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Full text of "Neue Chronik von Hamburg, vom Entstehen der Stadt bis qum Jahre 1819"

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Reue Chronik 
Hamburg, 


Entſtehen der Stadt bis zum Jahre 


Verfaßt 
von 


Friedrich Gottlieb Zimmermann, 


Doctor der Philoſophie, Profeſſor am Johanneum in 
Hamburg, Mitglied der Geſellſchaft der deutſchen 
Sprache in Berlin ꝛc. 








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Hamburg, 1820. 
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Vorrede. 


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Dem hier erſcheinenden Buche iſt die Auffchrift 
einer Chronif von Hamburg gegeben worden, 
anzudeuten,; Daß man nicht mehr von: demfelben 
erwarten möge, als eine kürze hiſtoriſche Weber 
ficht der merkwuͤrdigſten Eretgniffe und Vorfälle, 
welche dieſen Kleinen Freyſtaat vom Urfprunge der 
Stade bis auf die jeigen Zeiten betroffen haben; 
alfo weder ein forgfam ausgefeiltes Werk, Das auf 
Kunft des; hiſtoriſchen Vortrags angelegt wäre, 
noch ein Buch, das gruͤndlich wiſſenſchaftliche 
Sorfhung anboͤte. Für den Bürger ein beleh⸗ 
tendes Handbuch, fr die Jugend einen. keitfaden 
in einer faßlichen Erzählung verſptach ich in mei⸗ 


ner Ankuͤndigung, und auf dieſes Verſprechen muß 
ich zuruͤckweiſen: 


IV 


Nichtigkeit der Angaben und Klarheit in dem 
Ueberblick und der Zufammenftellung der Begeben⸗ 
heiten ſchienen die Haupterforderniſſe zu ſeyn, welche 
auch einem ſolchen Handbuche nicht fehlen duͤrften. 
Fuͤr die erſtere bin ich unablaͤſſig bemuͤhet geweſen, 
uͤberall, ſo weit es irgend moͤglich, auf die erſten 
Quellen zuruͤck zu gehen, zu ſichten und zu pruͤfen, 
zu vergleichen, nichts auf Glauben nachzuerzaͤhlen, 
was nicht gehoͤrig begruͤndet erfunden werden koͤnnte. 
Dankbar geſtehe ich, meine Vorgaͤnger befragt, be— 
nutzt· zu haben, den nicht genug zu preiſenden Lam⸗ 
becius, den gruͤndlichen Staphorſt, den fleißigen 
Chriſtiani, Sartorius gelehrtes Buch, Becker's Ge 
ſchichte von Luͤbeck, die, kleineren Schriften des Hrn 
Prof. Hartmann, des verehrten Domherrn Meyer, 
ſelbſt die kleine Geſchichte Hamburgs von unſerm 
trefflichen Waͤchter, und andere Schriften dieſer Gat⸗ 
tung, insbeſondere aber die Arbeiten des Hrn. v. He 
deffien DVerdienfte um die Gefihichte dieſer Stadt 
dem erft in ihrem Glanze erfcheinen werden, der 
fich die Mühe nimmt, überall nachzuforfchen, um 
von der umſichtigen Unterfuchung. und dem reichen 
Wiſſen Diefes Mannes fi überzeugen zu koͤnnen. 
Diefe Nachforfchung geuͤbt zu haben, Darf ich mit 
gutem Gewiſſen verfihern, auch da, wo es mir 


V 


nicht gelungen iſt, auf neue Ergebniſſe zu gelan— 
gen: "aber. nicht das Meue, das Richtige war es, 
worauf es hier anfam, Ich habe z. B. um gewiß 
zu gehen, für "einen gewichtigen Zeitabſchnitt des 
ſiebzehnten Jahrhunderts von wenigen Jahren mich 
nicht gefcheut, ein über 1200 Folio: Seiten ftarfes 
Protocolf außerdem fünf dicke Quartbaͤnde voll 
gefchriebener und gedruckter Aetenftücke durchzumu⸗ 
fteen, obſchon ich "meine Ausbeute auf wenig mehr 
als höchftens ‘2 Bogen Ertrag anfegen durfte: 
und auch Hier fand ich, daß mir nut das geringe 
Verdienſt blieb dieſelben Anſichten, welche des 
Hen. 9. HE Scharfblick ausgefunden hatte, theils 
beſtaͤtigen theils in wenigen inzefheiten genauer 
bezeichnen zu fönnen, Es wäre," begreiflich, weit 
leichter geweſen, aus dieſen Forſchungen ein dickes 
Buch hervorgehen zu laſfen, fir welches! man ſelbſt 
der Aufmerkſamkeit derer, die nur Unterhaltung 
füchen, Hätte verfichert feyn koͤnnen. Hier aber 
ſolche Ymftändfichkeit nicht an der rechten Stelle. 
Auch ſollte alles Anfehen gelehrter Zuruͤſtung 
vermieden bleiben. Deßhalb aber bin ich feines: 
soeges ſo kuͤhn, behaupten zu wollen, als ob ich 
mich won keinm Jerthurie ‚habe beſchleichen laſ⸗ 
ſen: ſchon ſett find mir ein Paat ſolcher Spuren 


vi 


begegnet,- wo ich ausgeglitten feyn mag; doch bleibe 
Die Berichtigung entweder anderer Gelegenheit, oder 
meinen fundigeren Leſern überlaflen, bey welchen 
ich nur um dieſelbe Milde der Zurechtweifung bit: 
te, Die ich darin gezeigt habe, Daß in Feiner. Stelle 
diefer Erzählung von irgend einer fchadenfrohen 
Widerlegung oder Beſtreitung etwas zu vermerken 
fen wird. 

In wie weit es mir gelungen , der zweyten 
Foderung, der fchwierigften Aufgabe, daß in den 
Ueberblick und Die Zufammenftellung der Begeben: 
heiten Licht und Klarheit gebracht würde, zu ent: 
fprechen, muß. Dem Urtheil der Leſer überlaffen 
bleiben. Der verewigte Hegewiſch fagt irgendwo 
fehr treffend, ‚ ein Fleiner Staat gleiche einem 
Boote, das den Bewegungen des geöfferen Schif— 
fes, an welches es gebunden ift, folgen muͤſſe. 
In dieſer KHinficht fen es ſchwer, genau Die Grenz 
linie zu treffen, Die die Gefchichte des Fleineren 
von dem geöfferen Staate ſcheidet; die ‚Grenzen 
fließen immer in einander. Wie viel mehr noch, 
wenn -ein Staat, wie Hamburg , in fo mande 
verwickelte Verhältniffe anderer mit hineingezogen 
wird. Eines aber bin ich mir bewußt, daß ich nir— 
gends eine Verbindung aus bloßer Bermurhung 


vH 


angefnüpft, Urfachen und Zufammenhang in die, Bege: 
benheiten hinein gedichtet habe. Daß im Fortgange 
der Erzählung manche Lücke vielleicht unausgefuͤllt 
geblieben iſt, hat Urfachen,die ich anzudeuten nicht 
ganz umhin Fan. 

Bon einem, allen Deutfchen fehr achtungs: 
werthen Manne machte ein boshafter Verkleinerer 
die an fich wigige Bemerkung, die Natur habe 
feinen Körper wie feine Seele in ihrer Schöpfung 
verdorben: der Lntertheil feines Körpers habe wie 
zu einer anfehnlichen Lebenslänge beſtimmt geſchie— 
nen, aber die Natur habe ihren Entwurf nicht 
ausgeführt, und der Mann fey Flein geblieben, 
indem fich der Oberkörper nicht gehörig geſtreckt 
hätte: Ich kann nichts dagegen fagen, wenn 
jemand das Gleichniß umfehren, und es auf dieſes 
Bud antvenden will: es fängt etwas bequem an, 
und endigt im. haftiger Eile und abgeftumpfter 
Kürze. Ohne die Lefer mir einer Chronik diefer 
Chronik behelligen zu wollen, bemerfe ich blos 
Folgendes: das Buch ſollte mir ſtiller Vorbereis 
tung, ohne alle vorläufige Ankündigung, fo befcheis 
den und geräufchlos erfcheinen, als einem ſolchen 
Verſuche ziemt, der ohne große Anſpruͤche in die 
Welt treten wollte. Aber plöglih wurde, da das 


». 


VIII 


Unternehmen kein Geheimniß geblieben, eine andere 
Ankuͤndigung auch einer neuen Chronik v, H. das 
zwiſchen geſchleudert. Sch hätte gerne die Feder 
niedergelegt, wenn nicht ſchon fünfzehn Bogen ab: 
gedruckt geweſen wären, als dieſe auch nicht von fern ge; 
ahnete Dazwifchenfunft verlautbarte. In gerechter Be: 
rückfihtigung meines Berlegers mußte ich mich der vor; 
behaltenen Freyheit begeben, nad) dem ferneren Ausfall 
und Umfang des Stoffes fortzuarbeiten: eine Bogen; 
zahl, fowie ein aͤußerſt geringer Preis waren einmal ge; 
feßt, und: die Feſſeln damit gegeben, welche mir nicht 
bloß die Luſt und Laune, ſondern auch die Kraft felbft 
zufammen fehnürten. Die Fülle und Keichhat: 
tigfeit Des Gtoffes wuchs mit. jedem Jahrhun—⸗ 
derte, ih mußte Ausführungen, die zue Deus 
lichkeit hoͤchſt noͤthig geweſen wären, ich mußte 


| ſelbſt nicht unweſentliche Sachen fallen laſſen, wenn 
der Verleger im Stande ſeyn ſollte, ſeinem Vers 
ſprechen getreu zu bleiben, und wie viel ich demſelben 


auch zumuthete, was irgend chirſtlich zu tragen war, 
ich durfte Die Grenzen nicht noch weiter uͤberſchrei⸗ 
ten. So iſt es gekommen, daß die Ausfuͤhrung 
hinter der eingaͤnglichen Anlage zuruͤckgeblieben iſt. 
Die Nachrichten von den juͤngeren Begebenheiten 
zumal find nur als ſchwache Züge, Andeutungen 


IX 
des Allergewöhnfichften zu betrachten. Sollte es 
indeffen "mit den Wuͤnſchen der Lefer zuſammentreffen, 
ſo bin ich bereit, das Fehlende in einem beſonderen 
Ergänzungs-Anhange nachzutragen, den fir 
das Game bequem auch. ein won vielen getwänfch 
ges Megifter mit einigen nothwendig  fcheitteiden 
Machweifungen bengefüge werden koͤnnnte. Bey ei: 
nem verhäftnigmäßig eben fo geringen SPreife, als 
wofür diefes Buch ausgegeben wird, bliebe der 
Vorſchlag noch immer innerhalb der Grenzen der 
Beſcheidenheit. | 


Wenn in dem Abfchnitt, in welchem von der 
Meformationsgefchichte Die Rede if, von einigen 
eine auffallende Aehnlichkeit mir einem Auffage, der 
vor ein Paar Jahren in einem hiefigen Volkskalen⸗ 
der erfchierien ift, bemerft werden follte, fo zeige ich 
an, um Migdeutungen zuvor zu kommen, daß jener 
Aufſatz von mir iſt und als meine Arbeit hier be— 
nutzt werden durfte. 


Vorkommende Druck- und Schreibfehler, Un⸗ 
gleichheit in der Rechtſchreibung, ein Verſehen in 
der Seitenzahl, auch die Abweichung in der Ein— 
theilung des letzten Buchs von der Inhaltsanzeige 
wolle man mit RNachſicht entſchuldigen. 


Mit Bewußtfeyn bin ich dem ftreng hiſtori⸗ 
| fhen Sinne vom Anfange bis zum Ende getreu 
verblieben: Wahrheit, fern von »verfälfchender 
Scmeicheley, frey von uͤbertuͤnchender Schminke, 
war das Grundgeſetz, dem ich meine Arbeit unters 
worfen habe. Möge die Gabe in fo guter, reiner 
Meynung aufgenommen werden, als in welcher fie 
geboten wird, | 


F. G. 3. 





Erfte$ Bud. 
Entftehung der Stadt Hamburg und Wachs: 
thum derfelben, bis zur erſten Verbuͤndung 

der Staͤdte Hamburg und Luͤbeck. 


| 


Erſter Abfchnitt: Von Karls des Großen 
"Zeiten an bis zum erften der Ottonen, oder 
bis auf Die Befeſtigung des Herzoglichen An; 
fehens durch Hertmann Billung. (965.) 
Zweiter Abſchnitt: Wis auf Erloͤſchung des 
Billungſchen Mannsſtammes. (1106.) 

Dritter Abf chnitt Lehnsherefchaft der Grafen 
von Schauenburg, bis zur erften Verbindung 


der Städte Hamburg und Lübeck, (1241,) 








Einleitung 





— 


Wenn die Geſchichte großer Reiche und Voͤlker und 
ihrer Verbindung und Stellung zu einander in übers 
rafchenden ‚.erfchüsternden Begebenheiten, im zerflören- 
den Ereigniffen oder in folgenreichen Kraftanftrenguns 
gen ung die Befchlüffe und Offenbarungen einer höheren 
MWeltordnung vor Augen führe: fo lehrt ung dagegen 
die beſcheidnere Gefthichte einzelner Menſchenleben oder 
Geſchlechter, kleiner Gemeinheiten und allmahlich auf 
bluͤhender Staͤdte und Republiken, wie unter goͤttlicher 
Huͤlfe durch ernſtes Streben und Muͤhen der Niedere 
ſich zu Anſehn und Hoheit empor arbeitet, durch Ord⸗ 
nungsſinn, Fleiß und Thaͤtigkeit der aͤuſſere Wohlſtand 
begruͤndet wird, und wie aus treuem Zuſammenwirken 
und geiſtiger Ruͤhrigkeit und Behabigkeit jene großen 
Geſinnungen fuͤr Freiheit, a 3 und Bürgerehre fich 
1* 


4 Einleitung 


entwickeln, und Leitfternen gleich auf,der Bahn unferes 
öffentlichen Lebens und voranleuchten, Nicht in groß 
machtigen Staaten unter der Herrfchaft der Willkuͤhr 
und des Drusfes erzeugen fi bochherzige Gefinnungen 
und melsbürgerliche Anfichten: mas den Völkern der 
Erde Heil und Segen gebracht hat, Die freye, fich 
ſelbſt beherrſchende Geiſtesthaͤtigkeit, die oͤffentliche 
Treue und Zuverſicht, inniges Gefuͤhl fuͤr Kraft und 
Selbſtaͤndigkeit, daraus entſpringender Thatentrieb, 
Gefuͤhl fuͤr Ehre und fuͤr die reinen Tugenden der 
Menſchlichkeit, — dieſe Erſcheinungen ſind allein aus 
dem inneren Volksleben hervorgegangen, aus der Mitte 
jener unſcheinbaren Staͤdtegeſellſchaften, die ſich, bald 
unter guͤnſtigern, bald unter bedraͤngtern Umſtaͤnden zu 
gemeinſamer Beyhuͤlfe und Aufrichtung in verworrener 
Zeit gebildet haben. Demnach liegt uns die Geſchichte 
ſolcher kleinen Buͤrgervereine faſt naͤher, und ſteht mit 
unſeren menſchlichen Beziehungen in innigerem Zufams 
menhange, als die Betrachtung weitumfaſſender Welt⸗ 
ereigniſſe, die nur zu leicht uns blenden, wenn wir 
nicht zuvor den Blick durch Anſchauung der naͤchſten 
Umgebungen geübt und gefchärft haben, Won der ans 
ſpruchsloſen Bürgertugend fleigen wir zur Welterfah— 
rung empor, wie dieſe erſt durch jene begründet wor: 
den iſt. Die bervorgagende Bildung, deren fich das 


Einleitung. 5 


neuere Europa rühme, ift auf dem Boden entfproffen, 
der von den friedlichen Städtebewohnern zuerft anges 
bauer und bepflanze morden iſt, inmitten unter Stuͤrmen 
und Verwirrungen rober Kräfte, die fich nur allmab- 
lig zur Drdnung geffalteten, Man kann behaupten, 
fage ein meifer Geftbichtforfcher, daß erfi- von den 
beffer geordneten ſtaͤdtiſchen Einrichtungen Fuͤrſten und 
Könige eine beffere Regierung, Gefeggebung und Rechts⸗ 
pflege, Polizey und Ordnung, mehr. Einheit, ja felbft 
zum Theil ein: befferes Kriegsweſen Kennen gelernt 
haben; man Kann behaupten, daß fie dieſe Kenntniffe 
auf ihr Verhaͤltniß zu ihren Bafallen übertragen, und 
fo von oberften Lehnsherren zu Landesherren fich allmah- 
fig empor gehoben haben, Aus diefem Gefichtspuncte 
betrachte, erfiheint die Gefcbichte einer Stadt, mie 
derjenigen, welcher diefe Erzählung gewidmet iff, fo 
wenig als geringfügig, daß fie vielmehr an fich fomohl 
die hoͤchſte Aufmerkſamkeit verdient, als fie im Zuſam⸗ 
menbange mit der allgemeinen Voͤlker⸗ und Menſchen⸗ 
Geſchichte von groͤßter Bedeutung iſt. Hamburg, klein 
und unanſehnlich in ſeinem Entſtehen, wuchs, durch ſeine 
gluͤckliche Lage beguͤnſtigt, durch die Thaͤtigkeit und 
Betriebſamkeit ſeiner Bewohner ſehr bald zu einer der 
angeſehenſten und bluͤhendſten Städte empor, wurde, wie 


ſchon die Altvordern fie nannten, Pflegerin und Mutter 
| 


6 Einleitung, 


vieler Völker, Duelle der Nahrung und des Wohlſtan⸗ 
des, Erzeugerin und Naͤhrerin der edelſten Bürgertu- 
genden, der Wohlthätigkeit, des Viederſinns, der 
Mäfigung und Treue, Marktplatz gediegener Welt: | 
Erfahrung, Pflegerin der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, 
geehrt und geachtet im Auslande, die Zierde Deutſch⸗ 
lands, frey und ſelbſtaͤndig, deutſch geſinnt und that⸗ 
kraͤftig bis auf die juͤngſten Zeiten herab, Ein herz⸗ 
erhebendes Bild, von welchem mir die äufferen Um: 
riffe in folgender getreuen Erzahlung — 
bemuͤht ſeyn werden. 











Erffes Buch. 


— — — — 


I. 
HD. Anfänge der Gefrhichte Hamburgs geben hinauf 
bis im die dunkelen Zeiten des Mittelakterd, und Fönnen 
nur aus zerffreueren Spuren zufammen gelefen werben, 
Bald nachdem Kart der Große feinem Vater Pipin 
in der Herrſchaft des frankifchen Reiches gefolgt war, 
befchloß er, im Jahre 772, auf dem Reichstage zu 
Worms, nach dem einftimmigen Wunfche des geſamm⸗ 
ten Sranfenvolfes, den Krieg gegen die Sachſen. 
Diefes altdeutſche, urkraͤftige Wolf, welches ganz 
Niederfachfen und Weſtphalen inne hatte, big nach 
Heflen hin, das weder Stadte bewohnte, noch Königen 
gehorchte, und unter dem damahls fehr rauhen Hinz 
melsſtriche fich Armtich und duͤrftig ernaͤhrte, waren 
die ewigen Erbfeinde der Franken, und beunruhigten 
dieſelben unaufhoͤrlich durch zerfförende Einfaͤlle. Den 
alten Gebraͤuchen und dem von den Vaͤtern ererbten 
Goͤtzendienſte mit inniger Treue und Anhaͤnglichkeit 
ergeben, verfolgten fie das Chriſtenthum, zu welchem 
die Franken laͤngſt ſchon übergerreten waren, mir un: 
austöfchlichem Haffe, rotteten, wohin fie kamen, deſſen 
Spuren aus, und erfihlugen alle chriftlichen Miſſidnare, 
weil ‚fie dieſelben als Feinde ihrer angeſtammten Frey: 
beit betrachteten, Es Tag im Plane des mic dem 


8 Gründung Hamburg's. 808. 


Adlerblick feines Geiſtes weit über fein Zeitalter bins 
ausfchauenden, thatkraͤftigen Karl, zunachft diefe Na- 
tion für die bezweckte Schöpfung feines großen Reiches 
unfchadlich zu machen, fodann diefelbe durch die erha- 
bene Ehriffusreligion, zu deren Annahme fie gebracht 
werden müßte, zu vermenfchlichen, Langwierig und 
barınadfig war der Kampf, und murde von beiden 
Seiten mit größter Erbitterung, oft mit ſchaudererre⸗ 
gender Wildheit und Graufamfeit geführt. Die roben 
Kräfte der Menſchheit, Iosgelaflen in ihrer Wurh, wir: 
fen gleich der ungebandigten Macht der Elemente ſtets 
mit graufenvoller Zerfiörung, Aber nichts vermochte 
die Geduld und die eifenfefle Standhaftigkeit des grof 
fen Mannes zu ermüden, nicht die tauſend Unglücks— 
falle, nicht die immer wiederkehrende Unſicherheit und 
Verlegung aller Verträge. So muß der geiffigen Kraft 
die phyfifche Willkuͤhr doch unterliegen. Wirtefind, 
der tapferfte Heerführer des Gachfenvolfes, unterwarf 
fih im Jahre 785, und ließ fich saufen. Karl errich- 
tete in den eroberten Landen gegen die Anfälle aufferer 
Feinde fichere Grenzfeften, und im Innern derfelben 
zur allmählichen Berfietlihung des Volkes Tauffirchen _ 
und Bisehimer, als Pflanz und Erhaltungsſtaͤtten 
der chriftlichen Bildung, So entflunden Baderborn, 
Minden, Osnabrück, Hildesheim, Halberſtadt, Verden, 
Bremen, u.a,, und von da aus und den daſelbſt geſtifte— 
ten Kloͤſtern verbreiteten fich nach und nach eine reinere 
Religion, menfchfichere Sitten und edlere Geiffesbil- 
dung unter den Bewohnern des ganzen nördlichen 
Deutichlandd, 


Grindung Hamburg's. 808. 9 


Noch aber waren die Sachfen nicht zu folchem Ge: 
borfam gebandigt, daß fie fi) den neuen Verordnun: 
gen rubig batten fügen follen, Bey einer neu ausge— 
brochenen Empörung derfelben verwuͤſtete Kart alles 
Land zwifcben der Wefer und Elbe, Tie über die be 
zwungenen Feinde das Loos werfen, und jeder dritte 
Mann mußte ficb aller Anjprüche auf fein bisheriges 
Baterland: begeben, und in andere Gegenden verfegen 
laffen. Dies geſchah 794. Aber erſt 8o4 wurde mit 
Bezwingung der nordalbingifchen Sachfen der 
ganze Krieg: gegen dieſes harte Volk beendiger, und 
damie endlich der Schlußftein gelegt zu jenem weit 
umfaflenden Reiche, das von der Theis bis zum Ebro, 
von der Tiber bis zur Eider fich erſtreckte. An zehn- 
taufend der norbalbingifcben Sachfen führte er, um 
ihre Bundbrüchigfeie zu firafen, mit Weibern und 
Kindern in weit entlegene franfifihe Provinzen, und 
ließ die ihm treugeblicbenen Obotriten an ihre Stelle 
rünfen. So brachte er endlich feine Plane zur Er—⸗ 
füllung. | 

Nordalbingien, nun die nördlichfte Provinz des 
Frankenreichs,  beftand aus den drey Gauen: Stor- 
marn, Holftein und Dithmarſchen. Um dieß 
Land vor den Einfallen und Verwuͤſtungen der flavi- 
ſchen Voͤlker fowohl, als der Normanner, die nun 
Nachbarn der Franken geworden waren, zu fichern, 
ließ Karl durch feine Legaten, Deren einer Otho ge 
nannt wird, im Jahre 808 an der Elbe zwey feſte 
Schlöfer anlegen, und mit franfifcher Beſatzung beiten, 
Hammenburg oder Hamburg, im Lande Stor—⸗ 


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10 Gründung Hamburg’s, 808. 


marn, zwifchen der Elbe, Bill und Alfter, und Hoch: 
buchi oder Hochbörfenburg, das nicht ohne Wahr: 
fiheinfichkeie nach Dithmarſchen verfegt wird: fo wie 
auch der dritte Gau von Nordalbingien, das weiter 
ind Land hinein gelegene Holftein, im Frühlinge des 
folgenden Jahres 809g mit einer gleichen Veſte zu 
Effeferd, jetzt Itzehoe, verfehen wurde, welche der 
Graf Erf bert anlegte, und mit gallifchen und füddent- 
ſchen Einwohnern befeßte, Hamburg erhielt feinen 
Namen unbejweifelt von der Waldung, in deren Nähe 
fie erbaut wurde; denn als fihon der Dre fich zu einer 
Stadt erweitert hatte, graͤnzte fie noch von Oſten an 
einen Buchenwald, womit die ganze Gegend der jeßi- 
gen Dörfer Hamm und Horn beſetzt war, auf der 
Weſtſeite war fie durch einen Eichenwald gedeckt, deffen 
Andenken uns in der Benennung der Straße des Eichr 
holzes erhalten iſt. Uebrigens wird noch in alten Ur—⸗ 
Funden die Hölzung zwifchen der Alfter und Bille, mo 
nachmahls die Kirchfpiele. St. Jacob und St. Georg 
aufgeführt worden, genau mit dem altdeurfchen Worte 
Hamme (Waldung) bezeichnet, 

Kaifer Karl beffimmte die frifch angelegte Wald: 
burg zugleich zum Sitz eines Erzbisthums, ald' eine 
nene, umfaffende Miffionsanftale, um von da aus das 
Chriſtenthum niche nur unter den: benachbarten flavi- 
ſchen und mwendifchen Voͤlkerſchaften, fordern inabefon- 
dere im hohen Norden weiter zu verbreiten und zu be 
"gründen, Demnach wurde alfobatd zum Anbaır einer 
Kirche in Hamburg gefbritten, und wie fehr auch. die 
Nachbarſchaft durch feindfelige Angriffe beunruhiget 


Gründung Hamburg’d. Lır, 11 


wurde, fo daß auch Hochbuci ſchon im nachften 
Jahre von den Wilfen zerftört da Tag, und aufs neue 
wieder erbaut werden mußte: fo war doch der Anbau 
der Kirche bereitd im Jahre 811 vollender, Zu gleis 
cher Zeit erhielten die in fraͤnkiſche Provinzen verfesten 
Sachſen Erlaubniß, in ihr urfprüngliches Vaterland 
zurück zu kehren, da man ihrer Gefinnung jege ver: 
trauen zu können fibien, theils, um burch zahlreichere 
Bevölkerung dem Lande gröfferen Schuß und Wohl: 
ftand zu verfcbaffen, theils um fich ihrer Tapferkeit 
gegen das Eindringen. der Danen und anderer feindli- 
ben Voͤlkerſchwaͤrme zu bedienen, Die neu erbauete 
Kirche wurde dem Heiland und der Jungfrau Maria 
gewidmet. Die feyerliche Weihung derfelben geſchah 
noch in demfelben Jahre dur) den fraͤnkiſch⸗ trierifchen 
Bifhbof Amalhar, durch einen Fremden darum, 
daß Feiner der benachbarten Bifchöfe veranlaßt würde, 
vermöge der Handlung der Weihe irgend Anfprüche 
auf die Unterwürftgfeie der neu erbaueten Kirche zu 
machen. Zum erften Lehrer am diefer Kirche wurde ein 
Mann von anerkannter Frömmigkeit und für damalige 
Zeiten nicht gemeinen Kenneniffen, beftelle, Heridag 
mit Namen, und ihm ein beftimmeer Dre angemwielen, 
Rodnach in Flandern, ein reiches und anſehnliches 
Klofter zwifchen Doornick und Dudenarden, theils damit 
er mit feinen Gehuͤlfen und Nachfolgern von den Eins 
fünften deffelben anftandigen Unterhalt genießen Fönne, 
theils bey feindlichen Ueberfällen und Streifereyen einen 
fichern Zufluchtsore zu haben, um vor Gefahren und 
Mißhandlungen Schug und Sicherheit zu finden, 


g 


N * 

12 Hamburg ſeit 812. * 
Aber die neue Kirche wurde bald nach ihrem Ent— 
ſtehen auch ſchon wieder verwaiſet. Heridag ſtarb, 
noch bevor er zum Viſchof von Hamburg geweiht wor⸗ 
den war, ſchon im Jahre 8ı2. Zwey Jahre nachher 
verließ auch Karl der Große das Zeitliche, und mit 
ihm entſchwand der Niefengeift, welcher allein jenes 
große Reich in feiner "gewaltigen Aırgdehnung in Dauer 
und feſter Leitung zu halten gewußt ‚hatte, Lud— 
wig, Karl's Sohn und Nachfolger, befaß nicht die 


‚Kraft und den Geift, die großen Plane von Ordnung 


in allen Theilen der Berfaffung, von Bildung und 
Aufhellung des Verſtandes, von Veredlung der Sitten, 
von allgemeiner Wohlfehre, die fein erhabener Vater 
entworfen, und zum Theil noch unvollendet als ein 
heilige8 Erbe zurüsfgelaffen hatte, zur Ausführung zu 
fördern: die meiften derfelben wurden vergeffen, an 
die Stelle der Thaͤtigkeit und der feurigen Anſtrengung 
trat ermattende Ruhe und verachtliche Schwache, in 
ihrem Gefolge entwickelten fib Mifgunft der Großen 
unter einander, Unwiſſenheit und Rohheit, Auflöfung 
des ganzen mit fo vieler Weisheit angeordneten Staa— 
tengebäudes, Mochten es die Unruhen feyn, in welche 
ſich Ludwig bald nach feinem Regierungsantritt ver 
ſetzt ſah, die feine Aufmerkſamkeit von der nördlichen 
Provinz des Reiches abzogen, oder mochten andere 
Umffande, insbefondere eigennüßige Rathgeber ein 


wirken, — an die Wiederbefegung der durch, Heri- 
dag 8 Tod verwaiferen Hamburgifcben Kirche wurde 


vor der Hand nicht weiter gedacht; das Kloſter Rod 
nach, deffen Einkünfte den zu ernennenden Bifchofen 


a 
a Anſchar, erfter Erzbiſchof von Hamburg. 831, 13 
Hamburg’3 "angewiefen waren, ſchenkte Ludwig dem 
Mönchen eines bey Achen gelegenen Benedictiner » Klos 
ſters, Nahmens Indaz die Pflege aber der jüngft ger 
pflanzten nordalbingifchen Kirche übertrug er, wohl 
gleichfalls niche ohne Zureden von auffen, den beyden 
Bifcböfen von Bremen und Verden, fo dag dem erftern 
bauptfachlich Hamburg und Dithmarſchen, dem legtern 
aber das eigentliche Holftein zur Auffiche anvertrauet 
worden zu ſeyn febeint, So viel iſt ed, was wir aus 
diefer früheften Zeit von Hamburg überliefert finden. 
Erft im fiebzehneen Jahre feiner Regierung, 831, 
erinnerte ſich Ludwig des Planes wieder, den Karl mit 
der Errichtung eines bifchöflihen Siges zu Hamburg 
entworfen hatte, wenn es nicht anders der rege Ber 
fehrungseifer des heiligen Anſcharius war, der den- 
felben wieder bervorfuchte, Diefer in der Geſchichte 
Hamburg’3 vorzüglicher Auszeichnung würdige Mann, 
aus Frankreich abftammend, im Kloſter der gelehrten 
Benediftiner zu Alt-Corvey Cin der Picardie) er: 
sogen, fodann in dem von Ludewig dem Frommen an 
der Wefer neu gefkifteren Benediktiner-Kloſter Neu— 
Eorvey zur Würde eines Rectors und Predigers er- 
hoben, hatte frühzeitig fchon, von der Wuͤrdigkeit des 
Gefchäftes, unter den Heiden da8 Evangelium zu ver 
finden, innigft ergriffen, niche ohne viele Gefahren 
und Muübhfeligfeiten zwey Miffionen nach dem nördlis 
lichen Europa übernommen, Zuerſt war er nach Da: 
nemarf gegangen, wo ein König Harald dag Chriftens 
thum felbft angenommen und daſſelbe in feinem Reiche 
zu verbreiten fich verpflichter hatte, Nach anderthalb 


* 


14 Anſchar, erſter Erzbiſchof von Hamburg, 831. Ei 


jahrigem Aufenthalt in dieſem Lande begab’ er fich nach 
Schweden, wo der König fowohl, als ein großer 
Theil der Nation die Annahme des Chriſtenthums 
wünfchten und beförderten, Anfcharius kehrte darauf 
mit eigener Zufriedenheit, fo wie mit Briefen des 
ſchwediſchen Königs Biden verfehen, worin derfelbe 
feinen großen Beyfal mir Anſchar's frommen Eifer 
und chriftlichehätigen Berragen bezeugte, an Ludwig's 
Hof zurüch, Jetzt hatte der Gedanke, bier im Nor- 
den, an der aufferften Grenze des deurfchen Reichs, ein 
Erzbischum anzulegen, im Sinne des großen Karls 
eine Miſſionsanſtalt für die angrenzenden, dem Heiden: 
thume noch ergebenen Völkerſchaften, viel Ermuntern: 
des ſowohl, als er manchen Vortheil zu verfprechen 
fibien, Die Sache wurde in mehreren Berfammlungen 
der Bifchöfe vielfach befprochen und berathen, und auf 
dem öffentlichen Reichstage, welchen Kaiſer Ludwig im 
Anfange des Herbfied 831 zu Diedenhofen im Luren- 
hurgifchen hielt, erfolgte die wirkliche Ernennung der 
Hamburgifchen Kirche zum erzbifchöflichen Stuhl. Als 
Borfteher deffelben konnte man feinen mwürdigeren be 
ftellen, als den Anſcharius, der fich bereits mit den 
Berbaltniffen der nordifchen Zander hinreichend befannt 
gemacht hatte, Weil Rodnach verfcbenfe war, fo 
wurde dem neuen Erzbiſchof theild zum Unterhalt, 
theils im Fall feindfeliger Einfalle als Zufluchtsort 
daB bey Gent in Flandern Tiegende Klofter TZurbolt 
angewiefen, Anſcharius war erſt dreißig Jahre alt, 
als er zu diefer Würde erhoben wurde. Die Eins 
weihung geſchah unter vielem Glanze durch den Bruder 


Erbauung des Doms, der Schule ꝛc. 15 


des Raiferd ſelbſt, Drogo, Erzbifchof zu Mes, in 
Beyſeyn der Erzbifchöfe von Mainz, Rheims und 
Trier, und mit Einwilligung der beyden Bifiböfe zu 
Bremen und Verden, denen zuvor diefe Dioces über: 
tragen gewefen war. Bald darauf, 834 erfolgte auch 
die Beſtaͤtigung und Belehnung, mie dem bifchöflichen 
Mantel durch den Pabſt Gregor IV., der fich dazu um 
fo geneigter fand, theils weil er die Ergebenheit und 
den chriftlichen Eifer des Anſcharius in der Nahe und 
zu Nom jelbft geprüft hatte, theild weil er durch diefe 
Beſtaͤtigung Gelegenheit erbiele, die ſchon jegt immer 
ſtaͤrker hervortretenden Grundfaße der Hierarchie auch 
im nördlichen Deusfchland, und felbft im. aufferfken 
Norden geltend zu machen, Anſcharius erweiterte nun 
und verfihönerte die ihm anvertrauete Kirche, fo wie 
er auch in den übrigen Theilen Nordalbingiend die Er: 
bauung von Taufkirchen fich angelegen: feyn ließ : denn 
bis zum Jahre 848 befanden fich in der Hamburgifchen - 
Dioces deren beveitd vier, auffer Hamburg, Meldorf 
in Dithmarſchen, Schönenfeld im Lande der Holfaten, 
und wahrſcheinlich Haddeby in der Mark, zwiſchen der 
Eyder, Treene und Schley, Innerhalb des Bezirks der 
Domkirche errichtete er weiter ein der Regel des heil, 
Benedictus unterworfenes Klofter, daB er mie Mönchen 
aus Corvey .befegte, legte darin eine Schule an, und 
verjah fie mit einer von feinem Kaiferlichen Befchüger 
bereitwillig unterftügten Bücherfammtung; auch Eaufte 
er won ben benachbarten Dänen und Slaven mehrere 
Knaben ‚aus der Leibeigenfchaft, befreite andere aug 
der Gefangenſchaft, um fle theils in Hamburg ſelbſt, 


ı6 Zerflörungen Hamburg's. — 


theils in Turholt, zum Dienſte der Religion erziehen 
zu laſſen. So ging er mit Eifer und Einſicht an die 
Beförderung des ihm anvertraueten Apoſtelamtes. 
Aber dieſer Bau, wozu jetzt die Grundfeſten gelegt 
wurden, ſollte noch oft durch aͤuſſere Stürme erſchuͤt⸗ 
tert werden. Wie vorher die Sachſen, ſo waren jetzt 
die nordiſchen und ſlaviſchen Voͤlker die Erbfeinde des 
biß zu ihren Grenzen ſich ausdehnenden Frankenreiches: 
in ſtets wiederkehrenden Einfallen und Verheerungen 
brachen fie über Die neue ‚fromme Gtiftung und ihre 
YAnfiedler herein, welche zu befcbüsen die zur Verthei⸗ 
digung beftellten Kaiferlichen Grafen viel zu ſchwach 
waren. So bietet die Geſchichte der drey erſten Jahr⸗ 
hunderte des wechſelnden Dafeyns diefer Stadt und 
ihrer Bildungsanftalten nur eim trauriges Gemaͤhlde 
von Kriegsunruhen und immer erneueter ſchrecklichen 
Verheerung dar. Faſt rings umgeben von raubſuͤchti⸗ 
gen, friegerifchen Bölfern ward Hamburg das Ziel 
ihrer fanatifchen Wurh gegen das fich von hier aus im 
Norden verbreitende Chriftenehum, und die Beute. ihrer 
Eiferfuche gegen die Macht der Schirmherren der neu 
gegründeten Stadt. Zwar ging fie bald nach jedem 
diefer Ueberfalle, wobey die geifflichen und weltlichen 
Wohnungen verbrannt, die Altsre zertruͤmmert, ihre 
Diener gemorder, die Schage geplündert, die um die 
Burg und Kirche fich anfiedelnden Bewohner ing Elend 
‚getrieben, oder in Sklavenfefleln gelegt wurden, aus 
ihrem Schutt mit verjüngter Kraft und immer größer wie⸗ 
der hervor, zog aber eben dadurch immer neue und deſto 
ſchrecklichere Verwuͤſtungen diefer Barbaren über ſich. 


“PU, Zerfiörung Hamburg's, 845. 17 


Schon durch den Tod des Kaiferd Ludwig entffund 
dem edlen Anfchar rein wichtiger Verluft, da nach der 
bald darauf erfolgten» Theilung des Reichs zu Verdun 
(840) Karl der Kahle, dem Franfreich zufiel, das 
Kiofter Turbolt, dad in dem weſtlichen Theile feines 
Erbes Tag y dem, Hamburgifchen Erzbischum entzog, 
und es anderweisig verfihenkte, Anſchar mußte daher 
mit feinen Mönchen Farglich Ieben, und dag Werk der 
Heidenbefehrung gerieth darüber fehr in Stosfen. Im 
Bertragezu Verdun war dem Ludwig, mit dem Bey: 
namen des Deutſchen, Oſtfranken, Baiern, Thuͤrin⸗ 
gen und Sachſen zugefallen : aber die inneren Unruhen 
dauerten fort, und wurden durch den Zwiſt der Bruͤ⸗ 
der immer mehr genaͤhrt. Dieß benugte der Danifche 
König, Erich der aͤltere, welcher, dem Chriſtenthume 
abhold, zuerſt mir einer zahlreichen Flotte nach Fries⸗ 
land ging, wohin ſich alle verfolgten Chriſten ſeines 
Reichs, zu feinem Vetter Harald, begeben hatten, Dann 
ſchiffte er den Rhein hinauf und belagerse Koͤlln. Zuletzt 
ſchiffte er auch mit ſeiner anſehnlichen Flotte in die Elbe, und 
ruͤckte unvermuthet vor Hamburg, im J. 845. Zum Un⸗ 

gluͤck war der kaiſerliche Schirmherr, Graf Bernar, 
gerade abweſend, Anfeharius aber im Gebrauch der Wa 
fen wenig geübt, Als daher die. Normannen die Stabi 
uberfielen , . war . an. Widerfiand wenig zu denken; 
Anſchar entrann, mit Zuruͤcklaſſung des Klofterfchages, 
bloß einige Reliquien. rettend, faſt unbekleidet dem 
Blutbade. Auch ſeine Geiſtlichen retteten ſich durch 
die Flucht. Die Einwohner zerſtreueten ſich, mehrere 
wurden gefangen, andere niedergemacht, Die Norman 

2 


13 Zerſtorungen Hamburg's 845. Das Bisthum Bremen 


nen, welche des Abends angekommen waren, blieben 
in der Stadt die ganze Nacht, und noch vier und zwan— 
sig Stunden, plünderten, zerftörten und legten die Kirche 
und das Klofter, und die meiften Wohnungen in Afche, 
Der flüchrige Anfchar wendete fich in diefer Noch an 
den Biſchof Leuderich zu Bremen. Diefer aber, der 
langt ſchon anf Anſcharius Verdienſte und Anfehen 
mit neidifchen Augen gefeben hatte, wieß ihn hart 
zuruͤck, und verfagte ihm den Aufenthalt in Bremen, 
Da wurde er endlich von einer abelichen Frau, Nab: 
mens Jkia, im benachbarten Bardengow (Bardowik) 
aufgenommen, welche ihm den ihr zugehörigen Meier: 
hof Ramesloh im Stifte Verden febenfte, und 
foweit mit Geld unterflüßte, daß er daſelbſt ein Klo⸗ 
ſter anlegen, und ſeine herumirrenden Ordensbruͤder 
dahin verſammeln konnte. Dorthin brachte er auch 
die bey der Flucht geretteten Reliquien, deren Ver— 
ehrung ſchon ſeit zweyhundert Jahren ſo groß war, 
daß man in der Eidesformel, auſſer der Huͤlfe Gottes, 
noch die der Reliquien anzurufen pflegte. 

Als bald darauf (847) der biſchoͤfliche Stuhl zu 
Bremen durch den erfolgten Tod des Biſchofs Leu— 
derich erledigt wurde, brachte Ludwig der Juͤngere 
zuerſt auf einer Kirchenverſammlung zu Mainz; in Vor⸗ 
fehlag, dem Anfchar diefes Bisthum zu übertragen, damit 
er in den Stand gefegt würde, theild das begonnnene 
Bekehrungsgeſchaͤft mir günftigem Erfolge weiter zu för: 
dern, theild um fich der zerfförten Stadt mit größerem 
Nachdruck annehmen‘ zu Fönnen, Anſcharius aber, der 
den Neid der maͤchtigen Pralkten fürchtere, insbeſondere 


wird mit Hamburg vereiniger. 858. Wiederaufbau ꝛc. 19 


weil der erzbifsböfliche Stuhl zu Coͤlln, dem Bremen 
untergeordnet war, erledigt land, und die nöthige 
Einwilligung von daher nicht gefcheben konnte, bald 
auch ſich wirklicher Widerſpruch fand, weigerte ſich 
fange gegen die Annahme der übertragenen Wuͤrde. 
Erſt im Sabre 858 fam er damie zur Ruhe. Durch 
Ernennung des Kaiferd Ludwig, und. unter Beſtaͤtigung 
des Pabſtes Nikolaus wurde Anſchar als Erzbiſchof 
der vereinigten Bisthuͤmer Hamburg und Bremen ein: 
geſetzt, doch fo, daß Hamburg dabey ‚den erzbifchöfliz 
then Rang bebielt , .den wir durch einen verfchlungenen 
Gang der Begebenheiten in der Folge auf Bremen 
übergeben ſehen. 

„Hamburg erſtieg Tangfam ‚wieder aus _ feinem 
Schutt: doch forgte Anſchar, unterffüßt durch die 
fehr nachdruͤckliche Hülfe des Kaifers Ludwig und. 
mehrer angefehener Privatperſonen, mit aͤußerſter Thaͤ⸗ 
tigkeit fuͤr den Wiedererbau der Kirche und Schule; 
die zerſtreueten Nordalbingier kehrten zuruͤck, und ſie— 
delten ſich wieder an, da die guͤnſtige Lage des Ortes 
ihnen zu bedeutende Vortheile darbot. Um kuͤnftigen 
Ueberfaͤllen der Normannen vorzubeugen, unterhandelte 
Ludwig durch, Abgeordnete, mit dem Könige Erich von 
Danmark, und, fuchte ihn zu friedlichen Gefinnungen zu 
bewegen; Erich,verfprach Friede, und bewilligte ſelbſt dem 
Damturaicen Erzbifebof die Erbauung einer Kirche zu 
Haddeby oder Schleswig, gefinttete ihm auch, zur 
Ausbreitung des Chriſtenthums in Daͤnemark weitere 
Anſtalten zu treffen, wogegen der Koͤnig der Deut⸗ 


ſchen ſi ch verpflichten mußte, fünftighin den Eins 
24 


20 Anſcharius Tod (865) und Berdienfte, 


fällen der Normanner in Gallien fih nicht zu mwiber- 
fegen. 

Die ferieren Bemühungen Anſchar's um Verbrei⸗ 
tung des Chriſtenthums im Norden wurden von dem 
fegensreichften Folgen belohnt, Auffer Schleswig er- 
laubte der jungere Erich von Dänemark, noch eine 
Kirche in feinen Staaten zu erbauen, die zu Ripen: 
et ſelbſt ging zum Chriſtenthum über und Tieß fich 
taufen, Nicht minder gelang es dem heiligen Manne, 
den König Dlev von Schweden, der wieder zum 
Goͤtzendienſt abgefallen mar; auf die Bahn des evan- 
gelifchen Lebens zurückzuführen, und dag Chriſtenthum 
fefter daferbft zu begründen, Go fehrte er nach Bre- 
men zuriick, wo er im vier und fechzigften Jahre feines 
Alters, nach ein und dreyßigjaͤhriger Verwaltung des 
Erzbisthums fein geſchaͤftvolles Leben endete, (865.) An⸗ 
fehariug war ein frommer Mann, iin Sinn und nach 
der Weiſe feiner Zeit, nicht frey von mönchifchem Aber: 
glauben, aber erfülle und innerlich überjeugt von der 
Heiligkeit feines Berufs, durch Verbreitung der, chrifk- 
lichen Rehre Heil und Segen unter den Menſchen aus⸗ 
zugiefen. Er war demüchig, menſchenfreundlich und 
wohlwollend: unermuͤdet beſchaͤftigt, Wohlthaten zu 
üben und Gutes zu ſtiften, wo es möglich war; alſo 
daß fein Lebensbeſchreber und Nachfolger, der heil, 
Rembert, von ihm ruͤhmt, er fey den Blinden das 
Auge, den Lahmen der Fuß, den Wittwen und Wai- 
fen Bater gewefen, Er befaß nicht gewöhnliche Kenne: 
niffe und Gelehrſamkeit, die er feinem geſchickten Reh: 
rer, dem Abte Natbert zu Corvey, zuerſt zu verdanken 


” 


- 


Anſcharius Berdienfte, Sein Nachfolger Rembert. 21 


hatte, und. die, er, felbft auch zur Abfaffung einiger 
Schriften gebrauchte. Sein Leichnam wurde zu Bre—⸗ 
men begraben, und in der Folge in der St. Willehads- 
Kapelle an der Wefer beygeſetzt. Nach feinem Tode 
wurde er unter die Heiligen verfegt, und in der Katho— 
liſchen Ehriftenheit wird Anſcharius Todestag, den dritte 
des Monats. Februar, noch jegt feftlich begangen, In 
Hamburg ift das Andenken des edlen. Mannes noch in 
der- Benennung eines ſpaͤterhin angelegten Marktes, ſo 
wie des Schaarthord, des Schaarfleinwegs u, ſ. w. 
erhalten worden, 

Sein Nachfolger, auf dem erzbifchöflichen Stuhle 
war Nemberrt, der aldbald am Begrabniftage feines 
Vorgängers von der Geiftlichkeit und dem. Volke ge 
wählt, von. Kaifer Ludwig II. beſtaͤtigt, und vom 
Pabſte Nikolaus I. mit. dem Pallium belehnt wurde, 
Er war and Flandern gebürtig, auf der Schule zu 
Turholt zum geifflichen Stande erzogen, und in der 
Folge Anſchar's Gehülfe, Jünger und vertiauter 
Freund. Nach feinem Muſter uud Benfpiel feste. er 
seine Wirkfamfeit fort zur Erhaltung und Verbreitung 
des Chriſtenthums in diefen nördlichen Gegenden, ſo 
große Schwierigkeiten ſich auch demſelben inmer 
noch entgegen festen. Er ſchickte ſowohl Miffionen 
aus, als er auch perfonlich „füch - oft in. das nord 
lihe Europa begab, mo fein: Gegenwart nöthig 
zu ſeyn ſchien. Nach dem Tode des Pabſtes Nikolaus 
(86T) brachte er: es bey deffen Nachfolger, Hadrian LU. 
dahin, daß er ihm die geiftliche Gerichtsbarkeit über 
ganz Holſtein, Danemarf, Norwegen, Schweden und 


« 
* 


22 Neue Befehdungen der nördlichen. Sachen 


andere nordiſche Zander, nebſt der Legation in dieſe 
Reiche feyertich befkätigte, (871.) 

Die auffere Lage der Dinge bot einen traurigen 
Anblick dar, Nach Ludwig des jüngern Tode war die 
Herrſchaft des deurfchen Reichs in die Hande gerade des 
unfahigften feiner Söhne, Karl des Dicken übergegan- 
‚gen, berizwar, durch Umſtaͤnde begünfkige, nochmals das 
große Neich feines Ahnherrn, Karls des Großen, 
unter fich vereiniate ‚ aber durch Geiftesarmurh, Unger 
ſchicklichkeit, Muthloſigkeit und Erbarmlichfeit, die er 
in den Kriegen, von welchen das Neich in verfchiede- 
nen Theilen heimgefuche wurde, bewieß, fo allgemeines 
Mifvergnügen erregte, daß er feines Thrones entfegt, 
und in Deurfchland, das von jeßt an für immer von 
Frankreich getrennt blieb, Arnulf, Carlmanns unddh 
ter Sohn, zum Könige ernannt wurde, (887.) In diefer 
Zeit der Schwäche und der Verwirrung drang Erich 
Barn (oder das Kind) mir feinen raußfüchtigen Nors 
mannern, an melche fich noch fiavifche Völker angeſchloſ⸗ 
fen hatten, bie Elbe herauf bis ins Lineburgifche, mo 
Herzog Bruno von Braunfchweig und mehrere Bifchöfe 
ein zahlreiches Heer gefammelt hatten, Aber die 
Schlacht bey Ebbekeſtorp oder Ebſtorp bey Lüneburg 
endete mit einer ſchrecklichen Niederlage der Sachfen, 
bie noch durch eine plößliche Ueberſchwemmung befördert 
wurde, Der Herzog Bruno, zwey Biſchoͤfe von Hil- 
desheim und Minden blieben auf dem Page, nebft 
zwölf Grafen, und einer großen Menge Gemeinen. 
(Um 878:880.)  Rembert hatte diefem Treffen nicht 
beygewohnt, da er, nach dem Ausdruck eines alten 


durch die Normänner bis 880. Zerftörung Hamb, gı5, 23 


Erzaͤhlers, mehr zu Haufe mie geifftichen, als in der 
Schlacht mie irdiſchen Waffen zu kaͤmpfen verftand, 
Doch, als bald darauf die Feinde nach Nordalbingien 
überfegten, und auch den: Samburgifchen Kirchſprengel 
auf das grauſamſte verheerten und verwuͤſteten, bewieß 
er acht chriſtliche Wohlthatigfeie durch Loskaufung der 
in Gefangenfchaft mie foregeführten Ehriften, wobey er 
felbft der Koſtbarkeiten und heiligen Gefäße der Kirche 
niche fibonte, als es an Mitteln fehlte, die nötige 
Summe zur Ausloͤſung zuſammen zu bringen, Zwar 
‚gelang es dem Fraftigen Arnulf, dieſem gewaltigen 
Erbfeinde des deutſchen Reichs bey Löwen eine völlige 
Niederlage beyzubringen; aber die Verwirrung nahm im 
Deurfchland aufs Neue und arger überhand, als nach 
Arnulf's Tode deſſen unmündiger Sohn, Ludwig 
das Kind, den deutſchen Thron beftieg , alſo dag 
der Ausfpruch des Prediger in Erfüllung ging: Wehe 
dem Lande, deffen König ein Kind iſt. Unter Konrad 
dem Erften, dem darauf die deutfche Krone übertras 
gen wurde, waren die Folgen jenes der ganzlichen Aufiö- 
fung nahe gebrachten Zuſtandes in Deutfchland ‚noch 
zu fühlbar und zu fehr verbreiser, als daß überall 
hätte geholfen werden können. Ein neuer Feind fiel jetzt 
in das Land, fihrecflicher und abſcheulicher, als je 
einer der früheren, die Hunnen oder Madicheren, welche 
bis in das Herz von Deutſchland vordrangen, Dieß 
benußten die Danen und Slaven zu einem neuen Weber: 
fall ind Sachfenland, ‚und Hamburg wurde abermalg 
in Aſche und Trümmer zufammen geworfen, im 
Sabre 915. | 


> 


24 Streitigkeiten mit dem Erzbiſchof v, Colln. — Adalgar. 


So wie dieſe aͤuſſeren Unruhen dem Miſſionsge— 
ſchaͤft der hamburgiſch-bremiſchen Erzbiſchöfe nichts 
weniger als guͤnſtig ſeyn konnten, fo drohete dem Anz 
ſehen derſelben noch Gefahr von ganz anderer Seite 
ber, Hermann, Erzbiſchof von Eölln, konnte es nicht 
vergeſſen, daß das Bisthum Bremen feiner Diöces 
entzogen, und mit Hamburg verbunden worden war, 
Zwar hatte Pabſt Nikolaus I. diefe Verbindung ſelbſt 
betätigt, auch Günther, ver frühere Erzbifchof von 
Coͤlln darein gewilligetr aber noch fchien es Zeit, den 
erlitsenen Verluſt wieder zu erfegen. Die Befchwerben 
murben vor ben Pabſt gebracht, dennoch erflärte 
Stephan, dag Adalgar — fo hieß Remberts Nach- 
folger Cfeit 888) im unabhängigen Befig des bremi- 
ſchen Stuhles beſtaͤtigt bleiben und jeder, der ihn 
fünftig darin beunruhige ‚mit der Strafe des Kir⸗ 
chenbannes belegt werden folle, Go günftiger Gefin 
nungen war nicht der folgende Pabft Formofus: viek 
mehr wurde auf der Kirsbenverfammfung zu Tribur 
(am Rhein) dem Adalgar der fernere Befig der bremi- 
fihen Kirche feyerlich abgefprochen (895) und ihm ver: 
fagt , fich als Erzbifchof weiter zu unterzeichnen, Der 
ewige Wechfel der päbftlichen Grundfäge machte indeſ⸗ 
fen unſchaͤdlich, was fo hatt befchloffen worden war: 
Formofus Nachfolger, Sergius III. erklärte den Aus— 
fpruch von Tribur für ungerecht und gefegwidrig, und 
Noalgar wurde im feine DBorrechte wieder eingefeit, 
Er’ ſtarb 909.) Merkwuͤrdig bleibt es indeffen, Daß 
Abdalgar's Nachfolger, Hoger, nicht mie fonft ge 
ſchah, vom Erzbiſchof zu Mainz, fondern von’ dem-zu 


Hoger, Unni. Heinrichs J. Siege über die Normanner ic, 25 


Cöffn- geweiher wurde. Bon Hoger ſagt übrigens ein 
alter Ehronikenfchreiber, was füglich oft von anderen 
auch gefagt werden fönnte: woher er gemwefen, und wie 
er gelebt, ſey alleine Gott befannt. Unter feine Ber: 
waltung fiel die letzterzaͤhlte Verwuͤſtung Hamburgs, 
für welches jege eime glücflichere Zeit zu daͤmmern an⸗ 
fing. | 
Heinrich der Große, erſter Kaiſer aus dem 
ſaͤchſiſchen Hauſe, that zuerſt in Anſehung der Normaͤn⸗ 
ner, was ſeine Vorfahren laͤngſt haͤtten thun ſollen. Er 
ſuchte ſie in ihren eigenen Wohnſitzen auf: nahm dem 
Daͤnen⸗Könige Gorm ein Stuͤck Landes ab, und machte 
es zur Vormauer von Deutſchland, indem er eine ſaͤch⸗ 
fifche Eolonie dahin führte, und zur Beſchuͤtzung der: 
felben einen Markgrafen verordnete. So "wurde die 
Schley die Grenze von Deutfchland; die ‚Markgraf: 
ſchaft erhielt den Nahen Schleswig, Im J. 931. Die 
veranlaßte alfobald den damaligen Bifchof von Hamburg, 
Unni, (ſeit 97) zur Erweiterung feines Sprengelsbefon- 
ders thaͤtig zu ſeyn: Frodo, König von Sütland, ließ 
fich taufen, Gorms Gemahlin Thyra, eine englifche Prin- 
zeſſin, war dem Chriffenehum ergeben, und auch Gorm’s 
Nachfolger, Harald Blaatand (Blauzahn) erlaubte die 
Predigt deffelben, Guͤnſtige Yusfichten. Bald indeffen bra- 
chen die Feindfeligfeiten gegen die nordalbingifchen Sachfen 
mieder hervor „ die Danen- überfielen Schleswig, mach⸗ 
ten die fachfifche Beſatzung nieder, erfehlugen den 
Markgrafen, und verhöhnten ſelbſt die Gefandten des 
Kaifers, welche an den König Harald abgefchickt 
waren, Darüber enerüfter, fiel Otto der Erfte in 


26 Erweiterung des Erzbisthums zu Adaldags Zeit ꝛc. 


Juͤtland ein, verwuͤſtete die Halbinſel, und drang bis 
hinauf an den mit dem Kattegat zuſammenhaͤngenden 
See Limfiord, deſſen Arm von ihm den Namen Otto— 
fund erhalten haben fol. So wurde Harald zum 
Frieden gendtbiget, und er ließ fich fofort mit feiner 
Gemahlin Gunilde und feinem noch "jungen Gohne 
Sueno taufen; den lesteren bob Otto felbft aus der 
Taufe. Die zerftörten Kirchen Schleswig, Nipen und 
Aarhus wurden wieder aufgebaner, Bisthuͤmer daſelbſt 
gegründer, und dem Erzbifhof von Hamburg, damals 
Adaldag, (ſeit 936 ernannt) unterworfen. Go finden 
wir den Adaldag fchon 949, auf der Eynode zu Ins 
aelheim von den drey jütlandifchen Biſchoͤfen, als feinen 
Suffraganeen, begleitet, Für die Ruhe und dag Auf: 
bluͤhen Hamburgs war diefe Zeit von den wohlthätig- 
ffen Folgen, | * 

Kaiſer Otto, der wegen der vielen Kriege waͤhrend 
ſeiner unruhevollen Regierung ſich oft und lange an 
den Grenzen des Reichs, in der Folge beſonders in 
Italien aufhalten mußte, erkannte die Nothwendig— 
keit, zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit des 
deutſchen Reiches Befehlshaber anzuordnen, denen die 
Oberaufſicht über die Verwaltung, des Kriegsweſens 
insbeſondere, uͤbertragen wurde. Vor andern beſaß in 
dieſer Hinſicht Otto's Vertrauen Herrmann Billing, 
(oder Billung) ein Mann von ausgezeichneter Klugheit, 
Einſicht und großer Thaͤtigkeit. Dieſem uͤbertrug er 
daher die Statthalterſchaft uͤber das Herzogthum 
Sachſen, und dieſer Umſtand ſowohl, als die Er 


weiterung der geiſtlichen Gerichtsbarkeit, welche dem 


Herrmann Billung wird Statthalter über Sachfen. 27 


fanesttugen Adal dag bewilliget wurde, brachten ih 
der innern Verfaſſung Hamburgs fehr wefentliche Ber: 
änderungen hervor. — 

Der inneren Verwaltung des Reichs war durch Karl 
den Großen eine ſehr feſt und Fünftlich geordnete 
Einrichtung gegeben worden. Die Regierung des Gan— 
jen sing aus von ihm ſelbſt, der mit der belebenden 
Kraft. feines Geiſtes im Mittelpuncte des geſammten 
‚Gerriebes ftand. In die Provinzen und Städte fandte 
er als bleibende Statthalter die fogenannten Grafen, 
die als oberfie Richter an der Spige der Gauen ſtan—⸗ 
den, den Heerbann anführten, und öffentliches Gauges 
richt (Göding) hielten, wozu ihnen die Schöffen ala 
Gehülfen, die aus dem Volke gewahlt wurden, beyge- 
geben waren. Die altefte Gefcbichte Hamburgs hat 
und die Namen nur weniger folcher Grafen üherliefert, | 
des Otho und Egbert, die bey der erſten Errichtung 
der nordalbingifchen Grenzfeften thätig waren, und des 
Bernar zu Anfcharius Zeit, in deffen Abwefenheit 
gerade der Danifche König Erich Hamburg verwuͤſtete. 
Damit fomohl die Grafen, als die unter ihnen ftehen- 
den Vicarien und Schöffen aufmerkſam ihrer Pflicht oblie— 
gen, und auch in geifflichen Dingen das Recht gefchehen 
mölhte, reifeten zu gemwiffen Zeiten Sendboten (Missi 
 regii) durch die Provinzen, welche Landesverſammlun⸗ 
gen hielten, vorgebrachte Unbilden ausglichen, untaug- 
liche Beamten abfesten, und ſtatt ıhrer neue ernannten 
u. ſ. w. Leber das Wohl der Gefammeheit wurde auf 
den öffentlichen Malen oder Reichsverfammlungen be: 
rathſchlagt, wobey nach altem Brauch zugleich Die 


28 Innere Berfaffung Hamburgs in den frübeften Zeiten, 


Bekanntmachung der Geſetze fiatt fand. So Tange 
nicht die Seele fehlte, melche dieſe Staatsmaſchine in 
ebenmäßiger Bewegung erhielt, fo lange das Gleichge- 
wicht der Glieder nicht aufgehoben wurde, war die 
Erhaltung des Ganzen gefichert: aber es drohete Auf: 
löfung ‚' als die ſchwachen NEIN des großen Karl 
an die Spike traten, 

Als unter Otto dem Erſten Herrmann Billing 
zum Herzog von Sachfen ernannt wurde, gehörte Hamburg 
als fachfifcher Dre zum Gebiete dieſes Herzogs. Der 
Kaifer verordnete weder Grafen mehr, noch Sendbo— 
sen, Die Grafen murden vom Herzog ernannt; Die 
bisherigen Gerichesfchöffen verloren ihr Anfehen, das 
fie als Beifiger Eaiferlicher Grafen befeffen hatten, ihr 
Nahme hörte allmaͤhig auf, das Collegium felbft wurde 
bepbehalten,, und erſcheint in der Folge unter der 
Benennung des Rathes, da ed nicht mehr Befehle, 
nur Rathſchlaͤge ertheilen konnte. Haupt und Vor— 
ſitzer dieſes Collegiums war der Vogt, der nach den 
Umſtaͤnden von den Grafen Dr vom Biſchof ernannt 
wurde, 

Schon zu den Zeiten der Karolinger flanden den 
Grafen die Biſchöfe zur Seite, welche mit jenen glei- 
ches Anfehen in Verwaltung und Richteramt theilten. 
Seder follte fich, nach Ludwigs I. Verordnung durch 
das Zeugniß des andern rechtfertigen, Beyde, Bifchöfe 
und Grafen, wurden von den Faiferlichen Sendbo— 
‚ten unterſucht; auch auf den öffentlichen Reichstagen 
mußten die Bifchöfe dem Kaifer Rechenſchaft ablegen, 
fobald er fie verlangte, Ihre Ernennung ſelbſt geſchah 


Bifchöfliche Gerichtsbarkeit, 29 


don den Kaiſern, wie Ludwig ausdrheffich erklärt, daß 
er durch fein Fonigliches Anfeben, jedoch mie Einmwil- 
figung der Geiſtlichkeit, den erzbifchöflichen Sig zu 
Hamburg errichter babe, Des Pabſtes Beſtaͤtigung 
durfte ihn der Folge um ſo weniger fehlen, da das 
pabjtliche Anſehen fich immer höher emvor ſchwang. Die 
Einfünfre der Bifchöfe befanden im Zehnten, wovon 
ein Theil zur Erhaltung und Zierde der Kirche, der 
andere zum Gebrauch der Armen und Reifenden; der 
dritte zum Unterhalte der Geiſtlichkeit verwendet wer⸗ 
den ſollte. Aber ſo wie ihr Reichthum, ſo vermehrte 
ſich auch ihr Anſehen, beydes in weltlichen und geiſt— 
lichen Dingen, Schon nach alter Verordnung hatte 
der Biſchof Macht, am Geifflichen und MWertlichen 
alles den Kirchengefegen gemäß zu verbeffern, Zu dem 
Ende bielten fie alljährlich ein fiharfes Gittengericht, 
die Send genannt, © Gie hatten ihre eignen Vogte 
(Advocati),; deren Amt war, Gerechtigfeit zu handha⸗ 
ben uber Kirchengue und Kirchenfnechee, und den Geiſt— 
lichen in allen Dingen Rath zu ertheilen. Alles, was 
dem Gotteshaufe angehörte, wurde aus der Pflege des 
‚Grafen genommen, und dem Vogte felbft aufgerragen, 
ſtatt des Grafen für das Stift den Heerbann zu or 
gen, wenn nicht diefer gar erlaffen ward, 

Die hamburgifche Kirche hatte ſchon Bifhof 
Unni durch einen: vortheilhaften Taufch, welchen er, 
unter Beguͤnſtigung des Kaiſers Heinrich I. mit einem 
Holichen, Nahmens Wallerich, zu Stande brachte, fehr 
bereichert , indem ihn durch denfelben neun Ortfchaften 
abgerreren wurden, deren: Nahmen nur fich jetzt nicht 


i 


30 Ermeiterung der Gerichtsbarfeie des 


mehr, beftimmen laſſen. Am meilten aber gewann das 
ersbifchefliche Anjehen durch Adaldag, der, ein Ver: 
wandter des Verdiſchen Biſochfs, früherhin Canzler 
oder Geheimſchreiber des Kaiſers Otto J., in deſſen 
Gunſt ſich ſehr feſt geſetzt hatte. Auch beſaß er 
Vorzuͤge, die ihn ſehr empfehlen mußten, Jugend, 
Schönheit der Geſtalt, Lebhaftigkeit und Schärfe des 
Geiſtes. Otto beffatigte ihm alfobald nach Befteigung 
des erzbifchsflichen Stuhls den Befis aller Güter; er 
ertbeilte ihm das Vorrecht, daß ſowohl die Teibeigenen 
als freyen Bauern feines Stiftes der weltlichen Ge: 
richtsbarkeit entzogen, und Tediglich dem erzbifchöflichen 
Bogte oder Schirmherr untergeordnet. feyn follten. 
Zugleich ward allen freien Leuten geftatter, fich nach 
Gurdünfen und mit Einwilligung ihrer nachiten Ver— 
wandten unter den Schuß und die Gerichtsbarkeit des 
Erzfliftes zu geben. Bremen wurde der Aufficht des 
Kaiferlichen Grafen ganz entzogen, und: die Stade mit 
alfen weltlichen Previlegien der Gerichtsbarkeit des Ham⸗ 
burgifch = bremifchen Erzbiſchofs unterworfen. 

Diefes Wachsthum der weltlichen Macht des Hams 
burgifchen Erzbifchoffes, deſſen Anſehen durch die ibm 
untergeordneten jütlandifchen Bischumer, zu welchen 
noch Oldenburg in Wagrien hinzu kam, immer bedevz 
tender wurde, mochte die Luft des Erzbiſchofs von 
Coͤlln aufs Neue reizen, die alten Anfprüche auf die 
Unterordnung der bremifchen Kirche zu erneuern. Aber 
obfihon des Kaifers Bruder, Bruno, damahls den 
erzbifchöflichen Stuhl: zu Cölfn inne hatte, verwarf 
Otto dennoch jene Anfprüche als unftatthaft, da: Die 


Hamburgifchen Erzſtifts. Adaldag's Tod 988, 31 


Hamburgifibe Kircbe, die fo vielen Gefahren ausgefest 
ſey, niche nur niche befchranke, fondern vielmehr erwei— 
tert zu werden verdiene, 

Derſelbe Adaldag war es, ber den Kaifer Otto 
im Sabre 961 nach Italien begleitete, das — nicht zum 
Vortheile Deutſchlands — der deutſchen Krone unter: 
mworfen werden follte, Parteiungen machten dem Kai— 
fer viel zu ſchaffen. Otto hatte einen bundbrüchigen 
Pabſt abgefegt, und dafür Leo VII. ernannt; kaum 
aber Rom wieder verlaffen, als die Römer den Leo 
verdrangten, und einen gewiſſen Benedict an feine 
Stelle fegten. Da kehrte Otto nach Rom zurück, Tief 
den Leo noch einmal ald Pabſt anerkennen, den Bene: 
die aber, nachdem ihm der Pabfimantel abgenommen, 
und der Stab vor den Füßen zerbrochen worden, übers 
gab er dem Adaldag zur Verwahrung, der fofort den 
Benedict nach Hamburg brachte, wo er in der Der: 
wahrung auch geftorben ift, im July 965. Adaldag 
erhielt fich in Gunft auch bey den folgenden Kaifern, 
und farb 988, 





32 Die herzogliche Verwaltung der Billunger, 


IL, | 

Die herzogliche Verwaltung der Billunger verbieß 
Anfangs mit Eraftiger und weiſer Leitung, fo wie dem 
geſammten Herzogthume, fo insbeſondere dem neu auf: 
lebenden Hamburg, ein fegenreicheg Gedeiben, Herr: 
mann ſelbſt, zuerſt nur Statthalter der fachfifchen 
Lande, aber nach Otto's Rückkehr aus Italien in der 
herzoglichen Würde beſtaͤtigt, erhielt ſich unwandelbar 
in dem ausgezeichneten Vertrauen feines Eaiferlichen 
Verwandten: — denn das Vorgeben Einiger, daß er 
aus niederer Abkunft ſich empor gefchwungen babe, 
beruht auf bifforifchen Irrthum. Sein großer Ber: 
fand, fein Ordnungsfinn, feine raſtloſe Thätigfeir, 
harten ihn dem Kaifer ſehr werth gemacht; daher 
bewirfte auch fein Tod auf dieſen einen fehr tiefen Ein— 
druck, fo dag er ihm ſelbſt bald nachfolgte, Beyde far: 
ben in demfelben Jahre 973. Die Frage, ob den Bil- 
lungern ein wirfliches Hecht der Erbfolge verliehen _ 
worden, oder ob nicht die deutſchen Kaifer ſtillſchwei⸗ 
gend in die Erbfolge eingewillige haben, bleibe aus 
Mangel an Urkunden unentfihieden, Wohl mag das 
Anfehn der Familie auf die Achsung der Provinz ſelbſt 
begründet gemelen feyn, Gewiß iſt, daß dem Herr 
mann fein Sohn Benno oder Bernhard I. in der 
herzoglichen Würde folgte, Auch er war dem Haufe 
der Ottonen getreu ergeben, und genof von ihnen 
ehrenvolle Auszeichnung, Als nachdes dritten Dtto 
Tode die Kaiferwärde auf den Herzog von Baiern, 
Heinrich. überging, (1002) verwahrte Benno auf 
der Berfammlung der fachlifchen Großen zu Werjeburg, 


% 


- 
Aufbluͤhen Hamburgs unter Bernhard I. 973. ff. 33 


wohin der jüngft gewählte Kaifer fich begeben hatte, 
mie edler Freymuͤthigkeit und Feſtigkeit die Rechte und 
Gefege feines Volkes und erft, nachdem Heinrich dies 
ſelben unverleße zu erhalten gelobt batte, ‚erflarte ihn 
Benno im Nahmen ſeines Stammes durch Darreichung 
der heiligen Lanze zum Koͤnige, und das Volk begruͤßte 
ihn mit dem gewöhnlichen Gluͤckwuͤnſchungszurufe. 
Wie wohlthätig der Fraftige Schuß der erften Her⸗ 
zoͤge der. Stade Hamburg geweſen ſey, erhellet dar 
aus, daß fie in alten Nachrichten ſchon zur Zeit des 
dritten Ot to ein wegen feiner Einkünfte von Schif— 
fen und Zöllen fehr nahrſamer und wohlhabender Ort 
genannt wird. . In. einer Verordnung, welche König 
Ethelred II. von England gab, der um biefelbe Zeit, 
im Sabre 979, zur Regierung kam, wird. der Kaufleute 
von Luͤttich und der. Leute des Kaifers gedacht, die 
mit ihren Schiffen nach London kamen. Den letztern 
wird erlaubt, einzukaufen, aber nur in ihren Schiffen, 
nicht auf dem Markte, um durch Verkauf den Preis 
der Warren nicht zum Nachtheil der Bürger von Lons 
Don zu fleigerne Ohne Zweifel waren Diefe Leute des 
Raiferd Feine andere, als Kaufleute. aus Hamburg, 
Bremen, Coͤlln und anderen Städten, Nur durch Fries 
den konnte ein ſo günftiger Verkehr gedeihen, Zwar 
fehlte es nicht an Neckereien der benachbarten Voͤlker⸗ 
ſchaften; aber Bernhard's tapferer Yrm feste den 
Zuͤgelloſigkeiten derſelben zur rechten Zeit Schranken. 
Sueno, des Harald Sohn, der wieder vom Chriſten⸗ 
thum abgefallen war, ſammelte alle uͤbrigen Heiden 
ſeines Landes, und griff ſelbſt ſeinen Vater Harald 
3 


34 Angriffe der Danen auf Hamburg. 


an, der verwunder nach Julin flüchtete, einer flawis 
fiben Handelgftadt samı baltifchen Meere, wo er bald 
an feinen Wunden ſtarb. Drauf fiel Sueno in 
‚ Schleswig ein, eben als Herzog Bernhard auf einer 
Keife nach Verona begriffen war, zerflörte das Big- 
thum, und der dortige Bifchof Eccard mußte fich nach 
Hildesheim Fluchten, Zu verfchiedenen anderen malen 
landeten raubfüchtige Dänen, und überfielen die am Meere 
wohnenden Friefen, Hadeler und Sachſen, tödteren 
manche, und führten andere gefangen hinweg. Wahr: 
fcheinfich find e8 diefe Horden, die von alten Erzäh- 
lern mit dem Namen der Aſcomannen, (verftimmelt 
aus Aifche Mannen,) bejeichner werden, Der dama- 
lige Biſchof von Hamburg, Libentiug oder Liuzo, 
der vor ihren Pluͤnderungen den Kirchenfcbag und 
andere bewegliche Güter in das Klofter Bukkum in 
Sicherheit brachte, belegte fie mit dem erzbifchöflichen 
Bann-Donner: aber mit wirffameren Maaßregeln tha⸗— 
ten der zurücfeilende Bernhard und fein Markgraf 
Heinrich diefen Angriffen Einhalt, fie erftiegen die 
Berfchanzungen der Dänen an der Eider, jagten fie in 
ihr Land zuruͤck, und befeſtigten die Be gegen ur 
ferneren (Berheerungen, 

Weit gefährlicher für das Herzogthum ER 
fen entwickelte fich faft mit jedem Jahre immer mehr 
und mehr ein anderer Kampf, mir den Slaviſchen 
und Wendifchen Bölkerfchaften, welcher diefe zuletzt 
bis in die Mitte des Landes herein zog, und auch der 
Stade Hamburg  insbefondere gar großes Verderben, 
bereitete, Vornehmlich feitdem die Kaiferwärde an das 


Erbitterung der Slaven gegen die Sachſen. 35 


ſaͤchſiſche Haus: gekommen war, hatte man fi gegen 
dieje Bölfer, welche zum Theil durch Ackerbau, zum 
Theil durch Handel im Wohlftande fich befanden, die 
haͤrteſten Bedruͤckungen erlaubt, Unter dem Vorwande, 
daf die Slaven Heiden wären, und gendtbiget werden 
müßten, in den Schooß der Kirche zu fommen, unters 
warf man ihre Provinzen Saͤchſiſchen Grafen und Fürs 
fen, zwang fie, nachdem man ihnen zuvor ihre Guͤter 
entriſſen, ibrem Göttern gutmwillig zu entfagen, oder 
beftrafte ihre Halsftarrigfeit mit Sflaverepy, — denn 
ſelbſt ihren ebrenvollen Rahmen mißbrauchte man, fo 
unmürdige Behandlung damit zu bezeichnen. Man 
ruͤhmt vom Herzog Bernhard I, daß er in feinem 
Berragen gegen diefe Volker Milde und Menfchlichkeie 
bewiefen, auch ſich mie der, Tochter eines Wendifchen 
Fürften vermahlt gehabt habe, Dagegen wird deſſen 
Nachfolger Bernhard II. Cfeit 1010) unerfättlicher 
Habſucht und fchnöder Mißhandlungen, die er gegen 
die unterworfenen Slaven geübt, faft einmuͤthig beſchul⸗ 
diget. Auch die uͤbrigen ſaͤchſiſchen Fuͤrſten, und ſelbſt 
die Geiſtlichen fanden nichts Entehrendes darin, treus 
los, hart und grauſam gegen die Slaven zu ſeyn. 
Der font billige ‚Merfeburger Biſchof Ditmar be⸗ 
hauptete ganz unbefangen, der Pohle müfle wie der 
Ochſe gefüttert, und wie der Ejel gefchlagen werden; 
demjenigen, der im der Faftenzeie Fleifch efle, ſey 
es beffer, daß ihm die Zahne ausgeriffen würden. Marks 
graf Gero lockte dreyßig flavifche Fuͤrſten im feine 
Nege, und Tieß fie fammtlich bey einem Gaſtmahl er 
fblagen, Wie hätten fie fo grobe Befchimpfungen 
5” 


36 Die Slaven unter Miftewoi 20, wuthen gegen 


mit Gelaffenheie und Tangerer Duldung vertragen Fön 
nen! — Einer ihrer angefehenften Fuͤrſten Miftevoi, 
Haupt der Obotriten, befaß den Ehrgeiz, die Ber- 
wandtin des fachfifcben Herzogs Bernhard, wer 
muthlich des zweyten) zur Gemahlin zu begehren, 
Auch erhielt er die Zufage, und verftarfte aus Danf- 
barkeit des Herzogs Befolge auf einem Zuge des Kai: 
ferd nach Italien mit taufend Reitern, Als er aber 
nach der Ruͤckkehr die Erfüllung der erhaltenen Zuſage 
begehrte, widerrieth fie mit fihnöden Worten Markgraf 
Diererich von Brandenburg: es fey nicht recht, eine 
chriſtliche Fürfkin einem wendiſchen Hunde beyzulegen. 
Da entbrannte der Zorn des Miftevoi um fo gluͤ⸗ 
hender, je groͤſſere Ergebenheit er, nicht mit Billigung 
feiner Landsleute, den Sachſen vorher bewieſen hatte, 
Der Hund fey doch wenigftens flarf genug, um zu 
beiſſen, Tieß er zurück melden, Er berief eine allge 
meine Verſammlung der wendifchen Fürften nach Meck⸗ 
lenburg, fielte ihnen die erlittene Befcbimpfung vor, 
und ein allgemeiner Aufſtand wurde befchloffen, Eine 
Berfchwörung gegen den Kaifer, im welche Herzog 
Bernhard verwickelt war, begünftigte ihr Vorhaben, 
Sie brachten ein zahlreiche Heer zufammen, durchzo- 
gen die flavifchen Länder, zerflörten überall die Kirchen 
und Klöfter, und alle Anflalten des Chriſtenthums, 
verjagten die Nonnen und Mönche, und übten gegen 
fie die ſchrecklichſten Graufamfeiten, Einer großen 
Anzahl. Mönche aus dem Bisthum Oldenburg wurde 
die Haut. Ereugmweife über dem Kopfe aufgefchnieten und 
berabgezogen, die Hirnſchaͤdel durchbohrt, und fo mit 


die Sachfen, Hamburg verwüflee 1012. . 37 


auf den Rücken gebundenen Handen wurden fle wie im 
Triumph berumgeführe und zu Tode gegeißelt, Mit 
erneuertem Angriff fielen fie fpaterbin aub in 
NRordalbingien ein, und übten gleiche Wuth und Graus 
famfeit: was durften fich Tosgelaffene Hunde nicht ers 
Tauben? Hamburg, als der Gig eines Erzbisthums, 
wurde befonderd ein Opfer ihrer ſchrecklichen Rache, 
die Stade wurde in einen Schutthaufen verwandelt, 
Geiftliche und viele Einwohner wurden in Gefangen: 
ſchaft foregeführe, und zu Sflaven gemacht, andere 
unter den ſchrecklichſten Martern getödter., So groß 
waren die Greuel diefer Zerfiörung, daß die Erzahs 
ler, melche von derfelben reden, niche umbin koͤnnen, 
ferbft die Gottheit durch ein Wunderwerf ihr Mißfallen 
darüber bezeugen zu Taffen; denn während der Ein: 
äfcherung der Stadt habe fich eine rechte Hand vom 
Himmel herabgelaffen, und fich mitten in den Flammen 
mit ausgeftrecften Fingern gezeigte, Angefichts des gans 
jen Heeres, und zum großen Schrecken deifelben. So 
unbeffimme und unzufammenbängend Die Zeitangaben der 
alten Chronifenfchreiber find, wenn fie von den ver- 
fehiedenen Aufftanden und Einfällen der gegen ihre 
chrifflichen Bedruͤcker zu bitter gereisten Slaven und 
Menden sprechen, fo ſtimmen fie doch in Berreff diefer 
Zerſtoͤrun Hamburgs uͤberein, welche im Jahre 1012, 
alſo während Bernhard II. Herzog yon Sachſen war, 
ſtatt gefunden bat, | 
Gerade inmitten dieſer traurigen Ereigniffe, es iſt 
ungewiß, ob in Folge derfeiben, ſtarb der damalige 
Erzbifchof Libentius, des Nahmens hier der erffe, 


4 


38 Bifchof Libentius J. ft. 1013. Darauf Unwann. 


den 4. Sanuar 1013. Inter ibm hatten fich die Gren: 
zen feiner Kirche von der Peene bis zur Schley, bie 
Schweden und Ißland hin erſtreckt; denn den Ißlaͤndern 
predigte damahls einer ihrer Landesleute, der in Nor: 
wegen befehre war, Nahmens Stephner, das 
Evangelium, Libentius felbit hatte bey feinen Leb— 
zeiten einen Geiſtlichen, Dddo, zu feinem Nachfolger 
beftimme gehabt, und die Wahl auf ihn geleiter; aber 
Kaiſer Heinrich verfagte feine Bewilligung, und er 
nannte eigenmachtig feinen Kapelan Un wann zum 
Erzbiſchof, den er fofore zu Magdeburg weihen ließ, 
einen Mann, der aus dem adlichen Gefcblechte der Im⸗— 
medinger herſtammte, angefehen , freygebig und pracht- 
liebend, mit großen Reichthuͤmern verfehen, welche 
dem zerfförten Hamburg, auch wohl nach des Kaifers 
Anficht, fegenreiden Nugen bringen Eönnten Als 
Guͤnſtling, befonders der Faiferfichen Gemahlin Rune 
gunde, gelang e8 ihm zuförderff, den Herjog Bern 
hard U. mit dem Kaifer wieder zu verföhnen, Cim J. 
1015,) Mit Heinrich’S Unterflügung gelang ed nun 
Diefem, die Slaven aus den fachfifchen Ländern zu ver: 
greiden, und die nächftwohnenden aufs Neue fich zins⸗ 
bar zu machen. Miftevoi ſelbſt kehrte zum Chriften- 
thum zurüc, und nahm, fey e8 nun, daß er feiner 
Fuͤrſtenwuͤrde von felbft entfagte, oder daß er aus 
dem Lande vertrieben worden, einen Aufenthalt zu 
Bardowyk. (Geft. um d. J. 1025.) Jetzt dachte man 
vor allen Dingen an den Wiederaufbau des zerſtörten 
Hamburgs, welcher durch Un wann's reiche Unter: 
ſtützung und durch Bernhard's tharige Beyhüͤlfe in 


Unwann's (ſeit 1013) Verdienfte um Hamburg. 39 


unermarteter Schnelligkeit befördert wurde, Die zer⸗ 
fireueren Einwohner verfammelten. ſich zu ihren Wohn 
plagen, Kirche und Klöfter wurden wieder aufgebauer, 
jedoch nur von Holz, wie die alten Erjabler aus⸗ 
druͤcklich bemerken; die Stade felbft erhielt ein regels 
mäßigeres Anſehen, fo daß fie von Schriftſtellern des 
eilften Jahrhunderts als die fchönfte Stade in Sachen 
nahmhaft gemacht iwird, Die groͤßten Verbienfte ers 
warb ſich Unwann dadurch, daß er durch Unterhands 
Jungen dem fachfifchen Lande an feinen nördlichen und 
öftlichen Grenzen Ruhe und Sicherheit zu verfcbaffen 
fuchte, welche: für die Erholung des Hamburgifchen 
Stiftes auch fo nörhig wear, So unterwarfen fich die 
flavifchen Fürften Uto und Sederich, auch mit dem 
König Kanut von Dänemark wurde ein Buͤndniß ger 
fchloffenz ale diefe Fürften Iud der Biſchof zu fich 
nach Hamburg, wo auch Herzog Bernhard fib auf 
hielt, um durch freundlichen Umgang das gute Ver 
flandniß und die fo noͤthige Ruhe des Landes zu be 
wahren, 

Daß ein Mann von ſolchem Anfehen und folchem 
Einfluß in feinen aufferen Umgebungen die bifchöfliche 
Würde mit befonderem Glanze zu zieren gefucht habe, 
iſt eben fo begreiflich, als verzeihlich, Man ruͤhmt die 
Pracht des Aufferen Gottesdienſtes bey feſtlichen Tagen 
„und Feyerlichkeiten, fo daß Unwann bey Prozeflionen 
auffer dem Herzog und dem ‚Grafen oft noch fieben Bis 
ichöfe und mehrere Aebte in feinem Gefolge gehabt 
babe, Nur laͤßt folche Pracht des. aufferen Chriſten⸗ 
thums, fo ſehr fie dazu beytragen konnte, daſſelbe in 


40 Stiftung des Domfapiteld 1015, 


den Augen der rohen Menge blendender und ehrfurcht- 
erregender zu machen, noch nicht überall auf Verbrei⸗ 
tung reinerer Grundfäße ſchließen, ja nicht einmal auf 
völlige Ausrottung des alten, groben heibdnifchen Aber? 
glaubend: Un wann ſelbſt fand noch in feinem Spren⸗ 
gel an zwolf dichte Haine, die heidniſchen Verehrungen 
gewidmet waren, und im diefer Abficht: fleißig befucht 
wurden; er ließ fies umbauen, und verwandelte fie in 
Betkapellen. Es mar ein langer ſchwerer Kampf des 


- Lichtes mit ber Finfternif, ehe die heidnifchen Opfer: 


greuel von demfelben verdrangt werden konnten! 

Wohl geſchah 88 in guter Abficht, daß Un— 
wann zur Verfaſſung des nachmals fo befannt ges 
mwordenen Domfapiteld die erfte Einrichtung traf. Er 
gab damit, mo nicht uͤberall zuerfi, doch unter den 
früheften, da8 Beyſpiel, das fehr willige Nachahmung 
fond, Immer waren bisher die Mönche der Klöfter 
und Domfkifter der firengen Regel (dem Kanon) des 
heiligen Benedictus unterworfen gewefen; Unwann ſon⸗ 
derte aus diefen zwoͤlf Manner ab, fagte fie von ihrer 
Mönchsregel los, und verpflichtete fie blos auf jenen 
Kanon, welcher lange Zeit vorher auf Ludwigs des 
Srommen Befehl, von einem Diakonus Amalhar ent 
worfen und auf. der Kirchenverfummlung zu Aachen 
816 Öffentlich -befiatiger worden war, Ahnen war ind 
befondere die Beforgung der von dem Scholaſticus ge⸗ 
leiteten Schule bei dem neu errichteten Dome anvertraut; * 
auch diejenigen, ſo durch Verfolgung zum Heidenthume 
abgefallen waren, zum chriſtlichen Glauben zuruͤckzu⸗ 
fuͤhren. Noch waren ſie damahls unter des Erzbiſchofs 


d 


| 
Spannung zwifchen dem Biſchof und dem Herzog. 41 


firenger Zucht, mie welchen fie auch zufammen wohn; 
ten, (daher Domberren genannt) oft zufaınmen fpeif’ten, 
von dem fie, im noͤthigen Fall, durch Schlage Zu ihrer 
Pflicht gemiefen werden konnten. Doch dauerte diefe 
Strenge nicht immer; ſchon zu Unwann's Zeit harten 
sie fich Weiber zugelegt, die fie unter deffen Nachfolger 
wieder von fich entfernen mußten, Auch das gemein: 
ſchaftliche Zufammenteben mit dem Bifchof hörte in der 
Folge auf, und ihr Kanon galt ihnen nicht als Lebens: 
vorfchrift, ſondern als Verzeihni ihrer jährlichen 
Gefaͤlle und EinfAnfte. Daher eiferte der ehrliche Chro⸗ 
nifenfchreiber Kranz: eim weltlicher Domberr fey ein 
Monftrum ohne Beiſpiel; er heiße regulire und Tebe 
ohne Kegel, ein Kanonikus ohne Kanon. 

Sp wohllautend inzwifchen und fo günffig für die 
Miederaufführung des verwuͤſteten Hamburg das Ber: 
haͤltniß zmwifchen dem Herzog Bernhard und dem Bir 
fbof Unwann gewefen war, fo fängt doch unter 
deffelben Herzogd Regierung die Spannung zwiſchen 
beiden Theilen immer fiehtbarer zur werben an. Je mehr 
ſich die Güter und das Anfehen der Geiſtlichen ver: 
“größerten, um ſo mehr hauften ſich auf der weltlichen 
Seite Feinde und Neider, So war e8 überall, Die 
Bifchöfe lehnten fih an den Schuß des Kaifers an: 
Dagegen wurden fie von den Herzogen als Faiferliche 
Spione besrachter, welche binterbringen müßten, was 
die Herzöge und Grafen unternahmen. Seitdem befon- 
ders die Kaiſerwuͤrde vom fächfifchen Haufe wieder an 
die Franken übergegangen war, (mit Konrad dem 
Salier, 1024) nahmen die fachfifchen Fuͤrſten, ohne⸗ 


*“ 


42 Die Bifchöfe Libentiug II: (1029) und Herrmann, 


bin mit den Kriegen gegen die Slaven viel befchaftiget, 
weniger Antheil an dem übrigen Deutfchland und die 
alte Eiferfucht gegen die Franken erwachte um fo flarz 
fer wieder, ein je größeres Uebergewicht über die Strände 
die fraͤnkiſchen Kaifer fich zu erringen firebten, mit 
je größerem Wohlgefallen diefe ſelbſt das wohlhabende, 
fruchtbare und veiche Sachſenland als ihr Eigenthum 
zu betrachten winfchten, Sich für diefe Plane mir den 
Bifchöfen zu verſtehen, mußte ihre angelegentlichfte 
Sorge feyn, fo wie diefe ihren Einfluß zu vermehren, 
feine bequemere Gelegenheit wuͤnſchen Fonnten, 

Noch brachen unter Unwann's Nachfolger, Liben: 
tius II. (1029) diefe Reibungen nicht hervor. Der 
Mann übte Mildthaͤtigkeit und gute Zucht und nahm 
befonders gerne feinen Aufenthalt in Hamburg, das 
wohlthätiger Nuhe genoß, die eine Gewähr mehr er: 
hielt, feitdem der Kaifer Konrad dem großen Könige 
Kanut von Dänemark in einem freundfchaftlichen 
Vertrage die Mark Schleßwig abgetreten hatte, bisher 
ein unnüßer Zankapfel zwifchen deutſchen und danifchen 
Dberberren, Uber bereits unter dem nachften Bifchof 
Herrmann fanden fib Spuren des lebhafter gemors 
denen Mißverſtaͤndniſſes, die auf etwas plumpe Art 
zum Vorfihein Famen. Herrmann, um fein Miffiond- 
gefchäft im Norden wenig befümmert, bielt fich Lieber 
in Bremen auf, und vergnügte fich dort mit Planen, 
die Stade mit Mauern zu umgeben, fo wie mit Ber: 
befferung des außeren Gottesdienſtes. Er war es, der 
den berühmten Benedickinermönd, Guido (Bei) von 
Arezzo, welcher ſich um die Vereinfachung der mufi- 


Bezelin Alebrand, (ſeit 1035.) 43 


kaliſchen Zeichen und die Verbefferung der Muſik übers 
haupt fo verdient gemacht bat, auch nach Bremen 
fommen ließ, um dafelbft die Kirchenmuſik, fo wie die 
Zucht und Drdnung in den Kirchen überhaupe einzus 
richten und zu verbeffern, Für vie übrigen Angelegen 
beiten feiner Diöces forgte er weniger und nach Ham⸗ 
burg kam er nur Einmal, in feinem Gefolge eine auf 
Plünderung ausgehende Krieger-Horde, welche bier, 
wie in feindlichem Gebiete, hauſete. Vielleicht aber 
widmete er größere Sorgfalt der Zubifdung feiner ihm 
untergebenen Geiftlichen; denn aus feiner Schule gingen 
zwey bedeutende Menfchen hervor, Svidger, nachma— 
figer Bifchof zu Bamberg, der nicht unmwürdig befun: 
den wurde, auf dem pabftlichen Stuhl berufen zu wer⸗ 
den, Cal Clemens IL) und der noch berühmter ge— 
worbene Adalbert, von dem fogleich noch weiter 
die Rede feyn wird, 

Es gelangte ingwifchen zur Bifchofswürde, Bezelin 
Alebrand, (1035) welcher Hamburg zu feinem Auf 


enthalt zu wählen vorzog, nicht ohne Vortheil für die 


Stadt, wenn ſchon mweniger nach dem Wunfche des 


Herzogs oder des hier anmefenden Grafen, Er mar 


Hug, geachter und gefürchter, angefehen bei Kaifer 
Konrad, wie bei deffen Nachfolger, Heinrich I. 
(1039), von beiden mit den einträglichften Privilegien 
begünftiget. Hamburgs Erweiterung und Befeſtigung 
lag ihm vorzüglich am Herzen. Sehr befonnen begann 
er mit den geiftlichen Anftalten. Die von Unwann 
nur. mit Holz erbauete Kirche mit ihren Umgebungen 
fieß er feit 1037 von Duadern aufführen, mit großer 


44 Berfehönerung des Doms, Die Wiedeburg. 


Pracht und in jenem ehrwuͤrdigen deutſchen Stil, der 
dem Zeitalter, in welchem das Münfter zu Straßburg 
aufgeführt wurde, angemeffen war, Einen Veberreft dieſes 
fchönen Dunderbaues glaubte ein unterrichteter Kenner 
noch am Anfange diefes Jahrhunderts, als der fpätere 
Dom noch ſtand, an der großen Halle, dem fogenann- 
ten Schappendome wahrzunehmen, welche die folgen- 
den Verheerungen der Stadt vielleicht uͤberlebte und 
durch ihre feſte und ſchoͤne Eonftruction aus feharfge- 
bauenen und mwohlgefugten Felfen von dem Teichteren 
Bau der Kirche und der Kreusgange fichtbar fich unter: 
ſchied. Mit einem forchen Bau war es im Ernſte dar- 
auf abgefehen, Hamburg zum bleibenden Giß des Erz— 
bischums zu machen. Darum ließ auch Bezelin an der 
Suͤderſeite des Doms ein nicht minder prachtiges Schloß 
aufführen, mit Thuͤrmen und Feflungswerfen reichlich. 
verfehen, noch außerhalb der Stadt, an dem jeßigen 
Kartrepel, (Rathedraltreppe) dicht am Ufer der Elbe 
fowohl um Teichterer Zufuhr willen, als in Gefahr 
raſch über den Strom zu entkommen, Noch im fechs: 
zehnten Jahrhunderte entderfte man große und merf- 
wirdige Ueberreſte dieſer Wiedeburg (weite Burg), 
wie fie in alten Urkunden genannt wird, Ja die ganze 
Stade wollte Bezelin mit Mauern und Thuͤrmen um- 
geben, wenn der Tod die Ausführung diefer Plane nicht 
vereitelt: haͤtte. (1043.) Nur dem Herjoge war nicht 
wohl bei diefem Umſichgreifen des Bifchöflichen Wir⸗ 
kens. Um wenigſtens gleiche Schutzwehr in die Wage 
fegen zu Fönnen, errichtete auch er, an der Norder— 
feite des Domes, unweit der Alfter, eine andere Burg, 


m » * ——— — 


1 


Die Alſterburg. — Adalbert (1043) 45 


(in der Folge gewöhnlich die alte Burg genannt) 
noch feiter und von größerem Umfang, fo daß fie vom 
Dome bis hin an die Alfter fich erſtreckte. Wie zwey feind: 
liche Weſen borfteten fo der geiftliche und der weltliche 
Dberherr, der eine im Süden, der andre im Norden, auf 
ihren. neuerbaueten Sitzen und lauſchten, wie im Hins 
terhalte, der eine auf des anderen Schritte, bereit, in 
jedem Augenblick zur Befehdung des Gegners hervorzubres 
then. Doch zum völligen Ausbruch Fam die Flamme diefer 
Eiferſucht erſt unter Bezelin's Nachfolger, Adalbert 
I, jenem merfwürdigen Manne, von welchem fein ber 
rebter Zeitgenoſſe, Adam von Bremen, paffend fich 
‚ausdrückt, es fen ſchwer von ihm zu reden, indem 
man das, was zu feinem Lobe vorgebracht werde, Teiche. 
als: Schmeichelei und das, was an ihm getadelt werde, 
als Verlaͤumdung anfehen könne, f 
Adalbert ſtammte aus einem. alten und, edlem 
Gefchlechte der Markgrafen von Meiffen. Gebildet in 
der Schule des Erzbifchofd Herrmann hatte: er ſich 
ſchon als deſſen Capellan drobend in Mienen und Ges 
behrden und mis bochfahrenden Worten bewieſen. In 
ibm vereinigten fich große und boͤſe Eigenfchaften im 
ſeltſamer Vermiſchung. Er mar ſchoͤn von: Gefkalt, 
geiftreich, beredt, keuſch und maͤßig. Er verwaltete 
feine geiftlichen Gefchäfte mit unuͤbertreffbarer Gewiſſen⸗ 
baftigfeit; Feiner ging ibm voran in dem Eifer, die 
chriſtliche Religion und die Herrfchaft der Kirche auf 
zubreiten, Sein durchdringender Geift war mit reichen 
Kenntniſſen geziere; fein Anſehen benuste er nie, jeman- 
ben der Geinigen durch fremde Gnade zu erheben; feine 


nr" u; — 


46 Adalberts Charakter und Plane. 


Freygebigkeit gegen Duͤrftige und Verlaſſene und ge⸗ 
gen ſolche, von welchen er Vortheil fuͤr die Kirche zu 
erlangen hoffte, kannte keine Grenzen. Derſelbe war 
demuͤthig gegen Arme und Pilgrime, ſo daß er nicht 
ſelten dreißig und mehreren ſelbſt die Fuͤße wuſch, und 
bei dem Waſchen niederkniete, aber gegen die Fuͤrſten 
und Großen eiferte er in ſchonungsloſen Worten und 
fuchte fie, auf welche Weife es fey, zu demuͤthigen. 
Zugleich war er eitler Ehre unmafig zugerhan, fFolz 
und prablerifch, und ſtets unruhigen Geiffes, der über 
neuen, ungemeffenen Planen brüter, weder mäßig im 
Gluͤck noch im Unglück, fo daß er fich in jenem niche 
vor Uebermuth, in diefem nicht vor Niedergefihlagen- 
heit und unbandigem Zorne bewahren Fonnte, 

Kaum war er zurerzbifchöflichen Wuͤrde gelangt und 
zu Aachen unter großen Feyerlichfeiten geweihet -mor- 
den, als er ſich naher an den Kaiſer Heinrich II. an: 
ſchloß, im deffen Gunft er fich fo einfchmeichelte, daß 
er von ihm in allen wichtigen Angelegenheiten zu Rathe 
gezogen wurde, Er begleitete denfelben auf feinen Zü- 
gen nach Ungarn, Flandern und Stalien und es Ing 
bei feiner Anmefenheit in Rom 1046 nur an ihm, zum 
Pabſte erhoben zu werden; aber er ſchlug die Würde 
aus, da feine Entwürfe auf den Norden gerichter wa— 
ven. Nach feiner Rückkehr aus Italien Iud er den 
Kaifer ſelbſt zu fih nach Bremen, unter mancherley 
Borwand,. doch mehr wohl noch, um durch fihlau er: 
fonnene Hinterliff die Treue des Herzogs Bernhard und 
feined Bruders, Grafen Dithmar, dem Kaifer ver: 
dachtig zu machen, welches ihm fo gut gelang, daß 


Adalberes Charakter und Plane, 47 


der Graf, von einer angefchuldigten That fich zu reini- 
gen, den Zweikampf erwählte, im welchem er von 
einem Faiferlichen Kriegsbedienten getoͤdtet ward. Dies 
entzundete den Haß des Herzogs und feiner Söhne zu 
unaustöfchlicher Rache, alfo daß Bernhard fich Taut 
äußerte: fo lange er oder einer feiner Söhne lebte, 
folle der Bifchof Feine ruhige Stunde haben, Adalbert 
hingegen, um diefe Drohungen unbefümmert, arbeitete 
im Stillen an der Entwicfelung feines Planes, der auf 
nichts geringeres gerichtet war, ald auf die Errichtung 
eines nordifcben Patriarchats, zu deſſen Haupt: 
fiß er Hamburg beſtimmt hatte, Am fein Anfeben 
in Norden fühlbar zu machen, wagte er es zuerff, den 
Daͤniſchen König Swend Eſtrith ſon mit der Strafe 
des Kirchenbannes zu bedrohen, weil ſich derſelbe mit 
einer ſchwediſchen Prinzeſſin Gunilde, einer nahen 
Blutsverwandtin, vermaͤhlt hatte, Obſchon er aus 
Furcht vor den Drohungen des gereizten Koͤnigs, der 
lieber vom Chriſtenthum als von feiner Gemahlin Taf 
fen wollte, von Hamburg nach‘ Bremen fluͤchtete; fo 
gelang es ihm doch mie Beyhülfe des Pabſtes, ven 
König dahin zu bringen, daß er fich von feiner Ger 
mahlin trennte, Schon Tange waren die danifchen 
Könige der Abhangigkeit von dem erzbifchöflichen Stuhle 
zu Hamburg. überbrüßig 'gemefen: was Wunder, daf 
jetzt beſonders der Wunſch noch dringender erneuert 
wurde, ein eigenes Erzbisthum in den eigenen Staaten 
zu errichten. Man ahndete nicht, daß mir dieſem Ber 
fangen ’ den ehrgeisigen Abfichten Adalberts nur eine 
neue Stufe gebauer würde, - Wirklich erklaͤrts er ſich 


20,7 a4 » —— —— 


48 Adalbert's beabſichtigtes Patriarchat ꝛc. 


zur Anerkennung eines daniſchen Erzbisthums bereit, 
wenn ihm und ſeiner Kirche das Patriarchat bewilliget 
und beſtaͤtiget wuͤrde. Auſſer den daͤniſchen hatten 
noch zwoͤlf andere Bischumer demfelben untergeordnet 
feyn ſollen. Um diefe einzurichten Vegamm-es- (om 
Damit, eigenmachtig und ohne des Kaifers Zuthun das 
Bisthum Oldenburg in drey Stifter, Oldenburg, Rage: 
burg und Mecklenburg Cfpater Schwerin) zu zertheilen. 
Auf den Ankauf verfihiedener Graffihaften, die zu Big: 
thuͤmern beftimmt waren, verwandte er beträchtliche 
Summen; um Friesland an fih zu bringen, fchonte er 
feibft der Heiligthuͤmer feiner Kirche nicht. Er lebte 
genz in diefen Planen, und traumte fich in deren Voll 
führung um ſo ficherer hinein, als feine Schmeichler, 
Traumdenter und Wahrfager, von welchen er flars 
umgeben war, mit Erdichtungen aller Are ihn Darin 
zu beſtaͤtigen ſuchten. 

Srctoͤhrend kam dazwiſchen zuerſt der Tod des Pab⸗ 
ſtes Leo IX., 1054, auf deſſen Beyſtand er vorzüglich 
gerechner hatte, Bald darauf, im J. 1056. flarb auch 
Heinrich IL, und es, folgte die unruhevolle Reichs⸗ 
verwaltung wahrend der Minderjaͤhrigkeit Heinrichs 
IV. und deffen nachfolgende mit nicht geringeren Stür: 
men bezeichnete Regierung. Hanno von Mainz, und 
Adalbert flritten fich um den Vorrang, die Erziehung 
des Prinzen und die Reichsverwaltung zu beforgen, 
Doch gelang es dem letzteren endlich, fich des jungen 
Heinrichs ganzlich zw bemeiffern, und nach. feinen 
Brundfagen ihn aufzuziehen. Auch nachdem er, um 
demſelbgꝛ mehr Anſehen zu verſchaffen, 1065. zu 


⸗ 


Bernhard IE ff, 1061, Sein Sohn Ordulph. 49 


Worms ihn hatte wehrhaft machen laſſen, blieb er 
deſſen Rath und Begleiter, und praͤgte ihm ſeine 
Grundſaͤtze tief ein. Dahin gehörte, daß er ihm die 
Fuͤrſten, vor allen die ſaͤchſiſchen Grafen und Herzoge 
bey jeder Gelegenheit als Feinde der Koͤnige und der 
Kirche ſchilderte, und Heinrich's Haß und Verachtung 
gegen dieſelben zu erwecken ſuchte. Darum reizte er auch 
die Erbitterung jener alſo gegen ſich, daß ſie endlich den 
jungen Kaiſer zu Ingelheim zwangen, den Adalbert von 
ſich zu entfernen, und ihn feinem Schickſale zu uͤberlaſſen. 

Schon waͤhrend dieſer Zeit hatte Adalbert von den 
ſaͤchſiſchen Fuͤrſten manche Neckerey verfahren müffen, 
Herzog Bernhard Il ſtarb 1061. Ihm folgte in 
der herzoglichen Würde fein Sohn Ordulph; der 
anderen Sohn Herrmann theilte als Graf mit jenem 
die Erbgüter des Vaters. Beyde waren viel troßir 
geren Gemüthes, als der Vater, und haften den Bir 
ſchof mir jugendficher Leidenfchaft. Schon bey Lebzeis 
ten’ des Baterd waren fie in die zum Bischum Bre⸗ 
men gehörigen Frieſiſchen Lander eingefallen, und hats 
ten vielen. Unfug angerichter : den Verzbifchöflichen 
Bannftrahl verachteten fie; auch: der andere Berfuch 
Adalberts, die beyden Brüder zu entzweyen, wollte 
nicht gelingen,» Unter dem Vorwande, daß wie Stadt 
und Kirche zu Hamburg auf der weitlichen Seite gegen 
die feindlichen Anfaͤlle der Heiden nicht binlanglich ges 
fhüge fey, ließ nun der Erzbischof auf dem Suͤllen— 
berge, anderthalb Meilen vom Hambnrg (bey dem 
jegigen Dorfe Blankeneſe) den: Wald ausbauen, und 
eine Feſtung darauf errichten, womit eine Probftey und 

4 


Di 


so Zwiſtigkeiten zwiſchen Adalbert und den fachf. Fuͤrſten. 


ein Klofter vereinige werden ſollten. Solcher Beften 
hatte der Bifchof im feinem Sprengel mehrere anlegen 
Laffen, nach der frankifchen Kaifer Sitte, worüber die 
Sachfen wiederholt bittere Beſchwerden führten. Da 
die Beſatzungen diefer Schlöffer ferbft für ihre Nabe ' 
tung forgen mußten, fingen fie an, die, fo ‚fie befchügen 
follten, zu berauben, So verübte auch die Mannfchaft 
auf dem Süllenberge in der Umgegend folche Aus: 
” fchweifungen, daß die Stormarn fich zufammen rotte- 
gen, und, vielleicht nicht ohne Unterfiügung des Herzogs 
Or dulph, das neu aufgeführte Raubfchloß wieder zer 
ſtoͤrten, unbeſorgt der. Bannflüche, welche der Zorn des 
Biſchofs uͤber fie herabſchleuderte. Dennoch trauete der 
Herzog der Macht des Biſchofs ſo wenig, daß er noch 
ein anderes Schloß dicht vor der Stadt errichten ließ, 
Die fogenannte neue Burg, welche noch in dem Nah⸗ 
men der jegt die Nündung jenes Schloffes einnehmen: 
den Straße dem Gedaͤchtniſſe fich erhalten hat. 

Zu diefer feindfeligen Stellung kam nun noch das 
Mißgeſchick, das den Biſchof Adalbert 1066 traf, als 
er von den Fürften des Reichs faſt gewaltfam ge— 
zwungen wurde, den Faiferlichen Hof zu verlaffen. Er 
hatte fich nicht fobald nach Bremen geflüchter , ald die 
fächfifchen Fürften über feine Güter herfielen, wie über 
eine Preis gegebene Sache, Befonders entriß ihm Graf 
Magnus, Herzog Ordulph's Sohn, eine Veſte, ein 
© Befisthum nach dem andern, und ſchloß ihn ſelbſt in Bre⸗ 
men ein, fo daß er kaum Gelegenheit fand, auf einen 
feiner Meyerhöfe zu entrinnen, um vor feinen Verfol⸗ 
gern fich daſelbſt zu verbergen, 


Berbeerung Hamburgs durch die Wenden, 1066, 51 


Dieſe inneren Zwiſtigkeiten benugten die Dbotriten 
zu einem neuen Einfall im dierfächfifchen Lande, ver 
von den wildeften Verheerungen begleitee war. "Die 
Veranlaffung dazu war Gottſchalk, Uto's Sohn, 
Miſtevoi's Enkel, welcher, in feiner Jugend vom Herz 
309 Bernhard als Geiffel in das Kloſter zu Limeburg 
gebracht und da erzogen, nach feines Vaters Tode mit 
Unterſtuͤttzung der Danen und Sächfen ein großes Wen⸗ 
difches Reich geftiftet, und dem Schutze der fächfifchen 
Herzoge untergeordnet hatte, Nicht nur bewieß er den 
größtem Eifer , uberall das Heidenthum vollends zu ver⸗ 
tilgen, fondern auch deutſche Sitten und Einrichtungen 
allgemeiner unter den Seinigen einzuführen. Dies erbit- 
terte die Gemüther der wendifchen Völferfchaften, es ent⸗ 
fand ein allgemeiner Aufruhr, und Gottſchalk wurde zu 
Lenzen in der von ihm erbaueren Kirche gerade waͤh⸗ 
vend des Gottesdienſtes, dem er felbft vorſtand, Aber 
fallen und ermordet, (7. Junii 1066,) : Seine Gemah— 
lin, eine danifche Prinzeffin, wurde nach ſchmaͤhliger 
Beſchimpfung aus dem Lande gejagt, Der Aufitand 
verbreitete » fich nun allgemein, man wuͤthete gegen 
‚alles, was ıchrifilich war, befonderd gegen Prieſter und 
Biſchoͤfe; der Mönch Ansverus wurde mie mehreren 
anderen vor Rageburg zu Tode gefteiniger, Johann, 
Bifchof zu Mecklenburg, gemißbandele, verſtuͤmmelt 
und enthauptet. Das Gebiet um Hamburg inde 
beſondere wurde mit Feuer und Schwert verwüſtet, 
und die von Bernhard IT. erbauete Alſterburg bis auf 
den Grund niedergeriſſen. 

Diefe mir folcher Gemalt fich haufenden Unfaͤlle 
. U ha 


. 52 Abdalberts letzte Berfuche und Tod, 1072. 


verfegten den Adalbert in einen Gemuͤthszuſtand, der 
an Wahnſinn grenste, und von feinen Feinden mit der 
Verwandlung des gedbemüthigten Nebukadnezar's ver: 
glichen ward, Um dieſe Zeit geſchah es, daß er 
die Tage durchſchlief, die Naͤchte durchwachte, daß 
er die Wahrheit haßte und Traͤumen und Tand 
nachhing, daß er den Armen ihre Almoſen entzog, 
und ſein Geld an Reiche verſchleuderte, daß er 
Unſchuldige beraubte, Gotteshaͤuſer zerſtoͤrte, ſich 
ſelbſt durch harte Worte und Thaten entehrte, und 
uͤberhaupt ſich fo betrug, daß weder er noch an— 
dere wußten, was er wollte oder was er nicht 
wollte, Rur in einem blieb er ſich mit klarem Bes 
wußtſeyn gleich, im feinem Haſſe gegen die fachfifchen 
Zürften und in Verunglimpfung berfelben bey dem 
Kaifer, auf welchen er, troß feiner Entfernung , feis 
nen Einfluß nicht fo ganz verloren haste, Graf Mag: 
nu8 hatte fich in dieſer Zeit an den angefehenen und kraͤf⸗ 
tigen Herzog Otto von Bayern, Heinrich’8 heftigen _ 
Gegner, angefchloffen: der Kampf aber wurde ungleich, 
weil Otto von feinen früheren Verbündeten fich verlaffen 
ſah. Beyde, Otto und Magnus, mußten fich unterwerfen, - 
und wurden eine Zeitlang gefanglich aufbewahrt. Nur 
Otto wurde nach Verlauf eines Jahres in Freyheit ges 
feßt, Magnus hingegen zu Iängerer Gefangenichaft vers 
ureheilt, nicht ohne Mitwirkung des Bifchofs Adalbert, 
der die Zwifchenzeit Flüglich benutzte, fich wiederum in den 
Befig aller verlorenen Kirchengüter einzuſetzen. Schon 
war er auch mwieber am Hofe erfibienen, und alle 
früheren Lieblingsplane, insbefondere die Errichrung des 


” 


Zwiefache Zerftörung Hamburgs durch d. Wenden. 1072. 53 


nordifiben Patriarchats lebten im feiner Seele 
aufs neue wieder auf, Aber den vielfachen Anftrengungen, 
den fich ſtets haufenden Widerwärtigfeiten unterlagen end; 
lich feine Krafte. Bon einer ſchweren Krankheit über: 
fallen, doch immer noch die Hoffnung des Lebens nah: 
vend, ſtarb er faſt einfam und von allen feinen Freun⸗ 
den verlaffen, nur von feinem unglücklichen Kaifer 


betrauert, an dem er bis zu dem letzten Augenblick mir 


fefter Treue gehangen, dem er auch noch feine Kirche auf 
das dringendfte empfohlen hatte, zu Goslar am 16. Marz 
1072, im fiebzehnten Jahre der Regierung Hein: 
richs IV. Hi 

Aber Adalberts Tod war nicht das einzige Un: 
glück, melches in diefem Jahre den erzbifchöflichen 
Eis zu Hamburg traf. Denn in eben daffelbe Jahr 
fallt die furchtbare zwiefache Verheerung Hamburgs 
und deſſen Gebieres, durch den Wendiſchen Tyranıen 
Krufo, welcher, mie Ausſchluß der beyden Söhne 
Gottſchalks, Buthue und Heinrich, zum König der 
flavifchen Voͤlker erwähle worden war, Die ganze 
Stade, Kirche und Kloſter wurden zerfiört, und die 


durch Bevölkerung und Anbau ſchon fehr belebte und 


bluͤhende Gegend umher in eine Einöde, verwandelt, 
Das Land war nun ohne Schuß und Hülfe, Nordalbin⸗ 
gien blieb am die dreyßig Jahre hindurch in der Gewalt 
der Slaven, welche befonders gegen die Chriften mit 
Harte und Grauſamkeit verführen, Mehrere hundert 
holſteiniſche Familien verließen ihre Heimath, gingen 
über den Elbfirom, und fiedelsen fich, um den Berfolgun: 
gen- ihrer Feinde niche fürder Preis gegeben zu feyn, in 


54 Ordulph's Tod 1073. Herzog Magnus, 


den Gegenden: der Harzwaͤlder an, allwo noch fpäter- 
hin -ihre Nachkommen gefunden wurden. Don diefer 
Zeit an beginnt der Einfluß und das Anfehen der ham— 
burgifchen Erzbifchöfe über den nördlichen Theil ihres 
Sprengeld, wie begreiflich, immer ſchwaͤcher zu wer: 
den; man dachte zugleich darauf, den erzbifchöflichen 
Sitz aus diefer fo oft geangfketen Gegend hinweg, und 
auf immer nach: Bremen zu verlegen, woraus zwifchen 
den bhiefigen Kapitel und dem Bremer Stifte ein lang 
mwieriger Rangffreit entſtand, welcher erft viel fpater 
durch einen gegenfeitigen Vergleich gefchlichter wer⸗ 
den Fonnte, 

Im naͤchſtfolgenden Jahre feit jener furchtbaren Ver⸗ 
Kia Nordalbingiens ſtarb auch Herzog Ordulph, 
der wegen feiner ungluͤcklichen Kaͤmpfe gegen die Sla— 
ven zuletzt bey ſeinen eigenen Leuten tief in der Achtung 
geſunken war. Sein Sohn Magnus befand ſich 
damahls noch in kaiſerlicher Gefangenſchaft und ſollte 
ſeine Freyheit nur erhalten, wenn er dem vaͤterlichen 
Erbe und dem Herzogthum entſagen wollte, nach dem 
alten Plane, dem ſchon Heinrich III. entworfen und 
Adalbert weiter entwickelt hatte, das ſchoͤne Sachfen 
zum ‚unmittelbaren Föniglichen Lande zu machen, Stand» 
haft verfagte Magnus feine Einwilligung, um fo 
mehr, da ein neuer Aufftand der angefehenften Fürften 
des Reichs, an deren Spitze Otto von Bayern fand, 
Dem Kaifer den Untergang drohete. Graf Herimanı, 
des verſtorbenen Herzogs Ordulph Bruder, eroberte 
Luͤneburg, und ließ dem Kaiſer melden, daß alle Kriegs⸗ 
gefangenen mit dem Leben buͤßen ſollten, wenn nicht 


Magnus kehrt im feine Provinzen zurüch, 1088, 55 


feines Bruders Sohn alfobald im Freyheit und in den 
Beſitz feines väterlichen Erbes wieder eingefeßt wuͤrde; 
eine Forderung, welche zu bewilligen, wie ungern es auch 
geſchah, der Kaifer durch die Umſtaͤnde fich gezwungen 


ſah. Die nachfolgenden Bewegungen und Unruhen in 


BR 


Deutfchland zogen den Herzog Magnus aufs neue 
in den Strom der Begebenheiten hinein; er gerieth 
zum zweytenmal in des Kaifers Gefangenfchaft im der 
Schlacht bey Langenfalga, (1075) harte faft zum drit⸗ 
tenmale bey Mellrichſtadt daſſelbe Schickſal gehabt, 
und verföhnte fich erſt fpäterhin mit dem Kaifer, mag 
eine ganzliche Unterwerfung der Sachfen zur Folge 
hatte, im 3. 1088, Nun erft konnte er auch daran 
denfen, die nördlichen Lande feines Herzogthums von 
den fihmweren Bedruͤckungen der Slaven zu befreyen, 
Schon früher hatte des ermorderen Wendenfürften, 
Gottſchalk's, Altefter Sohn Buthue ihn um Hülfe 
erfucht, und mit 600 wohlbewaffneten Mannen das 
Schloß Plön in Befis genommen, aber fie wurden von 
Kruko eingefchloffen, und als Feine weitere Hülfe erfchien, 
fiel er ſelbſt mie den Seinen einDpfer der Treuloſigkeit. 
Bald darauf aber landete Gottſchalk's zweyter Sohn, 
Heinrich, in Verbindung einer Geſellſchaft daͤniſcher 
und wendiſcher Seerauber, an der Kuͤſte von Wagrien, 
verjagte den Krufo, fo dag fich diefer- zu Friedensvor⸗ 
fchlägen gezwungen ſah, ließ ihn dann mir Einverffand- 
niß ber jungen Gemahlin deffeiben, Slavina, einer 
pommerfchen Prinzeffin, bey der Tafel ermorden, hey: 
rathere die Wittwe und überredete durch fie die wendi— 
ſchen Stämme, ihm zu sehorchen, Doch leiſtete er 


56 Siege über die Wenden, Die nordifchen Kirchen machen 


dem fachfifchen Herzoge Magnus, ber ihm in feinen 
Unternehmungen benygeftanden haben mochte, den Eid 
der Treue und entiagte allen ferneren Anfprüchen auf 
kordfachfen. Zwar griffen die weſtlichen Wenden, die 
das Heidenthum vercheidigen wollten, abermahls zu 
den Waffen; aber Heinrich erfoche über fie, mit Hülfe 
des Herzogs Magnus, bey Smilow (jetzt im Lauen- 
burgifchen) einen fo vollkommenen Gieg, daß er 
als König des Wendenlandes anerfannt wurde und 
auch die öftlichen Stamme fich unterwarfen. 

Es iſt niche wahrſcheinlich, daß in fo umficherer 
Zeit das in Trümmern liegende Hamburg zu vorzuͤg⸗ 
lichem Anſehen fich wieder habe erholen können. Die 
Erzählung eines nicht fehr bedeutenden Vorfalls, der 
in diefe Zeit gefegt wird, gedenkt bloß der umliegenden 
Gegend von Hamburg, wo allerdings einzelne Inſaſſen 
fih erhalten haben mochten. Eine Notte flavifcher 
Kauber, den Midianiter-Horden ähnlich, trieb aus 
diefer Umgegend das Vieh hinweg und ſchleppte Die 
Bewohner mit fich fort in Gefangenſchaft. Ein Graf 
Gottfried, der ihnen nachfegte, fiel in zu hitziger 
Verfolgung in einen Hinterhalt und wurde getoͤdtet. 
Wahrſcheinlich war dieſer Graf nach der Befreyung 
Nordalbingiens uͤber dieſe Gaue vom Magnus geſett 
worden. 

Auch von Seiten der Biſchoͤfe ſcheint damahls für 
die unglückliche Stadt wenig gethan worden zu ſeyn. 
Liemar, Adalberts Nachfolger, pflegte als ein eben 
ſo eifriger Anhänger des Kaifers denfelden auf allen 
ſeinen Zügen zu begleiten und kuͤmmerte fich um feine 


fich unabhangig v. 9. Erzbisthum. Magnus ft. 1106, 57 


Diöces nur, wenn er im berfelben feine Einkünfte vers 
mehren zu koͤnnen glaubte. Ein voreiliger Bannſtrahl, 
auf den danifihen König Erich J. (Egothe zubes 
name): gefchleudere, hatte nur zur Folge, der miß— 
‚bebaglichen Abhangigkeit der nordifchen Reiche von 
dieſem erzbifchöflichen Stuhle den Iegten Gtoß zu 
geben; uud da auch der naͤchſte Bifchof, Humbert, 
(von 1101 biß 1104) ed mit großer Gleichgültigkeie 
geſchehen Tieß, daß mir den Damen die norwegiſchen 
und ſchwediſchen Könige fich im dieſer Abſicht immer 
näber vereinigten, kam endlich unter dem Erzbifchof 
Friedrich (1104 bis, 1123) die Abfonderung der 
nordifchen Kirchen von dem hamburgiſchen Erzſtifte 
völlig zu Stande. Lund in Schonen wurde zum 
erzbifchöflichen Sige im Norden erhoben, und fogleich 
der zu Hola in Island zuerft ernannte Bifcbof Jonas 
Damund unmittelbar von Rom aus. nach Lund zur 
Drdination verwiefen, Me 

Herzog Magnus ſtarb im J. 1106 ohne mann: 
liche Leibeserben und das Herzogthum Sachſen fiel an 
das Keich zurück. Nur zwey Töchter hinterließ er, 
Wulfhild und Elife, von welchen jene mie dem 
bayrifchen Prinzen Heinrich aus. dem Haufe der 
MWelfen vermable ward, welches dadurch zu dem 
Beſitz der billingifchen Erbgüter gelangte; Die jüngere 
beyratbete Otte von Ballenftäde, deffen Nachkommen 
‚fo große Gegner des welfiſchen Haufes geworden find; 
Mit dem erfedigten Herzogthume Sachen aber belehnte 
Kaifer Heinrich V. (fein unglücklicher Vater mar in 
demfelben 1106. Jahre gefforben,) den mächtigen Gra- 


58 Lothar von Supplinburg Herzog von Sachſen. 


fen Lothar von Supplinburg, and dem Witte  - 


findifchen Gefchlechte, nachmaligen zweyten Kaifer die 
ſes Nahmens: und mit dieſem Herzoge beginnt ein 
neuer Abſchnitt für die Gefchichte Hamburgs, das wir, 
fo viel verfprechend die Ausfichten waren, bie: fich mit 
der erfien Verwaltung der Billinger für daſſelbe eröffner 
tem, jeßt bey dem Erlöfchen diefes Stammes faft wie 
der in ganzliche Unbedeutenheit und Vernichtung hinab: 
gefunfen erblicfen müffen, Adam von Bremen, Zeit 
genofle dieſer Dinge, nannte Samburg vor der, 
legten Zerflörung die bluͤhendſte und wohlhabendſte 
Stadt des ganzen Herzogthums; Handel und Gewerbe 
ſchienen ſich in dieſer Zeit entwickelt zu haben; zur 
Erweiterung und Verſchönerung der Stadt hatte Kaiſer 
Heinrich IV. ſelbſt die reichften Geſchenke dargeboten, 
Hdalbert batte es zu feinem  Lieblingsfig erkohren 
gehabt; und alle diefe glänzenden Hoffnungen wurden 
durch die letzten Ereigniffe fo ganz in Trümmer dahin 
geworfen. Wie im prophetifchen Beifte troͤſtete Adal- 
bert kurz vor feinem Hinfcheiden die zerflörte Stadt 
mit den Worten der Bibel: „Sey fröhlich, du 
Unfruchtbare, die du nicht gebierefi, und 
brich bervor und rufe, diedu nicht ſchwan— 
ger bift: denn die Einfame bat viel mehr 
Kinder, als die den Wann bar,‘ vomse 





Die Schauenburger, Grafen yon Nordalbingien, 59 


III. | 

Mit der neuen Beftallung des Herzogthums Sach—⸗ 
fen durch Lorhar von Supplinburg gebe in den 
Angelegenheiten Hamburgs eine fehr wefentliche Veraͤn⸗ 
derung vor und die Geſchichte der Stadt gewinnt nicht 
allein an innerem Zuſammenhange, ſondern auch an 
Wichtigkeit und anziehenderem Inhalte. Die Biſchofe, 
welche ſchon ſeit Liemars Zeiten nur als Bifchöfe 
von Bremen fich zu unterzeichnen pflegten, obfcbon 
fie deshalb ihre Anfprüche auf den bifchöflichen Stuhl 
zu Hamburg nicht aufgaben, verlieren immermehr von 
ihrem Einfluffe und Anfeben und ibre Geſchichte nimme 
von fegt an einen untergeordneten Rang ein, wahrend 
das immer Fräftiger und freudiger aufblühende ſtaͤdtiſche 
Leben und die allmahlig zu fefter Geftaltung fich ganz 
von Innen heraus entwickelnde Freyheit unfere Auf: 
merkfamfeie vorzüglich in Anfpruch nimmt, 

Herzog Lothar, die Schwierigkeiten fühlend, 
die nordalbingifchben Gegenden wider die beftändigen 
Anfälle der unruhigen wendifchen Völker zu befchügen, 
faßte den Entſchluß, einem Edlen von Muth und 
Anfehen diefe Provinz als ein von ihm abhangiges 
Lehn zum Schuß und zur Regierung zu übertragen, in 
ſolchem Verhaͤltniß namlich, daß diefer von ihm ald 
Lehnsherrn beftallte Vafall ihm eben fo untergeordnet 
fey, wie er, Lothar, den Kaiſer als feinen Lehnsherrn - 
berrachtere. Er übertrug demnach diefen nördlichen 
Theil feines Herzogthums dem Grafen Adolph IL 
von Schauenburg, mit demiald Adolph dem 
Erſten die neue Reihe der Grafen von Holffein, 


— 


60 Adolph I. Graf von Holſtein ꝛc. 


Stormarn und Wagerland beginnt. Als den Stamm: 
vater. dieſes Gefchlechtd nennt die Gefcbichte einen . 
Adolph, Herin non Santersleben, der den Kaiſer 
Konrad I. auf feinen Kriegszuͤgen begleiter haste, 
und für die demfelben bewiefene Treue und Anhaͤnglich⸗ 
keit mie Dem Nitterfihlage belohnt worden war. Vom 
Biſchof zu Minden erhielt er dem Berg mie dem 
Thale gefchenft, die fich Tangs der Wefer vom Haus: 
berge bis gen Baſſinghauſen hinziehen, damahls der 
Neffelberg am Suͤntal (Sonnenthal) genannt. Auf 
diejem Berge erbauete er fich eine Burg, die er von 
jenem Bifchofe zum Lehn nahm, und Kaifer Konrad 
erhob ihn im J. 1030 auf. dem Keichstage zu Minden 
in den Grafenfland, und Iegte ihm von jener weit 
in. das Land hineinfchauenden Burg den Nahmen 
Schauenburg bey, Deffen Sohn Adolph, dem num. 
die Berwaltung Nordalbingieng übertragen morden war, 
entfprach gänzlich dem Vertrauen, das Lothar in 
ibn gefeßt hatte, Durch den Auf feiner Tapferkeit fo: 
wohl, als durch fein kluges Benehmen gegen die benach- 
barten wendifchen Fürften wußte er dem Lande Frieden 
zu erhalten, und benutzte dieſen dazu, die Spuren der 
festen Verheerungen, welche Hamburg durch fie erlit⸗ 
ten hatte, moͤglichſt zu vertilgen, Die leeren, öden Ge— 
genden, zu deren Anbau es fogar an Menfchen fehlte, 
wieder zu bevölfern, fand fich um dieſelbe Zeit fehr 
günftige Gelegenheit, In den Niederlanden hatten 
große Ueberſchwemmungen aufferordentlichen Schaden 
angerichtet, Damme durchbrochen, Wohnungen zer- 
feört, und Menfchen und Vieh waren ein Raub der 


Niederfändifche Kolonien in Nordfachfen, 61 


Flurben geworden. Der Mutb, fie wieder aufzubauen, 
entfanf den Entronnenen; viele verließen ihr Waters 
land, und fuchten andere Wohnfige. Da wendeten fie 
fich in die einft vorzüglich von den Slaven befeffenen 
Lander, am Tiebften in die Marfcbgegenden, die noch 
Niemand einzudeichen verftanden, und fo kamen mehrere 
im andere Provinzen fowohl, als insbefondere nach 
Holftein und Wagrien, übernahmen Marfchlander, 
Sümpfe, Brüche und öde Gegenden zum Anbau, und 
febloffen mit den Eingefeffenen darüber beftimmte Vers 
gleiche ab, Der Bersrag, den ſchon der bremifch- 
bamburgifche Erzbifibof Friedrich 1106 mie ihnen 
errichtete, diente den Nachfolgenden in diefer Gegend 
zur Richtſchnur. Wie fie als freye Leute kamen, fo 
ließ man ihnen, gegen beffimmte Abgaben, den freyen 
Beſitz der Grundſtuͤcke und die Freyheit ihrer Perfon. 
Mehrere folgten ihrem Zuge und: von diefer Zeit an 
finden wir die vielen Holländereyen, mis weichen im 
Niederfachfen ein befferer Anbau der Feldfluren und als 
gemeinerer Wohlftand anhebt. Daß die Bewohner der 
reichen Eldinfeln, die noch beutiges Tages fo viel 
Eigenthuͤmliches in Sitten und Kleidertracht und ſelbſt 
in ihrer: Sprache haben, von jenen aus Flandern, 
Friedland und Holland gekommenen Anfiedlern abſtam—⸗ 
wen, leider fchon der Aehnlichkeit halber feinen Zweifel, 
welche diefe Landleute in Körperform, Tracht und 
Gebräuchen noch jege mit den Nordkollandern gemein 
haben. Doch befondere Aufmerkſamkeit widmete der 
Graf Adolph der Stade Hamburg felbft, die er fich 
zu feinem Sig und zur Hauptſtadt der ganzen Provinz 


- / 


62 Adolph's I. Berdienfie um Hamburg, ff. 1130, 


erfohren hatte. Durch den Wiedernufbau der feit 1072 
wüfte gelegenen Domfirche erwarb er fich den 
Nahmen eines zweyten Gtifters und getreueften Wohl 
thaters von Hamburg: das ift daffelbe Gebaude, mel: 
ches in der Folge von Adolphs Nachfommen vollendet 
und, zu: einem der ſchoͤnſten Denfmahler der Baufunft 
ausgeführt, Bis im den Anfang Diefes Jahrhunderts 
ſich erhalten hatte, in welchem endlich mit ſo vielen 
anderen großen und heiligen Erinnerungen der Vorzeit 
auch diefe hinweggeraumt worden iſt. Selbſt Adolphs 
Gemahlin erwies fich ſorgſam für dad Wohl der Stadt, 
indem fie die zerfförte Alfterburg wiederum aufrichten 
und aufs Neue befeftigen Tief, zum Schug und zur 
Desfung gegen feindliche Ueberrumpelung. 

Adolph Cgefl. um das J. 1130) hatte zwey 
Söhne, deren alteffer Hartung, ein ſtreitbarer 
Mann, auf einem Zuge, auf welchem er dem Kaifer 
(1126) nach) Böhmen "begleitere, bey einem plößlichen 
Veberfall der Feinde erfchlagen wurde, Daher folgte 
in der Regierung der jüngere Sohn, Adolph IM. 
oder ald Graf von Holſtein, Stormarn und MWagrien 
der zweyte, ein Mann von ausgezeichneten Eigenſchaf— 
ten und Kenneniffen, ſelbſt in der Iateinifchen und flavi- 
fiben Sprache wohl bemandert, da er früherhin zum 
Kiofterleben erzogen worden war⸗ Auch feine Sorge 
ging zunachft dahin, in der ihm anvertraueren Provinz 
die Merfmahle der Verheerung und des heidnifchen Aber: 
glaubens, welche die Slaven hinterfaffen hatten, zu 
vernichten, Bebilflich war ihm darin befonders der 
kluge und thatige Birelin, ein Geifilicher, der auf 


Adolph IL. Graf von Holfkein ꝛc. 63 


die Fürfprache des bremifchen Biſchof's Adalbert 
II. 1136 die Erlaubniß erhalten hatte, unter den Sta 
ver frey und ungehindert das Chriftenehum zu predi⸗ 
gen. Anfangs: hatte er Lübeck, das fibon damals 
ein angefebener BWaffenplas der Oborriten war, zu 
feinem Aufenthaltsorte gewaͤhlt, nachher erbauete er 
eine  Berfapelle und ein Klofter an dem. flavifchen 
Grenzorte Faldern, nachmahls Neumünfter ger 
nennt, Inls Pflanzſchule zur weiteren Beförderung feines 
wohlthärigen Wirkens. Seine Predigten über die wich- 
eigften Lehren des Chriffenehums, vom Leben nach dem 
Tode, ıvon der Beflerung des Wandeld, zogen eine 
Menge: Zuhören berbey aus der umliegenden Gegend, 
die Famen, zu hoͤren den neuen Lehrer des Wortes und 
des ewigen Lebens, und, wie eine alte Chronik fich 
ausdruͤckt, bereueten ihre Sünde, alfo daß auch viele 
ehrwuͤrdige Geiffliche und gelebrre Männer dem Vicelin 
fich zufügten in Orden, Regel, Kleidung und beiligem 
Leben. Auf feinen Rath geſchah es, daß Lothar, 
‚welcher ſeit 1125 zum deutichen König erwahlt wor: 
den war, auf dem Alberg in Wagrien eine Burg auf: 
führte, und am Fuße des Berges eine Kirche und ein 
Kloſter erbaute, dem mehrere umliegende Dorfſchaften 
untergeben wurden, Das iſt die nachmalige Siege⸗ 
burg oder der Segeberg, wie ſich jetzt dieſer 
Nahme erhalten hat. Wer hat uns dieſen Berg dem 
Kaiſer verrathen, ſprachen die Wenden unter einander, 
als der Bau unternommen wurde? Sieheſt du dort das 
kleine, verachtete, kahlkoͤpfige Maͤnnchen, Vicelin, ant⸗ 
wortete einer; der bar es gethan um des Wortes willen. 


64 ° Albrecht der Bar. Heimich von Badewide. 


Durch die Verhältniffe des Reichs wurde inzwi— 
fchen die Lage des Grafen Adolph II. fehwieriger 
und verwicelter, Als Lothar, Herzog von Sachfen, 
zur Würde eines deutſchen Königs erhoben worden 
war, hatte er das Herzogthum feinem mächtigen Eidam; 
dem bayerifchen Herzog. Heinrich dem Hoffartigen 
übertragen. Dagegen erklärte Lothar's ehemaliger Neben: 
buhler, der ihm jet nachfolgteauf dem deutſchen Throne; 
Konradlll, (1038), daß Ein Herzog nicht zwey fo bedeu⸗ 
tende Leben befigen koͤnne, entriß dem Heinrich in Folge 
der daraus entffandenen Mifhelligfeiten beyde Herzog: 
thuͤmer, und fprach Sachien dem Albert von Bar 
lenſtaͤdt, Markgrafen von Brandenburg, zu, der 
unter dem Nahmen des Baren bekannt iff, » Albert 
mußte fih durch Gewalt der Waffen den Beſitz Des Herzogz 
thums zu erkaͤmpfen ſuchen, und als dies gelang, belehnte 
er mit Nordalbingien den Grafen Heinrich von 
Badewide, aus dem Geſchlechte der Grafen von 
Orlamuͤnde, dem alfo Adolph IL, der feinem Herrn 
mit Treue ergeben blieb, eine Zeitlang weichen mußte 
Doch dauerte diefer Wechfel nicht lange. Schon 1139 
kehrte der vertriebene Heinrich, der bey den Sachſen 
fräftige Unterffügung fand, zurück; in feinem Gefolge 
Graf Adolph Il, und Heinrich von Bademwide ver- 
mochte bier im Norden nicht langer zu widerſtehen. 
Er verließ Hamburg, nachdem er dafelbft das von 
Adolphs Mutter wieder aufgebauete Alfterfchloß in einen 
Schutthaufen verwandelt und auch die Siegeburg zerftört 
harte; Adolph hingegen kehrte in feine Grafſchaft zus 
ruͤck und nahm aufs Neue in Hamburg feinen Wohnſitz. 


— 


Adolph U. wieder Graf von Holſtein ꝛc. 65 


Aber in demſelben Jahre und noch vor gaͤnzlicher 
Beendigung des Krieges mit dem Kaiſer ſtarb der 
Herzog Heinrich der Hoffaͤrtige, oder wie ihn 
andere nennen, der Großmuͤthige, und hinterließ 
einen zehnjaͤhrigen Sohn Heinrich, der in der Folge 
wegen feiner mannhaften Kraft und Tapferkeit der 
Löwe zubenahme wurde. Adolph wäre dadurch bald 
um die Früchte feiner jüngften Anftrengungen gekom⸗ 
men, denn die verwittwete Herzogin Gertrud, uns 
eingedenf der von demjelben ihrem Gemahl bewielenen 
Treue,‘ begünftigte mie befonderer Vorliebe den kuͤrzlich 
erft aus Nordalbingien vertriebenen Gegner Adolph’g, 
Heinrih von Bademwide, und nur durch die mit 
Enefchloffenheit und Nachdruck. vorgebrachten Gründe 
von der ‚Gerechtigkeit feiner guten Sache gelang «8 
dem Grafen, im Beſitz feiner Provinz ſich zu behaup- 
ten. Der Badewider wurde mit dem Lande der Pola— 
ber entfihädiger, d.h, mit der Grafſchaft Ratzeburg, 
allwo er. auch zuerfi die Domkirche erbauete und das 
Kapitel errichtete 1157. Adolph aber erwieß fich 
wahrend der Minderjährigfeit des jungen Herzogs im 
der Verwaltung feiner Grafſchaft eben fo einſichtsvoll, 
flug und umfichtig, als tapfer und treu gegen feinen 
Lehnsherrn. Bor allem ‚ließ er die zerflörten Veſten 
wieder aufbauen und ſtaͤrker machen, das Schloß 
Segeberg fiellte er: fihleunig wieder her, und umgab 
ed mit einer feſten Mauer, auch Lübeck, das im 
J. 1139 von einem Ruͤgiſchen Fuͤrſten dem Erdboden 
gleich gemacht worden wars bauere er an einer andern 
Stelle, zwiſchen der Trave und der Wackenitz wieder 


5 


— 


66 Adolph's IL, Verwaltung wahrend der 


auf, fo daß es fihnel zu neuem Wohlftand fich erhob, 
and Rauflente von allen Orten, befonderd aus den 
nordifchen Gegenden, berbey 309, dort ihr Gewerbe zu 
treiben. Die benachbarten, noch ziemlich menfchenlee- 
ven Gegenden des verbeerten Wagriens befeste er 
gleichfalls, nach dem Beyfpiele feiner Vorganger und 
des damaligen Biſchofs Adalbero (1123-1148) mit 
en Coloniften. Gegen Beunruhigungen 
von auſſen ſchuͤtzen oft weniger fefte Mauern und Bur- 
gen, als Fluge Vorficht und meife Berträge. Adolph 
war befonders bemüht, mie den benachbarten flavifchen 
Dberhauptern in gutem Vernehmen zu: leben, und 
ſelbſt als 1148 gegen den Fürften Niklot von dem 
bremiſchen Bifehof, den fachfifchen Hergogen und an 
deren Fürften und Herren ein Kreuzzug unternommen 
wurde, ſcheint er im feinen Verhaltniffen zu Niklot 
mehr feiner Klugheit gefolgt, als den Pflichten feiner 
chrifflichen Mitffreiter eingedenf gemwefen zu feyn. Der 
Zug blieb wegen lineinigfeit der Führer ohne bedeu- 
tende Folgen; in einem Vergleiche verfprachen die Wen- 
den, das Chriftenehum anzunehmen, womit es ihnen 
wenig Ernſt war; Adolph aber erneuerte fein Buͤnd⸗— 
niß mit Niklot, wovon er für feine Provinz ungleich 
gröfferen Bortheil erwartete, Es leidet feinen Zweifel, 
daß er auch mit den benachbarten daͤniſchen Koͤnigen 
in friedlichem Verhaͤltniß ſich zu erhalten fuchte, und 
er leiſtete ſogar in den damaligen Streitigkeiten der 
daͤniſchen Prinzen Sueno Grothe und Kanut, Mag— 
nus Sohn, dem letzteren tapfern Beyſtand: wenn aber 
der wackere Gare, dem wir die aͤlteſte Geſchichte der 


Minderjabrigfeie Heinrich’8 des Loͤwen. 67. 


danifiben Könige zu danken haben, zugleich auch an- 
führe, Adolph fey dem folgenden Könige Waldemar 
lebnspflichtig geweien, fo Liege diefer ohnehin nur 
flüchtigen Angabe entweder ein Mißverſtaͤndniß zum 
Grunde, oder jener Ausdruck kann nur etwa auf einige 
liegende Gründe, die der König ibm vielleicht zurı Lehn 
übertragen hatte, bezogen werden, da von einer Lehns⸗ 
pflichtigkeie in Bezug auf die ganze Provinz, befonders 
damahls, nicht Die Nede feyn konnte; | 

Heinrich der Löwe war ingwifchen heranges 
wachien mit Kraft und Muth, und mie dem heftig 
feurigen Sinne, welcher die Welfen auszeichnet, am die 
eigene Verwaltung feines. Erbes getreten. Der hoch⸗ 
fahrende Juͤngling konnte es nicht verfihmersen, daß 
Baiern in dem Beſitz eines Anderen (des Markgrafen 
von Oeſterreich) bleiben ſollte; auf dem Reichstage zu 
Frankfurt 1147 trat er keck hervor und verlangte faſt 
drohend ſeines Erbes Wiedergabe; denn, rief er, hat 
mein Vater gefehlt, warum ſoll ich, der Sohn, es 
büßen? Kaiſer Konrad mußte ihm zu beruhigen 
ſuchen und fah fich weiterhin genöthigt, den braufenden 
Geiſt des jungen Herzogs durch Waffen im Zaume zu 
halten, Am böchiten ſtieg fein Anfeben unter dem 
nachfolgenden Kaiſer Friedrich dem Rothbart, 
(2152) welchen er auf feinen Zügen nach Welſchland, 
jenen unglüsffeligen Unternehmungen eines ungemeffenen 
Ehrgeizes, begleitete und; durch die weientlichiten und 
kraͤftigſten Dienfte ſich fo verpflichtete, Daß er dem 
Kaifer perfonlich. lieb ward und von ibm zugleich als 
- Beweis des Dankes erbielt, daß Baiern wieder mit 
Er 


68 Adolps II. Streitigkeiten mit Heinrich d. Lömen, 


Sachſen vereiniger wurde, So war Heinrich naͤchſt 
dem Kaiſer der erſte und machtigfte Fuͤrſt in Deutſch— 
fand und feine Stelfung erſchien der Ruhe des Ganzen 
nicht wenig gefahrlich. Zunaͤchſt nun trachtere er, feine 
Macht in feinen Erblandern nach innen und außen zu 
verarößern und zu erweitern. Da durch das ſchnell 
beförderte Auffommen der Stade Luͤbeck feine Stadt 
Bardomwif, bis’ dahin bluͤhend durch Handel und 
Verkehr, anfıng in Verfall zu geratben, auch durch Die 
vom Grafen Adolph zu Oldeslohe neuerdings ange: 
legte Salzſiederey des Herzogs Salinen zu Lüneburg 
litten, verlangte er vom Grafen, ibm miche mur 
die Hälfte der Stade Lüberf, fondern auch die neu 
angelegten Salzwerke abzutreten: denn wir dürfen es 
nicht ertragen — aufßerte er — daß um fremder Bor: 
theife willen die Erbfchaft unferer Vater zertruͤmmert 
werde, Als der Graf, im Gefühl feiner Rechte, ſich 
der Erfüllung folcher Forderungen weigerte, ‘gab der 
Herzog wirklich Befehl, daß zu Luͤbeck nichts verfauft 
oder gefauft werden .folle, als Nahrungsmittel; die 
Kaufmannswaaren Tieß er mit Gewalt nach Bardomwif 
Bringen und die Salzquellen zu Oldeslohe, in’unebier 
Yufwallıng der Leidenfchaft, verſtopfen. Adolph aber be: 
nahm fich auch im diefer ſchwierigen Sache mit Ver: 
ffandigfeit, ertrug, was er nicht vermeiden fonnte und 
gab nach, fo weit es die Umſtaͤnde erheiſchten. As 
Luͤbeck im J. 1157 durch eine ſchreckliche Feuersbrunft 
in Afche gelegt wurde, errichteten die muthlos gewor⸗ 
denen Buͤrger, die bey Adolph wenig Unterſtuͤtzung 
fanden, unter des Herzogs Beguͤnſtigung eine neue 


' 


und Bergleichung. Kriege gegen die Slaven. 69 


Stade im Lauenburgifcben an der Wackenitz, unweit 
des jegigen Luͤbecks, und nannten fie. die Lömwenftadt; 
da aber die Lage derfelben dem Handel wenig gunftig 
war, überließ Graf Adolph dem Herzoge die alte Brand- 
ſtaͤtte, die Loͤwenſtadt wurde abgebrochen und auf der 
vorigen Stelle Lüberf wiederum aufgebauet. Dies 
föhnte die beyden Fürften für immer mit einander ang, 
Heinrich befeßte fein Luͤbeck mie  bandelsverflandir 
gen Planzbürgern aus den pommerfcben Handelsitadten 
Julin und Demmin, und die junge. Stade erhob  fich 
raſch zu fchöner Fülle gedeiblichen Lebens. 

Mie ſtaͤrkerem Nachdruck, als feine Vorfahren, 
erneuerte Heinrich den Kampf gegen die wendiſchen 
und flavifchen Voͤlkerſchaften, welche, wie bartnädig 
fie fih auch widerſetzten, doch immer. mehr dem fach? 
fifchen Joche fich unterwerfen mußten. Einer ihrer 
Fürften antwortete dem Herzog, als er ihn zum Chris 
ſtenthum ermahnte: der Gott, der im Himmel ift, fey 
dein Gott, und du fey unfer Gott, ehre du den erſten 
und wir wollen dich ehren, Denn nur zum: Druck 
wurde ihnen die Wohlthat des Chriftenehums auferlegt, 
Aber Heinrich verfuhr mir Raſchheit und Gewalt, vers. 
theilte das eroberte. Land unter feine Kriegsmaͤnner, 
bevölferte e8 durch Deutfche und Niederländer, errichz 
tete Bisthuͤmer und befeste dieſelben  eigenmachtig, 
noch bevor er vom Kaifer dazu Bellatigungsrecht er⸗ 
halten hatte, ein Reizungsmittel der Eiferſucht und 
des Haſſes, womit die geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten 
fo eingreifende Gewalt betrachteten und verfolgten. 
Auch mit den Daͤnen verband er ſich zur Unterjochung 


70 Adolph IL. fälle im Treffen bey Demmin 1164, 


der Wenden, vielleicht auch, um feiner Macht noch 
größere Unabhängigkeit und Gelbftandigfeit zu ermwer- 
ben. Graf Adolph II. Teiftere dem Herzog auf allen 
diefen Zügen getreuen Beyftand und befiegelte feine 
Treue gegen ihn ferbft mit dem Tode, E3 war im 
Jahre 1164, als Adolph mit einer fächfifchen Heerab— 
theilung zwo Meilen von Demmin ſtand, allwo ſich 
Pribislav mir dem Kern der ſlaviſchen Voͤlker ver: 
ſchanzt hatte; Heinrich, welcher mit dem uͤbrigen Heere 
und den Proviantwagen nachfolgte, zoͤgerte lange, ſo daß 
bey Adolphs Leuten Mangel eintrat und die Troßknechte 
ausgeſchickt werden ſollten, den Herzog aufzuſuchen. 
Eben als dieſe In der Morgenfruͤhe aufbrachen, entdeck— 
ten ſie ein Heer der anruͤckenden Slaven, eilten in das 
Lager zuruͤck und weckten durch lautes Geſchrey die 
Uebrigen. Graf Adolph, der mit ſeinen Holſteinern 
und Dithmarſchern ſchleunigſt entgegen eilte, hieb ihr 
erſtes Treffen nieder und trieb ſie bis zum nahen See; 
als aber das zweyte Treffen heranruͤckte und wie ein 
Berg ſich über die Sieger warf, da fielen bie 
Zapferiten bes fachfifchen Heeres und unter ihnen Graf 
Adolph, Das ganze Lager der Sachfen wurde den 
Slaven zur Beute, Zwar eneriffen die berbeyeilenden 
Grafen Singer und Chriftiern den Plündernden den 
Sieg wieder aus den Handen und erbeuteten das Lager 
aufs Neue, aber Heinrich beweinte mit gerührter Theil: 
nahme den Tod feines getreuen Grafen und verlaugnete 
auch im wilden Gewühl des Kampfes nicht die fihöneren 
Gefühle der Menſchlichkeit, des Helden edelſte Zierde. Zu 
mehreren Zeiten herrſchte die Vorſtellung, es ſey fuͤr das 


Vormundſchaftliche Regierung der Mechtildis ꝛc. 71 


hoͤchſte Ungluͤck zu achten, nicht im heimiſchen Lande beſtat⸗ 
tet zu werden; daher pflegten auch damahls die Fuͤrſten 
und Großen unter den Deutſchen die Koͤrper der Gefal— 
lenen auszuſieden und ihre Gebeine in die Grabſtaͤtten 
ihrer Vaͤter bringen zu laſſen. So geſchah es, als 
eine verheerende Seuche in Italien in Friedrichs Heere 
1167 mehrere auch der angeſehenſten Fuͤrſten hinweg— 
raffte. So that jetzt Heinrich mie dem Leichnam 
des Grafen Adolph: er Lie denfelben in Stücfen zer: 
bauen, auskochen und bereiten, damit feine Gebeine 
nach Minden gebrachte werden Fonnten, allmo fie neben 
einem Altar, den der Herzog felbft geftifter hatte, feyer- 
lich beygeſetzt wurden, 

Graf Adolph hinterließ einen 8 minderjähriz 
gen Sohn, Adolph IIl., über welchen anfangs die 
grafliche Wittwe Mechtil dis, mie dem Beyfkande 
zweyer bewaͤhrt gefundenen Mönner Bruno, eines Prieiterd 
in Oldenburg, und des Grafen Marcrad, die VBormund- 
fihaft verwaltete, Da aber der Herzog Heinrich mit 
Recht beforgte, daß es unter den damaligen fchmwierigen 
Umftänden des Fraftigen Schuges eines Mannes be 
dürfe, fo fegte er an die Spige der voarmundfchaftlichen 
Regierung den Grafen Heinrich von Drlamünde, 
einen thatdurſtigen, tapfern Mann, der mit dem jungen 
Grafen ſelbſt verwandt war, und diefe Wahl erhielt 
den Beyfall der Grafin Mechtildis fo fehr, daß fie fich 
bald darauf mie ibm vermahlte, Doch ſtarb auch er 
gerade zu der Zeit, als die Verwirrungen in: Sachfen 
immermehr überhand nahmen, - und der innere Krieg in 
beffen Flammen aufloderte, 1178. 





2 Hamburg gewinnt an innerem Wohlftand 


Wie fehr unterdeffen die Stade Hamburg an 
aufferem Umfange ſowohl, als an innerem Wohlftande 
zugenommen baben müffe, erhellet aus mehreren Anga- 
ben, Wenn einer alten Nachricht zu trauen iff, und 
es find Feine erheblichen Gründe vorhanden, die Wahr: 
beit derfeiben verdächtig zu machen, fo verordnete Herzog 
Heinrich fihon 1152 dafelbft die Gilde der Kramer 
und Gewandfchneider, (Tuchhaͤndler) der angefe- 
henſten Dansfacturiften in früher Zeit, die ihre eigenen 
Fabrikate durch ganz Deutſchland verkauften, wodurch 
die Stadt bereichere, und fie felbft zu den wohlhabend- 
fien Bürgern erboben wurden, alfo daß aus ihrer Mitte 
noch weiterhin viele im Rathe, viele in den bürgerlichen 
Collegien jagen, Aus diefen Gewandſchneidern fließt 
der Urfprung der Hamburg fonft fo fremdartigen kauf: 
maͤnniſchen Amtsverfaffung her, die fich fpäter in meh— 
rere Aeſte theilte und andere Memter bildete, unter 
welchen dies ältefte, wie fehr auch jeßt die hamburgi⸗ 

ſthen Tuchfabriken berabaefommen find, ald ehrbare 
Societaͤt vor den übrigen den Vorrang behauptet. 
Wie die Stadt von ihrem alteften Kern aus, der 
Anhöhe beym Berge, die zuerſt befriediger und bebauet 
war, ſich rings bin weiter verzweigt und vergrößert 
‚babe, geben die Straßen, welche von da, oft unregel- 
maßig und in vielen fibiefen Winfeln ausgeben, fo wie 
ihre bezeichnenden Benennungen genugfam zu erfennen ; 
Die .meiften derfelben führen die Nahmen von Hand- 
werfern und Gewerben, die Schmiedefiraße, mit dem 
untern Theile der Sattlerſtraße, die Filter- (Filger- 
oder Hutmacher ) Strafe, die Pelzerſtraße, von den 


und aufferer Vergröfferung, Die Neuftade;, 73 


Pelzern bewohnt, Coder Weißgerbern, die fich zu den 
Kürfchnern balten,) weiterhin die Garbraderfirafe und 
der Brodfchrangen, bald auch Fam die Reichenſtraße, 
von ihren reichen Bewohnern fo genannt und unter 
diefem Nahmen befannt ſchon im dreyzehnten Jahrhun— 
derte ꝛc. Der Aufbau der Petri⸗Nirche, davon zuerſt 
im J. 1195 unter dieſem Nahmen beſtimmte Erwaͤh— 
nung geſchieht, iſt unſtreitig in dieſe Zeit zu ſetzen, 
ſpaͤter etwas, als die von Adolphs J. Gemahlin wies 
der aufgebauete Alſterburg von Heinrich von Bader 
wide, Grafen von Drlamünde, verwuͤſtet worden, (1139) 
Aber die Stade hatte ſchon damahls über das Peeri- 
Kirchfpiel binaus fich erweitert, Da wo Herzog 
Drdulph 1063: gegen den Biſchof Adalbert die neue 
Burg erbauer batte, fiedelten fich mehrere ringsum am 
und es entfiand eine befondere Neuftadt, da die Gegend 
zum Handel mit den Bewohnern des jenfeitigen Elbs 
ufers noch weit bequemer gefunden wurde. Wahrend 
der vormunbdfchaftlichen Regierung der Gräfin Mech: 
tildig, feit 1164, brachte e8 der Gerichtdvogt oder 
Biürgermeifter Wirad dahin, daß jene Burg nieder: 
‚geriffen und gefchleift wurde; den erledigten freyen 
Pas vercheilte er in Wohnerben und raumte fie theils 
den ſchon in diefer Gegend anfaßigen, theild den hieher 
fih begebenden Kaufleuten und neuen Anfiedlern zur 
Wohnung ein, Bald war der Pag mic mehreren 
Haufern, Gaffen und Waarenlagern angefülle, und es 
entftand die Nothwendigkeit, für die hiefigen Bewohner 
eine, befondere Berkapelle zu errichten Dies geſchah 
jwifchen den Jahren 1164 und 68, Die Schwierigkeiten, 


4 Auflehnungen der geiſtlichen und weltlichen 


weiche das hamburgiſche Domkapitel Dagegen vor: 
brachte, wurden durch Vermittelung des Ersbifchofg 
Harımwich in Bremen beſeitiget. Man. meihere die 
Kapelle, wegen der großen Anzahl der dort anfommen- 
den Schiffe, dem heiligen Nikolaus, dem Schuß- 
patron der Geefahrer. In der Folge mehrten ſich die 
Gaffen in diefer Vorfiade fo fehr, Daß fie dem eigent- 
lichen Hamburg an Größe nahe Fam, ihr eigenes Rath: 
haus erhieft und an thätigen und begüterten Bürgern 
die Altſtadt zu uͤbertreffen fchien, 

‚Wahrend diefer Entwickelung buͤrgerlicher Thaͤtig⸗ 
keit und Betriebſamkeit, die ſtill und geraͤuſchlos das 
innere Mark des öffentlichen Lebens naͤhrt und pfleget, 
erhob fich von außen mancher Sturm des milden 
Kampfes, doch nicht minder geeignet, das geiltige 
Leben zum Bewußtſeyn zu entfalten und zu meilerer 
Anwendung und Hebung zu Tautern und zu ſtaͤhlen. 
Heinrichs des Löwen Macht war meitreichend und 
umfaffend, für feinen hochffrebenden Geift auffordernd, 
fie immer weiter zu. verpreiten.- Auſſer feinen beyden 
großen Herzogthümern, Bayern und Sachfen, beſaß 
er fat fammeliche Wirtefindifche Stammgüter, große 
Allode in Schwaben und das berrachtliche Land, das 
er den Wenden abgenommen hatte und in welchem er 
nach Gefallen fihaftete und waltete. Mit Strenge hielt 
er darauf, daß die von ihm ernannten nenen flavifcben 
Bifchöfe ſich von ihm invefliren und belehnen Taffen 
mußten, da feine Väter und er dieſes Land mit Bogen 
und Schwere unter göttlichem Beyſtand erſtritten hatten. 
Der zum Biſchof von Oldenburg ernannte Vicelin 


Firften gegen Heinrich's des 2, wachſende Gröffe, 75 


wandte fich in der Verlegenbeit an den Erzbifchof von 
Bremen, Hartwich I. (ſeit 1149) Den Kaifer allein, 
verlangte diefer, dürften fie als ihren Herrn anerkennen; 
aber alle Herzoge, Markgrafen und Fürften ſeyen nur 
Balallen der Biſchoͤfe: ob fie denn alfo, die neuen 
ſlaviſchen Biſchoͤfe, diefen Vorzug vernichten, ob fie 
einem Herzoge, nach Lehnsbrauch, die Hände reichen 
wollten, damit nach diefem Beyfpiel diejenigen, die big 
jest Herren der Fürften gewefen, nun ihre Knechte 
würden? Aber Heinrich, machzugeben nicht gewohnt, 
beharrte in feiner Weife; um die Anmaßungen des 
Erzbifchof8 zu zichtigen, fiel er im deffen Gebier ein, 
verheerte rings das platte Land, überfiel fpaterhin 
felbft die Stadt Bremen und gab diefelbe, die durch 
Handel brühend war, feinen Kriegern zur Pluͤnderung 
preis, Die Erbitterung zwiſchen beyden endete erſt, 
als der Tod fie trennte, (Hartwich flarb 1168.) 
Indeſſen war Hartwich nicht der einzige, welcher 
fich eiferfüchtig der Macht des Herzogs entgegen gefeßt 
hatte; mit ihm maren mehrere andere Fürffen in den 
Bund getreten, der Ersbifchof von Magdeburg, der 
Biſchof von Hildesheim, der Landgraf Ludwig von 
Thüringen, Markgraf Albrecht dverBar, vorber ſchon der 
Bifchof Konrad von Lübeck, nebft noch anderen, und fie 
griffen ihn zu gleicher Zeit am verfchiedenen Orten an. 
Aber Heinrich verlor den Much nicht; vor der herzog⸗ 
fichen Burg zu Braunfedweig ließ er (1166) einen aus 
Erz gegoffenen großen Löwen aufrichten, ein warnendes 
Zeichen, wie er feinen Feinden begegnen wolle; darauf 
308 er, feine Volker zuſammen, und wie er Bremen 





76 Heinrich’8 des Löwen Ungnade bey Friedrich I, 


eroberte und pluͤnderte, fo verheerte er mit Feuer und 
Schwert auch Thüringen und das ganze Erzbisthum 
Magdeburg, vertrieb den Bifchof Konrad von Lübeck 
und verbreitete überall ein. ſtarres Entfegen. Der 
Kaifer Friedrich Tehrte eben aus Italien zurück, und 
feinem Anſehen gelang es, den Sturm zu beſchwichti— 
gen und den Hader in Ruhe und gegenfeitige Vertrag: 
lichkeit aufzulöfen, Heinrich machte nach jener Zeit ſelbſt 
eine Wallfahrt nach Serufalem, und wurde fogar am Hofe 
des großherzigen Sultan Saladdin, der fo gerne fich 
deusicher Abkunft ruͤhmte, mit folcher -Befcheidenheit 
und Zuvorfommenheit bewircher, als man es faum von 
einem chriftlichen Fürften erwartet harte, Nicht lange 
nach feiner Ruͤckkehr aber trat ein Gluͤckswechſel für 
ihn ein, welcher ihn mit ganzlichem Untergange bedro- 
here. Kaiſer Friedrich unternahm 1175 einen neuen- 
zug nach Italien, wohin ihn der Herzog Heinrich, der 
fo. oft des Kaifers Fraftige Stuͤtze geweſen war, auch 
jeßt begleitete; doch plößlich blieb er zurück, er hatte 
fih von feinem Kaiferlichen Herrn befeidiget gefunden. 
timfonft verfuchte Friedrich alles, ihn zu bewegen, ihm 
den Beyſtand nicht zu verfagen; in einer perfönlichen 
Unterredung am Comer: See wollte er ihm fogar zu 
‚Füßen fallen, welches doch der Herzog hinderte; nur 
einer feiner Diener fprach im Uebermuthe: laßt immer 
Herr die Kaiferfrone euch zu Füßen legen, weil fie 
alſo bald euch auch. aufs Haupt kommen wird; aber bie 
Raiferin rief ihrem Gemahl mit unmwilliger Gebehrde 
su: Stehet auf, gnaͤdiger Herr! gedenket dieſer Stunde! 
und wolle auch Gott ein ihrer gebenfen. Es erfolgte 


* 
I 


” 


Heinrich der Löwe in die Reichsacht erflare 77 


darauf das unglücktiche Treffen bey Lignano, mit wel— 
chem fo viele Hoffnungen, die Frucht fo vieler Siege 
verloren gingen; auf wen hatte dag erbitterte Gemüth 
des Kaiſers die Schuld mehr fibieben koͤnnen, als auf 
die verfagte Wurerffügung desjenigen, um den er fich 
am meiften vor allen Fuͤrſten verdient gemacht hatte, 
Heinrichs des Löwen? 

Mit Grol erfüllten Herzen lud ihn der Kaiſer 
vor den Reichſstag zu Worms zur Verantwortung, 
Heinrich erſchien nicht, aber viele Fürften und Bis 
ſchoͤfe, die fich binzudrangten, Klagen und Befchwer- 
den in ungemeffener Zahl auf ihn zu haufen; am wer 
nigften Fonnten die Geiftlichen es verfchmerzen, daß er 
in feinen eroberten flavifchen Landern neue Bischimer 
errichtee und die Bifchöfe ſelbſt inveſtirt habe. Es 


erfolgte die zweyte und dritte Vorladung (1180) und 


al® Heinrich auch dann fich nicht ſtellte, wurde er als 
ein Widerfpenftiger in die Reichsacht erflärt, und die 
Vollſtreckung derfelben den verfchiedenen Fürften übers 
tragen. Doch wehrte fich der alte Löwe tapfer und 
noch Tange fiegreich, In diefer Zeit, wo der Herzog 
beynahe von allen feinen Freunden und Bundesgenoffen 
verlaffen fand, bewieß allein die Grafin Mechrildig 
von Holftein, die jegt zum zweytenmal verwittwete, 
eben fo ſtandhafte Treue und Ergebenheit gegen’ihren 
Lehnsherrn, als befonnene Klugheit in fo verwickelten 
Umſtaͤnden. Der junge Graf Adolph IL, unterdeſſen 

zur Waffenfaͤhigkeit herangewachſen, unterſtuͤtzte den 
Herzog auf einem Zuge ins Weſtphaͤliſche, und war das 
vornehmſte Werkzeug des hier über die Feinde erfoch- 









78 Adolph IU. fallt von Heinrich ab, Zerfplitterung 


tenen Sieges. Leider war der glückliche Erfolg dieſes 
Treffens zugleich Veranlafſung zu einer Streitigfeit 
zwifchen dem Grafen und dem Herzoge, die im einer 
unglückfeligen Spaltung ihres Verhaͤltniſſes endiate, 
Heinrich verlangte, dag Graf Adolph ſowohl, als 
die Vebrigen vom Adel, die dem Zuge beygemwohnt 
hatten, bie einem jeden zu Theil gewordenen Kriegsge⸗ 
fangenen ihm überliefern follten. Adolph befland 
darauf, fie zu behalten, da es billig ſey, durch dag 
Löfegeld für die Gefangenen wegen der Kriegsunkoſten 
Entſchaͤdigung zu ſuchen. Dieſer Wiberfpruch reiste 
den Herzog gegen Adolph, und beyde fcbieden in Un— 
willen von einander; böfer Zeumumnd, vom Grafen Gin 
sel vor dem Herzog ausgeftreuer, ſchuͤrte die Flamme 
der Zwietracht noch heftiger an, und machte Adolphs 
Treue verdächtig; bald darauf fiel Heinrich in das 
gräafliche Gebiet ein, und der Bedrangte ſah fich gend- 
thiger, nebſt feiner Muster das Land zu raumen und 
nach feinem Erbfige, Schauenburg, fich zu begeben, 
Mit feinem und feiner Freunde Abfall war Heinrich’s 
Partey empfindlich gefchmwacht worden, und als nun 
auch Keifer Friedrich ſelbſt, zur endlichen Vollziehung 
der- Acht, mis einem ſtarken Heere in Sachfen ein- 
drang, vermochte der Herzog nicht laͤnger zu widerſte— 
‚ben. Gnade ſuchend warf er ſich 1182 dem Kaiſer 
Friedrich zu Erfurt zu Fuͤßen; die Demuͤthigung 
des einſt ſo maͤchtigen Fuͤrſten ruͤhrte jenen bis zu 
Thraͤnen, doch vermochte er nichts weiter zu erhalten, 
als die Verſicherung, Friedrich wolle ſeiner nicht 
vergeſſen, er ſolle inzwiſchen auf einige Jahre 


der Befigungen Heinrich's des Löwen. 1182. 79 


Deurfchbfand „meiden und. in England bey feinem 
Schwiegervater ficb aufhalten, bis unterdeffen der 
Fürfsen Haß erlöfchen möchte, Unter diefen Bedingun- 
gen: bebielt er feine alten Stamm, und » Erbgüter, 
Braunſchweig und Lüneburg ‚mit. ihren Zubehoͤ— 
rungen; feine berrlichen Reichslehen aber, ein Beſitz⸗ 
thum, dergleichen weder vor moch nach ihm. je ein 
Herzog inne gebabe, wurden zerfplittert: Bayern erhielt 
der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, Engern und 
Weſtphalen der Erzbifchof von Coͤlln unter dem Titel 
eines eigenen Herzogthums, Dftphalen und das übrige 
Sachſen Graf Bernhard von Askanien oder 
Anhalt, die pommerſchen und: mecklenburgiſchen 
Zürften waren von nun an niche mehr Vaſallen der 
fachfifchen Herzoge,  fondern traten im unmittelbare, 
Verbindung: mit dem Reiche; andere, einzelne Stüuͤcke 
wurden. Erzbifchöfen und Bifchöfen ertheilt und ihren 
Landen einverleidt, Luͤbeck, wie Negensburg, wurde zur 
unmittelbaren Reichs fla dr erklärt, und der Graf von 
Schauenburg benugte diefe Verhältniffe, ſich gleich- 
falls. in feinen Befigungen jenfeit der Elbe zu befeſtigen. 
Je ſtaͤrker ſich Heinrich’S des Löwen Kraft, 
die nur durch Vereinigung fo vieler Gegenfrafte gebro- 
chen werben konnte, früher bewährt hatte, je mehr fie 
auch im Unterliegen noch furchtbar blieb: um fo weniger 
empfahl fich der in feine Stelle getretene Herzog. 
Bernhard von Anhalt, der in den Verfuchen, 
die alten berjoglichen Rechte, wie fein Vorgänger fie 
ausgeuͤbt hatte, ſich anzumaßen nur feine Schwäche 
und Ohnmacht beurfundere. Er erlaubte ſich Bedruͤk— 





80 Bernhard von Anhalt Herzog zu Sachſen. 


kungen und Gewaltthaͤtigkeiten, welche nichts anderes, 
als Widerſetzlichkeit erſeugten, und wie dadurch das 
herzogliche Anfeben nur ſchwaͤcher wurde, fo befeftigten 
fich um fo mehr die Grafen in dem ihrigen, und erhos 
ben fich zu immer gröfferer Unabhängigkeit und Gelb: 
ftändigfeit in ihren Verhaͤltniſſen. Heinrich der Lömwe 
war nach Verlauf der drey Jahre aus England in 
feine Erblande zuruͤck gefehre, und verhielt fich ruhig 
zu Braunſchweig. Inzwiſchen kam die Nachricht aus 
Palaͤſtina an, Sultan Saladdin- habe Jeruſalem ero- 
bert. Der damalige. Pabft Clemens IH. Tief allen 
chriſtlichen Fürften einen Kreuzzug predigen, und der 
Reifer Friedrich I ſelbſt entſchloß ſich, an die 
Spitze des Kreuzheeres zu treten, und durch fein Bey: 
fpiel dem Unternehmen Kraft und Nachdruck zu ver 
febaffen. Um jedoch Deutſchlands Ruhe während fei- 
ner Abweſenheit in Sicherheit zu ftellen, mußte Hein 
rich der Löwe, fo furchebar war diefer Name auch 
jegt noch, vorher abermahls nach England fich ent: 
ferien und eidlich geloben, fo Tange der Kreuzzug 
währe, jeder Ruheſtoͤrung fich zu enthalten, Auch Graf 
Adolph II. befand fich unter den 68 Fürfken, welche 
im Sabre 1198 mie dem Kaifer den Zug nach Pa— 
laͤſſina antraten. Die Unfoften zu diefer Reife auf: 

zubringen, wandte er fich an die Hamburger, ſchon da⸗ 
| mahls ein ungleich wohlbabenderes Volk, als ihre duͤrf⸗ 
tigen fürftlichen Nachbarn ; diefe verfahen den Grafen 
mit dem Nöthigen und verfprachen ihm, feine Erblande 
gegen die Einfälle der noch immer zu fürchtenden 
Wenden zu beſchuͤtzen. Dankbarkeit und Schuldigfeit 





Aelteſte Privilegien Hamburgs, v. 3.1189. 81 


vermocbten den. Statthalter, auf. feine bedeutendiken 
Borrechbte über Hamburg: bey Kaifer und Reich Vers, 
giche zu thun, und fich für die erweiterte Unabhängig: 
feit der Stade ſelbſt zu verwenden, » So erhielten die 
Hamburger vom Kaifer Friedrich L jene Privilegien, 
die ald Grundſtein zu ihrer nachmaligen ſtaͤdtiſchen 
Sreybeit berrachter werden koͤnnen; und folgende find 
deren weſentlichſte Puncte: 

Die Hamburgiſchen Buͤrger ſollen mit ihren 
Schiffen, Wagren und Leuten vom Meere bis zur Stadt 
von allem Zoll, Ungeld und Anfoderungen frey ſeyn. 
Wenn fie fremde Güter mie fich führen, follen fie einen 
Boten nach Stade febicken, der eydlich nach der Anzahl 
der Güter den Zoll entrichte. Im ganzen Gebiete des 
Grafen machen wir (der Kaiſer) die Bürger frey von 
allem Zoll und Ungelde, und wir ertheilen ihnen die 
Freyheit, daß Niemand innerhalb zwey Meilen von. 
ihrer Stadt ein feſtes Schloß erbauen dürfe, Sie 
follen die Fiſcherey haben in der Elbe auf zwey Meilen 
an beyden Seiten (oberhalb und unterhalb) der Stadt, 
ingleichen in der Bille auf eine Meile,  C— Denn dag 
Waſſer ift deg Keiches Straße! —) Alleund jede Güter, 
welche die Hamburger innerhalb. des graflichen Gebietes 
gefauft oder ſich erworben, fie beſtehen in Holz, Kohlen 
und Getraide (bladum), und zu Wagen oder Schiffe 
verführt haben, follen von Niemanden angehalten oder 
behindert werden, es jey denn durch tüchtige Zeugen 
der. Rechtsgrund. erwieſen, daß fie feitdem noch etwas 
verbrachen, Die Waiden follen fie alfo gebrauchen, daf 
ihr. Vieh des Morgens ausgehe und‘ des Abends eingerrie- 

| 6 






82 Aelteſte Privilegien Hamburgs, vom J. 1189. 


ben werde, Sie follen Mache haben, Holz zu fallen 
und den Ertrag der Waldungen, wie bisher, frey ge: 
nießen. Was an Strafgeldern für ungerechtes Maaß 
bey Bier, Brot und Fleiſch eingeht, davon follen zwey 
Drittheile der Stadt, ein Drittheil dem Richter (oder 
Gerichtsvogt) zufallen. Will einer Geld in der Stadt 
verwechſeln, ſo darf er es an jedem Orte, nur nicht 
vor dem Muͤnzhauſe, auch ſollen ſie Macht haben, der 
Muͤnzer Pfennige zu wardeyn nach ihrem Gewicht und 


* ihrer Aechtheit. Wir bewilligen den Buͤrgern, daß 


ſie von jedem Kriegszuge frey ſeyn ſollen, auch ſelbſt bey 
der Vertheidigung des Landes: « (worin begreiflich die 
Freyheit eingefibloffen war, zur Beſchuͤtzung der Lande 
Stormarn und Holftein ſelbſt Volk auszurüften, und 
vor feindlichen Anfallen fich zu wahren.) Diefer fair 
ferliche Gnadenbrief iſt ausgeſtellt von Neuburg am der 
Donau, im Jahre 1189 den 7. May. Die Befkati- 
gungsurfunde des Grafen Adolph erfolgte zu derfelben 
Zeit, und die Wichtigkeit diefer Privilegien erfennend 
unterließen die Bürger Hamburgs niemals, fich diefel: 
ben von jedem neuen Grafen nach dem Antritt feiner 
Statthalterfihaft auf's Neue beffarigen zu Iaffen. Die 
Urkunde des Grafen iſt unterzeichnet von den Edlen 
Friedrich. von Hafeldorp, Borchhard von Barmſtedt, 
Gernand Magnus und deffen Brüdern Wilhelm und 
Otto, aufferdem von den Hamburgifchen Rathm aͤ n⸗ 
nern — Consules nennt fie die Unterſchrift — Bros 
nold (oder Fromold), Eſicus, Wirad (oder 
Wirard), Standard und deſſen Bruder Sieg— 
fried, die aͤlteſten Nahmen obrigkeitlicher Perſonen 





Heinrich d. 2, kehrt abermabls zurück, 83 


Hamburgs, welche uns bis jene überliefere find. ‚In 

einer anderen Urkunde deffelben Grafen Adolpb’S ILL, 
zwar ohne Jahrbezeichnung, aber micht ‚jünger als 
vom Jahre 1168, finder fib in den Unterſchriften 
vor denfelben fünf Nahmen, auch. der Nahme des Ge⸗ 
richtövogtes, (Advocatus) Willebrand,. der. im Col» 
legium den Vorſitz führte, und — durch die 
Buͤrgermeiſter erſetzt wurde. 

Kaum hatte Heinrich der Löwe, wie er dem Kai⸗ 

fer geloben müffen, abermahls ſich nach England beges 
ben, als in feiner Abweſenheit die benachbarten geiſtli— 
ben und weltlichen. Fuͤrſten in die braunfchmweigifchen 
Erblande einfielen und daſelbſt die größten: Gemaltthar 
tigfeiten ungeahnder verübten, ungeachter der Kaifer 
felbjt dem Herzog ungefförte Ruhe und Sicherheit feir 
ner Lande zugeſagt hatte, Raſch alſo Fehrte der Vers 
bannte, noch um Michaelis deffelben Jahres 1189, auf 
deutſchen Boden zurück, ſolche Unbild zu ahnden. 
Zuerſt erklaͤrte ſich der Erzbiſchof von Bremen fuͤr 
ihn, Hart wich IL, nicht. aus Anhaͤnglichkeit und 
Treue, wie er durch ſein fruͤheres Betragen genugſam 
erwieſen, ſondern in der ſelbſtiſchen Hoffnung, durch 
Heinrich's Beyſtand ſeinen beſonders durch den Abfall 
der Dithmarſcher geſunkenen Angelegenheiten wieder 
aufzuhelfen. Er raͤumte ihm die Feſtung und Grafs 
ſchaft Stade ein; die Edlen von Holſtein und Stor⸗ 
marn erklaͤrten ſich gleichfalls fuͤr ihn, und waren ihm 
behuͤlflich, daß er ſich alsbald der Staͤdte Hamburg, 
Ploen und Itzehoe bemaͤchtigte, und die Anhänger des 
Grafen von Holſtein vertrieben wurden. Graf Daſſel, 





84 Heinrich DR, erobert Holſtein “99 


von Adolph als Statthalter in Holſtein zuruͤckgelaſ⸗ 
ſen, deſſen Schweſter Adelheid, Adolph's Gemahlin, 
und Mechtildis, die verwittwete Graͤfin, fluͤchteten 
nach Luͤbeck. Heinrich, durch den Beytritt der 
Grafen von Schwerin, Ratzeburg und anderer noch 
verſtaͤrkt, ruͤckte nun mit einem mächtigen Heere vor 
Bardomif, und umlagerte die Stadt, der er Der 
derben geſchworen hatte für die ſchnoͤde Beleidigung, 
die ihm, als er verbannt im derſelben Schuß fuchen 
wollte, von deren Einwohnern wiederfahren war, Die 
Stadt war eine der bedeutendffen an Umfang und 
Wohlſtand, blühend durch ausgebreiteten Handel, das 
mahls gefchüge durch eine ſtarke Befagung, und Teis 
ſtete hartnaͤcfigen Widerſtand. Aber Heinrich, fanft 
und mild und fern von aller Grauſamkeit, fo lange er 
niche durch Angerechtigfeiten gefranft ward, doch 
unverföhnlich und in wilden Zorn auflodernd bey em- 
pfindficher Schmach, drangte die Stade immer harter 
und harter, und da fie tapferer belagert als vertheis 
diget wurde, fiel fie endlich am Tage Simonis und 
Kuda in des Giegerd Gewalt, Heinrich gab fie der 
Pluͤnderung preis, weder Heiligthuͤmer noch weltliche 
Güter wurden geſchont, die angefehenften der Einwoh— 
ner wurden aufgefnünft, die übrigen ohne Unterfchied 
zu Gefangenen gemacht, die Stadt in den Brand 
geſteckt und bis auf den Grund verwuͤſtet. Nur 
die neun Kirchen der Stadt, aber öde und aus 
geleert, ihrer Zierden und Schaͤtze beraubt, ſtunden 
auf der wuͤſten Stätte noch, eine Schonung mehr des 
bittern Hohnes, als der gewiffenhaften Srömmigfeit, 


— 
—n 
ae 
in 


» 
gzerſtoͤrt Bardowik 2. (1189.) 85 


Der Untergang dieſer reichen Stadt ‚diente, den benach⸗ 
barten Oertern zum Vortheil und zur Vermehrung 
ihres Wachsſthums, nach dem ewigen Wechſel, dem 
aͤuſſeres Gluͤck unterworfen iſt. Während. alfo Luͤbeck 
an der See, Lüneburg zu Lande den bedeutenden Hans 
del von VBardowik an fich zogen, erhielt. auch, Ham⸗ 
burg ‚einigen Vortheil davon; insbefondere kauften die 
Hamburger die brauchbaren Quaderſteine ber zertruͤm— 
merten Gebaude dem Herzog Heinrich für 300 Darf 
Silberd ab, und erbaueten davon. den Damm, welcher 
die. Südfeite Hamburgs vor der. eindringenden Elbe 
vom Winferbaum bis nach dem Hafen ſchuͤtzen ſollte. 
Mit den Einwohnern des Fleckens, welcher. auf der 
zerfförten Stätte wieder angebauet wurde, ſchloſſen fie 
nachmals einen Vertrag. ab, Eraft. deſſen ihnen das 
fogenannte Zippelhaus Clin. ber. Nahe der Kathari⸗ 
nen-Rirche) als Wanrenlager, Bebaufung -und Markt: 
plag für. fih und ihre hieher gebrachten Zwiebeln, 
Wurzeln und. Krauter zu ewigen Tagen: eingeraumt 
wurde. Doch müflen. die Bardowiker, einem nach 
1604. gefihloffenen. Vertrage zufolge alljährlich. 110 
‚Mark zur Unterhaltung dieſes Haufes an Hambur 
bezahlen. vi TER he * 

Heinrich ruͤckte von Bardowik, ſchnell ſeine Siege 
verfolgend, um Martini vor Luͤbeck, „und. die Stadt, 


7 _ _ . 


von Daffel, des Grafen vom Holſtein Gemahlin und 
Muster mit ihren Leuten und Gütern ungeſtoͤrt abju- 
ziehen Freyheit erhalten hatten. Aber das Glü blieb 


CH dh id — + 


u; 
86 Heinrich d. 2, fl, 1195 und Adolph TIT. 


ihm nicht Tange guͤnſtig; einige der Vornehmften vom 
holſteiniſchen Adel fielen von ihm ab, und Heinrich 
VI., ver nun, nachdem Friedrich I. auf feiner 
Kreuzfahrt den Tod gefunden, (1190) zur deutſchen 
Konigswuͤrde gelangt war, rückte gleichfalls mit einem 
ftarken Heere heran, und zwang den Herzog zur Nachs 
giebigfeit, doch ohne daß dieſer die harten Bedingun— 
gen fo millig erfüllte. Adolph TIL. vernahm zu 
Tyrus, daR Heinrich der Lowe feine Graffchaft in 
Beſitz genommen habe. Dieß ſchien ſelbſt den Geiftli- 
chen Grund genug, daß er feine Wallfahre verlaffen 
und zurückkehren duͤrfe, den Befis feiner Güter fich 
wieder zu erfämpfen. Mit Hütfe des Herzogs Bern 
hard und des Markgrafen Otto von Brandenburg 
gelang es ihm auch, bald ein Heer zu verfammeln, 
mit welchem er feine verforene Grafichaft wieder 
eroberte; (1192.) Heinrich ſelbſt nahm an den ferne 
rer Begebenheiten menigen Antheil: der alte Löwe 
ſehnte fich zur Ruhe, Eine Ausföhnung mit dem 
KRaifer Heinrich VI Fam durch die linterredung zu 
Dullethe, bey Kelbra im Schwarzburgiſchen, zu 
Stande, (1194), in Folge deren er im ungefranften 
Beſitz feiner Erbländer verbleiben follte, und auf den 
Wiederbeſitz des übrigen Sachſens und der überelbis 
fehen Lande‘ Yeere "Hoffnungen erbielt, deren Erfüllung 
er bis an fein Ende vergeblich erwartete. Er ſtarb zu 
Braunfchweig den 13. Auguſt 1195, ° 

Heinrich hinterließ drey Söhne, den aͤlteſten glei- 
bes Nahmens, der mit der Pfalz am Rhein beiehne 
wurde, nachdem ‘et des Pfalzgrafen Tochter geheirathet 


* 


bleibt Graf von Holſtein. 87 


batte; der mittlere, Dtto, ward ald vierter dieſes 
Nahmens 1198 von der Welfifchen Partey zum roͤmi— 
ſchen Könige gekroͤnt; der dritte Wilhelm mar 
Stammvater der nachmaligen Herjoge von Braun 
ſchweig, im Befiß der Erbländer, welche von Sach» 
fen getrennt und als für fich beftebendes Herzogthum 
beftätiger wurden, Auch "Hamburg wurde jet frey 
von der lehnsherrlichen Oberberrfchafe der braunfchweis 
giſchen Fürften, und die laͤngſt ſchon locker gemordes 
nen Bande der Lehnsverpflichtung zwiſchen Graf 
Adolph von Holftein und Herzog Bernhard von 
Sachſen wurden vollends zerriffen, fo daß es keinem 
der Nachfolger Beruhards wieder" gelang, die vorige 
Unterordnung der holſteiniſchen Grafen zurück zu brins 
gen, Aber der Beſitz diefer nicht unbedeutenden Grafe 
ſchaft Tocfte bald die Begierde anderer Fürften am, 


und plöglich zog fich ein drohende Ungewitter über 


dem Haupte Adolphs, der nach» Heinrich’8 des Löwen 
Tode einen zweyten Kreuzzug nach Palaflina gemacht 
hatte, und mit dem Rufe bewiefener Tapferfeit kaum 
zurüche gefehre war, fehwarz zufammen, Wo die Luft 
zu fchaden fibon vorhanden iſt, fehle es felten an 
Befhuldigungen, den Angriff zu befcbönigen, Graf 
Adolph hatte den Waldemar, Bifcbof wor Schleß⸗ 
wig unterſtuͤtzt, der fich für einen natürlichen Sohn 
des Königs Knud VI ausgab, und Anſprüche auf 
den danifchen Königschron gemacht harte, Er hatte 
ferner die Dithmarſcher, die fich, wetterwendiſchen 
Sinnes, gest der Danifchen Hoheit unterworfen, hart 


behandelt und Das Schloß Lasenburg, welches die 


* 





88 Die Dänen unter Knud VI. und Herzog 


Danen zu Hülfe gerufen, noch bevor dieſe erfchienen, 
vermittetff einiger zu Hamburg zufammen gebrachten 
bewaffneten Schiffe angegriffen und erobert. Endlich 
hatte er dem Markgrafen Otto von Brandenburg bey 
deffen Angriff auf die ſlaviſch-pommerſchen Voͤlker, die 
der König von Danemarf für feine Vaſallen bielt, 
Beyſtand geleifter: Veranfaffungen genug, um des daͤni⸗ 
fiben Königs Unmillen, der noch überbieh fortmahrend 
durch die holfteinifchen Herren unterhalten und ange 
facht wurde, Die fich wahrend Adolph's Abweſenheit 
zu Heinrich dem Löwen gewandt, und vom Grafen 
bey deffen Ruͤckkunft mir der Verweiſung, oder mit 
Geldbuße beftraft worden waren, in feindfefige That 
gu verwandeln. Zuerſt nun heute er feine Lehnfürften in 
Meclenburg auf, den Grafen Adolph anzugreifen und 
fein Gebiet zu verheeren; Holfteiner und Luͤbecker, die 
nah Schonen zum Fiſchfang famen, wurden angehal⸗ 
ten und mehrere von ihnen gefangen genommen; end» 
lich fiel des Königs Bruder ſelbſt, Herzog Walde 
mar, im Geptember 1201 mit einer großen Kriegs⸗ 
machte in Holitein ein, ſchlug den Grafen Adolph bey 
Stilfnow, im der Nahe von Itzehoe, nahm diefes, fo 
wie Ploen und feste fih vor Gegebera und Traves 
münde, Adolph war mie dem Reſt des gefchlagenen 
Heeres nach Hamburg entflohen. Neuverſtaͤrkt erneuerte 
der Herzog feinen Angriff im Ausgange des naͤchſten 
Monats; er nahm von Hamburg DBefis, das der 
Herzog, als zu wenig befeſtigt zur Vertheidigung, ver 
faffen hatte, und feste einen Holfkeinifchen vom Adel, 
Rudolph, hieſelbſt zum Schirmvoigt ein; auch 


se 


‚Waldemar erobern Nordalbingien 1201. ff. 89 


Ratzeburg, fo Wittenburg und Gadebuſch, dem mit 
Adolph verbünderen Grafen von Schwerin gehörig, 
mußten fich ihm ergeben, Lübee ihm buldigen, wenn 
es feine Gefangenen und feine Schiffe wieder befom: 
men wollte, und das fefte Lauenburg wurde mit Kriegss 


volk umlagert: Adolph hatte fich nach Stade ge 


flüchtet gehabt, von mo aus er zu Ende des folgenden 
Monats mit Hülfe der ihm treu gewogenen Einwohner 
Hamburgs der Stade fich ‚wieder bemaͤchtigte. Allein 
während er zur kraͤftigen Vertheidigung Anfkalten traf, 


bereite ihn der Winter, der die Elbe und Alfter mit 


Eis belegte; treuloſe Rathgeber wiegten ihn in verderb- 
liche Sicherheit ein, ald ob ‘Gefahr nicht zu fürchten 
ſey, da die Dünen während des fommenden Feſtes 
dem Trinken und den PVergnügungen fich ergaben, 
Waldemar hingegen Tiebte den Ruhm mehr als Ber: 
gnuͤgungen: unvermuther ftand er am Weihnachtsabend 
mit einem gemaltigen Heere dicht vor der Stadt und 
beiegte ringsum alle Zugaͤnge. Adolph wehrte fich 
muthig und entfchloffen; aber ſelbſt zu ſchwach, einem 


En 


fo ſtarken Feinde zu widerftehen, ohne Hoffnung auf 


baldigen Entſatz mußte er fich der harten Bedingung 
bes Feindes fügen, daß, mwoferne er nicht die Uebergabe 
bes Schloffes Lauenburg bewerkſtelligen koͤnne, er ſelbſt in 
. bie Gefangenfchaft gehen wolle. In der That murde er, 
als die Befagung Lauenburg's flarrfinnig ſich deſſen weis 
gerte, mie Ketten und Banden belegt, und unter vies 
ler Schmach durch die Gegenden, im denen er ehemals 
als Herr geboten, nach Siöborg abgeführt, wo auch 
fein vormaliger Bundesgenoffe, Biſchof Waldemar, 


\ 


00 Adolph III. wird vertrieben, und Albrecht 


gefangen ſaß. Die Dänen erhoben wegen biefer Ger 
fangennehmung in allen Gtadten und Flecken lauten 
Subel und Frohlocken, wie zur Zeit des Königes Saul 
die Philiſter thaten. 

Im naͤchſten Jahre ließ ſich der König von den 
Nordalbingiſchen und Polabingiſchen Herren zu Luͤbeck 
und Moͤlln huldigen; das feſte Travemuͤnde ergab ſich, 
nur Segeberg leiſtete tapfern Widerſtand und taͤuſchte 
ſelbſt, als die Hungersnoth auf's Hoͤchſte geſtiegen war, 
den Feind noch durch das leere Geklapper ihrer Muͤh— 
lenwerkzeuge; die Uebergabe geſchah unter der Bedin— 
gung, daß die Burgmaͤnner freyen Abzug mit ihrer 
Habe erhalten und nach wie vor im ungekraͤnkten Bes 
fig ihrer Rechte und Lehen verbleiben follten. Der Herz 
sog war eben befchäftigt, die geraumte Burg mit einer 
Danifchen Befagung zu verſehen, als er die Nachricht 
erhielt von dem Ableben feines Föniglichen Bruders. 
Er eilte alfo nach Dänemark und Tieß ſich 1203 in 
Runden zum König Erönen: die Gefcbichte hat diefem 
Waldemar II. die Beynahmen des Siegers und des 
Gefeggeberd verliehen. Im Auguft deſſelben Jahres 
_ empfing er zu Luͤbeck die Huldigung ald König der 
Wenden und Herr von Nordalbingien, ume 
lagerte ſodann die Feſtung Lauenburg aufs Neue mit 
ſtarker Heeresfraft, führte Kriegsrüftzeuge und Mauer . 
brecher heran, fand aber, je heftiger er dem Schloſſe 
zufeßte, um fo hartnaͤckigern Widerſtand; die Feſte 
ſchien unuͤberwindlich. Erſt nach gepflogener Inter 
handlung ergab ſich die Beſatzung, unter der Bedin— 
gung, daß Graf Adolph aus feiner Gefangenſchaft 


v, Orlaminde wird Statthalter von Holftein, gu 


entlaffen würde, Go erbielt derfelbe zwar feine Frey: 
beit wieder, aber er mußte allen Anfprüchen auf Hol: 
fein, Stormarn und Wagerland eydlich entfagen , und 
auffer zweyen feiner eigenen Söhne noch zehen von an⸗ 
gefebenen Freunden und Verwandten auf gehn Jahre dem 
Könige als Geifeln zur ſtellen geloben. Darauf zog er 
nach feinem Stammſitze Schauenburg ab, von mo er 
niemals nach Holftein zurückgefehre if. Zum Statt 
balter uber Hamburg und die ganze Braffibaft Hol- 
ffein feste Rönig Waldemar den Grafen Albrecht 
von Orlamuͤnde, mit meifer Schonung und Be 
dachtſamkeit, da Albrecht ein naher Verwandter des 
Grafen Adolph mar, der Teichter ald ein Fremder 
das Vertrauen der Nordalbingier fich gewinnen Fonnte, 

Die neue Herrfchaft der Danen war indeffen micht 
geeignet, das Vertrauen derer, welche ihren ſelbſt 
den Weg zu derfelben gebahne, zu erwerben, moch 
weniger das Mißvergmügen jener zu verführen, welche 
in den Ausländern gleich Anfangs nur rohe Unter— 
drücker geahnet harten. Sie verfuhren überall wie 
übermüthige Eroberer, und erlaubten fich Bedruͤckun— 
gen, die durch den Hohn, womit fie der Huͤlfeſuchen⸗ 
den fpotteren, zwiefach ſchwer murden, Am empfind- 
lichiten fanden fich die Bewohner Holſtein's gefränft, 
daß fie niche nach ihren uralten fachfifchen Geſetzen 
und Herfommen gerichter wurden, daß fie vielmehr des 
neuen, ihnen unbekannten Rechtes der Sieger gebrau- 
ben follten. Argwohn und Mißmuth ob folcher Un—⸗ 
bilden wuchs mit jeder neuen Veranlaffung, die Anger 
fehenften unter den Gleichgefinnten hielten fich zu ein- 


92 Mifvergmügen ver Edlen von Holſtein. 


ander und verfammelten fich in der Wilſtermarſch, um 
heimlich Rath zu pflegen, wie dem Uebel abzuhelfen 
ſey. Aber dem gemeinſamen Willen fehlte ein Haupt 
und thaͤtiger Führer, wie es oft geſchieht in gefahr⸗ 
vollen“ und drangenden Umſtaͤnden, wo Viele zugleich 
das DBeffere wünfchen, jeder Einzelne fich ſcheuet, zur 
Ausführung an die Spige zu treten. Graf Adolph 
II. ſaß ruhig auf feiner Schauenburg, des mechfel- 
vollen Gluͤckes müde, und wenig gefonnen, neue Hoffe 
nungen abermals auf die unfichere Entfcheidung der 
Waffen zu flellen. Wer hatte auch den Much gehabt, 
aufs Neue ihn in den Kampf zuruͤckzurufen, da Die 
meiften won ihnen durch eigene. Treuloſigkeit die Noth 
herbeygeführt und das Vertrauen des Grafen mit Ber: 
rath erwiedert hatten. Da fo die Hoffnung ‘der Maͤn⸗ 
ner verfehwunden und ihr, Much eingefchlafere wer, 
trat eine adeliche Frau unter ihnen auf, die Frau 
von Deeft, aus Kellingdorp in der Kremper Marfch, 
welche die Bedruͤckungen des Vaterlandes und ben vers 
borgenen Aufenthalt der geflüchteren Edlen mit Unwil— 
fen anfah und darauf fann, der Angelegenheit zum 
Vortheil der holfleinifchen Lande eine günffigere Wer 
dung zu geben. Sie felbft begab fich nach Schauen: 
burg zum Grafen Adolph und mandte eben fo fehr 
die liebliche Anmuth ihrer Schönheit als ihre: einfchmeis 
chende Beredfamfeit an, den Grafen zur bewegen, 
daß, mofern es ihm ſelbſt nicht gefalle oder ver: 
gönnt fey, Holftein wieder zu erobern, er wenigſtens 
einen von feinen Sehnen ihnen anvertrauen möchte, 
das Land feier Väter durch feine Anwefenheit zu ber 


Die Frau von Deeft hole Adolph IV. 93 


berrfiben ; Feine geringe Anzahl tapferer Holſteiner ſey 
bereit, für die Freyheit zu den Waffen zu greifen, wenn 
ihnen ein Oberhaupt gegeben werde, Der Graf ſchuͤtzte 
mehreres vor, was ihm abgeneige mache: des Königs 
Gewalt, den Untergang der gegebenen Geifeln, die 
Heiligkeit des geleiſteten Eydes. Als aber die hochher- 
jige Frau, nicht ermüdend im ihren Bitten, auf alled 
fertig zu antworten wußte, des Königs Gewalt fey 
nicht zu fürchten, wenn fie der Freyheitsliebe der Hof 
fleiner gegenuͤberſtehe; To groß fey ihr Much, und fo 
ihre Lage, daß ſie alles ertragen würden, wenn ihr 
geſetzmaͤßiger Herr zuruͤckgekehrt ſey; die Geifeln würde 
man in Sicherheit bringen, bevor etwas unternommen 
werde; er ſelbſt folle nicht ehatig handeln, fondern in 
Ruhe bleiben, unter der Führung feines Sohnes folle 
alles gefcheben, und die Unverbrüchlichfeie des Eydes 
nicht verlegt werden: da lief endlich der Graf, durch die 
dringenden Bitten überwunden, feinen jüngeren Sohn 
Adolph Cnachmahld der vierte ald Graf genannt). 
mie der edlen Frau ziehen, die ihn mit nach ihrem 
Wohnfig nahm und mic Rath und Beyhuͤlfe ver hol 
feinifchen Edlen zu feiner kuͤnftigen Beſtimmung aufs 
erzog. 

Der Muth der Großen ſchien bereits jetzt, durch 
die bloße Ankunft ihres kuͤnftigen Oberhauptes, an 
Staͤrke zu gewinnen und regte ſich an manchen Orten 
durch kraͤftige Aeußerungen. Einige derſelben begaben 
ſich zum Hauptmann, der zu Segeberg geſetzt war, 
und beklagten ſich, oder „begunnten unter Ogen to 
tnurren“, wie eine alte Chronik ſagt, daß er ihnen 


94 Die Edien Holſtein's wollen ihr altes 


ein anderes Recht auflege, als ihr eigenes gewöhnliches 
Hecht, deffen Gewährung ihnen vom Könige ſelbſt, wie 
er als Herzog Segeberg in Befig genommen, zugeſagt 
worden jey. Der Hauptmann erwiederte trogig: Weis 
jet mir euer Recht und ich will mich Darnach richten, 
Ihr wißt enter Rechte aus eurem Kopfe, unfer danifches 
Recht ift befchrieben; nach der Schrift kann ich euch 
und mich regieren; aber euer Recht weiß ich nicht, 
denn befchrieben iff es nicht und errathen kann ich's 
nicht. Ich müßte einen Hund her bringen, der euch 
euer Hecht vorbellte. Zu anderer Zeit erfchienen fie wies 
ber, gerüfterer und vorbereiterer, und als fieabermahls 
gefragt wurden: wo und mas das Recht fey, das fie 
verlangten, in welchem Buche es gefchrieben, in wel- 
cher Ordnung e8 geftelle fey: da zogen die alteffen und 
edelften unter ihnen die Schwerter und ſchuͤttelten fie 
und riefen mit unerfchrocener Stimme: Siebe hier 
unfer gewöhnfiches Recht, das wollen wir. behalten, 
und mit dem Schwerte vertheidigen. Cvorbidden) Der 
Hauptmann fah die überdachte, ungewohnte Kuͤhnheit, 
und begab fich erfchrosfen auf die Flucht, Aber fie 
ereilten den Fliebenden und tödteren ihn mit dem 
Schwerte. Der Aufftand verbreitete fih, und fie 
befeftigten mehrere Plage, um fich gegen die Gewalt. 
der Danen zu vertheidigen. Um Itzehoe zogen fie einen 
großen Graben, Als der koͤnigl. Befehlshaber ein Heer 
gegen fie führte, würden fie freplich unterlegen haben, 
wenn nicht durch das zweymalige Anfchwellen der Stör 
an demfelben Tage die Brüste, welche die Feinde auf 
geführe batten, abgeworfen und dag ganze Heer durch 


Sachfens Recht erhalten willen, 95 


die Ueberſchwemmung zum Ruͤckzuge genoͤthigt worden 
wäre. Doch zeigen diefe Vorfälle mehr, wie ſchwer 
die Laſt der Dänen auf dem Lande drückte, als daß fie 
ſchon jest zur Beförderung der ſtill genahrten Wuͤnſche 
etwas beygerragen hatten. Auch vom jungen Adolph 
ſchweigt die Gefchichte noch lange, big er tbatig im die 
Begebenheiten mit eintritt. Andere Vorfälle trafen 
jufommen, den Ausbruch, neuer Kriegsunruben zu bes 
fehleunigen, von welchen Hamburg, dag inzwifchen vom 
Grafen von Orlamünde mit größerer Milde, als 
Strenge regiert und mie manchen Bemweifen der Wohl: 
thaͤtigkeit begluͤckt wurde, nicht verfchont blieb. Die 
Veranlaſſungen find im Zufammenhange der damaligen 
Zeitereigniffe gegründer, auf welche wir einen übers 
fihbauenden Blick zuruͤckwerfen müffen, 

Heinrichs VI. früher Tod (1197) hatte dem 
Yarteygeifte Gelegenheit gegeben, fich durch eine dops 
pelte Königsmahl zu auffern: Philipp, Herzog von 
Schwaben und Toskana, der fich ſtatt feines Muͤndels 
Friedrich von Sicilien, die deutfche Krone zugeeignet, 
und Otto IV. Heinrichd des Löwen Sohn, ſtritten fich 
feit 1198 um die Hoheit des Reichs, beyde von flar- 
fen Parteyen unterftügt, beyde darauf bedacht, durch 
Gewährung bedeutender Vortheile die Anzahl ihrer Ans 
banger zu vermehren und für die Zukunft fich zu vers 
fichern. Eine maͤchtige Stüge erfchien für Orto der 
König Waldemar, da das Band der Berwandefchaft 
zwiſchen beyden durch eine im J. 1202 in Hamburg 
vollzogene Vermaͤhlung einer Faiferlichen Nichte mit 
einem danifchen Prinzen noch feſter geknuͤpft worden 


96 Berhateniffe des deurfchen. Reiche, 


war, Zmifchen den beyden königlichen Nebeubuhlern 
war eben durch pabfkliche Legaten ein Waffenſtillſtand 
auf ein Fahr vermittelt worden, als Philipp in 
Bamberg durch den befeidigten Pfalzgrafen Otto von 
Wittelsbach meuchlings ermordet wurde, (1208) und 
Ot to der Weg zur leichteren Erreichung feiner Zwecke 
geöffner fibien, Sachſen und Thiringen waren ihm 
zugethan, auch die Schwaben fuchte er fich geneigt zu 
machen, und fo trat er feinen Römerzug unter glück: 
lichen Vorbedeutungen an, er fand als Welf in Italien 
gute Aufnahme und wurde im Jahre 1209 feyerlich 
vom Pabſte zu Rom gekroͤnt. Aber weltliche Ruͤckſich⸗ 
ten trennten beyde, den Pabſt Innocentius III. und 
den Kaiſer Otto, bald wieder. Otto wurde in den 
Bann gethan, in Deutſchland regten fih Empörungs- 
verfuche, mochten fie von Rom aus entzuͤndet oder 
durch eigene Anficht entſtanden feyn, Otto eilte daher 
über die Apenninen zurück, fein Anfehen in Deutſchland 
zu retten. Bald verließen ihn auch bier mehrere feiner 
Anhänger; der junge Friedrich, Heinrichs VL Sohn, 
ſchon 1195 als zwepjähriges Kind zum deutſchen König 
erwaͤhlt, Fam jest aus Gicilien in Deutſchland an, 
und fand bey dem glänzenden Hoflager, das er zu 
Mainz hielt, (1212. 13) viele Fürften, Grafen und 
Herren‘, die ihm huldigten. Der Sieg bey Boing, 
welchen er (1214, den 27. July) über Otto und deffen 
Bundesgenoffen davon trug, entfihied über den Beſitz 


des deutſchen Thrones, und num wandte ſich auch König 


Waldemar IL, dem finarsfluge Berechnungen höher 
galten, als Pflichten der Freundſchaft, zu dem Kaifer 


Otto IV. vereinigt ficb mit dem Erzb. Waldemar, 97 


Friedrich II., der ibm fofort Cr214) alle Anfprüche 
bed deutſchen Reichs auf die Lander jenfeit der Elbe 
und Elde, die Knud und Waldemar erobert hatten, 
an das danifchbe Reich feverlich abtrat. 

Otto empfand mie Recht diefen Abfall übel, und 
309 mit einem Heere in Hamburgs Naͤhe, feindlich das 
Land Waldemars Il. zu überfallen, Mic ikm vers 
einigte fich der Bifbof von Bremen, Waldemar, 
derſelbe, deſſen früber fibon, als vertriebenen Bis 
ſchof's von Schleßwig gedachte worden iſt. Nach 
Hartwich' s II. Tode harten die bremiſchen Stifte: 
berren eigenmachtig und ohne Vorwiſſen des hambur⸗ 
gifchen Dom :Kapiteld diefen Waldemar, der eben 
damahls aus feiner Gefangenſchaft entlaffen war, auf 
den erzbifcböflichen Stuhl berufen, (1207) vielleicht im 
Stillen die Hoffnung nahrend, daß durch ihn die 
geiftliche Gewalt über die nordifchen Reiche wieder an 
das bremifche Erzitift gebracht werden möchte. Die ham⸗ 
burgiſchen Domberren, welche ficb in ihren Rechten 
beeintrachtiget fühlten, widerjegten fich diefer Wahl eben 
fo ſehr, als der König Waldemar II., der deshalb bey 
dem Pabſte die kraͤftigſten Gegenvorfiellungen machen 
Tieß, Waldemar hielt fich indeffen durch den Schug, wel- 
chen ihm der deutſche Gegenfönig Philipp von Schwaben 
zuficherte) gedeckt genug, und fand bei. den Bremern 
willfommene Aufnahme, :: Der Bannfluch, welcher ihm 
nachfolgte, kam eine Zeitlang noch gar nicht zum Vor⸗ 
fibein. Im ruhigen Genuffe der ihm anvertraueten bis 
ſchoͤflichen Gewalt feyerte er eben das Felt der Kirchs 
weihe zu Bremen, als mitten unter bem Gedrange des 

7 


98 Otto IV. nimmt Hamburg in Beiiß 1215. 


Volkes, das zur Darbringung feiner Gaben fich zahl—⸗ 
reich dem Altar nahete, ein Unbekannter einen großen 
verfiegelten Brief auf den Altar legte und eben fo ſchnell 
fich unter der Menge wieder verlor, Zu nicht geringem 
Erſtaunen erkannten die Geiftlichen, als fie den Brief 
entfiegelt hatten, die pabfiliche Bulle, durch melche 
dem Bifhof Waldemar die Beflstigung des Erzbis- 
thumes Bremen verfügt und über ihn felbft der Bann 
aufgefprochen ward, Enefchloffen wehrte er fich mit 
bewaffnerer Hand, da die Bremer, des Bannes nicht 
achtend ‚ihm thatig unterflügten, gegen den König von 
Dänemark und feine übrigen Gegner, anfangs mit 
Gluͤck, doch konnte er nicht hindern, daß Biſchof 
Gerhard von Osnabruͤck in der Wahl zum Erzbifchof 
von Bremen befistiger wurde. (1211) Als der danifche 
König nun auch von Otto abgefallen war, und Diefer 
mit feinem Heere heranzog, verband fich Waldemar 
mit demjelben und rückte im Jahr 1215 vor Hamburg. 
Otto bedrohte die Bürger mit Feuer und "Schwert, 
wenn fie fich ihm nicht ergaben. Es bedurfte bei die 
fen, die nach. der Verficherung einer: alten Reim-Chreonif 
laͤngſt ſchon der Dänen quitt gewefen feyn mochten, 
„denn fie konnten vor ihnen nicht geneſen“, Kaum der 
Drohungen, um ſie wilffahrig zu machen. Sie öffreren 
ibm die Thore,. huldigten und. fehwuren ihm und erhiel- 
sen ohne Zweifel große Verfprechungen, die nur deshalb 
nicht in Erfüllung gingen, weil Otto in feiner be 
drangten Lage fich nicht Tange halten: konnte) Frühere 
Gefchichterzähler feben bier gerne den erften Anfang 
der Reichs-Unmittelbarkeit der Stade Hamburg, 


Waldemar, König von Danemarf, 99 


wiewohl diefe erſt fpäterbin derſelben völig zu Theil 
ward. | 
Ott o zog weiter in das Land der Holften; aber 
der König Waldemar fam ibm mit einem ſo ſtarken 
Heere entgegen, daß er eiligſt über die Elbe zuruͤck floh 
und fein Anfehen wieder: berzuftellen Feine ferneren Ders 
fuche wagte, Waldemar aber, von Zorn entflammt, 
ruͤckte mit feiner Macht heran, zuerſt fih an dem - 
Bifchof von Bremen zu rachen 5. er zog über die. Elbe, 
die mit Eis bedeckt war, beſtuͤrmte Stade, und ver: 
beerte bie ‚bifchöflichen Lande, mie Mord und Brand; 
alödann eilte er über den gefrornen Strom zurück und 
legte. fich vor Hamburg, Die Bewohner vdeffelben fegs 
ten fich mie Entfchloffenheit zur Wehre; die Erinnerung 
an die huldvollen Gefinnungen des Kaifers, die Hoff: 
nung auf baldigen Entfaß, der. Haß gegen die fremden 
Unterdruͤcker, die Furcht vor dem Unwillen und der 
Grauſamkeit der Sieger) ermunterten fie, Alles: für die 
Erhaltung ihrer Unabhängigkeit daran zu fegen, Wie 
derholte Stürme wurden zurücfgeichlagen. Der König, 
fey e8, daß er. den großen Verluft der Seinen verhüten 
wollte, ſey es, um die Stadt noch harter zu aͤngſtigen, 
beſchloß, diefelbe durch Hunger zu bezwingen. . Zu dem 
Ende erbauete er am nahen ‚Ufer der Elbe eine fefte 
Schanze, in der Gegend des Eichholzes, womit die 
ganze Strecke am Elbſtrande bis über das heutige 
Altona hinaus bemachien war, trefflich gelegen, der 
Stade empfindlichen Schaden. zuzufügen, und wegen 
der vorgewachfenen Baume vor den Ausfällen der Der 
lagerten geficbert zu ſeyn. Das Andenken der befrev- 
ig 


100 belagert und erobert Hamburg, 1216. 


sen. Bewohner bezeichnete in der Folge diefe Höhe mit 
den Namen des Feensbarges oder Feindesber— 
‚ges, woraus die neuere Bildung einen Venusberg 
geichaffen hat. Eine zweyte Veſte errichtete Graf 
Albreche von Orlamuͤnde zu Schiffbeck, welche zus 
gleich die Bille und das Elbfahrwaſſer beherrſchte. 
‚Kein Schiff konnte fo nach ber Stadt gelangen, ober 
von da auslaufen; ringsum Tagen Dörfer und Felder 
verheert, Hunger und Noch wurden mit jedem Tage 
fühlbarer, Co lange noch Neberfluß herrfcht, giebt 
fih auch der Feigherzige den Schein der Ausdauer, 
des Gefahren trotzenden Mürhes, der hartnaͤckigen 
"Gegenwehr: wo der Mangel unabwehrbar überhand 
nimmt, finne auch der Edelmürhige auf Nertung, wenn 
fie auf ehrenvolem Wege möglich if. Das Volk, den 
äraften Erduldungen und Beichwerden preis gegeben, 
wurde der Vertheidigung uͤberdruͤßig, begann zu mur- 
ven und ließ offenbaren Aufruhr fürchten, Sechs Mo: 
nate lang batte man die Belagerung ausgehalten, von 
äufferer Hülfe dammerte Auch nicht ein leiſer Hoff: 
nungsfihein, daher fandte man endlich Abgeordnete, 
beauftragt, mit dem Könige wegen der Uebergabe zu 
unterbandeln, Die Bedingungen lauteten günftig, aber 
der Erfolg entfprach ihnen wenig, Waldemar's Rei: 
fige verfuhren nicht weniger ſchonungslos, hoffaͤrtig 
und graufem, als in einer eroberten Stadt, und übten 
jede Luft zur Befriedigung der Habjuche und Rachgier 
an den, beflagenswerthen Einwohnern, "Dies geſchah 
im Jahre 1216, Der König'feibft, um zu verhüten, 
daß ihm Die wichtige Stade nicht abermals in feindli- 


und verfauft es dem Albrecht von Orlamuͤnde. * 


chen Beſitz gerathe, verkaufte ſie, ſchnoͤde und 
uͤbermuͤthig, mie allen Gerechtſamen und weiteren Ans. 
fprüchen, die ihm durch die Eroberung zu Theil gewor⸗ 
den, um ficben hundert Mark loͤthigen Sil— 
bers, (nach heutigem Gelde gegen gooo Thaler, ‚oder 
24000 Mark: Lübifch) an den Stasthalter Nordalbingieng,- 
Grafen Albrecht von Orlamuͤnde, der ald-ger- 
treuer Vaſall ihm ſtets die wichtigften Dienſte geleifter, - 
hatte. (Im J. 1218.) Albrecht indeſſen, wie ge⸗ 
recht er. auch die Stade nun. als fein Eigenthum ber. 
erachten Fonnte, durchſchauete eben fo ſcharfblickend 
den Geift ihrer, Bewohner, als er die Wankelmuͤthig⸗ 
keit irdifchen Gluͤcks erwog, und regierte demnach mit, 
Schonung und Milde; er fuchte fein Anfehen weniger. 
durch Strenge, als durch Wohlthatigkeit und forgfame. 
Verwaltung zu begründen, Schon früher hatte er. füch 
freygebig gegen die Geiftlichfeit ermwiefen, und der 
Domkirche zur Vermehrung ihrer Einkünfte die Zehn— 
ten von Schiffbeck, zu Altenburg und Steinbeck ges 
ſchenkt. Dem vielfachen Beſchwerden, welche die Ber 
wohner unter dem danifchen Druck fo fibarf hatten 
empfinden müffen, balf er bereitwillig ab; ja er beſtaͤ⸗ 
tigte ihnen fogar in der Folge (1224) alle Rechte und 
Freyheiten, welche ‚fie zu den ‚Zeiten. Heinrichs des 
Loͤwen erhalten, und welche mit Bekraͤftigung des 
Kaiſers Friedrich I., Graf Adolph TIL ihnen bewil— 
liget hatte. So wurde ein ſchweres Ereigniß: ‚im 
ſeinen Folgen gelinder und weniger nachtheilig, als 
bey dem erſten —* — vermuthen geſtanden 
hatte. 


102° Geſchichte der Erzbiſchoͤfe von 1072-1168, 


In dieſe Zeit fat "die endliche Auflöfung der 
Streitigkeiten zwifchen den bremijcben und: hamburgis 
ſchen Stiftsherren über" den Vorzug und den eigentlis 
chen Sitz des erzbifchöflichen Stuhles. Dieß giebt 
zugleich Gelegenheit, die Befchichte der Bifchöfe im 
rafcher Weberficht einzufchalten. Mit dem Tode des 
 ehrgeigigen Adalbert war nicht nur der Plan eines 

nordifchen Patriarchats zufammen gefunfen, fondern 
sugleiy bey den nordiichen Fürffen der - Gebanfe rege 
geworden, ihre Bisthuͤmer der Oberaufficht des bre 
mich hamburgifchen Erzfkifted zu entziehen. Liemar 
(10727 1101) beförderte diefe Entwürfe nur durch feir 
nen keck ausgefprochenen Bannfiuch gegen den König 
von Danemaf, Humbert's Unthaͤtigkeit (- 1104) 
geftattere ihnen Zeit zur Entwicelung, und unter 
Friedrich J. Cı123) Fam die gänzliche Abfonderung 
wirftih Zu Stande, Den fo erlittenen Berluff war 
man nun bedacht durch Ausdehnung im Oſten zu ers 
fegen. Dazu gaben die Befehrungen der wendifchen 
und flavifchen Volkerſchaften hinreichende Veranlaſſung. 
Befonders thaͤtig in Diefem Gefchaft war der eifrig 
fromme Prediger Bicelin, welcher mit Unterffüßung 
des Erzbiſchofs Adalbert. I. oder Adalbero 
(11231148) feine ganze Lebenszeit dazu verwandte, 
das Chriſtenthum unter den Slaven zu verkünden.‘ 
Adalbert ſelbſt veranfaßte einen Kreuzzug gegen fie, 
(1147) von deffen geringem‘ Erfolge bereits geredet 
worden ift, Sein Nachfolger, Hart wich I (von 
114871168) erneuerte wirklich die bifchöflichen Sitze 
im Ölavenlande, die feit den letzten flavifchen Empö— 


Geſchichte ber Erzbiſchoͤfe bis 1174. 103 


rungsfriegen über achtzig Sabre hindurch erledigt ge: 
wefen waren; er verordnete Bifchöfe zu Mecklenburg 
und Rageburg, und den Vicelin weihete er zum Bir 
fhof von Didenburg: aber in’ feinen Anmaßungen, 
eigenmachtig und ohne des Herzogs Heinrich’s de 
Löwen Beſtaͤtigung, da diefer im feinen Landen als 
Herr vegierte, Bifchöfe einzufesen und zu weihen, ges 
rieth er auf harten Widerfpruch, am welchem geiſtli— 
cher Stoß unwirkſam zuruͤckprallte Heimrich der 
Löwe war ed auch, der nah Hartwichs Tode, als 
aber die Wieverbefegung des ‚erledigten Stuhles ein 
hitziger Streit entſtand, die Wahl des Balduin 
befoörderte, eines gebohrenen Thuͤringers, deſſen unge— 
woͤhnliche Kenntniſſe geruͤhmt werden, indem er naͤchſt 
Griechiſch und Lateiniſch auch Italiaͤniſch, Franzoͤſiſch 
und Brabantiſch fertig verſtanden haben ſoll, in der 
Schrift wohl bewandert war, beredt, Verfaſſer einer 
Lebensbeſchreibung Friedrichs des Rothbarts, verſchie⸗ 
dener Briefe und Reden, freygebig und großmuͤthig, 
ſelbſt kriegeriſchen Sinnes, wie Biſchoͤfen damahls 
ziemte, denn er gab in Welſchland mehrere Proben 
ſeiner Tapferkeit. Die Klugheit rieth ihm wohl, in 
ſeinen Verhaͤltniſſen zum Herzog Heinrich ſich im den 
gehoͤrigen Schranken zn halten. Seine Freygebigkeit 
gegen die hamburgiſche Kirche bewieß er nicht nur 
durch Beſtaͤtigung der ihr von ſeinen Vorgaͤngern er⸗ 
theilten Gerechtigkeiten und Guͤter, ſondern den Dom⸗ 
herren insbeſondere verordnete er (1174) ein ſogenann⸗ 
tes Gnadenjahr, vermoͤge deſſen die Einkuͤnfte eines 
Kanonikats nach dem Tode des Beſitzers ein ganzes 


104 Gefchichte der Erzbifchöfe big: 1190. 


Jahr ‚zur Bezahlung feiner binterlaffenen Schulden’, 
auch wohl für feinen Bedienten, oder fonftige Arme 
Chrifti verwender werben follten, Es bleibt immer ein 
Denkmahl der Berlaugnung geiftlichen Stolzes, daß er 
fich in diefem Gnadenbriefe einfach nur als hambur: 
giſcher Bifchof unterzeichnete, CEr fi, 1178.) Sein 
Nachfolger, Siefried, des Markgrafen Albrecht von 
Brandenburg jüngerer Sohn, hielt es, damit ihm der 
Befis der Grafſchaft Stade beflstiger würde, nach— 
drücklich mit dem Raifer gegen den Herzog, und war 
behufflich, daß Stade, wohin fih Heinrich geflüchtet 
hatte, nicht nur erobert wurde, fondern auch drey 
hundert Mark Silber zur Erſtattung der Kriegskoſten 
bezahlen mußte. Uber er genoß feine Winde nicht 
lange, er ſtarb fchon 1184. Den erzbifchöffichen Stuhl 
beſtieg Hartwich IL., aus dem Gefchlechte der von 
der Lieth. Er. war früher Geheimfchreiber Heinrich’3 
des Löwen gemwefen; dennoch mar er der von ihm 
genoffenen Wohlthaten fo wenig eingedenf, daR, als 
diefer 1185 aus England zurück kehrte, er ibm felbft 
eine erbetene Zufammenfunft ſtolz und Falt vertweigerte, 
Sein anmaßendes Betragen gegen die Domherren zu 
Luͤbeck, wohin: fibon feit 1162 dag Bischum ‚von 
Oldenburg verlege worden war, machte das erzbifchöf- 
Tiche Anſehen ſelbſt in ver Nachbarfchaft verhaftet. Die 
Dithmarſchen, die bisher feiner Gerichesbarfeit unter: 
mworfen waren, ohnehin allem berrifchen Berragen feind 
und ſtoͤrriſchen Sinnes, reizte er durch: drückende Auf 
lagen fo ſehr, daß fie von ihm abfielen und dem 
Biſchofe Waldemar von Schleswig ſich unterwarfen, 


Gefcbichte der Erzbifchöfe bis 1207, 105 


Die Hoffnung allein , diefen Verluſt wieder zu gewin— 
nen, vermochte ihn, fich auf die Seite des Herzogs 
Heinrich zu ſchlagen, deffen Gluͤcksſtern noch einmal zu 
feuchten ſchien; aber wie bald er auch wieder unterging, 
ift erzählt worden ; den Hart wich traf die Reichgacht, 
die Einwohner von Bremen vertrieben ihn aus der 
Stadt, und er mußte Zuflucht in England ſuchen, von 
mo er erfk nach einem Jahre mir Hilfe feiner Anhaͤn⸗ 
ger zurückkehrte, Sein Empfang in Bremen bemwieg, 
wie fehr er in der Achtung verloren habe; : fogar die 
gebührenden Einkünfte entzog man ihm, Nun wehrte 
er fich mit geiftlichen Waffen; er fprach über alle feine 
Miderfacher, ſelbſt über den Grafen Adolph III. den 
Bann aus und unterfagte in der bremifchen Diöcefe 
alle gortesdienftliche Handlungen. - In Hamburg blieb 
der Bann ohne Wirkung oder Folgen; aber in Bremen 
felbft entftand wuͤſte Verwirrung, die Leichname der 
Berfforbenen, die unbeerdigt auf den Kirchhöfen liegen 
blieben, verpefteren die Luft, die Störung der gottes⸗ 
dienftlichen Feyer verbreitete dumpfe Stille und Aengſt⸗ 
lichkeit. Erſt als der Erzbiſchof far ſechshundert Mark 
‚des Kaifers Gnade und mie ihr die Wiedereinfegung in 
feine Gerechtfame erhalten hatte, endete dieſer Zuſtand. 
Er ſtarb, nachdem er noch von einer Wallfahrt (1194) 
aus dem heiligen Lande koſtbare Reliquien,  befonderg 
Perri Schwert, womit der Apoftel dem Malchus das 
Dhr abgehauen, zuruͤckgebracht hatte, 1207, | ' 

Mir feinem Tode wurde die fange verbaltene Eifer 
fucht zwiſchen den Stiftsherren der: beyden Städte, 
Bremen und ‚Hamburg, ſchon ‚lauter und thatiger. 


106 Befchichte ber Erzbifchöfe bis 1219, 


Die Bremer erwählten zu Hartwichs Nachfolger den 
Bifchof von Schleswig Waldemar, ohne auch mur 
das hbamburgifche Domkapitel zu befragen; dagegen 
riefen die zu Hamburg den bremifchen Domprobft 
Burkhard, dem auch einige Stiftäherren in Bremen 
fersft nicht abbold waren, in ihre Stadt, und machten 
ibn aus eigener Gewalt zum Erzbiſchof. Die nachdrück⸗ 
liche Unterſtuͤtzung, die fie für ihre Wahl bey dem 
Könige Waldemar von Danemarf fanden, die Fraftige 
Verwendung des danifchen ' Gefandten beym Pabſte 
bewirkte Burchard's Befläatigung, 1208. Auch da 
er noch in demfelbigen Jahre ſtarb, wurde zu einer 
anderen Wahl gefcbritten, und Gerhard L, ein 
gebohrner Graf von der Lippe, vorher Biſchof von 
Osnabruͤck, auf den erzbifchöflichen Stuhl zu Bremen - 
erhoben, 1211. Waldemar, endlich auch von den 
Bremern verlaffen, mußte weichen und beſchloß fein 
Reben als Mönch in einem Klofter, um's Jahr 1216, 
Son Gerhard I iff, außer daß er der Kirche zu 
Hamburg den Zehnten von Dockenhuden und Aifterdorp 
beſtaͤtigte, wenig bekannt. Er ſtarb 1219 zu Frankfurt 
während des Reichstages, auf welchem Friedrichs IL 
zehnjahriger Sohn, Heinrich VIL zum römifcher 
König erkläre ward, Sein Wohlverhalten indeß, oder 
welche Gründe es fonft waren, vermochte die bremifchen 
Domberren, bey der Wahl des Nachfolgers bey diefem 
Gefchtechte zu bleiben; fie ernannten feinen Brudersfohn, 
bisherigen Probft zu Paderborn, Gerhard IL, welcher 
die Reihe der Erzbifchöfe von Hamburg und Bremen 
beſchließt. Denn der Streit über den Vorrang und 


Trennung der Stifter Hamburg und: Bremen. 107 


des Erzbiſchofs Siegel und Unterfebrift begann zwiſchen 
den ' eiferfüchtigen  Stiftern aufs Neue; die Sache 
wurde vor den Pabſt Honorius II. gebracht, Vor⸗ 
ſchlaͤge wurden bin und ber gethan, bis endlich beyde 
Parteyen 1223 im folgendem Vergleiche fich vereinigten: 
Der Titel, die erzbifchöftiche Wurde und alle Metro- 
politanrechte follen Hinführo mie Anerkennung der 
bamburgifchen Kirche bey Bremen verbleiben; die 
jenfeit der Elbe im Erzftift Bremen gelegenen, aber 
der bamburgifchen Probſtey gehörigen Lander follen 
ferner dem hamburgifchen Kapitel zugehören, doch fo, 
daß von dem zu Hamburg abgegebenen Spruch an den 
Bremer Send (Synode) appellire werden kann; bey 
Erledigung des erzbifchöflichen Stuhles follen von 
Hamburg der: Probfi, der Dechane und Scholaſticus 
jur Wahl nach Bremen gerufen werden und daſelbſt 
mit den bremifchen Domberren gleiche Rechte genießen; 
beyde Kirchen werden als Schweſtern berrachtet. So 
blieb dem nachgebenden Theil der mwefentliche Gewinn 
größerer, bis auf fpäte Zeiten erhaltener Unabhängig: 
feit von dem Erzbifchof zu Bremen, der bey feinem 
Antritte jedesmal die von den Kaifern und Pabfien 
dem bamburgifchen Domkapitel beygelegten Rechte und 
Srepbeiten- anerkannte und beffätigte- An die Gtelle 
des Erzbifchof8 trat in Hamburg der Probfkf (praepo- 
situs), dem es oblag, die Firchlichen Vergeben der 
Laien wie der Geiftlichen feiner Probſtey zu beſtrafen, 
und richterliche Gewalt zu üben, Ihm zunaͤchſt fand 
der Detan oder Dechant, dem die Aufficht über 
die Geiftlichkeit anvertraut war, "und dem Die Kbrigen 


108 Waldemar’ II. Königs von Danemarf 


Domberren, Bicarien, Diafonen, Mönche und andere 
Geiftlichen  gehorfamen mußten. » Der Scholafticuß 
hatte die beſondere Auffiche über das Gchulmefen. 
Diefe Veränderung. der geiftlichen Werbaltniffe Ham⸗ 
burgs gefchah, als Graf Albrecht von Orlamuͤnde 
zum eigenthuͤmlichen Beſitze dieſer Stadt gelangt war. 
Und hiermit knuͤpfen wir den Faden der uͤbrigen 
Geſchichte wieder am, f 

Es darf befremdend feheinen, daß wir bis dahin 
vergeblich nach einer "Spur ung umfehen, die ung 
verrierhe, wo der junge Adolph fich unterbeffen vers 
borgen gehalten, ob und welchen Antheil er an allen 
diefen Greianiffen genommen, was er verfucht babe, 
die Rückkehr in das Erbe feiner: Water fich zu bereiten, 
Merfen wir einen Blick auf die damalige Lage der 
Dinge, fo: wird und diefe raͤthſelhafte Verborgenheit 
vielleicht erflarbar. König Waldemar ſtand an. 
Macht ein folcher Koloß da, den zu erfchittern einzel⸗ 
nen Kraften unmöglich vorkommen mußte, Er ſelbſt 
war mit den größten Eriegerifchen Tugenden begabt und. 
erfchien überall mit dem gefürchteten Beynahmen des 
Siegers, den fein Zeitalter ihm beygelegt hatte, Auf: 
fer. den Dänifchen Provinzen und einigen Landereyen, 
bie, er in Dfigotbland beſaß, gebor er über Nordalbin⸗ 
gien, Schwerin, Mecklenburg und Lauenburg, über 
Pommern, einen Theil Preußens und alle Lander, die 
ſich laͤngs der Küfte der. Oſtſee bis nach Kurland, 
Livland und Eſthland hin erfirecften; dazu kamen noch 
die Inſeln Roe (Rügen) und Ymbria (Femern). Er 
befehligte ein. Heer von 160,000 Mann, darınter 2800 


Mache und Länder, 109 


Gewappnete und Bogenſchuͤtzen, und 1500 lange Schiffe, 
Zur Seite ſtand ihm’ Albrecht vom DOrlamünde, 
der gleich ritterlich und tapfer ſelbſt dann jedes feind- 
felige Unternehmen unmöglich machte, als Waldemar 
in angefebener und zahlreicher Begleitung einen Zug 
nach Livland unternahm, Cı219) damahls, als "bey 
einer gefährlichen Schlacht in Eſthland das Palladium 
der Dünen, das berühmt Danebrog,' eine rothe 
Fahne mit dem weißen Kreuze, vom. Himmel fiel; 
auch als der König zur. Stillung ausgebrochener Unrus 
bem nach der Inſel Defel ging, war er ihm treuer 
Gefährte und Werkzeug feiner glüͤcklichen Thaten. 
Wahrend diefer Zeit konnten die um den jungen Adolph, 
wie um das Panier ihrer Hoffnungen und Wünfche, 
verfammelten Edlen Holfteind unmöglich zur Ausfuͤh⸗ 
rung ihrer Plane ſchreiten, die fie zur Befreyung des 
Darerlandes entworfen hatten, Aber ein Beweis eben 
fo edler Treue als befonnener Umſicht bleibe e8, daß 
fie ihre Verbindung und ihre Plane ſelbſt fo Tange, fo 
unverbrüchlich geheim hielten, Ein ungeahneres Ereig- 
niß, das plöglich, wie durch einen Zauberfchlag die 
Lage: der Dinge veränderte, ließ diefelden nur früher 
zur Ausführung kommen, als menfchliche Berechnung 
bis jeßt zu hoffen gewagt hatte; denn auch hier be: 
mwahrbeitere fich die, ewige Lehre der Gefchichte, dag 
dem ungebührlich emporffrebenden Uebermuthe unver: 
meidlich die fichere Strafe folge, 

Heinrih, Graf von Schwerin, und deffen Bruder 
Guͤnzel hatten einen Edelmann, Johann Gans auf 
Grabow, einen Ahnherrn der Edlen von Puttlitz, 


110 Heinrich von Schwerin nimmt den 


wegen begangenen Unfugs aus dem Lande gejagt. 
Dieſer nahm feine Zuflucht zu dem Könige Waldemar, 
der ihm zu Liebe nicht nur das dem Grafen Heinrich 
gehörige Schloß Boigenburg zerſtoͤrte, fondern auch 
deffen ganzes Gebier durch Albrecht von Orlamuͤnde 
verheeren ließ. Ueberdies foderte er den Grafen noch 
nach Danemarf, und fchrieb ihm zur Ausfühnung fo 
harte Bedingungen vor, daß deren Erfüllung unmoͤg⸗ 
lich war. Da weder Bitten noch Vorfielungen hal: 
fen, daß Heinrich zu dem Seinen wieder gelangen 
Fonnte, überdieß fein Gemüth auf das höchfte entrüfter 
war, weil König Waldemar an feiner Gemahlin gefre- 
velt hatte, ſo faßte er den Entſchluß, ſich an der 
Perſon des Königs ſelbſt auf das empfindlichfte zu 
rächen, und ver volführte feinen Plan auf die über: 
raſchendſte Weiſe. Waldemar erfuftigte fich mit feinen 
Söhnen und wenigen Hofleuten auf der an der Südfeite 
von Fühnen gelegenen kleinen Infel Lyoe mit der Jagd 
und anderen ritterlichen Spielen und Uebungen; des 
Abends und einen Theil der Nacht hindurch fchwarmten 
fie beym  freifenden Becher. Dieſe Gelegenheit erfah 
der Graf, feine Rache zu befriedigen. Mitten im der 
Nacht vom 6. May 1223, als der König mir feinem 
Gefolge von der, Jagd ermüder und von den Dünffen 
des Weins benebelt in den Banden des Schlafes Tag: 
drang Graf Heinrich mir feinen Leuten in die Gezelte,. 
bemachtigte fich der Perfon des Königs und deffen altes 
fien Sohnes,  verftopfte ihnen den Mund und brachte 
fie eiligjt nach‘ den in Bereitſchaft gehaltenen Fahr⸗ 
zeugen, auf welchen ex feine Beute abführte, und fie 


Honig Waldemar gefangen 1223, III 


zuerſt nach. dem Schloſſe Dallenberg, dann nach Lens 
jen, und endlich nach Schwerin in feſten Sewahrfam 
brachte, | 
—Ungeſaͤumt ernannten die daͤniſchen Großen den 
Grafen Albrecht von Orlamünde zum Reichsver— 
wefer, und mwandten alles an bey dem Kaifer ſowohl, 
als bey dem Pabſte, die Gefangenen aus ihrer Haft zu 
befreyen. Allein dem Kaiſer, der nur damit umging, 
den Grafen Heinrich zu vermögen, ‚die Gefangenen in 
feine Gewalt zu geben, war es. nicht Ernſt damit, fich 
derfelben anzunehmen; und obſchon der Pabſt Honos 
rius TI. durch fihriftliche Ermahnungen und Drobuns 
gen fowohlz als durch Verwendung des Erzbifchofg 
von Coͤlln und der Bifchöfe von Lüberf und Verden 
ihre Befreyung zu bewirken fuchte, blieben dennoch 
alle diefe Bemühungen fruchtlos. Zwar wurde auf 
dem Reichdtage zu Bardowif (den 4. July 1224) ein 
vorläufiger Vergleich geicbloffen, nach welchem Waldes 
mar geloben: mußte, einen Kreuzzug nach Palaͤſtina zu 
unternehmen; allen Anfprüchen auf Nordalbingien follte 
er für fich und feine Söhne entfagen, bie flavifchen 
Länder dem Reich überlaffen, und Dänemark vom 
Kaifer zu Lehen nehmen, aufferdem noch 40,000 Darf 
Silbers Loͤſegeld zahlen, anderer Bedingungen zu ge 
fchweigen. Aber wie fehr die deutſchen Fürften damit 
zufrieden waren, fo wenig mochten die Lehnsleute und 
Verbuͤndeten Waldemars ſich denſelben unterwerfen, 
und die ganze Unterhandlung zerſchlug ſich. 
Graf Albrecht von Orlamuͤnde dachte darauf, 
was nicht durch billige Aufopferung zu erhalten fey, 


112 Albrecht giebt Hamburg die Freiheit zurückf. 


durch Gewalt zu erfampfen, wie er denn ſtets eines 
feften und ritterlichen Sinnes ſich bewiefen hatte, Hamz 
burg, fein vom banifchen Könige erfauftes Eigenthum, 
hatte er ſich durch milde Behandlung und durch viel 
fache Beweiſe der Wohlthatigfeit geneigt gemacht. 
Set, da er feinen und feines Gefangenen Bundesge- 
noffen Feinden nicht anders, als mit flarfer Heeres: 
macht begegnen könnte, fuchte er nichts angelegentli- 
cher, als Mittel, ein fo fehwieriged Unternehmen mit 
vorbereiteten Kraften zu ‚beginnen. Diefe Mittel fehies 
nen ihm allein Hamburg Tiefern zu koͤnnen, fo ber 
deutend ſchon war der Wohlftand diefer Stadt heran— 
gediehen. Wie ein Fundiger und befonnener Schiffer 
fuchte er, was ihm noch zu verten fibien, durch Auf: 
opferung des nicht zu haltenden fich zu verfichern, Um 
ſich die Grafſchaft Nordalbingieng zu vetten, fchien 
ihm Hamburg ein wirdiger Preis. Er unterhandelte 
daher mit den Einwohnern diefer Stade um ihre Frey- 
beit, und für die Summe von eintaufend und 
fünf bundert Mark loͤthigen Silbers (ungefähr 
17000 Thaler) ſprach er fie los von aller Unterwüͤrfig— 
feit und trat alle Anfpruche und Rechte feyerlich ab, 
die er durch den Ankauf der Stadt von Waldeniar 
über diefelbe erhalten hatte, Das war der. erffe Anz 
fang einer freyen Gemeinheit in Hamburg. (1224) 
Darauf brachte Albrecht ein Heer zufammen und 509 
in’ Verbindung mit dem Herzog Otto von Lüneburg 
feinen Feinden entgegen, 

Der Gmf Heinrich von Schwerin nämlich war, 
wahrend dieſes geſchah, nicht unthaͤtig geweſen. Da 


Adolph IV. erobert fein Erbe wieder 1225. 113 


er allein zu ſchwach war, hatte er fich mit dem Erz— 
biſchof Gerhard von Bremen und mie dem Mecflenbur: 
gifeben Fürften ‚Heinrich Burwin verbunden, die mit 
vereinigten Kräften ihre ander aus den Händen ver 
Dänen zu reißen entfcbloffen waren. Ohne Zweifel 
Harte fih auch‘ Graf Adolph IV, gleich nach den 
geſchehenen Königsraube mit allen, die ihm ergeben 
‘waren, an Heinrich angefchloffen; denn er erite num 
plöglich aus feiner Verborgenheit auf den Schauplag 
der Begebenheiten hervor, viele holſteiniſche Mliche 
und Nitter im feinem Gefolge, Kaum vernahm Graf 
Heinrich, daß die verbuͤndeten Gegner, Albrecht und 
Drto, im Anzuge wären, als er ihnen vol Zuverficht 
entgegen rückte, Im Januar des Jahres 1225 Fam eg 
zwifchen ihnen bey Mölln zu einem blutigen Gefechte, 
in welchem von beyden Seiten mit Erbitterung geſtrit⸗ 
ten wurde: aber der Sieg neigte fih auf Heinrichs 
Seite; Albrecht geriech perfönlich mit vielen andern 
Rittern "und Edlen in Gefangenfcheft und ward zur 
großen Befkürzung Waldemars nach Schwerin ‚in den⸗ 
ſelben Thurm, wo auch der König gefangen faß, in 
Gewahrfam gebracht, Dem Grafen Adolph IV. 
wurde es Teiche, ſich wieder in den Beſitz aller der 
Gürer und gehen zu ſetzen, die ſeinem Later entriſſen 
worden waren. 

Vorzuͤglich war ihm daran gelegen, auch Ham 
burg wieder zuriick su befommen ‚, wo men die Zwi⸗ 
ſchenzeit benutzt hatte/ vermoge der mit baarem Gelde 
erkauften Freyheit der inneren Verfaſſung eine zweck⸗ 
maͤßigere Geſtalt zu geben. Aufgemuntert durch das 

8 


114 Adolph IV. belagert Hamburg 1225. 


gluͤckliche Gelingen feiner erfien Unternehmungen und 
von feinen Bundesgenoffen unterffüßt, näherte er fich 
der Stadt, die noch durch die Veſten gedeckt wurde, 
welche die danifchen Zwingherren früher angelegt hat- 
ten. Der erfte' Angriff gefcbab auf das Schloß bey 
Schiffbef , melches Albrecht von. Orfamünde auf 
der Höhe an der Bille 1216 hatte anlegen laſſen. Die 
daͤniſchen Reiſigen wehrten fich anfangs aufs. tapferfte : 
aber da rings um ſchon Alles in den Händen der Sie⸗ 
ger, von den Ummohnenden, Die fo oft ihren Neber- 
muth erfahren, Feine Unterſtuͤtzung zu hoffen. war, 
Waldemar und Albrecht gefangen , fo ergaben fie fich, 
da die Hartnaͤckigkeit ihres Widerfiandes die feindliche 
Erbitterung nur vermehrte, endlich der Gnade des 
Siegers; Adolph aber, der von den Gefinnungen der 
Hamburger noch nicht ficher unterrichter war, fand 
nicht für gute, das Schloß zu zerftören, ſondern verfah 
es mit einer neuen Befagung, In Hamburg waren unter: 
deffen, mie es in bedraͤngter Lage zu geſchehen pflegt, die 
Meynungen verfchieden,. Einige hielten dafür, daß man 
ohne Verzug dem Gieger nachgeben müffe, da man 
jest noch leicht Verzeihung finden koͤnne; andere riechen 
zu hartnaͤckigem Widerffand, daß nicht das zur Erfau- 
fung der Freyheit verwandte Geld nutzlos vergeudet wareı 
Den Berfländigeren gefiel der Mittelweg, den zum Heil 
des Ganzen der glügfliche Erfolg beguͤnſtigte. Denn als 
fich Adolph der Stadt genähert, und, nachdem er durch en: 
gen Einſchluß alle Zufuhr ihr abgefchnitten, fie zur Ueber— 
‚gabe aufgefordert hatte, ſchickten fie, ihmAbgeordnete ent: 
gegen, welche alſo zu ibm gefprochen haben ſollen, 


Adolph IV. belagert Hamburg 122 115 


Sie würden zwar ungern etwas reden, was dem 
Grafen minder gefiele,, aber es zwinge fie Liebe 
zu ihrer Vaterſtadt und das Geheiß ihrer Buͤrger. 
Fürs erfke wiſſe er ſelbſt am beften, mie durch dag 
Recht des Krieges Holftein und Stormarn in des 
Königs Waldemar Gewalt gekommen; fie feyen ein 
Theil der Belohnung des Siegers gemwefen, und 
nicht die einzigen, die nach der epdlichen Abtres 
tung feines Vaters und der darauf gefolgten Stille 
von zwey und zwanzig Jahren Neuerungen vorzuneh— 
men gewagt haͤtten. Mit Recht zwar haͤtten ſie im 
Stillen das Mißgeſchick ihres alten Herrn beſeufzet, 
aber nothgedrungen haͤtten ſie oͤffentlich eine andere 
Magfe vornehmen müffen, um nicht den neuen Gebieter, 
den das Geſchick ihnen auferlegt habe, mit Gefahr des 
augenblicklichen Unterganges durch unzeitige Kraͤnkung 
zu beleidigen. Daher haͤtten ſie die Herrſchaft des 
Grafen Albrecht ‚, anfangs als ihres Statthalters, 
nachher. als ihres unumfchranften Fuͤrſten, da er fich 
den vollen Befig der Stadt durch Gold erfauft gehabt, 
ertragen, Diefe aber ſey ſofort auf. diefelbe Art 
und mit micht geringem Vortheil Albrechts auf fie 
übergetragen, da er. zu dem ihm drohenden Kriege ſich 
rüftend, aus Furcht vor einem unguͤnſtigen Ausgang, | 
das Gemiffe Lieber als das Ungewiffe habe nehmen 
wollen, Vergebens werfe man ihnen vor, daß dies 
mit ‚Berrug gegen das Schauenburgifche Hans gethan 
worden fey, da Berrügerifch nicht genannt werden 
fönne, was auf das Recht des Krieges, was auf 
geiesliche Verhandlung, was auf erlaubten Vertrag 
8* 


116 Adolph IV. belagert Hamburg, und halt feinen 


gegründer fey. Wolle man ihnen allzu große Liebe zur 
Freyheit zum Fehler anrechnen, fo muͤſſe zuerſt die 
Natur der Dinge angeklagt werden, die dieſes Gefuͤhl 
allen lebenden Weſen auf gleiche Weiſe eingepflanzt 
habe. Dieſes und ſo vieles Andere koͤnnten ſie, wenn 
die Sache mit Worten vor Gericht verhandelt werden 
ſollte, für ſich anführen; aber nicht Alles ſey allen 
Zeiten angemeffen und es fey nichts thörigter, als 
unter dem Geraͤuſch der Waffen als Rechtskundiger 
handeln wollen oder müßig zu philoſophiren. Daher 
fey das Ende ihrer Geſandtſchaft diefes, daß die’ Ham- 
burger ibm ohne Beſchwerde freyen Einzug in ihre 
Stadt vergönnen und den einem Fürffen von feinen 
Unterthanen fehuldigen Gehorfam und alle Ehre erzei- 
gen würden, wenn dieſes geſchehen Fonne unbeſchadet 
ihrer. Freyheit und der Privilegien, die fie von den 
Kaifern und von welchen anderen fonft, befonders aber 
vom Grafen Albrecht, es fey aus freyer Gnade oder 
für Geld, erhalten hatten, Denn wenn dieſes ihnen 
verweigert wuͤrde, haͤtten ſie beſchloſſen/ lieber zu 
ſterben, als Verminderung ihrer Gerechtſame zu dulden, 

Adolph nahm diefe Rede der Abgeordneten, teils 
aus eigenthümlicher Herzensgüte, theils wegen der 
Beſcheidenheit zugleich und Feſtigkeit der Gefinnung, 
die fich in derfelben ausfprach, mit, Geneigtheit auf 
und obfihon mehrere ihm, da fie von der Plünderung 
der Stade reiche Beute hofften, zur ſtrengen Gewalt 
riethen, 308 er doch. einen gütlichen Vergleich wor, und 
wenn er auch die Forderungen nicht im ganzen Umfang 
erfüllte, bewilligte er der Stadt doch alle jene Freyheiten 


Einzug, 1225. Waldemar fomme frey, 1226, 117 


und Rechte, die Kaifer Friedrich I. ihr. auf Berwen⸗ 
dung feines Vaters ertbeilt hatte. Um die Weihnachts: 
zeit 1225 biele er in Hamburg feinen Einzug. Hm 
diefe wichtige Erwerbung vor ferneren Angriffen zu 
ſchuͤtzen, griff er rafıh die Schanze bey dem Eichholz 
an, nahm fie ohne großen Widerſtand und ſchleifte ſie, 
eben fo auch das Schloß bey Schiffbeck, den Vorrech- 
ten. der Hamburger gemäß, kraft welcher Niemand 
befuge ſeyn follte, zwo Meilen rings um die Stadt ein 
feftes Schloß aufzuführen. 

Nun gab Heinrich, Straf von Schwerin, auch den 
dringenden Vorfielungen Gehör, melche der Papft ihm 
unaufborlih im Betreff des Könige von Danemarf 
machen ließ und flelfte ihn im J. 1226 in Freyheit. 
Die Bedingungen waren jeboch. nicht minder bare, als 
die früheren. Waldemar follte dem Grafen 45,000 
Mark Silbers, alle Kleinodien der Königin, die Krone 
ausgenommen, 300 Zimmer Foftberen Pelzwerkes, nebft 
1000 Ellen flandrifchen Scharlach. zur Bekleidung von 
100 Rittern geben; alle zwiſchen der Eyder und Elbe 
gelegenen, zum Reiche gehörigen Lander,. das Gebiet 
bes Heinrich von Burwin, und alle ſlaviſchen Lander, 
auffer Rügen, dem Keiche abtreten; 10 Tage nach 
feiner Befreyung Rendsburg an den Grafen Adolph 
zurückgeben und die Luͤbecker, Hamburger und uͤbrigen 
Kaufleute dieſer Gegenden, wie alle anderen aus dem 
roͤmiſchen Reiche, ſollten in Daͤnemark dieſelben Rechte 
und Freyheiten genießen, die ihnen vor der Gefangen⸗ 
ſchaft des Königs zugeſtanden worden. Damit Alles 
genau und ereulich gehalten würde, ſollten der König 


. 


118 ° Waldemar falle wieder in Holftein ein, 


und feine Söhne, die Bifcböfe und Magnaten des 
Königreiihs die Vergleichsurfunde befchwören und uns 
terfiegeln; er mußte ſchwoͤren, nicht blos ſich ſelbſt 
nicht zu rachen, fondern auch feine Freunde und Bun 
desgenoffen von aller Rache abzuhalten. Zur Gewähr: 
leiſtung follte er feinen Sohn Waldemar und feine 
übrigen Söhne zu Geifeln ſtellen. 

So harte Bedingungen zu erfüllen wer der König 
nicht gefonnen, Ohne GSchwierigfeiten wurde er vom 
Papſte, der uber Heinrichs Geringachtung feiner Vor: 
ſtellungen erzuͤrnt war, feines geleifteren Eydes entbun— 
den, und kaum ſah er ſich in den Augen der Welt 
ſeiner Eydbruͤchigkeit wegen gerechtfertiget, als er raſch 
darauf dachte, die erlittene Schmach durch Wieder— 
eroberung des Verlorenen zu tilgen. Er vereinigte ſich 
mit ſeinem Schweſterſohne, dem Herzog Otto von 
Luͤneburg, und fiel zunaͤchſt ins Land der Dithmarſchen 
ein, die ſich ihm, trotz tapferer Gegenwehr, ergeben 
mußten, Er verwuͤſtete ihr Gebiet, ließ Reiſige zurück, 
fie im Zaume zu halten, und rücte darauf in Holftein 
ein, wo Adolph ihm mir feinen Verbündeten entgegen 
fon, Der Kampf mar Iange Zeit zweifelhaft und 
guͤnſtig bald für diefen, bald für jenen, Zuerſt nahm 
der König das feſte Schloß Rendsburg wieder, nachdem 
er einen empfindlichen Verluſt daſelbſt erlitten hatte; 
much Itzehoe gewann er, und die Lage der Verbündeten 
wurde immer bedenfricher, fo daß fie auch den Herzog 
Albert von Sachſen zu Hilfe riefen, Eine günffigere 
Wendung nahmen die Dinge bald, als Lübed an 
denſelben thätigen und kuͤhnen Antheif nahm. 


. 


Luͤbeck verjagt die danifche Beſatzung. 119 


Schon laͤngſt des daͤniſchen Joches uͤberdruͤſſig 
hatten die Luͤbecker im Fruͤhjahr 1226 in aller Stille 
ſich an den Kaiſer Friedrich II. gewandt und um 
neue Beſtaͤtigung ihrer von feinem Großvater Friedrich 
dem Rothbart erhaltenen Freyheiten und Vorrechte 
gebeten, Der Kaifer willfahrte nicht allein dieſer Bitte, 
fondern vermehrte ihre Privilegien noch mehr, erklärte 
ihre Stadt für freye Reichsſtadt, und trug den Berz 
bündeten Albrecht, Herzog von Sachfen, dem Erzbifchof 
Gerhard II. von Bremen, den Grafen Adolph IV. 
von Holfkein und Heinrich von Schwerin, fo wie dem 
mecflenburgifchen Fürften Heinrich Burwin auf, der 
Stadt Lüberf gegen die Danen die erforderliche Huͤlfe 
zu Teiften. Inzwiſchen waren die Lüberfer ſchon bemüht 
gewefen, fich der dänifchen Beſatzung zu entledigen, die 
noch immer in ihrer Veſte und innerhalb ihrer Ring— 
mauern lag. Die mehr ald zwanzig Jahre lange Zeit 
der Unterdrüdfung hatte dag gegenfeitige Mißerauen der 
Bürger und Kriegsknechte gemildert und beyde einander 
äufferlich näher gebracht; auch als die Luͤbecker, wahrend 
alles Land ringsum in Bewegung war, fich ruhig vers 
bielten, hatten fie allen Argwohn erſtickt; dadurch 
murde die Ausführung ihrer Fühnen Thar erleichtert, 
Einft bey der Feyer eines alljäahrigen Feſtes, es mar 
am ı. May 1226, wo man den danifchen Befehlshaber 
mit eingeladen und fogar ihn zum Maygrafen ernannt 
batte, fammelte fich ein Haufe wehrhafter Tübfcher 
Männer, mit forglich verborgen gehaltenen Waffen, in 
die Burg, überfielen die Beſatzung, die fich deffen nicht 
verfahb, toͤdteten mehrere, verjagten die übrigen und 


120 Adolph IV., Heinrich ꝛc. vereinigen fich mit 


feßten fich fo in ben Beſitz der Burg, die fie alsbald 
nieberriffen umd zerfförten, Auch ald die Uebrigen, 
welche beym Feſte ſich ergösten, ‚die Nachricht der 
gelungenen That erhielten, ergriffen fie den Danifchen 
Befehlshaber, nahmen ihn in Verhaft und vertrießen, 
was noch von Dänen fich fehen ließ. 

Die fehr diefe That das Wohlgefallen des Kaiſers 
erregen mußte, fo. fehr entrüflete fie den König Wals 
demar, Eiligſt zog er feine Truppen zufammen und 
naberte fich der Stadt, fie für ihren Abfall zu zuͤchti⸗ 
sen, Aber die verbiindeten Grafen von Mecklenburg 
und Holftein, theils für ihre Selbfterhaltung ‚bedacht, 
theils der vom Kaiſer erhaltenen Aufmunsterungen eins 
gedenf, vereinigten fich mit den Lüberfern und kamen 
eber bey der Stadt an, als der König zu verhindern 
vermochte. Adolph IV. wurde von ihnen einmuͤthig 
zum oberfien Heerführer erwahlt: denn man vertrauete 
eben ſo fehr feiner Tapferkeit und Kriegserfahrenheit, 
als man wußte, daß er mehr, mie jeder andere, für 
feine Erhaltung zu Fampfen habe, Ueber den weiteren 
Zuruͤſtungen ruͤckte das Jahr 1227 heran; ein Theil _ 
deffelden wurde noch mit Verheerung der Felder und 
wenig enefcheidenden Angriffen zugebracht; man fibien 
daher zuletzt entichloffen, die Sache auf einen. Haupt: 
flag ankommen zu laſſen. An den Grenzen von Hols 
fein und Wagerland Jiegt ein kleines Dorf, ſchon im 
zwölften Jahrhunderte berühmt durch die Kirche, die 
Vicelin daſelbſt geweihet harte, von der unweit deffel- 
ben vorbepfließenden Swentine anfangs Swentinefeld, 
nachmahls von dem Bornbeck, der dafelbft entfpringt 


den Luͤbeckern und schen Waldemar entgegen. 121 


und fich in die Swentine ergießt, Bornbövede, dag 
Haupt des Bornbarhes genannt, Auf dem ebenen, 
freyen Felde dafelbit hatte ſich König Waldemar mit 
feinem Heere gelagert ; am 20, July fiand auch dag 
Heer der Verbünderen ihm gegenüber,  Zmey Tage 
lang batte man. fih durch Entwürfe und Eleine Vers 
‚füche Vortheile der Gegend abzugewinnen und den Gieg 
zu. fichern gefucht, als endlich mie dem Anbruch des 
dritten Tages, e8 war. am Tage Maria Magdalens, 
beyde Heere gegen einander rüsften,: bereit, bier. die 
Freyheit, dort die Ehre des Krieges und die gefährdete 
Herrſchaft zu erfämpfen. . Das Kriegsvolf der Dänen 
wurde auf dem rechten und Iinfen Flügel von dem Her: 
305 Otto von Lüneburg und dem Föniglichen Prinzen 
Abel, nachmahligem Herzog von Schleßwig befehligt, 
die Mitte führte der kriegsluſtige und ſiegesſtolze König 
ſelbſt; das hinterſte Treffen bildeten die Dithmarfchen, 
welche, erft im vorigen Jahre wieder unterworfen, dem 
danifchen Könige mie Unmwillen gefolge waren und dem 
Grafen Adolph im Stillen hatten zufagen laſſen, daß 
fie im Treffen zu ihm übergehen wurden. Auf ahnliche 
Are Hand auch das verbündere Heer geordnet. Abeln 
gegen über fand der Graf Heinrich von Schwerin 
und der muthige Bürgermeifier von Lubeck, Alex an⸗ 
der von Soltwedel, mit dem Kerne der luͤbecki⸗ 
fihen Bürgerfebaft; auf dem linken Flügel, gegen Deto, 
Herzog Albere von Sachfen ; das Mitteltreffen, das 
an der Spitze von 300 erleſenen Streitern, von Fried⸗ 
rich II. ſelbſt gefande, der Faiferliche Adler zierte, 
führte Graf Adolph IV.; im Rüuͤcken fanden die 


122 Zreffen bey Bornhövede, 1227 den 23. July, 


Huͤlfsvölker des Erzbifchof8 Gerhard von Bremen, 
und des wendiſchen Fuͤrſten Burmwim, Mit dem fruͤ— 
ben Morgen hatte das Treffen begonnen, und war meh- 
rere Stunden mit Hartnacfigfeit und Erbitterung fort 
gefege worden. Der Mittag naherte fich und die Sonne 
fchoß ihre heißen Strahlen den Leuten Adolphs gerade 
ins Geficht 5; Waldemar benußte den Vortheil, und 
drangte harter zu; jene, von den Strahlen geblender, 
von der Hige ermatter, fingen an zu weichen, Miß⸗ 
trauen und Furcht nahmen uͤberhand, die Unordnung - 
wurde allgemein und das Heer febien in völlige Flucht 
ſich auflöfen zu wollen. Adolph eilte von einem Ende 
der Seinigen zum andern, die Zerſtreueten zu fammeln 
und ihren Much wieder neu zu beleben. Er erinnerte 
fie an die ihm gelobte Treue, hielt ihnen die Schmach 
vor, die ihrer aufs neue warte, menn fie ihrer Frey- 
heit verluftig gingen, und fpornte fie an, den Sieg, 
den fie ſchon halb errungen gehabt, fich nicht entwinden 
zu laſſen. Gleichwie die Heerführer des Alterthums, 
wenn das Glü des Treffens zu wanken ſchien, den 
Göttern zur Rettung des Sieges Gelübde darbrachten; 
alſo fol euch Adolph, als jest die Seinen wieder 
Stand hielten, ausgerufen haben: „Heiliger Gott, ich 
verfpüre deine mächtige Hülfe und will nicht undanfbar 
erfunden werden, dag du dem Unwirdigen beyſteheſt. 
.Benn du mir die Feinde überwinden hilfit , fo gelobe 
ich zum Denfmahl deiner Gnade bey den Nachkommen, 
zu deiner Ehre und zum Andenken diefes Sieges, Kir 
chen aufjurichten, und ich will mich aller menfchlichen 
Dinge entſchlagen und zu deinem Dienfte mich ſelbſt 


und deffen Folge, | 123 


meiben.* Mit freudiger Zuverficht geftarfe ſtuͤrzte er 
fib in das Gewühl des Kampfes zurück: ſiehe, da bes 
gegneten ihm die umgefehrten Schilde der Dithmar⸗ 
ſchen, das verfprochene Zeichen, daß fie zu feinem 
Beyſtande übersreren würden, AS fie mit Ungeſtuͤm 
in die Schlachtordnung der Danen einftelen, da fchöpf- 
ten Adolphs Heerhaufen auch friſchen Muth, das 
Schickſal des Treffens wankte und wandte ſich. Die 
Daͤnen von zwey Seiten angegriffen geriethen in Ver— 
wirrung; nicht mehr Hoffnung zum Siege war da, ein 
jeder war nur auf Rettung bedacht durch ſchleunige 
Flucht. Viertauſend Daͤnen deckten das Schlachtfeld, 
Herzog Otto und drey Bifchöfe geriethen in die Gewalt 
der Sieger , der’ König Waldemar feldft verlor Ein 
Auge und entfam der Gefangenfchaft nur durch Die 
Treue eines deutſchen Nitters, der ihn nach Kiel rettete. 

Diefer Schlag war entfcheidend : Adolph hatte 
dadurch niche nur feine Graffchaft von Neuem wieder 
gewonnen, fondern auch Deusfchlands Grenzen an den 
Geftaden der Oſtſee und dem Ufer der Eyder feſter ges 
ſteckt. Die Dithmarſchen erhielten die ihnen verſproche⸗ 
nen Freyheiten wieder, und Luͤbeck führte von jegt an 
den Nahmen einer freyen Reichsſtadt. Zwar verfuchte 
Waldemar, der fich in die Beranderung feines Gluͤckes 
nicht finden konnte, nochmahls, dag verlorene Holfkein 
wieder zu gewinnen, Er griff im J. 1228 Rendsburg 
an, wurde aber durch einen Meberfal der Grafen 
Adolph und Heinrich, die durch einen Moraft festen 
und ihm in Ruͤcken fielen, genöthige, die Belagerung 
aufzuheben, Nachdem er bierauf feinen Unwillen durch 


124 Waldemar weicht aus Deuefchland. 


Beſtrafung ver Dithmarſchen befriedigt hatte, zog ex 
gegen Itzehoe und Segeberg; aber nirgends war er 
gluͤcklicher; er mußte ſich damit begnügen, das Land 
zu durchziehen und an mehreren -Drten zu verwuͤſten. 
Die fachfifchen Veften Ratzeburg, Mölln und Lauenburg, 
welche noch in den Handen der Dänen waren, wurden 
von Herzog Albrecht I. von Sachſen angegriffen nnd 
erſtere Teiche genommen, nur Lauenburg wehrte fich 
tapfer und Die Uebergabe gefibab endlich unter der 
Bedingung, daß Graf Albrecht von DOrlamünde, der 
noch immer in Schwerin in Gefangenfchaft gebalten 
wurde, in Freyheit komme. Endlich gab Waldemor, 
der fruchtlofen Fehden uͤberdruͤſſig, die weitere Verfol- 
gung feiner Plane auf, fühnte fich mit feinen Feinden 
wieder aus und entfagte allen Anfprüchen, die er an 
Holftein und Wagrien gehabt zu haben vermeynte, Mir 
dem Grafen Adolph fihloß er ſogar ein gegenfeitiges 
Bündrif, das in der Folge 1237 durch die Vermäh- 
fung des Königlichen Prinzen Abel, den der Vater zum 
Herzog von Schleßwig ernannt hatte, mit des Grafen 
Tochter Mathildis noch enger geknüpft wurde. Go 
verſchwand die Erfcheinung der daͤniſchen Macht von 
Deusfchem Boden wieder, Don allen Grafen und Herz 
ven, die früher Waldemars Oberberrlichkeit anerkannt 
hatten, trug allein der Fuͤrſt von Kügen noch ſein Land 
von ihm zum Lehen. Herzog Albrecht von Sachen 
hatte. durch feine Ermerbungen ein abgerundetes Land 
erbalten, auf welches nun ber Nahme des Herzogthums 
Sachſen überging, obſchon es nur einen Eleinen Theil 
des älteren, ungleich mächtigeren umfaßte, und von der 


a 6 A 
— Dr 


Adolph's IV. Kampf mie Luͤbeck. 125 


Befte Lauenburg wurde es das Herzogehum Sachſen— 
Lauenburg genannt, 
Noch waren indeffen die Folgen dieſes Kampfes 
nicht an alfen Orten beruhigend, Adolph IV. Fonnte 
nicht Hanz die Regung der Mißgunſt unterdrücken, Die er 
gegen die Reichsfreyheit der Stade Liber empfand, 
der Stadt, die von feinem Großvater gebauet und noch 
von feinem Vater eine Zeitlang beherrſcht worden war, 
Er fuchte demnach feine Verdienſte, die er durch die 
bey Bornbövede geleiftete Huͤlfe fich um fie erworben 
gehabt, fo hoch zu ſtellen, daß fie feiner Abſicht gemäß 
mie nichts geringerem vergolten werden koͤnnten, als 
mie Wicderperflellung der alten Rechte, welche die Gra- 
fen von Holftein auf Luͤbeck gehabt hätten, Die Luͤ⸗ 
becker ſetzten umfonft auseinander, ‘wie jene früheren 
Anfprische durch Die fange Zeit, während welcher fie unter 
dänifcher Herrſchaft geftanden, fo wie durch ihre neue: 
ſten vom Kaiſer Friedrich IL. erhaltenen Privilegien 
iaͤngſt verjaͤhrt und erloſchen waͤren. Da man guͤtlich 
ſich nicht vergleichen konnte ſollten die Waffen ent⸗ 


* ſcheiden. Adolph rief ‚um deſto ſicherer zu gehen, den 


König Waldemar zu Huͤlfe, der ohnehin noch alten 
Groll gegen Luͤbeck im Herzen naͤhrte. Derſelbe ließ 
daher nicht nur Landvolk zu Adolphs Leuten ſtoßen, 
ſondern legte ſich auch mit vielen Schiffen vor die 
Mündung der Trave. Um der State alle Aug» und 
Einfuhr abzufchneiden, erbauete er an beyden Ufern 
fefte Thürme , und zog queer über eine ſtarke Kette: 
aber Tübfche Kauffahrer, die von Lievfand zurück kamen, 
fuhren mis angeſchwellten Gegen auf die Kerte iu, 


126 Luͤbeck befreyt fich von Adolph's IV. 


welche im Nu zerſprang. Der erzürnte König ließ 
darauf eines feiner größten Schiffe mie Sand und 
Steinen anfillen und in den Fluß verfenfen, wodurch 
alle Gemeinfchaft ver Stadt mie dem Meere verhindert 
wurde. Aber die Noth wird den Murhigen nur zum 
Sporn, auch durch die Fühnften Unternehmungen fich 
Rettung zu verfchaffen. Unter dem Schuße der Bollwerfe 
und Wehren, die die Bedrängten ihrerfeitd errichteren, 
bahnten fie dem Fluffe einen anderen Ausweg ing Meer, 
welcher durch Beguͤnſtigung des ſtarken Stromes. tiefer 
ward, ald der vorige und auch für die größten Kauf 
fahrteyfchiffe fahrbar. Waldemar verſtaͤrkte feine Flotte, 
mußte aber, da er den Beyſtand der Mecklenburger 
fürchtete, mit derſelben vor der Warne herumkreuzen, 
wohin ihm die Luͤbecker mit ihren Schiffen nacheilten. 
Wie ſehr er. ihnen auch an Macht überlegen fhien , fo 
hatten fie dennoch Muth genug, ein förmtiches. Ser 
treffen mit ihm zu wagen, und fo glücklich war der 
Erfolg des heißen Kampfes, der vom Morgen bis an 
den Abend gedauert hatte, daß die Danen, nach einem 
bedeutenden Verluſt an Schiffen und Mannſchaft zum 
Weichen gebracht wurden und nach ihrer Heimath zu⸗ 
ruͤckſegelten. Die Sieger führten das größte Schiff 
der dänifchen Flotte, welches mit 400 Mann beſetzt und 
in ihre Gewalt gerathen war, als Denkmahl ihres 
erſten Seeſieges, jubelnd nach Luͤbeck. Dieſe muthige 
Gegenwehr veranlaßte auch den Grafen, fein Kriegs- 
volf, mit welchem er zu Lande die Stadt bedrangte, 
aus einander gehen zu laſſen. Luͤbeck aber hatte in 
dieſem Kampfe zuerſt kennen gelernt, wie ungerechten 


und Waldemar Ueberfall, 1235. 127 


Befehdungen. mie, felbftändiger Kraft, begegnet werben 
fönne: die Folgen dieſer Anftrengungen zeigten fich bald 
in ihrem bedeutenden Umfange. Die Streitigkeit feldft 
wurde. vor den Raifer gebracht, und Friedrich der II., 
nachdem vr beyde Theile vor ſich nach Worms befchier 
den, ftellte den Grafen Adolph mit 5000 Mark Silbers, 
jede Marf zu 13 englifchen Schillingen gerechnet, zus 
frieden, wogegen der Graf allen ferneren Anfprüchen 
auf die Stadt und ihr Gebier feyerlich entfagen mußte: 
alle bisherigen Privilegien, befonders die Unmittelbarkeit 
und Reichsfrepbeie der Stadt wurden nochmals vom 
Katfer. beftätiger. Dieß geſchah 1235. 

Hamburg harte an diefen Kriegsvorfalfen nur mit 
telbaren Antheil gehabt. Kraft eines Faiferlichen Privi- 
Iegiums frey von aller Kriegesftener hatte es dennoch 
dem Sieger bey Bornhövede zur Beffreitung der Unko—⸗ 
ften eine Summe. ausgezahlt, die über 20,000 Marf 
Lübifch betrug, Auch biele Adolph nach feiner Ruͤck⸗ 
Fehr einen feyerlichen Einzug in unfere Stadt und ein- 
gedenf der Gelübde, die er in der Hitze des Kampfes 
gethan harte, ließ er noch in demfelben Jahre (1227) 
biefelbft die Erbauung zweyer Klöfter beginnen, wovon 
Das eine der. H. Marin Magdalena, das andere Johan— 
nes dem Täufer und Johannes dem Evangeliften ge 
weihet wurde. Jenes wurde den Francisfaner »- Mönchen 
eingeräumt, ober wie fie mit ihrer aufferlichen Demuth 
fich Tieber nannten, den Minoriten, (Eleinere, demuͤthige 
Brüder, fonft auch Barfüßer,) welche damahls mit 
den Dominifanern, einem gleichfalls neu entftandenen 
Möncbsorden, das meifte Anfeben befaßen und nach 


138 Erbauung der Kloͤſter Johl u. Dar, Magd. in H. 


alten Gegenden bin mit munberbarem Gedeihen fich 
verbreiteten, Das Johanniskloſter war den Dominifa- 
nern (auch Predigermönche genannt,) beſtimmt; aber 
ihre Aufnahme fand Schwierigkeit in dem Widerfpruch 
der Dom : Geiftlichen , die durch Die Anfiedelung diefer 
Mönche Abbruch ihrer Einnahme fürchteren. Dan nahm 
feine Zuflucht zu Zeichen und Wundern, Der Eigenthums⸗ 
herr von dem zum Anbau des Klofters beftimmten Grunde, 
Redder mir Nahmen, hatte mir eigenen Augen Erde vom 
Himmel neben der Klofterpforte herabfalten ſehen, die 
auswendig fihwarz, inwendig aber weiß und mit golde⸗ 
nen Streifen bezeichnet gewefen war; ein rebendes Zei⸗ 
chen des Himmeld, daß das Klofter mit Dominifanern 
befegt werden müfle: die weiße und ſchwarze Erde 
bedeute die Ordenstracht diefer. Mönche, die Goldfkrei- 
fen die. reine , goldene Lehre, welche dieſe heiligen 
Drdensbrüder verfünderen; Da nicht allein Adolph 
ſelbſt, fondern auch der Rath und die Bürgerfchaft die 
Einfaffung der frommen Mönche begünftigten und uns 
terftügten, fo mußte fich endlich das Dom⸗Capitul wohl 
bequemen, nachzugeben. Dennoch geſchah die förmtiche 
Aufnahme nicht eher , bevor die Dominikaner durch 
drey von ihnen bergefandte Abgeordnete, Burkhard, 
Otto von Mending uud Jordan; dem Dom⸗Capitul 
das förmliche Angelöbnif geleifter hatten: daß fie mit 
ihren geiftlichen Werrichtungen Niemanden in feiner 
Einnahme Abbruch thun, ja daß ſie ſelbſt für farfche 
Drdenshrüder angefeben feyn wollten, fo ferne fie für 
ihre Predigten und geiffitiben Dienfte Geld nehmen 
würden, mit dem Zufage, daß fie in dem Talle, mo 


Adolph's IV. Verdienfte um Hamburg. 129 


fie. gegen dieſes Verfprechen feblen follten, ſich ganz 
geduldig aus der Stadt wollten verjagen laſſen. Hier: 
auf wurde ihre Aufnahme auch von dem damaligen 
Domdechanten Eilhard oder Alhard feyerlich anerkannt, 
im Jahre 1235. 

Für das Beſte der Stadt erwieß ſich Adolph ind 
beſondere dadurch ehatig, daß er den Kaifer vermochte, 
im J. 1232 die fibon von feinem Vater herruͤhrenden 
Privilegien für die Buͤrger der Neuſtadt oder des Nie 
kolai⸗Kirchſpiels nochmals zu befkitigen. Diefe beſtan⸗ 
den hauptſaͤchlich im der nach luͤbſchen Gerechtfamen zu⸗ 
geſtandenen Nutznießung der zu feinen Gütern gehörigen 
und innerhalb der graflichen Gerichtsbarkeit Tiegenden 
Felder, Wieſen, Waldungen und der. Zolffrepheit in 
der ganzen Grafichaft, fo wie noch überdem im einem 
jährlich zwepmal zu baltenden Sahrmarft. Durch diefe 
und andere Beweife des Wohlwollens ſcheint ein ſehr 
friedliches Verhaͤltniß zwifchen dem Grafen und der 
Stadt begruͤndet worden zu feyn, Als fich im J. 1237 
der nachmahls durch feinen Brudermord beruͤchtigte Abel, 
Herzog von Schleßwig, wie oben ‚erinnert, mit des 
Grafen Tochter Mathildis vermaͤhlte, wurden zu der 
glaͤnzenden Hochzeitsfeyer zu Schleßwig auch der Rath 
und das Volk von Hamburg eingeladen. Dieſe bethaͤ⸗ 
tigten durch Abgeordnete ihre Anhaͤnglichkeit und Ges 
neigtheie für Adolph und deſſen Haus alfo, daß fie 
nicht nur der Braut ein reiches Hochzeitsgeſchenk übers 
reichen ließen, fondern auch ihrem Vater den Oldesloer 
Zoll, den fie zu dem Ende von Egbert, Herrn von Wols 
fenbuͤttel, für 200 Mark Silber erfauft., zum 


9 


130 Adolph's IV. frommer Kriegszug 


Geſchenk darbrachten, Diefe Heyrath übrigens beför- 
derte ohne Zweifel bie Erfüllung jener übrigen frommen 
Enefchlüffe, welche Adolph feit dem Treffen bey 
Bornhöved in feiner Seele gehegt hatte, da er jegt der 
Sorge für das Wohl feines Haufes wefentlich erfediger 
zu werden begann, 

Vor etwa achtzig Fahren, 1158 war durch Bres 
mifche Kaufleute, melche mit einem reichbeladenen 
Schiffe nach Gothland wollten und durch Sturm an 
die Mündung der Duina verfchlagen wurden, Lievfand 
und Eſthland den Deurfchen befannt geworden. Die 
vortheilhaften Geſchaͤfte, melche fie mit den roberen 
Bewohnern jener Gegend machen fonnten, veranlaften 
fie, die Reife abfichelich zu wiederholen und andere, 
ihrem Benfpiele zu. folgen: der häufige Verkehr gab 
Gelegenheit zur Gründung des nachmahls bluͤhend ges 
wordenen Kiga. Auch der Fromme Befehrungsgeifer 
der damaligen Zeit fand hier reiche Nahrung: Geiftliche 
fchifften fihb ein, andere, welche Abenteuer fuchten 
oder Sünden abzubüßen hatten, ſchloſſen ſich an fie an, 
um theilg durch Predigten, theild mit der Schärfe des 
Schwertes das Chriſtenthum unter den heydniſchen 
Einwohnern zu verbreiten, Die Reife mar kuͤrzer, als 
die nach dem gelobten Lande, welche andere zum Heil 
ihrer Seele unternommen hatten, die Vortheile aber, 
die auch bier für den gleichen Ziwecf gewonnen wurden, 
nicht geringer. Ein Auguftiner Chorherr des Klofkes 
Segeberg, Meinhard mir Nahmen, gründete dort 
die erſte Miſſions Anſtalt und wurde in der Folge der 
erfte Biſchof von Kiga, Am eifrigifen betrieb dag 


mach Lievland ꝛc. 1139. 132 


Bekehrungsgeſchaͤft ſein zweyter Nachfolger, Biſchof 
Albrecht, welcher zu der Eroberung des Landes den 
Orden der Schwertritter ſtiftete, die deutſchen Ritter auf: 
foderte, ſich mit demſelben zu vereinigen, und durch die 
Begeiſterung, mit welcher er das Kreuz predigte, auſſer 
einer großen Menge Volkes viele andere weltliche Fürs 
ften und Herren Deutſchlands veranlaßte, diefe fromme 
Heldenfahrt zu unternehmen, Der Herzog Albrecht von 
Sachſen, der Graf Albrecht von Drlamünde, der 
Wendiſche Fuͤrſt Burwin u. a; hatten folche Züge un⸗ 
ternommen; Eben damahls fanden die Schwertritter 
in größter Bedraͤngniß und der Kampf mit den hart: 
nacigen Inwohnern follte zur Entfcheidung gefuͤhrt 
werden: Für Adolph IV;, deflen Vater felbfi in 
Paldftind geweſen war, bot fich feine günftigere Ver: 
anlaffung, den Gelübden, welche er fo treufich in feis 
hem Herzen gepflegte und die. er noch immer mehr auss 
gebilder hatte, genug zu thun und fich ebenfalls nach 
der Duina einzufchiffen, Seine Söhne, fo wie die 
Verwaltung feiner Graffchaft Fonnte er: der Auffiche 
feines Eydams anvertrauen : feine Gemahlin ſelbſt, 
Hedwig, eine gehohrene Gräfin von der Lippe, die au 
Froͤmmigkeit des Herzens ihm gleich kam, faßte den 
Entſchluß, ihn auf feinem Zuge zu begleiten, Er. trat 
daher, nachdem er zuvor noch den: Chorherren der 
Domkirche zu Hamburg die Schenkung der Rechte, 
welche fein Vater auf die St: Nifolai- Kapelle gehabt 
und abgetreten, durch Erneuerung beſtaͤtiget harte, mit 
einem auserleſenen Gefolge feine Reiſe nach Lievland 
an, und blieb daſelbſt ein Jahr lang, ohne daß uns 
9* 


132 Adolph IV. gebt ing Kloſter. 


von ſeinem Aufenthalte daſelbſt beſtimmte Der 
zu Theil geworden waren. 

Nach feiner Rückkehr eilte er, auch feinen Teßten 
Entſchluß, feine übrigen Tage im Elöfterlicher Stilfe und 
in Vebung frommer Werke zu verfeben, in Ausführung zu 
bringen, Nachdem er feinen Söhnen, Johann und 
Gerhard die Graffchaft übergeben und feinen Eydam, 
den Herzog Abel zu ihrem Vormund ernannt hatte, 
trat er 1239, den 10, Auguſt, am Tage des heiligen 
Hippolyt, in Geſellſchaft zweyer Adlichen von Gkifom, 
in den Franeiffaner - Orden, der das von ihm gefkiftere 
Marien: Magdalenen: Klofter zur Wohnung hatte, Es 
war ihm ein heiliger Ernſt mit dieſem Taufche feines 
Lebens gewefen: das bewieß er ſchon als Laienbruder 
durch die gewiffenhafte Erfüllung aller der Pflichten, 
weiche die Strenge des Barfuͤſſerordens auferlegte, 
Durch feinen unermüdlichen Eifer brachte er fo viel 
Almoſen zufammen, daß er das Marien Magdalenenz 
Rlofter zu Kiel davon erbauen Fonnte, Sein uͤbriges 
Leben verliert fich ganz in diefe Flöfferliche Eingezogens 
beit, Um zur eigentlichen Prieſterweihe zu gelangen, 
wanderte er im Jahr 1244 mit Erlaubniß feiner Obern 
nach Rom, um von dem Pabſte von der Blutſchuld, 
die an den Handen des Krieger Flebte, entfühne zu 
werden: Innocenz IV. Fonnte wohl zur Belohnung 
eines folchen Eiferd, durch welchen das Anfehen des 
geiftfichen Standes fo fehr gewann, nichts geringeres 
thun, als daß er eigenhandig ihn zum Subdiaconus 
weihete. Glücklich über die Erreichung feiner Wuͤnſche 
rät er die Pilgerfihaft in die Heimath an: der. Meifter 


Sein Hbriged Leben, Tod 1261, 133 


des Dominikaner Ordens, weihere ihn zum Diafonug, 
der Biſchof von Luͤbeck, am vierten Advent, den 
20. December 1244 zum Priefter, Seine erfte Meffe 
las er im derfelben Kapelle, welche die Srancisfaner 
auf dem Siegesfelde bey Bornhoͤved geffifter hatten: 
feine zweyte Meſſe, im Marz 1245, in der Marien: 
Magdalenen » Kirche zu Hamburg, in Gegenwart feiner 
geiftlichen Brüder. eine übrige Lebenszeit brachte er 
in dem mittlerweile ausgebaueren Marien Klofter zu 
Kiel zu, in gewiffenhafter Beobachtung deffen, mas 
feine Wuͤrde und die Regel des Ordens erbeifchten. 
Dort fiarb er 12617 den 8. July, und wurde in der 
Kirche deſſelben Klofter8 vor dem Altare beygeſetzt. 
Durch ſeinen mannhaften Sinn, durch ſeinen Muth 
und ſeine Tapferkeit, durch die Beharrlichkeit in Ver⸗ 
folgung und Ausführung feiner Plane hatte er ſich den 
edelſten Rittern feiner Zeitgleich geftelt: wegen feiner 
inneren Tugenden , der Reinheit und Biederkeit des 
Herzens, der Treue und Gewiffenhaftigfeit, des from: 
men Glaubens, wie er im Geifte feiner Tage inbrünffig 
ſich ausfprach und durch feinen wahrhaft bimmtifchen 
Sinn gehört er auch nach feiner Zeit noch unter die, 
welche die Gefchichte mir Achtung und Ehrfurcht nennt, 
Sein gerechtes Lob preiße eine Inſchrift, welche in 
jüngfter Zeit feinem Bilde, das den neu eingerichteten 
Audienzſaal der Dberalten im biefigen Johannis + Klofter 
ziert, beygefüge werden iff: „Durch feine Siege gegen 
Dänemark 1224 — 4227 Nord » Elbingiend Deutſchheit 
bewahrend, mit weiſer Einfiche und großherziger Ent» 
fagung die Selbſtaͤndigkeit unſers Freyſtaats gründend, 


“ 


134 Erbauung des Klofters Harveſtehude. 


galt er feinen Zeitgenoffen, mie alten Zeiten, groß als 
Fürft und Held, gröffer noch als Chrift und Menfch, 
in ſeltener Selbſtuͤberwindung und — — 
benheit.“ 

Auch Adolph's fromme Gemahlin, Hedwig, 
folgte, nach der Ruͤckkehr aus Lievland, dem Beyſpiele 
ihres Gatten. Unweit der Stadt Hamburg, in einem 
anmuthigen Gehoͤlze, hatte, nach der Sage, ein Buͤrger⸗ 
meiſter, Nahmens Herwerth oder Herbert, der 
um 1225 gelebt haben ſoll, eine Meyerey angelegt, die 
von ſeinem Nahmen und dem Worte Hude, welches eine 
Hut oder Trift anzeigt, Her werths Hude, oder ſpaͤter 
Harveſtehude, genannt wurde. Aus dieſer Meyerey 
erbauete die Graͤfin ein Nonnen-Kloſter Ciſtercienſer⸗ 
Ordens, das auch zum Jungfrauenthal genannt 

wurde, worin fie ſelbſt ſchon vor dem Jahre 1246 als 
Nonne ſich hatte einkleiden laſſen und als erſte Aebtiſſin 
die Aufſicht führte, Im der Folge ward. dieß Kloſter 
vom Pabſte Innocenz IV. feyerlich beſtaͤtiget und erhielt 
durch Vermittelung der Hedwig befondere Vorrechte, 
mworinnen die nachfolgenden Nonnen, faft alle Hambur- 
gerinnen von guter Abkunft, fich der Strenge ihrem 
geiftlichen Auffeher ungeachtet ſtets zu ſchuͤtzen mußten. 
Der Rahme Harveftehude komme ſchon vor in einer 
Urkunde vom Jahre 1273. 
‚Wahrend Adolph alfo, nachdem er von dem 
Schauplatz des öffentlichen Lebens abgetreten war ‚| in 
der Fiöfterlichen Stille den firengen Pflichten feines 
Ordens oblag, maren die Bewohner Hamburg's unab- 
laßig bemüht, zur Beförderung des Wohlftandes ihrer 


r 
Der Hamburger aͤlteſtes Privilegium neu beſtaͤtigt. 135 


Stade die zweckdienlichſten Mittel in Anwendung zu 
bringen. Ihre erfte Sorge, nachdem der Graf zum 
geiftlichen Stande übergerreten war, sing dahin, das alte 
Yalladium ihrer Freyheit, ihre vom Kaifer Friedrich. | 
erhaltenen Privilegien von Adolph's alteſtem Sohne, 
Sobann I. und deſſen Brüdern, fich wiederholt beſtaͤ— 
tigen zw laſſen. Drey Tage nach Adolph's Eintritt ing 
Klofter erfolgte die Beſtatigungs-Urkunde, in weicher 
ber. Erzbifchof Gerhard von Bremen und Herzog Abel, 
der fich als Herzog von Juͤtland unterzeichnet, fo wie 
einige bamburgifcbe Rathmaͤnner als Zeugen aufgeführt 
werden. Durch DBermittelung des anmwefenden Erzbi⸗ 
ſchofs von Bremen, Gerhard U. der um dieſe Zeit 
‚mit, dem Herzoge Otto von Braunfchweig und Lüneburg 
Frieden gefchloffen hatte, wurden auch.bie Aniprüche, 
‚welche das Haus Braunfchweig, wie an Bremen, fo 
an Hamburg, von Heinrich's des Loͤwen Zeiten her 
noch zu haben vermeynte, endlich beſeitiget, wogegen 
ber Graf Johann für ſich und feine Nachkomnien 
hinwiederum gelobt, daß die Lüneburger von alten ihnen 
fruͤher wiederfahrenen Ungerechtigkeiten und ungebuhr⸗ 
lichen Auflagen frey ſeyn und bleiben ſolten. | 
Bevor wir jet die Begebenheiten, wie nach Auſſen 
hin unſere Stadt in dieſelben verwickelt worden iſt, 
weiter verfolgen, iſt es zweckmaͤßig, einen Blick auf die 
Entwickelung ihrer inneren Verfaſſung zurück su werfen, 
und die Spuren aufzufuchen , welche ſich von ihrem 
auffeimenden und alınahlig immer fröhlicher gedeihenden 
Wohlſtande nachweiſen iaſſen. Unter wiederholten, 
verheerenden Stuͤrmen und vielfachen Leiden war ihre 


136 Ruͤckblick auf die frühere Verfaffung 


Gründung zur Dauer vollendet worden. In ihrem 
Kindesalter ſehen wir fie bald an Amfang und 
Bedeutung gewinnen, weniger durch Begünffigung 
aufferer Umflande, als durch die Wohlthar der Natur 
und Durch die unverdroffene Thätigkeit und Berriebfam- 
keit ihrer Bewohner, Thaͤtigkeit entwickelt die geiſti⸗ 
gen Kraͤfte, den Wunſch nach unbeſchraͤnkter, fortfire- 
bender Ausübung, die Sehnſucht nach Unabhängigkeit 
und felbffandiger Freyheit. Wie im einzelnen Men- 
ſchen die innere Kraft allmahlig an Stärke gewinne 
und zur Ausbildung fich durcharbeiter, ohne daß man 
die beffimmten Zeiten nachweifen Fann, in welchen diefe 
oder jene Stufe der Ausbildung erreicht worden fey: 
fo laͤßt ſich auch in der Entmwicfelungs =» Gefchichte | 
größerer, wie Fleinerer Staaten felten mit Sicherheit 
feſtſetzen, wo zuerſt ihre glücklichere Verfaffung begon- 
nen, wo fie vollendet worden fey. Die Freyheit 
Hamburgs iſt ein Gut, das mit kleinen Verſuchen an: 
fangs, mit fefter Beharrlichkeit dann und mie weifer Be- 
nutzung der Zeit, den Umſtaͤnden abgerungen werden 
mußte, derum ein fo größerers Gut, weil es rg 
eigenen Verdienſtes iſt. 

Seitdem das groſſe und maͤchtige Herzogthum 
Sachſen in mehrere einzelne Theile zerſtuͤckkelt und Ham⸗ 
burg dem Antheil der Grafen von Holſtein zugefallen 
war, konnte es nicht mehr im eigentlichen Sinne als 
ſaͤchſiſche Stadt betrachtet werden: aber auf die innere 
Verfaſſung hatte dieſe aͤußere Veränderung wenig Ein— 
fluß. Wie früher unter den Markgrafen und Statthal—⸗ 
gern Nordalbingieng , fo übte auch jegt umter den 


v 


und Gerichtsbarkeit der Stadt. 137 


Grafen von Holſtein ein Voigt, Richter, Advocat, 
oder wie er ſonſt genannt wurde, die Gerichtsbarkeit 
aus, Die Willkuͤhr der kaiſerlichen Gerichtsvoigte und 
ihrer Schoͤppen hatte ſchon fruͤher an dem eiſernen Sinne 
der an ihren altherkoͤmmlichen Gerechtſamen und Gewohn— 
heiten feſthangenden haͤrtnaͤckigen Widerſtand gefunden. 
Naͤchſt dem Wehrding (Kampfgericht) und den Gottesur⸗ 
theilen (Ordalien) galt ihnen nichts weiter, als was in 
uͤberlieferten Spruͤchwoͤrtern, von Mund zu Mund uͤberge⸗ 
tragenen Satzungen und in dem unverkuͤnſtelten Verſtande 
der Wittigſten (der Witzigſten, Verſtaͤndigſten) unter 
ihnen als Recht ſich ausſprach. Die Statthalter harten 
dag Recht, den Voigt zu fegen, aber mit der Zeit warf 
das Volk auch dieſes Recht zurück; es ernannte ihn 
ſelbſt und der Statthalter Fonnte ihn bloß beifätigen. 
Der Voigt hielt auf der Wahlſtatt ein freyes Ding 
(Gericht), und fprach, hier das Urtheil, welches er aber 
in dem Verſtande und den Meynungen der Dinglente 
(Gerichtöbürger) finden mußte, Da bier alle auf die 
richtige Stellung der Frage anfam, fo vereinigte man 
fih, um der umgerechten Findung entgegen zu wirken, 
dahin, daß die. Parteyen befugt feyn follten, feine 
Frage dadurch ungültig zu machen, daß fie von derfelben 
an die Wittigften appellirten. Aus diefen Wittigften 
entffanden die nachmahligen Rathmaͤnner, die ald 
dem Serichtsvoigt beygeordnete Rathgeber — Consules — 
ſchon unter den fachfifchen Markgrafen vorkommen, im 
Anfehen aber befonders dann gewannen, als die Stadt 
für die Grafen von Holftein anfing, immer wichtiger 
zu werden. Jene Obervoigtey war um des Schußed 


138 Ruͤckblick auf die frühere Verfaſſung 


willen da, welchen die Nordalbingifchen Statthalter der 
Stadt angedeihen laſſen ſollten. Diefe aber, die beym 
Andrange der Feinde ſelbſt ſich innerhalb der Mauern 


fluͤchteten und von den Bürgern ſich ſchuͤtzen ließen, 


konnten nicht vermeiden, daß die Buͤrger mit der weg⸗ 
fallenden Bedingung des Schutzes auch der Pflichten 
entlediget ſeyn wollten, die dafür ‚gefodert wurden. 


So ſchwand allmaͤhlig die Macht und das Anfehen 


des Voigtes dahin, der zuletzt kaum noch um einer an- 
deren Urſache willen blieb, als nur den einen Theil der 


Strafgefalle ‚für den Statthalter zu.erheben, während 
‚nach Eaiferlichem Privilegium zwey Theile derjelben der 


Stadt anheim fielen. . 
Die Unfälle, welche. am Anfange be dreyzehnten 
Jahrhunderts, als der König von Daͤnemark ſich zum 


Herrn von Nordalbingien machte, über Hamburg er 


gingen „. wurden. in ben Händen der. weiſen Berather 


der, Stadt ‚gerade die Mittel, die Unabhängigkeit, von 


der bisherigen Obervoigtey noch weiter zu beförbern. 


Waldemar verkaufte die Stadt als Siegesbeute an den 


Grafen von Orlamuͤnde. Albrecht war ein Ritter von 


adlicher Geſinnung, er mißbrauchte ſein Eigenthums⸗ 


recht zu feiner Bedruͤckung, er. anderte nicht. nur nichts 
in ‚der bisherigen Verfaſſung der Stadt, fondern, ließ 
auch Spuren der Gunſt und Wohlthaͤtigkeit zuruͤck. 


Die Wendung des Krieges zwaug ihn, auf Mittel der 


Selbſterhaltung zu denken: für dieſen Zweck und, für 


‚feine biedere Denkungsart zugleich bot fich ihm günftig 


die Gelegenheit dar, den Hamburgern ihre Stadt um 
einen Vortheil, der für ihn, wie für jene wichtig und 


und Gerichtsbarkeit der Stadt. 139 


beyderſeits genehm war, zurüc zu geben und die 
Erhaltung ihrer früheren Rechte der eigenen Kraft und 
Befonnenheit zu überlaffen. Man kann diefes Ereigniß 
ald den Zeitpunct bezeichnen, mo Hamburg aus den 
Jahren der Kindheit und des hintraumenden Juͤnglings⸗ 
alterd zuerft in "den Zufland der Muͤndigkeit verfegt 
wurde, durch meife Berechnung und Benutzung der 
Umſtaͤnde das aufdammernde Gluͤck zu haſchen und zu 
‘bannen. Es leidet an. fich febon keinen Zweifel, und 
unzwepdeutige Thatfachen der nachiten Zeit: beſtaͤtigen 
e8, daß das Anfeben des Gerichtsvoigtes zu dem einer 
untergeordneten Perfon berabgefegt wurde, ; Wir finden, 
daß er in der zweyten Halfte des dreyzehnten Jahr⸗ 
bunderts nur noch dem VBorfig im Niedergericht fuͤhrte, 
das aus dem Collegium der Gerichtsbuͤrger entſtanden 
war, und daß ihm auch hier zwey Rathmaͤnner zur 
Seite geſetzt waren ‚ı.die ihn anbielten, nach den 
Bolfsgefegen zu ſprechen. Der Rah, aus den vor- 
nehmſten Bürgern der Stadt erwaͤhlt, uͤberkam die 
Verwaltung des Stadtweſens und wurde aus der Mitte 
des Volks bewilligt und gewaͤhlt. An ihn appellirte 
man, der niemals willkührlich ſprechen durfte, ſondern 
nach dem Herfommen, oder wo vorgefchriebene Geſetze zur 
reichten, nach dem Stadtbuche. Es iſt nicht unwahr⸗ 
ſcheinlich, daß das aͤlteſte Stadtbuch von Hamburg 
in dieſer Zeit verfaßt worden, da die Stadt, als ſie ſich 
vom Grafen von Orlamunde loskaufte, ausdruͤcklich 
ſich das Recht vorbehielt, ihr eigenes Geſetzbuch zu 
entwerfen, nebſt der Befugniß, allein nach dieſem ſich 
in Zukunft zu richten, Zwar gelangten die Grafen von 


140 Umfang der Stade bis in die Mitte 


Holftein fehr bald wieder zum Bells von Hamburg: 
aber fo wenig die’ Stadt, die fich ſelbſt ſchuͤtzen und 
von ihrem Beſitzer fich harte loskaufen muͤſſen, Die 
Grafen fürberhin als wechtmaßige Schusherren be 
trachten konnte, fo wenig fcheint es diefen, die ohnehin 
den Einwohnern Erhaltung der alten Gerechtſame ges 
Yobt hatten, Ernſt geweſen zu feyn, eine Schirmvoigt⸗ 
tey zurück zu verlangen, deren Pflichten fie ſelbſt nicht 
mehr zu erfüllen ſich getrauten. Viel lieber benutzten 
fie den Vortheil, der fich ihnen aus dem Verhaͤltniß 
darbot, Hamburg als eine verbiindere Stade zu betrach⸗ 
ten, und wahrend fie der inneren Entwickelung des 
Volkslebens und ſtaͤdtiſchen Gedeihens Fein Hinderniß 
in den Weg zu ſetzen vermochten, zogen fie den beque— 
meren Nugen, den an Volk, Schiffen, Geräthey Zeug 
und 'befonder8 an Geld: fie von der Stadt erlangen 
konnten. Der Advocatus oder Untervoigt blieb als 
Schatten der vorigen Einrichtung, bis auch er vom 
Ende dieſes Jahrhunderts am (feit —* —* ver⸗ 
ſchwindet. 

Der Stadt Erweiterung bis zur Mitte des wolften 
Jahrhunderts haben wir ſchon oben beſchrieben. Bis 
in die Mitte des drepzehnten Jahrhunderts hatte fie 
on Wachsthum noch bedeutend zugenommen. "Hinter 
St. Peter zog fich die Straße herunter bis zum alten 
Mühlenthor, an welches fich die Mauern des Johan: 
nis» Klofters anfchloffen: jene Mühle, die fich noch big 
jegt erhalten hat, Ing noch aufferhalb der Stadt, und iſt 
bereits im J. 1164 von Adolph III. angelegt worden, 
Von der anderem Seite des Johannis Klofters ging 


des dreygehnten Jahrbunderes, 114 


eine Mauer: big zum Marien » Dagdalenen - Kloffer, von 
wo der Moͤnkedamm, (Moͤnchsdamm) als Erhöhung 
zum Abwehrung des. andringenden Alfterwaflers, auf 
dem Nödingsmarft zu binunterlief. Dieſer Rödingss 
marke, oder wie er früherhin genannt wurde, Rojer: 
markt, vorzüglich von Brauern bewohnt, deckte die 
Oſtſeite der Stade, und wurde vom Schaarthor bes 
ſchloſſen, deſſen Vorhandenſeyn bi8 zum J. 1248 
hinaus mit Sicherheit nachgewieſen iſt. Von da aus 
zog ſich der große Deich (grote Dyk) mit einer Mauer 
laͤngs der Elbe hin, weiter den Kayen, dem Krahn 
und den Muͤren (Mauern) vorbey, bis zum alten Ober⸗ 
jesigem Winferbaum, Dieſe aufgedammte, ſelbſt mie 
Thuͤrmen verſehene Mauer, welche zum großen Theil 
von jenen aus Bardowiek erfauften Steinen aufgefuͤhrt 
worden war, diente nicht nur den Fifcbern und anderen 
Bewohnern: diefer Landzunge zum Schuß vor dem 
Wuͤthen des Waflers, fondern auch zur Veſtung gegen 
feindliche Anfälle, melche vom Elbbroof. ber fie bein: 
ruhigen Fonnten. Fruͤher fchloffen die Stadt das Ha⸗ 
* bey der jetzigen Zollenbruͤcke, und dag Hopfen⸗ 
thor, auch das Lüneburger genannt, zwifchen der Fleinen 
Keichenfiraße und dem fogenannten Hopfenſack. Aber 
es leider feinen Zweifel, daß aufferhalb der damaligen 
Neufiadt (Nikolai⸗Kirchſpiel) ſchon im zwölften und 
dreyzehnten Jahrhunderte mehrere Bewohner ſich ans 
fiedelten und die Gegend, welche das nachmahlige 
Karharinen- Kirchipiel einnahm, zum Theil bebaueren. 
Borzüglich waren es Fiſcher, Brauer und Gewandbe: 
seiter, welche ſich daſelbſt niederließen, um derentwillen 


142 Umfang der Stadt bis in die Mitte 


auch ſchon in dir Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts 
zu frommer Andacht eine Capelle gefeßt werden mußte, 
Die Fiber, durch das Faiferlihe Privilegium von 
1189 begünftiget, auf der Elbe oberhalb und unterhalb 
der Stadt auf zwey Meilen frey zu fiſchen, hatten 
vornehmlich am Kremon ihre Wohnungen aufgefchlagen 
und den Kanal mir Kähnen belegt: fie verhandelten 
befonders ihren Lachs, den fie bier in Menge fingen 
und gewannen viel bey diefem Gewerbe, Das Brauen 
des Biered, des achtdeurfchen Getraͤnkes, war ſchon 
feit dem zwölften Jahrhundert ein vorzüglicher Nah: 
rungszweig der Hamburger, und trug nicht wenig dazu 
bey, die Stadt reich, bevoͤlkert und wichtig zu machen, 
Die Angefehenften im Rathe felbft waren oft Brauer, 
Erfte Erwahnung des Hamburger Bieres gefcbieht ſchon 
in dem befagten FTaiferlichen Begnadigungsbriefe von 
1189, in welchem auch von den Strafgeldern, welche 
für unrichtiges Maaß des Bieres eingingen, Verfügung 
gemacht wird. Die urfprünglich rothe Farbe diefes 
Bieres fol zuerff 1233 in weiß verwandelt worden feyn. 
Der Rahme der beyden Wandrahme aber erinnert noch 
jeßt an die vormahls in diefer Gegend der Stadt aufs 
geftellten Rahmen der Tuch» und Gemwandbereiter, welche 
dort an der Gegenfeite wohnten und arbeiten Tießen. 
Vom Kattrepel hinauf gelangte man zum Speersort, 
(St, Peters Dre) wo das früher fogenannte Marien: 
oder GSchulthor die Grenze der Stade bilder, Das 
Schulthor wurde Durch eine Mauer im Welten des 
heutigen Pferdemarfees mie dem Alſterthor verbunden, 
von wo an big zum alten Muͤhlenthore der heidniſche 


des dreyzehnten Jahrhunderts, 143 


Wan ſich Hinzog, ein Veſtungsdamm, der frühzeitig 
ſchon gegen die Anfalle der Wenden und Slaven auf 
geführe worden war, Die Gegend des heutigen Jacobi⸗ 
Kirchfpiels wurde im zwölften und dreyzehnten Jahr— 
hunderte vorzüglich von Gärtnern, Fuhrleuten und 
Bierſchenken angebauet, in den niedrigen Theilen auch 
von Fifcbern haͤufig bewohnt. Auch bier wurde ſchon 
in der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts eine Kapelle 
nöthig, aus welcher die Jacobi- Kirche hervorgegangen 
if. In der Nabe derfelben fkiftere der fromme Graf 
Adolph IV, 1233 das Konvent für zwanzig Nonnen, 
Beguinen, oder von ihrer Trache blaue GSüuftern 
(Schweftern) genannt, deren Stiftung in der Folge 
beträchtlich erweitert wurde und fich Big auf die neuefte 
Zeit, wiewohl nur in ärmlicher Dauer, erhalten hat. 
Eine alte St. Georg$: Kapelle nebft einem dabey lie: 
genden Sieben: (Seeken) Haufe muß fehon vor dem 
Jahre 1220 da gemefen feyn: denn in diefen Fahre 
ſchenkte Graf Albrecht von Orlamünde dem Priefter 
diefer Kapelle drey Aecker Landes neben dem Siechen- 
* Die Umgebung derſelben war ein Gehoͤlz, um 

den Anblick der Ausfagigen den Augen der Menfchen 
zu entziehen: nur ein ſchmaler Fußſteig zog ſich von 
dem Alfterthore durch das Gehölz laͤngs der Alfter bin, 
wo in der Nahe des Haufes ein Ausfasiger, eingehuͤllt 
mit einem langen Stock, an dem ein Beutel befeffiger 
war, um ein Almofen anfprach. Es hieß darum auch 
in früheften Zeiten: dat Spital up dem Stege, Der 
Urfprung diefer Kapelle gehöre in die Zeiten der Kreuj- 
zuͤge. Heimkehrende Glaubensſtreiter, deren Schußpatron 


144 Blick auf den fruͤheſten Handel Hamburgs, 


der tapfere Ritter St. Georg war, müde, auch wohl 
frank und mit dem Ausfag behaftet, fanden hier, die 
erfferen eine Vilgerwohnung zum Nachtlager,, die andes 
ren, die fihb von. den übrigen Menſchen abfondern 
mußten, einen Zufluchtsort ihres Elendes. In der 
Nahe diefer Kapelle fand die metallene Kreuzigungs— 
gruppe, die wir noch jeßt fehen, das altefte Denkmahl, 
das fih aus den Zeiten des pabfilichen Mittelalters 
big jetzt noch erhalten hat. Ein aͤhnliches ſtand auf 
dem Speersorte, und das mittlere vor dem Spitaler— 
thor, nach der Sitte, welche haͤufig in Staͤdten des 
Pabſtthumes gefunden wurde, den Weg nachzubilden, 
den der Heyland von Pilatus Rathhauſe bis nach Bol: 
gatha hatte zurücklegen müffen. Das Maaß deſſelben, 
das man zu Jeruſalem genommen, trug man über und 
war hier die Entfernung von der Domfirche bis zum 
äufferften Crucifix;: die beyden anderen deuteten die 
Ruheſtelle an, welche der Heyland auf feinem Wege 
zur Gerichtsfkäcte gehabt haben Toll. 

Die Spuren ftadeifcher Betriebſamkeit erkenne man 
fibon in diefem engeren Umriß des Bezirkes, der durch 
frübgeitigen Zufammenfluß von Menſchen und Werfehr 
nach allen Seiten fich erweiterte. Die glückliche Lage 
des Platzes beförderte natürlich den Imetrich und gegenfei- 
tigen Umtaufch der Beduͤrfniſſe. Daher bildere fich 
auch ſchon frühzeitig bier ein bedeutender Marktplatz, 
wie aus einer Urkunde des Kaifers Konrad TI. erhellet, 
in welcher diefer 1038 dem hamburgiſchen Kirchenvoigte 
das Recht ertheilte, am Tage des heiligen Martyrers 
Zeit, an welchem jahrlicher Marke gehalten wurde und 


Blick auf den früheften Handel Hamburgs. 145 


groffer Zufammenfluß des Volkes ſtatt fand, über alle 
anmweienden Kaufleute und Fremde vermittelft des Ban— 
nes Gerichtsbarkeit auszuüben. Der Faiferfichen Pris 
vilegien, welche auf das einem jeden Bürger zuſtehende 
Münz = oder -Wechfelrecht, fo wie auf den, zweymal im 
Sabre in der Neuſtadt zu veranſtaltenden Jahrmarkt 
Bezug haben, ift in der obigen Erzahlung gedacht 
worden. Das Wechfelreche geſtattete jedem Bürger, 
wo e8 ihm beliebte, die Nachbarfchaft des graflichen 
Münzbanfes ausgenommen, baaren Geldumfas zu treis 
benz da es fonft nöthig war, bey dem Mangel an 
binreichender Scheidemuͤnze fo viel Gold ober Silber 
in die Muͤnze zu tragen, als zum Vermuͤnzen fuͤr den 
beabſichtigten Einkauf vonnoͤthen zu ſeyn ſchien. 

Das Streben des menſchlichen Geiſtes, der immer 
nach Auſſen hin ſeine Thaͤtigkeit zu erweitern ſucht, 
macht es begreiflich, wie die Bewohner Hamburgs die 
glückliche Lage ihres Ortes frühzeitig auch dazu benutz⸗ 
ten, durch Verkehr mit fremden Gegenden ihren Umfag 
zu erweitern, durch Auffuchung neuer Handeldmege 
ihrem Triebe nach Thaͤtigkeit und mit derfelben ihrem 
inneren Wohlftande neue Nahrung zu verfchaffen. Der 
Handelsgeift kennt Feine Grenzen und Feine. Bejchran: 
kung. Der Elbſtrom zeigte die Bahn in den weiten 
Ocean, der dem Wagenden zu den entfernteften Lanz 
dern den Zugang öffnet, Bis in das letzte Viertel deg 
zwölften. Jahrhunderts bildete Konftantinopel den Mit: 
telpunct des Handeld zwifchen Aſien und Europa: die 
Stalianer verforgten von da aus die am mittellandi- 
fihen und atlantifihen Meere wohnenden Bölfer mit den 

Io 


146 Blick auf den früheften Handel Hamburgs, 


Erzeugniffen fremder Zander, mit den Waaren, welche 
das Morgenland darbeut; daffelbe thaten für die Küffen 
der Oſtſee die ſlaviſchen Stadte, deren Nahmen mit den 
Schilderungen der Pracht, der Größe und des Keich- 
thumes in denfelben zu den fabelhaften Weberlieferungen 
jener Sahrhunderte gehören. Wie Kiow in Rußland 
zum Hauptffapelort für den Handel zwiſchen Norden 
und Süden fich erhoben hatte, fo galt dag prachtvolle 
Binerha auf der Inſel Ufedom noch im eilften Jahr: 
hunderte als die größte Stadt in Europa und erffe 
Hiederlage des Handelsverfehrs zwiſchen Norden und 
Welten. Im gleichem Rufe fanden Anfona oder Ar: 
fona, auf dem hohen Vorgebürge der Inſel Rügen, 
der Wohnfig der flavifchen Gögen, und Julin oder 
Wollin, auf der Inſel gleiches Nahmens in Pommern, 
Feindliche Macht der danifchen Tyrannen fowohl, als 

sum Theil die rohe Gewalt erſchuͤtternder Naturfrafte | 
zerfförten bis zur zweyten Halfte des zwölften Sahr- 
hunderts dieſe Page, und begründeten, nachdem ein 
eben fo hartes Geſchick auch das blühende Bardowiek 
betroffen hatte, das rafıhe Emporfommen anderer 
Städte, unter welchen Wisby auf der Infel Gothland 
fih zum erffen Range erhob. Luͤbeck mie den übrigen 
Dftfeeftädten, eben fo Hamburg und Bremen, wohin 
die Ausgewanderten jener fTavifchen Staͤdte beffere 
Kenntniß des Handel? und der Schiffahre mirbrachten, 
wetteiferten mit rafcber Thaͤtigkeit, jene Vortheile, 
welche die Nähe der Meere und die günftigen Umſtaͤnde 
ihnen darboten, zu benugen und trieben fofort bereits 
am Ende des zwölften und Anfangs des dreyzehnten 


Aelteſte Handelsverbindungen Hamburgs, 147 


Jahrhunderts den vorberfihenden Handelsverkehr auf 
beyden Meeren, dieſſeit und jenfeit der Cimbriſchen 
Halbinſel. 


Die mannigfaltigen Beruͤhrungen, welche diefer zu⸗ 
nehmende Umtrieb herbeyfuͤhrte, veranlaßten die han— 
delnden Buͤrger nothwendig, auf Mittel zu denken, 
weiche zum Schuß, zur Sicherheit und Beförderung 
des Handeld dienen Fünnten, Zu dem Ende wurden 
einzeln und gemeinfchaftlich Freyheiten und Beguͤnſti⸗ 
gungen gefucht, erkauft, fpater ergmungen und ver— 
theidigt. Noth und Beduͤrfniß führten von ſelbſt 
Verbindungen herbey, welche, jene Abſichten weiter 
zu verfolgen, zwiſchen den angeſehenſten Handelsleuten, 
bald zwiſchen naͤher und ferner gelegenen Staͤdten 
geſchloſſen wurden. In Geſellſchaften, gleich den mor⸗ 
genlaͤndiſchen Karavanen, unternahmen die Kaufleute 
ihre Handelsreiſen: zu gegenſeitigem Schutz, zur Ab— 
ſtellung von Beeintraͤchtigungen und Stoͤhrungen gaben 
ſie ſich einander Wort und Verſicherung. Schon im 
Jahre 1204 vertrugen ſich die Hamburger mit den 
Dithmarſchen zum Schutz ihrer Kaufleute, die durch 
jenes Gebiet kaͤmen; 1210 verſprachen ſich gegenſeitig 
Hamburger und Luͤbecker, daß dieſe mit ihren Guͤtern 
in Hamburg dieſelbe Sicherheit genießen ſollten, wie 
die eigenen Buͤrger unſerer Stadt. Im Jahre 1238 
trafen die Hamburger eine Uebereinkunft mit den Be— 
wohnern des Landes Wurſten, und 1239 mit den 
Hadelern und Frieſen, daß fie bey jenen Voͤlkerſchaften 
und diefe wieder bey ihnen freven Handel und Wandel 


10* 


148 Handelsvereräge und Verbindungen zwifchen 


treiben möchten ; daß, wenn etwa hamburgiſche Bürger 
mit ihren Schiffen innerhalb der Grenzen jener auf den 
Sand geriethen oder Schiffbruch Tisten, die darauf 
befindlichen Güter, fo lange noch einer vom Schiffs⸗ 
volfe am Leben wäre, aufs redlichſte gerettet, aufber 
wehrt und nichts davon genonmmen werben folle; daß 
gegenfeitige Klagen nach Verlauf eines Jahres verjährt 
ſeyn follten und wenn ein Hamburger oder ein. Wurfte- 
ner dem andern Suter anvertrauer hatte, Niemand als 
der Empfanger derfelben mir der Pfandung beſchwert 
werden duͤrfte. Der Vortheil, welcher aus biefem 
Vertrag für die Hamburger hervorging, Sicherheit 
der Schifffahre durch Befchranfung des Strandrechts, 
weiches die Kaifer Durch wiederholte Verbote abzus 
fchaffen umfonft bemüht gewefen waren, Fonnte feine 
anderen, als die günftigfien Folgen haben für die Be— 
förderung des Handeld, welchem die Hamburger die 
möglichite Ausdehnung zu verfchaffen bemüht waren, 
Noch mehr forgten fie für diefen Zweck im J. 1241, 
als fie auch mit Lübeck einen Vertrag fchloffen, wel: 
cher die Sicherheit, Aufnahme und Beförderung des 
gegenfeitigen Verkehrs zur Abſicht harte Die Urkunde 
dieſes Vertrags lautet auf folgenden Inhalt: „Wahre 
und aufrichtige Liebe der Freunde beweiſet ſich darin, 
daß, ſo wie ein Freund ſich an dem Gluͤcke des andern 
freuet, er eben fo auch im Mißgeſchick Beſchwerden 
und Schaden mir erdulde. Es wiſſe daher die gegen- 
wartige Zeit und es achte die Zukunft, daß wir mie un. 
feren geliebten Freunden, den Bürgern von Hamburg ung 
auf folgende Weife ‚vereiniger haben, daß, wenn etwa 


Hamburg und Wurften, Lüberf u, a, 149 


Raͤuber oder andere fehlechte Menſchen gegen unfere 
oder ihre Bürger auffteben, von dem Drt an, wo die 
Trave ind Meer falle und fo die ganze Elbe hinab 
bis and Meer, und unſere oder ihre Bürger feindlich 
anfallen, was an Koſten und Aufwand zur Vertilgung 
und Ausrortung diefer Raͤuber nörhig feyn wird, mir 
mic ihnen und fie hinwiederum mit ung gleich theifen 
wollen. Wenn. irgend jemand aufferhalb der Stadt einen 
Bürger von Hamburg oder von Lüberf, ohne daß er ange: 
Flagt worden, frevelnd tödter, verwunder, fchlagt oder ſonſt 
auf irgend eine Weile mißhandelt, wollen wir die Koften, 
welche ‚zur Befkrafung und Vergeltung“ erfoderlich find, 
mwechfeffeitig gleich auf uns nehmen und vertheilen, 
WennHamburgiſche Bürger bey unferer Stadt Luͤbeck oder 
unfere Bürger bey der Stadt Hamburg gemißhandelt 
worden find, wollen wir dem oder bie Thater einander 
augliefern und gegenjeitig befirafen u, ſ. m,’ 


Die Noth und Verwirrung der Zeit erheifihre 
folche Hülfe, die, weil fie von Fürften niche erlangt 
werden Eonnte, der Muth der Staͤdtebewohner fich 
ſelbſt verfchaffte und dadurch den Grund bauete zu jener 
Selbftändigfeit und freyen Würde, mie welcher von 
jeßt an beſonders die Kuͤſtenſtaͤdte Niederdeutfchlandg, 
unter ihnen Hamburg, fich erhoben, Don einem 
hanſeatiſchen Buͤndniß iſt im dieſem Zeieraume noch nicht 


150 Schluß des erfien Zeitraums, 


die Rede: aber die Vorbereitungen zu demfelben beginnen 
mit diefem erſten Beweife des Vertrauens, mit welchem 
fich befonders die beyden Staͤdte, welche den Eingang 
zu den beyden Meeren öffneten, zu freundlicher Anz 
naͤherung und mwechfelfeitigem Beyſtande entgegen kamen, 
Unter folchen Ausfichten reife Hamburg vom Juͤnglings⸗ 
alter, zu dem eg fich in einem Jeitraume von mehr als 
vierhundert Jahren hindurch gearbeitet, dem kraͤftige⸗ 
ven Mannesalter entgegen, 





Zweytes Bud. 


Hamburg erringt allmaͤhlig feine Unabhaͤngigkeit. 
Entwicelung der Handelsthaͤtigkeit und Ausbil: 
dung der inneren Verfaffung bis zur Zeit 

der Kirchen = Reformation, 


Erfier Abſchnitt: Won dem Grafen Johann 
von Schauenburg bis auf die Beſtaͤtigung der 
voͤlligen Unabhaͤngigkeit der Stadt durch die 
Grafen Adolph V., Gerhard II., Johann IL 
und Heinrich, 1241— 1292, . 

Zweyter Abſchnitt: Bis zum erſten zwiſchen 
dem Raihe und der Buͤrgerſchaft errichteten 
Receß, oder bis zum Entſtehen der Sechziger, 


1410. 


Dritter Abſchnitt: Bis zur Einfuͤhrung der 
Kirchen-Reformation 1528, und dem ſogenann⸗ 


ten langen Receß 1529. 











Zweytes Bud 





I. 


De Vertheilung des danifchen Reiches unter Wal 
demar’s N. Söhne war, wie ſtets Landervertheiluns 
gen Unheil und Verderben im Gefolge haben, die 
Beranlaffung neuer Unruhen und Befehdungen, von 
welchen auch die Nordalbingiſchen Lander mehr oder 
minder berübre wurden. Erich IV. wegen einer von- 
ihm 1249 auferlegten Pflugftener der Plogvenning 
zubenabme, war feinem Vater (geſt. den 28, Maͤrz 1241) 
auf. dem Throne gefolgt. Entfchloffen, die Lander, 
welche fein Water dieffeie der Eyder früher - befeffen, 
dann verloren hatte, wieder zu erobern, foberte er 
feinen Bruder Abel, Herzog von Schleßwig, als 
einen Lehnsmann der Krone auf, fich mir ihm zu dies 
fem Kampfe zu vereinigen. Diefer aber, der fihon 
fängft dem Bruder grollte und micht ohne Abfiche fich 
mie einer Tochter des Grafen von Holftein verbunden 
hatte, erklärte, als Vormund der jungen holſteiniſchen 
Grafen, feiner Schwaͤher, das holſteiniſche Gebiet 
ſelbſt gegen den Koͤnig vertheidigen zu muͤſſen. So 
kam es ſchon jetzt zum Ausbruch des Krieges, der nur 
durch die Dazwiſchenkunft der Herzoge von Sachſen 
und von Luͤneburg dahin vermittelt wurde, daß den 


154 Erich IV. 8. d. Danen, bedrohet Holiteim, 


Grafen Johann und Berhbard ihr vaterliches Erbe 
gefichert bfieb, Herzog Abel jedoch der Bormundfchaft 
über diefelben entiagen follte, Dieß that er zu Ham: 
bura am 8, November diefes Jahres in Gegenwart 
des Erzbifchofd von Bremen, Gerhard IL der auch 
fofort die Bormundfchaft übernommen zu haben fcheint, 
zumal da er als ein gebohrener Graf von ber Lippe 
den jungen Grafen nahe verwandt war, Zwey Tage 
nach diefem Ereigniß biefe der Graf Johann, der 
ältefte der Brüder, in Hamburg unter den freudir 
gen Begrüßungen der Einwohner und der Geiſtlichkeit 
feinen Einzug, Da aber noch beyde in zarter Jugend 
waren, wurden fie 1244 auf Reifen geſchickt, insbe, 
fondere nach Paris, welche Stadt damahls als der Gig 
der Wiſſenſchaften und der risterlichen Uebungen im ges 
fammten Europa berühmt war, 

Der fortdauernde Zwiſt und Grof — Wal⸗ 
demars Söhnen, der mit innerer Zerruͤttung und Vers 
wuͤſtung der gegenfeitigen Befisungen verbunden war, 
verfihaffte den Nachbarlandern die naͤchſten Jahre über 
Ruhe, bis zu 1246, als Erich mit einem anfehnlichen 
Heere, das nach Lievland. zur Unterſtuͤtzung der deut⸗ 
ſchen Drdensritter beffimme war, abermahls unver: 
muthet über Holftein: berfiel, Die Gefahr war drin- 
gend. Die Verbündeten, Abel von Schlefwig und 
der Erzbiſchof von Bremen zogen eiligft ihre. Kriegs: 
völfer zufammen und flellten ſich dem Könige ‚entgegen; 
Luͤbeck feste ſich in Vertheidigungsſtand und rüffete 
Schiffe aus; auch die jungen holſteiniſchen Grafen 
wurden aus Frankreich eiligſt zuruͤck berufen, bey ber 


Hamburg. befeftiger fich gegen die Daͤnen. 155 


Bertheidigung ihres Landes zugegen zu feyn. Beyde 
wurden am ır. October mit Tautem Frohlocken in 
Hamburg empfangen: Hier hatte man gleichfalls 
darauf gedacht, der drohenden Gefahr, wenn fie fich 
nähern follte, Abwehr entgegen zu bauen. Die Nord» 
feite der Stadt ander Fleinen Alfter von der St. Jo⸗ 
bannisfirche an bis an das alte fogenannte Millern⸗ 
(oder mittlere) Thor, in der Gegend der heil. Geift- 
firche, fand ganz offen: mit Bewilligung der Grafen 
alfo führten die Hamburger bier den Wal auf, ver 
noch jeßt im Nahmen der alten Wallſtraße dem 
Gedächeniffe fich erhalten bat; und nur das behielten 
die Grafen ſich vor, daß dieſe Befeffigung geſchehe 
ohne Schaden der alten Mühlen, und daß ihre Frau 
Mutter Macht habe, ihren bey dem Kloſter gelegenen 
Hof, ohne Scheden der Straßen, bis an die Beftung 
su erweitern, Die ſchwaͤchſte Seite des Walles nach 
der Alfter hin, wo die Feinde, wenn das Waller, dag 
die Bleichen überfloß, gefroren war, ‚übergeben Ffonnten, 
befeftigte man mit einem Thurme, der, in der Folge 
von feinem Schieferdache der blaue Thurm genannt, 
noch bis zum Sabre 1728 geftanden hat. Die Gefahr 
ging indeflen an Hamburg vorüber, König Erich 
wandte feine Streitfräfte befonders gegen Lübeck, aber 
mit fo unguͤnſtigem Gluͤck, daß die Luͤbecker, unter 
Anfuͤhrung ihres tapferen Alexander's von Solt 
wedel nicht nur die daͤniſche Flotte bey Fehmern 
ſchlugen, fondern auch die danifchen Küften verheerten, 
Kopenhagen eroberten, und nachdem fie die Stadt nebft 
dem Schloffe Axelhuus in Brand geſteckt, mit reicher 


156 Streitigkeiten zwiſchen Johann und Gerhard, 


Beute beladen zurücffehrten, Ein Waffenftillftand Tief 
von diefer Seite her für einige Zeit hin Ruhe hoffen, 
Eine Störung des Friebend, welche der jugendtiche 
Ehrgeiz der beyden holfkeinifchen Grafen, — der ältere, 
Johann, war 1247 erſt fiebzehn Sabre alt, — im 
eigenen Lande veraumfte, war nur vorübergehend, 
Johann hatte zu feinem Antheil niche nur das frucht⸗ 
bare und durch die vielen Seeen fifchreiche Wagrien 
erhalten, fondern auch noch Kiel in Befiß genommen, 
das ſchon zu Holftein gehörte, welches nebſt Stormarn 
dem jüngeren Bruder Gerhard zugefallen war, Dies 
fer, mit fo’ ungleicher Theilung unzufrieden, dachte 
darauf, Kiel mit Gewalt zu nehmen, nachdem er nicht 
bloß Liber, fondern auch den Herzog Albert von 
Braunſchweig zum Beyſtande aufgeboten hatte. Die 
feffe Lage von Kiel aber, die Wachſamkeit des Grafen 
Johann, die Treue endlich und die Tapferkeit der Ein: 
wohner vereitelten alle Angriffe, und der Streit wurde 
noch in demfelben Jahre beygelegr, da inshefondere 
der Herzog Abel und. der Erzbifchof von Bremen, dem 
die Nachbarfchaft der Braunfchweigifchen Kriegsvölfer 
manche Beforgniß hegen Tieß, fich in's Mittel legten. 
Eine alte, wiewohl nicht hinlaͤnglich verbürgte Nach— 
richt erzahle, Daß die Stade Braunſchweig mit 
Hamburg in diefem Jahre einen Vertrag gefchloffen 
- babe, dahin, daß wenn auch Hamburg von dem Her: 
sogen von Braunfchweig Eraftig werde angefeindet und 
im offenen Kriege verfolgt werden, gleichwohl die Buͤr⸗ 
ger und Einwohner Hamburgs mit ihrem Leib, Haabe 
und Gütern in jener Stadt auf beflimmte genugfame 


Braunfcbweig verbünder fich mie Hamburg. 157 


Verwahrung geſichert ſeyn follten. Es iſt nicht un⸗ 
wahrſcheinlich, daß unter den damahligen Verhaͤlt⸗ 
niffen, wo der Herzog Albere mir einer bedeutenden 
Kriegsſchaar in der Nachbarfihaft Hamburgs vers 
weilte, und eine Unterbrechung des Verkehrs nach dem 
Binnenlande fürchten ließ, ein folcher Vertrag ent—⸗ 
fieben konnte. Braunſchweig niche minder, wie 
Hamburg, fibon zu eigener Selbſtaͤndigkeit in feinen 
Verbäleniffen zu den Herzogen gelangt, hatte ange⸗ 
ſehene Niederlagen von Waaren aus Italien und 
dem Reiche, welche für den Norden Europa's beſtimmt 
waren : von dem ausgebreiteten Handel der Stadt 
zeugen die Privilegien, welche fibon 1228 König Wals 
demar II. und 1230 Heinrich IH. von England jum 
Schuß, zur Befreyung von Zölfen, zur Sicherung der 
geftranderen Güter den Braunfchweigern ertheilt harten, 
Eine Verbindung alfo zwiſchen diefer Stadt und zwis 
fihben Hamburg, auf Treue der feyerlichen Zufage ges 
gründer, war nichts weniger, ald unbedeutend, da die 
Natur des Handelsweges beyde ohnehin zufammen führte, 
Schloffen doch die Braunfchweiger 1238 auch mit 
Stade einen Vertrag in gleicher Abſicht. 

Da in der Theilung, welche die beyden Grafen 
mit dem Erbe ihres Vaters unter fich gemacht hatten, 
Rendsburg dem Grafen Gerhard zugefallen war, 
König Erich aber die Verwirrung diefer Jahre be: 
nußt hatte, fich dieſes feſten Pages zu bemachtigen: 
fo vereinigten fich die Grafen aufs neue mie dem Bre- 
mer Erzbifchof fowohl, als mit den Lüberfern, und 
auch die Hamburger fchloffen fich thaͤtig mit an, jene 


158 Erich ermorder, Abel wird König, ertheilt 


Stadt, deren Befig fir die Ruhe Nordalbingiend von 

zu groffer Wichtigkeit febien, wieder zu erobern... Erich 
eilte zum Entfaß der Belagerten berbey und e8 wurde 
mit abmwechfeindem Gluͤcke ange von beyden Seiten 
gefochten. Doch würde bie Uebermacht des Königs 
gefiege haben, wenn nicht ein unerwarteter Frevel die 
Lage der Dinge ganzlich verändert hätte, Mit vers 
ftellter Lift hatte der Herzog Abel an diefem Kampfe 
feinen Antheil genommen, Unter dem Scheine der 
Freundfchaft lud er fogar feinen Bruder zu fich nach 
Schleßwig ein und bewirthete ihn. Aber während 
Erich einem forglofen Vertranen ſich hingab, traf Abel 
Veranſtaltung zu deſſen Gefangennehmung: ein Daͤni— 
ſcher von Adel, Lago Gudmundfon, ergriff ihn, Tief 
ihm mit einem Beile den Kopf abfchlagen und den 
Leichnam mir Ketten gebunden und mir Steinen ber 
ſchwert bey Möfund verfenfen. Diefer Greuel wurde 
verübt in der Nacht vom 9. Auguſt 1250. Rendsburg 
wurde noch belagert, als die Nachricht von diefem trau— 
rigen Ende bes Königs bey den Verbündeten anlangte. 
Wiewohl der Abfchen über die Thar gröffer wer, als 
die Freude, des mächtigen Feindes entlediger zu ſeyn, 
fo rieth dennoch die Klugheit, den Unwillen zu ver: 
bergen: die Belagerung felbft wurde aufgehoben, da 
man hoffen durfte, auf dem Wege der Verbandiung 
mit dem neuen Könige ficherer zum Ziele zu gelangen. 
Abel reinigte fich von der Beſchuldigung der Theil 
nahme an jenem Morde durch einen Meinepyd und wurde 
am erffen November zum König gefrönt. Den ges 
haͤſſigen Schein des Brudermordes fürchte er num durch 


Hamburg das Privifegium gegen das Strandrecht, 159 


wohlthatige Handlungen zu verföftben, befonders gegen 
Geiftliche und fromme Stiftungen, um die, fo er durch 
fatfchen Eydſchwur nicht hatte betrugen Fönnen, durch 
gebeuchelte Neue zu hintergehen. Zugleich auch mar 
er bemüht, um micht des Undanks befchufdigt zu mer: 
den, allen denen, durch deren Beyſtand er den Angriffen 
feines Bruders vordem fich harte mwiderfegen Fönnen, 
fich gütig zu ermweifen, unter welchen auch die Hambur⸗ 
ger waren, welche, da fie in der Sicherheit ihrer 
Schifffahrt das weſentlichſte Mittel zur Beförderung 
ihres Wachsthums ſahen, um ein beſonderes Privile— 
gium wider das Strandrecht bey ihm nachſuchten, das 
ihnen von Roskild unter dem 11. November 1250 
urkundlich ertheilt wurde. Es lautete aber dahin, daß, 
ſofern Hamburgiſche Seefahrer durch Ungluͤck an den 
Küften des daͤniſchen Königreichs follten Schiffbruch 
leiden, alle geftrandeten Güter, welche fie durch ihre 
Anftrengung oder durch ihr Geld von dem Schiffbruch 
rerten und bergen Fönnten, wohlbehalten und frey vor 
jedwedem Anfpruch ihnen verbleiben follten. 

Indem fo die Umficht der Hamburger jegliches 
Ereigniß benugte, um davon erlaubten Vortheil zu 
jieben, flieg das Anſehen und die Wohlhabenheit der 
Stadt im raftheften Fortſchritt. Es brüheren damahls 
durch Handel und Verkehr vor andern die flandrifchen 
Städte, mit welchen auch die niederdeutichen, befonders 
feitdem fie vom Grafen Wilhelm von Holland, nach⸗ 
maligem deutſchen Könige im J. 1243 befondere Prir 
vifegien erhalten hatten, in näherer Berbindung fanden, 
Die Menge der Zölle aber und andere Beſchwerden, 


160 Hamburg's Handel nach Flandern, Brabant x. 
he) 
womit bie GSeefahrenden im ben Niederlanden belaffiget 
wurden,  entzog biefem Handel die gröfferen Vortheile, 
die man ſich von demfelben hatte verfprechen Eönnen. 
Man trat Daher jegt mit der Grafin Margaretha von 
Slandern und Hennegau, des deutſchengöönigs Wilhelm's 
Schweſter, aufs Neue in Unterhandlung über die 
Beſtimmung eines bilfigeren Zolls und Abſtellung der 
wichtigften Befthwerden, und erhielt von ihr in ihrem 
und ihres Sohnes Guido Nahmen (da fie ihre Söhne 
erfter Ehe aus der Regierungsfolge ausfchloß) ein bes 
fonderes Privilegium fir alle Kaufleute des ro 
mifchen Reichs, die nach Gothland fahren, 
wo auf Wisby Die bedeutendſte Handels : Niederlage 
mar. Go allgemeine Ausdrücfe tragen zu der Zeit noch 
die Handelsverbindungen, und laſſen unbeſtimmt, melche 
Staͤdte ſich zu denfelben vereiniget hatten. Gewiß iſt, 
daß diefe Unterhandlungen mit Margarethen 1252 durch 
zwey Abgeordnete, Jordan von Hamburg and Ocjer 
oder Hoyer von Luͤbeck betrieben worden waren. Aehn⸗ 
liche Privilegien ertheilten um dieſelbe Zeit Wilhelm 
von Holland und deſſen Bruder Florentius den Buͤr— 
. gern von Stade und Bremen; Heinrich von Lothrin— 
gen und Brabant denen von Coͤlln, das damahls vor 
vielen Städten" angefehben und durch feine Verbindung 
mit Ober-Deutſchland und den Niederlande wich⸗ 
tig war. Für ſich allein ſchloß Hamburg einen Ber 
trag mit Heinrich, Herzog von Lothringen und Bra- 
bant, im Jahre 1256 und 57, der für die Beförderung 
ihres Handeld nach den Niederlanden von der höchſten 
Wichtigkeit war. Heinrich ertheilte den Bürgern Hamburgs 


Schugbriefe von Albere von Sachfen x. 161 


Schutz und Sicherheie für ihre Perfon und ihre Güter 
zu freyem, unbefchwerten Handel, ficheren Aufenthalt und 
Abzug, alfo, dag wenn auch je zwiſchen dem Herz 
jog von Lothringen und den Grafen von Holftein ein 
Zwieſpalt entffünde, dennoch ihnen und ihren Gütern 
fein Schade, noch Belaftigung zugefügt werden follte, 
Auch ſolle ihnen bewilliget feyn, den Zoll zn Antwers 
pen, den fie bisher in englifcber Münze oder Ster⸗ 
lingen zu entrichten gewohnt gewefen, in ihrer Münze 
zu bezahlen, Diefer Schuß folle auch dann, wenn er 
von den Herjogen von : Lothringen zurückgenommen 
werde, noch volle drey Wochen gültig dauern, damit 
fie unterdeffen über ihre, Güter verfügen und ficher 
abziehen koͤnnten. Je wilder gerade damahls die Ver— 
wirrung im Innern des Reiches um fich griff, um fo 
mehr. entwickelte füch das ſtaͤdtiſche Leben und erhielt 
durch rührige Thatigkeie die Kraft und den Auffchwung 
des Geiftes, die im. Taumel blinder Neigungen und im 
der Auflöfung der Reichsbande erſtickt worden wären, 

Mm den Berfehr im das Innere des Landes zu 
befördern, fchloffen die Hamburger nocb im Jahre 1252 
einen Vertrag mit Herzog Albert von Sachſen und 
erhielten. von ihm einen Freyheitsbrief des Inhalts: 
daß die Hamburger von den Waaren,. welche fie die 
. Elbe hinauf oder herunter fchiffen, weder in Lauen⸗ 
burg noch Eislingen (dem jegigen Zollenfpei 
her) Ungeld  Caufferorbdentlichen" Zoll, womit die 
Güter beſchwert wurden,) zu entrichten. haben follten: 
von dem Getraide, welches fie aus dem fachfifchen 
Gebier ausführen, zahlen fie das halbe Ungeld. Den 

11 


v 


162 Handelsverbindung mit Braunſchweig. 


gewoͤhnlichen Zoll aber haben ſie, wie andere, zu 
entrichten. Dieſer Freyheitsbrief iſt von Alberts Sohn 
und Nachfolger, Herzog Johann 1274 beſtaͤtiget wor⸗ 
den, Selbſt die Grafen von Holſtein trugen ihrerſeits 
dazu bey, den Wuͤnſchen der Hamburger, in Abſicht 
auf den Handel nach dem Binnenlande zu Huͤlfe zu 
fommen, Sm Sabre 1254 ertheiften fie dem Raufleu- 
ten von Braunfchweig, Magdeburg und anderer umlie: 
genden größeren und Fleineren Städte einen Freyheits— 
brief, daß Diefelben von jedem Zoll und jeder Abgabe 
in Hamburg auf ewige Zeiten frey feyn follten; Die 
Mißhelligkeiten, welche noch wahrend dieſer Zeit zwi⸗ 
fehen der Stade Hamburg und zwifchen dem Herzog 
Albert von Braunfchweig obgewalter zu haben feheis 
nen, wurden vier Sabre fpater gleichfalls beygelegt 
und mit einem Vergleiche beichloffen, in welchem die 
Herzoge Albert und Johannes verfprachen: daß 
die Hamburger im ganzen braunſchweigiſch⸗luͤneburgiſchen 
Gebiete zu freyem Verkehr Schuß und Sicherheit finden 
ſollen 5 ſelbſt wenn eine Veranlaffung, ein widriger 
Zufall fe vermöge, zu ihnen Zuflucht zu nehmen, gelo⸗ 
ben fie ihnen mit Rarh und Hülfe beyzuſtehen. Dage⸗ 
gen. verfprachen bie Hamburger, das gute Vernehmen 
zwifchen den Herzogen von Braunfchtweig- Lüneburg und 
den Grafen von Holflein nach Kräften zu unterhalten, 
und fofern irgend eine Wneinigfeit zwiſchen ihnen ent- 
fünde, zur zeitlichen Ausgleichung mit aller Sorgfalt 
beyzutragen. Die fchriftliche Urkunde diefes Vergleichs, 
aus welchem die felbffandige Winde der Stadt Hams 
burg ſo unwiderlegbar hervorgeht, iſt ausgefertigt von 


” 


Befreyung vom Mönigssinfe u. a. 163 


Luͤneburg, den 13, Auguſt 1258. Much das gute, 
fchwefterlihe Vernehmen zwiſchen Lübeef und Hamburg 
war im Sabre 1255 noch fefter geknüpft worden, da 
beyde ſich im feyerlichem Vertrage, zu Hamburg ges 
ſchloſſen, in gegenfeitiger Noch und Gefahr einander 
treuen Schutz und Beyſtand zugeſagt hatten. 

Im Innern der Grade war man miche minder 
darauf bedacht, theils von Belaͤſtigungen, welche die 
Ungunft früherer Zeiten erzeugt hatte, ſich loszumachen, 
theils neue Vortheile zu erringen. Go erlangten bie 
Bürger von den Grafen durch ein ausdruͤckliches Priz 
vilegium die Befreyung von dem fogenannten Königs 
zinfe oder Kosnigspfenning, der von dem Tiegens 
den Gründen innerhalb der Walle und Mauern gegeben 
wurde; eine Abgabe, die noch an die Herrfchaft War: 
demars Il. erinnerte, der diefen Zing in Nordalbin⸗ 
gien auferlegt zu haben fiheint. Eine andere Steuer, 
der Friedſchilling, vielleicht ein Schutzgeld für die 
Unterhaltung des Friedens in der Stade und deren 
Gebiete, wurde ihnen einige Jahre fpater von den Gras 
fen gleichfalls erlaſſen. Solche Begünffigungen erweck⸗ 
ten wieder Gegendienffe und Beweiſe der Dankbarkeit 
von Seiten der Bürger. Als daher des fihon 1252 
verftorbenen Königs Abel's Tochter, die bey dem 
Grafen Johann erzogen worden war, 1258 mit Berns 
hard, Fürften von Anhalt » Bernburg vermaͤhlt wurde, 
übernahm die Stadt Hamburg, allwo das Beylager voll: 
zogen wurde, die Koften des mit großer Pracht gefeyersen 
Hochzeitfeftes um fo bereitwilliger, als fie Dadurch die heys 
den Grafen fich freundlicher zu verbinden hoffen durfte, 

Bi”. % 


we 


; % 


ı64 Mifhelligfeiten bey der Wahl des Hildebold. 


In deinfelben Sabre 1258 den 28, Auguſt flarb 
Gerhard, Erzbiſchof von Bremen, nachdem er die 
bremifche Kirche faft 39 Jahre verwalter hatte, Die 
Wahl feines Nachfolgers erregte Umuhen, im welche 
auch Hamburg mit verwickelt wurde, da zu gleicher 
Zeit drey Priefter , gleich angefehen an Mache und 
Einfluß, fib um diefe Winde bewarben: Hildebold, 
aus dem graflich » Wundfforpifcben Gefchlechte, Ger 
hard, Domprobff zu Bremen, und Simon, Bifcbof 
zu Paderborn, des verfiorbenen Erzbifchofs Bruder, 
für welchen bie holſteiniſchen Grafen ſowohl, als das 
Dom-Capitul in Hamburg und die Stade ſelbſt ſich 
erklärten. Der ſchlaue Hildebold reifere, feine Sache 
zu fördern, feibft nach Rom und die Grafen argmohn- 
ten nicht ohne Grund, daß die Rechte und Anfprüche 
des Biſchofs Simon, den der verftorbene Erzbiſchof 
Gerhard noch bey- feinen, Lebzeiten der Kirche zum Bor: 
mund gegeben hatte, Faum anders, als durch Gewalt der 
Waffen vertheidiget werden Fönnten, In dieſer Abfiche 
befcbloffen fie, auf dem Süullenberge an der Elbe, wo 
ſchon früher Adelberts Veſte geftanden hatte, ein neues 
Schloß aufzurichten, fanden aber gegen diefes Vorha⸗ 
ben Einfprache bey den Hamburgern ſelbſt, die fich 
mie Nachdruck und Feſtigkeit auf ihr altes, vom Kaiſer 
‚erhaltenes, von den Schauenburgifiben Grafen beſtaͤ⸗ 
tigtes, ſeit neun und ſechzig Jahren unverlegt bewahrtes 
Privilegium beriefen, durch deſſen gewaltfame Beein- 
traͤchtigung fie, die Grafen, nicht gegen fich ſelbſt 
Handeln, und dadurch Wankelmuth und Undankbarkeit 
gegen eine von ihnen begunftigte und um fie ſelbſt 


zum Erzbifchof von Bremen, feit 1258. 165 


wohlverdiente Stadt würden an den Tag legen wollen, 
Die anſcheinende Harte der Widerfprache wurde ges 
mildere durch die Billigkeit der Entfehuldigung und 
den Grafen ſelbſt febien es unwuͤrdig, offenfündiger 
Wahrheit nicht Raum zu gönnen. Da indeffen der 
Bellungsbau durch die Noth geboten ſchien, fand der 
vermittelnde Nath des Biſchofs Simon die Ausgleis 
hung dahin: daß zwar der Bau geffatter, aber mit 
demfelben das Faiferliche Privilegium keineswegs ger 
kraͤnkt ſeyn, oder die Sache in Zukunft je zw einer Folge 
gesogen werden follte,. alfo, daß wenn jemahls, aus 
Berfeben, oder wiffentfich, von diefer Burg der Stade 
ein Schade entitünde, die Grafen innerhalb Dreyer 
Wochen den Hamburgern Genugthuung verfebaffen, oder 
die Burg der Erde gleich machen follten., So wurde 
diefer Zwiſt ſogleich im feinem Entſtehen wieder 
befchmwichtiget, —— | | 
Indeffen erfihien der bevorſtehende Kampf von fü 
ernfter Wichtigkeit, daß die Grafen darauf denken 
mußten , hinreichend fich mie Mitteln zw verforgen, 
denfelben mir Erfolg zu beffehen, And diefe glaub: 
ten fie nirgends ficherer aufbieren zu koͤnnen, als 
in der Stadt, deren Wohlſtand theild mit jedem Tage 
gröffer wurde, theils wo fie die größte Bereitwilligkeit 
der Unterffüßung vorzufinden hoffen durften, Wohl: 
thun gewinne und verbinder die Herzen + die juͤngſt 
erfahrene Billigkeit ſchien die Grafen noch mehr zu 
erfennitlicher Erwiederung aufzufodern, Am zehnten 
des Dctober- Monats demnach ertheilten ſie der 
Stade Hamburgrein neues Privilegium, worinnen fie 


& 


166 Ermeiterung bed Weihbildd der Stadt Hamburg. 


derfelben die eigene. Gerichtsbarkeit oder das Weich- 
bildsrecht, das bis jest nur innerhalb der Stadt: 
mauern gegolten hatte, über einen großen umliegenden 
Dezirk erweiterten. „Die Grenzen dieſes neuen Zuwach⸗ 
ſes werden in der vorhandenen Urkunde alſo beſchrieben, 
„daß fie vom Millernthor (das zwiſchen dem alten 
Dammthor oder Muͤhlenthor an. der Aifter und dem 
Scharthor an der, Elbe in der. Mitte lag, da wo fpäter 
die h. GeiftsKirche fieht,) bis an das Fluͤßchen Herz 
verdeshude niederwaͤrts bis an ben Ausſluß deſſelben 
in die Elbe und von da gerade uͤber die Elbe, ſo wie 
von demſelben Fluͤßchen aufwaͤrts bis zum Bach Hen— 
| ninghude ſich hinziehen, von da weiter uͤber die Alſter 
bis zum ſogenannten Scharbeck oder Anſchariusbach, 
bis dahin, wo die Grenzen der Allodialfelder ſich jenſeit 
der Elbe endigen.“ Der Scharbach ſowohl, als die 
beyden anderen genannten, find jetzt mit Gewißheit 
nicht mehr nachzuweiſen, Aber der Bezirk ſcheint von 
nicht geringer Ausdehnung geweſen zu ſeyn, da fuͤnf 
Waſſer und Gegenden jenſeit der Elbe namentlich auf⸗ 
geführe werden, Ohne Zweifel war ein großer Theil 
des nachmaligen Michaelis⸗Kirchſpiels dazu gehörig. | 

Alte Ueberlieferungen berichten ausdrücklich, daß 
Hamburg noch in dieſem Jahre den Grafen neun taus 
ſend acht hundert Mark loͤthigen Silbers zu den Ans 
Foften der bevorffehenden Fehde geliefert habe, erhaltene 
Gunſtbezeugung durch guͤltige Erkenntlichkeit zu erwie⸗ 
dern. Hildebolds Partey hatte ſich inzwiſchen an⸗ 
u PrHrie da nicht blos Ser, Ott o von 


Streitigfeiten mie Stade u. a, 167 


auch Stade, deſſen Eiferſucht auf das zunehmende 
Wachsthum Hamburgs jede Gelegenheit „ diefem zu 
ſchaden, begierig ergriff, Die Gegenden der Wefer und 
Elbe wurden der Tummelplag roher Befehdung und 
Zerſtoͤrung. Bremen wurde von den Frieſen, welche 
Hildebold durch ſeine Gehuͤlfen herbeygelockt hatte, 
durch Brennen, Rauben und Morden heimgeſucht; in 
das erzbiſchoͤfliche Gebiet fielen die holſteiniſchen 
Grafen ein und verfuhren nicht mit Schonung: Otto 
von Bramſtedt und die Stader hatten es beſonders auf 
Hamburg abgeſehen und veruͤbten auf der Elbe man— 
cherley Unfug. Dieſem zu begegnen, ſchickten die Hams 
burger mehrere wohl ausgeruͤſtete und gut bemannte 
Schiffe theils nach Haſeldorp, gegen den von Bram: 
ſtedt, theils mach der Mündung der Schwinge, die 

unweit Stade ſich in die Elbe ergießt, um die Stader 
in Zaum zu halten. Die wiederholten Neckereyen, 
Ueberfaͤlle uud hinterliſtigen Befehdungen, mie fie zwi⸗ 
ſchen eiferfüchtigen Nachbaren zu ſeyn pflegen, koſteten 
von beyden Seiten Menſchen und Schiffe und hoͤrten 
nur auf, um zu günffigerer Zeit aufs Neue zu beginnen, 
Unterdeſſen wer auch Hildebold von Nom zuruͤcke 
gekehrt, um den erzbifchöflichen Sig in Bremen einzus 
nehmen. Er haste feinen Aufenthalt in der Papſtſtadt 
fo gut benuge, daß er jest von Alerander IV. 
einen zwiefachen Befehl mit zurück brachte, beyde vom 
30. July 1259, ben. einen an den Rath und die Bürs: 
gerfchaft zu Hamburg, daß fie fih von aller: Verpflich⸗ 
tung gegen die Grafen Johann und Gerhard zu Holfkein 
losmachen und fich der erzbifchöflich- bremifchen Kirche 


168 Die Streitigkeiten mit Hildebold 


unterwerfen follten; den andern an den Abt und den Prior 
des Benedictiner Kloſters zu Hildesheim, als beauftragte 
Richter, daß ſie die beyden holſteiniſchen "Grafen 
durch den Bann anhielten, Hamburg der bremiſchen 
Kirche zu uͤberlaſſen. Man war indeſſen fo wenig ge 
neigt, auf diefe ungereimte Foderung zu hören, daß 
fie vielmehr mie Unwillen und Verachtung verworfen 
wurde. «Noch mehr fihloß Hamburg, unbefinumer: um 
den Bifchof, gerade in demfelben Jahre (1259) einen 
DBergleich mit der Stade Bremen, daß fie zu einander 
im Gewerbe und Handel gute Nachbarfchaft halten und 
auf Treu und Glauben fih Schus und Sicherheit gewaͤh⸗ 
zen wollten, Im naͤchſten Jahre legte ſich auch der Otto 
von Bramſtedt zur Ruhe, und da ein vom Bilchof 
Hildebold ins Holfkeinifche ausgefandeer Kriegshaufe 
in feinen Unternehmungen ſehr unglücklich geweſen, 
die Grafen von Holftein überdieß in einen neuen Krieg 
mis der Krone Dänemark und deren Bundesgenoffen, 
Albrecht von Braunfchmweig, verwickelt waren, Fam 
auch zwiſchen ihnen und dem Erzbifchof ein Vergleich 
zu Stande, welcher den Befehdungen ein Ende machte, 
Es ift den: Grafen zum Vorwurf gemacht worden, daß 
fie die Stadt in diefen Frieden niche mit eingefchloffen, 
dag vielmehr dieſe fich genoͤthiget gefehen, fieben Jahre 
ſpaͤter erſt, 1267, mit dem Erzbiſchof fich allein abzu⸗ 
finden und die völlige Ausföhnung mir einer Summe 
von ſechs hunders Mark Torhigen Silbers zu erkaufen. 
Unffreitig aber waren die Grafen an diefer Abfonderung 
der Verhältniffe unfchuldig, da Hildebold verfchiedene 
Anſpruͤche an die Stade machte, anders fich hinwiederum 


werben beygelegt, 1261 und 1267. 169 


mie jenen vertragen wollte; und es kann den Grafen 
fo wenig zum Vorwurf gereichen, fich unabhangig vers 
glichen zu haben, als die Hamburger fich gebunden geglaubt 
hatten, mit dem Herzoge von Braunſchweig einen bes 
fonderen Vertrag zu ſchließen, waͤhrend diefer mit den 
Holfteinern in Fehde begriffen war, 

Die Unruhen, welche fortdauernd zwiſchen den 
daͤniſchen Prinzen herrſchten, im welche auch die Gra- 
fen von Holftein, als Verwandte der Familie Abels, 
mit hinein gezogen wurden, berührten Hamburg nicht 
unmittelbar: nur entfernt diente es eine Zeitlang als 
der Aufenthaltsort der Königin Margaretha, bey 
den fachfifchen Gefcbichtserzähfern von ihrem mann: 
lichen Ausfehen indgemein die ſchwarze Grerhe ge— 
nannt, welche nebft ihrem Sohne, Erich V. Glip⸗ 
ping in der Schlacht auf der Lohheyde bey Schleß⸗ 
wig 1261 vom Herzog Erich von Schlefwig, dem 
Berbünderen der  bolfteinifchen Grafen, gefangen 
genommen morden war, Die Hamburger zogen vor, 
der zerfförenden Befehdung aufbauende, ſicheren Wohl: 
fand gründende Befreundung entgegen zu fielen. Sie 
fandten in demfelben Sabre, als der Krieg an den 
Grenzen ihrer Grafen wuͤthete, Abgeordnete, von dem 
in Unterhandlungen geſchickten Bürgermeifter Jordan 
geführte, nah Schweden, an den Herzog Byrger 
von Oſtgothland, der aber ald König regierte, und 
baten um den Genuß derfeiben Freyheiten in diefem 
Lande, als bereits den Lüberfern zuerkannt wären. 
Freylich feyen die Krafte ihrer Stadt gering, wenn fie 
mie einem Königreiche verglichen würden, aber das 


170 Handelsvertrag mit dem Herzog Byrger. 


Loos der menfchlichen Angelegenheiten fey von der Art, 
daß auch von der Freundſchaft Geringerer oft groſſer 
Vortheil gezogen werden koͤnne: fogar wäre es ſicherer, 
minder Maͤchtigen Wohlthaten zu erweiſen, da ſie zur 
Dankbarkeit, ſofern ſie dieſelbe verweigerten, mit Ge— 
malt gezwungen werden fönnten, Wie weit aber Die 
Hamburger von ſolchem Verbrechen entfernt feyen, das 
bemweifen die baufigen Huͤlfsleiſtungen, die Fürften, 
durch deren Menfcbenfreundlichfeit fie empor gefommen 
wären, von ihnen ohne einige Kofteneriparung: erhalten 
hatten, Daſſelbe verfprachen fie auch der Herrfcbaft 
Schwedens, um fo zuverläffiger, je größer das Gluͤck 
feyn würde, das bie Stadt durch eine günftige Bewil- 
ligung der erbetenen Freyheiten für ihren Handel jenfeit 
des Meeres zu erlangen hoffen dürfte, — So fprach ſich 
damahls die forgende Weisheit derer aus, welche dem 
Wohlſtande Hamburgs Gedeihen zu verfchaffen ſuchten. 
Herzog Byrger ertheilte auch wirklich unter dem 
20. July 1261 den Hamburgern bie Gewaͤhrung ihrer 
Wuͤnſche: Sie follten mir ihren Waaren in Schweden 
dieſelbe Befreyung von allem Zoll genießen, welche fie 
den ſchwediſchen Unterthanen in ihrem eigenen Gebiete 
gewähren würden; wenn Hamburger in Schweden 
Schiffbruch Leiden, follen fie alles, was fie von ihren 
Gütern bergen Fönnen, ungehindert beſitzen; flirbe einer 
in Schweden, fo wird fein Nachlaß zu gerrener Ver— 
wahrung gebracht, bis innerhalb Eines Jahres der 
gefegmaßige Erbe fich erweife und ſtelle; erft, wenn 
ein folcher fieh nicht finde, falle der Nachlaß dem kö— 
nigfichen Fiscus anheim; menn endlich jemand Geld 


in Schweden, 1261, und andere Verbindungen. 171 


oder Waaren durch einem andern übermache, ber eines 
Verbrechens ſchuldig befunden wuͤrde, ſolle bloß der 
Schuldige an Geld oder am Leibe beſtraft werden, ohne 
daß der Unſchuldige fein Gut verliere; ‚da nichts ge— 
rechter ſcheine, als daß bloß der Verbrecher für. feine 
Uebelthaten büße, nicht aber ein Anderer durch ihn leide. 
Auch die nachften Jahre liefern Beweife von diefer 
Sorgfalt der Hamburger, nach. mehreren. Seiten bin 
die friedliche Thaͤtigkeit auszudehnen und dadurch das 
innere Gluͤck der Stadt immer fefter zu. bauen. Im 
Sabre 1264, in demfelben, mo fie zu. gröfferer Gicher- 
beit, auch von dem jüngeren Grafen, Gerhard, das 
alte kaiſerliche Privilegium fich aufs neue hatten be 
ffätigen Laffen, ertheilten fie den. Handelsfeuten aus 
Hannover,umenn fie des Handels wegen nach Ham- 
burg kommen mwürden,. einen Schuß: und Schirmbrief 
gegen Bewilligung gleicher Rechte -in jenem Gebiete, 
Belonders wichtig war das Jahr 1265. In demfelben. 
kam der Cardinal Guido, der vom Pabſte Ele 
mens IV. zur Beylegung der inneren Streitigkeiten 
in Danemarf als Legat abgefchisft morden, durch Ham: 
burg. Die biefigen Kaufleute, welche, fobald fie. mit 
ihren Gütern ſtrandeten, noch immer von der, Raubgier 
und den Gewaltthaͤtigkeiten der angrenzenden Völker, 
insbefondere der Unterthanen des Erzbißthums Bremen. 
vielfältig geplage wurden, wandten ſich unmittelbar 
an den anmwefenden Cardinal: Da man bey dem bürger: 
lichen Gejegen gegen dieſe Peſt des Seeweſens vergeb- 
lich Schutz und Hülfe fucbe, weil die-Fürften ſelbſt zu 
folsben Frevelthaten Nachſicht übten und gleichgültig 


172 Guido’ Verordnungen wegen des Strandrechts, 


wären, ob ihre Unterthanen auf erlaubte oder ungerechte 
Weiſe ſich bereicherten, Nur das Eine Mittel des 
geiftlichen Nechtsverbotes fey übrig, deſſen Wirkſamkeit 
um fo weniger bezweifelt werben koͤnne, je mehr alle 
andere Kraft ber Meberredung oder Antreibung von der 
Religion durch geheime Furcht der Goͤttlichkeit Aber 
troffen werde, Diefen Vorftellungen gab der Cardinal 
in fo weit Gehör, daß er nicht alfein zum Beſten der 
Hamburger die Beraubung und Mißhandlung geflran- 
derer Perfonen umd Güter unterfagte, und die Wieder: 
erftattung des Geraubten anempfabl, fondern auch dem 
Erzbiſchof von Magdeburg den Auftrag ertheilte, über 
die Aufrechthaltung dieſer Verordnung felbft mit der 
Strafe des Banned unaufhörlich zu wachen. Die 
vom 21. December dieſes Jahres ausgeftellte Urkunde 
athmet den reinften Ernſt und die großherzigſten men— 
ſchenfreundlichſten Grundfäge, So wie das eben noch 
dampfende Holz nicht vollends verloͤſcht, ber zerknickte 
Halm nicht gar zerrieben werden dürfe: fo fey ed auch 
unmenfchlich, nicht verhuͤten zu wollen, daß denen noch 
Beſchwerden auferlege würden, welchen am meiften 
fibon Unfälle durch görtliche Zulaffung begeaneten, daß 
nicht ein Ungemach noch auf das andere gehäuft werde. 
Eine zwiefach gute Handlung, zwiefachen Lobes 
werth, thue der, welcher Ohnmächtige gegen Mache 
tige in Schug nehme: denn wahrend er die Unruhigen 
gerechter Weife in Zaum halte, den Kleinmürhigen aber 
frommen Troſt einfpreche, übe er zu gleicher Zeit Ger 
vechtigkeit und Frömmigkeit, Es fey graufam und 
hoͤchſt unwuͤrdig, daß diejenigen, fo die Nechte des 


befonder8 an der Elbe, 1265 und 1266, 173 


Heylandes aufnerichter habe, auf daß fieniche umfamen, 
die Bosheit weniger ind Verderben hinabſtuͤrze. — 
Diefe wahrhaft chrifklichen Gefinnungen ſchien der Bis 
fhbof Hildebold nicht volfommen zu theilen: es 
. mochte ibm wenigſtens gefaͤhrlich duͤnken, Diejenigen 
feiner Unterthanen, welche ficb jenes Strandraubes 
ſchuldig gemacht hatten, zum Erfaß des früher Geraubten 
anzubalten. Ein abgeordneter Stiftsherr von Bremen, 
Thitard mit Nahmen, eilte nach Hamburg, foviel 
wenigftens zu erhaften, daß die erzbifchöflichen Rauber 
wegen vergangener Verbrechen nicht in Anfprache ges 
nommen werden möchten, Dieſe Verwilligung ertheilte 
der Kardinal noch kurz vor feiner Abreife, am 28. Des 
cember, Tieß aber von Lüberf aus (den zweyten as 
nuar 1266) ungefaumt Befehl ergeben, daß Hildebold 
die Verordnung in feinem Sprengel überall bekannt 
machen folle, fo wie auch der Probſt der Kirche zu 
Hamburg den Auftrag erhielt, die Bekanntmachung 
derfelben Verfügung und des Banned, den der Erzbis 
ſchof über vergleichen Strandrauber auszufprechen habe, 
zu befchleunigen. Den legten Beweiß des Wohlwollens 
und des geiftlichen Anſehens zugleich gab der Kardinal 
dadurch, daß er zu der Beſtaͤtigung des Faiferlichen 
Privilegiums, welche die Stade ohnlangft auch vom 
jungern Grafen Gerhard erhalten hatte, unter dem 
vierten Jenner Diefes Jahres noch die feinige hinzufügte. 
In diefem Sabre (1266, den 28, Julii) farb der 
Graf Johann I Das Jahr zuvor war noch zwis 
fiben ihm und dem Herzoge Albert von Braunfchweig 
die endliche Beylegung ihrer Zwiftigfeiten erfolge und 


174 Vertrag mit Heinrich III. von England 


durch die Vermählung des Herzogs Johann von Line 
burg, des Bruders von Albere, mit der Gräfin Luͤd— 
gard, des Grafen Gerhard Tochter, die Freundfchaft 
enger gefnupft worden, Das Beylager war mit großer 
Pracht abermahls zu Hamburg gefeyert worden, und 
Herzog Albert, des Eiferd und der Zuvorfommenheit, 
welche die Hamburger bey dieſer Gelegenheit feiner 
Familie bewiefen baten, eingedenf, beurfundete feine 
Erkennelichkeit dadurch, daß er das Anfeben, in mer 
chem er bey dem Könige von England, Heinrich IM, 
fand, dazu benugte, den Hamburgern die Freyheit 
auszuwirken, durch ganz England ihre Handelsgefell- 
fihaften zu haben, wofür die Kaufleute dem Könige und 
deffen Erben nichts weiter, als die gewöhnlichen 
lichten, zu leiſten hatten. (Die Urkunde iſt vom 
8, November 1266.) Einen gleichen Freyheirsbrief 
erhielten in demfelben Jahre auch die Kaufleute zu 
Lübeck, wie früberhin ſchon Coͤlln folche Begünfkiguns 
gen in England genoffen hatte, Im den Urkunden 
finder fich auch der Ausdruck Hanſa, der anderweitig 
einen Zoll oder eine Handelsabgabe bezeichnete, bier 

in der Bedeutung einer Handelsgefellfchaft oder Gilde * 
doch erſt viel ſpaͤter wurde er zur naͤheren Bezeichnug 
jener niederdeutſchen Staͤdteverbindung gebraucht, welche 
jetzt ſelbſt noch nicht vorhanden war, ſondern erſt in 
allmaͤhligem Entſtehen und einzelnen Verſuchen ſich 
bildete. Der Handel der deutſchen Kaufleute nach 
England war uͤbrigens ſchon zu dieſer Zeit von großer 
Bedeutung, und nicht ohne Wahrſcheinlichkeit glaubt 
man, daß damahls auch jener Hof in London an der 


zum freyen Handel dahin 1266, 175 


Themſe entſtanden fey, im welchem die deutſchen Face 
toren wohnten und die Waaren, die fie nach England 
brachten, aufbewahrten und feil hatten, Schon in 
Urkunden von 1280 wird diefer Hof unter dem Nahmen 
Guildhall angeführe. Als die hanſeatiſchen Kauf: 
leute in der Folge mehr Raum gewinnen wollten, kauf— 
ten fie von der Stadt London ein Haus, dag an diefen 
- Hof ſtieß, noch dazu; das hatte vorher der Staak 
bof geheißen, dergleichen in mehreren Städten genannt 
werben, als Gebäude zur Tücherfihau, worin die gefaͤrb⸗ 
ten Tücher von beeydigten Mannern unterfucht, und wenn 
fie aͤcht undnach der Vorfihrife gefärbt befunden waren, 
mit einen Bleyſtempel (Staal) bezeichner wurden, Der 
Nahme aber blieb hier auch dann noch, als dag Gebäude 
zu anderer Beffimmung gebraucht wurde und ging in 
der Folge auf die ganze‘ hanfeatifche Fartorey über, 
welche darin ihren Sig hatte, Noch heut zu Tage 
beſitzen die drey Hanfeffadte diefen Staalhof (Steel- 
Yard) gemeinfibaftlich, und ziehen die Einkünfte deffels 
ben durch ihren Bevollmächtigten, die auch wahrend 
jener Zeit des Testen Jahrhunderts ungefranfe blieben, 
als die Hanfeflädte durch einen tyrannifchen Gewalt—⸗ 
fprtich in franzoͤſiſche Municipatftädee verwandelt war 
sen. Was die fehaffende Vorzeit gegrimder hat, haͤlt 
der in Ehren, der ſelbſt im der Degenwart auf die 
Zufunft bedacht iff, 

Sofort fam nun auch zwiſchen Hamburg und dem 
Erzbiſchof von Bremen die Ausſoͤhnung zu Stande und 
wurde durch förmliche Urfunden für die Dauer beflegelt. 
(Bom 6, Derember 1267.) Hildebold beffätigte 


176 Friede zwifchen Hamburg und Hildebold, 1267. 


darin den Freyheitsbrief des Kaiſers Friedrich T., der 
für Hamburg um fo wichtiger war, da derfelbe fie von 
allem zu Stade zu entrichtenden Zoll und Ungelde frey 
forach. Er verficherte zugleich für ſich und für fein 
Erzitift den Hamburgern feften und unverbrüchlichen 
Krieden, und wer von beyden Theilen denfelben vers 
letzen würde, ſolle zu geziemender Genugthuung gehal— 
ten werben, fo daß der Friede nichts deſtoweniger un: 
verlegt erbaften bliebe, - Die Stader freylich fahen 
ſcheel zu diefer Verfohnung. Damit indeffen die An— 
feindungen derfelden weniger zu fuͤrchten wären, ſchloſ— 
fen die Hamburger im nachften Jahre (1268, den 
12. May) einen neuen Vergleich mit Hildebold ab, 
daß fie, wenn auch Stade den geftbloffenen Frieden 
nicht anerkennen, oder gar durch feindliche Angriffe 
fören würde, fie alsdann nicht gehalten feyn follten, 
des dem Erzbifchofe für fremde Schiffe zu entrichtenden 
Zolles wegen nach Stade zu Fommen, vielmehr die 
Schiffe den Zoll nur bey Bardenflerh entrichten dürften, 
Auf folche Weife erreichten die Hamburger, bald durch 
- Unterhandlung, bald durch weile Benugung der Um— 
ſtaͤnde und muthige Beharrlichfeit und Ausdauer immer 
mehr das Ziel jener Wohlhabenbeit und inneren Frey: 
beit, welche in einer unrubevollen Zeit das Gluͤck des 
ftädeifchen Lebens für die Zufunft begründete, Bon dem 
zegen Handel, der in Hamburg felbft damahls blühere, 
giebt noch der befondere Umſtand Zeugnif, daß die 
Gefelfibaft der flandriſchen Kaufleute damahls vor: 
züglich ſtark mit Tuch und Wein nach Hamburg handelte 
und für ihre Weſtrichiſchen Waaren eine eigne Niederlage 


Das alte Stadtbuch durchgefehen 1270. 177 


in Hamburg hatten: als ſie aber anfingen, gar den 
Wein auszuzapfen und das Tuch bey Ellen auszumeſſen, 
ſteuerten die inwohnenden Kaufleute dieſem Mißbrauch 
und die Graͤfin Margaret ha von Flandern und Hen— 
negau machte demſelben durch einen Machtſpruch 1268 
ein Ende, 

Die naͤchſte Zeit der Ruhe und des Friedens be— 
nutzten die Vorſteher und Verwalter der Stadt zu ges 
nauer Unterfuchung der Gefeße und Verordnungen, 
durch welche das Wohl und die Sicherheit des Bürgers 
erhalten, der Gebräuche und Einrichtungen, durch 
welche das innere, thatige Leben befördert und ernaͤhrt 
werden fol, Da fie mit immer flärferen Schritten 
ihrer völligen Unabhangigfeit entgegen gingen, mar 
eine genaue Durchfiche ihrer Gefesverfaffung um fo 
noͤthiger, ale in derfelben allein die Möglichkeit der 
Selbſtregierung gegründer lag. Diefe Durchficht wurde 
in den Jahren zwifchen 1270 und 1276 vorgenommen, 
aus welchen noch Bis in fpatere Zeit gefchriebene 
Stadebücher fich erbaften haben, Ein fo befonneneg, 
thatkraͤftiges Leben konnte der Achtung aller derer, wos 
bin die Kenntniß deffelben gelangte, um fo weniger 
verfehlen, als es nach allen Seiten bin mit wohlthäti- 
sen Folgen ſich aufferte, Daher finden wir auch, daß 
fofort nicht nur die alten Frepheiten und Vorrechte, 
welche fich die Umſicht der Hamburger verſchafft hatte, 
von ben nachfolgenden Fürften beflätiger, fondern von 
anderen auch noch mene und bedeutendere vermittelt wurden. 
So beitatigte Herzog Johann I. von Sachen die den 
Hamburgern von feinen Vater Albert 1252 verlichenen 

12 


178 Alte Privilegien beflätigt, 1274— 1281. 


Freyheiten im Betreff «bes, Zolles zu: Lauenburg und 
Eflingen; . (1274, den 5. Februar). daflelbe char zwey 
Sabre fpater (1276, den 24. Auguſt) deſſen Bruder 
Albert II. So befraftigte Waldemar, Königin 
Schweden, als. er. feine Tochter dem jungen Grafen 
Gerhard IL, Gerhard des Erſten Sohn, zu Lodhus 
vermählte, den -Hamburgifchen Gefandten, die zu diefer 
Seyer eingeladen worden waren und vermuthlich nicht 
ohne reiche Hochzeitsgefchenfe erfihienen, die von feinem 
Bater Byrger der Stadt verliehenen Privilegien. 
(1275, den 12. December.) Gleicherweiſe beffätigten 
die Grafen Johann IL und. Adolph V., Johann's I, 
Söhne, den Hamburgern das alte Faiferliche Priviles 
gium, und als nach Hildebold's Tode (1275) der 
Erzbifchof Giefelbert gegen die Hamburger Die alten 
Streitigkeiten bervorfuchte und feindfelige Gefinnungen 
blicken ließ, flellten die Grafen Gerbard I, und IL, 
Bater und Sohn, eine befondere Verficherungsurfunde 
aus, dag fie die Stadt gegen jedwede Anmaßung und 
zubringlichfeit des bremifchen Erzbiſchofs in Krieges 
wie in Friedenszeiten ſchuͤtzen wollten:  Cı281.) fo wie 
auch. die Söhne Johannes J., die Grafen Adolph V. 
Johann II. und Albert im nachften Jahre Feinen Anz 
Hand nahmen, diefe Zuficherung in einer neuen Urkunde 
su wiederholen, In Diefelbe Zeit fallt noch die, Beſtaͤ⸗ 
tigung eines Vergleiches zwifchen- mehreren Kirchſpielen 
der Dit hmarſchen mit Hamburg, der. auf Anrachen 
der Minoritens Brüder. gefthloffen wurde, dahin, daß 
Hamburger, Lüberfer und andere Kaufleute diefer Ger 
gend, wenn. fie durch Noth oder freywillig in das 


Graf Gerhard I. ffirbe 1281, 179 


Gebiet der Dithmarſchen Fommen, mie Schiffen 
und Gütern kraͤftigſt gefchüge ſeyn follten, mit Zus 
ſicherung jedes Schadenerfages, wofür jedwedes einzefne 
Kirchſpiel, in welchem der Beklagte wohnte, oder mo 
das einzelne nicht machtig genug feyn follte, ſaͤmmtliche 
verbunden mit einmuͤthiger Theilnahme ſich verbuͤrgten. 
Das Abſterben des Grafen Gerhard J., welches 
im Jahre 1281, dem 21. Derember erfolgte, hatte auf 
Hamburg feinem unmittelbaren Einfluß, Er ſowohl, 
als fein vorangegangener Bruder Johann I. hinter: 
ließen eine zahlreihe Nachfommenfchaft, und da über 
das Erbfolgerecht in jenen Zeiten Feine Beſtimmung 
vorhanden war, blieben Theilungen und Zerſtuͤckelungen 
der vaͤterlichen Laͤnder unvermeidlich. Mit dieſen aber 
waren theils Plackereyen der Untergebenen, theils 
Veraußerungen "der graͤflichen Stammguͤter und Bes 
figungen nothwendig verbunden. Denn da der Aufwand 
und die Aufrechthaltung des Anfeheng, dergleichen die 
Borfahren, welche das Land ungerheilt befeffen, gehabt 
hatten, mit den zertheilten Einkünften in Feinerfey Ver⸗ 
haͤltniß fanden, erſchien bey wilder Ausgelaffenheit 
Druck und Erpreflung gegen die Unterthanen,. bey 
milderer Gemuͤthsart Verpfandung und zufeßt Verkauf 
der erworbenen Güter einziges Mittel, jene Zwecke zu 
erreichen. Es mag dahin geſtellt ſeyn, welchen Glauben 
die Nachricht verdiene, welche ein jüngerer Chronifens 
fehreiber von den Schauenburgern mittheilt, daß fie, 
um ſtattlichen und prächtigen Stand zu führen, bie 
unterthanen größfich und heftig gefchagt und beſchwert, 
umd was diefe nicht gern moch willig geben wollten, 
12* 


180 Eine Feuersbrunft wuͤthet in Hamburg 1281, 


wohl mit Unwillen verfolgen, oder mit Gemalt hatten 
holen und nehmen laffen. So ſchwer jene Theilungen 
der gräflichen Güter zu beflimmen find, fo gleichgültig 
£önnen fie in diefer Erzählung betrachter werden, da 
nirgends befannt geworden iff, daß Hamburg je im, 
dieſelben mit einbegriffen worden ſey, ohne Zweifel, 
weil die fammelichen Grafen die Anfprüche auf die 
wichtige Stadt immer als ein gemeinfames Erbgut 
betrachten wollten, Aus diefem Verhaͤltniſſe erklären 
fih die wiederholten: Beſtaͤtigungen der Privilegien, 
Vorrechte, Freyheiten und Beguͤnſtigungen, die bald 
von einzelnen Grafen, bald von mehreren gemeinfchaft- 
lich ertheilt worden, fo wie die Bemühungen Ham⸗ 
burgs, bey jedweder vorfommenden Gelegenheit ſich 
jenen. fammelich , oder Einzelnen insbefondere gefällig 
zu erzeigen. Daher ift auch von Irrungen und Miß— 
verffändniffen nur felten die Rede, und mo dergleichen 
durch den Gang der Ereigniffe herbeygeführt wurden, 
brachte die billige Nachgiebigfeie von beyden Seiten 
das gute Vernehmen bald wieder zu Stande. Diefe 
aus Thatſachen fich ergebende Anficht ift mie Rebe zur 
leitenden genommen worden, wenn von der Bewahrhei— 
tung einer Weberlieferung die Rede iſt, nach welcher 
fich die Grafen bey einer großen Feuersbrunft, mit 
welcher die Stade im J. 1281 beimgefucht wurde, mit 
vieler Härte und Unglimpf benommen. haben follen, 
Ueber die Halfte der Stadt, welche, Bremen und an- 
deren Stadten gleich, noch wenig fleinerne Gebäude 
zählen mochte, auch das Johannis» Klofter mir, follen 
damahls eingeäfcbere und mehrere Menſchen beyderley 


Privilegien vom Jahr 1282. 181 


Geſchlechts in den Flammen umgefommen ſeyn. Da 
bätten die Grafen von Holftein, berichten neuere Er: 
zabler, ihren Voigten und Beamten unterfagt, den 
Hamburgern zum Wiederaufbau ihrer Haufer Holz zus 
zuführen oder zu verfaufen, und fügen hinzu, wie die 
harte Verbot die gehoffte Wirfung nicht gehabt, da 
Graf Helmuth zu Schwerin und andere in der Nach: 
barſchaft wohnende Herren ſoviel Holz auf der Elbe 
hatten zuführen laſſen, daß Fein Mangel fühlbar ge 
worden fey. Mit einer folchen Härte verträgt fich 
wenig, daß diefelben Grafen in derſelben Zeit der 
Stade nicht nur ihre alte Gerechtſamen beffätigten (1282), 
fondern auch zum Ermerb neuer Begünftigungen bes 
bülflich waren, Uebrigens ſetzt Adam Thraziger jene 
Feuersbrunſt in das Jahr 1284, und bemerkt, daß 
der Wiederaufbau der Stade nicht früher, als 1292 
vollender worden fey, 

Die Jahre dieſer Zwiſchenzeit, in melchen die 
Sorge für die Wiederbegründung des häuslichen Heer: 
des und für die inneren Angelegenheiten die meiſte 
Aufmerkſamkeit hinwegnehmen mußte, find eben des⸗ 
balb weniger merkwürdig durch Anternehmungen und 
Ereigniffe, welche glanzend bervorleuchteten. Auf Vers 
wendung und dringendes Bitten des Grafen Johann II, 
und deſſen Gemahlin ertheilte der König Erich Glip⸗ 
ping von Danemarf den Hamburgern, nachdem er 
ihnen ſchon (1282, den 16. December) die frühere Zur 
fage befräftige hatte, daß fie bey Strandungen mit 
ihren Gütern, die fie durch eigene Mühe und durch ihre 
Koften bergen würden, unverlegt und frey von jeden 


182 Freyheit, den Markt auf Schonen zu befuchen, 


Anfprichen bleiben follten, noch die Freyheit, den 
Sahrmarft in Schonen zu befuchen: er mieß ihnen 
einen befonderen Pak an, wo fie ihre Duden aufbauen 
und zur Zeit der Jahrmaͤrkte beauem wohnen fönnten, 
und machte fie aller Vergünftigungen und Freyheiten 
theilhaftig, welche die wendifchen und andere Seeſtaͤdte 
von dem Könige oder deſſen Vorfahren erhalten hatten. 
Die Urkunde iſt ausgeftelle von Schleßwig, den 13, July, 
1283. Schonen, das damahls zu Danemarf gehörte, 
war für die deutſchen Kaufleute von groffer Wichtigkeit, 
theils um anderer Vortheile willen , insbefondere aber, 
weil an den Kuͤſten dieſes Landes der reichſte Herings- 
fang getrieben wurde, an welchem auch die Hamburger 
bereit8 im dreygehnten Sahrhunderte den thaͤtigſten 
Ancheif nahmen, “Ein uraltes Stadebuch von Hamburg 
aus dem Jahre 1276 enthält in dem Abſchnitte vom 
Seerechte ſchon befondere Verordnungen über die Winz 
terfiſchfahrt, welche nach Kabelfau, Stock⸗ und Klipp⸗ 
fifchen an den normwegifchen und isländischen Kuͤſten ge 
trieben, und die Sommerfifche oder Heringe, welche in der 
Oſtſee und bey Schonen nachgeſucht und gefangen wur⸗ 
den, Die Heringejäger mußten an dieſen Kuͤſten Er: 
laubniß haben, den Hering zu trocknen, zu raͤuchern, 
zu falgen, zu pasfen und zur Verfendung zu bereiten; 
mancher andere Verkehr knuͤpfte fich alfo daran, und fo 
entffanden an verfchiedenen Orten, vorzüalich zu Ska— 
nor und zu Falfterbö große, haufig befuchte Markt: 
pläße, fir welche, gleich anderen Gtädten, fo auch 
Hamburg Beguͤnſtigungen und Freyheiten ſich zu ers 
werben ſuchte, die im der Folge’gemeinfam in die 


Kampf der wendifchen Staͤdte gegen Erich, 183 


banfenrifchen Freyheiten und Privilegien vereiniget wur: 
den, Die Handlung auf Schonen und auf Norwegen 
wide fortan das fürnehmfte Gewerbe der fogenannten 
Schonenfahrer in Hamburg, deren Gefellfchbaft den 
größten Theil des Heringshandels ſich zugeeigner, und 
welche ſich bis auf ſpaͤte — in bluͤhender Thaͤtigkeit 
erhalten bat, 

Unftreitig war es die Verwirrung und Auflöfung, 
in welche damahls die nordifchen Neiche zerfallen: waren, 
da Uneinigkeit zwifchen den Machthabern, Willführ der 
Herrfchaft, Mißtrauen und Rohheit der Vafallen, noch 
mehr Barbarey der Unterthanen zu derfelben zufammen 
wirkten, wodurch dem DVerfehr der deutfchen Städte, 
der aus dem inneren Sinn für geordnete Thaͤtigkeit 
und frifch fich entfaltendem geiftigen Leben hervorging, 
fo vielfacher Zugang und ungeflörtere Freyheit ver⸗ 
fihafft wurde, Nur konnte es nicht fehlen, daß, je 
rafcher diefe Gemerbehätigkeie um fich griff, deſto mehr 
die Eiferfucht der Landesfürften errege werden mußte, 
wo * irgend Beruͤhrungen und Anreizungen  eintratens 
Damahls herrichte in Norwegen König Erich, deilen 
Rathgeber ungerne fahen, daß die deutſchen Seeſtaͤdte 
mit den Dänen, des Reiches Feinden, in fo gutem 
Bernehmen ſtanden. Man fing daher an, die deutſchen 
Kauffabhrer anzubalten, ihre Schiffe zu verkaufen und 
allen ihren Handel zu vernichten. ° Diefer Umſtand gab 
Veranfaffung, daß fieben wendiſche Stadte, Lil 
best, als die maͤchtigſte, zuerſt, dann Wißmar, Roſtock, 
Stralſund, Greifswalde und Riga nebſt den Deutſchen 
auf Wisby ſich mit einander vereinigten, die norwegiſchen 


184 Krieg ber wendifchen Städte gegen Erich, 


Küften beunrubigeen, und durch ein gemeinfchaftliches 
Berbot, aus den Staͤdten weder Getreide noch Bier 
nach Norwegen zu führen, das rauhe Land zwangen, 
fich in ihren Willen zu fügen, Der König gab in dem 
Krieden zu Kalmar 1285 alle genommenen Schiffe zu: 
ruͤck, verguͤtete die ſchon verkauften mir 6000 Marf 
norwegiſcher Muͤnze, beſtaͤtigte die alten und verſtattete 
neue Handelsfreyheiten, welche in der Folge auch auf 
mehrere niederlaͤndiſche Staͤdte ausgedehnt wurden, 
Die Stadt Bremen hatte es in dieſem Kampfe mit 
dem Koͤnige gehalten, welche daher auch von den ge— 
nannten wendiſchen Staͤdten im Handel, Zoll und der 
Heringsfiſcherey beguͤnſtiget wurde. Von einer Theil: 
nahme Hamburg's für die eine oder die andere Par⸗ 
tey ift nicht die Rede, und wenn wir einen Blick auf 
die damahls vorhandene Noch und George, welche die 
Einäfcherung der Stade berbeugeführe hatte, werfen 
wollen, ift eine folche nicht wahrfcheinfich, Aber der 
glücflich geendigte Streit der ſieben Städte Fonnte 
nicht "anders, als der Verbindung Anfehen und auch 
bey anderen den Wunſch erwecken, berfelben beyzutre— 
ten: und in fo fern war bier ein neuer entſcheidender 
Schritt gethan, welcher der Bergröfferung und Verherrli⸗ 
hung des hieraus bervorgegangenen banf er | 
Bundes entgegen führte, 

Auch die naͤchſten Jahre enibalten wenig Merk 
würdigkeiten, die aus der Geſchichte der Stadt ung 
überliefert worden waren, Erſt mit dem letzten Jahr: 
zehend dieſes Zeitabfchnittes tritt Hamburg, neu erflan- 

den und mit frifcber Kraft wieder in den Gang. der 


Bererag mie dan Ruſtringern 1291 2, 185 


Begebenbeiten ein, und fahre fort, -fein Anfehen und 
feinen Wohlſtand immer mehr nach auffen bin zu ers 
weiter, Im Jahre 1291 wurde mit dem Lande Rus 
ringen in Oſtfriesland ein Vertrag errichtet, Daß, 
nachdem alle Zwierracht, welche zwifchen diefem Lande 
und Hamburg wegen verübter Mordthaten, Raubereyen 
und Verwundungen obgemalter, wie auch alle anderen 
Handel in Gegenwart und durch Vermittelung der — 
Rathmaͤnner der Stade Bremen bepgelege worden, in 
Zufunft über folche Dinge nicht weitere Klage erhoben, 
vielmehr wechſelſeitige Freundſchaft ſtatt finden folle: 
auch daß die Hamburger in jenem Lande und überall 
bey den Ruffringern Schuß finden und wenn fie am 
daſigen Ufer Schiffbruch feiden, ihre Güter mit getreuer 
Hülfe der Einwohner follten bergen können, Im Sep— 
tember deffefben Jahres erhielten. fie auch vom Herzog 
Albrecht von Sachſen, Kurfürften und Eydam des 
Kaifers Rudolph von Habsburg, einen Freyheitsbrief, 
in welchem nicht allein die früheren Privilegien beſtaͤti— 
get, fondern auch hinzugefügt wurde, daß die Bürger 
von Hamburg zu Eißlingen von jedem Lüneburger Chor 
Salz für Zoll und Ungeld niche mehr als fünf Pfen— 
uinge entrichten follten, jo oft fie auch mit Salzladun— 
gen dafelbft vorüberfahren möchten, 
Bey weitem das michtigfte Ereigniß und für die 
Berfaffung und fichere Begründung der ftadtifchen 
Freyheit vom größten Einfluß iſt der berühmte Frey: 
beitsbrief, welchen die Grafen Adolph, Gerhard, 
Iohannes, Adolph und Heinrich im Jahre 1292 
der Stade Hamburg urkundlich ercheiften, Naͤchſt der 


186 Das Privileginm von 1292 befreyer Hamburg 


Beftätigung aller Freyheiten und  Begünfktigungen, 
welche dem Rathe und der Gemeine von den römifchen 
Kaifern oder von den Vorfahren der Grafen verliehen 
worden, ‚„vermwilligen und ſchenken fie der Stadt 
Hamburg das Recht, welches gemeinhin die Röhre 
genannt wird, oder die Befugniß, Statuten vorzu— 
fchreiben und Edicte befannt zu machen, mie fie fol 
ches für den Nugen und die Nothdurft der Stadt ge- 
nehm finden würden, auch diefelben, fo oft und wann 
es ihnen bediünfe, zu wiederrufen. Gie verſtatten ihnen 
aus reinem und freyem Willen, daß fie ihr Recht und 
ihre Urcheile nie anderswo, das iſt, aufferhalb ver 
Stade, als auf dem Rarhhaufe der Stadt ſelbſt Cin 
domo Consulum) nach dem Inhalte ihres Buches 
ganz frey vollziehen dürfen: mit Hinzufuͤgung ſolcher 
Bedingung, daß ſie keinem, er ſey arm oder reich, oder 
einem, der es von Seiten der Grafen verlangen möchte, 
der etwa meynete oder argwohnte, daß ihm nicht recht 
geurtheilt und ihm Unrecht geſchehen ſey, verweigern 
ſollten, das Geſetzbuch, ſofern er es verlangte „ ſelbſt 
einzuſehen. Ueberdieß ertheilen fie volfommene Macht 
und Gewalt, über alle Vorfaͤlle, uͤber weiche in vorbe⸗ 
meldetem Buche noch Feine Beflimmung verfaßt wor⸗ 
den, nach gemeinfchaftlicher uebereinſtimmung und 
Machtvollkommenheit des Rathes neue Geſetze nach 
Gutduͤnken zu machen und zu verordnen: ſo doch, daß 
die alſo geſetzten neuen Rechte in das Stadtbuch einge: 
ſchrieben und von ihnen und ihren Nachkommen als 
ein bleibendes Recht gehalten werden. Doch behielten 
die Grafen ſich vor, daß Geſetze und Rechtsſpruͤche, die 


von der Abhängigkeit von den holſt. Grafen. 187 


auf forche Weife gemacht worden, Feinesweges zur Ver: 
minderung, zum Nacheheil oder zur Beffreitung der 
Anfprüche und Gerechtfamen, welche fie bisher am die 
Stadt gehabt, und in Fünftigen Zeiten vermöge ihres 
Erbrechts haben würden, je ficb ausdehnen dürften,‘ 
Die Urkunde iſt ausgeftele in der Stade Hamburg, 
Freytags nach Lätare Ierufalem, und unterzeichnet von 
mehreren Edlen, als von Egerih von Otteshude, 
(woraus. fpater Otten ſen) Theodorich Hoyfen u. a., 
von den Rarhmannern der Stadt Hamburg, und gege: 
ben durch die Hand des Notarius (Serretarius) So: 
bannin Luͤrkenborg, Rectoris der Kirchen, 1292, 

Das wahre Leben eines Volkes nnd die geiffige 
Erhaltung deſſelben beruht auf deffen gefesficher Ver— 
faffung , die der eigentliche Kern des Lebensſtoffes iſt, 
von welchem aus Kraft und Gefundheit in die verfchier 
denen Glieder des Staatskoͤrpers ſich verbreiten follen, 
So lange Willtühr und rohe Kraft anſtatt der Geſetze 
galten, Fonnte die freye Entwickelung der bürgerlichen 
Dhaͤtigkeit noch nicht gedeihen, Aber das Beduͤrfniß 
rufer ſelbſt zur Ordnung und Negel auf, und was 
die geradfinnige Einficht unferer Altvordern ausgefun— 
den, vererbte fich gern als Herfommen und Teitende 
Richtſchnur auf die Nachwelt, Mit dem erſten 
Schein der buͤrgerlichen Fieyheir, der über Hamburg 
aufging, damahls, als Albrecht von Orlamunde die 
an fich gekaufte Stadt um eine Geldfumme Frey gab, 
dachten alfobald die Verſtaͤndigſten ihrer Bewohner 
darauf, eine fefte Gefegeimrichtung zu entwerfen, um 
der Befugniß, fich nach eigenen Rechten richten zu 


x 


188 Das Drbeel-Bopf von 1270, 1276, 


dürfen, durch die That zu entfprechen. Wie unvollfom: 
men auch jene Gefeßfammlung geweſen feyn mag, fie 
war. der Grundflein, auf welchem weiter fortgebauer 
und die nachmalige Verfaffung in ihrer reiferen Ent- 
wickelung begründes werden Eonnte, Die Mängel und 
Rücken des alteften Stadtrecht8 wurden fp bald fühlbar, 
daß fchon im Jahre 4270 eine neue Durchfiche deſſelben 
nötbig wurde, und von dieſem Jahre iſt das, ältefte 
Ordeel-Book (Befesbuh), das auf die Nachwelt 
gefommen iſt. Man finder in-demfelben, wiewohl in 
noch unvollfommenen Abfcheidungen, die Einrichtungen 
des Staats ald einer Gemeinheit berrachter, Verord⸗ 
nungen und Webereinfünfte der Buͤrgerſchaft und eine 
Sammlung von bürgerlichen und Privargefegen zugleich 
neben und durch einander, Die dreyzehn Stücke, in 
welche es abgetheilt ift, führen in damaliger Landesfprar 
che folgende Auffchriften: wo man den Rath beſetten fall, 
un van Erven, van Erverinfen; van Dehlinge; van Ghif⸗ 
te; van Bormuntfchop; van Schultz van Tügenz van 
Deenfte ; van Schlaghen; van Unrichte; van Vorſate; van 
Duve un van Rove; van Schip⸗Rechte. Das Gefesbuch 
trägt in allen Theilen das Gepräge der Ureigenthuͤmlichkeit 
und aus dem Ganzen ſpricht fich deutlich und unver: 
kennbar aus, daß ed in einem Staate verfaßt und zu: 
fammen getragen worden, der ſchon einen nicht unbedeu> 
tenden Grad von Unabhängigkeit und Anſehen genoß. 
Schon im Jahre 1276 wurde daffelbe nochmahls durch- 
geſehen und verbeffert, und auch von diefer Sammlung 
haben fich Abfehriften bis auf die ſpaͤtere Zeit erhalten 
gehabt, | 


x 


Hohe Gebraͤuche werden abaefchafft; 189 


Rohe und wilde Sitte, don welcher theils in der 
Stadt, theild in deren Nachbarſchaft aus jener Zeit 
ung manche Beweife überliefere worden find, Fonnten 
nur auf dieſem gefeglichen Wege beſchraͤnkt und, 
menfchlicheren Einrichtungen Pas zu machen, entferne 
werden, 3.8. Die Bewohner der nahegelegenen Elbin— 
fein, namentlich von Ochſenwaͤrder, hegten unter fich noch 
jene arabifche Rachſucht, die, wenn einer ihrer Vettern 
erfchlagen wurde, den nachiten Verwandten des Mor: 
vers auf Leben und Tod zum Zweykampf fodern hieß, 
wodurch ganze Familien gegen einander in einen Kampf 
der Ausrottung geriethen, Gegen diefe Barbarey mach: 
ten die Grafen Johann und Gerhard 1255 die 
Berordnung, daß die Eltern und Verwandten eines 
Entleibten oder Verwundeten fich nie mehr unterfte- 
ben follten, einen von des Thaͤters Verwandten, der 
bey der That nicht gegenwärtig gewefen, zum Zwey⸗ 
fampfe berauszufodern, und daß der alfo Gefoderte, 
wenn er durch fieben tüchtige und mohlberufene Mäns 
ner, die auf Ochfenwärder feßhaft waren, erhärter 
batte, daß er nicht zugegen gemwefen, zu erfcheinen nicht 
fehuldig fey. — In Hamburg mafte ſich noch in 
diefem Jahrhunderte die Geiftlichfeit an, Bürger vor 
ihr Gerichte zu ziehen und fie zu zwingen, fich der 
Probe des glühenden Eiſens zu unterwerfen, wiewohl 
ſchon Pabfle und Kaifer wiederholte Befehle zur Abe 
ſchaffung der barbarifihen Gottesgerichte (Ordale) hatten 
ergehen Taffen, Im Jahre 1257 wandten fich die Ham⸗ 
burger mit ihren Befchwerden deshalb an den Papft 
Alexander IV. und erhielten aus Biterbo vom 


190 Das Weichbildsrecht. 


1. Juny dieſes Jahres die. günftige Antwort, daß er 
für würdig halte, gerechtem Verlangen Bittender willige 
Gemwahr zu Teiften, und Wuͤnſchen, die fich von dem 
Pfade der Bernunfe nicht entfernten, gerne zu wills 
fahren; darum folle niemand gezwungen feyn, der Feuer- 
probe, als in welcher man Gott zu verfuchen ſcheine, 
fich zu unterwerfen; ja er, drohete dem, dev verwegen 
dawider zu handeln wagen follte, mit dem Zorn des 
allmachtigen Gottes und der Heiligen, Perrus und Pau- 
Ins, feiner Apoftel, vs 

Die Ermeiterung des Weichbildsrechtes, 
welche die Grafen von Holftein der Stade Hamburg 
im Jahre 1258 verliehen, iſt mit Anrecht auf ein ber 
fonderes Recht gedeutet worden und geflattete nur, daß 
die Bürger ſich ihres altherkommlichen Sachfenrechtes 
innerhalb der bezeichneten Grenzen bedienen durften, 
Man bezeichnete gern den Gerichtsort, die Ding⸗ oder 
die Mahlftärre bald mit einem-einfachen Kreuze, bald 
mit einem Bilde des Kaiſers, dad mit dem Schwert 
und dem Handſchuh geziert war, biefem als Zeichen 
des Marktfriedeng, jenem des Gerichts über Leben und 
Tod. Der altfachfifcbe Rahme nannte es Wykebeld 
oder Weichbild, denn Wyk bedeuter einen Ort oder 
Aufenthalt, wie aus den Zufammenfegungen Brunswyk, 
Bardowyf und anderen noch erkennbar iff. Der 
Rahme. ded Zeichens ging bald auf die bezeichnete 
Sache, den Ort ſelbſt, um fo Teichter über, da ein 
folches Bild oft auch an der Grenze eines Landes oder 
Stadigebiered errichter wurde, den Anfeng und Um— 
freig ihrer Gericheöbarfeie zu bezeichnen. Wo dns 


Die Rolandsfaule _ 191 


gebarnifibte „Bild des Kaifers die Mahlſtaͤtte zierte, 
nannte das Volk daſſelbe fpaterhbin die Noland 3- 
fäule, da durch fabelhafte Weberlieferungen Roland 
und Rieſe im Volksglauben  gleichbedeutende Wörter 
geworben waren. - Wenn alten Meldungen zu trauen 
ift, fo erricbteren fich die Hamburger: ſchon im: Jahre 
1264 eine folhe Rolandsfaule, Ihr Nahme- hat 
fib dem Gedacheniffe der Nachkommen noch in der 
Rolandsbrüse erhalten; fie ſelbſt aber fand auf 
dem Plage, auf welchem fpaterhin das jetzige Eim: 
befifche Haus erbauer worden iſt. Vebrigend mußte 
die Erweiterung der Stadtgerichtsbarfeit die berathen— 
den Bürger derfelben um. fo mehr auffordern, ibre Ger 
fesverfaffung neuer Durchficht und —— zu 
unterwerfen. 

Waͤhrend nun im Innern der Stadt durch Sig und 
Gewerbtbatigfeie der Wohlftend ſich vermehrte und 
auch nach dem. Unglüf, das. die Gemeinde bey der 
großen Einäfcherung, im Jahre 1281 heimgefucht hatte, - 
in wenigen Jahren die Spuren der Verheerung vernich- 
tet waren und die Stadt in neuer Jugendfrifche empor- 
flieg: gelang es dem vorfichtigen, faatsflugen Bemuͤ⸗ 
ben derer, welche an der Spitze der Verwaltung ſtan⸗ 
den, die allein noch übrigen. Feſſeln, in welchen bie 
fchon langt erfehnte Stadtfreyheit noch gehalten wurde, 
vollends abzuffreifen und dem Ziele, durch feldftandige 
Kraft, in einziger Nachgiebigkeit des eigenen Willengd 
den durch natürliche Lage und ‚den Zufammenhang der 
Welthaͤndel erreichbaren Wohlitand herbeyzuführen, um 
ein. Bedeutendes nahe zu kommen. Der gräffiche 


192 Freyheit des Nechts der Kühre 1292, 


Schirmvoigt war febon laͤngſt überflüffig geworden, da 
die Stadt zu ihrem Schuß fich immer auf eigene Kraft 
und Hilfe angemwiefen gefeben hatte, Der Gerichtövoigt 
war bis jest geblieben als ein Schatten früherer Ho— 
heit, welche die Grafen bey der gefeglichen Verwaltung 
ihrer Untergebenen befeffen harten. Aber mit dem 
Freyheitsbriefe von 1292 verſchwand auch dieſer Schat⸗ 
ten noch: denn von jetzt an war jedwede Befugniß, 
Verordnungen neu zu beſtimmen oder abzuaͤndern, in 
die Kuͤhre (Willkühr) und freye Wahl der Stadt ge 
geben. Darum ift von der Zeit an von einem grafli- 
then Gerichtsvoigt auch niche mehr die Rede. Der einzige 
Vorbehalt, Daß die zu entmwerfenden Verordnungen den 
erblichen Gerechtfamen der Grafen nicht entgegen feyn 
follten, deutet noch auf die Fortdauer des Anfehens 
hin, welches die bisherigen Gtatthalter, obſchon 
nur in ſchwachem Weberrefte, uber Die wichtig gemor- 
dene Stadt zu behaupten wenigſtens den Anfchein retten 
wollten, Aber ſelbſt die Berufung auf gräfliche Ent- 
ſcheidung, welche bis zu diefer Zeit in zweyfelhaften 
Fallen fintt gefunden, war in dieſer Iegten Privilegi— 
rung zu Gunften der Bürger aufgegeben worden, 
Diefe ihrerſeits faumten nicht, nach fo vortheil- 
haften Zubereitungen zu einer gründlichen Verbefferung 
der inneren Einrichtung der Stade mit Ernſt zu fehreis 
sen. Es wurde fofort befehloffen: „daß für immerhin 
jedweder Unterfchied, fo bisher zwifchen der Altſtadt 
und Neuſtadt gegolten, aufgehoben, dag ſelbſt diefe 
Benennungen, welche nur Saamen der Zwietracht und 
Uneinigfeit gewefen, abgeſchafft werden follten; mare 


Bereinigung der, Altz und Neufladt, 193 


auch einige Befeftigung oder Grenzfiheide als Spur der 
Abfonderung vorhanden „ fo ſolle dieſe unverzüglich 
vernichtet. werden. Das Rathhaus der Altſtadt Cneben 
der Domfirche) wolle man zu anderem Gebrauch benuge 
und niche mehr als folches betrachtet wiſſen; Dagegen 
werde der Nach beyder Staͤdte ſich in Einen Körper 
vereinigen und allein auf, dem Rathhauſe des St. Ni⸗ 
folai = Kirchipiel$, als welches inmitten ‚der beyden 
vereinigten. Stadte gelegen,  fich ‚verfammeln,. Bey 
dem Rathe, als dem Oberhaupte des Staats 
Creipublicae), folle die hoͤchſte Gewalt feyn. Die 
sefonderen Collegien, Freyheiten und Privilegien, ſo 
jede Stadt bisher insbefondere gehabt, ſollten inskuͤnf⸗ 
tige beyden: gemeinfihaftlich . zugehören. Abgaben, 
Strafgelder und andere der Gemeinde zufommende Gel— 
der follten in den gemeinfchaftlibenS cha ( Caͤ m me⸗ 
rey) gebracht und die Fürforge und Verwaltung: deffel- 
ben dem Rathe übertragen werden, Ehrenamter fo- 
wohl als Beſchwerden follten allen gemein. feyn, und 
bey. der Wahl der. Obrigkeit ſey weder auf Abkunfe, 
noch Verſchwaͤgerung oder auf Reichthum, ſondern 
lediglich auf Tauglichkeit Rüskficht zů nehmen. Wenn 
endlich Jemand aus ehrgeizigem Gemuͤthe oder. boͤſem 
Anſchlag die Eintracht und oͤffentliche Ruhe zu ſtoͤren 
und dadurch, daß er durch Verlaͤumdung und falſche 
Beſchuldigung die Untergebenen gegen die Obrigkeit 
verhetze, entweder zur eigenen Macht oder zur Anarchie, 
zum herrenloſen und verwirrten Weſen, den Weg zu 
bereiten verſuchen wolle: ſo ſolle dieſer mit ſeiner ver⸗ 
gifteten Klugheit und Matinicas Beredſamkeit 
13 


— — 


194 Das Stadtbuch wird 1292 von neuem 


verdammt feyn und als ein werberblicher Feind des 
Vaterlandes auf das hartefte beftraft, anderen durch 
fein Beyfpiel zur Lehre dienen, daß ein böfer Rath 
dem Rathgeber am argften, und daß nie Teiche ein 
Aufruhr, wenn auch unter dem Vorwande der Frey- 
heit oder fonft unter einem befchönigenden Deckmantel 
unternommen, eines glücklichen Ausganges je theihaftig 
geworden fey, Ein neuerer, nicht immer zuverläffiger 
Gefchichtserzahfer Teitet übrigens dieſe der Stadt zuge— 
wachſenen Vortheile von dem Grafen Adolph, Kor 
hannes Sohn, Dom-Probften zu Hamburg, ab, wel: 
her der Stadt befonders wohlgewollt und bey feinem. 
Brüdern und Vertern ein vielgeltender Fürfprecher „der: 
felben geworden ſey. 

Mehrere Anzeigen feßen es auffer Zweifel, daß 
bey der nun erweiterten Freyheit und Unabhaͤngigkeit 
der Stade zur fefleren und geregelteren Beſtimmung 
der inneren Verfaffung eine neue Durchficht des Gefeß- 
buches vorgenommen und eine umfaffendere Darftellung 
der gefeslichen Verhaͤltniſſe feſtgeſetzt worden fey. Biss 
her war man zufrieden geweſen, das mit Anfkrengung 
Ermorbene gegen Gewalt von Auffen zu ficbern und 
fremde Einmifchung möglichft abzuwehren, Don jeßt 
an wurde aber nothwendig, auch die Verhaltniffe im 
Innern genauer zu begranzen, und da Einwirfung eines 
‚ Dritten für immer entferne blieb, fcbarfer und fefter 
gu begründen, In dem, böchft mahrfcheintich in diefem 
Jahre 1292 von der Stade aufs Neue durchgefehenen 
Stadebuche finden ſich daher fehon mehrere Zufäge 
und umfländlichere Verordnungen, die Rathswahlen, 


durchgefehen, vervolffändige und geordnet, 195 


Rathsfaͤhigkeit, Gewinnung der Bürgerfchaft und ber: 
gleichen berreffend. ‚Weder Vater und Sohn, noch 
zweeen Brüder können zugleich im Rathe feyn noch ger 
foren werden, — Es fol fein Ritter oder rirtermäßige 
Perfon in der Stade oder deren Weichbilde wohnen 
noch dafelbft unbewegliche Güter an fich bringen.’ ꝛc. 
Nicht minder enthielt diefes Stadebuch genaue Erörte- 
rungen über manche Gefege in Ruͤckſicht auf Rechtsfaͤlle 
über Erbſchaften, Kaufſchlaͤge, Schulden, Zinfen, 
Miethsgeld, Zeugen und Dienfiboten. Daß man währe 
rend diefer Zeit auch auf die Ausartung der Sitten 
aufmerkſam geworden fey, ergiebt fich aus Verordnun⸗ 
gen Uber Zucht und Unzuche, welche fich in den Sta— 
tuten von 1270 noch nicht finden und jet für noͤthig 
erachtet wurden. „„‚Leichtfertige, berüchtigte Frauennah⸗ 
men, (Weibsbilder) welche mit unzuͤchtigen Reden die 
Ehre und den guten Ruf rechtlicher Frauen Franken, 
follen am Kaken fiehen, mie zwey Steinen um ihren 
Hals und fodann durch die Frohnen mitten durch die 
Stade geführe, fo daß die Frohnen mie Hörnern vor 
und nach ihnen ber blafen, und fo zum Hohn und 
Schmach aus dem Stadtthore gewiefen werden. — 
„Um die ehrlichen und unehrlichen, wandelbaren 
Frauen unterfcheiden zu koͤnnen, follen dieſe Feine Kos 
rallen, Schnüre, Gefchmeide noch „Hoiken“ mir Kra⸗ 
gen oder andere Zierungen tragen, dergleichen fromme 
Frauen gewohnt find, bey Verluſt desjenigen, das fie 
alfo gegen das Gebot tragen, und anderer Strafe, 
welche der Rath beſtimmt.“ — „Frauen und Manner, 
fo in Verdacht der Uebertrerung ſtehen, follen beobachtet 
13* 


196 Gefeße gegen den Luxus u. dal, 


werben, und dürfen die Wächter und Diener auf Be— 
fehl des Voigted, an verbächtigen Orten, Fenſter und 
Thüren eröffnen und falls jene unbefleider bey Nachtzeit 
ohne brennende. Kerzen alleine bey einander gefunden 
werden, fol man fie in die „Hechte“ fegen, und ſoll 
ein Jedes ſechszig Mark Strafe zahlen oder an den 
Kak kommen.“ Und dergleichen Verordnungen andere, 
Auch der Lurus bedurfte ſchon damahls ber Einfchran- 
kungen. Nahmentlich find Gefege aufgezeichnet, welche 
den übertriebenen Aufwand bey Hochzeiten fo berabfeß: - 
ten, daß immer noch ein Pomp geſtattet wurde, welchen 
man jenen Zeiten kaum hatte zutrauen follen. Zur Be 
ſtimmung des Verhaͤltniſſes zwifchen dem Rathe und 
der Bürgerfchaft iſt in dieſem Gefegbuch noch keine 
Verordnung niedergefchrieben : beyde Theile berrachteren 
fich als innigft verbunden und Fannten nur Eine ge 
meinfchaftliche Sache, die fie gegen auffere Bedruͤckung 
und fremden Zwang zu verfechten hatten; an ein Me: 
bergewicht des einen, an eine Herabfegung des anderen 
Theils war noch nicht gedacht worden, der Vorzug vor 
anderen wurde denen freymillig zuerkannt, welche am 
meiften dazu beytrugen, die Unabbangigfeit des Ganzen 
gu erringen und zu behaupten, 

Ueber das Verhaͤltniß des — Domſtif⸗ 
tes zu der Stadt enthalt die Geſchichte dieſes Zeitz 
raums einzelne, nicht unerhebliche Züge. Se freyer ſich 
der Sinn der Bürger: entwickelte "und im Bewußtſeyn 
eigener Kraft, die fich durch Entfernung druͤckender 
Belaftungen öfter bewähre haste, ſich fühlen Ternte: 
um fo empfindlicher verfegte der hierarchiſche Stolz der 


Streitigkeiten u. Verträge mit dem Dom⸗-Capitel. 197 


in ihren Anmaßungen immer weiter um fich greifenden 
Domgeiftlichben und Mönche, Die VBefreyung von der 
barbarifchen Fenerprobe durch das glübende Eifen bat: 
ten die Bürger fihon 1257 ſich vom Pabfte ausgewirkt. 
Die fortdauernden Streitigkeiten zwifchen dem Capitul 
und dem Rathe betrafen vorzüglich die Curien oder 
Dombhöfe, welche die Stiftsherren in der Nachbarfchaft 
der Kirche mit vieler Prache fich aufführen Tießen, theils 
die Befreyung der Geiftlichfeie von allen bürgerlichen 
Abgaben, fo mie die Gerichtsbarkeit des Capituls. In 
einem Vergleich vom Jahre 1269 vereinigte man fich 
daher über mehrere Puncte: welche Haufer der Kirche 
und welche der Stade zugehören follten; daß diejenigen 
Güter der Domberren, welche in der Stadt - Gerichtd# 
barfeit Tagen, Schoß und Abgaben zu entrichten ſchul⸗ 
dig ſeyen; ed wäre denn, daß aus Gunſt und Freund- 
ſchaft des Rathes eine Nachficht geſchenkt würde. falls 
das Capitul ſich über jemand zu beſchweren hatte, folle 
es denfelben nicht fofore berichtigen, d. h. auf öffent: 
licher Kanzel mie Befchimpfung nennen, fondern ihn 
ordentlich zu fich fodern und nach den Gebräuche der 
Kirche mir ihm verfahren; fo ein Laie einen Geiftlichen 
im der ‚Kirche oder auf dem Kirchhofe verlegen würde, 
follte er von dem geifflichen Gerichte geſetzmaͤßig gerich- 
ter werden; hätte ein Geiftlicher wegen Schuldfoderung, 
Erbſchaft oder anderer weltfichen Sachen einen Laien zu 
belangen, fo Eönne dieß nur vor dem Rathe gefcheben, 
fo wie der Laie den Geiftlichen in folchen Sachen vor 
dem Probfte, Derhanten oder zn Richter ver⸗ 
klagen muͤſſe. 


\ 


198 Anlegung der Schule zu St, Nicolai, 


Zu neuen Reibungen gab die Anlegung einer neuen 
Schule Veranlaffung, welche die Eingepfarrten des 
Hicolai-Kirchfpield oder der Neuſtadt unabhangig 
von der fogenannten Marianiſchen- oder Dome 
fchufe unternahmen, Obſchon ber damalige Erzbifchof 
von Bremen, Giefelbert, ſchon feine Einwilligung dazu 
ertheilt hatte, fehieften die Bürger doch noch aufferdem 
ans ihrem Mittel Abgeordnete nach Rom felbft, unter 
welchen Johann von Lüneburg ‚nahmentlich ges 
nannte wird, und erlangten von dem Pabſte Mar: 
tin IV. auch die Beſtaͤtigung diefer neuen Stiftung, 
mit dem ungewöhnlichen Borrechte, daß die Kirchen 
geſchworenen (Jurati ecclesiae, deren fo früh 
ausdrücklich Erwähnung geſchieht) mie Rath und Bey 
fand der Aelteſten des Kirchſpiels die Lehrer dieſer 
Schule nach Gutduͤnken ein und abfesen dürften, Dieſe 
Urkunde wurde ertheile 1281. Allein der damalige 
Scholaſticus des Dom: Kapituls, Johann von 
Hamme, widerfprach diefer Neuerung mit Heftigfeit, 
die er als einen offenbaren Eingriff in feine Rechte be— 
trachtete, nach welchen er die Aufficht und Befegung 
aller Schulen der Stadt zu fodern habe; die Bürger 
dagegen beriefen fich auf den Inhalt der pabſtlichen 
Verordnung, und die wechfelfeitige Erbitterung ging 
fogar im öffentliche Feindfeligfeiten fiber, an welchen 
Die Tugend der beyten Parteyen felbft mit Prügeln und 
Steinwürfen Theil nahm, Nach achtjaͤhrigen Unter 
bandlungen wurden die Streitigkeiten durch Vermitte— 
lung des Sremifihen Erzbifchofs gleichwohl zum offenz 
baren Vortheil des Scholaſticus beendigt. Die Stifter 


Berhältniß des Stiftes zum erzbiſchoͤſſ. Stuhl. 199 


der Nicolai» Schule begaben ſich der von Rom aug 
ihnen zugeſtandenen Vorrechte und begnuͤgten ſich, dem 
Frieden nicht ferner hinderlich zu ſeyn, mit dem zwi— 
ſchen beyden Schulen beſtimmten Verhaͤltniſſe und mit 
der Verſprechung, daß die Nicolai⸗Schuͤler, ſobald es 
ihre Faͤhigkeiten geſtatten wuͤrden, in die Marianiſche 
Schule aufgenommen werden, desgleichen auch mit den 
Schuͤlern jener gleiche — nk: Beguͤnſtigungen 
genießen ſollten. 

Andere Mißhelligkeiten und Zusifke, Se unter 
der hamburgifiben Cleriſey ſelbſt entſtanden, wurden 
bald durch auswaͤrtige, hoͤhere Machtſpruͤche entſchieden, 
bald durch heimiſche Vergleiche in Güte geſchlichtet. 
Seitdem der erzbifchöfliche Stuhl. (1223) von Hamburg 
nach Bremen verfegt worden war, begnuͤgten fich bie 
bremifchen Stiftsherren nicht mie dem dadurch erhaltes 
nen Vortheil, fondern verfuchten zu wiederholten. malen 
anmaßliche Eingriffe in Die dem bamburgifchen Stifte nach) 
dem legten Wergleiche bewilligeen Rechte und Beguͤn⸗ 
ftigungen, Nicht nur drangten fie fich hinzu zur Be: 
ftellung des hamburgiſchen Probftes, fondern ihre Ab⸗ 
ficht ging auch nicht undeutlich dahin, die Sanonicate in 
Hamburg ausfterben zu Iaffen und diefelben nach Bres 
men zu verlegen, Auf die bey dem vömifchen Stuhl 

deshalb angebrachten Beſchwerden entſchied bereits In— 
nocentius IV. 1246 zum Vortheil des hamburgifchen 
. Stiftes, aber erft bey der Wahl des Erzbiſchofs Gier 
felbert 1273 wurde zwiſchen den fEreitenden Theilen ein 
feiterer Vertrag geſchloſſen, welche Verpflichtungen jeder 
Erzbiſchof bey dem Antritt ſeiner Regierung in Bezug 


200 Bergleich zmifchen dem Domſtift u. d. Erzbifchof, 


auf das Biefige Dom⸗Capitul angeloben folle: Den 
Rechten Und an * hamburgiſchen Kirche ** 
* — und * Befinden erneuern, die 
Sprüche des Capituls "gegen Webelthäter und Feinde 
der Kirche nicht Aufheben‘, fondern unterftüßen; er ‘ges 
löbte ferner, in Rirchenfachen, und was befonders die 
Präbenden ber Domherren angehe, ſich nicht zu men- 
gen, die erzbifchöftichen Güter, Zehnden und Lehne, fo 
auf der anderen Seite der Eibe befindlich, nicht von der 
Kirche zu bringen, auch dem Probfte zu Hamburg nicht 
mie Einmifchung in deffen iberfommene Gerichtsbarkeit 
befchmwertich zu fallen, vielmehr die abgenommenen Kir- 
eben und Rirchhöfe ihm wieder zu zuffellen; endrich wolle 
er keinem hamburgifchen Canonicus in deffen Vortheil 


einiges Hihderniß verurfachen, Tondern, mo jer irgend 


Anſpruch an jemanden zu haben vermeyne, denfelben 
dießfalls bey den Decan zu Hamburg Belangen, 
Diefer Vergleich wurde von demfelben Erzbifchof noch 
ſpaͤterhin, als er im Fahre 1301 in Hamburg fich auf: 
biele, —— — — ae J 





uebergang in das vierzehnte Jahrhundert. 201 


ae 


> Der Hebergang von dem dreyzehnten in's vierzehnte 
Jahrhundert gewahrt den Standpunet einer großen 
AYusficht , eben ſowohl, wenn der Blick zuriick im die 
Vergangenheit fich verliere, als wenn er die Zukunft 
vor ſich aufdammern ſieht. Veynahe fünf hundert 
Jahre find verftrichen feit dem erſten Entffehen der 
Stade. Eine unbedeutende Burg, von wenigen Fifchers 
bitten umbauet, erweitert fie ſich in Umfang durch die 
unverdroffene Thatigfeie und den unbezwinglichen Much 
der alten Sachfen in weitere Ringmauern : unter der 
Gerichtsbarkeit der Kaiſer zuerſt und der Erzbifchöfe, 
dann der Grafen ertragt fie eben fo geduldig die Placke⸗ 
reyen der Borgefegten, als fie mit eiſerner Gtärfe 
dem Haffe der wilden, fie umgebenden Voͤlker trotzt, 
und wiederholt befehder und von Grund aus Zerfkört 
erbfüher fie eben fo oft und immer Fraftiger wieder aus 
ihrer Afche empor. Bon der Natur beſtimmt zur Hans 
delsſtadt und früh überzeugt, daß Handel und Verkehr 
nicht ohne Freyheit gedeihen fönnen ‚ entiwinder ſie ſich 
allmaͤhlich, ohne Gewalt, nur durch die weiſe Vorſorge 
ihrer Berather, der Abhaͤngigkeit der verſchiedenen 
Haͤupter und es bilder ſich, wie unvermerkt, die feſte 
und bleibende Grundlage eines freyen Staated. Durch 
Ermwerbfleiß und Beharrlichkeie der Bewohner mwächft 
fie zur reichen und angefehenen Handelsſtadt heran, 
Vereiniget mit anderen Städten zu gleichem Zweck be 
fördert ſie die Bildung des hanfearifchen Bundes: am 
Eintritt des neuen Jahrhunderts tritt fie immer größeren 


202 Sitcherung de3 Elbftromes, 


Vortheilen entgegen, ihr Gebiet erweitert fich, ihre Macht 
nimmt zu, und bald werden wir fie an Wohlftend 
die anderen überflügeln, zugleich ‚mit dem Bunde fich 
vergröffern und denfelben gewiffermaßen überleben fehen; 

Der wohlthaͤtige Elbſtrom lud, als der von der 
Natur bezeichnete Weg, von felbft ein, feine Bahn zu 
verfolgen, und. die fernen Gegenden des Umtaufches 
mechfelfeitiger Bedurfniffe aufzufuchen, Aber die Ufer 
des Stromes waren in wildroher Zeit noch nicht mit 
friedfichen Bewohnern befegt,. die Tiefe und Höhe des 
Waſſers war noch nicht Durch wiederholte Beobachtun— 
gen der Schiffenden ergründer und beſtimmt, und Die 
Mündung der Elbe war nicht frey von Sandbaͤnken 
und gefahrdrohenden Stellen. Die Strandbewohner, 
und die, welche an der Mündung baufeten, waren nicht 

geſonnen, die Kenntniß des; Fahrwaſſers, die ſie als 
Fiſcher zuerft fich zu erwerben Gelegenheit gehabt, zu 
wohlshatigem Beyſtande anzuwenden, fondern Inuerten 
zuruͤckgezogen auf Raub und Pluͤnderung des geffrande- 
ten Gutes. So hatte Gewohnheit von rauberen Vor: 
eltern die rauhe Sitte Müberliefert; was Billigfeit und 
Menfchlichfeit geboten, wurde weder gefühlt noch ver 
fanden. Selbſt die Verordnungen der hohen Geifklich- 
feie vermochten ſolchem Unweſen nicht zu ſteuern, und 
die Hamburger Kaufleute fahen ſich, wenn fie die Elbe 
behaupten mollten, auf eigene Hülfe zuruͤckgewieſen. 

- An der Mündung des Stromes, anderthalb Meilen vom 
Strande liege, nach einem dazwiſchen befindlichen feich- 
ten Orte (Warte), worüber man zur Zeit der Ebbe 
zu Zuß oder zu Wagen, fommen kann, eine Eleine 


Erwerbung der Infel Neu: Werk, 203 


Inſel, nach altem Sprachgebrauche, Infeln wie Sterne 
des Meeres zu bezeichnen, das neue Auge, (nige D 
oder nova Ochr) weiterhin das Neuewerk genannt, 
Diefer wahrſcheinlich unbewohnten Inſel bemachtigten 


fich die Hamburger , erbaueten dafelbft mit großer Ars ' 


beit und ſchweren Koften einen hoben fleinernen Thurm, 
und unterhielten und bemachten benfelben theils zum 
Wahrzeichen für eins and ausfahrende Schiffe, theils 
damit fich Leidende und Schiffbrüchige daſelbſt bergen 
fönnten, Die ift gefcheben bereit8 um die Mitte des 
dreyzehnten Jahrhunderts, wenn fchon eine beffimmte 
Angabe der Jahre nicht möglih iff, Aber im Jahre 
1296 wandten fich die Bürgermeifter, Rathmaͤnner und 
die Gemeinde von Hamburg unmittelbar an den Pabſt 
Bonifacius VIII. mit dem Geſuch, daß denen auf 
der Inſel Neumerk- in Berrache ihrer entfernten Lage 
und der abmwechfelnden Ebbe und Fluch geſtattet feyn 
möge, einen bejonderen Altar Caltare portatile) zu ers 
richten und fich einen Priefter kommen zu laffen, der 
an Sonns und Fefttagen ihnen Meffe leſe; ein Gefuch, 
welches unter wortreichen Lobſpruͤchen bewilliger wurde, 
felbft mie der Ausdehnung auf den Fall, wenn auch 
die Stade Hamburg mit dem Kirchenbanne belegt feyn 
würde, Als die rauberifchen Nachbaren die Unsernehr 
mung Hamburgs auf fo nachdruͤckliche Weife geſchuͤtzt 
ſahen, fchloffen auch die Herzoge won Sachen, Jo— 
bann und Albrecht im Jahre 1299 einen Vergleich 
mit der Stadt, daß niche nur dieſer zum Zeichen und zur 
Kenntniß des Hafens für alle Elbfahrer dienende Thurm 
seffarter feyn , fondern daß ſie auch zum Fortbau 


204 Erwerbung der Inſel Nenn» Werk, 


beffefben die Steine, melche fih im Walde (Woold, 
daber noch jetzt das Dorf Oldenwolde) oder im 
uͤbrigen Bezirk des Landes Hadeln und Wurſten befaͤn— 
den, gebrauchen duͤrften, und daß uͤberdieß von den 
Herzögen ſelbſt gegen den Strandraub und fuͤr die Ber: 
sung der angetriebenen Güter Huͤlfe und Schutz ge 
Jeifter werden ſolle. Dieſen Vergleich befkätigten im 
folgenden Jahre (1300) auch die Schulcheiffen, Schoͤp⸗ 
pen, Richter und die gefammte Gemeinfchaft des Lan 
des Hadeln in allen Stuͤcken. Wie menig fie fi 
aber dadurch verpflichter gefunden haben mögen, erhel- 
fet darans, daß ſchon im Jahre 1310 ein neuer Ver 
trag erforderfich wurde, in welchem foger die Dörfer 
Steinmarne, Düne und Styfenbüttel nahmentlich auf 
geführt werden; daß man ihrer, wenn fie Raub ober 
Nachtheil zufügeen, in Feine Wege ſich annehmen wolle, 
Diefelben Erfahrungen machten die Hamburger auf dem 
rechten Elbufer, wo beſonders die Dithmarſchen 
"den Kaufleuten zu Waſſer und zu Lande rauberifch 
nachftellten, und obfchon fie 1304 auf öffenelicher Ver⸗ 
ſammlung mit ausgebreiteten und aufgehabenen Haͤnden 
ſich eidlich verpflichte, niemals einen Kauf— 
mann irgend eines Landes gewaltthaͤtig anzugreifen, 
noch zu berauben, ſo mußten doch ſchon vier Jahre 
nachher die Verſprechungen, beſonders derer aus dem 
Kirchſpiele Brunsbuͤttel, erneuert werden, mit eben fo 
geringer Hoffnung, daß fie je gehalten würden, Rau: 
ben und Schenfen war bey den alten Holfteinern ein 
Ruhm; wer aber zu rauben nicht verffand, wurde „ 
einfaltig und verachtlich gehalten, i 


A 
— 


Fehden und Vergleich mie denen v. Lappe. 205 


Treuer fcheinen die Wurftener an ihren Verträs 
gen gebalten zu haben. Auch fagten fie jetzt 1316 ihren 
Beyſtand zur Vertheidigung des Neuwerker Thurmes 
zu, „den die Kaufleute zu ihrer und aller Kaufleute 
Beſten erbauer hätten und mie vieler Arbeit und großen 
Koſten unterhielten.“ Aber. vom Schloß und der Um⸗ 
gegend Rigebüttel aus beunruhigte den Strand und 
das Fahrwaſſer ein edles Gefchleibt, derer von Lappe, 
bis zum Sabre 1352, im welchem die beyden Vettern, 
Bertold und Alverich Lappe „aus Rüskfiche auf Gott 
und‘ Gerechtigkeit,  aufrichtiger Liebe gegen den Rath 
und die Bürger ber Stade Hamburg, wie auch zur 
Beförderung ihrer eigenen Ehre“ aufs feftefte fich ver 
pflichteten, alle Hamburger und andere die Elbe befah— 
rende Kaufleute, die Dänen ausgenommen, in Schuß: 
zu nehmen und fie „gegen alle ihrer Gerichtsbarkeit 
unterworfenen Näuber Cspoliatores) ſchadlos und 
ficher zu fielen „ein ganzes Jahr hindurch, 
Fünf Jahre ſpaͤter (1357). Befraftigten die Herzöge ». 
Erich und Alber evon Sachfen, denen dad Land Hadeln 
gebörte, in einem neuen Freyheitsbriefe den Frieden zu 
Waller und zu Lande für Hamburg auf ewige Zeigen, 
mit dem Bemerken, daß man dem Thurme zum Neuens 
Werk auf feine Weife weder zu nahe bauen noch irgend 
ein Hinderniß bereiten ſolle. Weit vorteilhafter febien 
e8, als im Jahre 1372 die beiden Brüder Willeken und 
Bolder, Söhne Alverichs von Lappe,. ihre beiden 
Kirchfpiele zu Wolden und Groden, (wo ihre Vorfahren 
1342 ein von. dem bremifchen Erzbiſchof beſtaͤtigtes Dia— 
conat geftifter harten) an den bamburgifchen Rath für 





e 


206 Fehden und Verträge mit den Edlen 


240 Mark Hamburger Pfenninge verpfandeten, unter 
der Bedingung, daß wenn fie diefe Summe in zwey 
Fahren nicht wieder bezahlten, die Kirchfpiefe dem 
Rathe zu Hamburg verfallen feyn follten. Außerdem 
verfchrieben fie fich, daß das Schloß zu Nigebüttel den 
bamburgifchen Rarhmannern und ihren Angehörigen. 
zum Gebrauch offen ſtehen follte, fo Tange die Schuld 
nicht getilge ware, Eine folche Anmwartfchaft fam ven 
Hamburgern fehr gelegen und fie wahnten ſchon, im 
ununterbrochenen Beſitz des Landes bleiben zu koͤnnen; 
allein die Edlen von Lappen führten Trug im Ginne, 
Heimlich ſtanden fie mit ihrem Lehnsheren, dem Herzog 
Erich von Sachſen, im Verſtaͤndniß, der fich unzu—⸗ 
frieden ſtellte und böchlich fich darob befchwerte, daß feine 
Vaſallen fich erlaubten, ihre Lander zu verfcbenfen, 
Gluͤcklicherweiſe war er, da feine Feinde ihn langft am 
Faiferlichen Hofe als einen getreuen Helfershelfer der Rau: 
ber befannt gemacht hatten, nicht im Stande, den 
Rappen Borfchub zu ehun, und erbor felbft im Sabre 
1382 die Hand zu einem Landfrieden, welchen die ger 
fammten Herzoge von Sachfen und Holſtein mit den 
Städten Lüberf und Hamburg auf drey Jahre zu fchließen 
beliebt hatten. Mittlerweile trafen die Hamburger Anftalt, 
das ihnen zur Eröffnung gelaflene Schloß mit Mann- 
fchaft zu befeßen, und als fich die Lappen dagegen 
ſetzten, verbanden fie fich mit den Wurfkfriefen, welche 
der Stade achthundert bewaffnete Männer zur Huͤlfe 
fihieften, und Ritzebuͤttel wurde mit fFürmender Hand 
genommen. Dieß geſchah im Sahr 1393. Die bishe: 
rigen Befiger mußten in den nächfffolgenden Unterhand: 


v; Lappe auf Nigebüttel, Kaufvertrag. 207 


lungen felbft eingeftehen, daß die Hamburger ihnen das 
Schloß „in offenbarem Kriege und in rechter Fehde 
mit Ehren abgewonnen 5; gleichwohl verfchmaheren 
dieſe das Recht der Eroberung und wollten nur, mag 
fie durch rechtmaͤßige Waffen erffritten, durch einen 
feyerlichen Kaufſchluß ſich übergeben laſſen. In dem 
noch vorhandenen Kauf⸗-Contracte von 1394 verlaffen 
und übergeben die „Wolder und Alveric Vedderen ger 
beten de Lappen Knapen“ den Bürgermeiffern und 
Rathmaͤnnern zu ewigem Erbfaufe ihr Schloß Rige: 
büttel mit den dazu gehörigen Dörfern, Sollenborg, 
Dünen, Stenmarne, Weſter- und Oſter-Doͤſe, Nord: 
und Süderwifch, Stykenbuͤttel und Ritzebuͤttel, nebſt 
den Feldern, Wiefen, Holzungen und Waffern, und 
übrigem Zubehör für 2000 Mark Luͤbſcher und Hams 
burger Pfenninge, wovon fogleich 200 Mark baar ent- 
richtet worden, von den rücfisndigen 1800 Mark foll- 
ten alljährlich 180 Mark Renten abbezahlt werden. 
Dafür übernahmen die Verkäufer die Gemährleiftung 
gegen jedermann, daß das Schloß und Amt Rigebüttel 
ein recht frey Erbgut fey, das Feine Lehnsverpflichtung 
fenne; fo wie fie gelobten, denen von Hamburg auf 
feinerley Weife Schaden zujufügen, widrigenfalls fie 
der jaͤhrlich vorgefchriebenen Rente verluftig geben 
wollten, Auch über die Verpfandung der Dörfer Gro⸗ 
den und Wolder, welche zum Lande Habeln gehörten, 
wurde die Verfehreibung erneuert und bloß wegen ber 
Auslöfung mit den Herzogen zu SachfensLauenburg ficd 
zu vergleichen, eine Beſtimmung getroffen. Erich IV, 
oder der jüngere, Herzog von Sachfen, that im Jahre 


208: NRitzebuttel im Beſitz Hamburgs 1400, 


1400 als Lehnsherr voͤllig Verzicht auf das Amt Ritze⸗ 
buͤttel fuͤr ſich und ſeine Erben auf ewige Zeiten, um 
ſonderlichen Dienſtes und der Freundſchaft willen, ſo Buͤr— 
germeiſter und Rath von Hamburg ihm und den Seini— 
gen oft guͤtlich erwieſen haͤtten, und beſtaͤtigte urkund— 
lich die Richtigkeit des Kaufvertrags feiner Vaſallen. 
Im Jahre 1406 hatten die Hamburger von ihrer 
Schuld die Haͤlfte bezahlt; das uͤbrige wurde nach 
und nach abgetragen, und es findet ſich eine Quittung 
von Woldeke Lappen, von 1417, worinnen ſich dieſer 
aller Anſpruͤche auf Ritzebuͤttel und der Geldfoderung 
an die Stadt begiebt, ausgenommen 20 Mark Zinſen, 
die er noch zwey Jahre zu heben gedenkt. Es geſchah 
in Folge dieſer Abtretung des Amtes Ritzebuͤttel, daß 
bereits 1399 eine Uebereinkunft (Thohopeſate) zwiſchen den 
Wurſtenern und den Obrigkeiten der Stadt zu wechſel— 
ſeitiger Beſchirmung und Vertheidigung der Laͤndereyen, 
und beſonders des Schloſſes Ritzebuͤttel, errichtet wurde, 
welche, da die Wurſtener als ehrliche Maͤnner Wort 
hielten, den Hamburgern zur Vertheidigung der Elbe 
und des Neuen-Werkes von dem erſprießlichſten Nutzen 
war. Der erſte Amtmann, oder wie er derzeit genannt 
wurde Caſtellan des Schloſſes Ritzebuͤttel, wurde im 
Jahre 1400 in der Perſon des Rathmannes, Ludolph 
Wulffhagen, ernannt, nachdem die Hamburger zum 
ſicheren Beſitz des Landes gelangt waren. 

Dit dieſer wichtigen Erwerbung hatten die Ham: 
burger fich zu Herren und Befigern der Nieder-Elbe 
gemacht und durften fich als folche um fo mehr berrach, 
ten, da fie. durch einen _ offenen Brief des Kaifers 


\ 


Erwerbungen an der Alfter. 29 


Karl IV. vom Jahre 1359 fenerlich dazu erfräftiger 
und aufgefodert wurden, den -Strom von allen See⸗ 
und Strandraͤubern rein zu halten und die Uebelehäter 
mie ihren Hehlern und Vereheidigern aufzufuchen, ein 
zufangen und'nach den heiligen Gefegen mit gebuͤhren⸗ 
der Strafe zu züchtigen. Aber nicht minder wichtig 
war ihnen der Alſter fluß, an deffen Ufern fie binnen 
und nach außen bin nicht weniger, als an dem Elbe 
Canal, in welchen die After einfließer, ganze Strecken 
von Gaſſen und Haufern aufgebauet harten; welcher, 
für den Zwiſchenhandel und den Verkehr mir der um- 
liegenden Gegend eine bequeme Strafe darbot und wel 
chen auch auf fremden fer zu dem eigenen Nuken 
ſowohl als dem der Nachbaren erfprießfich zu machen, 
verftändige Sorgfalt anrieth. Nach der Schenkung der 
Grafen Johann und Gerhard, von melcher oben 
berichtee worden, mar das hbamburgifche Weichbild ber 
reits bis in die Gegend von Eppendorfund Winterhude, am 
vechten Ufer der Alfter bis zum Bache Harveſtehude, jen ſeit 
vom Bache Henninghude bis an den Scharbeck, mir Ein» 
fehliefung von Winterhude und Papenhude, die fchon in 
Urkunden des dreyzehnten und folgenden Jahrhunderts ger 
nannt werden, erweitert worden, Dieſer Beſitz erhielt im 
Fahre 1283 einen anfehnlichen Zuwachs dadurch, daß Her⸗ 
mann, Abe zw Reinfelden, das Dorf Fuhlsbuͤttel 
an der Alſter nebft der Mühle, Holzung, Waſſer, Wie 
fen und aller Gerechtigkeit, höherer und niederer , über 
Hals und Hand, mir allem Zubehör, für die Summe 
von 245 Mark an die hamburgiſchen Bürger Johann 
und Hinrich von Berge, und dadurch zugleich auch 
14 


210 Die Alfterbörfer fommen 


mittelbar an die Stadt, kaͤuflich abtrat. Diefem folgte 
1304. Klein» Borfiel, welches Graf Adolph 
denfelben von Bergen überließ. Die Alfter felbft ge 
hörte zum Anfange diefes Jahrhunderts noch den Gra- 
fen Johann und Adolph: ihr Erwerb fchien jetzt 
erfte Angelegenheit der hamburgifchen Bürger. Wirklich 
rat zuerft Graf Adolph im Jahre 1306 den vierten 
Theil. der Alfter mit allen Rechten, Breybeiten und 
Nutzungen für 250 Mark Fauflih an Hamburg ab, mit 
Zugabe der Bache, Barnbeck und Eilenbed und 
"der Dörfer gleiche? Nahmens. Den anderen vierten 
Theil verkaufte mit denfelben Gerechtfamen Graf Johann 
im jahre 1309 um: 200 Mark, endlich im Jahre 1310 
Graf Adolph für 600 Mark die übrige Hälfte, zwar 
alles mit Vorbehalt des Einlöfungsrechts auf gemiffe 
Jahre, welche aber, ohne daß jenes benutzt wurde, 
verfloffen, Die beyden Ießtgenannten Dörfer wurden 
1353 dem heil, Geiff: Klofier untergeordnet, fo mie 
Klein « Borflel oder Boftel (Borch: oder Bersftelle) 
dem Hofpital zu St. Georg. Zu diefem kam auch 
Langenhorn, das vornehmfle Dorf an der Straße 
nach Kiel zu, welches eine große Holzung batte, und 
im Jahre 1332 von Nicolaus von. Bergen, hamburgis 
fhem Bürger, vom Grafen Adolph für 200 Mark er: 
handele wurde, Ferner der Meyerhof, die Bahr oder 
Berne genannt, über welchen ſich Adolph 1325 und 
1375 aller Rechte begab, fo wie das Jungfrauen-Klo— 
fier zu Harveſtehude 1339 dad Dorf Eimsbüttel 
für 300 Mark und 1343 für 239 Marf Eppendorf von 
Adolph erſtand, jedes mir allem Zubehör und mit Ober» und 


durch Kauf an Hamburg, | 211 


Nieder⸗Gericht uͤber Hals und Hand, wie die Kaufbriefe 
beſagen. Ol ſt er dor p (Ohlsdorf) und Groß⸗Boſtel 
waren bereits 1225 dem Probſt und Convent des Kloſters 
zu Harveſtehude vom Grafen Adolph uͤbertragen worden. 
Aber dieſe Beſitzungen, insbeſondere des Alſterſtro⸗ 
mes, konnten Hamburg nur von geringem Nutzen ſeyn, 
ſo lange der Gebrauch derſelben und die Handelswege, 
vornehmlich zwiſchen hier und Luͤbeck, ringsum von 
raͤuberiſchen Anfaͤllen und Plackereyen gefaͤhrdet waren. 
Dieſes Jahrhundert iſt das eigentliche Zeitalter der 
unaufbörfichen kleinen Fehden ‚mit Buſchkleppern und 
adlichen Raͤubern, welche in der wilden Ausuͤbung des 
Fauſt- ‚und Kolbenrechts eine ruchloſe Ehre, in der 
ſchnoͤden Auspluͤnderung und Mißhandlung der reiſenden 
Kaufleute rohe Luſt und Vergnuͤgen fanden. Die dich» 
ten Waldungen und die rings um die Hauptſtraßen anz 
gelegten Raubfchlöffer dienten ihnen zur‘ Bergung und 
zu Schlupfwinfeln; die eigennügige Nachficht der Fürs 
ften und: Lehnsherren begünftigte ihre Frevel; wo fie 
nicht felbft noch an denfelben thaͤtigen Antheil nahmen, 
Die. bolfkeinifchen Grafen der verfibiedenen Linien leb— 
ten ſelbſt unser fich in Zwiſt und getrennten Verhaͤlt⸗ 
niffen, Gerhard, von. den Holfteinern der - Große, 
von den Dänen der Kahle genannt, hatte fich im die 
verworrenen Angelegenheiten Daͤnemarks gemifche und 
beherrfchte dieſes Land unter dem Nehmen eines Herr 
zogs von Schlefwig, in der That aber ald König def 
ſelben, mit Willführ und Harte, wie einft Waldemar 
in Nordalbingien, - Im Holftein’fchen: tobte während 
deffen rohe Kraft nnd zügellofe Leidenſchaft. Ein Bep⸗ 
14* 


21%  Befchwerden über den holſteiniſchen Raubadel 


fpiet rede für die andern, Graf Adolph, einer der 
vier Söhne Johann's IL. (Kieler Linie) half fich, die 
Beduͤrfniſſe zu befriedigen, welche fein Kleiner Antheil 
ibm nicht fieferte, durch Gewaltthaͤtigkeiten gegen feine 
Unterthanen. Er faß auf Segeberg, Einſt ſchickte er 
Drefcher aus nach dem Landaute eines Edlen von 
Split, um eigenmächtig Getreide daſelbſt auszudreſchen 
und das [Korn nach der Burg ju bringen; der aufge 
brachte Edelmann aber ließ die Drefcher greifen, ihren 
die Füße abbauen umd fandte die Verſtuͤmmelten dem 
"Grafen zuruͤck. Gleiche Beleidigung war dem Edlen 
Hartwig Reventlow wiederfahren. Sich zu rachen und 
begimftige vom Grafen Gerhard; fehlich fich Reventlow 
auf Segeberg, überfielden Grafen Adolph im Schlafe und 
ermordete ihn, ja außer ihm, damit die That nicht ver: 
rathen würde, feinen eigener Sohn, der als Junker 
beym Grafen diente, Das Schloß wurde dem Grafen 
Gerhard eingeräumt, Auch diefer fand feinen Tod 
durch Meuchelmord von der Hand eines banifchen 
Edlen. (1340.) In diefer Zeit und unter folchen Für 
ften trieben die Straßenrauber ihr freyes Gewerbe ge 
gen den Fleiß und die friedliche, fehaffende Thaͤtigkeit 
der ſtaͤdtiſchen Bürger, Dan befchuldigte die benach- 
barten holfteinifchen Edelleute ohne Hehl, daß fie durch 
Nachſicht und Theilnahme den Frevel hegten und be— 
foͤrderten, und erwartete billig von den Grafen, daß fie 
ihr Anſehen dazu gebrauchen winden, die öffentliche 
Sicherheit im Lande herzuſtellen. Man gedenkt einer 
Vermittelung durch den Grafen Gerhard vom Jahre 1320, 
nach welcher das Verſprechen gegeben, daß die 


und Verſuche, ibm Einhalt zu thun. 213 


mwechfelfeitigen Klagen der Unterthanen durch fehleunige 
Rechtspflege abgerban werden follten. Das Recht je 
doch, melches der Räuber im feiner Fauſt zu tragen 
vermeynt, pflege dem Ausfpruch wenig gu achten. So’ 
dauerte nuch jetzt die Unſicherheit der ‚öffentlichen Land- 
ſtraßen fort, und endlich den haͤufigen Beſchwerden 
darob möglicher Weife abzuhelfen,  verfammelten ſich 
auf einer Tagfahrt zu Lübeck Cam heil, Dreykönigds 
sage 1340) mehrere Biſchoͤfe, Herzöge, Fuͤrſten und 
Grafen, wie auch Abgeordnete der angefehenften Han 
delsftädte, auffer Hamburg und Luͤbeck beſonders derer 
an der Oſtſee, um zu berathſchlagen, wie der Land» 
friede, wie Ruhe und Sicherheit auf den Heerſtraßen 
aufrecht gehalten werben koͤnnten. Man traf die Ver⸗ 
abredung, daß Keiner von. ben zum Vertrage fich vers 
einenden Theilen in feinen Landen den Beeintrachtiguns 
gen der Reiſenden Vorſchub Teiften, noch den Befehdern 
Aufenthalt verftatten wolle, und der Landfriede ward 
auf ſechs Jahre beſchworen. Aber ber Erfolg entiprach 
ſo wenig den auf diefe Verabredung gegründeten Wins 
ſchen, daß vielmehr die alten Klagen fortdauerten, und 
da die Grafen Heinrich, Nicolaus und Gerhard, 
Gerhard des Großen Söhne, Fein Bedenfen trugen, 
das Berragen ihrer Landſaſſen in Schug zu nehmen, 
kam es gegen dieſelben von Seiten der; Städte zu offer 
ner Fehde, Rurallein Johann U, von Wagrien, Ger? 
bard'3 II. des Blinden Sohn, font auch der Milde 
genannt, war fo friedliebend und billig gefinnt, daß er 
am dieſen Unbilden niche nur Feinen Theil nahm, ſon⸗ 
dern fogar dem Raubnefte Linau, ander Grenze von 


“ 


214 Fehden mit den Grafen und dem 


Holftein und Sachfen gelegen, von wo aus bie Lands 
firaße von Lüberf nach Hamburg und Lüneburg befehder 
wurde, gegenüber dad Schloß Trittau, unmeic Der 
Bille, aufführte, dem beillofen Unmefen in diefer Gegend 
zu ſteuern. An diefen Grafen Johann mwandten fich 
auch die Städte mit dem Gefuch, daß er ihnen Sege 
berg einräumen möchte, um von da aus die Gtraßens 
täuber in Obache zu nehmen. Der Befehlshaber auf Se 
geberg vermochte nicht, die Bewilligung des Grafen 
zu hintertreiben, benußte aber die ‚Gelegenheit, in einer 
feichten Gegend an der Alfter, ton Steghen genanııt, 
eine andere Veſte aufzubauen, welche in der Folge zu 
gar. groffem Nachtheil des ſtaͤdtiſchen Handels gemiß— 
brauche worden iſt. Die Lüberfer und Hamburger hats 
ten auf Segeberg zweyhundert bewaffnere Keuter ges 
legt, welche, ihres Auftrages eingedenf, murhig und 
keck über jeden berfielen, der ihnen verdächtig erſchien. 
Dieß verdroß am’ meiften den Grafen Heinrich, einen 
Mann voll kraͤftigen Muthes und durch feine Frieges 
rifchen Thaten nicht unwerth des Veynahmens, welchen 
ihm die Geſchichte beygelegt bat: man: nannte ihn den 
Eifernen, ‚Sein adlicher Unwille entbrannte über Die 
wachjende Macht der Städter, er beflagte fich bei fei- 
nem: Better Johann und verlangte von ihm, der 
jenen Bürgern fo große Vortheile eingeraumt, wenige 
ſtens gleiche Nachfihe und Entfernung im Falle ver 
firchten Gegenkampfes. Die Verwandtſchaft geſtattete 
nicht, ſolches Begehren zu verweigern, Mit Hülfe der 
Einwohner von Segeberg Fam Graf Heinrich zur Nach 
geit in die Stade, führte die 200 Pferde der Luͤbecker 


o 
holſteiniſchen Raubadel. 215 


und Hamburger hinweg, nahm die Mannſchaft und dfe 
Bürger, welche daſelbſt ihrer Gefcbäfte warteten, ges 
fangen und fperrte fie fo lange ein, bis fie fich mit 
teitber Zahlung mieder Töfeten, 

Da die Grafen von Holfkein vom Könige Magnus 
in Schweden unterffüge wurden, nahmen die Städte 
ihre Zuflucht zu des Neiches Oberhaupt, dem Kaifer 
Ludwig von Bayern und deffen Sohn, Ludwig, 
Markgrafen von Brandenburg, dem die Reichsvoigtey von 
Luͤbeck übertragen war, Zweyhundert bayerifche und 
ſchwaͤbiſche Reiſige unter der Anfuͤhrung des kaiſerlichen 
Narſchalls Friedrich von Lacken vereinigten ſich 
mit den Luͤbeckern und Hamburgern, fielen in das hof: 
ſteiniſche Gebier und brandfibagten die Landgäter der 

Edelleute befonderd, von mwelchen die Unficherheit der 
Wege war befördert worden, König Magnus ließ nun 
in Schweden mehrere Lüberfer Kaufleute verhaften, und die 
Lübecker übten Vergeltung an den Schweden, die in 
Handelsgefchaften herüber gefommen waren. Friedrich 
von Lacken begab fich bieranf mit feiner Schaar nach 
Dänemark, um den Schweden und Holſteinern, die 
zum Heeringsfang an der Kuͤſte von Schonen fich ein 
fanden, befchmwerfich zu fallen; auch nahm er einen 
feften Thurm bey Copenhagen, welchen die Feinde ber 
fegt hatten, und ſchickte mehrere Holfkeiner von Adel 
gefangen nach Luͤbeck, für welche er ein’ gutes Loͤſegeld 
zu erbeben hoffte, Ein Verſuch des Abtes von Rein 
felde, die Streitigkeiten in Guͤte beyzulegen, blieb ohne 
Erfolg: der Kaifer ſandte daher den Grafen Guͤnther 
von GSchwarzburg, der ſchon bey früheren 


w ee, 


„u. 
216 Verträge mit den Grafen ‚gegen 


Gelegenheiten als ein kluger und umfichtiger Unterhaͤnd⸗ 
ler fich bewahre haste, und der Markgraf den Ritter 
Henning (Johann) von Buch nach Lübeck mit dem 
Auftrage, die Jrrungen zwiſchen ben Grafen und deu 
Städten gürlich zu fehlichten, falls aber eine Berföhr 
nung nicht gelinge, die Bürger mit gemaffneter Hand 
zu ſchuͤtzen. Die Beſoldung aber der Krieger, welche 
‚mit ben, gefandten» Herren gekommen, oder melche, in 
Hoffnung reicher Beute, frevwillig in den Dienſt der 
Stadt getreten waren, trugen eben fo fehr dazu bey, 


den Unmuth der Bürger zu vermehren, als dieſe iiber 


den Tangfamen, fruchtlofen Gang der. Berbandlungen 


erbittert waren und Die Abgeordneten beſchuldigten, daß 


ſie mehr fuͤr den Vortheil der Grafen und Adlichen, 
als der Städte eingenommen wären. Der Vergleich, 
welcher endlich (den ızten October 1342) geftbloffen 
wurde, trug weber die Zufriedenheit dev Städte, noch 
die der Grafen davon, da beyde fich beeinträchtiger zu 
finden glaubten, nach der Ordnung der Dinge, wo 
Streitende ohne Nachgiebigkeit von beyden Seiten nicht 
vereiniget werden konnen. Auch mit der Krone Schwe⸗ 
den wurde durch Vermittelung des Grafen Guͤnther und 
des Herrn Albrecht von Mecklenburg, des Königs 
Schwager, zu Helſingburg, ein Friedensvertrag ges 
ſchloſſen, (den 17ten July, 1343) und die alten Privi— 
Jegien erneuert, Dur die Raͤubereyen auf den Land⸗ 
firaßen wurden noch immer, wie zuvor, geübt, da die 
Eaiferlichen Abgeſandten Luͤbeck kaum verlaffen hatten, 
Die von Krummendiek, von Borsfelde, von Dlaufen: 
berg und von Mußhard plünderten die Kaufleute, mit 


“ 
die Rauberenen des Adels. 217 


exneueter Buch, um fich wegen des in vermichener 
Fehde erlictenen Verluſtes zu entſchaädigen. Es wurde 
demnach 1343, den ‚ızten December, eine neue Tag-— 
inbre ( Thohopeſate) zu Luͤbeck gehalten, zu welcher ſo— 
wohl die holſteiniſchen Grafen, Johann, Heinrich, Claus 
und Gerhard, als auch von Hamburg die Bevollmaͤch⸗ 
tigten, Jo hann Miles und Hellingborn von 
Setfeldt ſich eingefunden hatten. Man vertrug ſich 
dahin, die Stoͤhrer der oͤffentlichen Sicherheit durch 
vereintes Zu ſammenwirken auszurotten; die Grafen ins⸗ 
beſondere verſprachen, den Schaden, welcher von ihren 
Landſaſſen ſeit getroſſenem Waffenſtillſtande den Staͤd⸗ 
ten zugefügt worden, zu verguͤten, den kuͤnftigen frie⸗ 
bensbrüchigen Unternehmungen. vorzubeugen und den 
Klagen der Kaufleute, wofern neue Beleidigungen ſtatt 
fanden, binnen ſechs Wochen Gerechtigkeit zu verfihafz 
fen; bey welcher Verhandlung ſich Johann von Ga- 
dendorp nebſt achtzehn anderen — für. die 
Grafen verfi icherten, EIERN 
- Der Erfolg. diefer Verhandlungen war nur in ſo⸗ 
fern günflig, als die graflichen Herren des Landes fich 
dadurch beffimme fanden, bey dem Rechten zu halten 
und an den ‚Ungerechtigkeiten der im Lande herumſtrei⸗ 
fenden Freybeuter „Leinen „weiteren Antheil zu nehmen, 
Denn niche nur an. der fachfifchen Grenze trieben meh: 
rere von Adel das Unweſen fort, vom Herzog Erich 
ſelbſt ermuntere und unterflügt, fondern auch im Hol: 
fteinifchen verübten, die von Zyler, Tralow, Zabel, 
Hummersbüceel und andere Raub und Plünderung an 
den Kaufleuten, wie an den Guͤtern ihres eigenen Herrn, 


218 Wohltorp und Stegen genommen und 


des Grafen Heinrich. Befonders harten fie fich an der 
Dberatfter feftgefege, zu Wohltorp und Stegen, 
hatten dafelbft einen Damm vorgebauet, und das Waſ⸗ 
fer fo zum Stauen gebracht, daß es weder zum Fahren 
noch Muͤhlentreiben ficher oder tichtig war, Der Scha— 
den allein, welcher dadurch den Dörfern des hamburgis 
fiben Dom : Capituld zugefügt worden, wurde auf 
2255 Mark 8 Schillinge gerechnet, eine große Summe 
su jener Zeit. Es vereinigten fich demnach die Grafen 
Johann, Heinrich und Gerhard 1347 aufs Neue 
mit dem Rathe und der Bürgerfchaft, zur Vertilgung 
und Austottung jener Frevler und ihrer Hehler und. 
Anhänger, und e8 wurde feffgefeßt, den Damm zu 
vernichten, damit die Alfter ihren freyen Gang 
habe, und daß Keinem in Zufunfe wieder vergönnt 
werben folfe, eine Veſte an der Alfter zu erbauen, oder 
diefe zu verdeichen, eine Verplankung oder Befriedigung 
des Ufer etwa ausgenommen. Wohltorp minde 
fofort zuerft angegriffen, erobert und dem Erdboden 
gleich gemacht. Da aber das feſte Schloß Stegen 
ſich Tangere Zeit mit Hartnaͤckigkeit vertheidigte, fo 
wurde durch den König Waldemar II, von Dänes 
mark ein Vergleich vermittelt, nach welchem der Be 
fiser, Johann Hummersbürttel, gegen 5000 Mark 
Silbers die Veſte raumen und mit den einigen Die 
ganze Gegend verlaffen mußte. Hierauf ward auch 
Hobenftegen /abgebrochen und gefehleift und iſt niemals 
wieder aufgebamer worden. Das Wohltorpifche Gebiet, 
das auf ſolche Weife an Hamburg Fam, wurde befor- 
ver in der Folge durch den Ankauf der ubrigen 


jerftört, bis zum Jahre 1349. 219 


umliegenden ablichen Güter noch mehr ermeitert, und 
dıe Alſterfahrt blieb damit der Stade Hamburg gefichert. 
Der räuberifche Landadel trieb feim verhaßtes Ges 
werbe mie jener hartnaͤckigen Beharrlichkeit fort, welche 
allein aus der Selbftüberredung nicht bloß des Er. 
Iaubten, fondern auch des Rechten, bervorgeben kann. 
Die Sitte des Raubens war erblich, mie der Adel“ 
ihrer Geburt: eim vermeyntliches Vorrecht wurde in 
verfchönerndem Nabmen eingefleider, da es mit der 
achten Benennung an Niederen firafbar ‚erfunden wurde, 
Das Stehlen war, als Erzeugnif der Feigheit oder 
des Mangeld an Kraft dem Adel verachtlich: er legte 
fich auf Keuterey, Tebke vom Gtegreif oder vom Sat: 
tel. Der aufblühende Wohlſtand der“ Handelsftädte 
erregte ohnehin deſſen Eiferfucht, der Geldſtolz der 
reichen Kaufleute, in den Augen des Adels nur niederer 
Bürger, Erbitterung; aber die gebietende Mode des 
Tages, die immer mehr zunehmende Pracht in Kleidung 
und Hausgeräth, in welcher die Bürger ſelbſt voran: 
singen, machte die Waaren unentbehrlich, welche dem 
reifenden Kaufmann mit Gewalt abzunehmen der kuͤr⸗ 
sefte und bequemfte Weg ſchien. Uebten doch die Städte 
nicht ſchonende Vergeltung, und mo fie einen Raub: 
Edelmann in ihre Gewalt befamen, trugen fie fein Be 
denfen, ihn am den erften beften Baum zu knuͤpfen, 
oder durch das Schwert bhinrichten zu Taffen. Als 
jeßt die Wege im Holſteiniſchen einigermaßen gefichere 
waren, nahmen im Lauenburgifchen und Mecklenburgis 
ſchen, wohin fich diefe Edlen geflüchter hatten, die 
erneueten Befehdungen um fo ſtaͤrker uͤberhand. Nur 


220 Fortdauernde Naubereyen und 


mit vereinter Anſtrengung und rafcher Thatigfeit konnte 
man diefem Unweſen engere Grenzen ſetzen. Vom Sabre 
1349 werben neun Raubfeblöffer genannt, die von den 
verbünderen Städten und Fürffen von Sachfen und 
Holfkein zerſtort wurden: unter dem DBenffande der 
Hamburger bemachtigten ſich die Luͤbecker befonders des 
feften Li nau, von wo aus bisher die aͤrgſten Greuel 
verübt worden waren, Sie verfolgten hierauf die Räus 
ber nach Mecklenburg, wo fie bey den Herren des Lan⸗ 
des Schug und Aufnahme , gefunden. hatten und zer⸗ 
truͤmmerten auch dort mehrere Veſten. Der Landfriede 
wurde auf mieberholten Tagdingen zu Luͤbeck erneuert 
und befchworen, dem Uebel jeboch fo wenig damit ab- 
geholfen, ald mit dem. Faiferfichen Freyheitsbriefe, wel⸗ 
cher von Cart IV, im Jahre 1354 der Stade Hams 
burg ertheift wurde, daß dieſelbe ermaͤchtiget und ber 
auftragt fey, alle See» urd Straßenrauber in ihrem 
Gebiete aufzufuchen „ zu. fangen, und fammt ihren Hel- 
fershelfern mit. gebührender Strafe, den heiligen Ge: 
fegen. gemaß, zu belegen, Es iſt leichter, Erlaubniß 
zur: Selbſthuͤlfe zu ertheilen, wo man um chätigen Bey- 
ſtand und kraͤftig durebgreifenden Schug angefprochen 
worden ift, In den Jahren 1354 bis 56 wurden aber 
mahls mehrere Schlupfwinkel jener Straßenräuber aufs 
gefucht und zerſtoͤrt. Auf einer großen Tagfahrt zu 
Luͤbeck 1357, auf welcher der König von Danemarf, 
der Markgraf von Brandenburg, die: fächfifchen Her— 
zoge, die Herren von Mecklenburg, bie. bolfteinifchen 
Grafen, die Abgefandten der Städte verfammelt waren, 
werabrebete man nochmahls gemeinfchaftliche Maaßregeln 


wiederholte Maaßregeln dagegen, 221 


zur Erhaltung der Ruhe und der Sicherheit der Länder: 
indeffen waren vielleicht das Beſte dabey die ſchönen 
Kitrerfpiefe und fröhlichen Tänze, womit die ernjteren 
Birbandlungen Begleiter wurden. Doch febeine ed, als 
ob feit diefer Zeit der Landfriede in den Gegenden von 
Holftein wenigſtens feltener geflöre worden fey, wie 
wohl erneuerte Zuſammenkuͤnfte und Verträge eben fü 
nöthig wurden, als fie Dann in ber allgemeinen Ver— 
wirrung der Zeit durch Nichtachtung fich wieder verloren, 

Hamburg hatte fich auf die erjahlte Weife in den 
fiiberen Befig der Alfter zu jegen gewußt: es war 
natürlich, daß es auch nach der anderen Randfeite bin 
fein Gebiet unter Benutzung günftiger Umſtaͤnde zu er 
meitern ſuchte. Suͤdoͤſtlich von der Stadt an den Nie: 
derungen der Bille bin dehnte fich eine weite, dichtbe— 
wachfene Holzung aus, in Altdeutfcher Sprache Ha m me 
genannt, von welcher die alte Waldburg ſelbſt in frühefter 
Zeit ihren Nahmen erbaften hatte. Diefe Waldung, 
weiche ſich bis nach Horn hinaus erſtreckte, — Horn 
bezeichnet die Ausdehnung in einem Winkel — wurde 
allmaͤhlig von den daſelbſt ſich anſiedelnden Bewohnern 
ausgehauen, ſo wie man auch die Landſtrecke nach der 
Bille hin dadurch urbar zu machen bemuͤht war, daß 
man ſie durch Abzugsgraben vom Waſſer befreyete und 
als fruchtbare Laͤndereyen benutzte. Durch Schenkun⸗ 
gen und Vertraͤge kam dieſe Gegend in den Beſitz ver 
ſchiedener Eigenthumer, unter welchen des Geſchlechts 
der Edlen von Hamme, als von ihrem Gute fo ge⸗ 
nannt, mit befonderer Auszeichnung gedacht wird. Der 

legte Stammhalter diefes Gefchlehtd, Adam von 


222 Hamm, Horn und der Hammerbroof 


Hamme, verfaufte im Jahre 1338 fein Eigenehum 
unmittelbar an den. hbamburgifchen Buͤrgermeiſter, Jos 
hann von, Horborch, doch gab der Käufer, nach üblicher 
Gitte, nur den Nahmen ber, eigentlih hatte die 
Stade das Gut. mit den drey Morgen Landes, acht 
Karben, allen Ländereyen, Ober⸗ und Wiedergericht 
u. ſ. mw. erfinden, die einzige Holzung Herzebruck 
ausgenommen, die Graf Adolph ſich vorbehalten 
hatte, Graf Johann überließ darauf 1346 die in 
Horn in der Gegend des genannten Eckholzes, das am 
Waſſer liegt, zwiſchen Schiffberf und dem Hammer 
broof bis an die Bille fich hinziehenden Wiefen und 
Gärten fäuflich dem hamburgifchen Rathsherrn Helling- 
born von Hetfeldt. Endlich aber verkaufte Graf Adolph 
vollends im Jahre 1383 dem Hamburger Rathe ganz 
Hamm, Hornundden Hammerbrook — (Brook 
iſt niedriges, von Waſſer unterlaufenes Erdreich) mit 
den zubehörigen Wardern, (Inſeln) namentlich Bullhorn 
und Boytzenwaͤrder, den Holzungen. und Wiefen, die 
außerhalb des Deiches gelegen find, big an die Bille, 
nebfi der Fahre des Ausfchlages, mit Ober⸗ und Nies 
dergericht und allen übrigen. Gerechtſamen. Der Kaufz 
preiß war 650 Mark baare Pfenninge, mit Vorbehalt 
des Einloͤſungs- und Wiederkaufs-Rechtes, welches 
jedoch zu keiner Zeit je zur Auskunft gekommen iſt. 
Noch zwey Jahre nachher, 1385, verkaufte ein anderer 
Eigenthuͤner, Marquard Wildehöver, Bürger 
zu Hamburg, dem Rathe daſelbſt alle ſeine Guͤter, 
welche er zu Hamm beſeſſen, mit Höfen, Karben, Aeckern 
und allem Zubehör für 2500 Mark, fo dag auf folche 


und Billwarder fommen an Hamburg. | 223 


Weiſe der ganze Landffrich dem Eigenthumsrecht und 
der Gerichtäbarfeit der Stade nach Kauf und Vertrag 
ehrlich und gefegmaßig unterworfen wurde. 

Am Tage des heil, Lucas des Jahres 1383 hatte 
Graf Adolph Hamm verkauft; aber fihon zu or 
. bannis deffelben Jahres trieb ihn Geldnoth oder. befon- 
deres Wohlmollen zur Entäufferung des Biflwarderg, 
welcher mit den Innens und Auffendeichen, mit 
Waſſer und Fiſchereyen, Weiden und Wiefen und allem 
Zubehör, allen Rechten und Freyheiten an Die be— 
fibeidenen Rarhmanner Albert Hoyer und Johann 
Hoyer für 2400 Lübifcher und Hamburger Pfenninge 
pfandmweife überlaffen ward, mit Vorbehalt des Rechtes 
der Wiedereinlöfung. Der Billmarder ift das große 
Marfchland, das fich zwey Meilen lang von Hamburg 
aus big gen Bergedorf zwifchen der Bild und dem 
einen Elbarme hinzieht, der weiter hinaus mic dem 
Nahmen der Dove = Elbe unterfchieden wird. Im 
Sabre 1395 übertrugen die genannten beyden Rathmaͤn⸗ 
ner ihren Befig diefer Landgegend mit 100 Mark Bor; 
theil an die Stadt, unter Beſtaͤtigung der Grafen 
Otto und Bernhard, Gebruͤder, mit Zuſtimmung 
ihrer Vettern, Claus, Gerhard und Albert, Auch 
dießmal bebieften fich letztere das Einlöfungsrecht bevor; 
da dieß aber fo wenig von ihnen, ald von ihren Nach: 
kommen benugt wurde, blieb die Stadt nach dem 
Rechte der Verjährung im ruhigen Befige des Landes 
für alle folgenden Zeiten. gefichert. Somoht der hohe 
Kaufpreis, als die vor der Verkaufszeit bereits geſche— 
bene doppelte Eindeichung dieſes Waͤrders laßt vermuthen, 


222 _ Billwarder und Ochſenwaͤrder. 


daß diefes fehöne, Fruchtreiche Marſchland fehon Früh: 
zeitig angebauet und bewohnt geweſen fey. Einer Kirche 
daſelbſt gejchieht zuerft 1402 Erwähnung, in welchem 
Jahre ein Vergleich zwifchen den Kirchengefchworenen 
von Billen» Kerken und dem Rector der Pfarrey 
Nygenſtadt GNienſtaͤdten) im der Kremper Marſch 
geſchloſſen wurde uͤber eine Holzlieferung, die zum 
Aufbau der Billwaͤrder⸗Kirche von Nienſtaͤdten vorge— 
ſtreckt worden war. Die hamburgiſchen Rathmaͤnner 
gelobten, die 40 Mark betragende Schuld, falls die von 
Billwaͤrder ſie zur rechten Zeit nicht bezahlen wuͤrden, 
ohne Verzug durch Pfaͤndung einzutreiben. Vermuth⸗ 
lich war es eine Claus-Capelle, die zu Ehren des 
Schutzheiligen, welcher den See» und Flußfahrern 
vorſteht, erbauet wurde. | 
Jenſeit des Elbarmes, welcher den Billmarder ab 
fcheider, dehnt fich eine andere Elbinſel aus, die mit 
dem nachmahls fogenannten Spadenlande und Ta- 
tenberg unter dem allgemeinen Nahmen Och ſen— 
warder begriffen wurde. In alteren Urkunden wird 
dieſe Gegend auch Inmärder und Avensberg ge 
nannt und gehörte in geiftlichen Dingen zu dem Capttul 
zu Berden. Ein alter Erlaubnißbrief von Heinrich, 
Dechanten des Verdenſchen Capituls, vom Jahre 1252, 
bemweifer, daß es ſchon damahls anf diefer Infel eine 
Kirche, dem heil, Pantratius geweiht, eine Pfarrey und 
einen Sprengel gegeben baden muͤſſe. Denn dem dorti— 
gen Plebanus Rudolph, der nach der Vorſchrift mit 
feinen Beichtkindern jahrfich zweymal zur Synode vor 
dem Archidiafonng zu Hitfeld erfcheinen follte, wurde 


N 


Der Debfenwärder Fomme an Hamburg. 225 


geftatter, in Berracht der vielen Heberfchwenmungen 
und Waſſergefahren der Umgegend, jährlih nur Eins 
mal fich zu ſtellen. Vielleicht, daß die Gegenwart des 
Mieſters auf der Infel auch aus anderen Gründen für 
nothwendig erachtet wurde, denn die Bewohner waren 
ein rauber, fraftig fih fühlender Dienfchenfchlag, deren 
bergebrachte wilde Sitten. einer geiſtlichen Aufficht und 
Hemmung wohl bedurften, Die Einwohner auf Moors 
wärder und Gtillborn, h. 3 T. Wilhelms 
burg, waren in die Kirche zu Avensberge auf Ochfens 
waͤrder eingepfarrt, bis zum Jahre 1388, mo fie fich 
mit dem Prediger Johann vertrugen, gegen Erlegung 
eines jahrlichen Opfers von 6 Mark Limeburger Pfen— 
ninge eine eigne Kirche fich erbauen zu dürfen. Die 
Inſel war übrigens bis an den im Oſten anſtoßenden 
Kirchwarder bis gegen das Ende des vierzehnten Jahr⸗ 
hunderts ein Eigenthum der holſteiniſchen Grafen, 
werche einzelne Landereyen, Zehnden und andere Ges 
rechtigkeiten an hamburgiſche Eigener theils verſetzt, 
theils ſonſt veraͤußert hatten, bis endlich die Gebruͤder 
Otto und Bernhard in demſelben Jahre, als ſie 
Billwaͤrder abtraten, 1395, auch den Ochſen⸗ und 
Moormwärder mis allen: Ländereyen, Binnen» und 
Auffen-Deichen u, ſ. w, an den Rath und die Gemeine 
zu Hamburg für die Summe von 1000 Mark zu einem 
rechten Erbfaufe reblich und rechtlich übertrugen, Zwar 
hatten fie auch bier das Wiedereinlöfungsrecht in den 
Kauf mit einbebungen: aber es finder fich feine Spur, 
dag ihre Nachkommen je daffelbe zu benugen den thaͤti⸗ 
gen Willen geäußert hatten, | 
15 


226 °: Glindesmoor oder Moorburg 


Die bisher genannten Warder Tiegen an dem dieſ— 
feitigen Ufer des Elbſtromes: zur größeren Sicherftel- 
lung und Bequemlichkeit der Schifffahrt Fonnte es den 
Hamburgern nicht anders, als angenehm ſeyn, wenn 
fich Gelegenheiten darboten, ihre Befigungen auch bis 
an das jenfeitige Ufer zn erweitern. Dahin gehörte 
sunächft das an dem Güder- Arme der Elbe gelegene 
Land Moorburg, in den älteren Zeiten Glin des— 
moor genannt und damahls eine rauhe Wildnig und 
grundlofer Moraft, wie auch der Nahme fihon an- 
. deutet, denn Moor ift ein fumpfiges Land voller Un- 
tiefen und Pfuhle. Alte Nachrichten fprechen von einer 
daſelbſt einſt vorgefalfenen blutigen Schlecht zmifchen 
den Danen und Sachfen. Ein Schwarm der daͤniſchen 
und normannifchen Freybeuter war von der Wefer ber 
auf-feinem verheerenden Ruͤckzuge durch die bremifchen 
Gegenden begriffen. Mit reicher Beute beladen und 
vielen Gefangenen kamen fie big hieher ins Glindemvor, 
Als fie nun hier einen fachfifchen Krieger, Nahmens 
Hermward, der unter den Gefangenen war, zum Weg» 
weifer nahmen, führte fie diefer durch die unwegfamffen 
Stellen des Moores, im welchen fie ganz ermüder von 
den Sachfen, denen Herward ohne Zweifel KRundfchaft 
gegeben hatte, plößlich überfallen, zerftreuet und nier 
dergemache wurden, fo daß in dieſem Gemeßel an 
20000 Dänen umgefommen feyn follen. Der Nahme 
Herward wurde in der Folge von den Sachfen in ihren 
Gefangen hoch gepriefen und der Nachwelt überliefert. 
Auf diefem Glindesmoor erbaueten in der Folge die 
Hamburger zum Schuß der Elbe, zumal da fie die 


fommt an Hamburg 1390 ic, 227 


Eniferfiche Vollmacht erbalten hatten, die GSeeräuber 
aufjufuchen und zur vertifgen, eine Burg, von melcher 
das Land den nachmals üblichen Nabmen Moorburg 
erhalten hat. Dieß geftbab im Jahre 1390, nicht 
ohne heftigen Widerfpruch des Herzogs Heinrich von 
Braunfchmweig- Lüneburg. Da fie aber die Zuffimmung 
des Edlen von Hitzacker cHiddesaker), dem 
das Grundftüc gehörte, fich zu verfchaffen gewußt 
hatten und auch die Einwilligung des Herzogs durch 
Geld zu erfaufen war, fo blieben fie im ungefförten 
Befig der Burg und des anliegenden Gebietes. Mehrere 
der nördlichen Warder harten febon früher zum hamt« 
burgiſchen Erzbisehum gehört, Die Infel Kirchhof, 
jege Neuhof, hatte bereits in uralten Zeiten eine 
Kirche, welche, mie man vermuthet, von den Weber: 
ſchwemmungen weggefpült worden iſt. Der Finfen 
wärder bat wahrfcheintich vordem den Schauenbur— 
gern ganz gehört, nud Fam im vierzehnten Jahrhundert 
durch einen Grenz⸗Vergleich, der verloren gegangen iff, 
zur Hälfte an das Haus Lineburg; im Jahre 1390 
verkauften die Herzöge Bernhard und Heinrich diefen 
ihren Antheil auch an Hamburg, doch mit dem Vorbes 
halt der Wiedereinlöfung, welche in der Folge wirklich 
ſtatt gefunden hat. Die Schauenburgifihe Hälfte aber, 
die nördliche, "wurde erſt fpaterhin der Stade überlaf- 
fen und iſt im Beſitz derfelben geblieben. ” 

Eine Bemerkung , welche ſich nach diefem Weber: 
‚ blick, wie Hamburg im Berlaufe des vierzehnten Jahre 
bundert8 faft nach allen Seiten ringsum fein Gebiet 
allmahlig erweiterte, von ſelbſt aufdringe, iſt zugleich 

15* 


228 Berührungen mie den Stabern 


die reinfte und ungefuchteffe Lobrede auf die Gefinnung 
und Denkungsart feiner früheren Bewohner, Der ein 
fache, ſchlichte Verſtand der befcheidenen Bürger traf 
‚mit. der Meberzeugung derer, welche zu allen Zeiten als 
die fcharffinnigften und redlichfien Denker gegolten ha⸗ 
ben, in der Wahrheit zuſammen, daß Eroberung 
in alle Ewigkeit hin kein Recht begruͤnden koͤnne, 
weil in ſo vermeyntem Rechte ein Kampf Aller gegen 
Alle verkuͤndigt ſeyn würde: darum wollten ſie auch da, 
wo ſie eine Burg oder Landſchaft nicht angriffsweiſe, 
ſondern in Vertheidigung, nach vielfach erlittenem 
Schaden mir. den Waffen in ehrlicher Fehde gewons 
nen hatten, doch Diefelben nicht befigen, ohne fie durch 
friedlichen Vertrag um theuren Preiß zu erkaufen. 
Diefe Rechtlichkeit der Gefinnung mar die Grundfefte, 
anf welchem das Eleine Staatsgebaͤude errichtet wurde; 
und die Sicherheit deffelben Fonnte mie, denn nur durch 
freveinde Gemwaltthätigfeit, gefaͤhrdet werden, da zu 
feiner Zeit von irgend einem anderen Rechte die Nede 
war, als deſſen mwohlerworbener Beſitz durch Die hei- 
ligften Verträge, durch die buͤndigſten Urkunden erwie— 
fen werden Fonnte, Die Weisheit führe ihre jüngere 
Schweſter, die’ Klugheit, flets in ihrem Gefolge und, 
zeige fie durch den Abglanz ihres wohlthaͤtigen Lichtes 
nur in um fo fehönerer Anmuth, da hingegen diefe ohne 
die Führerin bald durch Leichtfinn, bald durch vorlaute 
Keckheit über lang oder * ihr — Verderben 
Peigitet. / 

Die Berührungen ‚ in welche Hamburg fofore mit 
Naben und Fernen Fam, entſtanden Tediglich aus der 


und Bewohnern des Bischums Bremen, 229 


Kichtung der Tharigkeie feiner Bewohner, aus deren 
Gewerbfleiß , Handel und Schifffahre. Mit den benachs 
barten Stadern gerierben fie in Zwiſtigkeit wegen des 
Werks oder Bakenzolles, dem fie zur Unterhaltung 
m Anlagen auf der Infel Neuwerk von den 

der Elbe aufs und abfahrenden Schiffen dort zu 
fodern pflegten: die Stader weigerten fich nicht nur 
felbft diefer Abgabe, fondern wollten auch die Strand 
Friefen, welche ihre Märkte befuchten, davon befreyt 
wiſſen. Die Beſchwerden wurden endlich 1340 von 
Schiedsrichtern unterfucht und die Sache in Güte ver 
glichen, Anhaltenden Verdrußerregte Bremen. Dort, 
wo heut zu Tage die billigften Gefege zum Beften der 
Schiffbruchleidenden gültig find, berrfchten von frühes 
fier Zeit an die gemwaltthätigften Beraubungen an ges 
firanderen Gütern und Perfonen, und nicht die Vers 
wandtſchaft Hamburgs mit jener Stadt in Hinficht des 
erzbifchöflichen Stuhles, nicht die 1297 und 1301 ers 
neireten Vereinigungen zur mechfelfeitigen Erhaltung 
guten Vernehmens und zur Beförderung des Handeld, 
nicht die Verordnungen des Gardinald Guido, deren 
oben Erwahnung gefchehen, nicht die wiederholten Ber 
fehle der Paͤbſte hatten gegen diefes Hebel einigen Schuß 
von Dauer verfehaffen können, Das öftere Gelingen 
ſchlechter That erhoͤhet die Keckheit bis zu ſchamloſer 
Verlaͤugnung der heiligſten Pflichten der Menſchlichkeit. 
Die Ungerechtigkeiten haͤuften ſich, eine immer ärger 
als die andere. In den Jahren 1372 und 73 fielen die 
Beamten des Erzbiſchofs unter feiner Beguͤnſtigung 
und Aufmunterung niche bloß über geſtrandete Schiffe 


230 Verträge mit dem Bremer Bifchof, 


ber, fondern höhnten mit uͤbermuͤthigem Angriff ham 
burgifche Bürger fowohl, als fremde Kaufleute, welche 
zur Elbe herauf mit ihren Waaren an die Stadt zu 
fommen pflesten. Sogar der — „ehrwürdige Water 
ſelbſt“ —, Ersbifchof Albert, ald er im Jahre 1373 
im April in der Kirche feines Schloſſes zu Verden, 
um Geiftliche zu weihen, mit dem bifchöflichen Schmuck 
angetban war, ließ einen Schüler vom  geiftlichen 
Stande, Luͤneborg, der zum Studiren nach Oxfort 
wollte, und von Hamburg kam, ohne irgend gerechte 
Urſache in der Kirche greifen, ins Gefangniß fchleppen, 
und in eiferne Ketten fchließen, um fich des Geldes, 
das er bey fich führte, 200 Marf, und feiner Güter 
su bemachtigen und 600 Mark Löfegeld von ihm zu er 
preſſen. Solcher Gewaltthaͤtigkeiten müde wandten fich 
die Hamburger an den Pabſt ſelbſt, und Gregorius VIII. 
fprach im Fahre 1375 mit gerechter Strenge den Bann 
fluch über die Frevler aus, ſo wie fie auch in dem 
1382 gefalten Endurteheile zum Wiedererfaß der ges 
nommenen Güter und zur Zahlung aller Koften des 
Prozeſſes verureheift wurden, Der Erzbifchof Albert 
II., nun endlich überzeugt, — ‚daß es feine Pflicht 
fey, für das Heil Aller mit der thaͤtigſten Aufmerk- 
ſamkeit Sorge zu tragen, und was. dem Gefege, der 
Gerechtigkeit und den guten Sitten entgegen fey, mit 
Fleiß zu vernichten und auszurotten, zu mahl wenn 
er durch befonderen apoſtoliſchen Befehl dazu 
verpflichte worden, — Tieß auch im Sabre 1387, 
den häufigen Klagen der „vielgeliebten“ Bürger von 
Hamburg absuhelfen, zur Sicherheit der Schifffahrenden 


ben Diebmarfchen, Schlefwig ꝛc. 231 


einen geſchaͤrften Befehl ergeben, um der verkehrten 
und abfeheulichen Gewohnheit (perversa et exsecrabilis 
consuetudo) die gebührenden Schranken zu fegen. — 
Mit den Gemeinden in Ditbmarfchen hatten 1367 
und 77 neue Verträge gefcbloffen werben müffen, welche 
jederzeit auf vorangegangene Ungerechtigkeiten, gegen 
die Stadt verübt, zuruͤckſchließen laffen, und noch. im 
Sabre 1384 verglichen fich die Vorſteher der vornehm— 
ften Drefcbaften in diefem Lande mittelft eines befondern 
Bertragd mie Lübef, Hamburg, Lüneburg, Stade, 
Buxtehude und Itzehoe zur Sicherſtellung und Hülfes 
leiftung gegen die. Schiffenden. — Der Herjog Hein 
rich von Schleßwig ertheilte im Jahre 1366 den 
Bürgern und. Kaufleuten der Städte Luͤbeck, Roſtock, 
Stralfund, Bremen, Hamburg, -Kiel und anderer, „die 
mit ihnen in dem Bunde, weicher eigentlich die deut- 
fibe Hanfe genannt werde, begriffen feyen,‘ ein be 
fonderes Privilegium, die Aufbewahrung und Wieder 
berftellung der Schiffbruchsguter betreffend, — Ein 
Schreiben der Herzogin. Adelheit von Pommern 
vom Jahre 1387, wenn e8 acht iſt, weile die Befchuf- 
ſchuldigung, als fey an den Küften ihres Landes Raub 
an geftvanderem Gut begangen worden, mit einer einem 
fürfflihen Gemuͤthe wohl anftehenden Empfindlichkeit 
zuruͤck, „denn eine folche Handlung zieme weder. ihrem 
Haufe, noch ihrer Ehre, und fey weder bisher je üblich 
geweſen, noch werbe ed kuͤnftig werden; die Hambur: 
ger hatten verwegener und unerlaubter Weife nur ihre 
Ehre fihanden und. das Anfehen ihres Haufes unter: 
drücken wollen ; Güter, die in Verwahrung ‚genommen, 


232 Wachsthum der deutfchen Hanfe 


- würden jederzeit am ihren rechten Eigenthuͤmer Biel 
gegeben, 

Am treueften hielt zu Hamburg die Schweſterſtad 
Luͤbeck, und es find faſt keine Spuren aufzufinden aus 
dieſem Zeitraume, daß die gegenſeitige Vertraguc 
unterbrochen worden oder Widerwille der einen gegen 
die andere entſtanden ſey. Dieſes Zuſammenhalten war 
beyden Staͤdten in Hinſicht des auswaͤrtigen Handels 
gleich vortheilhaft, da die Privilegien, welche die eine 
erhielt, faſt immer auch der anderen zu Gute kamen. 
Ueberhaupt ſehen wir nun die angeſehenſten See⸗ und 
Handelsſtaͤdte ſich immer enger zu gemeinſamen Vortheil 
‚verbinden und Die eigentlich fogenannte Hanfe tritt 
bald in folcher Bedeutung ihrer Mache und ihres Anz 
febeng hervor , daß von den Beherrfchern der verſchie— 
denen Länder manche um ihre Freundfehaft buhlen, an⸗ 
dere aus Neid oder Furcht vergebliche Verſuche wagen, 
fich ihrer wachſenden Größe zu widerfeßen. 

Der Norden Deutſchlands fand ſich zu der Zeit, 
wo Reifer und Reich im Weften nnd Süden und durch 
unaufhoͤrliche Fehden im Innern beſchaͤftiget waren, 
fo fehr feinem Schisffale überlaffen, daß ohne die kraͤf⸗ 
tigen Bollwerfe, welche diefe in Wohlftand blühenden 
Städte bildeten, die Grenzen gegen die Nachbarflaaten 
nicht hätten. gefchügt werden koöͤnnen. Die Bewohner 
der Städte fühlten diefe Wichtigkeit ihrer Verhaͤltniſſe 
und brachten fie fpaterpin gern zur Sprache, um fo 
mehr, da fie niche ohne Kraftanſtrengung und ohne 
Klugheit alle anmaßenden Zumuthungen hatten zurück 
weifern fönnen, Immer noch. war für die Oſtſeeſtaͤdte 


und ihr Verhaͤltniß zum’ Norden, 233 


und fir Hamburg die danifche Macht die gefahrtichfte, 
und die Anfprüche, welcherder Titel’ eines Königs der 
Wenden und Slaven ausdrücte, follten um einiger Un— 
falle willen «nicht aufgegeben werden. Aber theild die 
waͤche der Beherrſcher, theils die rohe Zügellofige 
sit der Vafallen und die Anmaßungen der Geifklichkeit 
bauften Verwirrung auf Verwirrung, und verſchafften 
den Städten Zeir und Gelegenheit, ſich immer neuer 
Bortbeile und Privilegien zu bemachtigen, bis endlich 
die daͤniſche Mache unter ; mehrere Herren zerſtüͤckelt 
war, König. Ehriftopb II. 1332 mit Tode abging 
und das Reich ohne Oberhaupt feiner ganzlichen — * 
loͤſung nahe gebracht zu ſeyn ſchien. 

Inzwiſchen waren ſeit 1319 die beyden 
Norwegen und Schweden unter Magnus 
Smäf vereinigt worden, und manche alſobald erlaſſenen 
Befehle zeigten, daß man den Verkehr der Deutſchen 
im Norwegen, ſtatt zu beguͤnſtigen, zu beſchraͤnken 
Willens ſey. Beſonders war es nachtheilig, daß bey 
den damaligen Unruhen in Daͤnemark die Provinz 
Schonen, welche an den holſteiniſchen Grafen For 
hann den Milden verſetzt war, der Bedruͤckuñgen 
der fremden Beherrſcher uͤberdruͤſſig, ſich dem Könige: 
Magnus unterwarf und auch vom Grafen Johanu 
felöft, der wohl einfab, daß er das Land nicht werde: 
behaupten können, tauflich an ihn uͤberlaſſen wurde, 
(1332.) Die Dftieeflädte erfuchten den, neuen Beherr⸗ 
fiber um die Beflarigung ihrer zuvor genoffenen Han 
delsfreyheiten, vergeblich: fie wurden hart angelaffen 
und erreichten ihren Wunſch fo Tange nicht ;; big die 


* 


234 Kampf der Hanfe gegen Norwegen 


Umftande zu ihren Gunſten fich änderten. Verſchiedene 
Urfachen wirkten zuſammen, unglücflicher Krieg, der 
Bann des Pabſtes, die Entfernung der beſſeren Rache, 
Die Ausſchweifungen des Könige, am meiften der ger 
genfeitige Haß zwifchen Norwegen und Schweden, daß 
Unruhen und Zwieſpalt im Inneren des Reiches aus— 
brachen. Auch die fürchterliche Vet, der ſchwarze 
Tod genannte, welche um diefe Zeit den Norden vers 
heerte, traf befonders die beyden Neiche fo, daß alle 
Hoffnung zum Befferen hinſtarb. Nach dem Verlangen 
ber normwegifchen Stande theilte Magnus feine Länder, 
und ernannte den jüngeren Häfon 1343 zum König 
von Norwegen, den älteften aber, Erik, zum König 
von Schweden, mit Vorbehalt der Regierung für fich, 
fo fange er noch am Leben bleibe, In diefer Noch vers 
aͤnderte fich auch das Verhaͤltniß zu den deutfchen ‚Sees 
ſtaͤdten; Magnus bewarb fich nicht allein um ihren 
Beyſtand, fondern bemilligte ihnen zugleich alle zuvor 
noch verweigerten Freyheiten und vermehrte fie, mie 
fie irgend nur wuͤnſchen konnten. Der Friede zwiſchen 
den beyden Theilen wurde, wie bereit oben gemeldet, 
zu Heljingburg gefchloffen. Der zugleich ertheilte Frey 
beitsbrief von demfelben Jahre 1343: ift den Dfffee 
ſt aͤdt en ausgeftellt, nahmentlich Luͤbeck, Hamburg, 
(das mit dahin gerechnet wurde), Wißmar, Roſtock, 
Stralſund und Greifswalde, und den ſaͤmmtlichen Kauf: 
leuten der deut ſchen Hanſe.  Diefer Nabme 
Hanfe, als bezeichnende Benennung eines folchen 
Städtevereines erfiheint in den Privilegien, welche der 
Bund von Auswärtigen Maͤchten erhalten, bier zum 


N, 


und Schweden; ihre Anerfennung ‘1343 ıc, 235 


erftenmale, und daß er in derfelben Urkunde fünfmahl 
wiederholt wird ,. laͤßt vermuthen, welcher Werth dar: 
auf. gefege worden fey. Er bleibe nun auch zunachft 
in den Privilegien, welche von den nordifchen Neichen 
eribeift worden, berrfcbend, wie die Macht des Staͤdte— 
bundes als einer gefchloffenen Körperfcbaft bier zuerft 
ihre Anerfenuung fand: im Werften gefcbieht Das fpater, 
Doch Iefen wir die Benennnng deutſche Hanfe auch 
fibon in einem Fürfchreiben des Königs Eduard I, 
von England an den König von Frankreich, vom Jahre 
1315, in welchem der erffere die Zuruͤckgabe eines von 
frangöfifchen Seeraubern nach Calais aufgebrachten 
Schiffes verlangt, das von Kaufleuten der deutichen 
Hanſe befrachter gemefen war. — Uebrigens fanden 
weder Magnus, noch Schweden die verlorene Ruhe 
wieder, Er felbft zerfiel mit feinen Söhnen, der über: 
wiegende Einfluß feiner Gemahlin Blanca, befonders 
aber die Abtretung der von Schweden fo theuer erwors 
benen Provinzen Schonen, Haland und Blekingen an 
Danemarf, erregten allgemeines Mißvergnuͤgen, fo daß 
fein eigener Sohn Hakon von Norwegen ihn 1361 
(ben: 17, Nov.) gefangen nahm und auch von den 
Schweden, da Erik, deſſen Bruder, vormaliger Mit 
berrfcher feines Baters in diefem Reiche, Drkenähe 
war, als König anerfannt wurde 

Wahrend Diefer Unruhen im Schweden und Nor: 
megen war in Danemarf mieder eine beffere Ordnung 
entfianden. Die Wiederherftellung dieſes Reichs war 
das Werf des von den Dänen felbft aus Deutfchland 
zuruͤckberuſenen Sohnes Chriftoph des IL, Walde: 


236 Waldemar III. ſtellt das danifche Reich 


mar IV,, wie er fich ſelbſt nannte, bey anderen der IL. 
mit dem Beynahmen: Atterdag, deſſen Abfiche zuerſt 
dahin ging, die zerſtuͤckelten Theile wieder zu ſammeln 
und ſo ſein Koͤnigreich von Neuem zu ſchaffen. Indem er 
die entfernteren Provinzen durch Kauf oder Tauſch ab- 
mar, wandte er feine Aufmerkſamkeit vorzüglich auf 
Die der Krone entriffenen Lander, welche den Kern des 
Reiches ausmachten, und brachte‘ diefe theild durch 
Huge Unterhandlungen, theils durch Gemalt wieder 
zuruͤck; mit Thaͤtigkeit und Strenge hielt er die Unter⸗ 
thanen und Beamten zu ihrer Pflicht an und die aus— 
brechenden Empörungen dampfte "er durch Muth und 
Weberrafchung. Die deutſchen Städte blieben nicht 
gleichgüftig bey dieſen Fortſchritten der danifeben Macht 
und fchloffen fich eben deshalb naher an Schweden und 
Norwegen an, fo wie fie auch niche verfaumten, an 
verfchiedenen Empörungen gegen Waldemar heimlich 
Antheil zu nehmen. Indeſſen herrſchte noch nicht die 
Eintracht und der Ernft bey ihnen, der erfi, als des 
Königs großes Gluͤck fie aufſchreckte, eintrat, die Ber: 
bindung zwiſchen ihnen enger ſchloß und zu einem, big- 
ber noch nicht bemerfsen Anfehen erhob. Waldemar. 
namlih, die Schwäche des Königs Magnus benußend 
und durch das geheime Einverffändnig mie der Königin 
Blanca begünftiger feste fich mir Gewalt in den Beſitz 
der Zander, welche ihm zuvor im Gtillen abgetreten 
worden waren, Gchonen, Halfand und Blefingen. 
Darauf fiel er auch Deland und Gothland mit bewaff- 
neter Hand an und eroberte auf dieſer Inſel die reiche, 
Handelsſtadt Wisby, wo feit langer Zeit die deutſchen 


wieder ber + die Hanfe rüfter füch gegen ihn. 237 


Seefahrer und Kaufleute ihre bedeutendfien Niederlaß 
fungen hatten, Bor den Mauern farben im Kampfe 
gegen Waldemars Heer 1800 Bürger, Deutſche und 
Gotblander. Unermeßliche Beute fiel im des Siegers 
Hande. Er ließ darauf die Mauern fcbleifen, vereinigte 
die beyden Eylande mit der Krone und nahm den Titel 
eines Königs der Gothen an, Diefe Begebenheis fallt 
in das Jahr 1261. , 

Diefer raſch geführte Schlag erweckte die beuefihen 
Gemeinden aus ihrem Schlummer, Sie hatten nicht 
nur bey Wisby's Plünderung ſelbſt an ihrem Eigen» 
thum gelitten, auch das unverfchufdere Keiden ber uns 
glücklichen Schweiterftadt foderse zur Nache auf, Die 
Schweden, welche am meiften Urfache hatten, die Vers 
treibung de3 gefährlichen Nachbars zu wuͤnſchen, ers 
fannten des Magnus Sohn, Haͤkon als ihren König 
an und fchloffen mit Zufage der guͤnſtigſten Bewilligun⸗ 
gen, welche die drangende Noth anrierh, ein Bündnif 
mie den deutfchen Städten. Der Vertrag wurde uns 
terzeichnee zu Greifswalde, 1361, am heiligen Abende 
der Geburt unferer lieben Frauen; Die ‚Städte aber, 
mit welchen die Verbindung eingegangen wurde, heißen 
in der Urkunde die Städte bey der See, als „Luͤbeck, 
Wismar, Roſtock, Stralfund, Greifswalde, Tanlym, 
(Anklam) Stettin und Colberg.“ Da jedoch in den bey 
derſelben Gelegenheit der „deut ſchen Han fe‘ ertheil⸗ 
ten Privilegien die Staͤdte Hamburg, Bremen und 
andere nahmentlich mie nufgeführe werden, fo leider es 
feinen Zweifel, daß auch diefe mir ihrer Macht an die 
Berbündeten ſich angefchloffen haben, Die preufifchen 


238 Krieg der Hanfe gegen den König 


Städte hoben wenigſtens allen Handel mit Dänemark 
auf und bemwilligten einen Pfundzoll. Zu den Städten 
gefellten fich noch der Herzog Heinrich von Mecklenburg, 
und der Graf Heinrich von Holfkein, letzterer der 
Held von Creſſy und einer der tapferſten Ritter feiner 
Zeit, der auch jege zum oberfien Feldherrn des Heeres 
und der Flotte ernannt wurde: unter ihm befehligte 
der Tüberfifche Bürgermeifter, Johann Witten: 
borg. Die Verbünderen richteten ihren Lauf alfobald 
nach Kopenhagen, nahmen Stadt und Schloß und ver- 
wuͤſteten beyde; auch Deland und Gothland gewannen 
fie wieder und fchlugen die danifche Flotte unter An— 
führung des Prinzen Ehriffopher, der durch eine Stein: 
kugel tödlich verwunder wurde, Als fie aber bey Hel- 
fingburg ans Land fliegen, und ſorglos der Pluͤnderung 
der Dörfer fi überließen, erſah König Waldemar 
die Gelegenheit, überfiel ihre Schiffe im Sunde, nahm 
fech8 der beften und verbrannte mehrere, fo daß die 
Vebrigen Faum fich retten und nach Lüberf flüchten 
konnten, Wittenborg, auf den die eigentliche Schuld 
der Berfaumniß fiel, ward gefanglich eingezogen und 
nach zwey Jahren auf —* Markte zu Luͤbeck ent 
hauptet. 

Die Staͤdte hatten indeſſen noch auf einige Zeit 
den Zoll zu Helſingoͤr inne und erhielten außer. der Ber 
willigung größerer Handelsfrepheiten in Schweden und 
Norwegen auch die Inſel Bornholen, die ihnen zum 
Erfag der Kriegsunfoften von Schweden war verpfans 
der worden, Mit Danemarf ward ein Waffenſtillſtand 
anf Ein Jahr, und darauf Frieden geſchloſſen, 1362 und 


Waldemar II. 1361—1364, 239 


63. Die Berbäfeniffe aber anderten fich auf neue, bes 
denkliche Weiſe, als der König Hafkon, zugleich ver- 
lobt mieder danifchen Prinzeſſin Margarerha, Wal 
demar's Tochter, und mit der fihönen, geiftreichen und 
frommen Gräfin Elifabetb von Holftein, der Schwer 
ſter Heinrich’8, theils aus Furcht vor der deutſchen 
Macht, theild auf Antrieb feiner Mutter Blanca, uners 
wartet die Vermaͤhlung mit der erfteren volljog, 1363 am 
Sonntage nach DOftern, und mit diefer Handlung dem 
Biündniffe mie den Hanfeftadten entfagte, Die Großen 
des Reiches, welche ſich mit ihrer Ehre für die Ver- 
mäblung mit Elifaberh verpfander hatten, kuͤndig⸗ 
ten dem Könige den Gehorſam auf, erklärten Vater 
und Sohn der Krone verluftig und übersrugen diefelbe, 
da Graf Heinrich von Holftein fich mie feinem hohen 
Alter entſchuldigte, dem Fürften Albrecht von Med: 
lenburg, des Herzogs Albrecht mittlerem Sohne, wahr 
rend fie den Vater felbft zum Reichsverwefer ernannten, 
Die Diftfeeftädte aber veranlaßten eine engere Verbine 
dung unter den Genoflen der Hanfa, dergleichen bisher 
noch Feine fkatt gefunden hatte, Zu Coͤlln am Rheine 
verfammelten fich die Abgeordneten derfelben, im Jahre 
1364, und festen nach getroffenen Unterhandlungen in 
einer fchriftlichen Urkunde feft, zur Erhaltung ihrer 
Nechte und Freyheiten, ihres ftadeifchen Gemeinmwefeng, 
zur Ausbreitung und zum Schuß ihres Handels fich ges 
genſeitig Hülfe zu Teiften und zu Einem Bunde zuſam⸗ 
men zu halten, Es war dieß der erfie Vertrag in 
diefer Art und Ausdehnung und mie ihm wurde zuerſt, 
wie e8 ſcheint, eine gewiffe Ordnung feſtgeſetzt, wie eg 


240 Fehde ‚gegen Waldemar II. 1264—68,. 


in Zukunft mie der Einrichtung diefes -meitumfaffenden 
Staͤdte⸗Koͤrpers gehalten werden follte, da vorher noch 
immer vereinzelte Verbindungen wenigerer Staͤdte ge 
fchloffen worden waren, Sieben und ſiebenzig 
diefer Städte, wie die daͤniſchen Geſchichtſchreiber 
einftimmig berichten, - fandten dem Könige Waldemar 
Fehde: und Abfagebriefe, welches ihm fo Tächerlich 
vorfam, daß er feine Verachtung gegen diefe Hanfe in 
einer derben Spottrede aͤußerte, die von feinen 
Landsleuten mit einer befonderen Art von. Wohlgefallige 
feit nacherzähle worden iſt. Der Erfolg zeigte indeflen, 
dag zum. Spotte hier die unrechte Zeit gewaͤhlt worden 
war, Die Florten der Städte erfibienen gang uner⸗ 
wartet an den Kuͤſten und fügten dem Reiche an allen 
Seiten den empfindlichften Schaden zu. In der Ber 
draͤngniß fchloß Waldemar durch) Vermittelung des Herr 
30988 Barnim von Stettin einen Waffenſtillſtand mit 
den vornehmflen Städten der Oſtſee, noch in demfelben 
Jahre, und im nächften einen Frieden, in welchem dem 
‚ganzen Bunde ihre Handelsfreyheiten beſtaͤtigt und er— 
weitere wurden, (1365.) Da der König jedoch aufs 
Neue fich im die Fehde mifchte, : welche zwiſchen den 
abgeſetzten ſchwediſchen Königen und Albrecht von Meck— 
Ienburg ausbrach, konnte der Friede nicht von Dauer 
feyn, Mehrere Hanfeflädee verbanden ſich abermahls 
gegen Dänemark, nur Hamburg, Bremen und Cölln 
wollten feinen thaͤtigen Antheil nehmen, und auf 
dem zu Roſtock 1368 deshalb gehaltenen Hanferage 
verftanden fich die beyden erfieren bloß zu einem Geld- 
beytrage: ein Beweiß, daß auch jetzt der Bund-feine 


Friede mit Waidemar 1370 und 1372. 241 


abgeſchloſſene Pflichtordnung noch nicht fo ſtreng erhal⸗ 
ten hatte. Der Angriff auf Daͤnemark geſchah mit 
groͤſſerer Heftigkeit, als das erſtemal, ſo daß ſich Wal⸗ 
demar bewogen ſah, das Reich zu verlaſſen und in 
Deutfihland Hulfe zu fuchen, die dort ſchwer zu finden 
war. Der glückliche: Fortgang, welchen die Waffen 
der Berbünderen bacten, übertraf ihre kuͤhnſten Hoff: 
nungen, und der in des Koöniges Abweſenheit die Res 
gierung verwaltende Statthalter nebſt den Reichsraͤthen 
eifte, mit den Städten Unterhandlungen anzuknuͤpfen, 
welche 1370 zw Stralfund mit einem Vergleiche fich 
endigten. Die Hanfefladte behielten in demfelben alle 
früheren Borrechte und Freyheiten, und zum Erfag des in 
Wisby - erlittenen Schadens und der Kriegskoften die 
feiten Plage mit den dazu behörigen Landſtrecken in 
Schonen, nebft zwey Drittefn der dafelbit fallenden Fös 
niglichen Einkünfte, auf funfzehbm Jahre. Sn dem 
Frieden iſt Hamburg nahmenelich mit einbegriffen, Walz 
demar felbft mußte nach feiner Rückkehr 1372 den Fries 
den nicht bloß beflatigen, fondern auch noch andere 
harte Bedingungen eingeben, 3: B. daß, wenn er felbff 
die Krone Daͤnemarks niederlege, Fein anderer ohne 
Rath und Einwilligung der Hanſeſtaͤdte dazu gelangen 
dürfe: gleichwohl konnte er nur durch diefe kluge Nach⸗ 
giebigfeit das Reich vor der Gefahr der Vernichtung 
bewahren, Er ſtarb den 25, October 1375, 

In derjeiben Fehde, als Hafon, Magnus Sohn, 
von Norwegen aus den König Albrecht feindlich ans 
fiel, fliegen die Hanfen auch an der normwegifchen Kuͤſte 
and Sand, plünbersen Kirchen und Klöfter, verbeerten. 

16 


242 Gluͤcklicher Krieg der Hanſen gegen Norwegen. 


mehrere Staͤdte, 15 Kirchſpiele und legten 200 Doͤrfer 
in Aſche. Ein ſo gewaltſames Beginnen zwang ihn 
ſogleich zum Frieden mit den Staͤdten, zur Entſagung 
ſeiner Anſpruͤche auf die ſchwediſche Krone, zur Aner— 
kennung des Koͤniges Albrecht und zur Beſtaͤtigung 
aller jener Handelsfreyheiten, welche den einzelnen 
Staͤdten fruͤherhin in Norwegen bewilligt worden waren. 
Die Friedensurkunde, im Lager zu Bawahus unter— 
zeichnet, führe Die Nahmen der Städte Luͤbeck, Ham: 
burg und Bremen vor den übrigen an der Epige, So 
glücklich hatten überall die Hanfen Zeir und Umſtaͤnde 
benußt, fo zweckmaͤßig hatten fie ihre Krafte verwandt, 
fo ruhmvoll endigte die erfte große Fehde, melche der 
Bund durch den Beyftand und die Eintracht. feiner 
Blieder unterftügt zum erftenmale in folcher Ausdehnung 
gewagt harte. Im Norden hatte er alfo die Anerken- 
nung feined Nahmens und feiner Geltung durchgefoch- 
ten, alle Völker daſelbſt harten feine Macht empfunden, 
oder als Zeugen re Bun. —* en be⸗ 
wundern. 

Als nach Waldemar's Tode deſſen Enkel 
Dlav, Margarethen's und Haͤkon's Sohn, nicht ohne 
MWiderfpruch, unter Bormundfchafe feiner groffen Mut⸗ 
ter den Thron beſtieg, wurden den Hanfeffädten die dem 
vorigen Könige abgedrungenen Freyheiten, fo wie der 
Beſitz der ihnen auf Schonen verpfandeten Schlöffer 
beffatiget: der Albrecht von Schweden, der zugleich als 
Mitbewerber um die daͤniſche Krone auftrat, hatte fich 
eben fo demuͤthig an den flädtifchen Bund gewande und 
für gewuͤnſchte Anterfiügung die reichſten Vortheile 


Margarerhe, Königin v. Danemarf, u, Norw. 243 


verfprochen. Im Sabre 1380 farb Hafon, und Olav 
erbte num auch die normwegifibe Krone, fünf Jahre fpa- 
ter aber gelangte er felbft wieder zum Befige der an die 
Hanfe verpfänderen Schlöffer auf Scho nen, da die be 
dungene Zeit verfloffen war, Als Bormünderin ihres 
Sohnes beherrſchte alfo Margarerbe die beyden 
Reiche Norwegen und Danemarf, und mit eben fo großer 
Klugheit und Gewandtheit, als mit der fellen Stand» 
baftigfeit einer mannlichen Seele bannte fie den wilden 
Empörungsgeift der Groffen, den bisher Fein König zu 
säbmen vermocht hatte, Das Gluͤck blieb ihr günftig 
auch nach ihres Sohnes Tode 1387, und durch ihre 
Weisheit blieb fie des Gluͤckes wuͤrdig. Albrecht in 
Schweden dagegen betrug fich ‘eben fo unmeife im der 
Regierung feines Landes und reiste durch Wilfuhr, 
Harte und uͤbermuͤthiges Berragen den Haß und die 
Erbitterung der Schweden, durch voreiligen Trog und 
Spott den Zorn feiner Gegnerin Margarerhe, Mit 
einem zahlreichen Heere, das er in Deutfchland zuſam— 
miengebrache harte, eilte er nach Weſtgothland und 
lieferte dort auf der Ebene Nyfeläng bey Fallkoͤping 
1389 den 24. Februar das ungluͤckliche Treffen, in 
welchem er gefchlagen wurde und nebft feinem Sohne 
in die Gefangenfchaft Margarethens gerieth. Er hatte 
früberigefchworen, die Müge, die er gewöhnlich zu 
tragen pflegte, nicht her aufjufegen, als bis er Mar: 
garethen überwunden babe: jegt zwang ihn die Siegerin, 
um den Hohn zu vergelten, eine groffe Müge von Walmar 
zu tragen, denn fie befaß nicht Edelmurh genug, Ber 
leidigungen, die ihre weibliche Eitelkeit getroffen hatten, 
16* 


244 Die Bereinigung (Union) der drey 


zu vergeben, Noch war indeffen ihr Sieg nicht fo voll 
ftandig, als ihre perfönliche Rache. In einigen Pro— 
vinzen Schwedens wurde Albrecht noch als geſetzmaͤßiger 
König anerkannt, Ein Haufe Deutfcher, befannt unter 
dem Nahmen der Hutbrüuder CHattebröder, wie es 
ſcheint, nach Albrechts Geluͤbde fich fo nennend,) ver 
theidigte befonders Stockholm und Wisby und übte 
Mord und Plünderung auf fehmwedifchen und daͤniſchen 
Inſeln. Da die Hauptſtadt von der Landfeite belagert 
wurde, konnte fie nur von der Seefeite her mit Lebensmit- 
teln verfehen werden, Ein Haufe Abenteurer übernahm 
die Beſorgung diefes Geſchaͤftes und erhielt deshalb 
den Rahmen der Vitaliner oder Vitalienbrüder, 
(Bictualien werden in alten fchwedifchen Schriften.F 
talien genannt,) die der Stamm von Geeraubern 
und Freybeutern wurden, welche, Anfangs fich zu Alb: 
recht3 Anhängern befennend, Schweden, Danen und 
Normänner ald Feinde anfahen und die Kuͤſten diefer 
Laͤnder verheerten. Die Raubluſt vergröfferte ihre An— 
zahl, jo wie ihre Kuͤhnheit. Die allgemeine Unficher- 
heit, welche aus diefen Abenteurern erwuchs, das Auf- 
bringen der friedlichen deutfchen Kauffahrer und Fifcher 
von allen ffreitenden Theilen, felbft von den Kapern 
der verwandten Städte Roſt ock nd Wißmar, bald 
unter diefem, bald unter jenem Vorwande, ließen die 
Benoffen des Städtebundes eine Beylegung dieſes Strei— 
tes hoffen, der zu nichts weiter führen Fonnte, Nach 
langwierigen Verhandlungen endlich kam 1395 ein Ver⸗ 
gleich zu Stande, nach welchem Albrecht mit feinem 
Sohne aus der Gefangenfchaft entlaffen wurde; Die 


nordiſchen Reiche, Kalmar, 1397. 245 


Hanfeftädte verfprachen dagegen, nach Verlauf von 
drey Jahren entweder beyde Prinzen wieder zur Haft 
zu liefern, oder eine von diefen zu erfegende Summe 
von 60000 Mark zu verfihaffen, oder der Königin die 
Stade und Veſte Stockholm zu überantworten, die von 
ihnen fo lange in Befig genommen wurde, Die Heber 
gabe Stockholms erfolgte, als nach Verlauf der Zeit 
die bedungene Summe Geldes nicht aufjutreiben war, 
und Margarethe: fab fich im vereinigten Befig der 
drey groffen nordiſchen Reiche, Die Kalmarfche 

Union wurde gefchloffen den 17. Juny 1397. | 

Die Hanfe war zufrieden, als Margarerhe und ihr 
Bflegefohn Erik ihr im Jahre 1398 die früher erwor⸗ 
benen Frepheiten in den drey vereinigten Reichen bes 
flätigten, und ſelbſt die Stadte Wiß mar und Roſtock 
zu gleichem Genuffe wieder zugelaffen wurden, gegen 
welche die Königin am meiſten erbittere feyn mußte, 
Um diefe Zeit mag bie Brüderfibaft der heil, Martha 
oder die Schonenfahrer = Gefellfbaft in Sams 
burg entſtanden feyn, aus folchen beſtehend, welche 
nach Schonen und auf der Oſtſee Handlung und Fifch- 
fang trieben: ihr Nahme wird vom Jahre 1395 auf 
geführt. 

Für jene wilden Freybeuter aber, die mie dem 
allgemeinen Nahmen der Viealienbrüder bezeichnet 
wurden, fihien der eingetrerene Friedenszuſtand nicht fo 
annehmlich, als daß fie nicht lieber ihr altes Unweſen 
hatten. fortfegen wollen. Zum Theil von den Hanfes 
ſtaͤdten felbft aufgerufen und befördert glaubten fie fich 
jetzt noch zu ihrem Gewerbe berechtigte, da fie fich von 


246 Krieg gegen die Bitaliner, 


den vorhin freitenden Parteyen verlaffen und der eiges 
nen Huülfe und Selbſterhaltung preiß gegeben fahen. 
rüber harten fie ihren geraubten P under zu Roſtock, 
Nibnig, Goldnig und anderen Stadten frey und offen 
verkaufen und mittelft des gutem Preifes ihren Geminn 
mie ihren Freunden und Beförderern theilen Fönnen, 
Als nach jet gefchloffenem Frieden beyde Theile fie als 
oller Bölfer Feinde und Ruheſtoͤrer zu betrachten und 
auszurotten verfprochen hatten, fehlte e8 doch nicht an 
gegenfeitigen Befchuldigungen, bald der Hanſeſtaͤdte, 
bald der norbifchen Regierung, daß man um (eigenen 
Bortheild willen fie noch immer zu hegen und zu haus 
fen pflege, wenigſtens nicht mie hinlanglichem Nachdruck 
verfolge, Die - Stralfunder hatten zuerft ein Schiff 
gegen fie ausgerüfler, und ihrer eine groffe enge ger 
fangen, alſo, daß ed an Gefängniffen fehlte zu ihrem 
Gemahrfam. Sie verfuhren deshalb mit ihnen, mie 
die Brüder mit den gefangenen Kaufleuten gethan hat— 
ten: fie fibloffen fie in Bier und Wagrentonnen ein, 
die an dem einen Boden fo weit ausgefchnitten waren, 
daßieben der Kopf durchfriechen Fonnte, und fo bewahr⸗ 
ten fie diefelben auf, bis fie verureheilt und entbaupter 
wurden. Ein Zufluchtsort Diefer Raubgefellen, um ihre 
Beute und Gefangenen aufzubewahren, war zuleßt die 
Inſel Gothland geweſen, wo fie auch die fogenannte 
Tonne fich erbanet haben follen, Dort landeten, mit 
Einverſtaͤndniß der Königin Margarerbe, die deutſchen 
Drdensritier mit 4000 Mann, vertilgten Die Vitalioner, 
zerfförten ihre Befefligungen und machten biemit der 
Macht derfelben in der Oſtſee ein Ende, Aber ein 


ober. Birtualienbrüber, 247 


anderer Schwarm begab fich in die Nordſee und ver: 
theifte füch mach verfchiedenen Richtungen hin, gegen 
Holland, gegen die Schiffe der Hamburger, und 
nach dem Norden, Ein Zug wendete fich nach Normwes 
gen und war mächtig genug, Bergen zu erobern und 
zu plündern, Auch ift viel von einer Fahrt erzaͤhlt 
worden, welche die Bitalienbrüder um diefe Zeit im 
fremde Meere gethan, um Entderfungen und Beute zu 
machen, mo die meiften theils durch Hunger, theilg 
durch feindliche Angriffe der Eingebohrenen ihren 
Tod gefunden. Sie batten da ein gegen die Kälte 
von der Natur ſelbſt gefihirmtesrauchhaariged Volk ge 
funden, fie waren bis hinter Grönland und weiterhin 
gekommen, im Gegenden, wo fie weder Des Himmels 
noch des Meeres Gelegenheit hatten wiſſen koͤnnen. 
Eine groſſe Anzahl hatte fich nach Frießland bege- 
ben, mo fie von mehreren mächtigen Edlen bereitwillig 
gehaufer und geheget wurden, und Vorſchub an Schiffen 
ſowohl ald an übrigen Bedürfniffen erhielten, denn 
diefe Edlen nahmen mie von der Ausbeute und erhielten 
ihres Raubes gleichen Antheil, mie vorher die von 
Wißmar und Roſtock. Die Städte Hamburg , Luͤbeck 
und andere litten hievon groffen Schaden; die Anfode: 
rungen an die Königin Margarerhe, zur Vertilgung der 
GSeeräuber mit den Hanfen gemeinfchaftliche Sache zu 
machen, waren ohne thatigen Erfolg geblieben, bis. 
endlich im Jahre 1399 auf der Verfammlung zu Nykö— 
ping, auf welcher fich ſowohl von den übrigen 
Hanfeftadten Abgeordnete, als befonderd von Hamburg 
Vie Bürgermeifter Chriffian Miles und Johann 


248 » Die Vitaliner befampfe, 1400, 


Hoyer eingefunden hatten, ein Vergleich zu Stande 
kam, in Folge deffen im Nahmen der Stadte und ber 
Königin ein Schreiben erlaffen wurde an den Grafen 
Cordt von Oldenburg, an Kenno von DBrofe 
(Brügge), Ottens Sohn, und an die Staͤdte Grö: 
ningen und Dockum, um dieſelben ernftlich zu ver: 
warnen, ben Bitalienbrüdern Feine weitere Hülfe zu 
eiften noch irgend einige Hegung zu geffatten, Aber 
auf der nachften hanſeatiſchen Tagfahrt zu Lüberf, auf 
welcher die hamburgiſchen Birgermeifter Chriftian 
Miles und Meinard Burtebude zugegen waren, 
‚vereinigten fich Die Stadte noch genauer und richteten 
den Zug gegen DOftfrießland ein, wohin gegen Oſtern 
1400 eine anfehnliche Flotte unter Segel ging. Die 
bamburgifchen Schiffe wurden von den beyden Raths⸗ 
berren Albrecht Schrey und Johannes Nanıre 
befehliger. Sie überwanden die Ditaliner ohne groffe 
Schwierigkeit, warfen deren viele über Bord und nabs 
men mehrere gefangen, die fie am Leben ſtraften. 
Stadt und Schloß Emden und andere Plage mußten 
fich ergeben und hanſeatiſche Befagung aufnehmen, Auch 
Kenno von Brofe, der feinen Gefandten nach der Luͤ⸗ 
becfer Tagfahrt geſchickt und zweydeutig fich hatte ent- 
ſchuldigen laſſen, mußte fein Schloß Aurich an die 
Städte abtreten und bis auf weiteres Erfenneniß feinen | 
Aufenthalte in Bremen unter Aufficht nehmen, Die 
Weſtfrieſen, welche ihre Fehde gegen Holland zum Vor⸗ 
wande gebrauchten, in welcher fie der Hülfe der Brüder 
niche entbehren Fönnten, verfprachen wenigſtens, dieſel⸗ 
ben fogleich nach erfolgeem Frieden zu entlaſſen. | 


” 


Klaus Störtebefer befiege 1402, 249 


Aber troß aller Unfälle blieben die Viraliner den 
Städten noch immer furchebar, Auffer der Begierde 
nach Gewinn trieb fie Die Rache gegen Peinde, 
die fie fo graufam verfolgten, fie in feiner Verbindung 
für ehrliche Krieger gelten ließen und ihnen das Recht 
der Fauſt, das jene doch in gewiffer Hinficht ſelbſt noch uͤb⸗ 
ten, und, eim bürgerliches Gericht im Fall der Ges 
fangenſchaft blutduͤrſtig raubten. Befonders waren noch 
zween ihrer Hauptleute das Schrecken der Seefahrer, 
Klaus Srörtebefer, aus Barth gebürtig, und 
Gödefe (Gottfried) Michel von der Infel Rügen, 
mwofelbft fie vorber in der Gtubniß bey Jasmund, die 
Rammer genannt, in einer Hole des jahen Vorgebürges 
ihren Raud verborgen gehabt haben folfen. Diefe Raͤu⸗ 
ber waren um fo furchebarer, da fie nach eigener Weber: 
jeugung und nach dem Glauben ihrer Feinde unter dem 
befonderen Schuge des heiligen Martyrers Vincentius 
fschten, deffen Gebeine fie an den fpanifchen Küften er: 
beuter haben wollten und mie fich berumführten. Als 
nun im Jahre 1402 den Hamburgern hinterbracht wurde, 
daß eine Schaar, von dem Störtebefer und einem 
anderen Hauptmann, Wichmann genannt, angeführt, 
bey Helgoland (Ferria in den derzeitigen Urkun— 
den) auf die Englandsfahrer Iauere, sing eine Flotte 
unter ben Befehlen des Rathmannes Nicolaus 
Schocke die Elbe hinab, traf auf die Geeräuber und 
überwand fie nach hartnaͤckigem Widerflande, daß deren 
mehrere erfchlagen, die Anführer aber mit 70 Gefellen 
- gefangen genommen wurden, Unmittelbar darauf fließen 
die Hamburger Schiffe auch auf den übrigen Schwarm 


259 Goͤdeke Michel befiegt, 1402, 


unter den Hauptleuten Gödefe Michael und Wig- 
bald, einem Magiſter der Weltweigheit von der Ro: 
ſtocker Univerſitaͤt, befiegten auch fie und nahmen die 
Anführer nebft achtsig Gefelen gefangen. Ohne bärgerz 
liches Gericht, das Seeraͤubern niche für zuſtaͤndig er- 
achtet wurde, ließ man ihnen insgefammt auf dem 
Grasbrock die Köpfe abfihlagen und damit auf hoben 
Stangen an der Elbe zum Schrecken der .übri- 
gen die Küfte bepflanzen, Ein altes Volkslied, wel 
ches mit den Keimen anfing: „Stoͤrtebeker und Gödefe 
Micheel Dar weeren twe Röver tho glicken Deel’, und 
welches noch im fechszehnten Jahrhunderte im Munde 
des Volkes umging, ſchrieb den Sieg der Hamburger 
befonder8 dem einen ihrer Schiffe zu, welches „die 
durch Die See braufende bunte Ruh aus Flandern 
mit fkarfen Hörnern“ genannt wird, und einem von den 
Birtualienbrüdern genommenen Hoͤlk (Schiffe) mit 
ein das Vorderkaſteel entzwey Tief, Aus dem erbeus 
teten Raube ſoll nach der Volksſage eine goldene Krone 
gefertiget worden ſeyn und lange Zeit an der Spitze 
des Nicolaithurmes geprangt haben: nur Schade, daß 
dieſer Thurm viel ſpaͤter erbauet worden iſt. Das 
Schwert, mit welchem der muthige Scharfrichter Ros 
ſenfeldt die Gefangenen binrichtete, — „er fland mit 
feinen geſchnuͤrten Schuhen zw den Enfeln (Knöcheln) 
in dem Blute“ — zeigte man ſonſt im Hamburger Zeug: 
haufe, fo wie noch jegt auf der hiefigen Schiffergefell- 
fihaft einen groffen nach alter Weife verzierten filbernen 
Störtebefer, Trinkbecher, deffen Figuren ſich auf 
diefe Geſchichte beziehen, in Form und Arbeit aber eine 


Verhaͤltniſſe zu den Niederlanden, 251 


jüngere Zeit der Verfertigung nicht bezweifeln Taffen, 
Uebrigens waren mit diefem Schlag jene irrenden See— 
ritter fo wenig vertilgt, daß vielmehr noch am dreyßig 
Jahre die Meere von ihnen durchſchwaͤrmt wurden, und 
wiederholte Angriffe auf fie gefchehen mußten, 

Nicht den machtigen Einfluß, wieim Norden, erhielten 
die Hanfeffädte, und insbefondere Hamburg, im Weften von 
Europa, wiewohl auch dahin, und zunaͤchſt am meiften nach 
den Niederlanden, ihr Handelsverfehr von groffer Bedeu— 
sung wer, Kenntniſſe des Handels, Reichthum, Wohl: 
babenheit waren dort früher verbreiter gewefen, als bey 
den Deutſchen, und Flandern und Brabant waren 
jeße der’ angefehenffe Marktplag, der an Mannichfal: 
tigkeit der Waaren, an Fülle des Capitals, an Schnelle 
und Ausdehnung des Umſatzes alle anderen Lander über 
traf, welche von den SHanfeaten beſucht wurden, 
Brügge war in den gefammten Niederlanden die Haupt: 
niederlage für die verſchiedenen seuropaifchen Handels⸗ 
völfer und dort errichteten auch die Deutfchen ihre 
Factorey, welche in der Folge zu den angefehenften 
der Hanfe fich erhob, Durch mannichfaltige Privilegien, 
die fie fihb von den Grafen des Landes zu verfchaffen 
fuchten, und durch verminderte Zölfe beguͤnſtigt, im faft 
ausichließenden Befige der unentbehrlichſten Waaren 
des Nordoftens von Europa befuchten fie diefen Markt: 
glas um fo lieber, da fie bier wiederum fo manche 
Waaren zur Beberrfchung des Nordens umzutauſchen 
fanden, Es konnte nicht fehlen, daß verfchiedenes 
Zufammentreffen der Vortheile oft zu Spannungen und 
Streitigfeisen zwifchen den Hanfen und Flamingern 


252 | Verbalenifle der hanſiſchen Städte 


Anlaß gaben: daher finden wir haufig, daß fie in 
foichem Falle ihre Niederfage von Brügge hinweg ver: 
legten nach anderen Orten, doch aber, theild durch dag 
Nachgeben der Kläminger, theils weil das mechfelfeitige 
Beduͤrfniß fie leitete, bald wieder zur Rückkehr in dieſe 
Stadt fich veranlaßt fahen. Go geſchah es 1309, daß 
die deutfchen Kaufleute Brügge verließen und fich nach 
Ardenburg Begaben, aber noch in demfelben Jahre 
zurück kehrten, wahrſcheinlich, nachdem ihnen noch 
ausgebehntere Freyheiten bewillige worden waren. Dafr 
ſelbe wiederholte fich 1356 und fpater. Neben Flandern 
ließen die Deutſchen Brabant nicht aus den Augen, 
wo Antwerpen ihre vornehmfle Niederlaffung war, 
deren Zweige jedoch fich durch das ganze Land erſtreck⸗ 
ten. Herjog Johann von Brabant verfprach ihnen 
1315 einen freyen Verkehr in allen Theilen feines Lan: 
des gegen Erlegung der von ihm beffimmten Zölle und 
mit der Bedingung, daß fie zu Antwerpen: ihren Haupt: 
fig nebmen wollten. 

Als aber gegen das Ende der Regierung bes Grafen 
Ludwig von Blandern ein verbeerender Bürgerkrieg 
entſtand, auch eine Fehde mit England. und nach Lud- 
wigs Tode 1383 unter dem neuen Fürften, dem bur- 
aundifchen Herzoge Philipp dem Kühnen, Verwirrung 
und Unruhe noch fortdauerten, in welcher Zeit das 
Land 200000 feiner beſten Bürger verloren haben foll, 
da wurden von den Fampfenden Parteyen auch mehrere 
der hanfeatifchen Privilegien gekraͤnkt, ihre Freunde 
gemißhandelt, in Ketten und Banden gefchlagen, ge 
ſchatzt und auf mannichfaltige Weife beſchwert. Die 


zu Flandern und Brabant, 253 


Ringen, welche dagegen geführe wurden, bie Verfuche, 
dem Verkehr die nörhige Ruhe und Sicherheit zu er- 
halten, konnten nicht zu günffigem Erfolg gelangen, 
fo daß im Jahre 1388 aller Handel mir Flandern durch 
ein erlaſſenes Verbot unterfage wurde, Diefer Ernſt 
war nicht ohne Wirkung. Auf der Tagfahrt zu Luͤbeck 1389 
erfchienen die Abgeordneten des Herzogs von Burgund, 
des Grafen zu Flandern und der Stadte Gent, Brügge 
und Ypern und verfprachen Genugthuung für die 
Schmach, welche die Deutſchen in Flandern erlitten 
hätten, Sie gefobten, mehrere Vicarien, Altaͤre und 
dergleichen, zu fiften und fie den Hanſen als Lehnsherren 
zu übergeben: es follten eine beftimmte Anzahl ehrbarer 
Männer aus den drey Stadten und von den Freyen 
des Landes zu Brügge bey den Carmelitern erfiheinen, 
wo die Hanfen-ihre gröfferen Verſammlungen zu halten 
pflegten, und den Kaufleuten Abbitte thun: für dem 
zugefügten Schaden verfprachen fie 11100 Pfund Grote 
zum Erfaß u. f. w. Allein die Bedingungen fehienen 
in Flandern feinen Beyfall gefunden zu haben, und die 
Ausführung verzögerte ſich in die nachiten Sahre, Da 
aber die Hanſen bey ihren frengen Maaßregeln ſteif 
bebarreten, fahen ſich die Flaminger genörhigt, neue 
Unterbandfungen anzufnupfen. Das geſchah 1391 auf 
der Tagfahre zu Hamburg, bey welcher von Seiten 
der Stadt die Bürgermeifter Bertram Horborg, Chri: 
ffien Miles, Sohannes Hoyer und Marquard Schreyer 
und der Rathmann Chriſtian Vos als Abgeordnete 
zugegen waren. Man vertrug ſich durch Bequemung 
in die gegenſeitigen Anfprüche, die früher beliebte 


256 Vertrag mie den Hollandern 1403, 


j 
fiegen zu bleiben, Da Fam aber in Hamburg die Nach: 
richte an, daß die Holländer, dem aefchloffenen Vertrage 
sum Hohn, verfbiedene Hamburger auf der See tiber: 
fallen harten ; das Gefühl der Rache loderte auf, eiligft 
fegelten fie den Hollaͤndern, dienoch auf der Elbe gehalten 
wurden, nach, griffen die Schiffe an, und nahmen fie mit 
Gütern und Leuten: die Gefangenen brachten fie in 
ihre Stadt zu gefanglicher Haft, Der Zwiſt dauerte 
big ins vierte Sahr und wurde endlich im Jahre 1403 
den 9, Detober durch die Stade Gent, als erwahltem 
Schiedsrichter, beygelegt, nachdem zuvor der Graf neue 
und anfehntiche Privilegien ertheilt hatte, für welche 
fich des Herzoas Sohn, einige Groffen und die. fünf 
Städte Dortrecht, Harlem, Delft, Leyden und Amfter- 
dam mit unterfiegelten: auch erhielten die Hamburger 
etliche Taufend Nobel zum Erfaß des im Kriege erlit- 
tenen Schadens, Der inzwifchen fortdauernde Krieg 
zwifchen Holland und den Friefen hatte befonders den 
Bitalienbrüdern Gelegenheit verfchafft, nach ihrer Weile 
die Güter der verfihiedenen Kaufleute anzufallen und zu 
rauben, Deshalb boten die Hanfefladte ihre Vermitter 
füng zur Beylegung diefer Fehde an, und es gelang 
ihren Abgeordneten, wirklich einen Stillſtand zumege 
zu bringen, Aber von den Friefen verlangten fie nicht 
bloß, daß fie jene Seeräuber aus ihren Dienſten ent⸗ 
laffen, fondern auch, daß fie den von jenen verübten 
Schaden erfegen follten. Die, Triefen verfprachen, zu 
der iin Hamburg 1407 auf Pfingften angelegten Tag— 
fahre zu erfcbeinen, hieften aber niche Wort, und dehn 
tem die Unterhandlung Bis zu einer zu Amſterdam 


Befiegung der Dfifriefen, 1408. 255 


zu haltenden Zuſammenkunſt hinaus. Hier wurde ben 
fo viel vermittelt, daß die, Weſtfrieſen im Offer» und 
Weftergan dem Grafen Wilhelm, als ihrem Herrn, 
fich ergaben ; die Oſtfrieſen aber verſtatteten foremahrend . 
ben Vitalinern Herberge und Pflege und meigerten fich 
jedweder Erſtattung. Deshalb ruͤſteten die Hamburger 
einige. Kriegsichiffe aus, gingen nach Frießland und 
ſchlugen mehrere der machtigften. Edlen, den Enno von 
Norden, Hayke von Volradt, Hylt von Ofterhaufen, 
und. zerfiörten oder verbrannten ihre Schloͤſſer. Thätis 
gen Beyſtand leiſtete, feiner Zufage gemaß, der ‚oben 
genannte Kenne von Brofe, der auch zur Ber 
tung. mehrere der genommenen Schlöffer erhielt, dage- 
gen fich, den Städten verpflichten mußte, zwifchen der 
Ems und Wefer Feine Vitaliner zu dulden und in jedem 
benötheten Falle den Hanfen. und Hamburgern insber 
fondere feine Schloͤſſer und fein Gebier zu eröffnen, 
Diefer Vergleich wurde geichloffen 1408. Abgeordnete 
von Hamburg waren dabey der Bürgermeifter Buxte⸗ 
hude, und die Rathmanner Claus Schocke, Marquard 
‚Henningh ‚und Dierrich vamme Hagben, 

Naͤchſt den Niederlanden war England dag vor⸗ 
züglichfie Land, wohin weſtlich die Faufmannifchen Un— 
ternehmungen der Nieder » Deutfchen gerichter ‚waren, 
wohin befonders Hamburg. durch die Richtung feines 
Stromes angemwiefen. zu feyn ſchien. Die Lage diefeg. 
Eylands, deſſen Nähe an dem zeichen, betriebfamen 
Slandern , deffen-Befigungen in Frankreich, die einhei⸗ 

miſchen Erzeugniffe, an Wolle und Zinn, die Schiffs 
fahrtöbedürfniffe, welche nur aus dem Norden, durch 


256 Handelgverfehr der Hanfeftadte 


die Zwifchenhand der Deurfchen, geliefert werden konn 
ten, machten das Land für die Tegteren zu einem höchfk- 
wichtigen Handelsplatze. Einzelne Städte erwarben fich, 
nach Beduͤrfniß und Gunft der Umſtaͤnde, einzelne Pri- 
vilegien, wie auch Hamburg, zu verfihiedenen Zeiten, 
In London war das Gildehaus entfianden, wo alle 
deutſchen Landsleute nach und nach in eine Brüderfchaft 
fich vereinigten, um von dieſer gemeinfchaftlichen Nie 
derlage aus das Land zu durchkreuzen. Jene Handels- 
frepheiten, zuvor-den einzelnen deutfchen Städtegemein- 
den zugeftanden, wurden nach und nach von allen deut⸗ 
RA Raufleuten in Anfpruch genommen, je nachdem die 
Landsleute in die allgemeine Innung ald Mitglieder des 
deutſchen Gildehaufes aufgenommen worden waren. Da- 
ber fingen auch fehon im dreyzehnten Jahrhunderte die Koͤ⸗ 
nige von England an, den Kaufleuten auf der deutſchen 
Gildhall zu London als einer gemeinfchaftlichen Körper: 
fchaft gemeinfchaftfiche Freyheiten zu bewilligen. Ihr 
Umfang und ihre Ausdehnung vergröfferte fich mir der 
Zeit, Die Könige fahen in den reichen Zolleinfünften, 
welche der Verkehr der Fremden ihnen zubrachte, zu 
fehr ihren Vortheil und bedienten fich nicht felten wohl 
auch der Hülfe und Unterſtuͤtzung diefer Handelggefell- 
ſchaften zu ihren faft unaufbörlichen Kriegen gegen 
Sranfreih. Die’ Lords und die reichen Güterbefiger 
‚mußten gleichfalls diefen Verkehr" beguͤnſtigen, da fie 
durch denſelben die Erzeugniſſe ihrer Beſitzungen vor— 
theilhafter umſetzen konnten, als an die engliſchen 
Staͤdtebewohner, welche einen noch ſehr beſchraäͤnkten 
Marke‘ harten und jene Erzeugniſſe nur noch zu 


nach England, 257 


inlaͤndiſchem Bedarf verarbeiten konnten. Beſchraͤnkte 
Anſichten, Zunftgeiſt und Mangel an Kenntniß der 
Handelsverhaͤltniſſe hielt jetzt die Inwohner noch zurück 
von jenem freyen, unternehmenden Handelsverkehr, zu 
welchem fie ſich im Fortgange der Zeit emporgehoben 
haben. Die Aufzaͤhlung der verſchiedenen Freyheits— 
briefe, welche in faſt ununterbrochener Reihe von den 
Königen Englands den deutſchen Kaufleuten der Gilde: 
balfe ertbeift worden, von Eduard des I, Zeiten an, 
würde nur ermüdende Wiederholung feyn: Bon Ham: 
burg aus mar der Handel nach jenem Eylande ſo leb⸗ 
haft, daß ſich hier eine eigene Geſellſchaft der Eng— 


landsfahrer bildete, welche zu ihren Zufammenfünf: 


ten im Sabre 1378 ein befonderes Haus erfaufte, (die 
Obergeſellſchaft, im Gegenfag der Niedergefelfchaft, 
wie das niedriger gelegene Haus der Schonenfahrer ges 
nannt wurde,) das fich noch bis heut zu Tage erhalten 
bat. Aber um diefelbe Zeit fangen auch ſchon einzefne 
Spuren der Eiferfiicht fich zu zeigen an, mit welcher 
die Engländer diefen überwiegenden Handel der Seeffädte 
zu betrachten pflegten, der ihnen allen Vortheil aus den 
Händen winde und die beften "Kräfte des Landes ent: 
führe, Zwar beſtaͤtigte noch der Fraftige Eduard II, 
die alten den Hanfen verfiehenen Privilegien und Rechte, 
befonderd die groſſe harte von 1303, in welcher 
Eduard I, allen fremden Kaufleuten, „um diefelben 
ſich und feinem Reiche zu angenehmen Dienften ferner 
zu verbinden, 4 Freyheit und Schug für ihren Groß- 
* Handel in allen Theilen des Reichs verheiffen hatte: er 
verbot noch um Die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts 


17* Fr 


ws 


258 Handel nach England big 1400, 


feinen Unterthanen die Ausfuhr und verſtattete fie bloß 
den Fremden, weil feine Zölle fich beffer dabey befanz 
den: indeflen geftand er doch gegen das Ende feiner Regies 
tung den Englandern von der Stapelgefelliihaft, bie 
fich inzwifchen gebildet hatte, gleiche Freyheit der Aus⸗ 
fuhr jener rohen Erzeugniffe zu, wie die Fremden fie 
bejaßen, und eine andere inlaͤndiſche Kaufmannsgefell- 
fibaft, die von Thomas a Berker, vereinigte fich um 
diefe Zeit, fonft auch befanne unter dem Nahmen 
der Adventurirer oder wagenden Kaufleute, um nach 
ein paar Sahrhunderten der Schrecken und der Tod 
der Hanfe gu werden, Unter der Regierung König Rir 
ſchard des IL: Cfeit 1377) ſahen fich die deuefchen 
Kaufleute genöthiger, Klage zu führen uber neue Zölle 
und Eoftumen, über Schmalerung und Bersubung ihrer 
alten Privilegien, erhielten jedoch die Wiederbeſtaͤtigung 
derfefben mit verflarkten -Verficherungen. Diefelben 
wiederholte Richard's Nachfolger, Heinrich IV, (1399) 
aber gleich in den nachften Sahren verlautbarten bittere 
Klagen, daß die Hanfen in ihren Rechten gefranfe und 
feindfelig von den Englandern behandelt würden, Der 
Herzog von Burgund, den Englandern gram, hatte 
ſchon feinen und des Königes von Frankreich Beyſtand 
gegen dieſelben angeboten: indeffen Fam es zu Unter 
handlungen, durch welche der Streit gefchlichter wurde, 
Die Hamburger hatten ihren Schaden auf 2000 Nobel 
angefeßt, mwovon die Gejandten des Königs 1000 zur 
Bezahlung bemilligten, für 500 befferen Beweis vers 
langten und zu den übrigen 500 Beyſtand verfprachen, 
wenn bie Kläger diejenigen Perfonen, von welchen der 


zul 


Innere Berfaffung der Hanfe, 259 


Schade zugefüge worden, vor einem Gericht belangen 
wollten. s 

So meit giebt die allgemeine Gefchichte des Hanfer 
Bundes zugleich die Richtung und den Umfang zu ers 
kennen von dem Handel und Verkehr und der kaufmaͤn⸗ 
niſchen Thaͤtigkeit der Stadt Hamburg insbefondere, 
Der Bund felbft Hatte ſich mehr durch Zeit und ms 
fände gebildet, fo daß er eine fefte, genau berechnete 
Berfaffung, eine nach beffimmten Gefegen und Grunds 
formen geordnete Einrichtung weder damahls ſchon ers 
halten hatte, noch in der Folge je erhielt. Wechfels 
feitige8 Beduͤrfniß hatte die Genoffen einander nahe ges 
führe und vereiniger. Vertrauen bielt fie zuſammen, fo 
lange e8 von ihnen ſelbſt erhalten blieb, Die zu Feiner Zeit 
recht genau beſtimmte Anzahl der Stadte wurde damahls 
und am älteften in drey Drittel oder Kreife einges 
theilt, die der Lüb’fche, der Weſtphaͤliſche oder Coͤlni⸗ 
ſche und der Sachfifche oder überheitnifche genannt wur? 
ben: in der Folge gefchaben in diefer Eintheilung mans 
cherley Abanderungen und die Einrichtung in vier 
Quartiere. Zu den Dbliegenheiten des Bundes gehörte 
ohne Zweifel eine Art von Gerichtöverwaltung, wenn 
Streitigkeiten der einzelnen Glieder unter fich ober mit 
Fremden vorfamen, Als daher, bereits zum Anfange 
des vierzehnten Jahrhunderts, die Braunfchmweiger 
ihren alten Rath abgefege und eine Volfsregierung von 
Gildenausfchüffen angeordnet harten, ſchloſſen die Sees 
flädte, nach einer Thohopefate, die Braunfchweiger von 
allem Genuß und jeder Gemeinfchaft des Handels aus, 
bis fie ihre; alte Verfaſſung wieder hergeſtellt und der 





260 Beweiſe der Gerichtsbarkeit der Hanſe 


alten Obrigkeit wieder Gehorfam geleifter hatten. (Bi 
1318.) So ward damahls die Stadt in den Bund 
wieder aufgenommen, Aber im Jahre 1375 erhub fich 
der Aufruhr daſelbſt aufs Nette, und wilder, denn zuvor: 
Die Mitglieder des alten Rathes wurden zum Theil aus 
der Stadt gejagt, einige gar enthaupter, ihre Güter 
geplündert und ihre Freunde und Verwandte verfolgt 
oder gemißhandelt. Die Hanfe fprach demnach aber: 
mals den Bann über fie aus und ſelbſt die Fuͤrſprache 
des Kaifers bey feiner Anmefenheit zu Lüberf konnte fie 
nicht Davon befreyen, bis fie endlich 1381 nach öffenez 
lich geleifteter Abbitte und Unterwürfigfeie die Wieder 
aufnahme erlangten: doch hatten fie zugleich auch gelo- 
ben müffen, den Rath wieder „mit ordentlichen Rente: 
‚hirern und Kaufleuten“ zu beſetzen. Hamburg und 
Luͤbeck, zuletzt auch Bremen, waren beauftragt geweſen, 
die Unterhandlungen mit dieſen Aufruͤhrern zu fuͤhren 
und die Ordnung und Ruhe der Stade wieder herzu— 
ſtellen. | a ar 

So wie bier die Hanfen die unruhigen Bürger 
einer verbünderen Stade zu dem, was Neche und 
Bflichemaßigkeit erheifchen, durch Strenge und unpar- 
teyifches Urtheil zuruͤckgewieſen harten: fo Teifteren fie 
im anderen Fall eben fo Fraftigen Beyſtand, wenn wir 
derrechtlicher Druck auf ihre Genoffen gehäuft wurde, 
Dieß geſchah zu Lüneburg, welches die Herzoge 
Heinrich und Bernhard mit Harte und Feindfer 
figkeit behandelten, fo daß fie die Schiffe, welche mit 
Salz beladen, nach Hamburg fehifften, uͤberfielen und 
fonft alleriey Schaden verübten, Die Hamburger und 


PAAR 

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os 
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ausgeubt gegen Braunfchweig und für Lüneburg. 261 


Luͤbecker vereinigten fich daber mit ihren. Bundesge⸗ 
noffen, und die erſteren insbefondere, unter der Anfühs 
rung des Bürgermeifters Hoyer, belagerten 1396. dad 
feite Schloß Harburg mit groffen Nachdruck. Verrath 
jedoch oder Mißgeſchick nörhigte fie, ‚von der Belkürs 
mung abzulaffen, und um nicht . nach. unverrichteter 
Sache wieder zuruͤck zu kehren, zogen. fie. durch. die 
Luͤneburger Hayde, plünderten und verwüfteten Die her⸗ 
goglichen Dörfer und brachten reiche Beute davom, 
Daffelbe tbaten-auch die Lüneburger und die von Hans 
nover, welche mit ihnen gemeinfchaftliche. Sache mach» 
ten. Die Lüberfer hatten das Jahr zuvor mie groffen 
Koften einen Canal vom Möllner See bis nach Lauen- 
burg durch das Ausgraben dev Delvenau zu Stade 
gebracht, der für den Salzhandel von Lüneburg aus 
für fie von größter Wichtigkeit war. Jetzt verflopfte 
Herzog Heinrich den Ausflug der Delvenau und verfenkte 
groſſe Fahrzeuge mie Schutt und Gteinen. beladen, wo⸗ 
durch Die Anlage, wenn auch nicht unbrauchbar ges 
macht, doch in ihrer Vollendung „verzögert murde, 
Diefer Frevel erbisterte die Städte nur noch mehr und 
mit vereinten Kräften verſuchten fie daher die Belage⸗ 
rung des feſten Schloſſes Winſen an der Luͤhe. So 
von allen Seiten gedraͤngt und der Verheerung des 
Landes muͤde bequemte ſich endlich der Herzog, zue 

einen Waffenſtillſtand auf drey Jahre zu ſchließen, der 
aber 1397 in einen wirklichen Frieden verwandelt wurde. 
Der Herzog verpfaͤndete drey ſeiner Schloͤſſer mit den 
Weichbildern und Zubehoͤrungen, Ludershuſen den Luͤ⸗ 
beckern, den Luͤneburgern Harburg, und Hamburg 


% 


262 Verhaͤltniß der Stadt H, zu den 


Bleckede, und erhielt zum Pfandfchilling die Summe 
von 19200 Marf, nach oft gerühmter Bitte jener 
Jahrhunderte. 

Es iſt jetzt vonnöthen, daß wir einen Blick zuruͤck⸗ 
werfen auf die inneren Verhaͤltniſſe und Angelegenheiten 
und das buͤrgerliche Leben und Treiben der zu ſolcher 
Bedeutung und Macht emporgeſtiegenen Stadtgemeinde 
Hamburg. Je nachdem der Bereich der Wirkſamkeit und 
Thaͤtigkeit eines Körpers, einer Strahlenkugel gleich, die 
Durch das dichte Gewoͤlk hindurchbricht, immer mehr 
fich erweitert und ausdehnt, eben fo entwickelt fich auch im 
feinem eigentlichen Kerne das Gefühl der Kraft und 
des Lebens inerhöbeter Stärke, Demjenigen Verein iſt Ges 
deihen verhießen, wo durch folche Ausdehnung des Eins 
fluffes und der Thaͤtigkeit die Kraft nicht unzweckmaͤßig 
vereinzelt und abgeleitet, fondern durch meife Ber 
wendung und fparfame Haushaltung zum Wohl des 
Ganzen zur Keife gebrachte wird, Um die Weberficht 
ber Gefammeverhäliniffe deſto Teichter überfchauen zu 
fönnen, verfolgen wir juerff die Spuren, welche ung 
den Stand der Gemeinde zu Hamburg zu ihren bishes 
rigen Herren, den Grafen von Schauenburg und Hol - 
fein in einiges Liche fegen können, 

Es iſt ein zartes Verhaͤltniß und fruchtbar an 
Mißverſtaͤndniſſen und Verdruß erregenden Veruͤhrun— 
gen, wenn Herren ſich ihres Rechts und ihrer Vortheile 
durch die That begeben haben, den Nahmen aber und 
feine Bedeutung noch feſthalten wollen; die Befreyeten 
hingegen um fo aͤngſtlicher und treuer ob der Bewah— 
rung ihrer Vortheile wachen, je groͤſſere Mühe und 


Srafen, Schauenburgiſcher Zoll. 263 


Opfer es ihnen gekoſtet hatte, ſich dieſelben zu 
erwerben. In der That war Hamburg durch den 
groffen Freyheitsbrief 1292 fich der gefeglichen Gelbfts 
vegierung (Autonomie) übergeben worden: nichts deſto 
weniger betrachteten die Grafen von Holftein die Stade 
noch als ihr Angebör und fcheinen durch Famitienvers | 
träge ihre Anfprüche auf diefelbe bald fo, bald anders 
beſtimmt zu haben, Die Alfter ließen fie nach und nach 
fich abfaufen, wie oben erzahle worden iſt. Aber um 
dieferbe Zeit, etwa im Jahre 1305 legte der Graf 
Heinrich einen Zoll zu Hamburg an, womit er zwar 
in fofern den Vorrechten der Stade nicht zu begegnen 
glaubte, als diefer Zoll bloß von Gütern der Fremden 
und Auswärtigen erlegt werden follte: allein die Ham⸗ 
burger, nach dem Grundfag, daß jedwede Befchwerder 
die den Handel treffe, mißlich und bedenklich fey, weit 
demnach die Kaufleute den Dre vermeiden würden, der 
mit fo vielen Auflagen belaftee ſey, ſtraͤubten fich nach 
Kräften gegen diefe Einrichtung, erlangten aber nur fo 
viel, daß die Stade ſelbſt ald Theilnehmerin an dem 
neuen Zolle zugelafien wurbe, Dieß iſt der Urfprung des 
Schauenburgiſchen Zolles in Hamburg, welcher 
in der Folge zu noch manchen Mißhelligkeiten Veran— 
laffung gegeben hat: Gemeinfchafe ift gewöhnlich eine 
fruchtbare Mutter von Zänfereyen. Graf Adolph 
(Gerhard des I. Sohn) verfchrieb im Jahre 1307 feinen 
Ancheil an dem Einfommen dieſes Zoles feiner Ges 
mahlin Helena ald Leibgedinge, und beyde gräflüche 
Brüder, Adolph und Gerhard II, verfegten die 
ganze ihnen zugehörige Halfte einem Lübesfifchen Bürger, 


® 


264 Die Grafen von Holfkein verkaufen 


Nahmens Coſtin, für 800 Mark Silbers, bis zu deffen 
Wiedereinlöfung. Die unaufbörliche Geldnoth zwang 
die Herren, zu entäuffern, was fie irgend losſchlagen 
fonnten, Sogar ihre Mühleneinfünfte verkauften: fie 
an hamburgiiche Bürger, je nachdem fie Abnehmer 
fanden, 1321, 23/ 250. f, m 

Einen Beweiß fehr gunftvoller Geſinnung gegen 
die Stadt gaben die Grafen Gerhard, Johann und 
Adolph, daß fie im Jahre 1325  derfelben die Muͤnz⸗ 
ffarte mir allen Münggerechtigkeiten ers und eigenthuͤm⸗ 
lich verkauften und feyerlich aberaten, Zwar hatte die 
Stadt bereitg feit den früheften Zeiten eine Münze, mie 
ans dem alten Freyheitsbriefe des Kaiſers Friedrich L 
vom Jahre 1189 erhellee, in welchem geſtattet wird, 
daf, wenn einer Geld in der Stadt verwechſeln wollte, 
es ihm frey ſtehen möge aller Orten, auſſer vor dem 
Muͤnzhauſe. Die Muͤnze ſelbſt aber war ein Eigenthum 
der holſteiniſchen Grafen, das fie jetzt erſt an vie Stadt 
Hamburg kaͤuflich uͤbertrugen. Die Urkunde beſagt aus: 
druͤcklich: daß der Rath und die Bürger zu Hamburg 
die Muͤnzſtaͤtte hinführo zu ewigen Zeiten, ohne einigen 
MWiderfpruch oder Beeintrachtigung fo wenig von Sei⸗ 
ten der Grafen, als ihrer Erben, ruhig und friedlich 
befigen follen: fie ertheilen ihnen. vollfommene Macht 
und Gewalt, wann und fo oft fie wollten, Münzen zu 
fchlagen und zu mehren; und fegen als ein immerwaͤh⸗ 
rendes und unwiderrufliches Geſetz fell und verordnen, 
daß in ihrem ganzen Lande und in allen ihren Gebieten 
feiner irgendwo anders, denn im Hamburg, Münzen 
prägen oder durch. einen anderen prägen faffen dürfe 


die Muͤnzgerechtigkeit an die Stadt, 1325 ff. 265 


Die Urkunde enthält noch die befondere Vorſorge für 
die umveranderte Beybehaltung des derzeitigen guten 
uͤblichen Münzfuffes: daß die Mark Pfenninge oder 
Schillinge (d. h. Scheidemünge, von ſtillen, theilen, 
ſcheiden) (Marca Denariorum) auf ein halbes Vierthel 
in der Reinheit des Silbers und am Gewicht auf 
vierzig Solidos und auf 16 oder 18 Denarios betragen 
ſollte. Eine Mark Pfenninge war von einer Marf 
Silbers ſo unterſchieden, daß funfzehn der erſteren auf 
Eine der letzteren gingen. Fuͤr 30 Mark Pfenninge 
kaufte man damahls mehr als Eine ganze Hufe. Da 
indeſſen die Pfenninge (Denare) eine zu große Scheider 
muͤnze waren, fingen die Hamburger um 1336 an, eine 
Eleinere zu fihlagen, fogenannte Blech: oder Hohl⸗ 
Münzen (bracteati), deren vier auf Einen Schilfing - 
gerechnet und die ni auch Vierlinge genannt wurdeng 

Die Einführung diefer Bierlinge erregte bey der Elerifey 
befonders lauten Widerfpruch, welche füch über dadurch ent: 
ſtehende Schmälerung ihrer Einkünfte beſchwerte: dieje⸗ 
nigen, die bisher Schillinge zum Opfer zu bringen ges 
wohnt gewefen, würden fich in Zukunft auf Vierlinge 
befchränfen ! eine Klage, zu der fie wohl Grund haben 
mochten. "Welchen Eindruck: der Befehl des Erzbiſchofs 
Burchard von Bremen von demfelden Jahre 1336, daß 
die bamburgifche Cleriſey der Darbringung diefer klei⸗ 
nen Blechmuͤnzen fich miderfegen folle, hervorgebracht 
babe, ift nicht bekannt: wohl aber, daß Hamburg fortwahs 
rend fich feines Muͤnzrechtes bedient, bald mit Lübeck, 
bald mie anderen Hanfefladten, wie 1403 mit Luͤbeck, 
Roſtock, Stralfund, Wißmar und Lüneburg Vereinba— 


66  Mißhelligkeiten zwiſchen der Stadt 


rungen getroffen zur Berichtigung und Verbefferung des 
- Münzfuffes, und den Ruhm eines rechten und- richtigen 
Gepraͤges zu allen Zeiten fich erhalten habe, 

Wie jedoch bald nachher das Verhältnif der Stadt 
Hamburg gegen die Grafen von Holftein und Stormarn in 
eine mißhellige Spannung ausgeartet fey, ift ſchon aus 
dem Klar, was bereit oben von dem Antheil erzählt 
worden ift, welchen jene an den Befehdungen und 
Plackereyen der holfkeinifchen Adlichen zu nehmen Fein 
Bedenken trugen. Als nachmald Cart IV, zur römie 
ſchen Kaiſerwuͤrde gelangte, der mehr auf die Vergroͤſſe— 
rung feines Erbreiches Böhmen, als für das Wohl 
des Geſammtreiches ‚bedacht war und mie den Ländern 
und Rechten der Fleineren deutſchen Staaten einen uns 
ruͤhmlichen Handel trieb, * die Grafen, der 
wecste Zeitpunkt fen gekommen, die alten, an Hamburg 
verkauften Rechte wieder zu erobern. Der Kaiſer hatte 
der Stadt noch im Jahre 1359 von Prag aus den 
friiher erwaͤhnten Auftrag und Befehl ertheilt, die 
See⸗ und Straßenräuber aufzufuchen, zu verfolgen und 
gebührend zu beſtrafen. Aber Graf Adolph von Hol 
fein, Johann des Milden Sohn, ruͤckte bald darauf, 
ums Jahr 1363 nit der Klage hervor, daß die Stadt 
nicht die gehörige Unterwuͤrſigkeit beweiſen wolle, Die 
Unterſuchung diefer Befchwerden wurde vom Kaiſer 
dem Herzoge Albrecht von Mecklenburg aufgetragen, 
groß der Einfprache der Hamburger, daß Albrecht ein 
fchmwiegerlicher Verwandter des Grafen uud ein verdaͤch⸗ 
tiger Richter fey, der von feiner Abneigung gegen die 
Stade auch ſonſt fihon Beweiſe gegeben habe, Da 


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und den Grafen von Holftein, 267 


eine freundfchaftliche Verhandlung, welche die Stadt 
anbot ; nicht angenommen wurde, fuchte man der rich» 
terlichen Entſcheidung dadurch auszumeichen, daß auf 
die gerichtliche Borladung Fein Abgeordnerer ſich ſtellte · 
Diefes vorfeglichen Ausbleibens willen fiel der Befcheid, 
erflärbarer Weile, gegen die Stadt aus, die Hamburs 
ger wurden ihrer Rechte für verluftig, fie alle für einen 
und einer für alle fachbfallig erkläre, und nur die Ers 
ſtattung der Koften aus bewegenden Urfachen erlaffen, 
Indeſſen ließ ſich Graf Adolph ſchon im nächften 
Jahre 1364 billiger finden; in einem Vertrage vom 
18. Auguft wegen „verſchiedener Schalinge und Unwil⸗ 
len“ beftätigte er die früheren Vorrechte und Freyhei— 
ten, verfprach die Stadt zu ſchuͤtzen und zu vertheidis 
gen, fo oft es erforderlich ſey, und erhielt dagegen 
von Seiten diefer das Angelöbniß zu gerreuer Leiſtung 
deffen, was fie ihm fihuldig ſey. Kaifer Carl IV. 
erwieß der Stadt feine befondere Gnade noch dadurch, 
daß er im Jahre 1365, nachdem er erwogen „des 
heiligen Deutſchlands und deffen Einwohner gejegneten 
Neberfluß, insbefondere daß der Fluß, Albin genannt, 
(Elbe) aus unferem Königreich Böhmen fließend, ge« 
ſchickt und fiarf genug, Waaren auf derfelben hin und 
wieder zu verfahren, vielen berumliegenden Dertern 
Nutzen und Genuß bringen könne‘, derfelben ein 
groffes Privilegium ertheilte, alljaͤhrlich zwey Wochen 
vor und acht Tage nach Pfingften einen Jahrmarkt 
halten zu dürfen: eine Gnade, von welcher in ihrer 
Ausdehnung Gebrauch zu machen die Stade nicht für 
gut gefunden hat. Ihr Markepfag war nicht auf ap 
Ningmauern eingefchrants, 


* 


* 


268 Mißhelligkeiten zwiſchen der Stadt 


Im Jahre 1368 kam Kaiſer Carl IV, nach Tan: 
germäünde, um daſelbſt mir dem Markgrafen Otto wegen 
der Mark Brandenburg, die er an fein Haug zu brin— 
gen wünfchte, zu unterbandeln, Nach einer alten Nach: 
richt follen damahls die Grafen von Holfkein, Heinrich, 
Nicolaus, Adolph und Otto ſelbſt dahin gereifer 
fepyn, um die alten, an Hamburg verfauften oder ſonſt 
durch Vertrag an die Stadt abgerretenen Rechte durch 

den Kaiſer wieder zuruͤck zu erlangen. Carl, welcher 
folche Streitigkeiten nicht ungerne ſah, fol der Stadt 
haben zu erkennen geben Taffen, daß fie fich genau den 
Befehlen der Grafen zu fügen habe, widrigenfalls er 
den letzteren ſelbſt Beyſtand leiſten wirde; übrigens 
follten alfe ihre Rechte, Privilegien und Freyheiten 
ihr ungekraͤnkt verbleiben, Die Grafen, welche wohl 
ſelbſt fühlten, daß durch einen ſo zweydeutigen Beſcheid 
ihnen keine einmal von ihnen veraͤuſſerten Grundſtuüͤcke 
wieder zufallen würden, beſtaͤtigten Lieber aufs Neue der 
Stadt die valten Rechte und Beſitzungen und: waren 
zufrieden, daß ihnen von derfelben die Koſten zu ihrer 
Reiſe vergüter wurden, NS Zeugen diefer Beſtaͤtigung 
‚werden genannt Bertram Horborg und Heinrich Hoyer, 
Bürgermeifter des Jahres 1368. Dieſelbe Erzählung 
verfegen jedoch andere in dag Jahr 1375, als der Kaiſer 
Cart die Stade Lirbe cf unvermuthet mit feinem Be 
Suche beehrte, da er nach einer niche unwahrſcheinlichen 
Vermuthung mit dem Plane umging, die Handlung 
zwiſchen Böhmen und den Hanzeffädten emporzubringen 
und durch Schiffbarmachung der Mulde eine Schifffahrt: 
aus Maͤhren und Böhmen bis nach der Wieder Elbe 


und dem Grafen von Holſtein — bis 1375. 269 


anzulegen: wohin auch fibon der 1365 den Hamburgern 
ertbeilte Auftrag, die Elbfahre: von’ Raubern zu reis 
nigen, mit zu deuten ſcheint. Nach Luͤbeck begaben fich 
damahls auch die holſteiniſchen Grafen, wie es heißt, 
um ihre alten Beſchwerden gegen die Stadt, die doch auf 
der Grafen Grund und Böden liege und ſich ihrer Herr⸗ 
ſchaft entziehe, bey dem Kaiſer anzubringen. Als die 
Abgeordneten von Hamburg mit jener doppelſinnigen Ant⸗ 
wort des Kaiſers nach Haufe kamen, ſetzt dieſelbe Erzaͤh⸗ 
lung hinzu, ſtuͤrzten die Einwohner, unwillig uͤber ein 
Reichsoberhaupt, Das die Gerechtſame der Mindermaͤch⸗ 
tigen zu beſchuͤtzen, nicht ſie zu veraͤuſſern da ſey, die 
Rolandsſaͤule, das Zeichen ihrer Unabhaͤngigkeit und 
des kaiſerlichen Schutzes zugleich, von der nahen 
Brücke ins Waſſer: die Bruͤcke führe auch noch heutigen 
Tages den Nahmen der Rolandsbräde, Auffallend bleibt 
der Widerfpruch in den, Jahren ſowohl als in dem Orte 
der Ausfereigung,- fo oft von dieſem kaiferlichen Befehle 
die Rede ift, indem bald Tangermünde, Bald Luͤbeck, bald 
1369, bald 1375 genannt werden, ı Des Kaiſers Ber 
mühungen in Lübeck, feinen Erblandern eine beffere Hand 
ungsverbindung zw verſchaffen, vielleicht ; wenn dag 
Gluͤck ihm wohlgewollt, fi zum Haupte des hanſeati⸗ 
fchen Bundes zumachen, blieben gleichwohl ohne Erfolg: 
die Luͤbecker lehnten feine Gefuchg in Demuth ab, bemüh- 
ten füch, den "hohen Gaft mit reicher Bewirthung in guter 
Laune zu erhalten, und Tieffen ihm zur böchften Ehre 
das Thor auf ewig zumauerm, aus welchem er feinen 
Abzug hielt, damit Fein Unbheiliger je wieder die Stelle 
berrete, welche des Kaifers Fuß bier berührt harte, In 


270 Mißhelligkeiten zwiſchen der Stadt 


Hamburg fanden keine weiteren Verſuche ſtatt, durch 
welche die Grafen die Rechte der Stadt zu kraͤnken 
ſich haͤtten geluͤſten laſſen. 

Nicht ſo leicht konnte der Widerwille, der swifchen 
der Stadt und der in ihren Anmaßungen immer mehr 
zunehmenden Cleriſey fortlebte, gaͤnzlich beſchwich⸗ 
tiger werben, Den geiſtlichen Waffen waren die Laien 
noch nicht gewachfen und nur mit Klugheit konnte ges 
gen diefelben gefampft werden, zumal da die Grafen 
von Holftein felbft es. ihrem Vortheil angemeffer fans 
den, die Erhaltung der Vorrechte des Stiftes fich be 
ſonders angelegen feyn zu laſſen. Zu einem argerlichen 
Ausbruch Fam die. Spannung gegen das Jahr 1335, 
da die Geiftlichfeit fiih anmaßte, gegen der weltlichen 
Obrigkeit Rechte den Ehebruch zu beftrafen und anderer. 
Freyheiten ſich zu bedienen, welche nur. den Bürgern 
und den Vorſtehern der. Bürgerfchaft zuzukommen ſchie⸗ 
nen. Sm Unwillen hatten eiliche Bürger ſogar Hand 
an einige Geifktichen gelegt: alfo daß das Capitul den 
Bann ausfprach über den Rath und. die Bürgerfchaft, 
die Ausübung aller gottesdienſtlichen Handlungen unters 
fagte, und die Stade. verließ, Nur die Franzifker. 
ner: Mönche in Marien: Magdalenen wagten es, 
trotz der Gebote des Stiftes in der Stadt zu bleiben 
und hielten ihren Gottesdienſt, nach, wie vor. nz 
zwifchen wurden pabftliche Bevollmachtigte ernannt, Die 
Streitigkeit zu unterſuchen, und unter Vermittelung des 
Erzbilchof3 von Bremen, Burkhard, fam 1337 ein 
Bergleich zu Stande, der vorlaufig den Frieden eins 
leiten ſollte. Unter mehreren Vergleiche + Bedingungen 


und dem Dom ⸗Capitul. 271 


find einige der Auszeichnung wirdig: „Wenn der Got- 
tesdienft in der Stade Hamburg aufgehoben fey, wolle 
man Feine Todten weder in den Pfarrkirchen noch aufderen 
Höfen einzufcharren verffatten, ‚auch Feine Glocken, die 
einzige Geigergloste ausgenommen, welche die Stunden 
anzeige, laͤuten laffen. Es wurde alfo die Recht 
mäßigkeit des Kirchenbannes im Voraus ald gültig an 
die Spige geſtellt. Ferner: „Es ſolle den Geiſtlichen 
ungehindert frey ſtehen, ihre in der Stade belegenen 
Erbgüter, gleich den Bürgern, zu verkaufen, zu ver—⸗ 
pfanden oder loszuſchlagen; auch ſich Haufer und Er 
ben anzufchaffen, wenn fie nur auf eines Bürgers Nah: 
men, der für Schoß und Gebühren hafte, geſchrieben 
winden, Man wolle nicht mehr verſtatten, daß die 
Kramer und andere Handelsleute in den Kirchen und 
der St, Annen-Eapelle Cim Schappen-Dom) ihre Waaren 
feil bieten, Keiner der Domberren, noch fonft jemand, 
follte ſich unterfangen, auf den Kirchhöfen, oder fonft 
in der Stadt, Kalk zu brennen. Capitul will für 
tüchtige Paftoren und Capellane, der Scholaſticus 
für gelehrte und geſchickte Rectoren forgen, mit dem 
gebräuchlichen Schulgelde zufrieden ſeyn und darin Feine 
Erhöhung oder Neuerung vornehmen, u, ſ. w, 

‚Die vorgebrachten Bedingungen und die ganze Bey: 
legung des Zwiſtes erfehienen der Gemeinde der Stadt 
fo unleidlich, dag man fih an ihre Gültigkeit nicht 
gebunden glaubte und die gegenfeitige Anfeindung um 
fo teidenfchaftlisher fortdauerte. Während das Capitul 
ſich aus der Stade begeben hatte, waren die Pfaffen, 
dem Müffiggange noch mehr hingegeben, in allerley 

18 


272 Streitigkeiten zwifcben der Stadt 


Berwilderung ausgearter, melche befonderd anftößig 
wurde, als fie nach dem erwähnten Zergleiche zum 
Theil zurüskgefehre waren und ihre Meffen im Chore 
wieter begonnen hatten, Der Erzbifhof von Bremen 
fand bey feiner, um diefe Zeit in Hamburg gehaltenen 
Kirchenunterfuchung die Ausartung fo groß, daß er fich 
bewogen fand, im Sahre 1339 einen in dem gefchärfte: 
fien Ausdrücken abgefaßten Befehl an das hiefige Ca- 
pitul ergeben zu Taffen, im welchem ein jeder in Kraft 
des heiligen Gehorfams zur Beobathrung feiner Amts: 
pflichten angewiefen und die gewiffenhaftefte und getreuefte 
Kirchenzucht geboten wurde, Weber die Einzelheiten des 
Zwiſtes, der zmwifchen beyben Parteyen, Geiftlichkeit 
und weltlicher Gemeinde, fortdauerte, find wir nicht 
genau unterrichter, verlieren aber nur wenig an diefem 
Mangel. Daß der Bann feit 1335 achtzehn Sabre 
hindurch gedauert habe, fagen fpatere Nachrichten: doch 
ift die Ausſage wohl dahin zu befchranfen, daß er in 
feiner Strenge nicht anhaltend ausgeibe worden fey. 
Unffreitig befand fih das Dom⸗Capitul bey diefer gan 
‚zen Mißheligkeie im gröfferen Nachtheile; dieß ergiebt 
fich, neben anderem, aus den mit Aengſtlichkeit berechne- 
ten Verluſten, welche bis zum Sabre 1343, den Sche- 
den abgerechnet, der durch Plünderung der Eapituls- 
Dörfer entffanden war, mit größter Genauigfeit über: 
liefert worden find: 2500 Gulden für den Prozeß bey'm 
päbfklichen Hefe, 2000 Gulden für die gu Bremen und 
Lüberk gehaltenen Zuſammenkuͤnfte, 1250 Mark Verluſt 
an DOpfergeldern in den Pfarrkirchen während der Zeit 
des Bannes, auch 400 Mark für zerfallene Domberren- 


und den Dom⸗Capitul, 1335—1354. 273 


Höfe u, dal. Die Stade mußte natürlich die Schuld 
aller diefer Vorwürfe tragen, und es darf nicht befrem- 
den, wenn ein alter Chronikenſchreiber, geifflichen 
Standes, fich bitter auffere: es hatten die Bürger, die 
gewappnet aus der Stade gegogen, ber Geiftlichen Höfe 
und Güter fpofirt und verbrannt und den Raub in die 
Stadt zurückgebracht. Einer gereisten Empfindlichkeit 
find ſolche Ausfälle ſchon zu verzeihen. 

Eine Verordnung des Erzbifchofs von Bremen vom 
Jahre 1352, daß die durch Blutvergieſſen entheifigten 
Doms und Peters⸗Kirchen nebft ihren Altären wiederum 
geweihet werden möchten, laͤßt fogar vermurhen, daß 
e8 während biefer Zeit an heiliger Stätte zu ärger: 
lichen Auftritten gefommen fey. Se langer inbeffen 
der Zwiſt dauerse, je mehr Bannbullen geſchleudert 
wurden, fogar päbfkliche, (vom Jahre 1349) deſto 
hartnaͤckiger beharrten die Bürger auf ihren Anforde 
rungen, um fo mehr, da diefelben rechtlich Begründer 
fehienen, Schon in dem alten Stadebuch von 1277 war 
verordnet, daß Fein Mönch, der bey mündigen Jahren 
in den Drden getreten, zu erben berechtiger ſey; in 
demfelden werden die Pfaffen den Unmuͤndigen beyge 
zaͤhlt, die ohne Vormund vor Gericht nicht handeln 
koͤnnten: Beſtimmungen, welche man aufzugeben ſich 
weigerte. Das Capitul nahm endlich ſogar zum Kai 
fer Earl IV, feine Zuflucht und erhielt von demſelben 
ein Schreiben, 1354, in weichen König Waldemar 
von Danemarf, mehrere Fürften und Herren Nieder: 
fachiens, fo wie die Bifchöfe vom Bremen und Magde— 
burg aufgefobere wurden, von der Sache Errundigung 

168* 


* 4 , 
* 


274 Vertrag mit dem Capitul, 1355. 


einzuziehen und die Stadt zur Aufhebung ſo beſchwer— 
licher Statuten und zu billiger Genugthuung nachdruͤck— 
lich anzuhalten. Auffer dem nahm der Kaifer die ganze 
Geiftlichkeit, noch befonders in feinen Schuß. Da gleich- 
wohl die Stadt der Sache wenig achtete und ‚mit ihren 
Minoriten » Brüdern, welche ungeflört den Gottesdienſt 
fort beforgten, ficb wohl begnügte, fürchtere die Geift- 
lichkeit, durch noch längere Abfonderung in noch gröf- 
fere Verlufte zu kommen. So fügte fie fich denn end» 
lich im Jahre 1355 (den 5. Auguſt) ın einen Vergleich, 
in melchem ſich beyde Theile einander zufagten, den 
Argwohn ſchwinden zu laſſen, in ihren Freyheiten und 
Gerechtfamen fich niche „binderlich zu feyn und fernere 
Irrungen durch Güte beyjulegen, Als eine befondere 
Verguͤnſtigung wollte das Capitul die gegen die Stadt 


| erhaltenen und nusgebrachten Bullen, Briefe und Ur: 


theilfprüche niemals zu einigem Nachtheil der Stadt 
anführen, ſondern hiemit ganzlich aufheben, vernichten 
und verwerfen. So wurde endlich ber Bann gelöfet, 
die Stiftsherren Fehrten in die Stadt zurück, und das 
gute Vernehmen [aien, vor der Hand wieder hergeſtellt 
zu ſeyn. | 

Was die — kkirchlichen Angelegenheiten in 
diefem Zeitabſchnitte anberrifft, fo iſt einerſeits der 
fromme Sinn der Hamburger achtungswereb, der fich 
darin bewieß, daß fie alle Anftalten, welche irgend den 
Nahmen des Heiligen und Chriftlichen an ſich trugen, 
nach Kräften zu befoͤrdern und zu erweitern ‚bemüht 
waren: auf der anderen Seite darf e8 uns nicht befrems 
den, wenn wir das Chriſtenthum ſelbſt in jener 


Kirchfiche Anſtalten und Gebäute. 275. 


Ausartung auch bier! erbfichen, die es bis in dieſes 
Jahrhundert durch die Selbſtſucht und Willkuhr der 
herrſchenden Cleriſey erhalten hatte. Bon dem inneren 
Berfall der geiſtlichen Zucht und Ordnung giebt unter 
andern die ſtrenge Verordnung des Dechanten Johannes 
Zeugniß, vom Jahre 1324, in welcher die Chorherren 
und Geiſtlichen mit Androhung der ſchaͤrfſten Strafen 
zu ihrer Pflicht und zu forgfältiger Verrichtung der 
gottesdienſtlichen Handlungen angewieſen merden, Nicht 
minder ffrenge waren die Befehle der bremiſchen Bi⸗ 
ſchoͤfe an das Capitul, gleichen Inhalts, Don den 
geiſtlichen Gebaͤuden war das Kloſter zu St. J oban- 
nis ein Raub der großen Feuersbrunft geworden, 
welche die Stadt’ im Jahre 1281 heimgeſucht hatte. 
BIS zum Fahre‘ 1314 war ber Wiederaufbau deffeike 
vollendet, wozu auch der Rath 400 Mark Luͤb. beyge⸗ 
ſteuert hatte und es wurde zwiſchen dem Nath und den 
Predigermoͤnchen über bie Grenzen des Kloſters und 
deffen Einvicbeung ein befonderer Vergleich 'gefchloffen. 
Nach diefem murde den Mönchen insbefondere erfaußt, 
eine Mauer aufzuführen, welche vom Kuͤterhauſe (de- 
mus camificum) big zur Gerberſtraße hin fich erffrectte, 
In demſelben Jahre wurde auch zu Marien Magdalenen 
die Aufführung einer Maier . vom hoͤlzernen Schutz⸗ 
fhurme bey der Alſter an (dem blauen Thurme) big. sum 
Gerbergang (Stavenpforte) fo wie den Mönchen eine Er, 
weiterung ihres Schlafſaales und dgl. geſtattet. Auch die 
Wedeme oder das Paſtorenhaus zu St. Petri wurde 
1314 erbauet. Zum Thurme su St. Petri wurde im Jahre 
1342 der Grund gelegt: alſo ſelbſt während der Zeit, 


% 





276 Aufbau der Kirchen, Thuͤrme, 


als von der Geifklichfeit der Bann über die Stadt aus— 
gefprochen worden war, Kür biefen Thurm wurde 
1384 bie groſſe Glocke gegoffen, von bem Glockenmeiſter 


 Dierich aus Münfter. Auch die St. Jacobi-Ra 


pelle war in diefer Zeit, da die Anfiedelung in der Um— 
gegend fo ſchnell anwuchs, zu einem gröfferen Gottes— 
haus erweitert worden, und, den Kirchenbau zu beför: 
dern, ertheilte der Pabft Innocentius VI. von Avignon 
aus 1354 und 1356 Ablaßbriefe, vermöge deren ns 
halt ein jeder, ber die Kirche befuchen, Wallfahrten 
dahin anfkellen , Dieffen und Predigten hören, gottes⸗ 
dienſtliche Umgaͤnge halten, zum Begraͤbniß der Armen 
und Waiſen beyſteuern, dem Leibe Chriſti und dem 
heil. Oele, wenn es herumgetragen wuͤrde, nachfolgen 
und uͤberhaupt zum Bau der Kirche mildthaͤtig beytra⸗ 
gen wolle, jedesmal auf vierzehn Tage Ablaß erhalten 
mwürbe. Um bie Auswirkung diefed Ablaßbriefes harte 
ſich befonderd der damalige Bürgermeifter, Heinrich 
von Bergen, fehr verdient gemacht, „ein berühm- 
ter und hochangefehener Mann‘, wie er in der Beſtaͤti⸗ 
gungs⸗ und Ermweiterungs- Bulle des Erzbiſchofs Gott 
fried zu Bremen genannt wird, Dieß von Bergen’ 
fche Geſchlecht war eines der ebelffen in Hamburg, und 
aus ihm waren zwifchen ben Jahren 1274 bis 1470 
viele verdiente Bürgermeifler und Rathsherren genom- 
men worden: alte Heberlieferungen fagen, daß es 1470 
mit dem Senator Johann von Bergen ausgeſtor— 
ben und mit ihm Schild und Helm ind Grab gelegt wor⸗ 
den fey: doch Elagen dieſelben Die Stadt zugleich des Un⸗ 
danfs an, daß fie die Wegraumung ber Denfmahler 


Capellen und dgl. in Hamburg. 77 


diefes bochangefebenen Gefchlechts geſtattet babe, An 
der Jacobi⸗Kirche foll der ganze öftriche Theil mit Ir: 
begriff des Chores auf Unkoſten derer von Bergen er— 
bauer worden ſeyn. Bid zum Jahre 1397 erhielt fe 
auch ein kleines, ſpitziges Thürmchen mir einer Glocke 
zum Lauten, Die Grundlage zw einem Thurmbau an 
St. Nicolai wird in dad Jahr 1384 gefegt. Zu den 
kleineren Capellen kam im Jahre 1372 die Erweiterung 
der fogenannten Scharpforte zu der Kapelle te 
den Schare, (Schare iſt Strand,) zur Bequemlich⸗ 
lichkeit der Pilgrime, die aber weder geweihet noch 
dem Gottesdienſt gewidmet wurde. Im Jahre 1398 
aber ward der Grund zur St. Gertruden-Kapelle 
gelegt, deren Einfünfte zum Theil mie zum Ausbau der 
Kacobi = Kirche verwandte werben ſollten. 

Zwiſchen dem Rath und der Bürgerfchaft beftand b 
Tange ein friedliches Familien » Berhälenif, als gleiches 
Beduͤrfniß, fich gegen die Anfälle aͤuſſerer Feinde zu 
ſchuͤtzen, fie zu Einem Zwecke vereinte und Bilfigfeit ih 
Handhabung der Gefeße, welche kuͤnſtliche Formen vor: 
meider, und eine gewiffe Gleichheit Feine Abſonderung 
entftehen ließ, Berfehiedene Urfachen wirkten nachund nach 
zuſammen, daß diefes einfache Verhaͤltniß geftöre wurde 
und gegenfeitig Mißtrauen fich entfaltere, nach gemöhnti- 
chem Gange der Menfchenbildung, die fich nicht begnügt, 
bey dem Einfacheren zu bebarren, fondern allmaͤhlig in 
die Gahrumg der Leidenfchaftlichfeie uͤbergeht, aus wel⸗ 
er fich der gelaͤuterte Stoff zum Beſſeren ausfcheiden 
nnd geftalten muß. Auf diefem Wege der inneren 
Gährung har ſich die Verfafung Hamburgs gebildet, 


278 Urfachen der Unruhen in den 


ein Kind der Zeit und ber Erfahrung, mithin auf 
feffen Grund gebauet, Das viersehnte Jahrhundert 
gab den in ihrer Stadt unabhangig gewordenen Ham: 
burgern, deren Gewerbe und Verkehr immer vafcher 
emporblühte, vielfache Beſchaͤftigung mit: Befehdung 
und Bertilgung der Geeräuber und der adlichen Freyr 
beuter. Ihre Flossen fiegten, ihre Landfrieger fochten 
unter den Befehlen der Bürgermeifter und Rathmaͤnner, 
deren Anfehen dadurch nothwendig erhoͤhet werben 
mußte, AS der Handel nach Auffen bin fich erweiterte 
und. durch. die Hanfe Verbindungen mit auswärtigen 
Regierungen. angefnüpft, Unterhandlungen theils auf 
den. Hanfetagen, theils an fremden. Höfen gepflogen 
wurden, als auch in den Staͤdten durch Vermehrung 
der Bedürfniffe das Eigenthum mannichfaltiger,- die 
Rechtshaͤndel verwickelter wurden: begab es ſich, daß 
vorzüglich nur ſolche zu Rathsherren erhoben werben 
Eonnten, welche fo ‚gewichtigen Anfoderungen aͤuſſeren 
Anſehens zugleich, als. erhoͤheteren Wohlſtandes und 
vorzüglicherer Kenntniffe entſprachen. Dieß war. in 
mehreren. Städten Beranlaffung, daß eine Art von 
ariſtokratiſcher Regierung ſich bildete „und gewiſſe Ges 
fchlechter. in den ausfihließenden Beſitz der höheren 
Würden und, Aemter des Staates ſich zu „verfegen 
wußten, — jemehr dieſe Urſach fanden, gegen den 
bald verſtaͤndigen, bald unbeſonnenen Widerſpruch der 
Buͤrger und Gildevorſteher zueinander zu halten, deſto 
gröſſer ward die Kluft, die fich zwiſchen dem beyder⸗ 
ſeitigen Vertrauen befeſtigte. Die hier mehr dort mer 
niger haͤufigen Fehden, in welche die Staͤdte verwickelt 


Städten des Hanfebundes, 279 


wurden, die ausgedehnten Verbindungen, die neuen Anz 
lagen und Bauten ‚der Prunk und Aufwand, den die 
Vorſteher zu machen nicht umhin fonnten, "die viel 
fachen Reifen und Tagegelder zu "den Verſamm⸗ 
lungstagen vermehrten die Ausgaben, und machten 
gröffere Auflagen nöchig, welche” empfindlich auf die 
mindere, gewerberreibende Abtheilung der Bürger fielen, 
Daher finden wir in der Mitte des wierzehnten Jahr— 
hunderts faſt im allen bedeutenden Staͤdten Unruhen 
und Auffiande, überall dieſelben Erfebeinungen, nicht 
durch Verbindung und geheime Verabredung entikanden, 
fondern weil gleiches Gefühl des Unrechts und der Bes 
nacheheiligung überall gleiche Aeufferuingen zum Vor⸗ 
fihein brachte. Nur von den Braunfchweigern weiß 
man, daß fie durch Sendſchreiben an andere banfifche 
Gemeinden Unruhen zu erwecken gefucht harten. 
in Hamburg ftanden im Jahre 1376 mehrere Ge: 
werke auf und verſchworen ſich zuſammen, daß fie den - 
Rath zwingen wollten „ihnen den Schoß zur Hälfte 
berabjufegen, und noch etliche andere! Befchwerden abzu⸗ 
ſchafſen. Da indeffen die Sache zur rechten Zeit durch 
die Bürger Hein Klingſporn, Luͤrke von der Hevpde, 
Diren  Eaffen- und Boͤttcher Bremer dem Rathsmann 
Heinrich Krowel und: durch diefen dem Rache ſelbſt ber 
kannt gemachte worden war, auch die Aemter der Kra— 
mer, Böttcher, Kerzengießer und Heringswafcher an 
dem Aufftande feinen Antheil nahmen, wurde es durch 
weife Maͤßigung und Beſonnenheit verhuͤtet, daß bie 
Unruhen zu Thaͤtlichkeiten aucbrachen und daß hoͤch— 
ſtens nur Drohungen geböre wurden, wie die deg 


u 


280 Unruhen der Bürgerfchaft in H. 1376. 


Knochenhauers Tilke Bihhelſtadt: Er wolle Ein für 
allemal haben, daß ber halbe Schoß abgerhan würde, 
ehe er noch etwas aße und traͤnke, und follte er auch 
deshalb auf dem Rade ſitzen. Befonderd thärig zur 
gütigen Vermittelung bewieſen fich die Kaufleute, 
welche aus ihrem Amte 24 Abgeordnete geſchickt bat, 
ten, die den Berfammlungen im Marien Magbdalenen- 
Klofter beywohnen mußten. Der Rath, der mir dem 
Bewußtſeyn rechtlicher Verwaltung gewappnet war, 
foderte muthig die Aemter auf, daß er ihnen Rechnung 
ablegen wolle von der Zeit an, als die aͤlteſten Mit: 
glieder unter ihnen gefeflen hatten, welches 26 Jahre 
waren, und jeder werde erkennen, daß fie des Schoffes 
unmöglich entbehren koͤnnten. Die vorficheigen und 
zweckmaͤßigen Unterhandlungen beugten endlich die ffars 
ven Köpfe und die Aemter ſchworen, Ruhe und Frieden 
nicht fürder zu fiöhren. Die Stade hatte fich nicht mit 
Blurfchufd- befleeft, wie die edele Guchmüthigfeie des 
bamburgifchen Volkes weder bey biefer, noch bey aͤhnli⸗ 
ben Mißbelligfeiten fich je mit folcher beladen hat. 
Es ift nichts davon befannt, daß in der. nathfk- 
folgenden Zeit, in welcher in anderen Stadten, beſon⸗ 
ders in dem benachbarten Luͤbeck, die Unruhen der Buͤr⸗ 
ger in blutige Auftritte ausarseten und Hinrichtungen 
durch des Henkers Schwerdt, durch Rad und Galgen 
berbeyfuhrten, in Hamburg irgend einige Unordnung 
ſich gezeigt babe, Wiewohl Die Unzufriedenheit von 
Zeit zu Zeit fich ernenerte über die fehweren Abgaben, 
welche beſonders durch die beftandigen Fehden verans 
laßt wurden, Die gleichwohl mehr Angelegenheit der 


Kortdanernde Spannung. 281 


Kaufleute, als der allgemeinen Buͤrgerſchaft waren, 
Auch der Rath ſcheint nicht immer ber weiſen Mäfis 
gung getreu verblieben zu ſeyn umd erlaubte fich wohl 
jumeilen eigenmächtiger und übermüthiger Handlungen 
und Gewaltſtreiche. Im Jahre 1403 entfponn fich ein 
blutiger Kampf zwiſchen den Grafen von Holftein, 
Albrecht und Gerhard, gegen die Dithmarfchen, 
ganz aufferwefentlich von den Angelegenheiten der 
Stadte, und durch dem fehr fremdartigen Ueberfall des 
Herzogs Erich von Sachfen, deſſen Eydam Graf 
Albrecht war, veranlaßt. Der Kampf ift einer der 
biutigften und graufamften gewefen und endete mit ber 
Niederlage der Holfteiner und mit dem Fall der beyden 
Grafen, da Albrecht vom Pferde ſtuͤrzend feinen 
Tod fand und Gerhard von den wild empörten Dith— 
marfchen im Gewühl des Treffens erfchlagen wurde. Der 
Rath von Hamburg fowohl, als der von Lüberf, waren 
in diefer Angelegenheit zu wiederholten Malen zur Ver: 
mittefung aufgefodert worden: nichts deſto meniger 
nahm. der von Hamburg Partey für die Grafen, wenig: 
fiens in fo fern, als er den Bürgern verbot, allen 
Handel und Verkehr mir den Diehmarfchen aufzuheben. 
Mochte e8 Liebe zum beimifchen Frieden feyn, welche 
die Bürger bewog, fich diefem Gebote zu fügen, oder 
die Ausfiche, daß die Fehde nicht von langer Dauer 
feyn würde: fie befcbloffen, dem Rathe zu geborchen, 
aber benußten zugleich die Gelegenheit, unrechemäßige 
Anmaßung, deren fich im Stillen der Rath bemächtiget 
hatte, für die Zukunft gefeglich zu entfernen. Auf Anfuchen 
ber Gemeinde bewilligte namlich der Rath, 2404, ‚daß 


282 Der alte Rath in Luͤbeck, abaefekt, 


er Feinen Bürger, bevor nicht ordentliches Recht er 
kannt fey, wolle gefänglich einziehen laſſen;“ ein Ge 
feß , das als Grundflein wahrer Buͤrgerehre betrachtet 
werden muß, und deſſen Umffurz eine Verhöhnung 
menfhlicher Winde iſt. Ä 

In dem benachbarten Luͤbeck waren unterdeffen, 
bereits feir dem Jahre 1380, die Unruhen immer hef— 
tiger geworden und die Leidenfchaftlichkeit in helferen, 
vergehrenden Flammen aufgefodert. Die Schuldenlaſt, 
welche durch die vielen Kriege auf die Stadt gefommen 
war, Konnte felbft durch erhöhere Abgaben miche ges 
tilgt werden: der Kath Fonnte nicht umbin, Die Bir: 
gerſchaft und die Aemter zur Einficht und Berarhung 
zu ziehen, bis daß dieſe endlich im Jahre 1405 aus 
ihrem Mittel eigenmächtig einen Ausſchuß von Sech— 
zig Maͤnnern ernannte, welche bey den Angelegenhei⸗ 
ten der Schuldenſache als mitrathende und mitverwaltende 
Glieder zugegen ſeyn ſollten. Aber es blieb nicht bey 
dieſer erſten Beſtimmung, und die Sechziger verlangten 
gleichen Zugang auch bey den übrigen Theilen der 
Staderegierung, nach dem Sinn und dem Wunfche der 
gemeinen Bürgerfchaft. Im Sabre 1408 brachte e8 die 
Volkspartey dahin, daß ein neuer Rath gewählt wurde, 
in dem vorzüglich Handwerker faßen, und Diefer nun, 
nachdem der alte Rath fich alles Antheils an der Re—⸗ 
gierung begeben, mit dem Ausſchuß der GSechjiger die 
Stadtangelegenheiten verwaltete, Die benachbarten 
Städte, insbefondere der Rath von Hamburg, verſuch⸗ 
ten vergebens, die Eintracht zwiſchen den beyden 
Theilen wieder herzuſtellen: es kam zu abermaligen, 


flüchter nach Hamburg, 1405 ff. 283 


ſeht unrubigen , Auftritten, die Mitglieder des alten 
Raths mußten aus Luͤbeck fliehen und begaben ſich 
theil® nach anderen Orten, theils nach Hamburg, mo 
fie bey „den Rathmaͤnnern bereitwillige Aufnahme fan 
den. Lüberf8 Beyfpiel wurde in Wißmar und Roſtock 
> befolgt: auch dore wurde ein Ausſchuß von fechzig 
Männern erwahlt, die Angelegenheiten der Verwaltung 
zu unterfuchen, und die alten Rathsverwandten hatten 
neu gewählten Pla machen müffen, In Hamburg ſah 
das Volk befonders ſcheel zu der Liebreichen Auf: 
nahme, ſolcher Perfonen, auf welchen, nach feinem Ge⸗ 
fühle, gerechte Beſchwerden einer Stadtgemeinde haf— 
teten, die ihnen in vieler Hinfiche verfchwiitere war : 
mit der Erinnerung an das, was in Luͤbeck vorgefallen, 
regte fich die eigene Empfindlichkeit, da man gleiche 
Beſchwerniß über fich zu erdulden vermeyntex und fo 
bedurfte es nur eines zufäligen Anſtoßes, um der 
Empfindung Sprache zu verfihaffen, dem fHillverbaltes 
nen Groll den Weg zum Ausbruch zu bereiten, ‚Diefer 
Zufall, der für die Stadt eine fehr gewicheige Folge ber- 
bepführen follte, ereignete fich. im Jahre 1410, | 

Herzog Johann zu Sachfen- Lüneburg war auf 
gefuchtes und erhaltenes ſicheres Geleit, es iſt nicht 
ganz gewiß, in welcher Angelegenheit, im Jahre 1410 in 
Hamburg geweien und daſelbſt von einem Bürger, 
Nahmens Heine Brand, etwas derb gefchmäher und 
verachtet worden. So wenigſtens klagte der Herzog 
nach feiner Abreife von Hamburg, in Briefen bey dem 
Rache und foderte Genugtbuung. Auch entbot der Rath den 
Verklagten alsbald vor fich, Tegte ihm die Briefe vor und 


284 Die Unruhen, durch Heine Brand veranlaft, 


ließ ihn, wiewohl ſich Brand erbot, für feine Perfon 
bis zu ausgemachter Sache Buͤrgſchaft zu Teiffen, un: 
ter dem Geleite von acht Rathsherren nach dem Win: 
fer:Baume bringen, (einem Thurme am alten Ober: 
baume des hamburgifchen Hafens) und daſelbſt in Ge- 
wahrfam nehmen. Kaum war dieß in der Stadt ruch- 
bar geworden, als die Bürger ſich auf dem fogenann« 
ten Schafferhaufe verfammelten, einem alten 
Stadrgebaude an der Ecke des Neß und des A. ©. €. 
gelegen, fonft auch das Gildehaug genannt, das ger 
wöhntich zu den Verſammlungen der Bürgerfchaft diente, 
wenn der Rath fie, oder fie den Rath bey aufferordents 
lichen Vorfaͤllen zufammen beriefen, Sie hielten das 
vor fech8 Jahren gegebene Verfprechen, daß fein Buͤr⸗ 
ger ohne Urtheil und Recht zu gefänglicher Haft gezo— 
gen werden follte, für verlegt, und verlangten von 
dem derzeitigen Bürgermeifter, Chriffian Miles, 
die Entlaffung ihres Mitbuͤrgers aus der Verhaftung, 
welche der Rath zu verweigern nicht den Much hatte: 
diefelben acht Rathsherren mußten den Heine Brand 
nach dem Schafferhaufe zuruͤckgeleiten. Des folgenden 
Tages befchied die Gemeinde ſich auf den Reventer des 
Marien-Magdalenen-Klofterd, und erwählten nach dem 
Beyſpiele der Stade Luͤbeck, nur ohne ſtuͤrmiſche Bewer 
gung, aus ihrer Mitte gleichfalls ſechzig Männer, 
aus jedem Kirchipiele funfzehn, deren Nahmen noch in 
alten Nachrichten ſich vorfinden, Diefe begaben fich 
nach dem Rathhauſe und ließen den Heine Brand 
vorfodern, auch die Briefe des Herzogs ſich vorlegen, 
Da aber theild die vorgebrachten Beſchwerden als 


führendie Secbziger-Wahl herbey, 1410, 285 


unerheblich zuruͤckgewieſen, tbeild der Nath durch Auf: 
ftellung von drey Zeugen, die nach dem alten Stadt 
buche niche für zeugefähig gelten Fonnten, da ber eine 
ein Mönch, die anderen Landleute aus Dithmarſchen 
waren, der DBerlegung der rechtlichen Form überführe 
wurde, fibien es eben fo fehr der Billigfeit, als der 
Klugheit angemeffen zu feyn, den Handel, um weitere 
Erbitteruug zu verhuͤten, auf fich beruhen zu laſſen. 
Der Eine Schritt war mit fo vieler Befonnenheit 
als Entſchloſſenheit gethan worden: es iff begreiflich, 
dag man nicht an der Schwelle zu dem ſtehen bleiben 
wollte, mas das allgemeine Begehren der Stadtgemeinde 
fich zu eröffnen wünfchte, dem freyen Grund und Boden 
ihres altherkoͤmmlichen Bürgerrechts, Einer der Raths⸗ 
männer, Nahmens Quick born, welcher fich in diefer 
Sache als hartnaͤckiger Gegner der Bürger bewiefen, 
mußte auf der legteren Begehren den Rathſtuhl verlaffen 
und ift erſt acht Jahre fpater durch neue Wahl wieder zus 
gelaffen worden, Die gewahlten Sechziger brachten 
von jeßt an, als redende Stellvertreter der. Gemeinde, 
die Wünfche, und Klagen der Bürger in zwar nahe 
drücficher, aber leidenſchaftloſer Vorſtellung zur 
Sprache, und fo Fam der erſte und älteffe Recef zu 
Stande zwiſchen dem Narbe und der Bürgerfchaft, 
„belevet unn bevulborder in St, Raurentiug Avende 
des billigen Martelers“, 1410, in welchem vorhandene 
Mängel abgefchafft und etwa zu fürchtenden neuen im 
Voraus vorgebeugt wurde. Die Beſtimmungen dieſes 
Receſſes ſelbſt, die und am vichtigften von den vorge: 
weſenen Befchwerden unterrichten, find folgende: 


286 | Aelteſter Receß von Hamburg, 1410. 


„Kein Bürger, arm oder reich, mag, ohne zuvor 
gerichtlich verurrbeilt zu feyn,: in Haft gebracht wers 
den. Der alte Luͤbecker Rath foll bier nicht gebulber; 
mit dem neuen hingegen gutes Verſtaͤndniß und Freunde 
fhaft unterhalten werden, Der Rath mag wegen der 
Stadt, ald Mitglied, der Hanfe, nichts Wichtiges ohne - 
der Bürgerfihafe Genehmigung: vornehmen, Hinfor: foll 
der Orloffirichtig vereheife werden. (Orloff, Ur 
laub zu brauen, den der Rath an die Inhaber der 
Braugerechtigkeit ertheilte, fobald nach Anzeige der 
Spunder-Alten das vorrathige Bier beynahe zu Ende 
war.) Dhne Zuffimmung der Bürgerfchaft fol der 
Rath Feinen Krieg beginnen,, Mit 8 Schilling ı Pfen 
ning fol die Mark: Silbers verfchoße werben, Wenn 
die Stadtcaffe bey unausweichlichen Kriegen und andern 
Bedrangniffen außerordenelichen Zuſchuß heiſcht, fol 
der Rath folches den Bürgern vortragen, Damit Diefe 
fich nach den Umſtaͤnden darüber mie ihm verftändigen, 
Die Fahre der Englandsfahrer foll beſchuͤtzt wars 
den, . fie miffen aber ſo viele Schiffe anfchaffen, daß 
der Bürger Waaren. hinreichend koͤnnen verfahren werz 
. den. Wird der Stadt Krieg angekündigt, fo. fol des 
Feindes Nahme fogleih am Rathhauſe angefchlagen 
werben. Der Rath ſoll Niemanden Schulden halber 
- freyes Geleit in der Stadt geben; waͤre es, daß er 
durch Noth und Nüslichkeit der Stadt dazu gezwungen 
würde, muß. folches zuvor den Bürgern befannt ge 
macht werden, Damit fich diefe danach richten können. 
Im Münzen fol der Rath nach feiner beiten Ueberzeu— 
gung verfahren, Leibeigene Finnen nach Sabı 


Aelteſter Neceß vom Jahre 1410, 287 


und Tag nicht zuruͤckgeſodert werden. Rechtet ein 
Bürger mir einem Rathsgliede, fo fol diefes voran 
deren Sachen abgerban werden. Einige Stadtbediente, 
die. den Bürger fibeeren, fol der Rath verabichieden, 
Die Audienzen follen bey guter Zeit angeſagt werden, 
Die Armen und Seeken (Kranken) zu St. Georg 
müflen beffer verpflege. werden, Der Rath wird die 
Bürger gegen alle Plackereyen der Fürften, Ritter und 
ihrer Kappen treulich vertreten,’ 

Der sach mußte zum Schluß der Verhandlungen 
den Secbzigern der Bürgerfchaft noch geloben , daß 
er die Freyheit der Stadt weder von innen noch von 
auffen verfümmern wolle, Wenn die Freyheit, fo wie bier, 
auf Bilfigfeit und Rechtmaͤßigkeit der Gefege gegründer 
wird, iſt ibre Dauer für die Zukunft im Voraus vers 
buͤrgt und der Gtadtgemeinheit, die ſich ihrer würdig 
zu balten weiß, ein beneidenswerthes Glück verheißen, 
Hamburg wird im Fortgange der Erzählung den über 
zeugenden Beweiß liefern, daß die. Eroberung eines. 
folchen Gluͤckes möglich fey. | 





19 


288 Erweiterung der Stadt big ins 15. Jahrh. 


III. | 

"Bevor wir den Begebenheiten, welche Hamburg 
angeben, weiter nachfolgen, wird es nicht undienlich ſeyn, 
noch einen Blick auf die Stads felbft zu werfen und 
nachzufehen, biß zu welcher Ausdehnung und Vergröffes 
ung fie fich bis in das funfzehnte Jahrhundert, in 
welches mir jetzt eintreten, erweiterte babe. Dad 
BerrisKirchfpiel, der uralte Kern ber Stadt, mußte 
zunachfi an Anwachs gewinnen, feitdem die Stadt in 
den völligen Befig der Alfter gefegt worden war und 
nun die Alfter: und Elb-Canale, fo wie deren unter den 
Bruͤcken weggeführte fernere Einleitungen und bie 
ſchmaͤleren und Fleineren Sleete die Anlegung verſchie— 
dener zum Kaufgemwerbe eingerichteter Straßen und 
Baffen verfiatteten, Daber finden wir bereits im funf- 
zehnten Jahrhunderte die Brands-Twiere, wahr 
febeinlich von jenem Heine Brand fo genannt, wer 
cher mit dem Herzoge Johann zu Sachfen den oben erzaͤhl⸗ 
ten folgereichen Zwift gehabt hat. T mieten (vor tuitio, 
Beſchirmung) mochten Anfangs aus Reihen von Buden 
befinden haben in den Gegenden, welche nach den 
Kirchen führten; der Nahme ging dann fpater auf folche 
Gaffen über, welche mit jenen urfprünglichen Buden⸗ 
und Schirmgangen Aehnlichfeit harten, Auch die kleine 
Reichen ſtraße, die Heine Johannisſtraße, 
durch welche man von der Kirche nach dem Weinhauſe 
(oenopolium) fam, die Gerberſtraße, der Dreck 
wall und die Dammtborfiroße werden in diefer 
Zeit bereit? genannt, Sener, der eigentlihe alte Ball, 
ging von der Fleinen Alfter bis zum ſogenannten 


insbefondere des St. Petri⸗Kirchſpiels. 289 


Millernthor. Die letztgenannte Straße fuͤhrte ihren 
Nahmen von dem auſſerhalb der Stadt gelegenen 
Damm, welcher zur Abwehrung des Alſterwaſſers auf— 
geführt war; das Dammthor ſelbſt ſtand zwiſchen der 
Alfter und Voglerd: Wall, Das neue, jetzige Rath— 

haus wird in den Erbebichern des Petri-⸗Kirchſpiels 
unter den Jahren 1350 und 1352 zuerſt genannt, in 
der Zuſammenſtellung: „uͤber der Wechſlerey (Wesle) 
an der Kegelſpitze der Straßen, dem Rathhauſe gegen: 
über, nach der Troftbrüce zu. Zur Benenhung wird 
das Wort Confiftortum gebraucht, welches den Geiſt— 
lichen, die als Schreiber dad Erbebuch beforgten, zu 
einer Rathsverſammlung paſſend gefcbienen hatte. Der 
Weinkeller, deſſen bey der Eleinen Johannisſtraße 
gedacht worden, iſt Fein anderer, als über welchem 
das nachmals fogenannte hohe Haus (dat home 
Huß) erbauer worden iff, oder dag Eimbeci che 
Haus, das der Stadt Eimbeck, die im Hanfebunde 
mit aufgenommen war, zum Lager und Ausſchenken 
ihres ehemals berühmten und auch von den Hambur: 
‚gern befonderd gerne getrunfenen Bieres diente, Das 
Vorhandenſeyn diefes Weinkellerd vor dem Jahre 1326 
iſt durch ſichere Urkunden erwieſen: dunkel iſt noch die 
Zeitangabe, wann zuerſt der Stadt Eimbeck befondere Vor 
rechte für ihre gebraueten "Biere eingeräumt worden 
feyen, Wie jeße noch der bloße Nahme ded Hauſes 
ohne die Sache fich erhalten hat, ſo ift auch der Ruf 
des Em'ſchen Beeres laͤngſt verfeboflen, und in 
Eimbeck ſelbſt in manchen Zeiten auch nicht ein Trunt 
des ſchlechteſten mehr aufzutreiben. 


ig* 


290 Ausdehnung des St, Nicolai-Kirchfpierg, 


Das Nicolai-Kirchſpiel hatte ſchon im 
drepzehnten Jahrhunderte von der fogenannten Trofk 
brücte, das heißt von dem dort vorbepfließenden 
Waſſer der Elbe und Alfter an, denn zur Brücke ſelbſt 
ift erſt 1480 der Grund gelegt worden, und von der 
neuen Burg zum Roͤdingsmarkte hin und der Deich 
ftraße, mie Einfchluß des Hopfenmarfteg, fich erweitert. 
Dey der nachmals fogenannten hohen Brücke hatte die 
Stadt ein Ende und ein Deich war gegen das Elb— 
waſſer aufgeworfen. Im viergehnten uud noch mehr 
im funfzehnten Sahrhunderte wurde zwiſchen dem Rös " 
dingsmarkt und dem ſuͤdlichen Ende der Deichſtraße bey 
den fogenannten Rayen eine Straße aufgebauet, 
welche nachmals vertheile die Binnen und Butens 
Kayen genannt worden iſt: in dem alten Stadt-Erbes 
Buche wird fie unter dem Namen des Fleinen Dei 
ches aufgeführt, wahrſcheinlich, da hier am fruͤheſten 
ein Moor= oder Noth- Deich war, an deffen Stelle 
fpater eine Mauer aufgeführe wurde, die fih vom 
Winferbaum an bis zum alten Waifenhaufe bin erſtreckte. 
Auf der anderen Geite entffand in diefer Zwifchenzeit 
auch die Bohnenſtraße und der Burflab oder 
Buerffade, der von dem alten Plage, mo die hol 
fleinifchen Landleute zum Verfauf ihrer Waaren ihre 
Stätte hatten, feinen Rahmen erhalten bat. 

St. Catharinen-Kirchſpiel hat erſt im vier 
zehnten und funfzehnten Jahrhunderte ſeine Erweiterung 
und Verſchoͤnerung erhalten, da vorher nur einzelne Stellen, 
als der Grimm, der Kremon, bey den Muͤhren (Mauern) 
theilweiſe angebauet gefunden werden. Nach und nach 


St. Latbarinen s Kirchipiel. 291 


debnte ſich an dem groflen Elb: Canal auf der einen 
Seite die Catharinenſtraße aus, auf der anderen 
die Gröningerffraße, von den Gröninger Kauf 
leuten fo genannt, die daſelbſt, fo lange die Fleetſeite 
noch unangebauer war, mit ihren Schiffen anlegten; 
ferner der Härter, Auch die Straße an den Mühren 
wurde erweitert und die Gaffe beym Dovenfleete 
ausgebauet, an dem Arme der ftillen oder tauben Elbe, 
wovon die Straße den Nahmen erhielt. In der Ge 
gend des Wandrahmens fand ber alte Bauhof, von 
dem auch die noch jest fogenannte Bauhofsbruͤcke und 
das laͤngſt verſchwundene Bauthor, welches wahrfcheins 
lich nach dem Grasbroof führte, benannt worden find. 
Das frühe Alter des Bauhofes beweißt der Receß vom 
Jahre 1582, im welchem auf deffen Verbefferung forgs 
faltigft gedacht, die Summe von 10000 Mark genannt, 
welche die Kammer an denfelben geben foll und eine 
vollfiandige Bauhofs⸗Ordnung bereitd mitgetheilt wird, 
welche bey den ſpaͤterhin vorgenommenen Erweiterun⸗ 
gen zum Grunde gelegt worden iſt. | 

Das Kirchſpiel St. Jacobi ift noch big im Die 
Mitte des funfzehnten Jahrhunderts in den Ringmauern 
der Stade niche mit begriffen gewejen, und wurde bis 
dahin zuerſt als aufferhalb der Stadt gelegen, feitdem 
aber St. Nicolai mit der Altſtadt vereiniget worden, 
auch wohl ald Neuftade bezeichner. Im dreyzehnten 
Jahrhunderte befanden ſich um die Capelle herum noch 
groſſentheils Garten und Felder, Indeſſen baueten ſich, 
wie fruͤherhin bemerkt worden, Fuhrleute, Gaͤrtner 
und Fiſcher an undges bildeten ſich allmaͤhlig einzelne 


292° Erweiterung und Grenzen 


Gaſſen, am Pferdemarkt, die Niedernftraßer 
der Klingenberg, die Steinftraße. ꝛc. Bon dem 
aroffen Gartenfelde in der Nähe ver SacobirCapelle, 
(pomoerium) ‚hatten die Söhne des frommen Grafen 
Adolph des IV. einen Theil an die blauen Schweftern 
verichenft, fo viel zur Errichtung der nörhigfien Ge 
baude (des Eonventes) und der übrigen Bebürfniffe 
nöthig war: den übrigen Theil dieſes Pages überließen 
fie mit allen dazu gehörigen Haufern und Buden auf 
Grundmierhe am einzelne Stadtbewohner im J. 1405, 
weshalb man diefe Gegend, einen Theil der jetzigen 
Fuhlentwiete und der Steinſtraße mit dem Nahmen des 
Schauenburgifchen (oder auch Sch a um burgifchen) 
Hofes zu bezeichnen pflegte. Der PBfarrfprengel erwei⸗ 
terte fich aber im Fortgange der Zeit immer mehr und 
mehr, und gewann big dahin, als er mit‘ der 
Stadt ſelbſt vereiniger wurde, und feit 1455 fein eigenes 
Stadt-⸗-Erbebuch erhielt, ziemlich dieſelbe Ausdehnung, 
die er. noch jest einnimmt, Die vorhin genannten Ge 
genden waren mehr ausgebauet worden, neue Anlagen 
waren hinzugekommen , die Breiteſtraße, die Li— 
ktenfiraße (fpottweife fo genannt von den gebfeichten 
Gerippen der Kaderfule oder Schindgrube, die vorher 
dafelbft geweſen war,) die Rofenfiraße,' nicht minz 
der Benennnng der: fportenden Volkslaune; befonderg 
auch neben dem Kattrepel der Schopenfteel oder 
Schopenfiegel, welcher noch an die: Zeit erinnert, 
al8 die Schöppen oder Dingfente über die nach der 
Burg binaufführende Treppe, Stiege (Stegel) nah 
dem alten Stadt⸗ oder Rarhhaufe ſich zu verfügen 


des Jacobi⸗Kirchſpiels. 293 


pflegten. ' Die an den niederen Strecken der Alfter ger 
legene Straße, Raboifen, fol ihren Rahmen von 
zwey Rathsherren Lambert und Borchert Raboife er 
balten baben: die Genend graͤnzte an das frühere Balz 
genfeld und koͤnnte eben fo gut auch eine Rabenwieſe 
genannt worden ſeyn. Mit gröfferer Wahrſcheinlichkeit 
dürfte die Benennung des Barfz oder Barghofes 
von denen vom Bergen abgeleitet werden, die, mie 
bereit3 erzable worden ift, um die Erweiterung des Jar 
cobi-Rirchfpield fo ausgezeichnete Berdienfte fich erwor⸗ 
ben haben. Die Graͤnzen dieſes Sprengels waren das 
Steinthor, welches der Steinftraße gegenüber ſtand: 
fo hieß namlich der gepflafterte Weg vom alten Ma— 
riens oder Schulthor am, der alfo von der eigentlichen 
Altſtadt binausgingz das Thor ſelbſt iſt 1483 gegruͤn⸗ 
bet worden : das Jahr fpater das Spitaler-Thor, 
welches gerade auf das Gt. Georg's Hofpital hinaus⸗ 
ſah nnd von diefem auch den Nahmen führte , nicht von 
dem Hiobs⸗Hoſpital, das früherhin der Elenden 
Haus, in der Volksiprache das Pockenhaus ge 
nannt wurde, und defien Gründung durch den menfchen- 
freundlichen Bürger und Kramer, Dber ⸗Aeltermann 
Hand Treptow ‚ nicht über das Jahr 1505 hinauf⸗ 
reicht. Im einem alten Denfebuch der Brüberfchaft 
unferer lieben Frauen Krönung im Dom bat Treptow 
mie eigener Hand angefchrieben: „Dat elende Hus 
. wart angbebaven to hant an unfer, lewen Vrouwen 
Daghe der Hemelvart, int Jahr 1505, vor dem Spit— 
taler Doro, Das Haus diente zur Aufnahme und. 
Pflege jener Unglüsflichen, welche von der ſcheuflichen 


294 | St, Georgs Hofpitat, 


Krankheit, die vom Süden aus auch nach dem Norden 
fich verbreiter hatte, befallen worden waren und deren 
bi8 dahin viele, weil jedermann fie mied, „alſe Beeſte“ 
auf den Straßen harten ſterben müffen. Eine Mauer, 
zwifchen dem Gteinthor und dem Gpitalerthbor, die 
langen Mühren, und links von letzterem binab vie 
kurzen Mühren ſchloſſen die Stade auf diefer Geite: 
im Jahre 1474 wurde um viefelbe noch ein groffer 
Wal aufgeführe, der vom Hammerbroof an, über den 
Borgeſch, bi8 an die Alfter fich hinzog. 

Die Gegend um das St. Georg’ Hofpital iſt 
in mittleren Zeiten, befonderd als Gartenland, bin und 
wieder angebauet worden und wird in dem Receß von 
1483 ald ein gemeine Stadt: und Cammergut befcbries 
ben, welches an einzelne Einwohner der, Stadt ver 
bauree wurde, Die Kirchen: Kapelle hatte erweitert 
werben müffen und wird feit 1457 in den Rechnungen 
als Seeken⸗Kark aufgeführe. Im Jahre 1485 
wurde diefer Kirche ein von ſechs Kardinalen unters 
zeichnerer Ablagbrief von Rom aus ertheilt, vermöge 
deffen alle, die zur Unterhaltung dieſes Hauſes etwas 
beytragen würden, für jeden Feſttag, dem fie beyges 
wohnt, 100 Tage Erlaffung von den auferlegten Buß⸗ 
übungen genießen follten. Auffer den Siechen, melde 
fich völlig abgefondert halten mußten, gab es dafeldft 
noch die fogenannten guden Lüde, theild Kranken: 
märter, theils Geheilte, die auffer dem Haufe wohn: 
ten; und neben biefen werden auch die Seeken⸗ 
Yrövner genannt, Perſonen aus verfehiebenen Staͤn— 
den, welche fich Leibrenten vom Hofpital gekauft harten, 


Gegend des heutigen Michaelis: Kirchipield. 295 


Ueber das Ganze war ein Havemeiſter oder Verwalter 
gefeßt. Unter dem Hofpital ſtanden die Dörfer Klein: 
Boftel, langen Horn und der Meyerhof Berne, die 
nach und nach an daffelbe gelangt waren, 

Da, mo heut zu Tage das Michaelis⸗Kirch— 
ſpiel aufgebauer ift, war bis um diefe Zeit noch 
frever Platz, nur einzeln bepflanzt und bebauet, bie 
und da auch bewohnt, aber fibon frühzeitig zu dem 
Weichbild der Stadt gehörig. Die Strecke vom foges 
nannten Millernehor bis nach Harveftehude und Hens 
ningbude war bereits 1258 von den Grafen Johann 
und Gerhard an die Stade abgerseten worden. Im 
Jahre 1373 verkaufte dad Dom⸗-Capitul an die Stadt 
für zwey bamburgifche Pfund Pfenninge jahrlicher Kens 
ten das ganze fogenannte Brunvfeld, (campns Bru- 
nonis) das ſich vom Roſendamm, dem heutigen Jungs 
fernflieg und Ganfemarft, bis nach Harveftchude an 
der Aıfter bin erſtreckte: die Gegend war der Stadt 
von Wichtigkeit, feirdem fie in den Beſitz des Alſter⸗ 
firomes von’ diefer Geite gefeßt worden mar, Seit 
21499 wurde der Wall zwifchen der Alfter und Elbe 
vorgerückt, und bieß der Voglerswall vom Rofendamm 
an bis sum ‚( chatıhor hin, wo der. fogenannte Küterz 
wall ſich anſchloß: zwiſchen beyden ſtand das alte 
Millerns oder mittlere Thor, das feirdem im Munde 
des Volks auch das Eliernehor genannt wurde, wahrs 
ſcheinlich, da der von demfelben binauf führende ger 
pflafterte Steinweg an beyden Seiten mit Ellern 
oder Erlenbaumen bepflanzt worden war: ein anderer 
Steinweg führte auf das Scharthor. Auf dem Teil: 


4 


296 Wie Hamburg und Lübeck in den Beſitz 


oder Tegelfelde (Ziegelfelde) ſtanden bereit? im Anz 
fange des funfzehnten Jahrhunderts Ziegelhiteten, wozu 
diefe aus guter Thon + Erde befkehende Berglehne vor 
zuglich bequem ſchien. Ein groffer Theil des Eichwal⸗ 
des, der diefe Gegend früher bederfte, fand noch am 
Ende des ſechszehnten Jahrhunderts. 

Bis fo weit erflreckte fich der eigentliche GStadtber 
zirk bis im Diefe Zeit, Weitere Erwerbungen nach Auffen 
bin find zu denen, welche im vorigen Zeitabfchnitte ge 
nanne worden find, nur wenige hinzugefommen: ver 
Sinn der Hamburger ging überall und zu jeder Zeit, 
mehr auf Zufammenhalten und Vermehren des Ermor: 
benen, als auf gewagte, kecke Ausbreitung nach 
Gegenden bin, deren Behauptung fchwierig, oder von 
welchen mefentlicher Vortheil fir das Ganze umnficher 
zu hoffen war. Am meiften kommt bier in Berrachtung 
der iin vieler Hinficht bedeutende Erwerb von Berger: 
Dorf und den anliegenden Elbinfeln, im deffen Beſitz 
ſich Hamburg mit Luͤbeck gleich Anfangs fo fehwefter: 
lich theilte, als beyde Städte in freundlicher Eintracht 
bis heute fich deffelben erfreuen. Herjog Erich IIE 
von Sachfen, im die Angelegenheiten der nordifchen 
Kriege ſowohl, als in andere Schwierigfeiten vers 
wickelt, hatte fich genöthigt gefunden, im Jahre 1370 
das Schloß und Staͤdtchen Bergedorf, nebſt der 
Boigtey und dem zubehörigen Landereyen in der Marſch 
und Geeſt, mie auch einigen auſſerhalb derfelben belege- 
nen Dörfern, dem Fürftenmalde und einem Theil des 
Landes Handeln für"die Summe von 26019 Luͤbſcher 
Süden an Luͤbeck zu verpfäanden. Als aber Erich's 


* 


[5 
von Bergedorf gelommen, 297 


Neffe, Erich IV, im der Regierung gefolgt war, Fam dies 
fer im Jahre 1400 mit einer zahlreichen Bederfung von 
Keifigen nach Bergedorf und mußte ſich, da ihm zu 
einer vechtlichen Wiedereinlöfung die Mittel und der 
Wille fehlten, durch liſtige Beruͤckung des Tübfchen 
Schloßhauptmannes, Otto von NRigerau, in den Wie 
derbefig der Veſte und der Stade zu fegen, die ihm, 
nach" dem Rechte des Staͤrkeren, das in jener Zeit ger 
achtet ward, nicht mehr ffreitig gemacht werden konnte, 
Auf die Klage der. Lüberfer vermittelten Hamburg und 
Lüneburg einen Vergleich, der dem Gemaltffreich zu 
einer billigen. Berftandigung nur einen fehr fchmalen 
Ausweg öffnete: der Pfandichilling, welchen Lüberf für 
Bergedorf ausbezahlt hatte, wurde mit auf Mölln ver- 
legt, auf welches die Luͤbecker bereits durch frühere 
Berpfandung des Herzogs Albrecht, Erich II. Va— 
ters, rechtsguͤltige Anfprüche erhalten hatten. Wie 
nach diefer Zeit im Luͤbeck ſelbſt unfelige Zwiftigfeiten 
fich entfponnen und Mißtrauen und Haß zwifchen Feind» 
fichen Parteyen fich entwickelt haben, iſt erzaͤhlt wor: 
den. Wo die, fo Durch gemeinſchaftliche Noth ver: 
bunden zuſammenhalten follten, in traurige Entzweyung 
zerfallen, da lauert ſtets der Verraͤther, um von der 
Verwirrung fihadenfrob und ſelbſtſuͤchtig Nugen zu 
ziehen, Eben als der alte Rath einem neu fich bilden- 
den hatte weichen müffen, im Jahre 1409, lagerte fich 
Herzog Erich IV, vor Mölln ſelbſt, auf welchem 
Stadtchen zwiefache Schuldpflichtigkeie für ihm ruhete, 
griff es bart am und eroberte es, umd als er ſich der 
auf dieſes Gerücht herannahendenz ſtarken Macht der 


m 
298 Wie Hamburg und Lübeck in den Beſitz 


Luͤbecker zu widerffehen wicht ſtark genug fühlte, verwans 
delte er den Dre in einen Aſchenhaufen, um durch die 
Berwirrung feinen Rückzug einigermaßen zu decken. Nach— 
mals fuchten die Stodte Hamburg und Lüneburg, nebft 
dem Hergoge Heinrich von Braunſchweig, die Sache zu 
vermitteln und brachten 1410 einen Vergleich zu Stande, 
in welchem den Luͤbeckern Moölln gurüdgegehen und auch 
eine Beſtimmung getroffen wurde, wie man von beyden 
Seiten in Zukunft dem Unweſen des Straßenraubes 
zu ſteuern willig und bereit ſeyn wolle: die Lübecker 
verſchrieben fich fogar, zu diefem Zwecke den Hergogen 
von Sachfen noch alljährlich aus oͤſſentlichem Seckel 
300 Mark Pfenninge zu zahlen. Es iſt gut fin die 
Nachwelt, daß die Iefe, wie bereitwillig in den Zeiten 
des Fauſtrechts friediiche Staͤdter fich darboten, das 
Recht, das ewig geltende, und deffen Handhabung mit 
theuren Opfern zu bezahlen und doch nur mit der Kraft 
inwohnender Starfe im Stande waren, dane⸗ zu be⸗ 
haupten. 

Die Mißhelligkeiten in Lübeck, zwiſchen der alten 
und der neuen Obrigkeit waren endlich, nach vielfältis 
gen Verhandlungen, auf eine Weile beygelegt worden, 
melche, ald Zeugniß einer schlichten, biederen Gefinnung, 
der Stade ſelbſt zu groffer Ehre angerechnet werden 
muß. E83 geſchah im Jahre 1416, im Monat Juny, 
daß die Mitglieder des neuen Rathes, nach geleifterer 
Abbitte, ihren Pas dem alten Rathe wiederum eins 
raͤumten: aber zu gleicher Zeit wurden, da von biefem 
mehrere Mitglieder während der Zeit verfforben weren, 
aus der Zahl der eben abgegangenen zur Erganzung 


& 
von Bergedorf gefommen, 299 


vier Perſonen wieder aufgenommen, um jede Spaltung 
der Geſinnung und Empfindlichkeit, ſo weit es irgend 
moͤglich ſchien, auszufuͤllen und zu vertilgen. Wohl 
mochte ein ſolches Verſtaͤndniß denen nicht willkommen 
ſeyn, welche, nicht zur. Ordnung geneigt, in der tor 
fenden Fluch der Verwirrung reicheren Vortheil erzie- 
fen zu Fönnen vermepnten. Die Gtraßenräuber, 
noch obnlangft. in ihre Schlupfwinkel durch. fFarfen 
Nachdruck gebannt, waren zurückgefehre, weil der 
Widerſtand verfebwunden febien, und machten die 
Wege’ der reifenden Kaufleute unficherer, denn zuvor, 
Herzog Erich gedachte fo wenig feiner Zufage, daß er 
diefe bewaffneten Freybeuter nicht nur friedlich hegte, 
fondern ibnen ſelbſt mit eigener Wehr zum Beyftande 
bereit war, fo wie in gleicher Abſicht auch feine Br: 
der Albert, Bernhard und Otto fich anſchloſſen. Ber 
gedorf war das eigentliche Diebeslager diefer Raubges 
noffen , deffen Veſte noch überdieß mitveiner unter dem 
Waſſer hinführenden Brücke verfehen war, über welche 
fie unbemerke herabfteigen und den Berfolgern entrinnen 
fonnten, Die reifenden Kaufleute, die mit beladenen 
Wagen ins Innere von Deutfchland zogen, wurden von 
den Auflauernden überfallen und entweder ing Gehoͤlz 
gefchleppt , während man ihre Güter plünderte, und 
bey Nachtzeit wieder entlaffen, oder mit verbundenen 
Augen berumgeführe und nach Bergedorf in Gewahr⸗ 
fam gebracht, daß fie nicht wiflen follten, an welchem 
Orte fie fich befanden. Die von den Luͤbeckern und 
Hamburgern ausgefandte- Reuterey, welche die Straße 
von diefen Zriedensflöhrern reinigen follte, vermochte 


300 Bergedorf kommt an Hamburg und Lüber 


fo wenig, fie bis in ihre Schlupfwinkel zu verfolgen, 


als Herzog Erich den Befchwerben, welche die Städte 


laut und nachdrücklich genug zur Sprache brachten, 
abzuhelfen gefonnen ſchien. Da.rüsften endlich (1420, 


am 10. Julius) nach verkünderer Fehde, die beyden 


DBürgermeifier Jordan Pleßkow von Lübeck und 
Hin rich Hoyer von Hamburg, mit 2000 Mann zu Fuße, 


und 800 Reiſigen, unter welchen ſich mehrere va⸗ 


terlaͤndiſch geſinnte Buͤrger und Kaufleute befanden, 
mit gutem Belagerungswerkzeug und grobem Geſchütz 
vor Bergedorf. Das Staͤdtchen ergab ſich nach kur⸗ 
zem Widerſtande, wurde ausgeplimdere und in Brand 
geſteckt. Aber die im Schloffe wehrten fich vier Tage 
lang , ungeachtet daffelbe mie Buͤchſen und Steinſtücken 
fehr hart befehoffen wurde, Bey dem Anbruch des 
fuͤnften Tages verbreiteten die Belagerer mit Pech und 


geſtoßenem Salpeter und anderen feuerfangenden Gtof: 


fen einen ſo dicken Qualm und Rauch, daß die Ver— 
theidiger die Waͤlle verlaſſen, und ſich in das Innere 
des Schloſſes fluͤchten mußten. So erſtiegen jene leicht 
die Verſchanzungen und die Beſatzung ergab ſich den 
Hereinſtuͤrmenden unter der Bedingung freyen Abzuges. 
Bon Bergedorf rückte das vereinigte Heer vor die Sie 
penburg, einem Raubfchloß ander Eide, in dem heu—⸗ 
tigen Kirchwaͤrder, und nahm daffelbe, da die Beſa— 
gung zur Gegenwehr fich zu ſchwach fühlte, Auch 
Euddeworde eroberten fie und fihleiften e8 und fie wuͤr— 
den ihren raͤchenden Zug noch weiter fortgeſetzt haben, 
wenn nicht die benachbarten Fuͤrſten die verbünderen 
Städte beſchickt und einen Waffenſtillſtand vermittelt 


durch dem Perleberger Vertrag, 1420. 301 


hatten, Auf der nachfidem zu Perleberg. gehaltenen 
Tagfahrt, zu welcher fich der Kurfürft Friedrich von 
Brandenburg, Herzog Wilhelm von Lüneburg und ans 
dere Fürfien und Herren eingefunden hatten, wurden 
endfich die Irrungen  befeitiger und ein Vergleich ger 
fchloffen, den 23. Auguft 1420, in welchem Erich mit 
feinen bergoglichen Brüdern, für ſich und ihre Erben 
die Schlöffer Bergedorf und KRiepenburg mit allem 
Zubehör, auch den Eßlinger Zoll mit der Fähre, den 
halben Herzogenwald,. nur mit Ausnahme der Jagd, 
an die beyden Städte Luͤbeck und Hamburg zu ewigen 
Tagen abtrat; auch die Verpflichtung, dem Erich all- 
jabrlich 300 Darf zu zahlen, wurde den Luͤbeckern zur 
wa⸗ | 

on dieſer Zeit an ift ehe aid Ba 
ches Gebiet der verbünderen Städte Lübert und Hamburg 
betrachtet worden, In einem eigenen Receß vom Jahre 
1422 verglichen fich beyde Theile über die Verwaltung der 
Schlöffer Bergedorf und Kiepenburg dahin, daß ein 
Rathsmann von Lüberf auf dem einen und ein Ham⸗ 
burger Rathsmann auf dem anderen. auf rittermaßigen 
Glauben die, Regierung übernehmen und nach Verlauf 
von vier Jahren eine Abwechfelung der beyden erfolgen 
follte; einem jeden waren, zu diefem Behuf, die ihm 
zukommenden Gefälle, auch Zölle und andere Einkünfte 
angemwiefen, wofür fie die Wache auf den Schtöffern 
und die Unterhaltung der Bedienten, zu weichen Anfangs 
noch der Amtſchreiber gehörte, zu beftellen verbunden 
waren. Dem gemäß murden die fammelichen Vier 
ande, fo ‚nenne man namlich die aus den vier 


302 Berwaltung von Bergedorf ꝛc. 


Kirchipielen Kirchenwarder, Neuen Gamme, Alten 
Gamme und Kurslaf, beftehenden Marfihlander, nebſt 
dem Geeftdorfe Geeſthacht, dag feine eigene Kirche und 
Dorfgerechtigkeit har, unter beyde Amemannsfchaften 
vertheilt, Die Abwechfelung der Schloßhauptleute 
nach vier Jahren Anfangs, fodann alle ſechs Jahre fand 
ſtatt Bid auf das Jahr 1506, wo man, um dem Ein: 
ſturz der Niepenburg zuvor zu kommen, ſich genoͤthiget 
ſah, dieſelbe gaͤnzlich abzubrechen, und da man ſie wie— 
der aufzubauen nicht fuͤr gerathen hielt, wurde von 
der Zeit an nur Ein Hauptmann auf Bergedorf gehal— 
ten, welchen die beyden Staͤdte abwechſelnd alle ſechs 
Jahre mir einem ihrer Rathsherren zu beſtellen pfleg— 
ten. Der Beſitz dieſer gemeinſchaftlichen Erwerbung 
iſt fortdauernd ohne groſſe Stöhrung geblieben; denn 
eine Drohung, welche der Herzog Bernhard von Sach⸗ 
ſen⸗Lauenburg im Jahre 1467 auf Bergedorf blicken 
ließ, wurde durch die entſchloſſenen Anſtalten, welche 
man zur Vertheidigung traf, und durch die ſchleunige 
Befeſtigung des Schloſſes in ihrem Beginnen vereitelt. 
Die Bewohner der Vierlande, deren niederlaͤndiſche 
Abkunft ſchon im der früheren Ersahlung angegeben 
und in der Eigenthuͤmlichkeit der Sitten und Gebrauche 
noch heut zu Tage unverkennbar iff, ein eben fo fleißis 
ges und gewerbehätiges, als wohlhabendes und durch die 
Fruchtbarkeit ihres Gartenlandes reich beguͤnſtigtes Wölfe 
hen, haben fish, ob ſchon beyderftädtifch, von jeher mehr 
an Hamburg gehalten, als an das ferner gelegene Lüberk, 
und in fofern kann der Erwerb diefes Fleinen Gebiered 
für unfere Stade als ein fehr wefentlicher Gewinn bes 
trachtet werden. 


- 


Befkärigeer Bell der Elbwaͤrder. 303 


Die fehönen und geſegneten Elbinfeln in der Nähe 
Hamburgs. hatten die Grafen von Holfkein, wie oben 
erjäble worden, um reichliche Summen an die Stade 
abgetreten; jedoch dabey das Recht fich vorbehalten, 
in gluͤcklicheren Verhaͤltniſſen für die Wiedererftattung des 
Kaufgeldes diefelben wieder einzulöfen, Aber die nahme 
liche Noth, welche fie zur Entaufferung diefer Beſitz⸗ 
tbümer getrieben we” hielt fie für die Folge fo feſt, 
daß jede Hoffnung. auf Wiedererlangung aufgegeben 
werden mußte, Otto, Graf zu Schauenburg, Hol 
ftein und Stormarn, fügte im Jahre 1447, noch die 
feyerliche Berficherung hinzu, daß ed Hamburg, als 
rechtmaͤßiger Beligerin der drey Waͤrder, Billmärder, 
Ochſenwaͤrder und Moorwärder , unbehindere frey fies 
ben folle, zum Nugen derſelben, nachdem fie durch 
Bafers Gewalt lange Jahre wuͤſte gelegen hätten, die 
Sammer » Elbe zu überdeichen, indem ſie den Billen— 
und Ochſenwaͤrder unter ein Deichband ( Dykbant) 
bringen wollten, mit dem dreyfachen Zuſatz: daß zunachit 
die Stadt berechtigt feyn folle, alles, was an Zehnten 
und Renten auf Wiederfauf an Eigener verfegt oder 
verkauft worden, an der Grafen. Stelle einzulöfen ; 
daß der Rath ferner nach eigener Wahl und Einfiche 
verfahren Eönne, eim folches Recht, als ihm heilſam 
und gemeinnügig fcheine, im Lande zu fegen und anzu: 
ordnen; daß endlich ein Wiederfauf oder eine Einlös 
fung diefer drey Waͤrder, von ibm fowohl, als feinen 
Nachlommen nie anders ſtatt finden folle, als nur affer 
drey Länder zugleich, nicht des einen oder des andern 
vereinzelt, um deſto grünblicher und vechtmäßiger das 


20 


— 





304 Das Land Hadeln an H. verpfanber, 


Ganze im Befig der Stadt zu verfichern. Zwey Jahre 
vorher, 1445, hatte derfelbe Graf Otto auch die 
nördliche Hälfte des. Finfenwarders nebſt der 
Dradenau mit allem Zubehör und allen Gerechtig: 
feiten an die ehrſamen Bürgermeifter, Rathmaͤnner 
und Bürger Hamburgs für die Summe von 1200 rheis 
nifchen Gulden ‚‚gud von Golde und ſware genoch von 
Wichte““, urkundlich überlaffen, zwar gleichfalls mit 
der Ausbedingung des Wiedererkaufs, von welchem 
aber in der Folge nie die Rede geweſen iſt. Dazu kam, 
im Jahre 1460 nach ungewiſſer Angabe, der Griefen 
wärder, der zuerft von dem Grafen, Otto an Die 
Stade verpfander und nachmals, mit Entfagung des 
Wiedereinlöfungsrechtes eigenthuͤmlich überfaffen wurde, 

Das Land Hadelln verpfandeten im Jahre 1414 
die Herzöge von Sachfen an Hamburg, mit der befon- 
deren Bedingung, daß die Hadeler der Stadt Hamburg 
denfelben Gehorſam und alles das leiſten follten, was 
fie den Herzogen ſelbſt zu thun verpflichter geweſen. 
Dazu Fam im Sabre 1445 die Grafſchaft Drterndorf 
nebft dem Haufe Bederkeſe, welche Herzog Bernhard 
verpfändete, unter der Verpflichtung, folche in 30 Jah— 
ven. nicht wieder einzulöfen. Doch find diefe Beſitzun⸗ 
gen in der Folge nicht bey der Stadt geblieben, Die 
Hadeler ſelbſt weigerten ſich, außer den jährlichen 
dutzungen und Abgaben Hamburg noch irgend ein ans 
deres Recht zuzugeſtehen und demſelben Gehorfam zu 
fehwören, und es wäre faſt zu verdrießlichen Zwiſtig— 
feiten gekommen, wenn nicht durch Vermittelung des 
Herzog Adolph von Schlefwig-Holftein im J. 1356 
eine guͤtliche Beylegung erfolgt wäre, 


* 


Vorfaͤlle mit den Oſtfrießlaͤndern. | 308 


Nicht viel gluͤcklicher war ein anderer Verſuch, die 
Beligungen der Stade nach Welten hin zu erweitern, 
Seit der neulichen Beftegung der fogenannten Victua⸗— 
Vienbrüder waren die Hamburger im Befig der wichtig— 
ſten Plage von Oſtfrießland gebtieben, oder hatten fich Doch 
‚mit den angefebenften Hauptlingen des Landes zu fried- 
licher Benugung derfelden verbunden. Aber die wieders 
holten Seeraubeißyen Einzelner derfelben, die fich bes 
fonders mit den Holländern verbunden hatten, machten 
eben fo öftere Befehdungen unvermeidlich. Bor Dockum 
hatten mehrere ein Blockhaus errichter, mit Wal und 
Graben befeftiger und mir 160 Mann befeßt, und mach: 
ten von da aus ringsum alles unficher, Im J. 1422 
fandten deshalb die Hamburger und Liüberfer eine 
Flotte egen fie, der es unter dem Beyftande einiger 
friefifehen Edlen und der Gröninger gelang, dag Haus 
zu erſtuͤrmen, viele zu tödten und 44 gefangen zu neh: 
men, welchen fie, zum Schrecken wer übrigen, die 
Köpfe abſchlagen Tießen, In ven nachiffolgenden Tab: 
ven waren diefe Naubgenoffen den fchifffahrenden Ham- 
burgern um fo Täftiger, als dieſe in andere Unruhen 
verwickelt niche im Stande waren, mit Nachdruck dem 
uUnweſen zu ſteuern. Erſt gegen das Jahr 1431 verbans 
den fie fich mie einem der angefebenften Fürften Frieß⸗ 
lands, Edzard, ſuchten die verfehiedenen Naubfchlöffer 
auf, zerflörten fie und ſtraften die Rauber am Leben, In Em: 
den hauſete einer derſelben, Imelo, welcher als Seeräuber 
ihren Schiffen am haͤufigſten Schaden zugefuͤgt hatte. 
Durch eine Lift wußte der tapfere Anführer der Hambur⸗ 
ger, der Bürgermeifter Simon v, Urrecht, ihn auf 

20* 


306 Die Hamburger fuchen ſich in ben Beſitz 


eines ihrer Schiffe zu locken, bemaͤchtigte ſich ſeiner und 
brachte ihn gefangen nach Hamburg. Die Stadt Emden 
blieb von dieſer Zeit an im Beſitz der Hamburger, ſo daß ſie 
dieſelbe durch Statthalter regieren ließen und ſich aller 
Rechte der geſetzgebenden und richterlichen Gewalt in ihr be⸗ 
dienten, wie unter andern die Muͤnzen zu erkennen geben, 
welche Hamburg um dieſe Zeit in Emden praͤgen ließ. Noch 
in demſelben Jahre 1431 eroberten fie das Schloß Leerort, 
das dem Focco Ucco zum Raubfig diente, und im naͤchſten 
Jahre fehlugen fie in Verbindung mit den Bremern den Udo 
und Giebold, Focco's Sohn und Schwiegerfohn, bey Nor: 
den, eroberten die Sieboldsburg und machten fie dem Erd- 
boden gleich, Der Kampf dauerte mehrere Jahre mit ab- 
mwechfelndem Gluͤcke fort; wie aus der Saat re 
zaͤhne fFanden immer neue Gegner auf, Diele derfelben 
waren nach Burgund geflüchter und hatten den Schuß 
des Herzogs Philipp nachgefucht, welcher auch in 
einem befonderen Schreiben im Jahre 1439 die übrigen 
Hauptlinge Frießlandd und den Rath von Hamburg 
auffoderte, Die gemachten Gefangenen augjuliefern und 
den übrigen ihre Güter und Befigungen wieder zu er- 
fiatten. Die Hamburger, des langen Kampfes müde, 
ſchloſſen deshalb mit Edzard einen Vergleich, vermöge 
deffen das Schloß und die Stadt Emden, die fie bis— 
ber gemeinfchaftlich befeffen, auf einige Jahre ihm über- 
geben und abgetreten wurde, Auf ſolche Weile fagten 
fie fich felbft 108 von den Verhandlungen mit Herzog 
Philipp und überliefen es den friefifchen Haͤuptern, fich 
unter einander zu vertragen, 

Nichts. defto weniger blieben die ——— im 





von Oſtfrießland zu verfeßen, 307 


Befige mehrerer feſten Oerter des Landes, fo ſchwer 
ihnen auch die Behauptung und Unterhaltung derfelben 
gemachte wurde, Die Stade Emden, inzwifchen mit 
Mauern und ſtarken Thoren verfehen, gewann durch die 
Berriebfamfeit- und den Verkehr ver bamburgifchen 
Kaufleuge und durch ben Schuß, deſſen es ſich er- 
freuete, fo fehr an Wohlhabenheit, daß der Neid der 
benachbarten Stadt Gröningen ermachte, und gegens 
feitige Neckereyen den Haß vorbereiteten, der nach wes 
nigen Jahren heftig genug entbrannte, Im Sabre 1447 
oder 48 war die Zeit abgelaufen, für weiche die Ham⸗ 
burger die Stade Emden dem Edzard uͤbergeben hatten; 
und da jest befonders von den Niederlanden aus Feine, 
Gefahr zu-beforgen ſchien, fo ließen fie fich dieſelbe von 
rich Eirffena, Edzards Bruder und Nachfolger, wieder 
abtreten, Wie vormahls, fo führten fie auch jest wies 
der die oberſte Auffiche über die Gtadtregierung durch 
befondere Abgeordnete aus ihrem Rathe, fie befesten 
die Burg der Stadt, und da Anfangs der mächtige 
Ulrich zur Beherrſchung des Landes treu zu ihnen bielt, 
mußte ihrer fFarfen vereinten Macht alles gehorfamen. 
Doch nur zu bald entfpann fich Mißtrauen zwiſchen ihnen 
und Ulrich verhehlte ſeinen Groll nicht uͤber den Ein— 
fluß und die Gewalt der fremden Stadt: es kam zu 
offener Fehde zwiſchen beyden, und da die uͤbrigen 
Landeseingebohrenen, den wechſelſeitigen Haß jetzt in 
ihren Herzen verſchließend, wo es die Bekaͤmpfung ver⸗ 
haßter Fremdlinge galt, ſich mie ihm vereinigten, ver- 
mochten die Hamburger, troß des Beyſtandes, den fie 
von den Dldenburgern erbieften, fie nicht mehr zu 






308 Nach einiger Zeit des Beſitzes giebt H. 


unterdruͤcfen. Durch die Vermittelung Bremens Fam 
1452 ein Waffenſtillſtand, und im naͤchſten Jahre auch 
der Friede zu Stande, Hamburg hatte, ohne. Unter: 
ſtuͤzung der übrigen hanſiſchen Bundesgenoſſen, um 
Emden und Leerort zu behaupten, zu bedeutende Koſten 
und Anſtrengungen aufgewandt, als daß ſie jetzt einen 
guͤtlichen Vertrag nicht haͤtten vorziehen ſollen, um der 
Laſt für die Zukunft entledigt zu ſeyn. Ulrich erhielt 
demnach Emden und Leerortauf Treu und Glauben zurück, 
gegen eine Summe von 10,000 Mark, welche in dem 
ſelben Jahre ausgezahlt werden. folite, aber erſt zwey Jahre 
fpater erfolge zu ſeyn ſcheint. Dabey behielt ſich Ham⸗ 
burg nach Ablauf von 16 Jahren den Wiederkauf vor, 
der ihr unverweigert bleiben ſollte, wenn fie Die Kauf⸗ 
ſumme zurück zahlte, und die von dem Häuptling etwa 
in mittlerer Zeit vorzunehmenden Berbefferungen der 
benden Veſten vergütere, Ulrich gelobte dagegen, Feine 
Geerauber zu dulden, Feine Zölle auf die Hamburger 
Warren zu legen, ihnen die freye Ein: und Ausfuhr 
an den beyden genannten Orten in Kriegszeiten zuzu— 
geſtehen, Feine neuen Schlöffer anzulegen, die Stadt 
Emden bey ihrer, gewohnten Freyheit zu faffen, und 
beyde Theile fagten fich, im Fall eined Angriffs, wech⸗ 
felfeitigen Beyſtand mit 300 Schuͤtzen zu. 

In demſelben Jahre, in welchem diefer Friede gefchlofz 
fen wurde, ſtarb zu Hamburg auch SJmelo, (Embke) der 
vormalige Häuptling von Emden, der 24 Jahre Tang, 
‚als der Geeräuberey fehuldig, bier in hartem Gefang- 
niffe gehalten worden war. Fünf Jahres nach deffen 
Tode Faufte Ulrich von deſſen Erben auch alle uͤbrigen 


Srießland wieder aufs 309 


Rechte und Befisungen deffelben an fich, und da er 
bald den mit Hamburg eingegangenen: Vertrag bereuere, 
wandte er ſich fogar an den Pabſt Pius II, im Sabre 
1461, und ließ ſich von demfelben eine Erfaffung feines ' 
an die Stadt Hamburg geleiteten Eydes ertheilen, um 
deſto unbefangener feine weiteren Abfichten verfolgen zu 
koͤnnen. Mehrere Angaben melden, dag die Friefen zu 
wiederboltenmalen auf der Ser nicht allein, ſondern 
gar auf der Elbe herumfchiwarmten, wie 1470, wo 
Hamburg 1o gute Schiffe gegen fie ausruͤſtete, 1480, 
da 14 WEingefangene zu Homburg mit dem Schwerte | 
hingerichtet, und 1488, wo 74 Mann gefangen, und 
obſchon fie gegen die Beſchuldigung der Freybeuterey 
Einrede gethan, als ihnen die Entwendung eines 
mäßigen Faſſes vol eiferner Nägel bewiefen werden 
konnte, gleichfall8 hingerichtet und auf dem Grasbrook 
enchaupter wurden, Kaifer Friedrich IIL Tieß ends 
lich im Jahre 1493 ſich vermögen, Die Oftfriefiichen 
Hauptlinge zu Reichsgrafen zu erheben, die ihr Land 
vom deutfchen Reiche zur Lehn nehmen follten, und U Lrich 
indbefondere hatte die Kräfte des Landes mit eben fo 
vieler Feftigfeit als Klugheit, im ein ſicheres Ganze zu ver: 
einigen’gefuchd Nach feinem Tode waren auch die 
über feine binterfaffenen, noch unmündigen Söhne be: 
fiellten Bormünder, befonders feine kluge und einſichts— 
volle Gemahlin Theda , denfelben Zweck zu befördern, 
eifrigft bemühe gewefen. Unter folchen Umſtänden ‚hatte 
Hamburg, nach dem Verlauf der vertragsmaͤßigen 16 
Jahre verſchiedentlich darum angehalten, daß ihnen die 
beyden Plaͤtze Emden und Leer wieder ausgeliefert 


310 Beylegung der Sachen mit Trießland, 


wuͤrden, aber begreiflichermeife mit ihren Foderungen 
wenig Gehör gefunden. Da es mißlich fibien, das 
Hecht mir Gewalt zu behaupten, fo wurde endlich der 
Peg der Güte eingefihlagen, und noch im Jahre 1493 
fam ein Vergleich zu Stande zwiſchen dem Grafen 
Edzard J. und deffen Bruder Ucco auf ber einen, und 
zwifchen Hamburg auf ber anderem Seite, in welchem 
fich Hamburg aller anderen Anfprüche auf den ffreitigen 
Defis gegen den Empfang von abermahld 10,000 ME, 
Luͤb. feyerlich begab, und fich mit einigen Verfprechuns 
gen des den Ihrigen zu ertheilenden Schußes gegen 
Sees und Landrauber, mit einigen Vorzuͤgen im Zoll, 
mis Begünftigungen ihrer Fiſchereyen au des Landes 
Küften und der Befreyung von dem unfeligen Strand» 
rechte beanügte, Auf ſolche Weife ging die Herrfchaft 
über die Dfffriefifchen Beſitzungen für Hamburg, und 
zugleich für die ganze Hanſa wieder verloren. Ganz 
mar die Sache ſelbſt nach diefem SFriedensfchluffe nicht 
beygelegt; bis zum Jahre 1541 noch Maren nur 
. gooo Mark abbezahlt, fo daß der übrige Ruͤckſtand und 
die andermeitigen Irrungen erfi damahls, als zwey 
hamburgiſche Narhsherren, Kohl und Sommerfeldt fich 
zu dem Ende nach der Gräfin Anna von Oſtfrießland 
begeben hatten, beendige wurde und im Sahre 1555 
die foͤrmliche Abtretung aller Befigungen ſowohl wie 
aller fonftigen Anfprüche erfolgte, 

Es iſt in diefen Borfällen der Bemerkung werth, 
wie Hamburg im fihmierigen Kampfe für eine Angele⸗ 
genheit, welche dem ganzen Hanfebunde zuzugehoͤren 
ſchien, faft vereinzelt und fich ſelbſt überlaffen geblieben. 


+ 


Rerbäleniffe im Norden, 311 


Aber abgerechnet, daß die Lage Oſtfrießlands fuͤr 
Hamburg von ganz vorzuͤglicher Wichtigkeit war und 
die Aufmerkfamfeit der biefigen Kaufleute befonders auf 
fich ziehen mußte, wenn es gelingen fönnte, am jenen 
Küften feſte und fichere Niederlaffungen zu begründen : 
fo ift nicht gu vergeffen, wie immer mehrere Beweife 
ſich darſtellen, daß die Verhaͤltniſſe jenes Staͤdtebundes 
nur in lockeren Banden zu einem Ganzen zuſammenge⸗ 
bangen waren, und daß durch ſolche vereinzelte Unter— 
nehmungen die Auflöfung des Bundes unausweichlich 
berbeygeführt werden mußte. Hamburg handelte unter 
folchen Umfländen mit vorfichtiger Klugheit und brachte 
bebächtig im Nechnung, mas feiner Lage und feinen 
Kräften angemeffen und für diefelben zum Vortheil de3 
inneren Wohls zu hoffen fey, 

Die Angelegenheiten im Norden waren ed vor ans 
deren, die zwar auch den übrigen Seeſtaͤdten, aber 
Hamburg insbefondere, wichtig ſchienen. Geitdem die 
Vereinigung ber drey nordifchen Reiche zu Kalmar ges 
fcheben war, entwickelte fich die Gefahr für die Mache und 


den Einfluß der Städte gröffer, denm je, und die Beforg- 


niß war nicht ungegründet, wenn mit dem. Geifte der 
Klugheit und des feften Willens, als die Stifterin ihn 
befaß, die Nachfolger dad Ganze zufammen zu bal- 
ten verfianden hatten. Glücklicherweife hatte Marga⸗ 
rethe in der Wahl ihres Nachfolger fich geirrt; me- 
der Erich, ihr Pflegeſohn noch die ihm folgten, wa— 
ren fabig, das große Werf zur Vollendung zu bringen. 

Das Herzogthum Schleßwig, das von Daͤne⸗ 
mark als Lehn angeſprochen ward, und welches die 


312 Die die Hamburger in den Krieg zwiſchen 


Herren aus dem graͤflich⸗Schauenburgiſchen Haufe zuletzt 
in ihren Befiß gebracht hatten, mar vielfältig der Gegen, 
‚ fand. von Streitigkeiten zwiſchen der Krone. und dem 
Haufe, Holflein geworden, Margarerhe benugte während 
ihrer Regierung diefe Angelegenheiten mit ſchlauer Einficht 
und füchte aus den Spaltungen, die zwiſchen den Gra— 
fen ſelbſt uͤber dieſes Herzogthum entſtanden, guten 
Vortheil zu ziehen. ‚Befonders verurſachte der Tod 
des Herzogs Gerhard, ber nach vielen Streitigkeiten 
mit feinen Bruͤdern, Nachbarn und Unterehanen in 
dem oben gedachten Treffen gegen die Dithmarſchen 
(1404 den 5. Auguſt) erfihlagen worden, heftigen Zwiſt 
in der Familie über Die Bormundfihaft feiner Kinder, 
und geb dem. danifchen Hofe die erwuͤnſchte Gelegen⸗ 
heit, mehrere bedeutende Schlöffer pfandweiſe an fi ch zu 
bringen und Schleßwig in gröffere Abhangigkeie zu 
verfegen, Die verwittwete Herzogin blieb VBormünderin 
unter. daͤniſchem Schutze. Gleichwohl Fam es zum 
Kriege, der mit abwechſelndem Gluͤcke geführt und 
durch Vermittelung und Waffenſtillſtaͤnde nur auf 
furze Zeiten unterbrochen wurde, Margarerheng Tod, 
im Jahre 1412, ..den.28.. Oct., der die Leitung dieſer 
wichtigen Angelegenheit dem ſchwachen Eric. VIE 
num ganz übertrug, verwandelte gar fehr die Geſtalt 
der Dinge, Der kurz zuvor geſchloſſene Stillſtand 
wurde aufgehoben, Erich foderte Schleßwig und verſagte 
ſelbſt den holſteiniſchen Grafen Die Belehnung, da ſie 
ihren Vaſallen-Eid ſo oft gebrochen haͤtten. Die Sache 
wurde endlich vor den roͤmiſchen Kaiſer Saegis— 
mund gebracht, weicher fich durch feinen Ausſpruch⸗ 


Schleßwig und Dänemark verwickelt worden. 313 


(14: Juny 1415) günftig für Danemarf erklärte; ans 
dere Fürften und ſelbſt die wendifchen Städte waren 
auf des Königs Seite, Erichs Waffen hatten auf einige 
Zeit glücklichen Fortgang und das Herzogebum Schlefwig 
wurde größten Theils erobert, auch war die Herzogin 
Elifaberh ſchon im Begriff, dem Könige fich zu unter 
werfen, als ihr Muth durch den Grafen Heimrich 
aufs neue belebt wurde, 

Diefer Graf Heinrich, vormaliger Biſchof von 
Oßnabruͤck, und MitsVBormund der jüngeren Grafen, 
gedachte in der Noch der immer. bereitwillig fich zei— 
genden Hülfe und Milde der Hamburger: eine Summe 
von 30,000 Mark für fich und feinen Wetter Heinrich, 
den minderjährigen Herzog, und eben ſo viel an Lebend- 
mitteln zur Bewahrung des Schloffes Gottorp hoffte er 
von der Stadt zu erlangen und begab fich demnach in Ber 
gleitung weniger Raͤthe ſelbſt dahin, Die Angelegenheit 
perfönlich zu betreiben. Doch fein Günftling, Heinrich 
von Broddorf, brachte noch befferen Rath in Vor: 
ſchlag, daß der. Graf niche ledige Geldunterflügung, 
fondern thaͤtige Hülfe fogar von den Hamburgern verlans 
gen möchte, Diejer Rath gefiel. Heinrich, an allen Glie⸗ 
dern lahm, fuhr am Morgen nach feiner. Ankunft 
vor das hbamburgifche Rathhaus, wo die Bürgermeifker 
und Rathsherren ſelbſt verfammelt waren und auf deren 
Einladung auch auf der anderen Seite bis an das Waf- 
fer. der Troſtbruͤcke hin eine große Anzahl der Bürger: 
fihaft. In ihrer Mitte redete der Graf von feinem 
Wagen herab fie mir lauter und feſter Stimme an, und 

ermahnte fie, zu erwägen, wie gerecht die Sache ihrer 


314 Graf Heimich uͤberredet die Hamburger 


Herren und bis zu welcher Gefahr ihre Angelegenheit 
gefommen fey, Er zeigte ihnen, was fie verloren und 
welche Koften fie ſchon an dieſen Krieg gewender hats 
gen; die Bürger möchten in Zeiten vorfehen, daß ihre 
Würde und ihre Freyheit von jener ber Grafen nicht 
getrennt werben Fönne. Es fey beffer, zentfernt, als 
vor den Mauern der Stadt für Die eigene Erhaltung 
zu kaͤmpfen: fie möchten jest, in diefer aͤußerſten Roth, 
fie, die Grafen, nicht verlaffen, Der Eindruck, welchen 
diefe Anrede auf den Kath und auf die Bürger her⸗ 
vorbrachte, war fehr verfchieden; der Nach, neue Kla— 
gen ob unnüß geführter Kriege fürchtend, warnte vor 
der Gefahr, den Zorn des Königes zu reisen, ſchuͤtzte 
die Privilegien vor, mach welchen fie. von der Berpflich- 
tung zum Kriegsdienfte befreyer wären, erbor fich zu 
einer anfehnlichen Geldhuͤlfe und verfprach, in Zukunft 
Diefe zu verdoppeln; die Bürger hingegen, als deren 
Wortführer die Sechziger hervortraten, waren ergriffen 
von der brangenden Noch, die Aufferordentliches hei— 
ſche, und beffanden darauf, als der Graf feine Bor: 
ſtellungen noch nachdrucksvoller erneuerte, daß mit tha> 
eigem Beyſtand Hülfe geleifter werden muͤſſe. Der 
Schluß fiel. endlich dahin aus, daß man der Partey 
des Königes, melcher man fich durch Unterſiegelung 
eines hanfifchen Vertrags vom vorigen Jahre ver: 
pflichter glaubte, durch ein Auffündigungsfehreiben ganz 
entfagen und Dagegen dem Grafen und dem Herzoge 
mit 609 Schügen Beyſtand leiſten wolle, Dagegen 
beffätigtee Heinrich nicht nur aufs Neue die alten 
Privilegien, fondern ſtellte noch aufferdem Cam Tage 


zur Hülfe gegen Erich von Daͤuemark. 3135 


Jacobi 1417) einen bündigen Revers von fich, „daß 
die Hamburger niche pflichtig feven, gu der Grafen und 
"ihrer Lande Noͤthen bepzutragen; doch wollten fie ihnen 
jege beyftändig feyn, ungeswungen, aus gutem Willen, 
und follten deshalb ihre alten Priviligien: in voller 
Mache verbleiben‘ ꝛc. Graf Heinrich war noch in 
Hamburg, als die Nachricht eintraf, Schleßwig fen 
vom Könige Erich erobert, der Herzog Albrecht von 
Mecklenburg darin gefangen genommen worden, und Gots 

2 torp werde bedroht. Schleunig ließ der Graf feinen War 
gen anfpannen und eilte nach Rendsburg und Gottorpr 
durch die Nachricht der nahen Hülfe den geſunkenen 
Huch der Seinigen wieder aufjunichten; in feinem Ge 
folge war ein hamburgifcher Bürger mit dem Abfager 
brief und ohne Saumen brachte ihn der ſchlaue Bote 
in das Lager des Königs; Diefer aber wurde durch 
die unerwartete Nachrichs eben fo fehr beſtuͤrzt, als 
übertriebene Gerüchte von dem Anrücfen einer flarfen 
Macht wereinter Hamburger und Diehmarfchen Furcht und 
Sihresten im ganzen Heere verbreiteten: der König brach 
im der folgenden Nache mit dem Lager auf, verlieh 
Schleßwig und ging über die Schley nach feinen Lanz 
den zurück, nachdem er auf diefem Zuge eine’ groffe 
Anzahl von Leuten und vieles Gepäck verloren hatte, 

Der Krieg dauerte, mit geringen Unterbrechungen 
in den nachfifolgenden Fahren fort, mit abwechſelndem 
Glück, aber mit vieler Graufamfeit, So Har es ein. 
leuchtete, welche Partey in. diefem Kampfe von den 
Hanſeſtädten hätte ergriffen merden ıfollen, fo wenig 
geſchah doch von ihnen aus, theils weil fie von innerer: 


316 Fortſetzung des Kampfes gegen 


Noth und Zwiſtigkeit zu fehr bedrangt waren, theils 
weil Zertheilung der Anfichten und der verfchiedenen Nutz— 
gewinyungen ein inneres Zufammenhalten des Bundes 
nicht zuließ. In Luͤbeck war der wiedereingefegte Rath 
vorzüglich durch Erichs Hülfe unterfinge worden und 
fühlte fich ihm durch Dankbarkeit verpflichter; Bremen, 
ohnehin ingleicher Verwirrung, war aufferdem von jeyer 
flau in Angelegenheiten derer an der Oſtſee; die nieder: 
Yandifchen Hanfeflädte aber benußten diefe Zwifchenzeit, 
ihren Handel nach dem Norden, zum Nachtheil der 
übrigen empor zu beben, Hamburg biefe demnach 
lange allein mir feiner thaͤtigen Hülfe bey denen von 
Holfkein und Schleßwig. Noch im Jahre 1421, da 
zuvor einige hamburgiſche Schiffe von den Dänen ge 
nommen worden waren, ruͤſteten fie eine Flotte aug, 
überfielen zu wiederholtenmalen die nordjuͤtiſche Küfte 
und machten reiche Beute; als eine Fönigliche Flotte 
gegen fie anfegelte, Hriffen fie diefelbe an, bohrten 
mehrere Schiffe in den Grund und nahmen drey mit 
120 Mann gefangen, welche fie nach Hamburg ab- 
führten, Erſt im nachften Jahre (1422) vereinigten fich 
mehrere wendifche Städte mie Hamburg auf den Tag: 
fahrten zu Luͤbeck und Roſtock, daß fie den hanſiſchen 
Kaufleuten die Fahrt nach den drey Reichen und allen 
wechfelfeitigen Verkehr bey Einziehung der Güter und 
bey Lebensſtrafe unterfagten. Darauf Tief aub im 
folgenden Jahre (1423) eine fehr anfehnfiche Kriegsflotte 
aus, 1000 Mann Liberfer, 8oo von Wißmar, von 
Roſtock 600 Mann und von. Hamburg 900 Mann 
nebft 400 Schügen, und fie verheerten die jütländifchen 


Erich von Dänemark, 14211426, 5317 


Küften und die danifchen Inſeln. Erich verficchte zwar 
die zu Sthonen liegenden holländifchben Schiffe gegen 
die Hanfenten zu bemannen, aber diefe kamen zuvor, 
überfielen die Schiffe und nahmen ihnen Segel, Tau: 
wert, Steuer und Anker weg, daß fie zu des Königes 
Gebrauch nicht mehr dienen konnten. Auch die Holffeiner 
batten eben Flensburg mit Sturm überfallen, «als ein 
vom Raifer Siegesmund Abgeordneter, Heinrich 
von Rumpold, Herzog von Schleflen, eintraf, um 
den. Frieden zwifchen dem fireitenden Parteyen zu ver 
mitteln. Ein folcher Friede Fam denn allerdings zu 
Stande, (15. Suny, 14253) aber dauerlod, da der 
Vermittler Rumpold fihleunig von der um diefe Zeit 
graßlich bier im Norden wärhenden Seuche hinwegge 
vafft wurde, und die Hauptangelegenheit, der Veſitz 
von Schleßwig, zu Feiner Entfcheidung gefommen war, 
Auch der nachher folgende Eniferliche Ausfpruch, den der 
König Erich perfönlich zu gewinnen gewußt hatte, daß 
Schleßwig danifches Lehn fey, blieb ohne Erfolg. 
Aufs Neue kuͤndigten die Oſtſeeſtaͤdte im Sabre 1426 
dem Könige den Frieden auf, und machten mit Holffein 
und Hamburg gemeinfchaftliche Suche, und ein neun 
jahriger Krieg entffand, der für die Hanfa von der 
wichtigften Entftheidung haͤtte werden müffen, wenn 
Einheit der Gefinnung ihre Unternehmungen 'gefeitet 
hätte. Noch hätten im Anfange des Jahres 1426 die 
Holfteiner und Hamburger ganz allein, den 50000 Mann 
flarfen Heere, womit Erich vor Schlefwig und Got- 
torp gerückt war, widerffanden: glücflicherweife waren 
an 600 fogenannter Birtualienbrüder zu den Hamburgern 


318 Kampf gegen Erih im Sabre 1427- 


übergegangen, und hatten durch ihre gegen die Daͤnen 
verubten Pluͤnderungen und ihre reichkiche Zufuhr groffen 
Vortheil geleifker. Als aber darauf der Ruf erfcholf von 
der Hilfe der Oſtſeeſtaͤdte, und ihre Kriegserflärung 
einlief, da bob der König in haftiger und unbeſonne⸗ 
ner Eife die Belagerung Schlefwigd und Gotterps 
auf und raumte mit groffem Verluſte den Gegnern dag 
Feld. Nur die groffe Ruͤſtung der banfifchen Flotte 
ſelbſt fruchsere wenig, da fie viel zu ſpaͤt auslief, und 
die eingerretene ſchlechte Jahreszeit jede Unternehmung 
verhinderte, Auch als diefelbe im Marz des nachften 
Jahres 1427 mit jahlreichen Landungseruppen in See 
fisch, geſchahe wenig mehr, als Verheerung einiger 
daͤniſchen Inſeln und die Landung der Mannſchaft bey 
Zlensburg ‚ um biefe von des Königs Leuten befeßte 
Stadt wieder zu gewinnen. Leider mißlang auch dieſes 
Vorbaben und brachte befonders für Hamburg fehr un 
angenehme Folgen, 

Auf der Landfeite namlich bedrangte die Stadt 
Flensburg der tapfere Herzog Heinrich von Schkef- 
wig mit einer ſtarken Schaar von Keifigen und Fußvolf, 
Joch in der Kreuswoche fandten auch die Hamburger eine 
anfchnliche Verſtaͤrkung dabin ab, unter der Anführung 
des Rathsherrn Johann Kletzen (oder Klegefen). 
Da man aber noch anderen Beyſtand erwartete, ins: 
befondere die nöthigen Kriegsruffzeuge, wurde die Ver 
abredung getroffen, daß der Angriff auf die, Feſtung 
nicht eher, denn am Tage nach Himmelfahrt beginnen 
ſollte. Johann von Kletzen jedoch, ein Mann von un— 
geduldiger Gemuͤthsart und von uͤbermuͤthiger Hoffnung 


Johann Kletzen vor Flensburg, 3ig 


. ergriffen , vereheifte am Himmeilfahrts ⸗ Abend einige 
Tonnen Bier unter feine Leute und ermünterte fie, 
wenn fle ausgejecht hätten, bie Belägerten mit gluͤhen⸗ 
ben Seiten su beſchießen. In trunkener Kuͤhnheit ſolg⸗ 
ten die hamburgiſchen Lanzenknechte ihrem Führer, und 
das plöglich entſtehende Geröfe und Getuͤmmel weckte 
die Nebrigen im Lager aus dem tiefen Schrafe, Heim 
rich ſelbſt, in der durch das Taute Geſchrey erregten 
Beſorgniß, die Waͤlle der Stadt moͤchten ohne ſein Zu⸗ 
thun erſtiegen ſeyn, raffte ſich auf, ergriff eine Sturm⸗ 
leiter und flieg hinan, wurde aber von einem der daͤn— 
ſchen Beſatzung, welcher ihn erkannt haste, mit fchars 
fem Gewehr durchffochen, fo daß er bald darauf Im 
. Gegelte feinen Geiſt aufgab, Der Tod dieſes noch jun 
gen Fürften, der mit den edeiften Tugenden der Ger 
rechtigfeitstiebe, Tapferkeit und Enthaltſamkeit geruͤſtet 
war, erregte allgemeine Beſtuͤrzung; dazu gab, trotz aller 
Bieten des Grafen Adolph von Holfkein, der die Bela⸗ 
gerung fortfegen wollte, der Bürgermeifter von Luͤbeck 
feinen Schiffen Befehl, aufzgubrechen, welchem unſeligen 
Beyſpiel die Uebrigen folgten, 

Am Marien⸗ Magdalenen⸗Tage (im Juny) deſſelben 
Jahres erſchien jedoch die hanſiſche Flotte von 
Neuem, unter den Befehlen der beyden Bürgermeifter 
Hinrich Hoyer aug Hamburg, und Ti dbemann 
Steem aus Lübeck, theils um bie daͤniſchen Kuͤſten zu 
verheeren, insbeſondere auch, um einige dreyßig reiche 
Kauffahrer, welche von der Weſtſee ber mit il 
Warren erwartet wurden, ſicher durch den Sund 3 
geleiten, Aber auf der Rhede von Kopenhagen war: 

2r 


320 Hoyer und Voß erden gefangen, 


tete ihrer Erich mit einem anfehnlichen Geſchwader d4- 
nifcher und fehmedifcher Schiffe, und da die Hambur- 
ger, obſchon Steen zum Angriff gerathen hatte, von 
den Luͤbeckern zu wenig Unterflügung erhielten, wurden 
fie gefchlagen, ihre Schiffe größtentheil genommen und 
Hoyer ſelbſt mit dem Rathsherrn Johannes Voß 
und vielen anderen gefangen. nach Kopenhagen ‚geführt; 
Steen eilte mit den wenigen Gefangenen, die er gemacht 
hatte, zuruc in die Trave, noch ehe die Kauffahrtey- 
fhiffe im Sunde angefommen waren, und diefe ſelbſt 
fielen mit der reichen Ladung und allem Schiffsvolk in 
die Hande der Danen, Hinrich Hoyer und die übrigen 
Hamburger konnten erſt fünf Jahre nachher gegen Aus, 
wechjelung mehrerer danifchen Edlen und ein Löfegeld 
von 1000 Mark aus der Gefangenfchaft befreyer wer: 
den. Tidemann Steen auf dem zwiefache Be: 
ſchuldigung laſtete, entging nur mit genauer Noth dem 
Schickſal des Buͤrgermeiſters Wittenborg; nach drey— 
jaͤhriger Haft im Thurme wurde er ſeiner Gefaͤngniß— 
ſtrafe auf Fuͤrbitten zwar entlaſſen, aber er blieb in 
Hausgefangenſchaft bis an ſeinen Tod. 

Sp wenig trauete indeſſen Erich der Beſtaͤndigkeit 
ſeines Gluͤckes, und ſo ſehr fuͤrchtete er den ferneren 
Widerſtand der hanſiſchen Staͤdte, daß er auf neue 
Mittel ſann, ſich Erleichterung zu verſchaffen, und 
dieſe ſuchte er in der Argliſt ſeiner, aller wahrhaften 
Staatsklugheit ganz ungewohnten, Geſinnung. Er ſandte 
an die einzelnen Staͤdte befondere Briefe herum, durch 
welche er den Saamen der Zwietracht im Innern ders 
felgen auszuſtreuen vorhatte; hier ſuchte „er bie 


Johann Kletzen hingerichtet, 321 


Buͤrgerſchaft zu uͤberzeugen, daß ihre Rathsherren ſich 
eigenmaͤchtig mit ihm in geheime Verbindungen einge—⸗ 
laſſen hatten, dort bar er mit groffer Herablaffung die 
Bürger, den Rath über den mis Unrecht gegen ihn ger 
führten Krieg zur Rechenſchaft zu ziehen. An mehreren 
Orten verfehlte die Liſt der Wirkung nicht: in Wißmar 
wurden ein Buͤrgermeiſter und ein Rathsherr ent haup⸗ 
tet, in Roſtock die vier Buͤrgermeiſter verjagt, die 
Stralſunder haͤtten beynahe ihren ganzen Rath getoͤd⸗ 
tet. In Hamburg wurde Johann Kletzeken das Opfer 
der aufgereizten Erbitterung. Auf ſeinen unbeſonnenen 
Angriff auf Fleusburg wurde von dem aufgebrachten 
Volke die Beſchuldigung des Verraths gegruͤndet; bey 
dem Rathe war er ohnehin verhaßt, da er fruͤher 
unter der Zahl der Sechziger zu Fühn und trogig für 
die Freyheit der Bürger fich geäuffere harte: er wurde 
daher, nachdem er eine Zeitlang in der Frohnerep ge- 
fangen gefeffen, am Abende des heiligen Antonius 1427 
auf öffentlichem Markte enthauptet, Die binterlaffene 
fromme Wittwe Kletzen's, Eliſabeth, ſtiftete mit 
Zuthun ihrer verwandten Freunde zum Gedaͤchtniß 
ihres ungluͤcklichen Gatten, wie ingleichen der in der 
Fehde erſchlagenen Genoſſen, im naͤchſten Jahre 1428 
das Hoſpital zu St. Eliſabeth CSunte Ilſeben 
Huf) m dem Horſtmanniſchen Haufe auf dem Bur— 
ſtah, in der Nachbarfcbaft der Nicolai⸗Kirche, (N. 57) 
und verfah es mit fo reichen Einkünften, daf zwanzig 
Perſonen nebſt vieren zu ihrer Bedienung bequem darin 
unterhalten werben konnten, Sonſt wurde auch wohl 
diefe fromme Stiftung zum Unterfibied vom groͤſſeren 

21* 


322 Während des Krieges mir Erich Fommt 9. 


Hofpital zum h. Geift, beffen Gruͤndung bis in 
die erfte Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts hinauf: 
reicht, und zur Aufnahme von Lahmen, Blinden, Taus 
ben und Stummen beffimmt war, mit der Benennung 
des Eleinen h. Geiſtes bezeichnet. Das iff von 
jeher als der bervorffechendffe Zug in dem ſittlichen 
Weſen der Hamburger zu bemerken, daß fie im Gluͤck, 
wie im Ungluͤck, mit reiner Empfindung der leidenden 
Menſchheit gedachten und mit freundlicher That und 
Huͤlfe ſich ihrer annahmen. 

König Erich erreichte gleichwohl feine Abſicht, 
welche er bey Abſendung ſeiner geheimen aufwiegelnden 
Briefe gehabt hatte, feinesmeges; die Befehdungen 
wurden zu Waller und zu Lande erneuert, Aber fie 
aufzuzaͤhlen gäbe eine Verdruß und Ermuͤdung fihaffende 
Sufammenftellung von Unfchlüffigfeiten, balden Maaß- 
regeln, verzettelten Anffrengungen der Kraft und des 
guten Willens, Roſtock und Stralſund fehloffen Frieden 
mit Erich für fich 1430, und überließen die vier Städte 
Wißmar, Luͤbeck, Hamburg und Luͤneburg noch oben 
ein ihrem eigenen Schickſal. Hamburg, das ſo viele 
und ſo bedeutende Opfer gebracht hatte, erhielt noch in⸗ 
mitten dieſer Verwirrung gang unerwartet einen neuen 
Feind in ſeiner Nachbarſchaft an den, freylich ſtets 
wetterwendiſch geſi unten Dithmarſchen, mit denen es 
ſonſt in durchaus friedlichen Verhaͤltniſſen ſtand. Die 
Schiffe, welche das vor Apenrade gebrauchte Kriegs⸗ 
volk nach Hauſe fuͤhrten, waren auf der Elbe durch 


— Sturm an der Dit hmar ſchen Kuͤſte verſchlagen worden. 


Als nun die Hamburger , ſich Feines Böfen verfehend, 


in Fehde mit den Dithmarſchen. 1430. 323 


ans Land traten, „wurden fie von einem Schwarm der 
Dirhmarfihen „unter der Anführung des Voigted Rad: 
lef Carſtens überfallen, zum Theil erichlagen, zum Theil 
verwundes oder gefangen und ihrer Schiffe und Ruͤſtung 
beraubt, Vergeblich bemuͤheten fich der Bifchof von 
Bremen, die Lübesker und Lüneburger, die Sache güt- 
fich beyzulegen. Die Dithmarſchen, - um nicht beym 
Anfange der Feindfeligfeiceu ſtehen zu bleiben, rüffeten 
Schiffe aus, landeten bey dem Neumerker Thurme, 
brannten die Borburg ab, raubten eine Menge Bieh, 
und erfchlugen mehrere von der Beſatzung. Solchen 
Gewaltthaͤtigkeiten zu feuern, befonderd aber um meh⸗ 
rexe Kauffahrer, welche eben aus Flandern her erwar⸗ 
tet wurden, vor der Beraubung zu febügen, wurde der 
Rathsherr Martin Smwartefop mit, einigen bes 
waffneten Schiffen, die mit 600 Mann befege waren, 


ausgeſchickt. Als fie nun bey der Küffe von Dithmars % 


fchen vorbey fuhren, rieth einer der Lanzenknechte, man 
ſolle zur Vermehrung der Lebensmittel aus dieſem fet⸗ 
ten Lande einiges Vieh erbeuten, und als der Raths⸗ 
herr ſich dagegen ſetzte, mißfiel fein Betragen dem 
leichtſinnigen Schiffsvolke, das ihn einen Verraͤther 
ſchalt, wenn er ihren Wuͤnſchen nicht willfahre. E ©» 
gezwungen, legte er and Land und beichloß mit 
200 Mann am Ufer zu verweilen, bis die Uebrigen 
zurückkehren würden, Die Beutemacher aber jagten von 
Dorf zu Dorf, zünderen die Bohnungen an und wec⸗ 
ten dadurch das Landvolk aus ihrer Sicherheit. Von 
allen Seiten ſtroͤmten darauf die Dithmarſchen zuſammen, 
verjagten die Herumſtreifenden, eilten dem, Strande zu⸗ 


924 König Erich wird abgeſetzt; ihm folge 


und ba bie Schiffe Bey eingerreremer Ebbe nicht flott 
gemacht werden Fonnten, wurde Swartekop mit einem 
groffen Theile feiner Leute erfchlagen. Die geſchah 
im Jahr 1430 am Abende vor St. Petri Stuhlfeyer. 
In der Folge kehrten die Dithmarſchen ihren unruhe—⸗ 
vollen Sinn gegen ſich ſelbſt und zerfielen in zwey 
Parteyen unter fich, bis Durch die Nertreibung des Radlef 
Corſtens 1435 und nach Vereitelung eines wiederholten 
Verſuchs, Dem derſelbe machte‘, fich im Lande zu ber 
haupten, unter dem Beyſtande der Hamburger und 
mit Berathung der Lübecker der Aufruhr getilgt ie 
(1437.) ; 

Die Unzufriedenheit der Dänen über die vielen 
Fehler und Uebereilungen ihres Könige, über fein ans 
ſtoͤſſiges Betragen ‚ über die Ausſchweifungen der von 


ER ihm beguͤnſtigten Cleriſey, noch mebr aber der gröffere 


Miderwille der Schweden gegen ibn, weicher zuletzt 
in thaͤtlichen Aufruhr ausging, mußten ihn endlich 
wohl geneigt machen, zw ernften Friedensverhandlungen 
auch mie den vier Städten die Hand zu bieren. Schon 
‚432 war ein Waffenſtillſtand geſchloſſen worden; 
1435. gr 15. July Kam endlich auch’ der Friede zu 
Stande mit dem' ‚Herzog von Schleswig, den 17, July 
mit Luͤbeck, Hamburg, Wißmar und Lüneburg, Dem 
Grafen Adolph von Holſtein, auf welchen feines 143% 
geſtorbenen Bruders Gerhard Anſpruͤche uͤbergegangen wa⸗ 
ren, verblieb der Theil von Schleßwig/ den er im wirklichen 
Beſitz hatte, auf Rebenszeit und feinen Erben noch zwey 
Sabre Tang nach deſſen Tode. Den Städten wurde 
aller vom Könige fonft begehrte Schadener ſatz erlaſſen 


ver Yfaljgraf Ehriffoph von Bayern. 325 


und fie im den alten Handlungsprivilegien und Vor⸗ 
rechten ferner beſtaͤtiget; dagegen follten fie die feit huns 
dert Jahren üblichen Zölle weiter, entrichten und bis 
zu feiner Ausjfohnung mie Schweden den Verkehr mit 
diefem Lande aufheben. Ein Verluſt, welchen die 
Stadte wahrend dieſes nordifchen Krieges erlitten hats 
ten, Konnte ihnen nicht wieder erfiatter werden. EI 
hatte ſich namlich feit 1425 der Hering faſt gaͤnzlich 
von der Schonifchen Küfte hinweg und nach den 
Flammlaͤndiſchen und Schottlaͤndiſchen Kuͤſten hingejo- 
gen, ſo daß der bedeutende Heringsfang, welchen die 
Staͤdte bisher an dieſen Kuͤſten getrieben hatten, zur 
Unbedeutenheit herabſinken mußte, AR 
Die Borbaltniffe im Norden nehmen nun allmahlig 
eine fehr veränderte Gefkalt an. König Erich Fonnte 
ih in feinem Anfehen niche mehr aufrecht erhalten: 
verwiefen zuerſt aus Daͤnemark, dann auch aus Schwer 
den, trieb er eine Zeitlang von Gotbland aus veraͤcht⸗ 
liche Freybeuterey zur See und farb vergeffen in Pom: 
mern zu Ruͤgenwalde. An feine Stelfe war fein Schwer 
ſterſohn, Herzog von Bayer, Chriſtoph, ind Neich 
gerufen worden, (1439) der erſt Reichsverweſer von 
Dänemark, nach und nach von allen drey Reichen als 
Unions-Koͤnig anerfanne wurde. Seine Plane waren 
flug ausgedacht, den Handel und die Macht der Hanfer 
ftädte, die er haßte und deren gefährlichen Einfluß er 
zu berechnen verftand, allmablig zu zerſtoren: doch 
haste er niche verbüten können, die alten Privilegien 
derſelben zu beſtaͤtigen, und von der Ausführung deſſen, 
was er weiter gegen fie erſinnen mochte, raffte ihn zu 
früh der Tod hinweg. (14489 





\ 


326 Chriſtian, von Oldenburg, danifcher König, 


Wahrend die Schweden den Karl Knutſon zu ihrem 

- Könige erwahlten, übertrugen die Danen die Krone ihres 
Heichd dem Herzog von Schlefwig Adolph VIL, 
Dieſer aber, ein fonft tapferer und weiſer Fuͤrſt, 
fihügte, weife genug, fein Alter vor, und-empfahl an 
feine Stelle den Grafen Chriſtian von Oldenburg 
und Delmenhorſt, feinen Schwefterfohn, der noch waͤh⸗ 
send der Wahlunterhandlungen die alte Verordnung 
Waldemars V. beffätigte, daß das Herzogehum Schleß— 
wig nie mit der Krone Daͤnemarks verknüpft werden 
folle, und auch die durch Ehriftoph geſchehene Belehnung 
urkundlich befraftigte. Die nachfolgenden Fehden zwi— 
fehen Daͤnemark und Schweden gaben den hanfifchen 
Städten, befonders der Oſtſee, Gelegenheit, bald die 
fen, bald jenen Theil zu unterfiügen und mwechfelfeitig 
von beyden die Erfüllung ihrer Wünfcbe zu erhalten. 
Im Fahre 1459 den 10.!December ftarb auch der Herzog 
Adolph, derlegte Fuͤrſt aus diefem Haufe, ohne Nach⸗ 
kommenſchaft, und Chriſtian, gegen fein Geloͤbniß, und wie: 
wohl ein Seitenverwandter, Graf Dtto von Schauen: 
burg, auf Holftein noch Ansprüche machte, vereinigte 
aleicbwohl Schlefwig mit Danemarf und ließ fich 
von den ſchleßwigſchen und holſteiniſchen Ständen 1460 
zum Herzog und Grafen ausrufen: Graf Otto wurde für 
feine Anfprüche mit einer Kaufſumme abgefunden, kun 
geriethb auch Hamburg, dasbisher nurnoch in lockeren, 
faſt unmerfbaren Banden mit den Grafen von Holftein 
aus dem Schauenburgifchen Haufe geſtanden hatte, 
durch dieſe Umanderung der Dinge in neue. Berühr 
rung mit den Königen Daͤnemarks ſelbſt, deren Anfehen 


fodert die Huldigung von. 9. 327 


und Einfluß daffelbe unter den fonffigen Umſtaͤnden eben 
fo ſehr zu ſcheuen, als möglichft entferne zu halten 
gewohnt geweien war. 

Nachdem der König noch im Jahre 1460 die Er: 
Harung gegeben hatte, daß er und feine Landftände in 
Schleßwig und Holftein Feine andere Muͤnze für guͤltig 
erfennen wollten, als die in Lübe und Hamburg 
gaͤnge und gabe wäre, fand er fich im nachiten Sabre 
1461 in der heil. Drey⸗Koͤnigs⸗Woche ſelbſt in Hams 
burg ein,um von diefer Stade auch als, jeßiger Graf von 
Holftein und Stormarn die" Huldigung entgegen zu 
nehmen, damit er von der Treue der Bürger defto mehr 
verficheret feyn koͤnne. Die Unterhandfungen, welche des⸗ 
halb auf dem Rathhauſe gepflogen wurden, zeugen von 
einer groffen Borficht der Rathsherren, denen 40 Bürger 
beygegeben waren, und dreheten fich lange um Augs 
drüce und Formen, die um der Zukunft willen vers 
mieden werden mußten, Die Hamburger wollten nicht? 
von Huldigung, nichts von Eydesteiffung hören, die auch 
früberhin nicht ſtatt gefunden, und die in einer Faiferl, 
deutſchen Stadt nicht gefodert werden koͤnne. Der Buͤr⸗ 
germeifter Detleff Bremer erklärte endlich: daß die 
Stadt den König ald Herrn der Lande Schleßwig, Hol⸗ 
ftein und Stormarn annehmen, und ſich zu ihm 
halten wolle, wie fie fich zu Adolph gehalten habe, 
auch zu ehun, was ihnen zu thun gebührfich fey: da— 
gegen folle der König der Stade ihre wohl und redlich 
gewonnenen Frepbeiten und Privilegien, „Gewohnheiten 
und Handfeſten beſtaͤtigen, auch fie und ihre Bürger 
gegen jedermann fehügen und handhaben, Der Köhig 


328 Gutes Verhältniß zwifchen Hamburg 


nahm fle fofort als feine Bürger auf und an, gelobte ihnen 
dad Erberene und die Sache ward durch Handfehlag 
abgerhban. Die: feyerliche Belkätigung der Privilegien 
erfolgte auch noch in dieſem Jahre am Tage St. Antonit, 
zugleich aber auch das Verbot, daß Niemand feinen 
Zoll in Hamburg irgend vorbeyfahren folfe, um doch auch 
feine baaren Gerecbtigfeiten atfobatp in Anſpruch zu 
nehmen. 

Die Lage des Reichs vermochte den König Chri— 
ſtiern, fo nannten ihn die Danen, bie Stade Ham: 
burg mit Schonung und Gunſt zu behandeln. Co er- 
theilte er ſchon im Jahre 1462 Cam Palmfonntage) den 
bamburgifchen Kaufleuten das Privilegium, Korn, 
„Qwyk“ (Bieh) und allerley Waaren und Güter im 
dänifchen Reiche zu kaufen und diefe ohne einige Vers 
hinderung ſeiner Unterthanen anf ihren rechten Zoll zu 
bringen; und 1464, daß Niemand keinerley Korn, 
Rocken, Weizen, Gerſten oder Mehl, noch Wein oder 
Bier die Elbe herab vor Hamburg vorbey ſchiffe oder 
fahre, fondern nach Gebrauch daſelbſt verfaufe oder 
verhandle. In den Zwiftigfeiten, welche des Könige 
Bruder, Graf Gerhard von Oldenburg, gegen Chri— 
ffiern anfponn, nahm Hamburg fehon im Jahre 1465 
die Partey des Koͤniges, und leiſtete, als es nachher 
zum Ausbruch der Feindſeligkeiten Fam, nebſt Luͤbeck 
thaͤtige Huͤlfe, fo daß Gerhard ſich wiederholt gezwun⸗ 
gen ſah, in ſein Gebiet zuruͤck zu kehren: wiewohl 
derſelbe von da aus den Staͤdten durch verübte Raub⸗ 
angriffe ſeine Rache fuͤhlen ließ. Eben dieſe Befehdun⸗ 
gen des Grafen Gerhard vermochten den König, ale 


und König Ehriffiern von Daͤnemark. 329 


et ſich im Jahre 1470 zu einem Feldzuge nah Schwe⸗ 
den anſchickte, mit den Bifeböfen zu Schleßwig und 
Lübeck, mit der Ritterſchaft Der Herjogtbümer und den 
Städten Lübe und Hamburg ein enges Buͤndniß zu 
ſchließen, zur Aufrechthaltung des Friedens und jur Ver; 
treibung ungerechter Gewalt, wobey er zu gleicher Zeit 
die Berficherung wiederholte, die Vorrechte und Freys 
heiten der beyden Städte bey ihrem Werche zu erhal⸗ 
ten und ihnen ſtets in ihren gerechten Sachen beysuftes 
ben, Hm die mörhigen Kriegskoften aufzutreiben und 
andere Verfegenbeiten zu decken, verpfändere der König 
feinen ZoN gu Hamburg an Hoyer Gernholdt, verfegte 
im Lubeck das Gefchmeide der Königin, und die Stade 
Flensburg nebſt Schloß und Vogtey übertrug er an 
beyde Staͤdte Hamburg und Lüberf zur Verwahrung 
für die Summe von 36,506 ME. Lübifh, womit er 
einigen holſteiniſchen Edlen verhafter war. Inter fol 
then Umſtaͤnden hatte es den Städten micht ſchwer wer 
Ten können, den König zu bewegen, daß die deutſche 
Hanſe zu Bergen in Norwegen aufs Neue beſtaͤtiget 
wurde, (im Jahre 1469) ſo wie er auch derſelben im J. 
1471 beſondere Privilegien gegen die Hollaͤnder verlieh. 
Am übrigen hielt ſich Chriſtiern trotz einiger Irrungen, 
welche der Beſitz des Schauenburgiſchen Hofes veran⸗ 
laßte, fortwaͤhrend in gutem Vernehmen mit Hamburg 
und die verſchiedenen Sendbriefe, welche er zu mehreren 
Zeiten dahin entließ, ſind voll der geneigteſten 
Ausdruͤcke. Bald dankt er dem Kath und der Bürgers 
haft, ‚feinen guten Freunden,“ für den feiner Ge 
mahlin geleiſteten Beyſtand, bald melder er, daß er 


330 Johann folge dem Bater ald König v. Daͤnm. 


um etlicher Gewerbe willen „in ihre Stadt’ kommen 
wolle, ein anderesmal (1473), erfuche er „um bie 
Gunſt,“ einiged Silber in ihren Nahmen auf ihrer 
Minze fich zu Gute! auspragen laſſen zu dürfen, daß 
alſo das Vernehmen mie diefem Könige freundlicher 
anhub, als e8 in fpäterer Zeit gelaffen wurde. Zu be 
merken bleibe und noch, daß der Kaifer Friedrich Il, 
im Jahre 1474 Holfkein, Stormarn und Wagrien zu 
einem He rzogt hum erhob, die Lande der Dithmar⸗ 
ſchen damit vereinigte und dem Koͤnige Chriſtian die 
Belehnung daruͤber ertheilte. 
| Als nach Chriſtian's Tode (1482) deffen Söhne 
Johannes und Zriedrich fich in das vaterfiche 
Erbe theiften, wiederholte fih mit Hamburg daſſelbe 
Spiel, das fihon der Vater mit der Huldigung getrie— 
ben hatte, Beyde kamen den 5. November 1482 mit 
ihren Raͤthen und mit 600 Pferden nach Hamburg und 
verlangten, daß. ber Kath und Die Buͤrgerſchaft ihnen 
huldigten. Dieſe erklaͤrten aber dießmal noch runder 
und unumwundener, daß ſie weder vormahls einem 
Grafen oder Herzoge von Holſtein gehuldiget, noch daß 
fie es jetzo zu thun gedaͤchten, und wollten eher Leib 
und geben, Haab und Gut darum verlieren; fie beklag⸗ 
ten ſich noch. obenein, daß ſie zu Rendsburg und ande⸗ 
rer Orten gegen erhaltene Freyheit mit Zoͤllen belegt, 
und ihnen Handel und Verkehr in Daͤnemark und den 
Herzogthuͤmern ſchwerer gemacht würden, denn zuvor; 
wenn demnach dieſen Beſchwerden abgeholfen und ſie 
bey ihren Privilegien geſchuͤtzt wuͤrden, da wollten ſie füh, 
ohne Huldigung, gleichmwie ihre Vorfahren gethan, zu 


und fein Bruber Friedrich als Hertog von Schleßw. 33x 


dem Haufe Hofftein halten. Obgleich die Unterhands 
lungen bis zu Martinicag bin ausgedehnt murden, lau⸗ 
tete doch die Antwort nicht anders, und bie Sache 
wurde beendiget, wie vormahls. An den übrigen Vers 
bältniffen änderte fich wenig: König Johann mar 
theils durch die Angelegenheiten ſeines Reichs, theils 
durch die Anſpruͤche, welche Herzog Friedrich an das 
vaͤterliche Erbe machte, zu ſehr beſchaͤftigt, als daß er 
nicht ein gutes Verſtaͤndniß mit den Städten uͤberhaupt 
zu erhalten bemübt gewefen ware. Darum finder fich 
auch in feinem Schreiben an Hamburg derfelbe Tom der 
Höflichkeit und Schmiegſamkeit, mie in denen feines 
Baterd, So meldete er der Stadt im Jahre 1484, er 
babe dem Biſchof Albrecht von Liber: und einigen 
Raͤthen aufgetragen, daß fie in feiner und feines Bru— 
ders Abweſenheit des Landes Beſte bewahren möchten, 
und Bitter darum, daß auch die Stade Hamburg die 
Lande fich gütlich befohlen feyn Iaffen und dem Bifchof 
auf deffen Erfordern Hülfe, Rath, Troſt und Beyftand 
nach Nothdurft ermweifen wolle, Zu einem Befuch in 
der Stadt 1487 erbaten ficb beyde Brüder von derfels 
ben zuvor ficheres Geleite: vieleicht hat derfelbe mit 
beygetragen, daß noch am 11x. November diefed Jahres 
ein Vertrag über die freye Elbfahrt gefchloffen wurde, 
Beranlaffung zu Streitigkeiten mir dem Herzog Fried- 
rich gab bie Fleine Inſel Helgoland, welche die Haus 
burger in Verbindung mir den Bremern, Stadern und 
Weſtfrieſen für frey und offen benugen wollten, Fried 
rich hingegen mepnte zu beweifen, daß fie feit Jahr— 
hunderten zum Herzogthume Schlefwig gehört, ja 


332... Hamburg halt ſich friedlich 


fruͤher ſogar mit demſelben zuſammengehangen habe, 
und nur durch die Gewalt der Strömung davon abge 
trennt worden fey. Es kam in den Fahren 1497 und 
98. zu wirklichen Feindfeligkeiten, in welchen man fich 
gegenjeitig vielen Schaden zufügte, Da auch die Dithr 
marfchen an diefe Befehdung fich angefchloffen und ſelbſt 
einen Einfall. in des Herzogs Gebiet gewagt hatten, 
nahm. Friedrich eine Schaar von 6000 fagenannter 
Gardedruͤder im feine Dienſte und drang damit in Dith- 
marfchen ein: gerieth aber mit den fFreitluffigen Ber 
wohnern des Landes in ein fo nachtheiliges Treffen, daß 
er felbft der, Gefahr der Gefangenfibeft kaum entrinnen 
konnte. Damahls gefchah es, daß bie. Hamburger aus 
Beloraniß, der Herzog möge mit - feiner Kriegsſchaar 
auch ihnen einen Beſuch machen, ihre Stadt von der 
Nordweſtſeite durch Anlegung eines neuen Walles 
zu decken eilten, (1500 —4) ber ſich bis an das Schar⸗ 
thor hinzog. 

Dieſe einzige Irrung a erbieft fich 
Hamburg im Sriedensflande zu König Sobann, auch 
als diefer zu Folge der gewohnten Weile mit den wen- 
diſchen Städten, insbefondere mit. Luͤbeck, in eine neue 
Fehde fich verwickelte. Die Hanfen , verlangte er, follten 
den Schweden, die mit ihm in Streit begriffen waren, 
keine Zufuhr bringen, und allem Verkehr mit ihnen 
entſagen, welches jene unter allen Umſtaͤnden zu be 
folgen Feine Luft bezeugten. In den erſten Jahren des 
ſechzehnten Jahrhunderts dauerte daher Die Befehdung 
mit geringer Unterbrechung fort. Als aber im I. 1409 
Luͤbeck, das ſelbſt in der Nabe von den Angriffen des 


— 


an den König Johann von Dänemark, 333 


Königs bedrangt wurde, um die Hülfe des geſammten 
‚Bundes nachfuchte, beeiferte füch befonders, wie fehr auch 
die Bürgerfibaft- in Hamburg zum Beyſtande geneigt 
war, der Bürgermeifter und Doctor der Rechte daſelbſt, 
Hermann Langenbed, die Sache fo. zu halten, 
daß die Hamburger feinen Antheil am. Kriege nahmen. 
Es wird bemerkt, daß diefe Maaßregel dem Handel der 
Stadt groſſen Nutzen geicbaffe babe, da wegen ber 
Sperre des Sundes und der Unficherbeit der Oſtſee Die 
‚Holländer, Brabanter und andere mis ihren Gütern 
nach Hamburg gefchifft waren: ein Beweiß mehr, wie 
man oft nur auf den Vortheil im Einzelnen fab, da die 
Angelegenheit des ganzen Bundes in gemeinfamer Theil: 
nabme aller Nugungen ſowohl, als jedweder Nachtheile 
haͤtte berathen werden ſollen. 

Gegen die niederlaͤndiſchen Städte hatte ſich 
gerade zur Zeit der nordiſchen Kriege eine Eiferſucht 
entwickelt, welche in eine wirkliche Trennung ausartete, 
fo. dag mehrere der angefebenften ſich ganzlih von 
der. Hanſe Iosfagten. Die wendiſchen Städte hatten 
in dem Kriege gegen Erich nicht nur vergeblich bey den 
Niederlaͤndern um Hülfe nachgefucht, ſondern diefe be- 
mächtigten fich auch, während jene won den nordifchen 
Handelsplagen ausgefchloffen waren, eines groffen 
Theild des Verkehrs und gaben ihrem Handel nad 
diefen Reichen die größte Ausdehnung, Kaum war da- 
ber der Friede zwifchen den Hanfen und Danemarf 
wieder hergeſtellt, als jene fogleih die hollaͤndiſchen 
Schiffe, wo fie fie trafen, anhielten, um: ihnen bie 
Oſtſee und. den Verkehr mis Norwegen su verleiden- 


334 Handeld + Berfehr mit den Niederlanden, 


Der Handelgneid erwachte in feiner ganzen Stärke, 
und befonders Fonnten die wendiſchen Städte die Treu— 
lofigfeit nicht vergeffen, mit melcher fie von den Nie— 
derfändern verlaffen worden waren: wie öftere Unter— 
bandlungen auch gepflogen wurden‘, eine Verfrändigung 
war ſchwer wieder zu begründen, Unter den einzelnen 
Angaben finden wir, daß im Jahre 1441 Auf der Tage 
fahre zu Luͤbeck die Kaufleute von Brügge fich über die 
Hamburger befchwersten, daß fie in Ritzebuͤttel von den 
geſtrandeten Gütern den dritten Theil wegnabmen. In 
demſelben Jahre wurde auch, nachdem beyde Theile auf 
mancherley Weife fich empfindlich gefrankt harten, durch 
die Bemühungen des Königs Chriſtoph von Danemarf 
in Kopenhagen, zwifchen den fech8 wendiſchen Gtadten 
Liber, Hamburg, Roſtock, Stralſund, Wismar und 
Lüneburg auf einer Geite, und auf der andern zwiſchen 
den Städten von Holland, Seeland und Weſtfrießland 
ein Vertrag geſchloſſen, in welchem fich beyde Theile 
wechfelfeitig eine freye und fichere Fahre auf ihre vers 
fihiedenen Zander zufagten, Aber ein dauernder Friede 
oder ein treues Verſtaͤndniß Fonnte nicht gelingen, um 
fo weniger, da die Niederländer von den norbifchen 
Koͤnigen alle ihre alten Freyheiten durch neue Briefe 
beſtaͤtigt erhielten und, da fie fich vom hanſiſchen Bunde 
groſſentheils losgeſagt hatten, Dielen in ſich berechtig— 
ten, gleichfalls abgeſondert ſeinen Nutzen und ſeinen Vor⸗ 
theil einſeitig zu verfolgen. Unter den hanſiſchen Niederla⸗ 
gen in Burgund erhielt ſich uͤbrigens Brügge noch in 
vorzüglichem Anfehen. Als aber auch dort der Verkehr 
wehrere Beeintraͤchtigungen erlitt, war das Comtoir 


Verhaͤltniß zu England, 335 


eine Zeitlang von da weg und mach Utrecht verlegt 
worden, bis erft nach mannichfaltigen Unterbanblungen 
und bis der Herzog von Burgund die früheren Privis 
legien beftatiger hatte , im Jahre 1457 die Rückkehr 
der Kaufleute erfolgte, Daffelbe wiederholte ſich öfters 

Auch die Engländer breiteren ſich in dieſem 
Zeitabſchnitt in ihrem Handel, beſonders nach der Oſtſee, 
ſtets mehr und mehr aus, und ſuchten für die Erzeug⸗ 
niffe ihres Kunſtfleißes, als z. B. die wollenen Tücher, 
in deren Verfertigung fie bald mis den Kbrigen Kauf 
leuten merteifern konnten, einen ensfernteren Abſatz 
durch fich ſelbſt zu befördern: Beguͤnſtigt durch die Uns 
terffügung ihrer Landeskoͤnige ſowohl, ald auswärtiger 
Mächte, gewannen fie in den nordiſchen Reichen und 
ſelbſt nach und nach in ben Hanſeſtaͤdten, Niederlaſſun⸗ 
gen und weckten dadurch die Eiferſucht der hauſeati⸗ 
ſchen Kaufleute in hohem Grade. Die faſt unaufboöͤr⸗ 
lichen Streitigkeiten, welche zwilchen ihnen und den 
Hanfenten vorfielen; find. Beweiſe, bi8 zu welcher Stärke 
die Leidenfibaft entbranne geweſen. Die Stillſtaͤnde, 
Verhandlungen, Friedensſchluͤſſe halfen nur auf kurze 
Zeis: denn der Grundkeim derfelben blieb in den Ge 
muͤthern der Verhandelnden zuruͤck. Von gegenfeitigen 
Beraubungen war baufig die Rede in den funfziger und 
fechgiger Jahren des funfzehnten Jahrhunderts : beſon⸗ 
ders klagten die wendiſchen Staͤdte darüber; Cöoͤlln, 
eine der Hauptſtaͤdte des Bundes, hielt es mit den 
Englaͤndern; Hamburg war Vermittlerin auf mehreren 
Zuſammenkuͤnften, aber ohne Erfolg und fand ſich bald 
su abulichen Beſchwerden veranlaßt. Im Jahre 1467 


22 
2 % 


336 Mißhelligkeiten der Hanfe 


fuhren die Engländer, eigenmaͤchtig, nach Ißland, ers 
ſchlugen den danifchen Voigt, Boͤrroe Thorloffen, pluͤn⸗ 
derten den Föniglichen Schaß und verheerten die Inſel 
mie Raub und Mordbrand, Darüber erzuͤrnt lief König 
Chriftien ihre Schiffe, welche ſich im Sunde und an 
den benachbarten Küffen zeigten, anhalten und mie ihren 
Gütern mwegnehmen. Dagegen behaupteten nun dieſe 
Abenteurer, daß die Dänen zu dem firengen Verfahren 
durch die Hanfen aufgehegt worden, daß die Hamburger 
zu der Wegnahme ihrer Schiffe geholfen hätten, und 
ließen deshalb die deutſchen Kaufleute in London gefäng- 
fich einziehen und in den Thurm fegen, manche fogar 
erdroffeln, und ihnen alle ihre Privilegien, Briefe und 
Siegel nebft allen Baarfchaften wegnehmen. Auf dem 
Hanferag zu Luͤbeck, im Jahre 1470, ward daher be 
ſchloſſen, daß man Feine englifchen Tücher Faufen oder 
in irgend einer Hanfeflade dulden noch verfahren laffen, 
den Engländern nichts zuführen und alle banfifche 
Kaufleute aus England zurückberufen wolle. Cöolln 
wurde in den hanfeatifchen Bann gethan. Bremen und 
Hamburg erhielten den Auftrag, Orlogſchiffe auszuruͤ⸗ 
fien und eine Landung auf England zu verfuchen. Bey 
ber Auflöfung, in welche zu der Zeit England in feinem 
Innern durch die wuͤthendſten Bürgerfriege zerfallen 
war, vermochten fie wohl, die Landung zu bewerkſtelli⸗ 
gen, ſie rückten mit ihrem Volke tief ins Land hinein, 
raubten, brandten und morderen, mach dem Benfpiel 
der Innlaͤnder, nahmen mehrere Schiffe meg, bingen 
die aufgegriffenen Englander an die Maſte, und veruͤb⸗— 
ten in wilder Leidenfchaft unfäglichen Schaden, Jemehr 


Ku 


er % en 


4 * 


mit den engliſchen Kaufleuten. 337 


indeß der blinde Haß durch ungebuͤhrliche Anſtrengung 
die eigenen Kräfte verzehrt, um fo früher erwaͤchſt die 
Sehnſucht nach Rube und Erholung. Der englifche Ge- 
fandte am Hofe des Herzogs von Burgund und die 
Helterleure der Hanfeftädte in Brügge befprachen fich 
unter einander, wie der unfeligen Fehde ein Ende zu 
machen fey, und fo wurde nach Utrecht auf ben 
1. July 1473 eine Zuſammenkunft ausgefchrieben, zu 
welcher zehn Städte, darunter Hamburg, Lübeck und 
Dremen, ihre Bevollmächtigten gefandt hatten. Es fans 
den fich fo viele verwirfelte Angelegenheiten auszuglei— 
chen, daß die Verhandlungen bis in das nachite Jahr 
ſich ausdehnten, da dann „endlich ein Vertrag zu 
Stande Fam, welcher von dem Könige Eduard IV, 
fowobl, als von dem Hanfebund genehmiget murde, 
(dem 20, July 1474.) Durch vdenjelben erhielten die 
Hanſen die Beftätigung aller vorhin erlangten Privis 
fegien und Handelsfrepheiten in England, und was in. 
den früheren Urkunden dunkel und unbeſtimmt ausge: 
drücke worden, oder einer Mißdeutung unterworfen 
gewefen, wurde nach Grundfagen der Billigkeit erflart ; zur 
Vergutung des Schadens. aber, den die Oſterſchen 
Kaufleute von den Englandern erlitten harten, verwil—⸗ 
liste König Eduard überhaupt die Eumme von 
16,060 Pfund. Sterling. Den deutſchen Kaufleuten in 
London wurde der Staalhof wieder eingerdumt und ers 
weitert, die geraubten Briefe und Guͤter nach Möglich 
keit zuruͤckgeſtellt und fonft gethan, was irgend zur 
Ausbeſſerung des Friedens Bienen konnte, Im J. 1476 
wurden auch die Coͤllner wieder in ben Bund mit auf—⸗ 

54” 4 


* 
338 Die Hanſe im Verhaͤltniß zu England, Frankreich ac, 


genommen, Der Utrechter Vertrag mwurbe von den 
nachfolgenden Königen Englands gewoͤhnlich beftäriger 
und diente auch wohl in neueren Streitigkeiten zur Ents 
Scheidung, Denn an fortbauernden Reibungen - fehlte 
ed nicht, da einerfeitS die englifhen Kaufleute ihren. 
Verkehr nah dem Norden immer forsfeßten, und die 
Hanfen mit Eiferfuche über der Bewahrung ihrer Han: 
delsvorzuͤge und ber Freyheiten ihrer Comtoire machten. 
Noch im Jahre 1497 begab ſich von Hamburg aus der als 
Geſchichtſchreiber verdiente und berühmte Doctor und Doms 
dechant Albert Cranz in Auftrag der Hanfe nach 
England, und vermittelte durch Unserhandlungen einen 
neuen Stillſtand ausgebrochener Feindſeligkeiten auf zwey 
Sabre, Wie fehr übrigens auch die Engländer bemuͤht 
waren, in den Hanfeffädten ſelbſt Niederlaffungen zu 
begründen, und auch nach dem Utrechter Vertrage in 
diefer Hinfiche begüunftige febienen, fo fanden fie doch) 
„in diefem Bemühen bey dem’ Handelsgeiſte der hanſi⸗ 
ſchen Kaufleute jetzt noch zu groſſe Schwierigkeiten, 
welche zu beſiegen erſt der Beharrlichkeit der nr. mmen 
gelingen konnte. 
Albert Cranz ging auf ſeiner Geſandeſchafs 
reife 1497 von England auch nach Frankreich hinüber, 
und wirkte bey dem Groß-Admiral dieſes Reiches aus, 
daß fünfeighin Fein Orlogſchiff aus den franzöflfchen 
Häfen auflaufen folte, ohne vorher genügende Verſi— 
cherung geftellt zu haben, daß die Schiffe derer, Die 
mit der Krone Frankreich in Verbindung ſtaͤnden, niche 
von demfelben angegriffen werden follten, Mit Sranf- 
"reich hatte die Hanfe fihon zu Den Zeiten Ludwig des 


» 

Berfügungen wegen des Handels, 339 
XI, Handeldverträge gefchloffen, melche auch von ben 
nachfolgenden Königen beſtaͤtiget wurden. Selbſt big 
nach Spanien und Portugal fegeiten die banfifchen 
Schiffe, wenn fie auch in dem Verkehr nach jenen Kuͤ— 

ten den Niederläandern den Vorzug geſtatten muften. 
Ein fo weit ausgedehnter Handelsverfehr ,. in wel— 
chem ſich Hamburg nach und nach und fihon wahrend 
diefer Zeit bis zu den Handelsſtaͤdten bes erſten Ranges 
empor arbeitete, mußte nothwendig die Aufmerkſamkeit 
der Bewohner dieſer Stadt vor allem auf dieſer Bezie— 
hung feſthalten und, wie irgend die Verhaͤltniſſe auch 
im Innern und in der Naͤhe ſich entwickelten, die zweck⸗ 
maͤßigſten Einrichtungen und Anlagen ‚veranlaffen. 
Bey dem noch immer dauernden Zuſtande des Unfrie— 
dens und der gegen ſeitigen Befehdung im Reiche und 
auf den Meeren, ein Zuſtand 1% er zu allen Zeiten. der 
Vermenſchlichung und der Beredlung der Völker vor: 
angegangen iſt, durfte nichts verabfäumt werben, wie 
entweder durch das Anfehen der Gefeke oder durch kraͤf⸗ 
tige Maaßregeln jener Unordnung geffeuere werden 
könnte, Man tief. das Anfehen des Reichsoberhauptes zu 
Hülfe, und Kaifer Sigismund ließ im Jahre 1415 
ein Berbot ergeben, daß Niemand, welch erhabener 
Würde oder weß Standes er auch feyn möge, von den 
Shiffbruchleidenden „ befonders den Kaufleuten von der 
deutſchen Hanfe, es möge mit dem Schiffbruch zuge⸗ 
gangen ſeyn, mie es immer wolle, wegen ihrer Perfo- 
nen oder Güter etwas fodern, nehmen oder erpreffen 
joe, „Es ift befannt, fange. das Faiferliche Privile- 
gium an, daß aus der Borfehung des ewigen Michrers, 





“ 
340 Sigismund’ Privilegium für die freye 


von deffen Antlig wahrhafte Gerichte ausgeben, bie Rechte 
ſelbſt ihren Urſprung genommen haben, Damit die, welche auf 
Erden zu Richtern beftelft find, Gerechtigkeit lieben und auf 
Billigkeie Ache haben ſollen. Denn waͤhrend dieſe 
Rechte in ihrer Dauer erhälten werden, fehaffen fie 
Frieden, indem fie jede Duelle der Zwiſtigkeiten ver: 
ffopfen; und indem fie nicht geftatten, dag einer von 
dem andern verlegt werde, genießen die, welchen das 
mie Beyſtand wiederfahrt, der reichen Fülle ver 
Ruhe, — Diefes Verbot war um fo zeitgemäßer, da des 
Kaifers Bruder und Borfahr, Wenzeslaus, früberhin 
dem Erzbifcbof von Trier das Recht der Grundruhr 
(Strandrecht) bemwilliger hatte. Kaifer Friedrich II, 
ertheilte im Jahre 1482 der Stadt Hamburg insbe 
föndere abermahls das Privilegium , daß alles, was 
ihren Kaufleuten durch Schiffbruch oder Raub entwen⸗ 
det worden, ihnen oder ihren Erben, ſobald es wieder⸗ 
gefunden, zuruͤckerſtattet werden und der Rath berech—⸗ 
tigt feyn folle, alle Uebeltbater, die auf der Elbe ber 
treten würden, nach den Gefegen zu beftrafen. 
Wie durch das Fräftige Zufammenbalten der beyden 
Städte Luͤbecek und Hamburg den Straßenraͤube— 
reyen in der Naͤhe von Bergedorf Einhalt gethan, 
und dieſes Staͤdtchen ſelbſt erobert worden ſey, iſt oben 
bereits erzaͤhlt. Doch war der Vertrag zu Perleberg 
faum gefchloffen, als eine neue Rotte aͤhnlicher 
Mader aus der Priegnig und dem Mecklenburgifchen 
unter Anführung kuͤhner Befehlshaber fich vereinigte, 
und die Wege zwiſchen der Elbe und Mölln befegt 
hielt, um auf die reichbelgbenen Wagen der Kaufleute 


* 
Schifffahrt. — Strandraubereyen ! 341 


Jagd zu. machen. ‚Der, Anfchlag aber. wurde verrathen; 
die Luͤbecker fehnitten ihnen den Ruͤckweg ab und griffen 
fie dann, in Vereinigung mit den Hamburgern an. In 
der Berlegenbeit flüchteten die Frepbeuter zu dem Her: 
zog Erich von Eachfen, der feinem gegebenen Worte 
zum Hohn fie in Lauenburg einließ und in feinen Schug 
nahm. Sp mußte Gewalt, fib abermahls das Recht er» 
jwingen: die Staͤdte lagerten fihb vor Lauenburg und 
bedrangten den: Herzog mit ſolchem Nachdruck, daß er 
die Auslieferung der Raͤuber bewilligte, mit der Ber 
dingung „ daß, da er ihnen ficheres -Geleite zugefagt, 
- fie fib von den Stadien Iosfaufen dürften und mit der 
bedroheten Todesſtrafe verfchont würden, An go kamen 
nach Luͤbeck, die übrigen nach Hamburg ; bey ihrer Loͤ⸗ 
fung mußten fie _die Urphede abſchwoͤren ihre Pferde 
und Ruͤſtung wurden ka die Keifigen ber Städte 
vertheilt. i 

Mit dem Te Bremen, mit den Burfaten 
und den übrigen Strandbewohnern an. jener Kuͤſte 
hatte zwar Hamburg zu verſchiedenen Zeiten Vertraͤge 
geſchloſſen, welche den Schutz und die Sicherheit des 
Handelsverkehrs zur Abſicht führten: aber auch, hier 
wurden Gefeg und Treue mit eigenmächtiger Gewalt⸗ 
thaͤtigkeit verlegt. Als im. Jahre 1442 ein aus Flan- 
dern kommendes, reich mit Waaren und Gütern für 
mehrere Hamburger Kaufleute beladenes Schiff durch 
Stürme an die Kuͤſte des Landes Wurſten getrieben 
wurde, fielen die Strandbewohner über daſſelbe ber, 
raubten alles, was darauf und darin beſindlich war 
und uͤbten gegen die armen Schiffbruͤchigen rohe Haͤrte 


u ö 
342 S.rtrandraub ber Wurfien 


und Hitmenfchlichkeit, Die Hamburger Flagten mit 
Recht über diefe Unbill und verlangten Erfaß und Bier 
derherausgabe des genommenen, aber vergeblich, Man 
wandte fich endlich an den Pabſt Johann den XIII. 
welcher die Klagen fo bedeutend‘ fand, daß er die 
Strafe des Kirchenbannes erkannte und unter andern 
dem Abt Friedrich von Reinfelde den Auftrag der 
Vollziehung ertheilte. Zur Handelggefchichte der da— 
maligen Zeit, und der Stadt Hamburg insbeſondere, iſt 
es kein unwichtiger Beytrag, daß uns ein Verzeichniß 
von der Ladung jenes Schiffes noch erhalten worden 
iſt. Folgender iſt deſſen inhalt: | 
„Arnold van Keitelen 3 Piepen Del, ı packen Dpernich 
Tuch, 134, ‚Mark Lüb, an Werth. — Heurich Borſteldes, 
I Terlingh won 14 Stuͤck Laken von Sckloe und 2 Piepeu 
Dels, 300 ME — Wilh. Huffcken/ 3 Faß Oel, 120 ME. — 
> 90h. Lutterdes 1 Faß Del, 40 ME— Heur. Swake 1 Terlingh 
Tücher von Delvemündeund 1 Faß Del, 3: 38 ME. — Alb. Kales 
Piepen Del und 4 Tonnen Alaun, 338 ME — Richard Ror 
zenburg 2 Faß Oelund 6 Tonnen Seife (Smegma), 128 ME, — 
Henrich Twedprp 1 Fas Del und ı Terlingh von 15 Stüd 
Tüchern vun Edlve, 289 ME — Albert Hallendorp 10 Tür 
eher von Eiflge und 2 Ballen Reis, zı5 ME. — Hermann 
Bifpiugh 2 Faß Del, 73 ME 8 $l, * Hermann Bis 
a Faß Del und ı Xerlingh von 16 eckldiſchen Tuͤchern, 
299 ME. — Burchard Widute 1. Terlingh von 18 Enid 
Laken von Eckloe, 238 ME. — Luͤdekin Struve 10 eckloiſche 
Tücher, 3 Faß Dei, a up Mandeln und 2 Ballen Neid, 
400 ME — Maun vau Angeren 2Faß Del und 
3 Tonnen Seife, 100 ME — Johann Burtehude 2 Taf 
Del, 78 ME — Undreas Gheverdes Faß Oel ꝛe. I 
deun Beruſtede desgleichen. — Tymme Bremers 1 Parken 
mit 70 Stuͤck Norderwykiſcher Laken aus England, ı Terlingh 
zn 26 Tücher von Alten, 772° ME 8 fl. — Luͤdeken 
Fode, Hermann. Buufiorp ,, ieder'a Gap Oel a, — Heutich 


® 
und Manfregeln dagegen, feit 1444. 343 


Gihmann 17 Tonnen‘ Seife, 90 ME — Piidefin Nichs 
ftede 1 Derlingb Tücher von Aremund, 225 ME. ı2 fl. — 
Wilpelm Holthuſen ı Tonne Datıeln, 25 Pfd. Varadichs 

krner und 1 Faß Niels, 106 ME. 8 ßl. — Sohanı Bulder 
ı Sag mit Gruͤnſpan (vinspass) und ı Tonne mit 60 Pfd, 
Theriat and andere Apothekerwaaren, fiir 50 ME, 4 


Der Abe Friedrich betrieb übrigens feinen. vom 
paͤbſtlichen Hof erhaltenen Auftrag mit einer fehr leb— 
baften Gefchäftigkeit. Er foderte zuerſt 1444 die Bes 
Hagten durch ‚öffenelichen Anfchlag vor fih, und als 
fie in geſetzter Friſt nicht erſchienen, that er fie in den 
Bann: fa nehmlich, daß an den Sonntagen, wenn 
der Zulauf der Gemeine am: größten wäre, nach anges 
zuͤndeten, wieder ausgeloͤſchten und an die Erde gemor: 
fenen Lichtern mit Tauter Stimme als Verbannte auss 
gerufen werben follten. Als die Drohung wenig wirkte, 
wurde der Befehl geſchaͤrfter wiederholt und ausge⸗ 
dehnt: die Geiftlichen follten zugleich Weihwaffer fpren= 
gen, damit die Teufel, welche die Verbrecher‘ befeffen 
bielten, verjage würden: die Nahmen der Tegteren folls 
ten abgelefen, und öffentlich an der Kirchthüre an 
geſchlagen werden, Aber auch dieſe Maaßregeln muß⸗ 
ten wenig gefruchtet haben: denn der Bann wurde 
nicht nur unter noch ſtaͤrkeren Ausdruͤcken wiederholt, 
ſondern endlich das ganze Land Wurſten, das ſolche 
Verworfene hege, im Jahre 1446 mit dem Interdict 
belegt. Dennoch wurde erſt im Jahre 1451 der Zwiſt 
gaͤnzlich beſeitigt und eine neue „Beveſtinghe“ der 
fruͤheren „Thohopeſate“ zwiſchen Wurſten und Ham⸗ 
burg „mit Clauſulen von Schipbroeke vnnd geſtrande⸗ 
ten edder Szedrifftigen Ghudern“ aufgerichtet, welche 


” 


*— 


“ 


344 — Hamburgiſche Verordnungen 


noch durch abermalige Auffrifchungen 1462 und 64, dem 
Gedaͤchtniß erneuert werden mußte. Feyerlich befkis 
tigte der Bifchof und Mdminiftrator von Bremen, 
Heinrich, _berfelbe welcher fih mit Hamburg und 
gübeef zur Befehdung des unruhigen Grafen Gerhard 
von Oldenburg vereiniget hatte, im Jahre 1474, den 
beyden Städten ihre alten Privilegien und herkomm— 
lichen Rechte, und ließ zugleich" an. ſeine Voigte dag ge 
feharfte- Verbot ergehen, Fein: Strandrecht zu üben ges 
gen die bamburgifchen und luͤbſchen Kaufleute, fondern 
vielmehr zur Bergung der Schiffbruchsgüter gegen ein 
billiges Bergelohn ihnen alle nöthige Hülfe zu leiſten. 
Daſſelbe befraftigte fpaterhin (1516) auch der Admi⸗ 
niſtrator Cher iſt o ph, Herzog von Braunſchweig. 
Die hamburgiſchen Verordnungen, wie es mit der 
Bergung geſtrandeter Guͤter gehalten werden ſolle, ath— 
men von fruͤher Zeit an den Geiſt der Billigkeit, der 
menſchenfreundlichen Schonung und Rechtlichkeit, und 
gaben ein Recht, eine gleiche Milde von andern zu fo— 
dern. Nach dem Eyderſtaädtiſchen Seerecht v. I. 1444 
erhielt von Strandgütern der Landes herr 3n ber 
Berger +, vom Gütern im der See der Landesherr J 
und der Berger 45 meldete fich zu erjleren binnen Jahr 
und Tag der Eigenthuͤmer, fo erhielt der Landesherr 3, 
der Berger + und 3 der Eigenthümer. Dagegen er 
bieten, ſchon mit Ei alten hamburgiſchen Seerecht 
von 1276 uͤberein ſtimmend, die Ritzebuͤtteler i. J. 1404 
das Privileginm, daß es ihnen erlaubt ſeyn ſolle, von 
den Waaren, die ohnfern des Strandes gefunden oder 
an die Seite eines anderen Schiffes hingekommen, den 


wegen Bergung geflrandeter Güter. ‘ 345 


zwanzigſten Pfenning, von folchen aber, die uͤber Reef 
(buten Reves unde buten der Havene, d. ir aus 
der Tiefe der Fahrt) geholt wuͤrden, den dritten Theil 
als Bergelohn bekommen ſollten. Dennoch beſchwerten 
ſich die Kauflſeute aus Brügge auf der banfifchen Tags 
fahre zu Lüberf 1442, daß diefer dritte Theil der ger 
firandeten Güter in Rigebüttel ihnen genommen würde: 
aber es ift nichts befannt, daß ihre Befchwerden einige 
Abaͤnderung zur Folge gehabt. An den Staruten des 
Jahres 1497 wurde zum Beſten der Schiffbruchleiden— 
den noch hinzugefügt, daß die Schiffbruchsguͤter, kei— 
nem andern, denn nur dem achten Eigenthümer wieder: 
‚gegeben werden follen, dagegen Feine Sitte, Feine Ge 
fege, feine Gewohnheiten irgend eines Landes helfen 
‚ Mögen: die Beffimmung des Bergelohnes blieb, da ſie 
auf billiger Foderung ruhete, unveraͤndert. 
Erneuete Verbindungen zwiſchen Hamburg und 
anderen Städten beiwiefen nur, theils dag man auf 
bereitwillige Hülfe in Zeiten der Bedraͤngniß auch von 
denen nicht immer rechnen konnte, die fich * 
dazu verpflichtet gehabt, theils daß die Zeit des wil⸗ 
den Fauſtrechts noch nicht voruͤber war. Die unter⸗ 
handlungen auf den Reichsſtagen, welche einen allge⸗ 
meinen Landfrieden herbeyfuͤhren ſollten, verloren ſich 
in leere Worte und endeten nur, um das verdrießliche 
Geſchaͤft zu anderer Zeit wieder beginnen zu laſſen. 
Erft mußten die von den neu entitandenen Wiffen- 
ſchaftsſchulen, den Univerſitaͤten, zuruͤckkehrenden Juris 
ſten durch Lehre und Zuſprache das Unrecht der Ge 
Wale und die Wohlthaͤtigkeit gefeglither Ordnung dem 


346 ” Berbindungen dev wenbifchen Staͤdte 


durch lange Gewohnheit verwilderten Sinne begreiflich 
machen: mehr aber wirkte nach und mach die eigene 
Erfchöpfung und vor allem die neue Geftalt, welche 
feit ver Erfindung. bes Schießpulvers und der dazu gehöre 
gen „unritterlichen“ Waffen, das ganze Kriegs: und 
Befehdungsmwefen erhielt. Noch vor dem unter Raifer 
Marimilian gefchloffenen Landfrieden verbanden ſich 
im Jahre 1486, Die wendifchen Staͤdte Luͤbeck, Hams 
burg, Roſtock, Stralſund, Wißmar und Lüneburg, 
zuerff zwar, daß eine jede ihrem rechten Herrn thun 
ſolle, was fie ihm von Ehren und Rechts wegen zu 
thun ſchuldig fey, indem namlich dieſelben Herren Die 
Stade zugleich bey Gnaden, alten Gewohnheiten und 
berfömmfichen Srivilegien, Freyheiten und Rechten 
bieiben ließen: dann aber auch gegen jeden Heberfal 
durch unrechte Gemalt, gegen alle Schmälerung ihrer 
Rechte,  befonders zur Reinhaltung der Straßen von 
unnuͤtze m Raubgeſindel, beydes zu Waſſer und zu 

e. Das Verhaͤltniß des gegenſeitig zugeſagten 
Mandes wird alſo beſtimmt, daß wenn. die von 
ibe 4 Mann ausruͤſten, Hamburg den vierten Mann 
eniger ſtellt, Roſtock den driteen Dann weniger, bie 
5 Stralfund ſoviel als Hamburg, Lüneburg foviel 
als. Roſtock. Eine neue Thohopeſate zu gegenſeitiger 
Huͤlfe fand wiederum 1490 zwiſchen den Städten Luͤ⸗ 
bet, Hamburg und Lüneburg ſtatt, wozu die Irrun— 
gen, die zwiſchen dem Herzoge Heinrich von Braun 
ſchweig⸗ Lüneburg und zwiſchen Hamburg und Luͤbeck 
wegen Weberdeichung der Sammer: Elbe entflanden mar 
ven, Beranlaffung gegeben haben mochten. Diefe Ir— 










mir Hamburg. Bis zw 1509, 347 


rungen dauerten mehrere Jahre hintereinander, und. 
wurden ſelbſt vor dem Kaifer anhangig gemacht. Noch 
im Jahre 1501 ſchickte Herzog Heinrich eine Anzahı 
wendiſcher Bauern unter Bederfung feiner Lanzknechte, 
bin mie Schaufeln und Spaten, um den Deich zu 
durchſtechen; aber die Eöldner der beyden Städre, 
‚welche einiges grobe Geſchuͤtz mirbrachten, jagten fie 
bald auseinander, nahmen auch mehrere: der Bauern 
gefangen, welche fie, nach freundlicher Bewirthung 
mit Effen und Trinken, als wehrloſe Leute in Frieden 
wieder Taufen Tiefen, Es war unterdeffen dem deut- 
fchen Kaifer Marimilian, dem Fürften von Achtwitter: 
lichem Sinne, gelungen, zu Worms 1495 den Land: 
frieden zu beftimmen und. zu deſſen Aufrechebaftung 
das Reichs = Cammer « Gericht nieder zu ſetzen. Da 
aber die wohlgemeinte Anſtalt noch gar vieler Pflege und. 
Wartung bedurfte, um zu Kräften zu gelangen, wird 
es ſchon erflarbar, wie die oben genannten ſechs wen: 
difchen Staͤdte noch ’im Jahre 1509 fich bewogen fin⸗ 
den Fonnten, ihre alte Verbindung und „Verſtrickang“ 
zu. erneuern. Doch kehren wir jege zu dem zuruͤck, 
was vorzugsmeife als der Stadt-Angelegenheit in die— 
ſem fait ausfihließend dem Handel gewidmeten Leben 
und Treiben fich ergeben mußte, 

Zur Beförderung des nachbarlichen Verkehrs zwi⸗ 
fehen den beyden Schweſterſtaͤdten Luͤbeck und Hamburg 
fihien, zumal feirdem dev Wifterfiuß angemonnen war, 
nichts vortheilbafter, als eine ununterbrochene Waffer: 
fahrt von der einen Stade, zur andern zu errichten, 
Schon im Jahre 1448 verglich ſich deßhalb die Stadt 


I Alſter⸗Canal uber Oldesloe. 


Hamburg mit dem Herzog Adolph von Holſtein und 
Schleßwig, zu dieſer Abſicht die Beſte, ein bey Oldes⸗ 
loe in die Trave laufendes Fläßchen, nebſt andern 
Auen, mit der Alfter durch einen Canal auf gemein⸗ 
fcbaftliche Koften zu verbinden: was irgend an Raum, 
Grund und Boden dazu erfodere ſeyn möge, wollte ein 
jeder Theil von dem Geinigen hergeben oder von ben 
Unterthanen befreyen und erbandeln, Die übrigen Bes 
dingungen wurden mit gegenfeitigem Zuvorfommen der 
billigſten Vorſchlaͤge feſtgeſetzt: beſonders ſollten Feine 
Veſten an den Ufern, ohne Zuſtimmung beyder Theile, 
errichtet werden, und gegen alle Befehdung wolle man 
zu einander halten. Die gute Abſicht fand leider nicht 
ſogleich die gewuͤnſchte Unterſtuͤtzung: die vielfach vers 
wickelten Angelegenheiten des Nordens geſtatteten nicht, 
in ſolcher Zeit zu Unternehmungen zu ſchreiten, weiche 
nur im der milderen Wärme des Friedens gedeihen 
können. Die Sache kam erft im folgenden Jahrhun⸗ 
dere, um das Jahr 1525, wieder zu Sprache, als der 
König von Daͤnemark Friedrich I. feine bereitwillige 
Theilnahme zur Ausführung derſelben zu erfennen gegeben 
hatte. Auch die Bürgerfihaft von Hamburg bezeigte, als 
ihr der Rath 1526 deshalb den Antrag machte, ihre groffe 
Freude darüber: „„DeBörgere ſyn fick ganz erfrömwende, 
und bedanken Eenem Erf, Rade ganz hoͤchlicken vor 
ere gnede Thonegunge um de Wolfahrt düſſer Stadt 
Hamborg.‘ Die gegenfeitigen Unterhandlungen dauers 
ten big zum Jahre 1528 und der ganze Ban des Car 
nals und der Schleufen, fo wie die gehörige Raͤu— 
mung und Ausriefung des ganzen Bettes wurde big 


Münzbeffimmungen feit ı4rı ff. ©. 


zum Jahre 1530 vollendet. Die Koften für Hamburg, 
als die Haffte zu Luͤbeck, betrug mir Abrechnung ei 
ner Fleinen Summe, die ihnen zu gute Fam, 43,497 ME. 
Die freye Fahre zu Waſſer zwifchen Hamburg und 
Lübeck erhielt ihre wohlthatige Eröffnung, und wenn 
fie in der Folge geftört wurde und die Foffipieligen 
Eanalarbeiten felbft wieder verfielen, fo muß die Ur: 
fache auch diefer Hemmung, welche fich dem friedfichen 
Handelsteben in den Weg ftellte, in der noch zu Feiner 
Feſtigkeit gelangten nern der Reichs - Drdnung 
geſucht werben, 

Wie Hamburg zur M ee gelangt ſey, 
iſt in dem vorigen Abſchnitt erzable worden: bier Ieft 
fich nur hinzufügen, theils daß die Stadt in der Be 
nußung ihrer Gerechtfame an dem Grundfag, bleiben: 
der Vortheil iff allein auf rechtlichen Wege zu erlan⸗ 
gen, fortdauernd ſich gehalten, theils daß ſie in dieſer 
Beguͤnſtigung auch von den Vorſtehern des deutſchen 
Reichs noch fernere Erweiterung gewonnen habe, Zus 
naͤchſt waren die nordiſchen Handelsſtaͤdte darauf bee 
dacht, in ihrem gegenfeitigen Handelgverfehr einen gus 
ten und fihweren Münzfuß aufrecht zu erhalten, und 
zu diefer Abſicht ſchloſſen fie unter’ fich ſelbſt mehrere 
Berträge, um ber Einfchwärzung aller Falſchmuͤnzerey 
entgegen zu wirken. Im Sabre ısır verordnieten die 
Städte Luͤbeck, Hamburg und Lüneburg, daß 
die Witten» Pfenninge, deren 3 einen Schilling 
und Einer 4 Pfenninge galten, zu 12 Lorh fein ge 
ſchlagen und auf der einen Seite mit der Stadt Wap- 
pen, auf der andern mir einem durchgehenden Kreuze 


350" Hamburgifche Muͤnzverorduungen. 


gemuͤnzt werden ſollten. Zwey Merk uud drey Schill. 
Luͤbſch wurden in diefem Jahre auf Einen englifchen 
Nobel gerechnet. Spaͤterhin ſchloß fich vornehmlich 
Wißmar am dieſe Vereinigung an, woher auch der 
Nahme der im Muͤnzweſen zuſammenſtimmenden vier 
wendiſchen Städte entſtanden iſt. Der erſte Receß dies 
ſer Art iſt vom Jahre 1433, aber nach Maaßgabe der 
Umſtaͤnde oft in Der Folge erneuert worden, Ein Bers 
trag des Biſchofs Johann zu Verben mit der Stadt 
Lüneburg, (vom Sabre 1440, den 13. July) und def 
fen Zugabe, daß in Zukunft den von den vier Städten 
gefchlagenen Münzen durch die biſchoͤfliche Münze 
feine weitere Beeinträchtigung geſchehen, fondern diefe 
mit befonderen, von jenen verſchiedenen Zeichen gepragt 
werben folfe, laͤßt auf einige bifchöfliche Falſchmuͤnze⸗ 
vey zurüchichließen, welcher durch dieſe Verabredung 
gefteuere Werden folte, In dem hamburgiſchen Receß 
Yon 1458 wird ausdruͤcklich feſtgeſetzt, daß Fein anderes 
Silbergeld in Bezahlung umgeben folle, denn das in 
den genannten vier Städten gemünzt und gefiblagen 
worden ſey. Luͤbeck wurde als Vorzug eingeraunt, 
dag die Schillinge ſowohl als die Markſtuͤcke von einer 
jeden dieſer vier Städte mie dem Rahmen der luͤbſſchen 
Währung, (status marcae Lubecensis) der auch big 
in fpatere Zeiten ſich erhaften hat, bezeichnet wurden. 
Die Muͤnzen ſelbſt waren in ihrem inneren Werthe ſo 
Acht, daß fie noch dem in dem, nachfolgenden Jahr⸗ 
hunderte felfgefegten Reicht: Muͤnzfuße gleich kamen. 
Daher die Zuverſicht des Königs Chriffian I, von Daͤ⸗ 
nemark, als er von feinen, ſchleßwig-holſteiniſchen 


Hamburgiſches Muͤnzweſen. 351 


Staͤnden die Huldigung annahm, wozu ſich weder 
Hamburg noch Luͤbeck eingefunden hatte, (1460) keine 
andere Muͤnze zu ſetzen, „alſe to Luͤbeck un Hamborg 
genge un geve is.“ „Eine Erweiterung des Muͤnzrech⸗ 
tes dahin, daß ed: Hamburg. erlaube. ſeyn ſollte, auch 
güͤld en e Münzen zu ſchlagen, hatte der Stadt ſchon 
Kaiſer Sigismumd ertheilt im Jahre 1433. Das 
Gepraͤge ſollte ſeyn auf der einen Seite des Guͤldens 
ein kaiſerlicher Apfel mit dem Kreuz, und die Umſchrift 
eines jeglichen regierenden Kaiſers Nahmen, auf der 
andern Seite, Petri Bild ſtehend und darum geſchrieben: 
moneta aurea,Hamburgensis, Dieſes Privilegium 
wurde nicht nur von den nachfolgenden Kaiſern, 1438 
von Albrecht IJ. und 1475 von Friedrich ILL, 
in Erneuerung bekraͤftiget, ſondern auch von letzterem 
noch hinzugefuͤgt, daß die Stadt ſolche guͤldene Münze, 
gleichwie Luͤbeck, unter ihrem eigenen Zeichen 
Wappen) auszupraͤgen berechtigt ſeyn ſolle, mit Bes 
drohung einer Strafe von. 50 Mark loͤthigen Goldes, 
wer die Stadt in dieſer Freyheit behindere. Da in⸗ 
zwiſchen im uͤbrigen Deutſchland die Unordnung im 
Muͤnzweſen immer mehr uͤberhand nahm und allem 
rechtlichen Verkehr zum Nachtheil gehaltloſere Muͤnzen 
ausgepraͤgt wurden, verglichen ſich die vier Staͤdte 





1468 daruber, „eine neue Muͤnzſorte, Schillinge (van 
12 Pfenningen) und ‚doppelte Schillinge ſchlagen zu 
laſſen, etwas leichter, als vorhin, die im Umlauf von 






den Bürgern angenommen, und mach, welchen die uͤbri⸗ 

gen Reichsmuͤnzen geſchaͤtzt werden. ſollten. - Nach der 

Zeit traten vorzüglich die Reichsthaler ein, mit welchen 
4 


— 


— 


352 Hamburgifches Zollweſen. 


die Staͤdte ihre alte ſchwere und grobe Münze in gutem, 
ächtem Verhaͤltniß zu erhalten bemüht waren. Der 
Gehalt der Mark zu 16 Schill, berrug zwey Drittel 
eines Reichsthalers, (a 24 Schill.) und in folcher gro» 
ben Münze mußte gefeglich, auch nach dem Neceh von 
1529, jeder Ankauf von Haufern oder Tiegenden Grün: 
den gefcheben. („Den Hamb, feinen Gulden, 65 auf 
die loͤthige Mark, zu 35 Schilling, das Markftück, 
12 auf die loͤthige Mark, zu 16 Schilfing,. I Die 
Schaͤtzung des Geldwerthes mag aus folgenden Anga— 
ben entnommen werdenz Im Receß von 1458 wird 
befiimmt , daß Zimmerer und Maurer von Oftern big 
Michaelis an Arbeitslohn täglich 34 El. von Michaelid 
bis Oſtern 8 Witten (2% BI.) erhalten, ferner: Gilt 
die Tonne Bier 16, 17 bid 18 ßl. fo nimme der Krüger 
für das Stübchen 6 Pfennige, Bey einer 1494 entſtan⸗ 
denen Theurung wird in einer alten gefchriebenen Chros 
nit angeneben, der Scheffel Roggen babe gegolten 
2 ME. 4 fl.,veine Tonne hamburger Bier 3 ME, 6 El. 
Dagegen wird als Wohlfeilheit im Jahre 1504 geruͤhmt, 
daß ein ganz Gebrau von 47 Tonnen für eben fo viele | 
Mark zu Faufen gemwefen, 
Die von der Natur zu glücklicher Benugung fger 
Botene Lage an dem fchönen Elbftrom foderte durch füch 
& £ ſelbſt auf, der moͤglichſten Vortheile von demfelben fich 
zu vergewiſſern, wenn auch nicht die hoͤhere Beſtaͤtigung 
von Seiten des Neichs: Oberhauptes hinzu gekommen 
wäre. Alle bedeutenden Ströme haben fruͤhzeitig Zoͤlle 
und Gtapelgerechtigfeiten bey den angranzenden Lars 
desbehoͤrden zumege gebrachte, bey den Fuͤrſten, weil 


Stapelgerechtigkeit u. dgl. 353 


fie ihre Einkünfte dadurch zu vermehren glaubten, bey 
einzelnen Städten, die fich eines vorzüglichen Verkehrs 
erfreueten, aus dem Grundfaß rechtlicher Haushaltung 
und Sparfamfeie, um neue Verbefferungen im Hafen, 
oder im Strombau, oder fonftige Auslagen zur 
Sicherbaltung und Beförderung der Stromfahrt beffreis 
sen zu können, Die zu gleicher Begunftigung mit eine 
ander verbundenen, als wie die Stadte der Hanfe, 
befreyeten fich unter einander wechfelfeitig von den 
gefesten Abgaben, foderten ſie aber von den Fuͤrſten 
und von folchen , die ihnen fremder zu Tiegen fehienen, 
Es möchte ſchwer zu entſcheiden feyn, in mie fern 
die Klagen gegruͤndet waren, die wiederholt nahmente 
fich über die Hamburger geführt wurden, daß fie 
eigenmächtig Zoll, Schoß und andere Abgaben in ihrer 
Stade und in ihrem Hafen auf die Ein» und Ausfahrt 
gelegt hatten, wie in den Jahren 1422, und mieder 
1442, 1466, 1472 über die von Hamburg, Lübeck und 
Lüneburg zufommen gefcheben: in den Verantwortun⸗ 
gen werden wenigſtens Gründe angegeben, welche aug 
der Sache felbft, der Sicherhaltung, Befeftigung und 
Reinigung der Hafen und übrigen Fahranſtalten ı her: 
genommen find und die Billigfeie im Feine Weife bes 
leidige Die Stapelgerechtigkeit, welche 
an einem gemiffen Orte den ausfchließenden Eins: 
kauf der Waaren ober die alleinige meitere Verfuͤh⸗ 
tung der Güter verlangte, fand mit diefem Zollwefen 
in enger Verbindung, Bald waren es Privilegien, bald 
Herfommen, worauf man dieſes Recht begrindere, 
Kaifer Sigismund evsheilte im Jahre 1427 zum 
| * 


354 Anfange des hamburgiſchen Poſtweſens 


Befhranfung des hamburgiſchen Stapefrechtd den 
Luͤneburgern für ihre freye Schifffahre auf der 
Suͤder⸗Elbe einen befonderen Freyheitsbrief. Vermuth⸗ 
lich achteten die Hamburger nicht ſehr auf dieſe Be— 
freyung, denn im Jahre 1439 verklagten die Herzoge 
von Luͤneburg den hieſigen Rath bey dem Kaiſer Alb⸗ 
recht, daß man ihren Unterthanen das Vorbeyfahren 
in der GSüder- Elbe nicht geſtatten wolle, Obſchon ein 
Iaiferficher Befehl an den Rath gelangte, die Sache 
abzuändern, fo wußte man hiefigerfeitS doch die Zoll⸗ 
gerechtigfeit zu ermeifen, Spaͤterhin miederrief umd 
vernichtete Kaifer $riedrich III, (1482 den 9, July) 
auch die den Grafen von Barby ertheilse Freyheit, Korn 
und andere Warren vor der Stadt Hamburg vorbey- 
zufahren, und befkätigte in einem anderen Privilegium 
von demfelben Jahre Cden 14. July) der Stadt aus⸗ 
drücklich die Niederlage und Stapelgerechtigfeit, Daſ⸗ 
felbe geſchah, wie angeführt worden, von dem Koͤnige 
von Daͤnemark. 

Die dem gewerbetreibenden Verkehr ſo wie dem 
Gedanken⸗Umtauſch auch getrennt Wohnender ſo wohl: 
thaͤtige Einrichtung des neueren Europa, die Poften, 
eine Erfindung Franfreichs, waren damahls noch unbe: 
fannt: dennoch bildeten fich in Hamburg die Anfange 
dazu von ſelbſt auf eine fehr eigenthümliche, ganz heimis 
ſche Weife. Es ift im Fruͤheren der befonderen Geſellſchaften 
gedacht morden, melche fich aus den nach Schonen und 
Bergen, Flandern und England fahrenden Schiffern und 
bandeltreibenden Bürgern Hamburgs bereit8 gegen das 
Ende des vierzehnten Jahrhunderts zufammen taten. Die 


- 


von den Scihiffergefellfihaften aus, 355 


Bereinigung war urfprünglich in frommer Abfiche ges 
ſchehen, daß. Fimbitten für die, ſo im Gefahr fich bes 
fanden, -Seelenmeflen für Verunglücdte 20. veranſtaltet 
würden, weshalb auch eine jede diefer Gefellfchaften 
in einer der Kirchen eine befondere Eapelle hatte, wie 
woch bis auf neuere. Zeiten die der Englandefahrer in 
der Johannis⸗Kirche befand: zugleich wurden Sonntags 
nach der Predigt an die Frauen und Kinder der abwe⸗ 
fenden Schiffer Waizenbrore ausgerheilt, von welchen 
die noch jegt ſogenannten Pröven. (Prabenden) ab⸗ 
ſtammen. Als die Geſellſchaften im Verhaͤltniß ihrer 
Schifffahrt, ihres Handels und Gewerbes ſich vers 
sröfferten, kauften fie fich theils zu ihren Zufammens 
Fünften, theild zur Aufnahme ihrer reifenden Handels: 
freunde ‚die bekannten. Schifferberbergen, (deren eine, 


die Niedergeſellſchaft im Jahre 1471 ‚neu. aufge 


bauer wurde.) Es laͤßt ſich mie Recht behaupten, daß 
in jenen alten Gebäuden der. Grund zu der. glänzenden 
Handlung gelegt worden ſey welche Hamburg mit den 
angeſehenſten Handelsſtaaten in Europa in Verbindung 


gebracht hat; in eben denſelben wurde auch das Po ſt⸗ 
weſen fuͤr die Stadt ganz ſelbſtaͤndig auf die einfachſte 


Weiſe erfunden und zuerft begruͤndet. Damit dieſe Ge⸗ 
ſellſchaften mit ihren auswärtigen Comtoiren, mit ihren 
Schiffern und Handlungsdienern in moͤglichſter Xerbins 


dung blieben, fandten fie, anfanglich nur wenn es noͤthig 


war, bald, regelmäßig monatlich, dann möchentlich 
Boten mir Briefen an jene Comtoire in Brügge, Ber 
gen u, ſ. w. Man findet die Spuren von ehemaligen 
Poſtſtuben noch in dieſen hamburgiſchen Geſellſchafts⸗ 


—J 


ö 
356 Die Raufmannd-Aelteriente, 


baufern. Zur Beforgung dieſes Botenwefens und über 
baupt zur Verwaltung ihrer Angelegenheiten wählte 
eine jebe diefer Gefellfebaften aus fich zwey Aelt er⸗ 
leute (Olderluͤde). Diefe fammelichen Aelterfeute find 
als die Vorgänger der fpater entffandenen Commerz⸗ 
Deputation zu betrachten, Ihr Anfehen wuchs fchnell, 
fo daß der aus ihnen von den gemeinen Kaufleuten im 
Sabre 1517 erwaͤhlte Ausſchuß der Kaufmann 
Aelterleute vom Rathe beſtaͤtigt uud ihnen nicht nur 
die Aufſicht uͤber das hieſige Handelsweſen anvertrauet 
wurde, ſondern daß ſie auch in Verbindung mit den 
Zollherren das derzeitige Handels- und Seegericht 
ausmachten. Als ſpaͤterhin durch andere Einrichtungen 
der Stadt dieſe Aelterleute ihre urſpruͤnglich ihnen ans 
vertrauten Verrichtungen wieder verloren, nannten ſie 
ſich, da früher die Börfe zum Theil von ihnen 
erbauet worden war, Börfen- Alte, und behielten 
zugleich das Poſt- und Boten-Wefen, das als 
Privatſache in feinem Urfprung jenen Gefelfchaften auch 
eigenthuͤmlich gehört hatte, 

Das Staatsverhaͤltniß der Stadt Hamburg geffals 
ter fich in diefem Zeitraume Flarer und verfländlicher, 
Es ift fehon oben erzählt worden, mie welcher Vorſicht 
und Umficht und befonnener Berechnung der Rath und 
die Bürgerfchaft, feitdem von den &chauenburgifchen 
Grafen die Anfpräche auf Holffein an die Könige Daͤne⸗ 
mark's übergegangen waren, Alles, mas zu erbunters 
thäniger Verpflichtung führen Fönnte, zu vermeiden 
bemüht waren, Was von den Grafen theild Durch 
Ankauf, theils durch anderweitige Vertraͤge für Die 


Staatsverhaͤltniß Hamburgs, r 337 


Stade batte gewonnen werden können, : war bey jeder 
paffenden Gelegenheit in Obacht genommen worden; 
von Iandesherrlichen Rechten mar die Rede außer 
Gewohnheit kommen; von Eydesleiftung und Huldigung 
wollten die, fo durch eigene Kraft zu ſelbſtaͤndiger 
Haltung fih erhoben harten, nichts mehr wiffen; 
Hamburg fey eine privifegirte, fey eine zum deutfchen 
Reiche gehörige Stadt; doch wolle man fich, wie vor: 
dem zu den Schauenburgern, fo zu den Königen Dane 
marks, als zu Herren von Holftein halten, wenn fie 
felbft bey ihren alten Gnaden und Gerechtigfeiten uns 
geftört und ungehindert gelaffen würden. Dagegen ift 
auf der andern Seite eine immer engere Anfchliefung 
an das deutſche Kaiferreich unverkennbar, troß dem, 
daß von den unmutbig gewordenen Bürgern Hamburgs 
die Rolandsfaule bey früherer Kraͤnkung herabgeworfen 
worden war, Zwar iſt das Verhaͤltniß zu Kaifer 
Sigismund’ Zeiten noch nicht ganz deuslich und 
ficher, niche durchaus von günftiger Arc für die Stade, 
Ein fogenanntes Privilegium vom J. 1421 aus Olmüg 
entlaflen, bleibt, ba es nur mangelhaft aufzufinden, 
unverſtaͤndlich. Es follen in demfelben folgende Puncte 
beffimme worden feyn: 1) Wenn der Kath und die 


Gemeinde der Stade wider Semanden gerichtlich befangt. 


werden müßten, mo und vor wem dieſes geſchehen 
fole? 2) Wenn Bürger gegen Bürger, oder Auslan- 
der gegen Hamburger zu klagen haben, wer ihr Richter 
fjey? 3) Wenn der Rath die Juſtiz nicht recht oder 
vergögerlich verwalte, wer darüber erklären, fie refor- 
miren und fondiciven folle? 4) Wenn der Kaifer fich über 


— 
— 
————— 


* 
358 Verhaͤltniß Hamburgs zum deuefchen-Meiche ; 


die Stadt und Gemeinde zu beſchweren habe, wo und 
vor welchen Gerichte fie alsdann zu ſtehen und fich zu 
verantworten verbunden feyen ? Es war dieß wohl weni— 
ger ein Privilegium, als eine Verordnung, wie bie 
Stadt zur Faiferlichen Hoheit fich zu flellen habe, Aug 
mangelhaften bandfchrifelichen Nachrichten laͤßt fich 
errarhen, daß beſtimmt worden, Gtreitigfeiten der 
Hamburger zwiſchen einander und Fremder gegen fie 
feyen vor den Nach, Beichwerden über den Rath vor 
die Grafen von Hofffein, ungerecht feheinende ‚oder vers 
zögerse Juſtiz vor das kaiſerliche Hofgericht ſelbſt zu 
Bringen, Gewiß iſt, daß in diefem und den nachften 
Jahren von Sigismund über Hamburg die Achte und 
Dberacht ausgefprochen war, ohne daß die Veranlaſſung 
dazu genau befannt ware; . eben fo gewiß auch möchte 
ed feyn, daß die Achtserklaͤrung für die Stadt ſelbſt 
ohne nachtheilige Folgen blieb, Sehr umſtaͤndlich und 
mwortreich beftatigte der nachfolgende Kaifer Albrecht ll. 
aus dem Haufe: Defterreich der Stade Hamburg die 
alten Privilegien und Gereihtiamen, mie der Gtraf 
feßung von 25 ME, Törhigen Goldes, wer ihr derin 
zumider handeln wolle, 1438, am Tage St, Gallen, Als 
nach dem Abgange des Schauenburgifihen Haufes von 
der zudringlich verlangten Huldigung der Könige Daͤne⸗ 
marks mancherfey nachtyeifige Folgen für die Stadt 
gefüirchter wurden, ſchloß fich Diefelbe noch enger an 
das Reichsoberhaupt an, und die altem Freybeiten und 
Vorrechte und wer nach den mannichfaltigften Beziehuns 
gen bin von Kaifer Friedrich - ILL, beſtaͤtigt und ers 
weitere, Bon jent am murde die Stadt auch als 


x 
5. wird privilegirte Reich finde 1510. „ 359 


Reichsſtadt, zu den alfgemeinen deutſchen Reichstagen 
durch Eaiferliche Augfchreiben einberufen, wie 1460 nat) 
Wien,’ 2470: nach Regensburg; fie wurden aufgefodert, 
zur Sicherheit des gemeinfamen Vaterlandes und zu den 
Reichskriegen, damahls gegen die Türken, ihren Beytrag 
zu leiſten, wie denn derjelbe ‚1471 auf 10 Keuter umd 
20 Mann zu Fuß angefegt worden. war, In einem andern 
Ausichreiben vom Jahre 1473 werden Rath und Stadt 
ermähnt,. der Pfliche, mit welcher fie dem Kaiſer und 
Keich verwandt fepen, eingedenk zu bfeiben und bey Ber- 
luft ihrer Privilegien den ReichStag zu befcbisfen. König 
Jo hann machte im Jahre: 1387 einen Verſuch, fich 
bey dem Kaifer darob zu beſchweren, daß Hamburg, 
gleich anderen unmittelbaren Reichsſtaͤdten, allgemeine 
Neichsbeytraͤge zugemuthet würden, aber ohne dag 
dieſe Einrede einigen Eindruck hervorgebracht hätte x die 
Ausſchreiben zu den NReichstagen wurden mit den ffreng- 
fen Mahnungen wiederholt, bid endlich im Jahre 1510 
den 3: May des Kaiſers Meprimilian I und der 
zu Augsburg verfammelten Reichsſtaͤnde Abſchied erſchien: 

Daß, nachdem aus vielen und glaubmwärdigen 
Urkunden und, Unterrichtungen ſattſam kundig, daß 
Hamburg für und als eine Stadt des h. Reichs 
angeſchlagen, geachtet und gehalten und zum römifchen 
Reiche gehörig ſey: fo wolle der Kaifer dieſelbe fürder 
bey dem Reiche als felche behalten; wo aber der König 
von Donemark und der Herzog von Holfkein noch. einige 
Gerechtigfeit an diefelbe zu ‚haben vermeynten, möchten 
ſie ihre Anfprüche vor dem DR — *2 
rechtfertigen.“ 


360 » Geldbeytrag zu ben Reichs kriegen, 


4 


Darauf erfolgte das naͤchſte Ausfchreiben zum Reichs— 
tage im Jahre 1511, den 20. July, in noch beffimms 
teren Ausdruͤcken: Die Stadt folle zunachft der Pflicht, 
womit fie Gott, und nach demielben dem Kaifer ver« 
wandt fey, fo wie der Gnaden und Wohlthaten, die 
ihr von Kaifer und Reich erwiefen worden, eingedenf 
ihrer Vorfahren Liebe, ‚Gehorfam und treue Dienſtbar⸗ 
feit betrachten und von Stund an, nach Anficht des 
Briefes, dem Kaifer mit baarem Gelde, das ſich 
fo bach beiaufe, als die zu fendenden Kriegsleute ſechs 
Monate lang im Felde zu unterbaften Eoften würden, 
nach dem böchiten Vermögen zu Hülfe und zu ſtatten 
fommen 2c,, woraus Elar genug erhellet, wofür die 
Reichsfreyheit der Stadt gewonnen worden fey. Die 
Aufgabe blieb jetzt für die Zufunfe zu loͤſen, in ber 
doppelten Stellung, die man bier gegen das von Nas 
eur und Herfommen verwandte Reich, dort gegen einen 
Nachbar, der auf Scheingründe und verwickelte Vers 
haͤltniſſe Anfprüche bauete, fich niche allein im Gleich“ 
gewicht zu erhalten, fondern auch in innerer Gelb 
ſtaͤndigkeit ınd achter INNE feitere Gründung 
zu gewinnen, 

Daß bey dem regen Reben nach Auffen bin, mels 
ches fich in fo mannichfaltigen Ereigniffen diefes Zeit 
raums entwickelte, auch das innere Volksleben in Kraft 
und Ausübung der bürgerlichen Thätigfeit mit der Zeit 
gleichen Schritt gehalten babe, iſt an fich begreiflich | 
und ergiebt ſich aus verſchiedenen Ueberlieferungen. 
Die erſten Reibungen, welche zwiſchen die Buͤrgerſchaft 
und den Rath gekommen waren, nicht ſowohl aus 


Stand der Bürgerfchaft zum Rathe. . 361 
Böswilligkeit, fondern weil jeder Theil mit Nachdruck 


feine Anſicht verfolgte, hatten — daß ein 
gleicheres Verhaͤltniß geſetzlich gem rden war ; ber 


einzelne Bürger war gegen Gewaltthaͤtigkeit des Raths 
gefichere. Zwar fcheinen die Angelegenheiten mit dem 
neuen Rathe in Luͤbeck, der von dem biefigen- Volke 
einfeitig begünftige wurde, noch einige Zeit die Span⸗ 
nung erhalten zu haben; doch maren befonders bie 
nachdrüclichen Anfragen der hanfifchen Abgeordneten: 
ob Rath und Gemeine zu Hamburg gedachten bey Ehr 
und Reblichfeit gu verbleiben? ob fie bey ben gemeinen 
Hanfeftädten verbleiben wollten? ꝛc. (im J. 1421) von 
guter Wirkung, weiter gehende Spaltung zu verhüten, 
Der eine ober der andere wurde wohl ber gereizten 
Empfindlichfeie zum Dpfer gebracht. Johann 
Bererbolt, einer der vorigen Sechziger, war im 
J. 1411 zu Rache erwaͤhlt worden; aber noch im 
erften Jahre feiner Würde wurde er, da man ihn 
befchufdigte, er habe fih an einem Bürger, Erich von 
Zeven, mit Worten und Werfen gröblich vergriffen, 
über dieſes noch auf den Rarh geſchmaͤhet, de3 Raths⸗ 
ſtuhls entfegt, und aus der Stade verwiefen. Der 
Vorfall bleibe dunkel und laͤßt Fein ficheres Urtheil zu. 
Aber auffallend iff es, und ſcheint nicht ohne Bezie 
hung zu feyn, daß der zweyte Receß vom J. 1458 
ſich damit anfaͤngt: „Hinfort folle Niemand, er fey 
Bürgermeifter, Rathmann, Bürger oder Einwohner, 
um irgend einer Mifferhat willen aus der Stadt ver: 
wiefen werden, noch folche verfchwören; mer in der 
Stade gefündige habe, folle hier nach dem Stadtrechte 






362 Mißhelligkeiten ım Innern, 


feinen Lohn empfangen. Der Aufhebung des Königs 
« Erich von Dane, deffen Briefe den Rath bey ber 
Buͤrgerſchaft machen ſollten, gelang es in 
ſoweit, daß die ( des armen Klegen, von deffen 
unbefonnenem Angriff auf Flensburg oben geredet worz 
den, Teidenfchaftlicher angefehn, wurde, als der Unglücks 
liche verdient zu haben ſchien. "Mehrere Unfalle, melche 
die Hamburger in den damaligen Fehden traf, mochten 
überhaupt auf die Stimmung nicht vortheilhaft wirken; 
nur hatte der Rath die gegründete Entfehuldigung, daß 
er den Krieg gegen: Daͤnemark Anfaugs ſelbſt nicht 
gewollt und bloß den Wünfchen der Bürger fich darin- 
nen geneigt bewiefen babe, Von weiteren Zwiſtigkeiten 
iſt in den folgenden Jahren nicht die Rede, Ein Bor: 
fall im Jahre 1453, daß die Brauerfnechte einen jun 
gen Knecht, der zum Hochgericht ‚geführt wurde, bey 
- ©. Peters⸗Kirchhof mit Gewalt aus der Verwahrung 
des Frohns befreyeten, iſt an -fich unbedeutend und nur 
in fo fern zu merken, daß feitdem die Mifferbater durch 
die fogenanuten reitenden Diener zum Tode geleitet 
zu werden pflegen. Sonſtige Irrungen wurden im Jahre 
1458 durch den zweyten Receß zwiſchen Rath und 
Bürgerfchafe zur Güte beſeitigt. Neue mefentliche Ars 
tikel, auffer den einzeln angeführten, find: 
or Bürger Rinder ‚brauchen fich nicht in ihrer. El 
tern Berlaffenfchaft einzuzeugen. — In den Bierhaͤu⸗ 
fern fol nicht gefpiele werden, — Ein Knecht fol bey 






harter Strafe feines. Herrn Gut nicht anbrechen. — 


Den Aemtern werden ihre Rechte und Rollen, wie auch 
Befugniſſe gegen Bönhafen zugeſichert. — Jeder 


beſeitigt durch den zweyten Receß, 1458. 363 


ehrliche Mann ann Gewandſchneider werden. — Gaſt 
mit Gaſt darf nicht handeln, bevor er drey Tage zu 
Markte geftanden, (Allgemeine hanſiſche Verordnung.) 
Alles wohlerworbene Gut kann der Beſitzer in Gegen⸗ 
wart zweyer Rathmaͤnner vermachen, wem er will. — 
Die Mattenknechte (Matte heißt Mehlzinß) ſollen 
ſich nicht beſtechen laſſen. — Wer vor Gericht nicht zu 
reden vermag, kann einen andern Bürger zu feinem 
Fürfprecher waͤhlen, der dafuͤr nichts nehmen darf, — 
Wer, wenn fein Haus brennt, feinen: Laͤrm macht, fol 
hart beſtraft werden. — Korn foll nicht ver fah⸗ 
ven werden. — Bor eilf Uhr darf Kein Vorhöfer 
kaufen. — Wenn der Rath bewehrte Mannſchaft 
fodert , fol er an einem Ende der Stadt anfangen und 
fo Nachbar an Nachbar auffodern; wo das Aufgebot 
aufbört, foll bey dem naͤchſten Bedarf wieder angefans 
gen werden, — Die Bürger wollen ſich nach dieſem 
nicht verfanmeln, denn auf Botſchaft des Raths, es 
“wäre denn, daß der Stadt Gefahr oder Verderb wo— 
von abhinge, alsdann wollen die Aelteſten aus 
jedem Kirchfpiel zuſammentreten und ſolches dem 
Rathe vortragen.“ 

Ein paar andere — betreffen die tirch⸗ 
liche und ſittliche Verfaſſung: „Wer an einem heil. 
Abend ſpaͤter als Mitternacht arbeitet, buͤßt 10 FL. — 
Ferner: „Es ſoll eine Kleider⸗Ordnung abgefaßt 
werden.“ Auf den letzteren Umſtand achteten die Vorfah⸗ 
ren dieſer Stadt, nach einem ſehr richtigen Gefuͤhle, 
mit ſtrenger Aufmerkſamkeit. Vom Jahre 1479 finder 
fich ein Vertrag zwiſchen dem Rathe und Cord Vaßmer, 


364 Alte Kleider» Ordnungen. 


Canonicus an St. Marien Magdalenen, wegen deffen 
Hefangener Magd, die einen Hoyk und andere ihr 
niche ziemende Dinge getragen und gethan; beyde hate 
‚ten die Urphede ſchwoͤren müffen, Im driften Receß 
von 1482 wird verboten, daß die Frau eineg Tanker 
rottirerd8 Kleinodien trage, In dem neuen Stadtbuch 
von 1497 wird Gchwelgerey und Kleiderprache aber: 
mahls verboten. Und wieder im Jahre 1506 wurde 
eine Verordnung gegeben, im welcher den Frauen 
das Gefchmeide auf den Hoyken und Roͤcken unterfägt 
murde, „weil fie ſich prachtig damit aufführten, 
Geiz und Habſucht auf der einen Seite, übertriebene 
Brachtliebe und Verſchwendung auf der andern, haben 
von jeher das Wohl groffer und Eleiner Staaten unter⸗ 
graben, daB allein durch weite Sparfamkeit und Maͤßi⸗ 
gung im Gebrauch der Kräfte erhalten werden fan. 
Die Einfachheit in Kleidung und äufferer Sitte ſteht 
zugleich in naher Verwandtſchaft mit. dem bauslichen 
Gluͤck, mic der Ruhe und Zufriedenheit des Lebens 
und mit der inneren Reinheit und Einfachheit des Ge 
muͤths. Darum achteren die weiſeſten Staatsmaͤnner 
von Alters ber auf diefen Gegenftand, der einer blei⸗ 
benden Sorgfalt der Regierungen würdig iff, 

Die etwa vorhandenen Mißhelligkeiten im Innern 
der Stadt hatten durch dieſen zweyten Receß ihre Ends 
fchaft gewonnen: dag gegenfeitige Zutrauen fehien wieder 
befeffigee und wirkte in treuem Zufammenhalten zur 
Abhelfung mancher Unfalle, welche theils durch Verwahrlo⸗ 
ſung, theils durch die nicht immer wohlthaͤtige Gewalt 
der Natur uͤber die Stadt kamen; wie im Jahre 1462, 


Ausbruch neuer Mißhelligkeiten. 365 


da eine groffe Feuersbrunſt an 30 Haufer in der Naͤhe des 
Kifchmarftes in Aſche legte, 1464, wo Theuerung und 
Seuchen eine Menge Menfchen dahin rafften, 1470, 
als eine außerordentliche Waſſerfluth Verheerung und 
Elend anrichtete. Kraͤftige Menſchen werden durch Ans 
glü nur aufgefodert, durch Rettung des befferen ke 
bens auf den Trümmern des Geſunkenen ein frifcheres 
Gluͤck empor zu bauen, Der Ruf der reichen Gewerbs⸗ 
quellen Hamburgs verbreitere fich und Fremde fanden 
fich ein von allen Gegenden, bier neue Niederlaffung zu 
gründen. Es gab daher auch Kaifer Friedrich IU, 
nach Gefuch der Stadt, im Jahre 1482 (den 14, July) 
den Hamburgern das Privifegium, daß Fremde, die 
fich bier gefege und zehm Jahre hindurch Hier gewohnt 
hätten, von jedweder Anfechtung frey und ledig ge⸗ 
laſſen werden ſollten. 

Aber der friedliche Geiſt wurde bald wieder ver- 
ſcheucht durch neue Unruhen, welche zufege im einen 
verzehrenden Aufruhr auszubrechen droheten. Erſte 
Beranlaffung dazu war die drücfende Theuerung, welche 
vom Jahre 1481 an drey Jahre hindurch dauerte und 
das ärmere Volk gewaltig druͤckte. Der Unmuth ſucht 
nicht ruhig die wahren Urfachen auf, fondern greift 
nach dem, mas ihm der Schein am nachiten vorſpie⸗ 
gelt : mehrere Kaufleute, unser ihnen Herren des Raths, 
murden befchulbige, daß fie das Korn, dad zur Stadt 
fame, auffauften und in fremde Lander fchieften, und 
wie leer auch dieſe Anklagen feyn mochten, fo murbe 
die Erkitterung doch noch mehr gersist, als einzelne 
der Aermeren für ihr ungebührliched Berragen ins Ge: 


366 Unruhen in Hamburg 


fangniß gefegt oder mie Geldbuße. beffrafe. wurden. 
Bürgermeifter Sobann Hüge war. in dieſer Ungele 
genheit vorzüglich thatig, Noch glomm indeß der Zum 
fen der Zwierracht nur unter der Aſche und ein anderer 
Umſtand, der fehr aufferwefentlich ſchien, ſollte ihn erft 
noch mehr anfachen, | 

An dem Kloſter der Eiftercienferinnen zu Harve 
ſtehude, welches durch beſondere Vorrechte und reiche 
Ausſtattungen fich fo reizend empfahl, daß mehrere Toch- 
ter von wohlhabender Abkunft aus Hamburg in dem- 
felben den Schleyer nahmen, harte fich, an der Stelle 
der harten Bußübungen und Kaſteyungen, die anderen 
Schweſtern uͤberlaſſen blieben, ein fo angenehm melt- 
liches Leben entfaltet, harte. fich folche Ueppigkeit und 
Ausſchweifung eingenifler, daß eine Unterfuchung von 
Seiten der höchften Behörden, und wo möglich eine 
fehr fcharfe Umkehrung, fehr norhwendig geworden war, 
Zu diefer Abſicht fandte der damalige Bifchof zu Mün- 
ſter, Adminiſtrator des Erzbißthums Bremen, im Sabre 
1482 (im Dec,) einige Praͤlaten hieher, weiche mit Zuzie⸗ 
bung des hamburgiſchen Rathes eine Sittenverbeſſerung 
dieſer frommen Anſtalt verſuchen ſollten. In dieſem 
gerechten Verfahren fanden die Leute im Volke, des 
rechten Sinnes unkundig, an ſich ſchon unzufrieden mit 
den Verwaltern der Stadt und wahrſcheinlich noch auf 
gehetzt dazu von ben hiefigen Pfaffen, welche fich der Sache 
der frommen Schweftern nahe "verwandt fühlten, Be⸗ 
denkliches und Gefaͤhrliches; ein Haufe rottete ſich zu- 
ſammen, folgte den Abgeordneten nach Harveftchude, 
. drang zum. Theil mit ins Kloffer ein, andere aber 


befördert durch Harveſtehude's Unterfuchung. 367 


trieben vor dem Hofe wilden Unfug und ermwiederten 
Zureden und Ermahnungen mie Hohn, mit derben 
Schimpfreden und Spottgelächter, Der Rath konnte 
die Gaͤhrung nicht anders ftillen, zumahl da auch die 
Anverwandten und Freunde der „Kinder“ im Jung— 
frauenthale, als deren Sprecher Dietrich Menfen 
auftrat, die Einmengung des Biſchofs zuruͤckwieſen, als 
daß die Praͤlaten in aller Stille davon zogen. Der Abt 
von Reinfelde, auf den man ſich berufen hatte, 
erbielt bey ſeiner Ankunft von dem wahren Zuſtande 
der Dinge eine ſo deutliche Anſicht, daß er ſelbſt mit 
Aufopferung der Reiſekoſten, um ſich in die Sache nicht 
mengen zu duͤrfen, ſich gleichfalls ungeſchehener Verrich— 
tung wieder entfernte. Der rohe Muth der Volksmenge 
hatte an dieſem Durchſetzen ſeines Willens friſche 
Nahrung gefunden, und es darf nicht Wunder nehmen, 
wenn er immer kecker und ſprudelnder auffchaumte, 
In ſo ſchlimmer Zeit, wo die Nothdurft des Lebens 
am fuͤhlbarſten war, vermochte beſonders, wer irgend ſich 
im Stande fah, durch einige Gaben die Teidende Menge 
fich zu gewinnen, den unruhigen Sinn immer arger zu 
entflammen. | 

Der damalige Muͤnzmeiſter, Hans Schröder, 
harte ſich, vielleicht mit unzeitiger Gefchäftigkeie, als 
Vermittler zwiſchen die beyden Parteyen ſtellen wollen, 
aber als Guͤnſtling des Rathes beſonders in der Kloſter— 
fache der Drenge nicht nach Gefallen geſprochen. Ein Herr 
Wichmann von der Fechte hatte zuerſt am dieſer 
Voreiligkeit Anſtoß genommen; eine reiche Ladung von 
Bier , die er in der Brauergeſellſchaft zum Bellen gab, 

2 24 


3068 Heinrich von Lohe ſtellt ſich 


verfehlte ihre Wirkung nicht, die Koͤpfe zu begeiſtern, 
den Muͤnzmeiſter zum Verraͤther zu brandmarken und 
gegen den Rath den ungeziemendſten Schmaͤhungen Luft 
zu verſchaffen. Doch blieb dieſer Angriff von letzterem 
noch unbeachtet, da man gedachte, in guter Geduld die 
Sache ſich legen zu laſſen. Ein wilderer Aufwiegler 
wor Heinrich van Lohe, ober ſonſt auch Henrich 
Hurlefe genannt, ein Brauer im: Roͤdingsmarkt, 
welcher durch aufhesende Gerüchte, daß bey Wedel an 
3co Dchfen und viele Schweine über die Elbe gebracht 
worden wären, daß man alles Gerraide nach Ißland 
verfehre, in den Wohnungen feiner Nachbarn, wie auf 
den Straßen, die Gemüther erregte und durch bekeidis 
= gende Aeufferungen gegen Die Angefehenften des Rache 
die Sache fo weit trieb, daß derſelbe ihn am Himmel- 
fahre8- Abend (1483) nach’ dem Rathhauſe fodern und 
von da, wahrend Das Volk in’den Kirchen war, Durch 
Die Diener nach dem Winferbaume bringen ließ. Die 
Dirgerfibaft wurde in der Eile zufammen berufen, um 
mit ihr wegen der Ißlandsfahrt zu verhandeln, fo 
daß auch, fo lange Die Theurung noch dauere, die Aus 
ſchiffung des Gerraides bey harter Strafe verboten 
wurde, Aber der unruhige Haufe, von den Anhängern 
des von Lob, die fich unter dem Nicolai» Thurme vers 
ſammelt hatten, aufgereizt, waren damit nicht zufrieden: 
fie befehloffen die Befreyung ihres Helden, und fanden den 
Zeitpunct guͤnſtig, da eben ein Bürgermeifter und ein 
Rathsherr mit den reitenden Dienern nach Luͤbeck ge 
reifet waren, Schleunigſt eilteder Haufe nach dem Haufe 
des Buͤrgermeiſters Huͤge, und als fie dieſen nicht 


— 
an die Spitze der Aufruͤhrer, 1483: 369. 


vorfanden, griffen fie den jüngeren, Niclas von. 
Swaren am Fiſchmarkt auf, unterwegens noch den 
alten, Franken, ehiwürdigen Jobann Meiger, und 
sögen fie nach dem Winferehurm, die Yustieferung des 
von Loh verlangend, Der alte Meiger mar niche 
im Stande, zu folgen; «ber von Swaren mußte 
den Thurm öffnen, und neben dem befreyeten Maſa⸗ 
niello“ Hamburg's, der im, Triumph unter Begleitung. 
eines gewaltigen Getuͤmmels durch bie Straßen geführt, 
wurde, befcbeiden hergeben, während ibm nicht einmaf- 
vergönne wurde, das Blut ſich aus dem Gefichte u 
wiſchen von den Wunden, die ihm. die ruchlostobenden 
Menfchen gefchlagen hatten. Als er den Hurleke bis 
vor feine, Thür gebracht hatte, mußte er ihn noch 
freundlich grüffen, dreymal ibm die Hand geben und 
gute Nacht wuͤnſchen. So iſt der Uebermuth, went er. 
fich des rohen Pöbels bemeiftert, wilder und grauſa⸗ 
mer in ſeinen Aeuſſerungen, als die gewaltigſte Tyran⸗ 
ney der einzelnen Machthaber. 

Dem nuruhigen Tage folgte ein unruhigerer Abend 
der Haufe verſammelte ſich in der Brauergeſellſchaft und 
zechte; andere zogen die Sturmglocke, die Verwirrung. 
wurde allgemein : nur dem freundlichen, vaterlichen Zu⸗ 
reden des alten, rechtſchaffenen Meiger, der ſich trotz ſei⸗ 
ner krauken Fuͤße ſelbſt in die Brauergeſellſchaft begab, 
gelang es, die Aufruͤhrer zu bewegen, daß fie ſich nach 
Haufe verfügten. Aber an dem. nachften Freytage ver⸗ 
ſammelten ſie fi ch in der Nicolaikirche, wohin auch der. 
Kath entboten worden war. Der. Rath ſtand atıf dem 
Chore; v. Loh als Spresber, trug im Nahmen der 

24* 


370 Heinrich von Loh ſtellt ſich 


Buͤrgerſchaft, oder auch in ſeinem Nahmen, mehrere 
Artikel vor, deren Bewilligung mit Ungeſtuͤm verlangt 
wurde: der Rath erbat ſich ſchriftliche Mittheilung der 
vielen Puncte, und verſprach, ſobald der Buͤrgermeiſter 
Dr. Langenbeck und Rathmann Henning Büring 
von Luͤbeck zuruck gekehrt ſeyn würden, nad) gemein⸗ 
ſchaftlicher Berathung darüber Beſcheid zu ertheilen. 
Die mehrſten dieſer Forderungen ſind nachher bewilliget 
worden und machten den weſentlichen Theil des nach— 
folgenden Receſſes aus. Sie wurden am heil. Abend 
vor Pfingſten von Herrmann Langenbeck, der der 
vielen erhaltenen Drohungen und mitgetheilten Beſorg— 
niſſe nicht achtete, durch Verkuͤndigung einer 
Buerfprafe oͤffentlich abgeleſen und die anweſende 
Verſammlung beobachtete allgemeine Ruhe und Stille. 
Vor der Hand ſchien alſo der Aufruhr gedaͤmpft 
zu ſeyn. 

In einer nachfolgenden Vorfallenheit, den Loh 
betreffend, nahm ſich der Rath mit gleicher Milde und 
Zuruͤckhaltung, um die Gemuͤther moͤglichſt zu be— 
ſchwichtigen. Loh hatte ſich durch ſeine Auszeichnung 
in dieſen Tagen beym Volke in Anſehen geſetzt und 
ſein Nahme fing an, geltend zu werden und wohl auch 
nach Auſſen hin ſich zu verbreiten. Im Hannoͤver'ſchen 
wohnte ein Edelmann, Heinrich Freytag, welcher 
in Lob einen feiner ehemaligen Leibeigenen wieder zu 
erkennen glaubte und hoffte, von der Gelegenheit 
Nutzen ziehen zu Eönnen, daß der Loh um ein gutes Stuͤck 
Geld ihm feine Unfprüche loskaufen möchte. ALS der 
St, Veits Markt einfiel, kam er mit feiner Frau 


an die Spige der Aufrührer. 1483. 3727 


Beimlich nach Hamburg, fuchte den Lob auf und 
brachte feine Foderung an. Diefer war dabey fo wer 
nig gleichgültig, daß er fein Gefolge mit fich nahm, 
und den Pfaffen Tönmiges Krahmer, ſich nach Freys 
tag’8 Herberge verfügte und fo nachdruͤcklich ibm fein 
ungebübrliches Begehren verwieß, daß der Edelmann 
‚in baftiger Eile Hamburg verließ, noch ehe feine Frau 
ihm folgen konnte, und ſich nach Haarburg flüchtete. 
Zwey Tage nachher, als die Frau dem Loh bey der Mühr 
ren neben dem Krahn gegen Abend begegnete, Fam es 
zwifchen beyden zu einem Wortmwechfel, in welchem fie 
fich einige Ausdruͤcke erlaubte, die nun wohl nach ihrer 
Mepnung auf einen Leibeigenen zu paffen ſchienen. 
Diefe brachten aber den ohnehin jabzornigen Mann in 
ſolche Wuth, daß er mic feinen Gefellen, die er faft 
gewöhnlich in feinem Geleit geführe zu haben fibeint, 
die ſchaamloſeſte Begegnung fich gegen die hochfchwans 
gere Frau erlaubte und fie auf das fchnödefte mißhan— 
delte. Und damit fich nicht begnügend fchleppten fie die 
arme noch zum Bürgermeifter H Langenbeck, und 
verlangten, daß fie in die Hechte Cauf die Frohnerey) 
gebrachte und für ihre Beleidigung geſtraft wuͤrde. Ä 
Dem Fugen und befonnenen Benehmen de3 Bürgermei: 
ſters Langenbeck gelang es nach, vielem Bemühen, die 
unrubige Menge in fo weit zu befchwichtigen, dag 
die Frau in die Wohnung des Baumeiſters gebracht 
werden durfte, um der Bflege und Wartung von deffen 
Hausfrau anvertraut zu werden. Huch den andern 
Morgen wußte der weile Stadtvater die Sache in ver: 
trauter Befprechung dahin zu vermitteln, daß fich die 


372 WVWVerſchwoͤrung Des Volks 


beyben Derfonen durch einen Hanbfehlag verfühnten, 
und die. Edelin unverhindert nach Haufe zu teifen Er: 
laubniß erhielt, 

Aber in den Gemuͤtherne des pobels tobte noch 
immer der alte Groll und drohete um fo gefahrvoller 
auszubrechen, je gröffere Gewalt es koſtete, ihn im 
"Stillen zw verſchließen. Volksunruhen und innere Der: 
wirrung haben von jeher denen am meiften sugefagt, 
welche bey friedlichen Zuſtande und. der fehlichten Oro: 
‚nung nichts zu verlieren haben, aber ſobald die Flamme 
des Aufruhrs losbricht, Gelegenheit zu finden hoffen, 
mit geraubtem Gute ſich zu bereichern oder andere un- 
edle Abſichten zu erzielen. Ein Haufe ſolcher war es, 
der eine wirkliche Verſchwoͤrung anſtiftete daß ber 
geſammte Rath nebſt den angeſehenſten Buͤrgern der 
Stadt, die demſelben zugethan ſeyen, am naͤchſten Jo—⸗ 
hannisabende, an welchem der Rath bey dem „Stadt— 
tanze“ ſich zu vergnuͤgen pflegte, ermordet werden 
ſollten. Es wurde ſo viel ruchtbar von dieſem An⸗ 
ſchlage, daß der Rath in Beſorgniß gerierh, und mit 
den Bürgern und Aemtern Vorkehrungen traf, daß die 
- Sicherheit auf mögliche Weiſe erhalten würde, Falſche 
Ausfprengungen dienten dazu, die Unruhigen im Be— 
wegung zu erhalten, Ein Brauer, Cord Richard, im 
Roͤdingsmarkt, verbreitete an mehreren Orten das Ge⸗ 
ruͤcht, der früher gemißhandelte, nach Luͤbeck entflohene 
Buͤrgermeiſter van Swaren werde Johannis zuruͤck 
kommen, und da dieß nicht anders als mit bewaffneter 
Begleitung geſchehen Fönne, ſey es Billig, daß man ſich 
dazu vorbereite, Da man ihn aber auf dem Rathhauſe 


mm 
“ 


gegen den Nach und deffen Anhänger, 373 


der Unwahrheit und, der Widerfprüche überführte, wurde 
er mit Benitimmung der verfammelten Bürgerfchaft in 
gefängliche Haft gefibieft, Ein andermal hieß es, um das 
Bolf aufzuhetzen, e8 würden vier groffe Schiffe auf 
der Stöhr mit Korn beladen, die Elbe hinab zu gehen: 
man fand aber nur ein einziges Schiff, welches. Korn auf 
der Wefer geladen batte und durch Sturm in die Elbe ges 
trieben war. Am Vorabende zu dem verhängnißvollen 
Johannistage brach auf dem Brodk in den Buden der 
Schifferbauer durch Verwahrlofung. Feuer aus: auch 
dieſer Vorfall gab Veranlaflıng zu Drohungen, daß 
nicht bloß der Armen, fondern auch der Reichen Haufer 
ein Freudenfeuer.geben koͤnnten! — Doch. blieb. es bey 
den Drohungen: denn felren iſt Einheit und Zufammenz 
bang in den  LUnternehmungen > ungeordneter Haufen, 
wenn. nicht ein: fchlauer , entſchloſſener Fuͤhrer an der 
Spitze ſteht. 

Den 11. July, als der Rath und die Bürgerfibaft 
verſammelt waren, vornehmlich, um die Angelegenhei⸗ 
ten des entfernten van Swaren zu berathen, dran⸗ 
gen ungerufen und unerwartet Henrich ven Lohe, 
nebſt Dietrich von Menſen und etlichen anderen in das 
Haus, und legten in Auftrag ihrer Partey dem Rathe 
eine Anzahl neuer Puncte vor, deren Bewilligung, fie 
verlangten. Einige, welche die Handelsverhaͤltniſſe mit 
den auswaͤrtigen Comtoiren betrafen, mußten ſchon 
deshalb abgewieſen werden, da ſie hanſiſche Angelegen— 
heit waren. Einige andere „verdienen des Juhalts 
wegen. der Anführung: — „Daß die Pferde vor den 
Wagen follten- „ſachten tho Bode gahn“, bey Verluſt 


374 Feindſeligkeiten des Volkes 


der Pferde. — „Daß die Feuer ſcha uer umgehen 
ſollten.“ — „Daß man mit den Boten (movon oben,) 
eine Ordnung follte machen.’ — „Daß man fein 
Barrengold fol ausgeben.“ — ,, Daß der Herren 
Diener Fein: Bier zapfen follten,” — „Daß man 
Fiſchbaͤnke auf dem Hopfenmarft folle machen“ ı, dal. 
Die Beantwortung auf diefe Anfoderungen fiel billig 
aus, und manchen derfeiben wurde auch Genüge ge 
leiſtet. Webrigens festen die Friedensflöhrer ihr Ge 
treibe fort: ihr Haß war jege vorzüglich auf den ob- 
genannten Münzmeifter gerichtet, Hans Schröder, den 
fie beſchuldigten, daß er mit Unglimpf von ihnen ger 
redet habe: der Haufe verlangte ihn nach dem Hopfen- 
markte, daß er ihnen Antwort gebe, ‚, edder be ſcholde 
von den Katten gefleyer werden. Auch des 
sefangenen Richard Befreyung aus dem Gefaͤngniß 
verlangte man mit Ungeſtuͤm, und zwang endlich den 
Frohn faft mit Gewalt, ihn aus feinem Kerker zu entlaſſen. 

So vielem Unweſen mußte man endlich zu feuern ſu— 
ben, wenn der Stadt und dem fFadtifchen Gewerbe Sicher: 
beit und ruhiger Umtrieb wieder gefichert werden follten, 
Der Rath entbor auf den Freytag* Morgens, ben 
18, July, ale Bürger und Bürgersfinder, fo zu ihren 
Jahren gefommen, Kauflente und Junggefellen, die 
Bürger-Nabrung trieben, fich auf dem Rathhauſe zu 
‚verfammeln, um über der Stadt Wohlfahrt zu berath- 
fihlagen, Jungen, Eleine Partepläufer und Gefinde 
ſolle man zu Haufe laffen, damit Unordnung vermieden 
werde. Die Bürger feldft verfahen ſich mir Waffen unter 
den Kleidern; „die Wittigſten“ verfammelten ſich auf dem 


6 
gegen den Rath und deffen Anhänger, 375 


Rathhauſe, und unter ihnen hatte fich Henrich v. Lob 
mit eingedraͤngt; die wehrbafteſten befegten die Thuͤre. 
Diefe war kaum verfchloffen, als Claus von Rum 
nen, ein Schiffszimmermann, mit einem zahlreichen 
Haufen Poͤbel vor das Rathhaus Fam, und einzubrechen 
verfuchte; "aber Durch die tapfere Gegenwehr der Bürs 
ger wurde er zweymal zuruͤckgeſchlagen. Er mich nach 
Et. Nicolai, und verfuchte, die Sturmglocke anzu 
sieben, wogegen indeß bereitd Vorkehrungen getroffen 
waren; ein anderer Radelsführer, Rype Kenkel, der nach 
der St, Petri⸗Glocke Taufen wollte, wurde aufgegriffen 
und nach dem Rathhauſe gebracht. Von hier traten die 
Bürger, nachdem fie ſich Bahn gemacht, hervor, nahe 
men den Rath in ihre Mitte und führten ihn nach dem 
Hopfenmarft, wo man auch den von Kunnen erwifche 
und in die „Garvekammer“ von St, Nicolai gebracht 
batte, Ein Haufe von Schiffszimmerleuten, Saͤgern 
und Schmiedten, welche vom Brook ber durch die 
Mattentwiete gezogen Tamen mit Beilen, Nerten und 
Handwehren, zerftiebten von felbft, als fie den Markt 
befegt und ihren Clas gefangen fanden, Im übrigen 
Theile der Stadt hemfchte während der Zeit beklom— 
mene Stille, Der Rath befragte: darauf die Bürger, 
was ihre Meynung. fey, daß mie den Aufrührern ges 
ſchehen fole? Gnade fir die, bie die Antwort, die 
um diefelbe bitten würden; doch follten fie zuvor Ge 
Iubde und Eyd ablegen, von diefem Tage an nie wie— 
der Auffag gegen den Rath oder die Stade zu erregen, 
weder in Worten noch in Werfen, Diefer Gnade wurde 
auch von Lob theilhaftig, nachdem er den Eyd abgelegt 


02 
370 Die Mißhelligkeiten werden beygelegt 


haste; da er während des Sturmes auf dem’ Rack: 
hauſe gewefen war. Aber die Schuldigen follten vers 
folge und, nach Urtheil und Recht beſtraft werden. Al— 
ſobald begab man fich ind Niedergericht, die .beys 
den Gefangenen wurden vorgeführt, von den Bürgern 
der Gewalt angeklagt und auf der Stelle. verursheilt- 
Darauf wurden fie. in Die Frohnerey gebrachte, um zu 
beichten, wahrend auf dem Berge die Anftalten zur 
Hinrichtung getroffen wurden, die des Nachmittags um 
zwey Uhr vollgogen ward. Die Ausgewichenen wur⸗ 
den verfeſtet; der genannte Richard verurtheilt, die 
Stadt auf zehn Meilen Ferne zu verfehwören, Aber auch 
der von Loh follte der ihm zugedachten Gerafe nicht 
entgehen. Denn bald nach: diefen Vorfaͤllen gingen 
von Freytag fowohl, dem befeidigten Gatten, als von 
anderen Herren Klagebriefe ein, welche zur Folge: hatten, 
daß er vor Gericht gebrachte wurde, Man mußte es zur 
Erhaltung der eben mit Mühe erfämpften Ruhe für 
fehr nothwendig achten, daß. der Dann fihuldig ge 
funden werden Könnte: man fand. ihn: auch. fehuldig, 
weil — er den Markefrieden geſtoͤrt hatte, Dem; Rathe 
und deffen Freunden wer er lange verhaßt gewefenz 
die Gunſt der. niederen Bürger ‚hatte. er fich verſcherzt, 
da er fie neulich im Aufruhr zu wenig unterſtützt gehabt. 
Der Auflauf, der am Tage ſeiner Hinrichtung ſich zeigte, 
war mehr aus. Neugier entſtanden, als zu ſeiner 
Befreyung irgend einen Verſuch zu beabſichtigen: vor 
dem Spitalerthore wurde ihm der Kopf abgeſchlagen. 
Manche andere der Parteygaͤnger dieſer unruhigen Zeit, 
„Moytemakers“, wie Langenbeck in einer „alten. 


” 

durch dem beiten Receß, 1483. "377 
handſchriftlichen Erzählung fie nenne , "fanden friiher 

und ſpaͤter eine aͤhnliche Vergeltung. | 
Uebrigens hatten die Bürger wahrend diefes Auf 
ruhrs ſowohl des Nachts die Stade bewacht, als auch die 
„Schtüffel der Thore zu ſich genommen, da fie theils 
den Nach ſelbſt ſchuͤtzen mußten, theils auch wohl nicht 
ohne Beſorgniß waren, derſelbe möchte zu ſeiner Ber 
ſchuͤtzung fremden Beyſtand herbeyrufen. Beyde be⸗ 
hielten fie nach der Zeit, die Schluͤſſel zu den Stadt⸗ 

thoren, und die Wache derſelben in der Nacht. 
Die verſchiedenen Artikel, welche von Loh fruͤher 
beſonders in der Nicolai⸗-Kirche im Nahmen der Buͤr⸗ 
gerſchaft vorgelegt und nachher in Gemeinſchaft mit 
dieſer auf dem Rathhauſe beſprochen worden waren, 
gaben die Grundlage zu dem dritten Receß(1483) 

zwiſchen Rath und Buͤrgerſchaft. Darinnen finden ſich, 

neben anderen, I folgende neuen Beſtimmungen: „Alle 
aus Angft oder Furcht Entmwüchene haben ficheres 
Seleit. — Die Bürger follen vor Fein fremdes Gericht ge 
zogen werden. — Die von dem Rathe zu vergebenden 
Dienſte ſollen an fromme Bürger verliehen werden. — 
Die Fahre nach Ißland wird aufgehoben — 
Diem Sufiss muß beſſer⸗ verwaltet werden, — 
Die Markevögte ſollen den zu Markt gebrachten Victua⸗ 
ınlien' den Preiß ſetzen. "Sn Sachen, die bey age 
vorgefallen, können die Stadtdiener nicht zeugen , auch 
ſollen ſie hinfort niche- bey den -S ho fin fein ſtehen 
nnd Tattern, wenn Fromme Buͤrger ihren Schoß dar: 
bringen. — Auf dem neuen Brook: dürfen Feine Lebens⸗ 
"mittel aufgelegt werden, (ſie könnten von hier Teiche un 


% 


“ 
378 Dritter Receß von 1483. 


bemerkt verfebiffe werden.) — Die Schiffbauer dürfen 
nur an die zur Hanfe gehörenden GStadte Schiffe 
verfaufen. — Der Rath will alle Monate das Brot 
der Bader waͤgen Iaffen, das ungemwichtige er 
halten die Armen zum h. Geift und die Geefen zu Er, 
Georg. — Wandelbare Frauen follen an keiner Kirche 
oder auf dahin führenden Gaffen wohnen. ine berüch- 
tigte Frau darf Feinen Schmuc tragen, Nimmt fie 
ein ehrlicher Dann zur Ehe, fo darf fie deßhalb miche 
unter ehrliche Frauen gehen. Einer folchen Magd fol 
man die Haube fenden und feinen anderen Kopfpug 
erlauben. Einmal im Jahre ſollen derley Weiber auf: 
gefangen werden. (Man trieb fie auf mit Trommeln 
und Fahnen und wieß ihnen befondere Wohnſtraßen an.) — 
Bey allen Verhandlungen und Irrungen mit fremden 
Maͤchten kann der Rath nichts für ſich abmachen, fon- 
dern muß aus jedem Kirchſpiele 20 bis 25 Buͤrger be⸗ 
rufen, um mit ihnen Rath's zu pflegen, — Es ſoll ein 
Kornhaus angelegt werden, worin 300 Wispel Rog⸗ 
gen aufgeſchuͤttet werden, ſo lange der Wispel nur 
5 DE. gilt. — Wenn in einem Kirchſpiele Zwietracht 
und Unzufriedenheit entſteht, ſoll dieſes den Kirchge— 
ſchworenen vorgetragen werden, welche ſodann ihre 
Amtsgenoſſen der uͤbrigen Kirchſpiele zu ſich nehmen 
und felb 48 die Sache vor den Kath brim- 
gen, mit dem Begehren, daß diefer die Erbgefeffene 
‚Bürgerfchaft berufe. — Niemand darf die Sturmglocke 
sieben bey harter Strafe — Rath und Bürger 

fchwoören auf diefen Receß einen neuen Eyd.“ 
Es iſt aus diefen Ereigniffen, insbefondere aus 

" 


* 


” 
Ausgleichung der Verhäfeniffe im Innern, 379 “ 


* 


dem Inhalt der den oberſten Behoͤrden vorgelegten An— 
foderumgen unverkennbar, daß der Geiſt des Volks, 
wie lebhaft auch die Heufferungen deffelben über die 
Grenzen der Mäßigung hinaus fich ergoffen, doch von 
der achten Einfiche in die inneren Bedürfniffe der Staat: 
verivaltung ausgegangen und zu einer für jenes Zeit: 
after nicht fehr gemeinen Bildung fortgefihritten war. 
Was man foderte, mar auf Thatfachen gegrümder : 
der Blick war Har, weil er an der Wirklichkeit fich 
geuͤbt und gefcharft harte; die Kraft war friſch und 
wirffam, da fie in Einem Brennpuncte des gemeinias 
men Wohls, mie daffelbe in einem Handelsſtaate nie 
getrennt feyn kann, ſich vereinigte. Man darf die 
wohlhabenderen Buͤrger und Kaufleute, ohne gegen die 
Wahrheit der Geſchichte zu ſuͤndigen, wohl als die 
eigentlichen Vermittler betrachten, welche zwiſchen den 
ausgelaſſenen Unmuth und Uebermuth des niederen Volk 
kes und die hoͤhere Strebung des Rathes, wozu ſich 
dieſer durch die gewichtigere Obliegenheiten ſeiner Wuͤrde 
in den damaligen Zeitverhaͤltniſſen nicht ohne Grund 
erhoben fuͤhlte, verſoͤhnend eintraten, um das Band 
der Einheit für die Dauer feſtzuknuͤpfen. Die Nach— 
giebigkeit des Rathes, aus welchen anderen Urſachen fie 
auch noch abgeleitet werben möge, befürderte gewiß das 
Gluͤck des Ganzen, und wenn aud auf die Seite des 
Volks ein Uebergewicht gerreten zu ſeyn fehien, eg konnte, 
wenn überall die Einſichtsvollſten und Verſtaͤndigſten 
(wahrhaft die Wirtigften) wirkſam blieben, dem 
Wohl des Staates micht gefährlich werden; eim Stei⸗ 


gen und van in den Schaalen bes Gleichgewichts 
* | 


® 

380 Neue Revifion des Stadtbuchs, 14974 

iR 

iſt mehr Beweiß des vegfamen Lebens, als ein ſchlum⸗ 
mernder, ſich in fich ſelbſt verlierender Stillſtand, ein 
lebendiges Todtſeyn. —J 

Viele Maͤngel, welche ſich nach und nach in der 

Geſetzverfaſſung der Stadt gezeigt hatten, und, je- 
vielfeitiger und mannichfaltiger die innern Verhaͤltniſſe 
fich entwickelten, um fo fühlbarer werden mußten, 307 
gen die Aufmerkſamkeit nun immer mehr an und brach- 
ten eine neue, gewiſſenhafte Durchficht des Stadtbuches 
in ernſte Anregung. Manche Gefege des alten Stadt: 
recht's waren, obſchon noch gefihrieben , ganz verlegt, . 
(ghantz vorlecht“) andere getilgt, die billig noch ver- 
dienten gehalten zu werden, etliche in böfe Gewohnheit. 
und Mißbrauch gefommen, viele auch Dunkel und uns 
verfiandiich, fo daß mehr Willführ, denn Recht geübt 

wurde, Darum wurde an der Verbefferung des Stadt— 
buches mit Fleiß und Emſigkeit gearbeitet und die meue 
Ausgabe deifelben, unser der Leitung des gelehrten und 
einfichtsvollen Bürgermeifferd Langenbest, nebſt Zu: 
ziehung der. Herren Albert Cranz und Matthias 
Parebufh (Syndikus von Lübel,) die beyde als, 
Syn die i in Angelegenheiten der Stadt ſowohl, als 
auch ber hanſiſchen Angelegenheiten vielfäftig gebraucht 
wurden, beforge, wurde im Jahre 1497. öffentlich ber 
fannt gemacht und in Kraft: des Geſetzes eingeführt, 
Auch in ihm lebt noch der Geiff und das alte Kernle⸗ 
ben des früheren Sachfemrechtes, . wie es in dem 
alten Stadtbuche geherrſcht hatte, die Einmiſchung des 
welſchen Rechtes iſt abgewehrt, die Hauptbeſtim— 

mungen der Receſſe ſind aufgenommen, die Anlage des 

J 


* 
Einrichtung des Raths⸗Collegii. 381 


Ganzen iſt ſo weit zur Ausfuͤhrung gediehen, als die 
Beduͤrfniſſe der Zeit und des Orts ni Nachdenken be: 
fördert hatten. 

Die Einrichtung der Verwaltungs: und Juſtiz⸗ 
Behökden beruhete weſentlich auf Folgendem: Der 
Rath beffand ſchon ſeit feinem Urſprunge gewöhnlich 
aus 20 Mitgliedern, von welchen Anfangs zwey -in 
jährficher - Abwechfelung die Bürgermeifter abgabem 
Seit 1350 finden fich bereits vier Bürgermeifter an: 
gegeben, Die Rathsmitglieder pflegten fich, nad) 
dem Beriche des oft genannten Langenbeck, der ſelbſt 
als Bürgermeifter im Rathe faß, in die Regierung fo 
zu theilen, daß alljaͤhrlich auf Petri (22. Februar) 
die eine Hälfte ab, die andere zutrat, doch verſam⸗ 
melte ſich in Angelegenheiten, die das allgemeine Wohl 
betrafen, ohne Zweifel immer das ganze Collegium... 
Die fehlenden Rathmaͤnner wurden am St. Peterstage 
durch neue Wahl erganzt, ſo daß nach Verhaͤltniß 6,4 | 
oder 2, Tin Beobachtung der geraden Zahl, gewählt 
werden mußten. Schon 14 Tage vor der gefegten Zeit 
verfammelten fie ſich zw diefem Gefcbaft auf, dem Eim- 
beeffihen Haufe, die Rarbmanner im Herrenſaal, 
die Bürgermeifter in der Weinbude, (wo auch ſonſt 
die Eydes⸗Vernehmungen gehalten wınden, weßhalb 
derfelde Rahme durch Angemöhnung noch auf ‚den 
jegigen Audienzſaal des Rathhauſes übergerragen 
worden iſt.) Hier wurde dann uͤber der Vorgeſchlagenen 
Geſchick, Tuͤchtigkeit, Ruf und etwanige Verwandt—⸗ 
ſchaft mie noch lebenden Rathsgliedern Berathung 'ge 
pſlogen. Aus den Zuͤnften wurde nicht leicht einer ge⸗ 





EZ 
382° Spyndiei im Kath, Graduirte Rathöberren, 


wahlt, Ausgenommen die Brauer, melche durch ihr 
Gewerbe die Handlung Hamburgs gar fehr beförderten 
und zu den wohlbabendften und angefehenften Bewoh— 
nern gehörten. — Vater und Sohn fonnten nicht zugfeich 
in den Rath kommen; zween Brüder durften im Rathe 
feyn, aber niche zugleich in der Regierung. Kein Beam— 
ser der holfteinifchen oder anderer Herren konnte .ges 
wähle werden. Die Rathsherren hießen in den amit- 
lichen Urkunden Confules, die Bürgermeifter Brocon: 
ſules. Nur bey außerordentlichen Verfchiefungen wurde 
ein Syndifug ernannt, oder unter welch anderem 
Nahmen er gelten folte, gewöhnlich einer geifflichen 
Standes, ver mit fchrifelichen Wuffägen und Unter: 
bandlungen Beſcheid wußte. Seit dem Jahre 1437 
werden ſolche Syndici aufgefuͤhrt; am beruͤhmteſten 
unter ihnen machte ſich in jener Zeit der treffliche 
Albert Cranz, zugleich der Theologie und des ka— 
noniſchen Rechtes Doctor, lector primarius, Dom: 
Debant, Syndikus und Procurator für die Bürger: 
meifter und Rathsherren von Lüberf und Hamburg, - 
Auch die Secretariusſtellen wurden zu der Zeit gewoͤhn— 
lich von Geifklichen vertreten; die Hollander nannten 
einen folchen Serretarius Samburgs, Jan mit Nahmen, 
bey dem Unterhendlungen 1441 einen Penſionarius von 
Hamburg. Bon Kechtögelehrten , die mit afademifchen 
Würden beffeiver gemefen, finder fich bis 1463 Feine 
Nachricht. Im Jahre 1464 tritt Heinrih Mur 
meſt er als legum Doctor ein, feit 1478 Herrmann 
Langen beck ald Decretalium Doctor, im J. 1505 
Gerhard vom Holte J „U, L,, und 1523 dem 


Ober⸗ und Niedergericht, | 383 


rich Salsborg Jur. D,, fogar, weit er bey der 
Krönung des Königs Friedrich von Danemark zum 
Nitter geſchlagen, alö Miles, 

In demſelben Stadebuch von 1497 wurde die Alte 
Verordnung erneuert; „Ein Rathhaus ſoll bleiben 
und anders Feines, und eine Dingbanf dabey, und 
beyde follen von ihrer Stelle nieht verrückt, noch an: 
derswohin "verlegt werden,’ Das Rathhaus diene 
dem Collegium, fowohl das Obergericht daſelbſt zu 
begen, als um ſich dort auch wegen der auffergerichts 
lich vor demſelben angebrachten Sachen zu berathſchla⸗ 
gen, Die Dingbank, Cder Stuhl des Richters, 
worauf derfelbe dem Dingen, dem Erörtern einer Rechtes 
ſache zuhoͤrt), ift das Niedergericht (dat ned— 
derſte Gericht), wie es ſchon in dieſem Zeitalter 
genannt wurde; die Dingleute, oder Beyſitzer, 
beſtanden aus den wittigſten der Bürger (Gerichts⸗ 
bürger), welche die Urtheile auf die Frage des vor: 
fisenden Vogtes (Richters) finden, ſchoͤffen, verfaffen 
mußten, Welches Gewicht diefe Gerichtsbürger insbe: 
fondere bey Aufruhr und peinlichen Recbtsfallen befeffen 
haben, iſt aus dem Flar, mas bey den Unruhen im 
Jahre 1483 ſich ereignete, woraus zugleich zu -erkens 
nen ift; daß damahls ein jeder, der im der Stadt 
wohnte und irgend ein Gewerbe trieb, zu den Bürgern 
fich. rechnen. und an den —— derſelben 
Antheil nehmen konnte. 

MNach dem Stadtbuche und dem gefunden Men— 

fchenverfiande entfchieden die Rathmaͤnner, und welche 

Bürger: fonft zur Verwaltung der Gerechtigfeis gerufen 
25 


384 Die Burgerverfommlungen, 


wurden. E83 finden fich noch jest achte Abfchriften 
des Alten Stadtbuchs von 1497 in klein Duodezformar, 
dergleichen die Rarhsperfonen und Bürger in der Tafche 
oder in einem Beutel mit aufs Rathhaus oder in die 
Buͤrgerver ſammlungen zu nehmen pflegten. Daher iff 
der Ausdruck Bocksbeutel (Booksbüdel) ent- 
ſprungen, das Halten am Herkommen und Förmlichen 
zu bezeichnen, da ein jeder, der ſein geſchriebenes Recht 
nicht beugen laſſen wollte und feſt an der hergebrachten 
Sitte hielt, von neuerungsſuͤchtigen Gernwitzen in den 
Ruf gebracht wurde, er halte an feinem Booksbuͤdel. 
Der Berfammlungsors der Bürger und Einwohner, die 
‚nicht gerade aufs Rathhaus berufen wurden, war ge 
‚wöhnlich das Brauerzunfthaus (die Brauergefelt- 
-fihaft auf dem Hopfenmarkte, an der Goͤrttwiete, Big zum 
‚Sabre 1816, mo das Haus eines Abends abbrannte, 
„vielleicht das altefte Gebaude der Stadt, das fich erhal⸗ 
ten, und eines der aͤchteſten Denkmaͤhler altnorddeutſcher 
Baukunſt.) Zu anderen Zeiten, wo der Zulauf zahlreicher 
ward, wählten die Bürger zu folchen Zwecken auch, 
wie wir aus dem oben Erzählten gefehen haben, das 
Schiff irgend einer Kirche, St. Nicolai, St. Catharis 
nen, felbit des Domes, u. f. w. m. 
Befondere Gerichtöverwalter, - mit der lateiniſchen 
Benennung Pratoren, als Borfiger im Niedergericht, 
„finden ſich, je. zween jahrlich, feie dem J. 1414, und 
feit 1512 ging das Amt nach der Ordnung zwifchen 
„den Rathsherren um, fodag immer zween auf einander 
folgende, wo es nicht verboten wurde, daſſelbe zu 
„vertreten batten. „Ein jedweder Bürger. oder Einwohner, 


Pracoren, Vorſprecher, Procuratoren ꝛc. 385 


der 18 Jahre erreicht hatte, konnte perſoͤnlich vor 
Gericht erſcheinen und fuͤr ſich ſelbſt ſprechen, ſich 
aber auch een Vor ſp racke waͤhlen, der für ihn dag 
Wort führte und darum wohl auch ein Vormund 
genannt wurde, Dieß waren Perfonen, melche ein jeder 
ſich aus feinen Miebürgern nach - Belieben wählen 
fonnte, und welche big zur Endung der Sache aushal⸗ 
ten mußten, weshalb ihnen auch im Stadtbuche von 
1497 für ihre Muͤhwaltung ein gewiſſes Geld beſtimmt 
it, An die Stelle diefer Vormuͤnder traten in der 
Folge die Procuratoren (1529); die Advocaten 
find von unferen fachfiitben Vorfahren am fpateften, 
denn von allen deutſchen Voͤllerſchaften, vor Gericht zuge⸗ 
laſſen worden. 

Wie einfach. dieſe Gerichtsverſaſſung auch: feyn 
mochte, fo fiand fie doch in folchem Anfehen, daß big 
zum Ende des funfzehnten Jahrhunderts, ſo lange die 
römifchen und paͤbſtlichen Rechte bier noch Feinen Zur 
gang gefunden, auch die Faiferlichen Hofgerichte 
noch nicht überall beachtet wurden, eine groffe Anzahl von 
Städten in Holſtein, Mecklenburg, Pommern, ja Preuffen 
und Lievland, zwar ‚vorzüglich auf Luͤbeck, deſſen 
Stadtrecht mehrere der übrigen Otadte angenommen 
‚hatten, aber auch fehr oft auf Hamburg zur endlichen Ent- 
ſcheidung fich beriefen: Ueberfahrt, Vollfahrt, Zugrecht, 
Dedingen an den Stapel nannte man dieſe Appellation, 
Aus dem‘ funfzehneen Jahrhunderte befigen wir, jeßt 
auch gedruckt, noch ein „recht gericht Ordeel der vann 
Hamborch twiſcken dem For ſten van Meck lenborch 
und denn vann Luͤbeck,“ das durch Klarheit, Recht⸗ 

25* 


386 Die Burfpracfen. 


lichkeit, ver@andige, gefunde Anfiche und Ausführung 
böchft vortheilhaft fich auszeichner und von der Ge 
rechtigfeitspflege diefer Zeit einen über alle Erwartung 
günffigen Begriff einflößer. 

Neue Gefege und Verordnungen, welche von Rath 
und Buͤrgerſchaft beliebt wurden, pflegte mam durch 
die fogenannten Schragen zu öffentlicher Kunde zu 
bringen, da biefelben gefcbrieben und an hölzerne Ta— 
feln befeffigt auf dem Rathhauſe zu jedermans Einfiche 
bingehangen murden, Sonſt geſchah es auch nach 
uralt bergebrachter Sitte, welche vor der Erfindung 
der Buchdrucferfunft dem vergeßlichen Gedacheniß fehr 
heilſam zu Hilfe Fam, daß Gefege, melche insbefon- 
dere Polizeiangelegenheiten betrafen, alljaͤhrlich zu 
beffimmten Zeiten, mit befonderen Feyerlichkeiten, vom 
Rathhauſe öffentlich abgelefen wurden, Die fogenannte 
Burfprarfe, (Rede zu den Bürgern, wie Bur- 
meſter ein Bürgermeifter), welche fich in nachfolgens 
den Zeiten,“ wenn auch ſchon ihr urſpruͤnglicher Zweck 
und Werth nicht mehr gelten Fonnte, als ein fchöner 
Nachklang des freyen, offenen Lebens, wie es Ze 
ſtatt gefunden, fich erhalten hat. 

Aber die verfchiedenen Mißhelligkeiten, welche bis— 
ber zwifchen der Partey des Volks und der Vornehme— 
ren ffatt gefunden hatten, Fonnten auf die Entwicke— 
fung der Berfiandesbildung, wo irgend einige Anlagen 
vorhanden waren, nicht ohne die einflußreichffe Ruͤck⸗ 
wirfung bleiben. An den nachffen Bedürfniffen, welche 
die Natur und aufdringt, an den naͤchſten Umgebungen, 
in welche wir durch unfere. Thatigfeit verfegt werden, 


Verhaͤltniß zu der Geiſtlichkeit. 387 


erwachen zuerft die Kräfte des Geiſtes zu Leben und 
Ausübung und werden, je mehr fie zum Bewußtſeyn 
kommen, deſto heller, deſto frifcher und fröblicher, 
Druck erzeugte Gegendruf, der Widerfpruch foderte 
jur Ablegung von Gegengründen auf, es war nicht 
mehr dumpfes Gehorchen, es war Streben nach Ger 
wißheit, nach Ueberzeugung. Den Befchwerden, ben 
eingebildeten ſowohl, als den gegründeten, war endlich 
jur Zufriedenheit der flreitenden Parteyen, zum Wohl 
des Ganzen abgebolfen worden, aber noch laſtete ein 
anderes Joch auf beyden, deſto fühlberer jetzt, meil 
der Sinn für Freyheit in feiner ganzen Stärke erwacht 
war, das Joch der geiftlichen Herrfihaft, gegen welche 
die, fo Feine erniedrigende Befchranfung mehr dulden 
wollten, zunachft ihren Kampf nun richten mußten. 
Ein wahrhaft cbrifflich frommer Sinn gehörte von 
jeher zu den achten und ehrwuͤrdigſten Kennzeichen der 
Bewohner Hamburgs: er bewahrte fich in feiner vollen, 
seinen Kraft durch die vielen Anſtalten, welche von 
Allen, die zu einiger Hülfekeiftung Vermögen in fich 
fühlten, zum Troſt und Heil der ungluͤcklich Leidenden, 
zur Verforgung und Verpflegung der Armen und Duͤrf⸗ 
tigen fchon in jenen Zeiten gemacht wurden, welche 
man font nur ald Zeiten der Rohheit und unmenfchlis 
ben Härte zu betrachten pflegte, Aber eben diefe Milde 
und Weichheit der Herzen iſt miche zugleich auch ge 
mappnet gegen Sereleitung und Berführung, welche 
fich fchlaue Lehrer, die den Schein der Untrügfichkeit 
für fi) haben, mit ihnen erfaubens daher finden wir 
auch bier neben der edelſten Menſchlichkeit den finiker- 


388 Hoher Aberglande 


fien Aberglauben, in welchem bie Köpfe verſtrickt ge 
halten wurden, Die ungeheure Menge theils unwiſſen⸗ 
der, theils herrfche und gewinnſuͤchtiger Pfaffen, im 
Jahre 1523 ſchaͤtzte man ihre Anzahl, die niederen 
Officialen abgerechnet, über vier hundert, ſuchten 
jedes Mittel auf, ſich von der verblendeten Gutmuͤthig⸗ 
keit des Volks zu bereichern; die Meſſen, die Heilis 
gentage, die Feſttage wurden ins Unglaubliche ver⸗ 
mehrt und der Meſſe- und Heiligendienſt immer glans 

gender und prachtvoller eingerichtet, Die widerfinnigs 
; ſten Feſte kamen zum Vorſchein, wie das Speer⸗ 
und Naͤgelfeſt, zum Andenken der wiedergefundenen 
ganze, womit der Meſſias in die Seite verwundet 
worden, das auch in Hamburg ſeit 1354 bis zur Reforma⸗ 
tion gefeyert wurde. In der hieſigen Jacobi⸗-Kirche 
insbeſondere trieb man die wahnſinnigſte Abgoͤtterey, 
unter andern mit einem coloſſalen Heylandsbilde, das 
145 eingeweihet wurde; der Heyland auf einem Eſel 
reitend, auf Walzen ſtehend, wurde alle Palmſonntage 
aus der Kirche" auf den Kirchhof und einigemale um 
die Kirche herum gerollt, unter lautem Jubel des 
Volks und der umwohnenden Landleute, welche ſich in 
dieſer Poſſe den Einzug Jeſu in Jeruſalem verſinnlichet 
dachten, Es waren in dieſer Kirche allein am 18 
fromme Bruͤderſchaften, welche zum Theil ſehr anſehn⸗ 
liche Summen fuͤr Seelenmeſſen daſelbſt niedergelegt 
hatten. Das Wunder des berüchtigten Kohlſtrauches 
zu Eppendorf, der durch die Unterlegung einer gewei⸗ 
heten Hoſtie die Geſtalt eines Crucifixes erhalten hatte, 
wurde in eine ſilberne Monſtranz eingefaßt, (1482) in 


herrſcht im Hamburg, 889: 


der Eaiferfichen KCunſt⸗Kammer zu Wien der Nachwelt 
aufbewahrt und durch kuͤnſtliche Abbildung in Kupfern 

der erbaulichen Berrachtung überliefert. Die Mönche, 
insbefondere die Barfüffer, fanden bier fo gute Auf 

nahme ,„ daß mehrere diefed Ordens 1469 auf den nicht: 
ungläsflichen Gedanken geriechen, in per Nähe der 
Stade ein neues Klofter anzulegen, in weichen Unter⸗ 
nehmen: fie ‚bloß durch die unbrüderliche Widerſetzlich⸗ 
keit der Marien⸗Magdalenen⸗Moͤnche verhindert wurden. 
Feverliche Wallfahrten geſchahen zum Andenken des ger 
kreuzigten Chriſtus von der Domkirche aus bis nach‘ 
Golgatha in St. Beorg, mo die fünf metallenen Bil⸗ 
der ſtehen: ſelbſt bis nach dem heiligen Blute zw 
Wils nack. Ws namlich im Jahre 1383 oder 84 das 
Dorf Wilsnack in dem Stifte Havelberg zerflört und 
verbranne wurde, follen in der dafigen Rirche drey ge⸗ 
fegnete Hofkien in den Gluthen des Feuers unverfehrr erhal⸗ 
ten und eine jegliche in der Mitte mis einem Tropfen Blu⸗ 
tes bezeichner gefunden worden feyn, Dieſes Wunder⸗ 
geichen war e3, wohin aus allen Gegenden, aus Ham— 
burg und deſſen Gebiet befonders, viel Volks wallfahr: 

sete und reiche Gefchenfe und Opfer darbrachte. Dam 
hatte im Wilsnack auch eine heilige Waage, die Gröffe: 
und Schwererder Sünden zu erforfchen. Erſt ſpaͤt Cim 

Sabre 1552) gelang es einem Prediger ded Orts, Ton: 

him Ellerfeld, den Betrug zu entdecken. Er fand 

namlich, daß es nichts, als uraltes Bocksblut gemer 

fen, welches bey der Berührung „wie Fifch-Rogen von 

einander gefallen, auch für fich nicht vorh gemwefen ſey, 
fonderun nur, wenn der Schein von einem brennenden 


399 Murhwilliged Berragen und 


Lichte ing Cryſtall geleuchter, einen Wiederfehein ver 
urfache habe,’ Der gute Prediger wurde dafür vom 
Halberftädtifchen Dom-Capitul, dem durch diefe Ent- 
deckung ein gutes Einfommen entfiel, ind Gefängnif 
geſetzt und mußte fpaterhin die brandenburgifchen Lanz 
der verlaffen. 

Aber der Aberglaube bemächtiger fich fo feft der 
Gemücher derer, die zur Gelbftandigfeit der Denkkraft 
noch nicht gelangt find, daß er ſelbſt in helleren Zeis 
ten, wenn auch in anderen Formen und im täufchen- 
deren Geftalten, feine Herrfchaft niche aufgiebt. Es 
mußten andere Umftande hinzufommen, wenn das Joch 
der Priefkerwilführ, als unmwirdige Laſt gefühlte und 
durch Gegenkampf abgeſchuͤttelt werden follte, Der 
Einfachheit unferer Vorfahren mußte haupefachlich bie 
Ausgelaffenheit der Lebensart, die Ausfchweifungen der 
gröbften Gattung, welche fich die Geifklichen eriaubten, 
anſtoͤßig auffallen und zum Nachdenken auffodern, daß 
eine folche Vergeflenheit der fietlichen Würde mit der 
erhabenen Beftimmung ihres Berufs nicht im Zuſam— 
menhange ſtehen könne, Boshafter Muthwille war «8, 
ber die ſogenannten Schlaffchüler (Scholares dor- 
mitoriales), welche nach einer ſeit 1345 beſtehenden 
Einrichtung in den Kirchen Wache halten und gleich 
bey den Fruͤhmeſſen im Chore dienſtlichen Beyſtand lei⸗ 
ſten ſollten, veranlaßte, in den Straßen der Stadt 
Unfug zu treiben, mit den Nachtwaͤchtern Streithaͤndel 
anzufangen und anderes Unweſen auszuuͤben. Die Ges 
duld der Bürger ermuͤdete und der Rath ferbft beifchte 
pom Dom-Eapitul die Abfchaffung diefer boͤſen Sitte, 


Sittenloſigkeit der Geiftlichen, 391 


wozu fogar im Jahre 1446 die beyden VBürgermeifter, 
Hinrick tho dem Berghe Cder letzte dieſes Geſchlechts) 
und Hinrick Hoyer „acht ehrbare Prieſter“, welche 
die Pflichten jener Scholaren uͤbernehmen ſollten, zu 
unterhalten, eine beſondere Stiftung vermachten, der 
erſte ı Wispel Malz nebſt 2 ME, jaͤhrlich, der andere 
jaͤhrlich 6 DE., fo viel zu der Zeit ein Wispel Marz 
foftere, Die Stiftung wurde angenommen, aber dem 
Uebel nicht abgeholfen, wie noch aus den Befchwerden 
des Rathes von 1477 erfichtlich iſt. Aus diefen letzteren 
erhellet zugleich, daß die Priefter und andere geiffliche 
Perſonen nebft ihren Dienetn Bier zapf ten, den 
Krügern gleich, „der Stad un dem gemenen Gude to 
Vorfange.“ Vor Allem beleidigte das unfittliche Be: 
tragen der Mönche und Geiſtlichen, das in unzuͤchtiges 
Leben ausartete, troß der wiederholten Gebote, Die 
bald von dem bremifchen Erzbifchof, bald von den hie: 
figen Dompröbften und Dechanten ausgingen. Noch 
im Sabre 1513 fand fich der oft genannte Albert Cranz 
veranlaßt, den Geiftlichen zu gebieten, ihre Beyſchlaͤ⸗ 
ferinnen zu entlaffen und fich eines Feufcheren Lebens⸗ 
wandels zu befleißigen. 

Zu dieſen Ausartungen gefellten fich niedriger Geis 
und Habfucht, anmaßender Stolz und Uebermuth, und 
im ſchneidendem Gegenfag dazu die gemwiffenTofefte Beſtel—⸗ 
lung der Lehrer in Kirchen und Schulen. Die Bebrechen der 
legteren wurden dem Bürger, je mehr er im thätigen 
Leben Gelegenheit fand, die fehlimmen Folgen verlor 
rener Jugendzeit zu erkennen, befonders fuͤhlbar. Schon 
im Sabre 1337 war. zwijchen dem Capitul und der 


| 392" Schlechte Kirchen und Schul: Diener, 


Stade der Veraleich errichten worden, daß die Canos 
nich in den Pfarrkirchen gefehrte und tuͤchtige Capellane 
einfegen follen, weiche dem Bolfe im Gitten, Lehre 
und Beyfpiel zum Muſter dienen fönnten: desgleichen 
möge der Scholaſticus die Schulen mir geſchickten und 
gelehrten Rectoren verſehen, welche bey ihrem Gehalt 
das alte Schulgeld nicht erhöhen, noch weniger neue 
Soderungen einführen follten, Aber die Scholaſtici 
achteten dieſes Bergleiches wenig, fie hielten ihre Nez 
ctoren fo knapp in der Befoldung, je fie werfauften 
wohl gar dieſe Lehrfiehen, daß Lie Schullehrer 
zu Dem Mittel griffen, das Lehrgeld ungebuͤhrlich | 
zu erhöhen und Anfoderungen unter den verfchiedenars 
tigften Nahmen einzuführen. Go klagte der Rath 1477 
gegen"das Capitul: daß gegen allen Vertrag das Schul- 
lohn erhöher würde, „und de Scholmeſters dagelifes 
mat nies erdenken zer und im Receß von 1483 iſt ein 
Artikel: „Da nach den Statuten nur der Reichen Kin— 
der vierteljaͤhrig 2 fl. Schulgeld und jaͤhrlich 
4 df. Lichtgeld erlegen duͤrfen, der Scholaſticus aber 
folches auch den arınen Kindern abſodert, und ſolche, 
wenn fie eg nicht aufbringen Fünnen, nichts. erlernen 
und dumm bleiben, fo wird der Rach dafür forgen, 
daß ſothanem Unfuge vom Capitul abgeholfen werde. 
Die Mißbraͤuche waren zu eng verknuͤpft mit dem ganz 
sen Weſen der pabftlihen Verfaffung, als daß, ohne 
die Zerftörung diefer, zu einer Wegraumung jener mit Erz 
folg hatte Anſtalt getroffen: werden fönnen, | 
Unter den übrigen Mißbraͤuchen, welche fich die 
seiftlichen Herren dieſer Stadt erlaubten, erregte be 


Unfug mie dem Bann ‚getrieben, 393 


fonders die Anmaßung Beſchwerde, welche fich in Hins 
ficbt des. haufig gebrauchten Bannes bewieß ,„ womit 
bald einzelne Bürger, bald Mitglieder des Raths, bald 
wohl gar die ganze Stadt belegt wurden „ gewöhnlich 
bey geringfügigen Beranlaffungen, oder wo ihrer Habs 
ſucht Hinderniffe in den Weg gelegt worden, So we? 
nig man. auch auf eim folches Berfahren achtete, da 
es durch den Mißbrauch. feine Bedeutung verlor, fo 
entftand Doch für, die Stadt immer noch Schade und 
Nachebeit daraus, weil durch eine folche Verfluchung 
und durch das Aufichen, melches dieGeiftlichkeis davon 
machte, dem Verkehre Störung und Abbruch Mr 
wurden, Als gegen das Jahr 1500 hin zur Sicherung - 
ber Stadt, weil man einen Beſuch des. Königs von 
Danemark beforgte, die Feſtungswerke erweitert wur⸗ 
ben, verlangte, man von der. Geijtlichkeit eine Bey⸗ 
feuer, da firden Schus der Mauern und Wälle mitz 
genoß. Aber fo wenig dazu wollte. fie ſich verftchen, 
ald zu einem Beytrag ftir einen neu angelegten Bruns 
nen auf dem Berge, von welchem übrigens die. Leute 
des Capituls ihr Wafler holten. Da ſie indeffen nicht 
freymillig etwas geben wollten, kamen Rath und Bür- 
gerfchaft darin. überein „ daß bie Inhaber der in der 
Stadt und ihrem Gebiete belegten + geiftlichen ‚Gelder 
die davon fallenden“ Zinfen sein Jahr lang in die Stadt: 
Eaffe liefern follten. Die Pfaffen waren mie dem Bannbey 
der Hand, die Bürgerfchaft ließ fich indeffen in ihrem Ver⸗ 
fahren nicht fiören, Im Sabre 1503 Fam der past 
Fiche Legat, Eardinel Raymund nah. Hamburg, und 
wurde mit groffer Ehrerbierung empfangen; nicht nur 


894 Ablaßkraͤmerey in Hamburg, 


die geſammte Geiftlichkeit ging ihm mit dem Kreuz ent⸗ 
gegen, auch der Kath und die Bürgerfchaft bewillkomm⸗ 
ten ihn am Thore und holten ihn ein. Am naͤchſten 
Sonntage ward eine feyerliche Prozeſſion veranfkalter, 
bey welcher er, nach geendigter Mefle, won einem 
hohen Stuhle herab dem zahlreich verfammelten Wolfe 
den Gegen ertheilte. Darauf unterfuchte er die hiefigen 
Ktöfter, gebot den Pfaffen, binnen Monarsfrift ihre 
Eoncubinen zu entfernen, bemühere fich befonders viel, 
die Srrungen mit der Bürgerfchaft in Güte zu ſchlich— 
ten, aber das Mißvergnügen dauerte fort, da dem 
Hebel nicht von Grund aus geholfen wurde, 

Auch von dem Unfuge, „welcher mie dem Ablafl 
angerichtet wurde, war Hamburg fo wenig, als die 
übrigen Städte Niederfachfend, verfchont geblieben, 
J. Angelus Arcimbold hatte den Auferag erhaß 
ten, unter dem Vorwande, zum Bau der Perersfirche 
Beyſteuern einzufammeln, in Niederdeutſchland und in - 
den nordiſchen Reichen den Ablaß zu predigen. Im 
Jahre 1516 kam er nach Hamburg und befkellte ſogleich 
einen Mann, der bier in groffen Anfehen fand, ven 
Canonicus und Scholaſticus Henrich Bantſcho w 
zum paͤbſtlichen Acoluthen und Protonotarius, damit 
er das Geſchaͤft des Ablaſſes im Nahmen des Pabſtes 
verwalten moͤchte. Auch nach Luͤbeck ging Arcimbold 
noch in demſelben Jahre und errichtete daſelbſt das Abs 
laßkreuz. Es iſt nicht zu glauben, heißt es in einer 
alten Nachricht, wie groſſes Geld und Guͤter er aus 
Luͤbeck und den anderen Staͤdten, auch darnach aus 
dem Reiche zu Daͤnemark und Schweden zuſammengebracht. 


Anfang der Reformation durch Lurher> 395 


Diefe verfchiedenen Umſtaͤnde waren bier voraufs 
gegangen, um für das wohlthaͤtige Licht der aufgehell- 
ten Glaubenslehre, das Luther amzündere, auch in 
diefer Stadt die Gemuͤther empfanglich zu machen, Im 
Jahre 1517 gefchab ed, daß der vom gottesfürchtigen 
Feuereifer ergriffene Mann, dem gottlofen Wefen des 
berüchtigten Tegel Einhals zu thun, die fünf und 
neunzig Sage vom Ablaß ausgehen ließ, der erfie 
tühne Schritt, der das ganze Werk der Glaubensreis 
nigung im feiner Folge berbeyführen mußte. Die 
Schrift durchlief, noch ebe vierzehn Tage vergingen, 
das ganze Deusfchland, und in vier Wochen fehier das 
gefammte: chriftliche Europa, als waren die Engel ſelbſt 
Botenlaͤufer und truͤgens vor aller Menſchen Augen. 
Der Eindruck, welche fie überall hervorbrachte, mar 
fiarf und mächtig; ihre Beurtheilung nach der vers 
ſchiedenartigen Empfanglichfeit der, Gemuͤther und den 
getheilten NRückfichten auf Vortheil oder Nachtheil vers 
ſchieden. Der rechefchaffene und einfichtsvolle Albert 
Cranz, biefiger Domdechant, befam die Thefes eben 
noch auf feinem Sterbeberte zu Geficht, Cer flarb den 
7.December 1517) und fagte im Tone des Bedauerns: 
Du haft wohl Recht , lieber Bruder , wirft aber nichts 
ausrichten; gebe in deine Celle und bete: Gott erbarme 
dich meiner, Aber gar bald ermachte auch bier in 
Hamburg, und fibon, als Luther faum nad Worms 
gereift mar, um von feinen Lehren Zeugniß abzulegen, 
ein muthiger Streiter für die Sache des Evangelii und 
tapferer Befampfer der groben Mißbrauche, melde bie . 
chrifkliche Kirche entweihet hatten, Das war 


® 


396 Ordo Stemmel, erfier Reformator 


Drdo Stemmel Ceigentlih Steynmeel ober 
Steenmeel, von anderen unrichtig Otto. Stiefel 
genannt,) Paſtor an der Catbarinen » Kirche, und 
Vicarius im Dom, ein Mann von groffer Rechtlichkeit 
und Gottesfurcht. Dieſer eiferte fehon im Jahre 1521 
gegen die verberbten Sitten und Ausfchweifnngen «der 
römifchen Geiftlichfeit,  rügte laut und oͤffentlich vor 
dem Bolfe die Betruͤgerey des Ablaßkrames und den 
Mißbrauch, der mie der Lehre von den guten Werfen 
gerrieben wurde. Von dem Eindruck, den diefe Predigs 
ten auf die Gemüther bervorbrachten, zeugen die Vers 
folgungen, die alfobald den wackern Stemmel trafen, 
und denen er, eim bochbetagter Mann, mit Kraft fich 
nicht zu widerfegen vermochte. Er legte daher fein Pre 
digtamt nieder und befchloß ſein Leben in Rube (1528.) 
Der Rarh ſelbſt hatte: fih bewogen gefunden, Durch 
ein Warnungs⸗Mandat auf die Gefahrlichfeie der 
Neuerungen aufmerkſam zu machen, ohne Zmeifel 
nicht aus bösmwiliger Meynung, aber das ſtrenge Edict 
des Raifers von Worms aus, das auch Hamburg mit 
getheilt worden , foderte auf zur Vorfiche und Defons 
nenheit in einer Sache, welche auf anderen Wegen zu 
— * Vollbringung gefuͤhrt werden mußte. 

Die Lehren des kuͤhnen Stemmel waren nicht 
ganz auf unfruchtbaren Boden gefallen; er hatte nur 
laͤngſt gehegten Emfindungen, laͤngſt empfundenen Be 
duͤrfniſſen ihre Sprache verliehen. Schon im naͤchſten 
Jahre, 1522, im: Anfange des Septembermonats, tra- 
ten die Oberen der vier Kirchfpiele zufammen, mit Zus 
ziehung noch anderer Bürger. und befonders der Werf- 


in Hamburg. Erfolg feiner Lehre, 397 


meifter Glelterleute) von den Aemtern, und vereinigten 
ihre Entfchließfungen in ‚einem mit den. Siegeln der vier 
Kirchſpiele beſtaͤrkten Briefe dahim, daß fie. fich den 
Hemmungen und Bannen der Geiftlichkeie und dem fon: 
„figen ungebähriichen Unterfangen .derfelben mit aller 
Kraft widerfegen wollten, gelobten sich. auch zu 
‚einander, ‚in dieſer und ahnlichen Sachen von Wichtig⸗ 
keit einander Zuftimmung, Troſt und Huͤlfe zu Teiften, 
insbefondere aber, die Schule zu Gr. Nicolai in 
gehörige Nichtigkeit zu bringen, auch, wenn die uͤbri⸗ 
gen Kirchſpiele in gebührlicher Weife Schulen ‚aufrich- 
‚ten wollten, ſich darin behuͤlflich und beyftandig zu 
feyn, Mühe und Unfoften zu diefem Endzweck niche zu 
fparen und gleichmäßig zu übernehmen. Lut her ſelbſt 
bezeigte feine Freude, als er vernahm, daß die Ham- 
burger Verlangen trügen nach dem reineren Worte Got: 
tes, und daß fie den Bremifcben Officialen mit def 
fen Gebülfen aus der Stadt gewiefen hatten (1521,) 
Der damalige Domdechant, D. Eggart Kranz, ber 
Bruder des Gefcbichefchreibers Albert, hielt freylich 
eine Kirchenunserfuchung, aber nicht, zur Abhuͤlfe der 
Mangel, über welche man fich befchwerte, fondern um 
den Zuftand der Pfruͤnden, Lehnen und Almofen des 
Domes, fo mie der anderen Kirchen genauer kennen zu 
lernen: die Sicherheit des Ungerechten weiſet . alle 
Maaßregeln von ſich, melche ‚auch die klarſte Einfalt 
„aufzjufinden im Stande mare, ‚Ein weit verbdienftliches 
res linternehmen war ed, daß die Vorſteher ‚des 
Pockenhauſes, damit die den Armen und Kranken 
gewidmeten Gaben nicht abhanden kaͤmen, ſondern 


398 Stephan Kempen, &utheraner, 1513, 


gründliche Nachricht davon fortgepflanzt werden möge, 
ein eigened Buch einführten, in welches fammeliche 
Briefe und Vermaͤchtniſſe zur Abfchrife gebrachte werden 
folften. 
Um diefe Zeit, im Sahre 1523, fam Stephan 
Kempen nach Hamburg, ein wohlunterrichteter und 
- einfichtsvoller Minoriten-Moͤnch aus Roſtock, allwo er 
mit der befferen Lehre des Evangelii und mit Luthers 
Unternehmungen ſchon befannt geworden war, Da er 
bier in Hamburg mit feinen Brüdern, den Mönchen des 
Marien⸗Magdalenen⸗Kloſters, Geſchaͤfte zu ordnen hatte, 
ſo betrat er bey dieſer Gelegenheit auch die Kanzel und 
erregte ſolches Aufſehen durch feine Gabe der Wohl— 
redenheit und durch feine Predigten, die von allem papi⸗ 
ſtiſchen Tand und Menſchenzuſaͤtzen rein waren, daß, als 
er ſich bereits zur Abreiſe wieder anſchickte, die Vorſte— 
her des Kloſters zu ihm kamen Cam Frohnleichnams— 
feſte 1523), und ihn inſtaͤndigſt baten, daß er hier ver⸗ 
bleiben und fortfahren moͤge, die Lehre des Herrn mit 
ſolcher Geſchicklichkeit, als er angefangen, ihnen zu 
verkuͤndigen. So wurde er Paſtor an St. Marien- 
Magdalenen. Er predigte nun mit ſo vielem Beyfall, daß 
eine auſſerordentliche Menge von Zuhörern, Die der 
albernen Moͤnchs⸗Maͤhrchen laͤngſt überdrüffig geworden 
waren, zu ihm ſtroͤmte, und mit begierigem Herzen Die 
reine und umverfälfchte Lehre des Chriſtenthums auf- 
ſaßte. Es Eonnte nicht fehlen, daß die andern Prediger, 
welche ihre Kirchen verlaffen faben, auf den Anfomm- 
fing neidifch wurden und ihn bald. von den Kanzeln 
herab als einen gottloſen Ketzer verdammten, bald 


Dr, Barth. Möller kommt nach Hamburg, 308 


durch allerlen Anfchwarzungen bey dem Rache und den 
Borfichern ihrer Orden zu verlaͤumden fuchten. 
Kempe aber erbiele fich, trog aller Anfeindungen 
und Berfuche, ihn zum Schweigen zu bringen, eben fo 
wohl in der Achtung feiner Zuhörer, als in der unges 
flörten Verwaltung feines Amtes, bis ins vierte Jahr; 
wo er endlich in feiner wohlthaͤtigen, chriftlichen Wirk 
ſamkeit durch treue Gehuͤlfen unserffüge wurde, Zu 
diefen gehörte nicht der in die Stelle des abgegangenen 
Stemmel zu ‚St, Catharinen eingefegte Joachim 
Fiſchbeck, der zwar anfangs mis großem Pochen 
gegen die Papiften von der Ranzel berabeiferte, aber 
bald, da er einſah, daß die Seelenmeſſen mehr einbraͤch⸗ 
ten, als das Berfündigen der Wahrheit, und als das 
Capitul ihm eine veiche Pfruͤnde ſchenkte, ſich wieder 
umwandte und gegen fich ſelbſt predigte, zum großen 
Aergerniß bey alien Wohlgeſinnten (1525). Der eifr 
rigſte Vertheidiger der römifchen Eferifey war bisher 
Sobann Engelin geweſen, Lector Primariuß und 
Canonicus am, Dom; Dieſer ſtarb um dieſe Zeit (1325) 
und an feine Stelle fam Barshold Möller, Doctor 
der Theologie, welcher vorher mit vielem Beyfall zu 
Roſtock gelehret hatte, und unter deffen Schüler auch 
der genannte Paſtor Kempe geweſen war. Sobalb 
Möller in Hamburg eingetroffen war, ließ er Kempen 
zu fich kommen und befprach fich mie ihm über: Die 
Art, wie er in Zufunft bey feinen Predigten e8 halten 
wolle und wie er fich über verſchiedene Puncte gegen 
die Lutheraner erflären werde, Kempe erwiederte ihm 
mis edler Offenheit und Standhaftigkeit, daß er mir 
ah 


400 Johann Zegenhagen wird berufen zum 


J 

Gottes Gnade fuͤrder predigen werde, wie er es bisher 
gehalten, er bitte aber, ſobald ihm, dem Dr. Moͤller, 
etwas zugetragen werde aus ſeinen Predigten, daß er 
ſich den Inhalt und den Ueberbringer anmerken möge; 
er werde immer, auf Verlangen, erſcheinen, und uͤber 
die aufgezeichneten Sachen in Stille und Freundlichkeit 
ſich erflaren, Dieſe Verabredung wurde mit einem 
Handichlage befiegelt. Gleichwohl, als Kempe in der 
Paſſionspredigt, am Freytage vor Palmarum, bey 
Gelegenheit der Auslegung des Leidens Chriffi von der 
Wiederherftellung der beyden Geſtalten im heiligen 
Abendmahle feine Meynung geäußert hatte, nahm Dr. 
Möller am nachiien Palmfonntage auf der Kanzel 
Gelegenheit, gegen die von Kempe vorgebrachte Mey: 
nung mit Anzüglichfeiten loszugehen und faut zu erffä- 
ven, daß der ſowohl, der beyde Geffalten im Abend: 
mahle den Laien zu geben lehre und austheile, als 
auch der, fo fie empfange, ein Keser und Bube ſey. 
So wenig erfüllte diefer Daun die Erwartungen, die 
man fich von ihm gemacht hatte, daß er die entfkan- 
denen theologifchen Streitigfeiten durch verftandige 
Mittel beyzulegen fuchen werde, wozu ihm von Kempe 
fo fchön die Hand geboten worden war, daß er viel 
mehr den Haß und die Zanfereyen aufs Neue ent: 
flammte und den Saamen der reineren Lehre in feinem 
Aufkeimen zu erfticken drohete. 

In diefer mißlichen Lage fand Kempe e einen redlichen 
Nirffreiter und Glaubensvertheidiger an den um Oſtern 
1526 aus! Magdeburg hieher an St. Eatharinen be 
rufenen Prediger, Johann Zegenhagen, Diefer 


Mitſtreiter für die evangelifihe Lehre, 41 


Mann war ſchon fruͤher ein Anhaͤnger der gereinigten 
evangeliſchen Lehre geweſen, “und predigte auch bier 
gegen die Mifbrauche und Irrthuͤmer der Papiften mie ' 
ſolchem Eifer und Nachdruck, daß fich der gutfachofis 
ſche Rath veranlaßt jab, ihm Kanzel und Predigen zu 
verbieten, Zwar wurde das Verbor auf die Vorſtellun⸗ 
gen, welche die Kirchgeſchworenen und einige mit ihnen 
verbundene Bürger am Freytage-nach Duafimodogeniti 
Dagegen vorbrachten, wieder zuruͤck genommen, doch 
erbielt ſich das Gerüche in der Stade, als werde day 
Rath den neuen Prediger darum, daß er die Leute 
chriſt lich Cd. b. mach der evangelifchen Weife) abſol⸗ 
viret und diefelben beyder Geſtalt des Sacraments ber 
richtige babe, aus der Stadt zu fehaffen fuchen, Und 
wirftich beurlaubte ihm der Rath am Freyeage nach 
Cantate und legte ihm auf, innerhalb dreh Tagen fich 
aus der Stade zu machen, wozu Pferde und Wagen 
bereie waren; Sobald dieß bekannt wurde, verfämmelz 
ten fich den folgenden Sonntag An 408 Bürger Bey 
dem Prediger Stephan Kempen nach der Predigt, 
im Lectorium ju St; Marien-Magdalenen , und beredes 
ten ſich mie einander, was fowohl in Anſehung der 
Gefammtangelegenheit des Evangeli überhaupt; als bes 
ſonders des verabſchiedeten Johann Zegenhagen zu 
thun ſey. Hierauf erwaͤhlten ſie aus ihrem Mittel vier 
Bürger, (Joachim von der Fechte aid St, Pr 
colai, Harmen Soltau aus Sr; Petri, Hard 
von Bargen aus St: Jacobi nd Hinrich Da 
vörde aus St. Catharinen⸗Kirchſpiet,) weiche fich zum 
wortführenden Bürgermeifker verfügten, (Dietrich 
r 26* 


> 


493 Fortgang der Kirchenverbefferung 


Hohuſen) und denſelben erfuchten, dem Rathe an— 


ſagen zu laſſen, des andern Tages zu Rathhauſe zu 
erfcheinen, meil die Bürgerfchaft das eine und andere 
vorzubringen habe, Den andern Morgen um 7Uhr erfchier 


nen auf dem Klofterfanl von Magdalenen bey 2000 Men: 


fchen, welche einen Ausſchuß von 4o Bürgern erwahlten, 
aus jedem Kirchipiele sehen, Die Angelegenheitmit3ege ns» 
bagem zu verwalten, Einer von diefen, der Bürger 
Joachim Wegedorn, trug die Sache dem Rathe 
vor, welcher nicht in Abrede war, daß er den Zegen- 
bagen beurlaubt habe: aber dieß fen gefchehen in guter 
Meynung, da er, der Rath bemerkt habe, 3. führe eine 
Lehre hier ein, die der guten Stadt Verderben bringe; 
es fey ein verlaufener Mönch, ein Schmiede - Knecht, 
ans allen: Landen verjagt, und befonders jüngft aus 
Magdeburg, wo er nur Aufruhr und Streit erregt 
gehabt; er fey ein Menſch, der fich gar nicht wolle un 
terrichten laſſen, fondern allein nach feinem Geifte pre 
digen u. f m, Daneben ward von Faiferlichen Mans 
daten, von pabfflichen Breven gefprochen und von an 
deren Dingen, welche der Raufmannf haft zum Schns 
den und Nachtheile gereichten, Nachdem noch lange 
Rede und Gegenrede gepflogen worden, fiel dennoch die 
legte Erklärung dahin aus, daß dem Zegenhbagen 
vergönner feyn folle, zu predigen, es fey in Catharinen 
oder in einer anderen Kirche. Dieſer Beſcheid wurde 
von den Abgeordneten den auf dem Kloſterſaale mwartens 
den Bürgern uberbracht, welche dem Rathe Dieferwer 
gen dienſtlichen Dank abflatten Tießen und ficb nun 
ruhig nach Haufe verfügten, 


bis zum Jahre 1526, 43 


So mie aus diefen Verhandlungen erbellet, daß 
die Vater der Stadt, fo fehr einige noch in den Vorur⸗ 
theilen ihrer Erziehung und in der hergebrachten Lehre 
befangen feyn mochten, doch die Erhaltung der öffent 
lichen Ruhe und Wohlfahre mit befonderem Eifer fich 
angelegen ſeyn Tießen: fo iſt auf der anderen Seite die 
Bemerkung erfreulich, daß die Buͤrger und Einwohner 
Hamburgs für die Wahrheit, die ihnen durch rechts 
fihaffene Männer gepredigt wurde, eben ſo reinen Sinn 
hegten, als ſie den ungerechten Bedruͤckungen, welche 
die Papiſten ſich erlaubten, mit aͤchtem Freyheitsgefuͤhle 
und freudigem Muthe ſich miberfegten. Schon zum 
Anfange dieſes Jahres (1526), als der Rath die Zus 
ſtimmung der Buͤrger zu einer neuen Abgabe verlangte, 
ließ die Buͤrgerſchaft durch ihren Bevollmaͤchtigten, 
Hinrich Schauborch, die nachdruͤckliche Vorſtel⸗ 
lung einreichen, am Donnerſtag nach heil. drey Könige: 
die Urſache des dermaligen Geldmangeld in der Stadt 
liege in dem vermabedeyten Bann des Dom; Eas 
pituld, von wo aus allein dem Schaden, der der guten 
Stade entſtanden, abgeholfen werden müfe. Dazu 
follte das Dom⸗Capitul 6000 Mk. Lüb, erlegen und die 
den Pfarrfirchen feit 20 Jahren mie Unrecht abgenom: 
menen Gelder (8ooo Mf.) wieder herausgeben; alle 
fromme Brübderfchaften follten dem gemeinen Gute Beys 
trag leiſten, die Klöfter in und auſſerhalb der Stade 
die Einkünfte Eines Jahres beytragen und in 
Zufunfe von dem Ihrigen gebührenden Schoß entrich⸗ 
sen, Die ſchwarzen Mönche (Dominikaner) follten 
nicht länger in der Stadt gedulder werden; ein jeder 


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404 Johann Zegenhagen wird an 


erbgefeffene Bürger aber folle künftig dag Recht haben, 
mit den Juraten in feinem Kirchfpiel einen Pfarrer zu 
erwäahlen, welcher das Evangelium der Wahrheit pres 
Dige, und weder ber Rath noch das Capitul follten 
hierinnen binderlih feyn, fo aber dem entgegen ge 
handelt würde, wären fie bereit, ihr Recht mit 
Leib und Blue zu verfechten, 36 

- Diefer letzte Artikel wurde bald wieder Gegenftand 
neuer Irrungen und Ötreitigfeiten, An der Gt, Ni— 
colai⸗Kirche war eine Pfarrſtelle erfedigt, zu welcher 
man bereitd im Jahre 1525 den berühmten Dr. Jo— 
bann Bugenhagen aus Wirtenberg berufen hatte, 
Dieren wollte jedoch feine Gemeinde nicht laſſen und 
bewilligte bloß, daß er auf ein halb Jahr nach Ham⸗ 
burg ginge, um da zu predigen, Schon bereitete fich 
auch Bugenhagen zur Abreife, als ein Bote von Hamz 
burg Fam mis Brief und Siegel, des Inhalts, er 
möge nicht kommen, „darum, daß nicht die ganze 
Stadt darein gewillige harte, auch um anderer welkli= 
ben Sachen willen, Die doch vor Gott nicht 
gölten.“ Diefe weltlihen Sachen waren nichts 
weniger, als daß Bugenhagen verheyrarber war, 
ober, mie fich der Rath ausdrüdte, „de een echt e 
Fruwe hadde.“ Mittlerweile «warb denn alfo DM; 
Henrib Sendenhorft, bisheriger Capellan an 
diefer Kirche, sum Vice-Paflor ernannt, ein aͤchter Pa- 
piftenfnecht, der noch im Jahre 13554 bie evangeliſche 
Lehre ein Gift und eine Peſtilenz zu nennen pflegte, 
War es die Furcht, fein Leben bey fü verwuͤnſchten 
Kesern, als die Evangelifchen genannte wurden, nicht 


St. Nicolai berufen, 405 


im Gefahr zu fegen, ober die Liebe zur Ruhe und Bes 
quemfichkeit, um die reichen Pfründen, die er von allen 
Kirchen zog, recht gemachlich genießen. zu können, die 
ibn bewogz,. bey Nacht und Nebel Cin nachtflas 
pender Tide) feine Pfarrwohnung (die Wedeme) 
und die Stade zu verlaffen. Es geſchah zu einer Zeit, 
wo die Gemeinde, da in der Stadt die Peſt herrſchte, 
ihres Pfarrers am. meiften benötbiget war. Die Wahl 
eines neuen Pfarrers litt alfo. keinen, Auffchub. Dems 
nach verfammelten fich ale aus dem Kirchſpiele Nicolai 
am 27: September in der, Kirche, und mwahlten einhellig 
zucibrem Pfarrer CRards Herren) den Johann 
Zegenhagen von St. Cathavinen, Die Kirchipield- 
herren aber waren mit diefer Wahl fa wenig zufrieden, 
daß der Bürgermeifter Gerd von, Holten, vermuth- 
lich als Kirchenpatron, die Einführung des Zegen- 
bagen geradezu unterfagte, Auf deshalb beym Rath 
gefchebene Anfrage wurde die Antwort ertheilt, das 
Berbot fey darum ergangen, 1) weil die Wahl ohne 
Zugiehung der Kirchfpielsherren geſchehen, und weil 2) 
der. Erwählte den größten Theil der bisher üblichen 
Kirchengebrauche abzufchaffen  gedenfe, Die Bürger 
erflärten darauf, (es führte das Wort Cord Campe), es 
fey ihnen damahls, ald Bugenhagen gewaͤhlet worden, zus 
geftanden, »einen andern Mann zu rufen, der ihnen 
beliebte- Zegenbagen fey einhellig von ihnen erwaͤhlt 
worden, weil der Kaifer ſelbſt anbefohlen habe, das 
Wort Gotted rein und lauter zu verfündigen, und fie 
das an Zegenhagen nicht anders verfpürten, der oft 
erklärt. babe: wenn ex dem Wolfe etwas unrechtes 


46 M. Johann Fritze, dritter Reformator 


lehre oder predige, das er mit goͤttlicher Schrift nicht 
bewähren fönne, fo wolle er fich eines befferen unter⸗ 
richten Taffen und ſich nicht ſcheuen, öffentlich zu wieder⸗ 
rufen. Man gab weiter nachs dag menn der Rath 
einen gelehrten Mann wüßte, der den Erwählten „mit 
„grundveſtiger“ göttlicher Schrift widerlegen Fönnte, 
wollten fie derfelben gerne hören, ferner: wenn der 
Rath mit der Wahl zufrieden feyn wolle, fo Fönnten 
fie gerne geſchehen laſſen, daß mir Herrn Johannes 
der Kirchengebräuche wegen verhandelt mirde uud daß 
es fo gehalten werden müßte, mie es zwifchen Rath 
und Bürgerfchaft bewilliget ‚werde, Nach langer Be 
redung konnte der Rath auch nicht verhindern, daß Die 
Einführung des Zegenhagen wirklich von ſtatten ging, 
Das war kurz nach Michaelis gefchehen; und um 
diefelbe Zeit wurde die Zahl der evangelifchen Prediger 
in Hamburg noch um einen vermehrr, da M. Johann 
Frise aus Liber, wo er Eapellan geweſen, zum 
Paſtor an St. Jacobi berufen wurde. Dieſer Mann 
gehoͤrte unter die, welche ihrer Lehre wegen die Stadt 
Lüheck hatten verlaſſen muͤſſen, und er heiße bey einem 
alten papiſtiſchen Erzaͤhler, bald „een Papen⸗Kind“, 
bald „een Hor⸗Kind;“ er war ein Schüler des Dr, 
Moͤl ler in Roſtock, der ihm „de frie Koſt umme Go— 
des Willen gegewen hefft und behelplick geweſt.“ Be 
ſonders ward ihm, ſo wie Zegenhagen vorgeworfen, 
‚fie haͤtten ſich fruͤher in ihrem Amte vergangen, das 
wird verdollmetſcht: „verdruwen latten, idtliker eene 
Jungfruw, da ſick ehemals Gode verdruwet hadde 
und gelavet, in’ Jungferſchaft to levende.“ Auch bey 


zu Hamburg, 1526, 407. 


diefer Wahl war ber rechtſchaffene und muthige 
Joachim Wegedorn, biefiger angefehener Bürger, 
welcher der evangeliſchen Geifklichfeit bey jeder Gele: 
genheit mir Eifer und Nachdruck das Wort geredet, befon- 
ders thätig und wirkſam geweſen. Frige bewieß fich 
in feinem Amte eben fo —— als einſichtsvoll 
und gottesfürchtig. 

Dieſe drey Männer alſo, Wehe Zegenhagen 
und Frige waren jetzt zu gleicher Zeit für die neue 
Lehre thaͤtig, und Fonnten natuͤrlich mit vereinigten 
Kräften mehr ausrichten, ald dem Einzelnen vorber 
möglich gewefen war. Ammer mehr arbeiteren fie da 
hin, das Licht der "Wahrheit ju verbreiten und dem 
Leuten über die Mißbräuche, welche im Pabſtthum eins 
geriffen waren, die Augen zu oͤffnen. Aber auch die 
von der Gegenpartey bielten feſt ‘an einander und 
wehrten fich um fo hartnaͤckiger, als fie die Gefahr, 
die ihrem Anſehen drohete, täglich wachfen ſahen. 
Befonders aber entflammte fich ihr Haß gegen den 
- Pfarrer Zegenhagen, feitdem diefer einen fo glaͤn— 
zenden Sieg über fie davon getragen hatte, und man 
fann auf eine Gelegenheit, ſich an demfelben recht em 
‚pfindlich zu rächen, Es vereinigten fich demnach alfe 
Priefter diefer Partey, das ganze naͤchſte Weihnachts: 
feft über aus dem Chor zu bleiben, in der Erwartung, 
daß es ihnen dadurch gelingen würde, den Gottesdienſt 
ſelbſt zu ſtoͤren und dadurch das Volk gegen dieſen 
Prediger anzureizen. Es geſchah aber ganz dag Gegen— 
theil Zegen hagen, ohne ſich lange zu beſinnen, 
ließ den Geſang mit feinen Capellanen, Schulmeiſtern 


408  Berordnungen des Raths zur Erhaltung 


und Kindern fo wohl ausrichten, daß der Gottesbienfk _ 
ohne alle Störung, in rechter Gebühr und Form von 
ftatsen ging und die Gemeine freudig auferte: Können 
fo wenige Berfonen: die Sache fo ehrlich und 
wohlanftandig beſchicken, wozu bedürfen wir denn fo 
vieler Pfaffen? Als nun die Meßpriefter zurück kamen 
und ihre Stellen wieder einnehmen wollten, ließ Zegen— 
bagen fie niche in den Chor, indem er ihnen vorbielt, daß 
Diejenigen unmindig wären, ferner etwas mit ihrem 
Singen zu verdienen, welche das Andenfen des gebores 
nen Heylandes nicht gebührend hatten feyern wollen; 
er fcbaffte alfo auch die Vigilien und Seelenmeſſen ab 
und andere papiftifche Kirchengebranche, und theilte 
feibft da 8 Abendmahl unter beyderley Ge 
fialt aus, nach der Einfegung Chriſti. 

Alle dieſe Unternehmungen reizten die Feinde der 
göttlichen Wahrheit nur noch mehr, daß fie Feine Ge- 
fegenheit verabfaumten, auf die evangelifchen Lehrer 
Schmaͤhungen und Läfferungen zu haufen und die Zu: 
hörer derfelben mit Leib und Seele dem Teufel zu ver⸗ 
fluchen. Dies bewog den Rath, am Sonnabende nach 
Weihnachten, alle Prediger aus dem Dom, den Kirch- 
- fpiel: Kirchen, Klöftern und Capellen auf das Rath⸗ 
haus zu befcheiden, wo ihnen ſechs Artikel übergeben 
wurden, welche fie am folgenden Sonntage von der 
Kanzel abzulefen, und wonach fie fich bey Strafe der 
Abſetzung zu richten hasten. Der — * dieſer Arti⸗ 
kel war folgender: 

„1) Daß fie das lautere ee mit 
Auslegung der Bibel, der Heiligen Apoſtel und ander 


bes kirchlichen Friedend, 1526, 409 


rer beglaubigten Schriften gütig, ſanftmuͤthig und chrifts 
fich, nach der Lehre der bewahrten und von der chriff- 
lichen (katholiſchen) Kirche angenommenen Bücher Ich- 
zen und prebigen, 2) daß fein Prediger den andern auf 
ber Kanzel oder fonft vor-der Gemeine verachten, ſchel⸗ 
ten, verfegern ober Läftern ſollte; 3) fie ſollten nichts 
von difpueirlichen Sachen, die dem gemeinen Manne 
unverftändlich, oder ihm auch micht noͤthig noch fruchts 
bar feyen, auf die Kanzel bringen! 4) vielmehr follten 
fie das Ichren, was zur Beförderung der Seelen Selig: 
keit, zur Erhaltung des gebührenden Gehorſams gegen 
die Obrigkeit und zur Friedfamfeie unter den Leuten 
dienlich fey. 5) Ein jeder folle zwar Hebertresungen 
firafen, doch ohne Verachtung der Stände und der Per: 
fonen, und mit Sanftmuth den gemeinen Dann ver: 
mahnen, gegen die Ceremonieen der Kirche, die Heilis 
genbifder und Kirchendienfte nicht Gewalt zu üben, 
fondern ſtill zu halten, bis es Gott gefallen möchte, 
diefem Thun feine Maaße zu geben, - 6) Welcher Pre: 
diger fich gebrauchen Taffe, Haß und Widerwillen zu 
erwecken, der folle nachher zu keinem Predigtamt ges 
laffen, fondern aus der Stadt verwiefen werden, 
Wir finden fofort in dem Berragen der Evangelifchen 
eine meife Maßigung und Befonnenbeit, welche den 
Frieden wünfche «und zu verhalten fucht, fo lange es 
mie Pfliche und Gewiſſen verträglich iff: die Abaͤnde— 
rungen indeffen, welche in den Kirchengebrauchen vorge: 
nommen worden: waren, blieben auch insfünftige guͤl— 
tig und. was entfernt war, unmieberruflich abgefchaft. 
Wie die Katholiken nach jener Verordnung des Raths 


46 0 Mieslaus Buſtorp predigt 


fich gehalten haben, erfehen wir aus dem — * 
der Geſchichte. 

In denſelben Tagen * als jene — 
gepflogen wurden, man berichtet, es ſey am Freytage 
nach Weihnachten geſchehen, trat der Canonicus Nico— 
laus Burſtorp, (oder richtiger Buftorp,) Predi⸗ 
ger im Dom, öffenslich auf in der Domfirche und 
predigte nicht nur mehrere Lehrmeynungen, welche den 
Grundfagen. der Evangelifchben geradegu entgegen was 
ven, fondern begleitete "auch dieſelben mit heftigen 
Schimpf⸗ und Schmähreden und Berwünfchungen gegen 
die Angefeinderen. Unter den Behauptungen, welche er 
oͤffentlich aufftellte, waren die: Die Vorläufer des Ars | 
tichriſts (die Evangelifchen) bintergingen das Volk mit 
ber Lehre von des Gacraments beyderley Geftalt, als 
waͤren's zwey Sacramente, das nur Eins wäre, wie 
Chriſtus nur Eine Natur gehabt: — Chriſtus habe mur 
gelitten fix die Erbfünde, nicht für die Todſuͤnden 
(die wirklichen, die Erwachfene begeben,) für welche 
ein jeder felbft genug thun müffe, Church Buße, im 
katholiſchen Sinne.) — Ferners Die Leute nahmen 
jetzt das de ut ſeh e M. D., worinnen viele Irrthuͤmer 
waͤren, mit in die Kirche und laͤſen daraus; es ſey 
beſſer, ſie hoͤrten auf die Predige, weil Niemand die 
Evangelien und Epiſteln verſtehe, er habe denn den 
Geiſt Chriſti. — Die Lutheraner widerſpraͤchen Chrifle.— 
Die Weihungen und Segnungen der Prieſter verachten 
und verſpotten, ſey Irrthum und Ketzerey. 

Die Evangeliſchen, um den Gehorſam gegen die 
Befehle der oberften Behörde niche zu verkegen, ver⸗ 


⸗ 


gegen die Epatigellfchen, die fich widerfegen. 411 


hielten fich zubig, ſandten aber drey Abgeordnete an 
Buftorp, ihn zu befragen, ob er des in obigen 
Sägen angedeuteten Vortrages geftändig ſey. Bur 
fforp bar fich zur Antwort Bedenklichkeit aus und 
gab endlich feine Meynung durch einen umftandlichen 
Brief zu verſtehen, der zwar in fehr barbarifchem ‘Las 
tein, aber font mit fchlauer Vorfiche und frommfcheis 
nender Demuth abgefaßt if. Selbſt die ihm vorge⸗ 
baltenen Säge deutet er mit Geſchicklichkeit und fo, 
daß fie minder Anftoß zu haben ſcheinen, fchließt aber 
gewöhnlich mit der Verficherung, daß er fich gern eines 
anderen befehren laſſen wolle, Ueber Luther erflart 
er fich unter andern alfo: „Daß ich den Lucher fol 
genannt haben, ift offenbar falfch und wird niemand 
beweiſen; ich weiß gewiß, daR ich Lurhern in drey 
Jahren Faum Einmal genannt habe, Und meynt ihr 
denn, daß ich niche Lutheriſch fey ? Sch bin es überall, 
fo oft er gue ſchreibt. Er hat einige Werkfein gefchrie- 
ben, nahmentlich über die Gebote, über das Bater: 
Unfer, die ich gar fehr lieb habe; er har auch ein klei⸗ 
nes Buch gefchrieben von der Vorbereitung zum heil, 
Sacrament, welches lehret, mas ein jeder Chriſt den- 
ten folle, wenn er hinzutritt: Siehe, ich trete im 
Glauben hinzu, verfeihe mir Herr, daß ich Vergebung 
der Sünden and deine Gnade erlange. Ich glaube und 
weiß, daß ich niemals zum Altar gebe, ohne an Luther 
ju denken, welcher, wenn er in feinen Schranken ge 
blieben wäre, er wäre der größte Dorsor im gang 
Deutfchland gewefen und dafür gehalten worden, Aber 
weil er das Heilige berühres and den Hunden gegeben, 


412 Nicol. Buflorp predigt gegen die Evans 


weil er die Perle vor die Saue geworfen hat in feinem 
Babylonijchen Gefangniffe, hat er deshalb Widerfpruch 
leiden müffen,, und ich bin ihm darum gram, daß er 
bad gethan hat.“ Mit dem armen Magifter Frige 
verfahre er etwas unfauberlich und unedel, „Wie? 
kennen wir ung niche mehr? Sch habe ihn ja gefannt, 
als er noch voller Lumpen war, (Kempe überfeße platt 
deutſch: dat be Fume eenen Placken an Live hedde) 
vor vielen Jahren, Möge ihm nur fein Gluͤck wohl 
befommen und gedenfe er meines Gönners fel. Anden 
fend, des Herborden van der Huden, als feines 
Wohlthaͤters, und bere er für ihn, wenn er will, und 
‚Liebe er den Frieden und die Heiligung — welche das 
Evangelium Iehre, ohne welche auch Niemand Gott 
fehen wird, und Laffe mich auf meinem Wege, und 
fahre wohl.“ — Eine Stelle ift noch befonders merk: 
wirdig: „ES gebe das Gerüche von euch, Das ich 
noch nicht glaube, daß ihr Teichtfinnige Jungen anreizt, 
weltliche Kinder, etliche Davidifche Palmen zu fingen, 
die ind Deutſche uͤberſetzt find, aber nicht richtig, mie 
man fagt: ift dem alfo, fo laſſet davon ab, um eurer 
Seelen⸗Seligkeit willen ꝛc. Solches Pfalmenfingen ge: 
höre niche für den gemeinen Mann: dieſer wird bloß 
zum Geber zugelaffen, der Gefang aber kommt den Prie- 
fern zu.“ Aber gerade Died Abfingen deut ſcher Ge 
fange, in weiche am Ende auch die Gemeinde mir ein- 
ftimmen lernte, trug am meiften dazu bey, ben evan⸗ 
geliſchen Gostegdienft unter den Einwohnern Hamburgs 
su empfehlen. Im Schluß entſchuldiget fich Buſtorp 
ob ſeiner Ungeſchicklichkeit im Schreiben und bittet, wo 


geliſchen, die ſich widerſetzen. 1527. 413 


er gefehlt habe in einem Worte, Sylbe oder Tuchflaben, 
um cbriftliche Geduld, 

Da die ewangelifcben Prediger nach Empfang die 
fe Briefes eine guͤtliche Ausgleichung nicht für un— 
möglich hielten, fo ließen fie Buſtorp zu einer vers 
traufichen Unterredung einfaden, zu welcher die Beftim: 
mung des Dres und der Zeit ibm überlaffen bleiben 
follte. Buftorp fibien auch dazu. nicht abgeneigt und 
befcbied die Herren nach Marien-Magdalenen Kloſter. 
Sie erfchienen zur beftimmten Stunde, aber Buſtorp 
ſelbſt Fam nicht. Auf wiederholtes Erfuchen nannte 
er ihnen den Pag vor St. Lucas: Altar im Dom: 
aber auch da Fam er niche und Tieß endlich trotzig fa- 
gen: daß er mit ihnen nichts zu fchaffen babe, — Noch 
immer bielten fich die Evangelifchen in den Grenzen der 
Mäkigung und brachten ihre Klage bey dem Rathe vor ; 
daß Buſtorp der obrigfeitlichen Verordnung zumider 
gelebt, auch zur Unterredung fich nicht babe finden 
laffen, über Dinge, welche öffentlich von der Kanzel 
weder fönnten noch bürften vorgetragen werden, E. €, 
Rath möge, laut der Artikel, dazu helfen, font wir: 
ben fie gedrungen feyn, öffentlich gegen ihn zu predigen, 
Alles dieß war gefchehen vom Neuen Jahre an big 
in die Faftenzeit 1527. Der Rath — fo vermucher ein 
alter Berichterſtatter dieſer Geſchichte — mochte da; 
mahls mit anderen wichtigen Handeln bekuͤmmert ſeyn: 
es erfolgte auf die eingegangenen Vorſtellungen Feine 
Antwort, Die evangelifihen Prediger alſo glaubten 
jetzt, ſelbſt fich vereheidigen zu muͤſſen, und brachten 
die ganze Sache am zweyten Gonntage in der Faſten 


414 PDifputation zwifchen den Papiſten 


einhellig auf die Kanzel, nannten ben: Buſtorp mit 
Nahmen und miderlegten die von ihm vorgebrachten 
Lehrmeynungen, Ws nun bierum nichts geſchah, wur⸗ 
den die Papiſtiſchen wieder dreiſter, erlaubten fich bie 
unanſtaͤndigſten Scheltworte gegen die, fo fie ald 
Ketzer und Verfübrer achteten, und furchten den Fort⸗ 
gang der evangeliſchen Lehre auf alle Weiſe zu hemmen 
und zu ſtoͤren. In die ſem Eifer enthielten ſie ſich ſelbſt 
muthwilliger Neckereyen nicht. So geſchah es, als 
ein Capellan zu St. Nicolai Fruͤhpredigt hielt, wozu 
gewöhnlich Geſinde und Dienſten ſich einzufinden pfleg⸗ 
ten, daß ein Meßpfaffe die Glocke zur Stillmeſſe laͤu⸗ 
ten ließ, wodurch das Volk veranlaßt wurde, von der 
Anhörung des erklärten Sonntags + Evangelii ſich zur 
Meſſe zu wenden, Weber die dadurch entifandene Stö— 
rung gerieth der Capellan in folchen Unwillen, daß er 
fich einiger hatten Ausdruͤcke gegen die Römifchen ber 
diente, welche man nicht verfehlte, - dem Rathe frijch 
zu überbringen, Dieß hatte -zur Folge, dba auch die 
ganze Buſtorpiſche Sache immer mehr Vewegung er- 
regte, daß der Rath den Prediger Buſtorp und den 
gedachten Capellan aufd Rathhaus foderte, wohin zur 
gleich auch. Die drey evangelifchen Geiſtlichen und die 
zwoͤlf geſchworenen Vorſteher der vier Kirchen, 
nebſt vielen Gelehrten eingeladen waren und. erſchienen. 
Unter letzteren waren Joh ann Möller, Dr. U. Ir 
Bruder des Barthold, Dr. Wendt, Herrmann kan 
genbesk, gleichfalls Dr. Zur, und. andere, So fehr auch 
Bufiorp mit feinem fromm geführten Leben prunkte, 
obfchon er alles Difputiren von fich wieß, obſchon er 


— 


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Buſtornp und den Lutheranern. 415 


alles Difpneiren von fich wich, obſchon er einige der 
anmwefenden Gelehrten für ficb gewann, fo bielten fich 
doch die Evangelifchen beſonnen und ſtandhaft, und 
feßten e8 durch, daß der wortführende Bürgermeifter 
feibft darauf drang: er muͤſſe wiederrufen und fich über 
die vorgebrachten Befchuldigungen mir Ja oder Nein 
erklären. Das verfprach er endlich, hielt aber nicht 
Wort; erſt nach fieben Jahren, als er fürchtere, aus 
der Stadt verjagt zu werden, bequemte er fich dazu, 
was er ehemahls gelehrt, öffentlich zu verdammen, mit 
dem DBerfprechen, fich in Zukunft ahnlicher Lehrfäge zu 
enthalten, Der Capellan, da er ſich allerdings gegen 
die obrigfeitliche Verordnung vergangen, wurde felbft 
mit zuffimmung Zegenhagens feines Amtes entjeßt, 

wonit die Handlung geendiger ſchien. ; 

Dieß war ber erſte Verfuch , ‚welcher den Evange 

liſchen hier gelang, der Wahrheit, für welche fie 
ftritten , öffentliche Anerkennung zu verfchaffen. Sonft 
blieb alles ruhig bis ind folgende Jahr. Am Stilfen 
wirkten fie für das Gute weiter, So errichteten die 
Bürger und Einwohner "des Nicolai + Rirchipield am 
16, Auguſt eine Armen: Caffe oder Gorrestaften 
deffen Verwaltung zwölf braven Maͤnnern übertragen 
wurde; zugleich aber wurde in der Armensrdnung feſt— 
gefegt, unter andern, daß dad Berteln der Franciſka— 
ner: Mönche abgefchafft, daß die Beftellung der Kirchen⸗ 
Diener nicht vom Capitul abhängig feyn, fondern an 
das Kirchfpiel zurückkommen, und endlich, daß man 
Die Schufe daſelbſt nach der fach fi ſchen Schulordnung 
einrichten folle, Der Rath beſtaͤtigte dieſe Kaſtenord⸗ 


— 


416 Henrich Rensborg reist aufs Neue, 


nung nicht nur, (am 18. December,) fondern es murbe 
auch beliebt, in den übrigen Kirchfpielen Gottesfaften 
auf gleiche Weife einzurichten, Das waren nachmals 
die fogenannten Kaſtenleute, welcher ‚Rahme. für 
die Evangelifchgefinnten überhaupt gebraucht wurde, 

Inm naͤchſten Jahre, 1528, fam die eigentliche Ne 
formation in Hamburg erft zum Durchbruch „. unter 
verfchiedener Abmwechfelung von Rachbegierde, Aufruhr, 
Rathſchlaͤgen und Unterredungen von beyden Geiten, 
Doch waren e8 die Paͤpſtler ſelbſt, die fich ihren Un— 
tergang. bereiteten. Henrih Rensborg, ein Pre 
digermoͤnch zu St, Johannis, brachte namlich Die alte 
Lehre wieder auf-die Kanzel, daß es ſehr gefabrlich, 
ja verdammiich fey, das Sarrament unter beyderley 
Geftalt zu empfangen. Da dieß gerade in der Falten 
zeit. geſchah, fo fühlte-fih Stephan Kempe, der 
indeffen im vorigen Sahre als. Pfarrer an St. Cathar 
rinen gekommen war, veranlaße, weil feine Communi— 
fanten Aergerniß an dieſer Lehre genommen hatten, am 
ſtillen Freytage auf Hffentlicher Kanzel dagegen zu reden. 
Darüber wurde Rensborg io aufgebracht, daß er 
am nachften Tage, am Paſcha⸗Abend wiederum. von 
Kanzel herab den Kempe entweder zur Difputation nach 
Paris, Löwen oder Cölln, oder — zu einer fehriftlichen 
Verhandlung herausfoderte, Kempe faumte nicht, Die 
Saͤtze aufzuzeichnen, worüber er Rensborgs Meynung 
und- ob er bey diefen Artikeln bebarre, erfahren wollte, 
Diefer gab den zwölf Bürgern, melche ibm jene Anz 
frage überbrachten, zur Antwori: ja er habe fo gepredigt 
wolle aber weder Schrift von Kempe annehmen, noch 


# 


fogar big zu einem Mordanfthlag. 1528. 417 


mündlich darüber mit ihm * verhandeln. Da alfo die 
Evangelifchen fich nicht anders zu helfen mußten, fuh- 
ren fie fort, Rensborgs Behauptungen öffentlich zu wider⸗ 
legen und brachten es auch dahin, daß ihm das Predis 
gen fo lange verboten wurde, bis man fich über die 
ihm zur Laſt gelegten Dinge verſtaͤndigt hatte. 
Rensborg fann auf: Rache und unterlieh nichts, 
wodurch er die Gemuͤther anreizen und erhigen koͤnnte. 
Es fanden fich mehrere zu ihm und Tiefen sich von 
feinem blinden Eifer fo mit fortreißen, daß, wenn man 
die Macht des Aberglaubens Fennt und weiß, wie weit 
blinde Religionswuth die Menſchen verführen kann, die 
Erzählung , welche ſich von einer“ fillen Verſchwoͤrung 
ans jener Zeit erhalten hat, nicht ohne allen Grund 
zu ſeyn febeint. Im Johannis-Kloſter bielten fie ihre 
Zufammenfünfte — woher fie die Johannisleute 
genannt wurden, — und entwarfen den Plan, alle evans 
gelifchen Prediger und ihre Gehülfen und Anhänger bey 
einem öffentlichen Aufruhr zu ermorden. Einige aus: 
dem Rathe follen mit im Complott gemwefen feyn, nas 
mentlich der Bürgermeifter Hinrich Salsborg, Der 
febandliche Entwurf war fo gemachte, daß die Stade 
an vier Orten in Brand geſteckt werden follte; damit 
aber niche Lärm gelauter werden fünnte, war auf Bes 
fehl des Leichnamegefchworenen, Albert Salsborg, 
Bruders des Bürgermeifters, auf St. Nicolat der Strick 
zur Sturmglocke aufgebunden worden. Wenn nun durch 
das Feuer ein allgemeiner Auflauf entffünde,. follten 
die dazu angewieſenen reitenden Diener mit den Pferden 
das Volk zu Tode treten, und fieben beſtellte Buͤttel 


27* 


418 Deffentliches Religionsgeſpraͤch zwiſchen den 


in die Haufer eindringen und die Einwohner erwürgen, 
die es mit dem Lutherthum hielten. Hierauf wird er- 
zaͤhlet, es fey gerade in der Nacht, da diefe That ger 
fihehen follfen, ein fo ungeflümes Wetter entſtanden, 
mit Donner und Bligen, daß die Ausführung gehin- 
dert wurde, Meberdem fey der Anfihlag durch einen 
Goldſchmidt B. ruchbar geworden und fo hatten fich 
die Evangelifchen mit Waffen gerüfter, hatten erliche 
4, auch 6,8 und 10 Bootsleute mit Wehre in ihre Haus 
fer genommen, Die ganze Nacht brennende Leuchten vor 
die Thuͤren geſetzt, Daß durch diefe Vorſicht der ihnen 
gedrohete Untergang gluͤcklich abgewendet worden. Wie 
dem auch ſey, gewiß iff, daß die von Rensborg 
angehesten Johannisleute im Monate April dieſes Jah— 
res wiederholt Zuſammenkuͤnfte im Johannis-Kloſter 
veranſtalteten, und die Evangelifchen fich dadurch ver: 
anlaßt fanden, zu ihrer Sicherheit und zur Erhaltung 
der oͤffentlichen Ruhe felbft die Hülfe des Raths in 
Anfpruch zu nehmen, Am Montage nach Mifericordiag 
Domini (den 27. April) verfügten fie ſich aus allen 
vier Kirchfpielen nach dem Rathhauſe, und fuchten 
darım nach, daß zur endlichen Hebung der Streitigfeis 
ten und zur Wiederberftellung der Eintracht ein beſtaͤn— 
diger Schluß möge gefaßt werden. Der Rath war 
hierin nicht zuwider und fegte gleich den naͤchſtfolgenden 
Dienſtag am, (28. April) daß fammeliche Geiftlichen auf 
dem Rathhauſe erfcheinen folten, um ihrer Lehre aus 
der heil, Schrift Grund zu. geben, und daß, wer feine 
Saͤtze aus dem Worte Gottes nicht beweiſen Fönne, 
dem andern weiche und die Stadt verlaffe, 


Parteyen vor Rath und Bürgerfchaft. 419 


Um 7 Uhr der Morgens verfanmmelten fich der 
Rath und die Bürgerfihaft: die vornehmften Bürger, 
die nachher mit zu Narbe erſchienen, auf dem rothen 
Sollen, die andern, bey vielen Taufenden, auf dem 
Eimbeck'ſchen Haufe. Von papiftifcher Seite hatten fich 
ache Prieſter eingefunden, von evangelifcher viere, 
nämlich Rempe, Zegenhagen, Fritze und der 
Kempen an der Marien » Magdalenen » Kirche gefolgt 
war, Konrad Lünßemann Die ganze: Verbands 
fung gefchab in groffer Ordnung und mit vielem An— 
ſtande. Der Bürgermeifter Dieterichb Hohufen 
führte dad Wort, Es murden zuerſt die von den 
evangelifchen Predigern eingefandten Lehrfäße, welche 
gepredigt zu haben die Papftifchen angeklagt wurden, 
vörgelefen, damit ein jeder, was ihn anginge, feine 
Antwort darauf geben koͤnnte. Nach. Verlefung der- 
felben trat Dr. Möller, ohne Zweifel der einfichts- 
vote und geſchickteſte, aber, wie es ſcheint, auch 
der hartnaͤckigſte unter den Papftifchen, mit den Geinis 
gen ab und nach einer Kleinen Befprechung mit ihnen 
hinterbrachte er die Antwort, daß, weil fie die Saͤtze 
zum Theil wohl gerne geftünden, zum Theil aber fo, 
mie fle verfefen, nicht geprediget hatten, fie um Ab» 
fchrift derfelben baten, damit ein jeder feine beſtimmte 
Erklärung dabey fehreiben könnte, die fie nicht allein 
dem Rathe, fondern den Hauptern der ganzen Ehri- 
ftenheit zur Benrtheilung vorzulegen erbötig waren. ' 
Möllers: Plan mar deutlich, Zeit zu gewinnen und bie 
Sache in die Lange zu sieben; aber er wurde vereitelt 
durch die eigenen Genoſſen dieſer Partey, die anftugen, 


420 Neligionsgefprach vor Rath und 


ſich im einzelne "Erklärungen - und Geftänbniffe einzu 
laſſen, die zum Theil faft wie Emefchuldigungen klan— 
gen. Möller wurde darüber fo erzirnt, daß er los⸗ 
brach: „Wenn ihr fo handeln wollt, fo ſollte fein reb- 
licher Mann mit euch zu hun haben; ich beſchwöre 
euch bey eurem Gemwiffen, habt ihr mir nicht gefagt, 
ober habt ihr mir micht befohlen, fo zu reden, wie ich 
geredet babe? Warum denn andere ihr nun eure 
Sprache?” AS nun der Buͤrgermeiſter von den evans 
gelifchen Predigern zu wiſſen verlangte, wie man über 
dieſe Lehrfage ohne Kichter handeln Eönne?  beriefen 
ſich Diefe ganz einfach auf die Verordnung von 1526, 
in welcher vom Rathe ſelbſt geboten worden: das 
Wort Gottes rein und lauter zu predbigen, 
und fo ging man zur Unterſuchung über, ob die vor 
gelegten und groſſentheils geftandenen Lehrſaͤtze dem 
göttlichen Worte gemaͤß waren, oder nicht. Freylich 
beriefen fich die Gegner auf die Enefcheidung Der 


Kirche, als der Säule und Grundfefte der Wahrheit; 


allein dagegen proteſtirten die Evangelifchen flandhaft; 
„nur auf Die heil. Schrift Fomme e8 ans wer von 
Gott ift, der hörer Gottes Wort. Job. VIII.“ Als 
die Reihe an den Mönch Nensborg kam, fing er 
an, Lateinifch zu reden, und ob zwar die Bürger ſich 
Das verbaten, murde er doch darin durch den gut = pa- 
piffifchen Bürgermeifter Henrich Galsborg unter 
füge, Indeſſen war auch feine Vertheidigung leeres, 
gehaltloſes Gerede, Als die Evangelifchen von ihm . 
die Bewahrheitung deffen, was er von der Anrufung 
der Heiligen gepredigt, verlangten, (namlih, daß es 


Buͤrgerſchaft. Sieg der Lutheraner. 421 


eine fehriftgemäße Lehre fen.) wollte er's zu Beden— 
fen nehmen; worüber er mit Gebühr verlacht wurde, 
wie übel eg ſtuͤnde, erft zu lehren und dann fich ber 
denken wollen, 2 ö 

ALS die Unterredung geendige war, und die Paͤpſt⸗ 
lichen ‚zu ihrer Berrheidigung nichts vorzubringen hatten, 
ward endlich nach bins und ber geſchehener Befprechung 
und auf befonderes einmuͤthiges Verlangen der Bürger: 
ſchaft der Beſchluß gefaßt: daß fünf der Gegner, alg 
die Hauptanfuͤhrer, die Stadt verlaffen follten, nemlich 
Barthold Wathaver, Priefter und Bicarius zu 
Catharinen, aus Göttingen gebürtig, und Rensborg, 
als die befondern Urheber ‚der neufichen Unruhen der 
Johannisleute; Buftorp, der feinen Irrthum, wozu 
er ſich doch werpflichtet, noch nicht wiederrufen, 
Joachim Fiſchbeck, der um eines ‚geringen Ge 
winnſtes willen die ſchon erkannte Wahrheit wieder 
verlaſſen, und Matthaͤus unter der Kluft im Dom, 
welcher gleichfalls bey Erregung der Unruhen nicht 
muͤſſig geweſen ſey. Hierauf gingem die Bürger mit 
größter Stille und Zufriedenheit auseinander und ſelbſt 
die Prediger der paͤpſtlichen Partey wurden von je zwey 
Buͤrgern in ihre Wohnungen begleitet. Die fünf Geiſt⸗ 
lichen verliehen gleich am folgenden Tage die Stadt: 
ihnen folgtem nach und nach mehrere der übrigen, unge? 
zwungen, aber nicht ohne bitteren Unmuth und Verdruß 
her erlittenen Niederlage, So Heinrih Wendt, 
der fich nach Ebert begab, eben dahin Fabianus, 
genannt von Luͤbeck, der Domprebiger Friedrich 
Bulgreve, Henrich Schröderziber nicht wieder: 


422 Entſtehung der Eollegien der Oberalten, 


rufen wollte; aus gleichem Grunde, und weil er fah, 
daß er bier im feiner Achtung fehr verloren hatte, vers 
ließ wuch Barthbold Möller Hamburg und Fehrte 
zurüc nach Roſtock, wo aber eben auch das Papfichum 
im feinen letzten Spuren vollends ausgerottet wurde, 
Diefer Sieg mar enticheidend; der Einführung und 
Begründung der evangeliichen Lehre in Hamburg (fand 
weiter fein Hinderniß entgegen. Zunaͤchſt trafen nun die 
Bürger Anftale, die Kirchliche Obergewalt den Geiſt⸗ 
fichen zu entziehen und ſelbſt über fich zu nehmen, An 
Donmerftage vor Perri und Pauli, den 25. Juny, 
ertheilte die Bürgerfchaft den 12 Vorſtehern des oben 
erwahnten Gotteskaſtens und noch anderen 24 aus 
jeglichen Kirchſpiel erwöhlten Bürgern die Vollmacht, 
daß fie mir E E, Rathe über vorkommende Kirchen: 
fachen und andere die Stadt betreffende Angelegenheiten 
Iandeln, berathſchlagen und bis auf Genehmhaltung 
der Buͤrgerſchaft ſchließen mögten; noch mit der beſon⸗ 
dern Weiſung: ‚daß fie fich befleißigen wollten, bey 
E. €. Rath zu verarbeiten, daß alles, was Gottes 
Wort, die Eeremonien, Kirchendienfte, Cleriſey, allerley 
Moͤnche, Nonnen und Pfaffen in diefer Stadt und 
deren Gebiete belanget, nach Inhalt der zwiſchen €, E. 
Rath und den Bürgern beſchloſſenen Artikel, allenthalz 
ben fo ablaufen und geendigt werden möge, daß die 
techte Ehre Gottes und diefer Stadt Beſtes daraus ent« 
ſtehen und befördert, auch niemand ohne feine Schuld in 
verberblichen Schaden »geführer werden möge, — Zu 
ven vier Gotteskaſten wurde inoch ein Fünfter und 
vornehriſter angeordnet, bey welchem die Hauptbuͤcher 


Sechziger und Hunderte und Achtziger, 423 


über alle die Armenpflege betreffende Sachen aufbehal 
ten werden follten. Aus jeden 12 Vorftebern nun eines 
jeden Kirchfpiels wurden am 29. September 1528 zur 
befondern Verwaltung diefer fünften alfgemeinen Caffe 
die 3 alteften auserwaͤhlt, welchen fie den Namen der 
Avberolden oder Ober > Alten beyleaten, und die 
damahls mit den übrigen. 9 Borftebern die Verſamm⸗ 
fung der 48er, mit den 24 nen erwählten Bürgern aber 
das Collegium der 144er ausmachten. As im Jahre 
1685 den ır. May die Gemeinde zu St. Michaelis zu 
einem ordentlichen Kirchſpiel erhoben ward, entſtand 
neben dem 15 Dberaften das Kollegium der 6oer und 
mit den 120 Gubdiafen das Collegium der 180er, 
welche Einrichtung alfo seta an die Reformation 
üb anreiher. 

um die übrigen kirchlichen Einrichtungen recht im 
Sinn und Geifte der Reformation vornehmen zu Föns 
nen, wurde noch in demfelben Jahre 1528 um Jacobi 
der berühmte Dr Johann Bugenhagen, von fei- 
nem Vaterlande gewöhnlich Bomeranug genannt, mit 
des KAurfürften von Sachfen und Luthers Bewilligung 
zur Beſchaffung einer vollfändigen Kirchenordnung hie— 
ber berufen. Er hatte ſchon im vorigen Jahre fein zu 
Nürnberg erſchienenes Buch von dem !chriftlichen 
Glauben und guten Werfen, und: wie man 
foll anrichten mit guten Predigern, daß 
ſolcher Glaube und Werk geprediger werde, 
an die Stade Hamburg gefihrieben und ſchien die 
eva igeliſchen Angelegenheiten diefer Stadt immer mit 
befonderer Aufinerffamfeit beachtet zu haben. Am Tage 


424 Dr. Bugenhagen richte die Kirchenorduung 


Dionyfii, den 9. Deiober, traf er bier: ein. und 
erhielt Barthold Möllerd Haus zur Wohnung ange 
wiefen. Es wurde ihm fofort aufgetragen, Durch eine 
zu entwerfende Kirchenordnung den bisher noch ziemlich 
verwirrten Gottesdienff und das Predigtweſen gehörig 
einzurichten , welcher Arbeit er fich mit Bereitwilligfeie 
unterzog. Wie Bugenhagen ed in. Hamburg gefuns 
den, erhellet aus einem Briefe, dem er einige Zeit nach. 
feiner Ankunfe von bier an Dr. Luther gefchrieben 
bat. Da erzaͤhlet er: daß, ob er gleih am glücklichen 
Fortgange der Reformation zu zweifeln noch 
Urſach finde, er Doch bey dem nemeinen Manne 
einen fehr großen Eifer verfpüre, indem das Volk nicht 
nur des Sonntags, fondern auch an Werfeltagen feine 
Predigten befuche., Er lobet ferner die Geneigtheit der 
Ordensleute zum Evangelio, Die Franciskaner wären 
ſchon groͤßtentheils zur göttlichen Wahrheit uͤbergetre⸗ 
gen, die Dominikaner widerffräubten ſich auch nicht, 
die blauen Schweftern hätten bereits ihre Orden s— 
fleider abgelegt, und deren Beyſpiel waren die Bene- 
dictiner⸗Ronnen in dem 2 Meilen von Hamburg in Holſtein 
belegenen Kloſter (Reinbeck) nachgeſolget. Jetzt 
waͤre er auf des Raths Verlangen mit Anrichtung 
einer Schule beſchaͤftigt, wozu eine lange Zeit. erfordert 
feyn wine u. ſ. w. | 
Waͤhrend Bugenhagen ſelbſt nicht nur J ſeine 
Predigten zur Ausbreitung der evangeliſchen Lehre wirk⸗ 
ſam war, ſondern auch durch ſeine Ausarbeitung der 
Kirchenordnung das begonnene Werk zur beſtehenden 
Ausfuͤhrung zu bringen ſuchte, erhielt die Predigt des 


ein, bis zum Trinitatis Gonntage,d. 23. May. 425 


Enangelii zugleich auch, noch im Jahre 1528, zwey 
neue Arbeiter, den Sobann Bolde wan, einen froms 
men Mann und trefflichen Lehrer des görtlichen Worts, 
der. der erſte evangelifche Prediger an St, Petri war, 
und den Johann Güftrom, Prediger zu St. Catha⸗ 
rinen. In manchen Dingen legte man auch wohl, 
wenn.die Verordnungen den gewuͤnſchten Erfolg nicht 
erreichen wollten, ſelbſt Hand ans Werk, wie am 
3. December diefed von. 120 Bürgern geſchah, welche 
niche nur dem bisherigen Gottesdienft in der Kapelle 
zum groffen h. Geifte aufhoben, fondern auch etliche 
Altaͤre abbrachen und die ganze Capelle zur DVerpfle: 
gung der Armen zurichteten. 

Indeſſen war Bugenhagen mit ſeiner Arbeit, 
die manche, nicht geahndete Schwierigkeiten fand, ſchon 
im Anfange des naͤchſten Jahres 1529 fo weit gekom— 
men, daß am 12. Februar, an welchem Tage der ſo⸗ 
genannte lange Receß zwiſchen dem Rathe und. der Buͤr— 
gerſchaft bewilliget wurde, im „Z8ſten Artikel, die neue 
Kirben- Ordnung, umalle Gebräuche, Kirchendienſte, 
‚Singen und Predigen darnach einzurichten, vorläufig 
Schon beflätiger und angenommen wurde, Ganz zu 
Stande kam fie erſt ſpaͤer. Vom 8. Maͤrz ſchreibt 
Bugenhagen noch an Luther: „Meine Kirchen⸗Ordnung, 
die vorher ſchon dem Senate vorgelegt worden iſt, 
wird heute vor die Buͤrgerſchaft gebracht werden, zu 
feben, ob vielleicht etwas darin ihnen unpaſſend fchei- 
nen wird; darauf wird fie herauskommen,’ Fertig wurde 
fie. gegen Pfingften, und gegen dieſe Zeit gings 
auch die Einführung derſelben vor ſich. | 


46 Die Mönche werben aus dem Johannis⸗ 


Am Donnerftäge nach Pfingften, am 20. May 
1529, wurden durch des Raths abgeordnete Mitglieder 
Berer von Spredelfen und Dithmar Kohl, 
denen einige Bürger beygegeben waren, die bisherigen 
Predigermoͤnche zu St. Johannis ausdem Kloſter hin- 
weg und nach) ©t. Marien Magdalenen, wo die bishe- 
rigen Franciffanermönche ihre Kappen ſchon abgelegt 
harten, geführte, mit dem Bedeuten, daß fie inskuͤnf— 

‚ tige ihre Verforgung und Pflege entweder im genann- 
tem Kloſter, oder zum Hofpitaf im heil. Geiſt an des 
Hofmeifterd Tiſche finden würden, Etliche alte Leute, 
einige geben fünf, andere fiebenan, Tießen Ach diefe Verpfle— 
gung gefallen ; andere, welchen das einfame Leben micht ges 
fiel, Tegten die Drdenskleider ab, und nahmen Dienfte 
in der Stadt, noch andere nahmen 10 Gulden Zehrgeld 
und wanderten aus. Den meiften Widerwillen bezeigte 
der Prior; er widerfegte ſich nicht nur anfangs ben 
Abgeordneten und weigerte ſich, weil Eyd und Gewif— 
fen ihm's verböten, die Schlüffel herauszugeben: aber 
die Diener und Bürger faßten ihn beym Arme und 
Tiefen ihn gezwungen thun, wozu er fich gutwillig 
nicht hatte verffehen wollen. Er fol fich nachher nach 
Speyer begeben baben, um auf dem dafigen Reichstage 
feine Klage anzubringen, 

Drey Tage darauf, am 23. May, ald am Trini- 
tatis Sonntage, murde nach der am Pfingftabend ge: 
fchehenen Bekanntmachung, daß die von Dr. Jobann 
Bugenhagen nun zu Ende gebrachte Kirchenordnung 

"von Rath nnd Bürgern angenommen fey,. in allen 

Kirchen ein feyerliches Danffelt begangen und Das 


i 


Klofter gewiefen, u. da eine Int, Schufe angelegt. 427 


„Herr Gott dich loben mir’ gefungen. Die Vers 
ordnung iſt, beſonders wenn man die Befchaffenheit 
jener Zeiten betrachtet, ein vortreffliches Werk und bat 
durch den heilfamjten Einfluß, den fie auf die Verſitt— 
lichung der Hamburger bewiefen, ihre Trefflichkeit 
beftätiget, Sie beftehe aus 49 Artikeln, und beginne 
mit der Anordnung es Schulweſens; händelt dann 
weiter von den Predigern und ihren Amtspflichten, von 
den Feſttagen, Sacramenten, Gottesdienit und übrigen 
Kirchengebräuchen und fonftigen Einrichtungen, welche 
auf Kirchen und Schulweſen Bezug haben. 
Bugenhagen erkannte jehr richtig, Daß das ganze 
Reformationswerf von kurzer Dauer feyn würde, wenn 
er nicht zugleich auch für Anlegung und zweckmaͤßige 
Einridtung von Schulen ſorgte, worinnen die Au⸗ 
fangsgründe der nunmehr im ihrer Lauterfeic wieder 
bergefiellten Lehre und andere zur menfchlichen Bildung 
nothwendige Wiffenfchaften auf rechte Weife vorgerra- 
gen würden, Es wurden daher auf feinen Vorſchlag 
die Einfünfte von den Klöftern zur Anlegung und Un— 
terhaltung öffentlicher Schulen angewendet, ‚Und fo 
wie bey einem jeden Kirch fpieleeinebefondere Schule 
zur Unterweifung der Jugend gefliftee wurde: fo war 
das Johannis⸗Kloſter dazu auserfehen, daß in 
bemfelben eine öffentliche Inteinifche Schule angelegt 
werden follte, Dieß geſchah mie möglichfter Feyerlich— 
keit gleihb am folgenden Tage nach Trinitatis, den 
24. May 1529, Mittagd ı2 Uhr, durch Bugenhagen 
ſelbſt. Auch forgte derfelbe dafür, Daß noch. in eben 
diefem Fahre der neuen Schule ein paar tüchtige Lehrer, 


I 


428 Der Dom⸗Gottesdienſt wird gefchloffen, 


namlich M. Gottfr. Hermelates Theophilus 
(Freytag) als Retor, und M, Matthäus De; 
lius als Contector, vorgefegt wurden, unter welchen 
Lehrern die Schule bald den fegenreichffen Foregang 
gewann, | 

Das iſt die Einführung der Reformation in Ham- 
burg und von jener Zeit an bat fich die Turberifche 
Confeſſion als herrfchend hier erhalten. Bugenhagen 
verfuchte noch vor feiner Abreife, welche von Witten- 
berg aus dringend gebeifcht murde, die Herren des 
Dom⸗Capituls dahin zu bewegen, das Anrufen der 
Heiligen und die vielen Fefttage abzufcbaffen, desgleichen 
die Vigilien und Seelenmeffen aufzuheben und dem 
Meffefingen und Meffelefen ein Ende zu machen, das 
Abendmahl unter beyderfey Geſtalt auszutheilen u, ſ. w. 
Aber fein Verſuch war vergeblich, um fo mehr, da fie 
fich darauf berufen Fonnten, daß ihr Dechant die ganze 
Sache bereitd bey dem Faiferl, Kommergeriche zu 
Speyer angebracht habe. Denn als im vorigen Jahre 
1528 die Farholifchen Geiftlichen die Stade zu verfaffen 
genöthigee wurden, hatten fich zu gleicher Zeit der 
Domprobft und Domdechant, Joachim Kliging 
und Clemens Grote nad) Speyer begeben, um bey 
dem Kammergericht über die wider alle Rechte und alle 
Billigkeit erfittenen Unbilden fich zu befchmweren. Das 
Berichte nahm die Klage an und der Kaiſer CarfV, 
erlieg vom 10, Der, 1528 einen nachdrücklichen und 
ernften Befehl an die Stadt, melcher im nächiten 
Jahre den 16, Januar bier überreicht wurde, des Ins 
halts: Es folle die Stadt den Klagern bey Strafe 


die übrigen Reſte des Papſtthums abgefibaffe. 429 


von 500 Mk. Löthigen Goldes die enewendeten Kirchfpiel- 
firchen, und die denfelben und dem Stifte zugehörigen 
Briefe, Siegel, Inftrumente, Freyheiten, Handfeften, 
Gerechtigkeiten, Bücher und Regifter wiederum zuftellen 
und ausfiefern: fie fole auch der Priefkerfchaft in 
Hebung ibrer Zinfen ‚ erfauften Renten, Zebenden und 
anderen Gefallen nicht binderlich feyn, auch derfelbigen 
weiter Feine Schagung auflegen. Ueberdieß folle fie 
binnen 45 Tagen vor dem kaiſerl. Kammergericht ers 
feheinen und ihres Thuns Rede und Antwort geben. — 
Diefed war der erffe Grund der vielen Streitigkeiten, 
welche im dem folgenden Jahren zwifchen der Stade und 
dem Domcapitul fehr eifrig am kaiſerl. Kammergerichte 
fortgeſetzt wurden, und welche erff 1561 den 2, May 
durch den zu Bremen gefibloffenen Vergleich ihre End» 
ſchaft erreichten, 

Dr. Bugenhagen verlieh Hamburg am 9. Juny 
1529, eine Berdienfte um die hamburgifihen Kirchen 
und diefe Gegenden überhaupt. vermehrte er noch das 
durch, daß er Luthers hochdeurfche Bibel in die nieders 
fächfifche Mundart übertrug, welche mit feinen Bemer⸗ 
fungen im Druck erfchien und nachmals mir Verbeffe: 
rungen wieder aufgelegt worden iff. Gleich nach feiner 
Abreife wurde bier auf Befehl des Raths der Dom 
gefchloffen, da das verfuchte fortgefegte Singen Iateini- 
fiber Pfalmen nur zu Störungen Veranlaffung gegeben 
hartes auch die unnügen Feſttage wurden abgefchafft 
und die Apofteltage auf die mächftfolgenden Sonntage 
verlegt, Noch in demfelben Jahre, den 20, October, 
wurde Johannes Aepinus, font auch Hoek 


430 Der vierce oder Lange Neceß von 1529, 


genannt, als Prediger an St. Perri- Kirche eingeführte, 
ein Mann, der durch feine Gelehrſamkeit ſowohl als 
durch die hervorragende Kraft feines Geiffes für die 
Folge ſich als einen der erfien und muthigſten Vertheidis 
ger bewieß, die gereinigte ewangelifche Lehre vor den 
Anfechtungen ihrer Gegner zu bewahren. 

Der zwiſchen dem Rathe und der Bürgerfcbafe 
bereitd den 18. Februar dieſes Jahres abgefchloffene 
Receß, wegen feines ausführlichen Inhalts der Tage 
Receß genannt, brachte in der hamburgiſchen Berfaf 
fung eine wefentliche Abänderung hervor und ordnete 
zuerft die gefegliche Vertretung der Bürgerfihaft gegen 
den Rath auf eine für die Gefammtordnung zweck⸗ 
mäßige und wohlthaͤtige Weife. Die Annahme der 
neuen evangelifchen Kirchen-Einrihtung war die eigent- 
liche Grundlage deffelben; die Abhängigkeit von geiſt— 
licher Herrfchaft wurde mir ihm vernichter; dem Bür- 
ger und jedem, der feine Meynung in Angelegenheiten, 
wie fie das allgemeine und das Wohl der Einzelnen 
angingen, auf dem Wege der Ordnung mittheilen und 
vorbringen wollte, war die Freyheit in Form Rechtens 
verbürger. Darum ift die Reformation fir Hamburg als 
die eigentliche Bermittlerin und Schöpferin der geiffigen 
und bürgerfichen Frepheit zugleich zu betrachten, Die 
vornehmften Artikel, welche noch fonft in dieſem langen 
Receſſe hinzugefommen, find befonders folgende: 

„Klagt ein Fremder einen Bürger wegen Borent: 
haltung feiner Güter an, fo brauche der Fremde Feinen 
Burgen zu fielen, — Die verordnnesen@Bürger follen 
die Umfegung des Raths und der Rathswahlen nache 


in feinem Hauptinhalte. . 9 


ſehen. — Der Nach will fich befleifigen, geſchickte 
Mitglieder zu erwaͤhlen. — Zwoͤlf Rathsglieder me 
niaftend muͤſſen den Rathsſitzungen bepmohnen, — 
Der Rath kann auch des Nachmittags Bürger 
anträge hören. — Einem fremden Kläger Wird zu 
allen Zeiten Recht gepflegt, = Wird der Rath ger 
hindert, Audienz zu geben, fo ſoll er dag vor g Uhr 
anzeigen laſſen. — Zu Berfpredern follen gute, 
rechtliche Leute genommen werden — Don allen Ver: 
handlungen und Urtheln fol auf Begehren Copey ger 
geben werden, — Jede über 66 Mark fheigende Klage 
mug vor Ablauf eines Vierteljahres geendige ſeyn: 
follte es fich gebuͤhren, daß eine Sache Über Jahr uud 
Tag ausgedehnt worden, fo muß der Rath fie in den 
erſten drey Gerichtetagen enden. — Jeder muß feine 
Sache auf Stadtbuch, Burſprack und die Receſſe 
gruͤnden. — Waͤre es, daß eine Sache zur Sprache 
kaͤme, über die in den Stadtgeſetzen nichbe? zu fſin⸗ 
den iſt, fo koͤnnen die Parteyen vom Rache begehren, 
dad die verordneten Bürger der vier Kirch 
fpiete aufs Rathhaus nefodere werben, damit dieſe 
mit dem Rathe in dieſem noch unbekannten Fall ein 
Urtheil finden, das nicht bloß für jetzt, ſondern fir 
immer eim fin Hamburg gültiges Geſetz bleibt und’ als 
ſolches nieder geſchrieben wird — Nur in peinlichen 
Faͤllen hat ver Rath die Befugniß, ein Urtheil zu 
mildern oder zu ſchaͤrfen — Alle unter 10° Marf 
werthe Sachen gehbren vor das Niedergericht. (In 
einer Sache Aber 10Mark muß der Bürger: vor dem 
Rathe Rede fichen.) — Verläumdung und Schelt⸗ 
28 ‘ 


432 Der vierte ober lange 


worte follen vor dem Rath wieberrufen werden. — er 
bey Nacht verhafter wird, fol niche zum Waldboten 
(Frohn), fondern nach dem. Winferehurme gebracht 
werden. — Kitchen, Kirchhoͤfe, Predigerhaufer und 
das Maria-Magdalenen⸗Kloſter find unverlegliche 
Aſyle bey Todsfichlägen, bie aus Nothwehr 
begangen worden, — Der zehnte Pfenning muß gege— 
ben werden von Gütern, die aus der Stadt gehen. — 
Was einer mit feiner Frau erheyrarhet, kann er zu 
ihrer beyden Nutzen gebrauchen, Doch duͤrfen die Erben 
der Frau ein Einſehen haben, wenn ſie Verſchwendung 
des Hauptſtuhls wahrnehmen. — Iſt ein Mann bey 
ſeiner Verheyrathung verſchuldet, dann nimmt die Frau 
ihren: Brautſchatz vor den Glaubigern zuruͤck. — Ein 
Vater kann fein Erbe an einen feiner Söhne zu einem 
ſelbſt beliebigen Preiſe vermachen. — Haͤuſer duͤrfen 
nicht hoͤher beſchwert werden, als fie werth find. — 
Der Rath ſoll keine Geſchenke nehmen. — Der Rath 
bleibt ſchoßfrey, anſtatt eines Gehalts. — Zu allen Thor 
ren und Baumen folen zwey Schlüffel feyn, von denen 
einer beym Rathe, der andere bey den verordneten 
Bürgern bleibe. — Niemand darf zwey Dienſte ba: 
ben. — Kein Pfaffe kann Syndikus noch Serre 
tarius werden. — Der Rath wird einen guten ge 
lehrten Pipyfikus halten, und alle anderen Aerzte, 
Landläufer und unerfahrene Practicanten aus dei 
Stadt weifen. — Die Gotteskaſten follen von den 
Dberalten verwaltet werben diefe erhalten ihr eiger | 
ned Siegel. — Die Jungfern, welche das Kloſter vers 
laffen, erhalten ihr Erbgut wieder, — Es follen neue 


Receß vom Jahre 1529; 433 


Mühlen erbauet werden, — Abends nach 10 Uhr 
darf fein Bier gejapft werden, — E3 fol für Hinreis 
chende Kohlen in der Stadt geforge werdem — Wer 
auf fein Haug eitten feinernen Giebel feßt; erhalt 
dazu von der Stadt 1000 Manerfleine, nebſt einem 
Wispel Kalt; — Bey Berkauf des Brennholzes follen 
Bürger zur Auffiche beftelle werden, — Zur Reinhals 
tung der Elbe ſoll eine: Aufſicht angefkelle werden, — 
Mer Bürger werden will, muß fich in der Stade nie: 
derlaſſen. — Zwiſchen Martini und Thoma wird der 
Schoß mit 8 EL, von jeden 100 ME, erlegt. — Jedes 
Brauhaus muß eine Büchfe, zwey lederne Eimer und 
eine Feuerfpriße baden, — Buͤrgermeiſter, 
Rathmaͤnner und erbgeſeſſene Bürger duͤr— 
fen in Kriegszeiten nicht aus der Stadt zie— 
ben, — Die Buͤrger waſchen ſollen von den geſchwo⸗ 
renen Stadtdienern zu rechter Zeit angefagt werden, — 
Die Dberalten find von der ganzen Bürgerfchaft be 
vollmachtiger, ein ſtetes Auge auf die Erfüllung und 
Nachachtung der Receſſe, des Stadtbuchs, der Bur: 
fpracfe und Kirchenordnung zu baden, und im Fall ver 
Abweichungen, bey Zeiten dem Rathe darüber Vorſtel⸗ 
fungen zu machen, Bey den verordneten Bingern 
(48ern, fpater 6oern) Fann jeder, dem daran gelegen, 
über dag, was jwifchen Rath und Bürger befchloflen 
28* 


44 Receß vom Jahre 1529, 


und: feſtgeſetzt worden, Auskunft holen. — Sollte ſich 
doch zutragen, daß vom Rathe gegen die Stadtrechte 
gehandelt mürde, dann ſollen die Oberalten die 144er 
zuſammen fodern und mit ihnen: im Verein dem Rath 
die gehörigen Vorſtellungen machen; und wuͤrde auch 
dann keine Abaͤnderung getroffen, ſo muͤſſe der Rath 
auf Begehren der 144er Die erbgeſeſſenen Bürger uud 
Aemter zuſammen rufen, um mit ihnen die Sache 
zu ordnen.“ N! RZ Kia 





Dritted Bud. 


Don der Reformation bis auf Die 
neneften Zeiten. | 


Erſter Abfchnitts Von der Reformation bis zum 
Öottorppifchen Vergleich, 1529 bis 1768. 
a. Bis zum Anfange des an Jahr: 
hunderts. 
ni Fortſetzung der Gefchichte bis um Got⸗ 
torppiſchen Vergleich. 
Zweyter Abſchnitt: Bis auf die neueſten Zeiten. 
a. Von 1768 bis zu 1812, als Ham: 
burg dem napoleontifchen Kaiferreiche ein: 
verleibt wurde. 
b. Wiederbefreyung der Stadt vom frem: 
den Joche, Wiedergeburt ihrer Freyheit, 
jüngfte Ereigniſſe. 








Dristes Buch, 
u re —— 

Die Reformation gehoͤrt zu jenen groſſen Bege— 
benheiten der Geſchichte, deren wirklicher Abſchluß fels 
ten mit Gewißheit zu beſtimmen iſt, da ſie vielmehr in 
fortwirkenden Folgen und friſch ſich anreihenden Ver— 
anderungen oft wie bleibend. zu dauern ſcheinen. Gleich— 
wie, wenn ein heftiger Sturm das Meer aufwuͤhlt, 
das Toſen und die Bewegung noch lange fortdauert 
und die Wellen noch aufwogen, auch nachdem die 
Winde langft geſchwiegen: ſo war auch damahls, da 
ein groſſer Theil der Chriſtenheit ihren Abfall von 
willkuͤhrlicher Gewiſſensgewalt laut und Fraftig erklaͤrt 
hatte, die Erſchuͤtterung noch bemerkbar in allen Läns 
dern, wohin diefer Geift des Selbſtbewußtſeyns ges 
drungen war und im Gefolge der erft gethanen Schritte 
fihien eine endlofe Reihe von Veranderungen ſich anzus 
fündigen. Selbſt in Hamburg, mo die Kirchenverbefz 
ferung im Ganzen fo ruhig und friedfam, auf Dem 
Wege mehr der Gefprachsverhandlung, als ungeſtuͤmer 
Foderung und Gewaltthätigkeit eingeführe worden, blie— 
ben doch manche. Gahrungen im Innern nach. welche 
noch lange bin flörende Erſcheinungen amd felbft un: 
subige Auftriste zum Entſtehen befördertenz ſo wie 
hinwiederum in dem Verhaͤltniß zum deutſchen Reiche 
und in der Stellung zu dem benachbarten Daͤnemark 


438 Das Kloſter Harveftehude aufgehoben 1530, 


und den jet damit in Verbindung flehenden deutſchen 
Herzogthuͤmern neue, nicht geahndete Beruͤhrungen ſich 
ergeben mußten, 

E83 geſchah in einfacher Folge der im Jahre 1529 
mit den hieſigen kirchlichen Einrichtungen vorgenom— 
menen Abaͤnderung, daß der Rath und die Buͤrger auch 
zu Harveſte hude, wo Die Nonnen ſich hartnäckig 
weigerten, die alten Gebraͤuche abzuſtellen und die Pre— 
diger, Die ihnen verordnet wurden, zu hoͤren oder ans 
zunehmen, mit Ernff zur Entſcheidung ſchritten, das 
ſloſter am ro. Februar 1530 niederriſſen und Die Non⸗ 
wen ſelbſt in Die Stadt hereinführten und in das Jo— 
hannis⸗Kloſter brachten, wo fie von den Einkünften 
der beyben Kloͤſter mir Pflege und dem ıngehdärftigen 
Unterhalt verfeben wurden, Und als im naͤchſten Sabre 
die Mönche aus dem Marien-Magdalenen:Kiofter weis 
hen mußten, wurde auch vas von Kletzens Wittwe 
geftiftere Eliſabethenhaus verkauft und die in 
demjelben ernähren Wittwen und Jungfrauen als Praͤ⸗ 
bendaria (Prbveners) in jenes Klofter gebracht, um 
‚ben wohlthaͤtigen Amen der EN m —* 
zu laſſen, 
Im Uebrigen ſchien eine gewiſſe — in den 
Maaßregeln der obern Behörden zur völligen Abſchaf— 
fung und Saͤuberung des katholiſchen Gottesdienſtes 
der Mehrzahl: der Buͤrger unangenehm aufzufallen und 
nahrte bey vielen die Stimmung des Migveranügens, 
Als im Sabre 153: der Rath bie Buͤrgerſchaft um 
ben Zuſchuß der Koſten zu weiterer Befeſtigung der 
Wolle, Graben und Thore der Stadt auſprach, woll—⸗ 


Salsborg muß aus dem Mathe weichen, 439 


ten ſich diefe nicht dazu verſtehen, da mötbiger fen, 
zuvor Ruhe und. friedliches Vernehmen im Innern her 
zuſtellen, Einigkeit zwifchen den Bürgern und den nache 
gebfiebenen Pfaffen und Nonnen zu fliften und den 
Gottesdienſt im Dom, der noch immer forebauere, 
abzufibaffen, Die Sache wurde endlich damit abge, 
ſchloſſen, daß der Nach in das Begehren der Bürgers 
ſchaft willigte, und auf deren Anfodern insbejondere 
der Bürgermeifter Salsborg, welcher mir Hart, 
naͤckigkeit am Papſtthume fefthielt, den Rathsſtuhl ver: 
laffen mußte, Nun bewilligten die Bürger eine Abs 
gabe. von 6 Pf. von 10 Gl. Capital, und zur Befefkis 
gung wurden der Graben und Wall zwifchen dem Schar— 
thor und dem neuen Baume angefangen, In Diefelbe Zeit 
gehört zugleich die Anfegung der neuen Wafferkfunft, 
ſonſt auch die alte Bornkunft genannt, ſo wie der 
Wieder » Aufben der 1531 abgebrannten Bornmühle, 
der nach ein paar Fahren vollendet wurde, 

Aber immer dringender wurde mie jebem fahre 
die wiederholte Anfoderung des Dom : Capituld und 
des Reichs - Rammergerichts zu Speyer: daß ver Fair 
ferliche Befehl zur Wiedererffattung der Kirchengüter 
an das Capitul zur Ausführung gebrachte und die ans 
geſetzte Strafe von 500 Mark loͤthigen Goldes gebüßer 
würde, Um diefen Mahnungen zu entgehen, wandte 
fich endlich die Stade an die Fürften und Stande des 
zu Schmalkalden gefchloffenen proteſtantiſchen 
Bundes, erklärte durch eine feyerliche Proreffation vom 
26, November 1535 ihre Anbanglichkeit an denjelben, 
und wurde 1536, am Tage der Befehrung Pauli, von 


49 Hamburg tritt zum Schmalkabifchen Bund, 


meberen bier anmefenden Standen deffelbigen vollkom— 
men darin auf⸗ und angenommen. Der Bund hatte 
niche geringes Anſehen dadurch gewonnen, daß bey 
deffen Stiftung 1531 König Friedrich J. von Daͤ— 
nemark für feine deutſchen Länder demfelben \beygerre 
gen war, und deſſen Nachfolger, Chriftian TEL, in 
diefer Meynung beharrete. Für Hamburg aber entffand 
in diefem Sufammenhange der Dinge die Nochwendig- 
keit, mit dem Nachbar ein möglichft friedliches und 
verträgliches Verhaͤltniß angelegentlich zu unterhalten. 

In dieſer Gefinnung hatte es bereits ſchon fange 
beharret. Der klugen Ueberlegung folgend, hatte es 
ſchon, als der unruhige König Chriſt ian IL aus 
feinem Reiche vertrieben wurde, die Partey des an 
jenes Stelle berufenen Friedrich I, ergriffen und mit 
nachdruͤcklichem Beyſtande unterſtuͤtzt. Ad i. I. 1525 
der Freybeuter Klaus Kniphoff, aus Malmoe ges 
buͤrtig, welcher mie dem Admiral des gefluͤchteten Kö— 
nigs, Soͤren Norby, zur Wiedereinſetzung Chri⸗ 
ſtians II. ſich hatte vereinigen ſollen, nicht bloß daͤ⸗ 
niſche, ſondern auch hanſeatiſche Schiffe pluͤnderte und 
ſelbſt Bergen im Norwegen in Schrecken ſetzte, ruͤſte⸗ 
ten, nach dem Wunſche Friedrichs, die Hamburger 
vier Schiffe aus, welche die Elbe hinunterſegelten, 
zwar anfangs unverrichteter Dinge, aber nachmahls 
mit eingeholter Verſtaͤrkung um fa gluͤcklicher, indem ſie des 
Kniphoff ſich bemaͤchtigten und denſelben mit 162 ſeiner 
Gefährten nach Hamburg aufbrachten. Ungeachtet der Fuͤr⸗ 
bitten, welche von der Statthalterin Margaretha in den 
Niederlanden, von Chriſtians IL Gemahlin und Dem 


Verhaͤltniß zu Daͤnemark. 444 


Grafen Edzard von Oſtfrießland eingelegt wurden, 
ließen ſie ihn als einen Seeraͤuber mit 73 feiner Ge 
noſſen enthaupten, die Köpfe auf Pfaͤhlen an der Elbe 
zur Schau aufſtecken und die Hauptfahne des Freybeu⸗ 
vers wurde in dem Dome über der Canzel als ein bes 
fonderes Denkmahl aufgebangen, Friedrich J. flarb 
im Jahre 1533, und ein Zwifchenreich entſtand in Dir 
nemarf, wahrend deffen verfibiedene Parteyen für ver 
fehiedene Thronbewerber fich bildeten, die bald in zwey 
entgegengefegte fich vereinigten, in welchen theils ein 
en der Proteflanten gegen die Katholiken, theils 
der Hanfe, am deren Spitze Lüberf mit übersriebener 
Anftrengung fand, gegen die Hollander fich entwickelte, 
deren immer mehr zumachfende Uebermache in der Oft: 
fee dem hanſeatiſchen Handel gefährlich zu werben 
ſchien. Man nennt diefen Krieg auch die Grafen; 
febde, weil mehrere Grafen, insbefondere Chriſtoph, 
Graf von Oldenburg, die luͤbeckiſche Macht anfuͤhrten 
Ham burg nahm ſelten anders, denn als Vermittlerin, 
Theil an dieſem Kampfe, und Chriſtian III., von 
Daͤnemark als König anerkannt, beendigte die Fehde 
durch Entwaffnung derer, die für die Sache des ger 
fangenen Ehriftian IL, zu flreiten vorgaben, fiegreich 
im Jahre 1536, Nur die öfterreichifche Partey, welche 
unter der Leitung der. Faiferlichen Statthalterin in den 
Kiederlanden die beyden nprdifchen Kronen, Schweden 
hatte fich unter Guſtav Waſa losgeriffen, dem Pfalz: 
grafen Friedrich, dem Gemahl der zweyten Tochter 
Chriſtians IL, zu verichaffen bemüht war, fand ihm 
noch entgegen, aber ehne daß fie ihm furchtbar harte 


5 


442 Hamb. huldige Chriffian III. und handelt 


werden koͤnnen. Chriſtian III., welcher die Einführung 
ber Reformation mit Tebendigftem Eifer betrieb, fand 
ſelbſt Muße genug, an die Angelegenheiten des ſchmal—⸗ 
kaldiſchen Bundes mit Aufmerkfamfeie zu denken und 
trug durch feine perfönliche Gegenwart dazu bey, daß 
im Sabre 1538 auf der Verfammlung zu Braunſchweig 
die Bundesvermandeen fich noch enger an einander 
anſchloſſen. Auf feiner Rückkehr kam er in Begleitung 
feiner Gemahlin und deren Schweſter und mit einem ae 
ſehnlichen Gefolgenach Hamburg, (1538, den 24. April) 
um daſelbſt die Huldigung zuiempfangen, die ihm uns . 
ter den nahmlichen vorbehalvlichen Bedingungen ges 
leiſtet wurde, als ehemals bey dem Könige Chriffiau J. 
ver Fall gewefen war.: Bey diefer Gelegenheit wurde 
auf dem Hopfenmarkte ein ritterliches Turnirſtechen ges 
Halten, (wie früherhin 1325 bey Chriſtians Bermählung,) 
und der Rath bemirchere den König auf dem Eimbeck⸗ 
fchen Haufe mit einem prachtigen Gaftmahl. Es ge 
fiel dem Gaſte fo wohl in der Stadt, daß er erſt im 
folgenden Monate (den 9, May) feine Rücfveife weiter 
fortſetzte. 
Der Pfalzgraf Friedrich ſetzte einige Jahre Hinz 
durch, von dem Kaiſer Carl V. nur ſchwach unter⸗ 
ſtützt, ſeine Bewegungen gegen den König Chriſtian 
fort, aber es waren Bewegungen eines Ohnmaͤchtigen, 
von umbedensendem Erfolge. AS er im Jahre 1539 
mie einem Heere bis an die Grenzen von Holftein rückte, 
und theils im Lüneburgifchen, theils auch im hambur⸗ 
gifchen Gebiete, manchen Schaden anrichtere, legten 
fich die Hamburger mit ihren bewaffneten Schiffen auf 


vermietelnd mit deſſen Gegnern, 443 
die Elbe, dem Uebergang defferben zu verhindern, und 


die ganze Unternehmung wurde noch uͤberdieß durch In: 


— 


gunſt des Mindes und des Wetters vereitelt. Unter⸗ 
handlungen, insbeſondere durch die Hamburger einge— 
ſeitet, welche ſich durch dieſe Verhaͤltniſſe in ihrem 
Handelsverkehr oft drückend benachtheiliget ſahen, 
führten zu Stillſtänden, aus welchen neue Befehdungen, 
zumahl von Geiten der Holländer, bervorgingen, bis 
endlich auch diefen Mifbelligfeiten durch den Frieden, 
welchen Ehriffian mie Carl V. 1544 zu —* ab⸗ 
ſchloß, ein Ziel geſetzt wurde. 

Waͤhrend die Gemuͤther im Innern von Deutſch⸗ 
land, durch die allgemeine Bewegung aufgeregt, im⸗ 
mer mehr in feindliche Parteyung zerfielen, ſchien ein 
naher Ausbruch eines allgemeinen Religionskrieges un⸗ 
vermeidlich. Blutige Vorſpiele dazu waren die Auf: 
fände der Landleute in mehreren Gegenden gewefen: 
einzelne Parteygaͤnger benutzten auch die Verwirrung 
zu eigenmaͤchtigen Ueberfaͤllen und Raubangriffer, mie 
irgend die Leidenſchaft fie Teiten mochte, In vielen 
Jahren (ſeit 1540) geſchah es, daß die Hamburger 
unermüder daran arbeiteten, ihre Stadt vom allen 
Seiten durch Gräben und Wälle zu befefligen, um vor 
plöglicher Weherrumpefung jener berumfkreifenden Haus: 
fen, nahmentlich des berüchtigten Herzogs Heinrich 
von Braunfchweig, des Herzogs Albrecht von Mech 
lenburg und anderer Stegreifritter gefichere zu fepm, 
Inzwifchen hatten fich die ſchmalkaldiſchen Bundesge—⸗ 
noffen fo gerüfter, daß fie dem Kaiſer, da er ihrem Begeh⸗ 


ren um freye Religiongäbung nicht willfahren wollte, mit 


444 Schmalfaldifcher Krieg. 1547: 


gewappneter Hand entgegen zu gehen vermochten. König 
Ehriftian, friedliebend und durch das jüngft mit dem Kaiſer 
gefchloffene Buͤndniß in der Erfüllung feiner früheren 
Verpflichtungen gehemmt, gab bloß eine Geldhuͤlfe: 
Hamburg aber ließ feine Mannfchaft zu dem Heere 
abgehen, zu deren Erhaltung zweymal ein halb pro 
Cent bemwilliget werden mußte. Der Ausgang diefes 
Krieges ift befannt. Unſchluͤſſigkeit, Zögern und ge 
theilte Anfichten und Meynungen vereitelten den glück 
lichen Erfolg der proteflantifchen Waffen, und ihre 
Sache fibien verloren, als in der Schlacht bey Mühl 
berg (1547, den 24. Apr.) der Kurfürft von Sachſen 
in des Kaiſers Gefangenfihaft gerierh und bald darauf 
auch der Landgraf von Heffen, als er fich zutraulich 
unterwarf, ein gleiches Schickſal hatte. Die geaͤngſte⸗ 
ten Hamburger erhielten durch des Königs Chriſtian 
von Danemarf Vermistelung, daR fie gegen Erlegung 
einer anſehnlichen Geldftrafe, einige berichten, für 
100,000 Gulden, zu Gnaden aufgenommen wurden, 
nachdem ihre Abgeordneren, der Syndikus Pfeil, der 
Rathsherr Niebuhr und der Serretar Gabel: auf. dem 
Reichsſtage zu türnberg feyerfiche Abbitte und einen 
Fußfall vor dem Kaifer hatten leiſten müffen, (d, 29, Juny 
1547) | 

Carl, der eg noch nicht aufgeben wollte, eine einſt⸗ 
mweilige Wiebervereinigung Der Religionsmeynungen in. 
Deusfchland ind Wert zu fegen, bis durch Das Con: 
cifium der ganze Streit gefeblichter werden fönnte, Tief 
jest zu jenem Behuf durch einige Gottesgelehrte einen Entz 
wurf AUTO wie es vorläufig (ad interim) mit 


Das Interim. Widerlegt von Aepinus. 445 


der Glaubensvorſchrift in Kircbenfachen gehalten mer 
den folle. (1548.) An diefer Schrift wurden den Protes 
ftanten die zween Puncte vom Abendmahle unter beys 
derley Geftalt und von der Prieſterehe, big zur Endie 
gung der tridentiniſchen Kirchenverfammlung geftattet , 
in allem übrigen mit VBerfchmabung der Augsburgifchen 
Confeſſion das achte Papſtthum wieder zur Bedingung 
gemacht, und in dem Meichsabfchiede ſtreng ge⸗ 
boten, feft darauf zu halten und nicht damwider zu leh— 
ren, In mehreren Ländern der Proteſtanten ward diefes 
Juterim, mie dieſem Nahmen bejeichnere man jene 
Borfehrift, theils durch Gewalt eingeführt, theils durch 
die Zaghaftigkeit und Nengttlichkeit der Landesherren 
und Obrigkeiten. Nur in Niederfachfen fand. es ffand- 
baften, faft einftimmigen Widerfpruch, In Hamburg 
aͤußerte fich das Mißvergnügen der Bürgerfchaft über 
ein folches Ende fo vieler Anftrengungen unverbolen: 
ein Ausfchuß derfelben trat mit dem Rathe zufammen 
und in einem befonberen Receß Cdem fünften) 
murde die VBerwerfung des Interim zur erfien Ange: 
legenheit gemacht. Nun vereinigten fich die Geifklichen 
der drey Städte, Luͤbeck, Hamburg und Lüneburg, im 
Auguſtmonat zu einer feſten Widerlegung und Erklaͤ— 
rung, welche noch in demſelben Monat fertig wurde 
und bey Joachim Louwens in Druck erſchien. 
Verfaſſer dieſer Schrift war der hamburgiſche Super: 
intendent Johannes Aepinus, einer der angeſe— 
henſten Theologen feiner Zeit, deſſen Ruf auch dem Aus: 
lande befannt geworden war, fo daß ihn König Heinrich 
VII, im Jahre 1534, als er mir einer Kirchenvereinigung 


446 Theologiſche Streitigkeiten, zum Theil. | 


in feinem Lande umging, zu ſich nach England hatte 
entbieren laſſen. Die Widerfegungsfchrift führe den 
Titel: Bekenntniſſe und Vorclaringe up dat Interim, 
dorch der dre Stede ꝛc. Cie fand fo vielen Beyfall, 
daß ſchon im nachfien Jahre ein neuer Abdruck ders 
felden beforge werden mußte, Das Beyſpiel ſelbſt, das 
mie fo vielem Muthe von bier aus gegeben worden war, 
blieb auch für das übrige Deutſchland nicht ohne wor 
theilhafte Wirkung, zumal da der mächtige Kurfürft 
Morig von Sachen ſich gleichfalls der Einführung 
des Interim mie Frafrigem Nachdruck widerſetzte. 

In demfelben Receß von 1548 war auch beſtimmt 
worden, daß eine neue Kirchenorduung entworfen 
werden möge. Das Beduͤrfniß derſelben hatte man 
ſchon in den erſten Jahren nach Bugenhagens Verord⸗ 
nung empfunden, beſonders was die Beſetzung der 
Predigerſtellen und deren Obliegenheiten anging ; daher 
mar bereits im Jahre 15239 dem Aepin der Auftrag 
geworden, die noͤthigen Verbeſſerungen zu bedenken und 
vorzuſchlagen. Die Arbeit war vollendet im I. 1550; 
die völlige Beſtimmung und Annahme derfeiben noch 
vor deffen Tode (ſt. 13. May, 1553) wurde hoͤchſt wahr⸗ 
ſcheinlich durch die verworrenen Streitigkeiten hinge— 
halten, welche uͤber unweſentliche Fragen zwiſchen der 
Geiſtlichkeit Hamburgs ausgebrochen waren, zum groſſen 
Aergerniß und ſelbſt zu erbitternder Entzweyung der 
Gemuͤther in den Gemeinden, vor welche ſolche Streit⸗ 
fragen nicht gehörten, So hatte Aepin 1542 bey der 
Erklärung des 16, Pfalmes im Lectorio im Dome von 
der Hoͤllenfahrt Chriſti die Behauptung ausgeſprochen, 


durch das Interim veranlaßt. 447. 


daß dieſelbe zugleich mit zum Stande der Erniedrigung 
Chriſti zu rechnen ſey und zu der Genugthuung fuͤr die 
Sünden der Menſchen mitgeböre; Chriſtus babe auch 
im der Hölle Gottes Urtheil vom Tode und der Hölle 
für uns getragen und eben dadurch dei Tod und bie 
Höfe überwunden, Das erſchien den Anderen als eine neue 
irrige Lehre, da; nach ihnen, die Hölfenfahre zum Stande der 
Erböbung Chriſti gehörte und mit derſelben der Sieges⸗ 
fuͤrſt zuerſt ſich gezeigt habe. Die Gegner. bewieſen 
ihren Satz aus den Worten Jeſu am Kreus: Es iſt 
vollbracht! (consummatum est) weshalb fie von der 
Anhängern Aepins mit dem Ketzernahmen Eon ſum ma⸗ 
t i ſten bezeichnet wurden ba. dieſen binwie derum zut 
Vergeltung der Nahme der Infernaliften zu Theil 
ward. Der Streit verbreitete fich von Hambärg aus 
uͤber das ganze proteſtantiſche Deutſchland: uur Lutber 
und Melahthonz ſo oft zu Schtedsrichtern in diefer 
Sache aufgerufen, verweigerten jedes entſcheidende Be⸗ 
denken und erklaͤrten den ganzen Streit für ann 51hig; 
Der Rath handelte demnach wahrhaft weile; als er, 
nach vielen vergeblichen Verſuchen gutlichen Beſchwich⸗ 
tigens, endlich (1550) durch einen Machtſpruch allen 
Predigern bey Verluſt ihres Amtes und ber Stadt 
Wohnung unzerfagee, je diefen Artikel von dei Holen: 
fabre diſputirlieh auf dem Predigerſtuhle it bebandeln, 
und als dennoch einige den ſonſt ehrenwerthen Befehls 
Gott mehr, ald den Menſchen gehorchen zu muffen; zum 
Heuchelſchild ihres unrubigen Sinnes aushängen inollten, 
diefelden nach dem Gebote des Rechten ang der Stadt 
wieß. Zu anderern Irrungen üͤber gleich unwichtige Dinge | 

29 


443 Theologiſche Kaͤmpfe, 1550, ff. 


gab befonders das berichtigte Interim fruchtreichen 
Anlaß. So wurde mir Hiße geflritten über bie foge- 
nannten Mitteldinge Cadiaphora), folche Tirurgifche 
Anſtalten und Aufferliche Dinge, welche, der Lehre une 
beſchadet, als gleichgültig nach den Vorfchriften des 
Interims wieder eingeführte werden Fönnten, Diele 
Tenften aus Nachgiebigkeit gegen den Kaiſer dahin ein, 
daß man ſich in ſolchen Kleinigkeiten wohl den Katho⸗ 
liſchen bequemen koͤnne: andere fanden darin Zurückfuͤh— 
rung zudem alten Aberglauben, und eiferten um fo nach⸗ 
drüsflicher dagegen, als fie die erneuerte Macht des 
Papſtthums in deffen Gefolge faben. Aepin befonders 
ſchrieb im Nahmen der hamburgifchen Geiſtlichkeit an 
die Theologen zu Wittenberg einen fehr nachdrück 
lichen Brief (Epistola - de rebus adiaphoris 1549), 
wie man in Diefer Angelegenheit der neuen Irrung 
ffandhaft entgegen feyn müffe. In Königsberg hatte U n- 
dreas Dfiander den Begriff von der Rechtferti— 
gung noch feiner zur beffimmen gefucht, daß fie nicht 
fey die Vergebung der Suͤnden um Chriſti willen, 
fondern die wefentliche Gerechtigkeit Gotteg, die in 
ung wohne und uns recht zu thun bewege; desgleichen 
brachte Georg Mafor zu Wittenberg den Gag zur 
Behauptung, daß gute Werke zur Seligkeit norhwen- 
dig und ohne dieſelben felig zu werden nicht möglich 
fey. Auch gegen diefe beyden „Irrlehrer“ erklärte füch, 
gegen den erfteren im Nahmen der Geifklichkeit von 
Hamburg und Lineburg, gegen den letzteren im Nab- 
‚men der Kirchen zu Hamburg, Luͤbeck, Lüneburg und 
Diagbeburg Johann Aepinus in den Jahren 1552 


Bekenntnißſchriften der bamburgifiben Kirche, 449 


und 1553; Diefe genannten Schriften, zu welchen im 
Jahre 1557 auf Veranlaffung der heimlichen Cal⸗ 
viniften, deren Einfcbleichen auch bier gefuͤrchtet 
wurde, von Seiten der biefigen Prediger noch eine 
„Slichte und rechte Vekenntniſſe van dem bochiwerdi- 
gen Sareramente des Lyves und Blodes Ehrifti,* nebſt 
einer „‚trümen: Vormaninge unde Warninge au de 
chriſtlike Gemene“ hinzu kam, legte der Rath im Jahre 
1560 den 6, July; als von ihm genehmigte Bekennt⸗ 
niffe den fammelichen Predigern zur eigenhandigen Un: 
terſchrift und Verbindlichkeit vor, damit ein: jeder fich 
darnach halte und Friede und Berföhnung in den Ange: 
fegenbeiten der Kirche. geftiftet und erhalten werde. 
Diefelben Schriften blieben auch nachmahls, ald vom 
Rath ımd der Bürgerfchaft beliebte Grundgefege, neben 
den eigentlichen fpmbolifhben Bühern die Be 
fenneniffe der hamburgiſchen Kirchen, zu deren 
Beobachtung ein jeder Prediger bey dem Antritt feineg 
Amtes ſich mit heiliger Berficherung verpflichten mußte; 

Diefer Kampf der Meynungen fland im engen Zu: 
fammenbange mit dem blutig verheerenden Religiong: 
kriege, welcher mit den Testen glücklichen. Schlägen 
Carls feine Endſchaft noch nicht erreicht hatte, viel 
mehr in helleren Flammen wieder ausbrach. Moris; 
der junge Rurfürft von Sachfen, entiagte, um der 
Sache der Proteſtanten wieder aufzuhelfen, der Treue gegen 
‚ben Kaifer, fanimelte unter allerley Vorwand ein Heer; 
um mit einem fraftigen Streiche die Entfcheidung ber: 
beyzuführen, zwang den Raifer zur Flucht und erzwang 
1552 den Paffauer Vertrag, zur Vorbereitung eines 

29* 


8 Foredauer der Religionsfehden 


vollſtaͤndigen Religionsfriedens. Unter denen, welche 
ſich zu dieſem Kampfe mit Moritz vereiniget und Huͤlfs⸗ 
völfer geſammelt hatten, waren beſonders der Mark 
graf Albreche von Brandenburg und der Graf Wolrath 
von Mannsfeld. Der Tegtere fammelte niche nur 
viele Völker in den Gegenden von Hamburg, Bremen 
und Ratzeburg, fondern bewog auch die Lübecker, Ham— 
burger und Lüneburger zu anfehnfichen Geldbeyträgen, 
wollten fie anders ihre Lande und Leute gefichert wiffen, 
Nah Hamburg Fam er den 22. April 1552 in Perfon, 
um feinen Antrag vor den Kath und die Bürgerfchaft 
gelangen zu laſſen. Aus diefem Kriege entwickelte ſich 
machher ein Raubzug Einzelner, die Verwirrung noch 
‚allgemeiner zu machen. Morig ſah fich, nachdem er mit 
‚dem Kaiſer Frieden gefchloffen ſelbſt genöthige, gegen 
feinen eigenen Bundeögenoffen und Freund, den Mark 
grafen Albrecht, der forsfuhr, dag Reich zu verheeren, 
zu Felde zu ziehen und fand in der Schlacht bey Sievershau⸗ 
fen (1553) feinen Tod. Mit Morig harte fich damahls auch 
der Herzog Heinrich’ von Braunſchweig verbunden ge: 
habt, Uber eben Derfelbe, der ausgezogen war, einen 
Kauber und Friedensſtoͤrer zu befriegen, trug Fein Be: 
denken, Bergedorf und die Vierlande durch plögfichen 
Veberfall wegzunehmen (1554), und von den Ham⸗ 
burgern eine Schagung von 12000- Thalern, von den 
Luͤbeckern und Luͤneburgern 14000 Thaler zu erpreſſen. 
Zum Vorwande diente, daß Die Städte zum ſchmalkaldi⸗ 
ſchen Bunderfich gehalten, Durch welchen er von Land 
und Leuten verjagt "worden ware, auch daß fie den 
Grafen Mannsfeld, als ihm diefer ins Land gefallen, 


bis zum Frieden 1555. 456% 


mit Beldbeyträgen unterfläse hatten,» Im näachften - 
Jahre (1555, 26. September) wurde endlich zu Augs- 

burg der fo genannte Religionsfriedern gefchloffen, 
in weichem freye Religionsuͤbung zur. Hauptbedingung 
gemacht und dadurch mwenigfiens der Vorwand benoms 
men wurde, Gfaubendmeynungen mie dem Schwerte zu 
verfolgen oder zu vertheidigen. Bryan . 

E83 geht aus dem Erzählten von felbft hervor, wie 

nachtheilig dieſe unruhevollen Zeiten dem ſtaͤdtiſchen 
Mohlftande feyn und wie fehr die Koſten ſich vermehs 
ven mußten, die bald für Strafgelder, für Schagungen, 
bald für Beyſteuern, für die Befeftigung der Stadt, die 
Befoldung der Krieger aufgetrieben werden : follten, 
Außerordentliche Auflagen waren. fihon in "dem Receß 
von 1548 auf die nachften vier Jahre bewilliget wor: 
denz Schoß der zoofte Pfenning, Bier⸗Acciſe von jeder 
Tonne 8 ßl. ſelbſt der Rath follte auf die naͤchſten 
vier Jahre Schoß zahlen. Der Koftenaufwand war 
feitdem vergröffere, der Ausgaben Kein Ende geworben, 
In folchen Umſtaͤnden fihien das Begehren der Bürger 
nicht unbillig, daß auch einmal der Rath Berechnung 
der verwandten Gelder ablegen möge, ein Begehren, 
deſſen Willfahren niche ohne Eigenmillen von einer Zeit 
zur andern verfchoben wurde, Noch befremdender mar 
8, ald im Nahre 1555, den 5. April vom Nathe ver 
Bürgerfchaft ein vom 14. April 1554 ausgeftelltes kai⸗ 
ferliches Privilegium befannt gemacht wurde, des 
Inhalts, daß binführo in Feiner Gtreitfache, welche 
unter 600 Rhein. Gulden in ber Hauptflage betrüge, 
von des Rathes Ausfprub je an Kaifer, Kammer: 


452 Ergängender Receß von 1557 


gericht oder ein andere Gericht ap p el lirt werden bürfe, 
wonach fich zu richten bey des Kaifers ſchwerer Ungnade 
und einer Strafe von 6o ME. loͤth. Goldes. Gegem dieſes, 
dem Rathe nicht zuftehende Vorrecht äufferten die Bürger 
den lauteſten Widerfpruchz in ben deshalb gepflogenen 
Unterhandlungen wurde endlich im J. 1557 ein neuer 
Receß aufgefegt, welcher zur Erganjung und Erör- 
terung des Testen vom Jahre 1548 für nothwendig er- 
achter wurde, und worinnen beffimmt ward: — ,, Das 
Privilegium wegen der Appellation kaum nicht eher für 
die Bürger geltend feyn, als bis Nach und Bürger 
ſchaft ſich deshalb verffandiger haben, es bleibe alfo 
fo lange verſchoben. Ferner; Da feit funfzehn Jabren 
eilfnahl der hundertſte Pfenning, auch andere große 
und ſchwere Beyffeuern gegeben und dennoch ein Ca- 
pitaf won 400,000 Mark aufgenommen worden, fo er- 
ſucht und begehrt die Buͤrgerſchaft, daß Nachweiß der 
Ausgaben geſchehe, um die Verwendung kennen zu lernen. 
Bevor der Rath Rechnung abgelegt hat, darf kein 
neues Geld erhoben werden.“ — 
In Folge des Paſſauer Vertrages, und noch mehr 
des 1555 geſchloſſenen Religionsfriedens war auch der 
langweilige Proceß des Dom⸗Capituls, in welchem 
waͤhrend des ſchmalkaldiſchen Krieges nichts hatte ge⸗ 
than werden koͤnnen, einer beſonderen Commiſſion zur 
Schlichtung übertragen worden, Noch immer beharre— 
ten die Domherren hartnaͤckig bey ihrer Widerfeglich- | 
keit gegen die Einführung der neuen Lehre und naͤhrten 
die thörichte Hoffnung, den Papismus zurückfuͤhren zu 
können, Als fie aber endlich faben, dag ihr Wider 


Beendigung des Streised mit dem Capitul. 453 _ 


fireben fruchtlos ſey, als fie beſonders durch ein fehr 
ernftliches Schreiben. des weile regierenden römijchen 
Königs, nachmaligen Kaifers Ferdinand, 1557 er⸗ 
mahnt wurden, durch friedliche Mittel Vereinigung zu 
ſuchen, legten ſie ſich zum Ziele. In dem zu Bremen 
1561 den 2. May geſchloſſenen Vergleich verſprachen 
fie, die. evangeliſch⸗lutheriſche Religion in ter. Stadt 
nicht weiter. zu hindern, aller geiſtlichen Gerichtsbar⸗ 
Zeit fich zu begeben, die Wahl der beyden Lertoren mit 
dem Rathe gemeinfihaftlich zu beforgen, „auch zu ger 
ſtatten, dag von den Memoriengeldern in ‚den. vier 
Pfarrkirchen zur Unterhaltung der Sch ulen und 
Defoldung der Lehrer 600, Mark behandiger würden; 
(St. Verris Schule 220 Mk. 12 $l., Gt. Nicolai 
220 Mi. 12.$l., St. Satharinen 127 Mk. 10 El, St. 
Jacobi 30 ME, 14 BL.) dagegen verfprach der Rath, 
die Domberven in allem Guten zu ſchuͤtzen und zu ſchir⸗ 
men, in die Gerichtsbarkeit über die zum Capitul ger 
börigen Feinen Eingriff zu thun und. daſſelbe fortwaͤh— 
vend im ungeflörten Genuß feiner Einkünfte und Pfruͤn— 
den verbleiben zu laſſen. Durch. diefen Vergleich war 
die Macht des Capituls gelahmt und deffen unmittelbare 
Einwirkung auf die innere, Berfaffung des Staates für 
immer vernichtet, 

Aber mit dem jetzt erfolgten Stefigiondfrieben trat 
zugleich für Hamburg. auch der Stand der Reich 
unmittelbarfeist wieder ein, der in der Erklärung 
Maximilians vom Jahre 1510 ausgefprochen, und durch 
die, ſeitdem erfolgten » Kriegsunruben und Hamburgs 
Anſchließen an den ſchmalkaldiſchen Bund in der Ver⸗ 


454 Die Hamburger ſuchen ihr ius restringendi 


pflichtung zwar Junterbrochen, ‚aber nicht aufgehoben 
worden mat, Die Auffoderungen zur BVeſchickung der 
Reichstage erfolgten aufs Neue, die Reichsſteuern wur⸗ 
den verlangt, wie von einer Stadt, die als Stand 
unmittelbar mit dem ganzen Reiche in Verbindung ſtehe. 
Die Konige Danemarks hatten ſchon früher gegen eine 
forche Befugniß Einſpruͤche gethan, aber ohne Wir 
fung: auch jeßt, im Sabre 1555, ben 5. November 
ji erfthienen holfteiniftbe Gefandte in Hamburg und foder— 
sen Erklärung, ob bie Stadt fich zum römifchen Reiche 
oder zum Haufe Holftein halten wolle? Die Antwort 
vermied indeflen geſchickt, daß eine Meynung daraus gefol⸗ 
gert werben Fonnte, 2 Doch bing dieſe Anfrage noch mit an— 
Deren Irrungen zuſammen, in welche zu der Zeit Ham⸗ 
burg nicht bloß mit Daͤnemark, ſondern auch mit an— 
deren Theilen verwickelt wurde. | 

Sich auf ein altes Privifegium des Raifers Fried: 
rich HI, von 1482) gründen, behanpteten die Ham— 
burger das Stapelrecht auf dem Elbſtrom, und 
verlangten , daß alle Staͤdte und Oerter, die vor dem 
Ausfluß der Elbe liegen ihre Waaren, insbeſondere 
das Getreide, nach hieſigem Markte bringen und daſelbſt 
zu einem Preife, den die Bürgermeifter und drey zuge— 
ordnete Bürger beffimmten, feil bieren follten. Sie 
nannten diefe Befugniß dag ius vestringendi und fins 
gen befonderg jetzt an, mit aller Strenge und Fefthals 
sung dieſelbe in Ausübung au bringen, Ihr Durch das 
Priviiegium nachgewie ſenes Recht unterſtuͤtzten fie durch 
Gründe, welche aus ber Sache genommen waren und 
Be verbienten, Auf ihre Gefahr, Unkoſten und mie 


Estapelrecht) zu behaupten. 455 


ihrer Muͤhe und Arbeit muͤßten ſie den Elbſtrom in die 
18 Meilen Weges lang vor Seeraͤubern ſichern: durch 
der Stade Fleiß und Unkoſten würde alle Jahre ein 
tiefer Fahrſtrom gefucht und Tonnen mit Stammen und 
Ketten befeſtigt, nach deren Weifung die Schiffer fich 
richten koͤnnten: wer die Beſchwerung trage, dem dürfe 
auch die Nusbarkeis nicht entzogen werden. Dem Rechte 
Anſehen zu verfchaffen, legten fe einige Boyer und 
Ever in die Elbe, melche die Schiffe, . die jenem Ber 
gehren entgegen vorbey fegeln wollten, einholten und 
in Beſchlag nahmen, So geſchah es 1555 Cim Febr.) 
mit den Stadern und Buxtehudern; auch gegen die 
Lüneburger führte man Klage, daß fie, ohne Abtrag 
des gebührenden Zolles vorbey führen; andere Korn— 
fchiffe, welche von Einwohnern der. Kremper⸗ und Wil: 
fter-Marfch nach Holland gefande wurden, brachten fie 
nach Hamburg auf und zogen die Ladung als verfallen 
ein. Auf einer Zufammenkunft zu Eftebrüg mit den 
Abgeordneten des Erzbiſchofs zu Bremen murde nichts 
ausgemacht und die Klage an den Kaifer, dann an die 
Landſtaͤnde Niederfachfend und endlich an das Kammer⸗ 
gericht verwieſen. Erſt im Jahre 1559 erneuerten die 
Hamburger mit ben Bremern einen alten Vertrag, daß 
fie jenen in der Abfuhr des Kornd, das unter. der 
Stadt bis. an die Elbe gewachfen und gekauft worden, 
nicht binderlich -feyn wollten, Der König von Däne: 

mark aber foderte auf verfchiedenen Zufammenfünften durch 
feine Gefandten Befreyung feiner Untertbanen von dies 
fer Befchwerde, oder Beweiß der Rechtsanfprüche durch 
Borzeigung der Freyheitsbriefe; er drohete zuletzt 


456 Der Friede mie Briedrich IL erhaͤlt ſich. 


(1556, den 4. Marz) in einem Schreiben aus Copen⸗ 
hagen mit firafender Vergeltung: doch ift niche befannt, 
daß bey feinem Leben noch weiter etwas in diefer Sache 
verfügt worden fey. Und als der Graf von Mannds 
feld 1557 (4, May) für die Wegnahme zweyer Schiffe 
Genugthuung verlangte, fandte man eine Anzahl Bes 
maffneter nach dem Zoflenfpifer, um mögliche Angriffe 
von diefer Seite ber abzumehren. 

Kaifer Carl V. flarb 1558, ben 2. R 
nachdem er vorher ſchon, den 24, Februar die Krone 
feinem Bruder Ferdinand übergeben hatte. Schon 
auf das nachfte Fahr wurde die Stade Hamburg auf 
den Reichstag zu Augsburg entboten, allmo den Ab» 
geordneten berfelden die Aufnahme in den Religionsfries 
den nochmals feyerlich zugefichert wurde: auch erfolgte 
unter dem 4. Marz die Beſtaͤtigung der früher verliches 
sen Stapelgerechtigkeit. Auch Chrifiiam IL König 
von Danemarf war am Schuß des vorigen: Jahres 
geſtorben und deffen Fraftiger Sohn Friedrich U. in 
der Regierung ihm gefolgt; die Herzogthuͤmer beherrſchte 
er gemeinfchaftlich mit feinen Bertern Hand und Adolph, 

Die danifchen Fürften eröffneten ihre Regierung mit eis 
nem wohl gerüfteren Angriff’ auf die Dit hmar ſchen, 
welche nicht nur in ihrem ſtolzen Srepheitsgefühl jede Uns 
terwerfung noch) verweigerten, fondern auch den Herzog 
Adolph perfönfich mie Schmach und Sport beleidigt 
hatten, Der Kampf: war heftig. und blutig und endete 
wie der Befiegung dieſes halsfkarrigen Volkes. Noch 
vor dem Ausbruch der Feindfeligfeiten entließ Friedrich 
aus feinem Feldlager (1559, den 19. May) ein Schreie 


Unter Chriſtian III. enefichen neue Irrungen. 457 


Ben an die Stade Hamburg, zu melden, daß zum 
Behuf des Feldzuges, der einzig nur den Dithmarſchen 
gelte, Schiffe die Elbe hinauf gefande werden mwirden, 
mie dem Begehren, diefe Schiffe, die der Stadt und den 
Kauffahrern Feine Kraͤnkung zuzufuͤgen Befehl hätten, 
nicht anzubalten, auch daß die Stadt, „als ein Glied 
des Herzogthums Holftein * ,. den Dithmarſchen weder 
Lebensmittel noch Rriegöbenirfiniffe ‚oder andere Amer 
ſtuͤtzung zukommen laffen möge, | 

Aber nur zu bald entfpannen fich ———— 
zwiſchen Hamburg und dem Könige, der raſches, feuri— 
ges Verfahren mehr liebte, «als fein friedlich gefinnter 
Borganger, Der Hamburger Auslieger hatte, dag alte 
Stapelrecht in Erinnerung zu bringen, ein frießifches 
‚Schiff, das mit Korn beladen von Dithmarfehen die 
Elbe hinab wollte, big in den Hafen von Brunsbürtel 
verfolge und nach Hamburg aufgebracht, Der König 
empfand dies fo ungnadig, daß er drohete, ein folcheg 
Berfahren durch Anhalten bamburgifcher Schiffe in 
feinen Hafen ahnden zu laſſen. Andere Befchwerden 
fanden ſich dazu: die Hamburger hätten gegen des 
Königs Berbor eine Menge Schwefel von Ißland aus: 
geführt; ein auf Ißland gefundenes Einhorn, welches 
der dafige Bifchof einem Hamburger geſchenkt, ſey in 
Brüffel für 500 #® verkauft worden, ohne da man 
ed dem Könige, in deffen Landen es gefinden, angetra: 
gen habe, Die Beleidigungen fehienen wichtig genug, 
daß die Hamburger Schiffe im Sunde angehalten und 
die Stade mir einem Angriffe bedroht wurde, falls fie 
nicht Die gebührende Genugthuung Darbrachte, Ahr 


458 Argwohn der Buͤrgerſchaft durch einen 


geordnete bes Raths begaben fich nach Segeberg, wo 
eben der König fich aufbiele, kurz darauf nach Line 
burg, wohin er fich zu einer Vermaͤhlungsfeyer begeben 
hatte, beydes, ohne vorgefaffen zu werden. Es fcheint zus 
gleich, als ob die Sache mit einer ängfilichen Heim lich— 
keit betrieben worden fey. Denn als den 17, Der, der Kath 
die Bürgerfchaft berief, bes Königs Ungnade ihr bekannt 
zu machen, auch ein Grabengeld verlangte, damit Wall 
und Mauern verbeffere werden fönnten: kam ihnen bie 
Sache bedenklich vor und fie argmöhnten gar, ber 
Rath und einige der Bürger möchten wohl heimlich mit 
dem Könige in einem Verftandniß feyn. Bevor genaue 
Rechenſchaft abgelegt fey, wollten fie fich zu nichts 
verfiehen. Inzwiſchen Tieß der Rath die Stadtgräben 
erweitern, fo wie dad Rundeel vor dem Gteinthor 
befeftigen, was mit zahlreicher Mannſchaft fobald: beför- 
dere wurde, Endlich gelang es im nachften Jahre 1562 
den 9. Januar der Beredſamkeit des Bürgermeifters 
Matthias Rheders, die Bürgerfihaft zur Bewil- 
figung der vorgebrachten Anforderungen zu bewegen, 
wogegen die Zufage der von den Bürgern vor⸗ 
gelegten Puncte den 3, Sehr. in einem abermaligen 
Receß verfichere wurde, Es gingen aber diefe Arti— 
fel dahin: | 

„Der Rath folle auf Eyd und Gewiſſen ausfagen, 
ob die Stadt gerechte Sache gegen den König 
babe, wie die Bürger fich denn der Unſchuld bewußt 
feyen. Demnach folle er unterfuchen, ob. einer unter 
ihnen oder der Bürger einer Rathſchlaͤge an unfere 
Widerwäartigen vermelder und der Stadt 


neuen Receß beſchwichtigt, 1562, 459 


Wohlfahrt werrachen babe? Auch den Predigern 
folle dieſe Frage vorgelegt werden, Wer fohuldig ber 
funden wuͤrde, folle, fang er im Rathe fige, aus 
demſelben aeftofen, und fofern er weiter zu fimchten 
ſey, gefanglich bewahrt, der Bürger aber mit der 
Halfte feines Gutes beftraft werden, Welche 
Rarbsperfon Beftechungen angenommen, ſolle nicht 
bloß des Rathes entſetzt, ſondern auch: zu vier 


fältiger Zur uͤckgabe fuͤr das gemeine Beſte ange⸗ 


halten werden, Keiner des Raths noch der Bürger 
folle durch ungeitige Furcht oder durch Beſoldung 
dem gemeinen Nuten ficb abwendig machen Taffen. 


Keiner folle in fremden Eyd oder Pfliche geben. Wer 


von ihnen vor fremden Gerichte fteben müffe, ſoll vom 
Rathe getreulich vertreten werden. Der Kath möge 
endlich alle dienlichen Mittel anwenden, die feftgebalter 
nen Schiffe und Güter zw befreyen. Sollte aber ber 
König auf gütfiche oder rechtliche Weife feinem Richter 
fich unterwerfen wollen, fo würden die Bürger dem 
Narbe in allem Beginnen benftehen und behuflich ſeyn.“ 
Man hatte inzwifchen um die Wermittelung ber 
Kurfürften von Sachen‘ und von Brandenburg und 


anderer Herren nachgefucht; die Stade felbft fihicfte 


abermahls Abgeordnete an den König nach Eopenhagen, 
two endlich den 4. May 1562 ein Vergleich zu Stande 
kam, nach welchem vorläufig die hbamburgifchen Schiffe 
nebſt Gütern und Leuten wieder frey ‚gegeben wurden, 
die weitere Entfiheidung der Streitfrage aber einem 
fchiedsrichterlichen Ausſpruch innerhalb zweyer Jahre 
überfaffen breiten follte,  Aufferdem mußten die 


460 Der Karh giebt die Verwaltung der 


Hamburger für die Ausſoͤhnung noch‘ 10,000 Rihlr.ere 
legen. Daß die Unterhandlungen nicht weiter vor fich 
gingen, verurfachten die Unruhen des im nächiten 
Jahre ausbrechenden Krieges zwifchen Briedrich IL, und 
dem König Erich XIV. von Schweden, im welchem 
Hamburg zwar die Theilnahme verweigerte, wiewohl 
Luͤbeck mit Daͤnemark gemeinfchaftliche Sache machte, 
aber nichts deſto weniger ſelbſt in einem Zuſtande ver⸗ 
blieb, welcher dem des Krieges aͤhnlicher war, als des 
zur Erholung und Beruhigung der — ſo a 
wendigen Friedens. 

Nicht nur am der Verſtaͤrkung der Feſt —— 
der Stadt wurde ununterbrochen fortgearbeitet, auch 
Kriegsſoͤldner mußten aufs Neue geworben werden, damit 
man vor ploͤtzlichem Ueberfall geſichert ſey. Eine alte 
Nachricht melder, die Stadt habe damahls drey Fahr 
nen Söldner im Dienſt gehabt, welche mir den Bir 
gern die Wache verſahen. Je mehr ſich dadurch Die 
Geldauflagen haͤuften, um fo gröffer blieb das Mißver- 
gnügen, daß der Rath trotz alles Foderns und Ber 
gehrens zu Feiner Rechnungsablegung zu bringen war, 
und erzeugte nichts als Neckereyen und Verdruß. Die 
" Berarhungen begannen deshalb aufs Neue feit dem 5; 
Aprit1563 und am roten geſchah es in einer langen, big 
zum Abend dauernden Sisung, daß man fich endlich 
überdie Verwaltung der Stadt: Ea fe dahin vereinigte, 
daß der Rath ganzlich darauf Verzicht leiſtete und Dier 
ſelbe der Buͤrgerſchaft übergab, Acht Männer wur 
den erwahlt, zween aus jedem Kirchfpiel, welche ſechs 
Jahre hindurch der Cämmerey unentgeldlich vorſtehen 


Stadt⸗Caſſe ab. Cämmerepbürger, 1553: 461 


follten, fo daß feiner derfelben in diefer Zeit zu Rathe 
gewählt, keiner, bey Verluft der Stadt Wohnung und 
gegen Erlegung des zehnten Pfennings beym Abzuge 
fich dieſes Amtes enrfihlagen fonnte, weshalb auch 
gleich bey der Wahl der erſten Achtmaͤnner einem ders 
felden, der von diefer Verwaltung befreyt zu bleiben 
wünfchte, folches Gefuch verweigerte wurde, Diefe acht 
Maͤnner wurden am 27. April in den Rath gefodert, 


und dafelbft, nachdem man ihnen die Schlüffel zu der 


Caͤmmereyſtube nebft dem Beſtands-Verzeichniß der 
Stadt: Einnahme und Ausgabe übergeben, in Eyd 
und Pflicht genommen, Die Zahl diefer Caͤmmerey⸗ 
Bürger flieg auf geben, als 1685, den 11. Way, 
St. Michaelis zum fünften Kirchfpiel der Stade erkläre 
wurde, Zu gleicher Zeit wurden im jenen Berathungen 
zwey Rarbsherren zu Bauherren und zwey Bürger 
au Baubürgern ernannt, damit fie durch gemeine 
fchaftliche Aufmerkfamkeie dafür forgteen, daß allent- 
halben die Graben, Waͤlle, Schlagbaume in guten 
Stand geſetzt und darin erhalten wirden. An die 
Stelle diefer traten fpäterhin Die Fortificationg« 
berren und Bürger, dader Bauhof fir fich befonderg 
eine neue Einrichtung erhielt. Eine Kalkruͤſe GKalkbrenn⸗ | 
ofen) war zwar ſchon 1527 vor dem damaligen Damm- 
thore von der Petri⸗Kirche angelegt worden: jetzt ers 
richtete man von Staatswegen einen befondern Kalk⸗ 
hof auf dem Plage, unten am Fleet der hollaͤndiſchen 
Reihe, der nun mie Haufern beſetzt noch jegt der alıe 
Kalkhof genannt wird: Noch bewilligte die Dür- 
geriihaft ein drepfaches Grabengeld, die Masten von 


2 
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* 





462 Neue Verſuche des Königs Chriſtian III. 


jedem Biere 2 Mk. 8 61., von jedem Faß Roggen 
Bf, von Einer Tonne Bier 8ßl. auf neue ſechs Jahre. 
So führten auch hier Verwirrung und Unfriede zu 
ordnendem Aufbau und zu froͤhlicherem Gedeihen des 
Ganzen, wie immer geſchieht, wenn bie ſtreitenden 
Theile ihren Eigenwillen dem Sinne, der auf das Ge— 
meinwohl ſieht, unterordnen wollen; 

Der Krieg des Königs Friedrich gegen Schweden 
. mochte Geldnoth verurſachen; auch ſchien es rathſam, 
die Streitſache mit Hamburg nicht ſchlafen zu laſſen: 
denn beveicd im Jahre 1564 den 24. Dec, gelangte 
das Fönigliche Begehren an die Stadt, auf dem nach 
fen Kieler Umfchlag 30000 Thaler zu bezahlen, welche 
er zur Ausſteuer feiner Schwefter dem Herzog von Lüneburg 
verfprochen hatte ; im Weigerungsfalle werde er ihre Schif⸗ 
fahre und ihren Handel in feinem Sande verbieten, Das De 
gehren wurde ſodann in eine Anleihe von 100000 Thaler 
gegen Berzinfung verwandelt, wofür er 10 feiner Hafen 
den hamburgiſchen Schiffen öffnen wolle. Dazwiſchen 
kom die Aufforderung des Kaiſers zur Türke nhuͤlfe im 
nächften Jahre 1566, die eben ſowohl an die Stadt 
Hamburg, als an die Herzoge von Holfkein und 
Schleswig entfaffen wurde. Der König und die Her 
soge verlangten dagegen von Hamburg dieſe Steuer 
als einen Theil des B eytrages, den fie im Nahen 
des Herzogthums zu leiſten harten. Auch foderten fit, 
um nichts halb zu ihun, unter ernſter Bedrohung bie 
Stadt zur Erbhul digumg auf, und berahmten ben 
8. Sept, zur endlichen Erklärung. Die Rechtsſtreitig⸗ 
keit war ſeit dem Religionsfrieden beym Kammergericht 


* 


gegen die Reichsſtandſchaft Hamburgs, 463- 


anhaͤngig, jetzt griff Kaiſer Maximilian II, durch, 
er ließ 1566 den 26. Auguſt ein Verbot vergeben, im 
welchem dem holſteiniſchen Randesherren jedes weitere 
Berfahren gegen Hamburg, während die Ereiittiong- 
fache beym Kammergerichte anhangig ſey, bey Strafe 
von 50 Mark Törhigen Goldes unterfage wurde. Ein 
gleiches Gebot erging an die Stadt, daß fie’ ich ſol⸗ 
chen Anfodenungen gemaß bezeige und zur verlangten 
Erbhuldigung auf Feine’ Werfe fich verftebe, Abermahls 
alfo an die Entfcheidung des Rechts verwiefen, benutzte 
Herzog WdoIph im Jahre 1570 feinen Aufenthalt in 
Heidelberg, durch feinen Canzler Adam Thraciger und 
den ihm beygegebenen Procurator D, Remminger in 
Speyer ſelbſt, wo eben der Kaifer eine Reichsverſamm⸗— 
fung hielt, die Sachen zu feinen Gunften zur Entſchei⸗ 
dung zu bringen. Die: Beweißführung des D, Net 
minger, dag Hamburg auf holſteiniſchem Boden Tiege, 
feie Jahrhunderten dem holſteiniſchen Haufe unterthaͤnig 
ſey / demfelsen feine vornehinften Freyheiten zu danken 
babe, das holſteiniſche Wappen, das Neſſelblatt, im 
Stadtfiegel führe u. dgl. wurde, ſo geſchickt fie aufs 
geftelle fehien, dennoch von den bamburgifchen Abgeord⸗ 
neten fo zuruͤckgewieſen, daß nochmahls die Entſchei⸗ 
dung der Sache verſchoben blieb, Ein paar Jahre 
fpäter, 1573, verfuchten die dreifter gewordene Ham? 
burger aufs Neue, ihr beftrierenes Recht, zur Einfchran? 
fung der Rornausfuhr, gegen einige Schiffe aus der 
Kremper Marſch im Ausübung zw bringen? aber der 
Berfuch wurde mie ſtrenger Vergeltung beantwortet, 
Der König Tief im Sunde, zu Bergen in Norwegen, 
: 30 


. * 


464 Geld muß den König verföhnen.. 


in anderen Hafen,: an 30 Echiffe der Hamburger an- 
halten - und verfchloß feine Lander der Handel der 
Stade. Luͤbeck wurde 1575 von den Hamburgern ans 
geiprochen, den König zur Nachgiebigkeit zu bewegen : 
aber die Antwort lautete kalt und ablehnend. Erſt im 
Jahre 1579 ward die Sereitfache durch Vermittelung 
des Rurfürfien von Sachfen und des. Herzogs Ulrich von 
Mecklenburg durch den Flensburger Vertrag. beygelegt, 
fo daß der König die angehaltenen Schiffe „unentgeld⸗ 
lich“ freygab und die alten Privilegien beſtaͤtigte, die 
Hamburger dagegen: ‚zum Beweiſe ihrer Dankbarkeit“ 
die Summe von 100,000. Joachimsthalern innerhalb 
fünf Jahren zu zahlen ſich verſtehen und den Einwohs 
nern der Kremper- und Bilftermarfch in Anfehung der 
Kornaugfuhr gleiches; Recht mit ihnen verftatten muß- 
ten, Die weitere Unterſuchung, in wie fern die Anz 
ſpruͤche Hamburg's auf ihr angemaßtes Vorrecht 
auf der Elbe gegruͤndet oder erweislich ſeyen, hatte 
auf einer Verſammlung, welche im naͤchſten Jahre 
1580 3 Kiel ſtatt fand, erörtert werden ſollen: aber 
tagelanges Hinz und Herreden diente nur dazu, theils 
die Sache noch mehr zu verwirren, theils friſchkeimen— 
dem Unkraut durch die Umruͤttelung des leidigen Strei—⸗ 
tes Luft: zu uͤppigerem Aufſproſſen zu verſchaffen. Auch 
die Erbhuldigung wurde bey dieſer Gelegenheit noch« 
mals in Anregung gebracht, und man pflog noch daruͤber 
Berbandlungen, als Friedrich Il.,..fie zu em⸗ 
pfangen, durch Abrufung des Todes behindert: wurde, 
(1588.) Das waren. im’ dieſem Jahrhunderte die Vor⸗ 
ſpiele zu den gewaltſameren Angriffen, mie welchen in 


% 


Noch einige Jünger des Fauftreches gegen H. 463 


in der Folge die Frevheit und Unabhaͤngigkeit der 
Stade von der Krone Dänemarks bedrohet wurde. 

Es war aber nicht bloß Dänemark, gegen wel⸗ 
ches Hamburg nach und nach in fo feindliche Stellung 
gerierb; es ward auch von feinen näheren Nachbarn auf 
verfcbiedene Weife in feinen Gerechtſamen gefrante und 


bedrohet. Nahmentlich ließ der Fuͤrſt won Haarburg 
ſchon 1558 (im Juny) einen Graben aufwerfen, wel⸗ 


cher der Motgburg ſo nahe war, daß er den Hamburgern 
ſchaͤdlich ſchien. 400 Mann mit Waffen, Spaden und 
Schaufeln verſehen, warfen den Graben wieder fur, 
Einige Jahre ſpaͤter (1564, den 20. Oct.) wurde der 
Verſuch erneuert, fo daß die Hamburger ſich genörhige 
faben, einige mit Mannfchaft wohlverfehene Ever aus— 
zulegen und die Leute des Fürften mie Gewalt zuriick zu 
jagen, Ein Junfer Thomas Grete lief (1564) zu Still—⸗ 
born Pfale in die Elbe einrammen,; welche dem Strome 
Nachtheil brachten: auch bier mußte mic bewaffneter 
Hand Abwehr geſchehen. Sotcher Muchwille, der von 
der Zeit des Fauftrechts fich noch vererbe hatte, be 
wog ohne Zweifel die Hamburger, den Schutz des Rei: 
ches aufzufodern, und fo ertbeilte Marimilian IR 
im Jahre: 1569 (6. Auguft) der Stadt ein eigenes Pri⸗ 


vilegium, daß die Gemeinde und jeder Einwohner derfeiben 


mit feinen Gütern oder feiner »Berfon „durch Arrefk, 
Kummer , Repreffelien oder andere unordentliche Mittel 
weder zu. Waller noch iu Lande, befonders auf dem 
freven Elbſtrome angegriffen, aufgehalten oder befchwert 
werden dürfe,‘ ſondern nur dei. Weg des Rechtes er— 
laubt jey, bey Strafe don oo ME, Törhigen Goldes 


iR 


466; Verhaͤltniß der Stadt zur Hanſe, 


wer dagegen handle. Eine andere Streitigkeit, in welche 
ſich die beyden Städte Hamburg und Lüberf über den Be⸗ 
fig des Sachfenwalnes mit den Herzogen ' von 
Lauenburg verwickelt jaben, ward als Proceßſache im 
Sabre 1549 bey dem Kammergericht anhangig gemacht, 
entiponn ſich aber in Weitlaufigkeiten, die wer Ent: 
—— noch weit hinausſchoben. 
Beſondere Aufmerkfamkeit verdient, wie in — 
unruhevollen Jahrhunderte, in welchem go viele alte 
Einrichtungen zertrummert, zu neuen der friſche Grund 
gelege wurde, die Stade Hamburg fowohl in ihrem 
Berbaltniffe zur Hanfe fich gehalten, als auch für ſich 
ſelbſtaͤndig in ihrer Handlungsthätigkeir, der eigentlis 
chen Seele ihres Lebens. und Wohlſeyns, zw größerer 
Bedeutenbeit fich entwickelt babe. Wie der hanſeati⸗ 
ſche Bund ſchon in feinem Fraftigeren Aufleben eines fee 
ſten und ficheren Vereinigungspunctes entbehrer babe, 
iſt in der früheren Erzählung bemerfe worden. Die 
Haupter deſſelben vermochten eine höhere Anficht nicht 
zu faffen und verfaumten, was zur Zeit der allgemei- 
nen Verwirrung und der eben erft auffeimenden Ord⸗ 
mung ber Dinge möglich geweſen ware, den Staͤdtebund 
ju einem republifanifchen Gemeinwefen zu erheben, daß 
er als eine geſchloſſene Wache in der Reihe der übrigen 
fich hätte bleibend zeigen können, Wie loſe und locker 
die Fugen des Vereins auch früher ſchon gemefen wa’ 
ren, fie loͤſeten ſich bey der jegigen Umgeſtaltung der 
Dinge imnier weiter aus einander, Die wilde Rohheit 
und Gewalt, die Unſicherheit zu Waffer und zu Lande 
batte die Vereinigung zu gemeinfchaftlicher Vertheidi⸗ 
| * 2 


die allmaͤhlig ihrer Auflsſung fich naher. 674 


gung herbeygefuͤhrt: dieſe Uebel fingen allmablig am, 
der fittlicheren Menfchtichkeit zu meichen und die we⸗ 
ſentlichſte Bedingung hoͤrte ſomit auf. Die Fuͤrſten und 
Könige waren mächtiger geworden, eine neue Art des 
Krieges wurde berrfchend, lebende Heere und Flotten 
machten die, in deren Dieniten fie fanden, furchtbar: 
ein Kampf gegen fie war ebem fo koſtſpielig als nach 
theilig. Die Freybeiten und Begünftigungen, welche 
früher die Jaͤrſten den Hanfen bewilligee hatten, da fie 
ihren eigenen Vortheil dabey fanden, mandten fie 
jest Billiger und fich zurraglicher ihren eigenen 
Untertbanen zw; Rechte aber, fo man in der 
Noth zugeftanden; hören auf, wo die Gewalt ber 
Berpflichtung fich zu entäuffern im Stande ift. So fanf 
der Einfluß der Hanfe zuerſt da am meiften, wo er 
früberhin am mächtigiten gewefen war, in den nordi- 
fchen Reichen, feitdem diefe durch weiſe Verwaltung 
ihrer Beherrſcher an innerer Kraft gewonnen hatten 
und auf das wahre Verhaͤltniß ihres eigenen Wohls 
geführe worden: waren. Unter den Hanſeſtaͤdten 
ſelbſt war, fo wie feine Einheit der Verfaſſung, ſo 
feine Zufammenftimmung im dem, mag zu gemeinem 
Nugen dienen Fonnte: jede Stade verfolgte ihren eine 
nen Vortheil, um die anderen unbefümmert. Die fleir _ 
neren Städte befonders hatten von dem Bunde feinen 
Nugen mehr, feitdem fie den Schutz, den fie früher 
durch treues Zuhalten an die machtigeren Schweſtern 
gefunden, unter der Obhut ihrer Fürften firchen fonn: 
ten ; welche jediwede Gelegenheit benugten , Diefelken an 
fich zu ziehen und unterwürfiger gu machen. So murde 


* 


468 Weiſes Benehmen ‘der Hamburger 


Salzwedel (1554) aus dem Bunde entlaffen, weil es 
als eine markifche Stadt: wegen des dem Markgrafen 
ſchuldigen Gehorſams den banfifchen Beſchlüſſen und 
Verordnungen nicht gemäß handeln koͤnne. Andere 
folgten demſelben Beyſpiel. Im Jahre 1550 bereits 
war die Zahl der hanſiſchen Staͤdte von 85 auf 
66 herabgeſchmolzen, und drey Sabre ſpaͤter waren nur 
noch 63 verbunden, Die Comtoiteim Auslande zerfielen zum 
Theil, entweder durch fehlechte Verwaltung, oder: Durch 
Bedruͤckung der Landesherren, oder durch Mangel an 
gemeinfamer Theilnehme und Anterflügung; ſelbſt ei— 
nige der angefebenften Bundesfkädte ungingen die han— 
fifchen Zölle und Verpflichtungen und fuchten einzeln 
das eigene Beſte zu befürdern, Der Handel der Aug: 
ander, vornehmlich Der Niederlander und Englander, 
wurde freyer und bluͤhender und verbreitete füch nach 
einzelnen Laͤndern in folcher Starfe, daß die Hanfenten 
ihn abzuwehren und zu — ur mebr im 
Stande waren, 

Die Hamburger basıen fruͤhzeitig, theils won der 
Noth, theiid durch beſonnene Meberfegung auf den 
rechten Weg gemiefen, die weiferen Maaßregeln erarif: 
fen, weiche Zeit und Umſtaͤnde dem Haren Blicke vor: 
geigten.. Sie hatten in ſchweren Zeiten allein fiehen 
miüffen, in ihren Anfoderungen um Beyſtand nicht ges 
höre; fe waren fie durch die Erfahrung ſelbſt dahin 
gewiefen worden, was für fie am erſprießlichſten ſey. 
Bey dem ungluͤcklichen Ausgange, welchen der ſchmal⸗ 
kaldiſche Krieg nahm, wandten fie ſich im ihrer Ber 
brangniß (13547) auch an ihre verwandten Freunde der 


in hanſeatiſchen Angelegenheiten. 469 


wendiſchen Staͤdte, aber ohne einige Huͤlfe zu finden, 
weshalb fie ſchon damahls erklaͤrten, „daß die hanſiſche 
Verbindung keinen Deut werrh ſey.“ Als daher 
mehrere am ber Elbe belegenen Städte ſich über die 
Beſchraͤnkung ihrer Schifffahrt auf diefem Strome be: 
Elagten, welche fie von den Hamburgern erfahren müß- 
ten, erklärten dieſe, etwas empfindlich: jene Staͤdte 
bästen ibrer Stadt mehrere Fürften auf den Hals ge 
ſchickt, vor welchen die Sache nun anhangig ſey; nicht 
die Hanfe, fondern das Reichs + Rammergericht möge 
fie num enticheiden. Lübeck bor feine legten Krafte auf, 
um die nordifchen Reiche, wenn irgend möglich, nieder 
zu halten, oder doch die alten Begünftigungen des 
Handels daſelbſt zu retten: aber es war eim vereinzel- 
ter Kampf, an dem die Geſamtmacht des Bundes Fei- 
nen Theil mehr nahm, fo wie die übrigen Stadte auch zu 
den Vortheilen nicht  zugelaflen wurden, die Lübesf 
etwa für fich noch auf einzelne Zeiten erfampfen Fonnte, 
Gegem Erich XI V., welchen die hanfifchen Privilegien 
aufhoß, : verband ſich Luͤbeck «mit Friedrich Il. 
von Dänemark. Jedoch die geringen Vortheile, die fie 
fich durch blutige Treffen: erfämpften, maren der Au: 
firengung nicht werth, und wogen die Zerrüttung der 
Finanzen nicht auf,’ in welche die Stadt dadurch ge: 
rieth. Des Erichs Nachfolger,» Johann TIL be 
willigte den Luͤbeckern die: freye Schifffahre nach Narva, 
aber zwey Jahre nachher ward auch Diefe, wieder ver: 
boten, und wahrend die übrigen Hanfeftadte den Han: 


del dabim fortfeßten, wurden. den Luͤbeckern ihre Schiffe 


angehalten und weggenommen. Die ſtolze Hauptſtadt 


% 


K 


470 Sinfen des banfifchen Handeld in den 


des einſt fo mächtigen Bundes mußte fich herablaſſen, 
die gnaͤdigſte Unterflügung bes daͤniſchen Königs am 
zufleben, und um. die Bermittelung bes Reichs zu berteln: 
es war ein anderes Leben in den Verfaffungen der 
Staaten, die Zeit war umgemälze, vergeblich firaubren 
fie: ſich gegen die Ueberzeugung, daß bie vorige Drd- 
ung, die nur in der Unordnung den Grund ihres 
Daſeyns gefunden, noch jet fich Ianger erhalten könne. 
In den Niederlanden war nach langen Berhand- 
lungen und Zwifkigfeiten das hanſeatiſche Comtoir end- 
lich von Brügge weg nach Antwerpen verlegt und da- 
ſelbſt mit einem groffen KRoftenaufwand ein neues Re- 
ſidenzhaus erbauee worden, Aber theilg die Streitig- 
keiten des Koͤnigs Philipp LI. gegen Elifaberh von Engs 
land veranlaßten Verbote, welche einen nachtheifigen 
Einfluß. auf die von dore aus nach jenen Lan: 
dern verkehrenden Hanfen hatten, noch mehr aber ſcha— 
‚beten die Religionsunruhen, welche in den Nieberlan- 
den zu Philipp's IT, Zeit gerade da gefährlich ausbra— 
then, ald men noch mit der Einrichtung der Reſidenz 
zu Antwerpen beſchaͤftigt war. Beyde q | ‚Die 
Aufruͤhrer und die fpanifche Regierung ſtoͤrten den Han⸗ 
del, da keine einen Verkehr derſelben mit den Gegnern 
geſtatten wollte, Es wurde ſpaͤterhin aͤngſtlich ſogar um 
Herbeyſchaffung von Mitteln unterhandelt, daß nur 
das Beſtehen des Comtoirs gerettet werden koͤnnte. 
Das Comtoir in London blühete, trotz vorüberge- 
hender Störungen und Anordnungen, big auf Edun rd8 
VE Zeiten. Die hanſtſchen Freyheiten, wenn auch zu⸗ 
weilen angesriffen , blieben beftatigt, befonders der alte 


/ 





* 


w 


Niederlanden, deſſen Befchrankung in England. 471 


geringe Zoll key der Ein? und Ausfuhr: wogegen den 
englifchen Kaufleuten: noch keinesweges ein fo priviles 
girter Verkehr in den Hanſeſtaͤdten bewilliget mar. 
Aber ſchon Eduard VI, nahm ihnen feit 1552 alle Frey: 
‚heiten zuruͤck, und fegte fie aufgleichen Fuß mit den übrigen 
Fremden: und wenn ſchon unter deffen Nachfolgerin Maria, 
die in allem die ihrem Vorgänger entgegengefesten Regie 
rungsgrundiage befolgte, die alte Begünftigung: wieder 
eintrat, fo war doch auch diefe nur voruͤbergehend. Die 
Geſellſchaft der englifchen Kaufleute, die unter den 
Nahmen der Adveneurier befanne iſt, ſah fich mic 
Berdruß den Hanfem nachgeſetzt. Die Beſchwerden 
wurden bey der Königin fo Tange erneuert, bis aber: 
mahls eine Bejchranfung des hanfeatifchen Handels. er: 
folgte, Es war am 23. Maͤrz 1555, »ald der Older⸗ 
mann und Kaufmannsrarh der Deutſchen zu London 
vor dem geheimen Nach der Königin gefodert und mit . 
‚den. Gründen befannt gemacht wurde, welche das Ber: 
bor der Ausfuhr der engfifchen Tücher nach den: Nieder: 
landen, nach anderen Orten aber eine wur bedingte Erlaub⸗ 
niß zur Folge hatten. Unter jenen Gründen war auch. die 
Kiage der, Adventurier: „Daß die Deutſchen fich in 
ben Belig des: Verkehrs zwiſchen England und: den 
Niederfanden geſetzt, die Englander aber zum Behuf 
ihres Verkehrs mit den. Hochdeuefchen auf eine einzige 
Stade (Antwerpen) beſchraͤnkt harten; dazu Fame jetzt, 
daß ſie, Die Deutſchen, ſelbſt eine Niederlageengli- 
ſcher Güter zu Hamburg fuͤr die Hochdeutſchen 
errichtet haͤtten, welche dieſen weit bequemer liege, als 
Antwerpen, ſo daß die Oberdeutſchen nicht mehr. nach 


472 Die Hamburger ziehen die englifchen Kaufleute 


den Niederlanden kaͤmen, vielmehr die englifchen Tuͤ— 
cher, welche weiß und unbereitee nach Hamburg ge 
bracht umd Dafelbft gefarbe und weiter bereiter 
würden, von da über Leipzig begögen.’ Als Eli: 
faberh den Thron beftieg, (1558) machten die Han— 
feffadte einen neuen Berfuch zur Wiedererlangung ihrer 
alten Vorrechte, Aber die Königin hielt fie mir freund: 
lichen Worten hin, bewilligte ihre Foderungen nicht, 
nm die Hälfte der Zölle, welche die übrigen gaben, 
entließ fie ihnen, befchranfte aber fogar die Ausfuhr 
der weißen Tücher umter diefen erhoͤheten Zoͤllen auf 
5000 Stück, und verlangte für ihre Unterthanen gleich 
freyen Einkauf und Verkauf in den Hanfeftadten, dem 
Utrechter Vertrage zufolge, mit der Drohung, daß fie im 
entgegengefegten Fall in der Zollabgabe durchaus den übris 
gen Fremden gleich gefest werden follten, Die Hanſeſtaͤdte 
wandten ſich nun an den Kaifer, um die Erfahrung zu mas 
chen, daß von dem Tangfamen Reichsgange für fie 
ſchwerlich etwas zu hoffen fey, * 

Seit dem Utrechter Vertrage war es den engliſchen 
Kaufleuten trotz aller Hinderniſſe, welche ihnen von den 
Hanſen in den Weg gelegt wurden, doch endlich ge— 
lungen, in Antwerpen eine feſte Niederlage zu gewin— 
nen, zu nicht geringer Befoͤrderung ihres Verkehrs 
mit den Niederlanden ſelbſt und mit dem inneren Deutſch⸗ 
land. Aber die Streitigkeiten, in welche die Koͤnigin 
Eliſabeth mit Spanien verwickelt ward, hatten zur 
Folge, daß dieſe engliſchen Kaufleute, man nannte ſie 
immer noch mit dem alten Nahmen Ädventuriers, 
die Längff von Abenteuern zu geordnetem Verkehr fich 


(Adventurier) in ihre Stadt, feit 1567. 473 


gewandt hatten ; auf Befehl des Herzogs von Alba, 
die Niederfande meiden mußten, und da ihnen von den 
Hanfen eine freye, privilegirte Aufnahme verweigert 
ward, mandten fie ſich nach Emden, welche Stadt 
mwohlbelegen, mit einem guten: Hafen verfeben und ob⸗ 
ſchon früher Hanſeſtadt, doch jege ans dem Bunde ge: 
‚treten und den Statuten deffelben nicht mehr unter: 
worfen war, Dieß gefibah im Sabre 1563 oder 1564, 
Bald zog ſich ein lebhafter Verkehr bieher, und die 
Hamburger, die bereitd im Handel mie englifchen Tuͤ— 
chern fehr bedentende Gefthäfte machten, müßten un: 
gern wahrnehmen, daß diefer Erwerbszweig in andere 
Hände übergeben ſollte. Deßhalb-zogen fie vor, jene 
Kaufleute in ihren eigenen Ringmauern aufjunehmen, 
während diefen ferbft der bamburgifche Marke zum 
Umſatz ihrer Güter bequemer ſchien. Schon gegen das 
Jahr 1566 begaben fich alfo dieſe Adventurier - nach 
Hamburg; es wurde 1567 ein fürmlicher Vertrag ges 
fchloffen auf zehn Jahre, im welchem den Engländern 
die Aus⸗ und Einfuhr gegen einen geringen Zoll, mit 
‚Ausnahme einiger Güter, frey geſtattet wurde; man 
wieß ihnen eine privifegirte Reſidenz an, die engli— 
ſche Court in der Gröningerftraße, geſtand ihnen 
einen eigenen aus ihrer Mitte gemahlten Vorſteher zu, 
einen Conrtmeifter, und that bereitwillig Alles, was 
zu ihrer bequemeren Einrichtung irgend dienlich ſeyn 
"konnte, Allerdings war dieß Verfahren eigenmachtig 
und Verrath an der hanfifchen Majeftät : aber die Ham: 
burger hatten fich feit Kahrzehenden bereits zu Tebendig 
überzeugt von dem Berfall des Bundes, von deifen 


474 Hamburg wird gegmungen, nach 10 Jahren 


Ohnmacht, deffen fruchtlofem Streben, fich zur alten 
DBedeutenheit wieder zu, erheben und handelten in diefer 
Sache, wie e8 der Foderung der Zeit, dem Wohl deg 
‚eigenen Staates, der Hoffnung für die Zukunft am anz 
gemeſſenſten zu ſeyn ſchien. 

‚Nicht fo billig und zeitgemaͤß beurtheilten die uͤbri⸗ 
‚gen Hanfen die Maßregeln der Hamburger; auf der 
Tagfahre zu Luͤbeck 1572 führte man die bieterften 
Klagen gegen fie, daß fie mit diefem Schritt die Ber 
nichtung des ganzen englifiben Handels begonnen haͤt⸗ 
ten: und wie Far und bündig auch die Hamburger die 
Sache auseinander feßten, obſchon fie auf die Bedingungen 
des Utrechter Vertrages aufmerffam machten, obſchon 
fie vor den nachtheiligen Folgen warnten, welche der 
Ausſchluß der englifchen Raufleute für die Stadte her- 
beyführen würde; Hamburg wurde aleichmohl gezwun— 
gen, feibft durch Befehl des Kaifers gezwungen, nach 
Ablauf der zehen Vertragsjahre die Engländer aus fei- 
nen Ningmauern zu meifen. Man fuchte durch Bor: 
ſtellungen die Ausführung diefes Beſchluͤſſes hinzuhal— 
ten, um vielleicht zu WVermittelungen zu gelangen; ver: 
gebens! die Königin von England bewieß im Anfange 
eine bemundernsmwärdige Milde und Langmuth, ver 
fuchte Ernft und Güte zugleich, die Hanfen auf beffere 
Gefinnung zw bringen: vergebens Weitſchweifige 
Schreiben und Gegenvorftellungen behelligten fie bis 
zum Ueberdruß, daß fie endlich erffarte, dieſen Stein 
des Siſyphus nicht fürder waͤlzen zu wollen und Ge: 
genmasßregeln anmwandte, welche für die Hanfefladte 
yon den empfindlichften Folgen waren, Zur Schlich— 


d 


a 


die engliſchen Kaufleute wieder zu enefernen. 475° 


gung der Angefegenbeit waren die drey Städte Bremen, 
Hamburg und Luͤbeck beftellt worden: Bremen war lau 
und laͤſſig in allem, was England betraf, Luͤbeck ver 
folgte mie Strenge das Alte Gefeg, feſt auf den Ger 
rechtſamen der früheren‘ Jahrhunderte zu beharren: 
Hamburg allein fah rein und weltklug: „Zudeme fo hat 
es jego mit den Kunigreichen Engellande, mie mit ans 
dern Kunigreichen , mehr viel eine andere Geſtalt, alfo 
eß vor zwey oder drey hundert Jaren gehabt hat.‘ 
Aber es konnte in diefem Streite mir der befferen Mey 
nung nicht zum Siege gelangen. Die verwiefenen englifcben 
Kauffeute harten ſich inzwifchen wieder nach Emden ger - 
wandte und daſelbſt von dem regierenden Herzoge vou 
Oſtfrießland, Edzard, gute Aufnahme gefunden, “Aber 
auch dagegen beſchwerten fich die Städte bey dem deur- 
ſchen Kaifer und 'wirkten von demfelben Befehle auf, 
daß der Herzog von Oſtfrießland diefe Leite aus ſei⸗ 
nem Lande entfernen und den mit ihnen gefchloffenen 
Bertrag vernichten ſollte. Jene hatten indeſſen noch 
an anderen Orten ſich Anſiedelung zu verſchaffen ge 
wußt, in Elbingen, an mehreren Orten in Livland, ſelbſt 
in Nuͤrnberg harten fie um eine Reſidenz geworben, 
Die Königin ergriff firenge, feharf wirkende Maafre 
geln, die immer die rechte Zeit und die empfindlichſte 
Seite trafen; bey den befchrankenden Verboten Fam das 
banfifche Comtoir ſelbſt in’ London fo tief herunter, 
daß es zum Verkauf feines Silbergeraͤthes ſchreiten 
mußte: aber zu einer Ausgleichung gelangte man nicht, 
da Wille und Anſichten ſich ſchnurſtraks entgegen waren. 

Dan batte in Hamburg ſelbſt die Engländer zum Theil 


406 Die Hauſen werden zut Vergeltung 


wieber zugelaffen, daman den Ernft der Hanſe nicht fuͤrch⸗ 
ten zu muͤſſen glaubte, die Quelle der Nahrung aber nicht 
anderen gerne zufließen laſſen wollte. Da indeſſen um 
ber verwandten Städte willen Hamburg auf Wieder⸗ 
herfiellung der gefoderten alten Privilegien: mit dringen 
mußte, verließen die Engländer abermahls die Stade, 
(1587 im Auguſt) und begaben ſich nach Stade, 
wo fie mit offenen Armen empfangen wurden, und fo 
viele Beguͤnſtiguugen und Vortheile erhielten, als die 
Hanſen je In anderen Ländern ſich zu verſchaffen gewußt 
hatten, Das herabgekommene Staͤdtchen bluͤhte von neuem 
Wohlſtande herrlich wieder auf, die Einwohner lebten 
mit den Englaͤndern in ſchoͤnſter Eintracht und beantworte⸗ 
ten die Anfoderungen der Hanſe, die Fremdlinge nicht 
zu dulden, damit, daß fie ſelbſt von dem Bunde wenig 
mehr noch wuͤßten, denn. die Geldbeytraͤge, die fie 
nutzlos an venjelben gegeben hatten, Die Städte rubes 
gen. indeflen nicht eher, als bis eine Faiferliche Ver 
fügung erſchien, (1597. den 2. Auguſt) nach welcher 
alle unter dem Rahmen der engliſchen Adventurier in 
Deutſchland anweſende Kaufleute aus dem Lande zu 
weiſen geboten wurde. Das Gebot mußte vollzogen 
werden; aber die gereizte Koͤnigin blieb nichts ſchuldig. 
Unbilden wurden mit Unbilden ermiedert. Während des 
‚Krieges mis Spanien ließ fie (1598) einige 60 mit 
Korn und Kriegsvebürfniffen nach Liffaben und ‚Cadir 
beladene Schiffe der Hanfeaten aufbiingen, In dem— 
felben Jahre ward den Hanfeaten in London angezeigt, 
daß fie aus England verwieſen werden follten, und 
obfchon ſie aus dem Reiche nicht ganz zu weichen gegmungen 


aus ihrem Comtoir (Gildhall) zu London gewieſen. 477 


wurden , geſchah doch am 4. Auguft die Anzeige, daß 
fie London räumen follten, und da fie ſich niche gut— 
willig zufinden wollten, drohete ihnen der Mayor mit 
den Conſtablen. „Hierauf — meldete das Comtoir von 
Luͤbeck — feine wir enttlichen, weill es Immer ans 
ders nicht fein muͤgen, mit betruͤbniß unſers gemuͤtts, 
der Oldermann voran, und wir andern hernacher zur 
Pforte hinauß gegaugen, vnd iſt die Pforte nach vns 
zugeſchloſſen worden, baben auch die Nacht nicht das 
rinn wohnen mögen. Gott erbarm es!“ — Solche 
Strenge brachte endlich mildere Entſchluͤſſe zum Reifen 
und man bequemte ſich in den folgenden Jahren, was 
man zu hintertreiben ſich zu ohnmaͤchtig fuͤhlte, zu 
möglicher Benutzung der etwa ſich noch ergebenden 
Bortheile weiter zu geſtatten. Davon wird im Nachs 
fien die Rede ſeyn. | | 

So viel erbellee bis jeßt, daß die Weisheit der 
bamburgifchen Kaufleute, indem fie die Verhaͤltniſſe 
der Hanfe mit ruhigem Blicke überfchaueren und die 
unvermeidlichen Folgen im gegenmwartigen Zufammen: 
bange der Staaten mir Scharfblid berechneten, zur 
vechten Zeit die Wege ſuchten, auf welchen bleibend 
der Weltverkehr fir fie erhalten werden könne, Wenn 
auf der einen Seite Stocfungen im Handel eintraten, 
öffneten fie neue Hülfgquellen auf andere Weifes nur 
der eine Grundſatz blieb geltend fir alle Beränderungen, 
daß allein auf Nechrlichkeie und Ordnungsliebe dad Ge— 
deihen jedweden Handelsverkehrs gegründer fey. Ein 
Beyſpiel rückfichtsfofer ‚Strenge gab die Obrigkeit in 
ihrer eigenen Mitte, als 1575, den 7. Januar, | Herr 


* 


478 Errichtung der Börfe, 1558, 1578. 


Peter Rengel, Johannis Sohn, (feit 1567 Raths⸗ 
herr) Schulden halber, womit er dem abgegangenen 
Bürgermeifter, Matthias Rheders, verpflichter war, des 
Raths entſetzt und mehrere Wochen Tang auf dem rorhen 
Zollen in gefanglicher Haft gehalten wurde, Was im 
Yebrigen fin die Beförderung des Handels und Ge 
werbumtriebes im der Stade feldft gerhan werden fonnte, 
wurde mit Sorgfamkeit befördert. So wınde'i, J. 1558 
der Kaufmannſchaft der Mag von der fogenannten 
Troſtbruͤcke an 1200 Fuß in die Länge, 42 Fuß in die 
Breite zum Verſammlungsplatze angewieſen, mit einem 
fFeinernen Bollwerk und Geländer verfehen und daſelbſt 
die Börfe gebauet, wie man dergleichen Verſamm— 
Kingspläge nach dem Beyfpiel Antwerpens, mo der 
Nahme von den Wappen, drey Beuteln (bourses), ent- 
fanden war, zu nennen pflegte. Der Aufbau geſchah 
unter der Auffiche der Aelterleute, nachmaligen 
Börfenalten, aus den freyiwilligen Beytraͤgen der kauf 
männifchen Geſellſchaften. Im Jahre 1578 führten 
noch beſonders Die Gemandfchneider den mittleren Theil 
des Gebäudes auf und festen den Boͤrſenſaal daruͤber, 
welcher Bau bis 1583 vollender wurde, Wie das Pofk 
und Botenwefen in feinem Urſprunge der Stadt 
ſelbſt eigenthuͤmlich geweſen fey und unter der Beſor⸗ 
gung der Welterlente des gemeinen Kaufmanns geſtan⸗ 
den habe, iſt in fruͤherem erzaͤhlt worden. Dan nannte 
die Beforger die Amfterdamer Boten, von ihrer 
uralten Beſtimmung, und mir befigen noch eine Ur⸗ 
funde vom Jahre 1580, in welcher mie Bewilligung 
des Rathes eine Ordnung feſtgeſetzt werden, wie es 


R 


Poſt / und Boten-DOrdnung, Muͤnze. 479 


mit den geſchworenen Boten, die nach Weſten reiſen, 
d, b. von und nah Amſterdam, Antwerpen und ande— 
ren weftlich gelegenen Gegenden, gehalten werden folle, 
zur Befeitigung und Verhütung aller. Mißbraͤuche. Auch 
‚ Die befonderen Lübedifchen, Lüneburgifchen, 
Pommerſchen und Emdener Boten waren diefem 
Stadt⸗Poſtweſen untergeordner und blieben auch für die 
Folge, ald däheben kaiſerliche und ſtaͤndiſche Poſt Com— 
toive fich anfiedelten, demfelben zugeeignet. Das Muͤnz⸗ 
wefen zerfiel in Deuefchland dadurch in Ausartung und 
grobe Zerrüttung, daß die Fürften aller Orten Münze 
ſtaͤtten anlegten, und theils ſchlechtere, kleine Münzen 
oder geringhaltigere Thaler in Umlauf brachten, theils 
die guten ſtaͤdtiſchen Münzen an ſich zogen und ein 
fhmolzen, Wie manche Stadte dadurch fich verleiten _ 
ließen, in der Münzverfchlechterung der Zeit nachzu- 
geben, andere ihre Muͤnzſtaͤtten ſchloſſen: fo angelegents 
ich waren Hamburg und Luͤbeck damit befihäftige, den 
aͤchten, ſchweren Münzfuß zu erhalten und dadurch dem 
Glauben und der Treue feſte Gemwährleiftung zu vers 
fichern, | 

- In dem Husfuhrbandel, den Hamburg thatig ber 
trieb gegen Umfas fremder Erzeugniffe, verſchaffte naͤchſt 
dem Getreide das Bier noch immer gangbaren Umfang: 
bis in die legte Hälfte diefes Jahrhunderts hin vers 
forgte Hamburg faſt ausſchließlich mie feinem in der 
Stadt gebraueten Biere Frankreich, England, Spanien 
und die Niederlande, und erfi, als um dag Ende des 
Sahrbunderss hin die Lübesfer ihr Braumefen fo verbef 
ſert basten, daß fie das von ihren verfchiffte Bier felbft 


u 


430° Gemwerb-Menter, Anlagen 


brauen Fonnten, wurde der Vortheil diefed Handel 
zweigs geringer. Bon der Gewerbehätigfeit in der Stadt 
ſelbſt giebt das Verzeichniß der Aemter eine Andeutung, 
welche im Jahre 1530 ſich vereinigten, um dem Rathe 
wegen der Theuerung Vorſtellungen zu machen. Da 
werden genannt: Eoldſchmiedte, Kramer, Schuſter, 
Schneider, Barbierer, Schmiedte, Schiffszimmerleute, 
Boͤttcher, Hauszimmerleute, Mahler, Glaſer, Wand⸗ 
ſcherer, (Tuchbereiter), Dreher (Drechsler), Kerzen⸗ 
gießer, Fiſcher, Knochenhauer, Kannegießer, Mauer⸗ 
leute, Piltzer, Kuͤrſchner, Beckmacher, Guͤrtler, 
Leinweber, Bildhauer, Fiſchweicher, Garbrader, Rep⸗ 
ſchlaͤger, (Seiler), Badſtoͤver, (Bader, in den Bade- 
ffaven) und Snittger, (Tiſchler.) Die Bereisung 
der feineren englischen Tücher wurde feit 1551 mit Er- 
folg gefördert; auf dem Wandrabm und dem Wandbe—⸗ 
reiter⸗Brook hatten die Tuchbereiter ihre Rahmen. "Ein: 
Büchfen und Glorengiefferey befand fich in 
der Steinftraße, der Meifter bieß Hans Aldagen (nach 
anderen Altona): 1555 wurde die groſſe Glocke fin 
St. Catharinen dafelbft gegoffen, (wiegend 16752 Pf) 
und im naͤchſten Jahre eine für Gr. Nicolai, die vor- 
her zerfprungen war. Vor dem Dammthore wurde 
im Sabre 1556 eine Silber: Schmelzmühle ange 
legt, und 1551 und 1555 zwey Walkmühlen in der 
Nahe des Winferbaumes, hinter dem Schiffbauerbrook. 
Einer Windmühle mird bereits vom Sabre 1570 
gedacht: denn ein Menſch, „Hans Ehlers, wurde an 
den höchiten Galgen gehängt, weil er das Segel von 
der Windmühle vor dem Millerntbore weggeſtohlen.“ 


* 


zur Beförderung des Gewerbfleißes. 481 


Nach anderen fol. die erſte Windmühle erſt 1625 an 
derfeiben Stelle erbauet worden feyn durch einen hol 
laͤndiſchen Zimmermeifter,. Eine Buchdruckerey bes 
faß die Stadt fibon fruͤhzeitig: aber fie wurde, hoͤchſt— 
wahrſcheinlich auf Gebot der Geiftlichfeit, 1521 ge, 
fchloffen: erſt 1549 wurde fie durch Joachim Lo- 
wen neu wieder eingerichtet: 

Gegen dieſes tharige, ſchaffende Leben mache die 
Betrachtung der unfeligen Spaltung, welche immer 
noch zwifchen dem Rath und der Bürgerſchaft fich er- 
bielt und die Gemuͤther noch mehr von einander ent 
fernte, einen ftörenden Eindruck. Aber die Gefchichte 
entſchaͤdiget, mie überall, fo auch bier, indem fie den 
Blick von trüben Anfichten weiter hinleitet auf die 
freundlichere Ausſicht in die Zukunft, die ohne jene Ver: 
gangenheit nicht hatte geboren werden koͤnnen. Wie 
unrubevoll die Bewegungen waren, melche im Innern 
des Staates fich zeigten, aus ihnen gerade entwickelte 
fich jene gluͤckliche Verfaffung erſt zu vollerer Bluͤthe 
und fefterer Dauer, Daß die Bürgerfchaft durch Be 
ffätigung der Cammerepbürger einen rechtmäßigen Ans 
theil an der Verwaltung ber öffentlieben Angelegenheis 
ten erbielt, mar einer der wichtigſten Schritte, der 
zur Begründung eines wohlthatigen Gleichgewichts ge⸗ 
fihehen war, Aber diefe Einrichtung ,- fo Tange 
fie noch nicht in den ruhigen Gang der Ausübung ge⸗ 
bracht war, ſchien Anfangs nur noch mehr geeignet, Lei: 

denſchaft gegen Leidenfihaft wider einander in die Wag- 

ſchalle zu Tegen. Der Rath, im feiner Empfindlichkeic 

gereizt, zeigte den Mißmuth in feinem DBetragen, im 
31" 


482 Receſſe zwifchen Rath und Bürgerſchaſt 


Gericht und wo ſonſt Die Gelegenheit ſich darbot. Des⸗ 
halb verpflichteten fih auch bie Oberalten durch 
einen eigenen Vertrag 1569, unter andern, Daß fie 
ihren Mitbürgern die Hand bieten wollten, wenn ihnen 
das Recht verweigert wuͤrde. Die Bürger aber über 
ſchritten gleichfalls das Maaß und fahen nbermwiefenen 
Betrug und Unrecht alfenthalben, mo eben der Schein 
zu finden war. Ein neuer Receß von 1570, den 5. May 
foßte den Schaden heilen. Er enthaͤlt manche feharfe 
Puncte: 

„„Bey wichtigen Angelegenheiten ſolle der Rath 
‚nicht mit einem beliebigen Ausfchuffe, ſondern mie der 
ganzen Bürgerfchaft verhandeln, Die Rathsglieder 
follen mit feinem Fuͤrſten in Briefwechſel ſtehen und 
menn fie mit Vornehmen reden, in dem, was fie fagen, 
‚behutfam feyn. Die Vorfahren hatten nur Einen Syn— 
dicus gebraucht, jet habe der Rath deren drey in Beſol⸗ 
dung: dann wäre doch billig, daß fie ſtets zu der 
Stadt Beften gebrauchte würden, und nicht in Anderer 
Gefchäfte fich begäben. Sorge für die Düpe des Elb⸗ 
ſtroms wird empfohlen und Reinigung der Alfter mit 
dem langen Zuggarn, damit fie nicht fehier zumachfe: 
‚auch die Walle in gutem Stande zu erhalten. Weber 
ein Jahrgehalt des Raths folle man fich vergleichen, 
Simon von Utrechts an die Stadt vermachte Gelder 
folfen der Kammer überliefert werden, Die Oberalten 
foifen fleißig darauf denken, daß Stadtbuch-Recht und ° 
Burſprack erfülle werden, Der Rath. möge die Buͤr⸗ 
gerfihaft alljährlich auf Mitfaſten zu Rathhaus bes 
fibeiden, damit von- allerhand Gebrechen aebandelt 


von 1570, 1579. | 433 


werben könne,’ In einem zweyten Theile des Neceffed 
werden die Pflichten einzeln aufgeführte, fo Bürger: 
meifter und Rathmaͤnner fich unter einander felbit ge 
loben und deren Beobachtung fie den Bürgern zufagen. 

Die nächften Jahre bringen den Rath zu der Noth— 
mwendigkeit, erneuete Foderungen an die Bürger ergehen 
zu laffen, Grabengeld, Acciſe m. dgl., die zum Theil 
bewilfiger, aber auch zumeilen abgefchlagen wurden: und 
{bon 1574 trugen die Bürger dem. Rache wieder. eine 
Reihe von Befcbwerben vor, den letzteren an feine 
Mfliche zu mahnen. Befonders wollten fie nicht dulden, 
daß Fremde fich hier niederliefen und Handel und 
Mandel trieben, die Enalander ausgenommen, doch 
mochten fie, als der Rath beffimmte Anzeige foderte, 
Niemanden nennen, Wiederum 1575 Flagten fid, daß bie 
Domberren ihre Höfe mit etlichen von Adel aus Hol: 
ſtein befesten, gegen Stadtbuch und alfe Billigkeit; 
ferner, daß Veruntreuung bey den Wahlen gefchebe, 
daß der Müngmeiiter Scherfe münze zum Nachtheil der 
Stadt, daß Fremde das Korn ausfchifften, welches 
felbft den Bürgern niche vergönnt ſey; die Vorhböfer 
abzufcbaffen, wurde wiederholt gebeten. "Um diefe Zeit 
hin wurde der Streit mit Daͤnemark gefihlichter, wor 
für die Stadt abermahls eine Summe von 100,000 Thlr. 
berbeyfchaffen follte, Zur Entrichsung und Aufbringung 
biefer Gelder verftund fih der Nach mie den Bürgern 
zu mehreren Artikeln, welche den befonderen Receß von 
1579 ausmachten s aber es febeint uber deren Erfüllung 
fo locker gehalten worden zu feyn, daß, als im 
Jahre 1582 der letzte Termin jener Schuld abgerragen 


434 Receſſe von 1582 und 1595. 


werben follte, die Bürger die Bezahlung !verweigerten, 
bis von Seiten des Raths der Inhalt der diey legten 
Heceffe genau erfülle wäre, Ein Ausſchuß von 46 Bin 
gern mußte mit dem Rathe die Erfüllung oder Nicht— 
erfuͤllung naher beleuchten und unterfuchen, und brachte 
endlich den Receß von diefem Jahre zu Stande, 
welcher am 17. Detober von der Bürgerfchaft gench- 
miget wurde, Die fehuldigen Kückftande der zum Ge 
biete gehörigen Ortſchaften, der Gerichtsberren, muß 
ten eingeirieben, die Miethen von den Wagen und 
Pferden des Marftalld und der Mühlen an die Kammer 
geliefert, Einſchraͤnkungen bemwilliger werden, um der 
Stäatshaushaltung zu Hülfe zu Fommen, Wiederholt 
wird beffimmt, daß zu den Perri-Mehlzeiten des Raths, 
bey welchen e8 nicht allzufparfam zuging, nicht mehr, 
denn 300 ME. zu jeder „Collation“ gegeben werden ſollen. 
Der Rath folle aus der Kammer Feine Nebengefälle abr 
fodern, Schoß aber und Zufag gleich den Bürgern 
entrichten. So wurden dieſe Zwiftigfeiten beygelegt, Nur 
Eine Befchwerde blieb noch, daß der Kath die Aemter 
mehr nach Gunſt, als nad) Recht befege, und dem ehr⸗ 
lichen Rathmanne, der fein Bedenken und feine Mey: 
nung freymuͤthig vorbringe, oft die unbedeutendften und 
unbequemften Aemter zutheile; es kam daher ein Bürs 
gerfchluß zu Stande, 1595, den 18. und ff, Marz, 
nach welchem der Rath aufgefodert wurde, die Aemter 
nach Alter und Wahl umsufegen, und damit fogleich 
auf fommenden Petri⸗Tag den Anfang zu machen, Erſt 
nachdem der Rath verfprochen hatte, jederzeit zwey 
Rollen der Aemter berauszugeben, wurde ihnen 


Gerichtsbarleit. Das Niedergericht. 485 


la noch eine — bewilliget, und nur den Zus, 
faß unterfihrieb ers; daß ein Rathmann, der fein 
Amt niche, wie fich geböre, verwaltete, vor ber 
Gemeinde deshalb angeklagt werden follte, 

In der Gerichtöverwaltung wurde im. Wefentlichen 
nichts verandert, obſchon das Mangelhafte des alten 
Stadtbuchs in vielen Fällen einleuchtend und eine neue 
Durchſicht deſſelben big dahin noch immer vergeblich 
gebeifche worden war, Die Abanderung wurde gez 
troffen, daß die Rechesbefcheide, da fie bisher im Nies 

dergerichte nur mündlich mitgetbeift, oft zu Verdrehun— 
gen gemißbraucht worden waren,  niedergefchrieben und 
den Parteyen -vorgelefen wurden, Das Gebäude des 
Hiedergerichts wurde 1558 abgebrochen und dicht an 
das Rathhaus und die fogenannte Troſtbruͤcke gefeht, 
ba 08 ſeitdem verblieben ift, Die Einweihung" gefchab 
im Jahre 1560. Auswendig ſtanden die Verſe mit 
güldenen Buchffaben angefthrieben ; 

Alle de da morden, brennen, roven und ſtehlen, 

Tövern, verraden, horen und ſpehlen, 

Vele borgen, dregen, und wenig gelden, 

De beſtahn im Rechte gar felden, 

Drum fürchte Gott und dat Recht, 

De Tyde kummt, ibt reuet die nicht, 

Die Ausübung des Rechts, befonders in peinlichen 
Fällen, war reich, fibarf, ja furchtbar, Zwey Höfe 
Buben, welche 2557 'mehrere Abende im November 
und December hinter einander die Wohnungen und Luſt⸗ 
haͤuſer auf dem Damme vor dem Dammihore angezuͤn— 
bet ‚hatten, wurden den 18. December ergriffen und 


. * 


486 Peinliche Juſtiz. Herenprogeffe. 


bereits den 19. Januar des Neujahres auf dem Mehr 
berge verbrannt, oder wie dann immer der Ausdruck 
lautet, „zu Zode geſmoͤket.“ 1580, den 8. Auguft 
wurde einem Jungen der Kopf abgefiblagen, weil er 
einem Rathmanne — die Fenſter eingeworfen hatte, 
Selbſt wenn Verbrecher vor Bollffrefung der Strafe 
geftorben, wurde das Urtheil noch an den Leichnamen 
vollzogen, mie 1581 an Daniel Holfte, einem Schrei⸗ 
ber, der befchuldige gewefen, Schmaͤhbriefe gegen den 
Kath gefchrieben und auf allerhand Verrath gefonnen 
zu baben: dem Leichnam wurde am Kaak die rechte 
Hand, auf dem Rondeel der Kopf abgehauen und ander 
rer Greuel damit verübt, Der Leichnam eines Falfıh- 
muͤnzers, Jürgen Schulte, wurde 1585 noch verbrannt, 
Noch hatte auf dieſe Are der Gerichtsbarfeie der fins 
fterfte Aberglaube einen Schauder erregenden Einfluß. 
Ein Doctor Vier war 1521 verbrannt worden, weil 
er fihmangeren Fraueu bey der Entbindung Hülfe ger 
feifter hatte, Doch das gefihah noch vor der Reformation, 
Wie wenig aber die Grundſaͤtze fich feit derſelben darin ges 
ändert, fieht man aus der Menge von Heren progeffen, _ 
welche von den alten .Erzahlern mie Sorgfalt anger 
merkt worden find, Allein in der zweyten Hälfte dieſes 
Jahrhunderts wurden, 1555 den 13. July vierzehn. 
Hexen eingezogen, 4 davon lebendig verbrannt und zwey 
zu Tode gepeinigt, 1556 wurde 1 Hexenmeiſter mit ſei⸗ 
nen Gefellen verbrannt, 1587, um einige Jahre zu 
überfptingen, 6 Heren nebft Einem Cryſtallenkucker, 
1583 fünf Zauberinnen, 1587 ein Kuhhirt und ein 
Mann aus Mohrwaͤrder, der Hexerey beſchuldigt, 1594 


Unduldſamkeit der Geiftlichen. 487 


ein armes Weib um derfelben Urſache willen, Zu fols 
chen Graufamfeiten verführte verbienderer Sinn ein ſonſt 
fo menfibenfreundliches, helldenkendes und befonnenes 
Bolf; aber ed war die Krankheit des Jahrhunderts 
überbaupt,. die mit ihren bleyernen Fittigen noch auf 
den Völkern laſtete, bis muthigere Vertheidiger des 
gefunden Menfchenverftandes das Heilmeffer an diefen 
Schaden zu legen wagten. 

Die eigentlichen Volkslehrer harten in diefer Zeit 
fo bier, wie anderer Orten, nur Sinn für ihre uns 
fruchtbaren Streitfragen, mit welchen fie bald gegen 
einander felbft zu Felde zogen, bald ihre Gemeinden, 
fo wenig zur Erbauung, als zur Belehrung bebelligs 
ten. Die befannte Concordienformel, in ſich 
wohl geeignet, friedlich gefinnte Gemüther zu vereinis 
gen, wurde auch bier im Jahre 1580 bekannt gemacht, 
und den Predigern und Lehrern zur Unterzeichnung vorz 
gelege: aber die Eintracht follte die Zwierracht ger 
bahren, und befonders ein wuͤthender Haß gegen die 
Reformirten wurde dadurch nur noch mehr entwickelt, 
Ein: viel edlered Beyfpiel der Duldung und Verſtaͤn— 
digkeit gab dagegen der Rath diefer Stadt, als er 
im Jahre 1599 zwey verfforbenen Reformirten, Albers 
Mutter, welche die Nachrede noch obenein zu einer Juͤdin 
machte, und Anton Helfemont mit der Schule zum 
Grabe geleitete, zum groffen Aergerniß der Prediger, 
welche, beſonders die jüngeren, mir fanatifchem Eifer 
von den Kanzeln herab den Frevel fEraften, ohne weiter 
etwas damit zu bewirken. Daß indeffen- im diefer Zeit 
auch reines, gediegenes Wiffen, welches noch der Nachwelt - 


488 Kirchliche Einrichtungen. Kirchthuͤrme. 


wuchernd nit, zu Gebeihen kam, bemeift vor andern 
das Benfpiel des Canonicus Erpold Lindenbrog, 
der Stifter eines im Gebiete der Gelehrſamkeit hochgeach— 
teten Gefchlechts, ſelbſt aber gruͤndlicher Forſcher der 
vaterlaͤndiſchen Geſchichte und Alterthuͤmer, und Ber: 
faſſer mehrer ſchaͤtzbarer Schriften. (ſt. 1616) 

Fuͤr die kirchlichen Einrichtungen geſchah manches, 
das zum Theil geaͤndert worden, zum Theil ſich auch er⸗ 
balten bat. Im Jahre 1555 ward in der Burſpracke 
abgelefen, die Kinder des Morgens um q, des Nachmittags 
um 3 Uhr zur Taufe zu bringen, nicht mehr als ı Guk 
den Gevatter-Pfenning einzubinden; Reichen aber des 
Morgens um ro, des Nachmittags um 4 Uhr zu be 
erdigen. 1556 wurde zu St. Berri abgeleſen, daß man 
zu einer groffen Köfte (Hochzeit) niche mehr als 60 
Paare, zu einer halben 30 Paare bitten folle, bey 
Strafe von 4 DE 8 PL. für jede Perſon mehr; auch 
daß Kein Ehepaar zufammen gegeben werden folle, das 
nicht acht Tage zuvor vom Predigtſtuhl füch babe ab— 
fündigen laſſen. In demfelben Sabre, den 12. Nov, 
am Donnerſtag ward der erſte Wochen-B et tag gehalten, 
1558 vereinigten fich die Leichnams: und Kirchen: Ge 
fihworenen von ©t. Perri unter andern auch dahin, 
daß in den drey groffen Feſttagen alle drey Tage mit 
der Bede Chem Klingelbeutel) umgegangen werden 
ſolle. — Das Aeuſſere der Kirchen gewann in dieſem 
Sahrhunderte vorzüglich durch die Aufführung der ſchö⸗ 
nen Thürme, in welchen das Zeichen, das ung auf 
das Höhere weiter, und die ſchmuͤckende Zierde zugleich 
das Gemuͤth anſprechen. Die Pyramide des Doms 


Glocken. — Bohlthätigkeitsanftalten, 489 


war bereits im vorigen Jahrhunderte gebauer worden: 
jege erbob fich Fühn und fehlanf der Petri-Thurm, 
1516 vollender'; um diefelbe Zeit der zu St. Nicolai, 
der 1589 vom Blisftrabl getroffen abbrannte, und 
1591 wieder bergeftelle ward; 1580 beſcheidener, aber 
wohlausfehbend St, Jacobi; St. Catharinen wurde 
1603 in die Spitze gebracht, Seit 1552 wurden die 
Sturmglocken auf den Thuͤrmen angeordnet, und 
zugleich, daß mie ihnen die Betglocke angefchlagen 
werden follte, Im Jahre 1544 auf St. Martindtag, 
wurde zuerſt auf Perrichurm das Glocken ſpiel ein— 
gerichtet, wozu die nöthigen Glocken noch aus Amffers 
dam herbeygeſchafft worden waren: ſeit 1550 wurde 
von einem befonderen Glockenſpieler in Feſttagen eine 
Melodie gefpielt, (Nach anderen erff 1571.) | 

Zu denen Einrichtungen, welche dem frommen 
Sinne unter allen aufferen Formen am edelften anfte 
ben , gehört die Errichtung des Schiffer - Armen; 
Haufes vor dem damaligen Scharthor, 1556, von 
ben Kaufleuten und Schiffergefellfchaften (u melchen 1529 
noch die der Flandrer fahrer gefommen war,) geftif- 
get, verarmte oder fonft huͤlfsloſe Seefahrer vor ganzlichem 
Mangel zu erhalten und ihnen für ihr Alter Pfleger zu 
verfchaffen. Die Anlage des Waiſenhauſes wurde 
fibon im Jahre 1597 von Kath und Bürgerfchaft bes 
febloffen, aber erſt in den nachiten Jahren des Folgenden 
Jahrhunderts zur Ausführung gebracht. Die peffartigen 
Krankheiten, die zu verfchiedenen Zeiten in Deutfchland 
und auch in biefiger Stade und Umgegend verheerend 
wütheten, waren Beranlaffung, dag im Jahre 1564 noch) 


490 VBrerheerende Seuchen. (Peſt.) 


ein beſonderer Kirchhof vor dem Millernthor, ba, mo 
jegt die groffe Michaeliskirche ſteht, uud der Krayen⸗ 
kamp (das Kraͤhenfeld) im Nahmen noch an den 
alten Anblick dieſes Platzes erinnert, angelegt werden 
mußte, um die Peſtleichen daſelbſt zu verſcharren. 
Solche vergiftende Seuchen gehörten unter die größs 
ten Zandplagen der damaligen Zeit, und die alten 
Nachrichten find Aufferft genau in der wiederholten 
Aufzeichnung derfelben. Die Hrfachen, von welchen 
man fie berleitete, wurden. von auffallenden Erfcher 
nungen genommen, melche mit den Uebeln ſelbſt in 
Einer zeit zufammentrafen, Bemerkenswerth bleibe in 
diefer Hinficht der Comer ded Jahres 1556, bey beffen 
Erfcheinung eine alte, faſt gleichzeitige Chronik bemerfe, 
daß in demfelben Fahre ein aͤußerſt heißer Sommer gewe— 
fen, alfo daB aus Waffermangel an vielen Gegenden dag 
Vieh verſchmachtete, Moor: und Waldbrande entflanden, 
und gleichwohl.ein geſegnetes Kornjahr gemefen. Zwey 
Jahre fpater ift abermahls die Rede von einem folchen 
Eometen, „worauf eine große Peſt erfolgte, daß man 
die Todten wegen der Menge kaum begraben Fonnte, 
Die Anzahl der im Jahre 1465 an ber Peſt Geſtor⸗ 
benen wird auf 15000 angegeben, darunter ein Raths⸗ 
betr und mehrere Prediger waren, fo daß ſelbſt der 
Gottesdienſt in den Kirchen unterbrochen werben mußte, 
Unftreitig wurde durch die Enge der Gaſſen und bie 
Menge der Einwohner Die Verbreitung anſteckender 
Beuchennoch befördert, und zur Abfonderung und Heilung 
der mit der Peſt behafteten war zu. der Zeit nur ein 
ſehr unzureichendes Haus vorhanden, im Eichholze bele⸗ 


Anfänge zur Ausbiidung der Bürgerwehr. 491 


geu: die Errichtung des fogenannten Peſthofes fallt 
erft in das mächfte Jahrhundert. 

Zur Bewahrung der Sicherheit der Stade gegen 
Anfälle von Auffen waren nicht nur ringsum die zweck— 
mäfigften Beveftigungen angebracht, fondern es wurde 
auch zur Erhaltung und Ausbefferung derſelben ans 
gelegentlich Sorge getragen, Faſt alle Neceffe dieſer 
Zeit enthalten die dahin gehörige Weifung. Am Sabre 
1559, al8 eben der Unterwerfungskrieg gegen Die Dith— 
marſchen ausbrach, wurde vor allen Thoren eine regels 
mäßige Bürgermacht aufgeftellt, welche Einrichtung 
feitdem in ihrer Dauer beftanden hat, Auch befpndere 
Uebungen, um mit dem Schießgewehr vertiauter und 
ficherer im Gebrauch zu werden, fanden feit 1560 ſtatt, 
denn im diefem Jahre wurde der Anfang gemacht, Cro 
Aug.) mie grobem Geſchuͤtz von dem Spitalerthore ges 
gen die Alfter bin nach der Scheibe zu ſchießen. Ein 
ſogenanntes Vogelſſchießen hatte laͤngſt fchon bier ſtatt 
gefunden: der Platz dazu war in dem damals noch be— 
wach ſenen Eichenholz; erſt als man ſpaͤter dieſe Gegend 
anbauete, wurde die Vogelſtange vor dem Millern- dann 
vor dem Steinthor aufgeſtellt. Nachdem die Gewohnheit 
auf einige Zeit unterbrochen geweſen, wurde fie i. J. 1583 
aufs neue wieder eingeführt; zwey Rathsmaͤnner war 
rer Schüßenherren, ein von Spresfelfen trug die 
Fahne, ein Pelzer wurde Vogel-König. Volksfeſte, 
fo lange fie irgend erbalten werden können, ‚ohne daß 
fie in Ausartung übergeben, dienen ſtets zu fröblicher 
Entwicfelung des Volkslebens und öffnen der buͤrgerli⸗ 
chen Freundſchaft die Herzen mit gusmüthiger Zuvore 


492 Thorſperre. Wallordnung. — 


kommenheit. Die Erinnerung derfelben bleibe auch 
noch der fpateren Zeit wohlthuend und behaglich. Der 
Thorſperre finden wir zuerſt im Jahre 1564 ger 
dacht; damahls wurde (d. 19. Nov.) öffentlich von den 
Kanzeln der Kirchen befannt gemacht, daß alle Abende 
um 5, des Morgens um 7 Uhr eine Glosfe zu St, Ni: 
cofai, eine zu St. Perri angezogen und damit zum 
Schließen und Deffnen der Thore und Bäume gelau⸗ 
tet werben folle, bey welcher Einrichtung es geraume 
Zeit verblieben ift, Eine befondere Wahlordnung 
ward ſchon 1565 errichtet, 1576 (7 Der.) aber befkätis 
ges und erweitert, fo daß die Wälle und die Stadt in 
drey Theile vertheilt, einer jeden ein befonderer Mu— 
ferplag angemiefen und zur Sicherheit derfelben im 
Innern ſowohl bey Feuersgefahren, Aufläufen und Un 
ruhen, als wenn fie von Auffen gefährdet werden follte, 
die zweckdienlichſten Maßregeln feſtgeſetzt und vorge: 
fchrieben waren, ° Wie alles und jedes entfianden, dag 
erweckt vor anderem unfere Aufmerkſamkeit, denn zum 
Schaffen bedarf es des ordnenden Sinnes und der 
Kraft; aber wie man ſchon damahls auch darauf ger 
dacht, das Entſtandene zu erhalten und vor gefahrdro- 
benden Angriffen zu bewahren, das verdiene nicht minder 
unfere Beobachtung : dazu bedarf es des feſten Muthes 
und oder seifernen Ausdauer und Bebarrlichkeit, ohne 
welche: nichts. für ums bleibe, was je Groffes und 
Nuͤtzliches von der Seit ind Leben gerufen worden if. 





Eintritt ins fiebjehnte Jahrhundert, 493 


I. b 


Mit dem Eintritt des ſiebzehnten Jahrhunderts 
war die Lage der Dinge keinesweges ſo geordnet und 
zur Ruhe gebracht, als den verſchiedenen Laͤndern nach 
uͤbertriebenen Anſtrengungen, nach blutigen Kaͤmpfen, 
welche ſich in mannigfachen Richtungen durchkreuzten, 
zu wuͤnſchen geweſen waͤre. In Deutſchland hatte der 
Proteſtantismus eine Spaltung hervorgebracht, welche 
den innern Staatskoͤrper in ſich ſelbſt aufzuloͤſen drohte. 
Unter den Proteſtanten ſelbſt waren Parteyungen ent⸗ 
ſtanden, welche den unnatuͤrlichften Haß entwickelten, 
der die gemeinſame Sache dem Verrathe nahe brachte. 
Ahnen gegenüber hielten Die Katholiken mit jener Fe⸗ 
ſtigkeit zuſammen, welche in der Einheit der Ueberzeu⸗ 
gung da enthalten iff, wo .diefe auf. herkoͤmmlichen 
Glauben gegründer durch fiffigen Rath und ſchlaue Leir 
tung noch mehr zuſammen gehalten wird, Als Reichs 
oberhaupt vermochte Rudolph IL, biödfinnig von Ras 
tur und durch fpanifchsFlöflerliche Frömmeley in der Er⸗ 
ziehung für jeden freyeren Aufſchwung der ‚Seele ver- 
dorben, ſo ſtreitende Stoffe unmoͤglich zur Verſoͤhnung 
zu fuͤhren, und wie irgend ein heftiger Anſtoß die 
Maſſe beruͤhrte, durfte man einer blinden Bewegung 
entgegen ſehen. Go war der Anblick des deutſchen 
Keiched. Hamburg, durch feine Lage und durch ges 
fchicheliche Mahnung an daffelbe gewieſen, haste Urſache, 
die Erhaleung feiner ſelbſt auf eigne Kraft mehr zu be⸗— 
rechnen, als forglos und bfinden Vertrauens vol an den 
unſtaͤt wanfenden Coloß fi anzulehnen, Aber in 


494 Allgemeines Verhältnif der Stadt 9, 


der Nahe war eine andere Kippe, deren fchroffe 
Berührung nicht minder gefährlich ſchien, wenn fie nicht 
mit kluger Vorfiche Leife umgangen würde: Dänemark, un— 
ter des jungen Königs, Chriffian IV, Regierung, ſchien 
nicht gefonnen, alle Anfprüche, die es an die reiche Wohl— 
ſtandsquelle Hamburgs zu haben vermeynte, gutwillig und 
ohne vollwichtige Entſchaͤdigung aufzugeben, Bon dem han⸗ 
featifchen Bündniffe hatte die Stadt feine durchareifende 
Unterffügung zu erwarten, da ed feiner Auflöfung fich na⸗ 
bete: nur von der Weisheit, welche die Umſtaͤnde der 
Zeit durchſchauet, fie für die Gegenwart in geſchickte 
Theilnahme zu verweben und für die Folge umfichtig 
zu berechnen: weiß, bing das Heil und die dauernde 
Begründung des Staates ab. Aber im Innern ſelbſt 
war noch Zwieſpalt der Gefinnungen zwiſchen den bey- 
den Theifen, die über ihr gegenfeitiges Verhaͤltniß ſich 
niche mit einander verftandigen konnten, da hier Vorzug 
und Eigenwille der regierenden Glieder mie angeerbt 
und von der Sache felbff unzertrennbar ſchien, dort 
die uͤbertriebenen Begriffe von Freyheit und Unabhärr- 
gigfeit nicht bloß der Anmaßung fich widerfegten, fon 
dern auch in ibren Foderungen über die Grenzen der 
Billigkeit fihritten und dem Mißtrauen und daraus ent 
fiebendem Haße feine Grenzen zu fegen wußten. Nur Eins 
hielt die getrennten Theile zum Wohl des Ganzen zur 
fanımen , innige, warme Liebe für die Stadt, für Die 
Erhaltung ihrer Freyheit, für die Ausbildung ihrer 
innern Verfaffung : darin mar die Gefinnung Aller nie 
mahls zweifelhaft, ja gerade fie felbft war der Urquell 
ihrer Entzwepung in der Anſicht über die Mitsel, durch 


Neue Durchſicht des Stadtbuches, 1603. 495 


welche man am ſicherſten und leichteſten zu jenem Ziele 
gelangen könnte, und dieſer Geſichtspunkt iſt es, wel— 
cher auch dem, der. Mißbehagen empfinden koͤnnte 
ob ſolchem Hader der Parteyen, Veruhigung und Er⸗ 
heiterung bietet. 

Die beſſere Sorge beginnt von 1 fich PN Schon 
feit fast einem ganzen Jahrhunderte war das Beduͤrfniß 
fühlbar geworden, daß eine neue Durchlicht, „Webers 
arbeitung und Vervollſtaͤndigung des alten Stadte 
buch s (von 1497) vorgenommen, werden möchte, da 
theils die Anfichten in vielen Dingen ſich geaͤndert hat⸗ 
‚ten, andere Formen laͤugſt an die Stelle veralteter. getre⸗ 
ten waren, für mehrere Faͤlle auch, bie zuvor noch. nicht 
gewefen, gar feine Beſtimmung nachgewieſen werden 
konnte. Denn der Strom der Zeit iſt unaufhaltſam 
und die menſchlichen Geiſter ſelbſt werden durch ihn zu 
fortſchreitender Entwickelung mit fortgeriſſen. Der Ein⸗ 
fluß der Verfaſſung des deutſchen Reichs, das als eine 
Fortſetzung des roͤmiſchen galt, konnte, wie ungeordnet 
auch noch das Innere war, nicht durchaus entfernt ge⸗ 
halten werden und das römische Recht, als Welſch ſo 
lange gehaßt und verabſcheut, wo je der alte Sachſen⸗ 
kern in ſeiner Friſche noch da ſtand, ſchlich ſich gleich⸗ 
wohl in allerley Form und Geſtalt mit ein, dem Mans 
gelbaften nachzuhelfen. Die Durchſicht des alten Stade 
buchs und Die Berfertigung eines neuen, auf der Grund» 
läge des vorigen, wurde alfobald mit dem - Anfange 
dieſes Jahrhunderts vorgenommen, Die Niederfchrei- 
bung deſſelben beforgee, nach. wahrfebeinticher Muth⸗ 
maßung, der Rathsherr, nachmahliger Bürgermeifter 
32 


496 Receß von 1603, (Gehalt der Sachshetren.) 


von Bergen: hulfreiche Hand leiſtete ein 
der Rechte, Nahmens Dietrich, wie eg ſcheint, befon- 
ders darin, um das, was noch in acht inlaͤndiſchem Platt— 
deutſch abgefaßt war, in die hoch deutſche Sprache, 
welche ſich ſchon damahls zur Alleinherrſchaft in der 
Buͤcherſprache aufdrang, zu uͤbertragen. Noch waͤhrend 
dieſer Arbeit, fuͤr welche die bisherigen Receſſe oft be— 
fragt werden mußten, wurde auch eine Durchſicht die— 
fer von Rath und Bürgern vorgenommen, Verordnungen, 
die für nicht mehr vorhandene Zeitumſtaͤnde berechnet ſchie⸗ 
nen, weggelaſſen, die, ſo weſentlich Verfaſſung und Geſetz⸗ 
gebung betrafen, zuſammen getragen und mit wenigen 
neuen vermehrt, wodurch der neue Receß von dieſem 
Jahre entſtand, (16063, den 6. October) in welchem der 
Bergleich uͤber das Gehalt des Rathes das wichtigfte 
iſt: „Dem ältefien Vuͤrgermeiſter werden jährlich 
1200 Mark, dem anderen 1100, dem slteften Rathmann 
600, den anderen jedem 500 Mark zugeftanden. Big 
dahin bezog der Nach kein Gehalt und mar von kei⸗ 
ner Abgabe, als nur der Schoßjahlung, und felbſt 
von diefer bey bedrangten Zeitumſtaͤnden nicht entledigt. 
Auch bier bewieß ſich, daß die Ordnung der-Dinge 
seine andere geworden ſey. Geitdem die Nathsherren 
keine Flotten mehr befehligten, keine Kriege zu Lande 
mehr fuͤhrten, war die Gelegenheit, Beute zu machen, ver⸗ 
ſchwunden; ſeitdem die Geſandtſchaften ſich verminderten, 
die Beſchickungen der Tagfahrten, beſonders der Hanſe, 
aufhoͤrten, auf welchen die Abgeordneten oft mit mehres 
ven hundert Pferden erfihienen waren, mußten fo 
manche Diellen Dex Mereicherung verſiegen. Selbſt daß. 


* 


Das Stadtbuch gedruckt im Jahre 1605. 497 
* 


von jetzt an zut genaueren wiſſenſchaftlichen Kenntniß 
des romiſchen Rechts, deſſen man ſich nicht mehr durch⸗ 
aus entſchlagen Fonnte, noͤthig geworden, gelehrte Ju— 
riſten in den Rath zu ziehen, die fein eintraͤgliches 
bürgerliches Gewerbe trieben, mußte auch die unbillig- 
fien unter der Buͤrgerſchaft von der Nothwendigkeit 
überzeugen, die Dienffe, welche der Rath dem allge: 
meinen Beſten widme, durch eine anſtaͤndige Verguͤtung 
zu unterſtuͤtzen und zu befördern; Noch wird in diefem 
Receß beſtimmt: „Die Geifklichfeit fol Schoß und 
Zulage zahlen. Mehr als 20 reitende Diener ſollen 
nicht gehalten werden. Der Rath darf keine Soldaten 
annehmen, ohne Zuſtimmung der Buͤrgerſchaft. dr 

Das neue Stadtbuch ward noch in dieſem Jahre 
vollendet; Als es jedoch jum Druck befördert werden 
follte, fand ſich, daß manches noch beſtimmter harte 
Hefage werden koͤnnen, in anderem wuͤnſchte die Buͤr⸗ 
gerſchaft mehr Feſthalten an dem alten Gebräuche, 
als Einmiſchung der roͤmiſchen Erkenntniſſe: es wur⸗ 
den daher mehrere Artikel einer nochmaligen Ueberar⸗ 
beitung unterworfen und der Druck des Stadtbuchs 
geſchah endlich im Jahre 1605. Einzelne Verordnungen 
und Befehle deſſelben wurden auch in der Folge noch, 
wor ihre Unjulänglichkeir oder Unaͤnwendbarkeit ſich er⸗ 
gab, berichkiger,; oder veraͤndert, oder durch andere 
verdraͤngt, wie das Merk einer Geſetzgebung, die auf 
Erfahrung, der treueſten Lehrerin und Fuͤhrerin, ger | 
grundet iſt, nie für ale Falle iind Zeiten abgeſchloſſen 
feyn kann und feiner Vollendung nur mit der beſſeren 
Entwickelung der Zeit ſelbſt entgegen reifet: 
3 32* 
a, 


14 . . 1: 


: 
498 Hamburg But nach alter Weife, dem Haufe 


Dieſer inneren — war die laͤſtige Hu l di⸗ 
gungs ſache vorausgegangen. Chriſt ian IV, hatte 
mit dem Herzoge Johann Adolph gemeinſchaftlich 
die Regierung der deutſchen Herzogthuͤmer uͤbernommen, 
und verlangte nun, nach eingefuͤhrter Sitte, die Aner⸗ 
fennung der Hoheit als von seiner. ihm „unterthänigen 
holſteiniſchen Landſtadt. Zwar Tieß auch dießmal Kai— 
fer Rudolph IL von Prag aus (1601, d. J. Aug.) 
zwey Schreiben ergehen, an die Herzoge, von ihrer 
Foderung big zur Eneftheidung des Prozeffes abzuftehen, 
und an die Stadt, derfelben zu unterfagen, fich mit dem 
Könige einzulaſſen. Beyde Fürften aber verfolgten: ihre 
YAnfoderungen mir ſolchem Nachdruck, daR die Stadt, 
obfchon fie durch noch zwey folgende Schreiben des 
Kaifers, von abnlichem Inhalt, (26. September, 1603) 
fich gewappnet hatte, dem zubringlichen Verlangen 
nicht Länger widerſtehen Eonnte. Doch ſtellten zuvor 
die Fuͤrſten eine Verſicherungsurkunde aus, die Stadt 
wegen dieſer Handlung des Ungehorſams, fo fie gegen 
den Kaiſer begehe, zu vertreten, und jeden Bürger ind, 
befondere dafür fehadlos zu halten, Den: 28, Detober 
hielten der König und der Herzog, von ihren Gemabl: 
innen und Schweſtern begleitet, mit einem pomphaften, 
im Geſchmacke der Zeit ausſtaffirten Gepränge ihren 
Einzug in die Stadt, beffstigten am nachften Tage. alle 
Privilegien und Handfeften, Gebrauche, Zoͤlle und Z0f- 
ſtaͤtten, welche die Hamburger zum Behuf ihrer Nah— 
rung gehabt und noch im Gebrauch hatten; worauf 
denn am 30, Det, auf dem. Rarhhaufe von Bürgermeiz 
fiern und Rath, denen 100 Bürger beygefellt waren, 


ea 
4 


4 


Hoffen, 1603, zum letztenmale. 499 


die Huldigung nach alter Weife ſtatt fand, ohne Eyd, 
— Handſchlage. Darauf wurden vier 
Tage lang Ringe und Speer⸗Rennen auf dem Hopfen: 
markte und andere Luſtbarkeiten, wie der damahlige 
Zeitton ſie liebte, angeſtellt, und beyde Herren ver⸗ 
Tiegen die Stadt am 6. November mit. der Zufrieden⸗ 
‚beit, welche die Willfährigkeie der Hamburger in ihnen 
„erregt harte. Dieß war aber die letzt e Huldigung, «welche 
die Stade dem Haufe Holſtein gefeifter bar: die folgen: 
den Zeitumſtaͤnde begünftigten die Beſtrebungen der 
"Hamburger f von dieſer Verbindlichkeit, die ihnen ſtets 
unbequem .gewefen war, fich gänzlich zu trennen und 
weiter ungekraͤnkte Reichsunmittelbarkeit ſich zu er 
werben. | Ianol „M | * 
Eine Zeitlang blieb das gute Vernehmen mit den 
daͤniſchen Fuͤrſten auch von Störung befreyet; wiewohl 
das kaiſerliche Kammergericht fortfuhr, Hamburg als 
eine dem Reiche zugehoͤrige Stadt zu betrachten und die 
ſchuldigen Reichspflichten zu verlangen. So ſtellte Kai— 
fer Rudolph im Jahre 1605 Mine: Quittung aus für 
35000 Mark von der Stade erlegter Tuͤrkenſteuer. Der 
übrigen Anfoderungen, welche auf den Hammerbroof, 
ven Billwarder, Mohr und Dchienwärder, anmaßlich 
genug, gemacht wurden, und anderer Anfprüche begaben 
fich der. König Chriſtian und Herzog Johann Adolph 
im Jahre 1608, nur, die Eremriongfeche blieb,ınach wie 
vor, bey dem Kammergericht anhangig. Endlich erfebien 
im: Jahre [618 (den 16, July) ein rund abgefprochenes 
: urtheil, welches mit einem Verweiſe an die ‚Stadt, 
daß ſie ungebuͤhrlich der Reſchsobrigkeit ſich habe 


Pi, j 


3 


3 
soo Irrungen mit Danemark big zum Jahre 1621. 


entziehen wollen, bie Erflarung enthielt, daß dieſelbe 
hinführo dem Kaifer und dem Reiche unmittelbar zu⸗ 
ſtaͤndig, unterworfen und verwandt, von jedermann 
dafiır zu erkennen fey und alle in diefer Hinſicht zukom— 
wenden Steuern und Bürden zu tragen und zu leiſten 
habe, Sofort wurde fie auch im nachſten Jahre ale 
Reichsſtand zu dem Kreis tage nach Limeburg. be 
rufen, wie ſehr auch die danifchen und herzoglichen 
Gefandten dagegen fich festen, Wirklich war auf diefer 
Seite die Erbitterung aufs Neue erregt worben: bie 
Hamburger fanden im Verdacht, jenes Urtheil ſelbſt 
durch Bewerbung befördert zu haben ; der König verlangte 
niche nur eine neue Unterfuchung des Prozeffes, fondern 
binderte auch den Handel der Hamburger nach dem 
Norden, Tegte Schiffe auf. die Elbe, erregte Streitig- 
Feiten wegen Legung der Tonnen auf diefem Strome, 
und that, was font irgend der Stadt unangenehm _ 
ſeyn konnte, bis endlich in dem Steinburger Ber: 
trage vom Jahre 1621 die Sache wieder in die vorige 
Unentſchiedenheit zuruͤtkgewieſen wurde; die Stadt 
mußte ſich aufs Neue verpflichten, waͤhrend der aberz 
mahls vorzunehmenden Unterſuchung des Prozeſſes, 
nichts zu thun, was dem fürſtlichen Hauſe zum Nach⸗ 
theil gereichen Fönnte, 

Mit dieſen Angelegenheiten a um dieſelbe ei 
eine andere Irrung zufammen, welche zwar: ſchon ſeit 
mehr ald einem Jahrhunderte befanden, aber nie zur 
Entſcheidung hatte gebracht werden fönnen und jeßt 
durch kecke Maaßregeln ihre Beendigung. berbepführen 
wolle, Nach dem Perleberger Vertrage (1420) 


Streitigkeiten wegen des Gammer-Deiched. 501 


waren nicht allein Bergedorf nebſt den Vierlanden, ſon— 
dern auch der Eßlinger Zoll mie der Fähre am die 
beyden Staͤdte Luͤbeck und Hamburg abgetreten worden. 
Die Zollſtaͤtte war zu derfelden Zeit auf gleicher Stelle, 
als fie noch jest angetroffen wird. Gleichwohl brachte 
Herzog Heinrich der Jüngere (1488). die fonderbare, 
Klage ein, die beyden Städte hätten durch den Ga ms 
mer: Deich der Elbe ihren alten Lauf genommen, und 
es erfolgte der Reichs⸗Befehl, daß die Städte den Deich wie: 
der aßtragen follten, „wenn wirklich derfeibe von ihnen 
aufgetragen waͤre.“ Der Kaiſer Friedrich IL, farb. dariiber 
und die Sache blieb ruhen bis zu 1556, Im diefem 
Sabre fuchte aber Herzog Franz Otto fie wieder hervor, und 
fo, daß er die Klage gegen Hamburg allein richtete, und 
durch Verſaͤumniß des Sachwalters der Stadt, welcher 
nad) Speyer gegangen. war, falte dag Kammergericht 
1619, den 19. April ein ungünftiges Urtheil gegen die 
Stadt. Der Rath that Einfprucb, und wirklich er: 
folgte ein neuer Befehl, mit Vollführung des Urtheils 
„anne zu haften, Cd. 16. July 1619 und 10, Febr. 1620): 
aber, der Herzog Chriſt ian griff zu gewaltfamen Mit 
tin, feinen Zweck zu erreichen. Unter Anführung fei- 
res Bruders Georg ließ er 1620, den 23. Februar 
fruͤh Morgens um 4 Uhr bey Atlenburg und dem Zol—⸗— 
Ienfpeicher eine zahlreiche Mannfchaft über die Elbe 
bringen. Sie überfielen das: Zollhaus und plünderten 
und zerfförten es; dann zogen fie durch die Vierfande 
urd plünderten Haug für Haus, bemachtigten fich des Acker⸗ 
gerathes, trieben alles Vieh weg, brachen ſelbſt im die 
Kirchen ein und raubten, was irgend fich ‚vorfand, 


u 


502. Beſchwichtigung dieſer Streitigkeiten, 1620. 


Darauf durchfrachen fie den Gammer- Deich an vier 
Stellen: da aber das Waffer niedrig, das Wetter ins 
gewöhnlich trocten war, erreichten fie ihre Abſicht nicht, 
die Landereyen zu ‚überfchwenmen. Die Hamburger 
und Lübecker harten inzwifchen Mannſchaft geſammelt, 
die Lüneburger zu vertreiben, Diefe aber erwarteten 
ihre Ankunft nicht, den 24. März zogen fie mieber ab, 
und’ es gelang den Arbeitern, welche die Städte abge: 
fehieft, den Schaden des Deiched in fo weit wieder aus— 
zubeſſern, Daß bey dem Anfehwellen des Stromes im 
Fruͤhjahre feine Gefahr weiter zu befürchten blieb. 
Die voll ſtaͤndige Wieder herſtellung erfolgte nach Ablauf 
des Auguſtmonats in demſelben Jahre. Die Streitig⸗ 
keit wurde nun durch Vermittelung ber Stände des nie⸗ 
derſaͤchſiſchen Kreiſes zu Boitzenburg den ı Auguſt ur 
Güte weiter ausgeglichen: der Prozeß ſelbſt, von feiner 
Partey wieder anhaͤngig gemacht, iſt vergeſſen worden, 
und die Städte find feitdem im ruhigen Beſitz des 
Deichverbandes und Dammes, der noch jetzt der Strei⸗ 
de ich genannt wird, verblieben. Der Schade uͤbri— 
gens, welchen dieſer Ueberfall angerichtet hatte, wurde. 
auf 50,000 zhir, geſchaͤtzt. Zur Erfparung alfo, ‘mt 
um von den Einfünften des Amtes Bergedorf vor 
theilhafteren Nuben zu ziehen , vereinigten fich bie bey 
den Städte, die bisherige Amtmannsſtelle aufzu 
heben und ſtatt deffen von Michaelis dieſes Jahres an ci? 
nen gemeinfthaftfichen Amt sveriwalter zu verofdnen, 
deffen Wahl in der Folge wechſelsweiſe von Luͤbeck und 
von Hamburg abhängen follte, Und bey —— sn 
tung iſt es ſeit dem verblieben. 


Ausbruch des’ zojährigen Krieges, 563 


Inzwiſchen war in Deutſchland bereits die Fackel 

des Krieges, welcher dreyßig Jahre hindurch im 
Getuͤmmel wildtobender Leidenſchaften und. tinmenftb- 
lichkeiten Die Gegenden verwuͤſten, Jammer, Elend und 
Entartung unter den Bewohnern dieſes verhaͤngnißrei⸗ 
chen Landes verbreiten ſollte, in gluͤhrothem Scheine 
aufgelodert. (1618.) Wer mag die Zeitgenoſſen tadeln, 
wenn ſie die Erſcheinung eines groſſen Cometen, deſſen 
Schweif von den damaligen Sternfundigen auf 300 
deutſche Meilen berechnet worden, mit dieſer erſchuͤttern⸗ 
den Begebenheit in Verbindung brachten! Der Krieg 
war unvermeidlich, da die Menſchen jener Tage die 
höhere Weifung zu verftehen nicht fähig waren: die 
Angelegenheiten, welche die Gemuͤther Aller zu Frieden 
und Einheit führen follten, iaren der Saame der 
Zwietracht, die Angelegenheiten der Religion: aber zu 
ihnen gefellten fich, verberbficher, denn jede Anserting, 
der niedrige Eigennuß, die feig lauſchende Eifer ſucht, 
fürchtertich beyde, wenn fie fich unter den Deckmantel 
des frommen Scheines zu retten Gelegenheit finden, 
. Schon Matthias verfuhr hart und ungerecht gegen 
feine poteſtantifchen unterthanen; ſchlimmeres ſtand 
bevor, als Ferdinand II. in der Schule der Erb 
feinte der Proteſtanten/ von den Jeſuiten, gebitdet, 
ihm in der Regierung des Kalſerreiches nachfolgte und 
mit dem Willen, zur Ehre Gottes und zur Berherilis 
Hung feines Nahmens die Proteflanten zu intetditiefen, 
zugleich in Folge deſſen damit umging, den Beſitz der 
iſerkrone bey ſeinem Haufe erblich zu begruͤnden. 
N. jeſuitiſche Herrfihafe Ferdinands fuͤrchtend brachen 


504 Anftalten beym Anfange des Krieges 
die Böhmen zuerft los und wählten den -Kurfürften 
Sriedrich von der Pfalz zu ihrem König, einen Fürs 
fien, der unfabig war, in folcher Zeit eine folche 
Stelle einzunehmen; daher auch das Glück nur zu bald 
fich von ihm wandte, und die Eröffnung des gewaltiz 
gen Kampfes war geſchehen. Der erfle Schlag wurde 
fo raſch und fo glücklich geführe, daB Böhmen zu dem 
öfferreichifchen Haufe gleich Anfangs zurückgeführt wurde; 
Friedrich begab fih auf die Flucht, und fuchte Hülfe, 
die er im fich zuerft hatte finden follen, bey Verwand⸗ 
ten und Mitleidigen zu erbetteln. CL618—1622.)  _ 
Hamburg und die übrigen nordiichen Handelsfkädte 
lagen bis jetzt noch eben jo fern von diefem Kampfe, 
als fie Urſache harten, ohne Noch fich in denfelßen 
nicht zu mifchen. Nur wenn Veberseugung und die 
gefammte Sache des Vaterlandes ung auffodern, ſteht 
e3 auch der geringeren Macht wohl an, im die Ents 
fcheidung groffer Dinge feinen Beyſtand zum Ausſchlag 
zu Tegen: jeßt aber war es ſchwer zu beflimmen, wer 
für Recht und Wahrheit ftehe, oder wie für die 
Ehre des Rechten zu wirken fey. Die Städte bielten 
fih, fo fange es vergönnt blieb, ruhig und frey von 
verpflichtender Theilnahme. Der ungküsfliche, Frie d— 
rich. V. von der Pfalz, vertricbener König von Boͤh— 
men , kam auf feiner Flucht über Breslau und Berlin 
nach Hamburg, Cı621, den 14. Februar) und 
wurde bier im englifcben Haufe auf dag freund: 
lichſte bewirthet. Für hieſige Stadt war ſelbſt dieſer Ber 
ſuch von niche ganz gleichguͤltigen Folgen begleitet: 
denn es gedenken derzeitige Nachrichten eines am 


ey 


® . 
ur Befeftigung und Bewehrung der, Stadt» 505 


19, Februar gefeyerten Gelages, „wobey ein fehr ſtarker 
Trunk vorgefallen, welchen der Buͤrgermeiſter Vincent 
Möller nicht vertragen können, bat fich deßhalb fol: 
genden, Tages übel befunden, iſt bettlaͤgerig ‚geworden, 
und darauf den 30. März verflorben, Der Kurs 
fürfi- König Friedrich aber reiſte, nachdem er ver- 
geblich-den König Ehriffien von Dänemark. für ſich 
zu gewinnen. verſucht beste, weiter nach den Niederz 
fanden, neue Gehuͤlfen aufzujuchen, feine Sache vom 
Untergange zu retten, 

Dagegen war es der ‚vorberathenden Klugheit fehr 
angemeffen,,; daß. für Befeftigung und Vorwehr der 
Stadt in diefer unſicheren Zeit alles aufgeboten wurde, 
was nur die vorhandenen Kraͤfte und Mittel zu lei⸗ 


ſten vermochten. Vieles war ſchon im verwichenen 


Jahrhunderte geſchehen, die Stadt vor feindlichen An— 
faͤllen zu bewahren: aber. je ſinnreicher ſich die Kunſt 
des Krieges entwickelte, um ſo nothwendiger wurden 
neue Vorkehrungen, neuen Liſten mit entſprechender Ant⸗ 
wort zu begegnen. Schon ſeit dem Jahre 1616 war an 
dem neuen Wall und an zwey Bollwerken vor dem Stein— 
thore gebauet worden; jetzt wurden die Graben vor dem 
Stein⸗ und Spitaler⸗Thore tiefer gemacht, und der 
Wall vom Deichthor an bis an den Kehrwieder beenz 
diget. Im Innern geſtaltete ſich auch die Buͤrgerwehr 
zu einer feſten und geregelten Ordnung: ſie theilte ſich 
in beſondere Hauptmannſchaften und bezog i. J. 1618 
die Waͤlle, eine jede mit ihren eigenen Fahnen. Im 
naͤchſten Jahre wurde ein beſonderes Kollegium der 
Colonelſchaft exrichtet, in. welchem vier Colonel⸗ 


506 Chriſtian IV, von Daͤnemark nimmt als . k 


herren bie aͤlteſten des Rathes waren, vier Oberſt Lieu⸗ 
tenante, so Compagnien aus der Buͤrgerſchaft do 
von ber Altſtadt, 10 aus der Meuftade, jede von 200 
Mann. Zu gleicher Zeit wurde eine neue Wal: und 
Wacht⸗Ordnung feſtgeſetzt und die Befeffigung der 
Stade im Sabre 1620 von.der Alſter an, wo nach— 
mahls der Lombard geſtanden, bis an die Elbe hin 
durch den Kriegsbaumeifter Johann von — 
noch mehr erweitert. 
Der zweyte Schlag, welcher gegen den mit 
friſcher Hilfe nochmals in den Kampf tretenden Kurfuͤr⸗ 
ſten Friedrich ul deſſen Anhänger geführt wiırde, traf 


noch entſcheidender, (1622 bis 1625) und hatte zur 


Tolge, Daß das ganze füdliche Deutſchland und deffen 


Stände, welche am ber proteffantifchen Union (ı6ro 


errichter) Theil genommen, entwaffnet wurden. und 


unter harter Rache büßen mußten, Schon während - 


diefer Zeit war ein Heer von 10,000 Niederſachſen un 
ter Ehriffian von Braunſchweig gegen die katholiſche 
Lige im Felde geweſen: aber der bayerſche Tilly hatte 
fie gefchlagen und ruͤckte jeßt heran, den sangen Kreis 


jur Entwaffnung zu zwingen. Da war es ber König 
von Daͤnemark, Chriffian IV,, ein acht nordiſcher 
Held, ehatig und ruhmbegierig, aber gu Aroffen Dine, 


gen nicht geeignet, da ihm Die Ruhe Der Veberfegung 


4 


mangelte, welcher die Gefahr feiner Nachbarn fühlend 


ſich als Kriegsoberſter an die Spitze des niederſachni⸗ 
ſchen Heeres ſtellte und tem hereinſtuͤrmenden Zilly ent⸗ 
gegen ging. (1625.) Mißgeſchicke, dergleichen auch den 


abrraſten Feldherrn haͤtten beugen koͤnnen, vereitelten 


— 





* | 
ardebberſter von Niederſachſen Theil am Kriege. 507 


die Anſtrengungen des Koͤnigs: nach der Schlacht bey 
Lutter am Barenberge (den 43 Auguſt, 1626) mußte 
er ſeinem Gegner weichen und der ganze niederſächſiſche 
Kreis, nebſt Holſtein, Schleßwig und Juͤtland wurde 
von Billy überwältigt und uͤberſchwemmt. 

Der König mußte bey Eröffnung des naͤchſten Felde 
zuges (1627) auf feine eigene Vertheidigung bedacht 
feyn. Duͤrflige Hülfe war ihm von den Englandern 
und Franzofen gefchisfe worden: im Niederfachen bielt 
er noch mehrere Plage befegtz; die Weler und die Elbe 
fperrte er mie Schiffen, um zu verhindern, daß. Tilly 
feine Zufuhr befäme, welche die Hamburger und übris 
gen Staͤdter wohl zumeilen zuführten, theils des Ge: 
winnſtes wegen, theils um den Unwillen des Kaifers, 
ihres Herrn, nicht ohne Noch zu reisen, Aber dem 
feſten, zermalmenden Tritte Tilly’S mufre jeder Wi— 
derffand weichen, um fo mehr, da auch der ſtuͤrmiſche 
Herzog Wallenſtein mie feinem aus eigener Kraft 
gefchaffenen Heerhaufen herangezogen Fam, bey Winfen 
und beym Zollenfpeicher über die Elbe ging, und mit 
dem bayerfchen General (ben ZZ September) die wei: 
teren Unternehmungen verabredere, Wie ein verheerens 
der Waldffrom walsten fich die vereinigten Heere weiter 
gegen die geringere Macht des Königs; unmuthig 
ſchnob Wallenflein vor den hohen Wällen Hamburgs 
vorüber, die ihm zu einem vafchen Ueberfall zu bedeus 
tend ſchienen, aber die Umgegend empfand in vollem 
Maaße die Gräuel wilder Kriegsverheerung. Die Dis 
ven vermochten nirgends : Stand zu halten: bie. Raifer: 
‚lichen folgten ihnen auf dem Fuße. Nur Krempe und 


508 Fortfegung des Krieges. Wallenfkeing 


Gluͤckſtadt leiſteten tapfern Widerſtand, letzteres unbe⸗ 
ſiegt im ganzen Kriege, erſteres bloß in dieſem Jahre. 
König Chriſtian ermahnte Hamburg angelegentlich, 
nicht Partey für die Kaiſerlichen zu ergreifen: er werde 
thbun, mas irgend mir billigen Vorſchlaͤgen vereinbar 
fey: aber mit Grimd beantwortete Die Stadt die An— 
foderung, daß nur die Noth der Zeit jeßt Gebieterin 
ſey, wie und an wen man fich ju halten habe, Eifrig aber 
wurden im Innern bie Befeftigungsarbeiten fortgefest, 
uͤberraſchender Gefahr mit troßendem Bollwerk zu = 
gegnen. * 

Tilly fügte im naͤchſten Jahre dem Amte Rise 
buͤttel groſſen Schaden zu, waͤhrend er Stade, das 
von dem tapferen Morgan mit 2500 Englaͤndern und 
einigen anderen Kriegern vertheidiget wurde, durch enge 
Einfchliegung jur Uebergabe ju zwingen bemüht war. 
Die Hamburger fanden fich dadurch bemögen, ihre 
Kriegsleute mis goo Fußknechten und 1000 Reutern iu 
vermehren; fo wie die Buͤrgerſchaft ſelbſt, der un— 
gewiſſen Zukunft haͤlber, mit Lebensmitteln ſich zu vers 
fehen, aufgefodert wurde, Wallenſtein barte feinen 
Plan auf die Gewinnung der Oſtſee⸗Kuͤſten geſtellt, um 
fich in Niederfachfen ein eigenes Reich zu dründen und 
unter liſtiger Vorſpiegelung die bedeutendſten Hanfer 
ftädte in feine Abfiche zu verſtricken geſucht. Sie for” 
ten ihm eine Flotte baten, Dänemark anzugreifen, und 
dem Kaifer, d. h. ihm ſelbſt, die Herrſchaft der beyr 
den Meere zu unterwerfen, Er nannte fi ſchon des 
oceanifchen und baltischen Meeres General. Handels⸗ 
vortheile hoͤchſt lockender Art, ausſchlichticher Handel 


Pplane. Seine Beſtuͤrmung don Stralſund. 509 


4: B. nach Spanien hin, wurden verfprochen : aber die 
Hanfeaten durchſchaueten feine Abſicht, danften für die 
gute Meynung und enefchuldigten fich mit der Unausfuͤhr⸗ 
barkeit der vorgefcbfagenen Maaßregeln. Roſtock indeſſen 
und Wißmar hatten der Uebermacht fich fügen und wallen- 
feinifche Beſatzung einnehmen muͤſſen: deſto muthiger 
ſtemmte ſich dagegen Stralfund, und wurde von Das 
nemark und Schweden zugleich, ſo wie von Hamburg 
und Luͤbeck fo kraͤftig unterſtuͤtzt, daß es mit unbeſieg— 
licher Ausdauer die Angriffe Arnims, den Wallen— 
ſtein davor gelegt, und nachher die Beſtuͤrmungen des 
Herzogs ſelbſt im Nichtigkeit vereitelt, Der Wallen- 
flein war eben aus Böhmen‘ von Gtralfund zuruͤckge— 
kehrt, dieſe Stade, wenn fie auch mie Ketten an den 
Himmel gebunden wäre, berunter zu ziehen, Da ka— 
men Gefandte von Hamburg an, ben Herjog, wo 
möglich, zu friedlicheren Gefinnungen für die Belagerten 
zu bewegen, Aber in dem Augenblicke ihrer Ankunft 
begann der fürchtertiche Sturm gegen die feindfichen 
Wale, alfo daß von Unterhandlungen weiter nicht Die 
Rede feyn konnte. [Des einen Abgeſandten, des Raths— 
bern Gerhard vam Holte, bemaͤchtigte fich bey 
dem Kriegs + Getümmel ein fo graufenhaftes Schrecken, 
„daß er bald darnach, als er wieder nach Hamburg ge 
kommen, geftorben iſt.“ Wallenftein aber mußte ablaffen 
von diefer Belagerung und —— ſeine Plane auf 
anderen Wegen weiter. 

Chriſtian von Dänemark hatte unterdeſſen Ans 
träge zu Friedensſchluͤſen gethan, welche der Fried— 
laͤnder mit Wohlgeſllen aufnahm, da ſie ihm von der 


‚510 Friede mit Dänemark 1629, .....® 


einen, Geite Huhe verfprachen, während ein anderer 
Streiter aus dem Norden drohend gegen. ihn anruͤckte; 
‚und es Fam endlich zu Luͤbeck, (den 22, May 1629) 
‚ber. Friede zwiſchen Dänemark und dem Kaifer, fuͤr 
welchen Tilly und Wallenfein beauftragte Unterhand: 
Ier waren, wirklich zu Stande. . Die Bedingungen 
waren beffer, als Chriſtian ſie hatte erwarten mögen. 
Gegen das DVerfprechen, in Zukunft ‚feinen größeren 
Antheil an dem Kriege. zu nehmen, als zu weichem er 
wegen Holfteins und Schleßwigs verpflichter fey, be— 
kam ber König alle feine Länder zuruck, von verlang- 
ten Kriegsunfoften und Schadenerfaß war. weiter nicht 
die Rede, In Hamburg verherrlichte man noch den 
31. May den geſchloſſenen Frieden mit Dankfeſten in 
den Kirchen und mit Freudenfeuern, nicht ahndend, in 
welche nur zu ſcharfe Verdrießlichkeiten man bald mit 
dem Könige ſich wieder verwickelt finden werde," 
Die. Hamburger hatten wahrend des Krieges 
(1628 den 3. Juny) vom Kaifer Ferdinand das for 
genannte Eibprivilegium ſich ausgewirkt, die guͤn⸗ 
gen Umſtaͤnde, welche die feindſelige Geſinnung des 
kaiſerlichen Hofes gegen Daͤnemark darbot, benutzend, 
einem alten, vielbeſtrittenen Vorrechte neue Bekraͤfti⸗ 
gung zu verfchaffen. Es lautete dahin, Daß von Ham⸗ 
burg bis zur Mündung der Elbe ‚hinab, . und. von da 
die Elbe hinauf Feine Feſtung angelegt merben, daß 
keine Kriegefihiffe auf der Elbe zum Schaden der. Hand 
lung liegen dürfen, endlich, daß von der, Stadt die 
Elbe hinab bis zur Muͤndung nie ein Zoll geſtattet wer⸗ 
den ſolle. Der Neuwerker Zoll wugbe in einem anderen 


Gluͤckſtaͤdter Retorfions:3ol 1730, ff. su 


Privilegium vom 8. Juny beftätige, fo wie’ auch 1629 
den 22, Januar die Verordnung Friedrichd J. wegen 
der Vorbeyfuhr auf der Elbe erneuert, Dagegen 
hatte Ehriffian IV, mit feinem nen angelegten Glück 
ftadt, das fich fibon wahrend des Krieges als eine 
vollfommene Feſtung Bemwiefen hatte, Feine geringere 
Abficht, ald eine gewerbreiche Handelsſtadt daraus zu 
machen , und den Handel Hamburgs damit, wo irgend 
möglich, zu zerſtoͤren. Dabin arbeiteten nicht blos die 
Maaftegein, fremde Gewerfer, für welche kein Zunft⸗ 
zwang ſtatt fand, allerhand Kaufleute nach Gluͤckſtadt zu 
sieben, die portugiefifchen Juden zu privilegiren: fon- 
dern feindfeligere gegen Hamburg ſelbſt. Kriegsfchiffe 
brachten die nach Hamburg oder von da Fommenden 
Schiffe nach Gluͤckſtadt, wo fie ihre Paffe vorzeigen 
mußten und unter nichtigem Vorwande behindert wur⸗ 
den, ihre Reife fortzuſetzen. Am 9. April 1630 murde 
angefangen, von den vorbepfahrenden hamburgifchen 
Schiffen und Gütern Zohl zu fodern. Auf die Bes 
fchwerden der hbamburgifchen Abgeordneren wurde troßig 
geantmworter, der König bediene fich dieſes Mittels als 
Ruͤckzwang, ‚‚Retorfion‘‘, die Hamburger zu noͤthigen, auch 
feine Unterthanen zollfrey zu laſſen, und fich Genugthuung 
zu nehmen, daß fie während des Krieges einige ihm 
zugehörige Güter angehalten hätten; ein gefuchter Vor⸗ 
wand, da jene nur ein einjiges mal auf Tilly's 
Berlangen dergleichen gethan, weil es Bedürfniffe für 
die Feſtung Gluͤckſtadt beftimme gewefen, Hamburg 
ſchlug, zu feiner Hülfe, zmey Wege ein, den des Rechtes 
vor dem Kaifer, und den ber Vermittelung durch den 
33 


512 Kampf zwiſchen ben H. und den Dänen 


Herzog von Holfkein-Gottorp und die Städte Luͤbeck und 
Bremen. Zur Verwirrung des Streites diente es nur, die 
laftigen Fragen, von ber Reichsſtandſchaft der Stadt 
und von ber Unterthaͤnigkeit, Die der König. foderte, 
nochmals mit einzumifchen, 

Am Faiferlichen. Hofe Fam die. Sache zu einem lang⸗ 
weiligen , weitichweifigen Schriftenwechfel ‚, und. wurde 
auf dem Reichstage mit alsüblicher Lang ſamkeit betrie⸗ 
ben, wiewohl Ferdinand ſelbſt die Angelegenheit empfahl: 
in dieſem gefahrvollen Zuſtande der Dinge ſey es auch 
ſonſt nuͤtziich und ſehr nothwendig, eine ſo maͤchtige 
und an der Grenze des h. roͤmiſchen Reichs liegende 
Stadt fo viel als möglich in der Treue zu erhalten. 
Inzwiſchen wollten die Hamburger durch Selbſthuͤlfe Ge⸗ 
walt mit Gewalt abzuwehren verſuchen und traten noch 
einmal in dieſem Streite, uͤbrigens das letzte mal als 
Seemacht auf. Am 27. April 1630 erſchienen einige 
hamburgiſche Kriegsſchiffe nahe bey Gluͤckſtadt, ſetzten 
in der Nacht Leute ans Land, um zu kundſchaften, 
bey welcher Gelegenheit ein Schuß nach dem König 
und. dem Prinzen geſchah, Die am Morgen ausgeritten | 
waren und nicht fogleich erkannt wurden: ein. Berges 
ben, das nachmahls den Hamburgern als eine grobe Vers 
letzung des Volkerrechts vorgeworfen worden iſt. Dennoch 
war auf die angefommenen Schiffe von Gluͤckſtadt aus 
ſogleich mit ſieben Schuͤſſen ſcharf geſchoſſen worden, | 
daß die Hamburger fich genöthiget gefehen, das Feuer 
zu beantworten, Am 30, nahmen fie, einen. groffen 
Prahmen und drey Pinaſſen, die zu der. Zolleintreibung 
gebraucht worden. waren, beſchimpften die, Fönigliche 


wegen des. Gluͤckſtadter Zolles, 1630. 513 


Flagge, indem fie diefelbe hinter ſich im Waſſer herſchlepp⸗ 
ten, und bracbten die Schiffe nach Hamburg. Hier 
ſelbſt wurde das Betragen des Anführers nicht gut ge 
heißen: aber Kriegsgebranc) haͤlt ſich ſelten innerhalb 
der Grenzen des Anſtaͤndigen. Der erzurnte König ließ 
nun alle Schiffe und Guͤter der Hamburger in ſeinen 
Staaten mit Beſchlag belegen, und ging ſelbſt mit 
feiner Kopenhagener Flotte in die Elbe. Die hambur⸗ 
giſche, unter den Befehlen des Vuͤrgermeiſters Al b— 
recht von Eigen, ſchiffte ihm ensgegen, Den 4. Sept, 
von Mittag an big 5 Uhr Nachmittags, den ganzen _ 
5. Sept. kanonirten bepde Flotten gegen einander mir Hefs 
tigkeit in der Suͤderelbe in der Gegend der Husfronne, Den 
Hamburgern mar Wind und Werter entgegen, fiesent- 
ſchloſſen fich daher, fich den 6. Die Elbe hinauf zu ziehen; - 
aber die Danen folgten ihnen. mir, Suüdweſtwind und 
den Abend mußten. fie einen neuen Yugriff aushalten, 
Den 7. zogen fie ſich unser waͤhrender Kanonade noch 
weiter hinauf, da aber. die Fönigliche Flotte ihnen den 
Lauf abſchnitt, trieben fig mis ganz ſtillem Wetter und 
faft. feinem Winde nach dem Stader Sande unter der 
Schwinge, wo fie. Sicherheit fanden, Daͤniſche Ge 
ſchichtſchreiber geben die Fönigliche Flotte auf 21. Kriege 
ſchiffe an, 5 Galeeten, 4 Brander und 7 Jachten/ die 
hamburgiſche auf, 22 Kriegsſchiffe, 2 Brander, und 
mehr als 20 Kauffahrer. Nach ben; Berichten hambur⸗ 
giſcher Erzaͤhler hatte der Sca 42 ‚groffe Schiffe, Nie: 
Hamburger 29. 

Seitdem ward ber Streit, Anke fopifttichen Yerhanks 
lungen fortgeführt, die nichts entſchieden. Auch bie 

33* 


5i4 Gluͤckſtaͤdter Zoll bis 1637. 


Bemuͤhungen der Hollaͤnder und des engliſchen Gefande 
ven, einen Vergleich zu vermirteln, blieben fruchtfo®, 
Sogar gefchab ed, daß der Kaiſer mir Bemilliaung 
eines Theil der KRurfürften, 1633, den König mit die 
fem Zoll auf vier Jahre privilegiree, freylich mit der 
geheimen Bedingung, daß ſich Ehriffian dem Kaifer 
anfchließe, und gegen die Schweden, wenn die Frie 
densunterbandlungen nicht zu Stande kaͤmen, Hülfe 
leifte. Da aber diefe Bedingung nicht erfolgte, beru- 
higte Ferdinand II. ſchon 1635 die Hamburger durch Die 
Verſicherung, daß der Zoll nicht länger, als die bewil⸗ 
ligren vier Jahre dauern, und an ihren Gerechtfamen 
ihnen damit Fein Abbruch gefchehen ſolle; 1637 aber, als 
der König um Verlängerung des Privilegiums nachfuchte, 
wurde ihm folche von Ferdinand III,, jegigem Rai: 
fer abgefchlagen, dahingegen von eben demfelben der Stadt 
Hamburg ‚alle neitere und altere Privilegien aufs Neue 
bekraͤftiget wurden. Jetzt that der König bilfigere Ver: 
gleichungsvorfchläge: aber Bie Hamburger wiefen fie 
zurück, im Vertrauen auf rechtliche Entfcheidung der 
Sache, für welche fie frifche Hoffnung faßten. 

, Der bfutige Krieg hatte inzwifchen eine andere 
Wendung befommen, ſeitdem Guftfav Adolph von 
Schweden 1630 die Sache der Protefkanten zu der fei- 
nigen gemacht hatte," und mit feinen tapfern, geübten Krie- 
gern nach Deutfchland herüber gefommen war. Pom— 
mern mußte er fich mit Gewalt öffnen: auch den ſchwa⸗ 
ben Kurfürften von Brandenburg mußte er durch. uns 
'erbistlichen Zwang zu feinen Bundesgenoffen machen 
und konnte es mir vieler Mühe nur erhalten, daß ibm, 


Die Fahre nach Spandau, 1631. 515 


um im Ruͤcken gedeckt zu ſeyn, die Feſtung Spandau von 
demfelben geöffnet wurde, welche die Schweden d. 15. May 
1631 beſetzten. Der. Ruf des Königes verbreitete fich 
ſchnell und belebte die Hoffnung aller Wohlgefinnten, 
Damahls kamen mehrere bamburgifcbe Kaufleute mit 
24 beladenen Wagen von der Leipziger Meffe und faßten 
ben Man, den Weg über Spandau zu nehmen, um 
bey diefer Gelegenheit.den König zu ſehen. Sie wur 
den auch. freundlich vorgelaffen und behandelt, und Dr. 
Moller, der als Reifender bey ihnen war ,. biefiger Paftor 
an St, Petri, mußte vor ibm predigen. Aber der Fuͤrwitz 
follte ihnen nicht fo Leicht Hingeben, Der König brauchte 
nötbiger, ald alles, Geld. Er hatte im Stillen ihre Wagen 
anhalten laffen, und machte von ihnen auf der Stelle eine 
geswungene Anfeihe von 80,000 Thalern gegen Aus: 
ftellung eines Schuldſcheines, welche jedoch 1650 redlich 
an die Erben wieder zurückgezahlt worden find. „Pfuy, 
pfuy! — fagte der Oberalte Herrmann Rengel,— 
dat heet, fahre na Spandau, umb den- König to ſehn!“ 
was lange Sprüchmore im Munde der. Hamburger ges 
blieben iſt. Guſtav aber verfolgte weiterhin feine Ent 
würfe mit dem feften Selbjtvertrauen, das. auf eine 
göttliche Sache gegründer ift und mit dem Fühnften 
Fluge des Gieged bis in dag Herz von Deurfchland, 
Auch als er den Heldentod bey Luͤtzen geftorben, bes 
hielten die. Schweden, durch Dpenfkierna und die in 
Guſtavs Schule, gebifderen. Heldenführer geleitet Die 
Dvermacht und ‚warfen das Anſehen des kaiſerlichen 
Sauſes darnieder, C1630—34). bis durch Mißgunſt und 
als Ferdinand III. des Kaiſers Sohn, den Kriegs⸗ 


516 Fortgang des zojaͤhrigen Krieges 


Vefehl übernahm, die Wagſchale abermahls zu ande⸗ 
rem Ausſchlage gebracht wurde (1634— i641) und die 
Macht der Schweden von ihrer Hoͤhe herabgeworfen 
lag. Glücklich die Laͤnder, welche im dieſer Zeit der 
Verwirrung das Kriegsgetoͤſe nur von ferne vernehmen 
durften. Um die Gegenden des niederſaͤchſiſchen Krei- 
ſes von den noch herumſtreifenden Ueberreſten der kai— 
ſerlichen und Tigiftifehen Truppen zu befreyen, verban- 
den fich die Stande deſſelben auf einer Zuſammenkunft 
zu Hamburg 16317, den 10. Noveinber, jur Errichtung 
"eines geineinfebaftlichen Heeres, das mit den Schweden 
ſich vereinigen und zur Vefreyung des Kreiſes gemein⸗ 
ſchaftlich mitwirken ſollte. Aber einen völligen Beytritt der 
Kreisſtaͤnde und einen Zuſchuß an Geldern, wozu ber 
ſchwediſche Miniffer Sohbann Adler Salvius fie 
gu bewegen fuchte, verhinderte die Eiferfucht des Kb: - 
nigs Chriftian, "Dagegen verpflichtete fich, dem Bey: 
fpiefe Luͤbecks folgend , die Stadt Hamburg 1632, den 
26, November, den Schweden die Summe von 150,000 
Thalern in drey Terminen zu bezahlen, wogegen fie des 
kraͤftigſten Beyſtandes, des freyen Handelsverkehrs zu 
Waſſer und zu Lande, der Befreyung von aller Bequar⸗ 
girung, anderen Beyſteuern u, dal, ve ichere wurde, 
Die für die Schweden unglückliche Schlacht bey Noͤrd⸗ 
fingen (1634, den 7, Sept.) hatte die Folge, daß der 
Kurfürft von Sachfen von ihrer Seite aberat und zwi— 
ſchen ihm und dem Kaifer der Friede zu Prag zu 
Stande kam, (1635, den 30, May) melcher der An⸗ 
gelegenbeit der Proteſtanten den empfindlichſten Stoß 
beybrachte. Dennoch traten verfehredene Reichsſtaͤdte, 






ſeit 1634 big 1641. 517 


auch die drey Hanſeſtaͤdte, um des Vortheils ihres 
Handels willen, demſelben bey: es geſchah alſo nur im 
rechten Gange des Krieges, als der ſchwediſche Gene⸗ 
ral Banner zu Havelberg dem Hamburgern To mit 
Gütern reichbeindene Schiffe wegnahm, fo empfind- 
fich der Verluſt den Kaufleuten auch feyn mochte, die 
aufferdem im vorigen und in diefem Sabre durch hef— 
‚tige Stürme bedeutenden Schaden zur See erlitten hats 
ten, Als um Oſtern dieſes Jahres’ Treifende Haufen 
fehmedifcher Voͤlker in Holſtein einfielen, drohete eine 
Schaar derſelben von etwa 2000 mit einem Einfall in Vier⸗ 
landen, wurde aber zur rechten Zeit zuruͤckgewieſen. 1636 
pluͤnderten die Schweden 36 Frachtwagen der Hams 
burger, die nach Leipzig beſtimmt waren, deren Verluſt 
auf 36,000 Rthir. geſchaͤtzt wurde. Die Borficht Batte 
vor dem unbefonnenen Wagſtück, das mit Zeit und 
und Umſtaͤnden ſich nicht BE , die Kaufleute war: 
nen follen! 

Nach einigen Jahren früßbsiofer Bemu hungen auf 
den Verſammlungen, die ſeit 1637 zu Hamburg gehal— 
ten worden, den Frieden zu vermitteln, war die Sache 
endlich 1641 fo weit gediehen, daß zu Muͤnſter mir 
Frankreich, - u DOfnabrüc mit Schweden das ernfte 
Gefchäft zur Vollendung geleitet werden follte, Waͤh— 
rend deffen aber zog fich über Hamburg ein Ungewitter 
sufammen, das der Stade mit neuem Verderben "zu 
‘drohen fehien, und die alte Zwietracht zu friſchen vr 
‚men wiederum anfachte, 

Im Fahre 1640, den 15, Nov, ftarb Dtto VL, 
Graf von Schauenburg und Pinneberg in 


518 Die Schauenburger flerben aus, 


einem Alter von 26 Jahren, unverheyrathet, der letzte 
feines Hauſes; und obſchon mehrere entfernte und nahe 
Berwandte Anfprüche san die Erbſchaft machten, ſo 
nahmen doch der König von Dänsmarf und der Herzog 
von Holſtein, da die, Sraffchaft ein Stuͤck von dem ger 
ſammten Holſtein fey, womit ihre Vorfahren belehnt 
geweſen, zugleich, da Graf Otto dem Könige ſehr ver— 
ſchuldet geblieben war, davon Beſitz; die Mutter des 
Verſtorbenen wurde mit einer Geldſumme von 145,000 
Rthlr. abgefunden und darauf gründeten der. König und 
der Herzog ihr Befigungsrecht an die Grafſchaft. Den 
fihauenburgifchen Hof. in Hamburg befchloffen beyde, 
gemeinſchaftlich zu behalten und den Zoll daſelbſt nach 
Verhaͤltniß unter fich zu heilen. Doch legte fibon der 
Faiferliche NRefidens zu Hamburg, Herr von Luͤtzo w, 
Sequeiter darauf, wohl nicht ohne. Mitwirkung der 
Hamburger ſelbſt, fuͤr welche es nicht ‚gleichgültig ſeyn 
Fonnte, mit dem. Könige in eigener Stadt zu handeln 
zu haben und überdieß fo nahe. und fo ganz von bef 
fen Gebiete umfchloffen zu. werden. Beſonders fchien 
die Naͤhe des immer. mehr aufblühbenden Altona bes 
benflich, ja gefährlich. 

Diefer Ort verdankt fein Entflehen felbft * — 
Hamburg, wie er auch in der Erſcheinung als Ab: 
leger der Nachbarſtadt ſich anmeldet. Früher diente 
die Gegend zur Hut und Trift für die Voigtey Dtten- 
femz d, h. Ottensheim, (von einem Grafen, Otto, 
Heinrihd Sohn, alfo benannt 1330.) Das Gebiet der 
Stadt Hamburg dehnte fich, nach alten. Kaufverträgen 
fibon im dreyzehnten Jahrhunderte bis zu der jegigen 


Altona's Entſtehen und Verhaͤltniſſe zu Hamburg. 519 


Grenze aus, die alte Erzählung alſo, man habe 1428 
von ‚einem Grafen Ott o von Pinneberg, als er in 
Hamburg bey einem Bürgermeiffer weiblich gezecht, 
„dat luͤtke Ruͤmken“ vom Millernehore bis an den Bach, 
der: im ‚Thale ‚nach, der Elbe zu Taufe, fich ſchenken 
laſſen, mit der Zeit im Widerfpruch ſteht. Die Refor⸗ 
mation bewog mehrere ſtrenge Anhänger der alten Lehre, 
Hamburg zu verlaffen, da fie aber dem Vortheil der 
reichen : Handelgftade nicht aufopfern wollten, ber 
ſchloſſen fie in, der. Nachbarfchaft fich anzubauen, wozu 
diefer Pag, in der Nähe der Elbe zugleich, nicht uns 
bequem ſchien. Der Zunftzwang, der in Hamburg 
berrfihte, beförberte den Zulauf ſolcher, welche fich 
davon gedruͤckt und in ihrem Gewerbe gehemme fühl: 
ten, nach einem Orte, mo fie von Staatslaſten frey 
bey mohlfeileren Lebensmicteln wohlfeil wohnen, ihre 
Arbeit nach Willkuͤhr fchleche machen. Fonnten, für 
welche fie immer des geringeren Preifes wegen, Abneh⸗ 
mer fanden, Die hamburgifsben Zunftgenoffen empfan- 
den bald, daß fie durch dieſe Bönhafen in ihrer Nah— 
zung. wirftich, Abbruch Titten und waren unzufrieden, 
dag man den zunftlofen Menfchen geflatte, an. einem 
Orte fih nieder zu laffen, der in jeder Hinficht Ham: 
burg doch all thbo nahe liege, 1547 ging der Ort 
in. Feuer auf; die Hamburger wandten ſich an den 
Landdroſten in Pinneberg, daß er. die Wiedererbauung 
ber Brandfkatte nicht geflatten. möge: aber Hand Bars 
ner, fo hieß. der Droſt, antwortete ausweichend: dag 
Bauholz fey bereit angemiefen und die Erlaubnif ſchon 
gegeben. Nun wurde in dem Receß von 1548 auf 


520 Nachbarliche Streitigkeiten zwiſchen 


Betrieb der Zünfte ein eigener Artikel fefigefegt, Cd. 37.) 
morinnen allen Bürgern und Einwohnern verboten 
wurde, im Altona oder Dttenfen oder fonft an einem 
Orte zwey Meilen Weges von der Stadt irgend ein 
Zeug arbeiten zu laſſen; noch folte auch den auswärtigen 
Handwerkern erlaubt ſeyn, „den Börgern tho Verfange“ 
ſolches Zeug und Werk aus der Stadt zu holen, bey 
Strafe der Wegnahme. Das Verbot wurde noch in 
die Burſpracke uͤbergetragen und alljährlich zwey⸗ 
mal verleſen, wie oft auch durch Umſchleichung dage⸗ 
gen gefündigt werben mochte. 1594 wurde es noch das 
bin gefchärft, daB auffer der Wegnahme der fremden 
Arbeit der Einbringer mit 10 Thlr. Strafe büffen 
- folle,. Es mögen bey Diefer Gelegenheit ſelbſt einige 
Gewaltthärigfeiten gegen die altonaifcben Handwerker 
verübt worden feyn: denn der Graf von Schauenburg 
beklagte fich in einem Schreiben an den Kath (ro. Der, 
d. %.) Bitter darüber und verlangte Genugthuung. Ans 
dere Häfeleyen entfprangen aus der Grenzberichtigung 
bereit feit 1591. Die Hamburger riffen da einige 
Planken weg von Gebäuden, die am Bache ftanden, 
als der Grenze zu naher: mehrere Tage hindurch wurden 
Grenzbefichtigungen gehalten und endlich 1593, den 
12, October, durch einen DBergleich mit dem Grafen 
Adolph berichtiger. Aber zwifchen Nachbarn, die miß- 
günftig einander beobachten, ſchlaͤft der Hader ſelten: 
es finden ſich aus den naͤchſten Jahren 1595, 1599, 
1601 und 1604 wiederholte Klagen, daß die Altonaer 
widerrechtliche Anmaßungen fich erlaube, nahmentlich 
beym Nobis » Kruge und zwiſchen den beyden 


Hamburg und Altona, 521 


Muͤhlenteichen. In dem feßteren Jahre 1604 hatte eben 
‘der Graf Ern ſt die Hälfte des ſchauenburgiſchen Zolles, 
worauf der König von Dänemark und Herjog von 
Holſtein Anfpriche machten, in einer nen ausgeftellten 
Urkunde an die Hamburger abgerreten und die andere, 
ihm gehörige Hälfte der Stadt verpfänder, ferner die. 
Reibzugsverfihreibung auf ‘einige noch vorbehaltene Ges 
rechtigfeiten aufgehoben, alle hamburgiſchen Briefe aus: 
Heliefert, jedem Anfpruch auf Billwaͤrder entfage und 
‘allen fonft zu vermuchenden Rechten, gegen die Summe 
"von 32,000 Rthlr. in drey Terminen zu bezahlen. Im 
nachſten Jahre waren auch die Grenzen auf dem Grie- 
ſenwaͤrder, Rugenberge und Kaltenhofe berichtiget wor 
den, Mit Altona aber dauerten die Necfereyen fort, 
alfo daß auch der Pinneberger Droft, Hans Steding, 
1607 an den Rath zu Hamburg fehrieb: die Leute 
"möchten viel Tieber an der türfifchen Grenze woh⸗ 
nen, denn mit den Hamburgern benachbart ſeyn, wenn 
ihnen dermaßen ſollte zugeſetzt werden. Indeſſen wurde 
in dieſem Jahre (den 2, Juny) die Streitigkeit bis fo 
weit abgethan, daß ein neuer. Grenzvergleich, zwiſchen 
dem Rath von Hamburg und den Vorftehern des St. 
Johannis⸗Kloſters mit dem Grafen Ernft errichter, die 
"Markfcheidung bey Altona, Eimsbuͤttel, Lockſtedt und 
Eppendorf mie den genaueffen Angaben berichtigte und 
dieſer ift auch in fpäteren ner fe als lei⸗ 
tend zum Grunde gelegt worden, 
Altona wurde indeffen durch zufammentreffende um⸗ 
fände aus feiner Duͤrftigkeir, denn 1580 hatte noch 
eine befondere Armenbüchfe errichten werden muͤſſen, 


522 Meitere Zunahme von Altona 


allmaͤhlig zu groͤſſerem Wohlftande gehoben und fing 
an, mach und nach. bedeutender zu. werden. Die Res 
figiongverfolgungen vertrieben gegen das Ende des 
16 Jahrhunderts mehrere Familien, oft des angefe: 
benften Standes, aus den Niederlanden, aus der Pfatz, 
welche in diefen Gegenden Schuß und Aufnahme ſuch⸗ 
ten und fanden, Nur mar auch in Hamburg die Uns 
duldfamfeit ber lutheriſchen Geiſtlichen ſtreng bagegen, 
daß den Katholifchen, oder gar. den Calviniſten freye 
Neligionsübung geflatter würde, . Sp aͤngſtlich war 
der Graf Ernſt von Pinneberg nicht: auf Verwenden 
des Grafen von Manffeld erlaubte er den Reformirten 
1601, ihren Gottesdienſt in Altona ungeflöre zu hal⸗ 
sen; ein reicher Kaufmann aus Florenz, Alexander 
de In Roya, welcher des Grafen Geldangelegenheiten 
beforgte, erbauete mit einigen katholiſchen Kauflenien 
aus Antwerpen 1602 ‚eine katholiſche Capelle; was 
Wunder, daß in dem Receß von 1603 allen Bewoh⸗ 
nern Hamburgs, welche die Predigten in Altona, be 
ſuchten und durch böfeß Beyfpiel Aergerniß gaben, an: 
gedroher wurde, baß man ihnen den Aufenthalt in 
der Stadt und deren Gebiete verfügen werde, Zudem 
erlaubte fich der. Graf, dem Drte Nahrung zu verfchafs 
fen, ein unedled Mittel zu gebrauchen, Die früheren 
Grafen feines Hauſes hatten bey, Abtretung. der Münze 
gerechtigfeit an Homburg (1325) ausdruͤcklich feſtgeſetzt, 
daß nirgends in Holftein, denn in Hamburg, gemuͤnzt wer⸗ 
den folle, Graf Ernft aber bediente fich feiner Muͤnzſtaͤtte 
in dem weſtphaͤliſchen Staͤdtchen Oldendorf, ohnweit 
Schauenburg, ‚und nicht dieſer bloß, ſondern auch, ei— 


durch Religionsduldung ꝛc. 523 


ner unerlaubten Heckmuͤnze in Altona, (1603) eine 
große Anzahl von Grofcben und Doppelfchillingen 
ſchlagen zu Iaffen, weit unter der Halfte des Achten 
Werthes von Gehalt, zum offenbaren Nachtheile der 
Stadt Hamburg, deren ſchwere Münze gegen die fehlech- 
tere umgetauſcht wurde, Aber gröffere Lebendigkeit wurde 
dadurch in Altona verbreitet. Der Ruf einer unbedinge 
ten Religionsduldung zog auch noch mehrere fremde 
Anfiedier herbey. Die portugiefifchen Juden durften 
fich zwar um eine Synagoge nicht bewerben, da fie 
fich für neubefehrte Chriften ausgegeben hatten: 
aber fie erhielten 1611 durch Ankauf einen eigenen Be 
grabnißplag. Ihre gute Aufnahme Iockte die hochdeut: 
ſchen und polnifchen Juden herbey, denen zur Errichtung 
einer Schule im zweyten Jahrzehend Erlaubniß ertheilt 
wurde. 1612 war in Altona eine walloniſche Gemeinde, 
von franzoͤſiſch redenden Reformirten, aus den nie— 
derlaͤndiſchen Grenzprovinzen, und die Mennoniten, 
welche 1630 nach Hamburg kamen, erhielten 1634 in 
Altona gleichfalls die Sreppeit zu gottesdienftlichen Ver⸗ 
fammlungen, 

Graf Ernfi hatte 1604 den Ort zu einem Flecken 
erhoben. Doch blieb derfelbe für die nachfte Zeit noch 
wenig bedeutend, da die Unruhen des nachfolgenden 
Krieges im die Gegenden Holfteind Unficherheit und 
Verwuͤſtung brachten und die Angefebenften derer, welche 
fih zu den altonaifchen Gemeinden zaͤhlten, gleichwohl 
in Hamburg ihre Wohnung hatten, dort ihr Gewerbe 
treiben zu dürfen: denn der Verfuch eines reichen Men— 
noniten,' in Altona zu wohnen‘, während er in Ham» 


524, Altona falle dem König Chriſtian IV. zu, 


burg bloß einen Packraum haben wollte, um den daſigen 
Stadtabgaben zu entgehen, wurde bald vereitelt, Nur 
der größte Theil der hochdeutſchen Juden ſchacherte in 
Hamburg, während fie in dem mwohlfeileren Altona ihre 
Wohnung nahmen. Ein Beyfpiel friedlicher Nachbarse 
gefinnung hat fich noch aus dem Jahre 1638 erhalten, 
wo der hamburgifche Rath gebor, Cden 23. Marz) bey 
Durchiuchung der Leute, die von Altona Famen, 
glimpflich zu verfahren und ihnen das Verbotene mit 
Befcheidenheit abzunehmen, - Nun aber kam der König 
Chriffian zum Befige diefes Fleckens. Er. beffätigte 
fogleich, nach denfelben Grundfägen der Duldung, den Einz 
wohnern Altona's alle bewilligten Freyheiten und Gerecht— 
famen und begünftigte die nen hinzufommenden auf gleiche 
Weiſe. Der Dre war ihm wichtig: er ging damit um, 
denfelben entweder. in einen Waffenplag zu verwendeln, 
oder zu einer Handelsſtadt zu. machen, vielleicht, auch, 
beyde Abſichten ‚miteinander zu vereinigen. Die Ham— 
burger wurden. beforgt; fie bewogen den Herin von 
Luͤtzow, dem kaiſerlichen Hofe vorzuſchlagen, Al: 
tona und Neumuͤhlen von dem Pinnebergiſchen zu 
trennen, und der Stadt Hamburg gegen eine Summe 
Geldes zu uͤberlaſſen. Um dieſelbe Zeit erfolgte auch 
ein kaiſerliches, dem Koͤnige empfindliches, Mandat in 
der Elbzoll⸗ Angelegenheit, fo wie der Stadt Hamburg 
vom Kaifer die Reichsſtandſchaft zugefprochen und fie auf 
gefodert wurde, auf. dem Reichstage zu, Regensburg 
Gig und Stimme einzunehmen. Der König wandte. fich 
nun zuforderft an das Kurfürften- Collegium, und gab 
zugleich ein Manifeft gegen Hamburg heraus, welches 


Feindfeligfeiten des Königs gegen Hamb. 1641 ff, 525 


beweifen follte, daß Hamburg als holſteiniſche Stade 
zu der Erbhuldigung verpflichter, ihm ſelbſt, dem Koͤ— 
nig aber, die Oberherrfchaft auf der Elbe von feinen 
Borfahren ber zuffandig fey. Die Hamburger Tießen 
Dagegen eine „„abgenöthigte, mohlgegründere Apo Los 
gia oder Schugfihrift‘‘ erfiheinen, im welcher eben fo 
umftandlich und hoͤchſt genau, ald ruhig und befcheiden 
die Anfprüche des Königs widerlegt und die Gründe eroͤr⸗ 
gert wurden, welche irgend für die Sache der, Stadt 
aufgefunden werden Fonnten, Der König aber wollte 
zu fehrifelichen Beweiſen noch ehatliche fügen: er. hatte 
fibon im May diefes Jahres die Feſtungswerke der 
Stade in Augenfihein genommen, jetzt bezog er eim 
ftarfes Lager bey Fuhlsbuͤttel und bedrohete die 
Stadt, die ihrerfeitd munter, fihleunig noch mehrere 
Kriegsleute anwarb und auf ihrer Hut fand. ES blieb 
indeffen nur bey der Drohung: der König brach im 
Winter 1642 wieder auf, und der Streit wurde mit 
Schriftenwechſel weiter fortgeſetzt. Abermahls neigte 
ſich der Reichshofrath fuͤr die Reichsunmittelbarkeit der 
Stade und für ihre Vorrechte auf der Elbe: die Un— 
redlichfeit ‚ welche Danemarf in den Friedend-Verhand- 
lungen ſowohl mit Schweden, als mit dem Raifer 
durchblicken laſſen, hatten am erſten dazu bepgerragen, Die 
Meynung gegen Chriftian umzuſtimmen. Jet aber erneu— 
erte er einen heftigeren Angriff auf die Stadt, fie em» 
pfindlich zu demüchigen. Im Anfange des Jahres 1643 
fandte er eine Flotte von acht Kriegsftbiffen, nebſt 
vielen Eleinen und 60 Transportfchiffen mit Kriegsvolf 
nach der Eibe, verfammelte wiederum ein Heer bey 


526 Bertrag mit dem Könige 1643, 


Fuhlsbuͤttel und ließ zu Altona eine Brücke, 25 Ruthen 
lang und 3 Küchen breit, auf fkarfen in die Elbe ger 
tammten Pfahlen errichten, um auf derfelben eine Bat⸗ 
terie zur Beftreichung der Elbe anzulegen, Die geänge 
ffigten Hamburger warben abermahls frifche Truppen an, 
und ließen vor dem Hornwerke noch eine Schanze nach der 
Altonaer Seite bin anlegen: ‘fie wandten fih an die 
Herzoge von Lüneburg, an die Hanfefladte, um Huͤlfe, 
aber vergeblich, Die danifchen Schiffe kamen um 
Pfingften bis zu Neumühlen und die Eleineren Tiefen in 
den Köhlbrand ein; die Soldaten droheren Taut, daß 
fie Pfingften in Hamburg feyern würden. Endlich Fam 
durch Verwendung des Herzogs von Holſtein⸗ Gottorp 
und der Abgeordneten: der Hanfeftädte, insbefondere aber 
durch die: befonnenen Vorſtellungen des Miniſters von 
Ranzau, wie des. eigenen Landes Wohlfahre mit dem 
Frieden und der Unabhängigkeit der Stade Hamburg in 
Berbindung fiehe, zu einem Vergleich im Monat May, 
nach welchem die Stadt wegen ihres bisherigen Bes 
tragens fihriftlich Neue bezeugen und um Verzeihung 
bitten follte, welches Schreien den 25. May überges 
ben und mit einem Föniglichen Sühnebriefe beantworter 
wurde, Die Hauptbedingung aber war die Ausbezahs 
fung einer Summe von: 280,000 Thlrn. in drey Ter⸗ 
minen, denn Daͤnemark war erſchoͤpft und brauchte 
Geld. Hamburg wandte ſich an Luͤbeck um Zuſchuß 
zu dieſer bedeutenden Summe, erhielt aber dieſen ſo 
wenig, als ſelbſt das Verlangen, daß die gemeinſchaft—⸗ 
lichen Unterthanen zu Bergedorf ihren Beytrag dazu 
liefern ſollten, zuruͤkkgewieſen wurde. | 


— 


Einbruch der Schweden in Holſtrin? 1643. 527 


Möglich nahm noch in dieſem Sabre 1643 der 


Krieg, zu deſſen Friedlicher Beendigung’ ſchon die ge: 


wuͤnſchteſten Vorbereitungen getroffen ſchienen, eine neue, 
uͤberraſchende Wendung Die wahre Abſicht der daͤ⸗ 
niſchen WVermittelung z welche nichts— anders gewollt 
hatte, als Schweden aus Deutſchland gaͤnzlich zu 
entfernen, war nicht mehr verborgen geblieben: Schwe⸗ 


den fand in dem Anbalten feiner Schiffes: welche fich 


Daͤnemark im Sunde erlaubte, gegründeten Vorwand 
zu einem Brüche, ind mit der geſchickteſten Werber: 
gung feiner Plane zog ſich Der eben fo kuͤhne, als über: 
legungsvolle Tor ſten ſo hn von Oberdeutſchland nach 
Sachſen Ber und wie im Fluge brach er, den Dänen 
fo unerwartet, als allen aübrigen/ in Holſtein ein, 
(im December) und befeste mitten im Winter Holſtein, 
Schleßwig und Juͤtland. Die Verwuͤſtungen und Pluͤnde⸗ 
rungen waren groß; die. angeſehenſten Familien Holſtein's 
‚flüchteten ſich nach Hamburg und Lüberf: Der kaiſer⸗ 
liche General Gallas kam langſam nachgezogen, um 


ſich von dem liſtigen Torſtenſohn zuruͤcklocken, und in 


zwey unglücklichen Schlachten faſt vernichten zu laſſen. 
Der tolle Wrangel aber ſetzte als Nachfolger Tot: 
ſteuſehns den Kampf mie dem ſchaͤrfſten Eifer fort, 
daß Danemärf eilte, auch unter den haͤrteſten Bedin— 
gungen, 1654, den 13. Auguſt zu Vroͤmſebroe Frieden 
zu fihließen. Hamburg war in diefer neuen Gefahr 
verſchont geblieben. Als Gallas 1644, den 25. July 
bey Oldesloe angekommen war, empfahl man ihm von 
bier aus die Stadt und uͤberſchickte ihm ein Silberge⸗ 
fire, Wein, Bier und Lebensmittel zum Geſchenk. 


34 


528 Weſtphaliſcher Friede 1648. 


Nur Eine Landplage, welche auch der Stadt laͤſtig fiel, 
hatte ſich von dieſem Kriegsſturme abgeſetzt: ein Haufe 
zuſammen gelaufener Bauern aus Holſtein und anderen 
liederlichen Geſindels, der an 4000 Köpfe betrug. Sie 
nannten ſich ſelbſt Schnapphaͤhne und Buſchklepper, 
hatten ihr Raublager im Rieſenbuſch zwiſchen Ham— 
burg und Luͤbeck, zeigten ſich bald als Bauern, bald 
als Reuter und Fußſoldaten, und thaten ſowohl den 
Schweden, als den anderen Reiſenden durch Raub und 
Mord empfindlichen Schaden. Wrangel fing die mei⸗ 
ften derfelden ein und hielt graufames Gericht über fie: 
auch Die Obrigfeiten der Stadte Tiefen fie auffischen, 
und die Schelme auffnüpfen. Uebrigens war in dem 
Bremfebröer Frieden zugleich beſtimmt worden, daß der 
Gluͤckſtaͤdter Zoll von den fremden, nad der Eibe 
führenden Nationen niche mehr bezahle werden folle; 
diefe Streitigkeit hörte alfo für Hamburg mie auf, 
Dagegen verpflichteten fich die Homburger von Neuen, 
ihren neuangelegten Zoll von den Föniglichen und ber- 
zoglichen Unterthanen nicht zu heben; der König aber 
seftand ihnen die Befugniß zu, auf der Elbe Tonnen 
su legen, weil diefe Anſtalt zum Heil der Schifffahre 
am. beiten von ihnen beſorgt werden Fönne und: von 
alten Zeiten her beſorgt worden ware, Von jest an 
blieb Ruhe herrſchend mit Danemarf, und als nach 
Iansjshrigen, mühfeligen. Befprechungen zu Münfter 
und Oßnabruͤck endlich auch dort die. Unterhandlungen 
das Ziel erreichten, erfreuete die Nachricht. von dem 
wirklich geſchloſſenen Frieden 1648 das gefammte 
Deutſchland, daß es nach fo ſchrecklichen Verheerungen 


Innere Angelegenheiten Hamburgs, 529 


zur Erholung,  Wiederanftichtung und Sammlung 
frifcher Kräfte fith erheben Fönne, In Hamburg, wie 
an anderen Orten, wurde am 22. October das Fries 
densfeſt mir Eirchlicber Andacht und aufferen Zeichen 
der Freude freyerlich begangen, 

Dieſer Ruhepunct wird uns vergönnen, einen 
Blick auf die inneren Angelegenheiten der Stade zu 
werfen, wie fie während dieſes Zeitraumes der mans 
nigfaltigften Berührungen und Angriffe von Auſſen ſich 
weiter entwiefele haben, Durch Zwiſt und Streitigkei⸗ 
gen mancher Art, durch“ Vorwürfe und Mißtrauen, 
welche zwifchen dem Kath und der Buͤrgerſchaft wucher: 
ten, war das hamburgiſche Gemeinweſen in das fieb-. 
zehnte Jahrhundert übergegangen. Die Spannung 
mußte fich fortwahrend erhalten, je empfindlicher es 
der einen Partey mar, daß fie von ihrer vorigen 
Ueberlegenheit und unumfchranfeeren Dachte mehrere 
Stufen hatte berabtreten müffen, je kecker aber zugleich 
auch der Uebermuth fich emporbob bey denen, welche 
mit wohlgefälligem Gelingen ihren Antheil an der Re: 
gierung und Verwaltung des Staates Kennen gelernt 
hatten. Die kleinen Gezanfe, welche in den beyden 
erjten Jahrzehenden ſtatt gefunden, find zu unbedeutend 
für das Game, als dag fie einer einzelnen Erwähnung, 
verdienten, Unklarheit und Mangel an Beſtimmtheit 
der Begriffe erjeuge überall Unruhe und Verwirrung, 
wo fich Mißvergnügen oder Anmaßung in böbere Ans 
gelegenbeiten mifchen. Das Wort der Freyheit iſt 
ein gefahrlicher Aufruf zu Unordnung und Gewalt—⸗ 
thaͤtigkeit, wo die innere Trepheit von der Tyrauuep 

| 34* 


A 
5350 Streit über die Staatsform; die Oberalten. 


der Reidenfchaft noch nicht errungen iſt. Es laͤßt fich 
leicht begreifen, daß es auch damahls nicht an folchen 
fehlte, welche es ungereimt fanden, daß in einem 
freyen Staate gleichwohl die hoͤchſte Gewalt in ben 
Händen weniger Männer fey, nicht bevenfend, daß 
folche nur die ausübende Mache der Gefeke Bilden, 
welche von ben Bürgern felbft bemwilliget worden. In 
einer Echrift der Bürger an den Rath 1619 hatte man 
die Frage aufgeworfen: Ob die Verfaffung der Stadt Ham⸗ 
burg ariffofratifch oder demofratifch ware? Der 
damalige Bürgermeifter Bincent Moller fam durch 
eine verffändige Antwort den unnügen Verhandlungen 
zuvor, zu welchen bey müffigen Köpfen diefe Frage 
hätte Beranlaffıng geben koͤnnen: es fey beifer, ſagte 
er, wenn man bey der olten Gewohnheit bliebe, Die 
Anträge mündlich zu thun, ale daß man fich mit Ian- 
gen Schriften befaſſe. Eine bloße Ariftofratie koͤnne 
für einen mohlgeordneten Staat fo wenig beſtehen, als 
eine bloße Demofratie; jene fey der achten Freyheit 
nachtheilig, fo wie diefe unfehlbar in Aufruhr und Ger 
ſetzloſigkeit ausarten müffe: eine einfache Wahrheit, 
welche von der Erfahrung aller Zeiten und Voͤlker be 
ſtaͤtiget wird, und welcher auch im Hamburg nie unge: 
firaft widerfprochen worden ift. Am Iauteften aufferte 
ſich der Unwille der Bürger im Jahre 1624, als der 
Rath das Begehren derfelben, die Dberalten für 
dauernd anzuerkennen, ihnen ein Gehalt beyzulegen und 
fie nie zu Rathe au mwahlen, abſchlug. Es war ein ab: 
feitendes Mittel, mo irgend ein Mitglied dieſes Eollegii 
durch Starrſinn und Widerfpruch dem, Rathe gefährlich 


Gehalt des Raths, neuer Eyd deffelben. 1633. 531 


ſchien, denfelben durch Wahl in den Rath aufzunehmen 
und jenen Widerſpruch dadurch zu entfernen. Die 
Buͤrgerſchaft erhielt ihr Geſuch nicht, und wir finden 
bald in dieſem Jahrhunderte mehrere, welche von den 
Oberalten zum Rathe befoͤrdert worden ſind. 

Ein anderer Zwiſt entſponn ſich über den Eyd, 
welchen der Rath, als ihm 1603 ein Gehalt bewilliget 
worden war, abzulegen hatte geloben müffen, und wel⸗ 
cher aufs Neue in Foderung gebracht wurde, als von 
einer Vermehrung des Gehaltes die Rede war, Dar⸗ 
über verglich man ſich endlich im Sabre 1633, den 
19. April, durch einen Receß, in welchem nach Er- 
waͤgung, daß bie Perfonen des Raths sur Erhaltung 
des gemeinen Beſten und zur Handhabung der Gerech: 
tigkeit viel verdrießfiche Mühe und fprafaftige Arbeit 
haben, daß der Kath zu fihleuniger Beförderung. der 
heilſamen Jufliz eine neue Gerichtsordnung verfaßt und 
nicht allein derſelben, ſondern auch allen andern in ihrem 
jetzt erneuerten Eyde verfaßten Punkten getreu und fe 
ffigtich nachzufommen gelobt habe, „, u gebührficher 
Ergoͤtzlichkeit“ dem Alteften Bürgermeifter 1200 Thlr., 
den 'anderen dreyen 1000 Thlr. jedem, dem aͤlteſten Rath⸗ 
manne 608 Rthlr. und jedem der uͤbrigen 500 Rthlr. 
bewilligee wurde, Der Eyd, welchen der Nach vor 
den Sechzigern ablegen und daß derſelbe alljahrlich am 
Petritage bey Umſetzung der Rathsaͤmter zur Erinnes 
rung abgelefen werden folle, geloben mußte, Tautete da⸗ 
bin, daß ein jeder fchmwur : über die Religion zu halten, 
das Wohl des Staates und der Bürger ohne Eigennug 
zu fuchen und allen Schaden nach Kraften abzuwenden, 


532 Reibungen zwifchen ben Parteyen, 1641, 1643, 


die liebe Juſtiz mir hoͤchſtem Fleiße, getreulich, ohne 
Anſehen der Perſon zu verwalten, feine Gift oder Ga— 
ben zu nehmen, die Privilegien der Stadt zu bewahren, 
bey Rathswahlen niche nach Freundfchaft, fondern 
nach beftem Gemiffen zu handen, die Verfehnung und 
Vergebung der Dienfte ehrlichen und tuchtigen Perfonen 
zu ertheilen, was im Rathe verhandelt wird, nicht zu 
verrathen, von allen Accidentien, Hein und groß, allen Ein- 
fünften, Einnahmen und Ausgaben richtige Rechnung 
abzulegen und ſpaͤteſtens am Matthaͤitage der Kammer 
zu überansworten, endlich alljährlich dieſen Eyd er: 
neitern und verlefen zu laſſen. | 
Seitdem jest. der. Rath fein beitimmtes Jahrgehalt 
zog, benugten die Bürger dieſen Umſtand, in Fällen, 
wo fie mie den Manfregeln deffeiben glaubten unzu— 
frieden feyn zu Dürfen, der Kammer die Auszahlung 
deffelßen zu unterfagen. Go geſchah e8 1641, als 
der Rath gegen die Ordnung und ohne Mitwiffen der 
Kaͤmmerey Bono Rthlr. zu 6 Prozent Zinfen für Rech» 
nung der Stade aufgenommen hatte, dem Wunfche 
des Kaiſers, die Römermonate im Voraus. zu ziehen, 


dadurch zu willfahren. Andere Klagen ‚gefellten ſich 
Dazu, und der Rath erbielt fo Iange fein Gebalt nicht, 
big er gelobre, ohne Bewilligung der Bürgerfchaft Feine 
Gelder wieder aufzunehmen und fich uͤberhaupt in Geld 
‚ongelegenheiten nicht zu mifcben. Noch. übelgelaunter 
wurde die Buͤrgerſchaft, als von der. Auszahlung ber 
280,000. Thlr., welche der Krone Danemark- geliefert 
werden mußten, die Rede war: die Borwürfe, Melche 


der Rath den Bürgern machte, uͤber ihre Böswillig- 


* 
Friedrich UI. fodert die Huldigung, 1649. ff. 533 


keit, waren eben ſo bitter, als die Antworten, welche 
dieſe erwiederten, ſcharf und drohend: aber die Noth— 
wendigkeit des Augenblicks ſtand hier ſelbſt dem Rathe 
bey und die Buͤrgerſchaft mußte bezahlen. 

Wahrend fo entgegengefeste Gefinnungen, in welchen 
beyde Theile der Gemeinde das Richtmaas der Billig- 
keit überfchritten , der Rath, daß er feim Anſehen und, 
feine Gewalt als nicht von den Bürgern erhalten, fons 
dern von Kaifer und Reich empfangen miffen wollte, 
die Bürger, welche vergaßen, daß auch dem Narbe, 
gleiche Bürgerrechte mie ihnen zu flatten kamen, bie, 
Harmonie des inneren Lebens zerriffen, wurde von Das 
nemark die Huldigumgsder Stade von Neuem im 
Anregung gebracht. Chriffian IV., von deffen Hef- 
tigkeit. Hamburg fo empfindlich hatte Teiden müffen, 
war 1648, den 28. Februar geftorben und fein Sohn 
Friedrich "II, nach verwickelten Unterhandlungen 
mir den Ständen und unter bedeutenden Beſchraͤnkungen 
in’der Regierung ihm nachgefolge. Bald nach feinem 
Regierungsantritte wurde auch von ihm das Verhaͤltniß mit 
Hamburg in Anfpruch genommen: doch Tieß ſich, ſcheint 
es, Alles fo guͤnſtig an, daß eine Ausgleichung mit 
dem Haufe Holfkein, in welcher diefes aller Foderungen. 
auf die Stadt fich begeben wollte, für möglich gehal— 
ten werden durfte, Da trat theils die Eiferfuche, theils 
der durch Mißbrauch, weichen fich der Rath erlaubt, 
gereizte Unmille der Bürgerfchafe rückwirkend zwifchen 
diefe Verhandlungen. Es wurde 1649 ein Ausſchuß 
erwahlt, beftebend aus den 12 Dberalten und 24 ihnen 
jugegebenen Bürgern, mit dem Rathe die Angelegenhei⸗ 


534 Die Uhterhandfungen mit Dänemark find 


ten, Daͤnemark betreffend, zu betreiben, insbeſondere 
aber zugfeich, die arten Befchwerden in neue Unterſuchung 
zu nehmen und’ fig beten‘ Abſtellung zu forgen, Zw 
groffer Unzufriedenheit harte aufs Neue das alte kaiſer⸗ 
liche Privileginmwon 1555 aufgeregt, welches den 
tragenden Gache von deſſen Ausſpruch nicht am, Kaiſer, 
Reich oder Kammergericht appellirt werden dürfe, Ohne 
Vorwiſſen der Burgerſchaft zuerſt erſchienen, war es 
auch von derſelben als unguͤltig verworfen, nichts deſto 
weniger abermahls ohne der Bürger Befragung durch 
des derzeitigen Syndicus J. Chr. Meurer Berrieb von 
Ferdinand II 1637, den gro März’ erneuert und auf 
die Angabe einen ‚noch höheren Summe ermeitere wor— 
den. Jetzt gerade wurde dieſer Eingriff in die Freyheit 
der Bürger von den Oberalten mit Nachdruck. bekaͤmpft, 
dem Recht und: der" Bilfigkeit'gemäß, wenn der’ ganze 
Streit nicht in verworrene Begriffe, oder unüberlegte 
Halsſtarrigkeit auſsgeartet ware. Ein Receß, 1650 zwi⸗ 
ſchen dem Rath und dem Ausſchuß der Sechs und Drey: 
ßiger entworfen, erſterem gerecht und genehm, wurde 
von der Buͤrgerſchaft zuruͤckgewieſen, wie ſehr auch der 
Rath denſelben vertheidigte. Dazu kam die Beforgnißz 
der Rath moͤchte ſich, wenn er von der Oberherrſchaft 
des Königs vom Daͤnemark befreye waͤre, uͤbermuͤthiger 
Gewalt anmaßen Iman fragte au, (1631, den 21. Sept.) 
ob er dann auch das Stadtbuch uund die Receſſe in 
Kraͤften werde beſtehen laſſen? die: Rammergy verwei⸗ 
gerte die Auszahlung der bedungenen Summe, für 
welche Daͤnemark entſagen wollte: alſo hatten die koͤ⸗— 


fruchtlos Der Streit gluͤhet im Innern fort. 535 


niglichen und herzoglichen Raͤthe, als fie nach frucht⸗ 
lofen Bemühungen von Hamburg wieder abreiften , zus 
mahl nach ihrer Anfiche, nicht Unrecht, "diejenigen, 
welche diefe Verhandlungen hintertrieben hätten, Vers 
rather ihrer Vaterſtadt zu nennen. Die unfelige Sprach: 
verwirtung, welche das um fich greifende römifche 
Recht mie feinem Kaudermwelfch hereinfuͤhrte, bier in: fo 
greflem Widerklange gegen das einfache, biedere ale 
ſaͤchſiſche Deutſch trug noch mehr: dazu bey, alle Be: 
mühnngen, welche zum Frieden dienen follten, in: feinde ° 
fibaftlicbe Zungendrefcherey zu wwerwandeln, Der latei⸗ 
nifchen und ſonſt fremdartigen Ausdruͤcke wegen, deren 
ſich die Gelehrten unter den Rathsherren bedienten, 
waͤhlte der Buͤrgerausſchuß (1653) noch vier gelehrte 
Juriſten zu ſich, je einen in jedem Kirchſpiel, gewiß 
in guter Meynung, aber mit ſchlimmem Erfolge: die 
Reibungen wurden dadurch hitziger, die Funken ſpruͤheten 
ziſchender hervor. Eben durch dieſe Juriſten wurde 
in die Streitigkeit erſt rechte Form und ‚Are gebracht, 
In helle Flammen loderte der Hader auf, als 1656 
zwey Kaufleute, Dobbeler und Wulff, ohne vorherge⸗ 
gangenes Urtheil, von dem Gerichtsherrn Lukas Beck⸗ 
mann auf IooThle. ausgepfaͤndet wurden. Dieſen Ein⸗ 
griff in die buͤrgerliche Freyheit glaubte man nicht dulden 
zu Dürfen, Es verlangten demnachndierrzger, der Rath 
ſolle das Ausgepfandere fuͤrderſamſt an Dre und Stellt 
zurückbringen , zugleich" den Receß der 11650 zwiſchen 
ibm und den 36ern "gemacht pı aber.’ von der Bürgers | 
Schaft nicht genehmiget worden ; zurück geben, nach dem 
Receß von 1562, 9:Die Pfaͤnder wurden ausgeliefert; 


536 Erneuerung des Receſſes von 1562 i. J. 1657. 


aber die Erfüllung der beyden andern Foderungen hart- 
nacig verweigert. Zudem entfinne fich der Nach nicht, 
daß der Receß von 1562 wahrhaft zu Stande gefom- 
men jey. Auffallend war es, daß in Sr. Nicolai und 
Str EatharinenKirchfpiet Feine Abſchrift jenes Receſſes 
aufgefunden werden fonnte; von ©t. Petri wurde eine 
gebracht, aber ohne Siegel, und deshalb als ungültig 
verworfen, Endlich fand man die Copey von St. Ja— 
cobi mit dem unverfehrten Siegel: da aber nichts deſto 
weniger der Rath deffen Anerkennung verweigerte, grifz 
fen die Bürger zu ihrem ſchon fonft bewahrt gefunde- 
nen Mittel, fie entzogen dem Rathe fein Gehalt. Dies 
fer aber half ſich auf neue, fühne Weife, und ließ fich 
die Gelder von den Schoßherren, dem Mitgliedern der 
eigenen Körperfchaft, auszahlen, ein Gewaltſtreich, der 
nichts anderes, als Vorwürfe und Erbitserung erzeugen 
fonnte, Wenn nun der Rath die Bürgerfchaft berief, ver⸗ 
weigerte Diefe dem Vortrage fo lange Gehör, big die 
Schoßherren Rechnung abgelegt harten: einer derſelben, 
von der Fechte, welcher troßig antwortete, daß er ber 
Buͤrgerſchaft Rechnung zu geben nicht ſchuldig ſey, 
haͤtte dieſelbe faſt zu thaͤtlichen Ausfaͤllen gereizt; der 
Hader waͤhrte ſo lange fort, bis der Rath nicht nur 
Die eigenmaͤchtig erhobenen Schoßgelder wieder zurüͤck⸗ 
geliefert, ſondern auch einen Revers von ſich geſtellt 
hatte, daß er dem Receß von 1562 als rechtsguͤltig er⸗ 
fenne und demfelben nachzufommen aufs Neue fich ver 
pflichte. Dieß geſchah 1657, den 4. November und 
die Einigkeit fchien wieder hergeſtellt zu ſeyn, bis fie 
durch einen anderen Umſtand abermahls geſtoͤrt wurde. 


Streit über die Rathswahlen, 1663. 537 


An den Rathswahlen mochte ‚manches gefcheben, 
das der Bürger Mißvergnügen erregte, die ohnehin mit 
Argwohn jeden Schritt der Behörde bewachten. Im 
Sabre 1663, den 25. April, gerieth der Dberalte Juͤr⸗ 
gen Schröteringk mit dem jüngften Rathsherrn Marz 
cus Buck auf Jaeobi⸗Kirchenſaal uͤber die Art, wie 
derſelbe zu Rathe gekommen, in ein ſo heftiges Ge— 
ſpraͤch, daß Beleidigungen fielen und der Oberalte die 
fiharfen Reden des Buck mit einer Ohrfeige beantwor— 
tete. In demſelben Jahre waren die Stellen eines 
Bürgermeifterd und. vier Rathsaͤmter mit Perfonen bez 
fege worden, über deren Wahl lautes: Murren entftand, 
Als den 15. July bey der Verſammlung der Bürger: 
fchaft der Rath in voller Anzahl auftreten wollte, ver: 
baten fichb die Bürger den Anblick. der neuerwablten, 
deren Faͤhigkeit, bier erfcheinen zu dürfen, fie nicht 
anerfannten; in allen wiederholt angefagten Berfamm: 
lungen erueuerte fich diefer Auferitt, die Bürger borz 
ten auf nichts mehr, was der Rath vortrug und dieſer 
mußte den Ummeg nehmen, feine, Vorſtellungen durch 
die Dberalten an die Buͤrgerſchaft gelangen zu laſſen. 
Der Unfriede wurde vermehrt ‚durch. die Aemter. Der 
Gerichtsherr Weftermann haste acht Leinweber⸗Mei—⸗ 
ffer, welche einen Boͤnhaſen weggejagt und ibm das 
Garn genommen hatten, nach dem Baume bringen lafs 
fe. Dieß erregte Aufruhr nicht nur unter den Lein- 
webern ‚. fondern unter allen übrigen Aemtern, welche 
ihre Rechte gekrankt glaubten, und nur dem Eifer, des 
alteften DBurgermeijters und des Dberalten Hormann 
gelang es, da Weftermann ‚ohnehin bey der Bürger: 


538 Der Wahlreceß von 1663. 


ſchaft beliebt war, die Sache in Guͤte beyzulegen. Endlich, 
nachdem der Rath die Bürger um Zulaſſung der juͤngſt 
erwählten Narhmäner gebeten und die ihm vorgelegten, 
auf einer Verfemmlung, welche die Bürger am 4. Now; 
inter fich gehalten, beſprochenen Bebingungen bewilli— 
ger hatte, wurde auch Diefe Schwierigkeit befeitiger, 
Diefer Wahlreceß, den 11. Derember zu Gtonde ge 
bracht, enthielt folgende weſentliche Puncte: ‚Binnen 
acht Tagen feit des Verſtorbenen Tode folle die erle— 
digte Rathsſtelle wieder beſetzt werden, damit der Rath 
immer vollſtaͤndig ſey, und Bewerbungen verhuͤtet wir: 
den. Der Rath beſtehe aus 24 Perſonen, halb gradu⸗ 
irten, halb aus den übrigen Bürgern. Man wähle 
gottesfuͤrchtige und redliche Leute, die dem Geize feind 
und dieſer Stadt Zuſtandes, Rechten und Privilegien 
kundig ſind. Keiner unter 30 Jahren ſoll gewaͤhlt 
werben, Vater und Sohn, zween Brüder, Schwieger⸗ 
vater und Schwiegerſohn, fünf im zweyten Grade ver⸗ 
wandte Perſonen ſollen nicht zugleich im Rathe figen. 
Die Wahl geſchieht durehs Loos, nachdem vorher drey 
der anweſenden Rathmaͤnner gleichfalls durchs Loos ber 
ſtimmt worden, mit gutem Gewiſſen und nach einem 
abzuͤlegenden Eyde eine ruͤchtige Perſon vorzuſchlagen, 
welche durch die Mehrheit der Stimmen entweder zur 
Wahl gelaffen wird, oder nicht/ bis die Wahl entſchie⸗ 
den werden kann. Die Syndiei, Sekretaire, ſelbſt andere an⸗ 
geſehene Bürger koͤnnen, ohne Rathsherren geweſen zu 
feyn zum Buͤrgermeiſter erwählt werden.“. Dieſe Ein 
richtung iſt, nach geringen Abaͤnderungen nachmals in 
ihrer Guͤltigkeit geblieben und har durch die Prüfung 


; Die 52er unterfuchen die Juſtiz-Verwaltung. 539 


der Zeit ihre Güte und Vortrefflichfeie bewahrt, indem 
durch diefelße der verderblichen Beſtechung moͤglichſt 
entgegen gebauet, dem Verdienſte aber: und dem bürger- 
lichen Anfeben der Weg zu den erſten Würden des 
Staates geoͤffnet war. 

Nur damabls konnte der Hader noch nicht zum. Schrei 
gen gebracht werden und gebahr aus fich ſelbſt immer 
neues Unheil. Der Bürger »Ausfchuß der Zwey und 
funfjiger, big zu diefer Zahl war er mit den vier 
Rechtsgelehrten vermehrt worden, hielt fich fortdauernd 
zufammen und wandte zunaͤchſt feine größte Auf- 
merkſamkeit auf die Verwaltung der Gerichtöbarkeit, 
im welcher befonders Ric, Mörfen und Dr, Walther 
allerfey Unziemtichkeiten wahrzunehmen glaubten, Auch 
würden die Bürger - Verfammlungen, meynte Mörfen, 
nicht bloß zu Geldbemwiligungen gehalten, fondern da« 
mit den vorhandenen Beſchwerden abgeholfen merde, 
Die Zwiftigfeiten brachen wieder aus 1665 im September. 
Der Ausfchuß verlangte vom Ratbe, er folle den Ge 
richtöverwaltern (Pratoren) auftragen, die Zeugen, 
welche fie zu befferer Erfundigung der Juſtiz zur ihnen 
ſchicken wuͤrden eydlich zu vernehmen. Der Rath 
verweigerte dieſes Anſinnen, als wolle man ihn damit 
beſchuldigen, das Recht waͤre uͤbel verwaltet worden, 
um ſo mehr, als er nur Gott und dem Kaiſer, von 
dem bie Regierung ihm. anvertrauet worden, Rechen⸗ 
ſchaft ſchuldig fey, Unterthanen aber die Obrigkeit zur 
Unterfuchung zu ziehen niche befuge wären, Hätten die 
Bürger Klage gegen den einen oder den anderen unter 
ihnen, fo wäre ber Rath geneigte, nach Kraften dem 


540 Der Bürgermeifter Lütfens u. der Narhmann 


Nebel abzuhelfen. Die. Bürger aber befunden auf ihrer 
Foderung, und verlangten nahmentlich, daß der damaz 
lige Praͤor Johann v, Sprekel ſen bey Verluſt ſeines 
Gehalts die eydliche Zeugen-Ausſage aufnehmen ſolle. 
Dieſer jedoch verweigerte nicht nur ſolches Begehren, 
ſondern wieß es zugleich mit Hohn und anzüglichen 
Reden ab, und als dieß Betragen in der Buͤrgerſchaft 
angezeigt und Sprekelſen deshalb vorgefodert wurde, 
vergaß er ſich alſo, daß er den Buͤrger-Ausſchuß für 
Lügner erklärte: worauf die erbitterten Bürger den 
Kath auffoderten, den fraflichen Rathmann fo Tange 
feines Amtes zu entfegen, bis er der beleidigten Ge: 
meinde die: hinreichende Genugehuung geleiſtet babe, 
ie fehr auch) der Kath dagegen fich fperrte, fo hatte 
doch die Praͤtur durch einen anderen Herren befegt wer 
den muͤſſen. Der rechtliche und geachtete Cafpar 
Weſtermann hatte die Stelle wieder übernommen; 
dieſer ließ 21 Zeugen, welche ihm geſchickt waren, eyd⸗ 
lich vernehmen, und die Ausſage derſelben lautete da— 
hin, daß der vorſitzende Buͤrgermeiſter Perer Lit 
kens Gefchenfe genommen und Recht und Gerechtigkeit 
zu feitem Handwerk herabwirdiger habe. Die Bürger: 
ſchaft verlangte, daßer von feinem Amte entferne winde, 
und als fich derfeibe dem Schluß niche fügen wollte, 
verfchmähere man ſelbſt handgreifliche Maaßregeln nicht, 
ihn zu vermögen, feiner Stelle, und wo er klug ſeyn 
wolle, der Stadt fogar fich zu entziehen, Er begab 
fih auch wirktich im nachiten Jahre mir Frau und 
Kindern nach Speyer, dafeibff vor dem Kammerge 
richt feine Klage gegen die: ungerechte Behandlung der 


Joh, v. Sprekelfen ihrer Würden entſetzt, 1666 ff. 541 


Bürger anbangig zu machen, doch ohne Erfolg: er 
farb, während in Hamburg. über feine Angelegenheit 
noch immer geſtritten wurde, 1670 in Wien, 

Mit gröfferer Hartnaͤckigkeit wehrte ſich Johann 
von Sprekelſen ſeiner Wuͤrde, waͤhrend auch der 
Rath zu deſſen Rettung alles aufbot, und nicht ohne 
deſſen Wiſſen und Willen erſchien noch in dieſem Jahre 
1666 ein kaiſerlicher Abgeordneter in der Perſon des 
Herrn von. Selb, die Streitſache beyzulegen. Aber 
es wurde nichts weiter zu Stande gebracht, als ein 
kahler, inhaltloſer Receß, vom 17. September) der 
weder etwas verbefferte, noch die aufgebrachte Bürger: 
ſchaft berubigee. Im Gegentbeil beauftragte dieſe 
ihre Capitaine, welche bey den Rathsverſammlun⸗ 
gen Warbe bielten, den von Sprefelfen, wenn er wie— 
der zu Rathe kommen wolle, erſt mie Güte, und mo 
diefe nicht bülfe, mir Gewalt hinwegzumeifen: auch 
als derfelbe Cden 4. November) in St. Catharinen: 
Kirche den Rathsſtuhl befuchen wollte, wurde ihm die- 
fer auf Befehl der Kirchen: Gefchwornen vom Küfter 
und Kirchenknecht zugefchloffen und er ſelbſt zuruͤckge— 
bracht. Vergeblich verfuchte der Rath noch immer den 
eg der Güte und berief fih auf die Anweſenheit des 
Faiferlichen Bevollmächtigten; die Buͤrgerſchaft erklärte, 
1667, ben 3. Februar, die Gerechtigkeit müffe gehand⸗ 
habt werden, woben man fich weder an den Faiferlichen 
Bevollmächtigren, noch an deffen Vollmacht zu haften 
babe. So geſchah es denn endlich den 24. April d. J., 
daß von Sprekelſen von den Rathsſitzungen fuͤrderhin 
ausgeſchloſſen und die Wahl eines neuen Rathsherrn 


/ 

542 Hier, Garmers wird Rathmann 1667, 
an deffen Stelle bewilliget ward; der Procef aber 
wurde noch Mehrere Jahre mie unſeliger Streitluſt 
fortgeführe, die Gemüther in feindfefiger Spannung 
gu erhalten, und noch mehr zu erhigen, Im den Rath 
fam v. Sprekelſen niche wieder; er flarb im J. 1684, 

In feine Stelle war. fogleich (1667) Hierony 
mis Garmers erwaͤhlt worden, ein  Techelicher 
Mann, friedliebend und angeſehen; er war Provifer 
des Werf: und Armenhaufes, des Gaft- und Kranken: 
haufes, Diakon, Aelternann des Lakenhandels: aber er 
haste ald Mitglied der Zwey und funfjiger einem Buͤr⸗ 
ger abgerathen, gegen den Buͤrgermeiſter Luͤtkens zu 
zeugen; er war befonders dem Licentiaten Mörfen, der 
mit des Dr, Walthers Beyhülfe, noch immer als 
Stimmführer an der Spitze ber Buͤrgerſchaft Hand, 
perfühnlich verhaßt: Gründe genug, daß auch viele 
Wahl der Bürgerfihaft, obſchon mehrere darunter. zum 
Frieden ſprachen, nicht anftandig war und Zu neuen 
Sanfereyen Anlaß gab, Moͤrſen war fo thatig, daß 
bey der Verſammlunßz der Buͤrgerſchaft den 6. Sept. 
alles aufgeboten wurde, den Neuerwaͤhlten zur frey⸗ 
willigen Entfagung zu bewegen, Ban ließ die. fcharf- 
fien Drohungen ergehen, der Rath felbft wurde muthlos 
und verficherte, den-Garmers nicht fihügen zu koͤnnen, 
bis diefer feine Stelle niederfegte und das Rath— 
haus verließ. Noch in der Mitternachtfiunde, denn 
die Bürgerfchaft verlangte Befchleunigung der Sache 
auf. der Stelle, wurde in die Luͤcke des Abgegangenen 
Zürgen Befeler Gecceler) ernannt, welcher 
bisher Vorfigender in der Bürgerfihaft geweſen mar, 


9 
* 


muß reſigniren, wird wieder gewählt 1674; 543 


Garmers aber, der unfibuldig gekraͤnkte, brachte feing 
Klage vor des Kaiſers Gericht, und nach Iangwierigem 
Prozeß und nachdem Sich die Bürgerfchaft von den 
wahrhaft rechtlichen Gefinnungen deſſelben uͤberzeugt 
hatte, geſchah es endlich, daß er 1674 in eine damahls 
erledigte Rathsſtelle wieder gewählt und aufgenommen 
wirde Die Bürger ſelbſt, welche die Ahndung des 
in. feinem Anſehen zurücdgefegten Rathes niche ohne 
Urfach fuͤrchteten und der Ankunfe eines neuen Faifers 


lichen Bevollmächtigten niche ohne Beſorgniß ent⸗ 


gegenſahen, brachten es dahin, daß eine Geſandt—⸗ 
ſchaft, beſtehend aus einem. Rathmanne und ihrem 
Stimmführer, dem Lic. Mörfen, nach Wien geſchickt 
wurde, die Einigfeit, welche zwiſchen den beyden Par 
tehen berneftelle fen, daſelbſt zu berichten: aber die 
foredauernde Gahrung ſelbſt ſtrafte ihre Rede Lügen, 
noch mehr der unaufbörliche Schriftenwechfet, welcher 
von den betheiligten Perfonen am kaiſerlichen Hofe un— 
terhalten wurde, Immer noch zog dag drohende Un— 
gewitter in beklemmender Schwüle Aber der Stadt bin 


und ber, in unſtaͤtem Schwanken, bis «8 durch hefti⸗ “ 


gere Erſchuͤtterung in volleren Strömen ſich entladen 
koͤnnte. Ber 

Die Lage der Stadt war jetzt um fo bedenklicher, da ihrer 
Unabhaͤngigkeit auch von Auſſen Gefahr zu drohen ſchien. 
Wie die Verhandlungen mit dem Könige Friedrich IL 
alsbald nach deſſen Regierungs-Antritt fich gerſchlugen, 
ift oben erzähle worden; Der König verbarg bey den 
nachfolgenden Verfuchen, Die wiederholt zur Ausglei⸗ 
hung der Sache gemachte wurden, feinen Unwillen 

55 


544 Verhaͤltniß zu Daͤnemark. — Altona, 


nicht, und nur die Rriege, in welche er demnaͤchſt mit 
der Krone Schweden verwickelt wurde, verhinderten 
ihn, firengere Manfregeln gegen die Stadt zu ergrei- 
fen. Dagegen begünffigte er mie befonderer Vorliebe 
fein Altona, erhob den Flecken 1664, den 13, Auguſt, 
zur Stadt, beſtaͤtigte derſelben die freye Religions— 
übung, und verordnete, daß Feine gefthloffenen Aemter 
daſelbſt feyen, auch daß denen, die fich daſelbſt nieder⸗ 
fießen, obne daß fie nöchig hatten, das Bürgerrecht 
ſich zu erfaufen, bloß der Unterthanen⸗ und Bürger: 
Eyd abgefodert werden follte, Die Hamburger, melche 
es fo ungern faben, daß diefer Ort zu einer wohlhe: 
benden Stadt aufbluͤhe, verfuchten das letzte Mittel, 
fie wandten ſich an den Kaifer mit der Bitte, daß er 
dem Könige, als Herzoge ‚von Holſtein, verbieten 
möchte, feine Abfichten mie Altona zur Ausführung zu 
bringen, auf ihr altes Privilegium ſich berufend, daß 
in zwey Meilen Nahe ihrer Stadt Feine „Burg“ auf 
geführt werben Dürfe, Das Faiferliche deshalb an den 
König erlaffene Schreiben blieb’ ohne Wirkung, da dag 
Faiferliche Recht in dieſer Sache laͤngſt von keinem 

Raͤchsſtaude mehr anerkannt worden war. Auſſerdem 
verbot der Koͤnig die hamburgiſche Handlung in ſeinen 
Landen, verbat ſich jede guͤtliche Ausgleichung, wieß 
ſelbſt die gewoͤhnlichen Hoͤflichkeits-Bezeugungen zuruͤck 
und ließ durch ſeinen Reſidenten in Hamburg gegen alle 
Zulaſſung hamburgiſcher Abgeordneten proteſtiren. Die 
Kurfuͤrſten waren ſelbſt der Partey des Königs Zune 
than; als jedoch die Stadt 1664 ihr Reichs⸗Contingent 
gehörig entrichtet hatte, 100,000 Thlr. für das Drey⸗ 


— 


f 
Die Huldigung aufs Neue berührt 1673.) 545 


fache der Türkenffeuer, verordnete der Kaiſer aufs 
Neue, ihr die Rechte angedeiben. zu Taffen, die ihr 
ſchon ſonſt durch das Reichs⸗Kammergericht zugeſpro⸗ 
chen worden waͤren. Im J. 1670 ſtarb Friedrich IL, 
und es folgte ihm Chriſtian V., ver gleich bey der 
Bewillkommnung der hamburgiſchen Abgeſandten, die 
ihm Gluͤck zu wuͤnſchen erſchienen waren, "die Huldi⸗ 
gung mit Haͤrte foderte und ſeine Abſichten, Hamburg 
ſich gaͤnzlich zu unterwerfen, kaum geheim hielt. Der 
Kaiſer ließ, wie gewoͤhnlich, ein geſchaͤrftes Verbot an 
die Stadt ergehen, mit dem Koͤnige in die Huldigung 
ſich nicht einzulaſſen, und an den Koͤnig, der Stadt mit 
feiner Anmuthung nicht beſchwerlich zu fallen; aber die 
gefabrdrobende Stellung blieb; die Stade ſelbſt wurde 
von hoher Hand gewarnt, anf ihrer Hut zu ſeyn und 
beſonders innerem’ Zwieſpalte zw ſteuern. In diefer Bes 
ziebung war die Auffehrife, welche auf das eben in 
diefem Jahre (1673) vollendere Deichthor gefegt 
wide, ſinnbedeutend und vollmichtig fit die Gefahr 
des Augenblicks, wie fie warnend und ermahnend da. 
ſteht für alle Folgezeit; auf der einen Seite: Liber- 
tatem, quamı peperere inajores, digne studeat servare. 
posteritas. Auf der andern Seite: Salus civitatis vir⸗ 
tns et concordia. (Der Stade Wohlfahrt iff Gottes⸗ 
furcht und Eintracht.) IR; | 
Sn fo bedenflicher Zeit offenbarte ſich ein Gebre— 
chen im innerſten Herzen des Staates, da wo man eg 
am wenigſten geargwohnt hatte, bey denen namlich, 
die ſelbſt als Wachter und Hüter der bürgerlichen. Ber: 
faſſung durch eydliches Verloͤbniß ſich verpflichter haste, 
35* 


P] 


546 Ungebuͤhrliche Anmaßung d. Oberalten 


Die Oberalten, die eigentlichen Vertreter der Buͤr⸗ 
gerfchaft, waren ed, welche, eben fo fehr ihrer Pflicht 
vergeffend, Die Rechte der Gemeinde gegen ungebühr: 
Jiche Eingriffe der Obrigkeit zu verfechten,. als in eis 
gene Anmaßungen ausartend, die Bürger beleidigten, 
Den erften Urfachen diefer Mißbraͤuche nachzufpüren, 
möchte ſchwer ſeyn: aber Thartfache war ed, daß die 
Oberalten eigenmachtig in der Beflimmung des Wahl: 
veceffes, wie es mit ben Verwandtſchaften gehalten 
werden folle, in Verſtaͤndniß mit dem Rathe unbefugte 
Abanderung getroffen, (1671) zum groffen Aergerniß 
der Bürgerfihaft, melche einen Schwieger- und Vers 
wandten-Rath ſchon nach dem alten Sprichwort haßte & 
Thatſache war es, daß fie Die Berufung der übrigen Collegien 
verweigert, fogar der Verfalfchung der Protocolle fich 
erlaube; Tharfache ferner, daß fie bey den Leichenbes 
gängniffen und wo file ſonſt öffentlich erfchienen, im 
Rangſucht fich überhoben, Thatſache endlich, daß fie 
fi) bey der Wahl eines Diafonen in St. Gatharinenz 
Kirchfpiel ordnungswidriger Eingriffe fehuldig gemacht, 
und durch die Meberfpringung von 18 Alteren Subdia— 
fonen die allgemeine Erbitterung gegen fich erregt har 
ten, (Im Detober 1671.) Heinrich Nensel, von feinem 
eigenen Bruder, dem Oberalten Herrmann, vorgeſchla⸗ 
gen, war biefer eigenmächtig gewählte Diakon. Die uns 
gerecht zuriicfgefegten, als deren Stimmführer befon- 
ders Simon Fo, Barthold Jenckel und Lic. Dierrih 
Hohlmann auftraten, verweigerten nicht bloß Die fers | 
neren Pflichten ihres Amtes, fondern führten auch bey 
der Bürgerfibaft laute Klage; die Oberalten ſelbſt 


# 


— 


ſeit 1671, und daher entſtehende Irrungen, 547 


wurden mit Haͤrte zur Rede geſetzt und geriethen faſt 


bey den Buͤrgerverſammlungen in Gefahr, nicht durch 


Reden allein, ſondern durch Stoßen und Draͤngen 
beaͤngſtigt zu werden. In der Noth wandten ſie ſich 
an den Rath, welcher demnaͤchſt einen Befehl gegen die 
ſogenannten Schreyer (Vociferantes) in der Buͤrger⸗ 
ſchaft ergehen ließ, (1672, den 21. December) mit dem 
Verbote, daß Feiner allein oder in Gemeinſchaft An⸗ 
derer der Bürgerfihaft Befchwerden vortragen, fondern 
fich damit unmitcelbar an den Rath wenden, insbefons 
dere, daß Niemand die Iöblichen Dberalten weder mit 
Worten nich mic Werken anfechten folle, bey Strafe 
von 500 Rthlrn. und Ausfchließung aus der Bürger: 
fibaft. Durch eine mildernde Erlauterung dieſes Manz 
dats vom 23. Februar 1673 wurde die Bürgerfchaft 
um fo weniger beruhige, da die Oberalten nicht nur 
fortfuhren, eine Injurien-Klage gegen die Stimmfuͤhrer 
der 48er und 144er anhangig zu machen, fondern fogar 
mit Uebergehung der Stadt-Dbrigfeit einen Faiferlichen 
Schußbrief (protectorium) fich hatten verfchreiben und 
durch des Raths Befehl auf dem Rathhauſe bey den 
Bürgerverfammlungen aufhängen laſſen. (den 13. Jan. 
1673.) Dem Schutzbriefe folgten noch in demfelben 
Sabre (16, Sept.) ſechs kaiſerliche Mandate, welche 
am Rathhauſe und an der Börfe angefthlagen wurden, 
darauf hingehend,. daß die umangefeffenen Bürger der 
bürgerlichen Zufammenfünfte fich enthalten, auch daß 
die 52er fich auflöfen follten: Weranlaffung zu der un: 
muthigften Stimmung und fortgefegter Widerfpenftigfeie 
gegen alle Verordnungen, da die Bürger ihre Selbftandigfeit 


548 Graf von Windi ſich ⸗G raß ‚ Raiferl, Bevoll- 


durch den Verrath ihrer eigenen Befchüger auswärtigen 
Gerichten Preis gegeben glaubten, denn über Die Urheber 
des Verrathes febien man nicht mehr zweifeln zu koͤnnen. 

Aber eben Diefelben hatten Durch ihre geheimen 
Betriebe fchon zu raſchen VBorfprung gewonnen, Ganz 
unerwartet erfcbien, den Knoten der Verwirrung nicht 
zu Iöfen, fonbern zu zerhauen, der aus Danemarf zus 
ruͤckkehrende Braf von Windiſch-Graͤtz, als Faifer- 
licher Bevollmachtigter, in Hamburg, 1674, den ıoten 
Febr. Nach dem Grundfag, jedes Hebel müffe in feir 
nen Reimen erfticht werden; fing er damit an, die 
Eihreyer zur Ruhe zu verweifen: ein Gutachten, wel: 
ches fih Luders, der Brauer Neltermann, von einem 
luͤbſchen Rechtsgelehrten über die Faiferlichen Mandate 
hatte auffegen und durch den mwohlgefinnten Oberalten 
Gerd Blome unter der Bürgerfchaft vereheilen laſſen, 
wurde ald Schmähfihrife auf dem ehrloſen Blocke vers 
brannt; der Bürger war flüchtig geworben, der Ober—⸗ 
alte mußte Abbitte thun, der Tübfehe Doctor Claſſen 
wurde in Verhaft genommen. Die Bürgerverfamm- 
lungen ‚, unter der Krone, wie ſie's nennen,‘ als die 
Quelle aller entftandenen Irrungen, zu befehranfen und 
den Ausſchuß der 52er aufzuheben, waren die erfien 
Borichlage, welche er in Bereitſchaft mit fich führte 
und den 4. Marz zur Einleitung vorbrachte, Die Sub— 
diakonen, welchenach der ungerechten Diafonenwahlin St, 
Catharinen den Klingelbeutel niedergelegt harten, wur⸗ 
deu ein jeder gu 5o n® Strafe verurtheilt; den Bir 
gern, welche in den Berfammlüngen am meilten das 
Wort geführt, wurde dasunberufene Reden verboten : ſelbſt 


! 


maͤchtigter koͤmmt an, fein Receß 1674. 549 


das Kirchengebet erhielt, ohne daß jemand zuvor uns 
errichtet gewefen, den neuen überrafchenden Zufag, daß 
„bey Erwähnung der rom. Faiferlichen Majeſtaͤt die 
Worte: „als unfer allergnädigfter Kaifer und Herr’ 
hinzugefügt werden mußten. Nach folchen Befchwich- 
tigungen wurde fofort an dem Werke des Friedens weis 
ter gearbeitet. Die whatigfte Perfon in diefem Ger 
fehäfte war der Syndikus, D. Vincent Garmers, 
ein gewandter Mann, zu Vielem zu gebrauchen; Der 
Agent der Stadt, Symifusg Sebaſtian Brauer, 
warim Verſtaͤndniß mit den Oberalten, und der Eaiferliche 
Agent GeorgFabricing wurde aufs beffeunserrichtet, . 
wie unter den gegenwärtigen Umfkänden zu verfahren fey. 
‚Die Vergleichöpuncte waren aufgefegt und fo gut, wie 
genehmiger, noch bevor die Bürgerfibaft darum ber 
fragt worden war, und ald dag Mißvergnügen Einzel: 
ner dennoch laut zu werden wagte, hatten die Drobuns 
gen mit des Kaifers Ungnabe und Strafe fo viel Ge 
wicht, daß man der dringenden Noch des Augenblicke 
nachgab und zur Annahme des Keceffes fich bereic ers 
klaͤrte. Das ift der berüchtigte Windifchgräisifche 
Receß, aus 81 Artikeln beftehend, melcher in feinem 
Weſen und in feiner breiten, reichsftilmafigen Form, 
fo wie durch die gewaltfame Art, mit welcher er der Bürs 
gerfchaft aufgedrungen wurde , unmöglich ſich eignete, 
die Gemüther zu beruhigen und Friede und Eintracht 
im Innern wieder berzuftellen. Der Inhalte deffelben 
verdient um fo weniger der Aufzahlung, als der Receß 
ſelbſt nach fpateren Verordnungen theild für ungültig 
erklärt, theil$ durch genauere Beflimmungen überflüffig 


550 Vrerhaͤltniſſe der Staaten Europa’g 


gemache worden iſt. Hauptbedingungen deſſelben waren : 
das Aufhören des z2er⸗Ausſchuſſes ; daß, wer Feine 500 n@ 
Eigenthum babe, nicht für erbgefeffen gelten fönne; alle 
Aemter und Brüderfchaften, feit 1603 entſtanden, feyen 
ungäftigu. fm, — Dagegen blieben die Grundbeſchwerden 
unangetaſtet: mehrere Puncte waren ſelbſt den wohlge— 
finnten im Rathe zumider, Der Graf v. Windifch- 
Graͤtz wurde fofore mit Pomp und reichem Gefolge bey feiner 
Albreiſe bis nach Bergedorf begleitet: aber in der Stadt 
blieb dumpfe Stille, Verdruß ob gefcheiterter Hoffnung, 
Groll und Haß bey den einen, Schadenfreude und Ue— 
berhebung bey den andern, Beſtuͤrzung, Niedergeſchla⸗ 
genheit bey allen Beſſeren, die ſich in ihrem edelſten 
Gute, der altgeerbten Treue, der ſchwaͤrmeriſchgeliebten 
Stadtfreyheit fo empfindlich gekraͤnkt ſahen. 

Dieſe Vorfaͤlle muͤſſen wir durch einen raſchen Hin— 
blick auf die damaligen Zeitverhaͤltniſſe unterbrechen. 
Der Weſtphaͤliſche Friede harte Deutſchland, hatte 
Europa Ruhe geben ſollen, aber er wurde ſelbſt wieder 
der Wegmeifer zu neuen Umwaͤlzungen, zu welchen das 
eroberungsluſtige Frankreich winter" des hochfirebenden 
Ludwig's XIV Zepter in der Lige der Dinge günftige 
Ausſicht fand, Zuerſt fiel es über die ſpaniſchen Nie 
derlande her, dann wurde der Rhein der traurige Schau— 
pla& der wildeſten und zügellofeften Verheerung, Aber 
auch im’ Norden von Deutfchland wußte der fehlaue 
Unterbandler Krieg und Verwirrung zu verbreiten : 
Schweden mußte in die Staaten des großen Kurfürften 
von Brandenburg fallen, um denfelben von feitten Un— 
gernehmungen zum Beyſtande der Niederlande abzuzie⸗ 


4 


zu einander, Nordifche Union, (1675) 551 


ben, Nun entfland das Buͤndniß zwifchen Brandens 
burg, Braunſchweig⸗Luͤneburg⸗Zelle, Muͤnſter und Dane 
mark gegen Schweden. Chriſtian V. eroberte im Jahr 
1675 Bremen und Verden, die von den Schweden be⸗ 
ſetzt waren, auch im naͤchſten Jahre blieb er gegen Schwe⸗ 
den ſelbſt gluͤcklich: als aber die unnatuͤrliche Eifer: 
ſucht des deutſchen Kaiſers auf Brandenburgs wach⸗— 
ſende Groͤße nach dem Nimweger Frieden zuließ, daß 
franzöfifche Heere in Deutſchland einruͤckten, ging auch 
Daͤnemark ſeiner eroberten Laͤnder wieder verluſtig und 
kehrte erſchoͤpft aus dieſem Kampfe zuruͤck. (Friede zu 
Fontaineblenu 1679, den 2. Sept.) Diefe ungluͤck⸗ 
felige Verwickelung der deutſchen und auslandifchen 
Berhältniffe war für Hamburg, welches mit feinem 
Handel alle beruͤhrte, hoͤchſt druͤckend und beengend. 
Schon die Naͤhe der Kriegsunruhen im Jahr 1675 führte 
um ſo groͤſſere Gefahr herbey, da im Innern der Stadt 
Unluſt und Mangel an Einheit der Geſinnung einer 
wachſamen Hut und kraͤftigeren Vertheidigung hinder⸗ 
lich waren. Die Muͤnſterſchen Voͤlker hauſeten uͤbel im 
Amte Ritzebuͤttel, und das Schloß mußte ſtaͤrker beſetzt 
‚und mir größerem Vorrath verſehen werde. Die Vier— 
lande, in welchen die Daͤnen ihre Winterquartiere faſt 
mit Gewalt zu nehmen Miene machten, beſetzten die 
Hamburger mir ihrer Miliz und mie kaiſerlichen Trup— 
pen unter dem General Coop, welche fie als Schutz⸗ 
mache dahin aufgenonmen hatten, Dagegen zogen’ fie 
fich durch die Bemühungen, für ihren Handel moͤglichſt 
Freyheit zu erhalten, Mißdeutung und viele Ungelegenhei— 
sen zu, Bereits im Jahre 1674 war ſelbſt gegen den Willen 


552 Schwierige Lage Hamburgs zu ben 


des Raths, beionders auf Berrieb des Praͤſes der Oberalten, 
Niclas Krull, eine Geſandtſchaft nach Schweden 
geſchickt worden, wie es heißt, um wegen der Abſtel—⸗ 
lung des Stader Zolles uud der Ritzebuͤtteler Grenze zu 
unsterhandeln, aber zu groffem Nachtheil der Stadt bey 
allen übrigen verbünderen Machten, Die darin Abfall und 
Verrath zu entderfen meynten. Auf dem Reichstage zu 
Regensburg 1674 war vom Kaiſer und von den Kurfür- 
fen Frankreich zum Reichsfeind erklärt und allen in 
deutſchen Landern fich aufhaltenden Franzöfifchen Gefand- 
ten und Miniftern anbefohlen worden, das Heich zu 
raumen, In Hamburg wohnte damahls der Reſident 
Bidal, und da die Stade mic Frankreich einen 
Handelsvertrag errichtet hatte, mußte jener Befehl hier 
befondere Verlegenheit berbeyführen. Dem Syndicus 
Vincent Garmers war es in Regensburg nicht ge 
Jungen, die Neutralitat der Stade zu vermitteln; den- 
noch zögerte man fortdanernd mir Ausführung des er- 
haltenen Auftrags, und erregte dadurch eben fo fehr 
. die Alnzufriedenheit der übrigen bier anmefenden Mini: 
ſter, als ein verdrießlicher Umſtand, daß ein Schreiben 
von bier aus, von diefem Bidal an den General Turennebe: 
ffimmt, vom Faiferlichen General Montecuculi aufgefan: 
gen, die Stadt in noch aröffere Verlegenheit fegte, Dem 
franzöfifchen Minifter mußte nun der Schuß. aufgefagt 
werden, wie groffe Nachtheile auch für die Schifffahrt 
daraus entffanden, da jet die franzöfifchen Kaper ges 
gen die Hamburger feindfelig verfuhren: die Unzufrie— 
denheit wuchs unter den Kaufleuten, noch mehr unter 
den brodlos gewordenen Schiffsleuten; es entifand am 


europaifiben Machten, 1674 ff. 553 


27. Februar (1676) ein wilder Auflauf, die Boots: 
fnechte zogen fibanrenmweife durch die Straßen, drohe⸗ 
ten dem Syndicus Garmers und dem Faiferlichen 
Commiſſar Hobbaͤus, die Haͤuſer zu Fürmen, vergriffen ff 
faft an den Rathsherren, und nur mit Aufgebot der 
Bürgerwehr und der Miliz ‘wurde die Ruhe wieder 
bergeftelle, noch mehr durch das Wageftück, eine 
Kauffabrteyflotte, wohlgerüfter und mit guter, Manns 
fehaft verfeben, auf gut Glüf in See geben zu laß 
ſen. Bon anderer Seite her liefen von Brandenburg 
wiederholte Beſchwerden ein, am ungelegenften, als der 
Kurfürft eine Driginalrechnung über einen ſtarken Wech- 
fel aus Frankreich für, Schweden, in Hamburg zu 
bezahlen, aufgefangen hatte. Der Kurfürft konnte erſt nach 
vielen fruchtlofen Borftellungen und manchen gefibeiterten 
Verſuchen, durch Vermittelung des Herzogs zu Lünes 
burg = Zelle und - durch eine bedeutende Summe Geldes 
wieder ausgeföhnet werden: um Diefelbe Zeit, (1676) 
als man zu größerer Sicherftellung de8 hamburgifchen 
Gebiets vor nicht gern gefebener Einquartierung mit dem 
Herzoge von Lüneburg » Zelle geheime Verträge errichten 
mußte, die auf daS Wohl der Stade berechnet ſchienen. 
(1676, d. 18. Octbr. 1677, d. d. 29. May. 1678, 
d, 30. Nov.) 

Argliftiger, denn die übrigen, Taufchte noch immer 
zur Geite Dänemark, doch in ſich ſelbſt zu viel bes 
fehäftiget, um zu ernften Angriffen noch Raum zu gewin⸗ 
nen, bis günftigere Zeit fich darbieten möchte, Indeſſen 
erzeigte es unwillkuͤhrlich der Stadt. Hamburg durch 
Aufderfung eines zweydeutigen Mannes eine Wohlthat, 


554 Der Syndikus Vincent Garmers 


welche hier ſelbſt nicht erwartet worden war. Der 
Syndikus Dr. Vincent Garmers, ſchom bekannt ſeit 
dem Windiſch-Graͤtzer Receß, hatte ſowohl in 
Wien, als auch mit anderen Höfen und deren Miniſtern 
ſeit Jahren einen faſt ununterbrochenen Briefwechſel 
unterhalten, und dem kaiſerlichen Hofe theils durch feine 
Mittheilungen ber die Verbältniffe der Stadt, theilg 
‚durch feine Tharigfeit, Die Vorausbezahlung der Römer: 
monate zu vermitteln, ſich anfehnlich empfohlen. In 
einem befondberen Briefwechfel fand er auch mit dem 
Sreyherrn von Kiel manndegge, Geheimenrath des 
Herzogs von Gottorp, dem heftigen Gegner des bani- 
ſchen Königs, mit folcher Unvorſichtigkeit, daß er fich 
ſelbſt belsidigender Ausdruͤcke gegen den Monarchen nicht 
enthielt. Kielmanndegge, feinen naben Sturz voraus⸗ 
fehend, hatte durch des Garmerd Einfluß am Wiener 
Hofe verfuchen wollen, daſelbſt ald Geheimerach eine 
Anftellung zu erhalten. Einer der Briefe, Diefen Gegen: 
ſtand betreffend, wurde dem Könige verrathen, man 
fagt, auf Anfkiften des Advocaten D. Lucas Langermann, 
feines perfönfichen Feindes, von der Wittwe Henningg, 
die im Befis der Kielmannſchen Briefe und mit Garmers 
im Proceß war, dem Könige überfande. Durch feinen 
Secretaͤr von Eien foberte der König vom Hamb. Narbe 
des Syndikus Auslieferung oder Gewaͤhrleiſtung für deffen 
Perſon; der Rath berief fehleunig die rager zufammen, 
die Verhaftung wurde befchloffen, Garmers aber, inge— 
heim gewarnt, hatte bereit8 feine Perſon in Sicherheit 
gebrachte. Alles gerierh in Bewegung. (Den 9. Marz 
1677.) Sein Haus murde mit Soldaten befegt, feine 


o | . 
wird entlarvt und der Stadt verwiefen. (1677 ff.) 555 


Schriften verfiegele und aufs Rathhaus gebracht, er 
ſelbſt wurde durch öffentliche Bekanntmachung, fich vor 
Gericht zu fiellen, berufen und 1000 n® dem geboten, der fei- 
nen Aufenthalt angeben könnte, Die Stimmung des Volks 
bey diefem Vorfall fprach das Urtheil des Entwichenen. 
Eine unzählige Menge verfamntelte ſich vor dem Haufe 
deffelben, auf.dem Pferdemarfte, und verübte den aus⸗ 
gelaffenften Muthwillen und Frevel. Sein treuer Agent 
in. Dien, Georg. Fabriciug, erfuchte den Faiferlichen 
Hofrath um frenge Maaßregeln, um neue Coms 
miffionen, Strafmandate, Protectorien, Garmers 
ſelbſt erließ eine Versheidigungsfchrift mach der andern: 
aber in Wien fchadete ihm feine Doppelzüngigfeit , die 
aus dem entbesften Briefwechſel an den Tag fam, in 
welchem ſelbſt der Beſtechlichkeit des Vice⸗Canzlars ger 
dacht war; bey dem Genate fland er als entlarvter 
Berratber da; der Eniferliche Abgefandte von Koͤnigseck 
feibft drang auf verdiene, Beflrafung; er wurde 
daher 1678 nach Urtheil und Neche feiner Würde vers 
luſtig erklärt und für immer aus der Stadt verwieſen. 
Er war ingwifchen nach Haarburg, Stade entwichen, 
und fand endiich Schug ind Aufnahme bey dem Her- 
joge von Mecklenburg, der ihn ſchon das Jahr zur 
vor zu feinem Geheimenrach .ernanne gehabt, zu 
der angefehenen Würde eines ViceCanzlars Sr, Durchs 
laucht erhoben. 

Eine Spur führte zu weiterem eicht in der dunke⸗ 
len Verworrenheit, in welcher ſelbſt den oberſten Bes 
hoͤrden der Stadt noch Vieles unerklaͤrbar geblieben ſeyn 
mußte. Es iſt wenigſtens hoͤchſt wahrſcheinlich, daß 


556 | Beffatigung des Receſſes von 1674 


die Wegnahme der Garmerg’ ben Schriften auf Ent- 
derfungen führte, welche fo neu als wichtig waren, 
Bis zum Jahre 1674 waren alle in Hamburg geſchloſ⸗ 
ſenen Receſſe, wie der aͤchte Sinn des Ausdrucks beſagt 
und die freye Verfaſſung der Stadt erheiſchte, als freye 
Vertraͤge zwiſchen Buͤrgerſchaft und Rath durch Nach— 
giebigkeit und billige Vereinung beyder Theile zum ge— 
meinſamen Beſten entſtanden. Zuerſt in jenem Jahre 
war aͤuſſerer Einfluß herbeygezogen, und die Freyheit der 
Verfaſſung angegriffen worden. Der Kath fühlte die wich⸗ 
tige Bedeutung und die Nachwirkungen diefes Schrittes, 
die Hoheit und eigentliche Majeſtaͤt der Stadt fehienen 
gefaͤhrdet; darum mißbilfigte er ihn umd war gefon- 
nen, ihn bis zu günfligerer Seit allmaͤhlig vergeſſen zu 
laſſen. Nebenruͤckſichten, welche fuͤr den Augenblick in 
Beachtung kamen, daB die Verweiſung der Juden, 
das Verbot neuer Aemter feit 1603, die Auffündigung 
des Vertrags mit dem englifchen Coure der Wohlhaben⸗ 
heit der Stadt und dem eigenen Einkommen nachtheilig 
feyn würden, kamen nur Teife in Beruͤhrung. Die 
Freyheit Tiebenden Buͤrger waren in der Hanptfacke 
mit dem Rathe einverfianden. Um fo größer war die 
Beſtuͤrzung, um fo beftiger wurde der Unwille aber 
mahls aufgeregt, als im Jahre 1677 der Receß von 
Wien zuruͤckkam, in feiner ganzen Breite und Form 
vom Kaiſer beſtaͤtigt und mir einem Anhange 
verfehen, (clausula poenalis) in welchem ıco Marf 
loͤthigen Goldesallen denen zur Strafe geſetzt wurden, 
welche dieſem Neceffe niche nachkaͤmen. Ein Machtge- 
bot,: dergleichen die Stadt noch nie erfahren hatte, 
Und die Duelle diefes Berruges war? 


3— 
mit der clausula poenalis 1776, 1777. 557 


Der Rath entdeckte ſie (wie es ſcheint, zuerſt den 
24. Auguſt und ff.) dem Collegium der 144er, das er, 
ohne Befragung der Dberaften zu dem Ende berufen 
hatte, Es ergab fich namlich, und wurde eriwiefen 
durch den Fortgang der Unterfuchung, daf von Seiten 
der Dberalten, ohne Willen des Senats, alsbald 
mach der Abreife des Grafen von Windifih - Gräg, den 
27. May 1674, dem Faiferlichen Agenten Tabricius 
unumſchraͤnkte Vollmacht gegeben worden, beym Wiener 
Hofe die Betätigung des Receſſes zu ſuchen und 
alles deffen, was damit in Verbindung ſtehe; daß fie in 
Wien ſelbſt den Faiferlichen Befehl ausgewirkt, wodurch 
dem Rath entboten worden, den Unionsreceß zur Befkäti- 
gung einzufenden und förmlich darum anzuhalten; (d. 30 
Det. 1675) daß durch ihren Agenten Fadricıus du 
Straf-Clauſul der 100 m& I, ©, in Borfihlag gebracht 
worden fey, „inmaßen die gegoffene Glocke ohne darin 
bangenden Schwengel ſchlechtlich Tauten und lauten 
dürfte; daß für die Gewährung ihres Geſuchs von ihnen, 
ohne Vorbewußt des Rathes und ver Bürgerfchaft ein 
Dankfagungsichreiben abgefandt worden’ fey, 1676, den 
19. April. Es Fam dazu, daß fie die 48er hintergan- 
gen, durch falſche Protocolle getäufcht, daß fie unter nichti⸗ 
gem Vorwande die aften Bücher entfernt und neue hat: 
ten anfertigen Taffen, daß fie die Gelder des h. Geiſt 
und des Magdalenen Klofterg, den Armen beffimme, zur Bes 
foldung ihrer Agenten in Wien verwandt (8689 m&) und 
den Deconomen Philipp am beit. Geiſt durch einen Eyd’ 
verpflichtet gehabt, von diefen Geldern und wohin fie gekom⸗ 
men, nichts zu eröffnen. Die Anklagen waren zu ſtark 


® | * 
558 Die ſchuldigen Oberalten ihres Amtes entſetzt, 1678. 


und zu begruͤndet zugleich, als daß es befremden konnte, 
wenn die Buͤrgerſchaft den Rath auffoderte, die Ober⸗ 
alten v. J. 1674 ihres Amtes zu entſetzen und den Fis⸗ 
cal nach aller Strenge gegen fie verfahren zu laſſen. 
Die Sache dehnte fich in die nachften Jahre aus, big 
endlich die Angeklagten von ſelbſt ihrer Stellen ent: 
fogten und die zur. Auswirkung der Straf: Elaufuf 
verwandten AUrmengelder, nur als Darlehn aus dem 
Ueberſchuß der. Kloftergelder genommen, nebſt den 
Zinfen aus ihren Mitteln wieder, erſtatteten. Un— 
ſtreitig hatten mehrere von ihnen die Sache ſelbſt 
fuͤr unſchuldiger gehalten, als ſie ausſah, und wa— 
"en in. der. Meynung, der Stadt Belle zu beförz. 
gern ‚, den Stimmführern, die unter den Bürgern 
BAT; bedeutenden. Anhang hatten, gefolgt. Für ihre 
Fechtlichkeit ſpricht auch der Umſtand, daß einige von 
ihnen ſpaͤterhin im ihre alte Würde zuruͤckberufen wur— 
den, andere, in den Rath gewaͤhlt, ohne Vorwuͤrfe 
blieben, nur. bey dem einen oder dem andern ſcheint der 
Kiel der Herrſchſucht obgewaltet zu „haben, wie bey 
Herrmann. Rengel,. der. füh die Aeufferung entfallen 
ließ: „Wir intercediren nicht mehr für die Bürger bey 
‚Rache, fondern wir gebieten dem Rathe.“ Und ſelbſt 
aus diefer Aeuſſerung geht nur die Sorge für die Erz 
haltung ver Freyheit hervor. Auf Einem allein blieb 
der Vorwurf der Verraͤtherey haften, anf ihn allein 
haͤufte man die Erbitterung und die Rache, womit 
man Anfangs Alle verfolgt hatte, das war der Rathmann 
Nicolaus Krull, der zu jener Zeit als Praͤſes der 
Oberal ten im Collegium geſeſſen, ſeit 1676 aber be 
reits zu Rath erwaͤhlt worden war; 


» | Ä 5 
ſo wie der Rathmann N. Kıull, 1677. 559 


Es geſchah den 15. November 1677, als in der 
Bürgerverfammlung die 144er bey dem Rathe darauf 
antrugen, daB Herr Krull, ald Theilnehmer des 
Verraths an der Stadt, feines Amtes entfege und vor 
Gericht gefodert würde, Die Stimmung des Volks 
entlud fich alfobald gegen ibn mit ausgelaffener Wurh, 
man befcbimpfte ihn-auf öffentlicher Straße, man fang 
Spottlieder vor feinem Haufe, Cin der Reichenfkrafe,) 
man mablte Schandbilder an feine Thüres Der Nach 
ſelbſt vermochte dem Begehren der Bürger hiche zu 
wiberftehen und als Krull durch feine Wiener Freunde 
noch im Laufe dieſes Jahres ein Faiferliches Reſcript 
einbrachte; meisered Berfahren zu verbiesen, erging 
im Auftrag des Rathes ein genauer Bericht nach Wien 
ab, durch den Lic. Pohlmann verfaßt, (1678, 8, 2>, 
Februar) die Gründe zu entwickeln, warum der Rath—⸗ 
mann abgefegt und den Stadtgerichten verfallen ſey⸗ 
Dennoch änderte ſich nur zu bald der Gang dieſer Sache, 
welche für die Folge fo wichtig werden follee, als Rrutt 
niche nur mit einem Eniferlichen Schuß: ind Schirm 
brief, (vom 13; Sept, 1679) fondern auch hit wieder: 
holt geſchaͤrften Mandaten (don Prag 16805 den 8, 
März, den 29: May deif.) hervortrat, ihn in fein vers 
forenes Ehrenamt wieder einzufegen und mit dem figcas 
liſchen Verfahren inne gu haften: Die fertteten Bes 
triebe dieſes Mannes verzmweigen fich in dem duͤſteren 
Schattengemaͤhlde, welches nun immer dünkeler und 
truͤber in den nachſten Jahren vor uns aufſteigt. Es 
erfuͤllt die Seele mit innigem Schmerz, die Ausartung 
zu gewahren, welche ſelbſt in dem kerngeſunden Boden 

36 


U 
560 Hinrich Meurer, Rathmann, Bürgermeiker. 


einer befcheidenen einfachen Satdtgemeinheit, von dem 
Verderben der Zeit hergemeher, Wurzel fihlägt und 
mwuchernd fich rings immer mehr verbreitet. Krull’$ 
vertrauter und thätiger Gehülfe war ein anderer Raths— 
herr, Hinrich Meurer, einer jener gefährlichen 
Menfcben, welche die Bösartigfeit nnd Selbftfucht des 
Herzend mit Welterfahrung und wiſſenſchaftlicher Bil⸗ 
dung uͤbergleißen, und je ehrlicheren Schein ſie ſich zu 
geben wiſſen, deſto fürchterlicher für andere werden. 
Durch Berrug hatte er fich in den Rath gefchlichen, 
erft acht und zwanzig Jahre alt, und das Taufbuch mit 
Hülfe feines Schwagers, eines Kirchenjuraten, verheim— 
lichend. (1672.) In der Schule des Synd. Vincent Gar: 
mers gebilder hatte er deſſen Grundfage eingefogen und 
brachte fie mit ſchlauer Befonnenheit in Ausübung, Er 
war der vertrauteſte Freund des Faiferlichen Refidenten 
von Rondeck, binterbrachte demſelben alle Geheimniffe 
der Rathsſitzungen und der Bürgerfihaft, erwarb fich zuerſt 
als Praͤtor, dann als vorfigender Bürgermeifter (feit 1678) 
überfchwengliche Reichthümer, erfaufte ſich in Wien, 
- wo Alles feil war, die Gunft des Hofraths, und legte es 
in feinem hochfahrenden Sinn auf nicht$ geringeres an, 
ald mir einigen feiner Gehülfen, Die er zu fich in den 
Nash befürderte, su unumfchräntter Gewalt über die 
Stadt ſich zu erheben, Im gleicher Abficht verſtund er, 
feine Verwandten und Freunde in Brüderfchaften und Be: 
dienungen einzufcbieben, fuchte fich durch Beſtellung ver 
Haupsmannfchaften, durch Beftechung dieſer, oder durch 
tuͤckiſche Verfolgung anderer, der Bürger - Compagnien 
zu verfichern; er ließ ſchon Münzen mir feinem Bildniß 


ne 


| 


(Pinneberger Interims⸗Receß. 1679.) 561 


Hrägen; er ging damit um, die Frepheiten der Aemter 
einzuſchraͤnken und letztere von allen Verſammlungen der 
Buͤrgerſchaften auszuſchließen. Um fein Anſehen und 
feinen Einfluß für die Dauer noch mehr zu befeſtigen, 
hatte er fich durch allerhand Mittel in das innigſte Ber 
erauen des Zelliſchen Hofes einzufchleichen gewußt, 
theils indem er deffen Miniftern alle Rathſchlaͤge ger 
meinfcbaftlich mitgetheilt, theils durch geheime Verttäge, 
wozu er die Stadt Hamburg verleitet, und welche bedeuz 
tende Summen binhberführten, So batte allein 1676 Vie 
Gewaͤhrleiſtung des Herzogs von Zelle, das hamburgis 
ſche Gebiet vor fremden Winterquartieren zu ſchuͤtzen, 
ver Stadt 1255000 Rthlr. gekoſtet. Sehr willkommene 
Gelegenheit fand er, die Gunfk dieſes Hofes in Rech— 
Hung fu bringen, als der erfchöpfte König von Dane» 
mark im Fahre 1679 vor Hamburg rückte, die alte Erb; 
buldigung in Erinnerung dringend, Die durch Meus 
rers Fürforge herbevgeführten lüneburgifchen Hn:fgtrups - 
gen follten die Stadt gegen feindliche Angriffe vercheis 
digen belfen ; doch waren unfkreitig die Verhandlungen. 
der in das königliche Lager abgegangenen Stadt ⸗Abge⸗ 


ordneten von noch ficherer Wirfung; uͤberdieß Hatten, 


Auffer dem luͤneburgiſchen Hofe, ſelbſt auch der König 
von Frankreich und der Kurfürft von Brandenburg ihre 
Bermittelung atigeboten. In dem fogenannten Pinnes 
berger Interims-Receß (1679, den 1. Nov.) 
fiund ber König für jegt von feinen Foderungen ab gegen 
die runde Summe von 220,000 Rthlr., fo daß die 
Stadt am 9. November ein Danffeft feyern und die 
hüneburgifchen Voͤlker ihrer Dienfte wieder entlaffen konnte. 
36* | 


“ 


562 Durch Meurer, Krul und v. Rondeck sc, 


Diefer Meurer war ed, welcher im Einverſtaͤnd⸗ 
niß mie dem Heren von Rondeck die Krullſche 
Sache benußte, Tügenhafte Berichte von dem unrubigen 
Sinn und der zerrütteten Berfaffung in Hamburg nach 
Wien zu befördern und dadurch die fcharfen Mandate 
von dort aus veranlafßte, Der Rath felbit, zum Theil für 
ihn gewonnen, war ſchwankend und unbeffimmt in feinen 
Ent ſchluͤſſen; bie Buͤrgerſchaft hingegen beharrte mit 
Hartnacigfeit darauf, daß Krull feiner Stelle enefegt bliebe, 
und foderte fogar den Rath auf, (1682, den 12, Det.) 
eine Geſandtſchaft nach Wien zu fenden, theils in diefer 
Angelögenheit, theils Die Abwendung der verbaften 
clausula poenalis zu befördern, Als Anwald der Bür: 
‚gerfchaft betrieb die Sache gegen Krull der Lic. Pohl 
mann; aber auf Bericht des von Rondeck (v. 6. Nov.) 
erfolgte. Faiferlicher Befehl, (1. Dec.) daß Pohlmann 
zu den Bürgerfchaftsverfammlungen nicht mehr zuge 
Inffen werden und man fich feiner Perfon zu bemächtiz 
gen fuchen ſollte. Wie Frafeig fich auch die Bürger 
fchaft feiner annahm, felbit das Zeugnif, daß er in 
Auftrag von Rath und Buͤrgerſchaft gegen Krull ge 
handelt habe, wurde auf Meurers Betrieb ihm Monate lang 
Dingehalten, Auf Pohlmann’ Vorſchlag hatte indeſſen der 
Lic. Daurer die Geſandtſchaft ͤbernommen, (23. Nov.) 
aber es war durch von Rondeck's Berichte ſchon ſo 
wirkſam vorgearbeitet, daß Daurer in Wien gar nicht 
angehoͤrt, ſondern die öſterreichiſchen Staaten in 24 
Stunden zu verlaffen bedeutet wurde. Er fiarb noch 
auf feiner Ruͤckreiſe 1693 in Nürnberg, 

- Den wiederholten Anmahnungen der hbamburgifchen 


— 


/ 


wird eineneue Commiffion berbevgerufen, 1684. 563 


Berichterftatter war es endlich auch gelungen, daß ihr 
Vorſchlag zu einer neuen Faiferlichen Commiffion 
abermahls Gehör gefunden, Zwar ffellte der Nach und die 
Bürgerfchaft, fobald ihnen davon Kunde geworben, 
dem’ Kaiſer vor, Cı3. July, 1683) daß in Hamburg 
feine fo groffe Uneinigfeit berrfche, daß eine folche Com⸗ 
miffion und Einmifchung fremder Mächte durchaus ver: 
mieben werden könne: vergebens, es melderem ſich zu 
dieſem Geſchaͤft noch in demſelben Jahre der Herzog 
Georg Wilhelm von Lünebirg =» Zelle und die 
Reichsſtadt Bremen; ihre Abgeordneten übergaben den 
so. Sanuar 1684 den Bevollmächtigten des Senats 
und den r44ern- ihre vorfchlaglichen Bedingungen. Die 


Erbisterung der Bürger hielt fich kaum noch in den Schrans j 


Ken der Maͤßigung. Sie hatten mach dringenden Bor 
flellungen den’ Rath dahin gebracht, daß Lic. Pohlmann 
nicht allein abermahls zum Advocaten der Stadt gegen 
Krull mie zoo Rthlr. Gehalt, fondern auch zum Syns 
dikus ernannt wurde, Der kaiferliche Hofverbot dem 
Rath, die Anftellung zu vollziehen key 100 Mark I. ©. 
Strafe, Pohlmann felbft entfagte dem Auftrage, aber 
die Bürgerfcbafe wie ihm auf feine Zufage hin, oder er 
ſollte decimiven und die Stade verlaffen.: Darauf ftellte 
fie, um den kaiſerl. Anfoderungen möglicht zu genügen, dem 
Krull feine Würde wieder her, erneuerte aber fiscaliſcheKlage 
gegen ihn und verlangte, daß er vor das Niedergericht, 
ald den Gerichtshof ber Stadt geſtellt wuͤrde. Bey 
ſolcher Stimmung ift ed begreiflih, wenn die abge 
ordneten Commiffarien fein Gehör vor der Bürgerfihaft 
fanden, wie fehr auch der Rach bemüht war, vermit- 


564 Snitger und Ja ſtram treten auf. 


telnde Wege einzuſchlagen. Der letztere mußte ſelbſt 
durch eine Beweißſchrift die Nichtigkeit der Krulliſchen 
Sache und die, Nothwendigkeit dem Abgeordneten eröff- 
nen, daß man die Commiſſion verbitten müffe, zu nicht 
geringem Verdruß der vornehmen Herren, deren einer, 
Hr. Heyland, Zelliſcher Geheimerath und Geiftesver- 
wandte Meurers, ſich fo, vergaß, daß er die Bürger 
Fetthoͤker, Blechenkraͤmer ꝛc. ſchalt, Strafbefehle in 
blanco vorzeigte und die größten. Drohungen ficb.er- 
laubte, Durch dieſe aber ließen ſich die Bürger, ſo 
wenig ſchrecken, daß ſie vielmehr mit einer feſten, re: 
gelgerechten Beharrlichkeit die ——A und Verthei⸗ 
digung ihrer Buͤrgerfreyheit verfolgten. 
Dieſer Geiſt hatte friſche Nahrung Bi (ei, 
For zwey Männer im. der Bürgerfchaft vor anderen her 
vorgesresen waren, deren Nahmen, je mehr ſie in der 
Geſchichte ihrer Zeit verunglimpft ‚worden. ſind, der 
Nachwelt, um „fo achtungswurdiger und unverletzlicher 
erſcheinen muͤſſen, zwey Maͤnner, die ſich durch ein⸗ 
fache Buͤrgertugenden, durch Froͤmmigkeit und Maͤßi— 
gung, durch thaͤtigen Berufsfleiß, durch trugloſen Sinn 
und. vertrauenvollen Glauben, durch eine grenzenloſe 
Liebe für die Freyheit und Wohlfahrt ihrer Vaterſtadt 
auszeichneten, Hieronymus Snitger und Cord 
Ja ſtra m, Es war dieſen Maͤnnern entweder ſelbſt, da ſte 
in Wien geweſen, ober durch den verſtorbenen Da ur er ge⸗ 
lungen, in Wien einen angeſehenen Mann fuͤr ihre Sache zu 
gewinnen, (den Daͤniſchen und Kur⸗Koͤllniſchen Geheimen⸗ 
rath F. Mayersheimb,) und durch denſelben nicht allein 
den Bericht des Reichshofraths an den Kaiſer uͤber die 
Krulliſche Sache, ſondern auch andere Papiere, insbe— 


‚Meurer muß fein Amt verlaffen. 1684. 565 


fondere die Briefe des Dr, Knoop, des hamburgifchen 
Agenten, zu erhalten, woraus zmweyerley Dinge zu 
entdecken waren: zuerft, daß jener Berichtigünftiger Tautete, 
als die beftellten und eingeflüfterten Mandate verrathen 
laſſen, aufferdem, welch geheimes Spiel der Verraͤthe⸗ 
rey und des gehaffigen Anſchwaͤrzens, fo mie, durch 
wen daffelbe betrieben werben ſey. Mic diefen Urkun— 
den außgerüffer rief zuerit die Bürgerfibaft den Bürger: 
tieifter Meurer, 1684, den 5, März, unter die Krone, 
las ibm die weentlichften Puncte feines verraͤtheriſchen 
Spieles vor und behielt ihn, da dreiftes Ableugnen 
feine Verantwortung war, bey naͤchſter Gelegenheit in Ge: 
wahrfam. Es war vielfeiche ungeitige Gutmüthigfeit, daß 
man der Zwiſchenkunft einiger nachgab, welche durch 
Zureden den Schuldigen bewogen, freywillig ſein Amt 
niederzulegen. Doch mußte er einen heiligen Eyd 
ſchwoͤren, daß er fuͤr geſchehene Feſthaltung keine Rache 
üben, daß er ſich nicht entfernen und fremdes Gericht 
anfprechen wolle; er mußte ſchriftlich Bürgfchaft leiſten, 
mit 50000 Rthlr. feines Vermögens, den Eydſchwur 
- zu halten: aber Wort und Eydſchwur konnten dem treus 
loſen nicht binden, heimlicherweiſe entſchluͤpfte er und 
ſuchte Zuflucht, da wo er ſie laͤngſt ſich bereitet hatte, 
bey feinen Freunden in Zelle, mp bereits ein kaiſerlicher 
Schutzbrief und die Ernennung zum Reichshofrath für 
ihn in Bereitfchaft lag, * 
‚Gerade aus der Entberfung der föbfecbeen Mittel, 
deren fich diefe geheime Partey bediente, gelangten bie, 
fo es mit ihrer Vaterſtadt wahrhaft gut und ehrlich 
meynten, zu Elarerem Bewußtſeyn ihrer eigenen Pflicht. 


56 Die Commifiion wird abgemwiefen, 


Als ber Rath ben 17. May ber Bürgerfchaft eröffnete, 

wie im heftigen Ausdruͤcken der Zeflifche Heyland auf 
den Erfas der Commiſſions-Unkoſten angetragen habe, 

erwisderte jene, dort möge man die Koften holen, von 

wo die Commiſſion gefuche worden fey. Den 5. Juny 

erbieft man ‚ein Eaiferliches Reſctript, (yom 20, Day) 

in welchem anbefohlen murde, daß bie beyden, Gnitger 
und Jaſtram, bey Androhung fehwerer Strafe angeben 
follten,, wie, durch wen und für welches Geld fie zu 
dem Berichte des Reichshofraths gelangt ſeyen, im 
Fall der Verweigerung aber beyde mit Arreſt zu be— 

legen. Aber nur um ſo wärmer nahm dje Buͤrgerſchaft 
ihrer Freunde und Lieblinge ſich an, ſprach ſie won 
jedweder Beranswortlichfeit Frey und verhieß denfelben 
Schug und Schirm in allen Anfechtungen und: Gefah— 
ven. Sie erhoben ſich im Kampfe gegen Diefe Aus— 
wüchfe des Unrechts und der Leidenſchaft zw der 
Geibftändigfeit empor, daß fie am 9. Juny den wer: 
haften Windifchgrager Receß von 1674, ber fo lange 
Gegenftand der Aergerniß geweſen war, einſtimmig 
und in gutem Verſtaͤndniß mie dem Rathe aufboben und 
vernichteten, Man rüftere fich immer ſtaͤrker unter dem 
Schilde der Eintracht, und, wie es fibien, des inneren 
Friedens, gegen die von allen Seiten androbenden les 
bel, die ſelbſt durch graufame Anfälle des Geſchicks 
vermehrt wurden, So brach den 23, Juny des Nach— 
mittags auf dem Schiffbauerbroof eine Feuersbrunſt 
aus, welche verheerend bis zum Mittag des folgenden 
Tages wuͤthete den ganzen Brook, Sand, Kehrwieder, 
Kibbeltwiete, Pickhuven, kleinen Fleeth, Kannen⸗ 


x 


Feindliche Maaßregeln des Herzogs von Zelle. 567 


gießerort ,, 144 Capitalhaͤuſer, darinn bey 2000 
Feuerſtaͤtten, in Aſche legte und unſaͤgliches Elend ans 
richtete. Das Ungluͤck hatte zur Folge, daß ſogleich 
ein beſonderer Ausſchuß zur Durchſicht und Pruͤfung 
der Feuer⸗Ordnung ernannt und mit Eifer dahin ges 
ſehen wurde, bülfreich das vorhandene Elend zu Tindern 
und den Ungluͤcklichen tragen zu helfen, für die Zus 
Eunft aber fehleunigere Hilfe zu bereiten: eine Aufforderung 
für alle Nachkommen, niche auf die Gegenwart allein, 
fonderm für die kuͤnftigen Gefchlechter menfchenfreund: 
liche Sorge gu’tragen, | 

Gegen Meurer verführ man mit Strenge und 
Recht, man foderte ihn, als einen, der gegen Eyd, 
Hand und Siegel gehandelt babe, der hinterliftig ent 
wichen fey und der Stadt ihre, die inneren Angelegen 
heiten betreffenden Schriften und Papiere nicht abges 
liefert, vor das Niedergericht. Die Gefandten der be 
auftrageen Commiffarien hatten inzwifchen, da fie nicht 
gehört wurden, Hamburg wieder verlaffen nflffen, Da: 
gegen gebrauchte der Herjog von Zelle Bergeltungsmit: 
gef: er ließ die Hiefigen Bürger mud Kaufleute, welche durch 
fein Land reifeten, verbaften, alle hamburgiſchen Güter 
in Beſchlag nehmen, befegte Moorburg und den Moor 
waͤrder und behandelte die Einwohner dafelbft, als ob er Die 
Ortſchaften ſeiner Votmaͤßigkeit unterwerfen wollte. 
Dieß geſchah zu Anfange des Jahrs 1685. Zugleich 
verlangte der Herzog am 5. Januar, daß die Stadt 
Abgeordnete nach Haarburg ſchicken möchte, ",‚unfehl: 
bar’, da er „aus gemwiffen Angelegenheiten mit ihnen 
reden zu laſſen die Nothdurft befunden habe“; als aber 


568 DieDreyfßigermerden gewählt, 1685. 


diefem Anfinnen fo unbedingt nicht: gemilligee wurde, 
erfolgten heftige Vorwürfe über „uͤble Conduite“, Un⸗ 
dankbarfeit, ‚„ungebührliche Inſolenz“ und unter dem 
15. Januar eine Reihe „Poſtulate“, als: man folle 
Snitger und Jaſtram, — wie gefährlich mußten fie 
den Zellifchen feyn! — zu gefänglicher Haft. Kiefern, 
oder abſtrafen, die Kommiffiong-Unkoften bezahlen, für: 
den bemwiejenen „Deſpect““ Genugthuung leiſten n. dal. 
Man antwortete gemaßigt und. umſtaͤndlich: der Herzog 
drohete kurz, fie ſchon zur Erkenntniß zubringen und fich 
ſelbſt Genugehuung zu verſchaffen. Die Feindfeligkeit 
forach Sich fo unummunden aus, daß man auf Fünftige 
Unterffügung und Huͤlfsmittel ſinnen mußte, mie der 
wachfenden Gefahr zu begegnen fey. Vorlaͤufig hatte 
man ſich an den Kurfürften- von Brandenburg ge 
wandt, der. feine bereiswillige Vermittelung offen und 
greuberzig zufagte, nach Hamburg ſelbſt den Prafidens 
sen von Magdeburg, Ackenhauſen, entbot, nebſt dem 
bereits bier anmelenden Minifter Guſer icken in dieſer 
Angelegenheit mit den Stadtbehörden Rache zu pflegen; 
auch haste er alfobald den Herın von Ranik nach 
Zelle geſchickt, beym Herzog daſelbſt friedlichere Gefin- 
nungen zu erwecken. Inzwiſchen wurde für dieſe hoch: 
wichtige Angelegenheit in Hamburg felbft aus der Mitte 
der: Bürgerfchaft ein Ausſchuß von dreyßig Perfonen 
ernannt, aus jedem Kirchfpiel fechS, denn Michaelis 
ward; bereitß hinzugezogen; unter ihnen befanden fich 
Snitger und Jaſtram, und die neben diefen als 
befonders warme Frepheitsvertheibiger fich auszeichneten, 
Joachim Sarchen, Lic. Sylm, Dr. David Krolau und 


Snitger gewaltfam entführt, 569 


Dr Schulz: auch waren ihnen fech 8 Herren aus dem 
Rathe beygefügt, Der Ausſchuß wurde ernannt den 
5. Februar, Die erſte Sorge konnte nur darauf ges 
richtet ſeyn, wie unter den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden 
der Hemmung des Handels und des Verkehrs lindernd 
abgeholfen werden möchte, Die Einleitungen des Herrn 
von Kanitz machten zwar die Zelliſchen Miniſter etwas 
ſtutzig, hatten aber doch zur Folge, daß man wirklich 
einlenkte und die Moͤglichkeit einer. friedlichen Vermit⸗ 
telung aufzudammern ſchien. Einige hamburgiſche Gü- 
ter wurden im Anfange ded Marz Monats zwar ver: 
kauft, aber man. hielt bald inne damit; die Hamburger 
legten dagegen. Befcblag auf die Güter der. Lüneburger, 
unterſagten allen. Verkehr dahin, ſuchten ihre alten 
Salzpfannen hervor, um das eingeführte rohe französ 
ſiſche Salz ſelbſt zu kochen, und was der ziemlich mil⸗ 
den Entgegnungen mehr waren ; dennoch beklagten ſich die 
Zelliſchen Miniſter gegen den Herrn von Kanitz über fo 
‚harte, Proceduren“, da man im Unterhandlung ſtehe. 
Indeſſen kam wirklich Nachricht an, daß die Lünebur: 
‚ger den Moorwärder wieder geranme haͤtten. ‚Da. uns 
terbrach die Sache, ein Gemaltfkveich, welcher. aller buͤr⸗ 
gerlichen ‚Sicherheit, Trotz und ı Hohn ſprach und, die 
erſten Gebote bes Voͤlkerrechts in den, Schlamm der 
Willkuͤhr hinabtrat. Es war am 19. Mari (1685) 
Abends gegen, halb 6: Uhr, als Snitger mit. feiner 
Frau von feinem in Hamm gelegenen Garten zuruͤckkeh— 
ren wollte, ‚Da, wurde er plöglich; von einem Rudel 
verkappter Reuter uͤberfallen, feſtgebunden, ruͤcklings im 
Magen niedergedruckt und nachdem ber Kutſcher herab⸗ 


570 Snitger wird befreyt, die von Rondeck 


geworfen und ein anderer ſich aufgefest, ſchleunigſt das 
vongefahren, Eine Frau in der Nahe hatte der Enke 
führung unerkannt zugeſehen, fie brachte die Nachricht 
Davon fehnelf nach der Stadt, wo alles in Unruhe und 
Beſtuͤrzung gerieeh und die allgemeine Theilnahme fich 
auf die berstichfte Weife ausſprach. Es wurden die 
ſchleunigſten Maaßregeln ergriffen, alle Thore geöffnet, 
die Reitendiener ausgefandt, an den daͤniſchen Präfiden- 
ten nach Altona geichickt, wenn etwa Snitger über Die 
After ind Holfteinifehe gebracht werden möchte, alle 
Berwandten Meurer wurden verhafter und als Geifeln 
feftgebalten, Gluͤcklich aber gelang es dem Oberſtlieu⸗ 
tenant Eberramk, mic feinen Dragonern die Stra— 
Benräuder einzuholen, bie fie bey der Atlenburger 
Faͤhre fanden, eben als fie überzufegen im Begriff was 
ren, Snitger lag geknebelt am Ufer, feine Frau faß 
mweinend neben ihm, Die Rückkehr des gererteten Man— 
nes am folgenden Tage war der fchönite Lohn feiner uneigen- 
nüßigen edlen Bemuͤhungen: das Volk der Hamburger, 
zum Haß mur durch die empörendfte Mißhandlung auf 
zureizen, kennt in Beweiſen der Liebe und der gutmuͤ⸗ 
thigen Freude, wenn einmal die Herzen in ihrer Grund- 
tiefe erwärmt find, Keine Grenzen. Wer von einem 
ſolchen Volksjubel getragen wird ‚ fühle fich dem höher 
ven Leben näher geruͤckt und bewahrt diefe Erinnerung 
in feiner Geele ald eine gültige Anmeifung auf ef 
gen Freuden der Zukunft. | 

Die KRadelsführer der Rotte wurden ſobald ent⸗ 
deckt; auch die uͤbrigen Gehuͤlfen in kurzem eingebracht. 
Jene waren der Auditeur dieſer Stadt, Rickmeyer, ein 


und Conf, gebungenen Räuber beffraft. 571 


ſchlechter Kerl, welcher z. B. 1682, ben 20. Nov, zur 
Entfuͤhrung einer Magd auf dem Millern⸗Steinweg fuͤr 
den Mißbrauch eines feiner Geſellen huͤlfreich geweſen; 
ein Rittmeifter Hartwig, durch Geld und Ausfiche 
auf Beförderung gelockt, und ein geweiener Rittmeiſter 
v. Gahlen, ein fahrender Ritter, in Abenteuern viel 
verfucht, Ihre Ausjage bey der gerichtlichen Unterfus 
hung, (den 23. März) noch vor der Tortur und durch 
diefe nur beſtaͤtiget, traf einftimmig darin zufammen, 
daß fie von dem Faiferlichen Gefandten, Grafen von 
Berka und dem Kaiferlichen Refidenten, Herrn von 
Rondeck, zu diefem Bubenſtuͤck bereder und gedungen 
worden ſeyen. Gie und die übrigen nachmahls einges 
fangenen Spiefgefellen muften, nach fireng verfügtem 
Recht, unter dem Schmwerdte des Henkers fFerben, um 
fo mehr, ald um diefelbe Zeit ein Brief verffohlen an 
Snitger eingefendet war, mit der Drohung : „Werdet 
Ibr Eurethalben jemand toͤdten Iaffen, ſollt Ihr. wieder 
erben, wenn Ihr auch zehn Halfe harter und mis 
sehn Ringmauern umfchloffen waͤret,“ Kundige erfann- 
ten ſehr deutlich in der Hand dieſes Briefes als den 
Schreiber — gleichfalls den Faiferlichen Refidenten von 
Rondeck. Derſelbe aber war in diefen Tagen gerade 
abweiend, — in Saarburg namlich, wo auch Meurer 
eben ſich aufbiele; feine Wohnung bier fo wie die Curie 
des Domdechanten, im welcher der Rittmeiſter Hartwig 
eine Zeitlang ſich verfiectt gehalten, mußten mit 
Wachen befege werden, um fie vor der Wurh des ers 
bitterten Volkes zu ſchuͤzen. Wo der Menſch in feinen 
beiligften Rechten fich verlegt fühle, wie ander? fol er 


572 Es geht eine Geſandtſchaft hach ie, | 


fie ſchuͤtzen, ald wenn er verfucht, Gewalt mir Gewalt 
zu erwiedern ? Der Reſident felbft hatte noch die Scham: 
lofigfeit, den 1. May an den Senat berüber zu fchreiben : 
„Er verwundere ſich, daß, da des Grafen Berfa und 
feiner in der Ausſage der Gerichteren, daß es nemlich 
auf ihre Verordnung gefchehen, gedacht worden, man 
Fein Bedenken gehabt, fo cruel mir den Gefangenen zu 
verfahren,’ Auch der Herzog von Sachſen⸗Lauenburg be 
fihwerte fich darüber, daß man von feinem Gebiete die 
Delinguenten weggeführt: als ob daffelbe geeignerer ges 
weſen, fie zu begen, denn fie zu verlieren, 

Um aber die Bemühungen zur Befreyung oder 
Verrheidigung der Stade weiter zu befördern, wurde 
an den Kurfürften von Brandenburg, der mie Aufrich- 
tigfeie und ſelbſt mit Hinfiche auf den Vortheil der 
eigenen Lande das Wohl von Hamburg fich angelegen 
feyn ließ, eine Gefandefchaft abgeſchickt, beſtehend aus 
dem Syndicus Pohlmann und dem Rathmanne Meyer, 
die in Berlin wohl aufgenommen und mit den beften 
Rathſchlaͤgen 'unterfiügt wurden. Indeſſen gingen die 
Borfchläge Diefes Hofes immer mehr auf Verſuche der 
Güte, als daß ernfkliche Mittel, den Herzog zu Zelle 
in feinen Anmaßungen herabjuffimmen, angetragen 
worden wären, und ſelbſt wann dieſes geſchah, ſchien 
man von Seiten des hieſigen Rathes keine beſondere 
Neigung dazu zu tragen, Angelegentlich rieth der Kurs 
fürft, eine befondere Gefandifehaft nach Mien zu ſchi⸗ 
en, um daſelbſt die Sache auf Fürzerem Wege und 
nachdrüsklicher betreiben zu koͤnnen: wirkfich gingen 
auch noch gegen den Schluß des Jahres die Rathsherren 


Die Meurerinner rühren fich, 573 


5. Schafshauſen ind H. Möller dahin ab, van wel: 
then der erſtere befonters thätig war. Doch nur den zuvor: 
kommenden und wahrhaft ehrenwerthen Bemühungen der 
brandenburgifchen Gefandefchsft in Wien gelang es, 
diefen Abgeordneten, die überall verrammelten Zugang, 
vorgefaßte Meynung, Anſchwaͤrzung und Verlaumdung 
vorfanden, endlich Gebör zu verſchaffen. Wie überfpannt 
auch die Foderungen waren, die ihnen vorgelegt wurden, 
unter welchen Meurers Wiedereinfegung und die Ent: 
richtung der Commiſſions⸗Koſten in ewigem Wiederfiang 
erfchoffen, dennoch fchien man auf dem Were zu feyı, zu 
einem Abſchluß gelangen zu koͤnnen. Die Dreyfkiger 
brachten die Bedingungen vor den Rath: aber die 
unüberlegte Weife, mit welcher einige ‚‚Meurerianer‘! 
ſowohl in, als auffer dem Rathe die Sache umtrugen 
und verfälfchten, fo daß die Perfonen, welche in Wien 
am thätigften für die Ausgleichung gemirft harten, in 
die peinlichſten Werlegenheiten und Bloßſtellungen ge⸗ 
ſetzt wurden, machte das eben begonnene Geſchaͤft wies 
derum ruͤckgaͤngig. Welche teufliſche Kuͤnſte und von 
welchen Perſonen ſie veruͤbt worden ſeyen, erhellet, um 
einen Beweis zu geben, aus einem Handbriefchen des 
oft genaunten Krull aus Wien, vom 10. Februar 
1686: „Weil man zu Hamburg ſolche grobe plumpe 
Unwahrheit hat inveneirt, daß der Tüneburgifche Envoyé, 
Herr Baron von Mahrenbolg und der Herr Refident 
von Rondeck mären vom Hofe gemwiefen, und Herr 
Knoop (der frühere Agent) fich hatte retiriren muͤſſen, 
und feine Schiften errradiren, und folches allbier Fund 
geworben; ſo ift geſtern dem kaiſerlichen Thürhüter 


574 Beleidigung der H. Geſandten in Bien, 


- 


anbefohlen, die hamburgifchen Deputirten nicht wieder 
in die Antichambre zu laffen und feyn alfo vom Hofe 
nun damit verwieſen.“ Der fügnerifche Brief, der an 
Paul Goldener hieher gelangt und von demſelben zur 
Verwirrung der Meynung bekannt gemacht worden war, 
wurde, nebſt einigen Schmaͤh⸗ und Berläumdungsfchrife 
ten, welche Mahrenholg in Wien verbreiter hatte, 
um die biefigen Abgeordneten ſelbſt aus dem Umgange 
der übrigen Minifter zu verdrängen, und-vom Hofe auf: 
zuſchließen, allbie durch‘ den Scharfrichter auf dem ehr⸗ 
loſen Bloc verbrannt: dem gerechten Unmwillen einreden- 
des Zeichen gu geben. Aber foweit ging die Schamlofigkeit 
und freche Gemwaltthätigfeit, daß am 18. Marz um Mittags⸗ 
zeit, als eben die hiefigen Abgeordneren in die Leopold: 
ſtadt bineinfahren wollten, und zufallig dem Zellifchen 
Gefandten begegneten, der zu Pferde faß und von vier mig 
fpanijchen Röhren bewaffneten Bedienten begleitet wurde, 
diefe wie Meichelmörder über den Kutfcher und die 
Diener der Rathsherren berfielen, fie durchprügelten 
und die Rathsherren felbft, befonderd den Schafshauſen, 
ſchnoͤde mißhandelten. Mahrenholz hatte ſchon Kurz 
vorher fein Abberufungsfchreiben erhalten: man konnte 
alfo der Sache mit ſeiner Abreife den Schein geben, als ob 
der Hof diefes bübifche Betragen mißbillige. Sonft war 
aber von Genugthuung nicht weiter Die Rede, Ja als die 
bamburgifeben Abgeordneten zuräckberufen wurden, ger 
bot ihnen der Kaifer zu bleiben, (44, April) ohne daß 
fie ihm , als der Hof eine Weile nach Neuftade ging, 
dahin folgen durften. Nur der rechtlich gefinnte, wahr: 
haft groffe Kurfürft von Brandenburg verhehlte ſei— 


Beyſtand des Kurfürften von Brandenburg, 5375 


nen Unmwillen nicht ‚über eine folche Verlegung der Ges 
ſandtſchaftsrechte, die ſelbſt von roben Barbaren geach: 
tee werden; er ließ feinen Tadel eben ſowohl bey dem 
. Wiener Hofe als zu Zelle vermeiden und legte auf die 
in feinen Landen liegenden Güter des uͤbermuͤthigen 
Edelmannd, die auf 50,000 Rthlr. gefibagt wurden, 
firenge. Verhaftung. » 

Mit Zelle waren indeffen die Verhandlungen dem 
Abſchluß moch ziemlich ferne, Daß fie nicht weiter 
gediehen, Tag. theils in den geheimen Umtrieben Mens 
rers und feiner Genoffen am Zelliſchen Hofe, im ge: 
nauen Einverſtaͤndniß mie den erfauften Gehuͤlfen in 
Wien, wo auch felbft bey-den Veſſeren der freyſtaͤdti⸗ 
ſche, proteftantifche Sinn der Hamburger wenigen 
Beyfall fand; theils in den halben Maaßregeln, welche 
bier in Hamburg ergriffen wurden, wo fo mancherfey 
Ruͤckſichten fich durchkreuzten. Im Rathe ſelbſt ſaß 
eine Partey, den Grundſaͤtzen Meure r s zugethan, eine 
Oligarchie zu begründen, ein Plan, welchen die 
Zeit fo fehr zu beguͤnſtigen ſchien. Die Beſſeren im 
Rathe, einftimmig mie mehreren der Dreyfiger ſowohl, 
als der usrigen Buͤrgerſchaft, hoffte zum Theil vor 
den Umſtaͤnden und deren klugen Benutzung, zum Theil 
von freundlicher Vermittelung wohlgeſinnter Fuͤrſten 
Rettung, verſchmaͤheten aber raſche Schritte, Verpflich⸗ 
tungen, welche fuͤr die Felge bindend werden koͤnnten, 
dem Gemeinwohl zum Schaden; darum ſträubten fie 
ſich gegen die Hereinnahme brandenburgifcher Völker, 
welche der Kurfürft der Stadt zum Schug angeboten 
hatte: denn die Zelliſchen angriffsweiſe aus dem ham— 

37 


576 Die Zelfifchen rücken in die Vierlande 


burgifchen Gebiete zu vertreiben, verweigerte er; darum 
fuchte man auch den Antragen zu einer Handelsverbin: 
dung auszuweichen, welche von demjelben Hofe der 
Stadt eröffner worden waren, Nur wenige, unter ihnen 
Snitger und Saftram, hatten, ob aus Neigung, ob 
aus Grundfaß, allein die Ehre und Hoheit der Stadt 
im Sinn, die Erhaltung ihrer Selbftandigfeit, (Gius 
primae, instantiae,) die fie vom Wiener, oder von jedem 
anderen näheren Hofe wohl geſchuͤtzt, aber nicht unter 
geordnet, nicht aufgehoben wiffen wollten; und dazu ſuchten 
fie durchgreifende, entfcheidende Mittel, dazu boten fie den 
Diebshehlern, wo fie hinter diefelben gefommen waren, 
die freye Stirn, alu forglo8 vor den anderen Heuch- 
lern, die in Schaafskleidern einherziehen ; dafür fegten 
fie hochherzig die zeitliche Ehre, das füße Dafeyn des 
Lebens ein, wie großartige Gemüther pflegen, wenn fie 
einen würdigen Gegenſtand gefunden haben, 

In dem ferneren Berragen des Herzogs von Zelle 
offenbarte fich immer deutlicher, daß es unter dem Vor⸗ 
wande, die Auftrage des Kaiſers zur Vollziehung zu 
bringen, mehr noch auf eigenen Vortheil abgefehen 
fey. Im Anfange des Sahres 1686 nahmen Tünebur- 
gifche Truppen mit Gewalt Befig von Bergedorf und 
den Bierlanden, Die als vormaliges Eigenehum * der 
Vorfahren des Zellifchen Haufes ungern entbehre wur: 
den, Die Begenwehr der Hamburger, zumal! bey der Ver- 
theidigung der Heffater Schanze, mar tapfer, auch nach 
dem Zeugniß fehr erfahrener Krieger, aber vergeblich, da 
fie die Uebermacht gegen fich hatten und ſelbſt in den 
Anordnungen, die von hier aug getroffen waren, Mangel 


ein und verfahren feindlich, 1686, 577 


an Zuſammenhang und Einverſtaͤndniß boͤſe Folgen 
nach fich 309, Der Oberſt-Lieutenant Manerfe, der 
zu frübzeitig fich zurückgezogen, wurde der Pflichtver⸗ 
legung überwiefen und zum Tode verurtbeilt. Bey den 
Manfregein, welche zur Vertheidigung der übrigen 
Poſten gerroffen werden follten, herrſchte bejtändiger 
Widerſpruch zwifchen den Dreyfigern und einem Theile 
des Rathes: jene drangen auf Fraftige Anordnungen, 
diefer wollte, da man mit Zelle noch immer: in Unter: 
handlung ſtehe, daß alles nur auf Vertheidigung ber 
fehränft werden möchte, Als Capitain Cafpar Tammer 
fich erbot, mit einigen Schiffen nicht bloß die Elbe zu 
fichern, fondern auch gegen lüneburgifches  Gebier an? 
griffsweife zu verfahren und Unglimpf mie Unglimpf zu 
vergeften, erklaͤrte der Rarbt daß es ganz und gar 
keine Proportion wuͤrde haben, wenn die Luͤneburger 
ſollten bewogen werden, in unſeren Landen zu ſengen 
und zu brennen; ja es würden ſogar die Schiffe im 
Hafen nicht ficher daran feyn, ja fie möchten gar die 
Stade bombardiren; und ware der Rath fihuldig, nach 
der Bürger und Einwohner Wohlfahre zu erachten und 
fönnte alſo nicht darin confentiven,‘“ Der Ueberfall der 
Lüneburger war ſchleunigſt auch nach Berlin berichter 
worden, und auf des kic, Pohlmann thaͤtiges Betrei⸗ 
ben hatte der Kurfuͤrſt alſobald Befehl ertheilt, daß 
4 Compagnien Dragoner, 4 Schwadronen Cavallerie 
und alles Volk im Magdeburgiſchen der Stadt zur 
Huͤlfe anruͤcken ſollten: aber Lic, Pohlmann wurde ax: 
tadelt, über feine Aufträge hinaus gehandelt: zu haben, 
und bevor man fich darüber verſtaͤndigte, wie es. mit 


mm 
24 


578 Dänemark bierer ſich Hamburg 


diefen verfprochenen Truppen gehalten mwerben follte, 
verging die Zeit, ohne daß abermahls füe die Verthei— 
digung der Stadt etwas Wefentliches gerhan worden 
ware, Ä 

Die Zellifchen Truppen hatten vorgegeben, als 
Freunde gefommen zu feyn, die Winterquartiere in den 
Bierlanden beziehen zu wollen, Bun ihrem General 
Chauver fam ein feltfamer Brief an den Rath, (den 
6, Februar) worinnen er fih beklagte, daß, ohngeachtet 
ibm von Tag zu Tage Bertröffung geſchehen, man werde 
feinen Leuten von bier aus den nöthigen Unterhalt vers 
fibaffen, noch Feine Veranflaltung dazu getroffen ſey. 
In den Berashungen, die über diefen und über aͤhn—⸗ 
liche Puncte zwifchen den Dreyfigern und dem Rathe 
gepflogen wurden, tritt eine gegenfeitige Verkennung ime 
mer ſchwaͤrzer hervor ; Mißtrauen befaufiht die Schritte 
der einen und der anderen, burchgreifende Mittel ſchie— 
nen allein noch einige Rettung zu verheißen. 

Es waren von mehreren Seiten ber Antrage ger 
fiheben, Hamburg mit dem Zellifchen Hofe ſowohl als 
mit dem Kaifer zu verſoͤhnen; vor allen fchienen die 
Bemühungen Danemark’s den DBerhaltniffen der 
Stadt, fo wie den Wünfchen derer, welche für Derfelben 
Wohlfahrt am eifrigiten bedacht waren, am meiſten zu 
entiprechen. Schon im Januar 1685, als eben bie 
erfte Bedrohung von Zelle aus ſtatt gefunden hatte, 
mar der danifche Reſident Pauli mit Bollmachten von 
feinem Rönige verfehen woͤrden, zum Beſten der Stadt Als 
les anzuwenden, Vollmachten, Die in eben fo wohlwollenden 
Ausdrücken, als uneigennügigen Anerbierungen abgefaßt 


zu frieblicher Wermittelung an. 679 


waren, Pauli legte die Urkunden zu jedermanns Eins : 
ficht vor; dag Verhaͤltniß Daͤnemarks felbft, als eines 
niederfachfifchen Kreisſtandes, ließ über die reine Ab» 
ſicht der gethanen Borfchläge keiner Bedenklichkeit Raum. 
Es wurde ein danifcher Bevollmachtigter nach Zelle. 
abgefande, dem Herzoge Vorftellungen zu billiger Ver— 
handlung zu machen; auch mit den brandenburgifchen 
Abgeordneten wurde in Allem Ruͤckſprache genommen, fo 
daß der Kurfürft felbft zu gemeinfamer Hülfe die Hand 
bot. Der biefige Rath, ſchaͤrfer blickend, benahm fich 
überall ausmweichend ; nicht fo die Dreyfiger, welche die 
Möglichkeit einer. Gefahr nicht ahnen wollten und in 
diefer. Hinfiche auch den größten Theil der Bürger mit 
ſich einffimmig fanden. Weiter gingen Einzelne unter 
ihnen, insbefondere Snitger, Jaſtram, Dr. Schule, 
Sylm vu. a, fie ließen. ſich unter der Hand mir der 
danifchben Regierung in Unterhandlungen ein, die zur 


Abſicht harten, durch danifibe Truppen, ‚wenn es ja 


zum Aeufferflen komme, die Stadt zu entfegen, woges 
gen dem Könige eine anfehnliche, Gelbfumme geboten 
wurde: doch blieb Erhaltung der Neutralit aͤt der Stadt 
die weſentliche, unumſtoͤßliche Bedingung. Wenn die 
geradſinnigen, in hinterliſtiger Staatsklugheit noch mes 
nig bewanderten, hamburgiſchen Bürger in ihrem auf: 
richtigen Glauben fich bier berrünen ließen, kann es 
ihnen um fo weniger zum Vorwurf angerechner werden, 
da felbft Brandenburg und andere Mächte in die Ehr⸗ 
lichkeit der daͤniſchen Vermittelung Anfangs nicht das 
mindefte Mißerauen festen. Koſtete es doch ſelbſt dem 
Rathe Pauli, deffen Seele durch politifche Weltklugheit 


8% Die Dänen betruͤgen das Vertrauen 


fo ganz abgeſchliffen und abgeflücht war, die auſſerſte 
Mühe, in feinen geheimen Schreiben die Grundehrfich- 
- feit der biefigen Wohlgefinnten (bien intentiones) der 
behaglichen Lift feines Hofes zum Scherz zu geben und 
das Aufwallen der Schaam in feinem Innern niederzu— 
ſchlagen. Viele warnten, am meiſten der ſchwediſche 
Geſandte; der Rath ſelbſt wurde in feiner Ueberzeugung 
immer klarer, aber man hatte zu fruͤh aufgehoͤrt, ſich 
gegenſeitig verſtehen zu wollen, als daß die Warnun⸗ 
gen deſſelben gehört worden waͤren. 

Schon im Julymonat 1686 liefen Nachrichten ein von 
Truppenbewegungen im Holſteiniſchen, die von den 
einen als gefahrbrohend, von den andern als gleichguͤl— 
tig geſchildert wurden. Die, welche mit Dänemark 
wirklich in einer Art von Verſtaͤndniß waren, Fonnten 
auch den Gedanken nicht faffen, daß bier Verrath im 
Hintergrund lauſche, ſo ſicher waren ſie in ihrer treuen, 
herzvollen Ueberzeugung. Solchen erſcheint die kluge Be⸗ 
ſorgniß als ſchlechte Feigheit; große Seelen verſchma⸗ 
hen fie und renmen dadurch ing Verderben. Im Auguſt 
begonnen die Zelliſchen Truppen, den Mohrwaͤrder wieder 
zu raͤumen: da noch ließ der König durch feine Gefandten 
hieher melden, er werde den Herzog dahin vermögen, auch 
aus ben übrigen Länderenen feine Leute zuruͤckzuziehen. 
Die Gefahr wuchs indeffen zuſehends; die danifchen 
Voͤlker mehrten fich, ruckten der Elbe je naͤher und 
naͤher, mit den reichſten Kriegsbeduͤrfniſſen verſehen: 
um DA Mitte des Auguſt's war bey allen, bie feben 
wollten, kein Zweifel mehr, was diefe Bewegungen 
bedeuten folleen, Einen ſolchen Ausgang hatten Alle 


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und fodern der Stade Thorſchluͤſſel (Aug. 1686.) 5$ı 


niche gewollt, nicht erwarter. Der Baron von Görz 
border Stadt nicht bloß den Beyſtand feines Herrn, 
des Herzogs von Hannover bereitwillig an,  fondern 
brachte auch die treue Verficherung, daß der Heizog von 
Selle Feine Feindfchaft gegen die Grade unternehme 
und zu ihrer Unterſtuͤtzung bereit fey. Den 19, Auguft 
endlich Fam der Rath Pauli zu Gnitger, Jaſtram und 
Lt. Sylm, wie er in Veſtuͤrzung jetzt erft vernehme, 
daß der König gegen die Stade im Anmarſch ſey. 
Die aus ihren Hoffnungen, mie aus dem Himmel zur 
Vernichtung berabaefchleuderten, wieſen dem Betrüger 
die Thuͤre und brachten, Die erften, den Bürgermeifkern die 
traurige Borfchaft. " Die Dreykiger ſowohl, als die 
-Bingerfchaft wurden jchleunigft berufen und Manfregeln 
zur Vertheidigung der: Stadt getroffen, Die Dänen 
tamen von der Atfterfeite ber bis dicht vor die Stadt 
‚und schlugen vor derſelben ihr Lager auf; Chriftian 
verlangte die Erbhuldig ung und die Schluͤſſel zu den 
Thoren, Alle waffenfähige Mannſchaft eilte herbey, dem 
Feinde Widerftand zw Teiften: Die Feindfeligfeiten be— 
gonnen ſeit dem 20, Auguſt, an welchem Tage ſchon 
Zelliſche Huͤlfstruppen einruͤckten, denen bald auch 
-Hannoveraner, Brandenburger und Schweden nach: 
‚folgten. Ein Angriff der Danen’ auf die Sternſchanze 
war muthig zurück gefchlagen worden; auch die Ein: 
nahme der Stadt jebien ihnen eine’ zu ſchwere Aufgabe, 
fo daß fie fih nach einer achttaͤgigen Kanonade und 
nachdem die Miniſter der angeſehenſten Höfe beym 
Könige ſelbſt nachdruͤckliche Borftellungen gemacht hat: 
sen, wiederum entfernten. MEET. y) 07: 


582 Snuitger und Jaſtram werben gerichter. 


Dem Hobngefächter der Hölle gleich, wenn bie 
Tugend ihr Grab finder, erfcholl jetzt die rachedürſtende 
Schadenfreude derer, welche mit der bisherigen Orb» 
nung der Dinge unzufrieden gemefen waren, Denn 
die Bosheit in ihren Behauptungen durch den Erfolg 
Befkätigung finder, gewinnt fie bey Thoren und Leicht 
glaͤubigen den Anfchein des Rechts und triumphirt als 
Siegerin: wehe dann der niedergerreteneh Unſchuld! 
Snitger, Jaſtram und ihre Freunde, ihrer redlichen 
Sache ſich bewußt, obſchon bereitd am ıgtem der Hohn 
gegen fie laut wurde, blieben ruhig und gefaßt in der 
Stadt, ihr, Schiskfal erwartend. Den 2aften wurden 
fie, nebft dem Bürgermeifter Schlüter, dem Lt. Kror 
lau und mehreren anderen in gefangliche Haft gebracht. 
Der Augenblick war gefommen, mo der lange verbal: 
tene Grimm. der, Deurerifchen Partey fich Luft machen 
konnte, ' Papiere, welche man bey dem entflohenen Re: 
fidenten Pauli gefunden, gaben für die Racheglühenden 
‚überzeugende Beweife der Schuld, obſchon ein Ver 
brechen fo wenig aus ihnen entlosft werden konnte, als 
aus den Geftändniffen, zu welchen man die, beyden 
Dpfer durch ſcheußliche Marterqualen zu zwingen fuchte, 
Snitger und Jaſtram wurden, nachdem fie — 
fchufdig befunden, den 4. October, mit dem Schwerte 
hingerichtet, die Rümpfe geviertheilt and ihre Köpfe 
‚auf. Stangen über dem Stein» und Millernehore aufge 
ſpießt. Die Schmach des Todes diene jur Verherr⸗ 
lichung, wenn der Menſch für große und edle, Gedan— 
fen fEirbes Die wahre Schmach ertheilt die Gefbichte 
denen, welche mit dem inneren Zeichen derſelben für 
ewig gebrandmarkt find, 


Meurer wird wieder Buͤrgermeiſter. 583 


Die übrigen Opfer waren, Bürgermeifter SchLiüs 
ter, der in feiner Verbaftung auf dem Eimbeckſchen 
. Haufe farb, vermuthlich an Gift; Le. Pohlmann, 
deſſen Güter eingezogen wurden und er ſelbſt der 
Stade verwiefen. David Krolau mußte mit feinem 
halben Vermögen, Dr. Schulge mit 20000 Marf, 
Lt. Sylm mit 10000 Mark büßen, und wurden der 
Stade verwiefen. Nur der Kurfürft von Brandenburg 
ertbeilte den Geachteten Schug und Freyſtatt und tas 
Delte die ungerechte Strenge unverbolen, Auch die übris 
gen ‚Freunde des Vaterlandes, die. Anhanger der. ges 
ſtuͤrzten Partey, erfuhren gleiches Schickſal. Nicht 
‚einmal für die Hinterbliebenen Snitgerd und Jaſtrams 
‚wurde geforgt: denn der Reichshofrath Meurer war 
wieder in feine Stelle als Bürgermeifter eingetreten, 
Hamburg mußte ferner dem Faiferlichen Hofe 100,000 
Rthlr. Strafgeider, an Dänemark eine noch gröffere 
Summe Belagerungsfoften, die ungeheuern Commiſſions⸗ 
koſten bezahlen, (wozu die Strafgelder der Geachteren 
‚mit verwandt wurden,) und den Windifchgrager Receß 
als Gefeg wieder anerkennen, Hierauf zogen die Hut 
„truppen von dannen, 

Dem Siege des Böfen den Schein des Rechts zu⸗ 
wege zu bringen, erſchienen in den naͤchſtfolgenden 
Jahren eine Menge von Beweißſchriften, an deren Ins 
baft ihre Berfafler ohne Zweifel ſelbſt nicht glaubten. 
Auf den Geift der Buͤrgerſchaft wirkte der unglückliche 
‚Erfolg in nacheheiliger BWeife, Nur zu bald befann 
man fich nach der Meberrafchung , welche das unglück- 
liche Zufammentreffen der Umſtaͤnde berbeygeführe hatte; 


584 Die Geiftlichkeit giebt Veranlaſſung 


der Unmuth, daß unfchuldiges Blur vergoffen worben 
fey, verfenfte fich im fich felbft und ging über in inne 
ven Grolf und Erbitterung, und die Bemerfung iff hi— 
fEorifch ermwiefen, daß die Sitten des Volks ſeitdem an—⸗ 
fingen, fich zu verhärten, daß die Trunkenbolde fich 
mehreren und die Bürgerverfammiungen felbft mehr 
Trinkgelagen glichen, als den Verſammlungen derer, 
welche über das Wohl des Staates fich berathen wollen. 
Der Zuſtand des Ganzen war einer Krankheit aͤhnlich, 
aus welcher, da der rechte Arzt nicht gefunden werden 
konnte, die beſſere Natur ei ſelbſt wieder hervorarbeis 
ten follte, 

Weiterhin trat ein Stand zwiſchen den Streit der 
Gemuͤther, im deſſen Beſtimmung zwar das Vermitte⸗ 
lungsgeſchaͤft des Friedens liegt, der aber im Hader 
ind Zwieſpalt ſeine Nahrung zu ſuchen ſchien. Die hieſige 
Geiſtlich keit hatte ſich ſeit der Reformation ims- 
mer mehr zu einer abgeſchloſſenen Koͤrperſchaft auszu— 
bilden verſucht, die im Staate ihre beſondere Rechte 
und Obliegenheit in Rechnung zu bringen habe, Nicht 
damit ufrieden, die katholiſchen Prieſter vertrieben und 
tie lutheriſche Confeffion zur herrſchenden gemacht zu 
haben, bot fie Alles auf, auch an der Staatsverwal⸗ 
rung ſich Antheil zu verſchaffen. Jedwede öffentliche 
Angelegenheit wurde auf den Kanzeln verhandelt, wozu 
fe um fo eher Veranlaßung fanden, da ſie alle obrigkeit— 
lichen Befehle und Verordnungen ihren Gemeinden ber 
kannt zu machen hatten, Dadurch wurden ihre Bor: 
traͤge, anſtatt den Geift des Chriſtenthums, d. h. der 
Liebe und des menſchlichen Vertraueus zu befördern, 


\ 


. 


zu Streitigkeiten. Meyer und Horbiug,) 585 


polieifche Diſpuͤte, Strafpredigten gegen die Obrigkeit 
oder feindliche Angriffe ihrer Amtsbrüder, die etwa 
anderer Gefinnung, anderen Grundfägen zugethan wa— 
ren. Diefe Ausartung der proceffantifchen Glaubens: 
jehre war allgemein in Deutfchland und wurde Veran: 
faffung, daß eine Partey der Geiftfichen fich bildete, 
welche fich Tosfagte von Diefem unchrifflichen Wefen der Un⸗ 
duldſamkeit oder der fpigfindigen Vertbeidigung unfruchts 
barer Lehrmepnungen, welche Beförderung eines ſtillen, 
frommen Lebenswandeld durch Erbauung und anregen: 
des Beyfpiel ſich zum Hauptzweck gefege hatte, "Der 
fromme Spener in Berlin war als Muſter vorange⸗ 
gangen und ſeine Art, das Chriſtenthum in die Herzen 
der Menſchen einzufuͤhren, gewann eine Menge von 
Anhängern: feine Lehren fielen wie Thautropfen auf 
die nach achter Geiſtes-Nahrung Techzenden Bemuͤther. 
In Hamburg Tebte damahls, Spenern durch Verſchwaͤ— 
gerung ſowohl, als dem inneren Geiffe nach verwandt, 
ob. Heinrich Horbius, Paſtor der Gemeinde zu 
St. Nicolai, Diefen frommen Denn harte ſchon Früher 
ein Rordhäufifcher Prediger,’ Dilfeld,  angezapfe und 
zuerſt Speners und feiner Freunde Lehre in den Ruf, 
der von Jakob Böhme abgeleiteten Schwarmerey , Pier 
tismus, Chiliasmus, Theoſophie, nnd wie ſonſt Die 
Worte biegen, gebracht, Aber ein weit beftigerer Geg⸗ 
ner trat jetzt auf den Kampfplatz, Joh. Fr. Meyer, 
Paftor der biefigen Jacpbigemeinde, dem leider vor— 
mals, da er als Profeffer zu Wittenberg den Huf bie 
ber erhalten, Spener ſich ungefallig bewieſen hatte, 
was der unchrifflihe Mann -ihm nachtrug.‘  ZJuerjt 


586 Krieg zwifchen den Horbianern 


zwang er (1690) ohne Bormwiflen des Staats, feine 
Amtsbruͤder zu einem Neligionseyde, in welchem fie 
theils gegen die Calviniſten, theild gegen die Enthufla- 
fen und Chiliaften, nahmenelich "gegen Jacob Böhme 
ihren Abſcheu erklären ſollten. Drey Prediger wider 
feßten fich diefem Gewiſſenszwang, Horbius, Abraham 
Hinkelmann, Hauptpaflor an St. Carharinen, und 
Joh. Winkler zu St. Micaelid: Grund genug für 
den blinden Eiferer, das Volk gegen fie anzureizen. 
Horbius war ihm.um fo mehr verhaßt, als derfelbe eines 
‚ungemeinen Beyfalld . und. der herzlichften Liebe und 
Achtung ferner Gemeinde und aller Verftändigeren im der 
Stadt fich erfreuere, Als derfelbe noch überdief Die 
Schrift. eines franzoͤſiſchen Jeſuiten Poiret: ,‚Rlug- 
heit. der Gerechten, Kinder zu erziehen,‘ ein unfchuldi- 
ges und nügliches Büchlein , in deutſcher Sprache her: 
ausgab und daſſelbe zum Neujahrsgeſchenk unter feine 
Gemeinde vertheilte, fuhr der Verfolgungsgeift Dreyer, 
wie eine Windsbraut, über ihn her und regte das Volk 
durch Toben und Schreyen zu Aufruhr und Zwieſpalt 
auf. Den 23. November 1693 famen bie aus Jacobi— 
Kirchfpiel auf dad Rathhaus, pochten auf Meyers 
Wort. und begehrten, daB Horbius abgefegt und aus 
der Stadt verwiefen würde, Die Nicolaiten fptachen . 
für ihren Seelforger, waren aber zu ſchwach, gegen 
die heftigere Ueberzahl aufzukommen, denn für Mever 
fanden die auch des Herkommens wegen altglaubigen Ge 
merbe und Aemter aus allen Kirchipielen. Es kam 
ſelbſt zu Thaͤtlichkeiten, mobey die Horbianer den Für- 
zern zogen; der Senat ſaß ängfllich in der Rathſtube, 


und den Anbangern Dr, Meyers. 587 


einige Oberalten ſprangen dazwiſchen, um Ruhe zu 
ſchaffen, wurden aber gemißhandelt und zum Theil ihrer 
Wuͤrden verluſtig. Horbius entzog ſich dieſem Unweſen 
dadurch, daß er freywillig ſeines Amtes ſich begab: er ging 
auf ſein Landgut in Schlem und ſtarb daſelbſt ſchon 1695 
eines ſchleunigen Todes. Er wurde in Steinbeck ber 
erdiger, wo ihm feine hamburgifchen Freunde eine Grabs 
ſchrift fegten, welche mit den Worten beginnt: „Hier 
liegt begraben ein Mann, von dem man erft wird er⸗ 
fahren nach der Zeit, was men nicht glauben wollte 
in der Zeit. 

„ Aber mit Horbiug Entfernung harte fich feine Gefins 
nung nicht verloren. Hinfelmann und Winckler nahmen 
fich feiner zu warm an, alg daß nicht Meyer in feinen 
Strafpredigten hatte beharren follen. Eben fo gährte 
auch im Wolfe der Geift der Unruhe und der Zwierrache 
fort, der fich in den unſittlichſten Ausbruͤchen aufferte 
und in die gebaffigften Anfeindungen überging, Die 
- Faiferlichen Mandate, melche dagegen erfcbienen, ver: 
mochten nicht, ihn zu beſchwichtigen, der Faijerliche Ge- 
fandte fprach ſchon wieder von einer Commiſſion. Da 
rafften fich die edleren Bürger wieder auf, welche big: 
ber in ihrem Unmuthe, der öffentlichen Angelegenheiten - 
überdrüffig, ſich zuruͤckgezogen und das Schiff des 
Staates feinem unſteten Schwanfen in verbiffenem 
Grimm überlaffen harten. Ihr Wiedererfcheinen wirfte 
gefund auf das wirre Treiben des unruhigen Haufens: 
man würde fich ganz zur Ordnung wieder gefügt haben, 
wenn nicht ein neuer Unfall abermapis zu Irrungen 
Anlaß gegeben haͤtte. 


588 Die Bürgerunruben führen eine 


In Altona waren einige hamburgifche Bürger mit 
einigen kaiſerlichen Hofraͤthen in unangenehme Begeg— 
mung gerathen, fo daß der Faiferliche Gefandte mit 
der Klage. einkam, jene Hofrathe wären von den Bürs - 
gern injuriire und mit Scheltreden angetaftee worden. 
In Auftrag des Rathes ließ daher der Prator Solm 
den Burger Martin Reefe nach dem Baume bringen 
und in Ketten und Schlöffer Tegen. (1696.) Aber die ges 
reisten Bürger nahmen dieß fo übel auf, daß fie den 
Praͤtor feines Amtes entfegt erklärten, ‚‚weil ein Ge— 
richtsverwalter Die Gefeße und Statuten kennen und 
nichts, was ihm Ddiefen zuwider aufgerragen würde, 
vollſtrecken muͤſſe.“ Als der Rath diefen Beſchluß zu 
beſtaͤtigen ſich weigerte, ging die Buͤrgerſchaft yoch 
weiter, entſetzte Sylm (den 24. November) fogar ſei— 
nes Rathsſtandes und erfuchte den Rath, einen anderen 
an deffen Stelle zu waͤhlen. Die beharrliche Weigerung 
hatte fofore zur Folge, daß die Bürgerfchaft einen 
Ausſchuß von 24 Mitgliedern erwählte, durch welche 
Herrmann Stubbe zum Rathsherrn ernannt wurde, 
deffen —— aber dann erſt erfolgte, nachdem 
die Buͤrgerſchaft den Schluß gefaßt, daß der Rath, 
bis er ſeine Zuſtimmung erklaͤrt, kein Gehalt beziehen, 

er Rathswahlen verluſtig ſeyn und nicht mehr bey 
den Schoßtafeln ſitzen ſollte. Eine andere Beſchwerde 
geſellte ſich zu dieſer Gaͤhrung. Nach der damaligen 
Einrichtung lieh die Bank noch auf Pfaͤnder. Im 
Jahre 1697 aber ward fie durch einen Juden, Marx 
Deier, mit Aldag's, des Bancofchreibers Hülfe, auf 
verfchiedene Tumelenpfander um 56,000 Mark betrogen. 


neue Commiflion berbey. 1698. ff. 589 


Verdacht fiel ferbit auf einen Rathsherren/ Vegeſack, 
daß erian der Veruntreuung mit ſchuldig fey, und er wurde 
aus dem Rathe gewiefen, Die neuen Wahlen übernahm 
die Bürgerfihaft, und zwang den Rath zu verfihiedenen 
malen, die von ihnen erwahlten Rathmaͤnner aufzuneh- 
men, Sogar die Verurtheilung der unglücklichen Snit— 
ger und Jaſtram wurde im frifche Anregung gebracht 
und der Rath zu Beweiß gefodere, daß jener Juſtiz⸗ 
Mord aus hinreichenden Gründen gefchehen fen. | 

In diefer Verwirrung hatte abermals eine Comr 
miffion fich eingefunden, aus den Gefandten der 
Fürften des! niederfachfifchen Kreiſes beftehend, welche der 
Bürgerfchaft mie ihrer zudringlichen Vermittelung Taftig 
fallen wollte. Der allgemeinen Noth zur Abhuͤlfe brach⸗ 
ten ed die wohlgefinnten unter den Bürgern dahin, daß 
1698 ein Ausschuß von 50 Bürgern, unter welchen die Ober- 
alten und fünf Gelehrte fich mie befanden, erwahlt wurde, 
mit dem Rathe die Mangel und Mißverftandniffe aus- 
zugleichen und gemeinfchaftlichdie Commiffion zu entfernen 
zu füchen. Obfchon ihre Bemühungen von geringem Er 
folge waren, fo wurde doch endlich 1699 ein Vergleich 
(Receß) zu Stande gebracht, welcher zur Abhelfung 
mancher Befchbwerden wenigftend einen Anfang machte, 
An diefem Receß wurde auch verordnet: „das am 
19. Auguft 16987 vom Narbe, ohne die Buͤrgerſchaft 
zu fragen; eingeführte Dankfeſt — (zum Andenken an 
die vorjährige Hinrichtung Snitger's und Jaſtram's!) 
folle in einen Buß: Faſt⸗ und Bettag verwandelt und 
fotcher in den September verlege werden: “ ein zwecks 
mäfiges Mittel, die Bürgerfchafe mit fich ſelbſt und 


590 Meyer's Klingelbeutelprebige, 


mit ihrem Gemiflen einigermaßen wieder zu vers 
fühnen, 

Die KCommiffion war hiemit abgewiefen und Ham— 
burg würde ſich jetzt ſchon in Ruhe und Eintracht zu 
ſammeln begonnen haben, wenn nicht der noch immer 
gaͤhrende Einfluß der Geiſtlichkeit ſeine heilloſen Wir— 
kungen fortdauernd erhalten haͤtte. Der eifernde Meyer 
brachte noch kurz vor ſeinem Abgange von hier durch 
ſeine beruͤchtigte Klingelbeutel predigt thörichten 
Aufruhr zu Stande, In einem vorhergegangenen Rath: 
und Bürgerfchluß vom 26. May war den Oberalten 
ihr Rang beſtimmt und diefelben zugleich von der Ver 
pflichtung, mit dem Klingelbeutel umzugehen, befreyt 
worden, AS nun der Dberalte Carftens in Jacobi: 
Kirchfpiel von diefem Rechte Gebrauch machen wolle, 
weigerten fih auch die Diafonen, den Klingelbeurel zu 
nehmen und die Sammlung mußte erliche Sonntage uns 
terbleiben, bis endlih Dr. Meyer, von Kiel zurückfom- 
mend, d. 5. Juny die Kanzel beftieg und in einer donnern- 
den Strafrede gegen den eingeführten Mißbrauch loszog; 
„der Klingelbeutel fole ihnen als ein Vorbote einer 
jäben, ſchnellen Strafe des ewigen Gottes Flingeln, 
falls fie fich nicht eines andern bedachten,‘‘ Die Jar 
cobiten fonderten fich deshalb von der ganzen übrigen 
Bürgerfibaft ab, der Oberalte Carftens aber mußte 
feine Stelle niederlegen, Im Auguſt erhielt Meyer 
einen Ruf nach. Greifswalde. In feiner Abfchiedspre- 
digt am Bußtage, den 15. September, erffarte er laut, 
die Klingelbeutelfache fey einer der triftigften Gründe 
für ihn, die Stade zu verlaffen; er danke Gott, ber 


A 


Die Jacobiten gerathen in Aufruhr, 591 


ibn von einem Orte wegrufe, mo ein fo unchriſtliches 
Regiment geführe und fromme andaͤchtige Bürger fo 
gedrückt winden; die Jacobiten möchten indeſſen fort: 
fahren, über ihre juͤngſten Schlüffe zu halten und bie 
raudigen Schaafe von den guten firder aussufons 
dern u. dgl. Ingeheim aber fügte er feinen Pfarrkins 
dern mit Thranen Lebewohl, und verbeblte ihnen 
nicht, daß wenn Gott und der König es fo fügten, er 
mit Freuden wieder unter ihnen erſcheinen würde, Als 
er nach Verlauf eines Jahres noch nicht zuruͤckgekehrt 
war, gingen von feiner biefigen Gemeinde Abgeordnete 
an ihn ab, zur Rückkehr ihn einzuladen: er felbft aber 
verwieß fie an den bamburgifchen Nach, ob derſelbe den 
König (von Schweden) um ſeine Entlaſſung erfuchen wolle, 
Der Rath vermochte wirklich dem ungeffünen, mit 
Drohungen verknüpften Verlangen der Menge niche zu 
widerffehen, und Meyer batte "die kleinliche Rache, 
denſelben mit ſeiner und ſeines Koͤniges abſchlaͤgiger 
Antwort, nach ſeiner Meynung, zu demuͤthigen. Nichts 
deſto weniger blieben die Jacobiten in ihrer unruhigen 
Stimmung und Widerſetzlichkeit gegen die Anordnun— 
gen der oberſten Behörden, Unter ihnen hatte ſich ins⸗ 
‘ befondere Balthafar Stielke, eim Bortenmwirker, 
ſolches Anſehen verſchafft, daß er mit feinem Unbange 
dem Rathe, den Oberalten und anderen in Amt und 
Würden fiehenden Männern Trog bot, abſetzte und eins 
ſetzte nach Gefallen, und die irgend ihm entgegen waren, 
auf das ſchnoͤdeſte mißhandelte. Einen tüchtigen Ges 
huͤlfen erhielt vieler Stielke und die Jacobitiſche 
Parteyan dem Dr, Chriffiangrummbots, Paſtoren 
— 38 


592 Der Priefterunfug führe eine Faif, 


an der Perrifirche, einem eifrigen Anhanger Meyers, 
Hamburg hat feinen mwilderern Empörer in feinen Ring: 
mauern gehabt, als diefen Menfchen, der übrigens von 
Geburt ein Meißener war. Derſelbe fegte nicht nur 
durch - feine unchriftlichen, politifchen Predigten bie 
Köpfe des Volfes in Verwirrung, er hielt auch nacht: 
fiche Zufammenfünfte, in welchen ‚die Tollheiten, die 
gegen den Rath verübt werden ſollten, verabreder wur⸗ 
den. Die Gewerbthaͤtigkeit blieb über Diefer verkehrten Rich- 
tung der Gewerker liegen, der Handel felbft gerierh in 
Stosten, ein jeder eilte in bie Kirche, oder nach dem 
Rarhhaufe, Verhandlungen. beyzumohnen und dieſelben 
leiten zu helfen, unberufen von auffen und von innen, 
Es fehlte nicht an folchen, welche dem wuͤſten Treiben 
sit Einficht und ſcharfem Verſtande enfgegen traten; 
witzige Schriften erfihienen gegen den Eiferer, aber 
die Schriften ſelbſt wurden, durch Untreiben der Auf 
wiegler, vom Buͤttel verbrannt und die Bildniffe der 
Berfaffer an: den Galgen genagelt. Krummholtz 
nannte den Rath in feinen Predigten „ein Raͤthchen und 
Magiſtraͤtchen, ein Zaufendehaler- Kollegium, nieder⸗ 
ſaͤchſiſche Buͤrget““; die Oberalten „ein Tauſendmark⸗ 
Collegium ſtummer Hunde und dummer Jabruͤder“; 
Ermahnungsſchreiben des Senats, welche ihn auf die 
Beſtimmung feines Amtes hinwieſen, „ehrenruͤhige 
Chartequen und nichtswuͤrdige Injurienſchriften.“ — 
„Mein Rath waͤre, ſagte er am Schluß ſeiner Predigt 
am Mariaͤ⸗Reinigungsfeſte 1708, — „daß man Prieſter, 
Rath und Mitbürger, die den Geſetzen entgegen han— 
dein, wegſchaffete.“ In dieſem Ginne  verfuhren 


Commiſſion berbey, ſeit 170% 593 


fammtliche Partepgängers Die Rathsperſonen, welche 
dem Getuͤmmel entgegen frebten, wurden: ihres Amtes 


entſetzt; viele blieben ganz weg von den Verfammluns 


gen, wurden defhalb in 1000 und 2000 Rthlr. Strafe 
verdammt, und diefe Summen von ihnen durch die 
Bürger z Compagnien eingerrieben Da wollteit - die 
rechtlichen Bürger der öffentlichen Noth von Neuem 
fich annehmen, aber das Berderben hatte zu tief Wurs 
zel gefcblagen, als daß es durch gewöhnliche Mittel: 
ausgerottet werden konnte. | 

Darüber erfibien endlich die Faiferliche Com⸗ 
miffion; beſtehend aus dem Grafen von Schönborn, 
dem ſchwediſchen Grafen von Lilienſtedt, einem preußi⸗ 
fihen, einem bannöver’jehen und einem braunſchweigi⸗ 
ſchen Rath, unterftügt von einer Kriegsarmee von 
348 Mann Reutern und 2389 Mann zu Fuß. Anfangs 


ſchickte man ſich an, die Stade zu vertheidigen : da aber. 


die Geſandten der Königin Anna von England und der 
Generalſtaaten, fo wie der Herjog von Braunfchweig 
und die übrigen Fuͤrſten des Kreifes die Verficherung 
Haben, daß an den bergebrachten Gefegen und der 
Srundverfaffung der Stade nichts geändert werden 
ſolle, Sondern ihre Abſicht nur dahin gebe, Friede und 
Einigkeit in Hamburg wieder herzuftellen, wurden die 
Eommiffion und die mitfommenden Völker friedlich in 
die Stade aufgenommen, - Das erfte Geftbäft war, die 
Nadelsführer aus der Mitte zu entfernen, Krummholtz 
hatte feine aufruͤhreriſchen Predigten ohne Unterbre— 
bung fortgefegt und. felbft: die Terte mit Beziehung. 


auf die Zeitumſtaͤnde ausgelucht, Noch als die Voͤller vor 


: 38° 


594 Der Unionsreceß von 1710, und der 


den Thoren Ingen, den 23. May (1708), fprach er über 
Seremia 17, 18: „Laß fie zu Schanden werden, die 
mich verfolgen, und mich nicht, Taf fie erfchrecfen und 
mich nicht, laß den Tag des Ungluͤcks über fie gehen, 
und zerfihlage ſie zwiefach.“ An feiner Tegten Predige 
am 3. Juny ließ er fingen: „Sollt' e8 gleich bisweilen 
ſcheinen, als 0b Gott verließ die Seinen’ ꝛc. Aber in 
der nachfffolgenden Nacht wurde er abgeholt; ein glei- 
ches gefchah mie Stielfe und einigen anderen; erſtere 
wurden zu ewiger Gefangenfchaft verurcheilt, (Krumm⸗ 
holg ſtarb zu Hameln,) die übrigen wurden ausgeftaupt 
und vermwiefen, oder mit Geldbuße beffraft, am Leben 
feiner. Die Commiffion blieb übrigens vier Jahre in 
der Stade, und ſchien fich dafelbff zu gefallen. Im 
Fahre 1710 Fam der vorläufige Unionsreceß zw 
Stande, im welchem die Verhaͤltniſſe und Obliegenhei— 
ten des Rathes und der übrigen bürgerlichen Colfegien 
zu einer feſten Beſtimmung gebracht wurden, Der Tod 
des Kaiſers Joſeph L, verurfachte, daß die Arbeiten 
der Commiffion bis zur Thronbefleigung Karls VI, 
ausgeſetzt blieben; im vierten Jahre erſt, 1712, fam der 
\ fogenannte Hauptreceß zu Stande, der die völlige 
Ruhe im Innern wieder herfkellte und in deffen Befol- . 
gung, ſoweit er von der Bürgerfihaft anerfannt wor: 
den, bis heutzutage die Erhalcung dieſer Ruhe gegrüns 
‚der. ift. Nach demfelden ift das hoͤchſte Recht und die 
hoͤchſte Gewalt gemeinfchaftfich bey dem Narhe und 
bey der erbgefeffenen Bürgerfchaft, nicht bey dem einen, 
oder bey der anderen für ſich, fo daß weder die 
Schlüffe, jenes, noch diefer, ohne beyderfeirige Zuffim- 


⁊* 


Hauptreceß von 1712 beruhigen Hamburg. 595 


mung Guͤltigkeit haben Fonnen. Die Bürger und Eins 
wohner follen ‚‚dem Narbe treu und Hold ſeyn.“ 
Erbgeffener Binger ift, wer lutheriſcher Eonfeflion 
ift und in feinem Erbe in der Stadt 1000 Rthlrs, vor 
ben Thoren 2000 Rthlr. beſitzt. Nebſt ihnen haben im 
der Bürgerfebaft Sis und Stimme die Oberalten, die 
6oer, die ı8oer und deren Adjuncten, die Cammerey- 
bürger, die Eolonelbürger, die Börfenalten, die Com⸗ 
merzdepusirten und deren Adjuncten. Kirchens und 
Polizeyſachen, alles, was zur Ruhe und Vertheidigung, 
zur inneren. Sicherheit und jedweder Art der Verwal⸗ 
tung der Stadt gehört, wurde auf dag genauefte. bes 
ſtimmt, mit Vorbehalt der nüslichen Aenderung, fobald 
eine folche noͤthig erachtet würde.) Die Urverfaffung, 
wie fie fich durch Zeit und Umſtaͤnde entwickelt haste, 
blieb in ihrer Grundlage unverrüsft, nur den Mangeln 
wurde abgehbolfen, auf welche man durch Ddiefelbe Zeit 
aufmerkfam gemacht worden war, So blieb den. Buͤr⸗ 
‚gern Hamburgs eigenthüumlich, was aus ihnen ſelbſt 
hervorgegangen. Feindlicher Zwieſpalt ft von da an 
nicht mehr bemerft worden, feitdem man durch, herbe 
Erfahrungen Fennen gelerne hatte, zu welcher. Gefahr: 
Yichfeie derfelbe führe. Die fremden Reichsgerichte bat 
man nicht mehr nöthig gefunden, nachdem fich erwiefen, 
Daß Streitigkeiten vor der eigenen Behörde ſchneller 
und billiger gefchlichtet werden, ald mwenn das Recht 
von drauffen her geſucht werden fol. Billigfeie der Ei- 
nen gegen die Anderen, Rechtlichkeit der Gefinnung, 
Menſchenfreundlichkeit find die Grundfäufen, auf welchen 
diefer Tempel der Freyheit ruhet, fo fange nicht. zu 


i 


596 Die alte Hanfe zerfällt; es verbuͤndet ſich 


erfchüttern, als diefe nicht durch eigene Thorheit, oder 
durch Gemwaltfireiche, von fremder Willkllhr ausgeübt, 
hinweggeraumt werben, N 

Daß die Kommiffion nicht langer vermweilte und 
die Stade mie unzweckmaͤßigen Zumuthungen weiter bes 
Taftigte, verdanfte Hamburg einem fchwer hereinbrechen- 
den Hebel, wie.die Natur denn in ihren ſtrafenden 
Maaßregeln eben fo gewaltfam und fürchterlich iſt, als 
in ihren Segnungen veich an unendlicher Fülle, Eine 
verheerende Peſt verbreitete fich in der Umgegend und 
bis in die Stadt; die Commiffarien eilten,, der Gefahr 
zu entfliehen, bevor noch ihre Arbeiten zu der beadfich- 
tigten Vollendung gediehen waren, 

Die bisherige Erzählung, welche im Zufammen- 
hange die fernere Entwickelung des Staates felbft und 
der Urfachen, durch welche dieſelbe herbeygefuͤhrt wurde, 
ſchildern ſollte, konnte Einzelnes, was zum aͤchten Le 
ben der Verfaſſung, ihrem Geiſte und der Nahrung 
deſſelben diente, hie und: de nur andeuten, mußte ande 
res noch übergeben, den Ueberblick nicht zu zerffreuen : 
was noch der befonderen Auszeichnung werth iſt, holen 
wir in der Kürze nach, 

Wie die Hanfe fich ihrer Auft oſung —* iſt 
fruͤherhin erzaͤhlt worden. Die Welt geſtaltete ſich an— 
ders: unter neueren Umwandlungen konnte, was auf: 
hinweggeraͤumten Bedingungen ruhete, nicht laͤnger be 
ſtehen. Der zojährige Krieg, der ſo vielen Einrich⸗ 
sungen den Tod brachte, Töfere auch die legten Bande 
vollends, womit die Hanfeffsdte noch locker zuſammen 
biengen, Nur für die drey Städte, Bremen, San: 


die neuere der drey Städte feit 1630; 597 


. burg und Lübeck blieben zum Theil diefelben Gründe, 
enger zu einander zu halten, gültig, um ihre auswärtigen 
Handelsangelegenheiten mit deſto geringerem Koſtenauf—⸗ 
wand und mit um fo gröfferem Nachdruck zu fördern, um 
wie viel bedeutender fie durch ihre Zufammengefellung auf 
treten Fonnten, denn vereinzelt. Auch für die deutſchen 
Fürften ſowohl, als für die europaifcben Handelsſtaa⸗ 
ten überhaupt war die Erhaltung eined Bundes nicht 
gleichgültig, der nicht machtig genug war, gefährlich 
zu feyn, aber ſtark genug und wohlhabend, dem Gan- 
zen und dem Einzelten mannigfaleigen Vortheil zu 
bringen, Im Sabre 1630 fihloffen die drey Gtädte 
zuerſt auf ro Jahre einen Vertrag, in der drangenden Noth 
jener Zeit zu gemeinfcbaftlicher Freundſchaft, zu gegen: 
feitigem Schuß nud Schirm bey einander zu bleiben, Nach 
Ablauf diefer Zeit, 1640, erneuerten fie das Buͤndniß 
für die Dauer; der Nahme Hanfe blieb als Ueberreſt 
deffen, was in der Zeit verſchwunden war; die Erhal⸗ 
tung und Anerkennung des jüngeren Bundes aber 
ficherten alle folgenden Verträge, As Hanſe ſchloſſen 
die drey Stadie: 1655 den erffen feyerkichen Handelsverz 
srag mit Ludwig XIV, von Franfreih; durch Chris 
ffiang IV. Bewirkung wurden fie 1645 jur Werfiches 
tung guter Freundfchaft, bey dem damaligen Friedens⸗ 
Eongreß mie Schweden in das Friedensinffrument mit 
aufgenommen; daffelbe geſchah bey dem Weſtphaͤliſchen 
Frieden, bey den Eongreffen zu Nimwegen und Ryss 
wit, (1679.) Mir den Generalffaaten der Niederlande 
ſchloſſen Hamburg und Bremen 1645 und 1646 über 
die freye Elb⸗ und Weſerfahrt Vereinigung, 1647 zu 


98. Handel der jüngeren. Hanſe, 


Muͤnſter mit dem ſpaniſchen Hofe zur Befoͤrderung des 
Handels nach Spanien, und 1661 ertheilte Carl U. in 
England der Stadt Hamburg insbefondere die Verſiche⸗ 
rung, dieſelbe bey ihren alten Rechten zu erhalten und 
deren Schifffahrt und Kaufhandel zu beſchirmen. So 
behielten die Hanſeſtadte auch ihre einzelnen Niederlagen 
in den europaͤiſchen Staaten, allwo ſie ihre beſonderen 
Bevollmaͤchtigten, Agenten oder Conſuln, zur Beſor⸗ 
gung ihrer Handelsangelegenheiten fortwährend unter: 
hielten, als zu London, Bergen, Cadix, Madrid, 
Malaga, . Dporto, Liſſabon, Haag uns Petersburg, 
Se mehrere der bisherigen Handelgjtadte gerade ihre 
Freyheit verloren, andere unter der Hand ihrer hab⸗ 
füchtigen. Fuͤrſten zur Unbedentenheit herab gedrückt 
wurden: um fo feböner bluͤhete der Wohlffand diefer 
wenigen fort, ‚und fie gerade wurden die Freyſtaͤtten 
und Zufluchtsoͤrter für alle Die, welche fonft noch Geift 
und Much. zu kuͤhnen Unternehmungen. hatten und für 
diefelben bier allein noch offenen Marktplatz fanden, 
Die drey Staͤdte wurden die Vormauer des nördlichen 
Deusfchlands zugleih, und für daſſelbe die Eröffnung 
der Ziele (Canaͤle) zur Verbindung mit dem übrigen 
Europa: allen Fuͤrſten gleich wichtig mußten fie frey 
erbalten werden vor jetem Angriff, der ihre Freyheit doch. 
nur einem Einzelnen zum Opfer batte bringen fonnen, 
Der Einzelne aber, dem es gelungen, Herr diefer Staͤdte 
zu werden, hatte e8 in feiner Gewalt, auch den ganzen 
Norden von Deutfchland u beberrfchen, Wenn der 
Handel das Mark ift, Das dem ganzen Körper Kraft 
und Haltung giebt, fo it Freyheit diefes Handels 


) 


insbeſondere Hamburgs, 599 


die einzige Bedingung, auf welche das Wohl des Gans 
gen verbürge werben kann. 

. Hamburg gewann übrigens durch feine böchft 
glückliche Lage fehr bald den Vorrang vor ihren 
Schweitern, Wenn es diefen oder: jenen Haudelszweig 
mit den Nachbarn theilen mußte, fo mwuchfen dafür 
neue zu, deren Vortheil reichlich den Abgang früherer 
erfeßte,. Die Bierbrauereyen  fanfen , ‚feitdem der 
Dein in Deutſchland mehr Beduͤrfniß wurde, auch 
nachmals Caffee und Thee das Bier verdraͤngten. In 
Hamburg ſelbſt eroͤffnete zuerſt ein Englaͤnder im 
Jahre 1677 eine Caffee- und Thee⸗Schenke, dem ſobald 
ein Hollaͤnder und nachmals viele andere folgten, 
„alſo — beißt es in einer ſpaͤteren Nachricht, daß 
man die Schenker jest kaum mehr zahlen kann.“ 
Den ohnehin ſchon in Abnahme gekommenen Hee—⸗— 
ringsfang in den nordiſchen Gewaͤſſern gaben die Hamz 
burger auf, da ſie dieſen Fiſch wohlfeiler von den 
Hollaͤndern bekommen konnten: «dagegen fingen fie um. 
die Mitte des 17. Jahrhunderts an, Schiffe zum Wallfiſch⸗ 
fang auszufenden, mit groffem Gewinne; ſchon 1649 
wurde die erſte Thrandrennerey am Elbſtrande angelegt, 
und 25 Jahre fpater hatte fich die Zahl derfelben.big 
zu neun vermehrt. : Seitdem die Gewand- oder. Tuchbe⸗ 
reitung zu finken anfing, erhoben fich die Caffa= oder 
- Sammtfabriten, man verfab von bier aus die nordifchen 
Länder mit Staltz oder Paltröcfen, mit Spigen und Ga⸗ 
Lonen, und anderen Fabrikwaaren, die mit den engliſchen 
und franzöfifchen in gleichem Werthe beftanden. Darauf 
folgten die Gerbereyen, Tabakſpinnereyen, Wachöbleis 


600 Beränberungen im Handel Hamburgs, 


chen, Kattundruckereyen, dann die Zucferfiedereyen, bes 
fonder8 feit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, 
Der Schiffbau war früherhin einer der berrächlichften 
Erwerbszweige Hamburgs gemefen: die Abnahme deſſel— 
ben geſchah, als die benachbarten Wälder lichter wur: 
den, mehr noch, als die Auswärtigen anfingen, ihre 
Schiffe ſelbſt zu bauen, Der eigenen Schifffahre wurde 
durch die Seeraubereyen der Afrikaner groffer Eintrag 
gethan. Die Ausfchließfung Hamburgs ans dem Fries 
den der Hollander mit Algier veranlafte 1662 die Er: 
bauung der Convoyfchiffe; eine Flotte derſelben hatte 
1678 zugleih mit fünf Kapern ein heftiges Geeger 
feche, mit gutem WVortheil, eine andere 1683 aber das 
Ungluͤck, in der Bay von Cadix in Brand zu gerathen; 
der tapfere Capitain Carpfonger, welcher fein 
Schiff nicht verlaffen wollte, Tam dabey ums Leben - 
ind wurde feldft von dem Könige Spaniens durch ein 
Denfmahl, das er ihm errichten Tief, ehrend ausges 
jeichnet, Dennoch nöthigte die Uebermacht der Algierer, 
daß die hieſigen Kaufleute ihre Guͤter nach Spanien, 
Portugal und dem mittellaͤndiſchen Meere ſolchen Flag— 
gen anvertrauen mußten, deren Maͤchte mit jenem 
Staate in friedlichen Verhaͤltniſſen ſtanden. Ein Ver— 
frag, den Hamburg um die Mitte des achtzehnten Jahr⸗ 
hunderts mie Algien errichtete, war von nicht günffi- 
geren Folgen: Spanien drobete, den Hamburgern feine 
Hafen zu verſchließen, da es einen Freundſchaftsvertrag, 
mit ſeinem Erbfeinde und auf Zufuhr der Kriegsbeduͤrf⸗ 

niſſe geſchloſſen, fuͤr ein feindſeliges Buͤndniß anſehen 
müſſe. ah 


nach ben Verhaͤlt niſſen der Zeitumſtaͤnde. 6601 


Die Schifffahrt nach England wurde in ſo weit 
beſchraͤnkt, als die hamburgiſchen Schiffe nur deutſche 
Waaren und Erzeugniſſe, beſonders allerhand Tarbe⸗ 
waaren einbringen durften, dennoch auch ſolche, welche 
nicht in geradem Wege nach England zu Waſſer ge— 
bracht werden koͤnnen, ſondern die landwarts, aus 
Ungarn, Pohlen, Rußland hieher Fommen, Wenn fo 
die Stadt an eigenem Handel im Groffen verfor, fü 
wurde fie für den Zwiſchenhandel defto wichtiger, Die 
Stromfehifffahre erbiele ſich noch bis in das achtzehnte 
Jahrhundert, wurde aber fpaterhin durch das Magder 
burgifche Stapelrecht, das feit dem zojaͤhrigen Kriege 
geruher hatte, und durch die Menge der Zölle fo über 
maͤßig beläftiger, daß fie.billig aufgegeben werden konnte, 
wenn beffere Vortheile anderwäres fich darboten, Das 
Auf⸗ und Abwogen der Zeit ſchwemmt -überall hier bins 
weg und fegt dore an: bey allen Veraͤnderungen erhiel⸗ 
gen fich doch in Hamburg die Lieberreite der Vergangen⸗ 
heit und vereiniget an Einem Plage bildeten ſie ein 
Dauerndes Grundvermögen zur weifen Verwaltung und 
Verwendung. Selbſt die Nähe von Altona ward, 
trotz aller Bemühungen der danifchen Könige, Hamburg 
nicht nachtheilig: ein jüngerer Stamm zu nabe einem 
älteren gepflanze, der Fernfeff tiefe Wurzeln gefehlagen 
und feine geſpreizten Aeſte rings um ſich verbreiter hat, 
wird fich zu Seinem befonderen Anfehen erheben Fönnen, 

Der Staafhof in Londom wurde auch nach 
Auflöfung der Hanfe den drey Gtadten Luder Ham⸗ 
burg und Bremen erhalten, die bis heute ihre Mie— 
the davon bezogen haben, Die Geſellſchaft der 


602 Die Geſellſchaft der engliſchen Kaufleute. 


englifcben Kaufleute, welde durch die Eir 
ferfucht der übrigen. Hanfefladte von Hamburg hatte 
weichen müffen, kehrte 1604 ſchon dahin zurück und 
ſchloß neue Vertraͤge mit der Stade, beſonders 1611 
und 1617. Seitdem blieb fie im Beſitz ihres Kiefigen 
Court, wie fehr auch Stade zuerſt, und dann der Rö- 
nig von Daͤnemark fih Mühe gaben, fie wieder von 
bier. wegzuziehen, Tegterer zwar nah Krempe. Die 
‚neue engliſche Societaͤt““ beftund aus 20 Familien, 
genoß Vortheile eines niedrigen Zolfes für die aus Eng- 
Iand gerade bieher Fommenden Waaren, behielt ihren 
Courtmeiſter und unter demfelben eigene Gerichtsbarkeit, 
in ihrem Haufe (Groͤningerſtraße) Ausübung ihres Gor- 
tesdienffes mit einem von ihnen gehaltenen Prediger, 
und auch, zu Ergöglichkeiten feit 1646 einen geraumigen 
Hof (bey der groffen St. Michaeliskirche), ein Bowling- 
Green, 

Zur. Belebung des hamburgifchen Handels trugen 
die Berfolgungen, welche der fpanifchbe Unterdrückungs⸗ 
frieg in: den Niederlanden herbeyführte, nicht wenia bey. 
Die proteflantifchen Glaubensgenoffen, groſſentheils ans 
gefehene, wohlhabende Leite, viele felbfi von adlichen 
Befchlechtern, wanderten aus und ſuchten ihren Aufent⸗ 
halt in Hamburg. Schon nach dem Fall Antwerpens 
1585 jogen eine Menge Verfolger bieher. Im J. 1605 
betrug ihre Zahl bereit8 130 Perfonen; man ſchloß 
einen Vertrag mit ihnen zur Aufnahme auf 15 Jahre, 
da fie noch) die Hoffnung nicht aufgaben, in ihr Va⸗ 
terland zurückkehren zu koͤnnen, und einen neuen Buͤr⸗ 
gereyd nicht ſchwoͤren wollten. Abermalige Vertraͤge 


Die eingemwanderten Niederländer, 603 


1615, 1631 Fnüpften fie immer naher an die Stadt: 
durch einen niedergeſetzten Yusfchuß zur Annebmung 
der Fremden, aus 6 Rathsherren, 2 Oberalten, 2 
Cammereybürgern und 2 Gechjigern beffehend , wurben 
ihre Berbäfeniffe zur Stadt allmahlig genauer und billiger 
beffimme, fo daß immer mehrere derfelben den Bürgers 
eyd Teifteren, fich naber an die einheimiichen Familien: 
anfchloffen und fo ganz in die Zahl und den Geiſt der 
übrigen Einwohner übergingen, daß ihre Abkunft kaum 
noch weiter, ald aus den Nahmen errachen werden 
konnte. Aber fie brachten Handelsfenneniffe mit, die 
ſelbſt den Hanfearen früherhin ein Gegenfland des 
Neides gewefen waren; viele derfeiben errichteten Mas 
nufacturen, andere Tiefen in England Getreide und 
Kriegsbedärfniffe auffaufen und führien. fie ihren vors 
maligen Brüdern zu: fie wurden die unternehmendften 
Raufleute, da fie mit achtem Handelsgeiſt, mit Reichs 
thuͤmern und mit Rechtlichfeit und Ordnungsliebe zus 
gleich gerüffer waren. Ihr wohlthaͤtiger Sinn erſchuf 
die niederlaͤndiſche Armen- Caffe, urfprünglich 
zur Unterfiügung und Verpflegung ihrer Kranken und 
verarmeen Landsleute beſtimmt, aber bald auch ein 
heilbringender Schatz für alle übrigen Verarmtg, eine 
Anfiale, die bis auf die jetzigen Zeiten fich ‚erhalten 
bat und der milden Pfege der Gegenwart und der Zus 
funft, ein beiliges Pfaud menſchenfreundlicher Sitte, 
empfohlen bleibt. 
Dieſe Familien waren es, welche hier den hollaͤn⸗ 
diſchen Brook und die hollaͤndiſche Reihe zuerſt auf nie⸗ 
derlaͤndiſche Art anbaueten und ihnen die jegigen 


— 


2 


604 Erweiterung der Stadt, Anbau 


Nahmen verfchafften, da ſonſt diefe ganze Gegend der 
neue Brook geheißen hatte, Jene wilde Zeit, welche 
die Menfchen überall aus ihren vaterlichen Wohnfigen vers 
ſcheuchte, oft gewaltfam herauswarf, trug noch mehr 
dazu bey, daß Viele bier, san der Auffenbuche von 
Deutſchland, friedlichen Zuſſuchtsort fuchten, Der zojaͤh⸗ 
rige Krieg zumahl warf aus Böhmen, aus Oberdeutſch⸗ 
land eine Menge von Familien hieher, die ihr Leben 
und Bermögen bier gefichere glaubten, Durch folce 
Beranlaffung erweiterte fich Die Stade nach mehreren 
Seiten bin, insbefondere nach der Gegend von Altona 
su, die bis dahin noch unvollffandig bebaut gemefen 
war. Mehrere Pfahlbürger zwar wohnten ſchon bier am 
Ende des fechszehnten Jahrhunderts, Eine kleine Ras 
pelfe auf dem Kirchhof, welchen die Nicolai⸗Kirche in 
der Gegend ber jetzigen Eleinen Michaeliskirche ange 
legt hatte, wurde bergitd 1604 in eine Kirche er 
weitere und mit einem eigenen . Prediger verſehen. 
Den Nahmen erhaͤlt die Kirche vom Mich aelistage 
1606, am welchem fie geweiher wurde. Man erbauere ; 
auch 1609 am Millernthor ein eigenes Küterhaus, da 
das andere in der Altſtadt zu weit entferne war und nicht 
alles ſoweit befchisfen Fonnte, Der Ausbruch des gojahe - 
rigen Krieges machte noͤthig, daß um diefe Vor⸗ 
ſtadt (1620) ein fefter Wall gezogen werden mußte, 
der mit ſtarken Auffenwerken und tiefen Waffergraben vers 
feben wurde, Der ganze Bezirk fand indeifen Bebauer von 
den heranſtroͤmenden, welche hinter diefen Wällen Schuß 
und Sicherheit fuchten und fanden ; der Kirchhof mußte 
verlegt werden, dahin, wo. jeßt Die große Michaelis” 


des Kirchfpield St, Michaelis, 605 


kirche ſteht; mie Leichen füllten ihn die peftartigen 
Krankheiten ſeit 1624. Aber immer größer wurde der 
Andrang der Volksmenge, wie fehr auch die verheeren- 
den Seuchen hatten zuruͤckſchrecken mögen: die Furcht 
vor dem möglichen Uebel wurde befiege von dem grau⸗ 
fenden Elend, das der Krieg wirklich in feinem Ge 
folge führe, Nun wurde für die volfreiche Vorſtadt 
eine neue, größere Kirche immer dringenderes Beduͤrf⸗ 
niß; aber die Bewohner der Nicolaikirche, zu welcher 
die Vorſtadt noch gebörte, batten mehr guten Willen, 
"als Kräfte, da fie zu dem Ausbau ihrer eigenen, durch den 
berabgeftürzten Thurm (1644) hoͤchſt befchadigten Kirche 
nicht hinreichende: Mittel fanden. Dieß gab indeffen 
zu Verhandlungen Anlaß, in welchen die Nicofaikirche 
ihre Michaelitifche Tochtergemeinde der Stadt abtrar; 
(1647) gegen die Zahlung einer Summe, und dagegen von 
der Stade die Kirche St. Michaelis und die Kirchenge: 
baude der Gemeinde zu Michaelis zu ihrem Gebrauch. 
wieder übergeben wurden, Seitdem wurde auch die 
Benennung Borftadt, wofür die Michaelid-Gemeinde ' 
noch gegolten hatte, in Neufladt verwandelt. Durch 
milde Sammlungen, welche durch die ganze Stadt ver⸗ 
anftaltet wurden, war man fo weit gefommen, daß 
1647 mit dem Anbau einer neuen Kirche der Anfang 
gemacht werden Fonnte, vollendes aber wurde fie erff 
1661. Nach einigen Schwierigkeiten, welche befonders 
die Auszahlung der bedimgenen 25066 Marf, von den 
Michaeliten an das Kirchfbiel St, Nicolai, verurfachte, 
wurde durch Rath und Bürgerfchluß 1678, den 31. San. 
die Michaelid«Bemeinde als ein fünftes Kirchſpiel 


606 Anbau des Hamburger: Berges, 


aufgenommen, mit der Einfchränfung, daß die Auf— 
nahme in das Kollegium der Dberalten, der 4ßery 
144er und in die Cammer bis zu ruhigeren Zeiten 
ausgefegt bleiben folte, Ruhige Zeiten waren es nicht, 
aber folche, welche eine Bereinigung? Aller zum Wohl 
der Stade fehr nöthig machten, namlich das Jahr 
1685, wo St. Michelig diefer Eintritt in die buͤrgerlichen 
Eollegien zugeffanden wurde, Seitdem find der Ober 
alten ı5, die 48er in 6oer, die 144er im 180er vers 
mehrer worden, Um jedweden Unterſchied zwiſchen den 
beyden Theilen der Siadt vollends zu entfernen, wurde 
auch der Wall, der bisher die Altſtadt von der Neu: 
ſtadt getrennt hatte, abgetragen (1707) und neu bebauet, 
woraus die Straße des fogenannten neuen Walles 
entfianden iſt. Die Michaeligfirche erhielt fogar 
als Mutterkirche bald eine Tochter zu ihrer Geite, 
Die Schiffer und folche, ‚welche von der Schifffahrt 
und deren mannichfaltigen Bedarf ihre Nahrung zogen, 
fanden es bequemer, noch aufferhalb der Walle am 
Elbſtrande fih anzubauen, auf dem noch uneigentlich 
fogenannten Hamburger-Berge, wie richtiger 
fruͤherhin, als noch der Roͤdingsmarkt aufferfte Stadt— 
grenze war, die von da ſich anlehnende Höhe benannt 
worden war. Die Thranbrennerepen mit der noch ims 
mer fleigenden Grönfandsfahre wirkten vorzüglich zu 
der Bevölkerung dieſer Eldgegend. In den. Jahren 
1671 bis 1680 wurden im Durchſchnitt 57 Schiffe 
ausgeruͤſtet, welche ein Jahr ind andere gerechnet 
20,000 Duarbdeelen Speck mit nach Haufe »brachten, 
Diefe ergiebige groͤnlaͤndiſche Rhederey wird nie wieder 


on 


” 


Ankunft der portugiefifchen 20 Juden 607 


in folchen Klor kommen, bemerfe ein wohlgefinnter 
Freund feiner Vaterſtadt, „wenn der haushaͤlteriſche 
Geiſt unſerer Vorfahren nicht zu uns zuruͤckkehrt.“ In⸗ 
zwiſchen wurde fuͤr die anwachſende Gemeinde eine eigene 
Kirche mit einem beſonderen Seelſorger wuͤnſchenswerth. 
1682, den 27. März legte man den Grundftein zu der 
St Pauls: Kirche und fihon am 24. Auguſt hielt 
der Paſtor Haccius in derfelben fein: —— nach 
dem Hamburger⸗Berge.“ 

Die guͤnſtige Aufnahme, welche die verfolgten 
Niederlaͤnder hier gefunden hatten, bewog auch die ſo⸗ 
genannten portugiefiſchen Juden, welche in. 
Spanien und Portugal mit allen Schreckniſſen der 
blinden Religionswurh und durch die geheimen Umtriebe 
der heiligen Hermandad geaͤngſtiget wurden, ihren 
eg hieher zu nehmen, Sie fanden Duldung, tveil fie 
fih für neubekehrte Ehriften ausgeben; Cı6r2) - 
mehrere ihrer Blaubendgenoffen folgten ihnen nach und 
fie waren ſchon fehr reich an Anzahl; als man entdeckte, 
dag fie noch immer ihren berfömmlichen; mofaifchen 
Gefegen anhingen. Die vermögenden Ankoͤmmlinge hat: 
ten indeffen dem Handel einen höheren Schwung gegeben: 
und ſich in mehrfache Gefchäfte verflochten, daß der jur 
Fremdenantahme ernannte Ausſchuß in mweifer Vorſorge 
für den Wohlſtaͤnd der Stadt und in ver ſtaͤndiger Dufdung 
einer förmlichen Vertrag mit ihnen abfchlof , vermöge 
deffen fie alle Bürgerlaften übernehmen und alljährlich 
einen Schoß Yon 1000 Mark bezahlen mußten, Die 
- fernere Nachfiche machte ihnen Much, zumahl als viele 
bochdeusfche und polnifche Juden füch zu ihnen einfanden : 


39 


608 Aufnahme der Juden überhaupt, 


fie ordneten im Stillen ihre eigene Verfaſſung, feßten 
Aelteſte unter fih, und legten, da ihnen eine Syna- 
goge verboten wurde, wenigſtens Schulen an zu ihren 
Zufammenkünften. Nur die Geiſtlichkeit ſtuͤrmte gegen 
diefen Fegerifchen Unfug an und predigte auch die Buͤrger⸗ 
fchaft, der die widerlichen Sitten dieſes ihren morgen- 
laͤndiſchen Urſprung ſchwer ſich entwindenden Volkes, 
nicht minder deſſen voreilige Eingriffe in buͤrgerliche Ge— 
rechtſame und Freyheiten ohnehin entgegen waren, in 
Harniſch. Paſtor Gefius brachte es durch feine Schelt— 
predigten dahin, (1649) daß kein hochdeutſcher Jude ohne 
einen vom Buͤrgermeiſter erhaltenen Erlaubnißzettel in die 
Stadt kommen durfte, Aber ale Verbote der Art wur: 
den eben fo Bald wieder nbertreten und. vergeffen, fo 
oft fie auch, bey neuen Aufreizungen, erneuert werben 
mußten, Diele Juden gingen wohl zum Chriſtenthum 
ber, befonders feitdem die gelehrten Edzardi' s, Jo— 
docus der Water, Paſtor an St. Michaelis, Efra, 
deffen Sohn, Privatgelehrter, der fogar angefebene 
Rabbiner zu Proſelyten machte, und Georg Eliefer, des 
vorigen Sohn, Profeſſor am Gymnaſium, das Bekeh— 
rungsgeſchaͤft mie befonderem Eifer fich angelegen ſeyn 
ließen. Darauf 1697 Zwang die Bürgerfchaft den Kath, 
den porsugiefifchen Juden «einen Jahresſchoß von 
20,000 Mark, den deutſchen von 30,000 Mark aufzu⸗ 
fegen, wodurch viele derfelben, und gerade die reichſten, 
bewogen wurden, fortjugiehen, fo daß man bald für 
gut fand, diefen Druck wieder aufzuheben, bis endlich 
zur Zeit der Faiterlichen Commiffion 1710, d. 7. Sept. 
ihnen beſtimmtes Maaß und Ziel zu fegen, ein eigenes 


Die franzoͤſiſchen Hugenottem! 6 


„Reglement ’ abgefaßt wurde, demzufolge fie des 
oßrigkeitlichen Schutzes und ber rechtlichen Huͤlfe gefi- 
chert blieben; fie tragen alle Bürgerabgaben, genießen, 
die Bekleidung öffentlicher Aemter aufgenommen, aller 
Bürgerrechte, mir den durch anderweitige Vorrechte 
geſetzten Veſchraͤnkungen; ein befonderer Artikel ver- » 
goͤnnt den portugiefifchen Juden aus ihrem Mittel, 
nach dem Herkommen, foredauernd 15 Makler zu ers 
nennen, wenn fie für diefe Freyheit das Gemöhnliche 
an dad Commercium entrichten. Den deutſchen 
Juden wurde diefe Bewilligung nicht vergönnt, fo wie 
fie überhaupt in manchen anderen a ju⸗ 
ruͤckſtehen mußten.! 

Nur der weiſen Feſtigkeit des Sache ar e8 ge⸗ 
lungen, den Juden dieſe Duldung zu erhalten: einen 
anderen Zuwachs hoͤchſt ehrenwerther, nuͤtzlicher Buͤr⸗ 
ger wußte der heilige Eifer der Prediger dennoch zu hinter: 
treiben. Als Ludwig XIV, die reformirten Proteftanten 
CHugenoreen) aus Frankreich vertrieb, nahmen dieſe 
Flüchtlinge Crefugies) ihren Weg nad Deutſchland, 
mehrere beſonders nach Hamburg und erboten ſich, die 
Strecke vor dem Steinthor, bey St, Georg, anzu⸗ 
bauen, wenn man ihnen ein beſonderes Bethaus dafelbſt 
erlauben wolle, Die Geiſtlichen widerſetzten ſich dem von 
allen Ranjeln herab, fie ließen Schriften über Schrif- 
ten Dagegen ergeben ; der Rath vermochte bey den obs 
waltenden Unruhen im Innern feine milderen San— 
ſaͤtze nicht geltend zu machen: Die Sremblinge | jögen 
daher weiter und trugen neuen Gewerb fleig und neues 
Leben der Thaͤtigkeit nach Brandenburgy⸗ ur wenige 


39° 


610 Errichtung ber Bauf, 16195 


von ihnen blieben bier unter. den Bedingungen, welche 
von dem Fremden⸗Ausſchuß ihnen gefegt wurden. Ein- 
zelne Verſuche wurden von den ſaͤmmtlichen Reformir- 
ten gemacht, bie und da, auf den Vorfegen, im Wand: 
rahm und fonft, gortesdienftliche Verfammlungen zu 
veranſtalten; aber der Widerfpruch flörte zu oft ihre 
frommen Bemühungen, den Umſtaͤnden und der befons 
nenern Denfart der jüngeren Zeit war es vorbehalten, 
diefen. unnatuͤrlichen Zwang vollends zu entfernen, 

Der Zufammenfluß aber fo vieler Fremden, die Kennt: 
niffe, welche fie miebrachten, gaben zu mehreren Einrich: 
tungen Veranlaffung, die eben fo fehr zur Belebung 
und Sicherfielung der Handelsgefchäfte, als zur Ver: 
mehrung des inneren Wohlftandes gerechten. Die zu 
Anfange des Tiebzehnten Jahrhunderts im deutſchen 
Muͤnzweſen aufs aͤuſſerſte geſtiegene Verwirrung, die 
Steigerung des Reichsſthalers, das Kippen und Wip— 
pen, Schmelzen und Ausfuͤhren der guten Muͤnze, die 
Vervielfaͤltigung der He: und Bey-Münzen, insbeſon⸗ 
dere aber auch Die Auffoderung ber nie derlaͤndiſchen 
Kaufleute, veranlaßten ſchon 1615 den Rath, im der 
Bürgerfihaft am gten Februar die Errichtung einer 
Bank nach dem Mufter derer zu Venedig und Amffer- 
dam in DBorfchlag zu bringen, Damahls war die 
Bürgerfchaft noch in der vorgefaßten Meynung, die 
Errichtung einer ſolchen Wechſelbank ſey unnoͤthig, vie— | 
len Bürgern auch wohl noch mehr. fchadlich, als nüßlich. 
‚Das Münzübel nahm indeffen immer mehr zu; die, zum 
Theil mit Luͤbeck gemeinfam, getroffenen Manßregeln 
Fonnten demfelben nicht feuern. Die 1619, d. 28. Jan. 


er 


Lehenbank; — Lombard (1651.) Sr 


wiederholten, gründlichen Borftellungen überzeugten 
auch die hartnaͤckigſten, ſo daß am 22, Februar 1619 
das von der Bürgerfchaft genehmigte Mandat mer 
gen der Eröffnung einer Wechfelbanf erging, und 
die Eröffnung derfelben unmittelbar erfolgte, Die Bank 
ift eine Privar:Caffe der bamburgifchen Kaufleute, aber 
die Stadt leiſtet Buͤrgſchaft fuͤr die Sicherheit der Gelder, 


Hauptjmwerf derſelben iſt, auffer daß fie dem leichteren 


Geſchaͤftsumſatz befördert, Feſtſtellung des aͤuſſeren 
Münzmwelend, und Verhuͤtung, daß Unordnung daſſelbe 
Jerſtöre; auch iſt ihr die Ausuͤbung der Muͤnzgerecht⸗ 
ſame insbeſondere anvertraut. Mit der Wechſelbank 
wurde gleich Anfangs eine Lehenbank verbunden, 
welche auf Pfänder, insbefondere Gold, "Bilder und 
Juwelen auslieh, aber manche Abänderungen und Eins 
ſchraͤnkungen in der Folge erhalten mußte, Nacht ders 
felben wurde 1651 auch einombard ober Leihhau 8 
errichtet, in der guten Abſicht, damit die, fo durch 
Noch und Mangel ihre Güter zu verpfanden fich ge 
zwungen fäben, ſowohl ang den Händen gewiſſenloſer 
Wucherer gererter wurden, als ohne Nennung ihres 
Nahmens ihr Gut auf Sicherheit zu —— Gele⸗ 
genheit fänden, ” 

Seit der Auflöfung des banfeatifchen Bundes 
nahm der Handel von bier aus überall eine andere 
Richtung, nach Kranfreih, Spanien und Portugaf, 
im Fortgange der Zeit ſelbſt nach der mittellandifchen 
Ser, nach Oſt⸗ und BWeftindien, fo wie auch die Grön 
landsfahrt und der Weg nach Rußland eröffner wurden, 
Früberhin - war ale Sorge und Auffiche über vie 


612  Admirafität, — Commerz⸗Deputation. 


allgemeinen Sandeldangefegenbeiren bey den Kauf 
mannssWesterleuten,gemefen, bie aus. ben alter 
ſten Schiffergeſellſchaften gewaͤhlt wurden: die Um— 
ſtaͤnde brachten es mie ſich, daß auch. hier ‚eine Aende— 
rung eintreten mußte, . Zuerſt wurde 1623 ,. ben raten 
Februar, bag, ‚Collegium der Admiralitaͤt ‚errichtet, 
sur Handhabung des Seer echtes, zur, Ver ſiche⸗ 
tung der, Schifffahrt, zur Aufſicht und Fürforge ‚über 
die Verfügungen, auf, der Elbe von der Stadt. am ‚bis 
jur Se. ‚Im, Jahre 1624, den 13, Der, wurden noch 
drey Seeraͤuber auf dem Graßbrook hingerichtet, zum 
letzten mafe, daß dieſe Art der Juſtiz verwaltet wurde. 
Weiterhin beſchloſſen die Kaufleute, aus ihrer Mitte 
fieben ‚Perfonen „ worunter Einer der. Schiffer Alten, 
als Sommers: Deputirte, zu erwaͤhlen, welche, 
mas zum Beſten ‚des Handels ‚im. Allgemeinen. ‚dienen 
könne, für, deſſen Nutzen und Erhafcung Sorge, tragen 
und. dag Ynfiegen der Einzelnen dem Rathe überbringen 
ſollten. Dieſe Deputation wurde. 1665: von den 
Kaufleuten, erwählt, ‚vom. Rathe genehmigt und ‚1674 
von der Bürgerfchaft beſtaͤtigt. Da auf diefe Weife den 
Yelterleusen der Gefellfehaften dasjenige wieder abgenonts 
men wurde, was ihnen 1517 von der Kaufmannſchaft 
anvertraut worden war, mußten fie auch die Benen⸗ 
nung Kaufmanns— Aelterleute wiederum ‚ablegen, 
Seitdem haben, fig. ſich Börfenalte, genannt, da 
jene- Geſeliſchaften urſpruͤnglich zur. Errichtung, der 
Börfe wefentlich beygetragen, einen Theil derfelben auch 
auf ihre Koſten wirklich erbauet hatten. Ihre, Geſell⸗ 
ſchaften ſelbſt behielten, was ihnen fruͤher als Eigen⸗ 


Börfenat Waiſenhaus, (ſeit 1604» 613 


thum gehört haste, den won ihnen erbaueten Theil der, 
-Börfe und das Poſt- oder Botenwefen, das bey 
der Stade verblieben if, — Den Stadtpoſten zur, Seite 
wurde zundchft, ſchon 1615 eine reitende Eaiferliche 
Reich spoſt von dem damit belehnten F. Thurn⸗ 
und Taxiſchen Haufe angelegt, wozu nachmals die 
mancherley Poſten der übrigen, mit dem Poſtregal vers 
febenen Fürften gefommen find, in deren Aufnahme 
einzumilligen die Sage der Stade und Die ach derſelben 
unumgangliche, nachbarlıche Verbindung im Poſtweſen 
von wechfelfeitiger Freundſchaft und Billigkeit erheiſchte. 

Unter den öffentlichen Anſtalten, welche ber Stadt 
zum gemeinſamen Beſten in dieſem Zeitraume neu zu⸗ 
wuchſen, verdient die milde Stiftung des Waiſen— 
baufes zuerſt genannt zu werden. Die, Errichtung 
deffelben fallt in das Fahr 1604, wo die St; Anſcharii⸗ 
Kapelle und das damit verbundene Pilgerhaus zum 
Waiſenhauſe eingerichtet wurden, Eine Bergröfferung, 
und Ausbefferung befielden fand. ſtatt in den Jahren, 
1627 und 1679, jedesmal auf ber Stade freywillige 
Koften, Noch mehr that der ehiwindige Job ſt von 
Overbeck, alder, um dem immer graßficher. übers, 
band nehmenden Kindermord, dem auch die ſchaͤrfſten 
Verbote nicht zu fieuern vermochten, einigermaßen abs 
zuwehren, 50,000. Dark baar ſchenkte, und nachmals. 
noch 100,900 Mark vermachte, -bafür „daß arınfelige, 
Tindlinge, die in eine. befonders dazu ‚angebrachte Ma⸗ 
ſchine (torno) gelegt werden koͤnnten, in das Waiſen⸗ 
haus zur Aufnahme, Pflege und Erziehung gebracht 
wuͤrden. Die menſcheuſteundliche Abſicht dieſes wohl⸗ 


614 Der Peſthof. — Das Gaſthaus. 


geſinnten Mannes wurde freylich von Gewiſſenloſigkeit 
und tiefgeſunkener Menſchheit ruchlos gemißbraucht; 
aber war dieſer Grund hinreichend, die Stiftung ſelbſt 
beyzubehalten, und dennoch ihren klar ausgeſprochenen 
Zweck nicht mehr zu erfuͤllen? Das Verderbniß der 
Menſchen bleibt, wenn auch in den Formen der Zeit 
veraͤndert, im Weſen immer daſſelbe: Mittel zur Lindes 
rung und zur Heilung, einmal gefunden, und bewaͤhrt 
gefunden, ſollten niemahls wieder verworfen werden, 
denn ihrer koͤnnen nie zu viel vorhanden ſeyn. 

Um der verheerenden Seuchen willen, welche bereits 
feit dem ſechszehnten Jahrhunderte und noch mehr in 
den nachfolgenden Kriegesgreueln auch im nördlichen 
Deutſchland um fich griffen, wurde, zur Aufnahme und 
Abfonderung der Pefkfranken von den übrigen Einwoh— 
nern, zuerft 1606 ein eigener Pefthof angelegt, außer: 
halb des Millernthores, welcher in der Folge, — fo üppig 
wuchert der Krankheitsſtoff, — noch fehr erweitert und 
vergröffere werben mußte, alfo daß zwiſchen 700 und 
900 Huͤlfsbeduͤrftige, gleichviel, ob Einheimiſche oder 
Fremde, Mitleid gebuͤhrt ja Allen, nothduͤrftig verpflegt 
werden konnten. Fuͤr ſogenannte Pilger und arme Rei— 
ſende wurde am alten Millernthor ein Gaſtha us ers 

richtet, (feit 1609,) wo dieſelben Obdach und ein Abend» 
brot fanden; 1631 wurde e8 in der Nahe der heiligen 
Geiftfirche dahin erweitert, daß auch fremde Kranfe 
bier Aufnahme und Wartung finden Fonnten, Die 
Bemühungen ver Hamburger, den Leidenden Troſt, 
Linderung und Hülfe zu verfihaffen, find zu jeder Zeit 
unermüder gewelen Die Adficht, zu welcher die Anſtalt 


Das Beat: und Zuchthaus errichter, 615 


ald Krankenhaus eingerichtet worden war, machte 
nöthig, daß gegen den Mifbrauch der Almofenfamm: 
fung Maaßregeln getroffen werden mußten , wie in der 
neuen Ordnung von 1702 (erneuert 1726) gefebah: weil 
Wildthaͤtigkeit ohne verffandige Anwendung nicht beiler, 
fondern altvorbandene Schäden wohl noch naͤhret. Um 
fo verdienffvolfer iff der gute Wille, wenn er auch 
durch Mißbrauch im feinen — — ſich nicht irre 
machen läßt. 

Solchem Mißbrauch entgegen zu wirken, wurde 
die Anlage eines Werk: und Zuchthauſes in 
Berathung gebracht, bereit8 1610, aber erſt 1615 ein 
Befchluß dariiber gefaßt und fogleich ein Stuͤck des das 
maligen Walled an ber Alfter zur Erbauung deffelben 
angemwiefen, Die Koften dazu (70,000 Rthir,) wurden 
zum Theil aus dem Ertrag einer Lotterie genommen, 
welche das Jahr vorher geffifter worden, Die Orb: 
nung des Innern wurde 1622 errichtet, wohlthaͤtig 
und ernſt zugleich, das Uebel erleichtern zu helfen, aber 
auch dem Muͤſſiggang und der Ausartung keine Polſter 
unterzulegen. Eine merkwuͤrdige, nicht erfreuende 
uUeberlieferung iſt, daß Hinrich Buhrdorf, einſt ein an— 
geſehener Bürger, welcher ſich um die Einrichtung die— 
ſer Anſtalt groſſe Verdienſte erworben hatte, ſpaͤterhin, 
da er durch leichtfertige Reden und Schmaͤhungen den 
Rath gekraͤnkt, ſelbſt hieher geſchafft werden, (1646) 
und hier ſeinen Tod erwarten mußte. Durch Verwahr⸗ 
loſung und die Bosheit einiger Züchtlinge gerieth das 
Haus 1666 in Flammen, wurde aber big zu 1670 von 
Grund aus wieder aufgebauet und noch mehr erweitert 


616 Spinnhaus. — Bauhof und Kalkhof. 


und verſchoͤnert. Am dieſelbe Zeit war, nach ber Stif— 
tung des Pic, Rengel, durch den Baumeifter Hames 
low auch da8 Spinnhaus erbauet worden, (1666 big 
1670) um feichefertige MWeibsperfonen, auch Männer, - 
die noch nicht den Tod, ſondern andere Züchtigung 
verdient haben, sgefanglich zu verwahren und Diefelben 
ur Arbeit und zum Guten anzuhalten. Vorher waren 
folche Berbrecher an Ketten geſchloſſen und zur Gaſſen⸗ 
reinigung gebraucht worden: der Suͤnder faßt aber 
eher Muth, ſich zu beſſern, wenn er ſeine Schande 
weniger zur Schau geſtellt ſieht. Die. fogenaunte Toll 
kiſte, eine befondere Abtheilung ‚des Krankenhofes für 
bie vom Wahnſinn befallenen, wurde bereits 1638 von 
dem Gaſthauſe beym Millernthore weggenommen und 
nach dem Peſthofe hin verlegt. 
Die Stadt ſelbſt in moͤglichſt gutem Stande zu 
———— und ihrer Verſchönerung, fo weit es nach ben 
Ver haͤltniſſ en und der Beſtimmung des hieſigen Gewer⸗ 
belebens thunlich war, beyzutragen, war weſentliches 
Geſchaͤft der zum Bauhof gehörenden Herren und 
Bürger, Der Bauhof wurde iu feiner neuen , Er: 
sweiterung im Sabre 1675 nach ber Stelle au Deich 
* verlegt, die er noch jetzt einnimmt. Der mit 
demſelben fruͤherhin verbundene Kalkhof war bereits 
1617 nach) feiner, jetzigen Stelle, damahls auſſerhalb 
des Dammthores gelegen, geſetzt worden. In demſel⸗ 
ben werden in zwey Kalkoͤfen die von Segeberg herge— 
brachten Kalkſteine ausgebrannt -und»für Rechnung der 
Stadt verkauft, Unser. den Bauhoſsbürgern biefer 
Zeit bat ſich befonderd der Nahme Hieronymus 


Straßenpflafter ; Gaffenerleuchrung ꝛc. 617 | 


Peterſen der Nachwelt empfohlen; Dieſer  tharige 
Dann war es, durch deiien- Bemühungen nicht allein 
ber fcböne Baummeg mic den ‚bequemen Geitengängen 
von Steinthore an bis nach dem Strohhauſe bin am 
gelegt, wurde (16525) auch, das neu erweiterte Rathr 
baus lich er unter andern mit den, "nicht ungeſchickt 
gearbeiteten. ffeinernem Bildern verzieren, 21 ander Zahl, 
welche die. Reihe der roͤmiſchen Kaifer von: Rudolph I, 
bis Ferdinand, III, in getreuer, zeitgemaͤßer Zeichnung 
darftellen. . Zu einem neuen Korn baufe.wurde 1660 
der Grund gelegt und daffelber von dem Baumeifter 
Hamelow auf die zweckmaͤßigſte Weile aufgefübren 
Das Straßenpflaſt er in Hamburg eneffand wohl 
weniger aus Sinn. für ſchöͤne Bauart, als weil das 
Beduͤrfniß des Handels und Gewerbes an die Nochwendig- 
keit deſſelben mahnte. Wir finden aufgezeichuet, daß 
1612 der Anfang gemacht worden, das Pflaſter zu 
erhöhen, zuerſt in St. Petri, weiter den Steinweg 
hinauf, und vor dem Dammthor, zwiſchen den Höfen, 
allwo igo ber Jungfernſtieg iſt, Auch für die Reinigung 
ber Gaſſen zu, forgen, wurden um dieſelbe Zeit beſondere 
Leute angefelt, Mit der Gaffen erleuchtung wurde 
der erſte Anfang. 1673, gemacht; jede, Laterne ohne den 
Pfahl, auf dem fie fand, kam 8 ME. Im. Jacobir 
Kirchſpiel wurden die. eriien Leuchten aufgeſtellt, und 
das Beyfpiel fand, willtommene, Aufnahme, ſo daß im 
Jahre 1679 an.taufend Laternen in der Stadt geſetzt 
waren, deren Unkoſten der Kaͤmmerey auf 6000 Rthlr. 
zu ſtehen kamen. | 
Eine, beſondere Feuer⸗ ‚und; Wasrorbnung war 


‘ 


618 Feueranſtalten. (Schlangenfprügen.)> 


bereitd im Jahre 1626 errichtee worden, Ungluͤcksfaͤllen, 
welche die Natur anrichtet, ſobald Sorgloſigkeit ihr 
die Zügel ſchießen laͤßt, kann nur theilweiſe und mit 
immer neuer Erfindung 'entgegengearbeitet werben, Ein 
überrafchender Brand im Jahre 1636 (5. Gept.) in der 
Reichenftraße gab Die Mahnung, daß man für zunaͤchſt 
verordnete, Feuerwaͤchter auf den Thürmen follten 
alle Halbe und ganze Stunden des Nachts mit einem 
Horn ein Zeichen geben, bey'rFeuer: Ausbrüchen die 
Sturmglocte ziehen, Laͤrmen blafen und eine ‚brennende 
Leuchte aushängen. Der Erfindung der © langen: 
ſprützen gefchicher aus dem Jahre 1677 zuerfi Meldung. 
In demſelben Faufte die Stadt dem Caspar Haffe drey 
von ihm verfertigte Schlangenfprüßgen für 800 Rthlr. 
ab und errichtete einen Bertrag mit ihm, (22. März 
1678) daß er als Sprügenmeifter dieſelben in bleibend 
‚gutem Stande erhalten und bey Feuersgefahr die Auf 
ſicht und Leitung derſelben führen follte, für das jaͤhr⸗ 
liche Gehalt won 150 Rthlr., halb aus der Eaͤmmerey, 
bald aus der Feuer-Caſſe zu bezahlen. Die neue Ers> 
findung erhielt fo viefen Beyfall, daß 1680 für jedes 
Kirchſpiel befonders ſolche Schlangenfprügen verfertiger 
werden mußten; Haffe verdiente viel Geld damit, Bey 
dem verheerenden Brande jedoch auf dem Kehrwieder, 
1684, gerieth derſelbe in großen Berdacht, wichtige 
Berfehen begangen zu haben, fo daß er zuerſt in Verhaft 
genommen , fodann abgefegt (1685, d, 22. Sept.) und, 
wie man damahls mit vielen andern Aemtern einführte, 
beffen Dienft weiterhin verkauft wurde, Die Nacht wa—⸗ 
chen. wurden früherhin von den gefiäworenen Gtadt « 


Nachtwache. Das Drillen der Bürger, 619 


ober Hausdienern, zwoͤlfe an ber. Zahl beſtellt, mie denen 
zugleich eine gewiſſe Anzahl Bürger jede Nacht auf die 
Wache ziehen mußte. Uber die überhand nehmende 
Volksmenge vergrößerte die Unficherheit in den Straßen fo, 
daß fibon 1610 die Veränderung getroffen werden mußte, 
daß 60 Soldaten die drey Wachen bezogen, (die eine 
auf dem Speers⸗Ort, bie andere bey ber Rath: Apo- 
thefe, die dritte bey dem Broofehore,) und durch ms 
geben in den Straßen auf Ruhe und Ordnung fehen 
mußten. Die regelmaßige Radelmache wurde im 
Sabre 1673 angeordnet und nachmahls, nach Erfodernif 
und Angabe der Umſtaͤnde immer zweckmaͤßiger eingerichter. 

Das Drillen oder dad Ueben der Bürger in der 
Waffen nahm, nach einer getroffenen Einrichtung, zuerft 
1643 feinen Anfang. Dofß es indeffen nicht immer mit 
Drdnung dabey zuging, ergiebt fich aus den Beyfpielen, 
wo durch unvorfichtigen Gebrauch des Gemehres Leute 
ums Leben kamen, wie unter andern 1655 geſchah. 
Im Jahre 1672 wurde ein eigenes-Driltbaus.er- 
bauer, an ber Alfter hinter dem Holzdamm, und ein 
Drifmeifter bey demfelben angefest, — (der erſte bie? _ 
Hans Wichmann,) der von jedem Bürger-Eapitain all» 
jabrlich 5 Rthlr. erhielt, Nach_des Raths Verordnung 
wurde Feiner zum Bürger angenommen, der nicht einen 
Schein von dem Drillmeiſter brachte, daß er fich in 
Waffen wohl geübt habe, 

Der Anftalten zur Bildung der Jugend iſt im 
Früberen gedacht worden. Neben den vom Staate ver: 
ordneten Schulen bildeten ſich, ſchon in aͤlteſter Zeit, 
eine Menge von Klipp- und MWinfelfchulen, deren 


620 Hrmenfchulen, — Neben dem Johanneum 


Unmefen oft durch ſtrenge Verordnungen gefteuert wer 
den mußte, Für die ärmere Jugend wurde fon 1612 
von Johann Sylm aus dem Knafebrüggifchen Teſta⸗— 
mente eine befondere Schule geftifter, in der Rofens 
ffraffe gelegen; nach deren Beyfpiel eine zweyte In der 
Neuſtadt, 1683, die von ihrem Urheber, Paßmann, 
verdientem Prediger an Et, Michaelig, die Pafmanni 
ſche Schule genanne wird. Durch das fromme Ver: 
maͤchtniß einer ehrbaren Matrone, Wittwe Rumbaum, 
den thatigen Amtseifer des Paſtor's Winkler und die 
reiche Stiftung des Kaufmanns Werfen wurden viele 
wohlthätigen Anfkalten noch um drey neue vermehrt, 
(1690 bis 1723) welche nach ihren Stiftern benannt 
und dem dankbaren Gedaͤchtniß der Nachwelt empfohlen 
find. Die Johannisſchule, vornehmlich zum Unter⸗ 
tiche für Fünftige Gelehrte beffimmt, gelangte zu Zeiten 
zu aufferordentlicher Anzahl der Schüler, mie dent 
unter dem Rectorat des Paul Sperling an 1006 da gewe— 
fen feyn follen, Aber theils iſt eine groffe Schuͤler⸗Zahl 
nicht immier Beweiß der inneren Güte der Schule, theilg 
trage fie, wenn es zumahl an hinreichenden Lehrern fehlt, 
mit dazu bey, daß die Sitten’ verwildern und der Bil: 
dung der Einzelnen nicht Genüge gefcheben kann. We 
nige Jahre, nachdem jene groſſe Beſuchung geruͤhmt 
worden, hoͤrte man von allen Seiten die lauteſten 
Klagen. 1610, den 16. Auguſt aͤufſette der Rath in 
der Buͤrgerſchaft fein groſſes Mißfallen: „da die Schule 
in Abgang gerathen und hieſige Bürger ihre Kinder 
nah Stade und anderen Benachbarten Schulen (Bre 
men) fehiöften, welches diefer Stadt zu nicht geringer 


i 


wird das Gymnaſium eingerichtet. dr 


Verkleinerung gereiche,, fo müfle diefem Uebel durch 
Berbefferung der Lebrart, durch Beſtellung und Befol- 
dung mehrerer Lehrer abgebolfen werden.,, Nicht aus: 
geſprochen, aber vorhanden war die beſonders durch 
die Geiſtlichen unterhaltene Furcht, aus den rechtglaͤu— 
bigen lutheriſchen Jünglingen möchten auf jenen benach: 
barten Schulen calviniftifche Irrglgubige gezogen werden, 
Dieß harte zur Folge, nicht nur, daß das Johanneum 

ſelbſt verbeffere, fondern daß neben demfelßen noch ein 
befonderes Gym naſium Cıdır) für den höheren Uns 
terriche gegruͤndet wurde. Im Sabre 1612 wurde 
die, mabere Einrichtung dieſer Anſtalt entworfen, 
im nächften erfolgte die Einweihung, Rump, We 
renberg, Lauremberg und Schefter waren die erften 
Profefforen an demſelben. Dennoch mar in den 
erften Jahren die Theilnahme, welche die Bewohner der 
Stadt für eine ſolche Menſchenbildungsſchule hatten zei⸗ 
gen follen, ſchwaͤcher, als zu erwarten geweſen; ein 
verfkandiger Prediger Wudrian, an St. Perri, belchte 
den vaterſtaͤdtiſchen Sinn erſt wieder durch eine Predigt, 
die er nachmald auch im Druck aufgehen lief, unter 
dem Tirel: (1614) „Hochwichtige und nachdenktiche 
Urſachen, warum das Gymnaſium nicht abzuſchaffen, ſon⸗ 
dern vielmehr zu erhalten und zu verbeffern ſey. 
Die Verbeſſerung trat erſt ſpaͤterhin ein. 1675 
wurde die. Zahl ber Lehrer auf ſechs gefege und uͤber⸗ 
haupt ein neues Leben in das Ganze gebracht. Beide 
Anftalten, das Johanneum ſowohl, als das Gymnafium, 
haben unter ihren DBeforgern und Leitern Männer ge: 
habt, welche ihrer ausgezeichneten Gelehrfamfeit und 


* 


622 Berühmte hamburgiſche Gelehrte dieſer Zeit, 


wiffenfchaftlichen Verdienſte willen auch von der Nach« 
welt ſtets mir Achtung genannt werden muͤſſen. Am 
Johanneum ſtand als Rector im Anfange des achtzehn 
ten Jahrhunderts der waere Joh. Hübner, deffen 
Bemühungen, eine leichtere und faßlichere Lehkart in 
höheren und niederen Schufen einzuführen, für feine Zeit 
eine Wohlthat waren, Diele von den Männern, welche 
am Gymnafitm fanden, werden mit Recht zu den erften 
Beförderern gründlicher Gelehrfamfeit gezaͤhlt, nach 
Anerkennung des Innlandes und de Auslandes, der. 
Gegenwart und der nachfolgenden Geſchlechter. Dabin 
gehören die Nahmen, um nur wenige aufjuführen, 
Heinrich Vaget; Peter Lambert des Lucad Holſtenius 
Schweſterſohn, der am. meiften zu ſchaͤtzende Erzähler 
der früheren Gefchichte Hamburgs; Aegidius Gutbier; 
Vincent Placcius; Joh. Alb. Fabricius, und andere, 
Männer, welche als Glanzgeftirne ihres Jahrhunderts 
feuchteten, Andere, hamburgifchen Urfprungs, verfuch: 
ten und fanden ihr Glück, wie Kraft und Wille daf- 
ſelbe fich überall zu verfebaffen im Stande find, im 
Auslande; doch. darf die Vaterſtadt ihrer, die in der: 
felben die erſte Bildung und Richtung ihres Geiftes 
erhielten, nicht ohne Urfache ſich ruͤhmen: unter 
ihnen find Gerhard Elmenhorſt; von Woweren, ber bey 
den Hamburgern unverdient in unguͤnſtigem Anfehen 
fand; Joh. Fr. Gronov, für deffen unfterbliche Ver⸗ 
dienſte einzelne Schwachen der Menfchlichkeit von Billie 
gen gerne nachgefehen werden: auffer ihnen manche 
“andere gleichen Ranges, | 

Zu einer öffentlichen Bibliot hek wurde in dieſem 


Stadtbibliothek. — Schauſpiel. 623 


Jahrhunderte ein ſehr bedeutender Anfang gemacht, 
uͤberall das Schwerſte, dann aber belvyhnt, wo das 
erſte Beyſpiel bereitwillige Nachahmer finder, Man 
vereinigte zuerſt die Buͤcherſammlungen det beyden ‚ger 
lehtten Anſtalten, des Johannei und des Gymnaſii, 
im Sabte 1649, vermehrte dieſelbe aber durch eine 
hoͤchſt anfehntiche Schenkung des Bürgermeiſters Se 
baſtian von Bergeit, daß fie ſchon damahls die 
Grundlage eines koſtlichen Schatzes bildeter Dazu Fa: 
men in der Folge theils reiche Schenkungen einzeiner 
Perſonen, theils ſorgte der Staat felbft fir die Er⸗ 
mweiterung einer folchen Anſtalt, daß: dadurch eine Bi: 
bliothek enffanden iſt, welches wenn: nicht im dem erſten, 
doch im beim zweyten Range der angefebenen Bibllotheken 
Deurfihlands eine ſehr ehrenvolle Stelle » einnimmt: 
Die Welterfahrung bat zu. oft Gelegenheit; den einfluß⸗ 
reichen Werth gediegener Gelchrfamfeie kennen zu Ser: 
nen, als das fie verſchmaͤhen follte, det letztern die ge⸗ 
bührende Aufmerkſamkeit auch in. der That zu Beweifen: 

In behaglichem Wohlſtand it ein ſchuldloſes Ber 
ghügen ber feineren Sinnlichkeit wunſchenswerth, nur 
der. Abareung in. grobe Genäffe vorzubauen. Die 
einfichesvslleten , Welche auf Reifen mancherley Kennt⸗ 
niffe geſammelt hatten, beabfichtigten daher gewiß er 
was Gutgemeyntes, als ſie ein ſogenanntes Schau— 
ſpiel auch in Hamburg anzulegen bemüht waren, Poſſen— 
reißereyen , Faſtnachtsſpiele, wie fie aller Orten in 
Deutſchland gewöhnlich geweſen, hatten Auch bier ſtatt 
gefunden: abet von eitier geregelten Gattung folcher 
Spiele war bis dahin noch nicht die Rede. Die Thaͤtig⸗ 
do 


624 Das Opernhaus am Ganfemarkte, 


keit des Lic. Gerhard Schott, machmaligen Raths— 
herrn, brachte es dahin, daß im Jahre 1677 ein 
Opernhaus auf dem Gaͤnſemarkt errichtet wurde, 
zum neuen Jahre mit einer Oper: „Von Erſchaffung 
des erſten Menſchen Adams“ feyerlich eroͤffnet. Von 
dem Kriege, welchen insbeſondere die Geiſtlichkeit gegen 
dieſe Vergnuͤgungsart eroͤffnete, kann hier nicht die Rebe 
ſeyn: an Urſachen zu gerechten Beſchwerden fehlte es der: 
felben nicht, denn allerdings wurden diefe Vergnuͤgungen 
zugleich als Gelegenheiten gemißbraucht, vom Wege der 
Sittlichkeit fich zu entfernen. Dennoch blieb dem Kern 
‘des Volkes der nuͤchterne, beſcheidene Sinn, welcher 
durch ſolche Spiele ſich nicht verderben ließ, und auch 
die altangeſtammte Biederkeit und Rechlichkeit der 
Hamburger wurde als ein; Stadtvermaͤchtniß in das 
neue Jahrhundert, von den leicht anfliegenden Necke— 
reyen unbeſchadet, mit uͤbergetragen, zur Aufbewah⸗ 
ren fuͤr die Zukunft. | 





Neuer Angriff der Danen auf Hamburg, 625 


11. 

Zu innerer Ruhe war durch die Verhandlungen, 
weiche Rath und Buͤrgerſchaft mit den Kaiferlichen Abe 
geordneten bis zu 1712 gepflogen hatten, die Stadt 
gelangt, aber von auffen droheren noch Gefahren und 
Uebel, Durch die Harenäcigfeit und den’ Starrfinn 
des Königs von Schweden, Carl des XII, war abers 
mals ein nordifcher Krieg in wilde Flammen ausge⸗ 
brochen. Bohlen, Danemart und Rußland fanden 
gegen Schweden im Kampfe. ’ Die dänifchen Waffen 
eroberten ganz ſchwediſch Pommern bi8 auf Stettin 
und Stralfund, auf der andern Seite Stade und bie 
Herzogthümer Bremen und Verden. Da benugte plößs 
lich der König Friedrich IV die Gelegenheit, als die 
Fatferfichen Commiffionstruppen Anſtalt trafen, von 
Hamburg abzuziehen, feinen erfchöpften Finanzen aus 
der ſchon fo ofr gebrauchten Duelle frifche Nahrung zuzu⸗ 
führen; er legte fich mit feinen Völkern theils vor die 
Wale, theil in das umliegende ‚Gebiet, und brachte es 
durch feine mwohlgefegten Drohungen dahin, daß ihm 
die Stadt nachdem Altonaer Vergleich (1712,d; 18. 
Mov.) neue 246,000 Rthlr. bezahlen und verjprechen 
mußte, Abgeordnete nach Kopenhagen zu ſchicken, um 
ter königlichen Gnade aufs Neue fich zu verfishern, 
Inzwiſchen war der ſchwediſche Feldmarſchall Steen- 
bock mit einer arofen Berflärfung gelander, hatte mit 
Rußland und Sachſen Stillſtand gefchloffen, die Danen 
bey Gadebuſch gefchlagen, und ruͤckte num mit Heeres⸗ 
macht und wilder Nahe nach Holſtein. Das arme 
Altena mußte büffen, angeblich, was von den Dänen 


49” 


⸗ 


626 Steenbock verbrennt Altona, 1713. 


gegen Stade gefünbiger worden ſey. Steenbock foderte 
eine Gefdlieferung, die fo ſchnell nicht aufgerrieben mer: 
den fonnte, Zwölf. Uhr um Mitternacht vom 8, zum 
9, Januar 1713 wurde bie unbeſchützte Stadt von den 
fchwedifchen Soldaten angezunder und bis auf menige 
Heufer und die evangelifchen Kirchen eingeäfchert. Die 
ſcheüßliche That war jo plöslich aefommen, daß Ret— 
sungsmittel, Maaßregeln, Hülfe zu febaffen, unmöglich 
hatten getroffen werden koͤnnen. Hamburg felbit wurde 
erft in der Morgenfrühe durch den Schein der Brand- 
fackel aufgeweckt. Die Altonger hatten ſich und 
die geringe Habe, die fie mit mweggutragen im Stande 
gewefen, nach den Hamburger Berge geflüchter und 
geborgen; wer möchte es bezweifeln, daR fie ſofort bey 
den biederen Bürgern Hamburgs ein ſchützendes Obdach; 
weitere Hülfe gefunden haben? Kleinliche Eifer: 
füchteley, wo fie irgend vorhanden, auch wenn fie durch 
zu ‚nahe Begegnung über die Gebühr angereist iſt, 
ſchmilzt in ermarmende Liebe, wo Noch, Angſt, Kum— 
mer den vielleicht noch ‚Dazu verfannten Bruder und ent: 
gegen führen, — Darauf folgten zum Beyſtande Friedrichs 
IV in zahlreicher Menge ruffiiche Voͤlker, welche nicht 
nur in dem’ Gebiete der Stade act folderifch lebten, 
ihr General Menzikoff foderte auch von den Buͤrgern 
eine halbe Million Thaler, vie nur mie Mühe auf 
300,000 Rthlr. herabbedungen werden konnte. Der 
Verheerung der Peſt wurde in der Stadt durch zweck⸗ 
maͤßige Maaßregeln Einhalt gethan. Deſto aͤrger 
wuͤthete ſie in der Naͤhe und der ganzen Umgegend und 
wirkte auf den Handelsverkehr um ſo nachtheiliger, als 


Die Ruhe wird bier nnterbrochen, ırı9. 627 


das Gericht nach der Ferne bin die Sache big ing 
Abenteuerliche vergrößerte, Die Zahl der Communi⸗ 
canten war im diefer Zeit fo groß, daß man die Wochen: 
tage, wo Predigt war, dazu nehmen mußte, dieſe geift- 
fiche Sehnſucht zu ſtillen: mit der Noth fcheint indeffen 
die Bangniß gemwichen zu ſeyn, denn ſchon im folgen 
den Jahre fand man dieſe Wochentags: Communionen 
nicht mehr für nöthig. 

Die nachiten Jahre waren der Sorgfalt gewidmet, 
die Nachtheile, welche die vergangenen Hebel hinterlaſſen, 
möglichft gu entfernen. Die innere Nube war diefer 
Abſicht befonders günftig. Nur im Jahre 1719 wurde 
Diefe durch einen unbefonnenen Auflauf unterbrochen, 
der Stade felbft zu empfindlichen Schaden. Wahrend 
in Altona das Peſtübel verderblich wirthete, ſuchten die 
nicht = fueherifchen Neligionsverwandten, welche bis da- 
bin in Altona freye Ausuͤbung ihres Gottesdienſtes ge⸗ 
funden basten, den Zugang zu den Hauscapellen, melche 
den bier anmelenden Miniftern vergönne waren. Diefe 
Einrichtung blieb, auch nachdem die Seuche entfernt 
war, als bequemer beybehalten, anfangs ohne Störung. 
Die Zahl der Karholifchen befonderd mar nur Klein; 
es blieb eine Zeitlang unbemerkt, daß die Beſuchenden, 
außer dem Anhören der Meffen, des Gefandeichaftss 
geifttichen auch zu anderen kirchlichen Handlungen fich 
bedienten. Mißvergnügt wurden indeffen viele Einwohner, 
als fie vernahmen, daß die franzöfifchen refugies durch 
den Ankauf eines geräumigen Platzes am Wilhaduss 
Pool die Abfiche zeigten, ein Haus zu Eirchlichen Ber: 
fammlungen dafelbft einzurichten. Durch ein Verbot 


628 Auflauf gegen das kaiſerliche Geſandt—⸗ 


des Senats wurde dieſe Abſicht noch verhütet, Aber 
auch der Faiferlicde Geſandte ließ bey einer Ausbeſſerung 
des von ihm bewohnten Haufes, der Bichaefisfirche 
gegenüber gelegen, daſſelbe ſo fehr erweitern, daß eine 
eigene Capelle im demfelben errichtet wurde, . Der Der 
druß über eine folche Neuerung, welche auch von den 
Geiſtlichen mie Schaͤrfe getadelt und verdammt wurde, 
bemächtigte fich befonderg bes niedrigen Volkes, fo daß 
am 10, September 1719 ein Haufe fich zuſammenrot— 
tete, Anfangs muchmillige Knaben, dann Erwachſene 
aller Gattung, die Planken des Haufes niederriß, in 
den Saal eindrang, Dach und Sparrwerk herunter 
warf und das Hintergebäude nebſt der neuen Kapelle 
gänzlich zerfiörte, Zur Strafe wurde der Stadt vom 
Kaifer auferlegt, nicht nur das zerſtoͤrte Gefandefchaftd- 
haus wieder aufzubauen, die Sachen zu erfegen, welche 
bein Gefandtfchaftsfecretair Lampe entwendet worden, 
fondern auch binnen zwey Monaten 200,000 Rthlr, in 
den kaiſerlichen Schaß zu liefern. Ueberdieß folle eine 
Deputation von zwey Mitgliedern des Raths und zwey 
Dberalten fich nach Wien verfügen und daſelbſt febul- 
dige Abbitte in allertieffter Demuch verrichten. So 
berbe Folgen zog ein muchmwilliger Frevel einer unver— 
fFandigen irregefeiteten Dienfchenelaffe nach ſich. Der 
Bürgermeifter B. Martfeld fiarb im naͤchſten Sabre 
aus Kummer und Verdruß über den böfen Vorfall. 
Der großmuͤthigen Fuͤrſprache des Prinzen Eugen von 
Savoyen, und den Mitwirkungen der zum evangeliſchen 
Bunde gehörenden Maͤchte, insbeſondere Preußens und 
Braunfchweigs gelang ed, nach vielen ‚Verhandlungen, 


ſchaftshaus, berbe von Wien aus. beftraf. 629 


daß die Bußſumme auf 200,000 FI. berabgefegt und 
ſtatt der. Wiederaufbauung des zerſtoͤrten Hauſes ein 
anderes... von dem. Faiferlichen Geſandten ſelbſt zu 
wählendes angefchafft. wurde: die. Anerkennung. des 
begangenen Fehlers geftbab durch. die. in Wien gegen: 
wärtigen Abgeorbneten- der, Stadt. vor dem Prinzen 
Eugen (27. Juny 1721), deffen edles und mildes Be⸗ 
nehmen der Haudlung das Herbe entzog. Zum fünf 
tigen Geſandtſchaftshaus erfaufte die Stadt „dag von 
dem Baron won Görtz, -Binanzminijter Cars XII. 
erbauete Haus auf dem Neuen Wall (1722,12, Dit.), 
welches auch big zur Auflöfung des deutſchen Reichs zu dies 
fer, Beftimmung gebraucht worden ift. Der unangenehme 
Vorfall ſelbſt blieb nicht ohne heilfame Lehre: die Geiſtlich⸗ 
Feis verlor ihr Anfehen, fobald fie unbefugt in Anges 
legenheiten. fich miſchen wollte, die in ihren Bereich 
nicht gehören;. dad Volk aber wurde ‚vorfichtig,. die 
eigene Glaubens-Meynung nicht zum Gefeg für andere 
zu machen und von Dingen, die. das allgemeine Wohl 
angeben, einfeitige Unduldſamkeit zu ‚entfernen. 

Mit Dänemark dauerte das gefpannte Berhältniß, 
unter ermuͤdender Wiederholung eben. fp oft. vorges 
brachter, als wibderlegter Anfoderungen und Befchwer: 
den. Zunachft war e8 der Schauenburgifche Hof, 
welcher befonderd dem  Pinnebergifchen Amemanne zu 
Ungiemlichfeiten und Zubringlichkeiten-Beranlaflung gab. 
Wie oft. auch von den Reichsgerichten für die, Stadt 
und gegen den König entfchieden. wurde: ein Ende bes 
Streited war um. fo weniger abzufeben, ald noch neue 
Seranlaffungen herbeygezogen wurden, die Gahrung zu 


‘ 


630 Mißhelligkeiten mit Dänemark 


unterhalten. Koenig Friedrich IV, fürchte‘ feinem 
Geldmangel Durch Verfchlechterung der Münze abzuhel⸗ 
fen, wodurch er eben fo ſehr die Bemühungen der 
Stade, den Muͤnzfuß zum allgemeinen Beſten ficher zu 
fteilen, als den Gebrauch ihres Muͤnzhammers unter: 
brach, Die Anzeige der fehlechten Münzſorten in den 
biefigen Eourszetten nahm er fo ungnaͤdig auf, def 
er fich Durch Aufbringung der hamburgiſchen Schiffe 
zu rächen ſuchte und gebietend verlangte, die Stadt wolle 
‘olles königliche Geld in Öffenttichen oder Privatzahlungen 
gelten laſſen. Der VBermittelung, beſonders Großbri: 
tanniens, gelang cd, daß die feindfeligen Maaßregeln 
wieber aufgehoben wurden, aber die Urſachen, welche 
den Münzbammer unbrauchbar machte, blieben, 

Dem Unwefen zu feuern," fand man endlich bier 
geratben, eine fogenannte Coturant- Dank aufzu⸗ 
richten und ſelbſt Courantgeld ſchlagen zu laſſen ‚ nach 
dem alten Münzfuß zu 34 Mark Kb. aus der Mart 
fein, nebſt beygeſetztem, feſtſtehenden Aufgeld von 
16 pet. gegen Banco. Am die danifche Münze kuͤm— 
merte man ſich nicht, verbot fie auch wicht, als nur 
in Sachen, welche Staatsgeſchaͤfte betrafen, fuͤr welche 
allein die hieſige Münze in Geltung blieb: ‘aber es 
wurde bey allen Vorſichtigen doch verbüter, daß Kein 
fremdes Geld zu höherem Werthe, «als der innere Ge: 
halt war, in Umtauf kam, und der König von Dane 
mark fah fich genöthigt, (1725) feine nene Münze auf 
niederen Werth herabzuſetzen. Aber auch fo mochte 
Hamburg mie dieſer Münze nichts zu fehaffen haben, 
wodurch ber Fonigliche Unwille dermaßen erregt wurde, 


wegen der Courantbank. 631 | 


daß ein neuer Befehl gebot: die Stadt folle die des 
niſche Münze nach dem herabgefegten Fuße bey fich 
gänge und gäbe ſeyn laſſen; ja es wurde den daͤniſchen 
Unterehanen unterfagt, bey fihwerer Strafe, won den 
Hamburgern Waaren zu erfaufen oder das neue Stadt; 
geld bey ſich einzuführen, Im michiten Jahre 1727 
wurde das Verbor des Handeld noch geſchaͤrft, in 
ze auf das Eigenthbum der Hamburger Beſchlag 
gelegt, den Altonaern, die es am fchmerzlichften em: 
pfinden mußten, alle Verbindung mie Hamburg unter: 
fügt, und dadurch vieler nachbarliche Unwille und Swift 
an den Tag gefördert. Vorſtellungen, auch die vers 
nünftigiten, halfen nichts, „Kurz — ſagt ein ehrlicher 
Berichterfkaiter — des Königs Friedrich Majeſtaͤt 
fehloffen mit Dero Ungnade gegen die Stade im 
Jahre 1735 Ihr Leben, und das verwahnte koͤnigliche 
Wort war bis auf Chriftian VI; vererbt worden,‘ 
Das Erbe wurde mis Treue übernommen und verwal⸗ 
ter: zwar ſchien die Abſendung des Syndikus Surland 
und des Rathsherrn Caſtrop, welche Chriftian VI. in 
Kopenhagen zu feine Thronbeſteigung Glück wuͤnſch⸗ 
ten, „das Eönigliche Gemich etwas zu gewinnen: 
aber die Antwort im Weſentlichen bfieb dennoch 2 „die 
Stade folle Mittel ausſinnen, wodurch das Fönigliche 
Geld einen fogenannten natürlichen und gleichen 
Eours mit dem hamburgifchen erhielte,“ ein Anfinnen, 
deffen Unausführbarkeit won ſelbſten einteuchtere, Aber 
der König bielt die Gerechtſame ſeiner Foderung für 
erwiefen, und da Hamburg Ddiefen Beweiſen feinen Glau- 
ben beymeſſen konnte, wurden Thärlichfeisen zu 


632 Durch Geld werden dieſt Angriffe 


Hilfe genommen: die hamburgifchen Schiffe wurden in 
der Dfifee im Sunde feftgehalten, in der Nordfee durch 
königliche Kriegsiehiffe nach Kopenhagen aufgebracht, 
wie überall Rechtens, menn die Gewalt das Wort 
führe. - Die geſchah befonders feit 1734. Doch Hams 
burg behielt, trotz der Königlichen Placfereyen , was der 
Caſſe des Königs fehlte, baared Geld: der Syndikus 
Klefeker und Rathsherr Rumpf begaben fich ſelbſt nach 
Kopenhagen und brachten e8 endlich fo weit, daß ger 
gen die Aufhebung der hiefigen Courantbank und gegen 
die Bezahlung von 500,000 Mark Banco die ham⸗ 
burgiſchen Schiffe wieder freygegeben wurden: die 
Schlechtigkeit des daͤniſchen Geldes blieb demungeachtet 
nach wie vor, anerkannte Sache. Bon einer Art fons 
fliger Abhangigfeit der Stadt mar weiter nicht Die Rebe, 

Im Uebrigen waren Chriſtians Verdienſte um fein 
eigenes Land nicht gering, und die Eorgfalt, ber Yns 
gerthanen Beſtes zu begründen, darf nicht ohne Achtung 
genannt werden, auch da, wo der Nachbar darunter lei⸗ 
det. Chriſtian war fromm, durchaus wohlgefinnt, und 
traf sur Beförderung des Handels feiner Staa⸗ 
ten die mwirkfamften Maaßregeln. In feine Fuß: 
ffapfen srar fein Sohn, Friedrich V,, (1746-1766) 
den Deutſchen ein — zücheigender Mahme: Fried 
rich V. war es, dem wir es verdanken, daß. Klops 
ſt ock den Meſſias fingen und dem Auffchwunge feines 
emporftrebenden Geiſtes freye Fittige leihen konnte. 
Denn alfo ruft der unfierbliche Dichter feiner Sionsſange⸗ 
rin zu: „Daͤnens Friedrich iſt's, welcher mit Blumen 
dir Jene Höhe beftreus, die du noch ſteigen mußt! Er der 


zurüchgefcblagen. Der ziabrige Krieg. _ 633 


König und Chriſt, waͤbhlt dich zur Führerin, Bald auf 
Golgarba Gott zu ſehn.“ — Auch gegen Hamburg han⸗ 
delte Friedrich mild und friedfich. Gleichwohl lieh 
er 1758 von der Stadt 1,400,000 Mark, nicht ohne 
diergemwöhnlichen Bedrohungen, und ald er nachmals 
fürchten mußte, von Perer IH, von Rußland, welcher 
den Antheil feines Hauſes Holſtein⸗Gottorp an Schleß— 
wig nicht aufgeben wollte, mit Krieg uͤberzogen zu 
werden, erzwang er (1762) ein zweytes Darlehn — Bes 
waffnete, mit welchen ex die Stade umzingelte, mußten 
feine .Foderung unterfiügen, — von 3 Millionen Mark, 
wovon jedoch im Anfange die Zinfen * —* 
worden find, 1 

Es war dieß die Zeit des fiebenjahrigen 
deſſen Getoͤſe Hamburg faſt nur in der Ferne vernahm, 
von welchem es ſogar in Hinſicht des Handels manchen 
Vortheil 3095 Einen Ueberſchlag des damaligen Reich» 
thums verſtattet die Nachricht, daß die von den Bür⸗ 
gern nach dem Gewiſſen erlegte Abgabe eines Quart⸗ 
procents von ihrem Vermögen 120,000 Rthlr. betrug, mit⸗ 
bin einen. reinen Grundbeſitz von 48. Millionen Thlr. 
anzeigte, Zu hoch -geftiegener Wohlſtand iſt indeflen 
nur felten von Dauer: das groffe Handeldgewühl, das 
durch die Bedürfniffe der -Eriegführenden: Mächte veran: 
laßt wurde, dazu die leichte preuffifche Münze gaben 
Gelegenheit" zu Wagniffen und übertriebenen Unterneh: 
mungen, zumahl im Wechſelgeſchaͤften, welche nachthei⸗ 
lioe Folgen norhwendig berbepführen mußten. Als 
Friedrich U. im Sabre 1763 fein fupfernes Geld ſelbſt 
herabſetzte, brachen angefehene Haufer in Amſterdam, 


634 . Es kommt zum Gottorpifchen 


andere im übrigen Holland und auch in Hamburg fEhrsten 
ihnennach, fo daß einmaßigeres Verhaͤltniß, ſtets das 
beffere, für den. hiefigen Markt durch Schaden und 

Verluſte aufs neue gefchaffen wurde, 

Der Friede 1763 gab dem inneren Deutſchland 
Ruhe und Zeie, fich über die eigenſten und nachften 
Angelegenheiten zu befinnen und weile zu berathen, Für 
Hamburg naberte fich der gluͤckliche Zeitpunkt, da es 
endlich der überläftigen Streitigkeiten mie Dänemark 
fich zu entledigen in den Stand gefest wurde, Der 
Geheimerathb von Schimmelmann und der Herr von 
Saldern bewiefen fich beſonders thaͤtig das Vermitte⸗ 
lungsgeſchafft zu Ende zu führen. Im Fahre 1768 
den 27. May wurde zu Gottorp der befannte Ber: 
trag gefthloffen zwifchen dem Gefammthaufe Hofftein 
und der Faiferlichen freven Reichsſtadt Ham— 
burg, und den 10, November d. J. von beyden Sei— 
sen genehmigt, daß das Haus Holftein allen und jed- 
weden Anfprüchen auf Hamburg entfage und die Stadt 
für eine ſtimmfaͤhige Reichsſtadt anerkenne. Der König 
von Dänemark, Ehriffian VII., (ſeit 1766) trat 
dein fogenannten Schauenburgifchen Hof, einig® Elbin- 
fern und Grundſtuͤcke in den Bierlanden, als die Feddel, 
Greverhof, Peute und Müggenburg, den Griefenmwär: 
der, Raltenhof und Pagenfand mir allem Zubehör und 
allen Rechten, nebſt der genaueften Angabe im Einzel: 
nen, an die Stadt rechtskräftig ab» Für die Grenzbe- 
ſtimmung wurde der Altonaer Vergleich von 1740 und 
1744 zu Grunde gelegt. Kon den Berpflichtungen, welche 
die Stadt 1763 wegen des Lootſen⸗Weſens auf der 


Vertrag, im Jahre 1768. 635 


Elbe, fo wie im Berreff der Föniglichen Münze einge 
gangen, wurde diefelbe freygefprochen; die mie Dane 
mark 1692 und 1762 errichteten Receſſe über die Hans 
delsfreyheiten der Stadt in den dänifchen Laͤndern wur⸗ 
den beftatiger, zur Vollſtreckung vermiefen und das 
Verſprechen fernerer Beguͤnſtigungen beygefügt. Dage⸗ 
gen entſagte Hamburg den an Daͤnemark geliehenen 


4 Millionen Mark VBanco, nebſt dem Capital von 


300,000 Rthir, welche das Haus Holfkein zu Bezahlung eis 
niger alten Schulden, worüber bereitd vom Cammerge⸗ 
richte Execution erkannt worden, von Hamburg geliehen 
hatte, damit von beyden Theilen reine Rechnung ger 
ſchafft würde, Der Kaifer Jofepb II. genehmigte und 
beffätigte diefen Vergleich, den 30. Marz 1769, und 
den 2, May des folgenden nei nahm die Stade 
durch ihren Syndikus Schuback Sitz und Stimme 
auf dem Reichstage zu Regensburg: ihren Sig erhielt 
fie nach der Reichsſtadt Bremen, Mit diefem Vertrage 
erhielt Hamburg bdiefelbe Ruhe für ihre aufferen Ber: 
hältniffe, als ihr in ihrem Inneren ſeit dem Receß 
vn 1712 zu Theil geworden war. Der Nahme des 
Schauenburgiſchen Hofes iſt nur noch in der geſchicht⸗ 
lichen Weberlieferung vorhanden ı+ der Platz gebört feit- 
dem zu den Grundſtücken der Stade, iſt mit neuen 
Wohnbanfern bebauet worden und jede Erinnerung an 
eine frühere Abhaͤngigkeit mit diefer Umaͤnderung ver 
ſchwunden. | 

Bon jeht am fand Hamburg, zumahl nach der 
Beſchaffenheit diefes Jahrhunderts, im feinem richtigen 
Verhäftniffe, Seine freye Verfaſſung hatte es ſich aus 


— 


656 Innere Ruhe in Deutſchland. 


fich ſelbſt und durch die Erfahrung von Jahrhunder⸗ 
ten geſchaffen und begründer und durch unzahlbare 
Dpfer, welche es dem Neide oder der unziemlichen 
Anzapfung hatte bringen müffen, in den Augen der 
Welt, die das Recht ald Grundbedingung ihres Seyns 
betrachten will, von Auffen gefichere. Im Intern war 
aus den lange genaͤhrten Mifverfkändniffen Eintracht 
- hervorgegangen und jener freundliche Kamilienfinn, 
welcher eine Stadtgemeinheit zu einem Ganzen zuſam⸗ 
menhaͤlt. Ale Sorge mußte jest dahin gerichter feyn, 
zu erhalten, was von der. Zeit überliefert worden war, 
das Ueberkommene zu nahren und zu pflegen, fo weit die 
Berbaltniffe der Gegenwart geſtatten wollten, neues 
Wachsthum zu befördern, mo junge Keime mit Aus— 
ficht auf Gedeihen gepflanzt. werben konnten. An Mab: 
nungen zur Aufmerkſamkeit laͤßt es der eigenfinnig fich 
forewäalzende Strom der Zeit niemahld fehlen. Als 
die englifchen und franzöfifchen Kaufleute in Deutſch— 
land fich ımmer tiefer einnifteten, bis in die kleinſten 
Stadse ihre Unterhaͤndler fandten, jedem Kramer Eredit 
anboten und allen Handel im Einzelnen an fich zu reißen 
firebten, blieb Hamburg nichts übrig, als gleiche Thaͤ⸗ 
tigkeit aufzubieten, um mit den Fremden gleichen Schrit- 
tes geben zu koͤnnen. Der nordamerikaniſche Krieg war 
der Stadt weniger guͤnſtig, als man gehoffe hatte, da 
vor Errichtung. der bewaffneten Nutralitaͤt die hambur: 
gifchen Schiffe von den Englaͤndern aufgebracht wur⸗ 
den, und nachher der Handel feinen geraden Weg fort 
ging. Einigen Vortheil brachte die Anlegung des hol⸗ 
ſteiniſchen Canals, -Cfeit 1777) de wit dem dadurch 


Michaeliskirche, Blitzableiter. 637 


beförderten Verkehr im der Nachbarfihaft auch Ham⸗ 
burg an Thaͤtigkeit und Umſatz gewinnen mußte. Dem 
äußeren Leben der Völker fehlte es damahls überhaupt 
und überall an kuͤhnem Umſchwung: gleich ald ob dens 
ſelben hatte Rube verſtattet bleiben follen, auf die fol: 
genden Umrüttelungen Kräfte zu fammeln, durch welche 
fich ein neues Leben erzeugen. wollte, 

Im friedlichen Zuftande konnte der wohlmeynende 
Sinn der Hamburger um fo eher auf die Verbefferung 
der Anftalten fich richten, welche der Bürger Wohl 
und Behaglichkeit, den gutin Rahmen der Stade, das 
allgemeine Beſte befördern und erhöhen Föünnen, Ein 
Wetterſtrahl, welcher 1750 in den Thurm der Michaelis⸗ 
kirche einſchlug, zündere und Iegte Thurm und Kirche 
in Afche. An deren Stelle wurde nachmals durch den 
großen Baumeifter Sonnin das ſchöne Gotteshaus 
wieder aufgeführt, (1751, 1757, 1762, 1778) welches 
noch jest unter die erſten Zierden der Stade gerech⸗ 
nee werden muß, bemunderswärdig durch Einfachheit 
und edles Verhaͤltniß des Baues. Der furchtbaren 
Gewalt der Natur laͤßt fich nicht gebieten, aber derfels 
ben auszuweichen, iff dem Menfcben Denken und Er 
findungsfraft verliehen. So oft ſchon hatte der zuͤn⸗ 
dende Bliß feine feindfiche Kraft geuͤbt: auch noch. 1767 
abermahls den Nicolai: Thurm getroffen. Da zeigte 
der ehrwuͤrdige Reimarus, ein Nahme, deffen Ach⸗ 
tung nie vergehen wird, „die Urfache des Einfchlageng 
von Blige, nebſt deffen natürlichen Abwendung von 
unfern Gebäuden, * und wurde durch die Einführung der 
Bligableiter ein wohlthaͤtiger, abwehrender Schutzgeiſt 


638 Groffe Waſſerfluth, 1778: 


feiner Vaterſtadt. Nichte, wie der Kraft des Feuers, 
laßt fich alfo denn Waffer gebieten. Bon den wilden durch 
Seeſtuͤrme aufgeregten Wafferfluchen hat Hamburg zu 
vielen Zeiten leiden muͤſſen: und die Erinnerung unferer 
Zeirgenoffen melder noch die ſchrecklichen Durchbrüche 
und Ueberſchwemmungen, welche im Sabre 1771 vom 
8. July an bi8 gegen den 2affen dieſes Monats bie 
Umgegend verwüfteren uud ſelbſt der Stade Gefahr 
droheten. Man Ichäste den Echaden auf ı$ Million 
Mark, Die Noch, welche dadurch entſtand, war umfo 
empfindlicher ‚ als eine allgemeine Theurung dieſes und 
der folgenden Jahre den Armen ohnehin empfindlich 
drückte, Die Wohlehätigfeitsliche der Hamburger Fin: 
derte, fo viel dem guten Willen möglich war. Daß 
Schauſpiele und Luſtbarkeiten in ſolcher Zeit verboten 
wurden, beweiſet, wie richtig noch das reine Gefuͤhl der 
hieſtgen Bürger mir dem Ernſte der Vorſehung zuſammen⸗ 
traf, Den 28. July wurde ein allgemeiner Bußtag 
gehalten, und die mildthaͤtigen Sammlungen, welche 
bey den Kirchen einfamen, 27,340 Mark den Unglück: 
lichen und Verarmten zur Unterfiingung gereicht + auſſer— 
dem forgten der. Rath und die einzelnen Buͤrger und 
Einwohner für Milderung des' Elends und Ausbeſſerung 
des geſtifteten Schadens nach Kraͤften. Der bey dieſer 
Veranlaſſung verordnete Bußtag iſt nachmahls auf den 
erſten Donnerſtag im November verlegt wor den, bey 
welcher Einrichtung. es ſeitdem verblieben 

Mit Uebergehung deſſen, was für dies theils noͤ⸗ 
thig gewordene, theils zweckmaͤßiger gefundene Veraͤn⸗ 
derung und Verbeſſerung der uͤbrigen oͤffent lichen Un: 


Das neue Waifenhaus, Die patriot, Gefelf, 639 | 


ſtalten gefcheben, gedenken mir des Heitattgelegten 
MWaifenbaufes, (1783 bis 1785) in der Admiralie 
tätsftrafe, das eben fowohl durch zierliche, wenn auch 
niche durchaus reine Bauart, als nach der inneren 
Einrichtung zu den erften Gebauden der Stadt gezählt 
werden muß, ein Ehrenhaus und Gottestempel, den 
ſich die edelſte Menſchlichkeit gefegt bat, ein Kleinod, 
deffen fich wenige Staaten rühmen dürfen, Die Ans 
ſtalt iff ein heiliges Vermächtnif, welches ju verwal⸗ 
ten die Bürger Hamburgs fich jur Ehren: und Gewif 
fensfache machen, wie fie den achten Sinn deſſelben 
verftanden haben ind bewahren, | 
Eine Menge der heilſamſten uud wichtigſten Ein 
ticheungen für die Stadt und für die bürgerliche Wohfs 
fahre find insbefondere von einer Gefelffchaft wohlge⸗ 
ſinnter Maͤnner ausgegangen, wie das Gute mehr ger 


fördere werden kann, menn mehrere ihre Kräfte und 


Einfichten vereinigen, als wenn fie vereinzelt fich. jers 
firenen und verlieren. Es iſt dieß die fogenannte patrio— 
tiſche Geſellſchaft, die zuerſt im Sabre 1765 


von dem Dr, Pauli, dem Profefor H. S. Reime 


rus, Büfch und anderen, welche fich dazu fanden, 
geſtiftet wurde, und zum Zweck fich vorfeßtes Befoͤr⸗ 
derung der Manufacturen, der Kiuͤnſte und nuͤtzlichen Ges 
werbe, und folcher Anſtalten, weiche zur Aufnahme 
derfelben dienen können, Der Senat felbit beſtaͤtigte diefe 
Geſellſchaft 1767, den 8. April und eine neue — 
ihrer Geſetze und Verfaſſung, welche der verſtorbene 
Senator Günther 1789 vornahm, gab ihr friſches 
Leben und frifche Thaͤtigkeit. Nichts war zweckmaßiger 
41 


—— 


r a 


649 Wohlthaͤtigkeit der patrior, Geſellſchft. 


für Hamburg, als die Stiftung ‚einer folchen Anſtalt, 
wo die Beförderung des Gemeinwohls die Angelegen- 
heit eines jeden Einzelnen ift, und jeder fich bekuͤm⸗ 
mern darf um dag, was dem Ganzen frommt. Die 
Geſellſchaft ſetzt alljahrlich Preife aus für Abhandlun- 
gen über Gegenſtaͤnde des Kunſt- und Gewerbfleißeg, 
der Staatsverwaltung und der Sittlichkeit, bedeutende 
Summen für ausgezeichnete Erfindungen oder Bers 
befferungen irgend eined Erwerbszweiges, für die Ret⸗ 
tung Ersrunfener, Erkrankter oder Erſtickter. Die 
Rettungsanſtalt fürdie im Waſſer und aufden Eife verun⸗ 
gluͤckten iſt ganz ihr wohlthaͤtiges Werk feit 17685 vonihrer 
Mitte aus gingen die Borfchlaae Reimarus zu den 
nachmahls fo allgemein gewordenen Bligableitern. ‚Sie 
ſucht durch Rathſchlaͤge und wirkſame Vorkehrungen 
alle oͤffentlichen Einrichtungen zu verbeſſern; ſie errichtete 
die allgemeine Verſorgungsanſtalt, die Credit⸗Caſſe fuͤr 
die Erben und Grundſtuͤcke in der Stadt und deren 
Eebiete: ihr Werk vornaͤmlich iſt die neue Armenan— 
anſtalt, die dem Auslande Gegenſtand der Bewunde— 
rung und Nacheiferung geworden iſt. Auf ihre Koſten 
unterhaͤlt ſie eine Zeichenſchule, eine Navigationsſchule 
fuͤr Steuerleute, unterſtuͤtzt Kuͤnſtler und Handwerker 
auf Reiſen, ermuntert, belohnt und belebt, was zur 
Tuͤchtigkeit, Verbeſſerung und Vollendung dienen kann. 
Solche Thaten ſind, um ſo ſtiller und beſcheidener ſie 
verrichtet werden, um ſo unvergaͤnglicher, denn ſie 
leben fort in ihren Wirkungen und verbreiten ihre ſe— 
genreiche Kraft bis zu den ſpaͤteſten Geſchlechtern. 
Dieſe patriotiſchen Arbeiten konnten wie 


Die franzoͤſtſche Revolution St 


Dumme betrachtet werden, in einer Zeit, mo der wilde 
‚Strom der Umwaͤlzung, der von Fraitfreich herüber- 
brach, auch bier ſich ausbreitete und uͤber Vieles zers 
flörend herſtuͤrzte; das die Site, das Herkommen, die 
ehrwuͤrdige ueberlieferung geheiliget hatte, Die Revo— 
lution zog Hamburg, wie allgemeine Kriege immer; 
ſchon dadurch in ihre Theilnahme, daß ſie dem unter⸗ 
nehmenden Handelsgeiſte Ausſicht zu Wagmiſſen und 
groͤſſen Planen öffnete Während der erſten Jahre des 
‚Krieges, als das uͤbrige Deutſchland im Kampfe bes 
griffen war, trieb die Stadt unter danifcher Flagge 
einen faft unungerbrochenen Handel dahin, vorzüglich 
mit Korn, und gewann anf dieſe Weife große Sum: 
men. Groͤſſere floſſen ihr zu; als eine Menge franzb⸗ 
ſiſcher und hollaͤndiſcher Kaufleute, welche der neuen 
Ordnung der Dinge nicht traueten, ihr Geld und ihre 
Warren hieher flichteren und dem Verkehr einen unges 
meirien Umſchwung beforderten. "Der Unternehmungss 
geift flog immer höher und fürchtete nicht/ daß er von 
Ikarusfluͤgeln getragen iverde. Aber die verführerifche 
Locfung hatte die Suͤnde in ihrem Gefolge: allgemeis 
ner wurden Abweichen vom bedaͤchtigen Geſchaͤftsgange, 
Anſtrengungen über die Kraͤfte, Schwindeley, Unbeſon⸗ 
nenheit, und der unvermeidliche Fall; Auch fehlte es 
nicht an Ungelegenheiten, welche der Stadt durch die 
Verwickelung der politiſchen Verhaͤltniſſe zugezogen 
wurden: von jeder uͤberwiegenden Macht angeſprochen 
mußte fie bald als Geſchenke, bald unter dem Nahmen 
von Darlehen bedeutende Summen entrichten , ‚ während 
ihre Schiffe von Frarzofen, fo wie vom Englandern 
4ı* “ 


642 Nachtheiliger Einfluß der Revolution 


in Beſchlag genommen wurden. Aerger aber war dag 
Verderben, welches der Schwarm der franzöfifchen 
Ausgewanderten herbeyführte: wie Heufchresfen warfen 
fie fich auf das gefunde Land und vergifteten die ein- 
fachen, noch unverdorbenen Sitten, die Hamburg big 
jeßt von fremder Unart unverfälfcht fich erhalten hatte. 
Durch die füße Geſchmeidigkeit, den glatten Firniß, 
die Lüfterne Tandeley diefer Fremden wurden zuerſt 
Viele von den Vornehmeren, welche Ziererey mie ächter 
Bildung verwechfelten, angezogen und eingenommen, 
um. fo leichter, als der weltbürgerliche Sinn des freyen 
Staates. eine ſchroffe, volksthuͤmliche Abfonderung 
nicht bilfigen mochte, Mir einer fremden Sprache, die 
nicht, mehr zu bloffem Verkehr erlernt wurde, ſondern 
fich ‚in. die alltöglichen Beziehungen des Lebens einfraf, 
mie franzoͤſiſcher Mode, Lecture, mit frangöfifchen 
Spectacul ſog ſich das Gift immer tiefer in die grund⸗ 
deutfchen Gemüther, die gegen ſolche Anſteckung fo 
‚wenig gefichert geweſen. Gelbft bis in die niederen 
"Stande wirkte die Geldverfchwendung biefer Teichtfinni- 
‚gen Ankoͤmmlinge, die Ausſicht auf erflecflichen Gemwinn, 
die Leichtigkeit, mit welcher man glaubte, durch. diefe 
Benutzung zur Wohlhabenheie ſich empor zu fehwingen. 
Es war dieſe Krankheit dem gefammten Deutſchland 
eingeimpft worden: nur hier griff fie eindringlicher um 
fich,. weil der Zufammenfluß der Grundfeuche vor ans 
deren Gegenden Fark war. Man ziehe eg vor, in der 
Erinnerung fehnell über jene Zeiten hinweg zu gehen, 
denn fie iff mit peinigender Demüthigung begleitet— 
Bon nicht, ale von volksthuͤmlichen Beziehungen gilt 


\ 


auf Wohlftand, (1799) Eitten, u. ſ. w. 643 


es mehr, mas im Sprichwort heißt: Bleibe im Lande 
und naͤhre dich redlich. Die übertriebenen Anſtrengun⸗ 
gen und Unternehmungen der Faufmannifchen Abthei— 
lung in Hamburg rächten fich bald auf das empfind- 
lichſte: das Jahr 1799 war das Jahr der ſchmerzhafte⸗ 
fien Vergeltung; eine Menge Häufer brachen, die 
Summe der hiefigen Bankbrüchigen (Bankerotirer) ber 
lief ſich auf beynahe 36 Millionen Marf, wovon die 
eine Hälfte auf Hamburgs alleinige Rechnung kam, die 
andere Halfte auf England und Holland, Im übrigen‘ 
bürgerfichen und häuslichen Leben entfprachen die Fol⸗ 
gen den vorangegangenen Uebertreibungen, der eine er⸗ 
bob ſich durch unverdientes Gluͤck zum Nachtheil ander 
rer bis zum Pfauenanſehen, der andere ſtuͤrzte in ſeinem 
Uebermuthe zuſammen, noch andere ſanken unverſchul⸗ 
det den uͤbrigen nach. Das Sittenverderbniß wurde 
kaum noch als auffallend wahrgenommen, das Ges 
mwiffen fam im Raufch und in der Betäubung nicht zum 
Erwachen, ſelbſt zw groben Verbrechen ſanken einige 
berab, und zahlreiche Feuersbruͤnſte ließen den Arg— 
wohn, daß fie durch Verzweiflung oder durch Mord: 
brennerey veranlaße worden, auch nach naheren Unter⸗ 
fuchungen, ald gegründer nicht mehr bezweifeln, 

Wenn irgend eine Zeit, fo beweiſt es dieſe, mie 
grumdgefund der Stamm feyn mußte des hamburgiſchen 
Freyſtaats, wie feſt die innere Kraft des Volkes, daß = 
ed von diefer Seuche fo bald fich wieder erholte, eine - 
Tharfache, wofür die Haren, weltkundigen Zeugniffe 
fprechen, weiche das nachfolgende Wiederaufftehen Ham⸗ 
burgs zur Ueberzeugung Aller geliefere hat, Möchte 


644 Entſchaͤdigungsgeſchaͤft in Deutſchland. 


die Heilung in allen Gegenden bes Vaterlandes fo gründe 
lich gelungen feyn! 

. Unter folchen Umſtaͤnden brach das neue Jahrhun— 
dert an, das verbängnißvolle und thatenreiche, dergleis 
ben die Geſchichte Fein fruͤheres kunt. Hamburg murde 
jeßt in den Strom der Begebenheiten unaufhaltfam mit 
hinein gezogen. Der Lüneviller Friede erſchuͤtterte das 
deutſche Reich im feinen Grundfeften und die Mache 
Europa's theilten Frankreich, Rußland und England; 
das Entfihadigungsgefchafe im Innern von Deuefch- 
and war das Gefchäft der Auflöfung und Trennung, 
Bürgfehaft zur Erhaltung des Beſtehenden war nirz 
gends mehr vorhanden. Der Eleine Freyſtaat Hamburg 
war eine ausfiegende Atzung, nach weicher mehrere Luſt 
bezeigten, zu einer Entſchaͤdigung vortrefffich geeignet, 
nur wie unter beftem Scheine, am Teichteften und am 
fruͤheſten beyzukommen, wurde nach im Stillen berathen. 
Unterdeffen vereinigten fich, der übermächtig. gebietenden 
Seemacht Englands befchranfend zu begegnen, bie nor— 
difchen Reiche, Dänemark, Schweden und Rußland, 
denen auch noch Preußen ſich anfchloß, die bewaffnete 
Neutralitaͤt nach den fchon früberhin aufgeffelften Grund⸗ 
fügen gegen die Engländer zu behaupten, Das Berk 
mie Nachdruck zu beginnen, den Handel der Engländer 
auf alle Weife zu flören, follte Dänemark den Sund, 
und in Werbindung mit Nreußen, die Mündungen der 
deusfchen Ströme fperren, und in diefer  Abfiche 
Danemarf Hamburg und Luͤbeck, Preußen aber Bremen 
und das Hannöverfche befegen, Das Yebrige werde 
fich finden, war. die Meynung, vn 


H. von den Danen beſetzt 1801. 645 


 Kreuffen hatte ſchon erklärt, daß die dringenden 
Zeitumſtaͤnde, die Stade mit preufifchen Truppen zu 
befegen, norhwendig erheifche, auf Die Gegenvorſtellun⸗ 
gen des hieſigen Raths aber geantwortet, daß die 
Sache noch Anſtand haben koͤnne. Um fo uͤberraſchen⸗ 
der war es * a8 daß bey Itzehoe verfammelte daͤniſche 
Heer von 12000 Mann unter dem Prinzen Carl ‚von 
Heflen plöglich aufbrach und die Anzeige den 28. Mars, 
(18or) gemacht wurde, daͤniſche Völker wuͤrden den 
folgenden Tag in die Stade rücken. Unterhandlungen 
blieben fruchtios; der preufiifche Minifter ſelbſt rieth 
zur Webergabe, da fein König um Biefe Unternehmung 
wohl willen möge. In folchen Bedraͤngniſſen zeigt 
fih, ob innere Kraft im Volke wohnt: die NWeufferuns 
gen des Unwillens gegen eine folche Are der Auffode: 
rung, die Regungen des Muthes und des vaterſtaͤdti⸗ 
ſchen Geiſtes erwachten allgemein: zweymahl verwarf 
die Buͤrgerſchaft einmüchig die Uebergabe; erſt nach 
Inhgen Zwiſchenverhandlungen wurde fie, mit einer 
feinen Stimmen⸗Mehrheit, bewilliget. Am Paimfonn: 
tage, den 20. März, des Morgend um 10 Uhr, zogen 
die Danen durch die Stadt,’ von: manchen Augbri: 
chen der Bitterkeit und des Volkshaſſes bewillkommt; 
fie befegten einige Thore und einen: Theil des Wal: 
les: die Unabhängigkeit der Stadt niche anzutaſten 
batte noch vor dem Einzuge der Feldmarſchall zugefagt, 
Man mußte nun gefchbeben laſſen, daß alle zwifchen 
Cuxhaven und Gluͤckſtadt Tiegenden Hamburgifchen 
Tonnen weggenommen, alle nach England beſtimmt 
geweſenen Schiffe angehalten und“ veroitner wurde, 


646 Die Danen raumen Hamburg, 


alles in Hamburg befindliche Eigenthum in Befchlag 
zu nehmen, Eingefoderte Lieferungen wurden abgemwiefenz 
aber verfcbiedene. Geldfummen, die Beköftigung des 
Prinzen, ber Truppen, hatten zugeſtanden werben 
müffen, Das Betragen ber unwilſkommenen Gäfte war 
verffandig, mäßig, untabelhaft, und nöthigte auch den 
Unterdrücten Achtung ab, Inzwiſchen hatte die enge 
Hifche Flotte unter Parker und Nelfon den Sund mit 
Gewalt geöffuer und nach der furchtbaren Schlacht 
vor Kopenhagen die daͤniſche Regierung zu einem 
Waffenſtillſtande gezwungen, (d. 2, April) Bald darauf, 
fam die Nachricht von dem plöglich erfolgten Abfterben 
des Kaifers Paul, der die Seele dieſes nordifchen 
Buͤndniſſes geweſen war; der großberzige, menfchen- 
freundliche Alexander hatte den Thron beftiegen 
und feine friedlichen Gefinnungen- in öffentlicher Erklaͤ—⸗ 
sung Fund gethan. Die unerwartete Wendung der 
Dinge benugte fihnel Hamburg, daß zwey feiner 
Rathsherren nach Perersdurg gingen,’ um fich de 
suffifcben Schutzes zu verfichern; auch Friedrich Wil 
helm III, fuchte das friedliche Verhaͤltniß mit England 
wieder herzuftellen, Wlerander bob. das Embargo auf, 
ein gleiches that England; Preuſſen foderte die daͤniſche 
Negierung auf, die Handelöfperre auf. der Elbe wieder 
anfzulöfen, fo daR am 23. May Hamburg und Lüberf 
‚von den daͤniſchen Truppen wieder geraumt mwurben. 
So ſchien der politifche Himmel für die — wieder 
heiterer und heller zu werden. 

Aber man lernte ſchon, wie ſehr dieſer Heitere zu 
trauen ſey! Das ungluͤckſelige Entſchaͤdigungsge⸗ 


” 


Das DommCapitul mie der Stadt vereinigt. 647 


ſchaͤfr, in welchem Deutſchland wie eine zu zerfleifchenbe 
Beute da lag, war bis zu dem ſogenannten Reichs⸗De— 
putations⸗Beſchluß (1802, d. 25. Febr.) gediehen, in 
welchem auch Hamburg etwas zufiel. Hamburg batte 
ſchon laͤngſt gewünfcht, das Dom-Lapitul und deffen 
ſtaͤdtiſche Beſitzungen mit fich vereint zu fehen und die 
Hoheit darüber zu erhalten, zumahl feitdem daffelbe 
nach geendigtem nordifchen Kriege, durch den Stock— 
bolmer Frieden (1719, d, 23° Nov.) dem Könige von 
England, als Kurfürften von Hannover abgetreten war, 
Die 14 Dörfer, welche diefes reiche Stift befeffen, was 
ren von den Herjogen von Holftein laͤngſt ſchon in Ber 
fchlag genommen und mit gewiffen Gefällen und Abga— 
ben einigermanßen vergütet, der Raub aber durch den 
weftphälifchen Frieden‘ gebeiliget worden, Was nun 
fonft das Capitul noch befaß, Gebäude, Einkünfte 
und Rechte in biefiger Stadt, wurde jest den ıften 
Dec. 1802 vom Könige von England an die Behörde 
Hamburgs abgetreten; doch blieb noch ein Anhang 
mit Dänemark zur Berichtigung übrig, da daffelbe Ans 
fprüche machte auf zwey Dörfer, Poppenbüttel und 
Spigendorf, welche das Capitul im Anfange des 13, 
Sahrhunderts gefaufe hatte, und welche jest von 
Danemark eingezogen wurden, Anfprüche auf Patronat— 
rechte und andere Dinge, Kanonicate, Praͤbenden, 
welche die Stadt zuvor mit Gelde einbandeln mußte, 
wogegen noch Alfterborf an Hamburg abgetreten wurde. 
Die zugleich bemwilligte Aufhebung des Elsflerher Zolles 
ging nicht in Erfüllung, 

Bonapartes aufſtrebender Rieſengeiſt und eiſenfeſter 


648 Sperrung der Elbe, 1803. 


Mille hatte ſich den Sturz Englands zum Ziele ges 
fegt: darum waren alle Friedensverhandlungen fo viel 
nene Borbereitungen zum unausweichlichen Kampfe, 
Aufs neue losbrechend, fandte er 1803 ein Heer nach Hans 
nover, das Herz des alten Georg anzugreifen: Franzofen 
befegten das Linke Elbufer, um feiner englifchen Waare 
Eingang zu verffatten; die natürliche Folge war, daß 
die Engländer, fe lange diefe Belegung dauerte, die 
Elbe und Wefer fperreten, gleiche Manfregeln zu erwies 
dern. Mehrere deutſche Reichsſtaͤnde litten durch diefe 
Sperre; Schleſiens Leinenhandel, deſſen Ertrag über 
8 Millionen geſchaͤtzt wurde, war gehemmt: alle ſchle— 
ſiſchen Wechſel wurden von Hamburg zurüͤckgeſchickt, 
auch der uͤbrige Handel Hamburgs ſchrumpfte zuſam— 
men, und dennoch fand ſich der General Mortier von 
Hannover hier ein, (im Nov.) eine yon den hannöve⸗ 
sifchen Ständen gefuchte Anleihe zu unterflügen. Die 
Stadt Fonnte nicht ausweichen, 1,700,000 Hark Bceo. 
berzugeben, gegen 4 pCt, Zinfen, gegen Unterpfand der uns 
mittelbaren und Patrimonialguͤter des Königs von Eng⸗ 
land, auch unter Gewaͤhrleiſtung von Frankreich, das 
unter allen Umſtaͤnden auf die Vollziehung der bedun⸗ 
genen Berbindfichkeiten halten werde, — wie der Parifer 
Moniteur verſicherte. — 

Darauf erfolgte im naͤchſten Jahre ein Gewalt— 
ffreich gegen Hamburg, zu beweifen, daß von Wälfer- 
und Beſandtſchaftsrecht jetzt nicht mehr die Rede feyn 
koͤnne. Den 24., October Abends fchifften fich in Haar: 
burg 240 Mann Kranzofen ein, landeten um Mitternacht 
am Hamburger Berge, sogen fh in Gtilfe nach dem 


Forefeßung im Jahre 1804, 649 


Grindel, brachen gewaltfam in das Haus des englifchen 
Gefcbäftsträgers, Sir. Rum bold ein, rafften deffen 
Papiere zufammen und nahmen ihn ſelbſt mit fort über die 
Elbe, von wo er weiter nach Paris gebrachte wurde, Dan 
batte indeffen in den Papieren nichts gefunden, wag den vors 
aus verfünderen Anklagen, oder fonft geheimen Vermu⸗ 
thungen entfprochen hatte; darum war in der Folge 
nicht weiter davon die Rede, aber ein Beyfpiel war 
gegeben, weſſen man fich nach folcher DBerfahrungss 
weife zu verfeben habe, Eine Nacherinnerung kam, 
(1804) indem Hamburg zu einer neuen Anleihe für das 


gedrücte Hannover von deffen Unterdrückern aufgefos 
dert wurde,  Bür bewilligte 250,000 Rthlr. erhielt 


jedoch die Stadt die Beguͤnſtigung, daß Packete 
von 50 Pf, und darunter von Hamburg aus durch dad 
Hannöverfcbe ohne Unterfuchung geben konnten: woge— 
ger die Engländer (Ende July) die Fahrt zwifchen 
Tönningen und Hamburg über die Watten freu gaben, 
wodurch manche Erleichterung geſchafft wurde. Im 
naͤchſten Jahre (11. Det.) wurde auch die Blokade der 
Mündungen der Elbe und Wefer aufgehoben , fo daß ein 
neues Leben in den Handel Hamburgs Fam, dennoch 
nur vorübergehend, wie jedes freudige Ereigniß zu 
der Zeit, das von ſchaarenweiſe bereinbrechenden traus 
rigeren unterbrochen wurde. In diefem Jahre (im May) 
war ed, daß an des franzöfifchen Minifters, NReins 
hard's Stelle, Herr von Bourrienne als - Gefandter 
beym niederfächfifchen Kreife nach Hamburg kam, ches 
maliger Jugendfreund und Privar-Serretair Napoleons, 


mie den Geſinnungen und Entmirfen, feines Kaifers 


650 General Mortier befekt Hamburg 


wohl befannt und fonft erfahren und viel gewandt, des 
Platzes Gelegenheit zu manchen Abfichten zu benugen, 
Mehrere franzöfifhe Emigranten, zum Theil fchon 
hamburgiſche Bürger, andere, die den neuen Kaiſer 
in der vorgefchriebenen Form feyerlich anerfannt hat- 
ten, erhielten gleichwohl jegt die Weifung, Binnen 24 
Stunden die Stadt zu verlaffen. 

| Die Sonne von Aufterlig 1805, den 2. December, 
war blutigroth für Deutſchland untergegangen; die 
Schlacht bey Jena (1806, den 14. Det.) hatte die 
legten Hoffnungen vollends vernichter, Die groffe, le— 
bendige Theilnahme Hamburgs an dem gemeinfamen 
Schickſale des Vaterlandes war zu erkennen in der dum— 
pfen, niedergefchlagenen Stimmung, welche fich damahls 
aller Gemuͤther bemachtigte, Die Kriegesgrauel zogen 
' vor bier vorüber; aber das nachbarliche Lübeck fiel als 
ein trauriged Opfer diefer harten Zeit, (den 6, Nov); 
Hamburg konnte nur mit bereitwilliger Unterffügung 
einige der blutigſten Wunden lindern, nicht beilen: 
. Heilung blieb der Zeit anheimgeftellt. Inzwiſchen hatte 
auch der General Mortier aufs Neue von Hannover 
Veſitz genommen, und rüskte ſchnell, nachdem er dort 
die nothwendigſten Verfügungen getroffen, zu den drey 
- Hanfeffädsen heran, Am 19. November (1806) traf 
er tiber Bergedorf mit etwa 2000 Mann in Hamburg 
ein, denen bald noch mehrere folgten, An Widerftand 
war nicht gedacht und niche zu denken. ES erfolgten 
Befannemachungen , zuerſt daß die Befignahme unver 
meidlich gewefen fey, daß man fich rufig verhalten und 
alle Zufammenrossirung vermeiden möge; ſodann, Die 


in Herbft 1806, Handelsſperre. 651 


unabwendlichen Einquartierungsfaften : mit Geduld zu 
ertragen; weiter aber, daß alle Wechsler, Kauf und 
Handelsleute der Stadt genaue Angabe der Gelder und 
Waaren zu machen hatten, die als englifibes Eigen- 
thum zu betrachten wären; noch mehr, (den 21. Nov.) 
daß aller Handel und Verkehr mir England bey Todes⸗ 
firafe unterfagt, alles englifche Eigenthum für verfal- 
len erkläre fepn follte, der übrige Handel möge unter 
dem Zwang der Met erfaubt 
bleiben. 

Das neue, 1807, d. 25. Jan. von Warſchau er⸗ 
laſſene buonapartiſche Decret ſchaͤrfte noch die harten 
Maaßregeln gegen die in Beſchlag genommenen engli- 
ſchen Waaren und Colonial-Erzeugniffe, Alles, was von 
biefen Waaren für die Armee benugt werden Fönne, 
‚follte in die Kriege:Magazine abgeliefert, die Colonia: 
etzeugniffe nach Franfreich gebracht, die gröberen Waa⸗ 
‚ren, Eifen, Holz, Kohlen u. dgl, verfauft werden, Auf: 
ſchub bewirkte man, auch Milderung der: ſtrengen Ge- 
bote, Durch Bourriennes Bemühungen, aber ungeheure 
Summen wurden dennoch der Stadt entführt, wahrend 
fie noch mit franzöfifchen Aufpaffern, Douaniers, umla- 
gert wurde, daß durchaus jedweder Verkehr mit den 
feindlichen Landen verfage bliebe, : Den Handelsſtand 
der Hanſeſtaͤdte faft bis zur Verzweiflung zu bringen, 
trat noch Danemarf bey, das durch die von Eng- 
land gefcbebene Entführung feiner Flotte bis anf das 
außerfte erbittert war. 

Der Platz von Hamburg ſah ſich und ſeiner ural⸗ 
ten Beſtimmung nicht mehr aͤhnlich. Die Straßen 


652 Verſuche zu Deutſchlands Befreyung. 


wimmelten nicht mehr, wie ſonſt, von Handels⸗ und 
Gewerbsleuten, ſondern von dem bunten Gemiſch aus⸗ 
laͤndiſcher Krieger, die in ausgelaſſenem Gewühl die 
Stadt einer kriegeriſchen Anſtalt aͤhnlich machten. An 
Mortier's Stelle war Bernadotte hieher gekommen, der 
jetzige König von Schweden, ein Feldherr milder und 
edler Geſinnung, aber die Laſten der fremden Gaͤſte blie⸗ 
ben dieſelben, ja fie wurden, je länger fie aufer- 
legt blieben, deſto druͤckender; die Zukunft verhuͤllte ſich 
immer dunkeler. Der kraftvolle, zu friſchem Muth begei: 
ſternde Aufſtand Oeſterreichs 1809 entzuͤndete auch bier 
empfaͤngliche Gemuͤther zu neuen Hoffnungen; zu friſcher 
Kraft, aber nur, daß die anffeimenden"Sproffen des 
daterfandifchen Lebens nochmals in den dumpfen Schooß 
‚der DBerfchwiegenheit hinabgedruͤckt werden follten. 
Muthige Jünglinge hatten fich ſchon von hier enefernt, 
den kuͤhnen Verfichen des Herzogs von Braunfihmeig- 
Oels, des ritterlichen v. Schill, ihre Kräfte zu weihen; 
ohne zu ihrer wohlgemeynten Abſicht gelangen zu kön 
nen. Die Ankunft der ſpaniſchen Krieger; die durch 
ihre herzvolle Gutmuͤthigkeit und Einfachheit, nicht min? 
der durch Das harte Begegniß, aus dem heimifchen 
Lande und heimifchet Sitte durch‘ frevelnde Gewalt in 
Die ferne Fremde geworfen zu ſeyn, freundliche Auf 
nahme fich erwarben ind verdienten, wurden als Bruͤ⸗ 
der empfangen iind behandelt, mit welchen wir ein gleiches 
Schickſal zu heilen ſchienen. Die Hoffnungen auch 
der ſtaͤrkſten Seelen ſchwanden, und die rechrlich und 
wohl geſinnten fügten fich mie Mäfigung und Befbei- 
denheit in die drängende Noth, die einftige Huͤlfe ber 


Hamburg wird framgs ſiſche Stadt. (1811.) 653 


Vorſehung anvertrauend; nur feige und ſelbſtiſche Seelen, 
wenige, erniedrigten fich zu der Unwuͤrdigkeit, mit Auss 
ficht auf zeitlichen Gewinn und Vortheil dem fremden 
Gößen mit Liebe zu dienen, 

So blieb der Stand der Dinge, big in den Weih⸗ 
nachtstagen des Jahres 1810, die Weiſung hieher kam, 
Hamburg, wie die uͤbrigen Hanſeſtaͤdte, werde dem 
großen Kaiſerreiche einverleibe werden. Am Vorabend 
zum Weihnachesfefte war dieſe Nachricht dem biefigen 
Senate mitgerheile worden, Zum  erften Januar 1811 
erklaͤrte Napoleon die alte freye Stadt Hamburg für 
eine gute Stadt (bonne ville) feines neu geſchaffenen 
Reiches ; den 13, Febr. trat der Senat aus feiner Vers 
waltung, den 22. Febr. begann man, die gerichtlichen 
Urtheilsfprüche im Rahmen des franzöfifchen Kaifers 
zu ertbeilen, Gen; nach dem Zufchnitt, nach weichem 
die übrigen ‚frangofifcben Zander und. Städte regiert 
und behandelt wurden, nach ‚denfelben Gefegen, Ges 
wohnbeiten, Anordnungen, wie fremdartıg nicht allein, 
ſondern auch wie unpaffend, felbft zweckwidrig fie ge— 
funden werben mochten, murde verfahren. Das war 
überhaupt eine der Grundurfachen,. warum dieſes auf 
gefchoffene Reich. fo bald wieder zuſammenknicken mußte, 
daß manden Geift und die Gefinnung der ungleichartigften 
Voͤlker, Länder und inneren Einrichtungen in Einen all 
‚gemeinen Guß zuſammen zu fchmeljen den unbegreifliche 
tollfühnen Einfall hatte und mis chörichter Selbver⸗ 
wlendung verfolgte, | 

Im Vebrigen fonnten nur Kurzfichtige und Unver— 
Kandige Alles ingefamme verbammen, was aus diefer 


654 Gutes der franzöfifchen Verwaltung. 


franzöfifchen Verwaltung hervorging. Die Erfahrungen, 
welche eine in ununterbrochener Gahrung von mehr als 
20 Fahren: fich neu entwickelnde Zeit befördere hatte, 
ſollten nicht zu belleren und ficherer begründeten Wahr: 
heiten und Anordnungen geführte haben? Wirklich er- 
hielten viele der neuen Einrichtungen allgemeinen Bey- 
fall, und nur die Abneigung gegen das Aufgedrungene 
und Sremdartige, bey anderen die fonft nicht zu ta— 
deinde Vorliebe für die alte Verfaffung, waren es, 
welche Die Anerkennung nicht laut werden ließen, Reiner 
und billiger waren in dieſer Hinficht mancheder Franzoſen 
ſelbſt, als fie zum Beyſpiel durch Abgeordnete der Par 
riſer Univerſitat den Zuftand der hiefigen Schul: und 
Erziehungsanſtalten naher unterfuchen Tießen, und die 
Haren Cuvier und Noel in- ihrem Berichte den 
bamburgifchen Schulen, dem unter des ehrwuͤrdigen 
Gurtlitt’S Leitung beftehenden Johanneum insbeſon⸗ 
dere, den Muſterrang vor allen Schulen, die ſie in die⸗ 
ſer Art kennen gelernt, ohne aͤngſtliche Zuruͤckhaltung 
und nicht ohne Hindeutung auf die Unterrichtsanſtal⸗ 
ten ihres Reiches einraͤumten. Auch die öffentliche 
Verhandlungsart in einigen Gerichten ſprach die Gemuͤther 
an und fand verdienten Beyfall. Zum inneren Wohl 
der Stadt trug es nicht wenig bey, daß che 
renwerthe, mit perſoͤnlicher Feſtigkeit und Tauglichkeit 
geruͤſtete Maͤnner, einheimiſcher Abkunft, mit den in— 
neren Obliegenheiten und Beduͤrfniſſen der Stadt 
vertraut, es nicht verſchmaͤheten, auch unter dieſen Um— 
ſtaͤnden ihre Kräfte, ihre Aufmerkſamkeit, ihren guten 
Willen, der Stadt zu widmen, fuͤr welches vielleicht 


Der Maire Abendroth. Die Municipalitaͤt ꝛc. 655 
\ | 
noch einmal ein beilbringendes Geftirn heraufdammern 


fönnte, Der vormalige Rathsherr und Gerichtsvers 
walter Abenbrocb war, mie; die franzoͤſiſche Ber 
‚nennung e8 beifchte, zum Maire dieſer Stadt ers 
naunt worden: Nur feiner menfchenfreundlichen; für das 
Wohl der Stadt begeiſterten Geſinnung, feiner unverdroſ⸗ 
ſenen Thaͤtigkeit, ſeiner Beſonnenheit und, klaren Umſicht 
allein gelang es, die geſpaltenen Parteyen, die argwoͤh⸗ 
niſche, ungebuͤhrlich fodernde, herriſche, franzöfifche Bes 
hoͤrde, und die ihres vaterſtaͤdtiſchen Freyheitsſinnes noch 
nicht entwoͤhnte, bieder» derbe, geradfinnige, unzufries 
dene Stadtgemeinde in fo weit einander. nahe zu brins 
‚gen, daß eim leidliches Verſtaͤndniß zwiſchen beyden 
unterhalten blieb und von ausartenden Anfeindungen 
nichts verfpärt wurde, Für die weiteren. Stadtangele⸗ 
genheiten forgte die von der Regierung ernannte Mu— 
nicipalitat, zu welcher gleichfalls Die angefehenften, 
fraftigften Bürger, mehrere auch von den Mitgliedern 
der früheren Behörden ernannt worden waren, Es galt, 
das Wohl des Ganzen zu fürderns wer hatte dazu nicht 
gerne die hülfreiche Hand bieten wollen? Auch der Pras 
‚feet, Baron de Eoningf, ein Holländer, war ein recht 
licher, durchaus wohlgefinnter Mann, half Unbequems 
lichfeiten der neuen Verfaſſung ab, mo es möglich 
wat, bot gerne die Hand zu Erleichterungen, zu Bes 
förderungen, wo es zum. Gemeinwohl dienen Eönnte, 
und fein Nahme verdient nicht ohne dankbare Erwaͤh⸗ 
nung den Nachkommen überliefert zu werden. In ſchwe— 
ren, verwickelten Zeiten: wird der achte Werth des 
Gemuͤthes erfannes perfönliche und zeitliche: Ruͤckſichten 
43 


— 


656 Härte und Dunck ber frangöfifchen 


weichen dann den höheren Geboren der Pflicht und 
der Liebe t | 

Aber bis in die innerfle Geste kraͤnkte die Hambur⸗ 
ger, wie bereitwillig fie feyn mochten, der Noth⸗ 
wendigkeit der Umſtaͤnde zu gehorchen, der ſchneidende 
Uebermuth, mit welchem die übrigen franzoͤſiſchen Be: 
amten, nächft ihnen die Officiere und Soldaten, als 
die Gebierer der Erde, fich betrugen; der Hohn, "mit 
weichem fie, was Deutſch und inlaͤndiſch hieß, zu ver⸗ 
kleinern ſuchten, die Harte, mir welcher die alles Ge: 
werbe und alfen Verkehr verbietenden Maaßregeln in 
Ausführung gebrachte wurden; das Unweſen und bie 
rohe Willkuͤhr der Zöllner, die ausfaugende Regie, bie 
auflausende geheime Polizey und Gensd'armerie, die Un— 
wiſſenheit und Verkehrtheit der Cenſur, die Hemmung 
des Buchhandels, das Verbot der Gedankenfreyheit/ — 
wenn es moͤglich geweſen waͤre. Die unzweckmaͤßigen 
Geſetze ind Maaßregeln verführten das niedere Volk, auf 
unerlaubte Liſt und Trug zu ſinnen und verſchlechterten die 
an Geiſt Unmuͤndigen bis in den innerſten Grund ihrer 
Seelen; in der Ausſicht ſtand ein verdorbenes Ge 
ſchlecht, wenn dieſes Unweſen für die Dauer bleiben 
follte! Selbft in den Umgebüngen der befferen ind ges 
bifdereren Bewohner wurde eine Fuͤgſamkeit und Ans 
lehnung an die fremden Säfte immer bemerfbarer: Tandes 
leyen, Liebfchaften, Eheverbindungen, Ehebrüchemit Franz 
zofen wurden, je laͤnger die Zeit ſich hinzog, deſto 
haͤufiger. Rettung und Hülfe von Auſſen fehien ſelbſt de 
nen, die ihr Gemiffen im Innern noch bewahret harten, un— 
möglich; nur den Glauben liegen fie nicht ſinken. 


/ 


Verwaltung. Sehnſucht nach Rettung. 657 


Dieſe Hulfe Fam von Gottes Hand, welche den 
Uebermuth des Himmelsſtuͤrmers in Rußlands Step⸗ 
pen darnieder ſchmetterte. Die Geſtaͤndniſſe des agſten 
Bulletins trafen am Vorabende der Weihnachtsfeyer 
1812 in Hamburg ein, und erregten jene ſtille, heilige 
Freude, welche mit der Erkenntniß höherer Schickungz 
verbunden iſt. Die Kleinglaͤubigen richteten ſich auf 
die Schwachen berdieren Neue, und ermuthigten fich 
sur Beſſerung, Die Verräther knirſchten, oder höohn— 
laͤchelten, in Verblendung und bosartigem Vertrauen 
befangen. Die Franzoſen würden ſtill, ernſt und über: 
legend. Den ſchriftlichen Geſtaͤndniſſen folgten bald Je⸗ 
beitdige, wenn ſchon kaum noch lebende Zeugen, abge: 
zehrte, kranke und verfrüppelte Krieger, Vorboten imd 
Verkunder des grauſenvollen Ruͤckzuges aus Rußland. Im: 
mer hoͤher bob füch die Hoffnung, immer hoͤher flieg der 
Muth der Beſſeren und im Stillen geſtanden fich die 
Freunde der Freyheit und der deutſchen Volksehre ihre 
Entſchluͤſſe, gelohten ſich Vorſaätze, eintraͤchtiges Zu— 
ſammenhalten und bereit zu ſeyn, ſobald bie Zeit kaͤme, 
das fremde Joch von ſich zu werfen und für die Sache 
des Baterlandes im offenen Kampfe aufzuſtehen. 

Ein Auflauf am 34: Februar 1813, befonders des 
gemeinen Volkes, das fich jeither zu dem Hiederen Ge. 
werbe des Smuggeins herabgebracht geſehen haste, ge 
gen das nichtswürdige, alle Grenzen der Maͤßigung über 
fehreitende Douanen⸗Geſindel gerichtet; war Hiche ganz 
ohne Anſtiftung von Aufſen bewirkt worden, aber ein ungei⸗ 
tiger; voreiliger Muthwille, der ſich ſeibſt in ungebühr— 
lichen Beſchimpfungen, theils unſchuldiger, theils um 

42* 


hie: 


— 


658 Die Rettung nahet. Die Franzoſen 


die Stadt wohlverdienter Maͤnner aͤußerte; die Fran— 
zoſen hatten ſich Dadurch in größeren Schrecken jagen 


laſſen, als nörhig geweſen ware; die Ruhe aber wurde 


durch die Wohlgefinnten unter den Bürgern bald mie: 
der hergeſtellt; ſelbſt der verfchiichtereen Fremdlinge 
hatte man fich mit menfchenfreundlicher Milde ange 
nommen : Eine Abtheilung danifcher Hufaren, . von 
ben Sranzofen berbeygerufen, wurde von dem herz⸗ 
lichen Empfang der Einwohner felbft für Diefe zum 
Wohlmeynen gewonnen, Aber leider fielen in Folge 
dieſes Unfugs der erbitterten Schaam und der gereisten 
Kachjucht der noch anwefenden Franzoſen, die fogar 
Miene machten, in der biefiegen Nähe eine frifche 
Macht zu fammeln, einige unfchuldige Opfer, Die, 
alten Bürgerwachen, laͤngſt vergeffen, waren bey Diee 
fen Auflauf wieder hervorgerufen worden, jedoch 
zeigte es fih, wie wenig. fie tauglich waren, ernten 
Dingen zu ‚genügen. : Dieß gab Veranlaffung, daß 
einige der einfichtsvollfien und für das Wohl der Stade 
mit Liebe erfüllten Männer, der Doctor Ludwig 
von Heß an ihrer Spige, mit ibm in Beratkung 
Friedrich Perthes, Dr Ferd. Beneke und 
andere,. fich. vereinigten, im. Stillen eine Gefellfchaft 
junger Maenner in den Waffen zu üben, Die für kom⸗ 
mende, nicht zu berechnende Umſtaͤnde zur Aufrechthal— 
tung der Ruhe und Ordnung in der Stadt, falls man 
der eigenen Huͤlfe überfaffen feyn follte, bereit Funden, 
Die Sache war einfach, wohlgemeynt und ohne alle 
weitere fremde Abſicht. 

Inzwiſchen haͤuften und vergrößersen fich Die Nach: 


ziehen ab von Hamburg, 1813, den 12. März. 659 


richten von den Niederfagen und Ruͤckzuͤgen der französ 
fürchben Heere. Die bier füch befindenden Beamten, die 
fchwache Eriegerifche Beſatzung zogen fich, mißtrauifch, 
immer mehr im fich felbft zurück, dagegen gewann das 
Volksleben an munterer, dem biefigen Wefen fo ganz 
eigenthümlichen Laune ‚und dag Ganze erhielt ein Ans 
ſehen feltfanser Mifcbung von ernten erhabenen Gefüh- 
Ien, großen Gemürhsbewegungen, und einer faft dich⸗ 
gerifcher Ironie fich nahernden Schärfe und Schneide. 
Die Ankündigungen der frangöfifchen Berichte, welche 
noch am ıı März ein betraͤchtliches Beobachtungsheer 
bey Lauenberg ſich zufammen ziehen ließen, fanden Feinem 
Glauben mehr. Am naͤchſten Tage, den raten, zog der 
Divifiond» General, Carra St. Eyr, mit feiner Des 
faßung und den übrigen: franzöfifchen Beamten von 
bier ab, in Ruhe, ohne alle Störung: man freuere fich 
6108, der Gaͤſte endlich los zu werden. Die in ber 
legten Zeit errichteren Bürgergarden zu Pferde begleites 
gen fie fogar noch, ihnen ein ehrenvolles Geleite zu 
geben. Der Polizeyherr, d'Aubignosc, nahm Abfchied 
mit den Worten: Bis auf Wiederfehen in zwey Mona 
ten! — Eine ſchlechte Kunft, die Unglück im voraus zu 
verkünden weiß. Dagegen blieb das Brivareigenthum der 
abgegangenen Herren den Hamburgern heilig und unan⸗ 
getaſtet, „ein rührendes. Beyfpiel von Mäfigung, von 
deutſcher Redlichkeit und Bürgertugenbd, / wie ein Erzaͤh⸗ 
fer diefer Begebenheit faft wider Willen geftehen mußte, 
Die Stade blieb von diefem Tage an, bid zum .ı8ten 
ohne alle Beſatzung, ohne Gerichte, ohne Poligeyen, 
ohne eigentliche Regierung, und nichts, auch nicht das 


665 Tettenborn's Einzug, dem 18, Marz. 


geringfte gefchab, das einer obrigkeitlichen Wefchräns 
fung bedurfte haste: Ruhe und Ordnung überall; bie 
Empfindlichkeit gegen manche, die fich im der letzten 
Zeit verdachtig gemacht, fand nicht Raum vor ber vers 
‚ Marten Freude, welche über den eingetretenen Zuſtand 
Aller Gemuͤther ergriffen hatte, und welche ſich, fo 
rein war fie! nur in Neufferungen bed Wohlwollens, 
der Güte, ber Berfohntichkeit und Liebe Fund that, . 

Bald darauf erfchien der fühne Voranſtürmer, das 
maliger Obriff von Tertenborn, in der Nabe der 
Stadt mit feiner geflügelten Koſakenſchaar. Er hatte 
Morand’s Heerbaufen vor fich hergetrieben und über 
die Efbe gejagt: ſchon am 17. May des Nachmittags 
wurde ein Pulk biefer fremden Männer mit Jubel in 
die Stadt eingeführt; am folgenden Tage, den acht 
zehnten biele Tettenborn ſelbſt mit feinem Corps 
feinen Einzug. — Der febönfte Tag, der über Sterb⸗ 
fiche aufgehen kann; wer möchte ed wagen, die Geligs 
keit deffelben zu ſchildern ‚Ach, meine Verzweiflung 
ift nur, daß ich den Leuten nicht fagen Fann, wie gkück- 

lich ich bin 4} fagte einer, den man fragte, mie ihm 
der Volksjubel gefale? 

Die menfchlichen Kräfte rafften fih auf und ſpann— 
gen fi an über das, was menfchlichem Glauben bis 
dahin möglich geſchienen haste, Keiner, der mit voller 
Theiinahme der Seele in diefer Zeit gelebt, gedenkt 
derſelben in der Erinnerung anders, ald daß er fie nur 
als einen Rauſch des überirdifehen Lebens betrach- 
gen kann! * 

Terrenborn hatte nur eine kleine Schaar leichte 


Das Auffteben Hamburgs für Deutſchland. 661 


bewaffneter Reuter mitgebracht; Fußvolk nachzuſenden, 
war ibm verſprochen worden; das Verſprechen konnte 
nicht gebalten werden, da die Wendung des Krieges, 
alle  Haupekrafte nach Oberſachſen binzog: An der 
Elbe Tauerten die Franzofen, bis günftigere Umſtaͤnde, 
die nun zu bald eintrafen, fie begünftigen würden. 

Defto reger wurde das Leben in Hamburg. Auf Tet⸗ 
tenbornd Auffoderung fannnelte fich die hanſeatiſche 

Legion, beflimme , den angebrochenen Freyheitslampf 
mit Fräftiger Theilnabme zu unterſtuͤtzen: denn inzwi⸗ 
ſchen war das preußifche Volk gleichfalls gegen» 
feine Unterdrücder aufgeflanden, und Alerander 

trug die Freyheitsfahne allen zu, die fich derfelben würdig, 
zeigen "wollten, » Die Bürgerfibaft. Hamburgs, 
durch ihre alte, aͤchte Obrigkeit wieder. zur -Verfamms + 
lung berufen, bewieß eine ſchwaͤrmeriſche Bereitwillige | 
keit zu allen Anſtrengungen, welche dem Wohl der 

Stadt, der Ehre des deutſchen Nahmens frommen 
könnten, Aller Herzen öffneten ſich den reinſten, edelſten, 
hoͤchſten Gefühlen ! Die Darbringungen -Dankopfer wa⸗ 
ren fie — zur Unterſtuͤtzung, Bekleidung und Bewaffs« 
nung der herbeyſtrömenden Juünglinge und Maͤnner, 
welche ſich der Legion anſchloſſen, erſtreckten ſich von 
den erſten und wohlhabendſten Kaufleuten der Stadt, 
bis auf die Dienſtboten, bis auf die Sparbüchfen und 
die letzten Schillinge der. Kinder. ; Zur, Erhaltung der - 
innern Ruhe und zur Bertheidigung der. Stade bildete 

ſich, nach Aufruf des anmwefenden Befehlshabers, 
und. übereinftimmend mit dem Willen deſſelben nach 

Berordnung des Rathes, eine neu bewaffnete Biürs 


662: Hamburg, durch Umſtaͤnde preifgegeben, 


gergarde, unter ber Leitung des Herrn von Heß, 
Alle Waffenfaͤhigen, fo nicht an die Legion fich an⸗ 
ſchloſſen, eilten herbey, der Stade ihre Dienſte zu 
leihen: Stade und Umgegend glichen einem Priegerifebet: 
Lager, ji 
Der weitere Erfolg der Begebenheiten Kann Bier 
nur mit allgemeinen Andeutungen gegeben Werben. 
Die innere Hülfe war zu fehmach, um die Stadt ge 
gen gewaltfame Angriffe zu vertheidigen, Die Danen 
boten bereitwilligen Hterffüßung : aber Tertenborn glaubte 
Gründe zu haben, nur befcheiden und zurückhaltend fich 
derſelben bedienen zu duͤrfen: Die plößliche, für Hamz 
burg hoͤchſt unglüskielige Ummechfelung der politifchen 
Berhäftniffe geſtatteten nachmals ohnehin nicht, daß von 
den Danen weiter die Rede ſey Schwediſche Hülfe wurde 
faft täglich von Stralfund aus hieher verheißen, vom 
Tettenborn gehofft, 'erwartes, geglaubt; "eine Eleine 
Abtheilung fchwedifcher Truppen, durch Weberredung” 
von ihm bereingezogen, mußte gleichwohl wiederum 
abziehen Die Stadt blieb fich, mie wenigem Beyſtand je 
einiger Mecklenburger, Luͤbecker und Preuffen, ihrer 
einfamen Hülfe uͤberlaſſen. Die Sranzofen hatten fich 
am jenfeitigen Elbufer verflärkt; und zur Hebung manz« 
cherley Angriffe verſucht; daß fie der Wilhelmsburg Meis 
ffer nicht würden, hätte alles gegen fie’ aufgeboten werde 
follen: aber e8 iſt Kiber befannt, daB Tettenborn * 
fuͤr die Vertheidigung der Stadt hoͤchſtwichtige Inſel 
auch nicht einmal perſönlich in Augenſchein zu nehmen 
gewürdigt babe, "Die Binger, "To zu den Waffen ge⸗ 
‚griffen harten, leiſteten unglaubliches, was nur in 


falle wieder) in der Feinde Gewalt. 663 


ſolcher Begeiſterung für die heiligffe Angelegenheit moͤg⸗ 
lich iſt. Wie neu und wenig geübte noch im, Gebrauch. 
der Waffen fie ſeyn mochten, fo ſcheueten fie fich dens 
noch nicht, allen Beſchwerden ſich bloß zu fellen, die 
aͤuſſerſten Poſten zu beziehen, gleich. den verfuchteften 
Kriegern die Mühen des Dienſtes über ſich zu 
nehmen, die Gefahren des Kampfes zu theilen. Aber 
leider wurde die Ueberzeugung, wie ſehr man im Ans 
fange dagegen ſich mehrte, je längerbin, deſto gewiſſer, 
daß ohne. thaͤtigeren Beyftand von den verbuͤndeten 
Heeren gegen das immer ſtaͤrker fich verſammelnde, naͤ⸗ 
ber ſich andraͤngende Belagerungs⸗Corps, das. von 
Davouſt und Vandamme gefuͤhrt wurde, mit ſo gerinz 
gen Kraͤften die Stade nicht gehalten werden koͤnne 
Immer drobender wurde die Gefahr, auch der hoch⸗ 
berzigfte Much mußte allmahlig finfen, da die Nachrich⸗ 
ten von der Ober «Elbe ber ſelbſt für das allgemeine 
Geſchick des Krieges immer erüber, -befprglicher laute _ 
tens: In der Nacht vom 29. auf den 30, May mels 
dete von Tettenborn dem Befehlshaber der Bürs.. 
gergardber Herrn von Heß, daß .er die Stadt nicht 
länger vertheidigen könne und fein Corps, das zwiefach , 
bedrohet werde, zuruͤckziehe. Herr won Heß Ffündigte 
die-Auflöfung der Bürgergarde an; fiben mit der Frühe 
des Morgend; Sonntag den 30, -May, Famen die - 
firengfien Auffoderungen ber © franzöfiichen - Generale, 
> daß man fich dem Einrücfen ihrer Truppen und der 
Wiederbefegung der Stadt nicht miderfegen möge, 

Die Danen, jest mir den Franzoſen vereiniget,-. 
zogen gegem den Mittag mit, Elingendem Spiele in: die 


J 


664 Hamburg, als rebelliſche Stadt geſtraft 


Stadt, gegen Abend folgten ihnen die Franzoſen. Als 
traueten ſie ſich ſelbſt nicht ſicher, hielten ſie, nach 
dem Abzug der erſteren, einige Tage Beywacht unter freyem 
Himmel; erſt als den Hamburgern bey Todesſtrafe befohlen 
war, alle Waffen abzuliefern, wagten ſie ſich in die Haͤuſer 
einzulegen. Das fuͤrchterlichſte Jahr begann fuͤr die arme 
Stadt. Sie wurde auf Befehl des Kaiſers auſſer dem 
Geſetz erklaͤrt und der rohen Willkuͤhr wildgereizter 
Feinde Preis gegeben. Die Feſtungswerke, welche die 
Buͤrger zu ihrer Vertheidigung erneuert hatten, wurden 
brauchbar gefunden, den Platz in einen Waffen⸗ und 
Vertheibigungsplag umzuandern. Am 8. Juny ward 
befannt gemacht, daß die Stadt 48 Millionen Franken 
als Strafe in 6 Terminen zu zahlen habe, Am 24, July 
wurde eine Ammeflie für die 32. Militairs Divifion ber 
kannt gemacht, mit Ausnahme von 28 Perfonen, melde. 
für Feinde des Staats erkläre und auf immer, mit: 
Verluſt ihrer Güter aus dem franzöfifchen Reiche ver 
banne wurden. Das ganze franzoͤſiſche Unweſen trat 
wieder hervor, im feiner febeußlichffen Geftalt, in der 
Ausübung überall mie dem Vorſatz, daß es demuͤthigen, 
vernichten. folle. D’Aubignofe , Polizeydirector, de Bre— 
teuil, Praͤfect, Hogenderp, Gouverneur, der Maire 
Nüder!zc. waren bie Ehrenmänner, welchen die Regierung 
der Stadt anvertraut war. Da vou ſt bildete ein Corps, 
aus Franzofen und Dänen beftebend, melches auf dem 
Tinfen Flügel gegen die Nordarmee fih demegen und 
wo möglich auf Berlin gehen ſollte. Diefed Corps 
wurde alleın von Walfmoden zurücgehalten, der im 
Mecklenburgiſchen mehrere kleine Zruppenabsheilungen 


und gemißhandelt, bis in den Map Ba. 665 


unter feinen Befehlen vereiniget hatte: darunter waren 
die Heberrefteder banfeatifcben Legion, aus Ham⸗ 
burger und Luͤbeckern beſtehend, ſo wie auch Mett ler⸗ 
kamp eine Anzahl ausgewanderter hamburgiſcher Buͤr⸗ 
ger und Einwohner geſammelt hatte, fie fleißig in 
den Waffen übte, big die Umſtaͤnde geſtatten ‚wollten, 
zu der Wiederbefreyung der Vaterſtadt tbeilne hmende 
Hand anzulegen, 

Die vereinigten Heere — indeſſen den Feind fieg« 
reich aus dem Baterlande ; fchon gingen ſie über den Rhein, 
ſchon trugen fie den Krieg: mitten in das Herz von 
Frankreich, ſchon handen fie vor der Hauptſtadt, dag 
Kaiferreich war ‚geflürst, Ludwig XVIII. als König von 
Frankreich ausgerufen und anerfanne und noch — lag 
Davouft in Hamburg, dag er mit unmenfchlicher 
Härte behandelte und in ein wuͤſtes Kriegslager umge 
wühle hatte. Der rufifche, General Bennigfen, 
welcher mit einem Belagerung: Corps vor ‚der Stadt 
erfebien, ſcheuete ſich, um nicht die Gräuel einer ſtuͤrmi⸗ 
fihen Eroberung dem großen Elende noch hinzuzufügen, 
ernfte Angriffe zu unternehmen, Davouft weigerte 
fich, troß der -Aufforderungen derer, welche ihm Die 
Nachricht von der Kegierungsveranderung in Frankreich 
brachten, der Menfchlichkeie Gehör zu geben. Den 12 
May 1814 traf der General Gerard ein, an Davouſt's 
Stelle den Befehl zu übernehmen, » Bid zum 30 May 
zogen die Franzofen in einzelnen Abeheilungen ab. Den 
31 Day hielt Bennigfen mit feinen Ruffen und mit 
der von Mettlerkamp errichteten Buͤrgergarde in 
Hamburg feinen Einzug, Erſt am 30 Juny wurde 


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666 Nachwehen von der Herrſchaft der 


auch den uͤbrigen Vaterlands⸗Kaͤmpfern, den Maͤnnern 
und Juͤnglingen von der hanſeatiſchen Legion das Glück 
zu Theil, in die vaterſtaͤdtiſchen Mauern, zu ihren El⸗ 
tern, Verwandten und Freunden zurück zu kehren. 

In den Jubel der Herzen, als die Befreyung der 
Stadt erfolgte, mifchten fich der herben Erinnerungen 
viele und der Blick fiel duͤſter auf die Gräuel, melche 
in jchreeflichen Spuren noch vorhanden waren. Das 
vouft hatte der Achtung, Die den Bölkergefegen gebührt, 
den legten Stoß verfeßt, als er der dringenden Geld: 
norh abzuhelfen, die bambursifibe Bank raubte, 
in der Nacht vom gten auf den sten Nov. 1813. Der 
Schatz harte noch 7,489,343 ME. ı2 61,6 9 betragen. 
in der Stadt waren unter den franzöfifchben Truppen 
die efelften Seuchen ausgebrochen und mancher Bürger 
und Einwohner durch Anftefung mie hinweggerafft 
worden. Die Stadt in Belagerungszuftand zu verfegen, 
hatte der Menſch in unmenſchlicher Harte den ganzen 
Hamburgerberg, die Wohnungen und Gartenhäufer vor 
dem Dammthor, auf der andern Seite im Dorfe Hamm 
zerflören und abbrennen Taffen. Die Armen, welche fich 
nicht mit binreichenden Lebensmitteln verſehen hatten, 
wurden ihrer Haabe beraubt, bloß und hülflos aus der 
Stadt getrieben, dem Verhunger und Eerfrieren entgegen 
geworfen: ſelbſt die Waifenkinder, die Kranken, die Wahn 
finnigen wurden aus ihren Schutzwohnungen, aus der 
Stadt verwiefen. Die Kirchen und Gotreshbaufer hatte, 
man in Magazine und Ställe verwandelt, Die Strafen 
waren unwegſam geworden von den aufgerhürmsen 
Haufen des Unraths, und verpeftende Gerüche, wie aus 


Sranzofen in Hamburg 667 


* 


keichengruͤften, verkuͤndeten den Moder, in welchen die 
Stadt zerfallen war. 

Die Eintreibungen, welche Davouft feit dem zoffen 
May 1813 gemacht hatte, die Summen ider Gelder, 
welche auf die StrafeContribution bezahlt worden waren, 
die Tafelgelder, der angefchlagene Werth der zerſtoͤrten 
Haäufer in der Stadt und in ber Umgegend, endlich Ser 
geraubte Bankfchbag werden zufammen auf mehr als 
37 Milionen Mark Bco. angefihlagen. Det Gefammt- 
verluft, welchen Hamburg vom 19, Nov. 1806 big zum 
30. Day 1814 durch die Gewaltherrfchaft der Franzo⸗ 
fon erlitten bat, betragt nach vorhandenen Rechnungen 


140 Millionen Darf Bro. Dieſe Erinnerungen Fönnen 


nicht geeignet ſeyn, Liebe zu jenem Wolfe bey den 
Nachkommen zu erwecken und zu nahren.. Die Zeit mag 
die Empfindung mildern und Berfühnung vermitteln. 

- Die alte Stadtobrigfeit machte. den 26, May bes 
fannt, daß fie in ihr Ame und ihre Würde wieder eins 
getreten fey und rief die Bürger zu ihrer vaterſtaͤdti⸗ 
fchen,, freven Verfaffung zurück. Am 10. Sept. 1814 
gab der Rath der verfammelten Bürgerfibaft die Er- 
Härung: „daß Hamburg nur feiner Eraftigen Anſtren⸗ 
gung im Frühjahr 1813 ‚feine Jedependen; und Unab— 
haͤngigkeit verdanke.“ Diefe Anerkennung, welche von 
den Fürften und Regierern Deutſchlands ſelbſt ausger 
gangen iſt, buͤrgt für dauernde Erhaltung dieſer Unab⸗ 


bangigfeit, und die auch der Stadt durch die Beſchlüſſe 


des Wiener» Congreſſes und die Aufnahme in den deut— 
ſchen Bund zugefichert worden iſt. 
Was das nachite Geſchaͤft jep, darauf waren die 


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668 Wiederaufleben Hamburgs 


Hamburger deutlich genug hingemwiefen : Wiederaufbauen, 
was in Schutt und Trümmern da fag, entfernen, mas j 
an den Verdruß der Vergangenheit erintiern Eonnte, 
reinigen, was mit Unſauberkeit angefuͤllt, wieder wei— 
ben, mas durch Frevel entheiliger worden war; ge 
fehlagene Wunden Tindern ,; heilen , das Verlorene durch 
Thaͤtigkeit erſetzen, wenigſtens verſchmerzen Ternen, 
durch die Kuͤnſte und Gewerbe des Friedens jede Spur 
des Krieges zu vertilgen. In der inneren Verfaſſung 
war, nachdem die alten, aͤchtvaterſtaͤdtiſchen Geſetze 
wieder in Gültigkeit getreten, nicht? Weſentliches zu 
andern, Bloß die Gefchafte der Po lizey find nach 
vorläufiger Annahme, die zwiſchen Rath und Bürger: 
ſchaft art gefunden, fir einen befonderen Gerichtsbe— 
zirk vereiniger und der tafklofen Tharigkeie des Herrn 
Senators Bartels übertragen, Auch die Beybehaltung 
eines befonderen Handelsgerichtes wurde fach 
örimdlicher Berathung zweckmaͤßig gefunden und daſſelbe 
im Aug. 1815 eröffner, Die verfchiedenen Religions par⸗ 
teyen gehen in bruͤderlicher Eintracht neben einander, 
ſo daß ſeitdem ſchon den Katholiſchen zu ihren kirchlichen 
Verrichtungen eine beſonderes Gotteshaus, die kleine 
Michaeliskirche eingeraͤumt worden iſt. Die Gleichheit 
derſelben in bürgerlicher Beziehung iſt ı8tg, im Dec, durch 
Rath⸗ und Buͤrgerſchluß beſtaͤtigt worden; Weber die Rechte 
der Juden mug eine Beſtimmung von da aus erwar⸗ 
fee werden, wo über Die Geſammtangelegenheit des 
Vaterlandes berathen wird; Die geſetzliche Wehrhaftig— 
keit hat neues, friſches Leben gewonnen und gedeihet 
froͤhlich und kraͤftig: fo ziert die Waffe den Bürger, 


* 


ſeit deffen Befreyung, feit 1814. 6 


wenn er fie zur Beſchuͤtzung feines friedlichen Gewerbes 
zu führen weiß. Neben der Bürgergarde ſteht das reguläre 
Stadtmilitar, das zur Bewachung der Stadt und im 
Dienſte der Obrigkeit zur Bewachung ber Gefege aus 
braven Kriegern errichter iſt. 

Mir Tharigkeit, forgfamer Haushaltung und Spaw 
ſamkeit iff ed möglich geworden, durch bewerkſtelligte 
Nachzahlung fammtlicher ruͤckſtaͤndigen Zinfen den Staats⸗ 
papieren ihren gebührenden Werth und Glauben wieder 
zu geben, Die öffentlichen Caffen und Stiftungen ſind 
wieder ind Leben gerufen, die: Bank iſt imenneuerer Thaͤ⸗ 
tigkeit; auch, die Bemühungen, in Paris für die zuge 
fügten Zerſtoͤrungen und Einsreibungen Wiedererflattung 
zu erhalten, find nicht ohne Erfo’g geblieben. Das 
Handelsleben wird an Ruͤhrigkeit gewinnen, wenn die 
Zeit von ihrer gewaltſamen Erſchuͤtterung bald zw 
groͤſſerer Ruhe gelangt iſt, wenn das Vertrauen der 
Voͤlker wieder erblͤhet, wenn bie Bemuͤhungen, den 
innern Verkehr zu erleichtern und zu befoͤrdern, nicht 
fruchtlos bleiben, In dieſem Jahre 1819 befinden fich noch 
Abgeordnete diefer Stede zu Dresden, um mit Berarhung 
ber übrigen , welche es angeht, die Elbſchiffahrt 
durch Aufhebung oder geregelte Ordnung der Zölle in thaͤti⸗ 
geren Gang zu bringen. Für die Tochterſtadt Rit zeb uͤt⸗ 
tet iſt die durch die Thaͤtigkeit und Einfiche des Heren 
Senatord Abendrorh beförderte Anlage eines Gew 
bades in Cuxhaven eben fo- erfreulich, als wehlchaus · 

(1816. 1817.) 
Die Truͤmmer der Zerſtoͤrung ſind hintseggerdune 
und ihre Spuren verſchwinden allmaͤhlig ganz in uns 


oO, Beſchluß. 


ſeren Umgebungen: manches tritt ſchoͤner und zierlicher 
wieder ins Leben, denn es zuvor geweſen. Die Natur 
lacht ung wieder entgegen vor unſeren Thoxen. Die 
Thore felbit und die aus denſelben führenden Wege 
find verfchönere und zieren die Eingänge der Stadt. 
Die St. Paulskirche auf dem Hamburgerberge iſt 
ihrer Vollendung nahe: Zum Aufbau eines neuen 
Kranfenhofes find Anflalten und Horbereitungen 
getroffen. Inter Auffiche des um feine Vaterſtadt hoch⸗ 
verdienten Andreas Ehrenfried Martens bat 
das Zucht» und Werkhaus eine neue, wohlthätige 
Einrichtung erhalten. Die Halfte des Alten 1663 er- 
baueten Zuchthaufes iſt feit Juny 1814 zur Aufnahme 
und Pflege armer Leute eingerichtet, die zugleich Geles 
genheit finden, paffende Arbeiten vorzunehmen um billi⸗ 
gen Lohn, Fuͤr erwachſene Kinder iſt durch Anlegung 
‚einer eigenen Schule beſtens geſorgt. Die andere 1764 
erbauete Haͤlfte enthält außer dem Zuchthaus eine Kurs 
anftale, Fabriken, ein Rettungszimmer für Ertrunkene 
und Erſtickte, eine Badeanſtalt und eine Anatomie 
Kammer, Das Waifenhbaus if verfihönert aus 
feinem Mißbrauch wieder entſtanden. Unſere Schul 
Anftalten blühen, unfere Kirchen find befucht, ein frome | 
mer, verſtaͤndiger, ernſter Sinn iſt berrichendes Ges 
prage der Bewohner unferer Stadt geworden. Möge 
er dauern! Die Abtragung der Walle und daß fie mit 
febendigen Anpflanzungen erfegt werden ein, iſt im 
Det, 1819 befthloffen worden, Achtung ge n die Ge⸗ 
fege follen in Zukunft unfere Waͤllen ſeyn und Froͤm⸗ 
migkeit der Seele, die achte Buͤrgerkraft und Buͤrger⸗ 
tugend, auf weichen das Glück der Freyheit unerſchuͤt⸗ 
terlich begruͤndet ſteht. 








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901 Neue Chronik von Hamburg 



















































































































































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