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Reue Chronik
Hamburg,
Entſtehen der Stadt bis zum Jahre
Verfaßt
von
Friedrich Gottlieb Zimmermann,
Doctor der Philoſophie, Profeſſor am Johanneum in
Hamburg, Mitglied der Geſellſchaft der deutſchen
Sprache in Berlin ꝛc.
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Hamburg, 1820.
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Vorrede.
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Dem hier erſcheinenden Buche iſt die Auffchrift
einer Chronif von Hamburg gegeben worden,
anzudeuten,; Daß man nicht mehr von: demfelben
erwarten möge, als eine kürze hiſtoriſche Weber
ficht der merkwuͤrdigſten Eretgniffe und Vorfälle,
welche dieſen Kleinen Freyſtaat vom Urfprunge der
Stade bis auf die jeigen Zeiten betroffen haben;
alfo weder ein forgfam ausgefeiltes Werk, Das auf
Kunft des; hiſtoriſchen Vortrags angelegt wäre,
noch ein Buch, das gruͤndlich wiſſenſchaftliche
Sorfhung anboͤte. Für den Bürger ein beleh⸗
tendes Handbuch, fr die Jugend einen. keitfaden
in einer faßlichen Erzählung verſptach ich in mei⸗
ner Ankuͤndigung, und auf dieſes Verſprechen muß
ich zuruͤckweiſen:
IV
Nichtigkeit der Angaben und Klarheit in dem
Ueberblick und der Zufammenftellung der Begeben⸗
heiten ſchienen die Haupterforderniſſe zu ſeyn, welche
auch einem ſolchen Handbuche nicht fehlen duͤrften.
Fuͤr die erſtere bin ich unablaͤſſig bemuͤhet geweſen,
uͤberall, ſo weit es irgend moͤglich, auf die erſten
Quellen zuruͤck zu gehen, zu ſichten und zu pruͤfen,
zu vergleichen, nichts auf Glauben nachzuerzaͤhlen,
was nicht gehoͤrig begruͤndet erfunden werden koͤnnte.
Dankbar geſtehe ich, meine Vorgaͤnger befragt, be—
nutzt· zu haben, den nicht genug zu preiſenden Lam⸗
becius, den gruͤndlichen Staphorſt, den fleißigen
Chriſtiani, Sartorius gelehrtes Buch, Becker's Ge
ſchichte von Luͤbeck, die, kleineren Schriften des Hrn
Prof. Hartmann, des verehrten Domherrn Meyer,
ſelbſt die kleine Geſchichte Hamburgs von unſerm
trefflichen Waͤchter, und andere Schriften dieſer Gat⸗
tung, insbeſondere aber die Arbeiten des Hrn. v. He
deffien DVerdienfte um die Gefihichte dieſer Stadt
dem erft in ihrem Glanze erfcheinen werden, der
fich die Mühe nimmt, überall nachzuforfchen, um
von der umſichtigen Unterfuchung. und dem reichen
Wiſſen Diefes Mannes fi überzeugen zu koͤnnen.
Diefe Nachforfchung geuͤbt zu haben, Darf ich mit
gutem Gewiſſen verfihern, auch da, wo es mir
V
nicht gelungen iſt, auf neue Ergebniſſe zu gelan—
gen: "aber. nicht das Meue, das Richtige war es,
worauf es hier anfam, Ich habe z. B. um gewiß
zu gehen, für "einen gewichtigen Zeitabſchnitt des
ſiebzehnten Jahrhunderts von wenigen Jahren mich
nicht gefcheut, ein über 1200 Folio: Seiten ftarfes
Protocolf außerdem fünf dicke Quartbaͤnde voll
gefchriebener und gedruckter Aetenftücke durchzumu⸗
fteen, obſchon ich "meine Ausbeute auf wenig mehr
als höchftens ‘2 Bogen Ertrag anfegen durfte:
und auch Hier fand ich, daß mir nut das geringe
Verdienſt blieb dieſelben Anſichten, welche des
Hen. 9. HE Scharfblick ausgefunden hatte, theils
beſtaͤtigen theils in wenigen inzefheiten genauer
bezeichnen zu fönnen, Es wäre," begreiflich, weit
leichter geweſen, aus dieſen Forſchungen ein dickes
Buch hervorgehen zu laſfen, fir welches! man ſelbſt
der Aufmerkſamkeit derer, die nur Unterhaltung
füchen, Hätte verfichert feyn koͤnnen. Hier aber
ſolche Ymftändfichkeit nicht an der rechten Stelle.
Auch ſollte alles Anfehen gelehrter Zuruͤſtung
vermieden bleiben. Deßhalb aber bin ich feines:
soeges ſo kuͤhn, behaupten zu wollen, als ob ich
mich won keinm Jerthurie ‚habe beſchleichen laſ⸗
ſen: ſchon ſett find mir ein Paat ſolcher Spuren
vi
begegnet,- wo ich ausgeglitten feyn mag; doch bleibe
Die Berichtigung entweder anderer Gelegenheit, oder
meinen fundigeren Leſern überlaflen, bey welchen
ich nur um dieſelbe Milde der Zurechtweifung bit:
te, Die ich darin gezeigt habe, Daß in Feiner. Stelle
diefer Erzählung von irgend einer fchadenfrohen
Widerlegung oder Beſtreitung etwas zu vermerken
fen wird.
In wie weit es mir gelungen , der zweyten
Foderung, der fchwierigften Aufgabe, daß in den
Ueberblick und Die Zufammenftellung der Begeben:
heiten Licht und Klarheit gebracht würde, zu ent:
fprechen, muß. Dem Urtheil der Leſer überlaffen
bleiben. Der verewigte Hegewiſch fagt irgendwo
fehr treffend, ‚ ein Fleiner Staat gleiche einem
Boote, das den Bewegungen des geöfferen Schif—
fes, an welches es gebunden ift, folgen muͤſſe.
In dieſer KHinficht fen es ſchwer, genau Die Grenz
linie zu treffen, Die die Gefchichte des Fleineren
von dem geöfferen Staate ſcheidet; die ‚Grenzen
fließen immer in einander. Wie viel mehr noch,
wenn -ein Staat, wie Hamburg , in fo mande
verwickelte Verhältniffe anderer mit hineingezogen
wird. Eines aber bin ich mir bewußt, daß ich nir—
gends eine Verbindung aus bloßer Bermurhung
vH
angefnüpft, Urfachen und Zufammenhang in die, Bege:
benheiten hinein gedichtet habe. Daß im Fortgange
der Erzählung manche Lücke vielleicht unausgefuͤllt
geblieben iſt, hat Urfachen,die ich anzudeuten nicht
ganz umhin Fan.
Bon einem, allen Deutfchen fehr achtungs:
werthen Manne machte ein boshafter Verkleinerer
die an fich wigige Bemerkung, die Natur habe
feinen Körper wie feine Seele in ihrer Schöpfung
verdorben: der Lntertheil feines Körpers habe wie
zu einer anfehnlichen Lebenslänge beſtimmt geſchie—
nen, aber die Natur habe ihren Entwurf nicht
ausgeführt, und der Mann fey Flein geblieben,
indem fich der Oberkörper nicht gehörig geſtreckt
hätte: Ich kann nichts dagegen fagen, wenn
jemand das Gleichniß umfehren, und es auf dieſes
Bud antvenden will: es fängt etwas bequem an,
und endigt im. haftiger Eile und abgeftumpfter
Kürze. Ohne die Lefer mir einer Chronik diefer
Chronik behelligen zu wollen, bemerfe ich blos
Folgendes: das Buch ſollte mir ſtiller Vorbereis
tung, ohne alle vorläufige Ankündigung, fo befcheis
den und geräufchlos erfcheinen, als einem ſolchen
Verſuche ziemt, der ohne große Anſpruͤche in die
Welt treten wollte. Aber plöglih wurde, da das
».
VIII
Unternehmen kein Geheimniß geblieben, eine andere
Ankuͤndigung auch einer neuen Chronik v, H. das
zwiſchen geſchleudert. Sch hätte gerne die Feder
niedergelegt, wenn nicht ſchon fünfzehn Bogen ab:
gedruckt geweſen wären, als dieſe auch nicht von fern ge;
ahnete Dazwifchenfunft verlautbarte. In gerechter Be:
rückfihtigung meines Berlegers mußte ich mich der vor;
behaltenen Freyheit begeben, nad) dem ferneren Ausfall
und Umfang des Stoffes fortzuarbeiten: eine Bogen;
zahl, fowie ein aͤußerſt geringer Preis waren einmal ge;
feßt, und: die Feſſeln damit gegeben, welche mir nicht
bloß die Luſt und Laune, ſondern auch die Kraft felbft
zufammen fehnürten. Die Fülle und Keichhat:
tigfeit Des Gtoffes wuchs mit. jedem Jahrhun—⸗
derte, ih mußte Ausführungen, die zue Deus
lichkeit hoͤchſt noͤthig geweſen wären, ich mußte
| ſelbſt nicht unweſentliche Sachen fallen laſſen, wenn
der Verleger im Stande ſeyn ſollte, ſeinem Vers
ſprechen getreu zu bleiben, und wie viel ich demſelben
auch zumuthete, was irgend chirſtlich zu tragen war,
ich durfte Die Grenzen nicht noch weiter uͤberſchrei⸗
ten. So iſt es gekommen, daß die Ausfuͤhrung
hinter der eingaͤnglichen Anlage zuruͤckgeblieben iſt.
Die Nachrichten von den juͤngeren Begebenheiten
zumal find nur als ſchwache Züge, Andeutungen
IX
des Allergewöhnfichften zu betrachten. Sollte es
indeffen "mit den Wuͤnſchen der Lefer zuſammentreffen,
ſo bin ich bereit, das Fehlende in einem beſonderen
Ergänzungs-Anhange nachzutragen, den fir
das Game bequem auch. ein won vielen getwänfch
ges Megifter mit einigen nothwendig fcheitteiden
Machweifungen bengefüge werden koͤnnnte. Bey ei:
nem verhäftnigmäßig eben fo geringen SPreife, als
wofür diefes Buch ausgegeben wird, bliebe der
Vorſchlag noch immer innerhalb der Grenzen der
Beſcheidenheit. |
Wenn in dem Abfchnitt, in welchem von der
Meformationsgefchichte Die Rede if, von einigen
eine auffallende Aehnlichkeit mir einem Auffage, der
vor ein Paar Jahren in einem hiefigen Volkskalen⸗
der erfchierien ift, bemerft werden follte, fo zeige ich
an, um Migdeutungen zuvor zu kommen, daß jener
Aufſatz von mir iſt und als meine Arbeit hier be—
nutzt werden durfte.
Vorkommende Druck- und Schreibfehler, Un⸗
gleichheit in der Rechtſchreibung, ein Verſehen in
der Seitenzahl, auch die Abweichung in der Ein—
theilung des letzten Buchs von der Inhaltsanzeige
wolle man mit RNachſicht entſchuldigen.
Mit Bewußtfeyn bin ich dem ftreng hiſtori⸗
| fhen Sinne vom Anfange bis zum Ende getreu
verblieben: Wahrheit, fern von »verfälfchender
Scmeicheley, frey von uͤbertuͤnchender Schminke,
war das Grundgeſetz, dem ich meine Arbeit unters
worfen habe. Möge die Gabe in fo guter, reiner
Meynung aufgenommen werden, als in welcher fie
geboten wird, |
F. G. 3.
Erfte$ Bud.
Entftehung der Stadt Hamburg und Wachs:
thum derfelben, bis zur erſten Verbuͤndung
der Staͤdte Hamburg und Luͤbeck.
|
Erſter Abfchnitt: Von Karls des Großen
"Zeiten an bis zum erften der Ottonen, oder
bis auf Die Befeſtigung des Herzoglichen An;
fehens durch Hertmann Billung. (965.)
Zweiter Abſchnitt: Wis auf Erloͤſchung des
Billungſchen Mannsſtammes. (1106.)
Dritter Abf chnitt Lehnsherefchaft der Grafen
von Schauenburg, bis zur erften Verbindung
der Städte Hamburg und Lübeck, (1241,)
Einleitung
—
Wenn die Geſchichte großer Reiche und Voͤlker und
ihrer Verbindung und Stellung zu einander in übers
rafchenden ‚.erfchüsternden Begebenheiten, im zerflören-
den Ereigniffen oder in folgenreichen Kraftanftrenguns
gen ung die Befchlüffe und Offenbarungen einer höheren
MWeltordnung vor Augen führe: fo lehrt ung dagegen
die beſcheidnere Gefthichte einzelner Menſchenleben oder
Geſchlechter, kleiner Gemeinheiten und allmahlich auf
bluͤhender Staͤdte und Republiken, wie unter goͤttlicher
Huͤlfe durch ernſtes Streben und Muͤhen der Niedere
ſich zu Anſehn und Hoheit empor arbeitet, durch Ord⸗
nungsſinn, Fleiß und Thaͤtigkeit der aͤuſſere Wohlſtand
begruͤndet wird, und wie aus treuem Zuſammenwirken
und geiſtiger Ruͤhrigkeit und Behabigkeit jene großen
Geſinnungen fuͤr Freiheit, a 3 und Bürgerehre fich
1*
4 Einleitung
entwickeln, und Leitfternen gleich auf,der Bahn unferes
öffentlichen Lebens und voranleuchten, Nicht in groß
machtigen Staaten unter der Herrfchaft der Willkuͤhr
und des Drusfes erzeugen fi bochherzige Gefinnungen
und melsbürgerliche Anfichten: mas den Völkern der
Erde Heil und Segen gebracht hat, Die freye, fich
ſelbſt beherrſchende Geiſtesthaͤtigkeit, die oͤffentliche
Treue und Zuverſicht, inniges Gefuͤhl fuͤr Kraft und
Selbſtaͤndigkeit, daraus entſpringender Thatentrieb,
Gefuͤhl fuͤr Ehre und fuͤr die reinen Tugenden der
Menſchlichkeit, — dieſe Erſcheinungen ſind allein aus
dem inneren Volksleben hervorgegangen, aus der Mitte
jener unſcheinbaren Staͤdtegeſellſchaften, die ſich, bald
unter guͤnſtigern, bald unter bedraͤngtern Umſtaͤnden zu
gemeinſamer Beyhuͤlfe und Aufrichtung in verworrener
Zeit gebildet haben. Demnach liegt uns die Geſchichte
ſolcher kleinen Buͤrgervereine faſt naͤher, und ſteht mit
unſeren menſchlichen Beziehungen in innigerem Zufams
menhange, als die Betrachtung weitumfaſſender Welt⸗
ereigniſſe, die nur zu leicht uns blenden, wenn wir
nicht zuvor den Blick durch Anſchauung der naͤchſten
Umgebungen geübt und gefchärft haben, Won der ans
ſpruchsloſen Bürgertugend fleigen wir zur Welterfah—
rung empor, wie dieſe erſt durch jene begründet wor:
den iſt. Die bervorgagende Bildung, deren fich das
Einleitung. 5
neuere Europa rühme, ift auf dem Boden entfproffen,
der von den friedlichen Städtebewohnern zuerft anges
bauer und bepflanze morden iſt, inmitten unter Stuͤrmen
und Verwirrungen rober Kräfte, die fich nur allmab-
lig zur Drdnung geffalteten, Man kann behaupten,
fage ein meifer Geftbichtforfcher, daß erfi- von den
beffer geordneten ſtaͤdtiſchen Einrichtungen Fuͤrſten und
Könige eine beffere Regierung, Gefeggebung und Rechts⸗
pflege, Polizey und Ordnung, mehr. Einheit, ja felbft
zum Theil ein: befferes Kriegsweſen Kennen gelernt
haben; man Kann behaupten, daß fie dieſe Kenntniffe
auf ihr Verhaͤltniß zu ihren Bafallen übertragen, und
fo von oberften Lehnsherren zu Landesherren fich allmah-
fig empor gehoben haben, Aus diefem Gefichtspuncte
betrachte, erfiheint die Gefcbichte einer Stadt, mie
derjenigen, welcher diefe Erzählung gewidmet iff, fo
wenig als geringfügig, daß fie vielmehr an fich fomohl
die hoͤchſte Aufmerkſamkeit verdient, als fie im Zuſam⸗
menbange mit der allgemeinen Voͤlker⸗ und Menſchen⸗
Geſchichte von groͤßter Bedeutung iſt. Hamburg, klein
und unanſehnlich in ſeinem Entſtehen, wuchs, durch ſeine
gluͤckliche Lage beguͤnſtigt, durch die Thaͤtigkeit und
Betriebſamkeit ſeiner Bewohner ſehr bald zu einer der
angeſehenſten und bluͤhendſten Städte empor, wurde, wie
ſchon die Altvordern fie nannten, Pflegerin und Mutter
|
6 Einleitung,
vieler Völker, Duelle der Nahrung und des Wohlſtan⸗
des, Erzeugerin und Naͤhrerin der edelſten Bürgertu-
genden, der Wohlthätigkeit, des Viederſinns, der
Mäfigung und Treue, Marktplatz gediegener Welt: |
Erfahrung, Pflegerin der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte,
geehrt und geachtet im Auslande, die Zierde Deutſch⸗
lands, frey und ſelbſtaͤndig, deutſch geſinnt und that⸗
kraͤftig bis auf die juͤngſten Zeiten herab, Ein herz⸗
erhebendes Bild, von welchem mir die äufferen Um:
riffe in folgender getreuen Erzahlung —
bemuͤht ſeyn werden.
Erffes Buch.
— — — —
I.
HD. Anfänge der Gefrhichte Hamburgs geben hinauf
bis im die dunkelen Zeiten des Mittelakterd, und Fönnen
nur aus zerffreueren Spuren zufammen gelefen werben,
Bald nachdem Kart der Große feinem Vater Pipin
in der Herrſchaft des frankifchen Reiches gefolgt war,
befchloß er, im Jahre 772, auf dem Reichstage zu
Worms, nach dem einftimmigen Wunfche des geſamm⸗
ten Sranfenvolfes, den Krieg gegen die Sachſen.
Diefes altdeutſche, urkraͤftige Wolf, welches ganz
Niederfachfen und Weſtphalen inne hatte, big nach
Heflen hin, das weder Stadte bewohnte, noch Königen
gehorchte, und unter dem damahls fehr rauhen Hinz
melsſtriche fich Armtich und duͤrftig ernaͤhrte, waren
die ewigen Erbfeinde der Franken, und beunruhigten
dieſelben unaufhoͤrlich durch zerfförende Einfaͤlle. Den
alten Gebraͤuchen und dem von den Vaͤtern ererbten
Goͤtzendienſte mit inniger Treue und Anhaͤnglichkeit
ergeben, verfolgten fie das Chriſtenthum, zu welchem
die Franken laͤngſt ſchon übergerreten waren, mir un:
austöfchlichem Haffe, rotteten, wohin fie kamen, deſſen
Spuren aus, und erfihlugen alle chriftlichen Miſſidnare,
weil ‚fie dieſelben als Feinde ihrer angeſtammten Frey:
beit betrachteten, Es Tag im Plane des mic dem
8 Gründung Hamburg's. 808.
Adlerblick feines Geiſtes weit über fein Zeitalter bins
ausfchauenden, thatkraͤftigen Karl, zunachft diefe Na-
tion für die bezweckte Schöpfung feines großen Reiches
unfchadlich zu machen, fodann diefelbe durch die erha-
bene Ehriffusreligion, zu deren Annahme fie gebracht
werden müßte, zu vermenfchlichen, Langwierig und
barınadfig war der Kampf, und murde von beiden
Seiten mit größter Erbitterung, oft mit ſchaudererre⸗
gender Wildheit und Graufamfeit geführt. Die roben
Kräfte der Menſchheit, Iosgelaflen in ihrer Wurh, wir:
fen gleich der ungebandigten Macht der Elemente ſtets
mit graufenvoller Zerfiörung, Aber nichts vermochte
die Geduld und die eifenfefle Standhaftigkeit des grof
fen Mannes zu ermüden, nicht die tauſend Unglücks—
falle, nicht die immer wiederkehrende Unſicherheit und
Verlegung aller Verträge. So muß der geiffigen Kraft
die phyfifche Willkuͤhr doch unterliegen. Wirtefind,
der tapferfte Heerführer des Gachfenvolfes, unterwarf
fih im Jahre 785, und ließ fich saufen. Karl errich-
tete in den eroberten Landen gegen die Anfälle aufferer
Feinde fichere Grenzfeften, und im Innern derfelben
zur allmählichen Berfietlihung des Volkes Tauffirchen _
und Bisehimer, als Pflanz und Erhaltungsſtaͤtten
der chriftlichen Bildung, So entflunden Baderborn,
Minden, Osnabrück, Hildesheim, Halberſtadt, Verden,
Bremen, u.a,, und von da aus und den daſelbſt geſtifte—
ten Kloͤſtern verbreiteten fich nach und nach eine reinere
Religion, menfchfichere Sitten und edlere Geiffesbil-
dung unter den Bewohnern des ganzen nördlichen
Deutichlandd,
Grindung Hamburg's. 808. 9
Noch aber waren die Sachfen nicht zu folchem Ge:
borfam gebandigt, daß fie fi) den neuen Verordnun:
gen rubig batten fügen follen, Bey einer neu ausge—
brochenen Empörung derfelben verwuͤſtete Kart alles
Land zwifcben der Wefer und Elbe, Tie über die be
zwungenen Feinde das Loos werfen, und jeder dritte
Mann mußte ficb aller Anjprüche auf fein bisheriges
Baterland: begeben, und in andere Gegenden verfegen
laffen. Dies geſchah 794. Aber erſt 8o4 wurde mit
Bezwingung der nordalbingifchen Sachfen der
ganze Krieg: gegen dieſes harte Volk beendiger, und
damie endlich der Schlußftein gelegt zu jenem weit
umfaflenden Reiche, das von der Theis bis zum Ebro,
von der Tiber bis zur Eider fich erſtreckte. An zehn-
taufend der norbalbingifcben Sachfen führte er, um
ihre Bundbrüchigfeie zu firafen, mit Weibern und
Kindern in weit entlegene franfifihe Provinzen, und
ließ die ihm treugeblicbenen Obotriten an ihre Stelle
rünfen. So brachte er endlich feine Plane zur Er—⸗
füllung. |
Nordalbingien, nun die nördlichfte Provinz des
Frankenreichs, beftand aus den drey Gauen: Stor-
marn, Holftein und Dithmarſchen. Um dieß
Land vor den Einfallen und Verwuͤſtungen der flavi-
ſchen Voͤlker fowohl, als der Normanner, die nun
Nachbarn der Franken geworden waren, zu fichern,
ließ Karl durch feine Legaten, Deren einer Otho ge
nannt wird, im Jahre 808 an der Elbe zwey feſte
Schlöfer anlegen, und mit franfifcher Beſatzung beiten,
Hammenburg oder Hamburg, im Lande Stor—⸗
x i$
ge
10 Gründung Hamburg’s, 808.
marn, zwifchen der Elbe, Bill und Alfter, und Hoch:
buchi oder Hochbörfenburg, das nicht ohne Wahr:
fiheinfichkeie nach Dithmarſchen verfegt wird: fo wie
auch der dritte Gau von Nordalbingien, das weiter
ind Land hinein gelegene Holftein, im Frühlinge des
folgenden Jahres 809g mit einer gleichen Veſte zu
Effeferd, jetzt Itzehoe, verfehen wurde, welche der
Graf Erf bert anlegte, und mit gallifchen und füddent-
ſchen Einwohnern befeßte, Hamburg erhielt feinen
Namen unbejweifelt von der Waldung, in deren Nähe
fie erbaut wurde; denn als fihon der Dre fich zu einer
Stadt erweitert hatte, graͤnzte fie noch von Oſten an
einen Buchenwald, womit die ganze Gegend der jeßi-
gen Dörfer Hamm und Horn beſetzt war, auf der
Weſtſeite war fie durch einen Eichenwald gedeckt, deffen
Andenken uns in der Benennung der Straße des Eichr
holzes erhalten iſt. Uebrigens wird noch in alten Ur—⸗
Funden die Hölzung zwifchen der Alfter und Bille, mo
nachmahls die Kirchfpiele. St. Jacob und St. Georg
aufgeführt worden, genau mit dem altdeurfchen Worte
Hamme (Waldung) bezeichnet,
Kaifer Karl beffimmte die frifch angelegte Wald:
burg zugleich zum Sitz eines Erzbisthums, ald' eine
nene, umfaffende Miffionsanftale, um von da aus das
Chriſtenthum niche nur unter den: benachbarten flavi-
ſchen und mwendifchen Voͤlkerſchaften, fordern inabefon-
dere im hohen Norden weiter zu verbreiten und zu be
"gründen, Demnach wurde alfobatd zum Anbaır einer
Kirche in Hamburg gefbritten, und wie fehr auch. die
Nachbarſchaft durch feindfelige Angriffe beunruhiget
Gründung Hamburg’d. Lır, 11
wurde, fo daß auch Hochbuci ſchon im nachften
Jahre von den Wilfen zerftört da Tag, und aufs neue
wieder erbaut werden mußte: fo war doch der Anbau
der Kirche bereitd im Jahre 811 vollender, Zu gleis
cher Zeit erhielten die in fraͤnkiſche Provinzen verfesten
Sachſen Erlaubniß, in ihr urfprüngliches Vaterland
zurück zu kehren, da man ihrer Gefinnung jege ver:
trauen zu können fibien, theils, um burch zahlreichere
Bevölkerung dem Lande gröfferen Schuß und Wohl:
ftand zu verfcbaffen, theils um fich ihrer Tapferkeit
gegen das Eindringen. der Danen und anderer feindli-
ben Voͤlkerſchwaͤrme zu bedienen, Die neu erbauete
Kirche wurde dem Heiland und der Jungfrau Maria
gewidmet. Die feyerliche Weihung derfelben geſchah
noch in demfelben Jahre dur) den fraͤnkiſch⸗ trierifchen
Bifhbof Amalhar, durch einen Fremden darum,
daß Feiner der benachbarten Bifchöfe veranlaßt würde,
vermöge der Handlung der Weihe irgend Anfprüche
auf die Unterwürftgfeie der neu erbaueten Kirche zu
machen. Zum erften Lehrer am diefer Kirche wurde ein
Mann von anerkannter Frömmigkeit und für damalige
Zeiten nicht gemeinen Kenneniffen, beftelle, Heridag
mit Namen, und ihm ein beftimmeer Dre angemwielen,
Rodnach in Flandern, ein reiches und anſehnliches
Klofter zwifchen Doornick und Dudenarden, theils damit
er mit feinen Gehuͤlfen und Nachfolgern von den Eins
fünften deffelben anftandigen Unterhalt genießen Fönne,
theils bey feindlichen Ueberfällen und Streifereyen einen
fichern Zufluchtsore zu haben, um vor Gefahren und
Mißhandlungen Schug und Sicherheit zu finden,
g
N *
12 Hamburg ſeit 812. *
Aber die neue Kirche wurde bald nach ihrem Ent—
ſtehen auch ſchon wieder verwaiſet. Heridag ſtarb,
noch bevor er zum Viſchof von Hamburg geweiht wor⸗
den war, ſchon im Jahre 8ı2. Zwey Jahre nachher
verließ auch Karl der Große das Zeitliche, und mit
ihm entſchwand der Niefengeift, welcher allein jenes
große Reich in feiner "gewaltigen Aırgdehnung in Dauer
und feſter Leitung zu halten gewußt ‚hatte, Lud—
wig, Karl's Sohn und Nachfolger, befaß nicht die
‚Kraft und den Geift, die großen Plane von Ordnung
in allen Theilen der Berfaffung, von Bildung und
Aufhellung des Verſtandes, von Veredlung der Sitten,
von allgemeiner Wohlfehre, die fein erhabener Vater
entworfen, und zum Theil noch unvollendet als ein
heilige8 Erbe zurüsfgelaffen hatte, zur Ausführung zu
fördern: die meiften derfelben wurden vergeffen, an
die Stelle der Thaͤtigkeit und der feurigen Anſtrengung
trat ermattende Ruhe und verachtliche Schwache, in
ihrem Gefolge entwickelten fib Mifgunft der Großen
unter einander, Unwiſſenheit und Rohheit, Auflöfung
des ganzen mit fo vieler Weisheit angeordneten Staa—
tengebäudes, Mochten es die Unruhen feyn, in welche
ſich Ludwig bald nach feinem Regierungsantritt ver
ſetzt ſah, die feine Aufmerkſamkeit von der nördlichen
Provinz des Reiches abzogen, oder mochten andere
Umffande, insbefondere eigennüßige Rathgeber ein
wirken, — an die Wiederbefegung der durch, Heri-
dag 8 Tod verwaiferen Hamburgifcben Kirche wurde
vor der Hand nicht weiter gedacht; das Kloſter Rod
nach, deffen Einkünfte den zu ernennenden Bifchofen
a
a Anſchar, erfter Erzbiſchof von Hamburg. 831, 13
Hamburg’3 "angewiefen waren, ſchenkte Ludwig dem
Mönchen eines bey Achen gelegenen Benedictiner » Klos
ſters, Nahmens Indaz die Pflege aber der jüngft ger
pflanzten nordalbingifchen Kirche übertrug er, wohl
gleichfalls niche ohne Zureden von auffen, den beyden
Bifcböfen von Bremen und Verden, fo dag dem erftern
bauptfachlich Hamburg und Dithmarſchen, dem legtern
aber das eigentliche Holftein zur Auffiche anvertrauet
worden zu ſeyn febeint, So viel iſt ed, was wir aus
diefer früheften Zeit von Hamburg überliefert finden.
Erft im fiebzehneen Jahre feiner Regierung, 831,
erinnerte ſich Ludwig des Planes wieder, den Karl mit
der Errichtung eines bifchöflihen Siges zu Hamburg
entworfen hatte, wenn es nicht anders der rege Ber
fehrungseifer des heiligen Anſcharius war, der den-
felben wieder bervorfuchte, Diefer in der Geſchichte
Hamburg’3 vorzüglicher Auszeichnung würdige Mann,
aus Frankreich abftammend, im Kloſter der gelehrten
Benediftiner zu Alt-Corvey Cin der Picardie) er:
sogen, fodann in dem von Ludewig dem Frommen an
der Wefer neu gefkifteren Benediktiner-Kloſter Neu—
Eorvey zur Würde eines Rectors und Predigers er-
hoben, hatte frühzeitig fchon, von der Wuͤrdigkeit des
Gefchäftes, unter den Heiden da8 Evangelium zu ver
finden, innigft ergriffen, niche ohne viele Gefahren
und Muübhfeligfeiten zwey Miffionen nach dem nördlis
lichen Europa übernommen, Zuerſt war er nach Da:
nemarf gegangen, wo ein König Harald dag Chriftens
thum felbft angenommen und daſſelbe in feinem Reiche
zu verbreiten fich verpflichter hatte, Nach anderthalb
*
14 Anſchar, erſter Erzbiſchof von Hamburg, 831. Ei
jahrigem Aufenthalt in dieſem Lande begab’ er fich nach
Schweden, wo der König fowohl, als ein großer
Theil der Nation die Annahme des Chriſtenthums
wünfchten und beförderten, Anfcharius kehrte darauf
mit eigener Zufriedenheit, fo wie mit Briefen des
ſchwediſchen Königs Biden verfehen, worin derfelbe
feinen großen Beyfal mir Anſchar's frommen Eifer
und chriftlichehätigen Berragen bezeugte, an Ludwig's
Hof zurüch, Jetzt hatte der Gedanke, bier im Nor-
den, an der aufferften Grenze des deurfchen Reichs, ein
Erzbischum anzulegen, im Sinne des großen Karls
eine Miſſionsanſtalt für die angrenzenden, dem Heiden:
thume noch ergebenen Völkerſchaften, viel Ermuntern:
des ſowohl, als er manchen Vortheil zu verfprechen
fibien, Die Sache wurde in mehreren Berfammlungen
der Bifchöfe vielfach befprochen und berathen, und auf
dem öffentlichen Reichstage, welchen Kaiſer Ludwig im
Anfange des Herbfied 831 zu Diedenhofen im Luren-
hurgifchen hielt, erfolgte die wirkliche Ernennung der
Hamburgifchen Kirche zum erzbifchöflichen Stuhl. Als
Borfteher deffelben konnte man feinen mwürdigeren be
ftellen, als den Anſcharius, der fich bereits mit den
Berbaltniffen der nordifchen Zander hinreichend befannt
gemacht hatte, Weil Rodnach verfcbenfe war, fo
wurde dem neuen Erzbiſchof theild zum Unterhalt,
theils im Fall feindfeliger Einfalle als Zufluchtsort
daB bey Gent in Flandern Tiegende Klofter TZurbolt
angewiefen, Anſcharius war erſt dreißig Jahre alt,
als er zu diefer Würde erhoben wurde. Die Eins
weihung geſchah unter vielem Glanze durch den Bruder
Erbauung des Doms, der Schule ꝛc. 15
des Raiferd ſelbſt, Drogo, Erzbifchof zu Mes, in
Beyſeyn der Erzbifchöfe von Mainz, Rheims und
Trier, und mit Einwilligung der beyden Bifiböfe zu
Bremen und Verden, denen zuvor diefe Dioces über:
tragen gewefen war. Bald darauf, 834 erfolgte auch
die Beſtaͤtigung und Belehnung, mie dem bifchöflichen
Mantel durch den Pabſt Gregor IV., der fich dazu um
fo geneigter fand, theils weil er die Ergebenheit und
den chriftlichen Eifer des Anſcharius in der Nahe und
zu Nom jelbft geprüft hatte, theild weil er durch diefe
Beſtaͤtigung Gelegenheit erbiele, die ſchon jegt immer
ſtaͤrker hervortretenden Grundfaße der Hierarchie auch
im nördlichen Deusfchland, und felbft im. aufferfken
Norden geltend zu machen, Anſcharius erweiterte nun
und verfihönerte die ihm anvertrauete Kirche, fo wie
er auch in den übrigen Theilen Nordalbingiend die Er:
bauung von Taufkirchen fich angelegen: feyn ließ : denn
bis zum Jahre 848 befanden fich in der Hamburgifchen -
Dioces deren beveitd vier, auffer Hamburg, Meldorf
in Dithmarſchen, Schönenfeld im Lande der Holfaten,
und wahrſcheinlich Haddeby in der Mark, zwiſchen der
Eyder, Treene und Schley, Innerhalb des Bezirks der
Domkirche errichtete er weiter ein der Regel des heil,
Benedictus unterworfenes Klofter, daB er mie Mönchen
aus Corvey .befegte, legte darin eine Schule an, und
verjah fie mit einer von feinem Kaiferlichen Befchüger
bereitwillig unterftügten Bücherfammtung; auch Eaufte
er won ben benachbarten Dänen und Slaven mehrere
Knaben ‚aus der Leibeigenfchaft, befreite andere aug
der Gefangenſchaft, um fle theils in Hamburg ſelbſt,
ı6 Zerflörungen Hamburg's. —
theils in Turholt, zum Dienſte der Religion erziehen
zu laſſen. So ging er mit Eifer und Einſicht an die
Beförderung des ihm anvertraueten Apoſtelamtes.
Aber dieſer Bau, wozu jetzt die Grundfeſten gelegt
wurden, ſollte noch oft durch aͤuſſere Stürme erſchuͤt⸗
tert werden. Wie vorher die Sachſen, ſo waren jetzt
die nordiſchen und ſlaviſchen Voͤlker die Erbfeinde des
biß zu ihren Grenzen ſich ausdehnenden Frankenreiches:
in ſtets wiederkehrenden Einfallen und Verheerungen
brachen fie über Die neue ‚fromme Gtiftung und ihre
YAnfiedler herein, welche zu befcbüsen die zur Verthei⸗
digung beftellten Kaiferlichen Grafen viel zu ſchwach
waren. So bietet die Geſchichte der drey erſten Jahr⸗
hunderte des wechſelnden Dafeyns diefer Stadt und
ihrer Bildungsanftalten nur eim trauriges Gemaͤhlde
von Kriegsunruhen und immer erneueter ſchrecklichen
Verheerung dar. Faſt rings umgeben von raubſuͤchti⸗
gen, friegerifchen Bölfern ward Hamburg das Ziel
ihrer fanatifchen Wurh gegen das fich von hier aus im
Norden verbreitende Chriftenehum, und die Beute. ihrer
Eiferfuche gegen die Macht der Schirmherren der neu
gegründeten Stadt. Zwar ging fie bald nach jedem
diefer Ueberfalle, wobey die geifflichen und weltlichen
Wohnungen verbrannt, die Altsre zertruͤmmert, ihre
Diener gemorder, die Schage geplündert, die um die
Burg und Kirche fich anfiedelnden Bewohner ing Elend
‚getrieben, oder in Sklavenfefleln gelegt wurden, aus
ihrem Schutt mit verjüngter Kraft und immer größer wie⸗
der hervor, zog aber eben dadurch immer neue und deſto
ſchrecklichere Verwuͤſtungen diefer Barbaren über ſich.
“PU, Zerfiörung Hamburg's, 845. 17
Schon durch den Tod des Kaiferd Ludwig entffund
dem edlen Anfchar rein wichtiger Verluft, da nach der
bald darauf erfolgten» Theilung des Reichs zu Verdun
(840) Karl der Kahle, dem Franfreich zufiel, das
Kiofter Turbolt, dad in dem weſtlichen Theile feines
Erbes Tag y dem, Hamburgifchen Erzbischum entzog,
und es anderweisig verfihenkte, Anſchar mußte daher
mit feinen Mönchen Farglich Ieben, und dag Werk der
Heidenbefehrung gerieth darüber fehr in Stosfen. Im
Bertragezu Verdun war dem Ludwig, mit dem Bey:
namen des Deutſchen, Oſtfranken, Baiern, Thuͤrin⸗
gen und Sachſen zugefallen : aber die inneren Unruhen
dauerten fort, und wurden durch den Zwiſt der Bruͤ⸗
der immer mehr genaͤhrt. Dieß benugte der Danifche
König, Erich der aͤltere, welcher, dem Chriſtenthume
abhold, zuerſt mir einer zahlreichen Flotte nach Fries⸗
land ging, wohin ſich alle verfolgten Chriſten ſeines
Reichs, zu feinem Vetter Harald, begeben hatten, Dann
ſchiffte er den Rhein hinauf und belagerse Koͤlln. Zuletzt
ſchiffte er auch mit ſeiner anſehnlichen Flotte in die Elbe, und
ruͤckte unvermuthet vor Hamburg, im J. 845. Zum Un⸗
gluͤck war der kaiſerliche Schirmherr, Graf Bernar,
gerade abweſend, Anfeharius aber im Gebrauch der Wa
fen wenig geübt, Als daher die. Normannen die Stabi
uberfielen , . war . an. Widerfiand wenig zu denken;
Anſchar entrann, mit Zuruͤcklaſſung des Klofterfchages,
bloß einige Reliquien. rettend, faſt unbekleidet dem
Blutbade. Auch ſeine Geiſtlichen retteten ſich durch
die Flucht. Die Einwohner zerſtreueten ſich, mehrere
wurden gefangen, andere niedergemacht, Die Norman
2
13 Zerſtorungen Hamburg's 845. Das Bisthum Bremen
nen, welche des Abends angekommen waren, blieben
in der Stadt die ganze Nacht, und noch vier und zwan—
sig Stunden, plünderten, zerftörten und legten die Kirche
und das Klofter, und die meiften Wohnungen in Afche,
Der flüchrige Anfchar wendete fich in diefer Noch an
den Biſchof Leuderich zu Bremen. Diefer aber, der
langt ſchon anf Anſcharius Verdienſte und Anfehen
mit neidifchen Augen gefeben hatte, wieß ihn hart
zuruͤck, und verfagte ihm den Aufenthalt in Bremen,
Da wurde er endlich von einer abelichen Frau, Nab:
mens Jkia, im benachbarten Bardengow (Bardowik)
aufgenommen, welche ihm den ihr zugehörigen Meier:
hof Ramesloh im Stifte Verden febenfte, und
foweit mit Geld unterflüßte, daß er daſelbſt ein Klo⸗
ſter anlegen, und ſeine herumirrenden Ordensbruͤder
dahin verſammeln konnte. Dorthin brachte er auch
die bey der Flucht geretteten Reliquien, deren Ver—
ehrung ſchon ſeit zweyhundert Jahren ſo groß war,
daß man in der Eidesformel, auſſer der Huͤlfe Gottes,
noch die der Reliquien anzurufen pflegte.
Als bald darauf (847) der biſchoͤfliche Stuhl zu
Bremen durch den erfolgten Tod des Biſchofs Leu—
derich erledigt wurde, brachte Ludwig der Juͤngere
zuerſt auf einer Kirchenverſammlung zu Mainz; in Vor⸗
fehlag, dem Anfchar diefes Bisthum zu übertragen, damit
er in den Stand gefegt würde, theild das begonnnene
Bekehrungsgeſchaͤft mir günftigem Erfolge weiter zu för:
dern, theild um fich der zerfförten Stadt mit größerem
Nachdruck annehmen‘ zu Fönnen, Anſcharius aber, der
den Neid der maͤchtigen Pralkten fürchtere, insbeſondere
wird mit Hamburg vereiniger. 858. Wiederaufbau ꝛc. 19
weil der erzbifsböfliche Stuhl zu Coͤlln, dem Bremen
untergeordnet war, erledigt land, und die nöthige
Einwilligung von daher nicht gefcheben konnte, bald
auch ſich wirklicher Widerſpruch fand, weigerte ſich
fange gegen die Annahme der übertragenen Wuͤrde.
Erſt im Sabre 858 fam er damie zur Ruhe. Durch
Ernennung des Kaiferd Ludwig, und. unter Beſtaͤtigung
des Pabſtes Nikolaus wurde Anſchar als Erzbiſchof
der vereinigten Bisthuͤmer Hamburg und Bremen ein:
geſetzt, doch fo, daß Hamburg dabey ‚den erzbifchöfliz
then Rang bebielt , .den wir durch einen verfchlungenen
Gang der Begebenheiten in der Folge auf Bremen
übergeben ſehen.
„Hamburg erſtieg Tangfam ‚wieder aus _ feinem
Schutt: doch forgte Anſchar, unterffüßt durch die
fehr nachdruͤckliche Hülfe des Kaifers Ludwig und.
mehrer angefehener Privatperſonen, mit aͤußerſter Thaͤ⸗
tigkeit fuͤr den Wiedererbau der Kirche und Schule;
die zerſtreueten Nordalbingier kehrten zuruͤck, und ſie—
delten ſich wieder an, da die guͤnſtige Lage des Ortes
ihnen zu bedeutende Vortheile darbot. Um kuͤnftigen
Ueberfaͤllen der Normannen vorzubeugen, unterhandelte
Ludwig durch, Abgeordnete, mit dem Könige Erich von
Danmark, und, fuchte ihn zu friedlichen Gefinnungen zu
bewegen; Erich,verfprach Friede, und bewilligte ſelbſt dem
Damturaicen Erzbifebof die Erbauung einer Kirche zu
Haddeby oder Schleswig, gefinttete ihm auch, zur
Ausbreitung des Chriſtenthums in Daͤnemark weitere
Anſtalten zu treffen, wogegen der Koͤnig der Deut⸗
ſchen ſi ch verpflichten mußte, fünftighin den Eins
24
20 Anſcharius Tod (865) und Berdienfte,
fällen der Normanner in Gallien fih nicht zu mwiber-
fegen.
Die ferieren Bemühungen Anſchar's um Verbrei⸗
tung des Chriſtenthums im Norden wurden von dem
fegensreichften Folgen belohnt, Auffer Schleswig er-
laubte der jungere Erich von Dänemark, noch eine
Kirche in feinen Staaten zu erbauen, die zu Ripen:
et ſelbſt ging zum Chriſtenthum über und Tieß fich
taufen, Nicht minder gelang es dem heiligen Manne,
den König Dlev von Schweden, der wieder zum
Goͤtzendienſt abgefallen mar; auf die Bahn des evan-
gelifchen Lebens zurückzuführen, und dag Chriſtenthum
fefter daferbft zu begründen, Go fehrte er nach Bre-
men zuriick, wo er im vier und fechzigften Jahre feines
Alters, nach ein und dreyßigjaͤhriger Verwaltung des
Erzbisthums fein geſchaͤftvolles Leben endete, (865.) An⸗
fehariug war ein frommer Mann, iin Sinn und nach
der Weiſe feiner Zeit, nicht frey von mönchifchem Aber:
glauben, aber erfülle und innerlich überjeugt von der
Heiligkeit feines Berufs, durch Verbreitung der, chrifk-
lichen Rehre Heil und Segen unter den Menſchen aus⸗
zugiefen. Er war demüchig, menſchenfreundlich und
wohlwollend: unermuͤdet beſchaͤftigt, Wohlthaten zu
üben und Gutes zu ſtiften, wo es möglich war; alſo
daß fein Lebensbeſchreber und Nachfolger, der heil,
Rembert, von ihm ruͤhmt, er fey den Blinden das
Auge, den Lahmen der Fuß, den Wittwen und Wai-
fen Bater gewefen, Er befaß nicht gewöhnliche Kenne:
niffe und Gelehrſamkeit, die er feinem geſchickten Reh:
rer, dem Abte Natbert zu Corvey, zuerſt zu verdanken
”
-
Anſcharius Berdienfte, Sein Nachfolger Rembert. 21
hatte, und. die, er, felbft auch zur Abfaffung einiger
Schriften gebrauchte. Sein Leichnam wurde zu Bre—⸗
men begraben, und in der Folge in der St. Willehads-
Kapelle an der Wefer beygeſetzt. Nach feinem Tode
wurde er unter die Heiligen verfegt, und in der Katho—
liſchen Ehriftenheit wird Anſcharius Todestag, den dritte
des Monats. Februar, noch jegt feftlich begangen, In
Hamburg ift das Andenken des edlen. Mannes noch in
der- Benennung eines ſpaͤterhin angelegten Marktes, ſo
wie des Schaarthord, des Schaarfleinwegs u, ſ. w.
erhalten worden,
Sein Nachfolger, auf dem erzbifchöflichen Stuhle
war Nemberrt, der aldbald am Begrabniftage feines
Vorgängers von der Geiftlichkeit und dem. Volke ge
wählt, von. Kaifer Ludwig II. beſtaͤtigt, und vom
Pabſte Nikolaus I. mit. dem Pallium belehnt wurde,
Er war and Flandern gebürtig, auf der Schule zu
Turholt zum geifflichen Stande erzogen, und in der
Folge Anſchar's Gehülfe, Jünger und vertiauter
Freund. Nach feinem Muſter uud Benfpiel feste. er
seine Wirkfamfeit fort zur Erhaltung und Verbreitung
des Chriſtenthums in diefen nördlichen Gegenden, ſo
große Schwierigkeiten ſich auch demſelben inmer
noch entgegen festen. Er ſchickte ſowohl Miffionen
aus, als er auch perfonlich „füch - oft in. das nord
lihe Europa begab, mo fein: Gegenwart nöthig
zu ſeyn ſchien. Nach dem Tode des Pabſtes Nikolaus
(86T) brachte er: es bey deffen Nachfolger, Hadrian LU.
dahin, daß er ihm die geiftliche Gerichtsbarkeit über
ganz Holſtein, Danemarf, Norwegen, Schweden und
«
*
22 Neue Befehdungen der nördlichen. Sachen
andere nordiſche Zander, nebſt der Legation in dieſe
Reiche feyertich befkätigte, (871.)
Die auffere Lage der Dinge bot einen traurigen
Anblick dar, Nach Ludwig des jüngern Tode war die
Herrſchaft des deurfchen Reichs in die Hande gerade des
unfahigften feiner Söhne, Karl des Dicken übergegan-
‚gen, berizwar, durch Umſtaͤnde begünfkige, nochmals das
große Neich feines Ahnherrn, Karls des Großen,
unter fich vereiniate ‚ aber durch Geiftesarmurh, Unger
ſchicklichkeit, Muthloſigkeit und Erbarmlichfeit, die er
in den Kriegen, von welchen das Neich in verfchiede-
nen Theilen heimgefuche wurde, bewieß, fo allgemeines
Mifvergnügen erregte, daß er feines Thrones entfegt,
und in Deurfchland, das von jeßt an für immer von
Frankreich getrennt blieb, Arnulf, Carlmanns unddh
ter Sohn, zum Könige ernannt wurde, (887.) In diefer
Zeit der Schwäche und der Verwirrung drang Erich
Barn (oder das Kind) mir feinen raußfüchtigen Nors
mannern, an melche fich noch fiavifche Völker angeſchloſ⸗
fen hatten, bie Elbe herauf bis ins Lineburgifche, mo
Herzog Bruno von Braunfchweig und mehrere Bifchöfe
ein zahlreiches Heer gefammelt hatten, Aber die
Schlacht bey Ebbekeſtorp oder Ebſtorp bey Lüneburg
endete mit einer ſchrecklichen Niederlage der Sachfen,
bie noch durch eine plößliche Ueberſchwemmung befördert
wurde, Der Herzog Bruno, zwey Biſchoͤfe von Hil-
desheim und Minden blieben auf dem Page, nebft
zwölf Grafen, und einer großen Menge Gemeinen.
(Um 878:880.) Rembert hatte diefem Treffen nicht
beygewohnt, da er, nach dem Ausdruck eines alten
durch die Normänner bis 880. Zerftörung Hamb, gı5, 23
Erzaͤhlers, mehr zu Haufe mie geifftichen, als in der
Schlacht mie irdiſchen Waffen zu kaͤmpfen verftand,
Doch, als bald darauf die Feinde nach Nordalbingien
überfegten, und auch den: Samburgifchen Kirchſprengel
auf das grauſamſte verheerten und verwuͤſteten, bewieß
er acht chriſtliche Wohlthatigfeie durch Loskaufung der
in Gefangenfchaft mie foregeführten Ehriften, wobey er
felbft der Koſtbarkeiten und heiligen Gefäße der Kirche
niche fibonte, als es an Mitteln fehlte, die nötige
Summe zur Ausloͤſung zuſammen zu bringen, Zwar
‚gelang es dem Fraftigen Arnulf, dieſem gewaltigen
Erbfeinde des deutſchen Reichs bey Löwen eine völlige
Niederlage beyzubringen; aber die Verwirrung nahm im
Deurfchland aufs Neue und arger überhand, als nach
Arnulf's Tode deſſen unmündiger Sohn, Ludwig
das Kind, den deutſchen Thron beftieg , alſo dag
der Ausfpruch des Prediger in Erfüllung ging: Wehe
dem Lande, deffen König ein Kind iſt. Unter Konrad
dem Erften, dem darauf die deutfche Krone übertras
gen wurde, waren die Folgen jenes der ganzlichen Aufiö-
fung nahe gebrachten Zuſtandes in Deutfchland ‚noch
zu fühlbar und zu fehr verbreiser, als daß überall
hätte geholfen werden können. Ein neuer Feind fiel jetzt
in das Land, fihrecflicher und abſcheulicher, als je
einer der früheren, die Hunnen oder Madicheren, welche
bis in das Herz von Deutſchland vordrangen, Dieß
benußten die Danen und Slaven zu einem neuen Weber:
fall ind Sachfenland, ‚und Hamburg wurde abermalg
in Aſche und Trümmer zufammen geworfen, im
Sabre 915. |
>
24 Streitigkeiten mit dem Erzbiſchof v, Colln. — Adalgar.
So wie dieſe aͤuſſeren Unruhen dem Miſſionsge—
ſchaͤft der hamburgiſch-bremiſchen Erzbiſchöfe nichts
weniger als guͤnſtig ſeyn konnten, fo drohete dem Anz
ſehen derſelben noch Gefahr von ganz anderer Seite
ber, Hermann, Erzbiſchof von Eölln, konnte es nicht
vergeſſen, daß das Bisthum Bremen feiner Diöces
entzogen, und mit Hamburg verbunden worden war,
Zwar hatte Pabſt Nikolaus I. diefe Verbindung ſelbſt
betätigt, auch Günther, ver frühere Erzbifchof von
Coͤlln darein gewilligetr aber noch fchien es Zeit, den
erlitsenen Verluſt wieder zu erfegen. Die Befchwerben
murben vor ben Pabſt gebracht, dennoch erflärte
Stephan, dag Adalgar — fo hieß Remberts Nach-
folger Cfeit 888) im unabhängigen Befig des bremi-
ſchen Stuhles beſtaͤtigt bleiben und jeder, der ihn
fünftig darin beunruhige ‚mit der Strafe des Kir⸗
chenbannes belegt werden folle, Go günftiger Gefin
nungen war nicht der folgende Pabft Formofus: viek
mehr wurde auf der Kirsbenverfammfung zu Tribur
(am Rhein) dem Adalgar der fernere Befig der bremi-
fihen Kirche feyerlich abgefprochen (895) und ihm ver:
fagt , fich als Erzbifchof weiter zu unterzeichnen, Der
ewige Wechfel der päbftlichen Grundfäge machte indeſ⸗
fen unſchaͤdlich, was fo hatt befchloffen worden war:
Formofus Nachfolger, Sergius III. erklärte den Aus—
fpruch von Tribur für ungerecht und gefegwidrig, und
Noalgar wurde im feine DBorrechte wieder eingefeit,
Er’ ſtarb 909.) Merkwuͤrdig bleibt es indeffen, Daß
Abdalgar's Nachfolger, Hoger, nicht mie fonft ge
ſchah, vom Erzbiſchof zu Mainz, fondern von’ dem-zu
Hoger, Unni. Heinrichs J. Siege über die Normanner ic, 25
Cöffn- geweiher wurde. Bon Hoger ſagt übrigens ein
alter Ehronikenfchreiber, was füglich oft von anderen
auch gefagt werden fönnte: woher er gemwefen, und wie
er gelebt, ſey alleine Gott befannt. Unter feine Ber:
waltung fiel die letzterzaͤhlte Verwuͤſtung Hamburgs,
für welches jege eime glücflichere Zeit zu daͤmmern an⸗
fing. |
Heinrich der Große, erſter Kaiſer aus dem
ſaͤchſiſchen Hauſe, that zuerſt in Anſehung der Normaͤn⸗
ner, was ſeine Vorfahren laͤngſt haͤtten thun ſollen. Er
ſuchte ſie in ihren eigenen Wohnſitzen auf: nahm dem
Daͤnen⸗Könige Gorm ein Stuͤck Landes ab, und machte
es zur Vormauer von Deutſchland, indem er eine ſaͤch⸗
fifche Eolonie dahin führte, und zur Beſchuͤtzung der:
felben einen Markgrafen verordnete. So "wurde die
Schley die Grenze von Deutfchland; die ‚Markgraf:
ſchaft erhielt den Nahen Schleswig, Im J. 931. Die
veranlaßte alfobald den damaligen Bifchof von Hamburg,
Unni, (ſeit 97) zur Erweiterung feines Sprengelsbefon-
ders thaͤtig zu ſeyn: Frodo, König von Sütland, ließ
fich taufen, Gorms Gemahlin Thyra, eine englifche Prin-
zeſſin, war dem Chriffenehum ergeben, und auch Gorm’s
Nachfolger, Harald Blaatand (Blauzahn) erlaubte die
Predigt deffelben, Guͤnſtige Yusfichten. Bald indeffen bra-
chen die Feindfeligfeiten gegen die nordalbingifchen Sachfen
mieder hervor „ die Danen- überfielen Schleswig, mach⸗
ten die fachfifche Beſatzung nieder, erfehlugen den
Markgrafen, und verhöhnten ſelbſt die Gefandten des
Kaifers, welche an den König Harald abgefchickt
waren, Darüber enerüfter, fiel Otto der Erfte in
26 Erweiterung des Erzbisthums zu Adaldags Zeit ꝛc.
Juͤtland ein, verwuͤſtete die Halbinſel, und drang bis
hinauf an den mit dem Kattegat zuſammenhaͤngenden
See Limfiord, deſſen Arm von ihm den Namen Otto—
fund erhalten haben fol. So wurde Harald zum
Frieden gendtbiget, und er ließ fich fofort mit feiner
Gemahlin Gunilde und feinem noch "jungen Gohne
Sueno taufen; den lesteren bob Otto felbft aus der
Taufe. Die zerftörten Kirchen Schleswig, Nipen und
Aarhus wurden wieder aufgebaner, Bisthuͤmer daſelbſt
gegründer, und dem Erzbifhof von Hamburg, damals
Adaldag, (ſeit 936 ernannt) unterworfen. Go finden
wir den Adaldag fchon 949, auf der Eynode zu Ins
aelheim von den drey jütlandifchen Biſchoͤfen, als feinen
Suffraganeen, begleitet, Für die Ruhe und dag Auf:
bluͤhen Hamburgs war diefe Zeit von den wohlthätig-
ffen Folgen, | *
Kaiſer Otto, der wegen der vielen Kriege waͤhrend
ſeiner unruhevollen Regierung ſich oft und lange an
den Grenzen des Reichs, in der Folge beſonders in
Italien aufhalten mußte, erkannte die Nothwendig—
keit, zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit des
deutſchen Reiches Befehlshaber anzuordnen, denen die
Oberaufſicht über die Verwaltung, des Kriegsweſens
insbeſondere, uͤbertragen wurde. Vor andern beſaß in
dieſer Hinſicht Otto's Vertrauen Herrmann Billing,
(oder Billung) ein Mann von ausgezeichneter Klugheit,
Einſicht und großer Thaͤtigkeit. Dieſem uͤbertrug er
daher die Statthalterſchaft uͤber das Herzogthum
Sachſen, und dieſer Umſtand ſowohl, als die Er
weiterung der geiſtlichen Gerichtsbarkeit, welche dem
Herrmann Billung wird Statthalter über Sachfen. 27
fanesttugen Adal dag bewilliget wurde, brachten ih
der innern Verfaſſung Hamburgs fehr wefentliche Ber:
änderungen hervor. —
Der inneren Verwaltung des Reichs war durch Karl
den Großen eine ſehr feſt und Fünftlich geordnete
Einrichtung gegeben worden. Die Regierung des Gan—
jen sing aus von ihm ſelbſt, der mit der belebenden
Kraft. feines Geiſtes im Mittelpuncte des geſammten
‚Gerriebes ftand. In die Provinzen und Städte fandte
er als bleibende Statthalter die fogenannten Grafen,
die als oberfie Richter an der Spige der Gauen ſtan—⸗
den, den Heerbann anführten, und öffentliches Gauges
richt (Göding) hielten, wozu ihnen die Schöffen ala
Gehülfen, die aus dem Volke gewahlt wurden, beyge-
geben waren. Die altefte Gefcbichte Hamburgs hat
und die Namen nur weniger folcher Grafen üherliefert, |
des Otho und Egbert, die bey der erſten Errichtung
der nordalbingifchen Grenzfeften thätig waren, und des
Bernar zu Anfcharius Zeit, in deffen Abwefenheit
gerade der Danifche König Erich Hamburg verwuͤſtete.
Damit fomohl die Grafen, als die unter ihnen ftehen-
den Vicarien und Schöffen aufmerkſam ihrer Pflicht oblie—
gen, und auch in geifflichen Dingen das Recht gefchehen
mölhte, reifeten zu gemwiffen Zeiten Sendboten (Missi
regii) durch die Provinzen, welche Landesverſammlun⸗
gen hielten, vorgebrachte Unbilden ausglichen, untaug-
liche Beamten abfesten, und ſtatt ıhrer neue ernannten
u. ſ. w. Leber das Wohl der Gefammeheit wurde auf
den öffentlichen Malen oder Reichsverfammlungen be:
rathſchlagt, wobey nach altem Brauch zugleich Die
28 Innere Berfaffung Hamburgs in den frübeften Zeiten,
Bekanntmachung der Geſetze fiatt fand. So Tange
nicht die Seele fehlte, melche dieſe Staatsmaſchine in
ebenmäßiger Bewegung erhielt, fo lange das Gleichge-
wicht der Glieder nicht aufgehoben wurde, war die
Erhaltung des Ganzen gefichert: aber es drohete Auf:
löfung ‚' als die ſchwachen NEIN des großen Karl
an die Spike traten,
Als unter Otto dem Erſten Herrmann Billing
zum Herzog von Sachfen ernannt wurde, gehörte Hamburg
als fachfifcher Dre zum Gebiete dieſes Herzogs. Der
Kaifer verordnete weder Grafen mehr, noch Sendbo—
sen, Die Grafen murden vom Herzog ernannt; Die
bisherigen Gerichesfchöffen verloren ihr Anfehen, das
fie als Beifiger Eaiferlicher Grafen befeffen hatten, ihr
Nahme hörte allmaͤhig auf, das Collegium felbft wurde
bepbehalten,, und erſcheint in der Folge unter der
Benennung des Rathes, da ed nicht mehr Befehle,
nur Rathſchlaͤge ertheilen konnte. Haupt und Vor—
ſitzer dieſes Collegiums war der Vogt, der nach den
Umſtaͤnden von den Grafen Dr vom Biſchof ernannt
wurde,
Schon zu den Zeiten der Karolinger flanden den
Grafen die Biſchöfe zur Seite, welche mit jenen glei-
ches Anfehen in Verwaltung und Richteramt theilten.
Seder follte fich, nach Ludwigs I. Verordnung durch
das Zeugniß des andern rechtfertigen, Beyde, Bifchöfe
und Grafen, wurden von den Faiferlichen Sendbo—
‚ten unterſucht; auch auf den öffentlichen Reichstagen
mußten die Bifchöfe dem Kaifer Rechenſchaft ablegen,
fobald er fie verlangte, Ihre Ernennung ſelbſt geſchah
Bifchöfliche Gerichtsbarkeit, 29
don den Kaiſern, wie Ludwig ausdrheffich erklärt, daß
er durch fein Fonigliches Anfeben, jedoch mie Einmwil-
figung der Geiſtlichkeit, den erzbifchöflichen Sig zu
Hamburg errichter babe, Des Pabſtes Beſtaͤtigung
durfte ihn der Folge um ſo weniger fehlen, da das
pabjtliche Anſehen fich immer höher emvor ſchwang. Die
Einfünfre der Bifchöfe befanden im Zehnten, wovon
ein Theil zur Erhaltung und Zierde der Kirche, der
andere zum Gebrauch der Armen und Reifenden; der
dritte zum Unterhalte der Geiſtlichkeit verwendet wer⸗
den ſollte. Aber ſo wie ihr Reichthum, ſo vermehrte
ſich auch ihr Anſehen, beydes in weltlichen und geiſt—
lichen Dingen, Schon nach alter Verordnung hatte
der Biſchof Macht, am Geifflichen und MWertlichen
alles den Kirchengefegen gemäß zu verbeffern, Zu dem
Ende bielten fie alljährlich ein fiharfes Gittengericht,
die Send genannt, © Gie hatten ihre eignen Vogte
(Advocati),; deren Amt war, Gerechtigfeit zu handha⸗
ben uber Kirchengue und Kirchenfnechee, und den Geiſt—
lichen in allen Dingen Rath zu ertheilen. Alles, was
dem Gotteshaufe angehörte, wurde aus der Pflege des
‚Grafen genommen, und dem Vogte felbft aufgerragen,
ſtatt des Grafen für das Stift den Heerbann zu or
gen, wenn nicht diefer gar erlaffen ward,
Die hamburgifche Kirche hatte ſchon Bifhof
Unni durch einen: vortheilhaften Taufch, welchen er,
unter Beguͤnſtigung des Kaiſers Heinrich I. mit einem
Holichen, Nahmens Wallerich, zu Stande brachte, fehr
bereichert , indem ihn durch denfelben neun Ortfchaften
abgerreren wurden, deren: Nahmen nur fich jetzt nicht
i
30 Ermeiterung der Gerichtsbarfeie des
mehr, beftimmen laſſen. Am meilten aber gewann das
ersbifchefliche Anjehen durch Adaldag, der, ein Ver:
wandter des Verdiſchen Biſochfs, früherhin Canzler
oder Geheimſchreiber des Kaiſers Otto J., in deſſen
Gunſt ſich ſehr feſt geſetzt hatte. Auch beſaß er
Vorzuͤge, die ihn ſehr empfehlen mußten, Jugend,
Schönheit der Geſtalt, Lebhaftigkeit und Schärfe des
Geiſtes. Otto beffatigte ihm alfobald nach Befteigung
des erzbifchsflichen Stuhls den Befis aller Güter; er
ertbeilte ihm das Vorrecht, daß ſowohl die Teibeigenen
als freyen Bauern feines Stiftes der weltlichen Ge:
richtsbarkeit entzogen, und Tediglich dem erzbifchöflichen
Bogte oder Schirmherr untergeordnet. feyn follten.
Zugleich ward allen freien Leuten geftatter, fich nach
Gurdünfen und mit Einwilligung ihrer nachiten Ver—
wandten unter den Schuß und die Gerichtsbarkeit des
Erzfliftes zu geben. Bremen wurde der Aufficht des
Kaiferlichen Grafen ganz entzogen, und: die Stade mit
alfen weltlichen Previlegien der Gerichtsbarkeit des Ham⸗
burgifch = bremifchen Erzbiſchofs unterworfen.
Diefes Wachsthum der weltlichen Macht des Hams
burgifchen Erzbifchoffes, deſſen Anſehen durch die ibm
untergeordneten jütlandifchen Bischumer, zu welchen
noch Oldenburg in Wagrien hinzu kam, immer bedevz
tender wurde, mochte die Luft des Erzbiſchofs von
Coͤlln aufs Neue reizen, die alten Anfprüche auf die
Unterordnung der bremifchen Kirche zu erneuern. Aber
obfihon des Kaifers Bruder, Bruno, damahls den
erzbifchöflichen Stuhl: zu Cölfn inne hatte, verwarf
Otto dennoch jene Anfprüche als unftatthaft, da: Die
Hamburgifchen Erzſtifts. Adaldag's Tod 988, 31
Hamburgifibe Kircbe, die fo vielen Gefahren ausgefest
ſey, niche nur niche befchranke, fondern vielmehr erwei—
tert zu werden verdiene,
Derſelbe Adaldag war es, ber den Kaifer Otto
im Sabre 961 nach Italien begleitete, das — nicht zum
Vortheile Deutſchlands — der deutſchen Krone unter:
mworfen werden follte, Parteiungen machten dem Kai—
fer viel zu ſchaffen. Otto hatte einen bundbrüchigen
Pabſt abgefegt, und dafür Leo VII. ernannt; kaum
aber Rom wieder verlaffen, als die Römer den Leo
verdrangten, und einen gewiſſen Benedict an feine
Stelle fegten. Da kehrte Otto nach Rom zurück, Tief
den Leo noch einmal ald Pabſt anerkennen, den Bene:
die aber, nachdem ihm der Pabfimantel abgenommen,
und der Stab vor den Füßen zerbrochen worden, übers
gab er dem Adaldag zur Verwahrung, der fofort den
Benedict nach Hamburg brachte, wo er in der Der:
wahrung auch geftorben ift, im July 965. Adaldag
erhielt fich in Gunft auch bey den folgenden Kaifern,
und farb 988,
32 Die herzogliche Verwaltung der Billunger,
IL, |
Die herzogliche Verwaltung der Billunger verbieß
Anfangs mit Eraftiger und weiſer Leitung, fo wie dem
geſammten Herzogthume, fo insbeſondere dem neu auf:
lebenden Hamburg, ein fegenreicheg Gedeiben, Herr:
mann ſelbſt, zuerſt nur Statthalter der fachfifchen
Lande, aber nach Otto's Rückkehr aus Italien in der
herzoglichen Würde beſtaͤtigt, erhielt ſich unwandelbar
in dem ausgezeichneten Vertrauen feines Eaiferlichen
Verwandten: — denn das Vorgeben Einiger, daß er
aus niederer Abkunft ſich empor gefchwungen babe,
beruht auf bifforifchen Irrthum. Sein großer Ber:
fand, fein Ordnungsfinn, feine raſtloſe Thätigfeir,
harten ihn dem Kaifer ſehr werth gemacht; daher
bewirfte auch fein Tod auf dieſen einen fehr tiefen Ein—
druck, fo dag er ihm ſelbſt bald nachfolgte, Beyde far:
ben in demfelben Jahre 973. Die Frage, ob den Bil-
lungern ein wirfliches Hecht der Erbfolge verliehen _
worden, oder ob nicht die deutſchen Kaifer ſtillſchwei⸗
gend in die Erbfolge eingewillige haben, bleibe aus
Mangel an Urkunden unentfihieden, Wohl mag das
Anfehn der Familie auf die Achsung der Provinz ſelbſt
begründet gemelen feyn, Gewiß iſt, daß dem Herr
mann fein Sohn Benno oder Bernhard I. in der
herzoglichen Würde folgte, Auch er war dem Haufe
der Ottonen getreu ergeben, und genof von ihnen
ehrenvolle Auszeichnung, Als nachdes dritten Dtto
Tode die Kaiferwärde auf den Herzog von Baiern,
Heinrich. überging, (1002) verwahrte Benno auf
der Berfammlung der fachlifchen Großen zu Werjeburg,
%
-
Aufbluͤhen Hamburgs unter Bernhard I. 973. ff. 33
wohin der jüngft gewählte Kaifer fich begeben hatte,
mie edler Freymuͤthigkeit und Feſtigkeit die Rechte und
Gefege feines Volkes und erft, nachdem Heinrich dies
ſelben unverleße zu erhalten gelobt batte, ‚erflarte ihn
Benno im Nahmen ſeines Stammes durch Darreichung
der heiligen Lanze zum Koͤnige, und das Volk begruͤßte
ihn mit dem gewöhnlichen Gluͤckwuͤnſchungszurufe.
Wie wohlthätig der Fraftige Schuß der erften Her⸗
zoͤge der. Stade Hamburg geweſen ſey, erhellet dar
aus, daß fie in alten Nachrichten ſchon zur Zeit des
dritten Ot to ein wegen feiner Einkünfte von Schif—
fen und Zöllen fehr nahrſamer und wohlhabender Ort
genannt wird. . In. einer Verordnung, welche König
Ethelred II. von England gab, der um biefelbe Zeit,
im Sabre 979, zur Regierung kam, wird. der Kaufleute
von Luͤttich und der. Leute des Kaifers gedacht, die
mit ihren Schiffen nach London kamen. Den letztern
wird erlaubt, einzukaufen, aber nur in ihren Schiffen,
nicht auf dem Markte, um durch Verkauf den Preis
der Warren nicht zum Nachtheil der Bürger von Lons
Don zu fleigerne Ohne Zweifel waren Diefe Leute des
Raiferd Feine andere, als Kaufleute. aus Hamburg,
Bremen, Coͤlln und anderen Städten, Nur durch Fries
den konnte ein ſo günftiger Verkehr gedeihen, Zwar
fehlte es nicht an Neckereien der benachbarten Voͤlker⸗
ſchaften; aber Bernhard's tapferer Yrm feste den
Zuͤgelloſigkeiten derſelben zur rechten Zeit Schranken.
Sueno, des Harald Sohn, der wieder vom Chriſten⸗
thum abgefallen war, ſammelte alle uͤbrigen Heiden
ſeines Landes, und griff ſelbſt ſeinen Vater Harald
3
34 Angriffe der Danen auf Hamburg.
an, der verwunder nach Julin flüchtete, einer flawis
fiben Handelgftadt samı baltifchen Meere, wo er bald
an feinen Wunden ſtarb. Drauf fiel Sueno in
‚ Schleswig ein, eben als Herzog Bernhard auf einer
Keife nach Verona begriffen war, zerflörte das Big-
thum, und der dortige Bifchof Eccard mußte fich nach
Hildesheim Fluchten, Zu verfchiedenen anderen malen
landeten raubfüchtige Dänen, und überfielen die am Meere
wohnenden Friefen, Hadeler und Sachſen, tödteren
manche, und führten andere gefangen hinweg. Wahr:
fcheinfich find e8 diefe Horden, die von alten Erzäh-
lern mit dem Namen der Aſcomannen, (verftimmelt
aus Aifche Mannen,) bejeichner werden, Der dama-
lige Biſchof von Hamburg, Libentiug oder Liuzo,
der vor ihren Pluͤnderungen den Kirchenfcbag und
andere bewegliche Güter in das Klofter Bukkum in
Sicherheit brachte, belegte fie mit dem erzbifchöflichen
Bann-Donner: aber mit wirffameren Maaßregeln tha⸗—
ten der zurücfeilende Bernhard und fein Markgraf
Heinrich diefen Angriffen Einhalt, fie erftiegen die
Berfchanzungen der Dänen an der Eider, jagten fie in
ihr Land zuruͤck, und befeſtigten die Be gegen ur
ferneren (Berheerungen,
Weit gefährlicher für das Herzogthum ER
fen entwickelte fich faft mit jedem Jahre immer mehr
und mehr ein anderer Kampf, mir den Slaviſchen
und Wendifchen Bölkerfchaften, welcher diefe zuletzt
bis in die Mitte des Landes herein zog, und auch der
Stade Hamburg insbefondere gar großes Verderben,
bereitete, Vornehmlich feitdem die Kaiferwärde an das
Erbitterung der Slaven gegen die Sachſen. 35
ſaͤchſiſche Haus: gekommen war, hatte man fi gegen
dieje Bölfer, welche zum Theil durch Ackerbau, zum
Theil durch Handel im Wohlftande fich befanden, die
haͤrteſten Bedruͤckungen erlaubt, Unter dem Vorwande,
daf die Slaven Heiden wären, und gendtbiget werden
müßten, in den Schooß der Kirche zu fommen, unters
warf man ihre Provinzen Saͤchſiſchen Grafen und Fürs
fen, zwang fie, nachdem man ihnen zuvor ihre Guͤter
entriſſen, ibrem Göttern gutmwillig zu entfagen, oder
beftrafte ihre Halsftarrigfeit mit Sflaverepy, — denn
ſelbſt ihren ebrenvollen Rahmen mißbrauchte man, fo
unmürdige Behandlung damit zu bezeichnen. Man
ruͤhmt vom Herzog Bernhard I, daß er in feinem
Berragen gegen diefe Volker Milde und Menfchlichkeie
bewiefen, auch ſich mie der, Tochter eines Wendifchen
Fürften vermahlt gehabt habe, Dagegen wird deſſen
Nachfolger Bernhard II. Cfeit 1010) unerfättlicher
Habſucht und fchnöder Mißhandlungen, die er gegen
die unterworfenen Slaven geübt, faft einmuͤthig beſchul⸗
diget. Auch die uͤbrigen ſaͤchſiſchen Fuͤrſten, und ſelbſt
die Geiſtlichen fanden nichts Entehrendes darin, treus
los, hart und grauſam gegen die Slaven zu ſeyn.
Der font billige ‚Merfeburger Biſchof Ditmar be⸗
hauptete ganz unbefangen, der Pohle müfle wie der
Ochſe gefüttert, und wie der Ejel gefchlagen werden;
demjenigen, der im der Faftenzeie Fleifch efle, ſey
es beffer, daß ihm die Zahne ausgeriffen würden. Marks
graf Gero lockte dreyßig flavifche Fuͤrſten im feine
Nege, und Tieß fie fammtlich bey einem Gaſtmahl er
fblagen, Wie hätten fie fo grobe Befchimpfungen
5”
36 Die Slaven unter Miftewoi 20, wuthen gegen
mit Gelaffenheie und Tangerer Duldung vertragen Fön
nen! — Einer ihrer angefehenften Fuͤrſten Miftevoi,
Haupt der Obotriten, befaß den Ehrgeiz, die Ber-
wandtin des fachfifcben Herzogs Bernhard, wer
muthlich des zweyten) zur Gemahlin zu begehren,
Auch erhielt er die Zufage, und verftarfte aus Danf-
barkeit des Herzogs Befolge auf einem Zuge des Kai:
ferd nach Italien mit taufend Reitern, Als er aber
nach der Ruͤckkehr die Erfüllung der erhaltenen Zuſage
begehrte, widerrieth fie mit fihnöden Worten Markgraf
Diererich von Brandenburg: es fey nicht recht, eine
chriſtliche Fürfkin einem wendiſchen Hunde beyzulegen.
Da entbrannte der Zorn des Miftevoi um fo gluͤ⸗
hender, je groͤſſere Ergebenheit er, nicht mit Billigung
feiner Landsleute, den Sachſen vorher bewieſen hatte,
Der Hund fey doch wenigftens flarf genug, um zu
beiſſen, Tieß er zurück melden, Er berief eine allge
meine Verſammlung der wendifchen Fürften nach Meck⸗
lenburg, fielte ihnen die erlittene Befcbimpfung vor,
und ein allgemeiner Aufſtand wurde befchloffen, Eine
Berfchwörung gegen den Kaifer, im welche Herzog
Bernhard verwickelt war, begünftigte ihr Vorhaben,
Sie brachten ein zahlreiche Heer zufammen, durchzo-
gen die flavifchen Länder, zerflörten überall die Kirchen
und Klöfter, und alle Anflalten des Chriſtenthums,
verjagten die Nonnen und Mönche, und übten gegen
fie die ſchrecklichſten Graufamfeiten, Einer großen
Anzahl. Mönche aus dem Bisthum Oldenburg wurde
die Haut. Ereugmweife über dem Kopfe aufgefchnieten und
berabgezogen, die Hirnſchaͤdel durchbohrt, und fo mit
die Sachfen, Hamburg verwüflee 1012. . 37
auf den Rücken gebundenen Handen wurden fle wie im
Triumph berumgeführe und zu Tode gegeißelt, Mit
erneuertem Angriff fielen fie fpaterbin aub in
NRordalbingien ein, und übten gleiche Wuth und Graus
famfeit: was durften fich Tosgelaffene Hunde nicht ers
Tauben? Hamburg, als der Gig eines Erzbisthums,
wurde befonderd ein Opfer ihrer ſchrecklichen Rache,
die Stade wurde in einen Schutthaufen verwandelt,
Geiftliche und viele Einwohner wurden in Gefangen:
ſchaft foregeführe, und zu Sflaven gemacht, andere
unter den ſchrecklichſten Martern getödter., So groß
waren die Greuel diefer Zerfiörung, daß die Erzahs
ler, melche von derfelben reden, niche umbin koͤnnen,
ferbft die Gottheit durch ein Wunderwerf ihr Mißfallen
darüber bezeugen zu Taffen; denn während der Ein:
äfcherung der Stadt habe fich eine rechte Hand vom
Himmel herabgelaffen, und fich mitten in den Flammen
mit ausgeftrecften Fingern gezeigte, Angefichts des gans
jen Heeres, und zum großen Schrecken deifelben. So
unbeffimme und unzufammenbängend Die Zeitangaben der
alten Chronifenfchreiber find, wenn fie von den ver-
fehiedenen Aufftanden und Einfällen der gegen ihre
chrifflichen Bedruͤcker zu bitter gereisten Slaven und
Menden sprechen, fo ſtimmen fie doch in Berreff diefer
Zerſtoͤrun Hamburgs uͤberein, welche im Jahre 1012,
alſo während Bernhard II. Herzog yon Sachſen war,
ſtatt gefunden bat, |
Gerade inmitten dieſer traurigen Ereigniffe, es iſt
ungewiß, ob in Folge derfeiben, ſtarb der damalige
Erzbifchof Libentius, des Nahmens hier der erffe,
4
38 Bifchof Libentius J. ft. 1013. Darauf Unwann.
den 4. Sanuar 1013. Inter ibm hatten fich die Gren:
zen feiner Kirche von der Peene bis zur Schley, bie
Schweden und Ißland hin erſtreckt; denn den Ißlaͤndern
predigte damahls einer ihrer Landesleute, der in Nor:
wegen befehre war, Nahmens Stephner, das
Evangelium, Libentius felbit hatte bey feinen Leb—
zeiten einen Geiſtlichen, Dddo, zu feinem Nachfolger
beftimme gehabt, und die Wahl auf ihn geleiter; aber
Kaiſer Heinrich verfagte feine Bewilligung, und er
nannte eigenmachtig feinen Kapelan Un wann zum
Erzbiſchof, den er fofore zu Magdeburg weihen ließ,
einen Mann, der aus dem adlichen Gefcblechte der Im⸗—
medinger herſtammte, angefehen , freygebig und pracht-
liebend, mit großen Reichthuͤmern verfehen, welche
dem zerfförten Hamburg, auch wohl nach des Kaifers
Anficht, fegenreiden Nugen bringen Eönnten Als
Guͤnſtling, befonders der Faiferfichen Gemahlin Rune
gunde, gelang e8 ihm zuförderff, den Herjog Bern
hard U. mit dem Kaifer wieder zu verföhnen, Cim J.
1015,) Mit Heinrich’S Unterflügung gelang ed nun
Diefem, die Slaven aus den fachfifchen Ländern zu ver:
greiden, und die nächftwohnenden aufs Neue fich zins⸗
bar zu machen. Miftevoi ſelbſt kehrte zum Chriften-
thum zurüc, und nahm, fey e8 nun, daß er feiner
Fuͤrſtenwuͤrde von felbft entfagte, oder daß er aus
dem Lande vertrieben worden, einen Aufenthalt zu
Bardowyk. (Geft. um d. J. 1025.) Jetzt dachte man
vor allen Dingen an den Wiederaufbau des zerſtörten
Hamburgs, welcher durch Un wann's reiche Unter:
ſtützung und durch Bernhard's tharige Beyhüͤlfe in
Unwann's (ſeit 1013) Verdienfte um Hamburg. 39
unermarteter Schnelligkeit befördert wurde, Die zer⸗
fireueren Einwohner verfammelten. ſich zu ihren Wohn
plagen, Kirche und Klöfter wurden wieder aufgebauer,
jedoch nur von Holz, wie die alten Erjabler aus⸗
druͤcklich bemerken; die Stade felbft erhielt ein regels
mäßigeres Anſehen, fo daß fie von Schriftſtellern des
eilften Jahrhunderts als die fchönfte Stade in Sachen
nahmhaft gemacht iwird, Die groͤßten Verbienfte ers
warb ſich Unwann dadurch, daß er durch Unterhands
Jungen dem fachfifchen Lande an feinen nördlichen und
öftlichen Grenzen Ruhe und Sicherheit zu verfcbaffen
fuchte, welche: für die Erholung des Hamburgifchen
Stiftes auch fo nörhig wear, So unterwarfen fich die
flavifchen Fürften Uto und Sederich, auch mit dem
König Kanut von Dänemark wurde ein Buͤndniß ger
fchloffenz ale diefe Fürften Iud der Biſchof zu fich
nach Hamburg, wo auch Herzog Bernhard fib auf
hielt, um durch freundlichen Umgang das gute Ver
flandniß und die fo noͤthige Ruhe des Landes zu be
wahren,
Daß ein Mann von ſolchem Anfehen und folchem
Einfluß in feinen aufferen Umgebungen die bifchöfliche
Würde mit befonderem Glanze zu zieren gefucht habe,
iſt eben fo begreiflich, als verzeihlich, Man ruͤhmt die
Pracht des Aufferen Gottesdienſtes bey feſtlichen Tagen
„und Feyerlichkeiten, fo daß Unwann bey Prozeflionen
auffer dem Herzog und dem ‚Grafen oft noch fieben Bis
ichöfe und mehrere Aebte in feinem Gefolge gehabt
babe, Nur laͤßt folche Pracht des. aufferen Chriſten⸗
thums, fo ſehr fie dazu beytragen konnte, daſſelbe in
40 Stiftung des Domfapiteld 1015,
den Augen der rohen Menge blendender und ehrfurcht-
erregender zu machen, noch nicht überall auf Verbrei⸗
tung reinerer Grundfäße ſchließen, ja nicht einmal auf
völlige Ausrottung des alten, groben heibdnifchen Aber?
glaubend: Un wann ſelbſt fand noch in feinem Spren⸗
gel an zwolf dichte Haine, die heidniſchen Verehrungen
gewidmet waren, und im diefer Abficht: fleißig befucht
wurden; er ließ fies umbauen, und verwandelte fie in
Betkapellen. Es mar ein langer ſchwerer Kampf des
- Lichtes mit ber Finfternif, ehe die heidnifchen Opfer:
greuel von demfelben verdrangt werden konnten!
Wohl geſchah 88 in guter Abficht, daß Un—
wann zur Verfaſſung des nachmals fo befannt ges
mwordenen Domfapiteld die erfte Einrichtung traf. Er
gab damit, mo nicht uͤberall zuerfi, doch unter den
früheften, da8 Beyſpiel, das fehr willige Nachahmung
fond, Immer waren bisher die Mönche der Klöfter
und Domfkifter der firengen Regel (dem Kanon) des
heiligen Benedictus unterworfen gewefen; Unwann ſon⸗
derte aus diefen zwoͤlf Manner ab, fagte fie von ihrer
Mönchsregel los, und verpflichtete fie blos auf jenen
Kanon, welcher lange Zeit vorher auf Ludwigs des
Srommen Befehl, von einem Diakonus Amalhar ent
worfen und auf. der Kirchenverfummlung zu Aachen
816 Öffentlich -befiatiger worden war, Ahnen war ind
befondere die Beforgung der von dem Scholaſticus ge⸗
leiteten Schule bei dem neu errichteten Dome anvertraut; *
auch diejenigen, ſo durch Verfolgung zum Heidenthume
abgefallen waren, zum chriſtlichen Glauben zuruͤckzu⸗
fuͤhren. Noch waren ſie damahls unter des Erzbiſchofs
d
|
Spannung zwifchen dem Biſchof und dem Herzog. 41
firenger Zucht, mie welchen fie auch zufammen wohn;
ten, (daher Domberren genannt) oft zufaınmen fpeif’ten,
von dem fie, im noͤthigen Fall, durch Schlage Zu ihrer
Pflicht gemiefen werden konnten. Doch dauerte diefe
Strenge nicht immer; ſchon zu Unwann's Zeit harten
sie fich Weiber zugelegt, die fie unter deffen Nachfolger
wieder von fich entfernen mußten, Auch das gemein:
ſchaftliche Zufammenteben mit dem Bifchof hörte in der
Folge auf, und ihr Kanon galt ihnen nicht als Lebens:
vorfchrift, ſondern als Verzeihni ihrer jährlichen
Gefaͤlle und EinfAnfte. Daher eiferte der ehrliche Chro⸗
nifenfchreiber Kranz: eim weltlicher Domberr fey ein
Monftrum ohne Beiſpiel; er heiße regulire und Tebe
ohne Kegel, ein Kanonikus ohne Kanon.
Sp wohllautend inzwifchen und fo günffig für die
Miederaufführung des verwuͤſteten Hamburg das Ber:
haͤltniß zmwifchen dem Herzog Bernhard und dem Bir
fbof Unwann gewefen war, fo fängt doch unter
deffelben Herzogd Regierung die Spannung zwiſchen
beiden Theilen immer fiehtbarer zur werben an. Je mehr
ſich die Güter und das Anfehen der Geiſtlichen ver:
“größerten, um ſo mehr hauften ſich auf der weltlichen
Seite Feinde und Neider, So war e8 überall, Die
Bifchöfe lehnten fih an den Schuß des Kaifers an:
Dagegen wurden fie von den Herzogen als Faiferliche
Spione besrachter, welche binterbringen müßten, was
die Herzöge und Grafen unternahmen. Seitdem befon-
ders die Kaiſerwuͤrde vom fächfifchen Haufe wieder an
die Franken übergegangen war, (mit Konrad dem
Salier, 1024) nahmen die fachfifchen Fuͤrſten, ohne⸗
*“
42 Die Bifchöfe Libentiug II: (1029) und Herrmann,
bin mit den Kriegen gegen die Slaven viel befchaftiget,
weniger Antheil an dem übrigen Deutfchland und die
alte Eiferfucht gegen die Franken erwachte um fo flarz
fer wieder, ein je größeres Uebergewicht über die Strände
die fraͤnkiſchen Kaifer fich zu erringen firebten, mit
je größerem Wohlgefallen diefe ſelbſt das wohlhabende,
fruchtbare und veiche Sachſenland als ihr Eigenthum
zu betrachten winfchten, Sich für diefe Plane mir den
Bifchöfen zu verſtehen, mußte ihre angelegentlichfte
Sorge feyn, fo wie diefe ihren Einfluß zu vermehren,
feine bequemere Gelegenheit wuͤnſchen Fonnten,
Noch brachen unter Unwann's Nachfolger, Liben:
tius II. (1029) diefe Reibungen nicht hervor. Der
Mann übte Mildthaͤtigkeit und gute Zucht und nahm
befonders gerne feinen Aufenthalt in Hamburg, das
wohlthätiger Nuhe genoß, die eine Gewähr mehr er:
hielt, feitdem der Kaifer Konrad dem großen Könige
Kanut von Dänemark in einem freundfchaftlichen
Vertrage die Mark Schleßwig abgetreten hatte, bisher
ein unnüßer Zankapfel zwifchen deutſchen und danifchen
Dberberren, Uber bereits unter dem nachften Bifchof
Herrmann fanden fib Spuren des lebhafter gemors
denen Mißverſtaͤndniſſes, die auf etwas plumpe Art
zum Vorfihein Famen. Herrmann, um fein Miffiond-
gefchäft im Norden wenig befümmert, bielt fich Lieber
in Bremen auf, und vergnügte fich dort mit Planen,
die Stade mit Mauern zu umgeben, fo wie mit Ber:
befferung des außeren Gottesdienſtes. Er war es, der
den berühmten Benedickinermönd, Guido (Bei) von
Arezzo, welcher ſich um die Vereinfachung der mufi-
Bezelin Alebrand, (ſeit 1035.) 43
kaliſchen Zeichen und die Verbefferung der Muſik übers
haupt fo verdient gemacht bat, auch nach Bremen
fommen ließ, um dafelbft die Kirchenmuſik, fo wie die
Zucht und Drdnung in den Kirchen überhaupe einzus
richten und zu verbeffern, Für vie übrigen Angelegen
beiten feiner Diöces forgte er weniger und nach Ham⸗
burg kam er nur Einmal, in feinem Gefolge eine auf
Plünderung ausgehende Krieger-Horde, welche bier,
wie in feindlichem Gebiete, hauſete. Vielleicht aber
widmete er größere Sorgfalt der Zubifdung feiner ihm
untergebenen Geiftlichen; denn aus feiner Schule gingen
zwey bedeutende Menfchen hervor, Svidger, nachma—
figer Bifchof zu Bamberg, der nicht unmwürdig befun:
den wurde, auf dem pabftlichen Stuhl berufen zu wer⸗
den, Cal Clemens IL) und der noch berühmter ge—
worbene Adalbert, von dem fogleich noch weiter
die Rede feyn wird,
Es gelangte ingwifchen zur Bifchofswürde, Bezelin
Alebrand, (1035) welcher Hamburg zu feinem Auf
enthalt zu wählen vorzog, nicht ohne Vortheil für die
Stadt, wenn ſchon mweniger nach dem Wunfche des
Herzogs oder des hier anmefenden Grafen, Er mar
Hug, geachter und gefürchter, angefehen bei Kaifer
Konrad, wie bei deffen Nachfolger, Heinrich I.
(1039), von beiden mit den einträglichften Privilegien
begünftiget. Hamburgs Erweiterung und Befeſtigung
lag ihm vorzüglich am Herzen. Sehr befonnen begann
er mit den geiftlichen Anftalten. Die von Unwann
nur. mit Holz erbauete Kirche mit ihren Umgebungen
fieß er feit 1037 von Duadern aufführen, mit großer
44 Berfehönerung des Doms, Die Wiedeburg.
Pracht und in jenem ehrwuͤrdigen deutſchen Stil, der
dem Zeitalter, in welchem das Münfter zu Straßburg
aufgeführt wurde, angemeffen war, Einen Veberreft dieſes
fchönen Dunderbaues glaubte ein unterrichteter Kenner
noch am Anfange diefes Jahrhunderts, als der fpätere
Dom noch ſtand, an der großen Halle, dem fogenann-
ten Schappendome wahrzunehmen, welche die folgen-
den Verheerungen der Stadt vielleicht uͤberlebte und
durch ihre feſte und ſchoͤne Eonftruction aus feharfge-
bauenen und mwohlgefugten Felfen von dem Teichteren
Bau der Kirche und der Kreusgange fichtbar fich unter:
ſchied. Mit einem forchen Bau war es im Ernſte dar-
auf abgefehen, Hamburg zum bleibenden Giß des Erz—
bischums zu machen. Darum ließ auch Bezelin an der
Suͤderſeite des Doms ein nicht minder prachtiges Schloß
aufführen, mit Thuͤrmen und Feflungswerfen reichlich.
verfehen, noch außerhalb der Stadt, an dem jeßigen
Kartrepel, (Rathedraltreppe) dicht am Ufer der Elbe
fowohl um Teichterer Zufuhr willen, als in Gefahr
raſch über den Strom zu entkommen, Noch im fechs:
zehnten Jahrhunderte entderfte man große und merf-
wirdige Ueberreſte dieſer Wiedeburg (weite Burg),
wie fie in alten Urkunden genannt wird, Ja die ganze
Stade wollte Bezelin mit Mauern und Thuͤrmen um-
geben, wenn der Tod die Ausführung diefer Plane nicht
vereitelt: haͤtte. (1043.) Nur dem Herjoge war nicht
wohl bei diefem Umſichgreifen des Bifchöflichen Wir⸗
kens. Um wenigſtens gleiche Schutzwehr in die Wage
fegen zu Fönnen, errichtete auch er, an der Norder—
feite des Domes, unweit der Alfter, eine andere Burg,
m » * ——— —
1
Die Alſterburg. — Adalbert (1043) 45
(in der Folge gewöhnlich die alte Burg genannt)
noch feiter und von größerem Umfang, fo daß fie vom
Dome bis hin an die Alfter fich erſtreckte. Wie zwey feind:
liche Weſen borfteten fo der geiftliche und der weltliche
Dberherr, der eine im Süden, der andre im Norden, auf
ihren. neuerbaueten Sitzen und lauſchten, wie im Hins
terhalte, der eine auf des anderen Schritte, bereit, in
jedem Augenblick zur Befehdung des Gegners hervorzubres
then. Doch zum völligen Ausbruch Fam die Flamme diefer
Eiferſucht erſt unter Bezelin's Nachfolger, Adalbert
I, jenem merfwürdigen Manne, von welchem fein ber
rebter Zeitgenoſſe, Adam von Bremen, paffend fich
‚ausdrückt, es fen ſchwer von ihm zu reden, indem
man das, was zu feinem Lobe vorgebracht werde, Teiche.
als: Schmeichelei und das, was an ihm getadelt werde,
als Verlaͤumdung anfehen könne, f
Adalbert ſtammte aus einem. alten und, edlem
Gefchlechte der Markgrafen von Meiffen. Gebildet in
der Schule des Erzbifchofd Herrmann hatte: er ſich
ſchon als deſſen Capellan drobend in Mienen und Ges
behrden und mis bochfahrenden Worten bewieſen. In
ibm vereinigten fich große und boͤſe Eigenfchaften im
ſeltſamer Vermiſchung. Er mar ſchoͤn von: Gefkalt,
geiftreich, beredt, keuſch und maͤßig. Er verwaltete
feine geiftlichen Gefchäfte mit unuͤbertreffbarer Gewiſſen⸗
baftigfeit; Feiner ging ibm voran in dem Eifer, die
chriſtliche Religion und die Herrfchaft der Kirche auf
zubreiten, Sein durchdringender Geift war mit reichen
Kenntniſſen geziere; fein Anſehen benuste er nie, jeman-
ben der Geinigen durch fremde Gnade zu erheben; feine
nr" u; —
46 Adalberts Charakter und Plane.
Freygebigkeit gegen Duͤrftige und Verlaſſene und ge⸗
gen ſolche, von welchen er Vortheil fuͤr die Kirche zu
erlangen hoffte, kannte keine Grenzen. Derſelbe war
demuͤthig gegen Arme und Pilgrime, ſo daß er nicht
ſelten dreißig und mehreren ſelbſt die Fuͤße wuſch, und
bei dem Waſchen niederkniete, aber gegen die Fuͤrſten
und Großen eiferte er in ſchonungsloſen Worten und
fuchte fie, auf welche Weife es fey, zu demuͤthigen.
Zugleich war er eitler Ehre unmafig zugerhan, fFolz
und prablerifch, und ſtets unruhigen Geiffes, der über
neuen, ungemeffenen Planen brüter, weder mäßig im
Gluͤck noch im Unglück, fo daß er fich in jenem niche
vor Uebermuth, in diefem nicht vor Niedergefihlagen-
heit und unbandigem Zorne bewahren Fonnte,
Kaum war er zurerzbifchöflichen Wuͤrde gelangt und
zu Aachen unter großen Feyerlichfeiten geweihet -mor-
den, als er ſich naher an den Kaiſer Heinrich II. an:
ſchloß, im deffen Gunft er fich fo einfchmeichelte, daß
er von ihm in allen wichtigen Angelegenheiten zu Rathe
gezogen wurde, Er begleitete denfelben auf feinen Zü-
gen nach Ungarn, Flandern und Stalien und es Ing
bei feiner Anmefenheit in Rom 1046 nur an ihm, zum
Pabſte erhoben zu werden; aber er ſchlug die Würde
aus, da feine Entwürfe auf den Norden gerichter wa—
ven. Nach feiner Rückkehr aus Italien Iud er den
Kaifer ſelbſt zu fih nach Bremen, unter mancherley
Borwand,. doch mehr wohl noch, um durch fihlau er:
fonnene Hinterliff die Treue des Herzogs Bernhard und
feined Bruders, Grafen Dithmar, dem Kaifer ver:
dachtig zu machen, welches ihm fo gut gelang, daß
Adalberes Charakter und Plane, 47
der Graf, von einer angefchuldigten That fich zu reini-
gen, den Zweikampf erwählte, im welchem er von
einem Faiferlichen Kriegsbedienten getoͤdtet ward. Dies
entzundete den Haß des Herzogs und feiner Söhne zu
unaustöfchlicher Rache, alfo daß Bernhard fich Taut
äußerte: fo lange er oder einer feiner Söhne lebte,
folle der Bifchof Feine ruhige Stunde haben, Adalbert
hingegen, um diefe Drohungen unbefümmert, arbeitete
im Stillen an der Entwicfelung feines Planes, der auf
nichts geringeres gerichtet war, ald auf die Errichtung
eines nordifcben Patriarchats, zu deſſen Haupt:
fiß er Hamburg beſtimmt hatte, Am fein Anfeben
in Norden fühlbar zu machen, wagte er es zuerff, den
Daͤniſchen König Swend Eſtrith ſon mit der Strafe
des Kirchenbannes zu bedrohen, weil ſich derſelbe mit
einer ſchwediſchen Prinzeſſin Gunilde, einer nahen
Blutsverwandtin, vermaͤhlt hatte, Obſchon er aus
Furcht vor den Drohungen des gereizten Koͤnigs, der
lieber vom Chriſtenthum als von feiner Gemahlin Taf
fen wollte, von Hamburg nach‘ Bremen fluͤchtete; fo
gelang es ihm doch mie Beyhülfe des Pabſtes, ven
König dahin zu bringen, daß er fich von feiner Ger
mahlin trennte, Schon Tange waren die danifchen
Könige der Abhangigkeit von dem erzbifchöflichen Stuhle
zu Hamburg. überbrüßig 'gemefen: was Wunder, daf
jetzt beſonders der Wunſch noch dringender erneuert
wurde, ein eigenes Erzbisthum in den eigenen Staaten
zu errichten. Man ahndete nicht, daß mir dieſem Ber
fangen ’ den ehrgeisigen Abfichten Adalberts nur eine
neue Stufe gebauer würde, - Wirklich erklaͤrts er ſich
20,7 a4 » —— ——
48 Adalbert's beabſichtigtes Patriarchat ꝛc.
zur Anerkennung eines daniſchen Erzbisthums bereit,
wenn ihm und ſeiner Kirche das Patriarchat bewilliget
und beſtaͤtiget wuͤrde. Auſſer den daͤniſchen hatten
noch zwoͤlf andere Bischumer demfelben untergeordnet
feyn ſollen. Um diefe einzurichten Vegamm-es- (om
Damit, eigenmachtig und ohne des Kaifers Zuthun das
Bisthum Oldenburg in drey Stifter, Oldenburg, Rage:
burg und Mecklenburg Cfpater Schwerin) zu zertheilen.
Auf den Ankauf verfihiedener Graffihaften, die zu Big:
thuͤmern beftimmt waren, verwandte er beträchtliche
Summen; um Friesland an fih zu bringen, fchonte er
feibft der Heiligthuͤmer feiner Kirche nicht. Er lebte
genz in diefen Planen, und traumte fich in deren Voll
führung um ſo ficherer hinein, als feine Schmeichler,
Traumdenter und Wahrfager, von welchen er flars
umgeben war, mit Erdichtungen aller Are ihn Darin
zu beſtaͤtigen ſuchten.
Srctoͤhrend kam dazwiſchen zuerſt der Tod des Pab⸗
ſtes Leo IX., 1054, auf deſſen Beyſtand er vorzüglich
gerechner hatte, Bald darauf, im J. 1056. flarb auch
Heinrich IL, und es, folgte die unruhevolle Reichs⸗
verwaltung wahrend der Minderjaͤhrigkeit Heinrichs
IV. und deffen nachfolgende mit nicht geringeren Stür:
men bezeichnete Regierung. Hanno von Mainz, und
Adalbert flritten fich um den Vorrang, die Erziehung
des Prinzen und die Reichsverwaltung zu beforgen,
Doch gelang es dem letzteren endlich, fich des jungen
Heinrichs ganzlich zw bemeiffern, und nach. feinen
Brundfagen ihn aufzuziehen. Auch nachdem er, um
demſelbgꝛ mehr Anſehen zu verſchaffen, 1065. zu
⸗
Bernhard IE ff, 1061, Sein Sohn Ordulph. 49
Worms ihn hatte wehrhaft machen laſſen, blieb er
deſſen Rath und Begleiter, und praͤgte ihm ſeine
Grundſaͤtze tief ein. Dahin gehörte, daß er ihm die
Fuͤrſten, vor allen die ſaͤchſiſchen Grafen und Herzoge
bey jeder Gelegenheit als Feinde der Koͤnige und der
Kirche ſchilderte, und Heinrich's Haß und Verachtung
gegen dieſelben zu erwecken ſuchte. Darum reizte er auch
die Erbitterung jener alſo gegen ſich, daß ſie endlich den
jungen Kaiſer zu Ingelheim zwangen, den Adalbert von
ſich zu entfernen, und ihn feinem Schickſale zu uͤberlaſſen.
Schon waͤhrend dieſer Zeit hatte Adalbert von den
ſaͤchſiſchen Fuͤrſten manche Neckerey verfahren müffen,
Herzog Bernhard Il ſtarb 1061. Ihm folgte in
der herzoglichen Würde fein Sohn Ordulph; der
anderen Sohn Herrmann theilte als Graf mit jenem
die Erbgüter des Vaters. Beyde waren viel troßir
geren Gemüthes, als der Vater, und haften den Bir
ſchof mir jugendficher Leidenfchaft. Schon bey Lebzeis
ten’ des Baterd waren fie in die zum Bischum Bre⸗
men gehörigen Frieſiſchen Lander eingefallen, und hats
ten vielen. Unfug angerichter : den Verzbifchöflichen
Bannftrahl verachteten fie; auch: der andere Berfuch
Adalberts, die beyden Brüder zu entzweyen, wollte
nicht gelingen,» Unter dem Vorwande, daß wie Stadt
und Kirche zu Hamburg auf der weitlichen Seite gegen
die feindlichen Anfaͤlle der Heiden nicht binlanglich ges
fhüge fey, ließ nun der Erzbischof auf dem Suͤllen—
berge, anderthalb Meilen vom Hambnrg (bey dem
jegigen Dorfe Blankeneſe) den: Wald ausbauen, und
eine Feſtung darauf errichten, womit eine Probftey und
4
Di
so Zwiſtigkeiten zwiſchen Adalbert und den fachf. Fuͤrſten.
ein Klofter vereinige werden ſollten. Solcher Beften
hatte der Bifchof im feinem Sprengel mehrere anlegen
Laffen, nach der frankifchen Kaifer Sitte, worüber die
Sachfen wiederholt bittere Beſchwerden führten. Da
die Beſatzungen diefer Schlöffer ferbft für ihre Nabe '
tung forgen mußten, fingen fie an, die, fo ‚fie befchügen
follten, zu berauben, So verübte auch die Mannfchaft
auf dem Süllenberge in der Umgegend folche Aus:
” fchweifungen, daß die Stormarn fich zufammen rotte-
gen, und, vielleicht nicht ohne Unterfiügung des Herzogs
Or dulph, das neu aufgeführte Raubfchloß wieder zer
ſtoͤrten, unbeſorgt der. Bannflüche, welche der Zorn des
Biſchofs uͤber fie herabſchleuderte. Dennoch trauete der
Herzog der Macht des Biſchofs ſo wenig, daß er noch
ein anderes Schloß dicht vor der Stadt errichten ließ,
Die fogenannte neue Burg, welche noch in dem Nah⸗
men der jegt die Nündung jenes Schloffes einnehmen:
den Straße dem Gedaͤchtniſſe fich erhalten hat.
Zu diefer feindfeligen Stellung kam nun noch das
Mißgeſchick, das den Biſchof Adalbert 1066 traf, als
er von den Fürften des Reichs faſt gewaltfam ge—
zwungen wurde, den Faiferlichen Hof zu verlaffen. Er
hatte fich nicht fobald nach Bremen geflüchter , ald die
fächfifchen Fürften über feine Güter herfielen, wie über
eine Preis gegebene Sache, Befonders entriß ihm Graf
Magnus, Herzog Ordulph's Sohn, eine Veſte, ein
© Befisthum nach dem andern, und ſchloß ihn ſelbſt in Bre⸗
men ein, fo daß er kaum Gelegenheit fand, auf einen
feiner Meyerhöfe zu entrinnen, um vor feinen Verfol⸗
gern fich daſelbſt zu verbergen,
Berbeerung Hamburgs durch die Wenden, 1066, 51
Dieſe inneren Zwiſtigkeiten benugten die Dbotriten
zu einem neuen Einfall im dierfächfifchen Lande, ver
von den wildeften Verheerungen begleitee war. "Die
Veranlaffung dazu war Gottſchalk, Uto's Sohn,
Miſtevoi's Enkel, welcher, in feiner Jugend vom Herz
309 Bernhard als Geiffel in das Kloſter zu Limeburg
gebracht und da erzogen, nach feines Vaters Tode mit
Unterſtuͤttzung der Danen und Sächfen ein großes Wen⸗
difches Reich geftiftet, und dem Schutze der fächfifchen
Herzoge untergeordnet hatte, Nicht nur bewieß er den
größtem Eifer , uberall das Heidenthum vollends zu ver⸗
tilgen, fondern auch deutſche Sitten und Einrichtungen
allgemeiner unter den Seinigen einzuführen. Dies erbit-
terte die Gemüther der wendifchen Völferfchaften, es ent⸗
fand ein allgemeiner Aufruhr, und Gottſchalk wurde zu
Lenzen in der von ihm erbaueren Kirche gerade waͤh⸗
vend des Gottesdienſtes, dem er felbft vorſtand, Aber
fallen und ermordet, (7. Junii 1066,) : Seine Gemah—
lin, eine danifche Prinzeffin, wurde nach ſchmaͤhliger
Beſchimpfung aus dem Lande gejagt, Der Aufitand
verbreitete » fich nun allgemein, man wuͤthete gegen
‚alles, was ıchrifilich war, befonderd gegen Prieſter und
Biſchoͤfe; der Mönch Ansverus wurde mie mehreren
anderen vor Rageburg zu Tode gefteiniger, Johann,
Bifchof zu Mecklenburg, gemißbandele, verſtuͤmmelt
und enthauptet. Das Gebiet um Hamburg inde
beſondere wurde mit Feuer und Schwert verwüſtet,
und die von Bernhard IT. erbauete Alſterburg bis auf
den Grund niedergeriſſen.
Diefe mir folcher Gemalt fich haufenden Unfaͤlle
. U ha
. 52 Abdalberts letzte Berfuche und Tod, 1072.
verfegten den Adalbert in einen Gemuͤthszuſtand, der
an Wahnſinn grenste, und von feinen Feinden mit der
Verwandlung des gedbemüthigten Nebukadnezar's ver:
glichen ward, Um dieſe Zeit geſchah es, daß er
die Tage durchſchlief, die Naͤchte durchwachte, daß
er die Wahrheit haßte und Traͤumen und Tand
nachhing, daß er den Armen ihre Almoſen entzog,
und ſein Geld an Reiche verſchleuderte, daß er
Unſchuldige beraubte, Gotteshaͤuſer zerſtoͤrte, ſich
ſelbſt durch harte Worte und Thaten entehrte, und
uͤberhaupt ſich fo betrug, daß weder er noch an—
dere wußten, was er wollte oder was er nicht
wollte, Rur in einem blieb er ſich mit klarem Bes
wußtſeyn gleich, im feinem Haſſe gegen die fachfifchen
Zürften und in Verunglimpfung berfelben bey dem
Kaifer, auf welchen er, troß feiner Entfernung , feis
nen Einfluß nicht fo ganz verloren haste, Graf Mag:
nu8 hatte fich in dieſer Zeit an den angefehenen und kraͤf⸗
tigen Herzog Otto von Bayern, Heinrich’8 heftigen _
Gegner, angefchloffen: der Kampf aber wurde ungleich,
weil Otto von feinen früheren Verbündeten fich verlaffen
ſah. Beyde, Otto und Magnus, mußten fich unterwerfen, -
und wurden eine Zeitlang gefanglich aufbewahrt. Nur
Otto wurde nach Verlauf eines Jahres in Freyheit ges
feßt, Magnus hingegen zu Iängerer Gefangenichaft vers
ureheilt, nicht ohne Mitwirkung des Bifchofs Adalbert,
der die Zwifchenzeit Flüglich benutzte, fich wiederum in den
Befig aller verlorenen Kirchengüter einzuſetzen. Schon
war er auch mwieber am Hofe erfibienen, und alle
früheren Lieblingsplane, insbefondere die Errichrung des
”
Zwiefache Zerftörung Hamburgs durch d. Wenden. 1072. 53
nordifiben Patriarchats lebten im feiner Seele
aufs neue wieder auf, Aber den vielfachen Anftrengungen,
den fich ſtets haufenden Widerwärtigfeiten unterlagen end;
lich feine Krafte. Bon einer ſchweren Krankheit über:
fallen, doch immer noch die Hoffnung des Lebens nah:
vend, ſtarb er faſt einfam und von allen feinen Freun⸗
den verlaffen, nur von feinem unglücklichen Kaifer
betrauert, an dem er bis zu dem letzten Augenblick mir
fefter Treue gehangen, dem er auch noch feine Kirche auf
das dringendfte empfohlen hatte, zu Goslar am 16. Marz
1072, im fiebzehnten Jahre der Regierung Hein:
richs IV. Hi
Aber Adalberts Tod war nicht das einzige Un:
glück, melches in diefem Jahre den erzbifchöflichen
Eis zu Hamburg traf. Denn in eben daffelbe Jahr
fallt die furchtbare zwiefache Verheerung Hamburgs
und deſſen Gebieres, durch den Wendiſchen Tyranıen
Krufo, welcher, mie Ausſchluß der beyden Söhne
Gottſchalks, Buthue und Heinrich, zum König der
flavifchen Voͤlker erwähle worden war, Die ganze
Stade, Kirche und Kloſter wurden zerfiört, und die
durch Bevölkerung und Anbau ſchon fehr belebte und
bluͤhende Gegend umher in eine Einöde, verwandelt,
Das Land war nun ohne Schuß und Hülfe, Nordalbin⸗
gien blieb am die dreyßig Jahre hindurch in der Gewalt
der Slaven, welche befonders gegen die Chriften mit
Harte und Grauſamkeit verführen, Mehrere hundert
holſteiniſche Familien verließen ihre Heimath, gingen
über den Elbfirom, und fiedelsen fich, um den Berfolgun:
gen- ihrer Feinde niche fürder Preis gegeben zu feyn, in
54 Ordulph's Tod 1073. Herzog Magnus,
den Gegenden: der Harzwaͤlder an, allwo noch fpäter-
hin -ihre Nachkommen gefunden wurden. Don diefer
Zeit an beginnt der Einfluß und das Anfehen der ham—
burgifchen Erzbifchöfe über den nördlichen Theil ihres
Sprengeld, wie begreiflich, immer ſchwaͤcher zu wer:
den; man dachte zugleich darauf, den erzbifchöflichen
Sitz aus diefer fo oft geangfketen Gegend hinweg, und
auf immer nach: Bremen zu verlegen, woraus zwifchen
den bhiefigen Kapitel und dem Bremer Stifte ein lang
mwieriger Rangffreit entſtand, welcher erft viel fpater
durch einen gegenfeitigen Vergleich gefchlichter wer⸗
den Fonnte,
Im naͤchſtfolgenden Jahre feit jener furchtbaren Ver⸗
Kia Nordalbingiens ſtarb auch Herzog Ordulph,
der wegen feiner ungluͤcklichen Kaͤmpfe gegen die Sla—
ven zuletzt bey ſeinen eigenen Leuten tief in der Achtung
geſunken war. Sein Sohn Magnus befand ſich
damahls noch in kaiſerlicher Gefangenſchaft und ſollte
ſeine Freyheit nur erhalten, wenn er dem vaͤterlichen
Erbe und dem Herzogthum entſagen wollte, nach dem
alten Plane, dem ſchon Heinrich III. entworfen und
Adalbert weiter entwickelt hatte, das ſchoͤne Sachfen
zum ‚unmittelbaren Föniglichen Lande zu machen, Stand»
haft verfagte Magnus feine Einwilligung, um fo
mehr, da ein neuer Aufftand der angefehenften Fürften
des Reichs, an deren Spitze Otto von Bayern fand,
Dem Kaifer den Untergang drohete. Graf Herimanı,
des verſtorbenen Herzogs Ordulph Bruder, eroberte
Luͤneburg, und ließ dem Kaiſer melden, daß alle Kriegs⸗
gefangenen mit dem Leben buͤßen ſollten, wenn nicht
Magnus kehrt im feine Provinzen zurüch, 1088, 55
feines Bruders Sohn alfobald im Freyheit und in den
Beſitz feines väterlichen Erbes wieder eingefeßt wuͤrde;
eine Forderung, welche zu bewilligen, wie ungern es auch
geſchah, der Kaifer durch die Umſtaͤnde fich gezwungen
ſah. Die nachfolgenden Bewegungen und Unruhen in
BR
Deutfchland zogen den Herzog Magnus aufs neue
in den Strom der Begebenheiten hinein; er gerieth
zum zweytenmal in des Kaifers Gefangenfchaft im der
Schlacht bey Langenfalga, (1075) harte faft zum drit⸗
tenmale bey Mellrichſtadt daſſelbe Schickſal gehabt,
und verföhnte fich erſt fpäterhin mit dem Kaifer, mag
eine ganzliche Unterwerfung der Sachfen zur Folge
hatte, im 3. 1088, Nun erft konnte er auch daran
denfen, die nördlichen Lande feines Herzogthums von
den fihmweren Bedruͤckungen der Slaven zu befreyen,
Schon früher hatte des ermorderen Wendenfürften,
Gottſchalk's, Altefter Sohn Buthue ihn um Hülfe
erfucht, und mit 600 wohlbewaffneten Mannen das
Schloß Plön in Befis genommen, aber fie wurden von
Kruko eingefchloffen, und als Feine weitere Hülfe erfchien,
fiel er ſelbſt mie den Seinen einDpfer der Treuloſigkeit.
Bald darauf aber landete Gottſchalk's zweyter Sohn,
Heinrich, in Verbindung einer Geſellſchaft daͤniſcher
und wendiſcher Seerauber, an der Kuͤſte von Wagrien,
verjagte den Krufo, fo dag fich diefer- zu Friedensvor⸗
fchlägen gezwungen ſah, ließ ihn dann mir Einverffand-
niß ber jungen Gemahlin deffeiben, Slavina, einer
pommerfchen Prinzeffin, bey der Tafel ermorden, hey:
rathere die Wittwe und überredete durch fie die wendi—
ſchen Stämme, ihm zu sehorchen, Doch leiſtete er
56 Siege über die Wenden, Die nordifchen Kirchen machen
dem fachfifchen Herzoge Magnus, ber ihm in feinen
Unternehmungen benygeftanden haben mochte, den Eid
der Treue und entiagte allen ferneren Anfprüchen auf
kordfachfen. Zwar griffen die weſtlichen Wenden, die
das Heidenthum vercheidigen wollten, abermahls zu
den Waffen; aber Heinrich erfoche über fie, mit Hülfe
des Herzogs Magnus, bey Smilow (jetzt im Lauen-
burgifchen) einen fo vollkommenen Gieg, daß er
als König des Wendenlandes anerfannt wurde und
auch die öftlichen Stamme fich unterwarfen.
Es iſt niche wahrſcheinlich, daß in fo umficherer
Zeit das in Trümmern liegende Hamburg zu vorzuͤg⸗
lichem Anſehen fich wieder habe erholen können. Die
Erzählung eines nicht fehr bedeutenden Vorfalls, der
in diefe Zeit gefegt wird, gedenkt bloß der umliegenden
Gegend von Hamburg, wo allerdings einzelne Inſaſſen
fih erhalten haben mochten. Eine Notte flavifcher
Kauber, den Midianiter-Horden ähnlich, trieb aus
diefer Umgegend das Vieh hinweg und ſchleppte Die
Bewohner mit fich fort in Gefangenſchaft. Ein Graf
Gottfried, der ihnen nachfegte, fiel in zu hitziger
Verfolgung in einen Hinterhalt und wurde getoͤdtet.
Wahrſcheinlich war dieſer Graf nach der Befreyung
Nordalbingiens uͤber dieſe Gaue vom Magnus geſett
worden.
Auch von Seiten der Biſchoͤfe ſcheint damahls für
die unglückliche Stadt wenig gethan worden zu ſeyn.
Liemar, Adalberts Nachfolger, pflegte als ein eben
ſo eifriger Anhänger des Kaifers denfelden auf allen
ſeinen Zügen zu begleiten und kuͤmmerte fich um feine
fich unabhangig v. 9. Erzbisthum. Magnus ft. 1106, 57
Diöces nur, wenn er im berfelben feine Einkünfte vers
mehren zu koͤnnen glaubte. Ein voreiliger Bannſtrahl,
auf den danifihen König Erich J. (Egothe zubes
name): gefchleudere, hatte nur zur Folge, der miß—
‚bebaglichen Abhangigkeit der nordifchen Reiche von
dieſem erzbifchöflichen Stuhle den Iegten Gtoß zu
geben; uud da auch der naͤchſte Bifchof, Humbert,
(von 1101 biß 1104) ed mit großer Gleichgültigkeie
geſchehen Tieß, daß mir den Damen die norwegiſchen
und ſchwediſchen Könige fich im dieſer Abſicht immer
näber vereinigten, kam endlich unter dem Erzbifchof
Friedrich (1104 bis, 1123) die Abfonderung der
nordifchen Kirchen von dem hamburgiſchen Erzſtifte
völlig zu Stande. Lund in Schonen wurde zum
erzbifchöflichen Sige im Norden erhoben, und fogleich
der zu Hola in Island zuerft ernannte Bifcbof Jonas
Damund unmittelbar von Rom aus. nach Lund zur
Drdination verwiefen, Me
Herzog Magnus ſtarb im J. 1106 ohne mann:
liche Leibeserben und das Herzogthum Sachſen fiel an
das Keich zurück. Nur zwey Töchter hinterließ er,
Wulfhild und Elife, von welchen jene mie dem
bayrifchen Prinzen Heinrich aus. dem Haufe der
MWelfen vermable ward, welches dadurch zu dem
Beſitz der billingifchen Erbgüter gelangte; Die jüngere
beyratbete Otte von Ballenftäde, deffen Nachkommen
‚fo große Gegner des welfiſchen Haufes geworden find;
Mit dem erfedigten Herzogthume Sachen aber belehnte
Kaifer Heinrich V. (fein unglücklicher Vater mar in
demfelben 1106. Jahre gefforben,) den mächtigen Gra-
58 Lothar von Supplinburg Herzog von Sachſen.
fen Lothar von Supplinburg, and dem Witte -
findifchen Gefchlechte, nachmaligen zweyten Kaifer die
ſes Nahmens: und mit dieſem Herzoge beginnt ein
neuer Abſchnitt für die Gefchichte Hamburgs, das wir,
fo viel verfprechend die Ausfichten waren, bie: fich mit
der erfien Verwaltung der Billinger für daſſelbe eröffner
tem, jeßt bey dem Erlöfchen diefes Stammes faft wie
der in ganzliche Unbedeutenheit und Vernichtung hinab:
gefunfen erblicfen müffen, Adam von Bremen, Zeit
genofle dieſer Dinge, nannte Samburg vor der,
legten Zerflörung die bluͤhendſte und wohlhabendſte
Stadt des ganzen Herzogthums; Handel und Gewerbe
ſchienen ſich in dieſer Zeit entwickelt zu haben; zur
Erweiterung und Verſchönerung der Stadt hatte Kaiſer
Heinrich IV. ſelbſt die reichften Geſchenke dargeboten,
Hdalbert batte es zu feinem Lieblingsfig erkohren
gehabt; und alle diefe glänzenden Hoffnungen wurden
durch die letzten Ereigniffe fo ganz in Trümmer dahin
geworfen. Wie im prophetifchen Beifte troͤſtete Adal-
bert kurz vor feinem Hinfcheiden die zerflörte Stadt
mit den Worten der Bibel: „Sey fröhlich, du
Unfruchtbare, die du nicht gebierefi, und
brich bervor und rufe, diedu nicht ſchwan—
ger bift: denn die Einfame bat viel mehr
Kinder, als die den Wann bar,‘ vomse
Die Schauenburger, Grafen yon Nordalbingien, 59
III. |
Mit der neuen Beftallung des Herzogthums Sach—⸗
fen durch Lorhar von Supplinburg gebe in den
Angelegenheiten Hamburgs eine fehr wefentliche Veraͤn⸗
derung vor und die Geſchichte der Stadt gewinnt nicht
allein an innerem Zuſammenhange, ſondern auch an
Wichtigkeit und anziehenderem Inhalte. Die Biſchofe,
welche ſchon ſeit Liemars Zeiten nur als Bifchöfe
von Bremen fich zu unterzeichnen pflegten, obfcbon
fie deshalb ihre Anfprüche auf den bifchöflichen Stuhl
zu Hamburg nicht aufgaben, verlieren immermehr von
ihrem Einfluffe und Anfeben und ibre Geſchichte nimme
von fegt an einen untergeordneten Rang ein, wahrend
das immer Fräftiger und freudiger aufblühende ſtaͤdtiſche
Leben und die allmahlig zu fefter Geftaltung fich ganz
von Innen heraus entwickelnde Freyheit unfere Auf:
merkfamfeie vorzüglich in Anfpruch nimmt,
Herzog Lothar, die Schwierigkeiten fühlend,
die nordalbingifchben Gegenden wider die beftändigen
Anfälle der unruhigen wendifchen Völker zu befchügen,
faßte den Entſchluß, einem Edlen von Muth und
Anfehen diefe Provinz als ein von ihm abhangiges
Lehn zum Schuß und zur Regierung zu übertragen, in
ſolchem Verhaͤltniß namlich, daß diefer von ihm ald
Lehnsherrn beftallte Vafall ihm eben fo untergeordnet
fey, wie er, Lothar, den Kaiſer als feinen Lehnsherrn -
berrachtere. Er übertrug demnach diefen nördlichen
Theil feines Herzogthums dem Grafen Adolph IL
von Schauenburg, mit demiald Adolph dem
Erſten die neue Reihe der Grafen von Holffein,
—
60 Adolph I. Graf von Holſtein ꝛc.
Stormarn und Wagerland beginnt. Als den Stamm:
vater. dieſes Gefchlechtd nennt die Gefcbichte einen .
Adolph, Herin non Santersleben, der den Kaiſer
Konrad I. auf feinen Kriegszuͤgen begleiter haste,
und für die demfelben bewiefene Treue und Anhaͤnglich⸗
keit mie Dem Nitterfihlage belohnt worden war. Vom
Biſchof zu Minden erhielt er dem Berg mie dem
Thale gefchenft, die fich Tangs der Wefer vom Haus:
berge bis gen Baſſinghauſen hinziehen, damahls der
Neffelberg am Suͤntal (Sonnenthal) genannt. Auf
diejem Berge erbauete er fich eine Burg, die er von
jenem Bifchofe zum Lehn nahm, und Kaifer Konrad
erhob ihn im J. 1030 auf. dem Keichstage zu Minden
in den Grafenfland, und Iegte ihm von jener weit
in. das Land hineinfchauenden Burg den Nahmen
Schauenburg bey, Deffen Sohn Adolph, dem num.
die Berwaltung Nordalbingieng übertragen morden war,
entfprach gänzlich dem Vertrauen, das Lothar in
ibn gefeßt hatte, Durch den Auf feiner Tapferkeit fo:
wohl, als durch fein kluges Benehmen gegen die benach-
barten wendifchen Fürften wußte er dem Lande Frieden
zu erhalten, und benutzte dieſen dazu, die Spuren der
festen Verheerungen, welche Hamburg durch fie erlit⸗
ten hatte, moͤglichſt zu vertilgen, Die leeren, öden Ge—
genden, zu deren Anbau es fogar an Menfchen fehlte,
wieder zu bevölfern, fand fich um dieſelbe Zeit fehr
günftige Gelegenheit, In den Niederlanden hatten
große Ueberſchwemmungen aufferordentlichen Schaden
angerichtet, Damme durchbrochen, Wohnungen zer-
feört, und Menfchen und Vieh waren ein Raub der
Niederfändifche Kolonien in Nordfachfen, 61
Flurben geworden. Der Mutb, fie wieder aufzubauen,
entfanf den Entronnenen; viele verließen ihr Waters
land, und fuchten andere Wohnfige. Da wendeten fie
fich in die einft vorzüglich von den Slaven befeffenen
Lander, am Tiebften in die Marfcbgegenden, die noch
Niemand einzudeichen verftanden, und fo kamen mehrere
im andere Provinzen fowohl, als insbefondere nach
Holftein und Wagrien, übernahmen Marfchlander,
Sümpfe, Brüche und öde Gegenden zum Anbau, und
febloffen mit den Eingefeffenen darüber beftimmte Vers
gleiche ab, Der Bersrag, den ſchon der bremifch-
bamburgifche Erzbifibof Friedrich 1106 mie ihnen
errichtete, diente den Nachfolgenden in diefer Gegend
zur Richtſchnur. Wie fie als freye Leute kamen, fo
ließ man ihnen, gegen beffimmte Abgaben, den freyen
Beſitz der Grundſtuͤcke und die Freyheit ihrer Perfon.
Mehrere folgten ihrem Zuge und: von diefer Zeit an
finden wir die vielen Holländereyen, mis weichen im
Niederfachfen ein befferer Anbau der Feldfluren und als
gemeinerer Wohlftand anhebt. Daß die Bewohner der
reichen Eldinfeln, die noch beutiges Tages fo viel
Eigenthuͤmliches in Sitten und Kleidertracht und ſelbſt
in ihrer: Sprache haben, von jenen aus Flandern,
Friedland und Holland gekommenen Anfiedlern abſtam—⸗
wen, leider fchon der Aehnlichkeit halber feinen Zweifel,
welche diefe Landleute in Körperform, Tracht und
Gebräuchen noch jege mit den Nordkollandern gemein
haben. Doch befondere Aufmerkſamkeit widmete der
Graf Adolph der Stade Hamburg felbft, die er fich
zu feinem Sig und zur Hauptſtadt der ganzen Provinz
- /
62 Adolph's I. Berdienfie um Hamburg, ff. 1130,
erfohren hatte. Durch den Wiedernufbau der feit 1072
wüfte gelegenen Domfirche erwarb er fich den
Nahmen eines zweyten Gtifters und getreueften Wohl
thaters von Hamburg: das ift daffelbe Gebaude, mel:
ches in der Folge von Adolphs Nachfommen vollendet
und, zu: einem der ſchoͤnſten Denfmahler der Baufunft
ausgeführt, Bis im den Anfang Diefes Jahrhunderts
ſich erhalten hatte, in welchem endlich mit ſo vielen
anderen großen und heiligen Erinnerungen der Vorzeit
auch diefe hinweggeraumt worden iſt. Selbſt Adolphs
Gemahlin erwies fich ſorgſam für dad Wohl der Stadt,
indem fie die zerfförte Alfterburg wiederum aufrichten
und aufs Neue befeftigen Tief, zum Schug und zur
Desfung gegen feindliche Ueberrumpelung.
Adolph Cgefl. um das J. 1130) hatte zwey
Söhne, deren alteffer Hartung, ein ſtreitbarer
Mann, auf einem Zuge, auf welchem er dem Kaifer
(1126) nach) Böhmen "begleitere, bey einem plößlichen
Veberfall der Feinde erfchlagen wurde, Daher folgte
in der Regierung der jüngere Sohn, Adolph IM.
oder ald Graf von Holſtein, Stormarn und MWagrien
der zweyte, ein Mann von ausgezeichneten Eigenſchaf—
ten und Kenneniffen, ſelbſt in der Iateinifchen und flavi-
fiben Sprache wohl bemandert, da er früherhin zum
Kiofterleben erzogen worden war⸗ Auch feine Sorge
ging zunachft dahin, in der ihm anvertraueren Provinz
die Merfmahle der Verheerung und des heidnifchen Aber:
glaubens, welche die Slaven hinterfaffen hatten, zu
vernichten, Bebilflich war ihm darin befonders der
kluge und thatige Birelin, ein Geifilicher, der auf
Adolph IL. Graf von Holfkein ꝛc. 63
die Fürfprache des bremifchen Biſchof's Adalbert
II. 1136 die Erlaubniß erhalten hatte, unter den Sta
ver frey und ungehindert das Chriftenehum zu predi⸗
gen. Anfangs: hatte er Lübeck, das fibon damals
ein angefebener BWaffenplas der Oborriten war, zu
feinem Aufenthaltsorte gewaͤhlt, nachher erbauete er
eine Berfapelle und ein Klofter an dem. flavifchen
Grenzorte Faldern, nachmahls Neumünfter ger
nennt, Inls Pflanzſchule zur weiteren Beförderung feines
wohlthärigen Wirkens. Seine Predigten über die wich-
eigften Lehren des Chriffenehums, vom Leben nach dem
Tode, ıvon der Beflerung des Wandeld, zogen eine
Menge: Zuhören berbey aus der umliegenden Gegend,
die Famen, zu hoͤren den neuen Lehrer des Wortes und
des ewigen Lebens, und, wie eine alte Chronik fich
ausdruͤckt, bereueten ihre Sünde, alfo daß auch viele
ehrwuͤrdige Geiffliche und gelebrre Männer dem Vicelin
fich zufügten in Orden, Regel, Kleidung und beiligem
Leben. Auf feinen Rath geſchah es, daß Lothar,
‚welcher ſeit 1125 zum deutichen König erwahlt wor:
den war, auf dem Alberg in Wagrien eine Burg auf:
führte, und am Fuße des Berges eine Kirche und ein
Kloſter erbaute, dem mehrere umliegende Dorfſchaften
untergeben wurden, Das iſt die nachmalige Siege⸗
burg oder der Segeberg, wie ſich jetzt dieſer
Nahme erhalten hat. Wer hat uns dieſen Berg dem
Kaiſer verrathen, ſprachen die Wenden unter einander,
als der Bau unternommen wurde? Sieheſt du dort das
kleine, verachtete, kahlkoͤpfige Maͤnnchen, Vicelin, ant⸗
wortete einer; der bar es gethan um des Wortes willen.
64 ° Albrecht der Bar. Heimich von Badewide.
Durch die Verhältniffe des Reichs wurde inzwi—
fchen die Lage des Grafen Adolph II. fehwieriger
und verwicelter, Als Lothar, Herzog von Sachfen,
zur Würde eines deutſchen Königs erhoben worden
war, hatte er das Herzogthum feinem mächtigen Eidam;
dem bayerifchen Herzog. Heinrich dem Hoffartigen
übertragen. Dagegen erklärte Lothar's ehemaliger Neben:
buhler, der ihm jet nachfolgteauf dem deutſchen Throne;
Konradlll, (1038), daß Ein Herzog nicht zwey fo bedeu⸗
tende Leben befigen koͤnne, entriß dem Heinrich in Folge
der daraus entffandenen Mifhelligfeiten beyde Herzog:
thuͤmer, und fprach Sachien dem Albert von Bar
lenſtaͤdt, Markgrafen von Brandenburg, zu, der
unter dem Nahmen des Baren bekannt iff, » Albert
mußte fih durch Gewalt der Waffen den Beſitz Des Herzogz
thums zu erkaͤmpfen ſuchen, und als dies gelang, belehnte
er mit Nordalbingien den Grafen Heinrich von
Badewide, aus dem Geſchlechte der Grafen von
Orlamuͤnde, dem alfo Adolph IL, der feinem Herrn
mit Treue ergeben blieb, eine Zeitlang weichen mußte
Doch dauerte diefer Wechfel nicht lange. Schon 1139
kehrte der vertriebene Heinrich, der bey den Sachſen
fräftige Unterffügung fand, zurück; in feinem Gefolge
Graf Adolph Il, und Heinrich von Bademwide ver-
mochte bier im Norden nicht langer zu widerſtehen.
Er verließ Hamburg, nachdem er dafelbft das von
Adolphs Mutter wieder aufgebauete Alfterfchloß in einen
Schutthaufen verwandelt und auch die Siegeburg zerftört
harte; Adolph hingegen kehrte in feine Grafſchaft zus
ruͤck und nahm aufs Neue in Hamburg feinen Wohnſitz.
—
Adolph U. wieder Graf von Holſtein ꝛc. 65
Aber in demſelben Jahre und noch vor gaͤnzlicher
Beendigung des Krieges mit dem Kaiſer ſtarb der
Herzog Heinrich der Hoffaͤrtige, oder wie ihn
andere nennen, der Großmuͤthige, und hinterließ
einen zehnjaͤhrigen Sohn Heinrich, der in der Folge
wegen feiner mannhaften Kraft und Tapferkeit der
Löwe zubenahme wurde. Adolph wäre dadurch bald
um die Früchte feiner jüngften Anftrengungen gekom⸗
men, denn die verwittwete Herzogin Gertrud, uns
eingedenf der von demjelben ihrem Gemahl bewielenen
Treue,‘ begünftigte mie befonderer Vorliebe den kuͤrzlich
erft aus Nordalbingien vertriebenen Gegner Adolph’g,
Heinrih von Bademwide, und nur durch die mit
Enefchloffenheit und Nachdruck. vorgebrachten Gründe
von der ‚Gerechtigkeit feiner guten Sache gelang «8
dem Grafen, im Beſitz feiner Provinz ſich zu behaup-
ten. Der Badewider wurde mit dem Lande der Pola—
ber entfihädiger, d.h, mit der Grafſchaft Ratzeburg,
allwo er. auch zuerfi die Domkirche erbauete und das
Kapitel errichtete 1157. Adolph aber erwieß fich
wahrend der Minderjährigfeit des jungen Herzogs im
der Verwaltung feiner Grafſchaft eben fo einſichtsvoll,
flug und umfichtig, als tapfer und treu gegen feinen
Lehnsherrn. Bor allem ‚ließ er die zerflörten Veſten
wieder aufbauen und ſtaͤrker machen, das Schloß
Segeberg fiellte er: fihleunig wieder her, und umgab
ed mit einer feſten Mauer, auch Lübeck, das im
J. 1139 von einem Ruͤgiſchen Fuͤrſten dem Erdboden
gleich gemacht worden wars bauere er an einer andern
Stelle, zwiſchen der Trave und der Wackenitz wieder
5
—
66 Adolph's IL, Verwaltung wahrend der
auf, fo daß es fihnel zu neuem Wohlftand fich erhob,
and Rauflente von allen Orten, befonderd aus den
nordifchen Gegenden, berbey 309, dort ihr Gewerbe zu
treiben. Die benachbarten, noch ziemlich menfchenlee-
ven Gegenden des verbeerten Wagriens befeste er
gleichfalls, nach dem Beyfpiele feiner Vorganger und
des damaligen Biſchofs Adalbero (1123-1148) mit
en Coloniften. Gegen Beunruhigungen
von auſſen ſchuͤtzen oft weniger fefte Mauern und Bur-
gen, als Fluge Vorficht und meife Berträge. Adolph
war befonders bemüht, mie den benachbarten flavifchen
Dberhauptern in gutem Vernehmen zu: leben, und
ſelbſt als 1148 gegen den Fürften Niklot von dem
bremiſchen Bifehof, den fachfifchen Hergogen und an
deren Fürften und Herren ein Kreuzzug unternommen
wurde, ſcheint er im feinen Verhaltniffen zu Niklot
mehr feiner Klugheit gefolgt, als den Pflichten feiner
chrifflichen Mitffreiter eingedenf gemwefen zu feyn. Der
Zug blieb wegen lineinigfeit der Führer ohne bedeu-
tende Folgen; in einem Vergleiche verfprachen die Wen-
den, das Chriftenehum anzunehmen, womit es ihnen
wenig Ernſt war; Adolph aber erneuerte fein Buͤnd⸗—
niß mit Niklot, wovon er für feine Provinz ungleich
gröfferen Bortheil erwartete, Es leidet feinen Zweifel,
daß er auch mit den benachbarten daͤniſchen Koͤnigen
in friedlichem Verhaͤltniß ſich zu erhalten fuchte, und
er leiſtete ſogar in den damaligen Streitigkeiten der
daͤniſchen Prinzen Sueno Grothe und Kanut, Mag—
nus Sohn, dem letzteren tapfern Beyſtand: wenn aber
der wackere Gare, dem wir die aͤlteſte Geſchichte der
Minderjabrigfeie Heinrich’8 des Loͤwen. 67.
danifiben Könige zu danken haben, zugleich auch an-
führe, Adolph fey dem folgenden Könige Waldemar
lebnspflichtig geweien, fo Liege diefer ohnehin nur
flüchtigen Angabe entweder ein Mißverſtaͤndniß zum
Grunde, oder jener Ausdruck kann nur etwa auf einige
liegende Gründe, die der König ibm vielleicht zurı Lehn
übertragen hatte, bezogen werden, da von einer Lehns⸗
pflichtigkeie in Bezug auf die ganze Provinz, befonders
damahls, nicht Die Nede feyn konnte; |
Heinrich der Löwe war ingwifchen heranges
wachien mit Kraft und Muth, und mie dem heftig
feurigen Sinne, welcher die Welfen auszeichnet, am die
eigene Verwaltung feines. Erbes getreten. Der hoch⸗
fahrende Juͤngling konnte es nicht verfihmersen, daß
Baiern in dem Beſitz eines Anderen (des Markgrafen
von Oeſterreich) bleiben ſollte; auf dem Reichstage zu
Frankfurt 1147 trat er keck hervor und verlangte faſt
drohend ſeines Erbes Wiedergabe; denn, rief er, hat
mein Vater gefehlt, warum ſoll ich, der Sohn, es
büßen? Kaiſer Konrad mußte ihm zu beruhigen
ſuchen und fah fich weiterhin genöthigt, den braufenden
Geiſt des jungen Herzogs durch Waffen im Zaume zu
halten, Am böchiten ſtieg fein Anfeben unter dem
nachfolgenden Kaiſer Friedrich dem Rothbart,
(2152) welchen er auf feinen Zügen nach Welſchland,
jenen unglüsffeligen Unternehmungen eines ungemeffenen
Ehrgeizes, begleitete und; durch die weientlichiten und
kraͤftigſten Dienfte ſich fo verpflichtete, Daß er dem
Kaifer perfonlich. lieb ward und von ibm zugleich als
- Beweis des Dankes erbielt, daß Baiern wieder mit
Er
68 Adolps II. Streitigkeiten mit Heinrich d. Lömen,
Sachſen vereiniger wurde, So war Heinrich naͤchſt
dem Kaiſer der erſte und machtigfte Fuͤrſt in Deutſch—
fand und feine Stelfung erſchien der Ruhe des Ganzen
nicht wenig gefahrlich. Zunaͤchſt nun trachtere er, feine
Macht in feinen Erblandern nach innen und außen zu
verarößern und zu erweitern. Da durch das ſchnell
beförderte Auffommen der Stade Luͤbeck feine Stadt
Bardomwif, bis’ dahin bluͤhend durch Handel und
Verkehr, anfıng in Verfall zu geratben, auch durch Die
vom Grafen Adolph zu Oldeslohe neuerdings ange:
legte Salzſiederey des Herzogs Salinen zu Lüneburg
litten, verlangte er vom Grafen, ibm miche mur
die Hälfte der Stade Lüberf, fondern auch die neu
angelegten Salzwerke abzutreten: denn wir dürfen es
nicht ertragen — aufßerte er — daß um fremder Bor:
theife willen die Erbfchaft unferer Vater zertruͤmmert
werde, Als der Graf, im Gefühl feiner Rechte, ſich
der Erfüllung folcher Forderungen weigerte, ‘gab der
Herzog wirklich Befehl, daß zu Luͤbeck nichts verfauft
oder gefauft werden .folle, als Nahrungsmittel; die
Kaufmannswaaren Tieß er mit Gewalt nach Bardomwif
Bringen und die Salzquellen zu Oldeslohe, in’unebier
Yufwallıng der Leidenfchaft, verſtopfen. Adolph aber be:
nahm fich auch im diefer ſchwierigen Sache mit Ver:
ffandigfeit, ertrug, was er nicht vermeiden fonnte und
gab nach, fo weit es die Umſtaͤnde erheiſchten. As
Luͤbeck im J. 1157 durch eine ſchreckliche Feuersbrunft
in Afche gelegt wurde, errichteten die muthlos gewor⸗
denen Buͤrger, die bey Adolph wenig Unterſtuͤtzung
fanden, unter des Herzogs Beguͤnſtigung eine neue
'
und Bergleichung. Kriege gegen die Slaven. 69
Stade im Lauenburgifcben an der Wackenitz, unweit
des jegigen Luͤbecks, und nannten fie. die Lömwenftadt;
da aber die Lage derfelben dem Handel wenig gunftig
war, überließ Graf Adolph dem Herzoge die alte Brand-
ſtaͤtte, die Loͤwenſtadt wurde abgebrochen und auf der
vorigen Stelle Lüberf wiederum aufgebauet. Dies
föhnte die beyden Fürften für immer mit einander ang,
Heinrich befeßte fein Luͤbeck mie bandelsverflandir
gen Planzbürgern aus den pommerfcben Handelsitadten
Julin und Demmin, und die junge. Stade erhob fich
raſch zu fchöner Fülle gedeiblichen Lebens.
Mie ſtaͤrkerem Nachdruck, als feine Vorfahren,
erneuerte Heinrich den Kampf gegen die wendiſchen
und flavifchen Voͤlkerſchaften, welche, wie bartnädig
fie fih auch widerſetzten, doch immer. mehr dem fach?
fifchen Joche fich unterwerfen mußten. Einer ihrer
Fürften antwortete dem Herzog, als er ihn zum Chris
ſtenthum ermahnte: der Gott, der im Himmel ift, fey
dein Gott, und du fey unfer Gott, ehre du den erſten
und wir wollen dich ehren, Denn nur zum: Druck
wurde ihnen die Wohlthat des Chriftenehums auferlegt,
Aber Heinrich verfuhr mir Raſchheit und Gewalt, vers.
theilte das eroberte. Land unter feine Kriegsmaͤnner,
bevölferte e8 durch Deutfche und Niederländer, errichz
tete Bisthuͤmer und befeste dieſelben eigenmachtig,
noch bevor er vom Kaifer dazu Bellatigungsrecht er⸗
halten hatte, ein Reizungsmittel der Eiferſucht und
des Haſſes, womit die geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten
fo eingreifende Gewalt betrachteten und verfolgten.
Auch mit den Daͤnen verband er ſich zur Unterjochung
70 Adolph IL. fälle im Treffen bey Demmin 1164,
der Wenden, vielleicht auch, um feiner Macht noch
größere Unabhängigkeit und Gelbftandigfeit zu ermwer-
ben. Graf Adolph II. Teiftere dem Herzog auf allen
diefen Zügen getreuen Beyftand und befiegelte feine
Treue gegen ihn ferbft mit dem Tode, E3 war im
Jahre 1164, als Adolph mit einer fächfifchen Heerab—
theilung zwo Meilen von Demmin ſtand, allwo ſich
Pribislav mir dem Kern der ſlaviſchen Voͤlker ver:
ſchanzt hatte; Heinrich, welcher mit dem uͤbrigen Heere
und den Proviantwagen nachfolgte, zoͤgerte lange, ſo daß
bey Adolphs Leuten Mangel eintrat und die Troßknechte
ausgeſchickt werden ſollten, den Herzog aufzuſuchen.
Eben als dieſe In der Morgenfruͤhe aufbrachen, entdeck—
ten ſie ein Heer der anruͤckenden Slaven, eilten in das
Lager zuruͤck und weckten durch lautes Geſchrey die
Uebrigen. Graf Adolph, der mit ſeinen Holſteinern
und Dithmarſchern ſchleunigſt entgegen eilte, hieb ihr
erſtes Treffen nieder und trieb ſie bis zum nahen See;
als aber das zweyte Treffen heranruͤckte und wie ein
Berg ſich über die Sieger warf, da fielen bie
Zapferiten bes fachfifchen Heeres und unter ihnen Graf
Adolph, Das ganze Lager der Sachfen wurde den
Slaven zur Beute, Zwar eneriffen die berbeyeilenden
Grafen Singer und Chriftiern den Plündernden den
Sieg wieder aus den Handen und erbeuteten das Lager
aufs Neue, aber Heinrich beweinte mit gerührter Theil:
nahme den Tod feines getreuen Grafen und verlaugnete
auch im wilden Gewühl des Kampfes nicht die fihöneren
Gefühle der Menſchlichkeit, des Helden edelſte Zierde. Zu
mehreren Zeiten herrſchte die Vorſtellung, es ſey fuͤr das
Vormundſchaftliche Regierung der Mechtildis ꝛc. 71
hoͤchſte Ungluͤck zu achten, nicht im heimiſchen Lande beſtat⸗
tet zu werden; daher pflegten auch damahls die Fuͤrſten
und Großen unter den Deutſchen die Koͤrper der Gefal—
lenen auszuſieden und ihre Gebeine in die Grabſtaͤtten
ihrer Vaͤter bringen zu laſſen. So geſchah es, als
eine verheerende Seuche in Italien in Friedrichs Heere
1167 mehrere auch der angeſehenſten Fuͤrſten hinweg—
raffte. So that jetzt Heinrich mie dem Leichnam
des Grafen Adolph: er Lie denfelben in Stücfen zer:
bauen, auskochen und bereiten, damit feine Gebeine
nach Minden gebrachte werden Fonnten, allmo fie neben
einem Altar, den der Herzog felbft geftifter hatte, feyer-
lich beygeſetzt wurden,
Graf Adolph hinterließ einen 8 minderjähriz
gen Sohn, Adolph IIl., über welchen anfangs die
grafliche Wittwe Mechtil dis, mie dem Beyfkande
zweyer bewaͤhrt gefundenen Mönner Bruno, eines Prieiterd
in Oldenburg, und des Grafen Marcrad, die VBormund-
fihaft verwaltete, Da aber der Herzog Heinrich mit
Recht beforgte, daß es unter den damaligen fchmwierigen
Umftänden des Fraftigen Schuges eines Mannes be
dürfe, fo fegte er an die Spige der voarmundfchaftlichen
Regierung den Grafen Heinrich von Drlamünde,
einen thatdurſtigen, tapfern Mann, der mit dem jungen
Grafen ſelbſt verwandt war, und diefe Wahl erhielt
den Beyfall der Grafin Mechtildis fo fehr, daß fie fich
bald darauf mie ibm vermahlte, Doch ſtarb auch er
gerade zu der Zeit, als die Verwirrungen in: Sachfen
immermehr überhand nahmen, - und der innere Krieg in
beffen Flammen aufloderte, 1178.
2 Hamburg gewinnt an innerem Wohlftand
Wie fehr unterdeffen die Stade Hamburg an
aufferem Umfange ſowohl, als an innerem Wohlftande
zugenommen baben müffe, erhellet aus mehreren Anga-
ben, Wenn einer alten Nachricht zu trauen iff, und
es find Feine erheblichen Gründe vorhanden, die Wahr:
beit derfeiben verdächtig zu machen, fo verordnete Herzog
Heinrich fihon 1152 dafelbft die Gilde der Kramer
und Gewandfchneider, (Tuchhaͤndler) der angefe-
henſten Dansfacturiften in früher Zeit, die ihre eigenen
Fabrikate durch ganz Deutſchland verkauften, wodurch
die Stadt bereichere, und fie felbft zu den wohlhabend-
fien Bürgern erboben wurden, alfo daß aus ihrer Mitte
noch weiterhin viele im Rathe, viele in den bürgerlichen
Collegien jagen, Aus diefen Gewandſchneidern fließt
der Urfprung der Hamburg fonft fo fremdartigen kauf:
maͤnniſchen Amtsverfaffung her, die fich fpäter in meh—
rere Aeſte theilte und andere Memter bildete, unter
welchen dies ältefte, wie fehr auch jeßt die hamburgi⸗
ſthen Tuchfabriken berabaefommen find, ald ehrbare
Societaͤt vor den übrigen den Vorrang behauptet.
Wie die Stadt von ihrem alteften Kern aus, der
Anhöhe beym Berge, die zuerſt befriediger und bebauet
war, ſich rings bin weiter verzweigt und vergrößert
‚babe, geben die Straßen, welche von da, oft unregel-
maßig und in vielen fibiefen Winfeln ausgeben, fo wie
ihre bezeichnenden Benennungen genugfam zu erfennen ;
Die .meiften derfelben führen die Nahmen von Hand-
werfern und Gewerben, die Schmiedefiraße, mit dem
untern Theile der Sattlerſtraße, die Filter- (Filger-
oder Hutmacher ) Strafe, die Pelzerſtraße, von den
und aufferer Vergröfferung, Die Neuftade;, 73
Pelzern bewohnt, Coder Weißgerbern, die fich zu den
Kürfchnern balten,) weiterhin die Garbraderfirafe und
der Brodfchrangen, bald auch Fam die Reichenſtraße,
von ihren reichen Bewohnern fo genannt und unter
diefem Nahmen befannt ſchon im dreyzehnten Jahrhun—
derte ꝛc. Der Aufbau der Petri⸗Nirche, davon zuerſt
im J. 1195 unter dieſem Nahmen beſtimmte Erwaͤh—
nung geſchieht, iſt unſtreitig in dieſe Zeit zu ſetzen,
ſpaͤter etwas, als die von Adolphs J. Gemahlin wies
der aufgebauete Alſterburg von Heinrich von Bader
wide, Grafen von Drlamünde, verwuͤſtet worden, (1139)
Aber die Stade hatte ſchon damahls über das Peeri-
Kirchfpiel binaus fich erweitert, Da wo Herzog
Drdulph 1063: gegen den Biſchof Adalbert die neue
Burg erbauer batte, fiedelten fich mehrere ringsum am
und es entfiand eine befondere Neuftadt, da die Gegend
zum Handel mit den Bewohnern des jenfeitigen Elbs
ufers noch weit bequemer gefunden wurde. Wahrend
der vormunbdfchaftlichen Regierung der Gräfin Mech:
tildig, feit 1164, brachte e8 der Gerichtdvogt oder
Biürgermeifter Wirad dahin, daß jene Burg nieder:
‚geriffen und gefchleift wurde; den erledigten freyen
Pas vercheilte er in Wohnerben und raumte fie theils
den ſchon in diefer Gegend anfaßigen, theild den hieher
fih begebenden Kaufleuten und neuen Anfiedlern zur
Wohnung ein, Bald war der Pag mic mehreren
Haufern, Gaffen und Waarenlagern angefülle, und es
entftand die Nothwendigkeit, für die hiefigen Bewohner
eine, befondere Berkapelle zu errichten Dies geſchah
jwifchen den Jahren 1164 und 68, Die Schwierigkeiten,
4 Auflehnungen der geiſtlichen und weltlichen
weiche das hamburgiſche Domkapitel Dagegen vor:
brachte, wurden durch Vermittelung des Ersbifchofg
Harımwich in Bremen beſeitiget. Man. meihere die
Kapelle, wegen der großen Anzahl der dort anfommen-
den Schiffe, dem heiligen Nikolaus, dem Schuß-
patron der Geefahrer. In der Folge mehrten ſich die
Gaffen in diefer Vorfiade fo fehr, Daß fie dem eigent-
lichen Hamburg an Größe nahe Fam, ihr eigenes Rath:
haus erhieft und an thätigen und begüterten Bürgern
die Altſtadt zu uͤbertreffen fchien,
‚Wahrend diefer Entwickelung buͤrgerlicher Thaͤtig⸗
keit und Betriebſamkeit, die ſtill und geraͤuſchlos das
innere Mark des öffentlichen Lebens naͤhrt und pfleget,
erhob fich von außen mancher Sturm des milden
Kampfes, doch nicht minder geeignet, das geiltige
Leben zum Bewußtſeyn zu entfalten und zu meilerer
Anwendung und Hebung zu Tautern und zu ſtaͤhlen.
Heinrichs des Löwen Macht war meitreichend und
umfaffend, für feinen hochffrebenden Geift auffordernd,
fie immer weiter zu. verpreiten.- Auſſer feinen beyden
großen Herzogthümern, Bayern und Sachfen, beſaß
er fat fammeliche Wirtefindifche Stammgüter, große
Allode in Schwaben und das berrachtliche Land, das
er den Wenden abgenommen hatte und in welchem er
nach Gefallen fihaftete und waltete. Mit Strenge hielt
er darauf, daß die von ihm ernannten nenen flavifcben
Bifchöfe ſich von ihm invefliren und belehnen Taffen
mußten, da feine Väter und er dieſes Land mit Bogen
und Schwere unter göttlichem Beyſtand erſtritten hatten.
Der zum Biſchof von Oldenburg ernannte Vicelin
Firften gegen Heinrich's des 2, wachſende Gröffe, 75
wandte fich in der Verlegenbeit an den Erzbifchof von
Bremen, Hartwich I. (ſeit 1149) Den Kaifer allein,
verlangte diefer, dürften fie als ihren Herrn anerkennen;
aber alle Herzoge, Markgrafen und Fürften ſeyen nur
Balallen der Biſchoͤfe: ob fie denn alfo, die neuen
ſlaviſchen Biſchoͤfe, diefen Vorzug vernichten, ob fie
einem Herzoge, nach Lehnsbrauch, die Hände reichen
wollten, damit nach diefem Beyfpiel diejenigen, die big
jest Herren der Fürften gewefen, nun ihre Knechte
würden? Aber Heinrich, machzugeben nicht gewohnt,
beharrte in feiner Weife; um die Anmaßungen des
Erzbifchof8 zu zichtigen, fiel er im deffen Gebier ein,
verheerte rings das platte Land, überfiel fpaterhin
felbft die Stadt Bremen und gab diefelbe, die durch
Handel brühend war, feinen Kriegern zur Pluͤnderung
preis, Die Erbitterung zwiſchen beyden endete erſt,
als der Tod fie trennte, (Hartwich flarb 1168.)
Indeſſen war Hartwich nicht der einzige, welcher
fich eiferfüchtig der Macht des Herzogs entgegen gefeßt
hatte; mit ihm maren mehrere andere Fürffen in den
Bund getreten, der Ersbifchof von Magdeburg, der
Biſchof von Hildesheim, der Landgraf Ludwig von
Thüringen, Markgraf Albrecht dverBar, vorber ſchon der
Bifchof Konrad von Lübeck, nebft noch anderen, und fie
griffen ihn zu gleicher Zeit am verfchiedenen Orten an.
Aber Heinrich verlor den Much nicht; vor der herzog⸗
fichen Burg zu Braunfedweig ließ er (1166) einen aus
Erz gegoffenen großen Löwen aufrichten, ein warnendes
Zeichen, wie er feinen Feinden begegnen wolle; darauf
308 er, feine Volker zuſammen, und wie er Bremen
76 Heinrich’8 des Löwen Ungnade bey Friedrich I,
eroberte und pluͤnderte, fo verheerte er mit Feuer und
Schwert auch Thüringen und das ganze Erzbisthum
Magdeburg, vertrieb den Bifchof Konrad von Lübeck
und verbreitete überall ein. ſtarres Entfegen. Der
Kaifer Friedrich Tehrte eben aus Italien zurück, und
feinem Anſehen gelang es, den Sturm zu beſchwichti—
gen und den Hader in Ruhe und gegenfeitige Vertrag:
lichkeit aufzulöfen, Heinrich machte nach jener Zeit ſelbſt
eine Wallfahrt nach Serufalem, und wurde fogar am Hofe
des großherzigen Sultan Saladdin, der fo gerne fich
deusicher Abkunft ruͤhmte, mit folcher -Befcheidenheit
und Zuvorfommenheit bewircher, als man es faum von
einem chriftlichen Fürften erwartet harte, Nicht lange
nach feiner Ruͤckkehr aber trat ein Gluͤckswechſel für
ihn ein, welcher ihn mit ganzlichem Untergange bedro-
here. Kaiſer Friedrich unternahm 1175 einen neuen-
zug nach Italien, wohin ihn der Herzog Heinrich, der
fo. oft des Kaifers Fraftige Stuͤtze geweſen war, auch
jeßt begleitete; doch plößlich blieb er zurück, er hatte
fih von feinem Kaiferlichen Herrn befeidiget gefunden.
timfonft verfuchte Friedrich alles, ihn zu bewegen, ihm
den Beyſtand nicht zu verfagen; in einer perfönlichen
Unterredung am Comer: See wollte er ihm fogar zu
‚Füßen fallen, welches doch der Herzog hinderte; nur
einer feiner Diener fprach im Uebermuthe: laßt immer
Herr die Kaiferfrone euch zu Füßen legen, weil fie
alſo bald euch auch. aufs Haupt kommen wird; aber bie
Raiferin rief ihrem Gemahl mit unmwilliger Gebehrde
su: Stehet auf, gnaͤdiger Herr! gedenket dieſer Stunde!
und wolle auch Gott ein ihrer gebenfen. Es erfolgte
*
I
”
Heinrich der Löwe in die Reichsacht erflare 77
darauf das unglücktiche Treffen bey Lignano, mit wel—
chem fo viele Hoffnungen, die Frucht fo vieler Siege
verloren gingen; auf wen hatte dag erbitterte Gemüth
des Kaiſers die Schuld mehr fibieben koͤnnen, als auf
die verfagte Wurerffügung desjenigen, um den er fich
am meiften vor allen Fuͤrſten verdient gemacht hatte,
Heinrichs des Löwen?
Mit Grol erfüllten Herzen lud ihn der Kaiſer
vor den Reichſstag zu Worms zur Verantwortung,
Heinrich erſchien nicht, aber viele Fürften und Bis
ſchoͤfe, die fich binzudrangten, Klagen und Befchwer-
den in ungemeffener Zahl auf ihn zu haufen; am wer
nigften Fonnten die Geiftlichen es verfchmerzen, daß er
in feinen eroberten flavifchen Landern neue Bischimer
errichtee und die Bifchöfe ſelbſt inveſtirt habe. Es
erfolgte die zweyte und dritte Vorladung (1180) und
al® Heinrich auch dann fich nicht ſtellte, wurde er als
ein Widerfpenftiger in die Reichsacht erflärt, und die
Vollſtreckung derfelben den verfchiedenen Fürften übers
tragen. Doch wehrte fich der alte Löwe tapfer und
noch Tange fiegreich, In diefer Zeit, wo der Herzog
beynahe von allen feinen Freunden und Bundesgenoffen
verlaffen fand, bewieß allein die Grafin Mechrildig
von Holftein, die jegt zum zweytenmal verwittwete,
eben fo ſtandhafte Treue und Ergebenheit gegen’ihren
Lehnsherrn, als befonnene Klugheit in fo verwickelten
Umſtaͤnden. Der junge Graf Adolph IL, unterdeſſen
zur Waffenfaͤhigkeit herangewachſen, unterſtuͤtzte den
Herzog auf einem Zuge ins Weſtphaͤliſche, und war das
vornehmſte Werkzeug des hier über die Feinde erfoch-
78 Adolph IU. fallt von Heinrich ab, Zerfplitterung
tenen Sieges. Leider war der glückliche Erfolg dieſes
Treffens zugleich Veranlafſung zu einer Streitigfeit
zwifchen dem Grafen und dem Herzoge, die im einer
unglückfeligen Spaltung ihres Verhaͤltniſſes endiate,
Heinrich verlangte, dag Graf Adolph ſowohl, als
die Vebrigen vom Adel, die dem Zuge beygemwohnt
hatten, bie einem jeden zu Theil gewordenen Kriegsge⸗
fangenen ihm überliefern follten. Adolph befland
darauf, fie zu behalten, da es billig ſey, durch dag
Löfegeld für die Gefangenen wegen der Kriegsunkoſten
Entſchaͤdigung zu ſuchen. Dieſer Wiberfpruch reiste
den Herzog gegen Adolph, und beyde fcbieden in Un—
willen von einander; böfer Zeumumnd, vom Grafen Gin
sel vor dem Herzog ausgeftreuer, ſchuͤrte die Flamme
der Zwietracht noch heftiger an, und machte Adolphs
Treue verdächtig; bald darauf fiel Heinrich in das
gräafliche Gebiet ein, und der Bedrangte ſah fich gend-
thiger, nebſt feiner Muster das Land zu raumen und
nach feinem Erbfige, Schauenburg, fich zu begeben,
Mit feinem und feiner Freunde Abfall war Heinrich’s
Partey empfindlich gefchmwacht worden, und als nun
auch Keifer Friedrich ſelbſt, zur endlichen Vollziehung
der- Acht, mis einem ſtarken Heere in Sachfen ein-
drang, vermochte der Herzog nicht laͤnger zu widerſte—
‚ben. Gnade ſuchend warf er ſich 1182 dem Kaiſer
Friedrich zu Erfurt zu Fuͤßen; die Demuͤthigung
des einſt ſo maͤchtigen Fuͤrſten ruͤhrte jenen bis zu
Thraͤnen, doch vermochte er nichts weiter zu erhalten,
als die Verſicherung, Friedrich wolle ſeiner nicht
vergeſſen, er ſolle inzwiſchen auf einige Jahre
der Befigungen Heinrich's des Löwen. 1182. 79
Deurfchbfand „meiden und. in England bey feinem
Schwiegervater ficb aufhalten, bis unterdeffen der
Fürfsen Haß erlöfchen möchte, Unter diefen Bedingun-
gen: bebielt er feine alten Stamm, und » Erbgüter,
Braunſchweig und Lüneburg ‚mit. ihren Zubehoͤ—
rungen; feine berrlichen Reichslehen aber, ein Beſitz⸗
thum, dergleichen weder vor moch nach ihm. je ein
Herzog inne gebabe, wurden zerfplittert: Bayern erhielt
der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, Engern und
Weſtphalen der Erzbifchof von Coͤlln unter dem Titel
eines eigenen Herzogthums, Dftphalen und das übrige
Sachſen Graf Bernhard von Askanien oder
Anhalt, die pommerſchen und: mecklenburgiſchen
Zürften waren von nun an niche mehr Vaſallen der
fachfifchen Herzoge, fondern traten im unmittelbare,
Verbindung: mit dem Reiche; andere, einzelne Stüuͤcke
wurden. Erzbifchöfen und Bifchöfen ertheilt und ihren
Landen einverleidt, Luͤbeck, wie Negensburg, wurde zur
unmittelbaren Reichs fla dr erklärt, und der Graf von
Schauenburg benugte diefe Verhältniffe, ſich gleich-
falls. in feinen Befigungen jenfeit der Elbe zu befeſtigen.
Je ſtaͤrker ſich Heinrich’S des Löwen Kraft,
die nur durch Vereinigung fo vieler Gegenfrafte gebro-
chen werben konnte, früher bewährt hatte, je mehr fie
auch im Unterliegen noch furchtbar blieb: um fo weniger
empfahl fich der in feine Stelle getretene Herzog.
Bernhard von Anhalt, der in den Verfuchen,
die alten berjoglichen Rechte, wie fein Vorgänger fie
ausgeuͤbt hatte, ſich anzumaßen nur feine Schwäche
und Ohnmacht beurfundere. Er erlaubte ſich Bedruͤk—
80 Bernhard von Anhalt Herzog zu Sachſen.
kungen und Gewaltthaͤtigkeiten, welche nichts anderes,
als Widerſetzlichkeit erſeugten, und wie dadurch das
herzogliche Anfeben nur ſchwaͤcher wurde, fo befeftigten
fich um fo mehr die Grafen in dem ihrigen, und erhos
ben fich zu immer gröfferer Unabhängigkeit und Gelb:
ftändigfeit in ihren Verhaͤltniſſen. Heinrich der Lömwe
war nach Verlauf der drey Jahre aus England in
feine Erblande zuruͤck gefehre, und verhielt fich ruhig
zu Braunſchweig. Inzwiſchen kam die Nachricht aus
Palaͤſtina an, Sultan Saladdin- habe Jeruſalem ero-
bert. Der damalige. Pabft Clemens IH. Tief allen
chriſtlichen Fürften einen Kreuzzug predigen, und der
Reifer Friedrich I ſelbſt entſchloß ſich, an die
Spitze des Kreuzheeres zu treten, und durch fein Bey:
fpiel dem Unternehmen Kraft und Nachdruck zu ver
febaffen. Um jedoch Deutſchlands Ruhe während fei-
ner Abweſenheit in Sicherheit zu ftellen, mußte Hein
rich der Löwe, fo furchebar war diefer Name auch
jegt noch, vorher abermahls nach England fich ent:
ferien und eidlich geloben, fo Tange der Kreuzzug
währe, jeder Ruheſtoͤrung fich zu enthalten, Auch Graf
Adolph II. befand fich unter den 68 Fürfken, welche
im Sabre 1198 mie dem Kaifer den Zug nach Pa—
laͤſſina antraten. Die Unfoften zu diefer Reife auf:
zubringen, wandte er fich an die Hamburger, ſchon da⸗
| mahls ein ungleich wohlbabenderes Volk, als ihre duͤrf⸗
tigen fürftlichen Nachbarn ; diefe verfahen den Grafen
mit dem Nöthigen und verfprachen ihm, feine Erblande
gegen die Einfälle der noch immer zu fürchtenden
Wenden zu beſchuͤtzen. Dankbarkeit und Schuldigfeit
Aelteſte Privilegien Hamburgs, v. 3.1189. 81
vermocbten den. Statthalter, auf. feine bedeutendiken
Borrechbte über Hamburg: bey Kaifer und Reich Vers,
giche zu thun, und fich für die erweiterte Unabhängig:
feit der Stade ſelbſt zu verwenden, » So erhielten die
Hamburger vom Kaifer Friedrich L jene Privilegien,
die ald Grundſtein zu ihrer nachmaligen ſtaͤdtiſchen
Sreybeit berrachter werden koͤnnen; und folgende find
deren weſentlichſte Puncte:
Die Hamburgiſchen Buͤrger ſollen mit ihren
Schiffen, Wagren und Leuten vom Meere bis zur Stadt
von allem Zoll, Ungeld und Anfoderungen frey ſeyn.
Wenn fie fremde Güter mie fich führen, follen fie einen
Boten nach Stade febicken, der eydlich nach der Anzahl
der Güter den Zoll entrichte. Im ganzen Gebiete des
Grafen machen wir (der Kaiſer) die Bürger frey von
allem Zoll und Ungelde, und wir ertheilen ihnen die
Freyheit, daß Niemand innerhalb zwey Meilen von.
ihrer Stadt ein feſtes Schloß erbauen dürfe, Sie
follen die Fiſcherey haben in der Elbe auf zwey Meilen
an beyden Seiten (oberhalb und unterhalb) der Stadt,
ingleichen in der Bille auf eine Meile, C— Denn dag
Waſſer ift deg Keiches Straße! —) Alleund jede Güter,
welche die Hamburger innerhalb. des graflichen Gebietes
gefauft oder ſich erworben, fie beſtehen in Holz, Kohlen
und Getraide (bladum), und zu Wagen oder Schiffe
verführt haben, follen von Niemanden angehalten oder
behindert werden, es jey denn durch tüchtige Zeugen
der. Rechtsgrund. erwieſen, daß fie feitdem noch etwas
verbrachen, Die Waiden follen fie alfo gebrauchen, daf
ihr. Vieh des Morgens ausgehe und‘ des Abends eingerrie-
| 6
82 Aelteſte Privilegien Hamburgs, vom J. 1189.
ben werde, Sie follen Mache haben, Holz zu fallen
und den Ertrag der Waldungen, wie bisher, frey ge:
nießen. Was an Strafgeldern für ungerechtes Maaß
bey Bier, Brot und Fleiſch eingeht, davon follen zwey
Drittheile der Stadt, ein Drittheil dem Richter (oder
Gerichtsvogt) zufallen. Will einer Geld in der Stadt
verwechſeln, ſo darf er es an jedem Orte, nur nicht
vor dem Muͤnzhauſe, auch ſollen ſie Macht haben, der
Muͤnzer Pfennige zu wardeyn nach ihrem Gewicht und
* ihrer Aechtheit. Wir bewilligen den Buͤrgern, daß
ſie von jedem Kriegszuge frey ſeyn ſollen, auch ſelbſt bey
der Vertheidigung des Landes: « (worin begreiflich die
Freyheit eingefibloffen war, zur Beſchuͤtzung der Lande
Stormarn und Holftein ſelbſt Volk auszurüften, und
vor feindlichen Anfallen fich zu wahren.) Diefer fair
ferliche Gnadenbrief iſt ausgeſtellt von Neuburg am der
Donau, im Jahre 1189 den 7. May. Die Befkati-
gungsurfunde des Grafen Adolph erfolgte zu derfelben
Zeit, und die Wichtigkeit diefer Privilegien erfennend
unterließen die Bürger Hamburgs niemals, fich diefel:
ben von jedem neuen Grafen nach dem Antritt feiner
Statthalterfihaft auf's Neue beffarigen zu Iaffen. Die
Urkunde des Grafen iſt unterzeichnet von den Edlen
Friedrich. von Hafeldorp, Borchhard von Barmſtedt,
Gernand Magnus und deffen Brüdern Wilhelm und
Otto, aufferdem von den Hamburgifchen Rathm aͤ n⸗
nern — Consules nennt fie die Unterſchrift — Bros
nold (oder Fromold), Eſicus, Wirad (oder
Wirard), Standard und deſſen Bruder Sieg—
fried, die aͤlteſten Nahmen obrigkeitlicher Perſonen
Heinrich d. 2, kehrt abermabls zurück, 83
Hamburgs, welche uns bis jene überliefere find. ‚In
einer anderen Urkunde deffelben Grafen Adolpb’S ILL,
zwar ohne Jahrbezeichnung, aber micht ‚jünger als
vom Jahre 1168, finder fib in den Unterſchriften
vor denfelben fünf Nahmen, auch. der Nahme des Ge⸗
richtövogtes, (Advocatus) Willebrand,. der. im Col»
legium den Vorſitz führte, und — durch die
Buͤrgermeiſter erſetzt wurde.
Kaum hatte Heinrich der Löwe, wie er dem Kai⸗
fer geloben müffen, abermahls ſich nach England beges
ben, als in feiner Abweſenheit die benachbarten geiſtli—
ben und weltlichen. Fuͤrſten in die braunfchmweigifchen
Erblande einfielen und daſelbſt die größten: Gemaltthar
tigfeiten ungeahnder verübten, ungeachter der Kaifer
felbjt dem Herzog ungefförte Ruhe und Sicherheit feir
ner Lande zugeſagt hatte, Raſch alſo Fehrte der Vers
bannte, noch um Michaelis deffelben Jahres 1189, auf
deutſchen Boden zurück, ſolche Unbild zu ahnden.
Zuerſt erklaͤrte ſich der Erzbiſchof von Bremen fuͤr
ihn, Hart wich IL, nicht. aus Anhaͤnglichkeit und
Treue, wie er durch ſein fruͤheres Betragen genugſam
erwieſen, ſondern in der ſelbſtiſchen Hoffnung, durch
Heinrich's Beyſtand ſeinen beſonders durch den Abfall
der Dithmarſcher geſunkenen Angelegenheiten wieder
aufzuhelfen. Er raͤumte ihm die Feſtung und Grafs
ſchaft Stade ein; die Edlen von Holſtein und Stor⸗
marn erklaͤrten ſich gleichfalls fuͤr ihn, und waren ihm
behuͤlflich, daß er ſich alsbald der Staͤdte Hamburg,
Ploen und Itzehoe bemaͤchtigte, und die Anhänger des
Grafen von Holſtein vertrieben wurden. Graf Daſſel,
84 Heinrich DR, erobert Holſtein “99
von Adolph als Statthalter in Holſtein zuruͤckgelaſ⸗
ſen, deſſen Schweſter Adelheid, Adolph's Gemahlin,
und Mechtildis, die verwittwete Graͤfin, fluͤchteten
nach Luͤbeck. Heinrich, durch den Beytritt der
Grafen von Schwerin, Ratzeburg und anderer noch
verſtaͤrkt, ruͤckte nun mit einem mächtigen Heere vor
Bardomif, und umlagerte die Stadt, der er Der
derben geſchworen hatte für die ſchnoͤde Beleidigung,
die ihm, als er verbannt im derſelben Schuß fuchen
wollte, von deren Einwohnern wiederfahren war, Die
Stadt war eine der bedeutendffen an Umfang und
Wohlſtand, blühend durch ausgebreiteten Handel, das
mahls gefchüge durch eine ſtarke Befagung, und Teis
ſtete hartnaͤcfigen Widerſtand. Aber Heinrich, fanft
und mild und fern von aller Grauſamkeit, fo lange er
niche durch Angerechtigfeiten gefranft ward, doch
unverföhnlich und in wilden Zorn auflodernd bey em-
pfindficher Schmach, drangte die Stade immer harter
und harter, und da fie tapferer belagert als vertheis
diget wurde, fiel fie endlich am Tage Simonis und
Kuda in des Giegerd Gewalt, Heinrich gab fie der
Pluͤnderung preis, weder Heiligthuͤmer noch weltliche
Güter wurden geſchont, die angefehenften der Einwoh—
ner wurden aufgefnünft, die übrigen ohne Unterfchied
zu Gefangenen gemacht, die Stadt in den Brand
geſteckt und bis auf den Grund verwuͤſtet. Nur
die neun Kirchen der Stadt, aber öde und aus
geleert, ihrer Zierden und Schaͤtze beraubt, ſtunden
auf der wuͤſten Stätte noch, eine Schonung mehr des
bittern Hohnes, als der gewiffenhaften Srömmigfeit,
—
—n
ae
in
»
gzerſtoͤrt Bardowik 2. (1189.) 85
Der Untergang dieſer reichen Stadt ‚diente, den benach⸗
barten Oertern zum Vortheil und zur Vermehrung
ihres Wachsſthums, nach dem ewigen Wechſel, dem
aͤuſſeres Gluͤck unterworfen iſt. Während. alfo Luͤbeck
an der See, Lüneburg zu Lande den bedeutenden Hans
del von VBardowik an fich zogen, erhielt. auch, Ham⸗
burg ‚einigen Vortheil davon; insbefondere kauften die
Hamburger die brauchbaren Quaderſteine ber zertruͤm—
merten Gebaude dem Herzog Heinrich für 300 Darf
Silberd ab, und erbaueten davon. den Damm, welcher
die. Südfeite Hamburgs vor der. eindringenden Elbe
vom Winferbaum bis nach dem Hafen ſchuͤtzen ſollte.
Mit den Einwohnern des Fleckens, welcher. auf der
zerfförten Stätte wieder angebauet wurde, ſchloſſen fie
nachmals einen Vertrag. ab, Eraft. deſſen ihnen das
fogenannte Zippelhaus Clin. ber. Nahe der Kathari⸗
nen-Rirche) als Wanrenlager, Bebaufung -und Markt:
plag für. fih und ihre hieher gebrachten Zwiebeln,
Wurzeln und. Krauter zu ewigen Tagen: eingeraumt
wurde. Doch müflen. die Bardowiker, einem nach
1604. gefihloffenen. Vertrage zufolge alljährlich. 110
‚Mark zur Unterhaltung dieſes Haufes an Hambur
bezahlen. vi TER he *
Heinrich ruͤckte von Bardowik, ſchnell ſeine Siege
verfolgend, um Martini vor Luͤbeck, „und. die Stadt,
7 _ _ .
von Daffel, des Grafen vom Holſtein Gemahlin und
Muster mit ihren Leuten und Gütern ungeſtoͤrt abju-
ziehen Freyheit erhalten hatten. Aber das Glü blieb
CH dh id — +
u;
86 Heinrich d. 2, fl, 1195 und Adolph TIT.
ihm nicht Tange guͤnſtig; einige der Vornehmften vom
holſteiniſchen Adel fielen von ihm ab, und Heinrich
VI., ver nun, nachdem Friedrich I. auf feiner
Kreuzfahrt den Tod gefunden, (1190) zur deutſchen
Konigswuͤrde gelangt war, rückte gleichfalls mit einem
ftarken Heere heran, und zwang den Herzog zur Nachs
giebigfeit, doch ohne daß dieſer die harten Bedingun—
gen fo millig erfüllte. Adolph TIL. vernahm zu
Tyrus, daR Heinrich der Lowe feine Graffchaft in
Beſitz genommen habe. Dieß ſchien ſelbſt den Geiftli-
chen Grund genug, daß er feine Wallfahre verlaffen
und zurückkehren duͤrfe, den Befis feiner Güter fich
wieder zu erfämpfen. Mit Hütfe des Herzogs Bern
hard und des Markgrafen Otto von Brandenburg
gelang es ihm auch, bald ein Heer zu verfammeln,
mit welchem er feine verforene Grafichaft wieder
eroberte; (1192.) Heinrich ſelbſt nahm an den ferne
rer Begebenheiten menigen Antheil: der alte Löwe
ſehnte fich zur Ruhe, Eine Ausföhnung mit dem
KRaifer Heinrich VI Fam durch die linterredung zu
Dullethe, bey Kelbra im Schwarzburgiſchen, zu
Stande, (1194), in Folge deren er im ungefranften
Beſitz feiner Erbländer verbleiben follte, und auf den
Wiederbeſitz des übrigen Sachſens und der überelbis
fehen Lande‘ Yeere "Hoffnungen erbielt, deren Erfüllung
er bis an fein Ende vergeblich erwartete. Er ſtarb zu
Braunfchweig den 13. Auguſt 1195, °
Heinrich hinterließ drey Söhne, den aͤlteſten glei-
bes Nahmens, der mit der Pfalz am Rhein beiehne
wurde, nachdem ‘et des Pfalzgrafen Tochter geheirathet
*
bleibt Graf von Holſtein. 87
batte; der mittlere, Dtto, ward ald vierter dieſes
Nahmens 1198 von der Welfifchen Partey zum roͤmi—
ſchen Könige gekroͤnt; der dritte Wilhelm mar
Stammvater der nachmaligen Herjoge von Braun
ſchweig, im Befiß der Erbländer, welche von Sach»
fen getrennt und als für fich beftebendes Herzogthum
beftätiger wurden, Auch "Hamburg wurde jet frey
von der lehnsherrlichen Oberberrfchafe der braunfchweis
giſchen Fürften, und die laͤngſt ſchon locker gemordes
nen Bande der Lehnsverpflichtung zwiſchen Graf
Adolph von Holftein und Herzog Bernhard von
Sachſen wurden vollends zerriffen, fo daß es keinem
der Nachfolger Beruhards wieder" gelang, die vorige
Unterordnung der holſteiniſchen Grafen zurück zu brins
gen, Aber der Beſitz diefer nicht unbedeutenden Grafe
ſchaft Tocfte bald die Begierde anderer Fürften am,
und plöglich zog fich ein drohende Ungewitter über
dem Haupte Adolphs, der nach» Heinrich’8 des Löwen
Tode einen zweyten Kreuzzug nach Palaflina gemacht
hatte, und mit dem Rufe bewiefener Tapferfeit kaum
zurüche gefehre war, fehwarz zufammen, Wo die Luft
zu fchaden fibon vorhanden iſt, fehle es felten an
Befhuldigungen, den Angriff zu befcbönigen, Graf
Adolph hatte den Waldemar, Bifcbof wor Schleß⸗
wig unterſtuͤtzt, der fich für einen natürlichen Sohn
des Königs Knud VI ausgab, und Anſprüche auf
den danifchen Königschron gemacht harte, Er hatte
ferner die Dithmarſcher, die fich, wetterwendiſchen
Sinnes, gest der Danifchen Hoheit unterworfen, hart
behandelt und Das Schloß Lasenburg, welches die
*
88 Die Dänen unter Knud VI. und Herzog
Danen zu Hülfe gerufen, noch bevor dieſe erfchienen,
vermittetff einiger zu Hamburg zufammen gebrachten
bewaffneten Schiffe angegriffen und erobert. Endlich
hatte er dem Markgrafen Otto von Brandenburg bey
deffen Angriff auf die ſlaviſch-pommerſchen Voͤlker, die
der König von Danemarf für feine Vaſallen bielt,
Beyſtand geleifter: Veranfaffungen genug, um des daͤni⸗
fiben Königs Unmillen, der noch überbieh fortmahrend
durch die holfteinifchen Herren unterhalten und ange
facht wurde, Die fich wahrend Adolph's Abweſenheit
zu Heinrich dem Löwen gewandt, und vom Grafen
bey deffen Ruͤckkunft mir der Verweiſung, oder mit
Geldbuße beftraft worden waren, in feindfefige That
gu verwandeln. Zuerſt nun heute er feine Lehnfürften in
Meclenburg auf, den Grafen Adolph anzugreifen und
fein Gebiet zu verheeren; Holfteiner und Luͤbecker, die
nah Schonen zum Fiſchfang famen, wurden angehal⸗
ten und mehrere von ihnen gefangen genommen; end»
lich fiel des Königs Bruder ſelbſt, Herzog Walde
mar, im Geptember 1201 mit einer großen Kriegs⸗
machte in Holitein ein, ſchlug den Grafen Adolph bey
Stilfnow, im der Nahe von Itzehoe, nahm diefes, fo
wie Ploen und feste fih vor Gegebera und Traves
münde, Adolph war mie dem Reſt des gefchlagenen
Heeres nach Hamburg entflohen. Neuverſtaͤrkt erneuerte
der Herzog feinen Angriff im Ausgange des naͤchſten
Monats; er nahm von Hamburg DBefis, das der
Herzog, als zu wenig befeſtigt zur Vertheidigung, ver
faffen hatte, und feste einen Holfkeinifchen vom Adel,
Rudolph, hieſelbſt zum Schirmvoigt ein; auch
se
‚Waldemar erobern Nordalbingien 1201. ff. 89
Ratzeburg, fo Wittenburg und Gadebuſch, dem mit
Adolph verbünderen Grafen von Schwerin gehörig,
mußten fich ihm ergeben, Lübee ihm buldigen, wenn
es feine Gefangenen und feine Schiffe wieder befom:
men wollte, und das fefte Lauenburg wurde mit Kriegss
volk umlagert: Adolph hatte fich nach Stade ge
flüchtet gehabt, von mo aus er zu Ende des folgenden
Monats mit Hülfe der ihm treu gewogenen Einwohner
Hamburgs der Stade fich ‚wieder bemaͤchtigte. Allein
während er zur kraͤftigen Vertheidigung Anfkalten traf,
bereite ihn der Winter, der die Elbe und Alfter mit
Eis belegte; treuloſe Rathgeber wiegten ihn in verderb-
liche Sicherheit ein, ald ob ‘Gefahr nicht zu fürchten
ſey, da die Dünen während des fommenden Feſtes
dem Trinken und den PVergnügungen fich ergaben,
Waldemar hingegen Tiebte den Ruhm mehr als Ber:
gnuͤgungen: unvermuther ftand er am Weihnachtsabend
mit einem gemaltigen Heere dicht vor der Stadt und
beiegte ringsum alle Zugaͤnge. Adolph wehrte fich
muthig und entfchloffen; aber ſelbſt zu ſchwach, einem
En
fo ſtarken Feinde zu widerftehen, ohne Hoffnung auf
baldigen Entſatz mußte er fich der harten Bedingung
bes Feindes fügen, daß, mwoferne er nicht die Uebergabe
bes Schloffes Lauenburg bewerkſtelligen koͤnne, er ſelbſt in
. bie Gefangenfchaft gehen wolle. In der That murde er,
als die Befagung Lauenburg's flarrfinnig ſich deſſen weis
gerte, mie Ketten und Banden belegt, und unter vies
ler Schmach durch die Gegenden, im denen er ehemals
als Herr geboten, nach Siöborg abgeführt, wo auch
fein vormaliger Bundesgenoffe, Biſchof Waldemar,
\
00 Adolph III. wird vertrieben, und Albrecht
gefangen ſaß. Die Dänen erhoben wegen biefer Ger
fangennehmung in allen Gtadten und Flecken lauten
Subel und Frohlocken, wie zur Zeit des Königes Saul
die Philiſter thaten.
Im naͤchſten Jahre ließ ſich der König von den
Nordalbingiſchen und Polabingiſchen Herren zu Luͤbeck
und Moͤlln huldigen; das feſte Travemuͤnde ergab ſich,
nur Segeberg leiſtete tapfern Widerſtand und taͤuſchte
ſelbſt, als die Hungersnoth auf's Hoͤchſte geſtiegen war,
den Feind noch durch das leere Geklapper ihrer Muͤh—
lenwerkzeuge; die Uebergabe geſchah unter der Bedin—
gung, daß die Burgmaͤnner freyen Abzug mit ihrer
Habe erhalten und nach wie vor im ungekraͤnkten Bes
fig ihrer Rechte und Lehen verbleiben follten. Der Herz
sog war eben befchäftigt, die geraumte Burg mit einer
Danifchen Befagung zu verſehen, als er die Nachricht
erhielt von dem Ableben feines Föniglichen Bruders.
Er eilte alfo nach Dänemark und Tieß ſich 1203 in
Runden zum König Erönen: die Gefcbichte hat diefem
Waldemar II. die Beynahmen des Siegers und des
Gefeggeberd verliehen. Im Auguft deſſelben Jahres
_ empfing er zu Luͤbeck die Huldigung ald König der
Wenden und Herr von Nordalbingien, ume
lagerte ſodann die Feſtung Lauenburg aufs Neue mit
ſtarker Heeresfraft, führte Kriegsrüftzeuge und Mauer .
brecher heran, fand aber, je heftiger er dem Schloſſe
zufeßte, um fo hartnaͤckigern Widerſtand; die Feſte
ſchien unuͤberwindlich. Erſt nach gepflogener Inter
handlung ergab ſich die Beſatzung, unter der Bedin—
gung, daß Graf Adolph aus feiner Gefangenſchaft
v, Orlaminde wird Statthalter von Holftein, gu
entlaffen würde, Go erbielt derfelbe zwar feine Frey:
beit wieder, aber er mußte allen Anfprüchen auf Hol:
fein, Stormarn und Wagerland eydlich entfagen , und
auffer zweyen feiner eigenen Söhne noch zehen von an⸗
gefebenen Freunden und Verwandten auf gehn Jahre dem
Könige als Geifeln zur ſtellen geloben. Darauf zog er
nach feinem Stammſitze Schauenburg ab, von mo er
niemals nach Holftein zurückgefehre if. Zum Statt
balter uber Hamburg und die ganze Braffibaft Hol-
ffein feste Rönig Waldemar den Grafen Albrecht
von Orlamuͤnde, mit meifer Schonung und Be
dachtſamkeit, da Albrecht ein naher Verwandter des
Grafen Adolph mar, der Teichter ald ein Fremder
das Vertrauen der Nordalbingier fich gewinnen Fonnte,
Die neue Herrfchaft der Danen war indeffen micht
geeignet, das Vertrauen derer, welche ihren ſelbſt
den Weg zu derfelben gebahne, zu erwerben, moch
weniger das Mißvergmügen jener zu verführen, welche
in den Ausländern gleich Anfangs nur rohe Unter—
drücker geahnet harten. Sie verfuhren überall wie
übermüthige Eroberer, und erlaubten fich Bedruͤckun—
gen, die durch den Hohn, womit fie der Huͤlfeſuchen⸗
den fpotteren, zwiefach ſchwer murden, Am empfind-
lichiten fanden fich die Bewohner Holſtein's gefränft,
daß fie niche nach ihren uralten fachfifchen Geſetzen
und Herfommen gerichter wurden, daß fie vielmehr des
neuen, ihnen unbekannten Rechtes der Sieger gebrau-
ben follten. Argwohn und Mißmuth ob folcher Un—⸗
bilden wuchs mit jeder neuen Veranlaffung, die Anger
fehenften unter den Gleichgefinnten hielten fich zu ein-
92 Mifvergmügen ver Edlen von Holſtein.
ander und verfammelten fich in der Wilſtermarſch, um
heimlich Rath zu pflegen, wie dem Uebel abzuhelfen
ſey. Aber dem gemeinſamen Willen fehlte ein Haupt
und thaͤtiger Führer, wie es oft geſchieht in gefahr⸗
vollen“ und drangenden Umſtaͤnden, wo Viele zugleich
das DBeffere wünfchen, jeder Einzelne fich ſcheuet, zur
Ausführung an die Spige zu treten. Graf Adolph
II. ſaß ruhig auf feiner Schauenburg, des mechfel-
vollen Gluͤckes müde, und wenig gefonnen, neue Hoffe
nungen abermals auf die unfichere Entfcheidung der
Waffen zu flellen. Wer hatte auch den Much gehabt,
aufs Neue ihn in den Kampf zuruͤckzurufen, da Die
meiften won ihnen durch eigene. Treuloſigkeit die Noth
herbeygeführt und das Vertrauen des Grafen mit Ber:
rath erwiedert hatten. Da fo die Hoffnung ‘der Maͤn⸗
ner verfehwunden und ihr, Much eingefchlafere wer,
trat eine adeliche Frau unter ihnen auf, die Frau
von Deeft, aus Kellingdorp in der Kremper Marfch,
welche die Bedruͤckungen des Vaterlandes und ben vers
borgenen Aufenthalt der geflüchteren Edlen mit Unwil—
fen anfah und darauf fann, der Angelegenheit zum
Vortheil der holfleinifchen Lande eine günffigere Wer
dung zu geben. Sie felbft begab fich nach Schauen:
burg zum Grafen Adolph und mandte eben fo fehr
die liebliche Anmuth ihrer Schönheit als ihre: einfchmeis
chende Beredfamfeit an, den Grafen zur bewegen,
daß, mofern es ihm ſelbſt nicht gefalle oder ver:
gönnt fey, Holftein wieder zu erobern, er wenigſtens
einen von feinen Sehnen ihnen anvertrauen möchte,
das Land feier Väter durch feine Anwefenheit zu ber
Die Frau von Deeft hole Adolph IV. 93
berrfiben ; Feine geringe Anzahl tapferer Holſteiner ſey
bereit, für die Freyheit zu den Waffen zu greifen, wenn
ihnen ein Oberhaupt gegeben werde, Der Graf ſchuͤtzte
mehreres vor, was ihm abgeneige mache: des Königs
Gewalt, den Untergang der gegebenen Geifeln, die
Heiligkeit des geleiſteten Eydes. Als aber die hochher-
jige Frau, nicht ermüdend im ihren Bitten, auf alled
fertig zu antworten wußte, des Königs Gewalt fey
nicht zu fürchten, wenn fie der Freyheitsliebe der Hof
fleiner gegenuͤberſtehe; To groß fey ihr Much, und fo
ihre Lage, daß ſie alles ertragen würden, wenn ihr
geſetzmaͤßiger Herr zuruͤckgekehrt ſey; die Geifeln würde
man in Sicherheit bringen, bevor etwas unternommen
werde; er ſelbſt folle nicht ehatig handeln, fondern in
Ruhe bleiben, unter der Führung feines Sohnes folle
alles gefcheben, und die Unverbrüchlichfeie des Eydes
nicht verlegt werden: da lief endlich der Graf, durch die
dringenden Bitten überwunden, feinen jüngeren Sohn
Adolph Cnachmahld der vierte ald Graf genannt).
mie der edlen Frau ziehen, die ihn mit nach ihrem
Wohnfig nahm und mic Rath und Beyhuͤlfe ver hol
feinifchen Edlen zu feiner kuͤnftigen Beſtimmung aufs
erzog.
Der Muth der Großen ſchien bereits jetzt, durch
die bloße Ankunft ihres kuͤnftigen Oberhauptes, an
Staͤrke zu gewinnen und regte ſich an manchen Orten
durch kraͤftige Aeußerungen. Einige derſelben begaben
ſich zum Hauptmann, der zu Segeberg geſetzt war,
und beklagten ſich, oder „begunnten unter Ogen to
tnurren“, wie eine alte Chronik ſagt, daß er ihnen
94 Die Edien Holſtein's wollen ihr altes
ein anderes Recht auflege, als ihr eigenes gewöhnliches
Hecht, deffen Gewährung ihnen vom Könige ſelbſt, wie
er als Herzog Segeberg in Befig genommen, zugeſagt
worden jey. Der Hauptmann erwiederte trogig: Weis
jet mir euer Recht und ich will mich Darnach richten,
Ihr wißt enter Rechte aus eurem Kopfe, unfer danifches
Recht ift befchrieben; nach der Schrift kann ich euch
und mich regieren; aber euer Recht weiß ich nicht,
denn befchrieben iff es nicht und errathen kann ich's
nicht. Ich müßte einen Hund her bringen, der euch
euer Hecht vorbellte. Zu anderer Zeit erfchienen fie wies
ber, gerüfterer und vorbereiterer, und als fieabermahls
gefragt wurden: wo und mas das Recht fey, das fie
verlangten, in welchem Buche es gefchrieben, in wel-
cher Ordnung e8 geftelle fey: da zogen die alteffen und
edelften unter ihnen die Schwerter und ſchuͤttelten fie
und riefen mit unerfchrocener Stimme: Siebe hier
unfer gewöhnfiches Recht, das wollen wir. behalten,
und mit dem Schwerte vertheidigen. Cvorbidden) Der
Hauptmann fah die überdachte, ungewohnte Kuͤhnheit,
und begab fich erfchrosfen auf die Flucht, Aber fie
ereilten den Fliebenden und tödteren ihn mit dem
Schwerte. Der Aufftand verbreitete fih, und fie
befeftigten mehrere Plage, um fich gegen die Gewalt.
der Danen zu vertheidigen. Um Itzehoe zogen fie einen
großen Graben, Als der koͤnigl. Befehlshaber ein Heer
gegen fie führte, würden fie freplich unterlegen haben,
wenn nicht durch das zweymalige Anfchwellen der Stör
an demfelben Tage die Brüste, welche die Feinde auf
geführe batten, abgeworfen und dag ganze Heer durch
Sachfens Recht erhalten willen, 95
die Ueberſchwemmung zum Ruͤckzuge genoͤthigt worden
wäre. Doch zeigen diefe Vorfälle mehr, wie ſchwer
die Laſt der Dänen auf dem Lande drückte, als daß fie
ſchon jest zur Beförderung der ſtill genahrten Wuͤnſche
etwas beygerragen hatten. Auch vom jungen Adolph
ſchweigt die Gefchichte noch lange, big er tbatig im die
Begebenheiten mit eintritt. Andere Vorfälle trafen
jufommen, den Ausbruch, neuer Kriegsunruben zu bes
fehleunigen, von welchen Hamburg, dag inzwifchen vom
Grafen von Orlamünde mit größerer Milde, als
Strenge regiert und mie manchen Bemweifen der Wohl:
thaͤtigkeit begluͤckt wurde, nicht verfchont blieb. Die
Veranlaſſungen find im Zufammenhange der damaligen
Zeitereigniffe gegründer, auf welche wir einen übers
fihbauenden Blick zuruͤckwerfen müffen,
Heinrichs VI. früher Tod (1197) hatte dem
Yarteygeifte Gelegenheit gegeben, fich durch eine dops
pelte Königsmahl zu auffern: Philipp, Herzog von
Schwaben und Toskana, der fich ſtatt feines Muͤndels
Friedrich von Sicilien, die deutfche Krone zugeeignet,
und Otto IV. Heinrichd des Löwen Sohn, ſtritten fich
feit 1198 um die Hoheit des Reichs, beyde von flar-
fen Parteyen unterftügt, beyde darauf bedacht, durch
Gewährung bedeutender Vortheile die Anzahl ihrer Ans
banger zu vermehren und für die Zukunft fich zu vers
fichern. Eine maͤchtige Stüge erfchien für Orto der
König Waldemar, da das Band der Berwandefchaft
zwiſchen beyden durch eine im J. 1202 in Hamburg
vollzogene Vermaͤhlung einer Faiferlichen Nichte mit
einem danifchen Prinzen noch feſter geknuͤpft worden
96 Berhateniffe des deurfchen. Reiche,
war, Zmifchen den beyden königlichen Nebeubuhlern
war eben durch pabfkliche Legaten ein Waffenſtillſtand
auf ein Fahr vermittelt worden, als Philipp in
Bamberg durch den befeidigten Pfalzgrafen Otto von
Wittelsbach meuchlings ermordet wurde, (1208) und
Ot to der Weg zur leichteren Erreichung feiner Zwecke
geöffner fibien, Sachſen und Thiringen waren ihm
zugethan, auch die Schwaben fuchte er fich geneigt zu
machen, und fo trat er feinen Römerzug unter glück:
lichen Vorbedeutungen an, er fand als Welf in Italien
gute Aufnahme und wurde im Jahre 1209 feyerlich
vom Pabſte zu Rom gekroͤnt. Aber weltliche Ruͤckſich⸗
ten trennten beyde, den Pabſt Innocentius III. und
den Kaiſer Otto, bald wieder. Otto wurde in den
Bann gethan, in Deutſchland regten fih Empörungs-
verfuche, mochten fie von Rom aus entzuͤndet oder
durch eigene Anficht entſtanden feyn, Otto eilte daher
über die Apenninen zurück, fein Anfehen in Deutſchland
zu retten. Bald verließen ihn auch bier mehrere feiner
Anhänger; der junge Friedrich, Heinrichs VL Sohn,
ſchon 1195 als zwepjähriges Kind zum deutſchen König
erwaͤhlt, Fam jest aus Gicilien in Deutſchland an,
und fand bey dem glänzenden Hoflager, das er zu
Mainz hielt, (1212. 13) viele Fürften, Grafen und
Herren‘, die ihm huldigten. Der Sieg bey Boing,
welchen er (1214, den 27. July) über Otto und deffen
Bundesgenoffen davon trug, entfihied über den Beſitz
des deutſchen Thrones, und num wandte ſich auch König
Waldemar IL, dem finarsfluge Berechnungen höher
galten, als Pflichten der Freundſchaft, zu dem Kaifer
Otto IV. vereinigt ficb mit dem Erzb. Waldemar, 97
Friedrich II., der ibm fofort Cr214) alle Anfprüche
bed deutſchen Reichs auf die Lander jenfeit der Elbe
und Elde, die Knud und Waldemar erobert hatten,
an das danifchbe Reich feverlich abtrat.
Otto empfand mie Recht diefen Abfall übel, und
309 mit einem Heere in Hamburgs Naͤhe, feindlich das
Land Waldemars Il. zu überfallen, Mic ikm vers
einigte fich der Bifbof von Bremen, Waldemar,
derſelbe, deſſen früber fibon, als vertriebenen Bis
ſchof's von Schleßwig gedachte worden iſt. Nach
Hartwich' s II. Tode harten die bremiſchen Stifte:
berren eigenmachtig und ohne Vorwiſſen des hambur⸗
gifchen Dom :Kapiteld diefen Waldemar, der eben
damahls aus feiner Gefangenſchaft entlaffen war, auf
den erzbifcböflichen Stuhl berufen, (1207) vielleicht im
Stillen die Hoffnung nahrend, daß durch ihn die
geiftliche Gewalt über die nordifchen Reiche wieder an
das bremifche Erzitift gebracht werden möchte. Die ham⸗
burgiſchen Domberren, welche ficb in ihren Rechten
beeintrachtiget fühlten, widerjegten fich diefer Wahl eben
fo ſehr, als der König Waldemar II., der deshalb bey
dem Pabſte die kraͤftigſten Gegenvorfiellungen machen
Tieß, Waldemar hielt fich indeffen durch den Schug, wel-
chen ihm der deutſche Gegenfönig Philipp von Schwaben
zuficherte) gedeckt genug, und fand bei. den Bremern
willfommene Aufnahme, :: Der Bannfluch, welcher ihm
nachfolgte, kam eine Zeitlang noch gar nicht zum Vor⸗
fibein. Im ruhigen Genuffe der ihm anvertraueten bis
ſchoͤflichen Gewalt feyerte er eben das Felt der Kirchs
weihe zu Bremen, als mitten unter bem Gedrange des
7
98 Otto IV. nimmt Hamburg in Beiiß 1215.
Volkes, das zur Darbringung feiner Gaben fich zahl—⸗
reich dem Altar nahete, ein Unbekannter einen großen
verfiegelten Brief auf den Altar legte und eben fo ſchnell
fich unter der Menge wieder verlor, Zu nicht geringem
Erſtaunen erkannten die Geiftlichen, als fie den Brief
entfiegelt hatten, die pabfiliche Bulle, durch melche
dem Bifhof Waldemar die Beflstigung des Erzbis-
thumes Bremen verfügt und über ihn felbft der Bann
aufgefprochen ward, Enefchloffen wehrte er fich mit
bewaffnerer Hand, da die Bremer, des Bannes nicht
achtend ‚ihm thatig unterflügten, gegen den König von
Dänemark und feine übrigen Gegner, anfangs mit
Gluͤck, doch konnte er nicht hindern, daß Biſchof
Gerhard von Osnabruͤck in der Wahl zum Erzbifchof
von Bremen befistiger wurde. (1211) Als der danifche
König nun auch von Otto abgefallen war, und Diefer
mit feinem Heere heranzog, verband fich Waldemar
mit demjelben und rückte im Jahr 1215 vor Hamburg.
Otto bedrohte die Bürger mit Feuer und "Schwert,
wenn fie fich ihm nicht ergaben. Es bedurfte bei die
fen, die nach. der Verficherung einer: alten Reim-Chreonif
laͤngſt ſchon der Dänen quitt gewefen feyn mochten,
„denn fie konnten vor ihnen nicht geneſen“, Kaum der
Drohungen, um ſie wilffahrig zu machen. Sie öffreren
ibm die Thore,. huldigten und. fehwuren ihm und erhiel-
sen ohne Zweifel große Verfprechungen, die nur deshalb
nicht in Erfüllung gingen, weil Otto in feiner be
drangten Lage fich nicht Tange halten: konnte) Frühere
Gefchichterzähler feben bier gerne den erften Anfang
der Reichs-Unmittelbarkeit der Stade Hamburg,
Waldemar, König von Danemarf, 99
wiewohl diefe erſt fpäterbin derſelben völig zu Theil
ward. |
Ott o zog weiter in das Land der Holften; aber
der König Waldemar fam ibm mit einem ſo ſtarken
Heere entgegen, daß er eiligſt über die Elbe zuruͤck floh
und fein Anfehen wieder: berzuftellen Feine ferneren Ders
fuche wagte, Waldemar aber, von Zorn entflammt,
ruͤckte mit feiner Macht heran, zuerſt fih an dem -
Bifchof von Bremen zu rachen 5. er zog über die. Elbe,
die mit Eis bedeckt war, beſtuͤrmte Stade, und ver:
beerte bie ‚bifchöflichen Lande, mie Mord und Brand;
alödann eilte er über den gefrornen Strom zurück und
legte. fich vor Hamburg, Die Bewohner vdeffelben fegs
ten fich mie Entfchloffenheit zur Wehre; die Erinnerung
an die huldvollen Gefinnungen des Kaifers, die Hoff:
nung auf baldigen Entfaß, der. Haß gegen die fremden
Unterdruͤcker, die Furcht vor dem Unwillen und der
Grauſamkeit der Sieger) ermunterten fie, Alles: für die
Erhaltung ihrer Unabhängigkeit daran zu fegen, Wie
derholte Stürme wurden zurücfgeichlagen. Der König,
fey e8, daß er. den großen Verluft der Seinen verhüten
wollte, ſey es, um die Stadt noch harter zu aͤngſtigen,
beſchloß, diefelbe durch Hunger zu bezwingen. . Zu dem
Ende erbauete er am nahen ‚Ufer der Elbe eine fefte
Schanze, in der Gegend des Eichholzes, womit die
ganze Strecke am Elbſtrande bis über das heutige
Altona hinaus bemachien war, trefflich gelegen, der
Stade empfindlichen Schaden. zuzufügen, und wegen
der vorgewachfenen Baume vor den Ausfällen der Der
lagerten geficbert zu ſeyn. Das Andenken der befrev-
ig
100 belagert und erobert Hamburg, 1216.
sen. Bewohner bezeichnete in der Folge diefe Höhe mit
den Namen des Feensbarges oder Feindesber—
‚ges, woraus die neuere Bildung einen Venusberg
geichaffen hat. Eine zweyte Veſte errichtete Graf
Albreche von Orlamuͤnde zu Schiffbeck, welche zus
gleich die Bille und das Elbfahrwaſſer beherrſchte.
‚Kein Schiff konnte fo nach ber Stadt gelangen, ober
von da auslaufen; ringsum Tagen Dörfer und Felder
verheert, Hunger und Noch wurden mit jedem Tage
fühlbarer, Co lange noch Neberfluß herrfcht, giebt
fih auch der Feigherzige den Schein der Ausdauer,
des Gefahren trotzenden Mürhes, der hartnaͤckigen
"Gegenwehr: wo der Mangel unabwehrbar überhand
nimmt, finne auch der Edelmürhige auf Nertung, wenn
fie auf ehrenvolem Wege möglich if. Das Volk, den
äraften Erduldungen und Beichwerden preis gegeben,
wurde der Vertheidigung uͤberdruͤßig, begann zu mur-
ven und ließ offenbaren Aufruhr fürchten, Sechs Mo:
nate lang batte man die Belagerung ausgehalten, von
äufferer Hülfe dammerte Auch nicht ein leiſer Hoff:
nungsfihein, daher fandte man endlich Abgeordnete,
beauftragt, mit dem Könige wegen der Uebergabe zu
unterbandeln, Die Bedingungen lauteten günftig, aber
der Erfolg entfprach ihnen wenig, Waldemar's Rei:
fige verfuhren nicht weniger ſchonungslos, hoffaͤrtig
und graufem, als in einer eroberten Stadt, und übten
jede Luft zur Befriedigung der Habjuche und Rachgier
an den, beflagenswerthen Einwohnern, "Dies geſchah
im Jahre 1216, Der König'feibft, um zu verhüten,
daß ihm Die wichtige Stade nicht abermals in feindli-
und verfauft es dem Albrecht von Orlamuͤnde. *
chen Beſitz gerathe, verkaufte ſie, ſchnoͤde und
uͤbermuͤthig, mie allen Gerechtſamen und weiteren Ans.
fprüchen, die ihm durch die Eroberung zu Theil gewor⸗
den, um ficben hundert Mark loͤthigen Sil—
bers, (nach heutigem Gelde gegen gooo Thaler, ‚oder
24000 Mark: Lübifch) an den Stasthalter Nordalbingieng,-
Grafen Albrecht von Orlamuͤnde, der ald-ger-
treuer Vaſall ihm ſtets die wichtigften Dienſte geleifter, -
hatte. (Im J. 1218.) Albrecht indeſſen, wie ge⸗
recht er. auch die Stade nun. als fein Eigenthum ber.
erachten Fonnte, durchſchauete eben fo ſcharfblickend
den Geift ihrer, Bewohner, als er die Wankelmuͤthig⸗
keit irdifchen Gluͤcks erwog, und regierte demnach mit,
Schonung und Milde; er fuchte fein Anfehen weniger.
durch Strenge, als durch Wohlthatigkeit und forgfame.
Verwaltung zu begründen, Schon früher hatte er. füch
freygebig gegen die Geiftlichfeit ermwiefen, und der
Domkirche zur Vermehrung ihrer Einkünfte die Zehn—
ten von Schiffbeck, zu Altenburg und Steinbeck ges
ſchenkt. Dem vielfachen Beſchwerden, welche die Ber
wohner unter dem danifchen Druck fo fibarf hatten
empfinden müffen, balf er bereitwillig ab; ja er beſtaͤ⸗
tigte ihnen fogar in der Folge (1224) alle Rechte und
Freyheiten, welche ‚fie zu den ‚Zeiten. Heinrichs des
Loͤwen erhalten, und welche mit Bekraͤftigung des
Kaiſers Friedrich I., Graf Adolph TIL ihnen bewil—
liget hatte. So wurde ein ſchweres Ereigniß: ‚im
ſeinen Folgen gelinder und weniger nachtheilig, als
bey dem erſten —* — vermuthen geſtanden
hatte.
102° Geſchichte der Erzbiſchoͤfe von 1072-1168,
In dieſe Zeit fat "die endliche Auflöfung der
Streitigkeiten zwifchen den bremijcben und: hamburgis
ſchen Stiftsherren über" den Vorzug und den eigentlis
chen Sitz des erzbifchöflichen Stuhles. Dieß giebt
zugleich Gelegenheit, die Befchichte der Bifchöfe im
rafcher Weberficht einzufchalten. Mit dem Tode des
ehrgeigigen Adalbert war nicht nur der Plan eines
nordifchen Patriarchats zufammen gefunfen, fondern
sugleiy bey den nordiichen Fürffen der - Gebanfe rege
geworden, ihre Bisthuͤmer der Oberaufficht des bre
mich hamburgifchen Erzfkifted zu entziehen. Liemar
(10727 1101) beförderte diefe Entwürfe nur durch feir
nen keck ausgefprochenen Bannfiuch gegen den König
von Danemaf, Humbert's Unthaͤtigkeit (- 1104)
geftattere ihnen Zeit zur Entwicelung, und unter
Friedrich J. Cı123) Fam die gänzliche Abfonderung
wirftih Zu Stande, Den fo erlittenen Berluff war
man nun bedacht durch Ausdehnung im Oſten zu ers
fegen. Dazu gaben die Befehrungen der wendifchen
und flavifchen Volkerſchaften hinreichende Veranlaſſung.
Befonders thaͤtig in Diefem Gefchaft war der eifrig
fromme Prediger Bicelin, welcher mit Unterffüßung
des Erzbiſchofs Adalbert. I. oder Adalbero
(11231148) feine ganze Lebenszeit dazu verwandte,
das Chriſtenthum unter den Slaven zu verkünden.‘
Adalbert ſelbſt veranfaßte einen Kreuzzug gegen fie,
(1147) von deffen geringem‘ Erfolge bereits geredet
worden ift, Sein Nachfolger, Hart wich I (von
114871168) erneuerte wirklich die bifchöflichen Sitze
im Ölavenlande, die feit den letzten flavifchen Empö—
Geſchichte ber Erzbiſchoͤfe bis 1174. 103
rungsfriegen über achtzig Sabre hindurch erledigt ge:
wefen waren; er verordnete Bifchöfe zu Mecklenburg
und Rageburg, und den Vicelin weihete er zum Bir
fhof von Didenburg: aber in’ feinen Anmaßungen,
eigenmachtig und ohne des Herzogs Heinrich’s de
Löwen Beſtaͤtigung, da diefer im feinen Landen als
Herr vegierte, Bifchöfe einzufesen und zu weihen, ges
rieth er auf harten Widerfpruch, am welchem geiſtli—
cher Stoß unwirkſam zuruͤckprallte Heimrich der
Löwe war ed auch, der nah Hartwichs Tode, als
aber die Wieverbefegung des ‚erledigten Stuhles ein
hitziger Streit entſtand, die Wahl des Balduin
befoörderte, eines gebohrenen Thuͤringers, deſſen unge—
woͤhnliche Kenntniſſe geruͤhmt werden, indem er naͤchſt
Griechiſch und Lateiniſch auch Italiaͤniſch, Franzoͤſiſch
und Brabantiſch fertig verſtanden haben ſoll, in der
Schrift wohl bewandert war, beredt, Verfaſſer einer
Lebensbeſchreibung Friedrichs des Rothbarts, verſchie⸗
dener Briefe und Reden, freygebig und großmuͤthig,
ſelbſt kriegeriſchen Sinnes, wie Biſchoͤfen damahls
ziemte, denn er gab in Welſchland mehrere Proben
ſeiner Tapferkeit. Die Klugheit rieth ihm wohl, in
ſeinen Verhaͤltniſſen zum Herzog Heinrich ſich im den
gehoͤrigen Schranken zn halten. Seine Freygebigkeit
gegen die hamburgiſche Kirche bewieß er nicht nur
durch Beſtaͤtigung der ihr von ſeinen Vorgaͤngern er⸗
theilten Gerechtigkeiten und Guͤter, ſondern den Dom⸗
herren insbeſondere verordnete er (1174) ein ſogenann⸗
tes Gnadenjahr, vermoͤge deſſen die Einkuͤnfte eines
Kanonikats nach dem Tode des Beſitzers ein ganzes
104 Gefchichte der Erzbifchöfe big: 1190.
Jahr ‚zur Bezahlung feiner binterlaffenen Schulden’,
auch wohl für feinen Bedienten, oder fonftige Arme
Chrifti verwender werben follten, Es bleibt immer ein
Denkmahl der Berlaugnung geiftlichen Stolzes, daß er
fich in diefem Gnadenbriefe einfach nur als hambur:
giſcher Bifchof unterzeichnete, CEr fi, 1178.) Sein
Nachfolger, Siefried, des Markgrafen Albrecht von
Brandenburg jüngerer Sohn, hielt es, damit ihm der
Befis der Grafſchaft Stade beflstiger würde, nach—
drücklich mit dem Raifer gegen den Herzog, und war
behufflich, daß Stade, wohin fih Heinrich geflüchtet
hatte, nicht nur erobert wurde, fondern auch drey
hundert Mark Silber zur Erſtattung der Kriegskoſten
bezahlen mußte. Uber er genoß feine Winde nicht
lange, er ſtarb fchon 1184. Den erzbifchöffichen Stuhl
beſtieg Hartwich IL., aus dem Gefchlechte der von
der Lieth. Er. war früher Geheimfchreiber Heinrich’3
des Löwen gemwefen; dennoch mar er der von ihm
genoffenen Wohlthaten fo wenig eingedenf, daR, als
diefer 1185 aus England zurück kehrte, er ibm felbft
eine erbetene Zufammenfunft ſtolz und Falt vertweigerte,
Sein anmaßendes Betragen gegen die Domherren zu
Luͤbeck, wohin: fibon feit 1162 dag Bischum ‚von
Oldenburg verlege worden war, machte das erzbifchöf-
Tiche Anſehen ſelbſt in ver Nachbarfchaft verhaftet. Die
Dithmarſchen, die bisher feiner Gerichesbarfeit unter:
mworfen waren, ohnehin allem berrifchen Berragen feind
und ſtoͤrriſchen Sinnes, reizte er durch: drückende Auf
lagen fo ſehr, daß fie von ihm abfielen und dem
Biſchofe Waldemar von Schleswig ſich unterwarfen,
Gefcbichte der Erzbifchöfe bis 1207, 105
Die Hoffnung allein , diefen Verluſt wieder zu gewin—
nen, vermochte ihn, fich auf die Seite des Herzogs
Heinrich zu ſchlagen, deffen Gluͤcksſtern noch einmal zu
feuchten ſchien; aber wie bald er auch wieder unterging,
ift erzählt worden ; den Hart wich traf die Reichgacht,
die Einwohner von Bremen vertrieben ihn aus der
Stadt, und er mußte Zuflucht in England ſuchen, von
mo er erfk nach einem Jahre mir Hilfe feiner Anhaͤn⸗
ger zurückkehrte, Sein Empfang in Bremen bemwieg,
wie fehr er in der Achtung verloren habe; : fogar die
gebührenden Einkünfte entzog man ihm, Nun wehrte
er fich mit geiftlichen Waffen; er fprach über alle feine
Miderfacher, ſelbſt über den Grafen Adolph III. den
Bann aus und unterfagte in der bremifchen Diöcefe
alle gortesdienftliche Handlungen. - In Hamburg blieb
der Bann ohne Wirkung oder Folgen; aber in Bremen
felbft entftand wuͤſte Verwirrung, die Leichname der
Berfforbenen, die unbeerdigt auf den Kirchhöfen liegen
blieben, verpefteren die Luft, die Störung der gottes⸗
dienftlichen Feyer verbreitete dumpfe Stille und Aengſt⸗
lichkeit. Erſt als der Erzbiſchof far ſechshundert Mark
‚des Kaifers Gnade und mie ihr die Wiedereinfegung in
feine Gerechtfame erhalten hatte, endete dieſer Zuſtand.
Er ſtarb, nachdem er noch von einer Wallfahrt (1194)
aus dem heiligen Lande koſtbare Reliquien, befonderg
Perri Schwert, womit der Apoftel dem Malchus das
Dhr abgehauen, zuruͤckgebracht hatte, 1207, | '
Mir feinem Tode wurde die fange verbaltene Eifer
fucht zwiſchen den Stiftsherren der: beyden Städte,
Bremen und ‚Hamburg, ſchon ‚lauter und thatiger.
106 Befchichte ber Erzbifchöfe bis 1219,
Die Bremer erwählten zu Hartwichs Nachfolger den
Bifchof von Schleswig Waldemar, ohne auch mur
das hbamburgifche Domkapitel zu befragen; dagegen
riefen die zu Hamburg den bremifchen Domprobft
Burkhard, dem auch einige Stiftäherren in Bremen
fersft nicht abbold waren, in ihre Stadt, und machten
ibn aus eigener Gewalt zum Erzbiſchof. Die nachdrück⸗
liche Unterſtuͤtzung, die fie für ihre Wahl bey dem
Könige Waldemar von Danemarf fanden, die Fraftige
Verwendung des danifchen ' Gefandten beym Pabſte
bewirkte Burchard's Befläatigung, 1208. Auch da
er noch in demfelbigen Jahre ſtarb, wurde zu einer
anderen Wahl gefcbritten, und Gerhard L, ein
gebohrner Graf von der Lippe, vorher Biſchof von
Osnabruͤck, auf den erzbifchöflichen Stuhl zu Bremen -
erhoben, 1211. Waldemar, endlich auch von den
Bremern verlaffen, mußte weichen und beſchloß fein
Reben als Mönch in einem Klofter, um's Jahr 1216,
Son Gerhard I iff, außer daß er der Kirche zu
Hamburg den Zehnten von Dockenhuden und Aifterdorp
beſtaͤtigte, wenig bekannt. Er ſtarb 1219 zu Frankfurt
während des Reichstages, auf welchem Friedrichs IL
zehnjahriger Sohn, Heinrich VIL zum römifcher
König erkläre ward, Sein Wohlverhalten indeß, oder
welche Gründe es fonft waren, vermochte die bremifchen
Domberren, bey der Wahl des Nachfolgers bey diefem
Gefchtechte zu bleiben; fie ernannten feinen Brudersfohn,
bisherigen Probft zu Paderborn, Gerhard IL, welcher
die Reihe der Erzbifchöfe von Hamburg und Bremen
beſchließt. Denn der Streit über den Vorrang und
Trennung der Stifter Hamburg und: Bremen. 107
des Erzbiſchofs Siegel und Unterfebrift begann zwiſchen
den ' eiferfüchtigen Stiftern aufs Neue; die Sache
wurde vor den Pabſt Honorius II. gebracht, Vor⸗
ſchlaͤge wurden bin und ber gethan, bis endlich beyde
Parteyen 1223 im folgendem Vergleiche fich vereinigten:
Der Titel, die erzbifchöftiche Wurde und alle Metro-
politanrechte follen Hinführo mie Anerkennung der
bamburgifchen Kirche bey Bremen verbleiben; die
jenfeit der Elbe im Erzftift Bremen gelegenen, aber
der bamburgifchen Probſtey gehörigen Lander follen
ferner dem hamburgifchen Kapitel zugehören, doch fo,
daß von dem zu Hamburg abgegebenen Spruch an den
Bremer Send (Synode) appellire werden kann; bey
Erledigung des erzbifchöflichen Stuhles follen von
Hamburg der: Probfi, der Dechane und Scholaſticus
jur Wahl nach Bremen gerufen werden und daſelbſt
mit den bremifchen Domberren gleiche Rechte genießen;
beyde Kirchen werden als Schweſtern berrachtet. So
blieb dem nachgebenden Theil der mwefentliche Gewinn
größerer, bis auf fpäte Zeiten erhaltener Unabhängig:
feit von dem Erzbifchof zu Bremen, der bey feinem
Antritte jedesmal die von den Kaifern und Pabfien
dem bamburgifchen Domkapitel beygelegten Rechte und
Srepbeiten- anerkannte und beffätigte- An die Gtelle
des Erzbifchof8 trat in Hamburg der Probfkf (praepo-
situs), dem es oblag, die Firchlichen Vergeben der
Laien wie der Geiftlichen feiner Probſtey zu beſtrafen,
und richterliche Gewalt zu üben, Ihm zunaͤchſt fand
der Detan oder Dechant, dem die Aufficht über
die Geiftlichkeit anvertraut war, "und dem Die Kbrigen
108 Waldemar’ II. Königs von Danemarf
Domberren, Bicarien, Diafonen, Mönche und andere
Geiftlichen gehorfamen mußten. » Der Scholafticuß
hatte die beſondere Auffiche über das Gchulmefen.
Diefe Veränderung. der geiftlichen Werbaltniffe Ham⸗
burgs gefchah, als Graf Albrecht von Orlamuͤnde
zum eigenthuͤmlichen Beſitze dieſer Stadt gelangt war.
Und hiermit knuͤpfen wir den Faden der uͤbrigen
Geſchichte wieder am, f
Es darf befremdend feheinen, daß wir bis dahin
vergeblich nach einer "Spur ung umfehen, die ung
verrierhe, wo der junge Adolph fich unterbeffen vers
borgen gehalten, ob und welchen Antheil er an allen
diefen Greianiffen genommen, was er verfucht babe,
die Rückkehr in das Erbe feiner: Water fich zu bereiten,
Merfen wir einen Blick auf die damalige Lage der
Dinge, fo: wird und diefe raͤthſelhafte Verborgenheit
vielleicht erflarbar. König Waldemar ſtand an.
Macht ein folcher Koloß da, den zu erfchittern einzel⸗
nen Kraften unmöglich vorkommen mußte, Er ſelbſt
war mit den größten Eriegerifchen Tugenden begabt und.
erfchien überall mit dem gefürchteten Beynahmen des
Siegers, den fein Zeitalter ihm beygelegt hatte, Auf:
fer. den Dänifchen Provinzen und einigen Landereyen,
bie, er in Dfigotbland beſaß, gebor er über Nordalbin⸗
gien, Schwerin, Mecklenburg und Lauenburg, über
Pommern, einen Theil Preußens und alle Lander, die
ſich laͤngs der Küfte der. Oſtſee bis nach Kurland,
Livland und Eſthland hin erfirecften; dazu kamen noch
die Inſeln Roe (Rügen) und Ymbria (Femern). Er
befehligte ein. Heer von 160,000 Mann, darınter 2800
Mache und Länder, 109
Gewappnete und Bogenſchuͤtzen, und 1500 lange Schiffe,
Zur Seite ſtand ihm’ Albrecht vom DOrlamünde,
der gleich ritterlich und tapfer ſelbſt dann jedes feind-
felige Unternehmen unmöglich machte, als Waldemar
in angefebener und zahlreicher Begleitung einen Zug
nach Livland unternahm, Cı219) damahls, als "bey
einer gefährlichen Schlacht in Eſthland das Palladium
der Dünen, das berühmt Danebrog,' eine rothe
Fahne mit dem weißen Kreuze, vom. Himmel fiel;
auch als der König zur. Stillung ausgebrochener Unrus
bem nach der Inſel Defel ging, war er ihm treuer
Gefährte und Werkzeug feiner glüͤcklichen Thaten.
Wahrend diefer Zeit konnten die um den jungen Adolph,
wie um das Panier ihrer Hoffnungen und Wünfche,
verfammelten Edlen Holfteind unmöglich zur Ausfuͤh⸗
rung ihrer Plane ſchreiten, die fie zur Befreyung des
Darerlandes entworfen hatten, Aber ein Beweis eben
fo edler Treue als befonnener Umſicht bleibe e8, daß
fie ihre Verbindung und ihre Plane ſelbſt fo Tange, fo
unverbrüchlich geheim hielten, Ein ungeahneres Ereig-
niß, das plöglich, wie durch einen Zauberfchlag die
Lage: der Dinge veränderte, ließ diefelden nur früher
zur Ausführung kommen, als menfchliche Berechnung
bis jeßt zu hoffen gewagt hatte; denn auch hier be:
mwahrbeitere fich die, ewige Lehre der Gefchichte, dag
dem ungebührlich emporffrebenden Uebermuthe unver:
meidlich die fichere Strafe folge,
Heinrih, Graf von Schwerin, und deffen Bruder
Guͤnzel hatten einen Edelmann, Johann Gans auf
Grabow, einen Ahnherrn der Edlen von Puttlitz,
110 Heinrich von Schwerin nimmt den
wegen begangenen Unfugs aus dem Lande gejagt.
Dieſer nahm feine Zuflucht zu dem Könige Waldemar,
der ihm zu Liebe nicht nur das dem Grafen Heinrich
gehörige Schloß Boigenburg zerſtoͤrte, fondern auch
deffen ganzes Gebier durch Albrecht von Orlamuͤnde
verheeren ließ. Ueberdies foderte er den Grafen noch
nach Danemarf, und fchrieb ihm zur Ausfühnung fo
harte Bedingungen vor, daß deren Erfüllung unmoͤg⸗
lich war. Da weder Bitten noch Vorfielungen hal:
fen, daß Heinrich zu dem Seinen wieder gelangen
Fonnte, überdieß fein Gemüth auf das höchfte entrüfter
war, weil König Waldemar an feiner Gemahlin gefre-
velt hatte, ſo faßte er den Entſchluß, ſich an der
Perſon des Königs ſelbſt auf das empfindlichfte zu
rächen, und ver volführte feinen Plan auf die über:
raſchendſte Weiſe. Waldemar erfuftigte fich mit feinen
Söhnen und wenigen Hofleuten auf der an der Südfeite
von Fühnen gelegenen kleinen Infel Lyoe mit der Jagd
und anderen ritterlichen Spielen und Uebungen; des
Abends und einen Theil der Nacht hindurch fchwarmten
fie beym freifenden Becher. Dieſe Gelegenheit erfah
der Graf, feine Rache zu befriedigen. Mitten im der
Nacht vom 6. May 1223, als der König mir feinem
Gefolge von der, Jagd ermüder und von den Dünffen
des Weins benebelt in den Banden des Schlafes Tag:
drang Graf Heinrich mir feinen Leuten in die Gezelte,.
bemachtigte fich der Perfon des Königs und deffen altes
fien Sohnes, verftopfte ihnen den Mund und brachte
fie eiligjt nach‘ den in Bereitſchaft gehaltenen Fahr⸗
zeugen, auf welchen ex feine Beute abführte, und fie
Honig Waldemar gefangen 1223, III
zuerſt nach. dem Schloſſe Dallenberg, dann nach Lens
jen, und endlich nach Schwerin in feſten Sewahrfam
brachte, |
—Ungeſaͤumt ernannten die daͤniſchen Großen den
Grafen Albrecht von Orlamünde zum Reichsver—
wefer, und mwandten alles an bey dem Kaifer ſowohl,
als bey dem Pabſte, die Gefangenen aus ihrer Haft zu
befreyen. Allein dem Kaiſer, der nur damit umging,
den Grafen Heinrich zu vermögen, ‚die Gefangenen in
feine Gewalt zu geben, war es. nicht Ernſt damit, fich
derfelben anzunehmen; und obſchon der Pabſt Honos
rius TI. durch fihriftliche Ermahnungen und Drobuns
gen fowohlz als durch Verwendung des Erzbifchofg
von Coͤlln und der Bifchöfe von Lüberf und Verden
ihre Befreyung zu bewirken fuchte, blieben dennoch
alle diefe Bemühungen fruchtlos. Zwar wurde auf
dem Reichdtage zu Bardowif (den 4. July 1224) ein
vorläufiger Vergleich geicbloffen, nach welchem Waldes
mar geloben: mußte, einen Kreuzzug nach Palaͤſtina zu
unternehmen; allen Anfprüchen auf Nordalbingien follte
er für fich und feine Söhne entfagen, bie flavifchen
Länder dem Reich überlaffen, und Dänemark vom
Kaifer zu Lehen nehmen, aufferdem noch 40,000 Darf
Silbers Loͤſegeld zahlen, anderer Bedingungen zu ge
fchweigen. Aber wie fehr die deutſchen Fürften damit
zufrieden waren, fo wenig mochten die Lehnsleute und
Verbuͤndeten Waldemars ſich denſelben unterwerfen,
und die ganze Unterhandlung zerſchlug ſich.
Graf Albrecht von Orlamuͤnde dachte darauf,
was nicht durch billige Aufopferung zu erhalten fey,
112 Albrecht giebt Hamburg die Freiheit zurückf.
durch Gewalt zu erfampfen, wie er denn ſtets eines
feften und ritterlichen Sinnes ſich bewiefen hatte, Hamz
burg, fein vom banifchen Könige erfauftes Eigenthum,
hatte er ſich durch milde Behandlung und durch viel
fache Beweiſe der Wohlthatigfeit geneigt gemacht.
Set, da er feinen und feines Gefangenen Bundesge-
noffen Feinden nicht anders, als mit flarfer Heeres:
macht begegnen könnte, fuchte er nichts angelegentli-
cher, als Mittel, ein fo fehwieriged Unternehmen mit
vorbereiteten Kraften zu ‚beginnen. Diefe Mittel fehies
nen ihm allein Hamburg Tiefern zu koͤnnen, fo ber
deutend ſchon war der Wohlftand diefer Stadt heran—
gediehen. Wie ein Fundiger und befonnener Schiffer
fuchte er, was ihm noch zu verten fibien, durch Auf:
opferung des nicht zu haltenden fich zu verfichern, Um
ſich die Grafſchaft Nordalbingieng zu vetten, fchien
ihm Hamburg ein wirdiger Preis. Er unterhandelte
daher mit den Einwohnern diefer Stade um ihre Frey-
beit, und für die Summe von eintaufend und
fünf bundert Mark loͤthigen Silbers (ungefähr
17000 Thaler) ſprach er fie los von aller Unterwüͤrfig—
feit und trat alle Anfpruche und Rechte feyerlich ab,
die er durch den Ankauf der Stadt von Waldeniar
über diefelbe erhalten hatte, Das war der. erffe Anz
fang einer freyen Gemeinheit in Hamburg. (1224)
Darauf brachte Albrecht ein Heer zufammen und 509
in’ Verbindung mit dem Herzog Otto von Lüneburg
feinen Feinden entgegen,
Der Gmf Heinrich von Schwerin nämlich war,
wahrend dieſes geſchah, nicht unthaͤtig geweſen. Da
Adolph IV. erobert fein Erbe wieder 1225. 113
er allein zu ſchwach war, hatte er fich mit dem Erz—
biſchof Gerhard von Bremen und mie dem Mecflenbur:
gifeben Fürften ‚Heinrich Burwin verbunden, die mit
vereinigten Kräften ihre ander aus den Händen ver
Dänen zu reißen entfcbloffen waren. Ohne Zweifel
Harte fih auch‘ Graf Adolph IV, gleich nach den
geſchehenen Königsraube mit allen, die ihm ergeben
‘waren, an Heinrich angefchloffen; denn er erite num
plöglich aus feiner Verborgenheit auf den Schauplag
der Begebenheiten hervor, viele holſteiniſche Mliche
und Nitter im feinem Gefolge, Kaum vernahm Graf
Heinrich, daß die verbuͤndeten Gegner, Albrecht und
Drto, im Anzuge wären, als er ihnen vol Zuverficht
entgegen rückte, Im Januar des Jahres 1225 Fam eg
zwifchen ihnen bey Mölln zu einem blutigen Gefechte,
in welchem von beyden Seiten mit Erbitterung geſtrit⸗
ten wurde: aber der Sieg neigte fih auf Heinrichs
Seite; Albrecht geriech perfönlich mit vielen andern
Rittern "und Edlen in Gefangenfcheft und ward zur
großen Befkürzung Waldemars nach Schwerin ‚in den⸗
ſelben Thurm, wo auch der König gefangen faß, in
Gewahrfam gebracht, Dem Grafen Adolph IV.
wurde es Teiche, ſich wieder in den Beſitz aller der
Gürer und gehen zu ſetzen, die ſeinem Later entriſſen
worden waren.
Vorzuͤglich war ihm daran gelegen, auch Ham
burg wieder zuriick su befommen ‚, wo men die Zwi⸗
ſchenzeit benutzt hatte/ vermoge der mit baarem Gelde
erkauften Freyheit der inneren Verfaſſung eine zweck⸗
maͤßigere Geſtalt zu geben. Aufgemuntert durch das
8
114 Adolph IV. belagert Hamburg 1225.
gluͤckliche Gelingen feiner erfien Unternehmungen und
von feinen Bundesgenoffen unterffüßt, näherte er fich
der Stadt, die noch durch die Veſten gedeckt wurde,
welche die danifchen Zwingherren früher angelegt hat-
ten. Der erfte' Angriff gefcbab auf das Schloß bey
Schiffbef , melches Albrecht von. Orfamünde auf
der Höhe an der Bille 1216 hatte anlegen laſſen. Die
daͤniſchen Reiſigen wehrten fich anfangs aufs. tapferfte :
aber da rings um ſchon Alles in den Händen der Sie⸗
ger, von den Ummohnenden, Die fo oft ihren Neber-
muth erfahren, Feine Unterſtuͤtzung zu hoffen. war,
Waldemar und Albrecht gefangen , fo ergaben fie fich,
da die Hartnaͤckigkeit ihres Widerfiandes die feindliche
Erbitterung nur vermehrte, endlich der Gnade des
Siegers; Adolph aber, der von den Gefinnungen der
Hamburger noch nicht ficher unterrichter war, fand
nicht für gute, das Schloß zu zerftören, ſondern verfah
es mit einer neuen Befagung, In Hamburg waren unter:
deffen, mie es in bedraͤngter Lage zu geſchehen pflegt, die
Meynungen verfchieden,. Einige hielten dafür, daß man
ohne Verzug dem Gieger nachgeben müffe, da man
jest noch leicht Verzeihung finden koͤnne; andere riechen
zu hartnaͤckigem Widerffand, daß nicht das zur Erfau-
fung der Freyheit verwandte Geld nutzlos vergeudet wareı
Den Berfländigeren gefiel der Mittelweg, den zum Heil
des Ganzen der glügfliche Erfolg beguͤnſtigte. Denn als
fich Adolph der Stadt genähert, und, nachdem er durch en:
gen Einſchluß alle Zufuhr ihr abgefchnitten, fie zur Ueber—
‚gabe aufgefordert hatte, ſchickten fie, ihmAbgeordnete ent:
gegen, welche alſo zu ibm gefprochen haben ſollen,
Adolph IV. belagert Hamburg 122 115
Sie würden zwar ungern etwas reden, was dem
Grafen minder gefiele,, aber es zwinge fie Liebe
zu ihrer Vaterſtadt und das Geheiß ihrer Buͤrger.
Fürs erfke wiſſe er ſelbſt am beften, mie durch dag
Recht des Krieges Holftein und Stormarn in des
Königs Waldemar Gewalt gekommen; fie feyen ein
Theil der Belohnung des Siegers gemwefen, und
nicht die einzigen, die nach der epdlichen Abtres
tung feines Vaters und der darauf gefolgten Stille
von zwey und zwanzig Jahren Neuerungen vorzuneh—
men gewagt haͤtten. Mit Recht zwar haͤtten ſie im
Stillen das Mißgeſchick ihres alten Herrn beſeufzet,
aber nothgedrungen haͤtten ſie oͤffentlich eine andere
Magfe vornehmen müffen, um nicht den neuen Gebieter,
den das Geſchick ihnen auferlegt habe, mit Gefahr des
augenblicklichen Unterganges durch unzeitige Kraͤnkung
zu beleidigen. Daher haͤtten ſie die Herrſchaft des
Grafen Albrecht ‚, anfangs als ihres Statthalters,
nachher. als ihres unumfchranften Fuͤrſten, da er fich
den vollen Befig der Stadt durch Gold erfauft gehabt,
ertragen, Diefe aber ſey ſofort auf. diefelbe Art
und mit micht geringem Vortheil Albrechts auf fie
übergetragen, da er. zu dem ihm drohenden Kriege ſich
rüftend, aus Furcht vor einem unguͤnſtigen Ausgang, |
das Gemiffe Lieber als das Ungewiffe habe nehmen
wollen, Vergebens werfe man ihnen vor, daß dies
mit ‚Berrug gegen das Schauenburgifche Hans gethan
worden fey, da Berrügerifch nicht genannt werden
fönne, was auf das Recht des Krieges, was auf
geiesliche Verhandlung, was auf erlaubten Vertrag
8*
116 Adolph IV. belagert Hamburg, und halt feinen
gegründer fey. Wolle man ihnen allzu große Liebe zur
Freyheit zum Fehler anrechnen, fo muͤſſe zuerſt die
Natur der Dinge angeklagt werden, die dieſes Gefuͤhl
allen lebenden Weſen auf gleiche Weiſe eingepflanzt
habe. Dieſes und ſo vieles Andere koͤnnten ſie, wenn
die Sache mit Worten vor Gericht verhandelt werden
ſollte, für ſich anführen; aber nicht Alles ſey allen
Zeiten angemeffen und es fey nichts thörigter, als
unter dem Geraͤuſch der Waffen als Rechtskundiger
handeln wollen oder müßig zu philoſophiren. Daher
fey das Ende ihrer Geſandtſchaft diefes, daß die’ Ham-
burger ibm ohne Beſchwerde freyen Einzug in ihre
Stadt vergönnen und den einem Fürffen von feinen
Unterthanen fehuldigen Gehorfam und alle Ehre erzei-
gen würden, wenn dieſes geſchehen Fonne unbeſchadet
ihrer. Freyheit und der Privilegien, die fie von den
Kaifern und von welchen anderen fonft, befonders aber
vom Grafen Albrecht, es fey aus freyer Gnade oder
für Geld, erhalten hatten, Denn wenn dieſes ihnen
verweigert wuͤrde, haͤtten ſie beſchloſſen/ lieber zu
ſterben, als Verminderung ihrer Gerechtſame zu dulden,
Adolph nahm diefe Rede der Abgeordneten, teils
aus eigenthümlicher Herzensgüte, theils wegen der
Beſcheidenheit zugleich und Feſtigkeit der Gefinnung,
die fich in derfelben ausfprach, mit, Geneigtheit auf
und obfihon mehrere ihm, da fie von der Plünderung
der Stade reiche Beute hofften, zur ſtrengen Gewalt
riethen, 308 er doch. einen gütlichen Vergleich wor, und
wenn er auch die Forderungen nicht im ganzen Umfang
erfüllte, bewilligte er der Stadt doch alle jene Freyheiten
Einzug, 1225. Waldemar fomme frey, 1226, 117
und Rechte, die Kaifer Friedrich I. ihr. auf Berwen⸗
dung feines Vaters ertbeilt hatte. Um die Weihnachts:
zeit 1225 biele er in Hamburg feinen Einzug. Hm
diefe wichtige Erwerbung vor ferneren Angriffen zu
ſchuͤtzen, griff er rafıh die Schanze bey dem Eichholz
an, nahm fie ohne großen Widerſtand und ſchleifte ſie,
eben fo auch das Schloß bey Schiffbeck, den Vorrech-
ten. der Hamburger gemäß, kraft welcher Niemand
befuge ſeyn follte, zwo Meilen rings um die Stadt ein
feftes Schloß aufzuführen.
Nun gab Heinrich, Straf von Schwerin, auch den
dringenden Vorfielungen Gehör, melche der Papft ihm
unaufborlih im Betreff des Könige von Danemarf
machen ließ und flelfte ihn im J. 1226 in Freyheit.
Die Bedingungen waren jeboch. nicht minder bare, als
die früheren. Waldemar follte dem Grafen 45,000
Mark Silbers, alle Kleinodien der Königin, die Krone
ausgenommen, 300 Zimmer Foftberen Pelzwerkes, nebft
1000 Ellen flandrifchen Scharlach. zur Bekleidung von
100 Rittern geben; alle zwiſchen der Eyder und Elbe
gelegenen, zum Reiche gehörigen Lander,. das Gebiet
bes Heinrich von Burwin, und alle ſlaviſchen Lander,
auffer Rügen, dem Keiche abtreten; 10 Tage nach
feiner Befreyung Rendsburg an den Grafen Adolph
zurückgeben und die Luͤbecker, Hamburger und uͤbrigen
Kaufleute dieſer Gegenden, wie alle anderen aus dem
roͤmiſchen Reiche, ſollten in Daͤnemark dieſelben Rechte
und Freyheiten genießen, die ihnen vor der Gefangen⸗
ſchaft des Königs zugeſtanden worden. Damit Alles
genau und ereulich gehalten würde, ſollten der König
.
118 ° Waldemar falle wieder in Holftein ein,
und feine Söhne, die Bifcböfe und Magnaten des
Königreiihs die Vergleichsurfunde befchwören und uns
terfiegeln; er mußte ſchwoͤren, nicht blos ſich ſelbſt
nicht zu rachen, fondern auch feine Freunde und Bun
desgenoffen von aller Rache abzuhalten. Zur Gewähr:
leiſtung follte er feinen Sohn Waldemar und feine
übrigen Söhne zu Geifeln ſtellen.
So harte Bedingungen zu erfüllen wer der König
nicht gefonnen, Ohne GSchwierigfeiten wurde er vom
Papſte, der uber Heinrichs Geringachtung feiner Vor:
ſtellungen erzuͤrnt war, feines geleifteren Eydes entbun—
den, und kaum ſah er ſich in den Augen der Welt
ſeiner Eydbruͤchigkeit wegen gerechtfertiget, als er raſch
darauf dachte, die erlittene Schmach durch Wieder—
eroberung des Verlorenen zu tilgen. Er vereinigte ſich
mit ſeinem Schweſterſohne, dem Herzog Otto von
Luͤneburg, und fiel zunaͤchſt ins Land der Dithmarſchen
ein, die ſich ihm, trotz tapferer Gegenwehr, ergeben
mußten, Er verwuͤſtete ihr Gebiet, ließ Reiſige zurück,
fie im Zaume zu halten, und rücte darauf in Holftein
ein, wo Adolph ihm mir feinen Verbündeten entgegen
fon, Der Kampf mar Iange Zeit zweifelhaft und
guͤnſtig bald für diefen, bald für jenen, Zuerſt nahm
der König das feſte Schloß Rendsburg wieder, nachdem
er einen empfindlichen Verluſt daſelbſt erlitten hatte;
much Itzehoe gewann er, und die Lage der Verbündeten
wurde immer bedenfricher, fo daß fie auch den Herzog
Albert von Sachſen zu Hilfe riefen, Eine günffigere
Wendung nahmen die Dinge bald, als Lübed an
denſelben thätigen und kuͤhnen Antheif nahm.
.
Luͤbeck verjagt die danifche Beſatzung. 119
Schon laͤngſt des daͤniſchen Joches uͤberdruͤſſig
hatten die Luͤbecker im Fruͤhjahr 1226 in aller Stille
ſich an den Kaiſer Friedrich II. gewandt und um
neue Beſtaͤtigung ihrer von feinem Großvater Friedrich
dem Rothbart erhaltenen Freyheiten und Vorrechte
gebeten, Der Kaifer willfahrte nicht allein dieſer Bitte,
fondern vermehrte ihre Privilegien noch mehr, erklärte
ihre Stadt für freye Reichsſtadt, und trug den Berz
bündeten Albrecht, Herzog von Sachfen, dem Erzbifchof
Gerhard II. von Bremen, den Grafen Adolph IV.
von Holfkein und Heinrich von Schwerin, fo wie dem
mecflenburgifchen Fürften Heinrich Burwin auf, der
Stadt Lüberf gegen die Danen die erforderliche Huͤlfe
zu Teiften. Inzwiſchen waren die Lüberfer ſchon bemüht
gewefen, fich der dänifchen Beſatzung zu entledigen, die
noch immer in ihrer Veſte und innerhalb ihrer Ring—
mauern lag. Die mehr ald zwanzig Jahre lange Zeit
der Unterdrüdfung hatte dag gegenfeitige Mißerauen der
Bürger und Kriegsknechte gemildert und beyde einander
äufferlich näher gebracht; auch als die Luͤbecker, wahrend
alles Land ringsum in Bewegung war, fich ruhig vers
bielten, hatten fie allen Argwohn erſtickt; dadurch
murde die Ausführung ihrer Fühnen Thar erleichtert,
Einft bey der Feyer eines alljäahrigen Feſtes, es mar
am ı. May 1226, wo man den danifchen Befehlshaber
mit eingeladen und fogar ihn zum Maygrafen ernannt
batte, fammelte fich ein Haufe wehrhafter Tübfcher
Männer, mit forglich verborgen gehaltenen Waffen, in
die Burg, überfielen die Beſatzung, die fich deffen nicht
verfahb, toͤdteten mehrere, verjagten die übrigen und
120 Adolph IV., Heinrich ꝛc. vereinigen fich mit
feßten fich fo in ben Beſitz der Burg, die fie alsbald
nieberriffen umd zerfförten, Auch ald die Uebrigen,
welche beym Feſte ſich ergösten, ‚die Nachricht der
gelungenen That erhielten, ergriffen fie den Danifchen
Befehlshaber, nahmen ihn in Verhaft und vertrießen,
was noch von Dänen fich fehen ließ.
Die fehr diefe That das Wohlgefallen des Kaiſers
erregen mußte, fo. fehr entrüflete fie den König Wals
demar, Eiligſt zog er feine Truppen zufammen und
naberte fich der Stadt, fie für ihren Abfall zu zuͤchti⸗
sen, Aber die verbiindeten Grafen von Mecklenburg
und Holftein, theils für ihre Selbfterhaltung ‚bedacht,
theils der vom Kaiſer erhaltenen Aufmunsterungen eins
gedenf, vereinigten fich mit den Lüberfern und kamen
eber bey der Stadt an, als der König zu verhindern
vermochte. Adolph IV. wurde von ihnen einmuͤthig
zum oberfien Heerführer erwahlt: denn man vertrauete
eben ſo fehr feiner Tapferkeit und Kriegserfahrenheit,
als man wußte, daß er mehr, mie jeder andere, für
feine Erhaltung zu Fampfen habe, Ueber den weiteren
Zuruͤſtungen ruͤckte das Jahr 1227 heran; ein Theil _
deffelden wurde noch mit Verheerung der Felder und
wenig enefcheidenden Angriffen zugebracht; man fibien
daher zuletzt entichloffen, die Sache auf einen. Haupt:
flag ankommen zu laſſen. An den Grenzen von Hols
fein und Wagerland Jiegt ein kleines Dorf, ſchon im
zwölften Jahrhunderte berühmt durch die Kirche, die
Vicelin daſelbſt geweihet harte, von der unweit deffel-
ben vorbepfließenden Swentine anfangs Swentinefeld,
nachmahls von dem Bornbeck, der dafelbft entfpringt
den Luͤbeckern und schen Waldemar entgegen. 121
und fich in die Swentine ergießt, Bornbövede, dag
Haupt des Bornbarhes genannt, Auf dem ebenen,
freyen Felde dafelbit hatte ſich König Waldemar mit
feinem Heere gelagert ; am 20, July fiand auch dag
Heer der Verbünderen ihm gegenüber, Zmey Tage
lang batte man. fih durch Entwürfe und Eleine Vers
‚füche Vortheile der Gegend abzugewinnen und den Gieg
zu. fichern gefucht, als endlich mie dem Anbruch des
dritten Tages, e8 war. am Tage Maria Magdalens,
beyde Heere gegen einander rüsften,: bereit, bier. die
Freyheit, dort die Ehre des Krieges und die gefährdete
Herrſchaft zu erfämpfen. . Das Kriegsvolf der Dänen
wurde auf dem rechten und Iinfen Flügel von dem Her:
305 Otto von Lüneburg und dem Föniglichen Prinzen
Abel, nachmahligem Herzog von Schleßwig befehligt,
die Mitte führte der kriegsluſtige und ſiegesſtolze König
ſelbſt; das hinterſte Treffen bildeten die Dithmarfchen,
welche, erft im vorigen Jahre wieder unterworfen, dem
danifchen Könige mie Unmwillen gefolge waren und dem
Grafen Adolph im Stillen hatten zufagen laſſen, daß
fie im Treffen zu ihm übergehen wurden. Auf ahnliche
Are Hand auch das verbündere Heer geordnet. Abeln
gegen über fand der Graf Heinrich von Schwerin
und der muthige Bürgermeifier von Lubeck, Alex an⸗
der von Soltwedel, mit dem Kerne der luͤbecki⸗
fihen Bürgerfebaft; auf dem linken Flügel, gegen Deto,
Herzog Albere von Sachfen ; das Mitteltreffen, das
an der Spitze von 300 erleſenen Streitern, von Fried⸗
rich II. ſelbſt gefande, der Faiferliche Adler zierte,
führte Graf Adolph IV.; im Rüuͤcken fanden die
122 Zreffen bey Bornhövede, 1227 den 23. July,
Huͤlfsvölker des Erzbifchof8 Gerhard von Bremen,
und des wendiſchen Fuͤrſten Burmwim, Mit dem fruͤ—
ben Morgen hatte das Treffen begonnen, und war meh-
rere Stunden mit Hartnacfigfeit und Erbitterung fort
gefege worden. Der Mittag naherte fich und die Sonne
fchoß ihre heißen Strahlen den Leuten Adolphs gerade
ins Geficht 5; Waldemar benußte den Vortheil, und
drangte harter zu; jene, von den Strahlen geblender,
von der Hige ermatter, fingen an zu weichen, Miß⸗
trauen und Furcht nahmen uͤberhand, die Unordnung -
wurde allgemein und das Heer febien in völlige Flucht
ſich auflöfen zu wollen. Adolph eilte von einem Ende
der Seinigen zum andern, die Zerſtreueten zu fammeln
und ihren Much wieder neu zu beleben. Er erinnerte
fie an die ihm gelobte Treue, hielt ihnen die Schmach
vor, die ihrer aufs neue warte, menn fie ihrer Frey-
heit verluftig gingen, und fpornte fie an, den Sieg,
den fie ſchon halb errungen gehabt, fich nicht entwinden
zu laſſen. Gleichwie die Heerführer des Alterthums,
wenn das Glü des Treffens zu wanken ſchien, den
Göttern zur Rettung des Sieges Gelübde darbrachten;
alſo fol euch Adolph, als jest die Seinen wieder
Stand hielten, ausgerufen haben: „Heiliger Gott, ich
verfpüre deine mächtige Hülfe und will nicht undanfbar
erfunden werden, dag du dem Unwirdigen beyſteheſt.
.Benn du mir die Feinde überwinden hilfit , fo gelobe
ich zum Denfmahl deiner Gnade bey den Nachkommen,
zu deiner Ehre und zum Andenken diefes Sieges, Kir
chen aufjurichten, und ich will mich aller menfchlichen
Dinge entſchlagen und zu deinem Dienfte mich ſelbſt
und deffen Folge, | 123
meiben.* Mit freudiger Zuverficht geftarfe ſtuͤrzte er
fib in das Gewühl des Kampfes zurück: ſiehe, da bes
gegneten ihm die umgefehrten Schilde der Dithmar⸗
ſchen, das verfprochene Zeichen, daß fie zu feinem
Beyſtande übersreren würden, AS fie mit Ungeſtuͤm
in die Schlachtordnung der Danen einftelen, da fchöpf-
ten Adolphs Heerhaufen auch friſchen Muth, das
Schickſal des Treffens wankte und wandte ſich. Die
Daͤnen von zwey Seiten angegriffen geriethen in Ver—
wirrung; nicht mehr Hoffnung zum Siege war da, ein
jeder war nur auf Rettung bedacht durch ſchleunige
Flucht. Viertauſend Daͤnen deckten das Schlachtfeld,
Herzog Otto und drey Bifchöfe geriethen in die Gewalt
der Sieger , der’ König Waldemar feldft verlor Ein
Auge und entfam der Gefangenfchaft nur durch Die
Treue eines deutſchen Nitters, der ihn nach Kiel rettete.
Diefer Schlag war entfcheidend : Adolph hatte
dadurch niche nur feine Graffchaft von Neuem wieder
gewonnen, fondern auch Deusfchlands Grenzen an den
Geftaden der Oſtſee und dem Ufer der Eyder feſter ges
ſteckt. Die Dithmarſchen erhielten die ihnen verſproche⸗
nen Freyheiten wieder, und Luͤbeck führte von jegt an
den Nahmen einer freyen Reichsſtadt. Zwar verfuchte
Waldemar, der fich in die Beranderung feines Gluͤckes
nicht finden konnte, nochmahls, dag verlorene Holfkein
wieder zu gewinnen, Er griff im J. 1228 Rendsburg
an, wurde aber durch einen Meberfal der Grafen
Adolph und Heinrich, die durch einen Moraft festen
und ihm in Ruͤcken fielen, genöthige, die Belagerung
aufzuheben, Nachdem er bierauf feinen Unwillen durch
124 Waldemar weicht aus Deuefchland.
Beſtrafung ver Dithmarſchen befriedigt hatte, zog ex
gegen Itzehoe und Segeberg; aber nirgends war er
gluͤcklicher; er mußte ſich damit begnügen, das Land
zu durchziehen und an mehreren -Drten zu verwuͤſten.
Die fachfifchen Veften Ratzeburg, Mölln und Lauenburg,
welche noch in den Handen der Dänen waren, wurden
von Herzog Albrecht I. von Sachſen angegriffen nnd
erſtere Teiche genommen, nur Lauenburg wehrte fich
tapfer und Die Uebergabe gefibab endlich unter der
Bedingung, daß Graf Albrecht von DOrlamünde, der
noch immer in Schwerin in Gefangenfchaft gebalten
wurde, in Freyheit komme. Endlich gab Waldemor,
der fruchtlofen Fehden uͤberdruͤſſig, die weitere Verfol-
gung feiner Plane auf, fühnte fich mit feinen Feinden
wieder aus und entfagte allen Anfprüchen, die er an
Holftein und Wagrien gehabt zu haben vermeynte, Mir
dem Grafen Adolph fihloß er ſogar ein gegenfeitiges
Bündrif, das in der Folge 1237 durch die Vermäh-
fung des Königlichen Prinzen Abel, den der Vater zum
Herzog von Schleßwig ernannt hatte, mit des Grafen
Tochter Mathildis noch enger geknüpft wurde. Go
verſchwand die Erfcheinung der daͤniſchen Macht von
Deusfchem Boden wieder, Don allen Grafen und Herz
ven, die früher Waldemars Oberberrlichkeit anerkannt
hatten, trug allein der Fuͤrſt von Kügen noch ſein Land
von ihm zum Lehen. Herzog Albrecht von Sachen
hatte. durch feine Ermerbungen ein abgerundetes Land
erbalten, auf welches nun ber Nahme des Herzogthums
Sachſen überging, obſchon es nur einen Eleinen Theil
des älteren, ungleich mächtigeren umfaßte, und von der
a 6 A
— Dr
Adolph's IV. Kampf mie Luͤbeck. 125
Befte Lauenburg wurde es das Herzogehum Sachſen—
Lauenburg genannt,
Noch waren indeffen die Folgen dieſes Kampfes
nicht an alfen Orten beruhigend, Adolph IV. Fonnte
nicht Hanz die Regung der Mißgunſt unterdrücken, Die er
gegen die Reichsfreyheit der Stade Liber empfand,
der Stadt, die von feinem Großvater gebauet und noch
von feinem Vater eine Zeitlang beherrſcht worden war,
Er fuchte demnach feine Verdienſte, die er durch die
bey Bornbövede geleiftete Huͤlfe fich um fie erworben
gehabt, fo hoch zu ſtellen, daß fie feiner Abſicht gemäß
mie nichts geringerem vergolten werden koͤnnten, als
mie Wicderperflellung der alten Rechte, welche die Gra-
fen von Holftein auf Luͤbeck gehabt hätten, Die Luͤ⸗
becker ſetzten umfonft auseinander, ‘wie jene früheren
Anfprische durch Die fange Zeit, während welcher fie unter
dänifcher Herrſchaft geftanden, fo wie durch ihre neue:
ſten vom Kaiſer Friedrich IL. erhaltenen Privilegien
iaͤngſt verjaͤhrt und erloſchen waͤren. Da man guͤtlich
ſich nicht vergleichen konnte ſollten die Waffen ent⸗
* ſcheiden. Adolph rief ‚um deſto ſicherer zu gehen, den
König Waldemar zu Huͤlfe, der ohnehin noch alten
Groll gegen Luͤbeck im Herzen naͤhrte. Derſelbe ließ
daher nicht nur Landvolk zu Adolphs Leuten ſtoßen,
ſondern legte ſich auch mit vielen Schiffen vor die
Mündung der Trave. Um der State alle Aug» und
Einfuhr abzufchneiden, erbauete er an beyden Ufern
fefte Thürme , und zog queer über eine ſtarke Kette:
aber Tübfche Kauffahrer, die von Lievfand zurück kamen,
fuhren mis angeſchwellten Gegen auf die Kerte iu,
126 Luͤbeck befreyt fich von Adolph's IV.
welche im Nu zerſprang. Der erzürnte König ließ
darauf eines feiner größten Schiffe mie Sand und
Steinen anfillen und in den Fluß verfenfen, wodurch
alle Gemeinfchaft ver Stadt mie dem Meere verhindert
wurde. Aber die Noth wird den Murhigen nur zum
Sporn, auch durch die Fühnften Unternehmungen fich
Rettung zu verfchaffen. Unter dem Schuße der Bollwerfe
und Wehren, die die Bedrängten ihrerfeitd errichteren,
bahnten fie dem Fluffe einen anderen Ausweg ing Meer,
welcher durch Beguͤnſtigung des ſtarken Stromes. tiefer
ward, ald der vorige und auch für die größten Kauf
fahrteyfchiffe fahrbar. Waldemar verſtaͤrkte feine Flotte,
mußte aber, da er den Beyſtand der Mecklenburger
fürchtete, mit derſelben vor der Warne herumkreuzen,
wohin ihm die Luͤbecker mit ihren Schiffen nacheilten.
Wie ſehr er. ihnen auch an Macht überlegen fhien , fo
hatten fie dennoch Muth genug, ein förmtiches. Ser
treffen mit ihm zu wagen, und fo glücklich war der
Erfolg des heißen Kampfes, der vom Morgen bis an
den Abend gedauert hatte, daß die Danen, nach einem
bedeutenden Verluſt an Schiffen und Mannſchaft zum
Weichen gebracht wurden und nach ihrer Heimath zu⸗
ruͤckſegelten. Die Sieger führten das größte Schiff
der dänifchen Flotte, welches mit 400 Mann beſetzt und
in ihre Gewalt gerathen war, als Denkmahl ihres
erſten Seeſieges, jubelnd nach Luͤbeck. Dieſe muthige
Gegenwehr veranlaßte auch den Grafen, fein Kriegs-
volf, mit welchem er zu Lande die Stadt bedrangte,
aus einander gehen zu laſſen. Luͤbeck aber hatte in
dieſem Kampfe zuerſt kennen gelernt, wie ungerechten
und Waldemar Ueberfall, 1235. 127
Befehdungen. mie, felbftändiger Kraft, begegnet werben
fönne: die Folgen dieſer Anftrengungen zeigten fich bald
in ihrem bedeutenden Umfange. Die Streitigkeit feldft
wurde. vor den Raifer gebracht, und Friedrich der II.,
nachdem vr beyde Theile vor ſich nach Worms befchier
den, ftellte den Grafen Adolph mit 5000 Mark Silbers,
jede Marf zu 13 englifchen Schillingen gerechnet, zus
frieden, wogegen der Graf allen ferneren Anfprüchen
auf die Stadt und ihr Gebier feyerlich entfagen mußte:
alle bisherigen Privilegien, befonders die Unmittelbarkeit
und Reichsfrepbeie der Stadt wurden nochmals vom
Katfer. beftätiger. Dieß geſchah 1235.
Hamburg harte an diefen Kriegsvorfalfen nur mit
telbaren Antheil gehabt. Kraft eines Faiferlichen Privi-
Iegiums frey von aller Kriegesftener hatte es dennoch
dem Sieger bey Bornhövede zur Beffreitung der Unko—⸗
ften eine Summe. ausgezahlt, die über 20,000 Marf
Lübifch betrug, Auch biele Adolph nach feiner Ruͤck⸗
Fehr einen feyerlichen Einzug in unfere Stadt und ein-
gedenf der Gelübde, die er in der Hitze des Kampfes
gethan harte, ließ er noch in demfelben Jahre (1227)
biefelbft die Erbauung zweyer Klöfter beginnen, wovon
Das eine der. H. Marin Magdalena, das andere Johan—
nes dem Täufer und Johannes dem Evangeliften ge
weihet wurde. Jenes wurde den Francisfaner »- Mönchen
eingeräumt, ober wie fie mit ihrer aufferlichen Demuth
fich Tieber nannten, den Minoriten, (Eleinere, demuͤthige
Brüder, fonft auch Barfüßer,) welche damahls mit
den Dominifanern, einem gleichfalls neu entftandenen
Möncbsorden, das meifte Anfeben befaßen und nach
138 Erbauung der Kloͤſter Johl u. Dar, Magd. in H.
alten Gegenden bin mit munberbarem Gedeihen fich
verbreiteten, Das Johanniskloſter war den Dominifa-
nern (auch Predigermönche genannt,) beſtimmt; aber
ihre Aufnahme fand Schwierigkeit in dem Widerfpruch
der Dom : Geiftlichen , die durch Die Anfiedelung diefer
Mönche Abbruch ihrer Einnahme fürchteren. Dan nahm
feine Zuflucht zu Zeichen und Wundern, Der Eigenthums⸗
herr von dem zum Anbau des Klofters beftimmten Grunde,
Redder mir Nahmen, hatte mir eigenen Augen Erde vom
Himmel neben der Klofterpforte herabfalten ſehen, die
auswendig fihwarz, inwendig aber weiß und mit golde⸗
nen Streifen bezeichnet gewefen war; ein rebendes Zei⸗
chen des Himmeld, daß das Klofter mit Dominifanern
befegt werden müfle: die weiße und ſchwarze Erde
bedeute die Ordenstracht diefer. Mönche, die Goldfkrei-
fen die. reine , goldene Lehre, welche dieſe heiligen
Drdensbrüder verfünderen; Da nicht allein Adolph
ſelbſt, fondern auch der Rath und die Bürgerfchaft die
Einfaffung der frommen Mönche begünftigten und uns
terftügten, fo mußte fich endlich das Dom⸗Capitul wohl
bequemen, nachzugeben. Dennoch geſchah die förmtiche
Aufnahme nicht eher , bevor die Dominikaner durch
drey von ihnen bergefandte Abgeordnete, Burkhard,
Otto von Mending uud Jordan; dem Dom⸗Capitul
das förmliche Angelöbnif geleifter hatten: daß fie mit
ihren geiftlichen Werrichtungen Niemanden in feiner
Einnahme Abbruch thun, ja daß ſie ſelbſt für farfche
Drdenshrüder angefeben feyn wollten, fo ferne fie für
ihre Predigten und geiffitiben Dienfte Geld nehmen
würden, mit dem Zufage, daß fie in dem Talle, mo
Adolph's IV. Verdienfte um Hamburg. 129
fie. gegen dieſes Verfprechen feblen follten, ſich ganz
geduldig aus der Stadt wollten verjagen laſſen. Hier:
auf wurde ihre Aufnahme auch von dem damaligen
Domdechanten Eilhard oder Alhard feyerlich anerkannt,
im Jahre 1235.
Für das Beſte der Stadt erwieß ſich Adolph ind
beſondere dadurch ehatig, daß er den Kaifer vermochte,
im J. 1232 die fibon von feinem Vater herruͤhrenden
Privilegien für die Buͤrger der Neuſtadt oder des Nie
kolai⸗Kirchſpiels nochmals zu befkitigen. Diefe beſtan⸗
den hauptſaͤchlich im der nach luͤbſchen Gerechtfamen zu⸗
geſtandenen Nutznießung der zu feinen Gütern gehörigen
und innerhalb der graflichen Gerichtsbarkeit Tiegenden
Felder, Wieſen, Waldungen und der. Zolffrepheit in
der ganzen Grafichaft, fo wie noch überdem im einem
jährlich zwepmal zu baltenden Sahrmarft. Durch diefe
und andere Beweife des Wohlwollens ſcheint ein ſehr
friedliches Verhaͤltniß zwifchen dem Grafen und der
Stadt begruͤndet worden zu feyn, Als fich im J. 1237
der nachmahls durch feinen Brudermord beruͤchtigte Abel,
Herzog von Schleßwig, wie oben ‚erinnert, mit des
Grafen Tochter Mathildis vermaͤhlte, wurden zu der
glaͤnzenden Hochzeitsfeyer zu Schleßwig auch der Rath
und das Volk von Hamburg eingeladen. Dieſe bethaͤ⸗
tigten durch Abgeordnete ihre Anhaͤnglichkeit und Ges
neigtheie für Adolph und deſſen Haus alfo, daß fie
nicht nur der Braut ein reiches Hochzeitsgeſchenk übers
reichen ließen, fondern auch ihrem Vater den Oldesloer
Zoll, den fie zu dem Ende von Egbert, Herrn von Wols
fenbuͤttel, für 200 Mark Silber erfauft., zum
9
130 Adolph's IV. frommer Kriegszug
Geſchenk darbrachten, Diefe Heyrath übrigens beför-
derte ohne Zweifel bie Erfüllung jener übrigen frommen
Enefchlüffe, welche Adolph feit dem Treffen bey
Bornhöved in feiner Seele gehegt hatte, da er jegt der
Sorge für das Wohl feines Haufes wefentlich erfediger
zu werden begann,
Vor etwa achtzig Fahren, 1158 war durch Bres
mifche Kaufleute, melche mit einem reichbeladenen
Schiffe nach Gothland wollten und durch Sturm an
die Mündung der Duina verfchlagen wurden, Lievfand
und Eſthland den Deurfchen befannt geworden. Die
vortheilhaften Geſchaͤfte, melche fie mit den roberen
Bewohnern jener Gegend machen fonnten, veranlaften
fie, die Reife abfichelich zu wiederholen und andere,
ihrem Benfpiele zu. folgen: der häufige Verkehr gab
Gelegenheit zur Gründung des nachmahls bluͤhend ges
wordenen Kiga. Auch der Fromme Befehrungsgeifer
der damaligen Zeit fand hier reiche Nahrung: Geiftliche
fchifften fihb ein, andere, welche Abenteuer fuchten
oder Sünden abzubüßen hatten, ſchloſſen ſich an fie an,
um theilg durch Predigten, theild mit der Schärfe des
Schwertes das Chriſtenthum unter den heydniſchen
Einwohnern zu verbreiten, Die Reife mar kuͤrzer, als
die nach dem gelobten Lande, welche andere zum Heil
ihrer Seele unternommen hatten, die Vortheile aber,
die auch bier für den gleichen Ziwecf gewonnen wurden,
nicht geringer. Ein Auguftiner Chorherr des Klofkes
Segeberg, Meinhard mir Nahmen, gründete dort
die erſte Miſſions Anſtalt und wurde in der Folge der
erfte Biſchof von Kiga, Am eifrigifen betrieb dag
mach Lievland ꝛc. 1139. 132
Bekehrungsgeſchaͤft ſein zweyter Nachfolger, Biſchof
Albrecht, welcher zu der Eroberung des Landes den
Orden der Schwertritter ſtiftete, die deutſchen Ritter auf:
foderte, ſich mit demſelben zu vereinigen, und durch die
Begeiſterung, mit welcher er das Kreuz predigte, auſſer
einer großen Menge Volkes viele andere weltliche Fürs
ften und Herren Deutſchlands veranlaßte, diefe fromme
Heldenfahrt zu unternehmen, Der Herzog Albrecht von
Sachſen, der Graf Albrecht von Drlamünde, der
Wendiſche Fuͤrſt Burwin u. a; hatten folche Züge un⸗
ternommen; Eben damahls fanden die Schwertritter
in größter Bedraͤngniß und der Kampf mit den hart:
nacigen Inwohnern follte zur Entfcheidung gefuͤhrt
werden: Für Adolph IV;, deflen Vater felbfi in
Paldftind geweſen war, bot fich feine günftigere Ver:
anlaffung, den Gelübden, welche er fo treufich in feis
hem Herzen gepflegte und die. er noch immer mehr auss
gebilder hatte, genug zu thun und fich ebenfalls nach
der Duina einzufchiffen, Seine Söhne, fo wie die
Verwaltung feiner Graffchaft Fonnte er: der Auffiche
feines Eydams anvertrauen : feine Gemahlin ſelbſt,
Hedwig, eine gehohrene Gräfin von der Lippe, die au
Froͤmmigkeit des Herzens ihm gleich kam, faßte den
Entſchluß, ihn auf feinem Zuge zu begleiten, Er. trat
daher, nachdem er zuvor noch den: Chorherren der
Domkirche zu Hamburg die Schenkung der Rechte,
welche fein Vater auf die St: Nifolai- Kapelle gehabt
und abgetreten, durch Erneuerung beſtaͤtiget harte, mit
einem auserleſenen Gefolge feine Reiſe nach Lievland
an, und blieb daſelbſt ein Jahr lang, ohne daß uns
9*
132 Adolph IV. gebt ing Kloſter.
von ſeinem Aufenthalte daſelbſt beſtimmte Der
zu Theil geworden waren.
Nach feiner Rückkehr eilte er, auch feinen Teßten
Entſchluß, feine übrigen Tage im Elöfterlicher Stilfe und
in Vebung frommer Werke zu verfeben, in Ausführung zu
bringen, Nachdem er feinen Söhnen, Johann und
Gerhard die Graffchaft übergeben und feinen Eydam,
den Herzog Abel zu ihrem Vormund ernannt hatte,
trat er 1239, den 10, Auguſt, am Tage des heiligen
Hippolyt, in Geſellſchaft zweyer Adlichen von Gkifom,
in den Franeiffaner - Orden, der das von ihm gefkiftere
Marien: Magdalenen: Klofter zur Wohnung hatte, Es
war ihm ein heiliger Ernſt mit dieſem Taufche feines
Lebens gewefen: das bewieß er ſchon als Laienbruder
durch die gewiffenhafte Erfüllung aller der Pflichten,
weiche die Strenge des Barfuͤſſerordens auferlegte,
Durch feinen unermüdlichen Eifer brachte er fo viel
Almoſen zufammen, daß er das Marien Magdalenenz
Rlofter zu Kiel davon erbauen Fonnte, Sein uͤbriges
Leben verliert fich ganz in diefe Flöfferliche Eingezogens
beit, Um zur eigentlichen Prieſterweihe zu gelangen,
wanderte er im Jahr 1244 mit Erlaubniß feiner Obern
nach Rom, um von dem Pabſte von der Blutſchuld,
die an den Handen des Krieger Flebte, entfühne zu
werden: Innocenz IV. Fonnte wohl zur Belohnung
eines folchen Eiferd, durch welchen das Anfehen des
geiftfichen Standes fo fehr gewann, nichts geringeres
thun, als daß er eigenhandig ihn zum Subdiaconus
weihete. Glücklich über die Erreichung feiner Wuͤnſche
rät er die Pilgerfihaft in die Heimath an: der. Meifter
Sein Hbriged Leben, Tod 1261, 133
des Dominikaner Ordens, weihere ihn zum Diafonug,
der Biſchof von Luͤbeck, am vierten Advent, den
20. December 1244 zum Priefter, Seine erfte Meffe
las er im derfelben Kapelle, welche die Srancisfaner
auf dem Siegesfelde bey Bornhoͤved geffifter hatten:
feine zweyte Meſſe, im Marz 1245, in der Marien:
Magdalenen » Kirche zu Hamburg, in Gegenwart feiner
geiftlichen Brüder. eine übrige Lebenszeit brachte er
in dem mittlerweile ausgebaueren Marien Klofter zu
Kiel zu, in gewiffenhafter Beobachtung deffen, mas
feine Wuͤrde und die Regel des Ordens erbeifchten.
Dort fiarb er 12617 den 8. July, und wurde in der
Kirche deſſelben Klofter8 vor dem Altare beygeſetzt.
Durch ſeinen mannhaften Sinn, durch ſeinen Muth
und ſeine Tapferkeit, durch die Beharrlichkeit in Ver⸗
folgung und Ausführung feiner Plane hatte er ſich den
edelſten Rittern feiner Zeitgleich geftelt: wegen feiner
inneren Tugenden , der Reinheit und Biederkeit des
Herzens, der Treue und Gewiffenhaftigfeit, des from:
men Glaubens, wie er im Geifte feiner Tage inbrünffig
ſich ausfprach und durch feinen wahrhaft bimmtifchen
Sinn gehört er auch nach feiner Zeit noch unter die,
welche die Gefchichte mir Achtung und Ehrfurcht nennt,
Sein gerechtes Lob preiße eine Inſchrift, welche in
jüngfter Zeit feinem Bilde, das den neu eingerichteten
Audienzſaal der Dberalten im biefigen Johannis + Klofter
ziert, beygefüge werden iff: „Durch feine Siege gegen
Dänemark 1224 — 4227 Nord » Elbingiend Deutſchheit
bewahrend, mit weiſer Einfiche und großherziger Ent»
fagung die Selbſtaͤndigkeit unſers Freyſtaats gründend,
“
134 Erbauung des Klofters Harveſtehude.
galt er feinen Zeitgenoffen, mie alten Zeiten, groß als
Fürft und Held, gröffer noch als Chrift und Menfch,
in ſeltener Selbſtuͤberwindung und — —
benheit.“
Auch Adolph's fromme Gemahlin, Hedwig,
folgte, nach der Ruͤckkehr aus Lievland, dem Beyſpiele
ihres Gatten. Unweit der Stadt Hamburg, in einem
anmuthigen Gehoͤlze, hatte, nach der Sage, ein Buͤrger⸗
meiſter, Nahmens Herwerth oder Herbert, der
um 1225 gelebt haben ſoll, eine Meyerey angelegt, die
von ſeinem Nahmen und dem Worte Hude, welches eine
Hut oder Trift anzeigt, Her werths Hude, oder ſpaͤter
Harveſtehude, genannt wurde. Aus dieſer Meyerey
erbauete die Graͤfin ein Nonnen-Kloſter Ciſtercienſer⸗
Ordens, das auch zum Jungfrauenthal genannt
wurde, worin fie ſelbſt ſchon vor dem Jahre 1246 als
Nonne ſich hatte einkleiden laſſen und als erſte Aebtiſſin
die Aufſicht führte, Im der Folge ward. dieß Kloſter
vom Pabſte Innocenz IV. feyerlich beſtaͤtiget und erhielt
durch Vermittelung der Hedwig befondere Vorrechte,
mworinnen die nachfolgenden Nonnen, faft alle Hambur-
gerinnen von guter Abkunft, fich der Strenge ihrem
geiftlichen Auffeher ungeachtet ſtets zu ſchuͤtzen mußten.
Der Rahme Harveftehude komme ſchon vor in einer
Urkunde vom Jahre 1273.
‚Wahrend Adolph alfo, nachdem er von dem
Schauplatz des öffentlichen Lebens abgetreten war ‚| in
der Fiöfterlichen Stille den firengen Pflichten feines
Ordens oblag, maren die Bewohner Hamburg's unab-
laßig bemüht, zur Beförderung des Wohlftandes ihrer
r
Der Hamburger aͤlteſtes Privilegium neu beſtaͤtigt. 135
Stade die zweckdienlichſten Mittel in Anwendung zu
bringen. Ihre erfte Sorge, nachdem der Graf zum
geiftlichen Stande übergerreten war, sing dahin, das alte
Yalladium ihrer Freyheit, ihre vom Kaifer Friedrich. |
erhaltenen Privilegien von Adolph's alteſtem Sohne,
Sobann I. und deſſen Brüdern, fich wiederholt beſtaͤ—
tigen zw laſſen. Drey Tage nach Adolph's Eintritt ing
Klofter erfolgte die Beſtatigungs-Urkunde, in weicher
ber. Erzbifchof Gerhard von Bremen und Herzog Abel,
der fich als Herzog von Juͤtland unterzeichnet, fo wie
einige bamburgifcbe Rathmaͤnner als Zeugen aufgeführt
werden. Durch DBermittelung des anmwefenden Erzbi⸗
ſchofs von Bremen, Gerhard U. der um dieſe Zeit
‚mit, dem Herzoge Otto von Braunfchweig und Lüneburg
Frieden gefchloffen hatte, wurden auch.bie Aniprüche,
‚welche das Haus Braunfchweig, wie an Bremen, fo
an Hamburg, von Heinrich's des Loͤwen Zeiten her
noch zu haben vermeynte, endlich beſeitiget, wogegen
ber Graf Johann für ſich und feine Nachkomnien
hinwiederum gelobt, daß die Lüneburger von alten ihnen
fruͤher wiederfahrenen Ungerechtigkeiten und ungebuhr⸗
lichen Auflagen frey ſeyn und bleiben ſolten. |
Bevor wir jet die Begebenheiten, wie nach Auſſen
hin unſere Stadt in dieſelben verwickelt worden iſt,
weiter verfolgen, iſt es zweckmaͤßig, einen Blick auf die
Entwickelung ihrer inneren Verfaſſung zurück su werfen,
und die Spuren aufzufuchen , welche ſich von ihrem
auffeimenden und alınahlig immer fröhlicher gedeihenden
Wohlſtande nachweiſen iaſſen. Unter wiederholten,
verheerenden Stuͤrmen und vielfachen Leiden war ihre
136 Ruͤckblick auf die frühere Verfaffung
Gründung zur Dauer vollendet worden. In ihrem
Kindesalter ſehen wir fie bald an Amfang und
Bedeutung gewinnen, weniger durch Begünffigung
aufferer Umflande, als durch die Wohlthar der Natur
und Durch die unverdroffene Thätigkeit und Berriebfam-
keit ihrer Bewohner, Thaͤtigkeit entwickelt die geiſti⸗
gen Kraͤfte, den Wunſch nach unbeſchraͤnkter, fortfire-
bender Ausübung, die Sehnſucht nach Unabhängigkeit
und felbffandiger Freyheit. Wie im einzelnen Men-
ſchen die innere Kraft allmahlig an Stärke gewinne
und zur Ausbildung fich durcharbeiter, ohne daß man
die beffimmten Zeiten nachweifen Fann, in welchen diefe
oder jene Stufe der Ausbildung erreicht worden fey:
fo laͤßt ſich auch in der Entmwicfelungs =» Gefchichte |
größerer, wie Fleinerer Staaten felten mit Sicherheit
feſtſetzen, wo zuerſt ihre glücklichere Verfaffung begon-
nen, wo fie vollendet worden fey. Die Freyheit
Hamburgs iſt ein Gut, das mit kleinen Verſuchen an:
fangs, mit fefter Beharrlichkeit dann und mie weifer Be-
nutzung der Zeit, den Umſtaͤnden abgerungen werden
mußte, derum ein fo größerers Gut, weil es rg
eigenen Verdienſtes iſt.
Seitdem das groſſe und maͤchtige Herzogthum
Sachſen in mehrere einzelne Theile zerſtuͤckkelt und Ham⸗
burg dem Antheil der Grafen von Holſtein zugefallen
war, konnte es nicht mehr im eigentlichen Sinne als
ſaͤchſiſche Stadt betrachtet werden: aber auf die innere
Verfaſſung hatte dieſe aͤußere Veränderung wenig Ein—
fluß. Wie früher unter den Markgrafen und Statthal—⸗
gern Nordalbingieng , fo übte auch jegt umter den
v
und Gerichtsbarkeit der Stadt. 137
Grafen von Holſtein ein Voigt, Richter, Advocat,
oder wie er ſonſt genannt wurde, die Gerichtsbarkeit
aus, Die Willkuͤhr der kaiſerlichen Gerichtsvoigte und
ihrer Schoͤppen hatte ſchon fruͤher an dem eiſernen Sinne
der an ihren altherkoͤmmlichen Gerechtſamen und Gewohn—
heiten feſthangenden haͤrtnaͤckigen Widerſtand gefunden.
Naͤchſt dem Wehrding (Kampfgericht) und den Gottesur⸗
theilen (Ordalien) galt ihnen nichts weiter, als was in
uͤberlieferten Spruͤchwoͤrtern, von Mund zu Mund uͤberge⸗
tragenen Satzungen und in dem unverkuͤnſtelten Verſtande
der Wittigſten (der Witzigſten, Verſtaͤndigſten) unter
ihnen als Recht ſich ausſprach. Die Statthalter harten
dag Recht, den Voigt zu fegen, aber mit der Zeit warf
das Volk auch dieſes Recht zurück; es ernannte ihn
ſelbſt und der Statthalter Fonnte ihn bloß beifätigen.
Der Voigt hielt auf der Wahlſtatt ein freyes Ding
(Gericht), und fprach, hier das Urtheil, welches er aber
in dem Verſtande und den Meynungen der Dinglente
(Gerichtöbürger) finden mußte, Da bier alle auf die
richtige Stellung der Frage anfam, fo vereinigte man
fih, um der umgerechten Findung entgegen zu wirken,
dahin, daß die. Parteyen befugt feyn follten, feine
Frage dadurch ungültig zu machen, daß fie von derfelben
an die Wittigften appellirten. Aus diefen Wittigften
entffanden die nachmahligen Rathmaͤnner, die ald
dem Serichtsvoigt beygeordnete Rathgeber — Consules —
ſchon unter den fachfifchen Markgrafen vorkommen, im
Anfehen aber befonders dann gewannen, als die Stadt
für die Grafen von Holftein anfing, immer wichtiger
zu werden. Jene Obervoigtey war um des Schußed
138 Ruͤckblick auf die frühere Verfaſſung
willen da, welchen die Nordalbingifchen Statthalter der
Stadt angedeihen laſſen ſollten. Diefe aber, die beym
Andrange der Feinde ſelbſt ſich innerhalb der Mauern
fluͤchteten und von den Bürgern ſich ſchuͤtzen ließen,
konnten nicht vermeiden, daß die Buͤrger mit der weg⸗
fallenden Bedingung des Schutzes auch der Pflichten
entlediget ſeyn wollten, die dafür ‚gefodert wurden.
So ſchwand allmaͤhlig die Macht und das Anfehen
des Voigtes dahin, der zuletzt kaum noch um einer an-
deren Urſache willen blieb, als nur den einen Theil der
Strafgefalle ‚für den Statthalter zu.erheben, während
‚nach Eaiferlichem Privilegium zwey Theile derjelben der
Stadt anheim fielen. .
Die Unfälle, welche. am Anfange be dreyzehnten
Jahrhunderts, als der König von Daͤnemark ſich zum
Herrn von Nordalbingien machte, über Hamburg er
gingen „. wurden. in ben Händen der. weiſen Berather
der, Stadt ‚gerade die Mittel, die Unabhängigkeit, von
der bisherigen Obervoigtey noch weiter zu beförbern.
Waldemar verkaufte die Stadt als Siegesbeute an den
Grafen von Orlamuͤnde. Albrecht war ein Ritter von
adlicher Geſinnung, er mißbrauchte ſein Eigenthums⸗
recht zu feiner Bedruͤckung, er. anderte nicht. nur nichts
in ‚der bisherigen Verfaſſung der Stadt, fondern, ließ
auch Spuren der Gunſt und Wohlthaͤtigkeit zuruͤck.
Die Wendung des Krieges zwaug ihn, auf Mittel der
Selbſterhaltung zu denken: für dieſen Zweck und, für
‚feine biedere Denkungsart zugleich bot fich ihm günftig
die Gelegenheit dar, den Hamburgern ihre Stadt um
einen Vortheil, der für ihn, wie für jene wichtig und
und Gerichtsbarkeit der Stadt. 139
beyderſeits genehm war, zurüc zu geben und die
Erhaltung ihrer früheren Rechte der eigenen Kraft und
Befonnenheit zu überlaffen. Man kann diefes Ereigniß
ald den Zeitpunct bezeichnen, mo Hamburg aus den
Jahren der Kindheit und des hintraumenden Juͤnglings⸗
alterd zuerft in "den Zufland der Muͤndigkeit verfegt
wurde, durch meife Berechnung und Benutzung der
Umſtaͤnde das aufdammernde Gluͤck zu haſchen und zu
‘bannen. Es leidet an. fich febon keinen Zweifel, und
unzwepdeutige Thatfachen der nachiten Zeit: beſtaͤtigen
e8, daß das Anfeben des Gerichtsvoigtes zu dem einer
untergeordneten Perfon berabgefegt wurde, ; Wir finden,
daß er in der zweyten Halfte des dreyzehnten Jahr⸗
bunderts nur noch dem VBorfig im Niedergericht fuͤhrte,
das aus dem Collegium der Gerichtsbuͤrger entſtanden
war, und daß ihm auch hier zwey Rathmaͤnner zur
Seite geſetzt waren ‚ı.die ihn anbielten, nach den
Bolfsgefegen zu ſprechen. Der Rah, aus den vor-
nehmſten Bürgern der Stadt erwaͤhlt, uͤberkam die
Verwaltung des Stadtweſens und wurde aus der Mitte
des Volks bewilligt und gewaͤhlt. An ihn appellirte
man, der niemals willkührlich ſprechen durfte, ſondern
nach dem Herfommen, oder wo vorgefchriebene Geſetze zur
reichten, nach dem Stadtbuche. Es iſt nicht unwahr⸗
ſcheinlich, daß das aͤlteſte Stadtbuch von Hamburg
in dieſer Zeit verfaßt worden, da die Stadt, als ſie ſich
vom Grafen von Orlamunde loskaufte, ausdruͤcklich
ſich das Recht vorbehielt, ihr eigenes Geſetzbuch zu
entwerfen, nebſt der Befugniß, allein nach dieſem ſich
in Zukunft zu richten, Zwar gelangten die Grafen von
140 Umfang der Stade bis in die Mitte
Holftein fehr bald wieder zum Bells von Hamburg:
aber fo wenig die’ Stadt, die fich ſelbſt ſchuͤtzen und
von ihrem Beſitzer fich harte loskaufen muͤſſen, Die
Grafen fürberhin als wechtmaßige Schusherren be
trachten konnte, fo wenig fcheint es diefen, die ohnehin
den Einwohnern Erhaltung der alten Gerechtſame ges
Yobt hatten, Ernſt geweſen zu feyn, eine Schirmvoigt⸗
tey zurück zu verlangen, deren Pflichten fie ſelbſt nicht
mehr zu erfüllen ſich getrauten. Viel lieber benutzten
fie den Vortheil, der fich ihnen aus dem Verhaͤltniß
darbot, Hamburg als eine verbiindere Stade zu betrach⸗
ten, und wahrend fie der inneren Entwickelung des
Volkslebens und ſtaͤdtiſchen Gedeihens Fein Hinderniß
in den Weg zu ſetzen vermochten, zogen fie den beque—
meren Nugen, den an Volk, Schiffen, Geräthey Zeug
und 'befonder8 an Geld: fie von der Stadt erlangen
konnten. Der Advocatus oder Untervoigt blieb als
Schatten der vorigen Einrichtung, bis auch er vom
Ende dieſes Jahrhunderts am (feit —* —* ver⸗
ſchwindet.
Der Stadt Erweiterung bis zur Mitte des wolften
Jahrhunderts haben wir ſchon oben beſchrieben. Bis
in die Mitte des drepzehnten Jahrhunderts hatte fie
on Wachsthum noch bedeutend zugenommen. "Hinter
St. Peter zog fich die Straße herunter bis zum alten
Mühlenthor, an welches fich die Mauern des Johan:
nis» Klofters anfchloffen: jene Mühle, die fich noch big
jegt erhalten hat, Ing noch aufferhalb der Stadt, und iſt
bereits im J. 1164 von Adolph III. angelegt worden,
Von der anderem Seite des Johannis Klofters ging
des dreygehnten Jahrbunderes, 114
eine Mauer: big zum Marien » Dagdalenen - Kloffer, von
wo der Moͤnkedamm, (Moͤnchsdamm) als Erhöhung
zum Abwehrung des. andringenden Alfterwaflers, auf
dem Nödingsmarft zu binunterlief. Dieſer Rödingss
marke, oder wie er früherhin genannt wurde, Rojer:
markt, vorzüglich von Brauern bewohnt, deckte die
Oſtſeite der Stade, und wurde vom Schaarthor bes
ſchloſſen, deſſen Vorhandenſeyn bi8 zum J. 1248
hinaus mit Sicherheit nachgewieſen iſt. Von da aus
zog ſich der große Deich (grote Dyk) mit einer Mauer
laͤngs der Elbe hin, weiter den Kayen, dem Krahn
und den Muͤren (Mauern) vorbey, bis zum alten Ober⸗
jesigem Winferbaum, Dieſe aufgedammte, ſelbſt mie
Thuͤrmen verſehene Mauer, welche zum großen Theil
von jenen aus Bardowiek erfauften Steinen aufgefuͤhrt
worden war, diente nicht nur den Fifcbern und anderen
Bewohnern: diefer Landzunge zum Schuß vor dem
Wuͤthen des Waflers, fondern auch zur Veſtung gegen
feindliche Anfälle, melche vom Elbbroof. ber fie bein:
ruhigen Fonnten. Fruͤher fchloffen die Stadt das Ha⸗
* bey der jetzigen Zollenbruͤcke, und dag Hopfen⸗
thor, auch das Lüneburger genannt, zwifchen der Fleinen
Keichenfiraße und dem fogenannten Hopfenſack. Aber
es leider feinen Zweifel, daß aufferhalb der damaligen
Neufiadt (Nikolai⸗Kirchſpiel) ſchon im zwölften und
dreyzehnten Jahrhunderte mehrere Bewohner ſich ans
fiedelten und die Gegend, welche das nachmahlige
Karharinen- Kirchipiel einnahm, zum Theil bebaueren.
Borzüglich waren es Fiſcher, Brauer und Gewandbe:
seiter, welche ſich daſelbſt niederließen, um derentwillen
142 Umfang der Stadt bis in die Mitte
auch ſchon in dir Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts
zu frommer Andacht eine Capelle gefeßt werden mußte,
Die Fiber, durch das Faiferlihe Privilegium von
1189 begünftiget, auf der Elbe oberhalb und unterhalb
der Stadt auf zwey Meilen frey zu fiſchen, hatten
vornehmlich am Kremon ihre Wohnungen aufgefchlagen
und den Kanal mir Kähnen belegt: fie verhandelten
befonders ihren Lachs, den fie bier in Menge fingen
und gewannen viel bey diefem Gewerbe, Das Brauen
des Biered, des achtdeurfchen Getraͤnkes, war ſchon
feit dem zwölften Jahrhundert ein vorzüglicher Nah:
rungszweig der Hamburger, und trug nicht wenig dazu
bey, die Stadt reich, bevoͤlkert und wichtig zu machen,
Die Angefehenften im Rathe felbft waren oft Brauer,
Erfte Erwahnung des Hamburger Bieres gefcbieht ſchon
in dem befagten FTaiferlichen Begnadigungsbriefe von
1189, in welchem auch von den Strafgeldern, welche
für unrichtiges Maaß des Bieres eingingen, Verfügung
gemacht wird. Die urfprünglich rothe Farbe diefes
Bieres fol zuerff 1233 in weiß verwandelt worden feyn.
Der Rahme der beyden Wandrahme aber erinnert noch
jeßt an die vormahls in diefer Gegend der Stadt aufs
geftellten Rahmen der Tuch» und Gemwandbereiter, welche
dort an der Gegenfeite wohnten und arbeiten Tießen.
Vom Kattrepel hinauf gelangte man zum Speersort,
(St, Peters Dre) wo das früher fogenannte Marien:
oder GSchulthor die Grenze der Stade bilder, Das
Schulthor wurde Durch eine Mauer im Welten des
heutigen Pferdemarfees mie dem Alſterthor verbunden,
von wo an big zum alten Muͤhlenthore der heidniſche
des dreyzehnten Jahrhunderts, 143
Wan ſich Hinzog, ein Veſtungsdamm, der frühzeitig
ſchon gegen die Anfalle der Wenden und Slaven auf
geführe worden war, Die Gegend des heutigen Jacobi⸗
Kirchfpiels wurde im zwölften und dreyzehnten Jahr—
hunderte vorzüglich von Gärtnern, Fuhrleuten und
Bierſchenken angebauet, in den niedrigen Theilen auch
von Fifcbern haͤufig bewohnt. Auch bier wurde ſchon
in der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts eine Kapelle
nöthig, aus welcher die Jacobi- Kirche hervorgegangen
if. In der Nabe derfelben fkiftere der fromme Graf
Adolph IV, 1233 das Konvent für zwanzig Nonnen,
Beguinen, oder von ihrer Trache blaue GSüuftern
(Schweftern) genannt, deren Stiftung in der Folge
beträchtlich erweitert wurde und fich Big auf die neuefte
Zeit, wiewohl nur in ärmlicher Dauer, erhalten hat.
Eine alte St. Georg$: Kapelle nebft einem dabey lie:
genden Sieben: (Seeken) Haufe muß fehon vor dem
Jahre 1220 da gemefen feyn: denn in diefen Fahre
ſchenkte Graf Albrecht von Orlamünde dem Priefter
diefer Kapelle drey Aecker Landes neben dem Siechen-
* Die Umgebung derſelben war ein Gehoͤlz, um
den Anblick der Ausfagigen den Augen der Menfchen
zu entziehen: nur ein ſchmaler Fußſteig zog ſich von
dem Alfterthore durch das Gehölz laͤngs der Alfter bin,
wo in der Nahe des Haufes ein Ausfasiger, eingehuͤllt
mit einem langen Stock, an dem ein Beutel befeffiger
war, um ein Almofen anfprach. Es hieß darum auch
in früheften Zeiten: dat Spital up dem Stege, Der
Urfprung diefer Kapelle gehöre in die Zeiten der Kreuj-
zuͤge. Heimkehrende Glaubensſtreiter, deren Schußpatron
144 Blick auf den fruͤheſten Handel Hamburgs,
der tapfere Ritter St. Georg war, müde, auch wohl
frank und mit dem Ausfag behaftet, fanden hier, die
erfferen eine Vilgerwohnung zum Nachtlager,, die andes
ren, die fihb von. den übrigen Menſchen abfondern
mußten, einen Zufluchtsort ihres Elendes. In der
Nahe diefer Kapelle fand die metallene Kreuzigungs—
gruppe, die wir noch jeßt fehen, das altefte Denkmahl,
das fih aus den Zeiten des pabfilichen Mittelalters
big jetzt noch erhalten hat. Ein aͤhnliches ſtand auf
dem Speersorte, und das mittlere vor dem Spitaler—
thor, nach der Sitte, welche haͤufig in Staͤdten des
Pabſtthumes gefunden wurde, den Weg nachzubilden,
den der Heyland von Pilatus Rathhauſe bis nach Bol:
gatha hatte zurücklegen müffen. Das Maaß deſſelben,
das man zu Jeruſalem genommen, trug man über und
war hier die Entfernung von der Domfirche bis zum
äufferften Crucifix;: die beyden anderen deuteten die
Ruheſtelle an, welche der Heyland auf feinem Wege
zur Gerichtsfkäcte gehabt haben Toll.
Die Spuren ftadeifcher Betriebſamkeit erkenne man
fibon in diefem engeren Umriß des Bezirkes, der durch
frübgeitigen Zufammenfluß von Menſchen und Werfehr
nach allen Seiten fich erweiterte. Die glückliche Lage
des Platzes beförderte natürlich den Imetrich und gegenfei-
tigen Umtaufch der Beduͤrfniſſe. Daher bildere fich
auch ſchon frühzeitig bier ein bedeutender Marktplatz,
wie aus einer Urkunde des Kaifers Konrad TI. erhellet,
in welcher diefer 1038 dem hamburgiſchen Kirchenvoigte
das Recht ertheilte, am Tage des heiligen Martyrers
Zeit, an welchem jahrlicher Marke gehalten wurde und
Blick auf den früheften Handel Hamburgs. 145
groffer Zufammenfluß des Volkes ſtatt fand, über alle
anmweienden Kaufleute und Fremde vermittelft des Ban—
nes Gerichtsbarkeit auszuüben. Der Faiferfichen Pris
vilegien, welche auf das einem jeden Bürger zuſtehende
Münz = oder -Wechfelrecht, fo wie auf den, zweymal im
Sabre in der Neuſtadt zu veranſtaltenden Jahrmarkt
Bezug haben, ift in der obigen Erzahlung gedacht
worden. Das Wechfelreche geſtattete jedem Bürger,
wo e8 ihm beliebte, die Nachbarfchaft des graflichen
Münzbanfes ausgenommen, baaren Geldumfas zu treis
benz da es fonft nöthig war, bey dem Mangel an
binreichender Scheidemuͤnze fo viel Gold ober Silber
in die Muͤnze zu tragen, als zum Vermuͤnzen fuͤr den
beabſichtigten Einkauf vonnoͤthen zu ſeyn ſchien.
Das Streben des menſchlichen Geiſtes, der immer
nach Auſſen hin ſeine Thaͤtigkeit zu erweitern ſucht,
macht es begreiflich, wie die Bewohner Hamburgs die
glückliche Lage ihres Ortes frühzeitig auch dazu benutz⸗
ten, durch Verkehr mit fremden Gegenden ihren Umfag
zu erweitern, durch Auffuchung neuer Handeldmege
ihrem Triebe nach Thaͤtigkeit und mit derfelben ihrem
inneren Wohlftande neue Nahrung zu verfchaffen. Der
Handelsgeift kennt Feine Grenzen und Feine. Bejchran:
kung. Der Elbſtrom zeigte die Bahn in den weiten
Ocean, der dem Wagenden zu den entfernteften Lanz
dern den Zugang öffnet, Bis in das letzte Viertel deg
zwölften. Jahrhunderts bildete Konftantinopel den Mit:
telpunct des Handeld zwifchen Aſien und Europa: die
Stalianer verforgten von da aus die am mittellandi-
fihen und atlantifihen Meere wohnenden Bölfer mit den
Io
146 Blick auf den früheften Handel Hamburgs,
Erzeugniffen fremder Zander, mit den Waaren, welche
das Morgenland darbeut; daffelbe thaten für die Küffen
der Oſtſee die ſlaviſchen Stadte, deren Nahmen mit den
Schilderungen der Pracht, der Größe und des Keich-
thumes in denfelben zu den fabelhaften Weberlieferungen
jener Sahrhunderte gehören. Wie Kiow in Rußland
zum Hauptffapelort für den Handel zwiſchen Norden
und Süden fich erhoben hatte, fo galt dag prachtvolle
Binerha auf der Inſel Ufedom noch im eilften Jahr:
hunderte als die größte Stadt in Europa und erffe
Hiederlage des Handelsverfehrs zwiſchen Norden und
Welten. Im gleichem Rufe fanden Anfona oder Ar:
fona, auf dem hohen Vorgebürge der Inſel Rügen,
der Wohnfig der flavifchen Gögen, und Julin oder
Wollin, auf der Inſel gleiches Nahmens in Pommern,
Feindliche Macht der danifchen Tyrannen fowohl, als
sum Theil die rohe Gewalt erſchuͤtternder Naturfrafte |
zerfförten bis zur zweyten Halfte des zwölften Sahr-
hunderts dieſe Page, und begründeten, nachdem ein
eben fo hartes Geſchick auch das blühende Bardowiek
betroffen hatte, das rafıhe Emporfommen anderer
Städte, unter welchen Wisby auf der Infel Gothland
fih zum erffen Range erhob. Luͤbeck mie den übrigen
Dftfeeftädten, eben fo Hamburg und Bremen, wohin
die Ausgewanderten jener fTavifchen Staͤdte beffere
Kenntniß des Handel? und der Schiffahre mirbrachten,
wetteiferten mit rafcber Thaͤtigkeit, jene Vortheile,
welche die Nähe der Meere und die günftigen Umſtaͤnde
ihnen darboten, zu benugen und trieben fofort bereits
am Ende des zwölften und Anfangs des dreyzehnten
Aelteſte Handelsverbindungen Hamburgs, 147
Jahrhunderts den vorberfihenden Handelsverkehr auf
beyden Meeren, dieſſeit und jenfeit der Cimbriſchen
Halbinſel.
Die mannigfaltigen Beruͤhrungen, welche diefer zu⸗
nehmende Umtrieb herbeyfuͤhrte, veranlaßten die han—
delnden Buͤrger nothwendig, auf Mittel zu denken,
weiche zum Schuß, zur Sicherheit und Beförderung
des Handeld dienen Fünnten, Zu dem Ende wurden
einzeln und gemeinfchaftlich Freyheiten und Beguͤnſti⸗
gungen gefucht, erkauft, fpater ergmungen und ver—
theidigt. Noth und Beduͤrfniß führten von ſelbſt
Verbindungen herbey, welche, jene Abſichten weiter
zu verfolgen, zwiſchen den angeſehenſten Handelsleuten,
bald zwiſchen naͤher und ferner gelegenen Staͤdten
geſchloſſen wurden. In Geſellſchaften, gleich den mor⸗
genlaͤndiſchen Karavanen, unternahmen die Kaufleute
ihre Handelsreiſen: zu gegenſeitigem Schutz, zur Ab—
ſtellung von Beeintraͤchtigungen und Stoͤhrungen gaben
ſie ſich einander Wort und Verſicherung. Schon im
Jahre 1204 vertrugen ſich die Hamburger mit den
Dithmarſchen zum Schutz ihrer Kaufleute, die durch
jenes Gebiet kaͤmen; 1210 verſprachen ſich gegenſeitig
Hamburger und Luͤbecker, daß dieſe mit ihren Guͤtern
in Hamburg dieſelbe Sicherheit genießen ſollten, wie
die eigenen Buͤrger unſerer Stadt. Im Jahre 1238
trafen die Hamburger eine Uebereinkunft mit den Be—
wohnern des Landes Wurſten, und 1239 mit den
Hadelern und Frieſen, daß fie bey jenen Voͤlkerſchaften
und diefe wieder bey ihnen freven Handel und Wandel
10*
148 Handelsvereräge und Verbindungen zwifchen
treiben möchten ; daß, wenn etwa hamburgiſche Bürger
mit ihren Schiffen innerhalb der Grenzen jener auf den
Sand geriethen oder Schiffbruch Tisten, die darauf
befindlichen Güter, fo lange noch einer vom Schiffs⸗
volfe am Leben wäre, aufs redlichſte gerettet, aufber
wehrt und nichts davon genonmmen werben folle; daß
gegenfeitige Klagen nach Verlauf eines Jahres verjährt
ſeyn follten und wenn ein Hamburger oder ein. Wurfte-
ner dem andern Suter anvertrauer hatte, Niemand als
der Empfanger derfelben mir der Pfandung beſchwert
werden duͤrfte. Der Vortheil, welcher aus biefem
Vertrag für die Hamburger hervorging, Sicherheit
der Schifffahre durch Befchranfung des Strandrechts,
weiches die Kaifer Durch wiederholte Verbote abzus
fchaffen umfonft bemüht gewefen waren, Fonnte feine
anderen, als die günftigfien Folgen haben für die Be—
förderung des Handeld, welchem die Hamburger die
möglichite Ausdehnung zu verfchaffen bemüht waren,
Noch mehr forgten fie für diefen Zweck im J. 1241,
als fie auch mit Lübeck einen Vertrag fchloffen, wel:
cher die Sicherheit, Aufnahme und Beförderung des
gegenfeitigen Verkehrs zur Abſicht harte Die Urkunde
dieſes Vertrags lautet auf folgenden Inhalt: „Wahre
und aufrichtige Liebe der Freunde beweiſet ſich darin,
daß, ſo wie ein Freund ſich an dem Gluͤcke des andern
freuet, er eben fo auch im Mißgeſchick Beſchwerden
und Schaden mir erdulde. Es wiſſe daher die gegen-
wartige Zeit und es achte die Zukunft, daß wir mie un.
feren geliebten Freunden, den Bürgern von Hamburg ung
auf folgende Weife ‚vereiniger haben, daß, wenn etwa
Hamburg und Wurften, Lüberf u, a, 149
Raͤuber oder andere fehlechte Menſchen gegen unfere
oder ihre Bürger auffteben, von dem Drt an, wo die
Trave ind Meer falle und fo die ganze Elbe hinab
bis and Meer, und unſere oder ihre Bürger feindlich
anfallen, was an Koſten und Aufwand zur Vertilgung
und Ausrortung diefer Raͤuber nörhig feyn wird, mir
mic ihnen und fie hinwiederum mit ung gleich theifen
wollen. Wenn. irgend jemand aufferhalb der Stadt einen
Bürger von Hamburg oder von Lüberf, ohne daß er ange:
Flagt worden, frevelnd tödter, verwunder, fchlagt oder ſonſt
auf irgend eine Weile mißhandelt, wollen wir die Koften,
welche ‚zur Befkrafung und Vergeltung“ erfoderlich find,
mwechfeffeitig gleich auf uns nehmen und vertheilen,
WennHamburgiſche Bürger bey unferer Stadt Luͤbeck oder
unfere Bürger bey der Stadt Hamburg gemißhandelt
worden find, wollen wir dem oder bie Thater einander
augliefern und gegenjeitig befirafen u, ſ. m,’
Die Noth und Verwirrung der Zeit erheifihre
folche Hülfe, die, weil fie von Fürften niche erlangt
werden Eonnte, der Muth der Staͤdtebewohner fich
ſelbſt verfchaffte und dadurch den Grund bauete zu jener
Selbftändigfeit und freyen Würde, mie welcher von
jeßt an beſonders die Kuͤſtenſtaͤdte Niederdeutfchlandg,
unter ihnen Hamburg, fich erhoben, Don einem
hanſeatiſchen Buͤndniß iſt im dieſem Zeieraume noch nicht
150 Schluß des erfien Zeitraums,
die Rede: aber die Vorbereitungen zu demfelben beginnen
mit diefem erſten Beweife des Vertrauens, mit welchem
fich befonders die beyden Staͤdte, welche den Eingang
zu den beyden Meeren öffneten, zu freundlicher Anz
naͤherung und mwechfelfeitigem Beyſtande entgegen kamen,
Unter folchen Ausfichten reife Hamburg vom Juͤnglings⸗
alter, zu dem eg fich in einem Jeitraume von mehr als
vierhundert Jahren hindurch gearbeitet, dem kraͤftige⸗
ven Mannesalter entgegen,
Zweytes Bud.
Hamburg erringt allmaͤhlig feine Unabhaͤngigkeit.
Entwicelung der Handelsthaͤtigkeit und Ausbil:
dung der inneren Verfaffung bis zur Zeit
der Kirchen = Reformation,
Erfier Abſchnitt: Won dem Grafen Johann
von Schauenburg bis auf die Beſtaͤtigung der
voͤlligen Unabhaͤngigkeit der Stadt durch die
Grafen Adolph V., Gerhard II., Johann IL
und Heinrich, 1241— 1292, .
Zweyter Abſchnitt: Bis zum erſten zwiſchen
dem Raihe und der Buͤrgerſchaft errichteten
Receß, oder bis zum Entſtehen der Sechziger,
1410.
Dritter Abſchnitt: Bis zur Einfuͤhrung der
Kirchen-Reformation 1528, und dem ſogenann⸗
ten langen Receß 1529.
Zweytes Bud
I.
De Vertheilung des danifchen Reiches unter Wal
demar’s N. Söhne war, wie ſtets Landervertheiluns
gen Unheil und Verderben im Gefolge haben, die
Beranlaffung neuer Unruhen und Befehdungen, von
welchen auch die Nordalbingiſchen Lander mehr oder
minder berübre wurden. Erich IV. wegen einer von-
ihm 1249 auferlegten Pflugftener der Plogvenning
zubenabme, war feinem Vater (geſt. den 28, Maͤrz 1241)
auf. dem Throne gefolgt. Entfchloffen, die Lander,
welche fein Water dieffeie der Eyder früher - befeffen,
dann verloren hatte, wieder zu erobern, foberte er
feinen Bruder Abel, Herzog von Schleßwig, als
einen Lehnsmann der Krone auf, fich mir ihm zu dies
fem Kampfe zu vereinigen. Diefer aber, der fihon
fängft dem Bruder grollte und micht ohne Abfiche fich
mie einer Tochter des Grafen von Holftein verbunden
hatte, erklärte, als Vormund der jungen holſteiniſchen
Grafen, feiner Schwaͤher, das holſteiniſche Gebiet
ſelbſt gegen den Koͤnig vertheidigen zu muͤſſen. So
kam es ſchon jetzt zum Ausbruch des Krieges, der nur
durch die Dazwiſchenkunft der Herzoge von Sachſen
und von Luͤneburg dahin vermittelt wurde, daß den
154 Erich IV. 8. d. Danen, bedrohet Holiteim,
Grafen Johann und Berhbard ihr vaterliches Erbe
gefichert bfieb, Herzog Abel jedoch der Bormundfchaft
über diefelben entiagen follte, Dieß that er zu Ham:
bura am 8, November diefes Jahres in Gegenwart
des Erzbifchofd von Bremen, Gerhard IL der auch
fofort die Bormundfchaft übernommen zu haben fcheint,
zumal da er als ein gebohrener Graf von ber Lippe
den jungen Grafen nahe verwandt war, Zwey Tage
nach diefem Ereigniß biefe der Graf Johann, der
ältefte der Brüder, in Hamburg unter den freudir
gen Begrüßungen der Einwohner und der Geiſtlichkeit
feinen Einzug, Da aber noch beyde in zarter Jugend
waren, wurden fie 1244 auf Reifen geſchickt, insbe,
fondere nach Paris, welche Stadt damahls als der Gig
der Wiſſenſchaften und der risterlichen Uebungen im ges
fammten Europa berühmt war,
Der fortdauernde Zwiſt und Grof — Wal⸗
demars Söhnen, der mit innerer Zerruͤttung und Vers
wuͤſtung der gegenfeitigen Befisungen verbunden war,
verfihaffte den Nachbarlandern die naͤchſten Jahre über
Ruhe, bis zu 1246, als Erich mit einem anfehnlichen
Heere, das nach Lievland. zur Unterſtuͤtzung der deut⸗
ſchen Drdensritter beffimme war, abermahls unver:
muthet über Holftein: berfiel, Die Gefahr war drin-
gend. Die Verbündeten, Abel von Schlefwig und
der Erzbiſchof von Bremen zogen eiligft ihre. Kriegs:
völfer zufammen und flellten ſich dem Könige ‚entgegen;
Luͤbeck feste ſich in Vertheidigungsſtand und rüffete
Schiffe aus; auch die jungen holſteiniſchen Grafen
wurden aus Frankreich eiligſt zuruͤck berufen, bey ber
Hamburg. befeftiger fich gegen die Daͤnen. 155
Bertheidigung ihres Landes zugegen zu feyn. Beyde
wurden am ır. October mit Tautem Frohlocken in
Hamburg empfangen: Hier hatte man gleichfalls
darauf gedacht, der drohenden Gefahr, wenn fie fich
nähern follte, Abwehr entgegen zu bauen. Die Nord»
feite der Stadt ander Fleinen Alfter von der St. Jo⸗
bannisfirche an bis an das alte fogenannte Millern⸗
(oder mittlere) Thor, in der Gegend der heil. Geift-
firche, fand ganz offen: mit Bewilligung der Grafen
alfo führten die Hamburger bier den Wal auf, ver
noch jeßt im Nahmen der alten Wallſtraße dem
Gedächeniffe fich erhalten bat; und nur das behielten
die Grafen ſich vor, daß dieſe Befeffigung geſchehe
ohne Schaden der alten Mühlen, und daß ihre Frau
Mutter Macht habe, ihren bey dem Kloſter gelegenen
Hof, ohne Scheden der Straßen, bis an die Beftung
su erweitern, Die ſchwaͤchſte Seite des Walles nach
der Alfter hin, wo die Feinde, wenn das Waller, dag
die Bleichen überfloß, gefroren war, ‚übergeben Ffonnten,
befeftigte man mit einem Thurme, der, in der Folge
von feinem Schieferdache der blaue Thurm genannt,
noch bis zum Sabre 1728 geftanden hat. Die Gefahr
ging indeflen an Hamburg vorüber, König Erich
wandte feine Streitfräfte befonders gegen Lübeck, aber
mit fo unguͤnſtigem Gluͤck, daß die Luͤbecker, unter
Anfuͤhrung ihres tapferen Alexander's von Solt
wedel nicht nur die daͤniſche Flotte bey Fehmern
ſchlugen, fondern auch die danifchen Küften verheerten,
Kopenhagen eroberten, und nachdem fie die Stadt nebft
dem Schloffe Axelhuus in Brand geſteckt, mit reicher
156 Streitigkeiten zwiſchen Johann und Gerhard,
Beute beladen zurücffehrten, Ein Waffenftillftand Tief
von diefer Seite her für einige Zeit hin Ruhe hoffen,
Eine Störung des Friebend, welche der jugendtiche
Ehrgeiz der beyden holfkeinifchen Grafen, — der ältere,
Johann, war 1247 erſt fiebzehn Sabre alt, — im
eigenen Lande veraumfte, war nur vorübergehend,
Johann hatte zu feinem Antheil niche nur das frucht⸗
bare und durch die vielen Seeen fifchreiche Wagrien
erhalten, fondern auch noch Kiel in Befiß genommen,
das ſchon zu Holftein gehörte, welches nebſt Stormarn
dem jüngeren Bruder Gerhard zugefallen war, Dies
fer, mit fo’ ungleicher Theilung unzufrieden, dachte
darauf, Kiel mit Gewalt zu nehmen, nachdem er nicht
bloß Liber, fondern auch den Herzog Albert von
Braunſchweig zum Beyſtande aufgeboten hatte. Die
feffe Lage von Kiel aber, die Wachſamkeit des Grafen
Johann, die Treue endlich und die Tapferkeit der Ein:
wohner vereitelten alle Angriffe, und der Streit wurde
noch in demfelben Jahre beygelegr, da inshefondere
der Herzog Abel und. der Erzbifchof von Bremen, dem
die Nachbarfchaft der Braunfchweigifchen Kriegsvölfer
manche Beforgniß hegen Tieß, fich in's Mittel legten.
Eine alte, wiewohl nicht hinlaͤnglich verbürgte Nach—
richt erzahle, Daß die Stade Braunſchweig mit
Hamburg in diefem Jahre einen Vertrag gefchloffen
- babe, dahin, daß wenn auch Hamburg von dem Her:
sogen von Braunfchweig Eraftig werde angefeindet und
im offenen Kriege verfolgt werden, gleichwohl die Buͤr⸗
ger und Einwohner Hamburgs mit ihrem Leib, Haabe
und Gütern in jener Stadt auf beflimmte genugfame
Braunfcbweig verbünder fich mie Hamburg. 157
Verwahrung geſichert ſeyn follten. Es iſt nicht un⸗
wahrſcheinlich, daß unter den damahligen Verhaͤlt⸗
niffen, wo der Herzog Albere mir einer bedeutenden
Kriegsſchaar in der Nachbarfihaft Hamburgs vers
weilte, und eine Unterbrechung des Verkehrs nach dem
Binnenlande fürchten ließ, ein folcher Vertrag ent—⸗
fieben konnte. Braunſchweig niche minder, wie
Hamburg, fibon zu eigener Selbſtaͤndigkeit in feinen
Verbäleniffen zu den Herzogen gelangt, hatte ange⸗
ſehene Niederlagen von Waaren aus Italien und
dem Reiche, welche für den Norden Europa's beſtimmt
waren : von dem ausgebreiteten Handel der Stadt
zeugen die Privilegien, welche fibon 1228 König Wals
demar II. und 1230 Heinrich IH. von England jum
Schuß, zur Befreyung von Zölfen, zur Sicherung der
geftranderen Güter den Braunfchweigern ertheilt harten,
Eine Verbindung alfo zwiſchen diefer Stadt und zwis
fihben Hamburg, auf Treue der feyerlichen Zufage ges
gründer, war nichts weniger, ald unbedeutend, da die
Natur des Handelsweges beyde ohnehin zufammen führte,
Schloffen doch die Braunfchweiger 1238 auch mit
Stade einen Vertrag in gleicher Abſicht.
Da in der Theilung, welche die beyden Grafen
mit dem Erbe ihres Vaters unter fich gemacht hatten,
Rendsburg dem Grafen Gerhard zugefallen war,
König Erich aber die Verwirrung diefer Jahre be:
nußt hatte, fich dieſes feſten Pages zu bemachtigen:
fo vereinigten fich die Grafen aufs neue mie dem Bre-
mer Erzbifchof fowohl, als mit den Lüberfern, und
auch die Hamburger fchloffen fich thaͤtig mit an, jene
158 Erich ermorder, Abel wird König, ertheilt
Stadt, deren Befig fir die Ruhe Nordalbingiend von
zu groffer Wichtigkeit febien, wieder zu erobern... Erich
eilte zum Entfaß der Belagerten berbey und e8 wurde
mit abmwechfeindem Gluͤcke ange von beyden Seiten
gefochten. Doch würde bie Uebermacht des Königs
gefiege haben, wenn nicht ein unerwarteter Frevel die
Lage der Dinge ganzlich verändert hätte, Mit vers
ftellter Lift hatte der Herzog Abel an diefem Kampfe
feinen Antheil genommen, Unter dem Scheine der
Freundfchaft lud er fogar feinen Bruder zu fich nach
Schleßwig ein und bewirthete ihn. Aber während
Erich einem forglofen Vertranen ſich hingab, traf Abel
Veranſtaltung zu deſſen Gefangennehmung: ein Daͤni—
ſcher von Adel, Lago Gudmundfon, ergriff ihn, Tief
ihm mit einem Beile den Kopf abfchlagen und den
Leichnam mir Ketten gebunden und mir Steinen ber
ſchwert bey Möfund verfenfen. Diefer Greuel wurde
verübt in der Nacht vom 9. Auguſt 1250. Rendsburg
wurde noch belagert, als die Nachricht von diefem trau—
rigen Ende bes Königs bey den Verbündeten anlangte.
Wiewohl der Abfchen über die Thar gröffer wer, als
die Freude, des mächtigen Feindes entlediger zu ſeyn,
fo rieth dennoch die Klugheit, den Unwillen zu ver:
bergen: die Belagerung felbft wurde aufgehoben, da
man hoffen durfte, auf dem Wege der Verbandiung
mit dem neuen Könige ficherer zum Ziele zu gelangen.
Abel reinigte fich von der Beſchuldigung der Theil
nahme an jenem Morde durch einen Meinepyd und wurde
am erffen November zum König gefrönt. Den ges
haͤſſigen Schein des Brudermordes fürchte er num durch
Hamburg das Privifegium gegen das Strandrecht, 159
wohlthatige Handlungen zu verföftben, befonders gegen
Geiftliche und fromme Stiftungen, um die, fo er durch
fatfchen Eydſchwur nicht hatte betrugen Fönnen, durch
gebeuchelte Neue zu hintergehen. Zugleich auch mar
er bemüht, um micht des Undanks befchufdigt zu mer:
den, allen denen, durch deren Beyſtand er den Angriffen
feines Bruders vordem fich harte mwiderfegen Fönnen,
fich gütig zu ermweifen, unter welchen auch die Hambur⸗
ger waren, welche, da fie in der Sicherheit ihrer
Schifffahrt das weſentlichſte Mittel zur Beförderung
ihres Wachsthums ſahen, um ein beſonderes Privile—
gium wider das Strandrecht bey ihm nachſuchten, das
ihnen von Roskild unter dem 11. November 1250
urkundlich ertheilt wurde. Es lautete aber dahin, daß,
ſofern Hamburgiſche Seefahrer durch Ungluͤck an den
Küften des daͤniſchen Königreichs follten Schiffbruch
leiden, alle geftrandeten Güter, welche fie durch ihre
Anftrengung oder durch ihr Geld von dem Schiffbruch
rerten und bergen Fönnten, wohlbehalten und frey vor
jedwedem Anfpruch ihnen verbleiben follten.
Indem fo die Umficht der Hamburger jegliches
Ereigniß benugte, um davon erlaubten Vortheil zu
jieben, flieg das Anſehen und die Wohlhabenheit der
Stadt im raftheften Fortſchritt. Es brüheren damahls
durch Handel und Verkehr vor andern die flandrifchen
Städte, mit welchen auch die niederdeutichen, befonders
feitdem fie vom Grafen Wilhelm von Holland, nach⸗
maligem deutſchen Könige im J. 1243 befondere Prir
vifegien erhalten hatten, in näherer Berbindung fanden,
Die Menge der Zölle aber und andere Beſchwerden,
160 Hamburg's Handel nach Flandern, Brabant x.
he)
womit bie GSeefahrenden im ben Niederlanden belaffiget
wurden, entzog biefem Handel die gröfferen Vortheile,
die man ſich von demfelben hatte verfprechen Eönnen.
Man trat Daher jegt mit der Grafin Margaretha von
Slandern und Hennegau, des deutſchengöönigs Wilhelm's
Schweſter, aufs Neue in Unterhandlung über die
Beſtimmung eines bilfigeren Zolls und Abſtellung der
wichtigften Befthwerden, und erhielt von ihr in ihrem
und ihres Sohnes Guido Nahmen (da fie ihre Söhne
erfter Ehe aus der Regierungsfolge ausfchloß) ein bes
fonderes Privilegium fir alle Kaufleute des ro
mifchen Reichs, die nach Gothland fahren,
wo auf Wisby Die bedeutendſte Handels : Niederlage
mar. Go allgemeine Ausdrücfe tragen zu der Zeit noch
die Handelsverbindungen, und laſſen unbeſtimmt, melche
Staͤdte ſich zu denfelben vereiniget hatten. Gewiß iſt,
daß diefe Unterhandlungen mit Margarethen 1252 durch
zwey Abgeordnete, Jordan von Hamburg and Ocjer
oder Hoyer von Luͤbeck betrieben worden waren. Aehn⸗
liche Privilegien ertheilten um dieſelbe Zeit Wilhelm
von Holland und deſſen Bruder Florentius den Buͤr—
. gern von Stade und Bremen; Heinrich von Lothrin—
gen und Brabant denen von Coͤlln, das damahls vor
vielen Städten" angefehben und durch feine Verbindung
mit Ober-Deutſchland und den Niederlande wich⸗
tig war. Für ſich allein ſchloß Hamburg einen Ber
trag mit Heinrich, Herzog von Lothringen und Bra-
bant, im Jahre 1256 und 57, der für die Beförderung
ihres Handeld nach den Niederlanden von der höchſten
Wichtigkeit war. Heinrich ertheilte den Bürgern Hamburgs
Schugbriefe von Albere von Sachfen x. 161
Schutz und Sicherheie für ihre Perfon und ihre Güter
zu freyem, unbefchwerten Handel, ficheren Aufenthalt und
Abzug, alfo, dag wenn auch je zwiſchen dem Herz
jog von Lothringen und den Grafen von Holftein ein
Zwieſpalt entffünde, dennoch ihnen und ihren Gütern
fein Schade, noch Belaftigung zugefügt werden follte,
Auch ſolle ihnen bewilliget feyn, den Zoll zn Antwers
pen, den fie bisher in englifcber Münze oder Ster⸗
lingen zu entrichten gewohnt gewefen, in ihrer Münze
zu bezahlen, Diefer Schuß folle auch dann, wenn er
von den Herjogen von : Lothringen zurückgenommen
werde, noch volle drey Wochen gültig dauern, damit
fie unterdeffen über ihre, Güter verfügen und ficher
abziehen koͤnnten. Je wilder gerade damahls die Ver—
wirrung im Innern des Reiches um fich griff, um fo
mehr. entwickelte füch das ſtaͤdtiſche Leben und erhielt
durch rührige Thatigkeie die Kraft und den Auffchwung
des Geiftes, die im. Taumel blinder Neigungen und im
der Auflöfung der Reichsbande erſtickt worden wären,
Mm den Berfehr im das Innere des Landes zu
befördern, fchloffen die Hamburger nocb im Jahre 1252
einen Vertrag mit Herzog Albert von Sachſen und
erhielten. von ihm einen Freyheitsbrief des Inhalts:
daß die Hamburger von den Waaren,. welche fie die
. Elbe hinauf oder herunter fchiffen, weder in Lauen⸗
burg noch Eislingen (dem jegigen Zollenfpei
her) Ungeld Caufferorbdentlichen" Zoll, womit die
Güter beſchwert wurden,) zu entrichten. haben follten:
von dem Getraide, welches fie aus dem fachfifchen
Gebier ausführen, zahlen fie das halbe Ungeld. Den
11
v
162 Handelsverbindung mit Braunſchweig.
gewoͤhnlichen Zoll aber haben ſie, wie andere, zu
entrichten. Dieſer Freyheitsbrief iſt von Alberts Sohn
und Nachfolger, Herzog Johann 1274 beſtaͤtiget wor⸗
den, Selbſt die Grafen von Holſtein trugen ihrerſeits
dazu bey, den Wuͤnſchen der Hamburger, in Abſicht
auf den Handel nach dem Binnenlande zu Huͤlfe zu
fommen, Sm Sabre 1254 ertheiften fie dem Raufleu-
ten von Braunfchweig, Magdeburg und anderer umlie:
genden größeren und Fleineren Städte einen Freyheits—
brief, daß Diefelben von jedem Zoll und jeder Abgabe
in Hamburg auf ewige Zeiten frey feyn follten; Die
Mißhelligkeiten, welche noch wahrend dieſer Zeit zwi⸗
fehen der Stade Hamburg und zwifchen dem Herzog
Albert von Braunfchweig obgewalter zu haben feheis
nen, wurden vier Sabre fpater gleichfalls beygelegt
und mit einem Vergleiche beichloffen, in welchem die
Herzoge Albert und Johannes verfprachen: daß
die Hamburger im ganzen braunſchweigiſch⸗luͤneburgiſchen
Gebiete zu freyem Verkehr Schuß und Sicherheit finden
ſollen 5 ſelbſt wenn eine Veranlaffung, ein widriger
Zufall fe vermöge, zu ihnen Zuflucht zu nehmen, gelo⸗
ben fie ihnen mit Rarh und Hülfe beyzuſtehen. Dage⸗
gen. verfprachen bie Hamburger, das gute Vernehmen
zwifchen den Herzogen von Braunfchtweig- Lüneburg und
den Grafen von Holflein nach Kräften zu unterhalten,
und fofern irgend eine Wneinigfeit zwiſchen ihnen ent-
fünde, zur zeitlichen Ausgleichung mit aller Sorgfalt
beyzutragen. Die fchriftliche Urkunde diefes Vergleichs,
aus welchem die felbffandige Winde der Stadt Hams
burg ſo unwiderlegbar hervorgeht, iſt ausgefertigt von
”
Befreyung vom Mönigssinfe u. a. 163
Luͤneburg, den 13, Auguſt 1258. Much das gute,
fchwefterlihe Vernehmen zwiſchen Lübeef und Hamburg
war im Sabre 1255 noch fefter geknüpft worden, da
beyde ſich im feyerlichem Vertrage, zu Hamburg ges
ſchloſſen, in gegenfeitiger Noch und Gefahr einander
treuen Schutz und Beyſtand zugeſagt hatten.
Im Innern der Grade war man miche minder
darauf bedacht, theils von Belaͤſtigungen, welche die
Ungunft früherer Zeiten erzeugt hatte, ſich loszumachen,
theils neue Vortheile zu erringen. Go erlangten bie
Bürger von den Grafen durch ein ausdruͤckliches Priz
vilegium die Befreyung von dem fogenannten Königs
zinfe oder Kosnigspfenning, der von dem Tiegens
den Gründen innerhalb der Walle und Mauern gegeben
wurde; eine Abgabe, die noch an die Herrfchaft War:
demars Il. erinnerte, der diefen Zing in Nordalbin⸗
gien auferlegt zu haben fiheint. Eine andere Steuer,
der Friedſchilling, vielleicht ein Schutzgeld für die
Unterhaltung des Friedens in der Stade und deren
Gebiete, wurde ihnen einige Jahre fpater von den Gras
fen gleichfalls erlaſſen. Solche Begünffigungen erweck⸗
ten wieder Gegendienffe und Beweiſe der Dankbarkeit
von Seiten der Bürger. Als daher des fihon 1252
verftorbenen Königs Abel's Tochter, die bey dem
Grafen Johann erzogen worden war, 1258 mit Berns
hard, Fürften von Anhalt » Bernburg vermaͤhlt wurde,
übernahm die Stadt Hamburg, allwo das Beylager voll:
zogen wurde, die Koften des mit großer Pracht gefeyersen
Hochzeitfeftes um fo bereitwilliger, als fie Dadurch die heys
den Grafen fich freundlicher zu verbinden hoffen durfte,
Bi”. %
we
; %
ı64 Mifhelligfeiten bey der Wahl des Hildebold.
In deinfelben Sabre 1258 den 28, Auguſt flarb
Gerhard, Erzbiſchof von Bremen, nachdem er die
bremifche Kirche faft 39 Jahre verwalter hatte, Die
Wahl feines Nachfolgers erregte Umuhen, im welche
auch Hamburg mit verwickelt wurde, da zu gleicher
Zeit drey Priefter , gleich angefehen an Mache und
Einfluß, fib um diefe Winde bewarben: Hildebold,
aus dem graflich » Wundfforpifcben Gefchlechte, Ger
hard, Domprobff zu Bremen, und Simon, Bifcbof
zu Paderborn, des verfiorbenen Erzbifchofs Bruder,
für welchen bie holſteiniſchen Grafen ſowohl, als das
Dom-Capitul in Hamburg und die Stade ſelbſt ſich
erklärten. Der ſchlaue Hildebold reifere, feine Sache
zu fördern, feibft nach Rom und die Grafen argmohn-
ten nicht ohne Grund, daß die Rechte und Anfprüche
des Biſchofs Simon, den der verftorbene Erzbiſchof
Gerhard noch bey- feinen, Lebzeiten der Kirche zum Bor:
mund gegeben hatte, Faum anders, als durch Gewalt der
Waffen vertheidiget werden Fönnten, In dieſer Abfiche
befcbloffen fie, auf dem Süullenberge an der Elbe, wo
ſchon früher Adelberts Veſte geftanden hatte, ein neues
Schloß aufzurichten, fanden aber gegen diefes Vorha⸗
ben Einfprache bey den Hamburgern ſelbſt, die fich
mie Nachdruck und Feſtigkeit auf ihr altes, vom Kaiſer
‚erhaltenes, von den Schauenburgifiben Grafen beſtaͤ⸗
tigtes, ſeit neun und ſechzig Jahren unverlegt bewahrtes
Privilegium beriefen, durch deſſen gewaltfame Beein-
traͤchtigung fie, die Grafen, nicht gegen fich ſelbſt
Handeln, und dadurch Wankelmuth und Undankbarkeit
gegen eine von ihnen begunftigte und um fie ſelbſt
zum Erzbifchof von Bremen, feit 1258. 165
wohlverdiente Stadt würden an den Tag legen wollen,
Die anſcheinende Harte der Widerfprache wurde ges
mildere durch die Billigkeit der Entfehuldigung und
den Grafen ſelbſt febien es unwuͤrdig, offenfündiger
Wahrheit nicht Raum zu gönnen. Da indeffen der
Bellungsbau durch die Noth geboten ſchien, fand der
vermittelnde Nath des Biſchofs Simon die Ausgleis
hung dahin: daß zwar der Bau geffatter, aber mit
demfelben das Faiferliche Privilegium keineswegs ger
kraͤnkt ſeyn, oder die Sache in Zukunft je zw einer Folge
gesogen werden follte,. alfo, daß wenn jemahls, aus
Berfeben, oder wiffentfich, von diefer Burg der Stade
ein Schade entitünde, die Grafen innerhalb Dreyer
Wochen den Hamburgern Genugthuung verfebaffen, oder
die Burg der Erde gleich machen follten., So wurde
diefer Zwiſt ſogleich im feinem Entſtehen wieder
befchmwichtiget, —— | |
Indeffen erfihien der bevorſtehende Kampf von fü
ernfter Wichtigkeit, daß die Grafen darauf denken
mußten , hinreichend fich mie Mitteln zw verforgen,
denfelben mir Erfolg zu beffehen, And diefe glaub:
ten fie nirgends ficherer aufbieren zu koͤnnen, als
in der Stadt, deren Wohlſtand theild mit jedem Tage
gröffer wurde, theils wo fie die größte Bereitwilligkeit
der Unterffüßung vorzufinden hoffen durften, Wohl:
thun gewinne und verbinder die Herzen + die juͤngſt
erfahrene Billigkeit ſchien die Grafen noch mehr zu
erfennitlicher Erwiederung aufzufodern, Am zehnten
des Dctober- Monats demnach ertheilten ſie der
Stade Hamburgrein neues Privilegium, worinnen fie
&
166 Ermeiterung bed Weihbildd der Stadt Hamburg.
derfelben die eigene. Gerichtsbarkeit oder das Weich-
bildsrecht, das bis jest nur innerhalb der Stadt:
mauern gegolten hatte, über einen großen umliegenden
Dezirk erweiterten. „Die Grenzen dieſes neuen Zuwach⸗
ſes werden in der vorhandenen Urkunde alſo beſchrieben,
„daß fie vom Millernthor (das zwiſchen dem alten
Dammthor oder Muͤhlenthor an. der Aifter und dem
Scharthor an der, Elbe in der. Mitte lag, da wo fpäter
die h. GeiftsKirche fieht,) bis an das Fluͤßchen Herz
verdeshude niederwaͤrts bis an ben Ausſluß deſſelben
in die Elbe und von da gerade uͤber die Elbe, ſo wie
von demſelben Fluͤßchen aufwaͤrts bis zum Bach Hen—
| ninghude ſich hinziehen, von da weiter uͤber die Alſter
bis zum ſogenannten Scharbeck oder Anſchariusbach,
bis dahin, wo die Grenzen der Allodialfelder ſich jenſeit
der Elbe endigen.“ Der Scharbach ſowohl, als die
beyden anderen genannten, find jetzt mit Gewißheit
nicht mehr nachzuweiſen, Aber der Bezirk ſcheint von
nicht geringer Ausdehnung geweſen zu ſeyn, da fuͤnf
Waſſer und Gegenden jenſeit der Elbe namentlich auf⸗
geführe werden, Ohne Zweifel war ein großer Theil
des nachmaligen Michaelis⸗Kirchſpiels dazu gehörig. |
Alte Ueberlieferungen berichten ausdrücklich, daß
Hamburg noch in dieſem Jahre den Grafen neun taus
ſend acht hundert Mark loͤthigen Silbers zu den Ans
Foften der bevorffehenden Fehde geliefert habe, erhaltene
Gunſtbezeugung durch guͤltige Erkenntlichkeit zu erwie⸗
dern. Hildebolds Partey hatte ſich inzwiſchen an⸗
u PrHrie da nicht blos Ser, Ott o von
Streitigfeiten mie Stade u. a, 167
auch Stade, deſſen Eiferſucht auf das zunehmende
Wachsthum Hamburgs jede Gelegenheit „ diefem zu
ſchaden, begierig ergriff, Die Gegenden der Wefer und
Elbe wurden der Tummelplag roher Befehdung und
Zerſtoͤrung. Bremen wurde von den Frieſen, welche
Hildebold durch ſeine Gehuͤlfen herbeygelockt hatte,
durch Brennen, Rauben und Morden heimgeſucht; in
das erzbiſchoͤfliche Gebiet fielen die holſteiniſchen
Grafen ein und verfuhren nicht mit Schonung: Otto
von Bramſtedt und die Stader hatten es beſonders auf
Hamburg abgeſehen und veruͤbten auf der Elbe man—
cherley Unfug. Dieſem zu begegnen, ſchickten die Hams
burger mehrere wohl ausgeruͤſtete und gut bemannte
Schiffe theils nach Haſeldorp, gegen den von Bram:
ſtedt, theils mach der Mündung der Schwinge, die
unweit Stade ſich in die Elbe ergießt, um die Stader
in Zaum zu halten. Die wiederholten Neckereyen,
Ueberfaͤlle uud hinterliſtigen Befehdungen, mie fie zwi⸗
ſchen eiferfüchtigen Nachbaren zu ſeyn pflegen, koſteten
von beyden Seiten Menſchen und Schiffe und hoͤrten
nur auf, um zu günffigerer Zeit aufs Neue zu beginnen,
Unterdeſſen wer auch Hildebold von Nom zuruͤcke
gekehrt, um den erzbifchöflichen Sig in Bremen einzus
nehmen. Er haste feinen Aufenthalt in der Papſtſtadt
fo gut benuge, daß er jest von Alerander IV.
einen zwiefachen Befehl mit zurück brachte, beyde vom
30. July 1259, ben. einen an den Rath und die Bürs:
gerfchaft zu Hamburg, daß fie fih von aller: Verpflich⸗
tung gegen die Grafen Johann und Gerhard zu Holfkein
losmachen und fich der erzbifchöflich- bremifchen Kirche
168 Die Streitigkeiten mit Hildebold
unterwerfen follten; den andern an den Abt und den Prior
des Benedictiner Kloſters zu Hildesheim, als beauftragte
Richter, daß ſie die beyden holſteiniſchen "Grafen
durch den Bann anhielten, Hamburg der bremiſchen
Kirche zu uͤberlaſſen. Man war indeſſen fo wenig ge
neigt, auf diefe ungereimte Foderung zu hören, daß
fie vielmehr mie Unwillen und Verachtung verworfen
wurde. «Noch mehr fihloß Hamburg, unbefinumer: um
den Bifchof, gerade in demfelben Jahre (1259) einen
DBergleich mit der Stade Bremen, daß fie zu einander
im Gewerbe und Handel gute Nachbarfchaft halten und
auf Treu und Glauben fih Schus und Sicherheit gewaͤh⸗
zen wollten, Im naͤchſten Jahre legte ſich auch der Otto
von Bramſtedt zur Ruhe, und da ein vom Bilchof
Hildebold ins Holfkeinifche ausgefandeer Kriegshaufe
in feinen Unternehmungen ſehr unglücklich geweſen,
die Grafen von Holftein überdieß in einen neuen Krieg
mis der Krone Dänemark und deren Bundesgenoffen,
Albrecht von Braunfchmweig, verwickelt waren, Fam
auch zwiſchen ihnen und dem Erzbifchof ein Vergleich
zu Stande, welcher den Befehdungen ein Ende machte,
Es ift den: Grafen zum Vorwurf gemacht worden, daß
fie die Stadt in diefen Frieden niche mit eingefchloffen,
dag vielmehr dieſe fich genoͤthiget gefehen, fieben Jahre
ſpaͤter erſt, 1267, mit dem Erzbiſchof fich allein abzu⸗
finden und die völlige Ausföhnung mir einer Summe
von ſechs hunders Mark Torhigen Silbers zu erkaufen.
Unffreitig aber waren die Grafen an diefer Abfonderung
der Verhältniffe unfchuldig, da Hildebold verfchiedene
Anſpruͤche an die Stade machte, anders fich hinwiederum
werben beygelegt, 1261 und 1267. 169
mie jenen vertragen wollte; und es kann den Grafen
fo wenig zum Vorwurf gereichen, fich unabhangig vers
glichen zu haben, als die Hamburger fich gebunden geglaubt
hatten, mit dem Herzoge von Braunſchweig einen bes
fonderen Vertrag zu ſchließen, waͤhrend diefer mit den
Holfteinern in Fehde begriffen war,
Die Unruhen, welche fortdauernd zwiſchen den
daͤniſchen Prinzen herrſchten, im welche auch die Gra-
fen von Holftein, als Verwandte der Familie Abels,
mit hinein gezogen wurden, berührten Hamburg nicht
unmittelbar: nur entfernt diente es eine Zeitlang als
der Aufenthaltsort der Königin Margaretha, bey
den fachfifchen Gefcbichtserzähfern von ihrem mann:
lichen Ausfehen indgemein die ſchwarze Grerhe ge—
nannt, welche nebft ihrem Sohne, Erich V. Glip⸗
ping in der Schlacht auf der Lohheyde bey Schleß⸗
wig 1261 vom Herzog Erich von Schlefwig, dem
Berbünderen der bolfteinifchen Grafen, gefangen
genommen morden war, Die Hamburger zogen vor,
der zerfförenden Befehdung aufbauende, ſicheren Wohl:
fand gründende Befreundung entgegen zu fielen. Sie
fandten in demfelben Sabre, als der Krieg an den
Grenzen ihrer Grafen wuͤthete, Abgeordnete, von dem
in Unterhandlungen geſchickten Bürgermeifter Jordan
geführte, nah Schweden, an den Herzog Byrger
von Oſtgothland, der aber ald König regierte, und
baten um den Genuß derfeiben Freyheiten in diefem
Lande, als bereits den Lüberfern zuerkannt wären.
Freylich feyen die Krafte ihrer Stadt gering, wenn fie
mie einem Königreiche verglichen würden, aber das
170 Handelsvertrag mit dem Herzog Byrger.
Loos der menfchlichen Angelegenheiten fey von der Art,
daß auch von der Freundſchaft Geringerer oft groſſer
Vortheil gezogen werden koͤnne: fogar wäre es ſicherer,
minder Maͤchtigen Wohlthaten zu erweiſen, da ſie zur
Dankbarkeit, ſofern ſie dieſelbe verweigerten, mit Ge—
malt gezwungen werden fönnten, Wie weit aber Die
Hamburger von ſolchem Verbrechen entfernt feyen, das
bemweifen die baufigen Huͤlfsleiſtungen, die Fürften,
durch deren Menfcbenfreundlichfeit fie empor gefommen
wären, von ihnen ohne einige Kofteneriparung: erhalten
hatten, Daſſelbe verfprachen fie auch der Herrfcbaft
Schwedens, um fo zuverläffiger, je größer das Gluͤck
feyn würde, das bie Stadt durch eine günftige Bewil-
ligung der erbetenen Freyheiten für ihren Handel jenfeit
des Meeres zu erlangen hoffen dürfte, — So fprach ſich
damahls die forgende Weisheit derer aus, welche dem
Wohlſtande Hamburgs Gedeihen zu verfchaffen ſuchten.
Herzog Byrger ertheilte auch wirklich unter dem
20. July 1261 den Hamburgern bie Gewaͤhrung ihrer
Wuͤnſche: Sie follten mir ihren Waaren in Schweden
dieſelbe Befreyung von allem Zoll genießen, welche fie
den ſchwediſchen Unterthanen in ihrem eigenen Gebiete
gewähren würden; wenn Hamburger in Schweden
Schiffbruch Leiden, follen fie alles, was fie von ihren
Gütern bergen Fönnen, ungehindert beſitzen; flirbe einer
in Schweden, fo wird fein Nachlaß zu gerrener Ver—
wahrung gebracht, bis innerhalb Eines Jahres der
gefegmaßige Erbe fich erweife und ſtelle; erft, wenn
ein folcher fieh nicht finde, falle der Nachlaß dem kö—
nigfichen Fiscus anheim; menn endlich jemand Geld
in Schweden, 1261, und andere Verbindungen. 171
oder Waaren durch einem andern übermache, ber eines
Verbrechens ſchuldig befunden wuͤrde, ſolle bloß der
Schuldige an Geld oder am Leibe beſtraft werden, ohne
daß der Unſchuldige fein Gut verliere; ‚da nichts ge—
rechter ſcheine, als daß bloß der Verbrecher für. feine
Uebelthaten büße, nicht aber ein Anderer durch ihn leide.
Auch die nachften Jahre liefern Beweife von diefer
Sorgfalt der Hamburger, nach. mehreren. Seiten bin
die friedliche Thaͤtigkeit auszudehnen und dadurch das
innere Gluͤck der Stadt immer fefter zu. bauen. Im
Sabre 1264, in demfelben, mo fie zu. gröfferer Gicher-
beit, auch von dem jüngeren Grafen, Gerhard, das
alte kaiſerliche Privilegium fich aufs neue hatten be
ffätigen Laffen, ertheilten fie den. Handelsfeuten aus
Hannover,umenn fie des Handels wegen nach Ham-
burg kommen mwürden,. einen Schuß: und Schirmbrief
gegen Bewilligung gleicher Rechte -in jenem Gebiete,
Belonders wichtig war das Jahr 1265. In demfelben.
kam der Cardinal Guido, der vom Pabſte Ele
mens IV. zur Beylegung der inneren Streitigkeiten
in Danemarf als Legat abgefchisft morden, durch Ham:
burg. Die biefigen Kaufleute, welche, fobald fie. mit
ihren Gütern ſtrandeten, noch immer von der, Raubgier
und den Gewaltthaͤtigkeiten der angrenzenden Völker,
insbefondere der Unterthanen des Erzbißthums Bremen.
vielfältig geplage wurden, wandten ſich unmittelbar
an den anmwefenden Cardinal: Da man bey dem bürger:
lichen Gejegen gegen dieſe Peſt des Seeweſens vergeb-
lich Schutz und Hülfe fucbe, weil die-Fürften ſelbſt zu
folsben Frevelthaten Nachſicht übten und gleichgültig
172 Guido’ Verordnungen wegen des Strandrechts,
wären, ob ihre Unterthanen auf erlaubte oder ungerechte
Weiſe ſich bereicherten, Nur das Eine Mittel des
geiftlichen Nechtsverbotes fey übrig, deſſen Wirkſamkeit
um fo weniger bezweifelt werben koͤnne, je mehr alle
andere Kraft ber Meberredung oder Antreibung von der
Religion durch geheime Furcht der Goͤttlichkeit Aber
troffen werde, Diefen Vorftellungen gab der Cardinal
in fo weit Gehör, daß er nicht alfein zum Beſten der
Hamburger die Beraubung und Mißhandlung geflran-
derer Perfonen umd Güter unterfagte, und die Wieder:
erftattung des Geraubten anempfabl, fondern auch dem
Erzbiſchof von Magdeburg den Auftrag ertheilte, über
die Aufrechthaltung dieſer Verordnung felbft mit der
Strafe des Banned unaufhörlich zu wachen. Die
vom 21. December dieſes Jahres ausgeftellte Urkunde
athmet den reinften Ernſt und die großherzigſten men—
ſchenfreundlichſten Grundfäge, So wie das eben noch
dampfende Holz nicht vollends verloͤſcht, ber zerknickte
Halm nicht gar zerrieben werden dürfe: fo fey ed auch
unmenfchlich, nicht verhuͤten zu wollen, daß denen noch
Beſchwerden auferlege würden, welchen am meiften
fibon Unfälle durch görtliche Zulaffung begeaneten, daß
nicht ein Ungemach noch auf das andere gehäuft werde.
Eine zwiefach gute Handlung, zwiefachen Lobes
werth, thue der, welcher Ohnmächtige gegen Mache
tige in Schug nehme: denn wahrend er die Unruhigen
gerechter Weife in Zaum halte, den Kleinmürhigen aber
frommen Troſt einfpreche, übe er zu gleicher Zeit Ger
vechtigkeit und Frömmigkeit, Es fey graufam und
hoͤchſt unwuͤrdig, daß diejenigen, fo die Nechte des
befonder8 an der Elbe, 1265 und 1266, 173
Heylandes aufnerichter habe, auf daß fieniche umfamen,
die Bosheit weniger ind Verderben hinabſtuͤrze. —
Diefe wahrhaft chrifklichen Gefinnungen ſchien der Bis
fhbof Hildebold nicht volfommen zu theilen: es
. mochte ibm wenigſtens gefaͤhrlich duͤnken, Diejenigen
feiner Unterthanen, welche ficb jenes Strandraubes
ſchuldig gemacht hatten, zum Erfaß des früher Geraubten
anzubalten. Ein abgeordneter Stiftsherr von Bremen,
Thitard mit Nahmen, eilte nach Hamburg, foviel
wenigftens zu erhaften, daß die erzbifchöflichen Rauber
wegen vergangener Verbrechen nicht in Anfprache ges
nommen werden möchten, Dieſe Verwilligung ertheilte
der Kardinal noch kurz vor feiner Abreife, am 28. Des
cember, Tieß aber von Lüberf aus (den zweyten as
nuar 1266) ungefaumt Befehl ergeben, daß Hildebold
die Verordnung in feinem Sprengel überall bekannt
machen folle, fo wie auch der Probſt der Kirche zu
Hamburg den Auftrag erhielt, die Bekanntmachung
derfelben Verfügung und des Banned, den der Erzbis
ſchof über vergleichen Strandrauber auszufprechen habe,
zu befchleunigen. Den legten Beweiß des Wohlwollens
und des geiftlichen Anſehens zugleich gab der Kardinal
dadurch, daß er zu der Beſtaͤtigung des Faiferlichen
Privilegiums, welche die Stade ohnlangft auch vom
jungern Grafen Gerhard erhalten hatte, unter dem
vierten Jenner Diefes Jahres noch die feinige hinzufügte.
In diefem Sabre (1266, den 28, Julii) farb der
Graf Johann I Das Jahr zuvor war noch zwis
fiben ihm und dem Herzoge Albert von Braunfchweig
die endliche Beylegung ihrer Zwiftigfeiten erfolge und
174 Vertrag mit Heinrich III. von England
durch die Vermählung des Herzogs Johann von Line
burg, des Bruders von Albere, mit der Gräfin Luͤd—
gard, des Grafen Gerhard Tochter, die Freundfchaft
enger gefnupft worden, Das Beylager war mit großer
Pracht abermahls zu Hamburg gefeyert worden, und
Herzog Albert, des Eiferd und der Zuvorfommenheit,
welche die Hamburger bey dieſer Gelegenheit feiner
Familie bewiefen baten, eingedenf, beurfundete feine
Erkennelichkeit dadurch, daß er das Anfeben, in mer
chem er bey dem Könige von England, Heinrich IM,
fand, dazu benugte, den Hamburgern die Freyheit
auszuwirken, durch ganz England ihre Handelsgefell-
fihaften zu haben, wofür die Kaufleute dem Könige und
deffen Erben nichts weiter, als die gewöhnlichen
lichten, zu leiſten hatten. (Die Urkunde iſt vom
8, November 1266.) Einen gleichen Freyheirsbrief
erhielten in demfelben Jahre auch die Kaufleute zu
Lübeck, wie früberhin ſchon Coͤlln folche Begünfkiguns
gen in England genoffen hatte, Im den Urkunden
finder fich auch der Ausdruck Hanſa, der anderweitig
einen Zoll oder eine Handelsabgabe bezeichnete, bier
in der Bedeutung einer Handelsgefellfchaft oder Gilde *
doch erſt viel ſpaͤter wurde er zur naͤheren Bezeichnug
jener niederdeutſchen Staͤdteverbindung gebraucht, welche
jetzt ſelbſt noch nicht vorhanden war, ſondern erſt in
allmaͤhligem Entſtehen und einzelnen Verſuchen ſich
bildete. Der Handel der deutſchen Kaufleute nach
England war uͤbrigens ſchon zu dieſer Zeit von großer
Bedeutung, und nicht ohne Wahrſcheinlichkeit glaubt
man, daß damahls auch jener Hof in London an der
zum freyen Handel dahin 1266, 175
Themſe entſtanden fey, im welchem die deutſchen Face
toren wohnten und die Waaren, die fie nach England
brachten, aufbewahrten und feil hatten, Schon in
Urkunden von 1280 wird diefer Hof unter dem Nahmen
Guildhall angeführe. Als die hanſeatiſchen Kauf:
leute in der Folge mehr Raum gewinnen wollten, kauf—
ten fie von der Stadt London ein Haus, dag an diefen
- Hof ſtieß, noch dazu; das hatte vorher der Staak
bof geheißen, dergleichen in mehreren Städten genannt
werben, als Gebäude zur Tücherfihau, worin die gefaͤrb⸗
ten Tücher von beeydigten Mannern unterfucht, und wenn
fie aͤcht undnach der Vorfihrife gefärbt befunden waren,
mit einen Bleyſtempel (Staal) bezeichner wurden, Der
Nahme aber blieb hier auch dann noch, als dag Gebäude
zu anderer Beffimmung gebraucht wurde und ging in
der Folge auf die ganze‘ hanfeatifche Fartorey über,
welche darin ihren Sig hatte, Noch heut zu Tage
beſitzen die drey Hanfeffadte diefen Staalhof (Steel-
Yard) gemeinfibaftlich, und ziehen die Einkünfte deffels
ben durch ihren Bevollmächtigten, die auch wahrend
jener Zeit des Testen Jahrhunderts ungefranfe blieben,
als die Hanfeflädte durch einen tyrannifchen Gewalt—⸗
fprtich in franzoͤſiſche Municipatftädee verwandelt war
sen. Was die fehaffende Vorzeit gegrimder hat, haͤlt
der in Ehren, der ſelbſt im der Degenwart auf die
Zufunft bedacht iff,
Sofort fam nun auch zwiſchen Hamburg und dem
Erzbiſchof von Bremen die Ausſoͤhnung zu Stande und
wurde durch förmliche Urfunden für die Dauer beflegelt.
(Bom 6, Derember 1267.) Hildebold beffätigte
176 Friede zwifchen Hamburg und Hildebold, 1267.
darin den Freyheitsbrief des Kaiſers Friedrich T., der
für Hamburg um fo wichtiger war, da derfelbe fie von
allem zu Stade zu entrichtenden Zoll und Ungelde frey
forach. Er verficherte zugleich für ſich und für fein
Erzitift den Hamburgern feften und unverbrüchlichen
Krieden, und wer von beyden Theilen denfelben vers
letzen würde, ſolle zu geziemender Genugthuung gehal—
ten werben, fo daß der Friede nichts deſtoweniger un:
verlegt erbaften bliebe, - Die Stader freylich fahen
ſcheel zu diefer Verfohnung. Damit indeffen die An—
feindungen derfelden weniger zu fuͤrchten wären, ſchloſ—
fen die Hamburger im nachften Jahre (1268, den
12. May) einen neuen Vergleich mit Hildebold ab,
daß fie, wenn auch Stade den geftbloffenen Frieden
nicht anerkennen, oder gar durch feindliche Angriffe
fören würde, fie alsdann nicht gehalten feyn follten,
des dem Erzbifchofe für fremde Schiffe zu entrichtenden
Zolles wegen nach Stade zu Fommen, vielmehr die
Schiffe den Zoll nur bey Bardenflerh entrichten dürften,
Auf folche Weife erreichten die Hamburger, bald durch
- Unterhandlung, bald durch weile Benugung der Um—
ſtaͤnde und muthige Beharrlichfeit und Ausdauer immer
mehr das Ziel jener Wohlhabenbeit und inneren Frey:
beit, welche in einer unrubevollen Zeit das Gluͤck des
ftädeifchen Lebens für die Zufunft begründete, Bon dem
zegen Handel, der in Hamburg felbft damahls blühere,
giebt noch der befondere Umſtand Zeugnif, daß die
Gefelfibaft der flandriſchen Kaufleute damahls vor:
züglich ſtark mit Tuch und Wein nach Hamburg handelte
und für ihre Weſtrichiſchen Waaren eine eigne Niederlage
Das alte Stadtbuch durchgefehen 1270. 177
in Hamburg hatten: als ſie aber anfingen, gar den
Wein auszuzapfen und das Tuch bey Ellen auszumeſſen,
ſteuerten die inwohnenden Kaufleute dieſem Mißbrauch
und die Graͤfin Margaret ha von Flandern und Hen—
negau machte demſelben durch einen Machtſpruch 1268
ein Ende,
Die naͤchſte Zeit der Ruhe und des Friedens be—
nutzten die Vorſteher und Verwalter der Stadt zu ges
nauer Unterfuchung der Gefeße und Verordnungen,
durch welche das Wohl und die Sicherheit des Bürgers
erhalten, der Gebräuche und Einrichtungen, durch
welche das innere, thatige Leben befördert und ernaͤhrt
werden fol, Da fie mit immer flärferen Schritten
ihrer völligen Unabhangigfeit entgegen gingen, mar
eine genaue Durchfiche ihrer Gefesverfaffung um fo
noͤthiger, ale in derfelben allein die Möglichkeit der
Selbſtregierung gegründer lag. Diefe Durchficht wurde
in den Jahren zwifchen 1270 und 1276 vorgenommen,
aus welchen noch Bis in fpatere Zeit gefchriebene
Stadebücher fich erbaften haben, Ein fo befonneneg,
thatkraͤftiges Leben konnte der Achtung aller derer, wos
bin die Kenntniß deffelben gelangte, um fo weniger
verfehlen, als es nach allen Seiten bin mit wohlthäti-
sen Folgen ſich aufferte, Daher finden wir auch, daß
fofort nicht nur die alten Frepheiten und Vorrechte,
welche fich die Umſicht der Hamburger verſchafft hatte,
von ben nachfolgenden Fürften beflätiger, fondern von
anderen auch noch mene und bedeutendere vermittelt wurden.
So beitatigte Herzog Johann I. von Sachen die den
Hamburgern von feinen Vater Albert 1252 verlichenen
12
178 Alte Privilegien beflätigt, 1274— 1281.
Freyheiten im Betreff «bes, Zolles zu: Lauenburg und
Eflingen; . (1274, den 5. Februar). daflelbe char zwey
Sabre fpater (1276, den 24. Auguſt) deſſen Bruder
Albert II. So befraftigte Waldemar, Königin
Schweden, als. er. feine Tochter dem jungen Grafen
Gerhard IL, Gerhard des Erſten Sohn, zu Lodhus
vermählte, den -Hamburgifchen Gefandten, die zu diefer
Seyer eingeladen worden waren und vermuthlich nicht
ohne reiche Hochzeitsgefchenfe erfihienen, die von feinem
Bater Byrger der Stadt verliehenen Privilegien.
(1275, den 12. December.) Gleicherweiſe beffätigten
die Grafen Johann IL und. Adolph V., Johann's I,
Söhne, den Hamburgern das alte Faiferliche Priviles
gium, und als nach Hildebold's Tode (1275) der
Erzbifchof Giefelbert gegen die Hamburger Die alten
Streitigkeiten bervorfuchte und feindfelige Gefinnungen
blicken ließ, flellten die Grafen Gerbard I, und IL,
Bater und Sohn, eine befondere Verficherungsurfunde
aus, dag fie die Stadt gegen jedwede Anmaßung und
zubringlichfeit des bremifchen Erzbiſchofs in Krieges
wie in Friedenszeiten ſchuͤtzen wollten: Cı281.) fo wie
auch. die Söhne Johannes J., die Grafen Adolph V.
Johann II. und Albert im nachften Jahre Feinen Anz
Hand nahmen, diefe Zuficherung in einer neuen Urkunde
su wiederholen, In Diefelbe Zeit fallt noch die, Beſtaͤ⸗
tigung eines Vergleiches zwifchen- mehreren Kirchſpielen
der Dit hmarſchen mit Hamburg, der. auf Anrachen
der Minoritens Brüder. gefthloffen wurde, dahin, daß
Hamburger, Lüberfer und andere Kaufleute diefer Ger
gend, wenn. fie durch Noth oder freywillig in das
Graf Gerhard I. ffirbe 1281, 179
Gebiet der Dithmarſchen Fommen, mie Schiffen
und Gütern kraͤftigſt gefchüge ſeyn follten, mit Zus
ſicherung jedes Schadenerfages, wofür jedwedes einzefne
Kirchſpiel, in welchem der Beklagte wohnte, oder mo
das einzelne nicht machtig genug feyn follte, ſaͤmmtliche
verbunden mit einmuͤthiger Theilnahme ſich verbuͤrgten.
Das Abſterben des Grafen Gerhard J., welches
im Jahre 1281, dem 21. Derember erfolgte, hatte auf
Hamburg feinem unmittelbaren Einfluß, Er ſowohl,
als fein vorangegangener Bruder Johann I. hinter:
ließen eine zahlreihe Nachfommenfchaft, und da über
das Erbfolgerecht in jenen Zeiten Feine Beſtimmung
vorhanden war, blieben Theilungen und Zerſtuͤckelungen
der vaͤterlichen Laͤnder unvermeidlich. Mit dieſen aber
waren theils Plackereyen der Untergebenen, theils
Veraußerungen "der graͤflichen Stammguͤter und Bes
figungen nothwendig verbunden. Denn da der Aufwand
und die Aufrechthaltung des Anfeheng, dergleichen die
Borfahren, welche das Land ungerheilt befeffen, gehabt
hatten, mit den zertheilten Einkünften in Feinerfey Ver⸗
haͤltniß fanden, erſchien bey wilder Ausgelaffenheit
Druck und Erpreflung gegen die Unterthanen,. bey
milderer Gemuͤthsart Verpfandung und zufeßt Verkauf
der erworbenen Güter einziges Mittel, jene Zwecke zu
erreichen. Es mag dahin geſtellt ſeyn, welchen Glauben
die Nachricht verdiene, welche ein jüngerer Chronifens
fehreiber von den Schauenburgern mittheilt, daß fie,
um ſtattlichen und prächtigen Stand zu führen, bie
unterthanen größfich und heftig gefchagt und beſchwert,
umd was diefe nicht gern moch willig geben wollten,
12*
180 Eine Feuersbrunft wuͤthet in Hamburg 1281,
wohl mit Unwillen verfolgen, oder mit Gemalt hatten
holen und nehmen laffen. So ſchwer jene Theilungen
der gräflichen Güter zu beflimmen find, fo gleichgültig
£önnen fie in diefer Erzählung betrachter werden, da
nirgends befannt geworden iff, daß Hamburg je im,
dieſelben mit einbegriffen worden ſey, ohne Zweifel,
weil die fammelichen Grafen die Anfprüche auf die
wichtige Stadt immer als ein gemeinfames Erbgut
betrachten wollten, Aus diefem Verhaͤltniſſe erklären
fih die wiederholten: Beſtaͤtigungen der Privilegien,
Vorrechte, Freyheiten und Beguͤnſtigungen, die bald
von einzelnen Grafen, bald von mehreren gemeinfchaft-
lich ertheilt worden, fo wie die Bemühungen Ham⸗
burgs, bey jedweder vorfommenden Gelegenheit ſich
jenen. fammelich , oder Einzelnen insbefondere gefällig
zu erzeigen. Daher ift auch von Irrungen und Miß—
verffändniffen nur felten die Rede, und mo dergleichen
durch den Gang der Ereigniffe herbeygeführt wurden,
brachte die billige Nachgiebigfeie von beyden Seiten
das gute Vernehmen bald wieder zu Stande. Diefe
aus Thatſachen fich ergebende Anficht ift mie Rebe zur
leitenden genommen worden, wenn von der Bewahrhei—
tung einer Weberlieferung die Rede iſt, nach welcher
fich die Grafen bey einer großen Feuersbrunft, mit
welcher die Stade im J. 1281 beimgefucht wurde, mit
vieler Härte und Unglimpf benommen. haben follen,
Ueber die Halfte der Stadt, welche, Bremen und an-
deren Stadten gleich, noch wenig fleinerne Gebäude
zählen mochte, auch das Johannis» Klofter mir, follen
damahls eingeäfcbere und mehrere Menſchen beyderley
Privilegien vom Jahr 1282. 181
Geſchlechts in den Flammen umgefommen ſeyn. Da
bätten die Grafen von Holftein, berichten neuere Er:
zabler, ihren Voigten und Beamten unterfagt, den
Hamburgern zum Wiederaufbau ihrer Haufer Holz zus
zuführen oder zu verfaufen, und fügen hinzu, wie die
harte Verbot die gehoffte Wirfung nicht gehabt, da
Graf Helmuth zu Schwerin und andere in der Nach:
barſchaft wohnende Herren ſoviel Holz auf der Elbe
hatten zuführen laſſen, daß Fein Mangel fühlbar ge
worden fey. Mit einer folchen Härte verträgt fich
wenig, daß diefelben Grafen in derſelben Zeit der
Stade nicht nur ihre alte Gerechtſamen beffätigten (1282),
fondern auch zum Ermerb neuer Begünftigungen bes
bülflich waren, Uebrigens ſetzt Adam Thraziger jene
Feuersbrunſt in das Jahr 1284, und bemerkt, daß
der Wiederaufbau der Stade nicht früher, als 1292
vollender worden fey,
Die Jahre dieſer Zwiſchenzeit, in melchen die
Sorge für die Wiederbegründung des häuslichen Heer:
des und für die inneren Angelegenheiten die meiſte
Aufmerkſamkeit hinwegnehmen mußte, find eben des⸗
balb weniger merkwürdig durch Anternehmungen und
Ereigniffe, welche glanzend bervorleuchteten. Auf Vers
wendung und dringendes Bitten des Grafen Johann II,
und deſſen Gemahlin ertheilte der König Erich Glip⸗
ping von Danemarf den Hamburgern, nachdem er
ihnen ſchon (1282, den 16. December) die frühere Zur
fage befräftige hatte, daß fie bey Strandungen mit
ihren Gütern, die fie durch eigene Mühe und durch ihre
Koften bergen würden, unverlegt und frey von jeden
182 Freyheit, den Markt auf Schonen zu befuchen,
Anfprichen bleiben follten, noch die Freyheit, den
Sahrmarft in Schonen zu befuchen: er mieß ihnen
einen befonderen Pak an, wo fie ihre Duden aufbauen
und zur Zeit der Jahrmaͤrkte beauem wohnen fönnten,
und machte fie aller Vergünftigungen und Freyheiten
theilhaftig, welche die wendifchen und andere Seeſtaͤdte
von dem Könige oder deſſen Vorfahren erhalten hatten.
Die Urkunde iſt ausgeftelle von Schleßwig, den 13, July,
1283. Schonen, das damahls zu Danemarf gehörte,
war für die deutſchen Kaufleute von groffer Wichtigkeit,
theils um anderer Vortheile willen , insbefondere aber,
weil an den Kuͤſten dieſes Landes der reichſte Herings-
fang getrieben wurde, an welchem auch die Hamburger
bereit8 im dreygehnten Sahrhunderte den thaͤtigſten
Ancheif nahmen, “Ein uraltes Stadebuch von Hamburg
aus dem Jahre 1276 enthält in dem Abſchnitte vom
Seerechte ſchon befondere Verordnungen über die Winz
terfiſchfahrt, welche nach Kabelfau, Stock⸗ und Klipp⸗
fifchen an den normwegifchen und isländischen Kuͤſten ge
trieben, und die Sommerfifche oder Heringe, welche in der
Oſtſee und bey Schonen nachgeſucht und gefangen wur⸗
den, Die Heringejäger mußten an dieſen Kuͤſten Er:
laubniß haben, den Hering zu trocknen, zu raͤuchern,
zu falgen, zu pasfen und zur Verfendung zu bereiten;
mancher andere Verkehr knuͤpfte fich alfo daran, und fo
entffanden an verfchiedenen Orten, vorzüalich zu Ska—
nor und zu Falfterbö große, haufig befuchte Markt:
pläße, fir welche, gleich anderen Gtädten, fo auch
Hamburg Beguͤnſtigungen und Freyheiten ſich zu ers
werben ſuchte, die im der Folge’gemeinfam in die
Kampf der wendifchen Staͤdte gegen Erich, 183
banfenrifchen Freyheiten und Privilegien vereiniget wur:
den, Die Handlung auf Schonen und auf Norwegen
wide fortan das fürnehmfte Gewerbe der fogenannten
Schonenfahrer in Hamburg, deren Gefellfchbaft den
größten Theil des Heringshandels ſich zugeeigner, und
welche ſich bis auf ſpaͤte — in bluͤhender Thaͤtigkeit
erhalten bat,
Unftreitig war es die Verwirrung und Auflöfung,
in welche damahls die nordifchen Neiche zerfallen: waren,
da Uneinigkeit zwifchen den Machthabern, Willführ der
Herrfchaft, Mißtrauen und Rohheit der Vafallen, noch
mehr Barbarey der Unterthanen zu derfelben zufammen
wirkten, wodurch dem DVerfehr der deutfchen Städte,
der aus dem inneren Sinn für geordnete Thaͤtigkeit
und frifch fich entfaltendem geiftigen Leben hervorging,
fo vielfacher Zugang und ungeflörtere Freyheit ver⸗
fihafft wurde, Nur konnte es nicht fehlen, daß, je
rafcher diefe Gemerbehätigkeie um fich griff, deſto mehr
die Eiferfucht der Landesfürften errege werden mußte,
wo * irgend Beruͤhrungen und Anreizungen eintratens
Damahls herrichte in Norwegen König Erich, deilen
Rathgeber ungerne fahen, daß die deutſchen Seeſtaͤdte
mit den Dänen, des Reiches Feinden, in fo gutem
Bernehmen ſtanden. Man fing daher an, die deutſchen
Kauffabhrer anzubalten, ihre Schiffe zu verkaufen und
allen ihren Handel zu vernichten. ° Diefer Umſtand gab
Veranfaffung, daß fieben wendiſche Stadte, Lil
best, als die maͤchtigſte, zuerſt, dann Wißmar, Roſtock,
Stralſund, Greifswalde und Riga nebſt den Deutſchen
auf Wisby ſich mit einander vereinigten, die norwegiſchen
184 Krieg ber wendifchen Städte gegen Erich,
Küften beunrubigeen, und durch ein gemeinfchaftliches
Berbot, aus den Staͤdten weder Getreide noch Bier
nach Norwegen zu führen, das rauhe Land zwangen,
fich in ihren Willen zu fügen, Der König gab in dem
Krieden zu Kalmar 1285 alle genommenen Schiffe zu:
ruͤck, verguͤtete die ſchon verkauften mir 6000 Marf
norwegiſcher Muͤnze, beſtaͤtigte die alten und verſtattete
neue Handelsfreyheiten, welche in der Folge auch auf
mehrere niederlaͤndiſche Staͤdte ausgedehnt wurden,
Die Stadt Bremen hatte es in dieſem Kampfe mit
dem Koͤnige gehalten, welche daher auch von den ge—
nannten wendiſchen Staͤdten im Handel, Zoll und der
Heringsfiſcherey beguͤnſtiget wurde. Von einer Theil:
nahme Hamburg's für die eine oder die andere Par⸗
tey ift nicht die Rede, und wenn wir einen Blick auf
die damahls vorhandene Noch und George, welche die
Einäfcherung der Stade berbeugeführe hatte, werfen
wollen, ift eine folche nicht wahrfcheinfich, Aber der
glücflich geendigte Streit der ſieben Städte Fonnte
nicht "anders, als der Verbindung Anfehen und auch
bey anderen den Wunſch erwecken, berfelben beyzutre—
ten: und in fo fern war bier ein neuer entſcheidender
Schritt gethan, welcher der Bergröfferung und Verherrli⸗
hung des hieraus bervorgegangenen banf er |
Bundes entgegen führte,
Auch die naͤchſten Jahre enibalten wenig Merk
würdigkeiten, die aus der Geſchichte der Stadt ung
überliefert worden waren, Erſt mit dem letzten Jahr:
zehend dieſes Zeitabfchnittes tritt Hamburg, neu erflan-
den und mit frifcber Kraft wieder in den Gang. der
Bererag mie dan Ruſtringern 1291 2, 185
Begebenbeiten ein, und fahre fort, -fein Anfehen und
feinen Wohlſtand immer mehr nach auffen bin zu ers
weiter, Im Jahre 1291 wurde mit dem Lande Rus
ringen in Oſtfriesland ein Vertrag errichtet, Daß,
nachdem alle Zwierracht, welche zwifchen diefem Lande
und Hamburg wegen verübter Mordthaten, Raubereyen
und Verwundungen obgemalter, wie auch alle anderen
Handel in Gegenwart und durch Vermittelung der —
Rathmaͤnner der Stade Bremen bepgelege worden, in
Zufunft über folche Dinge nicht weitere Klage erhoben,
vielmehr wechſelſeitige Freundſchaft ſtatt finden folle:
auch daß die Hamburger in jenem Lande und überall
bey den Ruffringern Schuß finden und wenn fie am
daſigen Ufer Schiffbruch feiden, ihre Güter mit getreuer
Hülfe der Einwohner follten bergen können, Im Sep—
tember deffefben Jahres erhielten. fie auch vom Herzog
Albrecht von Sachſen, Kurfürften und Eydam des
Kaifers Rudolph von Habsburg, einen Freyheitsbrief,
in welchem nicht allein die früheren Privilegien beſtaͤti—
get, fondern auch hinzugefügt wurde, daß die Bürger
von Hamburg zu Eißlingen von jedem Lüneburger Chor
Salz für Zoll und Ungeld niche mehr als fünf Pfen—
uinge entrichten follten, jo oft fie auch mit Salzladun—
gen dafelbft vorüberfahren möchten,
Bey weitem das michtigfte Ereigniß und für die
Berfaffung und fichere Begründung der ftadtifchen
Freyheit vom größten Einfluß iſt der berühmte Frey:
beitsbrief, welchen die Grafen Adolph, Gerhard,
Iohannes, Adolph und Heinrich im Jahre 1292
der Stade Hamburg urkundlich ercheiften, Naͤchſt der
186 Das Privileginm von 1292 befreyer Hamburg
Beftätigung aller Freyheiten und Begünfktigungen,
welche dem Rathe und der Gemeine von den römifchen
Kaifern oder von den Vorfahren der Grafen verliehen
worden, ‚„vermwilligen und ſchenken fie der Stadt
Hamburg das Recht, welches gemeinhin die Röhre
genannt wird, oder die Befugniß, Statuten vorzu—
fchreiben und Edicte befannt zu machen, mie fie fol
ches für den Nugen und die Nothdurft der Stadt ge-
nehm finden würden, auch diefelben, fo oft und wann
es ihnen bediünfe, zu wiederrufen. Gie verſtatten ihnen
aus reinem und freyem Willen, daß fie ihr Recht und
ihre Urcheile nie anderswo, das iſt, aufferhalb ver
Stade, als auf dem Rarhhaufe der Stadt ſelbſt Cin
domo Consulum) nach dem Inhalte ihres Buches
ganz frey vollziehen dürfen: mit Hinzufuͤgung ſolcher
Bedingung, daß ſie keinem, er ſey arm oder reich, oder
einem, der es von Seiten der Grafen verlangen möchte,
der etwa meynete oder argwohnte, daß ihm nicht recht
geurtheilt und ihm Unrecht geſchehen ſey, verweigern
ſollten, das Geſetzbuch, ſofern er es verlangte „ ſelbſt
einzuſehen. Ueberdieß ertheilen fie volfommene Macht
und Gewalt, über alle Vorfaͤlle, uͤber weiche in vorbe⸗
meldetem Buche noch Feine Beflimmung verfaßt wor⸗
den, nach gemeinfchaftlicher uebereinſtimmung und
Machtvollkommenheit des Rathes neue Geſetze nach
Gutduͤnken zu machen und zu verordnen: ſo doch, daß
die alſo geſetzten neuen Rechte in das Stadtbuch einge:
ſchrieben und von ihnen und ihren Nachkommen als
ein bleibendes Recht gehalten werden. Doch behielten
die Grafen ſich vor, daß Geſetze und Rechtsſpruͤche, die
von der Abhängigkeit von den holſt. Grafen. 187
auf forche Weife gemacht worden, Feinesweges zur Ver:
minderung, zum Nacheheil oder zur Beffreitung der
Anfprüche und Gerechtfamen, welche fie bisher am die
Stadt gehabt, und in Fünftigen Zeiten vermöge ihres
Erbrechts haben würden, je ficb ausdehnen dürften,‘
Die Urkunde iſt ausgeftele in der Stade Hamburg,
Freytags nach Lätare Ierufalem, und unterzeichnet von
mehreren Edlen, als von Egerih von Otteshude,
(woraus. fpater Otten ſen) Theodorich Hoyfen u. a.,
von den Rarhmannern der Stadt Hamburg, und gege:
ben durch die Hand des Notarius (Serretarius) So:
bannin Luͤrkenborg, Rectoris der Kirchen, 1292,
Das wahre Leben eines Volkes nnd die geiffige
Erhaltung deſſelben beruht auf deffen gefesficher Ver—
faffung , die der eigentliche Kern des Lebensſtoffes iſt,
von welchem aus Kraft und Gefundheit in die verfchier
denen Glieder des Staatskoͤrpers ſich verbreiten follen,
So lange Willtühr und rohe Kraft anſtatt der Geſetze
galten, Fonnte die freye Entwickelung der bürgerlichen
Dhaͤtigkeit noch nicht gedeihen, Aber das Beduͤrfniß
rufer ſelbſt zur Ordnung und Negel auf, und was
die geradfinnige Einficht unferer Altvordern ausgefun—
den, vererbte fich gern als Herfommen und Teitende
Richtſchnur auf die Nachwelt, Mit dem erſten
Schein der buͤrgerlichen Fieyheir, der über Hamburg
aufging, damahls, als Albrecht von Orlamunde die
an fich gekaufte Stadt um eine Geldfumme Frey gab,
dachten alfobald die Verſtaͤndigſten ihrer Bewohner
darauf, eine fefte Gefegeimrichtung zu entwerfen, um
der Befugniß, fich nach eigenen Rechten richten zu
x
188 Das Drbeel-Bopf von 1270, 1276,
dürfen, durch die That zu entfprechen. Wie unvollfom:
men auch jene Gefeßfammlung geweſen feyn mag, fie
war. der Grundflein, auf welchem weiter fortgebauer
und die nachmalige Verfaffung in ihrer reiferen Ent-
wickelung begründes werden Eonnte, Die Mängel und
Rücken des alteften Stadtrecht8 wurden fp bald fühlbar,
daß fchon im Jahre 4270 eine neue Durchfiche deſſelben
nötbig wurde, und von dieſem Jahre iſt das, ältefte
Ordeel-Book (Befesbuh), das auf die Nachwelt
gefommen iſt. Man finder in-demfelben, wiewohl in
noch unvollfommenen Abfcheidungen, die Einrichtungen
des Staats ald einer Gemeinheit berrachter, Verord⸗
nungen und Webereinfünfte der Buͤrgerſchaft und eine
Sammlung von bürgerlichen und Privargefegen zugleich
neben und durch einander, Die dreyzehn Stücke, in
welche es abgetheilt ift, führen in damaliger Landesfprar
che folgende Auffchriften: wo man den Rath beſetten fall,
un van Erven, van Erverinfen; van Dehlinge; van Ghif⸗
te; van Bormuntfchop; van Schultz van Tügenz van
Deenfte ; van Schlaghen; van Unrichte; van Vorſate; van
Duve un van Rove; van Schip⸗Rechte. Das Gefesbuch
trägt in allen Theilen das Gepräge der Ureigenthuͤmlichkeit
und aus dem Ganzen ſpricht fich deutlich und unver:
kennbar aus, daß ed in einem Staate verfaßt und zu:
fammen getragen worden, der ſchon einen nicht unbedeu>
tenden Grad von Unabhängigkeit und Anſehen genoß.
Schon im Jahre 1276 wurde daffelbe nochmahls durch-
geſehen und verbeffert, und auch von diefer Sammlung
haben fich Abfehriften bis auf die ſpaͤtere Zeit erhalten
gehabt, |
x
Hohe Gebraͤuche werden abaefchafft; 189
Rohe und wilde Sitte, don welcher theils in der
Stadt, theild in deren Nachbarſchaft aus jener Zeit
ung manche Beweife überliefere worden find, Fonnten
nur auf dieſem gefeglichen Wege beſchraͤnkt und,
menfchlicheren Einrichtungen Pas zu machen, entferne
werden, 3.8. Die Bewohner der nahegelegenen Elbin—
fein, namentlich von Ochſenwaͤrder, hegten unter fich noch
jene arabifche Rachſucht, die, wenn einer ihrer Vettern
erfchlagen wurde, den nachiten Verwandten des Mor:
vers auf Leben und Tod zum Zweykampf fodern hieß,
wodurch ganze Familien gegen einander in einen Kampf
der Ausrottung geriethen, Gegen diefe Barbarey mach:
ten die Grafen Johann und Gerhard 1255 die
Berordnung, daß die Eltern und Verwandten eines
Entleibten oder Verwundeten fich nie mehr unterfte-
ben follten, einen von des Thaͤters Verwandten, der
bey der That nicht gegenwärtig gewefen, zum Zwey⸗
fampfe berauszufodern, und daß der alfo Gefoderte,
wenn er durch fieben tüchtige und mohlberufene Mäns
ner, die auf Ochfenwärder feßhaft waren, erhärter
batte, daß er nicht zugegen gemwefen, zu erfcheinen nicht
fehuldig fey. — In Hamburg mafte ſich noch in
diefem Jahrhunderte die Geiftlichfeit an, Bürger vor
ihr Gerichte zu ziehen und fie zu zwingen, fich der
Probe des glühenden Eiſens zu unterwerfen, wiewohl
ſchon Pabfle und Kaifer wiederholte Befehle zur Abe
ſchaffung der barbarifihen Gottesgerichte (Ordale) hatten
ergehen Taffen, Im Jahre 1257 wandten fich die Ham⸗
burger mit ihren Befchwerden deshalb an den Papft
Alexander IV. und erhielten aus Biterbo vom
190 Das Weichbildsrecht.
1. Juny dieſes Jahres die. günftige Antwort, daß er
für würdig halte, gerechtem Verlangen Bittender willige
Gemwahr zu Teiften, und Wuͤnſchen, die fich von dem
Pfade der Bernunfe nicht entfernten, gerne zu wills
fahren; darum folle niemand gezwungen feyn, der Feuer-
probe, als in welcher man Gott zu verfuchen ſcheine,
fich zu unterwerfen; ja er, drohete dem, dev verwegen
dawider zu handeln wagen follte, mit dem Zorn des
allmachtigen Gottes und der Heiligen, Perrus und Pau-
Ins, feiner Apoftel, vs
Die Ermeiterung des Weichbildsrechtes,
welche die Grafen von Holftein der Stade Hamburg
im Jahre 1258 verliehen, iſt mit Anrecht auf ein ber
fonderes Recht gedeutet worden und geflattete nur, daß
die Bürger ſich ihres altherkommlichen Sachfenrechtes
innerhalb der bezeichneten Grenzen bedienen durften,
Man bezeichnete gern den Gerichtsort, die Ding⸗ oder
die Mahlftärre bald mit einem-einfachen Kreuze, bald
mit einem Bilde des Kaiſers, dad mit dem Schwert
und dem Handſchuh geziert war, biefem als Zeichen
des Marktfriedeng, jenem des Gerichts über Leben und
Tod. Der altfachfifcbe Rahme nannte es Wykebeld
oder Weichbild, denn Wyk bedeuter einen Ort oder
Aufenthalt, wie aus den Zufammenfegungen Brunswyk,
Bardowyf und anderen noch erkennbar iff. Der
Rahme. ded Zeichens ging bald auf die bezeichnete
Sache, den Ort ſelbſt, um fo Teichter über, da ein
folches Bild oft auch an der Grenze eines Landes oder
Stadigebiered errichter wurde, den Anfeng und Um—
freig ihrer Gericheöbarfeie zu bezeichnen. Wo dns
Die Rolandsfaule _ 191
gebarnifibte „Bild des Kaifers die Mahlſtaͤtte zierte,
nannte das Volk daſſelbe fpaterhbin die Noland 3-
fäule, da durch fabelhafte Weberlieferungen Roland
und Rieſe im Volksglauben gleichbedeutende Wörter
geworben waren. - Wenn alten Meldungen zu trauen
ift, fo erricbteren fich die Hamburger: ſchon im: Jahre
1264 eine folhe Rolandsfaule, Ihr Nahme- hat
fib dem Gedacheniffe der Nachkommen noch in der
Rolandsbrüse erhalten; fie ſelbſt aber fand auf
dem Plage, auf welchem fpaterhin das jetzige Eim:
befifche Haus erbauer worden iſt. Vebrigend mußte
die Erweiterung der Stadtgerichtsbarfeit die berathen—
den Bürger derfelben um. fo mehr auffordern, ibre Ger
fesverfaffung neuer Durchficht und —— zu
unterwerfen.
Waͤhrend nun im Innern der Stadt durch Sig und
Gewerbtbatigfeie der Wohlftend ſich vermehrte und
auch nach dem. Unglüf, das. die Gemeinde bey der
großen Einäfcherung, im Jahre 1281 heimgefucht hatte, -
in wenigen Jahren die Spuren der Verheerung vernich-
tet waren und die Stadt in neuer Jugendfrifche empor-
flieg: gelang es dem vorfichtigen, faatsflugen Bemuͤ⸗
ben derer, welche an der Spitze der Verwaltung ſtan⸗
den, die allein noch übrigen. Feſſeln, in welchen bie
fchon langt erfehnte Stadtfreyheit noch gehalten wurde,
vollends abzuffreifen und dem Ziele, durch feldftandige
Kraft, in einziger Nachgiebigkeit des eigenen Willengd
den durch natürliche Lage und ‚den Zufammenhang der
Welthaͤndel erreichbaren Wohlitand herbeyzuführen, um
ein. Bedeutendes nahe zu kommen. Der gräffiche
192 Freyheit des Nechts der Kühre 1292,
Schirmvoigt war febon laͤngſt überflüffig geworden, da
die Stadt zu ihrem Schuß fich immer auf eigene Kraft
und Hilfe angemwiefen gefeben hatte, Der Gerichtövoigt
war bis jest geblieben als ein Schatten früherer Ho—
heit, welche die Grafen bey der gefeglichen Verwaltung
ihrer Untergebenen befeffen harten. Aber mit dem
Freyheitsbriefe von 1292 verſchwand auch dieſer Schat⸗
ten noch: denn von jetzt an war jedwede Befugniß,
Verordnungen neu zu beſtimmen oder abzuaͤndern, in
die Kuͤhre (Willkühr) und freye Wahl der Stadt ge
geben. Darum ift von der Zeit an von einem grafli-
then Gerichtsvoigt auch niche mehr die Rede. Der einzige
Vorbehalt, Daß die zu entmwerfenden Verordnungen den
erblichen Gerechtfamen der Grafen nicht entgegen feyn
follten, deutet noch auf die Fortdauer des Anfehens
hin, welches die bisherigen Gtatthalter, obſchon
nur in ſchwachem Weberrefte, uber Die wichtig gemor-
dene Stadt zu behaupten wenigſtens den Anfchein retten
wollten, Aber ſelbſt die Berufung auf gräfliche Ent-
ſcheidung, welche bis zu diefer Zeit in zweyfelhaften
Fallen fintt gefunden, war in dieſer Iegten Privilegi—
rung zu Gunften der Bürger aufgegeben worden,
Diefe ihrerſeits faumten nicht, nach fo vortheil-
haften Zubereitungen zu einer gründlichen Verbefferung
der inneren Einrichtung der Stade mit Ernſt zu fehreis
sen. Es wurde fofort befehloffen: „daß für immerhin
jedweder Unterfchied, fo bisher zwifchen der Altſtadt
und Neuſtadt gegolten, aufgehoben, dag ſelbſt diefe
Benennungen, welche nur Saamen der Zwietracht und
Uneinigfeit gewefen, abgeſchafft werden follten; mare
Bereinigung der, Altz und Neufladt, 193
auch einige Befeftigung oder Grenzfiheide als Spur der
Abfonderung vorhanden „ fo ſolle dieſe unverzüglich
vernichtet. werden. Das Rathhaus der Altſtadt Cneben
der Domfirche) wolle man zu anderem Gebrauch benuge
und niche mehr als folches betrachtet wiſſen; Dagegen
werde der Nach beyder Staͤdte ſich in Einen Körper
vereinigen und allein auf, dem Rathhauſe des St. Ni⸗
folai = Kirchipiel$, als welches inmitten ‚der beyden
vereinigten. Stadte gelegen, fich ‚verfammeln,. Bey
dem Rathe, als dem Oberhaupte des Staats
Creipublicae), folle die hoͤchſte Gewalt feyn. Die
sefonderen Collegien, Freyheiten und Privilegien, ſo
jede Stadt bisher insbefondere gehabt, ſollten inskuͤnf⸗
tige beyden: gemeinfihaftlich . zugehören. Abgaben,
Strafgelder und andere der Gemeinde zufommende Gel—
der follten in den gemeinfchaftlibenS cha ( Caͤ m me⸗
rey) gebracht und die Fürforge und Verwaltung: deffel-
ben dem Rathe übertragen werden, Ehrenamter fo-
wohl als Beſchwerden follten allen gemein. feyn, und
bey. der Wahl der. Obrigkeit ſey weder auf Abkunfe,
noch Verſchwaͤgerung oder auf Reichthum, ſondern
lediglich auf Tauglichkeit Rüskficht zů nehmen. Wenn
endlich Jemand aus ehrgeizigem Gemuͤthe oder. boͤſem
Anſchlag die Eintracht und oͤffentliche Ruhe zu ſtoͤren
und dadurch, daß er durch Verlaͤumdung und falſche
Beſchuldigung die Untergebenen gegen die Obrigkeit
verhetze, entweder zur eigenen Macht oder zur Anarchie,
zum herrenloſen und verwirrten Weſen, den Weg zu
bereiten verſuchen wolle: ſo ſolle dieſer mit ſeiner ver⸗
gifteten Klugheit und Matinicas Beredſamkeit
13
— —
194 Das Stadtbuch wird 1292 von neuem
verdammt feyn und als ein werberblicher Feind des
Vaterlandes auf das hartefte beftraft, anderen durch
fein Beyfpiel zur Lehre dienen, daß ein böfer Rath
dem Rathgeber am argften, und daß nie Teiche ein
Aufruhr, wenn auch unter dem Vorwande der Frey-
heit oder fonft unter einem befchönigenden Deckmantel
unternommen, eines glücklichen Ausganges je theihaftig
geworden fey, Ein neuerer, nicht immer zuverläffiger
Gefchichtserzahfer Teitet übrigens dieſe der Stadt zuge—
wachſenen Vortheile von dem Grafen Adolph, Kor
hannes Sohn, Dom-Probften zu Hamburg, ab, wel:
her der Stadt befonders wohlgewollt und bey feinem.
Brüdern und Vertern ein vielgeltender Fürfprecher „der:
felben geworden ſey.
Mehrere Anzeigen feßen es auffer Zweifel, daß
bey der nun erweiterten Freyheit und Unabhaͤngigkeit
der Stade zur fefleren und geregelteren Beſtimmung
der inneren Verfaffung eine neue Durchficht des Gefeß-
buches vorgenommen und eine umfaffendere Darftellung
der gefeslichen Verhaͤltniſſe feſtgeſetzt worden fey. Biss
her war man zufrieden geweſen, das mit Anfkrengung
Ermorbene gegen Gewalt von Auffen zu ficbern und
fremde Einmifchung möglichft abzuwehren, Don jeßt
an wurde aber nothwendig, auch die Verhaltniffe im
Innern genauer zu begranzen, und da Einwirfung eines
‚ Dritten für immer entferne blieb, fcbarfer und fefter
gu begründen, In dem, böchft mahrfcheintich in diefem
Jahre 1292 von der Stade aufs Neue durchgefehenen
Stadebuche finden ſich daher fehon mehrere Zufäge
und umfländlichere Verordnungen, die Rathswahlen,
durchgefehen, vervolffändige und geordnet, 195
Rathsfaͤhigkeit, Gewinnung der Bürgerfchaft und ber:
gleichen berreffend. ‚Weder Vater und Sohn, noch
zweeen Brüder können zugleich im Rathe feyn noch ger
foren werden, — Es fol fein Ritter oder rirtermäßige
Perfon in der Stade oder deren Weichbilde wohnen
noch dafelbft unbewegliche Güter an fich bringen.’ ꝛc.
Nicht minder enthielt diefes Stadebuch genaue Erörte-
rungen über manche Gefege in Ruͤckſicht auf Rechtsfaͤlle
über Erbſchaften, Kaufſchlaͤge, Schulden, Zinfen,
Miethsgeld, Zeugen und Dienfiboten. Daß man währe
rend diefer Zeit auch auf die Ausartung der Sitten
aufmerkſam geworden fey, ergiebt fich aus Verordnun⸗
gen Uber Zucht und Unzuche, welche fich in den Sta—
tuten von 1270 noch nicht finden und jet für noͤthig
erachtet wurden. „„‚Leichtfertige, berüchtigte Frauennah⸗
men, (Weibsbilder) welche mit unzuͤchtigen Reden die
Ehre und den guten Ruf rechtlicher Frauen Franken,
follen am Kaken fiehen, mie zwey Steinen um ihren
Hals und fodann durch die Frohnen mitten durch die
Stade geführe, fo daß die Frohnen mie Hörnern vor
und nach ihnen ber blafen, und fo zum Hohn und
Schmach aus dem Stadtthore gewiefen werden. —
„Um die ehrlichen und unehrlichen, wandelbaren
Frauen unterfcheiden zu koͤnnen, follen dieſe Feine Kos
rallen, Schnüre, Gefchmeide noch „Hoiken“ mir Kra⸗
gen oder andere Zierungen tragen, dergleichen fromme
Frauen gewohnt find, bey Verluſt desjenigen, das fie
alfo gegen das Gebot tragen, und anderer Strafe,
welche der Rath beſtimmt.“ — „Frauen und Manner,
fo in Verdacht der Uebertrerung ſtehen, follen beobachtet
13*
196 Gefeße gegen den Luxus u. dal,
werben, und dürfen die Wächter und Diener auf Be—
fehl des Voigted, an verbächtigen Orten, Fenſter und
Thüren eröffnen und falls jene unbefleider bey Nachtzeit
ohne brennende. Kerzen alleine bey einander gefunden
werden, fol man fie in die „Hechte“ fegen, und ſoll
ein Jedes ſechszig Mark Strafe zahlen oder an den
Kak kommen.“ Und dergleichen Verordnungen andere,
Auch der Lurus bedurfte ſchon damahls ber Einfchran-
kungen. Nahmentlich find Gefege aufgezeichnet, welche
den übertriebenen Aufwand bey Hochzeiten fo berabfeß: -
ten, daß immer noch ein Pomp geſtattet wurde, welchen
man jenen Zeiten kaum hatte zutrauen follen. Zur Be
ſtimmung des Verhaͤltniſſes zwifchen dem Rathe und
der Bürgerfchaft iſt in dieſem Gefegbuch noch keine
Verordnung niedergefchrieben : beyde Theile berrachteren
fich als innigft verbunden und Fannten nur Eine ge
meinfchaftliche Sache, die fie gegen auffere Bedruͤckung
und fremden Zwang zu verfechten hatten; an ein Me:
bergewicht des einen, an eine Herabfegung des anderen
Theils war noch nicht gedacht worden, der Vorzug vor
anderen wurde denen freymillig zuerkannt, welche am
meiften dazu beytrugen, die Unabbangigfeit des Ganzen
gu erringen und zu behaupten,
Ueber das Verhaͤltniß des — Domſtif⸗
tes zu der Stadt enthalt die Geſchichte dieſes Zeitz
raums einzelne, nicht unerhebliche Züge. Se freyer ſich
der Sinn der Bürger: entwickelte "und im Bewußtſeyn
eigener Kraft, die fich durch Entfernung druͤckender
Belaftungen öfter bewähre haste, ſich fühlen Ternte:
um fo empfindlicher verfegte der hierarchiſche Stolz der
Streitigkeiten u. Verträge mit dem Dom⸗-Capitel. 197
in ihren Anmaßungen immer weiter um fich greifenden
Domgeiftlichben und Mönche, Die VBefreyung von der
barbarifchen Fenerprobe durch das glübende Eifen bat:
ten die Bürger fihon 1257 ſich vom Pabfte ausgewirkt.
Die fortdauernden Streitigkeiten zwifchen dem Capitul
und dem Rathe betrafen vorzüglich die Curien oder
Dombhöfe, welche die Stiftsherren in der Nachbarfchaft
der Kirche mit vieler Prache fich aufführen Tießen, theils
die Befreyung der Geiftlichfeie von allen bürgerlichen
Abgaben, fo mie die Gerichtsbarkeit des Capituls. In
einem Vergleich vom Jahre 1269 vereinigte man fich
daher über mehrere Puncte: welche Haufer der Kirche
und welche der Stade zugehören follten; daß diejenigen
Güter der Domberren, welche in der Stadt - Gerichtd#
barfeit Tagen, Schoß und Abgaben zu entrichten ſchul⸗
dig ſeyen; ed wäre denn, daß aus Gunſt und Freund-
ſchaft des Rathes eine Nachficht geſchenkt würde. falls
das Capitul ſich über jemand zu beſchweren hatte, folle
es denfelben nicht fofore berichtigen, d. h. auf öffent:
licher Kanzel mie Befchimpfung nennen, fondern ihn
ordentlich zu fich fodern und nach den Gebräuche der
Kirche mir ihm verfahren; fo ein Laie einen Geiftlichen
im der ‚Kirche oder auf dem Kirchhofe verlegen würde,
follte er von dem geifflichen Gerichte geſetzmaͤßig gerich-
ter werden; hätte ein Geiftlicher wegen Schuldfoderung,
Erbſchaft oder anderer weltfichen Sachen einen Laien zu
belangen, fo Eönne dieß nur vor dem Rathe gefcheben,
fo wie der Laie den Geiftlichen in folchen Sachen vor
dem Probfte, Derhanten oder zn Richter ver⸗
klagen muͤſſe.
\
198 Anlegung der Schule zu St, Nicolai,
Zu neuen Reibungen gab die Anlegung einer neuen
Schule Veranlaffung, welche die Eingepfarrten des
Hicolai-Kirchfpield oder der Neuſtadt unabhangig
von der fogenannten Marianiſchen- oder Dome
fchufe unternahmen, Obſchon ber damalige Erzbifchof
von Bremen, Giefelbert, ſchon feine Einwilligung dazu
ertheilt hatte, fehieften die Bürger doch noch aufferdem
ans ihrem Mittel Abgeordnete nach Rom felbft, unter
welchen Johann von Lüneburg ‚nahmentlich ges
nannte wird, und erlangten von dem Pabſte Mar:
tin IV. auch die Beſtaͤtigung diefer neuen Stiftung,
mit dem ungewöhnlichen Borrechte, daß die Kirchen
geſchworenen (Jurati ecclesiae, deren fo früh
ausdrücklich Erwähnung geſchieht) mie Rath und Bey
fand der Aelteſten des Kirchſpiels die Lehrer dieſer
Schule nach Gutduͤnken ein und abfesen dürften, Dieſe
Urkunde wurde ertheile 1281. Allein der damalige
Scholaſticus des Dom: Kapituls, Johann von
Hamme, widerfprach diefer Neuerung mit Heftigfeit,
die er als einen offenbaren Eingriff in feine Rechte be—
trachtete, nach welchen er die Aufficht und Befegung
aller Schulen der Stadt zu fodern habe; die Bürger
dagegen beriefen fich auf den Inhalt der pabſtlichen
Verordnung, und die wechfelfeitige Erbitterung ging
fogar im öffentliche Feindfeligfeiten fiber, an welchen
Die Tugend der beyten Parteyen felbft mit Prügeln und
Steinwürfen Theil nahm, Nach achtjaͤhrigen Unter
bandlungen wurden die Streitigkeiten durch Vermitte—
lung des Sremifihen Erzbifchofs gleichwohl zum offenz
baren Vortheil des Scholaſticus beendigt. Die Stifter
Berhältniß des Stiftes zum erzbiſchoͤſſ. Stuhl. 199
der Nicolai» Schule begaben ſich der von Rom aug
ihnen zugeſtandenen Vorrechte und begnuͤgten ſich, dem
Frieden nicht ferner hinderlich zu ſeyn, mit dem zwi—
ſchen beyden Schulen beſtimmten Verhaͤltniſſe und mit
der Verſprechung, daß die Nicolai⸗Schuͤler, ſobald es
ihre Faͤhigkeiten geſtatten wuͤrden, in die Marianiſche
Schule aufgenommen werden, desgleichen auch mit den
Schuͤlern jener gleiche — nk: Beguͤnſtigungen
genießen ſollten.
Andere Mißhelligkeiten und Zusifke, Se unter
der hamburgifiben Cleriſey ſelbſt entſtanden, wurden
bald durch auswaͤrtige, hoͤhere Machtſpruͤche entſchieden,
bald durch heimiſche Vergleiche in Güte geſchlichtet.
Seitdem der erzbifchöfliche Stuhl. (1223) von Hamburg
nach Bremen verfegt worden war, begnuͤgten fich bie
bremifchen Stiftsherren nicht mie dem dadurch erhaltes
nen Vortheil, fondern verfuchten zu wiederholten. malen
anmaßliche Eingriffe in Die dem bamburgifchen Stifte nach)
dem legten Wergleiche bewilligeen Rechte und Beguͤn⸗
ftigungen, Nicht nur drangten fie fich hinzu zur Be:
ftellung des hamburgiſchen Probftes, fondern ihre Ab⸗
ficht ging auch nicht undeutlich dahin, die Sanonicate in
Hamburg ausfterben zu Iaffen und diefelben nach Bres
men zu verlegen, Auf die bey dem vömifchen Stuhl
deshalb angebrachten Beſchwerden entſchied bereits In—
nocentius IV. 1246 zum Vortheil des hamburgifchen
. Stiftes, aber erft bey der Wahl des Erzbiſchofs Gier
felbert 1273 wurde zwiſchen den fEreitenden Theilen ein
feiterer Vertrag geſchloſſen, welche Verpflichtungen jeder
Erzbiſchof bey dem Antritt ſeiner Regierung in Bezug
200 Bergleich zmifchen dem Domſtift u. d. Erzbifchof,
auf das Biefige Dom⸗Capitul angeloben folle: Den
Rechten Und an * hamburgiſchen Kirche **
* — und * Befinden erneuern, die
Sprüche des Capituls "gegen Webelthäter und Feinde
der Kirche nicht Aufheben‘, fondern unterftüßen; er ‘ges
löbte ferner, in Rirchenfachen, und was befonders die
Präbenden ber Domherren angehe, ſich nicht zu men-
gen, die erzbifchöftichen Güter, Zehnden und Lehne, fo
auf der anderen Seite der Eibe befindlich, nicht von der
Kirche zu bringen, auch dem Probfte zu Hamburg nicht
mie Einmifchung in deffen iberfommene Gerichtsbarkeit
befchmwertich zu fallen, vielmehr die abgenommenen Kir-
eben und Rirchhöfe ihm wieder zu zuffellen; endrich wolle
er keinem hamburgifchen Canonicus in deffen Vortheil
einiges Hihderniß verurfachen, Tondern, mo jer irgend
Anſpruch an jemanden zu haben vermeyne, denfelben
dießfalls bey den Decan zu Hamburg Belangen,
Diefer Vergleich wurde von demfelben Erzbifchof noch
ſpaͤterhin, als er im Fahre 1301 in Hamburg fich auf:
biele, —— — — ae J
uebergang in das vierzehnte Jahrhundert. 201
ae
> Der Hebergang von dem dreyzehnten in's vierzehnte
Jahrhundert gewahrt den Standpunet einer großen
AYusficht , eben ſowohl, wenn der Blick zuriick im die
Vergangenheit fich verliere, als wenn er die Zukunft
vor ſich aufdammern ſieht. Veynahe fünf hundert
Jahre find verftrichen feit dem erſten Entffehen der
Stade. Eine unbedeutende Burg, von wenigen Fifchers
bitten umbauet, erweitert fie ſich in Umfang durch die
unverdroffene Thatigfeie und den unbezwinglichen Much
der alten Sachfen in weitere Ringmauern : unter der
Gerichtsbarkeit der Kaiſer zuerſt und der Erzbifchöfe,
dann der Grafen ertragt fie eben fo geduldig die Placke⸗
reyen der Borgefegten, als fie mit eiſerner Gtärfe
dem Haffe der wilden, fie umgebenden Voͤlker trotzt,
und wiederholt befehder und von Grund aus Zerfkört
erbfüher fie eben fo oft und immer Fraftiger wieder aus
ihrer Afche empor. Bon der Natur beſtimmt zur Hans
delsſtadt und früh überzeugt, daß Handel und Verkehr
nicht ohne Freyheit gedeihen fönnen ‚ entiwinder ſie ſich
allmaͤhlich, ohne Gewalt, nur durch die weiſe Vorſorge
ihrer Berather, der Abhaͤngigkeit der verſchiedenen
Haͤupter und es bilder ſich, wie unvermerkt, die feſte
und bleibende Grundlage eines freyen Staated. Durch
Ermwerbfleiß und Beharrlichkeie der Bewohner mwächft
fie zur reichen und angefehenen Handelsſtadt heran,
Vereiniget mit anderen Städten zu gleichem Zweck be
fördert ſie die Bildung des hanfearifchen Bundes: am
Eintritt des neuen Jahrhunderts tritt fie immer größeren
202 Sitcherung de3 Elbftromes,
Vortheilen entgegen, ihr Gebiet erweitert fich, ihre Macht
nimmt zu, und bald werden wir fie an Wohlftend
die anderen überflügeln, zugleich ‚mit dem Bunde fich
vergröffern und denfelben gewiffermaßen überleben fehen;
Der wohlthaͤtige Elbſtrom lud, als der von der
Natur bezeichnete Weg, von felbft ein, feine Bahn zu
verfolgen, und. die fernen Gegenden des Umtaufches
mechfelfeitiger Bedurfniffe aufzufuchen, Aber die Ufer
des Stromes waren in wildroher Zeit noch nicht mit
friedfichen Bewohnern befegt,. die Tiefe und Höhe des
Waſſers war noch nicht Durch wiederholte Beobachtun—
gen der Schiffenden ergründer und beſtimmt, und Die
Mündung der Elbe war nicht frey von Sandbaͤnken
und gefahrdrohenden Stellen. Die Strandbewohner,
und die, welche an der Mündung baufeten, waren nicht
geſonnen, die Kenntniß des; Fahrwaſſers, die ſie als
Fiſcher zuerft fich zu erwerben Gelegenheit gehabt, zu
wohlshatigem Beyſtande anzuwenden, fondern Inuerten
zuruͤckgezogen auf Raub und Pluͤnderung des geffrande-
ten Gutes. So hatte Gewohnheit von rauberen Vor:
eltern die rauhe Sitte Müberliefert; was Billigfeit und
Menfchlichfeit geboten, wurde weder gefühlt noch ver
fanden. Selbſt die Verordnungen der hohen Geifklich-
feie vermochten ſolchem Unweſen nicht zu ſteuern, und
die Hamburger Kaufleute fahen ſich, wenn fie die Elbe
behaupten mollten, auf eigene Hülfe zuruͤckgewieſen.
- An der Mündung des Stromes, anderthalb Meilen vom
Strande liege, nach einem dazwiſchen befindlichen feich-
ten Orte (Warte), worüber man zur Zeit der Ebbe
zu Zuß oder zu Wagen, fommen kann, eine Eleine
Erwerbung der Infel Neu: Werk, 203
Inſel, nach altem Sprachgebrauche, Infeln wie Sterne
des Meeres zu bezeichnen, das neue Auge, (nige D
oder nova Ochr) weiterhin das Neuewerk genannt,
Diefer wahrſcheinlich unbewohnten Inſel bemachtigten
fich die Hamburger , erbaueten dafelbft mit großer Ars '
beit und ſchweren Koften einen hoben fleinernen Thurm,
und unterhielten und bemachten benfelben theils zum
Wahrzeichen für eins and ausfahrende Schiffe, theils
damit fich Leidende und Schiffbrüchige daſelbſt bergen
fönnten, Die ift gefcheben bereit8 um die Mitte des
dreyzehnten Jahrhunderts, wenn fchon eine beffimmte
Angabe der Jahre nicht möglih iff, Aber im Jahre
1296 wandten fich die Bürgermeifter, Rathmaͤnner und
die Gemeinde von Hamburg unmittelbar an den Pabſt
Bonifacius VIII. mit dem Geſuch, daß denen auf
der Inſel Neumerk- in Berrache ihrer entfernten Lage
und der abmwechfelnden Ebbe und Fluch geſtattet feyn
möge, einen bejonderen Altar Caltare portatile) zu ers
richten und fich einen Priefter kommen zu laffen, der
an Sonns und Fefttagen ihnen Meffe leſe; ein Gefuch,
welches unter wortreichen Lobſpruͤchen bewilliger wurde,
felbft mie der Ausdehnung auf den Fall, wenn auch
die Stade Hamburg mit dem Kirchenbanne belegt feyn
würde, Als die rauberifchen Nachbaren die Unsernehr
mung Hamburgs auf fo nachdruͤckliche Weife geſchuͤtzt
ſahen, fchloffen auch die Herzoge won Sachen, Jo—
bann und Albrecht im Jahre 1299 einen Vergleich
mit der Stadt, daß niche nur dieſer zum Zeichen und zur
Kenntniß des Hafens für alle Elbfahrer dienende Thurm
seffarter feyn , fondern daß ſie auch zum Fortbau
204 Erwerbung der Inſel Nenn» Werk,
beffefben die Steine, melche fih im Walde (Woold,
daber noch jetzt das Dorf Oldenwolde) oder im
uͤbrigen Bezirk des Landes Hadeln und Wurſten befaͤn—
den, gebrauchen duͤrften, und daß uͤberdieß von den
Herzögen ſelbſt gegen den Strandraub und fuͤr die Ber:
sung der angetriebenen Güter Huͤlfe und Schutz ge
Jeifter werden ſolle. Dieſen Vergleich befkätigten im
folgenden Jahre (1300) auch die Schulcheiffen, Schoͤp⸗
pen, Richter und die gefammte Gemeinfchaft des Lan
des Hadeln in allen Stuͤcken. Wie menig fie fi
aber dadurch verpflichter gefunden haben mögen, erhel-
fet darans, daß ſchon im Jahre 1310 ein neuer Ver
trag erforderfich wurde, in welchem foger die Dörfer
Steinmarne, Düne und Styfenbüttel nahmentlich auf
geführt werden; daß man ihrer, wenn fie Raub ober
Nachtheil zufügeen, in Feine Wege ſich annehmen wolle,
Diefelben Erfahrungen machten die Hamburger auf dem
rechten Elbufer, wo beſonders die Dithmarſchen
"den Kaufleuten zu Waſſer und zu Lande rauberifch
nachftellten, und obfchon fie 1304 auf öffenelicher Ver⸗
ſammlung mit ausgebreiteten und aufgehabenen Haͤnden
ſich eidlich verpflichte, niemals einen Kauf—
mann irgend eines Landes gewaltthaͤtig anzugreifen,
noch zu berauben, ſo mußten doch ſchon vier Jahre
nachher die Verſprechungen, beſonders derer aus dem
Kirchſpiele Brunsbuͤttel, erneuert werden, mit eben fo
geringer Hoffnung, daß fie je gehalten würden, Rau:
ben und Schenfen war bey den alten Holfteinern ein
Ruhm; wer aber zu rauben nicht verffand, wurde „
einfaltig und verachtlich gehalten, i
A
—
Fehden und Vergleich mie denen v. Lappe. 205
Treuer fcheinen die Wurftener an ihren Verträs
gen gebalten zu haben. Auch fagten fie jetzt 1316 ihren
Beyſtand zur Vertheidigung des Neuwerker Thurmes
zu, „den die Kaufleute zu ihrer und aller Kaufleute
Beſten erbauer hätten und mie vieler Arbeit und großen
Koſten unterhielten.“ Aber. vom Schloß und der Um⸗
gegend Rigebüttel aus beunruhigte den Strand und
das Fahrwaſſer ein edles Gefchleibt, derer von Lappe,
bis zum Sabre 1352, im welchem die beyden Vettern,
Bertold und Alverich Lappe „aus Rüskfiche auf Gott
und‘ Gerechtigkeit, aufrichtiger Liebe gegen den Rath
und die Bürger ber Stade Hamburg, wie auch zur
Beförderung ihrer eigenen Ehre“ aufs feftefte fich ver
pflichteten, alle Hamburger und andere die Elbe befah—
rende Kaufleute, die Dänen ausgenommen, in Schuß:
zu nehmen und fie „gegen alle ihrer Gerichtsbarkeit
unterworfenen Näuber Cspoliatores) ſchadlos und
ficher zu fielen „ein ganzes Jahr hindurch,
Fünf Jahre ſpaͤter (1357). Befraftigten die Herzöge ».
Erich und Alber evon Sachfen, denen dad Land Hadeln
gebörte, in einem neuen Freyheitsbriefe den Frieden zu
Waller und zu Lande für Hamburg auf ewige Zeigen,
mit dem Bemerken, daß man dem Thurme zum Neuens
Werk auf feine Weife weder zu nahe bauen noch irgend
ein Hinderniß bereiten ſolle. Weit vorteilhafter febien
e8, als im Jahre 1372 die beiden Brüder Willeken und
Bolder, Söhne Alverichs von Lappe,. ihre beiden
Kirchfpiele zu Wolden und Groden, (wo ihre Vorfahren
1342 ein von. dem bremifchen Erzbiſchof beſtaͤtigtes Dia—
conat geftifter harten) an den bamburgifchen Rath für
e
206 Fehden und Verträge mit den Edlen
240 Mark Hamburger Pfenninge verpfandeten, unter
der Bedingung, daß wenn fie diefe Summe in zwey
Fahren nicht wieder bezahlten, die Kirchfpiefe dem
Rathe zu Hamburg verfallen feyn follten. Außerdem
verfchrieben fie fich, daß das Schloß zu Nigebüttel den
bamburgifchen Rarhmannern und ihren Angehörigen.
zum Gebrauch offen ſtehen follte, fo Tange die Schuld
nicht getilge ware, Eine folche Anmwartfchaft fam ven
Hamburgern fehr gelegen und fie wahnten ſchon, im
ununterbrochenen Beſitz des Landes bleiben zu koͤnnen;
allein die Edlen von Lappen führten Trug im Ginne,
Heimlich ſtanden fie mit ihrem Lehnsheren, dem Herzog
Erich von Sachſen, im Verſtaͤndniß, der fich unzu—⸗
frieden ſtellte und böchlich fich darob befchwerte, daß feine
Vaſallen fich erlaubten, ihre Lander zu verfcbenfen,
Gluͤcklicherweiſe war er, da feine Feinde ihn langft am
Faiferlichen Hofe als einen getreuen Helfershelfer der Rau:
ber befannt gemacht hatten, nicht im Stande, den
Rappen Borfchub zu ehun, und erbor felbft im Sabre
1382 die Hand zu einem Landfrieden, welchen die ger
fammten Herzoge von Sachfen und Holſtein mit den
Städten Lüberf und Hamburg auf drey Jahre zu fchließen
beliebt hatten. Mittlerweile trafen die Hamburger Anftalt,
das ihnen zur Eröffnung gelaflene Schloß mit Mann-
fchaft zu befeßen, und als fich die Lappen dagegen
ſetzten, verbanden fie fich mit den Wurfkfriefen, welche
der Stade achthundert bewaffnete Männer zur Huͤlfe
fihieften, und Ritzebuͤttel wurde mit fFürmender Hand
genommen. Dieß geſchah im Sahr 1393. Die bishe:
rigen Befiger mußten in den nächfffolgenden Unterhand:
v; Lappe auf Nigebüttel, Kaufvertrag. 207
lungen felbft eingeftehen, daß die Hamburger ihnen das
Schloß „in offenbarem Kriege und in rechter Fehde
mit Ehren abgewonnen 5; gleichwohl verfchmaheren
dieſe das Recht der Eroberung und wollten nur, mag
fie durch rechtmaͤßige Waffen erffritten, durch einen
feyerlichen Kaufſchluß ſich übergeben laſſen. In dem
noch vorhandenen Kauf⸗-Contracte von 1394 verlaffen
und übergeben die „Wolder und Alveric Vedderen ger
beten de Lappen Knapen“ den Bürgermeiffern und
Rathmaͤnnern zu ewigem Erbfaufe ihr Schloß Rige:
büttel mit den dazu gehörigen Dörfern, Sollenborg,
Dünen, Stenmarne, Weſter- und Oſter-Doͤſe, Nord:
und Süderwifch, Stykenbuͤttel und Ritzebuͤttel, nebſt
den Feldern, Wiefen, Holzungen und Waffern, und
übrigem Zubehör für 2000 Mark Luͤbſcher und Hams
burger Pfenninge, wovon fogleich 200 Mark baar ent-
richtet worden, von den rücfisndigen 1800 Mark foll-
ten alljährlich 180 Mark Renten abbezahlt werden.
Dafür übernahmen die Verkäufer die Gemährleiftung
gegen jedermann, daß das Schloß und Amt Rigebüttel
ein recht frey Erbgut fey, das Feine Lehnsverpflichtung
fenne; fo wie fie gelobten, denen von Hamburg auf
feinerley Weife Schaden zujufügen, widrigenfalls fie
der jaͤhrlich vorgefchriebenen Rente verluftig geben
wollten, Auch über die Verpfandung der Dörfer Gro⸗
den und Wolder, welche zum Lande Habeln gehörten,
wurde die Verfehreibung erneuert und bloß wegen ber
Auslöfung mit den Herzogen zu SachfensLauenburg ficd
zu vergleichen, eine Beſtimmung getroffen. Erich IV,
oder der jüngere, Herzog von Sachfen, that im Jahre
208: NRitzebuttel im Beſitz Hamburgs 1400,
1400 als Lehnsherr voͤllig Verzicht auf das Amt Ritze⸗
buͤttel fuͤr ſich und ſeine Erben auf ewige Zeiten, um
ſonderlichen Dienſtes und der Freundſchaft willen, ſo Buͤr—
germeiſter und Rath von Hamburg ihm und den Seini—
gen oft guͤtlich erwieſen haͤtten, und beſtaͤtigte urkund—
lich die Richtigkeit des Kaufvertrags feiner Vaſallen.
Im Jahre 1406 hatten die Hamburger von ihrer
Schuld die Haͤlfte bezahlt; das uͤbrige wurde nach
und nach abgetragen, und es findet ſich eine Quittung
von Woldeke Lappen, von 1417, worinnen ſich dieſer
aller Anſpruͤche auf Ritzebuͤttel und der Geldfoderung
an die Stadt begiebt, ausgenommen 20 Mark Zinſen,
die er noch zwey Jahre zu heben gedenkt. Es geſchah
in Folge dieſer Abtretung des Amtes Ritzebuͤttel, daß
bereits 1399 eine Uebereinkunft (Thohopeſate) zwiſchen den
Wurſtenern und den Obrigkeiten der Stadt zu wechſel—
ſeitiger Beſchirmung und Vertheidigung der Laͤndereyen,
und beſonders des Schloſſes Ritzebuͤttel, errichtet wurde,
welche, da die Wurſtener als ehrliche Maͤnner Wort
hielten, den Hamburgern zur Vertheidigung der Elbe
und des Neuen-Werkes von dem erſprießlichſten Nutzen
war. Der erſte Amtmann, oder wie er derzeit genannt
wurde Caſtellan des Schloſſes Ritzebuͤttel, wurde im
Jahre 1400 in der Perſon des Rathmannes, Ludolph
Wulffhagen, ernannt, nachdem die Hamburger zum
ſicheren Beſitz des Landes gelangt waren.
Dit dieſer wichtigen Erwerbung hatten die Ham:
burger fich zu Herren und Befigern der Nieder-Elbe
gemacht und durften fich als folche um fo mehr berrach,
ten, da fie. durch einen _ offenen Brief des Kaifers
\
Erwerbungen an der Alfter. 29
Karl IV. vom Jahre 1359 fenerlich dazu erfräftiger
und aufgefodert wurden, den -Strom von allen See⸗
und Strandraͤubern rein zu halten und die Uebelehäter
mie ihren Hehlern und Vereheidigern aufzufuchen, ein
zufangen und'nach den heiligen Gefegen mit gebuͤhren⸗
der Strafe zu züchtigen. Aber nicht minder wichtig
war ihnen der Alſter fluß, an deffen Ufern fie binnen
und nach außen bin nicht weniger, als an dem Elbe
Canal, in welchen die After einfließer, ganze Strecken
von Gaſſen und Haufern aufgebauet harten; welcher,
für den Zwiſchenhandel und den Verkehr mir der um-
liegenden Gegend eine bequeme Strafe darbot und wel
chen auch auf fremden fer zu dem eigenen Nuken
ſowohl als dem der Nachbaren erfprießfich zu machen,
verftändige Sorgfalt anrieth. Nach der Schenkung der
Grafen Johann und Gerhard, von melcher oben
berichtee worden, mar das hbamburgifche Weichbild ber
reits bis in die Gegend von Eppendorfund Winterhude, am
vechten Ufer der Alfter bis zum Bache Harveſtehude, jen ſeit
vom Bache Henninghude bis an den Scharbeck, mir Ein»
fehliefung von Winterhude und Papenhude, die fchon in
Urkunden des dreyzehnten und folgenden Jahrhunderts ger
nannt werden, erweitert worden, Dieſer Beſitz erhielt im
Fahre 1283 einen anfehnlichen Zuwachs dadurch, daß Her⸗
mann, Abe zw Reinfelden, das Dorf Fuhlsbuͤttel
an der Alſter nebft der Mühle, Holzung, Waſſer, Wie
fen und aller Gerechtigkeit, höherer und niederer , über
Hals und Hand, mir allem Zubehör, für die Summe
von 245 Mark an die hamburgiſchen Bürger Johann
und Hinrich von Berge, und dadurch zugleich auch
14
210 Die Alfterbörfer fommen
mittelbar an die Stadt, kaͤuflich abtrat. Diefem folgte
1304. Klein» Borfiel, welches Graf Adolph
denfelben von Bergen überließ. Die Alfter felbft ge
hörte zum Anfange diefes Jahrhunderts noch den Gra-
fen Johann und Adolph: ihr Erwerb fchien jetzt
erfte Angelegenheit der hamburgifchen Bürger. Wirklich
rat zuerft Graf Adolph im Jahre 1306 den vierten
Theil. der Alfter mit allen Rechten, Breybeiten und
Nutzungen für 250 Mark Fauflih an Hamburg ab, mit
Zugabe der Bache, Barnbeck und Eilenbed und
"der Dörfer gleiche? Nahmens. Den anderen vierten
Theil verkaufte mit denfelben Gerechtfamen Graf Johann
im jahre 1309 um: 200 Mark, endlich im Jahre 1310
Graf Adolph für 600 Mark die übrige Hälfte, zwar
alles mit Vorbehalt des Einlöfungsrechts auf gemiffe
Jahre, welche aber, ohne daß jenes benutzt wurde,
verfloffen, Die beyden Ießtgenannten Dörfer wurden
1353 dem heil, Geiff: Klofier untergeordnet, fo mie
Klein « Borflel oder Boftel (Borch: oder Bersftelle)
dem Hofpital zu St. Georg. Zu diefem kam auch
Langenhorn, das vornehmfle Dorf an der Straße
nach Kiel zu, welches eine große Holzung batte, und
im Jahre 1332 von Nicolaus von. Bergen, hamburgis
fhem Bürger, vom Grafen Adolph für 200 Mark er:
handele wurde, Ferner der Meyerhof, die Bahr oder
Berne genannt, über welchen ſich Adolph 1325 und
1375 aller Rechte begab, fo wie das Jungfrauen-Klo—
fier zu Harveſtehude 1339 dad Dorf Eimsbüttel
für 300 Mark und 1343 für 239 Marf Eppendorf von
Adolph erſtand, jedes mir allem Zubehör und mit Ober» und
durch Kauf an Hamburg, | 211
Nieder⸗Gericht uͤber Hals und Hand, wie die Kaufbriefe
beſagen. Ol ſt er dor p (Ohlsdorf) und Groß⸗Boſtel
waren bereits 1225 dem Probſt und Convent des Kloſters
zu Harveſtehude vom Grafen Adolph uͤbertragen worden.
Aber dieſe Beſitzungen, insbeſondere des Alſterſtro⸗
mes, konnten Hamburg nur von geringem Nutzen ſeyn,
ſo lange der Gebrauch derſelben und die Handelswege,
vornehmlich zwiſchen hier und Luͤbeck, ringsum von
raͤuberiſchen Anfaͤllen und Plackereyen gefaͤhrdet waren.
Dieſes Jahrhundert iſt das eigentliche Zeitalter der
unaufbörfichen kleinen Fehden ‚mit Buſchkleppern und
adlichen Raͤubern, welche in der wilden Ausuͤbung des
Fauſt- ‚und Kolbenrechts eine ruchloſe Ehre, in der
ſchnoͤden Auspluͤnderung und Mißhandlung der reiſenden
Kaufleute rohe Luſt und Vergnuͤgen fanden. Die dich»
ten Waldungen und die rings um die Hauptſtraßen anz
gelegten Raubfchlöffer dienten ihnen zur‘ Bergung und
zu Schlupfwinfeln; die eigennügige Nachficht der Fürs
ften und: Lehnsherren begünftigte ihre Frevel; wo fie
nicht felbft noch an denfelben thaͤtigen Antheil nahmen,
Die. bolfkeinifchen Grafen der verfibiedenen Linien leb—
ten ſelbſt unser fich in Zwiſt und getrennten Verhaͤlt⸗
niffen, Gerhard, von. den Holfteinern der - Große,
von den Dänen der Kahle genannt, hatte fich im die
verworrenen Angelegenheiten Daͤnemarks gemifche und
beherrfchte dieſes Land unter dem Nehmen eines Herr
zogs von Schlefwig, in der That aber ald König def
ſelben, mit Willführ und Harte, wie einft Waldemar
in Nordalbingien, - Im Holftein’fchen: tobte während
deffen rohe Kraft nnd zügellofe Leidenſchaft. Ein Bep⸗
14*
21% Befchwerden über den holſteiniſchen Raubadel
fpiet rede für die andern, Graf Adolph, einer der
vier Söhne Johann's IL. (Kieler Linie) half fich, die
Beduͤrfniſſe zu befriedigen, welche fein Kleiner Antheil
ibm nicht fieferte, durch Gewaltthaͤtigkeiten gegen feine
Unterthanen. Er faß auf Segeberg, Einſt ſchickte er
Drefcher aus nach dem Landaute eines Edlen von
Split, um eigenmächtig Getreide daſelbſt auszudreſchen
und das [Korn nach der Burg ju bringen; der aufge
brachte Edelmann aber ließ die Drefcher greifen, ihren
die Füße abbauen umd fandte die Verſtuͤmmelten dem
"Grafen zuruͤck. Gleiche Beleidigung war dem Edlen
Hartwig Reventlow wiederfahren. Sich zu rachen und
begimftige vom Grafen Gerhard; fehlich fich Reventlow
auf Segeberg, überfielden Grafen Adolph im Schlafe und
ermordete ihn, ja außer ihm, damit die That nicht ver:
rathen würde, feinen eigener Sohn, der als Junker
beym Grafen diente, Das Schloß wurde dem Grafen
Gerhard eingeräumt, Auch diefer fand feinen Tod
durch Meuchelmord von der Hand eines banifchen
Edlen. (1340.) In diefer Zeit und unter folchen Für
ften trieben die Straßenrauber ihr freyes Gewerbe ge
gen den Fleiß und die friedliche, fehaffende Thaͤtigkeit
der ſtaͤdtiſchen Bürger, Dan befchuldigte die benach-
barten holfteinifchen Edelleute ohne Hehl, daß fie durch
Nachſicht und Theilnahme den Frevel hegten und be—
foͤrderten, und erwartete billig von den Grafen, daß fie
ihr Anſehen dazu gebrauchen winden, die öffentliche
Sicherheit im Lande herzuſtellen. Man gedenkt einer
Vermittelung durch den Grafen Gerhard vom Jahre 1320,
nach welcher das Verſprechen gegeben, daß die
und Verſuche, ibm Einhalt zu thun. 213
mwechfelfeitigen Klagen der Unterthanen durch fehleunige
Rechtspflege abgerban werden follten. Das Recht je
doch, melches der Räuber im feiner Fauſt zu tragen
vermeynt, pflege dem Ausfpruch wenig gu achten. So’
dauerte nuch jetzt die Unſicherheit der ‚öffentlichen Land-
ſtraßen fort, und endlich den haͤufigen Beſchwerden
darob möglicher Weife abzuhelfen, verfammelten ſich
auf einer Tagfahrt zu Lübeck Cam heil, Dreykönigds
sage 1340) mehrere Biſchoͤfe, Herzöge, Fuͤrſten und
Grafen, wie auch Abgeordnete der angefehenften Han
delsftädte, auffer Hamburg und Luͤbeck beſonders derer
an der Oſtſee, um zu berathſchlagen, wie der Land»
friede, wie Ruhe und Sicherheit auf den Heerſtraßen
aufrecht gehalten werben koͤnnten. Man traf die Ver⸗
abredung, daß Keiner von. ben zum Vertrage fich vers
einenden Theilen in feinen Landen den Beeintrachtiguns
gen der Reiſenden Vorſchub Teiften, noch den Befehdern
Aufenthalt verftatten wolle, und der Landfriede ward
auf ſechs Jahre beſchworen. Aber ber Erfolg entiprach
ſo wenig den auf diefe Verabredung gegründeten Wins
ſchen, daß vielmehr die alten Klagen fortdauerten, und
da die Grafen Heinrich, Nicolaus und Gerhard,
Gerhard des Großen Söhne, Fein Bedenfen trugen,
das Berragen ihrer Landſaſſen in Schug zu nehmen,
kam es gegen dieſelben von Seiten der; Städte zu offer
ner Fehde, Rurallein Johann U, von Wagrien, Ger?
bard'3 II. des Blinden Sohn, font auch der Milde
genannt, war fo friedliebend und billig gefinnt, daß er
am dieſen Unbilden niche nur Feinen Theil nahm, ſon⸗
dern fogar dem Raubnefte Linau, ander Grenze von
“
214 Fehden mit den Grafen und dem
Holftein und Sachfen gelegen, von wo aus bie Lands
firaße von Lüberf nach Hamburg und Lüneburg befehder
wurde, gegenüber dad Schloß Trittau, unmeic Der
Bille, aufführte, dem beillofen Unmefen in diefer Gegend
zu ſteuern. An diefen Grafen Johann mwandten fich
auch die Städte mit dem Gefuch, daß er ihnen Sege
berg einräumen möchte, um von da aus die Gtraßens
täuber in Obache zu nehmen. Der Befehlshaber auf Se
geberg vermochte nicht, die Bewilligung des Grafen
zu hintertreiben, benußte aber die ‚Gelegenheit, in einer
feichten Gegend an der Alfter, ton Steghen genanııt,
eine andere Veſte aufzubauen, welche in der Folge zu
gar. groffem Nachtheil des ſtaͤdtiſchen Handels gemiß—
brauche worden iſt. Die Lüberfer und Hamburger hats
ten auf Segeberg zweyhundert bewaffnere Keuter ges
legt, welche, ihres Auftrages eingedenf, murhig und
keck über jeden berfielen, der ihnen verdächtig erſchien.
Dieß verdroß am’ meiften den Grafen Heinrich, einen
Mann voll kraͤftigen Muthes und durch feine Frieges
rifchen Thaten nicht unwerth des Veynahmens, welchen
ihm die Geſchichte beygelegt bat: man: nannte ihn den
Eifernen, ‚Sein adlicher Unwille entbrannte über Die
wachjende Macht der Städter, er beflagte fich bei fei-
nem: Better Johann und verlangte von ihm, der
jenen Bürgern fo große Vortheile eingeraumt, wenige
ſtens gleiche Nachfihe und Entfernung im Falle ver
firchten Gegenkampfes. Die Verwandtſchaft geſtattete
nicht, ſolches Begehren zu verweigern, Mit Hülfe der
Einwohner von Segeberg Fam Graf Heinrich zur Nach
geit in die Stade, führte die 200 Pferde der Luͤbecker
o
holſteiniſchen Raubadel. 215
und Hamburger hinweg, nahm die Mannſchaft und dfe
Bürger, welche daſelbſt ihrer Gefcbäfte warteten, ges
fangen und fperrte fie fo lange ein, bis fie fich mit
teitber Zahlung mieder Töfeten,
Da die Grafen von Holfkein vom Könige Magnus
in Schweden unterffüge wurden, nahmen die Städte
ihre Zuflucht zu des Neiches Oberhaupt, dem Kaifer
Ludwig von Bayern und deffen Sohn, Ludwig,
Markgrafen von Brandenburg, dem die Reichsvoigtey von
Luͤbeck übertragen war, Zweyhundert bayerifche und
ſchwaͤbiſche Reiſige unter der Anfuͤhrung des kaiſerlichen
Narſchalls Friedrich von Lacken vereinigten ſich
mit den Luͤbeckern und Hamburgern, fielen in das hof:
ſteiniſche Gebier und brandfibagten die Landgäter der
Edelleute befonderd, von mwelchen die Unficherheit der
Wege war befördert worden, König Magnus ließ nun
in Schweden mehrere Lüberfer Kaufleute verhaften, und die
Lübecker übten Vergeltung an den Schweden, die in
Handelsgefchaften herüber gefommen waren. Friedrich
von Lacken begab fich bieranf mit feiner Schaar nach
Dänemark, um den Schweden und Holſteinern, die
zum Heeringsfang an der Kuͤſte von Schonen fich ein
fanden, befchmwerfich zu fallen; auch nahm er einen
feften Thurm bey Copenhagen, welchen die Feinde ber
fegt hatten, und ſchickte mehrere Holfkeiner von Adel
gefangen nach Luͤbeck, für welche er ein’ gutes Loͤſegeld
zu erbeben hoffte, Ein Verſuch des Abtes von Rein
felde, die Streitigkeiten in Guͤte beyzulegen, blieb ohne
Erfolg: der Kaifer ſandte daher den Grafen Guͤnther
von GSchwarzburg, der ſchon bey früheren
w ee,
„u.
216 Verträge mit den Grafen ‚gegen
Gelegenheiten als ein kluger und umfichtiger Unterhaͤnd⸗
ler fich bewahre haste, und der Markgraf den Ritter
Henning (Johann) von Buch nach Lübeck mit dem
Auftrage, die Jrrungen zwiſchen ben Grafen und deu
Städten gürlich zu fehlichten, falls aber eine Berföhr
nung nicht gelinge, die Bürger mit gemaffneter Hand
zu ſchuͤtzen. Die Beſoldung aber der Krieger, welche
‚mit ben, gefandten» Herren gekommen, oder melche, in
Hoffnung reicher Beute, frevwillig in den Dienſt der
Stadt getreten waren, trugen eben fo fehr dazu bey,
den Unmuth der Bürger zu vermehren, als dieſe iiber
den Tangfamen, fruchtlofen Gang der. Berbandlungen
erbittert waren und Die Abgeordneten beſchuldigten, daß
ſie mehr fuͤr den Vortheil der Grafen und Adlichen,
als der Städte eingenommen wären. Der Vergleich,
welcher endlich (den ızten October 1342) geftbloffen
wurde, trug weber die Zufriedenheit dev Städte, noch
die der Grafen davon, da beyde fich beeinträchtiger zu
finden glaubten, nach der Ordnung der Dinge, wo
Streitende ohne Nachgiebigkeit von beyden Seiten nicht
vereiniget werden konnen. Auch mit der Krone Schwe⸗
den wurde durch Vermittelung des Grafen Guͤnther und
des Herrn Albrecht von Mecklenburg, des Königs
Schwager, zu Helſingburg, ein Friedensvertrag ges
ſchloſſen, (den 17ten July, 1343) und die alten Privi—
Jegien erneuert, Dur die Raͤubereyen auf den Land⸗
firaßen wurden noch immer, wie zuvor, geübt, da die
Eaiferlichen Abgeſandten Luͤbeck kaum verlaffen hatten,
Die von Krummendiek, von Borsfelde, von Dlaufen:
berg und von Mußhard plünderten die Kaufleute, mit
“
die Rauberenen des Adels. 217
exneueter Buch, um fich wegen des in vermichener
Fehde erlictenen Verluſtes zu entſchaädigen. Es wurde
demnach 1343, den ‚ızten December, eine neue Tag-—
inbre ( Thohopeſate) zu Luͤbeck gehalten, zu welcher ſo—
wohl die holſteiniſchen Grafen, Johann, Heinrich, Claus
und Gerhard, als auch von Hamburg die Bevollmaͤch⸗
tigten, Jo hann Miles und Hellingborn von
Setfeldt ſich eingefunden hatten. Man vertrug ſich
dahin, die Stoͤhrer der oͤffentlichen Sicherheit durch
vereintes Zu ſammenwirken auszurotten; die Grafen ins⸗
beſondere verſprachen, den Schaden, welcher von ihren
Landſaſſen ſeit getroſſenem Waffenſtillſtande den Staͤd⸗
ten zugefügt worden, zu verguͤten, den kuͤnftigen frie⸗
bensbrüchigen Unternehmungen. vorzubeugen und den
Klagen der Kaufleute, wofern neue Beleidigungen ſtatt
fanden, binnen ſechs Wochen Gerechtigkeit zu verfihafz
fen; bey welcher Verhandlung ſich Johann von Ga-
dendorp nebſt achtzehn anderen — für. die
Grafen verfi icherten, EIERN
- Der Erfolg. diefer Verhandlungen war nur in ſo⸗
fern günflig, als die graflichen Herren des Landes fich
dadurch beffimme fanden, bey dem Rechten zu halten
und an den ‚Ungerechtigkeiten der im Lande herumſtrei⸗
fenden Freybeuter „Leinen „weiteren Antheil zu nehmen,
Denn niche nur an. der fachfifchen Grenze trieben meh:
rere von Adel das Unweſen fort, vom Herzog Erich
ſelbſt ermuntere und unterflügt, fondern auch im Hol:
fteinifchen verübten, die von Zyler, Tralow, Zabel,
Hummersbüceel und andere Raub und Plünderung an
den Kaufleuten, wie an den Guͤtern ihres eigenen Herrn,
218 Wohltorp und Stegen genommen und
des Grafen Heinrich. Befonders harten fie fich an der
Dberatfter feftgefege, zu Wohltorp und Stegen,
hatten dafelbft einen Damm vorgebauet, und das Waſ⸗
fer fo zum Stauen gebracht, daß es weder zum Fahren
noch Muͤhlentreiben ficher oder tichtig war, Der Scha—
den allein, welcher dadurch den Dörfern des hamburgis
fiben Dom : Capituld zugefügt worden, wurde auf
2255 Mark 8 Schillinge gerechnet, eine große Summe
su jener Zeit. Es vereinigten fich demnach die Grafen
Johann, Heinrich und Gerhard 1347 aufs Neue
mit dem Rathe und der Bürgerfchaft, zur Vertilgung
und Austottung jener Frevler und ihrer Hehler und.
Anhänger, und e8 wurde feffgefeßt, den Damm zu
vernichten, damit die Alfter ihren freyen Gang
habe, und daß Keinem in Zufunfe wieder vergönnt
werben folfe, eine Veſte an der Alfter zu erbauen, oder
diefe zu verdeichen, eine Verplankung oder Befriedigung
des Ufer etwa ausgenommen. Wohltorp minde
fofort zuerft angegriffen, erobert und dem Erdboden
gleich gemacht. Da aber das feſte Schloß Stegen
ſich Tangere Zeit mit Hartnaͤckigkeit vertheidigte, fo
wurde durch den König Waldemar II, von Dänes
mark ein Vergleich vermittelt, nach welchem der Be
fiser, Johann Hummersbürttel, gegen 5000 Mark
Silbers die Veſte raumen und mit den einigen Die
ganze Gegend verlaffen mußte. Hierauf ward auch
Hobenftegen /abgebrochen und gefehleift und iſt niemals
wieder aufgebamer worden. Das Wohltorpifche Gebiet,
das auf ſolche Weife an Hamburg Fam, wurde befor-
ver in der Folge durch den Ankauf der ubrigen
jerftört, bis zum Jahre 1349. 219
umliegenden ablichen Güter noch mehr ermeitert, und
dıe Alſterfahrt blieb damit der Stade Hamburg gefichert.
Der räuberifche Landadel trieb feim verhaßtes Ges
werbe mie jener hartnaͤckigen Beharrlichkeit fort, welche
allein aus der Selbftüberredung nicht bloß des Er.
Iaubten, fondern auch des Rechten, bervorgeben kann.
Die Sitte des Raubens war erblich, mie der Adel“
ihrer Geburt: eim vermeyntliches Vorrecht wurde in
verfchönerndem Nabmen eingefleider, da es mit der
achten Benennung an Niederen firafbar ‚erfunden wurde,
Das Stehlen war, als Erzeugnif der Feigheit oder
des Mangeld an Kraft dem Adel verachtlich: er legte
fich auf Keuterey, Tebke vom Gtegreif oder vom Sat:
tel. Der aufblühende Wohlſtand der“ Handelsftädte
erregte ohnehin deſſen Eiferfucht, der Geldſtolz der
reichen Kaufleute, in den Augen des Adels nur niederer
Bürger, Erbitterung; aber die gebietende Mode des
Tages, die immer mehr zunehmende Pracht in Kleidung
und Hausgeräth, in welcher die Bürger ſelbſt voran:
singen, machte die Waaren unentbehrlich, welche dem
reifenden Kaufmann mit Gewalt abzunehmen der kuͤr⸗
sefte und bequemfte Weg ſchien. Uebten doch die Städte
nicht ſchonende Vergeltung, und mo fie einen Raub:
Edelmann in ihre Gewalt befamen, trugen fie fein Be
denfen, ihn am den erften beften Baum zu knuͤpfen,
oder durch das Schwert bhinrichten zu Taffen. Als
jeßt die Wege im Holſteiniſchen einigermaßen gefichere
waren, nahmen im Lauenburgifchen und Mecklenburgis
ſchen, wohin fich diefe Edlen geflüchter hatten, die
erneueten Befehdungen um fo ſtaͤrker uͤberhand. Nur
220 Fortdauernde Naubereyen und
mit vereinter Anſtrengung und rafcher Thatigfeit konnte
man diefem Unweſen engere Grenzen ſetzen. Vom Sabre
1349 werben neun Raubfeblöffer genannt, die von den
verbünderen Städten und Fürffen von Sachfen und
Holfkein zerſtort wurden: unter dem DBenffande der
Hamburger bemachtigten ſich die Luͤbecker befonders des
feften Li nau, von wo aus bisher die aͤrgſten Greuel
verübt worden waren, Sie verfolgten hierauf die Räus
ber nach Mecklenburg, wo fie bey den Herren des Lan⸗
des Schug und Aufnahme , gefunden. hatten und zer⸗
truͤmmerten auch dort mehrere Veſten. Der Landfriede
wurde auf mieberholten Tagdingen zu Luͤbeck erneuert
und befchworen, dem Uebel jeboch fo wenig damit ab-
geholfen, ald mit dem. Faiferfichen Freyheitsbriefe, wel⸗
cher von Cart IV, im Jahre 1354 der Stade Hams
burg ertheift wurde, daß dieſelbe ermaͤchtiget und ber
auftragt fey, alle See» urd Straßenrauber in ihrem
Gebiete aufzufuchen „ zu. fangen, und fammt ihren Hel-
fershelfern mit. gebührender Strafe, den heiligen Ge:
fegen. gemaß, zu belegen, Es iſt leichter, Erlaubniß
zur: Selbſthuͤlfe zu ertheilen, wo man um chätigen Bey-
ſtand und kraͤftig durebgreifenden Schug angefprochen
worden ift, In den Jahren 1354 bis 56 wurden aber
mahls mehrere Schlupfwinkel jener Straßenräuber aufs
gefucht und zerſtoͤrt. Auf einer großen Tagfahrt zu
Luͤbeck 1357, auf welcher der König von Danemarf,
der Markgraf von Brandenburg, die: fächfifchen Her—
zoge, die Herren von Mecklenburg, bie. bolfteinifchen
Grafen, die Abgefandten der Städte verfammelt waren,
werabrebete man nochmahls gemeinfchaftliche Maaßregeln
wiederholte Maaßregeln dagegen, 221
zur Erhaltung der Ruhe und der Sicherheit der Länder:
indeffen waren vielleicht das Beſte dabey die ſchönen
Kitrerfpiefe und fröhlichen Tänze, womit die ernjteren
Birbandlungen Begleiter wurden. Doch febeine ed, als
ob feit diefer Zeit der Landfriede in den Gegenden von
Holftein wenigſtens feltener geflöre worden fey, wie
wohl erneuerte Zuſammenkuͤnfte und Verträge eben fü
nöthig wurden, als fie Dann in ber allgemeinen Ver—
wirrung der Zeit durch Nichtachtung fich wieder verloren,
Hamburg hatte fich auf die erjahlte Weife in den
fiiberen Befig der Alfter zu jegen gewußt: es war
natürlich, daß es auch nach der anderen Randfeite bin
fein Gebiet unter Benutzung günftiger Umſtaͤnde zu er
meitern ſuchte. Suͤdoͤſtlich von der Stadt an den Nie:
derungen der Bille bin dehnte fich eine weite, dichtbe—
wachfene Holzung aus, in Altdeutfcher Sprache Ha m me
genannt, von welcher die alte Waldburg ſelbſt in frühefter
Zeit ihren Nahmen erbaften hatte. Diefe Waldung,
weiche ſich bis nach Horn hinaus erſtreckte, — Horn
bezeichnet die Ausdehnung in einem Winkel — wurde
allmaͤhlig von den daſelbſt ſich anſiedelnden Bewohnern
ausgehauen, ſo wie man auch die Landſtrecke nach der
Bille hin dadurch urbar zu machen bemuͤht war, daß
man ſie durch Abzugsgraben vom Waſſer befreyete und
als fruchtbare Laͤndereyen benutzte. Durch Schenkun⸗
gen und Vertraͤge kam dieſe Gegend in den Beſitz ver
ſchiedener Eigenthumer, unter welchen des Geſchlechts
der Edlen von Hamme, als von ihrem Gute fo ge⸗
nannt, mit befonderer Auszeichnung gedacht wird. Der
legte Stammhalter diefes Gefchlehtd, Adam von
222 Hamm, Horn und der Hammerbroof
Hamme, verfaufte im Jahre 1338 fein Eigenehum
unmittelbar an den. hbamburgifchen Buͤrgermeiſter, Jos
hann von, Horborch, doch gab der Käufer, nach üblicher
Gitte, nur den Nahmen ber, eigentlih hatte die
Stade das Gut. mit den drey Morgen Landes, acht
Karben, allen Ländereyen, Ober⸗ und Wiedergericht
u. ſ. mw. erfinden, die einzige Holzung Herzebruck
ausgenommen, die Graf Adolph ſich vorbehalten
hatte, Graf Johann überließ darauf 1346 die in
Horn in der Gegend des genannten Eckholzes, das am
Waſſer liegt, zwiſchen Schiffberf und dem Hammer
broof bis an die Bille fich hinziehenden Wiefen und
Gärten fäuflich dem hamburgifchen Rathsherrn Helling-
born von Hetfeldt. Endlich aber verkaufte Graf Adolph
vollends im Jahre 1383 dem Hamburger Rathe ganz
Hamm, Hornundden Hammerbrook — (Brook
iſt niedriges, von Waſſer unterlaufenes Erdreich) mit
den zubehörigen Wardern, (Inſeln) namentlich Bullhorn
und Boytzenwaͤrder, den Holzungen. und Wiefen, die
außerhalb des Deiches gelegen find, big an die Bille,
nebfi der Fahre des Ausfchlages, mit Ober⸗ und Nies
dergericht und allen übrigen. Gerechtſamen. Der Kaufz
preiß war 650 Mark baare Pfenninge, mit Vorbehalt
des Einloͤſungs- und Wiederkaufs-Rechtes, welches
jedoch zu keiner Zeit je zur Auskunft gekommen iſt.
Noch zwey Jahre nachher, 1385, verkaufte ein anderer
Eigenthuͤner, Marquard Wildehöver, Bürger
zu Hamburg, dem Rathe daſelbſt alle ſeine Guͤter,
welche er zu Hamm beſeſſen, mit Höfen, Karben, Aeckern
und allem Zubehör für 2500 Mark, fo dag auf folche
und Billwarder fommen an Hamburg. | 223
Weiſe der ganze Landffrich dem Eigenthumsrecht und
der Gerichtäbarfeit der Stade nach Kauf und Vertrag
ehrlich und gefegmaßig unterworfen wurde.
Am Tage des heil, Lucas des Jahres 1383 hatte
Graf Adolph Hamm verkauft; aber fihon zu or
. bannis deffelben Jahres trieb ihn Geldnoth oder. befon-
deres Wohlmollen zur Entäufferung des Biflwarderg,
welcher mit den Innens und Auffendeichen, mit
Waſſer und Fiſchereyen, Weiden und Wiefen und allem
Zubehör, allen Rechten und Freyheiten an Die be—
fibeidenen Rarhmanner Albert Hoyer und Johann
Hoyer für 2400 Lübifcher und Hamburger Pfenninge
pfandmweife überlaffen ward, mit Vorbehalt des Rechtes
der Wiedereinlöfung. Der Billmarder ift das große
Marfchland, das fich zwey Meilen lang von Hamburg
aus big gen Bergedorf zwifchen der Bild und dem
einen Elbarme hinzieht, der weiter hinaus mic dem
Nahmen der Dove = Elbe unterfchieden wird. Im
Sabre 1395 übertrugen die genannten beyden Rathmaͤn⸗
ner ihren Befig diefer Landgegend mit 100 Mark Bor;
theil an die Stadt, unter Beſtaͤtigung der Grafen
Otto und Bernhard, Gebruͤder, mit Zuſtimmung
ihrer Vettern, Claus, Gerhard und Albert, Auch
dießmal bebieften fich letztere das Einlöfungsrecht bevor;
da dieß aber fo wenig von ihnen, ald von ihren Nach:
kommen benugt wurde, blieb die Stadt nach dem
Rechte der Verjährung im ruhigen Befige des Landes
für alle folgenden Zeiten. gefichert. Somoht der hohe
Kaufpreis, als die vor der Verkaufszeit bereits geſche—
bene doppelte Eindeichung dieſes Waͤrders laßt vermuthen,
222 _ Billwarder und Ochſenwaͤrder.
daß diefes fehöne, Fruchtreiche Marſchland fehon Früh:
zeitig angebauet und bewohnt geweſen fey. Einer Kirche
daſelbſt gejchieht zuerft 1402 Erwähnung, in welchem
Jahre ein Vergleich zwifchen den Kirchengefchworenen
von Billen» Kerken und dem Rector der Pfarrey
Nygenſtadt GNienſtaͤdten) im der Kremper Marſch
geſchloſſen wurde uͤber eine Holzlieferung, die zum
Aufbau der Billwaͤrder⸗Kirche von Nienſtaͤdten vorge—
ſtreckt worden war. Die hamburgiſchen Rathmaͤnner
gelobten, die 40 Mark betragende Schuld, falls die von
Billwaͤrder ſie zur rechten Zeit nicht bezahlen wuͤrden,
ohne Verzug durch Pfaͤndung einzutreiben. Vermuth⸗
lich war es eine Claus-Capelle, die zu Ehren des
Schutzheiligen, welcher den See» und Flußfahrern
vorſteht, erbauet wurde. |
Jenſeit des Elbarmes, welcher den Billmarder ab
fcheider, dehnt fich eine andere Elbinſel aus, die mit
dem nachmahls fogenannten Spadenlande und Ta-
tenberg unter dem allgemeinen Nahmen Och ſen—
warder begriffen wurde. In alteren Urkunden wird
dieſe Gegend auch Inmärder und Avensberg ge
nannt und gehörte in geiftlichen Dingen zu dem Capttul
zu Berden. Ein alter Erlaubnißbrief von Heinrich,
Dechanten des Verdenſchen Capituls, vom Jahre 1252,
bemweifer, daß es ſchon damahls anf diefer Infel eine
Kirche, dem heil, Pantratius geweiht, eine Pfarrey und
einen Sprengel gegeben baden muͤſſe. Denn dem dorti—
gen Plebanus Rudolph, der nach der Vorſchrift mit
feinen Beichtkindern jahrfich zweymal zur Synode vor
dem Archidiafonng zu Hitfeld erfcheinen follte, wurde
N
Der Debfenwärder Fomme an Hamburg. 225
geftatter, in Berracht der vielen Heberfchwenmungen
und Waſſergefahren der Umgegend, jährlih nur Eins
mal fich zu ſtellen. Vielleicht, daß die Gegenwart des
Mieſters auf der Infel auch aus anderen Gründen für
nothwendig erachtet wurde, denn die Bewohner waren
ein rauber, fraftig fih fühlender Dienfchenfchlag, deren
bergebrachte wilde Sitten. einer geiſtlichen Aufficht und
Hemmung wohl bedurften, Die Einwohner auf Moors
wärder und Gtillborn, h. 3 T. Wilhelms
burg, waren in die Kirche zu Avensberge auf Ochfens
waͤrder eingepfarrt, bis zum Jahre 1388, mo fie fich
mit dem Prediger Johann vertrugen, gegen Erlegung
eines jahrlichen Opfers von 6 Mark Limeburger Pfen—
ninge eine eigne Kirche fich erbauen zu dürfen. Die
Inſel war übrigens bis an den im Oſten anſtoßenden
Kirchwarder bis gegen das Ende des vierzehnten Jahr⸗
hunderts ein Eigenthum der holſteiniſchen Grafen,
werche einzelne Landereyen, Zehnden und andere Ges
rechtigkeiten an hamburgiſche Eigener theils verſetzt,
theils ſonſt veraͤußert hatten, bis endlich die Gebruͤder
Otto und Bernhard in demſelben Jahre, als ſie
Billwaͤrder abtraten, 1395, auch den Ochſen⸗ und
Moormwärder mis allen: Ländereyen, Binnen» und
Auffen-Deichen u, ſ. w, an den Rath und die Gemeine
zu Hamburg für die Summe von 1000 Mark zu einem
rechten Erbfaufe reblich und rechtlich übertrugen, Zwar
hatten fie auch bier das Wiedereinlöfungsrecht in den
Kauf mit einbebungen: aber es finder fich feine Spur,
dag ihre Nachkommen je daffelbe zu benugen den thaͤti⸗
gen Willen geäußert hatten, |
15
226 °: Glindesmoor oder Moorburg
Die bisher genannten Warder Tiegen an dem dieſ—
feitigen Ufer des Elbſtromes: zur größeren Sicherftel-
lung und Bequemlichkeit der Schifffahrt Fonnte es den
Hamburgern nicht anders, als angenehm ſeyn, wenn
fich Gelegenheiten darboten, ihre Befigungen auch bis
an das jenfeitige Ufer zn erweitern. Dahin gehörte
sunächft das an dem Güder- Arme der Elbe gelegene
Land Moorburg, in den älteren Zeiten Glin des—
moor genannt und damahls eine rauhe Wildnig und
grundlofer Moraft, wie auch der Nahme fihon an-
. deutet, denn Moor ift ein fumpfiges Land voller Un-
tiefen und Pfuhle. Alte Nachrichten fprechen von einer
daſelbſt einſt vorgefalfenen blutigen Schlecht zmifchen
den Danen und Sachfen. Ein Schwarm der daͤniſchen
und normannifchen Freybeuter war von der Wefer ber
auf-feinem verheerenden Ruͤckzuge durch die bremifchen
Gegenden begriffen. Mit reicher Beute beladen und
vielen Gefangenen kamen fie big hieher ins Glindemvor,
Als fie nun hier einen fachfifchen Krieger, Nahmens
Hermward, der unter den Gefangenen war, zum Weg»
weifer nahmen, führte fie diefer durch die unwegfamffen
Stellen des Moores, im welchen fie ganz ermüder von
den Sachfen, denen Herward ohne Zweifel KRundfchaft
gegeben hatte, plößlich überfallen, zerftreuet und nier
dergemache wurden, fo daß in dieſem Gemeßel an
20000 Dänen umgefommen feyn follen. Der Nahme
Herward wurde in der Folge von den Sachfen in ihren
Gefangen hoch gepriefen und der Nachwelt überliefert.
Auf diefem Glindesmoor erbaueten in der Folge die
Hamburger zum Schuß der Elbe, zumal da fie die
fommt an Hamburg 1390 ic, 227
Eniferfiche Vollmacht erbalten hatten, die GSeeräuber
aufjufuchen und zur vertifgen, eine Burg, von melcher
das Land den nachmals üblichen Nabmen Moorburg
erhalten hat. Dieß geftbab im Jahre 1390, nicht
ohne heftigen Widerfpruch des Herzogs Heinrich von
Braunfchmweig- Lüneburg. Da fie aber die Zuffimmung
des Edlen von Hitzacker cHiddesaker), dem
das Grundftüc gehörte, fich zu verfchaffen gewußt
hatten und auch die Einwilligung des Herzogs durch
Geld zu erfaufen war, fo blieben fie im ungefförten
Befig der Burg und des anliegenden Gebietes. Mehrere
der nördlichen Warder harten febon früher zum hamt«
burgiſchen Erzbisehum gehört, Die Infel Kirchhof,
jege Neuhof, hatte bereits in uralten Zeiten eine
Kirche, welche, mie man vermuthet, von den Weber:
ſchwemmungen weggefpült worden iſt. Der Finfen
wärder bat wahrfcheintich vordem den Schauenbur—
gern ganz gehört, nud Fam im vierzehnten Jahrhundert
durch einen Grenz⸗Vergleich, der verloren gegangen iff,
zur Hälfte an das Haus Lineburg; im Jahre 1390
verkauften die Herzöge Bernhard und Heinrich diefen
ihren Antheil auch an Hamburg, doch mit dem Vorbes
halt der Wiedereinlöfung, welche in der Folge wirklich
ſtatt gefunden hat. Die Schauenburgifihe Hälfte aber,
die nördliche, "wurde erſt fpaterhin der Stade überlaf-
fen und iſt im Beſitz derfelben geblieben. ”
Eine Bemerkung , welche ſich nach diefem Weber:
‚ blick, wie Hamburg im Berlaufe des vierzehnten Jahre
bundert8 faft nach allen Seiten ringsum fein Gebiet
allmahlig erweiterte, von ſelbſt aufdringe, iſt zugleich
15*
228 Berührungen mie den Stabern
die reinfte und ungefuchteffe Lobrede auf die Gefinnung
und Denkungsart feiner früheren Bewohner, Der ein
fache, ſchlichte Verſtand der befcheidenen Bürger traf
‚mit. der Meberzeugung derer, welche zu allen Zeiten als
die fcharffinnigften und redlichfien Denker gegolten ha⸗
ben, in der Wahrheit zuſammen, daß Eroberung
in alle Ewigkeit hin kein Recht begruͤnden koͤnne,
weil in ſo vermeyntem Rechte ein Kampf Aller gegen
Alle verkuͤndigt ſeyn würde: darum wollten ſie auch da,
wo ſie eine Burg oder Landſchaft nicht angriffsweiſe,
ſondern in Vertheidigung, nach vielfach erlittenem
Schaden mir. den Waffen in ehrlicher Fehde gewons
nen hatten, doch Diefelben nicht befigen, ohne fie durch
friedlichen Vertrag um theuren Preiß zu erkaufen.
Diefe Rechtlichkeit der Gefinnung mar die Grundfefte,
anf welchem das Eleine Staatsgebaͤude errichtet wurde;
und die Sicherheit deffelben Fonnte mie, denn nur durch
freveinde Gemwaltthätigfeit, gefaͤhrdet werden, da zu
feiner Zeit von irgend einem anderen Rechte die Nede
war, als deſſen mwohlerworbener Beſitz durch Die hei-
ligften Verträge, durch die buͤndigſten Urkunden erwie—
fen werden Fonnte, Die Weisheit führe ihre jüngere
Schweſter, die’ Klugheit, flets in ihrem Gefolge und,
zeige fie durch den Abglanz ihres wohlthaͤtigen Lichtes
nur in um fo fehönerer Anmuth, da hingegen diefe ohne
die Führerin bald durch Leichtfinn, bald durch vorlaute
Keckheit über lang oder * ihr — Verderben
Peigitet. /
Die Berührungen ‚ in welche Hamburg fofore mit
Naben und Fernen Fam, entſtanden Tediglich aus der
und Bewohnern des Bischums Bremen, 229
Kichtung der Tharigkeie feiner Bewohner, aus deren
Gewerbfleiß , Handel und Schifffahre. Mit den benachs
barten Stadern gerierben fie in Zwiſtigkeit wegen des
Werks oder Bakenzolles, dem fie zur Unterhaltung
m Anlagen auf der Infel Neuwerk von den
der Elbe aufs und abfahrenden Schiffen dort zu
fodern pflegten: die Stader weigerten fich nicht nur
felbft diefer Abgabe, fondern wollten auch die Strand
Friefen, welche ihre Märkte befuchten, davon befreyt
wiſſen. Die Beſchwerden wurden endlich 1340 von
Schiedsrichtern unterfucht und die Sache in Güte ver
glichen, Anhaltenden Verdrußerregte Bremen. Dort,
wo heut zu Tage die billigften Gefege zum Beften der
Schiffbruchleidenden gültig find, berrfchten von frühes
fier Zeit an die gemwaltthätigften Beraubungen an ges
firanderen Gütern und Perfonen, und nicht die Vers
wandtſchaft Hamburgs mit jener Stadt in Hinficht des
erzbifchöflichen Stuhles, nicht die 1297 und 1301 ers
neireten Vereinigungen zur mechfelfeitigen Erhaltung
guten Vernehmens und zur Beförderung des Handeld,
nicht die Verordnungen des Gardinald Guido, deren
oben Erwahnung gefchehen, nicht die wiederholten Ber
fehle der Paͤbſte hatten gegen diefes Hebel einigen Schuß
von Dauer verfehaffen können, Das öftere Gelingen
ſchlechter That erhoͤhet die Keckheit bis zu ſchamloſer
Verlaͤugnung der heiligſten Pflichten der Menſchlichkeit.
Die Ungerechtigkeiten haͤuften ſich, eine immer ärger
als die andere. In den Jahren 1372 und 73 fielen die
Beamten des Erzbiſchofs unter feiner Beguͤnſtigung
und Aufmunterung niche bloß über geſtrandete Schiffe
230 Verträge mit dem Bremer Bifchof,
ber, fondern höhnten mit uͤbermuͤthigem Angriff ham
burgifche Bürger fowohl, als fremde Kaufleute, welche
zur Elbe herauf mit ihren Waaren an die Stadt zu
fommen pflesten. Sogar der — „ehrwürdige Water
ſelbſt“ —, Ersbifchof Albert, ald er im Jahre 1373
im April in der Kirche feines Schloſſes zu Verden,
um Geiftliche zu weihen, mit dem bifchöflichen Schmuck
angetban war, ließ einen Schüler vom geiftlichen
Stande, Luͤneborg, der zum Studiren nach Oxfort
wollte, und von Hamburg kam, ohne irgend gerechte
Urſache in der Kirche greifen, ins Gefangniß fchleppen,
und in eiferne Ketten fchließen, um fich des Geldes,
das er bey fich führte, 200 Marf, und feiner Güter
su bemachtigen und 600 Mark Löfegeld von ihm zu er
preſſen. Solcher Gewaltthaͤtigkeiten müde wandten fich
die Hamburger an den Pabſt ſelbſt, und Gregorius VIII.
fprach im Fahre 1375 mit gerechter Strenge den Bann
fluch über die Frevler aus, ſo wie fie auch in dem
1382 gefalten Endurteheile zum Wiedererfaß der ges
nommenen Güter und zur Zahlung aller Koften des
Prozeſſes verureheift wurden, Der Erzbifchof Albert
II., nun endlich überzeugt, — ‚daß es feine Pflicht
fey, für das Heil Aller mit der thaͤtigſten Aufmerk-
ſamkeit Sorge zu tragen, und was. dem Gefege, der
Gerechtigkeit und den guten Sitten entgegen fey, mit
Fleiß zu vernichten und auszurotten, zu mahl wenn
er durch befonderen apoſtoliſchen Befehl dazu
verpflichte worden, — Tieß auch im Sabre 1387,
den häufigen Klagen der „vielgeliebten“ Bürger von
Hamburg absuhelfen, zur Sicherheit der Schifffahrenden
ben Diebmarfchen, Schlefwig ꝛc. 231
einen geſchaͤrften Befehl ergeben, um der verkehrten
und abfeheulichen Gewohnheit (perversa et exsecrabilis
consuetudo) die gebührenden Schranken zu fegen. —
Mit den Gemeinden in Ditbmarfchen hatten 1367
und 77 neue Verträge gefcbloffen werben müffen, welche
jederzeit auf vorangegangene Ungerechtigkeiten, gegen
die Stadt verübt, zuruͤckſchließen laffen, und noch. im
Sabre 1384 verglichen fich die Vorſteher der vornehm—
ften Drefcbaften in diefem Lande mittelft eines befondern
Bertragd mie Lübef, Hamburg, Lüneburg, Stade,
Buxtehude und Itzehoe zur Sicherſtellung und Hülfes
leiftung gegen die. Schiffenden. — Der Herjog Hein
rich von Schleßwig ertheilte im Jahre 1366 den
Bürgern und. Kaufleuten der Städte Luͤbeck, Roſtock,
Stralfund, Bremen, Hamburg, -Kiel und anderer, „die
mit ihnen in dem Bunde, weicher eigentlich die deut-
fibe Hanfe genannt werde, begriffen feyen,‘ ein be
fonderes Privilegium, die Aufbewahrung und Wieder
berftellung der Schiffbruchsguter betreffend, — Ein
Schreiben der Herzogin. Adelheit von Pommern
vom Jahre 1387, wenn e8 acht iſt, weile die Befchuf-
ſchuldigung, als fey an den Küften ihres Landes Raub
an geftvanderem Gut begangen worden, mit einer einem
fürfflihen Gemuͤthe wohl anftehenden Empfindlichkeit
zuruͤck, „denn eine folche Handlung zieme weder. ihrem
Haufe, noch ihrer Ehre, und fey weder bisher je üblich
geweſen, noch werbe ed kuͤnftig werden; die Hambur:
ger hatten verwegener und unerlaubter Weife nur ihre
Ehre fihanden und. das Anfehen ihres Haufes unter:
drücken wollen ; Güter, die in Verwahrung ‚genommen,
232 Wachsthum der deutfchen Hanfe
- würden jederzeit am ihren rechten Eigenthuͤmer Biel
gegeben,
Am treueften hielt zu Hamburg die Schweſterſtad
Luͤbeck, und es find faſt keine Spuren aufzufinden aus
dieſem Zeitraume, daß die gegenſeitige Vertraguc
unterbrochen worden oder Widerwille der einen gegen
die andere entſtanden ſey. Dieſes Zuſammenhalten war
beyden Staͤdten in Hinſicht des auswaͤrtigen Handels
gleich vortheilhaft, da die Privilegien, welche die eine
erhielt, faſt immer auch der anderen zu Gute kamen.
Ueberhaupt ſehen wir nun die angeſehenſten See⸗ und
Handelsſtaͤdte ſich immer enger zu gemeinſamen Vortheil
‚verbinden und Die eigentlich fogenannte Hanfe tritt
bald in folcher Bedeutung ihrer Mache und ihres Anz
febeng hervor , daß von den Beherrfchern der verſchie—
denen Länder manche um ihre Freundfehaft buhlen, an⸗
dere aus Neid oder Furcht vergebliche Verſuche wagen,
fich ihrer wachſenden Größe zu widerfeßen.
Der Norden Deutſchlands fand ſich zu der Zeit,
wo Reifer und Reich im Weften nnd Süden und durch
unaufhoͤrliche Fehden im Innern beſchaͤftiget waren,
fo fehr feinem Schisffale überlaffen, daß ohne die kraͤf⸗
tigen Bollwerfe, welche diefe in Wohlftand blühenden
Städte bildeten, die Grenzen gegen die Nachbarflaaten
nicht hätten. gefchügt werden koöͤnnen. Die Bewohner
der Städte fühlten diefe Wichtigkeit ihrer Verhaͤltniſſe
und brachten fie fpaterpin gern zur Sprache, um fo
mehr, da fie niche ohne Kraftanſtrengung und ohne
Klugheit alle anmaßenden Zumuthungen hatten zurück
weifern fönnen, Immer noch. war für die Oſtſeeſtaͤdte
und ihr Verhaͤltniß zum’ Norden, 233
und fir Hamburg die danifche Macht die gefahrtichfte,
und die Anfprüche, welcherder Titel’ eines Königs der
Wenden und Slaven ausdrücte, follten um einiger Un—
falle willen «nicht aufgegeben werden. Aber theild die
waͤche der Beherrſcher, theils die rohe Zügellofige
sit der Vafallen und die Anmaßungen der Geifklichkeit
bauften Verwirrung auf Verwirrung, und verſchafften
den Städten Zeir und Gelegenheit, ſich immer neuer
Bortbeile und Privilegien zu bemachtigen, bis endlich
die daͤniſche Mache unter ; mehrere Herren zerſtüͤckelt
war, König. Ehriftopb II. 1332 mit Tode abging
und das Reich ohne Oberhaupt feiner ganzlichen — *
loͤſung nahe gebracht zu ſeyn ſchien.
Inzwiſchen waren ſeit 1319 die beyden
Norwegen und Schweden unter Magnus
Smäf vereinigt worden, und manche alſobald erlaſſenen
Befehle zeigten, daß man den Verkehr der Deutſchen
im Norwegen, ſtatt zu beguͤnſtigen, zu beſchraͤnken
Willens ſey. Beſonders war es nachtheilig, daß bey
den damaligen Unruhen in Daͤnemark die Provinz
Schonen, welche an den holſteiniſchen Grafen For
hann den Milden verſetzt war, der Bedruͤckuñgen
der fremden Beherrſcher uͤberdruͤſſig, ſich dem Könige:
Magnus unterwarf und auch vom Grafen Johanu
felöft, der wohl einfab, daß er das Land nicht werde:
behaupten können, tauflich an ihn uͤberlaſſen wurde,
(1332.) Die Dftieeflädte erfuchten den, neuen Beherr⸗
fiber um die Beflarigung ihrer zuvor genoffenen Han
delsfreyheiten, vergeblich: fie wurden hart angelaffen
und erreichten ihren Wunſch fo Tange nicht ;; big die
*
234 Kampf der Hanfe gegen Norwegen
Umftande zu ihren Gunſten fich änderten. Verſchiedene
Urfachen wirkten zuſammen, unglücflicher Krieg, der
Bann des Pabſtes, die Entfernung der beſſeren Rache,
Die Ausſchweifungen des Könige, am meiften der ger
genfeitige Haß zwifchen Norwegen und Schweden, daß
Unruhen und Zwieſpalt im Inneren des Reiches aus—
brachen. Auch die fürchterliche Vet, der ſchwarze
Tod genannte, welche um diefe Zeit den Norden vers
heerte, traf befonders die beyden Neiche fo, daß alle
Hoffnung zum Befferen hinſtarb. Nach dem Verlangen
ber normwegifchen Stande theilte Magnus feine Länder,
und ernannte den jüngeren Häfon 1343 zum König
von Norwegen, den älteften aber, Erik, zum König
von Schweden, mit Vorbehalt der Regierung für fich,
fo fange er noch am Leben bleibe, In diefer Noch vers
aͤnderte fich auch das Verhaͤltniß zu den deutfchen ‚Sees
ſtaͤdten; Magnus bewarb fich nicht allein um ihren
Beyſtand, fondern bemilligte ihnen zugleich alle zuvor
noch verweigerten Freyheiten und vermehrte fie, mie
fie irgend nur wuͤnſchen konnten. Der Friede zwiſchen
den beyden Theilen wurde, wie bereit oben gemeldet,
zu Heljingburg gefchloffen. Der zugleich ertheilte Frey
beitsbrief von demfelben Jahre 1343: ift den Dfffee
ſt aͤdt en ausgeftellt, nahmentlich Luͤbeck, Hamburg,
(das mit dahin gerechnet wurde), Wißmar, Roſtock,
Stralſund und Greifswalde, und den ſaͤmmtlichen Kauf:
leuten der deut ſchen Hanſe. Diefer Nabme
Hanfe, als bezeichnende Benennung eines folchen
Städtevereines erfiheint in den Privilegien, welche der
Bund von Auswärtigen Maͤchten erhalten, bier zum
N,
und Schweden; ihre Anerfennung ‘1343 ıc, 235
erftenmale, und daß er in derfelben Urkunde fünfmahl
wiederholt wird ,. laͤßt vermuthen, welcher Werth dar:
auf. gefege worden fey. Er bleibe nun auch zunachft
in den Privilegien, welche von den nordifchen Neichen
eribeift worden, berrfcbend, wie die Macht des Staͤdte—
bundes als einer gefchloffenen Körperfcbaft bier zuerft
ihre Anerfenuung fand: im Werften gefcbieht Das fpater,
Doch Iefen wir die Benennnng deutſche Hanfe auch
fibon in einem Fürfchreiben des Königs Eduard I,
von England an den König von Frankreich, vom Jahre
1315, in welchem der erffere die Zuruͤckgabe eines von
frangöfifchen Seeraubern nach Calais aufgebrachten
Schiffes verlangt, das von Kaufleuten der deutichen
Hanſe befrachter gemefen war. — Uebrigens fanden
weder Magnus, noch Schweden die verlorene Ruhe
wieder, Er felbft zerfiel mit feinen Söhnen, der über:
wiegende Einfluß feiner Gemahlin Blanca, befonders
aber die Abtretung der von Schweden fo theuer erwors
benen Provinzen Schonen, Haland und Blekingen an
Danemarf, erregten allgemeines Mißvergnuͤgen, fo daß
fein eigener Sohn Hakon von Norwegen ihn 1361
(ben: 17, Nov.) gefangen nahm und auch von den
Schweden, da Erik, deſſen Bruder, vormaliger Mit
berrfcher feines Baters in diefem Reiche, Drkenähe
war, als König anerfannt wurde
Wahrend Diefer Unruhen im Schweden und Nor:
megen war in Danemarf mieder eine beffere Ordnung
entfianden. Die Wiederherftellung dieſes Reichs war
das Werf des von den Dänen felbft aus Deutfchland
zuruͤckberuſenen Sohnes Chriftoph des IL, Walde:
236 Waldemar III. ſtellt das danifche Reich
mar IV,, wie er fich ſelbſt nannte, bey anderen der IL.
mit dem Beynahmen: Atterdag, deſſen Abfiche zuerſt
dahin ging, die zerſtuͤckelten Theile wieder zu ſammeln
und ſo ſein Koͤnigreich von Neuem zu ſchaffen. Indem er
die entfernteren Provinzen durch Kauf oder Tauſch ab-
mar, wandte er feine Aufmerkſamkeit vorzüglich auf
Die der Krone entriffenen Lander, welche den Kern des
Reiches ausmachten, und brachte‘ diefe theild durch
Huge Unterhandlungen, theils durch Gemalt wieder
zuruͤck; mit Thaͤtigkeit und Strenge hielt er die Unter⸗
thanen und Beamten zu ihrer Pflicht an und die aus—
brechenden Empörungen dampfte "er durch Muth und
Weberrafchung. Die deutſchen Städte blieben nicht
gleichgüftig bey dieſen Fortſchritten der danifeben Macht
und fchloffen fich eben deshalb naher an Schweden und
Norwegen an, fo wie fie auch niche verfaumten, an
verfchiedenen Empörungen gegen Waldemar heimlich
Antheil zu nehmen. Indeſſen herrſchte noch nicht die
Eintracht und der Ernft bey ihnen, der erfi, als des
Königs großes Gluͤck fie aufſchreckte, eintrat, die Ber:
bindung zwiſchen ihnen enger ſchloß und zu einem, big-
ber noch nicht bemerfsen Anfehen erhob. Waldemar.
namlih, die Schwäche des Königs Magnus benußend
und durch das geheime Einverffändnig mie der Königin
Blanca begünftiger feste fich mir Gewalt in den Beſitz
der Zander, welche ihm zuvor im Gtillen abgetreten
worden waren, Gchonen, Halfand und Blefingen.
Darauf fiel er auch Deland und Gothland mit bewaff-
neter Hand an und eroberte auf dieſer Inſel die reiche,
Handelsſtadt Wisby, wo feit langer Zeit die deutſchen
wieder ber + die Hanfe rüfter füch gegen ihn. 237
Seefahrer und Kaufleute ihre bedeutendfien Niederlaß
fungen hatten, Bor den Mauern farben im Kampfe
gegen Waldemars Heer 1800 Bürger, Deutſche und
Gotblander. Unermeßliche Beute fiel im des Siegers
Hande. Er ließ darauf die Mauern fcbleifen, vereinigte
die beyden Eylande mit der Krone und nahm den Titel
eines Königs der Gothen an, Diefe Begebenheis fallt
in das Jahr 1261. ,
Diefer raſch geführte Schlag erweckte die beuefihen
Gemeinden aus ihrem Schlummer, Sie hatten nicht
nur bey Wisby's Plünderung ſelbſt an ihrem Eigen»
thum gelitten, auch das unverfchufdere Keiden ber uns
glücklichen Schweiterftadt foderse zur Nache auf, Die
Schweden, welche am meiften Urfache hatten, die Vers
treibung de3 gefährlichen Nachbars zu wuͤnſchen, ers
fannten des Magnus Sohn, Haͤkon als ihren König
an und fchloffen mit Zufage der guͤnſtigſten Bewilligun⸗
gen, welche die drangende Noth anrierh, ein Bündnif
mie den deutfchen Städten. Der Vertrag wurde uns
terzeichnee zu Greifswalde, 1361, am heiligen Abende
der Geburt unferer lieben Frauen; Die ‚Städte aber,
mit welchen die Verbindung eingegangen wurde, heißen
in der Urkunde die Städte bey der See, als „Luͤbeck,
Wismar, Roſtock, Stralfund, Greifswalde, Tanlym,
(Anklam) Stettin und Colberg.“ Da jedoch in den bey
derſelben Gelegenheit der „deut ſchen Han fe‘ ertheil⸗
ten Privilegien die Staͤdte Hamburg, Bremen und
andere nahmentlich mie nufgeführe werden, fo leider es
feinen Zweifel, daß auch diefe mir ihrer Macht an die
Berbündeten ſich angefchloffen haben, Die preufifchen
238 Krieg der Hanfe gegen den König
Städte hoben wenigſtens allen Handel mit Dänemark
auf und bemwilligten einen Pfundzoll. Zu den Städten
gefellten fich noch der Herzog Heinrich von Mecklenburg,
und der Graf Heinrich von Holfkein, letzterer der
Held von Creſſy und einer der tapferſten Ritter feiner
Zeit, der auch jege zum oberfien Feldherrn des Heeres
und der Flotte ernannt wurde: unter ihm befehligte
der Tüberfifche Bürgermeifter, Johann Witten:
borg. Die Verbünderen richteten ihren Lauf alfobald
nach Kopenhagen, nahmen Stadt und Schloß und ver-
wuͤſteten beyde; auch Deland und Gothland gewannen
fie wieder und fchlugen die danifche Flotte unter An—
führung des Prinzen Ehriffopher, der durch eine Stein:
kugel tödlich verwunder wurde, Als fie aber bey Hel-
fingburg ans Land fliegen, und ſorglos der Pluͤnderung
der Dörfer fi überließen, erſah König Waldemar
die Gelegenheit, überfiel ihre Schiffe im Sunde, nahm
fech8 der beften und verbrannte mehrere, fo daß die
Vebrigen Faum fich retten und nach Lüberf flüchten
konnten, Wittenborg, auf den die eigentliche Schuld
der Berfaumniß fiel, ward gefanglich eingezogen und
nach zwey Jahren auf —* Markte zu Luͤbeck ent
hauptet.
Die Staͤdte hatten indeſſen noch auf einige Zeit
den Zoll zu Helſingoͤr inne und erhielten außer. der Ber
willigung größerer Handelsfrepheiten in Schweden und
Norwegen auch die Inſel Bornholen, die ihnen zum
Erfag der Kriegsunfoften von Schweden war verpfans
der worden, Mit Danemarf ward ein Waffenſtillſtand
anf Ein Jahr, und darauf Frieden geſchloſſen, 1362 und
Waldemar II. 1361—1364, 239
63. Die Berbäfeniffe aber anderten fich auf neue, bes
denkliche Weiſe, als der König Hafkon, zugleich ver-
lobt mieder danifchen Prinzeſſin Margarerha, Wal
demar's Tochter, und mit der fihönen, geiftreichen und
frommen Gräfin Elifabetb von Holftein, der Schwer
ſter Heinrich’8, theils aus Furcht vor der deutſchen
Macht, theild auf Antrieb feiner Mutter Blanca, uners
wartet die Vermaͤhlung mit der erfteren volljog, 1363 am
Sonntage nach DOftern, und mit diefer Handlung dem
Biündniffe mie den Hanfeftadten entfagte, Die Großen
des Reiches, welche ſich mit ihrer Ehre für die Ver-
mäblung mit Elifaberh verpfander hatten, kuͤndig⸗
ten dem Könige den Gehorſam auf, erklärten Vater
und Sohn der Krone verluftig und übersrugen diefelbe,
da Graf Heinrich von Holftein fich mie feinem hohen
Alter entſchuldigte, dem Fürften Albrecht von Med:
lenburg, des Herzogs Albrecht mittlerem Sohne, wahr
rend fie den Vater felbft zum Reichsverwefer ernannten,
Die Diftfeeftädte aber veranlaßten eine engere Verbine
dung unter den Genoflen der Hanfa, dergleichen bisher
noch Feine fkatt gefunden hatte, Zu Coͤlln am Rheine
verfammelten fich die Abgeordneten derfelben, im Jahre
1364, und festen nach getroffenen Unterhandlungen in
einer fchriftlichen Urkunde feft, zur Erhaltung ihrer
Nechte und Freyheiten, ihres ftadeifchen Gemeinmwefeng,
zur Ausbreitung und zum Schuß ihres Handels fich ges
genſeitig Hülfe zu Teiften und zu Einem Bunde zuſam⸗
men zu halten, Es war dieß der erfie Vertrag in
diefer Art und Ausdehnung und mie ihm wurde zuerſt,
wie e8 ſcheint, eine gewiffe Ordnung feſtgeſetzt, wie eg
240 Fehde ‚gegen Waldemar II. 1264—68,.
in Zukunft mie der Einrichtung diefes -meitumfaffenden
Staͤdte⸗Koͤrpers gehalten werden follte, da vorher noch
immer vereinzelte Verbindungen wenigerer Staͤdte ge
fchloffen worden waren, Sieben und ſiebenzig
diefer Städte, wie die daͤniſchen Geſchichtſchreiber
einftimmig berichten, - fandten dem Könige Waldemar
Fehde: und Abfagebriefe, welches ihm fo Tächerlich
vorfam, daß er feine Verachtung gegen diefe Hanfe in
einer derben Spottrede aͤußerte, die von feinen
Landsleuten mit einer befonderen Art von. Wohlgefallige
feit nacherzähle worden iſt. Der Erfolg zeigte indeflen,
dag zum. Spotte hier die unrechte Zeit gewaͤhlt worden
war, Die Florten der Städte erfibienen gang uner⸗
wartet an den Kuͤſten und fügten dem Reiche an allen
Seiten den empfindlichften Schaden zu. In der Ber
draͤngniß fchloß Waldemar durch) Vermittelung des Herr
30988 Barnim von Stettin einen Waffenſtillſtand mit
den vornehmflen Städten der Oſtſee, noch in demfelben
Jahre, und im nächften einen Frieden, in welchem dem
‚ganzen Bunde ihre Handelsfreyheiten beſtaͤtigt und er—
weitere wurden, (1365.) Da der König jedoch aufs
Neue fich im die Fehde mifchte, : welche zwiſchen den
abgeſetzten ſchwediſchen Königen und Albrecht von Meck—
Ienburg ausbrach, konnte der Friede nicht von Dauer
feyn, Mehrere Hanfeflädee verbanden ſich abermahls
gegen Dänemark, nur Hamburg, Bremen und Cölln
wollten feinen thaͤtigen Antheil nehmen, und auf
dem zu Roſtock 1368 deshalb gehaltenen Hanferage
verftanden fich die beyden erfieren bloß zu einem Geld-
beytrage: ein Beweiß, daß auch jetzt der Bund-feine
Friede mit Waidemar 1370 und 1372. 241
abgeſchloſſene Pflichtordnung noch nicht fo ſtreng erhal⸗
ten hatte. Der Angriff auf Daͤnemark geſchah mit
groͤſſerer Heftigkeit, als das erſtemal, ſo daß ſich Wal⸗
demar bewogen ſah, das Reich zu verlaſſen und in
Deutfihland Hulfe zu fuchen, die dort ſchwer zu finden
war. Der glückliche: Fortgang, welchen die Waffen
der Berbünderen bacten, übertraf ihre kuͤhnſten Hoff:
nungen, und der in des Koöniges Abweſenheit die Res
gierung verwaltende Statthalter nebſt den Reichsraͤthen
eifte, mit den Städten Unterhandlungen anzuknuͤpfen,
welche 1370 zw Stralfund mit einem Vergleiche fich
endigten. Die Hanfefladte behielten in demfelben alle
früheren Borrechte und Freyheiten, und zum Erfag des in
Wisby - erlittenen Schadens und der Kriegskoften die
feiten Plage mit den dazu behörigen Landſtrecken in
Schonen, nebft zwey Drittefn der dafelbit fallenden Fös
niglichen Einkünfte, auf funfzehbm Jahre. Sn dem
Frieden iſt Hamburg nahmenelich mit einbegriffen, Walz
demar felbft mußte nach feiner Rückkehr 1372 den Fries
den nicht bloß beflatigen, fondern auch noch andere
harte Bedingungen eingeben, 3: B. daß, wenn er felbff
die Krone Daͤnemarks niederlege, Fein anderer ohne
Rath und Einwilligung der Hanſeſtaͤdte dazu gelangen
dürfe: gleichwohl konnte er nur durch diefe kluge Nach⸗
giebigfeit das Reich vor der Gefahr der Vernichtung
bewahren, Er ſtarb den 25, October 1375,
In derjeiben Fehde, als Hafon, Magnus Sohn,
von Norwegen aus den König Albrecht feindlich ans
fiel, fliegen die Hanfen auch an der normwegifchen Kuͤſte
and Sand, plünbersen Kirchen und Klöfter, verbeerten.
16
242 Gluͤcklicher Krieg der Hanſen gegen Norwegen.
mehrere Staͤdte, 15 Kirchſpiele und legten 200 Doͤrfer
in Aſche. Ein ſo gewaltſames Beginnen zwang ihn
ſogleich zum Frieden mit den Staͤdten, zur Entſagung
ſeiner Anſpruͤche auf die ſchwediſche Krone, zur Aner—
kennung des Koͤniges Albrecht und zur Beſtaͤtigung
aller jener Handelsfreyheiten, welche den einzelnen
Staͤdten fruͤherhin in Norwegen bewilligt worden waren.
Die Friedensurkunde, im Lager zu Bawahus unter—
zeichnet, führe Die Nahmen der Städte Luͤbeck, Ham:
burg und Bremen vor den übrigen an der Epige, So
glücklich hatten überall die Hanfen Zeir und Umſtaͤnde
benußt, fo zweckmaͤßig hatten fie ihre Krafte verwandt,
fo ruhmvoll endigte die erfte große Fehde, melche der
Bund durch den Beyftand und die Eintracht. feiner
Blieder unterftügt zum erftenmale in folcher Ausdehnung
gewagt harte. Im Norden hatte er alfo die Anerken-
nung feined Nahmens und feiner Geltung durchgefoch-
ten, alle Völker daſelbſt harten feine Macht empfunden,
oder als Zeugen re Bun. —* en be⸗
wundern.
Als nach Waldemar's Tode deſſen Enkel
Dlav, Margarethen's und Haͤkon's Sohn, nicht ohne
MWiderfpruch, unter Bormundfchafe feiner groffen Mut⸗
ter den Thron beſtieg, wurden den Hanfeffädten die dem
vorigen Könige abgedrungenen Freyheiten, fo wie der
Beſitz der ihnen auf Schonen verpfandeten Schlöffer
beffatiget: der Albrecht von Schweden, der zugleich als
Mitbewerber um die daͤniſche Krone auftrat, hatte fich
eben fo demuͤthig an den flädtifchen Bund gewande und
für gewuͤnſchte Anterfiügung die reichſten Vortheile
Margarerhe, Königin v. Danemarf, u, Norw. 243
verfprochen. Im Sabre 1380 farb Hafon, und Olav
erbte num auch die normwegifibe Krone, fünf Jahre fpa-
ter aber gelangte er felbft wieder zum Befige der an die
Hanfe verpfänderen Schlöffer auf Scho nen, da die be
dungene Zeit verfloffen war, Als Bormünderin ihres
Sohnes beherrſchte alfo Margarerbe die beyden
Reiche Norwegen und Danemarf, und mit eben fo großer
Klugheit und Gewandtheit, als mit der fellen Stand»
baftigfeit einer mannlichen Seele bannte fie den wilden
Empörungsgeift der Groffen, den bisher Fein König zu
säbmen vermocht hatte, Das Gluͤck blieb ihr günftig
auch nach ihres Sohnes Tode 1387, und durch ihre
Weisheit blieb fie des Gluͤckes wuͤrdig. Albrecht in
Schweden dagegen betrug fich ‘eben fo unmeife im der
Regierung feines Landes und reiste durch Wilfuhr,
Harte und uͤbermuͤthiges Berragen den Haß und die
Erbitterung der Schweden, durch voreiligen Trog und
Spott den Zorn feiner Gegnerin Margarerhe, Mit
einem zahlreichen Heere, das er in Deutfchland zuſam—
miengebrache harte, eilte er nach Weſtgothland und
lieferte dort auf der Ebene Nyfeläng bey Fallkoͤping
1389 den 24. Februar das ungluͤckliche Treffen, in
welchem er gefchlagen wurde und nebft feinem Sohne
in die Gefangenfchaft Margarethens gerieth. Er hatte
früberigefchworen, die Müge, die er gewöhnlich zu
tragen pflegte, nicht her aufjufegen, als bis er Mar:
garethen überwunden babe: jegt zwang ihn die Siegerin,
um den Hohn zu vergelten, eine groffe Müge von Walmar
zu tragen, denn fie befaß nicht Edelmurh genug, Ber
leidigungen, die ihre weibliche Eitelkeit getroffen hatten,
16*
244 Die Bereinigung (Union) der drey
zu vergeben, Noch war indeffen ihr Sieg nicht fo voll
ftandig, als ihre perfönliche Rache. In einigen Pro—
vinzen Schwedens wurde Albrecht noch als geſetzmaͤßiger
König anerkannt, Ein Haufe Deutfcher, befannt unter
dem Nahmen der Hutbrüuder CHattebröder, wie es
ſcheint, nach Albrechts Geluͤbde fich fo nennend,) ver
theidigte befonders Stockholm und Wisby und übte
Mord und Plünderung auf fehmwedifchen und daͤniſchen
Inſeln. Da die Hauptſtadt von der Landfeite belagert
wurde, konnte fie nur von der Seefeite her mit Lebensmit-
teln verfehen werden, Ein Haufe Abenteurer übernahm
die Beſorgung diefes Geſchaͤftes und erhielt deshalb
den Rahmen der Vitaliner oder Vitalienbrüder,
(Bictualien werden in alten fchwedifchen Schriften.F
talien genannt,) die der Stamm von Geeraubern
und Freybeutern wurden, welche, Anfangs fich zu Alb:
recht3 Anhängern befennend, Schweden, Danen und
Normänner ald Feinde anfahen und die Kuͤſten diefer
Laͤnder verheerten. Die Raubluſt vergröfferte ihre An—
zahl, jo wie ihre Kuͤhnheit. Die allgemeine Unficher-
heit, welche aus diefen Abenteurern erwuchs, das Auf-
bringen der friedlichen deutfchen Kauffahrer und Fifcher
von allen ffreitenden Theilen, felbft von den Kapern
der verwandten Städte Roſt ock nd Wißmar, bald
unter diefem, bald unter jenem Vorwande, ließen die
Benoffen des Städtebundes eine Beylegung dieſes Strei—
tes hoffen, der zu nichts weiter führen Fonnte, Nach
langwierigen Verhandlungen endlich kam 1395 ein Ver⸗
gleich zu Stande, nach welchem Albrecht mit feinem
Sohne aus der Gefangenfchaft entlaffen wurde; Die
nordiſchen Reiche, Kalmar, 1397. 245
Hanfeftädte verfprachen dagegen, nach Verlauf von
drey Jahren entweder beyde Prinzen wieder zur Haft
zu liefern, oder eine von diefen zu erfegende Summe
von 60000 Mark zu verfihaffen, oder der Königin die
Stade und Veſte Stockholm zu überantworten, die von
ihnen fo lange in Befig genommen wurde, Die Heber
gabe Stockholms erfolgte, als nach Verlauf der Zeit
die bedungene Summe Geldes nicht aufjutreiben war,
und Margarethe: fab fich im vereinigten Befig der
drey groffen nordiſchen Reiche, Die Kalmarfche
Union wurde gefchloffen den 17. Juny 1397. |
Die Hanfe war zufrieden, als Margarerhe und ihr
Bflegefohn Erik ihr im Jahre 1398 die früher erwor⸗
benen Frepheiten in den drey vereinigten Reichen bes
flätigten, und ſelbſt die Stadte Wiß mar und Roſtock
zu gleichem Genuffe wieder zugelaffen wurden, gegen
welche die Königin am meiſten erbittere feyn mußte,
Um diefe Zeit mag bie Brüderfibaft der heil, Martha
oder die Schonenfahrer = Gefellfbaft in Sams
burg entſtanden feyn, aus folchen beſtehend, welche
nach Schonen und auf der Oſtſee Handlung und Fifch-
fang trieben: ihr Nahme wird vom Jahre 1395 auf
geführt.
Für jene wilden Freybeuter aber, die mie dem
allgemeinen Nahmen der Viealienbrüder bezeichnet
wurden, fihien der eingetrerene Friedenszuſtand nicht fo
annehmlich, als daß fie nicht lieber ihr altes Unweſen
hatten. fortfegen wollen. Zum Theil von den Hanfes
ſtaͤdten felbft aufgerufen und befördert glaubten fie fich
jetzt noch zu ihrem Gewerbe berechtigte, da fie fich von
246 Krieg gegen die Bitaliner,
den vorhin freitenden Parteyen verlaffen und der eiges
nen Huülfe und Selbſterhaltung preiß gegeben fahen.
rüber harten fie ihren geraubten P under zu Roſtock,
Nibnig, Goldnig und anderen Stadten frey und offen
verkaufen und mittelft des gutem Preifes ihren Geminn
mie ihren Freunden und Beförderern theilen Fönnen,
Als nach jet gefchloffenem Frieden beyde Theile fie als
oller Bölfer Feinde und Ruheſtoͤrer zu betrachten und
auszurotten verfprochen hatten, fehlte e8 doch nicht an
gegenfeitigen Befchuldigungen, bald der Hanſeſtaͤdte,
bald der norbifchen Regierung, daß man um (eigenen
Bortheild willen fie noch immer zu hegen und zu haus
fen pflege, wenigſtens nicht mie hinlanglichem Nachdruck
verfolge, Die - Stralfunder hatten zuerft ein Schiff
gegen fie ausgerüfler, und ihrer eine groffe enge ger
fangen, alſo, daß ed an Gefängniffen fehlte zu ihrem
Gemahrfam. Sie verfuhren deshalb mit ihnen, mie
die Brüder mit den gefangenen Kaufleuten gethan hat—
ten: fie fibloffen fie in Bier und Wagrentonnen ein,
die an dem einen Boden fo weit ausgefchnitten waren,
daßieben der Kopf durchfriechen Fonnte, und fo bewahr⸗
ten fie diefelben auf, bis fie verureheilt und entbaupter
wurden. Ein Zufluchtsort Diefer Raubgefellen, um ihre
Beute und Gefangenen aufzubewahren, war zuleßt die
Inſel Gothland geweſen, wo fie auch die fogenannte
Tonne fich erbanet haben follen, Dort landeten, mit
Einverſtaͤndniß der Königin Margarerbe, die deutſchen
Drdensritier mit 4000 Mann, vertilgten Die Vitalioner,
zerfförten ihre Befefligungen und machten biemit der
Macht derfelben in der Oſtſee ein Ende, Aber ein
ober. Birtualienbrüber, 247
anderer Schwarm begab fich in die Nordſee und ver:
theifte füch mach verfchiedenen Richtungen hin, gegen
Holland, gegen die Schiffe der Hamburger, und
nach dem Norden, Ein Zug wendete fich nach Normwes
gen und war mächtig genug, Bergen zu erobern und
zu plündern, Auch ift viel von einer Fahrt erzaͤhlt
worden, welche die Bitalienbrüder um diefe Zeit im
fremde Meere gethan, um Entderfungen und Beute zu
machen, mo die meiften theils durch Hunger, theilg
durch feindliche Angriffe der Eingebohrenen ihren
Tod gefunden. Sie batten da ein gegen die Kälte
von der Natur ſelbſt gefihirmtesrauchhaariged Volk ge
funden, fie waren bis hinter Grönland und weiterhin
gekommen, im Gegenden, wo fie weder Des Himmels
noch des Meeres Gelegenheit hatten wiſſen koͤnnen.
Eine groſſe Anzahl hatte fich nach Frießland bege-
ben, mo fie von mehreren mächtigen Edlen bereitwillig
gehaufer und geheget wurden, und Vorſchub an Schiffen
ſowohl ald an übrigen Bedürfniffen erhielten, denn
diefe Edlen nahmen mie von der Ausbeute und erhielten
ihres Raubes gleichen Antheil, mie vorher die von
Wißmar und Roſtock. Die Städte Hamburg , Luͤbeck
und andere litten hievon groffen Schaden; die Anfode:
rungen an die Königin Margarerhe, zur Vertilgung der
GSeeräuber mit den Hanfen gemeinfchaftliche Sache zu
machen, waren ohne thatigen Erfolg geblieben, bis.
endlich im Jahre 1399 auf der Verfammlung zu Nykö—
ping, auf welcher fich ſowohl von den übrigen
Hanfeftadten Abgeordnete, als befonderd von Hamburg
Vie Bürgermeifter Chriffian Miles und Johann
248 » Die Vitaliner befampfe, 1400,
Hoyer eingefunden hatten, ein Vergleich zu Stande
kam, in Folge deffen im Nahmen der Stadte und ber
Königin ein Schreiben erlaffen wurde an den Grafen
Cordt von Oldenburg, an Kenno von DBrofe
(Brügge), Ottens Sohn, und an die Staͤdte Grö:
ningen und Dockum, um dieſelben ernftlich zu ver:
warnen, ben Bitalienbrüdern Feine weitere Hülfe zu
eiften noch irgend einige Hegung zu geffatten, Aber
auf der nachften hanſeatiſchen Tagfahrt zu Lüberf, auf
welcher die hamburgiſchen Birgermeifter Chriftian
Miles und Meinard Burtebude zugegen waren,
‚vereinigten fich Die Stadte noch genauer und richteten
den Zug gegen DOftfrießland ein, wohin gegen Oſtern
1400 eine anfehnliche Flotte unter Segel ging. Die
bamburgifchen Schiffe wurden von den beyden Raths⸗
berren Albrecht Schrey und Johannes Nanıre
befehliger. Sie überwanden die Ditaliner ohne groffe
Schwierigkeit, warfen deren viele über Bord und nabs
men mehrere gefangen, die fie am Leben ſtraften.
Stadt und Schloß Emden und andere Plage mußten
fich ergeben und hanſeatiſche Befagung aufnehmen, Auch
Kenno von Brofe, der feinen Gefandten nach der Luͤ⸗
becfer Tagfahrt geſchickt und zweydeutig fich hatte ent-
ſchuldigen laſſen, mußte fein Schloß Aurich an die
Städte abtreten und bis auf weiteres Erfenneniß feinen |
Aufenthalte in Bremen unter Aufficht nehmen, Die
Weſtfrieſen, welche ihre Fehde gegen Holland zum Vor⸗
wande gebrauchten, in welcher fie der Hülfe der Brüder
niche entbehren Fönnten, verfprachen wenigſtens, dieſel⸗
ben fogleich nach erfolgeem Frieden zu entlaſſen. |
”
Klaus Störtebefer befiege 1402, 249
Aber troß aller Unfälle blieben die Viraliner den
Städten noch immer furchebar, Auffer der Begierde
nach Gewinn trieb fie Die Rache gegen Peinde,
die fie fo graufam verfolgten, fie in feiner Verbindung
für ehrliche Krieger gelten ließen und ihnen das Recht
der Fauſt, das jene doch in gewiffer Hinficht ſelbſt noch uͤb⸗
ten, und, eim bürgerliches Gericht im Fall der Ges
fangenſchaft blutduͤrſtig raubten. Befonders waren noch
zween ihrer Hauptleute das Schrecken der Seefahrer,
Klaus Srörtebefer, aus Barth gebürtig, und
Gödefe (Gottfried) Michel von der Infel Rügen,
mwofelbft fie vorber in der Gtubniß bey Jasmund, die
Rammer genannt, in einer Hole des jahen Vorgebürges
ihren Raud verborgen gehabt haben folfen. Diefe Raͤu⸗
ber waren um fo furchebarer, da fie nach eigener Weber:
jeugung und nach dem Glauben ihrer Feinde unter dem
befonderen Schuge des heiligen Martyrers Vincentius
fschten, deffen Gebeine fie an den fpanifchen Küften er:
beuter haben wollten und mie fich berumführten. Als
nun im Jahre 1402 den Hamburgern hinterbracht wurde,
daß eine Schaar, von dem Störtebefer und einem
anderen Hauptmann, Wichmann genannt, angeführt,
bey Helgoland (Ferria in den derzeitigen Urkun—
den) auf die Englandsfahrer Iauere, sing eine Flotte
unter ben Befehlen des Rathmannes Nicolaus
Schocke die Elbe hinab, traf auf die Geeräuber und
überwand fie nach hartnaͤckigem Widerflande, daß deren
mehrere erfchlagen, die Anführer aber mit 70 Gefellen
- gefangen genommen wurden, Unmittelbar darauf fließen
die Hamburger Schiffe auch auf den übrigen Schwarm
259 Goͤdeke Michel befiegt, 1402,
unter den Hauptleuten Gödefe Michael und Wig-
bald, einem Magiſter der Weltweigheit von der Ro:
ſtocker Univerſitaͤt, befiegten auch fie und nahmen die
Anführer nebft achtsig Gefelen gefangen. Ohne bärgerz
liches Gericht, das Seeraͤubern niche für zuſtaͤndig er-
achtet wurde, ließ man ihnen insgefammt auf dem
Grasbrock die Köpfe abfihlagen und damit auf hoben
Stangen an der Elbe zum Schrecken der .übri-
gen die Küfte bepflanzen, Ein altes Volkslied, wel
ches mit den Keimen anfing: „Stoͤrtebeker und Gödefe
Micheel Dar weeren twe Röver tho glicken Deel’, und
welches noch im fechszehnten Jahrhunderte im Munde
des Volkes umging, ſchrieb den Sieg der Hamburger
befonder8 dem einen ihrer Schiffe zu, welches „die
durch Die See braufende bunte Ruh aus Flandern
mit fkarfen Hörnern“ genannt wird, und einem von den
Birtualienbrüdern genommenen Hoͤlk (Schiffe) mit
ein das Vorderkaſteel entzwey Tief, Aus dem erbeus
teten Raube ſoll nach der Volksſage eine goldene Krone
gefertiget worden ſeyn und lange Zeit an der Spitze
des Nicolaithurmes geprangt haben: nur Schade, daß
dieſer Thurm viel ſpaͤter erbauet worden iſt. Das
Schwert, mit welchem der muthige Scharfrichter Ros
ſenfeldt die Gefangenen binrichtete, — „er fland mit
feinen geſchnuͤrten Schuhen zw den Enfeln (Knöcheln)
in dem Blute“ — zeigte man ſonſt im Hamburger Zeug:
haufe, fo wie noch jegt auf der hiefigen Schiffergefell-
fihaft einen groffen nach alter Weife verzierten filbernen
Störtebefer, Trinkbecher, deffen Figuren ſich auf
diefe Geſchichte beziehen, in Form und Arbeit aber eine
Verhaͤltniſſe zu den Niederlanden, 251
jüngere Zeit der Verfertigung nicht bezweifeln Taffen,
Uebrigens waren mit diefem Schlag jene irrenden See—
ritter fo wenig vertilgt, daß vielmehr noch am dreyßig
Jahre die Meere von ihnen durchſchwaͤrmt wurden, und
wiederholte Angriffe auf fie gefchehen mußten,
Nicht den machtigen Einfluß, wieim Norden, erhielten
die Hanfeffädte, und insbefondere Hamburg, im Weften von
Europa, wiewohl auch dahin, und zunaͤchſt am meiften nach
den Niederlanden, ihr Handelsverfehr von groffer Bedeu—
sung wer, Kenntniſſe des Handels, Reichthum, Wohl:
babenheit waren dort früher verbreiter gewefen, als bey
den Deutſchen, und Flandern und Brabant waren
jeße der’ angefehenffe Marktplag, der an Mannichfal:
tigkeit der Waaren, an Fülle des Capitals, an Schnelle
und Ausdehnung des Umſatzes alle anderen Lander über
traf, welche von den SHanfeaten beſucht wurden,
Brügge war in den gefammten Niederlanden die Haupt:
niederlage für die verſchiedenen seuropaifchen Handels⸗
völfer und dort errichteten auch die Deutfchen ihre
Factorey, welche in der Folge zu den angefehenften
der Hanfe fich erhob, Durch mannichfaltige Privilegien,
die fie fihb von den Grafen des Landes zu verfchaffen
fuchten, und durch verminderte Zölfe beguͤnſtigt, im faft
ausichließenden Befige der unentbehrlichſten Waaren
des Nordoftens von Europa befuchten fie diefen Markt:
glas um fo lieber, da fie bier wiederum fo manche
Waaren zur Beberrfchung des Nordens umzutauſchen
fanden, Es konnte nicht fehlen, daß verfchiedenes
Zufammentreffen der Vortheile oft zu Spannungen und
Streitigfeisen zwifchen den Hanfen und Flamingern
252 | Verbalenifle der hanſiſchen Städte
Anlaß gaben: daher finden wir haufig, daß fie in
foichem Falle ihre Niederfage von Brügge hinweg ver:
legten nach anderen Orten, doch aber, theild durch dag
Nachgeben der Kläminger, theils weil das mechfelfeitige
Beduͤrfniß fie leitete, bald wieder zur Rückkehr in dieſe
Stadt fich veranlaßt fahen. Go geſchah es 1309, daß
die deutfchen Kaufleute Brügge verließen und fich nach
Ardenburg Begaben, aber noch in demfelben Jahre
zurück kehrten, wahrſcheinlich, nachdem ihnen noch
ausgebehntere Freyheiten bewillige worden waren. Dafr
ſelbe wiederholte fich 1356 und fpater. Neben Flandern
ließen die Deutſchen Brabant nicht aus den Augen,
wo Antwerpen ihre vornehmfle Niederlaffung war,
deren Zweige jedoch fich durch das ganze Land erſtreck⸗
ten. Herjog Johann von Brabant verfprach ihnen
1315 einen freyen Verkehr in allen Theilen feines Lan:
des gegen Erlegung der von ihm beffimmten Zölle und
mit der Bedingung, daß fie zu Antwerpen: ihren Haupt:
fig nebmen wollten.
Als aber gegen das Ende der Regierung bes Grafen
Ludwig von Blandern ein verbeerender Bürgerkrieg
entſtand, auch eine Fehde mit England. und nach Lud-
wigs Tode 1383 unter dem neuen Fürften, dem bur-
aundifchen Herzoge Philipp dem Kühnen, Verwirrung
und Unruhe noch fortdauerten, in welcher Zeit das
Land 200000 feiner beſten Bürger verloren haben foll,
da wurden von den Fampfenden Parteyen auch mehrere
der hanfeatifchen Privilegien gekraͤnkt, ihre Freunde
gemißhandelt, in Ketten und Banden gefchlagen, ge
ſchatzt und auf mannichfaltige Weife beſchwert. Die
zu Flandern und Brabant, 253
Ringen, welche dagegen geführe wurden, bie Verfuche,
dem Verkehr die nörhige Ruhe und Sicherheit zu er-
halten, konnten nicht zu günffigem Erfolg gelangen,
fo daß im Jahre 1388 aller Handel mir Flandern durch
ein erlaſſenes Verbot unterfage wurde, Diefer Ernſt
war nicht ohne Wirkung. Auf der Tagfahrt zu Luͤbeck 1389
erfchienen die Abgeordneten des Herzogs von Burgund,
des Grafen zu Flandern und der Stadte Gent, Brügge
und Ypern und verfprachen Genugthuung für die
Schmach, welche die Deutſchen in Flandern erlitten
hätten, Sie gefobten, mehrere Vicarien, Altaͤre und
dergleichen, zu fiften und fie den Hanſen als Lehnsherren
zu übergeben: es follten eine beftimmte Anzahl ehrbarer
Männer aus den drey Stadten und von den Freyen
des Landes zu Brügge bey den Carmelitern erfiheinen,
wo die Hanfen-ihre gröfferen Verſammlungen zu halten
pflegten, und den Kaufleuten Abbitte thun: für dem
zugefügten Schaden verfprachen fie 11100 Pfund Grote
zum Erfaß u. f. w. Allein die Bedingungen fehienen
in Flandern feinen Beyfall gefunden zu haben, und die
Ausführung verzögerte ſich in die nachiten Sahre, Da
aber die Hanſen bey ihren frengen Maaßregeln ſteif
bebarreten, fahen ſich die Flaminger genörhigt, neue
Unterbandfungen anzufnupfen. Das geſchah 1391 auf
der Tagfahre zu Hamburg, bey welcher von Seiten
der Stadt die Bürgermeifter Bertram Horborg, Chri:
ffien Miles, Sohannes Hoyer und Marquard Schreyer
und der Rathmann Chriſtian Vos als Abgeordnete
zugegen waren. Man vertrug ſich durch Bequemung
in die gegenſeitigen Anfprüche, die früher beliebte
256 Vertrag mie den Hollandern 1403,
j
fiegen zu bleiben, Da Fam aber in Hamburg die Nach:
richte an, daß die Holländer, dem aefchloffenen Vertrage
sum Hohn, verfbiedene Hamburger auf der See tiber:
fallen harten ; das Gefühl der Rache loderte auf, eiligft
fegelten fie den Hollaͤndern, dienoch auf der Elbe gehalten
wurden, nach, griffen die Schiffe an, und nahmen fie mit
Gütern und Leuten: die Gefangenen brachten fie in
ihre Stadt zu gefanglicher Haft, Der Zwiſt dauerte
big ins vierte Sahr und wurde endlich im Jahre 1403
den 9, Detober durch die Stade Gent, als erwahltem
Schiedsrichter, beygelegt, nachdem zuvor der Graf neue
und anfehntiche Privilegien ertheilt hatte, für welche
fich des Herzoas Sohn, einige Groffen und die. fünf
Städte Dortrecht, Harlem, Delft, Leyden und Amfter-
dam mit unterfiegelten: auch erhielten die Hamburger
etliche Taufend Nobel zum Erfaß des im Kriege erlit-
tenen Schadens, Der inzwifchen fortdauernde Krieg
zwifchen Holland und den Friefen hatte befonders den
Bitalienbrüdern Gelegenheit verfchafft, nach ihrer Weile
die Güter der verfihiedenen Kaufleute anzufallen und zu
rauben, Deshalb boten die Hanfefladte ihre Vermitter
füng zur Beylegung diefer Fehde an, und es gelang
ihren Abgeordneten, wirklich einen Stillſtand zumege
zu bringen, Aber von den Friefen verlangten fie nicht
bloß, daß fie jene Seeräuber aus ihren Dienſten ent⸗
laffen, fondern auch, daß fie den von jenen verübten
Schaden erfegen follten. Die, Triefen verfprachen, zu
der iin Hamburg 1407 auf Pfingften angelegten Tag—
fahre zu erfcbeinen, hieften aber niche Wort, und dehn
tem die Unterhandlung Bis zu einer zu Amſterdam
Befiegung der Dfifriefen, 1408. 255
zu haltenden Zuſammenkunſt hinaus. Hier wurde ben
fo viel vermittelt, daß die, Weſtfrieſen im Offer» und
Weftergan dem Grafen Wilhelm, als ihrem Herrn,
fich ergaben ; die Oſtfrieſen aber verſtatteten foremahrend .
ben Vitalinern Herberge und Pflege und meigerten fich
jedweder Erſtattung. Deshalb ruͤſteten die Hamburger
einige. Kriegsichiffe aus, gingen nach Frießland und
ſchlugen mehrere der machtigften. Edlen, den Enno von
Norden, Hayke von Volradt, Hylt von Ofterhaufen,
und. zerfiörten oder verbrannten ihre Schloͤſſer. Thätis
gen Beyſtand leiſtete, feiner Zufage gemaß, der ‚oben
genannte Kenne von Brofe, der auch zur Ber
tung. mehrere der genommenen Schlöffer erhielt, dage-
gen fich, den Städten verpflichten mußte, zwifchen der
Ems und Wefer Feine Vitaliner zu dulden und in jedem
benötheten Falle den Hanfen. und Hamburgern insber
fondere feine Schloͤſſer und fein Gebier zu eröffnen,
Diefer Vergleich wurde geichloffen 1408. Abgeordnete
von Hamburg waren dabey der Bürgermeifter Buxte⸗
hude, und die Rathmanner Claus Schocke, Marquard
‚Henningh ‚und Dierrich vamme Hagben,
Naͤchſt den Niederlanden war England dag vor⸗
züglichfie Land, wohin weſtlich die Faufmannifchen Un—
ternehmungen der Nieder » Deutfchen gerichter ‚waren,
wohin befonders Hamburg. durch die Richtung feines
Stromes angemwiefen. zu feyn ſchien. Die Lage diefeg.
Eylands, deſſen Nähe an dem zeichen, betriebfamen
Slandern , deffen-Befigungen in Frankreich, die einhei⸗
miſchen Erzeugniffe, an Wolle und Zinn, die Schiffs
fahrtöbedürfniffe, welche nur aus dem Norden, durch
256 Handelgverfehr der Hanfeftadte
die Zwifchenhand der Deurfchen, geliefert werden konn
ten, machten das Land für die Tegteren zu einem höchfk-
wichtigen Handelsplatze. Einzelne Städte erwarben fich,
nach Beduͤrfniß und Gunft der Umſtaͤnde, einzelne Pri-
vilegien, wie auch Hamburg, zu verfihiedenen Zeiten,
In London war das Gildehaus entfianden, wo alle
deutſchen Landsleute nach und nach in eine Brüderfchaft
fich vereinigten, um von dieſer gemeinfchaftlichen Nie
derlage aus das Land zu durchkreuzen. Jene Handels-
frepheiten, zuvor-den einzelnen deutfchen Städtegemein-
den zugeftanden, wurden nach und nach von allen deut⸗
RA Raufleuten in Anfpruch genommen, je nachdem die
Landsleute in die allgemeine Innung ald Mitglieder des
deutſchen Gildehaufes aufgenommen worden waren. Da-
ber fingen auch fehon im dreyzehnten Jahrhunderte die Koͤ⸗
nige von England an, den Kaufleuten auf der deutſchen
Gildhall zu London als einer gemeinfchaftlichen Körper:
fchaft gemeinfchaftfiche Freyheiten zu bewilligen. Ihr
Umfang und ihre Ausdehnung vergröfferte fich mir der
Zeit, Die Könige fahen in den reichen Zolleinfünften,
welche der Verkehr der Fremden ihnen zubrachte, zu
fehr ihren Vortheil und bedienten fich nicht felten wohl
auch der Hülfe und Unterſtuͤtzung diefer Handelggefell-
ſchaften zu ihren faft unaufbörlichen Kriegen gegen
Sranfreih. Die’ Lords und die reichen Güterbefiger
‚mußten gleichfalls diefen Verkehr" beguͤnſtigen, da fie
durch denſelben die Erzeugniſſe ihrer Beſitzungen vor—
theilhafter umſetzen konnten, als an die engliſchen
Staͤdtebewohner, welche einen noch ſehr beſchraäͤnkten
Marke‘ harten und jene Erzeugniſſe nur noch zu
nach England, 257
inlaͤndiſchem Bedarf verarbeiten konnten. Beſchraͤnkte
Anſichten, Zunftgeiſt und Mangel an Kenntniß der
Handelsverhaͤltniſſe hielt jetzt die Inwohner noch zurück
von jenem freyen, unternehmenden Handelsverkehr, zu
welchem fie ſich im Fortgange der Zeit emporgehoben
haben. Die Aufzaͤhlung der verſchiedenen Freyheits—
briefe, welche in faſt ununterbrochener Reihe von den
Königen Englands den deutſchen Kaufleuten der Gilde:
balfe ertbeift worden, von Eduard des I, Zeiten an,
würde nur ermüdende Wiederholung feyn: Bon Ham:
burg aus mar der Handel nach jenem Eylande ſo leb⸗
haft, daß ſich hier eine eigene Geſellſchaft der Eng—
landsfahrer bildete, welche zu ihren Zufammenfünf:
ten im Sabre 1378 ein befonderes Haus erfaufte, (die
Obergeſellſchaft, im Gegenfag der Niedergefelfchaft,
wie das niedriger gelegene Haus der Schonenfahrer ges
nannt wurde,) das fich noch bis heut zu Tage erhalten
bat. Aber um diefelbe Zeit fangen auch ſchon einzefne
Spuren der Eiferfiicht fich zu zeigen an, mit welcher
die Engländer diefen überwiegenden Handel der Seeffädte
zu betrachten pflegten, der ihnen allen Vortheil aus den
Händen winde und die beften "Kräfte des Landes ent:
führe, Zwar beſtaͤtigte noch der Fraftige Eduard II,
die alten den Hanfen verfiehenen Privilegien und Rechte,
befonderd die groſſe harte von 1303, in welcher
Eduard I, allen fremden Kaufleuten, „um diefelben
ſich und feinem Reiche zu angenehmen Dienften ferner
zu verbinden, 4 Freyheit und Schug für ihren Groß-
* Handel in allen Theilen des Reichs verheiffen hatte: er
verbot noch um Die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts
17* Fr
ws
258 Handel nach England big 1400,
feinen Unterthanen die Ausfuhr und verſtattete fie bloß
den Fremden, weil feine Zölle fich beffer dabey befanz
den: indeflen geftand er doch gegen das Ende feiner Regies
tung den Englandern von der Stapelgefelliihaft, bie
fich inzwifchen gebildet hatte, gleiche Freyheit der Aus⸗
fuhr jener rohen Erzeugniffe zu, wie die Fremden fie
bejaßen, und eine andere inlaͤndiſche Kaufmannsgefell-
fibaft, die von Thomas a Berker, vereinigte fich um
diefe Zeit, fonft auch befanne unter dem Nahmen
der Adventurirer oder wagenden Kaufleute, um nach
ein paar Sahrhunderten der Schrecken und der Tod
der Hanfe gu werden, Unter der Regierung König Rir
ſchard des IL: Cfeit 1377) ſahen fich die deuefchen
Kaufleute genöthiger, Klage zu führen uber neue Zölle
und Eoftumen, über Schmalerung und Bersubung ihrer
alten Privilegien, erhielten jedoch die Wiederbeſtaͤtigung
derfefben mit verflarkten -Verficherungen. Diefelben
wiederholte Richard's Nachfolger, Heinrich IV, (1399)
aber gleich in den nachften Sahren verlautbarten bittere
Klagen, daß die Hanfen in ihren Rechten gefranfe und
feindfelig von den Englandern behandelt würden, Der
Herzog von Burgund, den Englandern gram, hatte
ſchon feinen und des Königes von Frankreich Beyſtand
gegen dieſelben angeboten: indeffen Fam es zu Unter
handlungen, durch welche der Streit gefchlichter wurde,
Die Hamburger hatten ihren Schaden auf 2000 Nobel
angefeßt, mwovon die Gejandten des Königs 1000 zur
Bezahlung bemilligten, für 500 befferen Beweis vers
langten und zu den übrigen 500 Beyſtand verfprachen,
wenn bie Kläger diejenigen Perfonen, von welchen der
zul
Innere Berfaffung der Hanfe, 259
Schade zugefüge worden, vor einem Gericht belangen
wollten. s
So meit giebt die allgemeine Gefchichte des Hanfer
Bundes zugleich die Richtung und den Umfang zu ers
kennen von dem Handel und Verkehr und der kaufmaͤn⸗
niſchen Thaͤtigkeit der Stadt Hamburg insbefondere,
Der Bund felbft Hatte ſich mehr durch Zeit und ms
fände gebildet, fo daß er eine fefte, genau berechnete
Berfaffung, eine nach beffimmten Gefegen und Grunds
formen geordnete Einrichtung weder damahls ſchon ers
halten hatte, noch in der Folge je erhielt. Wechfels
feitige8 Beduͤrfniß hatte die Genoffen einander nahe ges
führe und vereiniger. Vertrauen bielt fie zuſammen, fo
lange e8 von ihnen ſelbſt erhalten blieb, Die zu Feiner Zeit
recht genau beſtimmte Anzahl der Stadte wurde damahls
und am älteften in drey Drittel oder Kreife einges
theilt, die der Lüb’fche, der Weſtphaͤliſche oder Coͤlni⸗
ſche und der Sachfifche oder überheitnifche genannt wur?
ben: in der Folge gefchaben in diefer Eintheilung mans
cherley Abanderungen und die Einrichtung in vier
Quartiere. Zu den Dbliegenheiten des Bundes gehörte
ohne Zweifel eine Art von Gerichtöverwaltung, wenn
Streitigkeiten der einzelnen Glieder unter fich ober mit
Fremden vorfamen, Als daher, bereits zum Anfange
des vierzehnten Jahrhunderts, die Braunfchmweiger
ihren alten Rath abgefege und eine Volfsregierung von
Gildenausfchüffen angeordnet harten, ſchloſſen die Sees
flädte, nach einer Thohopefate, die Braunfchweiger von
allem Genuß und jeder Gemeinfchaft des Handels aus,
bis fie ihre; alte Verfaſſung wieder hergeſtellt und der
260 Beweiſe der Gerichtsbarkeit der Hanſe
alten Obrigkeit wieder Gehorfam geleifter hatten. (Bi
1318.) So ward damahls die Stadt in den Bund
wieder aufgenommen, Aber im Jahre 1375 erhub fich
der Aufruhr daſelbſt aufs Nette, und wilder, denn zuvor:
Die Mitglieder des alten Rathes wurden zum Theil aus
der Stadt gejagt, einige gar enthaupter, ihre Güter
geplündert und ihre Freunde und Verwandte verfolgt
oder gemißhandelt. Die Hanfe fprach demnach aber:
mals den Bann über fie aus und ſelbſt die Fuͤrſprache
des Kaifers bey feiner Anmefenheit zu Lüberf konnte fie
nicht Davon befreyen, bis fie endlich 1381 nach öffenez
lich geleifteter Abbitte und Unterwürfigfeie die Wieder
aufnahme erlangten: doch hatten fie zugleich auch gelo-
ben müffen, den Rath wieder „mit ordentlichen Rente:
‚hirern und Kaufleuten“ zu beſetzen. Hamburg und
Luͤbeck, zuletzt auch Bremen, waren beauftragt geweſen,
die Unterhandlungen mit dieſen Aufruͤhrern zu fuͤhren
und die Ordnung und Ruhe der Stade wieder herzu—
ſtellen. | a ar
So wie bier die Hanfen die unruhigen Bürger
einer verbünderen Stade zu dem, was Neche und
Bflichemaßigkeit erheifchen, durch Strenge und unpar-
teyifches Urtheil zuruͤckgewieſen harten: fo Teifteren fie
im anderen Fall eben fo Fraftigen Beyſtand, wenn wir
derrechtlicher Druck auf ihre Genoffen gehäuft wurde,
Dieß geſchah zu Lüneburg, welches die Herzoge
Heinrich und Bernhard mit Harte und Feindfer
figkeit behandelten, fo daß fie die Schiffe, welche mit
Salz beladen, nach Hamburg fehifften, uͤberfielen und
fonft alleriey Schaden verübten, Die Hamburger und
PAAR
* N
os
\
ausgeubt gegen Braunfchweig und für Lüneburg. 261
Luͤbecker vereinigten fich daber mit ihren. Bundesge⸗
noffen, und die erſteren insbefondere, unter der Anfühs
rung des Bürgermeifters Hoyer, belagerten 1396. dad
feite Schloß Harburg mit groffen Nachdruck. Verrath
jedoch oder Mißgeſchick nörhigte fie, ‚von der Belkürs
mung abzulaffen, und um nicht . nach. unverrichteter
Sache wieder zuruͤck zu kehren, zogen. fie. durch. die
Luͤneburger Hayde, plünderten und verwüfteten Die her⸗
goglichen Dörfer und brachten reiche Beute davom,
Daffelbe tbaten-auch die Lüneburger und die von Hans
nover, welche mit ihnen gemeinfchaftliche. Sache mach»
ten. Die Lüberfer hatten das Jahr zuvor mie groffen
Koften einen Canal vom Möllner See bis nach Lauen-
burg durch das Ausgraben dev Delvenau zu Stade
gebracht, der für den Salzhandel von Lüneburg aus
für fie von größter Wichtigkeit war. Jetzt verflopfte
Herzog Heinrich den Ausflug der Delvenau und verfenkte
groſſe Fahrzeuge mie Schutt und Gteinen. beladen, wo⸗
durch Die Anlage, wenn auch nicht unbrauchbar ges
macht, doch in ihrer Vollendung „verzögert murde,
Diefer Frevel erbisterte die Städte nur noch mehr und
mit vereinten Kräften verſuchten fie daher die Belage⸗
rung des feſten Schloſſes Winſen an der Luͤhe. So
von allen Seiten gedraͤngt und der Verheerung des
Landes muͤde bequemte ſich endlich der Herzog, zue
einen Waffenſtillſtand auf drey Jahre zu ſchließen, der
aber 1397 in einen wirklichen Frieden verwandelt wurde.
Der Herzog verpfaͤndete drey ſeiner Schloͤſſer mit den
Weichbildern und Zubehoͤrungen, Ludershuſen den Luͤ⸗
beckern, den Luͤneburgern Harburg, und Hamburg
%
262 Verhaͤltniß der Stadt H, zu den
Bleckede, und erhielt zum Pfandfchilling die Summe
von 19200 Marf, nach oft gerühmter Bitte jener
Jahrhunderte.
Es iſt jetzt vonnöthen, daß wir einen Blick zuruͤck⸗
werfen auf die inneren Verhaͤltniſſe und Angelegenheiten
und das buͤrgerliche Leben und Treiben der zu ſolcher
Bedeutung und Macht emporgeſtiegenen Stadtgemeinde
Hamburg. Je nachdem der Bereich der Wirkſamkeit und
Thaͤtigkeit eines Körpers, einer Strahlenkugel gleich, die
Durch das dichte Gewoͤlk hindurchbricht, immer mehr
fich erweitert und ausdehnt, eben fo entwickelt fich auch im
feinem eigentlichen Kerne das Gefühl der Kraft und
des Lebens inerhöbeter Stärke, Demjenigen Verein iſt Ges
deihen verhießen, wo durch folche Ausdehnung des Eins
fluffes und der Thaͤtigkeit die Kraft nicht unzweckmaͤßig
vereinzelt und abgeleitet, fondern durch meife Ber
wendung und fparfame Haushaltung zum Wohl des
Ganzen zur Keife gebrachte wird, Um die Weberficht
ber Gefammeverhäliniffe deſto Teichter überfchauen zu
fönnen, verfolgen wir juerff die Spuren, welche ung
den Stand der Gemeinde zu Hamburg zu ihren bishes
rigen Herren, den Grafen von Schauenburg und Hol -
fein in einiges Liche fegen können,
Es iſt ein zartes Verhaͤltniß und fruchtbar an
Mißverſtaͤndniſſen und Verdruß erregenden Veruͤhrun—
gen, wenn Herren ſich ihres Rechts und ihrer Vortheile
durch die That begeben haben, den Nahmen aber und
feine Bedeutung noch feſthalten wollen; die Befreyeten
hingegen um fo aͤngſtlicher und treuer ob der Bewah—
rung ihrer Vortheile wachen, je groͤſſere Mühe und
Srafen, Schauenburgiſcher Zoll. 263
Opfer es ihnen gekoſtet hatte, ſich dieſelben zu
erwerben. In der That war Hamburg durch den
groffen Freyheitsbrief 1292 fich der gefeglichen Gelbfts
vegierung (Autonomie) übergeben worden: nichts deſto
weniger betrachteten die Grafen von Holftein die Stade
noch als ihr Angebör und fcheinen durch Famitienvers |
träge ihre Anfprüche auf diefelbe bald fo, bald anders
beſtimmt zu haben, Die Alfter ließen fie nach und nach
fich abfaufen, wie oben erzahle worden iſt. Aber um
dieferbe Zeit, etwa im Jahre 1305 legte der Graf
Heinrich einen Zoll zu Hamburg an, womit er zwar
in fofern den Vorrechten der Stade nicht zu begegnen
glaubte, als diefer Zoll bloß von Gütern der Fremden
und Auswärtigen erlegt werden follte: allein die Ham⸗
burger, nach dem Grundfag, daß jedwede Befchwerder
die den Handel treffe, mißlich und bedenklich fey, weit
demnach die Kaufleute den Dre vermeiden würden, der
mit fo vielen Auflagen belaftee ſey, ſtraͤubten fich nach
Kräften gegen diefe Einrichtung, erlangten aber nur fo
viel, daß die Stade ſelbſt ald Theilnehmerin an dem
neuen Zolle zugelafien wurbe, Dieß iſt der Urfprung des
Schauenburgiſchen Zolles in Hamburg, welcher
in der Folge zu noch manchen Mißhelligkeiten Veran—
laffung gegeben hat: Gemeinfchafe ift gewöhnlich eine
fruchtbare Mutter von Zänfereyen. Graf Adolph
(Gerhard des I. Sohn) verfchrieb im Jahre 1307 feinen
Ancheil an dem Einfommen dieſes Zoles feiner Ges
mahlin Helena ald Leibgedinge, und beyde gräflüche
Brüder, Adolph und Gerhard II, verfegten die
ganze ihnen zugehörige Halfte einem Lübesfifchen Bürger,
®
264 Die Grafen von Holfkein verkaufen
Nahmens Coſtin, für 800 Mark Silbers, bis zu deffen
Wiedereinlöfung. Die unaufbörliche Geldnoth zwang
die Herren, zu entäuffern, was fie irgend losſchlagen
fonnten, Sogar ihre Mühleneinfünfte verkauften: fie
an hamburgiiche Bürger, je nachdem fie Abnehmer
fanden, 1321, 23/ 250. f, m
Einen Beweiß fehr gunftvoller Geſinnung gegen
die Stadt gaben die Grafen Gerhard, Johann und
Adolph, daß fie im Jahre 1325 derfelben die Muͤnz⸗
ffarte mir allen Münggerechtigkeiten ers und eigenthuͤm⸗
lich verkauften und feyerlich aberaten, Zwar hatte die
Stadt bereitg feit den früheften Zeiten eine Münze, mie
ans dem alten Freyheitsbriefe des Kaiſers Friedrich L
vom Jahre 1189 erhellee, in welchem geſtattet wird,
daf, wenn einer Geld in der Stadt verwechſeln wollte,
es ihm frey ſtehen möge aller Orten, auſſer vor dem
Muͤnzhauſe. Die Muͤnze ſelbſt aber war ein Eigenthum
der holſteiniſchen Grafen, das fie jetzt erſt an vie Stadt
Hamburg kaͤuflich uͤbertrugen. Die Urkunde beſagt aus:
druͤcklich: daß der Rath und die Bürger zu Hamburg
die Muͤnzſtaͤtte hinführo zu ewigen Zeiten, ohne einigen
MWiderfpruch oder Beeintrachtigung fo wenig von Sei⸗
ten der Grafen, als ihrer Erben, ruhig und friedlich
befigen follen: fie ertheilen ihnen. vollfommene Macht
und Gewalt, wann und fo oft fie wollten, Münzen zu
fchlagen und zu mehren; und fegen als ein immerwaͤh⸗
rendes und unwiderrufliches Geſetz fell und verordnen,
daß in ihrem ganzen Lande und in allen ihren Gebieten
feiner irgendwo anders, denn im Hamburg, Münzen
prägen oder durch. einen anderen prägen faffen dürfe
die Muͤnzgerechtigkeit an die Stadt, 1325 ff. 265
Die Urkunde enthält noch die befondere Vorſorge für
die umveranderte Beybehaltung des derzeitigen guten
uͤblichen Münzfuffes: daß die Mark Pfenninge oder
Schillinge (d. h. Scheidemünge, von ſtillen, theilen,
ſcheiden) (Marca Denariorum) auf ein halbes Vierthel
in der Reinheit des Silbers und am Gewicht auf
vierzig Solidos und auf 16 oder 18 Denarios betragen
ſollte. Eine Mark Pfenninge war von einer Marf
Silbers ſo unterſchieden, daß funfzehn der erſteren auf
Eine der letzteren gingen. Fuͤr 30 Mark Pfenninge
kaufte man damahls mehr als Eine ganze Hufe. Da
indeſſen die Pfenninge (Denare) eine zu große Scheider
muͤnze waren, fingen die Hamburger um 1336 an, eine
Eleinere zu fihlagen, fogenannte Blech: oder Hohl⸗
Münzen (bracteati), deren vier auf Einen Schilfing -
gerechnet und die ni auch Vierlinge genannt wurdeng
Die Einführung diefer Bierlinge erregte bey der Elerifey
befonders lauten Widerfpruch, welche füch über dadurch ent:
ſtehende Schmälerung ihrer Einkünfte beſchwerte: dieje⸗
nigen, die bisher Schillinge zum Opfer zu bringen ges
wohnt gewefen, würden fich in Zukunft auf Vierlinge
befchränfen ! eine Klage, zu der fie wohl Grund haben
mochten. "Welchen Eindruck: der Befehl des Erzbiſchofs
Burchard von Bremen von demfelden Jahre 1336, daß
die bamburgifche Cleriſey der Darbringung diefer klei⸗
nen Blechmuͤnzen fich miderfegen folle, hervorgebracht
babe, ift nicht bekannt: wohl aber, daß Hamburg fortwahs
rend fich feines Muͤnzrechtes bedient, bald mit Lübeck,
bald mie anderen Hanfefladten, wie 1403 mit Luͤbeck,
Roſtock, Stralfund, Wißmar und Lüneburg Vereinba—
66 Mißhelligkeiten zwiſchen der Stadt
rungen getroffen zur Berichtigung und Verbefferung des
- Münzfuffes, und den Ruhm eines rechten und- richtigen
Gepraͤges zu allen Zeiten fich erhalten habe,
Wie jedoch bald nachher das Verhältnif der Stadt
Hamburg gegen die Grafen von Holftein und Stormarn in
eine mißhellige Spannung ausgeartet fey, ift ſchon aus
dem Klar, was bereit oben von dem Antheil erzählt
worden ift, welchen jene an den Befehdungen und
Plackereyen der holfkeinifchen Adlichen zu nehmen Fein
Bedenken trugen. Als nachmald Cart IV, zur römie
ſchen Kaiſerwuͤrde gelangte, der mehr auf die Vergroͤſſe—
rung feines Erbreiches Böhmen, als für das Wohl
des Geſammtreiches ‚bedacht war und mie den Ländern
und Rechten der Fleineren deutſchen Staaten einen uns
ruͤhmlichen Handel trieb, * die Grafen, der
wecste Zeitpunkt fen gekommen, die alten, an Hamburg
verkauften Rechte wieder zu erobern. Der Kaiſer hatte
der Stadt noch im Jahre 1359 von Prag aus den
friiher erwaͤhnten Auftrag und Befehl ertheilt, die
See⸗ und Straßenräuber aufzufuchen, zu verfolgen und
gebührend zu beſtrafen. Aber Graf Adolph von Hol
fein, Johann des Milden Sohn, ruͤckte bald darauf,
ums Jahr 1363 nit der Klage hervor, daß die Stadt
nicht die gehörige Unterwuͤrſigkeit beweiſen wolle, Die
Unterſuchung diefer Befchwerden wurde vom Kaiſer
dem Herzoge Albrecht von Mecklenburg aufgetragen,
groß der Einfprache der Hamburger, daß Albrecht ein
fchmwiegerlicher Verwandter des Grafen uud ein verdaͤch⸗
tiger Richter fey, der von feiner Abneigung gegen die
Stade auch ſonſt fihon Beweiſe gegeben habe, Da
A
on
us
T
und den Grafen von Holftein, 267
eine freundfchaftliche Verhandlung, welche die Stadt
anbot ; nicht angenommen wurde, fuchte man der rich»
terlichen Entſcheidung dadurch auszumeichen, daß auf
die gerichtliche Borladung Fein Abgeordnerer ſich ſtellte ·
Diefes vorfeglichen Ausbleibens willen fiel der Befcheid,
erflärbarer Weile, gegen die Stadt aus, die Hamburs
ger wurden ihrer Rechte für verluftig, fie alle für einen
und einer für alle fachbfallig erkläre, und nur die Ers
ſtattung der Koften aus bewegenden Urfachen erlaffen,
Indeſſen ließ ſich Graf Adolph ſchon im nächften
Jahre 1364 billiger finden; in einem Vertrage vom
18. Auguft wegen „verſchiedener Schalinge und Unwil⸗
len“ beftätigte er die früheren Vorrechte und Freyhei—
ten, verfprach die Stadt zu ſchuͤtzen und zu vertheidis
gen, fo oft es erforderlich ſey, und erhielt dagegen
von Seiten diefer das Angelöbniß zu gerreuer Leiſtung
deffen, was fie ihm fihuldig ſey. Kaifer Carl IV.
erwieß der Stadt feine befondere Gnade noch dadurch,
daß er im Jahre 1365, nachdem er erwogen „des
heiligen Deutſchlands und deffen Einwohner gejegneten
Neberfluß, insbefondere daß der Fluß, Albin genannt,
(Elbe) aus unferem Königreich Böhmen fließend, ge«
ſchickt und fiarf genug, Waaren auf derfelben hin und
wieder zu verfahren, vielen berumliegenden Dertern
Nutzen und Genuß bringen könne‘, derfelben ein
groffes Privilegium ertheilte, alljaͤhrlich zwey Wochen
vor und acht Tage nach Pfingften einen Jahrmarkt
halten zu dürfen: eine Gnade, von welcher in ihrer
Ausdehnung Gebrauch zu machen die Stade nicht für
gut gefunden hat. Ihr Markepfag war nicht auf ap
Ningmauern eingefchrants,
*
*
268 Mißhelligkeiten zwiſchen der Stadt
Im Jahre 1368 kam Kaiſer Carl IV, nach Tan:
germäünde, um daſelbſt mir dem Markgrafen Otto wegen
der Mark Brandenburg, die er an fein Haug zu brin—
gen wünfchte, zu unterbandeln, Nach einer alten Nach:
richt follen damahls die Grafen von Holfkein, Heinrich,
Nicolaus, Adolph und Otto ſelbſt dahin gereifer
fepyn, um die alten, an Hamburg verfauften oder ſonſt
durch Vertrag an die Stadt abgerretenen Rechte durch
den Kaiſer wieder zuruͤck zu erlangen. Carl, welcher
folche Streitigkeiten nicht ungerne ſah, fol der Stadt
haben zu erkennen geben Taffen, daß fie fich genau den
Befehlen der Grafen zu fügen habe, widrigenfalls er
den letzteren ſelbſt Beyſtand leiſten wirde; übrigens
follten alfe ihre Rechte, Privilegien und Freyheiten
ihr ungekraͤnkt verbleiben, Die Grafen, welche wohl
ſelbſt fühlten, daß durch einen ſo zweydeutigen Beſcheid
ihnen keine einmal von ihnen veraͤuſſerten Grundſtuüͤcke
wieder zufallen würden, beſtaͤtigten Lieber aufs Neue der
Stadt die valten Rechte und Beſitzungen und: waren
zufrieden, daß ihnen von derfelben die Koſten zu ihrer
Reiſe vergüter wurden, NS Zeugen diefer Beſtaͤtigung
‚werden genannt Bertram Horborg und Heinrich Hoyer,
Bürgermeifter des Jahres 1368. Dieſelbe Erzählung
verfegen jedoch andere in dag Jahr 1375, als der Kaiſer
Cart die Stade Lirbe cf unvermuthet mit feinem Be
Suche beehrte, da er nach einer niche unwahrſcheinlichen
Vermuthung mit dem Plane umging, die Handlung
zwiſchen Böhmen und den Hanzeffädten emporzubringen
und durch Schiffbarmachung der Mulde eine Schifffahrt:
aus Maͤhren und Böhmen bis nach der Wieder Elbe
und dem Grafen von Holſtein — bis 1375. 269
anzulegen: wohin auch fibon der 1365 den Hamburgern
ertbeilte Auftrag, die Elbfahre: von’ Raubern zu reis
nigen, mit zu deuten ſcheint. Nach Luͤbeck begaben fich
damahls auch die holſteiniſchen Grafen, wie es heißt,
um ihre alten Beſchwerden gegen die Stadt, die doch auf
der Grafen Grund und Böden liege und ſich ihrer Herr⸗
ſchaft entziehe, bey dem Kaiſer anzubringen. Als die
Abgeordneten von Hamburg mit jener doppelſinnigen Ant⸗
wort des Kaiſers nach Haufe kamen, ſetzt dieſelbe Erzaͤh⸗
lung hinzu, ſtuͤrzten die Einwohner, unwillig uͤber ein
Reichsoberhaupt, Das die Gerechtſame der Mindermaͤch⸗
tigen zu beſchuͤtzen, nicht ſie zu veraͤuſſern da ſey, die
Rolandsſaͤule, das Zeichen ihrer Unabhaͤngigkeit und
des kaiſerlichen Schutzes zugleich, von der nahen
Brücke ins Waſſer: die Bruͤcke führe auch noch heutigen
Tages den Nahmen der Rolandsbräde, Auffallend bleibt
der Widerfpruch in den, Jahren ſowohl als in dem Orte
der Ausfereigung,- fo oft von dieſem kaiferlichen Befehle
die Rede ift, indem bald Tangermünde, Bald Luͤbeck, bald
1369, bald 1375 genannt werden, ı Des Kaiſers Ber
mühungen in Lübeck, feinen Erblandern eine beffere Hand
ungsverbindung zw verſchaffen, vielleicht ; wenn dag
Gluͤck ihm wohlgewollt, fi zum Haupte des hanſeati⸗
fchen Bundes zumachen, blieben gleichwohl ohne Erfolg:
die Luͤbecker lehnten feine Gefuchg in Demuth ab, bemüh-
ten füch, den "hohen Gaft mit reicher Bewirthung in guter
Laune zu erhalten, und Tieffen ihm zur böchften Ehre
das Thor auf ewig zumauerm, aus welchem er feinen
Abzug hielt, damit Fein Unbheiliger je wieder die Stelle
berrete, welche des Kaifers Fuß bier berührt harte, In
270 Mißhelligkeiten zwiſchen der Stadt
Hamburg fanden keine weiteren Verſuche ſtatt, durch
welche die Grafen die Rechte der Stadt zu kraͤnken
ſich haͤtten geluͤſten laſſen.
Nicht ſo leicht konnte der Widerwille, der swifchen
der Stadt und der in ihren Anmaßungen immer mehr
zunehmenden Cleriſey fortlebte, gaͤnzlich beſchwich⸗
tiger werben, Den geiſtlichen Waffen waren die Laien
noch nicht gewachfen und nur mit Klugheit konnte ges
gen diefelben gefampft werden, zumal da die Grafen
von Holftein felbft es. ihrem Vortheil angemeffer fans
den, die Erhaltung der Vorrechte des Stiftes fich be
ſonders angelegen feyn zu laſſen. Zu einem argerlichen
Ausbruch Fam die. Spannung gegen das Jahr 1335,
da die Geiftlichfeit fiih anmaßte, gegen der weltlichen
Obrigkeit Rechte den Ehebruch zu beftrafen und anderer.
Freyheiten ſich zu bedienen, welche nur. den Bürgern
und den Vorſtehern der. Bürgerfchaft zuzukommen ſchie⸗
nen. Sm Unwillen hatten eiliche Bürger ſogar Hand
an einige Geifktichen gelegt: alfo daß das Capitul den
Bann ausfprach über den Rath und. die Bürgerfchaft,
die Ausübung aller gottesdienſtlichen Handlungen unters
fagte, und die Stade. verließ, Nur die Franzifker.
ner: Mönche in Marien: Magdalenen wagten es,
trotz der Gebote des Stiftes in der Stadt zu bleiben
und hielten ihren Gottesdienſt, nach, wie vor. nz
zwifchen wurden pabftliche Bevollmachtigte ernannt, Die
Streitigkeit zu unterſuchen, und unter Vermittelung des
Erzbilchof3 von Bremen, Burkhard, fam 1337 ein
Bergleich zu Stande, der vorlaufig den Frieden eins
leiten ſollte. Unter mehreren Vergleiche + Bedingungen
und dem Dom ⸗Capitul. 271
find einige der Auszeichnung wirdig: „Wenn der Got-
tesdienft in der Stade Hamburg aufgehoben fey, wolle
man Feine Todten weder in den Pfarrkirchen noch aufderen
Höfen einzufcharren verffatten, ‚auch Feine Glocken, die
einzige Geigergloste ausgenommen, welche die Stunden
anzeige, laͤuten laffen. Es wurde alfo die Recht
mäßigkeit des Kirchenbannes im Voraus ald gültig an
die Spige geſtellt. Ferner: „Es ſolle den Geiſtlichen
ungehindert frey ſtehen, ihre in der Stade belegenen
Erbgüter, gleich den Bürgern, zu verkaufen, zu ver—⸗
pfanden oder loszuſchlagen; auch ſich Haufer und Er
ben anzufchaffen, wenn fie nur auf eines Bürgers Nah:
men, der für Schoß und Gebühren hafte, geſchrieben
winden, Man wolle nicht mehr verſtatten, daß die
Kramer und andere Handelsleute in den Kirchen und
der St, Annen-Eapelle Cim Schappen-Dom) ihre Waaren
feil bieten, Keiner der Domberren, noch fonft jemand,
follte ſich unterfangen, auf den Kirchhöfen, oder fonft
in der Stadt, Kalk zu brennen. Capitul will für
tüchtige Paftoren und Capellane, der Scholaſticus
für gelehrte und geſchickte Rectoren forgen, mit dem
gebräuchlichen Schulgelde zufrieden ſeyn und darin Feine
Erhöhung oder Neuerung vornehmen, u, ſ. w,
‚Die vorgebrachten Bedingungen und die ganze Bey:
legung des Zwiſtes erfehienen der Gemeinde der Stadt
fo unleidlich, dag man fih an ihre Gültigkeit nicht
gebunden glaubte und die gegenfeitige Anfeindung um
fo teidenfchaftlisher fortdauerte. Während das Capitul
ſich aus der Stade begeben hatte, waren die Pfaffen,
dem Müffiggange noch mehr hingegeben, in allerley
18
272 Streitigkeiten zwifcben der Stadt
Berwilderung ausgearter, melche befonderd anftößig
wurde, als fie nach dem erwähnten Zergleiche zum
Theil zurüskgefehre waren und ihre Meffen im Chore
wieter begonnen hatten, Der Erzbifhof von Bremen
fand bey feiner, um diefe Zeit in Hamburg gehaltenen
Kirchenunterfuchung die Ausartung fo groß, daß er fich
bewogen fand, im Sahre 1339 einen in dem gefchärfte:
fien Ausdrücken abgefaßten Befehl an das hiefige Ca-
pitul ergeben zu Taffen, im welchem ein jeder in Kraft
des heiligen Gehorfams zur Beobathrung feiner Amts:
pflichten angewiefen und die gewiffenhaftefte und getreuefte
Kirchenzucht geboten wurde, Weber die Einzelheiten des
Zwiſtes, der zmwifchen beyben Parteyen, Geiftlichkeit
und weltlicher Gemeinde, fortdauerte, find wir nicht
genau unterrichter, verlieren aber nur wenig an diefem
Mangel. Daß der Bann feit 1335 achtzehn Sabre
hindurch gedauert habe, fagen fpatere Nachrichten: doch
ift die Ausſage wohl dahin zu befchranfen, daß er in
feiner Strenge nicht anhaltend ausgeibe worden fey.
Unffreitig befand fih das Dom⸗Capitul bey diefer gan
‚zen Mißheligkeie im gröfferen Nachtheile; dieß ergiebt
fich, neben anderem, aus den mit Aengſtlichkeit berechne-
ten Verluſten, welche bis zum Sabre 1343, den Sche-
den abgerechnet, der durch Plünderung der Eapituls-
Dörfer entffanden war, mit größter Genauigfeit über:
liefert worden find: 2500 Gulden für den Prozeß bey'm
päbfklichen Hefe, 2000 Gulden für die gu Bremen und
Lüberk gehaltenen Zuſammenkuͤnfte, 1250 Mark Verluſt
an DOpfergeldern in den Pfarrkirchen während der Zeit
des Bannes, auch 400 Mark für zerfallene Domberren-
und den Dom⸗Capitul, 1335—1354. 273
Höfe u, dal. Die Stade mußte natürlich die Schuld
aller diefer Vorwürfe tragen, und es darf nicht befrem-
den, wenn ein alter Chronikenſchreiber, geifflichen
Standes, fich bitter auffere: es hatten die Bürger, die
gewappnet aus der Stade gegogen, ber Geiftlichen Höfe
und Güter fpofirt und verbrannt und den Raub in die
Stadt zurückgebracht. Einer gereisten Empfindlichkeit
find ſolche Ausfälle ſchon zu verzeihen.
Eine Verordnung des Erzbifchofs von Bremen vom
Jahre 1352, daß die durch Blutvergieſſen entheifigten
Doms und Peters⸗Kirchen nebft ihren Altären wiederum
geweihet werden möchten, laͤßt fogar vermurhen, daß
e8 während biefer Zeit an heiliger Stätte zu ärger:
lichen Auftritten gefommen fey. Se langer inbeffen
der Zwiſt dauerse, je mehr Bannbullen geſchleudert
wurden, fogar päbfkliche, (vom Jahre 1349) deſto
hartnaͤckiger beharrten die Bürger auf ihren Anforde
rungen, um fo mehr, da diefelben rechtlich Begründer
fehienen, Schon in dem alten Stadebuch von 1277 war
verordnet, daß Fein Mönch, der bey mündigen Jahren
in den Drden getreten, zu erben berechtiger ſey; in
demfelden werden die Pfaffen den Unmuͤndigen beyge
zaͤhlt, die ohne Vormund vor Gericht nicht handeln
koͤnnten: Beſtimmungen, welche man aufzugeben ſich
weigerte. Das Capitul nahm endlich ſogar zum Kai
fer Earl IV, feine Zuflucht und erhielt von demſelben
ein Schreiben, 1354, in weichen König Waldemar
von Danemarf, mehrere Fürften und Herren Nieder:
fachiens, fo wie die Bifchöfe vom Bremen und Magde—
burg aufgefobere wurden, von der Sache Errundigung
168*
* 4 ,
*
274 Vertrag mit dem Capitul, 1355.
einzuziehen und die Stadt zur Aufhebung ſo beſchwer—
licher Statuten und zu billiger Genugthuung nachdruͤck—
lich anzuhalten. Auffer dem nahm der Kaifer die ganze
Geiftlichkeit, noch befonders in feinen Schuß. Da gleich-
wohl die Stadt der Sache wenig achtete und ‚mit ihren
Minoriten » Brüdern, welche ungeflört den Gottesdienſt
fort beforgten, ficb wohl begnügte, fürchtere die Geift-
lichkeit, durch noch längere Abfonderung in noch gröf-
fere Verlufte zu kommen. So fügte fie fich denn end»
lich im Jahre 1355 (den 5. Auguſt) ın einen Vergleich,
in melchem ſich beyde Theile einander zufagten, den
Argwohn ſchwinden zu laſſen, in ihren Freyheiten und
Gerechtfamen fich niche „binderlich zu feyn und fernere
Irrungen durch Güte beyjulegen, Als eine befondere
Verguͤnſtigung wollte das Capitul die gegen die Stadt
| erhaltenen und nusgebrachten Bullen, Briefe und Ur:
theilfprüche niemals zu einigem Nachtheil der Stadt
anführen, ſondern hiemit ganzlich aufheben, vernichten
und verwerfen. So wurde endlich ber Bann gelöfet,
die Stiftsherren Fehrten in die Stadt zurück, und das
gute Vernehmen [aien, vor der Hand wieder hergeſtellt
zu ſeyn. |
Was die — kkirchlichen Angelegenheiten in
diefem Zeitabſchnitte anberrifft, fo iſt einerſeits der
fromme Sinn der Hamburger achtungswereb, der fich
darin bewieß, daß fie alle Anftalten, welche irgend den
Nahmen des Heiligen und Chriftlichen an ſich trugen,
nach Kräften zu befoͤrdern und zu erweitern ‚bemüht
waren: auf der anderen Seite darf e8 uns nicht befrems
den, wenn wir das Chriſtenthum ſelbſt in jener
Kirchfiche Anſtalten und Gebäute. 275.
Ausartung auch bier! erbfichen, die es bis in dieſes
Jahrhundert durch die Selbſtſucht und Willkuhr der
herrſchenden Cleriſey erhalten hatte. Bon dem inneren
Berfall der geiſtlichen Zucht und Ordnung giebt unter
andern die ſtrenge Verordnung des Dechanten Johannes
Zeugniß, vom Jahre 1324, in welcher die Chorherren
und Geiſtlichen mit Androhung der ſchaͤrfſten Strafen
zu ihrer Pflicht und zu forgfältiger Verrichtung der
gottesdienſtlichen Handlungen angewieſen merden, Nicht
minder ffrenge waren die Befehle der bremiſchen Bi⸗
ſchoͤfe an das Capitul, gleichen Inhalts, Don den
geiſtlichen Gebaͤuden war das Kloſter zu St. J oban-
nis ein Raub der großen Feuersbrunft geworden,
welche die Stadt’ im Jahre 1281 heimgeſucht hatte.
BIS zum Fahre‘ 1314 war ber Wiederaufbau deffeike
vollendet, wozu auch der Rath 400 Mark Luͤb. beyge⸗
ſteuert hatte und es wurde zwiſchen dem Nath und den
Predigermoͤnchen über bie Grenzen des Kloſters und
deffen Einvicbeung ein befonderer Vergleich 'gefchloffen.
Nach diefem murde den Mönchen insbefondere erfaußt,
eine Mauer aufzuführen, welche vom Kuͤterhauſe (de-
mus camificum) big zur Gerberſtraße hin fich erffrectte,
In demſelben Jahre wurde auch zu Marien Magdalenen
die Aufführung einer Maier . vom hoͤlzernen Schutz⸗
fhurme bey der Alſter an (dem blauen Thurme) big. sum
Gerbergang (Stavenpforte) fo wie den Mönchen eine Er,
weiterung ihres Schlafſaales und dgl. geſtattet. Auch die
Wedeme oder das Paſtorenhaus zu St. Petri wurde
1314 erbauet. Zum Thurme su St. Petri wurde im Jahre
1342 der Grund gelegt: alſo ſelbſt während der Zeit,
%
276 Aufbau der Kirchen, Thuͤrme,
als von der Geifklichfeit der Bann über die Stadt aus—
gefprochen worden war, Kür biefen Thurm wurde
1384 bie groſſe Glocke gegoffen, von bem Glockenmeiſter
Dierich aus Münfter. Auch die St. Jacobi-Ra
pelle war in diefer Zeit, da die Anfiedelung in der Um—
gegend fo ſchnell anwuchs, zu einem gröfferen Gottes—
haus erweitert worden, und, den Kirchenbau zu beför:
dern, ertheilte der Pabft Innocentius VI. von Avignon
aus 1354 und 1356 Ablaßbriefe, vermöge deren ns
halt ein jeder, ber die Kirche befuchen, Wallfahrten
dahin anfkellen , Dieffen und Predigten hören, gottes⸗
dienſtliche Umgaͤnge halten, zum Begraͤbniß der Armen
und Waiſen beyſteuern, dem Leibe Chriſti und dem
heil. Oele, wenn es herumgetragen wuͤrde, nachfolgen
und uͤberhaupt zum Bau der Kirche mildthaͤtig beytra⸗
gen wolle, jedesmal auf vierzehn Tage Ablaß erhalten
mwürbe. Um bie Auswirkung diefed Ablaßbriefes harte
ſich befonderd der damalige Bürgermeifter, Heinrich
von Bergen, fehr verdient gemacht, „ein berühm-
ter und hochangefehener Mann‘, wie er in der Beſtaͤti⸗
gungs⸗ und Ermweiterungs- Bulle des Erzbiſchofs Gott
fried zu Bremen genannt wird, Dieß von Bergen’
fche Geſchlecht war eines der ebelffen in Hamburg, und
aus ihm waren zwifchen ben Jahren 1274 bis 1470
viele verdiente Bürgermeifler und Rathsherren genom-
men worden: alte Heberlieferungen fagen, daß es 1470
mit dem Senator Johann von Bergen ausgeſtor—
ben und mit ihm Schild und Helm ind Grab gelegt wor⸗
den fey: doch Elagen dieſelben Die Stadt zugleich des Un⸗
danfs an, daß fie die Wegraumung ber Denfmahler
Capellen und dgl. in Hamburg. 77
diefes bochangefebenen Gefchlechts geſtattet babe, An
der Jacobi⸗Kirche foll der ganze öftriche Theil mit Ir:
begriff des Chores auf Unkoſten derer von Bergen er—
bauer worden ſeyn. Bid zum Jahre 1397 erhielt fe
auch ein kleines, ſpitziges Thürmchen mir einer Glocke
zum Lauten, Die Grundlage zw einem Thurmbau an
St. Nicolai wird in dad Jahr 1384 gefegt. Zu den
kleineren Capellen kam im Jahre 1372 die Erweiterung
der fogenannten Scharpforte zu der Kapelle te
den Schare, (Schare iſt Strand,) zur Bequemlich⸗
lichkeit der Pilgrime, die aber weder geweihet noch
dem Gottesdienſt gewidmet wurde. Im Jahre 1398
aber ward der Grund zur St. Gertruden-Kapelle
gelegt, deren Einfünfte zum Theil mie zum Ausbau der
Kacobi = Kirche verwandte werben ſollten.
Zwiſchen dem Rath und der Bürgerfchaft beftand b
Tange ein friedliches Familien » Berhälenif, als gleiches
Beduͤrfniß, fich gegen die Anfälle aͤuſſerer Feinde zu
ſchuͤtzen, fie zu Einem Zwecke vereinte und Bilfigfeit ih
Handhabung der Gefeße, welche kuͤnſtliche Formen vor:
meider, und eine gewiffe Gleichheit Feine Abſonderung
entftehen ließ, Berfehiedene Urfachen wirkten nachund nach
zuſammen, daß diefes einfache Verhaͤltniß geftöre wurde
und gegenfeitig Mißtrauen fich entfaltere, nach gemöhnti-
chem Gange der Menfchenbildung, die fich nicht begnügt,
bey dem Einfacheren zu bebarren, fondern allmaͤhlig in
die Gahrumg der Leidenfchaftlichfeie uͤbergeht, aus wel⸗
er fich der gelaͤuterte Stoff zum Beſſeren ausfcheiden
nnd geftalten muß. Auf diefem Wege der inneren
Gährung har ſich die Verfafung Hamburgs gebildet,
278 Urfachen der Unruhen in den
ein Kind der Zeit und ber Erfahrung, mithin auf
feffen Grund gebauet, Das viersehnte Jahrhundert
gab den in ihrer Stadt unabhangig gewordenen Ham:
burgern, deren Gewerbe und Verkehr immer vafcher
emporblühte, vielfache Beſchaͤftigung mit: Befehdung
und Bertilgung der Geeräuber und der adlichen Freyr
beuter. Ihre Flossen fiegten, ihre Landfrieger fochten
unter den Befehlen der Bürgermeifter und Rathmaͤnner,
deren Anfehen dadurch nothwendig erhoͤhet werben
mußte, AS der Handel nach Auffen bin fich erweiterte
und. durch. die Hanfe Verbindungen mit auswärtigen
Regierungen. angefnüpft, Unterhandlungen theils auf
den. Hanfetagen, theils an fremden. Höfen gepflogen
wurden, als auch in den Staͤdten durch Vermehrung
der Bedürfniffe das Eigenthum mannichfaltiger,- die
Rechtshaͤndel verwickelter wurden: begab es ſich, daß
vorzüglich nur ſolche zu Rathsherren erhoben werben
Eonnten, welche fo ‚gewichtigen Anfoderungen aͤuſſeren
Anſehens zugleich, als. erhoͤheteren Wohlſtandes und
vorzüglicherer Kenntniffe entſprachen. Dieß war. in
mehreren. Städten Beranlaffung, daß eine Art von
ariſtokratiſcher Regierung ſich bildete „und gewiſſe Ges
fchlechter. in den ausfihließenden Beſitz der höheren
Würden und, Aemter des Staates ſich zu „verfegen
wußten, — jemehr dieſe Urſach fanden, gegen den
bald verſtaͤndigen, bald unbeſonnenen Widerſpruch der
Buͤrger und Gildevorſteher zueinander zu halten, deſto
gröſſer ward die Kluft, die fich zwiſchen dem beyder⸗
ſeitigen Vertrauen befeſtigte. Die hier mehr dort mer
niger haͤufigen Fehden, in welche die Staͤdte verwickelt
Städten des Hanfebundes, 279
wurden, die ausgedehnten Verbindungen, die neuen Anz
lagen und Bauten ‚der Prunk und Aufwand, den die
Vorſteher zu machen nicht umhin fonnten, "die viel
fachen Reifen und Tagegelder zu "den Verſamm⸗
lungstagen vermehrten die Ausgaben, und machten
gröffere Auflagen nöchig, welche” empfindlich auf die
mindere, gewerberreibende Abtheilung der Bürger fielen,
Daher finden wir in der Mitte des wierzehnten Jahr—
hunderts faſt im allen bedeutenden Staͤdten Unruhen
und Auffiande, überall dieſelben Erfebeinungen, nicht
durch Verbindung und geheime Verabredung entikanden,
fondern weil gleiches Gefühl des Unrechts und der Bes
nacheheiligung überall gleiche Aeufferuingen zum Vor⸗
fihein brachte. Nur von den Braunfchweigern weiß
man, daß fie durch Sendſchreiben an andere banfifche
Gemeinden Unruhen zu erwecken gefucht harten.
in Hamburg ftanden im Jahre 1376 mehrere Ge:
werke auf und verſchworen ſich zuſammen, daß fie den -
Rath zwingen wollten „ihnen den Schoß zur Hälfte
berabjufegen, und noch etliche andere! Befchwerden abzu⸗
ſchafſen. Da indeffen die Sache zur rechten Zeit durch
die Bürger Hein Klingſporn, Luͤrke von der Hevpde,
Diren Eaffen- und Boͤttcher Bremer dem Rathsmann
Heinrich Krowel und: durch diefen dem Rache ſelbſt ber
kannt gemachte worden war, auch die Aemter der Kra—
mer, Böttcher, Kerzengießer und Heringswafcher an
dem Aufftande feinen Antheil nahmen, wurde es durch
weife Maͤßigung und Beſonnenheit verhuͤtet, daß bie
Unruhen zu Thaͤtlichkeiten aucbrachen und daß hoͤch—
ſtens nur Drohungen geböre wurden, wie die deg
u
280 Unruhen der Bürgerfchaft in H. 1376.
Knochenhauers Tilke Bihhelſtadt: Er wolle Ein für
allemal haben, daß ber halbe Schoß abgerhan würde,
ehe er noch etwas aße und traͤnke, und follte er auch
deshalb auf dem Rade ſitzen. Befonderd thärig zur
gütigen Vermittelung bewieſen fich die Kaufleute,
welche aus ihrem Amte 24 Abgeordnete geſchickt bat,
ten, die den Berfammlungen im Marien Magbdalenen-
Klofter beywohnen mußten. Der Rath, der mir dem
Bewußtſeyn rechtlicher Verwaltung gewappnet war,
foderte muthig die Aemter auf, daß er ihnen Rechnung
ablegen wolle von der Zeit an, als die aͤlteſten Mit:
glieder unter ihnen gefeflen hatten, welches 26 Jahre
waren, und jeder werde erkennen, daß fie des Schoffes
unmöglich entbehren koͤnnten. Die vorficheigen und
zweckmaͤßigen Unterhandlungen beugten endlich die ffars
ven Köpfe und die Aemter ſchworen, Ruhe und Frieden
nicht fürder zu fiöhren. Die Stade hatte fich nicht mit
Blurfchufd- befleeft, wie die edele Guchmüthigfeie des
bamburgifchen Volkes weder bey biefer, noch bey aͤhnli⸗
ben Mißbelligfeiten fich je mit folcher beladen hat.
Es ift nichts davon befannt, daß in der. nathfk-
folgenden Zeit, in welcher in anderen Stadten, beſon⸗
ders in dem benachbarten Luͤbeck, die Unruhen der Buͤr⸗
ger in blutige Auftritte ausarseten und Hinrichtungen
durch des Henkers Schwerdt, durch Rad und Galgen
berbeyfuhrten, in Hamburg irgend einige Unordnung
ſich gezeigt babe, Wiewohl Die Unzufriedenheit von
Zeit zu Zeit fich ernenerte über die fehweren Abgaben,
welche beſonders durch die beftandigen Fehden verans
laßt wurden, Die gleichwohl mehr Angelegenheit der
Kortdanernde Spannung. 281
Kaufleute, als der allgemeinen Buͤrgerſchaft waren,
Auch der Rath ſcheint nicht immer ber weiſen Mäfis
gung getreu verblieben zu ſeyn umd erlaubte fich wohl
jumeilen eigenmächtiger und übermüthiger Handlungen
und Gewaltſtreiche. Im Jahre 1403 entfponn fich ein
blutiger Kampf zwiſchen den Grafen von Holftein,
Albrecht und Gerhard, gegen die Dithmarfchen,
ganz aufferwefentlich von den Angelegenheiten der
Stadte, und durch dem fehr fremdartigen Ueberfall des
Herzogs Erich von Sachfen, deſſen Eydam Graf
Albrecht war, veranlaßt. Der Kampf ift einer der
biutigften und graufamften gewefen und endete mit ber
Niederlage der Holfteiner und mit dem Fall der beyden
Grafen, da Albrecht vom Pferde ſtuͤrzend feinen
Tod fand und Gerhard von den wild empörten Dith—
marfchen im Gewühl des Treffens erfchlagen wurde. Der
Rath von Hamburg fowohl, als der von Lüberf, waren
in diefer Angelegenheit zu wiederholten Malen zur Ver:
mittefung aufgefodert worden: nichts deſto meniger
nahm. der von Hamburg Partey für die Grafen, wenig:
fiens in fo fern, als er den Bürgern verbot, allen
Handel und Verkehr mir den Diehmarfchen aufzuheben.
Mochte e8 Liebe zum beimifchen Frieden feyn, welche
die Bürger bewog, fich diefem Gebote zu fügen, oder
die Ausfiche, daß die Fehde nicht von langer Dauer
feyn würde: fie befcbloffen, dem Rathe zu geborchen,
aber benußten zugleich die Gelegenheit, unrechemäßige
Anmaßung, deren fich im Stillen der Rath bemächtiget
hatte, für die Zukunft gefeglich zu entfernen. Auf Anfuchen
ber Gemeinde bewilligte namlich der Rath, 2404, ‚daß
282 Der alte Rath in Luͤbeck, abaefekt,
er Feinen Bürger, bevor nicht ordentliches Recht er
kannt fey, wolle gefänglich einziehen laſſen;“ ein Ge
feß , das als Grundflein wahrer Buͤrgerehre betrachtet
werden muß, und deſſen Umffurz eine Verhöhnung
menfhlicher Winde iſt. Ä
In dem benachbarten Luͤbeck waren unterdeffen,
bereits feir dem Jahre 1380, die Unruhen immer hef—
tiger geworden und die Leidenfchaftlichkeit in helferen,
vergehrenden Flammen aufgefodert. Die Schuldenlaſt,
welche durch die vielen Kriege auf die Stadt gefommen
war, Konnte felbft durch erhöhere Abgaben miche ges
tilgt werden: der Kath Fonnte nicht umbin, Die Bir:
gerſchaft und die Aemter zur Einficht und Berarhung
zu ziehen, bis daß dieſe endlich im Jahre 1405 aus
ihrem Mittel eigenmächtig einen Ausſchuß von Sech—
zig Maͤnnern ernannte, welche bey den Angelegenhei⸗
ten der Schuldenſache als mitrathende und mitverwaltende
Glieder zugegen ſeyn ſollten. Aber es blieb nicht bey
dieſer erſten Beſtimmung, und die Sechziger verlangten
gleichen Zugang auch bey den übrigen Theilen der
Staderegierung, nach dem Sinn und dem Wunfche der
gemeinen Bürgerfchaft. Im Sabre 1408 brachte e8 die
Volkspartey dahin, daß ein neuer Rath gewählt wurde,
in dem vorzüglich Handwerker faßen, und Diefer nun,
nachdem der alte Rath fich alles Antheils an der Re—⸗
gierung begeben, mit dem Ausſchuß der GSechjiger die
Stadtangelegenheiten verwaltete, Die benachbarten
Städte, insbefondere der Rath von Hamburg, verſuch⸗
ten vergebens, die Eintracht zwiſchen den beyden
Theilen wieder herzuſtellen: es kam zu abermaligen,
flüchter nach Hamburg, 1405 ff. 283
ſeht unrubigen , Auftritten, die Mitglieder des alten
Raths mußten aus Luͤbeck fliehen und begaben ſich
theil® nach anderen Orten, theils nach Hamburg, mo
fie bey „den Rathmaͤnnern bereitwillige Aufnahme fan
den. Lüberf8 Beyfpiel wurde in Wißmar und Roſtock
> befolgt: auch dore wurde ein Ausſchuß von fechzig
Männern erwahlt, die Angelegenheiten der Verwaltung
zu unterfuchen, und die alten Rathsverwandten hatten
neu gewählten Pla machen müffen, In Hamburg ſah
das Volk befonders ſcheel zu der Liebreichen Auf:
nahme, ſolcher Perfonen, auf welchen, nach feinem Ge⸗
fühle, gerechte Beſchwerden einer Stadtgemeinde haf—
teten, die ihnen in vieler Hinfiche verfchwiitere war :
mit der Erinnerung an das, was in Luͤbeck vorgefallen,
regte fich die eigene Empfindlichkeit, da man gleiche
Beſchwerniß über fich zu erdulden vermeyntex und fo
bedurfte es nur eines zufäligen Anſtoßes, um der
Empfindung Sprache zu verfihaffen, dem fHillverbaltes
nen Groll den Weg zum Ausbruch zu bereiten, ‚Diefer
Zufall, der für die Stadt eine fehr gewicheige Folge ber-
bepführen follte, ereignete fich. im Jahre 1410, |
Herzog Johann zu Sachfen- Lüneburg war auf
gefuchtes und erhaltenes ſicheres Geleit, es iſt nicht
ganz gewiß, in welcher Angelegenheit, im Jahre 1410 in
Hamburg geweien und daſelbſt von einem Bürger,
Nahmens Heine Brand, etwas derb gefchmäher und
verachtet worden. So wenigſtens klagte der Herzog
nach feiner Abreife von Hamburg, in Briefen bey dem
Rache und foderte Genugtbuung. Auch entbot der Rath den
Verklagten alsbald vor fich, Tegte ihm die Briefe vor und
284 Die Unruhen, durch Heine Brand veranlaft,
ließ ihn, wiewohl ſich Brand erbot, für feine Perfon
bis zu ausgemachter Sache Buͤrgſchaft zu Teiffen, un:
ter dem Geleite von acht Rathsherren nach dem Win:
fer:Baume bringen, (einem Thurme am alten Ober:
baume des hamburgifchen Hafens) und daſelbſt in Ge-
wahrfam nehmen. Kaum war dieß in der Stadt ruch-
bar geworden, als die Bürger ſich auf dem fogenann«
ten Schafferhaufe verfammelten, einem alten
Stadrgebaude an der Ecke des Neß und des A. ©. €.
gelegen, fonft auch das Gildehaug genannt, das ger
wöhntich zu den Verſammlungen der Bürgerfchaft diente,
wenn der Rath fie, oder fie den Rath bey aufferordents
lichen Vorfaͤllen zufammen beriefen, Sie hielten das
vor fech8 Jahren gegebene Verfprechen, daß fein Buͤr⸗
ger ohne Urtheil und Recht zu gefänglicher Haft gezo—
gen werden follte, für verlegt, und verlangten von
dem derzeitigen Bürgermeifter, Chriffian Miles,
die Entlaffung ihres Mitbuͤrgers aus der Verhaftung,
welche der Rath zu verweigern nicht den Much hatte:
diefelben acht Rathsherren mußten den Heine Brand
nach dem Schafferhaufe zuruͤckgeleiten. Des folgenden
Tages befchied die Gemeinde ſich auf den Reventer des
Marien-Magdalenen-Klofterd, und erwählten nach dem
Beyſpiele der Stade Luͤbeck, nur ohne ſtuͤrmiſche Bewer
gung, aus ihrer Mitte gleichfalls ſechzig Männer,
aus jedem Kirchipiele funfzehn, deren Nahmen noch in
alten Nachrichten ſich vorfinden, Diefe begaben fich
nach dem Rathhauſe und ließen den Heine Brand
vorfodern, auch die Briefe des Herzogs ſich vorlegen,
Da aber theild die vorgebrachten Beſchwerden als
führendie Secbziger-Wahl herbey, 1410, 285
unerheblich zuruͤckgewieſen, tbeild der Nath durch Auf:
ftellung von drey Zeugen, die nach dem alten Stadt
buche niche für zeugefähig gelten Fonnten, da ber eine
ein Mönch, die anderen Landleute aus Dithmarſchen
waren, der DBerlegung der rechtlichen Form überführe
wurde, fibien es eben fo fehr der Billigfeit, als der
Klugheit angemeffen zu feyn, den Handel, um weitere
Erbitteruug zu verhuͤten, auf fich beruhen zu laſſen.
Der Eine Schritt war mit fo vieler Befonnenheit
als Entſchloſſenheit gethan worden: es iff begreiflich,
dag man nicht an der Schwelle zu dem ſtehen bleiben
wollte, mas das allgemeine Begehren der Stadtgemeinde
fich zu eröffnen wünfchte, dem freyen Grund und Boden
ihres altherkoͤmmlichen Bürgerrechts, Einer der Raths⸗
männer, Nahmens Quick born, welcher fich in diefer
Sache als hartnaͤckiger Gegner der Bürger bewiefen,
mußte auf der legteren Begehren den Rathſtuhl verlaffen
und ift erſt acht Jahre fpater durch neue Wahl wieder zus
gelaffen worden, Die gewahlten Sechziger brachten
von jeßt an, als redende Stellvertreter der. Gemeinde,
die Wünfche, und Klagen der Bürger in zwar nahe
drücficher, aber leidenſchaftloſer Vorſtellung zur
Sprache, und fo Fam der erſte und älteffe Recef zu
Stande zwiſchen dem Narbe und der Bürgerfchaft,
„belevet unn bevulborder in St, Raurentiug Avende
des billigen Martelers“, 1410, in welchem vorhandene
Mängel abgefchafft und etwa zu fürchtenden neuen im
Voraus vorgebeugt wurde. Die Beſtimmungen dieſes
Receſſes ſelbſt, die und am vichtigften von den vorge:
weſenen Befchwerden unterrichten, find folgende:
286 | Aelteſter Receß von Hamburg, 1410.
„Kein Bürger, arm oder reich, mag, ohne zuvor
gerichtlich verurrbeilt zu feyn,: in Haft gebracht wers
den. Der alte Luͤbecker Rath foll bier nicht gebulber;
mit dem neuen hingegen gutes Verſtaͤndniß und Freunde
fhaft unterhalten werden, Der Rath mag wegen der
Stadt, ald Mitglied, der Hanfe, nichts Wichtiges ohne -
der Bürgerfihafe Genehmigung: vornehmen, Hinfor: foll
der Orloffirichtig vereheife werden. (Orloff, Ur
laub zu brauen, den der Rath an die Inhaber der
Braugerechtigkeit ertheilte, fobald nach Anzeige der
Spunder-Alten das vorrathige Bier beynahe zu Ende
war.) Dhne Zuffimmung der Bürgerfchaft fol der
Rath Feinen Krieg beginnen,, Mit 8 Schilling ı Pfen
ning fol die Mark: Silbers verfchoße werben, Wenn
die Stadtcaffe bey unausweichlichen Kriegen und andern
Bedrangniffen außerordenelichen Zuſchuß heiſcht, fol
der Rath folches den Bürgern vortragen, Damit Diefe
fich nach den Umſtaͤnden darüber mie ihm verftändigen,
Die Fahre der Englandsfahrer foll beſchuͤtzt wars
den, . fie miffen aber ſo viele Schiffe anfchaffen, daß
der Bürger Waaren. hinreichend koͤnnen verfahren werz
. den. Wird der Stadt Krieg angekündigt, fo. fol des
Feindes Nahme fogleih am Rathhauſe angefchlagen
werben. Der Rath ſoll Niemanden Schulden halber
- freyes Geleit in der Stadt geben; waͤre es, daß er
durch Noth und Nüslichkeit der Stadt dazu gezwungen
würde, muß. folches zuvor den Bürgern befannt ge
macht werden, Damit fich diefe danach richten können.
Im Münzen fol der Rath nach feiner beiten Ueberzeu—
gung verfahren, Leibeigene Finnen nach Sabı
Aelteſter Neceß vom Jahre 1410, 287
und Tag nicht zuruͤckgeſodert werden. Rechtet ein
Bürger mir einem Rathsgliede, fo fol diefes voran
deren Sachen abgerban werden. Einige Stadtbediente,
die. den Bürger fibeeren, fol der Rath verabichieden,
Die Audienzen follen bey guter Zeit angeſagt werden,
Die Armen und Seeken (Kranken) zu St. Georg
müflen beffer verpflege. werden, Der Rath wird die
Bürger gegen alle Plackereyen der Fürften, Ritter und
ihrer Kappen treulich vertreten,’
Der sach mußte zum Schluß der Verhandlungen
den Secbzigern der Bürgerfchaft noch geloben , daß
er die Freyheit der Stadt weder von innen noch von
auffen verfümmern wolle, Wenn die Freyheit, fo wie bier,
auf Bilfigfeit und Rechtmaͤßigkeit der Gefege gegründer
wird, iſt ibre Dauer für die Zukunft im Voraus vers
buͤrgt und der Gtadtgemeinheit, die ſich ihrer würdig
zu balten weiß, ein beneidenswerthes Glück verheißen,
Hamburg wird im Fortgange der Erzählung den über
zeugenden Beweiß liefern, daß die. Eroberung eines.
folchen Gluͤckes möglich fey. |
19
288 Erweiterung der Stadt big ins 15. Jahrh.
III. |
"Bevor wir den Begebenheiten, welche Hamburg
angeben, weiter nachfolgen, wird es nicht undienlich ſeyn,
noch einen Blick auf die Stads felbft zu werfen und
nachzufehen, biß zu welcher Ausdehnung und Vergröffes
ung fie fich bis in das funfzehnte Jahrhundert, in
welches mir jetzt eintreten, erweiterte babe. Dad
BerrisKirchfpiel, der uralte Kern ber Stadt, mußte
zunachfi an Anwachs gewinnen, feitdem die Stadt in
den völligen Befig der Alfter gefegt worden war und
nun die Alfter: und Elb-Canale, fo wie deren unter den
Bruͤcken weggeführte fernere Einleitungen und bie
ſchmaͤleren und Fleineren Sleete die Anlegung verſchie—
dener zum Kaufgemwerbe eingerichteter Straßen und
Baffen verfiatteten, Daber finden wir bereits im funf-
zehnten Jahrhunderte die Brands-Twiere, wahr
febeinlich von jenem Heine Brand fo genannt, wer
cher mit dem Herzoge Johann zu Sachfen den oben erzaͤhl⸗
ten folgereichen Zwift gehabt hat. T mieten (vor tuitio,
Beſchirmung) mochten Anfangs aus Reihen von Buden
befinden haben in den Gegenden, welche nach den
Kirchen führten; der Nahme ging dann fpater auf folche
Gaffen über, welche mit jenen urfprünglichen Buden⸗
und Schirmgangen Aehnlichfeit harten, Auch die kleine
Reichen ſtraße, die Heine Johannisſtraße,
durch welche man von der Kirche nach dem Weinhauſe
(oenopolium) fam, die Gerberſtraße, der Dreck
wall und die Dammtborfiroße werden in diefer
Zeit bereit? genannt, Sener, der eigentlihe alte Ball,
ging von der Fleinen Alfter bis zum ſogenannten
insbefondere des St. Petri⸗Kirchſpiels. 289
Millernthor. Die letztgenannte Straße fuͤhrte ihren
Nahmen von dem auſſerhalb der Stadt gelegenen
Damm, welcher zur Abwehrung des Alſterwaſſers auf—
geführt war; das Dammthor ſelbſt ſtand zwiſchen der
Alfter und Voglerd: Wall, Das neue, jetzige Rath—
haus wird in den Erbebichern des Petri-⸗Kirchſpiels
unter den Jahren 1350 und 1352 zuerſt genannt, in
der Zuſammenſtellung: „uͤber der Wechſlerey (Wesle)
an der Kegelſpitze der Straßen, dem Rathhauſe gegen:
über, nach der Troftbrüce zu. Zur Benenhung wird
das Wort Confiftortum gebraucht, welches den Geiſt—
lichen, die als Schreiber dad Erbebuch beforgten, zu
einer Rathsverſammlung paſſend gefcbienen hatte. Der
Weinkeller, deſſen bey der Eleinen Johannisſtraße
gedacht worden, iſt Fein anderer, als über welchem
das nachmals fogenannte hohe Haus (dat home
Huß) erbauer worden iff, oder dag Eimbeci che
Haus, das der Stadt Eimbeck, die im Hanfebunde
mit aufgenommen war, zum Lager und Ausſchenken
ihres ehemals berühmten und auch von den Hambur:
‚gern befonderd gerne getrunfenen Bieres diente, Das
Vorhandenſeyn diefes Weinkellerd vor dem Jahre 1326
iſt durch ſichere Urkunden erwieſen: dunkel iſt noch die
Zeitangabe, wann zuerſt der Stadt Eimbeck befondere Vor
rechte für ihre gebraueten "Biere eingeräumt worden
feyen, Wie jeße noch der bloße Nahme ded Hauſes
ohne die Sache fich erhalten hat, ſo ift auch der Ruf
des Em'ſchen Beeres laͤngſt verfeboflen, und in
Eimbeck ſelbſt in manchen Zeiten auch nicht ein Trunt
des ſchlechteſten mehr aufzutreiben.
ig*
290 Ausdehnung des St, Nicolai-Kirchfpierg,
Das Nicolai-Kirchſpiel hatte ſchon im
drepzehnten Jahrhunderte von der fogenannten Trofk
brücte, das heißt von dem dort vorbepfließenden
Waſſer der Elbe und Alfter an, denn zur Brücke ſelbſt
ift erſt 1480 der Grund gelegt worden, und von der
neuen Burg zum Roͤdingsmarkte hin und der Deich
ftraße, mie Einfchluß des Hopfenmarfteg, fich erweitert.
Dey der nachmals fogenannten hohen Brücke hatte die
Stadt ein Ende und ein Deich war gegen das Elb—
waſſer aufgeworfen. Im viergehnten uud noch mehr
im funfzehnten Sahrhunderte wurde zwiſchen dem Rös "
dingsmarkt und dem ſuͤdlichen Ende der Deichſtraße bey
den fogenannten Rayen eine Straße aufgebauet,
welche nachmals vertheile die Binnen und Butens
Kayen genannt worden iſt: in dem alten Stadt-Erbes
Buche wird fie unter dem Namen des Fleinen Dei
ches aufgeführt, wahrſcheinlich, da hier am fruͤheſten
ein Moor= oder Noth- Deich war, an deffen Stelle
fpater eine Mauer aufgeführe wurde, die fih vom
Winferbaum an bis zum alten Waifenhaufe bin erſtreckte.
Auf der anderen Geite entffand in diefer Zwifchenzeit
auch die Bohnenſtraße und der Burflab oder
Buerffade, der von dem alten Plage, mo die hol
fleinifchen Landleute zum Verfauf ihrer Waaren ihre
Stätte hatten, feinen Rahmen erhalten bat.
St. Catharinen-Kirchſpiel hat erſt im vier
zehnten und funfzehnten Jahrhunderte ſeine Erweiterung
und Verſchoͤnerung erhalten, da vorher nur einzelne Stellen,
als der Grimm, der Kremon, bey den Muͤhren (Mauern)
theilweiſe angebauet gefunden werden. Nach und nach
St. Latbarinen s Kirchipiel. 291
debnte ſich an dem groflen Elb: Canal auf der einen
Seite die Catharinenſtraße aus, auf der anderen
die Gröningerffraße, von den Gröninger Kauf
leuten fo genannt, die daſelbſt, fo lange die Fleetſeite
noch unangebauer war, mit ihren Schiffen anlegten;
ferner der Härter, Auch die Straße an den Mühren
wurde erweitert und die Gaffe beym Dovenfleete
ausgebauet, an dem Arme der ftillen oder tauben Elbe,
wovon die Straße den Nahmen erhielt. In der Ge
gend des Wandrahmens fand ber alte Bauhof, von
dem auch die noch jest fogenannte Bauhofsbruͤcke und
das laͤngſt verſchwundene Bauthor, welches wahrfcheins
lich nach dem Grasbroof führte, benannt worden find.
Das frühe Alter des Bauhofes beweißt der Receß vom
Jahre 1582, im welchem auf deffen Verbefferung forgs
faltigft gedacht, die Summe von 10000 Mark genannt,
welche die Kammer an denfelben geben foll und eine
vollfiandige Bauhofs⸗Ordnung bereitd mitgetheilt wird,
welche bey den ſpaͤterhin vorgenommenen Erweiterun⸗
gen zum Grunde gelegt worden iſt. |
Das Kirchſpiel St. Jacobi ift noch big im Die
Mitte des funfzehnten Jahrhunderts in den Ringmauern
der Stade niche mit begriffen gewejen, und wurde bis
dahin zuerſt als aufferhalb der Stadt gelegen, feitdem
aber St. Nicolai mit der Altſtadt vereiniget worden,
auch wohl ald Neuftade bezeichner. Im dreyzehnten
Jahrhunderte befanden ſich um die Capelle herum noch
groſſentheils Garten und Felder, Indeſſen baueten ſich,
wie fruͤherhin bemerkt worden, Fuhrleute, Gaͤrtner
und Fiſcher an undges bildeten ſich allmaͤhlig einzelne
292° Erweiterung und Grenzen
Gaſſen, am Pferdemarkt, die Niedernftraßer
der Klingenberg, die Steinftraße. ꝛc. Bon dem
aroffen Gartenfelde in der Nähe ver SacobirCapelle,
(pomoerium) ‚hatten die Söhne des frommen Grafen
Adolph des IV. einen Theil an die blauen Schweftern
verichenft, fo viel zur Errichtung der nörhigfien Ge
baude (des Eonventes) und der übrigen Bebürfniffe
nöthig war: den übrigen Theil dieſes Pages überließen
fie mit allen dazu gehörigen Haufern und Buden auf
Grundmierhe am einzelne Stadtbewohner im J. 1405,
weshalb man diefe Gegend, einen Theil der jetzigen
Fuhlentwiete und der Steinſtraße mit dem Nahmen des
Schauenburgifchen (oder auch Sch a um burgifchen)
Hofes zu bezeichnen pflegte. Der PBfarrfprengel erwei⸗
terte fich aber im Fortgange der Zeit immer mehr und
mehr, und gewann big dahin, als er mit‘ der
Stadt ſelbſt vereiniger wurde, und feit 1455 fein eigenes
Stadt-⸗-Erbebuch erhielt, ziemlich dieſelbe Ausdehnung,
die er. noch jest einnimmt, Die vorhin genannten Ge
genden waren mehr ausgebauet worden, neue Anlagen
waren hinzugekommen , die Breiteſtraße, die Li—
ktenfiraße (fpottweife fo genannt von den gebfeichten
Gerippen der Kaderfule oder Schindgrube, die vorher
dafelbft geweſen war,) die Rofenfiraße,' nicht minz
der Benennnng der: fportenden Volkslaune; befonderg
auch neben dem Kattrepel der Schopenfteel oder
Schopenfiegel, welcher noch an die: Zeit erinnert,
al8 die Schöppen oder Dingfente über die nach der
Burg binaufführende Treppe, Stiege (Stegel) nah
dem alten Stadt⸗ oder Rarhhaufe ſich zu verfügen
des Jacobi⸗Kirchſpiels. 293
pflegten. ' Die an den niederen Strecken der Alfter ger
legene Straße, Raboifen, fol ihren Rahmen von
zwey Rathsherren Lambert und Borchert Raboife er
balten baben: die Genend graͤnzte an das frühere Balz
genfeld und koͤnnte eben fo gut auch eine Rabenwieſe
genannt worden ſeyn. Mit gröfferer Wahrſcheinlichkeit
dürfte die Benennung des Barfz oder Barghofes
von denen vom Bergen abgeleitet werden, die, mie
bereit3 erzable worden ift, um die Erweiterung des Jar
cobi-Rirchfpield fo ausgezeichnete Berdienfte fich erwor⸗
ben haben. Die Graͤnzen dieſes Sprengels waren das
Steinthor, welches der Steinftraße gegenüber ſtand:
fo hieß namlich der gepflafterte Weg vom alten Ma—
riens oder Schulthor am, der alfo von der eigentlichen
Altſtadt binausgingz das Thor ſelbſt iſt 1483 gegruͤn⸗
bet worden : das Jahr fpater das Spitaler-Thor,
welches gerade auf das Gt. Georg's Hofpital hinaus⸗
ſah nnd von diefem auch den Nahmen führte , nicht von
dem Hiobs⸗Hoſpital, das früherhin der Elenden
Haus, in der Volksiprache das Pockenhaus ge
nannt wurde, und defien Gründung durch den menfchen-
freundlichen Bürger und Kramer, Dber ⸗Aeltermann
Hand Treptow ‚ nicht über das Jahr 1505 hinauf⸗
reicht. Im einem alten Denfebuch der Brüberfchaft
unferer lieben Frauen Krönung im Dom bat Treptow
mie eigener Hand angefchrieben: „Dat elende Hus
. wart angbebaven to hant an unfer, lewen Vrouwen
Daghe der Hemelvart, int Jahr 1505, vor dem Spit—
taler Doro, Das Haus diente zur Aufnahme und.
Pflege jener Unglüsflichen, welche von der ſcheuflichen
294 | St, Georgs Hofpitat,
Krankheit, die vom Süden aus auch nach dem Norden
fich verbreiter hatte, befallen worden waren und deren
bi8 dahin viele, weil jedermann fie mied, „alſe Beeſte“
auf den Straßen harten ſterben müffen. Eine Mauer,
zwifchen dem Gteinthor und dem Gpitalerthbor, die
langen Mühren, und links von letzterem binab vie
kurzen Mühren ſchloſſen die Stade auf diefer Geite:
im Jahre 1474 wurde um viefelbe noch ein groffer
Wal aufgeführe, der vom Hammerbroof an, über den
Borgeſch, bi8 an die Alfter fich hinzog.
Die Gegend um das St. Georg’ Hofpital iſt
in mittleren Zeiten, befonderd als Gartenland, bin und
wieder angebauet worden und wird in dem Receß von
1483 ald ein gemeine Stadt: und Cammergut befcbries
ben, welches an einzelne Einwohner der, Stadt ver
bauree wurde, Die Kirchen: Kapelle hatte erweitert
werben müffen und wird feit 1457 in den Rechnungen
als Seeken⸗Kark aufgeführe. Im Jahre 1485
wurde diefer Kirche ein von ſechs Kardinalen unters
zeichnerer Ablagbrief von Rom aus ertheilt, vermöge
deffen alle, die zur Unterhaltung dieſes Hauſes etwas
beytragen würden, für jeden Feſttag, dem fie beyges
wohnt, 100 Tage Erlaffung von den auferlegten Buß⸗
übungen genießen follten. Auffer den Siechen, melde
fich völlig abgefondert halten mußten, gab es dafeldft
noch die fogenannten guden Lüde, theild Kranken:
märter, theils Geheilte, die auffer dem Haufe wohn:
ten; und neben biefen werden auch die Seeken⸗
Yrövner genannt, Perſonen aus verfehiebenen Staͤn—
den, welche fich Leibrenten vom Hofpital gekauft harten,
Gegend des heutigen Michaelis: Kirchipield. 295
Ueber das Ganze war ein Havemeiſter oder Verwalter
gefeßt. Unter dem Hofpital ſtanden die Dörfer Klein:
Boftel, langen Horn und der Meyerhof Berne, die
nach und nach an daffelbe gelangt waren,
Da, mo heut zu Tage das Michaelis⸗Kirch—
ſpiel aufgebauer ift, war bis um diefe Zeit noch
frever Platz, nur einzeln bepflanzt und bebauet, bie
und da auch bewohnt, aber fibon frühzeitig zu dem
Weichbild der Stadt gehörig. Die Strecke vom foges
nannten Millernehor bis nach Harveftehude und Hens
ningbude war bereits 1258 von den Grafen Johann
und Gerhard an die Stade abgerseten worden. Im
Jahre 1373 verkaufte dad Dom⸗-Capitul an die Stadt
für zwey bamburgifche Pfund Pfenninge jahrlicher Kens
ten das ganze fogenannte Brunvfeld, (campns Bru-
nonis) das ſich vom Roſendamm, dem heutigen Jungs
fernflieg und Ganfemarft, bis nach Harveftchude an
der Aıfter bin erſtreckte: die Gegend war der Stadt
von Wichtigkeit, feirdem fie in den Beſitz des Alſter⸗
firomes von’ diefer Geite gefeßt worden mar, Seit
21499 wurde der Wall zwifchen der Alfter und Elbe
vorgerückt, und bieß der Voglerswall vom Rofendamm
an bis sum ‚( chatıhor hin, wo der. fogenannte Küterz
wall ſich anſchloß: zwiſchen beyden ſtand das alte
Millerns oder mittlere Thor, das feirdem im Munde
des Volks auch das Eliernehor genannt wurde, wahrs
ſcheinlich, da der von demfelben binauf führende ger
pflafterte Steinweg an beyden Seiten mit Ellern
oder Erlenbaumen bepflanzt worden war: ein anderer
Steinweg führte auf das Scharthor. Auf dem Teil:
4
296 Wie Hamburg und Lübeck in den Beſitz
oder Tegelfelde (Ziegelfelde) ſtanden bereit? im Anz
fange des funfzehnten Jahrhunderts Ziegelhiteten, wozu
diefe aus guter Thon + Erde befkehende Berglehne vor
zuglich bequem ſchien. Ein groffer Theil des Eichwal⸗
des, der diefe Gegend früher bederfte, fand noch am
Ende des ſechszehnten Jahrhunderts.
Bis fo weit erflreckte fich der eigentliche GStadtber
zirk bis im Diefe Zeit, Weitere Erwerbungen nach Auffen
bin find zu denen, welche im vorigen Zeitabfchnitte ge
nanne worden find, nur wenige hinzugefommen: ver
Sinn der Hamburger ging überall und zu jeder Zeit,
mehr auf Zufammenhalten und Vermehren des Ermor:
benen, als auf gewagte, kecke Ausbreitung nach
Gegenden bin, deren Behauptung fchwierig, oder von
welchen mefentlicher Vortheil fir das Ganze umnficher
zu hoffen war. Am meiften kommt bier in Berrachtung
der iin vieler Hinficht bedeutende Erwerb von Berger:
Dorf und den anliegenden Elbinfeln, im deffen Beſitz
ſich Hamburg mit Luͤbeck gleich Anfangs fo fehwefter:
lich theilte, als beyde Städte in freundlicher Eintracht
bis heute fich deffelben erfreuen. Herjog Erich IIE
von Sachfen, im die Angelegenheiten der nordifchen
Kriege ſowohl, als in andere Schwierigfeiten vers
wickelt, hatte fich genöthigt gefunden, im Jahre 1370
das Schloß und Staͤdtchen Bergedorf, nebſt der
Boigtey und dem zubehörigen Landereyen in der Marſch
und Geeſt, mie auch einigen auſſerhalb derfelben belege-
nen Dörfern, dem Fürftenmalde und einem Theil des
Landes Handeln für"die Summe von 26019 Luͤbſcher
Süden an Luͤbeck zu verpfäanden. Als aber Erich's
*
[5
von Bergedorf gelommen, 297
Neffe, Erich IV, im der Regierung gefolgt war, Fam dies
fer im Jahre 1400 mit einer zahlreichen Bederfung von
Keifigen nach Bergedorf und mußte ſich, da ihm zu
einer vechtlichen Wiedereinlöfung die Mittel und der
Wille fehlten, durch liſtige Beruͤckung des Tübfchen
Schloßhauptmannes, Otto von NRigerau, in den Wie
derbefig der Veſte und der Stade zu fegen, die ihm,
nach" dem Rechte des Staͤrkeren, das in jener Zeit ger
achtet ward, nicht mehr ffreitig gemacht werden konnte,
Auf die Klage der. Lüberfer vermittelten Hamburg und
Lüneburg einen Vergleich, der dem Gemaltffreich zu
einer billigen. Berftandigung nur einen fehr fchmalen
Ausweg öffnete: der Pfandichilling, welchen Lüberf für
Bergedorf ausbezahlt hatte, wurde mit auf Mölln ver-
legt, auf welches die Luͤbecker bereits durch frühere
Berpfandung des Herzogs Albrecht, Erich II. Va—
ters, rechtsguͤltige Anfprüche erhalten hatten. Wie
nach diefer Zeit im Luͤbeck ſelbſt unfelige Zwiftigfeiten
fich entfponnen und Mißtrauen und Haß zwifchen Feind»
fichen Parteyen fich entwickelt haben, iſt erzaͤhlt wor:
den. Wo die, fo Durch gemeinſchaftliche Noth ver:
bunden zuſammenhalten follten, in traurige Entzweyung
zerfallen, da lauert ſtets der Verraͤther, um von der
Verwirrung fihadenfrob und ſelbſtſuͤchtig Nugen zu
ziehen, Eben als der alte Rath einem neu fich bilden-
den hatte weichen müffen, im Jahre 1409, lagerte fich
Herzog Erich IV, vor Mölln ſelbſt, auf welchem
Stadtchen zwiefache Schuldpflichtigkeie für ihm ruhete,
griff es bart am und eroberte es, umd als er ſich der
auf dieſes Gerücht herannahendenz ſtarken Macht der
m
298 Wie Hamburg und Lübeck in den Beſitz
Luͤbecker zu widerffehen wicht ſtark genug fühlte, verwans
delte er den Dre in einen Aſchenhaufen, um durch die
Berwirrung feinen Rückzug einigermaßen zu decken. Nach—
mals fuchten die Stodte Hamburg und Lüneburg, nebft
dem Hergoge Heinrich von Braunſchweig, die Sache zu
vermitteln und brachten 1410 einen Vergleich zu Stande,
in welchem den Luͤbeckern Moölln gurüdgegehen und auch
eine Beſtimmung getroffen wurde, wie man von beyden
Seiten in Zukunft dem Unweſen des Straßenraubes
zu ſteuern willig und bereit ſeyn wolle: die Lübecker
verſchrieben fich fogar, zu diefem Zwecke den Hergogen
von Sachfen noch alljährlich aus oͤſſentlichem Seckel
300 Mark Pfenninge zu zahlen. Es iſt gut fin die
Nachwelt, daß die Iefe, wie bereitwillig in den Zeiten
des Fauſtrechts friediiche Staͤdter fich darboten, das
Recht, das ewig geltende, und deffen Handhabung mit
theuren Opfern zu bezahlen und doch nur mit der Kraft
inwohnender Starfe im Stande waren, dane⸗ zu be⸗
haupten.
Die Mißhelligkeiten in Lübeck, zwiſchen der alten
und der neuen Obrigkeit waren endlich, nach vielfältis
gen Verhandlungen, auf eine Weile beygelegt worden,
melche, ald Zeugniß einer schlichten, biederen Gefinnung,
der Stade ſelbſt zu groffer Ehre angerechnet werden
muß. E83 geſchah im Jahre 1416, im Monat Juny,
daß die Mitglieder des neuen Rathes, nach geleifterer
Abbitte, ihren Pas dem alten Rathe wiederum eins
raͤumten: aber zu gleicher Zeit wurden, da von biefem
mehrere Mitglieder während der Zeit verfforben weren,
aus der Zahl der eben abgegangenen zur Erganzung
&
von Bergedorf gefommen, 299
vier Perſonen wieder aufgenommen, um jede Spaltung
der Geſinnung und Empfindlichkeit, ſo weit es irgend
moͤglich ſchien, auszufuͤllen und zu vertilgen. Wohl
mochte ein ſolches Verſtaͤndniß denen nicht willkommen
ſeyn, welche, nicht zur. Ordnung geneigt, in der tor
fenden Fluch der Verwirrung reicheren Vortheil erzie-
fen zu Fönnen vermepnten. Die Gtraßenräuber,
noch obnlangft. in ihre Schlupfwinkel durch. fFarfen
Nachdruck gebannt, waren zurückgefehre, weil der
Widerſtand verfebwunden febien, und machten die
Wege’ der reifenden Kaufleute unficherer, denn zuvor,
Herzog Erich gedachte fo wenig feiner Zufage, daß er
diefe bewaffneten Freybeuter nicht nur friedlich hegte,
fondern ibnen ſelbſt mit eigener Wehr zum Beyftande
bereit war, fo wie in gleicher Abſicht auch feine Br:
der Albert, Bernhard und Otto fich anſchloſſen. Ber
gedorf war das eigentliche Diebeslager diefer Raubges
noffen , deffen Veſte noch überdieß mitveiner unter dem
Waſſer hinführenden Brücke verfehen war, über welche
fie unbemerke herabfteigen und den Berfolgern entrinnen
fonnten, Die reifenden Kaufleute, die mit beladenen
Wagen ins Innere von Deutfchland zogen, wurden von
den Auflauernden überfallen und entweder ing Gehoͤlz
gefchleppt , während man ihre Güter plünderte, und
bey Nachtzeit wieder entlaffen, oder mit verbundenen
Augen berumgeführe und nach Bergedorf in Gewahr⸗
fam gebracht, daß fie nicht wiflen follten, an welchem
Orte fie fich befanden. Die von den Luͤbeckern und
Hamburgern ausgefandte- Reuterey, welche die Straße
von diefen Zriedensflöhrern reinigen follte, vermochte
300 Bergedorf kommt an Hamburg und Lüber
fo wenig, fie bis in ihre Schlupfwinkel zu verfolgen,
als Herzog Erich den Befchwerben, welche die Städte
laut und nachdrücklich genug zur Sprache brachten,
abzuhelfen gefonnen ſchien. Da.rüsften endlich (1420,
am 10. Julius) nach verkünderer Fehde, die beyden
DBürgermeifier Jordan Pleßkow von Lübeck und
Hin rich Hoyer von Hamburg, mit 2000 Mann zu Fuße,
und 800 Reiſigen, unter welchen ſich mehrere va⸗
terlaͤndiſch geſinnte Buͤrger und Kaufleute befanden,
mit gutem Belagerungswerkzeug und grobem Geſchütz
vor Bergedorf. Das Staͤdtchen ergab ſich nach kur⸗
zem Widerſtande, wurde ausgeplimdere und in Brand
geſteckt. Aber die im Schloffe wehrten fich vier Tage
lang , ungeachtet daffelbe mie Buͤchſen und Steinſtücken
fehr hart befehoffen wurde, Bey dem Anbruch des
fuͤnften Tages verbreiteten die Belagerer mit Pech und
geſtoßenem Salpeter und anderen feuerfangenden Gtof:
fen einen ſo dicken Qualm und Rauch, daß die Ver—
theidiger die Waͤlle verlaſſen, und ſich in das Innere
des Schloſſes fluͤchten mußten. So erſtiegen jene leicht
die Verſchanzungen und die Beſatzung ergab ſich den
Hereinſtuͤrmenden unter der Bedingung freyen Abzuges.
Bon Bergedorf rückte das vereinigte Heer vor die Sie
penburg, einem Raubfchloß ander Eide, in dem heu—⸗
tigen Kirchwaͤrder, und nahm daffelbe, da die Beſa—
gung zur Gegenwehr fich zu ſchwach fühlte, Auch
Euddeworde eroberten fie und fihleiften e8 und fie wuͤr—
den ihren raͤchenden Zug noch weiter fortgeſetzt haben,
wenn nicht die benachbarten Fuͤrſten die verbünderen
Städte beſchickt und einen Waffenſtillſtand vermittelt
durch dem Perleberger Vertrag, 1420. 301
hatten, Auf der nachfidem zu Perleberg. gehaltenen
Tagfahrt, zu welcher fich der Kurfürft Friedrich von
Brandenburg, Herzog Wilhelm von Lüneburg und ans
dere Fürfien und Herren eingefunden hatten, wurden
endfich die Irrungen befeitiger und ein Vergleich ger
fchloffen, den 23. Auguft 1420, in welchem Erich mit
feinen bergoglichen Brüdern, für ſich und ihre Erben
die Schlöffer Bergedorf und KRiepenburg mit allem
Zubehör, auch den Eßlinger Zoll mit der Fähre, den
halben Herzogenwald,. nur mit Ausnahme der Jagd,
an die beyden Städte Luͤbeck und Hamburg zu ewigen
Tagen abtrat; auch die Verpflichtung, dem Erich all-
jabrlich 300 Darf zu zahlen, wurde den Luͤbeckern zur
wa⸗ |
on dieſer Zeit an ift ehe aid Ba
ches Gebiet der verbünderen Städte Lübert und Hamburg
betrachtet worden, In einem eigenen Receß vom Jahre
1422 verglichen fich beyde Theile über die Verwaltung der
Schlöffer Bergedorf und Kiepenburg dahin, daß ein
Rathsmann von Lüberf auf dem einen und ein Ham⸗
burger Rathsmann auf dem anderen. auf rittermaßigen
Glauben die, Regierung übernehmen und nach Verlauf
von vier Jahren eine Abwechfelung der beyden erfolgen
follte; einem jeden waren, zu diefem Behuf, die ihm
zukommenden Gefälle, auch Zölle und andere Einkünfte
angemwiefen, wofür fie die Wache auf den Schtöffern
und die Unterhaltung der Bedienten, zu weichen Anfangs
noch der Amtſchreiber gehörte, zu beftellen verbunden
waren. Dem gemäß murden die fammelichen Vier
ande, fo ‚nenne man namlich die aus den vier
302 Berwaltung von Bergedorf ꝛc.
Kirchipielen Kirchenwarder, Neuen Gamme, Alten
Gamme und Kurslaf, beftehenden Marfihlander, nebſt
dem Geeftdorfe Geeſthacht, dag feine eigene Kirche und
Dorfgerechtigkeit har, unter beyde Amemannsfchaften
vertheilt, Die Abwechfelung der Schloßhauptleute
nach vier Jahren Anfangs, fodann alle ſechs Jahre fand
ſtatt Bid auf das Jahr 1506, wo man, um dem Ein:
ſturz der Niepenburg zuvor zu kommen, ſich genoͤthiget
ſah, dieſelbe gaͤnzlich abzubrechen, und da man ſie wie—
der aufzubauen nicht fuͤr gerathen hielt, wurde von
der Zeit an nur Ein Hauptmann auf Bergedorf gehal—
ten, welchen die beyden Staͤdte abwechſelnd alle ſechs
Jahre mir einem ihrer Rathsherren zu beſtellen pfleg—
ten. Der Beſitz dieſer gemeinſchaftlichen Erwerbung
iſt fortdauernd ohne groſſe Stöhrung geblieben; denn
eine Drohung, welche der Herzog Bernhard von Sach⸗
ſen⸗Lauenburg im Jahre 1467 auf Bergedorf blicken
ließ, wurde durch die entſchloſſenen Anſtalten, welche
man zur Vertheidigung traf, und durch die ſchleunige
Befeſtigung des Schloſſes in ihrem Beginnen vereitelt.
Die Bewohner der Vierlande, deren niederlaͤndiſche
Abkunft ſchon im der früheren Ersahlung angegeben
und in der Eigenthuͤmlichkeit der Sitten und Gebrauche
noch heut zu Tage unverkennbar iff, ein eben fo fleißis
ges und gewerbehätiges, als wohlhabendes und durch die
Fruchtbarkeit ihres Gartenlandes reich beguͤnſtigtes Wölfe
hen, haben fish, ob ſchon beyderftädtifch, von jeher mehr
an Hamburg gehalten, als an das ferner gelegene Lüberk,
und in fofern kann der Erwerb diefes Fleinen Gebiered
für unfere Stade als ein fehr wefentlicher Gewinn bes
trachtet werden.
-
Befkärigeer Bell der Elbwaͤrder. 303
Die fehönen und geſegneten Elbinfeln in der Nähe
Hamburgs. hatten die Grafen von Holfkein, wie oben
erjäble worden, um reichliche Summen an die Stade
abgetreten; jedoch dabey das Recht fich vorbehalten,
in gluͤcklicheren Verhaͤltniſſen für die Wiedererftattung des
Kaufgeldes diefelben wieder einzulöfen, Aber die nahme
liche Noth, welche fie zur Entaufferung diefer Beſitz⸗
tbümer getrieben we” hielt fie für die Folge fo feſt,
daß jede Hoffnung. auf Wiedererlangung aufgegeben
werden mußte, Otto, Graf zu Schauenburg, Hol
ftein und Stormarn, fügte im Jahre 1447, noch die
feyerliche Berficherung hinzu, daß ed Hamburg, als
rechtmaͤßiger Beligerin der drey Waͤrder, Billmärder,
Ochſenwaͤrder und Moorwärder , unbehindere frey fies
ben folle, zum Nugen derſelben, nachdem fie durch
Bafers Gewalt lange Jahre wuͤſte gelegen hätten, die
Sammer » Elbe zu überdeichen, indem ſie den Billen—
und Ochſenwaͤrder unter ein Deichband ( Dykbant)
bringen wollten, mit dem dreyfachen Zuſatz: daß zunachit
die Stadt berechtigt feyn folle, alles, was an Zehnten
und Renten auf Wiederfauf an Eigener verfegt oder
verkauft worden, an der Grafen. Stelle einzulöfen ;
daß der Rath ferner nach eigener Wahl und Einfiche
verfahren Eönne, eim folches Recht, als ihm heilſam
und gemeinnügig fcheine, im Lande zu fegen und anzu:
ordnen; daß endlich ein Wiederfauf oder eine Einlös
fung diefer drey Waͤrder, von ibm fowohl, als feinen
Nachlommen nie anders ſtatt finden folle, als nur affer
drey Länder zugleich, nicht des einen oder des andern
vereinzelt, um deſto grünblicher und vechtmäßiger das
20
—
304 Das Land Hadeln an H. verpfanber,
Ganze im Befig der Stadt zu verfichern. Zwey Jahre
vorher, 1445, hatte derfelbe Graf Otto auch die
nördliche Hälfte des. Finfenwarders nebſt der
Dradenau mit allem Zubehör und allen Gerechtig:
feiten an die ehrſamen Bürgermeifter, Rathmaͤnner
und Bürger Hamburgs für die Summe von 1200 rheis
nifchen Gulden ‚‚gud von Golde und ſware genoch von
Wichte““, urkundlich überlaffen, zwar gleichfalls mit
der Ausbedingung des Wiedererkaufs, von welchem
aber in der Folge nie die Rede geweſen iſt. Dazu kam,
im Jahre 1460 nach ungewiſſer Angabe, der Griefen
wärder, der zuerft von dem Grafen, Otto an Die
Stade verpfander und nachmals, mit Entfagung des
Wiedereinlöfungsrechtes eigenthuͤmlich überfaffen wurde,
Das Land Hadelln verpfandeten im Jahre 1414
die Herzöge von Sachfen an Hamburg, mit der befon-
deren Bedingung, daß die Hadeler der Stadt Hamburg
denfelben Gehorſam und alles das leiſten follten, was
fie den Herzogen ſelbſt zu thun verpflichter geweſen.
Dazu Fam im Sabre 1445 die Grafſchaft Drterndorf
nebft dem Haufe Bederkeſe, welche Herzog Bernhard
verpfändete, unter der Verpflichtung, folche in 30 Jah—
ven. nicht wieder einzulöfen. Doch find diefe Beſitzun⸗
gen in der Folge nicht bey der Stadt geblieben, Die
Hadeler ſelbſt weigerten ſich, außer den jährlichen
dutzungen und Abgaben Hamburg noch irgend ein ans
deres Recht zuzugeſtehen und demſelben Gehorfam zu
fehwören, und es wäre faſt zu verdrießlichen Zwiſtig—
feiten gekommen, wenn nicht durch Vermittelung des
Herzog Adolph von Schlefwig-Holftein im J. 1356
eine guͤtliche Beylegung erfolgt wäre,
*
Vorfaͤlle mit den Oſtfrießlaͤndern. | 308
Nicht viel gluͤcklicher war ein anderer Verſuch, die
Beligungen der Stade nach Welten hin zu erweitern,
Seit der neulichen Beftegung der fogenannten Victua⸗—
Vienbrüder waren die Hamburger im Befig der wichtig—
ſten Plage von Oſtfrießland gebtieben, oder hatten fich Doch
‚mit den angefebenften Hauptlingen des Landes zu fried-
licher Benugung derfelden verbunden. Aber die wieders
holten Seeraubeißyen Einzelner derfelben, die fich bes
fonders mit den Holländern verbunden hatten, machten
eben fo öftere Befehdungen unvermeidlich. Bor Dockum
hatten mehrere ein Blockhaus errichter, mit Wal und
Graben befeftiger und mir 160 Mann befeßt, und mach:
ten von da aus ringsum alles unficher, Im J. 1422
fandten deshalb die Hamburger und Liüberfer eine
Flotte egen fie, der es unter dem Beyftande einiger
friefifehen Edlen und der Gröninger gelang, dag Haus
zu erſtuͤrmen, viele zu tödten und 44 gefangen zu neh:
men, welchen fie, zum Schrecken wer übrigen, die
Köpfe abſchlagen Tießen, In ven nachiffolgenden Tab:
ven waren diefe Naubgenoffen den fchifffahrenden Ham-
burgern um fo Täftiger, als dieſe in andere Unruhen
verwickelt niche im Stande waren, mit Nachdruck dem
uUnweſen zu ſteuern. Erſt gegen das Jahr 1431 verbans
den fie fich mie einem der angefebenften Fürften Frieß⸗
lands, Edzard, ſuchten die verfehiedenen Naubfchlöffer
auf, zerflörten fie und ſtraften die Rauber am Leben, In Em:
den hauſete einer derſelben, Imelo, welcher als Seeräuber
ihren Schiffen am haͤufigſten Schaden zugefuͤgt hatte.
Durch eine Lift wußte der tapfere Anführer der Hambur⸗
ger, der Bürgermeifter Simon v, Urrecht, ihn auf
20*
306 Die Hamburger fuchen ſich in ben Beſitz
eines ihrer Schiffe zu locken, bemaͤchtigte ſich ſeiner und
brachte ihn gefangen nach Hamburg. Die Stadt Emden
blieb von dieſer Zeit an im Beſitz der Hamburger, ſo daß ſie
dieſelbe durch Statthalter regieren ließen und ſich aller
Rechte der geſetzgebenden und richterlichen Gewalt in ihr be⸗
dienten, wie unter andern die Muͤnzen zu erkennen geben,
welche Hamburg um dieſe Zeit in Emden praͤgen ließ. Noch
in demſelben Jahre 1431 eroberten fie das Schloß Leerort,
das dem Focco Ucco zum Raubfig diente, und im naͤchſten
Jahre fehlugen fie in Verbindung mit den Bremern den Udo
und Giebold, Focco's Sohn und Schwiegerfohn, bey Nor:
den, eroberten die Sieboldsburg und machten fie dem Erd-
boden gleich, Der Kampf dauerte mehrere Jahre mit ab-
mwechfelndem Gluͤcke fort; wie aus der Saat re
zaͤhne fFanden immer neue Gegner auf, Diele derfelben
waren nach Burgund geflüchter und hatten den Schuß
des Herzogs Philipp nachgefucht, welcher auch in
einem befonderen Schreiben im Jahre 1439 die übrigen
Hauptlinge Frießlandd und den Rath von Hamburg
auffoderte, Die gemachten Gefangenen augjuliefern und
den übrigen ihre Güter und Befigungen wieder zu er-
fiatten. Die Hamburger, des langen Kampfes müde,
ſchloſſen deshalb mit Edzard einen Vergleich, vermöge
deffen das Schloß und die Stadt Emden, die fie bis—
ber gemeinfchaftlich befeffen, auf einige Jahre ihm über-
geben und abgetreten wurde, Auf ſolche Weile fagten
fie fich felbft 108 von den Verhandlungen mit Herzog
Philipp und überliefen es den friefifchen Haͤuptern, fich
unter einander zu vertragen,
Nichts. defto weniger blieben die ——— im
von Oſtfrießland zu verfeßen, 307
Befige mehrerer feſten Oerter des Landes, fo ſchwer
ihnen auch die Behauptung und Unterhaltung derfelben
gemachte wurde, Die Stade Emden, inzwifchen mit
Mauern und ſtarken Thoren verfehen, gewann durch die
Berriebfamfeit- und den Verkehr ver bamburgifchen
Kaufleuge und durch ben Schuß, deſſen es ſich er-
freuete, fo fehr an Wohlhabenheit, daß der Neid der
benachbarten Stadt Gröningen ermachte, und gegens
feitige Neckereyen den Haß vorbereiteten, der nach wes
nigen Jahren heftig genug entbrannte, Im Sabre 1447
oder 48 war die Zeit abgelaufen, für weiche die Ham⸗
burger die Stade Emden dem Edzard uͤbergeben hatten;
und da jest befonders von den Niederlanden aus Feine,
Gefahr zu-beforgen ſchien, fo ließen fie fich dieſelbe von
rich Eirffena, Edzards Bruder und Nachfolger, wieder
abtreten, Wie vormahls, fo führten fie auch jest wies
der die oberſte Auffiche über die Gtadtregierung durch
befondere Abgeordnete aus ihrem Rathe, fie befesten
die Burg der Stadt, und da Anfangs der mächtige
Ulrich zur Beherrſchung des Landes treu zu ihnen bielt,
mußte ihrer fFarfen vereinten Macht alles gehorfamen.
Doch nur zu bald entfpann fich Mißtrauen zwiſchen ihnen
und Ulrich verhehlte ſeinen Groll nicht uͤber den Ein—
fluß und die Gewalt der fremden Stadt: es kam zu
offener Fehde zwiſchen beyden, und da die uͤbrigen
Landeseingebohrenen, den wechſelſeitigen Haß jetzt in
ihren Herzen verſchließend, wo es die Bekaͤmpfung ver⸗
haßter Fremdlinge galt, ſich mie ihm vereinigten, ver-
mochten die Hamburger, troß des Beyſtandes, den fie
von den Dldenburgern erbieften, fie nicht mehr zu
308 Nach einiger Zeit des Beſitzes giebt H.
unterdruͤcfen. Durch die Vermittelung Bremens Fam
1452 ein Waffenſtillſtand, und im naͤchſten Jahre auch
der Friede zu Stande, Hamburg hatte, ohne. Unter:
ſtuͤzung der übrigen hanſiſchen Bundesgenoſſen, um
Emden und Leerort zu behaupten, zu bedeutende Koſten
und Anſtrengungen aufgewandt, als daß ſie jetzt einen
guͤtlichen Vertrag nicht haͤtten vorziehen ſollen, um der
Laſt für die Zukunft entledigt zu ſeyn. Ulrich erhielt
demnach Emden und Leerortauf Treu und Glauben zurück,
gegen eine Summe von 10,000 Mark, welche in dem
ſelben Jahre ausgezahlt werden. folite, aber erſt zwey Jahre
fpater erfolge zu ſeyn ſcheint. Dabey behielt ſich Ham⸗
burg nach Ablauf von 16 Jahren den Wiederkauf vor,
der ihr unverweigert bleiben ſollte, wenn fie Die Kauf⸗
ſumme zurück zahlte, und die von dem Häuptling etwa
in mittlerer Zeit vorzunehmenden Berbefferungen der
benden Veſten vergütere, Ulrich gelobte dagegen, Feine
Geerauber zu dulden, Feine Zölle auf die Hamburger
Warren zu legen, ihnen die freye Ein: und Ausfuhr
an den beyden genannten Orten in Kriegszeiten zuzu—
geſtehen, Feine neuen Schlöffer anzulegen, die Stadt
Emden bey ihrer, gewohnten Freyheit zu faffen, und
beyde Theile fagten fich, im Fall eined Angriffs, wech⸗
felfeitigen Beyſtand mit 300 Schuͤtzen zu.
In demſelben Jahre, in welchem diefer Friede gefchlofz
fen wurde, ſtarb zu Hamburg auch SJmelo, (Embke) der
vormalige Häuptling von Emden, der 24 Jahre Tang,
‚als der Geeräuberey fehuldig, bier in hartem Gefang-
niffe gehalten worden war. Fünf Jahres nach deffen
Tode Faufte Ulrich von deſſen Erben auch alle uͤbrigen
Srießland wieder aufs 309
Rechte und Befisungen deffelben an fich, und da er
bald den mit Hamburg eingegangenen: Vertrag bereuere,
wandte er ſich fogar an den Pabſt Pius II, im Sabre
1461, und ließ ſich von demfelben eine Erfaffung feines '
an die Stadt Hamburg geleiteten Eydes ertheilen, um
deſto unbefangener feine weiteren Abfichten verfolgen zu
koͤnnen. Mehrere Angaben melden, dag die Friefen zu
wiederboltenmalen auf der Ser nicht allein, ſondern
gar auf der Elbe herumfchiwarmten, wie 1470, wo
Hamburg 1o gute Schiffe gegen fie ausruͤſtete, 1480,
da 14 WEingefangene zu Homburg mit dem Schwerte |
hingerichtet, und 1488, wo 74 Mann gefangen, und
obſchon fie gegen die Beſchuldigung der Freybeuterey
Einrede gethan, als ihnen die Entwendung eines
mäßigen Faſſes vol eiferner Nägel bewiefen werden
konnte, gleichfall8 hingerichtet und auf dem Grasbrook
enchaupter wurden, Kaifer Friedrich IIL Tieß ends
lich im Jahre 1493 ſich vermögen, Die Oftfriefiichen
Hauptlinge zu Reichsgrafen zu erheben, die ihr Land
vom deutfchen Reiche zur Lehn nehmen follten, und U Lrich
indbefondere hatte die Kräfte des Landes mit eben fo
vieler Feftigfeit als Klugheit, im ein ſicheres Ganze zu ver:
einigen’gefuchd Nach feinem Tode waren auch die
über feine binterfaffenen, noch unmündigen Söhne be:
fiellten Bormünder, befonders feine kluge und einſichts—
volle Gemahlin Theda , denfelben Zweck zu befördern,
eifrigft bemühe gewefen. Unter folchen Umſtänden ‚hatte
Hamburg, nach dem Verlauf der vertragsmaͤßigen 16
Jahre verſchiedentlich darum angehalten, daß ihnen die
beyden Plaͤtze Emden und Leer wieder ausgeliefert
310 Beylegung der Sachen mit Trießland,
wuͤrden, aber begreiflichermeife mit ihren Foderungen
wenig Gehör gefunden. Da es mißlich fibien, das
Hecht mir Gewalt zu behaupten, fo wurde endlich der
Peg der Güte eingefihlagen, und noch im Jahre 1493
fam ein Vergleich zu Stande zwiſchen dem Grafen
Edzard J. und deffen Bruder Ucco auf ber einen, und
zwifchen Hamburg auf ber anderem Seite, in welchem
fich Hamburg aller anderen Anfprüche auf den ffreitigen
Defis gegen den Empfang von abermahld 10,000 ME,
Luͤb. feyerlich begab, und fich mit einigen Verfprechuns
gen des den Ihrigen zu ertheilenden Schußes gegen
Sees und Landrauber, mit einigen Vorzuͤgen im Zoll,
mis Begünftigungen ihrer Fiſchereyen au des Landes
Küften und der Befreyung von dem unfeligen Strand»
rechte beanügte, Auf ſolche Weife ging die Herrfchaft
über die Dfffriefifchen Beſitzungen für Hamburg, und
zugleich für die ganze Hanſa wieder verloren. Ganz
mar die Sache ſelbſt nach diefem SFriedensfchluffe nicht
beygelegt; bis zum Jahre 1541 noch Maren nur
. gooo Mark abbezahlt, fo daß der übrige Ruͤckſtand und
die andermeitigen Irrungen erfi damahls, als zwey
hamburgiſche Narhsherren, Kohl und Sommerfeldt fich
zu dem Ende nach der Gräfin Anna von Oſtfrießland
begeben hatten, beendige wurde und im Sahre 1555
die foͤrmliche Abtretung aller Befigungen ſowohl wie
aller fonftigen Anfprüche erfolgte,
Es iſt in diefen Borfällen der Bemerkung werth,
wie Hamburg im fihmierigen Kampfe für eine Angele⸗
genheit, welche dem ganzen Hanfebunde zuzugehoͤren
ſchien, faft vereinzelt und fich ſelbſt überlaffen geblieben.
+
Rerbäleniffe im Norden, 311
Aber abgerechnet, daß die Lage Oſtfrießlands fuͤr
Hamburg von ganz vorzuͤglicher Wichtigkeit war und
die Aufmerkfamfeit der biefigen Kaufleute befonders auf
fich ziehen mußte, wenn es gelingen fönnte, am jenen
Küften feſte und fichere Niederlaffungen zu begründen :
fo ift nicht gu vergeffen, wie immer mehrere Beweife
ſich darſtellen, daß die Verhaͤltniſſe jenes Staͤdtebundes
nur in lockeren Banden zu einem Ganzen zuſammenge⸗
bangen waren, und daß durch ſolche vereinzelte Unter—
nehmungen die Auflöfung des Bundes unausweichlich
berbeygeführt werden mußte. Hamburg handelte unter
folchen Umfländen mit vorfichtiger Klugheit und brachte
bebächtig im Nechnung, mas feiner Lage und feinen
Kräften angemeffen und für diefelben zum Vortheil de3
inneren Wohls zu hoffen fey,
Die Angelegenheiten im Norden waren ed vor ans
deren, die zwar auch den übrigen Seeſtaͤdten, aber
Hamburg insbefondere, wichtig ſchienen. Geitdem die
Vereinigung ber drey nordifchen Reiche zu Kalmar ges
fcheben war, entwickelte fich die Gefahr für die Mache und
den Einfluß der Städte gröffer, denm je, und die Beforg-
niß war nicht ungegründet, wenn mit dem. Geifte der
Klugheit und des feften Willens, als die Stifterin ihn
befaß, die Nachfolger dad Ganze zufammen zu bal-
ten verfianden hatten. Glücklicherweife hatte Marga⸗
rethe in der Wahl ihres Nachfolger fich geirrt; me-
der Erich, ihr Pflegeſohn noch die ihm folgten, wa—
ren fabig, das große Werf zur Vollendung zu bringen.
Das Herzogthum Schleßwig, das von Daͤne⸗
mark als Lehn angeſprochen ward, und welches die
312 Die die Hamburger in den Krieg zwiſchen
Herren aus dem graͤflich⸗Schauenburgiſchen Haufe zuletzt
in ihren Befiß gebracht hatten, mar vielfältig der Gegen,
‚ fand. von Streitigkeiten zwiſchen der Krone. und dem
Haufe, Holflein geworden, Margarerhe benugte während
ihrer Regierung diefe Angelegenheiten mit ſchlauer Einficht
und füchte aus den Spaltungen, die zwiſchen den Gra—
fen ſelbſt uͤber dieſes Herzogthum entſtanden, guten
Vortheil zu ziehen. ‚Befonders verurſachte der Tod
des Herzogs Gerhard, ber nach vielen Streitigkeiten
mit feinen Bruͤdern, Nachbarn und Unterehanen in
dem oben gedachten Treffen gegen die Dithmarſchen
(1404 den 5. Auguſt) erfihlagen worden, heftigen Zwiſt
in der Familie über Die Bormundfihaft feiner Kinder,
und geb dem. danifchen Hofe die erwuͤnſchte Gelegen⸗
heit, mehrere bedeutende Schlöffer pfandweiſe an fi ch zu
bringen und Schleßwig in gröffere Abhangigkeie zu
verfegen, Die verwittwete Herzogin blieb VBormünderin
unter. daͤniſchem Schutze. Gleichwohl Fam es zum
Kriege, der mit abwechſelndem Gluͤcke geführt und
durch Vermittelung und Waffenſtillſtaͤnde nur auf
furze Zeiten unterbrochen wurde, Margarerheng Tod,
im Jahre 1412, ..den.28.. Oct., der die Leitung dieſer
wichtigen Angelegenheit dem ſchwachen Eric. VIE
num ganz übertrug, verwandelte gar fehr die Geſtalt
der Dinge, Der kurz zuvor geſchloſſene Stillſtand
wurde aufgehoben, Erich foderte Schleßwig und verſagte
ſelbſt den holſteiniſchen Grafen Die Belehnung, da ſie
ihren Vaſallen-Eid ſo oft gebrochen haͤtten. Die Sache
wurde endlich vor den roͤmiſchen Kaiſer Saegis—
mund gebracht, weicher fich durch feinen Ausſpruch⸗
Schleßwig und Dänemark verwickelt worden. 313
(14: Juny 1415) günftig für Danemarf erklärte; ans
dere Fürften und ſelbſt die wendifchen Städte waren
auf des Königs Seite, Erichs Waffen hatten auf einige
Zeit glücklichen Fortgang und das Herzogebum Schlefwig
wurde größten Theils erobert, auch war die Herzogin
Elifaberh ſchon im Begriff, dem Könige fich zu unter
werfen, als ihr Muth durch den Grafen Heimrich
aufs neue belebt wurde,
Diefer Graf Heinrich, vormaliger Biſchof von
Oßnabruͤck, und MitsVBormund der jüngeren Grafen,
gedachte in der Noch der immer. bereitwillig fich zei—
genden Hülfe und Milde der Hamburger: eine Summe
von 30,000 Mark für fich und feinen Wetter Heinrich,
den minderjährigen Herzog, und eben ſo viel an Lebend-
mitteln zur Bewahrung des Schloffes Gottorp hoffte er
von der Stadt zu erlangen und begab fich demnach in Ber
gleitung weniger Raͤthe ſelbſt dahin, Die Angelegenheit
perfönlich zu betreiben. Doch fein Günftling, Heinrich
von Broddorf, brachte noch befferen Rath in Vor:
ſchlag, daß der. Graf niche ledige Geldunterflügung,
fondern thaͤtige Hülfe fogar von den Hamburgern verlans
gen möchte, Diejer Rath gefiel. Heinrich, an allen Glie⸗
dern lahm, fuhr am Morgen nach feiner. Ankunft
vor das hbamburgifche Rathhaus, wo die Bürgermeifker
und Rathsherren ſelbſt verfammelt waren und auf deren
Einladung auch auf der anderen Seite bis an das Waf-
fer. der Troſtbruͤcke hin eine große Anzahl der Bürger:
fihaft. In ihrer Mitte redete der Graf von feinem
Wagen herab fie mir lauter und feſter Stimme an, und
ermahnte fie, zu erwägen, wie gerecht die Sache ihrer
314 Graf Heimich uͤberredet die Hamburger
Herren und bis zu welcher Gefahr ihre Angelegenheit
gefommen fey, Er zeigte ihnen, was fie verloren und
welche Koften fie ſchon an dieſen Krieg gewender hats
gen; die Bürger möchten in Zeiten vorfehen, daß ihre
Würde und ihre Freyheit von jener ber Grafen nicht
getrennt werben Fönne. Es fey beffer, zentfernt, als
vor den Mauern der Stadt für Die eigene Erhaltung
zu kaͤmpfen: fie möchten jest, in diefer aͤußerſten Roth,
fie, die Grafen, nicht verlaffen, Der Eindruck, welchen
diefe Anrede auf den Kath und auf die Bürger her⸗
vorbrachte, war fehr verfchieden; der Nach, neue Kla—
gen ob unnüß geführter Kriege fürchtend, warnte vor
der Gefahr, den Zorn des Königes zu reisen, ſchuͤtzte
die Privilegien vor, mach welchen fie. von der Berpflich-
tung zum Kriegsdienfte befreyer wären, erbor fich zu
einer anfehnlichen Geldhuͤlfe und verfprach, in Zukunft
Diefe zu verdoppeln; die Bürger hingegen, als deren
Wortführer die Sechziger hervortraten, waren ergriffen
von der brangenden Noch, die Aufferordentliches hei—
ſche, und beffanden darauf, als der Graf feine Bor:
ſtellungen noch nachdrucksvoller erneuerte, daß mit tha>
eigem Beyſtand Hülfe geleifter werden muͤſſe. Der
Schluß fiel. endlich dahin aus, daß man der Partey
des Königes, melcher man fich durch Unterſiegelung
eines hanfifchen Vertrags vom vorigen Jahre ver:
pflichter glaubte, durch ein Auffündigungsfehreiben ganz
entfagen und Dagegen dem Grafen und dem Herzoge
mit 609 Schügen Beyſtand leiſten wolle, Dagegen
beffätigtee Heinrich nicht nur aufs Neue die alten
Privilegien, fondern ſtellte noch aufferdem Cam Tage
zur Hülfe gegen Erich von Daͤuemark. 3135
Jacobi 1417) einen bündigen Revers von fich, „daß
die Hamburger niche pflichtig feven, gu der Grafen und
"ihrer Lande Noͤthen bepzutragen; doch wollten fie ihnen
jege beyftändig feyn, ungeswungen, aus gutem Willen,
und follten deshalb ihre alten Priviligien: in voller
Mache verbleiben‘ ꝛc. Graf Heinrich war noch in
Hamburg, als die Nachricht eintraf, Schleßwig fen
vom Könige Erich erobert, der Herzog Albrecht von
Mecklenburg darin gefangen genommen worden, und Gots
2 torp werde bedroht. Schleunig ließ der Graf feinen War
gen anfpannen und eilte nach Rendsburg und Gottorpr
durch die Nachricht der nahen Hülfe den geſunkenen
Huch der Seinigen wieder aufjunichten; in feinem Ge
folge war ein hamburgifcher Bürger mit dem Abfager
brief und ohne Saumen brachte ihn der ſchlaue Bote
in das Lager des Königs; Diefer aber wurde durch
die unerwartete Nachrichs eben fo fehr beſtuͤrzt, als
übertriebene Gerüchte von dem Anrücfen einer flarfen
Macht wereinter Hamburger und Diehmarfchen Furcht und
Sihresten im ganzen Heere verbreiteten: der König brach
im der folgenden Nache mit dem Lager auf, verlieh
Schleßwig und ging über die Schley nach feinen Lanz
den zurück, nachdem er auf diefem Zuge eine’ groffe
Anzahl von Leuten und vieles Gepäck verloren hatte,
Der Krieg dauerte, mit geringen Unterbrechungen
in den nachfifolgenden Fahren fort, mit abwechſelndem
Glück, aber mit vieler Graufamfeit, So Har es ein.
leuchtete, welche Partey in. diefem Kampfe von den
Hanſeſtädten hätte ergriffen merden ıfollen, fo wenig
geſchah doch von ihnen aus, theils weil fie von innerer:
316 Fortſetzung des Kampfes gegen
Noth und Zwiſtigkeit zu fehr bedrangt waren, theils
weil Zertheilung der Anfichten und der verfchiedenen Nutz—
gewinyungen ein inneres Zufammenhalten des Bundes
nicht zuließ. In Luͤbeck war der wiedereingefegte Rath
vorzüglich durch Erichs Hülfe unterfinge worden und
fühlte fich ihm durch Dankbarkeit verpflichter; Bremen,
ohnehin ingleicher Verwirrung, war aufferdem von jeyer
flau in Angelegenheiten derer an der Oſtſee; die nieder:
Yandifchen Hanfeflädte aber benußten diefe Zwifchenzeit,
ihren Handel nach dem Norden, zum Nachtheil der
übrigen empor zu beben, Hamburg biefe demnach
lange allein mir feiner thaͤtigen Hülfe bey denen von
Holfkein und Schleßwig. Noch im Jahre 1421, da
zuvor einige hamburgiſche Schiffe von den Dänen ge
nommen worden waren, ruͤſteten fie eine Flotte aug,
überfielen zu wiederholtenmalen die nordjuͤtiſche Küfte
und machten reiche Beute; als eine Fönigliche Flotte
gegen fie anfegelte, Hriffen fie diefelbe an, bohrten
mehrere Schiffe in den Grund und nahmen drey mit
120 Mann gefangen, welche fie nach Hamburg ab-
führten, Erſt im nachften Jahre (1422) vereinigten fich
mehrere wendifche Städte mie Hamburg auf den Tag:
fahrten zu Luͤbeck und Roſtock, daß fie den hanſiſchen
Kaufleuten die Fahrt nach den drey Reichen und allen
wechfelfeitigen Verkehr bey Einziehung der Güter und
bey Lebensſtrafe unterfagten. Darauf Tief aub im
folgenden Jahre (1423) eine fehr anfehnfiche Kriegsflotte
aus, 1000 Mann Liberfer, 8oo von Wißmar, von
Roſtock 600 Mann und von. Hamburg 900 Mann
nebft 400 Schügen, und fie verheerten die jütländifchen
Erich von Dänemark, 14211426, 5317
Küften und die danifchen Inſeln. Erich verficchte zwar
die zu Sthonen liegenden holländifchben Schiffe gegen
die Hanfenten zu bemannen, aber diefe kamen zuvor,
überfielen die Schiffe und nahmen ihnen Segel, Tau:
wert, Steuer und Anker weg, daß fie zu des Königes
Gebrauch nicht mehr dienen konnten. Auch die Holffeiner
batten eben Flensburg mit Sturm überfallen, «als ein
vom Raifer Siegesmund Abgeordneter, Heinrich
von Rumpold, Herzog von Schleflen, eintraf, um
den. Frieden zwifchen dem fireitenden Parteyen zu ver
mitteln. Ein folcher Friede Fam denn allerdings zu
Stande, (15. Suny, 14253) aber dauerlod, da der
Vermittler Rumpold fihleunig von der um diefe Zeit
graßlich bier im Norden wärhenden Seuche hinwegge
vafft wurde, und die Hauptangelegenheit, der Veſitz
von Schleßwig, zu Feiner Entfcheidung gefommen war,
Auch der nachher folgende Eniferliche Ausfpruch, den der
König Erich perfönlich zu gewinnen gewußt hatte, daß
Schleßwig danifches Lehn fey, blieb ohne Erfolg.
Aufs Neue kuͤndigten die Oſtſeeſtaͤdte im Sabre 1426
dem Könige den Frieden auf, und machten mit Holffein
und Hamburg gemeinfchaftliche Suche, und ein neun
jahriger Krieg entffand, der für die Hanfa von der
wichtigften Entftheidung haͤtte werden müffen, wenn
Einheit der Gefinnung ihre Unternehmungen 'gefeitet
hätte. Noch hätten im Anfange des Jahres 1426 die
Holfteiner und Hamburger ganz allein, den 50000 Mann
flarfen Heere, womit Erich vor Schlefwig und Got-
torp gerückt war, widerffanden: glücflicherweife waren
an 600 fogenannter Birtualienbrüder zu den Hamburgern
318 Kampf gegen Erih im Sabre 1427-
übergegangen, und hatten durch ihre gegen die Daͤnen
verubten Pluͤnderungen und ihre reichkiche Zufuhr groffen
Vortheil geleifker. Als aber darauf der Ruf erfcholf von
der Hilfe der Oſtſeeſtaͤdte, und ihre Kriegserflärung
einlief, da bob der König in haftiger und unbeſonne⸗
ner Eife die Belagerung Schlefwigd und Gotterps
auf und raumte mit groffem Verluſte den Gegnern dag
Feld. Nur die groffe Ruͤſtung der banfifchen Flotte
ſelbſt fruchsere wenig, da fie viel zu ſpaͤt auslief, und
die eingerretene ſchlechte Jahreszeit jede Unternehmung
verhinderte, Auch als diefelbe im Marz des nachften
Jahres 1427 mit jahlreichen Landungseruppen in See
fisch, geſchahe wenig mehr, als Verheerung einiger
daͤniſchen Inſeln und die Landung der Mannſchaft bey
Zlensburg ‚ um biefe von des Königs Leuten befeßte
Stadt wieder zu gewinnen. Leider mißlang auch dieſes
Vorbaben und brachte befonders für Hamburg fehr un
angenehme Folgen,
Auf der Landfeite namlich bedrangte die Stadt
Flensburg der tapfere Herzog Heinrich von Schkef-
wig mit einer ſtarken Schaar von Keifigen und Fußvolf,
Joch in der Kreuswoche fandten auch die Hamburger eine
anfchnliche Verſtaͤrkung dabin ab, unter der Anführung
des Rathsherrn Johann Kletzen (oder Klegefen).
Da man aber noch anderen Beyſtand erwartete, ins:
befondere die nöthigen Kriegsruffzeuge, wurde die Ver
abredung getroffen, daß der Angriff auf die, Feſtung
nicht eher, denn am Tage nach Himmelfahrt beginnen
ſollte. Johann von Kletzen jedoch, ein Mann von un—
geduldiger Gemuͤthsart und von uͤbermuͤthiger Hoffnung
Johann Kletzen vor Flensburg, 3ig
. ergriffen , vereheifte am Himmeilfahrts ⸗ Abend einige
Tonnen Bier unter feine Leute und ermünterte fie,
wenn fle ausgejecht hätten, bie Belägerten mit gluͤhen⸗
ben Seiten su beſchießen. In trunkener Kuͤhnheit ſolg⸗
ten die hamburgiſchen Lanzenknechte ihrem Führer, und
das plöglich entſtehende Geröfe und Getuͤmmel weckte
die Nebrigen im Lager aus dem tiefen Schrafe, Heim
rich ſelbſt, in der durch das Taute Geſchrey erregten
Beſorgniß, die Waͤlle der Stadt moͤchten ohne ſein Zu⸗
thun erſtiegen ſeyn, raffte ſich auf, ergriff eine Sturm⸗
leiter und flieg hinan, wurde aber von einem der daͤn—
ſchen Beſatzung, welcher ihn erkannt haste, mit fchars
fem Gewehr durchffochen, fo daß er bald darauf Im
. Gegelte feinen Geiſt aufgab, Der Tod dieſes noch jun
gen Fürften, der mit den edeiften Tugenden der Ger
rechtigfeitstiebe, Tapferkeit und Enthaltſamkeit geruͤſtet
war, erregte allgemeine Beſtuͤrzung; dazu gab, trotz aller
Bieten des Grafen Adolph von Holfkein, der die Bela⸗
gerung fortfegen wollte, der Bürgermeifter von Luͤbeck
feinen Schiffen Befehl, aufzgubrechen, welchem unſeligen
Beyſpiel die Uebrigen folgten,
Am Marien⸗ Magdalenen⸗Tage (im Juny) deſſelben
Jahres erſchien jedoch die hanſiſche Flotte von
Neuem, unter den Befehlen der beyden Bürgermeifter
Hinrich Hoyer aug Hamburg, und Ti dbemann
Steem aus Lübeck, theils um bie daͤniſchen Kuͤſten zu
verheeren, insbeſondere auch, um einige dreyßig reiche
Kauffahrer, welche von der Weſtſee ber mit il
Warren erwartet wurden, ſicher durch den Sund 3
geleiten, Aber auf der Rhede von Kopenhagen war:
2r
320 Hoyer und Voß erden gefangen,
tete ihrer Erich mit einem anfehnlichen Geſchwader d4-
nifcher und fehmedifcher Schiffe, und da die Hambur-
ger, obſchon Steen zum Angriff gerathen hatte, von
den Luͤbeckern zu wenig Unterflügung erhielten, wurden
fie gefchlagen, ihre Schiffe größtentheil genommen und
Hoyer ſelbſt mit dem Rathsherrn Johannes Voß
und vielen anderen gefangen. nach Kopenhagen ‚geführt;
Steen eilte mit den wenigen Gefangenen, die er gemacht
hatte, zuruc in die Trave, noch ehe die Kauffahrtey-
fhiffe im Sunde angefommen waren, und diefe ſelbſt
fielen mit der reichen Ladung und allem Schiffsvolk in
die Hande der Danen, Hinrich Hoyer und die übrigen
Hamburger konnten erſt fünf Jahre nachher gegen Aus,
wechjelung mehrerer danifchen Edlen und ein Löfegeld
von 1000 Mark aus der Gefangenfchaft befreyer wer:
den. Tidemann Steen auf dem zwiefache Be:
ſchuldigung laſtete, entging nur mit genauer Noth dem
Schickſal des Buͤrgermeiſters Wittenborg; nach drey—
jaͤhriger Haft im Thurme wurde er ſeiner Gefaͤngniß—
ſtrafe auf Fuͤrbitten zwar entlaſſen, aber er blieb in
Hausgefangenſchaft bis an ſeinen Tod.
Sp wenig trauete indeſſen Erich der Beſtaͤndigkeit
ſeines Gluͤckes, und ſo ſehr fuͤrchtete er den ferneren
Widerſtand der hanſiſchen Staͤdte, daß er auf neue
Mittel ſann, ſich Erleichterung zu verſchaffen, und
dieſe ſuchte er in der Argliſt ſeiner, aller wahrhaften
Staatsklugheit ganz ungewohnten, Geſinnung. Er ſandte
an die einzelnen Staͤdte befondere Briefe herum, durch
welche er den Saamen der Zwietracht im Innern ders
felgen auszuſtreuen vorhatte; hier ſuchte „er bie
Johann Kletzen hingerichtet, 321
Buͤrgerſchaft zu uͤberzeugen, daß ihre Rathsherren ſich
eigenmaͤchtig mit ihm in geheime Verbindungen einge—⸗
laſſen hatten, dort bar er mit groffer Herablaffung die
Bürger, den Rath über den mis Unrecht gegen ihn ger
führten Krieg zur Rechenſchaft zu ziehen. An mehreren
Orten verfehlte die Liſt der Wirkung nicht: in Wißmar
wurden ein Buͤrgermeiſter und ein Rathsherr ent haup⸗
tet, in Roſtock die vier Buͤrgermeiſter verjagt, die
Stralſunder haͤtten beynahe ihren ganzen Rath getoͤd⸗
tet. In Hamburg wurde Johann Kletzeken das Opfer
der aufgereizten Erbitterung. Auf ſeinen unbeſonnenen
Angriff auf Fleusburg wurde von dem aufgebrachten
Volke die Beſchuldigung des Verraths gegruͤndet; bey
dem Rathe war er ohnehin verhaßt, da er fruͤher
unter der Zahl der Sechziger zu Fühn und trogig für
die Freyheit der Bürger fich geäuffere harte: er wurde
daher, nachdem er eine Zeitlang in der Frohnerep ge-
fangen gefeffen, am Abende des heiligen Antonius 1427
auf öffentlichem Markte enthauptet, Die binterlaffene
fromme Wittwe Kletzen's, Eliſabeth, ſtiftete mit
Zuthun ihrer verwandten Freunde zum Gedaͤchtniß
ihres ungluͤcklichen Gatten, wie ingleichen der in der
Fehde erſchlagenen Genoſſen, im naͤchſten Jahre 1428
das Hoſpital zu St. Eliſabeth CSunte Ilſeben
Huf) m dem Horſtmanniſchen Haufe auf dem Bur—
ſtah, in der Nachbarfcbaft der Nicolai⸗Kirche, (N. 57)
und verfah es mit fo reichen Einkünften, daf zwanzig
Perſonen nebſt vieren zu ihrer Bedienung bequem darin
unterhalten werben konnten, Sonſt wurde auch wohl
diefe fromme Stiftung zum Unterfibied vom groͤſſeren
21*
322 Während des Krieges mir Erich Fommt 9.
Hofpital zum h. Geift, beffen Gruͤndung bis in
die erfte Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts hinauf:
reicht, und zur Aufnahme von Lahmen, Blinden, Taus
ben und Stummen beffimmt war, mit der Benennung
des Eleinen h. Geiſtes bezeichnet. Das iff von
jeher als der bervorffechendffe Zug in dem ſittlichen
Weſen der Hamburger zu bemerken, daß fie im Gluͤck,
wie im Ungluͤck, mit reiner Empfindung der leidenden
Menſchheit gedachten und mit freundlicher That und
Huͤlfe ſich ihrer annahmen.
König Erich erreichte gleichwohl feine Abſicht,
welche er bey Abſendung ſeiner geheimen aufwiegelnden
Briefe gehabt hatte, feinesmeges; die Befehdungen
wurden zu Waller und zu Lande erneuert, Aber fie
aufzuzaͤhlen gäbe eine Verdruß und Ermuͤdung fihaffende
Sufammenftellung von Unfchlüffigfeiten, balden Maaß-
regeln, verzettelten Anffrengungen der Kraft und des
guten Willens, Roſtock und Stralſund fehloffen Frieden
mit Erich für fich 1430, und überließen die vier Städte
Wißmar, Luͤbeck, Hamburg und Luͤneburg noch oben
ein ihrem eigenen Schickſal. Hamburg, das ſo viele
und ſo bedeutende Opfer gebracht hatte, erhielt noch in⸗
mitten dieſer Verwirrung gang unerwartet einen neuen
Feind in ſeiner Nachbarſchaft an den, freylich ſtets
wetterwendiſch geſi unten Dithmarſchen, mit denen es
ſonſt in durchaus friedlichen Verhaͤltniſſen ſtand. Die
Schiffe, welche das vor Apenrade gebrauchte Kriegs⸗
volk nach Hauſe fuͤhrten, waren auf der Elbe durch
— Sturm an der Dit hmar ſchen Kuͤſte verſchlagen worden.
Als nun die Hamburger , ſich Feines Böfen verfehend,
in Fehde mit den Dithmarſchen. 1430. 323
ans Land traten, „wurden fie von einem Schwarm der
Dirhmarfihen „unter der Anführung des Voigted Rad:
lef Carſtens überfallen, zum Theil erichlagen, zum Theil
verwundes oder gefangen und ihrer Schiffe und Ruͤſtung
beraubt, Vergeblich bemuͤheten fich der Bifchof von
Bremen, die Lübesker und Lüneburger, die Sache güt-
fich beyzulegen. Die Dithmarſchen, - um nicht beym
Anfange der Feindfeligfeiceu ſtehen zu bleiben, rüffeten
Schiffe aus, landeten bey dem Neumerker Thurme,
brannten die Borburg ab, raubten eine Menge Bieh,
und erfchlugen mehrere von der Beſatzung. Solchen
Gewaltthaͤtigkeiten zu feuern, befonderd aber um meh⸗
rexe Kauffahrer, welche eben aus Flandern her erwar⸗
tet wurden, vor der Beraubung zu febügen, wurde der
Rathsherr Martin Smwartefop mit, einigen bes
waffneten Schiffen, die mit 600 Mann befege waren,
ausgeſchickt. Als fie nun bey der Küffe von Dithmars %
fchen vorbey fuhren, rieth einer der Lanzenknechte, man
ſolle zur Vermehrung der Lebensmittel aus dieſem fet⸗
ten Lande einiges Vieh erbeuten, und als der Raths⸗
herr ſich dagegen ſetzte, mißfiel fein Betragen dem
leichtſinnigen Schiffsvolke, das ihn einen Verraͤther
ſchalt, wenn er ihren Wuͤnſchen nicht willfahre. E ©»
gezwungen, legte er and Land und beichloß mit
200 Mann am Ufer zu verweilen, bis die Uebrigen
zurückkehren würden, Die Beutemacher aber jagten von
Dorf zu Dorf, zünderen die Bohnungen an und wec⸗
ten dadurch das Landvolk aus ihrer Sicherheit. Von
allen Seiten ſtroͤmten darauf die Dithmarſchen zuſammen,
verjagten die Herumſtreifenden, eilten dem, Strande zu⸗
924 König Erich wird abgeſetzt; ihm folge
und ba bie Schiffe Bey eingerreremer Ebbe nicht flott
gemacht werden Fonnten, wurde Swartekop mit einem
groffen Theile feiner Leute erfchlagen. Die geſchah
im Jahr 1430 am Abende vor St. Petri Stuhlfeyer.
In der Folge kehrten die Dithmarſchen ihren unruhe—⸗
vollen Sinn gegen ſich ſelbſt und zerfielen in zwey
Parteyen unter fich, bis Durch die Nertreibung des Radlef
Corſtens 1435 und nach Vereitelung eines wiederholten
Verſuchs, Dem derſelbe machte‘, fich im Lande zu ber
haupten, unter dem Beyſtande der Hamburger und
mit Berathung der Lübecker der Aufruhr getilgt ie
(1437.) ;
Die Unzufriedenheit der Dänen über die vielen
Fehler und Uebereilungen ihres Könige, über fein ans
ſtoͤſſiges Betragen ‚ über die Ausſchweifungen der von
ER ihm beguͤnſtigten Cleriſey, noch mebr aber der gröffere
Miderwille der Schweden gegen ibn, weicher zuletzt
in thaͤtlichen Aufruhr ausging, mußten ihn endlich
wohl geneigt machen, zw ernften Friedensverhandlungen
auch mie den vier Städten die Hand zu bieren. Schon
‚432 war ein Waffenſtillſtand geſchloſſen worden;
1435. gr 15. July Kam endlich auch’ der Friede zu
Stande mit dem' ‚Herzog von Schleswig, den 17, July
mit Luͤbeck, Hamburg, Wißmar und Lüneburg, Dem
Grafen Adolph von Holſtein, auf welchen feines 143%
geſtorbenen Bruders Gerhard Anſpruͤche uͤbergegangen wa⸗
ren, verblieb der Theil von Schleßwig/ den er im wirklichen
Beſitz hatte, auf Rebenszeit und feinen Erben noch zwey
Sabre Tang nach deſſen Tode. Den Städten wurde
aller vom Könige fonft begehrte Schadener ſatz erlaſſen
ver Yfaljgraf Ehriffoph von Bayern. 325
und fie im den alten Handlungsprivilegien und Vor⸗
rechten ferner beſtaͤtiget; dagegen follten fie die feit huns
dert Jahren üblichen Zölle weiter, entrichten und bis
zu feiner Ausjfohnung mie Schweden den Verkehr mit
diefem Lande aufheben. Ein Verluſt, welchen die
Stadte wahrend dieſes nordifchen Krieges erlitten hats
ten, Konnte ihnen nicht wieder erfiatter werden. EI
hatte ſich namlich feit 1425 der Hering faſt gaͤnzlich
von der Schonifchen Küfte hinweg und nach den
Flammlaͤndiſchen und Schottlaͤndiſchen Kuͤſten hingejo-
gen, ſo daß der bedeutende Heringsfang, welchen die
Staͤdte bisher an dieſen Kuͤſten getrieben hatten, zur
Unbedeutenheit herabſinken mußte, AR
Die Borbaltniffe im Norden nehmen nun allmahlig
eine fehr veränderte Gefkalt an. König Erich Fonnte
ih in feinem Anfehen niche mehr aufrecht erhalten:
verwiefen zuerſt aus Daͤnemark, dann auch aus Schwer
den, trieb er eine Zeitlang von Gotbland aus veraͤcht⸗
liche Freybeuterey zur See und farb vergeffen in Pom:
mern zu Ruͤgenwalde. An feine Stelfe war fein Schwer
ſterſohn, Herzog von Bayer, Chriſtoph, ind Neich
gerufen worden, (1439) der erſt Reichsverweſer von
Dänemark, nach und nach von allen drey Reichen als
Unions-Koͤnig anerfanne wurde. Seine Plane waren
flug ausgedacht, den Handel und die Macht der Hanfer
ftädte, die er haßte und deren gefährlichen Einfluß er
zu berechnen verftand, allmablig zu zerſtoren: doch
haste er niche verbüten können, die alten Privilegien
derſelben zu beſtaͤtigen, und von der Ausführung deſſen,
was er weiter gegen fie erſinnen mochte, raffte ihn zu
früh der Tod hinweg. (14489
\
326 Chriſtian, von Oldenburg, danifcher König,
Wahrend die Schweden den Karl Knutſon zu ihrem
- Könige erwahlten, übertrugen die Danen die Krone ihres
Heichd dem Herzog von Schlefwig Adolph VIL,
Dieſer aber, ein fonft tapferer und weiſer Fuͤrſt,
fihügte, weife genug, fein Alter vor, und-empfahl an
feine Stelle den Grafen Chriſtian von Oldenburg
und Delmenhorſt, feinen Schwefterfohn, der noch waͤh⸗
send der Wahlunterhandlungen die alte Verordnung
Waldemars V. beffätigte, daß das Herzogehum Schleß—
wig nie mit der Krone Daͤnemarks verknüpft werden
folle, und auch die durch Ehriftoph geſchehene Belehnung
urkundlich befraftigte. Die nachfolgenden Fehden zwi—
fehen Daͤnemark und Schweden gaben den hanfifchen
Städten, befonders der Oſtſee, Gelegenheit, bald die
fen, bald jenen Theil zu unterfiügen und mwechfelfeitig
von beyden die Erfüllung ihrer Wünfcbe zu erhalten.
Im Fahre 1459 den 10.!December ftarb auch der Herzog
Adolph, derlegte Fuͤrſt aus diefem Haufe, ohne Nach⸗
kommenſchaft, und Chriſtian, gegen fein Geloͤbniß, und wie:
wohl ein Seitenverwandter, Graf Dtto von Schauen:
burg, auf Holftein noch Ansprüche machte, vereinigte
aleicbwohl Schlefwig mit Danemarf und ließ fich
von den ſchleßwigſchen und holſteiniſchen Ständen 1460
zum Herzog und Grafen ausrufen: Graf Otto wurde für
feine Anfprüche mit einer Kaufſumme abgefunden, kun
geriethb auch Hamburg, dasbisher nurnoch in lockeren,
faſt unmerfbaren Banden mit den Grafen von Holftein
aus dem Schauenburgifchen Haufe geſtanden hatte,
durch dieſe Umanderung der Dinge in neue. Berühr
rung mit den Königen Daͤnemarks ſelbſt, deren Anfehen
fodert die Huldigung von. 9. 327
und Einfluß daffelbe unter den fonffigen Umſtaͤnden eben
fo ſehr zu ſcheuen, als möglichft entferne zu halten
gewohnt geweien war.
Nachdem der König noch im Jahre 1460 die Er:
Harung gegeben hatte, daß er und feine Landftände in
Schleßwig und Holftein Feine andere Muͤnze für guͤltig
erfennen wollten, als die in Lübe und Hamburg
gaͤnge und gabe wäre, fand er fich im nachiten Sabre
1461 in der heil. Drey⸗Koͤnigs⸗Woche ſelbſt in Hams
burg ein,um von diefer Stade auch als, jeßiger Graf von
Holftein und Stormarn die" Huldigung entgegen zu
nehmen, damit er von der Treue der Bürger defto mehr
verficheret feyn koͤnne. Die Unterhandfungen, welche des⸗
halb auf dem Rathhauſe gepflogen wurden, zeugen von
einer groffen Borficht der Rathsherren, denen 40 Bürger
beygegeben waren, und dreheten fich lange um Augs
drüce und Formen, die um der Zukunft willen vers
mieden werden mußten, Die Hamburger wollten nicht?
von Huldigung, nichts von Eydesteiffung hören, die auch
früberhin nicht ſtatt gefunden, und die in einer Faiferl,
deutſchen Stadt nicht gefodert werden koͤnne. Der Buͤr⸗
germeifter Detleff Bremer erklärte endlich: daß die
Stadt den König ald Herrn der Lande Schleßwig, Hol⸗
ftein und Stormarn annehmen, und ſich zu ihm
halten wolle, wie fie fich zu Adolph gehalten habe,
auch zu ehun, was ihnen zu thun gebührfich fey: da—
gegen folle der König der Stade ihre wohl und redlich
gewonnenen Frepbeiten und Privilegien, „Gewohnheiten
und Handfeſten beſtaͤtigen, auch fie und ihre Bürger
gegen jedermann fehügen und handhaben, Der Köhig
328 Gutes Verhältniß zwifchen Hamburg
nahm fle fofort als feine Bürger auf und an, gelobte ihnen
dad Erberene und die Sache ward durch Handfehlag
abgerhban. Die: feyerliche Belkätigung der Privilegien
erfolgte auch noch in dieſem Jahre am Tage St. Antonit,
zugleich aber auch das Verbot, daß Niemand feinen
Zoll in Hamburg irgend vorbeyfahren folfe, um doch auch
feine baaren Gerecbtigfeiten atfobatp in Anſpruch zu
nehmen.
Die Lage des Reichs vermochte den König Chri—
ſtiern, fo nannten ihn die Danen, bie Stade Ham:
burg mit Schonung und Gunſt zu behandeln. Co er-
theilte er ſchon im Jahre 1462 Cam Palmfonntage) den
bamburgifchen Kaufleuten das Privilegium, Korn,
„Qwyk“ (Bieh) und allerley Waaren und Güter im
dänifchen Reiche zu kaufen und diefe ohne einige Vers
hinderung ſeiner Unterthanen anf ihren rechten Zoll zu
bringen; und 1464, daß Niemand keinerley Korn,
Rocken, Weizen, Gerſten oder Mehl, noch Wein oder
Bier die Elbe herab vor Hamburg vorbey ſchiffe oder
fahre, fondern nach Gebrauch daſelbſt verfaufe oder
verhandle. In den Zwiftigfeiten, welche des Könige
Bruder, Graf Gerhard von Oldenburg, gegen Chri—
ffiern anfponn, nahm Hamburg fehon im Jahre 1465
die Partey des Koͤniges, und leiſtete, als es nachher
zum Ausbruch der Feindſeligkeiten Fam, nebſt Luͤbeck
thaͤtige Huͤlfe, fo daß Gerhard ſich wiederholt gezwun⸗
gen ſah, in ſein Gebiet zuruͤck zu kehren: wiewohl
derſelbe von da aus den Staͤdten durch verübte Raub⸗
angriffe ſeine Rache fuͤhlen ließ. Eben dieſe Befehdun⸗
gen des Grafen Gerhard vermochten den König, ale
und König Ehriffiern von Daͤnemark. 329
et ſich im Jahre 1470 zu einem Feldzuge nah Schwe⸗
den anſchickte, mit den Bifeböfen zu Schleßwig und
Lübeck, mit der Ritterſchaft Der Herjogtbümer und den
Städten Lübe und Hamburg ein enges Buͤndniß zu
ſchließen, zur Aufrechthaltung des Friedens und jur Ver;
treibung ungerechter Gewalt, wobey er zu gleicher Zeit
die Berficherung wiederholte, die Vorrechte und Freys
heiten der beyden Städte bey ihrem Werche zu erhal⸗
ten und ihnen ſtets in ihren gerechten Sachen beysuftes
ben, Hm die mörhigen Kriegskoften aufzutreiben und
andere Verfegenbeiten zu decken, verpfändere der König
feinen ZoN gu Hamburg an Hoyer Gernholdt, verfegte
im Lubeck das Gefchmeide der Königin, und die Stade
Flensburg nebſt Schloß und Vogtey übertrug er an
beyde Staͤdte Hamburg und Lüberf zur Verwahrung
für die Summe von 36,506 ME. Lübifh, womit er
einigen holſteiniſchen Edlen verhafter war. Inter fol
then Umſtaͤnden hatte es den Städten micht ſchwer wer
Ten können, den König zu bewegen, daß die deutſche
Hanſe zu Bergen in Norwegen aufs Neue beſtaͤtiget
wurde, (im Jahre 1469) ſo wie er auch derſelben im J.
1471 beſondere Privilegien gegen die Hollaͤnder verlieh.
Am übrigen hielt ſich Chriſtiern trotz einiger Irrungen,
welche der Beſitz des Schauenburgiſchen Hofes veran⸗
laßte, fortwaͤhrend in gutem Vernehmen mit Hamburg
und die verſchiedenen Sendbriefe, welche er zu mehreren
Zeiten dahin entließ, ſind voll der geneigteſten
Ausdruͤcke. Bald dankt er dem Kath und der Bürgers
haft, ‚feinen guten Freunden,“ für den feiner Ge
mahlin geleiſteten Beyſtand, bald melder er, daß er
330 Johann folge dem Bater ald König v. Daͤnm.
um etlicher Gewerbe willen „in ihre Stadt’ kommen
wolle, ein anderesmal (1473), erfuche er „um bie
Gunſt,“ einiged Silber in ihren Nahmen auf ihrer
Minze fich zu Gute! auspragen laſſen zu dürfen, daß
alſo das Vernehmen mie diefem Könige freundlicher
anhub, als e8 in fpäterer Zeit gelaffen wurde. Zu be
merken bleibe und noch, daß der Kaifer Friedrich Il,
im Jahre 1474 Holfkein, Stormarn und Wagrien zu
einem He rzogt hum erhob, die Lande der Dithmar⸗
ſchen damit vereinigte und dem Koͤnige Chriſtian die
Belehnung daruͤber ertheilte.
| Als nach Chriſtian's Tode (1482) deffen Söhne
Johannes und Zriedrich fich in das vaterfiche
Erbe theiften, wiederholte fih mit Hamburg daſſelbe
Spiel, das fihon der Vater mit der Huldigung getrie—
ben hatte, Beyde kamen den 5. November 1482 mit
ihren Raͤthen und mit 600 Pferden nach Hamburg und
verlangten, daß. ber Kath und Die Buͤrgerſchaft ihnen
huldigten. Dieſe erklaͤrten aber dießmal noch runder
und unumwundener, daß ſie weder vormahls einem
Grafen oder Herzoge von Holſtein gehuldiget, noch daß
fie es jetzo zu thun gedaͤchten, und wollten eher Leib
und geben, Haab und Gut darum verlieren; fie beklag⸗
ten ſich noch. obenein, daß ſie zu Rendsburg und ande⸗
rer Orten gegen erhaltene Freyheit mit Zoͤllen belegt,
und ihnen Handel und Verkehr in Daͤnemark und den
Herzogthuͤmern ſchwerer gemacht würden, denn zuvor;
wenn demnach dieſen Beſchwerden abgeholfen und ſie
bey ihren Privilegien geſchuͤtzt wuͤrden, da wollten ſie füh,
ohne Huldigung, gleichmwie ihre Vorfahren gethan, zu
und fein Bruber Friedrich als Hertog von Schleßw. 33x
dem Haufe Hofftein halten. Obgleich die Unterhands
lungen bis zu Martinicag bin ausgedehnt murden, lau⸗
tete doch die Antwort nicht anders, und bie Sache
wurde beendiget, wie vormahls. An den übrigen Vers
bältniffen änderte fich wenig: König Johann mar
theils durch die Angelegenheiten ſeines Reichs, theils
durch die Anſpruͤche, welche Herzog Friedrich an das
vaͤterliche Erbe machte, zu ſehr beſchaͤftigt, als daß er
nicht ein gutes Verſtaͤndniß mit den Städten uͤberhaupt
zu erhalten bemübt gewefen ware. Darum finder fich
auch in feinem Schreiben an Hamburg derfelbe Tom der
Höflichkeit und Schmiegſamkeit, mie in denen feines
Baterd, So meldete er der Stadt im Jahre 1484, er
babe dem Biſchof Albrecht von Liber: und einigen
Raͤthen aufgetragen, daß fie in feiner und feines Bru—
ders Abweſenheit des Landes Beſte bewahren möchten,
und Bitter darum, daß auch die Stade Hamburg die
Lande fich gütlich befohlen feyn Iaffen und dem Bifchof
auf deffen Erfordern Hülfe, Rath, Troſt und Beyftand
nach Nothdurft ermweifen wolle, Zu einem Befuch in
der Stadt 1487 erbaten ficb beyde Brüder von derfels
ben zuvor ficheres Geleite: vieleicht hat derfelbe mit
beygetragen, daß noch am 11x. November diefed Jahres
ein Vertrag über die freye Elbfahrt gefchloffen wurde,
Beranlaffung zu Streitigkeiten mir dem Herzog Fried-
rich gab bie Fleine Inſel Helgoland, welche die Haus
burger in Verbindung mir den Bremern, Stadern und
Weſtfrieſen für frey und offen benugen wollten, Fried
rich hingegen mepnte zu beweifen, daß fie feit Jahr—
hunderten zum Herzogthume Schlefwig gehört, ja
332... Hamburg halt ſich friedlich
fruͤher ſogar mit demſelben zuſammengehangen habe,
und nur durch die Gewalt der Strömung davon abge
trennt worden fey. Es kam in den Fahren 1497 und
98. zu wirklichen Feindfeligkeiten, in welchen man fich
gegenjeitig vielen Schaden zufügte, Da auch die Dithr
marfchen an diefe Befehdung fich angefchloffen und ſelbſt
einen Einfall. in des Herzogs Gebiet gewagt hatten,
nahm. Friedrich eine Schaar von 6000 fagenannter
Gardedruͤder im feine Dienſte und drang damit in Dith-
marfchen ein: gerieth aber mit den fFreitluffigen Ber
wohnern des Landes in ein fo nachtheiliges Treffen, daß
er felbft der, Gefahr der Gefangenfibeft kaum entrinnen
konnte. Damahls gefchah es, daß bie. Hamburger aus
Beloraniß, der Herzog möge mit - feiner Kriegsſchaar
auch ihnen einen Beſuch machen, ihre Stadt von der
Nordweſtſeite durch Anlegung eines neuen Walles
zu decken eilten, (1500 —4) ber ſich bis an das Schar⸗
thor hinzog.
Dieſe einzige Irrung a erbieft fich
Hamburg im Sriedensflande zu König Sobann, auch
als diefer zu Folge der gewohnten Weile mit den wen-
diſchen Städten, insbefondere mit. Luͤbeck, in eine neue
Fehde fich verwickelte. Die Hanfen , verlangte er, follten
den Schweden, die mit ihm in Streit begriffen waren,
keine Zufuhr bringen, und allem Verkehr mit ihnen
entſagen, welches jene unter allen Umſtaͤnden zu be
folgen Feine Luft bezeugten. In den erſten Jahren des
ſechzehnten Jahrhunderts dauerte daher Die Befehdung
mit geringer Unterbrechung fort. Als aber im I. 1409
Luͤbeck, das ſelbſt in der Nabe von den Angriffen des
—
an den König Johann von Dänemark, 333
Königs bedrangt wurde, um die Hülfe des geſammten
‚Bundes nachfuchte, beeiferte füch befonders, wie fehr auch
die Bürgerfibaft- in Hamburg zum Beyſtande geneigt
war, der Bürgermeifter und Doctor der Rechte daſelbſt,
Hermann Langenbed, die Sache fo. zu halten,
daß die Hamburger feinen Antheil am. Kriege nahmen.
Es wird bemerkt, daß diefe Maaßregel dem Handel der
Stadt groſſen Nutzen geicbaffe babe, da wegen ber
Sperre des Sundes und der Unficherbeit der Oſtſee Die
‚Holländer, Brabanter und andere mis ihren Gütern
nach Hamburg gefchifft waren: ein Beweiß mehr, wie
man oft nur auf den Vortheil im Einzelnen fab, da die
Angelegenheit des ganzen Bundes in gemeinfamer Theil:
nabme aller Nugungen ſowohl, als jedweder Nachtheile
haͤtte berathen werden ſollen.
Gegen die niederlaͤndiſchen Städte hatte ſich
gerade zur Zeit der nordiſchen Kriege eine Eiferſucht
entwickelt, welche in eine wirkliche Trennung ausartete,
fo. dag mehrere der angefebenften ſich ganzlih von
der. Hanſe Iosfagten. Die wendiſchen Städte hatten
in dem Kriege gegen Erich nicht nur vergeblich bey den
Niederlaͤndern um Hülfe nachgefucht, ſondern diefe be-
mächtigten fich auch, während jene won den nordifchen
Handelsplagen ausgefchloffen waren, eines groffen
Theild des Verkehrs und gaben ihrem Handel nad
diefen Reichen die größte Ausdehnung, Kaum war da-
ber der Friede zwifchen den Hanfen und Danemarf
wieder hergeſtellt, als jene fogleih die hollaͤndiſchen
Schiffe, wo fie fie trafen, anhielten, um: ihnen bie
Oſtſee und. den Verkehr mis Norwegen su verleiden-
334 Handeld + Berfehr mit den Niederlanden,
Der Handelgneid erwachte in feiner ganzen Stärke,
und befonders Fonnten die wendiſchen Städte die Treu—
lofigfeit nicht vergeffen, mit melcher fie von den Nie—
derfändern verlaffen worden waren: wie öftere Unter—
bandlungen auch gepflogen wurden‘, eine Verfrändigung
war ſchwer wieder zu begründen, Unter den einzelnen
Angaben finden wir, daß im Jahre 1441 Auf der Tage
fahre zu Luͤbeck die Kaufleute von Brügge fich über die
Hamburger befchwersten, daß fie in Ritzebuͤttel von den
geſtrandeten Gütern den dritten Theil wegnabmen. In
demſelben Jahre wurde auch, nachdem beyde Theile auf
mancherley Weife fich empfindlich gefrankt harten, durch
die Bemühungen des Königs Chriſtoph von Danemarf
in Kopenhagen, zwifchen den fech8 wendiſchen Gtadten
Liber, Hamburg, Roſtock, Stralſund, Wismar und
Lüneburg auf einer Geite, und auf der andern zwiſchen
den Städten von Holland, Seeland und Weſtfrießland
ein Vertrag geſchloſſen, in welchem fich beyde Theile
wechfelfeitig eine freye und fichere Fahre auf ihre vers
fihiedenen Zander zufagten, Aber ein dauernder Friede
oder ein treues Verſtaͤndniß Fonnte nicht gelingen, um
fo weniger, da die Niederländer von den norbifchen
Koͤnigen alle ihre alten Freyheiten durch neue Briefe
beſtaͤtigt erhielten und, da fie fich vom hanſiſchen Bunde
groſſentheils losgeſagt hatten, Dielen in ſich berechtig—
ten, gleichfalls abgeſondert ſeinen Nutzen und ſeinen Vor⸗
theil einſeitig zu verfolgen. Unter den hanſiſchen Niederla⸗
gen in Burgund erhielt ſich uͤbrigens Brügge noch in
vorzüglichem Anfehen. Als aber auch dort der Verkehr
wehrere Beeintraͤchtigungen erlitt, war das Comtoir
Verhaͤltniß zu England, 335
eine Zeitlang von da weg und mach Utrecht verlegt
worden, bis erft nach mannichfaltigen Unterbanblungen
und bis der Herzog von Burgund die früheren Privis
legien beftatiger hatte , im Jahre 1457 die Rückkehr
der Kaufleute erfolgte, Daffelbe wiederholte ſich öfters
Auch die Engländer breiteren ſich in dieſem
Zeitabſchnitt in ihrem Handel, beſonders nach der Oſtſee,
ſtets mehr und mehr aus, und ſuchten für die Erzeug⸗
niffe ihres Kunſtfleißes, als z. B. die wollenen Tücher,
in deren Verfertigung fie bald mis den Kbrigen Kauf
leuten merteifern konnten, einen ensfernteren Abſatz
durch fich ſelbſt zu befördern: Beguͤnſtigt durch die Uns
terffügung ihrer Landeskoͤnige ſowohl, ald auswärtiger
Mächte, gewannen fie in den nordiſchen Reichen und
ſelbſt nach und nach in ben Hanſeſtaͤdten, Niederlaſſun⸗
gen und weckten dadurch die Eiferſucht der hauſeati⸗
ſchen Kaufleute in hohem Grade. Die faſt unaufboöͤr⸗
lichen Streitigkeiten, welche zwilchen ihnen und den
Hanfenten vorfielen; find. Beweiſe, bi8 zu welcher Stärke
die Leidenfibaft entbranne geweſen. Die Stillſtaͤnde,
Verhandlungen, Friedensſchluͤſſe halfen nur auf kurze
Zeis: denn der Grundkeim derfelben blieb in den Ge
muͤthern der Verhandelnden zuruͤck. Von gegenfeitigen
Beraubungen war baufig die Rede in den funfziger und
fechgiger Jahren des funfzehnten Jahrhunderts : beſon⸗
ders klagten die wendiſchen Staͤdte darüber; Cöoͤlln,
eine der Hauptſtaͤdte des Bundes, hielt es mit den
Englaͤndern; Hamburg war Vermittlerin auf mehreren
Zuſammenkuͤnften, aber ohne Erfolg und fand ſich bald
su abulichen Beſchwerden veranlaßt. Im Jahre 1467
22
2 %
336 Mißhelligkeiten der Hanfe
fuhren die Engländer, eigenmaͤchtig, nach Ißland, ers
ſchlugen den danifchen Voigt, Boͤrroe Thorloffen, pluͤn⸗
derten den Föniglichen Schaß und verheerten die Inſel
mie Raub und Mordbrand, Darüber erzuͤrnt lief König
Chriftien ihre Schiffe, welche ſich im Sunde und an
den benachbarten Küffen zeigten, anhalten und mie ihren
Gütern mwegnehmen. Dagegen behaupteten nun dieſe
Abenteurer, daß die Dänen zu dem firengen Verfahren
durch die Hanfen aufgehegt worden, daß die Hamburger
zu der Wegnahme ihrer Schiffe geholfen hätten, und
ließen deshalb die deutſchen Kaufleute in London gefäng-
fich einziehen und in den Thurm fegen, manche fogar
erdroffeln, und ihnen alle ihre Privilegien, Briefe und
Siegel nebft allen Baarfchaften wegnehmen. Auf dem
Hanferag zu Luͤbeck, im Jahre 1470, ward daher be
ſchloſſen, daß man Feine englifchen Tücher Faufen oder
in irgend einer Hanfeflade dulden noch verfahren laffen,
den Engländern nichts zuführen und alle banfifche
Kaufleute aus England zurückberufen wolle. Cöolln
wurde in den hanfeatifchen Bann gethan. Bremen und
Hamburg erhielten den Auftrag, Orlogſchiffe auszuruͤ⸗
fien und eine Landung auf England zu verfuchen. Bey
ber Auflöfung, in welche zu der Zeit England in feinem
Innern durch die wuͤthendſten Bürgerfriege zerfallen
war, vermochten fie wohl, die Landung zu bewerkſtelli⸗
gen, ſie rückten mit ihrem Volke tief ins Land hinein,
raubten, brandten und morderen, mach dem Benfpiel
der Innlaͤnder, nahmen mehrere Schiffe meg, bingen
die aufgegriffenen Englander an die Maſte, und veruͤb⸗—
ten in wilder Leidenfchaft unfäglichen Schaden, Jemehr
Ku
er % en
4 *
mit den engliſchen Kaufleuten. 337
indeß der blinde Haß durch ungebuͤhrliche Anſtrengung
die eigenen Kräfte verzehrt, um fo früher erwaͤchſt die
Sehnſucht nach Rube und Erholung. Der englifche Ge-
fandte am Hofe des Herzogs von Burgund und die
Helterleure der Hanfeftädte in Brügge befprachen fich
unter einander, wie der unfeligen Fehde ein Ende zu
machen fey, und fo wurde nach Utrecht auf ben
1. July 1473 eine Zuſammenkunft ausgefchrieben, zu
welcher zehn Städte, darunter Hamburg, Lübeck und
Dremen, ihre Bevollmächtigten gefandt hatten. Es fans
den fich fo viele verwirfelte Angelegenheiten auszuglei—
chen, daß die Verhandlungen bis in das nachite Jahr
ſich ausdehnten, da dann „endlich ein Vertrag zu
Stande Fam, welcher von dem Könige Eduard IV,
fowobl, als von dem Hanfebund genehmiget murde,
(dem 20, July 1474.) Durch vdenjelben erhielten die
Hanſen die Beftätigung aller vorhin erlangten Privis
fegien und Handelsfrepheiten in England, und was in.
den früheren Urkunden dunkel und unbeſtimmt ausge:
drücke worden, oder einer Mißdeutung unterworfen
gewefen, wurde nach Grundfagen der Billigkeit erflart ; zur
Vergutung des Schadens. aber, den die Oſterſchen
Kaufleute von den Englandern erlitten harten, verwil—⸗
liste König Eduard überhaupt die Eumme von
16,060 Pfund. Sterling. Den deutſchen Kaufleuten in
London wurde der Staalhof wieder eingerdumt und ers
weitert, die geraubten Briefe und Guͤter nach Möglich
keit zuruͤckgeſtellt und fonft gethan, was irgend zur
Ausbeſſerung des Friedens Bienen konnte, Im J. 1476
wurden auch die Coͤllner wieder in ben Bund mit auf—⸗
54” 4
*
338 Die Hanſe im Verhaͤltniß zu England, Frankreich ac,
genommen, Der Utrechter Vertrag mwurbe von den
nachfolgenden Königen Englands gewoͤhnlich beftäriger
und diente auch wohl in neueren Streitigkeiten zur Ents
Scheidung, Denn an fortbauernden Reibungen - fehlte
ed nicht, da einerfeitS die englifhen Kaufleute ihren.
Verkehr nah dem Norden immer forsfeßten, und die
Hanfen mit Eiferfuche über der Bewahrung ihrer Han:
delsvorzuͤge und ber Freyheiten ihrer Comtoire machten.
Noch im Jahre 1497 begab ſich von Hamburg aus der als
Geſchichtſchreiber verdiente und berühmte Doctor und Doms
dechant Albert Cranz in Auftrag der Hanfe nach
England, und vermittelte durch Unserhandlungen einen
neuen Stillſtand ausgebrochener Feindſeligkeiten auf zwey
Sabre, Wie fehr übrigens auch die Engländer bemuͤht
waren, in den Hanfeffädten ſelbſt Niederlaffungen zu
begründen, und auch nach dem Utrechter Vertrage in
diefer Hinfiche begüunftige febienen, fo fanden fie doch)
„in diefem Bemühen bey dem’ Handelsgeiſte der hanſi⸗
ſchen Kaufleute jetzt noch zu groſſe Schwierigkeiten,
welche zu beſiegen erſt der Beharrlichkeit der nr. mmen
gelingen konnte.
Albert Cranz ging auf ſeiner Geſandeſchafs
reife 1497 von England auch nach Frankreich hinüber,
und wirkte bey dem Groß-Admiral dieſes Reiches aus,
daß fünfeighin Fein Orlogſchiff aus den franzöflfchen
Häfen auflaufen folte, ohne vorher genügende Verſi—
cherung geftellt zu haben, daß die Schiffe derer, Die
mit der Krone Frankreich in Verbindung ſtaͤnden, niche
von demfelben angegriffen werden follten, Mit Sranf-
"reich hatte die Hanfe fihon zu Den Zeiten Ludwig des
»
Berfügungen wegen des Handels, 339
XI, Handeldverträge gefchloffen, melche auch von ben
nachfolgenden Königen beſtaͤtiget wurden. Selbſt big
nach Spanien und Portugal fegeiten die banfifchen
Schiffe, wenn fie auch in dem Verkehr nach jenen Kuͤ—
ten den Niederläandern den Vorzug geſtatten muften.
Ein fo weit ausgedehnter Handelsverfehr ,. in wel—
chem ſich Hamburg nach und nach und fihon wahrend
diefer Zeit bis zu den Handelsſtaͤdten bes erſten Ranges
empor arbeitete, mußte nothwendig die Aufmerkſamkeit
der Bewohner dieſer Stadt vor allem auf dieſer Bezie—
hung feſthalten und, wie irgend die Verhaͤltniſſe auch
im Innern und in der Naͤhe ſich entwickelten, die zweck⸗
maͤßigſten Einrichtungen und Anlagen ‚veranlaffen.
Bey dem noch immer dauernden Zuſtande des Unfrie—
dens und der gegen ſeitigen Befehdung im Reiche und
auf den Meeren, ein Zuſtand 1% er zu allen Zeiten. der
Vermenſchlichung und der Beredlung der Völker vor:
angegangen iſt, durfte nichts verabfäumt werben, wie
entweder durch das Anfehen der Gefeke oder durch kraͤf⸗
tige Maaßregeln jener Unordnung geffeuere werden
könnte, Man tief. das Anfehen des Reichsoberhauptes zu
Hülfe, und Kaifer Sigismund ließ im Jahre 1415
ein Berbot ergeben, daß Niemand, welch erhabener
Würde oder weß Standes er auch feyn möge, von den
Shiffbruchleidenden „ befonders den Kaufleuten von der
deutſchen Hanfe, es möge mit dem Schiffbruch zuge⸗
gangen ſeyn, mie es immer wolle, wegen ihrer Perfo-
nen oder Güter etwas fodern, nehmen oder erpreffen
joe, „Es ift befannt, fange. das Faiferliche Privile-
gium an, daß aus der Borfehung des ewigen Michrers,
“
340 Sigismund’ Privilegium für die freye
von deffen Antlig wahrhafte Gerichte ausgeben, bie Rechte
ſelbſt ihren Urſprung genommen haben, Damit die, welche auf
Erden zu Richtern beftelft find, Gerechtigkeit lieben und auf
Billigkeie Ache haben ſollen. Denn waͤhrend dieſe
Rechte in ihrer Dauer erhälten werden, fehaffen fie
Frieden, indem fie jede Duelle der Zwiſtigkeiten ver:
ffopfen; und indem fie nicht geftatten, dag einer von
dem andern verlegt werde, genießen die, welchen das
mie Beyſtand wiederfahrt, der reichen Fülle ver
Ruhe, — Diefes Verbot war um fo zeitgemäßer, da des
Kaifers Bruder und Borfahr, Wenzeslaus, früberhin
dem Erzbifcbof von Trier das Recht der Grundruhr
(Strandrecht) bemwilliger hatte. Kaifer Friedrich II,
ertheilte im Jahre 1482 der Stadt Hamburg insbe
föndere abermahls das Privilegium , daß alles, was
ihren Kaufleuten durch Schiffbruch oder Raub entwen⸗
det worden, ihnen oder ihren Erben, ſobald es wieder⸗
gefunden, zuruͤckerſtattet werden und der Rath berech—⸗
tigt feyn folle, alle Uebeltbater, die auf der Elbe ber
treten würden, nach den Gefegen zu beftrafen.
Wie durch das Fräftige Zufammenbalten der beyden
Städte Luͤbecek und Hamburg den Straßenraͤube—
reyen in der Naͤhe von Bergedorf Einhalt gethan,
und dieſes Staͤdtchen ſelbſt erobert worden ſey, iſt oben
bereits erzaͤhlt. Doch war der Vertrag zu Perleberg
faum gefchloffen, als eine neue Rotte aͤhnlicher
Mader aus der Priegnig und dem Mecklenburgifchen
unter Anführung kuͤhner Befehlshaber fich vereinigte,
und die Wege zwiſchen der Elbe und Mölln befegt
hielt, um auf die reichbelgbenen Wagen der Kaufleute
*
Schifffahrt. — Strandraubereyen ! 341
Jagd zu. machen. ‚Der, Anfchlag aber. wurde verrathen;
die Luͤbecker fehnitten ihnen den Ruͤckweg ab und griffen
fie dann, in Vereinigung mit den Hamburgern an. In
der Berlegenbeit flüchteten die Frepbeuter zu dem Her:
zog Erich von Eachfen, der feinem gegebenen Worte
zum Hohn fie in Lauenburg einließ und in feinen Schug
nahm. Sp mußte Gewalt, fib abermahls das Recht er»
jwingen: die Staͤdte lagerten fihb vor Lauenburg und
bedrangten den: Herzog mit ſolchem Nachdruck, daß er
die Auslieferung der Raͤuber bewilligte, mit der Ber
dingung „ daß, da er ihnen ficheres -Geleite zugefagt,
- fie fib von den Stadien Iosfaufen dürften und mit der
bedroheten Todesſtrafe verfchont würden, An go kamen
nach Luͤbeck, die übrigen nach Hamburg ; bey ihrer Loͤ⸗
fung mußten fie _die Urphede abſchwoͤren ihre Pferde
und Ruͤſtung wurden ka die Keifigen ber Städte
vertheilt. i
Mit dem Te Bremen, mit den Burfaten
und den übrigen Strandbewohnern an. jener Kuͤſte
hatte zwar Hamburg zu verſchiedenen Zeiten Vertraͤge
geſchloſſen, welche den Schutz und die Sicherheit des
Handelsverkehrs zur Abſicht führten: aber auch, hier
wurden Gefeg und Treue mit eigenmächtiger Gewalt⸗
thaͤtigkeit verlegt. Als im. Jahre 1442 ein aus Flan-
dern kommendes, reich mit Waaren und Gütern für
mehrere Hamburger Kaufleute beladenes Schiff durch
Stürme an die Kuͤſte des Landes Wurſten getrieben
wurde, fielen die Strandbewohner über daſſelbe ber,
raubten alles, was darauf und darin beſindlich war
und uͤbten gegen die armen Schiffbruͤchigen rohe Haͤrte
u ö
342 S.rtrandraub ber Wurfien
und Hitmenfchlichkeit, Die Hamburger Flagten mit
Recht über diefe Unbill und verlangten Erfaß und Bier
derherausgabe des genommenen, aber vergeblich, Man
wandte fich endlich an den Pabſt Johann den XIII.
welcher die Klagen fo bedeutend‘ fand, daß er die
Strafe des Kirchenbannes erkannte und unter andern
dem Abt Friedrich von Reinfelde den Auftrag der
Vollziehung ertheilte. Zur Handelggefchichte der da—
maligen Zeit, und der Stadt Hamburg insbeſondere, iſt
es kein unwichtiger Beytrag, daß uns ein Verzeichniß
von der Ladung jenes Schiffes noch erhalten worden
iſt. Folgender iſt deſſen inhalt: |
„Arnold van Keitelen 3 Piepen Del, ı packen Dpernich
Tuch, 134, ‚Mark Lüb, an Werth. — Heurich Borſteldes,
I Terlingh won 14 Stuͤck Laken von Sckloe und 2 Piepeu
Dels, 300 ME — Wilh. Huffcken/ 3 Faß Oel, 120 ME. —
> 90h. Lutterdes 1 Faß Del, 40 ME— Heur. Swake 1 Terlingh
Tücher von Delvemündeund 1 Faß Del, 3: 38 ME. — Alb. Kales
Piepen Del und 4 Tonnen Alaun, 338 ME — Richard Ror
zenburg 2 Faß Oelund 6 Tonnen Seife (Smegma), 128 ME, —
Henrich Twedprp 1 Fas Del und ı Terlingh von 15 Stüd
Tüchern vun Edlve, 289 ME — Albert Hallendorp 10 Tür
eher von Eiflge und 2 Ballen Reis, zı5 ME. — Hermann
Bifpiugh 2 Faß Del, 73 ME 8 $l, * Hermann Bis
a Faß Del und ı Xerlingh von 16 eckldiſchen Tuͤchern,
299 ME. — Burchard Widute 1. Terlingh von 18 Enid
Laken von Eckloe, 238 ME. — Luͤdekin Struve 10 eckloiſche
Tücher, 3 Faß Dei, a up Mandeln und 2 Ballen Neid,
400 ME — Maun vau Angeren 2Faß Del und
3 Tonnen Seife, 100 ME — Johann Burtehude 2 Taf
Del, 78 ME — Undreas Gheverdes Faß Oel ꝛe. I
deun Beruſtede desgleichen. — Tymme Bremers 1 Parken
mit 70 Stuͤck Norderwykiſcher Laken aus England, ı Terlingh
zn 26 Tücher von Alten, 772° ME 8 fl. — Luͤdeken
Fode, Hermann. Buufiorp ,, ieder'a Gap Oel a, — Heutich
®
und Manfregeln dagegen, feit 1444. 343
Gihmann 17 Tonnen‘ Seife, 90 ME — Piidefin Nichs
ftede 1 Derlingb Tücher von Aremund, 225 ME. ı2 fl. —
Wilpelm Holthuſen ı Tonne Datıeln, 25 Pfd. Varadichs
krner und 1 Faß Niels, 106 ME. 8 ßl. — Sohanı Bulder
ı Sag mit Gruͤnſpan (vinspass) und ı Tonne mit 60 Pfd,
Theriat and andere Apothekerwaaren, fiir 50 ME, 4
Der Abe Friedrich betrieb übrigens feinen. vom
paͤbſtlichen Hof erhaltenen Auftrag mit einer fehr leb—
baften Gefchäftigkeit. Er foderte zuerſt 1444 die Bes
Hagten durch ‚öffenelichen Anfchlag vor fih, und als
fie in geſetzter Friſt nicht erſchienen, that er fie in den
Bann: fa nehmlich, daß an den Sonntagen, wenn
der Zulauf der Gemeine am: größten wäre, nach anges
zuͤndeten, wieder ausgeloͤſchten und an die Erde gemor:
fenen Lichtern mit Tauter Stimme als Verbannte auss
gerufen werben follten. Als die Drohung wenig wirkte,
wurde der Befehl geſchaͤrfter wiederholt und ausge⸗
dehnt: die Geiftlichen follten zugleich Weihwaffer fpren=
gen, damit die Teufel, welche die Verbrecher‘ befeffen
bielten, verjage würden: die Nahmen der Tegteren folls
ten abgelefen, und öffentlich an der Kirchthüre an
geſchlagen werden, Aber auch dieſe Maaßregeln muß⸗
ten wenig gefruchtet haben: denn der Bann wurde
nicht nur unter noch ſtaͤrkeren Ausdruͤcken wiederholt,
ſondern endlich das ganze Land Wurſten, das ſolche
Verworfene hege, im Jahre 1446 mit dem Interdict
belegt. Dennoch wurde erſt im Jahre 1451 der Zwiſt
gaͤnzlich beſeitigt und eine neue „Beveſtinghe“ der
fruͤheren „Thohopeſate“ zwiſchen Wurſten und Ham⸗
burg „mit Clauſulen von Schipbroeke vnnd geſtrande⸗
ten edder Szedrifftigen Ghudern“ aufgerichtet, welche
”
*—
“
344 — Hamburgiſche Verordnungen
noch durch abermalige Auffrifchungen 1462 und 64, dem
Gedaͤchtniß erneuert werden mußte. Feyerlich befkis
tigte der Bifchof und Mdminiftrator von Bremen,
Heinrich, _berfelbe welcher fih mit Hamburg und
gübeef zur Befehdung des unruhigen Grafen Gerhard
von Oldenburg vereiniget hatte, im Jahre 1474, den
beyden Städten ihre alten Privilegien und herkomm—
lichen Rechte, und ließ zugleich" an. ſeine Voigte dag ge
feharfte- Verbot ergehen, Fein: Strandrecht zu üben ges
gen die bamburgifchen und luͤbſchen Kaufleute, fondern
vielmehr zur Bergung der Schiffbruchsgüter gegen ein
billiges Bergelohn ihnen alle nöthige Hülfe zu leiſten.
Daſſelbe befraftigte fpaterhin (1516) auch der Admi⸗
niſtrator Cher iſt o ph, Herzog von Braunſchweig.
Die hamburgiſchen Verordnungen, wie es mit der
Bergung geſtrandeter Guͤter gehalten werden ſolle, ath—
men von fruͤher Zeit an den Geiſt der Billigkeit, der
menſchenfreundlichen Schonung und Rechtlichkeit, und
gaben ein Recht, eine gleiche Milde von andern zu fo—
dern. Nach dem Eyderſtaädtiſchen Seerecht v. I. 1444
erhielt von Strandgütern der Landes herr 3n ber
Berger +, vom Gütern im der See der Landesherr J
und der Berger 45 meldete fich zu erjleren binnen Jahr
und Tag der Eigenthuͤmer, fo erhielt der Landesherr 3,
der Berger + und 3 der Eigenthümer. Dagegen er
bieten, ſchon mit Ei alten hamburgiſchen Seerecht
von 1276 uͤberein ſtimmend, die Ritzebuͤtteler i. J. 1404
das Privileginm, daß es ihnen erlaubt ſeyn ſolle, von
den Waaren, die ohnfern des Strandes gefunden oder
an die Seite eines anderen Schiffes hingekommen, den
wegen Bergung geflrandeter Güter. ‘ 345
zwanzigſten Pfenning, von folchen aber, die uͤber Reef
(buten Reves unde buten der Havene, d. ir aus
der Tiefe der Fahrt) geholt wuͤrden, den dritten Theil
als Bergelohn bekommen ſollten. Dennoch beſchwerten
ſich die Kauflſeute aus Brügge auf der banfifchen Tags
fahre zu Lüberf 1442, daß diefer dritte Theil der ger
firandeten Güter in Rigebüttel ihnen genommen würde:
aber es ift nichts befannt, daß ihre Befchwerden einige
Abaͤnderung zur Folge gehabt. An den Staruten des
Jahres 1497 wurde zum Beſten der Schiffbruchleiden—
den noch hinzugefügt, daß die Schiffbruchsguͤter, kei—
nem andern, denn nur dem achten Eigenthümer wieder:
‚gegeben werden follen, dagegen Feine Sitte, Feine Ge
fege, feine Gewohnheiten irgend eines Landes helfen
‚ Mögen: die Beffimmung des Bergelohnes blieb, da ſie
auf billiger Foderung ruhete, unveraͤndert.
Erneuete Verbindungen zwiſchen Hamburg und
anderen Städten beiwiefen nur, theils dag man auf
bereitwillige Hülfe in Zeiten der Bedraͤngniß auch von
denen nicht immer rechnen konnte, die fich *
dazu verpflichtet gehabt, theils daß die Zeit des wil⸗
den Fauſtrechts noch nicht voruͤber war. Die unter⸗
handlungen auf den Reichsſtagen, welche einen allge⸗
meinen Landfrieden herbeyfuͤhren ſollten, verloren ſich
in leere Worte und endeten nur, um das verdrießliche
Geſchaͤft zu anderer Zeit wieder beginnen zu laſſen.
Erft mußten die von den neu entitandenen Wiffen-
ſchaftsſchulen, den Univerſitaͤten, zuruͤckkehrenden Juris
ſten durch Lehre und Zuſprache das Unrecht der Ge
Wale und die Wohlthaͤtigkeit gefeglither Ordnung dem
346 ” Berbindungen dev wenbifchen Staͤdte
durch lange Gewohnheit verwilderten Sinne begreiflich
machen: mehr aber wirkte nach und mach die eigene
Erfchöpfung und vor allem die neue Geftalt, welche
feit ver Erfindung. bes Schießpulvers und der dazu gehöre
gen „unritterlichen“ Waffen, das ganze Kriegs: und
Befehdungsmwefen erhielt. Noch vor dem unter Raifer
Marimilian gefchloffenen Landfrieden verbanden ſich
im Jahre 1486, Die wendifchen Staͤdte Luͤbeck, Hams
burg, Roſtock, Stralſund, Wißmar und Lüneburg,
zuerff zwar, daß eine jede ihrem rechten Herrn thun
ſolle, was fie ihm von Ehren und Rechts wegen zu
thun ſchuldig fey, indem namlich dieſelben Herren Die
Stade zugleich bey Gnaden, alten Gewohnheiten und
berfömmfichen Srivilegien, Freyheiten und Rechten
bieiben ließen: dann aber auch gegen jeden Heberfal
durch unrechte Gemalt, gegen alle Schmälerung ihrer
Rechte, befonders zur Reinhaltung der Straßen von
unnuͤtze m Raubgeſindel, beydes zu Waſſer und zu
e. Das Verhaͤltniß des gegenſeitig zugeſagten
Mandes wird alſo beſtimmt, daß wenn. die von
ibe 4 Mann ausruͤſten, Hamburg den vierten Mann
eniger ſtellt, Roſtock den driteen Dann weniger, bie
5 Stralfund ſoviel als Hamburg, Lüneburg foviel
als. Roſtock. Eine neue Thohopeſate zu gegenſeitiger
Huͤlfe fand wiederum 1490 zwiſchen den Städten Luͤ⸗
bet, Hamburg und Lüneburg ſtatt, wozu die Irrun—
gen, die zwiſchen dem Herzoge Heinrich von Braun
ſchweig⸗ Lüneburg und zwiſchen Hamburg und Luͤbeck
wegen Weberdeichung der Sammer: Elbe entflanden mar
ven, Beranlaffung gegeben haben mochten. Diefe Ir—
mir Hamburg. Bis zw 1509, 347
rungen dauerten mehrere Jahre hintereinander, und.
wurden ſelbſt vor dem Kaifer anhangig gemacht. Noch
im Jahre 1501 ſchickte Herzog Heinrich eine Anzahı
wendiſcher Bauern unter Bederfung feiner Lanzknechte,
bin mie Schaufeln und Spaten, um den Deich zu
durchſtechen; aber die Eöldner der beyden Städre,
‚welche einiges grobe Geſchuͤtz mirbrachten, jagten fie
bald auseinander, nahmen auch mehrere: der Bauern
gefangen, welche fie, nach freundlicher Bewirthung
mit Effen und Trinken, als wehrloſe Leute in Frieden
wieder Taufen Tiefen, Es war unterdeffen dem deut-
fchen Kaifer Marimilian, dem Fürften von Achtwitter:
lichem Sinne, gelungen, zu Worms 1495 den Land:
frieden zu beftimmen und. zu deſſen Aufrechebaftung
das Reichs = Cammer « Gericht nieder zu ſetzen. Da
aber die wohlgemeinte Anſtalt noch gar vieler Pflege und.
Wartung bedurfte, um zu Kräften zu gelangen, wird
es ſchon erflarbar, wie die oben genannten ſechs wen:
difchen Staͤdte noch ’im Jahre 1509 fich bewogen fin⸗
den Fonnten, ihre alte Verbindung und „Verſtrickang“
zu. erneuern. Doch kehren wir jege zu dem zuruͤck,
was vorzugsmeife als der Stadt-Angelegenheit in die—
ſem fait ausfihließend dem Handel gewidmeten Leben
und Treiben fich ergeben mußte,
Zur Beförderung des nachbarlichen Verkehrs zwi⸗
fehen den beyden Schweſterſtaͤdten Luͤbeck und Hamburg
fihien, zumal feirdem dev Wifterfiuß angemonnen war,
nichts vortheilbafter, als eine ununterbrochene Waffer:
fahrt von der einen Stade, zur andern zu errichten,
Schon im Jahre 1448 verglich ſich deßhalb die Stadt
I Alſter⸗Canal uber Oldesloe.
Hamburg mit dem Herzog Adolph von Holſtein und
Schleßwig, zu dieſer Abſicht die Beſte, ein bey Oldes⸗
loe in die Trave laufendes Fläßchen, nebſt andern
Auen, mit der Alfter durch einen Canal auf gemein⸗
fcbaftliche Koften zu verbinden: was irgend an Raum,
Grund und Boden dazu erfodere ſeyn möge, wollte ein
jeder Theil von dem Geinigen hergeben oder von ben
Unterthanen befreyen und erbandeln, Die übrigen Bes
dingungen wurden mit gegenfeitigem Zuvorfommen der
billigſten Vorſchlaͤge feſtgeſetzt: beſonders ſollten Feine
Veſten an den Ufern, ohne Zuſtimmung beyder Theile,
errichtet werden, und gegen alle Befehdung wolle man
zu einander halten. Die gute Abſicht fand leider nicht
ſogleich die gewuͤnſchte Unterſtuͤtzung: die vielfach vers
wickelten Angelegenheiten des Nordens geſtatteten nicht,
in ſolcher Zeit zu Unternehmungen zu ſchreiten, weiche
nur im der milderen Wärme des Friedens gedeihen
können. Die Sache kam erft im folgenden Jahrhun⸗
dere, um das Jahr 1525, wieder zu Sprache, als der
König von Daͤnemark Friedrich I. feine bereitwillige
Theilnahme zur Ausführung derſelben zu erfennen gegeben
hatte. Auch die Bürgerfihaft von Hamburg bezeigte, als
ihr der Rath 1526 deshalb den Antrag machte, ihre groffe
Freude darüber: „„DeBörgere ſyn fick ganz erfrömwende,
und bedanken Eenem Erf, Rade ganz hoͤchlicken vor
ere gnede Thonegunge um de Wolfahrt düſſer Stadt
Hamborg.‘ Die gegenfeitigen Unterhandlungen dauers
ten big zum Jahre 1528 und der ganze Ban des Car
nals und der Schleufen, fo wie die gehörige Raͤu—
mung und Ausriefung des ganzen Bettes wurde big
Münzbeffimmungen feit ı4rı ff. ©.
zum Jahre 1530 vollendet. Die Koften für Hamburg,
als die Haffte zu Luͤbeck, betrug mir Abrechnung ei
ner Fleinen Summe, die ihnen zu gute Fam, 43,497 ME.
Die freye Fahre zu Waſſer zwifchen Hamburg und
Lübeck erhielt ihre wohlthatige Eröffnung, und wenn
fie in der Folge geftört wurde und die Foffipieligen
Eanalarbeiten felbft wieder verfielen, fo muß die Ur:
fache auch diefer Hemmung, welche fich dem friedfichen
Handelsteben in den Weg ftellte, in der noch zu Feiner
Feſtigkeit gelangten nern der Reichs - Drdnung
geſucht werben,
Wie Hamburg zur M ee gelangt ſey,
iſt in dem vorigen Abſchnitt erzable worden: bier Ieft
fich nur hinzufügen, theils daß die Stadt in der Be
nußung ihrer Gerechtfame an dem Grundfag, bleiben:
der Vortheil iff allein auf rechtlichen Wege zu erlan⸗
gen, fortdauernd ſich gehalten, theils daß ſie in dieſer
Beguͤnſtigung auch von den Vorſtehern des deutſchen
Reichs noch fernere Erweiterung gewonnen habe, Zus
naͤchſt waren die nordiſchen Handelsſtaͤdte darauf bee
dacht, in ihrem gegenfeitigen Handelgverfehr einen gus
ten und fihweren Münzfuß aufrecht zu erhalten, und
zu diefer Abſicht ſchloſſen fie unter’ fich ſelbſt mehrere
Berträge, um ber Einfchwärzung aller Falſchmuͤnzerey
entgegen zu wirken. Im Sabre ısır verordnieten die
Städte Luͤbeck, Hamburg und Lüneburg, daß
die Witten» Pfenninge, deren 3 einen Schilling
und Einer 4 Pfenninge galten, zu 12 Lorh fein ge
ſchlagen und auf der einen Seite mit der Stadt Wap-
pen, auf der andern mir einem durchgehenden Kreuze
350" Hamburgifche Muͤnzverorduungen.
gemuͤnzt werden ſollten. Zwey Merk uud drey Schill.
Luͤbſch wurden in diefem Jahre auf Einen englifchen
Nobel gerechnet. Spaͤterhin ſchloß fich vornehmlich
Wißmar am dieſe Vereinigung an, woher auch der
Nahme der im Muͤnzweſen zuſammenſtimmenden vier
wendiſchen Städte entſtanden iſt. Der erſte Receß dies
ſer Art iſt vom Jahre 1433, aber nach Maaßgabe der
Umſtaͤnde oft in Der Folge erneuert worden, Ein Bers
trag des Biſchofs Johann zu Verben mit der Stadt
Lüneburg, (vom Sabre 1440, den 13. July) und def
fen Zugabe, daß in Zukunft den von den vier Städten
gefchlagenen Münzen durch die biſchoͤfliche Münze
feine weitere Beeinträchtigung geſchehen, fondern diefe
mit befonderen, von jenen verſchiedenen Zeichen gepragt
werben folfe, laͤßt auf einige bifchöfliche Falſchmuͤnze⸗
vey zurüchichließen, welcher durch dieſe Verabredung
gefteuere Werden folte, In dem hamburgiſchen Receß
Yon 1458 wird ausdruͤcklich feſtgeſetzt, daß Fein anderes
Silbergeld in Bezahlung umgeben folle, denn das in
den genannten vier Städten gemünzt und gefiblagen
worden ſey. Luͤbeck wurde als Vorzug eingeraunt,
dag die Schillinge ſowohl als die Markſtuͤcke von einer
jeden dieſer vier Städte mie dem Rahmen der luͤbſſchen
Währung, (status marcae Lubecensis) der auch big
in fpatere Zeiten ſich erhaften hat, bezeichnet wurden.
Die Muͤnzen ſelbſt waren in ihrem inneren Werthe ſo
Acht, daß fie noch dem in dem, nachfolgenden Jahr⸗
hunderte felfgefegten Reicht: Muͤnzfuße gleich kamen.
Daher die Zuverſicht des Königs Chriffian I, von Daͤ⸗
nemark, als er von feinen, ſchleßwig-holſteiniſchen
Hamburgiſches Muͤnzweſen. 351
Staͤnden die Huldigung annahm, wozu ſich weder
Hamburg noch Luͤbeck eingefunden hatte, (1460) keine
andere Muͤnze zu ſetzen, „alſe to Luͤbeck un Hamborg
genge un geve is.“ „Eine Erweiterung des Muͤnzrech⸗
tes dahin, daß ed: Hamburg. erlaube. ſeyn ſollte, auch
güͤld en e Münzen zu ſchlagen, hatte der Stadt ſchon
Kaiſer Sigismumd ertheilt im Jahre 1433. Das
Gepraͤge ſollte ſeyn auf der einen Seite des Guͤldens
ein kaiſerlicher Apfel mit dem Kreuz, und die Umſchrift
eines jeglichen regierenden Kaiſers Nahmen, auf der
andern Seite, Petri Bild ſtehend und darum geſchrieben:
moneta aurea,Hamburgensis, Dieſes Privilegium
wurde nicht nur von den nachfolgenden Kaiſern, 1438
von Albrecht IJ. und 1475 von Friedrich ILL,
in Erneuerung bekraͤftiget, ſondern auch von letzterem
noch hinzugefuͤgt, daß die Stadt ſolche guͤldene Münze,
gleichwie Luͤbeck, unter ihrem eigenen Zeichen
Wappen) auszupraͤgen berechtigt ſeyn ſolle, mit Bes
drohung einer Strafe von. 50 Mark loͤthigen Goldes,
wer die Stadt in dieſer Freyheit behindere. Da in⸗
zwiſchen im uͤbrigen Deutſchland die Unordnung im
Muͤnzweſen immer mehr uͤberhand nahm und allem
rechtlichen Verkehr zum Nachtheil gehaltloſere Muͤnzen
ausgepraͤgt wurden, verglichen ſich die vier Staͤdte
1468 daruber, „eine neue Muͤnzſorte, Schillinge (van
12 Pfenningen) und ‚doppelte Schillinge ſchlagen zu
laſſen, etwas leichter, als vorhin, die im Umlauf von
den Bürgern angenommen, und mach, welchen die uͤbri⸗
gen Reichsmuͤnzen geſchaͤtzt werden. ſollten. - Nach der
Zeit traten vorzüglich die Reichsthaler ein, mit welchen
4
—
—
352 Hamburgifches Zollweſen.
die Staͤdte ihre alte ſchwere und grobe Münze in gutem,
ächtem Verhaͤltniß zu erhalten bemüht waren. Der
Gehalt der Mark zu 16 Schill, berrug zwey Drittel
eines Reichsthalers, (a 24 Schill.) und in folcher gro»
ben Münze mußte gefeglich, auch nach dem Neceh von
1529, jeder Ankauf von Haufern oder Tiegenden Grün:
den gefcheben. („Den Hamb, feinen Gulden, 65 auf
die loͤthige Mark, zu 35 Schilling, das Markftück,
12 auf die loͤthige Mark, zu 16 Schilfing,. I Die
Schaͤtzung des Geldwerthes mag aus folgenden Anga—
ben entnommen werdenz Im Receß von 1458 wird
befiimmt , daß Zimmerer und Maurer von Oftern big
Michaelis an Arbeitslohn täglich 34 El. von Michaelid
bis Oſtern 8 Witten (2% BI.) erhalten, ferner: Gilt
die Tonne Bier 16, 17 bid 18 ßl. fo nimme der Krüger
für das Stübchen 6 Pfennige, Bey einer 1494 entſtan⸗
denen Theurung wird in einer alten gefchriebenen Chros
nit angeneben, der Scheffel Roggen babe gegolten
2 ME. 4 fl.,veine Tonne hamburger Bier 3 ME, 6 El.
Dagegen wird als Wohlfeilheit im Jahre 1504 geruͤhmt,
daß ein ganz Gebrau von 47 Tonnen für eben fo viele |
Mark zu Faufen gemwefen,
Die von der Natur zu glücklicher Benugung fger
Botene Lage an dem fchönen Elbftrom foderte durch füch
& £ ſelbſt auf, der moͤglichſten Vortheile von demfelben fich
zu vergewiſſern, wenn auch nicht die hoͤhere Beſtaͤtigung
von Seiten des Neichs: Oberhauptes hinzu gekommen
wäre. Alle bedeutenden Ströme haben fruͤhzeitig Zoͤlle
und Gtapelgerechtigfeiten bey den angranzenden Lars
desbehoͤrden zumege gebrachte, bey den Fuͤrſten, weil
Stapelgerechtigkeit u. dgl. 353
fie ihre Einkünfte dadurch zu vermehren glaubten, bey
einzelnen Städten, die fich eines vorzüglichen Verkehrs
erfreueten, aus dem Grundfaß rechtlicher Haushaltung
und Sparfamfeie, um neue Verbefferungen im Hafen,
oder im Strombau, oder fonftige Auslagen zur
Sicherbaltung und Beförderung der Stromfahrt beffreis
sen zu können, Die zu gleicher Begunftigung mit eine
ander verbundenen, als wie die Stadte der Hanfe,
befreyeten fich unter einander wechfelfeitig von den
gefesten Abgaben, foderten ſie aber von den Fuͤrſten
und von folchen , die ihnen fremder zu Tiegen fehienen,
Es möchte ſchwer zu entſcheiden feyn, in mie fern
die Klagen gegruͤndet waren, die wiederholt nahmente
fich über die Hamburger geführt wurden, daß fie
eigenmächtig Zoll, Schoß und andere Abgaben in ihrer
Stade und in ihrem Hafen auf die Ein» und Ausfahrt
gelegt hatten, wie in den Jahren 1422, und mieder
1442, 1466, 1472 über die von Hamburg, Lübeck und
Lüneburg zufommen gefcheben: in den Verantwortun⸗
gen werden wenigſtens Gründe angegeben, welche aug
der Sache felbft, der Sicherhaltung, Befeftigung und
Reinigung der Hafen und übrigen Fahranſtalten ı her:
genommen find und die Billigfeie im Feine Weife bes
leidige Die Stapelgerechtigkeit, welche
an einem gemiffen Orte den ausfchließenden Eins:
kauf der Waaren ober die alleinige meitere Verfuͤh⸗
tung der Güter verlangte, fand mit diefem Zollwefen
in enger Verbindung, Bald waren es Privilegien, bald
Herfommen, worauf man dieſes Recht begrindere,
Kaifer Sigismund evsheilte im Jahre 1427 zum
| *
354 Anfange des hamburgiſchen Poſtweſens
Befhranfung des hamburgiſchen Stapefrechtd den
Luͤneburgern für ihre freye Schifffahre auf der
Suͤder⸗Elbe einen befonderen Freyheitsbrief. Vermuth⸗
lich achteten die Hamburger nicht ſehr auf dieſe Be—
freyung, denn im Jahre 1439 verklagten die Herzoge
von Luͤneburg den hieſigen Rath bey dem Kaiſer Alb⸗
recht, daß man ihren Unterthanen das Vorbeyfahren
in der GSüder- Elbe nicht geſtatten wolle, Obſchon ein
Iaiferficher Befehl an den Rath gelangte, die Sache
abzuändern, fo wußte man hiefigerfeitS doch die Zoll⸗
gerechtigfeit zu ermeifen, Spaͤterhin miederrief umd
vernichtete Kaifer $riedrich III, (1482 den 9, July)
auch die den Grafen von Barby ertheilse Freyheit, Korn
und andere Warren vor der Stadt Hamburg vorbey-
zufahren, und befkätigte in einem anderen Privilegium
von demfelben Jahre Cden 14. July) der Stadt aus⸗
drücklich die Niederlage und Stapelgerechtigfeit, Daſ⸗
felbe geſchah, wie angeführt worden, von dem Koͤnige
von Daͤnemark.
Die dem gewerbetreibenden Verkehr ſo wie dem
Gedanken⸗Umtauſch auch getrennt Wohnender ſo wohl:
thaͤtige Einrichtung des neueren Europa, die Poften,
eine Erfindung Franfreichs, waren damahls noch unbe:
fannt: dennoch bildeten fich in Hamburg die Anfange
dazu von ſelbſt auf eine fehr eigenthümliche, ganz heimis
ſche Weife. Es ift im Fruͤheren der befonderen Geſellſchaften
gedacht morden, melche fich aus den nach Schonen und
Bergen, Flandern und England fahrenden Schiffern und
bandeltreibenden Bürgern Hamburgs bereit8 gegen das
Ende des vierzehnten Jahrhunderts zufammen taten. Die
-
von den Scihiffergefellfihaften aus, 355
Bereinigung war urfprünglich in frommer Abfiche ges
ſchehen, daß. Fimbitten für die, ſo im Gefahr fich bes
fanden, -Seelenmeflen für Verunglücdte 20. veranſtaltet
würden, weshalb auch eine jede diefer Gefellfchaften
in einer der Kirchen eine befondere Eapelle hatte, wie
woch bis auf neuere. Zeiten die der Englandefahrer in
der Johannis⸗Kirche befand: zugleich wurden Sonntags
nach der Predigt an die Frauen und Kinder der abwe⸗
fenden Schiffer Waizenbrore ausgerheilt, von welchen
die noch jegt ſogenannten Pröven. (Prabenden) ab⸗
ſtammen. Als die Geſellſchaften im Verhaͤltniß ihrer
Schifffahrt, ihres Handels und Gewerbes ſich vers
sröfferten, kauften fie fich theils zu ihren Zufammens
Fünften, theild zur Aufnahme ihrer reifenden Handels:
freunde ‚die bekannten. Schifferberbergen, (deren eine,
die Niedergeſellſchaft im Jahre 1471 ‚neu. aufge
bauer wurde.) Es laͤßt ſich mie Recht behaupten, daß
in jenen alten Gebäuden der. Grund zu der. glänzenden
Handlung gelegt worden ſey welche Hamburg mit den
angeſehenſten Handelsſtaaten in Europa in Verbindung
gebracht hat; in eben denſelben wurde auch das Po ſt⸗
weſen fuͤr die Stadt ganz ſelbſtaͤndig auf die einfachſte
Weiſe erfunden und zuerft begruͤndet. Damit dieſe Ge⸗
ſellſchaften mit ihren auswärtigen Comtoiren, mit ihren
Schiffern und Handlungsdienern in moͤglichſter Xerbins
dung blieben, fandten fie, anfanglich nur wenn es noͤthig
war, bald, regelmäßig monatlich, dann möchentlich
Boten mir Briefen an jene Comtoire in Brügge, Ber
gen u, ſ. w. Man findet die Spuren von ehemaligen
Poſtſtuben noch in dieſen hamburgiſchen Geſellſchafts⸗
—J
ö
356 Die Raufmannd-Aelteriente,
baufern. Zur Beforgung dieſes Botenwefens und über
baupt zur Verwaltung ihrer Angelegenheiten wählte
eine jebe diefer Gefellfebaften aus fich zwey Aelt er⸗
leute (Olderluͤde). Diefe fammelichen Aelterfeute find
als die Vorgänger der fpater entffandenen Commerz⸗
Deputation zu betrachten, Ihr Anfehen wuchs fchnell,
fo daß der aus ihnen von den gemeinen Kaufleuten im
Sabre 1517 erwaͤhlte Ausſchuß der Kaufmann
Aelterleute vom Rathe beſtaͤtigt uud ihnen nicht nur
die Aufſicht uͤber das hieſige Handelsweſen anvertrauet
wurde, ſondern daß ſie auch in Verbindung mit den
Zollherren das derzeitige Handels- und Seegericht
ausmachten. Als ſpaͤterhin durch andere Einrichtungen
der Stadt dieſe Aelterleute ihre urſpruͤnglich ihnen ans
vertrauten Verrichtungen wieder verloren, nannten ſie
ſich, da früher die Börfe zum Theil von ihnen
erbauet worden war, Börfen- Alte, und behielten
zugleich das Poſt- und Boten-Wefen, das als
Privatſache in feinem Urfprung jenen Gefelfchaften auch
eigenthuͤmlich gehört hatte,
Das Staatsverhaͤltniß der Stadt Hamburg geffals
ter fich in diefem Zeitraume Flarer und verfländlicher,
Es ift fehon oben erzählt worden, mie welcher Vorſicht
und Umficht und befonnener Berechnung der Rath und
die Bürgerfchaft, feitdem von den &chauenburgifchen
Grafen die Anfpräche auf Holffein an die Könige Daͤne⸗
mark's übergegangen waren, Alles, mas zu erbunters
thäniger Verpflichtung führen Fönnte, zu vermeiden
bemüht waren, Was von den Grafen theild Durch
Ankauf, theils durch anderweitige Vertraͤge für Die
Staatsverhaͤltniß Hamburgs, r 337
Stade batte gewonnen werden können, : war bey jeder
paffenden Gelegenheit in Obacht genommen worden;
von Iandesherrlichen Rechten mar die Rede außer
Gewohnheit kommen; von Eydesleiftung und Huldigung
wollten die, fo durch eigene Kraft zu ſelbſtaͤndiger
Haltung fih erhoben harten, nichts mehr wiffen;
Hamburg fey eine privifegirte, fey eine zum deutfchen
Reiche gehörige Stadt; doch wolle man fich, wie vor:
dem zu den Schauenburgern, fo zu den Königen Dane
marks, als zu Herren von Holftein halten, wenn fie
felbft bey ihren alten Gnaden und Gerechtigfeiten uns
geftört und ungehindert gelaffen würden. Dagegen ift
auf der andern Seite eine immer engere Anfchliefung
an das deutſche Kaiferreich unverkennbar, troß dem,
daß von den unmutbig gewordenen Bürgern Hamburgs
die Rolandsfaule bey früherer Kraͤnkung herabgeworfen
worden war, Zwar iſt das Verhaͤltniß zu Kaifer
Sigismund’ Zeiten noch nicht ganz deuslich und
ficher, niche durchaus von günftiger Arc für die Stade,
Ein fogenanntes Privilegium vom J. 1421 aus Olmüg
entlaflen, bleibt, ba es nur mangelhaft aufzufinden,
unverſtaͤndlich. Es follen in demfelben folgende Puncte
beffimme worden feyn: 1) Wenn der Kath und die
Gemeinde der Stade wider Semanden gerichtlich befangt.
werden müßten, mo und vor wem dieſes geſchehen
fole? 2) Wenn Bürger gegen Bürger, oder Auslan-
der gegen Hamburger zu klagen haben, wer ihr Richter
fjey? 3) Wenn der Rath die Juſtiz nicht recht oder
vergögerlich verwalte, wer darüber erklären, fie refor-
miren und fondiciven folle? 4) Wenn der Kaifer fich über
—
—
—————
*
358 Verhaͤltniß Hamburgs zum deuefchen-Meiche ;
die Stadt und Gemeinde zu beſchweren habe, wo und
vor welchen Gerichte fie alsdann zu ſtehen und fich zu
verantworten verbunden feyen ? Es war dieß wohl weni—
ger ein Privilegium, als eine Verordnung, wie bie
Stadt zur Faiferlichen Hoheit fich zu flellen habe, Aug
mangelhaften bandfchrifelichen Nachrichten laͤßt fich
errarhen, daß beſtimmt worden, Gtreitigfeiten der
Hamburger zwiſchen einander und Fremder gegen fie
feyen vor den Nach, Beichwerden über den Rath vor
die Grafen von Hofffein, ungerecht feheinende ‚oder vers
zögerse Juſtiz vor das kaiſerliche Hofgericht ſelbſt zu
Bringen, Gewiß iſt, daß in diefem und den nachften
Jahren von Sigismund über Hamburg die Achte und
Dberacht ausgefprochen war, ohne daß die Veranlaſſung
dazu genau befannt ware; . eben fo gewiß auch möchte
ed feyn, daß die Achtserklaͤrung für die Stadt ſelbſt
ohne nachtheilige Folgen blieb, Sehr umſtaͤndlich und
mwortreich beftatigte der nachfolgende Kaifer Albrecht ll.
aus dem Haufe: Defterreich der Stade Hamburg die
alten Privilegien und Gereihtiamen, mie der Gtraf
feßung von 25 ME, Törhigen Goldes, wer ihr derin
zumider handeln wolle, 1438, am Tage St, Gallen, Als
nach dem Abgange des Schauenburgifihen Haufes von
der zudringlich verlangten Huldigung der Könige Daͤne⸗
marks mancherfey nachtyeifige Folgen für die Stadt
gefüirchter wurden, ſchloß fich Diefelbe noch enger an
das Reichsoberhaupt an, und die altem Freybeiten und
Vorrechte und wer nach den mannichfaltigften Beziehuns
gen bin von Kaifer Friedrich - ILL, beſtaͤtigt und ers
weitere, Bon jent am murde die Stadt auch als
x
5. wird privilegirte Reich finde 1510. „ 359
Reichsſtadt, zu den alfgemeinen deutſchen Reichstagen
durch Eaiferliche Augfchreiben einberufen, wie 1460 nat)
Wien,’ 2470: nach Regensburg; fie wurden aufgefodert,
zur Sicherheit des gemeinfamen Vaterlandes und zu den
Reichskriegen, damahls gegen die Türken, ihren Beytrag
zu leiſten, wie denn derjelbe ‚1471 auf 10 Keuter umd
20 Mann zu Fuß angefegt worden. war, In einem andern
Ausichreiben vom Jahre 1473 werden Rath und Stadt
ermähnt,. der Pfliche, mit welcher fie dem Kaiſer und
Keich verwandt fepen, eingedenk zu bfeiben und bey Ber-
luft ihrer Privilegien den ReichStag zu befcbisfen. König
Jo hann machte im Jahre: 1387 einen Verſuch, fich
bey dem Kaifer darob zu beſchweren, daß Hamburg,
gleich anderen unmittelbaren Reichsſtaͤdten, allgemeine
Neichsbeytraͤge zugemuthet würden, aber ohne dag
dieſe Einrede einigen Eindruck hervorgebracht hätte x die
Ausſchreiben zu den NReichstagen wurden mit den ffreng-
fen Mahnungen wiederholt, bid endlich im Jahre 1510
den 3: May des Kaiſers Meprimilian I und der
zu Augsburg verfammelten Reichsſtaͤnde Abſchied erſchien:
Daß, nachdem aus vielen und glaubmwärdigen
Urkunden und, Unterrichtungen ſattſam kundig, daß
Hamburg für und als eine Stadt des h. Reichs
angeſchlagen, geachtet und gehalten und zum römifchen
Reiche gehörig ſey: fo wolle der Kaifer dieſelbe fürder
bey dem Reiche als felche behalten; wo aber der König
von Donemark und der Herzog von Holfkein noch. einige
Gerechtigfeit an diefelbe zu ‚haben vermeynten, möchten
ſie ihre Anfprüche vor dem DR — *2
rechtfertigen.“
360 » Geldbeytrag zu ben Reichs kriegen,
4
Darauf erfolgte das naͤchſte Ausfchreiben zum Reichs—
tage im Jahre 1511, den 20. July, in noch beffimms
teren Ausdruͤcken: Die Stadt folle zunachft der Pflicht,
womit fie Gott, und nach demielben dem Kaifer ver«
wandt fey, fo wie der Gnaden und Wohlthaten, die
ihr von Kaifer und Reich erwiefen worden, eingedenf
ihrer Vorfahren Liebe, ‚Gehorfam und treue Dienſtbar⸗
feit betrachten und von Stund an, nach Anficht des
Briefes, dem Kaifer mit baarem Gelde, das ſich
fo bach beiaufe, als die zu fendenden Kriegsleute ſechs
Monate lang im Felde zu unterbaften Eoften würden,
nach dem böchiten Vermögen zu Hülfe und zu ſtatten
fommen 2c,, woraus Elar genug erhellet, wofür die
Reichsfreyheit der Stadt gewonnen worden fey. Die
Aufgabe blieb jetzt für die Zufunfe zu loͤſen, in ber
doppelten Stellung, die man bier gegen das von Nas
eur und Herfommen verwandte Reich, dort gegen einen
Nachbar, der auf Scheingründe und verwickelte Vers
haͤltniſſe Anfprüche bauete, fich niche allein im Gleich“
gewicht zu erhalten, fondern auch in innerer Gelb
ſtaͤndigkeit ınd achter INNE feitere Gründung
zu gewinnen,
Daß bey dem regen Reben nach Auffen bin, mels
ches fich in fo mannichfaltigen Ereigniffen diefes Zeit
raums entwickelte, auch das innere Volksleben in Kraft
und Ausübung der bürgerlichen Thätigfeit mit der Zeit
gleichen Schritt gehalten babe, iſt an fich begreiflich |
und ergiebt ſich aus verſchiedenen Ueberlieferungen.
Die erſten Reibungen, welche zwiſchen die Buͤrgerſchaft
und den Rath gekommen waren, nicht ſowohl aus
Stand der Bürgerfchaft zum Rathe. . 361
Böswilligkeit, fondern weil jeder Theil mit Nachdruck
feine Anſicht verfolgte, hatten — daß ein
gleicheres Verhaͤltniß geſetzlich gem rden war ; ber
einzelne Bürger war gegen Gewaltthaͤtigkeit des Raths
gefichere. Zwar fcheinen die Angelegenheiten mit dem
neuen Rathe in Luͤbeck, der von dem biefigen- Volke
einfeitig begünftige wurde, noch einige Zeit die Span⸗
nung erhalten zu haben; doch maren befonders bie
nachdrüclichen Anfragen der hanfifchen Abgeordneten:
ob Rath und Gemeine zu Hamburg gedachten bey Ehr
und Reblichfeit gu verbleiben? ob fie bey ben gemeinen
Hanfeftädten verbleiben wollten? ꝛc. (im J. 1421) von
guter Wirkung, weiter gehende Spaltung zu verhüten,
Der eine ober der andere wurde wohl ber gereizten
Empfindlichfeie zum Dpfer gebracht. Johann
Bererbolt, einer der vorigen Sechziger, war im
J. 1411 zu Rache erwaͤhlt worden; aber noch im
erften Jahre feiner Würde wurde er, da man ihn
befchufdigte, er habe fih an einem Bürger, Erich von
Zeven, mit Worten und Werfen gröblich vergriffen,
über dieſes noch auf den Rarh geſchmaͤhet, de3 Raths⸗
ſtuhls entfegt, und aus der Stade verwiefen. Der
Vorfall bleibe dunkel und laͤßt Fein ficheres Urtheil zu.
Aber auffallend iff es, und ſcheint nicht ohne Bezie
hung zu feyn, daß der zweyte Receß vom J. 1458
ſich damit anfaͤngt: „Hinfort folle Niemand, er fey
Bürgermeifter, Rathmann, Bürger oder Einwohner,
um irgend einer Mifferhat willen aus der Stadt ver:
wiefen werden, noch folche verfchwören; mer in der
Stade gefündige habe, folle hier nach dem Stadtrechte
362 Mißhelligkeiten ım Innern,
feinen Lohn empfangen. Der Aufhebung des Königs
« Erich von Dane, deffen Briefe den Rath bey ber
Buͤrgerſchaft machen ſollten, gelang es in
ſoweit, daß die ( des armen Klegen, von deffen
unbefonnenem Angriff auf Flensburg oben geredet worz
den, Teidenfchaftlicher angefehn, wurde, als der Unglücks
liche verdient zu haben ſchien. "Mehrere Unfalle, melche
die Hamburger in den damaligen Fehden traf, mochten
überhaupt auf die Stimmung nicht vortheilhaft wirken;
nur hatte der Rath die gegründete Entfehuldigung, daß
er den Krieg gegen: Daͤnemark Anfaugs ſelbſt nicht
gewollt und bloß den Wünfchen der Bürger fich darin-
nen geneigt bewiefen babe, Von weiteren Zwiſtigkeiten
iſt in den folgenden Jahren nicht die Rede, Ein Bor:
fall im Jahre 1453, daß die Brauerfnechte einen jun
gen Knecht, der zum Hochgericht ‚geführt wurde, bey
- ©. Peters⸗Kirchhof mit Gewalt aus der Verwahrung
des Frohns befreyeten, iſt an -fich unbedeutend und nur
in fo fern zu merken, daß feitdem die Mifferbater durch
die fogenanuten reitenden Diener zum Tode geleitet
zu werden pflegen. Sonſtige Irrungen wurden im Jahre
1458 durch den zweyten Receß zwiſchen Rath und
Bürgerfchafe zur Güte beſeitigt. Neue mefentliche Ars
tikel, auffer den einzeln angeführten, find:
or Bürger Rinder ‚brauchen fich nicht in ihrer. El
tern Berlaffenfchaft einzuzeugen. — In den Bierhaͤu⸗
fern fol nicht gefpiele werden, — Ein Knecht fol bey
harter Strafe feines. Herrn Gut nicht anbrechen. —
Den Aemtern werden ihre Rechte und Rollen, wie auch
Befugniſſe gegen Bönhafen zugeſichert. — Jeder
beſeitigt durch den zweyten Receß, 1458. 363
ehrliche Mann ann Gewandſchneider werden. — Gaſt
mit Gaſt darf nicht handeln, bevor er drey Tage zu
Markte geftanden, (Allgemeine hanſiſche Verordnung.)
Alles wohlerworbene Gut kann der Beſitzer in Gegen⸗
wart zweyer Rathmaͤnner vermachen, wem er will. —
Die Mattenknechte (Matte heißt Mehlzinß) ſollen
ſich nicht beſtechen laſſen. — Wer vor Gericht nicht zu
reden vermag, kann einen andern Bürger zu feinem
Fürfprecher waͤhlen, der dafuͤr nichts nehmen darf, —
Wer, wenn fein Haus brennt, feinen: Laͤrm macht, fol
hart beſtraft werden. — Korn foll nicht ver fah⸗
ven werden. — Bor eilf Uhr darf Kein Vorhöfer
kaufen. — Wenn der Rath bewehrte Mannſchaft
fodert , fol er an einem Ende der Stadt anfangen und
fo Nachbar an Nachbar auffodern; wo das Aufgebot
aufbört, foll bey dem naͤchſten Bedarf wieder angefans
gen werden, — Die Bürger wollen ſich nach dieſem
nicht verfanmeln, denn auf Botſchaft des Raths, es
“wäre denn, daß der Stadt Gefahr oder Verderb wo—
von abhinge, alsdann wollen die Aelteſten aus
jedem Kirchfpiel zuſammentreten und ſolches dem
Rathe vortragen.“
Ein paar andere — betreffen die tirch⸗
liche und ſittliche Verfaſſung: „Wer an einem heil.
Abend ſpaͤter als Mitternacht arbeitet, buͤßt 10 FL. —
Ferner: „Es ſoll eine Kleider⸗Ordnung abgefaßt
werden.“ Auf den letzteren Umſtand achteten die Vorfah⸗
ren dieſer Stadt, nach einem ſehr richtigen Gefuͤhle,
mit ſtrenger Aufmerkſamkeit. Vom Jahre 1479 finder
fich ein Vertrag zwiſchen dem Rathe und Cord Vaßmer,
364 Alte Kleider» Ordnungen.
Canonicus an St. Marien Magdalenen, wegen deffen
Hefangener Magd, die einen Hoyk und andere ihr
niche ziemende Dinge getragen und gethan; beyde hate
‚ten die Urphede ſchwoͤren müffen, Im driften Receß
von 1482 wird verboten, daß die Frau eineg Tanker
rottirerd8 Kleinodien trage, In dem neuen Stadtbuch
von 1497 wird Gchwelgerey und Kleiderprache aber:
mahls verboten. Und wieder im Jahre 1506 wurde
eine Verordnung gegeben, im welcher den Frauen
das Gefchmeide auf den Hoyken und Roͤcken unterfägt
murde, „weil fie ſich prachtig damit aufführten,
Geiz und Habſucht auf der einen Seite, übertriebene
Brachtliebe und Verſchwendung auf der andern, haben
von jeher das Wohl groffer und Eleiner Staaten unter⸗
graben, daB allein durch weite Sparfamkeit und Maͤßi⸗
gung im Gebrauch der Kräfte erhalten werden fan.
Die Einfachheit in Kleidung und äufferer Sitte ſteht
zugleich in naher Verwandtſchaft mit. dem bauslichen
Gluͤck, mic der Ruhe und Zufriedenheit des Lebens
und mit der inneren Reinheit und Einfachheit des Ge
muͤths. Darum achteren die weiſeſten Staatsmaͤnner
von Alters ber auf diefen Gegenftand, der einer blei⸗
benden Sorgfalt der Regierungen würdig iff,
Die etwa vorhandenen Mißhelligkeiten im Innern
der Stadt hatten durch dieſen zweyten Receß ihre Ends
fchaft gewonnen: dag gegenfeitige Zutrauen fehien wieder
befeffigee und wirkte in treuem Zufammenhalten zur
Abhelfung mancher Unfalle, welche theils durch Verwahrlo⸗
ſung, theils durch die nicht immer wohlthaͤtige Gewalt
der Natur uͤber die Stadt kamen; wie im Jahre 1462,
Ausbruch neuer Mißhelligkeiten. 365
da eine groffe Feuersbrunſt an 30 Haufer in der Naͤhe des
Kifchmarftes in Aſche legte, 1464, wo Theuerung und
Seuchen eine Menge Menfchen dahin rafften, 1470,
als eine außerordentliche Waſſerfluth Verheerung und
Elend anrichtete. Kraͤftige Menſchen werden durch Ans
glü nur aufgefodert, durch Rettung des befferen ke
bens auf den Trümmern des Geſunkenen ein frifcheres
Gluͤck empor zu bauen, Der Ruf der reichen Gewerbs⸗
quellen Hamburgs verbreitere fich und Fremde fanden
fich ein von allen Gegenden, bier neue Niederlaffung zu
gründen. Es gab daher auch Kaifer Friedrich IU,
nach Gefuch der Stadt, im Jahre 1482 (den 14, July)
den Hamburgern das Privifegium, daß Fremde, die
fich bier gefege und zehm Jahre hindurch Hier gewohnt
hätten, von jedweder Anfechtung frey und ledig ge⸗
laſſen werden ſollten.
Aber der friedliche Geiſt wurde bald wieder ver-
ſcheucht durch neue Unruhen, welche zufege im einen
verzehrenden Aufruhr auszubrechen droheten. Erſte
Beranlaffung dazu war die drücfende Theuerung, welche
vom Jahre 1481 an drey Jahre hindurch dauerte und
das ärmere Volk gewaltig druͤckte. Der Unmuth ſucht
nicht ruhig die wahren Urfachen auf, fondern greift
nach dem, mas ihm der Schein am nachiten vorſpie⸗
gelt : mehrere Kaufleute, unser ihnen Herren des Raths,
murden befchulbige, daß fie das Korn, dad zur Stadt
fame, auffauften und in fremde Lander fchieften, und
wie leer auch dieſe Anklagen feyn mochten, fo murbe
die Erkitterung doch noch mehr gersist, als einzelne
der Aermeren für ihr ungebührliched Berragen ins Ge:
366 Unruhen in Hamburg
fangniß gefegt oder mie Geldbuße. beffrafe. wurden.
Bürgermeifter Sobann Hüge war. in dieſer Ungele
genheit vorzüglich thatig, Noch glomm indeß der Zum
fen der Zwierracht nur unter der Aſche und ein anderer
Umſtand, der fehr aufferwefentlich ſchien, ſollte ihn erft
noch mehr anfachen, |
An dem Kloſter der Eiftercienferinnen zu Harve
ſtehude, welches durch beſondere Vorrechte und reiche
Ausſtattungen fich fo reizend empfahl, daß mehrere Toch-
ter von wohlhabender Abkunft aus Hamburg in dem-
felben den Schleyer nahmen, harte fich, an der Stelle
der harten Bußübungen und Kaſteyungen, die anderen
Schweſtern uͤberlaſſen blieben, ein fo angenehm melt-
liches Leben entfaltet, harte. fich folche Ueppigkeit und
Ausſchweifung eingenifler, daß eine Unterfuchung von
Seiten der höchften Behörden, und wo möglich eine
fehr fcharfe Umkehrung, fehr norhwendig geworden war,
Zu diefer Abſicht fandte der damalige Bifchof zu Mün-
ſter, Adminiſtrator des Erzbißthums Bremen, im Sabre
1482 (im Dec,) einige Praͤlaten hieher, weiche mit Zuzie⸗
bung des hamburgiſchen Rathes eine Sittenverbeſſerung
dieſer frommen Anſtalt verſuchen ſollten. In dieſem
gerechten Verfahren fanden die Leute im Volke, des
rechten Sinnes unkundig, an ſich ſchon unzufrieden mit
den Verwaltern der Stadt und wahrſcheinlich noch auf
gehetzt dazu von ben hiefigen Pfaffen, welche fich der Sache
der frommen Schweftern nahe "verwandt fühlten, Be⸗
denkliches und Gefaͤhrliches; ein Haufe rottete ſich zu-
ſammen, folgte den Abgeordneten nach Harveftchude,
. drang zum. Theil mit ins Kloffer ein, andere aber
befördert durch Harveſtehude's Unterfuchung. 367
trieben vor dem Hofe wilden Unfug und ermwiederten
Zureden und Ermahnungen mie Hohn, mit derben
Schimpfreden und Spottgelächter, Der Rath konnte
die Gaͤhrung nicht anders ftillen, zumahl da auch die
Anverwandten und Freunde der „Kinder“ im Jung—
frauenthale, als deren Sprecher Dietrich Menfen
auftrat, die Einmengung des Biſchofs zuruͤckwieſen, als
daß die Praͤlaten in aller Stille davon zogen. Der Abt
von Reinfelde, auf den man ſich berufen hatte,
erbielt bey ſeiner Ankunft von dem wahren Zuſtande
der Dinge eine ſo deutliche Anſicht, daß er ſelbſt mit
Aufopferung der Reiſekoſten, um ſich in die Sache nicht
mengen zu duͤrfen, ſich gleichfalls ungeſchehener Verrich—
tung wieder entfernte. Der rohe Muth der Volksmenge
hatte an dieſem Durchſetzen ſeines Willens friſche
Nahrung gefunden, und es darf nicht Wunder nehmen,
wenn er immer kecker und ſprudelnder auffchaumte,
In ſo ſchlimmer Zeit, wo die Nothdurft des Lebens
am fuͤhlbarſten war, vermochte beſonders, wer irgend ſich
im Stande fah, durch einige Gaben die Teidende Menge
fich zu gewinnen, den unruhigen Sinn immer arger zu
entflammen. |
Der damalige Muͤnzmeiſter, Hans Schröder,
harte ſich, vielleicht mit unzeitiger Gefchäftigkeie, als
Vermittler zwiſchen die beyden Parteyen ſtellen wollen,
aber als Guͤnſtling des Rathes beſonders in der Kloſter—
fache der Drenge nicht nach Gefallen geſprochen. Ein Herr
Wichmann von der Fechte hatte zuerſt am dieſer
Voreiligkeit Anſtoß genommen; eine reiche Ladung von
Bier , die er in der Brauergeſellſchaft zum Bellen gab,
2 24
3068 Heinrich von Lohe ſtellt ſich
verfehlte ihre Wirkung nicht, die Koͤpfe zu begeiſtern,
den Muͤnzmeiſter zum Verraͤther zu brandmarken und
gegen den Rath den ungeziemendſten Schmaͤhungen Luft
zu verſchaffen. Doch blieb dieſer Angriff von letzterem
noch unbeachtet, da man gedachte, in guter Geduld die
Sache ſich legen zu laſſen. Ein wilderer Aufwiegler
wor Heinrich van Lohe, ober ſonſt auch Henrich
Hurlefe genannt, ein Brauer im: Roͤdingsmarkt,
welcher durch aufhesende Gerüchte, daß bey Wedel an
3co Dchfen und viele Schweine über die Elbe gebracht
worden wären, daß man alles Gerraide nach Ißland
verfehre, in den Wohnungen feiner Nachbarn, wie auf
den Straßen, die Gemüther erregte und durch bekeidis
= gende Aeufferungen gegen Die Angefehenften des Rache
die Sache fo weit trieb, daß derſelbe ihn am Himmel-
fahre8- Abend (1483) nach’ dem Rathhauſe fodern und
von da, wahrend Das Volk in’den Kirchen war, Durch
Die Diener nach dem Winferbaume bringen ließ. Die
Dirgerfibaft wurde in der Eile zufammen berufen, um
mit ihr wegen der Ißlandsfahrt zu verhandeln, fo
daß auch, fo lange Die Theurung noch dauere, die Aus
ſchiffung des Gerraides bey harter Strafe verboten
wurde, Aber der unruhige Haufe, von den Anhängern
des von Lob, die fich unter dem Nicolai» Thurme vers
ſammelt hatten, aufgereizt, waren damit nicht zufrieden:
fie befehloffen die Befreyung ihres Helden, und fanden den
Zeitpunct guͤnſtig, da eben ein Bürgermeifter und ein
Rathsherr mit den reitenden Dienern nach Luͤbeck ge
reifet waren, Schleunigſt eilteder Haufe nach dem Haufe
des Buͤrgermeiſters Huͤge, und als fie dieſen nicht
—
an die Spitze der Aufruͤhrer, 1483: 369.
vorfanden, griffen fie den jüngeren, Niclas von.
Swaren am Fiſchmarkt auf, unterwegens noch den
alten, Franken, ehiwürdigen Jobann Meiger, und
sögen fie nach dem Winferehurm, die Yustieferung des
von Loh verlangend, Der alte Meiger mar niche
im Stande, zu folgen; «ber von Swaren mußte
den Thurm öffnen, und neben dem befreyeten Maſa⸗
niello“ Hamburg's, der im, Triumph unter Begleitung.
eines gewaltigen Getuͤmmels durch bie Straßen geführt,
wurde, befcbeiden hergeben, während ibm nicht einmaf-
vergönne wurde, das Blut ſich aus dem Gefichte u
wiſchen von den Wunden, die ihm. die ruchlostobenden
Menfchen gefchlagen hatten. Als er den Hurleke bis
vor feine, Thür gebracht hatte, mußte er ihn noch
freundlich grüffen, dreymal ibm die Hand geben und
gute Nacht wuͤnſchen. So iſt der Uebermuth, went er.
fich des rohen Pöbels bemeiftert, wilder und grauſa⸗
mer in ſeinen Aeuſſerungen, als die gewaltigſte Tyran⸗
ney der einzelnen Machthaber.
Dem nuruhigen Tage folgte ein unruhigerer Abend
der Haufe verſammelte ſich in der Brauergeſellſchaft und
zechte; andere zogen die Sturmglocke, die Verwirrung.
wurde allgemein : nur dem freundlichen, vaterlichen Zu⸗
reden des alten, rechtſchaffenen Meiger, der ſich trotz ſei⸗
ner krauken Fuͤße ſelbſt in die Brauergeſellſchaft begab,
gelang es, die Aufruͤhrer zu bewegen, daß fie ſich nach
Haufe verfügten. Aber an dem. nachften Freytage ver⸗
ſammelten ſie fi ch in der Nicolaikirche, wohin auch der.
Kath entboten worden war. Der. Rath ſtand atıf dem
Chore; v. Loh als Spresber, trug im Nahmen der
24*
370 Heinrich von Loh ſtellt ſich
Buͤrgerſchaft, oder auch in ſeinem Nahmen, mehrere
Artikel vor, deren Bewilligung mit Ungeſtuͤm verlangt
wurde: der Rath erbat ſich ſchriftliche Mittheilung der
vielen Puncte, und verſprach, ſobald der Buͤrgermeiſter
Dr. Langenbeck und Rathmann Henning Büring
von Luͤbeck zuruck gekehrt ſeyn würden, nad) gemein⸗
ſchaftlicher Berathung darüber Beſcheid zu ertheilen.
Die mehrſten dieſer Forderungen ſind nachher bewilliget
worden und machten den weſentlichen Theil des nach—
folgenden Receſſes aus. Sie wurden am heil. Abend
vor Pfingſten von Herrmann Langenbeck, der der
vielen erhaltenen Drohungen und mitgetheilten Beſorg—
niſſe nicht achtete, durch Verkuͤndigung einer
Buerfprafe oͤffentlich abgeleſen und die anweſende
Verſammlung beobachtete allgemeine Ruhe und Stille.
Vor der Hand ſchien alſo der Aufruhr gedaͤmpft
zu ſeyn.
In einer nachfolgenden Vorfallenheit, den Loh
betreffend, nahm ſich der Rath mit gleicher Milde und
Zuruͤckhaltung, um die Gemuͤther moͤglichſt zu be—
ſchwichtigen. Loh hatte ſich durch ſeine Auszeichnung
in dieſen Tagen beym Volke in Anſehen geſetzt und
ſein Nahme fing an, geltend zu werden und wohl auch
nach Auſſen hin ſich zu verbreiten. Im Hannoͤver'ſchen
wohnte ein Edelmann, Heinrich Freytag, welcher
in Lob einen feiner ehemaligen Leibeigenen wieder zu
erkennen glaubte und hoffte, von der Gelegenheit
Nutzen ziehen zu Eönnen, daß der Loh um ein gutes Stuͤck
Geld ihm feine Unfprüche loskaufen möchte. ALS der
St, Veits Markt einfiel, kam er mit feiner Frau
an die Spige der Aufrührer. 1483. 3727
Beimlich nach Hamburg, fuchte den Lob auf und
brachte feine Foderung an. Diefer war dabey fo wer
nig gleichgültig, daß er fein Gefolge mit fich nahm,
und den Pfaffen Tönmiges Krahmer, ſich nach Freys
tag’8 Herberge verfügte und fo nachdruͤcklich ibm fein
ungebübrliches Begehren verwieß, daß der Edelmann
‚in baftiger Eile Hamburg verließ, noch ehe feine Frau
ihm folgen konnte, und ſich nach Haarburg flüchtete.
Zwey Tage nachher, als die Frau dem Loh bey der Mühr
ren neben dem Krahn gegen Abend begegnete, Fam es
zwifchen beyden zu einem Wortmwechfel, in welchem fie
fich einige Ausdruͤcke erlaubte, die nun wohl nach ihrer
Mepnung auf einen Leibeigenen zu paffen ſchienen.
Diefe brachten aber den ohnehin jabzornigen Mann in
ſolche Wuth, daß er mic feinen Gefellen, die er faft
gewöhnlich in feinem Geleit geführe zu haben fibeint,
die ſchaamloſeſte Begegnung fich gegen die hochfchwans
gere Frau erlaubte und fie auf das fchnödefte mißhan—
delte. Und damit fich nicht begnügend fchleppten fie die
arme noch zum Bürgermeifter H Langenbeck, und
verlangten, daß fie in die Hechte Cauf die Frohnerey)
gebrachte und für ihre Beleidigung geſtraft wuͤrde. Ä
Dem Fugen und befonnenen Benehmen de3 Bürgermei:
ſters Langenbeck gelang es nach, vielem Bemühen, die
unrubige Menge in fo weit zu befchwichtigen, dag
die Frau in die Wohnung des Baumeiſters gebracht
werden durfte, um der Bflege und Wartung von deffen
Hausfrau anvertraut zu werden. Huch den andern
Morgen wußte der weile Stadtvater die Sache in ver:
trauter Befprechung dahin zu vermitteln, daß fich die
372 WVWVerſchwoͤrung Des Volks
beyben Derfonen durch einen Hanbfehlag verfühnten,
und die. Edelin unverhindert nach Haufe zu teifen Er:
laubniß erhielt,
Aber in den Gemuͤtherne des pobels tobte noch
immer der alte Groll und drohete um fo gefahrvoller
auszubrechen, je gröffere Gewalt es koſtete, ihn im
"Stillen zw verſchließen. Volksunruhen und innere Der:
wirrung haben von jeher denen am meiften sugefagt,
welche bey friedlichen Zuſtande und. der fehlichten Oro:
‚nung nichts zu verlieren haben, aber ſobald die Flamme
des Aufruhrs losbricht, Gelegenheit zu finden hoffen,
mit geraubtem Gute ſich zu bereichern oder andere un-
edle Abſichten zu erzielen. Ein Haufe ſolcher war es,
der eine wirkliche Verſchwoͤrung anſtiftete daß ber
geſammte Rath nebſt den angeſehenſten Buͤrgern der
Stadt, die demſelben zugethan ſeyen, am naͤchſten Jo—⸗
hannisabende, an welchem der Rath bey dem „Stadt—
tanze“ ſich zu vergnuͤgen pflegte, ermordet werden
ſollten. Es wurde ſo viel ruchtbar von dieſem An⸗
ſchlage, daß der Rath in Beſorgniß gerierh, und mit
den Bürgern und Aemtern Vorkehrungen traf, daß die
- Sicherheit auf mögliche Weiſe erhalten würde, Falſche
Ausfprengungen dienten dazu, die Unruhigen im Be—
wegung zu erhalten, Ein Brauer, Cord Richard, im
Roͤdingsmarkt, verbreitete an mehreren Orten das Ge⸗
ruͤcht, der früher gemißhandelte, nach Luͤbeck entflohene
Buͤrgermeiſter van Swaren werde Johannis zuruͤck
kommen, und da dieß nicht anders als mit bewaffneter
Begleitung geſchehen Fönne, ſey es Billig, daß man ſich
dazu vorbereite, Da man ihn aber auf dem Rathhauſe
mm
“
gegen den Nach und deffen Anhänger, 373
der Unwahrheit und, der Widerfprüche überführte, wurde
er mit Benitimmung der verfammelten Bürgerfchaft in
gefängliche Haft gefibieft, Ein andermal hieß es, um das
Bolf aufzuhetzen, e8 würden vier groffe Schiffe auf
der Stöhr mit Korn beladen, die Elbe hinab zu gehen:
man fand aber nur ein einziges Schiff, welches. Korn auf
der Wefer geladen batte und durch Sturm in die Elbe ges
trieben war. Am Vorabende zu dem verhängnißvollen
Johannistage brach auf dem Brodk in den Buden der
Schifferbauer durch Verwahrlofung. Feuer aus: auch
dieſer Vorfall gab Veranlaflıng zu Drohungen, daß
nicht bloß der Armen, fondern auch der Reichen Haufer
ein Freudenfeuer.geben koͤnnten! — Doch. blieb. es bey
den Drohungen: denn felren iſt Einheit und Zufammenz
bang in den LUnternehmungen > ungeordneter Haufen,
wenn. nicht ein: fchlauer , entſchloſſener Fuͤhrer an der
Spitze ſteht.
Den 11. July, als der Rath und die Bürgerfibaft
verſammelt waren, vornehmlich, um die Angelegenhei⸗
ten des entfernten van Swaren zu berathen, dran⸗
gen ungerufen und unerwartet Henrich ven Lohe,
nebſt Dietrich von Menſen und etlichen anderen in das
Haus, und legten in Auftrag ihrer Partey dem Rathe
eine Anzahl neuer Puncte vor, deren Bewilligung, fie
verlangten. Einige, welche die Handelsverhaͤltniſſe mit
den auswaͤrtigen Comtoiren betrafen, mußten ſchon
deshalb abgewieſen werden, da ſie hanſiſche Angelegen—
heit waren. Einige andere „verdienen des Juhalts
wegen. der Anführung: — „Daß die Pferde vor den
Wagen follten- „ſachten tho Bode gahn“, bey Verluſt
374 Feindſeligkeiten des Volkes
der Pferde. — „Daß die Feuer ſcha uer umgehen
ſollten.“ — „Daß man mit den Boten (movon oben,)
eine Ordnung follte machen.’ — „Daß man fein
Barrengold fol ausgeben.“ — ,, Daß der Herren
Diener Fein: Bier zapfen follten,” — „Daß man
Fiſchbaͤnke auf dem Hopfenmarft folle machen“ ı, dal.
Die Beantwortung auf diefe Anfoderungen fiel billig
aus, und manchen derfeiben wurde auch Genüge ge
leiſtet. Webrigens festen die Friedensflöhrer ihr Ge
treibe fort: ihr Haß war jege vorzüglich auf den ob-
genannten Münzmeifter gerichtet, Hans Schröder, den
fie beſchuldigten, daß er mit Unglimpf von ihnen ger
redet habe: der Haufe verlangte ihn nach dem Hopfen-
markte, daß er ihnen Antwort gebe, ‚, edder be ſcholde
von den Katten gefleyer werden. Auch des
sefangenen Richard Befreyung aus dem Gefaͤngniß
verlangte man mit Ungeſtuͤm, und zwang endlich den
Frohn faft mit Gewalt, ihn aus feinem Kerker zu entlaſſen.
So vielem Unweſen mußte man endlich zu feuern ſu—
ben, wenn der Stadt und dem fFadtifchen Gewerbe Sicher:
beit und ruhiger Umtrieb wieder gefichert werden follten,
Der Rath entbor auf den Freytag* Morgens, ben
18, July, ale Bürger und Bürgersfinder, fo zu ihren
Jahren gefommen, Kauflente und Junggefellen, die
Bürger-Nabrung trieben, fich auf dem Rathhauſe zu
‚verfammeln, um über der Stadt Wohlfahrt zu berath-
fihlagen, Jungen, Eleine Partepläufer und Gefinde
ſolle man zu Haufe laffen, damit Unordnung vermieden
werde. Die Bürger feldft verfahen ſich mir Waffen unter
den Kleidern; „die Wittigſten“ verfammelten ſich auf dem
6
gegen den Rath und deffen Anhänger, 375
Rathhauſe, und unter ihnen hatte fich Henrich v. Lob
mit eingedraͤngt; die wehrbafteſten befegten die Thuͤre.
Diefe war kaum verfchloffen, als Claus von Rum
nen, ein Schiffszimmermann, mit einem zahlreichen
Haufen Poͤbel vor das Rathhaus Fam, und einzubrechen
verfuchte; "aber Durch die tapfere Gegenwehr der Bürs
ger wurde er zweymal zuruͤckgeſchlagen. Er mich nach
Et. Nicolai, und verfuchte, die Sturmglocke anzu
sieben, wogegen indeß bereitd Vorkehrungen getroffen
waren; ein anderer Radelsführer, Rype Kenkel, der nach
der St, Petri⸗Glocke Taufen wollte, wurde aufgegriffen
und nach dem Rathhauſe gebracht. Von hier traten die
Bürger, nachdem fie ſich Bahn gemacht, hervor, nahe
men den Rath in ihre Mitte und führten ihn nach dem
Hopfenmarft, wo man auch den von Kunnen erwifche
und in die „Garvekammer“ von St, Nicolai gebracht
batte, Ein Haufe von Schiffszimmerleuten, Saͤgern
und Schmiedten, welche vom Brook ber durch die
Mattentwiete gezogen Tamen mit Beilen, Nerten und
Handwehren, zerftiebten von felbft, als fie den Markt
befegt und ihren Clas gefangen fanden, Im übrigen
Theile der Stadt hemfchte während der Zeit beklom—
mene Stille, Der Rath befragte: darauf die Bürger,
was ihre Meynung. fey, daß mie den Aufrührern ges
ſchehen fole? Gnade fir die, bie die Antwort, die
um diefelbe bitten würden; doch follten fie zuvor Ge
Iubde und Eyd ablegen, von diefem Tage an nie wie—
der Auffag gegen den Rath oder die Stade zu erregen,
weder in Worten noch in Werfen, Diefer Gnade wurde
auch von Lob theilhaftig, nachdem er den Eyd abgelegt
02
370 Die Mißhelligkeiten werden beygelegt
haste; da er während des Sturmes auf dem’ Rack:
hauſe gewefen war. Aber die Schuldigen follten vers
folge und, nach Urtheil und Recht beſtraft werden. Al—
ſobald begab man fich ind Niedergericht, die .beys
den Gefangenen wurden vorgeführt, von den Bürgern
der Gewalt angeklagt und auf der Stelle. verursheilt-
Darauf wurden fie. in Die Frohnerey gebrachte, um zu
beichten, wahrend auf dem Berge die Anftalten zur
Hinrichtung getroffen wurden, die des Nachmittags um
zwey Uhr vollgogen ward. Die Ausgewichenen wur⸗
den verfeſtet; der genannte Richard verurtheilt, die
Stadt auf zehn Meilen Ferne zu verfehwören, Aber auch
der von Loh follte der ihm zugedachten Gerafe nicht
entgehen. Denn bald nach: diefen Vorfaͤllen gingen
von Freytag fowohl, dem befeidigten Gatten, als von
anderen Herren Klagebriefe ein, welche zur Folge: hatten,
daß er vor Gericht gebrachte wurde, Man mußte es zur
Erhaltung der eben mit Mühe erfämpften Ruhe für
fehr nothwendig achten, daß. der Dann fihuldig ge
funden werden Könnte: man fand. ihn: auch. fehuldig,
weil — er den Markefrieden geſtoͤrt hatte, Dem; Rathe
und deffen Freunden wer er lange verhaßt gewefenz
die Gunſt der. niederen Bürger ‚hatte. er fich verſcherzt,
da er fie neulich im Aufruhr zu wenig unterſtützt gehabt.
Der Auflauf, der am Tage ſeiner Hinrichtung ſich zeigte,
war mehr aus. Neugier entſtanden, als zu ſeiner
Befreyung irgend einen Verſuch zu beabſichtigen: vor
dem Spitalerthore wurde ihm der Kopf abgeſchlagen.
Manche andere der Parteygaͤnger dieſer unruhigen Zeit,
„Moytemakers“, wie Langenbeck in einer „alten.
”
durch dem beiten Receß, 1483. "377
handſchriftlichen Erzählung fie nenne , "fanden friiher
und ſpaͤter eine aͤhnliche Vergeltung. |
Uebrigens hatten die Bürger wahrend diefes Auf
ruhrs ſowohl des Nachts die Stade bewacht, als auch die
„Schtüffel der Thore zu ſich genommen, da fie theils
den Nach ſelbſt ſchuͤtzen mußten, theils auch wohl nicht
ohne Beſorgniß waren, derſelbe möchte zu ſeiner Ber
ſchuͤtzung fremden Beyſtand herbeyrufen. Beyde be⸗
hielten fie nach der Zeit, die Schluͤſſel zu den Stadt⸗
thoren, und die Wache derſelben in der Nacht.
Die verſchiedenen Artikel, welche von Loh fruͤher
beſonders in der Nicolai⸗-Kirche im Nahmen der Buͤr⸗
gerſchaft vorgelegt und nachher in Gemeinſchaft mit
dieſer auf dem Rathhauſe beſprochen worden waren,
gaben die Grundlage zu dem dritten Receß(1483)
zwiſchen Rath und Buͤrgerſchaft. Darinnen finden ſich,
neben anderen, I folgende neuen Beſtimmungen: „Alle
aus Angft oder Furcht Entmwüchene haben ficheres
Seleit. — Die Bürger follen vor Fein fremdes Gericht ge
zogen werden. — Die von dem Rathe zu vergebenden
Dienſte ſollen an fromme Bürger verliehen werden. —
Die Fahre nach Ißland wird aufgehoben —
Diem Sufiss muß beſſer⸗ verwaltet werden, —
Die Markevögte ſollen den zu Markt gebrachten Victua⸗
ınlien' den Preiß ſetzen. "Sn Sachen, die bey age
vorgefallen, können die Stadtdiener nicht zeugen , auch
ſollen ſie hinfort niche- bey den -S ho fin fein ſtehen
nnd Tattern, wenn Fromme Buͤrger ihren Schoß dar:
bringen. — Auf dem neuen Brook: dürfen Feine Lebens⸗
"mittel aufgelegt werden, (ſie könnten von hier Teiche un
%
“
378 Dritter Receß von 1483.
bemerkt verfebiffe werden.) — Die Schiffbauer dürfen
nur an die zur Hanfe gehörenden GStadte Schiffe
verfaufen. — Der Rath will alle Monate das Brot
der Bader waͤgen Iaffen, das ungemwichtige er
halten die Armen zum h. Geift und die Geefen zu Er,
Georg. — Wandelbare Frauen follen an keiner Kirche
oder auf dahin führenden Gaffen wohnen. ine berüch-
tigte Frau darf Feinen Schmuc tragen, Nimmt fie
ein ehrlicher Dann zur Ehe, fo darf fie deßhalb miche
unter ehrliche Frauen gehen. Einer folchen Magd fol
man die Haube fenden und feinen anderen Kopfpug
erlauben. Einmal im Jahre ſollen derley Weiber auf:
gefangen werden. (Man trieb fie auf mit Trommeln
und Fahnen und wieß ihnen befondere Wohnſtraßen an.) —
Bey allen Verhandlungen und Irrungen mit fremden
Maͤchten kann der Rath nichts für ſich abmachen, fon-
dern muß aus jedem Kirchſpiele 20 bis 25 Buͤrger be⸗
rufen, um mit ihnen Rath's zu pflegen, — Es ſoll ein
Kornhaus angelegt werden, worin 300 Wispel Rog⸗
gen aufgeſchuͤttet werden, ſo lange der Wispel nur
5 DE. gilt. — Wenn in einem Kirchſpiele Zwietracht
und Unzufriedenheit entſteht, ſoll dieſes den Kirchge—
ſchworenen vorgetragen werden, welche ſodann ihre
Amtsgenoſſen der uͤbrigen Kirchſpiele zu ſich nehmen
und felb 48 die Sache vor den Kath brim-
gen, mit dem Begehren, daß diefer die Erbgefeffene
‚Bürgerfchaft berufe. — Niemand darf die Sturmglocke
sieben bey harter Strafe — Rath und Bürger
fchwoören auf diefen Receß einen neuen Eyd.“
Es iſt aus diefen Ereigniffen, insbefondere aus
"
*
”
Ausgleichung der Verhäfeniffe im Innern, 379 “
*
dem Inhalt der den oberſten Behoͤrden vorgelegten An—
foderumgen unverkennbar, daß der Geiſt des Volks,
wie lebhaft auch die Heufferungen deffelben über die
Grenzen der Mäßigung hinaus fich ergoffen, doch von
der achten Einfiche in die inneren Bedürfniffe der Staat:
verivaltung ausgegangen und zu einer für jenes Zeit:
after nicht fehr gemeinen Bildung fortgefihritten war.
Was man foderte, mar auf Thatfachen gegrümder :
der Blick war Har, weil er an der Wirklichkeit fich
geuͤbt und gefcharft harte; die Kraft war friſch und
wirffam, da fie in Einem Brennpuncte des gemeinias
men Wohls, mie daffelbe in einem Handelsſtaate nie
getrennt feyn kann, ſich vereinigte. Man darf die
wohlhabenderen Buͤrger und Kaufleute, ohne gegen die
Wahrheit der Geſchichte zu ſuͤndigen, wohl als die
eigentlichen Vermittler betrachten, welche zwiſchen den
ausgelaſſenen Unmuth und Uebermuth des niederen Volk
kes und die hoͤhere Strebung des Rathes, wozu ſich
dieſer durch die gewichtigere Obliegenheiten ſeiner Wuͤrde
in den damaligen Zeitverhaͤltniſſen nicht ohne Grund
erhoben fuͤhlte, verſoͤhnend eintraten, um das Band
der Einheit für die Dauer feſtzuknuͤpfen. Die Nach—
giebigkeit des Rathes, aus welchen anderen Urſachen fie
auch noch abgeleitet werben möge, befürderte gewiß das
Gluͤck des Ganzen, und wenn aud auf die Seite des
Volks ein Uebergewicht gerreten zu ſeyn fehien, eg konnte,
wenn überall die Einſichtsvollſten und Verſtaͤndigſten
(wahrhaft die Wirtigften) wirkſam blieben, dem
Wohl des Staates micht gefährlich werden; eim Stei⸗
gen und van in den Schaalen bes Gleichgewichts
* |
®
380 Neue Revifion des Stadtbuchs, 14974
iR
iſt mehr Beweiß des vegfamen Lebens, als ein ſchlum⸗
mernder, ſich in fich ſelbſt verlierender Stillſtand, ein
lebendiges Todtſeyn. —J
Viele Maͤngel, welche ſich nach und nach in der
Geſetzverfaſſung der Stadt gezeigt hatten, und, je-
vielfeitiger und mannichfaltiger die innern Verhaͤltniſſe
fich entwickelten, um fo fühlbarer werden mußten, 307
gen die Aufmerkſamkeit nun immer mehr an und brach-
ten eine neue, gewiſſenhafte Durchficht des Stadtbuches
in ernſte Anregung. Manche Gefege des alten Stadt:
recht's waren, obſchon noch gefihrieben , ganz verlegt, .
(ghantz vorlecht“) andere getilgt, die billig noch ver-
dienten gehalten zu werden, etliche in böfe Gewohnheit.
und Mißbrauch gefommen, viele auch Dunkel und uns
verfiandiich, fo daß mehr Willführ, denn Recht geübt
wurde, Darum wurde an der Verbefferung des Stadt—
buches mit Fleiß und Emſigkeit gearbeitet und die meue
Ausgabe deifelben, unser der Leitung des gelehrten und
einfichtsvollen Bürgermeifferd Langenbest, nebſt Zu:
ziehung der. Herren Albert Cranz und Matthias
Parebufh (Syndikus von Lübel,) die beyde als,
Syn die i in Angelegenheiten der Stadt ſowohl, als
auch ber hanſiſchen Angelegenheiten vielfäftig gebraucht
wurden, beforge, wurde im Jahre 1497. öffentlich ber
fannt gemacht und in Kraft: des Geſetzes eingeführt,
Auch in ihm lebt noch der Geiff und das alte Kernle⸗
ben des früheren Sachfemrechtes, . wie es in dem
alten Stadtbuche geherrſcht hatte, die Einmiſchung des
welſchen Rechtes iſt abgewehrt, die Hauptbeſtim—
mungen der Receſſe ſind aufgenommen, die Anlage des
J
*
Einrichtung des Raths⸗Collegii. 381
Ganzen iſt ſo weit zur Ausfuͤhrung gediehen, als die
Beduͤrfniſſe der Zeit und des Orts ni Nachdenken be:
fördert hatten.
Die Einrichtung der Verwaltungs: und Juſtiz⸗
Behökden beruhete weſentlich auf Folgendem: Der
Rath beffand ſchon ſeit feinem Urſprunge gewöhnlich
aus 20 Mitgliedern, von welchen Anfangs zwey -in
jährficher - Abwechfelung die Bürgermeifter abgabem
Seit 1350 finden fich bereits vier Bürgermeifter an:
gegeben, Die Rathsmitglieder pflegten fich, nad)
dem Beriche des oft genannten Langenbeck, der ſelbſt
als Bürgermeifter im Rathe faß, in die Regierung fo
zu theilen, daß alljaͤhrlich auf Petri (22. Februar)
die eine Hälfte ab, die andere zutrat, doch verſam⸗
melte ſich in Angelegenheiten, die das allgemeine Wohl
betrafen, ohne Zweifel immer das ganze Collegium...
Die fehlenden Rathmaͤnner wurden am St. Peterstage
durch neue Wahl erganzt, ſo daß nach Verhaͤltniß 6,4 |
oder 2, Tin Beobachtung der geraden Zahl, gewählt
werden mußten. Schon 14 Tage vor der gefegten Zeit
verfammelten fie ſich zw diefem Gefcbaft auf, dem Eim-
beeffihen Haufe, die Rarbmanner im Herrenſaal,
die Bürgermeifter in der Weinbude, (wo auch ſonſt
die Eydes⸗Vernehmungen gehalten wınden, weßhalb
derfelde Rahme durch Angemöhnung noch auf ‚den
jegigen Audienzſaal des Rathhauſes übergerragen
worden iſt.) Hier wurde dann uͤber der Vorgeſchlagenen
Geſchick, Tuͤchtigkeit, Ruf und etwanige Verwandt—⸗
ſchaft mie noch lebenden Rathsgliedern Berathung 'ge
pſlogen. Aus den Zuͤnften wurde nicht leicht einer ge⸗
EZ
382° Spyndiei im Kath, Graduirte Rathöberren,
wahlt, Ausgenommen die Brauer, melche durch ihr
Gewerbe die Handlung Hamburgs gar fehr beförderten
und zu den wohlbabendften und angefehenften Bewoh—
nern gehörten. — Vater und Sohn fonnten nicht zugfeich
in den Rath kommen; zween Brüder durften im Rathe
feyn, aber niche zugleich in der Regierung. Kein Beam—
ser der holfteinifchen oder anderer Herren konnte .ges
wähle werden. Die Rathsherren hießen in den amit-
lichen Urkunden Confules, die Bürgermeifter Brocon:
ſules. Nur bey außerordentlichen Verfchiefungen wurde
ein Syndifug ernannt, oder unter welch anderem
Nahmen er gelten folte, gewöhnlich einer geifflichen
Standes, ver mit fchrifelichen Wuffägen und Unter:
bandlungen Beſcheid wußte. Seit dem Jahre 1437
werden ſolche Syndici aufgefuͤhrt; am beruͤhmteſten
unter ihnen machte ſich in jener Zeit der treffliche
Albert Cranz, zugleich der Theologie und des ka—
noniſchen Rechtes Doctor, lector primarius, Dom:
Debant, Syndikus und Procurator für die Bürger:
meifter und Rathsherren von Lüberf und Hamburg, -
Auch die Secretariusſtellen wurden zu der Zeit gewoͤhn—
lich von Geifklichen vertreten; die Hollander nannten
einen folchen Serretarius Samburgs, Jan mit Nahmen,
bey dem Unterhendlungen 1441 einen Penſionarius von
Hamburg. Bon Kechtögelehrten , die mit afademifchen
Würden beffeiver gemefen, finder fich bis 1463 Feine
Nachricht. Im Jahre 1464 tritt Heinrih Mur
meſt er als legum Doctor ein, feit 1478 Herrmann
Langen beck ald Decretalium Doctor, im J. 1505
Gerhard vom Holte J „U, L,, und 1523 dem
Ober⸗ und Niedergericht, | 383
rich Salsborg Jur. D,, fogar, weit er bey der
Krönung des Königs Friedrich von Danemark zum
Nitter geſchlagen, alö Miles,
In demſelben Stadebuch von 1497 wurde die Alte
Verordnung erneuert; „Ein Rathhaus ſoll bleiben
und anders Feines, und eine Dingbanf dabey, und
beyde follen von ihrer Stelle nieht verrückt, noch an:
derswohin "verlegt werden,’ Das Rathhaus diene
dem Collegium, fowohl das Obergericht daſelbſt zu
begen, als um ſich dort auch wegen der auffergerichts
lich vor demſelben angebrachten Sachen zu berathſchla⸗
gen, Die Dingbank, Cder Stuhl des Richters,
worauf derfelbe dem Dingen, dem Erörtern einer Rechtes
ſache zuhoͤrt), ift das Niedergericht (dat ned—
derſte Gericht), wie es ſchon in dieſem Zeitalter
genannt wurde; die Dingleute, oder Beyſitzer,
beſtanden aus den wittigſten der Bürger (Gerichts⸗
bürger), welche die Urtheile auf die Frage des vor:
fisenden Vogtes (Richters) finden, ſchoͤffen, verfaffen
mußten, Welches Gewicht diefe Gerichtsbürger insbe:
fondere bey Aufruhr und peinlichen Recbtsfallen befeffen
haben, iſt aus dem Flar, mas bey den Unruhen im
Jahre 1483 ſich ereignete, woraus zugleich zu -erkens
nen ift; daß damahls ein jeder, der im der Stadt
wohnte und irgend ein Gewerbe trieb, zu den Bürgern
fich. rechnen. und an den —— derſelben
Antheil nehmen konnte.
MNach dem Stadtbuche und dem gefunden Men—
fchenverfiande entfchieden die Rathmaͤnner, und welche
Bürger: fonft zur Verwaltung der Gerechtigfeis gerufen
25
384 Die Burgerverfommlungen,
wurden. E83 finden fich noch jest achte Abfchriften
des Alten Stadtbuchs von 1497 in klein Duodezformar,
dergleichen die Rarhsperfonen und Bürger in der Tafche
oder in einem Beutel mit aufs Rathhaus oder in die
Buͤrgerver ſammlungen zu nehmen pflegten. Daher iff
der Ausdruck Bocksbeutel (Booksbüdel) ent-
ſprungen, das Halten am Herkommen und Förmlichen
zu bezeichnen, da ein jeder, der ſein geſchriebenes Recht
nicht beugen laſſen wollte und feſt an der hergebrachten
Sitte hielt, von neuerungsſuͤchtigen Gernwitzen in den
Ruf gebracht wurde, er halte an feinem Booksbuͤdel.
Der Berfammlungsors der Bürger und Einwohner, die
‚nicht gerade aufs Rathhaus berufen wurden, war ge
‚wöhnlich das Brauerzunfthaus (die Brauergefelt-
-fihaft auf dem Hopfenmarkte, an der Goͤrttwiete, Big zum
‚Sabre 1816, mo das Haus eines Abends abbrannte,
„vielleicht das altefte Gebaude der Stadt, das fich erhal⸗
ten, und eines der aͤchteſten Denkmaͤhler altnorddeutſcher
Baukunſt.) Zu anderen Zeiten, wo der Zulauf zahlreicher
ward, wählten die Bürger zu folchen Zwecken auch,
wie wir aus dem oben Erzählten gefehen haben, das
Schiff irgend einer Kirche, St. Nicolai, St. Catharis
nen, felbit des Domes, u. f. w. m.
Befondere Gerichtöverwalter, - mit der lateiniſchen
Benennung Pratoren, als Borfiger im Niedergericht,
„finden ſich, je. zween jahrlich, feie dem J. 1414, und
feit 1512 ging das Amt nach der Ordnung zwifchen
„den Rathsherren um, fodag immer zween auf einander
folgende, wo es nicht verboten wurde, daſſelbe zu
„vertreten batten. „Ein jedweder Bürger. oder Einwohner,
Pracoren, Vorſprecher, Procuratoren ꝛc. 385
der 18 Jahre erreicht hatte, konnte perſoͤnlich vor
Gericht erſcheinen und fuͤr ſich ſelbſt ſprechen, ſich
aber auch een Vor ſp racke waͤhlen, der für ihn dag
Wort führte und darum wohl auch ein Vormund
genannt wurde, Dieß waren Perfonen, melche ein jeder
ſich aus feinen Miebürgern nach - Belieben wählen
fonnte, und welche big zur Endung der Sache aushal⸗
ten mußten, weshalb ihnen auch im Stadtbuche von
1497 für ihre Muͤhwaltung ein gewiſſes Geld beſtimmt
it, An die Stelle diefer Vormuͤnder traten in der
Folge die Procuratoren (1529); die Advocaten
find von unferen fachfiitben Vorfahren am fpateften,
denn von allen deutſchen Voͤllerſchaften, vor Gericht zuge⸗
laſſen worden.
Wie einfach. dieſe Gerichtsverſaſſung auch: feyn
mochte, fo fiand fie doch in folchem Anfehen, daß big
zum Ende des funfzehnten Jahrhunderts, ſo lange die
römifchen und paͤbſtlichen Rechte bier noch Feinen Zur
gang gefunden, auch die Faiferlichen Hofgerichte
noch nicht überall beachtet wurden, eine groffe Anzahl von
Städten in Holſtein, Mecklenburg, Pommern, ja Preuffen
und Lievland, zwar ‚vorzüglich auf Luͤbeck, deſſen
Stadtrecht mehrere der übrigen Otadte angenommen
‚hatten, aber auch fehr oft auf Hamburg zur endlichen Ent-
ſcheidung fich beriefen: Ueberfahrt, Vollfahrt, Zugrecht,
Dedingen an den Stapel nannte man dieſe Appellation,
Aus dem‘ funfzehneen Jahrhunderte befigen wir, jeßt
auch gedruckt, noch ein „recht gericht Ordeel der vann
Hamborch twiſcken dem For ſten van Meck lenborch
und denn vann Luͤbeck,“ das durch Klarheit, Recht⸗
25*
386 Die Burfpracfen.
lichkeit, ver@andige, gefunde Anfiche und Ausführung
böchft vortheilhaft fich auszeichner und von der Ge
rechtigfeitspflege diefer Zeit einen über alle Erwartung
günffigen Begriff einflößer.
Neue Gefege und Verordnungen, welche von Rath
und Buͤrgerſchaft beliebt wurden, pflegte mam durch
die fogenannten Schragen zu öffentlicher Kunde zu
bringen, da biefelben gefcbrieben und an hölzerne Ta—
feln befeffigt auf dem Rathhauſe zu jedermans Einfiche
bingehangen murden, Sonſt geſchah es auch nach
uralt bergebrachter Sitte, welche vor der Erfindung
der Buchdrucferfunft dem vergeßlichen Gedacheniß fehr
heilſam zu Hilfe Fam, daß Gefege, melche insbefon-
dere Polizeiangelegenheiten betrafen, alljaͤhrlich zu
beffimmten Zeiten, mit befonderen Feyerlichkeiten, vom
Rathhauſe öffentlich abgelefen wurden, Die fogenannte
Burfprarfe, (Rede zu den Bürgern, wie Bur-
meſter ein Bürgermeifter), welche fich in nachfolgens
den Zeiten,“ wenn auch ſchon ihr urſpruͤnglicher Zweck
und Werth nicht mehr gelten Fonnte, als ein fchöner
Nachklang des freyen, offenen Lebens, wie es Ze
ſtatt gefunden, fich erhalten hat.
Aber die verfchiedenen Mißhelligkeiten, welche bis—
ber zwifchen der Partey des Volks und der Vornehme—
ren ffatt gefunden hatten, Fonnten auf die Entwicke—
fung der Berfiandesbildung, wo irgend einige Anlagen
vorhanden waren, nicht ohne die einflußreichffe Ruͤck⸗
wirfung bleiben. An den nachffen Bedürfniffen, welche
die Natur und aufdringt, an den naͤchſten Umgebungen,
in welche wir durch unfere. Thatigfeit verfegt werden,
Verhaͤltniß zu der Geiſtlichkeit. 387
erwachen zuerft die Kräfte des Geiſtes zu Leben und
Ausübung und werden, je mehr fie zum Bewußtſeyn
kommen, deſto heller, deſto frifcher und fröblicher,
Druck erzeugte Gegendruf, der Widerfpruch foderte
jur Ablegung von Gegengründen auf, es war nicht
mehr dumpfes Gehorchen, es war Streben nach Ger
wißheit, nach Ueberzeugung. Den Befchwerden, ben
eingebildeten ſowohl, als den gegründeten, war endlich
jur Zufriedenheit der flreitenden Parteyen, zum Wohl
des Ganzen abgebolfen worden, aber noch laſtete ein
anderes Joch auf beyden, deſto fühlberer jetzt, meil
der Sinn für Freyheit in feiner ganzen Stärke erwacht
war, das Joch der geiftlichen Herrfihaft, gegen welche
die, fo Feine erniedrigende Befchranfung mehr dulden
wollten, zunachft ihren Kampf nun richten mußten.
Ein wahrhaft cbrifflich frommer Sinn gehörte von
jeher zu den achten und ehrwuͤrdigſten Kennzeichen der
Bewohner Hamburgs: er bewahrte fich in feiner vollen,
seinen Kraft durch die vielen Anſtalten, welche von
Allen, die zu einiger Hülfekeiftung Vermögen in fich
fühlten, zum Troſt und Heil der ungluͤcklich Leidenden,
zur Verforgung und Verpflegung der Armen und Duͤrf⸗
tigen fchon in jenen Zeiten gemacht wurden, welche
man font nur ald Zeiten der Rohheit und unmenfchlis
ben Härte zu betrachten pflegte, Aber eben diefe Milde
und Weichheit der Herzen iſt miche zugleich auch ge
mappnet gegen Sereleitung und Berführung, welche
fich fchlaue Lehrer, die den Schein der Untrügfichkeit
für fi) haben, mit ihnen erfaubens daher finden wir
auch bier neben der edelſten Menſchlichkeit den finiker-
388 Hoher Aberglande
fien Aberglauben, in welchem bie Köpfe verſtrickt ge
halten wurden, Die ungeheure Menge theils unwiſſen⸗
der, theils herrfche und gewinnſuͤchtiger Pfaffen, im
Jahre 1523 ſchaͤtzte man ihre Anzahl, die niederen
Officialen abgerechnet, über vier hundert, ſuchten
jedes Mittel auf, ſich von der verblendeten Gutmuͤthig⸗
keit des Volks zu bereichern; die Meſſen, die Heilis
gentage, die Feſttage wurden ins Unglaubliche ver⸗
mehrt und der Meſſe- und Heiligendienſt immer glans
gender und prachtvoller eingerichtet, Die widerfinnigs
; ſten Feſte kamen zum Vorſchein, wie das Speer⸗
und Naͤgelfeſt, zum Andenken der wiedergefundenen
ganze, womit der Meſſias in die Seite verwundet
worden, das auch in Hamburg ſeit 1354 bis zur Reforma⸗
tion gefeyert wurde. In der hieſigen Jacobi⸗-Kirche
insbeſondere trieb man die wahnſinnigſte Abgoͤtterey,
unter andern mit einem coloſſalen Heylandsbilde, das
145 eingeweihet wurde; der Heyland auf einem Eſel
reitend, auf Walzen ſtehend, wurde alle Palmſonntage
aus der Kirche" auf den Kirchhof und einigemale um
die Kirche herum gerollt, unter lautem Jubel des
Volks und der umwohnenden Landleute, welche ſich in
dieſer Poſſe den Einzug Jeſu in Jeruſalem verſinnlichet
dachten, Es waren in dieſer Kirche allein am 18
fromme Bruͤderſchaften, welche zum Theil ſehr anſehn⸗
liche Summen fuͤr Seelenmeſſen daſelbſt niedergelegt
hatten. Das Wunder des berüchtigten Kohlſtrauches
zu Eppendorf, der durch die Unterlegung einer gewei⸗
heten Hoſtie die Geſtalt eines Crucifixes erhalten hatte,
wurde in eine ſilberne Monſtranz eingefaßt, (1482) in
herrſcht im Hamburg, 889:
der Eaiferfichen KCunſt⸗Kammer zu Wien der Nachwelt
aufbewahrt und durch kuͤnſtliche Abbildung in Kupfern
der erbaulichen Berrachtung überliefert. Die Mönche,
insbefondere die Barfüffer, fanden bier fo gute Auf
nahme ,„ daß mehrere diefed Ordens 1469 auf den nicht:
ungläsflichen Gedanken geriechen, in per Nähe der
Stade ein neues Klofter anzulegen, in weichen Unter⸗
nehmen: fie ‚bloß durch die unbrüderliche Widerſetzlich⸗
keit der Marien⸗Magdalenen⸗Moͤnche verhindert wurden.
Feverliche Wallfahrten geſchahen zum Andenken des ger
kreuzigten Chriſtus von der Domkirche aus bis nach‘
Golgatha in St. Beorg, mo die fünf metallenen Bil⸗
der ſtehen: ſelbſt bis nach dem heiligen Blute zw
Wils nack. Ws namlich im Jahre 1383 oder 84 das
Dorf Wilsnack in dem Stifte Havelberg zerflört und
verbranne wurde, follen in der dafigen Rirche drey ge⸗
fegnete Hofkien in den Gluthen des Feuers unverfehrr erhal⸗
ten und eine jegliche in der Mitte mis einem Tropfen Blu⸗
tes bezeichner gefunden worden feyn, Dieſes Wunder⸗
geichen war e3, wohin aus allen Gegenden, aus Ham—
burg und deſſen Gebiet befonders, viel Volks wallfahr:
sete und reiche Gefchenfe und Opfer darbrachte. Dam
hatte im Wilsnack auch eine heilige Waage, die Gröffe:
und Schwererder Sünden zu erforfchen. Erſt ſpaͤt Cim
Sabre 1552) gelang es einem Prediger ded Orts, Ton:
him Ellerfeld, den Betrug zu entdecken. Er fand
namlich, daß es nichts, als uraltes Bocksblut gemer
fen, welches bey der Berührung „wie Fifch-Rogen von
einander gefallen, auch für fich nicht vorh gemwefen ſey,
fonderun nur, wenn der Schein von einem brennenden
399 Murhwilliged Berragen und
Lichte ing Cryſtall geleuchter, einen Wiederfehein ver
urfache habe,’ Der gute Prediger wurde dafür vom
Halberftädtifchen Dom-Capitul, dem durch diefe Ent-
deckung ein gutes Einfommen entfiel, ind Gefängnif
geſetzt und mußte fpaterhin die brandenburgifchen Lanz
der verlaffen.
Aber der Aberglaube bemächtiger fich fo feft der
Gemücher derer, die zur Gelbftandigfeit der Denkkraft
noch nicht gelangt find, daß er ſelbſt in helleren Zeis
ten, wenn auch in anderen Formen und im täufchen-
deren Geftalten, feine Herrfchaft niche aufgiebt. Es
mußten andere Umftande hinzufommen, wenn das Joch
der Priefkerwilführ, als unmwirdige Laſt gefühlte und
durch Gegenkampf abgeſchuͤttelt werden follte, Der
Einfachheit unferer Vorfahren mußte haupefachlich bie
Ausgelaffenheit der Lebensart, die Ausfchweifungen der
gröbften Gattung, welche fich die Geifklichen eriaubten,
anſtoͤßig auffallen und zum Nachdenken auffodern, daß
eine folche Vergeflenheit der fietlichen Würde mit der
erhabenen Beftimmung ihres Berufs nicht im Zuſam—
menhange ſtehen könne, Boshafter Muthwille war «8,
ber die ſogenannten Schlaffchüler (Scholares dor-
mitoriales), welche nach einer ſeit 1345 beſtehenden
Einrichtung in den Kirchen Wache halten und gleich
bey den Fruͤhmeſſen im Chore dienſtlichen Beyſtand lei⸗
ſten ſollten, veranlaßte, in den Straßen der Stadt
Unfug zu treiben, mit den Nachtwaͤchtern Streithaͤndel
anzufangen und anderes Unweſen auszuuͤben. Die Ges
duld der Bürger ermuͤdete und der Rath ferbft beifchte
pom Dom-Eapitul die Abfchaffung diefer boͤſen Sitte,
Sittenloſigkeit der Geiftlichen, 391
wozu fogar im Jahre 1446 die beyden VBürgermeifter,
Hinrick tho dem Berghe Cder letzte dieſes Geſchlechts)
und Hinrick Hoyer „acht ehrbare Prieſter“, welche
die Pflichten jener Scholaren uͤbernehmen ſollten, zu
unterhalten, eine beſondere Stiftung vermachten, der
erſte ı Wispel Malz nebſt 2 ME, jaͤhrlich, der andere
jaͤhrlich 6 DE., fo viel zu der Zeit ein Wispel Marz
foftere, Die Stiftung wurde angenommen, aber dem
Uebel nicht abgeholfen, wie noch aus den Befchwerden
des Rathes von 1477 erfichtlich iſt. Aus diefen letzteren
erhellet zugleich, daß die Priefter und andere geiffliche
Perſonen nebft ihren Dienetn Bier zapf ten, den
Krügern gleich, „der Stad un dem gemenen Gude to
Vorfange.“ Vor Allem beleidigte das unfittliche Be:
tragen der Mönche und Geiſtlichen, das in unzuͤchtiges
Leben ausartete, troß der wiederholten Gebote, Die
bald von dem bremifchen Erzbifchof, bald von den hie:
figen Dompröbften und Dechanten ausgingen. Noch
im Sabre 1513 fand fich der oft genannte Albert Cranz
veranlaßt, den Geiftlichen zu gebieten, ihre Beyſchlaͤ⸗
ferinnen zu entlaffen und fich eines Feufcheren Lebens⸗
wandels zu befleißigen.
Zu dieſen Ausartungen gefellten fich niedriger Geis
und Habfucht, anmaßender Stolz und Uebermuth, und
im ſchneidendem Gegenfag dazu die gemwiffenTofefte Beſtel—⸗
lung der Lehrer in Kirchen und Schulen. Die Bebrechen der
legteren wurden dem Bürger, je mehr er im thätigen
Leben Gelegenheit fand, die fehlimmen Folgen verlor
rener Jugendzeit zu erkennen, befonders fuͤhlbar. Schon
im Sabre 1337 war. zwijchen dem Capitul und der
| 392" Schlechte Kirchen und Schul: Diener,
Stade der Veraleich errichten worden, daß die Canos
nich in den Pfarrkirchen gefehrte und tuͤchtige Capellane
einfegen follen, weiche dem Bolfe im Gitten, Lehre
und Beyfpiel zum Muſter dienen fönnten: desgleichen
möge der Scholaſticus die Schulen mir geſchickten und
gelehrten Rectoren verſehen, welche bey ihrem Gehalt
das alte Schulgeld nicht erhöhen, noch weniger neue
Soderungen einführen follten, Aber die Scholaſtici
achteten dieſes Bergleiches wenig, fie hielten ihre Nez
ctoren fo knapp in der Befoldung, je fie werfauften
wohl gar dieſe Lehrfiehen, daß Lie Schullehrer
zu Dem Mittel griffen, das Lehrgeld ungebuͤhrlich |
zu erhöhen und Anfoderungen unter den verfchiedenars
tigften Nahmen einzuführen. Go klagte der Rath 1477
gegen"das Capitul: daß gegen allen Vertrag das Schul-
lohn erhöher würde, „und de Scholmeſters dagelifes
mat nies erdenken zer und im Receß von 1483 iſt ein
Artikel: „Da nach den Statuten nur der Reichen Kin—
der vierteljaͤhrig 2 fl. Schulgeld und jaͤhrlich
4 df. Lichtgeld erlegen duͤrfen, der Scholaſticus aber
folches auch den arınen Kindern abſodert, und ſolche,
wenn fie eg nicht aufbringen Fünnen, nichts. erlernen
und dumm bleiben, fo wird der Rach dafür forgen,
daß ſothanem Unfuge vom Capitul abgeholfen werde.
Die Mißbraͤuche waren zu eng verknuͤpft mit dem ganz
sen Weſen der pabftlihen Verfaffung, als daß, ohne
die Zerftörung diefer, zu einer Wegraumung jener mit Erz
folg hatte Anſtalt getroffen: werden fönnen, |
Unter den übrigen Mißbraͤuchen, welche fich die
seiftlichen Herren dieſer Stadt erlaubten, erregte be
Unfug mie dem Bann ‚getrieben, 393
fonders die Anmaßung Beſchwerde, welche fich in Hins
ficbt des. haufig gebrauchten Bannes bewieß ,„ womit
bald einzelne Bürger, bald Mitglieder des Raths, bald
wohl gar die ganze Stadt belegt wurden „ gewöhnlich
bey geringfügigen Beranlaffungen, oder wo ihrer Habs
ſucht Hinderniffe in den Weg gelegt worden, So we?
nig man. auch auf eim folches Berfahren achtete, da
es durch den Mißbrauch. feine Bedeutung verlor, fo
entftand Doch für, die Stadt immer noch Schade und
Nachebeit daraus, weil durch eine folche Verfluchung
und durch das Aufichen, melches dieGeiftlichkeis davon
machte, dem Verkehre Störung und Abbruch Mr
wurden, Als gegen das Jahr 1500 hin zur Sicherung -
ber Stadt, weil man einen Beſuch des. Königs von
Danemark beforgte, die Feſtungswerke erweitert wur⸗
ben, verlangte, man von der. Geijtlichkeit eine Bey⸗
feuer, da firden Schus der Mauern und Wälle mitz
genoß. Aber fo wenig dazu wollte. fie ſich verftchen,
ald zu einem Beytrag ftir einen neu angelegten Bruns
nen auf dem Berge, von welchem übrigens die. Leute
des Capituls ihr Wafler holten. Da ſie indeffen nicht
freymillig etwas geben wollten, kamen Rath und Bür-
gerfchaft darin. überein „ daß bie Inhaber der in der
Stadt und ihrem Gebiete belegten + geiftlichen ‚Gelder
die davon fallenden“ Zinfen sein Jahr lang in die Stadt:
Eaffe liefern follten. Die Pfaffen waren mie dem Bannbey
der Hand, die Bürgerfchaft ließ fich indeffen in ihrem Ver⸗
fahren nicht fiören, Im Sabre 1503 Fam der past
Fiche Legat, Eardinel Raymund nah. Hamburg, und
wurde mit groffer Ehrerbierung empfangen; nicht nur
894 Ablaßkraͤmerey in Hamburg,
die geſammte Geiftlichkeit ging ihm mit dem Kreuz ent⸗
gegen, auch der Kath und die Bürgerfchaft bewillkomm⸗
ten ihn am Thore und holten ihn ein. Am naͤchſten
Sonntage ward eine feyerliche Prozeſſion veranfkalter,
bey welcher er, nach geendigter Mefle, won einem
hohen Stuhle herab dem zahlreich verfammelten Wolfe
den Gegen ertheilte. Darauf unterfuchte er die hiefigen
Ktöfter, gebot den Pfaffen, binnen Monarsfrift ihre
Eoncubinen zu entfernen, bemühere fich befonders viel,
die Srrungen mit der Bürgerfchaft in Güte zu ſchlich—
ten, aber das Mißvergnügen dauerte fort, da dem
Hebel nicht von Grund aus geholfen wurde,
Auch von dem Unfuge, „welcher mie dem Ablafl
angerichtet wurde, war Hamburg fo wenig, als die
übrigen Städte Niederfachfend, verfchont geblieben,
J. Angelus Arcimbold hatte den Auferag erhaß
ten, unter dem Vorwande, zum Bau der Perersfirche
Beyſteuern einzufammeln, in Niederdeutſchland und in -
den nordiſchen Reichen den Ablaß zu predigen. Im
Jahre 1516 kam er nach Hamburg und befkellte ſogleich
einen Mann, der bier in groffen Anfehen fand, ven
Canonicus und Scholaſticus Henrich Bantſcho w
zum paͤbſtlichen Acoluthen und Protonotarius, damit
er das Geſchaͤft des Ablaſſes im Nahmen des Pabſtes
verwalten moͤchte. Auch nach Luͤbeck ging Arcimbold
noch in demſelben Jahre und errichtete daſelbſt das Abs
laßkreuz. Es iſt nicht zu glauben, heißt es in einer
alten Nachricht, wie groſſes Geld und Guͤter er aus
Luͤbeck und den anderen Staͤdten, auch darnach aus
dem Reiche zu Daͤnemark und Schweden zuſammengebracht.
Anfang der Reformation durch Lurher> 395
Diefe verfchiedenen Umſtaͤnde waren bier voraufs
gegangen, um für das wohlthaͤtige Licht der aufgehell-
ten Glaubenslehre, das Luther amzündere, auch in
diefer Stadt die Gemuͤther empfanglich zu machen, Im
Jahre 1517 gefchab ed, daß der vom gottesfürchtigen
Feuereifer ergriffene Mann, dem gottlofen Wefen des
berüchtigten Tegel Einhals zu thun, die fünf und
neunzig Sage vom Ablaß ausgehen ließ, der erfie
tühne Schritt, der das ganze Werk der Glaubensreis
nigung im feiner Folge berbeyführen mußte. Die
Schrift durchlief, noch ebe vierzehn Tage vergingen,
das ganze Deusfchland, und in vier Wochen fehier das
gefammte: chriftliche Europa, als waren die Engel ſelbſt
Botenlaͤufer und truͤgens vor aller Menſchen Augen.
Der Eindruck, welche fie überall hervorbrachte, mar
fiarf und mächtig; ihre Beurtheilung nach der vers
ſchiedenartigen Empfanglichfeit der, Gemuͤther und den
getheilten NRückfichten auf Vortheil oder Nachtheil vers
ſchieden. Der rechefchaffene und einfichtsvolle Albert
Cranz, biefiger Domdechant, befam die Thefes eben
noch auf feinem Sterbeberte zu Geficht, Cer flarb den
7.December 1517) und fagte im Tone des Bedauerns:
Du haft wohl Recht , lieber Bruder , wirft aber nichts
ausrichten; gebe in deine Celle und bete: Gott erbarme
dich meiner, Aber gar bald ermachte auch bier in
Hamburg, und fibon, als Luther faum nad Worms
gereift mar, um von feinen Lehren Zeugniß abzulegen,
ein muthiger Streiter für die Sache des Evangelii und
tapferer Befampfer der groben Mißbrauche, melde bie .
chrifkliche Kirche entweihet hatten, Das war
®
396 Ordo Stemmel, erfier Reformator
Drdo Stemmel Ceigentlih Steynmeel ober
Steenmeel, von anderen unrichtig Otto. Stiefel
genannt,) Paſtor an der Catbarinen » Kirche, und
Vicarius im Dom, ein Mann von groffer Rechtlichkeit
und Gottesfurcht. Dieſer eiferte fehon im Jahre 1521
gegen die verberbten Sitten und Ausfchweifnngen «der
römifchen Geiftlichfeit, rügte laut und oͤffentlich vor
dem Bolfe die Betruͤgerey des Ablaßkrames und den
Mißbrauch, der mie der Lehre von den guten Werfen
gerrieben wurde. Von dem Eindruck, den diefe Predigs
ten auf die Gemüther bervorbrachten, zeugen die Vers
folgungen, die alfobald den wackern Stemmel trafen,
und denen er, eim bochbetagter Mann, mit Kraft fich
nicht zu widerfegen vermochte. Er legte daher fein Pre
digtamt nieder und befchloß ſein Leben in Rube (1528.)
Der Rarh ſelbſt hatte: fih bewogen gefunden, Durch
ein Warnungs⸗Mandat auf die Gefahrlichfeie der
Neuerungen aufmerkſam zu machen, ohne Zmeifel
nicht aus bösmwiliger Meynung, aber das ſtrenge Edict
des Raifers von Worms aus, das auch Hamburg mit
getheilt worden , foderte auf zur Vorfiche und Defons
nenheit in einer Sache, welche auf anderen Wegen zu
— * Vollbringung gefuͤhrt werden mußte.
Die Lehren des kuͤhnen Stemmel waren nicht
ganz auf unfruchtbaren Boden gefallen; er hatte nur
laͤngſt gehegten Emfindungen, laͤngſt empfundenen Be
duͤrfniſſen ihre Sprache verliehen. Schon im naͤchſten
Jahre, 1522, im: Anfange des Septembermonats, tra-
ten die Oberen der vier Kirchfpiele zufammen, mit Zus
ziehung noch anderer Bürger. und befonders der Werf-
in Hamburg. Erfolg feiner Lehre, 397
meifter Glelterleute) von den Aemtern, und vereinigten
ihre Entfchließfungen in ‚einem mit den. Siegeln der vier
Kirchſpiele beſtaͤrkten Briefe dahim, daß fie. fich den
Hemmungen und Bannen der Geiftlichkeie und dem fon:
„figen ungebähriichen Unterfangen .derfelben mit aller
Kraft widerfegen wollten, gelobten sich. auch zu
‚einander, ‚in dieſer und ahnlichen Sachen von Wichtig⸗
keit einander Zuftimmung, Troſt und Huͤlfe zu Teiften,
insbefondere aber, die Schule zu Gr. Nicolai in
gehörige Nichtigkeit zu bringen, auch, wenn die uͤbri⸗
gen Kirchſpiele in gebührlicher Weife Schulen ‚aufrich-
‚ten wollten, ſich darin behuͤlflich und beyftandig zu
feyn, Mühe und Unfoften zu diefem Endzweck niche zu
fparen und gleichmäßig zu übernehmen. Lut her ſelbſt
bezeigte feine Freude, als er vernahm, daß die Ham-
burger Verlangen trügen nach dem reineren Worte Got:
tes, und daß fie den Bremifcben Officialen mit def
fen Gebülfen aus der Stadt gewiefen hatten (1521,)
Der damalige Domdechant, D. Eggart Kranz, ber
Bruder des Gefcbichefchreibers Albert, hielt freylich
eine Kirchenunserfuchung, aber nicht, zur Abhuͤlfe der
Mangel, über welche man fich befchwerte, fondern um
den Zuftand der Pfruͤnden, Lehnen und Almofen des
Domes, fo mie der anderen Kirchen genauer kennen zu
lernen: die Sicherheit des Ungerechten weiſet . alle
Maaßregeln von ſich, melche ‚auch die klarſte Einfalt
„aufzjufinden im Stande mare, ‚Ein weit verbdienftliches
res linternehmen war ed, daß die Vorſteher ‚des
Pockenhauſes, damit die den Armen und Kranken
gewidmeten Gaben nicht abhanden kaͤmen, ſondern
398 Stephan Kempen, &utheraner, 1513,
gründliche Nachricht davon fortgepflanzt werden möge,
ein eigened Buch einführten, in welches fammeliche
Briefe und Vermaͤchtniſſe zur Abfchrife gebrachte werden
folften.
Um diefe Zeit, im Sahre 1523, fam Stephan
Kempen nach Hamburg, ein wohlunterrichteter und
- einfichtsvoller Minoriten-Moͤnch aus Roſtock, allwo er
mit der befferen Lehre des Evangelii und mit Luthers
Unternehmungen ſchon befannt geworden war, Da er
bier in Hamburg mit feinen Brüdern, den Mönchen des
Marien⸗Magdalenen⸗Kloſters, Geſchaͤfte zu ordnen hatte,
ſo betrat er bey dieſer Gelegenheit auch die Kanzel und
erregte ſolches Aufſehen durch feine Gabe der Wohl—
redenheit und durch feine Predigten, die von allem papi⸗
ſtiſchen Tand und Menſchenzuſaͤtzen rein waren, daß, als
er ſich bereits zur Abreiſe wieder anſchickte, die Vorſte—
her des Kloſters zu ihm kamen Cam Frohnleichnams—
feſte 1523), und ihn inſtaͤndigſt baten, daß er hier ver⸗
bleiben und fortfahren moͤge, die Lehre des Herrn mit
ſolcher Geſchicklichkeit, als er angefangen, ihnen zu
verkuͤndigen. So wurde er Paſtor an St. Marien-
Magdalenen. Er predigte nun mit ſo vielem Beyfall, daß
eine auſſerordentliche Menge von Zuhörern, Die der
albernen Moͤnchs⸗Maͤhrchen laͤngſt überdrüffig geworden
waren, zu ihm ſtroͤmte, und mit begierigem Herzen Die
reine und umverfälfchte Lehre des Chriſtenthums auf-
ſaßte. Es Eonnte nicht fehlen, daß die andern Prediger,
welche ihre Kirchen verlaffen faben, auf den Anfomm-
fing neidifch wurden und ihn bald. von den Kanzeln
herab als einen gottloſen Ketzer verdammten, bald
Dr, Barth. Möller kommt nach Hamburg, 308
durch allerlen Anfchwarzungen bey dem Rache und den
Borfichern ihrer Orden zu verlaͤumden fuchten.
Kempe aber erbiele fich, trog aller Anfeindungen
und Berfuche, ihn zum Schweigen zu bringen, eben fo
wohl in der Achtung feiner Zuhörer, als in der unges
flörten Verwaltung feines Amtes, bis ins vierte Jahr;
wo er endlich in feiner wohlthaͤtigen, chriftlichen Wirk
ſamkeit durch treue Gehuͤlfen unserffüge wurde, Zu
diefen gehörte nicht der in die Stelle des abgegangenen
Stemmel zu ‚St, Catharinen eingefegte Joachim
Fiſchbeck, der zwar anfangs mis großem Pochen
gegen die Papiften von der Ranzel berabeiferte, aber
bald, da er einſah, daß die Seelenmeſſen mehr einbraͤch⸗
ten, als das Berfündigen der Wahrheit, und als das
Capitul ihm eine veiche Pfruͤnde ſchenkte, ſich wieder
umwandte und gegen fich ſelbſt predigte, zum großen
Aergerniß bey alien Wohlgeſinnten (1525). Der eifr
rigſte Vertheidiger der römifchen Eferifey war bisher
Sobann Engelin geweſen, Lector Primariuß und
Canonicus am, Dom; Dieſer ſtarb um dieſe Zeit (1325)
und an feine Stelle fam Barshold Möller, Doctor
der Theologie, welcher vorher mit vielem Beyfall zu
Roſtock gelehret hatte, und unter deffen Schüler auch
der genannte Paſtor Kempe geweſen war. Sobalb
Möller in Hamburg eingetroffen war, ließ er Kempen
zu fich kommen und befprach fich mie ihm über: Die
Art, wie er in Zufunft bey feinen Predigten e8 halten
wolle und wie er fich über verſchiedene Puncte gegen
die Lutheraner erflären werde, Kempe erwiederte ihm
mis edler Offenheit und Standhaftigkeit, daß er mir
ah
400 Johann Zegenhagen wird berufen zum
J
Gottes Gnade fuͤrder predigen werde, wie er es bisher
gehalten, er bitte aber, ſobald ihm, dem Dr. Moͤller,
etwas zugetragen werde aus ſeinen Predigten, daß er
ſich den Inhalt und den Ueberbringer anmerken möge;
er werde immer, auf Verlangen, erſcheinen, und uͤber
die aufgezeichneten Sachen in Stille und Freundlichkeit
ſich erflaren, Dieſe Verabredung wurde mit einem
Handichlage befiegelt. Gleichwohl, als Kempe in der
Paſſionspredigt, am Freytage vor Palmarum, bey
Gelegenheit der Auslegung des Leidens Chriffi von der
Wiederherftellung der beyden Geſtalten im heiligen
Abendmahle feine Meynung geäußert hatte, nahm Dr.
Möller am nachiien Palmfonntage auf der Kanzel
Gelegenheit, gegen die von Kempe vorgebrachte Mey:
nung mit Anzüglichfeiten loszugehen und faut zu erffä-
ven, daß der ſowohl, der beyde Geffalten im Abend:
mahle den Laien zu geben lehre und austheile, als
auch der, fo fie empfange, ein Keser und Bube ſey.
So wenig erfüllte diefer Daun die Erwartungen, die
man fich von ihm gemacht hatte, daß er die entfkan-
denen theologifchen Streitigfeiten durch verftandige
Mittel beyzulegen fuchen werde, wozu ihm von Kempe
fo fchön die Hand geboten worden war, daß er viel
mehr den Haß und die Zanfereyen aufs Neue ent:
flammte und den Saamen der reineren Lehre in feinem
Aufkeimen zu erfticken drohete.
In diefer mißlichen Lage fand Kempe e einen redlichen
Nirffreiter und Glaubensvertheidiger an den um Oſtern
1526 aus! Magdeburg hieher an St. Eatharinen be
rufenen Prediger, Johann Zegenhagen, Diefer
Mitſtreiter für die evangelifihe Lehre, 41
Mann war ſchon fruͤher ein Anhaͤnger der gereinigten
evangeliſchen Lehre geweſen, “und predigte auch bier
gegen die Mifbrauche und Irrthuͤmer der Papiften mie '
ſolchem Eifer und Nachdruck, daß fich der gutfachofis
ſche Rath veranlaßt jab, ihm Kanzel und Predigen zu
verbieten, Zwar wurde das Verbor auf die Vorſtellun⸗
gen, welche die Kirchgeſchworenen und einige mit ihnen
verbundene Bürger am Freytage-nach Duafimodogeniti
Dagegen vorbrachten, wieder zuruͤck genommen, doch
erbielt ſich das Gerüche in der Stade, als werde day
Rath den neuen Prediger darum, daß er die Leute
chriſt lich Cd. b. mach der evangelifchen Weife) abſol⸗
viret und diefelben beyder Geſtalt des Sacraments ber
richtige babe, aus der Stadt zu fehaffen fuchen, Und
wirftich beurlaubte ihm der Rath am Freyeage nach
Cantate und legte ihm auf, innerhalb dreh Tagen fich
aus der Stade zu machen, wozu Pferde und Wagen
bereie waren; Sobald dieß bekannt wurde, verfämmelz
ten fich den folgenden Sonntag An 408 Bürger Bey
dem Prediger Stephan Kempen nach der Predigt,
im Lectorium ju St; Marien-Magdalenen , und beredes
ten ſich mie einander, was fowohl in Anſehung der
Gefammtangelegenheit des Evangeli überhaupt; als bes
ſonders des verabſchiedeten Johann Zegenhagen zu
thun ſey. Hierauf erwaͤhlten ſie aus ihrem Mittel vier
Bürger, (Joachim von der Fechte aid St, Pr
colai, Harmen Soltau aus Sr; Petri, Hard
von Bargen aus St: Jacobi nd Hinrich Da
vörde aus St. Catharinen⸗Kirchſpiet,) weiche fich zum
wortführenden Bürgermeifker verfügten, (Dietrich
r 26*
>
493 Fortgang der Kirchenverbefferung
Hohuſen) und denſelben erfuchten, dem Rathe an—
ſagen zu laſſen, des andern Tages zu Rathhauſe zu
erfcheinen, meil die Bürgerfchaft das eine und andere
vorzubringen habe, Den andern Morgen um 7Uhr erfchier
nen auf dem Klofterfanl von Magdalenen bey 2000 Men:
fchen, welche einen Ausſchuß von 4o Bürgern erwahlten,
aus jedem Kirchipiele sehen, Die Angelegenheitmit3ege ns»
bagem zu verwalten, Einer von diefen, der Bürger
Joachim Wegedorn, trug die Sache dem Rathe
vor, welcher nicht in Abrede war, daß er den Zegen-
bagen beurlaubt habe: aber dieß fen gefchehen in guter
Meynung, da er, der Rath bemerkt habe, 3. führe eine
Lehre hier ein, die der guten Stadt Verderben bringe;
es fey ein verlaufener Mönch, ein Schmiede - Knecht,
ans allen: Landen verjagt, und befonders jüngft aus
Magdeburg, wo er nur Aufruhr und Streit erregt
gehabt; er fey ein Menſch, der fich gar nicht wolle un
terrichten laſſen, fondern allein nach feinem Geifte pre
digen u. f m, Daneben ward von Faiferlichen Mans
daten, von pabfflichen Breven gefprochen und von an
deren Dingen, welche der Raufmannf haft zum Schns
den und Nachtheile gereichten, Nachdem noch lange
Rede und Gegenrede gepflogen worden, fiel dennoch die
legte Erklärung dahin aus, daß dem Zegenhbagen
vergönner feyn folle, zu predigen, es fey in Catharinen
oder in einer anderen Kirche. Dieſer Beſcheid wurde
von den Abgeordneten den auf dem Kloſterſaale mwartens
den Bürgern uberbracht, welche dem Rathe Dieferwer
gen dienſtlichen Dank abflatten Tießen und ficb nun
ruhig nach Haufe verfügten,
bis zum Jahre 1526, 43
So mie aus diefen Verhandlungen erbellet, daß
die Vater der Stadt, fo fehr einige noch in den Vorur⸗
theilen ihrer Erziehung und in der hergebrachten Lehre
befangen feyn mochten, doch die Erhaltung der öffent
lichen Ruhe und Wohlfahre mit befonderem Eifer fich
angelegen ſeyn Tießen: fo iſt auf der anderen Seite die
Bemerkung erfreulich, daß die Buͤrger und Einwohner
Hamburgs für die Wahrheit, die ihnen durch rechts
fihaffene Männer gepredigt wurde, eben ſo reinen Sinn
hegten, als ſie den ungerechten Bedruͤckungen, welche
die Papiſten ſich erlaubten, mit aͤchtem Freyheitsgefuͤhle
und freudigem Muthe ſich miberfegten. Schon zum
Anfange dieſes Jahres (1526), als der Rath die Zus
ſtimmung der Buͤrger zu einer neuen Abgabe verlangte,
ließ die Buͤrgerſchaft durch ihren Bevollmaͤchtigten,
Hinrich Schauborch, die nachdruͤckliche Vorſtel⸗
lung einreichen, am Donnerſtag nach heil. drey Könige:
die Urſache des dermaligen Geldmangeld in der Stadt
liege in dem vermabedeyten Bann des Dom; Eas
pituld, von wo aus allein dem Schaden, der der guten
Stade entſtanden, abgeholfen werden müfe. Dazu
follte das Dom⸗Capitul 6000 Mk. Lüb, erlegen und die
den Pfarrfirchen feit 20 Jahren mie Unrecht abgenom:
menen Gelder (8ooo Mf.) wieder herausgeben; alle
fromme Brübderfchaften follten dem gemeinen Gute Beys
trag leiſten, die Klöfter in und auſſerhalb der Stade
die Einkünfte Eines Jahres beytragen und in
Zufunfe von dem Ihrigen gebührenden Schoß entrich⸗
sen, Die ſchwarzen Mönche (Dominikaner) follten
nicht länger in der Stadt gedulder werden; ein jeder
+ e
En
zZ
404 Johann Zegenhagen wird an
erbgefeffene Bürger aber folle künftig dag Recht haben,
mit den Juraten in feinem Kirchfpiel einen Pfarrer zu
erwäahlen, welcher das Evangelium der Wahrheit pres
Dige, und weder ber Rath noch das Capitul follten
hierinnen binderlih feyn, fo aber dem entgegen ge
handelt würde, wären fie bereit, ihr Recht mit
Leib und Blue zu verfechten, 36
- Diefer letzte Artikel wurde bald wieder Gegenftand
neuer Irrungen und Ötreitigfeiten, An der Gt, Ni—
colai⸗Kirche war eine Pfarrſtelle erfedigt, zu welcher
man bereitd im Jahre 1525 den berühmten Dr. Jo—
bann Bugenhagen aus Wirtenberg berufen hatte,
Dieren wollte jedoch feine Gemeinde nicht laſſen und
bewilligte bloß, daß er auf ein halb Jahr nach Ham⸗
burg ginge, um da zu predigen, Schon bereitete fich
auch Bugenhagen zur Abreife, als ein Bote von Hamz
burg Fam mis Brief und Siegel, des Inhalts, er
möge nicht kommen, „darum, daß nicht die ganze
Stadt darein gewillige harte, auch um anderer welkli=
ben Sachen willen, Die doch vor Gott nicht
gölten.“ Diefe weltlihen Sachen waren nichts
weniger, als daß Bugenhagen verheyrarber war,
ober, mie fich der Rath ausdrüdte, „de een echt e
Fruwe hadde.“ Mittlerweile «warb denn alfo DM;
Henrib Sendenhorft, bisheriger Capellan an
diefer Kirche, sum Vice-Paflor ernannt, ein aͤchter Pa-
piftenfnecht, der noch im Jahre 13554 bie evangeliſche
Lehre ein Gift und eine Peſtilenz zu nennen pflegte,
War es die Furcht, fein Leben bey fü verwuͤnſchten
Kesern, als die Evangelifchen genannte wurden, nicht
St. Nicolai berufen, 405
im Gefahr zu fegen, ober die Liebe zur Ruhe und Bes
quemfichkeit, um die reichen Pfründen, die er von allen
Kirchen zog, recht gemachlich genießen. zu können, die
ibn bewogz,. bey Nacht und Nebel Cin nachtflas
pender Tide) feine Pfarrwohnung (die Wedeme)
und die Stade zu verlaffen. Es geſchah zu einer Zeit,
wo die Gemeinde, da in der Stadt die Peſt herrſchte,
ihres Pfarrers am. meiften benötbiget war. Die Wahl
eines neuen Pfarrers litt alfo. keinen, Auffchub. Dems
nach verfammelten fich ale aus dem Kirchſpiele Nicolai
am 27: September in der, Kirche, und mwahlten einhellig
zucibrem Pfarrer CRards Herren) den Johann
Zegenhagen von St. Cathavinen, Die Kirchipield-
herren aber waren mit diefer Wahl fa wenig zufrieden,
daß der Bürgermeifter Gerd von, Holten, vermuth-
lich als Kirchenpatron, die Einführung des Zegen-
bagen geradezu unterfagte, Auf deshalb beym Rath
gefchebene Anfrage wurde die Antwort ertheilt, das
Berbot fey darum ergangen, 1) weil die Wahl ohne
Zugiehung der Kirchfpielsherren geſchehen, und weil 2)
der. Erwählte den größten Theil der bisher üblichen
Kirchengebrauche abzufchaffen gedenfe, Die Bürger
erflärten darauf, (es führte das Wort Cord Campe), es
fey ihnen damahls, ald Bugenhagen gewaͤhlet worden, zus
geftanden, »einen andern Mann zu rufen, der ihnen
beliebte- Zegenbagen fey einhellig von ihnen erwaͤhlt
worden, weil der Kaifer ſelbſt anbefohlen habe, das
Wort Gotted rein und lauter zu verfündigen, und fie
das an Zegenhagen nicht anders verfpürten, der oft
erklärt. babe: wenn ex dem Wolfe etwas unrechtes
46 M. Johann Fritze, dritter Reformator
lehre oder predige, das er mit goͤttlicher Schrift nicht
bewähren fönne, fo wolle er fich eines befferen unter⸗
richten Taffen und ſich nicht ſcheuen, öffentlich zu wieder⸗
rufen. Man gab weiter nachs dag menn der Rath
einen gelehrten Mann wüßte, der den Erwählten „mit
„grundveſtiger“ göttlicher Schrift widerlegen Fönnte,
wollten fie derfelben gerne hören, ferner: wenn der
Rath mit der Wahl zufrieden feyn wolle, fo Fönnten
fie gerne geſchehen laſſen, daß mir Herrn Johannes
der Kirchengebräuche wegen verhandelt mirde uud daß
es fo gehalten werden müßte, mie es zwifchen Rath
und Bürgerfchaft bewilliget ‚werde, Nach langer Be
redung konnte der Rath auch nicht verhindern, daß Die
Einführung des Zegenhagen wirklich von ſtatten ging,
Das war kurz nach Michaelis gefchehen; und um
diefelbe Zeit wurde die Zahl der evangelifchen Prediger
in Hamburg noch um einen vermehrr, da M. Johann
Frise aus Liber, wo er Eapellan geweſen, zum
Paſtor an St. Jacobi berufen wurde. Dieſer Mann
gehoͤrte unter die, welche ihrer Lehre wegen die Stadt
Lüheck hatten verlaſſen muͤſſen, und er heiße bey einem
alten papiſtiſchen Erzaͤhler, bald „een Papen⸗Kind“,
bald „een Hor⸗Kind;“ er war ein Schüler des Dr,
Moͤl ler in Roſtock, der ihm „de frie Koſt umme Go—
des Willen gegewen hefft und behelplick geweſt.“ Be
ſonders ward ihm, ſo wie Zegenhagen vorgeworfen,
‚fie haͤtten ſich fruͤher in ihrem Amte vergangen, das
wird verdollmetſcht: „verdruwen latten, idtliker eene
Jungfruw, da ſick ehemals Gode verdruwet hadde
und gelavet, in’ Jungferſchaft to levende.“ Auch bey
zu Hamburg, 1526, 407.
diefer Wahl war ber rechtſchaffene und muthige
Joachim Wegedorn, biefiger angefehener Bürger,
welcher der evangeliſchen Geifklichfeit bey jeder Gele:
genheit mir Eifer und Nachdruck das Wort geredet, befon-
ders thätig und wirkſam geweſen. Frige bewieß fich
in feinem Amte eben fo —— als einſichtsvoll
und gottesfürchtig.
Dieſe drey Männer alſo, Wehe Zegenhagen
und Frige waren jetzt zu gleicher Zeit für die neue
Lehre thaͤtig, und Fonnten natuͤrlich mit vereinigten
Kräften mehr ausrichten, ald dem Einzelnen vorber
möglich gewefen war. Ammer mehr arbeiteren fie da
hin, das Licht der "Wahrheit ju verbreiten und dem
Leuten über die Mißbräuche, welche im Pabſtthum eins
geriffen waren, die Augen zu oͤffnen. Aber auch die
von der Gegenpartey bielten feſt ‘an einander und
wehrten fich um fo hartnaͤckiger, als fie die Gefahr,
die ihrem Anſehen drohete, täglich wachfen ſahen.
Befonders aber entflammte fich ihr Haß gegen den
- Pfarrer Zegenhagen, feitdem diefer einen fo glaͤn—
zenden Sieg über fie davon getragen hatte, und man
fann auf eine Gelegenheit, ſich an demfelben recht em
‚pfindlich zu rächen, Es vereinigten fich demnach alfe
Priefter diefer Partey, das ganze naͤchſte Weihnachts:
feft über aus dem Chor zu bleiben, in der Erwartung,
daß es ihnen dadurch gelingen würde, den Gottesdienſt
ſelbſt zu ſtoͤren und dadurch das Volk gegen dieſen
Prediger anzureizen. Es geſchah aber ganz dag Gegen—
theil Zegen hagen, ohne ſich lange zu beſinnen,
ließ den Geſang mit feinen Capellanen, Schulmeiſtern
408 Berordnungen des Raths zur Erhaltung
und Kindern fo wohl ausrichten, daß der Gottesbienfk _
ohne alle Störung, in rechter Gebühr und Form von
ftatsen ging und die Gemeine freudig auferte: Können
fo wenige Berfonen: die Sache fo ehrlich und
wohlanftandig beſchicken, wozu bedürfen wir denn fo
vieler Pfaffen? Als nun die Meßpriefter zurück kamen
und ihre Stellen wieder einnehmen wollten, ließ Zegen—
bagen fie niche in den Chor, indem er ihnen vorbielt, daß
Diejenigen unmindig wären, ferner etwas mit ihrem
Singen zu verdienen, welche das Andenfen des gebores
nen Heylandes nicht gebührend hatten feyern wollen;
er fcbaffte alfo auch die Vigilien und Seelenmeſſen ab
und andere papiftifche Kirchengebranche, und theilte
feibft da 8 Abendmahl unter beyderley Ge
fialt aus, nach der Einfegung Chriſti.
Alle dieſe Unternehmungen reizten die Feinde der
göttlichen Wahrheit nur noch mehr, daß fie Feine Ge-
fegenheit verabfaumten, auf die evangelifchen Lehrer
Schmaͤhungen und Läfferungen zu haufen und die Zu:
hörer derfelben mit Leib und Seele dem Teufel zu ver⸗
fluchen. Dies bewog den Rath, am Sonnabende nach
Weihnachten, alle Prediger aus dem Dom, den Kirch-
- fpiel: Kirchen, Klöftern und Capellen auf das Rath⸗
haus zu befcheiden, wo ihnen ſechs Artikel übergeben
wurden, welche fie am folgenden Sonntage von der
Kanzel abzulefen, und wonach fie fich bey Strafe der
Abſetzung zu richten hasten. Der — * dieſer Arti⸗
kel war folgender:
„1) Daß fie das lautere ee mit
Auslegung der Bibel, der Heiligen Apoſtel und ander
bes kirchlichen Friedend, 1526, 409
rer beglaubigten Schriften gütig, ſanftmuͤthig und chrifts
fich, nach der Lehre der bewahrten und von der chriff-
lichen (katholiſchen) Kirche angenommenen Bücher Ich-
zen und prebigen, 2) daß fein Prediger den andern auf
ber Kanzel oder fonft vor-der Gemeine verachten, ſchel⸗
ten, verfegern ober Läftern ſollte; 3) fie ſollten nichts
von difpueirlichen Sachen, die dem gemeinen Manne
unverftändlich, oder ihm auch micht noͤthig noch fruchts
bar feyen, auf die Kanzel bringen! 4) vielmehr follten
fie das Ichren, was zur Beförderung der Seelen Selig:
keit, zur Erhaltung des gebührenden Gehorſams gegen
die Obrigkeit und zur Friedfamfeie unter den Leuten
dienlich fey. 5) Ein jeder folle zwar Hebertresungen
firafen, doch ohne Verachtung der Stände und der Per:
fonen, und mit Sanftmuth den gemeinen Dann ver:
mahnen, gegen die Ceremonieen der Kirche, die Heilis
genbifder und Kirchendienfte nicht Gewalt zu üben,
fondern ſtill zu halten, bis es Gott gefallen möchte,
diefem Thun feine Maaße zu geben, - 6) Welcher Pre:
diger fich gebrauchen Taffe, Haß und Widerwillen zu
erwecken, der folle nachher zu keinem Predigtamt ges
laffen, fondern aus der Stadt verwiefen werden,
Wir finden fofort in dem Berragen der Evangelifchen
eine meife Maßigung und Befonnenbeit, welche den
Frieden wünfche «und zu verhalten fucht, fo lange es
mie Pfliche und Gewiſſen verträglich iff: die Abaͤnde—
rungen indeffen, welche in den Kirchengebrauchen vorge:
nommen worden: waren, blieben auch insfünftige guͤl—
tig und. was entfernt war, unmieberruflich abgefchaft.
Wie die Katholiken nach jener Verordnung des Raths
46 0 Mieslaus Buſtorp predigt
fich gehalten haben, erfehen wir aus dem — *
der Geſchichte.
In denſelben Tagen * als jene —
gepflogen wurden, man berichtet, es ſey am Freytage
nach Weihnachten geſchehen, trat der Canonicus Nico—
laus Burſtorp, (oder richtiger Buftorp,) Predi⸗
ger im Dom, öffenslich auf in der Domfirche und
predigte nicht nur mehrere Lehrmeynungen, welche den
Grundfagen. der Evangelifchben geradegu entgegen was
ven, fondern begleitete "auch dieſelben mit heftigen
Schimpf⸗ und Schmähreden und Berwünfchungen gegen
die Angefeinderen. Unter den Behauptungen, welche er
oͤffentlich aufftellte, waren die: Die Vorläufer des Ars |
tichriſts (die Evangelifchen) bintergingen das Volk mit
ber Lehre von des Gacraments beyderley Geftalt, als
waͤren's zwey Sacramente, das nur Eins wäre, wie
Chriſtus nur Eine Natur gehabt: — Chriſtus habe mur
gelitten fix die Erbfünde, nicht für die Todſuͤnden
(die wirklichen, die Erwachfene begeben,) für welche
ein jeder felbft genug thun müffe, Church Buße, im
katholiſchen Sinne.) — Ferners Die Leute nahmen
jetzt das de ut ſeh e M. D., worinnen viele Irrthuͤmer
waͤren, mit in die Kirche und laͤſen daraus; es ſey
beſſer, ſie hoͤrten auf die Predige, weil Niemand die
Evangelien und Epiſteln verſtehe, er habe denn den
Geiſt Chriſti. — Die Lutheraner widerſpraͤchen Chrifle.—
Die Weihungen und Segnungen der Prieſter verachten
und verſpotten, ſey Irrthum und Ketzerey.
Die Evangeliſchen, um den Gehorſam gegen die
Befehle der oberften Behörde niche zu verkegen, ver⸗
⸗
gegen die Epatigellfchen, die fich widerfegen. 411
hielten fich zubig, ſandten aber drey Abgeordnete an
Buftorp, ihn zu befragen, ob er des in obigen
Sägen angedeuteten Vortrages geftändig ſey. Bur
fforp bar fich zur Antwort Bedenklichkeit aus und
gab endlich feine Meynung durch einen umftandlichen
Brief zu verſtehen, der zwar in fehr barbarifchem ‘Las
tein, aber font mit fchlauer Vorfiche und frommfcheis
nender Demuth abgefaßt if. Selbſt die ihm vorge⸗
baltenen Säge deutet er mit Geſchicklichkeit und fo,
daß fie minder Anftoß zu haben ſcheinen, fchließt aber
gewöhnlich mit der Verficherung, daß er fich gern eines
anderen befehren laſſen wolle, Ueber Luther erflart
er fich unter andern alfo: „Daß ich den Lucher fol
genannt haben, ift offenbar falfch und wird niemand
beweiſen; ich weiß gewiß, daR ich Lurhern in drey
Jahren Faum Einmal genannt habe, Und meynt ihr
denn, daß ich niche Lutheriſch fey ? Sch bin es überall,
fo oft er gue ſchreibt. Er hat einige Werkfein gefchrie-
ben, nahmentlich über die Gebote, über das Bater:
Unfer, die ich gar fehr lieb habe; er har auch ein klei⸗
nes Buch gefchrieben von der Vorbereitung zum heil,
Sacrament, welches lehret, mas ein jeder Chriſt den-
ten folle, wenn er hinzutritt: Siehe, ich trete im
Glauben hinzu, verfeihe mir Herr, daß ich Vergebung
der Sünden and deine Gnade erlange. Ich glaube und
weiß, daß ich niemals zum Altar gebe, ohne an Luther
ju denken, welcher, wenn er in feinen Schranken ge
blieben wäre, er wäre der größte Dorsor im gang
Deutfchland gewefen und dafür gehalten worden, Aber
weil er das Heilige berühres and den Hunden gegeben,
412 Nicol. Buflorp predigt gegen die Evans
weil er die Perle vor die Saue geworfen hat in feinem
Babylonijchen Gefangniffe, hat er deshalb Widerfpruch
leiden müffen,, und ich bin ihm darum gram, daß er
bad gethan hat.“ Mit dem armen Magifter Frige
verfahre er etwas unfauberlich und unedel, „Wie?
kennen wir ung niche mehr? Sch habe ihn ja gefannt,
als er noch voller Lumpen war, (Kempe überfeße platt
deutſch: dat be Fume eenen Placken an Live hedde)
vor vielen Jahren, Möge ihm nur fein Gluͤck wohl
befommen und gedenfe er meines Gönners fel. Anden
fend, des Herborden van der Huden, als feines
Wohlthaͤters, und bere er für ihn, wenn er will, und
‚Liebe er den Frieden und die Heiligung — welche das
Evangelium Iehre, ohne welche auch Niemand Gott
fehen wird, und Laffe mich auf meinem Wege, und
fahre wohl.“ — Eine Stelle ift noch befonders merk:
wirdig: „ES gebe das Gerüche von euch, Das ich
noch nicht glaube, daß ihr Teichtfinnige Jungen anreizt,
weltliche Kinder, etliche Davidifche Palmen zu fingen,
die ind Deutſche uͤberſetzt find, aber nicht richtig, mie
man fagt: ift dem alfo, fo laſſet davon ab, um eurer
Seelen⸗Seligkeit willen ꝛc. Solches Pfalmenfingen ge:
höre niche für den gemeinen Mann: dieſer wird bloß
zum Geber zugelaffen, der Gefang aber kommt den Prie-
fern zu.“ Aber gerade Died Abfingen deut ſcher Ge
fange, in weiche am Ende auch die Gemeinde mir ein-
ftimmen lernte, trug am meiften dazu bey, ben evan⸗
geliſchen Gostegdienft unter den Einwohnern Hamburgs
su empfehlen. Im Schluß entſchuldiget fich Buſtorp
ob ſeiner Ungeſchicklichkeit im Schreiben und bittet, wo
geliſchen, die ſich widerſetzen. 1527. 413
er gefehlt habe in einem Worte, Sylbe oder Tuchflaben,
um cbriftliche Geduld,
Da die ewangelifcben Prediger nach Empfang die
fe Briefes eine guͤtliche Ausgleichung nicht für un—
möglich hielten, fo ließen fie Buſtorp zu einer vers
traufichen Unterredung einfaden, zu welcher die Beftim:
mung des Dres und der Zeit ibm überlaffen bleiben
follte. Buftorp fibien auch dazu. nicht abgeneigt und
befcbied die Herren nach Marien-Magdalenen Kloſter.
Sie erfchienen zur beftimmten Stunde, aber Buſtorp
ſelbſt Fam nicht. Auf wiederholtes Erfuchen nannte
er ihnen den Pag vor St. Lucas: Altar im Dom:
aber auch da Fam er niche und Tieß endlich trotzig fa-
gen: daß er mit ihnen nichts zu fchaffen babe, — Noch
immer bielten fich die Evangelifchen in den Grenzen der
Mäkigung und brachten ihre Klage bey dem Rathe vor ;
daß Buſtorp der obrigfeitlichen Verordnung zumider
gelebt, auch zur Unterredung fich nicht babe finden
laffen, über Dinge, welche öffentlich von der Kanzel
weder fönnten noch bürften vorgetragen werden, E. €,
Rath möge, laut der Artikel, dazu helfen, font wir:
ben fie gedrungen feyn, öffentlich gegen ihn zu predigen,
Alles dieß war gefchehen vom Neuen Jahre an big
in die Faftenzeit 1527. Der Rath — fo vermucher ein
alter Berichterſtatter dieſer Geſchichte — mochte da;
mahls mit anderen wichtigen Handeln bekuͤmmert ſeyn:
es erfolgte auf die eingegangenen Vorſtellungen Feine
Antwort, Die evangelifihen Prediger alſo glaubten
jetzt, ſelbſt fich vereheidigen zu muͤſſen, und brachten
die ganze Sache am zweyten Gonntage in der Faſten
414 PDifputation zwifchen den Papiſten
einhellig auf die Kanzel, nannten ben: Buſtorp mit
Nahmen und miderlegten die von ihm vorgebrachten
Lehrmeynungen, Ws nun bierum nichts geſchah, wur⸗
den die Papiſtiſchen wieder dreiſter, erlaubten fich bie
unanſtaͤndigſten Scheltworte gegen die, fo fie ald
Ketzer und Verfübrer achteten, und furchten den Fort⸗
gang der evangeliſchen Lehre auf alle Weiſe zu hemmen
und zu ſtoͤren. In die ſem Eifer enthielten ſie ſich ſelbſt
muthwilliger Neckereyen nicht. So geſchah es, als
ein Capellan zu St. Nicolai Fruͤhpredigt hielt, wozu
gewöhnlich Geſinde und Dienſten ſich einzufinden pfleg⸗
ten, daß ein Meßpfaffe die Glocke zur Stillmeſſe laͤu⸗
ten ließ, wodurch das Volk veranlaßt wurde, von der
Anhörung des erklärten Sonntags + Evangelii ſich zur
Meſſe zu wenden, Weber die dadurch entifandene Stö—
rung gerieth der Capellan in folchen Unwillen, daß er
fich einiger hatten Ausdruͤcke gegen die Römifchen ber
diente, welche man nicht verfehlte, - dem Rathe frijch
zu überbringen, Dieß hatte -zur Folge, dba auch die
ganze Buſtorpiſche Sache immer mehr Vewegung er-
regte, daß der Rath den Prediger Buſtorp und den
gedachten Capellan aufd Rathhaus foderte, wohin zur
gleich auch. Die drey evangelifchen Geiſtlichen und die
zwoͤlf geſchworenen Vorſteher der vier Kirchen,
nebſt vielen Gelehrten eingeladen waren und. erſchienen.
Unter letzteren waren Joh ann Möller, Dr. U. Ir
Bruder des Barthold, Dr. Wendt, Herrmann kan
genbesk, gleichfalls Dr. Zur, und. andere, So fehr auch
Bufiorp mit feinem fromm geführten Leben prunkte,
obfchon er alles Difputiren von fich wieß, obſchon er
—
R
N ?
Buſtornp und den Lutheranern. 415
alles Difpneiren von fich wich, obſchon er einige der
anmwefenden Gelehrten für ficb gewann, fo bielten fich
doch die Evangelifchen beſonnen und ſtandhaft, und
feßten e8 durch, daß der wortführende Bürgermeifter
feibft darauf drang: er muͤſſe wiederrufen und fich über
die vorgebrachten Befchuldigungen mir Ja oder Nein
erklären. Das verfprach er endlich, hielt aber nicht
Wort; erſt nach fieben Jahren, als er fürchtere, aus
der Stadt verjagt zu werden, bequemte er fich dazu,
was er ehemahls gelehrt, öffentlich zu verdammen, mit
dem DBerfprechen, fich in Zukunft ahnlicher Lehrfäge zu
enthalten, Der Capellan, da er ſich allerdings gegen
die obrigfeitliche Verordnung vergangen, wurde felbft
mit zuffimmung Zegenhagens feines Amtes entjeßt,
wonit die Handlung geendiger ſchien. ;
Dieß war ber erſte Verfuch , ‚welcher den Evange
liſchen hier gelang, der Wahrheit, für welche fie
ftritten , öffentliche Anerkennung zu verfchaffen. Sonft
blieb alles ruhig bis ind folgende Jahr. Am Stilfen
wirkten fie für das Gute weiter, So errichteten die
Bürger und Einwohner "des Nicolai + Rirchipield am
16, Auguſt eine Armen: Caffe oder Gorrestaften
deffen Verwaltung zwölf braven Maͤnnern übertragen
wurde; zugleich aber wurde in der Armensrdnung feſt—
gefegt, unter andern, daß dad Berteln der Franciſka—
ner: Mönche abgefchafft, daß die Beftellung der Kirchen⸗
Diener nicht vom Capitul abhängig feyn, fondern an
das Kirchfpiel zurückkommen, und endlich, daß man
Die Schufe daſelbſt nach der fach fi ſchen Schulordnung
einrichten folle, Der Rath beſtaͤtigte dieſe Kaſtenord⸗
—
416 Henrich Rensborg reist aufs Neue,
nung nicht nur, (am 18. December,) fondern es murbe
auch beliebt, in den übrigen Kirchfpielen Gottesfaften
auf gleiche Weife einzurichten, Das waren nachmals
die fogenannten Kaſtenleute, welcher ‚Rahme. für
die Evangelifchgefinnten überhaupt gebraucht wurde,
Inm naͤchſten Jahre, 1528, fam die eigentliche Ne
formation in Hamburg erft zum Durchbruch „. unter
verfchiedener Abmwechfelung von Rachbegierde, Aufruhr,
Rathſchlaͤgen und Unterredungen von beyden Geiten,
Doch waren e8 die Paͤpſtler ſelbſt, die fich ihren Un—
tergang. bereiteten. Henrih Rensborg, ein Pre
digermoͤnch zu St, Johannis, brachte namlich Die alte
Lehre wieder auf-die Kanzel, daß es ſehr gefabrlich,
ja verdammiich fey, das Sarrament unter beyderley
Geftalt zu empfangen. Da dieß gerade in der Falten
zeit. geſchah, fo fühlte-fih Stephan Kempe, der
indeffen im vorigen Sahre als. Pfarrer an St. Cathar
rinen gekommen war, veranlaße, weil feine Communi—
fanten Aergerniß an dieſer Lehre genommen hatten, am
ſtillen Freytage auf Hffentlicher Kanzel dagegen zu reden.
Darüber wurde Rensborg io aufgebracht, daß er
am nachften Tage, am Paſcha⸗Abend wiederum. von
Kanzel herab den Kempe entweder zur Difputation nach
Paris, Löwen oder Cölln, oder — zu einer fehriftlichen
Verhandlung herausfoderte, Kempe faumte nicht, Die
Saͤtze aufzuzeichnen, worüber er Rensborgs Meynung
und- ob er bey diefen Artikeln bebarre, erfahren wollte,
Diefer gab den zwölf Bürgern, melche ibm jene Anz
frage überbrachten, zur Antwori: ja er habe fo gepredigt
wolle aber weder Schrift von Kempe annehmen, noch
#
fogar big zu einem Mordanfthlag. 1528. 417
mündlich darüber mit ihm * verhandeln. Da alfo die
Evangelifchen fich nicht anders zu helfen mußten, fuh-
ren fie fort, Rensborgs Behauptungen öffentlich zu wider⸗
legen und brachten es auch dahin, daß ihm das Predis
gen fo lange verboten wurde, bis man fich über die
ihm zur Laſt gelegten Dinge verſtaͤndigt hatte.
Rensborg fann auf: Rache und unterlieh nichts,
wodurch er die Gemuͤther anreizen und erhigen koͤnnte.
Es fanden fich mehrere zu ihm und Tiefen sich von
feinem blinden Eifer fo mit fortreißen, daß, wenn man
die Macht des Aberglaubens Fennt und weiß, wie weit
blinde Religionswuth die Menſchen verführen kann, die
Erzählung , welche ſich von einer“ fillen Verſchwoͤrung
ans jener Zeit erhalten hat, nicht ohne allen Grund
zu ſeyn febeint. Im Johannis-Kloſter bielten fie ihre
Zufammenfünfte — woher fie die Johannisleute
genannt wurden, — und entwarfen den Plan, alle evans
gelifchen Prediger und ihre Gehülfen und Anhänger bey
einem öffentlichen Aufruhr zu ermorden. Einige aus:
dem Rathe follen mit im Complott gemwefen feyn, nas
mentlich der Bürgermeifter Hinrich Salsborg, Der
febandliche Entwurf war fo gemachte, daß die Stade
an vier Orten in Brand geſteckt werden follte; damit
aber niche Lärm gelauter werden fünnte, war auf Bes
fehl des Leichnamegefchworenen, Albert Salsborg,
Bruders des Bürgermeifters, auf St. Nicolat der Strick
zur Sturmglocke aufgebunden worden. Wenn nun durch
das Feuer ein allgemeiner Auflauf entffünde,. follten
die dazu angewieſenen reitenden Diener mit den Pferden
das Volk zu Tode treten, und fieben beſtellte Buͤttel
27*
418 Deffentliches Religionsgeſpraͤch zwiſchen den
in die Haufer eindringen und die Einwohner erwürgen,
die es mit dem Lutherthum hielten. Hierauf wird er-
zaͤhlet, es fey gerade in der Nacht, da diefe That ger
fihehen follfen, ein fo ungeflümes Wetter entſtanden,
mit Donner und Bligen, daß die Ausführung gehin-
dert wurde, Meberdem fey der Anfihlag durch einen
Goldſchmidt B. ruchbar geworden und fo hatten fich
die Evangelifchen mit Waffen gerüfter, hatten erliche
4, auch 6,8 und 10 Bootsleute mit Wehre in ihre Haus
fer genommen, Die ganze Nacht brennende Leuchten vor
die Thuͤren geſetzt, Daß durch diefe Vorſicht der ihnen
gedrohete Untergang gluͤcklich abgewendet worden. Wie
dem auch ſey, gewiß iff, daß die von Rensborg
angehesten Johannisleute im Monate April dieſes Jah—
res wiederholt Zuſammenkuͤnfte im Johannis-Kloſter
veranſtalteten, und die Evangelifchen fich dadurch ver:
anlaßt fanden, zu ihrer Sicherheit und zur Erhaltung
der oͤffentlichen Ruhe felbft die Hülfe des Raths in
Anfpruch zu nehmen, Am Montage nach Mifericordiag
Domini (den 27. April) verfügten fie ſich aus allen
vier Kirchfpielen nach dem Rathhauſe, und fuchten
darım nach, daß zur endlichen Hebung der Streitigfeis
ten und zur Wiederberftellung der Eintracht ein beſtaͤn—
diger Schluß möge gefaßt werden. Der Rath war
hierin nicht zuwider und fegte gleich den naͤchſtfolgenden
Dienſtag am, (28. April) daß fammeliche Geiftlichen auf
dem Rathhauſe erfcheinen folten, um ihrer Lehre aus
der heil, Schrift Grund zu. geben, und daß, wer feine
Saͤtze aus dem Worte Gottes nicht beweiſen Fönne,
dem andern weiche und die Stadt verlaffe,
Parteyen vor Rath und Bürgerfchaft. 419
Um 7 Uhr der Morgens verfanmmelten fich der
Rath und die Bürgerfihaft: die vornehmften Bürger,
die nachher mit zu Narbe erſchienen, auf dem rothen
Sollen, die andern, bey vielen Taufenden, auf dem
Eimbeck'ſchen Haufe. Von papiftifcher Seite hatten fich
ache Prieſter eingefunden, von evangelifcher viere,
nämlich Rempe, Zegenhagen, Fritze und der
Kempen an der Marien » Magdalenen » Kirche gefolgt
war, Konrad Lünßemann Die ganze: Verbands
fung gefchab in groffer Ordnung und mit vielem An—
ſtande. Der Bürgermeifter Dieterichb Hohufen
führte dad Wort, Es murden zuerſt die von den
evangelifchen Predigern eingefandten Lehrfäße, welche
gepredigt zu haben die Papftifchen angeklagt wurden,
vörgelefen, damit ein jeder, was ihn anginge, feine
Antwort darauf geben koͤnnte. Nach. Verlefung der-
felben trat Dr. Möller, ohne Zweifel der einfichts-
vote und geſchickteſte, aber, wie es ſcheint, auch
der hartnaͤckigſte unter den Papftifchen, mit den Geinis
gen ab und nach einer Kleinen Befprechung mit ihnen
hinterbrachte er die Antwort, daß, weil fie die Saͤtze
zum Theil wohl gerne geftünden, zum Theil aber fo,
mie fle verfefen, nicht geprediget hatten, fie um Ab»
fchrift derfelben baten, damit ein jeder feine beſtimmte
Erklärung dabey fehreiben könnte, die fie nicht allein
dem Rathe, fondern den Hauptern der ganzen Ehri-
ftenheit zur Benrtheilung vorzulegen erbötig waren. '
Möllers: Plan mar deutlich, Zeit zu gewinnen und bie
Sache in die Lange zu sieben; aber er wurde vereitelt
durch die eigenen Genoſſen dieſer Partey, die anftugen,
420 Neligionsgefprach vor Rath und
ſich im einzelne "Erklärungen - und Geftänbniffe einzu
laſſen, die zum Theil faft wie Emefchuldigungen klan—
gen. Möller wurde darüber fo erzirnt, daß er los⸗
brach: „Wenn ihr fo handeln wollt, fo ſollte fein reb-
licher Mann mit euch zu hun haben; ich beſchwöre
euch bey eurem Gemwiffen, habt ihr mir nicht gefagt,
ober habt ihr mir micht befohlen, fo zu reden, wie ich
geredet babe? Warum denn andere ihr nun eure
Sprache?” AS nun der Buͤrgermeiſter von den evans
gelifchen Predigern zu wiſſen verlangte, wie man über
dieſe Lehrfage ohne Kichter handeln Eönne? beriefen
ſich Diefe ganz einfach auf die Verordnung von 1526,
in welcher vom Rathe ſelbſt geboten worden: das
Wort Gottes rein und lauter zu predbigen,
und fo ging man zur Unterſuchung über, ob die vor
gelegten und groſſentheils geftandenen Lehrſaͤtze dem
göttlichen Worte gemaͤß waren, oder nicht. Freylich
beriefen fich die Gegner auf die Enefcheidung Der
Kirche, als der Säule und Grundfefte der Wahrheit;
allein dagegen proteſtirten die Evangelifchen flandhaft;
„nur auf Die heil. Schrift Fomme e8 ans wer von
Gott ift, der hörer Gottes Wort. Job. VIII.“ Als
die Reihe an den Mönch Nensborg kam, fing er
an, Lateinifch zu reden, und ob zwar die Bürger ſich
Das verbaten, murde er doch darin durch den gut = pa-
piffifchen Bürgermeifter Henrich Galsborg unter
füge, Indeſſen war auch feine Vertheidigung leeres,
gehaltloſes Gerede, Als die Evangelifchen von ihm .
die Bewahrheitung deffen, was er von der Anrufung
der Heiligen gepredigt, verlangten, (namlih, daß es
Buͤrgerſchaft. Sieg der Lutheraner. 421
eine fehriftgemäße Lehre fen.) wollte er's zu Beden—
fen nehmen; worüber er mit Gebühr verlacht wurde,
wie übel eg ſtuͤnde, erft zu lehren und dann fich ber
denken wollen, 2 ö
ALS die Unterredung geendige war, und die Paͤpſt⸗
lichen ‚zu ihrer Berrheidigung nichts vorzubringen hatten,
ward endlich nach bins und ber geſchehener Befprechung
und auf befonderes einmuͤthiges Verlangen der Bürger:
ſchaft der Beſchluß gefaßt: daß fünf der Gegner, alg
die Hauptanfuͤhrer, die Stadt verlaffen follten, nemlich
Barthold Wathaver, Priefter und Bicarius zu
Catharinen, aus Göttingen gebürtig, und Rensborg,
als die befondern Urheber ‚der neufichen Unruhen der
Johannisleute; Buftorp, der feinen Irrthum, wozu
er ſich doch werpflichtet, noch nicht wiederrufen,
Joachim Fiſchbeck, der um eines ‚geringen Ge
winnſtes willen die ſchon erkannte Wahrheit wieder
verlaſſen, und Matthaͤus unter der Kluft im Dom,
welcher gleichfalls bey Erregung der Unruhen nicht
muͤſſig geweſen ſey. Hierauf gingem die Bürger mit
größter Stille und Zufriedenheit auseinander und ſelbſt
die Prediger der paͤpſtlichen Partey wurden von je zwey
Buͤrgern in ihre Wohnungen begleitet. Die fünf Geiſt⸗
lichen verliehen gleich am folgenden Tage die Stadt:
ihnen folgtem nach und nach mehrere der übrigen, unge?
zwungen, aber nicht ohne bitteren Unmuth und Verdruß
her erlittenen Niederlage, So Heinrih Wendt,
der fich nach Ebert begab, eben dahin Fabianus,
genannt von Luͤbeck, der Domprebiger Friedrich
Bulgreve, Henrich Schröderziber nicht wieder:
422 Entſtehung der Eollegien der Oberalten,
rufen wollte; aus gleichem Grunde, und weil er fah,
daß er bier im feiner Achtung fehr verloren hatte, vers
ließ wuch Barthbold Möller Hamburg und Fehrte
zurüc nach Roſtock, wo aber eben auch das Papfichum
im feinen letzten Spuren vollends ausgerottet wurde,
Diefer Sieg mar enticheidend; der Einführung und
Begründung der evangeliichen Lehre in Hamburg (fand
weiter fein Hinderniß entgegen. Zunaͤchſt trafen nun die
Bürger Anftale, die Kirchliche Obergewalt den Geiſt⸗
fichen zu entziehen und ſelbſt über fich zu nehmen, An
Donmerftage vor Perri und Pauli, den 25. Juny,
ertheilte die Bürgerfchaft den 12 Vorſtehern des oben
erwahnten Gotteskaſtens und noch anderen 24 aus
jeglichen Kirchſpiel erwöhlten Bürgern die Vollmacht,
daß fie mir E E, Rathe über vorkommende Kirchen:
fachen und andere die Stadt betreffende Angelegenheiten
Iandeln, berathſchlagen und bis auf Genehmhaltung
der Buͤrgerſchaft ſchließen mögten; noch mit der beſon⸗
dern Weiſung: ‚daß fie fich befleißigen wollten, bey
E. €. Rath zu verarbeiten, daß alles, was Gottes
Wort, die Eeremonien, Kirchendienfte, Cleriſey, allerley
Moͤnche, Nonnen und Pfaffen in diefer Stadt und
deren Gebiete belanget, nach Inhalt der zwiſchen €, E.
Rath und den Bürgern beſchloſſenen Artikel, allenthalz
ben fo ablaufen und geendigt werden möge, daß die
techte Ehre Gottes und diefer Stadt Beſtes daraus ent«
ſtehen und befördert, auch niemand ohne feine Schuld in
verberblichen Schaden »geführer werden möge, — Zu
ven vier Gotteskaſten wurde inoch ein Fünfter und
vornehriſter angeordnet, bey welchem die Hauptbuͤcher
Sechziger und Hunderte und Achtziger, 423
über alle die Armenpflege betreffende Sachen aufbehal
ten werden follten. Aus jeden 12 Vorftebern nun eines
jeden Kirchfpiels wurden am 29. September 1528 zur
befondern Verwaltung diefer fünften alfgemeinen Caffe
die 3 alteften auserwaͤhlt, welchen fie den Namen der
Avberolden oder Ober > Alten beyleaten, und die
damahls mit den übrigen. 9 Borftebern die Verſamm⸗
fung der 48er, mit den 24 nen erwählten Bürgern aber
das Collegium der 144er ausmachten. As im Jahre
1685 den ır. May die Gemeinde zu St. Michaelis zu
einem ordentlichen Kirchſpiel erhoben ward, entſtand
neben dem 15 Dberaften das Kollegium der 6oer und
mit den 120 Gubdiafen das Collegium der 180er,
welche Einrichtung alfo seta an die Reformation
üb anreiher.
um die übrigen kirchlichen Einrichtungen recht im
Sinn und Geifte der Reformation vornehmen zu Föns
nen, wurde noch in demfelben Jahre 1528 um Jacobi
der berühmte Dr Johann Bugenhagen, von fei-
nem Vaterlande gewöhnlich Bomeranug genannt, mit
des KAurfürften von Sachfen und Luthers Bewilligung
zur Beſchaffung einer vollfändigen Kirchenordnung hie—
ber berufen. Er hatte ſchon im vorigen Jahre fein zu
Nürnberg erſchienenes Buch von dem !chriftlichen
Glauben und guten Werfen, und: wie man
foll anrichten mit guten Predigern, daß
ſolcher Glaube und Werk geprediger werde,
an die Stade Hamburg gefihrieben und ſchien die
eva igeliſchen Angelegenheiten diefer Stadt immer mit
befonderer Aufinerffamfeit beachtet zu haben. Am Tage
424 Dr. Bugenhagen richte die Kirchenorduung
Dionyfii, den 9. Deiober, traf er bier: ein. und
erhielt Barthold Möllerd Haus zur Wohnung ange
wiefen. Es wurde ihm fofort aufgetragen, Durch eine
zu entwerfende Kirchenordnung den bisher noch ziemlich
verwirrten Gottesdienff und das Predigtweſen gehörig
einzurichten , welcher Arbeit er fich mit Bereitwilligfeie
unterzog. Wie Bugenhagen ed in. Hamburg gefuns
den, erhellet aus einem Briefe, dem er einige Zeit nach.
feiner Ankunfe von bier an Dr. Luther gefchrieben
bat. Da erzaͤhlet er: daß, ob er gleih am glücklichen
Fortgange der Reformation zu zweifeln noch
Urſach finde, er Doch bey dem nemeinen Manne
einen fehr großen Eifer verfpüre, indem das Volk nicht
nur des Sonntags, fondern auch an Werfeltagen feine
Predigten befuche., Er lobet ferner die Geneigtheit der
Ordensleute zum Evangelio, Die Franciskaner wären
ſchon groͤßtentheils zur göttlichen Wahrheit uͤbergetre⸗
gen, die Dominikaner widerffräubten ſich auch nicht,
die blauen Schweftern hätten bereits ihre Orden s—
fleider abgelegt, und deren Beyſpiel waren die Bene-
dictiner⸗Ronnen in dem 2 Meilen von Hamburg in Holſtein
belegenen Kloſter (Reinbeck) nachgeſolget. Jetzt
waͤre er auf des Raths Verlangen mit Anrichtung
einer Schule beſchaͤftigt, wozu eine lange Zeit. erfordert
feyn wine u. ſ. w. |
Waͤhrend Bugenhagen ſelbſt nicht nur J ſeine
Predigten zur Ausbreitung der evangeliſchen Lehre wirk⸗
ſam war, ſondern auch durch ſeine Ausarbeitung der
Kirchenordnung das begonnene Werk zur beſtehenden
Ausfuͤhrung zu bringen ſuchte, erhielt die Predigt des
ein, bis zum Trinitatis Gonntage,d. 23. May. 425
Enangelii zugleich auch, noch im Jahre 1528, zwey
neue Arbeiter, den Sobann Bolde wan, einen froms
men Mann und trefflichen Lehrer des görtlichen Worts,
der. der erſte evangelifche Prediger an St, Petri war,
und den Johann Güftrom, Prediger zu St. Catha⸗
rinen. In manchen Dingen legte man auch wohl,
wenn.die Verordnungen den gewuͤnſchten Erfolg nicht
erreichen wollten, ſelbſt Hand ans Werk, wie am
3. December diefed von. 120 Bürgern geſchah, welche
niche nur dem bisherigen Gottesdienft in der Kapelle
zum groffen h. Geifte aufhoben, fondern auch etliche
Altaͤre abbrachen und die ganze Capelle zur DVerpfle:
gung der Armen zurichteten.
Indeſſen war Bugenhagen mit ſeiner Arbeit,
die manche, nicht geahndete Schwierigkeiten fand, ſchon
im Anfange des naͤchſten Jahres 1529 fo weit gekom—
men, daß am 12. Februar, an welchem Tage der ſo⸗
genannte lange Receß zwiſchen dem Rathe und. der Buͤr—
gerſchaft bewilliget wurde, im „Z8ſten Artikel, die neue
Kirben- Ordnung, umalle Gebräuche, Kirchendienſte,
‚Singen und Predigen darnach einzurichten, vorläufig
Schon beflätiger und angenommen wurde, Ganz zu
Stande kam fie erſt ſpaͤer. Vom 8. Maͤrz ſchreibt
Bugenhagen noch an Luther: „Meine Kirchen⸗Ordnung,
die vorher ſchon dem Senate vorgelegt worden iſt,
wird heute vor die Buͤrgerſchaft gebracht werden, zu
feben, ob vielleicht etwas darin ihnen unpaſſend fchei-
nen wird; darauf wird fie herauskommen,’ Fertig wurde
fie. gegen Pfingften, und gegen dieſe Zeit gings
auch die Einführung derſelben vor ſich. |
46 Die Mönche werben aus dem Johannis⸗
Am Donnerftäge nach Pfingften, am 20. May
1529, wurden durch des Raths abgeordnete Mitglieder
Berer von Spredelfen und Dithmar Kohl,
denen einige Bürger beygegeben waren, die bisherigen
Predigermoͤnche zu St. Johannis ausdem Kloſter hin-
weg und nach) ©t. Marien Magdalenen, wo die bishe-
rigen Franciffanermönche ihre Kappen ſchon abgelegt
harten, geführte, mit dem Bedeuten, daß fie inskuͤnf—
‚ tige ihre Verforgung und Pflege entweder im genann-
tem Kloſter, oder zum Hofpitaf im heil. Geiſt an des
Hofmeifterd Tiſche finden würden, Etliche alte Leute,
einige geben fünf, andere fiebenan, Tießen Ach diefe Verpfle—
gung gefallen ; andere, welchen das einfame Leben micht ges
fiel, Tegten die Drdenskleider ab, und nahmen Dienfte
in der Stadt, noch andere nahmen 10 Gulden Zehrgeld
und wanderten aus. Den meiften Widerwillen bezeigte
der Prior; er widerfegte ſich nicht nur anfangs ben
Abgeordneten und weigerte ſich, weil Eyd und Gewif—
fen ihm's verböten, die Schlüffel herauszugeben: aber
die Diener und Bürger faßten ihn beym Arme und
Tiefen ihn gezwungen thun, wozu er fich gutwillig
nicht hatte verffehen wollen. Er fol fich nachher nach
Speyer begeben baben, um auf dem dafigen Reichstage
feine Klage anzubringen,
Drey Tage darauf, am 23. May, ald am Trini-
tatis Sonntage, murde nach der am Pfingftabend ge:
fchehenen Bekanntmachung, daß die von Dr. Jobann
Bugenhagen nun zu Ende gebrachte Kirchenordnung
"von Rath nnd Bürgern angenommen fey,. in allen
Kirchen ein feyerliches Danffelt begangen und Das
i
Klofter gewiefen, u. da eine Int, Schufe angelegt. 427
„Herr Gott dich loben mir’ gefungen. Die Vers
ordnung iſt, beſonders wenn man die Befchaffenheit
jener Zeiten betrachtet, ein vortreffliches Werk und bat
durch den heilfamjten Einfluß, den fie auf die Verſitt—
lichung der Hamburger bewiefen, ihre Trefflichkeit
beftätiget, Sie beftehe aus 49 Artikeln, und beginne
mit der Anordnung es Schulweſens; händelt dann
weiter von den Predigern und ihren Amtspflichten, von
den Feſttagen, Sacramenten, Gottesdienit und übrigen
Kirchengebräuchen und fonftigen Einrichtungen, welche
auf Kirchen und Schulweſen Bezug haben.
Bugenhagen erkannte jehr richtig, Daß das ganze
Reformationswerf von kurzer Dauer feyn würde, wenn
er nicht zugleich auch für Anlegung und zweckmaͤßige
Einridtung von Schulen ſorgte, worinnen die Au⸗
fangsgründe der nunmehr im ihrer Lauterfeic wieder
bergefiellten Lehre und andere zur menfchlichen Bildung
nothwendige Wiffenfchaften auf rechte Weife vorgerra-
gen würden, Es wurden daher auf feinen Vorſchlag
die Einfünfte von den Klöftern zur Anlegung und Un—
terhaltung öffentlicher Schulen angewendet, ‚Und fo
wie bey einem jeden Kirch fpieleeinebefondere Schule
zur Unterweifung der Jugend gefliftee wurde: fo war
das Johannis⸗Kloſter dazu auserfehen, daß in
bemfelben eine öffentliche Inteinifche Schule angelegt
werden follte, Dieß geſchah mie möglichfter Feyerlich—
keit gleihb am folgenden Tage nach Trinitatis, den
24. May 1529, Mittagd ı2 Uhr, durch Bugenhagen
ſelbſt. Auch forgte derfelbe dafür, Daß noch. in eben
diefem Fahre der neuen Schule ein paar tüchtige Lehrer,
I
428 Der Dom⸗Gottesdienſt wird gefchloffen,
namlich M. Gottfr. Hermelates Theophilus
(Freytag) als Retor, und M, Matthäus De;
lius als Contector, vorgefegt wurden, unter welchen
Lehrern die Schule bald den fegenreichffen Foregang
gewann, |
Das iſt die Einführung der Reformation in Ham-
burg und von jener Zeit an bat fich die Turberifche
Confeſſion als herrfchend hier erhalten. Bugenhagen
verfuchte noch vor feiner Abreife, welche von Witten-
berg aus dringend gebeifcht murde, die Herren des
Dom⸗Capituls dahin zu bewegen, das Anrufen der
Heiligen und die vielen Fefttage abzufcbaffen, desgleichen
die Vigilien und Seelenmeffen aufzuheben und dem
Meffefingen und Meffelefen ein Ende zu machen, das
Abendmahl unter beyderfey Geſtalt auszutheilen u, ſ. w.
Aber fein Verſuch war vergeblich, um fo mehr, da fie
fich darauf berufen Fonnten, daß ihr Dechant die ganze
Sache bereitd bey dem Faiferl, Kommergeriche zu
Speyer angebracht habe. Denn als im vorigen Jahre
1528 die Farholifchen Geiftlichen die Stade zu verfaffen
genöthigee wurden, hatten fich zu gleicher Zeit der
Domprobft und Domdechant, Joachim Kliging
und Clemens Grote nad) Speyer begeben, um bey
dem Kammergericht über die wider alle Rechte und alle
Billigkeit erfittenen Unbilden fich zu befchmweren. Das
Berichte nahm die Klage an und der Kaiſer CarfV,
erlieg vom 10, Der, 1528 einen nachdrücklichen und
ernften Befehl an die Stadt, melcher im nächiten
Jahre den 16, Januar bier überreicht wurde, des Ins
halts: Es folle die Stadt den Klagern bey Strafe
die übrigen Reſte des Papſtthums abgefibaffe. 429
von 500 Mk. Löthigen Goldes die enewendeten Kirchfpiel-
firchen, und die denfelben und dem Stifte zugehörigen
Briefe, Siegel, Inftrumente, Freyheiten, Handfeften,
Gerechtigkeiten, Bücher und Regifter wiederum zuftellen
und ausfiefern: fie fole auch der Priefkerfchaft in
Hebung ibrer Zinfen ‚ erfauften Renten, Zebenden und
anderen Gefallen nicht binderlich feyn, auch derfelbigen
weiter Feine Schagung auflegen. Ueberdieß folle fie
binnen 45 Tagen vor dem kaiſerl. Kammergericht ers
feheinen und ihres Thuns Rede und Antwort geben. —
Diefed war der erffe Grund der vielen Streitigkeiten,
welche im dem folgenden Jahren zwifchen der Stade und
dem Domcapitul fehr eifrig am kaiſerl. Kammergerichte
fortgeſetzt wurden, und welche erff 1561 den 2, May
durch den zu Bremen gefibloffenen Vergleich ihre End»
ſchaft erreichten,
Dr. Bugenhagen verlieh Hamburg am 9. Juny
1529, eine Berdienfte um die hamburgifihen Kirchen
und diefe Gegenden überhaupt. vermehrte er noch das
durch, daß er Luthers hochdeurfche Bibel in die nieders
fächfifche Mundart übertrug, welche mit feinen Bemer⸗
fungen im Druck erfchien und nachmals mir Verbeffe:
rungen wieder aufgelegt worden iff. Gleich nach feiner
Abreife wurde bier auf Befehl des Raths der Dom
gefchloffen, da das verfuchte fortgefegte Singen Iateini-
fiber Pfalmen nur zu Störungen Veranlaffung gegeben
hartes auch die unnügen Feſttage wurden abgefchafft
und die Apofteltage auf die mächftfolgenden Sonntage
verlegt, Noch in demfelben Jahre, den 20, October,
wurde Johannes Aepinus, font auch Hoek
430 Der vierce oder Lange Neceß von 1529,
genannt, als Prediger an St. Perri- Kirche eingeführte,
ein Mann, der durch feine Gelehrſamkeit ſowohl als
durch die hervorragende Kraft feines Geiffes für die
Folge ſich als einen der erfien und muthigſten Vertheidis
ger bewieß, die gereinigte ewangelifche Lehre vor den
Anfechtungen ihrer Gegner zu bewahren.
Der zwiſchen dem Rathe und der Bürgerfcbafe
bereitd den 18. Februar dieſes Jahres abgefchloffene
Receß, wegen feines ausführlichen Inhalts der Tage
Receß genannt, brachte in der hamburgiſchen Berfaf
fung eine wefentliche Abänderung hervor und ordnete
zuerft die gefegliche Vertretung der Bürgerfihaft gegen
den Rath auf eine für die Gefammtordnung zweck⸗
mäßige und wohlthaͤtige Weife. Die Annahme der
neuen evangelifchen Kirchen-Einrihtung war die eigent-
liche Grundlage deffelben; die Abhängigkeit von geiſt—
licher Herrfchaft wurde mir ihm vernichter; dem Bür-
ger und jedem, der feine Meynung in Angelegenheiten,
wie fie das allgemeine und das Wohl der Einzelnen
angingen, auf dem Wege der Ordnung mittheilen und
vorbringen wollte, war die Freyheit in Form Rechtens
verbürger. Darum ift die Reformation fir Hamburg als
die eigentliche Bermittlerin und Schöpferin der geiffigen
und bürgerfichen Frepheit zugleich zu betrachten, Die
vornehmften Artikel, welche noch fonft in dieſem langen
Receſſe hinzugefommen, find befonders folgende:
„Klagt ein Fremder einen Bürger wegen Borent:
haltung feiner Güter an, fo brauche der Fremde Feinen
Burgen zu fielen, — Die verordnnesen@Bürger follen
die Umfegung des Raths und der Rathswahlen nache
in feinem Hauptinhalte. . 9
ſehen. — Der Nach will fich befleifigen, geſchickte
Mitglieder zu erwaͤhlen. — Zwoͤlf Rathsglieder me
niaftend muͤſſen den Rathsſitzungen bepmohnen, —
Der Rath kann auch des Nachmittags Bürger
anträge hören. — Einem fremden Kläger Wird zu
allen Zeiten Recht gepflegt, = Wird der Rath ger
hindert, Audienz zu geben, fo ſoll er dag vor g Uhr
anzeigen laſſen. — Zu Berfpredern follen gute,
rechtliche Leute genommen werden — Don allen Ver:
handlungen und Urtheln fol auf Begehren Copey ger
geben werden, — Jede über 66 Mark fheigende Klage
mug vor Ablauf eines Vierteljahres geendige ſeyn:
follte es fich gebuͤhren, daß eine Sache Über Jahr uud
Tag ausgedehnt worden, fo muß der Rath fie in den
erſten drey Gerichtetagen enden. — Jeder muß feine
Sache auf Stadtbuch, Burſprack und die Receſſe
gruͤnden. — Waͤre es, daß eine Sache zur Sprache
kaͤme, über die in den Stadtgeſetzen nichbe? zu fſin⸗
den iſt, fo koͤnnen die Parteyen vom Rache begehren,
dad die verordneten Bürger der vier Kirch
fpiete aufs Rathhaus nefodere werben, damit dieſe
mit dem Rathe in dieſem noch unbekannten Fall ein
Urtheil finden, das nicht bloß für jetzt, ſondern fir
immer eim fin Hamburg gültiges Geſetz bleibt und’ als
ſolches nieder geſchrieben wird — Nur in peinlichen
Faͤllen hat ver Rath die Befugniß, ein Urtheil zu
mildern oder zu ſchaͤrfen — Alle unter 10° Marf
werthe Sachen gehbren vor das Niedergericht. (In
einer Sache Aber 10Mark muß der Bürger: vor dem
Rathe Rede fichen.) — Verläumdung und Schelt⸗
28 ‘
432 Der vierte ober lange
worte follen vor dem Rath wieberrufen werden. — er
bey Nacht verhafter wird, fol niche zum Waldboten
(Frohn), fondern nach dem. Winferehurme gebracht
werden. — Kitchen, Kirchhoͤfe, Predigerhaufer und
das Maria-Magdalenen⸗Kloſter find unverlegliche
Aſyle bey Todsfichlägen, bie aus Nothwehr
begangen worden, — Der zehnte Pfenning muß gege—
ben werden von Gütern, die aus der Stadt gehen. —
Was einer mit feiner Frau erheyrarhet, kann er zu
ihrer beyden Nutzen gebrauchen, Doch duͤrfen die Erben
der Frau ein Einſehen haben, wenn ſie Verſchwendung
des Hauptſtuhls wahrnehmen. — Iſt ein Mann bey
ſeiner Verheyrathung verſchuldet, dann nimmt die Frau
ihren: Brautſchatz vor den Glaubigern zuruͤck. — Ein
Vater kann fein Erbe an einen feiner Söhne zu einem
ſelbſt beliebigen Preiſe vermachen. — Haͤuſer duͤrfen
nicht hoͤher beſchwert werden, als fie werth find. —
Der Rath ſoll keine Geſchenke nehmen. — Der Rath
bleibt ſchoßfrey, anſtatt eines Gehalts. — Zu allen Thor
ren und Baumen folen zwey Schlüffel feyn, von denen
einer beym Rathe, der andere bey den verordneten
Bürgern bleibe. — Niemand darf zwey Dienſte ba:
ben. — Kein Pfaffe kann Syndikus noch Serre
tarius werden. — Der Rath wird einen guten ge
lehrten Pipyfikus halten, und alle anderen Aerzte,
Landläufer und unerfahrene Practicanten aus dei
Stadt weifen. — Die Gotteskaſten follen von den
Dberalten verwaltet werben diefe erhalten ihr eiger |
ned Siegel. — Die Jungfern, welche das Kloſter vers
laffen, erhalten ihr Erbgut wieder, — Es follen neue
Receß vom Jahre 1529; 433
Mühlen erbauet werden, — Abends nach 10 Uhr
darf fein Bier gejapft werden, — E3 fol für Hinreis
chende Kohlen in der Stadt geforge werdem — Wer
auf fein Haug eitten feinernen Giebel feßt; erhalt
dazu von der Stadt 1000 Manerfleine, nebſt einem
Wispel Kalt; — Bey Berkauf des Brennholzes follen
Bürger zur Auffiche beftelle werden, — Zur Reinhals
tung der Elbe ſoll eine: Aufſicht angefkelle werden, —
Mer Bürger werden will, muß fich in der Stade nie:
derlaſſen. — Zwiſchen Martini und Thoma wird der
Schoß mit 8 EL, von jeden 100 ME, erlegt. — Jedes
Brauhaus muß eine Büchfe, zwey lederne Eimer und
eine Feuerfpriße baden, — Buͤrgermeiſter,
Rathmaͤnner und erbgeſeſſene Bürger duͤr—
fen in Kriegszeiten nicht aus der Stadt zie—
ben, — Die Buͤrger waſchen ſollen von den geſchwo⸗
renen Stadtdienern zu rechter Zeit angefagt werden, —
Die Dberalten find von der ganzen Bürgerfchaft be
vollmachtiger, ein ſtetes Auge auf die Erfüllung und
Nachachtung der Receſſe, des Stadtbuchs, der Bur:
fpracfe und Kirchenordnung zu baden, und im Fall ver
Abweichungen, bey Zeiten dem Rathe darüber Vorſtel⸗
fungen zu machen, Bey den verordneten Bingern
(48ern, fpater 6oern) Fann jeder, dem daran gelegen,
über dag, was jwifchen Rath und Bürger befchloflen
28*
44 Receß vom Jahre 1529,
und: feſtgeſetzt worden, Auskunft holen. — Sollte ſich
doch zutragen, daß vom Rathe gegen die Stadtrechte
gehandelt mürde, dann ſollen die Oberalten die 144er
zuſammen fodern und mit ihnen: im Verein dem Rath
die gehörigen Vorſtellungen machen; und wuͤrde auch
dann keine Abaͤnderung getroffen, ſo muͤſſe der Rath
auf Begehren der 144er Die erbgeſeſſenen Bürger uud
Aemter zuſammen rufen, um mit ihnen die Sache
zu ordnen.“ N! RZ Kia
Dritted Bud.
Don der Reformation bis auf Die
neneften Zeiten. |
Erſter Abfchnitts Von der Reformation bis zum
Öottorppifchen Vergleich, 1529 bis 1768.
a. Bis zum Anfange des an Jahr:
hunderts.
ni Fortſetzung der Gefchichte bis um Got⸗
torppiſchen Vergleich.
Zweyter Abſchnitt: Bis auf die neueſten Zeiten.
a. Von 1768 bis zu 1812, als Ham:
burg dem napoleontifchen Kaiferreiche ein:
verleibt wurde.
b. Wiederbefreyung der Stadt vom frem:
den Joche, Wiedergeburt ihrer Freyheit,
jüngfte Ereigniſſe.
Dristes Buch,
u re ——
Die Reformation gehoͤrt zu jenen groſſen Bege—
benheiten der Geſchichte, deren wirklicher Abſchluß fels
ten mit Gewißheit zu beſtimmen iſt, da ſie vielmehr in
fortwirkenden Folgen und friſch ſich anreihenden Ver—
anderungen oft wie bleibend. zu dauern ſcheinen. Gleich—
wie, wenn ein heftiger Sturm das Meer aufwuͤhlt,
das Toſen und die Bewegung noch lange fortdauert
und die Wellen noch aufwogen, auch nachdem die
Winde langft geſchwiegen: ſo war auch damahls, da
ein groſſer Theil der Chriſtenheit ihren Abfall von
willkuͤhrlicher Gewiſſensgewalt laut und Fraftig erklaͤrt
hatte, die Erſchuͤtterung noch bemerkbar in allen Läns
dern, wohin diefer Geift des Selbſtbewußtſeyns ges
drungen war und im Gefolge der erft gethanen Schritte
fihien eine endlofe Reihe von Veranderungen ſich anzus
fündigen. Selbſt in Hamburg, mo die Kirchenverbefz
ferung im Ganzen fo ruhig und friedfam, auf Dem
Wege mehr der Gefprachsverhandlung, als ungeſtuͤmer
Foderung und Gewaltthätigkeit eingeführe worden, blie—
ben doch manche. Gahrungen im Innern nach. welche
noch lange bin flörende Erſcheinungen amd felbft un:
subige Auftriste zum Entſtehen befördertenz ſo wie
hinwiederum in dem Verhaͤltniß zum deutſchen Reiche
und in der Stellung zu dem benachbarten Daͤnemark
438 Das Kloſter Harveftehude aufgehoben 1530,
und den jet damit in Verbindung flehenden deutſchen
Herzogthuͤmern neue, nicht geahndete Beruͤhrungen ſich
ergeben mußten,
E83 geſchah in einfacher Folge der im Jahre 1529
mit den hieſigen kirchlichen Einrichtungen vorgenom—
menen Abaͤnderung, daß der Rath und die Buͤrger auch
zu Harveſte hude, wo Die Nonnen ſich hartnäckig
weigerten, die alten Gebraͤuche abzuſtellen und die Pre—
diger, Die ihnen verordnet wurden, zu hoͤren oder ans
zunehmen, mit Ernff zur Entſcheidung ſchritten, das
ſloſter am ro. Februar 1530 niederriſſen und Die Non⸗
wen ſelbſt in Die Stadt hereinführten und in das Jo—
hannis⸗Kloſter brachten, wo fie von den Einkünften
der beyben Kloͤſter mir Pflege und dem ıngehdärftigen
Unterhalt verfeben wurden, Und als im naͤchſten Sabre
die Mönche aus dem Marien-Magdalenen:Kiofter weis
hen mußten, wurde auch vas von Kletzens Wittwe
geftiftere Eliſabethenhaus verkauft und die in
demjelben ernähren Wittwen und Jungfrauen als Praͤ⸗
bendaria (Prbveners) in jenes Klofter gebracht, um
‚ben wohlthaͤtigen Amen der EN m —*
zu laſſen,
Im Uebrigen ſchien eine gewiſſe — in den
Maaßregeln der obern Behörden zur völligen Abſchaf—
fung und Saͤuberung des katholiſchen Gottesdienſtes
der Mehrzahl: der Buͤrger unangenehm aufzufallen und
nahrte bey vielen die Stimmung des Migveranügens,
Als im Sabre 153: der Rath bie Buͤrgerſchaft um
ben Zuſchuß der Koſten zu weiterer Befeſtigung der
Wolle, Graben und Thore der Stadt auſprach, woll—⸗
Salsborg muß aus dem Mathe weichen, 439
ten ſich diefe nicht dazu verſtehen, da mötbiger fen,
zuvor Ruhe und. friedliches Vernehmen im Innern her
zuſtellen, Einigkeit zwifchen den Bürgern und den nache
gebfiebenen Pfaffen und Nonnen zu fliften und den
Gottesdienſt im Dom, der noch immer forebauere,
abzufibaffen, Die Sache wurde endlich damit abge,
ſchloſſen, daß der Nach in das Begehren der Bürgers
ſchaft willigte, und auf deren Anfodern insbejondere
der Bürgermeifter Salsborg, welcher mir Hart,
naͤckigkeit am Papſtthume fefthielt, den Rathsſtuhl ver:
laffen mußte, Nun bewilligten die Bürger eine Abs
gabe. von 6 Pf. von 10 Gl. Capital, und zur Befefkis
gung wurden der Graben und Wall zwifchen dem Schar—
thor und dem neuen Baume angefangen, In Diefelbe Zeit
gehört zugleich die Anfegung der neuen Wafferkfunft,
ſonſt auch die alte Bornkunft genannt, ſo wie der
Wieder » Aufben der 1531 abgebrannten Bornmühle,
der nach ein paar Fahren vollendet wurde,
Aber immer dringender wurde mie jebem fahre
die wiederholte Anfoderung des Dom : Capituld und
des Reichs - Rammergerichts zu Speyer: daß ver Fair
ferliche Befehl zur Wiedererffattung der Kirchengüter
an das Capitul zur Ausführung gebrachte und die ans
geſetzte Strafe von 500 Mark loͤthigen Goldes gebüßer
würde, Um diefen Mahnungen zu entgehen, wandte
fich endlich die Stade an die Fürften und Stande des
zu Schmalkalden gefchloffenen proteſtantiſchen
Bundes, erklärte durch eine feyerliche Proreffation vom
26, November 1535 ihre Anbanglichkeit an denjelben,
und wurde 1536, am Tage der Befehrung Pauli, von
49 Hamburg tritt zum Schmalkabifchen Bund,
meberen bier anmefenden Standen deffelbigen vollkom—
men darin auf⸗ und angenommen. Der Bund hatte
niche geringes Anſehen dadurch gewonnen, daß bey
deffen Stiftung 1531 König Friedrich J. von Daͤ—
nemark für feine deutſchen Länder demfelben \beygerre
gen war, und deſſen Nachfolger, Chriftian TEL, in
diefer Meynung beharrete. Für Hamburg aber entffand
in diefem Sufammenhange der Dinge die Nochwendig-
keit, mit dem Nachbar ein möglichft friedliches und
verträgliches Verhaͤltniß angelegentlich zu unterhalten.
In dieſer Gefinnung hatte es bereits ſchon fange
beharret. Der klugen Ueberlegung folgend, hatte es
ſchon, als der unruhige König Chriſt ian IL aus
feinem Reiche vertrieben wurde, die Partey des an
jenes Stelle berufenen Friedrich I, ergriffen und mit
nachdruͤcklichem Beyſtande unterſtuͤtzt. Ad i. I. 1525
der Freybeuter Klaus Kniphoff, aus Malmoe ges
buͤrtig, welcher mie dem Admiral des gefluͤchteten Kö—
nigs, Soͤren Norby, zur Wiedereinſetzung Chri⸗
ſtians II. ſich hatte vereinigen ſollen, nicht bloß daͤ⸗
niſche, ſondern auch hanſeatiſche Schiffe pluͤnderte und
ſelbſt Bergen im Norwegen in Schrecken ſetzte, ruͤſte⸗
ten, nach dem Wunſche Friedrichs, die Hamburger
vier Schiffe aus, welche die Elbe hinunterſegelten,
zwar anfangs unverrichteter Dinge, aber nachmahls
mit eingeholter Verſtaͤrkung um fa gluͤcklicher, indem ſie des
Kniphoff ſich bemaͤchtigten und denſelben mit 162 ſeiner
Gefährten nach Hamburg aufbrachten. Ungeachtet der Fuͤr⸗
bitten, welche von der Statthalterin Margaretha in den
Niederlanden, von Chriſtians IL Gemahlin und Dem
Verhaͤltniß zu Daͤnemark. 444
Grafen Edzard von Oſtfrießland eingelegt wurden,
ließen ſie ihn als einen Seeraͤuber mit 73 feiner Ge
noſſen enthaupten, die Köpfe auf Pfaͤhlen an der Elbe
zur Schau aufſtecken und die Hauptfahne des Freybeu⸗
vers wurde in dem Dome über der Canzel als ein bes
fonderes Denkmahl aufgebangen, Friedrich J. flarb
im Jahre 1533, und ein Zwifchenreich entſtand in Dir
nemarf, wahrend deffen verfibiedene Parteyen für ver
fehiedene Thronbewerber fich bildeten, die bald in zwey
entgegengefegte fich vereinigten, in welchen theils ein
en der Proteflanten gegen die Katholiken, theils
der Hanfe, am deren Spitze Lüberf mit übersriebener
Anftrengung fand, gegen die Hollander fich entwickelte,
deren immer mehr zumachfende Uebermache in der Oft:
fee dem hanſeatiſchen Handel gefährlich zu werben
ſchien. Man nennt diefen Krieg auch die Grafen;
febde, weil mehrere Grafen, insbefondere Chriſtoph,
Graf von Oldenburg, die luͤbeckiſche Macht anfuͤhrten
Ham burg nahm ſelten anders, denn als Vermittlerin,
Theil an dieſem Kampfe, und Chriſtian III., von
Daͤnemark als König anerkannt, beendigte die Fehde
durch Entwaffnung derer, die für die Sache des ger
fangenen Ehriftian IL, zu flreiten vorgaben, fiegreich
im Jahre 1536, Nur die öfterreichifche Partey, welche
unter der Leitung der. Faiferlichen Statthalterin in den
Kiederlanden die beyden nprdifchen Kronen, Schweden
hatte fich unter Guſtav Waſa losgeriffen, dem Pfalz:
grafen Friedrich, dem Gemahl der zweyten Tochter
Chriſtians IL, zu verichaffen bemüht war, fand ihm
noch entgegen, aber ehne daß fie ihm furchtbar harte
5
442 Hamb. huldige Chriffian III. und handelt
werden koͤnnen. Chriſtian III., welcher die Einführung
ber Reformation mit Tebendigftem Eifer betrieb, fand
ſelbſt Muße genug, an die Angelegenheiten des ſchmal—⸗
kaldiſchen Bundes mit Aufmerkfamfeie zu denken und
trug durch feine perfönliche Gegenwart dazu bey, daß
im Sabre 1538 auf der Verfammlung zu Braunſchweig
die Bundesvermandeen fich noch enger an einander
anſchloſſen. Auf feiner Rückkehr kam er in Begleitung
feiner Gemahlin und deren Schweſter und mit einem ae
ſehnlichen Gefolgenach Hamburg, (1538, den 24. April)
um daſelbſt die Huldigung zuiempfangen, die ihm uns .
ter den nahmlichen vorbehalvlichen Bedingungen ges
leiſtet wurde, als ehemals bey dem Könige Chriffiau J.
ver Fall gewefen war.: Bey diefer Gelegenheit wurde
auf dem Hopfenmarkte ein ritterliches Turnirſtechen ges
Halten, (wie früherhin 1325 bey Chriſtians Bermählung,)
und der Rath bemirchere den König auf dem Eimbeck⸗
fchen Haufe mit einem prachtigen Gaftmahl. Es ge
fiel dem Gaſte fo wohl in der Stadt, daß er erſt im
folgenden Monate (den 9, May) feine Rücfveife weiter
fortſetzte.
Der Pfalzgraf Friedrich ſetzte einige Jahre Hinz
durch, von dem Kaiſer Carl V. nur ſchwach unter⸗
ſtützt, ſeine Bewegungen gegen den König Chriſtian
fort, aber es waren Bewegungen eines Ohnmaͤchtigen,
von umbedensendem Erfolge. AS er im Jahre 1539
mie einem Heere bis an die Grenzen von Holftein rückte,
und theils im Lüneburgifchen, theils auch im hambur⸗
gifchen Gebiete, manchen Schaden anrichtere, legten
fich die Hamburger mit ihren bewaffneten Schiffen auf
vermietelnd mit deſſen Gegnern, 443
die Elbe, dem Uebergang defferben zu verhindern, und
die ganze Unternehmung wurde noch uͤberdieß durch In:
—
gunſt des Mindes und des Wetters vereitelt. Unter⸗
handlungen, insbeſondere durch die Hamburger einge—
ſeitet, welche ſich durch dieſe Verhaͤltniſſe in ihrem
Handelsverkehr oft drückend benachtheiliget ſahen,
führten zu Stillſtänden, aus welchen neue Befehdungen,
zumahl von Geiten der Holländer, bervorgingen, bis
endlich auch diefen Mifbelligfeiten durch den Frieden,
welchen Ehriffian mie Carl V. 1544 zu —* ab⸗
ſchloß, ein Ziel geſetzt wurde.
Waͤhrend die Gemuͤther im Innern von Deutſch⸗
land, durch die allgemeine Bewegung aufgeregt, im⸗
mer mehr in feindliche Parteyung zerfielen, ſchien ein
naher Ausbruch eines allgemeinen Religionskrieges un⸗
vermeidlich. Blutige Vorſpiele dazu waren die Auf:
fände der Landleute in mehreren Gegenden gewefen:
einzelne Parteygaͤnger benutzten auch die Verwirrung
zu eigenmaͤchtigen Ueberfaͤllen und Raubangriffer, mie
irgend die Leidenſchaft fie Teiten mochte, In vielen
Jahren (ſeit 1540) geſchah es, daß die Hamburger
unermüder daran arbeiteten, ihre Stadt vom allen
Seiten durch Gräben und Wälle zu befefligen, um vor
plöglicher Weherrumpefung jener berumfkreifenden Haus:
fen, nahmentlich des berüchtigten Herzogs Heinrich
von Braunfchweig, des Herzogs Albrecht von Mech
lenburg und anderer Stegreifritter gefichere zu fepm,
Inzwifchen hatten fich die ſchmalkaldiſchen Bundesge—⸗
noffen fo gerüfter, daß fie dem Kaiſer, da er ihrem Begeh⸗
ren um freye Religiongäbung nicht willfahren wollte, mit
444 Schmalfaldifcher Krieg. 1547:
gewappneter Hand entgegen zu gehen vermochten. König
Ehriftian, friedliebend und durch das jüngft mit dem Kaiſer
gefchloffene Buͤndniß in der Erfüllung feiner früheren
Verpflichtungen gehemmt, gab bloß eine Geldhuͤlfe:
Hamburg aber ließ feine Mannfchaft zu dem Heere
abgehen, zu deren Erhaltung zweymal ein halb pro
Cent bemwilliget werden mußte. Der Ausgang diefes
Krieges ift befannt. Unſchluͤſſigkeit, Zögern und ge
theilte Anfichten und Meynungen vereitelten den glück
lichen Erfolg der proteflantifchen Waffen, und ihre
Sache fibien verloren, als in der Schlacht bey Mühl
berg (1547, den 24. Apr.) der Kurfürft von Sachſen
in des Kaiſers Gefangenfihaft gerierh und bald darauf
auch der Landgraf von Heffen, als er fich zutraulich
unterwarf, ein gleiches Schickſal hatte. Die geaͤngſte⸗
ten Hamburger erhielten durch des Königs Chriſtian
von Danemarf Vermistelung, daR fie gegen Erlegung
einer anſehnlichen Geldftrafe, einige berichten, für
100,000 Gulden, zu Gnaden aufgenommen wurden,
nachdem ihre Abgeordneren, der Syndikus Pfeil, der
Rathsherr Niebuhr und der Serretar Gabel: auf. dem
Reichsſtage zu türnberg feyerfiche Abbitte und einen
Fußfall vor dem Kaifer hatten leiſten müffen, (d, 29, Juny
1547) |
Carl, der eg noch nicht aufgeben wollte, eine einſt⸗
mweilige Wiebervereinigung Der Religionsmeynungen in.
Deusfchland ind Wert zu fegen, bis durch Das Con:
cifium der ganze Streit gefeblichter werden fönnte, Tief
jest zu jenem Behuf durch einige Gottesgelehrte einen Entz
wurf AUTO wie es vorläufig (ad interim) mit
Das Interim. Widerlegt von Aepinus. 445
der Glaubensvorſchrift in Kircbenfachen gehalten mer
den folle. (1548.) An diefer Schrift wurden den Protes
ftanten die zween Puncte vom Abendmahle unter beys
derley Geftalt und von der Prieſterehe, big zur Endie
gung der tridentiniſchen Kirchenverfammlung geftattet ,
in allem übrigen mit VBerfchmabung der Augsburgifchen
Confeſſion das achte Papſtthum wieder zur Bedingung
gemacht, und in dem Meichsabfchiede ſtreng ge⸗
boten, feft darauf zu halten und nicht damwider zu leh—
ren, In mehreren Ländern der Proteſtanten ward diefes
Juterim, mie dieſem Nahmen bejeichnere man jene
Borfehrift, theils durch Gewalt eingeführt, theils durch
die Zaghaftigkeit und Nengttlichkeit der Landesherren
und Obrigkeiten. Nur in Niederfachfen fand. es ffand-
baften, faft einftimmigen Widerfpruch, In Hamburg
aͤußerte fich das Mißvergnügen der Bürgerfchaft über
ein folches Ende fo vieler Anftrengungen unverbolen:
ein Ausfchuß derfelben trat mit dem Rathe zufammen
und in einem befonberen Receß Cdem fünften)
murde die VBerwerfung des Interim zur erfien Ange:
legenheit gemacht. Nun vereinigten fich die Geifklichen
der drey Städte, Luͤbeck, Hamburg und Lüneburg, im
Auguſtmonat zu einer feſten Widerlegung und Erklaͤ—
rung, welche noch in demſelben Monat fertig wurde
und bey Joachim Louwens in Druck erſchien.
Verfaſſer dieſer Schrift war der hamburgiſche Super:
intendent Johannes Aepinus, einer der angeſe—
henſten Theologen feiner Zeit, deſſen Ruf auch dem Aus:
lande befannt geworden war, fo daß ihn König Heinrich
VII, im Jahre 1534, als er mir einer Kirchenvereinigung
446 Theologiſche Streitigkeiten, zum Theil. |
in feinem Lande umging, zu ſich nach England hatte
entbieren laſſen. Die Widerfegungsfchrift führe den
Titel: Bekenntniſſe und Vorclaringe up dat Interim,
dorch der dre Stede ꝛc. Cie fand fo vielen Beyfall,
daß ſchon im nachfien Jahre ein neuer Abdruck ders
felden beforge werden mußte, Das Beyſpiel ſelbſt, das
mie fo vielem Muthe von bier aus gegeben worden war,
blieb auch für das übrige Deutſchland nicht ohne wor
theilhafte Wirkung, zumal da der mächtige Kurfürft
Morig von Sachen ſich gleichfalls der Einführung
des Interim mie Frafrigem Nachdruck widerſetzte.
In demfelben Receß von 1548 war auch beſtimmt
worden, daß eine neue Kirchenorduung entworfen
werden möge. Das Beduͤrfniß derſelben hatte man
ſchon in den erſten Jahren nach Bugenhagens Verord⸗
nung empfunden, beſonders was die Beſetzung der
Predigerſtellen und deren Obliegenheiten anging ; daher
mar bereits im Jahre 15239 dem Aepin der Auftrag
geworden, die noͤthigen Verbeſſerungen zu bedenken und
vorzuſchlagen. Die Arbeit war vollendet im I. 1550;
die völlige Beſtimmung und Annahme derfeiben noch
vor deffen Tode (ſt. 13. May, 1553) wurde hoͤchſt wahr⸗
ſcheinlich durch die verworrenen Streitigkeiten hinge—
halten, welche uͤber unweſentliche Fragen zwiſchen der
Geiſtlichkeit Hamburgs ausgebrochen waren, zum groſſen
Aergerniß und ſelbſt zu erbitternder Entzweyung der
Gemuͤther in den Gemeinden, vor welche ſolche Streit⸗
fragen nicht gehörten, So hatte Aepin 1542 bey der
Erklärung des 16, Pfalmes im Lectorio im Dome von
der Hoͤllenfahrt Chriſti die Behauptung ausgeſprochen,
durch das Interim veranlaßt. 447.
daß dieſelbe zugleich mit zum Stande der Erniedrigung
Chriſti zu rechnen ſey und zu der Genugthuung fuͤr die
Sünden der Menſchen mitgeböre; Chriſtus babe auch
im der Hölle Gottes Urtheil vom Tode und der Hölle
für uns getragen und eben dadurch dei Tod und bie
Höfe überwunden, Das erſchien den Anderen als eine neue
irrige Lehre, da; nach ihnen, die Hölfenfahre zum Stande der
Erböbung Chriſti gehörte und mit derſelben der Sieges⸗
fuͤrſt zuerſt ſich gezeigt habe. Die Gegner. bewieſen
ihren Satz aus den Worten Jeſu am Kreus: Es iſt
vollbracht! (consummatum est) weshalb fie von der
Anhängern Aepins mit dem Ketzernahmen Eon ſum ma⸗
t i ſten bezeichnet wurden ba. dieſen binwie derum zut
Vergeltung der Nahme der Infernaliften zu Theil
ward. Der Streit verbreitete fich von Hambärg aus
uͤber das ganze proteſtantiſche Deutſchland: uur Lutber
und Melahthonz ſo oft zu Schtedsrichtern in diefer
Sache aufgerufen, verweigerten jedes entſcheidende Be⸗
denken und erklaͤrten den ganzen Streit für ann 51hig;
Der Rath handelte demnach wahrhaft weile; als er,
nach vielen vergeblichen Verſuchen gutlichen Beſchwich⸗
tigens, endlich (1550) durch einen Machtſpruch allen
Predigern bey Verluſt ihres Amtes und ber Stadt
Wohnung unzerfagee, je diefen Artikel von dei Holen:
fabre diſputirlieh auf dem Predigerſtuhle it bebandeln,
und als dennoch einige den ſonſt ehrenwerthen Befehls
Gott mehr, ald den Menſchen gehorchen zu muffen; zum
Heuchelſchild ihres unrubigen Sinnes aushängen inollten,
diefelden nach dem Gebote des Rechten ang der Stadt
wieß. Zu anderern Irrungen üͤber gleich unwichtige Dinge |
29
443 Theologiſche Kaͤmpfe, 1550, ff.
gab befonders das berichtigte Interim fruchtreichen
Anlaß. So wurde mir Hiße geflritten über bie foge-
nannten Mitteldinge Cadiaphora), folche Tirurgifche
Anſtalten und Aufferliche Dinge, welche, der Lehre une
beſchadet, als gleichgültig nach den Vorfchriften des
Interims wieder eingeführte werden Fönnten, Diele
Tenften aus Nachgiebigkeit gegen den Kaiſer dahin ein,
daß man ſich in ſolchen Kleinigkeiten wohl den Katho⸗
liſchen bequemen koͤnne: andere fanden darin Zurückfuͤh—
rung zudem alten Aberglauben, und eiferten um fo nach⸗
drüsflicher dagegen, als fie die erneuerte Macht des
Papſtthums in deffen Gefolge faben. Aepin befonders
ſchrieb im Nahmen der hamburgifchen Geiſtlichkeit an
die Theologen zu Wittenberg einen fehr nachdrück
lichen Brief (Epistola - de rebus adiaphoris 1549),
wie man in Diefer Angelegenheit der neuen Irrung
ffandhaft entgegen feyn müffe. In Königsberg hatte U n-
dreas Dfiander den Begriff von der Rechtferti—
gung noch feiner zur beffimmen gefucht, daß fie nicht
fey die Vergebung der Suͤnden um Chriſti willen,
fondern die wefentliche Gerechtigkeit Gotteg, die in
ung wohne und uns recht zu thun bewege; desgleichen
brachte Georg Mafor zu Wittenberg den Gag zur
Behauptung, daß gute Werke zur Seligkeit norhwen-
dig und ohne dieſelben felig zu werden nicht möglich
fey. Auch gegen diefe beyden „Irrlehrer“ erklärte füch,
gegen den erfteren im Nahmen der Geifklichkeit von
Hamburg und Lineburg, gegen den letzteren im Nab-
‚men der Kirchen zu Hamburg, Luͤbeck, Lüneburg und
Diagbeburg Johann Aepinus in den Jahren 1552
Bekenntnißſchriften der bamburgifiben Kirche, 449
und 1553; Diefe genannten Schriften, zu welchen im
Jahre 1557 auf Veranlaffung der heimlichen Cal⸗
viniften, deren Einfcbleichen auch bier gefuͤrchtet
wurde, von Seiten der biefigen Prediger noch eine
„Slichte und rechte Vekenntniſſe van dem bochiwerdi-
gen Sareramente des Lyves und Blodes Ehrifti,* nebſt
einer „‚trümen: Vormaninge unde Warninge au de
chriſtlike Gemene“ hinzu kam, legte der Rath im Jahre
1560 den 6, July; als von ihm genehmigte Bekennt⸗
niffe den fammelichen Predigern zur eigenhandigen Un:
terſchrift und Verbindlichkeit vor, damit ein: jeder fich
darnach halte und Friede und Berföhnung in den Ange:
fegenbeiten der Kirche. geftiftet und erhalten werde.
Diefelben Schriften blieben auch nachmahls, ald vom
Rath ımd der Bürgerfchaft beliebte Grundgefege, neben
den eigentlichen fpmbolifhben Bühern die Be
fenneniffe der hamburgiſchen Kirchen, zu deren
Beobachtung ein jeder Prediger bey dem Antritt feineg
Amtes ſich mit heiliger Berficherung verpflichten mußte;
Diefer Kampf der Meynungen fland im engen Zu:
fammenbange mit dem blutig verheerenden Religiong:
kriege, welcher mit den Testen glücklichen. Schlägen
Carls feine Endſchaft noch nicht erreicht hatte, viel
mehr in helleren Flammen wieder ausbrach. Moris;
der junge Rurfürft von Sachfen, entiagte, um der
Sache der Proteſtanten wieder aufzuhelfen, der Treue gegen
‚ben Kaifer, fanimelte unter allerley Vorwand ein Heer;
um mit einem fraftigen Streiche die Entfcheidung ber:
beyzuführen, zwang den Raifer zur Flucht und erzwang
1552 den Paffauer Vertrag, zur Vorbereitung eines
29*
8 Foredauer der Religionsfehden
vollſtaͤndigen Religionsfriedens. Unter denen, welche
ſich zu dieſem Kampfe mit Moritz vereiniget und Huͤlfs⸗
völfer geſammelt hatten, waren beſonders der Mark
graf Albreche von Brandenburg und der Graf Wolrath
von Mannsfeld. Der Tegtere fammelte niche nur
viele Völker in den Gegenden von Hamburg, Bremen
und Ratzeburg, fondern bewog auch die Lübecker, Ham—
burger und Lüneburger zu anfehnfichen Geldbeyträgen,
wollten fie anders ihre Lande und Leute gefichert wiffen,
Nah Hamburg Fam er den 22. April 1552 in Perfon,
um feinen Antrag vor den Kath und die Bürgerfchaft
gelangen zu laſſen. Aus diefem Kriege entwickelte ſich
machher ein Raubzug Einzelner, die Verwirrung noch
‚allgemeiner zu machen. Morig ſah fich, nachdem er mit
‚dem Kaiſer Frieden gefchloffen ſelbſt genöthige, gegen
feinen eigenen Bundeögenoffen und Freund, den Mark
grafen Albrecht, der forsfuhr, dag Reich zu verheeren,
zu Felde zu ziehen und fand in der Schlacht bey Sievershau⸗
fen (1553) feinen Tod. Mit Morig harte fich damahls auch
der Herzog Heinrich’ von Braunſchweig verbunden ge:
habt, Uber eben Derfelbe, der ausgezogen war, einen
Kauber und Friedensſtoͤrer zu befriegen, trug Fein Be:
denken, Bergedorf und die Vierlande durch plögfichen
Veberfall wegzunehmen (1554), und von den Ham⸗
burgern eine Schagung von 12000- Thalern, von den
Luͤbeckern und Luͤneburgern 14000 Thaler zu erpreſſen.
Zum Vorwande diente, daß Die Städte zum ſchmalkaldi⸗
ſchen Bunderfich gehalten, Durch welchen er von Land
und Leuten verjagt "worden ware, auch daß fie den
Grafen Mannsfeld, als ihm diefer ins Land gefallen,
bis zum Frieden 1555. 456%
mit Beldbeyträgen unterfläse hatten,» Im näachften -
Jahre (1555, 26. September) wurde endlich zu Augs-
burg der fo genannte Religionsfriedern gefchloffen,
in weichem freye Religionsuͤbung zur. Hauptbedingung
gemacht und dadurch mwenigfiens der Vorwand benoms
men wurde, Gfaubendmeynungen mie dem Schwerte zu
verfolgen oder zu vertheidigen. Bryan .
E83 geht aus dem Erzählten von felbft hervor, wie
nachtheilig dieſe unruhevollen Zeiten dem ſtaͤdtiſchen
Mohlftande feyn und wie fehr die Koſten ſich vermehs
ven mußten, die bald für Strafgelder, für Schagungen,
bald für Beyſteuern, für die Befeftigung der Stadt, die
Befoldung der Krieger aufgetrieben werden : follten,
Außerordentliche Auflagen waren. fihon in "dem Receß
von 1548 auf die nachften vier Jahre bewilliget wor:
denz Schoß der zoofte Pfenning, Bier⸗Acciſe von jeder
Tonne 8 ßl. ſelbſt der Rath follte auf die naͤchſten
vier Jahre Schoß zahlen. Der Koftenaufwand war
feitdem vergröffere, der Ausgaben Kein Ende geworben,
In folchen Umſtaͤnden fihien das Begehren der Bürger
nicht unbillig, daß auch einmal der Rath Berechnung
der verwandten Gelder ablegen möge, ein Begehren,
deſſen Willfahren niche ohne Eigenmillen von einer Zeit
zur andern verfchoben wurde, Noch befremdender mar
8, ald im Nahre 1555, den 5. April vom Nathe ver
Bürgerfchaft ein vom 14. April 1554 ausgeftelltes kai⸗
ferliches Privilegium befannt gemacht wurde, des
Inhalts, daß binführo in Feiner Gtreitfache, welche
unter 600 Rhein. Gulden in ber Hauptflage betrüge,
von des Rathes Ausfprub je an Kaifer, Kammer:
452 Ergängender Receß von 1557
gericht oder ein andere Gericht ap p el lirt werden bürfe,
wonach fich zu richten bey des Kaifers ſchwerer Ungnade
und einer Strafe von 6o ME. loͤth. Goldes. Gegem dieſes,
dem Rathe nicht zuftehende Vorrecht äufferten die Bürger
den lauteſten Widerfpruchz in ben deshalb gepflogenen
Unterhandlungen wurde endlich im J. 1557 ein neuer
Receß aufgefegt, welcher zur Erganjung und Erör-
terung des Testen vom Jahre 1548 für nothwendig er-
achter wurde, und worinnen beffimmt ward: — ,, Das
Privilegium wegen der Appellation kaum nicht eher für
die Bürger geltend feyn, als bis Nach und Bürger
ſchaft ſich deshalb verffandiger haben, es bleibe alfo
fo lange verſchoben. Ferner; Da feit funfzehn Jabren
eilfnahl der hundertſte Pfenning, auch andere große
und ſchwere Beyffeuern gegeben und dennoch ein Ca-
pitaf won 400,000 Mark aufgenommen worden, fo er-
ſucht und begehrt die Buͤrgerſchaft, daß Nachweiß der
Ausgaben geſchehe, um die Verwendung kennen zu lernen.
Bevor der Rath Rechnung abgelegt hat, darf kein
neues Geld erhoben werden.“ —
In Folge des Paſſauer Vertrages, und noch mehr
des 1555 geſchloſſenen Religionsfriedens war auch der
langweilige Proceß des Dom⸗Capituls, in welchem
waͤhrend des ſchmalkaldiſchen Krieges nichts hatte ge⸗
than werden koͤnnen, einer beſonderen Commiſſion zur
Schlichtung übertragen worden, Noch immer beharre—
ten die Domherren hartnaͤckig bey ihrer Widerfeglich- |
keit gegen die Einführung der neuen Lehre und naͤhrten
die thörichte Hoffnung, den Papismus zurückfuͤhren zu
können, Als fie aber endlich faben, dag ihr Wider
Beendigung des Streised mit dem Capitul. 453 _
fireben fruchtlos ſey, als fie beſonders durch ein fehr
ernftliches Schreiben. des weile regierenden römijchen
Königs, nachmaligen Kaifers Ferdinand, 1557 er⸗
mahnt wurden, durch friedliche Mittel Vereinigung zu
ſuchen, legten ſie ſich zum Ziele. In dem zu Bremen
1561 den 2. May geſchloſſenen Vergleich verſprachen
fie, die. evangeliſch⸗lutheriſche Religion in ter. Stadt
nicht weiter. zu hindern, aller geiſtlichen Gerichtsbar⸗
Zeit fich zu begeben, die Wahl der beyden Lertoren mit
dem Rathe gemeinfihaftlich zu beforgen, „auch zu ger
ſtatten, dag von den Memoriengeldern in ‚den. vier
Pfarrkirchen zur Unterhaltung der Sch ulen und
Defoldung der Lehrer 600, Mark behandiger würden;
(St. Verris Schule 220 Mk. 12 $l., Gt. Nicolai
220 Mi. 12.$l., St. Satharinen 127 Mk. 10 El, St.
Jacobi 30 ME, 14 BL.) dagegen verfprach der Rath,
die Domberven in allem Guten zu ſchuͤtzen und zu ſchir⸗
men, in die Gerichtsbarkeit über die zum Capitul ger
börigen Feinen Eingriff zu thun und. daſſelbe fortwaͤh—
vend im ungeflörten Genuß feiner Einkünfte und Pfruͤn—
den verbleiben zu laſſen. Durch. diefen Vergleich war
die Macht des Capituls gelahmt und deffen unmittelbare
Einwirkung auf die innere, Berfaffung des Staates für
immer vernichtet,
Aber mit dem jetzt erfolgten Stefigiondfrieben trat
zugleich für Hamburg. auch der Stand der Reich
unmittelbarfeist wieder ein, der in der Erklärung
Maximilians vom Jahre 1510 ausgefprochen, und durch
die, ſeitdem erfolgten » Kriegsunruben und Hamburgs
Anſchließen an den ſchmalkaldiſchen Bund in der Ver⸗
454 Die Hamburger ſuchen ihr ius restringendi
pflichtung zwar Junterbrochen, ‚aber nicht aufgehoben
worden mat, Die Auffoderungen zur BVeſchickung der
Reichstage erfolgten aufs Neue, die Reichsſteuern wur⸗
den verlangt, wie von einer Stadt, die als Stand
unmittelbar mit dem ganzen Reiche in Verbindung ſtehe.
Die Konige Danemarks hatten ſchon früher gegen eine
forche Befugniß Einſpruͤche gethan, aber ohne Wir
fung: auch jeßt, im Sabre 1555, ben 5. November
ji erfthienen holfteiniftbe Gefandte in Hamburg und foder—
sen Erklärung, ob bie Stadt fich zum römifchen Reiche
oder zum Haufe Holftein halten wolle? Die Antwort
vermied indeflen geſchickt, daß eine Meynung daraus gefol⸗
gert werben Fonnte, 2 Doch bing dieſe Anfrage noch mit an—
Deren Irrungen zuſammen, in welche zu der Zeit Ham⸗
burg nicht bloß mit Daͤnemark, ſondern auch mit an—
deren Theilen verwickelt wurde. |
Sich auf ein altes Privifegium des Raifers Fried:
rich HI, von 1482) gründen, behanpteten die Ham—
burger das Stapelrecht auf dem Elbſtrom, und
verlangten , daß alle Staͤdte und Oerter, die vor dem
Ausfluß der Elbe liegen ihre Waaren, insbeſondere
das Getreide, nach hieſigem Markte bringen und daſelbſt
zu einem Preife, den die Bürgermeifter und drey zuge—
ordnete Bürger beffimmten, feil bieren follten. Sie
nannten diefe Befugniß dag ius vestringendi und fins
gen befonderg jetzt an, mit aller Strenge und Fefthals
sung dieſelbe in Ausübung au bringen, Ihr Durch das
Priviiegium nachgewie ſenes Recht unterſtuͤtzten fie durch
Gründe, welche aus ber Sache genommen waren und
Be verbienten, Auf ihre Gefahr, Unkoſten und mie
Estapelrecht) zu behaupten. 455
ihrer Muͤhe und Arbeit muͤßten ſie den Elbſtrom in die
18 Meilen Weges lang vor Seeraͤubern ſichern: durch
der Stade Fleiß und Unkoſten würde alle Jahre ein
tiefer Fahrſtrom gefucht und Tonnen mit Stammen und
Ketten befeſtigt, nach deren Weifung die Schiffer fich
richten koͤnnten: wer die Beſchwerung trage, dem dürfe
auch die Nusbarkeis nicht entzogen werden. Dem Rechte
Anſehen zu verfchaffen, legten fe einige Boyer und
Ever in die Elbe, melche die Schiffe, . die jenem Ber
gehren entgegen vorbey fegeln wollten, einholten und
in Beſchlag nahmen, So geſchah es 1555 Cim Febr.)
mit den Stadern und Buxtehudern; auch gegen die
Lüneburger führte man Klage, daß fie, ohne Abtrag
des gebührenden Zolles vorbey führen; andere Korn—
fchiffe, welche von Einwohnern der. Kremper⸗ und Wil:
fter-Marfch nach Holland gefande wurden, brachten fie
nach Hamburg auf und zogen die Ladung als verfallen
ein. Auf einer Zufammenkunft zu Eftebrüg mit den
Abgeordneten des Erzbiſchofs zu Bremen murde nichts
ausgemacht und die Klage an den Kaifer, dann an die
Landſtaͤnde Niederfachfend und endlich an das Kammer⸗
gericht verwieſen. Erſt im Jahre 1559 erneuerten die
Hamburger mit ben Bremern einen alten Vertrag, daß
fie jenen in der Abfuhr des Kornd, das unter. der
Stadt bis. an die Elbe gewachfen und gekauft worden,
nicht binderlich -feyn wollten, Der König von Däne:
mark aber foderte auf verfchiedenen Zufammenfünften durch
feine Gefandten Befreyung feiner Untertbanen von dies
fer Befchwerde, oder Beweiß der Rechtsanfprüche durch
Borzeigung der Freyheitsbriefe; er drohete zuletzt
456 Der Friede mie Briedrich IL erhaͤlt ſich.
(1556, den 4. Marz) in einem Schreiben aus Copen⸗
hagen mit firafender Vergeltung: doch ift niche befannt,
daß bey feinem Leben noch weiter etwas in diefer Sache
verfügt worden fey. Und als der Graf von Mannds
feld 1557 (4, May) für die Wegnahme zweyer Schiffe
Genugthuung verlangte, fandte man eine Anzahl Bes
maffneter nach dem Zoflenfpifer, um mögliche Angriffe
von diefer Seite ber abzumehren.
Kaifer Carl V. flarb 1558, ben 2. R
nachdem er vorher ſchon, den 24, Februar die Krone
feinem Bruder Ferdinand übergeben hatte. Schon
auf das nachfte Fahr wurde die Stade Hamburg auf
den Reichstag zu Augsburg entboten, allmo den Ab»
geordneten berfelden die Aufnahme in den Religionsfries
den nochmals feyerlich zugefichert wurde: auch erfolgte
unter dem 4. Marz die Beſtaͤtigung der früher verliches
sen Stapelgerechtigkeit. Auch Chrifiiam IL König
von Danemarf war am Schuß des vorigen: Jahres
geſtorben und deffen Fraftiger Sohn Friedrich U. in
der Regierung ihm gefolgt; die Herzogthuͤmer beherrſchte
er gemeinfchaftlich mit feinen Bertern Hand und Adolph,
Die danifchen Fürften eröffneten ihre Regierung mit eis
nem wohl gerüfteren Angriff’ auf die Dit hmar ſchen,
welche nicht nur in ihrem ſtolzen Srepheitsgefühl jede Uns
terwerfung noch) verweigerten, fondern auch den Herzog
Adolph perfönfich mie Schmach und Sport beleidigt
hatten, Der Kampf: war heftig. und blutig und endete
wie der Befiegung dieſes halsfkarrigen Volkes. Noch
vor dem Ausbruch der Feindfeligfeiten entließ Friedrich
aus feinem Feldlager (1559, den 19. May) ein Schreie
Unter Chriſtian III. enefichen neue Irrungen. 457
Ben an die Stade Hamburg, zu melden, daß zum
Behuf des Feldzuges, der einzig nur den Dithmarſchen
gelte, Schiffe die Elbe hinauf gefande werden mwirden,
mie dem Begehren, diefe Schiffe, die der Stadt und den
Kauffahrern Feine Kraͤnkung zuzufuͤgen Befehl hätten,
nicht anzubalten, auch daß die Stadt, „als ein Glied
des Herzogthums Holftein * ,. den Dithmarſchen weder
Lebensmittel noch Rriegöbenirfiniffe ‚oder andere Amer
ſtuͤtzung zukommen laffen möge, |
Aber nur zu bald entfpannen fich ————
zwiſchen Hamburg und dem Könige, der raſches, feuri—
ges Verfahren mehr liebte, «als fein friedlich gefinnter
Borganger, Der Hamburger Auslieger hatte, dag alte
Stapelrecht in Erinnerung zu bringen, ein frießifches
‚Schiff, das mit Korn beladen von Dithmarfehen die
Elbe hinab wollte, big in den Hafen von Brunsbürtel
verfolge und nach Hamburg aufgebracht, Der König
empfand dies fo ungnadig, daß er drohete, ein folcheg
Berfahren durch Anhalten bamburgifcher Schiffe in
feinen Hafen ahnden zu laſſen. Andere Befchwerden
fanden ſich dazu: die Hamburger hätten gegen des
Königs Berbor eine Menge Schwefel von Ißland aus:
geführt; ein auf Ißland gefundenes Einhorn, welches
der dafige Bifchof einem Hamburger geſchenkt, ſey in
Brüffel für 500 #® verkauft worden, ohne da man
ed dem Könige, in deffen Landen es gefinden, angetra:
gen habe, Die Beleidigungen fehienen wichtig genug,
daß die Hamburger Schiffe im Sunde angehalten und
die Stade mir einem Angriffe bedroht wurde, falls fie
nicht Die gebührende Genugthuung Darbrachte, Ahr
458 Argwohn der Buͤrgerſchaft durch einen
geordnete bes Raths begaben fich nach Segeberg, wo
eben der König fich aufbiele, kurz darauf nach Line
burg, wohin er fich zu einer Vermaͤhlungsfeyer begeben
hatte, beydes, ohne vorgefaffen zu werden. Es fcheint zus
gleich, als ob die Sache mit einer ängfilichen Heim lich—
keit betrieben worden fey. Denn als den 17, Der, der Kath
die Bürgerfchaft berief, bes Königs Ungnade ihr bekannt
zu machen, auch ein Grabengeld verlangte, damit Wall
und Mauern verbeffere werden fönnten: kam ihnen bie
Sache bedenklich vor und fie argmöhnten gar, ber
Rath und einige der Bürger möchten wohl heimlich mit
dem Könige in einem Verftandniß feyn. Bevor genaue
Rechenſchaft abgelegt fey, wollten fie fich zu nichts
verfiehen. Inzwiſchen Tieß der Rath die Stadtgräben
erweitern, fo wie dad Rundeel vor dem Gteinthor
befeftigen, was mit zahlreicher Mannſchaft fobald: beför-
dere wurde, Endlich gelang es im nachften Jahre 1562
den 9. Januar der Beredſamkeit des Bürgermeifters
Matthias Rheders, die Bürgerfihaft zur Bewil-
figung der vorgebrachten Anforderungen zu bewegen,
wogegen die Zufage der von den Bürgern vor⸗
gelegten Puncte den 3, Sehr. in einem abermaligen
Receß verfichere wurde, Es gingen aber diefe Arti—
fel dahin: |
„Der Rath folle auf Eyd und Gewiſſen ausfagen,
ob die Stadt gerechte Sache gegen den König
babe, wie die Bürger fich denn der Unſchuld bewußt
feyen. Demnach folle er unterfuchen, ob. einer unter
ihnen oder der Bürger einer Rathſchlaͤge an unfere
Widerwäartigen vermelder und der Stadt
neuen Receß beſchwichtigt, 1562, 459
Wohlfahrt werrachen babe? Auch den Predigern
folle dieſe Frage vorgelegt werden, Wer fohuldig ber
funden wuͤrde, folle, fang er im Rathe fige, aus
demſelben aeftofen, und fofern er weiter zu fimchten
ſey, gefanglich bewahrt, der Bürger aber mit der
Halfte feines Gutes beftraft werden, Welche
Rarbsperfon Beftechungen angenommen, ſolle nicht
bloß des Rathes entſetzt, ſondern auch: zu vier
fältiger Zur uͤckgabe fuͤr das gemeine Beſte ange⸗
halten werden, Keiner des Raths noch der Bürger
folle durch ungeitige Furcht oder durch Beſoldung
dem gemeinen Nuten ficb abwendig machen Taffen.
Keiner folle in fremden Eyd oder Pfliche geben. Wer
von ihnen vor fremden Gerichte fteben müffe, ſoll vom
Rathe getreulich vertreten werden. Der Kath möge
endlich alle dienlichen Mittel anwenden, die feftgebalter
nen Schiffe und Güter zw befreyen. Sollte aber ber
König auf gütfiche oder rechtliche Weife feinem Richter
fich unterwerfen wollen, fo würden die Bürger dem
Narbe in allem Beginnen benftehen und behuflich ſeyn.“
Man hatte inzwifchen um die Wermittelung ber
Kurfürften von Sachen‘ und von Brandenburg und
anderer Herren nachgefucht; die Stade felbft fihicfte
abermahls Abgeordnete an den König nach Eopenhagen,
two endlich den 4. May 1562 ein Vergleich zu Stande
kam, nach welchem vorläufig die hbamburgifchen Schiffe
nebſt Gütern und Leuten wieder frey ‚gegeben wurden,
die weitere Entfiheidung der Streitfrage aber einem
fchiedsrichterlichen Ausſpruch innerhalb zweyer Jahre
überfaffen breiten follte, Aufferdem mußten die
460 Der Karh giebt die Verwaltung der
Hamburger für die Ausſoͤhnung noch‘ 10,000 Rihlr.ere
legen. Daß die Unterhandlungen nicht weiter vor fich
gingen, verurfachten die Unruhen des im nächiten
Jahre ausbrechenden Krieges zwifchen Briedrich IL, und
dem König Erich XIV. von Schweden, im welchem
Hamburg zwar die Theilnahme verweigerte, wiewohl
Luͤbeck mit Daͤnemark gemeinfchaftliche Sache machte,
aber nichts deſto weniger ſelbſt in einem Zuſtande ver⸗
blieb, welcher dem des Krieges aͤhnlicher war, als des
zur Erholung und Beruhigung der — ſo a
wendigen Friedens.
Nicht nur am der Verſtaͤrkung der Feſt ——
der Stadt wurde ununterbrochen fortgearbeitet, auch
Kriegsſoͤldner mußten aufs Neue geworben werden, damit
man vor ploͤtzlichem Ueberfall geſichert ſey. Eine alte
Nachricht melder, die Stadt habe damahls drey Fahr
nen Söldner im Dienſt gehabt, welche mir den Bir
gern die Wache verſahen. Je mehr ſich dadurch Die
Geldauflagen haͤuften, um fo gröffer blieb das Mißver-
gnügen, daß der Rath trotz alles Foderns und Ber
gehrens zu Feiner Rechnungsablegung zu bringen war,
und erzeugte nichts als Neckereyen und Verdruß. Die
" Berarhungen begannen deshalb aufs Neue feit dem 5;
Aprit1563 und am roten geſchah es in einer langen, big
zum Abend dauernden Sisung, daß man fich endlich
überdie Verwaltung der Stadt: Ea fe dahin vereinigte,
daß der Rath ganzlich darauf Verzicht leiſtete und Dier
ſelbe der Buͤrgerſchaft übergab, Acht Männer wur
den erwahlt, zween aus jedem Kirchfpiel, welche ſechs
Jahre hindurch der Cämmerey unentgeldlich vorſtehen
Stadt⸗Caſſe ab. Cämmerepbürger, 1553: 461
follten, fo daß feiner derfelben in diefer Zeit zu Rathe
gewählt, keiner, bey Verluft der Stadt Wohnung und
gegen Erlegung des zehnten Pfennings beym Abzuge
fich dieſes Amtes enrfihlagen fonnte, weshalb auch
gleich bey der Wahl der erſten Achtmaͤnner einem ders
felden, der von diefer Verwaltung befreyt zu bleiben
wünfchte, folches Gefuch verweigerte wurde, Diefe acht
Maͤnner wurden am 27. April in den Rath gefodert,
und dafelbft, nachdem man ihnen die Schlüffel zu der
Caͤmmereyſtube nebft dem Beſtands-Verzeichniß der
Stadt: Einnahme und Ausgabe übergeben, in Eyd
und Pflicht genommen, Die Zahl diefer Caͤmmerey⸗
Bürger flieg auf geben, als 1685, den 11. Way,
St. Michaelis zum fünften Kirchfpiel der Stade erkläre
wurde, Zu gleicher Zeit wurden im jenen Berathungen
zwey Rarbsherren zu Bauherren und zwey Bürger
au Baubürgern ernannt, damit fie durch gemeine
fchaftliche Aufmerkfamkeie dafür forgteen, daß allent-
halben die Graben, Waͤlle, Schlagbaume in guten
Stand geſetzt und darin erhalten wirden. An die
Stelle diefer traten fpäterhin Die Fortificationg«
berren und Bürger, dader Bauhof fir fich befonderg
eine neue Einrichtung erhielt. Eine Kalkruͤſe GKalkbrenn⸗ |
ofen) war zwar ſchon 1527 vor dem damaligen Damm-
thore von der Petri⸗Kirche angelegt worden: jetzt ers
richtete man von Staatswegen einen befondern Kalk⸗
hof auf dem Plage, unten am Fleet der hollaͤndiſchen
Reihe, der nun mie Haufern beſetzt noch jegt der alıe
Kalkhof genannt wird: Noch bewilligte die Dür-
geriihaft ein drepfaches Grabengeld, die Masten von
2
rom
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*
462 Neue Verſuche des Königs Chriſtian III.
jedem Biere 2 Mk. 8 61., von jedem Faß Roggen
Bf, von Einer Tonne Bier 8ßl. auf neue ſechs Jahre.
So führten auch hier Verwirrung und Unfriede zu
ordnendem Aufbau und zu froͤhlicherem Gedeihen des
Ganzen, wie immer geſchieht, wenn bie ſtreitenden
Theile ihren Eigenwillen dem Sinne, der auf das Ge—
meinwohl ſieht, unterordnen wollen;
Der Krieg des Königs Friedrich gegen Schweden
. mochte Geldnoth verurſachen; auch ſchien es rathſam,
die Streitſache mit Hamburg nicht ſchlafen zu laſſen:
denn beveicd im Jahre 1564 den 24. Dec, gelangte
das Fönigliche Begehren an die Stadt, auf dem nach
fen Kieler Umfchlag 30000 Thaler zu bezahlen, welche
er zur Ausſteuer feiner Schwefter dem Herzog von Lüneburg
verfprochen hatte ; im Weigerungsfalle werde er ihre Schif⸗
fahre und ihren Handel in feinem Sande verbieten, Das De
gehren wurde ſodann in eine Anleihe von 100000 Thaler
gegen Berzinfung verwandelt, wofür er 10 feiner Hafen
den hamburgiſchen Schiffen öffnen wolle. Dazwiſchen
kom die Aufforderung des Kaiſers zur Türke nhuͤlfe im
nächften Jahre 1566, die eben ſowohl an die Stadt
Hamburg, als an die Herzoge von Holfkein und
Schleswig entfaffen wurde. Der König und die Her
soge verlangten dagegen von Hamburg dieſe Steuer
als einen Theil des B eytrages, den fie im Nahen
des Herzogthums zu leiſten harten. Auch foderten fit,
um nichts halb zu ihun, unter ernſter Bedrohung bie
Stadt zur Erbhul digumg auf, und berahmten ben
8. Sept, zur endlichen Erklärung. Die Rechtsſtreitig⸗
keit war ſeit dem Religionsfrieden beym Kammergericht
*
gegen die Reichsſtandſchaft Hamburgs, 463-
anhaͤngig, jetzt griff Kaiſer Maximilian II, durch,
er ließ 1566 den 26. Auguſt ein Verbot vergeben, im
welchem dem holſteiniſchen Randesherren jedes weitere
Berfahren gegen Hamburg, während die Ereiittiong-
fache beym Kammergerichte anhangig ſey, bey Strafe
von 50 Mark Törhigen Goldes unterfage wurde. Ein
gleiches Gebot erging an die Stadt, daß fie’ ich ſol⸗
chen Anfodenungen gemaß bezeige und zur verlangten
Erbhuldigung auf Feine’ Werfe fich verftebe, Abermahls
alfo an die Entfcheidung des Rechts verwiefen, benutzte
Herzog WdoIph im Jahre 1570 feinen Aufenthalt in
Heidelberg, durch feinen Canzler Adam Thraciger und
den ihm beygegebenen Procurator D, Remminger in
Speyer ſelbſt, wo eben der Kaifer eine Reichsverſamm⸗—
fung hielt, die Sachen zu feinen Gunften zur Entſchei⸗
dung zu bringen. Die: Beweißführung des D, Net
minger, dag Hamburg auf holſteiniſchem Boden Tiege,
feie Jahrhunderten dem holſteiniſchen Haufe unterthaͤnig
ſey / demfelsen feine vornehinften Freyheiten zu danken
babe, das holſteiniſche Wappen, das Neſſelblatt, im
Stadtfiegel führe u. dgl. wurde, ſo geſchickt fie aufs
geftelle fehien, dennoch von den bamburgifchen Abgeord⸗
neten fo zuruͤckgewieſen, daß nochmahls die Entſchei⸗
dung der Sache verſchoben blieb, Ein paar Jahre
fpäter, 1573, verfuchten die dreifter gewordene Ham?
burger aufs Neue, ihr beftrierenes Recht, zur Einfchran?
fung der Rornausfuhr, gegen einige Schiffe aus der
Kremper Marſch im Ausübung zw bringen? aber der
Berfuch wurde mie ſtrenger Vergeltung beantwortet,
Der König Tief im Sunde, zu Bergen in Norwegen,
: 30
. *
464 Geld muß den König verföhnen..
in anderen Hafen,: an 30 Echiffe der Hamburger an-
halten - und verfchloß feine Lander der Handel der
Stade. Luͤbeck wurde 1575 von den Hamburgern ans
geiprochen, den König zur Nachgiebigkeit zu bewegen :
aber die Antwort lautete kalt und ablehnend. Erſt im
Jahre 1579 ward die Sereitfache durch Vermittelung
des Rurfürfien von Sachfen und des. Herzogs Ulrich von
Mecklenburg durch den Flensburger Vertrag. beygelegt,
fo daß der König die angehaltenen Schiffe „unentgeld⸗
lich“ freygab und die alten Privilegien beſtaͤtigte, die
Hamburger dagegen: ‚zum Beweiſe ihrer Dankbarkeit“
die Summe von 100,000. Joachimsthalern innerhalb
fünf Jahren zu zahlen ſich verſtehen und den Einwohs
nern der Kremper- und Bilftermarfch in Anfehung der
Kornaugfuhr gleiches; Recht mit ihnen verftatten muß-
ten, Die weitere Unterſuchung, in wie fern die Anz
ſpruͤche Hamburg's auf ihr angemaßtes Vorrecht
auf der Elbe gegruͤndet oder erweislich ſeyen, hatte
auf einer Verſammlung, welche im naͤchſten Jahre
1580 3 Kiel ſtatt fand, erörtert werden ſollen: aber
tagelanges Hinz und Herreden diente nur dazu, theils
die Sache noch mehr zu verwirren, theils friſchkeimen—
dem Unkraut durch die Umruͤttelung des leidigen Strei—⸗
tes Luft: zu uͤppigerem Aufſproſſen zu verſchaffen. Auch
die Erbhuldigung wurde bey dieſer Gelegenheit noch«
mals in Anregung gebracht, und man pflog noch daruͤber
Berbandlungen, als Friedrich Il.,..fie zu em⸗
pfangen, durch Abrufung des Todes behindert: wurde,
(1588.) Das waren. im’ dieſem Jahrhunderte die Vor⸗
ſpiele zu den gewaltſameren Angriffen, mie welchen in
%
Noch einige Jünger des Fauftreches gegen H. 463
in der Folge die Frevheit und Unabhaͤngigkeit der
Stade von der Krone Dänemarks bedrohet wurde.
Es war aber nicht bloß Dänemark, gegen wel⸗
ches Hamburg nach und nach in fo feindliche Stellung
gerierb; es ward auch von feinen näheren Nachbarn auf
verfcbiedene Weife in feinen Gerechtſamen gefrante und
bedrohet. Nahmentlich ließ der Fuͤrſt won Haarburg
ſchon 1558 (im Juny) einen Graben aufwerfen, wel⸗
cher der Motgburg ſo nahe war, daß er den Hamburgern
ſchaͤdlich ſchien. 400 Mann mit Waffen, Spaden und
Schaufeln verſehen, warfen den Graben wieder fur,
Einige Jahre ſpaͤter (1564, den 20. Oct.) wurde der
Verſuch erneuert, fo daß die Hamburger ſich genörhige
faben, einige mit Mannfchaft wohlverfehene Ever aus—
zulegen und die Leute des Fürften mie Gewalt zuriick zu
jagen, Ein Junfer Thomas Grete lief (1564) zu Still—⸗
born Pfale in die Elbe einrammen,; welche dem Strome
Nachtheil brachten: auch bier mußte mic bewaffneter
Hand Abwehr geſchehen. Sotcher Muchwille, der von
der Zeit des Fauftrechts fich noch vererbe hatte, be
wog ohne Zweifel die Hamburger, den Schutz des Rei:
ches aufzufodern, und fo ertbeilte Marimilian IR
im Jahre: 1569 (6. Auguft) der Stadt ein eigenes Pri⸗
vilegium, daß die Gemeinde und jeder Einwohner derfeiben
mit feinen Gütern oder feiner »Berfon „durch Arrefk,
Kummer , Repreffelien oder andere unordentliche Mittel
weder zu. Waller noch iu Lande, befonders auf dem
freven Elbſtrome angegriffen, aufgehalten oder befchwert
werden dürfe,‘ ſondern nur dei. Weg des Rechtes er—
laubt jey, bey Strafe don oo ME, Törhigen Goldes
iR
466; Verhaͤltniß der Stadt zur Hanſe,
wer dagegen handle. Eine andere Streitigkeit, in welche
ſich die beyden Städte Hamburg und Lüberf über den Be⸗
fig des Sachfenwalnes mit den Herzogen ' von
Lauenburg verwickelt jaben, ward als Proceßſache im
Sabre 1549 bey dem Kammergericht anhangig gemacht,
entiponn ſich aber in Weitlaufigkeiten, die wer Ent:
—— noch weit hinausſchoben.
Beſondere Aufmerkfamkeit verdient, wie in —
unruhevollen Jahrhunderte, in welchem go viele alte
Einrichtungen zertrummert, zu neuen der friſche Grund
gelege wurde, die Stade Hamburg fowohl in ihrem
Berbaltniffe zur Hanfe fich gehalten, als auch für ſich
ſelbſtaͤndig in ihrer Handlungsthätigkeir, der eigentlis
chen Seele ihres Lebens. und Wohlſeyns, zw größerer
Bedeutenbeit fich entwickelt babe. Wie der hanſeati⸗
ſche Bund ſchon in feinem Fraftigeren Aufleben eines fee
ſten und ficheren Vereinigungspunctes entbehrer babe,
iſt in der früheren Erzählung bemerfe worden. Die
Haupter deſſelben vermochten eine höhere Anficht nicht
zu faffen und verfaumten, was zur Zeit der allgemei-
nen Verwirrung und der eben erft auffeimenden Ord⸗
mung ber Dinge möglich geweſen ware, den Staͤdtebund
ju einem republifanifchen Gemeinwefen zu erheben, daß
er als eine geſchloſſene Wache in der Reihe der übrigen
fich hätte bleibend zeigen können, Wie loſe und locker
die Fugen des Vereins auch früher ſchon gemefen wa’
ren, fie loͤſeten ſich bey der jegigen Umgeſtaltung der
Dinge imnier weiter aus einander, Die wilde Rohheit
und Gewalt, die Unſicherheit zu Waffer und zu Lande
batte die Vereinigung zu gemeinfchaftlicher Vertheidi⸗
| * 2
die allmaͤhlig ihrer Auflsſung fich naher. 674
gung herbeygefuͤhrt: dieſe Uebel fingen allmablig am,
der fittlicheren Menfchtichkeit zu meichen und die we⸗
ſentlichſte Bedingung hoͤrte ſomit auf. Die Fuͤrſten und
Könige waren mächtiger geworden, eine neue Art des
Krieges wurde berrfchend, lebende Heere und Flotten
machten die, in deren Dieniten fie fanden, furchtbar:
ein Kampf gegen fie war ebem fo koſtſpielig als nach
theilig. Die Freybeiten und Begünftigungen, welche
früher die Jaͤrſten den Hanfen bewilligee hatten, da fie
ihren eigenen Vortheil dabey fanden, mandten fie
jest Billiger und fich zurraglicher ihren eigenen
Untertbanen zw; Rechte aber, fo man in der
Noth zugeftanden; hören auf, wo die Gewalt ber
Berpflichtung fich zu entäuffern im Stande ift. So fanf
der Einfluß der Hanfe zuerſt da am meiften, wo er
früberhin am mächtigiten gewefen war, in den nordi-
fchen Reichen, feitdem diefe durch weiſe Verwaltung
ihrer Beherrſcher an innerer Kraft gewonnen hatten
und auf das wahre Verhaͤltniß ihres eigenen Wohls
geführe worden: waren. Unter den Hanſeſtaͤdten
ſelbſt war, fo wie feine Einheit der Verfaſſung, ſo
feine Zufammenftimmung im dem, mag zu gemeinem
Nugen dienen Fonnte: jede Stade verfolgte ihren eine
nen Vortheil, um die anderen unbefümmert. Die fleir _
neren Städte befonders hatten von dem Bunde feinen
Nugen mehr, feitdem fie den Schutz, den fie früher
durch treues Zuhalten an die machtigeren Schweſtern
gefunden, unter der Obhut ihrer Fürften firchen fonn:
ten ; welche jediwede Gelegenheit benugten , Diefelken an
fich zu ziehen und unterwürfiger gu machen. So murde
*
468 Weiſes Benehmen ‘der Hamburger
Salzwedel (1554) aus dem Bunde entlaffen, weil es
als eine markifche Stadt: wegen des dem Markgrafen
ſchuldigen Gehorſams den banfifchen Beſchlüſſen und
Verordnungen nicht gemäß handeln koͤnne. Andere
folgten demſelben Beyſpiel. Im Jahre 1550 bereits
war die Zahl der hanſiſchen Staͤdte von 85 auf
66 herabgeſchmolzen, und drey Sabre ſpaͤter waren nur
noch 63 verbunden, Die Comtoiteim Auslande zerfielen zum
Theil, entweder durch fehlechte Verwaltung, oder: Durch
Bedruͤckung der Landesherren, oder durch Mangel an
gemeinfamer Theilnehme und Anterflügung; ſelbſt ei—
nige der angefebenften Bundesfkädte ungingen die han—
fifchen Zölle und Verpflichtungen und fuchten einzeln
das eigene Beſte zu befürdern, Der Handel der Aug:
ander, vornehmlich Der Niederlander und Englander,
wurde freyer und bluͤhender und verbreitete füch nach
einzelnen Laͤndern in folcher Starfe, daß die Hanfenten
ihn abzuwehren und zu — ur mebr im
Stande waren,
Die Hamburger basıen fruͤhzeitig, theils won der
Noth, theiid durch beſonnene Meberfegung auf den
rechten Weg gemiefen, die weiferen Maaßregeln erarif:
fen, weiche Zeit und Umſtaͤnde dem Haren Blicke vor:
geigten.. Sie hatten in ſchweren Zeiten allein fiehen
miüffen, in ihren Anfoderungen um Beyſtand nicht ges
höre; fe waren fie durch die Erfahrung ſelbſt dahin
gewiefen worden, was für fie am erſprießlichſten ſey.
Bey dem ungluͤcklichen Ausgange, welchen der ſchmal⸗
kaldiſche Krieg nahm, wandten fie ſich im ihrer Ber
brangniß (13547) auch an ihre verwandten Freunde der
in hanſeatiſchen Angelegenheiten. 469
wendiſchen Staͤdte, aber ohne einige Huͤlfe zu finden,
weshalb fie ſchon damahls erklaͤrten, „daß die hanſiſche
Verbindung keinen Deut werrh ſey.“ Als daher
mehrere am ber Elbe belegenen Städte ſich über die
Beſchraͤnkung ihrer Schifffahrt auf diefem Strome be:
Elagten, welche fie von den Hamburgern erfahren müß-
ten, erklärten dieſe, etwas empfindlich: jene Staͤdte
bästen ibrer Stadt mehrere Fürften auf den Hals ge
ſchickt, vor welchen die Sache nun anhangig ſey; nicht
die Hanfe, fondern das Reichs + Rammergericht möge
fie num enticheiden. Lübeck bor feine legten Krafte auf,
um die nordifchen Reiche, wenn irgend möglich, nieder
zu halten, oder doch die alten Begünftigungen des
Handels daſelbſt zu retten: aber es war eim vereinzel-
ter Kampf, an dem die Geſamtmacht des Bundes Fei-
nen Theil mehr nahm, fo wie die übrigen Stadte auch zu
den Vortheilen nicht zugelaflen wurden, die Lübesf
etwa für fich noch auf einzelne Zeiten erfampfen Fonnte,
Gegem Erich XI V., welchen die hanfifchen Privilegien
aufhoß, : verband ſich Luͤbeck «mit Friedrich Il.
von Dänemark. Jedoch die geringen Vortheile, die fie
fich durch blutige Treffen: erfämpften, maren der Au:
firengung nicht werth, und wogen die Zerrüttung der
Finanzen nicht auf,’ in welche die Stadt dadurch ge:
rieth. Des Erichs Nachfolger,» Johann TIL be
willigte den Luͤbeckern die: freye Schifffahre nach Narva,
aber zwey Jahre nachher ward auch Diefe, wieder ver:
boten, und wahrend die übrigen Hanfeftadte den Han:
del dabim fortfeßten, wurden. den Luͤbeckern ihre Schiffe
angehalten und weggenommen. Die ſtolze Hauptſtadt
%
K
470 Sinfen des banfifchen Handeld in den
des einſt fo mächtigen Bundes mußte fich herablaſſen,
die gnaͤdigſte Unterflügung bes daͤniſchen Königs am
zufleben, und um. die Bermittelung bes Reichs zu berteln:
es war ein anderes Leben in den Verfaffungen der
Staaten, die Zeit war umgemälze, vergeblich firaubren
fie: ſich gegen die Ueberzeugung, daß bie vorige Drd-
ung, die nur in der Unordnung den Grund ihres
Daſeyns gefunden, noch jet fich Ianger erhalten könne.
In den Niederlanden war nach langen Berhand-
lungen und Zwifkigfeiten das hanſeatiſche Comtoir end-
lich von Brügge weg nach Antwerpen verlegt und da-
ſelbſt mit einem groffen KRoftenaufwand ein neues Re-
ſidenzhaus erbauee worden, Aber theilg die Streitig-
keiten des Koͤnigs Philipp LI. gegen Elifaberh von Engs
land veranlaßten Verbote, welche einen nachtheifigen
Einfluß. auf die von dore aus nach jenen Lan:
dern verkehrenden Hanfen hatten, noch mehr aber ſcha—
‚beten die Religionsunruhen, welche in den Nieberlan-
den zu Philipp's IT, Zeit gerade da gefährlich ausbra—
then, ald men noch mit der Einrichtung der Reſidenz
zu Antwerpen beſchaͤftigt war. Beyde q | ‚Die
Aufruͤhrer und die fpanifche Regierung ſtoͤrten den Han⸗
del, da keine einen Verkehr derſelben mit den Gegnern
geſtatten wollte, Es wurde ſpaͤterhin aͤngſtlich ſogar um
Herbeyſchaffung von Mitteln unterhandelt, daß nur
das Beſtehen des Comtoirs gerettet werden koͤnnte.
Das Comtoir in London blühete, trotz vorüberge-
hender Störungen und Anordnungen, big auf Edun rd8
VE Zeiten. Die hanſtſchen Freyheiten, wenn auch zu⸗
weilen angesriffen , blieben beftatigt, befonders der alte
/
*
w
Niederlanden, deſſen Befchrankung in England. 471
geringe Zoll key der Ein? und Ausfuhr: wogegen den
englifchen Kaufleuten: noch keinesweges ein fo priviles
girter Verkehr in den Hanſeſtaͤdten bewilliget mar.
Aber ſchon Eduard VI, nahm ihnen feit 1552 alle Frey:
‚heiten zuruͤck, und fegte fie aufgleichen Fuß mit den übrigen
Fremden: und wenn ſchon unter deffen Nachfolgerin Maria,
die in allem die ihrem Vorgänger entgegengefesten Regie
rungsgrundiage befolgte, die alte Begünftigung: wieder
eintrat, fo war doch auch diefe nur voruͤbergehend. Die
Geſellſchaft der englifchen Kaufleute, die unter den
Nahmen der Adveneurier befanne iſt, ſah fich mic
Berdruß den Hanfem nachgeſetzt. Die Beſchwerden
wurden bey der Königin fo Tange erneuert, bis aber:
mahls eine Bejchranfung des hanfeatifchen Handels. er:
folgte, Es war am 23. Maͤrz 1555, »ald der Older⸗
mann und Kaufmannsrarh der Deutſchen zu London
vor dem geheimen Nach der Königin gefodert und mit .
‚den. Gründen befannt gemacht wurde, welche das Ber:
bor der Ausfuhr der engfifchen Tücher nach den: Nieder:
landen, nach anderen Orten aber eine wur bedingte Erlaub⸗
niß zur Folge hatten. Unter jenen Gründen war auch. die
Kiage der, Adventurier: „Daß die Deutſchen fich in
ben Belig des: Verkehrs zwiſchen England und: den
Niederfanden geſetzt, die Englander aber zum Behuf
ihres Verkehrs mit den. Hochdeuefchen auf eine einzige
Stade (Antwerpen) beſchraͤnkt harten; dazu Fame jetzt,
daß ſie, Die Deutſchen, ſelbſt eine Niederlageengli-
ſcher Güter zu Hamburg fuͤr die Hochdeutſchen
errichtet haͤtten, welche dieſen weit bequemer liege, als
Antwerpen, ſo daß die Oberdeutſchen nicht mehr. nach
472 Die Hamburger ziehen die englifchen Kaufleute
den Niederlanden kaͤmen, vielmehr die englifchen Tuͤ—
cher, welche weiß und unbereitee nach Hamburg ge
bracht umd Dafelbft gefarbe und weiter bereiter
würden, von da über Leipzig begögen.’ Als Eli:
faberh den Thron beftieg, (1558) machten die Han—
feffadte einen neuen Berfuch zur Wiedererlangung ihrer
alten Vorrechte, Aber die Königin hielt fie mir freund:
lichen Worten hin, bewilligte ihre Foderungen nicht,
nm die Hälfte der Zölle, welche die übrigen gaben,
entließ fie ihnen, befchranfte aber fogar die Ausfuhr
der weißen Tücher umter diefen erhoͤheten Zoͤllen auf
5000 Stück, und verlangte für ihre Unterthanen gleich
freyen Einkauf und Verkauf in den Hanfeftadten, dem
Utrechter Vertrage zufolge, mit der Drohung, daß fie im
entgegengefegten Fall in der Zollabgabe durchaus den übris
gen Fremden gleich gefest werden follten, Die Hanſeſtaͤdte
wandten ſich nun an den Kaifer, um die Erfahrung zu mas
chen, daß von dem Tangfamen Reichsgange für fie
ſchwerlich etwas zu hoffen fey, *
Seit dem Utrechter Vertrage war es den engliſchen
Kaufleuten trotz aller Hinderniſſe, welche ihnen von den
Hanſen in den Weg gelegt wurden, doch endlich ge—
lungen, in Antwerpen eine feſte Niederlage zu gewin—
nen, zu nicht geringer Befoͤrderung ihres Verkehrs
mit den Niederlanden ſelbſt und mit dem inneren Deutſch⸗
land. Aber die Streitigkeiten, in welche die Koͤnigin
Eliſabeth mit Spanien verwickelt ward, hatten zur
Folge, daß dieſe engliſchen Kaufleute, man nannte ſie
immer noch mit dem alten Nahmen Ädventuriers,
die Längff von Abenteuern zu geordnetem Verkehr fich
(Adventurier) in ihre Stadt, feit 1567. 473
gewandt hatten ; auf Befehl des Herzogs von Alba,
die Niederfande meiden mußten, und da ihnen von den
Hanfen eine freye, privilegirte Aufnahme verweigert
ward, mandten fie ſich nach Emden, welche Stadt
mwohlbelegen, mit einem guten: Hafen verfeben und ob⸗
ſchon früher Hanſeſtadt, doch jege ans dem Bunde ge:
‚treten und den Statuten deffelben nicht mehr unter:
worfen war, Dieß gefibah im Sabre 1563 oder 1564,
Bald zog ſich ein lebhafter Verkehr bieher, und die
Hamburger, die bereitd im Handel mie englifchen Tuͤ—
chern fehr bedentende Gefthäfte machten, müßten un:
gern wahrnehmen, daß diefer Erwerbszweig in andere
Hände übergeben ſollte. Deßhalb-zogen fie vor, jene
Kaufleute in ihren eigenen Ringmauern aufjunehmen,
während diefen ferbft der bamburgifche Marke zum
Umſatz ihrer Güter bequemer ſchien. Schon gegen das
Jahr 1566 begaben fich alfo dieſe Adventurier - nach
Hamburg; es wurde 1567 ein fürmlicher Vertrag ges
fchloffen auf zehn Jahre, im welchem den Engländern
die Aus⸗ und Einfuhr gegen einen geringen Zoll, mit
‚Ausnahme einiger Güter, frey geſtattet wurde; man
wieß ihnen eine privifegirte Reſidenz an, die engli—
ſche Court in der Gröningerftraße, geſtand ihnen
einen eigenen aus ihrer Mitte gemahlten Vorſteher zu,
einen Conrtmeifter, und that bereitwillig Alles, was
zu ihrer bequemeren Einrichtung irgend dienlich ſeyn
"konnte, Allerdings war dieß Verfahren eigenmachtig
und Verrath an der hanfifchen Majeftät : aber die Ham:
burger hatten fich feit Kahrzehenden bereits zu Tebendig
überzeugt von dem Berfall des Bundes, von deifen
474 Hamburg wird gegmungen, nach 10 Jahren
Ohnmacht, deffen fruchtlofem Streben, fich zur alten
DBedeutenheit wieder zu, erheben und handelten in diefer
Sache, wie e8 der Foderung der Zeit, dem Wohl deg
‚eigenen Staates, der Hoffnung für die Zukunft am anz
gemeſſenſten zu ſeyn ſchien.
‚Nicht fo billig und zeitgemaͤß beurtheilten die uͤbri⸗
‚gen Hanfen die Maßregeln der Hamburger; auf der
Tagfahre zu Luͤbeck 1572 führte man die bieterften
Klagen gegen fie, daß fie mit diefem Schritt die Ber
nichtung des ganzen englifiben Handels begonnen haͤt⸗
ten: und wie Far und bündig auch die Hamburger die
Sache auseinander feßten, obſchon fie auf die Bedingungen
des Utrechter Vertrages aufmerffam machten, obſchon
fie vor den nachtheiligen Folgen warnten, welche der
Ausſchluß der englifchen Raufleute für die Stadte her-
beyführen würde; Hamburg wurde aleichmohl gezwun—
gen, feibft durch Befehl des Kaifers gezwungen, nach
Ablauf der zehen Vertragsjahre die Engländer aus fei-
nen Ningmauern zu meifen. Man fuchte durch Bor:
ſtellungen die Ausführung diefes Beſchluͤſſes hinzuhal—
ten, um vielleicht zu WVermittelungen zu gelangen; ver:
gebens! die Königin von England bewieß im Anfange
eine bemundernsmwärdige Milde und Langmuth, ver
fuchte Ernft und Güte zugleich, die Hanfen auf beffere
Gefinnung zw bringen: vergebens Weitſchweifige
Schreiben und Gegenvorftellungen behelligten fie bis
zum Ueberdruß, daß fie endlich erffarte, dieſen Stein
des Siſyphus nicht fürder waͤlzen zu wollen und Ge:
genmasßregeln anmwandte, welche für die Hanfefladte
yon den empfindlichften Folgen waren, Zur Schlich—
d
a
die engliſchen Kaufleute wieder zu enefernen. 475°
gung der Angefegenbeit waren die drey Städte Bremen,
Hamburg und Luͤbeck beftellt worden: Bremen war lau
und laͤſſig in allem, was England betraf, Luͤbeck ver
folgte mie Strenge das Alte Gefeg, feſt auf den Ger
rechtſamen der früheren‘ Jahrhunderte zu beharren:
Hamburg allein fah rein und weltklug: „Zudeme fo hat
es jego mit den Kunigreichen Engellande, mie mit ans
dern Kunigreichen , mehr viel eine andere Geſtalt, alfo
eß vor zwey oder drey hundert Jaren gehabt hat.‘
Aber es konnte in diefem Streite mir der befferen Mey
nung nicht zum Siege gelangen. Die verwiefenen englifcben
Kauffeute harten ſich inzwifchen wieder nach Emden ger -
wandte und daſelbſt von dem regierenden Herzoge vou
Oſtfrießland, Edzard, gute Aufnahme gefunden, “Aber
auch dagegen beſchwerten fich die Städte bey dem deur-
ſchen Kaifer und 'wirkten von demfelben Befehle auf,
daß der Herzog von Oſtfrießland diefe Leite aus ſei⸗
nem Lande entfernen und den mit ihnen gefchloffenen
Bertrag vernichten ſollte. Jene hatten indeſſen noch
an anderen Orten ſich Anſiedelung zu verſchaffen ge
wußt, in Elbingen, an mehreren Orten in Livland, ſelbſt
in Nuͤrnberg harten fie um eine Reſidenz geworben,
Die Königin ergriff firenge, feharf wirkende Maafre
geln, die immer die rechte Zeit und die empfindlichſte
Seite trafen; bey den befchrankenden Verboten Fam das
banfifche Comtoir ſelbſt in’ London fo tief herunter,
daß es zum Verkauf feines Silbergeraͤthes ſchreiten
mußte: aber zu einer Ausgleichung gelangte man nicht,
da Wille und Anſichten ſich ſchnurſtraks entgegen waren.
Dan batte in Hamburg ſelbſt die Engländer zum Theil
406 Die Hauſen werden zut Vergeltung
wieber zugelaffen, daman den Ernft der Hanſe nicht fuͤrch⸗
ten zu muͤſſen glaubte, die Quelle der Nahrung aber nicht
anderen gerne zufließen laſſen wollte. Da indeſſen um
ber verwandten Städte willen Hamburg auf Wieder⸗
herfiellung der gefoderten alten Privilegien: mit dringen
mußte, verließen die Engländer abermahls die Stade,
(1587 im Auguſt) und begaben ſich nach Stade,
wo fie mit offenen Armen empfangen wurden, und fo
viele Beguͤnſtiguugen und Vortheile erhielten, als die
Hanſen je In anderen Ländern ſich zu verſchaffen gewußt
hatten, Das herabgekommene Staͤdtchen bluͤhte von neuem
Wohlſtande herrlich wieder auf, die Einwohner lebten
mit den Englaͤndern in ſchoͤnſter Eintracht und beantworte⸗
ten die Anfoderungen der Hanſe, die Fremdlinge nicht
zu dulden, damit, daß fie ſelbſt von dem Bunde wenig
mehr noch wuͤßten, denn. die Geldbeytraͤge, die fie
nutzlos an venjelben gegeben hatten, Die Städte rubes
gen. indeflen nicht eher, als bis eine Faiferliche Ver
fügung erſchien, (1597. den 2. Auguſt) nach welcher
alle unter dem Rahmen der engliſchen Adventurier in
Deutſchland anweſende Kaufleute aus dem Lande zu
weiſen geboten wurde. Das Gebot mußte vollzogen
werden; aber die gereizte Koͤnigin blieb nichts ſchuldig.
Unbilden wurden mit Unbilden ermiedert. Während des
‚Krieges mis Spanien ließ fie (1598) einige 60 mit
Korn und Kriegsvebürfniffen nach Liffaben und ‚Cadir
beladene Schiffe der Hanfeaten aufbiingen, In dem—
felben Jahre ward den Hanfeaten in London angezeigt,
daß fie aus England verwieſen werden follten, und
obfchon ſie aus dem Reiche nicht ganz zu weichen gegmungen
aus ihrem Comtoir (Gildhall) zu London gewieſen. 477
wurden , geſchah doch am 4. Auguft die Anzeige, daß
fie London räumen follten, und da fie ſich niche gut—
willig zufinden wollten, drohete ihnen der Mayor mit
den Conſtablen. „Hierauf — meldete das Comtoir von
Luͤbeck — feine wir enttlichen, weill es Immer ans
ders nicht fein muͤgen, mit betruͤbniß unſers gemuͤtts,
der Oldermann voran, und wir andern hernacher zur
Pforte hinauß gegaugen, vnd iſt die Pforte nach vns
zugeſchloſſen worden, baben auch die Nacht nicht das
rinn wohnen mögen. Gott erbarm es!“ — Solche
Strenge brachte endlich mildere Entſchluͤſſe zum Reifen
und man bequemte ſich in den folgenden Jahren, was
man zu hintertreiben ſich zu ohnmaͤchtig fuͤhlte, zu
möglicher Benutzung der etwa ſich noch ergebenden
Bortheile weiter zu geſtatten. Davon wird im Nachs
fien die Rede ſeyn. | |
So viel erbellee bis jeßt, daß die Weisheit der
bamburgifchen Kaufleute, indem fie die Verhaͤltniſſe
der Hanfe mit ruhigem Blicke überfchaueren und die
unvermeidlichen Folgen im gegenmwartigen Zufammen:
bange der Staaten mir Scharfblid berechneten, zur
vechten Zeit die Wege ſuchten, auf welchen bleibend
der Weltverkehr fir fie erhalten werden könne, Wenn
auf der einen Seite Stocfungen im Handel eintraten,
öffneten fie neue Hülfgquellen auf andere Weifes nur
der eine Grundſatz blieb geltend fir alle Beränderungen,
daß allein auf Nechrlichkeie und Ordnungsliebe dad Ge—
deihen jedweden Handelsverkehrs gegründer fey. Ein
Beyſpiel rückfichtsfofer ‚Strenge gab die Obrigkeit in
ihrer eigenen Mitte, als 1575, den 7. Januar, | Herr
*
478 Errichtung der Börfe, 1558, 1578.
Peter Rengel, Johannis Sohn, (feit 1567 Raths⸗
herr) Schulden halber, womit er dem abgegangenen
Bürgermeifter, Matthias Rheders, verpflichter war, des
Raths entſetzt und mehrere Wochen Tang auf dem rorhen
Zollen in gefanglicher Haft gehalten wurde, Was im
Yebrigen fin die Beförderung des Handels und Ge
werbumtriebes im der Stade feldft gerhan werden fonnte,
wurde mit Sorgfamkeit befördert. So wınde'i, J. 1558
der Kaufmannſchaft der Mag von der fogenannten
Troſtbruͤcke an 1200 Fuß in die Länge, 42 Fuß in die
Breite zum Verſammlungsplatze angewieſen, mit einem
fFeinernen Bollwerk und Geländer verfehen und daſelbſt
die Börfe gebauet, wie man dergleichen Verſamm—
Kingspläge nach dem Beyfpiel Antwerpens, mo der
Nahme von den Wappen, drey Beuteln (bourses), ent-
fanden war, zu nennen pflegte. Der Aufbau geſchah
unter der Auffiche der Aelterleute, nachmaligen
Börfenalten, aus den freyiwilligen Beytraͤgen der kauf
männifchen Geſellſchaften. Im Jahre 1578 führten
noch beſonders Die Gemandfchneider den mittleren Theil
des Gebäudes auf und festen den Boͤrſenſaal daruͤber,
welcher Bau bis 1583 vollender wurde, Wie das Pofk
und Botenwefen in feinem Urſprunge der Stadt
ſelbſt eigenthuͤmlich geweſen fey und unter der Beſor⸗
gung der Welterlente des gemeinen Kaufmanns geſtan⸗
den habe, iſt in fruͤherem erzaͤhlt worden. Dan nannte
die Beforger die Amfterdamer Boten, von ihrer
uralten Beſtimmung, und mir befigen noch eine Ur⸗
funde vom Jahre 1580, in welcher mie Bewilligung
des Rathes eine Ordnung feſtgeſetzt werden, wie es
R
Poſt / und Boten-DOrdnung, Muͤnze. 479
mit den geſchworenen Boten, die nach Weſten reiſen,
d, b. von und nah Amſterdam, Antwerpen und ande—
ren weftlich gelegenen Gegenden, gehalten werden folle,
zur Befeitigung und Verhütung aller. Mißbraͤuche. Auch
‚ Die befonderen Lübedifchen, Lüneburgifchen,
Pommerſchen und Emdener Boten waren diefem
Stadt⸗Poſtweſen untergeordner und blieben auch für die
Folge, ald däheben kaiſerliche und ſtaͤndiſche Poſt Com—
toive fich anfiedelten, demfelben zugeeignet. Das Muͤnz⸗
wefen zerfiel in Deuefchland dadurch in Ausartung und
grobe Zerrüttung, daß die Fürften aller Orten Münze
ſtaͤtten anlegten, und theils ſchlechtere, kleine Münzen
oder geringhaltigere Thaler in Umlauf brachten, theils
die guten ſtaͤdtiſchen Münzen an ſich zogen und ein
fhmolzen, Wie manche Stadte dadurch fich verleiten _
ließen, in der Münzverfchlechterung der Zeit nachzu-
geben, andere ihre Muͤnzſtaͤtten ſchloſſen: fo angelegents
ich waren Hamburg und Luͤbeck damit befihäftige, den
aͤchten, ſchweren Münzfuß zu erhalten und dadurch dem
Glauben und der Treue feſte Gemwährleiftung zu vers
fichern, |
- In dem Husfuhrbandel, den Hamburg thatig ber
trieb gegen Umfas fremder Erzeugniffe, verſchaffte naͤchſt
dem Getreide das Bier noch immer gangbaren Umfang:
bis in die legte Hälfte diefes Jahrhunderts hin vers
forgte Hamburg faſt ausſchließlich mie feinem in der
Stadt gebraueten Biere Frankreich, England, Spanien
und die Niederlande, und erfi, als um dag Ende des
Sahrbunderss hin die Lübesfer ihr Braumefen fo verbef
ſert basten, daß fie das von ihren verfchiffte Bier felbft
u
430° Gemwerb-Menter, Anlagen
brauen Fonnten, wurde der Vortheil diefed Handel
zweigs geringer. Bon der Gewerbehätigfeit in der Stadt
ſelbſt giebt das Verzeichniß der Aemter eine Andeutung,
welche im Jahre 1530 ſich vereinigten, um dem Rathe
wegen der Theuerung Vorſtellungen zu machen. Da
werden genannt: Eoldſchmiedte, Kramer, Schuſter,
Schneider, Barbierer, Schmiedte, Schiffszimmerleute,
Boͤttcher, Hauszimmerleute, Mahler, Glaſer, Wand⸗
ſcherer, (Tuchbereiter), Dreher (Drechsler), Kerzen⸗
gießer, Fiſcher, Knochenhauer, Kannegießer, Mauer⸗
leute, Piltzer, Kuͤrſchner, Beckmacher, Guͤrtler,
Leinweber, Bildhauer, Fiſchweicher, Garbrader, Rep⸗
ſchlaͤger, (Seiler), Badſtoͤver, (Bader, in den Bade-
ffaven) und Snittger, (Tiſchler.) Die Bereisung
der feineren englischen Tücher wurde feit 1551 mit Er-
folg gefördert; auf dem Wandrabm und dem Wandbe—⸗
reiter⸗Brook hatten die Tuchbereiter ihre Rahmen. "Ein:
Büchfen und Glorengiefferey befand fich in
der Steinftraße, der Meifter bieß Hans Aldagen (nach
anderen Altona): 1555 wurde die groſſe Glocke fin
St. Catharinen dafelbft gegoffen, (wiegend 16752 Pf)
und im naͤchſten Jahre eine für Gr. Nicolai, die vor-
her zerfprungen war. Vor dem Dammthore wurde
im Sabre 1556 eine Silber: Schmelzmühle ange
legt, und 1551 und 1555 zwey Walkmühlen in der
Nahe des Winferbaumes, hinter dem Schiffbauerbrook.
Einer Windmühle mird bereits vom Sabre 1570
gedacht: denn ein Menſch, „Hans Ehlers, wurde an
den höchiten Galgen gehängt, weil er das Segel von
der Windmühle vor dem Millerntbore weggeſtohlen.“
*
zur Beförderung des Gewerbfleißes. 481
Nach anderen fol. die erſte Windmühle erſt 1625 an
derfeiben Stelle erbauet worden feyn durch einen hol
laͤndiſchen Zimmermeifter,. Eine Buchdruckerey bes
faß die Stadt fibon fruͤhzeitig: aber fie wurde, hoͤchſt—
wahrſcheinlich auf Gebot der Geiftlichfeit, 1521 ge,
fchloffen: erſt 1549 wurde fie durch Joachim Lo-
wen neu wieder eingerichtet:
Gegen dieſes tharige, ſchaffende Leben mache die
Betrachtung der unfeligen Spaltung, welche immer
noch zwifchen dem Rath und der Bürgerſchaft fich er-
bielt und die Gemuͤther noch mehr von einander ent
fernte, einen ftörenden Eindruck. Aber die Gefchichte
entſchaͤdiget, mie überall, fo auch bier, indem fie den
Blick von trüben Anfichten weiter hinleitet auf die
freundlichere Ausſicht in die Zukunft, die ohne jene Ver:
gangenheit nicht hatte geboren werden koͤnnen. Wie
unrubevoll die Bewegungen waren, melche im Innern
des Staates fich zeigten, aus ihnen gerade entwickelte
fich jene gluͤckliche Verfaffung erſt zu vollerer Bluͤthe
und fefterer Dauer, Daß die Bürgerfchaft durch Be
ffätigung der Cammerepbürger einen rechtmäßigen Ans
theil an der Verwaltung ber öffentlieben Angelegenheis
ten erbielt, mar einer der wichtigſten Schritte, der
zur Begründung eines wohlthatigen Gleichgewichts ge⸗
fihehen war, Aber diefe Einrichtung ,- fo Tange
fie noch nicht in den ruhigen Gang der Ausübung ge⸗
bracht war, ſchien Anfangs nur noch mehr geeignet, Lei:
denſchaft gegen Leidenfihaft wider einander in die Wag-
ſchalle zu Tegen. Der Rath, im feiner Empfindlichkeic
gereizt, zeigte den Mißmuth in feinem DBetragen, im
31"
482 Receſſe zwifchen Rath und Bürgerſchaſt
Gericht und wo ſonſt Die Gelegenheit ſich darbot. Des⸗
halb verpflichteten fih auch bie Oberalten durch
einen eigenen Vertrag 1569, unter andern, Daß fie
ihren Mitbürgern die Hand bieten wollten, wenn ihnen
das Recht verweigert wuͤrde. Die Bürger aber über
ſchritten gleichfalls das Maaß und fahen nbermwiefenen
Betrug und Unrecht alfenthalben, mo eben der Schein
zu finden war. Ein neuer Receß von 1570, den 5. May
foßte den Schaden heilen. Er enthaͤlt manche feharfe
Puncte:
„„Bey wichtigen Angelegenheiten ſolle der Rath
‚nicht mit einem beliebigen Ausfchuffe, ſondern mie der
ganzen Bürgerfchaft verhandeln, Die Rathsglieder
follen mit feinem Fuͤrſten in Briefwechſel ſtehen und
menn fie mit Vornehmen reden, in dem, was fie fagen,
‚behutfam feyn. Die Vorfahren hatten nur Einen Syn—
dicus gebraucht, jet habe der Rath deren drey in Beſol⸗
dung: dann wäre doch billig, daß fie ſtets zu der
Stadt Beften gebrauchte würden, und nicht in Anderer
Gefchäfte fich begäben. Sorge für die Düpe des Elb⸗
ſtroms wird empfohlen und Reinigung der Alfter mit
dem langen Zuggarn, damit fie nicht fehier zumachfe:
‚auch die Walle in gutem Stande zu erhalten. Weber
ein Jahrgehalt des Raths folle man fich vergleichen,
Simon von Utrechts an die Stadt vermachte Gelder
folfen der Kammer überliefert werden, Die Oberalten
foifen fleißig darauf denken, daß Stadtbuch-Recht und °
Burſprack erfülle werden, Der Rath. möge die Buͤr⸗
gerfihaft alljährlich auf Mitfaſten zu Rathhaus bes
fibeiden, damit von- allerhand Gebrechen aebandelt
von 1570, 1579. | 433
werben könne,’ In einem zweyten Theile des Neceffed
werden die Pflichten einzeln aufgeführte, fo Bürger:
meifter und Rathmaͤnner fich unter einander felbit ge
loben und deren Beobachtung fie den Bürgern zufagen.
Die nächften Jahre bringen den Rath zu der Noth—
mwendigkeit, erneuete Foderungen an die Bürger ergehen
zu laffen, Grabengeld, Acciſe m. dgl., die zum Theil
bewilfiger, aber auch zumeilen abgefchlagen wurden: und
{bon 1574 trugen die Bürger dem. Rache wieder. eine
Reihe von Befcbwerben vor, den letzteren an feine
Mfliche zu mahnen. Befonders wollten fie nicht dulden,
daß Fremde fich hier niederliefen und Handel und
Mandel trieben, die Enalander ausgenommen, doch
mochten fie, als der Rath beffimmte Anzeige foderte,
Niemanden nennen, Wiederum 1575 Flagten fid, daß bie
Domberren ihre Höfe mit etlichen von Adel aus Hol:
ſtein befesten, gegen Stadtbuch und alfe Billigkeit;
ferner, daß Veruntreuung bey den Wahlen gefchebe,
daß der Müngmeiiter Scherfe münze zum Nachtheil der
Stadt, daß Fremde das Korn ausfchifften, welches
felbft den Bürgern niche vergönnt ſey; die Vorhböfer
abzufcbaffen, wurde wiederholt gebeten. "Um diefe Zeit
hin wurde der Streit mit Daͤnemark gefihlichter, wor
für die Stadt abermahls eine Summe von 100,000 Thlr.
berbeyfchaffen follte, Zur Entrichsung und Aufbringung
biefer Gelder verftund fih der Nach mie den Bürgern
zu mehreren Artikeln, welche den befonderen Receß von
1579 ausmachten s aber es febeint uber deren Erfüllung
fo locker gehalten worden zu feyn, daß, als im
Jahre 1582 der letzte Termin jener Schuld abgerragen
434 Receſſe von 1582 und 1595.
werben follte, die Bürger die Bezahlung !verweigerten,
bis von Seiten des Raths der Inhalt der diey legten
Heceffe genau erfülle wäre, Ein Ausſchuß von 46 Bin
gern mußte mit dem Rathe die Erfüllung oder Nicht—
erfuͤllung naher beleuchten und unterfuchen, und brachte
endlich den Receß von diefem Jahre zu Stande,
welcher am 17. Detober von der Bürgerfchaft gench-
miget wurde, Die fehuldigen Kückftande der zum Ge
biete gehörigen Ortſchaften, der Gerichtsberren, muß
ten eingeirieben, die Miethen von den Wagen und
Pferden des Marftalld und der Mühlen an die Kammer
geliefert, Einſchraͤnkungen bemwilliger werden, um der
Stäatshaushaltung zu Hülfe zu Fommen, Wiederholt
wird beffimmt, daß zu den Perri-Mehlzeiten des Raths,
bey welchen e8 nicht allzufparfam zuging, nicht mehr,
denn 300 ME. zu jeder „Collation“ gegeben werden ſollen.
Der Rath folle aus der Kammer Feine Nebengefälle abr
fodern, Schoß aber und Zufag gleich den Bürgern
entrichten. So wurden dieſe Zwiftigfeiten beygelegt, Nur
Eine Befchwerde blieb noch, daß der Kath die Aemter
mehr nach Gunſt, als nad) Recht befege, und dem ehr⸗
lichen Rathmanne, der fein Bedenken und feine Mey:
nung freymuͤthig vorbringe, oft die unbedeutendften und
unbequemften Aemter zutheile; es kam daher ein Bürs
gerfchluß zu Stande, 1595, den 18. und ff, Marz,
nach welchem der Rath aufgefodert wurde, die Aemter
nach Alter und Wahl umsufegen, und damit fogleich
auf fommenden Petri⸗Tag den Anfang zu machen, Erſt
nachdem der Rath verfprochen hatte, jederzeit zwey
Rollen der Aemter berauszugeben, wurde ihnen
Gerichtsbarleit. Das Niedergericht. 485
la noch eine — bewilliget, und nur den Zus,
faß unterfihrieb ers; daß ein Rathmann, der fein
Amt niche, wie fich geböre, verwaltete, vor ber
Gemeinde deshalb angeklagt werden follte,
In der Gerichtöverwaltung wurde im. Wefentlichen
nichts verandert, obſchon das Mangelhafte des alten
Stadtbuchs in vielen Fällen einleuchtend und eine neue
Durchſicht deſſelben big dahin noch immer vergeblich
gebeifche worden war, Die Abanderung wurde gez
troffen, daß die Rechesbefcheide, da fie bisher im Nies
dergerichte nur mündlich mitgetbeift, oft zu Verdrehun—
gen gemißbraucht worden waren, niedergefchrieben und
den Parteyen -vorgelefen wurden, Das Gebäude des
Hiedergerichts wurde 1558 abgebrochen und dicht an
das Rathhaus und die fogenannte Troſtbruͤcke gefeht,
ba 08 ſeitdem verblieben ift, Die Einweihung" gefchab
im Jahre 1560. Auswendig ſtanden die Verſe mit
güldenen Buchffaben angefthrieben ;
Alle de da morden, brennen, roven und ſtehlen,
Tövern, verraden, horen und ſpehlen,
Vele borgen, dregen, und wenig gelden,
De beſtahn im Rechte gar felden,
Drum fürchte Gott und dat Recht,
De Tyde kummt, ibt reuet die nicht,
Die Ausübung des Rechts, befonders in peinlichen
Fällen, war reich, fibarf, ja furchtbar, Zwey Höfe
Buben, welche 2557 'mehrere Abende im November
und December hinter einander die Wohnungen und Luſt⸗
haͤuſer auf dem Damme vor dem Dammihore angezuͤn—
bet ‚hatten, wurden den 18. December ergriffen und
. *
486 Peinliche Juſtiz. Herenprogeffe.
bereits den 19. Januar des Neujahres auf dem Mehr
berge verbrannt, oder wie dann immer der Ausdruck
lautet, „zu Zode geſmoͤket.“ 1580, den 8. Auguft
wurde einem Jungen der Kopf abgefiblagen, weil er
einem Rathmanne — die Fenſter eingeworfen hatte,
Selbſt wenn Verbrecher vor Bollffrefung der Strafe
geftorben, wurde das Urtheil noch an den Leichnamen
vollzogen, mie 1581 an Daniel Holfte, einem Schrei⸗
ber, der befchuldige gewefen, Schmaͤhbriefe gegen den
Kath gefchrieben und auf allerhand Verrath gefonnen
zu baben: dem Leichnam wurde am Kaak die rechte
Hand, auf dem Rondeel der Kopf abgehauen und ander
rer Greuel damit verübt, Der Leichnam eines Falfıh-
muͤnzers, Jürgen Schulte, wurde 1585 noch verbrannt,
Noch hatte auf dieſe Are der Gerichtsbarfeie der fins
fterfte Aberglaube einen Schauder erregenden Einfluß.
Ein Doctor Vier war 1521 verbrannt worden, weil
er fihmangeren Fraueu bey der Entbindung Hülfe ger
feifter hatte, Doch das gefihah noch vor der Reformation,
Wie wenig aber die Grundſaͤtze fich feit derſelben darin ges
ändert, fieht man aus der Menge von Heren progeffen, _
welche von den alten .Erzahlern mie Sorgfalt anger
merkt worden find, Allein in der zweyten Hälfte dieſes
Jahrhunderts wurden, 1555 den 13. July vierzehn.
Hexen eingezogen, 4 davon lebendig verbrannt und zwey
zu Tode gepeinigt, 1556 wurde 1 Hexenmeiſter mit ſei⸗
nen Gefellen verbrannt, 1587, um einige Jahre zu
überfptingen, 6 Heren nebft Einem Cryſtallenkucker,
1583 fünf Zauberinnen, 1587 ein Kuhhirt und ein
Mann aus Mohrwaͤrder, der Hexerey beſchuldigt, 1594
Unduldſamkeit der Geiftlichen. 487
ein armes Weib um derfelben Urſache willen, Zu fols
chen Graufamfeiten verführte verbienderer Sinn ein ſonſt
fo menfibenfreundliches, helldenkendes und befonnenes
Bolf; aber ed war die Krankheit des Jahrhunderts
überbaupt,. die mit ihren bleyernen Fittigen noch auf
den Völkern laſtete, bis muthigere Vertheidiger des
gefunden Menfchenverftandes das Heilmeffer an diefen
Schaden zu legen wagten.
Die eigentlichen Volkslehrer harten in diefer Zeit
fo bier, wie anderer Orten, nur Sinn für ihre uns
fruchtbaren Streitfragen, mit welchen fie bald gegen
einander felbft zu Felde zogen, bald ihre Gemeinden,
fo wenig zur Erbauung, als zur Belehrung bebelligs
ten. Die befannte Concordienformel, in ſich
wohl geeignet, friedlich gefinnte Gemüther zu vereinis
gen, wurde auch bier im Jahre 1580 bekannt gemacht,
und den Predigern und Lehrern zur Unterzeichnung vorz
gelege: aber die Eintracht follte die Zwierracht ger
bahren, und befonders ein wuͤthender Haß gegen die
Reformirten wurde dadurch nur noch mehr entwickelt,
Ein: viel edlered Beyfpiel der Duldung und Verſtaͤn—
digkeit gab dagegen der Rath diefer Stadt, als er
im Jahre 1599 zwey verfforbenen Reformirten, Albers
Mutter, welche die Nachrede noch obenein zu einer Juͤdin
machte, und Anton Helfemont mit der Schule zum
Grabe geleitete, zum groffen Aergerniß der Prediger,
welche, beſonders die jüngeren, mir fanatifchem Eifer
von den Kanzeln herab den Frevel fEraften, ohne weiter
etwas damit zu bewirken. Daß indeffen- im diefer Zeit
auch reines, gediegenes Wiffen, welches noch der Nachwelt -
488 Kirchliche Einrichtungen. Kirchthuͤrme.
wuchernd nit, zu Gebeihen kam, bemeift vor andern
das Benfpiel des Canonicus Erpold Lindenbrog,
der Stifter eines im Gebiete der Gelehrſamkeit hochgeach—
teten Gefchlechts, ſelbſt aber gruͤndlicher Forſcher der
vaterlaͤndiſchen Geſchichte und Alterthuͤmer, und Ber:
faſſer mehrer ſchaͤtzbarer Schriften. (ſt. 1616)
Fuͤr die kirchlichen Einrichtungen geſchah manches,
das zum Theil geaͤndert worden, zum Theil ſich auch er⸗
balten bat. Im Jahre 1555 ward in der Burſpracke
abgelefen, die Kinder des Morgens um q, des Nachmittags
um 3 Uhr zur Taufe zu bringen, nicht mehr als ı Guk
den Gevatter-Pfenning einzubinden; Reichen aber des
Morgens um ro, des Nachmittags um 4 Uhr zu be
erdigen. 1556 wurde zu St. Berri abgeleſen, daß man
zu einer groffen Köfte (Hochzeit) niche mehr als 60
Paare, zu einer halben 30 Paare bitten folle, bey
Strafe von 4 DE 8 PL. für jede Perſon mehr; auch
daß Kein Ehepaar zufammen gegeben werden folle, das
nicht acht Tage zuvor vom Predigtſtuhl füch babe ab—
fündigen laſſen. In demfelben Sabre, den 12. Nov,
am Donnerſtag ward der erſte Wochen-B et tag gehalten,
1558 vereinigten fich die Leichnams: und Kirchen: Ge
fihworenen von ©t. Perri unter andern auch dahin,
daß in den drey groffen Feſttagen alle drey Tage mit
der Bede Chem Klingelbeutel) umgegangen werden
ſolle. — Das Aeuſſere der Kirchen gewann in dieſem
Sahrhunderte vorzüglich durch die Aufführung der ſchö⸗
nen Thürme, in welchen das Zeichen, das ung auf
das Höhere weiter, und die ſchmuͤckende Zierde zugleich
das Gemuͤth anſprechen. Die Pyramide des Doms
Glocken. — Bohlthätigkeitsanftalten, 489
war bereits im vorigen Jahrhunderte gebauer worden:
jege erbob fich Fühn und fehlanf der Petri-Thurm,
1516 vollender'; um diefelbe Zeit der zu St. Nicolai,
der 1589 vom Blisftrabl getroffen abbrannte, und
1591 wieder bergeftelle ward; 1580 beſcheidener, aber
wohlausfehbend St, Jacobi; St. Catharinen wurde
1603 in die Spitze gebracht, Seit 1552 wurden die
Sturmglocken auf den Thuͤrmen angeordnet, und
zugleich, daß mie ihnen die Betglocke angefchlagen
werden follte, Im Jahre 1544 auf St. Martindtag,
wurde zuerſt auf Perrichurm das Glocken ſpiel ein—
gerichtet, wozu die nöthigen Glocken noch aus Amffers
dam herbeygeſchafft worden waren: ſeit 1550 wurde
von einem befonderen Glockenſpieler in Feſttagen eine
Melodie gefpielt, (Nach anderen erff 1571.) |
Zu denen Einrichtungen, welche dem frommen
Sinne unter allen aufferen Formen am edelften anfte
ben , gehört die Errichtung des Schiffer - Armen;
Haufes vor dem damaligen Scharthor, 1556, von
ben Kaufleuten und Schiffergefellfchaften (u melchen 1529
noch die der Flandrer fahrer gefommen war,) geftif-
get, verarmte oder fonft huͤlfsloſe Seefahrer vor ganzlichem
Mangel zu erhalten und ihnen für ihr Alter Pfleger zu
verfchaffen. Die Anlage des Waiſenhauſes wurde
fibon im Jahre 1597 von Kath und Bürgerfchaft bes
febloffen, aber erſt in den nachiten Jahren des Folgenden
Jahrhunderts zur Ausführung gebracht. Die peffartigen
Krankheiten, die zu verfchiedenen Zeiten in Deutfchland
und auch in biefiger Stade und Umgegend verheerend
wütheten, waren Beranlaffung, dag im Jahre 1564 noch)
490 VBrerheerende Seuchen. (Peſt.)
ein beſonderer Kirchhof vor dem Millernthor, ba, mo
jegt die groffe Michaeliskirche ſteht, uud der Krayen⸗
kamp (das Kraͤhenfeld) im Nahmen noch an den
alten Anblick dieſes Platzes erinnert, angelegt werden
mußte, um die Peſtleichen daſelbſt zu verſcharren.
Solche vergiftende Seuchen gehörten unter die größs
ten Zandplagen der damaligen Zeit, und die alten
Nachrichten find Aufferft genau in der wiederholten
Aufzeichnung derfelben. Die Hrfachen, von welchen
man fie berleitete, wurden. von auffallenden Erfcher
nungen genommen, melche mit den Uebeln ſelbſt in
Einer zeit zufammentrafen, Bemerkenswerth bleibe in
diefer Hinficht der Comer ded Jahres 1556, bey beffen
Erfcheinung eine alte, faſt gleichzeitige Chronik bemerfe,
daß in demfelben Fahre ein aͤußerſt heißer Sommer gewe—
fen, alfo daB aus Waffermangel an vielen Gegenden dag
Vieh verſchmachtete, Moor: und Waldbrande entflanden,
und gleichwohl.ein geſegnetes Kornjahr gemefen. Zwey
Jahre fpater ift abermahls die Rede von einem folchen
Eometen, „worauf eine große Peſt erfolgte, daß man
die Todten wegen der Menge kaum begraben Fonnte,
Die Anzahl der im Jahre 1465 an ber Peſt Geſtor⸗
benen wird auf 15000 angegeben, darunter ein Raths⸗
betr und mehrere Prediger waren, fo daß ſelbſt der
Gottesdienſt in den Kirchen unterbrochen werben mußte,
Unftreitig wurde durch die Enge der Gaſſen und bie
Menge der Einwohner Die Verbreitung anſteckender
Beuchennoch befördert, und zur Abfonderung und Heilung
der mit der Peſt behafteten war zu. der Zeit nur ein
ſehr unzureichendes Haus vorhanden, im Eichholze bele⸗
Anfänge zur Ausbiidung der Bürgerwehr. 491
geu: die Errichtung des fogenannten Peſthofes fallt
erft in das mächfte Jahrhundert.
Zur Bewahrung der Sicherheit der Stade gegen
Anfälle von Auffen waren nicht nur ringsum die zweck—
mäfigften Beveftigungen angebracht, fondern es wurde
auch zur Erhaltung und Ausbefferung derſelben ans
gelegentlich Sorge getragen, Faſt alle Neceffe dieſer
Zeit enthalten die dahin gehörige Weifung. Am Sabre
1559, al8 eben der Unterwerfungskrieg gegen Die Dith—
marſchen ausbrach, wurde vor allen Thoren eine regels
mäßige Bürgermacht aufgeftellt, welche Einrichtung
feitdem in ihrer Dauer beftanden hat, Auch befpndere
Uebungen, um mit dem Schießgewehr vertiauter und
ficherer im Gebrauch zu werden, fanden feit 1560 ſtatt,
denn im diefem Jahre wurde der Anfang gemacht, Cro
Aug.) mie grobem Geſchuͤtz von dem Spitalerthore ges
gen die Alfter bin nach der Scheibe zu ſchießen. Ein
ſogenanntes Vogelſſchießen hatte laͤngſt fchon bier ſtatt
gefunden: der Platz dazu war in dem damals noch be—
wach ſenen Eichenholz; erſt als man ſpaͤter dieſe Gegend
anbauete, wurde die Vogelſtange vor dem Millern- dann
vor dem Steinthor aufgeſtellt. Nachdem die Gewohnheit
auf einige Zeit unterbrochen geweſen, wurde fie i. J. 1583
aufs neue wieder eingeführt; zwey Rathsmaͤnner war
rer Schüßenherren, ein von Spresfelfen trug die
Fahne, ein Pelzer wurde Vogel-König. Volksfeſte,
fo lange fie irgend erbalten werden können, ‚ohne daß
fie in Ausartung übergeben, dienen ſtets zu fröblicher
Entwicfelung des Volkslebens und öffnen der buͤrgerli⸗
chen Freundſchaft die Herzen mit gusmüthiger Zuvore
492 Thorſperre. Wallordnung. —
kommenheit. Die Erinnerung derfelben bleibe auch
noch der fpateren Zeit wohlthuend und behaglich. Der
Thorſperre finden wir zuerſt im Jahre 1564 ger
dacht; damahls wurde (d. 19. Nov.) öffentlich von den
Kanzeln der Kirchen befannt gemacht, daß alle Abende
um 5, des Morgens um 7 Uhr eine Glosfe zu St, Ni:
cofai, eine zu St. Perri angezogen und damit zum
Schließen und Deffnen der Thore und Bäume gelau⸗
tet werben folle, bey welcher Einrichtung es geraume
Zeit verblieben ift, Eine befondere Wahlordnung
ward ſchon 1565 errichtet, 1576 (7 Der.) aber befkätis
ges und erweitert, fo daß die Wälle und die Stadt in
drey Theile vertheilt, einer jeden ein befonderer Mu—
ferplag angemiefen und zur Sicherheit derfelben im
Innern ſowohl bey Feuersgefahren, Aufläufen und Un
ruhen, als wenn fie von Auffen gefährdet werden follte,
die zweckdienlichſten Maßregeln feſtgeſetzt und vorge:
fchrieben waren, ° Wie alles und jedes entfianden, dag
erweckt vor anderem unfere Aufmerkſamkeit, denn zum
Schaffen bedarf es des ordnenden Sinnes und der
Kraft; aber wie man ſchon damahls auch darauf ger
dacht, das Entſtandene zu erhalten und vor gefahrdro-
benden Angriffen zu bewahren, das verdiene nicht minder
unfere Beobachtung : dazu bedarf es des feſten Muthes
und oder seifernen Ausdauer und Bebarrlichkeit, ohne
welche: nichts. für ums bleibe, was je Groffes und
Nuͤtzliches von der Seit ind Leben gerufen worden if.
Eintritt ins fiebjehnte Jahrhundert, 493
I. b
Mit dem Eintritt des ſiebzehnten Jahrhunderts
war die Lage der Dinge keinesweges ſo geordnet und
zur Ruhe gebracht, als den verſchiedenen Laͤndern nach
uͤbertriebenen Anſtrengungen, nach blutigen Kaͤmpfen,
welche ſich in mannigfachen Richtungen durchkreuzten,
zu wuͤnſchen geweſen waͤre. In Deutſchland hatte der
Proteſtantismus eine Spaltung hervorgebracht, welche
den innern Staatskoͤrper in ſich ſelbſt aufzuloͤſen drohte.
Unter den Proteſtanten ſelbſt waren Parteyungen ent⸗
ſtanden, welche den unnatuͤrlichften Haß entwickelten,
der die gemeinſame Sache dem Verrathe nahe brachte.
Ahnen gegenüber hielten Die Katholiken mit jener Fe⸗
ſtigkeit zuſammen, welche in der Einheit der Ueberzeu⸗
gung da enthalten iff, wo .diefe auf. herkoͤmmlichen
Glauben gegründer durch fiffigen Rath und ſchlaue Leir
tung noch mehr zuſammen gehalten wird, Als Reichs
oberhaupt vermochte Rudolph IL, biödfinnig von Ras
tur und durch fpanifchsFlöflerliche Frömmeley in der Er⸗
ziehung für jeden freyeren Aufſchwung der ‚Seele ver-
dorben, ſo ſtreitende Stoffe unmoͤglich zur Verſoͤhnung
zu fuͤhren, und wie irgend ein heftiger Anſtoß die
Maſſe beruͤhrte, durfte man einer blinden Bewegung
entgegen ſehen. Go war der Anblick des deutſchen
Keiched. Hamburg, durch feine Lage und durch ges
fchicheliche Mahnung an daffelbe gewieſen, haste Urſache,
die Erhaleung feiner ſelbſt auf eigne Kraft mehr zu be⸗—
rechnen, als forglos und bfinden Vertrauens vol an den
unſtaͤt wanfenden Coloß fi anzulehnen, Aber in
494 Allgemeines Verhältnif der Stadt 9,
der Nahe war eine andere Kippe, deren fchroffe
Berührung nicht minder gefährlich ſchien, wenn fie nicht
mit kluger Vorfiche Leife umgangen würde: Dänemark, un—
ter des jungen Königs, Chriffian IV, Regierung, ſchien
nicht gefonnen, alle Anfprüche, die es an die reiche Wohl—
ſtandsquelle Hamburgs zu haben vermeynte, gutwillig und
ohne vollwichtige Entſchaͤdigung aufzugeben, Bon dem han⸗
featifchen Bündniffe hatte die Stadt feine durchareifende
Unterffügung zu erwarten, da ed feiner Auflöfung fich na⸗
bete: nur von der Weisheit, welche die Umſtaͤnde der
Zeit durchſchauet, fie für die Gegenwart in geſchickte
Theilnahme zu verweben und für die Folge umfichtig
zu berechnen: weiß, bing das Heil und die dauernde
Begründung des Staates ab. Aber im Innern ſelbſt
war noch Zwieſpalt der Gefinnungen zwiſchen den bey-
den Theifen, die über ihr gegenfeitiges Verhaͤltniß ſich
niche mit einander verftandigen konnten, da hier Vorzug
und Eigenwille der regierenden Glieder mie angeerbt
und von der Sache felbff unzertrennbar ſchien, dort
die uͤbertriebenen Begriffe von Freyheit und Unabhärr-
gigfeit nicht bloß der Anmaßung fich widerfegten, fon
dern auch in ibren Foderungen über die Grenzen der
Billigkeit fihritten und dem Mißtrauen und daraus ent
fiebendem Haße feine Grenzen zu fegen wußten. Nur Eins
hielt die getrennten Theile zum Wohl des Ganzen zur
fanımen , innige, warme Liebe für die Stadt, für Die
Erhaltung ihrer Freyheit, für die Ausbildung ihrer
innern Verfaffung : darin mar die Gefinnung Aller nie
mahls zweifelhaft, ja gerade fie felbft war der Urquell
ihrer Entzwepung in der Anſicht über die Mitsel, durch
Neue Durchſicht des Stadtbuches, 1603. 495
welche man am ſicherſten und leichteſten zu jenem Ziele
gelangen könnte, und dieſer Geſichtspunkt iſt es, wel—
cher auch dem, der. Mißbehagen empfinden koͤnnte
ob ſolchem Hader der Parteyen, Veruhigung und Er⸗
heiterung bietet.
Die beſſere Sorge beginnt von 1 fich PN Schon
feit fast einem ganzen Jahrhunderte war das Beduͤrfniß
fühlbar geworden, daß eine neue Durchlicht, „Webers
arbeitung und Vervollſtaͤndigung des alten Stadte
buch s (von 1497) vorgenommen, werden möchte, da
theils die Anfichten in vielen Dingen ſich geaͤndert hat⸗
‚ten, andere Formen laͤugſt an die Stelle veralteter. getre⸗
ten waren, für mehrere Faͤlle auch, bie zuvor noch. nicht
gewefen, gar feine Beſtimmung nachgewieſen werden
konnte. Denn der Strom der Zeit iſt unaufhaltſam
und die menſchlichen Geiſter ſelbſt werden durch ihn zu
fortſchreitender Entwickelung mit fortgeriſſen. Der Ein⸗
fluß der Verfaſſung des deutſchen Reichs, das als eine
Fortſetzung des roͤmiſchen galt, konnte, wie ungeordnet
auch noch das Innere war, nicht durchaus entfernt ge⸗
halten werden und das römische Recht, als Welſch ſo
lange gehaßt und verabſcheut, wo je der alte Sachſen⸗
kern in ſeiner Friſche noch da ſtand, ſchlich ſich gleich⸗
wohl in allerley Form und Geſtalt mit ein, dem Mans
gelbaften nachzuhelfen. Die Durchſicht des alten Stade
buchs und Die Berfertigung eines neuen, auf der Grund»
läge des vorigen, wurde alfobald mit dem - Anfange
dieſes Jahrhunderts vorgenommen, Die Niederfchrei-
bung deſſelben beforgee, nach. wahrfebeinticher Muth⸗
maßung, der Rathsherr, nachmahliger Bürgermeifter
32
496 Receß von 1603, (Gehalt der Sachshetren.)
von Bergen: hulfreiche Hand leiſtete ein
der Rechte, Nahmens Dietrich, wie eg ſcheint, befon-
ders darin, um das, was noch in acht inlaͤndiſchem Platt—
deutſch abgefaßt war, in die hoch deutſche Sprache,
welche ſich ſchon damahls zur Alleinherrſchaft in der
Buͤcherſprache aufdrang, zu uͤbertragen. Noch waͤhrend
dieſer Arbeit, fuͤr welche die bisherigen Receſſe oft be—
fragt werden mußten, wurde auch eine Durchſicht die—
fer von Rath und Bürgern vorgenommen, Verordnungen,
die für nicht mehr vorhandene Zeitumſtaͤnde berechnet ſchie⸗
nen, weggelaſſen, die, ſo weſentlich Verfaſſung und Geſetz⸗
gebung betrafen, zuſammen getragen und mit wenigen
neuen vermehrt, wodurch der neue Receß von dieſem
Jahre entſtand, (16063, den 6. October) in welchem der
Bergleich uͤber das Gehalt des Rathes das wichtigfte
iſt: „Dem ältefien Vuͤrgermeiſter werden jährlich
1200 Mark, dem anderen 1100, dem slteften Rathmann
600, den anderen jedem 500 Mark zugeftanden. Big
dahin bezog der Nach kein Gehalt und mar von kei⸗
ner Abgabe, als nur der Schoßjahlung, und felbſt
von diefer bey bedrangten Zeitumſtaͤnden nicht entledigt.
Auch bier bewieß ſich, daß die Ordnung der-Dinge
seine andere geworden ſey. Geitdem die Nathsherren
keine Flotten mehr befehligten, keine Kriege zu Lande
mehr fuͤhrten, war die Gelegenheit, Beute zu machen, ver⸗
ſchwunden; ſeitdem die Geſandtſchaften ſich verminderten,
die Beſchickungen der Tagfahrten, beſonders der Hanſe,
aufhoͤrten, auf welchen die Abgeordneten oft mit mehres
ven hundert Pferden erfihienen waren, mußten fo
manche Diellen Dex Mereicherung verſiegen. Selbſt daß.
*
Das Stadtbuch gedruckt im Jahre 1605. 497
*
von jetzt an zut genaueren wiſſenſchaftlichen Kenntniß
des romiſchen Rechts, deſſen man ſich nicht mehr durch⸗
aus entſchlagen Fonnte, noͤthig geworden, gelehrte Ju—
riſten in den Rath zu ziehen, die fein eintraͤgliches
bürgerliches Gewerbe trieben, mußte auch die unbillig-
fien unter der Buͤrgerſchaft von der Nothwendigkeit
überzeugen, die Dienffe, welche der Rath dem allge:
meinen Beſten widme, durch eine anſtaͤndige Verguͤtung
zu unterſtuͤtzen und zu befördern; Noch wird in diefem
Receß beſtimmt: „Die Geifklichfeit fol Schoß und
Zulage zahlen. Mehr als 20 reitende Diener ſollen
nicht gehalten werden. Der Rath darf keine Soldaten
annehmen, ohne Zuſtimmung der Buͤrgerſchaft. dr
Das neue Stadtbuch ward noch in dieſem Jahre
vollendet; Als es jedoch jum Druck befördert werden
follte, fand ſich, daß manches noch beſtimmter harte
Hefage werden koͤnnen, in anderem wuͤnſchte die Buͤr⸗
gerſchaft mehr Feſthalten an dem alten Gebräuche,
als Einmiſchung der roͤmiſchen Erkenntniſſe: es wur⸗
den daher mehrere Artikel einer nochmaligen Ueberar⸗
beitung unterworfen und der Druck des Stadtbuchs
geſchah endlich im Jahre 1605. Einzelne Verordnungen
und Befehle deſſelben wurden auch in der Folge noch,
wor ihre Unjulänglichkeir oder Unaͤnwendbarkeit ſich er⸗
gab, berichkiger,; oder veraͤndert, oder durch andere
verdraͤngt, wie das Merk einer Geſetzgebung, die auf
Erfahrung, der treueſten Lehrerin und Fuͤhrerin, ger |
grundet iſt, nie für ale Falle iind Zeiten abgeſchloſſen
feyn kann und feiner Vollendung nur mit der beſſeren
Entwickelung der Zeit ſelbſt entgegen reifet:
3 32*
a,
14 . . 1:
:
498 Hamburg But nach alter Weife, dem Haufe
Dieſer inneren — war die laͤſtige Hu l di⸗
gungs ſache vorausgegangen. Chriſt ian IV, hatte
mit dem Herzoge Johann Adolph gemeinſchaftlich
die Regierung der deutſchen Herzogthuͤmer uͤbernommen,
und verlangte nun, nach eingefuͤhrter Sitte, die Aner⸗
fennung der Hoheit als von seiner. ihm „unterthänigen
holſteiniſchen Landſtadt. Zwar Tieß auch dießmal Kai—
fer Rudolph IL von Prag aus (1601, d. J. Aug.)
zwey Schreiben ergehen, an die Herzoge, von ihrer
Foderung big zur Eneftheidung des Prozeffes abzuftehen,
und an die Stadt, derfelben zu unterfagen, fich mit dem
Könige einzulaſſen. Beyde Fürften aber verfolgten: ihre
YAnfoderungen mir ſolchem Nachdruck, daR die Stadt,
obfchon fie durch noch zwey folgende Schreiben des
Kaifers, von abnlichem Inhalt, (26. September, 1603)
fich gewappnet hatte, dem zubringlichen Verlangen
nicht Länger widerſtehen Eonnte. Doch ſtellten zuvor
die Fuͤrſten eine Verſicherungsurkunde aus, die Stadt
wegen dieſer Handlung des Ungehorſams, fo fie gegen
den Kaiſer begehe, zu vertreten, und jeden Bürger ind,
befondere dafür fehadlos zu halten, Den: 28, Detober
hielten der König und der Herzog, von ihren Gemabl:
innen und Schweſtern begleitet, mit einem pomphaften,
im Geſchmacke der Zeit ausſtaffirten Gepränge ihren
Einzug in die Stadt, beffstigten am nachften Tage. alle
Privilegien und Handfeften, Gebrauche, Zoͤlle und Z0f-
ſtaͤtten, welche die Hamburger zum Behuf ihrer Nah—
rung gehabt und noch im Gebrauch hatten; worauf
denn am 30, Det, auf dem. Rarhhaufe von Bürgermeiz
fiern und Rath, denen 100 Bürger beygefellt waren,
ea
4
4
Hoffen, 1603, zum letztenmale. 499
die Huldigung nach alter Weife ſtatt fand, ohne Eyd,
— Handſchlage. Darauf wurden vier
Tage lang Ringe und Speer⸗Rennen auf dem Hopfen:
markte und andere Luſtbarkeiten, wie der damahlige
Zeitton ſie liebte, angeſtellt, und beyde Herren ver⸗
Tiegen die Stadt am 6. November mit. der Zufrieden⸗
‚beit, welche die Willfährigkeie der Hamburger in ihnen
„erregt harte. Dieß war aber die letzt e Huldigung, «welche
die Stade dem Haufe Holſtein gefeifter bar: die folgen:
den Zeitumſtaͤnde begünftigten die Beſtrebungen der
"Hamburger f von dieſer Verbindlichkeit, die ihnen ſtets
unbequem .gewefen war, fich gänzlich zu trennen und
weiter ungekraͤnkte Reichsunmittelbarkeit ſich zu er
werben. | Ianol „M | *
Eine Zeitlang blieb das gute Vernehmen mit den
daͤniſchen Fuͤrſten auch von Störung befreyet; wiewohl
das kaiſerliche Kammergericht fortfuhr, Hamburg als
eine dem Reiche zugehoͤrige Stadt zu betrachten und die
ſchuldigen Reichspflichten zu verlangen. So ſtellte Kai—
fer Rudolph im Jahre 1605 Mine: Quittung aus für
35000 Mark von der Stade erlegter Tuͤrkenſteuer. Der
übrigen Anfoderungen, welche auf den Hammerbroof,
ven Billwarder, Mohr und Dchienwärder, anmaßlich
genug, gemacht wurden, und anderer Anfprüche begaben
fich der. König Chriſtian und Herzog Johann Adolph
im Jahre 1608, nur, die Eremriongfeche blieb,ınach wie
vor, bey dem Kammergericht anhangig. Endlich erfebien
im: Jahre [618 (den 16, July) ein rund abgefprochenes
: urtheil, welches mit einem Verweiſe an die ‚Stadt,
daß ſie ungebuͤhrlich der Reſchsobrigkeit ſich habe
Pi, j
3
3
soo Irrungen mit Danemark big zum Jahre 1621.
entziehen wollen, bie Erflarung enthielt, daß dieſelbe
hinführo dem Kaifer und dem Reiche unmittelbar zu⸗
ſtaͤndig, unterworfen und verwandt, von jedermann
dafiır zu erkennen fey und alle in diefer Hinſicht zukom—
wenden Steuern und Bürden zu tragen und zu leiſten
habe, Sofort wurde fie auch im nachſten Jahre ale
Reichsſtand zu dem Kreis tage nach Limeburg. be
rufen, wie ſehr auch die danifchen und herzoglichen
Gefandten dagegen fich festen, Wirklich war auf diefer
Seite die Erbitterung aufs Neue erregt worben: bie
Hamburger fanden im Verdacht, jenes Urtheil ſelbſt
durch Bewerbung befördert zu haben ; der König verlangte
niche nur eine neue Unterfuchung des Prozeffes, fondern
binderte auch den Handel der Hamburger nach dem
Norden, Tegte Schiffe auf. die Elbe, erregte Streitig-
Feiten wegen Legung der Tonnen auf diefem Strome,
und that, was font irgend der Stadt unangenehm _
ſeyn konnte, bis endlich in dem Steinburger Ber:
trage vom Jahre 1621 die Sache wieder in die vorige
Unentſchiedenheit zuruͤtkgewieſen wurde; die Stadt
mußte ſich aufs Neue verpflichten, waͤhrend der aberz
mahls vorzunehmenden Unterſuchung des Prozeſſes,
nichts zu thun, was dem fürſtlichen Hauſe zum Nach⸗
theil gereichen Fönnte,
Mit dieſen Angelegenheiten a um dieſelbe ei
eine andere Irrung zufammen, welche zwar: ſchon ſeit
mehr ald einem Jahrhunderte befanden, aber nie zur
Entſcheidung hatte gebracht werden fönnen und jeßt
durch kecke Maaßregeln ihre Beendigung. berbepführen
wolle, Nach dem Perleberger Vertrage (1420)
Streitigkeiten wegen des Gammer-Deiched. 501
waren nicht allein Bergedorf nebſt den Vierlanden, ſon—
dern auch der Eßlinger Zoll mie der Fähre am die
beyden Staͤdte Luͤbeck und Hamburg abgetreten worden.
Die Zollſtaͤtte war zu derfelden Zeit auf gleicher Stelle,
als fie noch jest angetroffen wird. Gleichwohl brachte
Herzog Heinrich der Jüngere (1488). die fonderbare,
Klage ein, die beyden Städte hätten durch den Ga ms
mer: Deich der Elbe ihren alten Lauf genommen, und
es erfolgte der Reichs⸗Befehl, daß die Städte den Deich wie:
der aßtragen follten, „wenn wirklich derfeibe von ihnen
aufgetragen waͤre.“ Der Kaiſer Friedrich IL, farb. dariiber
und die Sache blieb ruhen bis zu 1556, Im diefem
Sabre fuchte aber Herzog Franz Otto fie wieder hervor, und
fo, daß er die Klage gegen Hamburg allein richtete, und
durch Verſaͤumniß des Sachwalters der Stadt, welcher
nad) Speyer gegangen. war, falte dag Kammergericht
1619, den 19. April ein ungünftiges Urtheil gegen die
Stadt. Der Rath that Einfprucb, und wirklich er:
folgte ein neuer Befehl, mit Vollführung des Urtheils
„anne zu haften, Cd. 16. July 1619 und 10, Febr. 1620):
aber, der Herzog Chriſt ian griff zu gewaltfamen Mit
tin, feinen Zweck zu erreichen. Unter Anführung fei-
res Bruders Georg ließ er 1620, den 23. Februar
fruͤh Morgens um 4 Uhr bey Atlenburg und dem Zol—⸗—
Ienfpeicher eine zahlreiche Mannfchaft über die Elbe
bringen. Sie überfielen das: Zollhaus und plünderten
und zerfförten es; dann zogen fie durch die Vierfande
urd plünderten Haug für Haus, bemachtigten fich des Acker⸗
gerathes, trieben alles Vieh weg, brachen ſelbſt im die
Kirchen ein und raubten, was irgend fich ‚vorfand,
u
502. Beſchwichtigung dieſer Streitigkeiten, 1620.
Darauf durchfrachen fie den Gammer- Deich an vier
Stellen: da aber das Waffer niedrig, das Wetter ins
gewöhnlich trocten war, erreichten fie ihre Abſicht nicht,
die Landereyen zu ‚überfchwenmen. Die Hamburger
und Lübecker harten inzwifchen Mannſchaft geſammelt,
die Lüneburger zu vertreiben, Diefe aber erwarteten
ihre Ankunft nicht, den 24. März zogen fie mieber ab,
und’ es gelang den Arbeitern, welche die Städte abge:
fehieft, den Schaden des Deiched in fo weit wieder aus—
zubeſſern, Daß bey dem Anfehwellen des Stromes im
Fruͤhjahre feine Gefahr weiter zu befürchten blieb.
Die voll ſtaͤndige Wieder herſtellung erfolgte nach Ablauf
des Auguſtmonats in demſelben Jahre. Die Streitig⸗
keit wurde nun durch Vermittelung ber Stände des nie⸗
derſaͤchſiſchen Kreiſes zu Boitzenburg den ı Auguſt ur
Güte weiter ausgeglichen: der Prozeß ſelbſt, von feiner
Partey wieder anhaͤngig gemacht, iſt vergeſſen worden,
und die Städte find feitdem im ruhigen Beſitz des
Deichverbandes und Dammes, der noch jetzt der Strei⸗
de ich genannt wird, verblieben. Der Schade uͤbri—
gens, welchen dieſer Ueberfall angerichtet hatte, wurde.
auf 50,000 zhir, geſchaͤtzt. Zur Erfparung alfo, ‘mt
um von den Einfünften des Amtes Bergedorf vor
theilhafteren Nuben zu ziehen , vereinigten fich bie bey
den Städte, die bisherige Amtmannsſtelle aufzu
heben und ſtatt deffen von Michaelis dieſes Jahres an ci?
nen gemeinfthaftfichen Amt sveriwalter zu verofdnen,
deffen Wahl in der Folge wechſelsweiſe von Luͤbeck und
von Hamburg abhängen follte, Und bey —— sn
tung iſt es ſeit dem verblieben.
Ausbruch des’ zojährigen Krieges, 563
Inzwiſchen war in Deutſchland bereits die Fackel
des Krieges, welcher dreyßig Jahre hindurch im
Getuͤmmel wildtobender Leidenſchaften und. tinmenftb-
lichkeiten Die Gegenden verwuͤſten, Jammer, Elend und
Entartung unter den Bewohnern dieſes verhaͤngnißrei⸗
chen Landes verbreiten ſollte, in gluͤhrothem Scheine
aufgelodert. (1618.) Wer mag die Zeitgenoſſen tadeln,
wenn ſie die Erſcheinung eines groſſen Cometen, deſſen
Schweif von den damaligen Sternfundigen auf 300
deutſche Meilen berechnet worden, mit dieſer erſchuͤttern⸗
den Begebenheit in Verbindung brachten! Der Krieg
war unvermeidlich, da die Menſchen jener Tage die
höhere Weifung zu verftehen nicht fähig waren: die
Angelegenheiten, welche die Gemuͤther Aller zu Frieden
und Einheit führen follten, iaren der Saame der
Zwietracht, die Angelegenheiten der Religion: aber zu
ihnen gefellten fich, verberbficher, denn jede Anserting,
der niedrige Eigennuß, die feig lauſchende Eifer ſucht,
fürchtertich beyde, wenn fie fich unter den Deckmantel
des frommen Scheines zu retten Gelegenheit finden,
. Schon Matthias verfuhr hart und ungerecht gegen
feine poteſtantifchen unterthanen; ſchlimmeres ſtand
bevor, als Ferdinand II. in der Schule der Erb
feinte der Proteſtanten/ von den Jeſuiten, gebitdet,
ihm in der Regierung des Kalſerreiches nachfolgte und
mit dem Willen, zur Ehre Gottes und zur Berherilis
Hung feines Nahmens die Proteflanten zu intetditiefen,
zugleich in Folge deſſen damit umging, den Beſitz der
iſerkrone bey ſeinem Haufe erblich zu begruͤnden.
N. jeſuitiſche Herrfihafe Ferdinands fuͤrchtend brachen
504 Anftalten beym Anfange des Krieges
die Böhmen zuerft los und wählten den -Kurfürften
Sriedrich von der Pfalz zu ihrem König, einen Fürs
fien, der unfabig war, in folcher Zeit eine folche
Stelle einzunehmen; daher auch das Glück nur zu bald
fich von ihm wandte, und die Eröffnung des gewaltiz
gen Kampfes war geſchehen. Der erfle Schlag wurde
fo raſch und fo glücklich geführe, daB Böhmen zu dem
öfferreichifchen Haufe gleich Anfangs zurückgeführt wurde;
Friedrich begab fih auf die Flucht, und fuchte Hülfe,
die er im fich zuerft hatte finden follen, bey Verwand⸗
ten und Mitleidigen zu erbetteln. CL618—1622.) _
Hamburg und die übrigen nordiichen Handelsfkädte
lagen bis jetzt noch eben jo fern von diefem Kampfe,
als fie Urſache harten, ohne Noch fich in denfelßen
nicht zu mifchen. Nur wenn Veberseugung und die
gefammte Sache des Vaterlandes ung auffodern, ſteht
e3 auch der geringeren Macht wohl an, im die Ents
fcheidung groffer Dinge feinen Beyſtand zum Ausſchlag
zu Tegen: jeßt aber war es ſchwer zu beflimmen, wer
für Recht und Wahrheit ftehe, oder wie für die
Ehre des Rechten zu wirken fey. Die Städte bielten
fih, fo fange es vergönnt blieb, ruhig und frey von
verpflichtender Theilnahme. Der ungküsfliche, Frie d—
rich. V. von der Pfalz, vertricbener König von Boͤh—
men , kam auf feiner Flucht über Breslau und Berlin
nach Hamburg, Cı621, den 14. Februar) und
wurde bier im englifcben Haufe auf dag freund:
lichſte bewirthet. Für hieſige Stadt war ſelbſt dieſer Ber
ſuch von niche ganz gleichguͤltigen Folgen begleitet:
denn es gedenken derzeitige Nachrichten eines am
ey
® .
ur Befeftigung und Bewehrung der, Stadt» 505
19, Februar gefeyerten Gelages, „wobey ein fehr ſtarker
Trunk vorgefallen, welchen der Buͤrgermeiſter Vincent
Möller nicht vertragen können, bat fich deßhalb fol:
genden, Tages übel befunden, iſt bettlaͤgerig ‚geworden,
und darauf den 30. März verflorben, Der Kurs
fürfi- König Friedrich aber reiſte, nachdem er ver-
geblich-den König Ehriffien von Dänemark. für ſich
zu gewinnen. verſucht beste, weiter nach den Niederz
fanden, neue Gehuͤlfen aufzujuchen, feine Sache vom
Untergange zu retten,
Dagegen war es der ‚vorberathenden Klugheit fehr
angemeffen,,; daß. für Befeftigung und Vorwehr der
Stadt in diefer unſicheren Zeit alles aufgeboten wurde,
was nur die vorhandenen Kraͤfte und Mittel zu lei⸗
ſten vermochten. Vieles war ſchon im verwichenen
Jahrhunderte geſchehen, die Stadt vor feindlichen An—
faͤllen zu bewahren: aber. je ſinnreicher ſich die Kunſt
des Krieges entwickelte, um ſo nothwendiger wurden
neue Vorkehrungen, neuen Liſten mit entſprechender Ant⸗
wort zu begegnen. Schon ſeit dem Jahre 1616 war an
dem neuen Wall und an zwey Bollwerken vor dem Stein—
thore gebauet worden; jetzt wurden die Graben vor dem
Stein⸗ und Spitaler⸗Thore tiefer gemacht, und der
Wall vom Deichthor an bis an den Kehrwieder beenz
diget. Im Innern geſtaltete ſich auch die Buͤrgerwehr
zu einer feſten und geregelten Ordnung: ſie theilte ſich
in beſondere Hauptmannſchaften und bezog i. J. 1618
die Waͤlle, eine jede mit ihren eigenen Fahnen. Im
naͤchſten Jahre wurde ein beſonderes Kollegium der
Colonelſchaft exrichtet, in. welchem vier Colonel⸗
506 Chriſtian IV, von Daͤnemark nimmt als . k
herren bie aͤlteſten des Rathes waren, vier Oberſt Lieu⸗
tenante, so Compagnien aus der Buͤrgerſchaft do
von ber Altſtadt, 10 aus der Meuftade, jede von 200
Mann. Zu gleicher Zeit wurde eine neue Wal: und
Wacht⸗Ordnung feſtgeſetzt und die Befeffigung der
Stade im Sabre 1620 von.der Alſter an, wo nach—
mahls der Lombard geſtanden, bis an die Elbe hin
durch den Kriegsbaumeifter Johann von —
noch mehr erweitert.
Der zweyte Schlag, welcher gegen den mit
friſcher Hilfe nochmals in den Kampf tretenden Kurfuͤr⸗
ſten Friedrich ul deſſen Anhänger geführt wiırde, traf
noch entſcheidender, (1622 bis 1625) und hatte zur
Tolge, Daß das ganze füdliche Deutſchland und deffen
Stände, welche am ber proteffantifchen Union (ı6ro
errichter) Theil genommen, entwaffnet wurden. und
unter harter Rache büßen mußten, Schon während -
diefer Zeit war ein Heer von 10,000 Niederſachſen un
ter Ehriffian von Braunſchweig gegen die katholiſche
Lige im Felde geweſen: aber der bayerſche Tilly hatte
fie gefchlagen und ruͤckte jeßt heran, den sangen Kreis
jur Entwaffnung zu zwingen. Da war es ber König
von Daͤnemark, Chriffian IV,, ein acht nordiſcher
Held, ehatig und ruhmbegierig, aber gu Aroffen Dine,
gen nicht geeignet, da ihm Die Ruhe Der Veberfegung
4
mangelte, welcher die Gefahr feiner Nachbarn fühlend
ſich als Kriegsoberſter an die Spitze des niederſachni⸗
ſchen Heeres ſtellte und tem hereinſtuͤrmenden Zilly ent⸗
gegen ging. (1625.) Mißgeſchicke, dergleichen auch den
abrraſten Feldherrn haͤtten beugen koͤnnen, vereitelten
—
* |
ardebberſter von Niederſachſen Theil am Kriege. 507
die Anſtrengungen des Koͤnigs: nach der Schlacht bey
Lutter am Barenberge (den 43 Auguſt, 1626) mußte
er ſeinem Gegner weichen und der ganze niederſächſiſche
Kreis, nebſt Holſtein, Schleßwig und Juͤtland wurde
von Billy überwältigt und uͤberſchwemmt.
Der König mußte bey Eröffnung des naͤchſten Felde
zuges (1627) auf feine eigene Vertheidigung bedacht
feyn. Duͤrflige Hülfe war ihm von den Englandern
und Franzofen gefchisfe worden: im Niederfachen bielt
er noch mehrere Plage befegtz; die Weler und die Elbe
fperrte er mie Schiffen, um zu verhindern, daß. Tilly
feine Zufuhr befäme, welche die Hamburger und übris
gen Staͤdter wohl zumeilen zuführten, theils des Ge:
winnſtes wegen, theils um den Unwillen des Kaifers,
ihres Herrn, nicht ohne Noch zu reisen, Aber dem
feſten, zermalmenden Tritte Tilly’S mufre jeder Wi—
derffand weichen, um fo mehr, da auch der ſtuͤrmiſche
Herzog Wallenſtein mie feinem aus eigener Kraft
gefchaffenen Heerhaufen herangezogen Fam, bey Winfen
und beym Zollenfpeicher über die Elbe ging, und mit
dem bayerfchen General (ben ZZ September) die wei:
teren Unternehmungen verabredere, Wie ein verheerens
der Waldffrom walsten fich die vereinigten Heere weiter
gegen die geringere Macht des Königs; unmuthig
ſchnob Wallenflein vor den hohen Wällen Hamburgs
vorüber, die ihm zu einem vafchen Ueberfall zu bedeus
tend ſchienen, aber die Umgegend empfand in vollem
Maaße die Gräuel wilder Kriegsverheerung. Die Dis
ven vermochten nirgends : Stand zu halten: bie. Raifer:
‚lichen folgten ihnen auf dem Fuße. Nur Krempe und
508 Fortfegung des Krieges. Wallenfkeing
Gluͤckſtadt leiſteten tapfern Widerſtand, letzteres unbe⸗
ſiegt im ganzen Kriege, erſteres bloß in dieſem Jahre.
König Chriſtian ermahnte Hamburg angelegentlich,
nicht Partey für die Kaiſerlichen zu ergreifen: er werde
thbun, mas irgend mir billigen Vorſchlaͤgen vereinbar
fey: aber mit Grimd beantwortete Die Stadt die An—
foderung, daß nur die Noth der Zeit jeßt Gebieterin
ſey, wie und an wen man fich ju halten habe, Eifrig aber
wurden im Innern bie Befeftigungsarbeiten fortgefest,
uͤberraſchender Gefahr mit troßendem Bollwerk zu =
gegnen. *
Tilly fügte im naͤchſten Jahre dem Amte Rise
buͤttel groſſen Schaden zu, waͤhrend er Stade, das
von dem tapferen Morgan mit 2500 Englaͤndern und
einigen anderen Kriegern vertheidiget wurde, durch enge
Einfchliegung jur Uebergabe ju zwingen bemüht war.
Die Hamburger fanden fich dadurch bemögen, ihre
Kriegsleute mis goo Fußknechten und 1000 Reutern iu
vermehren; fo wie die Buͤrgerſchaft ſelbſt, der un—
gewiſſen Zukunft haͤlber, mit Lebensmitteln ſich zu vers
fehen, aufgefodert wurde, Wallenſtein barte feinen
Plan auf die Gewinnung der Oſtſee⸗Kuͤſten geſtellt, um
fich in Niederfachfen ein eigenes Reich zu dründen und
unter liſtiger Vorſpiegelung die bedeutendſten Hanfer
ftädte in feine Abfiche zu verſtricken geſucht. Sie for”
ten ihm eine Flotte baten, Dänemark anzugreifen, und
dem Kaifer, d. h. ihm ſelbſt, die Herrſchaft der beyr
den Meere zu unterwerfen, Er nannte fi ſchon des
oceanifchen und baltischen Meeres General. Handels⸗
vortheile hoͤchſt lockender Art, ausſchlichticher Handel
Pplane. Seine Beſtuͤrmung don Stralſund. 509
4: B. nach Spanien hin, wurden verfprochen : aber die
Hanfeaten durchſchaueten feine Abſicht, danften für die
gute Meynung und enefchuldigten fich mit der Unausfuͤhr⸗
barkeit der vorgefcbfagenen Maaßregeln. Roſtock indeſſen
und Wißmar hatten der Uebermacht fich fügen und wallen-
feinifche Beſatzung einnehmen muͤſſen: deſto muthiger
ſtemmte ſich dagegen Stralfund, und wurde von Das
nemark und Schweden zugleich, ſo wie von Hamburg
und Luͤbeck fo kraͤftig unterſtuͤtzt, daß es mit unbeſieg—
licher Ausdauer die Angriffe Arnims, den Wallen—
ſtein davor gelegt, und nachher die Beſtuͤrmungen des
Herzogs ſelbſt im Nichtigkeit vereitelt, Der Wallen-
flein war eben aus Böhmen‘ von Gtralfund zuruͤckge—
kehrt, dieſe Stade, wenn fie auch mie Ketten an den
Himmel gebunden wäre, berunter zu ziehen, Da ka—
men Gefandte von Hamburg an, ben Herjog, wo
möglich, zu friedlicheren Gefinnungen für die Belagerten
zu bewegen, Aber in dem Augenblicke ihrer Ankunft
begann der fürchtertiche Sturm gegen die feindfichen
Wale, alfo daß von Unterhandlungen weiter nicht Die
Rede feyn konnte. [Des einen Abgeſandten, des Raths—
bern Gerhard vam Holte, bemaͤchtigte fich bey
dem Kriegs + Getümmel ein fo graufenhaftes Schrecken,
„daß er bald darnach, als er wieder nach Hamburg ge
kommen, geftorben iſt.“ Wallenftein aber mußte ablaffen
von diefer Belagerung und —— ſeine Plane auf
anderen Wegen weiter.
Chriſtian von Dänemark hatte unterdeſſen Ans
träge zu Friedensſchluͤſen gethan, welche der Fried—
laͤnder mit Wohlgeſllen aufnahm, da ſie ihm von der
‚510 Friede mit Dänemark 1629, .....®
einen, Geite Huhe verfprachen, während ein anderer
Streiter aus dem Norden drohend gegen. ihn anruͤckte;
‚und es Fam endlich zu Luͤbeck, (den 22, May 1629)
‚ber. Friede zwiſchen Dänemark und dem Kaifer, fuͤr
welchen Tilly und Wallenfein beauftragte Unterhand:
Ier waren, wirklich zu Stande. . Die Bedingungen
waren beffer, als Chriſtian ſie hatte erwarten mögen.
Gegen das DVerfprechen, in Zukunft ‚feinen größeren
Antheil an dem Kriege. zu nehmen, als zu weichem er
wegen Holfteins und Schleßwigs verpflichter fey, be—
kam ber König alle feine Länder zuruck, von verlang-
ten Kriegsunfoften und Schadenerfaß war. weiter nicht
die Rede, In Hamburg verherrlichte man noch den
31. May den geſchloſſenen Frieden mit Dankfeſten in
den Kirchen und mit Freudenfeuern, nicht ahndend, in
welche nur zu ſcharfe Verdrießlichkeiten man bald mit
dem Könige ſich wieder verwickelt finden werde,"
Die. Hamburger hatten wahrend des Krieges
(1628 den 3. Juny) vom Kaifer Ferdinand das for
genannte Eibprivilegium ſich ausgewirkt, die guͤn⸗
gen Umſtaͤnde, welche die feindſelige Geſinnung des
kaiſerlichen Hofes gegen Daͤnemark darbot, benutzend,
einem alten, vielbeſtrittenen Vorrechte neue Bekraͤfti⸗
gung zu verfchaffen. Es lautete dahin, Daß von Ham⸗
burg bis zur Mündung der Elbe ‚hinab, . und. von da
die Elbe hinauf Feine Feſtung angelegt merben, daß
keine Kriegefihiffe auf der Elbe zum Schaden der. Hand
lung liegen dürfen, endlich, daß von der, Stadt die
Elbe hinab bis zur Muͤndung nie ein Zoll geſtattet wer⸗
den ſolle. Der Neuwerker Zoll wugbe in einem anderen
Gluͤckſtaͤdter Retorfions:3ol 1730, ff. su
Privilegium vom 8. Juny beftätige, fo wie’ auch 1629
den 22, Januar die Verordnung Friedrichd J. wegen
der Vorbeyfuhr auf der Elbe erneuert, Dagegen
hatte Ehriffian IV, mit feinem nen angelegten Glück
ftadt, das fich fibon wahrend des Krieges als eine
vollfommene Feſtung Bemwiefen hatte, Feine geringere
Abficht, ald eine gewerbreiche Handelsſtadt daraus zu
machen , und den Handel Hamburgs damit, wo irgend
möglich, zu zerſtoͤren. Dabin arbeiteten nicht blos die
Maaftegein, fremde Gewerfer, für welche kein Zunft⸗
zwang ſtatt fand, allerhand Kaufleute nach Gluͤckſtadt zu
sieben, die portugiefifchen Juden zu privilegiren: fon-
dern feindfeligere gegen Hamburg ſelbſt. Kriegsfchiffe
brachten die nach Hamburg oder von da Fommenden
Schiffe nach Gluͤckſtadt, wo fie ihre Paffe vorzeigen
mußten und unter nichtigem Vorwande behindert wur⸗
den, ihre Reife fortzuſetzen. Am 9. April 1630 murde
angefangen, von den vorbepfahrenden hamburgifchen
Schiffen und Gütern Zohl zu fodern. Auf die Bes
fchwerden der hbamburgifchen Abgeordneren wurde troßig
geantmworter, der König bediene fich dieſes Mittels als
Ruͤckzwang, ‚‚Retorfion‘‘, die Hamburger zu noͤthigen, auch
feine Unterthanen zollfrey zu laſſen, und fich Genugthuung
zu nehmen, daß fie während des Krieges einige ihm
zugehörige Güter angehalten hätten; ein gefuchter Vor⸗
wand, da jene nur ein einjiges mal auf Tilly's
Berlangen dergleichen gethan, weil es Bedürfniffe für
die Feſtung Gluͤckſtadt beftimme gewefen, Hamburg
ſchlug, zu feiner Hülfe, zmey Wege ein, den des Rechtes
vor dem Kaifer, und den ber Vermittelung durch den
33
512 Kampf zwiſchen ben H. und den Dänen
Herzog von Holfkein-Gottorp und die Städte Luͤbeck und
Bremen. Zur Verwirrung des Streites diente es nur, die
laftigen Fragen, von ber Reichsſtandſchaft der Stadt
und von ber Unterthaͤnigkeit, Die der König. foderte,
nochmals mit einzumifchen,
Am Faiferlichen. Hofe Fam die. Sache zu einem lang⸗
weiligen , weitichweifigen Schriftenwechfel ‚, und. wurde
auf dem Reichstage mit alsüblicher Lang ſamkeit betrie⸗
ben, wiewohl Ferdinand ſelbſt die Angelegenheit empfahl:
in dieſem gefahrvollen Zuſtande der Dinge ſey es auch
ſonſt nuͤtziich und ſehr nothwendig, eine ſo maͤchtige
und an der Grenze des h. roͤmiſchen Reichs liegende
Stadt fo viel als möglich in der Treue zu erhalten.
Inzwiſchen wollten die Hamburger durch Selbſthuͤlfe Ge⸗
walt mit Gewalt abzuwehren verſuchen und traten noch
einmal in dieſem Streite, uͤbrigens das letzte mal als
Seemacht auf. Am 27. April 1630 erſchienen einige
hamburgiſche Kriegsſchiffe nahe bey Gluͤckſtadt, ſetzten
in der Nacht Leute ans Land, um zu kundſchaften,
bey welcher Gelegenheit ein Schuß nach dem König
und. dem Prinzen geſchah, Die am Morgen ausgeritten |
waren und nicht fogleich erkannt wurden: ein. Berges
ben, das nachmahls den Hamburgern als eine grobe Vers
letzung des Volkerrechts vorgeworfen worden iſt. Dennoch
war auf die angefommenen Schiffe von Gluͤckſtadt aus
ſogleich mit ſieben Schuͤſſen ſcharf geſchoſſen worden, |
daß die Hamburger fich genöthiget gefehen, das Feuer
zu beantworten, Am 30, nahmen fie, einen. groffen
Prahmen und drey Pinaſſen, die zu der. Zolleintreibung
gebraucht worden. waren, beſchimpften die, Fönigliche
wegen des. Gluͤckſtadter Zolles, 1630. 513
Flagge, indem fie diefelbe hinter ſich im Waſſer herſchlepp⸗
ten, und bracbten die Schiffe nach Hamburg. Hier
ſelbſt wurde das Betragen des Anführers nicht gut ge
heißen: aber Kriegsgebranc) haͤlt ſich ſelten innerhalb
der Grenzen des Anſtaͤndigen. Der erzurnte König ließ
nun alle Schiffe und Guͤter der Hamburger in ſeinen
Staaten mit Beſchlag belegen, und ging ſelbſt mit
feiner Kopenhagener Flotte in die Elbe. Die hambur⸗
giſche, unter den Befehlen des Vuͤrgermeiſters Al b—
recht von Eigen, ſchiffte ihm ensgegen, Den 4. Sept,
von Mittag an big 5 Uhr Nachmittags, den ganzen _
5. Sept. kanonirten bepde Flotten gegen einander mir Hefs
tigkeit in der Suͤderelbe in der Gegend der Husfronne, Den
Hamburgern mar Wind und Werter entgegen, fiesent-
ſchloſſen fich daher, fich den 6. Die Elbe hinauf zu ziehen; -
aber die Danen folgten ihnen. mir, Suüdweſtwind und
den Abend mußten. fie einen neuen Yugriff aushalten,
Den 7. zogen fie ſich unser waͤhrender Kanonade noch
weiter hinauf, da aber. die Fönigliche Flotte ihnen den
Lauf abſchnitt, trieben fig mis ganz ſtillem Wetter und
faft. feinem Winde nach dem Stader Sande unter der
Schwinge, wo fie. Sicherheit fanden, Daͤniſche Ge
ſchichtſchreiber geben die Fönigliche Flotte auf 21. Kriege
ſchiffe an, 5 Galeeten, 4 Brander und 7 Jachten/ die
hamburgiſche auf, 22 Kriegsſchiffe, 2 Brander, und
mehr als 20 Kauffahrer. Nach ben; Berichten hambur⸗
giſcher Erzaͤhler hatte der Sca 42 ‚groffe Schiffe, Nie:
Hamburger 29.
Seitdem ward ber Streit, Anke fopifttichen Yerhanks
lungen fortgeführt, die nichts entſchieden. Auch bie
33*
5i4 Gluͤckſtaͤdter Zoll bis 1637.
Bemuͤhungen der Hollaͤnder und des engliſchen Gefande
ven, einen Vergleich zu vermirteln, blieben fruchtfo®,
Sogar gefchab ed, daß der Kaiſer mir Bemilliaung
eines Theil der KRurfürften, 1633, den König mit die
fem Zoll auf vier Jahre privilegiree, freylich mit der
geheimen Bedingung, daß ſich Ehriffian dem Kaifer
anfchließe, und gegen die Schweden, wenn die Frie
densunterbandlungen nicht zu Stande kaͤmen, Hülfe
leifte. Da aber diefe Bedingung nicht erfolgte, beru-
higte Ferdinand II. ſchon 1635 die Hamburger durch Die
Verſicherung, daß der Zoll nicht länger, als die bewil⸗
ligren vier Jahre dauern, und an ihren Gerechtfamen
ihnen damit Fein Abbruch gefchehen ſolle; 1637 aber, als
der König um Verlängerung des Privilegiums nachfuchte,
wurde ihm folche von Ferdinand III,, jegigem Rai:
fer abgefchlagen, dahingegen von eben demfelben der Stadt
Hamburg ‚alle neitere und altere Privilegien aufs Neue
bekraͤftiget wurden. Jetzt that der König bilfigere Ver:
gleichungsvorfchläge: aber Bie Hamburger wiefen fie
zurück, im Vertrauen auf rechtliche Entfcheidung der
Sache, für welche fie frifche Hoffnung faßten.
, Der bfutige Krieg hatte inzwifchen eine andere
Wendung befommen, ſeitdem Guftfav Adolph von
Schweden 1630 die Sache der Protefkanten zu der fei-
nigen gemacht hatte," und mit feinen tapfern, geübten Krie-
gern nach Deutfchland herüber gefommen war. Pom—
mern mußte er fich mit Gewalt öffnen: auch den ſchwa⸗
ben Kurfürften von Brandenburg mußte er durch. uns
'erbistlichen Zwang zu feinen Bundesgenoffen machen
und konnte es mir vieler Mühe nur erhalten, daß ibm,
Die Fahre nach Spandau, 1631. 515
um im Ruͤcken gedeckt zu ſeyn, die Feſtung Spandau von
demfelben geöffnet wurde, welche die Schweden d. 15. May
1631 beſetzten. Der. Ruf des Königes verbreitete fich
ſchnell und belebte die Hoffnung aller Wohlgefinnten,
Damahls kamen mehrere bamburgifcbe Kaufleute mit
24 beladenen Wagen von der Leipziger Meffe und faßten
ben Man, den Weg über Spandau zu nehmen, um
bey diefer Gelegenheit.den König zu ſehen. Sie wur
den auch. freundlich vorgelaffen und behandelt, und Dr.
Moller, der als Reifender bey ihnen war ,. biefiger Paftor
an St, Petri, mußte vor ibm predigen. Aber der Fuͤrwitz
follte ihnen nicht fo Leicht Hingeben, Der König brauchte
nötbiger, ald alles, Geld. Er hatte im Stillen ihre Wagen
anhalten laffen, und machte von ihnen auf der Stelle eine
geswungene Anfeihe von 80,000 Thalern gegen Aus:
ftellung eines Schuldſcheines, welche jedoch 1650 redlich
an die Erben wieder zurückgezahlt worden find. „Pfuy,
pfuy! — fagte der Oberalte Herrmann Rengel,—
dat heet, fahre na Spandau, umb den- König to ſehn!“
was lange Sprüchmore im Munde der. Hamburger ges
blieben iſt. Guſtav aber verfolgte weiterhin feine Ent
würfe mit dem feften Selbjtvertrauen, das. auf eine
göttliche Sache gegründer ift und mit dem Fühnften
Fluge des Gieged bis in dag Herz von Deurfchland,
Auch als er den Heldentod bey Luͤtzen geftorben, bes
hielten die. Schweden, durch Dpenfkierna und die in
Guſtavs Schule, gebifderen. Heldenführer geleitet Die
Dvermacht und ‚warfen das Anſehen des kaiſerlichen
Sauſes darnieder, C1630—34). bis durch Mißgunſt und
als Ferdinand III. des Kaiſers Sohn, den Kriegs⸗
516 Fortgang des zojaͤhrigen Krieges
Vefehl übernahm, die Wagſchale abermahls zu ande⸗
rem Ausſchlage gebracht wurde (1634— i641) und die
Macht der Schweden von ihrer Hoͤhe herabgeworfen
lag. Glücklich die Laͤnder, welche im dieſer Zeit der
Verwirrung das Kriegsgetoͤſe nur von ferne vernehmen
durften. Um die Gegenden des niederſaͤchſiſchen Krei-
ſes von den noch herumſtreifenden Ueberreſten der kai—
ſerlichen und Tigiftifehen Truppen zu befreyen, verban-
den fich die Stande deſſelben auf einer Zuſammenkunft
zu Hamburg 16317, den 10. Noveinber, jur Errichtung
"eines geineinfebaftlichen Heeres, das mit den Schweden
ſich vereinigen und zur Vefreyung des Kreiſes gemein⸗
ſchaftlich mitwirken ſollte. Aber einen völligen Beytritt der
Kreisſtaͤnde und einen Zuſchuß an Geldern, wozu ber
ſchwediſche Miniffer Sohbann Adler Salvius fie
gu bewegen fuchte, verhinderte die Eiferfucht des Kb: -
nigs Chriftian, "Dagegen verpflichtete fich, dem Bey:
fpiefe Luͤbecks folgend , die Stadt Hamburg 1632, den
26, November, den Schweden die Summe von 150,000
Thalern in drey Terminen zu bezahlen, wogegen fie des
kraͤftigſten Beyſtandes, des freyen Handelsverkehrs zu
Waſſer und zu Lande, der Befreyung von aller Bequar⸗
girung, anderen Beyſteuern u, dal, ve ichere wurde,
Die für die Schweden unglückliche Schlacht bey Noͤrd⸗
fingen (1634, den 7, Sept.) hatte die Folge, daß der
Kurfürft von Sachfen von ihrer Seite aberat und zwi—
ſchen ihm und dem Kaifer der Friede zu Prag zu
Stande kam, (1635, den 30, May) melcher der An⸗
gelegenbeit der Proteſtanten den empfindlichſten Stoß
beybrachte. Dennoch traten verfehredene Reichsſtaͤdte,
ſeit 1634 big 1641. 517
auch die drey Hanſeſtaͤdte, um des Vortheils ihres
Handels willen, demſelben bey: es geſchah alſo nur im
rechten Gange des Krieges, als der ſchwediſche Gene⸗
ral Banner zu Havelberg dem Hamburgern To mit
Gütern reichbeindene Schiffe wegnahm, fo empfind-
fich der Verluſt den Kaufleuten auch feyn mochte, die
aufferdem im vorigen und in diefem Sabre durch hef—
‚tige Stürme bedeutenden Schaden zur See erlitten hats
ten, Als um Oſtern dieſes Jahres’ Treifende Haufen
fehmedifcher Voͤlker in Holſtein einfielen, drohete eine
Schaar derſelben von etwa 2000 mit einem Einfall in Vier⸗
landen, wurde aber zur rechten Zeit zuruͤckgewieſen. 1636
pluͤnderten die Schweden 36 Frachtwagen der Hams
burger, die nach Leipzig beſtimmt waren, deren Verluſt
auf 36,000 Rthir. geſchaͤtzt wurde. Die Borficht Batte
vor dem unbefonnenen Wagſtück, das mit Zeit und
und Umſtaͤnden ſich nicht BE , die Kaufleute war:
nen follen!
Nach einigen Jahren früßbsiofer Bemu hungen auf
den Verſammlungen, die ſeit 1637 zu Hamburg gehal—
ten worden, den Frieden zu vermitteln, war die Sache
endlich 1641 fo weit gediehen, daß zu Muͤnſter mir
Frankreich, - u DOfnabrüc mit Schweden das ernfte
Gefchäft zur Vollendung geleitet werden follte, Waͤh—
rend deffen aber zog fich über Hamburg ein Ungewitter
sufammen, das der Stade mit neuem Verderben "zu
‘drohen fehien, und die alte Zwietracht zu friſchen vr
‚men wiederum anfachte,
Im Fahre 1640, den 15, Nov, ftarb Dtto VL,
Graf von Schauenburg und Pinneberg in
518 Die Schauenburger flerben aus,
einem Alter von 26 Jahren, unverheyrathet, der letzte
feines Hauſes; und obſchon mehrere entfernte und nahe
Berwandte Anfprüche san die Erbſchaft machten, ſo
nahmen doch der König von Dänsmarf und der Herzog
von Holſtein, da die, Sraffchaft ein Stuͤck von dem ger
ſammten Holſtein fey, womit ihre Vorfahren belehnt
geweſen, zugleich, da Graf Otto dem Könige ſehr ver—
ſchuldet geblieben war, davon Beſitz; die Mutter des
Verſtorbenen wurde mit einer Geldſumme von 145,000
Rthlr. abgefunden und darauf gründeten der. König und
der Herzog ihr Befigungsrecht an die Grafſchaft. Den
fihauenburgifchen Hof. in Hamburg befchloffen beyde,
gemeinſchaftlich zu behalten und den Zoll daſelbſt nach
Verhaͤltniß unter fich zu heilen. Doch legte fibon der
Faiferliche NRefidens zu Hamburg, Herr von Luͤtzo w,
Sequeiter darauf, wohl nicht ohne. Mitwirkung der
Hamburger ſelbſt, fuͤr welche es nicht ‚gleichgültig ſeyn
Fonnte, mit dem. Könige in eigener Stadt zu handeln
zu haben und überdieß fo nahe. und fo ganz von bef
fen Gebiete umfchloffen zu. werden. Beſonders fchien
die Naͤhe des immer. mehr aufblühbenden Altona bes
benflich, ja gefährlich.
Diefer Ort verdankt fein Entflehen felbft * —
Hamburg, wie er auch in der Erſcheinung als Ab:
leger der Nachbarſtadt ſich anmeldet. Früher diente
die Gegend zur Hut und Trift für die Voigtey Dtten-
femz d, h. Ottensheim, (von einem Grafen, Otto,
Heinrihd Sohn, alfo benannt 1330.) Das Gebiet der
Stadt Hamburg dehnte fich, nach alten. Kaufverträgen
fibon im dreyzehnten Jahrhunderte bis zu der jegigen
Altona's Entſtehen und Verhaͤltniſſe zu Hamburg. 519
Grenze aus, die alte Erzählung alſo, man habe 1428
von ‚einem Grafen Ott o von Pinneberg, als er in
Hamburg bey einem Bürgermeiffer weiblich gezecht,
„dat luͤtke Ruͤmken“ vom Millernehore bis an den Bach,
der: im ‚Thale ‚nach, der Elbe zu Taufe, fich ſchenken
laſſen, mit der Zeit im Widerfpruch ſteht. Die Refor⸗
mation bewog mehrere ſtrenge Anhänger der alten Lehre,
Hamburg zu verlaffen, da fie aber dem Vortheil der
reichen : Handelgftade nicht aufopfern wollten, ber
ſchloſſen fie in, der. Nachbarfchaft fich anzubauen, wozu
diefer Pag, in der Nähe der Elbe zugleich, nicht uns
bequem ſchien. Der Zunftzwang, der in Hamburg
berrfihte, beförberte den Zulauf ſolcher, welche fich
davon gedruͤckt und in ihrem Gewerbe gehemme fühl:
ten, nach einem Orte, mo fie von Staatslaſten frey
bey mohlfeileren Lebensmicteln wohlfeil wohnen, ihre
Arbeit nach Willkuͤhr fchleche machen. Fonnten, für
welche fie immer des geringeren Preifes wegen, Abneh⸗
mer fanden, Die hamburgifsben Zunftgenoffen empfan-
den bald, daß fie durch dieſe Bönhafen in ihrer Nah—
zung. wirftich, Abbruch Titten und waren unzufrieden,
dag man den zunftlofen Menfchen geflatte, an. einem
Orte fih nieder zu laffen, der in jeder Hinficht Ham:
burg doch all thbo nahe liege, 1547 ging der Ort
in. Feuer auf; die Hamburger wandten ſich an den
Landdroſten in Pinneberg, daß er. die Wiedererbauung
ber Brandfkatte nicht geflatten. möge: aber Hand Bars
ner, fo hieß. der Droſt, antwortete ausweichend: dag
Bauholz fey bereit angemiefen und die Erlaubnif ſchon
gegeben. Nun wurde in dem Receß von 1548 auf
520 Nachbarliche Streitigkeiten zwiſchen
Betrieb der Zünfte ein eigener Artikel fefigefegt, Cd. 37.)
morinnen allen Bürgern und Einwohnern verboten
wurde, im Altona oder Dttenfen oder fonft an einem
Orte zwey Meilen Weges von der Stadt irgend ein
Zeug arbeiten zu laſſen; noch folte auch den auswärtigen
Handwerkern erlaubt ſeyn, „den Börgern tho Verfange“
ſolches Zeug und Werk aus der Stadt zu holen, bey
Strafe der Wegnahme. Das Verbot wurde noch in
die Burſpracke uͤbergetragen und alljährlich zwey⸗
mal verleſen, wie oft auch durch Umſchleichung dage⸗
gen gefündigt werben mochte. 1594 wurde es noch das
bin gefchärft, daB auffer der Wegnahme der fremden
Arbeit der Einbringer mit 10 Thlr. Strafe büffen
- folle,. Es mögen bey Diefer Gelegenheit ſelbſt einige
Gewaltthärigfeiten gegen die altonaifcben Handwerker
verübt worden feyn: denn der Graf von Schauenburg
beklagte fich in einem Schreiben an den Kath (ro. Der,
d. %.) Bitter darüber und verlangte Genugthuung. Ans
dere Häfeleyen entfprangen aus der Grenzberichtigung
bereit feit 1591. Die Hamburger riffen da einige
Planken weg von Gebäuden, die am Bache ftanden,
als der Grenze zu naher: mehrere Tage hindurch wurden
Grenzbefichtigungen gehalten und endlich 1593, den
12, October, durch einen DBergleich mit dem Grafen
Adolph berichtiger. Aber zwifchen Nachbarn, die miß-
günftig einander beobachten, ſchlaͤft der Hader ſelten:
es finden ſich aus den naͤchſten Jahren 1595, 1599,
1601 und 1604 wiederholte Klagen, daß die Altonaer
widerrechtliche Anmaßungen fich erlaube, nahmentlich
beym Nobis » Kruge und zwiſchen den beyden
Hamburg und Altona, 521
Muͤhlenteichen. In dem feßteren Jahre 1604 hatte eben
‘der Graf Ern ſt die Hälfte des ſchauenburgiſchen Zolles,
worauf der König von Dänemark und Herjog von
Holſtein Anfpriche machten, in einer nen ausgeftellten
Urkunde an die Hamburger abgerreten und die andere,
ihm gehörige Hälfte der Stadt verpfänder, ferner die.
Reibzugsverfihreibung auf ‘einige noch vorbehaltene Ges
rechtigfeiten aufgehoben, alle hamburgiſchen Briefe aus:
Heliefert, jedem Anfpruch auf Billwaͤrder entfage und
‘allen fonft zu vermuchenden Rechten, gegen die Summe
"von 32,000 Rthlr. in drey Terminen zu bezahlen. Im
nachſten Jahre waren auch die Grenzen auf dem Grie-
ſenwaͤrder, Rugenberge und Kaltenhofe berichtiget wor
den, Mit Altona aber dauerten die Necfereyen fort,
alfo daß auch der Pinneberger Droft, Hans Steding,
1607 an den Rath zu Hamburg fehrieb: die Leute
"möchten viel Tieber an der türfifchen Grenze woh⸗
nen, denn mit den Hamburgern benachbart ſeyn, wenn
ihnen dermaßen ſollte zugeſetzt werden. Indeſſen wurde
in dieſem Jahre (den 2, Juny) die Streitigkeit bis fo
weit abgethan, daß ein neuer. Grenzvergleich, zwiſchen
dem Rath von Hamburg und den Vorftehern des St.
Johannis⸗Kloſters mit dem Grafen Ernft errichter, die
"Markfcheidung bey Altona, Eimsbuͤttel, Lockſtedt und
Eppendorf mie den genaueffen Angaben berichtigte und
dieſer ift auch in fpäteren ner fe als lei⸗
tend zum Grunde gelegt worden,
Altona wurde indeffen durch zufammentreffende um⸗
fände aus feiner Duͤrftigkeir, denn 1580 hatte noch
eine befondere Armenbüchfe errichten werden muͤſſen,
522 Meitere Zunahme von Altona
allmaͤhlig zu groͤſſerem Wohlftande gehoben und fing
an, mach und nach. bedeutender zu. werden. Die Res
figiongverfolgungen vertrieben gegen das Ende des
16 Jahrhunderts mehrere Familien, oft des angefe:
benften Standes, aus den Niederlanden, aus der Pfatz,
welche in diefen Gegenden Schuß und Aufnahme ſuch⸗
ten und fanden, Nur mar auch in Hamburg die Uns
duldfamfeit ber lutheriſchen Geiſtlichen ſtreng bagegen,
daß den Katholifchen, oder gar. den Calviniſten freye
Neligionsübung geflatter würde, . Sp aͤngſtlich war
der Graf Ernſt von Pinneberg nicht: auf Verwenden
des Grafen von Manffeld erlaubte er den Reformirten
1601, ihren Gottesdienſt in Altona ungeflöre zu hal⸗
sen; ein reicher Kaufmann aus Florenz, Alexander
de In Roya, welcher des Grafen Geldangelegenheiten
beforgte, erbauete mit einigen katholiſchen Kauflenien
aus Antwerpen 1602 ‚eine katholiſche Capelle; was
Wunder, daß in dem Receß von 1603 allen Bewoh⸗
nern Hamburgs, welche die Predigten in Altona, be
ſuchten und durch böfeß Beyfpiel Aergerniß gaben, an:
gedroher wurde, baß man ihnen den Aufenthalt in
der Stadt und deren Gebiete verfügen werde, Zudem
erlaubte fich der. Graf, dem Drte Nahrung zu verfchafs
fen, ein unedled Mittel zu gebrauchen, Die früheren
Grafen feines Hauſes hatten bey, Abtretung. der Münze
gerechtigfeit an Homburg (1325) ausdruͤcklich feſtgeſetzt,
daß nirgends in Holftein, denn in Hamburg, gemuͤnzt wer⸗
den folle, Graf Ernft aber bediente fich feiner Muͤnzſtaͤtte
in dem weſtphaͤliſchen Staͤdtchen Oldendorf, ohnweit
Schauenburg, ‚und nicht dieſer bloß, ſondern auch, ei—
durch Religionsduldung ꝛc. 523
ner unerlaubten Heckmuͤnze in Altona, (1603) eine
große Anzahl von Grofcben und Doppelfchillingen
ſchlagen zu Iaffen, weit unter der Halfte des Achten
Werthes von Gehalt, zum offenbaren Nachtheile der
Stadt Hamburg, deren ſchwere Münze gegen die fehlech-
tere umgetauſcht wurde, Aber gröffere Lebendigkeit wurde
dadurch in Altona verbreitet. Der Ruf einer unbedinge
ten Religionsduldung zog auch noch mehrere fremde
Anfiedier herbey. Die portugiefifchen Juden durften
fich zwar um eine Synagoge nicht bewerben, da fie
fich für neubefehrte Chriften ausgegeben hatten:
aber fie erhielten 1611 durch Ankauf einen eigenen Be
grabnißplag. Ihre gute Aufnahme Iockte die hochdeut:
ſchen und polnifchen Juden herbey, denen zur Errichtung
einer Schule im zweyten Jahrzehend Erlaubniß ertheilt
wurde. 1612 war in Altona eine walloniſche Gemeinde,
von franzoͤſiſch redenden Reformirten, aus den nie—
derlaͤndiſchen Grenzprovinzen, und die Mennoniten,
welche 1630 nach Hamburg kamen, erhielten 1634 in
Altona gleichfalls die Sreppeit zu gottesdienftlichen Ver⸗
fammlungen,
Graf Ernfi hatte 1604 den Ort zu einem Flecken
erhoben. Doch blieb derfelbe für die nachfte Zeit noch
wenig bedeutend, da die Unruhen des nachfolgenden
Krieges im die Gegenden Holfteind Unficherheit und
Verwuͤſtung brachten und die Angefebenften derer, welche
fih zu den altonaifchen Gemeinden zaͤhlten, gleichwohl
in Hamburg ihre Wohnung hatten, dort ihr Gewerbe
treiben zu dürfen: denn der Verfuch eines reichen Men—
noniten,' in Altona zu wohnen‘, während er in Ham»
524, Altona falle dem König Chriſtian IV. zu,
burg bloß einen Packraum haben wollte, um den daſigen
Stadtabgaben zu entgehen, wurde bald vereitelt, Nur
der größte Theil der hochdeutſchen Juden ſchacherte in
Hamburg, während fie in dem mwohlfeileren Altona ihre
Wohnung nahmen. Ein Beyfpiel friedlicher Nachbarse
gefinnung hat fich noch aus dem Jahre 1638 erhalten,
wo der hamburgifche Rath gebor, Cden 23. Marz) bey
Durchiuchung der Leute, die von Altona Famen,
glimpflich zu verfahren und ihnen das Verbotene mit
Befcheidenheit abzunehmen, - Nun aber kam der König
Chriffian zum Befige diefes Fleckens. Er. beffätigte
fogleich, nach denfelben Grundfägen der Duldung, den Einz
wohnern Altona's alle bewilligten Freyheiten und Gerecht—
famen und begünftigte die nen hinzufommenden auf gleiche
Weiſe. Der Dre war ihm wichtig: er ging damit um,
denfelben entweder. in einen Waffenplag zu verwendeln,
oder zu einer Handelsſtadt zu. machen, vielleicht, auch,
beyde Abſichten ‚miteinander zu vereinigen. Die Ham—
burger wurden. beforgt; fie bewogen den Herin von
Luͤtzow, dem kaiſerlichen Hofe vorzuſchlagen, Al:
tona und Neumuͤhlen von dem Pinnebergiſchen zu
trennen, und der Stadt Hamburg gegen eine Summe
Geldes zu uͤberlaſſen. Um dieſelbe Zeit erfolgte auch
ein kaiſerliches, dem Koͤnige empfindliches, Mandat in
der Elbzoll⸗ Angelegenheit, fo wie der Stadt Hamburg
vom Kaifer die Reichsſtandſchaft zugefprochen und fie auf
gefodert wurde, auf. dem Reichstage zu, Regensburg
Gig und Stimme einzunehmen. Der König wandte. fich
nun zuforderft an das Kurfürften- Collegium, und gab
zugleich ein Manifeft gegen Hamburg heraus, welches
Feindfeligfeiten des Königs gegen Hamb. 1641 ff, 525
beweifen follte, daß Hamburg als holſteiniſche Stade
zu der Erbhuldigung verpflichter, ihm ſelbſt, dem Koͤ—
nig aber, die Oberherrfchaft auf der Elbe von feinen
Borfahren ber zuffandig fey. Die Hamburger Tießen
Dagegen eine „„abgenöthigte, mohlgegründere Apo Los
gia oder Schugfihrift‘‘ erfiheinen, im welcher eben fo
umftandlich und hoͤchſt genau, ald ruhig und befcheiden
die Anfprüche des Königs widerlegt und die Gründe eroͤr⸗
gert wurden, welche irgend für die Sache der, Stadt
aufgefunden werden Fonnten, Der König aber wollte
zu fehrifelichen Beweiſen noch ehatliche fügen: er. hatte
fibon im May diefes Jahres die Feſtungswerke der
Stade in Augenfihein genommen, jetzt bezog er eim
ftarfes Lager bey Fuhlsbuͤttel und bedrohete die
Stadt, die ihrerfeitd munter, fihleunig noch mehrere
Kriegsleute anwarb und auf ihrer Hut fand. ES blieb
indeffen nur bey der Drohung: der König brach im
Winter 1642 wieder auf, und der Streit wurde mit
Schriftenwechſel weiter fortgeſetzt. Abermahls neigte
ſich der Reichshofrath fuͤr die Reichsunmittelbarkeit der
Stade und für ihre Vorrechte auf der Elbe: die Un—
redlichfeit ‚ welche Danemarf in den Friedend-Verhand-
lungen ſowohl mit Schweden, als mit dem Raifer
durchblicken laſſen, hatten am erſten dazu bepgerragen, Die
Meynung gegen Chriftian umzuſtimmen. Jet aber erneu—
erte er einen heftigeren Angriff auf die Stadt, fie em»
pfindlich zu demüchigen. Im Anfange des Jahres 1643
fandte er eine Flotte von acht Kriegsftbiffen, nebſt
vielen Eleinen und 60 Transportfchiffen mit Kriegsvolf
nach der Eibe, verfammelte wiederum ein Heer bey
526 Bertrag mit dem Könige 1643,
Fuhlsbuͤttel und ließ zu Altona eine Brücke, 25 Ruthen
lang und 3 Küchen breit, auf fkarfen in die Elbe ger
tammten Pfahlen errichten, um auf derfelben eine Bat⸗
terie zur Beftreichung der Elbe anzulegen, Die geänge
ffigten Hamburger warben abermahls frifche Truppen an,
und ließen vor dem Hornwerke noch eine Schanze nach der
Altonaer Seite bin anlegen: ‘fie wandten fih an die
Herzoge von Lüneburg, an die Hanfefladte, um Huͤlfe,
aber vergeblich, Die danifchen Schiffe kamen um
Pfingften bis zu Neumühlen und die Eleineren Tiefen in
den Köhlbrand ein; die Soldaten droheren Taut, daß
fie Pfingften in Hamburg feyern würden. Endlich Fam
durch Verwendung des Herzogs von Holſtein⸗ Gottorp
und der Abgeordneten: der Hanfeftädte, insbefondere aber
durch die: befonnenen Vorſtellungen des Miniſters von
Ranzau, wie des. eigenen Landes Wohlfahre mit dem
Frieden und der Unabhängigkeit der Stade Hamburg in
Berbindung fiehe, zu einem Vergleich im Monat May,
nach welchem die Stadt wegen ihres bisherigen Bes
tragens fihriftlich Neue bezeugen und um Verzeihung
bitten follte, welches Schreien den 25. May überges
ben und mit einem Föniglichen Sühnebriefe beantworter
wurde, Die Hauptbedingung aber war die Ausbezahs
fung einer Summe von: 280,000 Thlrn. in drey Ter⸗
minen, denn Daͤnemark war erſchoͤpft und brauchte
Geld. Hamburg wandte ſich an Luͤbeck um Zuſchuß
zu dieſer bedeutenden Summe, erhielt aber dieſen ſo
wenig, als ſelbſt das Verlangen, daß die gemeinſchaft—⸗
lichen Unterthanen zu Bergedorf ihren Beytrag dazu
liefern ſollten, zuruͤkkgewieſen wurde. |
—
Einbruch der Schweden in Holſtrin? 1643. 527
Möglich nahm noch in dieſem Sabre 1643 der
Krieg, zu deſſen Friedlicher Beendigung’ ſchon die ge:
wuͤnſchteſten Vorbereitungen getroffen ſchienen, eine neue,
uͤberraſchende Wendung Die wahre Abſicht der daͤ⸗
niſchen WVermittelung z welche nichts— anders gewollt
hatte, als Schweden aus Deutſchland gaͤnzlich zu
entfernen, war nicht mehr verborgen geblieben: Schwe⸗
den fand in dem Anbalten feiner Schiffes: welche fich
Daͤnemark im Sunde erlaubte, gegründeten Vorwand
zu einem Brüche, ind mit der geſchickteſten Werber:
gung feiner Plane zog ſich Der eben fo kuͤhne, als über:
legungsvolle Tor ſten ſo hn von Oberdeutſchland nach
Sachſen Ber und wie im Fluge brach er, den Dänen
fo unerwartet, als allen aübrigen/ in Holſtein ein,
(im December) und befeste mitten im Winter Holſtein,
Schleßwig und Juͤtland. Die Verwuͤſtungen und Pluͤnde⸗
rungen waren groß; die. angeſehenſten Familien Holſtein's
‚flüchteten ſich nach Hamburg und Lüberf: Der kaiſer⸗
liche General Gallas kam langſam nachgezogen, um
ſich von dem liſtigen Torſtenſohn zuruͤcklocken, und in
zwey unglücklichen Schlachten faſt vernichten zu laſſen.
Der tolle Wrangel aber ſetzte als Nachfolger Tot:
ſteuſehns den Kampf mie dem ſchaͤrfſten Eifer fort,
daß Danemärf eilte, auch unter den haͤrteſten Bedin—
gungen, 1654, den 13. Auguſt zu Vroͤmſebroe Frieden
zu fihließen. Hamburg war in diefer neuen Gefahr
verſchont geblieben. Als Gallas 1644, den 25. July
bey Oldesloe angekommen war, empfahl man ihm von
bier aus die Stadt und uͤberſchickte ihm ein Silberge⸗
fire, Wein, Bier und Lebensmittel zum Geſchenk.
34
528 Weſtphaliſcher Friede 1648.
Nur Eine Landplage, welche auch der Stadt laͤſtig fiel,
hatte ſich von dieſem Kriegsſturme abgeſetzt: ein Haufe
zuſammen gelaufener Bauern aus Holſtein und anderen
liederlichen Geſindels, der an 4000 Köpfe betrug. Sie
nannten ſich ſelbſt Schnapphaͤhne und Buſchklepper,
hatten ihr Raublager im Rieſenbuſch zwiſchen Ham—
burg und Luͤbeck, zeigten ſich bald als Bauern, bald
als Reuter und Fußſoldaten, und thaten ſowohl den
Schweden, als den anderen Reiſenden durch Raub und
Mord empfindlichen Schaden. Wrangel fing die mei⸗
ften derfelden ein und hielt graufames Gericht über fie:
auch Die Obrigfeiten der Stadte Tiefen fie auffischen,
und die Schelme auffnüpfen. Uebrigens war in dem
Bremfebröer Frieden zugleich beſtimmt worden, daß der
Gluͤckſtaͤdter Zoll von den fremden, nad der Eibe
führenden Nationen niche mehr bezahle werden folle;
diefe Streitigkeit hörte alfo für Hamburg mie auf,
Dagegen verpflichteten fich die Homburger von Neuen,
ihren neuangelegten Zoll von den Föniglichen und ber-
zoglichen Unterthanen nicht zu heben; der König aber
seftand ihnen die Befugniß zu, auf der Elbe Tonnen
su legen, weil diefe Anſtalt zum Heil der Schifffahre
am. beiten von ihnen beſorgt werden Fönne und: von
alten Zeiten her beſorgt worden ware, Von jest an
blieb Ruhe herrſchend mit Danemarf, und als nach
Iansjshrigen, mühfeligen. Befprechungen zu Münfter
und Oßnabruͤck endlich auch dort die. Unterhandlungen
das Ziel erreichten, erfreuete die Nachricht. von dem
wirklich geſchloſſenen Frieden 1648 das gefammte
Deutſchland, daß es nach fo ſchrecklichen Verheerungen
Innere Angelegenheiten Hamburgs, 529
zur Erholung, Wiederanftichtung und Sammlung
frifcher Kräfte fith erheben Fönne, In Hamburg, wie
an anderen Orten, wurde am 22. October das Fries
densfeſt mir Eirchlicber Andacht und aufferen Zeichen
der Freude freyerlich begangen,
Dieſer Ruhepunct wird uns vergönnen, einen
Blick auf die inneren Angelegenheiten der Stade zu
werfen, wie fie während dieſes Zeitraumes der mans
nigfaltigften Berührungen und Angriffe von Auſſen ſich
weiter entwiefele haben, Durch Zwiſt und Streitigkei⸗
gen mancher Art, durch“ Vorwürfe und Mißtrauen,
welche zwifchen dem Kath und der Buͤrgerſchaft wucher:
ten, war das hamburgiſche Gemeinweſen in das fieb-.
zehnte Jahrhundert übergegangen. Die Spannung
mußte fich fortwahrend erhalten, je empfindlicher es
der einen Partey mar, daß fie von ihrer vorigen
Ueberlegenheit und unumfchranfeeren Dachte mehrere
Stufen hatte berabtreten müffen, je kecker aber zugleich
auch der Uebermuth fich emporbob bey denen, welche
mit wohlgefälligem Gelingen ihren Antheil an der Re:
gierung und Verwaltung des Staates Kennen gelernt
hatten. Die kleinen Gezanfe, welche in den beyden
erjten Jahrzehenden ſtatt gefunden, find zu unbedeutend
für das Game, als dag fie einer einzelnen Erwähnung,
verdienten, Unklarheit und Mangel an Beſtimmtheit
der Begriffe erjeuge überall Unruhe und Verwirrung,
wo fich Mißvergnügen oder Anmaßung in böbere Ans
gelegenbeiten mifchen. Das Wort der Freyheit iſt
ein gefahrlicher Aufruf zu Unordnung und Gewalt—⸗
thaͤtigkeit, wo die innere Trepheit von der Tyrauuep
| 34*
A
5350 Streit über die Staatsform; die Oberalten.
der Reidenfchaft noch nicht errungen iſt. Es laͤßt fich
leicht begreifen, daß es auch damahls nicht an folchen
fehlte, welche es ungereimt fanden, daß in einem
freyen Staate gleichwohl die hoͤchſte Gewalt in ben
Händen weniger Männer fey, nicht bevenfend, daß
folche nur die ausübende Mache der Gefeke Bilden,
welche von ben Bürgern felbft bemwilliget worden. In
einer Echrift der Bürger an den Rath 1619 hatte man
die Frage aufgeworfen: Ob die Verfaffung der Stadt Ham⸗
burg ariffofratifch oder demofratifch ware? Der
damalige Bürgermeifter Bincent Moller fam durch
eine verffändige Antwort den unnügen Verhandlungen
zuvor, zu welchen bey müffigen Köpfen diefe Frage
hätte Beranlaffıng geben koͤnnen: es fey beifer, ſagte
er, wenn man bey der olten Gewohnheit bliebe, Die
Anträge mündlich zu thun, ale daß man fich mit Ian-
gen Schriften befaſſe. Eine bloße Ariftofratie koͤnne
für einen mohlgeordneten Staat fo wenig beſtehen, als
eine bloße Demofratie; jene fey der achten Freyheit
nachtheilig, fo wie diefe unfehlbar in Aufruhr und Ger
ſetzloſigkeit ausarten müffe: eine einfache Wahrheit,
welche von der Erfahrung aller Zeiten und Voͤlker be
ſtaͤtiget wird, und welcher auch im Hamburg nie unge:
firaft widerfprochen worden ift. Am Iauteften aufferte
ſich der Unwille der Bürger im Jahre 1624, als der
Rath das Begehren derfelben, die Dberalten für
dauernd anzuerkennen, ihnen ein Gehalt beyzulegen und
fie nie zu Rathe au mwahlen, abſchlug. Es war ein ab:
feitendes Mittel, mo irgend ein Mitglied dieſes Eollegii
durch Starrſinn und Widerfpruch dem, Rathe gefährlich
Gehalt des Raths, neuer Eyd deffelben. 1633. 531
ſchien, denfelben durch Wahl in den Rath aufzunehmen
und jenen Widerſpruch dadurch zu entfernen. Die
Buͤrgerſchaft erhielt ihr Geſuch nicht, und wir finden
bald in dieſem Jahrhunderte mehrere, welche von den
Oberalten zum Rathe befoͤrdert worden ſind.
Ein anderer Zwiſt entſponn ſich über den Eyd,
welchen der Rath, als ihm 1603 ein Gehalt bewilliget
worden war, abzulegen hatte geloben müffen, und wel⸗
cher aufs Neue in Foderung gebracht wurde, als von
einer Vermehrung des Gehaltes die Rede war, Dar⸗
über verglich man ſich endlich im Sabre 1633, den
19. April, durch einen Receß, in welchem nach Er-
waͤgung, daß bie Perfonen des Raths sur Erhaltung
des gemeinen Beſten und zur Handhabung der Gerech:
tigkeit viel verdrießfiche Mühe und fprafaftige Arbeit
haben, daß der Kath zu fihleuniger Beförderung. der
heilſamen Jufliz eine neue Gerichtsordnung verfaßt und
nicht allein derſelben, ſondern auch allen andern in ihrem
jetzt erneuerten Eyde verfaßten Punkten getreu und fe
ffigtich nachzufommen gelobt habe, „, u gebührficher
Ergoͤtzlichkeit“ dem Alteften Bürgermeifter 1200 Thlr.,
den 'anderen dreyen 1000 Thlr. jedem, dem aͤlteſten Rath⸗
manne 608 Rthlr. und jedem der uͤbrigen 500 Rthlr.
bewilligee wurde, Der Eyd, welchen der Nach vor
den Sechzigern ablegen und daß derſelbe alljahrlich am
Petritage bey Umſetzung der Rathsaͤmter zur Erinnes
rung abgelefen werden folle, geloben mußte, Tautete da⸗
bin, daß ein jeder fchmwur : über die Religion zu halten,
das Wohl des Staates und der Bürger ohne Eigennug
zu fuchen und allen Schaden nach Kraften abzuwenden,
532 Reibungen zwifchen ben Parteyen, 1641, 1643,
die liebe Juſtiz mir hoͤchſtem Fleiße, getreulich, ohne
Anſehen der Perſon zu verwalten, feine Gift oder Ga—
ben zu nehmen, die Privilegien der Stadt zu bewahren,
bey Rathswahlen niche nach Freundfchaft, fondern
nach beftem Gemiffen zu handen, die Verfehnung und
Vergebung der Dienfte ehrlichen und tuchtigen Perfonen
zu ertheilen, was im Rathe verhandelt wird, nicht zu
verrathen, von allen Accidentien, Hein und groß, allen Ein-
fünften, Einnahmen und Ausgaben richtige Rechnung
abzulegen und ſpaͤteſtens am Matthaͤitage der Kammer
zu überansworten, endlich alljährlich dieſen Eyd er:
neitern und verlefen zu laſſen. |
Seitdem jest. der. Rath fein beitimmtes Jahrgehalt
zog, benugten die Bürger dieſen Umſtand, in Fällen,
wo fie mie den Manfregeln deffeiben glaubten unzu—
frieden feyn zu Dürfen, der Kammer die Auszahlung
deffelßen zu unterfagen. Go geſchah e8 1641, als
der Rath gegen die Ordnung und ohne Mitwiffen der
Kaͤmmerey Bono Rthlr. zu 6 Prozent Zinfen für Rech»
nung der Stade aufgenommen hatte, dem Wunfche
des Kaiſers, die Römermonate im Voraus. zu ziehen,
dadurch zu willfahren. Andere Klagen ‚gefellten ſich
Dazu, und der Rath erbielt fo Iange fein Gebalt nicht,
big er gelobre, ohne Bewilligung der Bürgerfchaft Feine
Gelder wieder aufzunehmen und fich uͤberhaupt in Geld
‚ongelegenheiten nicht zu mifcben. Noch. übelgelaunter
wurde die Buͤrgerſchaft, als von der. Auszahlung ber
280,000. Thlr., welche der Krone Danemark- geliefert
werden mußten, die Rede war: die Borwürfe, Melche
der Rath den Bürgern machte, uͤber ihre Böswillig-
*
Friedrich UI. fodert die Huldigung, 1649. ff. 533
keit, waren eben ſo bitter, als die Antworten, welche
dieſe erwiederten, ſcharf und drohend: aber die Noth—
wendigkeit des Augenblicks ſtand hier ſelbſt dem Rathe
bey und die Buͤrgerſchaft mußte bezahlen.
Wahrend fo entgegengefeste Gefinnungen, in welchen
beyde Theile der Gemeinde das Richtmaas der Billig-
keit überfchritten , der Rath, daß er feim Anſehen und,
feine Gewalt als nicht von den Bürgern erhalten, fons
dern von Kaifer und Reich empfangen miffen wollte,
die Bürger, welche vergaßen, daß auch dem Narbe,
gleiche Bürgerrechte mie ihnen zu flatten kamen, bie,
Harmonie des inneren Lebens zerriffen, wurde von Das
nemark die Huldigumgsder Stade von Neuem im
Anregung gebracht. Chriffian IV., von deffen Hef-
tigkeit. Hamburg fo empfindlich hatte Teiden müffen,
war 1648, den 28. Februar geftorben und fein Sohn
Friedrich "II, nach verwickelten Unterhandlungen
mir den Ständen und unter bedeutenden Beſchraͤnkungen
in’der Regierung ihm nachgefolge. Bald nach feinem
Regierungsantritte wurde auch von ihm das Verhaͤltniß mit
Hamburg in Anfpruch genommen: doch Tieß ſich, ſcheint
es, Alles fo guͤnſtig an, daß eine Ausgleichung mit
dem Haufe Holfkein, in welcher diefes aller Foderungen.
auf die Stadt fich begeben wollte, für möglich gehal—
ten werden durfte, Da trat theils die Eiferfuche, theils
der durch Mißbrauch, weichen fich der Rath erlaubt,
gereizte Unmille der Bürgerfchafe rückwirkend zwifchen
diefe Verhandlungen. Es wurde 1649 ein Ausſchuß
erwahlt, beftebend aus den 12 Dberalten und 24 ihnen
jugegebenen Bürgern, mit dem Rathe die Angelegenhei⸗
534 Die Uhterhandfungen mit Dänemark find
ten, Daͤnemark betreffend, zu betreiben, insbeſondere
aber zugfeich, die arten Befchwerden in neue Unterſuchung
zu nehmen und’ fig beten‘ Abſtellung zu forgen, Zw
groffer Unzufriedenheit harte aufs Neue das alte kaiſer⸗
liche Privileginmwon 1555 aufgeregt, welches den
tragenden Gache von deſſen Ausſpruch nicht am, Kaiſer,
Reich oder Kammergericht appellirt werden dürfe, Ohne
Vorwiſſen der Burgerſchaft zuerſt erſchienen, war es
auch von derſelben als unguͤltig verworfen, nichts deſto
weniger abermahls ohne der Bürger Befragung durch
des derzeitigen Syndicus J. Chr. Meurer Berrieb von
Ferdinand II 1637, den gro März’ erneuert und auf
die Angabe einen ‚noch höheren Summe ermeitere wor—
den. Jetzt gerade wurde dieſer Eingriff in die Freyheit
der Bürger von den Oberalten mit Nachdruck. bekaͤmpft,
dem Recht und: der" Bilfigkeit'gemäß, wenn der’ ganze
Streit nicht in verworrene Begriffe, oder unüberlegte
Halsſtarrigkeit auſsgeartet ware. Ein Receß, 1650 zwi⸗
ſchen dem Rath und dem Ausſchuß der Sechs und Drey:
ßiger entworfen, erſterem gerecht und genehm, wurde
von der Buͤrgerſchaft zuruͤckgewieſen, wie ſehr auch der
Rath denſelben vertheidigte. Dazu kam die Beforgnißz
der Rath moͤchte ſich, wenn er von der Oberherrſchaft
des Königs vom Daͤnemark befreye waͤre, uͤbermuͤthiger
Gewalt anmaßen Iman fragte au, (1631, den 21. Sept.)
ob er dann auch das Stadtbuch uund die Receſſe in
Kraͤften werde beſtehen laſſen? die: Rammergy verwei⸗
gerte die Auszahlung der bedungenen Summe, für
welche Daͤnemark entſagen wollte: alſo hatten die koͤ⸗—
fruchtlos Der Streit gluͤhet im Innern fort. 535
niglichen und herzoglichen Raͤthe, als fie nach frucht⸗
lofen Bemühungen von Hamburg wieder abreiften , zus
mahl nach ihrer Anfiche, nicht Unrecht, "diejenigen,
welche diefe Verhandlungen hintertrieben hätten, Vers
rather ihrer Vaterſtadt zu nennen. Die unfelige Sprach:
verwirtung, welche das um fich greifende römifche
Recht mie feinem Kaudermwelfch hereinfuͤhrte, bier in: fo
greflem Widerklange gegen das einfache, biedere ale
ſaͤchſiſche Deutſch trug noch mehr: dazu bey, alle Be:
mühnngen, welche zum Frieden dienen follten, in: feinde °
fibaftlicbe Zungendrefcherey zu wwerwandeln, Der latei⸗
nifchen und ſonſt fremdartigen Ausdruͤcke wegen, deren
ſich die Gelehrten unter den Rathsherren bedienten,
waͤhlte der Buͤrgerausſchuß (1653) noch vier gelehrte
Juriſten zu ſich, je einen in jedem Kirchſpiel, gewiß
in guter Meynung, aber mit ſchlimmem Erfolge: die
Reibungen wurden dadurch hitziger, die Funken ſpruͤheten
ziſchender hervor. Eben durch dieſe Juriſten wurde
in die Streitigkeit erſt rechte Form und ‚Are gebracht,
In helle Flammen loderte der Hader auf, als 1656
zwey Kaufleute, Dobbeler und Wulff, ohne vorherge⸗
gangenes Urtheil, von dem Gerichtsherrn Lukas Beck⸗
mann auf IooThle. ausgepfaͤndet wurden. Dieſen Ein⸗
griff in die buͤrgerliche Freyheit glaubte man nicht dulden
zu Dürfen, Es verlangten demnachndierrzger, der Rath
ſolle das Ausgepfandere fuͤrderſamſt an Dre und Stellt
zurückbringen , zugleich" den Receß der 11650 zwiſchen
ibm und den 36ern "gemacht pı aber.’ von der Bürgers |
Schaft nicht genehmiget worden ; zurück geben, nach dem
Receß von 1562, 9:Die Pfaͤnder wurden ausgeliefert;
536 Erneuerung des Receſſes von 1562 i. J. 1657.
aber die Erfüllung der beyden andern Foderungen hart-
nacig verweigert. Zudem entfinne fich der Nach nicht,
daß der Receß von 1562 wahrhaft zu Stande gefom-
men jey. Auffallend war es, daß in Sr. Nicolai und
Str EatharinenKirchfpiet Feine Abſchrift jenes Receſſes
aufgefunden werden fonnte; von ©t. Petri wurde eine
gebracht, aber ohne Siegel, und deshalb als ungültig
verworfen, Endlich fand man die Copey von St. Ja—
cobi mit dem unverfehrten Siegel: da aber nichts deſto
weniger der Rath deffen Anerkennung verweigerte, grifz
fen die Bürger zu ihrem ſchon fonft bewahrt gefunde-
nen Mittel, fie entzogen dem Rathe fein Gehalt. Dies
fer aber half ſich auf neue, fühne Weife, und ließ fich
die Gelder von den Schoßherren, dem Mitgliedern der
eigenen Körperfchaft, auszahlen, ein Gewaltſtreich, der
nichts anderes, als Vorwürfe und Erbitserung erzeugen
fonnte, Wenn nun der Rath die Bürgerfchaft berief, ver⸗
weigerte Diefe dem Vortrage fo lange Gehör, big die
Schoßherren Rechnung abgelegt harten: einer derſelben,
von der Fechte, welcher troßig antwortete, daß er ber
Buͤrgerſchaft Rechnung zu geben nicht ſchuldig ſey,
haͤtte dieſelbe faſt zu thaͤtlichen Ausfaͤllen gereizt; der
Hader waͤhrte ſo lange fort, bis der Rath nicht nur
Die eigenmaͤchtig erhobenen Schoßgelder wieder zurüͤck⸗
geliefert, ſondern auch einen Revers von ſich geſtellt
hatte, daß er dem Receß von 1562 als rechtsguͤltig er⸗
fenne und demfelben nachzufommen aufs Neue fich ver
pflichte. Dieß geſchah 1657, den 4. November und
die Einigkeit fchien wieder hergeſtellt zu ſeyn, bis fie
durch einen anderen Umſtand abermahls geſtoͤrt wurde.
Streit über die Rathswahlen, 1663. 537
An den Rathswahlen mochte ‚manches gefcheben,
das der Bürger Mißvergnügen erregte, die ohnehin mit
Argwohn jeden Schritt der Behörde bewachten. Im
Sabre 1663, den 25. April, gerieth der Dberalte Juͤr⸗
gen Schröteringk mit dem jüngften Rathsherrn Marz
cus Buck auf Jaeobi⸗Kirchenſaal uͤber die Art, wie
derſelbe zu Rathe gekommen, in ein ſo heftiges Ge—
ſpraͤch, daß Beleidigungen fielen und der Oberalte die
fiharfen Reden des Buck mit einer Ohrfeige beantwor—
tete. In demſelben Jahre waren die Stellen eines
Bürgermeifterd und. vier Rathsaͤmter mit Perfonen bez
fege worden, über deren Wahl lautes: Murren entftand,
Als den 15. July bey der Verſammlung der Bürger:
fchaft der Rath in voller Anzahl auftreten wollte, ver:
baten fichb die Bürger den Anblick. der neuerwablten,
deren Faͤhigkeit, bier erfcheinen zu dürfen, fie nicht
anerfannten; in allen wiederholt angefagten Berfamm:
lungen erueuerte fich diefer Auferitt, die Bürger borz
ten auf nichts mehr, was der Rath vortrug und dieſer
mußte den Ummeg nehmen, feine, Vorſtellungen durch
die Dberalten an die Buͤrgerſchaft gelangen zu laſſen.
Der Unfriede wurde vermehrt ‚durch. die Aemter. Der
Gerichtsherr Weftermann haste acht Leinweber⸗Mei—⸗
ffer, welche einen Boͤnhaſen weggejagt und ibm das
Garn genommen hatten, nach dem Baume bringen lafs
fe. Dieß erregte Aufruhr nicht nur unter den Lein-
webern ‚. fondern unter allen übrigen Aemtern, welche
ihre Rechte gekrankt glaubten, und nur dem Eifer, des
alteften DBurgermeijters und des Dberalten Hormann
gelang es, da Weftermann ‚ohnehin bey der Bürger:
538 Der Wahlreceß von 1663.
ſchaft beliebt war, die Sache in Guͤte beyzulegen. Endlich,
nachdem der Rath die Bürger um Zulaſſung der juͤngſt
erwählten Narhmäner gebeten und die ihm vorgelegten,
auf einer Verfemmlung, welche die Bürger am 4. Now;
inter fich gehalten, beſprochenen Bebingungen bewilli—
ger hatte, wurde auch Diefe Schwierigkeit befeitiger,
Diefer Wahlreceß, den 11. Derember zu Gtonde ge
bracht, enthielt folgende weſentliche Puncte: ‚Binnen
acht Tagen feit des Verſtorbenen Tode folle die erle—
digte Rathsſtelle wieder beſetzt werden, damit der Rath
immer vollſtaͤndig ſey, und Bewerbungen verhuͤtet wir:
den. Der Rath beſtehe aus 24 Perſonen, halb gradu⸗
irten, halb aus den übrigen Bürgern. Man wähle
gottesfuͤrchtige und redliche Leute, die dem Geize feind
und dieſer Stadt Zuſtandes, Rechten und Privilegien
kundig ſind. Keiner unter 30 Jahren ſoll gewaͤhlt
werben, Vater und Sohn, zween Brüder, Schwieger⸗
vater und Schwiegerſohn, fünf im zweyten Grade ver⸗
wandte Perſonen ſollen nicht zugleich im Rathe figen.
Die Wahl geſchieht durehs Loos, nachdem vorher drey
der anweſenden Rathmaͤnner gleichfalls durchs Loos ber
ſtimmt worden, mit gutem Gewiſſen und nach einem
abzuͤlegenden Eyde eine ruͤchtige Perſon vorzuſchlagen,
welche durch die Mehrheit der Stimmen entweder zur
Wahl gelaffen wird, oder nicht/ bis die Wahl entſchie⸗
den werden kann. Die Syndiei, Sekretaire, ſelbſt andere an⸗
geſehene Bürger koͤnnen, ohne Rathsherren geweſen zu
feyn zum Buͤrgermeiſter erwählt werden.“. Dieſe Ein
richtung iſt, nach geringen Abaͤnderungen nachmals in
ihrer Guͤltigkeit geblieben und har durch die Prüfung
; Die 52er unterfuchen die Juſtiz-Verwaltung. 539
der Zeit ihre Güte und Vortrefflichfeie bewahrt, indem
durch diefelße der verderblichen Beſtechung moͤglichſt
entgegen gebauet, dem Verdienſte aber: und dem bürger-
lichen Anfeben der Weg zu den erſten Würden des
Staates geoͤffnet war.
Nur damabls konnte der Hader noch nicht zum. Schrei
gen gebracht werden und gebahr aus fich ſelbſt immer
neues Unheil. Der Bürger »Ausfchuß der Zwey und
funfjiger, big zu diefer Zahl war er mit den vier
Rechtsgelehrten vermehrt worden, hielt fich fortdauernd
zufammen und wandte zunaͤchſt feine größte Auf-
merkſamkeit auf die Verwaltung der Gerichtöbarkeit,
im welcher befonders Ric, Mörfen und Dr, Walther
allerfey Unziemtichkeiten wahrzunehmen glaubten, Auch
würden die Bürger - Verfammlungen, meynte Mörfen,
nicht bloß zu Geldbemwiligungen gehalten, fondern da«
mit den vorhandenen Beſchwerden abgeholfen merde,
Die Zwiftigfeiten brachen wieder aus 1665 im September.
Der Ausfchuß verlangte vom Ratbe, er folle den Ge
richtöverwaltern (Pratoren) auftragen, die Zeugen,
welche fie zu befferer Erfundigung der Juſtiz zur ihnen
ſchicken wuͤrden eydlich zu vernehmen. Der Rath
verweigerte dieſes Anſinnen, als wolle man ihn damit
beſchuldigen, das Recht waͤre uͤbel verwaltet worden,
um ſo mehr, als er nur Gott und dem Kaiſer, von
dem bie Regierung ihm. anvertrauet worden, Rechen⸗
ſchaft ſchuldig fey, Unterthanen aber die Obrigkeit zur
Unterfuchung zu ziehen niche befuge wären, Hätten die
Bürger Klage gegen den einen oder den anderen unter
ihnen, fo wäre ber Rath geneigte, nach Kraften dem
540 Der Bürgermeifter Lütfens u. der Narhmann
Nebel abzuhelfen. Die. Bürger aber befunden auf ihrer
Foderung, und verlangten nahmentlich, daß der damaz
lige Praͤor Johann v, Sprekel ſen bey Verluſt ſeines
Gehalts die eydliche Zeugen-Ausſage aufnehmen ſolle.
Dieſer jedoch verweigerte nicht nur ſolches Begehren,
ſondern wieß es zugleich mit Hohn und anzüglichen
Reden ab, und als dieß Betragen in der Buͤrgerſchaft
angezeigt und Sprekelſen deshalb vorgefodert wurde,
vergaß er ſich alſo, daß er den Buͤrger-Ausſchuß für
Lügner erklärte: worauf die erbitterten Bürger den
Kath auffoderten, den fraflichen Rathmann fo Tange
feines Amtes zu entfegen, bis er der beleidigten Ge:
meinde die: hinreichende Genugehuung geleiſtet babe,
ie fehr auch) der Kath dagegen fich fperrte, fo hatte
doch die Praͤtur durch einen anderen Herren befegt wer
den muͤſſen. Der rechtliche und geachtete Cafpar
Weſtermann hatte die Stelle wieder übernommen;
dieſer ließ 21 Zeugen, welche ihm geſchickt waren, eyd⸗
lich vernehmen, und die Ausſage derſelben lautete da—
hin, daß der vorſitzende Buͤrgermeiſter Perer Lit
kens Gefchenfe genommen und Recht und Gerechtigkeit
zu feitem Handwerk herabwirdiger habe. Die Bürger:
ſchaft verlangte, daßer von feinem Amte entferne winde,
und als fich derfeibe dem Schluß niche fügen wollte,
verfchmähere man ſelbſt handgreifliche Maaßregeln nicht,
ihn zu vermögen, feiner Stelle, und wo er klug ſeyn
wolle, der Stadt fogar fich zu entziehen, Er begab
fih auch wirktich im nachiten Jahre mir Frau und
Kindern nach Speyer, dafeibff vor dem Kammerge
richt feine Klage gegen die: ungerechte Behandlung der
Joh, v. Sprekelfen ihrer Würden entſetzt, 1666 ff. 541
Bürger anbangig zu machen, doch ohne Erfolg: er
farb, während in Hamburg. über feine Angelegenheit
noch immer geſtritten wurde, 1670 in Wien,
Mit gröfferer Hartnaͤckigkeit wehrte ſich Johann
von Sprekelſen ſeiner Wuͤrde, waͤhrend auch der
Rath zu deſſen Rettung alles aufbot, und nicht ohne
deſſen Wiſſen und Willen erſchien noch in dieſem Jahre
1666 ein kaiſerlicher Abgeordneter in der Perſon des
Herrn von. Selb, die Streitſache beyzulegen. Aber
es wurde nichts weiter zu Stande gebracht, als ein
kahler, inhaltloſer Receß, vom 17. September) der
weder etwas verbefferte, noch die aufgebrachte Bürger:
ſchaft berubigee. Im Gegentbeil beauftragte dieſe
ihre Capitaine, welche bey den Rathsverſammlun⸗
gen Warbe bielten, den von Sprefelfen, wenn er wie—
der zu Rathe kommen wolle, erſt mie Güte, und mo
diefe nicht bülfe, mir Gewalt hinwegzumeifen: auch
als derfelbe Cden 4. November) in St. Catharinen:
Kirche den Rathsſtuhl befuchen wollte, wurde ihm die-
fer auf Befehl der Kirchen: Gefchwornen vom Küfter
und Kirchenknecht zugefchloffen und er ſelbſt zuruͤckge—
bracht. Vergeblich verfuchte der Rath noch immer den
eg der Güte und berief fih auf die Anweſenheit des
Faiferlichen Bevollmächtigten; die Buͤrgerſchaft erklärte,
1667, ben 3. Februar, die Gerechtigkeit müffe gehand⸗
habt werden, woben man fich weder an den Faiferlichen
Bevollmächtigren, noch an deffen Vollmacht zu haften
babe. So geſchah es denn endlich den 24. April d. J.,
daß von Sprekelſen von den Rathsſitzungen fuͤrderhin
ausgeſchloſſen und die Wahl eines neuen Rathsherrn
/
542 Hier, Garmers wird Rathmann 1667,
an deffen Stelle bewilliget ward; der Procef aber
wurde noch Mehrere Jahre mie unſeliger Streitluſt
fortgeführe, die Gemüther in feindfefiger Spannung
gu erhalten, und noch mehr zu erhigen, Im den Rath
fam v. Sprekelſen niche wieder; er flarb im J. 1684,
In feine Stelle war. fogleich (1667) Hierony
mis Garmers erwaͤhlt worden, ein Techelicher
Mann, friedliebend und angeſehen; er war Provifer
des Werf: und Armenhaufes, des Gaft- und Kranken:
haufes, Diakon, Aelternann des Lakenhandels: aber er
haste ald Mitglied der Zwey und funfjiger einem Buͤr⸗
ger abgerathen, gegen den Buͤrgermeiſter Luͤtkens zu
zeugen; er war befonders dem Licentiaten Mörfen, der
mit des Dr, Walthers Beyhülfe, noch immer als
Stimmführer an der Spitze ber Buͤrgerſchaft Hand,
perfühnlich verhaßt: Gründe genug, daß auch viele
Wahl der Bürgerfihaft, obſchon mehrere darunter. zum
Frieden ſprachen, nicht anftandig war und Zu neuen
Sanfereyen Anlaß gab, Moͤrſen war fo thatig, daß
bey der Verſammlunßz der Buͤrgerſchaft den 6. Sept.
alles aufgeboten wurde, den Neuerwaͤhlten zur frey⸗
willigen Entfagung zu bewegen, Ban ließ die. fcharf-
fien Drohungen ergehen, der Rath felbft wurde muthlos
und verficherte, den-Garmers nicht fihügen zu koͤnnen,
bis diefer feine Stelle niederfegte und das Rath—
haus verließ. Noch in der Mitternachtfiunde, denn
die Bürgerfchaft verlangte Befchleunigung der Sache
auf. der Stelle, wurde in die Luͤcke des Abgegangenen
Zürgen Befeler Gecceler) ernannt, welcher
bisher Vorfigender in der Bürgerfihaft geweſen mar,
9
*
muß reſigniren, wird wieder gewählt 1674; 543
Garmers aber, der unfibuldig gekraͤnkte, brachte feing
Klage vor des Kaiſers Gericht, und nach Iangwierigem
Prozeß und nachdem Sich die Bürgerfchaft von den
wahrhaft rechtlichen Gefinnungen deſſelben uͤberzeugt
hatte, geſchah es endlich, daß er 1674 in eine damahls
erledigte Rathsſtelle wieder gewählt und aufgenommen
wirde Die Bürger ſelbſt, welche die Ahndung des
in. feinem Anſehen zurücdgefegten Rathes niche ohne
Urfach fuͤrchteten und der Ankunfe eines neuen Faifers
lichen Bevollmächtigten niche ohne Beſorgniß ent⸗
gegenſahen, brachten es dahin, daß eine Geſandt—⸗
ſchaft, beſtehend aus einem. Rathmanne und ihrem
Stimmführer, dem Lic. Mörfen, nach Wien geſchickt
wurde, die Einigfeit, welche zwiſchen den beyden Par
tehen berneftelle fen, daſelbſt zu berichten: aber die
foredauernde Gahrung ſelbſt ſtrafte ihre Rede Lügen,
noch mehr der unaufbörliche Schriftenwechfet, welcher
von den betheiligten Perfonen am kaiſerlichen Hofe un—
terhalten wurde, Immer noch zog dag drohende Un—
gewitter in beklemmender Schwüle Aber der Stadt bin
und ber, in unſtaͤtem Schwanken, bis «8 durch hefti⸗ “
gere Erſchuͤtterung in volleren Strömen ſich entladen
koͤnnte. Ber
Die Lage der Stadt war jetzt um fo bedenklicher, da ihrer
Unabhaͤngigkeit auch von Auſſen Gefahr zu drohen ſchien.
Wie die Verhandlungen mit dem Könige Friedrich IL
alsbald nach deſſen Regierungs-Antritt fich gerſchlugen,
ift oben erzähle worden; Der König verbarg bey den
nachfolgenden Verfuchen, Die wiederholt zur Ausglei⸗
hung der Sache gemachte wurden, feinen Unwillen
55
544 Verhaͤltniß zu Daͤnemark. — Altona,
nicht, und nur die Rriege, in welche er demnaͤchſt mit
der Krone Schweden verwickelt wurde, verhinderten
ihn, firengere Manfregeln gegen die Stadt zu ergrei-
fen. Dagegen begünffigte er mie befonderer Vorliebe
fein Altona, erhob den Flecken 1664, den 13, Auguſt,
zur Stadt, beſtaͤtigte derſelben die freye Religions—
übung, und verordnete, daß Feine gefthloffenen Aemter
daſelbſt feyen, auch daß denen, die fich daſelbſt nieder⸗
fießen, obne daß fie nöchig hatten, das Bürgerrecht
ſich zu erfaufen, bloß der Unterthanen⸗ und Bürger:
Eyd abgefodert werden follte, Die Hamburger, melche
es fo ungern faben, daß diefer Ort zu einer wohlhe:
benden Stadt aufbluͤhe, verfuchten das letzte Mittel,
fie wandten ſich an den Kaifer mit der Bitte, daß er
dem Könige, als Herzoge ‚von Holſtein, verbieten
möchte, feine Abfichten mie Altona zur Ausführung zu
bringen, auf ihr altes Privilegium ſich berufend, daß
in zwey Meilen Nahe ihrer Stadt Feine „Burg“ auf
geführt werben Dürfe, Das Faiferliche deshalb an den
König erlaffene Schreiben blieb’ ohne Wirkung, da dag
Faiferliche Recht in dieſer Sache laͤngſt von keinem
Raͤchsſtaude mehr anerkannt worden war. Auſſerdem
verbot der Koͤnig die hamburgiſche Handlung in ſeinen
Landen, verbat ſich jede guͤtliche Ausgleichung, wieß
ſelbſt die gewoͤhnlichen Hoͤflichkeits-Bezeugungen zuruͤck
und ließ durch ſeinen Reſidenten in Hamburg gegen alle
Zulaſſung hamburgiſcher Abgeordneten proteſtiren. Die
Kurfuͤrſten waren ſelbſt der Partey des Königs Zune
than; als jedoch die Stadt 1664 ihr Reichs⸗Contingent
gehörig entrichtet hatte, 100,000 Thlr. für das Drey⸗
—
f
Die Huldigung aufs Neue berührt 1673.) 545
fache der Türkenffeuer, verordnete der Kaiſer aufs
Neue, ihr die Rechte angedeiben. zu Taffen, die ihr
ſchon ſonſt durch das Reichs⸗Kammergericht zugeſpro⸗
chen worden waͤren. Im J. 1670 ſtarb Friedrich IL,
und es folgte ihm Chriſtian V., ver gleich bey der
Bewillkommnung der hamburgiſchen Abgeſandten, die
ihm Gluͤck zu wuͤnſchen erſchienen waren, "die Huldi⸗
gung mit Haͤrte foderte und ſeine Abſichten, Hamburg
ſich gaͤnzlich zu unterwerfen, kaum geheim hielt. Der
Kaiſer ließ, wie gewoͤhnlich, ein geſchaͤrftes Verbot an
die Stadt ergehen, mit dem Koͤnige in die Huldigung
ſich nicht einzulaſſen, und an den Koͤnig, der Stadt mit
feiner Anmuthung nicht beſchwerlich zu fallen; aber die
gefabrdrobende Stellung blieb; die Stade ſelbſt wurde
von hoher Hand gewarnt, anf ihrer Hut zu ſeyn und
beſonders innerem’ Zwieſpalte zw ſteuern. In diefer Bes
ziebung war die Auffehrife, welche auf das eben in
diefem Jahre (1673) vollendere Deichthor gefegt
wide, ſinnbedeutend und vollmichtig fit die Gefahr
des Augenblicks, wie fie warnend und ermahnend da.
ſteht für alle Folgezeit; auf der einen Seite: Liber-
tatem, quamı peperere inajores, digne studeat servare.
posteritas. Auf der andern Seite: Salus civitatis vir⸗
tns et concordia. (Der Stade Wohlfahrt iff Gottes⸗
furcht und Eintracht.) IR; |
Sn fo bedenflicher Zeit offenbarte ſich ein Gebre—
chen im innerſten Herzen des Staates, da wo man eg
am wenigſten geargwohnt hatte, bey denen namlich,
die ſelbſt als Wachter und Hüter der bürgerlichen. Ber:
faſſung durch eydliches Verloͤbniß ſich verpflichter haste,
35*
P]
546 Ungebuͤhrliche Anmaßung d. Oberalten
Die Oberalten, die eigentlichen Vertreter der Buͤr⸗
gerfchaft, waren ed, welche, eben fo fehr ihrer Pflicht
vergeffend, Die Rechte der Gemeinde gegen ungebühr:
Jiche Eingriffe der Obrigkeit zu verfechten,. als in eis
gene Anmaßungen ausartend, die Bürger beleidigten,
Den erften Urfachen diefer Mißbraͤuche nachzufpüren,
möchte ſchwer ſeyn: aber Thartfache war ed, daß die
Oberalten eigenmachtig in der Beflimmung des Wahl:
veceffes, wie es mit ben Verwandtſchaften gehalten
werden folle, in Verſtaͤndniß mit dem Rathe unbefugte
Abanderung getroffen, (1671) zum groffen Aergerniß
der Bürgerfihaft, melche einen Schwieger- und Vers
wandten-Rath ſchon nach dem alten Sprichwort haßte &
Thatſache war es, daß fie Die Berufung der übrigen Collegien
verweigert, fogar der Verfalfchung der Protocolle fich
erlaube; Tharfache ferner, daß fie bey den Leichenbes
gängniffen und wo file ſonſt öffentlich erfchienen, im
Rangſucht fich überhoben, Thatſache endlich, daß fie
fi) bey der Wahl eines Diafonen in St. Gatharinenz
Kirchfpiel ordnungswidriger Eingriffe fehuldig gemacht,
und durch die Meberfpringung von 18 Alteren Subdia—
fonen die allgemeine Erbitterung gegen fich erregt har
ten, (Im Detober 1671.) Heinrich Nensel, von feinem
eigenen Bruder, dem Oberalten Herrmann, vorgeſchla⸗
gen, war biefer eigenmächtig gewählte Diakon. Die uns
gerecht zuriicfgefegten, als deren Stimmführer befon-
ders Simon Fo, Barthold Jenckel und Lic. Dierrih
Hohlmann auftraten, verweigerten nicht bloß Die fers |
neren Pflichten ihres Amtes, fondern führten auch bey
der Bürgerfibaft laute Klage; die Oberalten ſelbſt
#
—
ſeit 1671, und daher entſtehende Irrungen, 547
wurden mit Haͤrte zur Rede geſetzt und geriethen faſt
bey den Buͤrgerverſammlungen in Gefahr, nicht durch
Reden allein, ſondern durch Stoßen und Draͤngen
beaͤngſtigt zu werden. In der Noth wandten ſie ſich
an den Rath, welcher demnaͤchſt einen Befehl gegen die
ſogenannten Schreyer (Vociferantes) in der Buͤrger⸗
ſchaft ergehen ließ, (1672, den 21. December) mit dem
Verbote, daß Feiner allein oder in Gemeinſchaft An⸗
derer der Bürgerfihaft Befchwerden vortragen, fondern
fich damit unmitcelbar an den Rath wenden, insbefons
dere, daß Niemand die Iöblichen Dberalten weder mit
Worten nich mic Werken anfechten folle, bey Strafe
von 500 Rthlrn. und Ausfchließung aus der Bürger:
fibaft. Durch eine mildernde Erlauterung dieſes Manz
dats vom 23. Februar 1673 wurde die Bürgerfchaft
um fo weniger beruhige, da die Oberalten nicht nur
fortfuhren, eine Injurien-Klage gegen die Stimmfuͤhrer
der 48er und 144er anhangig zu machen, fondern fogar
mit Uebergehung der Stadt-Dbrigfeit einen Faiferlichen
Schußbrief (protectorium) fich hatten verfchreiben und
durch des Raths Befehl auf dem Rathhauſe bey den
Bürgerverfammlungen aufhängen laſſen. (den 13. Jan.
1673.) Dem Schutzbriefe folgten noch in demfelben
Sabre (16, Sept.) ſechs kaiſerliche Mandate, welche
am Rathhauſe und an der Börfe angefthlagen wurden,
darauf hingehend,. daß die umangefeffenen Bürger der
bürgerlichen Zufammenfünfte fich enthalten, auch daß
die 52er fich auflöfen follten: Weranlaffung zu der un:
muthigften Stimmung und fortgefegter Widerfpenftigfeie
gegen alle Verordnungen, da die Bürger ihre Selbftandigfeit
548 Graf von Windi ſich ⸗G raß ‚ Raiferl, Bevoll-
durch den Verrath ihrer eigenen Befchüger auswärtigen
Gerichten Preis gegeben glaubten, denn über Die Urheber
des Verrathes febien man nicht mehr zweifeln zu koͤnnen.
Aber eben Diefelben hatten Durch ihre geheimen
Betriebe fchon zu raſchen VBorfprung gewonnen, Ganz
unerwartet erfcbien, den Knoten der Verwirrung nicht
zu Iöfen, fonbern zu zerhauen, der aus Danemarf zus
ruͤckkehrende Braf von Windiſch-Graͤtz, als Faifer-
licher Bevollmachtigter, in Hamburg, 1674, den ıoten
Febr. Nach dem Grundfag, jedes Hebel müffe in feir
nen Reimen erfticht werden; fing er damit an, die
Eihreyer zur Ruhe zu verweifen: ein Gutachten, wel:
ches fih Luders, der Brauer Neltermann, von einem
luͤbſchen Rechtsgelehrten über die Faiferlichen Mandate
hatte auffegen und durch den mwohlgefinnten Oberalten
Gerd Blome unter der Bürgerfchaft vereheilen laſſen,
wurde ald Schmähfihrife auf dem ehrloſen Blocke vers
brannt; der Bürger war flüchtig geworben, der Ober—⸗
alte mußte Abbitte thun, der Tübfehe Doctor Claſſen
wurde in Verhaft genommen. Die Bürgerverfamm-
lungen ‚, unter der Krone, wie ſie's nennen,‘ als die
Quelle aller entftandenen Irrungen, zu befehranfen und
den Ausſchuß der 52er aufzuheben, waren die erfien
Borichlage, welche er in Bereitſchaft mit fich führte
und den 4. Marz zur Einleitung vorbrachte, Die Sub—
diakonen, welchenach der ungerechten Diafonenwahlin St,
Catharinen den Klingelbeutel niedergelegt harten, wur⸗
deu ein jeder gu 5o n® Strafe verurtheilt; den Bir
gern, welche in den Berfammlüngen am meilten das
Wort geführt, wurde dasunberufene Reden verboten : ſelbſt
!
maͤchtigter koͤmmt an, fein Receß 1674. 549
das Kirchengebet erhielt, ohne daß jemand zuvor uns
errichtet gewefen, den neuen überrafchenden Zufag, daß
„bey Erwähnung der rom. Faiferlichen Majeſtaͤt die
Worte: „als unfer allergnädigfter Kaifer und Herr’
hinzugefügt werden mußten. Nach folchen Befchwich-
tigungen wurde fofort an dem Werke des Friedens weis
ter gearbeitet. Die whatigfte Perfon in diefem Ger
fehäfte war der Syndikus, D. Vincent Garmers,
ein gewandter Mann, zu Vielem zu gebrauchen; Der
Agent der Stadt, Symifusg Sebaſtian Brauer,
warim Verſtaͤndniß mit den Oberalten, und der Eaiferliche
Agent GeorgFabricing wurde aufs beffeunserrichtet, .
wie unter den gegenwärtigen Umfkänden zu verfahren fey.
‚Die Vergleichöpuncte waren aufgefegt und fo gut, wie
genehmiger, noch bevor die Bürgerfibaft darum ber
fragt worden war, und ald dag Mißvergnügen Einzel:
ner dennoch laut zu werden wagte, hatten die Drobuns
gen mit des Kaifers Ungnabe und Strafe fo viel Ge
wicht, daß man der dringenden Noch des Augenblicke
nachgab und zur Annahme des Keceffes fich bereic ers
klaͤrte. Das ift der berüchtigte Windifchgräisifche
Receß, aus 81 Artikeln beftehend, melcher in feinem
Weſen und in feiner breiten, reichsftilmafigen Form,
fo wie durch die gewaltfame Art, mit welcher er der Bürs
gerfchaft aufgedrungen wurde , unmöglich ſich eignete,
die Gemüther zu beruhigen und Friede und Eintracht
im Innern wieder berzuftellen. Der Inhalte deffelben
verdient um fo weniger der Aufzahlung, als der Receß
ſelbſt nach fpateren Verordnungen theild für ungültig
erklärt, theil$ durch genauere Beflimmungen überflüffig
550 Vrerhaͤltniſſe der Staaten Europa’g
gemache worden iſt. Hauptbedingungen deſſelben waren :
das Aufhören des z2er⸗Ausſchuſſes ; daß, wer Feine 500 n@
Eigenthum babe, nicht für erbgefeffen gelten fönne; alle
Aemter und Brüderfchaften, feit 1603 entſtanden, feyen
ungäftigu. fm, — Dagegen blieben die Grundbeſchwerden
unangetaſtet: mehrere Puncte waren ſelbſt den wohlge—
finnten im Rathe zumider, Der Graf v. Windifch-
Graͤtz wurde fofore mit Pomp und reichem Gefolge bey feiner
Albreiſe bis nach Bergedorf begleitet: aber in der Stadt
blieb dumpfe Stille, Verdruß ob gefcheiterter Hoffnung,
Groll und Haß bey den einen, Schadenfreude und Ue—
berhebung bey den andern, Beſtuͤrzung, Niedergeſchla⸗
genheit bey allen Beſſeren, die ſich in ihrem edelſten
Gute, der altgeerbten Treue, der ſchwaͤrmeriſchgeliebten
Stadtfreyheit fo empfindlich gekraͤnkt ſahen.
Dieſe Vorfaͤlle muͤſſen wir durch einen raſchen Hin—
blick auf die damaligen Zeitverhaͤltniſſe unterbrechen.
Der Weſtphaͤliſche Friede harte Deutſchland, hatte
Europa Ruhe geben ſollen, aber er wurde ſelbſt wieder
der Wegmeifer zu neuen Umwaͤlzungen, zu welchen das
eroberungsluſtige Frankreich winter" des hochfirebenden
Ludwig's XIV Zepter in der Lige der Dinge günftige
Ausſicht fand, Zuerſt fiel es über die ſpaniſchen Nie
derlande her, dann wurde der Rhein der traurige Schau—
pla& der wildeſten und zügellofeften Verheerung, Aber
auch im’ Norden von Deutfchland wußte der fehlaue
Unterbandler Krieg und Verwirrung zu verbreiten :
Schweden mußte in die Staaten des großen Kurfürften
von Brandenburg fallen, um denfelben von feitten Un—
gernehmungen zum Beyſtande der Niederlande abzuzie⸗
4
zu einander, Nordifche Union, (1675) 551
ben, Nun entfland das Buͤndniß zwifchen Brandens
burg, Braunſchweig⸗Luͤneburg⸗Zelle, Muͤnſter und Dane
mark gegen Schweden. Chriſtian V. eroberte im Jahr
1675 Bremen und Verden, die von den Schweden be⸗
ſetzt waren, auch im naͤchſten Jahre blieb er gegen Schwe⸗
den ſelbſt gluͤcklich: als aber die unnatuͤrliche Eifer:
ſucht des deutſchen Kaiſers auf Brandenburgs wach⸗—
ſende Groͤße nach dem Nimweger Frieden zuließ, daß
franzöfifche Heere in Deutſchland einruͤckten, ging auch
Daͤnemark ſeiner eroberten Laͤnder wieder verluſtig und
kehrte erſchoͤpft aus dieſem Kampfe zuruͤck. (Friede zu
Fontaineblenu 1679, den 2. Sept.) Diefe ungluͤck⸗
felige Verwickelung der deutſchen und auslandifchen
Berhältniffe war für Hamburg, welches mit feinem
Handel alle beruͤhrte, hoͤchſt druͤckend und beengend.
Schon die Naͤhe der Kriegsunruhen im Jahr 1675 führte
um ſo groͤſſere Gefahr herbey, da im Innern der Stadt
Unluſt und Mangel an Einheit der Geſinnung einer
wachſamen Hut und kraͤftigeren Vertheidigung hinder⸗
lich waren. Die Muͤnſterſchen Voͤlker hauſeten uͤbel im
Amte Ritzebuͤttel, und das Schloß mußte ſtaͤrker beſetzt
‚und mir größerem Vorrath verſehen werde. Die Vier—
lande, in welchen die Daͤnen ihre Winterquartiere faſt
mit Gewalt zu nehmen Miene machten, beſetzten die
Hamburger mir ihrer Miliz und mie kaiſerlichen Trup—
pen unter dem General Coop, welche fie als Schutz⸗
mache dahin aufgenonmen hatten, Dagegen zogen’ fie
fich durch die Bemühungen, für ihren Handel moͤglichſt
Freyheit zu erhalten, Mißdeutung und viele Ungelegenhei—
sen zu, Bereits im Jahre 1674 war ſelbſt gegen den Willen
552 Schwierige Lage Hamburgs zu ben
des Raths, beionders auf Berrieb des Praͤſes der Oberalten,
Niclas Krull, eine Geſandtſchaft nach Schweden
geſchickt worden, wie es heißt, um wegen der Abſtel—⸗
lung des Stader Zolles uud der Ritzebuͤtteler Grenze zu
unsterhandeln, aber zu groffem Nachtheil der Stadt bey
allen übrigen verbünderen Machten, Die darin Abfall und
Verrath zu entderfen meynten. Auf dem Reichstage zu
Regensburg 1674 war vom Kaiſer und von den Kurfür-
fen Frankreich zum Reichsfeind erklärt und allen in
deutſchen Landern fich aufhaltenden Franzöfifchen Gefand-
ten und Miniftern anbefohlen worden, das Heich zu
raumen, In Hamburg wohnte damahls der Reſident
Bidal, und da die Stade mic Frankreich einen
Handelsvertrag errichtet hatte, mußte jener Befehl hier
befondere Verlegenheit berbeyführen. Dem Syndicus
Vincent Garmers war es in Regensburg nicht ge
Jungen, die Neutralitat der Stade zu vermitteln; den-
noch zögerte man fortdanernd mir Ausführung des er-
haltenen Auftrags, und erregte dadurch eben fo fehr
. die Alnzufriedenheit der übrigen bier anmefenden Mini:
ſter, als ein verdrießlicher Umſtand, daß ein Schreiben
von bier aus, von diefem Bidal an den General Turennebe:
ffimmt, vom Faiferlichen General Montecuculi aufgefan:
gen, die Stadt in noch aröffere Verlegenheit fegte, Dem
franzöfifchen Minifter mußte nun der Schuß. aufgefagt
werden, wie groffe Nachtheile auch für die Schifffahrt
daraus entffanden, da jet die franzöfifchen Kaper ges
gen die Hamburger feindfelig verfuhren: die Unzufrie—
denheit wuchs unter den Kaufleuten, noch mehr unter
den brodlos gewordenen Schiffsleuten; es entifand am
europaifiben Machten, 1674 ff. 553
27. Februar (1676) ein wilder Auflauf, die Boots:
fnechte zogen fibanrenmweife durch die Straßen, drohe⸗
ten dem Syndicus Garmers und dem Faiferlichen
Commiſſar Hobbaͤus, die Haͤuſer zu Fürmen, vergriffen ff
faft an den Rathsherren, und nur mit Aufgebot der
Bürgerwehr und der Miliz ‘wurde die Ruhe wieder
bergeftelle, noch mehr durch das Wageftück, eine
Kauffabrteyflotte, wohlgerüfter und mit guter, Manns
fehaft verfeben, auf gut Glüf in See geben zu laß
ſen. Bon anderer Seite her liefen von Brandenburg
wiederholte Beſchwerden ein, am ungelegenften, als der
Kurfürft eine Driginalrechnung über einen ſtarken Wech-
fel aus Frankreich für, Schweden, in Hamburg zu
bezahlen, aufgefangen hatte. Der Kurfürft konnte erſt nach
vielen fruchtlofen Borftellungen und manchen gefibeiterten
Verſuchen, durch Vermittelung des Herzogs zu Lünes
burg = Zelle und - durch eine bedeutende Summe Geldes
wieder ausgeföhnet werden: um Diefelbe Zeit, (1676)
als man zu größerer Sicherftellung de8 hamburgifchen
Gebiets vor nicht gern gefebener Einquartierung mit dem
Herzoge von Lüneburg » Zelle geheime Verträge errichten
mußte, die auf daS Wohl der Stade berechnet ſchienen.
(1676, d. 18. Octbr. 1677, d. d. 29. May. 1678,
d, 30. Nov.)
Argliftiger, denn die übrigen, Taufchte noch immer
zur Geite Dänemark, doch in ſich ſelbſt zu viel bes
fehäftiget, um zu ernften Angriffen noch Raum zu gewin⸗
nen, bis günftigere Zeit fich darbieten möchte, Indeſſen
erzeigte es unwillkuͤhrlich der Stadt. Hamburg durch
Aufderfung eines zweydeutigen Mannes eine Wohlthat,
554 Der Syndikus Vincent Garmers
welche hier ſelbſt nicht erwartet worden war. Der
Syndikus Dr. Vincent Garmers, ſchom bekannt ſeit
dem Windiſch-Graͤtzer Receß, hatte ſowohl in
Wien, als auch mit anderen Höfen und deren Miniſtern
ſeit Jahren einen faſt ununterbrochenen Briefwechſel
unterhalten, und dem kaiſerlichen Hofe theils durch feine
Mittheilungen ber die Verbältniffe der Stadt, theilg
‚durch feine Tharigfeit, Die Vorausbezahlung der Römer:
monate zu vermitteln, ſich anfehnlich empfohlen. In
einem befondberen Briefwechfel fand er auch mit dem
Sreyherrn von Kiel manndegge, Geheimenrath des
Herzogs von Gottorp, dem heftigen Gegner des bani-
ſchen Königs, mit folcher Unvorſichtigkeit, daß er fich
ſelbſt belsidigender Ausdruͤcke gegen den Monarchen nicht
enthielt. Kielmanndegge, feinen naben Sturz voraus⸗
fehend, hatte durch des Garmerd Einfluß am Wiener
Hofe verfuchen wollen, daſelbſt ald Geheimerach eine
Anftellung zu erhalten. Einer der Briefe, Diefen Gegen:
ſtand betreffend, wurde dem Könige verrathen, man
fagt, auf Anfkiften des Advocaten D. Lucas Langermann,
feines perfönfichen Feindes, von der Wittwe Henningg,
die im Befis der Kielmannſchen Briefe und mit Garmers
im Proceß war, dem Könige überfande. Durch feinen
Secretaͤr von Eien foberte der König vom Hamb. Narbe
des Syndikus Auslieferung oder Gewaͤhrleiſtung für deffen
Perſon; der Rath berief fehleunig die rager zufammen,
die Verhaftung wurde befchloffen, Garmers aber, inge—
heim gewarnt, hatte bereit8 feine Perſon in Sicherheit
gebrachte. Alles gerierh in Bewegung. (Den 9. Marz
1677.) Sein Haus murde mit Soldaten befegt, feine
o | .
wird entlarvt und der Stadt verwiefen. (1677 ff.) 555
Schriften verfiegele und aufs Rathhaus gebracht, er
ſelbſt wurde durch öffentliche Bekanntmachung, fich vor
Gericht zu fiellen, berufen und 1000 n® dem geboten, der fei-
nen Aufenthalt angeben könnte, Die Stimmung des Volks
bey diefem Vorfall fprach das Urtheil des Entwichenen.
Eine unzählige Menge verfamntelte ſich vor dem Haufe
deffelben, auf.dem Pferdemarfte, und verübte den aus⸗
gelaffenften Muthwillen und Frevel. Sein treuer Agent
in. Dien, Georg. Fabriciug, erfuchte den Faiferlichen
Hofrath um frenge Maaßregeln, um neue Coms
miffionen, Strafmandate, Protectorien, Garmers
ſelbſt erließ eine Versheidigungsfchrift mach der andern:
aber in Wien fchadete ihm feine Doppelzüngigfeit , die
aus dem entbesften Briefwechſel an den Tag fam, in
welchem ſelbſt der Beſtechlichkeit des Vice⸗Canzlars ger
dacht war; bey dem Genate fland er als entlarvter
Berratber da; der Eniferliche Abgefandte von Koͤnigseck
feibft drang auf verdiene, Beflrafung; er wurde
daher 1678 nach Urtheil und Neche feiner Würde vers
luſtig erklärt und für immer aus der Stadt verwieſen.
Er war ingwifchen nach Haarburg, Stade entwichen,
und fand endiich Schug ind Aufnahme bey dem Her-
joge von Mecklenburg, der ihn ſchon das Jahr zur
vor zu feinem Geheimenrach .ernanne gehabt, zu
der angefehenen Würde eines ViceCanzlars Sr, Durchs
laucht erhoben.
Eine Spur führte zu weiterem eicht in der dunke⸗
len Verworrenheit, in welcher ſelbſt den oberſten Bes
hoͤrden der Stadt noch Vieles unerklaͤrbar geblieben ſeyn
mußte. Es iſt wenigſtens hoͤchſt wahrſcheinlich, daß
556 | Beffatigung des Receſſes von 1674
die Wegnahme der Garmerg’ ben Schriften auf Ent-
derfungen führte, welche fo neu als wichtig waren,
Bis zum Jahre 1674 waren alle in Hamburg geſchloſ⸗
ſenen Receſſe, wie der aͤchte Sinn des Ausdrucks beſagt
und die freye Verfaſſung der Stadt erheiſchte, als freye
Vertraͤge zwiſchen Buͤrgerſchaft und Rath durch Nach—
giebigkeit und billige Vereinung beyder Theile zum ge—
meinſamen Beſten entſtanden. Zuerſt in jenem Jahre
war aͤuſſerer Einfluß herbeygezogen, und die Freyheit der
Verfaſſung angegriffen worden. Der Kath fühlte die wich⸗
tige Bedeutung und die Nachwirkungen diefes Schrittes,
die Hoheit und eigentliche Majeſtaͤt der Stadt fehienen
gefaͤhrdet; darum mißbilfigte er ihn umd war gefon-
nen, ihn bis zu günfligerer Seit allmaͤhlig vergeſſen zu
laſſen. Nebenruͤckſichten, welche fuͤr den Augenblick in
Beachtung kamen, daB die Verweiſung der Juden,
das Verbot neuer Aemter feit 1603, die Auffündigung
des Vertrags mit dem englifchen Coure der Wohlhaben⸗
heit der Stadt und dem eigenen Einkommen nachtheilig
feyn würden, kamen nur Teife in Beruͤhrung. Die
Freyheit Tiebenden Buͤrger waren in der Hanptfacke
mit dem Rathe einverfianden. Um fo größer war die
Beſtuͤrzung, um fo beftiger wurde der Unwille aber
mahls aufgeregt, als im Jahre 1677 der Receß von
Wien zuruͤckkam, in feiner ganzen Breite und Form
vom Kaiſer beſtaͤtigt und mir einem Anhange
verfehen, (clausula poenalis) in welchem ıco Marf
loͤthigen Goldesallen denen zur Strafe geſetzt wurden,
welche dieſem Neceffe niche nachkaͤmen. Ein Machtge-
bot,: dergleichen die Stadt noch nie erfahren hatte,
Und die Duelle diefes Berruges war?
3—
mit der clausula poenalis 1776, 1777. 557
Der Rath entdeckte ſie (wie es ſcheint, zuerſt den
24. Auguſt und ff.) dem Collegium der 144er, das er,
ohne Befragung der Dberaften zu dem Ende berufen
hatte, Es ergab fich namlich, und wurde eriwiefen
durch den Fortgang der Unterfuchung, daf von Seiten
der Dberalten, ohne Willen des Senats, alsbald
mach der Abreife des Grafen von Windifih - Gräg, den
27. May 1674, dem Faiferlichen Agenten Tabricius
unumſchraͤnkte Vollmacht gegeben worden, beym Wiener
Hofe die Betätigung des Receſſes zu ſuchen und
alles deffen, was damit in Verbindung ſtehe; daß fie in
Wien ſelbſt den Faiferlichen Befehl ausgewirkt, wodurch
dem Rath entboten worden, den Unionsreceß zur Befkäti-
gung einzufenden und förmlich darum anzuhalten; (d. 30
Det. 1675) daß durch ihren Agenten Fadricıus du
Straf-Clauſul der 100 m& I, ©, in Borfihlag gebracht
worden fey, „inmaßen die gegoffene Glocke ohne darin
bangenden Schwengel ſchlechtlich Tauten und lauten
dürfte; daß für die Gewährung ihres Geſuchs von ihnen,
ohne Vorbewußt des Rathes und ver Bürgerfchaft ein
Dankfagungsichreiben abgefandt worden’ fey, 1676, den
19. April. Es Fam dazu, daß fie die 48er hintergan-
gen, durch falſche Protocolle getäufcht, daß fie unter nichti⸗
gem Vorwande die aften Bücher entfernt und neue hat:
ten anfertigen Taffen, daß fie die Gelder des h. Geiſt
und des Magdalenen Klofterg, den Armen beffimme, zur Bes
foldung ihrer Agenten in Wien verwandt (8689 m&) und
den Deconomen Philipp am beit. Geiſt durch einen Eyd’
verpflichtet gehabt, von diefen Geldern und wohin fie gekom⸗
men, nichts zu eröffnen. Die Anklagen waren zu ſtark
® | *
558 Die ſchuldigen Oberalten ihres Amtes entſetzt, 1678.
und zu begruͤndet zugleich, als daß es befremden konnte,
wenn die Buͤrgerſchaft den Rath auffoderte, die Ober⸗
alten v. J. 1674 ihres Amtes zu entſetzen und den Fis⸗
cal nach aller Strenge gegen fie verfahren zu laſſen.
Die Sache dehnte fich in die nachften Jahre aus, big
endlich die Angeklagten von ſelbſt ihrer Stellen ent:
fogten und die zur. Auswirkung der Straf: Elaufuf
verwandten AUrmengelder, nur als Darlehn aus dem
Ueberſchuß der. Kloftergelder genommen, nebſt den
Zinfen aus ihren Mitteln wieder, erſtatteten. Un—
ſtreitig hatten mehrere von ihnen die Sache ſelbſt
fuͤr unſchuldiger gehalten, als ſie ausſah, und wa—
"en in. der. Meynung, der Stadt Belle zu beförz.
gern ‚, den Stimmführern, die unter den Bürgern
BAT; bedeutenden. Anhang hatten, gefolgt. Für ihre
Fechtlichkeit ſpricht auch der Umſtand, daß einige von
ihnen ſpaͤterhin im ihre alte Würde zuruͤckberufen wur—
den, andere, in den Rath gewaͤhlt, ohne Vorwuͤrfe
blieben, nur. bey dem einen oder dem andern ſcheint der
Kiel der Herrſchſucht obgewaltet zu „haben, wie bey
Herrmann. Rengel,. der. füh die Aeufferung entfallen
ließ: „Wir intercediren nicht mehr für die Bürger bey
‚Rache, fondern wir gebieten dem Rathe.“ Und ſelbſt
aus diefer Aeuſſerung geht nur die Sorge für die Erz
haltung ver Freyheit hervor. Auf Einem allein blieb
der Vorwurf der Verraͤtherey haften, anf ihn allein
haͤufte man die Erbitterung und die Rache, womit
man Anfangs Alle verfolgt hatte, das war der Rathmann
Nicolaus Krull, der zu jener Zeit als Praͤſes der
Oberal ten im Collegium geſeſſen, ſeit 1676 aber be
reits zu Rath erwaͤhlt worden war;
» | Ä 5
ſo wie der Rathmann N. Kıull, 1677. 559
Es geſchah den 15. November 1677, als in der
Bürgerverfammlung die 144er bey dem Rathe darauf
antrugen, daB Herr Krull, ald Theilnehmer des
Verraths an der Stadt, feines Amtes entfege und vor
Gericht gefodert würde, Die Stimmung des Volks
entlud fich alfobald gegen ibn mit ausgelaffener Wurh,
man befcbimpfte ihn-auf öffentlicher Straße, man fang
Spottlieder vor feinem Haufe, Cin der Reichenfkrafe,)
man mablte Schandbilder an feine Thüres Der Nach
ſelbſt vermochte dem Begehren der Bürger hiche zu
wiberftehen und als Krull durch feine Wiener Freunde
noch im Laufe dieſes Jahres ein Faiferliches Reſcript
einbrachte; meisered Berfahren zu verbiesen, erging
im Auftrag des Rathes ein genauer Bericht nach Wien
ab, durch den Lic. Pohlmann verfaßt, (1678, 8, 2>,
Februar) die Gründe zu entwickeln, warum der Rath—⸗
mann abgefegt und den Stadtgerichten verfallen ſey⸗
Dennoch änderte ſich nur zu bald der Gang dieſer Sache,
welche für die Folge fo wichtig werden follee, als Rrutt
niche nur mit einem Eniferlichen Schuß: ind Schirm
brief, (vom 13; Sept, 1679) fondern auch hit wieder:
holt geſchaͤrften Mandaten (don Prag 16805 den 8,
März, den 29: May deif.) hervortrat, ihn in fein vers
forenes Ehrenamt wieder einzufegen und mit dem figcas
liſchen Verfahren inne gu haften: Die fertteten Bes
triebe dieſes Mannes verzmweigen fich in dem duͤſteren
Schattengemaͤhlde, welches nun immer dünkeler und
truͤber in den nachſten Jahren vor uns aufſteigt. Es
erfuͤllt die Seele mit innigem Schmerz, die Ausartung
zu gewahren, welche ſelbſt in dem kerngeſunden Boden
36
U
560 Hinrich Meurer, Rathmann, Bürgermeiker.
einer befcheidenen einfachen Satdtgemeinheit, von dem
Verderben der Zeit hergemeher, Wurzel fihlägt und
mwuchernd fich rings immer mehr verbreitet. Krull’$
vertrauter und thätiger Gehülfe war ein anderer Raths—
herr, Hinrich Meurer, einer jener gefährlichen
Menfcben, welche die Bösartigfeit nnd Selbftfucht des
Herzend mit Welterfahrung und wiſſenſchaftlicher Bil⸗
dung uͤbergleißen, und je ehrlicheren Schein ſie ſich zu
geben wiſſen, deſto fürchterlicher für andere werden.
Durch Berrug hatte er fich in den Rath gefchlichen,
erft acht und zwanzig Jahre alt, und das Taufbuch mit
Hülfe feines Schwagers, eines Kirchenjuraten, verheim—
lichend. (1672.) In der Schule des Synd. Vincent Gar:
mers gebilder hatte er deſſen Grundfage eingefogen und
brachte fie mit ſchlauer Befonnenheit in Ausübung, Er
war der vertrauteſte Freund des Faiferlichen Refidenten
von Rondeck, binterbrachte demſelben alle Geheimniffe
der Rathsſitzungen und der Bürgerfihaft, erwarb fich zuerſt
als Praͤtor, dann als vorfigender Bürgermeifter (feit 1678)
überfchwengliche Reichthümer, erfaufte ſich in Wien,
- wo Alles feil war, die Gunft des Hofraths, und legte es
in feinem hochfahrenden Sinn auf nicht$ geringeres an,
ald mir einigen feiner Gehülfen, Die er zu fich in den
Nash befürderte, su unumfchräntter Gewalt über die
Stadt ſich zu erheben, Im gleicher Abficht verſtund er,
feine Verwandten und Freunde in Brüderfchaften und Be:
dienungen einzufcbieben, fuchte fich durch Beſtellung ver
Haupsmannfchaften, durch Beftechung dieſer, oder durch
tuͤckiſche Verfolgung anderer, der Bürger - Compagnien
zu verfichern; er ließ ſchon Münzen mir feinem Bildniß
ne
|
(Pinneberger Interims⸗Receß. 1679.) 561
Hrägen; er ging damit um, die Frepheiten der Aemter
einzuſchraͤnken und letztere von allen Verſammlungen der
Buͤrgerſchaften auszuſchließen. Um fein Anſehen und
feinen Einfluß für die Dauer noch mehr zu befeſtigen,
hatte er fich durch allerhand Mittel in das innigſte Ber
erauen des Zelliſchen Hofes einzufchleichen gewußt,
theils indem er deffen Miniftern alle Rathſchlaͤge ger
meinfcbaftlich mitgetheilt, theils durch geheime Verttäge,
wozu er die Stadt Hamburg verleitet, und welche bedeuz
tende Summen binhberführten, So batte allein 1676 Vie
Gewaͤhrleiſtung des Herzogs von Zelle, das hamburgis
ſche Gebiet vor fremden Winterquartieren zu ſchuͤtzen,
ver Stadt 1255000 Rthlr. gekoſtet. Sehr willkommene
Gelegenheit fand er, die Gunfk dieſes Hofes in Rech—
Hung fu bringen, als der erfchöpfte König von Dane»
mark im Fahre 1679 vor Hamburg rückte, die alte Erb;
buldigung in Erinnerung dringend, Die durch Meus
rers Fürforge herbevgeführten lüneburgifchen Hn:fgtrups -
gen follten die Stadt gegen feindliche Angriffe vercheis
digen belfen ; doch waren unfkreitig die Verhandlungen.
der in das königliche Lager abgegangenen Stadt ⸗Abge⸗
ordneten von noch ficherer Wirfung; uͤberdieß Hatten,
Auffer dem luͤneburgiſchen Hofe, ſelbſt auch der König
von Frankreich und der Kurfürft von Brandenburg ihre
Bermittelung atigeboten. In dem fogenannten Pinnes
berger Interims-Receß (1679, den 1. Nov.)
fiund ber König für jegt von feinen Foderungen ab gegen
die runde Summe von 220,000 Rthlr., fo daß die
Stadt am 9. November ein Danffeft feyern und die
hüneburgifchen Voͤlker ihrer Dienfte wieder entlaffen konnte.
36* |
“
562 Durch Meurer, Krul und v. Rondeck sc,
Diefer Meurer war ed, welcher im Einverſtaͤnd⸗
niß mie dem Heren von Rondeck die Krullſche
Sache benußte, Tügenhafte Berichte von dem unrubigen
Sinn und der zerrütteten Berfaffung in Hamburg nach
Wien zu befördern und dadurch die fcharfen Mandate
von dort aus veranlafßte, Der Rath felbit, zum Theil für
ihn gewonnen, war ſchwankend und unbeffimmt in feinen
Ent ſchluͤſſen; bie Buͤrgerſchaft hingegen beharrte mit
Hartnacigfeit darauf, daß Krull feiner Stelle enefegt bliebe,
und foderte fogar den Rath auf, (1682, den 12, Det.)
eine Geſandtſchaft nach Wien zu fenden, theils in diefer
Angelögenheit, theils Die Abwendung der verbaften
clausula poenalis zu befördern, Als Anwald der Bür:
‚gerfchaft betrieb die Sache gegen Krull der Lic. Pohl
mann; aber auf Bericht des von Rondeck (v. 6. Nov.)
erfolgte. Faiferlicher Befehl, (1. Dec.) daß Pohlmann
zu den Bürgerfchaftsverfammlungen nicht mehr zuge
Inffen werden und man fich feiner Perfon zu bemächtiz
gen fuchen ſollte. Wie Frafeig fich auch die Bürger
fchaft feiner annahm, felbit das Zeugnif, daß er in
Auftrag von Rath und Buͤrgerſchaft gegen Krull ge
handelt habe, wurde auf Meurers Betrieb ihm Monate lang
Dingehalten, Auf Pohlmann’ Vorſchlag hatte indeſſen der
Lic. Daurer die Geſandtſchaft ͤbernommen, (23. Nov.)
aber es war durch von Rondeck's Berichte ſchon ſo
wirkſam vorgearbeitet, daß Daurer in Wien gar nicht
angehoͤrt, ſondern die öſterreichiſchen Staaten in 24
Stunden zu verlaffen bedeutet wurde. Er fiarb noch
auf feiner Ruͤckreiſe 1693 in Nürnberg,
- Den wiederholten Anmahnungen der hbamburgifchen
—
/
wird eineneue Commiffion berbevgerufen, 1684. 563
Berichterftatter war es endlich auch gelungen, daß ihr
Vorſchlag zu einer neuen Faiferlichen Commiffion
abermahls Gehör gefunden, Zwar ffellte der Nach und die
Bürgerfchaft, fobald ihnen davon Kunde geworben,
dem’ Kaiſer vor, Cı3. July, 1683) daß in Hamburg
feine fo groffe Uneinigfeit berrfche, daß eine folche Com⸗
miffion und Einmifchung fremder Mächte durchaus ver:
mieben werden könne: vergebens, es melderem ſich zu
dieſem Geſchaͤft noch in demſelben Jahre der Herzog
Georg Wilhelm von Lünebirg =» Zelle und die
Reichsſtadt Bremen; ihre Abgeordneten übergaben den
so. Sanuar 1684 den Bevollmächtigten des Senats
und den r44ern- ihre vorfchlaglichen Bedingungen. Die
Erbisterung der Bürger hielt fich kaum noch in den Schrans j
Ken der Maͤßigung. Sie hatten mach dringenden Bor
flellungen den’ Rath dahin gebracht, daß Lic. Pohlmann
nicht allein abermahls zum Advocaten der Stadt gegen
Krull mie zoo Rthlr. Gehalt, fondern auch zum Syns
dikus ernannt wurde, Der kaiferliche Hofverbot dem
Rath, die Anftellung zu vollziehen key 100 Mark I. ©.
Strafe, Pohlmann felbft entfagte dem Auftrage, aber
die Bürgerfcbafe wie ihm auf feine Zufage hin, oder er
ſollte decimiven und die Stade verlaffen.: Darauf ftellte
fie, um den kaiſerl. Anfoderungen möglicht zu genügen, dem
Krull feine Würde wieder her, erneuerte aber fiscaliſcheKlage
gegen ihn und verlangte, daß er vor das Niedergericht,
ald den Gerichtshof ber Stadt geſtellt wuͤrde. Bey
ſolcher Stimmung ift ed begreiflih, wenn die abge
ordneten Commiffarien fein Gehör vor der Bürgerfihaft
fanden, wie fehr auch der Rach bemüht war, vermit-
564 Snitger und Ja ſtram treten auf.
telnde Wege einzuſchlagen. Der letztere mußte ſelbſt
durch eine Beweißſchrift die Nichtigkeit der Krulliſchen
Sache und die, Nothwendigkeit dem Abgeordneten eröff-
nen, daß man die Commiſſion verbitten müffe, zu nicht
geringem Verdruß der vornehmen Herren, deren einer,
Hr. Heyland, Zelliſcher Geheimerath und Geiftesver-
wandte Meurers, ſich fo, vergaß, daß er die Bürger
Fetthoͤker, Blechenkraͤmer ꝛc. ſchalt, Strafbefehle in
blanco vorzeigte und die größten. Drohungen ficb.er-
laubte, Durch dieſe aber ließen ſich die Bürger, ſo
wenig ſchrecken, daß ſie vielmehr mit einer feſten, re:
gelgerechten Beharrlichkeit die ——A und Verthei⸗
digung ihrer Buͤrgerfreyheit verfolgten.
Dieſer Geiſt hatte friſche Nahrung Bi (ei,
For zwey Männer im. der Bürgerfchaft vor anderen her
vorgesresen waren, deren Nahmen, je mehr ſie in der
Geſchichte ihrer Zeit verunglimpft ‚worden. ſind, der
Nachwelt, um „fo achtungswurdiger und unverletzlicher
erſcheinen muͤſſen, zwey Maͤnner, die ſich durch ein⸗
fache Buͤrgertugenden, durch Froͤmmigkeit und Maͤßi—
gung, durch thaͤtigen Berufsfleiß, durch trugloſen Sinn
und. vertrauenvollen Glauben, durch eine grenzenloſe
Liebe für die Freyheit und Wohlfahrt ihrer Vaterſtadt
auszeichneten, Hieronymus Snitger und Cord
Ja ſtra m, Es war dieſen Maͤnnern entweder ſelbſt, da ſte
in Wien geweſen, ober durch den verſtorbenen Da ur er ge⸗
lungen, in Wien einen angeſehenen Mann fuͤr ihre Sache zu
gewinnen, (den Daͤniſchen und Kur⸗Koͤllniſchen Geheimen⸗
rath F. Mayersheimb,) und durch denſelben nicht allein
den Bericht des Reichshofraths an den Kaiſer uͤber die
Krulliſche Sache, ſondern auch andere Papiere, insbe—
‚Meurer muß fein Amt verlaffen. 1684. 565
fondere die Briefe des Dr, Knoop, des hamburgifchen
Agenten, zu erhalten, woraus zmweyerley Dinge zu
entdecken waren: zuerft, daß jener Berichtigünftiger Tautete,
als die beftellten und eingeflüfterten Mandate verrathen
laſſen, aufferdem, welch geheimes Spiel der Verraͤthe⸗
rey und des gehaffigen Anſchwaͤrzens, fo mie, durch
wen daffelbe betrieben werben ſey. Mic diefen Urkun—
den außgerüffer rief zuerit die Bürgerfibaft den Bürger:
tieifter Meurer, 1684, den 5, März, unter die Krone,
las ibm die weentlichften Puncte feines verraͤtheriſchen
Spieles vor und behielt ihn, da dreiftes Ableugnen
feine Verantwortung war, bey naͤchſter Gelegenheit in Ge:
wahrfam. Es war vielfeiche ungeitige Gutmüthigfeit, daß
man der Zwiſchenkunft einiger nachgab, welche durch
Zureden den Schuldigen bewogen, freywillig ſein Amt
niederzulegen. Doch mußte er einen heiligen Eyd
ſchwoͤren, daß er fuͤr geſchehene Feſthaltung keine Rache
üben, daß er ſich nicht entfernen und fremdes Gericht
anfprechen wolle; er mußte ſchriftlich Bürgfchaft leiſten,
mit 50000 Rthlr. feines Vermögens, den Eydſchwur
- zu halten: aber Wort und Eydſchwur konnten dem treus
loſen nicht binden, heimlicherweiſe entſchluͤpfte er und
ſuchte Zuflucht, da wo er ſie laͤngſt ſich bereitet hatte,
bey feinen Freunden in Zelle, mp bereits ein kaiſerlicher
Schutzbrief und die Ernennung zum Reichshofrath für
ihn in Bereitfchaft lag, *
‚Gerade aus der Entberfung der föbfecbeen Mittel,
deren fich diefe geheime Partey bediente, gelangten bie,
fo es mit ihrer Vaterſtadt wahrhaft gut und ehrlich
meynten, zu Elarerem Bewußtſeyn ihrer eigenen Pflicht.
56 Die Commifiion wird abgemwiefen,
Als ber Rath ben 17. May ber Bürgerfchaft eröffnete,
wie im heftigen Ausdruͤcken der Zeflifche Heyland auf
den Erfas der Commiſſions-Unkoſten angetragen habe,
erwisderte jene, dort möge man die Koften holen, von
wo die Commiſſion gefuche worden fey. Den 5. Juny
erbieft man ‚ein Eaiferliches Reſctript, (yom 20, Day)
in welchem anbefohlen murde, daß bie beyden, Gnitger
und Jaſtram, bey Androhung fehwerer Strafe angeben
follten,, wie, durch wen und für welches Geld fie zu
dem Berichte des Reichshofraths gelangt ſeyen, im
Fall der Verweigerung aber beyde mit Arreſt zu be—
legen. Aber nur um ſo wärmer nahm dje Buͤrgerſchaft
ihrer Freunde und Lieblinge ſich an, ſprach ſie won
jedweder Beranswortlichfeit Frey und verhieß denfelben
Schug und Schirm in allen Anfechtungen und: Gefah—
ven. Sie erhoben ſich im Kampfe gegen Diefe Aus—
wüchfe des Unrechts und der Leidenſchaft zw der
Geibftändigfeit empor, daß fie am 9. Juny den wer:
haften Windifchgrager Receß von 1674, ber fo lange
Gegenftand der Aergerniß geweſen war, einſtimmig
und in gutem Verſtaͤndniß mie dem Rathe aufboben und
vernichteten, Man rüftere fich immer ſtaͤrker unter dem
Schilde der Eintracht, und, wie es fibien, des inneren
Friedens, gegen die von allen Seiten androbenden les
bel, die ſelbſt durch graufame Anfälle des Geſchicks
vermehrt wurden, So brach den 23, Juny des Nach—
mittags auf dem Schiffbauerbroof eine Feuersbrunſt
aus, welche verheerend bis zum Mittag des folgenden
Tages wuͤthete den ganzen Brook, Sand, Kehrwieder,
Kibbeltwiete, Pickhuven, kleinen Fleeth, Kannen⸗
x
Feindliche Maaßregeln des Herzogs von Zelle. 567
gießerort ,, 144 Capitalhaͤuſer, darinn bey 2000
Feuerſtaͤtten, in Aſche legte und unſaͤgliches Elend ans
richtete. Das Ungluͤck hatte zur Folge, daß ſogleich
ein beſonderer Ausſchuß zur Durchſicht und Pruͤfung
der Feuer⸗Ordnung ernannt und mit Eifer dahin ges
ſehen wurde, bülfreich das vorhandene Elend zu Tindern
und den Ungluͤcklichen tragen zu helfen, für die Zus
Eunft aber fehleunigere Hilfe zu bereiten: eine Aufforderung
für alle Nachkommen, niche auf die Gegenwart allein,
fonderm für die kuͤnftigen Gefchlechter menfchenfreund:
liche Sorge gu’tragen, |
Gegen Meurer verführ man mit Strenge und
Recht, man foderte ihn, als einen, der gegen Eyd,
Hand und Siegel gehandelt babe, der hinterliftig ent
wichen fey und der Stadt ihre, die inneren Angelegen
heiten betreffenden Schriften und Papiere nicht abges
liefert, vor das Niedergericht. Die Gefandten der be
auftrageen Commiffarien hatten inzwifchen, da fie nicht
gehört wurden, Hamburg wieder verlaffen nflffen, Da:
gegen gebrauchte der Herjog von Zelle Bergeltungsmit:
gef: er ließ die Hiefigen Bürger mud Kaufleute, welche durch
fein Land reifeten, verbaften, alle hamburgiſchen Güter
in Beſchlag nehmen, befegte Moorburg und den Moor
waͤrder und behandelte die Einwohner dafelbft, als ob er Die
Ortſchaften ſeiner Votmaͤßigkeit unterwerfen wollte.
Dieß geſchah zu Anfange des Jahrs 1685. Zugleich
verlangte der Herzog am 5. Januar, daß die Stadt
Abgeordnete nach Haarburg ſchicken möchte, ",‚unfehl:
bar’, da er „aus gemwiffen Angelegenheiten mit ihnen
reden zu laſſen die Nothdurft befunden habe“; als aber
568 DieDreyfßigermerden gewählt, 1685.
diefem Anfinnen fo unbedingt nicht: gemilligee wurde,
erfolgten heftige Vorwürfe über „uͤble Conduite“, Un⸗
dankbarfeit, ‚„ungebührliche Inſolenz“ und unter dem
15. Januar eine Reihe „Poſtulate“, als: man folle
Snitger und Jaſtram, — wie gefährlich mußten fie
den Zellifchen feyn! — zu gefänglicher Haft. Kiefern,
oder abſtrafen, die Kommiffiong-Unkoften bezahlen, für:
den bemwiejenen „Deſpect““ Genugthuung leiſten n. dal.
Man antwortete gemaßigt und. umſtaͤndlich: der Herzog
drohete kurz, fie ſchon zur Erkenntniß zubringen und fich
ſelbſt Genugehuung zu verſchaffen. Die Feindfeligkeit
forach Sich fo unummunden aus, daß man auf Fünftige
Unterffügung und Huͤlfsmittel ſinnen mußte, mie der
wachfenden Gefahr zu begegnen fey. Vorlaͤufig hatte
man ſich an den Kurfürften- von Brandenburg ge
wandt, der. feine bereiswillige Vermittelung offen und
greuberzig zufagte, nach Hamburg ſelbſt den Prafidens
sen von Magdeburg, Ackenhauſen, entbot, nebſt dem
bereits bier anmelenden Minifter Guſer icken in dieſer
Angelegenheit mit den Stadtbehörden Rache zu pflegen;
auch haste er alfobald den Herın von Ranik nach
Zelle geſchickt, beym Herzog daſelbſt friedlichere Gefin-
nungen zu erwecken. Inzwiſchen wurde für dieſe hoch:
wichtige Angelegenheit in Hamburg felbft aus der Mitte
der: Bürgerfchaft ein Ausſchuß von dreyßig Perfonen
ernannt, aus jedem Kirchfpiel fechS, denn Michaelis
ward; bereitß hinzugezogen; unter ihnen befanden fich
Snitger und Jaſtram, und die neben diefen als
befonders warme Frepheitsvertheibiger fich auszeichneten,
Joachim Sarchen, Lic. Sylm, Dr. David Krolau und
Snitger gewaltfam entführt, 569
Dr Schulz: auch waren ihnen fech 8 Herren aus dem
Rathe beygefügt, Der Ausſchuß wurde ernannt den
5. Februar, Die erſte Sorge konnte nur darauf ges
richtet ſeyn, wie unter den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden
der Hemmung des Handels und des Verkehrs lindernd
abgeholfen werden möchte, Die Einleitungen des Herrn
von Kanitz machten zwar die Zelliſchen Miniſter etwas
ſtutzig, hatten aber doch zur Folge, daß man wirklich
einlenkte und die Moͤglichkeit einer. friedlichen Vermit⸗
telung aufzudammern ſchien. Einige hamburgiſche Gü-
ter wurden im Anfange ded Marz Monats zwar ver:
kauft, aber man. hielt bald inne damit; die Hamburger
legten dagegen. Befcblag auf die Güter der. Lüneburger,
unterſagten allen. Verkehr dahin, ſuchten ihre alten
Salzpfannen hervor, um das eingeführte rohe französ
ſiſche Salz ſelbſt zu kochen, und was der ziemlich mil⸗
den Entgegnungen mehr waren ; dennoch beklagten ſich die
Zelliſchen Miniſter gegen den Herrn von Kanitz über fo
‚harte, Proceduren“, da man im Unterhandlung ſtehe.
Indeſſen kam wirklich Nachricht an, daß die Lünebur:
‚ger den Moorwärder wieder geranme haͤtten. ‚Da. uns
terbrach die Sache, ein Gemaltfkveich, welcher. aller buͤr⸗
gerlichen ‚Sicherheit, Trotz und ı Hohn ſprach und, die
erſten Gebote bes Voͤlkerrechts in den, Schlamm der
Willkuͤhr hinabtrat. Es war am 19. Mari (1685)
Abends gegen, halb 6: Uhr, als Snitger mit. feiner
Frau von feinem in Hamm gelegenen Garten zuruͤckkeh—
ren wollte, ‚Da, wurde er plöglich; von einem Rudel
verkappter Reuter uͤberfallen, feſtgebunden, ruͤcklings im
Magen niedergedruckt und nachdem ber Kutſcher herab⸗
570 Snitger wird befreyt, die von Rondeck
geworfen und ein anderer ſich aufgefest, ſchleunigſt das
vongefahren, Eine Frau in der Nahe hatte der Enke
führung unerkannt zugeſehen, fie brachte die Nachricht
Davon fehnelf nach der Stadt, wo alles in Unruhe und
Beſtuͤrzung gerieeh und die allgemeine Theilnahme fich
auf die berstichfte Weife ausſprach. Es wurden die
ſchleunigſten Maaßregeln ergriffen, alle Thore geöffnet,
die Reitendiener ausgefandt, an den daͤniſchen Präfiden-
ten nach Altona geichickt, wenn etwa Snitger über Die
After ind Holfteinifehe gebracht werden möchte, alle
Berwandten Meurer wurden verhafter und als Geifeln
feftgebalten, Gluͤcklich aber gelang es dem Oberſtlieu⸗
tenant Eberramk, mic feinen Dragonern die Stra—
Benräuder einzuholen, bie fie bey der Atlenburger
Faͤhre fanden, eben als fie überzufegen im Begriff was
ren, Snitger lag geknebelt am Ufer, feine Frau faß
mweinend neben ihm, Die Rückkehr des gererteten Man—
nes am folgenden Tage war der fchönite Lohn feiner uneigen-
nüßigen edlen Bemuͤhungen: das Volk der Hamburger,
zum Haß mur durch die empörendfte Mißhandlung auf
zureizen, kennt in Beweiſen der Liebe und der gutmuͤ⸗
thigen Freude, wenn einmal die Herzen in ihrer Grund-
tiefe erwärmt find, Keine Grenzen. Wer von einem
ſolchen Volksjubel getragen wird ‚ fühle fich dem höher
ven Leben näher geruͤckt und bewahrt diefe Erinnerung
in feiner Geele ald eine gültige Anmeifung auf ef
gen Freuden der Zukunft. |
Die KRadelsführer der Rotte wurden ſobald ent⸗
deckt; auch die uͤbrigen Gehuͤlfen in kurzem eingebracht.
Jene waren der Auditeur dieſer Stadt, Rickmeyer, ein
und Conf, gebungenen Räuber beffraft. 571
ſchlechter Kerl, welcher z. B. 1682, ben 20. Nov, zur
Entfuͤhrung einer Magd auf dem Millern⸗Steinweg fuͤr
den Mißbrauch eines feiner Geſellen huͤlfreich geweſen;
ein Rittmeifter Hartwig, durch Geld und Ausfiche
auf Beförderung gelockt, und ein geweiener Rittmeiſter
v. Gahlen, ein fahrender Ritter, in Abenteuern viel
verfucht, Ihre Ausjage bey der gerichtlichen Unterfus
hung, (den 23. März) noch vor der Tortur und durch
diefe nur beſtaͤtiget, traf einftimmig darin zufammen,
daß fie von dem Faiferlichen Gefandten, Grafen von
Berka und dem Kaiferlichen Refidenten, Herrn von
Rondeck, zu diefem Bubenſtuͤck bereder und gedungen
worden ſeyen. Gie und die übrigen nachmahls einges
fangenen Spiefgefellen muften, nach fireng verfügtem
Recht, unter dem Schmwerdte des Henkers fFerben, um
fo mehr, ald um diefelbe Zeit ein Brief verffohlen an
Snitger eingefendet war, mit der Drohung : „Werdet
Ibr Eurethalben jemand toͤdten Iaffen, ſollt Ihr. wieder
erben, wenn Ihr auch zehn Halfe harter und mis
sehn Ringmauern umfchloffen waͤret,“ Kundige erfann-
ten ſehr deutlich in der Hand dieſes Briefes als den
Schreiber — gleichfalls den Faiferlichen Refidenten von
Rondeck. Derſelbe aber war in diefen Tagen gerade
abweiend, — in Saarburg namlich, wo auch Meurer
eben ſich aufbiele; feine Wohnung bier fo wie die Curie
des Domdechanten, im welcher der Rittmeiſter Hartwig
eine Zeitlang ſich verfiectt gehalten, mußten mit
Wachen befege werden, um fie vor der Wurh des ers
bitterten Volkes zu ſchuͤzen. Wo der Menſch in feinen
beiligften Rechten fich verlegt fühle, wie ander? fol er
572 Es geht eine Geſandtſchaft hach ie, |
fie ſchuͤtzen, ald wenn er verfucht, Gewalt mir Gewalt
zu erwiedern ? Der Reſident felbft hatte noch die Scham:
lofigfeit, den 1. May an den Senat berüber zu fchreiben :
„Er verwundere ſich, daß, da des Grafen Berfa und
feiner in der Ausſage der Gerichteren, daß es nemlich
auf ihre Verordnung gefchehen, gedacht worden, man
Fein Bedenken gehabt, fo cruel mir den Gefangenen zu
verfahren,’ Auch der Herzog von Sachſen⸗Lauenburg be
fihwerte fich darüber, daß man von feinem Gebiete die
Delinguenten weggeführt: als ob daffelbe geeignerer ges
weſen, fie zu begen, denn fie zu verlieren,
Um aber die Bemühungen zur Befreyung oder
Verrheidigung der Stade weiter zu befördern, wurde
an den Kurfürften von Brandenburg, der mie Aufrich-
tigfeie und ſelbſt mit Hinfiche auf den Vortheil der
eigenen Lande das Wohl von Hamburg fich angelegen
feyn ließ, eine Gefandefchaft abgeſchickt, beſtehend aus
dem Syndicus Pohlmann und dem Rathmanne Meyer,
die in Berlin wohl aufgenommen und mit den beften
Rathſchlaͤgen 'unterfiügt wurden. Indeſſen gingen die
Borfchläge Diefes Hofes immer mehr auf Verſuche der
Güte, als daß ernfkliche Mittel, den Herzog zu Zelle
in feinen Anmaßungen herabjuffimmen, angetragen
worden wären, und ſelbſt wann dieſes geſchah, ſchien
man von Seiten des hieſigen Rathes keine beſondere
Neigung dazu zu tragen, Angelegentlich rieth der Kurs
fürft, eine befondere Gefandifehaft nach Mien zu ſchi⸗
en, um daſelbſt die Sache auf Fürzerem Wege und
nachdrüsklicher betreiben zu koͤnnen: wirkfich gingen
auch noch gegen den Schluß des Jahres die Rathsherren
Die Meurerinner rühren fich, 573
5. Schafshauſen ind H. Möller dahin ab, van wel:
then der erſtere befonters thätig war. Doch nur den zuvor:
kommenden und wahrhaft ehrenwerthen Bemühungen der
brandenburgifchen Gefandefchsft in Wien gelang es,
diefen Abgeordneten, die überall verrammelten Zugang,
vorgefaßte Meynung, Anſchwaͤrzung und Verlaumdung
vorfanden, endlich Gebör zu verſchaffen. Wie überfpannt
auch die Foderungen waren, die ihnen vorgelegt wurden,
unter welchen Meurers Wiedereinfegung und die Ent:
richtung der Commiſſions⸗Koſten in ewigem Wiederfiang
erfchoffen, dennoch fchien man auf dem Were zu feyı, zu
einem Abſchluß gelangen zu koͤnnen. Die Dreyfkiger
brachten die Bedingungen vor den Rath: aber die
unüberlegte Weife, mit welcher einige ‚‚Meurerianer‘!
ſowohl in, als auffer dem Rathe die Sache umtrugen
und verfälfchten, fo daß die Perfonen, welche in Wien
am thätigften für die Ausgleichung gemirft harten, in
die peinlichſten Werlegenheiten und Bloßſtellungen ge⸗
ſetzt wurden, machte das eben begonnene Geſchaͤft wies
derum ruͤckgaͤngig. Welche teufliſche Kuͤnſte und von
welchen Perſonen ſie veruͤbt worden ſeyen, erhellet, um
einen Beweis zu geben, aus einem Handbriefchen des
oft genaunten Krull aus Wien, vom 10. Februar
1686: „Weil man zu Hamburg ſolche grobe plumpe
Unwahrheit hat inveneirt, daß der Tüneburgifche Envoyé,
Herr Baron von Mahrenbolg und der Herr Refident
von Rondeck mären vom Hofe gemwiefen, und Herr
Knoop (der frühere Agent) fich hatte retiriren muͤſſen,
und feine Schiften errradiren, und folches allbier Fund
geworben; ſo ift geſtern dem kaiſerlichen Thürhüter
574 Beleidigung der H. Geſandten in Bien,
-
anbefohlen, die hamburgifchen Deputirten nicht wieder
in die Antichambre zu laffen und feyn alfo vom Hofe
nun damit verwieſen.“ Der fügnerifche Brief, der an
Paul Goldener hieher gelangt und von demſelben zur
Verwirrung der Meynung bekannt gemacht worden war,
wurde, nebſt einigen Schmaͤh⸗ und Berläumdungsfchrife
ten, welche Mahrenholg in Wien verbreiter hatte,
um die biefigen Abgeordneten ſelbſt aus dem Umgange
der übrigen Minifter zu verdrängen, und-vom Hofe auf:
zuſchließen, allbie durch‘ den Scharfrichter auf dem ehr⸗
loſen Bloc verbrannt: dem gerechten Unmwillen einreden-
des Zeichen gu geben. Aber foweit ging die Schamlofigkeit
und freche Gemwaltthätigfeit, daß am 18. Marz um Mittags⸗
zeit, als eben die hiefigen Abgeordneren in die Leopold:
ſtadt bineinfahren wollten, und zufallig dem Zellifchen
Gefandten begegneten, der zu Pferde faß und von vier mig
fpanijchen Röhren bewaffneten Bedienten begleitet wurde,
diefe wie Meichelmörder über den Kutfcher und die
Diener der Rathsherren berfielen, fie durchprügelten
und die Rathsherren felbft, befonderd den Schafshauſen,
ſchnoͤde mißhandelten. Mahrenholz hatte ſchon Kurz
vorher fein Abberufungsfchreiben erhalten: man konnte
alfo der Sache mit ſeiner Abreife den Schein geben, als ob
der Hof diefes bübifche Betragen mißbillige. Sonft war
aber von Genugthuung nicht weiter Die Rede, Ja als die
bamburgifeben Abgeordneten zuräckberufen wurden, ger
bot ihnen der Kaifer zu bleiben, (44, April) ohne daß
fie ihm , als der Hof eine Weile nach Neuftade ging,
dahin folgen durften. Nur der rechtlich gefinnte, wahr:
haft groffe Kurfürft von Brandenburg verhehlte ſei—
Beyſtand des Kurfürften von Brandenburg, 5375
nen Unmwillen nicht ‚über eine folche Verlegung der Ges
ſandtſchaftsrechte, die ſelbſt von roben Barbaren geach:
tee werden; er ließ feinen Tadel eben ſowohl bey dem
. Wiener Hofe als zu Zelle vermeiden und legte auf die
in feinen Landen liegenden Güter des uͤbermuͤthigen
Edelmannd, die auf 50,000 Rthlr. gefibagt wurden,
firenge. Verhaftung. »
Mit Zelle waren indeffen die Verhandlungen dem
Abſchluß moch ziemlich ferne, Daß fie nicht weiter
gediehen, Tag. theils in den geheimen Umtrieben Mens
rers und feiner Genoffen am Zelliſchen Hofe, im ge:
nauen Einverſtaͤndniß mie den erfauften Gehuͤlfen in
Wien, wo auch felbft bey-den Veſſeren der freyſtaͤdti⸗
ſche, proteftantifche Sinn der Hamburger wenigen
Beyfall fand; theils in den halben Maaßregeln, welche
bier in Hamburg ergriffen wurden, wo fo mancherfey
Ruͤckſichten fich durchkreuzten. Im Rathe ſelbſt ſaß
eine Partey, den Grundſaͤtzen Meure r s zugethan, eine
Oligarchie zu begründen, ein Plan, welchen die
Zeit fo fehr zu beguͤnſtigen ſchien. Die Beſſeren im
Rathe, einftimmig mie mehreren der Dreyfiger ſowohl,
als der usrigen Buͤrgerſchaft, hoffte zum Theil vor
den Umſtaͤnden und deren klugen Benutzung, zum Theil
von freundlicher Vermittelung wohlgeſinnter Fuͤrſten
Rettung, verſchmaͤheten aber raſche Schritte, Verpflich⸗
tungen, welche fuͤr die Felge bindend werden koͤnnten,
dem Gemeinwohl zum Schaden; darum ſträubten fie
ſich gegen die Hereinnahme brandenburgifcher Völker,
welche der Kurfürft der Stadt zum Schug angeboten
hatte: denn die Zelliſchen angriffsweiſe aus dem ham—
37
576 Die Zelfifchen rücken in die Vierlande
burgifchen Gebiete zu vertreiben, verweigerte er; darum
fuchte man auch den Antragen zu einer Handelsverbin:
dung auszuweichen, welche von demjelben Hofe der
Stadt eröffner worden waren, Nur wenige, unter ihnen
Snitger und Saftram, hatten, ob aus Neigung, ob
aus Grundfaß, allein die Ehre und Hoheit der Stadt
im Sinn, die Erhaltung ihrer Selbftandigfeit, (Gius
primae, instantiae,) die fie vom Wiener, oder von jedem
anderen näheren Hofe wohl geſchuͤtzt, aber nicht unter
geordnet, nicht aufgehoben wiffen wollten; und dazu ſuchten
fie durchgreifende, entfcheidende Mittel, dazu boten fie den
Diebshehlern, wo fie hinter diefelben gefommen waren,
die freye Stirn, alu forglo8 vor den anderen Heuch-
lern, die in Schaafskleidern einherziehen ; dafür fegten
fie hochherzig die zeitliche Ehre, das füße Dafeyn des
Lebens ein, wie großartige Gemüther pflegen, wenn fie
einen würdigen Gegenſtand gefunden haben,
In dem ferneren Berragen des Herzogs von Zelle
offenbarte fich immer deutlicher, daß es unter dem Vor⸗
wande, die Auftrage des Kaiſers zur Vollziehung zu
bringen, mehr noch auf eigenen Vortheil abgefehen
fey. Im Anfange des Sahres 1686 nahmen Tünebur-
gifche Truppen mit Gewalt Befig von Bergedorf und
den Bierlanden, Die als vormaliges Eigenehum * der
Vorfahren des Zellifchen Haufes ungern entbehre wur:
den, Die Begenwehr der Hamburger, zumal! bey der Ver-
theidigung der Heffater Schanze, mar tapfer, auch nach
dem Zeugniß fehr erfahrener Krieger, aber vergeblich, da
fie die Uebermacht gegen fich hatten und ſelbſt in den
Anordnungen, die von hier aug getroffen waren, Mangel
ein und verfahren feindlich, 1686, 577
an Zuſammenhang und Einverſtaͤndniß boͤſe Folgen
nach fich 309, Der Oberſt-Lieutenant Manerfe, der
zu frübzeitig fich zurückgezogen, wurde der Pflichtver⸗
legung überwiefen und zum Tode verurtbeilt. Bey den
Manfregein, welche zur Vertheidigung der übrigen
Poſten gerroffen werden follten, herrſchte bejtändiger
Widerſpruch zwifchen den Dreyfigern und einem Theile
des Rathes: jene drangen auf Fraftige Anordnungen,
diefer wollte, da man mit Zelle noch immer: in Unter:
handlung ſtehe, daß alles nur auf Vertheidigung ber
fehränft werden möchte, Als Capitain Cafpar Tammer
fich erbot, mit einigen Schiffen nicht bloß die Elbe zu
fichern, fondern auch gegen lüneburgifches Gebier an?
griffsweife zu verfahren und Unglimpf mie Unglimpf zu
vergeften, erklaͤrte der Rarbt daß es ganz und gar
keine Proportion wuͤrde haben, wenn die Luͤneburger
ſollten bewogen werden, in unſeren Landen zu ſengen
und zu brennen; ja es würden ſogar die Schiffe im
Hafen nicht ficher daran feyn, ja fie möchten gar die
Stade bombardiren; und ware der Rath fihuldig, nach
der Bürger und Einwohner Wohlfahre zu erachten und
fönnte alſo nicht darin confentiven,‘“ Der Ueberfall der
Lüneburger war ſchleunigſt auch nach Berlin berichter
worden, und auf des kic, Pohlmann thaͤtiges Betrei⸗
ben hatte der Kurfuͤrſt alſobald Befehl ertheilt, daß
4 Compagnien Dragoner, 4 Schwadronen Cavallerie
und alles Volk im Magdeburgiſchen der Stadt zur
Huͤlfe anruͤcken ſollten: aber Lic, Pohlmann wurde ax:
tadelt, über feine Aufträge hinaus gehandelt: zu haben,
und bevor man fich darüber verſtaͤndigte, wie es. mit
mm
24
578 Dänemark bierer ſich Hamburg
diefen verfprochenen Truppen gehalten mwerben follte,
verging die Zeit, ohne daß abermahls füe die Verthei—
digung der Stadt etwas Wefentliches gerhan worden
ware, Ä
Die Zellifchen Truppen hatten vorgegeben, als
Freunde gefommen zu feyn, die Winterquartiere in den
Bierlanden beziehen zu wollen, Bun ihrem General
Chauver fam ein feltfamer Brief an den Rath, (den
6, Februar) worinnen er fih beklagte, daß, ohngeachtet
ibm von Tag zu Tage Bertröffung geſchehen, man werde
feinen Leuten von bier aus den nöthigen Unterhalt vers
fibaffen, noch Feine Veranflaltung dazu getroffen ſey.
In den Berashungen, die über diefen und über aͤhn—⸗
liche Puncte zwifchen den Dreyfigern und dem Rathe
gepflogen wurden, tritt eine gegenfeitige Verkennung ime
mer ſchwaͤrzer hervor ; Mißtrauen befaufiht die Schritte
der einen und der anderen, burchgreifende Mittel ſchie—
nen allein noch einige Rettung zu verheißen.
Es waren von mehreren Seiten ber Antrage ger
fiheben, Hamburg mit dem Zellifchen Hofe ſowohl als
mit dem Kaifer zu verſoͤhnen; vor allen fchienen die
Bemühungen Danemark’s den DBerhaltniffen der
Stadt, fo wie den Wünfchen derer, welche für Derfelben
Wohlfahrt am eifrigiten bedacht waren, am meiſten zu
entiprechen. Schon im Januar 1685, als eben bie
erfte Bedrohung von Zelle aus ſtatt gefunden hatte,
mar der danifche Reſident Pauli mit Bollmachten von
feinem Rönige verfehen woͤrden, zum Beſten der Stadt Als
les anzuwenden, Vollmachten, Die in eben fo wohlwollenden
Ausdrücken, als uneigennügigen Anerbierungen abgefaßt
zu frieblicher Wermittelung an. 679
waren, Pauli legte die Urkunden zu jedermanns Eins :
ficht vor; dag Verhaͤltniß Daͤnemarks felbft, als eines
niederfachfifchen Kreisſtandes, ließ über die reine Ab»
ſicht der gethanen Borfchläge keiner Bedenklichkeit Raum.
Es wurde ein danifcher Bevollmachtigter nach Zelle.
abgefande, dem Herzoge Vorftellungen zu billiger Ver—
handlung zu machen; auch mit den brandenburgifchen
Abgeordneten wurde in Allem Ruͤckſprache genommen, fo
daß der Kurfürft felbft zu gemeinfamer Hülfe die Hand
bot. Der biefige Rath, ſchaͤrfer blickend, benahm fich
überall ausmweichend ; nicht fo die Dreyfiger, welche die
Möglichkeit einer. Gefahr nicht ahnen wollten und in
diefer. Hinfiche auch den größten Theil der Bürger mit
ſich einffimmig fanden. Weiter gingen Einzelne unter
ihnen, insbefondere Snitger, Jaſtram, Dr. Schule,
Sylm vu. a, fie ließen. ſich unter der Hand mir der
danifchben Regierung in Unterhandlungen ein, die zur
Abſicht harten, durch danifibe Truppen, ‚wenn es ja
zum Aeufferflen komme, die Stadt zu entfegen, woges
gen dem Könige eine anfehnliche, Gelbfumme geboten
wurde: doch blieb Erhaltung der Neutralit aͤt der Stadt
die weſentliche, unumſtoͤßliche Bedingung. Wenn die
geradſinnigen, in hinterliſtiger Staatsklugheit noch mes
nig bewanderten, hamburgiſchen Bürger in ihrem auf:
richtigen Glauben fich bier berrünen ließen, kann es
ihnen um fo weniger zum Vorwurf angerechner werden,
da felbft Brandenburg und andere Mächte in die Ehr⸗
lichkeit der daͤniſchen Vermittelung Anfangs nicht das
mindefte Mißerauen festen. Koſtete es doch ſelbſt dem
Rathe Pauli, deffen Seele durch politifche Weltklugheit
8% Die Dänen betruͤgen das Vertrauen
fo ganz abgeſchliffen und abgeflücht war, die auſſerſte
Mühe, in feinen geheimen Schreiben die Grundehrfich-
- feit der biefigen Wohlgefinnten (bien intentiones) der
behaglichen Lift feines Hofes zum Scherz zu geben und
das Aufwallen der Schaam in feinem Innern niederzu—
ſchlagen. Viele warnten, am meiſten der ſchwediſche
Geſandte; der Rath ſelbſt wurde in feiner Ueberzeugung
immer klarer, aber man hatte zu fruͤh aufgehoͤrt, ſich
gegenſeitig verſtehen zu wollen, als daß die Warnun⸗
gen deſſelben gehört worden waͤren.
Schon im Julymonat 1686 liefen Nachrichten ein von
Truppenbewegungen im Holſteiniſchen, die von den
einen als gefahrbrohend, von den andern als gleichguͤl—
tig geſchildert wurden. Die, welche mit Dänemark
wirklich in einer Art von Verſtaͤndniß waren, Fonnten
auch den Gedanken nicht faffen, daß bier Verrath im
Hintergrund lauſche, ſo ſicher waren ſie in ihrer treuen,
herzvollen Ueberzeugung. Solchen erſcheint die kluge Be⸗
ſorgniß als ſchlechte Feigheit; große Seelen verſchma⸗
hen fie und renmen dadurch ing Verderben. Im Auguſt
begonnen die Zelliſchen Truppen, den Mohrwaͤrder wieder
zu raͤumen: da noch ließ der König durch feine Gefandten
hieher melden, er werde den Herzog dahin vermögen, auch
aus ben übrigen Länderenen feine Leute zuruͤckzuziehen.
Die Gefahr wuchs indeffen zuſehends; die danifchen
Voͤlker mehrten fich, ruckten der Elbe je naͤher und
naͤher, mit den reichſten Kriegsbeduͤrfniſſen verſehen:
um DA Mitte des Auguſt's war bey allen, bie feben
wollten, kein Zweifel mehr, was diefe Bewegungen
bedeuten folleen, Einen ſolchen Ausgang hatten Alle
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und fodern der Stade Thorſchluͤſſel (Aug. 1686.) 5$ı
niche gewollt, nicht erwarter. Der Baron von Görz
border Stadt nicht bloß den Beyſtand feines Herrn,
des Herzogs von Hannover bereitwillig an, fondern
brachte auch die treue Verficherung, daß der Heizog von
Selle Feine Feindfchaft gegen die Grade unternehme
und zu ihrer Unterſtuͤtzung bereit fey. Den 19, Auguft
endlich Fam der Rath Pauli zu Gnitger, Jaſtram und
Lt. Sylm, wie er in Veſtuͤrzung jetzt erft vernehme,
daß der König gegen die Stade im Anmarſch ſey.
Die aus ihren Hoffnungen, mie aus dem Himmel zur
Vernichtung berabaefchleuderten, wieſen dem Betrüger
die Thuͤre und brachten, Die erften, den Bürgermeifkern die
traurige Borfchaft. " Die Dreykiger ſowohl, als die
-Bingerfchaft wurden jchleunigft berufen und Manfregeln
zur Vertheidigung der: Stadt getroffen, Die Dänen
tamen von der Atfterfeite ber bis dicht vor die Stadt
‚und schlugen vor derſelben ihr Lager auf; Chriftian
verlangte die Erbhuldig ung und die Schluͤſſel zu den
Thoren, Alle waffenfähige Mannſchaft eilte herbey, dem
Feinde Widerftand zw Teiften: Die Feindfeligfeiten be—
gonnen ſeit dem 20, Auguſt, an welchem Tage ſchon
Zelliſche Huͤlfstruppen einruͤckten, denen bald auch
-Hannoveraner, Brandenburger und Schweden nach:
‚folgten. Ein Angriff der Danen’ auf die Sternſchanze
war muthig zurück gefchlagen worden; auch die Ein:
nahme der Stadt jebien ihnen eine’ zu ſchwere Aufgabe,
fo daß fie fih nach einer achttaͤgigen Kanonade und
nachdem die Miniſter der angeſehenſten Höfe beym
Könige ſelbſt nachdruͤckliche Borftellungen gemacht hat:
sen, wiederum entfernten. MEET. y) 07:
582 Snuitger und Jaſtram werben gerichter.
Dem Hobngefächter der Hölle gleich, wenn bie
Tugend ihr Grab finder, erfcholl jetzt die rachedürſtende
Schadenfreude derer, welche mit der bisherigen Orb»
nung der Dinge unzufrieden gemefen waren, Denn
die Bosheit in ihren Behauptungen durch den Erfolg
Befkätigung finder, gewinnt fie bey Thoren und Leicht
glaͤubigen den Anfchein des Rechts und triumphirt als
Siegerin: wehe dann der niedergerreteneh Unſchuld!
Snitger, Jaſtram und ihre Freunde, ihrer redlichen
Sache ſich bewußt, obſchon bereitd am ıgtem der Hohn
gegen fie laut wurde, blieben ruhig und gefaßt in der
Stadt, ihr, Schiskfal erwartend. Den 2aften wurden
fie, nebft dem Bürgermeifter Schlüter, dem Lt. Kror
lau und mehreren anderen in gefangliche Haft gebracht.
Der Augenblick war gefommen, mo der lange verbal:
tene Grimm. der, Deurerifchen Partey fich Luft machen
konnte, ' Papiere, welche man bey dem entflohenen Re:
fidenten Pauli gefunden, gaben für die Racheglühenden
‚überzeugende Beweife der Schuld, obſchon ein Ver
brechen fo wenig aus ihnen entlosft werden konnte, als
aus den Geftändniffen, zu welchen man die, beyden
Dpfer durch ſcheußliche Marterqualen zu zwingen fuchte,
Snitger und Jaſtram wurden, nachdem fie —
fchufdig befunden, den 4. October, mit dem Schwerte
hingerichtet, die Rümpfe geviertheilt and ihre Köpfe
‚auf. Stangen über dem Stein» und Millernehore aufge
ſpießt. Die Schmach des Todes diene jur Verherr⸗
lichung, wenn der Menſch für große und edle, Gedan—
fen fEirbes Die wahre Schmach ertheilt die Gefbichte
denen, welche mit dem inneren Zeichen derſelben für
ewig gebrandmarkt find,
Meurer wird wieder Buͤrgermeiſter. 583
Die übrigen Opfer waren, Bürgermeifter SchLiüs
ter, der in feiner Verbaftung auf dem Eimbeckſchen
. Haufe farb, vermuthlich an Gift; Le. Pohlmann,
deſſen Güter eingezogen wurden und er ſelbſt der
Stade verwiefen. David Krolau mußte mit feinem
halben Vermögen, Dr. Schulge mit 20000 Marf,
Lt. Sylm mit 10000 Mark büßen, und wurden der
Stade verwiefen. Nur der Kurfürft von Brandenburg
ertbeilte den Geachteten Schug und Freyſtatt und tas
Delte die ungerechte Strenge unverbolen, Auch die übris
gen ‚Freunde des Vaterlandes, die. Anhanger der. ges
ſtuͤrzten Partey, erfuhren gleiches Schickſal. Nicht
‚einmal für die Hinterbliebenen Snitgerd und Jaſtrams
‚wurde geforgt: denn der Reichshofrath Meurer war
wieder in feine Stelle als Bürgermeifter eingetreten,
Hamburg mußte ferner dem Faiferlichen Hofe 100,000
Rthlr. Strafgeider, an Dänemark eine noch gröffere
Summe Belagerungsfoften, die ungeheuern Commiſſions⸗
koſten bezahlen, (wozu die Strafgelder der Geachteren
‚mit verwandt wurden,) und den Windifchgrager Receß
als Gefeg wieder anerkennen, Hierauf zogen die Hut
„truppen von dannen,
Dem Siege des Böfen den Schein des Rechts zu⸗
wege zu bringen, erſchienen in den naͤchſtfolgenden
Jahren eine Menge von Beweißſchriften, an deren Ins
baft ihre Berfafler ohne Zweifel ſelbſt nicht glaubten.
Auf den Geift der Buͤrgerſchaft wirkte der unglückliche
‚Erfolg in nacheheiliger BWeife, Nur zu bald befann
man fich nach der Meberrafchung , welche das unglück-
liche Zufammentreffen der Umſtaͤnde berbeygeführe hatte;
584 Die Geiftlichkeit giebt Veranlaſſung
der Unmuth, daß unfchuldiges Blur vergoffen worben
fey, verfenfte fich im fich felbft und ging über in inne
ven Grolf und Erbitterung, und die Bemerfung iff hi—
fEorifch ermwiefen, daß die Sitten des Volks ſeitdem an—⸗
fingen, fich zu verhärten, daß die Trunkenbolde fich
mehreren und die Bürgerverfammiungen felbft mehr
Trinkgelagen glichen, als den Verſammlungen derer,
welche über das Wohl des Staates fich berathen wollen.
Der Zuſtand des Ganzen war einer Krankheit aͤhnlich,
aus welcher, da der rechte Arzt nicht gefunden werden
konnte, die beſſere Natur ei ſelbſt wieder hervorarbeis
ten follte,
Weiterhin trat ein Stand zwiſchen den Streit der
Gemuͤther, im deſſen Beſtimmung zwar das Vermitte⸗
lungsgeſchaͤft des Friedens liegt, der aber im Hader
ind Zwieſpalt ſeine Nahrung zu ſuchen ſchien. Die hieſige
Geiſtlich keit hatte ſich ſeit der Reformation ims-
mer mehr zu einer abgeſchloſſenen Koͤrperſchaft auszu—
bilden verſucht, die im Staate ihre beſondere Rechte
und Obliegenheit in Rechnung zu bringen habe, Nicht
damit ufrieden, die katholiſchen Prieſter vertrieben und
tie lutheriſche Confeffion zur herrſchenden gemacht zu
haben, bot fie Alles auf, auch an der Staatsverwal⸗
rung ſich Antheil zu verſchaffen. Jedwede öffentliche
Angelegenheit wurde auf den Kanzeln verhandelt, wozu
fe um fo eher Veranlaßung fanden, da ſie alle obrigkeit—
lichen Befehle und Verordnungen ihren Gemeinden ber
kannt zu machen hatten, Dadurch wurden ihre Bor:
traͤge, anſtatt den Geift des Chriſtenthums, d. h. der
Liebe und des menſchlichen Vertraueus zu befördern,
\
.
zu Streitigkeiten. Meyer und Horbiug,) 585
polieifche Diſpuͤte, Strafpredigten gegen die Obrigkeit
oder feindliche Angriffe ihrer Amtsbrüder, die etwa
anderer Gefinnung, anderen Grundfägen zugethan wa—
ren. Diefe Ausartung der proceffantifchen Glaubens:
jehre war allgemein in Deutfchland und wurde Veran:
faffung, daß eine Partey der Geiftfichen fich bildete,
welche fich Tosfagte von Diefem unchrifflichen Wefen der Un⸗
duldſamkeit oder der fpigfindigen Vertbeidigung unfruchts
barer Lehrmepnungen, welche Beförderung eines ſtillen,
frommen Lebenswandeld durch Erbauung und anregen:
des Beyfpiel ſich zum Hauptzweck gefege hatte, "Der
fromme Spener in Berlin war als Muſter vorange⸗
gangen und ſeine Art, das Chriſtenthum in die Herzen
der Menſchen einzufuͤhren, gewann eine Menge von
Anhängern: feine Lehren fielen wie Thautropfen auf
die nach achter Geiſtes-Nahrung Techzenden Bemuͤther.
In Hamburg Tebte damahls, Spenern durch Verſchwaͤ—
gerung ſowohl, als dem inneren Geiffe nach verwandt,
ob. Heinrich Horbius, Paſtor der Gemeinde zu
St. Nicolai, Diefen frommen Denn harte ſchon Früher
ein Rordhäufifcher Prediger,’ Dilfeld, angezapfe und
zuerſt Speners und feiner Freunde Lehre in den Ruf,
der von Jakob Böhme abgeleiteten Schwarmerey , Pier
tismus, Chiliasmus, Theoſophie, nnd wie ſonſt Die
Worte biegen, gebracht, Aber ein weit beftigerer Geg⸗
ner trat jetzt auf den Kampfplatz, Joh. Fr. Meyer,
Paftor der biefigen Jacpbigemeinde, dem leider vor—
mals, da er als Profeffer zu Wittenberg den Huf bie
ber erhalten, Spener ſich ungefallig bewieſen hatte,
was der unchrifflihe Mann -ihm nachtrug.‘ ZJuerjt
586 Krieg zwifchen den Horbianern
zwang er (1690) ohne Bormwiflen des Staats, feine
Amtsbruͤder zu einem Neligionseyde, in welchem fie
theils gegen die Calviniſten, theild gegen die Enthufla-
fen und Chiliaften, nahmenelich "gegen Jacob Böhme
ihren Abſcheu erklären ſollten. Drey Prediger wider
feßten fich diefem Gewiſſenszwang, Horbius, Abraham
Hinkelmann, Hauptpaflor an St. Carharinen, und
Joh. Winkler zu St. Micaelid: Grund genug für
den blinden Eiferer, das Volk gegen fie anzureizen.
Horbius war ihm.um fo mehr verhaßt, als derfelbe eines
‚ungemeinen Beyfalld . und. der herzlichften Liebe und
Achtung ferner Gemeinde und aller Verftändigeren im der
Stadt fich erfreuere, Als derfelbe noch überdief Die
Schrift. eines franzoͤſiſchen Jeſuiten Poiret: ,‚Rlug-
heit. der Gerechten, Kinder zu erziehen,‘ ein unfchuldi-
ges und nügliches Büchlein , in deutſcher Sprache her:
ausgab und daſſelbe zum Neujahrsgeſchenk unter feine
Gemeinde vertheilte, fuhr der Verfolgungsgeift Dreyer,
wie eine Windsbraut, über ihn her und regte das Volk
durch Toben und Schreyen zu Aufruhr und Zwieſpalt
auf. Den 23. November 1693 famen bie aus Jacobi—
Kirchfpiel auf dad Rathhaus, pochten auf Meyers
Wort. und begehrten, daB Horbius abgefegt und aus
der Stadt verwiefen würde, Die Nicolaiten fptachen .
für ihren Seelforger, waren aber zu ſchwach, gegen
die heftigere Ueberzahl aufzukommen, denn für Mever
fanden die auch des Herkommens wegen altglaubigen Ge
merbe und Aemter aus allen Kirchipielen. Es kam
ſelbſt zu Thaͤtlichkeiten, mobey die Horbianer den Für-
zern zogen; der Senat ſaß ängfllich in der Rathſtube,
und den Anbangern Dr, Meyers. 587
einige Oberalten ſprangen dazwiſchen, um Ruhe zu
ſchaffen, wurden aber gemißhandelt und zum Theil ihrer
Wuͤrden verluſtig. Horbius entzog ſich dieſem Unweſen
dadurch, daß er freywillig ſeines Amtes ſich begab: er ging
auf ſein Landgut in Schlem und ſtarb daſelbſt ſchon 1695
eines ſchleunigen Todes. Er wurde in Steinbeck ber
erdiger, wo ihm feine hamburgifchen Freunde eine Grabs
ſchrift fegten, welche mit den Worten beginnt: „Hier
liegt begraben ein Mann, von dem man erft wird er⸗
fahren nach der Zeit, was men nicht glauben wollte
in der Zeit.
„ Aber mit Horbiug Entfernung harte fich feine Gefins
nung nicht verloren. Hinfelmann und Winckler nahmen
fich feiner zu warm an, alg daß nicht Meyer in feinen
Strafpredigten hatte beharren follen. Eben fo gährte
auch im Wolfe der Geift der Unruhe und der Zwierrache
fort, der fich in den unſittlichſten Ausbruͤchen aufferte
und in die gebaffigften Anfeindungen überging, Die
- Faiferlichen Mandate, melche dagegen erfcbienen, ver:
mochten nicht, ihn zu beſchwichtigen, der Faijerliche Ge-
fandte fprach ſchon wieder von einer Commiſſion. Da
rafften fich die edleren Bürger wieder auf, welche big:
ber in ihrem Unmuthe, der öffentlichen Angelegenheiten -
überdrüffig, ſich zuruͤckgezogen und das Schiff des
Staates feinem unſteten Schwanfen in verbiffenem
Grimm überlaffen harten. Ihr Wiedererfcheinen wirfte
gefund auf das wirre Treiben des unruhigen Haufens:
man würde fich ganz zur Ordnung wieder gefügt haben,
wenn nicht ein neuer Unfall abermapis zu Irrungen
Anlaß gegeben haͤtte.
588 Die Bürgerunruben führen eine
In Altona waren einige hamburgifche Bürger mit
einigen kaiſerlichen Hofraͤthen in unangenehme Begeg—
mung gerathen, fo daß der Faiferliche Gefandte mit
der Klage. einkam, jene Hofrathe wären von den Bürs -
gern injuriire und mit Scheltreden angetaftee worden.
In Auftrag des Rathes ließ daher der Prator Solm
den Burger Martin Reefe nach dem Baume bringen
und in Ketten und Schlöffer Tegen. (1696.) Aber die ges
reisten Bürger nahmen dieß fo übel auf, daß fie den
Praͤtor feines Amtes entfegt erklärten, ‚‚weil ein Ge—
richtsverwalter Die Gefeße und Statuten kennen und
nichts, was ihm Ddiefen zuwider aufgerragen würde,
vollſtrecken muͤſſe.“ Als der Rath diefen Beſchluß zu
beſtaͤtigen ſich weigerte, ging die Buͤrgerſchaft yoch
weiter, entſetzte Sylm (den 24. November) fogar ſei—
nes Rathsſtandes und erfuchte den Rath, einen anderen
an deffen Stelle zu waͤhlen. Die beharrliche Weigerung
hatte fofore zur Folge, daß die Bürgerfchaft einen
Ausſchuß von 24 Mitgliedern erwählte, durch welche
Herrmann Stubbe zum Rathsherrn ernannt wurde,
deffen —— aber dann erſt erfolgte, nachdem
die Buͤrgerſchaft den Schluß gefaßt, daß der Rath,
bis er ſeine Zuſtimmung erklaͤrt, kein Gehalt beziehen,
er Rathswahlen verluſtig ſeyn und nicht mehr bey
den Schoßtafeln ſitzen ſollte. Eine andere Beſchwerde
geſellte ſich zu dieſer Gaͤhrung. Nach der damaligen
Einrichtung lieh die Bank noch auf Pfaͤnder. Im
Jahre 1697 aber ward fie durch einen Juden, Marx
Deier, mit Aldag's, des Bancofchreibers Hülfe, auf
verfchiedene Tumelenpfander um 56,000 Mark betrogen.
neue Commiflion berbey. 1698. ff. 589
Verdacht fiel ferbit auf einen Rathsherren/ Vegeſack,
daß erian der Veruntreuung mit ſchuldig fey, und er wurde
aus dem Rathe gewiefen, Die neuen Wahlen übernahm
die Bürgerfihaft, und zwang den Rath zu verfihiedenen
malen, die von ihnen erwahlten Rathmaͤnner aufzuneh-
men, Sogar die Verurtheilung der unglücklichen Snit—
ger und Jaſtram wurde im frifche Anregung gebracht
und der Rath zu Beweiß gefodere, daß jener Juſtiz⸗
Mord aus hinreichenden Gründen gefchehen fen. |
In diefer Verwirrung hatte abermals eine Comr
miffion fich eingefunden, aus den Gefandten der
Fürften des! niederfachfifchen Kreiſes beftehend, welche der
Bürgerfchaft mie ihrer zudringlichen Vermittelung Taftig
fallen wollte. Der allgemeinen Noth zur Abhuͤlfe brach⸗
ten ed die wohlgefinnten unter den Bürgern dahin, daß
1698 ein Ausschuß von 50 Bürgern, unter welchen die Ober-
alten und fünf Gelehrte fich mie befanden, erwahlt wurde,
mit dem Rathe die Mangel und Mißverftandniffe aus-
zugleichen und gemeinfchaftlichdie Commiffion zu entfernen
zu füchen. Obfchon ihre Bemühungen von geringem Er
folge waren, fo wurde doch endlich 1699 ein Vergleich
(Receß) zu Stande gebracht, welcher zur Abhelfung
mancher Befchbwerden wenigftend einen Anfang machte,
An diefem Receß wurde auch verordnet: „das am
19. Auguft 16987 vom Narbe, ohne die Buͤrgerſchaft
zu fragen; eingeführte Dankfeſt — (zum Andenken an
die vorjährige Hinrichtung Snitger's und Jaſtram's!)
folle in einen Buß: Faſt⸗ und Bettag verwandelt und
fotcher in den September verlege werden: “ ein zwecks
mäfiges Mittel, die Bürgerfchafe mit fich ſelbſt und
590 Meyer's Klingelbeutelprebige,
mit ihrem Gemiflen einigermaßen wieder zu vers
fühnen,
Die KCommiffion war hiemit abgewiefen und Ham—
burg würde ſich jetzt ſchon in Ruhe und Eintracht zu
ſammeln begonnen haben, wenn nicht der noch immer
gaͤhrende Einfluß der Geiſtlichkeit ſeine heilloſen Wir—
kungen fortdauernd erhalten haͤtte. Der eifernde Meyer
brachte noch kurz vor ſeinem Abgange von hier durch
ſeine beruͤchtigte Klingelbeutel predigt thörichten
Aufruhr zu Stande, In einem vorhergegangenen Rath:
und Bürgerfchluß vom 26. May war den Oberalten
ihr Rang beſtimmt und diefelben zugleich von der Ver
pflichtung, mit dem Klingelbeutel umzugehen, befreyt
worden, AS nun der Dberalte Carftens in Jacobi:
Kirchfpiel von diefem Rechte Gebrauch machen wolle,
weigerten fih auch die Diafonen, den Klingelbeurel zu
nehmen und die Sammlung mußte erliche Sonntage uns
terbleiben, bis endlih Dr. Meyer, von Kiel zurückfom-
mend, d. 5. Juny die Kanzel beftieg und in einer donnern-
den Strafrede gegen den eingeführten Mißbrauch loszog;
„der Klingelbeutel fole ihnen als ein Vorbote einer
jäben, ſchnellen Strafe des ewigen Gottes Flingeln,
falls fie fich nicht eines andern bedachten,‘‘ Die Jar
cobiten fonderten fich deshalb von der ganzen übrigen
Bürgerfibaft ab, der Oberalte Carftens aber mußte
feine Stelle niederlegen, Im Auguſt erhielt Meyer
einen Ruf nach. Greifswalde. In feiner Abfchiedspre-
digt am Bußtage, den 15. September, erffarte er laut,
die Klingelbeutelfache fey einer der triftigften Gründe
für ihn, die Stade zu verlaffen; er danke Gott, ber
A
Die Jacobiten gerathen in Aufruhr, 591
ibn von einem Orte wegrufe, mo ein fo unchriſtliches
Regiment geführe und fromme andaͤchtige Bürger fo
gedrückt winden; die Jacobiten möchten indeſſen fort:
fahren, über ihre juͤngſten Schlüffe zu halten und bie
raudigen Schaafe von den guten firder aussufons
dern u. dgl. Ingeheim aber fügte er feinen Pfarrkins
dern mit Thranen Lebewohl, und verbeblte ihnen
nicht, daß wenn Gott und der König es fo fügten, er
mit Freuden wieder unter ihnen erſcheinen würde, Als
er nach Verlauf eines Jahres noch nicht zuruͤckgekehrt
war, gingen von feiner biefigen Gemeinde Abgeordnete
an ihn ab, zur Rückkehr ihn einzuladen: er felbft aber
verwieß fie an den bamburgifchen Nach, ob derſelbe den
König (von Schweden) um ſeine Entlaſſung erfuchen wolle,
Der Rath vermochte wirklich dem ungeffünen, mit
Drohungen verknüpften Verlangen der Menge niche zu
widerffehen, und Meyer batte "die kleinliche Rache,
denſelben mit ſeiner und ſeines Koͤniges abſchlaͤgiger
Antwort, nach ſeiner Meynung, zu demuͤthigen. Nichts
deſto weniger blieben die Jacobiten in ihrer unruhigen
Stimmung und Widerſetzlichkeit gegen die Anordnun—
gen der oberſten Behörden, Unter ihnen hatte ſich ins⸗
‘ befondere Balthafar Stielke, eim Bortenmwirker,
ſolches Anſehen verſchafft, daß er mit feinem Unbange
dem Rathe, den Oberalten und anderen in Amt und
Würden fiehenden Männern Trog bot, abſetzte und eins
ſetzte nach Gefallen, und die irgend ihm entgegen waren,
auf das ſchnoͤdeſte mißhandelte. Einen tüchtigen Ges
huͤlfen erhielt vieler Stielke und die Jacobitiſche
Parteyan dem Dr, Chriffiangrummbots, Paſtoren
— 38
592 Der Priefterunfug führe eine Faif,
an der Perrifirche, einem eifrigen Anhanger Meyers,
Hamburg hat feinen mwilderern Empörer in feinen Ring:
mauern gehabt, als diefen Menfchen, der übrigens von
Geburt ein Meißener war. Derſelbe fegte nicht nur
durch - feine unchriftlichen, politifchen Predigten bie
Köpfe des Volfes in Verwirrung, er hielt auch nacht:
fiche Zufammenfünfte, in welchen ‚die Tollheiten, die
gegen den Rath verübt werden ſollten, verabreder wur⸗
den. Die Gewerbthaͤtigkeit blieb über Diefer verkehrten Rich-
tung der Gewerker liegen, der Handel felbft gerierh in
Stosten, ein jeder eilte in bie Kirche, oder nach dem
Rarhhaufe, Verhandlungen. beyzumohnen und dieſelben
leiten zu helfen, unberufen von auffen und von innen,
Es fehlte nicht an folchen, welche dem wuͤſten Treiben
sit Einficht und ſcharfem Verſtande enfgegen traten;
witzige Schriften erfihienen gegen den Eiferer, aber
die Schriften ſelbſt wurden, durch Untreiben der Auf
wiegler, vom Buͤttel verbrannt und die Bildniffe der
Berfaffer an: den Galgen genagelt. Krummholtz
nannte den Rath in feinen Predigten „ein Raͤthchen und
Magiſtraͤtchen, ein Zaufendehaler- Kollegium, nieder⸗
ſaͤchſiſche Buͤrget““; die Oberalten „ein Tauſendmark⸗
Collegium ſtummer Hunde und dummer Jabruͤder“;
Ermahnungsſchreiben des Senats, welche ihn auf die
Beſtimmung feines Amtes hinwieſen, „ehrenruͤhige
Chartequen und nichtswuͤrdige Injurienſchriften.“ —
„Mein Rath waͤre, ſagte er am Schluß ſeiner Predigt
am Mariaͤ⸗Reinigungsfeſte 1708, — „daß man Prieſter,
Rath und Mitbürger, die den Geſetzen entgegen han—
dein, wegſchaffete.“ In dieſem Ginne verfuhren
Commiſſion berbey, ſeit 170% 593
fammtliche Partepgängers Die Rathsperſonen, welche
dem Getuͤmmel entgegen frebten, wurden: ihres Amtes
entſetzt; viele blieben ganz weg von den Verfammluns
gen, wurden defhalb in 1000 und 2000 Rthlr. Strafe
verdammt, und diefe Summen von ihnen durch die
Bürger z Compagnien eingerrieben Da wollteit - die
rechtlichen Bürger der öffentlichen Noth von Neuem
fich annehmen, aber das Berderben hatte zu tief Wurs
zel gefcblagen, als daß es durch gewöhnliche Mittel:
ausgerottet werden konnte. |
Darüber erfibien endlich die Faiferliche Com⸗
miffion; beſtehend aus dem Grafen von Schönborn,
dem ſchwediſchen Grafen von Lilienſtedt, einem preußi⸗
fihen, einem bannöver’jehen und einem braunſchweigi⸗
ſchen Rath, unterftügt von einer Kriegsarmee von
348 Mann Reutern und 2389 Mann zu Fuß. Anfangs
ſchickte man ſich an, die Stade zu vertheidigen : da aber.
die Geſandten der Königin Anna von England und der
Generalſtaaten, fo wie der Herjog von Braunfchweig
und die übrigen Fuͤrſten des Kreifes die Verficherung
Haben, daß an den bergebrachten Gefegen und der
Srundverfaffung der Stade nichts geändert werden
ſolle, Sondern ihre Abſicht nur dahin gebe, Friede und
Einigkeit in Hamburg wieder herzuftellen, wurden die
Eommiffion und die mitfommenden Völker friedlich in
die Stade aufgenommen, - Das erfte Geftbäft war, die
Nadelsführer aus der Mitte zu entfernen, Krummholtz
hatte feine aufruͤhreriſchen Predigten ohne Unterbre—
bung fortgefegt und. felbft: die Terte mit Beziehung.
auf die Zeitumſtaͤnde ausgelucht, Noch als die Voͤller vor
: 38°
594 Der Unionsreceß von 1710, und der
den Thoren Ingen, den 23. May (1708), fprach er über
Seremia 17, 18: „Laß fie zu Schanden werden, die
mich verfolgen, und mich nicht, Taf fie erfchrecfen und
mich nicht, laß den Tag des Ungluͤcks über fie gehen,
und zerfihlage ſie zwiefach.“ An feiner Tegten Predige
am 3. Juny ließ er fingen: „Sollt' e8 gleich bisweilen
ſcheinen, als 0b Gott verließ die Seinen’ ꝛc. Aber in
der nachfffolgenden Nacht wurde er abgeholt; ein glei-
ches gefchah mie Stielfe und einigen anderen; erſtere
wurden zu ewiger Gefangenfchaft verurcheilt, (Krumm⸗
holg ſtarb zu Hameln,) die übrigen wurden ausgeftaupt
und vermwiefen, oder mit Geldbuße beffraft, am Leben
feiner. Die Commiffion blieb übrigens vier Jahre in
der Stade, und ſchien fich dafelbff zu gefallen. Im
Fahre 1710 Fam der vorläufige Unionsreceß zw
Stande, im welchem die Verhaͤltniſſe und Obliegenhei—
ten des Rathes und der übrigen bürgerlichen Colfegien
zu einer feſten Beſtimmung gebracht wurden, Der Tod
des Kaiſers Joſeph L, verurfachte, daß die Arbeiten
der Commiffion bis zur Thronbefleigung Karls VI,
ausgeſetzt blieben; im vierten Jahre erſt, 1712, fam der
\ fogenannte Hauptreceß zu Stande, der die völlige
Ruhe im Innern wieder herfkellte und in deffen Befol- .
gung, ſoweit er von der Bürgerfihaft anerfannt wor:
den, bis heutzutage die Erhalcung dieſer Ruhe gegrüns
‚der. ift. Nach demfelden ift das hoͤchſte Recht und die
hoͤchſte Gewalt gemeinfchaftfich bey dem Narhe und
bey der erbgefeffenen Bürgerfchaft, nicht bey dem einen,
oder bey der anderen für ſich, fo daß weder die
Schlüffe, jenes, noch diefer, ohne beyderfeirige Zuffim-
⁊*
Hauptreceß von 1712 beruhigen Hamburg. 595
mung Guͤltigkeit haben Fonnen. Die Bürger und Eins
wohner follen ‚‚dem Narbe treu und Hold ſeyn.“
Erbgeffener Binger ift, wer lutheriſcher Eonfeflion
ift und in feinem Erbe in der Stadt 1000 Rthlrs, vor
ben Thoren 2000 Rthlr. beſitzt. Nebſt ihnen haben im
der Bürgerfebaft Sis und Stimme die Oberalten, die
6oer, die ı8oer und deren Adjuncten, die Cammerey-
bürger, die Eolonelbürger, die Börfenalten, die Com⸗
merzdepusirten und deren Adjuncten. Kirchens und
Polizeyſachen, alles, was zur Ruhe und Vertheidigung,
zur inneren. Sicherheit und jedweder Art der Verwal⸗
tung der Stadt gehört, wurde auf dag genauefte. bes
ſtimmt, mit Vorbehalt der nüslichen Aenderung, fobald
eine folche noͤthig erachtet würde.) Die Urverfaffung,
wie fie fich durch Zeit und Umſtaͤnde entwickelt haste,
blieb in ihrer Grundlage unverrüsft, nur den Mangeln
wurde abgehbolfen, auf welche man durch Ddiefelbe Zeit
aufmerkfam gemacht worden war, So blieb den. Buͤr⸗
‚gern Hamburgs eigenthüumlich, was aus ihnen ſelbſt
hervorgegangen. Feindlicher Zwieſpalt ft von da an
nicht mehr bemerft worden, feitdem man durch, herbe
Erfahrungen Fennen gelerne hatte, zu welcher. Gefahr:
Yichfeie derfelbe führe. Die fremden Reichsgerichte bat
man nicht mehr nöthig gefunden, nachdem fich erwiefen,
Daß Streitigkeiten vor der eigenen Behörde ſchneller
und billiger gefchlichtet werden, ald mwenn das Recht
von drauffen her geſucht werden fol. Billigfeie der Ei-
nen gegen die Anderen, Rechtlichkeit der Gefinnung,
Menſchenfreundlichkeit find die Grundfäufen, auf welchen
diefer Tempel der Freyheit ruhet, fo fange nicht. zu
i
596 Die alte Hanfe zerfällt; es verbuͤndet ſich
erfchüttern, als diefe nicht durch eigene Thorheit, oder
durch Gemwaltfireiche, von fremder Willkllhr ausgeübt,
hinweggeraumt werben, N
Daß die Kommiffion nicht langer vermweilte und
die Stade mie unzweckmaͤßigen Zumuthungen weiter bes
Taftigte, verdanfte Hamburg einem fchwer hereinbrechen-
den Hebel, wie.die Natur denn in ihren ſtrafenden
Maaßregeln eben fo gewaltfam und fürchterlich iſt, als
in ihren Segnungen veich an unendlicher Fülle, Eine
verheerende Peſt verbreitete fich in der Umgegend und
bis in die Stadt; die Commiffarien eilten,, der Gefahr
zu entfliehen, bevor noch ihre Arbeiten zu der beadfich-
tigten Vollendung gediehen waren,
Die bisherige Erzählung, welche im Zufammen-
hange die fernere Entwickelung des Staates felbft und
der Urfachen, durch welche dieſelbe herbeygefuͤhrt wurde,
ſchildern ſollte, konnte Einzelnes, was zum aͤchten Le
ben der Verfaſſung, ihrem Geiſte und der Nahrung
deſſelben diente, hie und: de nur andeuten, mußte ande
res noch übergeben, den Ueberblick nicht zu zerffreuen :
was noch der befonderen Auszeichnung werth iſt, holen
wir in der Kürze nach,
Wie die Hanfe fich ihrer Auft oſung —* iſt
fruͤherhin erzaͤhlt worden. Die Welt geſtaltete ſich an—
ders: unter neueren Umwandlungen konnte, was auf:
hinweggeraͤumten Bedingungen ruhete, nicht laͤnger be
ſtehen. Der zojährige Krieg, der ſo vielen Einrich⸗
sungen den Tod brachte, Töfere auch die legten Bande
vollends, womit die Hanfeffsdte noch locker zuſammen
biengen, Nur für die drey Städte, Bremen, San:
die neuere der drey Städte feit 1630; 597
. burg und Lübeck blieben zum Theil diefelben Gründe,
enger zu einander zu halten, gültig, um ihre auswärtigen
Handelsangelegenheiten mit deſto geringerem Koſtenauf—⸗
wand und mit um fo gröfferem Nachdruck zu fördern, um
wie viel bedeutender fie durch ihre Zufammengefellung auf
treten Fonnten, denn vereinzelt. Auch für die deutſchen
Fürften ſowohl, als für die europaifcben Handelsſtaa⸗
ten überhaupt war die Erhaltung eined Bundes nicht
gleichgültig, der nicht machtig genug war, gefährlich
zu feyn, aber ſtark genug und wohlhabend, dem Gan-
zen und dem Einzelten mannigfaleigen Vortheil zu
bringen, Im Sabre 1630 fihloffen die drey Gtädte
zuerſt auf ro Jahre einen Vertrag, in der drangenden Noth
jener Zeit zu gemeinfcbaftlicher Freundſchaft, zu gegen:
feitigem Schuß nud Schirm bey einander zu bleiben, Nach
Ablauf diefer Zeit, 1640, erneuerten fie das Buͤndniß
für die Dauer; der Nahme Hanfe blieb als Ueberreſt
deffen, was in der Zeit verſchwunden war; die Erhal⸗
tung und Anerkennung des jüngeren Bundes aber
ficherten alle folgenden Verträge, As Hanſe ſchloſſen
die drey Stadie: 1655 den erffen feyerkichen Handelsverz
srag mit Ludwig XIV, von Franfreih; durch Chris
ffiang IV. Bewirkung wurden fie 1645 jur Werfiches
tung guter Freundfchaft, bey dem damaligen Friedens⸗
Eongreß mie Schweden in das Friedensinffrument mit
aufgenommen; daffelbe geſchah bey dem Weſtphaͤliſchen
Frieden, bey den Eongreffen zu Nimwegen und Ryss
wit, (1679.) Mir den Generalffaaten der Niederlande
ſchloſſen Hamburg und Bremen 1645 und 1646 über
die freye Elb⸗ und Weſerfahrt Vereinigung, 1647 zu
98. Handel der jüngeren. Hanſe,
Muͤnſter mit dem ſpaniſchen Hofe zur Befoͤrderung des
Handels nach Spanien, und 1661 ertheilte Carl U. in
England der Stadt Hamburg insbefondere die Verſiche⸗
rung, dieſelbe bey ihren alten Rechten zu erhalten und
deren Schifffahrt und Kaufhandel zu beſchirmen. So
behielten die Hanſeſtadte auch ihre einzelnen Niederlagen
in den europaͤiſchen Staaten, allwo ſie ihre beſonderen
Bevollmaͤchtigten, Agenten oder Conſuln, zur Beſor⸗
gung ihrer Handelsangelegenheiten fortwährend unter:
hielten, als zu London, Bergen, Cadix, Madrid,
Malaga, . Dporto, Liſſabon, Haag uns Petersburg,
Se mehrere der bisherigen Handelgjtadte gerade ihre
Freyheit verloren, andere unter der Hand ihrer hab⸗
füchtigen. Fuͤrſten zur Unbedentenheit herab gedrückt
wurden: um fo feböner bluͤhete der Wohlffand diefer
wenigen fort, ‚und fie gerade wurden die Freyſtaͤtten
und Zufluchtsoͤrter für alle Die, welche fonft noch Geift
und Much. zu kuͤhnen Unternehmungen. hatten und für
diefelben bier allein noch offenen Marktplatz fanden,
Die drey Staͤdte wurden die Vormauer des nördlichen
Deusfchlands zugleih, und für daſſelbe die Eröffnung
der Ziele (Canaͤle) zur Verbindung mit dem übrigen
Europa: allen Fuͤrſten gleich wichtig mußten fie frey
erbalten werden vor jetem Angriff, der ihre Freyheit doch.
nur einem Einzelnen zum Opfer batte bringen fonnen,
Der Einzelne aber, dem es gelungen, Herr diefer Staͤdte
zu werden, hatte e8 in feiner Gewalt, auch den ganzen
Norden von Deutfchland u beberrfchen, Wenn der
Handel das Mark ift, Das dem ganzen Körper Kraft
und Haltung giebt, fo it Freyheit diefes Handels
)
insbeſondere Hamburgs, 599
die einzige Bedingung, auf welche das Wohl des Gans
gen verbürge werben kann.
. Hamburg gewann übrigens durch feine böchft
glückliche Lage fehr bald den Vorrang vor ihren
Schweitern, Wenn es diefen oder: jenen Haudelszweig
mit den Nachbarn theilen mußte, fo mwuchfen dafür
neue zu, deren Vortheil reichlich den Abgang früherer
erfeßte,. Die Bierbrauereyen fanfen , ‚feitdem der
Dein in Deutſchland mehr Beduͤrfniß wurde, auch
nachmals Caffee und Thee das Bier verdraͤngten. In
Hamburg ſelbſt eroͤffnete zuerſt ein Englaͤnder im
Jahre 1677 eine Caffee- und Thee⸗Schenke, dem ſobald
ein Hollaͤnder und nachmals viele andere folgten,
„alſo — beißt es in einer ſpaͤteren Nachricht, daß
man die Schenker jest kaum mehr zahlen kann.“
Den ohnehin ſchon in Abnahme gekommenen Hee—⸗—
ringsfang in den nordiſchen Gewaͤſſern gaben die Hamz
burger auf, da ſie dieſen Fiſch wohlfeiler von den
Hollaͤndern bekommen konnten: «dagegen fingen fie um.
die Mitte des 17. Jahrhunderts an, Schiffe zum Wallfiſch⸗
fang auszufenden, mit groffem Gewinne; ſchon 1649
wurde die erſte Thrandrennerey am Elbſtrande angelegt,
und 25 Jahre fpater hatte fich die Zahl derfelben.big
zu neun vermehrt. : Seitdem die Gewand- oder. Tuchbe⸗
reitung zu finken anfing, erhoben fich die Caffa= oder
- Sammtfabriten, man verfab von bier aus die nordifchen
Länder mit Staltz oder Paltröcfen, mit Spigen und Ga⸗
Lonen, und anderen Fabrikwaaren, die mit den engliſchen
und franzöfifchen in gleichem Werthe beftanden. Darauf
folgten die Gerbereyen, Tabakſpinnereyen, Wachöbleis
600 Beränberungen im Handel Hamburgs,
chen, Kattundruckereyen, dann die Zucferfiedereyen, bes
fonder8 feit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts,
Der Schiffbau war früherhin einer der berrächlichften
Erwerbszweige Hamburgs gemefen: die Abnahme deſſel—
ben geſchah, als die benachbarten Wälder lichter wur:
den, mehr noch, als die Auswärtigen anfingen, ihre
Schiffe ſelbſt zu bauen, Der eigenen Schifffahre wurde
durch die Seeraubereyen der Afrikaner groffer Eintrag
gethan. Die Ausfchließfung Hamburgs ans dem Fries
den der Hollander mit Algier veranlafte 1662 die Er:
bauung der Convoyfchiffe; eine Flotte derſelben hatte
1678 zugleih mit fünf Kapern ein heftiges Geeger
feche, mit gutem WVortheil, eine andere 1683 aber das
Ungluͤck, in der Bay von Cadix in Brand zu gerathen;
der tapfere Capitain Carpfonger, welcher fein
Schiff nicht verlaffen wollte, Tam dabey ums Leben -
ind wurde feldft von dem Könige Spaniens durch ein
Denfmahl, das er ihm errichten Tief, ehrend ausges
jeichnet, Dennoch nöthigte die Uebermacht der Algierer,
daß die hieſigen Kaufleute ihre Guͤter nach Spanien,
Portugal und dem mittellaͤndiſchen Meere ſolchen Flag—
gen anvertrauen mußten, deren Maͤchte mit jenem
Staate in friedlichen Verhaͤltniſſen ſtanden. Ein Ver—
frag, den Hamburg um die Mitte des achtzehnten Jahr⸗
hunderts mie Algien errichtete, war von nicht günffi-
geren Folgen: Spanien drobete, den Hamburgern feine
Hafen zu verſchließen, da es einen Freundſchaftsvertrag,
mit ſeinem Erbfeinde und auf Zufuhr der Kriegsbeduͤrf⸗
niſſe geſchloſſen, fuͤr ein feindſeliges Buͤndniß anſehen
müſſe. ah
nach ben Verhaͤlt niſſen der Zeitumſtaͤnde. 6601
Die Schifffahrt nach England wurde in ſo weit
beſchraͤnkt, als die hamburgiſchen Schiffe nur deutſche
Waaren und Erzeugniſſe, beſonders allerhand Tarbe⸗
waaren einbringen durften, dennoch auch ſolche, welche
nicht in geradem Wege nach England zu Waſſer ge—
bracht werden koͤnnen, ſondern die landwarts, aus
Ungarn, Pohlen, Rußland hieher Fommen, Wenn fo
die Stadt an eigenem Handel im Groffen verfor, fü
wurde fie für den Zwiſchenhandel defto wichtiger, Die
Stromfehifffahre erbiele ſich noch bis in das achtzehnte
Jahrhundert, wurde aber fpaterhin durch das Magder
burgifche Stapelrecht, das feit dem zojaͤhrigen Kriege
geruher hatte, und durch die Menge der Zölle fo über
maͤßig beläftiger, daß fie.billig aufgegeben werden konnte,
wenn beffere Vortheile anderwäres fich darboten, Das
Auf⸗ und Abwogen der Zeit ſchwemmt -überall hier bins
weg und fegt dore an: bey allen Veraͤnderungen erhiel⸗
gen fich doch in Hamburg die Lieberreite der Vergangen⸗
heit und vereiniget an Einem Plage bildeten ſie ein
Dauerndes Grundvermögen zur weifen Verwaltung und
Verwendung. Selbſt die Nähe von Altona ward,
trotz aller Bemühungen der danifchen Könige, Hamburg
nicht nachtheilig: ein jüngerer Stamm zu nabe einem
älteren gepflanze, der Fernfeff tiefe Wurzeln gefehlagen
und feine geſpreizten Aeſte rings um ſich verbreiter hat,
wird fich zu Seinem befonderen Anfehen erheben Fönnen,
Der Staafhof in Londom wurde auch nach
Auflöfung der Hanfe den drey Gtadten Luder Ham⸗
burg und Bremen erhalten, die bis heute ihre Mie—
the davon bezogen haben, Die Geſellſchaft der
602 Die Geſellſchaft der engliſchen Kaufleute.
englifcben Kaufleute, welde durch die Eir
ferfucht der übrigen. Hanfefladte von Hamburg hatte
weichen müffen, kehrte 1604 ſchon dahin zurück und
ſchloß neue Vertraͤge mit der Stade, beſonders 1611
und 1617. Seitdem blieb fie im Beſitz ihres Kiefigen
Court, wie fehr auch Stade zuerſt, und dann der Rö-
nig von Daͤnemark fih Mühe gaben, fie wieder von
bier. wegzuziehen, Tegterer zwar nah Krempe. Die
‚neue engliſche Societaͤt““ beftund aus 20 Familien,
genoß Vortheile eines niedrigen Zolfes für die aus Eng-
Iand gerade bieher Fommenden Waaren, behielt ihren
Courtmeiſter und unter demfelben eigene Gerichtsbarkeit,
in ihrem Haufe (Groͤningerſtraße) Ausübung ihres Gor-
tesdienffes mit einem von ihnen gehaltenen Prediger,
und auch, zu Ergöglichkeiten feit 1646 einen geraumigen
Hof (bey der groffen St. Michaeliskirche), ein Bowling-
Green,
Zur. Belebung des hamburgifchen Handels trugen
die Berfolgungen, welche der fpanifchbe Unterdrückungs⸗
frieg in: den Niederlanden herbeyführte, nicht wenia bey.
Die proteflantifchen Glaubensgenoffen, groſſentheils ans
gefehene, wohlhabende Leite, viele felbfi von adlichen
Befchlechtern, wanderten aus und ſuchten ihren Aufent⸗
halt in Hamburg. Schon nach dem Fall Antwerpens
1585 jogen eine Menge Verfolger bieher. Im J. 1605
betrug ihre Zahl bereit8 130 Perfonen; man ſchloß
einen Vertrag mit ihnen zur Aufnahme auf 15 Jahre,
da fie noch) die Hoffnung nicht aufgaben, in ihr Va⸗
terland zurückkehren zu koͤnnen, und einen neuen Buͤr⸗
gereyd nicht ſchwoͤren wollten. Abermalige Vertraͤge
Die eingemwanderten Niederländer, 603
1615, 1631 Fnüpften fie immer naher an die Stadt:
durch einen niedergeſetzten Yusfchuß zur Annebmung
der Fremden, aus 6 Rathsherren, 2 Oberalten, 2
Cammereybürgern und 2 Gechjigern beffehend , wurben
ihre Berbäfeniffe zur Stadt allmahlig genauer und billiger
beffimme, fo daß immer mehrere derfelben den Bürgers
eyd Teifteren, fich naber an die einheimiichen Familien:
anfchloffen und fo ganz in die Zahl und den Geiſt der
übrigen Einwohner übergingen, daß ihre Abkunft kaum
noch weiter, ald aus den Nahmen errachen werden
konnte. Aber fie brachten Handelsfenneniffe mit, die
ſelbſt den Hanfearen früherhin ein Gegenfland des
Neides gewefen waren; viele derfeiben errichteten Mas
nufacturen, andere Tiefen in England Getreide und
Kriegsbedärfniffe auffaufen und führien. fie ihren vors
maligen Brüdern zu: fie wurden die unternehmendften
Raufleute, da fie mit achtem Handelsgeiſt, mit Reichs
thuͤmern und mit Rechtlichfeit und Ordnungsliebe zus
gleich gerüffer waren. Ihr wohlthaͤtiger Sinn erſchuf
die niederlaͤndiſche Armen- Caffe, urfprünglich
zur Unterfiügung und Verpflegung ihrer Kranken und
verarmeen Landsleute beſtimmt, aber bald auch ein
heilbringender Schatz für alle übrigen Verarmtg, eine
Anfiale, die bis auf die jetzigen Zeiten fich ‚erhalten
bat und der milden Pfege der Gegenwart und der Zus
funft, ein beiliges Pfaud menſchenfreundlicher Sitte,
empfohlen bleibt.
Dieſe Familien waren es, welche hier den hollaͤn⸗
diſchen Brook und die hollaͤndiſche Reihe zuerſt auf nie⸗
derlaͤndiſche Art anbaueten und ihnen die jegigen
—
2
604 Erweiterung der Stadt, Anbau
Nahmen verfchafften, da ſonſt diefe ganze Gegend der
neue Brook geheißen hatte, Jene wilde Zeit, welche
die Menfchen überall aus ihren vaterlichen Wohnfigen vers
ſcheuchte, oft gewaltfam herauswarf, trug noch mehr
dazu bey, daß Viele bier, san der Auffenbuche von
Deutſchland, friedlichen Zuſſuchtsort fuchten, Der zojaͤh⸗
rige Krieg zumahl warf aus Böhmen, aus Oberdeutſch⸗
land eine Menge von Familien hieher, die ihr Leben
und Bermögen bier gefichere glaubten, Durch folce
Beranlaffung erweiterte fich Die Stade nach mehreren
Seiten bin, insbefondere nach der Gegend von Altona
su, die bis dahin noch unvollffandig bebaut gemefen
war. Mehrere Pfahlbürger zwar wohnten ſchon bier am
Ende des fechszehnten Jahrhunderts, Eine kleine Ras
pelfe auf dem Kirchhof, welchen die Nicolai⸗Kirche in
der Gegend ber jetzigen Eleinen Michaeliskirche ange
legt hatte, wurde bergitd 1604 in eine Kirche er
weitere und mit einem eigenen . Prediger verſehen.
Den Nahmen erhaͤlt die Kirche vom Mich aelistage
1606, am welchem fie geweiher wurde. Man erbauere ;
auch 1609 am Millernthor ein eigenes Küterhaus, da
das andere in der Altſtadt zu weit entferne war und nicht
alles ſoweit befchisfen Fonnte, Der Ausbruch des gojahe -
rigen Krieges machte noͤthig, daß um diefe Vor⸗
ſtadt (1620) ein fefter Wall gezogen werden mußte,
der mit ſtarken Auffenwerken und tiefen Waffergraben vers
feben wurde, Der ganze Bezirk fand indeifen Bebauer von
den heranſtroͤmenden, welche hinter diefen Wällen Schuß
und Sicherheit fuchten und fanden ; der Kirchhof mußte
verlegt werden, dahin, wo. jeßt Die große Michaelis”
des Kirchfpield St, Michaelis, 605
kirche ſteht; mie Leichen füllten ihn die peftartigen
Krankheiten ſeit 1624. Aber immer größer wurde der
Andrang der Volksmenge, wie fehr auch die verheeren-
den Seuchen hatten zuruͤckſchrecken mögen: die Furcht
vor dem möglichen Uebel wurde befiege von dem grau⸗
fenden Elend, das der Krieg wirklich in feinem Ge
folge führe, Nun wurde für die volfreiche Vorſtadt
eine neue, größere Kirche immer dringenderes Beduͤrf⸗
niß; aber die Bewohner der Nicolaikirche, zu welcher
die Vorſtadt noch gebörte, batten mehr guten Willen,
"als Kräfte, da fie zu dem Ausbau ihrer eigenen, durch den
berabgeftürzten Thurm (1644) hoͤchſt befchadigten Kirche
nicht hinreichende: Mittel fanden. Dieß gab indeffen
zu Verhandlungen Anlaß, in welchen die Nicofaikirche
ihre Michaelitifche Tochtergemeinde der Stadt abtrar;
(1647) gegen die Zahlung einer Summe, und dagegen von
der Stade die Kirche St. Michaelis und die Kirchenge:
baude der Gemeinde zu Michaelis zu ihrem Gebrauch.
wieder übergeben wurden, Seitdem wurde auch die
Benennung Borftadt, wofür die Michaelid-Gemeinde '
noch gegolten hatte, in Neufladt verwandelt. Durch
milde Sammlungen, welche durch die ganze Stadt ver⸗
anftaltet wurden, war man fo weit gefommen, daß
1647 mit dem Anbau einer neuen Kirche der Anfang
gemacht werden Fonnte, vollendes aber wurde fie erff
1661. Nach einigen Schwierigkeiten, welche befonders
die Auszahlung der bedimgenen 25066 Marf, von den
Michaeliten an das Kirchfbiel St, Nicolai, verurfachte,
wurde durch Rath und Bürgerfchluß 1678, den 31. San.
die Michaelid«Bemeinde als ein fünftes Kirchſpiel
606 Anbau des Hamburger: Berges,
aufgenommen, mit der Einfchränfung, daß die Auf—
nahme in das Kollegium der Dberalten, der 4ßery
144er und in die Cammer bis zu ruhigeren Zeiten
ausgefegt bleiben folte, Ruhige Zeiten waren es nicht,
aber folche, welche eine Bereinigung? Aller zum Wohl
der Stade fehr nöthig machten, namlich das Jahr
1685, wo St. Michelig diefer Eintritt in die buͤrgerlichen
Eollegien zugeffanden wurde, Seitdem find der Ober
alten ı5, die 48er in 6oer, die 144er im 180er vers
mehrer worden, Um jedweden Unterſchied zwiſchen den
beyden Theilen der Siadt vollends zu entfernen, wurde
auch der Wall, der bisher die Altſtadt von der Neu:
ſtadt getrennt hatte, abgetragen (1707) und neu bebauet,
woraus die Straße des fogenannten neuen Walles
entfianden iſt. Die Michaeligfirche erhielt fogar
als Mutterkirche bald eine Tochter zu ihrer Geite,
Die Schiffer und folche, ‚welche von der Schifffahrt
und deren mannichfaltigen Bedarf ihre Nahrung zogen,
fanden es bequemer, noch aufferhalb der Walle am
Elbſtrande fih anzubauen, auf dem noch uneigentlich
fogenannten Hamburger-Berge, wie richtiger
fruͤherhin, als noch der Roͤdingsmarkt aufferfte Stadt—
grenze war, die von da ſich anlehnende Höhe benannt
worden war. Die Thranbrennerepen mit der noch ims
mer fleigenden Grönfandsfahre wirkten vorzüglich zu
der Bevölkerung dieſer Eldgegend. In den. Jahren
1671 bis 1680 wurden im Durchſchnitt 57 Schiffe
ausgeruͤſtet, welche ein Jahr ind andere gerechnet
20,000 Duarbdeelen Speck mit nach Haufe »brachten,
Diefe ergiebige groͤnlaͤndiſche Rhederey wird nie wieder
on
”
Ankunft der portugiefifchen 20 Juden 607
in folchen Klor kommen, bemerfe ein wohlgefinnter
Freund feiner Vaterſtadt, „wenn der haushaͤlteriſche
Geiſt unſerer Vorfahren nicht zu uns zuruͤckkehrt.“ In⸗
zwiſchen wurde fuͤr die anwachſende Gemeinde eine eigene
Kirche mit einem beſonderen Seelſorger wuͤnſchenswerth.
1682, den 27. März legte man den Grundftein zu der
St Pauls: Kirche und fihon am 24. Auguſt hielt
der Paſtor Haccius in derfelben fein: —— nach
dem Hamburger⸗Berge.“
Die guͤnſtige Aufnahme, welche die verfolgten
Niederlaͤnder hier gefunden hatten, bewog auch die ſo⸗
genannten portugiefiſchen Juden, welche in.
Spanien und Portugal mit allen Schreckniſſen der
blinden Religionswurh und durch die geheimen Umtriebe
der heiligen Hermandad geaͤngſtiget wurden, ihren
eg hieher zu nehmen, Sie fanden Duldung, tveil fie
fih für neubekehrte Ehriften ausgeben; Cı6r2) -
mehrere ihrer Blaubendgenoffen folgten ihnen nach und
fie waren ſchon fehr reich an Anzahl; als man entdeckte,
dag fie noch immer ihren berfömmlichen; mofaifchen
Gefegen anhingen. Die vermögenden Ankoͤmmlinge hat:
ten indeffen dem Handel einen höheren Schwung gegeben:
und ſich in mehrfache Gefchäfte verflochten, daß der jur
Fremdenantahme ernannte Ausſchuß in mweifer Vorſorge
für den Wohlſtaͤnd der Stadt und in ver ſtaͤndiger Dufdung
einer förmlichen Vertrag mit ihnen abfchlof , vermöge
deffen fie alle Bürgerlaften übernehmen und alljährlich
einen Schoß Yon 1000 Mark bezahlen mußten, Die
- fernere Nachfiche machte ihnen Much, zumahl als viele
bochdeusfche und polnifche Juden füch zu ihnen einfanden :
39
608 Aufnahme der Juden überhaupt,
fie ordneten im Stillen ihre eigene Verfaſſung, feßten
Aelteſte unter fih, und legten, da ihnen eine Syna-
goge verboten wurde, wenigſtens Schulen an zu ihren
Zufammenkünften. Nur die Geiſtlichkeit ſtuͤrmte gegen
diefen Fegerifchen Unfug an und predigte auch die Buͤrger⸗
fchaft, der die widerlichen Sitten dieſes ihren morgen-
laͤndiſchen Urſprung ſchwer ſich entwindenden Volkes,
nicht minder deſſen voreilige Eingriffe in buͤrgerliche Ge—
rechtſame und Freyheiten ohnehin entgegen waren, in
Harniſch. Paſtor Gefius brachte es durch feine Schelt—
predigten dahin, (1649) daß kein hochdeutſcher Jude ohne
einen vom Buͤrgermeiſter erhaltenen Erlaubnißzettel in die
Stadt kommen durfte, Aber ale Verbote der Art wur:
den eben fo Bald wieder nbertreten und. vergeffen, fo
oft fie auch, bey neuen Aufreizungen, erneuert werben
mußten, Diele Juden gingen wohl zum Chriſtenthum
ber, befonders feitdem die gelehrten Edzardi' s, Jo—
docus der Water, Paſtor an St. Michaelis, Efra,
deffen Sohn, Privatgelehrter, der fogar angefebene
Rabbiner zu Proſelyten machte, und Georg Eliefer, des
vorigen Sohn, Profeſſor am Gymnaſium, das Bekeh—
rungsgeſchaͤft mie befonderem Eifer fich angelegen ſeyn
ließen. Darauf 1697 Zwang die Bürgerfchaft den Kath,
den porsugiefifchen Juden «einen Jahresſchoß von
20,000 Mark, den deutſchen von 30,000 Mark aufzu⸗
fegen, wodurch viele derfelben, und gerade die reichſten,
bewogen wurden, fortjugiehen, fo daß man bald für
gut fand, diefen Druck wieder aufzuheben, bis endlich
zur Zeit der Faiterlichen Commiffion 1710, d. 7. Sept.
ihnen beſtimmtes Maaß und Ziel zu fegen, ein eigenes
Die franzoͤſiſchen Hugenottem! 6
„Reglement ’ abgefaßt wurde, demzufolge fie des
oßrigkeitlichen Schutzes und ber rechtlichen Huͤlfe gefi-
chert blieben; fie tragen alle Bürgerabgaben, genießen,
die Bekleidung öffentlicher Aemter aufgenommen, aller
Bürgerrechte, mir den durch anderweitige Vorrechte
geſetzten Veſchraͤnkungen; ein befonderer Artikel ver- »
goͤnnt den portugiefifchen Juden aus ihrem Mittel,
nach dem Herkommen, foredauernd 15 Makler zu ers
nennen, wenn fie für diefe Freyheit das Gemöhnliche
an dad Commercium entrichten. Den deutſchen
Juden wurde diefe Bewilligung nicht vergönnt, fo wie
fie überhaupt in manchen anderen a ju⸗
ruͤckſtehen mußten.!
Nur der weiſen Feſtigkeit des Sache ar e8 ge⸗
lungen, den Juden dieſe Duldung zu erhalten: einen
anderen Zuwachs hoͤchſt ehrenwerther, nuͤtzlicher Buͤr⸗
ger wußte der heilige Eifer der Prediger dennoch zu hinter:
treiben. Als Ludwig XIV, die reformirten Proteftanten
CHugenoreen) aus Frankreich vertrieb, nahmen dieſe
Flüchtlinge Crefugies) ihren Weg nad Deutſchland,
mehrere beſonders nach Hamburg und erboten ſich, die
Strecke vor dem Steinthor, bey St, Georg, anzu⸗
bauen, wenn man ihnen ein beſonderes Bethaus dafelbſt
erlauben wolle, Die Geiſtlichen widerſetzten ſich dem von
allen Ranjeln herab, fie ließen Schriften über Schrif-
ten Dagegen ergeben ; der Rath vermochte bey den obs
waltenden Unruhen im Innern feine milderen San—
ſaͤtze nicht geltend zu machen: Die Sremblinge | jögen
daher weiter und trugen neuen Gewerb fleig und neues
Leben der Thaͤtigkeit nach Brandenburgy⸗ ur wenige
39°
610 Errichtung ber Bauf, 16195
von ihnen blieben bier unter. den Bedingungen, welche
von dem Fremden⸗Ausſchuß ihnen gefegt wurden. Ein-
zelne Verſuche wurden von den ſaͤmmtlichen Reformir-
ten gemacht, bie und da, auf den Vorfegen, im Wand:
rahm und fonft, gortesdienftliche Verfammlungen zu
veranſtalten; aber der Widerfpruch flörte zu oft ihre
frommen Bemühungen, den Umſtaͤnden und der befons
nenern Denfart der jüngeren Zeit war es vorbehalten,
diefen. unnatuͤrlichen Zwang vollends zu entfernen,
Der Zufammenfluß aber fo vieler Fremden, die Kennt:
niffe, welche fie miebrachten, gaben zu mehreren Einrich:
tungen Veranlaffung, die eben fo fehr zur Belebung
und Sicherfielung der Handelsgefchäfte, als zur Ver:
mehrung des inneren Wohlftandes gerechten. Die zu
Anfange des Tiebzehnten Jahrhunderts im deutſchen
Muͤnzweſen aufs aͤuſſerſte geſtiegene Verwirrung, die
Steigerung des Reichsſthalers, das Kippen und Wip—
pen, Schmelzen und Ausfuͤhren der guten Muͤnze, die
Vervielfaͤltigung der He: und Bey-Münzen, insbeſon⸗
dere aber auch Die Auffoderung ber nie derlaͤndiſchen
Kaufleute, veranlaßten ſchon 1615 den Rath, im der
Bürgerfihaft am gten Februar die Errichtung einer
Bank nach dem Mufter derer zu Venedig und Amffer-
dam in DBorfchlag zu bringen, Damahls war die
Bürgerfchaft noch in der vorgefaßten Meynung, die
Errichtung einer ſolchen Wechſelbank ſey unnoͤthig, vie— |
len Bürgern auch wohl noch mehr. fchadlich, als nüßlich.
‚Das Münzübel nahm indeffen immer mehr zu; die, zum
Theil mit Luͤbeck gemeinfam, getroffenen Manßregeln
Fonnten demfelben nicht feuern. Die 1619, d. 28. Jan.
er
Lehenbank; — Lombard (1651.) Sr
wiederholten, gründlichen Borftellungen überzeugten
auch die hartnaͤckigſten, ſo daß am 22, Februar 1619
das von der Bürgerfchaft genehmigte Mandat mer
gen der Eröffnung einer Wechfelbanf erging, und
die Eröffnung derfelben unmittelbar erfolgte, Die Bank
ift eine Privar:Caffe der bamburgifchen Kaufleute, aber
die Stadt leiſtet Buͤrgſchaft fuͤr die Sicherheit der Gelder,
Hauptjmwerf derſelben iſt, auffer daß fie dem leichteren
Geſchaͤftsumſatz befördert, Feſtſtellung des aͤuſſeren
Münzmwelend, und Verhuͤtung, daß Unordnung daſſelbe
Jerſtöre; auch iſt ihr die Ausuͤbung der Muͤnzgerecht⸗
ſame insbeſondere anvertraut. Mit der Wechſelbank
wurde gleich Anfangs eine Lehenbank verbunden,
welche auf Pfänder, insbefondere Gold, "Bilder und
Juwelen auslieh, aber manche Abänderungen und Eins
ſchraͤnkungen in der Folge erhalten mußte, Nacht ders
felben wurde 1651 auch einombard ober Leihhau 8
errichtet, in der guten Abſicht, damit die, fo durch
Noch und Mangel ihre Güter zu verpfanden fich ge
zwungen fäben, ſowohl ang den Händen gewiſſenloſer
Wucherer gererter wurden, als ohne Nennung ihres
Nahmens ihr Gut auf Sicherheit zu —— Gele⸗
genheit fänden, ”
Seit der Auflöfung des banfeatifchen Bundes
nahm der Handel von bier aus überall eine andere
Richtung, nach Kranfreih, Spanien und Portugaf,
im Fortgange der Zeit ſelbſt nach der mittellandifchen
Ser, nach Oſt⸗ und BWeftindien, fo wie auch die Grön
landsfahrt und der Weg nach Rußland eröffner wurden,
Früberhin - war ale Sorge und Auffiche über vie
612 Admirafität, — Commerz⸗Deputation.
allgemeinen Sandeldangefegenbeiren bey den Kauf
mannssWesterleuten,gemefen, bie aus. ben alter
ſten Schiffergeſellſchaften gewaͤhlt wurden: die Um—
ſtaͤnde brachten es mie ſich, daß auch. hier ‚eine Aende—
rung eintreten mußte, . Zuerſt wurde 1623 ,. ben raten
Februar, bag, ‚Collegium der Admiralitaͤt ‚errichtet,
sur Handhabung des Seer echtes, zur, Ver ſiche⸗
tung der, Schifffahrt, zur Aufſicht und Fürforge ‚über
die Verfügungen, auf, der Elbe von der Stadt. am ‚bis
jur Se. ‚Im, Jahre 1624, den 13, Der, wurden noch
drey Seeraͤuber auf dem Graßbrook hingerichtet, zum
letzten mafe, daß dieſe Art der Juſtiz verwaltet wurde.
Weiterhin beſchloſſen die Kaufleute, aus ihrer Mitte
fieben ‚Perfonen „ worunter Einer der. Schiffer Alten,
als Sommers: Deputirte, zu erwaͤhlen, welche,
mas zum Beſten ‚des Handels ‚im. Allgemeinen. ‚dienen
könne, für, deſſen Nutzen und Erhafcung Sorge, tragen
und. dag Ynfiegen der Einzelnen dem Rathe überbringen
ſollten. Dieſe Deputation wurde. 1665: von den
Kaufleuten, erwählt, ‚vom. Rathe genehmigt und ‚1674
von der Bürgerfchaft beſtaͤtigt. Da auf diefe Weife den
Yelterleusen der Gefellfehaften dasjenige wieder abgenonts
men wurde, was ihnen 1517 von der Kaufmannſchaft
anvertraut worden war, mußten fie auch die Benen⸗
nung Kaufmanns— Aelterleute wiederum ‚ablegen,
Seitdem haben, fig. ſich Börfenalte, genannt, da
jene- Geſeliſchaften urſpruͤnglich zur. Errichtung, der
Börfe wefentlich beygetragen, einen Theil derfelben auch
auf ihre Koſten wirklich erbauet hatten. Ihre, Geſell⸗
ſchaften ſelbſt behielten, was ihnen fruͤher als Eigen⸗
Börfenat Waiſenhaus, (ſeit 1604» 613
thum gehört haste, den won ihnen erbaueten Theil der,
-Börfe und das Poſt- oder Botenwefen, das bey
der Stade verblieben if, — Den Stadtpoſten zur, Seite
wurde zundchft, ſchon 1615 eine reitende Eaiferliche
Reich spoſt von dem damit belehnten F. Thurn⸗
und Taxiſchen Haufe angelegt, wozu nachmals die
mancherley Poſten der übrigen, mit dem Poſtregal vers
febenen Fürften gefommen find, in deren Aufnahme
einzumilligen die Sage der Stade und Die ach derſelben
unumgangliche, nachbarlıche Verbindung im Poſtweſen
von wechfelfeitiger Freundſchaft und Billigkeit erheiſchte.
Unter den öffentlichen Anſtalten, welche ber Stadt
zum gemeinſamen Beſten in dieſem Zeitraume neu zu⸗
wuchſen, verdient die milde Stiftung des Waiſen—
baufes zuerſt genannt zu werden. Die, Errichtung
deffelben fallt in das Fahr 1604, wo die St; Anſcharii⸗
Kapelle und das damit verbundene Pilgerhaus zum
Waiſenhauſe eingerichtet wurden, Eine Bergröfferung,
und Ausbefferung befielden fand. ſtatt in den Jahren,
1627 und 1679, jedesmal auf ber Stade freywillige
Koften, Noch mehr that der ehiwindige Job ſt von
Overbeck, alder, um dem immer graßficher. übers,
band nehmenden Kindermord, dem auch die ſchaͤrfſten
Verbote nicht zu fieuern vermochten, einigermaßen abs
zuwehren, 50,000. Dark baar ſchenkte, und nachmals.
noch 100,900 Mark vermachte, -bafür „daß arınfelige,
Tindlinge, die in eine. befonders dazu ‚angebrachte Ma⸗
ſchine (torno) gelegt werden koͤnnten, in das Waiſen⸗
haus zur Aufnahme, Pflege und Erziehung gebracht
wuͤrden. Die menſcheuſteundliche Abſicht dieſes wohl⸗
614 Der Peſthof. — Das Gaſthaus.
geſinnten Mannes wurde freylich von Gewiſſenloſigkeit
und tiefgeſunkener Menſchheit ruchlos gemißbraucht;
aber war dieſer Grund hinreichend, die Stiftung ſelbſt
beyzubehalten, und dennoch ihren klar ausgeſprochenen
Zweck nicht mehr zu erfuͤllen? Das Verderbniß der
Menſchen bleibt, wenn auch in den Formen der Zeit
veraͤndert, im Weſen immer daſſelbe: Mittel zur Lindes
rung und zur Heilung, einmal gefunden, und bewaͤhrt
gefunden, ſollten niemahls wieder verworfen werden,
denn ihrer koͤnnen nie zu viel vorhanden ſeyn.
Um der verheerenden Seuchen willen, welche bereits
feit dem ſechszehnten Jahrhunderte und noch mehr in
den nachfolgenden Kriegesgreueln auch im nördlichen
Deutſchland um fich griffen, wurde, zur Aufnahme und
Abfonderung der Pefkfranken von den übrigen Einwoh—
nern, zuerft 1606 ein eigener Pefthof angelegt, außer:
halb des Millernthores, welcher in der Folge, — fo üppig
wuchert der Krankheitsſtoff, — noch fehr erweitert und
vergröffere werben mußte, alfo daß zwiſchen 700 und
900 Huͤlfsbeduͤrftige, gleichviel, ob Einheimiſche oder
Fremde, Mitleid gebuͤhrt ja Allen, nothduͤrftig verpflegt
werden konnten. Fuͤr ſogenannte Pilger und arme Rei—
ſende wurde am alten Millernthor ein Gaſtha us ers
richtet, (feit 1609,) wo dieſelben Obdach und ein Abend»
brot fanden; 1631 wurde e8 in der Nahe der heiligen
Geiftfirche dahin erweitert, daß auch fremde Kranfe
bier Aufnahme und Wartung finden Fonnten, Die
Bemühungen ver Hamburger, den Leidenden Troſt,
Linderung und Hülfe zu verfihaffen, find zu jeder Zeit
unermüder gewelen Die Adficht, zu welcher die Anſtalt
Das Beat: und Zuchthaus errichter, 615
ald Krankenhaus eingerichtet worden war, machte
nöthig, daß gegen den Mifbrauch der Almofenfamm:
fung Maaßregeln getroffen werden mußten , wie in der
neuen Ordnung von 1702 (erneuert 1726) gefebah: weil
Wildthaͤtigkeit ohne verffandige Anwendung nicht beiler,
fondern altvorbandene Schäden wohl noch naͤhret. Um
fo verdienffvolfer iff der gute Wille, wenn er auch
durch Mißbrauch im feinen — — ſich nicht irre
machen läßt.
Solchem Mißbrauch entgegen zu wirken, wurde
die Anlage eines Werk: und Zuchthauſes in
Berathung gebracht, bereit8 1610, aber erſt 1615 ein
Befchluß dariiber gefaßt und fogleich ein Stuͤck des das
maligen Walled an ber Alfter zur Erbauung deffelben
angemwiefen, Die Koften dazu (70,000 Rthir,) wurden
zum Theil aus dem Ertrag einer Lotterie genommen,
welche das Jahr vorher geffifter worden, Die Orb:
nung des Innern wurde 1622 errichtet, wohlthaͤtig
und ernſt zugleich, das Uebel erleichtern zu helfen, aber
auch dem Muͤſſiggang und der Ausartung keine Polſter
unterzulegen. Eine merkwuͤrdige, nicht erfreuende
uUeberlieferung iſt, daß Hinrich Buhrdorf, einſt ein an—
geſehener Bürger, welcher ſich um die Einrichtung die—
ſer Anſtalt groſſe Verdienſte erworben hatte, ſpaͤterhin,
da er durch leichtfertige Reden und Schmaͤhungen den
Rath gekraͤnkt, ſelbſt hieher geſchafft werden, (1646)
und hier ſeinen Tod erwarten mußte. Durch Verwahr⸗
loſung und die Bosheit einiger Züchtlinge gerieth das
Haus 1666 in Flammen, wurde aber big zu 1670 von
Grund aus wieder aufgebauet und noch mehr erweitert
616 Spinnhaus. — Bauhof und Kalkhof.
und verſchoͤnert. Am dieſelbe Zeit war, nach ber Stif—
tung des Pic, Rengel, durch den Baumeifter Hames
low auch da8 Spinnhaus erbauet worden, (1666 big
1670) um feichefertige MWeibsperfonen, auch Männer, -
die noch nicht den Tod, ſondern andere Züchtigung
verdient haben, sgefanglich zu verwahren und Diefelben
ur Arbeit und zum Guten anzuhalten. Vorher waren
folche Berbrecher an Ketten geſchloſſen und zur Gaſſen⸗
reinigung gebraucht worden: der Suͤnder faßt aber
eher Muth, ſich zu beſſern, wenn er ſeine Schande
weniger zur Schau geſtellt ſieht. Die. fogenaunte Toll
kiſte, eine befondere Abtheilung ‚des Krankenhofes für
bie vom Wahnſinn befallenen, wurde bereits 1638 von
dem Gaſthauſe beym Millernthore weggenommen und
nach dem Peſthofe hin verlegt.
Die Stadt ſelbſt in moͤglichſt gutem Stande zu
———— und ihrer Verſchönerung, fo weit es nach ben
Ver haͤltniſſ en und der Beſtimmung des hieſigen Gewer⸗
belebens thunlich war, beyzutragen, war weſentliches
Geſchaͤft der zum Bauhof gehörenden Herren und
Bürger, Der Bauhof wurde iu feiner neuen , Er:
sweiterung im Sabre 1675 nach ber Stelle au Deich
* verlegt, die er noch jetzt einnimmt. Der mit
demſelben fruͤherhin verbundene Kalkhof war bereits
1617 nach) feiner, jetzigen Stelle, damahls auſſerhalb
des Dammthores gelegen, geſetzt worden. In demſel⸗
ben werden in zwey Kalkoͤfen die von Segeberg herge—
brachten Kalkſteine ausgebrannt -und»für Rechnung der
Stadt verkauft, Unser. den Bauhoſsbürgern biefer
Zeit bat ſich befonderd der Nahme Hieronymus
Straßenpflafter ; Gaffenerleuchrung ꝛc. 617 |
Peterſen der Nachwelt empfohlen; Dieſer tharige
Dann war es, durch deiien- Bemühungen nicht allein
ber fcböne Baummeg mic den ‚bequemen Geitengängen
von Steinthore an bis nach dem Strohhauſe bin am
gelegt, wurde (16525) auch, das neu erweiterte Rathr
baus lich er unter andern mit den, "nicht ungeſchickt
gearbeiteten. ffeinernem Bildern verzieren, 21 ander Zahl,
welche die. Reihe der roͤmiſchen Kaifer von: Rudolph I,
bis Ferdinand, III, in getreuer, zeitgemaͤßer Zeichnung
darftellen. . Zu einem neuen Korn baufe.wurde 1660
der Grund gelegt und daffelber von dem Baumeifter
Hamelow auf die zweckmaͤßigſte Weile aufgefübren
Das Straßenpflaſt er in Hamburg eneffand wohl
weniger aus Sinn. für ſchöͤne Bauart, als weil das
Beduͤrfniß des Handels und Gewerbes an die Nochwendig-
keit deſſelben mahnte. Wir finden aufgezeichuet, daß
1612 der Anfang gemacht worden, das Pflaſter zu
erhöhen, zuerſt in St. Petri, weiter den Steinweg
hinauf, und vor dem Dammthor, zwiſchen den Höfen,
allwo igo ber Jungfernſtieg iſt, Auch für die Reinigung
ber Gaſſen zu, forgen, wurden um dieſelbe Zeit beſondere
Leute angefelt, Mit der Gaffen erleuchtung wurde
der erſte Anfang. 1673, gemacht; jede, Laterne ohne den
Pfahl, auf dem fie fand, kam 8 ME. Im. Jacobir
Kirchſpiel wurden die. eriien Leuchten aufgeſtellt, und
das Beyfpiel fand, willtommene, Aufnahme, ſo daß im
Jahre 1679 an.taufend Laternen in der Stadt geſetzt
waren, deren Unkoſten der Kaͤmmerey auf 6000 Rthlr.
zu ſtehen kamen. |
Eine, beſondere Feuer⸗ ‚und; Wasrorbnung war
‘
618 Feueranſtalten. (Schlangenfprügen.)>
bereitd im Jahre 1626 errichtee worden, Ungluͤcksfaͤllen,
welche die Natur anrichtet, ſobald Sorgloſigkeit ihr
die Zügel ſchießen laͤßt, kann nur theilweiſe und mit
immer neuer Erfindung 'entgegengearbeitet werben, Ein
überrafchender Brand im Jahre 1636 (5. Gept.) in der
Reichenftraße gab Die Mahnung, daß man für zunaͤchſt
verordnete, Feuerwaͤchter auf den Thürmen follten
alle Halbe und ganze Stunden des Nachts mit einem
Horn ein Zeichen geben, bey'rFeuer: Ausbrüchen die
Sturmglocte ziehen, Laͤrmen blafen und eine ‚brennende
Leuchte aushängen. Der Erfindung der © langen:
ſprützen gefchicher aus dem Jahre 1677 zuerfi Meldung.
In demſelben Faufte die Stadt dem Caspar Haffe drey
von ihm verfertigte Schlangenfprüßgen für 800 Rthlr.
ab und errichtete einen Bertrag mit ihm, (22. März
1678) daß er als Sprügenmeifter dieſelben in bleibend
‚gutem Stande erhalten und bey Feuersgefahr die Auf
ſicht und Leitung derſelben führen follte, für das jaͤhr⸗
liche Gehalt won 150 Rthlr., halb aus der Eaͤmmerey,
bald aus der Feuer-Caſſe zu bezahlen. Die neue Ers>
findung erhielt fo viefen Beyfall, daß 1680 für jedes
Kirchſpiel befonders ſolche Schlangenfprügen verfertiger
werden mußten; Haffe verdiente viel Geld damit, Bey
dem verheerenden Brande jedoch auf dem Kehrwieder,
1684, gerieth derſelbe in großen Berdacht, wichtige
Berfehen begangen zu haben, fo daß er zuerſt in Verhaft
genommen , fodann abgefegt (1685, d, 22. Sept.) und,
wie man damahls mit vielen andern Aemtern einführte,
beffen Dienft weiterhin verkauft wurde, Die Nacht wa—⸗
chen. wurden früherhin von den gefiäworenen Gtadt «
Nachtwache. Das Drillen der Bürger, 619
ober Hausdienern, zwoͤlfe an ber. Zahl beſtellt, mie denen
zugleich eine gewiſſe Anzahl Bürger jede Nacht auf die
Wache ziehen mußte. Uber die überhand nehmende
Volksmenge vergrößerte die Unficherheit in den Straßen fo,
daß fibon 1610 die Veränderung getroffen werden mußte,
daß 60 Soldaten die drey Wachen bezogen, (die eine
auf dem Speers⸗Ort, bie andere bey ber Rath: Apo-
thefe, die dritte bey dem Broofehore,) und durch ms
geben in den Straßen auf Ruhe und Ordnung fehen
mußten. Die regelmaßige Radelmache wurde im
Sabre 1673 angeordnet und nachmahls, nach Erfodernif
und Angabe der Umſtaͤnde immer zweckmaͤßiger eingerichter.
Das Drillen oder dad Ueben der Bürger in der
Waffen nahm, nach einer getroffenen Einrichtung, zuerft
1643 feinen Anfang. Dofß es indeffen nicht immer mit
Drdnung dabey zuging, ergiebt fich aus den Beyfpielen,
wo durch unvorfichtigen Gebrauch des Gemehres Leute
ums Leben kamen, wie unter andern 1655 geſchah.
Im Jahre 1672 wurde ein eigenes-Driltbaus.er-
bauer, an ber Alfter hinter dem Holzdamm, und ein
Drifmeifter bey demfelben angefest, — (der erſte bie? _
Hans Wichmann,) der von jedem Bürger-Eapitain all»
jabrlich 5 Rthlr. erhielt, Nach_des Raths Verordnung
wurde Feiner zum Bürger angenommen, der nicht einen
Schein von dem Drillmeiſter brachte, daß er fich in
Waffen wohl geübt habe,
Der Anftalten zur Bildung der Jugend iſt im
Früberen gedacht worden. Neben den vom Staate ver:
ordneten Schulen bildeten ſich, ſchon in aͤlteſter Zeit,
eine Menge von Klipp- und MWinfelfchulen, deren
620 Hrmenfchulen, — Neben dem Johanneum
Unmefen oft durch ſtrenge Verordnungen gefteuert wer
den mußte, Für die ärmere Jugend wurde fon 1612
von Johann Sylm aus dem Knafebrüggifchen Teſta⸗—
mente eine befondere Schule geftifter, in der Rofens
ffraffe gelegen; nach deren Beyfpiel eine zweyte In der
Neuſtadt, 1683, die von ihrem Urheber, Paßmann,
verdientem Prediger an Et, Michaelig, die Pafmanni
ſche Schule genanne wird. Durch das fromme Ver:
maͤchtniß einer ehrbaren Matrone, Wittwe Rumbaum,
den thatigen Amtseifer des Paſtor's Winkler und die
reiche Stiftung des Kaufmanns Werfen wurden viele
wohlthätigen Anfkalten noch um drey neue vermehrt,
(1690 bis 1723) welche nach ihren Stiftern benannt
und dem dankbaren Gedaͤchtniß der Nachwelt empfohlen
find. Die Johannisſchule, vornehmlich zum Unter⸗
tiche für Fünftige Gelehrte beffimmt, gelangte zu Zeiten
zu aufferordentlicher Anzahl der Schüler, mie dent
unter dem Rectorat des Paul Sperling an 1006 da gewe—
fen feyn follen, Aber theils iſt eine groffe Schuͤler⸗Zahl
nicht immier Beweiß der inneren Güte der Schule, theilg
trage fie, wenn es zumahl an hinreichenden Lehrern fehlt,
mit dazu bey, daß die Sitten’ verwildern und der Bil:
dung der Einzelnen nicht Genüge gefcheben kann. We
nige Jahre, nachdem jene groſſe Beſuchung geruͤhmt
worden, hoͤrte man von allen Seiten die lauteſten
Klagen. 1610, den 16. Auguſt aͤufſette der Rath in
der Buͤrgerſchaft fein groſſes Mißfallen: „da die Schule
in Abgang gerathen und hieſige Bürger ihre Kinder
nah Stade und anderen Benachbarten Schulen (Bre
men) fehiöften, welches diefer Stadt zu nicht geringer
i
wird das Gymnaſium eingerichtet. dr
Verkleinerung gereiche,, fo müfle diefem Uebel durch
Berbefferung der Lebrart, durch Beſtellung und Befol-
dung mehrerer Lehrer abgebolfen werden.,, Nicht aus:
geſprochen, aber vorhanden war die beſonders durch
die Geiſtlichen unterhaltene Furcht, aus den rechtglaͤu—
bigen lutheriſchen Jünglingen möchten auf jenen benach:
barten Schulen calviniftifche Irrglgubige gezogen werden,
Dieß harte zur Folge, nicht nur, daß das Johanneum
ſelbſt verbeffere, fondern daß neben demfelßen noch ein
befonderes Gym naſium Cıdır) für den höheren Uns
terriche gegruͤndet wurde. Im Sabre 1612 wurde
die, mabere Einrichtung dieſer Anſtalt entworfen,
im nächften erfolgte die Einweihung, Rump, We
renberg, Lauremberg und Schefter waren die erften
Profefforen an demſelben. Dennoch mar in den
erften Jahren die Theilnahme, welche die Bewohner der
Stadt für eine ſolche Menſchenbildungsſchule hatten zei⸗
gen follen, ſchwaͤcher, als zu erwarten geweſen; ein
verfkandiger Prediger Wudrian, an St. Perri, belchte
den vaterſtaͤdtiſchen Sinn erſt wieder durch eine Predigt,
die er nachmald auch im Druck aufgehen lief, unter
dem Tirel: (1614) „Hochwichtige und nachdenktiche
Urſachen, warum das Gymnaſium nicht abzuſchaffen, ſon⸗
dern vielmehr zu erhalten und zu verbeffern ſey.
Die Verbeſſerung trat erſt ſpaͤterhin ein. 1675
wurde die. Zahl ber Lehrer auf ſechs gefege und uͤber⸗
haupt ein neues Leben in das Ganze gebracht. Beide
Anftalten, das Johanneum ſowohl, als das Gymnafium,
haben unter ihren DBeforgern und Leitern Männer ge:
habt, welche ihrer ausgezeichneten Gelehrfamfeit und
*
622 Berühmte hamburgiſche Gelehrte dieſer Zeit,
wiffenfchaftlichen Verdienſte willen auch von der Nach«
welt ſtets mir Achtung genannt werden muͤſſen. Am
Johanneum ſtand als Rector im Anfange des achtzehn
ten Jahrhunderts der waere Joh. Hübner, deffen
Bemühungen, eine leichtere und faßlichere Lehkart in
höheren und niederen Schufen einzuführen, für feine Zeit
eine Wohlthat waren, Diele von den Männern, welche
am Gymnafitm fanden, werden mit Recht zu den erften
Beförderern gründlicher Gelehrfamfeit gezaͤhlt, nach
Anerkennung des Innlandes und de Auslandes, der.
Gegenwart und der nachfolgenden Geſchlechter. Dabin
gehören die Nahmen, um nur wenige aufjuführen,
Heinrich Vaget; Peter Lambert des Lucad Holſtenius
Schweſterſohn, der am. meiften zu ſchaͤtzende Erzähler
der früheren Gefchichte Hamburgs; Aegidius Gutbier;
Vincent Placcius; Joh. Alb. Fabricius, und andere,
Männer, welche als Glanzgeftirne ihres Jahrhunderts
feuchteten, Andere, hamburgifchen Urfprungs, verfuch:
ten und fanden ihr Glück, wie Kraft und Wille daf-
ſelbe fich überall zu verfebaffen im Stande find, im
Auslande; doch. darf die Vaterſtadt ihrer, die in der:
felben die erſte Bildung und Richtung ihres Geiftes
erhielten, nicht ohne Urfache ſich ruͤhmen: unter
ihnen find Gerhard Elmenhorſt; von Woweren, ber bey
den Hamburgern unverdient in unguͤnſtigem Anfehen
fand; Joh. Fr. Gronov, für deffen unfterbliche Ver⸗
dienſte einzelne Schwachen der Menfchlichkeit von Billie
gen gerne nachgefehen werden: auffer ihnen manche
“andere gleichen Ranges, |
Zu einer öffentlichen Bibliot hek wurde in dieſem
Stadtbibliothek. — Schauſpiel. 623
Jahrhunderte ein ſehr bedeutender Anfang gemacht,
uͤberall das Schwerſte, dann aber belvyhnt, wo das
erſte Beyſpiel bereitwillige Nachahmer finder, Man
vereinigte zuerſt die Buͤcherſammlungen det beyden ‚ger
lehtten Anſtalten, des Johannei und des Gymnaſii,
im Sabte 1649, vermehrte dieſelbe aber durch eine
hoͤchſt anfehntiche Schenkung des Bürgermeiſters Se
baſtian von Bergeit, daß fie ſchon damahls die
Grundlage eines koſtlichen Schatzes bildeter Dazu Fa:
men in der Folge theils reiche Schenkungen einzeiner
Perſonen, theils ſorgte der Staat felbft fir die Er⸗
mweiterung einer folchen Anſtalt, daß: dadurch eine Bi:
bliothek enffanden iſt, welches wenn: nicht im dem erſten,
doch im beim zweyten Range der angefebenen Bibllotheken
Deurfihlands eine ſehr ehrenvolle Stelle » einnimmt:
Die Welterfahrung bat zu. oft Gelegenheit; den einfluß⸗
reichen Werth gediegener Gelchrfamfeie kennen zu Ser:
nen, als das fie verſchmaͤhen follte, det letztern die ge⸗
bührende Aufmerkſamkeit auch in. der That zu Beweifen:
In behaglichem Wohlſtand it ein ſchuldloſes Ber
ghügen ber feineren Sinnlichkeit wunſchenswerth, nur
der. Abareung in. grobe Genäffe vorzubauen. Die
einfichesvslleten , Welche auf Reifen mancherley Kennt⸗
niffe geſammelt hatten, beabfichtigten daher gewiß er
was Gutgemeyntes, als ſie ein ſogenanntes Schau—
ſpiel auch in Hamburg anzulegen bemüht waren, Poſſen—
reißereyen , Faſtnachtsſpiele, wie fie aller Orten in
Deutſchland gewöhnlich geweſen, hatten Auch bier ſtatt
gefunden: abet von eitier geregelten Gattung folcher
Spiele war bis dahin noch nicht die Rede. Die Thaͤtig⸗
do
624 Das Opernhaus am Ganfemarkte,
keit des Lic. Gerhard Schott, machmaligen Raths—
herrn, brachte es dahin, daß im Jahre 1677 ein
Opernhaus auf dem Gaͤnſemarkt errichtet wurde,
zum neuen Jahre mit einer Oper: „Von Erſchaffung
des erſten Menſchen Adams“ feyerlich eroͤffnet. Von
dem Kriege, welchen insbeſondere die Geiſtlichkeit gegen
dieſe Vergnuͤgungsart eroͤffnete, kann hier nicht die Rebe
ſeyn: an Urſachen zu gerechten Beſchwerden fehlte es der:
felben nicht, denn allerdings wurden diefe Vergnuͤgungen
zugleich als Gelegenheiten gemißbraucht, vom Wege der
Sittlichkeit fich zu entfernen. Dennoch blieb dem Kern
‘des Volkes der nuͤchterne, beſcheidene Sinn, welcher
durch ſolche Spiele ſich nicht verderben ließ, und auch
die altangeſtammte Biederkeit und Rechlichkeit der
Hamburger wurde als ein; Stadtvermaͤchtniß in das
neue Jahrhundert, von den leicht anfliegenden Necke—
reyen unbeſchadet, mit uͤbergetragen, zur Aufbewah⸗
ren fuͤr die Zukunft. |
Neuer Angriff der Danen auf Hamburg, 625
11.
Zu innerer Ruhe war durch die Verhandlungen,
weiche Rath und Buͤrgerſchaft mit den Kaiferlichen Abe
geordneten bis zu 1712 gepflogen hatten, die Stadt
gelangt, aber von auffen droheren noch Gefahren und
Uebel, Durch die Harenäcigfeit und den’ Starrfinn
des Königs von Schweden, Carl des XII, war abers
mals ein nordifcher Krieg in wilde Flammen ausge⸗
brochen. Bohlen, Danemart und Rußland fanden
gegen Schweden im Kampfe. ’ Die dänifchen Waffen
eroberten ganz ſchwediſch Pommern bi8 auf Stettin
und Stralfund, auf der andern Seite Stade und bie
Herzogthümer Bremen und Verden. Da benugte plößs
lich der König Friedrich IV die Gelegenheit, als die
Fatferfichen Commiffionstruppen Anſtalt trafen, von
Hamburg abzuziehen, feinen erfchöpften Finanzen aus
der ſchon fo ofr gebrauchten Duelle frifche Nahrung zuzu⸗
führen; er legte fich mit feinen Völkern theils vor die
Wale, theil in das umliegende ‚Gebiet, und brachte es
durch feine mwohlgefegten Drohungen dahin, daß ihm
die Stadt nachdem Altonaer Vergleich (1712,d; 18.
Mov.) neue 246,000 Rthlr. bezahlen und verjprechen
mußte, Abgeordnete nach Kopenhagen zu ſchicken, um
ter königlichen Gnade aufs Neue fich zu verfishern,
Inzwiſchen war der ſchwediſche Feldmarſchall Steen-
bock mit einer arofen Berflärfung gelander, hatte mit
Rußland und Sachſen Stillſtand gefchloffen, die Danen
bey Gadebuſch gefchlagen, und ruͤckte num mit Heeres⸗
macht und wilder Nahe nach Holſtein. Das arme
Altena mußte büffen, angeblich, was von den Dänen
49”
⸗
626 Steenbock verbrennt Altona, 1713.
gegen Stade gefünbiger worden ſey. Steenbock foderte
eine Gefdlieferung, die fo ſchnell nicht aufgerrieben mer:
den fonnte, Zwölf. Uhr um Mitternacht vom 8, zum
9, Januar 1713 wurde bie unbeſchützte Stadt von den
fchwedifchen Soldaten angezunder und bis auf menige
Heufer und die evangelifchen Kirchen eingeäfchert. Die
ſcheüßliche That war jo plöslich aefommen, daß Ret—
sungsmittel, Maaßregeln, Hülfe zu febaffen, unmöglich
hatten getroffen werden koͤnnen. Hamburg felbit wurde
erft in der Morgenfrühe durch den Schein der Brand-
fackel aufgeweckt. Die Altonger hatten ſich und
die geringe Habe, die fie mit mweggutragen im Stande
gewefen, nach den Hamburger Berge geflüchter und
geborgen; wer möchte es bezweifeln, daR fie ſofort bey
den biederen Bürgern Hamburgs ein ſchützendes Obdach;
weitere Hülfe gefunden haben? Kleinliche Eifer:
füchteley, wo fie irgend vorhanden, auch wenn fie durch
zu ‚nahe Begegnung über die Gebühr angereist iſt,
ſchmilzt in ermarmende Liebe, wo Noch, Angſt, Kum—
mer den vielleicht noch ‚Dazu verfannten Bruder und ent:
gegen führen, — Darauf folgten zum Beyſtande Friedrichs
IV in zahlreicher Menge ruffiiche Voͤlker, welche nicht
nur in dem’ Gebiete der Stade act folderifch lebten,
ihr General Menzikoff foderte auch von den Buͤrgern
eine halbe Million Thaler, vie nur mie Mühe auf
300,000 Rthlr. herabbedungen werden konnte. Der
Verheerung der Peſt wurde in der Stadt durch zweck⸗
maͤßige Maaßregeln Einhalt gethan. Deſto aͤrger
wuͤthete ſie in der Naͤhe und der ganzen Umgegend und
wirkte auf den Handelsverkehr um ſo nachtheiliger, als
Die Ruhe wird bier nnterbrochen, ırı9. 627
das Gericht nach der Ferne bin die Sache big ing
Abenteuerliche vergrößerte, Die Zahl der Communi⸗
canten war im diefer Zeit fo groß, daß man die Wochen:
tage, wo Predigt war, dazu nehmen mußte, dieſe geift-
fiche Sehnſucht zu ſtillen: mit der Noth fcheint indeffen
die Bangniß gemwichen zu ſeyn, denn ſchon im folgen
den Jahre fand man dieſe Wochentags: Communionen
nicht mehr für nöthig.
Die nachiten Jahre waren der Sorgfalt gewidmet,
die Nachtheile, welche die vergangenen Hebel hinterlaſſen,
möglichft gu entfernen. Die innere Nube war diefer
Abſicht befonders günftig. Nur im Jahre 1719 wurde
Diefe durch einen unbefonnenen Auflauf unterbrochen,
der Stade felbft zu empfindlichen Schaden. Wahrend
in Altona das Peſtübel verderblich wirthete, ſuchten die
nicht = fueherifchen Neligionsverwandten, welche bis da-
bin in Altona freye Ausuͤbung ihres Gottesdienſtes ge⸗
funden basten, den Zugang zu den Hauscapellen, melche
den bier anmelenden Miniftern vergönne waren. Diefe
Einrichtung blieb, auch nachdem die Seuche entfernt
war, als bequemer beybehalten, anfangs ohne Störung.
Die Zahl der Karholifchen befonderd mar nur Klein;
es blieb eine Zeitlang unbemerkt, daß die Beſuchenden,
außer dem Anhören der Meffen, des Gefandeichaftss
geifttichen auch zu anderen kirchlichen Handlungen fich
bedienten. Mißvergnügt wurden indeffen viele Einwohner,
als fie vernahmen, daß die franzöfifchen refugies durch
den Ankauf eines geräumigen Platzes am Wilhaduss
Pool die Abfiche zeigten, ein Haus zu Eirchlichen Ber:
fammlungen dafelbft einzurichten. Durch ein Verbot
628 Auflauf gegen das kaiſerliche Geſandt—⸗
des Senats wurde dieſe Abſicht noch verhütet, Aber
auch der Faiferlicde Geſandte ließ bey einer Ausbeſſerung
des von ihm bewohnten Haufes, der Bichaefisfirche
gegenüber gelegen, daſſelbe ſo fehr erweitern, daß eine
eigene Capelle im demfelben errichtet wurde, . Der Der
druß über eine folche Neuerung, welche auch von den
Geiſtlichen mie Schaͤrfe getadelt und verdammt wurde,
bemächtigte fich befonderg bes niedrigen Volkes, fo daß
am 10, September 1719 ein Haufe fich zuſammenrot—
tete, Anfangs muchmillige Knaben, dann Erwachſene
aller Gattung, die Planken des Haufes niederriß, in
den Saal eindrang, Dach und Sparrwerk herunter
warf und das Hintergebäude nebſt der neuen Kapelle
gänzlich zerfiörte, Zur Strafe wurde der Stadt vom
Kaifer auferlegt, nicht nur das zerſtoͤrte Gefandefchaftd-
haus wieder aufzubauen, die Sachen zu erfegen, welche
bein Gefandtfchaftsfecretair Lampe entwendet worden,
fondern auch binnen zwey Monaten 200,000 Rthlr, in
den kaiſerlichen Schaß zu liefern. Ueberdieß folle eine
Deputation von zwey Mitgliedern des Raths und zwey
Dberalten fich nach Wien verfügen und daſelbſt febul-
dige Abbitte in allertieffter Demuch verrichten. So
berbe Folgen zog ein muchmwilliger Frevel einer unver—
fFandigen irregefeiteten Dienfchenelaffe nach ſich. Der
Bürgermeifter B. Martfeld fiarb im naͤchſten Sabre
aus Kummer und Verdruß über den böfen Vorfall.
Der großmuͤthigen Fuͤrſprache des Prinzen Eugen von
Savoyen, und den Mitwirkungen der zum evangeliſchen
Bunde gehörenden Maͤchte, insbeſondere Preußens und
Braunfchweigs gelang ed, nach vielen ‚Verhandlungen,
ſchaftshaus, berbe von Wien aus. beftraf. 629
daß die Bußſumme auf 200,000 FI. berabgefegt und
ſtatt der. Wiederaufbauung des zerſtoͤrten Hauſes ein
anderes... von dem. Faiferlichen Geſandten ſelbſt zu
wählendes angefchafft. wurde: die. Anerkennung. des
begangenen Fehlers geftbab durch. die. in Wien gegen:
wärtigen Abgeorbneten- der, Stadt. vor dem Prinzen
Eugen (27. Juny 1721), deffen edles und mildes Be⸗
nehmen der Haudlung das Herbe entzog. Zum fünf
tigen Geſandtſchaftshaus erfaufte die Stadt „dag von
dem Baron won Görtz, -Binanzminijter Cars XII.
erbauete Haus auf dem Neuen Wall (1722,12, Dit.),
welches auch big zur Auflöfung des deutſchen Reichs zu dies
fer, Beftimmung gebraucht worden ift. Der unangenehme
Vorfall ſelbſt blieb nicht ohne heilfame Lehre: die Geiſtlich⸗
Feis verlor ihr Anfehen, fobald fie unbefugt in Anges
legenheiten. fich miſchen wollte, die in ihren Bereich
nicht gehören;. dad Volk aber wurde ‚vorfichtig,. die
eigene Glaubens-Meynung nicht zum Gefeg für andere
zu machen und von Dingen, die. das allgemeine Wohl
angeben, einfeitige Unduldſamkeit zu ‚entfernen.
Mit Dänemark dauerte das gefpannte Berhältniß,
unter ermuͤdender Wiederholung eben. fp oft. vorges
brachter, als wibderlegter Anfoderungen und Befchwer:
den. Zunachft war e8 der Schauenburgifche Hof,
welcher befonderd dem Pinnebergifchen Amemanne zu
Ungiemlichfeiten und Zubringlichkeiten-Beranlaflung gab.
Wie oft. auch von den Reichsgerichten für die, Stadt
und gegen den König entfchieden. wurde: ein Ende bes
Streited war um. fo weniger abzufeben, ald noch neue
Seranlaffungen herbeygezogen wurden, die Gahrung zu
‘
630 Mißhelligkeiten mit Dänemark
unterhalten. Koenig Friedrich IV, fürchte‘ feinem
Geldmangel Durch Verfchlechterung der Münze abzuhel⸗
fen, wodurch er eben fo ſehr die Bemühungen der
Stade, den Muͤnzfuß zum allgemeinen Beſten ficher zu
fteilen, als den Gebrauch ihres Muͤnzhammers unter:
brach, Die Anzeige der fehlechten Münzſorten in den
biefigen Eourszetten nahm er fo ungnaͤdig auf, def
er fich Durch Aufbringung der hamburgiſchen Schiffe
zu rächen ſuchte und gebietend verlangte, die Stadt wolle
‘olles königliche Geld in Öffenttichen oder Privatzahlungen
gelten laſſen. Der VBermittelung, beſonders Großbri:
tanniens, gelang cd, daß die feindfeligen Maaßregeln
wieber aufgehoben wurden, aber die Urſachen, welche
den Münzbammer unbrauchbar machte, blieben,
Dem Unwefen zu feuern," fand man endlich bier
geratben, eine fogenannte Coturant- Dank aufzu⸗
richten und ſelbſt Courantgeld ſchlagen zu laſſen ‚ nach
dem alten Münzfuß zu 34 Mark Kb. aus der Mart
fein, nebſt beygeſetztem, feſtſtehenden Aufgeld von
16 pet. gegen Banco. Am die danifche Münze kuͤm—
merte man ſich nicht, verbot fie auch wicht, als nur
in Sachen, welche Staatsgeſchaͤfte betrafen, fuͤr welche
allein die hieſige Münze in Geltung blieb: ‘aber es
wurde bey allen Vorſichtigen doch verbüter, daß Kein
fremdes Geld zu höherem Werthe, «als der innere Ge:
halt war, in Umtauf kam, und der König von Dane
mark fah fich genöthigt, (1725) feine nene Münze auf
niederen Werth herabzuſetzen. Aber auch fo mochte
Hamburg mie dieſer Münze nichts zu fehaffen haben,
wodurch ber Fonigliche Unwille dermaßen erregt wurde,
wegen der Courantbank. 631 |
daß ein neuer Befehl gebot: die Stadt folle die des
niſche Münze nach dem herabgefegten Fuße bey fich
gänge und gäbe ſeyn laſſen; ja es wurde den daͤniſchen
Unterehanen unterfagt, bey fihwerer Strafe, won den
Hamburgern Waaren zu erfaufen oder das neue Stadt;
geld bey ſich einzuführen, Im michiten Jahre 1727
wurde das Verbor des Handeld noch geſchaͤrft, in
ze auf das Eigenthbum der Hamburger Beſchlag
gelegt, den Altonaern, die es am fchmerzlichften em:
pfinden mußten, alle Verbindung mie Hamburg unter:
fügt, und dadurch vieler nachbarliche Unwille und Swift
an den Tag gefördert. Vorſtellungen, auch die vers
nünftigiten, halfen nichts, „Kurz — ſagt ein ehrlicher
Berichterfkaiter — des Königs Friedrich Majeſtaͤt
fehloffen mit Dero Ungnade gegen die Stade im
Jahre 1735 Ihr Leben, und das verwahnte koͤnigliche
Wort war bis auf Chriftian VI; vererbt worden,‘
Das Erbe wurde mis Treue übernommen und verwal⸗
ter: zwar ſchien die Abſendung des Syndikus Surland
und des Rathsherrn Caſtrop, welche Chriftian VI. in
Kopenhagen zu feine Thronbeſteigung Glück wuͤnſch⸗
ten, „das Eönigliche Gemich etwas zu gewinnen:
aber die Antwort im Weſentlichen bfieb dennoch 2 „die
Stade folle Mittel ausſinnen, wodurch das Fönigliche
Geld einen fogenannten natürlichen und gleichen
Eours mit dem hamburgifchen erhielte,“ ein Anfinnen,
deffen Unausführbarkeit won ſelbſten einteuchtere, Aber
der König bielt die Gerechtſame ſeiner Foderung für
erwiefen, und da Hamburg Ddiefen Beweiſen feinen Glau-
ben beymeſſen konnte, wurden Thärlichfeisen zu
632 Durch Geld werden dieſt Angriffe
Hilfe genommen: die hamburgifchen Schiffe wurden in
der Dfifee im Sunde feftgehalten, in der Nordfee durch
königliche Kriegsiehiffe nach Kopenhagen aufgebracht,
wie überall Rechtens, menn die Gewalt das Wort
führe. - Die geſchah befonders feit 1734. Doch Hams
burg behielt, trotz der Königlichen Placfereyen , was der
Caſſe des Königs fehlte, baared Geld: der Syndikus
Klefeker und Rathsherr Rumpf begaben fich ſelbſt nach
Kopenhagen und brachten e8 endlich fo weit, daß ger
gen die Aufhebung der hiefigen Courantbank und gegen
die Bezahlung von 500,000 Mark Banco die ham⸗
burgiſchen Schiffe wieder freygegeben wurden: die
Schlechtigkeit des daͤniſchen Geldes blieb demungeachtet
nach wie vor, anerkannte Sache. Bon einer Art fons
fliger Abhangigfeit der Stadt mar weiter nicht Die Rebe,
Im Uebrigen waren Chriſtians Verdienſte um fein
eigenes Land nicht gering, und die Eorgfalt, ber Yns
gerthanen Beſtes zu begründen, darf nicht ohne Achtung
genannt werden, auch da, wo der Nachbar darunter lei⸗
det. Chriſtian war fromm, durchaus wohlgefinnt, und
traf sur Beförderung des Handels feiner Staa⸗
ten die mwirkfamften Maaßregeln. In feine Fuß:
ffapfen srar fein Sohn, Friedrich V,, (1746-1766)
den Deutſchen ein — zücheigender Mahme: Fried
rich V. war es, dem wir es verdanken, daß. Klops
ſt ock den Meſſias fingen und dem Auffchwunge feines
emporftrebenden Geiſtes freye Fittige leihen konnte.
Denn alfo ruft der unfierbliche Dichter feiner Sionsſange⸗
rin zu: „Daͤnens Friedrich iſt's, welcher mit Blumen
dir Jene Höhe beftreus, die du noch ſteigen mußt! Er der
zurüchgefcblagen. Der ziabrige Krieg. _ 633
König und Chriſt, waͤbhlt dich zur Führerin, Bald auf
Golgarba Gott zu ſehn.“ — Auch gegen Hamburg han⸗
delte Friedrich mild und friedfich. Gleichwohl lieh
er 1758 von der Stadt 1,400,000 Mark, nicht ohne
diergemwöhnlichen Bedrohungen, und ald er nachmals
fürchten mußte, von Perer IH, von Rußland, welcher
den Antheil feines Hauſes Holſtein⸗Gottorp an Schleß—
wig nicht aufgeben wollte, mit Krieg uͤberzogen zu
werden, erzwang er (1762) ein zweytes Darlehn — Bes
waffnete, mit welchen ex die Stade umzingelte, mußten
feine .Foderung unterfiügen, — von 3 Millionen Mark,
wovon jedoch im Anfange die Zinfen * —*
worden find, 1
Es war dieß die Zeit des fiebenjahrigen
deſſen Getoͤſe Hamburg faſt nur in der Ferne vernahm,
von welchem es ſogar in Hinſicht des Handels manchen
Vortheil 3095 Einen Ueberſchlag des damaligen Reich»
thums verſtattet die Nachricht, daß die von den Bür⸗
gern nach dem Gewiſſen erlegte Abgabe eines Quart⸗
procents von ihrem Vermögen 120,000 Rthlr. betrug, mit⸗
bin einen. reinen Grundbeſitz von 48. Millionen Thlr.
anzeigte, Zu hoch -geftiegener Wohlſtand iſt indeflen
nur felten von Dauer: das groffe Handeldgewühl, das
durch die Bedürfniffe der -Eriegführenden: Mächte veran:
laßt wurde, dazu die leichte preuffifche Münze gaben
Gelegenheit" zu Wagniffen und übertriebenen Unterneh:
mungen, zumahl im Wechſelgeſchaͤften, welche nachthei⸗
lioe Folgen norhwendig berbepführen mußten. Als
Friedrich U. im Sabre 1763 fein fupfernes Geld ſelbſt
herabſetzte, brachen angefehene Haufer in Amſterdam,
634 . Es kommt zum Gottorpifchen
andere im übrigen Holland und auch in Hamburg fEhrsten
ihnennach, fo daß einmaßigeres Verhaͤltniß, ſtets das
beffere, für den. hiefigen Markt durch Schaden und
Verluſte aufs neue gefchaffen wurde,
Der Friede 1763 gab dem inneren Deutſchland
Ruhe und Zeie, fich über die eigenſten und nachften
Angelegenheiten zu befinnen und weile zu berathen, Für
Hamburg naberte fich der gluͤckliche Zeitpunkt, da es
endlich der überläftigen Streitigkeiten mie Dänemark
fich zu entledigen in den Stand gefest wurde, Der
Geheimerathb von Schimmelmann und der Herr von
Saldern bewiefen fich beſonders thaͤtig das Vermitte⸗
lungsgeſchafft zu Ende zu führen. Im Fahre 1768
den 27. May wurde zu Gottorp der befannte Ber:
trag gefthloffen zwifchen dem Gefammthaufe Hofftein
und der Faiferlichen freven Reichsſtadt Ham—
burg, und den 10, November d. J. von beyden Sei—
sen genehmigt, daß das Haus Holftein allen und jed-
weden Anfprüchen auf Hamburg entfage und die Stadt
für eine ſtimmfaͤhige Reichsſtadt anerkenne. Der König
von Dänemark, Ehriffian VII., (ſeit 1766) trat
dein fogenannten Schauenburgifchen Hof, einig® Elbin-
fern und Grundſtuͤcke in den Bierlanden, als die Feddel,
Greverhof, Peute und Müggenburg, den Griefenmwär:
der, Raltenhof und Pagenfand mir allem Zubehör und
allen Rechten, nebſt der genaueften Angabe im Einzel:
nen, an die Stadt rechtskräftig ab» Für die Grenzbe-
ſtimmung wurde der Altonaer Vergleich von 1740 und
1744 zu Grunde gelegt. Kon den Berpflichtungen, welche
die Stadt 1763 wegen des Lootſen⸗Weſens auf der
Vertrag, im Jahre 1768. 635
Elbe, fo wie im Berreff der Föniglichen Münze einge
gangen, wurde diefelbe freygefprochen; die mie Dane
mark 1692 und 1762 errichteten Receſſe über die Hans
delsfreyheiten der Stadt in den dänifchen Laͤndern wur⸗
den beftatiger, zur Vollſtreckung vermiefen und das
Verſprechen fernerer Beguͤnſtigungen beygefügt. Dage⸗
gen entſagte Hamburg den an Daͤnemark geliehenen
4 Millionen Mark VBanco, nebſt dem Capital von
300,000 Rthir, welche das Haus Holfkein zu Bezahlung eis
niger alten Schulden, worüber bereitd vom Cammerge⸗
richte Execution erkannt worden, von Hamburg geliehen
hatte, damit von beyden Theilen reine Rechnung ger
ſchafft würde, Der Kaifer Jofepb II. genehmigte und
beffätigte diefen Vergleich, den 30. Marz 1769, und
den 2, May des folgenden nei nahm die Stade
durch ihren Syndikus Schuback Sitz und Stimme
auf dem Reichstage zu Regensburg: ihren Sig erhielt
fie nach der Reichsſtadt Bremen, Mit diefem Vertrage
erhielt Hamburg bdiefelbe Ruhe für ihre aufferen Ber:
hältniffe, als ihr in ihrem Inneren ſeit dem Receß
vn 1712 zu Theil geworden war. Der Nahme des
Schauenburgiſchen Hofes iſt nur noch in der geſchicht⸗
lichen Weberlieferung vorhanden ı+ der Platz gebört feit-
dem zu den Grundſtücken der Stade, iſt mit neuen
Wohnbanfern bebauet worden und jede Erinnerung an
eine frühere Abhaͤngigkeit mit diefer Umaͤnderung ver
ſchwunden. |
Bon jeht am fand Hamburg, zumahl nach der
Beſchaffenheit diefes Jahrhunderts, im feinem richtigen
Verhäftniffe, Seine freye Verfaſſung hatte es ſich aus
—
656 Innere Ruhe in Deutſchland.
fich ſelbſt und durch die Erfahrung von Jahrhunder⸗
ten geſchaffen und begründer und durch unzahlbare
Dpfer, welche es dem Neide oder der unziemlichen
Anzapfung hatte bringen müffen, in den Augen der
Welt, die das Recht ald Grundbedingung ihres Seyns
betrachten will, von Auffen gefichere. Im Intern war
aus den lange genaͤhrten Mifverfkändniffen Eintracht
- hervorgegangen und jener freundliche Kamilienfinn,
welcher eine Stadtgemeinheit zu einem Ganzen zuſam⸗
menhaͤlt. Ale Sorge mußte jest dahin gerichter feyn,
zu erhalten, was von der. Zeit überliefert worden war,
das Ueberkommene zu nahren und zu pflegen, fo weit die
Berbaltniffe der Gegenwart geſtatten wollten, neues
Wachsthum zu befördern, mo junge Keime mit Aus—
ficht auf Gedeihen gepflanzt. werben konnten. An Mab:
nungen zur Aufmerkſamkeit laͤßt es der eigenfinnig fich
forewäalzende Strom der Zeit niemahld fehlen. Als
die englifchen und franzöfifchen Kaufleute in Deutſch—
land fich ımmer tiefer einnifteten, bis in die kleinſten
Stadse ihre Unterhaͤndler fandten, jedem Kramer Eredit
anboten und allen Handel im Einzelnen an fich zu reißen
firebten, blieb Hamburg nichts übrig, als gleiche Thaͤ⸗
tigkeit aufzubieten, um mit den Fremden gleichen Schrit-
tes geben zu koͤnnen. Der nordamerikaniſche Krieg war
der Stadt weniger guͤnſtig, als man gehoffe hatte, da
vor Errichtung. der bewaffneten Nutralitaͤt die hambur:
gifchen Schiffe von den Englaͤndern aufgebracht wur⸗
den, und nachher der Handel feinen geraden Weg fort
ging. Einigen Vortheil brachte die Anlegung des hol⸗
ſteiniſchen Canals, -Cfeit 1777) de wit dem dadurch
Michaeliskirche, Blitzableiter. 637
beförderten Verkehr im der Nachbarfihaft auch Ham⸗
burg an Thaͤtigkeit und Umſatz gewinnen mußte. Dem
äußeren Leben der Völker fehlte es damahls überhaupt
und überall an kuͤhnem Umſchwung: gleich ald ob dens
ſelben hatte Rube verſtattet bleiben follen, auf die fol:
genden Umrüttelungen Kräfte zu fammeln, durch welche
fich ein neues Leben erzeugen. wollte,
Im friedlichen Zuftande konnte der wohlmeynende
Sinn der Hamburger um fo eher auf die Verbefferung
der Anftalten fich richten, welche der Bürger Wohl
und Behaglichkeit, den gutin Rahmen der Stade, das
allgemeine Beſte befördern und erhöhen Föünnen, Ein
Wetterſtrahl, welcher 1750 in den Thurm der Michaelis⸗
kirche einſchlug, zündere und Iegte Thurm und Kirche
in Afche. An deren Stelle wurde nachmals durch den
großen Baumeifter Sonnin das ſchöne Gotteshaus
wieder aufgeführt, (1751, 1757, 1762, 1778) welches
noch jest unter die erſten Zierden der Stade gerech⸗
nee werden muß, bemunderswärdig durch Einfachheit
und edles Verhaͤltniß des Baues. Der furchtbaren
Gewalt der Natur laͤßt fich nicht gebieten, aber derfels
ben auszuweichen, iff dem Menfcben Denken und Er
findungsfraft verliehen. So oft ſchon hatte der zuͤn⸗
dende Bliß feine feindfiche Kraft geuͤbt: auch noch. 1767
abermahls den Nicolai: Thurm getroffen. Da zeigte
der ehrwuͤrdige Reimarus, ein Nahme, deffen Ach⸗
tung nie vergehen wird, „die Urfache des Einfchlageng
von Blige, nebſt deffen natürlichen Abwendung von
unfern Gebäuden, * und wurde durch die Einführung der
Bligableiter ein wohlthaͤtiger, abwehrender Schutzgeiſt
638 Groffe Waſſerfluth, 1778:
feiner Vaterſtadt. Nichte, wie der Kraft des Feuers,
laßt fich alfo denn Waffer gebieten. Bon den wilden durch
Seeſtuͤrme aufgeregten Wafferfluchen hat Hamburg zu
vielen Zeiten leiden muͤſſen: und die Erinnerung unferer
Zeirgenoffen melder noch die ſchrecklichen Durchbrüche
und Ueberſchwemmungen, welche im Sabre 1771 vom
8. July an bi8 gegen den 2affen dieſes Monats bie
Umgegend verwüfteren uud ſelbſt der Stade Gefahr
droheten. Man Ichäste den Echaden auf ı$ Million
Mark, Die Noch, welche dadurch entſtand, war umfo
empfindlicher ‚ als eine allgemeine Theurung dieſes und
der folgenden Jahre den Armen ohnehin empfindlich
drückte, Die Wohlehätigfeitsliche der Hamburger Fin:
derte, fo viel dem guten Willen möglich war. Daß
Schauſpiele und Luſtbarkeiten in ſolcher Zeit verboten
wurden, beweiſet, wie richtig noch das reine Gefuͤhl der
hieſtgen Bürger mir dem Ernſte der Vorſehung zuſammen⸗
traf, Den 28. July wurde ein allgemeiner Bußtag
gehalten, und die mildthaͤtigen Sammlungen, welche
bey den Kirchen einfamen, 27,340 Mark den Unglück:
lichen und Verarmten zur Unterfiingung gereicht + auſſer—
dem forgten der. Rath und die einzelnen Buͤrger und
Einwohner für Milderung des' Elends und Ausbeſſerung
des geſtifteten Schadens nach Kraͤften. Der bey dieſer
Veranlaſſung verordnete Bußtag iſt nachmahls auf den
erſten Donnerſtag im November verlegt wor den, bey
welcher Einrichtung. es ſeitdem verblieben
Mit Uebergehung deſſen, was für dies theils noͤ⸗
thig gewordene, theils zweckmaͤßiger gefundene Veraͤn⸗
derung und Verbeſſerung der uͤbrigen oͤffent lichen Un:
Das neue Waifenhaus, Die patriot, Gefelf, 639 |
ſtalten gefcheben, gedenken mir des Heitattgelegten
MWaifenbaufes, (1783 bis 1785) in der Admiralie
tätsftrafe, das eben fowohl durch zierliche, wenn auch
niche durchaus reine Bauart, als nach der inneren
Einrichtung zu den erften Gebauden der Stadt gezählt
werden muß, ein Ehrenhaus und Gottestempel, den
ſich die edelſte Menſchlichkeit gefegt bat, ein Kleinod,
deffen fich wenige Staaten rühmen dürfen, Die Ans
ſtalt iff ein heiliges Vermächtnif, welches ju verwal⸗
ten die Bürger Hamburgs fich jur Ehren: und Gewif
fensfache machen, wie fie den achten Sinn deſſelben
verftanden haben ind bewahren, |
Eine Menge der heilſamſten uud wichtigſten Ein
ticheungen für die Stadt und für die bürgerliche Wohfs
fahre find insbefondere von einer Gefelffchaft wohlge⸗
ſinnter Maͤnner ausgegangen, wie das Gute mehr ger
fördere werden kann, menn mehrere ihre Kräfte und
Einfichten vereinigen, als wenn fie vereinzelt fich. jers
firenen und verlieren. Es iſt dieß die fogenannte patrio—
tiſche Geſellſchaft, die zuerſt im Sabre 1765
von dem Dr, Pauli, dem Profefor H. S. Reime
rus, Büfch und anderen, welche fich dazu fanden,
geſtiftet wurde, und zum Zweck fich vorfeßtes Befoͤr⸗
derung der Manufacturen, der Kiuͤnſte und nuͤtzlichen Ges
werbe, und folcher Anſtalten, weiche zur Aufnahme
derfelben dienen können, Der Senat felbit beſtaͤtigte diefe
Geſellſchaft 1767, den 8. April und eine neue —
ihrer Geſetze und Verfaſſung, welche der verſtorbene
Senator Günther 1789 vornahm, gab ihr friſches
Leben und frifche Thaͤtigkeit. Nichts war zweckmaßiger
41
——
r a
649 Wohlthaͤtigkeit der patrior, Geſellſchft.
für Hamburg, als die Stiftung ‚einer folchen Anſtalt,
wo die Beförderung des Gemeinwohls die Angelegen-
heit eines jeden Einzelnen ift, und jeder fich bekuͤm⸗
mern darf um dag, was dem Ganzen frommt. Die
Geſellſchaft ſetzt alljahrlich Preife aus für Abhandlun-
gen über Gegenſtaͤnde des Kunſt- und Gewerbfleißeg,
der Staatsverwaltung und der Sittlichkeit, bedeutende
Summen für ausgezeichnete Erfindungen oder Bers
befferungen irgend eined Erwerbszweiges, für die Ret⸗
tung Ersrunfener, Erkrankter oder Erſtickter. Die
Rettungsanſtalt fürdie im Waſſer und aufden Eife verun⸗
gluͤckten iſt ganz ihr wohlthaͤtiges Werk feit 17685 vonihrer
Mitte aus gingen die Borfchlaae Reimarus zu den
nachmahls fo allgemein gewordenen Bligableitern. ‚Sie
ſucht durch Rathſchlaͤge und wirkſame Vorkehrungen
alle oͤffentlichen Einrichtungen zu verbeſſern; ſie errichtete
die allgemeine Verſorgungsanſtalt, die Credit⸗Caſſe fuͤr
die Erben und Grundſtuͤcke in der Stadt und deren
Eebiete: ihr Werk vornaͤmlich iſt die neue Armenan—
anſtalt, die dem Auslande Gegenſtand der Bewunde—
rung und Nacheiferung geworden iſt. Auf ihre Koſten
unterhaͤlt ſie eine Zeichenſchule, eine Navigationsſchule
fuͤr Steuerleute, unterſtuͤtzt Kuͤnſtler und Handwerker
auf Reiſen, ermuntert, belohnt und belebt, was zur
Tuͤchtigkeit, Verbeſſerung und Vollendung dienen kann.
Solche Thaten ſind, um ſo ſtiller und beſcheidener ſie
verrichtet werden, um ſo unvergaͤnglicher, denn ſie
leben fort in ihren Wirkungen und verbreiten ihre ſe—
genreiche Kraft bis zu den ſpaͤteſten Geſchlechtern.
Dieſe patriotiſchen Arbeiten konnten wie
Die franzoͤſtſche Revolution St
Dumme betrachtet werden, in einer Zeit, mo der wilde
‚Strom der Umwaͤlzung, der von Fraitfreich herüber-
brach, auch bier ſich ausbreitete und uͤber Vieles zers
flörend herſtuͤrzte; das die Site, das Herkommen, die
ehrwuͤrdige ueberlieferung geheiliget hatte, Die Revo—
lution zog Hamburg, wie allgemeine Kriege immer;
ſchon dadurch in ihre Theilnahme, daß ſie dem unter⸗
nehmenden Handelsgeiſte Ausſicht zu Wagmiſſen und
groͤſſen Planen öffnete Während der erſten Jahre des
‚Krieges, als das uͤbrige Deutſchland im Kampfe bes
griffen war, trieb die Stadt unter danifcher Flagge
einen faft unungerbrochenen Handel dahin, vorzüglich
mit Korn, und gewann anf dieſe Weife große Sum:
men. Groͤſſere floſſen ihr zu; als eine Menge franzb⸗
ſiſcher und hollaͤndiſcher Kaufleute, welche der neuen
Ordnung der Dinge nicht traueten, ihr Geld und ihre
Warren hieher flichteren und dem Verkehr einen unges
meirien Umſchwung beforderten. "Der Unternehmungss
geift flog immer höher und fürchtete nicht/ daß er von
Ikarusfluͤgeln getragen iverde. Aber die verführerifche
Locfung hatte die Suͤnde in ihrem Gefolge: allgemeis
ner wurden Abweichen vom bedaͤchtigen Geſchaͤftsgange,
Anſtrengungen über die Kraͤfte, Schwindeley, Unbeſon⸗
nenheit, und der unvermeidliche Fall; Auch fehlte es
nicht an Ungelegenheiten, welche der Stadt durch die
Verwickelung der politiſchen Verhaͤltniſſe zugezogen
wurden: von jeder uͤberwiegenden Macht angeſprochen
mußte fie bald als Geſchenke, bald unter dem Nahmen
von Darlehen bedeutende Summen entrichten , ‚ während
ihre Schiffe von Frarzofen, fo wie vom Englandern
4ı* “
642 Nachtheiliger Einfluß der Revolution
in Beſchlag genommen wurden. Aerger aber war dag
Verderben, welches der Schwarm der franzöfifchen
Ausgewanderten herbeyführte: wie Heufchresfen warfen
fie fich auf das gefunde Land und vergifteten die ein-
fachen, noch unverdorbenen Sitten, die Hamburg big
jeßt von fremder Unart unverfälfcht fich erhalten hatte.
Durch die füße Geſchmeidigkeit, den glatten Firniß,
die Lüfterne Tandeley diefer Fremden wurden zuerſt
Viele von den Vornehmeren, welche Ziererey mie ächter
Bildung verwechfelten, angezogen und eingenommen,
um. fo leichter, als der weltbürgerliche Sinn des freyen
Staates. eine ſchroffe, volksthuͤmliche Abfonderung
nicht bilfigen mochte, Mir einer fremden Sprache, die
nicht, mehr zu bloffem Verkehr erlernt wurde, ſondern
fich ‚in. die alltöglichen Beziehungen des Lebens einfraf,
mie franzoͤſiſcher Mode, Lecture, mit frangöfifchen
Spectacul ſog ſich das Gift immer tiefer in die grund⸗
deutfchen Gemüther, die gegen ſolche Anſteckung fo
‚wenig gefichert geweſen. Gelbft bis in die niederen
"Stande wirkte die Geldverfchwendung biefer Teichtfinni-
‚gen Ankoͤmmlinge, die Ausſicht auf erflecflichen Gemwinn,
die Leichtigkeit, mit welcher man glaubte, durch. diefe
Benutzung zur Wohlhabenheie ſich empor zu fehwingen.
Es war dieſe Krankheit dem gefammten Deutſchland
eingeimpft worden: nur hier griff fie eindringlicher um
fich,. weil der Zufammenfluß der Grundfeuche vor ans
deren Gegenden Fark war. Man ziehe eg vor, in der
Erinnerung fehnell über jene Zeiten hinweg zu gehen,
denn fie iff mit peinigender Demüthigung begleitet—
Bon nicht, ale von volksthuͤmlichen Beziehungen gilt
\
auf Wohlftand, (1799) Eitten, u. ſ. w. 643
es mehr, mas im Sprichwort heißt: Bleibe im Lande
und naͤhre dich redlich. Die übertriebenen Anſtrengun⸗
gen und Unternehmungen der Faufmannifchen Abthei—
lung in Hamburg rächten fich bald auf das empfind-
lichſte: das Jahr 1799 war das Jahr der ſchmerzhafte⸗
fien Vergeltung; eine Menge Häufer brachen, die
Summe der hiefigen Bankbrüchigen (Bankerotirer) ber
lief ſich auf beynahe 36 Millionen Marf, wovon die
eine Hälfte auf Hamburgs alleinige Rechnung kam, die
andere Halfte auf England und Holland, Im übrigen‘
bürgerfichen und häuslichen Leben entfprachen die Fol⸗
gen den vorangegangenen Uebertreibungen, der eine er⸗
bob ſich durch unverdientes Gluͤck zum Nachtheil ander
rer bis zum Pfauenanſehen, der andere ſtuͤrzte in ſeinem
Uebermuthe zuſammen, noch andere ſanken unverſchul⸗
det den uͤbrigen nach. Das Sittenverderbniß wurde
kaum noch als auffallend wahrgenommen, das Ges
mwiffen fam im Raufch und in der Betäubung nicht zum
Erwachen, ſelbſt zw groben Verbrechen ſanken einige
berab, und zahlreiche Feuersbruͤnſte ließen den Arg—
wohn, daß fie durch Verzweiflung oder durch Mord:
brennerey veranlaße worden, auch nach naheren Unter⸗
fuchungen, ald gegründer nicht mehr bezweifeln,
Wenn irgend eine Zeit, fo beweiſt es dieſe, mie
grumdgefund der Stamm feyn mußte des hamburgiſchen
Freyſtaats, wie feſt die innere Kraft des Volkes, daß =
ed von diefer Seuche fo bald fich wieder erholte, eine -
Tharfache, wofür die Haren, weltkundigen Zeugniffe
fprechen, weiche das nachfolgende Wiederaufftehen Ham⸗
burgs zur Ueberzeugung Aller geliefere hat, Möchte
644 Entſchaͤdigungsgeſchaͤft in Deutſchland.
die Heilung in allen Gegenden bes Vaterlandes fo gründe
lich gelungen feyn!
. Unter folchen Umſtaͤnden brach das neue Jahrhun—
dert an, das verbängnißvolle und thatenreiche, dergleis
ben die Geſchichte Fein fruͤheres kunt. Hamburg murde
jeßt in den Strom der Begebenheiten unaufhaltfam mit
hinein gezogen. Der Lüneviller Friede erſchuͤtterte das
deutſche Reich im feinen Grundfeften und die Mache
Europa's theilten Frankreich, Rußland und England;
das Entfihadigungsgefchafe im Innern von Deuefch-
and war das Gefchäft der Auflöfung und Trennung,
Bürgfehaft zur Erhaltung des Beſtehenden war nirz
gends mehr vorhanden. Der Eleine Freyſtaat Hamburg
war eine ausfiegende Atzung, nach weicher mehrere Luſt
bezeigten, zu einer Entſchaͤdigung vortrefffich geeignet,
nur wie unter beftem Scheine, am Teichteften und am
fruͤheſten beyzukommen, wurde nach im Stillen berathen.
Unterdeffen vereinigten fich, der übermächtig. gebietenden
Seemacht Englands befchranfend zu begegnen, bie nor—
difchen Reiche, Dänemark, Schweden und Rußland,
denen auch noch Preußen ſich anfchloß, die bewaffnete
Neutralitaͤt nach den fchon früberhin aufgeffelften Grund⸗
fügen gegen die Engländer zu behaupten, Das Berk
mie Nachdruck zu beginnen, den Handel der Engländer
auf alle Weife zu flören, follte Dänemark den Sund,
und in Werbindung mit Nreußen, die Mündungen der
deusfchen Ströme fperren, und in diefer Abfiche
Danemarf Hamburg und Luͤbeck, Preußen aber Bremen
und das Hannöverfche befegen, Das Yebrige werde
fich finden, war. die Meynung, vn
H. von den Danen beſetzt 1801. 645
Kreuffen hatte ſchon erklärt, daß die dringenden
Zeitumſtaͤnde, die Stade mit preufifchen Truppen zu
befegen, norhwendig erheifche, auf Die Gegenvorſtellun⸗
gen des hieſigen Raths aber geantwortet, daß die
Sache noch Anſtand haben koͤnne. Um fo uͤberraſchen⸗
der war es * a8 daß bey Itzehoe verfammelte daͤniſche
Heer von 12000 Mann unter dem Prinzen Carl ‚von
Heflen plöglich aufbrach und die Anzeige den 28. Mars,
(18or) gemacht wurde, daͤniſche Völker wuͤrden den
folgenden Tag in die Stade rücken. Unterhandlungen
blieben fruchtios; der preufiifche Minifter ſelbſt rieth
zur Webergabe, da fein König um Biefe Unternehmung
wohl willen möge. In folchen Bedraͤngniſſen zeigt
fih, ob innere Kraft im Volke wohnt: die NWeufferuns
gen des Unwillens gegen eine folche Are der Auffode:
rung, die Regungen des Muthes und des vaterſtaͤdti⸗
ſchen Geiſtes erwachten allgemein: zweymahl verwarf
die Buͤrgerſchaft einmüchig die Uebergabe; erſt nach
Inhgen Zwiſchenverhandlungen wurde fie, mit einer
feinen Stimmen⸗Mehrheit, bewilliget. Am Paimfonn:
tage, den 20. März, des Morgend um 10 Uhr, zogen
die Danen durch die Stadt,’ von: manchen Augbri:
chen der Bitterkeit und des Volkshaſſes bewillkommt;
fie befegten einige Thore und einen: Theil des Wal:
les: die Unabhängigkeit der Stadt niche anzutaſten
batte noch vor dem Einzuge der Feldmarſchall zugefagt,
Man mußte nun gefchbeben laſſen, daß alle zwifchen
Cuxhaven und Gluͤckſtadt Tiegenden Hamburgifchen
Tonnen weggenommen, alle nach England beſtimmt
geweſenen Schiffe angehalten und“ veroitner wurde,
646 Die Danen raumen Hamburg,
alles in Hamburg befindliche Eigenthum in Befchlag
zu nehmen, Eingefoderte Lieferungen wurden abgemwiefenz
aber verfcbiedene. Geldfummen, die Beköftigung des
Prinzen, ber Truppen, hatten zugeſtanden werben
müffen, Das Betragen ber unwilſkommenen Gäfte war
verffandig, mäßig, untabelhaft, und nöthigte auch den
Unterdrücten Achtung ab, Inzwiſchen hatte die enge
Hifche Flotte unter Parker und Nelfon den Sund mit
Gewalt geöffuer und nach der furchtbaren Schlacht
vor Kopenhagen die daͤniſche Regierung zu einem
Waffenſtillſtande gezwungen, (d. 2, April) Bald darauf,
fam die Nachricht von dem plöglich erfolgten Abfterben
des Kaifers Paul, der die Seele dieſes nordifchen
Buͤndniſſes geweſen war; der großberzige, menfchen-
freundliche Alexander hatte den Thron beftiegen
und feine friedlichen Gefinnungen- in öffentlicher Erklaͤ—⸗
sung Fund gethan. Die unerwartete Wendung der
Dinge benugte fihnel Hamburg, daß zwey feiner
Rathsherren nach Perersdurg gingen,’ um fich de
suffifcben Schutzes zu verfichern; auch Friedrich Wil
helm III, fuchte das friedliche Verhaͤltniß mit England
wieder herzuftellen, Wlerander bob. das Embargo auf,
ein gleiches that England; Preuſſen foderte die daͤniſche
Negierung auf, die Handelöfperre auf. der Elbe wieder
anfzulöfen, fo daR am 23. May Hamburg und Lüberf
‚von den daͤniſchen Truppen wieder geraumt mwurben.
So ſchien der politifche Himmel für die — wieder
heiterer und heller zu werden.
Aber man lernte ſchon, wie ſehr dieſer Heitere zu
trauen ſey! Das ungluͤckſelige Entſchaͤdigungsge⸗
”
Das DommCapitul mie der Stadt vereinigt. 647
ſchaͤfr, in welchem Deutſchland wie eine zu zerfleifchenbe
Beute da lag, war bis zu dem ſogenannten Reichs⸗De—
putations⸗Beſchluß (1802, d. 25. Febr.) gediehen, in
welchem auch Hamburg etwas zufiel. Hamburg batte
ſchon laͤngſt gewünfcht, das Dom-Lapitul und deffen
ſtaͤdtiſche Beſitzungen mit fich vereint zu fehen und die
Hoheit darüber zu erhalten, zumahl feitdem daffelbe
nach geendigtem nordifchen Kriege, durch den Stock—
bolmer Frieden (1719, d, 23° Nov.) dem Könige von
England, als Kurfürften von Hannover abgetreten war,
Die 14 Dörfer, welche diefes reiche Stift befeffen, was
ren von den Herjogen von Holftein laͤngſt ſchon in Ber
fchlag genommen und mit gewiffen Gefällen und Abga—
ben einigermanßen vergütet, der Raub aber durch den
weftphälifchen Frieden‘ gebeiliget worden, Was nun
fonft das Capitul noch befaß, Gebäude, Einkünfte
und Rechte in biefiger Stadt, wurde jest den ıften
Dec. 1802 vom Könige von England an die Behörde
Hamburgs abgetreten; doch blieb noch ein Anhang
mit Dänemark zur Berichtigung übrig, da daffelbe Ans
fprüche machte auf zwey Dörfer, Poppenbüttel und
Spigendorf, welche das Capitul im Anfange des 13,
Sahrhunderts gefaufe hatte, und welche jest von
Danemark eingezogen wurden, Anfprüche auf Patronat—
rechte und andere Dinge, Kanonicate, Praͤbenden,
welche die Stadt zuvor mit Gelde einbandeln mußte,
wogegen noch Alfterborf an Hamburg abgetreten wurde.
Die zugleich bemwilligte Aufhebung des Elsflerher Zolles
ging nicht in Erfüllung,
Bonapartes aufſtrebender Rieſengeiſt und eiſenfeſter
648 Sperrung der Elbe, 1803.
Mille hatte ſich den Sturz Englands zum Ziele ges
fegt: darum waren alle Friedensverhandlungen fo viel
nene Borbereitungen zum unausweichlichen Kampfe,
Aufs neue losbrechend, fandte er 1803 ein Heer nach Hans
nover, das Herz des alten Georg anzugreifen: Franzofen
befegten das Linke Elbufer, um feiner englifchen Waare
Eingang zu verffatten; die natürliche Folge war, daß
die Engländer, fe lange diefe Belegung dauerte, die
Elbe und Wefer fperreten, gleiche Manfregeln zu erwies
dern. Mehrere deutſche Reichsſtaͤnde litten durch diefe
Sperre; Schleſiens Leinenhandel, deſſen Ertrag über
8 Millionen geſchaͤtzt wurde, war gehemmt: alle ſchle—
ſiſchen Wechſel wurden von Hamburg zurüͤckgeſchickt,
auch der uͤbrige Handel Hamburgs ſchrumpfte zuſam—
men, und dennoch fand ſich der General Mortier von
Hannover hier ein, (im Nov.) eine yon den hannöve⸗
sifchen Ständen gefuchte Anleihe zu unterflügen. Die
Stadt Fonnte nicht ausweichen, 1,700,000 Hark Bceo.
berzugeben, gegen 4 pCt, Zinfen, gegen Unterpfand der uns
mittelbaren und Patrimonialguͤter des Königs von Eng⸗
land, auch unter Gewaͤhrleiſtung von Frankreich, das
unter allen Umſtaͤnden auf die Vollziehung der bedun⸗
genen Berbindfichkeiten halten werde, — wie der Parifer
Moniteur verſicherte. —
Darauf erfolgte im naͤchſten Jahre ein Gewalt—
ffreich gegen Hamburg, zu beweifen, daß von Wälfer-
und Beſandtſchaftsrecht jetzt nicht mehr die Rede feyn
koͤnne. Den 24., October Abends fchifften fich in Haar:
burg 240 Mann Kranzofen ein, landeten um Mitternacht
am Hamburger Berge, sogen fh in Gtilfe nach dem
Forefeßung im Jahre 1804, 649
Grindel, brachen gewaltfam in das Haus des englifchen
Gefcbäftsträgers, Sir. Rum bold ein, rafften deffen
Papiere zufammen und nahmen ihn ſelbſt mit fort über die
Elbe, von wo er weiter nach Paris gebrachte wurde, Dan
batte indeffen in den Papieren nichts gefunden, wag den vors
aus verfünderen Anklagen, oder fonft geheimen Vermu⸗
thungen entfprochen hatte; darum war in der Folge
nicht weiter davon die Rede, aber ein Beyfpiel war
gegeben, weſſen man fich nach folcher DBerfahrungss
weife zu verfeben habe, Eine Nacherinnerung kam,
(1804) indem Hamburg zu einer neuen Anleihe für das
gedrücte Hannover von deffen Unterdrückern aufgefos
dert wurde, Bür bewilligte 250,000 Rthlr. erhielt
jedoch die Stadt die Beguͤnſtigung, daß Packete
von 50 Pf, und darunter von Hamburg aus durch dad
Hannöverfcbe ohne Unterfuchung geben konnten: woge—
ger die Engländer (Ende July) die Fahrt zwifchen
Tönningen und Hamburg über die Watten freu gaben,
wodurch manche Erleichterung geſchafft wurde. Im
naͤchſten Jahre (11. Det.) wurde auch die Blokade der
Mündungen der Elbe und Wefer aufgehoben , fo daß ein
neues Leben in den Handel Hamburgs Fam, dennoch
nur vorübergehend, wie jedes freudige Ereigniß zu
der Zeit, das von ſchaarenweiſe bereinbrechenden traus
rigeren unterbrochen wurde. In diefem Jahre (im May)
war ed, daß an des franzöfifchen Minifters, NReins
hard's Stelle, Herr von Bourrienne als - Gefandter
beym niederfächfifchen Kreife nach Hamburg kam, ches
maliger Jugendfreund und Privar-Serretair Napoleons,
mie den Geſinnungen und Entmirfen, feines Kaifers
650 General Mortier befekt Hamburg
wohl befannt und fonft erfahren und viel gewandt, des
Platzes Gelegenheit zu manchen Abfichten zu benugen,
Mehrere franzöfifhe Emigranten, zum Theil fchon
hamburgiſche Bürger, andere, die den neuen Kaiſer
in der vorgefchriebenen Form feyerlich anerfannt hat-
ten, erhielten gleichwohl jegt die Weifung, Binnen 24
Stunden die Stadt zu verlaffen.
| Die Sonne von Aufterlig 1805, den 2. December,
war blutigroth für Deutſchland untergegangen; die
Schlacht bey Jena (1806, den 14. Det.) hatte die
legten Hoffnungen vollends vernichter, Die groffe, le—
bendige Theilnahme Hamburgs an dem gemeinfamen
Schickſale des Vaterlandes war zu erkennen in der dum—
pfen, niedergefchlagenen Stimmung, welche fich damahls
aller Gemuͤther bemachtigte, Die Kriegesgrauel zogen
' vor bier vorüber; aber das nachbarliche Lübeck fiel als
ein trauriged Opfer diefer harten Zeit, (den 6, Nov);
Hamburg konnte nur mit bereitwilliger Unterffügung
einige der blutigſten Wunden lindern, nicht beilen:
. Heilung blieb der Zeit anheimgeftellt. Inzwiſchen hatte
auch der General Mortier aufs Neue von Hannover
Veſitz genommen, und rüskte ſchnell, nachdem er dort
die nothwendigſten Verfügungen getroffen, zu den drey
- Hanfeffädsen heran, Am 19. November (1806) traf
er tiber Bergedorf mit etwa 2000 Mann in Hamburg
ein, denen bald noch mehrere folgten, An Widerftand
war nicht gedacht und niche zu denken. ES erfolgten
Befannemachungen , zuerſt daß die Befignahme unver
meidlich gewefen fey, daß man fich rufig verhalten und
alle Zufammenrossirung vermeiden möge; ſodann, Die
in Herbft 1806, Handelsſperre. 651
unabwendlichen Einquartierungsfaften : mit Geduld zu
ertragen; weiter aber, daß alle Wechsler, Kauf und
Handelsleute der Stadt genaue Angabe der Gelder und
Waaren zu machen hatten, die als englifibes Eigen-
thum zu betrachten wären; noch mehr, (den 21. Nov.)
daß aller Handel und Verkehr mir England bey Todes⸗
firafe unterfagt, alles englifche Eigenthum für verfal-
len erkläre fepn follte, der übrige Handel möge unter
dem Zwang der Met erfaubt
bleiben.
Das neue, 1807, d. 25. Jan. von Warſchau er⸗
laſſene buonapartiſche Decret ſchaͤrfte noch die harten
Maaßregeln gegen die in Beſchlag genommenen engli-
ſchen Waaren und Colonial-Erzeugniffe, Alles, was von
biefen Waaren für die Armee benugt werden Fönne,
‚follte in die Kriege:Magazine abgeliefert, die Colonia:
etzeugniffe nach Franfreich gebracht, die gröberen Waa⸗
‚ren, Eifen, Holz, Kohlen u. dgl, verfauft werden, Auf:
ſchub bewirkte man, auch Milderung der: ſtrengen Ge-
bote, Durch Bourriennes Bemühungen, aber ungeheure
Summen wurden dennoch der Stadt entführt, wahrend
fie noch mit franzöfifchen Aufpaffern, Douaniers, umla-
gert wurde, daß durchaus jedweder Verkehr mit den
feindlichen Landen verfage bliebe, : Den Handelsſtand
der Hanſeſtaͤdte faft bis zur Verzweiflung zu bringen,
trat noch Danemarf bey, das durch die von Eng-
land gefcbebene Entführung feiner Flotte bis anf das
außerfte erbittert war.
Der Platz von Hamburg ſah ſich und ſeiner ural⸗
ten Beſtimmung nicht mehr aͤhnlich. Die Straßen
652 Verſuche zu Deutſchlands Befreyung.
wimmelten nicht mehr, wie ſonſt, von Handels⸗ und
Gewerbsleuten, ſondern von dem bunten Gemiſch aus⸗
laͤndiſcher Krieger, die in ausgelaſſenem Gewühl die
Stadt einer kriegeriſchen Anſtalt aͤhnlich machten. An
Mortier's Stelle war Bernadotte hieher gekommen, der
jetzige König von Schweden, ein Feldherr milder und
edler Geſinnung, aber die Laſten der fremden Gaͤſte blie⸗
ben dieſelben, ja fie wurden, je länger fie aufer-
legt blieben, deſto druͤckender; die Zukunft verhuͤllte ſich
immer dunkeler. Der kraftvolle, zu friſchem Muth begei:
ſternde Aufſtand Oeſterreichs 1809 entzuͤndete auch bier
empfaͤngliche Gemuͤther zu neuen Hoffnungen; zu friſcher
Kraft, aber nur, daß die anffeimenden"Sproffen des
daterfandifchen Lebens nochmals in den dumpfen Schooß
‚der DBerfchwiegenheit hinabgedruͤckt werden follten.
Muthige Jünglinge hatten fich ſchon von hier enefernt,
den kuͤhnen Verfichen des Herzogs von Braunfihmeig-
Oels, des ritterlichen v. Schill, ihre Kräfte zu weihen;
ohne zu ihrer wohlgemeynten Abſicht gelangen zu kön
nen. Die Ankunft der ſpaniſchen Krieger; die durch
ihre herzvolle Gutmuͤthigkeit und Einfachheit, nicht min?
der durch Das harte Begegniß, aus dem heimifchen
Lande und heimifchet Sitte durch‘ frevelnde Gewalt in
Die ferne Fremde geworfen zu ſeyn, freundliche Auf
nahme fich erwarben ind verdienten, wurden als Bruͤ⸗
der empfangen iind behandelt, mit welchen wir ein gleiches
Schickſal zu heilen ſchienen. Die Hoffnungen auch
der ſtaͤrkſten Seelen ſchwanden, und die rechrlich und
wohl geſinnten fügten fich mie Mäfigung und Befbei-
denheit in die drängende Noth, die einftige Huͤlfe ber
Hamburg wird framgs ſiſche Stadt. (1811.) 653
Vorſehung anvertrauend; nur feige und ſelbſtiſche Seelen,
wenige, erniedrigten fich zu der Unwuͤrdigkeit, mit Auss
ficht auf zeitlichen Gewinn und Vortheil dem fremden
Gößen mit Liebe zu dienen,
So blieb der Stand der Dinge, big in den Weih⸗
nachtstagen des Jahres 1810, die Weiſung hieher kam,
Hamburg, wie die uͤbrigen Hanſeſtaͤdte, werde dem
großen Kaiſerreiche einverleibe werden. Am Vorabend
zum Weihnachesfefte war dieſe Nachricht dem biefigen
Senate mitgerheile worden, Zum erften Januar 1811
erklaͤrte Napoleon die alte freye Stadt Hamburg für
eine gute Stadt (bonne ville) feines neu geſchaffenen
Reiches ; den 13, Febr. trat der Senat aus feiner Vers
waltung, den 22. Febr. begann man, die gerichtlichen
Urtheilsfprüche im Rahmen des franzöfifchen Kaifers
zu ertbeilen, Gen; nach dem Zufchnitt, nach weichem
die übrigen ‚frangofifcben Zander und. Städte regiert
und behandelt wurden, nach ‚denfelben Gefegen, Ges
wohnbeiten, Anordnungen, wie fremdartıg nicht allein,
ſondern auch wie unpaffend, felbft zweckwidrig fie ge—
funden werben mochten, murde verfahren. Das war
überhaupt eine der Grundurfachen,. warum dieſes auf
gefchoffene Reich. fo bald wieder zuſammenknicken mußte,
daß manden Geift und die Gefinnung der ungleichartigften
Voͤlker, Länder und inneren Einrichtungen in Einen all
‚gemeinen Guß zuſammen zu fchmeljen den unbegreifliche
tollfühnen Einfall hatte und mis chörichter Selbver⸗
wlendung verfolgte, |
Im Vebrigen fonnten nur Kurzfichtige und Unver—
Kandige Alles ingefamme verbammen, was aus diefer
654 Gutes der franzöfifchen Verwaltung.
franzöfifchen Verwaltung hervorging. Die Erfahrungen,
welche eine in ununterbrochener Gahrung von mehr als
20 Fahren: fich neu entwickelnde Zeit befördere hatte,
ſollten nicht zu belleren und ficherer begründeten Wahr:
heiten und Anordnungen geführte haben? Wirklich er-
hielten viele der neuen Einrichtungen allgemeinen Bey-
fall, und nur die Abneigung gegen das Aufgedrungene
und Sremdartige, bey anderen die fonft nicht zu ta—
deinde Vorliebe für die alte Verfaffung, waren es,
welche Die Anerkennung nicht laut werden ließen, Reiner
und billiger waren in dieſer Hinficht mancheder Franzoſen
ſelbſt, als fie zum Beyſpiel durch Abgeordnete der Par
riſer Univerſitat den Zuftand der hiefigen Schul: und
Erziehungsanſtalten naher unterfuchen Tießen, und die
Haren Cuvier und Noel in- ihrem Berichte den
bamburgifchen Schulen, dem unter des ehrwuͤrdigen
Gurtlitt’S Leitung beftehenden Johanneum insbeſon⸗
dere, den Muſterrang vor allen Schulen, die ſie in die⸗
ſer Art kennen gelernt, ohne aͤngſtliche Zuruͤckhaltung
und nicht ohne Hindeutung auf die Unterrichtsanſtal⸗
ten ihres Reiches einraͤumten. Auch die öffentliche
Verhandlungsart in einigen Gerichten ſprach die Gemuͤther
an und fand verdienten Beyfall. Zum inneren Wohl
der Stadt trug es nicht wenig bey, daß che
renwerthe, mit perſoͤnlicher Feſtigkeit und Tauglichkeit
geruͤſtete Maͤnner, einheimiſcher Abkunft, mit den in—
neren Obliegenheiten und Beduͤrfniſſen der Stadt
vertraut, es nicht verſchmaͤheten, auch unter dieſen Um—
ſtaͤnden ihre Kräfte, ihre Aufmerkſamkeit, ihren guten
Willen, der Stadt zu widmen, fuͤr welches vielleicht
Der Maire Abendroth. Die Municipalitaͤt ꝛc. 655
\ |
noch einmal ein beilbringendes Geftirn heraufdammern
fönnte, Der vormalige Rathsherr und Gerichtsvers
walter Abenbrocb war, mie; die franzoͤſiſche Ber
‚nennung e8 beifchte, zum Maire dieſer Stadt ers
naunt worden: Nur feiner menfchenfreundlichen; für das
Wohl der Stadt begeiſterten Geſinnung, feiner unverdroſ⸗
ſenen Thaͤtigkeit, ſeiner Beſonnenheit und, klaren Umſicht
allein gelang es, die geſpaltenen Parteyen, die argwoͤh⸗
niſche, ungebuͤhrlich fodernde, herriſche, franzöfifche Bes
hoͤrde, und die ihres vaterſtaͤdtiſchen Freyheitsſinnes noch
nicht entwoͤhnte, bieder» derbe, geradfinnige, unzufries
dene Stadtgemeinde in fo weit einander. nahe zu brins
‚gen, daß eim leidliches Verſtaͤndniß zwiſchen beyden
unterhalten blieb und von ausartenden Anfeindungen
nichts verfpärt wurde, Für die weiteren. Stadtangele⸗
genheiten forgte die von der Regierung ernannte Mu—
nicipalitat, zu welcher gleichfalls Die angefehenften,
fraftigften Bürger, mehrere auch von den Mitgliedern
der früheren Behörden ernannt worden waren, Es galt,
das Wohl des Ganzen zu fürderns wer hatte dazu nicht
gerne die hülfreiche Hand bieten wollen? Auch der Pras
‚feet, Baron de Eoningf, ein Holländer, war ein recht
licher, durchaus wohlgefinnter Mann, half Unbequems
lichfeiten der neuen Verfaſſung ab, mo es möglich
wat, bot gerne die Hand zu Erleichterungen, zu Bes
förderungen, wo es zum. Gemeinwohl dienen Eönnte,
und fein Nahme verdient nicht ohne dankbare Erwaͤh⸗
nung den Nachkommen überliefert zu werden. In ſchwe—
ren, verwickelten Zeiten: wird der achte Werth des
Gemuͤthes erfannes perfönliche und zeitliche: Ruͤckſichten
43
—
656 Härte und Dunck ber frangöfifchen
weichen dann den höheren Geboren der Pflicht und
der Liebe t |
Aber bis in die innerfle Geste kraͤnkte die Hambur⸗
ger, wie bereitwillig fie feyn mochten, der Noth⸗
wendigkeit der Umſtaͤnde zu gehorchen, der ſchneidende
Uebermuth, mit welchem die übrigen franzoͤſiſchen Be:
amten, nächft ihnen die Officiere und Soldaten, als
die Gebierer der Erde, fich betrugen; der Hohn, "mit
weichem fie, was Deutſch und inlaͤndiſch hieß, zu ver⸗
kleinern ſuchten, die Harte, mir welcher die alles Ge:
werbe und alfen Verkehr verbietenden Maaßregeln in
Ausführung gebrachte wurden; das Unweſen und bie
rohe Willkuͤhr der Zöllner, die ausfaugende Regie, bie
auflausende geheime Polizey und Gensd'armerie, die Un—
wiſſenheit und Verkehrtheit der Cenſur, die Hemmung
des Buchhandels, das Verbot der Gedankenfreyheit/ —
wenn es moͤglich geweſen waͤre. Die unzweckmaͤßigen
Geſetze ind Maaßregeln verführten das niedere Volk, auf
unerlaubte Liſt und Trug zu ſinnen und verſchlechterten die
an Geiſt Unmuͤndigen bis in den innerſten Grund ihrer
Seelen; in der Ausſicht ſtand ein verdorbenes Ge
ſchlecht, wenn dieſes Unweſen für die Dauer bleiben
follte! Selbft in den Umgebüngen der befferen ind ges
bifdereren Bewohner wurde eine Fuͤgſamkeit und Ans
lehnung an die fremden Säfte immer bemerfbarer: Tandes
leyen, Liebfchaften, Eheverbindungen, Ehebrüchemit Franz
zofen wurden, je laͤnger die Zeit ſich hinzog, deſto
haͤufiger. Rettung und Hülfe von Auſſen fehien ſelbſt de
nen, die ihr Gemiffen im Innern noch bewahret harten, un—
möglich; nur den Glauben liegen fie nicht ſinken.
/
Verwaltung. Sehnſucht nach Rettung. 657
Dieſe Hulfe Fam von Gottes Hand, welche den
Uebermuth des Himmelsſtuͤrmers in Rußlands Step⸗
pen darnieder ſchmetterte. Die Geſtaͤndniſſe des agſten
Bulletins trafen am Vorabende der Weihnachtsfeyer
1812 in Hamburg ein, und erregten jene ſtille, heilige
Freude, welche mit der Erkenntniß höherer Schickungz
verbunden iſt. Die Kleinglaͤubigen richteten ſich auf
die Schwachen berdieren Neue, und ermuthigten fich
sur Beſſerung, Die Verräther knirſchten, oder höohn—
laͤchelten, in Verblendung und bosartigem Vertrauen
befangen. Die Franzoſen würden ſtill, ernſt und über:
legend. Den ſchriftlichen Geſtaͤndniſſen folgten bald Je⸗
beitdige, wenn ſchon kaum noch lebende Zeugen, abge:
zehrte, kranke und verfrüppelte Krieger, Vorboten imd
Verkunder des grauſenvollen Ruͤckzuges aus Rußland. Im:
mer hoͤher bob füch die Hoffnung, immer hoͤher flieg der
Muth der Beſſeren und im Stillen geſtanden fich die
Freunde der Freyheit und der deutſchen Volksehre ihre
Entſchluͤſſe, gelohten ſich Vorſaätze, eintraͤchtiges Zu—
ſammenhalten und bereit zu ſeyn, ſobald bie Zeit kaͤme,
das fremde Joch von ſich zu werfen und für die Sache
des Baterlandes im offenen Kampfe aufzuſtehen.
Ein Auflauf am 34: Februar 1813, befonders des
gemeinen Volkes, das fich jeither zu dem Hiederen Ge.
werbe des Smuggeins herabgebracht geſehen haste, ge
gen das nichtswürdige, alle Grenzen der Maͤßigung über
fehreitende Douanen⸗Geſindel gerichtet; war Hiche ganz
ohne Anſtiftung von Aufſen bewirkt worden, aber ein ungei⸗
tiger; voreiliger Muthwille, der ſich ſeibſt in ungebühr—
lichen Beſchimpfungen, theils unſchuldiger, theils um
42*
hie:
—
658 Die Rettung nahet. Die Franzoſen
die Stadt wohlverdienter Maͤnner aͤußerte; die Fran—
zoſen hatten ſich Dadurch in größeren Schrecken jagen
laſſen, als nörhig geweſen ware; die Ruhe aber wurde
durch die Wohlgefinnten unter den Bürgern bald mie:
der hergeſtellt; ſelbſt der verfchiichtereen Fremdlinge
hatte man fich mit menfchenfreundlicher Milde ange
nommen : Eine Abtheilung danifcher Hufaren, . von
ben Sranzofen berbeygerufen, wurde von dem herz⸗
lichen Empfang der Einwohner felbft für Diefe zum
Wohlmeynen gewonnen, Aber leider fielen in Folge
dieſes Unfugs der erbitterten Schaam und der gereisten
Kachjucht der noch anwefenden Franzoſen, die fogar
Miene machten, in der biefiegen Nähe eine frifche
Macht zu fammeln, einige unfchuldige Opfer, Die,
alten Bürgerwachen, laͤngſt vergeffen, waren bey Diee
fen Auflauf wieder hervorgerufen worden, jedoch
zeigte es fih, wie wenig. fie tauglich waren, ernten
Dingen zu ‚genügen. : Dieß gab Veranlaffung, daß
einige der einfichtsvollfien und für das Wohl der Stade
mit Liebe erfüllten Männer, der Doctor Ludwig
von Heß an ihrer Spige, mit ibm in Beratkung
Friedrich Perthes, Dr Ferd. Beneke und
andere,. fich. vereinigten, im. Stillen eine Gefellfchaft
junger Maenner in den Waffen zu üben, Die für kom⸗
mende, nicht zu berechnende Umſtaͤnde zur Aufrechthal—
tung der Ruhe und Ordnung in der Stadt, falls man
der eigenen Huͤlfe überfaffen feyn follte, bereit Funden,
Die Sache war einfach, wohlgemeynt und ohne alle
weitere fremde Abſicht.
Inzwiſchen haͤuften und vergrößersen fich Die Nach:
ziehen ab von Hamburg, 1813, den 12. März. 659
richten von den Niederfagen und Ruͤckzuͤgen der französ
fürchben Heere. Die bier füch befindenden Beamten, die
fchwache Eriegerifche Beſatzung zogen fich, mißtrauifch,
immer mehr im fich felbft zurück, dagegen gewann das
Volksleben an munterer, dem biefigen Wefen fo ganz
eigenthümlichen Laune ‚und dag Ganze erhielt ein Ans
ſehen feltfanser Mifcbung von ernten erhabenen Gefüh-
Ien, großen Gemürhsbewegungen, und einer faft dich⸗
gerifcher Ironie fich nahernden Schärfe und Schneide.
Die Ankündigungen der frangöfifchen Berichte, welche
noch am ıı März ein betraͤchtliches Beobachtungsheer
bey Lauenberg ſich zufammen ziehen ließen, fanden Feinem
Glauben mehr. Am naͤchſten Tage, den raten, zog der
Divifiond» General, Carra St. Eyr, mit feiner Des
faßung und den übrigen: franzöfifchen Beamten von
bier ab, in Ruhe, ohne alle Störung: man freuere fich
6108, der Gaͤſte endlich los zu werden. Die in ber
legten Zeit errichteren Bürgergarden zu Pferde begleites
gen fie fogar noch, ihnen ein ehrenvolles Geleite zu
geben. Der Polizeyherr, d'Aubignosc, nahm Abfchied
mit den Worten: Bis auf Wiederfehen in zwey Mona
ten! — Eine ſchlechte Kunft, die Unglück im voraus zu
verkünden weiß. Dagegen blieb das Brivareigenthum der
abgegangenen Herren den Hamburgern heilig und unan⸗
getaſtet, „ein rührendes. Beyfpiel von Mäfigung, von
deutſcher Redlichkeit und Bürgertugenbd, / wie ein Erzaͤh⸗
fer diefer Begebenheit faft wider Willen geftehen mußte,
Die Stade blieb von diefem Tage an, bid zum .ı8ten
ohne alle Beſatzung, ohne Gerichte, ohne Poligeyen,
ohne eigentliche Regierung, und nichts, auch nicht das
665 Tettenborn's Einzug, dem 18, Marz.
geringfte gefchab, das einer obrigkeitlichen Wefchräns
fung bedurfte haste: Ruhe und Ordnung überall; bie
Empfindlichkeit gegen manche, die fich im der letzten
Zeit verdachtig gemacht, fand nicht Raum vor ber vers
‚ Marten Freude, welche über den eingetretenen Zuſtand
Aller Gemuͤther ergriffen hatte, und welche ſich, fo
rein war fie! nur in Neufferungen bed Wohlwollens,
der Güte, ber Berfohntichkeit und Liebe Fund that, .
Bald darauf erfchien der fühne Voranſtürmer, das
maliger Obriff von Tertenborn, in der Nabe der
Stadt mit feiner geflügelten Koſakenſchaar. Er hatte
Morand’s Heerbaufen vor fich hergetrieben und über
die Efbe gejagt: ſchon am 17. May des Nachmittags
wurde ein Pulk biefer fremden Männer mit Jubel in
die Stadt eingeführt; am folgenden Tage, den acht
zehnten biele Tettenborn ſelbſt mit feinem Corps
feinen Einzug. — Der febönfte Tag, der über Sterb⸗
fiche aufgehen kann; wer möchte ed wagen, die Geligs
keit deffelben zu ſchildern ‚Ach, meine Verzweiflung
ift nur, daß ich den Leuten nicht fagen Fann, wie gkück-
lich ich bin 4} fagte einer, den man fragte, mie ihm
der Volksjubel gefale?
Die menfchlichen Kräfte rafften fih auf und ſpann—
gen fi an über das, was menfchlichem Glauben bis
dahin möglich geſchienen haste, Keiner, der mit voller
Theiinahme der Seele in diefer Zeit gelebt, gedenkt
derſelben in der Erinnerung anders, ald daß er fie nur
als einen Rauſch des überirdifehen Lebens betrach-
gen kann! *
Terrenborn hatte nur eine kleine Schaar leichte
Das Auffteben Hamburgs für Deutſchland. 661
bewaffneter Reuter mitgebracht; Fußvolk nachzuſenden,
war ibm verſprochen worden; das Verſprechen konnte
nicht gebalten werden, da die Wendung des Krieges,
alle Haupekrafte nach Oberſachſen binzog: An der
Elbe Tauerten die Franzofen, bis günftigere Umſtaͤnde,
die nun zu bald eintrafen, fie begünftigen würden.
Defto reger wurde das Leben in Hamburg. Auf Tet⸗
tenbornd Auffoderung fannnelte fich die hanſeatiſche
Legion, beflimme , den angebrochenen Freyheitslampf
mit Fräftiger Theilnabme zu unterſtuͤtzen: denn inzwi⸗
ſchen war das preußifche Volk gleichfalls gegen»
feine Unterdrücder aufgeflanden, und Alerander
trug die Freyheitsfahne allen zu, die fich derfelben würdig,
zeigen "wollten, » Die Bürgerfibaft. Hamburgs,
durch ihre alte, aͤchte Obrigkeit wieder. zur -Verfamms +
lung berufen, bewieß eine ſchwaͤrmeriſche Bereitwillige |
keit zu allen Anſtrengungen, welche dem Wohl der
Stadt, der Ehre des deutſchen Nahmens frommen
könnten, Aller Herzen öffneten ſich den reinſten, edelſten,
hoͤchſten Gefühlen ! Die Darbringungen -Dankopfer wa⸗
ren fie — zur Unterſtuͤtzung, Bekleidung und Bewaffs«
nung der herbeyſtrömenden Juünglinge und Maͤnner,
welche ſich der Legion anſchloſſen, erſtreckten ſich von
den erſten und wohlhabendſten Kaufleuten der Stadt,
bis auf die Dienſtboten, bis auf die Sparbüchfen und
die letzten Schillinge der. Kinder. ; Zur, Erhaltung der -
innern Ruhe und zur Bertheidigung der. Stade bildete
ſich, nach Aufruf des anmwefenden Befehlshabers,
und. übereinftimmend mit dem Willen deſſelben nach
Berordnung des Rathes, eine neu bewaffnete Biürs
662: Hamburg, durch Umſtaͤnde preifgegeben,
gergarde, unter ber Leitung des Herrn von Heß,
Alle Waffenfaͤhigen, fo nicht an die Legion fich an⸗
ſchloſſen, eilten herbey, der Stade ihre Dienſte zu
leihen: Stade und Umgegend glichen einem Priegerifebet:
Lager, ji
Der weitere Erfolg der Begebenheiten Kann Bier
nur mit allgemeinen Andeutungen gegeben Werben.
Die innere Hülfe war zu fehmach, um die Stadt ge
gen gewaltfame Angriffe zu vertheidigen, Die Danen
boten bereitwilligen Hterffüßung : aber Tertenborn glaubte
Gründe zu haben, nur befcheiden und zurückhaltend fich
derſelben bedienen zu duͤrfen: Die plößliche, für Hamz
burg hoͤchſt unglüskielige Ummechfelung der politifchen
Berhäftniffe geſtatteten nachmals ohnehin nicht, daß von
den Danen weiter die Rede ſey Schwediſche Hülfe wurde
faft täglich von Stralfund aus hieher verheißen, vom
Tettenborn gehofft, 'erwartes, geglaubt; "eine Eleine
Abtheilung fchwedifcher Truppen, durch Weberredung”
von ihm bereingezogen, mußte gleichwohl wiederum
abziehen Die Stadt blieb fich, mie wenigem Beyſtand je
einiger Mecklenburger, Luͤbecker und Preuffen, ihrer
einfamen Hülfe uͤberlaſſen. Die Sranzofen hatten fich
am jenfeitigen Elbufer verflärkt; und zur Hebung manz«
cherley Angriffe verſucht; daß fie der Wilhelmsburg Meis
ffer nicht würden, hätte alles gegen fie’ aufgeboten werde
follen: aber e8 iſt Kiber befannt, daB Tettenborn *
fuͤr die Vertheidigung der Stadt hoͤchſtwichtige Inſel
auch nicht einmal perſönlich in Augenſchein zu nehmen
gewürdigt babe, "Die Binger, "To zu den Waffen ge⸗
‚griffen harten, leiſteten unglaubliches, was nur in
falle wieder) in der Feinde Gewalt. 663
ſolcher Begeiſterung für die heiligffe Angelegenheit moͤg⸗
lich iſt. Wie neu und wenig geübte noch im, Gebrauch.
der Waffen fie ſeyn mochten, fo ſcheueten fie fich dens
noch nicht, allen Beſchwerden ſich bloß zu fellen, die
aͤuſſerſten Poſten zu beziehen, gleich. den verfuchteften
Kriegern die Mühen des Dienſtes über ſich zu
nehmen, die Gefahren des Kampfes zu theilen. Aber
leider wurde die Ueberzeugung, wie ſehr man im Ans
fange dagegen ſich mehrte, je längerbin, deſto gewiſſer,
daß ohne. thaͤtigeren Beyftand von den verbuͤndeten
Heeren gegen das immer ſtaͤrker fich verſammelnde, naͤ⸗
ber ſich andraͤngende Belagerungs⸗Corps, das. von
Davouſt und Vandamme gefuͤhrt wurde, mit ſo gerinz
gen Kraͤften die Stade nicht gehalten werden koͤnne
Immer drobender wurde die Gefahr, auch der hoch⸗
berzigfte Much mußte allmahlig finfen, da die Nachrich⸗
ten von der Ober «Elbe ber ſelbſt für das allgemeine
Geſchick des Krieges immer erüber, -befprglicher laute _
tens: In der Nacht vom 29. auf den 30, May mels
dete von Tettenborn dem Befehlshaber der Bürs..
gergardber Herrn von Heß, daß .er die Stadt nicht
länger vertheidigen könne und fein Corps, das zwiefach ,
bedrohet werde, zuruͤckziehe. Herr won Heß Ffündigte
die-Auflöfung der Bürgergarde an; fiben mit der Frühe
des Morgend; Sonntag den 30, -May, Famen die -
firengfien Auffoderungen ber © franzöfiichen - Generale,
> daß man fich dem Einrücfen ihrer Truppen und der
Wiederbefegung der Stadt nicht miderfegen möge,
Die Danen, jest mir den Franzoſen vereiniget,-.
zogen gegem den Mittag mit, Elingendem Spiele in: die
J
664 Hamburg, als rebelliſche Stadt geſtraft
Stadt, gegen Abend folgten ihnen die Franzoſen. Als
traueten ſie ſich ſelbſt nicht ſicher, hielten ſie, nach
dem Abzug der erſteren, einige Tage Beywacht unter freyem
Himmel; erſt als den Hamburgern bey Todesſtrafe befohlen
war, alle Waffen abzuliefern, wagten ſie ſich in die Haͤuſer
einzulegen. Das fuͤrchterlichſte Jahr begann fuͤr die arme
Stadt. Sie wurde auf Befehl des Kaiſers auſſer dem
Geſetz erklaͤrt und der rohen Willkuͤhr wildgereizter
Feinde Preis gegeben. Die Feſtungswerke, welche die
Buͤrger zu ihrer Vertheidigung erneuert hatten, wurden
brauchbar gefunden, den Platz in einen Waffen⸗ und
Vertheibigungsplag umzuandern. Am 8. Juny ward
befannt gemacht, daß die Stadt 48 Millionen Franken
als Strafe in 6 Terminen zu zahlen habe, Am 24, July
wurde eine Ammeflie für die 32. Militairs Divifion ber
kannt gemacht, mit Ausnahme von 28 Perfonen, melde.
für Feinde des Staats erkläre und auf immer, mit:
Verluſt ihrer Güter aus dem franzöfifchen Reiche ver
banne wurden. Das ganze franzoͤſiſche Unweſen trat
wieder hervor, im feiner febeußlichffen Geftalt, in der
Ausübung überall mie dem Vorſatz, daß es demuͤthigen,
vernichten. folle. D’Aubignofe , Polizeydirector, de Bre—
teuil, Praͤfect, Hogenderp, Gouverneur, der Maire
Nüder!zc. waren bie Ehrenmänner, welchen die Regierung
der Stadt anvertraut war. Da vou ſt bildete ein Corps,
aus Franzofen und Dänen beftebend, melches auf dem
Tinfen Flügel gegen die Nordarmee fih demegen und
wo möglich auf Berlin gehen ſollte. Diefed Corps
wurde alleın von Walfmoden zurücgehalten, der im
Mecklenburgiſchen mehrere kleine Zruppenabsheilungen
und gemißhandelt, bis in den Map Ba. 665
unter feinen Befehlen vereiniget hatte: darunter waren
die Heberrefteder banfeatifcben Legion, aus Ham⸗
burger und Luͤbeckern beſtehend, ſo wie auch Mett ler⸗
kamp eine Anzahl ausgewanderter hamburgiſcher Buͤr⸗
ger und Einwohner geſammelt hatte, fie fleißig in
den Waffen übte, big die Umſtaͤnde geſtatten ‚wollten,
zu der Wiederbefreyung der Vaterſtadt tbeilne hmende
Hand anzulegen,
Die vereinigten Heere — indeſſen den Feind fieg«
reich aus dem Baterlande ; fchon gingen ſie über den Rhein,
ſchon trugen fie den Krieg: mitten in das Herz von
Frankreich, ſchon handen fie vor der Hauptſtadt, dag
Kaiferreich war ‚geflürst, Ludwig XVIII. als König von
Frankreich ausgerufen und anerfanne und noch — lag
Davouft in Hamburg, dag er mit unmenfchlicher
Härte behandelte und in ein wuͤſtes Kriegslager umge
wühle hatte. Der rufifche, General Bennigfen,
welcher mit einem Belagerung: Corps vor ‚der Stadt
erfebien, ſcheuete ſich, um nicht die Gräuel einer ſtuͤrmi⸗
fihen Eroberung dem großen Elende noch hinzuzufügen,
ernfte Angriffe zu unternehmen, Davouft weigerte
fich, troß der -Aufforderungen derer, welche ihm Die
Nachricht von der Kegierungsveranderung in Frankreich
brachten, der Menfchlichkeie Gehör zu geben. Den 12
May 1814 traf der General Gerard ein, an Davouſt's
Stelle den Befehl zu übernehmen, » Bid zum 30 May
zogen die Franzofen in einzelnen Abeheilungen ab. Den
31 Day hielt Bennigfen mit feinen Ruffen und mit
der von Mettlerkamp errichteten Buͤrgergarde in
Hamburg feinen Einzug, Erſt am 30 Juny wurde
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EHE
666 Nachwehen von der Herrſchaft der
auch den uͤbrigen Vaterlands⸗Kaͤmpfern, den Maͤnnern
und Juͤnglingen von der hanſeatiſchen Legion das Glück
zu Theil, in die vaterſtaͤdtiſchen Mauern, zu ihren El⸗
tern, Verwandten und Freunden zurück zu kehren.
In den Jubel der Herzen, als die Befreyung der
Stadt erfolgte, mifchten fich der herben Erinnerungen
viele und der Blick fiel duͤſter auf die Gräuel, melche
in jchreeflichen Spuren noch vorhanden waren. Das
vouft hatte der Achtung, Die den Bölkergefegen gebührt,
den legten Stoß verfeßt, als er der dringenden Geld:
norh abzuhelfen, die bambursifibe Bank raubte,
in der Nacht vom gten auf den sten Nov. 1813. Der
Schatz harte noch 7,489,343 ME. ı2 61,6 9 betragen.
in der Stadt waren unter den franzöfifchben Truppen
die efelften Seuchen ausgebrochen und mancher Bürger
und Einwohner durch Anftefung mie hinweggerafft
worden. Die Stadt in Belagerungszuftand zu verfegen,
hatte der Menſch in unmenſchlicher Harte den ganzen
Hamburgerberg, die Wohnungen und Gartenhäufer vor
dem Dammthor, auf der andern Seite im Dorfe Hamm
zerflören und abbrennen Taffen. Die Armen, welche fich
nicht mit binreichenden Lebensmitteln verſehen hatten,
wurden ihrer Haabe beraubt, bloß und hülflos aus der
Stadt getrieben, dem Verhunger und Eerfrieren entgegen
geworfen: ſelbſt die Waifenkinder, die Kranken, die Wahn
finnigen wurden aus ihren Schutzwohnungen, aus der
Stadt verwiefen. Die Kirchen und Gotreshbaufer hatte,
man in Magazine und Ställe verwandelt, Die Strafen
waren unwegſam geworden von den aufgerhürmsen
Haufen des Unraths, und verpeftende Gerüche, wie aus
Sranzofen in Hamburg 667
*
keichengruͤften, verkuͤndeten den Moder, in welchen die
Stadt zerfallen war.
Die Eintreibungen, welche Davouft feit dem zoffen
May 1813 gemacht hatte, die Summen ider Gelder,
welche auf die StrafeContribution bezahlt worden waren,
die Tafelgelder, der angefchlagene Werth der zerſtoͤrten
Haäufer in der Stadt und in ber Umgegend, endlich Ser
geraubte Bankfchbag werden zufammen auf mehr als
37 Milionen Mark Bco. angefihlagen. Det Gefammt-
verluft, welchen Hamburg vom 19, Nov. 1806 big zum
30. Day 1814 durch die Gewaltherrfchaft der Franzo⸗
fon erlitten bat, betragt nach vorhandenen Rechnungen
140 Millionen Darf Bro. Dieſe Erinnerungen Fönnen
nicht geeignet ſeyn, Liebe zu jenem Wolfe bey den
Nachkommen zu erwecken und zu nahren.. Die Zeit mag
die Empfindung mildern und Berfühnung vermitteln.
- Die alte Stadtobrigfeit machte. den 26, May bes
fannt, daß fie in ihr Ame und ihre Würde wieder eins
getreten fey und rief die Bürger zu ihrer vaterſtaͤdti⸗
fchen,, freven Verfaffung zurück. Am 10. Sept. 1814
gab der Rath der verfammelten Bürgerfibaft die Er-
Härung: „daß Hamburg nur feiner Eraftigen Anſtren⸗
gung im Frühjahr 1813 ‚feine Jedependen; und Unab—
haͤngigkeit verdanke.“ Diefe Anerkennung, welche von
den Fürften und Regierern Deutſchlands ſelbſt ausger
gangen iſt, buͤrgt für dauernde Erhaltung dieſer Unab⸗
bangigfeit, und die auch der Stadt durch die Beſchlüſſe
des Wiener» Congreſſes und die Aufnahme in den deut—
ſchen Bund zugefichert worden iſt.
Was das nachite Geſchaͤft jep, darauf waren die
# Br
J
668 Wiederaufleben Hamburgs
Hamburger deutlich genug hingemwiefen : Wiederaufbauen,
was in Schutt und Trümmern da fag, entfernen, mas j
an den Verdruß der Vergangenheit erintiern Eonnte,
reinigen, was mit Unſauberkeit angefuͤllt, wieder wei—
ben, mas durch Frevel entheiliger worden war; ge
fehlagene Wunden Tindern ,; heilen , das Verlorene durch
Thaͤtigkeit erſetzen, wenigſtens verſchmerzen Ternen,
durch die Kuͤnſte und Gewerbe des Friedens jede Spur
des Krieges zu vertilgen. In der inneren Verfaſſung
war, nachdem die alten, aͤchtvaterſtaͤdtiſchen Geſetze
wieder in Gültigkeit getreten, nicht? Weſentliches zu
andern, Bloß die Gefchafte der Po lizey find nach
vorläufiger Annahme, die zwiſchen Rath und Bürger:
ſchaft art gefunden, fir einen befonderen Gerichtsbe—
zirk vereiniger und der tafklofen Tharigkeie des Herrn
Senators Bartels übertragen, Auch die Beybehaltung
eines befonderen Handelsgerichtes wurde fach
örimdlicher Berathung zweckmaͤßig gefunden und daſſelbe
im Aug. 1815 eröffner, Die verfchiedenen Religions par⸗
teyen gehen in bruͤderlicher Eintracht neben einander,
ſo daß ſeitdem ſchon den Katholiſchen zu ihren kirchlichen
Verrichtungen eine beſonderes Gotteshaus, die kleine
Michaeliskirche eingeraͤumt worden iſt. Die Gleichheit
derſelben in bürgerlicher Beziehung iſt ı8tg, im Dec, durch
Rath⸗ und Buͤrgerſchluß beſtaͤtigt worden; Weber die Rechte
der Juden mug eine Beſtimmung von da aus erwar⸗
fee werden, wo über Die Geſammtangelegenheit des
Vaterlandes berathen wird; Die geſetzliche Wehrhaftig—
keit hat neues, friſches Leben gewonnen und gedeihet
froͤhlich und kraͤftig: fo ziert die Waffe den Bürger,
*
ſeit deffen Befreyung, feit 1814. 6
wenn er fie zur Beſchuͤtzung feines friedlichen Gewerbes
zu führen weiß. Neben der Bürgergarde ſteht das reguläre
Stadtmilitar, das zur Bewachung der Stadt und im
Dienſte der Obrigkeit zur Bewachung ber Gefege aus
braven Kriegern errichter iſt.
Mir Tharigkeit, forgfamer Haushaltung und Spaw
ſamkeit iff ed möglich geworden, durch bewerkſtelligte
Nachzahlung fammtlicher ruͤckſtaͤndigen Zinfen den Staats⸗
papieren ihren gebührenden Werth und Glauben wieder
zu geben, Die öffentlichen Caffen und Stiftungen ſind
wieder ind Leben gerufen, die: Bank iſt imenneuerer Thaͤ⸗
tigkeit; auch, die Bemühungen, in Paris für die zuge
fügten Zerſtoͤrungen und Einsreibungen Wiedererflattung
zu erhalten, find nicht ohne Erfo’g geblieben. Das
Handelsleben wird an Ruͤhrigkeit gewinnen, wenn die
Zeit von ihrer gewaltſamen Erſchuͤtterung bald zw
groͤſſerer Ruhe gelangt iſt, wenn das Vertrauen der
Voͤlker wieder erblͤhet, wenn bie Bemuͤhungen, den
innern Verkehr zu erleichtern und zu befoͤrdern, nicht
fruchtlos bleiben, In dieſem Jahre 1819 befinden fich noch
Abgeordnete diefer Stede zu Dresden, um mit Berarhung
ber übrigen , welche es angeht, die Elbſchiffahrt
durch Aufhebung oder geregelte Ordnung der Zölle in thaͤti⸗
geren Gang zu bringen. Für die Tochterſtadt Rit zeb uͤt⸗
tet iſt die durch die Thaͤtigkeit und Einfiche des Heren
Senatord Abendrorh beförderte Anlage eines Gew
bades in Cuxhaven eben fo- erfreulich, als wehlchaus ·
(1816. 1817.)
Die Truͤmmer der Zerſtoͤrung ſind hintseggerdune
und ihre Spuren verſchwinden allmaͤhlig ganz in uns
oO, Beſchluß.
ſeren Umgebungen: manches tritt ſchoͤner und zierlicher
wieder ins Leben, denn es zuvor geweſen. Die Natur
lacht ung wieder entgegen vor unſeren Thoxen. Die
Thore felbit und die aus denſelben führenden Wege
find verfchönere und zieren die Eingänge der Stadt.
Die St. Paulskirche auf dem Hamburgerberge iſt
ihrer Vollendung nahe: Zum Aufbau eines neuen
Kranfenhofes find Anflalten und Horbereitungen
getroffen. Inter Auffiche des um feine Vaterſtadt hoch⸗
verdienten Andreas Ehrenfried Martens bat
das Zucht» und Werkhaus eine neue, wohlthätige
Einrichtung erhalten. Die Halfte des Alten 1663 er-
baueten Zuchthaufes iſt feit Juny 1814 zur Aufnahme
und Pflege armer Leute eingerichtet, die zugleich Geles
genheit finden, paffende Arbeiten vorzunehmen um billi⸗
gen Lohn, Fuͤr erwachſene Kinder iſt durch Anlegung
‚einer eigenen Schule beſtens geſorgt. Die andere 1764
erbauete Haͤlfte enthält außer dem Zuchthaus eine Kurs
anftale, Fabriken, ein Rettungszimmer für Ertrunkene
und Erſtickte, eine Badeanſtalt und eine Anatomie
Kammer, Das Waifenhbaus if verfihönert aus
feinem Mißbrauch wieder entſtanden. Unſere Schul
Anftalten blühen, unfere Kirchen find befucht, ein frome |
mer, verſtaͤndiger, ernſter Sinn iſt berrichendes Ges
prage der Bewohner unferer Stadt geworden. Möge
er dauern! Die Abtragung der Walle und daß fie mit
febendigen Anpflanzungen erfegt werden ein, iſt im
Det, 1819 befthloffen worden, Achtung ge n die Ge⸗
fege follen in Zukunft unfere Waͤllen ſeyn und Froͤm⸗
migkeit der Seele, die achte Buͤrgerkraft und Buͤrger⸗
tugend, auf weichen das Glück der Freyheit unerſchuͤt⸗
terlich begruͤndet ſteht.
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