der Schule gebraucht wurden, eine bevorzugte
Stelle hatten, ist selbstverständlich. Schon bei Pindaros mahnt
Cheiron seinen Zögling, den Peliden, wie gewifs damals der
rechte Lehrer seinen Schüler zu ermahnen pflegte, Pyth.VI 23ff.:
fidXicTa |uev Kpovibav,
ßapuöirav CTeporrdv KepauvuJv re rrpoTaviv,
BeuiJv ceßec9ar
TauTac be |Lir|7T0Te Ti|Lidc
djueipeiv Toveuuv ßiov TTerrpujiLxevcv.
Dies ist die öpGd eqpriiuocuva (v. 19). Und es kann kaum
zweifelhaft sein, wie die nächstfolgenden Vorschriften des
alten Ritterspiegels Xeipujvoc urroOfiKai gelautet haben werden
nach den Versen, welche die Pindarscholiasten zu der Stelle
anführen, die, wie sie ausdrücklich sagen, der Anfang des Ge-
dichts waren:
Gö vöv )aoi xd cKacra laerd qppeci TreuKaXi|ir)ci
qppdZ^ecGar rrpOuTov |uev, 6t' dv b6)uov eicacpiKTiai,
epbe'iLiev lepd KaXd GeoTc deiYeveiriciv.
(Hesiod. Fragm. 182 Rz.)
Geradeso stehen denn auch diese Kegeln am Anfang der
späten Ausläufer griechischer poetischer Gnomenlitteratur, so
mit etlichen anderen, die den bei Verg. Aen. VI genannten (wo auch der
delphische iepöcuXoc Phlegyas erwähnt ist) sehr ähnlich sind, auf ein
Orakel des delphischeu Apollo zurückgeführt.
1 Weiteres darüber bei Dümmler Prolegomena zu Piatons Staat,
Progr, zur Rektoratsfeier der Universität Basel, 1891, S. 53. Bei Platoii
kommt natürlich der Satz von Göttern uud Eltern auch öfter vor, z. B.
Sympos. p. 218°.
— 167 —
im phokylideischen Gedicht nach den ersten vorgeschobenen
Sätzen, V. 8:
TTpuJTa Oeöv Tijua, laereTreiTa be ceTo Tovfiac.
Die dem Pythagoras zugeschriebenen xp^ca e-mr\ beginnen*:
dGavctTouc juev -rrpaiTa Geouc, vöpau ibc bidKeivxai,
Ti^a Kai ce'ßou öpKOV, erreiG' fipiwac dYauoijc
Touc xe KaiaxBoviouc ceße baijuovac, evvo)ua pe'ZiuJV,
Toiic xe TOveTc xi)Lia xouc x' d^Xicx' eKYeYauJxac.
Diese Gedichte stehen, so viel Veränderungen und Einschübe
sie im Laufe der wechselnden Zeiten erlitten haben, noch in
direktem Traditiouszusammenhange mit den alten Gnomen-
sammlungen. Dafs jene ersten Vorschriften nicht im min-
desten für jüdisch gehalten werden müssen, dürften die an-
geführten Beispiele genugsam erwiesen haben.
Gerade in den beiden Hadesmythen Piatons, die sich am
engsten an pythagoreisch-orphische Quellen anschliefsen, finden
sich auch eben diejenigen Sünder in dem jenseitigen Strafort,
die jenen Vorschriften entsprechen:
Phaidon: Republik:
kpöcuXoi eic Geouc dceßeic
unxpaXoTai ) , , , „ .
^ „ eic foveac aceßeic
TtaxpaXoiai J
dvbpocpövoi auxöxeipec.
Offenbar waren die unteritalischen Höllendichtungen noch nicht
über die Typen der Verdammten hinausgegangen, welche die
alten Sittenvorschriften auch von Eleusis an die Hand gaben.^
In der Republik werden aber noch besonders als grofse
Strafe duldend erwähnt *die Städte verraten oder Heere und
in Knechtschaft gebracht haben' ^, also doch wohl Vaterlands-
1 Bei Nauck in lamblichi vit. Pyth. p. 204.
2 So heifst es auch noch bei Lnkian im Zeuc IXcTXÖMevoc c. 18:
KYN. Tivac KoXdJIei inaXicxa;
Z€YC. Toiic TTOvripouc 6r|\a?)r|, otov dv5p096vouc koI iepocuXouc.
KYN. Tivac bä rcapä toOc fipujac äTroTTd)LnT€i;
Z€YC. TOUC äYöGoüc re Kai öciouc Koi Kar' dperi^v ßcßiuuKÖTac.
3 p. 615^ f\ TTÖXeic -rrpobövTec f\ CTparÖTieöa xai eic bouAdac ^|uße-
ßXriKÖTec, vgl. Arißtoph. Frosche 361, s. oben S. 67, 1. Die Ähnlichkeit
— 168 —
Verräter. Dafs solcher Frevel schon Ende des 5. Jahrhunderts
mit den anderen zusammengestellt wurde, zeigt deutlich eine
Stelle des Antiphon (de Her. caed. § 10), der als die drei gröfsten
Sünden angibt tö diroKTeiveiv . . . kqi tö lepocuXeTv Kai tö
rrpobibövai ttiv ttöXiv. War das nicht schon von alters her
so in Geltung, so mag man sich wohl denken, dafs der Verrat
der eigenen Stadt und* des eigenen Heeres nach den Perser-
kriegen oder auch gerade in den Kämpfen des peloponnesi-
schen Krieges neben den schlimmsten Dingen besonders ge-
nannt und gebrandmarkt zu werden anfieng. Allgemeiner redet
von den gemeinsamen Gesetzen von Hellas in der gleichen
Reihe Euripides (Fragra. 853 N^):
TpeTc eiciv dpexai Tctc xpewv c' dcKeiv, tc'kvov,
öeouc xe xijuäv touc re qpucavxac Yovfic
vö|uouc xe Koivouc 'GXXdboc* Kai xaOxa bpujv
KttXXicxov eHeic cxe'cpavov eiiKXeiac dei.
Kein Wunder, dafs dies Moment auch gerade die Römer her-
vortreten liefsen. So ist nach Ciceros somn. Scip. c. 3 denen,
die dem Vaterland dienen, die Seligkeit, die er mit uns be-
kannten Sätzen ausführlicher beschreibt, gesichert: qui patriam
conservarint, adiuverint, auxerint, certum esse in caelo definitum
locum, ubi beafo aevo sempiterno fruantur.
Neben solchen feststehenden Typen ist es bemerkenswert,
wenn es schon bei Pindar heifst, dafs der, welcher auf seinen
Schätzen liegend über den Armen lache, sein Leben ohne
Ehre für den Hades beschliefse (Isthm. I 68). Ich erinnere
an die Parallele unter den Büfsern der vergilischen Unterwelt
(VI 610) ^aut qui divitiis soll incubuere repertis nee partem
posuere suis", die uns wohl berechtigt, diesen Zug aucli für
die orphische Quelle in Anspruch zu nehmen, der auch Pindar
diese Angabe entnommen haben wird.
Ein Sündertypus, der später eine so grofse Rolle spielt, der-
jenige-der Unzüchtigen, Ehebrecher u. dgl., kommt, was begreif-
lich genug ist, erst spät auf. Freilich sollen schon nach Pytha-
mit der Formel des Eisangeliegesetzes (Hypereid. pro Euxen. 6) ist nicht
zufällig: auch da Wechselwirkung zwischen jenem Glauben und der
irdischen Rechtspraxis.
— 109 —
goras (Laert. Diog. VIII 21) in der Unterwelt bestraft werden
Ol luif) GeXovrec cuveivai xaTc auituv YwvaiHi, eine sehr bemerkens-
werte Art der Bezeichnung dieser Unzüchtigen; dann aber
ist die erste mir bekannte Stelle, die solche Frevler in die
Holle setzt,^ Plautus Trin. 549 f., nach Philemon:
Sicut fortunatorum memorant insulas,
Quo cuncti qni aetatem egerint caste suam
ConvenianL
Natürlich waren die, welche nicht caste ihr Leben geführt
hatten, im entgegengesetzten Orte des Jenseits.^
Diese kurz besprochenen einfachen Sündertypen führt auch
Vergil in seiner Unterwelt an:
Frevel gegen die : ptdsahis parens 609 ! vendidit hie auro pa-
Götter repräsentie-
ren die Strafen des
Ixion, Theseus, Phle-
gyas etc. 615 f. Phle-
gyas hatte den Apol-
lotempel in Delphi
angezündet, war also
der schlimmste lepö-
cuXoc.
discite iustitiam mo-
niti et non temnere
divos 620
quibus invisi fratres i triam 621
6Ö8 I qui arma secuti ini-
pia 612
fixit leges atque re-
fixit 622
qui divitiis soll incu-
hiere repertis 6io
oh adidterium caesi nee veriti dominorum
612 ' fallere dextras 613
nee partem posnere ctntellifascastosce-\ zugleich emopKOi
suis 611 leratuni insisterefrausinnexaclientimd
i linien 563 dominum potentem
ihie thalamum invasit\ imposuit 62 1
' natae vetitosque hy-
I tnenaeos 623
1 Aus solcher Auffassung ist auch nur der Scherz bei Ovid ver-
ständlich, Amor. II 6, 49 ff.:
Golle sub Elysio nigra netnus ilice frondet,
Udaque perpetuo gratnine terra viret.
- 170 -
Die uns bekannten Frevel sind zuweilen weiter ausgemalt,
wie es römische Verhältnisse nahe legten: z. B. die impia
arma in den Bürgerkriegen, der Gesetzesschacher. Das Clienten-
verhältnis veranlafst eine besondere Angabe^; freilich sind die
in der letzten Reihe Zusammengestellten einfach die q;eOcTai,
von denen wir noch hören werden. Doch sollten zuerst diese
einfachen Sündertypen vorgeführt werden, die in der Hauptsache
jene mystische Litteratur zur Quelle hatten. Auf die letztere
selbst hatten freilich schon allerlei weitere Lehren und Speku-
lationen eingewirkt, von denen ein paar Worte zu sagen sind.
In dem Hadesmythus des Gorgias hat Piaton bei Schil-
derung der Sünden, die sich in den Narben der Seelen zeigen,
offenbar von seiner eigenen Tugendlehre aus die Laster ge-
wählt e-rriopKiai, dbiKiai, vpeOboc, dXa^oveia, eHoucia, Tpuqpri,
üßpic, aKpaiia, dcujUjueTpia, aicxpöxric. Man sieht deutlich, wie
die Gegensätze von cocpia, biKaiocvjvr) , dvbpeia, cujcppocuvri be-
vorzugt sind.
Späterhin bat dann stoische Lehre ganz besonders auf die
feste Gruppierung solcher Laster eingewirkt. Die Stoiker deuteten
ja die Hadesstrafen überhaupt allegorisch; schon in diesem
Leben folge der Sünde die Strafe. Sie fassten die Laster
geradezu als Erinyen, die den Menschen zur Strafe führten.
Auch in den Geschichten von Tantalos, Sisyphos u. s. w. fanden
sie bestimmte urrövoiai, so bei jenem die Habsucht, bei diesem
den Ehrgeiz. Besonders häufig treten bei ihnen als Poenae
oder eben als Laster hervor cpiXriöovia (luxuria), (piXonXouTia
(avaritia), cpiXoboHia (ambitio) und nicht selten kommt nun
hinzu beicibaiiaovia (stiperstitio).^ Auch (p06voc kommt wohl
st qua fides dubiis volucrum locus ille piarum
dicitur, ohscenae quo prohibentur aves etc.
Bei Vergil sind merkwürdigerweise im Elyeium (Aen.Vl661) sacerdotescasti.
1 Darüber mehr jetzt bei Norden Hermes XXVIII 1893, 391 f.
2 Viele Belege bei Norden Jahrb. f. Phil. Suppl. XVIII 331 fiF.
Böser Zauber wird früh auch rechtlich mit Strafe bedroht (schon in den
zwölf Tafebi; vgl. auch in der Fpdrpa toTc FaXeioic Cauer del. * p. 175
nr. 253,2: ai Zi. Tic KOTiapaOceie Fa^^evop FaXeio). Spät erst wird Magie
im allgemeinen bestraft; bekannt sind die Verfolgungen später Zeit (cod.
Tbeodos. IX tit. XVIII 6, Ammian. Marcellin. XXIX 1, vgl. Abel praefat.
zu Orpb. Lithica 2 f.); die Stellung des Zaubers und der Magie im Recht
— 171 —
hinzu ^, und es werden auch als die drei Laster, welche die
Menschen zu allen Verbrechen treiben, genannt ira, cupiditas,
libido} So kommen diese Zusammenstellungen immer fast
gleich vor bei Varro, Horaz, Persius, Plutarch und an vielen
andern Orten.
Gerade bei Plutarch in dem oben behandelten Hades-
mythus in de sera nura. vind. ist die Einwirkung jener Auf-
stellungen deutlich zu sehen. Drunten werden besonders be-
straft die, welche Hevoi umgebracht haben, dann aber wird
entsprechend gesühnt lavnciKaKia und KaKo9u|uia, auXriCTia und
TrXeoveEia. Weiterhin werden, namentlich bei Erörterung der
Narben der Seelen, genannt: dveXeuBepia, TrXeoveHia, uj)aÖTr|C,
TTiKpia, dKpacia -rrepi fibovdc, KOKÖvoia iLierd cpöövou, ßiaiöiric,
äjuaöia, (piXiibovia. Es bedarf keines Wortes, wie die stoische
Ethik, unter deren Einfluss ja fast das ganze spätere Alter-
tum steht, solche Lasterkataloge bestimmt, ja geschaffen hat.
Welcherlei Anschauungen mag Lukian wiedergeben, wenn
er aufzählt |ioixoi, nopvoßocKOi, TeXuJvai, KÖXaKec, cuKOcpotviai,
TiXoucioi, TOKOfXucpoi, eiTi ttXoutoic Ktti dpxaic TeTucpuj)nevoi,
dXa2!övec (Nekyom. c. 11), wozu dann ipeucdiaevoi (vera bist. II 31),
dvbpoqpövoi, lepöcuXoi (Zeuc eXe-fX- c. 18) u. a. kämen? Dafs
die einzelnen Hauptsüuden immer weiter specialisiert werden,
ist natürlich und braucht nicht im einzelnen ausgeführt zu
werden. So sind denn die Sünden der Apokalypse z. T. ohne
weiteres aus dieser Entwickelung zu verstehen: die Hurer, die
Weiber, welche die Leibesfrucht abgetrieben haben, die, welche
unnatürliche Unzucht getrieben haben — die Mörder — die
i)jeubo|idpTup€c — die Reichen, die Witwen und Waisen ver-
nachlässigt, die Wucherer und Zinsnehmer. Andere Typen
sind erst aus anderen Entwickelungen hinzugekommen. Die
Götzendiener bringt natürlich jüdische Anschauung herzu.
zu verfolgen, wäre eine dankbare Aufgabe (vgl. auch Hatch Griechentum
und Christentum, übers, v. Preuschen, 212).
1 Plut. de sera num. vind. p. 556^.
2 Z. B. Lact. inst. div. VI c. 19, 4 von den Stoikern: tres sunt
iyitur affectus, qui homines in omnia facinora praecipites agunt: ira
cupiditas libido. fropterea poetae tres Furias esse dixerunt, quae
mentes hominum exagitant: ira ultionem desiderat, cupiditas opes,
libido voluptates.
- 172 -
Die Reihe von Frevlern, welche die bisherige Übersicht
griechischer Quellen ergibt, stelle, ich gleich mit noch anderen
altchristlichen Zeugnissen zusammen, damit man sehe, bis zu
welchem Grade sie zu jenen stimmen (s. die Tabelle S. 174 und
175). Selbstverständlich ist der Einflufs des Dekalogs in den
christlichen Lasterkatalogen sehr stark; aber eine Anzahl von
Angaben und Ausdrücken ist so deutlich nach der griechischen
Anschauung geprägt, dafs sich die übrigen erst später von
anderer Seite aus in christlicher Entwickelung selbst hinzu-
gekommenen ganz von selbst ausscheiden. Die Arten, die
der Hirt des Hermas aufführt (s. Harnack in seiner Ausg.
p. LXXIX), und einen Katalog aus gnostischen Schriften
(s. Schmidt Gnostische Schriften in koptischer Sprache S. 411)
habe ich gleich beigefügt. Namentlich die besondere Klasse
der 'Verräter und Ankläger' im Hirten zeigt, dafs man unter
den Christen, die schon Verfolgungen zu erdulden hatten und
die Verräter aus ihren eigenen Reihen hervorgehen sahen —
denn nur von Christen wird geredet — , dafs man da erst
solche Typen unterscheiden konnte. Ebenso fühlt man aus
der Angabe derer, die den Weg der Wahrheit verlassen und
falsche Lehren verbreiten, die Polemik einer Zeit heraus, die
schon mit Irrlehren und Irrlehrern kämpfte. Und auch die
ßXdccpriiuoi und nieuboTTpoqpfiTai sind jedenfalls nicht ohne christ-
liche oder doch jüdische Einflüsse zu denken.^ Diesen letzteren
stellen sich sofort an die Seite die Typen der Apokalypse oi
ßXac(pri|uoOvTec rr\\ öböv xf^c biKaiocuvric, oi ßXacqpTiiaricavTec
Kai KaKUJC eiTTÖvxec rriv oböv rfic biKaiocuvric, dTTOCTpeqjoviec
Tf]V biKaiocuvriv, oi biuuHavTec toOc biKaiouc Kai Ttapabövrec
auTOuc, Ol dqpevTcc rfiv öböv xoO 0€oö. Auch das Buch des
Hermas gehört in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts.
Nun aber möge man noch eine andere Zusammenstellung
überblicken, die eine Gruppe merkwürdiger Litteraturdenkmale
ohne weiteres eng verbindet^ (s. die Tabelle S. 176 f.). Nur
1 Etwas immerhin ähnliches ist es, wenn schon nach Pythagoras
Homer und Hesiod drunten gepeinigt werden ävö' il)v emov irepl öeiöv,
LDiog. VIII 21.
2 Auch hier wird die Tabelle überzeugender reden als lange Aus-
einandersetzungen. Die betreffenden Schriften gehen, soweit sie solche
— 173 -
hier und da ist auf Verwandtschaft dieser Schriften ge-
legentlich hingewiesen.^ Auch hier kann ich nur die haupt-
sächlich in Betracht kommenden Punkte kurz herausheben.
Die bibaxri tujv buubeKa dTrocTÖXwv, deren Vorschriften, wie
sie in cap. 2 und 3 und dann cap. 5 gegeben werden, — dafs
I 3—11 1 die recht eigentlich christlichen Zusätze ursprünglich
fehlten, ist durch eine ganze Anzahl Schriften, welche die
Didache ohne diese Verse benutzen, aufser ZweifeP — hier
in allen hauptsächlichen Ausdrücken vorangestellt sind, ist
mit Sicherheit der Zeit zwischen etwa 120 und 165 zuzu-
weisen^ und man hat bereits ^erhebliche', ja nahezu schlagende
Gründe dafür beigebracht, dafs die Schrift nach Ägypten ge-
hört.* Sie gibt uns einen Einblick in die merkwürdige Art
alter Christengemeinden in diesem Lande, dessen ^älteste Ge-
schichte' in kirchengeschichtlicher Beziehung ^für uns ein
Vacuum ist'.^
Von dem pseudophokylideischen Gedicht habe ich nur
einige Hauptsätze zugeschrieben, welche die Verwandtschaft
mit der Apostellehre durchaus noch nicht erschöpfen, aber
doch für unsem Zweck genügend veranschaulichen. Nament-
lich die Reihe von Hauptsätzen des Anfangs entsprechen fast
Sündentypen angeben, so ziemlich ganz in diese Zusammenstellung auf.
Die abgekürzten Sätze der Tafel werden ohne weiteres verständlich sein.
1 S. jetzt Harnack Geschichte der altchristl. Litteratur I 87.
2 Auf die Verwandtschaft zwischen Didache und Ps.-Phokylides
hat Usener zuerst aufmerksam gemacht bei Bemaya Gesamm. Abh. I,
VI 1 ; nachher hat eigentlich nur Rendel Harris in der Ausgabe der Di-
dache (The teaching of the Apostles, Baltimore-London 1887) diese Ver-
wandtschaft durch eine sorgfältige Zusammenstellung (auch mit einer
Anzahl Sibyllinenversen) illustriert, S. 40 fi". Bei der Petrusapokalypse ist
nur James in seiner vorzüglichen Abhandlung und Ausgabe der Apoka-
lypse über allgemeine Andeutungen der Verwandtschaft zwischen Apoka-
lypse, Sibyllinen, Phokylidea hinausgekommen, S. 78 ff., worauf ich hier-
mit angelegentlichst verwiesen haben will. Irgend welche Folgerungen
zieht er freilich nicht.
3 Harnack Didache, grofse Ausgabe, 158 ff. Die Zeit des Hirten
des Hermas ist nicht so fest zu umschreiben, als dafs man daraufhin
die obere Zeitgrenze noch weiter hinabrücken dürfte.
4 Harnack a. a. 0. 159 ff., 163 ff.
5 Harnack a. a. 0. 163.
— 174 -
^Tr{opKol
lepöcuXoi
Apoc. loh. XXI 8
eßbeXuYM^voi
Apoc. loh. XXII 16
Gal. V 19
I Cor. XI 9
Rom. ] 29 ff.
öeocTUTcTc
Coloss. III 5 ff.
ßXacqpriiiia
Hermas Fast. (s.
Harnack ed. xoai. p.
LXXIX) ßXdccprmoi \
di äcpiouciv Triv öööv
Ti^iv äXriBivriv
GnostischeWerke
(s. CSchmidt Gnost.
Schriften in kopt.
Sprache, S. 411)
Flucher, Lästerer
Apokalyps. Petr.
ßXacqprmoOvxec I, cf.
II, VII; äqp^vTec ti?iv
Ö5ÖV ToO eeoö XIV
TTOTpa-
Xoiai
etc.
Yoveu-
civ
ÖTrei-
eeic
ävbpo-
qpövoi
q)0veic
(poveic
qpövoi
laecTOi
cpövou
Mörder
qpovfic
IV
9iXTi6ov{a (libido)
ÖKpacia irepl i^öovdc
)noiXoi
uopvoßocKoi
TTÖpVOl
TTÖpVOl
lioixeia, TTopvela,
ÖKaeapcia, äc^X-
Yeia
iröpvoi, inoixoi,
laaXaKoi, äpcevo
Kolxai
Schande von
Weib mit Weib,
Mann mit Mann
(v. 26, 27) TTop-
v€ia
TTOpveia, ÖKoGap-
cia, TrdGoc, ^meu-
|Liia KOKri, aicxpo
XoYia
^Tri0u|ar]TiKOi,
iröpvoi etc.
Päderasten u. ä.
|Lioixo( III; Ol [nid-
vavT€c TÖL cuO|LiaTa
^auTüuv üjc YVJval-
Kec dvacxpeqpöine-
voi — aicuYKOi|uri-
öeicai dXXriXaic ibc
äv dvi'ip Trpöc yv-
vaiKO XI cf. V,
dirXriCTia
qpiXoboHla
(amhitio)
TÖqjoc kv\
dpxalc
|u^9ai
kOüijoi
jLidGucoi
ößpicrai,
ötrepriqpa-
voi, dXa-
Z;öv€c
Hoch-
mütige
~ 175 -
^)euca|ievoi
: fivriciKOKia,
KaKoQujLiCa ko-
, KÖVOia |i€Tä
q)eövou,
TTXeoveHia
(cupiditas)
qjiXoirXouTia.
Töqpoc kvX
KÖXa-
Kec
TTiKpia (ira) ttXoütiuv, to-
'KOYXÜqpOl, T€-
! Xuivai.
öiriCTOi , träv-
rec oi v^jeubcic
iräc ö cpiXAv
Kttl iroioiv
i|;€Oboc
vjfiöupiCTai,
KaxaXdXoi
fxecToi böXou
eic aXXriXouc
ölHiUXOl ÜTIO-
KpiTOl
v}jeu6o^äp-
Tupec VIII
?x6pai , Speic,
2fiXoi, Ou)Lioi,
4pi6€iai, 6ixo-
CTOCiai, aipd-
C€IC, (pöövoi.
Xoiöopoi
Tiovripia, Ko-
Kia, jiecTol
q)9övou, ?pi-
6oc, KaKon-
Geiac, iqpeupe-
TOi KOKÜIV,
dcuvGexoi,
dcTopfoi, 1
äCTTOvboi.
öpYn, Sujaöc,
KUKia I
KaraXtiXot
irXeov^KTai,
KX^TTTai, äp-
TraY€C.
dveXermovcc
irXeoveEia
irXeovetia
Ol h\ä TÖV
ttXoGtov
dirapvouvrai
TÖV KÜplOV
Verläumder Räuber
(XIII?), 8. u. ttXoutoövtcc
S. 209 Kai Tuj ttXoü-
TU) aÜTUJv Tre-
•nroieöxec koI
\ir\ ^XerjcavTCC
öpqpavouc Kai
Xripac IX, oi
öaveiZiovTCC
Kai dTraiTOüv-
T€C TÖKOUC
TÖKUJV X
Ö€iXoi
Kliv€C
beiXla
6eia-
&ai|uo-
via
(super-
stitio)
<pap-
liOKelc
9ap-
ItiOKOl
qpap-
^aK€ia
€i6uuXo-
Xdxpai
€i6ujXo-
Xdxpai
eibuiXo-
Xaxpia
ei&iuXo-
Xdxpai
eiöujXo-
Xaxpia
cibiuXo-
Xdxpai
j (dela-
\tores et
prodi-
tores),
irpo-
öörai
oixivec oi öiiü-
xaic iöiaic Eavxec
Xepci I xouc
^öava ka\}-\ öikoi-
xoic^iroiri-jouc Kai
cav dvxi \ rrapa-
öeoO Xil jbövxcc
aüxoüc
VI
176
Didache
oÖK dfriopKrjCCic |
ßXaccpri|u{a j ei ^i]
^YKaTaXiTn;)C 4v-
ToXäc Kupiou,
qjuXdEeic 6^ ö
irap^XaßGC jurixe
irpocTieeic ix-qje
dcpaipuJv I vgl.
X l 2 eäv bi aÖTÖc
ö bibdcKUUv cxpa-
(peic bi&dcKr|
öXXjiv bii^axi^v cic
TÖ KOTaXöcai — .
Phokylidea
irpÜJTa 9e6v xipLa
|Lirif)' tmopKricric
Sibyllin. IT
255—286
ßXdcq)Tl|UOV ÖTTÖCOl
pL€-fav dödvaxov
Beöv ^YKCiT^Xei-
\\iav
Apocalyps.
Petr.
ßXacq)r||uoOvT€C
Ti'iv oböv TfjC 5i-
Kaiocüvr|c 1 j diro
CTp^qjovrec xi^iv
biKaiocOvr]v II | oi
ßXacqpn^^lcavTec
Kai KaKÜJC gittöv
Tee Triv ö&öv xfjc
biKaiocüvric VII
oi ä9^vTec xriv
oböv Toö 0eoö
XIV
xijLia
ceio
fovfiac
KttXÖV
Heivi-
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ILll*) KXdTTxeiv I f)
bä TToXXi^ XpUCpi^
Trpöc d|u^Tpouc
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allerlei Unzucht
V. 177 ff.
KXei|jiYa|uoi | xi^v
cdpKa dceXYeiaic
luidvavxec | öttöcoi
JÜujvriv xj^v irap-
6eviKr)v dir^Xucav
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ai Trpoc MOtxeiac
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xf|c iLioixeiac III
oi laidvavxec xci
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TTXOUCIV d6^-
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^ix] -rrXouxeiv d&iKiuc
|Lii^ GXiße TT^vrixa |
TTXUJXH) euGü bibov \
irXoOxov ^X'J^'v ci^v
Xeipa irevrixeOouciv
öpeEov I qpiXoxpni^o-
cüvri jurixrip KaKÖxr]-
xoc dirdciic ] |arib^
XPncxric I |Lir] Yot^JpoO
^Til ttXoüxlu I itXoüxou
|UTT qpeiöou
xoKicxal Kai xökov
^K xÖKOJv cuvaGpoi-
Z^OVXeC KOX' OIKOUC,
öpq)aviKouc xnP<^c xe
KaxaßXdirxouciv
^Kacxa
oi TTXouxoövxec Koi
xtü ttXoüxuj aOxuJv
TrerroiGöxec Kai m'i
IXeiicavxec öpqpavouc
xal xnpöc IX oi
baveitovxec koI diroi-
xoOvxec xökouc xö-
KUJV X
1 qpop^ für qpGop^ ist eine
bchlagende ßessernng von Wil-
helm Schulze.
— 177 —
ouK dmöu.uri-
ceic Td ToO
irXriciov | oök
ecri irXeove-
KTtic o\)bi äp-
ira: | KÄoirrj j
KXoTTai 1 äp-
ixajai I trXeo-
veSia
oÖK ?cri ou vjJ€ubo|uap- ou xaKoXoYri- oö pui-^eu-
\}n€pr\cpa- (Tupr)C6ic | oök ceic | ou |ivri-| ceic [ oö
voc Kevö- ecr) öiTviOiaujv ciKOKriceic ouk cpapiaaKeu-
60E0C ! I oö6e 6iyXuuc- kcr) KaKorjGric |c€ic oiujvo-
uTrepriqpa- 'Coc ouk ecrm ou Xrm/r) ßou-j cköitoc |
via : övjioc • 6 Xö^oc cou Xriv TrovT]päv i liraoiböc
dXa^oveia ^jeubi^c | ötto- Kord toü uXr]- |aa6r||ja-
KpiTTjC I V(J6Ö-IciOV cou | Op'ff] TIKOC TTepi-
ei&uiXoXa-
xpia I €1-
SiuXoXa-
xpiai
Cfia 1 vjjeubo- I |aTi&^ Zr\kw-
^aprupiai | .Tr\c firjö^ ^pi-
UTTOKpiCeiC I öl-| CTIKÖC )ur|6^
TrXoKapöia bö-
Xoc dYairOüv-
xec ijjeOöoc
eufiiKÖc I Zr\-
XoTuma
tiIjv dXXo- '^11 YoupoO böXouc ^d- bpfi] | |ifivic ' qpdpuaxa
Ka0aipurv
|na-f6iai
qpap^aKiat
xpiiuv dir^x^- i<^oq)iri |if|x
c6ai I KX&irecdXKri | ciu-
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KX^TTXai
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(XIII?) 8.
S. 209
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X6C xoüc
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erroi- 6övxec aö-
Ticav avxi
eeoO XII
xoüc VI
Dieterich, Xekyia.
12
— 178 -
genau denen der Didache. Die andeutenden Stichworte der
Tabelle werden dem Nachprüfenden hinreichende Anhalts-
punkte und auch ohne weitere Erklärung verständlich sein.
Seit Bernays' vorzüglicher Abhandlung pflegt man dieses
phokylideische Gedicht für das Werk eines hellenistischen
Juden zu halten; nur hier und da, namentlich von Harnack
ist betont, es stamme von einem Christen. Beide Ansichten,
kann man sagen, sind falsch und sind richtig zugleich. Dafs
eine grofse Anzahl von Sätzen und Vorschriften direkt nach
jüdischen Schriften des alten Testaments formuliert ist, kann
nach Bernays' Ausführungen gar keinem Zweifel unterliegen;
ebensowenig läfst sich aber bei einigen wenigen Stellen be-
streiten, dafs sie nur aus bereits christlichen Anschauungen
heraus so ausgesprochen werden konnten. Wir sahen bereits
oben, dafs das Wort von den Göttern, zu denen die Seelen
der Toten werden, recht wohl mit griechischer Anschauung
zu vereinen ist^; freilich auch Christen konnten so sprechen,
niemals aber Juden. Es zeigte sich auch bereits, wie der
Satz von Gott und den Eltern, der nach den ersten ohne
Zweifel durch den Dekalog beeinflufsten , aber auch nicht
aus ihm allein erklärbaren Sätzen (z. B. jurir' apceva KuTTpiv
öpiveiv) folgt, so recht in die Reihe griechischer Moralvor-
schriften pafst. Und so ist es noch mit manchem andern
Satze. Zu v. 5 }ir\ TtXouieiv dbiKuic, dW il öciujv ßioieueiv
vergleiche man den Satz des berühmten Skolions von den vier
Glückseligkeiten tö Tpixov be irXouTeTv dböXujc (Bergk* III
p. 646, 8) und den alten Vers der theognideischen Sammlung
145 f.:
ßouXeo b' euceßeujv öXiyoic cuv xpilMCtciv okeTv
f| TiXouTeiv dbiKUJC xpriMaia Tracdjuevoc,
ähnlich dem solonischen Ausspruch, Fragm. 12, 77,
Xprmara b' ijueipu), dbiKUüc be TreTräcGai
ouK eGeXuj — ,
gewifs eine immer weiter fortgepflanzte griechische Gnome.^
Zahlreiche Stellen können beweisen, dafs jenes dreifach va-
1 S. oben S. 88, 2; Bernays ändert Geoi in vdoi.
2 |ii?i trXoOxei kokujc steht auch unter den dem Thaies zugeschrie-
benen Sätzen bei LDiog. I 9.
- 179 -
riierte ttcxvtiuv itierpov apicTOV (v. 69), xaXöv b' em ^erpov
ÜTTaciv (v. 14), TÖ fäp liexpov ecxiv apicxov (v. 98) eine alte
crriechische Sentenz ist.^ Auch in den so vielfach verwandten
pythagoreischen XP^^^ ^Trri steht laexpov b' em ttSciv apicxov
(v, 38). Wie bei Theognis Kaipöc b" em rräciv apicxoc er-
halten ist (v. 401) , so steht dieser Satz auch in Hesiods
Werken und Tagen (v. 694), wo unzweifelhaft pexpov für xaipöc
gestanden hat:
)iexpa q)uXdccec6ar juexpov b' em iräciv apicxov.
So wird bei Macrobius (Sat. V 16, 6) der Satz als homerisch
citiert^: ein alter Paroimiakos wie jene, die Usener (altgr.
Versbau 45 flF.) besprochen hat.
Die Vorschrift |ifi koköv eö epHric (v. 152) wird sich auf
keine andere Weise verstehen lassen als aus altgriechischer
Tradition, die sich bis hierher bewahrt aus Sätzen wie jenem
theognideischen (v. 105)
beiXoOc^ eu epbovxi ^axalOxdxr| x^Pic ecxiv.
Den Vers füllen bei Phokylides die Worte cneipeiv Tcov ecx*
evi KÖvxiu, bei Theognis lautet der zugehörige Pentameter:
Tcov Kai CTreipeiv ttövxov dXöc ttoXitic.
Der Zusammenhang der gnomologischen Tradition ist auch
hier deutlich genug. Die Regel (v. 48)
mib' exepov Keü0oic Kpabii,i voov, dXX' dxopeuujv
erinnert an alte Verse wie den Iliasvers (IX 313)
öc x' exepov juev KeuGr] evi q)peciv, dXXo be emr).
So wäre noch manches anzuführen.* Nur zu dem folgenden Vers
|Lirib' tbc Trexpoqpufic ttoXuttouc Kaxd x^J^jpov d|aeißou,
der nach Bernays' so geistvoller Auseinandersetzung (Ges. Abb. I
210 ff.) sich gegen jene griechische Schmiegsamkeit und Ver-
satilität richtet, die schon Theognis^ eben mit jenem Ver-
1 Nauck de Pythagorae aureo carmine hinter lamblichi vit. Pyth.
p. 222.
2 S. Nauck a. a. 0.
3 6eiAoüc bezeichnet ja bei Theognis das gleiche wie kokoOc.
4 Z. B. auch v. 27 ö ßioc xpoxöc, wozu Bernays Ges. Abb. I 206, 1
auf Lobeck Aglaoph. 905^ verweist.
5 V. 215 ff.:
TrouXÜTrou öp-p^v icxe TroXuTrXÖKOu, 6c ttotI Tr^rprj,
Tri irpocomXfiCTi, toioc \beiv dqpdvr].
12*
— 180 -
gleich des Polypen empfiehlt, mag auf die Verse des Ion
von Chios verwiesen sein (Fragm. 36 N^) :
Ktti Tov TrexpaTov TrXeKxdvaic dvai)aociv
CTUYU) |ieTa\XaKTfipa ttouXuitouv xpooc,
zum deutlichen Zeugnis, dafs auch die entgegengesetzte Mei-
nung schon in altgriechischer Weisheit vertreten war.
Weiterhin lassen sich in dem Gedichte eine ganze Anzahl
Sätze als stoisch erkennen, so v. 153 — 173 von dem KctiuaToc
aller Wesen, auch der Gestirne (judKapec), v. 63 ff., was von
opYri, Mfivic, lr\Koc gesagt wird, v. 67 die Unterscheidung des
doppelten epuuc , v. 70 ff. die Auseinandersetzung über das
qpGoveiv und die äqpGovoi Oupavibai und die ojnövoia des W^elt-
alls/ Auch das, was von dem öttXov jedes einzelnen Wesens ge-
sagt ist, das ihm Gott gegeben habe.(v. 124 — 128) — dem Men-
schen aber habe er den Xoyoc verliehen — wird aus solchen
Gedankenkreisen stammen. Das Jüdische in dem Gedicht nach
Bernays anzuführen wäre sehr überflüssig, und das Christliche
ist sehr gering, aber es ist vorhanden.^ Dafs wir ^konkrete
christologische Lehrstücke, wie sie in den Zeiten vor Fixierung
der christlichen Urkunden weit mehr noch als die Moral von
Freund und Feind gepredigt oder angegriffen wurden' — wie
Bernays meint (a. a. 0. 216) — vergeblich suchen, wird es
nun, da wir die Lehre der zwölf Apostel kennen, nicht mehr
unmöglich erscheinen lassen das Moralgedicht auch in christ-
lichen Gemeinden gebraucht zu denken; entspricht es doch
z. T. so genau den Lehren und der Art jenes alten christ-
lichen Katechismus.
Es läfst sich recht wol annehmen, dafs alte griechische
Gnomensammlungen, die des Phokylides Namen trugen wie
unsere Hheognideische' Sammlung den des Theognis, und die
vOv |Li^v Tf)?)' ^qp^Treu, ttot^ 6' äXXoioc XP<^o yiveu.
Kp^ccuuv TOI coqpiri Yiverai dTpotrlric.
Die Herkunft dieser Vorschrift aus alter episch- didaktischer Poesie er-
weist Bergk comment. de reliq. com. attic. 219'f. Weiteres ist angeführt
Bernays Ges. Abhandl. I 211, 1 — 3.
1 Darauf hat PWendland hingewiesen Neue Fragmente Philos 145.
2 Einige Anklänge an Stellen des neuen Testaments führt Heinrici
an in den Theolog. Abhandlungen Carl v. Weizsäcker gewidmet S. 333, 2.
— 181 —
echt Phokylideisches enthalten haben, sich namentlich im
Schulgebrauch fortpflanzten, veränderten, verminderten und
vergröfserten. Die sokratische Pädagogik hat mit Vorliebe
solche Sammlungen verwendet, und Isokrates z. B. wünscht
ausdrücklich solche Zusammenstellungen zu praktischem Ge-
brauch (ad Nicocl. § 43). ^ Den stärksten umgestaltenden Ein-
flufs wird die Lehre und Moral der Stoa, die vom 3. Jahrhun-
dert an so breit über das antike Leben sich ausdehnte und so
tief in alle Schichten eindrang, gewonnen haben. Eine solche,
daher schon stark beeinflufste Gnomensammlung aber war
gewifs auch in Alexandria in Schule und Leben bekannt und
beliebt. In Alexandria entwickelte sich jenes Gemisch von
Lehren und Völkern, das wir heute viel besser, als Bernays
es konnte, verstehen und in einzelnen Gruppierungen kennen.
Wie stark dort Jüdisches eindrang in die griechische Philo-
sophie, eindrang in die griechischen Kulte, sich verband mit
Pythagoreisch-Orphischem zu essenischen, zu therapeutischen
Ordensgenossenschaften, wissen wir ziemlich genau. Man denke
sich in irgend welchem derartigen stark jüdisch beeinflufsten
Verein die cpujKuXibou YVUJ|Liai gebraucht, weiterüberliefert und
umgestaltet. Und es fehlen vielleicht auch nicht ganz die
Spuren des damals immer mächtiger werdenden pythago-
reischen^ oder, so darf ich wohl sagen, orphischen Einflusses.
Sollten ganz zufällig am Schlufs des erhaltenen Gedichts
die Ausdrücke Ka6ap|uoi und luucxripia stehen? Werden doch
über einzelnen Teilen der xpvcä eirri, die ganz in dieselbe Art
gnomischer Poeme gehören und ihrer Grundlage nach aus
derselben Zeit stammen werden, mag auch die Form manche
Spuren noch späteren Gebrauchs tragen, Averden doch da Über-
schriften eingesetzt wie irapacKeuri, KoiGapcic, xeXeiÖTric^, die ganz
deutlich der Mysterienterminologie und den Stufen der Ein-
1 S. Bergk Griech. Litteraturgesch. II 316,
2 Die schwierigen Verse 100—108 will ich hier nicht erörtern;
jüdische und pythagoreisch - stoische Unsterblichkeitsauffassung scheint
mir da unvermittelt nebeneinander zu stehen.
3 S. Les vers dor^s de Pjthagore expliquea par Fahre d' Olivet,
178 ff., dazu 207 f.
— 182 -
weihung entsprechen^, und wenn aueli ganz äufserlich und
ohne irgend welche tiefere Beziehung zum Inhalt zugefügt,
doch den Gebrauch des Gedichts in solchen Kreisen verbürgen.
Das wenige Christliche im phokylideischen Gedicht zeigt,
dafs es auch von Christen noch benutzt ist, die aber nur
einen Anfang machten, ihre Gedanken schärfer in dem Ge-
dicht zum Ausdruck kommen zu lassen.^ Es waren Christen
wie die, welche die Didache benutzten, ägyptische Christen,
wie zu behaupten kein Bedenken uns abhält. So ist der
Strom griechischer Gnomenpoesie nach langem Wege, verän-
dert in seinem Laufe durch mancherlei Zuflüsse, namentlich
nicht weit vor seiner Mündung durch einen starken Einflufs,
dessen gesonderte Flut sich noch lange bemerklich macht,
endlich, wenigstens in Ägypten, eingemündet in die christliche
Gemeinde. Ohne die Apostellehre würde uns das nie so deut-
lich haben werden können.
Das phokylideische Gedicht ist in seiner jetzigen Gestalt
älter als die Didache. Es stammt aus der ersten Zeit, da Christ-
liches wirksam geworden war. In der Didache sind die Gedanken
schon ganz in ein Gemeindebuch verarbeitet; jenes Gedicht wird
man aus mancherlei Gründen dann bei Seite geschoben haben.^
Das Gedicht vor 70 n. Chr. (der Zerstörung Jerusalems) anzu-
setzen, hat nur für den Bedeutung, der mit Bernays einen Propa-
ganda machenden Juden als Verfasser sich vorzustellen für
notwendig hält. Wir werden in die nicht lange Zeit erster
Wirkungen des Christentums in Ägypten gedrängt. Eine gewisse
Zeit mufste immerhin vergehen, ehe das griechisch -jüdische
Schulgedicht davon afficiert werden konnte, und man kann bei
einzelnen Kreisen nicht so leicht mit Sicherheit sagen, wann
bei ihnen das Christliche derartig einzudringen begonnen hat.
1 Z.B. Theo expos. rer. math. ad leg. Plat, ut. ed. Hiller p. 14, 18 ff'.
2 In dem v. 129 hören wir zugleich den Xötoc der jüdisch-helle-
nistischen Philosophie und schon wie von ferne die coqpir) der gnosti-
sühen Theosophie anklingen.
3 Darum ist seine Entwickelung da stehen geblieben. Die Ein-
setzung der irapGevfri und äfö.Ttr\ in v. 13 u. ä. sind erst wieder ganz
späte Weiteränderungen, die nicht aus dem Gebrauche im Lebeu, sondern
aus der Lektüre in der Mönchszelle hervorgiengen.
- 183 —
Doch hätten sich in den späteren Jahrzehnten des zweiten
Jahrhunderts solche Einflüsse viel stärker geltend machen
müssen, sollte das Gedicht weiter als das gelten, was es sein
wollte. Wir können mit ziemlicher Sicherheit für die Fertig-
stellung des G-edichts, wie wir es haben (bis auf kleine spätere
Änderungen), als die Zeit, wo seine Weiterentwickelung, Weiter-
veränderung und Erweiterung stehen geblieben ist, die Zeit
von 80 bis spätestens 130 in Anspruch nehmen.
Aber wir haben noch eine Spur weiterer Verwendung des
gnomischen Poems. Ein grofses Stück desselben (v. 5 — 79),
gerade das, welches die meiste Analogie mit der Didache hat,
ist in das zweite Buch der sog. sibyllinischen Weissagungen
übernommen (v. 56 — 148). Die Veränderungen, die der Text
da zeigt, sind charakteristisch genug. Nur die hauptsäch-
lichsten führe ich an. Vor dem Vers TtpoiTa 6eöv xijia kt\.
ist eingeschoben :
^r\hk iiaTr\v eiöwXa ce'ßou* töv ö' aqpGiiov aiei
TTpOJTa . . .
Die eibujXoXaipia, die merkwürdigerweise gar nicht im pho-
kylideischen Gedicht vorkommt — der Grieche kannte diesen
Begriff nicht, und dem jüdisch-hellenistischen Synkretismus lag
es fern dagegen anzugehen — , hätte ein Jude, wie ihn Bernays
sich denkt, nicht übergangen (aus Schonung seiner Proselyten,
meint Bernays; das wäre dann aber gerade sein Haupttrumpf
gewesen). In der Didache hat sie ihre Stelle. Hinter dem
C7Tep)LiaTa )ifi KXeTTxeiv ist aufser einer Verstärkung des Fluches
von der Sibylle noch eingesetzt
jiiriT' dpcevoKoiieiv ^ix] cuKoqpavieTv ixryre qpoveueiv,
uns durchaus nicht unbekannte Vorschriften. cuKoqpavxeiv ist
dem Gedicht sonst fremd. Aufser anderem^ sind v. 93fiF. zwei
1 Die Verse 3 und 4 sind nicht mit übernommen:
junre fQMOKXoir^eiv ^rjT' öpceva Küirpiv öpiveiv
jurire ööXouc ^dirreiv yir\Q' aiiaari x^Tpa maiveiv.
Schon vorher v. 53 steht bei der Sibylle
Ol b' ä^anwa fäiiov xe, YaiaoKXoTriüJv x' dtr^xo^xai — ,
äpcevoKoixeiv wird dann in jenem Verse 73 nachgeholt, ebenso qpoveüeiv.
Zwischen 47 u. 48 (Sib. 119) ist eingeschoben:
larjxe ööXouc ^dirxeiv nf\ uppc qpiXov fixop ötrXüüeiv.
— 184 -
Verse über das jüngste Gericht eingelegt, dazu die Vorschrift
|ur)Te qppevac ßXdTrieiv oivlu jurib' eKi^erpa iriveiv
und daneben:
aiiua be jur] (pafeeiv, eibujXoGuTUüv b' direxecOai,
die aus den Acta apostolorum bekannte urchristliche Vor-
schrift, die auch die Didache in ganz ähnlichem Zusammenhang
(VI 3 f.) enthält Trepi be ttic ßpuuceujc ö buvacai ßdciacov dirö
be ToO eibuiXoBuTou Xiav Ttpöcexe. Statt der längeren Partie
über q)6oveTv, die Oupavibai, die OjLiövoia, also statt der so
deutlich griechisch-stoischen Auseinandersetzung über die gött-
lichen Gestirne — man mochte schon damals wie später bis
auf Bernays direkt von Göttern geredet glauben — nur die
Verse (143 fiP.):
Hr\ (pGovepöc, jur] ciTriCTOC ecri, jaf) Xoibopoc icGi,
|Lir|Te KaKOTVUJ)iiuJv, juf) ipeubaTrairic dfiexpriTOC,
in uns bereits in solchem Zusammenhange geläufigen Aus-
drücken. Wenn nach dem ganzen gnomischen Stück in dem
Sibyllinenbuche gesagt wird (v. 150):
TouTo ttuXti lujr\c Kai eicoboc d9avaciac,
so erinnert das stark an den 'Weg des Lebens' der Didache.^
Dann aber folgt nun im zweiten Buche der sibyllinischen
Orakel ein eschatologischer Teil, eine Weissagung von den
letzten Dingen, vom Gericht, von Lohn und Strafen im Jen-
seits. Unter den Zeichen des Endes ist auch eines, das von
Hesiod an bis in die christliche Zeit typisch gewesen ist.^
1 Vgl. auch die christlichen Grabinschriften wie axitr] i^ iriiXi] toO
Kupiou" biKaioi elceXeücovxai dv aürrj, CIG 8934, s. Revue arch. XIX
1869, 456.
2 Hesiods Werke 180 f.:
Zefjc b' öX^cei Kai toöto y^voc juepöirujv ävOpuOitujv,
eöx' öv Yeivö|Lievoi tToXioKpöxaqpoi reX^Guuciv.
Vgl. die syrische Apokalypse bei Lagarde reliq. iur. ant. graec. 1856
p. 81, 27 : Jesus prophezeit dem Johannes und Petrus irepi xoö x^Xouc:
da steht auch iroXiol ^covxai ol xiKxöjuevoi. Sibyll. 11 164 f. :
äW ÖTtöxav xö6e cfiiaa qpavrj Kaxä köcjhov ÖTravxa,
^K Yevexf^c iraiöec TroXioKpöxaq)oi fe^faiuTec — .
Vgl. Cyprian. ad Demetrian. c. 3.
- 185 -
Die Worte von den ijieubaTTdTai dvTi TrpoqpriTÜuv (v. 165 f.)
erinnern au eschatologische Stücke des neaeu Testaments, auch
an den Eingang der Petrusapokalypse. Die Verse (v. 163 f.)
vriTTioi, oube voouvTec Ö6', fiviKa qpOXa TuvaiKiuv
^n TiKTouciv, eqpu tö Gepoc |iepÖTTiJUV dvGpuuTruuv,
werden bei Clem. Alex. Strom. III p. 445 als aus dem Evan-
gelium der Ägypter citiert. Beliar (den auch Paulus II. Cor.
VI 15 erwähnt, auch da BeXidX und BeXidp in den Varianten) wird
ebenso wie Sibyll. v. 167 als am Enrie kommender Antichrist
genannt in den Testamenten der 12 Patriarchen, einer der Apo-
kalypse auch sonst sehr ähnlichen, nur mehr jüdischen eschato-
logischen Schrift der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Vieles
steht überhaupt aus jüdischer Überlieferung in diesem Sibyllen-
buche, von den Hebräern, die ihre Stammesgenossen suchen
werden (v. 171 ff.), von der Wiederkunft des Thesbiten (187 ff.),
und deutlich genug mahnen uns die Michael, Gabriel, Raphael,
üriel an die Apokalypse des Henoch.^ Diese Engel führen
die Seelen (217 ff.) änö Zöqpou iiepöevioc zum Gericht vor den
Thron Gottes, der selbst richten wird (wie Petrusapok. v. 3):
V. 242 f. ist es Christus, der Fromme und Gottlose richtet,
offenbar die spätere Formulierung.
Ein feurisrer Strom wird vom Himmel herabströmen und
alles vernichten, und mit sehr stoischen Farben wird die ge-
waltige eKTTupuJCic beschrieben (v. 196 — 213).^ Nach einer bis
ins einzelne ausgemalten Schilderung leiblicher Auferstehung
(v. 221— 227) heilst es, dafs Uriel, der hier zum'Hadespförtuer
geworden ist, die Thore brechen und alle die traurigen Gestalten
zum Gericht führen werde,
eibuuXujv (!) xd judXicia TraXaixeveuJV Tiinvujv
r\bi re fifdvTUJV,
1 Dillmana Apokalypse des Henoch S. 82 ff.
2 Sib. V. 200 ff.:
äxap oöpdvtoi qpiucTfipec
elc ?v cu^ji/iEoua koI etc luoptpriv Trav^pTnaov,
äcxpa Top oupavöGev re öaXdcq) irdvTa ireceiTai,
erinnern immerhin sehr an die aus der späteren Petrusapokalypse bei
Makarius IV 7 (oben S. 13 fragm. V) citierten Worte Koi TOKrjccTai -rröca
6ijva|iic oupavoö Kai l\ix6ric€Tai 6 oöpavöc lüc ßißXiov, koI irdvra xd dcxpa
-neceixai lüc cpOWa il djiTT^Xou koi üjc irmxei qpOXXa dTrö cuKfic.
- 186 —
die vor dem KaTaKXuc|Li6c lebten, nacli einer in jüdisch-helle-
nistischer Zeit geläufigen Bezeichnung. ^ Dann folgt das Ge-
richt durch Gott und Christus zu seiner Rechten.^ In den
feurigen Strom müssen sie alle, oi xe biKaioi Traviec cuiGricoviai.
Also die Lehre vom Fegefeuer, die einst Piaton orphischen
Schriften entnommen, die orphische Bücher fortgepflanzt, die
Origenes in Ägypten sich aneignete, die dort auch die Gnostiker
später vertraten, diese Lehre findet sich auch hier. Dann
folgen die Listen der Sünder, die dort gepeinigt werden, deren
frappierende Ähnlichkeit auch mit den Typen der Petrusapo-
kalypse unsere obige Tabelle zu zeigen genügen wird. Weitere
Qualen werden angeführt (v. 287)
Touc ä|iia rrdviac
ÖYTe^oi d9avdToio 6eo0 xoO aiev eövTOC
ev qpXoTivaic judcTiHi Kai ev irupivaic dXucecci,
bec)LioTc dppriKTOici irepicqpiYHavTec ÖTiepGev,
öeivoidTUJc KoXdcouciv.
Es sind ganz die alten Vorstellungen von den Strafgeistern.^
l'TTfiTa be vuKTÖc djiioXYuJ
ev feevi;] Gripecc' ütto Taptapioici ßaXoOvrai,
TToXXoTc, bei|iiaXeoiciv, öttou ckotoc e'cxiv djuexpov.
Dann wird noch die Qual des xpoxöc Tiupivoc erwähnt und
das Wehgeheul und vergebliche Flehen utto xdpxapov eupouevxa
geschildert. Dreifach müssen sie hülsen, was sie gesündigt
(303 f.)^-
err' oux öcioici be x^J^poic
XICOUCIV XpiC XÖCCOV ÖCOV KttKÖV i'iXixov epYOV,
baiÖ)Ll€VOl TTUpi TTOXXUJ
und dann heifst es noch (311 f.):
1 S. Abraxas 143.
2 Sollte man die grofse Säule (|a^Y"v be re Ktova Trf|Sr) v. 240) mit
der Lichtsäule in Piatons Republik (ki'ujv qpiuTÖc bei dem Thron der
Ananke, welche die neuen Lebenslose verteilt) vergleichen dürfen?
3 S. oben S. 57, 58 f.
4 In den alten orphischen Gedichten müssen sie zehnfach büfsen '
aber es wird auch bei Pindar und Piaton angeführt, dafs, wer dreimal
die uepioboc von 1000 Jahren richtig durchgemacht habe, erlöst sei;
irepio&oi von dreimal 1000 Jahren sind es bei Ciaudian. in ßufin. II 491.
— 187 —
CTTTd Top aiuuvuuv iLieiavoiac fi)uaT' ebiuKev
dvbpdci Tr\a2;o|iievoic biet x^ipöc TTapOevou ctYvfic.
Sieben aiujvec der Bufse werden ihnen gegeben, und auszuführen
(biet X^ipoc) hat das die heilige Jungfrau. Darf man da nicht
an die Aikh, 'Abpctcteia der Orphiker, die Ananke, welche die
Seelenwanderuug bei Piaton lenkt, erinnern, an die Aikti-
'Acrpaia, die TTapBevoc qpujTÖc, die später allerdings in der
christlichen 'heiligen Jungfrau' z. T. weiterlebte?^ Haben
wir geradezu ein Dokument des Übergangs jener Vorstellungen
in die christlichen? Ich bin um so weniger imstande, das
festzustellen und etwa einen Schlufs für die Zeitbestimmung
des Buches daraus zu ziehen (die christliche 'heilige Jung-
frau' als Fürbitterin bei Gott kommt meines Wissens zuerst
bei Irenaeus adv. haer. V 19, also in der zweiten Hälfte des
zweiten Jahrhunderts vor), als die Verse 305 — 312 sehr wahr-
scheinlich erst später in der weiteren Tradition des Sibyllencorpus
aus dem späten achten Buch v. 350—358 hierhergesetzt sind.^
Die anderen, (v. 313 ff.)
ÖTTÖcoic le biKri KaXd t' ep'fa |ue)ir|Xei,
r\he Kai euceßir] le biKaiÖTaioi le Xo-fic/ioi,
werden die Engel aus dem Feuer heben (314 ff.):
€ic cpujc dHouciv re Kai eic Coifiv d|iiepi)iVov,
evGa TTcXei xpißoc dGavaioc juefdXoio öeoTo^
Kai ipiccai TTTiYai* oivou, laeXiiöc xe fdXaKTOc.
Yttia b' iCTi TidvTUJV, ou teixeciv, ou TrepiqppaYiuoTc
oube |nepiZ;o|ievri Kapnouc TÖxe nXeiovac oTcei
auTOjudTTi, Koivoi xe ßioi, Kai ttXoOxoc djioipoc.
ou fdp TTXUJXÖC CKei KXX.
1 S. Abraxas 101 S.
2 So auch Rzach z. d. St. Aach pafst ja kaum das dreifache
Büfsen zu den sieben Aionen der Bufse. Übrigens klingen die Worte
von den Tagen der sieben Aionen sehr gnostiach: man denke an die
sieben Wochentage = sieben Planeten Sphären, die rettende Sophia
u, dgl. z. B. bei den Ophiten. In valentianischer Gnosis ist die zukünftige
Läuterung ein Fortschritt durch die Reihe der sieben Himmel, CSchmidt
Gnostische Schriften 528. (Der siebenfache Himmel ist auch rabbinisch,
Eabisch Eschatologie des Paulus 212 f.)
3 Vgl Pindars Aiöc öööc, Ol. II 76, 8. oben S. 37, 4.
— 188 —
Wir kennen diese Farben des goldenen Zeitalters und der
Seligkeit,
Endlieh wird auch den Frommen gewährt (332 f.) Ik
juaXepoTo irupöc iLiaKpaiLUVUiv t' oittö ßpuY|iiuJv dvGpiUTTOuc cujcai
durch Flehen zu Gott. Ist das etwa Umbildung jener alten
Lehre, dafs die Seelen der Geschädigten erst Verzeihung ge-
währen müssen, ehe die Frevler von ihrer Qual befreit werden?^
Jene Geretteten aber wird Gott senden (335 flF.) biet Xaov eauioö
eic Z^iuriv eiepav xai aiijuviov dGavaioiciv
'HXuciuj irebio), öGi oi ireXe KUjuaia juaKpdt
Xijuvric devdou 'Axepoucidboc ßaOuKÖXTrou.
Dies zweite Buch der Sibyllinen ist vorn angeknüpft an
die Aufzählung der Geschlechter, wie sie im ersten begonnen:
das zehnte ist das letzte Geschlecht. Alsbald aber beginnt
die Schilderung der letzten Dinge. Es folgen die Regeln,
deren Einhalten zur Unsterblichkeit führt, das *Thor des Lebens'
und *der Weg zur Unsterblichkeit' (v. 150) und dann die
apokalyptische Schilderung. Am Schlüsse sind wieder einige
Verse von der Sibylle ganz äufserlich angehängt (339 — 347).
Didache und Fetrusapokalypse sind hier sozusagen zu
einem verbunden, d. h. jene so durchaus ähnlichen Vorschriften
und Visionen liegen in ihrer Vereinigung vor uns. Wie die
Didache das positive Gegenstück zu der Apokalypse genannt
werden könnte — wer solche Visionen hat, dem gelten als
Moralvorschriften ähnliche wie die der Didache — , hier
haben wir die Verbindung, die nicht zufällig sein kann: *Lehre'
und 'Offenbarung', wie sie in den gleichen Kreisen verbreitet
gewesen sein mufs. Besafsen wir schon seit einigen Jahren
eine, in einem Teile jenen Phokylidesversen, die auch in dem
Sibyllenbuche stehen, so verwandte 'Lehre der 12 Apostel',
wie sie christliche Gemeinden in Ägypten um die Mitte des
2. Jahrhunderts gebraucht haben, nun haben wir auch eine
'Offenbarung des Petrus', die mit jenen Sibyllenversen so
genau stimmt, wie sie zu eben dieser Zeit in eben der Gegend
in christlichen Gemeinden gebraucht worden ist.
1 So in Platous Republik, s. oben S. 118.
- 189 -
Wir dürfen schliefsen, dafs diese Verse des jetzigen zweiten
Buches der sibyllinischen Weissagungen schon verbunden und
im Umlauf waren, ehe sie in das Corpus eingesetzt wurden.^
Für die Entstehung und Ausbildung dieses vorsibyllinischen
Poems werden wir ganz von selbst in die ungefähre Zeit-
epoche des phokylideischen Gedichts und der Didache ge-
wiesen. Dafs es immerhin um ein beträchtliches später zu-
stande gekommen ist als jenes, ist selbstverständlich und
wurde auch durch die Abweichungen deutlich. Auch mufs
es nach der Zeit der Didache fallen, werden doch in ihm
auch TTpecßuxepoi und tepapoi birjKOvec genannt, während
in jener dTTÖcxoXoi und aufserdem bibdcKaXoi, irpoqpfiTai, öioko-
voi und dmcKOTTOi vorkommen. Zudem nötigen eine Anzahl oben
erwähnter Instanzen, in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhun-
derts hinabzugehen, wenn freilich auch Einzelheiten in weiterem
Gebrauch und in weiterer Überarbeitung hinzugekommen sein
1 Auch mit dem 1. Buche, an das sie dann enger angeknüpft
werden, haben sie zunächst keinen näheren Zusammenhang. Dort wird
fast ganz jüdisch Schöpfung, Sündenfall u. 8. w. erzählt, die verschie-
denen aufeinander folgenden Geschlechter z. T. gewifa nach griechischer
Tradition geschildert. In der sonst ganz biblischen Erzählung von
Noah hört man aus der Offenbarung Gottes an ihn v. 128 — 146 deutlich
die Mystik und Magie der späthellenistischen Zeit heraus, die sich schon
fast gnostisch anläfst. Zu v. 137—140 vgl. Jahrb. f. Philol., XVI. Suppl.
774, Abraxas 140 f. Zahlenmystische Offenbarungen schliefsen mit den
Worten (146): ouk ä)aur|Toc ecrj xfic uap' l^ol coqpiric. Auch das pafat
am besten nach Ägypten. — Von Christus werden durchaus im Änschlufs
an neutestamentliche Schriften Prophezeiungen angefügt und dann wird
von der Zerstörung Jerusalems geweissagt. Das 1. Buch ist durchaus
ein Werk für sich, wenigstens ohne näheren Zusammenhang mit dem
2. Buch. Dem widerspricht nicht, dafs jetzt 1. und 2. Buch als einen Be-
richt von Weltschöpfung bis Weltuntergang sich gibt und auch in den
Hss. wohl als ein Buch überliefert wird, Buresch Philol. LI 422 ff. An
das Buch von den Geschlechtem hat man aus anderer Quelle einen sonst
ganz unverhältnismäfsig grofsen Bericht über das Gericht und die letzten
Dinge angeschoben oder angearbeitet und auch den phokylideischen Teil. mit
übernommen, dessen Vorhandensein man ja sonst gar nicht erklärt. Das
3. Buch setzt wieder ganz anders ein; es ist das älteste und am reinsten
jüdische der ganzen Sammlung. Dafs Verse des 2. im 3. und 8. Buche
wiederkehren, kann sehr verschieden erklärt werden. Es ist für uns
ohne Bedeutung.
- 190 -
können. Und die Formulierung, die in den Sibyllinen heute
vorliegt, mag recht viel später sein. Sie ist erst durch Um-
setzung in das Sibyllinenbuch und die weitere Überlieferung
mit demselben zustande gekommen. Darum ist unser Ansatz
für das zu Grunde liegende Gedicht inhaltlich nicht weniger
zwingend.
Dieses ist auch jünger als die Petrusapokalypse; nicht nur
dafs die Typen der Sünden und Strafen weiter und breiter aus-
gesponnen sind, es entscheiden auch hier die besonderen Strafen
für TTpecßuTepoi und bir|KOvec, die schon eine weitere Ausbil-
dung der apokalyptischen Bilder nach den Erlebnissen der
Christengemeinde darstellen.
Dafs jenes Poem aus Ägypten stammt, ist von vorn
herein sehr wahrscheinlich, auch wenn die Beobachtungen über
die Sprache der Sibyllen überhaupt, welche die Eigentümlich-
keiten des ägyptischen (alexandrinischen) Griechisch zeige,
nicht durchaus zwingend sein sollten.^ Aber hier stützt
eines der besprochenen Werke das andere. Wie Didache,
Carmen pseudophocylideum , zweites Sibyllenbuch, Petrus-
apokalypse wird noch manches andere hierher gehören,
das ich hier nicht verfolgen kann,^ Es ist eine in ihrer
Eigenart gar nicht zu verkennende, eine ägyptisch-christliche
Litteratur, hauptsächlich der ersten Hälfte des zweiten Jahr-
hunderts. Es waren eigentümliche Gemeinden, die zuerst dort
christlich wurden, anknüpfend in Lehre und heiliger Poesie
an die griechischen, pythagoreisch- orphischen, jüdischen, esse-
nischen Gemeinden, wie sie dort in bunter Mannigfaltigkeit
blühten.^ Wir überblicken ja annähernd, wie dann auch heid-
nische Gnostikergemeinden zu christlichen wurden. Aber von
jenen Richtungen wird allmählich erst unsere Kenntnis deut-
licher. Sie waren gespeist von griechischer durch die Jahr-
hunderte fortgepflanzter und umgestalteter Moralweisheit; stark
1 S. Buresch Jahrb. f. Philol. 1891, 533, 538, 539 und namentlich
Philol. LI 85 ff. Einige der Beispiele halte ich für schlagend.
2 Z. B. aufser dem Petrusevangelium das Kerygma Petri (s. jetzt
V. Dobschütz das Kerygma Petri , Texte und Unters. XI 1, bes. S. 67 flF.),
der 2. Petrusbrief u. dgl., Harnack Evangel. und Apok. des Petrus * 90.
3 Abraxas 148 ff.
— 191 -
war, liier mehr dort weniger, der Einschlag jüdischer Ge-
danken und jüdischer Litteratur, und es wäre merkwürdig,
wenn nicht auch die ebendort damals so blühenden orphischen
Kultgemeinden Spuren hinterlassen hätten in diesen ägyptischen
Moral- und Offenbarungsbüchern, die wir nur zu finden zu
geringe Mittel haben.
Nach einer Richtung hin möchte ich mir eine Andeutung
nicht versagen. Dafs die alte prodiceische Allegorie von den
zwei Wegen es ist, die bei den urchristlichen Schriftstellern
die Einkleidung ihrer Moralmahnungen in dieses Bild veran-
lafste, scheint mir nicht mehr zweifelhaft.^ Wird doch bei
Justin (Apol. II 11) direkt auf ihn verwiesen, und auch der
Hirt des Hermas zeigt ganz direkte Anlehnung. Sogar in
dem lateinischen Fragment der Didache stehen noch an den
beiden Wegen zwei Engel iinus aequitatis, alter iniquitafis^ :
und diese lateinische Übersetzung geht auf eine ältere Gestalt
des Textes der Didache zurück."'' Alle die Stellen, in denen pa-
rallele Versionen dieser Parabel von den zwei Wegen vor-
kommen — auch Evang. Matth. VII 13 f. — , brauche ich nicht
anzuführen, höchstens mag die Schrift Diiae viae vel iudicium
Petri\ in der auch die gleichen Moral Vorschriften wie in der
Didache vorkommen , gerade hier erwähnt sein. Auch bei
ägyptischen Gnostikern, bei den Naassenern, ist das Bild ver-
wendet, wie Hippolytos bezeugt (V 8 p. 164, 76 ff, DS): /iiKpct
be .. ecTi rd itiucxripia rd rf\c TTepceqpövTic Kdruj, trepi iIjv
lauciripiujv Km tfic oboO xfic dTOucrjc exet, oucric TiXareiac
Ktti eupuxuupou Ktti q)epoucTic touc diroXXuiievouc eiri
tfiv TTepceqjövnv .... Kai 6 TTOiriific he qprjciv*
1 Ganz sicher ist mir das geworden durch die eben erschienene
die Parallelen sorgfältig zusammenstellende Abhandlung von CTaylor
The two ways in Hermas and Xenophon im Journal of Philologie XXI
no. 42 (1893) S. 243 tf. Einige dahingehende Bemerkungen halte auch
Norden gemacht Beiträge zur Geschichte der grieoh. Philos. 387 f.
2 V. Gebhardt hinter Harnacks Ausgabe des Hermas S. 277.
3 So jetzt auch Hamack Gesch. d. altchristl. Litteratur I 87.
4 Hilgenfeld Evangeliorum ^sec. Hebraeos, sec. Petrum etc. ed. II,
1884, p. 110 ff.
— 192 —
AuToip vTx' avxY\v ^CTiv diapTTiTÖc ÖKpioecca,
KoiXri, TTriXiubric" r] b' fiYrjcacGai apicTri
äXcoc de ijuepöev TroXuTi|nriTou 'AqppobiTtic. ^
Gleich darauf werden auch die oben erwähnten Worte aus
Matthäus über die beiden Wege citiert (p. 166, 95 ff.). Wer
jener rroiriTric ist, läfst sich vielleicht nicht mit absoluter
Sicherheit, aber mit grofser Wahrscheinlichkeit angeben.
Auch Lactantius redet im Anfang (cap. 3) des sechsten
Buches seiner Institutiones divinae ausführlich von den zwei
Wegen qiias et poetae in carminibus et phüosophi in disputa-
tionihus suis induxerunt Er erzählt dann auch von solchen,
die sagten vitae cursum Y litterae esse similem, quod unusguisqiie
hominum cum primae adulescentiae Urnen attigerit et in suum
locum venerit partes uhi se via findit in amhas (aus Vergil
Aen. VI 540 !) haereat mutdbundus ac nesciat in quam se partem
potitis inclinet. Si ducem nacttis fuerit etc. Weiterhin erwähnt
er: poetae fortasse melius, qui hoc hivium apud inferos esse
voluerunt. Danach geht der eine Weg in Elysios campos, der
andere — auch da führt Lactantius wieder Worte des 6. Buches
der Aeneis an — at laeva malorum exercet poenas et ad impia
Tartara mittit. Wir erkennen da sofort die zwei Wege (bez.
drei Wege), die uns oben so vielfach beschäftigt haben, und
es könnte fast scheinen, als ob wirklich der irdische Scheide-
weg erst eiue Umdeutung des unterirdischen in der bekannten
Art wäre. Aber wir wissen auch, wem man die Verwendung
des mystischen Zeichens Y zur Bezeichnung des moralischen
Kreuzwegs zuschrieb. Die Persiusverse (III 56 f.) Et tibi quae
Samios diduxit litter a ramos, Surgentem dextro monstravit li-
mite collem, erklären die Scholien^ so: gwae Pythagoras Santo
insula ortus praecepit, qui Y ad modum Jmmanae vitae figuravit
. . . et in sinistra parte rami velut vitia sunt, quae devexior fa-
cilem ad se praestat ascensum. est altera dextera in qua virtutis
opera celebrantur, arduum ac difficilem limitem pandens. quam
qui evaserint quieta sede excipiuntur. Da werden wir also ganz
deutlich in pythagoreisches Gebiet gewiesen.
1 Eine sehr selten vorkommende Erwähnung aphrodisischer Aus-
sichten im Elysium, vgl. Apul. met. VI 18.
2 Schol. bei Jahn-Bücheler zu den Versen.
- 193 —
An der Stelle, wo Xenophou den Heraklesmythus des
Prodikos erzählt (Memor. II 1, 20), führt er auch die Hesiod-
verse an (Werke 287 ff.):
rfiv |uev Yap KaKÖTnxa Kai iXaböv ecriv eXecGai
prjibiujc* XeiTi )aev oböc, ludXa b' cfT^JÖi vaier
Tfic b' dpeific ibpüjxa 9eoi TrpoTrdpoiGev eOriKav,
und diese drei Verse mit dem Zusatz Kai xiva öböv inaKpdv re
KOI dvdvTTi citiert Piaton an der Stelle, wo er das Treiben
der Orpheotelesten schildert (s. oben S. 82), und sagt, dafs
sie diese Verse anzuwenden pflegten (Rep, II p. 364 c). Dafs
sich die Orphiker vielfach an Hesiod in ihrer Dichtung an-
schlössen — auch epya Kai fmepai hatten sie nach den he-
siodischen — wissen wir.^ Sie haben es offenbar auch hier
gethan, und jenes Bild haben Orphiker und Pythagoreer eifrig
weiter gepflegt. Auch der Troir|Tr|C bei Hippolytos wird Or-
pheus sein.^
Die Einkleidung in das Bild von den zwei Wegen beherrscht
denn auch die ganze von uns besprochene moralische und apoka-
lyptische Litteratur^: die Petrusapokalypse zeigt die beiden töttoi,
zu denen die Wege führen, und führt auch die Laster auf, die
zum Tartarus bringen. Auch so schliefst sich dies eigenartige
ägyptische Schrifttum des zweiten Jahrhunderts zusammen.
Nicht als ob ich etwa alle diese Dinge für ausschliefslich
orphisch-pythagoreisch erklären, nicht als ob ich die Stücke
dieser Litteratur ebenso aus orphischer Litteratur geschöpft sein
lassen wollte, wie oben platonische und plutarchische Mythen
oder Stücke des 6. Aeneisbuches.* Am wenigsten wäre das zu
1 S. Abraxas 127.
2 So auct Preller Griech. Mythol. I 646 Anm.
3 Auch bei den Sibyllinen, s. Taylor a. a. 0. 254; dort ist es auch
zu Phokylides zugesetzt, oben S. 184.
4 Nur in einem Punkte möchte ich etwas weitergehen. Ich will
meine Vermutung, die sich schwer streng beweisen lassen wird, wenigstens
unter dem Texte andeuten. Ist die apokalyptische Schilderung des Si-
byllenbuches von der offenbar vorausliegenden Petrusapokalypse ab-
hängig? Wären auch die Zusätze der Sibylle vielleicht alle aus natür-
licher Fortentwickelung zu erklären, so wäre doch das Fehlen der Strafen
und so manche andere Auslassung unbegreiflich, wenn der Poet die in
der Gemeinde in Geltung befindliche Apokalypse vor sich gehabt hätte und
Dieterich, Nekyia. 13
- 194 —
rechtfertigen bei *den ethischen Ausführungen, die wir ja viel
weiter und allgemeiner verbreitet finden. Aber wer sich nicht
durch die geringen Reste, die wir haben, täuschen läfst über
die ungeheure Macht und Ausbreitung orphischer Litteratur
in jener Zeit und in jenen Ländern, wer bedenkt, wie bei den
Autoren der Zeit Orpheus der allbekannte Repräsentant einer
umfangreichen Poesie und einer die hellenistische Welt beherr-
sehenden Religion ist, der wird mich recht verstehen, wenn ich
auf diesem Wege so vieles, vielleicht auch nicht Altorphische
oder Altpythagoreische, gerade an einem Hauptpunkte des Aus-
tausches in die christliche Gemeinde übergegangen glaube, und
mir nicht vorwerfen, dafs ich zu vieles für orphisch halte und
in einen apokryphen Mysterienkult hineinzwingen wolle. Es
ist kein Zufall, dafs wir immer wieder, auch wo es niemand
vermutet hätte, in dieselbe Richtung gedrängt werden: da
sind eben die Quellen des Griechischen im Christlichen.
Freilich konnte ich nur die Hauptlinien solcher Be-
ziehungen andeuten, zumal ich in weitere Erörterungen weder
sie zur Lektüre seiner Glaubensgenossen hätte in Verse umsetzen wollen.
Und wober hätte er das Fegefeuer, seine so eigentümlich ausgesponnene
Schilderung des Landes der Seligen, die elysisclie Flur, den acherusischen
See in ihrer bestimmten Art und so manches andere, das uns oben schon
an ganz bestimmte Tradition erinnerte? Recht ähnlich klingen die beiden
oben (S. 134) angeführten hexametrischen Fragmente, die uns aus einer
orphischen Hadesfahrt von Proklos überliefert werden (Fragm. 154 Ab.). Ich
halte es für sehr wahrscheinlich, dafs die sibyllinischen oder wenigstens
die diesen zu Grunde liegenden Hexameter gemacht sind mit Benutzung
einer orphischen Nekyia; mit Benutzung, sage ich: nicht, dafs sie ab-
geschrieben, ganz oder teilweise wörtlich übernommen seien; aber der
Verfasser hat sich im Inhalt zum grofsen Teil an ein solches Gedicht
angeschlossen. Und wenn der Verfasser dieser Verse die Apokalypse
nicht benutzt hat, so kann die Übereinstimmung zwischen beiden, die
über allgemein Sachliches oder vereinzelt anklingende Worte weit hin-
ausgeht, nur dadurch erklärt werden, dafs sie, jeder zu seinen Zwecken
und in seiner Weise, ein oder auch verschiedene verwandte orphische
Gedichte benutzten. Welche andere gemeinsame Quellen wären bei so
frappanter Übereinstimmung überhaupt denkbar? — Die engsten Be-
ziehungen zwischen der sibyllinischen Orakelpoesie und orphischen
Lehren der Theogonie habe ich an einer Inschrift aus Perinth erwiesen
de hymn. orph. p. 6ff. Und man denke nur, dafs im 6. Buche der Aeneis
die Sibylle die Führerin ist.
— 195 -
der sibyllinischen Orakelpoesie noch der Didache mich ein-
lassen kann. Und ausführlichere Behandluug der Gruppe von
ägyptischen religiösen Litteraturwerken des 2. Jahrhunderts, so
reizvoll sie ist und so reiche Ergebnisse sie verspricht, ist
hier nicht am Platze: denn sie würde ganz von dem eigent-
lichen Ziel dieser Untersuchungen abführen. Gehören aber
wirklich die orphischen Nekyien, welche die Neuplatooiker
in Ägypten kennen lernten und als allbekannt voraussetzen
konnten, in dasselbe Land und dieselbe Zeit wie diese Litte-
ratur, in dasselbe Land wie auch die Petrusapokalypse, so
wird auch schon deshalb niemand die grofse innere Wahr-
scheinlichkeit der Beziehungen zwischen diesen und jenen
Büchern abstreiten. Mag aber immerhin die Betrachtung der
Entwicklung der Sündertypen ^ uns nur im allgemeinen und
etwa in der Form des Ausdrucks den Übergang aus orphischer
Hadeslitteratur in christliches Schrifttum in Ägypten als
wahrscheinlich erscheinen lassen, so mufs eine Untersuchung
über die Entwicklung der, wo wir ihnen bis jetzt begegneten,
so ganz eigenartigen Typen der Strafen in der Unterwelt die
Grenzen enger ziehen und die Vermutungen, die bis jetzt
vielleicht nur wahrscheinlich geworden sind, entweder wider-
legen oder aber schlagend bestätigen.
TÖ7T0C KoXdceuJC heifst die Holle der Petrusapokalypse;
KÖXacic heifst bei den Neugriechen die Hölle ^ Strafe und
1 Eine weitere Verfolgung der Sündertypen in die christliche
Litteratur hinein liegt aufserhalb unseres Zweckes. Abgesehen davon
würde die Vergleichung der späteren Apokalypsen, die ich eben in der
Ausgabe von James erhalte (Texts and stndies ed. by Robinson, II 3
Apocrypha anecdota by James), manches merkwürdige ergeben; nament-
lich die Apocalypsis Mariae virginis 115 £f. ist eine sehr bedeutsame Weiter-
bildung der Petrusapokalypse. Jene Sündertypen finden wir aber auch
in einem' fast ganz jüdischen Buche, wie den Testamenten der 12 Patri-
archen wieder (ed. Sinker Cambridge 1869): die einzelnen Patriarchen
warnen geradezu vor je einer der Hanptsünden, die ihnen selbst Unglück
gebracht hat. (P^uben Tropveia, Simeon cpSövoc u. s. w.)
2 BSchmidt Volksleben der Neugr. 247. KoXdZieiv ist, wie schon
13*
— 196 —
Pein war das Hauptsächliche geworden. Mannigfache Arten
von Strafen sind uns im Laufe unseres Weges schon be-
gegnet. Den uralten Glauben an furchtbare Untiere der Tiefe
habe ich oben erklärt.^ Das hauptsächlichste Mittel der Pein
in der Apokalypse, mit dem in mannigfacher Variation die
meisten der einzelnen Sünderklassen bestraft werden, der ßöp-
ßopoc, die XijLivri (Trupöc, bucuubiac, Truou — ), ist oben in seiner
Herkunft und Weiterüberlieferung genugsam erklärt worden.
Daneben spielt nun die Qual durch Feuer eine grofse
Rolle, und der See und der Schlammpfuhl sind selbst feurig.
Wie ich den Pyriphlegethon entstanden und in die Unterwelt
verlegt denke, habe ich oben angedeutet. Bald mufste man
sich den feuerflammenden Strom als ein Mittel der Qual denken;
denn die alte Vorstellung war verloren, sobald man sich den
Flufs unter der Erde dachte. Man mag ihn nun immerhin
auch in einer unbestimmten Verbindung mit dem Leichen-
verbrennen gedacht haben, ehe die Vorstellungen von Hades-
qualen bestimmter von bestimmten Richtungen ausgebildet
wurden.
viele Stellen uns zeigen konnten, früh der typische Ausdruck für das
Strafen drunten.
1 Dahin gehören auch die Schlangen, die früh erwähnt werden;
Homeros wird in der alten Pythagoras-Katabasis von Schlangen umringt
(LDiog. VIII 21), Peirithoos wird auf seinem Sitze von Schlangen fest-
gehalten (s. S. 92) u. mehr dgl. Auch die jüdische Anschauung von
dem cKuOXriS ist aus demselben Glauben hervorgegangen (Jes. LXVI 24,
s. unten), vgl. Jes. Sir. VII 17 öti ^Kbkricic dceßoOc iröp Kai CKuOXriS. Selb-
ständig ist aber auch aus den Vorstellungen von den Fressern der Unterwelt
der nordische Glaube von dem Schlangensaal hervorgegangen; der Saal ist
geflochten aus Schlangenrücken und der Saal steht auf Nastrond (Leichen-
strand). Dafs das erst aus christlichen Schriftstellern übernommen sei,
wird durch Bugges Beispiele (Studien über die Entstehung der nordi-
schen Götter- und Heldensagen, übers, von Brenner S. 482 ff.) nicht im
allermindesten bewiesen. Die Erzählung in der Völuspa von den Mör-
dern und Meineidigen, die in schweren Strömen waten, kann freilich
leicht durch Christliches beeinflufst sein, zumal in diesem Teile der
Völuspa. Vielleicht wird sich noch einmal beweisen lassen, dafs von
der Petrusapokalypse aus durch die Paulusapokalypse diese Dinge in die
christliche Litteratur des Mittelalters und so auch in die späteren
Sagen des Nordens überliefert sind.
— 197 —
Feuer reinigt in lustralem Sinne. Das hat spätere Zeit
(so viel wir wissen) auch bei der Totenverbrennung deutlieh
ausgesprochen:
TTupKaif) b' auTjoTci be[)Liac] ipuxnv xe Kd9[ripey]^
oder:
ev0dbe AidXoTOC KaGapuji Trupi TuTa KaGripac
dcKrixric coqpirjc uiixeT* ec dGavdTouc.^
Von Empedokles, der in den Aetna sprang, sagt Laertios
Diogenes (Anth. Pal. YII 123):
Ktti cu ttot', 'EjiTTebÖKXeic, öieprj qpXoTi cd)|iia KaGripac —
TTÖp dTTÖ Kprixripujv eKTTiec dGdvaxov.
Feuer reinigt von Sterblichem, Unreinem.^ Thetis Trepirjpei
dem Achilles xdc Gvrixdc cdpxac, ecpGeipev ö fjv auxuj Gvrjxöv
durch Feuer*; ebenso macht es Demeter mit Demophoon oder
Triptolemos.^ So wird auch meist bei der Apotheose des
Herakles vom Scheiterhaufen aus die Bedeutung des Feuers
aufgefafst: Kai -fdp eKeivoc dTToßaXujv öttöcov dvGpojtreiov eixe
TTopd xfic )ur|Tpöc, Ktti KaGapöv xe Kai dKripaxov qpepujv xö GeTov
dveTTxaxo ec xouc Geouc, bieuKpivrjGev uttö xoö irupöc.^ Aus
denselben Vorstellungen geht der Gebrauch des Feuers bei
allerlei Verjüngungszauber hervor.'
1 Kaibel ep. 109 von der athemschen Barg aus römischer Zeit.
2 Kaibel ep. 104. Vom Lykabettos. Rom. Zeit.
3 Sollte nicht auch ähnliches liegen in dem Homervers II. VII 409 f.
ou T<ip TIC (peibih veKÜujv KaxaTeGveiiÜTiuv
Yitvet', lirei kc edvtuci, itupöc fieiXicc^fiev dixa.
Wie bei den Indem (Rohde Psyche 29) wird doch auch bei den Griechen
eine lustrale Reinigung (vom Körper) mit dem Verbrennen zugleich ge-
meint sein. Selbst für die homerischen Griechen wird man das nicht
mit voller Bestimmtheit in Abrede stellen dürfen, wenn auch die ur-
sprünglich mit dem Ritus verbundenen Vorstellungen in ganzen Volks-
kreicen zurückgetreten sein mögen.
4 Rohde Psyche 29, 4.
5 Rohde a. a. 0. 29, 4, der auch an den Volksgebrauch erinnert
'Feuer auf der Strafse anzuzünden und mit den Kindern durch die
Flammen zu springen, s. Grimm Deutsche Myth.* 520.'
6 Lukian Hermot. c. 7, vgl. Rohde a. a. 0. VgL auch Seneca Herc.
Oet. 1966.
7 S. Moses Chorenensis in Progymn. III (Nauck Trag. fr. p. 550):
— 198 —
Eine wenn auch späte Überlieferung liifst Tlietis das
Acliilleuskind in die Styx eintauchen, damit es unsterblich
werde, und die von Friedrich Marx in der archäologischen
Zeitung XLIII 1885 (S. 169 ff.) besprochenen Bildwerke zeigen,
dafs man nicht nur das Kind der Thetis in der flammenden
stygischen Flut gefeit werden liefs, sondern dafs man auch nach
einem sonst fast verschollenen Mythus den Ares von Athene
in eine Urne tauchen liefs, aus der die Flammen hervor-
schlagen: dafs darin stygische Flammenflut gedacht ist, geht
aus dem Kerberos darüber auf dem Bilde der Ciste aus
Palestrina (Monum. dell' Inst. IX, tav. LVIII, eine Abbildung
auch bei Marx a. a. 0.) deutlich hervor. So sollen, was an
dem Kinde sterblich ist, die unterirdischen Flammen ver-
zehren, und es liegt am Tage, dafs man gerade diesen eine
das leiblich Vergängliche und Sterbliche verzehrende Kraft
zuschrieb: wen diese Feuertaufe von den Schlacken der
Menschlichkeit gereinigt, der war unsterblich, war ein Gott.
Mufs man nicht in den Zusammenhang solcher Anschauungen
auch das unterirdische Feuer rücken, das bei Piaton die
Seelen von ihren Malen und Flecken reinigt, dafs sie wieder
göttlich werden, wie sie es einst waren? Eine lustral reinigende
Flamme ist dieses Fegefeuer.
Aus dieser Bedeutung des Feuers erklärt sich ja auch
der gewifs uralte Brauch prodigia (lepaia) zu verbrennen, wie
es auch bei den Griechen mehrfach bezeugt wird. Die Kinder
der Melanippe, so kam es auch in des Euripides Melauippe
coqpri vor, sollen nach der Meinung des abergläubisch frommen
Hellen als ßouTevn lepaia, wofür man sie hält, verbrannt
werden (6\oKauTo0v la ßpeqpri); die Mutter selbst soll sie
evTa(pioic schmückend In Theokrits Herakliskos (XXIV 89)
werden die Schlangen, die den Kleinen angegriffen, verbrannt,
Kttie be TUJb' ciYpiaiciv eiri cxi^aici bpciKOVie vukti )iieca — die
Asche streut man in den Flufs ohne sich umzudrehen, und
nempe ut Medea laniatum arietem in lebetim coniccerit ignemque siib-
diderit, utque fervente cum motibus lebete viventis arietis speciem osten-
derü eoque modo illusis fiUabus Peliam laniandum curaverit etc. Nichts
anderes als das Feuer soll die Neubelebung oder Verjüngung bewirken.
1 Gregor. Corinth. Ehet. VII p. 1313 ff. Nauck Trag. fr. p. 509 ff.
- 199 -
Pliryuichos erklärt (Bekker Anecd. graec. p. 10) oiTpioic Kaia-
Kttöcai HuXoic. Ta TcpaTuubri ifiv qpuciv ctt' ctYpioic eKaiov
HuXoic. So wurden denn auch später noch zuweilen die so-
genannten qpapiLiaKOi, die zur Sühne einer Stadt zum Tode Ver-
urteilten, verbrannt.^
Das unterirdische Feuer ist erst sekundär als Mittel der
Qual gedacht; als solches hat man auch alsbald die Fackeln
der Erinyen aufgefafst, die ursprünglich ganz ausgesprochen
lustrale Bedeutung hatten.^ Das Feuer als so recht eigentliches
Element der unterirdischen Pein findet sich verhältnismäfsig spät
(z. B. deutlich Lukian vera bist. II c. 27),^ Bei den Griechen
wird nie ganz die Vorstelluug seiner reinigenden Kraft zurück-
getreten sein; die 'Unheilbaren' z. B. bei Piaton werden nie
mit Feuer gestraft. Hinzugetreten sind dann freilich Lehren
wie die von der eKirupuucic, die durch die Stoiker überallhin draog.
1 Tzetz. Chiliad. V 736.
2 Aischin. in Timarch. § 190 ixr]be touc riceßriKÖTac KaGoTiep ^v
Tpafip&iaic TToiväc ^\aiiveiv koI KoXd^eiv ögciv i^madvaic. Also
schon in Tragödien kam das vor. Axioch. p. 372* Xa^x-n&civ ^Tri|nö-
voic iTupoO|Lievoi TToivuJv, von den Verdammten. Cic. de leg. I 14, 40
Furiae non ardentibus taedis sicut in fahulis, sed etc. Über die
lustrale Bedeutung der Fackeln s. Diels sibyll. Blätter 48 mit Anm. 1;
'die Fackel, die am deutlichsten die dem Feuer innewohnende Kraft der
Reinigung zu verkörioern schien, die bereit sein mufste die sufßmenta,
dann das Opferfeuer zu entzünden, die nächtliche oder unterirdische
Feste, wie sie häufig mit dem chthonischen Dienste verbunden waren,
erleuchtete, ist die stete Begleiterin des Sühnkultus, in welcher Form
er auch erscheinen mag.' Dort auch weitere Belege und besonders auch
bei Usener Religionsgesch. Unters. 312, 28. Sehr wichtig ist die Stelle
der aristoph. Wespen 1361 ff. :
ÖXX' u)C Tdxicxa crfiöi xdcbe xctc beräc
Xaßoöc', iv' aÜTÖv TuuBdcuu veaviKüüc,
oioic iro0' ouTOC ^i-ie rrpö tujv |uucTr|piu)v.
Feuerschnaubend, feuerblickend (vgl. orph. Hymn. LXIX 6, oben S. 62),
mit feurigem Gewand (Ik xituuvujv m)p uv^ouca Eur. IT 288) scheinen
die Erinyen früh gedacht zu sein, s. Roschers Lex. I 1312 f. Der erste Vers
von Eurip. Phaethon fr. 781 N^ ist nicht sicher herzustellen:
■irupöc t' ^pivOc iv vcKpoic Oeprivuai
tujc' fi&' dvirjc' dxuöv fejuqpavfi — .
3 Ein feuriger Strom im Anschlufs an den Pyriphlegethon findet
sich natürlich früher; am deutlichsten bei Piaton Phaid. p. 113^
- 200 —
Für die Kreise, welche jüdischen Einflüssen zugänglich
waren, ist dann das Wort des Jesaias von dem Wurm, der
nicht sterben, und dem Feuer, das nicht verlöschen wird (Kai
TÖ TTup auTuJv ou cßec9r|ceTai Jes. LXVI 24 Sept.), wirksam
geworden und die durch fremde Einflüsse erst so entwickelte
Anschauung von dem feurigen Thal Ge-Hinnom, Gehenna.
In den ägyptischen Papyri ist gelegentlich yevva rrupöc die
Unterwelt.^ Die Stelle Marc. IX 49 zeigt den Einflufs des Jesaias-
satzes: ßXri0fivai eic Tr\v -fievvay/ toö irupöc, öttou 6 CKuuXriH
auTUJv Oll TeXeuia Kai tö ttOp ou cßevvuiai. In der Johannes-
apokalypse XXI 8 ev TT] XijLivri Tri Kaiojue'vr) frupi Kai Geiiu, 6
ecTiv beuTepoc Gdvaioc haben wir dann dieselbe Hölle, die
auch Lukian kennt mit den TTOTaiuoi Tiupöc, dem iroXu trOp
Kaiöjaevov, der ocjuf) oTov Geiou Kai ttitttic in der vera hist.
(II c. 27 K), von deren Vorbildern wir oben sprachen. Nichts
kann aber wieder den lustralen Charakter dieser Qualingre-
dienzien der Hölle deutlicher machen als GeTov, der stets in
lustralem Gebrauch gewesene Schwefel, und nicht anders ist
das Pech drunten zu erklären.^ Neugriechisch heifst die Hölle
auch heute noch einfach TTicca. Lukian nennt neben Geiov
und TTicca noch accpaXioc, und auch da weist beispielsweise
ein Bericht des Zosimos hist. nov. II 1 vom grofsen Säkular-
fest und -opfer in Rom, wo oi beKaTrevre dvbpec dm ßrnaaioc
KaGrijuevoi toi br||LiLu biavejaoviai xd KaGdpcia* raOia be eciiv
babec Kai GeTov Kai dctpaXrov auf denselben Ursprung dieser
unterirdischen Dinge. ^ Ganz besonders deutlich ist solche
1 Pap. Paris. 3072 Wess.
2 Gegen böse Geister, bei Beschwörung der Inferi, beim Zauber
gebraucht, Abraxas 36, 2. Schmidt a. a. 0. S. 247. Anders mag es ge-
meint sein, wenn in der Apokalypse der Jungfrau Maria (bei James 122, 25 f.)
ein Flufs in der Hölle beschrieben wird xal i^v i^ i6^a xoO ttoto.uoö ^Keivou
CKoreivoT^pa triccric. Schon Homer sagt jueXdvTepov riüre iricca. — Auch
über Sodom und Gomorrha regnet Feuer und Schwefel, Genes. XIX 24 ;
das hängt mit der Beschaffenheit der Gegend, von der die Sage aus-
gieng, zusammen.
3 Späterhin findet sich dergleichen natürlich, ohne dafs der alte
Sinn noch durchblickte, aber es werden fast immer dieselben Dinge
angeführt. Z. B. in einem äthiopischen certamen apostolorwn (Lipsius
Apokr. Apostelgeschichten! 618 f.) erzählt ein wiedererweckter Jüngling
(die bekannte Form der Hadesschilderungen), wie er drunten von 40
- 201 —
Auffassung der Hadesstrafen noch bei Vergil Aen. VI
739 ff.:
Ergo exercentur poenis veterumque malorum
Supplicia expendunt: aliae panduntur inanes
Suspensae ad ventos, aliis suh gurgite vasto
Infestiim eluitur scelus aut exuritur igni.
So lehrt die orphische Theologie durch den Mund des Anehises.
Luft, Wasser, Feuer sind die reinigenden Elemente. Ich habe
oben darauf hingewiesen, wie schon in der alten pythagoreischen
eic "Aibou Karaßacic Homeros in der Unterwelt an einem Baume
aufgehängt war^, wie in Piatons Gorgias die Frevler im Ge-
fäuguisse drunten aufgehängt sind: in der Petrusapokalypse
ist das Aufliängen an Haaren oder Füfsen eine Hauptstrafe.
Natürlich hat man da nur noch an die Qual, nicht an Lustra-
tion gedacht. Für die Reinigung siib gurgite vasto habe ich
schon auf Piatonstellen verwiesen und ein orphisches Frag-
ment herangezogen, in dem die Ungerechten im Acheron gerei-
nigt werden (KaGaipoviai). Die Bedeutung aber des igne exuri
ist uns nun auch hinlänglich klar.
Es ist nur natürlich, dafs alle diese Dinge später nur
noch als Qualen und Strafen aufgefafst wurden. Das Feuer
ward nun ein Feuer der Qual. So werden es auch schon
die orphischen Verse meinen, denen das Feuer das Charakte-
ristische des Tartaros ist. Da heifst es: qpXöE Tapxdpou
criMöVTpia und Tdpiapa, xcic)aa cpaeivöv.'-^ Da steht freilich
Bauleuten mit brennenden Fackeln ein Haus von Pech und Schwefel
habe errichten sehen, in dem sein Vater habe verbrannt werden sollen.
1 Nebenbei bemerkt hängen auch wieder an Bäumen die Frevler
drunten in der späten visio Pauli, s. Herman Brandes Visio S. Pauli,
Halle 1885, S. 38; an allen möglichen Körperteilen sind sie aufgehängt.
2 Pap. Paris, v. 2334 ff., Abraxas S. 35. Ich hätte dort so edieren
müssen:
aiM^iov aipu)' yjakK^ov tö cdvbaXov
Tfjc Taprapouxou, cT^|a)na, xXeic, KtipÜKiov,
^ö^ßoc ciöripoöc Koi küujv Kuavoxpooc,
KXeiöpov Tpixujpov, ^cxdpa irupouindvri,
CKÖTOC, ßu9öc, q)\ö£ TapTÖpou crmdvTpia
<t)6ßouc, '€pivvöc, öaifiovac Tcpacxiouc (Pap. t' Ipacriöuc).
Pap. Berol. 343 (Abel Orphica p. 287):
— 202 -
nocli in demselben Verse neben der Flamme des Tartaros die
Finsternis (ckötoc), wie sie gerade dem Tartaros seit ältester
Zeit zukam. ^ Auch die Kälte wird ihm einst schon zu-
geschrieben, und in der späteren Zeit wird nun der Qual
der Flammen die der äufsersten Kälte entgegengesetzt. In
gnostischen Schriften werden in der Hölle neben Orten des
Feuers für bestimmte Frevler auch Orte des Schnees und der
Kälte angeführt. Freilich kann dergleichen auch an andere
Dinge angeknüpft haben. Lukian führt als eine Bestrafung
an, dafs einer auf den Haimos geführt wird und dort nackt
auf dem Schnee liegen mufs mit zusammengebundenen Füfsen,
nachdem er vorher mit Pech gequält ist (ApaTrexai 33).
Seitdem man die Dinge, die mit den Frevlern in der
Unterwelt vorgiengen, nur noch als Strafen und Qualen auf-
fafste, malte man sie natürlich immer mehr aus und vervoU^
ständigte sie nach Art der Strafen und gerade der schreck-
lichsten, welche die irdische Gerechtigkeit oder auch Un-
gerechtigkeit anwandte. Ganz abgesehen davon, dafs natürlich
der Erinyen oder Dämonen mit den judcTiYec^ Vorbild die
irdischen |uacTiYoqpöpoi (PoUux III 145) sind oder des unter-
irdischen Kerkers die Fesseln in irdischem Gefängnis^, haben
besondere Qualen, wie sie namentlich auch von den alten
Tyrannen erzählt wurden, dem Höllenbilde die gräfslichsten
Züge geliefert. Plato z. B. (Gorgias p. 473°) erwähnt als
solche Tyrannengrausamkeiten cxpeßXoOv, eKTe'iuveiv (entmannen),
Touc ö(p6aX)aouc ^KKdeiv, dvaciaupoöv und auch KaraTTiTTOuv.
öpKiZm TÖ TtOp TÖ cpav^v upujTOv ^v dßOccuj,
6pK(Z;uj Ti^v ci^v bOvaiuiv rf\v iräci lueYicxriv,
6pKiZ;u) TÖv cpÖeipovTa |li^xp*c "Aiboc eictu.
Der letzte Vers klingt merkwürdig ähnlich Matth. X 28 töv öuvd|H€-
vov Kai MJUX»lv Kai cu)|na duoXdcai ^v feivvr].
1 IL Schol. VIII 13.
2 Vgl. auch Sibyll. II 288. Verg. Aen. VII 557. 570; lunkos irepl Tripiuc
gtob. flor. CXVII 9 ladcTiHi koI K^vrpoic üjcuep iirl CKiivnc ai xiöv Tpayiw-
bu)v €i)|iev(6€c — ähnlich noch bei Claudian carm. min. XXIII 51 :
Sic non Tartareo Ftiriarum verbere pulsus
Irati relegam carmina grammatici.
3 Z. B. dXücei laoKpqt h(.hi\xivo\ Luk. Nekyom. c. 11, Sibyll. II 288 f.,
catet ae etc. Verg. Aen. VI 558.
- 203 —
Von deu milesisclien Optimalen erzählte Herakleides Pontikos
(bei Athenaios XII p. 524'*), dafs sie alle, die sie in ihre
Gewalt bekamen, mit deu Kindern KaTeTrixTiucav. Lukian
(ApaTTexai 33) redet sogar von TTiTTouiai, denen einer zur Strafe
übergeben werden soll. Bei Plautus (Captivi 596) wird einem
ange wünscht:
At pol te, si hie sapieU senex,
Pix atra agitet apud carnuficem tuogue capiti inluceat.
In Rom gab es einen Ausdruck tiinica punire molesta (luvenal
VIII 235) und das bedeutet, dafs einer mit allerlei brennbaren
Stoffen wie Pech, Werg, Wachs u. a. bedeckt und verbrannt
wird. Das geschah besonders bei solchen, die Brand gestiftet
hatten. ^
Es geht nicht an, alle solche Strafen zu besprechen. Auch
das Rädern (xpoxiZ^eiv) ist alte Strafe (Antiph. de venef. § 20).
Blenden ist sehr gebräuchlich, z. B. auch als Strafe der
Ehebrecher, namentlich im Orient, an dessen Grausamkeiten
man vielfach bei Ausmalung • der unterirdischen Strafen er-
innert wird. ^ Dafs der Giftbecher auch im Hades An-
wendung fand, war schon oben (S. 68) zu erwähnen.^
Geifselung war ja eine ganz gebräuchliche Strafe, namentlich
auch bei Sklaven. Dabei wurden sie häufig aufgehängt, z. B.
in Terenz Phormio sagt der Sklave Geta (v. 220) ego pJedar
pendens, im Eunuchus (v. 1020) wird dem Parmeno gedroht
tu iam pendehis. Häufig wird dabei auch noch ein Gewicht
an die Hände oder Füfse gehängt. So heifst es in der Asinaria
des Plautus (v. 301):
Ntidus vindus cetitum pondo's, quando pendes per pedes . . .
1 Vgl. Martial X 25. Seneca epist. XIX. Tac. Annal. XV 44. Vgl.
Rupert! zu der Juvenalstelle und zu I 155.
2 Plutarch weist bei seiner Hadesbeschreibung in de ser. num.
vind. c. 23 ganz ausdrücklich auf die Perser hin.
3 Erdrosseln, Hinrichten mit dem Schwerte, mit der Keule, mit
dem Strang, in eine Grube Stürzen, vom Felsen Stürzen, Säcken (vgl.
Jahrb. f. Philol., Suppl. XVI 784), Ertränken sind hauptsächliche Todes-
strafen, die freilich für den spätem Hades zu einfach sind. S. C. Fr.
Hermann, Grundsätze und Anwendung des Strafrechts im griech. Alter-
tum in den Abb. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen VI (1853—1855) 300 flF.
— 204 -
(v. 303) Ad pedes quando adligatumst aeguom centumpondium,
TJbi manus manicae complexae sunt atque addudae ad
trdbem. ^
Das Aufhängen (auch das Aufhängen an den Füfsen) kommt
ja dann, wie wir wissen, als Höllenstrafe vor, auch in der
Petrusapokalypse. Etwas ähnliches, um noch ein anderes
Beispiel dieser Art anzuführen, wie die Strafe des Kinyras
bei Lukian, der in der Unterwelt an den aiboia freilich aus
besonderem Grunde aufgehäugt ist, findet sich als offenbar
gewöhnlichere Strafe auf einem Vasenbilde aus Lokris, das
HBlümner publiciert hat^: ein Sklave ist in einer Topfer-
werkstatt an Hals, Händen und Beinen an der Decke auf-
gehängt und wird von einem anderen geprügelt, und dazu
^hat man ihm noch einen langen Strick an das Geschlechts-
glied angebunden und das andere Ende dieses straff an-
gezogenen Strickes unten auf dem Erdboden an einem Haken
oder Ringe festgemacht'.
Noch eine Strafe derart wird hier von Bedeutung sein,
die nach Herodots Bericht (I 92) Eroisos an einem Wider-
sacher hat zur Anwendung bringen lassen: cttI Kvdcpou cXkiuv
biecpGeipev. Darauf bezieht sich auch Hesychius (s. erri Kvd-
q)ou e'XK€iv) 6 oöv Kpoicoc xöv exBpöv irepieHaive xaTc dKdvGaic
Kai ouTiuc eqpGeipev. '^ Dasselbe meint Platoo , wenn seine unter-
irdischen Foltermänner die Seelen der Frevler ciXkov i-n
dcTTaXdGiuv KvdTrTOViec (Rep. p. 616"), und in der Petrus-
apokalypse müssen sich solche an einem Orte herumwälzen.
1 So soll ja auch schon Hera zwischen Himmel und Erde auf-
gehängt werden zur Strafe, die Füfse sollen mit Ambossen beschwert
und die Hände mit goldenen Fesseln gebunden werden, Hom. II. XV 18 ff.
2 Mitteilungen des athen. Instituts XIV 1889, S. 151. EBethe
macht mich darauf aufmerksam , dafs wol auch die alexandrinische
Bronce Mitteil, des athen. Instit, X 1885, Tafel X, ähnlich zu erklären
ist, jedenfalls nicht, wie es Schreiber gethan hat. Dafs der 'ö^poi^oc'
einen Bissen würgt, der mit beiden Händen die Kehle hinabgedrückt
werden müsse, ist ganz unwahrscheinlich : er wird irgendwie gequält, hat
wahrscheinlich eine Schlinge um den Hals. Das durchbohrte Geschlechts-
glied hat auf jeden Fall die Bedeutung irgend einer Qual (Infibulation
ist es nicht).
3 Vgl. Plutarch de Herod. malign. p. 858<^.
- 205 —
wo Kieselsteine sind, spitzer als Schwerter und jede Speer-
spitze (IX). ^
Die Qualen, welche die Märtyrer zu erdulden hatten,
mögen auch später nicht ohne Einflufs auf die Bilder der
Höllenqualen gewesen sein. Was die Gottlosen ihren Opfern
nur kurze Zeit hier auf Erden anthun können, werden sie
selbst drunten ewig leiden.^ So kommen in dem Brief über
die Märtyrer von Lyon z. B. (Euseb. h. e. V 1 ff.) ganz ähnliche
Qualen vor wie in der Apokalypse, die lactCTixec, das xriYttviCeiv
u. ä. Auch die 0r|pia, die ja von Alters drunten hausen, werden
nun hier und da nach Art der Bestien gedacht sein, denen
die Armen zum Opfer vorgeworfen wurden.
Deutlicher aber kann die Anknüpfung der unterirdischen
Strafen an die irdischen gar nicht hervortreten als in der
Art, wie man, griechische Vorstellung so zu sagen über-
setzend, in gewissen Kreisen Roms sich die Unterwelt dachte,
nach dem Zeugnis des Lucretiusverses :
Verhera, carnifices, robur, pix, lamniina, taedae.
Eine bestimmte Beziehung zwischen Strafart und Ver-
brechen tritt sehr oft auch in ältestem Strafrecht oder auch
in den in alter Zeit üblichen Grausamkeiten hervor. Der Ehe-
brecher wird geblendet, weil sein Auge ihn verführt hat, dem
Entsiegler eines Orakelspruchs wird die Hand abgeschnitten,
mit der er das gethan (auch die Zunge wird ihm wohl aus-
geschnitten, damit er nicht ausplaudern könne) ^; den Selbst-
mördern, den auTÖxeipec wird noch nach dem Tode die Hand
abgehauen*; verbrannt werden, die Brand gestiftet haben, und
1 Entsetzliche Strafen, die sehr an Höllenstrafen gemahnen,
finden sich auch im alten deutschen Rechte, namentlich in Wald- und
Forstrechten , z. B. in dem alten Weistum der Dreieich in dem
Buche von FrScharff Das Recht der Dreieich (auf das mich üsener
aufmerksam macht) 398 ff. (vgl. Grimm Weistümer VI 397 , I 498 f.),
vgl. auch Günther in dem gleich anzuführenden Buche 201 ff. Es hat
solche Dinge in anderer Art gewifs auch im Ältertume gegeben, aber
wir wissen kaum noch davon.
2 Vgl. Gallonius de martjrum cruciatibns p. 360.
3 Zenob. VI 11.
4 In Athen: Aischines Ctesiph. 244.
- 200 -
viel dergleichen könnte man anführen.^ Etwas verschieden
ist es, wenn etwa Mithradates dem Römer Gold in den Hals
giefsen läfst, weil er dessen nicht genug kriegen könne.
Gleiches mit Gleichem zu vergelten ist ein uralter Rechts-
satz, der älteste Sfcrafrechtssatz, der in religiösen Anschauungen
wurzelt. Auch bei den Griechen tritt das deutlich hervor;
nirgends wird es deutlicher gesagt als in der weihevollen Ver-
kündigung uralt heiliger Satzung durch den Chor der Choe-
phoren bei Aischylos (306 ff.):
'AW Ol lueYöX^cti MoTpai, AiöGev
Tfjbe TeXeuTctv
rj TÖ biKaiov iLieTttßaivei.
otVTi |Liev ^xöpctc xXuuccric exöp«
Y^iJJCca TeXeicGuu. xoucpeiXojuevov
Trpdccouca Aiky] juey' auieT*
dvTi he TrXriYTic qpoviac qpoviav
TtXriYri'v tivetuü. bpdcavxi Tra6eiv,
TpiYepujv )a09oc Totbe -q)uuveT.
Alten Gesetzgebern wie dem Zaleukos werden solche Grund-
1 Schon in der Zwölftafelgesetzgebung in Rom waren Strafen in
diesem Sinne angeordnet: si membrum rupsit, ni cum eo pacit, talio esto
(Taf. VII 2 Scholl). Wahrscheinlich war auch Brandstiftung da schon
mit dem Feuertode bedroht (Taf. VII 9 s. Voigt Zwölftafeln I 719).
Deutlich geht auf ein gleiches Princip z. B. Martial III 85 ff. :
Quis tibi persuasit nur es absinder e moecho?
Non hac peccatum est parte, marite, tibi.
Der Ehebrecher wurde noch im jüngeren römischen Rechte kastriert;
darauf geht auch z. B. Horaz Sat. I 2, 44ff. und viele andere Stellen; die
altattische Strafe der ^aqpaviöiucic für den |uoixöc ist mir aus dem Grundsatz
der Talion nicht recht verständlich; sie wäre es, wenn sie ursprünglich
Strafe für Päderasten (die Gewalt gebraucht hatten u. ä.) angewendet
wäre. Das Talionsprincip spricht ganz deutlich aus Cicero de leg. III 20:
noxiae poena par esto, ut in suo vitio quisgue plectatur, vis ca-
pite, avaritia multa, honoris cupiditas ignominia sanciatur.
Eine sehr reichhaltige Sammlung dieser Dinge (auch für das Altertum)
findet man in dem Buche von LGünther Die Idee der Wiedervergeltung
in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts I (1889) (das grie-
chische Recht und die griechische Philosophie 76 ff., das älteste römische
Recht 109 ff., das neuere römische Recht 130 ff.).
— 207 —
Sätze zugeschrieben (so sagt auch Demosthenes Timocr. 140
ÖVTOC Yap auToBi vöjuou, ectv Tic 6qp0a\)a6v eKKÖvyr), dvieKKÖnjai
Ttapacxeiv töv dauToO, Kai ou xp^IM^tujv Ti|ur|ceujc oiibeiuiäc);
man hielt sie stets *für uralt. Etwas bestimmteres berichtet
Aristoteles über Vertreter dieser Rechtsgrundsätze (nikomach.
Ethik V 8): boKei be xici Kai tö dvTi7TeTrov0öc eivai dirXuJc
biKaiov, ujCTtep oi TTuBaxöpeioi Iqpacav. ujpiZiovTO y^P
«ttXüjc tö bkaiov tö dvTiireTTOvGöc dWiu . . KaiToi ßouXovTai
YG toOto XeYeiv Kai tö 'PabajudvGuoc biKaiov et Ke TrdGoi
Td t' epeHe, biKr| y' iGeia y^voito. ^ Also die Pythagoreer
haben diese Wiedervergeltungslehre gepflegt, und ihrem Toten-
richter Radamanthys wurden alte Verse, die diese Lehre aus-
sprachen, beigelegt. Es ist lehrreich, dafs auch die priesterlich
regierten Pythagoreergemeinden das Talionsrecht pflegten, natür-
lich in engster Verbindung mit dem Religiösen: ähnlich wie
es der priesterliche Codex der mosaischen Gesetzgebung lehrt;
der rohe Vergeltungstrieb und das religiöse Sühnebedürfnis,
die Wurzeln des Criminalrechts, greifen da ineinander. Be-
sonders lehrreich ist die Bestrafung und Entsühnung lebloser
Gegenstände, von der wir noch im Altertum so oft hören.
Später haben alsbald, wenigstens in der Theorie, andere Straf-
rechtslehren Platz gegriff'en. In der Sophistenzeit ist auch
da Neues hervorgetreten, und Protagoras, der sich vielfach
mit Rechtsfragen beschäftigt und z. B. auf Perikles mit seinen
Gedanken grofsen Einflufs hatte, betonte den Zweck der Ab-
schreckung und Prävention bei der Strafe. Piaton legt ihm
den Protest gegen brutale Vergeltung in den Mund (Protag. 324^)
und läfst ihn die Abschreckungstheorie, ein dTTOTporrfic eveKa
KoXdCeiv verkünden. Protagoras 'hat, wenn nicht alles täuscht,
das Strafrecht zuerst aus seiner uranfäuglichen Verquickung
mit der Theologie gelöst und ihm rationelle das Heil der
Gesellschaft fördernde Ziele gewiesen'.^ Die Abschreckungs-
theorie entsprach im wesentlichen auch Piatons Anschauung,
und er betont das sehr stark auch bei den Strafen der Unter-
1 Vgl. magn. moral. I 34 oi TTuGaYÖpeioi iLovto öikoiov eivai ä
TIC ^TTOiTice toöt' (ivTiTioOeiv.
2 Gomperz Apologie der Heilkunst 37 vgl. 86, 2 in den Sitzungs-
ber. der Wiener Ak. d. Wias. 1889.
— 208 —
weit, namentlich bei denjenigen der 'Unheilbaren', dafs sie zu
Nutzen der anderen eingesetzt seien (Gorg. p. 525 '' ff.). Der
Ausdruck TrapabeitluaTa für die Strafen der Sünder kehrt mehr-
fach wieder. Die Wiedervergeltungstheorie tritt immer mehr
wenigstens in der philosophischen Spekulation zurück, bis sie
bezeichnend genug bei den von den Pythagoreern so stark
beeinflufsten Neuplatonikern wieder voll hervortritt. Da wird
denn auch die Seelenwanderung ganz nach dem Princip der
Wiedervergeltung geregelt: schlechte Herren werden das
andere Mal Sklaven; wer einen Mord begangen hat, mufs im
andern Leben durch Mord sterben; wer die Mutter gemordet
hat, wird im anderen Leben als Mutter vom Sohne getötet.
Dasselbe hatte Piaton gemeint, wenn er sagt (Gesetze IX 870''),
dafs die Seelen der Mörder nicht blofs im Hades bestraft
würden, sondern in einen Leib gekommen wieder das gleiche
erdulden müfsten, was sie gethan.
Es begegneten uns schon mehrfach Unterweltsstrafen, die
ganz durch jenes Gesetz der Wiedervergeltung bestimmt sind.
So leidet der TraxpaXoiac in der polygnotischen Nekyia ewig
dasselbe, was er seinem Vater gethan. Ähnlich ist es auch,
wenn -Phaidra, die sich erhängt hat, im Hades ewig hängen
mufs.^ Bei Lukian (vera bist. H 31) ist z. B. der geile Kinyras
in der Unterwelt ewig il aiboiuuv dvripTr||uevoc.
In der Petrusapokalypse ist jene Art der Wiedervergeltung
ein ganz hauptsächlich bestimmendes Gesetz: an der Zunge sind
aufgehängt, die den Weg der Gerechtigkeit gelästert haben;
dieselben zerbeifsen sich an einer anderen Stelle die Lippen,
und die falschen Zeugen zerbeifsen sich die Zungen und haben
brennendes Feuer im Mund.^ Nichts anderes liegt ja auch
1 Das und nichts anderes bedeuten doch die Worte bei Pausaaias
X 29, 4 öp^ bi i.c Ti?iv dbeXqpi^v Oaibpav tö tc dXXo aiuipouia^vriv cujjua
Iv ceipqt Kol rate X^pdv djucpoT^paic iKax^pujGev rfic ceipQc ^\o]x^vr]v
TrapeTxe b^iö cxfj|ua Kaitrep ^c tö euirpeTT^CTepovTreTroiriiLi^vov cujußöXXeceat
Tci ^c xfjc Oaibpac Ti]v TeXeuTrjv. Wie sollte denn auch durch
eine Schaukel der Tod durch Erhängen angedeutet sein?
2 In späteren Höllenschilderungen findet sich noch manches der
Art: feurige Spiralen im Ohre haben die TrapaKpooTai in der Apokalypse
des Esdra (p. 28 Tischendorf), die Frauen, die ihre Kinder nicht gesäugt
haben, müssen nun 4 Tiere an der Brust haben. In gnostischen
— 209 -
ursprünglich der Strafe des Steckens im ßöpßopoc zu Grunde:
wer sich nicht hatte 'reinigen' lassen, wer nicht 'rein' war,
mufste drunten ewig im Schmutze liegen.
Durch Ergänzung einer Lücke, wenigstens dem Sinne
nach, glaube ich noch ein weiteres Beispiel zu gewinnen. In
der 13. Gruppe werden solche aufgeführt, die sich fortwährend
schlagen; es fehlt die Angabe, welcher Art Frevler es sind.
Vergleicht man eine Stelle aus dem Hadesmythus des Plutarch
in de sera num. vind. 567^ aXXac be eqpri vpuxac ibeTv, ujcrrep
rdc exiövac TrepiTTeTrXeYluevac cuvbuo Kai cuvipeic Kai irXeiovac,
dXXrjXac ecöioucac ijtto )dvr|CiKaKiac Kai KaKo9u|aiac ojv eiraGov
ev TUJ lf\v r\ ebpacav, so kann es kaum zweifelhaft sein, dafs
es die Zornigen oder Streitsüchtigen waren, ein Typus, der
ja unter diesen Sündern kaum jemals fehlt. Das ist zugleich
eine etwas andere Art der Strafe: sie müssen ewig weiter
thun, was sie im Leben gesündigt haben, aber zugleich auch
leiden, was sie anderen angethan haben.^
Wie und wo sich allmählich bestimmte Typen der Hollen-
strafen ausbilden, ist bei den nur gelegentlichen Anführungen,
die wir haben, nicht wol möglich zu verfolgen. So viel aber
dürfen wir sagen, dafs die Höllenstrafen, die auf scharf durch-
geführter Talion beruhten, in pythagoreischen Kreisen zuerst
L
Schriften wird die Zunge des Lästerers an pferdeköpfige Dämonen ge-
bunden u. dgl. (Schmidt p. 411). Mancherlei ergeben auch die von
James eben neu publicierten Apokalypsen, z. B. steht in der Apok. der
Jungfrau Maria (p. 118, 33 ff James) koI eI6ev y^ivoiko Kpe|Lia|i^vr|v ^k
TuJv öuo uJTUuv Kol TrdvTa Tct Gripia r^pxovTO ^k toö CTÖiaaroc aöxfic Kol
KaTdTpuj'fov aurriv . Kai fipiÜTncev Vj KexapiTUJju^vri töv äpxicxpdxriTov •
TIC icrw amr\ Kai xi xö dtjadpxrnna auxfic; Kai etirev ö äpxicxpdxr^Yoc-
aöxri fecxiv f] iTapaKpou)|Li^vri etc xoOc oikouc touc dXXoxpiouc koI
xu)v irXriciov aux^c Kai cufißdXXouca irpöc xö iroieTv |ndxac Xöyouc
TTOvripoüc Kai b\ä xoOxo ilj&e oiixuuc Ko\d2€xai.
1 Es ist das die ganz wörtlich und eigentlich genommene Aus-
führung des alten Satzes, der auch eine der drei Grundlehren der Di-
dache der Apostel ist (1 2) Tvdvxa 6^ öca ^dv eeXficrjc |ni^ Yivec6ai coi,
Kai cu dXXiu ixi] troiei. Auch das ist schon altgriechische Weisheit ge-
wesen, Isocrat. Nicocl. VIII 61: a irdcxovxec öqp' ^x^poiv bpfiZecQe, xaOxa
xoic ciXXoic |ifi TTOieixe (vgl. Günther a. a. 0. 86, 29). In der helle-
nistischen jüdischen Litteratur Alexandriens tritt der Satz dann wieder
auf, Tob. IV 16.
Dieterich, Nokyia. ■ 14
— 210 —
erdacht^, und dafs die Strafen, die in den unteritalischen
Hadesbücliern einen Hauptteil des Inhalts ausmachten, zum
guten Teile in diesem Sinne gefafst sein werden. Der
ßöpßopoc als Bufse der ^unreinen' weist ja ebendahin und ist
zunächst in bestimmten Lehren die einzige Strafe gewesen.
Aus Versen wie in Aristophanes Fröschen v. 470 ff. (uach Kritias
Peirithoos) von dem blutigen acheruntischen Fels, den Un-
tieren, die den Bedrohten drunten zerreifsen sollen^ (s. oben
S. 92), ahnt man, dafs einst in denselben Kreisen noch viel
mehr Einzelvorstellungen von den Schrecken der Unterwelt
vorhanden waren — aber man kann dem nicht mehr nach-
kommen. Noch eins kann man deutlich sehen: die homerischen
Büfsertypen haben immer gröfseren Einflufs gehabt, und bis
in späteste Zeit erkennt man in ihren Strafen das Vorbild
vieler anderen Strafarten. ^ Die in der Apokalypse fortwährend
1 Das Princip ist wie bekannt auch im mosaischen Rechte stark
ausgeprägt, aber nie finden sich dort ähnliche Fälle wie die für uns
so wichtigen im griechischen und römischen Rechte, wie man sich aus
dem Buche von Günther S. 42 ff. überzeugen kann. (Abhauen der Hand
für gewisse rohe Gewaltgriffe der Weiber wird auch da verfügt 5. Mos.
XXV 11.) Jedenfalls sind dort nie diese Dinge in die Vorstellung der
Unterwelt hineingekommen; darüber unten ausführlicher.
2 Auf ähnliche etruskische Vorstellungen, wie sie die Wandgemälde
der Gräber erkennen lassen, bin ich absichtlich nicht eingegangen; auch
da sind geflügelte Ungeheuer, geierartige Untiere, Schlangen fürchterlicher
Art zu sehen Monum. dell' Instit. IX Taf. 14, 4, vgl. Taf. U^ und
namentlich Taf. 15; da sind auch Theseus und Peirithoos zu erkennen,
über ihnen ein furchtbares geflügeltes Ungeheuer mit Geiergesicht und
Schlangen ums Haupt. König und Königin der Unterwelt sind zu seheu,
eine Art jüngstes Gericht u. dgl. Ebenso habe ich oben die etruskischen
Bilder nicht berücksichtigt, welche ganz analoge Vorstellungen vom
Leben der Seligen zeigen wie griechische Schilderungen, ja wie die
späteren Katakombenbilder: ein Gastmahl ist oft zu erkennen, blühende
Bäume mit Vögeln, flötende und ausgelassen tanzende Personen (auch
gelegentlich Jagdscenen), s. namentlich Monum. dell' Instit. I 32. 33.
Auf Etrurien hat Griechisches, namentlich in der Kunst stark eingewirkt.
Auch die bakchischen Geheimkulte sind früh in Etrurien eingedrungen,
sie sollen ja z. T. nach Rom über Etrurien gekommen sein (vgl. Livius
bei Erzählung der Verfolgung der Bakchanalien XXXIX 8 Graecus ig-
nobilis in Etruriam venu etc.). Da ist es schwer oder unmöglich Grie-
chisches und Etrurisches zu scheiden.
3 S. z. B. Lukian irepl irdvGouc 8.
211 -
einen Abhang hinauf und wieder hinunter getrieben werden,
sind schliefslich doch auch etwas stärker veränderte Nachahmer
des Sisyphos. Auch das Rad des Ixion ist immer in Er-
innerung geblieben. Noch heute glauben die Neugriechen,
dafs die Buhldirnen drunten um ein feuriges Rad gedreht
würden. ^
Bei Piaton erst wieder hören wir von bestimmten Strafen ;
dann zerstreut an mehreren anderen Stellen. Es ist am besten
die unseren Apokalypsenstrafen analogen, die uns begegnet
sind, kurz ausammenzustellen:
TTup qp\eYÖ|U6vov Kai KoXdZiov
TÖTTOC TtUpÖC TlXeiCTOU T^|U.IJUV
iroXO tröp Katö|jevov Lukian vera bist.
II 27 {exuritur igni Verg. Aen.
VI 742)
X(|uvr] jueYÖXri TreirXripuuiLi^vri ßopßöpou
cpXeYOjudvou (ßöpßopoc ävairaqpXöZiuJv)
ßöpßopoc, CKuJp deivuuv Arist. Frösche
TÖ1T0C Te6Xi)U|u^voc ^v iu ö ixiJup Kai
■(\ 6uciu6(a tOuv KoXaZion^vujv Kax^^^ec
Kai üjcuep Xifivri ^Yivero
Xi)avri jueYdXri iretrXripiuinevri ttüou Kai
ai|naToc Kai ßopßöpou dvaZ^ovxoc
EK TfiC Y^lÜCCr|C Kp€Hd|Ll€VOl
CK TU)v TTXoKd)iiJuv ^EripTri|Li^vai
^K Tojv Tro6ujv dvaKpe^d)ti6voi
TÖTTOC Te0Xi|Li|Lidvoc Kol ueuXiipiuiu^voc
^p-rreTtuv Trovripujv — irXriccöiLievoi
ÜTTÖ TOJV G)'ipiujv dKeivuuv — ckiwXtik€c
— ^c0iö|uevoi xd cirXdYXva öirö cKU)Xr|-
KlUV dKOlfirjTUUV
öia^^oiac TTOTajaöc Arist. Fragm.
149, 50
TToraiuiol ßopßöpou, aiinaxoc, irupöc
Lukian vera bist. II 30
iToxaiioi xpucoO irepi^^ovToc (juoXOß-
bou,a6ripou) Fluide seranum.vind.
dvripxriiudvoi ^K6i ev "Ai&ou kv xiu
öec|aiuxr]piuj Fiat. Gorg. pandun-
tur inanes suspensae ad ventos
Verg. Aen. VI 740
kK tOliv ai6oiujv dvripxrnu^voc Lukian
vera bist. II 30
(cf. c. 26 ^K xdiv aiöoiuiv öficai)
('0|uripou MJUxn) Kpe|ua|U€vri d-rrö 6^v-
öpou Kai öqpeic irepi auxrjv nach
Pythagoras, Laert. Diog. VIII 21
öcpeic Kai 9r|pia Arist. Frosch. 143
öetvd Oripia 278 öfipec Axioch.
1 BSchmidt Volksleben der Neugr. 248.
14*
212
|uacu)|uevoi Tct x^i^l — TTG-mipiJuiadvov
cvöripov KOTä Tiüv öipSaX^üüv Xa|ußd-
vovxec
Toic fXiJjccac |Liaciij|uevoi koI irOp qpXe-
YÖ)nevov Sxovxec iv t(b CTÖjuaTi
XÜXiKec öEuTepoi EtcpOüv Kai iravTÖc
ößeXiCKou 7re7rupu)(a^voi — f>äKr]
^uTtapct ^vbe6u|ui^voi 4ku\iovto ^tt'
auTUJv
ÖTTÖ KpriiavoO |ueY(iXou Kaxacxpeqpö-
|H6voi fjpxovTO Kdxuj KOI TrdXiv rjXaO-
vovTO ÖTTÖ TU)v litiK€xnivwv dvaßf]vai
äviu feirl ToO KpriiLivoö koI Karecxp^-
qpovTO ^KeiGev Kiiriw Kai i^cuxiöv
ouK eixov
^cxß6ouc ^xovxec Kai dWrjXouc tO-
TTTOvrec Kai jurib^TtOTe uauöjLievoi
q)XeTÖ|uevoi Kai CTpecpö|uevoi Kai ty]-
YaviZ:ö|Lievoi
^tt' dcTraXdGmv ^Xkciv Plut. Rep. X
p. 616»
^bacpoc luaxai'paic koI cköXoiiji Trdvxr)
^ErivBiiKei Lukian vera bist. II 30
'Ax€p6vTioc CKÖTieXoc ai|iaTOCTaYr)C
Arist. Frösche 471.
djcitep ^xiövai irepnTe'irXcYiiidvai dXXrj-
Xouc ^cGioucai Plut. d. sera niim. vind.
ävGpuuTToi ÖTTTuOiuevoi Lukian vera
bist. II 29.
Ich brauche zur Erklärung dieses Ergebnisses nicht viele
Worte zu machen. Nur an den Stellen, die wir aus ganz
anderen Gründen auf pythagoreisch -orphische Hadesbücher
und Unterweltslehren mit Sicherheit zurückführen konnten,
finden sich denen der Petrusapokalypse ähnliche Höllenstrafen,
sonst in der ganzen weiten antiken Litteratur — und ich hoffe,
dafs mir keine hauptsächliche Analogie entgangen ist — nie
und nirgends. Und diese Dinge stechen so scharf von allem
anderen Jenseitsglauben ab, dafs die geschichtliche Zusam-
mengehörigkeit aufser Zweifel stünde, auch wenn wir nicht die
Linie der litterarischen Tradition so deutlich hätten ziehen
können, wie es nur je in einer so bruchstücksweise erhaltenen
Litteratur möglich ist. Die Höllenstrafen der Petrusapokalypse
haben keine anderen Analogieen als die unterirdischen Strafen
der orphisch- pythagoreischen Nekyien. Diesen Beweis liefert
die obige Nebeneiuanderstellung.
Die orphischeu Kultgenossen mit ihrer Lehre und Poesie
haben auch diese Straftypen der Hölle ausgebildet. So sehr
es natürlich ist, dafs gerade in der Blütezeit der orphisch-
- 213 -
dionysisch -pythagoreischen Kulte späterer Zeit vieles von
diesen Dingen in weitere Kreise drang, so wenig lassen doch
unsere litterarischen Zeugnisse Zweifel aufkommen, wo und
wo allein diese Dinge ihren Ursprung haben, wo sie gepflegt
und weitergebildet wurden, wo allein sie eine litterarische
Tradition hatten: ein neues noch längeres litterarisches Leben
wurde ihnen zu Teil in anderen neuen Richtungen, die an die
antike Tradition anknüpften mit eben dieser Petrusvision, die
wir nun wieder besitzen.
V.
Jüdische Apokalyptik.
Mancher Leser wird wol schon den Vorwurf für mich
bereit halten, dafs ich orientalische, namentlich jüdische Ein-
wirkungen auf die Apokalypse unberücksichtigt lasse und unter-
schätze, weil ich sie nicht kenne oder nicht kennen wolle.
Diesem Vorwurf mufs ich von vornherein begegnen; denn es
hat wirklich schon Leute gegeben, die, freilich offenbar durch
keinerlei Kenntnis apokalyptischer Litteratur gestört, den In-
halt der Petrusoffenbarung ganz gelassen für jüdisch erklärten.
Soll also der griechische Ursprung der Apokalypse wirklich
aufser Zweifel gesetzt werden, so ist es notwendig einen Blick
wenigstens auf die zeitlich vorausliegende jüdische Apokalyptik
zu werfen. Sollten die eschatologischen Bilder nicht daher
stammen?
Man mag nur einmal mit den eben besprochenen Typen
der Strafe — das sei gleich anzuführen erlaubt — die Liste
der sieben Sünden und Strafen (beides ist untereinander gemengt)
der Verdammten im IV. Buch Esra, der auch späterhin ver-
breitetsten von allen diesen Apokalypsen, vergleichen. Die
nicht beobachteten die Wege des Höchsten, die Gott gehafst
haben, werden bestraft Septem viis (VI 56 f. p. 609 i. Fritzsche) :
via prima, quod restiterunt legi ÄUissimi, via secunda, qiiod
non possunt converti et facere iona in quihus salventur, via
tertia, quod vident mercedem repositam Ulis qui crediderimt, via
quarta, quando noverunt et intellexenmt supplicium, quod para-
tum est eis in novissimo, in quo corripientur animae impiorum,
quia, mm haberent tempus operationis, non suhiccerunt se prae-
ceptis Altissimi, via quinta, quod vident promptttaria animarum
aliarum quae custodiuntur ah angelis in quiete multa, via sexta,
— 215 —
quod vidmt suppliciumj quod ex Jioc nunc paratum est eis, via
septima, quae maior est ceteris viis praedictis, quod tabescimt
in confiisione et consumuntur in pudore et marcescunt in timore,
quia vident (jloriam ÄUissimi, in cuius conspedu nunc peccant
dum vivunt, et coram quA) futurum est ut in novissimo iudicentur.
Das ist nichts anderes als die allgemeine Strafe ewig unab-
wendbarer Pein mit der besonderen Qual, dafs sie die Seligkeit
der Gerechten sehen, auseinandergezogen in sieben allgemeine
erbaulich umschriebene Strafen. Nicht anders der Lohn derer,
die beobachteten den Weg des Höchsten: sie sehen das An-
gesicht Gottes leuchten wie Sonne und Sterne und sehen die
Qual der Gottlosen. Auch das ist in sieben Belohnungen
ausgesponnen (VI 65 ff., p. 610 f. Fritzsche).
In der ersten jüdischen Apokalypse, dem Buche Daniel,
das den Anfang dieser Litteratur bildet, wird nur gesagt
(XII 1): 'viele von den im Staube der Erde Schlummernden
wachen auf, die einen zum ewigen Leben, die anderen zum
ewigen Abscheu. Da leuchten die Lehrer wie der Glanz
des Himmels und die Gerechten wie die Sterne immer und
ewig.' Dasselbe hebräische Wort für Abscheu (p'ii'^'l) kommt
im alten Testament nur noch vor Jes. LXVI 24, wo es
bei den Sept. lautet Kai eHeXeucoviai Kai öipovrai rd KuiXa
TuJv dvGpuuTTUJV Tojv TtapaßeßriKÖTUJV ev e^ioi* 6 ^dp CKuuXriS
auTUJV ou TeXeuTrjcei Kai tö Tiöp auTÜJV ou cßec6r|C€Tai Kai ecoviai
eic öpaciv rrdcri capKi, die letzten Worte merkwürdig genug
für das, was nach dem Hebräischen bedeutet *und sie werden
sein ein Abscheu für alles Fleisch.'^
Das Buch Daniel ist die einzige Schrift dieser Gattung von
den uns bekannten, die hebräisch überliefert ist und so zuerst
geschrieben war. Denn bei einigen anderen scheint es durchaus
wahrscheinlich, dafs sie gleich zuerst griechisch niedergeschrieben
wurden. Die fünf Versionen des Esra, die wir haben, sind
alle schliefslich aus einem nicht erhaltenen griechischen Texte
geflossen^, der vorliegende syrische Text wenigstens des Baruch
1 Dies Gericht ist diesseits in Jerusalem und Geenna gedacht. Ins
Jenseits verlegen dieselbe Vorstellung, die ja dann immer wiederkehrt,
schon Judith XVI 17, Sir. VII 17 u. s.
2 Schürer Gesch. d. jüd. Volkes II 646.
- 216 —
ist aus einem griecliischen geflossen ebenso wie die erhaltene
lateinische Übersetzung der dvdXriM^ic Mujüceujc eine Über-
setzung aus dem Griechischen ist. Freilich ist die Sprache
der ersten Grundschrift mit unseren Mitteln so leicht nicht zu
entscheiden. Bei dem Buch Henoch war man am meisten
geneigt eine hebräische oder aramäische Grundschrift anzu-
nehmen^; und auch der neue Fund des griechischen Textes
beweist nicht zwingend, dafs er der ursprüngliche ist^; ein
paar in den Text genommene hebräische Worte sind sogar
dem Gegenteil günstig.^
In der Makkabäerzeit werden neue Anschauungen immer
mächtiger, die Messiashoffnung und der Auferstehungsglaube.
Der Glaube an Vergeltung nach dem Tode tritt erst von da
an für uns litterarisch hervor, zunächst gewöhnlich formuliert
nach Anleitung von Jesaias LXVl 24. Die Auferstehung
wird leiblich gedacht und ganz körperlich ausgemalt im An-
schlufs an Ezechiel XXXVII.* Wir erinnern uns der wörtlich
an diese Partie anklingenden Verse des zweiten Sibyllenbuches
und der Phokylidesverse.^
Weiter werden die Dinge des Jenseits zunächst kaum aus-
geführt; aber dies wenige, z. B. die Jesaiasworte LXVI 24,
sind so sehr der Ausdruck des allgemeinen Glaubens geworden,
dafs sie selbst in einem Buche wie Jesus Sirach, das sonst
1 Nur Volkmar und Philippi nahmen ein griechisches Original an,
Schürer a. a. 0. 627.
2 Bouriant Memoires publiees par les membres de la mission arcbeo-
logique fran9aise au Caire t. IX fasc. I p. 109.
3 S. ADillmann in den Sitzungsber. der berl. Akad. d. Wiss. LI.
LH., 8. December 1892, S. 1062 ff.
4 Aufserdem ist früher nur von einer Auferstehung die Rede
Jesaias XXVI 19: Aufleben T^^erden deine Toten, meine Leichen auf-
erstehen; wachet auf und jubelt die ihr im Staube lieget. Denn Tau
der Lichter ist dein Tau und die Erde wird Schatten zu Tage bringen
(nach Delitzsch im Commentar zu Jesaia 289).
6 Deutlich tritt auch die Hoffnung auf leibliche Auferstehung hervor
im 2. Makkabäerbuch , Schwally Das Leben nach dem Tode nach den
Vorstellungen des alten Israel und des Judentums einschliefshch dos
Volksglaubens im Zeitalter Christi S. 168.
- 217 -
gar keine jenseitige Vergeltung kennt, wie auch immer eine
Stelle gefunden haben (VII 17).^
Über diese Vorstellungen von der feevva toO irupöc, der
diTuuXeia, der KÖXacic aiuOvioc u. dgl. gehen auch die Stellen
des neuen Testaments^ — abgesehen etwa von der Johannes-
apokalypse ^ — nicht hinaus. Die Geschichte von dem reichen
Mann und dem armen Lazarus (Luc. XVI 19 ff.) mag populär-
jüdischem Glauben der Zeit durchaus entsprechen.^
Viel mehr und anderes tritt hervor zuerst mit der Apo-
kalypse des Henoch. Was von dem Messiasreiche gesagt wird
1 Vgl. Baruch LIX incredulis tormentum ignis reservatur. Gehenna
kommt vor, vgl. c. LI, LH.
2 Die Stellen bei Schwally 174 ff.; am deutlichsten an Jes. LXVI 24
anknüpfend Marc. IX 44, 46, 48.
3 Xi,uvri ToO TTupöc macht doch schon einen Unterschied, wenigstens
des Ausdrucks, s. oben S. 83. Auf die Johannesapokalypse, die ganz
anderer Art und Provenienz ist als die Petrusapokalypse, habe ich
keine Veranlassung weiter einzugehen. Manches stammt auch aus
griechischen Quellen, aber diese Quellen sind ganz andere als bei der
Petrusapokalypse. Über einen Kapitel 12 zu Grunde liegenden grie-
chischen Mythus habe ich früher eine Vermutung zu begründen ver-
sucht (Abraxas 117 ff.), und ich möchte bei dieser Gelegenheit Protest
einlegen gegen die Art, wie man auf theologischer Seite über meine
Hypothese referiert hat. Ein paar Sätze aus den Anmerkungen werden
herausgegriffen, die erst durch die Erörterung des Textes Sinn haben,
und dann heifst jene Vergleichung ein 'wildes Verfahren' u. s. w. Dafs
ich auf sechs Seiten eine ausführliche Begründung versuche , dafs ich im
einzelnen die Möglichkeit der Anknüpfung darzuthun mich bemühe, wird
verschwiegen. Nichts wird erwähnt von den Aufführungen des pythonischen
Mythus in Kleinasien, nichts von den Münzen von Ephesus (wo die Apoka-
lypse verfafst wurde) mit der Darstellung der fliehenden Leto gerade aus
dem zweiten Jahrhundert, nichts von all dergleichen. Ist das ein 'wildes
Verfahren', sind das 'Parallelen aus der Mythologie aller Völker'?
Mir liegt sehr fern in das Urteil über meine Vermutung hineinzureden,
aber solche Referate erwecken geringe Hoffnung auf ehrliche gemein-
same Arbeit an diesen Problemen. Vor einem Vergleiche mit der wüsten
Methode AWirths in seinem mehr als leichtfertigen Buche 'Danae in
christlichen Legenden', der mir auch von theologischer Seite angethan
worden ist, glaubte ich meine Arbeit, so grofse Mängel sie hat, denn
doch geschützt.
4 Sehr ähnlich Apoc. Henoch c. 22.
- 218 —
oder von der Belohnung der Frommen dadurch, dafs sie sich
weiden an den Qualen der Gottlosen (vgl. oben zu Esra S. 215)
und vieles andere, ist nicht merkwürdig und durchaus mit
den berührten jüdischen Anschauungen übereinstimmend. Die
Geenna erscheint auch bei Jerusalem lokalisiert. Aber nun
tritt hier in dieser Litteratur 'zum ersten Male der Begriff der
Hölle in dem Sinne, den dies Wort noch heutigen Tages hat,
in den Gesichtskreis'.^ Von dem Pfuhl der Feuerflammen
wird geredet, wie vorher nie, und diese Dinge treten so sehr
in den Vordergrund, wie es bisher ganz unerhört war. Hier
findet auch Vergeltung schon in der Scheol statt ^, und dieselbe
ist in Orte der Seligen und Unseligen geteilt. Die letzte
EntscheiduDg findet erst statt, wenn das messianische Reich
kommt. Offenbar ist auch eine Art Fegefeuer gedacht.^ Diese
Wandlung der Scheol zur Hölle hat mar; auf parsische Ein-
flüsse zurückführen wollen*, aber es ist richtig entgegen-
gehalten, dafs die Ähnlichkeiten nur aus späten Schriften
der Sasanidenzeit erwiesen sind.^ Und soll in jener Zeit die
mazdäische Religion einen so überwältigenden Einflufs gehabt
haben können?
Jenes Totenreich liegt bei Henoch im Westen, und das
finstere Land durchfliefsen grofse Ströme. Das will man
neuerdings — da es natürlich nicht jüdisch sein kann — auf
babylonische Einwirkung zurückführen, da dort der Eingang
der Unterwelt im Westen liege und sich zwar keine Flüsse
darin finden, aber der Ort der Seligen an der Mündung der
Ströme auf einer Insel liege.*' Das heifst doch nur, dafs er
1 Schwally a. a. 0. 138.
2 Bouriant a. a. 0. p. 119, 3: t6tg dTrevexOncovTai eic tö x^oc
TOÖ TTUpÖC KOl etc TlflV ßdcOVOV KOl eiC TÖ 6eC|UlJUTripiOV Tf\C CUYK\eiC€UJC
ToO aiOjvoc. Der neu gefundene griechische Text des Henochbuches
ist jetzt auch herausgegeben von ADillmann in den Sitzungsber. der
berl. Akad. d. Wiss. LIII, 15. December 1892, S. 1079—1092.
3 ßdcavoc bis zum Tage des Gerichts, Bouriant p. 133.
4 Hübschmann Jb. f. prot. Theol. V (1879) 222.
5 Schwally a. a. 0. 145.
6 Schwally a. a. 0. 137.
- 219 —
im Meere, wo das Land aufhört, ebeu auf einer Insel liege,
und hat überhaupt gar nichts mit jenen Details zu thun. Ich
weifs nicht, warum man einer gewissen Modeneigung für die
Babylonier folgend die längst erkannte klare Anlehnung an
das griechische Totenreich im Westen mit seinen bekannten
Strömen abweist.^ Und ist denn überhaupt — aus allgemeinem
Gesichtspunkt betrachtet — möglich, dafs babylonische Schriften
und babylonische Kultur damals auf einmal so stark einge-
drungen wären? Das war ja gar keine Kultur und gar keine
Kulturmacht mehr.
Früher wäre das sehr natürlich, in dieser Zeit, in der
jene Dinge doch offenbar ganz neu hervortreten, ist es geradezu
unmöglich. Die Kultur, die alle Welt beherrschte und die
auch auf vielen Wegen nach Palästina drang, deren sich die
Juden allerorten bemächtigten und der sie sich akklimatisierten,
war jetzt die hellenische oder hellenistische. Ist ein Zweifel
möglich über die Herkunft des Neuen in jener jüdischen Schrift,
das jüdischen Ursprungs nicht sein kann und das so genau
mit griechischen Traditionen stimmt? Und nun erinnere ich
an die Schilderung des Ortes der Seligen in der Henochapo-
kalypse (oben S. 33, 1)^ die in so deutlich griechischen Farben
gehalten ist.
Etwas merkwürdiges ist es, dafs bei Henoch in dem
TTup ineya Kaiö|Lievov xai q)XeTÖ|uevov die Sterne gebunden
sind und brennen zur Strafe für ihre Übertretungen d. h. für
Nichteinhaltung ihrer bestimmten Zeiten.^ Ich vergleiche ein
1 Schwally a. a. 0.: 'Man denkt gewöhnlich an griechische Ein-
flüssj! ... Es ist aber wahrscheinlich, dafs diese Vorstellungen selbst
aus der babylonischen Kosmologie stammen'. Also ohne den geringsten
Grund gibt man die durchaus treffende Analogie auf gegen eine in den
Hauptpunkten unzutreffende, nur den alten Babyloniern zu Gefallen.
2 Über die Himmelsvorstellungen der jüdischen Apokalypsen gibt
eine Zusammenstellung Eugene de Faye Les apocalypses juives, These,
Lausanne 1892, p. 135 ff.
3 6ecjuu)Tripiov toöto ifivero toic äcrpoic koI xaic 6uvd)Lieci xoO
oüpavoö — Kai oi dcT^pec oi K\j\iö|Lievoi Iv x(u irupl outoi eiciv oi irapa-
ßdvTEC irpocTaTMCi iöJ kv dpxrj rnc dvaroXfic aÖTÜJv ÖTi töttoc eHuj toO
oöpavoö Kevöc ecTiv, oxi ouk eEfjXSov fev toTc Koipoic auxujv, Boüriant
p. 130. — l' dcT^pac Toö oupavoö bebeixivovc koI l^^ijip^vovc — koI
— 220 —
Wort des Herakleitos, dafs die Dike und die Erinyen, ihre
Helferinnen, die Sonne erreichen und strafen würden, wenn
sie ihre Bahn verlasse,^ Der Abstand der Zeiten scheint un-
geheuer, aber man ahnt die Gänge der Überlieferung, wenn
man in dem Bericht des Hippolytos über Valentins Lehre ein
altes pythagoreisches Symbolum^ von jenem Heraklitsatz be-
einflufst findet (VI 26, p. 266, 55 ff. DS): öGev 6 mdxujv epw-
Tr|9eic UTTO xivoc" ri ecii cpiXococpia; eqpr) x^PiC|uöc MJUxfjc dirö
ca)|LiaToc, TTu0aYÖpou Kai toütujv tüliv Xöyujv Y£VÖ|ievoc |ua6ri-
Trjc, ev oic \ifei Kai bi aiviT^diiJuv Kai toioutoiv Xöyujv eK
Tfic ibiac iäv dirobTiiuric, ixx] eiricTpeqpou. ei be |ufi, 'Gpi-
vuec AiKTic eTTiKOupoi ce juexeXeucovTai, ibir|v KaXuJv xö
ciJu)Lia, '6pivuac be id TTd0ri. Und wenn wir bei Henoch lesen,
dafs die Strafe der Gestirne 10000 Jahre dauere, darf man an
dieselbe Zeit einer Bufsperiode in der Seelenwanderungslehre
der Pythagoreer und Orphiker denken?
Ich wage es nicht zu behaupten. Aber unwahrscheinlich
^v TTupl Kaio|idvouc, a. a. 0. p. 132. Einiges andere bemerkenswerte der
neuen Henochstücke will icb wenigstens andeuten. Sehr bezeichnend
ist, wie die Ankunft des Herrn geschildert wird, Bour. p. 111. — Die
äYY^^oi vermählen sich mit den Töchtern der Menschen und lehren sie
Zauberei (^iraoibäc, cpapiuaKeiac, ßordvac, ^iZoTOjaiac) Bour, p. 115. — Von
den Giganten ist in der bekannten Art jüdisch-hellenistischer Litteratur
die Eede, Abraxas 143, Budde Biblische Urgeschichte 391 ff. Vom himm-
lischen Thron der jLieYÖtXn böia gehen Feuer, Blitz, Feuerströme aus, Bour.
p. 124, Tgl. Apoc. Job. XXII 1. Die Wohnplätze in der Scheol sind
gegliedert nach Kang und Stand, Geschlecht und Stamm (Schwally 138),
vgl. oben S. 142. Die auserwählte Gemeinde der Gerechten betet für
die noch nicht erlösten Menschenkinder Bour p. 39, 5, Schwally 142, vgl.
Sibyll. II 330 ff., s. oben S. 118. Eine sehr merkwürdige Angabe ist,_ dafs
die Weiber der gefallenen Engel zu Sirenen werden, al y^voikcc auTi&v
TUJv TrapaßdvTUJV ä^jfiXwv eic cipfivac YevrjcovTOi Bour. p. 131, 132.
1 Herakleit. Fragm. 29 By w. Plut. de exil. 11 p. 604 "HXioc Yap oux
ÜTrepßnceTai n^rpa, (pnclv 6 'HpdKXeiroc. ei bk ixx], 'GpivOec |liiv Aiktic ^it(-
Koupoi ^Seupricouciv. Plutarch. de Is. c. 48 p. 370 fiXiov bk (seil. 'HpdKXeiTÖc
cpriciv) |Liri ÖTTcpßricecGai touc TtpocriKovrac 6pouc. el bä |ar), K\u)9ac (YXiwTTac
überliefert, verbessert von Hubniann vgl. Hesych. s. v.) |liiv AiKric ^m-
Koüpouc eHeupriceiv.
2 Vgl. LDiog. VIII 17, Porphyr, v. Pyth. 42, lambl. protr. XXI 14
p. 107, 14; 114, 29 f. ed. Pistelli, anderes bei Vßose Aristot. ps. p. 201 ff.
(Die Stellen weist mir Usener nach.)
— 221 —
wären solche Beziehungen nicht nach dem, was wir von den
Essenern wissen, den recht eigentlichen Repräsentanten einer
Vereinigung des Jüdischen und Pythagoreisch- Orphischen.
Konnte doch sogar ein essenischer Hymnus mitten zwischen
orphischen Gesängen und gnostischer Mystik aufgedeckt wer-
den.^ Auch da kommen die Giganten, kommt die tevva rrupöc
vor, das reine Jerusalem als Sitz Gottes, dj tö ctcßecTov TrOp
bid TravTÖc aiujvoc TrpocTrapdKeiTai. Dieser Hymnus ist ja
wie die Henochapokalypse in Ägypten, in einem Grabe ge-
funden — beider Entstehung wird etwa in die gleiche Zeit
gehören.
Gerade den Essenern wird ja auch eine durchaus griechisch-
pythagoreisch-orphische Seelenlehre zugeschrieben: der Leib
ist der Kerker, befreit eilt die Seele in die Höhe gerade-
so, wie in der Weisheit Salomons von der Seele gelehrt
wird.^ Der Strafort der Seelen ist dort freilich wie bei Philo,
im Anschlufs auch an bestimmte griechische Traditionen, in
der Luft.^ Den Essenern wird auch, wie wir schon oben be-
rührten, ein Glaube an ein Seligenland jenseits des Okeanos
im Westen von Josephus (bell. Jud. H 8, 11) zugeschrieben,
dessen genaue Ähnlichkeit mit dem griechischen er sogar
selbst hervorhebt. Wie kann man es wagen dem Josephus
ganz einfach den Glauben zu verweigern? Tendenziöse Fälschung
derart wäre dem Josephus erst noch nachzuweisen. Und wie
konnte er solche Dinge, die so viele genau kannten, fälschen?
Wie sollte er dazu gekommen sein? Ebenso hat man seine
AufseruDgen über Pharisäer und Sadduzäer anzunehmen, und
wenn manches mit Andeutungen etwa des neuen Testaments
1 Abraxas 138 ff.
2 Ganz vereinzelt ist da eine Stelle wie HI 13. 14 lucKopia cxeipa ^
äjuiavTOC, fiTic ouK ä-^viu Koixriv ^v irapaiTTuOiiaTi, 2Eei Kapiröv ^v tni-
ckottt) vpuxuJv Koi euvoOxoc ö |Liri ^pYacdjuevoc ^v x^'pl <iv6|ui|ua jurib^ ev-
eu|ar|0elc Kaxä toO Kupiou trovripof 6oeriC€Tat -^äp auTiu rfic TriCTeuuc
Xdpic ^KXeKxf) Kol KXfipoc ^v vail) Kupiou 9u|LiTip^cTepoc.
3 Der Ort wird bezeichnet als Hades, wie schon bei Xenokrates,
Plutarch u. a. Philo scheint für unheilbare Sünder eine Art Hölle an-
zunehmen, obgleich er allgemein äceßOJv x^j^'pov sagt und dann wieder
nicht TÖv |uu9euö|a€vov ^v "Aiöou gelten lassen will, Schwally a. a. 0. 156,
Zeller V 397.
— 222 —
nicht zu stimmen scheint, hat man zu bedenken, wie mannig-
faltig die Richtungen der Pharisäer sein konnten. Pharisäer
haben unter der Erde Belohnungen und Strafen angenommen,
ewiges Gefängnis den einen, für die anderen Wiederaufleben.
Bei der Annahme einer ei|uap)iievTi betont Josephus selbst die
Ähnlichkeit mit stoischem Glauben. Die Seele ist ihnen ein Teil
Gottes, die in dem Leibe aus vergänglichem Stoffe Wohnung
nimmt; die reinen Seelen erhalten den heiligsten Ort des
Himmels und werden von da im Umlauf der Zeiten wieder
in heilige Leiber gesandt. Die Seelen der Gottlosen nimmt
der finsterste Hades auf.
Also sogar die Seelenwanderung drang dort ein, die doch
nur noch in pythagoreisch-orphischen Kulten fortgelehrt wurde.
Wir haben kaum eine Ahnung von der Mannigfaltigkeit der
Einwirkungen hin und her. In Ägypten wenigstens lernen
wir die Abstufungen der Verschmelzung in den mannigfachen
Gemeinden und Kulten, Lehren und Schriften etwas besser kennen.
Die gewöhnliche Betrachtungsart der Denkmale dieser Zeiten,
ob sie jüdisch seien, ob griechisch, ähnlich wie bei anderen
Schriften die scharf formulierte Fragestellung, ob judenchrist-
lich, ob heidenchristlich, hat sehr irregeführt und das histo-
rische Verständnis derselben, wie sie geworden sind, verbaut.
Darum das meist so fruchtlose Zerlegen in so und so viele
Grundschriften und so und so viele Interpolationen. Die Ver-
einigung und Verschmelzung der verschiedensten Dinge ist ganz
anders und viel allmählicher und in naturgemäfserer Entwick-
lung vor sich gegangen, als die reinlichen Konstruktionen der
Zusammenfügung zulassen wollen. So hat man scheinbar
schlagend bewiesen, dafs es die Therapeuten des Philo nicht
gegeben haben könne. Und es hat sie doch gegeben.^ Gerade
in ihrem Kult haben wir den lehrreichsten Querschnitt vor
Augen aus dem langen Verschmelzungsprocess griechisch-orphi-
scher und jüdisch-essenischer Gemeinden.
Diese wichtigen Mischungen und Übergänge können aber
hier nicht weiter erörtert werden. Und was gezeigt werden
sollte, ist klar: die alte jüdische Apokalyptik hat von denen
1 Ich kann schon jetzt auf Untersuchungen Paul Wendlands ver-
weisen, die in Kürze erscheinen werden.
- 223 -
der Petrusapokalypse ganz und gar verschiedene eschatologische
Bilder,- und man sieht deutlich, wie und wo in der jüdisch-
hellenistischen Litteratur die Einwirkung der griechischen An-
schauungen beginnt und weiter um sich greift.^ Darum soll
natürlich nicht geleugnet werden, dafs gewisse Sündentypen,
des Verlassens des Weges der Gerechtigkeit, des Götzendienstes
und der Schmähung Gottes, noch nicht in den älteren griechi-
schen Nekyien gestanden haben können, sondern erst aus
jüdischen oder christlichen Vorstellungen hinzugethan sind.
Über diese Zusätze wird gleich noch ein Wort zu sagen sein.
Ebenso gut können die nur innerhalb einer weiterausgemalten
Qual erwähnten CKuiXtiKec dKOijuriTOi in Erinnerung au die
griechische Übersetzung des Jesaiassatzes eingesetzt sein.^
1 Ein Versuch, den eben MGaster gemacht hat im Journal of the
royal asiatic society of Great Britain and Ireland, 1893, July, p. 571 ff.
(Hebrew Visions of Hell and Paradise), die Petrusapokalypse auf jüdische
Schriften, auf Mischna und Talmud zurückzuführen, die doch Jahrhun-
derte später entstanden sind als die Petrusapokalypse, könnte nur
dann überhaupt diskutierbar sein, wenn bewiesen werden könnte, dafs
die spätjüdischen Schriften auf alte jüdische Litteratur zurückgiengen
oder auch nur zurückgehen könnten. Gerade das Gegenteil aber ist
ohne weiteres darzuthun. So kann die Gastersche Zusammenstellung
höchstens zeigen, wie in die spätere jüdische Schriftstell erei immer mehr ,
fremde Elemente eindringen, ja was die eschatologischen Dinge anbe-
trifft, wie ohne Zweifel gerade die Petrusapokalypse und ihre Ausläufer
wie auf alle folgende apokalyptische Schriftstellerei , so auch auf die
jüdische gewaltig eingewirkt hat.
2 Das Feuer, das nicht erlischt und der Wurm, der nicht ruht
(nach Jesaias bezw. Marc), tritt auch später noch oft als das Haupt-
sächlichste der Hölle hervor. Usener notiert mir eine Stelle aus der Vita
s. Martiniani in cod. Vindobon. gr. hist. 3 (s. XI) f. 113^ (Selbstgespräch
des h. Martin.), wo freilich auch schon Einwirkungen der Petrusapoka-
lypse sich zeigen, namentlich in den ÖYT^^oi KoXdZovxec: ^vvörjcov oOv
Tr)v aiijuviov ^Keivriv KÖXaciv, Mapxiviavd' Xdße KOTCt voOv tö uöp Ixeivo tö
aiuuviov, Tov CKUüXriKa töv äKoi|nriTOv, töv ßpuT^öv tujv ö6övtujv. tö
Yap irpöcKoipov Kai öparöv toOto iröp KCii Otto libaroc cßevvuTOi Koi xaTov
cp^YTOc ^x^i' TÖ bä aiiJÜviov koi dTeXeÜTTiTOv irup oöxe uirö liöaroc
cßevvuTOi Tru)TroT€ oöxe q)^TTOC i^ei [cf. Petr.-Ap. 2. 43 töttov aux^il-
pöraTov]- Ol CKiüXiiKec exeivoi oök ^peinoOciv ttot^. ol äYYe^oi oi
6Tri Tiuv KoXdceujv dv^vboToi eiciv koI dvriXeelc irpöc Ti|nujpiav.
Xomöv ^vvöricov xauTa ttdvTa, Mapxiviavi ktX.
— 224 -
Aber von allen den charakteristischen Typen der Sünden und
Strafen, die in der Petrusapokalypse aufgezählt werden", findet
sich in den älteren jüdischen apokalyptischen Büchern keine
Spur; sie finden sich allesamt wieder in der älteren griechi-
schen Litteratur. Der negative Beweis ist erbracht, dafs die
Hölle der Apokalypse keine jüdische ist, dafs ihr Verfasser
aus jüdischen Schriften nicht geschöpft haben kann.
Die Entstehung der Apokalypse von Äkhmim.
Wer die Typen der Sünder und Strafen in der Petrus-
apokalypse mustert, wird zunächst die zweimalige Anführung
derer, die den Weg der Gerechtigkeit geschmäht haben, auf-
fallend finden (I und YII). Vergleicht man Gruppe VII mit
VIII, so scheint sich ohne weiteres herauszustellen, dafs die
Strafe für die Blasphemischen (VII), die Lippen zerkauen zu
müssen und feuriges Eisen über das Gesicht zu bekommen, erst
gemacht ist nach der Strafe für die falschen Zeugen (VIII),
die Zungen zerkauen zu müssen und brennendes Feuer im
Munde zu haben. Und auch die Beschreibung der ersten Gruppe
in ihren allgemeinen Wendungen erregt den Verdacht, später
erst zugefügt zu sein^, und die Strafe des Aufhängens an der
Zunge konnte leicht nach dem Aufhängen an den Haaren oder
Füfsen in der Gruppe III hinzugesetzt werden. Es ist sehr
wahrscheinlich, dafs die Sünden der Schmähung Gottes und
des Weges der Gerechtigkeit u. ä. erst durch jüdische Ein-
flüsse oder vielmehr in der Weiterausmalung der ursprüng-
lichen apokalyptischen Bilder in christlichen Kreisen so stark
hervortraten. Und es ist ganz natürlich, dafs erst da solche
Sünden zugefügt werden konnten, wie die den Weg Gottes zu
verlassen (XIV), die Gerechtigkeit zu verdrehen (11) — man
hört schon die Polemik gegen die Ketzer heraus — oder gar
die Gerechten zu verfolgen und zu verraten (VI). Die Strafen
dieser Sünder sind denn auch mit ganz allgemeinen, in den
übrigen Gruppen schon vorhandenen und viel prägnanter aus-
geführten Qualen bestritten: sie sind in einem See mit Schlamm
(II, wie m, V, X), sie werden gebrannt und gebraten (XIV),
1 Das hat auch v. Wilamowitz schon ausgesprochen Ind. Gott. aest.
1893 p. 32.
Diet-cricb, Kekyia. J5
— 226 —
sie werden gegeifselt und aufgezehrt von Würmern (VI, wie
IV). Und nicht anders ist es mit denen, die sich mit eigner
Hand Götzenbilder gemacht hatten (XII): sie sind an einem
Ort voll gewaltigen Feuers. Dagegen sehe man nun die Rede-
weise in der Schilderung der anderen Gruppen und ihrer so
ganz eigenartigen Strafen: die Weiber, die sich zum Ehebruch
geschmückt, sind an den Haaren aufgehängt über dem auf-
brodelnden Schlamm, und die sich mit ihnen vermischt in der
Schande des Ehebruchs, sind an den Füfsen aufgehängt und
mit dem Kopf in den Schlamm gesteckt und sprechen: „Wir
glaubten nicht, dafs wir an diesen Ort kommen würden*' (III).
Die Mörder und ihre Mitschuldigen sind an einem Ort voll
bösen Gewürms, sie werden dort gebissen und Würmer be-
drängen sie wie Wolken der Finsternis; davor stehen die
Gemordeten und sprechen: „0 Gott, gerecht ist dein Gericht"
(IV). In Blut und Unrat sitzen bis an den Hals die Weiber,
die unehelich empfangen und abgetrieben hatten. Ihnen
gegenüber sitzen die Kinder, von denen strafende Feuerstrahlen
ausgehen (V). Die falschen Zeugen zerbeifsen sich die Zungen
und haben brennendes Feuer im Mund (VIII). Die Reichen,
die auf den Reichtum vertraut und sich nicht erbarmt über
Witwen und Waisen, werden in schmutzigen Lumpen über
glühende spitze Kieselsteine gewälzt (IX), und in aufbrodeln-
dem Schlamm von Eiter und Blut stehen bis an die Knie die
Wucherer und die Zinseszins forderten (X).^ Diese beiden letzten
Typen gehören gewifs ursprünglich zusammen: darum die all-
gemeine Strafe der Wucherer, die eigentlich schon einmal da
war (V). Die unnatürliche Unzucht getrieben haben, werden
fortwährend einen Abhang hinuntergestürzt und müssen wieder
hinauflaufen (XI), und mit Stäben von Feuer müssen sich fort-
während schlagen die — wenn ich oben recht geschlossen
habe — , welche gehässig, neidisch, zornig waren (XIV). Das
sind die acht oder vielmehr sieben ursprünglichen Gruppen,
und man sieht deutlich, wie diese später erst, wol erst nach
der Übernahme in die Christengemeinde, ausgeweitet wurden
1 Für die Ziffer IX oben S. 8 Z. 92 rechts, die durch ein Verßehen
stehen geblieben ist, lese man X.
- 227 -
zu vierzehn Gruppen. Die Sünden, die zu brandmarken man
jetzt ein besonderes Interesse hatte, wurden hinzugesetzt und
deren Strafen durch Wiederholung und geringe Variation der
vorhandenen dazu erfunden. Eine Sünderklasse wurde sogar
zweimal gesetzt — wol nur der zu erreichenden Zahl 14
zuliebe.
Woher die sieben ursprünglichen Gruppen stammen, kann
nicht mehr zweifelhaft sein. In ihnen gerade ist ja auch die
Erwähnung der Seelen der Ermordeten und der abgetriebenen
Kinder so verräterisch stehen geblieben. Und nunmehr glaube
ich die Summe meiner Untersuchungen ziehen zu können. Die
sieben Typen der Sünder sind gerade die, welche die antike An-
schauung herausgebildet und der christlichen überliefert hat:
dafür kann ich auf meine oben gegebenen Zusammenstellungen
verweisen; die sieben Typen der Strafen sind ohne jede Ana-
logie in jüdischer Apokalyptik, aber gerade sie finden ihre
genauen Analoga in der auf orphisch- pythagoreische Tradi-
tionen zurückgehenden antiken Litteratur. Auch das ist schon
allein meine oben (S. 211) gegebene Zusammenstellung zu
beweisen geeignet. Gemeinsam mit diesem Höllenbilde ist auch
das Himmelsbild, dessen ganz griechischen Charakter ich oben
zuerst nachwies, überliefert gewesen. Dafs die Lehre der
Seelenwanderung, die wol einige Gnostiker^, aber nicht diese
Christengemeinden übernahmen, unberücksichtigt blieb, ist
nur natürlich; hat man doch sogar später in der weiteren
Geschichte christlicher Apokalypsen immer mehr das Bild des
Himmels in den Hintergrund treten lassen, zunächst es nach
der Höllenvision in immer mehr verkürzter Gestalt folgen und
endlich ganz fortfallen lassen^, so dafs schliefslich nur die
Schrecken der Hölle übrig blieben, für welche die Phantasie
1 In den gnostischen Büchern, die CSchmidt Gnostische Schriften
in koptischer Sprache bespricht (bes. vgl. S. 410), findet sich zuweilen
ganz die alte orphische Lehre sehr ähnlich der Ausführung in Platons
Republik. Die irapcXriiu-rTTopec ^pivaloi führen die Seele, übergeben sie
den Peinigern, Lichtjungfrauen werden beschrieben, die richten. Ein
TTapaXn.uTTTric stöfst die Seele wieder in einen Körper, welcher den von
ihr begangenen Sünden entspricht u. dgl.
2 S. Hßrandes Visio S. Pauli 37 f.
15*
— 228 -
der mittelalterlichen Menschen stets mehr Interesse gehabt
hat als für die Herrlichkeit des Himmels.
Die ägyptische Christengemeinde aber hat die Vision von
Himmel und Hölle aus der griechischen orphischen Gemeinde
herübergenommen.
Wir haben die Entwicklung der griechischen apokalypti-
schen Litteratur darzustellen versucht, den Weg der orphischen
Kulte von Thrakien nach den religiösen Centren Griechenlands,
besonders nach Athen und weiter nach Unteritalien, ihre Ver-
einigung mit der pythagoreischen Bundeslehre und nun die
Verbreitung ihrer Bücher über die hellenistische Welt und
ihre Einwirkung auf mancherlei Werke anderer Litteratur.
Die orphisch-dionysischen Kulte, die in der Zeit nach Christi
Geburt, besonders im zweiten Jahrhundert, so aufserordent-
lich blühten, sind die direkten Erben jener unteritalischen
Ordensbrüder und ihrer heiligen Bücher. An den Küsten
Kleinasiens bis zum Pontos überzogen sie Stadt und Land,
und ganz besonders in Ägypten wuchs und erstarkte ihre
Organisation. Immer mehr werden wir durch neue Funde
aufgeklärt über diese verschüttete religiöse Welt. Dies war
der griechische Kult, der die Unsterblichkeitshoffnung aus-
bildete und ausbreitete, dies war der Glaube, dem sich die
hellenistischen Völker zuwendeten, als auch sie die Sehnsucht
nach der Ewigkeit einer anderen Welt unwiderstehlich erfafste,
dies die Mystik, welche die Griechen hegten und pflegten, ehe
die exotischen Religionen des Orients die in immer mächtigerem
Sündenbewufstsein erzitternden Nerven noch stärker reizten
und befriedigten. Man kann sagen, dafs die orphische Religion
in gewissen Ländern im zweiten Jahrhundert die Hauptmacht
war, die dem Christentum gegenüberstand. Das Christentum
trat mit der stärksten Betonung des Eschatologischen auf: *Thut
Bufse, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen'; der
orphische Glaube war die griechische Jenseitsreligion, die seit
Jahrhunderten, wenn auch lange nur in Winkeln und im Ver-
borgenen, dann aber siegreich in der griechischen Welt ge-
predigt hatte: *Lafst euch reinigen, auf dafs ihr den ewigen
Strafen der Unterwelt entfliehen möget'. Es ist nicht zufällig,
dafs Clemens von Alexandria fortwährend gerade gegen die
— 229 —
orphischen Mysterien polemisiert und fortwährend in ihren Aus-
drücken und Bildern redet, um zu zeigen, dafs das alles das
Christentum erst recht erfülle, und es ist ebensowenig ein
Ungefähr, dafs Kelsos dem Origenes als Haupttrumpf jene
Mysterien vorhält, in denen auch das Heidentum Lehren der
Unsterblichkeit habe wie das Christentum.
Man darf aber nicht etwa dem Eindruck, den die Polemik
der Kirchenväter auf uns macht, folgend zwischen den orphi-
schen und christlichen Kultgenossen eine unübersteigliche
Kluft sich denken. Man stelle sich doch nur die Verhältnisse
vor , wie sie konkret gewesen sein müssen. In den griechischen
Landen wurden ja Griechen Christen; sie nahmen viel ihres
alten Glaubens mit hinüber. Wo die orphischen Kulte blühten,
werden die meisten Christen vorher Orphiker gewesen sein;
denn es pflegt so zu gehen, dafs gerade aus religiös erregten
Gemeinschaften, die schon in manchen Dingen ähnlichen
Glauben haben, eine kommende neue Lehre ihre Proselyten
zuerst und am leichtesten gewinnt. Ja, es werden ganze
orphische Gemeinden allmählich Christlichem sich genähert
haben. Die beste Illustration solcher Vorgänge sind die Orpheus-
bilder der christlichen Katakomben: wie es früher schon an-
gedeutet war^, so ist es auch von theologischer Seite jetzt aus-
führlicher dargethan, dafs diese Bilder gar nicht anders als in
Anknüpfung an die orphischen Kulte zu erklären sind.^ Ja,
die Bilder werden Orpheus selbst darstellen sollen, nicht Christus
unter seiner Gestalt. Gerade auf alexandrinischen Münzen des
zweiten Jahrhunderts finden sich die gleichen Darstellungen
von Orpheus^: so wichtig und anerkannt war dort sein Kult.
Und die jenen Katakombendarstellungen analoge Verwendung
von Orpheusbildern in antiken Gräbern, die der letzte Bearbeiter
der christlichen Orpheusdarstellungen vermifst, ist ja vorhan-
den in jenen unteritalischen Vasengemälden, die den orphischen
Mysten ins Grab gestellt wurden (s. oben S. 128). Noch sei
es erlaubt, an einem Beispiel den Übergang der Orpheusbilder
#
1 VgL auch De hynmis orphicis 54,
2 Alfred Heulsner Die altchristlichen Orpheusdarstellungen, Leipz.
Dissert. 1893.
3 De hymnis orphicis 54, 2.
— 230 —
in christlichen Gebrauch zu veranschaulichen. Im Centralmuseum
zu Athen befindet sich eine plastische Gruppe aus einem Stück
Marmor, die aus Aegina stammt^: um den Orpheus herum
sind im Bogen die verschiedensten Tiere gruppiert. Auf der
phrygischen Mütze des Orpheus sitzt der römisch-byzantinische
Reichsadler. Auf der Basis ist ein Löwe dargestellt, der ein
Reh zerfleischt; das bedeutet ohne Zweifel wie so oft den
würgenden Tod^, und dadurch ist es auch wenigstens wahr-
scheinlich, dafs das Bildwerk zum Grabschmuck gedient hat
Das Fragment eines zweiten Bildwerkes derselben Art befindet
sich im Museum des Tschinili-Kiosk in Constantinopel.^ Auf
der Basis desselben ist ein Kreuz eingemeifselt, und das be-
weist, *dafs das Bildwerk zu irgend einer Zeit eine christliche
Bedeutung hatte'. Man hat das im antiken Kult gebräuchliche
Monument einfach weiter verwendet und es nur mit einem
Kreuz bezeichnet. So wenig war ein Gegensatz des orphischen
und christlichen Kultes vorhanden.
Wir haben ja oben betont, wie frei von sogenannten
christologischen Elementen, von den Hauptpunkten späterer
ausgebildeter christlicher Lehre die erste christliche Litteratur
Ägyptens war, wie auch griechische Spruchweisheit ohne viel
Änderung in die Christengemeinde übergehen konnte. Der
Grieche, der Christ wurde, behielt eben diese ihm wertvollen
Überlieferungen bei.
Über die Entwicklung der orphischen zu heidnischen
gnostischen Gemeinden und deren allmähliche Christianisierung,
über diesen so wichtigen Weg des Übergangs in Ägypten kann
ich hier nicht ausführlicher handeln. Es ist genug, wenn wir
in dem Übergang der orphischen Himmels- und Höllenvision
in die christliche Schrift nichts unerklärliches mehr finden.
Wie einst die pythagoreisch - orphischen Kultgenossen im
vierten Jahrhundert vor Chr. ihren Toten Verse ihrer apo-
kalyptischen Dichtung mit ins Grab gaben, wie die Brüder
1 Veröffentlicht von JStrzygowski in der Eömiscben Quartalsohrift
IV 1890, Tafel VI, dazu S. 104 ff. Ohne jeden Grund will er auch dies
Monument für christlich halten.
2 Usener De carmine quodam Phocaico 14 ff.
3 JStrzygowski a. a, 0. 106.
— 231 -
desselben Ordens auf Kreta im zweiten Jahrhundert nach Chr.
dieselben Verse den Ihrigen in die Gruft legten, so haben auch
die Brüder der Christengemeinde in Ägypten Stücke ihrer
heiligen Schriften, die von Seligkeit und ewiger Pein im Jen-
seits erzählten, in die Gräber ihrer Verstorbenen gelegt.
Und wenn ich am Schlüsse zurückgreifen darf auf den
Beweis, den ich am Anfang geführt zu haben glaube, dafs
der Text von Akhmim ein Stück ist des Petrusevangeliums,
so sehen wir den für die Religionsgeschichte, für die Genesis
christlichen Schrifttums unendlich wichtigen Übergang sozusagen
vor unseren Augen sich vollziehen, dafs aus der antiken Litte-
ratur der orphischen Gemeinde im Anfang des zweiten nach-
christlichen Jahrhunderts die Schilderung von Himmel und Hölle
übernommen wird in ein Evangelium der Christengemeinde.^ Ea
mag das nur in einer lokalen Überlieferung der heiligen Ge-
schichte stattgefunden haben, und die spätere Sichtung der
heiligen Überlieferungen hat solche merkwürdige Stücke aus
dem Evangelienkanon wieder beseitigt.^ Aber gerade an das
eschatologische Stück des Petrusevangeliums hat zunächst die
1 Das Petrusevangelium zeigt deutliche Spuren von 'Gnostischem',
und es bestätigt auch das wieder die Wichtigkeit 'gnostischer' Kulte
bei dem Prozefs des Übergangs von Griechischem in Christliches. Ich
müfste, um nicht mifsverstanden zu werden, sehr ausführlich darüber
handeln, wie solche frühe gnostische Gemeinden anzusehen sind. Aber
ich habe weder Neigung noch Verpflichtung, die Flut der neuen Litteratur
über das Evangelium noch mehr anzuschwellen.
2 Den Zeugnissen über das Fortleben eines Petrusevangeliums kann
ich eines hinzufügen, das ich Usener verdanke. In dem cod. Vindob.
bist. gr. 3 8. XI f. 265 ff. steht Bioc Kai iroXiTefa koI jxapTvipiov toO 6t(ou
äirocTÖXou Kol lepoindprupoc TTaYKpaxiou (Inc. ^Y^vexo |U6Td tö ävaXnqpOfi-
vai TÖv KÜpiov fiiailiv 'IricoOv XpiCTÖv eic xouc oöpavoüc Kai Kaöecöfivai ^v
beZiq. ktX.): 'es ist ein für und wohl auch in Tauromenion auf Sicilien
verfafster christlicher Roman', jedenfalls später als das 5. Jahrhundert.
Dort steht f. 268' oiirwc oOv ^ttoiouv oi äyioi diröcxoXoi ev xe iröXeciv Kai
KUü|icuc ÖTtö 'lepocoXO|uujv eujc 'Avxioxeiac. 'Ava\ofr]C&ixevoc (sie) bk
TTexpoc TteTTOiriKev xriv icxopiav ÖTtacav xfic ^vav6pu)TrriC€U)c
xoö Kupiou riiuujv 'Iricoö Xpicxoö Ka6djc xfiv ^KKXriciav bieKÖc-
laricev (bieKoc|noiicav cod., corr. Usener) dir' dpxnc, öxe ö ctYTe^oc xö
Xaipe K^KpOTev xrj irape^viu jui^xpic öxou xai dveXricpÖTi 6 Kupioc.
ei hk oÖK fjv KeKpu|Li|a^vov auxoTc, dXX' kv äTipq nöXei f\ Ktifii;! kaiovbäleTO
uap' aöxolc kxX.
— 232 —
selbständige Petrusapokalypse und dann die ganze reiche Apo-
kalyptik der späteren Zeit angesetzt. Die apokalyptische Lit-
teratur der griechischen Kulte, die uns nur in so wenigen
versprengten Trümmern erhalten ist, bildet eine geschicht-
liche Linie mit den ersten christlichen Offenbarungen vom Jen-
seits und mit dem Glauben von Himmel und Hölle in der
christlichen mittelalterlichen Welt. Das Dokument der Über-
nahme aus den antiken heiligen Büchern des Orpheus in das
christliche Evangelium sind die Pergamentblätter aus dem
Grabe von Akhmim.
Sachliches Eegister.
Die Zahlen hinter dem Komma bezeichnen die Anmerkungen.
Abaris 130.
Adrasteia 123.
Ägyptische christliche Litteratur
190.
Aithiopia 26.
Alibas, Alybas 27, 4.
'AvdfKri 124.
ävaMJUxeiv, dvavijuxn 95.
Anthropogonie, orphische 100.
Antonius Diogenes 149.
dudXa|ivoi qpp^vec 112.
Aristeas 130.
Auferstehungsglaube, jüdischer 216.
Baßu) 87, 3.
Begraben der Toten 46.
Belial 186.
Bildwerke, altchristliche 43.
ßöpßopoc 73. 81.
Buch des Gerichts 126, 1.
Büfsertypen, homerische 63. 76.
XaXKÖc 49, 2.
Chthonische Kulte 63.
Danaiden 70.
Delphi 65. 166; Polygnots Bild
68; Sühnungen 66.
6^\-roi Aiöc 127.
Pseudo-Demosthenes' erste Aristo-
geitonrede 137.
ödp|ia TU1TÖC 47, 4.
Didache 173.
biqpGdpai Ai6c 127,
Durst der Toten 99.
Eleusis 64.
gXxeiv ini Kvdqpou 204.
Elysium 19, bei Homer 20.
Empedokles 108. 119. 131.
Eridanos 26.
Erinyen 54, 220.
^puOpd edXacca 26.
Eschatologische Eeden Christi 15.
Essener 221.
Etruskische UnterweltsvorsteUun-
gen 210, 2.
Eurynomos 47.
Fackeln, lustrale Bedeutung 199, 2.
Farben des Lichtlandes, der Licht-
gottheiten 29.
Feuerpein 196. 201.
Fresser der Unterwelt 47. 52.
Ge 100,
Gerechtigkeit der Barbarenvölker
35.
Giganten 185.
Göttergarten 21.
Gorgo 48.
Grabreden 89.
Grabschriften 106.
Hades, Diarrhöflufs 83, 2; Folterer
im H. 60; Hand des H. 51 ; Eichter
- 234
im H. 126, 1; Thürhiiter im H.
51,1; Wasserträger im H. 70;
Heiden im H. 25,1; Sonnen-
strahlen im H. 23; Trunkenheit
im H. 78; Wiedersehen im H.
136, 3; Hades bei Homer 63, in
römischer Vorstellung 141, in
Volks Vorstellungen 136.
Hadesbücher 84.
Harpyien 56, 1.
Hekataios von Abdera 36.
Henochapokalypse 217.
Herakleides Pontikos 129.
Herakleitos 75.
Hermotimos 130.
Hesperiden 37.
iepöcuXoc 69.
Hymnen der Gerechten 36.
Hyperboreer 35.
Judenchristliche Litteratur 222.
Jungfrau, heilige 187.
Katakomben 43.
KaratTiTTcOv 203.
Kerberos 49.
Keren 56.
Kinderseelen 62.
Kleoboia 69.
KÖXacic 195.
kOkXoc YGvkeujc 111.
Lebenslicht 24, 1.
Lethe 90.
Leuke, Leukasfels 27.
Lichtstrom 26.
Lukans Orpheus 134, 1.
Lukians Hadesschilderungen 142.
Lustrale Bedeutung der Strafen 197.
Lykia 25.
Manes 155.
Mater magna 87.
ILi^Xea 56, 2.
Meleagros 67.
Meliuchos 66, 2.
Menippos, Nekyia 142.
|a^0Ti aitbvioc 73.
Mnemosyne 90.
Mysterien 63, Sittliches in den
Mysterien 67.
Nacht, Orakel der Nacht 147.
Neupythagoreer, verschiedene Rich-
tungen 143.
Nimbus 40.
Orpheus 74; Orpheusbilder, heid-
nische und christliche 229 ; Orphi-
ker verschiedener Richtungen 125;
Orphiker und Christen 229; or-
phische Bücher, Lektüre und Be-
nutzung 159; orphische Dionysos-
kulte 148; orphische eic "Aibou
Karaßacic 128; orphische Hades-
bücher 160; Orpheus Kpaxrip
147 ; orphische Litteratur 75;
orphische Religion 194; orphi-
scher Ursprung der platonischen
Mythen 123; orphische Winkel-
mysterien 82.
irarpaXoiac 68.
Pech 200.
Peirithoos 91.
Trepi|ndTTeiv 81.
Persephone 110.
Petrus als Erzähler der Apokalypse
10; Fragmente der Petrusapoka-
lypse 11; Petruscvangelium 16.
Pharisäer 222.
Phoinike 25.
qpoivit 25, 2.
Phokylideisches Gedicht 173; Pho-
kylides im 2. Sibyllinenbuch 183.
Pindar 109; 119,
TTie Zricaic 98.
Piatons eschatologische Mythen 113 ;
Phaidros 113, Republik 114, Gor-
gias 116, Phaidon 117; orphischer
Ursprung der platonischen Mythen
123.
Plutarchs eschatologische Mythen
146.
235 —
TToivai 58.
Polygnot, Hadesbild 68.
Polypen 179.
Poseidonios 144.
Prodigia 198.
TTpöp^riac in Eleusis 66.
Protagoras 87 , Sti afrech tstheorie
207.
ijjuxpöv i)5ujp 95.
Pyriphlegethon 27. 196.
Pythagoras 84, pythagoreische cic
"Ai6ou KttToßdceic 129; pythago-
reisches Strafrecht 207.
Refrigeratio, refrigerare 96.
CapKoqpdYOC 52.
Satyrchor 77.
Schwefel 200.
Seelenwanderung 88. 144; Perioden
der S. 118. 156.
Selige , äufsere Erscheinung 38 ;
lockiges Haupthaar der S. 39; S.
auf christlichen Bildwerken 43.
Sertorius 31.
Sibyllinenorakel Buch I — HI, Zu-
sammenhang 189, 1; II. Buch 183.
Sirenen 55, 6; 124.
Strafdämonen 59; Strafengel 60.
Strafrecht, ältestes 206.
Strahlenkranz 40.
Sünder bei Piaton 167; bei den
Stoikern 170, bei Lukian 171; in
der eleusinischen Lehre 165; in
der altchristlichen Litteratur 174;
in den gnostischen Schriften 172;
Sünder gegen Götter, Eltern,
Freunde 163.
Talionsrecht 206.
Tellis 69.
Thanatos 46.
Theseus 92.
Thrakische Unsterblichkeitslehre 73.
Thron der Lethe, der Mnemosyne94.
Todesgottheiten 46.
Totenmahle 79, 4.
Totentafeln, unteritalische 85.
Totenzug, bakchischer 56.
Traumvisionen 132.
Tritopatoren 105, 2.
tunica molesta 203.
Tyche 87.
Unterweltsbilder, unteritalische 128.
Uranos 100.
Yergil Aeneis 6. Buch 150.
Visionen 132.
Wasser des Lebens 95. 99.
Wege, zwei, in ethischer und escha-
tologischer Litteratur 191; drei
120. 131. 151.
Wiedervergeltungsrecht 206.
Xenokrates 165.
T, mystisches Zeichen des Pytha-
goras 192.
Zalmoxis 130.
stellen register .
Aischylos Agam, 1547
Choeph. 306
Eumen. 269
Prom. 935
Suppl, 230
701
Fragm. (N") 146
192
Anthol. Pal. VII 31
VII 123
Apocal. Mariae Virg. Texts
and studies 11 3 p. 118
Apollon. Rhod. Argon. I 494
1496
Apollod. Epit. Vatic. VI 3
p, 58 W
Apuleius Metamorph. XI 24
Aristias Fragm. 3 N^
Aristoph, Frösche 154
470
Wespen 1361
Fragm. 149. 159 K
(Geryt.)
Aristophon Fragm. 12. 13K
AthenaioB XI p. 503° (Nikan-
dros)
Seite
89
206
163
123
126, 1
163
96
26
80
197
209
101
153
91
42
47
71
92
199
83
78, 5
95
Bion bei Laert. Diog. IV 49 141
Claudian de consul. Stilich.
n 424 159
de consul. Stilich.
II 467 33, 2
Claadian epithal. de nnpt.
Hon, Aug. 232 159
Seite
Clemens Alex. ecl. proph. 41,
48, 49 11
Daniel XI 1 Sept. 215
Pseudo - Demosthenes XXV
§ 52 137
Pseudo - Demosthenes XXV
§ 11 139
Empedokles v. 365 Stein
89
Ennius Epicharm. Fragm. I
Vahl.
132
Epicur. Fragm. 341 üs.
140
IV. Esra VI 56
214
Eurip. Helen. 1313
103
Hippol. 732
22
Ion 1134
24
1549
40
Kykl. 164
28
397
47
646
82, 2
Suppl. 531
104, 1
Fra,gm. (N*)484(Melanipp.;
)101
506(Melanipp.;
1127
311(Belleroph.;
)164, 1
781 (Phaeth.)
199
782 (Phaeth.)
96
863
168
1004
100
Henochapokalypse bei Bou-
riant p. 130 219
p. 134 33, 1
Herakleit. Fragm. 29 Byw. 220
Fragm. 180 Byw. 75
237
Seite
Hermippos bei Porphyr, de
abstin. IV 22 165
Herodian. bist. I 7, 5 42
Hesiod Theogon, 105 102
Werke 166 20
287 193
694 179
Hippolyt. refut. omn. haar.
V27, p. 230 DS 94, 1
VI 26, p. 266 DS 220
Homer. II. VII 409 197
III 276, XIX 258 54
Demeterhymn. 480 64
Horatius carm. IV 7, 27 93
epod. XVI 32
Jesais LXVI 24 200. 215
Inschriften
IGSI nr. 641 Kaibel
nr. 642 „
nr. 1196 „
Bull, de corr. heU. XVII 122
'6q)r|M- <ipX- III P- 81, nr. 8
Epigramm. 153 Kaibel
CIL m 686
VI 2160
Ion Fragm. 36 N^
loseph. bell. lud. II 8, 11
Isokrat. Nikokl. VEI 61
86
85, 2
115, 1
107
64, 1
79, 3
78, 1
97
180
221
209
Lactant. Inst. dir. VI 6 192
Laert. Diog. VIII 4 130
VIII 21 129
VIII 41 130
Lukian. Alexandr. 40 39
Ver. bist. II 2 143
II 5 32. 24
37. 149
n 12 33
n27
Katapl. 22
Lucretius III 976
III 1015
Makarius Magnes IV 6 (ed.
Blondel p. 164)
200
65,2
140
141
13
Seite
Makarius Magnes IV 7 (p. 165) 13
Makarius Magnes IV 16 (p. 185) 13
Marc. IX 49 200
Methodius sympos. U 6 (ed.
Jahn p, 16) 12
Minucius Felix Octav. 35 160
Orpheus Argon. 1219
Hymn.
41
XII 10 104, 3
LX 2 139
LXX 5
LXXVII 9
p. 294, 79 Abel 52, 5
pap. Paris.
V. 1963
T. 2334
V. 2654
Fragm. 164
224
226
Ovid. Amor. II 6. 49
62
90
23
201, 2
53
134
135
95
169. 1
Panyassis Fragm. 9K
Passio Perpet., Texts and stu-
dies I 2, 79
Pausanias X 28, 1
X 28, 7
Persius III 56
II Petrus II 1
Pindar Ol. II 56
Pyth. VI 23
Threnos, rekonstruiert
Fragm. 129. 130
131
133
Piaton Phaid. p. 69'=
p. 113<i
Phaidr. p. 249» »>
Republ,
363°
364°
474«
615«
616*
92
34
68, 2
47
192
15
109
166
120
30
110,2
109
73
59
155
72
193
39
158
205
Pseudo-Platon Axioch.
p. 371°
31. 121
- 238
Seite
Seite
Plautus Asiuaria 301
203
Servius zu Verg. Aen. VI 395
50
Captivi 596
203
zu Verg. Geoi'g. I
34 131
Captivi 998
138
Solon Fragm. 36 B
102,
1
Trinummus 649
169
38 B
31,
1
Pliitarch consol. ad Apollon.
Sophokles Elektr. 62
1S3
34 p. 120''
121
Fragm. (N^) 297. 870
21
de Isid. 48 p. 370
220
Sertor. 8
31, 2
Testam. Abraami, Texts and
de sera num. vind.
studies II 2 p, 92
126,
1
c. 22 p. 563'^
145
Tbeognis 105
179
p. 565
32
145
178
p. 567*^
209
Tzetzes zu Aristo pb. Frösche
de occult. viv. p.
142
49,
4
1130° 91.
120
Pollux 1 6
21
Yergil Aen. VI 617
92,
7
Porphyrioa de abstin. III 25
100
VI 739
201
Proklos zu Plat. Tim. V 293
105, 1
Pythagoras carm. aurl 1
167
Xenophon Cyropaed. VIII 7, 18 60
70
89
Memorab. II 1,20
193
Sallustius bist. fr. 61 Kritz 31, 2 Zosimos bist. II 1
200
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