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-
Neue
JÄHRBÜCHER
für
Philologie and Paedagogik,
oder
Kritische JBibliothefc
für das
Schul- und Unterrichts wesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
herausgegeben
VOR
»r. Gottfried Seehode,
M. JTohann Christian Jahn
und
Prof. Keinhold Hlots.
ZEHNTER JAHRGANG.
Acht und zwanzigster Band. Erstes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
1840.
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3
Bai- &8
Kritische Beurtheilungen.
1. Deutsch- Griechisches Wörterbuch zunächst
zum Schulgebrauche. Möglichst vollständig nach den be-
sten Quellen bearbeitet und mit classischen Beispielen attischer
Redeweise ausgestattet von Dr. Joh. Franz. 2 Bde. gr. 8. Leipzig,
in der llahn'sehen Vcrlagshandlung. 1838. 1. Bd. von A — K.
VI II ii, 1414 Kolumnen nebst 5 S. Berichtigungen. 2. Bd. L — Z.
1182 llol. nebst 3 S. Berichtigungen. Der Preis des Ganzen beträgt
3 Thlr. 18 Gr.
2. Handwörterbuch der griechischen Sprache
von Karl Jacobilz und Ernst Ed. Seiler. Ersten Bandes erste Abtli.
A — E. Leipzig, Verlag der J. C. llinrichs'schen Buchh. 183!).
X u. 928 S. nebst 2 S. Berichtigungen, gr. 8. 2£ Thlr.
•3. Griechisch- Deut sthes . Ha jtd loörterbuch von
Dr. Carl Ramshorn. Stereotyp -Ausgabe. Leipzig, Druck u. Verlag
von Beruh. Tauchniu jun. 1838. 691 S. 8. 2 Thlr.
Lit Recht nimmt der Verf. von Nr. 1. in der Vorrede an, dass ein
deutsch-griechisches Wörterbuch, „welches den Anforderungen der
Zeit in einem höheren Grade zn entsprechen sucht", willkommen
gein müsse. Aber in die gleich daran geknüpfte Klage darüber, dass
es noch immer wenige Lehrer gebe, „welche der Jugend die Er-
lernung des Griechischen gerade so leicht machen , wie bei neue-
ren Sprachen das Reisen in den Ländern, in denen diese leben",
und in die Hoffnung auf bessere Zeiten für die griechische Spra-
che , wenn man einst griechische Schriftsteller griechisch erklä-
ren werde, „wie vordem lateinische lateinisch"', kann Referent
seines Theilcs nicht einstimmen, Vielmehr furchtet er, dass, wenn
einst solche Zeiten kommen sollten, die Gründlichkeit der Erler-
nung zugleich mit der damit verbundenen Qual, worüber der
Verf. klagt, verschwinden wird. Einst wurde wenigstens grie-
chisch geschrieben, und das gar nicht wenig, noch auch unge-
schickt, man dürfte nur au Budaeus, Rhodomannns, Crusius er-
1*
4 Griechische Wörterbuch er.
innern, und Jas Lateinische ist noch jetzt gewissermassen als le-
bende Sprache der Gelehrten anzusehen, vielmehr jedoch war es
das , um etwas zu sagen , vor 300 Jahren ; sollte aber der Verf.
wohl im Ernst behaupten , dass darum jene Sprachen früher bes-
ser gepflegt worden wären als jetzt, oderdass jetzt z. B. das Französi-
sche besser von uns gepflegt werde, als die alten Sprachen, weil
es etwa auch beim Unterricht gesprochen wird? Doch die Sa-
che braucht hier nicht weiter erörtert zu werden.
Ueber den Zweck und die Ausarbeitung seines Buches äus-
sert sich der Verf. unter Berufung auf ein Paar Abhandlungen
über lateinisch - griechische Lexika und das Rost'sche deutsch -
griechische Wörterbuch in den Act. phil. Monac. v. 1829 u. in der
Jen. Lit. Zeit. v. 1832, die Ref leider nicht vergleichen konnte,
im Wesentlichen so : Es sei ihm nicht darum zu thun gewesen
,,dem deutschen Sprachreichthum eine hinreichende Anzahl grie-
chischer Vokabeln gegenüberzustellen, sondern den mannigfal-
tigsten Wortausdruck der modernen Welt durch die Allgewandt-
heit attischer Redeweise gleichsam aufzuwägeu." Hieraus möchte
man schwerlich mit einiger Bestimmtheit abzunehmen vermögen,
was der Verf. nicht gewollt hat und was er gewollt hat, wenn
nicht etwa der mannigfaltige Wortausdruck der modernen Welt
gegenüber dem deutschen Sprachreichthume zugleich von frem-
den in unsere Sprache aufgenommenen Ausdrücken zu verstehen
ist, dergleichen der Verf. allerdings sehr viele mit aufgenommen
hat. Aber zum Theil wenigstens werden jene Worte weiterhin
so erklärt: der Verf. habe, um grössere Deutlichkeit zu erlan-
gen, oft zusammenhängendere klassische Beispiele auszuheben
•gut gefunden, jedoch wenn längere Stellen erforderlich gewesen
wären, habe er sich endlich begnügt, das Citat zum Nachschla-
gen zu geben, ein Verfahren freilich, was den Schülern, welche
selten die erforderlichen Bücher und mindestens eben so selten
die Lust und das Geschick haben, sie gehörig zu gebrauchen,
wenig Nutzen stiften wird. Die Beisetzung der Auktoritäten habe
er für die prosaische Sprache dann vorgezogen, wenn entweder
der Ausdruck nicht jedem Zeitalter zugeschrieben werden zu kön-
nen geschienen habe, oder bei Phrasen, welche leicht den An-
schein willkürlicher Bildung gehabt haben würden; in der Poesie
aber vorzüglich da, „wo der tragische Gebrauch von dem epischen"
zu unterscheiden gewesen sei. Beisetzung von Auktoritäten trifft
man in dem Buche allerdings häufig, allein so, dass hinter einem
Worte oder einer Zusammenstellung von mehreren Worten Xen.
oder Plat. oder sonst dergleichen steht, womit denn allerdings
sehr wenig gefördert ist. Schüler nehmen auf dergleichen An-
gaben überhaupt eben keine Rücksicht, und wer sich genauer
unterrichten will, uiuss zu allerlei andern Hilfsmitteln seine Zu-
flucht nehmen.
Die verschiedenen Constructionen , sagt der Verf., seien
Franz: Deutsch griechisches Wörterbuch. 5
überall sorgfaltig angegeben , was Ref. regelmässig bestätigt ge-
funden hat, doch ist -dieserhalb in dem Artikel weil Manches zu
\ermisseu.
Die sinnverwandten Wörter seien , so weit es namentlich für
den Schalgebrauch nützlich erschienen, nach ihren verschiede-
nen Beziehungen fest bestimmt und unterschieden worden. WTas
der Verf. mit der Beschränkung auf das, was für den Schulge-
brauch nützlich ist, sagen will, ist dem Ref. nicht klar, als wel-
cher der Meinung ist, dass mindestens die Ergebnisse aller der-
artigen Forschungen für den Schuigebrauch überaas nützlich sind,
und überall nur die Ergebnisse mitzutheilen genügt auch nicht;
damit sich der Schüler auch selbst helfen lerne, muss er in ein-
zelnen Fällen, welche eine recht klare Entwickelung zulassen,
die ganze Forschung bekommen. Möglich wäre nun , dass der
Verf. irgend solche Beschränkung , als hier angedeutet ist , im
Sinne gehabt hätte, doch konnte Ref. darüber durch das Buch
selbst zu keiner Klarheit gelangen, da dies, wie sich unten zei-
gen wird, überhaupt in scharfer Bestimmung der Begriffe nicht
besonders stark ist.
Vorzügliche Sorgfalt, sagt der Verf., habe er auf anschau-
liche Erklärung der griechischen Partikeln verwendet und dabei
öfter auf die gangbaren Grammatiken verwiesen. Ref. hat meh-
rere derartige Artikel verglichen und diese Behauptung bestätigt
gefunden , nämlich anschaulich macht der Verf. die Bedeutungen
der Partikeln , indem er sehr viele ihrer Verbindungen mit der
deutschen Uebersetzung aufführt; wo er aber dies mehr empiri-
sche Feld verlässt und sich auf begriffsmässige ausdrückliche Be-
stimmungen einlässt, giebt er öfter Stoff zum Widerspruch, wie
wenn unter wenn gesagt wird, tl mit dem Optat werde gebraucht,
wenn der angenommene Fall als wahrscheinlich gedacht werde.
So wird unter als gesagt, wg gebe mehr (doch wohl als die vor-
her besprochenen Worte ön, ijvlxa und Int i8rj) den Grund an,
welcher in dem Zeitereignisse liege, und bald darauf wird aus
Plato angeführt tag 6s i]X&ov ov naQrjv und übersetzt: als ich
kam war er nicht da ; übrigens ist dieser Artikel nach dem Stand-
punkte des Verf. gut gearbeitet, durch grosse Reichhaltigkeit,
er enthält 5 Kolumnen , wird vieles gut veranschaulicht. Sonst
ist dem Ref. aufgefallen, dass unter den Worten wo , woher,
wohin der enklit. Gebrauch von nov , nöftiv, not nicht ange-
führt ist.
Die attische Redeweise versichert der Verf. zur Grundlage
des ganzen Buches gewählt und dichterische Ausdrücke beson-
ders bemerklich gemacht zu haben. Auch dies hat Ref. im All-
gemeinen bestätigt gefunden, wenn gleich in einzelnen Dingen
die Anführung der von den Grammatikern ausdrücklich als attisch
bezeichneten Worte versäumt sein mag. So hat der Ref. verge-
bens unter den passenden Artikeln nach yvco6ipa%eiv (vergl.
r> G r i c c li i s c li e W ö r t c r liii e li c r.
iWoer. iiikI Timm. Mag.) gesucht. Ob dichterische Ausdrücke
überhaupt aufzunehmen waren oder nicht, darüber Hesse sich
streiten, indessen ist aus dem Obigen einleuchtend, dass sie der
Verf. nicht ausschliessen konnte, und mögen denn auch nicht
leicht griechische Verse von Schülern gefordert werden, so kann
doch die Aufführung der dichterischen Ausdrücke manchen an-
dern nicht verächtlichen Vortheil gewähren; das sei also. Dass
aber tlcr Verl*, auch die Begriffe, für welche die ältere griechi-
sche Sprache keine entsprechenden Benennungen darbot, berück-
sichtigte, war jeden Falls ein sehr bedenkliches Unternehmen.
Drei Wege, sagt er, seien ihm für diesen Zweck offen gewesen,
1) Beiziehung späterer Scribenten, 2) Angabe des Gebrauchs der
Neugriechen, 3) „freie Bildung antiker Ausdrücke." (Kann mau
denn jetzt antike Ausdrücke bilden !?) Sofern unter den neueren
Scribenten solche verstanden werden, wie Strabo , Dio Kassius,
Herodian, die Kirchenschriftsteller ; welche man hin und wieder
angeführt findet, würde Ref. gar keinen Anstoss nehmen. In
manchem Falle kann auch der neugriechische Ausdruck viel In-
teresse haben, und zwar in viel höherem Grade als Mancher
glauben mag, der diese Sprache zu seinem eignen Nachtheile
keines Blickes würdigt. Die eigne Bildung neuer Ausdrücke aber,
welche der Verf. wenigstens durch ein Sternchen kenntlich ge-
macht hat , wie unter Schweifen (als Subst. etwa in solchem
Sinne wie das Krümmen) ro^coötg oder unter Schuhbürste Ttsgt-
xoit/tov, konnte und musste ganz wegbleiben. Wo und wann sol-
che Worte nöthig werden , werden sie schon entstehen und we-
nigstens für die Schüler wäre dringend zu wünschen, dass man
sich nicht vermässe, etwas griechisch sagen zu wollen, was die
griechische Sprache eben nicht sagen will, zumal da ja i)er Um-
fang dessen, was sie sagen kann und will, nicht eben klein ist.
Die aufgenommenen Eigennamen sind nicht in ein besonde-
res Verzeichniss gewiesen, sondern au der rechten Stelle in dem
Wörterbuche selbst angebracht; dies ist offenbar zu billigen.
Soweit die Mittheilungen aus der Vorrede, und das, was
zunächst daran schien angeknüpft werden zu müssen. Für die
weitere Untersuchung dessen aber, Mas der Verf. für dies Feld
der Lexikographie überhaupt geleistet hat, erachtet der Ref. für
billig, zumal weil gleich zu Anfang der Vorrede von einem Buche
die Rede ist, welches den Anforderungen der Zeit in einem hö-
heren Grade (doch wohl als die bisherigen Werke der Art) zu
entsprechen sucht, so viel es thunlich ist, auf das anerkannt
beste deutsch -griechische Wörterbuch, das Rostsche (5. Aufl.
Gott. .1^37.), vergleichend Rücksicht zu nehmen.
Billigerweise soll der Lexikograph wissen und überall hei
seinen Erklärungen wohl beachten, dass etwas anderes der einem
Worte zugehörige Gedanke oder Begriff sei und etwas anderes
die Dinge, seien diese Stoff oder Form, auf welche Wort und
Franz : Deutsch - griechisches Würlerhuch. 7
Begriff angewandt sind, oder welche gerade in diesem Worte
vorgestellt werden , und deren Zeichen daher das Wort genannt
werden kann. Mag man nun unter Bedeutung des Wortes jenen
einen Begriff oder diese vielen Anwendungen oder auch gar die
bezeichneten Dinge seihst verstehen, so leuchtet doch so viel
ein, dass die freilich sehr gewöhnliche Vernachlässigung jener
Unterscheidung unsägliche Irrthümer und Verkehrtheiten zur
Folge hat; diese genauer auch nur anzudeuten, wäre reichlicher
Stoff zu einem grossen Buche und kann also hier nicht gesche-
hen. Aber das wenigstens verdient als für die Schulen sehr wich-
tig hier erinnert zu werden, dass, wenn man sich begnügt ohne
weitere Erörterung die Worte als gleichbedeutend zu setzen,
welche einerlei Anwendung haben, der Schüler nichts weiter als
zu dem ihm bekannten todten Zeichen der Sache ein zweites eben
so beschaffenes bekommt, und dass die Gelegenheit das schon
gehabte Zeichen zu einem lebendigen Begriffe zu machen und in
dessen Gegensatz einen neuen lebendigen Begriff zuzuführen,
die Sache aber als von zwei Seiten bezeichnet und von vielen an-
deren noch bezeichenbar begreifen zu lassen , verabsäumt wird.
Ferner aber ist zu sagen, dass alle Schärfe der Begriffe, die we-
nigstens für die Wissenschaft der Kede werth ist, und welche
ein Lexikograph für Beide der verglichenen Sprachen, so weit
sie dermalen überhaupt gehabt werden kann, nothwendig haben
und möglichst überall geben muss, wenn erder Wissenschaft ei-
nen Dienst leisten will, einzig auf dem angedeuteten Wege erzielt
werden kann; durch diese Schärfe würde dann auch alle die lei-
dige Synonymik überflüssig werden. Oder welche Unterschei-
dung ist zwischen zwei Begriffen ausser der noch möglich, welche
daraus hervorgeht, dass bestimmt der eine dieser, der andere
aber jener ist 'i
Nun giebt der Bef. gern zu, dass, wenn in einem Wörter-
buche jedem Worte derartige Erörterungen beigegeben werden
sollten, dies eine unüberwindliche Weitläufigkeit erforderte.
Aber die Sache Hesse sich kürzer machen durch eine Einleitung,
in welcher die wahre Bedeutung jedes Wurzelwortes und jeder
sogenannten Ableitungssilbe, soweit es der Standpunkt der wirk-
lichen Philologie erlaubt, erklärt würde; dann könnte sich das
Wörterbuch selbst mit Recht auf die Anwendungen der Wörter
beschränken , was jetzt mit allem Unrecht geschieht, wenigstens
ist das Bessere kaum da und dort in dürftigen Anfängen zu be-
merken; das Grafische Buch mag darin bis jetzt das Beste
leisten.
Was hilft es nun, wenn Hr. Fr., wie Rost, Zeigefinger,
Zweikampf, Strom von Lava übersetzt durch Xiy^avos, ixovoixa-
yiu<i ^va%f Ai%uv6s und Zeigefinger haben ausser der bezeich-
neten Sache gar nichts mit einander gemein, von dem zweite«
Beispiele mag mau auch sagen, dass die Worte wenigstens den
8 Griechische Wo r terhü ch er.
Kampf, von dem dritten, dass sie den Strom gemein haben, sonst
sollte man glauben, bedeutete {iovo(ia'%la viel eher Einkampf als
Zweikampf und gva^, wenn man nicht auf feinere Unterscheidun-
gen eingehen will, vorläufig nichts anderes als Strom, daher
denn auch Aristitles sagen konnte: ot xov aiparog gvccxtg, siehe
Thom. Mag. s. v. Qovg. Denen, welche für die Comptoirs oder
Toilettes Dictionnaires schreiben, mag solche Methode wohl an-
stehen und überlassen bleiben; für die aber, welche für die
Schule schreiben , geziemt sich Wissenschaftlichkeit.
Den angeregten Forderungen nun hat der Verf. eben so we-
nig genügt als Rost, und so eben so wenig als dieser in den Be-
griffen scharf und genau sein wollen. Folgendes diene als Beleg
dieser Behauptung.
Gleich auf der ersten Seite sieht man unter dem Artikel
Aas dies: „1) übersetzt als todter Körper x£ff/3o£ia, t«, Tirana,
arog, tÖ, Poet. öaJfia, xo Hom. 2) was Thieren zur Nahrung
dient ßoQa, ßg, q& Wie kann aber Aas gleicbgesetzt werden
mit todter Körper? Dann wenn das mit Recht geschähe, wie
kann iiTeäfia oder Gä^ia mit todter Körper gleichgesetzt werden?
endlich wenn dann auch das etwas dunkle Wort x&vkßQua wirk-
lich todter Körper bedeutet, warum führte der Verf. den Plur.
auf? von dem man weiss, dass er so schlechthin zur Bezeich-
nung des Marktes solcher Dinge gebraucht ist, während der Sin-
gular nicht allein aus den Worten des Pollux 6, 55. zu —
ftvrjösiöia TiQSCcxal xereßgia Ixükovvzu erschliessen ist, sondern
auch durch ausdrückliche Anführung aus Aristophanes feststeht,
s. die Note zu Moer. Lex. Att. Lips. 1831. p. 259. Unter Ab
liest man 1) als Adverb, und zwar a) herab, her, z. B. auf und
abgehen, mgiTiatttv *); die ferneren Glieder der Eiutheilung
sind: b) hinweg, c) hinab, d) auf oder ab d. i. bald mehr bald
weniger; 2) Praep. insepar. Die hierin liegenden Ungenauigkei-
ten genauer zu entwickeln , würde zu weitläufig sein und sie lie-
gen offen zu Tage. Vielleicht würde es dem Verf. nützlich ge-
wesen sein, wenn er bedacht hätte, dass ab auch als sogenannte
praepos. separabilis , wenn gleich in ziemlich vereinzelten Zu-
sammenstellungen, vorkommt. Unter b) wird ab und zu durch
öevqo kccküös übersetzt ; sollte ein Schüler, der dies Buch ge-
brauchte, die Worte: ich lese ab und zu den Xenopho?i , in das
Griechische übersetzen , so würde er vermuthlich äevQO xuxeiöE
*) Ref. erinnert eich nicht griechische Verha hei dein Verf. an-
ders als im Infinitiv angeführt gesehen zu hahen , so oft sie allein ste-
hen, und das ist sehr gut, die Gleichförmigkeit der l.p. pracs. ind. activ.
der Verha kontr. veranlassen hei den Schülern arge Fehler, Host hat
dies nicht immer beobachtet, 6o unter ähnlich: 6[ioico , cccpofwico,
fijo.uotw.
Franz: Deutsch- griechisches Wörterbuch. 9
anwenden. Abängstigen Jemanden wird übersetzt durch ay%uv
xivd (nur von Sacken z. B. xovxo uTioörgscpsi, xrjv yheoööecv,
*H(pQÜxxu xb Gzöficc, ayxHV övnnuv noul, Dem.). — ähnl.
GTQttptiv xivog xr\v ipv%rjv , Plat. — Auch xa%i6xdvav (poet.
iöxdvai) xivd dg ccTtogiav, dg cpoßov. — Oefter in reeiproker
Bedeutung sich abängst., dycovidv, auch di.ee (poßov ttöelv (wo-
für poet. iiokilv). — TiBQicpoßov tivcti. — ctloAdöxtca Ilippocr.
— sx&vijöxeiv q>6ßco (besonders in der lebhafteren Sprache). —
Poet. d^.v66t6%av (z. B. cpQi]v dyivöGtxai Aeschyl.).1' So sollte
man nun glauben, einen grossen Vorrath von Ausdrücken für ab-
angstigen zu haben , und beim Lichte besehen passt auch nicht
ein einziger vollständig, ohne dass der Verf. ein Wort darüber
sagt, wie weit die einzelnen Worte treffend sind oder nicht.
Wenn nun, wie wahrscheinlich ist, die ganze griechische Spra-
che kein Wort hat für abängstigen, warum soll das nicht gerade
heraus gesagt und dann gezeigt werden, welche Ausdrücke und
wie weit jeder einzelne dem Deutschen nahe kommen'? Man
scheut sich ja doch nicht zu sagen , dass unzählige griechische
Worte nicht genau in das Deutsche zu übersetzen sind , warum
scheut man sich das eben so häufige Gegentheil ausdrücklich an-
zuerkennen'? Unter Abarbeiten heisst es: 1) durch Arbeiten
wegschaffen, %vvrsw6fitvov dcpcuQHV xi. — dno^ox^svsiv (be-
sonders wenn die Arbeit schwer ist). — Das Grobe, die Un-
ebenheiten äittQydliGftal xi. — Xtalvuv xi Plat.u Als der bei
weitem passendste Ausdruck musste unbedenklich dmoy. voran
gestellt werden. In demselben Artikel wird unter 4) gesagt:
„durch Arbeit abmatten, bes. rec, sich abarb., TtoXXd novi.lv
(z. B. yv^ivaöxixij Plat.). — dnoxdnvfiv Tioiovvxd xi. — auch
izdvcp s'ixuv (wie e'txuv xdxyj). — Mehr poet. xazu7tov£t6&ai."
Man sieht leicht, dass hier wieder die rechte Genauigkeit sehr
fehlt. Unter Abbekommen, welcher Artikel bei Rost ganz fehlt,
findet sich nur dies: v. tr., im Übeln Sinne, etwas, dnoXavuv,
ti, wie: ich werde etwas abbek. duokavoo^ai, xi, Aristoph "
Die einfachste Anwendung des deutschen Wortes ist ganz über-
gangen. Unter Abberufen steht nur {i£xoc7t£ß7ts6&ai xiva Dem.
Bost hat ausserdem mit Recht noch dxoxccXelv. Unter Abrufen
hat Hr. Fr. dnoxaldv und (xEzaxakelv, von denen man wenig-
stens das erste wohl billigen möchte, wenn nur der Unterschied
von xaldv und rufen irgendwo angedeutet wäre (unter Rufen ist
das auch nicht geschehen) , nun trifft man aber auch noch dvxi-
naoakuv ; spräche dies Wort nicht allein schon deutlich genug,
so wäre wenigstens die Berufung auf Xen. Cyrop. 2, 2, 24 genü-
gend , um darzuthun, dass es einen ganz andern Sinn hat als ihm
der Verf. unterlegt. Abbild wird übersetzt: „sixco?', övog, rj
(jedes sichtbare Bild, bes. eines Menschen). — tWalov , xo
(das Bild von einem Ganzen, bes. vermittelst der Seele, der
Phantasie; bei Spät, auch von körperlichen Darstellungen), Plat.
10 Griechische Wörterbücher.
a.roTvrccjfitt und extvitapa, to (im Gegensalz von einem Urbild).
— nAßöua, to (in Thon, Gyps, Wachs). — auch rujrog, 6, Plat.
— {iturjiia, to (letzteres jedoch mehr poet.), dnst'xaöpn , to
(als Zeichnung), Plat." Hier ist beinahe nichts ohne Anstoss,
wenn man die Sache genau nimmt, doch es würde zu weit fuh-
ren, wenn man alles erörtern wollte. Unter Avhnlich wird ouoiög
rivi aufgeführt und dabei erstens bemerkt, dass opolog „über-
haupt die älteste, auch dorische Form war.1,1, Soll man nun mit
Rücksicht auf die Grundsätze der Vorrede annehmen, dass b\uoiog
die rechte attische Form gewesen? oder wie ist dies sonst zu ver-
stehen ? Die Wahrheit wird wohl sein, dass dem jüngeren Atti-
cismus ouotoc, dem älteren aber ö/xolog angehört, cf. Etym. M.
s. v. ytkoloq Bekk. Anecd. p. 678. Arcad. p. 45. Theod. Gaz. 3 p.
389 seq. ed. Bas. 1545. 8. (in dieser Ausgabe wie in der bei Egid.
Gourmont in Paris 1516 gedruckten steht t« ujio tcöv dg og na-
päycoycc ug oiog 7tSQi67icö^£va für TtQ07i£Qi(3Ttc6^va\ Gregor.
Cor. p. 23 flg. und die Note von Koen. p. 26. ed. Seh. Ferner
bemerkt der Verf. über ouotog, es drücke die Gleichlieit innerer
und äusserer Eigenschaften, überhaupt einen hohen Grad von
Uebereinstimmung in Wesen und Form aus, sage weniger als
'iGog und stehe deshalb, mit diesem verbunden, jedesmal nach.
Dies könnte etwa aus Steilen, wie Demosth. Mid. p. 551. ov [is-
Tiött räv Xöav ovde zcov o^iolcov (ähnlich ist auch Xen. Mem.
3, 10, 10.) geschlossen werden, aber wie passen dazu solche Ver-
bindungen wie Xen. Griech. Gesch. 7, 1, 45. tv rolg %6oig xa\
öuot'oig? Ist wirklich toog mehr als oftotog, was doch wohl sa-
gen will, %6. enthält alle dasselbe als 6[i. und noch einiges ausser-
dem, so sollte man hier die umgekehrte Ordnung erwarten. Io-
annes Tzctz. bemerkt zu lies. eoy. x. tj^l. 325. p. 82. ed. Heins,
hei den Alten seien tö. und 6fi. gleich gewesen (bei den Lexikogr.
wird oft t'ö. durch 6a. erklärt), durch die Philosophen aber, na-
mentlich durch Pythagoras, Archytas und Aristoteles sei i'ö. auf
das ito6Öv und ö<u. auf das noiöv beschränkt worden. Die häufi-
gen Verbindungen Idol zov dgt&iiöv , to nXijdog scheinen dies
zu bestätigen und sind eigentlich dawider, denn wenn in t'ö. das
noööv ausdrücklich bezeichnet wäre, wozu dienten die Zusätze
wie 7thf]dog, aoitruöv? Durch die Ableitung der Worte stellt
sich ein ganz anderes Verhältnis« dar, nämlich <\u. geht auf die
räumliche Uebereinstimmung , itf. auf den Eindruck, welchen das
Gesicht erfährt. Weiterhin wird von uxcog gesagt, es gelte „von
der Aehnlichkcit in einigen Stücken , aber blos vom Aeusseren,
das man vergleichen kann." Im Folgenden aber sagt der Verf.,
ähnlich sein dem Geiste nach bedeute „o^otoüö&at rivi (wie
öegJ, Plat), auch ioixivca rivi (z. B. cog soixag öeöio'rt tovg
noXkovg. PIat.)u Trotz der Berufung auf Plato hat doch öfioi-
oüGfrca die angegebene Bedeutung schlechterdings nicht, und
Franz: Deutsch- griechisches Wörterbuch. 11
was hier über loixtvai gesagt ist, steht mit dem Obigen aber tl-
Hcig im Widerspruche. Freilich ohne geäusserte Vcrgleichbar-
keit kann von a'xafg und allen zunächst ähnlichen Begriffen keine
Kede sein. Ebenfalls für ähnlich wird auch dy.ökovxfog angeführt
und zwar mit diesem Zusätze: „(in Folgeningen, wie dxökovQa
reo eavvov ßio) Tsxurjgta 3rorp£^u^£iog , Aeschin)." Ohne dns
Beispiel möchte schwerlich verstanden werden, was der Verf.
will, nämlich von einem Schüler, deutlicher ist Host , der frei-
lich kein Beispiel für ukol. anführt, sondern dabei bemerkt: von
Folgen , die sich aus etwas ergehen. Dagegen ist hei ddtkyog
als Uebersetzung für ähnlich, zweckmässig, bemerkt: von dersel-
ben Art; bei Bost ist dies mit ofioiog (eine andere Betonung
kommt da nicht vor) und jrapouo/og ganz gleichgestellt, wo denn
ausserdem in Bücksicht des nagö^oioq gegen Poll. 9,130. gefehlt
ist, welchen Fehler unser Verf. vermieden hat, dagegen hat er
7tg6gofioiog und nagofiotog gleichgestellt, was nun wieder Pollux
deutlich genug nicht gethan iiat. Unter Mineinlkun sagt unser
Verf. nach Anführung von ttoihv fl'öo), in etwas anderes evridi-
rnt, sußäkkeiv, x\ iig xi. „von Flüssigkeiten TTQogyiyvviwi, iiti-
(iiyyvvat, tl rm." Damit bekommt ein Schüler offenbar die An-
weisung, Worte, wie: den Wein in den Becher, Krug, Keller
i Im: 11 , durch itQogfiiyv. oder i%i\iiyv. zu übersetzen. Der nach
dem Standpunkte des Verf. sonst gut bearbeitete Artikel /// fällt
auf durch die Haupteintheilung der Bedeutungen, sie ist diese:
1) die Buhe sm Orte angehend, 2) die Richtung, Bewegung an-
gehend , 3) Zeitbestimmungen betreffend. Unter Woher werden
die Worte: als er gefragt wurde woher er sei'?, übersetzt durch
tgarcöfibvog ro nodaTiög Hrj ; Will man sich auch das deutsche
Präteritum neben dem griech. Präsens gefallen lassen, so ist doch
ganz unerklärlich, wie der Artikel to so ganz unberücksichtigt
bleiben konnte, nämlich Ref. nimmt an, dass hier eine bestimmte
Stelle eines Griechen behandelt sei, bei Rost ist übrigens ganz
dasselbe zu lesen, li'oltiiiwärts , was bei Rost fehlt, ist nur er-
klärt durch „7rot (enclit.)" Schwerlich würde der Verf. glauben,
zur Uebersetzung von: wohiuwärts ist er gereist'? noi gebrauchen
zu können.
Diese Beispiele, deren ähnliche wohl ziemlich jede Seite zu
geben vermag, seien hinlänglich zur Bestätigung des oben Ge-
sagten; zugleich mögen sie wenigstens andeuten, wie noch man-
chem Artikel manche Uebersetzung zuzufügen wäre. Ist nun aber
«Sie Frage nach der äusseren Vollständigkeit, so ist gar keinem
Zweifel unterworfen, dass das Bostsche Buch durch das unseres
Verf: hei weitem iibertroffen wird. Bei ungefähr gleicher Ein-
richtung des Druckes und des Formates beider Bücher enthält
das Rost'sche sammt dem Verzeichnis» der nom. propr. 942 Sei-
ten, das unseres Verf. aber 2596 Kolumnen = 1298 S. Dieser
bedeutende Unterschied entsteht theils daraus, dass unser Verl',
12 Griechische Wörter büc her.
viele Artikel hat, die bei R. ganz fehlen, einiges der Art ist oben
gelegentlich erwähnt, hier finde noch das Ergcbniss einer Verglei-
chung des Buchstaben Ein beiden Büchern Platz, in diesem hat
Rost 25 Artikel, welche Hrn. F. mangeln, dagegen hat dieser 171
Artikel, welche jenem mangeln, Ref. hat übrigens nicht etwa ver-
säumt, auf Rost's Verzeichniss der Eigennamen Rücksicht au neh-
men, doch wäre möglich, dass er sich um eine Kleinigkeit ver-
zählt hätte. Unter den 171 Artikeln kommt einer vor, welcher
nur eine mit einem Stern bezeichnete Uebersetzung hat , nämlich
Jusmin, übersetzt durch Id&fgij; Ref. weiss von diesem Worte
nichts zu sagen, als was bei Schneider und in dem Lex. VII vir. zu
lesen ist, beide stellen es gleich mit luöpelaiov (wodurch unser
Verf. Jasminöl übersetzt) und meinen, dass darunter ein wohlrie-
chendes Oel einer Pflanze verstanden werde; Schneider sagt, viel-
leicht sei es Jasminöl, die VII viri sind anderer Meinung; jeden-
falls hätte man dem Verf. die Auslassung beider Artikel nicht übel
genommen. Der zweite Grund liegt in der viel grösseren Ausführ-
lichkeit sehr vieler Artikel in dem Buche des Hrn. F. Hierfür Bei-
spiele anzuführen, ist ganz überflüssig, denn solche findeii sich
überall, ausdrücklich aber muss Ref. darauf aufmerksam machen,
dass er bei Hrn. F. unter sehr vielen Adjectiven die gehörige Be-
rücksichtigung der zugehörigen Adverbien angetroffen und bei
Rost ganz gewöhnlich nicht angetroffen hat , z. B. die Worte kalt,
karg, kaltblütig, knechtisch, kühn, göttlich, gottesfürchtig, gütig,
gleichförmig, gleichgültig, gleichmüthig, gutwillig.
Das Aeusserc des Buches ist nicht glänzend , aber hinlänglich
gut. Dass so viele Verbesserungen und Zusätze nöthig waren , ist
zu bedauern.
2) Das zweite der ober, angeführten Wörterbuch er in diesen
Blättern anzuzeigen, nahm sich Ref. gleich bei dem Erscheinen
des ersten Heftes vor , der 3Iangel einer Vorrede aber und das
langsame Fortschreiten des Buches musste die Arbeit natürlich
aufschieben, jetzt aber liegt ein nicht geringer Theil des ganzen
Werkes vor, so dass es wohl an der Zeit ist, den Lesern dieser
Blätter ausführlichere Kunde davon zu geben.
Nach der Vorrede und der auf den Umschlägen der einzelnen
Lieferungen abgedruckten und von der Verlagshandlung unter-
zeichneten Nachricht beabsichtigte der nunmehr verstorbene Rek-
tor Dr. Pinzger ein griechisches Wörterbuch auszuarbeiten , welches
bei möglichster Kürze und Vollständigkeit vorzüglich die Bedürf-
nisse der Schüler berücksichtigte und nicht zu theuer wäre ; von
den Schriftstellern sollte nur ein bestimmter Kreis benutzt werden,
die Kirchenschriftsteller, die Byzantiner , sowie die nur als Glos-
seme bei den Lexikographen vorkommenden Worte sollten gänzlich
ausgeschlossen sein. Als derselbe aber damit bis gegen das Ende
des A gekommen war, wurde er an der Fortsetzung gehindert,
welche dann die Herren Jacobilz und Seilet übernahmen, deren
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 13
Arbeit damit begann., dass Pinzger's bis zum Worte ätiivqg fer-
tiges Manuseript hauptsächlich in den Präpositionen und Partikeln
mit steter Berücksichtigung des ursprünglichen Planes gebessert
wurde. Aber eben dieser ursprüngliche Plan erwies sich notwen-
digerweise als von ziemlich bedingtem Werthe , daher denn vom
B an sowohl der Kreis der aufzunehmenden Worte sehr erweitert
als auch jedem aufgenommenen Worte, sowie jeder Bedeutung
eine oder einige Belegstellen beigesetzt wurden ; die sogenannten
Eigennamen aber, welche P. ganz auszuschliessen beabsichtigte,
konnten nun nicht füglich eingeschaltet werden und wurden auf ei-
nen Anhang verwiesen. Wörter, welche sich überhaupt nicht
nachweisen liessen (die Nachricht auf. den Umschlägen setzt noch
zu: oder welche sich blos in den Schriftstellern der spätesten Zeit
finden) , wurden möglichst ganz übergangen. Solche unbeglaubte
Wörter und Wortbedeutungen aber, welche ganz auszulassen nicht
räthlich schien, sind durch dies Zeichen: | (welches sich auch
im A öfter findet) kenntlich gemacht worden. Viele in den gang-
baren Wörterbüchern fehlende, aber hinlänglich beglaubte Wörter
sind aufgenommen , das Syntaktische unter häufigen Verweisungen
auf Grammatiken angegeben, von den Formen aber hat nur soviel
Platz gefunden, als unter der Voraussetzung verständiger Benuz-
zung einer Grammatik unerlässlich schien ; endlich sollte die Quan-
tität der Sylbcn nicht unberücksichtigt bleiben. Uebrigens soll
das Buch nicht mehr wie bisher in Lieferungen erscheinen , und
zunächst soll der zweite Theil des ersten Bandes zusammen am
Ende dieses oder am Anfange des nächsten Jahres erscheinen.
Dass der Name des Mannes, der zu dem Werke den Anlass gab und
damit den Anfang machte, jetzt nicht mehr wie bei den einzelnen
Lieferungen auf dem Titel erscheint, entschuldigen die Verf. da-
mit, dass sie dessen Manuscr. umgearbeitet haben und der grös-
sere Theil des jetzt vorliegenden Buches ihre Arbeit sei. In diesem
Punkte würde Ref. von der Ansicht der ihm sehr achtbaren Verf.
abweichen ; es handelt sich ja um einen Verstorbenen.
Soweit nun die Vorrede und die Nachricht der Verlagshand-
lung, deren Angaben sich jedem Unbefangenen bei näberer Prü-
fung als im Allgemeinen richtig und einstimmig mit dem Buche
selbst zeigen werden; wie denn überhaupt Kef. gleich hier beken-
nen muss, dass er dies Lexikon für überaus brauchbar und empfeh-
lensw erlh hält , desto mehr aber ist zu bedauern , dass, es bisher
wenigstens so langsam erschienen ist. Aber seine Theiluabme an
dem Werke und seine Achtung gegen die Verf. meint lief, nicht
besser an den Tag legen zu können, als dadurch, dass er im In-
teresse der Sache auf alle Schwächen des Buches, welche er ent-
deckt hat, aufmerksam macht, damit sie wo möglich für die
Folge beseitigt werden. Dass aber ein Buch der Art immer noch
viele Mängel hat, wird wenigstens, wer sich je in solcher Arbeit
versucht oder auch nur die Leistungen Anderer mit Sorgfalt gc-
14 Griechische Wo r te th ü cli er.
prüft hat, keineswegs bewundern, seihst die Benutzung der
neuen Ausgabe des thesaurus von II. Steph. (welche im Folgen-
den immer nur durch thes. bezeichnet ist), die jedoch tleu Vefff.
nicht überall verstattet war, konnte dagegen nicht sicher stellen.
Um den Lesern zuerst eine Probe von der äusseren Vollstän-
digkeit des Buches zu geben, lässt Ref. hier eine Liebersicht der
Lemmaten folgen, welche in du bei Passow in der 4. Aufl. des
Wörterbuchs vorkommen und bei unsern Verff. fehlen, oder um-
gekehrt, oder welche in anderer Form hier als dort aufgenommen
sind, zugleich wird er kurz andeuten, wie das betreffende Wort
im thes. behandelt ist, oder ob es fehlt; voran wird erstelle.»,
was aus dem Passow'schen Buche (hier P.), dann was aus thes.,
endlich was aus dem vorliegenden (hier J.) anzuführen ist, wenn
denn auch die Reihe öfter mit fehlt zu eröffnen ist; s. a. bedeu-
tet ohne Auctorität, andere Zeichen werden leicht verständ-
lieh sein.
P. öayxära Gramm.; thes. 8ay/.äva Gramm.; J. fehlt. —
P. däyfia s. a. ; thes. Ödy^ia INieand. ; J. dayfia JNicand. — P.
ÖaÖoa s. a.; thes. öaÖöco angegeben, dass das Akt. unbegründet
ist; J. fehlt. — P. ÖaiöaksvztjQ s. a. ; thes. fehlt; J. fehlt. -
P. dcuduXsvxijg s. a. ; thes. fehlt; J. fehlt. — P. dcadzXocpa-
vog s. a. ; thes. ebenso; J. fehlt. — P. dui&uog s. a ; thes.
ÖKid'uog Inscript. ; J. fehlt. — P. dai^iovt,axög s. a.; thes. ebens.
mit der Bemerk.: vox nihili; J. fehlt. — P. daL^iovicit,co s. a.;
thes. fehlt; J. fehlt. — P. öaivva Caliim.; thes. u. J. fehlt. —
P. daifiovicXtjnzog s. a.; thes. 8ai^ioviölr}Tizog Justin. ; J. fehlt.
— P. ' öcuiiovoßXaßrjg s. a. ; thes. u. J. fehlt. — P fehlt; thes.
li. J. öa'iöcpQCOV nach Conj. bei Aesch. Sept. — P. dalöc^tog — ov
s. a ; thes. öaiöt^ov Lexikogr. ; J. fehlt. — P. fehlt; thes. und
J. Aa'iQiog Plut. — P. fehlt; thes. öaixakäco, das Akt. s. a. ; J.
öauakdouca Lycurg. — P. ÖaizaltvzQia s. a.; thes. u. J. fehlt.
— P. daizakccö s.a.; thes. mit der Bern, forma nulla est; J.
fehlt. — P. dcuTQSLCi s.a.; thes. örurgsta Gramm.; J. fehlt. —
P. fehlt; thes. u. J. dairvpovsvg Noim. — P. fehlt; thes. u. J.
dtxtag Plut. — P. däxvä^u) eine passive Form aus Aesch. Pers.
angeführt; thes. ebenso; J. nur dccitva£o(im mit derselben Stelle.
— P. öaxQvyzlaq s.a.; thes. ÖanQvyklcog s. a. (Scapul. „<5a-
xgvyeXag fletü misto ridens. Stat u was mit dem Stat. gemeint
ist, weis« Ref. nicht zu entscheiden); J. fehlt. — P. daxQW-
%6g s. a.; thes. öaxQWzqv Jos. aut. aber die Richtigkeit ange-
zweifelt; J. fehlt. — * P. öuxQVOJioiög s. a. ; ebenso thes. und J.
hier aber mit f. — P. ÖaKQvdözaxzog s. a. ; thes. u. J. fehlt. —
P. daxzvUztjg s. a.; (lies. u. J. fehlt. — P. SaxzvXicöztjg s. a. ;
ebenso thes.; J. fehlt. — P. 8axzvlo8uxzd s. a. ; thes. mit
„Gramm."; J. fehlt. — P. öcntTvkoösUzqs s* a-5 thes. mit der
Bemerk, dass es kein Wort ist; J. fehlt. — P. dccxzvkodei&a
s. a.; thes. mit „Cvrill. Comineiit."; J. fehlt. — P. öaxtvXov
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griecli. Sprache. 15
j\onn. ohne genauere Angabe ; thes. ddxrvlov mit der Bemerk,
dass der Sing, nicht vorkomme; J. fehlt, aber unter ödxtv?.og ist
die Pluralform Ödxxvka angemerkt. — P. öaltgög s. a. „Zw.";
thes. u. J. mit Emped. b. Plut. — P. ödXig ==: xäfag 8. a. „Zw.";
thes. Ödfog Hesych.; J. fehlt. — P. öcefiecteidiov s. a.; thes. mit
„Gramm."; J. fehlt. — P. öa^tcckonoöia s. a.; thes. u. J. Öa-
ItallOTiödiov Alex. Trall. — P. dauaötrjQ s. a., ebenso öcc/jcc-
triQ und daudrag', fehlen bei thes. u. J. — P, „dajuoeo 11. 6,
368", wo dafxöcoöLV steht; thes. fehlt; J. öcc[i6cqöiv, diese Form
wird wohl allein nachweisbar sein. — P. öavsiaxog s. a. „Zw.";
thes. Öccveiaxcg Theophil., dccvtiaxcög Synt. fab. ; J. öavsiaxög
„sp. W.", davstaxäjg Aesop. — P. da'jrrj/c, diese Form s. a.,
aber zu dcntxai Lycöphr. angef. ; thes. ddnxrjg Ilesych. und be-
sonders deentog, tj, 6v. plur. fem. belebt durch Lycophr. u. Eust.;
J. daitxal mit Angabe der Stelle des Lycoph. — P. „ödnzgia
fem. zu ÖDC7it?]gu', thes. „dßjrrptos, o, ^ , Lacerator, Edax. Ex
Gregor. Naz. vol. 2. p. 121. "Akloig d' av ^liXiav xaxsduööecro
Ödnzgux vovßog. ibid. p. 172. TJzög%ov ylvxigolo cpaytlv öa-
TCTQilav eöad/jv, vitiose, ut videtur, pro öaTizEtgav" ', J. „öa-
itzgiog , ov , verzehrend, fressend, vovöog Anth." lief, hat
nicht Gelegenheit , die in thes. angeführten Stellen des Genaue-
ren zu untersuchen, dass aber hier irgend Unrichtigkeiten obwal-
ten, ist ziemlich augenfällig. — P. Öaßvnvxrodgi^ s. a.; thes.
u. J. fehlt. — P. Öaövöxiog Gramm, ebens. thes.; J. fehlt. —
P. dccövxovog s. a.; thes. öaövzovog Gramm.; J. fehlt. — - P.
6a6vTQi%og s. a. ; thes. daövxg. Achin. Onirocr. ; J. fehlt. — P.
danjg s. a. ; thes. u. J. fehlt. — P. ddzi/Gig §. ä ; thes. öetzt]-
6ig Gramm.; J. fehlt. — P. u. thes. Öatpvixog s. a. (Schneider
führt unrichtig Poll. 4, 53. anj; J. fehlt. Endlich sind bei J. die
Formen öatpvoyogza und öucpvotpogog unrichtige genannt, was
bei P. nicht und bei thes. nur in Absicht der ersten unter da<pv)t-
(pogito geschehen ist.
Diese Zusammenstellung zeigt allerdings, nie die Verf. kei-
neswegs blindlings hingenommen haben, was ^on Andern gebo-
ten wurde; aber so dankenswerth das Bestreben war, unbegrün-
dete Worte oder Formen entweder zu tilgen oder neben den übri-
gen heglaubten auszuzeichnen, so zeigt sich doch auch schon in
den angeführten Beispielen, nuinal wenn man damit die Artikel
vergleicht, welche P. und J. gemeinschaftlich haben, einige Un-
sicherheit in Absicht der Aufnahme solcher Worte, die entweder
nur durch Nachrichten der Grammatiker aufbewahrt sind oder
der späteren Zeit angehören. So hat ÖaiuoTccüöyg zur Beglau-
bigung nur: ,..sy;. //'."•, für Öoriitovoyögijxog ist nur Eust., für
daxTvA.oö6zu7] nur Poll. angeführt. Kurz da hier Worte aufge-
nommen sind, wie ÖdfiaGig, dccnvfjztg, ddö^a, öccövnvyog, dvG-
loyilv , dvGKudgavzog, ösiköxryg, detnaxcddrjg, welche theils von
Grammatikern angeführt werden, theils der eignen Sprache die-
16 G ric ch !s che W ort erb ü eher.
scr Schriftsteller angehören, so sieht man nicht, warum z. B.
öiötQahov (bei Schol. II. #851), ÖEwsgoxlitog , öbvtsqo^v-
yos (bei Theod. Gaza z. B. p. 274. ed. Basil. 1545. 8. beide im
thes. ohne bestimmte Nachweisung), dsönoötrig (b. Apoll, in Bek.
An. p. 500, 20. 545, 10. fehlt im thes.) nicht aufgenommen sind,
und solche Wörter würde Ref. leicht aus d allein noch einige Du-
tzend hier aufführen, wenn anzunehmen wäre, dass die Verf.
selbst glaubten, mit der rechten Consequenz verfahren zu sein,
oder wenn es überhaupt schwer wäre, dergleichen zu sammeln.
Von etwas anderer Art ist, dass eben so gut als öcüöcpQav ver-
dient hätte öisgäro oder das zugehörige Präsens aufgenommen
zu werden, wiewohl dies auch im thes. fehlt, vergl. darüber Os.
ad I'hilem. p. 261 sqq.
Von dQa%ni]'CoQ b. Nicand. wird gesagt, dass dies ionisch sei
für dQtx^naiog; wie oft das auch schon gesagt ist, so wäre es
doch eine wenig analoge Bildung und viel natürlicher würde man
das Wort auf Öoa%u£tog zurückbringen, was denn in der That
auch in Bekk. An. p. 90, 21. angeführt wird und wenigstens der
Erwähnung werth gewesen wäre, wenn auch W. Uindorf im thes.
diese Form für verdorben aus dgccxpiulog ansieht, ohne freilich
Gründe seiner Meinung beizubringen. Unter düätl- wird nur be-
merkt, es sei eine falsche Form für ä'ööt^, aber wenigstens hätte
gesagt werden sollen , dass dies bei Poll. 4 168. vorkommt, wo
nämlich die Herausgeber darthun , dass die Verurtheilung der
Form nicht so gar leicht ist. Unter dvösgcog ist der nach dem
Grammat. bei Bekk. An. p. 1197. m. attische Genitiv övösgco nicht
erwähnt. Unter öiAqpai; hätten die streitenden Ansichten der Al-
ten über das Geschlecht des Wortes (s. Bekk. An. p. 88. ext. Et.
M. u. Et. Gud. s. v.) wohl erwähnt werden sollen , auch vermisst
Ref. in Betracht dieses und der nächst zugehörigen Worte Ötk-
<pog, da nach Et. Gud. p. 138. dek(pol die jiovijqoC genannt
sein sollen. Wie gering diese Notiz auch sein mag, verdiente sie
doch zumal bei einem so dunkeln Stamme beachtet zu werden,
wenn sie auch im thes. eben so wenig Platz gefunden hat als bei
unsern Verfassern.
Nach dem Obigen sind die sogenannten Nom. propr. nicht
aufgenommen , wohl aber trifft man hie und da solche Worte an,
welche von Nom. propr. abgeleitet und mehr appellativer Art sind.
Dass hier nicht leicht Konsequenz zu erlangen war, ist leicht ab-
zusehen, und sie ist denn auch in der That nicht erlangt, da-
gsioyev^g ist aufgenommen, dazi(5n6g, davatdcci, davÄidg feh-
len. Gutheissen kann Ref. auch nicht , dass nun AI = zid auf-
genommen ist, aber sollte es aufgenommen werden, so verdiente
auch erwähnt zu werden, dass nach Chocrob. b. Bekk. Anecd.
Ind. s. v. diese Form auch Akkusat. sein soll.
Dass für jedes Wort und für jede Anwendung eines Wortes
ein Gewährsmann angefühlt ist, verdient die grösstc Anerken-
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 17
innig, und wie sorgfältig die Verf. darin gewesen sind, ist daraus
abzunehmen, dass dem Ref. trotz mannigfachem Gebrauche des
Buches abgesehen von besonders aufgeführten einzelnen Formen
eines Wortes , bei denen auf dies Wort verwiesen wird , nur ein
Wort ohne Auktor. und ohne f aufgefallen ist, nämlich das Ad-
verb, daöscog, thes. führt dafür ausser verschiedenen Grammatik.
Dion Haue, de comp. p. 84. an. Von dem A ist in diesem Be-
trachte ganz abzusehen, da kommen viele Worte vor, Avelche we-
der f noch eine Auktorität haben. Aber leider bestehen die An-
führungen der Gewährsleute gar zu häufig nur in einem Xen.
oder Dem. oder Plato u. s. w. , was auch nicht selten da der Fall
ist, wo eine ausführlichere Stelle mit dem in Rede stehenden
Worte angeführt ist. Es ist überflüssig zu erörtern, welche Un-
bequemlichkeit dies für den Gebrauch hat. Sonst hat der Ref. in
Betracht der Auktoritäten noch folgenden eigenthümlichen Fall
hier zu erwähnen. Unter Öalrtg wird die Uebersetzung „Fackel"
mit | bezeichnet, darauf die Uebersetzung: „Bolle am Knob-
lauch" durch Gal. belegt. Ref. weiss nun über dies Wort nur so
viel als in thes. gelehrt wird, und da findet sich Folgendes: Fax
magna et ardens : xara^o?;örtxc5g autem pro allii capite ponitur,
diä to ex nolkoov uyXiftiov avyxEipEvijV TtaQa7cXrj<3iag <5wÖ£-
dsö&cci xalg la^naöi. [Haec Galen. Lex. Hipp. p. 454.] ; damit
aber ist gerade der Gebrauch von deciug als lapnccg wenigstens
angedeutet.
Die Quantität der Sylben ist allerdings berücksichtigt, dass
dies aber nicht mit genügender Konsequenz geschehen ist, mö-
gen folgende wenige Beispiele hinlänglich beweisen. In dadivog,
öexüxig ist das i , in diUvvui und deixvvco das v nicht bezeich-
net. So haben folgende Worte die hier gegebenen Bezeichnun-
gen bekommen: ÖExdxkJvog , dExccxoTvXog , dsxaxvfiLa, dsxdfo-
tqov, ÖEKU7talai, öthfeov, öfiÄA/thov, delcpaxLVTj, öslcpaniov
und der Art Vieles. Bei dat^co wird über das cc nichts gesagt,
dagegen aber bemerkt, dass das i lang sei und dies findet sich
auch bei P. , Gründe dieser Behauptung aber werden in keinem
von beiden Büchern gegeben, auch nicht einmal angedeutet; dies
wäre jedoch darum sehr nöthig gewesen, weil die dem Ref. einst-
weilen sehr zweifelhafte Länge dieses v wider alle Regel wäre,
man vergf. darüber ausser den von Spitzner in der Prosodie § 51.
zu Anfang angeführten Stellen noch Ilerod. b. Herrn, de emend.
rat. § 44. ebendas. fragm. lexici § 71. (wo statt ßadl^ca zu lesen
ist ßaöi£co) und Schol. II. a, 317. Von dem a des Wortes dat£a>
sagt Spitzner in dem Anhange zur Prosodie, es sei gewöhnlieh
kurz, nur II. 17,497. sei es lang.
Gleich hier mag auch von Druckfehlern und andern kleinen
Unrichtigkeiten die Rede sein , dergleichen Ref. hie und da, aber
verhältnissmässig nicht oft angetroffen hat. "AyQ^vov ist fälsch-
lich, so wie eben geschehen , betont, das Wort ist ein Oxytonon,
N. Jahrb. f. Phil.u. J>äd. o<l. Krii.Iiibl. ßd. XXVIII. Ilfi \. 2
18 Griechische Wörterbücher.
so ist es zu sehen b. Poll. Hesych. u. Et. M. und dies fordert die
Analogie der Worte axalrjvög , cc{ievr]v6g, tpakkrjvog (s. Edra.
Barker Epist. Crit. an Arcad. Lips. 1820. S. 259.), adrjvog ein
dem Ref. sehr unverständliches Wort bei Schol. II. ß, 87. ; &vrj-
vög b. Et. M. s. v. mag wohl verdorben und nach Et. Gud. s. v.
dgrjvog zu korrigiren sein, jedoch zu entscheiden wagt Ref. so
wenig über dies Wort als über fisycdrjvög bei Or. Theb. an Et.
Gud. p. 619, 39.; auf die sogenannten Gentilien und auf Nom. pr.
in qvog beruft sich Ref. vorsätzlich nicht; übrigens vergl. über
diese Analogie des Ref. Anzeige von Papes etymol. Wörterb. in
diesen Heften im Jahrgange 1837 , in welcher Anzeige die Verf.
noch manches ihnen Interessante finden dürften. Buttmann s An-
gaben über die Worte in rjvog Grammat. Tbl. 2. p. 329. sind zum
Theil nicht richtig. In dem Lex. VII vir., b. Scap., Schneid,
Pass., Schmidt und Ramshorn steht auch unrichtig aygrjvov. Der
Dat. im Plur. v. dvrjg ist als besonderer Artikel unrichtig zum
Proparoxytonon gemacht. Statt „da — untrennbare Vorsylbe"
musste es heissen: da — u. s. w. In de kommt vor: „Seine ad-
versative Bedeutung behält die Partikel.11' In dsfiag ist die Pa-
renthese: „nur im nom., häufiger und bei Homer nur im accus."
ganz unverständlich. Statt ösvögsodgenrog ist unrichtig devdgso-
Q-QBJtog gedruckt. Oefter z. B. S. 598, 1. 700, 1. trifft man die
Abkürzung Jerndm.^ welcher eine unrichtige Formation zum
Grunde liegt. S. 829. ist arsQycpi ein Druckfehler, wofür in ezs-
gog richtig etBQrjcpi steht; ebenfalls in f'rfoog ist die Rede von
dem Gebrauche dieses Wortes „in Doppelsätzen, 6 ersgog — 6
i'ttQog, der Eine — der Andre", aber der Ausdruck Doppelsätze
ist da unstatthaft. Andere Fehler, welche sich Ref. angemerkt
hatte, findet er unter den Berichtigungen verbessert und erwähnt
sie also nicht.
Indem nun Ref. im Begriffe ist, die Erklärungen der aufge-
nommenen Worte einer genaueren Prüfung zu unterwerfen, sieht
er sich gleich zuerst leider genöthigt zu bemerken, dass dieje-
nige Unterscheidung zwischen dem jedem Worte zugehörigen
Begriffe und den Dingen, worauf Wort und Begriff angewandt
sind, die er schon oft öffentlich zur Sprache gebracht hat und
von welcher in der Anzeige des Buches von Franz die Rede war,
auch von Hrn. J. u. S. , um nicht zu sagen gar nicht, doch viel
zu wenig berücksichtigt ist. Dass dies in Betracht genauer Fest-
stellung der Begriffe die nachtheiligsten Folgen haben musste, ist
nothwendig und im Folgenden werden genug Beispiele der Art
vorkommen. Dass aber die Verf. nicht zu solcher Einsicht und
deren Anwendung gekommen sind, wundert den Ref. desto mehr,
weil sie in der Vorr. S. VH. bemerken: „überhaupt ist nichts
leichter als in einem Wörterbuche eine fehlende Bedeutung oder
Konstruction nachzuweisen, was jeder Schulknabe, wenn er nur
Jacoliitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 19
irgend einigen Verstand hat, zu thun im Stande ist.u Ref. stimmt
dieser Ansicht gern bei, aber wie nun, wenn ein Wörterbuch in
Absicht der Erklärungen der Worte nichts weiter leistet als eine
Aufzählung der vielen Bedeutungen , welche eben , weil sie viele
sind, nicht die Bedeutung und so natürlich auch nicht die einzig
und allein wahre Bedeutung sind? Aber der Hauptsache nach
leisten die Verf. dies zwar, so viel man von einem Buche des
Umfangs erwarten kann, recht sehr put, jedoch weiter etwas in
der Regel auch nicht. Ref. meint das nämlich so: es zeigt sich
etwa, dass das Wort ßagvg jetzt durch schwer, jetzt durch hef-
tig, dann durch tief, dann durch schädlich, übersetzt werden
kann , so dass welche Sache im Griech. durch das Beiwort ßagvg
bezeichnet wird , unter gleichen Umständen nach deutschem Ge-
brauche schwer, heftig u. s. w. heissen würde. Dies ist nun
Grund und Veranlassung zu lehren, ßagvg bedeute schwer, hef-
tig, tief, sehädlich und was sonst noch, ob aber ßagvg und
schädlich oder tief wirklich einerlei Gedanken enthalten, oder ob
do£a und Meinung, Vorstellung, dgaxav und Schlange, däxrv-
Xog und Finger, yvvrj und Frau, danach wird nicht weiter ge-
fragt, und wer nicht schon weiss, wie solche Begriffe zu einan-
der stehen , erfährt wenigstens aus dem Wörterbuche nichts dar-
über; und doch derartige Schärfe der Begriffe sollte das Lexikon
vor allen Dingen zu geben bestrebt sein. Logisch geordnet heis-
sen dann die vielen Bedeutungen , wenn stetig entweder je die
weiteren Begriffe den engeren oder diese jenen vorangehen und
was unter einander ähnlich ist, möglichst nicht getrennt wird,
dabei kommt denn bewusst oder unbewusst die Theorie des Ari-
stoteles (in der Poet.) von den Metaphern zur Anwendung; ab-
gesehen aber davon , dass diese so schon um recht wenig zu sa-
gen, ganz äusserlich und darum ungenügend ist, wird nun noch
der Fehler begangen, dass die Verhältnisse der zu ordnenden
Begriffe nicht nach der fremden Sprache, welche erklärt werden
soll, sondern von jedem nach seiner Muttersprache gemessen
werden. Nach solcher Weise nun, die sich zuletzt auf die mit
oder ohne Bewusstscin gemachte Annahme gründet, dass die
Worte Zeichen der Dinge ausser uns seien , meint Ref. , haben
auch Hr. J. und S. gearbeitet. Es würde viel zu weit fuhren,
wenn Rec. die Fehlerhaftigkeit dieses Verfahrens weiter heraus-
stellen wollte, aber wie dadurch überhaupt der Ungcnauigkeit
Thür und Thor geöffnet wird, so entspringen daraus namentlich
solche Gleichstellungen, deren man hier und freilich auch sonst
genug antrifft , wie: ÖatdaXog = daidäXsog; daiduki'mg = dai-
ÖäkBog ; daidakhva = daidäMm ; öaidaXöco = uaiua/U« ; so
wird von ÖaL^ovida gesagt, es sei = daiixoväa und von Öaipo-
vi^ouai, es sei = dat^oviäa. Ganz seltsam nimmt es sich aus-,
dass von öadovgyea gesagt wird, es sei = doedoxonea, da doch
das gleich folgende daöovgyog erklärt wird durch „Kien berei-
9 *
20 Griechische Wörterbücher.
tend, Fackelmacher", wogegen dccdoxoTisa erklärt wird durch
„Kien herausschneiden". Dass in den verschiedenen Zusammen-
setzungen mit dag dies bald durch Fackel, bald durch Kien er-
klärt wird , wiewohl es dadurch überhaupt nicht erklärt wird,
gehört eben dahin. Wie kann man auch bei einiger Genauigkeit
sagen, dass öadovxeco bedeute „Fackeln halten und damit vor-
leuchten, Pass. mit Fackeln erleuchtet werden. 2) feiern rec fxv-
ör^pta", oder von dadovxla „das Vortragen von Fackeln, Vor-
leuchten, Erleuchten" 1 ausserdem wird hier behauptet, dass
dadovxla von öadovxeco komme, also soll ÖEViEgoyayLiu von
ÖBVTsgoyaßSCO kommen und beide diese werden unrichtig erklärt,
jenes durch: die zweite Heirath, dies durch: zum zweiten Mal
heirathen; in Absicht der Ableitung ist nachher richtig ÖEvtEgo-
Xoyla von devzigoloyog abgeleitet, unrichtig aber wird öevteqo-
Xöyog erstens mit devrsQayavißTyg gleichgestellt und dann er-
klärt durch der zweite Schauspieler , es kann nichts anderes be-
deuten, als: einer der irgend als zweiter spricht, ob insofern
als vor ihm ein andrer spricht oder als er selbst schon gesprochen
hat, oder als er irgend zweites spricht, darüber besagt das Wort
nichts, nun kann es aber sehr wohl auf einen zweiten Schauspie-
ler angewandt sein , nur das ist darum noch lange nicht die Be-
deutung des Wortes. Unrichtig ist dann auch, dass dsvtSQoko-
yia die Rolle des zweiten Schauspielers sei, es ist vielmehr die
eigenthümliche Beschaffenheit des dsvrsgokoyog als solches.
Wiederum unrichtig wird öevte goloyka so erklärt : „Der zweite
Sprecher sein , die zweite Rolle spielen f , 2) wiederholen LXX".
Wie vorher dEVTEgayavtGvECO erklärt ist durch „ein ÖEvtEgayco-
viörrjg sein", so war hier zu sagen, dEvtsgoloyEG) bedeutet ein
öev tsgoAöyog sein. Uebrigens mag auch dies hier bemerkt sein,
dass in thes. und in andern Wörterbüchern für die hier zweite
Bedeutung von ÖEvtEgokoyEG) eine Stelle aus den Makkabäern an-
geführt wird; Ref. hat nun allerdings weder selbst Kenntniss von
der Sprache der LXX noch Hülfsmittel zum Nachschlagen, soll-
ten aber die Verf. die Stelle aus den Makkab. im Sinne gehabt
haben, so wäre doch zu beachten, dass die LXX und die Makkab.
sehr verschieden sind. Nachdem eben öeöjioövv^ durch unum-
schränkte Herrschaft erklärt ist, wird ÖEöTiöövvog, mit welchem
vorher schon ötöitööiog gleichgestellt ist , erklärt durch dem
Hausherrn gehörig, königlich, 2) Subst o dEöitöövvog der Sohn
des Herrn b) tj ÖEöJtoövvrj die Tochter vom Hause Plut.
Lyc. 28. 3, der Herr selbst." Von ÖE&TEgög wird gesagt, es sei
poet. verlängert für öf^iog, das ist so, wie wenn man sagte, alter
wäre eine sonst gleichbedeutende Verlängerung für alius; von öe-
h,tog selbst werden nun diese Bedeutungen angegeben , 1) rechts,
2) glückverkündend, 3) geschickt, gewandt; endlich am Schlüsse
des Artikels wird gesagt , es komme von der Stammform <JEK£l
und sei sonach mit öexouccl und duxvvfu verwandt. Damit hätte
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 21
der Anfang gemacht und darauf gegründet werden sollen, dass
das Wort jemand bezeichnet, wiefern ihm die in JEKSl gedachte
Handlung zukommt, diese ist die Einheit des Hinnehmens und
des Darbietens, dass das Wort aber auf solche Dinge angewandt
sei, die man deutsch rechts, glückverkündend, geschickt nennt.
Ref. achtet es weder für nöthig, das Fehlerhafte, was in
den angeführten Erklärungen liegt, weiter zu entwickeln, denn
es liegt bei unbefangener Betrachtung klar zu Tage, noch auch
mehr solche Beispiele anzuführen, denn wie in der Regel in je-
dem Lexikon, so sind sie auch in diesem überall reichlich anzu-
treffen. Aber fraglich ist wohl, woher man die von den Anwen-
dungen des Wortes zu sondernde Bedeutung desselben nehmen
soll'? Vollständig und bis in das Letzte kann das Ref. hier nicht
erörtern, aber so viel lässt sich wenigstens antworten, dass Alles
die Etymologie leisten muss, aber nimmermehr so, dass unter
Etymologie mit vielfach beliebter Verwechselung von Mittel und
Zweck Wortzersplitterung oder Wortableitung verstanden wird,
und dies letzte findet man auch in diesem Lexikon, da doch an-
fangs wenigstens einigermaassen richtiger gesagt war, srvfioko-
yitt sei „die Nachweisung des Ursprunges und der Erklärung ei-
nes Wortes in Uebereinstimmung mit der dadurch bezeichneten
Sache"; richtig ist diese Erklärung noch lange nicht, aber es
ist doch wenigstens dabei an den Begriff des Wahren gedacht und
passend Cicero's Uebersetzung durch veriloquium angegeben.
Kurz hv^oköyog ist, wer das Wahre, das Seiende spricht, und
wer das thut, dem kommt insoweit sxvfioloyia zu. Dass dem
so ist, kann nicht wohl in Zweifel genommen werden, und es
wäre der Mühe werth gewesen, genauer anzugeben, was die Al-
ten von dem Worte lehren und wie sie es gebrauchen, hier je-
doch ist nur Cic. top. 8. angeführt, ferner aber vergleiche man
von den Römern Cic. Acad. 1, 8. Quintil. inst. or. 1, 6, 28 sq. und
hauptsächlich Varr. de 1. 1. 5, 1. in. p. 12 sq. Sp., dann von den
Griechen Dion. Thr. Gramm. § 1. dazu die Schol. in Bekk. An. p.
740. und wieder hierzu die Noten p. 1163. Etym. M. p. 388. in.
817. in. Anastas. Mon. tisqI Ivv^ioloylas an dem Et. M. p. 827. in.
Sylb. Et. Gud. p. 216. in. Or. Theb. jzbql IrvßoKoyLäv p. 173.;
auch ist der Gebrauch des Wortes bei Schol. II. f, 63. zu beach-
ten. Kurz man soll also das Wahre über jedes Wort sagen, dies
mag nun allerdings häufig erkannt werden, indem man den Ur-
sprung oder die Theile des Wortes nachweist, was schon im ge-
nauesten Alterthume empfunden ist, wie man aus dem 1. B. Mo-
ses an vielen Stellen sehen kann , so auch Hesiod. theog. z. B.
144 flg. 207 flg. 270 flg. 281 flg., auch bei Homer kommt der-
gleichen vor , wenigstens hat der Schol. so verstanden II. ca, 730.,
vergl. auch t, 91.; darum aber ist noch lange nicht zu sagen, dass
Etymologie Wortableitung sei. Ein zweites eben so bedeuten-
des Mittel, das Wahre über die Worte zu sagen , besteht natür-
22 Griechische Wörterbücher.
lieh darin, dass man dieselben in ihrem Gebrauche möglichst
überall zwar, aber vornehmlich doch bei den Schriftstellern beob-
achtet, welche sich der Genauigkeit befleissigen können und
wollen. Nun ist zwar Ref. weit entfernt, die andern griechischen
Schriftsteller zu missachten oder ihre eigenthümlichen Vorzüge
zu verkennen oder ihre Vernachlässigung zu wünschen , aber au-
genfällig ist, dass in diesem Betrachte die Philosophen einen
sehr grossen Werth haben , und gerade diese Klasse von Schrift-
stellern ist wie freilich zu mehrst oder auch überall, so auch in
diesem Lexikon sehr vernachlässigt worden. Um gleich hier ei-
nige Belege dieser Behauptung zu geben, so ist unter ccqstiJ auch
nicht einmal der abgekürzte Name eines Philosophen zu lesen,
und von Theophrast's Abhandlungen über die Charaktere sind
hier nur angeführt die über ecQSöxsia, ßdtkvgia, Öv6%kQUU und
ilgojvsla (in diesem letzten Artikel findet sich keine bestimmte
Anführung eines Rhetor) ; nicht angeführt sind die Abhandlun-
gen über dÖoktöyJa (auch Plutarch ist hier nicht angeführt),
dygoixia, äxaiyi«, ärjÖicc, dnovoia, ßiö^ooxEpdi'a, dvaiöy[VVTia,
dvelsvdsQitti dlat,ovt(,a, av&ccdsia, dvai6\t)i<5La, dynöTLCc, öbiöi-
Öai^iovia (Plutarch wird hier nur mit „Plut.u erwähnt) , dtikia.
Hier trifft es sich nun gerade, dass bei weitem die mehrsten die-
ser Abhandlungen in dem A hätten erwähnt werden müssen, und
was in dem Buchstaben geschehen und nicht geschehen ist, ha-
ben die Herren J. u. S. nicht eben zu verantworten , aber bleibt
man bei dem zuletzt erwähnten Worte und den nächst zugehöri-
gen stehen, so findet man unter öuXia selbst nur dies: „Die
Furchtsamkeit, Feigheit Thuc. Ar. u. A."; unter Öukog sind aus-
ser mehreren Dichtern ganz allgemein Thuc. und Hdt. angeführt,
doch wird hier noch zur Bestimmung des Begriffes durch Anfüh-
rung entgegengesetzter Begriffe etwas gethan (dergleichen findet
sich auch anderweitig, z. B. unter öi;,ao'ötos, Öe^tör^g und öfter,
aber nicht oft genug), nämlich aus Homer wird als oppos. «Aja-
(iog angeführt und söftkog aus Hes. fr (das 110. bei Göttl. ist ge-
meint, derselbe Gegensatz findet sich in den %gv6. bti. 21. und
bei Theogn. 441., dieser wird nur ganz im Allgem. angeführt, er
gebraucht aber das Wort ötiXog oft und hat als Gegensatz auch
ayaxtög 463 flg. dpelrav 393.), des Aristot. aber, der in den
Etil. Nie. 2, 7, 3. (vergl. auch de virtut. et vit.) eine genaue Er-
klärungund einen ganz andern Gegensatz giebt, geschieht keine Er-
wähnung ; unter dukaiveo werden allerdings zwei Stellen desselben
citirt, näml. Eth. Nie. 2, 6. ( 19.) u. 5, 1 3. (oder 5,9,17.), aber man wird
sich leicht überzeugen, dass sie zur Feststellung des Begriffes
wenig und nichts mehr als jede andere Stelle leisten. Unter öl-
xaiog wird Plato allerdings einige Male genannt, auch eine Stelle
genau citirt, aber nicht um den Begriff festzustellen, sondern
um gewisse Konstructionen des Wortes zu belegen , des Aristote-
les wird gar nicht gedacht, ebenso wenig wird über den Begriff
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 23
dticcuoövvj] anderes gegeben, als: „die Gerechtigkeit, Gesetz-
mässigkeit, Rechtlichkeit in Gesinnung und That, Theogn. Plat.
Isoer. u. A. 2) die Gleichheit, Gleichförmigkeit Gal.u Um nichts
besser steht es in den Artikeln doxüv, öo|«, do|cr£(ö, iTciöxctödui,
tjiiöTijui]. Dass unter dem ersten gesagt wird , öoxh cpaiveö&at,
werde pleonastisch zusammengestellt, verbaut die wichtige Un-
terscheidung dieser zwei Begriffe, unrichtig wird da auch ge-
sagt, in der Gerichtssprache bedeute das Wort überwiesen oder
überführt erscheinen, wie bei Dem. äv ö' dkä xal Öoxjj rovgyov
tlgyccödat (unrichtig für dgytiödai), wobei es denn unnütz oder
schädlich war, sich auf Tayl. zu Dem. p. 629, 17. zu berufen,
denn der hat die Sache augenscheinlich nicht verstanden. Unter
dol~cc kommt eine Spur von näherem Eingehen auf den Begriff
vor, aber mehr wird es auch nicht, die Worte sind: „Die Vor-
stellung, Meinung, im Gegensatz des Wirklichen und Wahren,
daher bei Plato und den Akademikern sehr oft der ejti6t7](i7] oder
der aXrjfteicc (1. afafösta) entgegengesetzt." Unter slöog wird
allerdings des Gebrauches, welchen die Philosophen von dem
Worte machen, Erwähnung gethan, mit Angabe der Gegensätze
vir] und yivog, aber die Citate sind nur „Arist." und „Plat."
Vielleicht ist mancher der Ansicht, dass die genauere Angabe der
Begriffe und namentlich die Mittheilungen dessen, was darüber
Männer, wie Plato und Aristoteles, gesagt haben, von einem
Lexikographen nicht zu fordern -sei, aber Ref. würde es unpas-
send finden, darauf mehr zu sagen, als dass er anders urtheile;
sagte man aber, dass die nöthige Raumersparniss solche Erörte-
rungen verbiete , so bescheidet sich Ref. im Uebrigen gern, for-
dert aber wenigstens genaue Citate.
Nächst den Philosophen verdienten dann theils gelegentliche
Erklärungen einzelner Worte , die bei allerlei Schriftstellern ge-
funden werden, eine Berücksichtigung, wie Strab. 8, 6. t. 2. p.
187. Tauchn. über apokopirte Wörter, Demosth. Aristocr. p.630.
über dnoiväv und cmoivu (unter dem ersten findet man bei un-
sern Verf. darüber dies: „Dem.' ), theils die Angaben der R be-
tören und Grammatiker. Aber so sehr auch das Buch von Ernesti
für die Benutzung der ersteren ein gutes Hülfsmittel war, kann
man sich doch leicht überzeugen , dass in dem Betrachte hier
sehr wenig geschehen ist; man vergl. z. B. die Worte diäXvöig,
diccnoQTjGis , 8ia6vQ(i6g , svQvfitjfia', unter inaymyri ^ der Ge-
brauch der Rhetoren wohl angegeben, aber ohne genauere Nach-
weisung. Die Grammatiker aber sind, genau genommen, auch
wenigstens lange nicht genug benutzt. Die Präpositionen sind
zwar mit vielem Fleisse bearbeitet, aber dennoch wird des Theo-
dorus Gaza, der im 4. Buche v. S. 649. an manches ganz Brauch-
bare über die Worte beibringt, mit keiner Silbe gedacht. Ucber
dtd wäre Plat. Theaet. § 102. (diese Stelle ist auch im thes. an-
geführt, sonst aber giebt es da auch in der oben in Rede stehen-
24 Griechische Wörterbücher.
den Art viel zu vermissen) durchaus anzuführen gewesen: es wird
da zwischen ogäv und dxovsiv xivl und dtcc nvog unterschieden,
und weiter hätte durch Vergleich von Phaed. § 114., wo dtä mit
dem Accus, zusammengestellt wird mit dem Dativ, auch über die
Construct. des Wortes genauere Auskunft gewonnen und gegeben
werden können. Eben so wenig aber als diese platonischen Stel-
len findet man den Apollon. angeführt, welcher in Bekk. An. p. 595,
9. 612, 29. Beachtungswerthes über die Präpos. lehrt. Was über
den Sinn von diä in Kompositionen gesagt ist , genügt auch we-
nig, die Einheit mangelt und auch für diese Seite des Wortes
war Apoll. 1. 1. p. 508. ext. von Wichtigkeit. "Evexa wird hier
ohne Umstände eine Präposition genannt, während es den alten
Grammat. ein 6vvdi6^iog war, Theod. Gaz. p. 694. Bekk. An. p.
927, 3 flg. , aber so wenig wird darauf Rücksicht genommen als
auf das, was über dies Wort Apoll. jtfQi öuvdsöfx.- p. 502 — 6. u.
jcsqI £7tLQQf][i. p. 604, 23. lehrt (in der letzten Stelle wird sehr
Interessantes über das Verhältniss zwischen evexcc und evsxsv
verhandelt) ; eben so wenig auch ist zur Unterscheidung von
%vsku und diu mit dem Accus, benutzt oder angeführt, was dar-
über bei Plat. Lys. § 34 sq. und bei Aristot. Anal. post. 2, 11. p.
255 sq. Sylb. zu finden ist.
Behufs weiterer Begründung seiner bisherigen Urtheile wird
Ref. hier noch einige Artikel näher beleuchten. Unter de wird
bemerkt, dass dies Wort zur Bezeichnung des Nachsatzes diene
nach ora und dergl. nach Relativen , Participien , ebenso in Ver-
gleichungen Soph. El. 28. Ferner stehe es besonders bei den
Attikern nach längeren Zwischensätzen, um die Rede wieder auf-
zunehmen, wie das lat. igitur, unser also. Jeder weiss, dass
dergleichen schon häufig gesagt und geschrieben ist und dass man
Schülern gegenüber, so lange diese noch wenig geübt sind , die
fremde Sprache selbst zu fassen und sie vielmehr nur als eine Ko-
pie der Muttersprache, oder auch umgekehrt, diese als die Ko-
pie oder das Abbild jener zu denken vermögen, nicht selten zu
so schlechten und gänzlich unwahren Erklärungen seine Zuflucht
nehmen rnuss; dennoch sind und bleiben sie eben schlecht und
ganz unwahr und verdienten wohl aus Büchern wegzubleiben , die
einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit machen. Niemals leistet
ös etwas anderes , als dass es eine Trennung angiebt , hier frei-
lich wird vielmehr gesagt, dass es an unzähligen Stellen ,,blos
zur Verbindung" diene, das aber geschieht nie, eben so wenig,
als dass das Wort je die Bedeutung denn hat, worüber man hier
seltsam genug folgendes liest: „Hiermit (damit dass ds die Ver-
bindung angebe und durch und, nun, ferner zu übersetzen sei)
hängt die Bedeutung denn zusammen , wo man yäg erwarten
sollte, mit dem es aber nie gleichbedeutend ist; s. Herrn, z. Vig.
p. 843.a Statt der Berufung auf Herrn, hätte seine Lehre gege-
ben werden sollen. Nun mag immerhin de öfter durch und oder
Jacolritz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 25
denn übersetzt werden, oder genauer, da und oder denn ge-
braucht werden, wo die Griechen de haben, übersetzt nämlich
wird de durch die Worte ausdrücklich nicht , so folgt doch daraus
nichts weiter, als dass zwei Sätze nach deutscher Weise in ein
anderes Verhältuiss gestellt werden, als sie im Griech. haben,
namentlich dass im Deutschen zuweilen eine Specialität ausgesagt
wird, wo man im Griech. sich mit der Allgemeinheit begnügt;
dies aber ist weder etwas Neues, noch etwas Seltenes, für den
wenigstens, welcher sich von schülerhafter Engherzigkeit befreit
hat. Zusammenstellungen , wie ettxe pev djio ßco(.iov 6 Eärv-
oog elhxov de oi vTt^gerai Xen. Hell. 2, 3, 55. sind nicht erwähnt.
Unter den Verbindungen, welche de mit andern Partikeln ein-
geht, hätte über de ye mit Rücksicht auf Apollon. jrspl övrd. p.
518. in., welche Stelle in thes. doch angeführt ist, besser gespro-
chen werden können und müssen, mitgetheilt wird darüber dies:
„de ye, auch getrennt de — ye, aber wenigstens, aber doch,
Aesch. Soph." und besser als die Dichterstellen in thes. hätte als
Beleg gedient Plat. Eutlvyphr. p. 7. E.- Von dem, was die Alten
über de lehren, ist nichts mitgetheilt oder citirt. Das älteste
und ganz ausdrückliche Zeugnis« für die Uesponsion von y.ev und
öiwird wohl das des Aristot. (Rhet.3,5. zu Auf.) sein, wenigstens
spricht sich Plato im Protagoras § 83. u. 84. nicht so unmittelbar
darüber aus. Das Bedeutendste der Lehre des Apoll, über de,
worauf er sich in der zuletzt angeführten Stelle beruft, hat wahr-
scheinlich in dem Buche jiiqX övvd. in der Lücke gestanden,
welche jetzt p. 481, 1. hinter ygä[X[ia ist. Sonst verdiente noch
Beachtung ebend. p. 506, 19 flg. Dann Dionys. Thr. § 25. mit
den Scholiasten p. 956 — 958. Theod. Gaza p. 665. Zu beach-
ten war auch, dass das Wort enklitisch sein konnte. Dies scheint
zwar mit der Natur desselben ganz und gar im Widerspruche zu
stehen, jedoch ist zunächst nicht zu übersehen, dass de nie im
Anfange stehen kann , dann aber lehrt ein Grammatiker b. Bekk.
An. p. 1156. ganz ausdrücklich, dass de der Enklise fähig sei,
und Apollonius selbst ist auch dieser Meinung (ob auch derSchol.
des Dion. Thr. p. 834, 14. vergl. mit p. 830, 22. der Ansicht ist,
lässt sich wohl nicht mit Sicherheit entscheiden), denn er lehrt,
Tiegl ejziQQ. p. 616. flg. über ähccde, o'ixade, ayQude nebst ol-
xovde, ovlv^inövde, diese seien zusammengesetzt aus dem Accu-
sativ und dem övvdeö (io g de und bedeuten xijv elg xonov
6xeöt,v, an diese schliesse sich auch tode an; verschieden aber
von dieser Klasse seien Worte wie xoöogde roiögde nebst ev&äde,
sie bezeichnen nichts weiter als die zugehörigen einfachen, na-
mentlich geben sie nicht ein örtliches Verhältnis« durch das ds
an, da besonders evftevde ganz ungeschickt sei, xiqv elg xöitov
(j%e6iv anzugeben. Die Endung £s in apa£e u. ähnl. ist er geneigt
für einerlei zu halten mit de , da auch sonst £ und d vertauscht
26 Griechische Wörterbücher.
werden; das vor dieser Endung vorangehende ä ist nach dems.
p. 608. in. kurz, ausser in %u(iü£s (in dem vorliegenden Buche ist
in sqcc& , von welchem Apoll, ausdrücklich sagt, dass es ein kur-
zes d habe, die Quantität dieses ä gar nicht angegeben). Hier-
mit ist zusammenzustellen Et. M. p. 806. s. v. %aput,B. 341. s. v.
ev&äöe (wo der gar nicht verwerfliche Gedanke geäussert wird,
sv&a sei entstanden sx ^isvad'sösas zov sv&sv , worüber weiter
zu vergleichen Apoll, negl skiqq. p. 563, 30. 604, 16. 606, 22.
607, 17 ; unsre Verf. erwähnen hiervon nichts weder unter sv&a,
noch unter sv&sv) und p. 716. s. v. xo wird gesagt, dass in röd'
ixccva bei Hom. (II. £ 309. a 172.) dies ös gleichbedeutend sei
mit sig. Andere Stellen des Et. M. und Gud. sind minder wich-
tig. Stellt man nun das Obige mit Sorgfalt zusammen, so wird
es kein besonderes Wagniss mehr sein zu behaupten 1) in allen
jenen Fällen handelt es sich um ein und dasselbe de, 2) dies Ös
bedeutet immer und überall eine Trennung oder Sonderung, und
dass in oixövös das Haus als Ziel einer Bewegung gedacht wird,
ist nicht durch die Sylbe ös veranlasst, eben so wenig als dieselbe
Sylbe in zo6o£Ös dergleichen zu bewirken vermag, sondern durch
den Accus. Unsre Verf. geben nun ganz wie thes. weder solche
Untersuchung noch entweder die Ergebnisse derselben oder den
Stoff" dafür, sondern führen ös als eine enklit. Part, besonders
auf, welche 1) die Richtung oder Bewegung wohin ausdrückt,
„ also eine nachgestellte praepos. ist " (es ist nicht schön derglei-
chen Dinge zu schreiben und der unerfahrenen Jugend als Wahr-
heit und Weisheit zu geben); 2) an pron. dem., odf, rotösös
u. s. w. vorkommt und diese dadurch verstärkt.
Die Verf. würden sich vielleicht damit entschuldigen, dass sie
sagten : solche Untersuchungen als die eben angedeutete bewe-
gen sich immer mehr oder weniger auf dem Felde der Vermu-
thung und darum müssen sie vom Lexikon ausgeschlossen bleiben.
Ref. hätte dies zu entgegnen: ob das, was die Lexika zu geben
pflegen, einam bessern Felde angehört, bleibe vorläufig unerör-
tert, übrigens mögen die fraglichen Untersuchungen immer noch
wegbleiben, der Stoff dazu aber ist durchaus von einem guten
Lexikon zu erwarten. Es wäre nicht uninteressant zu ermitteln,
wie sich nun de zu tat. de verhält, dann inwieweit aber (von ab)
den Gedanken von Ös enthält, endlich was sich theils gegensätz-
lich aus dem Vorigen, theils auf anderen Wegen über [tev ergiebt,
doch das würde nun wohl für jetzt zu weit führen.
Aehnliche Ausstellungen als an dem Artikel ös sind an dem
Artikel ösl zu machen. In den ausführlichen Untersuchungen des
Apollon. über ösl und XQf] de adv. p. 538 — 543. und zum zwei-
ten Male de Synt. 3, 15. und 16. kommen so bedeutende Sachen
vor, dass sie wenigstens augezeigt zu werden verdient hätten,
aber das ist nicht geschehen und von Plat. Protag. § IL, wo eine
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 27
gute Gelegenheit gegeben wird den Sinn des Wortes genauer ken-
nen zu lernen, ist auch keine Rede. Es heisst dort etwa so: ti
iTaXQiJlilV GS SÖSl — Ttokkä CCV 7lSQl£6Xtll>G) tXt E71LXQS71XSOV
iYts ov , und bald darauf ist mit dem uxs sjilxqsjixbov äusserlich
gleichgestellt ute %qyj litixQtTiEiv — elxs firj. Aus dem Zu-
sammenhange der Stelle ergieht sich sogleich , dass in dem e%l-
xqetixeov und in xqt} ejilxq. ein mehr zwingendes gesagt ist als in
Ötl S7ILXQ., und in Rücksicht des ettixqeuceov wird wohl ausser
Zweifel sein, dass es den unmittelbar in der Sache selbst liegen-
den Zwang angiebt und, soweit das bei verschiedenen Sprachen
überhaupt möglich ist, mit ist zu thun, oder muss gethan trer-
den etwa übereinkommt; dem gegenüber stellt sich Öel vielmehr
als ein von einem Andern ausgehender und soweit äusserlicher
Zwang dar. Wollte man aber sagen, dass weil %gij etvixq. nachher
die Stelle von etuxqetcxsov einnimmt, beide Ausdrücke als gleich
zu setzen seien , zumal weil auch im Krito p. 47. B. ähnliches vor-
kommt, so wäre das eben so unrichtig, als wenn man aus Krito
p. 46. E seq. schliessen wollte, dass öel und iQiq die im Protag.
so sehr getrennt sind, gleich seien. Ueberhaupt wäre es sehr
verkehrt, wenn man Piatos häufiges Wechseln mit gewissen Wor-
ten für äusserlich dieselbe Sache so missbrauchen wollte , dass
man daraus auf Einerleiheit der Bedeutung jener Worte schlösse;
von Piatos Standpunkte aus ist vielmehr zu sagen, dass dieser
Wechsel denselben Gedanken in verschiedenen Formen zeigen
soll ; und wenn nun die Athener von ihren Gerichtssachen eben
sowohl sagen o, xi öel nafttiv rj cuioxlöeti Xen. Mera. 2, 9, 5. als
o, Tt %Qiq Tta&tiv ij anoxiöcu Demosth. Mid. p. 523., so liegt darin
nur eineAufforderung mehr, den Unterschied der Gedanken zum
Bewusstsein zu bringen, und dieser ist gar nicht verächtlich, denn
mag nun in %Qt] das Bedürfen oder das Schulden oder das Nutzen
haben die Hauptsache sein, so wird es wohl jeden Falles einen
in dem Subjekte gelegenen Zwang enthalten. Ueber die Kon-
struktionen von du ist hier theils übersichtlicher theils vollstän-
diger gehandelt als bei Pass. und , trotz allen Beispielen , als in
thes. Die Verbindung aber des Inf. und Dat. mit diesem Worte,
welche Pass auf Xen. und Plut. beschränkt und welche in thes.,
wenn nicht Ref. der geringen Ordnung wegen etwas übersehen
hat , gar nicht erwähnt wird , wofür aber hier ausser einem Xeno-
phonteischen auch ein Euripideisches Beispiel freilich ohne ge-
naue Angabe angeführt ist, kommtauch bei Demosth. p. 10. ext.
vor, die .Worte sind 'Okvvüiovq kxTtokepQÖöcu öel Oikimta-
Sollte aber du einen besondern Artikel haben , so wäre es wohl
angebracht gewesen, darin über die Konstruktion des Partici-
piums und über die Form öblv in solchen Fällen wie oUyov dsiv
idüxQVGa zu sprechen , jetzt ist das in besonderen Artikeln ge-
schehen.
In öelö co ist nicht angeführt, dass dies Wort sammt seinen
28 Griechische Wörter buche r.
Ableitungen irgend die Spur eines Digamma aufweiset, was seit
lange ohne Widerspruch, so viel dem Ref. bekannt geworden,
angenommen und darum wichtig ist, damit einstweilen wenigstens
dsida und dla , bei dem solche Erscheinungen wohl noch nicht
wahrgenommen sein mögen , wie nahe sie sich auch zu stehen
scheinen , auseinander gehalten werden. Ob nun öeiöco irgend
mit ovo zu thun hat, dla aber mit öicc, oder ob auch diu selbst
schon zu dvo gehört, wie Pott meint, darüber kann wenigstens
Ref. nichts entscheiden. In dudeo wird nach thes. auf den Grund
von Thuc. 4, 117. Plut. Nie. 22. 24. behauptet, der Unterschied,
welchen die Grammatiker für deog und cpößog angeben , gelte für
dieVerba nicht. Weiter erfährt man darüber nichts. Unter deog wird
dieser Unterschied mit den Worten des Araraon. angegeben und
bemerkt, er finde sich häufig nicht bestätigt, zugleich wird verwie-
sen auf Stallb. Plat. Prot. p. 154. und Schaef. ad Dem. p. 579, 6.
(beide sprechen sowohl von den Verben als von den Substanti-
ven). Ref. muss hier zunächst tadeln, dass nur nicht gesagt- ist,
in welchem Verhältnisse die Worte stehen, denn so lange nur der
Unterschied welchen Amnion aufstellt geläugnet wird , ist noch
weder die Einerleiheit noch ein andrer Unterschied behauptet.
Bei Stallbaum steht die Sache eben so, Schäfer aber sagt, Öedoixcc
und q)oßov{ica seien Synonymen, damit ist aber nichts gesagt,
wenigstens nichts von Werth , denn ist gemeint, dass de doixa und
<poß. Begriffe aussagen, die einander nahe liegen, so ist das eine
Lehre, die für jeden ordentlichen Tertianer zu spät kommt, was
aber sonst damit gemeint sein kann sieht man nicht, überhaupt
aber wird hier wie oft das Wort synonym wohl sehr gemissbraucht
sein. Indessen mag kein Zweifel sein, dass Stallb. , Schäfer und
unsre Verf., welche auch (in dexsö&ui) sagen , bei Demosth. p.
384. seien Xafitiv und öz%t;G&ui ohne weiteren Unterschied ver-
bunden, und in etSQog lehren dass dies in gewissen Fällen — ~ «A/log
sei, eigentlich der Meinung seien, beide Begriffe seien wenig-
stens zuweilen gar nicht verschieden, wofür mit grösserem Scheine
der Wahrheit als alle die angegebenen Stellen Aristot. Rhet.
2,5. hätte angeführt werden können, wo z. B. zu lesen ist:
llttl ÖE TIBqI CpÖßoV (pUVZQOV TL BÖtC, XCU JTEpt TCOV (jpoßf OGJ1',
xal dg sxaötoc 8xovz£S öf.diaöi x. x. A. Dem Aristot. kommt
es recht auf Schärfe der Begriffe an, aber auch so scheint
er das Eine für das Andere zu geben. Bei alle dem ist es
eben so ungereimt, die Einerleiheit • zweier solcher Begriffe
anzunehmen, als wenn man zwei beliebige Quadrate wegen
der Übereinstimmung ihrer Form oder ein Quadrat und ein
Dreieck welche gleichen räumlichen Inhalt hätten für gleich aus-
geben wollte. Bei Homer gehen beide Begriffe so weit auseinan-
der, dass an eine Verwechselung gar nicht zu denken ist, will man
dies nicht den Schol. zur II. ß, 767. £, 223.fr, 107. und dem Suid.
s. v. cpößog glauben, so wird man es doch dem Aristarch in dem
JacoLitz und Seiler: Handwörterbuch der griccli. Sprache. 29
Lexik, des Apollon. s. v. tpoßog und namentlich dem Plato im
Lach. § 18. p. 191. nicht abstreiten können, welcher q>sߣ6&ca
(dies ist doch wohl im Wesentlichen Einerlei mit beben) und opö-
ßog , das sich zu jenem wie koyog zu Asysiv, növog zu nivBöd'cti
verhält, von der Flucht versteht, auch ist nicht zu übersehen,
dass wo bei Hom. Aü\iog und $6ßog erwähnt werden das eben
in dieser Ordnung geschieht, so auch bei Hes. dön. 195. aber um-
gekehrt ib. 463. Gelegentlich sei noch bemerkt, dass Plato in der
IL •&, 108. nicht {irjöTtüos sondern ^iijötcogcc gelesen hat, denn auf
II. f, 272. sind seine Worte doch wohl nicht anzuwenden, übri-
gers ist nach dem Schol. zu schliessen auch hier eine ähnliche
Variante gewesen, nämlich ^ötcoqi. Mit dem Unterschiede
welcher sich bei Homer zwischen Ösog und opo'ßog findet, wäre
die Unterscheidung des Amnionitis ganz gut in Einklang zu brin-
gen; wie Prodikus beide unterschieden hat ist leider aus Plat.
Protag. § 119. p. 358. D nicht zu ersehen, Plato aber erklärt im
Lach. § 29. p. 198. ösog als ngogöoKia iiskKovrog kccxov. Nun
wird zwar de legg. 1, 13. p. 644. nachdem iXnig erklärt ist ge-
sagt , tpoßog sei iXnig ngo XvTtqg und als Gegensatz ganz ähn-
lich der Stelle im Lach. Qccggog genannt und erklärt, aber auch
so ist Ref. weit entfernt zu glauben, dass Plato keinen Unterschied
zwischen ösog und (poßog gedacht habe, ohne darum seine Zu-
flucht zu der Bemerkung zu nehmen, dass gerade die Bücher von
den Gesetzen in mancher Rücksicht den andern Platonischen
Schriften nachstehen.
Die Erklärungen von 5e wog werden mit der Bemerkung eröff-
net, das Wort bedeute „ Alles was das gew öhnliche Maass über-
schreitet," in welcher Rücksicht es gerade dies bedeuten soll ist
nicht angegeben , so sollte man meinen eben in Rücksicht des
Maassüberschreitens , doch dem ist gar nicht so , und während
jene Bemerkung vielleicht die Erklärungen hätte beschliessen
dürfen, durfte sie dieselben schlechterdings nicht anfangen ; in
thes. findet man gar zwei Artikel de ivög, von denen der eine mit
den Erklärungen terribilis, horribilis, formidabilis , der andere
mit der Erklärung acri ingenio praeditus eröffnet wird. Eben so
wahr als einfach sagt Plato im Lach. § 29 7/yov^iiQa ö' faltig öct-
va — tiveu a v.a\ ösog jr«pi%£t, und von da aus ist das Wort in
allen Anwendungen zu verstehen. In dieser Rücksicht sind bei
unsern Verf.n richtiger die Worte dsivöa , deivaöig , dsivozrjg
erklärt , doch damit dass das letzte dieser Worte übersetzt wird
durch „das Furchtbare, Erschreckliche, Ungeheure11, kann Ref.
wieder nicht einverstanden sein , öuvöv ist so zu übersetzen,
aber nicht dtivörrjg.
Damit hat denn nun Ref. von allen Schwächen, die er wie in
der Regel an allen Wörterbüchern so auch an diesem entdeckt
hat, wenigstens eine Probe gegeben und sie sind ihm gerade an
diesem Buche desto verdriesslicher gewesen, weil die Verf. so
30 Griechische Wörterbücher.
viele Beweise des besten Willens und des redlichsten Fleisses ge-
ben. Desshalb kann er nun auch nicht unterlassen hier noch be-
stimmte Vorschläge zu machen, durch deren Befolgung, wie er
glaubt, jene Fehler theils in der Folge vermieden theils wieder
gut gemacht werden , überhaupt aber das Buch diejenige Stelle
einnehmen kann , die ihm die Verf. endlich zugedacht zu haben
scheinen; Ref. glaubt nämlich, dasssie für die jetzige Zeit das
leisten wollen was einst für seine Zeit Schneider durch sein Buch
zu leisten gedachte. Die Vorschläge sind nun folgende:
1) Ueberhaupt jedes griechische Wort müsste aufgenommen
werden, wenn man sie nur irgendwo schon beisammen hätte, weil
das aber nicht der Fall ist, so werde wenigstens jedes Wort des
thes. aufgenommen , auch in dem Falle, dass es noch nicht aus
einem Griechen nachgewiesen, sondern etwa nur durch ältere
Tradition der neueren Wörterbücher eine Art von Berechtigung
erlangt hätte, solche Worte aber werden nach wie vor sammt den
noch nicht erwiesenen Anwendungen durch das schon gebrauchte
Zeichen kenntlich gemacht. Wo die neue Ausgabe des thes. v.
H. St. nicht benutzt werden kann , da werde wenigstens die vor-
letzte benutzt. Die Verf. würden sich dadurch gewiss von vielen
Männern denen es wie dem Ref. nicht möglich ist den thes. anzu-
schaffen , den grössten Dank erwerben. Die Besorgniss dass bei
diesem Verfahren eine grosse Ungleichmässigkeit in das Buch
kommen würde, achtet Ref. gegen den Vortheil desselben sehr
gering, zumal schon jetzt Ungleichmässigkeit genug in dem Buche
ist , nämlich durch die erwähnte Inconscquenz der Aufnahme der
Worte und dadurch dass das A überhaupt nach andern Regeln ge-
arbeitet ist; aber auch darin ist eine Ungleichmässigkeit, dass in
den späteren Bogen des vorliegenden Theiles viel häufiger die
Stellen der Schriftsteller genau citirt sind als in den früheren,
wenigstens scheint es dem Ref. so. Die bis jetzt bereits über-
gangenen Worte wären in einem besondern Nachtrage zu liefern.
2) Jedes Wort werde wie bisher irgend aus einem Griechen
ausdrücklich belegt wo das möglich ist , aber alle die kahlen Xen.
Plat. Plut. Soph., und wie sie weiter heissen, werden möglichst
verbannt. Ref. würde es für viel zweckmässiger halten nur ge-
nau anzugeben , wo das fragliche Wort in der und der Anwen-
dung vorkommt, als die Worte des Schriftstellers abdrucken zu
lassen und zu verschweigen in welchem Buch, Kap. u. s. w. sie
stehen.
3) Stellen in denen sich Griechen über das Verständniss von
Worten und Wortverbindungen ausdrücklich ausgesprochen haben,
oder in welchen sie wenigstens über etwas der Art besonders deut-
lich werden , müssten ganz vornehmlich und sorgfältig angeführt
werden ; also Philosophen, Rhetoren und Grammatiker verdienen
die grösste Rücksicht, während jetzt, um Bestimmtes anzuführen,
von allen Artikeln, welche Ammonius unter d behandelt und
Jacohitz und Seiler: Handwörterbuch der griech. Sprache. 31
welche eben diesem Buchstaben angehören, Ref. nur die erwähnte
Erklärung von Öiog angeführt gefunden hat.
4) Damit die oben erwähnten schwankenden Erklärungen und
Begriffsbestimmungen sammt den unrichtigen Gleichstellungen
möglichst unschädlich gemacht und für die Folge viele weitläuf-
ige Erörterungen erspart werden, wäre sehr wünschenswert!!,
dass in besonderen Anhängen erstens die griechischen Wort-
stämme und dann zweitens die Ableitungssylben ordentlich ver-
zeichnet und nach ihren Bedeutungen , nicht den Anwendungen,
möglichst genau erklärt würden.
5) Wegen der Inconsequenz in den Angaben der Quantität
der Sylben sollte in einem Anhange eine Uebersicht der proso-
dischen Regeln gegeben werden, wodurch in unzähligen Fällen
die Bezeichnung der Sylben überflüssig werden würde.
6) Auch über den schon versprochenen Anhang der Nom.
propr. muss Ref. noch ein Wort zusetzen. Natürlich wäre das
Beste, wenn alle in griech. Schriftstellern vorkommenden sogen.
Nom. pr. aufgenommen werden könnten , doch das ist so gut als
unmöglich, und unter den Umständen ist Ref. der Meinung, dass
es ganz zweckmässig wäre, vorläufig nur acht griechische Namen
zuzulassen. Dabei wäre es überflüssig zu sagen, welcher Mann
oder welche Frau oder Stadt oder Fluss diesen Namen gehabt
hat, es genügte anzudeuten dass dies ein Mannes- jenes ein Frauen-
dasein Landes- jenes ein Fluss-Name wäre, wenn nämlich bei
jedem Namen eine schickliche Stelle genau citirt wäre. Uebrigens
wird in diesem Betrachte die bisherige Aufnahme einiger und
doch nicht aller von N. pr. abgeleiteter mehr appellativer Worte
eine besondere Vorsicht nöthig machen.
Endlich hatte der Ref. die Absicht, um doch Etwas wenig-
stens zur Fortsetzung des ihm lieb gewordenen Buches beizu-
steuern, aus einem grösseren aristotelischen Werke ein Verzeich-
niss der Worte zu liefern, welche in demselben entweder aus-
drücklich erklärt werden, oder in ihrem Zusammenhange beson-
ders deutlich sind, oder endlich deren bestimmte Nachweisung
nach seinem Dafürhalten schwieriger sein könnte; indessen hat
die gegenwärtige Anzeige bereits wohl einen zu grossen Umfang
erlangt, und so genüge als eine Probe die Aufzeichnung von Wör-
tern der angegebenen Art aus dem ersten Buche der tonixä, die
Zahlen bezeichnen die Seiten und Zeilen der Ausg. v. Svlb. Nur
dem K und den folgenden Buchstaben angehörige Wörter sind
aufgenommen weil die übrigen wohl alle zu spät kommen
möchten.
Ksifitvog 270, 17. jcatf]yoQiat 278, 7. xaXug dessen Gegen-
sätze 284, 6. xarriyoQÜö&ui negi uvog, xara tivog 286, 18. 20.
AafxßdvBiv 271, 16. UvKog 284, 10. 26. 286, 6. Xoinög im Ge-
gensatze v. ddrtQOQ 285, 12. MkXctg 284, 10. 27. (loräg 290,
4. NTjvs^iia 288, 14. "Ogog 273, 7. 23. oqIöccöZccl 273, 25.
32 Griechische Wörterbücher.
oQixov 274, 3. 276, 5. oöpätäui 282, 18. dgvg dessen Begriff
286, 8. Gegensätze 283, 27. 6{ioivvKuog 284, 7. und öfter auf
den folg. Seiten cf. xccTtjy. zu Anf. ovcg 286, 12. 6^oi6r>;s u.
opoiog 288, 9. 18. IIsQi,yQdq)£iv vjfiixvxXia 271, 19. jrpdßA^-
jio: 273, 2. 14. 280, 27. öiaksxtLxöv 280, 1. ijdixo'v, cpvGixov,
Xoyixov 283, 1. jtpo'tao'tg 273, 1. 14. dialexzixij 279, 2. q&ixij,
yvöixr], Xoyixr] 283, 1. überhaupt die Begriffe ngößkrj^ia und
ngöraöig p. 273 — 83. xQotetvtiv 278, 28. 279, 8. 14. 282, 11.
ÄpoßaAAav 279, 1. %täQig 285, 17 cf. 303, 16. u, jrspi, ig^irjv.
c. 2 u. 3. nA,eovcc%äg 285. no6ct%äg 283, 18. jroAAa^cög 288,
2. ÄorpaAoj/iöO'jj'vort u. naQuXoyiöa6%ai 288, 25, 26. tcqoSio-
Liokoystö&ca 289, 22. 2;taAoy<G>og 270, 16. 21. 27. övfißcd-
vuv 270, 18. övußeßrjxog 275, 5. övyxQiöig 275, 15. 6ota-
gjo'g 284, 27. natu ötsQtjöiv 285, 11. cf. xaxr\y. p. 48, 20 wo
auch über vadog u. tvcpkög- örjuavzixcög 285, 24. övvcövv^iov
287, 3. 13. cf. xaxr\y. zu Anf. övußkrjxov xaxd rö (iähkov 287,
10. öny^ 290, 4. Tautov 276, 16. Täöh üvai 275, 28.
276,21.22. tüytavo's, — äg 285, 20. <£caroju£vos "• q>cdve-
6%ai 270, 28. 271, 8. xara- (pikoöotplav ira Gegensatze von <5ia-
Xtxxixäg 283, 9. «piAav 284, 23. qpcao'g 284, 27. cpvlaxxi-
xög 285, 24. XgcSficc 287, 22.
3) Das dritte der obigen Wörterbücher enthält weder eine
Vorrede noch sonst eine ausdrückliche Angabe des Planes oder
Zweckes, welchen der Verf. vor Augen hatte. Bedenkt man aber
dass hier in einem massigen Oktavbande ein Wörterbuch der ge-
sammten griechischen Sprache geboten wird , so findet man leicht,
dass weder die möglichst grösste Vollständigkeit entweder in Auf-
nahme oder Erklärung der Worte, noch Mittheilung von For-
schungen oder auch nur Belägen beabsichtigt sein konnte, dass
mithin das Buch nicht für gelehrte Studien, auch nicht für solche
bestimmt ist, welche die Sprache erst lernen wollen, sondern dass
es zu Nutz und Frommen derer geschrieben ist, welche eben so
viel von der Sprache verstehen und verstehen wollen, dass sie
etwa einen Schriftsteller lesen können wenn sie die einzelnen
Worte zu verdeutschen wissen, oder solche, welche um besonde-
rer Umstände willen gelehrtere Untersuchungen gerade nicht an-
stellen können oder mögen und sich doch hie und da einer Ver-
deutschung bedürftig erachten beim Lesen eines Schriftstellers.
Ein solches Buch braucht auf die ganz entlegenen Schriften und
Worte keine Rücksicht zu nehmen, muss aber die bei den gang-
baren Schriftstellern vorkommenden Worte, mit Ausnahme sol-
cher Zusammensetzungen, die aus ihren leicht erkennbaren Thei-
len hinlänglich verständlich sind, mit geschickter Auswahl der
treffendsten Erklärungen geben. Dass das vorliegende Buch dies
im Allgemeinen leistet, ist nicht zu verkennen, dass aber bei ge-
nauerer Prüfung sich Manches als minder genügend zeigt, kann
nicht wohl befremden ; doch davon soll nachher die Rede sein.
Ramshorn : Griechisch-deutsches Handwörterbuch. 33
Die einzelnen Seiten des Buches halten je drei Spalten.
Nicht mit jedem neuen Artikel wird abgesetzt, sondern ihrer viele,
die etwa gleichen Anfang haben , werden in einen Absatz zusam-
mengefasst, besonders wenn sie einem Stamme angehören, die
gleichen Anfangsbuchstaben sind dann nur bei dem ersten Worte
des Absatzes vollständig gegeben und werden bei den folgenden
durch einen Strich vertreten. Aehnliches ist in der ersten Auf-
lage des Schneiderschen Lexikons und in dem kleinen griechisch-
deutschen Handwörterbuche von Schmidt, Leipz. bei Karl Tauch-
nitz, 1829. 12., zu sehen. Um die stammverwandten Wörter mög-
lichst nicht zu trennen, hat der Verf. die rein alphabetische Ordnung
mitunter verlassen, der kundigere Leser aber kann dadurch, so
lange Consequenz waltet, nicht irre geleitet werden, wenn auch
z. B. xogtöxn, xoglöxiov nur unter xögy] zu finden sind. Die
sogenannten aneipites sind häufig, aber nicht mit durchgreifender
Consequenz , mit den üblichen Zeichen der Länge oder Kürze
versehen, so findet man : ev&dlccfiog, — %äka66og , — fräAsm,
— ftaXico, — fraAifs, —Q'cckTiijg, — ftccvccöla, — d-avaveco, — %a-
varog, — &<xq6sicc, — ftagöäco , — detgörfg. Uebrigens bilden
diese zusammen einen Absatz.
Als Probe der äusseren Vollständigkeit diene die Angabe,
dass zwischen xondgiov und xo66i£o(icu folgende von den Worten
nicht vorkommen , welche Passow hat: xongemog. xong&vg. xo-
gccxevofiai. xogüxxa. xvgccvva. xogdvßaklcodtg. xogta ion.
fut. xogt] Sättigung, xog&vlog. xogivhöfti. xogiöxa. xogvömog.
xogötlov. xögöeov. xogöiov --xoggij, xogörj. xogvttlkog. xo-
gvcpog. xoga. xogavsxdßrj. Kogcovog. xöönq&sv. xoö^Ofiavijg.
xoGyboQavöulov. xo6[iä. xnööaßog. Dagegen sind in dem vor-
liegenden Buche folgende Worte, welche bei Passow fehlen: Kö-
givva. Kogävr) Stadt in Messenien. Kogavalog Einwohner von
Kogcovtia in Böotien. Man sieht also dass die Nom. propr. nicht
schlechthin ausgeschlossen sind. Wie wichtig oder unwichtig die
Worte sind, welche demnach entweder Hr. R. oder Pass. nicht aufge-
nommen hat, mag hier ununtersucht bleiben ; aber das zuletzt aufge-
führte nomen gentile ist nicht frei von Anstoss. Bei Thuc. kommt
allerdings Kogavcdoi von den Einwohnern der böot. Stadt vor
(z. B. 4, 93.), dagegen hat Pausan. diese Form von den Einwohn,
der messen. St. Kogcövrj (4,34,5.) u. Strab. 1,2. p. 265. Tauchn.
sagt die Einwohner der böotischen Stadt Messen Kogavstoi, die
der messen. Kogavslg ; leider kann Ref. die Varianten der ange-
führten Stellen nicht vergleichen. Statt xogivviovgyrjg was bei
Schneid, u. Pass. gefunden wird und sich auf Athen, p. 199. E.
205. C. stützt, in beiden Stellen steht xogiv&iovgyüg, findet sich
bei unserm Verf. xogiv&tovgyög, welche Form dem Ref. ganz un-
bekannt ist. Die drei Artikel xogda bei Passow sind in einen zu-
sammengezogen durch die Bedeutungen: das Kehren , Rein-
machen, die Sättigung, die Jungfrauschaft; ähnlich Passows
iV. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. Bibl. lid. XXVIII. Hft. i. "3
34 Griechische Wörterbücher.
zwei Artikel xogiov. In solchem Buche mag man das nicht ver-
werfen , aber dazu passt nicht eben dass Passows drei Artikel
Hugog hier in zweien behandelt sind , der erste mit den Erklä-
rungen: Sättigung, Ueberßuss, Ekel, Uebermuth , der zweite
mit diesen Erklärungen: Sprössling , Knabe, Besen, Maas von
41 Medimnen. Die Worte xopi>,v/i^frpa, xogv^ißrjkög , xogvu.-
ßiccg sind untereinander gleicbgesetzt und durch „ Epheu mit
Fruchtbüscheln u erklärt, dies ist freilich nach Passows Vorgange
geschehen, aber dennoch ganz zu verwerfen; so ist auch die Er-
klärung von xoQV[iß>j(püQog .,Fruchtbüschel tragend'* sehr dürf-
tig , nicht darum weil Passow auch Traubenbüschel und Blüthen-
i rauben tragend hat , sondern weil das überhaupt schiefe Erklä-
rungen sind. Indessen in dieser und älinlicher Art unrichtige Er-
klärungen wie tv^Xia. glückliche Nacheiferung ; tvrjutgea) an
einem Tage glücklich sein, siegen, Beifall verdienen, in Gunst
stehen; glücklich sein; tvrjvs{uu guter ff ind ; svözonccjfta gu-
ter Magen; Tauglichkeit für den Magen; jtavxoA.iula Muth
alles zu unternehmen; 7iatgaya%ia Grossthaten der l 01 fahren,
findet man sehr häufig und unbedenklich sind sie in einem Buche
wie das vorliegende eher zu ertragen als in den grösseren; ja Ref.
glaubt, wenn er in den grösseren Büchern in solchen Fällen gute
Erklärungen zu finden gewohnt wäre, so würde er an diesem die
schiefen nicht tadeln, und jetzt mag seine Missbilligung am mehr-
sten aus dem Verdrusse darüber entspringen , dass in den zahl-
reichen Fällen äbnlicher Art, wie es scheint, nur wenn der Zu-
fall es so mit sich bringt, Besseres getroffen wird. Die Form
jtdrs, xoü, xa , xeog kommen so zusammen unmittelbar hinter
xoöog vor mit der Erklärung: aeol. und ion. für 71060g nöte
etc. Weiterhin haben die übrigen alle keinen besondern Artikel be-
kommen, aber das dritte wird noch besonders aufgeführt und dann
richtiger xp geschrieben, die Erklärung dabei ist: „ion. für jta."
Unter xögöiov findet man dies: „koqOlov auch xogöeov und
— öcöoi', to' , d. Wurzel der Wasserpflanze Lotos. " Dies ist
auf guten Glauben aus Schneider aufgenommen , der sammt Pas-
sow noch xogöiniov als gleichbedeutend aufführt. Schneider
führt als Gewährsmann für xögöiov wie schon früher geschehen
den Theophr. an, diesen kann Ref. nicht vergleichen , aber nach
dem Lex. VII vir. zu schliessen ist dort gesagt, dass so die Wurzel
des Lotos genannt sei. Kogöiov steht bei Diod. 1, 10., und beide
diese Formen bringen einander so nahe, dass man schon glauben
mag, sie seien im Wesentlichen einerlei, jedoch nachweisen wird
sich dies wenigstens aus Diod. wohl nicht lassen; mit der Form
xogötlov aber steht es sehr schlimm. Schneider beruft sich da-
für auf Hesych., bei dem steht aber nicht xogöuov, sondern xsg-
öaiov. Freilich hat dies nach den Noten die Ausg. von Alb. Wes-
seling zu Diod. in xogöcclov , Salmasius aber in xogöüov ändern
wollen, gehört denn aber darum solche Form auch schon in ein
Ramehorn: Griechisch-deutsches Handwörterbuch. 35
Lexikon? Passow hat sie klüglich ausgelassen. Doch zu rechter
Beurtheilung der Sache sehe man die. Worte des Hesych. selbst
an, sie lauten so: KogöCrctov, gi^a ng, rj vö^iLö^a nag'
Alyvmioig to xsgöaiov ktyöpevor. Gesetzt nun die obigen Aen-
derungen wären unerläßlich , was sie nicht sind, was sagte dann
Hes. über das fragliche Wort aus*? etwa dass es überhaupt gleich-
bedeutend sei mit xogöijtiov ? nach des Ref. Dafürhalten auch im
mindesten nicht, sondern dass unter xogölntov eine Wurzel oder
eine Münze verstanden werde und zwar die Münze, welche stfp-
Gaiov genannt wird. Nach dieser einfachen Weise ist Hes. auch
verstanden in dem Lex. VII vir. und von Matth. Host, in der histor.
rei numm. vet. in der Rechenbergschen Samml. S. 243, und bei
Alberti wird mit Recht auf den Artikel xigon und unter diesem
auf xtdgavrrjg verwiesen, wo freilich nicht allzuviel Klarheit wal-
tet, nach der ed. Hagen, sind die Worte: xsdgccvrig (sie) to
%äv i] liiTTa ovo tö %sgaaia. Ref ist der Meinung, dass hier
von derselben Münze in dem verdorbenen ^tgOain die Rede ist
und dass in rä eine Ziffer steckt; doch das sind Vermuthungen.
Wollte man aber wirklich gewaltsamer Weise xogöimov in sofern
darunter eine Wurzel verstanden wird mit xsgömov gleichsetzen,
so folgt auch so noch nicht, dass von Lotos die Rede ist, wenig-
stens sagt Hesych. davon nichts und xogöirtiov mit xogöiov ohne
Weiteres als gleichbedeutend zu setzen ist gar kein Grund vor-
handen ; freilich Bod. a Stapel zu Theophr. hat bei Hesych. xop-
6i7tiov in xugöiov oder xogönov ändern wollen. Unsern Verf.
hätte das jeden Falles bedenklich machen sollen, dass Passow die
Urform xogöilov nicht aufführt.
Als Probe der Erklärung eines vieldeutigen Wortes stehe
hier folgender Artikel: „Af^oj, f. Ut-a, sammeln, legen; zu
Bette bringen. Med. sich legen, liegen; bes. Med. auflesen; zu-
sammen-, herzählen, herrechnen; auslesen, wählen; gew. sa-
gen, sprechen, erklären, meinen, urtheilen; erzählen, andeu-
ten, nennen, wohin zählen , oder rechnen. "
Druckfehler hat Ref. nicht gerade viele aber zum Theil un-
angenehme gefunden; statt xö&ngvog ist xoöogvog gedruckt;
tvdvvdr'jg, — th/'s, —drjQt'a, —dygiog, — ftixog , -- ftog haben
sämmtlich hinter dem v ein d statt x ; 6xsgq>og hat keinen Accent
bekommen; tvijcptvyjg wird erklärt durch sehr weich , statt: sehr
reich. „Ev&vva , oder — wq" ist theits verdruckt, nämlich
— vvrj für — vvr), theils aber wohl vorsätzlich so eingerichtet.
Dem Ref. ist es nicht zweifelhaft dass tv&vva zu schreiben gewe-
sen wäre, vgl. Hesych. Mocr. Bachm. Anecd. 1. p. 240. und auch
Phot. s. v. Das Wörterbuch von Jac. u. Seil, hat tv&w'a und be-
ruft sich auf Schaef. appar. ad Dem. 1. p.22i)., der diesen Accent
auf IJckk. An. 1. p. 187. gründet; dem Ref. ist dies wenigstens dar-
um bedenklich, weil Bekkcr in dem Index dieses Glossem in der
Form sv&vvai aufführt.
3*
36 Griechisch e L i t e ratur.
Der Druck des Buches ist natürlich klein, aber doch noch
hinlänglich lesbar.
Stettin. Schmidt
Delectus poesis Graecorum elegiacae, iambicae,
melicae. Edidit F. G. Schneidewln. Sectio I. Poetae
elegiaci. Gottingae 1838. Sectio II. Poetae iambici
et melic i. ibid. 1839. XII u. 472 S. 8.
Der Herausgeber äussert in der Vorrede, dass die Arbeiten
seiner Vorgänger entweder veraltet und unzugänglich geworden
sind, wie die Sammlungen eines M. Neander , H. Stephanus, F.
Ursinus, R. Brunck, oder den Bedürfnissen des gegenwärtigen
Standpunktes der Philologie nicht entsprochen haben , wie Gais-
fords und Giles' poetae minores, Mehlhorns lyrische Anthologie.
Nee id mirum. Quippe multorum industriam opus erat consumi
in colligendis et curatissime pertraetandis singulis singulorum poe-
tarum i'ragminibus, anteqnam ex omni silva selecta et modica su-
pellectile exornata in libcllnm continuo filo deduetum derivari
possent ab uno. Illud nunc factum haud exiguo antiquarum lite-
rarum emolumento constat. Neque tarnen illis doctorum studiis
provisum est , ut reliquiarum illarum lectio increbesceret erudito-
rumque hominum et qui hoc agerent claustris perfractis in Acade-
miarum et Gymnasiorum auditorüs frequentaretur. Hieraus geht
hervor, dass die vorliegende Sammlung hauptsächlich für akademi-
sche Vorlesungen, zugleich aber auch für obere Classen deutscher
Gymnasien bestimmt ist. Den ersteren Zweck hat Hr. Schneide-
win unseres Erachtens mehr als irgend einer seiner Vorgänger er-
reicht; der andere Zweck dagegen scheint uns verfehlt, weil zu
viele Bruchstücke aufgenommen sind, welche entweder nur vom
literarhistorischen Gesichtspunkte aus betrachtet einen entschie-
denen Werth haben oder in der Erklärung und in ihrem inneren
Zusammenhange zu viele Schwierigkeiten darbieten , als dass man
auf allgemeinen wissenschaftlichen Bildungsanstalten, derglei-
chen unsre Gymnasien sind (die ja keineswegs Philologen ex pro-
fesso heranbilden, sondern lediglich zu den gelehrten Berufsstu-
dien vorbereiten sollen), die zu wichtigeren Unterrichtsgegenstän-
den bestimmte Zeit mit zerrissenen Fragmenten hinbringen sollte.
Um so ausgemachter ist andererseits der Werth gegenwärtiger
Zusammenstellung für angehende Philologen, welche die Ge-
schichte der Griechischen Poesie nicht blos nach fremden Rela-
tionen , sondern so viel als möglich aus den Quellen selbst kennen
lernen wollen. Zu gleicher Zeit ist sowol für die praktische Hand-
habung kritischer und exegetischer Disputatorien in philologischen
Seminarien als auch zu schriftlichen Ausarbeitungen und Mono-
graphieen ein treffliches Material geliefert. Zu diesem Behufe
Schneidewin : Delecius poesig Graecorum. 37
ist es auch durchaus zu billigen, dass den einzelnen Dichtern die
betreffenden Stellen aus Suidas oder andern Grammatikern vorge-
setzt sind, in welcher Hinsicht hier und da wohl noch etwas
mehr hätte geschehen können , wie es denn auch namentlich bei
Theognis, Xenophanes, Kritias, Aeschrion u. a. geschehen ist.
Unter den Elegikern ist , wie billig Kallinos an die Spitze
gestellt und zwar mit dem Zusätze Olymp. XVIII. dem jedoch ein
bescheidenes Fragezeichen beigefügt wird. Es ist hier nicht der
Ort die verschiedenen Ansichten über das Zeitalter des ältesten
Elegikers der Reihe nach durchzugehen ; aber der Umstand, dass
selbst A. Boeckh, um anderer nicht weiter zu gedenken, den
Kallinos früher setzte, hätte den Herausgeber bewegen sollen
wenigstens anzudeuten, dass der Dichter schon um den Anfang
der Olympiaden gelebt haben könne. Zu Vs. 16 sqq. giebt Hr.
Sehn, folgende Anmerkung: „ Poeta sie ratiocinatur, ut mortem
quidem nullo pacto vitari posse dicat, pericula posse : nam ver-
ba Qävaxov ye (pvyslv et jroAAaxt drpoxrjxu cpvycov sibi respon-
dent — : aut igilur mortem oppeti , aitt effugi. Qui autem
salvi atque integri in patriam recertantur , diversa frui condi-
cione : eum non carum esse suis (si qui turpiter se periculis sub-
duxerit ; sed qui fortiter depugnaverit) eum vero aut lugeri , si
quid ipsi aeeiderit, aut summo affici a civibus suis honore.
Quae si vere disputata sunt, quaedam exciderint necesse est: non
habet enim quo referatur 6 pev illud vers. 15. et xov de vers.
17. u Demnach wird nach Vers 16 eine Lücke angenommen,
aber in den Addendis bemerkt: ,, Rectius post v. 17. lacunam
statues." Keins von beiden ist nöthig, wenn man den Sinn der
Stelle richtig erklärt: „doch ein solcher (nämlich wer um dem
Tode zu entrinnen ausreisst, dann aber zu Hause stirbt) steht bei
seinen Mitbürgern nicht in freundlichem Andenken ; jenen aber
(der das Gegentheil des ersteren bezeichnet, also der Tapfere,
wie er von Vers 5 an geschildert ist) beklagen alle, wenn er im
Kriege fällt." Dass das ganze Gedicht einen gewissen lyrischen
Schwung hat kann nicht in Abrede gestellt werden ; darum ist es
auch der lebendigeren Darstellungsweise zuzuschreiben, wenn die
Beziehungen des 6 plv und xov de nicht so grammatisch genau
ausgedrückt sind, wie man es bei einem prosaischen Schriftsteller
oder auch einem mehr gnomischen Dichter zu erwarten gewohnt
ist. Ueber den Namen unseres Dichters können wir jetzt noch
eine Stelle in Cramers Anecdotis Graecis I. p. 228, 18. anziehen:
Ka XI voq (unstreitig Schreibfehler für Kakkivog): eöxiv ds
ovoua 'ErpeöLov rtvög ekeyeioygücpov tu yag 8tcc tov ivog
diu tov i naxgov ygäcpetai, 7tki}V xov KaQXLVog. cf. p. 67,
19. 170, 24. 188, 15. Göttling vom Accent der griechischen
Sprache S. 200 f.
Es folgt Tyrtäos der Aphidnäer , wie er hier ebenfalls ge-
nannt wird, ohne dass jedoch der Leser erfährt warum? Denn in
38 Griechische Literatur.
der angeführten Relation des Suidas wird er als Adxeov i} MiXij-
ötog bezeichnet. Nach meinem Vorgänge sind die Fragmente
aus der Eunomia zuerst aufgeführt. Fragm. 1. Vs. 2 wird xrjvde
jtoXlv erklärt terram Laconicam. Zunächst aber hat der Dich-
ter an die Hauptstadt des lakonischen Gebietes gedacht, welche
eben als caput gentis das ganze Land mit einschliesst. Fragm. 2.
V. 3 u. 4 sind eingeklammert, weil sie Hr. Sehn, für untergescho-
ben hält : „ Prioris cnim distichi vis mirifice frangi videtur ignavis
illis versibus assutis. Et cur tandem Apollo cumulatis appella-
tionibns vocatur dyvgöxo£,og , uvat, ixdegyog, Xgvesoxößrjg'i
cur, quaeso, additur niovog l£ dÖvxov^l Recte qnidem Theo-
gnis 222. [immo 808.] niovog t£ ddvtov. Quae inania sunt orna-
menta."' Ich kann dieser Ansicht nicht beistimmen. Das Ge-
dicht ist seinem Inhalte nach politisch -didaktisch und verräth in
seiner Form eine gewisse epische Breite, womit sich jene Häu-
fung althergebrachter Epitheta gar wohl verträgt ; der Grund,
weshalb 7iiovoq g| ddvrov zugefügt ist, lässt sich leicht errathen:
Apollon spricht durch den Mund seiner Priesterin, welche in der
angeführten Stelle des Theognis selbst genannt ist. Noch weni-
ger können wir den gegen V. 9 — 12 ausgesprochenen Verdacht
billigen, wofür auch keinerlei Grund beigebracht ist. Zu V. 10
findet sich die Anmerkung: „Diodorus {irjdsxi STtißovXsvEiv rfjds
noXti. Placuit hominibus doctis hariolari xijda nöXti GxoXiov,
ßXaßigöv, öepccXsgöv, xf]Ö£ jiokrjt viov." Die erstgenannte
Conjectur stammt von mir , und ich glaube bewiesen zu haben,
dass sie etwas mehr als eine hariolatio ist. Eine sehr passende
Parallelstelle liefert Aristophanes Thesmoph. 335. iX xig tmßov-
jLsvec ti reo öqfjicp xaxov reo xeov yvvaixeöv , mit offenbarer
Parodie des Tjrtaeos. Demnach hat man die Wahl zwischen
[irjde xl ßovXzvav und /jujd' £7i<ßovXsviiv. V. 12 ist djiscpr^vs
statt dvseprjvs ein blosser Druckfehler in meiner Ausgabe. —
Fragm. 5, 3 stimmen wir Hrn. Sehn, bei , dass er die handschr.
Lesart rj^töu Tidvxt' oööcov in j^iutfu itdvtf öööov verbessert hat
statt der Vul#. ndv. — In dem ersten Fragmente der 'TxodrjxuL
behält Hr. Sehn. V. 1 die gewöhnliche Lesart inl itgoeid%oiC}(,
bei. Man wird aber nicht umhin können mit J. V. Francke und
I. Bekker evi herzustellen, cf. V. 21. 30. Sehr scharfsinnig be-
merkt aber Hr. Sehn., dass die Partikel yäg im ersten Vers sich
auf V. 13. 14. beziehe: &vr]6xco^iev x. x. X. „Longius disiun-
ctum est ab illis, quoniam poetae menti miserriraa exsulurn for-
tuna obversabatur, quam adumbraret vividissime. Versus 3 — 13
quasi parenthesis loco habendi. Hinc explicatur quod iL ö' ov
neog sqq. dixit poeta versu 11. u So nämlich wird die handschr.
Lesart tiO"' ovxcog emendirt, welcher wir die Hermannsche Emen-
dation unbedenklich vorziehen: ei d' ovxcog ovx' dvdgog dXco-
ßivov — uidcög, lg x oitiöeo xsX. Ausserdem ist V. 10 die
Lesart aller Handschriften dxi^iia an die Stelle von dti^iirj zu
Schneidewhi: Delectus poesis Graecorum. 39
setzen. V. 25 ist ohne genügenden Grund tplXrjglv %£Qölv geschrie-
ben statt der vulg. yiXäig lv\ £. — Fragm. 8, 13 ist statt Gkovöi
unstreitig zu schreiben 6aov6i, gleichwie bei Theognis 868. 6aoi
statt der Vulg. ödoi bereits richtig accentuirt ist.
Auffallend ist es , dass Hr. Sehn, das elegische Tetrastichon
des Jsios von Samos übergangen hat, da er doch eine Lücke in
der ältesten Entwickelung dieses Zweiges der hellenischen Poesie
ausfüllt. Vergl. meine Quaestiones elegicae Spec. I. p. 3. sq. u. p. 9.
Wir iomraen drittens zum Mimnermos von Kolophon.
Fragm. 1, 4 ist meines Erachtens dermaassen corrupt, dass alle
bisherigen Verbesserungsversuche als misslungen zu betrachten
sind : selbst der neueste äv%£ dt\ , worauf ich selbst einmal vor
Jahren gefallen war, will mir bei einem Dichter wie Mimnermos
nicht recht zusagen, so dass , wenn auch sehr problematisch, des
Hugo Grotius Conjectur äv&ea xrig rjßqq immer noch am meisten
für sich hat. — Fragm. 2, 1 hat Hr. Sehn, aus Cod. A. TtoXva-
Qtog statt der Vulg. nokvävdi^iog aufgenommen, was wir billi-
gen möchten ; wogegen wir V. 2 die Aenderung der handschrift-
lichen Lesart avyrj in arlyrjg für überflüssig erklären müssen. V.
10 behält Hr. Sehn, das steife avtlxa Öf} rs&vdvcti bei, welches
hier um so unerträglicher ist, als unmittelbar V. 9 em)v drj vor-
angellt. Ich muss meiner vor 14 Jahren gemachten Conjectur
avxixa xs9vd^iBvac auch heute noch treu bleiben. Eben so wenig
kann ich V. 11 ällo%sv oixog xgv%ovxui aufgeben, und zwar
um des Gegensatzes zu iv &V{ic5 willen. Hr. Sehn, schreibt mit
cod. A. cckkotE oixog , wobei der Hiatus freilich nicht auffallen
darf. Fragm. 8 ist in der Note als Lemma in Stobaei florileg.
XI, 1. angeführt Mi{ivtg[xov Navvovg, da doch alle Handsch.
JVhvdvÖgov bieten, wofür erst Passow Mi^vsgfiov herstellte. —
Die Beibehaltung der offenbar corrupten handschr. Lesart Fragm.
9, 5. 'Aött'jivTog statt 'AXtjhvxog beruht auf keinem vernünfti-
gen Grunde, so wenig als Hr. Sehn. V. 6 die handschr. Schrei-
bung tYdofitv statt der Conjectur ctAoutv billigen würde. Fragm.
12, 6. finden wir die Verbesserung tv& oy dvd ng. nach Cod. A.
tv& 6Y dvd TtQ. beifallswerth ; dagegen scheint die Veränderung
von öevrfö' in ötvaiü' minder nothwendig, wenn man eine ähn-
liche Stelle in der Odyssee VII, 201 sq. damit vergleicht:
au\ ydg xo itd/gog ye fteol cpuivovzai evagytlg
7]ulv, bvt tgÖauEv dyaxksudg ixaTÖ^ßoig.
Fragm. 13. 6. hält Hr. Sehn, die von Eustathius überlieferte Les-
art ytvXr) für einen merus lapsus. Wenn man aber bedenkt, dass
Athenaeos XI. p. 470. A von verschiedenen Becherarten spricht,
und ausser andern Dichtern auch den Mimnermos als Gewährs-
mann für das äot^oiov des Helios anführt, so ist die Lesart
xvkr) oder xvkXr} (i. q. xvkit, , itoxrjgiov) schlechterdings erfor-
derlich, in welcher Beziehung ich mich zu der Zeit, als ich jene
40 Griechische Literatur.
Lesart zuerst aufgenommen, der vollen Beistimmung eines der
grössten Kritiker, W. v. Humboldts, zu erfreuen hatte. Auch
fliesst dann die Rede weit harmonischer dahin :
tov [isv yag diu xvpcc epigst TtoXv^garog svvtj,
xvXXt] 'HcpaiöTov %£Qölv sh]kansvtj
XQvöov tinrjEvros , t5jto';mpog, x. t. X.
indem sich die xvXXr] — iXrjXccnsvrj als Apposition von no-
XvrjQavog Evvij herausstellt. Das Epitheton vnojttSQog ist wohl
auf die automatischen Ruder zu beziehen, und könnte heutzu-
tage sehr zweckmässig auf die Beschaffenheit der Dampfschiffe
angewandt werden. Ungenügend ist ferner die Erklärung von
V. 11. ibi conscendit alterum currum suum , relicta illa ivvrj,
cf. v. 9. Denn jener svvt] gegenüber kann der gewöhnliche Son-
nenwagen nicht ein anderer genannt werden. Richtiger schon
Welcker: iteram conscendit , nämlich im Gegensatz zu dem ge-
stern bestiegenen Wagen. Keine von beiden Erklärungen ist ein-
fach genug. Der Dichter sagt gleich zu Anfange des Bruchstük-
kes, Helios nebst seinen Rossen habe nimmer Ruhe; sobald er den
einen Tag auf seiner Bahn am Himmelsgewölbe zurückgelegt hat,
fährt er Nachts in einem autoraathischen Kahn auf dem Okeanos
von Westen gen Osten zurück, wo bis zum Aufgang der Eos Wa-
gen und Rosse seiner harren , und nun heisst es zuletzt : IVO1'
knsßr] ersgav 6%zav 'Tittgiovog vio'g. Hier könnte man aller-
dings die Frage aufwerfen, wie sind Wagen und Rosse nach dem
Osten zurückgekommen*? Diese Frage ist aber zu prosaisch , als
dass man ihr in allem Ernste Raum geben möchte. Der Dichter
lässt den Helios seine Bahn vollenden und dann auf den Okeanos
zurückschiffen; alles Nebenwerk schwindet vor der Haupterschei-
nung, und seine lebendige Phantasie zaubert dem Gott für den
andern Tag auch einen andern Wagen, den er besteigt , sobald
Eos am Himmel sich gezeigt hat. Insofern ist der oben aufge-
führte Vers ganz einfach so zu übersetzen: „Hier besteigt ein
anderes Gespann der Sohn Hyperions." Der Ausdruck „ein
anderes Gespann" involvirt zugleich die Vorstellung eines an-
deren Tages im Gegensatz zu dem zunächst vorangegangenen
Tage. >
Die vierte Stelle hat Solon eingenommen , dessen politische
und ethische Poesie sich in elegischer Form bewegt. Zuvörderst
sind die Bruchstücke der berühmten Elegie Zlala^iig vorgeführt
nebst der Erklärung aus Plutarch. Solon c. 8. (nicht c. 1. wie hier
falsch gedruckt ist). V. 3. ist nach dem cod. Monac. des Diog.
Laert. I, 47. Uixivy xyjg statt der Vulg. Hlxlv ixrjg zu schreiben,
wie unlängst Ross in einem Proömium der Universität zu Athen
1837 aus Inschriften bewiesen hat. Bei dieser Gelegenheit kann
ich nicht umhin eine literarische Curiosität mitzutheilen, die ich
der Güte des Hrn. Directors Voemel zu Frankfurt a. M. ver-
Schneidewin : Delecta9 poesis Graecorum. 41
danke. Das zweite hier aufgeführte Bruchstück, welches De-
mosthenes de falsa legat. p. 421. erhalten hat, gilt überall als ein
Ueberbleibsel der Elegie Jitgi rrjg zcov 'A&rjVcd&v noXiztiag.
Hr. Voemel besitzt eine Aldina mit beigeschiebenen Varianten,
welche nur aus einem Codex herrühren können ; da ist nun auch
das letzte Distichon aus der Elegie Salamis vorgesetzt, und zwar
in folgender Gestalt :
i
"Iöfisv ' slg öalccfiivu [iu%r]66n£Voi nsgl vrjöo v
ifiSQtfjg %uktn6v ai6%og dnoöd^tvoi.
Dabei könnte einem leicht der Gedanke einfallen, ob das ganze
von Demosthenes aufbewahrte Stück gleichfalls zu der Elegie
Salamis gehören möchte; wozu auch stimmt, dass Ulpian zu De-
mosthenes eben jenes Distichon anführt. Doch scheint diese so
oberflächlich hingeworfene Vermuthung noch einer genaueren
Begründung zu bedürfen. — Hinter V. 10 hat Hr. Sehn, zwar
den Hexameter ^o»;fiata ö' [[itiQOVöiv .s%blv, ddtxag ös ite-
nÜG%ai mit vollem Rechte ausgestossen, dagegen den gleichfalls
interpolirten Pentameter (cf. Fragm. 11, 12.) nkovzevöiv ö' döt-
xoig hgy^iaöL 7iet,Q6fi£vot im Texte stehen lassen , dessen Man-
gel Iv to5 Ttakaiä ßißUip bei Voemel meine vor 15 Jahren aus-
gesprochene Behauptung bestätigt. — V. 16 finde ich keinen ge-
nügenden Grund die handschr. Lesart dnotiöa ^.ivr} mit Mark-
land in djtoTi6o[t£vi] zu verändern. Die Glosse in der Aldina
Voemelii Tifiagrjöafiävy] bestätigt gleichfalls den Aoristus. — V.
29 lässt sich wohl am leichtesten nach Massgabe des cod. |Bod-
leianus also restituiren, iiyk zig i] (pivycav x. z. A. wie es durch
die Aid. Voem. nunmehr definitiv bestätigt wird , welche aus-
drücklich hinter zig das erforderliche y einschaltet. — Fr. 7.
können wir die Verurtheilung des von Plutarch ausdrücklich dem
Solon und zwar in dem vorliegenden Zusammenhange zugeschrie-
benen Distichons nicht billigen, indem alles subjeetive Gefühl
nur trügerisch ist, objeetive Argumente dawider aber gänzlich
fehlen. V. 5 müssen auch wir uns jetzt für Th. Bergks Con-
jeetur l^dQctvT bekennen , verharren aber V. 6 bei dkX rjörj %Qt)
tcbqX rtdvza vouv , dazumal jiboi vor ndvza sehr leicht aus-
fallen konnte. Zwei ähnliche Stellen bietet Solon 11, 69. &sög
Ttsgl ndvzcc didooöt <5vvzvyir\y dy<x%y\v. 23, 11. zfj d' sxzy tc£q\
ndvzu xcczccQzvEzca vöog dvdgog. — Fragm. 10, 2 wird fehler-
haft im Texte constituirt : zr]v noXtv vaioig aal yivog v^hzegov '
obgleich ich die allein richtige Lesart längst aus der Vita des Ara-
tus aufgenommen habe: zi'jvds itoÄW, welche auch durch zwei
Handschriften des Plutarchos in der Ausgabe von Sintenis zr\v de
vollkommen bestätigt wird. — Fragm. 11, 32 wird sich Hr. Sehn,
wohl noch dazu verstehen die unverbesserliche Lesart tf nciiösg
tovzcov yyenovav otclGo mit ij yivog l^oniöa zu vertauschen,
42 Griechische Literatur.
indem es mir zu deutlich in die Augen springt, wie rjyeuovav als
Glossem von xovxav unter der Hand eines gedankenlosen Ab-
schreibers die wahre Lesart verdrängt hat. Unnöthig erscheint
uns ferner V. 35 die Trennung von avxig in av xig. — V. 42
verändert Hr. Sehn, nicht blos ndvxcov in jtavzag, sondern
wünscht auch statt doxel entweder nodsl oder vosi. Dagegen
entscheidet erstlich die handschr. Lesart Tcliiöxa für nävxcov,
zweitens gewährt öoxsi einen sehr guten Sinn : „Der Arme bil-
det sich ein er könnte einmal der allerreichste werden. " — V.
51 wird ohne Noth an Movöscov näga dägee ÖLdn%!&t{,g Anstoss
genommen und für näga vorgeschlagen aga , welches hier ein
sehr mattes Flickwort sein würde. Es ist vielmehr ein Zeugma
zustatuiren, so dass man also zu erklären hat: „Ein anderer,
der von den Musen seine Gaben empfangen hat und so unterrich-
tet worden ist , erwirbt sich dadurch Vermögen, dass er das
rechte Maass der Weisheit versteht," d. h. dass er die Schranken
der menschlichen Weisheit nicht überschreitet. — V. 66 können
wir das angewandte kritische Verfahren nicht billigen, indem
zwar nach Stobaeos ?} jUtA/Ut 6p;6iiv (wofür Theognis nol ö£>J-
6uv /jeAAsihat), aber nach Theognis ng^y^iaxog statt der älte-
ren Lesart xgrjfiarog (bei Stob.) in den Text gesetzt wird. Ent-
weder musste hier die eine oder die andere Auctorität ungetheilt
befolgt werden, da alles subjeetiv eklektische Verfahren in der
philologischen Kritik vom Uebel ist. Die Richtigkeit von iQrjuu-
rog aber bestätigt auch Herodot. 1,32. öxonhtv Öe XQ*1 Ttavrog
XQTjuaTog xt)v Ttl&vxrjv xrj änoßtjöExcu' noXkoidL yag drj vno-
Ös^ag oXßov 6 Qtog ngoggi^ovc dvtxgtxpEv. Dass dem Herodot
in dieser Rede des Solon unser Distichon vor Augen schwebte, ist
wohl keinem Zweifel unterworfen. Desto lebhafter stimmen wir
bei, dass V. 67 mit Stob, ev e'qöeiv statt der Theognideischen
Form ivdoxifitiv beibehalten worden ist, aber auch eben so V.
69 didadi statt xL&rjöi geschrieben werden muss, was Hr. Sehn,
erst in den Add. nachholt. — Fragm. 20, 2 ist Hr. Sehn, auf der
von Florens Christianus zuerst betretenen Bahn, welcher die cor-
rupte Schreibart der Handschr. gev (oder ö' su) xoiov ETiicpga-
ödjirjv in gev kcöiov btpgaGa^rjv verbesserte, einen Schritt weiter
vorwärts gerückt, indem er schreibt gev Xäov EnEcpgaGÜuiqv.
Mit eben so grosser Wahrscheinlichkeit ist V. 3 Bergks geist-
reiche Emendation AiyvaGrädr] aus dyvidg xadl in den Text
aufgenommen. — Fragm. 24, 4 ist aus cod. A. aldtvfica statt
aldovfiai zu schreiben, 26. 5. yjdsXs statt yjüeXov. 28, 4. ist in
den Anmerkungen falsch berichtet, dass die meisten Handschr.
des Plutarchos Tiavta^rj haben, welches vielmehr erst Stephanus
statt der handschr. Lesart jroAAap; eingeführt hat. V. 12 hat
Hr. Sehn, das absurde ijörj beibehalten , die Conjectur tföe aber
dem neuesten Herausgeber des Aristides dolo malo beigelegt,
Schneidewin : Delectus poesia Graecorum. 43
dessen eigne Aussage ich gehörigen Orts nachzulesen bitte. —
Fragm. 30. ist das allein zulässige uqxcov ccxovs hergestellt.
Das grösste elegische Bruchstück des Phokylides , freilich
nur zwei Disticha, hat Hr. Sehn, zufällig übergangen, aber in den
Addendis ad pag. 38. nachgetragen. Ausserdem sind die erhaltenen
hexametrischen Stücke desselben Dichters in die Sammlung auf-
genommen.
Nach einer kurzen Einleitung über die Lebensverhältnisse
des Xenwphajies folgen die elegischen Ueberbleibsel des Dich-
ters selbst. Fragm. 1, 1. behält auch Hr. Sehn, die handschr.
Schreibart ^änsdov statt ödnBÖov bei und erklärt mit Hesychius
y.iya tdaqpög, desgleichen V. 2 Dindorfs Verbesserung dutpixi-
%il , woraus hervorgeht , dass er seine eigne frühere Verteidi-
gung des Participiums dfirpitiQ-sig wieder aufgegeben hat. V. 5
ist wohl so lange als unheilbar verdorben anzusehen, als nicht
bessere Quellen eröffnet werden. Hr. Sehn, entscheidet zuletzt
für meine Erklärung von tiqqöoÖöuv (i. e: defecturuni) und con-
stituirt den Vers im übrigen also :
oivog b' löxlv Eroifiog, og ovnoxe (prjöl ngodcööeiv.
Das Streichen des akXog hat zuerst Hermann erkannt und sonach
den ganzen Vers ergänzt :
oivog ö' töxlv sroifiog, ug ovjta Ttvxfphvi ytixcav.
Die erste Hälfte des Verses ist wohl von Hermann in integrum re-
stituirt , in der zweiten dagegen ist er von den überlieferten
Schriftzügen zu weit abgewichen, weshalb ich bei meiner frühe-
ren Textesconstituirung und Erklärung verharren will: ug ovnca
q>7]öl TtQOÖcööBLV. V. 6. kann ich mich noch nicht von der Noth-
tpendigkeit einer Aenderung der handschr. Lesart 6o86ptvog in
d£,6(itvog überzeugen. Dagegen hat uns Hr. Sehn, vollkommen
überzeugt, dass V. 11 Karstens Conjectur dv xo pteov (handschr.
avxo fieöov) jeder andern vorzuziehen ist: „Ncc repugnat
ndvxr): dv xo [itöov ad ßa^iov in medio positum pertinet. " —
V. 20 emendirt Hr. Sehn, zum Theil mit mir übereinstimmend,
zum Theil auf Hermanns Fussstapfcn weiter schreitend : äg (oig
ist Schreibfehler) ol (xvtjuoövvrj xal Tiövog d^itp doExijg, i. e.
se meminisse virtutis eamque assequi studere. Eben so billi-
genswerth ist V. 22 ovde ye Ktvxuvoav , nkdöyiaxa xcöv nooxi-
owv, ßgmenta vetustatis. Dagegen möchten wir es V. 23 eher
mit Hermanns cpktdoväv als mit Osanns 6<ptduväg halten, sowie
wir im letzten Verse auf die handschr. Lesart dya%itv zurückzu-
gehen uns bewogen fühlen ; denn nichts ist natürlicher, als dass
t%uv in gleicher Kategorie mit den vorhergehenden Infinitiven
gefasst, nicht aber von dyct%6v ahhängig gemacht werde: ftiäv
7iQon^ir}v E%stv dyaftrjv ist eben so viel als wenn der Dichter
gesagt hätte deäv tv jtpo^daöfrai. — Fragm. 2. V. 10 ist
44 Griechische Literatur.
nach Xnnoiöiv statt des Komma ein Kolon zu setzen und mit
xavtd xs ndvxa (wie nach cod. A. xavvcc x zntavta zu schrei-
ben) ein neuer Satz anzuheben: „Alles dies empfängt wohl einer
der sich mit mir nicht vergleichen kann. u Hr. Sehn, hat den
von mir in einem Programm 1837 constituirten Text beibehalten.
— Fragm. 3, 1. hat auch Hr. Sehn, die von mir zuerst bekannt
gemachte Conjectur J. G. Schneiders aßQoövvag (wofür die
Hdss. dcpgoövvag) aufgenommen und nach .Hermanns Vorgang
wohl begründet : „ dq>QOGvvag propter v. dvacptksag ferri ne-
quit.u V. 5 verharre ich bei meiner früheren Ansicht, wornach
zu lesen: av^ccktoi,, %ccixyGLV dyakkofisvoi sv7iQBnh<56iv , was
durch eine von Hrn. Sehn, in den Addendis beigebrachte Stelle
des Aristeas bei Tzetzes Chil. VIF, 687. 'Iöötjdol %airrj6iv dyak-
kofisvoi xavarjöiv wunderbar unterstützt wird. Die Synizesis
zwischen den beiden Worten dyakkö/xsvot £V7CQ£Tchööiv darf
hier eben so wenig auffallen, als etwa in der Odyss. I, 226.
tlkanivri rfh ydpog. Ilias XVII, 89. dößeöxa- ovo' — XVIII,
458. viel Sficp dxvfioQcp x. x. k. — Fragm. 5, 4. hat Hr. Sehn,
seine frühere , von mir für unnöthig erklärte Conjectur doidonö-
kav — 'Ekkadixäv wieder fallen lassen.
Obgleich Theognis in neuester Zeit von mehreren Seiten her
behandelt, herausgegeben und übersetzt worden ist, so bleibt
doch noch immer sehr viel zu thun übrig , namentlich die Anord-
nung des Erhaltenen betreffend, wie denn auch unser Herausge-
her auf 10 Seiten über den Zustand der uns überkommenen Samm-
lung gesprochen hat. Die vorausgehende Stelle des Suidas
scheint einer radicalen Cur zu bedürfen , der wir uns nicht ge-
wachsen halten. So viel jedoch möchte als ausgemacht gelten
können, dass Theognis ausser seinen Elegieen auch fortlaufende
Hexameter (em*] , weshalb vielleicht zu lesen xd ndvxa sjcrj, im
Gegensatz zu rvco^iokoyia öY eksyalav) gedichtet habe; und
wir freuen uns, dass Hr. Sehn, in Uebereinstimmung mit unserer
Ansicht Jul. Caesars Erklärung der Platonischen Stelle im Meno
p. 95. D. ebenfalls zurückgewiesen hat. Hr. Sehn, nimmt nicht ein
grösseres zusammenhängendes elegisches Gedicht des Theognis
an, sondern einzelne Stücke, desgleichen sich V. 1135 — 1150
erhalten hat. Darauf wird VVelckers grosses Verdienst hervorge-
hoben, aber auch ein und das andere in Zweifel gestellt. Tref-
fend ist folgende Bemerkung über die Namen Kvgvog und ITokv-
aatdijs S. 50. ,, TlokvnatÖTjg est patronymicum Cyrni , a patris
nomine IIokvTiuig, h. e. IJokvTcäaov , forma Doriensibus sueta.
Iam non opus est ut violenter divcllantur quae eodem sententiarum
H limine a Cyrni compellatione ad Polypäidam deflectunt, verbi
gratia vv. 53 — 60. Et unius certe codicis H. librarius verum vi-
detur significasse, qui hunc Theognidcis praefixerit titulum:
©eoyvcdog Mtyccgsag yvafiokoyloc Jtoög Kvqvov riokvjicddrjv
xov £q6{isvov. Vix denique Suidas , qui unam rvapokoylav
Sclineidewin : Delectus poesis Graecorum. 45
recenset, reticuisset, si duae diversae gnomologiae, ad Cyrnum
altera, altera ad Polypa'idam exstitissent." Weniger Gewicht möchte
ich auf die im Cod. Mutinensis befindliche Trennung der wahr-
scheinlich nicht sämmtlich von Theognis selbst herrührenden
Tcccidtxd legen. Auch müssen wir Welckern darin der Haupt-
sache nach beistimmen, dass die auf uns gekommene Sammlung
erst in späterer Zeit aus anderen Schriftstellern zusammengetra-
gen und im Ganzen ziemlich planlos geordnet worden sei. Aus
diesem durchaus willkürlichen und unkritischen Verfahren erklärt
sich dann auch, wie es gekommen, dass mehr als ein Stück von
andern Dichtern, als von Tyrtaeos, Mimnerraos, Solon, Euenos
u. s. w. mit untergelaufen ist: und wie manches Distichon mag
noch darunter stecken , welches anderen Dichtern zu vindiciren
sein dürfte4? Hier ist noch eine scharfe Sichtung von nötheh. Je-
denfalls hat Welcker schon Ausserordentliches geleistet, und auf
seine Schultern wird sich jeder stellen müssen , der diesen Zweig
der Wissenschaft weiter fördern will. Darum können wir uns
nicht genug wundern, dass Hr. Sehn, wieder seine Zuflucht zu der
alten Ordnung genommen hat, welche auf die Dauer eben so we-
nig Stich halten wird , als etwa der wahnsinnige Versuch in
unsern Tagen die Hierarchie und die Aristokratie des Mittelalters
wieder ins Leben einzuführen. Ehren wir das Ueberlieferte , so-
weit es dem gegenwärtigen Standpunkte der Cultur und Wissen-
schaft nicht geradezu zuwiderläuft, und bauen so auf sicherem
Grund und Boden weiter fort, entschlagen uns aber auch allem
Aberglauben und unwürdiger Geistessklaverei! — Wollte ich in
gleicher Weise, wie die bisherigen Elegiker, auch den Theognis
durchgehen , so würden die Schranken einer Recension weit über-
schritten werden müssen. Darum will ich nur bei einer einzigen
Stelle verweilen , welche aus einem von mir zuerst Quaestt. eleg.
Spec. I. p. 29. dem Euenos zugeeigneten Distichon einiges Licht
erhält: ich meine VV. 897 — 900. Hr. Sehn, hat S. 56 die her-
vorragende Eigenschaft des Codex Mutinensis (A.) richtig er-
kannt, ist aber an unserer Stelle seinem eignen Urtheil theilvveise
untreu geworden ; denn er behält ganz im Widerspruche mit cod.
A. Bruncks seltsame Umstellung des Verses 897 f. bei, da doch
die Züge der Handschrift Kvqv ü nävx ävÖQtööi xaru^v^tolg
yaXhiialvuv yivotöxuv ag vovv olov sxaötog i%u x. x. A. auf
etwas ganz anderes führen sollten. Mit Rücksicht auf das in ge-
genwärtiger Sammlung S. 135 fehlende Distichon des Euenos:
rHyov^.ai öoepiag üvccv fisgog ovx iXd%i6tov
o'odwg yiyvcoGxuv olog exaözog ävrJQ.
verfiel ich vor einiger Zeit auf die Vermuthung:
Kvqv , tl nävr dvögsööi xcczu&vqTolg %akijraiv{g,
yiyvaööxcov 0Q%äg oiov exccötog %«
46 G r i e c I»*I sehe Literatur.
avxog ivl Crrj&sööi xal egypeezu xav xs dixcciav
täv x ccölxav, fjtsya xsv 7trj(icc ßgoxoiöiv ijtijv.
d. h. Wenn Da genau erforschen wolltest, welche Gesinnung den
Handlungen der Menschen jedesmal zum Grunde liegt, so würde
es schlimm stehen. Ein solcher Gedanke ist im Munde eines
Stockaristokraten nicht so absurd als er im ersten Augenblick aus-
sieht; denn jener erkennt ausser sich und seinesgleichen nichts
Edles und Würdiges in der menschlichen Natur an, und ist nur zu
geneigt jeder Handlung der bürgerlichen Canaille eine eigennützige
Gesinnung unterzulegen. Darnm hält es unser aristokratischer
Dichter für das gerathenste, jeden Menschen blos nach seinen
Handlungen zu beurtheilen und darnach zu belohnen oder zu be-
strafen , also streng juristisch , so dass man sich um die eigent-
liche Gesinnung gar nicht weiter zu bekümmern hat. Gleich-
wohl bin ich gern bereit zu Ehren des der Natur noch näher
stehenden Alterthums den dorisch -aristokratischen Theognis von
den Schlacken des modernen Egoismus , wie ihn der französische
Hof vor 1789 vorzugsweise gehegt haben mag, wieder zu rei-
nigen und daher den zweiten Vers lieber mit 0. Schneider so zu
construiren :
jjjj yiyvaöxav vovv olov sxaöxog %%£i>>
womit man vergleichen kann V. 312
yiyvtoöncov ogyiqv iqvxiv exaörog l'^st.
Demnach wäre der Sinn folgender: „Kyrnos, wenn du allemal
den Menschen zürnen wolltest, ohne ihre innere Gesinnung und
die Werke der Gerechten und Ungerechten zu kennen, dann
würde wohl grosses Leid auf den Sterblichen lasten. t —
Auf Theognis folgt Ion von Chios, dessen nicht blos elegi-
sche sondern auch melische Bruchstücke aufgenommen sind. Im
ersten Stücke hätte Hr. Seh. auch die Worte des Athenaeos reu
ö' jjjwcripoj %ogä als die zweite Hälfte eines Pentameters so con-
struiren sollen :
' ~~Z _'__ ~~ _j_ qpSXSQG) ÖS XnQV'
da er ja auch nach Casaubonus Vorgang die ebenfalls prosaisch
überlieferten Worte oivog (pikag av ftvgöoqjögotg, (teyce Jtgs-
ößevwv zJiovvöog, in einen Hevameter umgesetzt hat. V. 6 bil-
ligt Hr. Sehn. Lobecks Conjectur BTiogB^azo^ wofür die Handss.
InxfäaTO oder In^axo , dem immer noch k^rjxparo am nächsten
kommt; worüber jedoch G Hermann bemerkt : ,, Beete diceretur
rjtyaxo aiüsgog , sed e^ipaxo ul&sgog esset sese suspe?idit ex
aethere , qnae nimis mira atque incredibilis imago est. u Hier
müssen wir widersprechen , indem das fragliche Bild um so weni-
ger unglaublich erscheint, als es in der Natur selber begründet
ist; denn die Ranken einer über die Spitze des mit ihr vermähl-
Sclineidewin : Delectus poesis Graecornm. 47
ten Baumes herausschiessenden Rebe scheinen wirklich in der
Luft zu schweben , also suspendunt sese es aethere. — Fragm.
2, 1. stimmt Hr. Sehn, unserer Erklärung bei, wornach rjuhtgog
ßaöiktvg für zJiovvöog zu nehmen sei; allein Hermann hat doch
Recht , dass man den König der Lakedämonier zu verstehen habe,
quod in primis Prodis mentio (V. 6.), a quo Proclidae descende-
bant, confirmat. Dass sich 0. Müller für dieselbe Erklärung ent-
scheide bemerkt Hr. Sehn, nachträglich in den Addendis p. 468.
Dass V. 8 die Worte sxav ö' ap££ q)iloq)go6vvt]g auf jeden der
anwesenden Gäste zu beziehen sind hat ebenfalls Hermann richtig
erkannt. —
Es folgen Melanthios (von dem nur Ein Distichon erhalten
ist) und Dionysios der Eherne. Fragm. 1, 3 verwirft Hr. Sehn,
ebenfalls Osanns Conjectur ngorigco statt srocorw mit dem Be-
merken: lagizav %(xgiT&g cum acumine vocantur quae Gratiae
gralificalae sunt. — Fragm. 2, 1. ist statt dyytllag die Form
dyyellrjQ wieder herzustellen, wie auch schon O. Schneider be-
merkt hat. — Fragm. 3. ist, wie billig, ganz nach Hermanns
Anleitung restituirt. — Fragm. 4, 4. ist mit Casaubonus und Wel-
cker Rhein. Mus. IV S. 444 f. (Daiuxag zu schreiben: „Die Phä-
aken bezeichnet hier unwidersprechlich das anonhimiiv; die
Heimath , in welche die Sänger den Freund aus der Ferne mit
dem Ruderschlage der Zunge geleiten wollen, ist das Lob, ihre
Redefertigkeit ruft sie auf die Ruderbänke. Da wir den Dichter
in Thurii wissen, so sind die alten fernen Freunde, die einer
nach dem andern in den Hafen des Lobes geführt werden sollen,
wohl als die Athenischen Bekannten zu denken. Es ist nicht die
Aufforderung zum Gesänge eines Loblieds, sondern der Mund-
schenk {rcalg) soll bei der neuen Mischung dem Machbar und
rechtsum der ganzen Gesellschaft Hymnen , Lobreden auf die
Freunde einschenken. Das v^ivovg olvo%oeiv ist ähnlich der
ngonti'oKuevt] nolrjöig: wie aber mit diesem eingeschenkten
Weine das Rudern zusammenstimme , mag der Redner verantwor-
ten. — Die zurückgeleitenden Phäaken haben schon als solche
eine grosse Fertigkeit in ihrer Kunst, und wenn diese in der Rede
besteht, so wird die Vergleichung mit einem attischen Redner
[Phaeas nach Osanns Ansicht], der nicht einmal für einen der
berühmtesten gelten kann , ihnen keinen besondern Glanz geben.
Auch ist die Fertigkeit des Gerichtsredners nicht das Ideal der
Elegie, die besondere Bewunderung des Phaeax gerade von
Dionysos, der selbst Redner und an Jahren älter war, nicht
wahrscheinlich. In der Zusammenstellung mit den, wenn auch
nicht genannten, doch bestimmt angedeuteten Phäaken könnte
der Redner Phäax nur in scherzhafter Absicht erwähnt sein, und
hie.- ist an solchen Scherz zu denken kein Grund vorhanden." —
Dass Fragm. 5. die verdorbenen WTorte nagt rovÖs x. r. h dem
Dionysos zugehören sollten, davon kann ich mich audh jetzt
48 Grie chi sc he Literatur.
noch nicht überzeugen. Richtiger bezieht man sie mit Coray anf
das folgende.
Welchem Buenos die elegischen Fragmente beizulegen
sind, ist eine schwer zu entscheidende Frage, die wohl immer-
dar problematisch bleiben wird. Fragm. 1, 2. erklärt sich Hr.
Sehn, ebenfalls (gegen W. Wagner) für die Lesart des Stobaeos
Iv £&£t, V. 3 für tovtovg, geräth aber (wie auch ich) mit sich
selbst gewissermaassen in Widerspruch, wenn er V. 4 mit Athe-
naeos doxovvt sota schreibt , wahrend Stobaeos iöriv überlie-
fert, welches, an und für sich schon nicht minder angemessen
als söza , seiner grösseren Autorität wegen vorgezogen werden
muss. ■ — Fragm. 4, 2. ist mit Stob, fiaviag zu schreiben. —
Fragm. 8. ist der Pentameter, welcher bei Theognis 472 (nicht
474) im Zusammenhange erscheint, so dass ich, wie früher in
dem Programm de symposiaca Graecorum elegia, so auch jetzt
noch von der Notwendigkeit überzeugt bin , aus der farrago
Theognidea sei herauszunehmen was dem Euenos gehört. So
auch Th. Bergk in Zimmermanns Zeitschrift für die Alterthums-
wissenschaft 1837 S. 454 und F. W. Wagner de Euenis poetis
elegiacis eorumque carminibus elegiacis p. 22. sqq. — Das oben
schon aufgeführte Distichon ist aus dem Appendix zu Stobaei
florileg. Vol. IV. p. 10. ed. Gaisford. nachzutragen, wo nämlich
die handschr. Lesart Zrjvov in Evrjvov zu bessern ist.
Die Ueberschrift TIoXiTilav tppsTQOi für die politischen Ele-
gieen des Tyrannen Kritias hat Hr. Sehn, nach meinem Vor-
gange beibehalten, anderen Echtheit, so viel ich weiss, bisher
nur G. Pinzger gezweifelt hat, aber aus ganz faden Motiven.
Fragm. 1. hätte zwischen V. 3 u. 4 die augenscheinlich vorhan-
dene Lücke angedeutet werden sollen. V. 9 ist die am meisten
diplomatisch begründete, wohl erklärbare Lesart yQecp.paz' äXi-
£/Aoj>a in integrum zu restituieren. — Fragm. 2, 2. ist die Inter-
pretation von zr\v avzrjv xvfoKcc beifallswerth: illud ipsurn po-
culum , quod unieuique apposilum ab o ivo%6 co repleri sole-
bat epotum. — Fragm. 26. V. 4 lässt Hr. Sehn, die handsch.
Lesart tpaviv unverändert im Texte stehen, ohne, wie sonst sein
Obeloszeichen beizufügen , als ob dieselbe irgendwie erklärt wer-
könnte, was es vor allen hätte thun sollen. Ich weiss auch jetzt nichts
Besseres an die Stelle zu setzen als fpgovi.lv, in welcher Beziehung
ein altes Gesetz der Kreter in Piatos Min. e. 320. der Entwicke-
lung des Sinnes förderlich ist: (iq övpjiivuv dXXr,l.oig ilg [ti&tjv.
— r)v avrr] r} evvovöicc , agniQ tya Xiya , diu köyav iTti
naidiia ilg ccQizrjv. —
Hinter Sokrates folgt gleich Philetas. Die elegischen Ue-
berreste des Euripides , Antimachos , Aristoteles , Krates , Theo-
kritos , Kallimachos und des so genannten Aesopos sind ganz un-
berücksichtigt geblieben , was dem von dem Herausgeber beab-
sichtigten Zweck schwerlich entspricht. Die Conjectur Philet. 2,
Schneulewin : Dcleclus poc»is Graceoruin. 49
1. vvv <5' äkyt] nitida ist eben so wenig zu hilligen als Fr. Jacobs
vvv o' akyo§ n. Das von niöüio abhängige Object nmss im vor-
hergehenden, fiir uns untergegangenen Verse gesteckt haben.
Fragm. ">. ziehe ich meine Conjeclur ccqeij} lS,vi auch jetzt noch
Hrn. Schneidewins ccQiirjv lEvv vor, und zwar hauptsächlich wegen
der Aehnlichkeit mit der Homerischen Stelle öd. V, 231. XI,
Ö44. 7iiQi ös t,cövqv ßäXet' itvl. Dagegen billigen w'w Fragm. 9,
2. opag statt 6u,(5g. Eben so freut es uns, dass Hr. Sehn, des
Phüetas 'Emiygäu^iara für fast gleichbedeutend mit den IJai-
yvioig hält, ut carminum elegiacorum frustula videantur esse. Nam
jion possunt insculpta fuisse liaec carmina. — Fragin. 12, 1 miss-
billigt Hr. Sehn, meine Conjectur xzoiovunt , wofür er das un-
sinnige tw ov^oi in den Text setzt ; aber schon 0. Schneider hat
ihm sein desfallsiges Unrecht vorgehalten. Ob mit demselben Ys.
3 zu lesen. sei ovo' dm) [.loiQa xccxcov (xsksrav (psgsT , d.h.
nicht einmal ein Theil der bösen Sorgen verlässt mich , sondern
immer halten sie an, ütvöv tv yovvaGi xiirui. V. 4 kann ich
mich iinmer noch nicht von der Notwendigkeit des d* nach rof-
6iv überzeugen. Der Nachdruck, womit dieses 6iv in der Cäsur
des Pentameters ausgesprochen werden muss, leiht dieser an und
für sich kurzen Sylbe gerade liier mehr als in jeder andern Arsis
die Kraft einer Länge.
sunsöa xcel xoTölv [j akka itgogav^äviTai.
womach auch Tyrtaeos 8, 6. zu schützen ist:
jujpag vn ccvyoclöiv \[ ijfAioto tpikas>
Desgleichen Hermesianax 2, 54.
olvqQTqv öovqiv \\ xsxXiiisvqv nargiöa.
Fragm. 10. hat Hr. Sehn, eingeklammert, weil er mit Fiorillo
glaubt, Philetam alius potius poetae versiculo rem confirmasse
quam suo. Sollte er aber dann nicht den Namen dieses andern
Dichters beigesetzt haben? Jedenfalls würde der in solchen Din-
gen sonst sorgfältige Athenaeos ergänzend nachgeholfen haben.
Das grössere elegische Stück des Hermesianax bietet so
viele Schwierigkeiten dar, dass es der Kritik noch lange eine
schwer aufzuknackende Nuss bleiben wird. Wichtig ist eine Be-
merkung von A. Emperius in Zimmermanns Zeitschrift für die Al-
terthumswiss. 1838 S. 819. „Primum hoc moneuduui est, Her-
mesianactis carmen aequabilem stropharum descriptionem ha-
bere. Constaut autein illae strophac e tribus, duobus vel qua-
tuor distichis, et certa vicissitudine inter sc respondent. t: Et-
was Aehnliches findet sich im Gesänge des Thyrsis in Theo-
krits erstem Idyll V. (34 — 141., der mit einer sechszeiligcu
Strophe anhebt, dann drei dreizeilige, fünf fünfzeilige, wie-
der drei dreizeilige, fünf fünfzeilige Strophen folgen lässt, und
dann zuletzt mit einer scchszeiligen schliesst. Yergl. G. Hcr-
N. Jahrb. f. thil. u. Paed, od. hrit. BiOl. üd. XWlIl. Hfl. I, 4
50 G r i e c h i 8 c h c L i t e r a t u r.
mann in Zimmermanns cit. Zeitschr. 1838. S. 227. Bei Herme-
siauav lässt sich vornherein das antistrnphischc Yerhältniss nicht
•renau hestimmen, weil das Gedicht ccxecpakog ist. Setzen wir
aber vorerst die drei ersten Disticha bei Seite , so stellt sich
unter den epischen nnd elegischen Dichtern zunächst folgendes
Yerhältniss heraus: den vier Distichen des Orpheus (V. 7 — 14)
entsprechen eben so viele des Homeros (V. 27 — 34), dazwischen
die* Disticha des Musaeos (V. 15 — 20) und Hesiodos (V. 21 —
20); dann folgen mit je drei Distichen Miranermos (V. 35 — 40)
und Autimachos (V. 41 — 40), von denen es zweifelhaft ist ob
sie die vorhergehende Gruppe besch Hessen oder eine neue be-
ginnen sollen. Letzteres ist wahrscheinlich. Weiter entsprechen
sich nun Alkaeos (V. 47 — 50) und Philetas (V. 75 — 78) mit je
zwei Distichen, Anakrcon (V. 51 — 56) und Philoxenos (V. 69 —
74) mit je drei Distichen, in der Mitte stehen Sophokles und
Euripides: da dem letztern 4 Disticha (V. 61 — 68) zugetheilt
sind, so ist es sehr wahrscheinlich, dass eben so viele dem So-
phokles zugedacht waren , also die V. 60 befindliche Lücke aus
zwei Distichen und einem halben Pentameter bestanden haben
muss. Die dritte Gruppe füllen die Philosophen aus, und zwar
so, dass der allgemeinen Betrachtung (V. 79 — 84) die drei dem
Sokrates zugetheiltcn Disticha (V. 89 — 94) entsprechen, endlich
Pythagoras (V. 85 — 88) und Aristippos (V. 95 — 98) mit je
zwei Distichen einander gegenüber gestellt werden. Hiernach
wäre die Stropheneintheilung festzusetzen.
V. 3 stimmen wir Hr. Sehn, darin bei, dass er die handschr.
Lesart aiteiüsa nicht durch Hermanns Conjectur aatvdsa ver-
drängt hat ; das Epitheton, w elches hier der Unterwelt beigelegt
wird, kommt eigentlich dem Hades selbst zu, dagegen entspricht
V. 4 Hermanns &6xvi}v den Schriftzügen der Codd. dxotjV weit
mehr als Lenneps xoivqv , welches Hr. Sehn, aufgenommen hat;
warum aber jene Form vix excusabilis sein soll, dafür ist uns Hr.
Sehn, den Grund anzugeben schuldig geblieben. Das Adjectivum
ist hier nach einer ganz gewöhnlichen Aüraction auf I'cxutov be-
zogen, während es genau genommen als Adverbium mit t'Xxsrca
zu verbinden ist: „Charon zieht unaufhörlich die Seelen der
Verschiedenen in seinen Kahn. " Unter den aufgezählten Con-
jeeturen fehlt Meinekes xvavtjv ad Theocrit. 17, 48» — V. 10
scheint auch uns Emperius' Conjectur tlöe statt t]öl höchst glück-
lich gewählt: Cocytam vidit ad cantum suum subridentem (hm-
fiSLÖtjöavtcc) , quem nefas ridere. cf. Hymn. in Cer. 358. — V.
25 sq. schlägt Hr. Sehn, vor: näöag 6s yoäv uvsyQccipctTO ßi-
ßkovg v/xrav. Aber was soll nun ccvtQxo^isvog? Will man nicht,
wie ich früher vorgeschlagen , caiccgxönsvog lesen , so ist Empe-
rius' Conjectur evctQx6[i£vog am gelungensten, so dass nun das
Ganze folgende Gestalt erhält:
Schncidewin : Delectus pocsig Graecoruni. 51
itätiag de Xoyav dvsygdi'ato ßifiXovg,
vpvav ex 7tgviiTjg natdog ivagxö^itvog.
Der Grund, weshalb Huschke V. 35 noXXov dvarXdg in irokköv
dvaxXdg verändern wollte, ist durchaus nichtig: man vergleiche
nur Odyss III, 121. ndXa noXXov h>ixa öiog'Odvöötvg. Dage-
gen führt der Artikel im ersten Glied xöv tjdvv — i)%ov von
selbst auf Emperius' Schreibweise nv&vpcc rö ittvia^hgov statt
itvivy? dno tiivt. Dass V. 37 noXiog auf die Holzfarbe des
Xaxög , nicht aber auf das Greisenalter des Mimnermos zu bezie-
hen sei , darin stimmt auch Hr. Sehn, uns bei. V. 30 emendirt
Hermann am sichersten :
öt'iyßr} d' EgpoßLOV tov dti ßagvv ijdi <&£QExXr}V
t^froöv (iiGtjöag oV dvtnt^iv sntj.
i. e. Poenituit eum carminum qualia effuderat, (juum semper
sibi pravein ' Hermobium inimicumque Pher erlern odio perseque-
7 et tu: Wenn hierzu Hr. Sehn, anmerkt: „At de iambicis carmi-
nibus IMimnermi non constat:" so verwechselt er Welckers
(Hhein. IMuseum 1835 S. 143) Ansicht mit der Hermannschen,
welche von Jamben des Mimnermos kein Wort vorbringt. Sollte
denn der Dichter seine feindliche Gesinnung gegen Hermobios
undPherekles nicht auch in Distichen haben aussprechen können?
Zumal wenn sie mit Liebesverhältnissen zusammenhing. V. 47
ist IMitschcrlichs Conjectur dvidsi^nzo durchaus überflüssig, da
die handschr. Lesart dvtöi^axo einen sehr guten Sinn giebt. —
Zu V. 55 ist zu bemerken, dass Paldamus seine Conjectur ivv^i-
vov statt tvoivov in Zimmermanns Zeits f. d. Alterthumsw. 1838.
S. 1218 selbst zurückgenommen hat : „ quum vini amor tangendus
esset, id repetitione adiectivi efficit poeta Alexandrinus, qui quo
magis ipse quique Alexandrini vocantur arte, non nativa simpli-
citatc excellebat, eo magis hacc naturae adminicula adamabat. "
Mvq'lov lässt sich wohl am einfachsten mit Wenscli in MvGiov
verbessern. — V. 59 lassen sich die verdorbenen Schriftzüge
dytLQut&eictQSidog am sichersten in dvtyugt &tagi8og auflösen;
die hierauf folgende Lücke aber scheint , wie wir oben wahr-
scheinlich gemacht haben, grösser zu sein, als man bisher ver-
muthet hat; an eine Ausfüllung derselben ist daher nicht mehr
zu denken. — Sehr geistreich ist Y. 62 Emperius' Verbesse-
rungsversuch :
aal Xctöftav plöog xtco(ibvov Ix Qvv6%av,
so dass Euripides sich durch seine unaufhörlichen Lästerungen
den Ilass der Frauen zugezogen habe. Bedenklicher schon ist V.
09 dvSga de töv Kv%igrfttv dvidgitpav noz 'A^r]vuL , so dass
von Fhiloxenos ausgesagt würde , er sei auf Kythera geboren , in
4 *
52 Griechische Literatur.
Athen aber aufgewachsen. Auch V. 74 dürfte durch den zu küh-
nen Versach: avkoig nrjhjftfig t.)]X£t äjro7tgö yooig noch lange
nicht geheilt sein. Treffend hinwieder wird V. 90 also restituirt:
«Yfifdg, tov 2Jixc<vrjs slatöog >jpaöaro, nam ITyccaris oriunda
Luis. V. 98 jedoch kann ich von meinem früheren Vorschlage
ovo' aitkyjav i% EcpvQijg tßia nicht eher ablassen, als bis neue
Hilfsquellen neues Licht verbreiten; denn hier scheint Emperius'
Conjcctur uvtpcov i%tcp6ß}]<3t ßt')], nicht auszureichen.
Alexander Pleur. Fragm. 2, .'$. verharre ich bei meiner frü-
heren Conjcctur xarijveGccv statt des unsinnigen top yvi6uv, dem
wenigstens keine Stelle mehr im Text gebührt. Ueber öiylov
ist nunmehr auch Boeckh zu vergleichen in den metrologischen
Untersuchungen S. 49. — Fragm. 3, 8. müssen wir auf Hrn.
Schneidewins Seite treten und (pkoiav wieder aufnehmen: „re-
ferenda verba ad ipsum parodum Homericis verbis magnificis ve-
nustc et vafre ad res vilissimas abusum.u Man berücksichtige
übrigens auch L. Preller ad Polemonis fragmenta p. 82 sqq.
Die zweite Hälfte des Buches enthält die Bruchstücke der
iambischen und melischen Dichter, auch am Schlüsse eine Aus-
wahl von Skolien und Volksliedern. Inzwischen sind auch gehö-
rigen Orts die elegischen Uebcrreste des Archilochos, Anakreon
und Simonides eingefügt. Doch wollen wir hier abbrechen und
mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken was in der An-
merkung zu Simonides 08, 4. eben nicht Erbauliches für mich zu
lesen ist, wenn es mir gleich zu voller Befriedigung gereicht,
dass gerade in dem fraglichen Punkte G. Hermann mir, nicht
aber Hrn. Schneidewin beistimmt. Scheiden wir daher in Frieden!
Fulda. Dr. N. Buch.
Antiphontis orationes XV. Recognovit, annotationem cri-
ticain et cnninientai-ios adiccit Eduardus Maetsncr. Berolini , Pos-
iianiac, Bulgostiae, formis et sumptiltus E. S. Mittlen. 1838. 8.
Die Veranlassung zur vorliegenden Ausgabe scheint zunächst
der Umstand gegeben zu haben, dass sich Herr Mätzuer im Be-
sitz der Collatiou einer noch nicht benutzten vortrefflichen Oxfor-
der Handschrift befand, durch welche er sich in den Stand ge-
setzt sah, eine neuere und sicherere Textgestaltung vorzunehmen,
als dies bisher möglich war. Diese Handschrift (mit N von Hrn.
M. bezeichnet; , welche nach Hrn. Cramers Urtheil aus dem 14.
Jahrhundert stammt und demnach leicht die älteste der vorhande-
nen Handschriften unseres Redners sein dürfte, möchte für Anti-
phon keinen geringeren Werth haben , als £ für Demosthenes,
und welleicht eine noch sorgfältigere Berücksichtigung verdienen,
als ihr, wie wir sehen werden, von Hrn. M. zu Theil geworden
ist. Denn nicht nur, dass sie fast überall , wo die bisher als die
Anti;)huutis orationcs cd. .Mucfzner. 53
besten anerkannten Handschriften (AB bei Bckker) von den an-
dern schlechtem (LZ und M) abweichen, mit jenen überein-
stimmt; sie giebt auch häufig allein das Richtige, bestätigt an
vielen Stellen Lesarten, die als nothwendig erkannt ohne hand-
schriftliche Auctoritä't in den Text gesetzt worden waren, füllt
mitunter Lücken aus, erkannte wie unerkannte, und weicht na-
mentlich oft in der Wortstellung von allen übrigen Handschriften
ab, aber in einer Weise, dass sie, wie Hr. M. p XV. sagt, aul
Vitium apertum t.ollut mit sententiam adiuvet out ce/te ejj'iciat
ut numeiosius cailat oratio. Mit diesem Urtheilc stimmen die
neuesten Herausgeber der attischen Redner *) , die Herren liai-
tcr und Sauppe, welche die vorliegende Specialausgabe leider!
nicht mehr benutzen konnten, nicht ganz übereiu: atque est ille
Über, sagen sie praef. p. II , bonae quidem notae, sed ut ad ean~
dem familiam pe/tineai ?, ad quam Codices itostii omites (dies
kann zugegeben werden, ohne dem Werthe dieser Handschrift,
welche die erste und vorzüglichste in dieser Familie ist, zu nahe
zu treten, wiewohl es unsres Bcdünkens daraus, dass sie mit-
unter oder auch häufig dieselben Verderbnisse wie die übrigen
Codices zeigt, noch nicht mit INothwendigkeit folgt), et mulla
faciunt suspicionem^ a sciiba docto illo et ingeuiosu int ei dum
idem factum esse, quod in Lysiae codice lum enliano saepis-
sime factum esse infia ridebimus, und zum Deleg dieses Urtheils
werden zwei Stellen angeführt, die gerade das Gegenthcil bewei-
sen, I, 19. TJutrsgag (so N für tßijg) und IV, a, 2. dt,ito#ivzog
für cii-iu&elg. Beim au jener Stelle (ovnco yäy gj£a vnö xt,g Litj-
T.QVLag xijg ijumoorg i^aTraxcoukvif) würde es keinem noch so ge-
lehrten Abschreiber in den Sinn gekommen sein, ijtnxtgug zu
setzen, wenn er ipijg vorfand, da er aus dem Vorhergehenden
wissen musste, dass es die Stiefmutter des einen Anklägers, die
rechte Mutter seiner Brüder war; aber wohl konnte ihn grade
dieser Grund bestimmen, das vorgefundene i^iaxtgag in i^t'jg zu
verändern, zumal da gleich darauf tw de tkxtql reo rjp,txegoj
folgt, weshalb sich an dieser Stelle gerade die Güte dieser Hand-
schrift zeigt. An der andern Stelle hebt diese Handschrift durch
*) Unterzeichneter erlaubt sich bei dieser Gelegenheit, die- bei-
den Herren Herausgeber auf eine luconscijuenz aufmerksam zu machen,
welche der Verdien?tlichkeit ihres Unternehmens Abbruch thut. Sic
erklären in der Ycrrcdc: itaqve intelligent um est, quod opud nos le»u-
tur aut esse in coilicibus out quo nuetore le«ulur in tuliwtutioiiibns cxplicaii.
Dieser lobcnswerlbe Grundsatz ist aber leider! nicht durchgeführt.
Itcc. bat allein in der 5. Hede Antiphons fünf Stellen gezählt, wo
eine Conjeetur im Texte, steht, ohne ducs der Leser davon avcitirt
wird: § 29. xi al^cc. -48. rw tf.ivQtQov» DO. öimeatvs. 1)1. ini tat,
üb*, iäv xi%
54 G r i c c li i s c h e L i t e r a t u r.
eine überraschend einfache Verbesserung ein bisher ungeheiltes
Verderbniss auf. Die Vulgata hat : o6zig ovv zovzav vno xov
Qiov ä!~i<D&t'ig tov ßlov Tjuäv dvö^iag ztvä dzonzilvfv. Reiske
schlug dnoGxiQH für änoxTtlvsi vor, Herr Baiter will zov ßlov
getilgt wissen; beide bedachten nicht, dass dann rjpt(ovy welches
Wortstellung und Sinn mit ztvä zu verbinden verbietet, unerklärlich
bleibt. Unsre Handschrift giebt nur äl-iG)dsvzoc, eine Verbesserung,
bei der man sicli wundert, dass mau nicht selbst darauf verfallen ist,
und wodurch die Stelle sicher und vollständig geheilt wird. Wer
will nun hierin die Emendation eines gelehrte« Abschreibers se-
ilen, namentlich wenn er bedenkt, wie leicht die Corruption aus
paläographischen Gründen war, und wie leicht ein Abschreiber
sich verleiten lassen konnte, das Particip auf das eben vorherge-
gangene ööztg zu beziehen. Wir glauben daher, dass die Hand-
schrift auch hier, wie au so vielen Stellen, die echte Lesart giebt
und loben es, dass Hr. Hl. keinen Anstand genommen hat, <xt,ia-
Kiivxog in den Text zu setzen, nur mnsste er sich freilich vor der
durchaus fehlerhaften Intcrpunction hüten *) und, wenn er ein-
mal die Genitivi absoluti in Commas cinschliessen wollte , das
zweite Comma nach rjuäv, nicht nach ßlov setzen. Indem wir
also noch keinen Grund sehen, unsere Ueberzeugung von der
Vortrefl'lichkeit dieser Handschrift zu modih'ziren und tue verspro-
chene gegentheilige Beweisführung der Herren Baiter und Sauppe,
die wir hoffentlich in einem der nächsten Bände ihrer Oratores
attici erhalten werden, abwarten müssen, wollen wir zur Bestä-
tigung unsrer Ansicht, sowie zugleich zur genauem Würdigung
des kritischen Verfahrens, welches Hr. IM. eingeschlagen hat, die
erste Bede Antiphons in kritischer Hinsicht genau durchnehmen.
Wir bemerken vorher noch, dass Hr. M. auch die Varianten der
übrigen von Bekker und Dobsou verglichenen Handschriften, der
Ausgaben und der Citate bei Grammatikern, Lexikographen etc.,
sowie alle ihm bekannt gewordenen Verbesserungsversuchc, unter
diesen freilich auch manche, welche billiger Weise der Verges-
senheit hätten übergeben werden müssen, unter dem Text zusam-
mengestellt, und dadurch einen möglichst vollständigen apparatus
criticus geliefert hat. Der Commentar, in welchem auch das kri-
tische Verfahren seine Rechtfertigung findet, steht, wie in der
Ausgabe des Lycurg , hinter dem Text.
Um nun auf cod. N zurückzukommen, so ist dieser, abgese-
hen von den paar Stellen , wo er einen Fehler mit AB theilt (au-
1% für ctvxrjg § 15, 0. avzüv 12, 8. 18, 4. gehört nicht dahin),
nur an folgenden Stelleu offenbar durch Schreibfehler oder sonst
') und auch vor der Bemerkung: verbum anoKTBt'vsi ad aecusa-
torcs polissimum respiiit , qui in causa sunt ut rei capitis poenam ha-
bcant, weil man sonst glauben inusa, dass er die leichte Stelle misa-
vcr«tnnde'n halte.
Antiiiliuiuis orationcs cd. Muctziier. 55
wie mehr oder weniger entstellt: argum. 5. xolv a koytjöoftivtjg dl
tavxtjg xijv nakkaxiqv (f. xy nakkaxij). Ibid. xal pydli'.xaiöitt
xö [irjdh or. § 3. dntikynfii'vG) f. aTcoktkiinfiirtp. 4. r]v nol für
ij not. 0. jrgov9v{it}&t]v für Jigovdvntföq. 7. näg ovv —
ildsvat ausgelassen. 8. dvxopaifxo x 6 g (für — xeog). 16. i&s-
ktjöoi für iiteA^öSi. 17. l%vxo für m#uro. — ryg Kk. für TJ?g
ÄA. 23. qdixy]xe für qdtxyxsvi eyto für tycu ö'. 24. ijdixyös
zweimal für rjdtxrjxe, xavxt] für xavxy, 25, 3. xalroi für xal
(durch das vorhergegangene xaizoi veranlasst). 25, 0. ?jd)j y ovv
f. rjÖt] ovv eya. 26. ag y f. og y. — xikivovöa für xfAtuöftöa.
27. ot>Y rjgaag (für ouir' ^') 29. yivciöx o v öi f. yivw'öxcoöf. —
/XKOtvoö vxav für pagxv'govxai. 30. «V onokovviai für ö^oA-
Awrat. 31. öc Sujyytui (dtdirjyqxai,? vgl. Bnttm. § 80. Aiun. 6.
**) für diijyyxca. Zwei Stellen, wo A7 allein nicht elidirt (dg
txovoiag § 5. und t« tTtoioviro § 18.), kommen hier nicht in Be-
tracht. Dagegen gieht diese Handschrift an folgenden Stellen (wir
zählen vor der Hand blos diejenigen auf, an welchen Hr. 3J. der-
selben gefolgt ist) allein das Richtige oder wenigstens das Bessere :
gen. Antiph. p. 1, 11. aöxs Neörcog iTitxcdiito (für ixakslro).
argum. sv nofiaxt,, was die Lesart des A pr Iv ncöpaxt, welche
Hr. M. für die vulg. iv axjicofiaxi, aufgenommen hat, bestätigt.
Bei Antiphon selbst hätte iv nöfiari geschrieben werden können.
S. Schneider zu Piatos Rep. 3, 40ti. A. — or. § 4. jrpog tiWg
ovv El&y xig ßoydovg, wie Bekkcr in der Berliner Ausgabe,
aus seiner JNote (hkftoi libri omnes.) zu schlicssen, setzen wollte;
für ik&oi , was auch die Herren B. S. beibehalten haben, müsste
es wenigstens äv sk&oi (so wollte Dobree) heissen. — § 7. ftry
yag opükoyovvTttv , wie Bekkcr ebenfalls nach Conjcctur ge-
schrieben hatte, für ftlv yag öp., wie die übrigen Handschriften
geben, oder «>) 6(i. yag, wie die Vulgata hat. — Ibid. jj#i-
kijös noirjöaööca tkty%ov für rjxttkr^tv tk. ir. — 8. ort ov%
oiöv x' i)v avxi]v (für avxy) tuoüijvca. — 9. xavzqv xb (wie
auch A gehabt zu haben scheint) für xavxtjv (Bekk.) oder xal
xavrtjv (vulg.) — 10. infgazcöfii,, wie bereits Reiske geschrie-
ben hatte, für inegcoxcö fit]. — Ibid. avro /uot tolto, wie
Reiske \ermuthet und Bekker geschlichen hatte, für avzö /uot
XOUtQVh — 11. änriyytky)}] , wie Reiske vermuthet, für ijtijy-
yikdrj. — Ibid. ßaöaviöat, avx f.uoü für üvi ifiov ßaöavt-
ö«t, an welcher Stelle Hr. M. such die Iiiterpunctiou verändert
und die Worte lyco yag tifit — avx fuot) in Parenthese ge-
setzt hat. Damit stimmt aber seine eigne Erklärung S. 130. nicht
überein. Denn wenn zu vvv dt Etwas wie ov% ovrog tyu hinzu-
gedacht und nicht vielmehr ijuot biyaov damit verbunden werden
sollte, so durfte nach ßaöavioat, avx' c.uoü kein Parenlhescnzei-
chen, sondern es musste eine grössere Iiiterpunctiou, ein Colon
stehen; denkt man sich aber ovy ovtag £$«t hinzu , so ist auch
das rarenthesenzeichen vor tyu> so unnöthig, wie es bei cdla. yag,
56 Griechische Literatur.
das denselben Ursprung hat, gradezu falsch sein würde. — Ibid.
rwxd tccvtcc für tccvtcc avxtx. — § 16. i^iBkkev. xäkktöxov
für h'uskkf. xükkiGxov. — Ibid. iöoxu tivcu für üvai lööxu.
— 18. Trag dvdgl sxcclgco ccvxov (ccvxov fehlt in den übrigen
Handschriften und Ausgaben). — 20. ovdsv ccixicc, wie man nach
Conjectur von Stephauus geschrieben hatte, für ovo' ivavxia
(ovo iv cdxicc\.). — 21. vficäv detjäopca für derjöoficci vtiäv.
■ — Ibid. iyd ph> ys für syco just/rot, wie die übrigen Hand-
schriften, oder lya ft£t>, wie die Ausgaben haben. — 22. d&s-
fiircc xa\ dvoöicc f. d9s[tiTa. - — Ib. avxovg sxgfjv *• *%QVV «v'rovg.
— 26. nngd xs dvSgl (pikco ccvtov f. nagd xs dvögl ccvxov tpika.
Hr. M. hat natürlich ccvtov drucken lassen. — 27. ül6fV#9t$&a
ovxs Öf/öaö' dirojkeGtv für raö^vi #aöa r*itt6).z6iv. Hr. M. hat
darnach mit Recht cclöx- ovöe dsiGaöa ditfoktötv geschrieben.
Zu den Stellen, welche im Commentar zur Hechtfertigung dieser
Verbindung angeführt werden, kann man noch Aeschines 1, 180.
ovg Ixüvol xcci ccl6%vvovxai xal ösdlccöt, hinzufügen. — 29.
ngiv y TJdq ev ccvxä wöt ia xccxä für ng\v iv ccvxti) aiöt xiö
xccxa y ijÖtf. Eine so ansehnliche Zahl von Stellen, an denen
diese Handschrift entweder das allein Richtige allein bietet, oder
doch Lesarten giebt , die sich gleich beim ersten Anblick als vor-
züglich empfehlen, muss ein gutes Zutrauen zu der Handschrift
erwecken, und wir glauben, dass dieselbe es verdiene, noch an
folgenden Stellen berücksichtigt zu werden, gen. Antiph. p. 1, 8.
ort tiijde y}V itä tig to xs (i. e. xöxs) fjnjxs koycav nyxe xs-
%väv gqxogixcyv övyygcccpsvg — or. § 3. xai fii] ccna%, dkkä
nokkdxig ijörj kqcpdeiöav für dkkd xai. — § 6 xal ov tovrd
y sgü, <yg ev oiösv ort y ovx ditsxxeivev (für ort ovx
dusxxstvsv). Hier stimmt A mit N überein, und der Sinn em-
pfiehlt diese Lesart (rag xo ye (ttf dnoxxslvat xqv firjxega, xov-
xo tv oiÖti>). An ort ys zweifelt jetzt (vgl. Schneider zu Xe-
noph. Hellen. I, 7, 6.) iNiemand mehr, eben so wenig daran, dass
die Partikel ys , wie bei cilg ys , s'iys und Aehnlichem, nicht die
C'onjunction, sondern den ganzen Satz alficirt. Vgl. Schneider zu
Plato's Kep. IV, p. 435. E. VIII, p. 543. B. - § 10, 1. did ovv
xavxoc eya ßdöavov rot ccvztjv (d. i. ßdäccvov xoitxvxijv) jJO'e-
krjött 7toirtöaö&at, nsgl avxoäv. Die ganze Stelle gewinnt durch
diese Lesart: ein solches Verhör, nämlich bei dem, weil
es sich blos auf die eben angegebenen den Sklaven bekannten
Thatsacheu beschränken sollte, die darauf bezüglichen Fragen
schriftlich aufgesetzt waren: ade ßaGavlöui y&skijöcc , ygätyccg
xxk. Vgl. zu V, 36. Kühner Gr. Gr. § 663. XI. Die ganze schwie-
rige Stelle aber verlangt nach meiner Meinung eine andere kriti-
sche Behandlung, als ihr Hr. M. hat angedeihen lassen *). Gleich
') Diese Rccension war zum grössten Tbeil bereits geschrieben,
ehe jeh den ersten Band von Baitcr und Saunpc's oratt. att. erhielt.
Antiphontts erationcs cd. Mactzncr. 57
die ersten Worte: tovto psv yag ffttÄqo'ctuw xa xovxcav dv-
dgänoda ßct6ccvi<Sai § 9. können nicht richtig sein. Dass an
roiJro piv ohne ein xovxo ös kein Anstoss zu nehmen sei, be-
merkt zwar Hr. 31. richtig, nach dessen Meinung ßa<5avt6räg ö 8
avxovg xovxovg sxsKzvov yivtödat das entsprechende Glied ist.
Den Plural rjdslijöapsv erklärt Hr. M. durch ego et flwwi, und
fügt die sonderbare Bemerkung hinzu : plurale verbum etsi alie-
mttn est ab huius causxie more , sine idonea causa in Bakii in-
currit reprehensionem ; denn wenn jenes ist, so hatte Bake wahr-
lich genügenden Grund am Plural Anstoss zu nehmen. Und der
Plural ist wirklich alienus ab hac caussa. Unser Ankläger bedient
sich sonst immer des Singulars, er hat keinen gerichtlichen Bei-
stand (vgl. § 4.), trotz der unerwiesenen Behauptung des Herrn
Mätzner: etenim et accus atori et reo praesto sunt cognali
atque amici, quos oratione simul comprehendere söhnt S. 128.
extr., und wenn der Ankläger hier den Plural brauchte, so mussle
er auch gleich darauf bei der Wiederholung dieser Worte iföiXij-
öccpev, nicht ydskrjöcc sagen. Antiphon schrieb wahrscheinlich:
tovto piv yag rj&elijöa psv xä xovrav ttröganoöa ßa6avi-
tfai, — ßaönviörag Ös vmovg tovrovg i*iktvov ylyvtti&ett,
was durch § 11. bestätigt wird: lya ycig dpi tovto piv 6 &s-
Xcov avto'g ßccöaviöxrjg ysvsGxfcn^ tovto öi Tourofg avxovg
xeltveov ßuo'aviQ'ai avx spov. Für tovto piv müssen wir nun
ein anderes entsprechendes Glied suchen, und wir glauben es in
dem Gedanken, den Antiphon zu Anfang des § 11. in anderer
Form ausdrückt und jetzt ausdrücken inusste, gefunden zu ha-
ben: „denn in dieser (der einen) Hinsicht (roüro piv mit
Beziehung auf das Vorhergehende vg ovx -^dikrjös öarpiög nv-
ftko&at spov %s\ovxog xrj öixaioxaxi) ßttGavqt j^jyGXJfttti
jisqi xovxov xov Tcgccypaxog , also damit die Wahrheit offenbar
werde) wollte ich die Sklaven peinlich befragen
oder sie von meinen Brüdern befragen lassen; eine
andere Hinsicht war, dass ich eine etwaige Wei-
gerung von Seiten meiner Brüder als Beweis für
die Richtigkeit meiner Behauptung brauchen
konnte. Im Folgenden stimmen wir Hrn. M. bei, wenn er den
Optativ ärayxü^oi für das handschriftliche avayxät,u verthei-
digt, weil uns nicht sowohl der Iudicativ iu der Apodosis
nach dem Optativ mit sl (Kühner Gr. Gr § 819. b), als vielmehr
der Uehergang in die oratio reeta selbst hier anstössig ist ; der
Satz erhält nämlich dadurch (auch durch das Futurum clvuyxäöti,
Mein zufälliges Zusammentreffen mit Hrn. Sauppe in der Emcndation
dieser Stelle mag vielleicht Etwas zur Empfehlung derselben beitra-
gen. Deshalb Hess ich diesen Theil meiner Reccnsion unverändert,
wie ich ihn vor Erscheinen der neuen Ausgabe der Redner abgefasst
hatte, abdrucken. Fr.
58 G r» ecliis che Li tc rata r.
weich« Hr. M. in diesem Fall für nothwendig hielt, das Anschn
einer allgemeinen Sentenz, wie in den folgenden Worten avxtjydg
— 7ioiq<5ai, während doch nur von einer früher gehabten nicht
erreichten Absicht die Hede sein kann. Der Optativ wird noch
durch iva bedingt. rH öixt] steht aber in keiner Handschrift und
war deshalb mit Recht von ßekker eingeklammert worden. Herr
Bf. hat die Klammern hinweggethau, und erklärt -q öixq durch
lustilia: die Göttin der Gerechtigkeit sei bei dem peinlichen
Verhöre zugegen und zwinge die Befragten zürn Gestäudniss der
Wahrheit. Uns scheint dies der antiken Vorstell ungsweise sehr
fern zu liegen. Die Folter ist es, welche das Gestäudniss der
Wahrheit erpresst, nicht die Göttin der Gerechtigkeit. Da nun,
wie Hr. M. selbst zugiebt, rj ßecöai'og aus dein Vorhergehenden
supplirt werden kann (die Herren B. S. haben [q ßäöavog] statt
[q öixrj] in den Text gesetzt), so ist wohl nicht zu zweifeln, dass
7} dlxq, was in keiner Handschrift steht, als Glossem zu streichen
war. Die Worte: ivcc pq dvayxutppavoi a ayco anagcozüpi kä-
yoiav erklärt Hr. M. grammatisch wohl richtig: ne vi coaeli ad
ea omnia responderent quae ego interrogalurus essein , nur be-
greift mau nicht, was das Citat: Aristot. Itket. III, 14. p. 1415.
ßelik. ol dovkot, ov zu agazwpava käyovöiv txkku zu xvxkco
xul ngooipiä^ovzat, soll. Denn wie der Gegensatz dkk' a^qgxat
xzk. zeigt, so ist der Sinn unserer Stelle: damit ich nicht wie und
was ich wollte fragen und mir durch Hilfe der Tortur die ge-
wünschte Antwort verschalfen könnte. Die Worte: ij kiyoiav
pr) opokoyovpavu hat aber Hr. Klotz ganz richtig erklärt: et ea
nou dicant quae ego sr.ripsera/n, und Hr. AI. hätte diese Erklä-
rung ja nicht antasten sollen; es ist hier eben so wenig de servis
inier se dissentientibus die ltede , als § 7. pr) yocg opokoyovv-
xav xäv avdgccTtööav xzk.
Um aber wieder auf cod. N zurückzukommen, so war aus
ihm § 12. al yug xovxav dtkövzav (für aüakövzwv) ötdövcu alg
ßüöccvov ayco pq eda%dpqv zu schreiben, vgl. § 20. adv vpalg
ts xal ol &aoi ^äkcoßiv; denn die Kegel, dass tiakco nach einem
Vocal, afttkoi nach einem Consonanteu zu schreiben sei (zu Ly-
kurg S. 213.), hat Hr. M. wohl aufgegeben. Für tya pq bieten
die anderen Handschriften eya> ös pq. Ebenso giebt N in der er-
sten Tetralogie ß, 4. al yag xovrav avuixlcav doxovvxcov aivav
av apol xddiKqucc (puveixai, zovzav vnöitzcov vvzav ayoj ccv
alxoxog xaftugog öoxoiqv alvai, während die anderen Hand-
schriften aya d' äv bieten. An beiden Stellen hat der vorsichtige
Bekker de weggelassen (ebenso die Herren B. S.) , denn dieser
Gebrauch der Partikel öä ist durch die ähnlichen aber nicht glei-
chen Beispiele, welche augeführt werden (siehe M. S. 136., wo
drei Stelleu gegeben werden, von denen zwei: Lys. in Alcib. I,
§21. und Plutarch. Themist. 21. gar nicht passen) , keineswegs
ausser allen Zweifel gesetzt. Hier musste wenigstens Hrn. Mätz-
AnüphontU orationes ed. Mactzner. 59
ner das Ansehen der besten Handschrift gegen die Liebe zum
Seltsamen schützen. — § 13. dkk' ov% v^slg, a uvdgtg' für
aAA' ov% vfxiig ys, ci ävögsg, wie auch § 23. toutou avfxa für
tovxov ys äv&xcc. — Von § 19. rj^Etigag für ifirjg ist oben
gesprochen worden. — § 22. giebt JV: i]6rj ovv iv vuiv löte
xov og&iog ötccyvcovcti , o xu\ itoiiqöats für tjörj ovv iv vpiv
xovxö iötiv ogdcog diayvävai, o xal Inoirjöaxt. Hiernach ist
rjörj ovv iv vplv iözi xovt 6g%ag öiayvävcu* o xal noirjöaxe
zu schreiben. Der Imperativ jroi^tfars, den Bekkcr und Dobree
vermutheten [er ist von den neuesten Herausgebern im Text auf-
genommen], ist unbeweisbar; was Hr. M. dagegen bemerkt, ist
nicht stichhaltig. Denn dass dadurch der vorhergegangene Ge-
danke wiederholt werde , ist, wie Jedermann sieht, unwahr. Die
Erklärung aber, die Hr. 31. vom Iudicativ giebt: aoristum polius
de re udkibitum esse censeo, quae quamquam nondum peifecta
est, tarnen non posse non evenire cieditur: Ha vt aninii fidu-
ciam hac voce declarasse statuam oratorem , möchte er selbst
schwerlich vertheidigen wollen, noch möchte Hr. Kühner, dessen
Grammatik II. p. 78. (§ 443, 2 ) angezogen wird, dieselbe in Schutz
zu nehmen geneigt sein. Natürlich ist unter den ungleichartigen
Beispielen, die sich an der angezogenen Stelle zusammengestellt
linden, auch nicht eins, welches mit unserer Stelle nur einige
Aehnlichkeit hätte. — § 23. giebt AT: vn\g nyrgog xrjg avtov
£,a6t]g — vneg nargög ftou xz%vtüxog für vnig xrjg prjtgcg
tijg avtov [avtov M. u. B. S.] £cJö>;s — vntg tov jraroo'g pov
xt%viäxog. Der Sinn gewinnt offenbar durch jene Lesart, sobald
man nur einen Schritt weiter geht und für ^ou, wofür Z xov hat,
xovfiov schreibt. Endlich Mar auch § 2f>. xov eavtije ävöga für
xov avtrjg ccvdgcc aus N aufzunehmen. j\ur ein Mal hat Hr. M.
Unrecht gethan dieser Handschrift zu folgen, nämlich § 12. omog
avxäv p.rj xataxpr](pics6xf£ für ojeag avtav ju; xuturl>r]<pi(}r]G!di.
Die kleine Zahl der Beispiele, welche man von dieser Form aus
attischen Schriftstellern anführt, muss schon misstrauisch gegen
dieselbe machen, noch mehr aber der Umstand, dass dieselben
nicht einmal überall sicher sind. Hr. 31. ma<r nur die kritische
Sicherheit der von Lobeck zu Phrynichus S. 74(5. gegebenen Bei-
spiele genauer untersuchen und das beherzigen, was ein compe-
tenter Richter, Hr. Krüger, in diesen Jahrbb. XXII, 1. über diese
Formen bemerkt hat. Noch mehr ist es zu tadeln, dass Hr. 31.
VI, 10. ort ovx äv xaxcul>r]<pl6eG~&s ot>t' äv a7io^t](pi6f6&s ge-
schrieben und dadurch unsrer Ueberzcugung nach drei Fehler in
die Stelle hineingebracht hat: 1) die ungebräuchliche Futurform,
gegen welche hier schon das Schwanken der beiden besten Hand-
schriften, welche an der zweiten Stelle den Conjunctiv des Ao-
rists (u7toipt]cpl6rjO&i) geben, argwöhnisch machen musste; 2)
die Construction der Partikel äv mit dem Iudicativ des Futurs,
welche keineswegs durch die Berufung auf Host, Härtung und
60 ' GriccliisclicLitoratur.
Kühner, am allerwenigsten durch die auf Matthiä's Gramm. §590,
d. gerechtfertigt wird; hat dieselbe überhaupt in der attischen
Prosa Statt gefunden, so ist es nur unter der Bedingung gesche-
hen , auf die G. Hermann aufmerksam gemacht hat und die an
unserer Stelie nicht vorhanden ist; 3) die Verbindung von ovx —
oute, welche sich zwar auch noch bei Bekker findet, aber nicht- ■
desto weniger fehlerhaft bleibt. In der neuesten Ausgabe ist un-
bestreitbar richtig ovz — ovz' geschrieben. Hr. M. hat r, d, 8,
kein Bedenken getragen, mit Reiske, Bekker und Dobson /tt^re
Öixalag {lyze äöixag für das handschriftliche p,q öixaiag firjzs
ctdiy.ag zu schreiben ; warum 'l propter locos Antiphontis gemi-
nos, nämlich B, ß,9. y, 7. JT, ß, 3. Das ist nicht der wahre
Grund; denn wenn (ii) eben so richtig war, wie p.r}ze, so konnte
Antiphon mit beiden abwechseln. Meid! Hr. M. hat selbst ge-
fühlt, dass in so starken Gegensätzen, wie dixcticog und udlxug,
xazcal'rjcpi&G&ca und äxotyqcpl&öd'cii bilden, blos ovzs — ovzs
Platz haben kann. Ucberhaupt ist ov — ovzs unsrer Meinung
nach nicht ohne Weiteres zuzulassen. Recensent hat die Bedin-
gungen und die Grenzen dieses rein poetischen Sprachge-
hrauchs in seiner Abhandlung de usu particularum ovds et ovzs
(Uintelii 1833) S. 26. sqq. aufzufinden und zu bestimmen gesucht.
Wäre es mit ov — ovzs nicht anders, als mit dem deutschen nicht
— «ocA, womit es Hr. M. zu Lykurg S. 90. vergleicht, ohne zu
bedenken, dass auch ovde noch heisst und dass ov — ovds viel-
mehr uuserm nicht — noch entspricht, oder verhielte es sicli
mit ou — ovzs nicht anders, als mit der Anknüpfung eines Glie-
des au das andere durch te, was Ihn. Stallbaum's Meinung zu
sein scheint*): so würden wir diesem Sprachgebrauch nicht so
äusserst selten begegnen, Rec. hat noch keinen Grund gefunden,
die von ihm in dem angeführten Schriftchen aufgestellte Regel zu
verwerfen, und wenn er z. B. an Pindar's növav ö' ovzig aito-
xXaQog iöziv ovz eöezat d. i. ovz' sözlv ovz h'özat, keinen
Anstoss nimmt , so nimmt er desto grosseren an Thucydides' xctl
*) Zu Plato's Cliannides p. 171, r. S. 153. Ich sage scheint,
denn Hr. Staltbaum redet von doppeltem ze, was sich doch unmög-
lich mit ou — oi">r£ vergleichen lässt. Derselbe meint: membra per
ov — ovzs consociata habent rationem aequalilatis , ut eodem modo pos-
sint inservire comparationi , 91/0 geminatum ze frequentari solet ; aber da-
mit schlägt er sich selbst; denn an der Stelle, der zu Liebe diese Er-
klärung aufgestellt wird, muss eben das zweite Glied, hei welchem
ovre steht, als inacquale hervorgehoben werden: ovde ys (Hr. St.
schreibt: ov de yt) , ällos ovöelg , mg fWf, nX^v Icctqos, ovci St] 6
cmrpQcov tazoos yag dv tirj noog xrj oaxpQoovvr) , d. i. aber auch
kein Anderer, ausser dem Arzte, ja auch der Beson-
nene nicht, um den es sich hier handelt. Recensent hat nie ge-
zweifelt, dass l'lato ovde dij 6 ccocpoonv geschrieben hat.
Antiphontis orationes ed. Maetzner. 61
TÖ [ilv el-cs&sv cc7CTonsv<p 6o{tct ovx ayav &sg^6v tjv ovxe
ykagov , «AA' vnsQvfrgoVi nsXixvov, tpkvxxaivatg pixgaig xal
eXxböiv £tr]V&}]x6g (II, 49.), 1) weil Thucydides kein Dichter
ist, und 2) weil auch bei einem Dichter die Stelle nur dann rich-
tig sein würde, wenn er die beiden Hauptmerkmale des Fiebers
(Hitze und Blässe) hätte namhaft machen wollen (= xal tö filv
öcoua ovx ayav ovxs fisguov ijv ovxe #AwpoV) ; dass dies aber
nicht der Fall ist, zeigt das Folgende, welches auf das Qbqiiov
keine Rücksicht nimmt. Thucydides schrieb ovdh ^Aoodv. Eben
so ist auch bei Antiphon V, 93. dvögl — ftrjdlv ccvzcö ^vveiÖöxi
dvöötov slgyaöfisva firjd' (für nyx') ag xovg dtovg ^6ißi]-
xori-zu schreiben, und wir wundern uns, dass die neuesten Her-
ausgeber Anstand genommen haben , diesen Schreibfehler zu cor-
rigiren , da sie doch weder im Lycurg § 9. und Lysias 16, 3. noch
über Herod. 8, 86. gleiche Bedenklicbkeit gehegt haben. Eben
dieselben haben den Fehler in dem Gesetz bei Andocides de my-
ster. 87. tlnjqjiö^ia ös fitjöiv ßovkrjg {irjxE dr]fiov mit Hinweisung
auf Demosth. contra Aristocr. § 87. durch Einschicbung von [itjxs
vor ßov?>rjg getilgt , und werden ohne Zweifel (s. Baiter zu Isoer.
Panegyr. § 102, 3.) auch Demosth. in Neaeram § 42. und die
übrigen von Hrn. Mätzner angeführten Stellen bei den liednern,
die zum Theil schon von Bekker, zum Theil von Unterzeichne-
tem (S. 28. der angeführten Abhandlung) emendirt worden sind,
nicht wieder corrumpiren. So wenig wir aber Hrn. AI. in Betreff
der Verbindung ov — ovt£ beitreten können, eben so wenig ver-
mögen wir, um dies hier gleich abzuthun, einige andere Ansich-
ten desselben über den Gebrauch der negativen Partikeln zu billi-
gen. Derselbe hat z. B. , Reiske's Vorgang folgend, £, y, 10. also
emendirt: dg öi ovdi xijg aficcgzlag ovöe (für xovöe) reo
dxovöicog anoxxüvai, f| av avxoi Xkyovöiv^ dnokvExui, dkku
xoivu. uficpoTtgu xavxa dfxrpoiv ctvxoiv löxt , drtlco6co. Nun
ist zwar mit dieser Emendation gar Nichts gewonnen, wie Hr. M.
selbst gesehen haben würde, wenn er nicht, wie häufig, verab-
säumt hätte, eine Erklärung der emendirten Stelle zu geben ; der
Sinn dieser Worte nämlich kann kein anderer sein, als folgender:
dass er aber auch nicht von der Schuld, selbst
nicht durch das Geständniss (oder das Factum) eines
unfreiwilligen Mordes — freigesprochen wird, u.
s. w. Hier steht nun aber zuerst 1% av avxol kiyovGtv, was mit
dnokvExat, zu verbinden ist, mit x<5 dx. ccJioxxHvai in Wider-
spruch, denn der Gegner hatte eben in seiner Verteidigung be-
hauptet (§ 9.), dass nicht einmal von einem unfreiwilligen Morde
die Rede sein könne, und reo dx. dnoxx. würde nur dann richtig
sein , wenn der Gegner den unfreiwilligen Mord zugegeben, jede
Schuld aber geleugnet hätte. Zweitens aber weiss man bei dieser
Emendation nicht, was man mit dficpoxtgcc xavxa anfangen soll.
Und doch erklärt Hr. M. diese Wrorte (itaque convenientius erit
62 Griechische Literatur.
ea tnteiligere quae modo dieta sunt, nimiiuni cum malae frau-
dis absentia eulpum ad utrumque pertinere , xr)v cfytapti'av xal
xo axovölaq dnoxtüvai) in einer Weise, dass man -sich wun-
dern inuss, wie es ihm möglich war, die richtige Lesart, welche
cod. AT gieht (rov ccxovötag änoxxüvai) , nicht anzuerkennen.
Herr Sauppe fand sie durch Conjectur. Nun heisst freilich ovds
— ovds nichts weiter als: ne — quidem - — nee; bei jener Lesart
aber hiess ovds beide Male ne — quidem, und für diesen Gebrauch
hat Hr. M. einige recht passende Beispiele beigebracht, ohne sich
jedoch über die Bedeutung der Partikel zu erklären. Wie er
aber nun fortfahren konnte : in quibus enuncialis altera negatio
ad universam sententiam, altera ad singulas sententiae notiones
referri (lebet, was in den angeführten Beispielen rein unmöglich
ist, und wie er sich dabei auf Bremi zum Aeschines III, 78. (s. zul,
65.) und Schümann zu Isäus S. 469. sq. berufen konnte (Fritzsche
Quaestt. Lucc. p. 153., üobree Ädv. I, 2. p. 544. Stallb. ad Plat.
Cratyl. p. 398. E. können wir leider nicht nachsehen), das begrei-
fen wir nicht. Denn die beiden Gelehrten vertheidigen mit Hilfe
corrupter Stellen eine fehlerhafte Wiederholung der Negation,
worüber Unterzeichneter in den Actis soc. gr. T. II. fasc. I. p. 44.
sqq. gesprochen hat. Wer da bedenkt, wie häufig die Abschrei-
ber durch Einschiebung und durch Weglassung der Negativen ge-
sündigt haben, wird kein Bedenken tragen, solche Fehler auch
ohne Hülfe der Codices wegzuräumen. In Lucians Piscator c. 18.
p. 589. und Philopseud. c. 40. las man ohne Anstoss zu nehmen :
ovdsv ov y,rj c. coniunet. , bis Hrn. Jacobitz' besonnene und sorg-
fältige Kritik diese Stellen durch Tilgung des ov, an der ersten
freilich nicht ohne gewichtige handschriftliche Auctorität, heilte.
Vgl. zu Dial. Marin. VI, 3. Um so weniger wird man sich besin-
nen, denselben Fehler im Demosth. Phil. L § 44. p. 53, 4. ovds-
itox ovdsv iipXv ov py) ykvYyiai xcöv dsövxav, ebenfalls nicht
ohne handschriftliche Auctorität, zu entfernen; und wie Hr. M.
im Antiphon A, ß, 9. mit Dobrce gegen alle Handschriften c$g Ös
xovds töv xivövvov ovx dö(palsörsQOv xov dno xr)q yQa<p>}$
ijyovptjv ilvai akkä itokkcatkccuiov geschrieben hat , weil das
handschriftliche a; ds ovös tov »Iva. ovx äöqp. xrA. einen
groben Fehler enthält, so musste er auch B, d, 7. einen nicht
minder groben Fehler entfernen: ö d' Idav xovg dxovtl^ovxas
tvnstäg äv scpvXcc^aro (.irjdsvcc iiy ßctkeiv, wo auch Hr. Baiter
sah, dass ftj) zu streichen ist. So ist bei Demosth. Olynth. I. p.
16, 12. § 24. slt ovx cd6%vve6&E, ü [irjd' ü jra#oiT äv, ti
övvaix sxslvog, xavra noir\<5ai xctigöv E%ovxsg ov xoX^6sxs;
die Partikel ov durch keine noch so künstliche Interpretation oder
gar durch corrupte Lesarten, wie Eurip. Hippol. 1007. (1011. M.)
xsl fi»J xo xzL, zu retten. So ist ov vor xovxov bei Lysias 13,
52. und sonst oft genug von Abschreibern , die den Zusammen-
hang vergessen hatten , eingeschoben worden. — An einer an-
Anti|>hoiu!s oratiuncs ed. Muet/ner. 63
deren Stelle können wir die Erklärung, welche Hr. M. von prj
giebt, nicht gut heissen: V, 6.r>. tpol fitv ydg rä «»} ilgynG^e-
va toöovrov tÖ paxgoxaxov (diese Conicctnr Beiskes bestätigt
JV) tfjg aiioxgiösajg iöriv , ort ova. t'i'gyzöpat. Exspectes,
sagt Hr. M. £anz richtig, tg5 ovx tlgyuöpti »fi» , quum de uno
eoque cerio homiue , qui non commisit facialis, agut orator.
Aber wie hilft er sich? Verum non abhorret a Graecorum usu
prj parlicula cum parlicipio copulata, tibi causa affertur. Da-
mit ist aber Nichts gewonnen; noch weniger durch die beiden
Beispiele, Antiph. A, ß, 4. äd?uu piv ovv itct.6%G> pij ctnoXo-
yÜ6ftoti fiävov ßia^öfisvog , wo das Participium durch wenn,
nicht durch weil, zu erklären ist, und Xen. Cyrop. VI, 3, 15. ot
ö' aAAoi, coönfQ elxög, prjötv etdorBg, tx7tS7tkrjyphoi i)6av
tä itgaypaTi, wo prjdhv siöotig unter dem Einfluss von togjisg
slxög stellt, wenn nicht geradezu Sgneg ilxog prjdlv tldorag
zu schreiben ist; am wenigsten durch Berufung auf Gayler's Par-
ticularum graeci sermonis negativarum accurata disputatio,
ein Buch, welches gar nicht hätte geschrieben werden sollen.
Wie erklären wir aber unser tc5 pi) ügyad^iivco ? Man fühlt
leicht, dass tw ovx tlgyaßuivcp hier viel matter und nach-
drucksloser sein würde. Nichts desto weniger kann sich Ilec. noch
nicht überzeugen, dass prj mit Nachdruck zur AfFirmirung eines
negativen Gedankens gesetzt worden sei, sondern findet hier, wie
in den relativen Caussalsätzen , auf welche sich Hr. 31. gleichfalls
bezieht (vgl. meine eomm. de part. negg. I. p. 13.), mehr oder
weniger die Form der oratio obliqua. Man lese die Stelle im Zu-
sammenhang, um sich zu überzeugen, dass folgende Uebersetzung
der in Frage stehenden Worte: mihi eiiim qui nonfecerim
satis est respondisse cett. genügenden Aufschluss über die Parti-
kel giebt. Dass diese Erklärung nicht überall und nur mit grosser
Vorsicht anzuwenden sei, versteht sich von selbst; z. B. V, 21.
xal Trgcozov [thv avtd ravta ffHoku/t* ort prj ngovola päXXov
iyivtro rj rvyj) würde sie in keiner Weise anwendbar sein, und
Hr. M. that Becht, ov für prj zu schreiben; eben so musste er
aber auch V, 28. rvv Ö' iv piv a inivs ttXoiio xal e£j ov iijf-
ßctivtv, iv xovxco (paö\v tvgtiv öripila, iv a ccvtol pi) opo-
Xoyovötv djtodavuv top ävÖgct an der Partikel prj mehr An-
stoss nehmen. Er bemerkt zwar: particulam (irj cum infinitivo
iungas oportet; aber was heisst das'l soll Antiphon prj vor opo-
Aoyovöi gesetzt, aber auf dno%avtlv bezogen haben'? allein opo-
?>oyovöi hat hier zu viel, pr] zu wenig Naclidruck, um eine solche
traiectio vorzunehmen ; oder soll Antiphon«*; opoXoyovöiv uno%a~
luv gesetzt haben, wie etwa anderswo ov ngoöinoulxo slöivai
für jrpotffijroictTO pr) tlöivcu! Dann musste er ov% opoXoyoi'
Civ ctnoüuvvv sagen. W;ir glauben, prj ist durch die Schuld der
Abschreiber verstellt und muss vor dnoQavslv gesetzt werden.
Docli wir wollen Anderes der Art übergehen, um endlich nach
64 G ri cell is cho L i t erat ii r.
dieser langen Digression wieder auf die Hauptsache zurückzu-
kommen.
Aus dem, was wir oben bemerkt Imbun, stellt sich bereits
zur Genüge heraus, dass es vorzüglich die Oxforder Handschrift
ist, auf welche eine Itecension des Antiphon basirt werden inuss,
und ebenso bewährt sich dieselbe in den folgenden Ueden. So
zililen wir z. B. allein in der Rede de caede Herodis 51 zum
Theil vortreffliche Varianten, welche von Hrn. M. aufgenommen
worden sind , wie § 19. ovtaöl [tsv ö/j nokkoig skuööa&t lg (wie
auch die neuesten Herausgeber zum Theil nach Dobree's Conie-
ctur nokkd ekccödadslg für die Lesart der übrigen Handschriften
nokkolg skog 6ads\g geschrieben haben). § 29. sya (isv cpgov-
öog für sya <pp- ph>* § 39. xccl ort rjörj zsrtvsäza avzbv
vx suov dvv uvskav xccl sv&slg Big zo nkolov xazanov-
zaGsis (die übrigen Handschriften haben die Worte övvavskav
xccl gar nicht; in jV steht (jvvskav xccl , derselbe Schreibfehler,
der § 42. wiederkehrt). § 42. snstzu ds 6 szsgog äv&gajtog 6
sv zä ccvza nkoia itkiav (das zweite 6 hat keine andere Hand-
schrift). Ibid. xccl rolg vözsgov köyoig — 6vvscpsgszo cSg dktj-
%söiv tlgtiaivotg (für outft, vgl. § 41.). Ibid. 6 de to nagdnav
ovo' sxßqvui fi ecprj tx zov nkolov (für 6 öl zö 3t. sq>r] ovx
sxßip'ccl fi£ ix zov nkoiov). § 55. 6 ngozsgog ßcc6uvi6%sig.
61. dkk' ovo' rjk&sv stcl zovzov. 69. sv zy öcpccyjj — ot
svdov ovzsq. 72. psya rot u. a m. An vielen Stellen bestä-
tigt diese Handschrift die Conjecturen früherer Herausgeber, wie
A, a, 3. ag «V dvvvSixs&a. ß, 10. xcczakcc{ißdv oizs. y, 5. zbv
fitv xivdvvov zbv ccvzov. ib. nag ydg avzäv. d, 9. ns&iözct-
yLsvcov ydg. r, d, 1. dxivdvvoz sga» V, 16. ikav ö' ccv. 33.
%gr}6zijg skniöog. 32. sya [tsv (vgl. A, <$, 9. y, 3. 54. wo plu
in allen andern Codd. fehlt). Leider bleibt immer noch eine hin-
längliche Anzahl verderbter Stellen übrig, welche auch durch un-
sre Handschrift keine Heilung finden und dieselbe vom Scharfsinn
der Herausgeber oder vom Zufall zu erwarten haben. Die Cou-
jectural- Kritik ist aber die schwäcbste Seite des Hrn. M., und an
richtigem Tact und glücklicher Divination lassen ihn die beiden
neuesten Herausgeber weit hiutcr sieh. Um nur bei der ersten
Rede stehen zu bleiben, wie nahe lag die Emendation, wodurch
Hr. Sauppe § 23. geheilt hat: ötiqötzca ö' vfiäv ovzog (xsv
vntg xfjg {irjzgog zi]g ccvzov goVijs, zr^g sxslvov dLaxQ^öafti-
vqg, dßovkag ze xal d&säg, önag öixtjv [irj da, äv vpäg
nsi&r}. Vorher verband man dßovkag xs xal d&säg mit dia-
ygtjöapcsvrjg und musste natürlich an dßovkag grossen Anstoss
nehmen, den auch Hr. M. durch die unwahre Bemerkung, dass
dßovkag so viel wie dvößovkag (bei Antiphon) sei, nicht heben
konnte; Hr. S. hob ihn durch richtigere Interpunction und be-
wirkte dadurch zugleich, dass die Wortstellung angemessener
und zweckmässiger ward. Eben so nahe lag die Verbesserung
Antii'hontls oraliunes ed. Macizncr. 65
OrelH's ixtvsv für z%vov 1, 17. oder die Sauppcs: (pvöixy de
dEtvorrjTi für cpvörxy öavöxrjxi im genus Antiph., oder § 20.
toj yug drj[ioxolv(p XQOxi6&i}v ai nugtöoQr) (für xqo%iö% siöu
it'ttQtdo&i], vgl. r, a, 7.} denn die Vermuthung des Herausge-
bers: nngudo&iiGu ItQoxiGSr}, entfernt sich zu weit von der
handschriftlichen Lesart. Viel mehr Anerkennung verdient die
Kritik des Hrn. M. an Stellen s wo bereits Verbesserungsversuche
von andern Gelehrten gemacht worden waren oder wo es galt die
handschriftliche Lesart gegen Acnderungen zu schützen. So hat
er, um bei der ersten Rede stehen zu bleiben, §3. die Worte:
uitol x>)g xara^iyqpt'öfwg, nach Lehners Vorgang eingeklammert,
gewiss mit Recht, nur hätte er den Ursprung dieses Glossems an-
geben sollen. Ai%ü%ixz nämlich ist der Imperativ und bezieht
sich auf den vorliegenden Ilechtsfall; hierdurch ist die Randbe-
merkung: dass es sich hier um V crurtheil ung handele, oder
dass dixü&LV hier für xaxui>r](ptrCle6&ui, gebraucht sei, entstanden.
§14. hat er nv&o^Brr} nach Dobree's Vorschlag eingeklammert,
worin ihm auch Hr. Baiter beistimmt. Es ist blosse Glosse von
dem folgenden ulc^o^isvrj. § 15. hat er die Lesart aller Hand-
schriften ii ovv edekti, nachdem sie in Klotz' Quaestt. critt. p.99.
vertheidigt worden war, in ihr Recht eingesetzt, eben so die
neuesten Herausgeber. § 26. hat er nach ij phr yug ixov6[cog
xwi ßovktvöaöu xov Qüvuxov das Verbuni unsxxstvsv mit Ver-
weisung auf § 5. eingeschoben. Dass dies oder ein ähnliches Ver-
horn fehlt, sah bereits Reiske, und wir wissen auch in der That
nicht, wie die neuesten Herausgeber, welche, nach ihrem Still-
schweigen zn schliessen, keine Lücke anerkennen, die Stelle
rechtfertigen wollen. Wodurch ist aber das Ausfallen des Ver-
bum veranlasst? wir glauben dadurch, dass Einer ßovkEvöuöcc
erklären zu müssen glaubte und xov ftüvuxov hinzuschrieb ; strei-
chen wir xov üdvaxoVi so gewinnen dadurch auch die beiden
Gegensätze an Glcichmässigkeit. § 20. hat Hr. M., wie auch die
neuesten Herausgeber gethan haben, öcpiöiv uvxolg hergestellt.
Bckker hatte uvxolg ohne hinlänglichen Grund eingeklammert
(vgl. V, 4). § 19. aber hätte Hr. M. unbedenklich die Conjectur
von Bekker und Dobree ag für l'öcag aufnehmen sollen, nicht weil
löag an und für sich unrichtig wäre, denn dies könnte allerdings
in dem von Hrn. 31. angegebenen Sinne stehen, sondern weil qpt-
Xi]6ofisvtj ohne cog nicht bestehen kann. Aus &IAONE£lISl£
konnte aber leicht cpiXövzco Yötog entstehen. Eben so durfte sich
Hr. M. nicht besinnen, nach Dobree's Vorschlag § 25. xal yug
dv &wai6xiQOV xui oöicoxiQOV — ytvoixo vplv zu schreiben,
wie auch die neuesten Herausgeber geschrieben haben ; die Par-
tikel uv fehlt in den Handschriften und Ausgaben, aber der allge-
meine und wohlbegründete Sprachgebrauch muss hier mehr gel-
ten , als das Ansehn der Handschriften, zumal da diese bekannt-
lich eben nicht selten durch Auslassung der Partikel uv gesündigt
A\ Jahrb. f. Phil. u. Pud. od. Krit. üibl. Bd. XXVIII. Hfi .1. 5
OG Griechische Literatur.
haben, wie denn z. B. A, y, 2. alle Handschriften ausser JV xa\
ov% ovzog zt)v alziav £i%sv haben und erst diese das zwar nicht
nöthige aber ganz gute xai ov% ovzog äv zqv alziav si%sv dar-
bietet, oder .T, ö\ 11. wo Hr. M. hus N ovtco yäo äv dixaiozaza
xai oöiüJtara itgä^aiz äv geschrieben hat. Vgl. die Codd. zu A,
fi, 7. .T, d\ 1 f>. Es ist gewiss richtig , dass der Optativ ohne av
in unabhängiger Rede die von keiner Bedingung abhängig gemachte
Meinung oder Annahme bezeichnet, aber eines Theils ist dieser
Sprachgebrauch für die Prosa noch keineswegs gehörig begründet
und festgestellt , andern Theils ist es an unsrer Stelle gar nicht
möglich, den Satz ohne Beziehung auf seine Bedingung zu den-
ken; daher die Partikel, wenn sie auch z. B. bei Isaeus de Astyph.
hered. §5. ort fiiv ovx sdatys Kkiav 'Aözvyikov , ovo" avzog
e^agvog ytvoito oder bei Plat. Lys. p 214. D. (s. daselbst Stall-
baum) und in ähnlichen Fällen fehlen k ön ntc , hier unumgäng-
lich uöthig ist. Was die andern von Hrn. M. beigebrachten Stel-
len betrifft , so ist Antiph. Ay ß, 4. ei yäo zovzav dvairiav öo-
xovvtcov tlvai sv caol zocdUtjua cpaveliai, zovrcov vitöntav
ovztov iyda äv eixözcog xadagog doxolrjv eivat zweifelhaft,
ob nicht av in ABL steht, wie man nach Bekkers Note annehmen
niiiss und auch von den neuesten Herausgebern angenommen wird ;
nach der Note des Hrn. M. siebt äv in keiner Handschrift, Viel-
leicht ist gerade das z/, welches ABLM nach eyco haben,
nichts weiter als das A der Partikel av. Wie dem auch sei, hier,
wo der Satz blos unter der angegebenen Bedingung gültig ist, und
wo sich der Redner im eigenen Interesse auf die eben ausgespro-
chene Bedingung beziehen muss, kann av nicht fehlen. Mit
Hecht haben es die neuesten Herausgeber auch .T, d, 3. einge-
setzt ; ävööia yäg äv o ys diojxö^ievog rtä&oi . ei — q>ovevg
iövai , wo zugleich zu loben ist, dass sie aus A o ye (o ze iV,
or£ ß, öÖt vulg. , woraus Hr. M. 6 gemacht hat) geschrieben ha-
ben; eben so auch nach Dobrec^ Vorschlag 5, ß, 6., einer cor-
l-upten Stelle, welche Hr. Sauppe viel glücklicher emendirt:
äxovöiov Öh zov <pövov eh, äficpoiv v^ilv o^iokoyovftevov ye-
viöüai, ex zrjg ä{iaoziag, ojioxioov avzav eözlv, exi ye (für
bzi di) öaysöTtQOv äv 6 (povevg ekeyx&eirj , als Hr. M. , der
eine Lücke annimmt: cpavsoov ^tv zo egyov ex zijg äjiagziag
ojtozsgov avzäv sGzlv , ezi de 6aq>. %z\. wobei die Worte ezi
di 6a<p. 6 <jp. ekey%%th] gar nicht mehr erklärt werden können,
in den allen Ausgaben steht nach eöziv ein Fragezeichen; findet
sich dies auch in den Handschriften , so möchte diese fehlerhafte
Interpunction Veranlassung zur Corruptel gewesen sein und Do-
bree, der de nach izi getilgt wissen wollte, das Richtige gesehen
haben. Endlich ist bei Lysias de bonis Aristoph. § 35. ouoAopy-
öeiav äv nach Emperius Vorschlag von den neuesten Herausge-
bern geschrieben, eben so bei Isaeus de Hagnii hered. § 38. näv-
zcov äv 6^oXoyi]0ai[ii von Schömann , der auch de Nicost. hered.
Antiplionüä orationes ed. Mactzner. 67
§ 19. und de Apollodori hered. § 30. (vergl. zu de Pyrrlri hered.
§ 54. p. 254., wo aber die Handschriften den Indicativ f^ikey^st
hallen) emendirt hat; in den sogen. Proömien des Demostlienes
34, 28. p. 620. B. und bei Dinarch gegen Demostlienes § 91. (wo
vielleicht örtoxreov rolg üvußuivovöiv zu schreiben) hat bereits
Bekker den Fehler bemerkt, blos in Isoer. de permut. § 79. ist er
übersehen worden. Bei Antiphon selbst ist äv durch die Schuld
der Abschreiber ausgefallen A, or, 4. ov yäg av äcjol xäv vvxräv
— IkoidoQovvxo , wo erst die neuesten Herausgeber den Fehler
bemerkt haben, wo aber äv so nothwendig ist, dass auch Hr. M.
es eingesetzt haben würde, wenn er die Stelle genauer angesehen
hätte; ferner B. d', 4. , wo es ov ydg äv dtgsfii^wv cmi%avhv
Iltissen muss; ferner an folgenden Stellen, wo theils schon Do-
bree, theils erst die neuesten Herausgeber den Fehler bemerkt
haben: V, 38. coli. VI, 27., V, 45. u. 64. (VI, 19. dagegen möchte
Hr. Sauppe ohne dringende Mothwendigkeit äv eingeschoben ha-
ben). 11 eo. weiss zwar recht gut, dass es ausser diesen Beispie-
len noch manche Stellen giebt, wo die Handschriften die Partikel
uv haben sollten, aber nicht haben; die Zahl derselben ist zu
klein, als dass sie uns an einem wohlbegründeten Sprachgebrauch
irre machen sollten.
Soviel über die kritische Behandlung der ersten Rede. Das
Verfahren des Hrn. M. bleibt sich in den übrigen Reden gleich :
überall, wo es ihm thnnlich schien, nimmt er die Lesarten der
Oxforder Handschrift auf; schwierige und angefochtene Stellen
sucht er durch Erklärung zu schützen , was ihm häufig gelungen
ist ; bei corrupten versucht er Conjecturen , die ihm seltner ge-
lungen sind. Für Beides werden wir unten Belege geben. Seine
Erklärung ist, wo sie nicht in lexikalischen oder grammatischen
Bemerkungen besteht oder auf die politischen Institutionen ge-
richtet ist, meistentheiis von der Kritik abhängig, d. h. er erklärt
gewöhnlich blos solche schwierige Stellen, welche von der Kritik
augetastet worden waren; sonst iässt er sich auf Darlegung des
Zusammenhangs, sowie auf eine genauere Erörterung des Sinnes
selbst an schwierigeren Stellen seltener ein, so dass die Aus-
gabe trotz der commentarii doch hauptsächlich nur eine kriti-
sche ist. Als einen Fortschritt, den Hr. M. in der Erklärung
gethan hat, müssen wir rühmen, dass er sich bei weitem mehr,
als dies in seiner Ausgabe des Lykurg der Fall ist, vor trivialen
Bemerkungen gehütet hat. In der Vorrede erklärt sich Hr. M.
über die Echtheit der unter Antiphons Namen vorhandenen Reden
p. 111 — IX., und findet den Beweis dafür theils in den Anführun-
gen der Alten, theils in der Uebereinstimmung des Urthcils der
alten Kritiker über den Geist der antiphontischen Beredtsamkeit
mit den vorhandenen Reden , theils endlich in der von den Alten
bereits bemerkten Aehnlichkeit mit dem Stil des Thucydidcs, die,
beiläufig gesagt, nicht eben sehr hervorstechend ist. Nur eine
5*
GH Griechische Lilcrolur.
Rede wird nirgends citirt, die gegen die Stiefmutter wegen Ver-
giftung. Hr. M. verrmilhet (S. 12.5 sq.) , dass diese Rede , wie
die darauf folgenden Tetralogieeu, blos für die Schule geschrie-
ben worden sei. Das ist leicht möglich; indessen zweifeln wir,
ob die Gründe, welche Hr. M. fi'ir diese Ansicht beibringt, triftig
genug sind, um nicht die gegenteilige Ansicht für eben so wahr-
scheinlich zu halten. Denn dass die Vergiftung ein gewöhnliches
Schulthema war, beweist nur, dass dieses Verbrechen häufig ge-
nug vor Gericht behandelt wurde; dass diese Rede vor den Te-
tralogieeu steht., kann nur dann welleicht Etwas beweisen, wenn
gewiss ist, dass diese Anordnung nach einem bestimmten Plane,
nämlich nach dem von Hrn. Bf. untergestellten , getroffen worden
ist. Kher könnte der Name des Ehepaares, Philonaus und Kly-
tiiinncstra , dafür sprechen, dass der ganze Fall zu den erdichte-
ten gehöre; aber im Piiäus mochten solche vom Schiffe und von
der Seefahrt entlehnte Namen häufig genug sein, als dass man
sich wundern dürfte, wenn ein Schiffer den Namen Philonaus
haue; was aber unser Philonaus war, wissen wir nicht, da weder
§ 14. noch § Ifi. eine Vermuthung über seinen Stand oder sein
Gewerbe zulassen. Sodann ist zwischen der alten Klytämnestra
und unserer ein so bedeutender Unterschied, dass wir glauben, An-
tiphon hätte für unsere Giftmischerin einen passenderen Namen
selbst i:i der mythischen Geschichte finden können. Ausserdem
linden sich nicht blos in der mythischen Geschichte Beispiele da-
von , dass der Name den Charakter seines Trägers ausdrückt oder
seineu Stand oder seine Handlungsweisen bezeichnet, sei dies
nun einem launigen Spiele des Zufalls, sei es der unbestreitbaren
Eimvirkung des Namens selbst zuzuschreiben. Eine merkwürdige
Stelle ist in dieser Hinsicht Acschin. II, 71., wo erzählt wird,
dass Chares eine namhafte Summe Geldes auf die Unterfeldherrn
jJqictQrjg , ^Jijiitvgog und IlokucpovTrjg verwendet habe. Aeschi-
nes ist au der Stelle zu ernst, als dass er diese Männer durch
lingirte Namen als Eisenfresser bezeichnet haben sollte, und
Keiskes Vermuthung, dass sich diese Männer selbst jene Namen
gegeben hätten, um den Soldaten mehr zu imponiren, hat wenig
"Wahrscheinlichkeit. Der letzte Grund endlich, den Hr. M. an-
führt, dass nämlich der Areopag schwerlich mit to dixu&VTSS
(§ 7.) angeredet worden sei, ist der allerschwächste ; wenn die-
ser Fall vor den Areopag gehörte und der Areopag nicht mit d
dixd£ovT?g angeredet werden durfte, so musste sich Antiphon
dieser Anrede auch bei einer Declamation enthalten. Aber wenn
der Areopag durch co avögsg ötxaötal angeredet werden durfte,
was Hr. M. zugiebt, warum nicht auch durch a div.ät.ovTtg'i
Und dann bemerkt Hr. Bf. S. 282. selbst, dass dieser Fall eigent-
lich nicht vor den Areopag, sondern vor die Epheten gehörte. —
Der Commcntar zu dieser Hede nimmt beinahe 20 Seiten ein und
giebt wenig Gelegenheit zum Widerspruch. Einiges will Rec. be-
Antiphontis orationcs ed. Mactzncr. 69
rühren. Unbedeutend ist der Irrthum, in dem sich Hr. M. be-
findet, wenn er § 1. tovro fitv tl iiii6xrj4'ut toq rot» jraroe*}
tTttl-Etötiv roig avrov cportvöi pq tTTttftfjiL den Plural durch
die Gewohnheit der Redner, den Angeklagten mit seinen Beistän-
den (also hier die Stiefmutter mit ihrem Sohne, denn andere i»ci-
stände halte sie nicht) als Eins zu nehmen erklärt. Das geht hier
nicht, wenn es auch sonst richtig ist, Vgl. B, ß 8 und 0. Denn
der Vater des Klägers, als er diesem auftrug Kaclie an seinen
Mördern zu nehmen, meint jeden etwaigen Mitschuldigen der
Giftmischerin, nicht grade seine Söhne; diese waren auch in der
That unschuldig, und werden vom Kläger selbst nur insofern als
sie die Mörderin vor Gericht in Schutz nehmen, (porstg § 2. u. 4.
genannt. — § 6. iv vig f^iv ydg avra f|oiM>j« t)v fötippg a-
dtvai naoä xijg ßaöüvov , ovx ^QsXtjötv iv ö' olg oi'x itv
jrudidfrea, xovt avio 7TQov&vu)'t^rj. xrurot civto xovxo i^Q)]»
o xal iya> 7rQOV"AaXovut]v, TrQo&vinjdijvai, önoag xo 7roa%dh>
ij dK^tg, hjt£t,tl\tih\ Hier erklärt Hr. M. iv olg ganz gut:
ita polius haec explicanda sunt , ut iv olg pro ne/ttro genere ac-
cipianms, quae fonnvla ad temporis alqve ojtportumlalis notio-
nem referemla est, und erklärt dann die Stelle nicht übel durch
quum enim quaestionem habend servos livebat interrogarc,
veritatem adversarius noluit explorare ; q nun da vero res nun
poterat explorari, hoc ipsum cupiebal u. s. w. , obgleich die
Stelle erst von den neuesten Herausgebern richtig aufgefasst wor-
den ist, welche vor und nach naoä xijg ßaaäiov interpungiren,
so dass diese Worte die Erklärung zu iv vig enthalten, iv olg
aber viejme.hr auf das Mittel, als auf Zeit und Gelegenheit sieh
bezieht; aber die Hauptschwierigkeit, welche in den Worten xa'-
xoi — inei.t?.\ttlv liegt, weiss Hr. M. ebenfalls nicht zu beseiti-
gen. Die Vermuthung, dass der Sinn sein könnte : qvalisciiiique
fit r\ aXiföeiu xeov ugaxdivxav, er kann es aber nicht sein, da
dann av nicht fehlen durfte (die Stellen bei Güller ztt Thucyd 4,
17. sind ganz anderer Art), diese Vermuthung führt zu Nichts,
am allerwenigsten zur Erklärung von int^tlfttiv, worüber Hr. AI.
gänzlich schweigt. Da Hr. M. das Comma vor ini^tX^slv gebis-
sen hat, so muss er den Satz önag xo ngaxdiv >} cllrftig von die-
sem Verbum, und nicht von TtQO&vpyürjvat abhängig gedacht
haben; dann ist Tigo&vurj&ijvui mit avro xovro zu verbinden,
und es musste demnach entweder nach TtgovnaXovurjv kein
Comma gesetzt oder auch (wie in der neuesten Ausgabe) nach
i%Qrjv interpungirt werden Aber zum ijnhXQtiv (zur geriebi li-
ehen Verfolgung derMördei in) wollteder Mager seinen Stiefbruder
nicht auffordern, sondern blos zum peinlichen Verhör der Skla-
ven; der ganze Zusammenhang lehrt, dass blos davon die Hede
sein kann. >A ir lassen also die Comma m>v iryoQvütt{h]vat umi
streichen das *or ijitz,i?>Vtiv. Die Worte oxcog xo ngäy^ia y
dfofttg intEeltiüv können keinen andern» Siuu haben , als den:
70 Griechische Literatur.
ilass die Thatsacfie für die gerichtliche Verfolgung wahr i. e. aus-
ser Zweifei gestellt sei, oder nach § 7. oaag tov itgüyßcctos
rtjv akföetav laßapsv tov tnti-&k&elv svtxa. Vgl. 13. täv
STQax&titav trtv öacpt'p'ttav iiv%i<5%ai, und F, y, 1. — Wenn
Ilr. M. § 12. öblvov d' tfioiyt öoxü Uvea, ti — ovx ij^ladccv
bemerkt, die INegation afficire nicht den ganzen Satz, sondern
hlos das Verb um (non universam afficit sentenliam , sed ad eam
pertinet vocem , quacum iungilur) , so hat er entweder nicht be-
dacht, dass die Negation , wenn sie zum Verbum gehört, eben
den ganzen Satz afficirt, oder hat sich undeutlich ausgedrückt
und sagen wollen, dass ovx rjl-t'aGav einen Begriff (sie wei-
gerten sich) bilden. Mit dieser Erklärung des ov nach tl kann
man jedoch nicht vorsichtig peinig sein , da die Grenzen dieses
Sprachgebrauchs noch nicht abgesteckt worden sind. Vgl. meine
('omni. I. de partt. negg. § 7. 1. An unsrer Stelle erklärt sich ov
leicht, da ti hier blos ein gelinderer Ausdruck für ort ist. —
§. 13. ijöeöav yccQ otjctio»» tfqptöi ro xaxöv dvacpccvr]66ptvov
erklärt Hr. M.: persp'wuum füre , ad ipsos potissimum pertinere
crimen. Wie das'? Die Brüder sind frei vom Verdacht der Mit-
schuld. Sie verweigerten das Sklavenverhör, weil sie voraussa-
hen, dass ihre nächste Verwandte (ihre Mutter) dadurch com-
promittirt werden würde. Doch genug davon. Solche und andere
Ausstellungen lassen sich noch genug machen, ohne dass dadurch
das Verdienst des Hrn. M., manche schwierige Stelle zuerst rich-
tig erklärt zu haben, geschmälert würde. Wir kehren deswegen
zur Kritik zurück.
Im Argum. von A, a: dg^optvog di räv dyävav zrocon;
t^pjföaro dvaigtöu aluäv Öl av ditiöu^tv xtX. will Hr. M.
S. l.r>l. für öl av entweder aus ZM. ölo oder öi tjg geschrieben
haben (in der anuot. crit. zu der Stelle steht davon Nichts) ; we-
nigstens nuisste nach ccluäv iiiterpungirt werden. Ob man bei
diesem Scribentcn Öl äv auf den Satz a^o^öaro dvaigititi bezie-
licn dürfe (vgl. M. zu A, ß, 8.), kann wohl gezweifelt werden;
wenn aber auch nicht, so ist doch dt cov nicht zu ändern; es ist
eine [Nachlässigkeit im Ausdruck, und nachlässig bleibt der Aus-
druck , auch wenn man öl qg oder Öio schreibt. — § 7. haben
die Codd. xa&t'öT^ötv, N: xa&iötrjdBV. Dies führt eher zu
x«T£6r>;G£i', welchem auch txijgtv (Hr. M. schreibt, wie Bekker
und die neuesten Herausgeber, tTtygtv) besser entspricht, als zu
xadtöt»?, «ie seit Ueiske geschrieben wird. — § 9. giebt JV
mit veränderter Wortstellung tourov pövov teptj yvävai räv
Ttagövtcov avtovg, und so steht in unsrer Ausgabe, nur dass av-
rovg in avtovg verändert ist. Ob diese letztere Veränderung nö-
thig war, oder ob wir uns nicht vielmehr durch das Lateinische
verwöhnt haben, in solchen Sätzen das Reflexivum zu verlangen,
darüber lässt sich streiten ; an anderen Stellen aber ist gewiss av-
xov mit Unrecht in at$rot> verwandelt worden, wie 2$, d, 8. ro
Antiphontiä oralionc» cd. Mactzncr. 71
(tiv ovv fttigaxiov ccvcc(iagztjzov ov ovx av dixatag vnig toi?
apaQTovTos noXcc^otto' ixnvov yag avza «öti tag avrou
a^iugzlag tpsQfiv d. i. die eigene Schuld, oder F, y, 6. vitig
rijg ccvzov äötßtiag oder F, d, 8. xf] uvzov aTV^'a, 4&t Y> 9. "•
a. m. , wo der Gegensatz das stärkere uvzov verlangt. An dem
numerus pluralis kann man hier allerdings keinen Anstoss nehmen,
nur durfte Hr. M. sich dabei nicht auf Stellen beziehen , wie //,
y, 2. tlzs yag jtgotiiovzag xivctg löovreg (ngoidovrig , was Hr.
M. aus AT aufgenommen hat, scheint ein durch ngoöiovxag ver-
anlasster Schreibfehler zu sein) ot ättoxttivavztg avxovg unofo-
itovTfg a%ovxo (pivyovxeg ngözigov ij antövöav* ot tvzvxöv-
xzg äv avxa^ et xal top öiönoxrjv xtdriärcc tvgoi\ röv ys
dtgdjtovta — tvgovxt g xxX» , wo sich avzä auf den Herrn be-
ziehen soll, was wegen der gleich folgenden Worte gar nicht
möglich ist (Stellen, dergleichen Herbst zu Xen. Symp, 8, 34. an-
führt, sind anderer Art), Antiphon hätte dann ti xai xovzov
xtftvtcöxa svgov schreiben müssen. Die neuesten Herausgeber
haben mit Hecht Reiske's Conj. avxoig aufgenommen. Hr. M.
sieht auch ß, ß, 4. einen Uebergang von einem Numerus zum an-
dern, wo Nichts als ein Schreibfehler zu sehen war: ovÖt'n;
rjplv Ao'yog v7isXelmxo pij (povEvg livtu . wo der Nominativ
sing, sich durch keine Construction nach dem Sinn, am wenigsten
durch die bei öoxf i gewöhnliche , entschuldigen lässt. Die Stelle,
die Hr. M. beispielshalber anführt, ist von ihm ganz falsch ver-
standen worden: Plat. Civ. X. p. 598, D. l^nari^t)^ ajöxe edo-
Z&v avzä Jtoi66o(pog ilvai, dia xo avzcg p| oro'ör' uvai —
i^txaöat. Hier ist zu eöo&v Subject der yöqg, von dem der An-
dere sich hat täuschen lassen, d<a to xxK. bezieht sich auf tl-rr
itaxiftri, so dass Plato die gewöhnlichen Regeln der Grammatik
gar nicht besser beobachten konnte. Bei Antiphon aber ist <po-
vsvöw, wie Bekker coniieirt, zuschreiben, und in der neuesten
Ausgabe auch geschrieben worden. — § 10. hat Hr. M. die Form
yiyvovttti für ylvuvzat, aus einer unbedeutenden Handschrift (M)
aufgenommen, ebenso V, 94. Wir glauben, Hr. M. hätte sich
für eine von den beiden Formen bestimmt entscheiden und die-
selbe consequent überall herstellen müssen; denn es ist nicht
denkbar, dass die beiden Formen schon zu Antiphons Zeit von
den Attikern gebraucht worden seien. Die Handschriften ent-
scheiden auch bei Antiphon für die ältere Form mit yv. So steht
yiyveo&ai in den Ausgaben , ohne dass Varianten angemerkt wä-
ren, B, ß, 6. r, a, 4. V, 22. 72. 73. 84. 8.*). 88. VI, 1. 11., und
Hr. M. hat diese Form aus den besten Handschriften V, 26. 35. 82.
VI, 1. (ausNA) und A, ß, 11. T, ö\ 3. V, 24. (aus N.) hergestellt,
so dass die andere Form yivtödai, etwa zehnmal, vielleicht in
Folge nichf genauer Vergleichung der Haiidschrifteu, übi ig ge-
blieben ist: B, y, 6. (zweimal). Ö, 4. /', ß, 7. ö. 2. V, 11. 21. 47.
VI, 6. 24. Denn ob es A, ß} 1. imyivoptia (MAB; und nicht fiel-
72 Griechische Literatur.
mehr t Tuytvoutva heissen muss, ist sehr zweifelhaft. So schwankt
es auch zwischen yiyvaGxuv, welches ohne Variante Vf, 6. und
86. steht und von Hm. M. A, y, 10. und VI, 3. aus N", Y, 88. aus
A aufgenommen worden ist, und yi vdaxsiv^ welches sich A, ß,
7. J5. S, 1. r, y 1. ö, 9. V, 3i (zweimal) findet. — A, ß, 2. hat
Hr. 31. die vulg. av^ganog und eben so V, 66. dv^g in Schutz
genommen, und bezieht sich deshalb auf Krüger zu Dionys. Hi-
stor. S. 110. und Brcmi zu Aeschines 3, 125.; die neuesten Her-
ausgeber haben mit Recht dv&gayxog, ccvtjg geschrieben. Denn
so lange nicht aus guten Prosaikern eine hinlängliche Anzahl si-
cherer Stellen beigebracht wird, wo der Artikel in den Casibus
obliquis fehlt, so lange wird man auch berechtigt sein, in ccv-
ftoarrog, «r'i)o, wenn es von einem bestimmten Individuum ge-
hraucht ist, einen Schreibfehler zu sehen Die \ ergleichung mit
dem Deutschen: Kläger, Beklagter, Endesun terschrie-
b en er, Bürgermeister und Itath, dient zu Nichts, da
dies theils Bezeichnungen \on Personen in ganz speciellen Ver-
hältnissen sind und wie Eigennamen betrachtet werden, theils
auch durch die übrigen Casus hindurch ohne Artikel gebraucht
werden, was im Griechischen nicht der Fall ist. Antiphon setzt
in den Casibus obliquis stets den Artikel hinzu: toü dvägög A, d,
10. T, ö. 10. Vgl. A, y, 8. j3, 10. T, a, 6. y, 1. V, 26. 38. röv ixv-
Qoanov V, 39. u. s. f.; ja er sagt auch regelmassig 6 dvrjg , wie
A, o, 8. ß, S, 8. I\ ß, 3. y, 2. d, 1. 8. V, 25.26.31.35.40. u.s.w.
Warum sollte er an zwei Stellen von seiner Gewohnheit abgewi-
chen sein'? (Den groben Fehler xa\ djtt&avs [iiv dvqg ovtoöl
V, 44., den die neuesten Herausgeber übersehen haben, hat Hr.
M. , Dank sei seiner Oxforder Handschrift, weggeschafft.) So ist
es auch im Aeschines. Dieser braucht von einer bestimmten Per-
son 6 avftgmtog 1, 61. 62. 3, 157. 212. ; daher werden wir den
Artikel auch 3, 99. 125. 159. herzustellen u. uvftgcoiiog zuschrei-
ben haben; kann doch Niemand 2, 106. ävQgcoTtog ovtog den
Schreibfehler in Abrede stellen; warum sollen wir ihn nicht auch
an jenen drei Stellen anerkennen'? Freilich führt Bremi 1. c.
(oder zu 2, c. 4. S. 142.) aus Aeschines auch Stellen an, wo der
Artikel in den Casibus obliquis fehlt. Indess dies beruht auf ei-
nem Irrthum. An allen diesen Stellen ist das Wort allgemein za
fassen: ö"xsi/>uö&£ öq ngdy^axog peydkov xkon-rjv xal deivrjv
ccvaiGxvviiav dv% gaitov (eines Menschen) 2, 57. svtsv&sv
pgo-
ngög
ö>} toöavttjv roXfiav xal Tsgarsiav uv&grixov laktitov aal
öiapvrjiiovEvöcu xtL 2, IL, und eben so; nag ovv ccv tig ni-
QMpocveöTtgov BTtidti&itv av% ganov nagdvo^a, ysygacpörcc;
3, 31., wie in Verbindung mit einem Adjectivum: (idktöta filv
p) ngoödiisöde xuKovgyov äv&geoxov, ol6kuevov xtk. 3, 202.,
Antipliontis orationea ed. Mactzner. 73
während Aeschines, wo er bestimmt redet, auch in diesem Falle
den Artikel hinzufügt. Vgl. 2, 124. 3, 79. 101. cett. Aehnliche
Untersuchungen bei andern Schriftstellern möchten zu gleichem
Bcsultate führen. — § 8. schreibt Hr. M. mit Beziehung auf P,
(5, 6. xccvx' ävTiXoyi6ä(S$Gi für ravrov ävxikvyi6u6da. Man
könnte auch xovxov dvxikoyioäöQco schreiben; doch jene Ver-
besserung ist vorzuziehen. Dass und warum die vulg. corrupt ist,
kann kaum bezweifelt werden, obgleich Hr. M. darüber schweigt.
Die einzig mögliche Erklärung derselben ist die von Gessner: si-r
militer etiam ex adver sa parte rationes subducat, aber gerade
die Hauptsache und worauf der ganze Nachdruck liegt, das etiam
ex adrersa parte ist im Griechischen durch dvxi in der Znsam-
mensetzung KVTiloyiöäödG) viel zu schwach ausgedrückt. —
§ 9. schreibt Hr. M. jiioiytvöptvog öe xaxaXr4(pdt\g (yila. vero
salva damnatus) für itioiyivoiu vog de xai Aqcp&HQ. Uns scheint
diese Verbesserung wenig beifallswerth. Denn diese Worte würde
kein Athener anders haben verstehen können, als: si superfuisse
deprehendar. Sodann ist die Wiederholung des Begriffs verur-
theilt nach ockovg zum mindesten eben so lästig als die Wieder-
holung des Wortes jcßra/t^qpOelg, welche unmittelbar darauf Statt
linden würde. Die neuesten Herausgeber haben Taylor's Conj.
Jtt()iytv6tutvog de xa\ Aetqpfreig aufgenommen, wobei uns nur das
Simplex lsicp&e\g missfällt; denn den Begriff von jrepi darf man
nicht, wie dies sonst wohl geschieht, aus ntQiycVPp.trog auch zu
XncpQs\g ziehen, da 7ngiysv6fitvog hier dem toü OoJtuaxog ovx
i6HQOV{ii]V , ÄEi<p9t\g aber dem t/;c iröXtcog ovx iöxegov^rjv
entsprechen muss, 7ifQiXti<p&sig aber Nichts weiter als ntQiytvo-
ftevog wäre. Die beste Handschrift giebt im Vorhergehenden :
xov de öä^taxog xai x>jg vtöktag ovx dntöxtQovpriv , was Bec.
unbedenklich aufgenommen haben würde. Denn der Gegensatz
(lav de vvv xaxakr,<p\tug anodciva) zeigt, dass dem Bedner
hier die Bettung des Lebens die Hauptsache sein muss, und die ge-
wöbnlichc Wortstellung scheint von einer Verbesserung herzurüh-
ren. — § 12. schreibt Hr. M. aus NAB mit Dobs. ip\ de ex x e xäv
iTQ()£iQya6[i£rG)v yvaöiöQe xxX. für ip.\ de ix xcJv itg. xxX.
und meint, dass der Bedner den entsprechenden Satz: xu\ ix
xfjg vvv uitoXoyiag a.valxiov ovxa yvtÖGt6%i oder etwas Aehn-
liches vergessen habe hinzuzufügen. Einen solchen Gedanken
konnte aber der Bedner nach dem Vorhergegangenen nicht mehr
füglich folgen lassen , sondern man muss nach dieser allgemeinen
Exposition seines Charakters und seiner Handlungsweise vielmehr
einen Folgesatz erwarten: so dass Ihr mich dieses Ver-
brechens nicht für schuldig halten dürft. Dies sagt
er aber mit den Woiten roiovtou de ovxog -<— xaxayvüxh. An-
tiphon schrieb: sx yt. xäv jiq., wie auch vielleicht F, ß, Ö.: ceno-
Xv6{.itvog de vitö ye xov äglarxos xtX. wenn nicht daselbst viel-
mehr die Worte vjioxsxov ^ououniitBciVke und den neuesten Her«
74 Griechisch« Literatur.
ausgeben! einzuschieben sind, oder wie V, 10. <paöl de av zo ys
daoxTtivav, und a. a. O. Auf jeden Fall aber ist es misslich,
dem Schriftsteller in einem zweifelhaften Falle ein Anakoluth
aufzubürden , da zu befürchten steht, dass man denselben incor-
recter macht, als er ist oder sein wollte. — § 12. nokkoig öe
egavl^ovza , wie auch die neuesten Herausgeber nacli der Ver-
muthung des Heraldus für nokkovg öe igavi^ovza. Wahrschein-
licher ist die scharfsinnige Vermuthuug Scheibe's : xokkovg Öh
tgdvovg hgavl'Cpvzcc. — § 13. hat Hr. M. zovg zovza pev ßoq-
&ovvzag , nag' Eftov Si acpsktiödai £rjzovvzccg £<p olg xcczq-
yogslzk (iov aus ABL31 (für xuzyyogtizal (tov) geschrieben
und beruft sich dabei auf den allerdings nicht ungewöhnlichen
Uebergaug von der dritten Person zur zweiten. Ein solcher Ue-
bergang würde aber hier nicht nur äusserst hart , sondern auch
durch Nichts motivirt sein; ohne Grund finden aber solche Ueber-
gänge nie Statt. Das Beispiel, welches Hr. M. aus [Demosthe-
nes] Epist. IL p. 1469. anfuhrt, passt nicht, wie sich Hr. M.
schon durch die Interpunction bei Bekker, noch mehr durch die
Berücksichtigung des Zusammenhanges überzeugen konnte. Au
unserer Stelle ist xazyyogelzal fiov festzuhalten ; wie die andere
Lesart entstanden ist, zeigt cod. N: xuzqyogtizcd zk fiov. —
A, y 3. verwirft Hr. M. mit Recht Bekker's zrjg ngofi jjth'ag, was auch
die neuesten Herausgeber aufgenommen haben, und schreibt mit
Rciskc ov% Ixuvtj ijv navGai zrjg ngodvfiiag. Die Erklärung
der Stelle sollte schärfer sein. — A, y, 6. hat Hr. M. nach Reis-
ke's Vorschlag: öidd^ca zo (iiv ydg dkävtu xzk. geschrieben,
und eben so hat er B, y, 10. .T, ß, 7. r, d, 6. nach öidd£<a oder
öijkcSöa die Partikel ydg eingeschoben und V, 79. yegav [isv ydg
coiijicirt. Einen Grund für diese Willkürlichkeit giebt er uns
nicht , und doch können wir nicht zweifeln , dass Hr. 31. so gut
wie jeder Andere weiss, dass in solchen Sätzen ydg eben so wohl
gesetzt werden kann, wie es z. B. B, S, 6. steht, als wegbleiben,
wie A, y, 17. rpi'a ydg dyuftd ngd^tzs' skdööovg fiiv zovg
xzk. , wo auch Hr. 31. nicht gewagt hat es einzuschieben. —
Ibid. vertheidigt Hr. 31. die vulg. ov ydg äv eatl&ezo ccvzä.
roganti enim ut causa desisteret tnorem non gessisset ille sc.
mortuus. Aber bei der Feindschaft zwischen den beiden 31äu-
nern lässt sich die Möglichkeit einer solchen Bitte gar nicht den-
ken. Antiphon hat, wie Dobree sah, ov ydg dv ixixtizo ccvzä
geschrieben. Einen Cirkelbeweis giebt das nicht, wie Hr. M.
meint ; denn der Ankläger will gar nicht beweisen , dass der An-
geklagte den 3Iord verübt habe, das ist ihm, wie er ausdrücklich
erklärt, ausgemacht (siehe § 1.), sondern blos dass seine Vertei-
digung nichts tauge. Dies zeigt sich auch in dem folgenden § 7.,
wo Hr. M . wohl gethan hat , die Lesart der Handschriften beizu-
behalten. Denn ausser dem zweifelhaften daoözgsipat , wofür
die neuesten Herausgeber mit Reiske und Dobree ditozgityui ge-
Antiphoniis orationes ed. Maetzner. 75
schrieben haben , ist blos rjytTzo corrupt ; Hr. M. und Hr. Sauppe
haben dafür mehr wohl in Berücksichtigung des Zusammenhangs
als der Schriftzüge lns%txo vermuthet. Die Worte sind : d&div
Ö£ öid xd (pavsgdv tlvat xrjv vnotylav avxa p.'q xaxrtdoxil-
6&cu v(p vpäv, ovx ogdoög di-ioi. ov ydg xovxov tv xolg
piyiöxoig xivdvvoig ovxa ixccvi] rtv r\ vnotylu. cMtoöroit/xu
T»/g STttdiösag. ovöetg ydg iinßovktv6sv avxa' nag ydg dv
tig xcov ijööov xtvövvtvövxav xr]v vitotylav ftdkkov xov xiv-
övvov tpoßovpnvog %66ov ij ovtog tjytixo avxco. Auch hier
wird die Schuld des Angeklagten als ausgemacht untergestellt:
..wenn er verlangt deswegen für nicht schuldig gehalten zu wer-
den, weil der Verdacht voraussichtlich gegen ihn sich richten
musste (vgl. A, ß, 10.) , so ist das ein billiges Verlangen. Denn
der Verdacht (d. h. die Rücksicht auf diesen Verdacht) war nicht
im Stande, ihn von der That abzuhalten. Denn kein Anderer
trachtete Jenem nach dem Leben , da jeder Andere weniger von
demselben zu befürchten hatte u. s. f. Warum die neuesten Her-
ausgeber li ydg für ov ydg mit Rci.»ke, und dann ovöttg ctg für
ovösig ydg geschrieben haben, können wir nicht recht einsehen,
und namentlich scheint uns ag' ganz unpassend. Denn nach die-
ser Kumulation muss die Stelle folgenden Sinn haben: „denn
wenn diesen der Verdacht vom Mord hätte abhalten können, so
würde Jenem (überhaupt) Niemand nach dem Leben getrachtet
haben." Hierzu passt ovötlg dv (oder wie Reiske wollte, ovdVig
y aV), nicht aber oröfig dg\ und ausserdem missfällt bei dieser
Kumulation, dass nun die Hauptsache, nämlich der Beweis, warum
der Angeklagte ovx ogftäg d^tol durch einen Nebensatz gegeben
wird. Denn warum ist das Verlangen unrecht'? weil ihn der Ver-
dacht nicht vom Mord abgehalten hat, nicht weil kein Anderer
Jenem nach dem Leben getrachtet hat (oder haben würde). —
§ 1 1. schützt Hr. M. das Praesens dnokvtöftt gegen Stephanus*
dnokv&rj6t69s (ditokv6t6%t giebt die neueste Ausgabe) durch
passende Beispiele; er hätte noch hinzufügen sollen, dass die
Verbindung des Praesens mit Futuris hier um so passender ist,
als diese eine spätere oder mittelbare Folge der Vernrtheiluiig,
jenes aber die unmittelbar und auf der Stelle eintretende bezeich-
net. A, ö, 10. nimmt Hr. M. an den Worten zd di ilxöxa dkka
ngog tuov nakkov dnodiöuxxat ovxa keinen Anstoss, obgleich
ihn seine Erklärung: argumenta autem a probabililate petita
longe alia esse s. aliom vrm habere {alium hominis interfectorem
esse) atque (das steht nicht da) a meis potius pariibus sture
crtcj, darauf hinführen musste, die Stelle für verderbt zu halten.
Die Conjectur des Hrn. Sauppc: xd ds sixöxa — dkka jigog
ifiov fiäkkov dnodiötixxat ovxa ist äusserst glücklich. — Die
zwe:te Tetralogie hat grössere Schwierigkeiten als die erste. Den
Fehler B, ß, 1. rovg xt yövxtovg xok^iäv xd xe dkka nagd q>v-
ötv kiyuv xa\ Ögäv ßidtpvxui habeu die Herren Scheibe (acta
76 Griechische Literatur.
soc. gr. p. 87.) und Sauppe glücklich geheilt, indem sie xui jtugd
i.irugd schreiben. Hr. M. sucht die Lesart der Handschriften durch
folgende Erklärung zu schützen: pudentesque homi/tes cogunt au-
dacler agere et re Liqua omnia^ quae ab ipsorum in-
genio alienissima sunt, et dicere et facere. Dann miisste
aber wenigstens xui xu uX\u xu nugd tpvöiv bvxu gelesen
werden; und xolpüv müsste einen engern BegrifF hüben , als es
hat. — Ueber die Schwierigkeit, die sich § 2. findet, schweigen
die neuesten Herausgeber, zJiopui vpäv ^ idv äxgtßEGTEgov rj
äg ßvvrjftsg vuiv doijo aliteiv, uij diu xdg Tcgoetgijusvug xv-
%ug unoÖE^upsvovg pov rrjv uJtoXoyluv , öö^y xui prj ttkrj&tlci
xijv xgiGiv itoir]<5u6$aL' tj psv yug do^u xäv nguyfikviav
■xgbg xäv Xsysiv dvvauevcov tGxiv, rj ds dXföuct ngog xäv
dlx'nu xui oGia nguGGÖvxtov. Leider ist die Stelle, woraus die
unsrige erklärt oder emendirt werden könnte (y, 3. ovrog fiiv
ovx oGtag dslxai vuäv Gv%väg xt)v unoXoyiuv dito&kyfitöui
avtov'), was auch Hr. M. S. 177. dagegen sage, selbst corrupt.
Hr. M. vermuthet, dass die Partikel piq vor dnoÖE^uucVovg aus-
gefallen sei. Qua reeepta omnia optime procedunt. Das glauben
wir nicht, zumal wenn die Worte do^y xui pt) dfafötiu bedeuten
sollen opinione magis quam veritatis rationibus dueli, eine Er-
klärung, gegen welche, wie Jedermann sehen muss, die gleich
folgenden Worte ij plv ydg doija xxX. auf das Entschiedenste
protestiren. Sollte man der Stelle vielleicht durch eine Verände-
rung der Interpunctiou, indem mau das Comma vor Ö6t,tj streicht
und nach cckt]9slu setzt, zu Hilfe kommen können'? — B, ß, 6.
ol xe ydg uuugxdvovxig äv äv ETCivorjGoaGi xt hat Hr. 31. mit
Recht xt in Klammern geschlossen ; denn es lässt sich das
Pronomen eben so wenig erklären, als in der ähnlichen Stelle
bei Aeschiues II, 107. ovdeig ps xäv bnkav av&xa xäv (ÖiAi'ä-
nov xgivti, dXX' äv uv una x i prj öiov ij jigd^a xt xcov
prj xgoGxszuypEvav , worüber Unterzeichneter in den Actt. soc.
gr. II, 1. p. 34. gesprochen hat; aber bei der Verteidigung der
Worte ot ds exovGiov xi dgävxsg ij nuGyovxEg , oi)roi xäv
Ttufttpiütcov ul'xlol yiyvovtug ^c^n. Reiske"s Vorschlag (ovxoi
xäv EKOVöicxtv 7tgüi;£G)v xui TtuSrjudzcov atuot y ) irrt Hr. M.,
wenn er meint, dass alzioi vorzüglich zu betonen sei: Uli facto-
res tantummodo delicti neque in culpa sunt^ hi auctQres
farinnris atque in culpa; denn die ngdxxoghg xäv dxovoicov
sind keineswegs frei von Schuld, und eben deshalb will der Red-
ner beweisen, dass seinen Sohn der Vorwurf einer unfreiwilligen
Tödtung nicht treffe. Vgl. § 9. Der Grund , weshalb Antiphon
nicht in der von Reiske verlangten Weise fortfuhr, war ganz ein-
fach der, weil der Sohn des Klägers sich ein nd&rjpa zugezo-
gen hatte, weil also das (exovöicov) Jigu^ECOv uixiot ylyvovxut
auf ihn keine Anwendung erlitt. — 23, y, 2. verschmäht Hr. M.
die von Ilekker und den neuesten Herausgebern aufgenommene
Antiphon!!* orationes eil. Macizner. i <
Conjeclur Reiske's: ov<5e yag av Iva Xoyor dvzl dvolv Xe-
|ag rd rjutöv rrtg xaxyyoQtttg ipavzov äv ct7tt6TfQtj6a und
schreibt mit den Handschriften NA: dvztöovg ij Ati;«e, nur dass
er die Worte ij Xitag als Glosse einklammert. Seine eigene Ue-
bcrsctzung aber zeigt, dass dvzl övolv nöthig ist: neque enim
— dt/os 01 aiiones accusati una hoc oratinncvla compensans di~
vidia acrusationis parte ine ipse prhassem. — §3. nimmt Hr.
M. mit Reiske nach h'oycc yuvtgd eine Lücke an, Hr. Sauppe
glaubt, dass dcpctviöai nach neiödivztg ausgefallen sei; uns
scheint tgya tpavfQu Nichts weiter als eine Glosse zu zijv aAij-
Qsictv rar Jtoa%devz(OV. — Die Vermuthung, dass Antiph. § 4.
i) ö' ddoX(OT({jov ij övvazcSzSQOV (für xa\ döwazüzigov) kt%&i}-
Gtzca geschrieben habe, hat auch Hr. Scheibe aufgestellt, und
sie ist jedenfalls der Reiske'schen 0 i xcti dö.) vorzuziehen. Es
ist ein allgemeiner Satz, in welchem das Futurum, wie bekannt,
durch die Beziehung auf eine Bedingung die Bedeutung eines Ao-
rists (pflegen) erhält. Vgl. Hermann zu Soph. Antig. V. 350.;
dass Hr. M. dem Futurum die Bedeutung, rem vel personam,
de quo a«i/ur, propensam vel idoneam esse, ad id efficiendum
perpetieniitimce, qitod verbum exprimit, möchte sich nicht recht-
fertigen lassen. — § 6. erklärt Hr. M. die Worte og (nämlich
der nutöuzQtßijg) vjitöi%izo zolg dxovzl£,ovöi zec dxövzia dvai-
Qtiödui durch qui curam solebat suseipere colligendorum te-
lorvm. Damit wäre allenfalls das Imperfectum erklärt, wenn
auch nicht richtig, denn es bezeichnet hier das, was damals (als
der Knabe gerufen wurde) geschah , im andern Falle m'üsste es
vTiobiyizccv solet heissen; aber die Redensart viisdex&zo — ■
dvctiQtiQftui wäre noch zu erklären und zu erweisen. Rec. hält
uvciiQiiGxtai (vielleicht ursprünglich aWtpmai, wie vor Bekker
gelesen wurde) für eine Glosse. Eben daselbst vermuthet Hr. M.,
dass Antiphon nicht ovöiv ilg ovöiv' dpccgzav , sondern slg ov-
öiva ovöiv dp. geschrieben habe. Warum? doch nicht, weil es
so § 9 und ß, 7. heisst? Die Handschriften (ovöiv ovo' slg %v d.
NABLZ) zeigen vielmehr, dass Antiphon ovötv ovo' slg tv dp,.
geschrieben hat, nämlich: auch nicht gegen sich. Den
Sinn der schwierigen Stelle § 11. ovtf ot davazüöccvztg rtpäg
pi] tloyöpivoi zäv nooörjxövzav *) tvötßoivz' äv vno zäv
dnoXvödvxav zovg dvoöiovg giebt Hr. M. im Ganzen richtig
an: neque ii qui nos interfeceiunt (i. e. adiersarii Jilius, qui
meum inier fecit pue/um) si von arceantur , unde arceri eos
par est , iure a iadieibus impios absolventibus reverentia digni
Imbeanlur , nur dass der Ausdruck reverentia digni verfehlt ist.
Denn die Vergleichung mit ß, 11. (dkl' dnoXvovztg tvöißtlzt),
') Im cotl. A siml vor nQoeqxovzcov zwei Buchstaben ausgelassen.
Schrieb Antiphon zwv ov Ttqocrty.6vzcöv'i Die Negation ist oft in den
besten Handschriften übersehen worden , wie z. B. § i). in N.
78 Griech liehe Literatur.
worauf sich der Redner an unsrer Stelle bezieht, lasst nicht zwei-
feln , dass von einer impietas in deos die Rede ist. Das Wort sv-
Otßslv selbst wird au unsrer Stelle theils durch jene Vergleichung
theils durch den folgenden Paragraph (trjg ovv v^szsgag svös-
ßsiag si'skcc jctA.), sowie selbst durch den Schreibfehler svöe-
ßeLcc für svkäßsia in AN gegen jede Acnderung (wie etwa sv 6s-
ßoivz av, was Hr. M. durch seine Uebersetzung ausdrückt) ge-
schützt. Kann man aber die Construction : oiid' ol %avataQav-
tsg rjuäg ft$ slgyöfjitvoi — svötßolvt ccv, in dem Sinne, den
diese Worte hier haben müssen (der Schuldige wird, wenn er
nicht gestraft wird, auf eine die Götter beleidigende Weise be-
handelt), für: ovzs zäv ftavazaöccvzcov rjpäg (tq slgyo^isviov
— svösßolt av vno täv xzk. rechtfertigend Hierin liegt die
einzige Schwierigkeit dieser Stelle, der die auch sonst unpassende
Conjectur des Herausgebers og&cog oder ÖtKutojg svösßolvt av
nicht zu Hülfe kommt. Warum der Aorist vno täiv änolvöccvtav
nicht zu dulden und was dafür zu setzen sei (doch nicht vno täv
änokvöovtav! ) , hat uns Hr. M. nicht gesagt. Vgl. V, 96. —
r, a, -. nimmt Hr. M. iu den Worten o ts yag %sog xtL eine
Versetzung der Partikel ts au und lässt diesen Satz den Worten
tgorpeag ts nagiöaxs entsprechen. Aber wohin musstc dann
Antiphon das erste ts stellen, wenn dies an seinem Platze stehen
sollte'? Offenbar so: 6 yag &sög ßovkö^isvog noirjöai to dv-
ftgänivov <pJAov, hq>vös ts tovg ngdtovg ysvopsvovg rj^iäv
(oder rovg ts ng. y. rjuäv scpvös) tgoq>sag ts nagsSaxs xzk.
Welch einen unpassenden Gedanken dies giebt, ist leicht zu se-
ilen. Ueberhaupt aber muss man immer gegen solche Versetzun-
gen misstrauisch sein. Au unsrer Stelle hat Hr. Sauppe die Be-
ziehung der Partikel ts nachgewiesen. Denn die Partikel yag zu
Anfang des dritten § ist ohne Frage zu streichen , und wir erhal-
ten nun drei Argumente, warum es öofrcJg vsvöfiiötcu rag yovi-
xdg dixag nsgl nkdözov noisiö&ui Öiaxsiv ts xal fiagzvgsiv
xatd tö bixaiov , nämlich o ts yag &tog § 2., o ts dnoftaväv
§ 3. und reisig ts § 4 Unter xglvovzsg § 3. sind nicht die An-
kläger zu verstehen , sondern die Richter. — .T, ß , § 7. zrjg
vusttgag svösßsiag avzol <p ov slg slöi. Hr. M. findet hierin
blos ein audacius dictum; wir meinen aber, jeder Andere wird
die Stelle so lange für corrupt halten, bis ein solcher Trope aus
einem klassischen Prosaiker nachgewiesen sein wird , zumal da
das kurz vorhergehende cpovslg und dnoxzelvai das Verderbniss
veranlassen konnte, aus a, 4. extr. aber ersichtlich ist, dass Anti-
phon aitioL geschrieben haben muss. — J1, <5, 5. tov ös %dva-
tov näg äv sntßovksvösv , ov ys dxovaiag sndtal-sv; der
Accus, lässt sich nothdürftig vertheidigen , und wäre immer noch
besser, als die Conjecturen des Hrn. Scheibe: co ys — snäta-
%tv oder ov ys — 'snga&v. Rec. hatte in seinem Exemplar der
Bekk. Ausgabe längst og ys corrigirt, ehe er sah, dass die neue-
Antipliontie erationeg ed. Maetzner. 79
sten Herausgeber dasselbe verimithet haben. Vgl. V, 41. -~ § 6.
vertheidigt Hr. M. die vulgata : tag de ovde xgelööav av äXXu
noXv vTioÖteöztQog ojv enct6%ev ^pvvexo , didd£a. s/fferunttir
haec a patrono, qnia actor dixerat y. § 3. o de advväxcag xöv
xgeiöö ova üpvvöpevog (hierauf bezieht sich vielmehr der An-
fang des § 7.) ; atque revera non xgeiööav fnerat sed vnode-
söTtQog fei qui tantummodo idegerat, ut inimici impetum pro-
pulsaret atque se pugnando defeuderet. Das ist eine Spitzfindig-
keit, welche durch die folgenden AVorte 6 de — eXaööovag
jj xax ä£lav xov äglavxa ypvvexo widerlegt wird. Dass Anti-
phon xgetööövag geschrieben hat, und dann auch vitodeeözegag,
zeigt die Lesart der beiden besten Handschriften (NA); xgeiööov
cäV. — § 8. war mit Reiske ex xav ccvxov egycov xyv xvxvv
7CQo6ayopevog zu schreiben; die vulg. jroo«yd/i£Vog, welche
Hr. M. pelliciens atque incitans erklärt, ist selbst, wenn sie dies
bedeutet, absurd.
In V, 11. hat Hr. M. die fehlerhafte vulg. eläXtiav uvxw
(für ig. ccvxä) verbessert. § 12. behält er Xeyav bei, welches
keine handschriftliche Auctorität für sich hat. Die Handschriften
geben eX ye. Uec. vermuthete ol'fi, worauf auch Hr. Sauppe, wel-
cher aber ye beibehält (oXei ye) verfallen ist. § 13. hat Hr. M.
nach Bernhardts Vorschlag (Synt. S. 276.) nach epol interpun-
girt und ocpXe Iv statt otpXeiv geschrieben , sonst keine Verände-
rung vorgenommen. Die Stelle lautet: xaixoi, epol, ei ptjdev
Öäytge ötegeö&cci tijöde xrjg nöXeag, Xöov r^v poi xdi «poö-
xXrjdevxt pij eX&elv , aXX' egrjprjv 6q>Xelv xi]V dixrjv , xovxo
ö' KnoXoytjöapeva xrjv ngoxegccv e^elvai ££sX9elv. Der Infini-
tiv e!-eivaiy für den Bekker mit Reiske U-ijv aufgenommen hat,
lässt sich zwar durch eine Nachlässigkeit des Redners entschuldi-
gen und deshalb haben wahrscheinlich auch die neuesten Heraus-
geber nicht gewagt zu ändern, aber da die beste Handschrift
t^eiv hat, und dies zeigt, wie die vulg. entstanden ist, so wird
wohl e$r}v herzustellen sein. Ausserdem möchte xtjv dixrjv, wel-
che Worte im cod. N fehlen , als Glosse zu streichen sein. Hr. M.
erklärt Xöov r\v poi für Xöag {pari modo, pariter) s£ijv poi. So
würde dies aber kein Grieche haben verstehen können, Antiphon
hätte vielmehr t£ Xöov y\v poi schreiben müssen ; Xöov i)v poi
heisst hier i. q. ovdlv Öiiqitge poi, und die Partikel xcu vor jtgoö-
xkrj&evxi entspricht nicht dem folgenden toüto dk, sondern be-
zieht sich auf das Vorhergegangene aönegel äxovxa xxX. i. e.
ixaiv, ov TtgoöxXiföeig, rjX&ov tlg xi)v yrjv tavxrjv. Dem
toüto de entspricht vielmehr ein vor iXdelv hinzuzudenkendes
xovxo pev. — Im folgenden Satz vertheidigt Hr. M. das hand-
schriftliche ps pövov gegen Bekkers epe povov mit Recht. Die
neuesten Herausgeber haben hier an pe povov Anstoss genommen,
Lys. 8, 19. aber nicht. — Die Worte diu ti]v xov öäpuxog
naxonafteiuv § 18. vertheidigte Hr. M. sehr furchtsam gegen
80 G r i c c h i s c li c L i t c r a t u r.
Dobree, der sie ausgestossen haben wollte: sed ita possint ac-
cipi, ut et äedecus vincti et potentiam adversariorum arguant.
Aber wie ist dies möglich'? Unter tJ tov öapazog xuxondftsiu
ist die in Folge der Einkerkerung geschwächte Gesundheit des
Angeklagten, die einen baldigen Tod desselben voraussehen lässt,
zu verstehen, und dieser Zusatz war liier durchaus nötliig, wenn
man begreifen sollte, wie der Kläger durch jene ungesetzliche
Einkerkerung hoffen durfte, die Freunde (d. i. die Bekannten)
des Angeklagten von einer Unterstützung desselben vor Gericht
abzuhalten. Kurz vorher (§ 17.) vertheidigt Hr. JH. die vulgata:
aözs xcxl oviog (sc 6 vöpog) xoivog xoig dkkotg naöiv av aioi
pöva iniktns prj aepsksiodru xovds xov vopov. Der Genitiv
bei aepsks lö&ai ist aber noch zu erweisen , eben so der bei wqpE-
/Uü», den Hr. M. weder durch die Dichterstelle Soph. Oed. Col.
436. ovösig sgatog xovd' icpaivsz' depskav (siehe daselbst Her-
mann), noch durch die fremdartige Stelle in Xen. Agesil. XI, 8. :
%Qr]pa6i ys prjv ov pövov dtxalag, dkkd xal iksv&sgia'g sxgfjtOi
tcj ßiv ÖLxalco dgx&lv rjyovpsvog ro iäv tdkkötgia, tä Ös iksv-
&eqUo xal xav savzov (aus dem Seinigen) ngo6aq)skrjtiov si-
vcti, erweisen kann. Antiphon schrieb wahrscheinlich kx zovbs
tov vopov. — § 29. hat Hr IM. die Lesart der Handschriften
to cclficc (tt alpa 'vulg.) in ihr Recht eingesetzt. — § 44. hat
Hr. M. eine grosse Veränderung vorgenommen , welche beim er-
sten Anblick gefällt, bei näherer Betrachtung aber sich als ganz
unhaltbar zeigt. Die Stelle lautet: xal dni&avs psv 6 dvt)g ov-
toöi iyyvg xrjg &akdööijg xal xäv nkoiav^ dg 6 xovtav koyog
görlv, vito Ös svög dvdgög dno&vrJGxav ovzs dvixgaysv out
cd'öthfötv ovöspiav snoitjösv ovzs zoig iv zij ytj ovzs zolg iv tu
nXoicp ; xcci prjv nokkä nkiov ys dyvoEiv eözl vvxzag ij psV
rjpsgctv, ix dxzfjg ij xazd nökiv xal prjv sri iygrjyogozav epet-
6iv ixßrjvat xbv ävdga ex xov nkoiov. (§ 45.) snsiza iv xrj yy
psv dno&avovzog , ivzi&spivov da slg zo nkoiov, ovzs iv xy
<yrj örjpslov ovds alpa icpdvrj ovze iv xä itkoico , vvxtcog plv
dvaigE&Evzog , vvxzag <5' ivt&spivov slg xo nkoiov. r\ doxsl av
xig vplv ävftganog Övvaö&ca — dvaönoyyiöai, d ovds ps&
i)psgixv [dv] xig olög x iysvsxo — dcpaviöui; Hier hat Hr. M.
den Satz xal prjv nokka nkiov — xazä nökiv nach den Worten
vvxzag ö' ivziftspivov slg xo nkoiov § 45. eingeschoben. Was
heisst aber vor allen Dingen nokkä nkiov ys dyvoslv közb'i Hr.
M. antwortet: malto facüius (eigentlich wohl multo plus) eria-
tur sive impmdentia peccatur. Geben wir dies zu: welches ist
nun der Zusammenhang'? ,,Sodann, sagt der Redner, obgleich
er auf dem Lande ermordet und in das Schiff gelegt worden sein
soll, fand sich doch weder auf dem Lande noch auf dem Schiffe
eine Blutspur,: trotz dem, dass er bei Nacht ermordet, bei Nacht
in das Fahrzeug gelegt worden sein soll. Und doch kann
man sich bei Nacht leichter versehen (irren) als
Antipliontiä orationes cd. Mactzner. 81
bei Tage. Wer kann sich versehen? Offenbar der Mörder;
aber womit'? tödtet er etwa bei Tage so vorsichtig, dass kein
Blutstropfen auf die Erde sprützt? Doch nein. Der Redner setzt
voraus, dass bei jedem Mord Blut fliesse. Denn er fährt fort:
„Oder glaub t Ihr, dass ein Mensch in solcher Lage
bewerkstelligen könne, was einem ruhigen Men-
schen selbst bei Tage unmöglich sein würde, die
Blutspuren vertilgen'? Der Zusammenhang wird aufgeho-
ben durch die Umstellung, welche Hr. M. vorgenommen hat. Dass
dieselbe aber auch sonst gar nicht möglich ist, zeigen die Worte
in äxxiig ij xaxä nöfav, welche hier entscheidend sind. Hr. M.
hat nicht gesagt, warum in litore facilius imprudentia peccatur
quam in urbe, und möchte es nicht leicht sagen können. Die
Worte tri ccxxijg r\ xuxa Tiohv enthalten aber eine so deutliche
Beziehung auf die Worte xccl dni&avs plv — lyyvg xijg %ccXdx-
xtjg, dass man nicht zweifeln darf, dass der Satz xccl ^i)jv noXXcö
ocxX. in der vulg. an seiner Stelle steht, und der Sinn, den er ent-
halten muss, ist im Allgemeinen richtig von Dobree angegeben:
per silentia noctis in deserto litore vel minimus exauditur stre-
pitus, wenn wir auch nicht verbürgen wollen, dass die griechi-
schen Worte diesen Sinn haben und nicht vielmehr verderbt sind.
Bei diesem Sinne aber ist der Zusammenhang der Sätze ohne Ta-
del. — § 53. hat die neueste Ausgabe mit Recht nach Reiske's
Conjectur &6xs xovxo (aIv öcupeörsQov avxog (für avxolg) S(isX-
kiv Iqüv 6 UQyctöfiEVog, denn der Gegensatz zu ygap,[iaxlöiov
verlangt avxog, und bei dem Plural an Mitwisser des Lycinus zu
denken ist bedenklich. Gleich darauf aber musste auch
xovxo Ös ovöev tdsi xqvxxeiv avxd (wie in NABZM statt av-
xöv steht) geschrieben werden ; der Fehler ist durch dass miss-
verstandene ovÖhv veranlasst worden. — § 54 war aus N xov
fi?) Öicc[iV7]uovtvsiv (für xcö py) d.) zu schreiben. — § 66. hat
Hr. M. die Partikel (ir) in den Worten ovx luv fir] k^svgco^ wel-
che auch die neuesten Herausgeber ausgestossen haben, spitzfin-
dig vertheidigt: quo facto non rei gestae inscitia, sed ipsa inno-
centia me reddet incolumem , indem er meint, der Redner wolle
mit diesen Worten Denen begegnen, quibus derisui fore suspica-
tur hoc ipsiim argumentum et inscitia rei duetum. Aber eine
solche Absicht lässt sich in den Worten des Redners nicht erken-
nen, sondern muss erst von aussen hineingetragen werden ; und
es liegt auch gar keine Veranlassung dazu vor, da der Redner
nirgends verlangt frei gesprochen zu werden, Aveil er nicht wisse
wie der Mann umgekommen, wohl aber, dass man ihm nicht die
Angabe der Mörder zur B edingu ng der Freisprechung mache,
ein Verlangen, worüber auch seine Gegner nicht spotten konn-
ten. Die Worte rj uitokaXev sind von Hrn. M. ohne hinlänglichen
Grund eingeklammert worden. — § 77. ovx töxiv ö xt (oder wie
Hr. M. durchweg hat drucken lassen, oxl) vöxtqov avxä y^iÜQ-
N. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. UM. Bd. XXVIII. Oft. I. 6
82 Griechische Literatur.
T7]tat reo l[i(ß Jtatgl hat Hr. M. nach Dohree's Vorschlag die
Worte reo — xaxgl eingeklammert, wahrend die neuesten Her-
ausgeher nach i}nctQit]Tai ein Comma gesetzt haben ; dasselbe ist
in beiden Ausgaben § 21. (slg 6 uSTExßdvxcc qraölv diioxtavuv
avzöv xöv'HgaS'nv) geschehen. Vergleicht man hiermit Stellen,
wie 1, G. (nach der richtigen Intcrpunction der neuesten Heraus-
geber), so wird man geneigter sein, jene Apposition als eine
Glosse anzuerkennen. — § 85. vfists de — 7tgoxaxctyvc6ö'E6&e
pov Iv rcöds xcß köyco xöv (porov. Hr. 31. vermutbet %gövcp oder
dyävi für koycp ; jenes ist unpassend und bei diesem fragt es sich,
wie es durch köyco habe verdrängt werden können. 'Ev xäde xcß
kdycp (bei — nach dieser Rede, ohne eine zweite Rede in
dem noch bevorstehenden dycov, gleichsam dem zweiten Act des
gerichtlichen Verfahrens gegen den Angeklagten, abzuwarten)
lässt sich vergleichen mit AescJi. 3, 198. oörig Ös iv reo ngcoxco
köyco t))v il'rjqiov aixil. Den Fehler, der im folgenden § ist, hat
Hr. M. nicht erkannt: rfeiovv fjtev ydg eycoys negl rcov xoiov-
xav, (6 dvdgsg, tivcti xr)v dixrjv xaxd xovg vöuovg , xccxä
p,h>xoi xö öixaiov cog 7ikti6xdxig skey%t6&ai. Dies erklärt er:
vellem enim istiusmodi causas ad leguni scriptarum nor-
7/iam diseeptari atque diiudicari , «V« tarnen ut simul summae
iustitiae sutisßerel, iudieibus quam creberrime in rerum ge-
starum Verität ein inquirentibus. Hier hat Hr. M. zuerst Etwas
in die Worte des Redners gelegt, was nicht darin liegt, den Ge-
gensatz zwischen den geschriebenen Gesetzen und der Idee des
Rechtes; sodann tritt bei dieser Erklärung die Hauptsache, näm-
lich das cog nkeiöxdxtg lktyx£6&ai, zu sehr in den Hintergrund,
und die Rede wird unverständlich, indem zu lkky%£6$ai jeden
Falls xd xoiavxa supplirt werden muss, jeder Leser und Zuhörer
abei' das zunächst vorhergehende xr]v öixrjv suppliren wird. Hr.
Sauppe vermuthet xuxd [isvxoi xovxovg xd öixaiov cog nk. sk.y
und Rec. weiss keine bessere Emendation. Nun erhält p,sv nach
fäiovv sein entsprechendes /ttivrot, die Hauptsache tritt gehörig
hervor und zugleich ist zu dem folgenden xoöovxco ydg dfistvov
elv eyiyvcoöxtxo ein passendes Subject (rö öixaiov) gefunden.
In den folgenden Worten cpövov ydg öixyj xcel pi) dg&cög yva-
ödüöcc löxvgöxzgov xov öixaiov xccl xov dkrj&ovg iöxiv (§ 87.)
ist xca , welches erst von Bekker aus seinen Handschriften aufge-
nommen worden ist, aus dem zu yvcoöxftlöa hinzugeschriebenen
xaxd entstanden (vgl. 6, 3.) und sollte gestrichen werden. Denn
xa\ (vel, etiamsi) involvirt den Gedanken, dass die cpövov öixrj
6g%cb~g yvcoG%üöa ebenfalls stärker ist als Recht und Wahrheit!!
— § 91. war die Lesart der alten Ausgaben ekaxxdv eövi für
Ikaxxov böxl herzustellen. Der Sinn ist: es hat weniger zu
bedeuten, in solchem Falle zu irren. Hr. M. erklärt
minus polest e/rari, ohne aber zu zeigen , dass dieser Gedanke
(thöriv Ikaxxov e^auagxtlv) dem Zusammenhange entspreche
Bibliographischer Bericht. 83
oder auch nur an und für sich wahr sei. In dem folgenden Satz
ist es ihm nicht gelungen, den Artikel toi£ zu vertheidigen : rjdq
de riöiv v/tieSv xui titttfiiÄijÖsv dnoXcoXsxoöi. xairoi ovtko
vfilv Toig £%ctnctTr]\}ei6i (.ut £(.<.£ Arjötv . tt xccl tcovv toi (so
die säramtlichen Codd. für ndvv rt, s. Herbst zu Xenoph. Svra-
pos. 7, 4.) j^pi? rovg yi e^anatavro-g dnoXaXtvcu (so aus N für
ditoXcaXsxivai , wofür Hr. Sauppe äjtoXsXvxivai vermuthete).
Hr. M. erklärt nun: vobis, deeeptos dico, und vergleicht damit
Lycurg. § 95. vpw ccnuöi toig vKorsgotg. Dies Letztere ist nun
ganz in der Ordnung , denn der Redner wendet sich an die Jün-
gere und redet sie an ; aber soll er unter vy.lv rolg i^anar^QilGi
eben so einen Theil der Richter, die Getäuschten, anreden?
wo sassen diese und woran erkannte er sie? Antiphon kann, wie
Dobree bemerkt , vftcov tolg l|. oder vyuv lij. geschrieben ha-
ben , wahrscheinlicher ist aber das Zweite.
Papier und Lettern sind sehr gut, der Druck könnte cor-
recter sein. Im Text sind neben vielen unbedeutenden Fehlern
auch ziemlich starke, wie p. 34. (§ 10.) f£ d xv%ovvz(ov für 1%
svTvxovvrtov, p. 44. (§ 5.) niötörzQov für m6zÖT£Qog> p. 58.
Z. 1. ovds 6r]fielov für ovo« ö". ovdhv. Animos scelestititn S. 166.
ist wohl ein Schreibfehler.
Fulda. Fr a n 1t e.
Bibliographischer Bericht.
Fr anzösische Liter atur.
Mit der Bestimmung, Anfänger in die Kenntniss der französischen
Sprache, namentlich in die Kunst, ans dem Französischen ins Deut-
gehe zu übersetzen , einzuführen , sind mehrere neue Werkchen er-
schienen. Dahin gehört : Französisches Lesebuch mit Noten und Wör-
terbuch, von J. F. Schaffer. Dritte Auflage. Hannover (Hahn) 1835.
IV u 326 S. 8. (16 Gr.). Auf kurze Erzählungen und Fabeln folgen
grössere erzählende und beschreibende Stücke. Die Auswahl ist nicht
überall gelungen, indem der Hgbr. nicht durchgängig daran gedacht
zu haben scheint, dass er für die Jugend sammle. Ein durch Reich-
haltigkeit und grosse Billigkeit de6 Preises eich vortheilhaft auszeich-
nendes Buch ist die Vorschule des französischen Unterrichts für die Ele-
mentarclassen der Realschulen und ähnliche Unterrichtsanstaltcn. Von Dr.
JV. J. G. Curtmann , grossh. hess. Director der Realschule und der
Volksschulen zu OiTenbach, im Verein mit J. Lendroy, Prof. d. franz.
Sprache an denselben Schulen. Offenbach ( Wächtershäuser ) 1839.
XXIV u. 238 S. 8. (8 Gr.). Sie wird in den auf dem Titel genannten
Anstalten ohne Zweifel mit grossem Nutzen gebraucht werden können,
6*
84 Bi bliog raph isolier Bericht.
da der, als Lehrer und Erzieher sehr achtbare, Verf. überall mit Er-
folg ilarauf bedacht war, seine Arbeit der Fassungskraft 7- bis Ojähii-
ger Kinder gehörig anzupassen. Die Lebre von der Aussprache ist
gründlich und im Allgemeinen nach -richtigen Grundsätzen behandelt,
auch durch eine, bei der Üekonomie des Druckes ausserordentliche
Menge von Beispielen erläutert, die zugleich dazu dienen können,
selbst dem Gedächtnisse der ersten Anfänger eine grosse Fülle von
Wörtern einzuprägen. Hr. C. hat nämlich schon vom sechsten § au
ausser beispielsweise beigebrachten einzelnen Wörtern auch ganze Sälzo
als Leseübungen hinzugefügt und diese sowohl, als jene mit einer
wörllicben Verdeutschung begleitet, die aber, je weiter das Buch vor-
rückt, mit Absicht immer unvollständiger wird und endlich ganz aus-
bleibt, indem von der 10. Stufe an die Wörter am Fusse jeder Seite,
von der 12. Stufe an »n einem Wörterverzeichnisse mitgethcilt werden.
Während die Uebungen in der richtigen Aussprache , dem Lesen und
Uebersetzen immer fortgesetzt werden, wird unter der Hand ein An-
fang mit der Formenlehre gemacht. Schon auf der 2. Stufe wird der
Artikel, auf der 5. die Fersonenwörter und Eigennamen, auf der G.
die zueignenden Fürwörter, und ein Anfang der Hülfszeitwürter , auf
der 7. die bestimmenden Fürwörter u. s. f. eingeübt, bis die letzte (1(> )
Stufe mit den unregclmässigcn Zeitwörtern scbliesst, so dass der
Schüler nach Beendigung dieses Buches sich nicht allein im Besitze
vieler Wörter und Phrasen, sondern auch der nötbigen Paradigmen
und Kegeln sieht, die er freilich nicht im Zusammenhange, aber doch
nach und nach gründlich einzuüben Gelegenheit hat. Ein verständiger
Lehrer wird die vielen sich darbietenden Gelegenheiten nicht unbenutzt
lassen, um mit seinen Schülern kleine Unterhaltungen in französischer
Sprache über die vorkommenden Gegenstände anzuknüpfen , und wird
auf diese Art das Buch auch zur Vorbereitung auf das Sprechen des
Französischen benutzen können. Leber die Benutzung des Wcrk-
chens, über den Unterricht in der französischen Sprache und andere
Schulgegenstände spricht der Verf. selbst in der lesenswerthen Vorrede
ausführlich. Zwar minder reichhaltig, aber doch, nach seiner in
dieser neuen Auflage bewirkten gründlichen Verbesserung ebenfalls
brauchbar ist: Cours complet de lecture francaise , arrange pour servir
de syllabaire , avec les premiers elemens de grammaire et des morceaux
de lecture. Par G. Sticffelius , ancien pasteur francais. Deuxiemo
edition revue et corrigee. Berlin (Schultze) 1838. XII u. 200 S. 8.
(Auch unter dem Titel: Lehrbuch der französischen Aussprache in ihrem
ganzen Umfange , eingerichtet zum Lesenlernen , nebst den Elementen
der Grammatik vnd französischen Uebersetzungsstückcn. Ein Schulbuch
für Anfänger jedes Alters.) Der Verf. hat, abweichend von der Ein-
richtung des vorhergehenden Buches, schon für die ersten Anfänger
die (sehr ausführliche) Lehre von der Aussprache, die Leseübungen
und das Grammatikalische von einander getrennt , was allerdings auch
sehr Vieles für sich hat und wobei es dem Lehrer überlassen bleibt,
denjenigen Abschnitten dieses oder jenes Theiles, welche er den Schü-
Bibliographischer Bericht 85
lern früher oder später, als sie in dem Lehrhuche vorkommen, vor-
legen möchte, eine andere- Stelle anzuweisen. Als vierte, gänzlich
umgearbeitete Auflage der Schrift: „Die vier ersten Bücher von Fene-
lon's aventures de Tclemaque" erschien das Lehrbuch der französischen
Sprache nach Hamilton sehen Grundsätzen, enthaltend sechs Erzählungen
aus Bcrquiiis Vami des cnfans und die drei ersten Bücher von Fenclon's
aventures de Telemaque , von P. J. Weckers , wirkl. Lehrer an der
Realschule zu Mainz. Mainz (v. Zähem) 1830. XII u. 238 S. 8. Der Verf. ist
ein Anhänger der Hamilton'schen Methode, von welcher ich in Brzos-
laTs Gentralbibliothek für Pädagogik (October 1838 S. 1 fgg) einen
kurzen Abriss geliefert habe. Da ich wiederholt die Ansicht geäussert
habe, dass eine blinde Befolgung der Hamilton'schen Grundsätze nicht
zu empfehlen sei, und dass die von ihren Anhängern erzielten Resul-
tate meistens auf ganz anderen Dingen, als auf der Vorzüglichkeit der
Methode beruhen , z. B. auf der geringen Zahl an Jahren , Fähigkei-
ten und Vorkenntnissen gleicher Schüler, auf der grossen, einem Un-
terrichtsgegenstande gewidmeten Stundenmenge u. s. f. 5 so lässt sich
erwarten , dass ich mich nicht für ein Lehrbuch aussprechen werde,
welches ohne alle Modiflcationen blos dem von mir angefochtenen Prin-
cip huldigt. Hr. W. hat jedoch schon in seiner, von mir NJbh. Bd.
XXVI Heft 2 S. 187 fg. mit verdientem Lobe als besonders für Real-
schulen (welchen sie inzwischen auch im Grossherzogthum Hessen vom
Obcrscbulrathe in Darmstndt durch Rescript vom 21. Aug. 1839 zur
Einführung empfohlen worden ist) brauchbar angezeigten französischen
Grammatik , auf welche auch in diesem Lehrbuche durch Hinweisung
auf ihre §§ Rücksicht genommen wird, dargethan, dass er jenem Sy-
stem nicht blindlings folge, sondern gern diejenigen Einschränkungen
und Abänderungen eintreten lasse , welche von den Umständen gefor-
dert werden. Die mit der gegenwärtigen vierten Auflage des 1832 zum
ersten Male erschienenen Buches vorgenommenen Veränderungen lie-
fern dafür den deutlichsten Beweis. Früher enthielt nämlich das
Werkchen nur die 4 ersten Bücher von Fenelon's aventures de Tele-
maque mit Interlinearübersetzung und sonstigen Zugaben. Für die
ersten Anfänger muss ich nun freilich die Zweckmäßigkeit des Tcle-
maque bezweifeln , während Hamilton, der für t\en Elementarunter-
richt das selbst den Gelehrten Schwierigkeiten darbietende Evangelium
Joliannis empfiehlt, ihn wahrscheinlich noch für zu leicht erklärt haben
würde. Hr. W. hat jedoch mit richtigem Tacte in dieser neuen Auf-
lage statt 4 Bücher nur 3 aus Telemaque genommen und für die An-
fänger aus Berquin's I ami des enfans (vgl. meine Beurtbeilung dieses
Werks Jen. A. L. Z. 182(i Ebl. Nr. 45 S. 358) S. 75 — 128 C schöno
Erzählungen (les quatre saisons, lo contretenis utile, le tems perdu et
regagne , l'emploi du tems, le meutern- corrige par lui-meme, les
iiiacous sur l'echelle) ausgewählt , die für das kindliche Alter passend
sind. Auch die übrigen Zugaben zeugen von einem sehr lobenswer-
then Bestreben, das Buch sowohl, als den Unterricht in der franzö-
sischen Sprache zu vervollkommnen. Die S. 1 — 20 vorangeschickten Rc-
36 Bibliographischer Bericht
geln der Aussprache , denen die S. 15 fgg. vorkommende, tabellari-
sche Darstellung der einfachen und Doppellaute eigentümlich ist,
haben an Faßlichkeit und Uebersichtlichkeit sehr gewonnen und die
ihnen beigegebenen Leseübungen (S. 21 — 75) sind sehr zweckmässig.
Das Mcmoriren der darin befindlichen Wörter, welchen immer die
deutsche Bedeutung hinzugefügt ist , wird bei deu Schülern den Grund
zu einem tüchtigen Wörtervorrathe legen , ohne den sie nie zum Spre-
chen gelangen werden. Hr. W. hat aber in allen seinen Lehrbüchern
immer dieses Ziel — das Sprechen — im Auge und giebt auch in sei-
ner lesenswerthen Vorrede zu dieser Arbeit eachgemässe Rathschläge,
wie der Lehrer bei ihrem Gebrauche nach und nach die Zöglinge zum
Sprechen des Französischen heranziehen könne. Als ein gutes Hulfsmittel
werden dabei die jedem Abschnitte — ebenfalls als eine neue Zugabe
der 4. Auflage — beigefügten Aufgaben zum Uebersetzen aus dem
Deutschen in's Französische dienen, welche mit Sorgfalt aus Wörtern,
die bereits in den französischen Abschnitten da waren, gebildet sind
und für den Schüler eine leichte Arbeit sein werden, wenn er das Vor-
hergehende, wie es sich gehört, vollkommen in sein Gedächtni68 auf-
genommen hat. Wie wenig übrigens Hr. W. den grammatischen Un-
terricht durch dieses Buch verdrängen will , geht schon aus dem Um-
stände hervor, dass er in den Anmerkungen sehr häufig auf seine
Grammatik verweist, aber noch deutlicher wird es durch die S. 269
n. s. w. zur Nachahmung beigefügten Beispiele zur Analyse gramma-
ticale. Am Schlüsse sind die 6 Berquin'schen Erzählungen und die 3
ersten Bücher des Telemaque nochmals ohne die deutsche Interlinear-
übersetzung auf 6b* S. abgedruckt, und es ist mir aus dem besonderen
Titel dieser Abtheilung (Extraiis de Vami des enfans de Berquin : lea
quatre saisons ; le contretemps utile ; les macons nur Vechelle ; le menteur
corrigv par lui-meme ; l emploi du temps , le temps perdu et regagne",
et les trois premiers livres des aventures de Tvlcmaque , par Ftnelon)
wahrscheinlich , dass sie auch besonders verkauft wird. In der Schul-
ze'schen Buchh. zu Oldenburg erschien 1838: Zweites französisches
Lese - und Uebungsbuch für Kinder mit unterlegtem Texte des zweiten
Bändchens von Gaidtier's lecturca graduees , nebst einer auf (sie) franzö-
sisch abgefassten Formenlehre der französischen Sprache als Anhang, von
C. VI u. 232 S. 8. Das Buch zerfällt in zwei Theilet 1) ein franzö-
sisches Lese- und Ucbcrsetzungsbuch S. 1 — 126; 2) eine Grammatik
S. 129 — 232. Das Lesebuch ist ganz eigenthümlich eingerichtet.
Der Hgbr. theilt nämlich aus der auf dem Titel genannten Quelle kleine
französische Erzählungen , und zwar die leichtesten Sätze deutsch (zur
Uebersetzung in's Französische), die schwereren französisch (zur Ueber-
setzung in's Deutsche), die schwierigsten französisch nebst zur Seite
stehender Verdeutschung mit. Dadurch bekömmt freilich das Buch ein
ziemlich buntes und auf den ersten Anblick verworrenes Ansehn , allein
die Einrichtung wird sich nach meiner Ansicht als recht zweckmässig
bewähren und die Abwechslung wird die Kinder anziehen. Den blos
französisch, oder blos deutsch initgethcilten Abschnitten sind übrigens
B i b 1 i o g r u p li i e c h c r B e t i c h t. ' 87
die wichtigsten Wörter mit ihren Bedeutungen in beiden Sprachen bei-
gegeben. Die dem Lesebuch al» Anhang hinzugefügte Grammatik in
französischer Sprache (ebenfalls für Kinder und deshalb in sehr leite-
ten Sätzchen) geschrieben, enthält jedoch nur die Formenlehre, aber
mit brauchbaren Paradigmen, und i>t deshalb zur Wiederholung sehr
geeignet. Hr. Prof. Courtin hat im folgenden Hu che: 77c et aventures
de Robinson-Crusoe , par Daniel de Foe. Traduction de Petrus Bord.
Enrichi de la vie de Daniel de Foe par Pkilarete Chasles, et de notes
allemandes , grammaticales et explicatives, Servitutes ä lu jeuncsse pour
la traduction de cet ouvrage. Orne du porlrait de Vautcur. Stuttgart
(Scheible) 1836. I. Theil: 331 S. II. Theil: 618 S. 8. den von ßorel aus
dem Englischen des durch seine sonderbaren Schicksale bekannten Da-
niel de Foe (geb. 1661) übersetzten Hohinson neu auflegen lassen.
Rec. hätte zwar wegen des grossen Umfangs dieses Werkes lieber einen,
minder Interessantes übergehenden Auszug daraus erscheinen sehn,
allein das Buch empfiehlt sieh doch durch schönen und meistens cor-
recten Druck und durch die Anmerkungen des Ilghre. , die in ein drit-
tes Bändchen verwiesen werden können, da sie neben beiden Theilen
gebraucht werden müssen. Hr. C. giebt in denselben Erläuterungen
der schwierigeren Wörter und Redensarten und passcn4e Sacherk lä-
rmigen. Die beigegebenc Lebensbeschreibung des Verf.s Daniel de Foe
von Philarcte Chasles passt nicht ganz zu dem Uebrigen , indem ihre
Darstellung für die Kinderwelt viel zu hochtrabend i?t und gegen den
durch seine Einfalt ansprechenden Robinson unangenehm absticht.
Für Aufänger und für Geübtere ist bestimmt: Clioix de Icctures fran-
c-uises. Cours pi emier , destine aux classes inferieures des Colleges, aus
Instituts et aux lecons jirivdes , par //. A. Manilius , Dr. et mnitre au
College de Ste. Croix ä Drcsde. X n. 196 S. Cours II., destine aux
classes supericurcs des Colleges , aux Instituts et aux lecons privecs par
II. A. AI. 188 S. 8. (Auch unter dem Titel: Auswahl französischer
Lesestückc. I. Cursus für untere Gymnasialclassen , Institute und Privat-
unterricht ; IL Cursus für höhere Gymnasialclassen , Institute und Privat-
unterricht. Dresden (Arnoldisehe Buchh. 1838). Dem Ilghr. genügten
die vorhandenen Lesebücher für den Schul- und Privatgebranch nicht;
namentlich vermisste er in ihrer Mehrzahl ein gehöriges Fortschrei-
ten vom Leichten zum Schwereren. Um daher sich und Anderen ein
zweckmässiges IlüllViuiüel zu verschaffen , hat er vorliegendes Lese-
buch mit Sorgfalt und Geschick gesammelt. Der erste Cursus enthält
a) kurze Lebensbeschreibungen von Voltaire, Friedrich II. , Rousseau,
Montesquieu, Helvclius, Bossuet, Fenelon, Massillon ; 6) Briefe von
Voltaire, Friedrich II. , Ilelvctius, Pascal, Fr, v. Scvigne; c) ge-
schichtliche Bruchstücke von St.-Evremnnt , Mignet, Scgur; d) Rci-
sebeschreibungen von Fr. v. Stael , Volney, Barthclcniy u. A. Der
zweite Cursus umfasst o) die Philosophie, in Bruchstücken aus den
Werken vonFcnclon, Helvclius, Nicole, Voltaire, Mcrcicr , J. J.
Roufifieau, Thomas, Malebranche, Rnynal, Chateaubriand, Bcr-
uurdiu de St -Pierre; c) die Beredsamkeit (d'Agesscau , Bo6suct, Flc-
88 Bibliographischer Bericht.
chier, ßuffon , Bonrdaloue, Massillon, Büilly, Thicrs, Deseze,
Bonnparte, d'Alembert); c) die Dichtkunst (lyrische Poesie: J. B.
Rousseau, Lamartine, B^ranger, Victor Hugo, Haudard , Casimir
Delavigne ; didactische Poesie: V.Hugo, Voltaire, Lamartine, Oela-
vigne, Dclillc; epische Dichtkunst : ßarthclcmy und Mery , Voltaire;
dramatische Dichtkunst: Jean Rousseau, Corneille); «*) Vermischtes
von Voltaire, Rochefoucauld, Degerando u. s. f. Durch eine sehr
anständige äussere Ausstattung spricht an : Lcs aventures de Tclemaquc,
flls d'Ulysse. Par Francois de Sulignac de la Motte Fenelon , arche-
vcque de Cambrai. V apres la dernicre edition polyglotte in 4to publice
ü Paris chez le libraire L. Jiaudry en 1837. Avec la traduetion alle-
mande en regard , revue et corrigee avec soin. Volume I, Wien
(Schmidl's Wwe u. Ign. Klang) 1840. 384 S. 8. (1 Thlr. Iß Gr .).
Dieser erste Band , welcher den französischen Text nebst gegenüber-
stehender deutscher Uebersetzung enthält, umfasst Buch 1 — 12. In
der fünften Auflage erschien bereits 1831 (Aachen, b. Cremer): Fran-
zösisches Lesebuch in drei Cursus , mit Anmerkungen und einem Wörter-
verzeichnisse. Herausgegeben von Dr. F. Ahn , Vorsteher einer Er-
ziehungsanstalt in Aachen. VIII u. 295 S. 8. Der erste Cursus be-
ginnt mit einzelnen , nach den Hauptabschnitten der Sprachlehre ge-
ordneten Sätzen, an welche sich eine Auswahl leichter Anekdoten und
naturhistorischer Stücke (nach Buffon) anschliesscn. Im 2. Cursus
finden sich einige leichte Fabeln von Fenelon und d'Antclmy, Erzäh-
lungen von Lesage, Berquin, Voltaire, Bouilly, St. - Pierre und
Briefe von Racine , Courier, Voltaire, Montesquieu, Crebillon, Rol-
lin, Friedrich II. , Fr. v. Sevigne\ Der dritte Cursus, welcher den
grössten Theil des Buches (S. 103 — 240) einnimmt, bringt Muster
des erzählenden Stils von Mercier, Mnrmontel, Voltaire, Raoul-Ko-
chettc , Bignon , Denon , Guizot, Thierry , Daru , Michaud , Mignet,
Si'gur, Beschreibungen von Sayve, Bory de St. -Vincent, Volney, Bar-
thelemy, Ampere, Fenelon und Rousseau, Charakterschilderungen
von La Bruyere , Voltaire, Friedrich II,, Muster des Lehrstils von
Fontenelle, Rollin, Condlllac, La Harpe , Bonnet, Rivarol, Mar-
inontel , Alibert, des Rednerstils von Bossuet, Flechier , Massillon,
Maury , Thomas, Fontanes, Mezeray, Buffon , Lsiccpcdc, Ancillon,
Bailly, Poesieen von Lafontaine, Florian, Amault, Dubös, Mille-
voye , Lcgouv6, Lebrun, Beranger, Lamartine, V. Hugo, Delavi-
gne, St. - Lambert, J, B. Rousseau, Soulie, Tastu , Voltaire. Die
Anmerkungen bestehen theils in grammatischer Hinweisung, theils in
Ucbcrsctzungcn cigenthümlicher Ausdrücke und Redensarten. Das
Wörtcrverzeichnlss ist vollständig, die Auswahl der Stücke gut. Nur
in höheren Classen lässt sich gebrauchen: Vart poetique de Boileau-
Dcspreaux. Avec des e"clarcissements lltteraircs par Fred. Guill. Gcnthe.
Eisleben (Reichardt) 1839. 54 S. 8. In diesem Büchlein findet sich ein
durch Hrn. G. (bekannt durch sein beifällig aufgenommenes Handbuch
der Geschichte der abendländischen Literatur und Sprachen , Magde-
burg 1834) besorgter Abdruck de* auf den Titel genannten Bolleau1-
Bibliographischer Bericht. 89
6chen Lehrgedichtes, welches aus vier Gesängen besteht, deren erster
allgemeine Regeln über iTen Stil im Allgemeinen und den dichteri-
schen insbesondere, nebst einer kurzen Geschichte der französischen
Dichtkunst von Villon bis Malherbe giebt, der zweite das Idyll , die
Elegie, die Ode, das Sonnet, das Epigramm, das Rondeau , die
Ballade, das Madrigal, die Satire und das Vaudeville, der dritte die
Tragödie, Komödie und das Heldengedicht behandelt, der vierte auf
die allgemeinen Vorschriften zurückkömmt , Rathschläge zur Bildung
der Dichter u. s. w. giebt und mit dem Preise des Königs schliesst, zu
dessen Lob er alle Dichter auffordert. Hr. G. bat dem Gedichte er-
klärende Anmerkungen in französischer Sprache beigefügt , welche er-
wünschte Nachweisungen über die darin erwähnten Personen u. s. f.
geben, welche sich aber auch auf den Sinn der schwierigeren Stellen
beziehen sollten. Auch würde wegen der zahlreichen und manichfal-
tigen Schwierigkeiten dieses Schriftchens die Zugabe eines eigenen
Wörterverzeichnisses nicht ohne Nutzen geblieben sein. Die Druck-
fehler sind durchaus nicht alle auf der Rückseite des Titels angezeigt,
vielmehr sind noch recht sinnstörende unerwähnt geblieben. Die
Lehre von der Aussprache des Französischen ist in der neusten Zeit
ganz besonders cuHivirt Morden. Man besitzt, obgleich in den Lese-
büchern und Grammatiken gewöhnlich auch dieser wichtige Abschnitt
mit grosser Aufmerksamkeit behandelt wird, ausser den beiden, schon
1825 erschienenen Werkchen: Anweisung zum französischen Lesen in
zweckmässig geordneten Beispielen, von J. IL liiecken. Zweite Auf-
lage. Leipzig b. Barth, IV u. 42 S. 8. (3 Gr.) und: Die richtige fran-
zösische Aussprache nach Girault-Duvivier's grammaire des grammaircs,
von Dr. Fr. W. Genlhe. Eisleben und Leipzig, b. G. Reichard t, IV u.
48 S. 8. (5 Gr.) ein noch umfassenderes Werk von Heyne: Univcrsal-
grammatik der französischen Sprache. Für Schulen tmdeum Selbstun-
terrichte. Unter Mitwirkung des Herrn Lafitte herausgegeben. Erster
Band. Orthoepie. Leipzig (Polet) 1839. X u. 128 S. 8. (Auch unter
dem Titel: T'ollstündiges Lehrbuch der reinen französischen Aussprache.
Für Schulen und zum Selbstunterrichte. Ein Supplement zu jeder franzö-
sischen Grammatik.), sowie einen Auszug aus demselben: Wie kann
der Schüler in kürzester Zeit fast alle französischen Wörter richtig lesen
lernen? Ein Leitfaden zum Unterrichte in der französischen Aussprache.
Auszug aus dem vollständigen Lehrbuche der reinen französischen Aus-
sprache. Leipzig (Polet) 1839. 48 S. 8. (Auch unter dem Titel:
Französische Grammatik für Anfänger. Unter Mitwirkung des Herrn
Lafäle u. s. w.). Lieber das Rieckcn'sche Buch habe ich zu bemerken,
das« die von dem Verf. zu Begründung seiner Regeln gewählten Bei-
spiele nicht immer für die Jugend passend, auch nicht immer richtig
sind; Genlhe's Büchlein bringt meistens das Bekannte, doch hätte der
^ erf. wohl neben Girault-Duvivier auch noch andere Autoritäten zu
Rathc ziehen sollen; der llcynesche Auszug sowohl, als das grös-scro
Werk werden Allen willkommen sein, die in ihrer Grammatik dio
Lehre von der Aussprache nicht mit der nüthigen Ausführlichkeit vor-
90 Bibliographischer Bericht.
getragen finden. Beide Bücher hüben den Vorzug, das» bei den mei-
sten französischen Lauten auf einen verwandten in irgend eineiu nam-
haft gemachten deutschen Worte hingewiesen und dadurch die richtige
Aussprache sehr erleichtert wird. Hin und wieder sind freilich die
von Hrn. H. gegebenen Definitionen und Distinctionen von der Art,
dass sie dein deutschen Organ nicht zusagen werden. So lehrt er z. B. :
„Im Französischen ist der deutsche Laut ö nicht vorhanden." Ich
war begierig; wie er eu und oeu würde ausgesprochen haben wollen,
denn er bemerkt später, in Uebcreinstimmung mit der angeführten
Aciisserung: „ Der franzosische Laut eu ist im Deutschen nicht vorhan-
den. Ich war daher erstaunt , später die Erklärung zu finden: „Eu
und Oeu lauten fast wie ö. " Also die Franzosen haben den Laut ö
nicht und doch werden eu und oeu fast (!) wie ö ausgesprochen. Eine
andere Erklärung: „Das französische eu wird mit etwas weniger ge-
rundeten Lippen ausgesprochen, als das deutsche ö," ist nicht besser.
Ein neuer Beweis, dass zur Erlangung einer richtigen Aussprache
mündlicher Unterricht uder Unigang mit Kennern unentbehrlich sei.
Zuweilen ist der Verf. zu weit gegangen und hat sich in Spitzfindig-
keiten verloren, die durchaus keinen praktischen VVerth halten, z. B.
bei der Aussprache des O , dem er auch einen dem A sich annähernden
Laut vindiciren will. Die Leseübungen sind gut; der die Orthogra-
phie betreffende Abschnitt gehört nicht hierher. Auch einige Gram-
matiken habe ich noch anzuzeigen, f'ollsländiges Lehrbuch der fran-
zösischen Sprache für Studienanslalten und zum Privatgebrauche, von
Friedrich Bettinger, Lehrer der zweiten Classe an der lat. Schule zu
Spcier. Zweite , mit einem IuhaltsTegister nach Capiteln und Para-
graphen vermehrte Ausgabe. Heidelberg (Osswald) 1834. X u. 490 S.
8. (1 Thlr.). Die Bett'mger'sche Sprachlehre wurde schon 1832 durch
mehrere bairische Kreisregierungen den Sludienrectoren zur Einfüh-
rung in den ihrer Aufsicht untergeordneten Anstalten empfohlen und
verdient auch in dieser neuen, von der früheren wahrscheinlicher
Weise gar nicht verschiedenen Auflage, deren Anzeige sich etwas ver-
spätet hat, aber doch der Vollständigkeit wegen nicht ganz unterblei-
ben darf, eine immer weitere Ausbreitung zu finden. Das Werk zer-
fällt in 2 Theile. Der erste Theil enthält 3 Capitcl : a) von der Aus-
sprache; 6) von der Rechtschreibung; c) von der Prosodie. Der
zweite Theil umfasst in 12 Capiteln (1, von dem Gescblechtsworte und
der Declination; 2) von dem Haupt worte : 3) von dem Beiworte; 4)
von den Zahlwörtern; 5) von den Fürwörteru; 6) von dem Zeitworte;
7) von dem Nebenworte; 8) von dem Vorworte; 9) von dem Binde-
worte; 10) von den Empfindungswörtern; 11) von der Wortfolge;
12) von den notwendigen Wiederholungen) Formenlehre und Syntax.
Mit der Verschmelzung dieser beiden Haupttheile kann ich mich zwar
nicht einverstanden erklären, da nur ihre strenge und nicht blos , wie
liier, durch einen verschiedenartigen Druck bewerkstelligte Scheidung
Klarheit und Ordnung in das Studium der Grammatik bringt; allein
ich muos im Ucbrigen dem Buche das Zeugniss grosser Vollständigkeit
Bibliographischer Bericht. 91
crtheilen , vermöge deren es ßich nicht allein zum Gehrauche für An-
fänger, sondern auch für Geübtere und selbst für Lehrer eignet, zu-
mal es durch ein sehr reichhaltiges Register das Nachschlagen der ver-
schiedenen Gegenstände erleichtert. Was sich nicht für Anfänger,
sondern lediglich für Geübtere passt , ist durch die Vorsetzung zweier
Sternchen kenntlich gemacht, auch im Inhaltsverzeichnisse bereits,
wenigstens im Allgemeinen , angedeutet. In der Lehre von der Aus-
sprache stimme ich nicht mit dem Verf. überein , wenn er die deutsche
Lautbezeichnung voransetzt und die französische darauf folgen lässt,
weil durch dies Verfahren dem Anfänger die Sache nicht so klar wird,
als hei dem umgekehrten. Zu bessern wird überhaupt der Verf. hei
allem Streben nach Vollkommenheit immer noch finden. So liest man
S. 191 Kr. 11: „Auf alle Titulaturen, als Monsieur, Madame, Mon-
seigneur, Mademoiselle , besonders nach Votre Majeste, Votre Ex-
cellencc, Votre Altesse etc. folgt in Anreden das Zeitwort und das zu-
eignende Fürwort in der dritten Person." Kachher folgt einschrän-
kend: „Es versteht sich von seilet {woher?), dass man bei den vier
ersten auch vous gehrauchen kann." Weit richtiger sagt Hauschild in
s. Dktionnaire Grammatical S. 184 : „Der eigentliche Gebrauch dieser
Titel (Monsieur, Madame, Monseignenr, Mademoiselle) ist, wie die
Zusammensetzung lehrt, in der Anrede, so dass die zweite Person
folgt; doch gebraucht man auch oft, mit einer gewissen Zurückhal-
tung, indem man die Person nicht geradezu mit der zweiten Person
anzureden wagt, das verhe in der dritten Person." Widersprechend
scheinen die Angaben S. 69 und 80 in Bezug auf die Stellung des
Artikels hei Monsieur. S. 80 wird nämlich gesagt: „Wenn nähere
Bestimmungen darauf folgen , so haben die Wörter dieu und Monsieur
den Artikel, z. B. le Monsieur, ■ dont vous parle/.1' S. 69 dagegen
wird gelehrt, wenn auf Monsieur ein Titel folge, so stehe der Artikel
vor diesem und nicht vor Mr. Ist ein Titel keine nähere Bestimmung?
Bei aecoucher (S. 275) fehlt die Bedeutung entbinden, z. B. ce Chi-
rurgien a aecouche nia tante. Von deraouvoir hätte auch (S. 298) das
pari, passe deiiiu angeführt werden müssen; esperer (S. 394) ist sehr
mangelhaft erklärt u. dgl. m. Gute Uebnngsbeispicle und ein etymo-
logisches Wortregister (S. 451 — 476) erhöhen den Wcrth des Buches.
Ein neues Werk ist: Theoretisch- praktiscJte französische Grammatik in
einer neuen und fasslichcren Darstellung der auf ihre richtigen und ein-
fachsten Grundsülze zurückgeführten Hegeln. Von Johann Georg Lang,
Lehrer der französischen Sprache. Leipzig (ßrockhnus) 183?>. VIII u.
746 S. 8. Hr. L. , seit mehr, als 30 Jahren Lehrer der französischen
Sprache und durch seinen Beruf mit den vorhandenen französischen
Sprachlehren hinreichend bekannt, hat durch dieses Buch die von ihm
ßchon lange gehegte Absicht, aus den früheren Arbeiten ähnlicher Art
das Beste und Brauchbarste zu einer neuen, für den Schul- sowohl,
als Privatgcbrauch passenden französischen Grammatik zu verarbeiten,
verwirklicht. Leider hat es auch ihm nicht gefallen , die Formen-
lehre von der Syntax zu trennen und dadurch sein Buch von dem im-
92 Bibliographischer Bericil t.
wissenschaftlichen Anstriche einer unzweckmässigen Vcrmengung von
Gegenständen zu befreien. Man glaube aucb nur nicht, dass dieser
Scheidung; welche die Theorie verlangt, in der Ausführung grosse
Hindernisse im Wege ständen , oder dass sie die Erlernung des Fran-
zösischen verzögere, oder endlich bei manchem Lehrer der Einführung
eines solchen Buches im Wege stehn werde , im Gegenthoile wird
durch diese Trennung der Formenlehre von der Syntax , welche den
mit der Sprüche vollkommen Vertrauten — und Andere sollten sich
nicht an Ausarbeitung einer Sprachlehre wagen — nicht schwer fallen
kann , nicht allein das Studium des Französischen erleichtert , indem
der Lernende die Gesetze der Wort- und Satzverbindung nicht eher
gehörig Fassen, geschweige ausüben wird, als er der Wortformen
Meister ist, sondern auch der Gebrauch in Elementarclassen , in wel-
chen es blos auf die Einübung der Formenlehre abgesehen sein kann
und für welche bei der jetzt noch häufigen Vermischung beider Theile
der Grammatik der Lehrer immer das für seine Schüler gerade Brauch-
bare auszuwählen sich genöthigt , aber oft eine ganz passende Wahl
zu treffen ausser Stand sieht, weil das Nachfolgende durchgängig mit
Rücksicht auf das Vorhergehende bearbeitet und selten ein Alischnitt
zur Auslassung geeignet ist. Wollte aber ein Lehrer ganz dem Gange
folgen, den Hr. L. in der von mir angefochtenen Weise eingeschlagen
hat, so würde er z. 15., nachdem er sich durch den ganzen, über die
Geschlechts-, Haupt-, Bei-, Zahl- und Fürwörter auf mehr als 200
Seiten mitgetheiltcn ilcichthum durchgearbeitet , endlich (S. 277) zu
der Conjugation des Hülfszeitwortcs avoir gelangen. Die Unzweck-
mässigkeit dieses Verfahrens noch besser zu beweisen , reicht ein ein-
ziges Beispiel hin. In der Lehre von den Zeitwörtern wird nach den
gewöhnlichen Vorbegriffen S. 271 u. s. w. von dem Gebrauche der
verschiedenen Zeiten gehandelt, ehe der Schüler diese kennen gelernt
hat. Er soll sich also hier mit dem Gebrauche von Dingen bekannt
machen , die ihm noch ganz fremd sind. Ebenso werden vor der Mit-
theilung der Conjugationen einige Grundregeln über die Verbindung
der (dem Schüler noch unbekannten) Zeitwörter mit anderen Wörtern
(S. 276) vorgetragen. Durch eine consequent durchgeführte Trennung
der Formenlehre und Syntax würden solche Missstände vermieden wer-
den, und ich wünschte, dass sich der Verf. bei einer etwaigen zweiten
Auflage seines Buches dazu verstehen möchte, da dasselbe in anderer
Beziehung, namentlich was die Vollständigkeit der reichhaltignn Pa-
radigmen und die Uebungsstücke betrifft, denen Hr. L. nur zu viele
französische Wörter unterlegt und die fast zu vollständig sind , da z. B.
S. 57 zu Einübung einer vorhergehenden Regel sogar die „Maitressen"
Ludwig's XIV. und XV. citirt werden, sehr brauchbar erscheint. Dass
die Declination der Hauptwörter nicht allein nach der , dem Latein
entsprechenden, sondern auch nach der neueren Form dargostellt wor-
den, findet Rec. eben so zweckmässig, als die S. 524 fgg. angehende
Sammlung von Germanismen und Gallicismen (zum Theil in Gesprächs-
form), von Anekdoten, Briefen, Wörtern, leichten Gesprächen.
Bibl to graphischer B e r i cht. 03
Warum hei der Leine von »1er Einrichtung der Briefe auch die deutsche
Titulatur beigefügt worden, sehe ich nicht ein. Zu Linz hei Friedr.
Eurich u. Sohn erschien (183!)): Theoretisch -praktische französische
Sprachlehre für den öffentlichen, Privat- und Selbstunterricht. Nach
einem ganz neuen Systeme bearbeitet von Alois Auer , Prof. il. il.il. Spr.
u. Litt, am k. k. Lyceo, italienischem Lehrer a. d. stand. Sprachschule
und k. k. Stiidt- und Landrechts -Dolmetsch zu Linz. XVI u. 4% S.
8. Die Herausgabe dieser Grammatik gründet sieh, nach der Aeus-
serung des Verf.s im Vorworte, auf die Darstellung des hier neu auf-
gestellten Systems , ,, dessen Entdeckung er einem mehrjährigen Stre-
ben nach Erleichterung des Sprachstudiums zuschreiben dürfte (sie)
und welches er im öffentlichen und Privatunterrichte sowohl bei jün-
geren, als erwachsenen Schülern als besonders fasslich erprobte."
Ein neues (auch auf dem Titel angekündigtes) System hat jedoch Rec.
bei dem besten Willen nirgends gefunden, denn was Hr. A. so nennt,
besteht in Aeusserlichkeiten , die zwar das Erlernen des Französischen
erleichtern mögen , jene Renennung aber nicht verdienen. Die haupt-
sächlichsten Punkte, worin diese Sprachlehre von anderen abweicht,
sind: 1) die Vermeidung aller Citatc, wodurch das störende und zeit-
raubende Nachsuchen der verschiedenen Paragraphen zur Ergänzung
der Regeln beseitigt wird; 2) der, jedoch nicht immer gelungene Ver-
such, jeden Gegenstand auf einer eigenen Rlattseite vollständig
darzustellen und auf der linken Blattseite, ganz übereinstimmend
mit der auf der rechten fortschreitenden Theorie, die dazu gehö-
rigen praktischen Lebungen zu geben, damit der Lernende sich
auf diese Weise die Regeln gründlichst aneigne; 3J die (jedoch auch
schon von manchen andern Grammatikern befolgte) Eintheilung des
Duriles in einen Vorunterricht für Anfänger und in einen Cursus für
Geübtere. Kann ich nun auch diese, von eigentümlichen typogra-
phischen Schwierigkeiten begleitete Einrichtung nicht als ein neues
System begrüssen , so verdient doch der Gedanke, auf so einleuch-
tende und innige Weise die Theorie mit der Praxis in Verbindung zu
setzen, Anerkennung. Die Trennung des ersten und zweiten Cursus
ist dem Verf. nicht überall so gelungen, dass nicht dem Anfänger man-
ches entzogen wäre, was ihm zu wissen nöthig ist. Dies zeigt sich
schon bei der Lehre von der Aussprache, die Rec, da sie allem wei-
teren Unterrichte vorangehn rauss, nicht in die beiden Cursus ver-
theilt, sondern ganz dem ersten einverleibt haben würde. Beide
Cursus sind übrigens in der gewöhnlichen Weise, und, was ich nicht
gutheissen kann , ohne entschiedene Trennung der Formenlehre und
Syntax, nach den Redethcilen geordnet. Die aufgestellten Regeln
bind meistens vollständig, richtig und fasslich; hin und wieder findet
sich jedoch auch eine verfehlte Behauptung, wie S. 17: „Alles, was
männlich ist oder dafür gehalten wird , gehört zum männlichen Ge-
schlcchtc, z. B. le roi , der König, le livre, das Buch." Also le
livre, das Buch, ist männlich, oder wird doch dafür gehalten! Den
Schülern des Hrn. A. wird dies ganz neu sein. Nicht minder verfehlt
ist auch, was man von der Declination der Hauptwörter liest. Der
04 Bibliographischer Bericht.
Verf. spricht nämlich zuerst von der deutschen Declination und sagt :
„Es gieht also in der deutschen Sprache vier Endungen oder Reug-
fftlle, welche zur Rezeichnung der verschiedenen Verhältnisse dienen."
Rann fährt er fort: „In der französischen Sprache giebt es ebenfalls
vier, nämlich Xnminatif, Genitif, Datif , Accusatif. Die französi-
schen Hauptwörter bleiben aber durch alle Reugfällc gleich (Beugfälle
und gleich !) und man bedient sich zur Bildung der UeugfäUe blos der
Vorwörter de und ä, welche f forteilen man vor den Artikel setzt u. s. w."
Zu kurz abgefertigt ist z. B. auch die Lehre von der Construrtionsord-
nung , der directen sowohl , als der figürlichen., Beim Gebrauche
wird Hr. A. selbst noch manches zu ändern oder zu verbessern finden,
was ich um so mehr wünsche, als ich dem Buch das Zeugniss grosser
Reichhaltigkeit nicht versagen kann. Denn ausser sehr vielen deut-
schen und französischen Uebungsaufgabcn finden sich darin Fragen zur
mündlichen und schriftlichen Beantwortung, eine Sammlung der un-
entbehrlichsten Wörter, kaufmännischer Ausdrücke, eine französisch
geschriebene Anleitung zur Abfassung von Briefen, eine Sammlung
von Briefen , Wechseln, Quittungen, Denksprüchen, Anekdoten, na-
turhistorischen Schilderungen , Fabeln, und am Schlosse noch eine
Abhandlung de la prosodie et de la versification ou de l'art d'ecrire cn
vers (S. 468 — 491), die ich mit Vergnügen durchlesen habe. Hier-
her gehört auch : Das Notwendigste aus der Formenlehre der französi-
schen Sprache. Nach dem Dictionnaire grammatical (Leipzig bei Hin-
Tichs) bearbeitet. Leipzig (in Comm. bei Fr. Fleischer) 1838. 32 S. 8.
Ein kleines, aber nicht unnützes Schriftchen, in welchem jedoch das
Capitel von der Aussprache , wenn es der Verf. einmal aufnehmen
wollte, nicht so karg hätte ausgestattet werden dürfen. Das Dict. gr.,
welches als Führer auf dem Titel genannt ist, bot gerade in dieser
Beziehung tüchtige Vorarbeiten dar. Besser ist die Declination , die
Geschlechtsverwandlung, das Zahlwort, die regelmässige und unregel-
mässige Conjugation bearbeitet, deren Darstellung sich jedoch, mit
Ausnahme einiger Grundlehren über die Flexion, fast ganz auf die
Mittheilung zweckmässiger Paradigmen beschränkt. Der Verf. hätte
diese Paradigmen nicht blos auf die Bejahungsformen ausdehnen , son-
dern auch , um diese Bogen noch nützlicher zu machen , in der ver-
neinenden, fragenden und in der verneinend-fragenden Form abdrucken
lassen sollen. In der Darstellung der Conjugation folgt er, wie sich
erwarten Hess, der Annahme des Dict. gramm. , welches die bisher
gewöhnliche Anordnung der 4 Conjugationen nach ihrer Infinitiven-
dung: 1) er; 2) ir; 3) oir; 4) re dahin umgeändert hat, dass die erste
Conjugation bleibt, die übrigen aber ihre Stellen wechseln, indem
der Inf. re die zweite, der Inf. ir die dritte, der Inf. oir die vierte ein-
nimmt, welche Neuerung auf der grösseren oder geringeren Regel-
mässigkeit der zu einer Conjugation gehörigen verbes (s. Dict. gramm.
S. 74) beruht. Zur Uebung in der Umgangssprache dienen die Ge-
spräche für das gesellschaftliche Leben, zur Erlernung der Umgangs-
aprache im Deutschen und Franzosischen, von Frans Beauval. Fünfte
Bibliographischer Bericht. 95
Auflage, durchgesehen und sorgfältig verhessert vom Professor Laforgue.
Dresden und Leipzig (Arnoldische Bnchh ), Paris und Strasburg
(Treuttel und Würz) 1887. (Auch tu d. T. : Dialognes pour la vie so-
ciale y propres ä se form er au ton de la covversation en francais et en
allemand, par Francois Beauval etc.). Erstes Rändchen (Morgenge-
spräche) 216" S. , zweites Bändchen (Taggespräche) 192 S. , drittes
Bändchen (Abendgespräche) 198 S. 16. (1 Thlr. 12 Gr.). Was mit der
Angabe: Morgengespräche , Tag- und Abendgespräche eigentlich ge-
sagt werden soll, hat sich Her. nicht enträthseln können, denn gleich
im 1. Bändchen (Morgengespräche) findet sich auf S. 1 die Redensnri:
Bon soir , inon neveu ; bon soir, mon fils, mon eher fils ; bon soir,
mit roere etc., und auch abgesehen von solchen geradezu widerspre-
chenden Phrasen enthalten die 3 Bändchen fast lauter Dinge, über die
man sich eben so gut des Morgens , als des Mittags und Abends unter-
halten kann. Dahin gehören im 1. Bändchen Besuch in einem Garten
und Anfrage wegen Verpachtung eines kleinen Landgutes; Unterredung
mit einem Buchbinder; Unterredung mit einem Hntmacher, Tischler,
Kräuterhändler, Zahnarzte, einer bejahrten Frau, einem Schuh-
macher, Tapezierer, Pferdehändler; im zweiten Bändchen das Ge-
spräch in einem Kaffeehaus, Kaufmannsladen , mit einer Wäscherin,
einem Schneider, über das Tanzen, mit einer Modehändlerin , über
Polen, über Ileiratbs- und Familienangelegenheiten, mit dem Arzte,
bei Besichtigung eines Hauses; im dritten Rändchen die Gespräche
zwischen Gebildeten, bei Ueberreichung von Schriften und Empfeh-
lungsbriefen, über den Besuch eines Gesellschaftstheaters und eines
BaJIs u. 8. f. Im Ganzen kann ich die Unterhaltungen wegen ihrer
Sprache (der französische Text scheint gelungener, als der deutsche)
und ihres Inhaltes empfehlen, nur bei einigen hat der Verf. einen
nrgen Fehlgriff gethan. Unter anderen rechne ich hierher den „Be-
Buch einer bejahrten Frau, welche um Schutz bittet," Thl.I. S.138 fgg.
Das Gespräch findet zwischen einem hohen Staatsbeamten und einer
armen Witwe statt und kann niemand Anderem in den Mund gelegt
werden. Beide kommen aber wohl nie in den Fall, »ich der Dialo-
gues des Hrn. B. zu bedienen, die vielmehr für die Jugend und für
Anfänger im Französischen bestimmt sind. Noch weit unpassender ist
im 2. Bändchen S. 109 fgg. das Gespräch über Polen und die dort an-
sässigen Juden, wo es u. a. S. 112 heisst: „Das ist wahr , aber die
Städte Posen, Wilna und Warschau ausgenommen wüsste ich fast
keinen Ort in Polen, wo man rechtliche Bürger fände," und S. 114:
„Die Juden sind aber auch wohl in Polen, wie überall , der immer-
währende Gegenstand einer allgemeiner Verachtung? Ganz gewiss.
Die Schurkereien sind ihnen , so zu sagen , angeboren und die Unred-
lichkeit ist eine Folge ihrer Erziehung. " Hr. L. , der sich der vor-
liegenden 5. Auflage angenommen, wird aus diesen Proben entnehmen
können , dass ihm für eine etwaige 6. Auflage noch manches zu ver-
bessern und zu säubern obliegt. Zur Vorbereitung auf die Conversa-
tionssprachc dient: Der kleine Franzos , oder Sammlung der zum Spre-
96 Bibliographischer Bericht,
eben nülhigsten JFörter und Redensarten, nebst leichten Gesprächen.
Französisch und deutsch. Herausgegeben von August Ife. Fünfte
Auflage. Berlin (Araelang) 1835. IV u. 166 S. (6 Gr.) Das Buch ent-
hält eine Sammlung von Hauptwörtern, welche nach der Verwandt-
schaft ihrer Bedeutung zusammengeordnet sind, alphabetisch zusam-
mengestellte Beiwörter , Zahlwörter, Adverbien, Präpositionen, Con-
junetionen, Interjectionen, häufig vorkommende Redensarten, Sprich-
wörter, Gallicismen, leichte Gespräche. Zum Memoriren ist nament-
lich die Sammlung von Substantiven geeignet. . Koch habe ich aus
1835 eine Anleitung zum Uebersetzen aus dem Deutschen in's Franzö-
sische nachzuholen : Anleitung zum Uebersetzen aus dem Deutschen in s
Französische von G. H. Stehr. Zweite Auflage von A. P. de Brey.
Hamburg (Bcrendsohn) 1835. IV u. 315 S. 8. (16 Gr.). Es stehn in
diesem Buche 1) Uebungen, d. h. kurze Sätze über die Regeln der
Grammatik; 2) Gespräche, oder vielmehr vermischte, die Gegen-
stände des gemeinen Lebens berücksichtigende Sätze; 3) Gedanken
und Grundsätze ; 4) Anekdoten, geschichtliche Züge und Erzählun-
gen; 5) ein Schauspiel, die entgegengesetzte Erziehung; 6) eine
Sammlung von Germanismen und Gallicismen ; 7) ein Wörterbuch zum
Gebrauche bei den von 1 — 5 angeführten Abschnitten. Kann ich
auch die Wahl des aufgenommenen Lustspiels nicht billigen, so ist
doch die Anlage des Buchs im Uebrigcn empfehlenswerth und beson-
ders hat mich die zweite Rubrik, welche Nutzen für's Leben hat, an-
gesprochen , so dass ich sie noch mehr ausgedehnt wünschte. Von
dem Werke: Praktische Uebungen zur leichten und schnellen Erlernung
der französischen Sprache, systematisch geordnet in drei Curse, für La-
tein-, höhere Bürger- und Töchterschulen , sowie auch für den Privat-
unterricht von C. F. Vaillez, Lehrer der französischen Sprache am k.
Gymnasium, an der Latein- u. d. k. Landwirtschaft- und Gewerb-
schule 1. Ciasse in Hof (Hof u. Wunsiedel b. Gottfr. Ad. Grau 1839)
ist der erste Cursus (X u. 114 S. in 8) erschienen. Er zerfällt in 5
Abschnitte: 1) die Lehre von der richtigen Aussprache des Französi-
schen; 2) 13 Lesestücke; 3) eine, für das Auswendiglernen bestimmte
Wörtersammlung in 90 kleinen Abtheilungen; 4) eine Sammlung von
90 deutschen und französischen Uebsrsetzungsaufgaben, in welchen die
ira 3. Abschnitte enthaltenen Wörter zur Anwendung kommen; 5) die
in den 13 Lesestücken des zweiten Abschnittes vorkommenden Wörter.
Die Uebungsstücke sind zweckmässig und der vom Verf. ira Vorworte
geschilderte Lehrgang scheint es ebenfalls zu sein. Von der Schul-
grammatik der französischen Sprache. Von C. E. Frege, ord. Lehrer
a. d. Stadtschule zu Wismar. Leipzig (in Coram. bei Hochhausen und
Fournes) 1838. ist der 2. und 3. Theil (Syntax und Orthoepie, nebst
einem Uebungsbuche zum Uebersetzen aus dem Deutschen in's Fran-
zösische) ausgegeben worden. Diese Sprachlehre gründet 6ich auf das
in der deutschen Grammatik mit Glück angewandte Becker'sche Sy-
stem, dem sich auch die kleine, von mir NJbb. Bd. XXVI Heft 2 an-
gezeigte Barsche Grammatik anschloss. Man bat bekanntlich diese«
Bibliographischer Bericht. 97
System nicht allein auf die französische, sondern auch auf die latei-
nische (Weissenborn , Feldbausch, Beltz und Eichhoff) und auf die
griechische Grammatik (Kühner) anzuwenden gesucht , allein bis jetzt
scheint entweder der rechte Weg zur Realisirung der Idee noch nicht
gefunden, oder sie lässt sich mit Erfolg nur in der Muttersprache ver-
wirklichen. Hr. F. , der sich mit vielem Eifer der Sache angenom-
men und sich durch manche Modifikationen des von ihm befolgten
Systems auch als selbstständigcn Forscher bewiesen , hat seine Syntax
in 4 Hauptstücke getheilt, nämlich: 1) vom Satze und den Satzver-
hältnissen (prädicatives, attributives, objeetives Satzverhältniss) ; 2)
formelle Bestimmungen der Wörter und des Satzes (Genus, Zeitfor-
men, Modusformen des Verbs, Formen des Infinitivs und der Parti-
cipien, Fragesätze); 3) vom zusammengesetzten Satze (Adjectiv-,
Substantiv-, Adverbialsätze); 4) Wortfolge und Betonung des prädi-
cativen, attributiven und objeetiven Satzverhältnisses. Die Orthoepie
zerfällt in 2 Capitel: 1) Vocale (einfache Vocallaute und Diphthonge),
2) Consonanten (liquide, Stimmlaute und Spiranten, verdoppelte Con-
sonanten, Ueberlauten der Em! consonanten). Angehängt ist ein Ue-
bungsbuch im Uebersetzen aus dem Deutschen in's Französische. Die
Regeln sind mit sehr zweckmässigen , aus guten und namhaft gemach-
ten Quellen (besonders aus dem Dict. de l'Ac. und der Grammaire na-
tionale , s. NJbb. Bd. XXII Heft 3 S. 335) geschöpften Beispielen ver-
sehen. Auch die Uebungsaufgaben verdienen Beifall. Von der NJbb.
Bd. XXII Heft 3 S. 324 erwähnten Nouvelle bibliotheque de classiques
francais ou collection de meillcurs ouvrages de la litterature francaisc,
Paris, b. Lecointe u. Pougin , quai des Augustins Nr. 49, habe ich in-
zwischen Einsicht genommen von Elisabeth ou les exile's de Siberie.
precedee d'une notice historique sur l'auteur et suivie du poetne de la
prise de Jericho, 1832 lfi4 S. 12, welche Schrift der Frau Cottin
mit dem treffenden Motto bezeichnet ist: „La mere en prescrira la
lecture ä sa fille ;" ferner von: Paul et f'irginie, suivi de la chau-
miere indienne par J. II. Bernardin de Saint-Pierre, 1837. 215 S. 12.;
Les lncas , ou la destruetion de l'empire du Pe'rou , par Marmontel , de
l'Acadcmie francaise. 1836. Tome 1 : 209 S. , Tome 2 : 200 S. 12 ;
Le bachelier de Salamanque, ob memoires et aventures de Don Cherubtn
de la Honda. Par Le Sage. 1835. Tome 1: 245 S. Tome 2: 245
S. 12; endlich: Corinne, ou VItalie. Par Madame la baronne de Stael.
Nouvelle cd ition revue et corrigee. 1837. Tome 1 : 216 S. Tome 2:
218 S. Tome 3: 218 S. Tome 4: 220 S. 12. Alle diese Bändchen
zeichnen 6ich durch schönen und correcten Druck äusserst vortheilhaft
aus. Kürzlich erschien auch die siebente Auflage eines nützlichen
ßuehes: Neues französisches Lesebuch für den ersten Schul- und Privat-
unierricht. Herausgegeben von praktischen Schulmännern. Frank-
furt a. M. (Jäger'sche Buchh.) 1839. 277 S. 8. (12 Gr.). Das Werk-
chen, welches zugleich der erste Theil eines „französischen Elemen-
tarbuches" ist, und theils Uebungen in der richtigen Aussprache,
theils Paradigmen (besonders der Zeitwörter) , theils (und zwar baupt-
A. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. Bibl. Bd. XXVHI. Hft. l. 7
98 Schul- und Un ivcrsltä tsnaclirich tcn,
sächlich) französische Lese- und Uebersetzungsstücke nebst dazu {ge-
hörigen Wörterverzeichnissen enthält, i.-st in dieser neuen Aussähe
durch einige Fabeln in Prosa, 17 Fabeln von Florian und kleinen Auf-
gaben über die Hülfszcitwörter und die erste Conjugation vermehrt
worden. Gewiss wird es auch so vielen Nutzen stiften.
E. Seh au mann.
Schul - und Universitätsnachrichten , Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
A?hjaberg. Als Einladungsschriftcn zu den öffentlichen Rcdeacten
zu Ostern 1838 und 1839 hat der Rector Prof. Karl Heinr. Frotscher die
dritte und vierte Nachricht von dem Gymnasium und Progymnasium [26
n. 12 S. 8.] herausgegeben, woraus sich ergiebt, dass die Anstalt in
ihren 0 Classcn zu Anfang des Schuljahrs 1837/38 von 95 und am Ende
von 103, im Schuljahr 1838/39 zu Anfange von 94, am Ende von 90
Schülern besucht war, und im ersten Jahre 16 Abiturienten (9 mit dem
zweiten und 7 mit dem dritten Zenguiss der Reife) , im zweiten 12 Abi-
turienten (7 mit dem ersten, 3 mit dem zweiten und 2 mit dem dritten
Zcugniss der Reife) zur Universität entliess. Im LehrercoIIcgium ist
nach der zu Michaelis 1838 erfolgten Beförderung des Dr. Friedr. Kra-
ner an die Fürstenschule in Meisskv die siebente Lehrerstelle unbesetzt
geblieben und den zurückbleibenden Lehrern eine grössere wöchent-
liche Lehrstundenzahl, nämlich dem Rector Dr. Frotscher 17, dem
Prorector M. Heinichen und dem Conrector Lindemann je 22, dem Suh-
rector Manitius , dem Mathematicus Schubert, dem 6. Collegen M.
Leopold und dem Collaborator Biel je 24 zugetheilt worden. Dem
Collaborator Biel ist zugleich das Ordinariat der 6. Classe übertra-
gen, und ihm erst seit dieser Zeit der regelmässige Zutritt zu den
Conferenzen der ordentlichen Lehrer mit einer beratbenden Stimme ge-
stattet *). Dagegen ist für den gymnastischen Unterricht ein besonde-
*) Es ist bemerkenswerth , dass es immer noch so viele Schulen giebt,
wo die jüngeren und ausserordentlichen Lehrer von den Lehrerconferenzen
ausgeschlossen bleiben , obgleich schon längst erkannt ist , dass das Ansehen
und der Einfluss der unteren Lehrer eben dadurch , dass sie zu diesen Bera-
tungen zugezogen werden und an allen Verhandlungen über das Wohl und
Wehe der Schüler theilnehmen , erst recht bpgründet wird ; dass der junge
Lehrer in denselben den ganzen Umfang seiner Amtstätigkeit, die hohe
Würde seines Berufs und seine Stellung zum Ganzen, so wie die rechte Ach-
tung vor der reiferen Erfahrung älterer Amtsgenossen kennen lernt ; dass er
hier die so nöthige Auskunft über den fortwährenden Gesammtzustandder
Schule erhält und darnach Umfang und Abstufung seiner Thätigkeit ermisst;
dass er hier seine Erfahrungen mit andern austauscht und seine Wünsche und
Klagen zur allgemeinen Beachtung bringt , und dass er eben dadurch erst den
rechten Eifer für sein Amt empfängt, weil er sieht, wie vielerlei im Schul-
leben zu thun ist und wie er der regen Thätigkeit und Einsicht Anderer nach-
zueifern hat , und weil er selbst als wesentliches Glied des Ganzen auftritt,
und nicht in derjenigen Isolirung dasteht , welche so leicht eine Hauptursache
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 99
rer Lehrer angestellt und für denselben von dem kün. Ministerium des
Cultus eine jährliche Summe von 100 Rthlrn. ausgesetzt worden. Die
Gymnasialbibliothek hat einen sehr ansehnlichen Zuwachs dadurch er-
halten, dassder Vorstand der Schulcommission, Superintendent und Pastor
primär. Dr tbeol. et phil. Schumann aus eigenen Mitteln die aus mehr als
1200 Dänden bestehende Bibliothek des verstorbenen Rectors Benedict
ankaufte und der Schule schenkte. Das Verdienst dieser Schenkung
ist um so grösser, da die Bcncdict'sche Bibliothek im Fache der Phi-
lologie , Pädagogik und Geschichte wohl ausgestattet, und die Schul-
bibliothek sehr unbedeutend ist. Ueber den Lehrplan der Schule und
namentlich über die im Laufe des Schuljahres abgehandelten Lehr-
pensa sind nur im Jahresbericht von 1838 Mitteilungen gemacht, aber
sie haben einen besondern Werth durch die Nachweisung des speciellen
Verfahrens , welches die Lehrer bei den einzelnen Lehrgegenständen
eingeschlagen haben. Da das Gymnasium auch mehrere solche Schü-
ler hat, welche sich blos zu Volksschullehrern bilden wollen; 6o haben
zwei Lehrer zu einigen freiwilligen Lehrstunden in Katechetik , Bibel-
erklärung und Elementarpädagogik für dieselben sich verstanden. Das
wissenschaftliche Jahrcsprogramra zur Hofmanni&chen Gedächtnissfeicr
vom Jahr 1838 enthält: Observutiones criticae in quosdam locos Bruii Ci-
ceroniani, Partie. HL, qua . . . in vi tat Car. Henr. Frotschcr. [1838.
20 S. 8.] Es sind kritische Erörterungen von 15 Stellen aus § 137 —
210., worin die wesentlicheren Varianten derselben geprüft und die
wahren Lesarten aufgesucht werden. Sie verdienen weitere Beachtung,
nicht nur weil der Verf. mehrere Textesänderungen der Herausgeber
glücklich und treffend abweist, sondern auch weil die vorherrschend
grammatische und sprachliche Erörterungsweise durch grosse Klarheit
und Bestimmtheit sich empfiehlt. [J.]
Baden. Der grossherzogliche Oberstudienrath hat durch ein beson-
deres Generale verordnet, dass an allen ihm untergebenen Lehranstalten
die Lehrer in Fällen der Verhinderung eine förmliche schriftliche
Anzeige an die Direction machen und den Grund genau angeben sollen,
Mcshalb sie eine oder mehrere Lehrstunden aussetzen müssen , und dass
dann die Direction für das ganze Jahr alle Versäumnisse der Lehrer in ein
eigens zu haltendes Register eintragen und dasselbe sammt den Origi-
nnleingaben der Lehrer am Ende des Schuljahres dem Prüfungsconi-
missair vorlegen soll. Durch ein anderes Generale ist vorgeschrieben
worden, dass bei allen Lyceen, Gymnasien und Pädagogien in jeder
Classe oder Classenabtheilung ein Buch gehalten werde, in welches
entweder die Lehrer oder einer der Schüler nach jeder Unterrichts-
stunde genau eintragen soll , welches Pensum für die nächste Stunde
des betreffenden nämlichen Unterrichts aufgegeben ist. Der Zweck
dieser Einrichtung ist, die Schüler vor Ueberladung zu sichern.
wird, weshalb so viele Lehrer um das Ganze der Schule sich wenig kümmern,
sondern mit dem blossen Stundehalten ihre ganze Amtsthätigkeit erfüllt zu
haben meinen.
7*
100 Schul- und U ni v crsitä tsn ach ri chtcn ,
Bai'zev. In dem zu Ostern 1838 erschienenen Jahresprogramm
des «lasigen Gymnasiums [ßutlissin gedr. bei Monse. 23 S. u. 10 S.
Schuliiachrichten. 4.] hat der Subrector Friedr. Ferd. Müller eine Brc-
vis disputatio de memoriae exercitatione in gymnasiis non negligenda
herausgegeben , und darin eben so die Notwendigkeit und Nützlich-
keit, wie den rechten Weg der Bildung des Gedächtnisses in Gymna-
sien klar und entsprechend nachgewiesen. Im Programm des Jahres
1839 [20 S. und 11 S. Schulnachricbten 4.J steht eine Abhandlung f'om
Gebrauche und Unterschiede der lateinischen Partikeln Nisi und Si non,
von dem vierten Collcgen und Musikdirector Gottlob Friedr. Lüsclikc,
worin der Gebrauch dieser Partikeln allseitig besprochen , unter ge-
wissen Hauptrubriken zusammengeordnet und mit zahlreichen Beispie-
len belegt, freilich aber nur der äussere und empirische Gebrauch auf-
gefasst, und auf die tiefere Erörterung des innern Wesens derselben,
6o wie ihres Grundutiterschiedes [s. NJbb. XXVI, 352.] nicht einge-
gangen ist. Jedoch hat der Verf. den Gebrauch nach den verschiedenen
Satzformen und nach den verschiedenen deutschen Bedeutungen der Wör-
ter, so wie nach den einzelnen Sprachformeln zertheilt, und dadurch aller-
dings eine klare Uebersichtdes Ganzen erstrebt, so wie im Allgemeinen ein
richtigeres Resultat gewonnen als man in vielen gangbaren Grammatiken
findet. Auf die neuern Untersuchungen anderer Gelehrten über diese Parti-
keln ist keine Rücksicht genommen. Der Rector HI. Karl Gottfr. Siebelishat
in dem Jahresbericht von 1838 beiläufig auch einige allgemeine Bemer-
kungen über die Behandlung des Religionsunterrichts in den Gymna-
sien mitgetheilt und darin namentlich gegen die mystisch-pietistische
Richtung der Zeit und gegen Schmieders Lehrbuch der christlichen
Keligionslehre für Schüler der ersten Classe auf Gelehrtenschulen sich
erklärt. Nachträglich liefert er dazu im Jahresbericht von 1839 Aus-
züge aus zwei mystisch - pietistischen Briefen , welche er schon früher
von einem gewesenen Schüler des Gymnasiums und von einer Hand-
werksfrau erhalten hatte. Sie geben einen neuen Beleg, dass dieses
pictistische Unwesen überall spukt , und sind ein schreiendes Zeugniss,
bis zu welchem Unsinn der menschliche Verstand auf diesem Wege
6ich verirren kann. Hr. S. will übrigens in den Gymnasien das bibli-
sche Christenthum gelehrt wissen , wie es die gewissenhafte Prüfung
und Forschung unserer Zeit dargestellt hat, und verlangt noch beson-
ders, dass die Einwirkung der Religion auf das Leben gefördert, und
möglichst früh darauf hingewiesen werde, wie der Geist des
Christcnthuros ganz besonders das Thun empfiehlt und fordert. Darum
sollen die Glaubenslehren immer mit den Pilichten, welche fürs Leben
daraus iliessen , in Verbindung gesetzt und der Schüler fortwährend er-
innert werden , die Lehre der Schrift auf sich selbst und seine Lebens-
verhältnisse anzuwenden, weil es verderblich für Geist und Herz sei,
im Religionsunterrichte nicht auf sittlich gute Werke, sondern nur auf
den Glauben zu dringen , jeder menschlichen Tugend allen Werth ab-
zusprechen und nur an die Gnade Gottes zu verweisen. — ■ Das Gym-
nasium war in seinen 6 Classen am Schluss des Schuljahrs 1838 von
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 101
133 , am Schluss des folgenden von 127 Schülern besucht und hatte im
ersten Jahre 12 , im zweiten 6 Schüler (8 mit dein ersten , !> mit dem
zweiten und 1 mit dem dritten Zeugniss der Keife) zur Universität ent-
lassen. | J.]
Bielefeld. In dem Bericht über das dasige Gymnasium von Ostern
1838 bis Ostern 1839 [32 (14) S. 4.] steht eine Disputatio de L. Annaei
Senecae Consolatione ad Marciam auetore Dr. Fridcrico IJeidbreede,
d. i. eine sehr sorgfältige und genaue Untersuchung über die Abfas-
sung dieser Schrift des Seneca. Allerdings vermag der Verf. aus Man-
gel an sichern historischen Zeugnissen diese Abfassuugszeit nicht genau
zu bestimmen, allein er gränzt doch mit grosser Sorgfalt den Zeitraum
ab, innerhalb dessen sie geschrieben sein muss, und berichtigt meh-
rere Irrlhümer, welche darüber bisher geherrscht haben, so wie er
auch über die Lebensverhältnisse des A. Cremutius Cordus, und seiner
Tochter Marcia schätzbare Mittheilungen gemacht hat. Die letztere
ist vor dem Jahre 800 n. lt. £. gestorben, und vorher also, aber
nicht vor dem Regierungsantritt des Claudius scheint die Consolatio
gesehrieben zu sein. In dem Gymnasium, welches im genannten
Schuljahr von 172 Schülern besucht war und 14 Primaner als reif, 2
als unreif zur Universität entlicss , sind parallel mit der dritten
und zweiten Gyninasialclasse 2 Rcalclassen eingerichtet worden,
in welchen die höhere Ausbildung nicht studirender und besonders für
den Handel sich bestimmender Jünglinge erstrebt werden soll. Die-
selben genicssen demnach bis Quarta gleichen Unterricht mit den
Gymnasiasten, und sondern sich erst von Tertia so in die Kealclassen
ab, dass sie den Unterricht in Religion , Deutsch, Französisch, Ge-
schichte, Geographie, Mathematik, Katurgeschichte und in einigen
lateinischen Stunden mit Tertia und Secunda gemeinsam haben, aber
von allen griechischen und von den schwereren und grammatischen lat.
Lehrstunden dispeusirt sind , und dafür im kaufmännischen Schreiben
und Rechnen , im Franzosischen und Englischen noch besonderen Un-
terricht erhalten. Das seit dem Sommer 1838 umgestaltete Lehrer-
kollegium der Schule besteht aus dem Director Prof. Dr. C. Schmidt,
dem Professor Iliuzpeicr, den Oberlehrern Bertelsmann und Jüngst,
dem Dr. Heidbrcede , dem Cantor Ohle, dem Lehrer Schubart , dem
Prorector Schaaf (nur noch mit dein hebräischen Unterrichte beauf-
tragt), dem Dr. Schütz und dem kutholischeu Pfarrer Jlrachtmeister
(der den Religionsunterricht der katholischen Schüler besorgt). Für
die Realclasscn ist überdem der Lehrer der dasigeu Gewerbschule fj'ilh.
Alannstädt mit 12 wöchentlichen Lchistunden angestellt, und den ma-
thematischen Unterricht hatte der Schulamtseandidat Dr. Michaelis be-
sorgt, der aber zu Ostern 1839 die Anstalt wieder verlassen hat. [J.)
Dresden. In dem Programm des dasigen Yitzthumischcn Gc-
schleclitsgyiiina6iuma und der Ulochmannischen Erziehungsanstalt vom
Jahr Ü838 hat der Lehrer hart Aug. Müller eine sehr wichtige ge-
schichtliche Abhandlung: Das Söldnerwesen in den ersten Zeiten des
drcissigjührigen Krieges nuch handschriftlichen Quellen des kon. süchs.
102 Schul- und Universitätsnachrichten,
Haupt- Staats- Archive* [62 S. gr. 8.], herausgegeben, und darin den
Zustand und die Beschaffenheit der Söldnerheere in jener Zeit, d.h.
ihre Bestandtheile, Anwerbung, Musterung, Eintheilung in Compa-
gnien , Fähnlein, Regimenter und Armaden , Officiere, Verpflegung,
Besoldung, die Quellen des Soldes, Soldnoth, Süldnerleben und
Kriegszucht, und ihre Entlassung nach Beendigung des Krieges aus-
führlieh beschrieben. Da der Verf. Gelegenheit hatte, das für die
Geschichte des dreissigj ährigen Krieges überaus reiche sächsische
Staatsarchiv zu benutzen und er dessen Quellen mit ausgezeichneter
Sorgfalt und Genauigkeit ausgebeutet hat; so giebt dies seiner Arbeit
den hohen materiellen Werth, dass die gewonnenen Resultate insge-
sunimt auf neue und unbenutzte historische Grundlagen gebaut und
durch die zuverlässigsten Dncumente belegt sind. Aber er hat auch
das gefundene Material so geschickt zusammenzuordnen und so ein-
sichtsvoll zu combiniren gewusst, dass auch hinsichtlich der Erörte-
rungsfurm die Schrift eine vorzügliche genannt werden muss. Sie
steht übrigens in genauer Verbindung mit der von demselben Verf.
herausgegebenen Schrift : Kurfürst Johann Georg der Erste, seine Fa-
milie und sein Hof y nach handschriftlichen Quellen des kün. sächs.
Haupt - Staats - Archivs dargestellt [Dresden, Gerb. Fleischer. 1838. 8.
1 R Lhlr. 12 Gr.] , und beide sind auch äusserlich durch den Gesammt-
titel: Forschungen auf dem Gebiete der neuern Geschichte , mit einander
vereinigt. Ihre speciellere Würdigung gehört nicht in den Be-
reich unserer Zeitschrift; wohl aber wollen wir dieselbon allen Freun-
den der vaterländischen Geschichte zur weitern Beachtung ganz beson-
ders empfohlen haben. Der dem Programme angehängte Jahresbe-
sieht [88 S. gr. 8.] enthält ausser, den gewöhnlichen Mittheilungen
über Verfassung und Zustand der Schulanstalt noch auf 54 S. die sehr
ausführlichen Gesetze, Haus - und Tagesordnung für die Zöglinge des
J'itzthum-Blochmannischen Gymnasial-Erziehungshauses. Das Programm
vom Jahre 1839 enthält vor den Nachrichten über die Anstalt während
des fünfzehnten Jahres ihres Bestehens : Observationes Livianae. Scri-
psit Herrn. JFimmer , Dr. philos. Socictatis Graecae Sodalis [VIII u. 100
(33) S. gr. 8.] Es sind kritische Bemerkungen zu 27 Stellen aus dem
ersten und zweiten Buch des Livius, in denen der Verf. die Lesarten der
bessern Handschr. gegen die von den Herausgebern gemachten Aende-
rungen mit vieler Umsicht und tüchtiger Sprachkenntniss vertheidigt,
und in den meisten Fällen das Richtige getroffen zu haben scheint.
So nimmt er I. 1. 1. die Dativen Aeneae Antenorique gegen die ge-
wöhnliche Lesart Aenea Anlenoreque in Schutz und will sie als Dativus
commodi mit abstinuisse , welches auch bei Tcrent. Heaut. II. 3. 132.
ohne Ablativ der Person stehe, verbunden wissen, beweist aber die
sprachliche Richtigkeit nicht zulänglich; weshalb es immer sicherer
bleibt, den von den bessern Handschriften geschützten Dativ mit Stroth
für eine Anakoluthie zu erklären. In den Worten § 2. in quem primo
egressi sunt locum ist primo richtig vertheidigt und durch initio, anfänglich
erklärt, und in § 5. geschrieben: Troja et huic loco nomen est, weil der
D cf oi der iingeu und Ehrenbezeigungen. 103
Dativ Trojae hier für das zu Anfange des Satzes gestellte Wort zu schwach
sei, dagegen der Nomin, nach HofTinanns Bemerkung in unsern Jbb. 1828,
"VII. S. 13. eine grössere Bedeutsamkeit des Wortes angebe. Vielmehr wird
dcrlNomin. Troja darum vorzuziehen sein, weil die für den Dativ nöthige
Attraction nicht anders stattfinden zu können scheint, als dass der eigentli-
che Dativ des Satzes vor dem attrahirten steht. So riebtig also tut loco
Trojae nomen est sein würde, so eebr scheint Trojae et huic loco nomen
est gegen den Sprachgebrauch der Römer zu sein. Ueberhaupt be-
steht die Bedeutsamkeit des Nominativs in diesen Formeln est mihi
nomen etc. wohl nur darin, dass in dem Worte oder Satze etwas ent-
halten sei, wodurch eben die Nominativform des Wortes zu etwas
Wesentlichem wird und eben als solche Wichtigkeit erhalt. In gegen-
wärtiger Stelle besteht nun diese Bedeutsamkeit des Nominativs,
welche durch die Voraustcllung des Wortes sieh kund giebt , darin,
dass die Worte mit den vorangehenden Troja vocatur Conformität er-
halten sollen. Cap. 3- § 9. wird die Wortstellung qui nunc est pars
Romanae urbis , welche dem bedeutungslosen est einen zu gewichtigen
Platz anweist, verworfen und entweder mit Cod. Harlej gut nunc pars
R. urbis est oder noch besser mit Cod. Voss, qui nunc pars est Rom.
urbis zu lesen vorgeschlagen; Cap. 4. 0. die handscbriftl. Lesart uaori
educandos datos hergestellt; Cap. 5. -. das Handschriftliche qui...
tenucrit loco gebilligt, nur aber grammatisch nicht genügend ge-
rechtfertigt; Cap. 9. 5. ac plerisque roga7itibus dimissi gut verlbeidigt
und erklärt; Cap. 13. 4. der Plural movent res ebenso wie II. 44. extr.
hae spes E. armaverant mit Verweisung auf Drakenb. zu IV. 36. 2. vor-
gezogen ; Cap. 14. 5. die Copula et vor den Worten consilio eliani unius
hominis etc. mit Verweisung auf Ruhnken z. Vcllej. I. 17. , llands Tur-
6cllin. II. p. 521. u. A. (wegen et — etiam) wieder hergestellt. Es er-
giebt sich aus diesen Stellen, denen auch die Behandlungsweise der
übrigen gleich ist , dass der Verf. überall darauf bedacht geM esen ist,
den Text des Livius auf die diplomatische Grundlage der guten Hand-
schriften zurückzuführen , wobei er den Codex Harlejanus für den be-
sten erklärt, nächstdem den ersten Leidner und den Florentiner folgen
lässt, und endlich auch den ersten Vossischen und zweiten Leidner
noch für beachtenswerth hält. Bemcrkcnswerth aber werden seine Er-
örterungen noch deshalb, weil er es auch versteht, die aus jenen
Handschriften vorgezogenen Lesarten gut zu rechtfertigen und ihre An-
gemessenheit darzuthun. — Die Lehranstalt war am Schluss des Schul-
jahres (im September) 1838 von 111, am Schluss des Schuljahres 1839
von 120 Schulern besucht, von denen 14 dem \ itzthumischen Ge-
schlcchtsgymnasium und 100 der Bloehmannschcn Erziehungsanstalt
angehörten und welche von 14 ordentlichen und 10 ausserordentlichen
Lehrern unterrichtet wurden. Zur Universität wurden im ersten Schul-
jahr 1 , im zweiten 4 Schüler [0 mit dem ersten und 5 mit dem zwei-
ten Z-ugniss der Reife] entlassen , und 2 sollten noch zu Michaelis
dieses Jahres die Abiturientenprüfung besteben. Die Zöglinge sind in
4 Gymnasial-, 3 Real- und zwei Progyniiiasialclasscn vvrtheilt, und
104 Schul- und Uni vor a! tiits nach rieh ten ,
die Realschüler im Unterrichte durchaus von den Gymnasialschülern
getrennt , obschon sie im Progymnasiuni mit ihnen vereinigt sind und
auch fortwährend Unterricht in der lateinischen Sprache erhalten. Die
Anstalt hat übrigens die Erfahrung gemacht, dass die Realbildung der-
jenigen Zöglinge besser gedeiht, welche nicht sofort aus den Progym-
nasialclassen in die Realclassen übertreten, sondern erst noch den Cur-
siis der vierten und selbst der dritten Gymnasinlclasse durchmachen.
Die ganze Einrichtung und Verfassung der Anstalt hat der Director Dr.
JHochmann in den Jahresberichten sehr ausführlieh beschrieben und sich
namentlich auch über Zweck , Ziel und Einrichtung des Unterrichts in
den drei Abstufungen derselben so verständig und treffend ausgespro-
chen , dass wir diese Bemerkungen noch ganz besonders zur Beachtung
empfehlen. Obgleich nämlich die mitgetheilten Ansichten nur solche
sind , welche die Pädagogik als die richtigsten und angemessensten er-
kannt hat, und sie darum für den einsichtsvollen Gymnasiallehrer nicht
gerade etwas Neues bringen; so geben sie doch für die Anstalt selbst
das Zeugniss, dass sie sich ihrer Bestimmung klar bewusst ist, und
sind durch ihre einfache und verständliche Darstellungsweise ein recht
zweckmässiges Mittel , das grosse Publicum über die rechte Stellung
der Gymnasien und höheren Realschulen aufzuklären und den irrigen
Meinungen entgegenzutreten, welche man so oft von diesen Schulen
hegt. - — Von der königl. Bibliothek ist der bisherige erste Secrctair
Dr. K. Konstant. Kraukling zum Director des historischen Museums be-
fördert, und dagegen der bisherige zweite Inspcctor des Naturalienca-
binets Dr. Friedr. Ludw. Aug. Thienemann als zweiter Bibliothekar an
derselben angestellt worden. [J.]
Erfurt. Das Programm des dasigen kön. Gymnasiums vom J.
1838 [24 S. 4.] enthält ausser den von dem Director Dr. Fr. Strass
mitgetheilten Schulnachrichten auf 8 Seiten eine Dissertatio critica de
loco Aristotelico in tpv6LKJ\q 'AaQoäoeag libro III. cap. 1. auetore TA. C.
Schmidt, worin unter Anderem auch die Unzweckmässigkeit und Un-
möglichkeit, philosophische Schriften der Griechen ins Lateinische zu
übersetzen , dargethan werden soll.
Gleiwitz. Das an dem dasigen Gymnasium zu der im August
1839 gehaltenen Prüfung und Schulfeierlichkeit erschienene Jahrespro-
gramra enthält als wissenschaftliche Abhandlung die zweite Forlsez-
zung der in dem Programm des Jahres 1829 begonnenen Tabellarischen
lieber sieht der deutschen Literaturgeschichte zusammengestellt nach J Or-
dens, Fr. Schlegel, Wachler, Kunisch, Heinsius, Herzog, Pischon,
W. Menzel, Wolff u. m. A. von dem Oberlehrer M. Böbel. Als Leit-
faden beim Unterrichte. [51 (31) S. 4.] Es sind chronologische Tabel-
len der in sieben Zeiträume zertheilten deutschen schönen Literaturge-
schichte , von denen die gegenwärtige zweite Fortsetzung die Zeit von
Hiiller bis Lessing oder die zweite Abtheilung des sechsten und die
erste des siebenten Zeitraums umfasst. Jedem einzelnen Zeitraum ist
eine kurze allgemeine Uebersicht vorausgeschickt, die Schriftsteller
sind unzweckmässig in Dichter und Prosaiker auf getrennte Tabellen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 105
vertheilt, und ausser Namen , Geburt6- und Sterbejahr, bürgerlichem
Charakter und Schriften der Verfasser sind in besondern Bemerkungen
noch allerlei andere biographische, literarhistorische und kritisch -
ästhetische Notizen mitgethcilt. Die letzteren haben aber freilich mehr
den Anstrich des Zufällig-Zusammengclescnen , nls den einer bestimm-
ten Absicht und Consequenz in der Auswahl. Die Schriften der Prosaiker
sind alle unter eine einzige Rubrik zusammengestellt, die der Dichter
aber in lyrische, epische , didaktische, dramatische und ergänzende (?)
Dichtungen und in Prosa -Schriften vertheilt. Die Bibliographie ist
ausgelassen und die kritisch-ästhetischen Urtheile zerschweben meist in
zu- allgemeingehaltene Betrachtungen und Reflexionen, und gleichen
darin den Urtheiten in Gudens chronologischen Tabellen zur Geschichte
der deutschen Sprache und Nationalliteratur. — Das Gymnasium war
am Schluss des Schuljahrs 1839 von 309, im Winter 1838 von 340, im
Sommer 1839 von 322 Schülern besucht , welche von 10 Lehrern , dem
Director Prof. Dr. Kabath , den Oberlehrern Heimbrod , M. Böbel und
Liedlki, den Lehrern JFolff, Rotter , Hott, Schlnlee (zugleich kathol.
Religionsichrer) , dem evangelischen Rcligionslehrer Superintendent
Jacob und dein Collaborator Spiller unterrichtet wurden. Für die
evangelischen Schüler (im genannten Schuljahre zusammen 66) wird,
weil ihnen wegen Beschränktheit des Raumes in der evangelischen
Kirche zugleich mit der Gemeinde kein zweckmässiger Platz angewie-
sen werden kann , von dem Superintendent Jacob mit Bewilligung der
hohen Behörde aller vier Wochen nach Beendigung des gewöhnlichen
Gottesdienstes ein besonderer Gottesdienst, den Bedürfnissen der Ju-
gend angemessen, gehalten. [J.J
Grimma. Das zur Jahresfeier des Stiftungsfestes der dasigen Lan-
desschule ausgegebene Programm enthält folgende Abhandlung: M.
Frid. Gotthilf Fritschii , Prof. IV. , Commentationis de origine atque in~
dole progymnasmatum rhetoricorum Partie. I. [Grimma 1839. 36 S. und
XVIII S. Jahresbericht, gr. 4.], d. i. eine eben so gelehrte, wie gründ-
liche literarhistorische Untersuchung über die Progymnasmata des
Hermogenes, Aphthonius und Aclius Theon. Der Verf. weiset darin,
nach kurzer Zusammenstellung der Data, welche von dem Leben die-
ser drei Rhetoren bekannt sind, die einflussreiche Stellung nach, wel-
che jene Progymnasmata, trotz der Geringfügigkeit ihres Inhalts , als
Compcndien für den rhetorischen Unterricht der Jugend bis auf dio
neuere Zeit herab eingenommen haben, verbreitet sich dann über die
Namen Progymnasmata und Gymnasmata, womit sie benannt worden,
und erörtert sehr sorgfältig den Inhalt und Umfang, sowie die Anord-
nung und Behandluugsweise des in ihnen enthaltenen Stoffes sowie des
durch sie begründeten rhetorischen Systems, Daran schlicsst sich zu-
letzt eine Untersuchung über die Quellen dieser Progymnasmata , wel-
che zugleich Veranlassung giebt, über die Abfassungszeit der Progym-
nasmata des Theon und Hermogcncs und ihr Verhält niss zu einander
weitere Erörterungen anzustellen. Beiläufige Andeutungen weisen auch
darauf hin , welchen Werth und Nutzen das Studium der römischen
Rhetorik zur Kaiserzeit für uns haben könne; indes» hat sich der Verf.
106 Schul- und Universitätsnachrichten,
für eine zweite Abhandlung noch die Schlusserörtcrung aufbewahrt, ut
clementoruni rhetoricorum doctrina veteribus usurpata, ad quam cum
uiaxiine virorura ductoruin curia aditus patefactus est, exacto judicio
exploretur atque nostri et antiqui temporis coroparatione iustituta de-
monstretur, quid inde in disciplinam puerilem rcvocandum , aut quid
mutandura aut prorsus abrogandura sit. Zur Beantwortung dieser
Frage verhält sich nun die gegenwärtige Abhandlung als allgemeine
Einleitung, und giebt eine generelle Charakteristik der genannten Pro-
gyninasniata, welche bei Allen, die sich mit dem Studium derselben
beschäftigen , ein mehrseitiges Interesse erregen wird , und besonders
durch die Selbstständigkeit und Genauigkeit der Forschung sich em-
pfiehlt. — Die Schule war im Sommer 1839 von 113 Schülern besucht,
und hatte zu Michaelis 1838 und Ostern 1839 zusammen 16 Schüler, 5
mit dem ersten, 8 mit dem zweiten und 3 mit dem dritten Zeugniss der
lleifc, zur Universität entlassen. In dem Jahresbericht sind besonders
die S. IV — IX gegebenen Mitteilungen über die Lehrverfassung der
Landesschule beachtenswert!!, weil sie die Resultate einer Confercnz
enthalten, welche das königl. Cultus- Ministerium im Mai 1838 mit
den Rectoren der beiden Landcsschulen zu dem Zwecke gehalten hat,
um die auf den Fürstenschulen heimische Studienordnung mit den ver-
änderten Zeitumständen und den Anforderungen der Gegenwart in mög-
lichsten Einklang zu bringen. Es ist bei dieser Coni'erenz festgesetzt
worden, dass für den Unterricht (ungerechnet den Unterricht im He-
bräischen und in technischen Gegenständen) in den beiden oberen Clas-
sen wöchentlich 27 — 29 Lehrstunden, in den beiden unteren Classen
30 Lehrstunden gehalten werden, von denen dem lateinischen Unter-
richte in Prima und Secunda 8 — 9, in Tertia und Quarta 10, dem
Griechischen G, den übrigen Gegenständen 14, und zwar je 2 der deut-
schen Sprache, der französischen Sprache, der Religion und der Ge-
schichte, 3 — 4 der Mathematik, 2 der Physik in Prima und Secunda,
2 der Geographie in Tertia und Quarta, und 2 der philosophischen
Propädeutik in Prima zufallen. Von den lateinischen Stunden sollen
je 3 der Erklärung eines Prosaikers, 3 der Erklärung eines Dichters,
und dem stilistischen und grammatischen Unterrichte in den oberen Clas-
sen 2 — -3 (mit Einsehluss der Disputirübungen) , in den untern 4 zuge-
wiesen werden; im Griechischen aber in 3 (in Tertia und Quarta in 2)
wöchentlichen Stunden ein Prosaiker, in 2 Stunden ein Dichter erklärt,
und 1 — 2 Stunden auf Grammatik und schriftliche Uebungen verwen-
det werden. Die zu erklärenden Schriftsteller sind für Prima Cicoros
rhetorische und philosophische Schriften nach passender Auswahl, des-
sen gerichtliche Reden und schwerere Briefe, auserlesene Stellen des
Tacitus, das 10. Buch des QuintHian, Horaz , auserlesene Satiren des
Juvenal, Virgils Georgica und ausgewählte Stücke des Flautus, leich-
tere Dialogen des Plato, auserlesene Reden des Deinosthenes, ausgewählte
Stellen des Thucydides, Sophooles und Euripidcs; für Secunda Ciceros
politische Redon und Epistolae ad diversos , Sallustius , Livius , Sueto-
tiios, auserwählte Briefe des Plinius, Virgils Eclogen und Aeneis,
Ovidii Libri Fastorum , ausgewählte Stücke aus Tercnz und Elegiccn
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 107
nus Tibull und Proporz, Herodot, einzelne Lebensbeschreibungen aus
Pliiturcb, Xenophons Symposium, Homers Ilias , Theokrit mit Aus-
wahl; für Tertia Ciceros Lälius, dito, leichtere Briefe und Reden,
Julius Cäsar, Ovids Metamorphosen . eine passende poetische Antholo-
gie, Xenophons Anabasis und Cyropädie, ausgewählte Dialogen des
Lucian, Homers Odyssee, eine griech. Anthologie; für Quarta Corne-
lius Nepos, Justinus, Phädrus, Ovids Tristien oder Briefe aus Pontus,
eine latein. histor. Chrestomathie und poet. Anthologie, eine griechische
Chrestomathie und Anthologie, die Götter- und Todtengespräche des
Lucian, Schriftsteller, welche nicht öffentlich erklärt werden , sollen
unter Leitung der betreffenden Classenlehrer ebenso, wie gute Handbücher
der Antiquitäten, Mythologie, Literatur etc. privatim gelesen werden. Der
Unterricht in der lateinischen Sprache soll, soweit nur immer thunlich,
von dem eigentlichen Classenlehrer (Ordinarius) und dem in solcher
Beziehung als Nebenlehrer zu betrachtenden Ordinarius der nächstfol-
genden Classe ertheilt werden. Damit die Zöglinge tiefer in den Geist
eines Werkes eingeführt werden und eine klare Anschauung von dessen
Gesamratinhalte erhalten, so soll gestattet sein, dass die Lehrer wäh-
rend eines Semesters nur drei Autoren (zwei lateinische und einen
griechischen) öffentlich erklären und den vierten unter gehöriger Auf-
sicht des Classenlehrers privatim lesen lassen , oder dass sie den
Dichter und Prosaiker nicht neben einander, sondern hinter einander
lesen. Der Unterricht in der deutschen Sprache soll in den untern
Classen theils der Grammatik theils dem Durchgehen der schriftlichen
Arbeiten gewidmet, in den obern Classen mit den nöthigen praktischen
Uebungen der Vortrag der Rhetorik und einer kurzgefassten deutschen
Literaturgeschichte verbunden sein. Französisch wird nur in drei
Classen gelehrt, aber die dritte Classe ist in zwei gesonderte Abthei-
lungen zertrennt, und es nehmen an diesem Unterricht auch diejenigen
Quartaner Theil , welche schon einige Kenntnisse in dieser Sprache
mit auf die Schule gebracht haben. Für den Religionsunterricht findet
ein besonderes Lesen des N. T. in der Ursprache nicht statt, wohl aber
werden beim Vortrage die wesentlichen Dicta probantia im Grund texte
nachgeschlagen und daraus erklärt. Die früher eingeführte Bestim-
mung der sogenannten Studirtage, nach welcher auf je zwei Wochen
Lectionen, die durch kein Fest unterbrochen worden waren, den
Schülern ein ganzer Tag zu Privatstudien bewilligt wurde , ist dahin
abgeändert, dass den Schülern in den beiden obern Classen lediglich
zum Selbststudium in den altclassischen Sprachen allmonatlich zwei
Tage hintereinander , den Schülern der untern Classen aber nur ein
Tag von den öffentlichen Lectionen frei überlassen werden soll. [J.]
Heiligekstadt. In dem Programm des dasigen Gymnasiums vom
J. 1838 hat der Director Martin Rinke vor den Schulnachrichtcn auf 10
Seiten eine Abhandlung unter dem Titel: Die Zeitwörter der lateinischen
dritten Conjugation in ihren Verfcctformcn, d.h. eine nach den Perfect-
formen versuchte Classification derselben, sammt einem S. 11 — 26
folgenden alphabetischen Verzeichnis säinmtlicher Vcrba der dritten
Conjugation herausgegeben.
108 Schul- und Universitätsnachrichten}
fuiEUZNAcn. Die zu den öffentlichen Prüfungen und Redeübun-
gen der Zöglinge des Gymnasiums im September dieses Jahres ausge-
gebene Einladungsschrift [Kreuznach gedr. b. Kehr. 183!). 29(15) S. 4.J
enthält vor den Schulnachrichten Mcletematum Arisloteliorum speeimen
primum scripsit Dr. Henr. Knebel, superior. ordinum in gymn. praece-
ptor, welches wieder den Specialtitel führt: De liitteri, V. C, censura
Poeticae Aristotelicae brevis disputatio. So hoch nämlich auch der
Verf. Ritters Verdienste um die Texteskritik der Poetik des Aristoteles
anschlägt, so meint er doch in mehreren Dingen von demselben ab-
weichen zu müssen , und bestreitet in der gegenwärtigen Abhandlung
geschickt und treffend die Ansicht, dass diese Schrift des Aristoteles
eben so voller Lücken wie voller Interpolationen sei, indem er nach-
weist, dass äussere Gründe dagegenstreiten , und die von Ritter dafür
aufgestellten Beispiele nichts beweisen. Darum hält er vielmehr an
der alten Ansicht fest, dass wir in dieser Poetik das erste von den bei-
den Aristotelischen Büchern de arte poctica entweder ganz oder doch
zum grüssten Theil in ziemlich unverletzter Gestalt übrig haben. Die
Erörterung ist für die richtige Beurthcilung des Buches wesentlich,
und verdient weitere Beachtung. Das Gymnasiuni war im Summer
1839 von 142 Schülern (96 Evangelischen , 33 Katholischen und 13
Israeliten) , im Winter vorher von 122 Schülern besucht und hat 7
Schüler zur Universität entlassen. Ueber die Veränderungen im Leh-
rcrpersonal ist bereits in den NJbb. XXIV, 433. berichtet. Zur Beförde-
rung der wissenschaftlichen Thätigkeit der Schüler sind für die drei untern
Classen täglich zwei Arbeitsstunden unter Leitung der Schulamtscaudidn-
ten Rhein und Budde für diejenigen Schüler eingerichtet, welche von den
Eltern zu Hause nicht hinlänglich beaufsichtigt werden können. [.!.]
LihiECK. Die daselbst bestehende und durch ihre ausgedehnte
Wirksamkeit hochverdiente Gesellschaft zur Beförderung gemeinnützi-
ger Thätigkeit feierte am 27. Januar 1839 das Jubelfest ihres 50jähri-
gen Bestehens , und eine bei dieser Gelegenheit herausgegebene Ge-
schichte der Lübeckischen Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger
Thätigkeit während der ersten fünfzig Jahre ihres Bestehens von dem
Prediger Dr. Ludw. Heller in Travemünde [Lübeck, von Rohdensche
Buchh. 1839. VI u. 208 S. gr. 8. 16 Gr.] giebt über die allseitige Thä-
tigkeit dieses Vereins für Beförderung von Bürgerwohl und Volksbil-
dung reiche Auskunft, und ist auch für die Schulgeschichte von Wich-
tigkeit, weil von dem Vereine nach und nach eine Schwimmschule
(1798), eine Hebammenbildungsanstalt (1805), eine Bibliothek und
Kunst- und Naturaliensammlung, ein Schullehrerseminar (1807), eine
Sonntagsschule (1795), eine Industrieschule für dürftige Mädchen
(1797), eine Kleinkindcrschule (1834), eine Taubstummenschule
(1828), eine Navigationsschule (1808), eine freie Zeichenschule für
angehende Handwerker (1794), eine Gewerbschule (1828) u. s. w. an-
gelegt worden ist. Das Gymnasium hat der Gesellschaft zu dieser
Jubelfeier eine besondere Gratulationsschrift gewidmet, welche Grund-
linien zur Geschichte Lübecks von 1143 — 1226 von dem Dr. Ernst
Dvecke [Lübeck, v. Rohdcn. 1839. VIII u 48 S. gr. 4. 8 Gr.] enthält.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen.
109
Mi\iif,\. An dem dasigen Gymnasium ist die seit dem Jahre
1837 beabsichtigte Errichtung von Realclassen seit dem Juli 1638
wirklich und in der Weise ausgeführt worden, dass mit Secunda und
Tertia zwei besondere Realclassen parallel laufen, deren Schüler in
jeder Classe nur in 9 wöchentlichen Stunden mit der entsprechenden
Gymnasialclasse zusammen Unterricht erhalten, übrigens besonders un-
terrichtet werden. Der Lehrplan der ganzen Anstalt ist folgender:
RC'l. RCI. Gesammt.
I. II. I. II. 111. IIIa.IIIb.IV. V. VI.
Lateinisch 8, 8, — , 3, 3, 5, 5, 8, 8, 7 wöchentl. Lehrstund.
Griechisch 5, 5, — , — , — , 5, 5, — , — , —
Deutsch 3, 3, ~3^ — , — , 4, 4, 6
Religion
Französisch
Englisch
Hebräisch
Philosoph.
Propädeut.
Geschichte u.
Geographie
Mathematik
Rechnen
Naturkunde
Dazu kommen noch für Schüler verschiedener Classen 7 Schreib-, 8
Zeichen - und 4 Gesangstunden , und 2 Stunden Englisch für einige
Schüler aus I. und II. , welche kein Hebräisch lernen. Auch gymna-
stische Hebungen sind eingeführt, und werden wöchentlich zweimal je
2 Stunden gehalten. Bei den Realschülern ward übrigens wünschens-
werth gefunden, dass sie spätestens mit dem 10. Jahre in die Anstalt
kommen , um mit dem 13. Jahre für Untertertia als die untere
Realclasse reif zu sein , und dass sie vor dem 16. oder 17. Jahre die
Schule nicht verlassen, weil früher eine gnügende Vorbereitung zu
irgend einem Berufe , der mehr als elementare Bildung fordert, nicht
erreicht werden könne. Ob übrigens für die Gymnasiasten der Unter-
richt im Lateinischen nicht etwas sehr knapp abgemessen sei, das wird
die Zeit lehren. Die Schülerzahl betrug zu Anfange des vergangenen
Schuljahres 146, am Ende 164, von denen 4 der ersten und 19 der
zweiten Rcalclasse angehörten. Zur Universität wurden 5 mit
dem Zeugniss der Reife entlassen. Für den Unterricht sind 10 Lehrer
angestellt, nämlich der Director Dr. Siegm. Imanuel, der Professor
ILO Schul- und Universitätsnachrichten,
Fr. Willi. Burchard, die Oberlehrer Dr. Wilh. Aug. Wirlh [nament-
lich für die Realclassen seit 1837 statt des nach Hannover berufenen
Lehrers Lcdebur angestellt], Dr. E. Chr. Kapp, und Pet. Casp. Stein-
haus, die Lehrer Fr. JVilh. Erdsiek, Karl Fr. Collmann [vornehmlich
als Lehrer der Mathematik für die Realclassen seit dem Juli 1838 an-
gestellt], Zillmer , Jul. Ueinr. Ludw. Buch > und Karl Alex. Kämper.
Das am Schluss des Schuljahres von Ostern 1838 bis dahin 1830 er-
schienene Programm [1839.] enthält ausser 13 S. Schulnachrichten noch
8. 3 — 32 eine Abhandlung Ueber die Berechnung achromatischer Dop-
pelobjcctive von dem Oberlehrer Steinhaus. [J.]
Nassau. Mit dein Wintersemester 1839 sind höchsten Ortes mehr-
fache Veränderungen in dem Personal der Gelehrtenschulen des Landes
verfügt worden, wodurch sich dasselbe auf folgende Weise gestaltet
hat: 1) Gymnasium zu Weilburg. Director und Ober-Schulrath bei
der Landes-Regierung , Theol. Dr. Friedemann; ordentliche Proff.
Krcizner , Schmitthenner , Menke, Krebs jun. ; ausserord. Prof. Bar-
bieux; Collab. Kirschbaum. 2) Pädagogium zu Wiesbaden : licet, u.
Prof. Lex, Prorect. Rotlwitt, Conrcctt. Bellinger und Hänle jun.; Col-
laborator D. Rössel. 3) Pädagog. zu Hadamar: Rect. u. Prof. Muth,
Prorect. Dr. Cuntz, Conrectt. Schmidtborn u. Roth, Collab. Metzger.
4) Pädagog. zu Dillexburg: Rect. u. Prof. Dresler, Prorect. Braun,
Conr. Schenk , Collab. Spiess. Der Prorect. Fischer daselbst wurde in
Ruhestand versetzt. — Von dem Gymnasium erschien mit Beginn des
Wintersemesters : Andenken an den Höchstsel. Herrn Herrn Wilhelm,
souv. Herzog zu Nassau, gefeiert am 30. Aug. 1839, in dem Herzogl.
Tiandes-Gymnasium zu JFeilburg. [gedruckt bei Lanz. 11 S. gr. 4.] Der
Inhalt besteht aus selbstverfertigten deutschen, lateinischen, franzö-
sisches und griechischen Gedichten der Gymnasiasten , mit deutschen
metrischen Uebersetzungen, nebst der deutschen Gedächtnissrede des
Director§ , welche alle bei der abendlichen Trauerfeierlichkeit unter
abwechselnden Gesängen vorgetragen wurden. Von Lehrern ist
noch beigegeben ein deutsches Gedicht des Collab. Spiess und ein
französisches des Prof. Barbieux. — Im verflossenen Sommer wurde
höchsten Ortes auch ein Probejahr für dio Candidaten des höheren
Schulamtes verfügt, welches sie, nach bestandenem Staatsexamen, am
Gymnasium zubringen sollen, um dort, zunächst unter der Leitung
des Directors, 6ich theoretisch und praktisch für das Amt weiter aus-
zubilden. [E.~\
Plauen. Das dasige Gymnasium war in seinen sechs Classen zu
Ostern 1838 von 68 und zu Ostern 1839 von 75 Schülern besucht, und
haue im Jahr 1838 zusammen 15, zu Ostern des zweiten Jahres 6
Schüler zur Universität entlassen. Im Juli 1838 gab der Seminardi-
rector Wild, welcher den Religionsunterricht in den vier obern Classen
ertheilte , nach dem Willen der Seminarbehörde diesen Lehrgegenstand
auf und trat ganz von dem Gymnasium zurück. Im August 1838
wurde der dritte Lehrer Conrector Lindemann in gleicher Eigenschaft
an das Gymnasium in Zwickau versetzt, und weil seine Stelle aus
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 111
finanziellen Gründen unbesetzt bleiben soll, so sind die seebs Classen,
in denen im Sommer 1839 zusammen 82 Schüler sassen , auf 5 reilu-
cirt worden , so wie das Lehrercollcgiiim gegenwärtig nur noch aus
dem Rector Dölling , dein Prorector Pfretzschner , den Collegen
Schädel, l)r. Meutzner, Dr. Thieme (Matheniatikus) und Vogel und 3
Iliilfslehrern besteht. Das zu Ostern 1839 erschienene Jahresprogramm
ist überschrieben : Zur Vermählung des Stella mit der Violantilla.
Zweite Sylve des P. Papinius Stalius übersetzt von Joh. Gottlob Dölling,
Rector. [Reichenbach gedr. bei Schumann. 24 (18) S. 8.] und enthält
eine sehr gelungene metrische Uebersetzung der genannten Silve.
[J.]
Wertheim. Das im Jahr 1837 erschienene Programm des dasigen
Lyceums : In welcher Ausdehnung sollen die ISaturwissenschaften Gegen-
stand des Gymnasialunterrichts sein? Beantwortet von Dr. ISeuber. [3(> S.
8.], enthält, nach dem in der Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft
1839 Nr. 96 gegebenen Berichte, sehr glückliche und durchdachte
Ideen über diesen Unterrichtsgegenstand, welche aber ebendaselbst
nicht weiter angeführt sind.
Zittau. Das Gymnasium war zu Anfang des Schuljahrs von
Ostern 1837 — 38 von 83, vor Ostern-1839 von 6fi Schülern in seinen
(i Classen besucht, und hatte im ersten Schuljahre 9, im zweiten 7
Schüler (4 mit dem ersten, 6 mit dem zweiten und 6 mit dem dritten
Zcogniss der Reife) zur Universität entlassen. Im Schuljahr 1837
wurde unter mehreren Abiturienten nur einem das Zeugniss der Reife
crtheilt, und das kön. Ministerium des Cultus bezeigte unter dem 1.
März 1837 der Prüfungs-Commission seine besondere Zufriedenheit
wegen des Ernstes und der Strenge, mit welchem sie diejenigen Schü-
ler, denen das Zeugniss versagt werden musste, beurtheilt und somit
ein Verfahren beobachtet hatte, welches bei unausgesetzter Befolgung
zum Wohle der Schüler und zum Ruhme der Anstalt gereichen werde.
Auch war die Folge davon, dass die Abiturientenprüfnng des Jahres
1838 ein sehr günstiges Resultat gewährte, indem von 9 Abiturienten
4 mit dem ersten und 4 mit dem zweiten Zeugniss der Reife entlassen
werden konnten. Das Lehrercollegium des Gymnasiums besteht aus
dem Director Friedr. Lindemann , dem Conrector M. Ferd. Heinr. Lach-
mann, dem Subrector Dr. theol. L. J. Rückert , den Collegen Lange
und Heinr. Mor. Rückert, dem Cantor, dem Adjunct. Willkomm und
dem Zeichenlehrer Müller. In dem Jahresprogramm des Gymnasiums
zu Ostern 1839 steht von dem Director Lindemann als wissenschaftliche
Abhandlung eine Dissertatio de interitu opernm artis statuariae apud
Veteres. Accedit Archaeographiae Europaeae brevis delineatio lapide
erpressa. Zittau gedruckt bei Seyfert. 54 (42) S. gr. 4. In der ver-
dienstlichen und gelehrten Abhandlung weist der Verf. erst übersicht-
lich nach, welchen grossen Reichthum an plastischen Bildwerken die
alten giiechischen , kleinnsiatischcn und ägyptischen Städte besessen
haben , und lässt darauf eine geschichtliche Uchersicht der Unglücks-
fälle und Zerstörungen folgen, welche durch Erdbeben oder feindlich«
112 Schul- u.Universitätsnachrr., Befördere u. Ehrenbezeigungen.
Eroberungen eben so den Städten wie den Kunstwerben Verderben
brachten. Diese geschichtlichen Nachrichten bind bis durchs Mittel-
alter hindurchgeführt , überall mit den nüthigen Zeugnissen belegt,
und endlich mit kurzer Erwähnung der Napoleontischen und Elgin-
srhen Statuenräubereien beschlossen. Die beigegebene archäogiaphische
Karte ist eine Schülerzeichnung einer Karte von Europa mit Angabe
einer Anzahl von Städten, in denen sich noch Alterthümer finden oder
Kunstmuseen vorhanden sind. Sie ist zu unvollständig, als dass sie
Werth haben könnte. In den angehängten Schulnachrichten sind unter
Anderem auch die ziemlich zahlreichen Stipendienstiftungen und ande-
ren Beneficien aufgezählt , welche das Gymnasium in Zittau für seine
Schüler besitzt. Sie sind noch im Jahr 1838 durch ein Legat von
2000 Rthlrn. vermehrt worden , dessen Zinsenverwendung dein Er-
messen der Schulcoramission überlassen ist. Im Jahresprogramm von
1838 hat der Director Lindemann eine Dissertatio de Constantina oppido
Africae, cui accedunt imagincs duae lapidis ope exscriptae [33 (29) S.
gr. 4.] herausgegeben, d. h. eine historische, geographische und topo-
graphische Beschreibung dieser Stadt geliefert, so weit sie aus den
Nachrichten der Alten, der arabischen Geographen und einiger neuern
Reisenden, bis auf Marmol und Hozet herab, gegeben werden konnte.
Auch diese Abhandlung zeichnet sich durch reiche und geschickte Zu-
sammenstellung des Materials aus und ist durch zwei Abbildungen der
bei Constantia befind liehen römischen Brücke und des Triumphbogens
verziert. In dem Programm des Jahres 1837 hatte Hr. Lindemann
Emcndationes ad Sophoclis Antigonam ejusdcmquc fabulae interpretatio
teulonica [45 S. gr. 8.] , und ausserdem als Einladungsschriften zu
mehreren Gedächtnissfeiern , welche im Gymnasium durch besondere
Redeacte begangen werden , nachfolgende Abhandlungen herausgege-
ben: Testimonia historicorum Romanorum de morte M. Tullii Ciceronis ex
M. Annaei Senecae Cord. Suasoria VI. [1837. 12 S. 4.] ; Cai Vellci
Patcrculi testimonium de morte M. Tullii Ciceronis Hb. II. 66. [1837.
6. S. 4 .]; Paucu de usu aquae frigidae in re medica apud Veteres, ad
explicandum locum Horatii epist. I. 15, 2. sqq. [1838. 8 S. 4.] , eine Zu-
sammenstellung der Stellen , besonders des Galen und Celsus , wo der
Gebrauch von kaltem Wasser bei Krankheiten empfohlen oder ange-
wendet worden ist. Der Conrector Lachmann hat bei gleichen Gelegen-
heiten als Einladungsschriften geschrieben : De jihilosophia proprie et
y.uz t^oxfjv sie dicenda paucis disseritur [18i»6. 12 S. gr. 8.], und Von
dem Eigentümlichen der Schulzucht , oder Disciplin auf Gelehr tensckulen
oder Gymnasien, zwei Programme. [1838. 12 u. 8 S. 8]; und von dem
Subrector Rückert sind erschienen: Loci Joh. V, 21 — 29. enarratio
[1837. 12 S. gr. 8.], und Ueber den Gebrauch und Nichtgebrauch der
Partikel faev in den paulinischen Rricfen [1839. 16 S. 8.], worin die
früher aufgestellte Behauptung, dass Paulus im Gebrauch der Partikel
filv im Verhältniss zu den nationalgriech. Schriftstellern zu sparsam sei,
ausführlich und einsichtsvoll gerechtfertigt ist. [J>]
uu£ oa) q^ o>^ o^o o^ c^ oj^ oC^ cmo o^J qjo q>o q^ cug o^ o>o q^ o-O ^iJ
» 0%o ovo o^o ovo ^6 ovo oVo ovo ovo ovo ovo ovo ovo ovo ovo ovo ovo ovo ovo a
llfene
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JAHRBÜCHER
1
für
Philologie und Paetlagogtk,
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M
oder
W:
1
Kritische Bibliothek
s
i
für das
Ifc
i
Schul- und Unterrichts wesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
herausgegeben
von
c
Dr. Gottfried Seebode,
är
c°
ML Johann Christian Jahn
W
und
Prof. Reinhold IZlot*.
1
ZEHNTER JAHRGANG.
I
Achtundzwanzigster Band. Erstes Heft.
i
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(Ausgegeben den 25. Januar 1840.)
1
jjgjtä 9(k? SfKl 9l^ 5l(k£ SA? SAP SA? <^° <äi(hf' jao cäg ^i^ uo e^o cao r*o uo ou t|o cj
O ^o ^e ol'o o"o ^to ^a ^io ^» ^b cvo ona o'n ^o cvfe ^Wd ^Wo ^P*> ?Wr> ^>ö ^P*>
vir- Aufgeschnittene und beachmuzte Exemplare werden nicht zurückgenommen.
Inhalt
von des achtundzwanzigsten Bandes erstem Hefte.
|VomProfes-l
sor Schmidt >
in Stettin. }
Franz: Deutsch -griechisches Wörterbuch. . .
Jacobitz und Seiler: Handwörterbuch der griechischen
Sprache. .
Ramshorn : Griechisch-deutsches Handwörterbuch. .
Schneidewin : Delectus poesis Graeorum elegiacae etc. — Vom Di-
rector Dr. Bach in Fulda
Antiphontis orationes XV. Recognovit Maetzner. — Vom Oberlehrer
Dr. Franke in Fulda
Bibliographischer Bericht, vom Oberlehrer und Bibliothekar Dr
Schaumann in Büdingen.
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und Ehrenbezei
gungen
Schaffer: Französ. Lesebuch. .
Curtmann u. Lendroy: Vorschule des franz. Unterrichts
Stieffelius : Cours complet de lecture francaise.
Weckers: Lehrbuch der franz. Sprache. . .
Zweites franz. Lese- u. Uebungsbuch für Kinder von C,
Courtin : Vie et aventures de Robinson Crusoe par Daniel
de Foe
Manitius: Choix de lectures francaises. Cours I. et. II,
Les aventures de Telemaque par F^nölon, avec la tradu
ction allemande en regard
Ahn: Französ. Lesebuch. . .
L'art poetique par Boileau-Despreaux, avec des 6claircis
sements par Genthe
Riecken: Anweisung zum französ. Lesen.)
Genthe: Die richtige französ. Aussprache.'
Heyne : Universalgrammatik der franz. Sprache.»
Heyne: Französ. Grammatik für Anfänger, f
Bettinger: Vollständ. Lehrbuch der franz. Sprache.
Lange: Theoretisch-prakt. franz. Grammatik.
Auer: Theoretisch-prakt. franz. Sprachlehre.
Das Nothwendigste aus der Formenlehre der franz. Sprache
Beauval: Gespräche für das gesellige Leben.
7/e : Der kleine Französ. .
S.
Stehr: Anleitung zum Uebersetzen aus d. Deutsch, ins
Franz. 2. Aufl. von de Brey S. 96
Vaillez : Praktische Lieblingen zur leichten und schnellen
Erlernung der franz, Sprache - 96
Frege : Schulgrammatik der franz. Sprache. . . . - 96 — 97
Nouvelle bibliotheque de classiques frangais. Paris, Le-
cointe et Pougin . - 97
Neues franz. Lesebuch herausgegeben von prakt. Schul-
männern. . • 97 — 98
Frotscher: Dritte und vierte Nachricht vom Gvmn. in
Annaberg . . . - 98 — 99
Frotscher: Observatt. crit. in quosdam locos Bruti Cicer. - 99
Müller; Brevis disputatio de memoriae exercitatione etc. - 100
Löschke: Vom Gebrauche u. Unterschiede der lat. Par-
tikeln Nisi und Si non. - 100
Heidbreede: Disputatio de Senecae Consolat. ad Marciam. - 101
Müller : Das Söldnerwesen in den ersten Zeiten des dreis-
sigjährigen Krieges. ....... 101 — 102
IVimmer: Observationes Livianae - 102 — 103
Schmidt: Dissertatio crit. de Aristot. nsgi tpv6. aHQOcio.
III. 1 - lOi
Babel : Tabellar. Uebersicht der deutsch.Literaturgeschichte. - 104 — J 05
Fritschii Commentatio de orig. et indole Progymnas-
matum rhetoricorum. 105 — 106
Hinke : Die Zeitwörter der latein. dritten Conjugation in
ihren Perfectformen - 107
Knebel: Meletematum Aristot. spec. I - 108
Heller: Geschichte der Lübeckischen Gesellschaft zur
Beförderung gemeinnütziger Thätigkeit. . . . - 108
Deecke: Grundlinien zur Geschichte Lübecks. . . - 108
Steinhaus: Ueber die Berechnung achromat. Doppelob-
jeetive . . . , . .... . - HO
Andenken an den Höchstseel. H. H. Wilhelm Herzog zu
Nassau " . . - 110
Dölling: Zweite Sylve des Statius übersetzt. . . - Hl
Lindemann: De interitu operum artis stat. apud veteres. - 111 — 112
Lindemann : Dissertatio de Constantina oppido Africae. - 112
Lindemann ; Emendationes ad Sophoclis Antigonam. . - 112
Zittauer Schulprogramme - 112
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fc? 1<b? ^ik? 9k^
o^Pb tfVS 0W0 <3V5 0V6 äV6 0V6 0V6 ö^
Leipzig.
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
1S40.
Hfcue
JÄHRBÜCHER
für
Philologie und Pacdagogik ,
oder
Kritische MiMiothele
für das
Scliul- und Unterrichts wesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
herausgegeben
von
»r. Gottfried Seehode,
ME. Johann Christian Jahn
und
Prof. Meinhoia Mlotx.
ZEHNTER JAHRGANG.
Acht und zwanzigster Band. Zweites Heft
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner*
1840.
Kritische Beurtheilungen.
1. Lateinische S chttl gr ammatik für die unteren Klassen
von J. R. Köne , Dr. der Phil, und Lehrer am Gymn. zu Münster.
Münster 1834. 8.
2. Lateinische Sc hui gr ammatik. Von L. Bis hoff, Prof.
und Gyronasialdirector. Wesel, Becker'sche Buchhandlung-, 1838,
VIII u. 368 S. gr. 8.
3. Lateinische S chulgr ammatik für die untern Gymna-
sialklassen. Nebst Uebungsbeispielen zum Uehersetzen ins Latei-
nische und einem Lesebuche. Von F. W. Burchard, Professor am
Gymnasium zu Minden. 4. Aufl. Berlin, Schultze. 1838. VIII und
415 S. gr. 8.
4. Vorschule zu dem lateinischen Sprachunter-
richt für die ersten Anfänger v. etc. Bagge. Dritte verb. Aufl,
von Dr. Ed. Geist , Gymnasiallehrer zu Darmstadt. Coburg, Mensel
und Sohn. 1837. XVI u. 136 S. gr. 8.
5. Theoretisch ~ praktische Vorschule zu einer
wissenschaftlichen Auffassung der lateini-
schen Sprache. Ein Elementarbuch nach strenger Stufen-
folge von Chr. Fr. M. Ludwig. 2. Cursus. Leipzig und Kassel,
Fischer. 183T. 8.
6. Praktische Anleitung zum Uehersetzen aus
dem D eutschen ins Lateinische mit besonderer
Rücksicht auf die Zunapt'sche Grammatik für die mittleren Klassen
höherer Lehranstalten bearbeitet von Dr. E. F. August, Prof. und
Dhcctor etc. 4. Aufl. Berlin. 1836. 8.
Uurch die den Gymnasien gemachten Vorwürfe, dass sie Geist
und Körper verkrüppelten, muss der Blick eines jeden Lehrers,
der sich durch solche Aufregungen zum Nachdenken anregen
lässt, auch besonders auf die Schulbücher und deren Zweckmäs-
sigkeit hingelenkt werden. So sind Schulgrammatiken unsers Er-
8*
X IG Lateinische Sprachlehre.
achtens der Schule schädlich oder doch minder nützlich , wenn sie
a) grammatisch Unrichtiges oder dem Sinne nach Leeres und Un-
verständliches mittheilen; wenn sie b) für die beabsichtigte Stufe
au viel oder zu wenig lehren , und wenn c) die Methode der Mit-
theilung oder Einübung verfehlt ist. Man sieht, dass die ersten
beiden Punkte den Stoff, der dritte die Form betrifft, und nach
diesen drei Rücksichten wollen wir denn über die oben aufgeführ-
ten Bücher unser Urtheil unparteiisch abgeben, wobei wir im
voraus erklären, dass uns kein Fleckchen in einem Schulbuche
unbedeutend scheint und zwar um desto weniger, wenn es für die
unteren Stufen ist. Wenn wir aber bei lateinischen Schulbüchern
von Unrichtigem sprechen , so haben wir offenbar unklassische
Latinität im Auge, über deren Begriff wir auf Krebs' Antibarh.
S. 9. verweisen. Und hier freuen wir uns, der unter 1. aufge-
führten Grammatik, die nach unserer Meinung längst sorgfälti-
gere Anerkennung verdient hätte, wenig Vorwürfe machen zu
können. Der Hr. Verfasser bekennt in der Vorrede, dass man
den poetischen Sprachgebrauch mit dem prosaischen nicht ver-
mengen dürfe, und dass bei Beispielen aus späteren unklassi-
schen Schriftstellern eine scharfe Sichtung des Unklassischen
vom Klassischen müsse vorgenommen werden , dass endlich die
Beispiele nicht solche Fälle enthalten dürften, welche erst
durch spätere Hegeln erläutert wären, und dass sie einen gan-
zen Gedanken, der Gehalt für Verstand oder Heiz habe, ent-
halten müssten. Wir lassen nun unsere Bedenken und unsern
diesfallsigen Tadel folgen. Der Verf. dringt darauf, dass man
bei der Aussprache die Länge und Kürze der Silben bemerklich
mache (S. 6.); was bei uns besonders Noth thut, da wir häufig
homines, pöpulos sagen. Die Alten thaten es nicht, wie zum
Ueberflusse aus Sueton. Ner. 33. hervorgeht, wo mörari und ?no-
rari scharf unterschieden werden. Dennoch bezeichnet derselbe
den Accent immer mit , z. B. S. 5. rüs, iüs, ebenso wie et, tot,
was wenigstens zu Missverständnissen Anlass giebt; man braucht
ja nun einmal das Zeichen ". § 21. werden als Wörter mit der
Dativendung abus angegeben : domina, füia, socia, dea, famula^
serva, liberta, anima, equa, asina, mida, natu ; der Hr. Verf.
wird sie wahrscheinlich jetzt selbst streichen bis auf dea u. filia;
eben so thäte man wohl besser, von den Wörtern auf ubus
(4. Decl.) fiens wenigstens auszuscheiden. Unter die subst. gen.
comm. sind § 35. die uns noch zweifelhaften prineeps und exul
gerechnet, auch S. 38. praeses, wogegen testis, augur, incola,
parens, munieeps, par, iuvenis, martyr, infans, obses, praesul
fehlen. Dass exul in Appos. zu fem. steht, wie Senec. Med. 486. ;
Claud. r. Pros. 2, 258.; Tac. ann. 14, 63., beweist nicht genug;
ähnlich ist's wohl mit prineeps, wie auch für auspex die Stelle
bei Claud. in Ruf. 1, 83.: hac auspice (vergl. Sen. Med. 68.:
auspice dextra; Tr. 861.: auspice Helena) Nichts beweist. Wir
Latein. Schulgranmiatiken von Köae und Bi&choff. 117
wollen übrigens auch den hier ausgelassenen Wörtern eben so
wenig, als allen aufgenommenen das Wort reden, wir möchten
Vielmehr fragen, was es für den klassischen Sprachgebrauch ent-
scheide, wenn späte Schriftsteller, gar Dichter einmal ein sol-
cbes Wort als fem. gebraucht haben, und weshalb wir unsere
Schüler schon auf den unteren Klassen oder auch überhaupt
solches lernen lassen. Rec. ist vielmehr der entschiedenen Mei-
nung, dass aus unseren lateinischen Grammatiken besonders für
die unteren Klassen noch Manches heraus imiss, was bis jetzt
als verjährte lieber lief er ung immer von neuem aufgenommen
wird. — JJicis causa S. 34. wird wohl nach Klotz (Jahrbücher
Bd. 23. Hit. 2. S. 210.) = Öixqg %d(jiv heisseu : „für den Fall,
dass man sich einem richterlichen Ausspruche zu unterwerfen hat,
d. i. für den äusserstenFall"; §48. Anm.2. über dives wird dilior,
ditissimus zu streichen sein, da ja ditior von dis kömmt und die
längeren Formen nach Zumpt bei Cicero gebräuchlicher sind;
auch wird wohl der Genitiv von cornu — cornus heissen müssen,
obwohl Plin. h. n. 11, 103. genu utriusque steht. Auch piissimus
S. 47., oetodeeim S. 54., sextuplex, sextuplus und vielleicht
noch andere Zahlwörter dieser Art wünschten wir gestrichen und
posierus , inferus, superus S. 47. wenigstens eingeklammert als
im nom. gen. masc. wohl nicht bei Klassikern vorkommend. Für
deeimus tertius . . . septimus, dec. oetavus, d. nonus wird
tertius.... deeimus, duodevicesimus, undev. zu schreiben sein,
und Zumpt sagt ungenau S. 115., dass deeimus tertius und tertius
et deeimus gestattet seien, wenn er nicht mehr Auktorität für
diese Formen weiss, als wir, d. i. Sext. Aur. Victor de Caes. 12.
'mause sexto ac deeimo), der auch ib. 10. anno imperii oetavo
deeimoque hat; Gell. 18, 2. und ähnliche Gewährsmänner. Wör-
ter wie fusticulus S. 22., ditesco S. 96., dilueulat S. 93. fehlten
besser ganz, da sie zu geringe Auktorität zu haben scheinen, ob-
gleich man allerdings im Gebrauch späterer, aber analog gebilde-
ter Wörter zu bedenklich sein kann. § 61. Anm. hiesse es rich-
tiger, nach s», nisi, ne, num und nach dem relat. Pronomen,
wie auch nach quum und ubi setze man gewöhnlich quis etc., nicht
uliquis, oder besser, qnis etc. sei das unbestimmte tonlose, ali-
quis das bestimmtere betonte Pronomen, und jenes stehe deshalb
besonders nach si etc. Vgl. Grysar's Theorie des lat. Stils S. 90.,
Zumpt § 708. Im Deutschen will man uns dieses toelcher, was
nehmen, und unsere Sprachlehrer befehlen, welcher etc. solle
in diesem Sinne nur in der Volkssprache, nicht in der Schrift
spräche gebraucht werden ; Durchard S. 177. ; ähnlich Becker in
seiner deutschen Sprachl. § 155. Anm. 1. über wer und was, wo
er aus Schiller anführt: „Da schien sie mir was Höh 'res zu be-
dcllten(•'•; aber es giebt ja auch in der Schriftsprache, nie Becker
richtig anzudeuten scheint, eine sogenannte Volkssprache. Aehn-
lich steht im Gocthe'schen Faust (Okt. 1828.) S. 29.: tvas recht's,
118 Lateinische Sprachlehre.
S. 30: ivas lehren, S. 37: ivaszu sagen, S. 39: die ivas davon
erkannt (haben), S. 66: Schon warnt mich ivas u. s. wr. und das
zum Tlieile, wo Faust recht gelehrt spricht; Claudius gebraucht
was in diesem Sinne oft, auch Wieland und Jean Paul wohl, der
Schoppe Tit. B. 4. S. 437. sagen lässt: Ist so/ist was an ihnen,
und von A. W. Schlegel führt Götzinger (deutsche Sprachlehre
§ 176.) an: Ich glaube so sehr als irgend wer ein Feind des
Mqnierirten zu sein, sowie er § 172. Beispiele für das unbest.
welcher aus Lessing, Lichtenberg, Engel, Müllner etc. anführt.
Mögen also die Grammatiker verbieten; wollen uns ja tvelche gar
Manches aufbürden und verbieten; ich denke, wir gebrauchen
die genannten Wörter besonders in der leichtern Schreibweise,
zumal da wir ausser dem lateinischen guis, quid auch die Analo-
gie des griechischen rig, jroöog etc. , des deutschen ivo, ivie etc.
(vrgl. der = welcher , nt =; *W?'**) für uns haben. Yergl. auch
Grimm (D. Gr. 3. S. 87.) und besonders Wiilliier (Cas. und Modi
S. 126.). Wem gefällt nicht das herrliche Lied von Claudius:
Kommt Rinder , wischt die Augen aus, Es giebt hier was zu
sehen! ... — Drum muss wer sein, der an der Hand u. s. w.
S. 60. liest man , der Coni. fut. ex. gleiche dem Coni. plusq., und
der Hr. Verf. hat überall dem fut. ex. in den Paradigmen diesen
coni. zugetheilt. Wir können das nicht billigen, denn der coni.
perf. kann eben so gut die Stelle des coni. fut. ex. vertreten, wie
dieses dann vom Veibum des regierenden Satzes abhängt. Caes.
b. G. 1, 17. heisst es: Si tarn prineipatum Galliae (Aedui) obti-
■nere non possint, Gallorum, quam Roma?iorum imperia per-
ferre satius esse neque dubitare^ quin, si Ilelvetios super ave-
rint Romani, una cum reliqua Gallia ^"-äuis libertatem sint
erepturi, — wo doch super averint augenscheinlich der coni. fut.
ex. ist, aber die Rede von Liscus proponit abhängt. — S. 91.
ist fatus , gesagt , S. 95. scitur (Cic. de or. 2, 7.) und speratur
als unpers. (Caes. b. c. 3, 6.); S. 104. wohl furui und nachZumpt
selbst furo als erste Person, S. 113. vasi, vasum zu ändern oder
zu streichen , wie auch wohl S. 108. parsi, vaicitum und S. 105.
glupsi, — wie S. 127. circu.m von der Beziehung auf Zeit auszu-
schliessen ist; auch sollte S. 100. bibo, bibi wegen des einzuklam-
mernden bibitum nicht fehlen, weil die vom Sup. abgeleiteten
Formen in der etwa gültigen Latinität wohl nicht vorkommen, was
auch für Zumpts Gr. Kap. 48. zu merken ist. S. 190. ist der Acc.
der Sache bei moneo, admoneo, commoneo auf neutr. pron. und
adi. zu beschränken, bei denen nicht allein die latein. , sondern
auch unsere Sprache mehr erlaubt , z. B. Jean Paul (Titan B. 3.
S. 223. Berlin 1800. Matzdorft *): Das mussle er sich immer
erinnern; S. 287.: Das frage Ilabetten über ihn; Lenau (nächt-
liche Wanderung) : Ihr bleiches Antlitz bittet mich, Was mich
*) Titan i*t auch im Folgenden überall gemeint.
Latein. Scliulgranimatikcn von Köne und Bisdboff. 119
ihr süsser Mund so zärtlich bat und feierlich In ihrer Sterbe-
stund'. — S. 215. (auch bei Zumpt § 497.) ist ante hos tres
menses, welches für abhinc tribus mensibus stehen könnte, als
dichterisch zu bezeichnen oder besser ganz zu streichen. S. 178.
ist von Apposition die Rede, aber wir können wahrlich in einigen
der dort gegebenen Beispiele keine finden, wie in iustitia est
ilomina et regina omnium virtutum ; pietas est fundamentum
omniuin virtutum; oratio est moderatrix humanae societatis.
Interdico ist S'. 200. nicht genau bestimmt, da nicht int. aliquem
aliqua re> sondern alicui al. re gesagt wird, und S. 191. heisst
es zu beschränkend, das durch Zahlen bezeichnete Maass des
VVerthes stehe im Abi., da der Verf. selbst S. 213. Ablative dieser
Art ohne Zahlzusatz giebt. In dem Satze: Laiini coronam au-
ream Iovi donum mitlunt S. 201. ist nach unserer Ansicht keine
Apposition, und das Supinum auf u hat keine passive Bedeu-
tung (S. 207.). S. unsere Rec. von Zumpts Gramm, in Bd. 24.
H. 2. dieser Jahrbücher. — Dass refertus mit dem Genitiv der
Person und dem Ablativ der Sache verbunden werde (S. 186.),
lässt wenigstens Ausnahmen zu, wie denn z. B. Cic. Phil. 2, 27.:
domus erat aleatoribus referta; or. 41.: invidos , quibus re-
ferta sunt omnia; pro r. Deiot. 12.: armatis militibus referium
forum steht, obgleich Cic. de or. 2, 87.; Font. 1, 1.; Plane. 41,
08.; Att. 8, 1.; 1. Man. 11. sich bei Personennamen der Genitiv
findet. Auch die Regel S. 213., dass die Ortsbenennungen bei
allen Verben, welche ein Sein oder Geschehen an diesem Orte
bezeiebnen, ohne die Präposition in ständen, wenn der Ortsname
ein Adi. bei sich habe, ist nicht vorsichtig genug ausgedrückt,
obwohl eine Anmerkung sagt, dass in oft zur genaueren Bezeich-
nung hinzugefügt werde. Wir möchten nämlich glauben, dass
eben diese genauere Bezeicbnung mit in häufiger sei, und
Zumpt § 482. bezeichnet gerade die Auslassung der Präposition
in als Eigenthümlichkeit der Dichter und Prosaiker des silbernen
Zeitalters. Vacare findet man noch so häufig in den Grammat.
in der Bedeutung obliegend einer Sache, die dann im Dat. stände,
auch hier S. 224. und bei Zumpt §406. Grysar und Krebs warnen
davor mit Berufung auf Ilottinger zu Cic. div. 1, 6. In der Tbat
beweiset diese Stelle die Bedeutung nicht (vgl. Cic. de or. 3, 11.),
und unsere Grammatiker sollten daher bemerken, dass vap. in
solchem Sinne unklassisch ist — bei (juint., Suet., Sencea u. A.
— oder es vielmehr auslassen, denn in dem Sinne freie Zeit hü-
ben für Etwas braucht es nicht erwähnt zu werden. S. 27"). wird
bei dein recht klar und vollständig behandelten pron. refl. gesagt}
in iNebensälzen , die ein Objekt enthalten (soll heissen : die Ob-
jekt sind), beziehe sich ein Rellex. auf das Subj. des Hauptsatzes
(regierenden Satzes), liier ist an Fragesätze gedacht, wie, das
Beispiel bezeugt: slriovistus legalos inlerrogarit , quid ad se
venire/U; aber in der Satzverbindung: Was ich ihnen zugefügt
120 Lateinische Sprachlehre.
habe, haben ßie mir verziehen, ist der erste Satz Objekt, und
doch dürfte kein Refl. stehen. Auskunft über Beispiele, wie Ar-
gi/io in stispicionem venu, aliquid in epistola de se esse scri-
ptum , fehlt. Von geringerer Bedeutung ist, dass §42. die Ue-
berschrift nicht passt ; dass S. 50. neben 1000 auch millia steht
und § 97, 2. angemerkt sein sollte , neutr. pron. würden nur im
INom. und Acc. mit einem Genitiv verbunden; dass S. 238. quo
durch „damit dadurch, damit desto" und entsprechend quo minus
zu übersetzen wäre, trotz dem, dass quo = damit ganz getreu
verdollmetscht ist; dass man S. 23. Anm. verbessern müsse, die
Wörter auf is und es hätten iura , wenn sie im Genitiv mit dem
Nomin. gleichvielsilbig sind , wo Anm. 1. c trotz Aeneis, Chalcis
für die untern Classen genug ist. So erkennt man auch Druck-
fehler leicht, z. B. proclivae S. 195., fateter S. 203., das. ae-
quipare für aequiparare ; Socrates statt Sophocles a filiis in iu-
dicium vocatus est und amititur S. 216. für amitt.; aequatate
für aequitate S. 217.; S. 105. L. 6. Activa f. T/ansitiva ; S. 219.
Cratam für Cretam; S. 255. miritae für meritae ; S. 289. volue-
rit für valuerit; S. 294. mehrere andere für mehreren andern;
5. 296. senato für sanato, diffuit für diffluit. Die zur Uebung
in genügender Anzahl gegebenen Beispiele sind sorgfältig gewählt
und vereinigen bis auf einige Fälle klassische Latinität mit gedie-
genem Inhalte. Die Schriftsteller, aus denen sie genommen wur-
den, sind mit Recht nicht angeführt, wie das denn auch in kei-
nem der hier zu beurtheilenden Bücher fast geschehen ist. S. 218.
steht der Satz; August us Nolae vitam finivit , wo wir das v. f.
für unklar halten statt e oder de vita decedere , v. ponere, amit-
tere. S. 257. ist über das Particip des Fut. auch das Beispiel aus
Plin. h. n. 10, 31. (ed ster. Tauchn.) gewählt: Ciconiae abiturae
congregantur in certo loco. Aber im Aktiv sagt selbst Plin. h. n.
6, 30. : Macedones Mesopotamiam in urbes congregavere und
Cicero schreibt de or. 1, 8, 33.: dispersos homines unum in lo-
cum congregare ; Phil. 14, 6.: cives unum se in locum ad cu-
riam congregabant. So möchte auch oben wohl classisch c. in
certum locum zu schreiben sein. Im Deutschen gebrauchen wir
den Dativ mit in\ an; sagen: bei der Curie (ad c), hier (huc),
irgendwo sich versammeln oder Andere versammeln , z. B. Schil-
ler (Abfall d. v. Nicderl. Ausg. im 1 B. 1834): Philipp führte die
neue Regentin nach Gent, wo die Generalstaaten waren versam-
melt worden, S. 809. 2. Spalte; die Verbundenen versammeln
sich im Kuilemburgischen Hause, das. 839, 14.; Herzog Bernhard
hatte die Trümmer der geschlagenen Armee in der Wettcrau ver-
sammelt, S. 1015, 2.; da versammelten sich die Hohenpriester
und Schriftgelehrten in dem Palaste des hohen Priesters , Luth.
Bibelübers. Matth. 26, 3. (Vulg. : congregati sunt in airiinn;
congregavenint ad eum Universum cohorlem , 27, 27.) ; Es
Latein. Schulgrammatiken von Köne und Bischoff. 121
\üird' umsonst gewesen sein diese Menschen zu bitten, sich in ei-
ner Kirche zu versammeln, Stollberg's Leben des h. Vincentius
von Paula (Wien 1819) S. 141. — Doch sagt Luden (Gesch. des
teut. Volks) B. 5. S. 357. : Karl versammelte einen Reichstag nach
Ingelheim; Luther: Sie führten ihn zu dem Hohenpriester Caiph.,
dahin die Schriftgelehrten und Aeltesten sich versammelt hatten,
(das. 26, 57. Vulg. tibi (statt quo) convenerant)\ sie versammel-
ten sich gen Jerusalem (Apg. 4, 5.), zum Könige (1. Kön. 8, 2.),
Schiller S. 1010, 2.: die Trümmer der Armee versammeln sich
wieder unter seine Fahnen und häufig steht: Kohlen auf sein
Haupt sammeln, Luther (Rom, 12, 20., Vulg. carbones congeres
super caput eins), Kind's Gedicht, der Friedenstifter, Lessing's
Nathan d. W. 4, 6. Vrgl. Kram. 3, 51. : Dein Alter wird sein wie
eine volle Garbe, die man mit Freuden in die Scheune sammelt.
— Man sieht übrigens, wie leicht bei dieser verschiedenen Kon-
strnktionsweise der Anfänger in seiner Uebersetzung fehlen kann,
und dass es rathsara ist, in der lateinischen Grammatik darauf
aufmerksam zu machen. Können wir dieses gleich der Grammat.
unsers Hrn. Verf. nach ihrem Standpunkte nicht zumuthen, so
dürfte doch vielleicht in der Zumpt'schen ein Fingerzeig nicht
fehlen, und wir haben bereits a. a. O. Jahrb. S. 206. darauf auf-
merksam gemacht. Als Nachtrag hierzu erlauben wir uns, da
wir noch in keiner Grammatik ausser einigen trefflichen von uns
wohl meist angeführten Erinnerungen in Krebs Antibarb. eine Zu-
sammenstellung solcher Verba gefunden haben, die nachfolgenden
Bemerkungen. Wir finden dazu desto mehr Veranlassung, da wir
in unserer folgenden Beurtheilung noch ein oder das andere Mal
darauf verweisen müssen und gar im Lex. von Forcellini bei con-
venticulum steht: locus, tibi homitws conveniunt. Die deut-
schen Beispiele haben wir absichtlich ausführlich hinzugefügt,
nicht allein, um den abweichenden Sprachgebrauch nachzuweisen,
weil die Anführung in latein. Gr. unnöthig ist, wenn der deutsche
Sprachgebrauch mit dem lateinischen übereinstimmt, sondern
auch, um unsere deutschen Grammatiker zu veranlassen, solche
Konstructionen zu erwähnen. Ist doch, wie man leicht aus Er-
fahrung sich überzeugen kann, Mancher ungewiss, ob er richtig
sage: Sie trugen das Gepäck an einem Orte zusammen, oder, an
einen Ort u. s. w. Dass Kegeln, man müsse auf die P'rage wohin
den Acc. setzen und auf die Frage wo den Dativ, hier nicht aus-
helfen, ist leicht einzusehen, da es sich eben darum handelt, ob
man wo oder wohin fragen müsse. Uebrigeus begreift man leicht,
dass philosoph. genommen bei versammeln, zusammenkommen, —
häufen, — briugen, — führen etc., einkehren etc. sowohl der Dat. als
der Acc. möglich ist, da ich hier sowohl den Fortschritt der Hand-
lung, als die Vollendung derselben ins Auge fassen kann. Es
fragt sich also nur, wie eben wir Deutschen, d. h. unsere stimm-
122 Lateinische S p r ach lehre.
gebenden Scliriftsteller anschauen *). Es scliliessen sich aber an
congregare an: constipare , coacervare , conglobare, conden-
sare, cumulare , colligere, compellerc, coniieere und das schon
von Krebs erläuterte cogere. Vergl. Ne conslipari quidem tan-
*) Ueberhaupt sollte man bei manchen sprachlichen Fragen mehr
geschichtlich zu Werke gehen, wenn einmal ausgemacht ist, dass die
Anschauung von vorn herein verschieden sein könne. So sagt Burchard
(Deutsche Sp. S. 188.) , da, wo persönlichen Ohjckten eines aktiven
Verbs ein Gegenstand (der auch Theil des Objekts sein könne), auf
welchen die Thätigkeit des Verbs gerichtet sei, durch eine Präpos. hin-
zugefügt werde, schiene ihm nur der Dativ der Person richtig zu sein,
weil die Person als Objekt in diesen Ausdrücken in den Hintergrund
trete und eben die Richtung der Thätigkeit der HauptbegriiT sei. Da
aber auch hier beiden Konstructioneu eine richtige Anschauung zu
Grunde liegt , so können wir immerhin beide gebrauchen. Wir rech-
nen übrigens den Acc. in solchen Fallen mehr der Phantasie, den Da-
tiv mehr dem Verstände zu ; beide kommen aber bei Sprachbildung in
Betracht, bei dem einen Volke mehr diese, bei dem andern mehr jene
Geisteskraft. Wir sagen nun : „Die Republik ist in's Herz gestossen",
Schiller 159,1.; „was zerrst du mich am Mantel?" 1C-1,2. ; „sie schlu-
gen ihn in's Angesicht", Luther Matth. 26, 67.; Luk. 12, 64.; derselbe
soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen'',
l.Mos. 3,15.; „lass mich dir in die Augen sehen", Goethe, Eg. S. 237. ;
Sionerius: „An sin kelen und an sin muht Kust ez in zu aller stunt'*
(Budde's Chrest.) ; „den traf der Tod in's Herz" Lhld. (Schlacht bei
Reutlingen); „doch Roland in das Knie Hin stach (Roland Schildträger);
„unsere Schriftsteller am Aermel zupfen", Claudius (Vorr.3. B. 6. Tbl.).
Freilich werden manche Redensarten so stehend, dass man ohne Belei-
digung des Sprachgefühls keinen andern Kasus setzen darf. So werden
wir wohl immer sagen: ,,lch sehe dir auf die Finger", nie „dich", was
sich freilich aus dem Sinne leicht rechtfertigt. — > Solche stellend ge-
wordenen Anschauungen muss dann die Gramm, aufzeichnen. Auch in
andern Fällen, z. B. bei den Verben „vorübergehen, vorbeigehen'' muss
die Frage auf ähnlichem Wege entschieden werden. Dass wir da Priip.
%, \i. an, bei, vor, mit dem Dativ brauchen können , unterliegt keinem
Zweifel. Dass wir uns aber auch das zusammengesetzte Verbuni als
ein Trans, denken können, ist eben so entschieden. So sagt denn KIop-
stock in seiner Messiade 4, 1054. : „Er ging viel hohe Paläste prächti-
ger Sünder vorbei"; 7, 775.: „Der Cherub, welcher in Gosem vordem
die Hütten schonend vorbei ging"; Stollberg a. a. O. S. 131. : „Ich bin
viele Woblthaten vorbeigegangen; S. 132.: „Der (?) Bündel, dem sie
vorbeigegangen waren"; Platen: „Ach, wer hätte nicht zuweilen jenes
Vorgebirg umschifft; ja vor Allen fährt die Liebe diesen Klippenweg
vorbei" (Rom. Oed.); „als mich in später Dämmerung einst der Weg
an diesem Baum vorüberführtc", Schiller (J. v. O. S. 460, 1.); „er eilte
den Berg herab", J. P. (Tit. 4, S. 371.).
Latein. SchulgrammatSkcn von Köne und Bisclioff. 123
tum mtmerum hominum posse in agrum Campanum intellige-
tis (zusammengedrängt werden auf dem ) Cic. agr. 2, 29.;
anders gedacht ist's bei Caes. b. G. 5, 43.: Milites se sub ipso
rallo constipaverant recessumque pn'mis ullimi non dabant. —
Oves se congregant ac condensant in unum locum,
Yarr. r. r, 2, 3. ■ — Fusi hostes in ultimum castrorum partem
conglobantur , Liv. 10, 5.; dagegen Tac. ann. 14, 32.: templum,
in quo se miles conglobaverat, biduo obsessum expugnatumque.
Ciimnlatis in aqnas sarcinis, Liv. 22, 2. — „im Wasser aufge-
häuft" und vergl. Curt. 4, 16. — Q. Cic de pet. cons. 14 : colli-
gere in unum loctim. — Magnus quidam vir et sapiens dis-
persos homines in agris et in tectis silvestribus abditos ratione
qua dam compulit unum in locnm et congregavjt. Cic. inv.
1, 2.; vgl. Suet. Vit. 15. — Videtis cives Romanos gregatim
coniectos in lautumias , Cic. Verr. 5, 57. ; midieres in cum lo-
cum coniecisse (da zusammengestellt), quo (wo) propler pa In-
des exercitui aditus non esset (Zugang hätte), Caes. b. G. 2, 16.
— Coacervare aber muss auf die Frage wo verbunden werden,
obgleich es Caes. de b. Afr. 91. heisst: Omnibus rebus eo coa-
cervatis, denn Cic. Verr. 5, 57. sagt: Videtis indig?u'ssimo in
loco coacervatam multitudinem veslrorum civium; Cic. Rose.
Am. 46.: quantum coacervari una in domo potuit. Vgl. coar-
etare u. coaretalio (de b. Alex. 74). Ueber cogere s. Cic. ad fam.
15, 4, 2. und Krebs. Dasselbe gilt übrigens über conciere, z. B.
vbscuram atque humilem conciendo ad se multitudinem , Liv.
1, 8. „bei sich". — Bei convolvere z. B. I .in. h. n. 8, 56.: He-
rinacei convolvuniur in formam pilae, sagen wir sicher: „wälzen,
sich zusammen in die Gestalt"; aber auch wohl „in der Gestalt".
— Zu der fakt. Bedeutung gehören auch Fügungen wie: ,. Fasset
ihr nicht, dass diese schöne Seele eben jetzt ihre reichen Flam-
men zertheilt für alle Schwesterherzen, bis die Liebe sie zusam-
mendrängt in eine Sonne4?" J. P, 2,99. Wir verbinden auch mit
zusammenkommen den Ort auf die Frage wo? „Hier (huc) kom-
men wir alle zusammen, um Gnade von dem zu erflehen, der
unsere Herzen erforscht1' (Schleiermachers Pred. über Ps. 26,8.);
v. Kleist (der gelähmte Kranich): „Als am Gestad' ein Heer von
Kranichen zusammenham" ; Luther (Joh. 18, 20.): „Ich habe alle-
zeit gelehret in der Schule und in dem Tempel, da alle Juden
zusammenkommen" (Vulg. quo cönveniunt) ; „sie kamen zusam-
men in das Thal Siddim", Luth. 1 Mos. 1, 43.; „habe ich nicht
heute um eine Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten'?" Less.
Em. G. 4, 3. Den latein. Sprachgebrauch giebt Krebs schon an,
Cic. Att. 1, 16, 22 ; Caes. b G. 1, 30. anführend. Vergl. noch
Liv. 24, 22.; Brut, in Cic. fam. 11, 1. : Quem in locum convenira
possimus , quo me velilis venire rescribite; Pomp, in Cic. Att.
8, 6.; Caes. b. G. 4, 19.; 6, 13. (huc omnes undique 6anveniunt)$
1, 6. (ad ripam lihodani c); conventus ad Laidem celebres
124 Lateinische Sprachlehre.
crant — „bei clerLais", Gell. 1,8. u. s.w. Andersist'smitCic. fam.
3,8,6. Wenn aberZumpt § 563. unentschieden lässt, ob die Lesart
Cic. fam. 9, 14. : sunt enim perm. opt. viri, qui in haecloca veniant,
oder Att. 14, 17. : qui in his locis convenianl^ vorzuziehen sei, so ent-
scheiden wir uns wenigstens in Betreff der Worte inh. /.für die erste
Lesart, weil das letzte gegen den entschiedenen Sprachgebrauch
wäre. So sind Stellen wieep. ad Brut. 6. : In Macedouia congredie-
mur, vielleicht gerade zur Verdächtigung geeignet. — Coire, com-
meare (Cic. pro lege Man. 18.) haben wir schon früher erwähnt
in den Jahrb.; über coetus s. Krebs, der Tac. ann. 4, 41. coelus
in domum anführt. Auch über devertere stellt Krebs den latein.
Sprachgebrauch fest. Belege geben die Lexika: dev.in villam,
ad caupojiem , ad Albanum (Landgut) , eo , quo u. s. w. Zur
Feststellung des deutschen Sprachgebrauchs Folgendes: „Zu Hir-
schau bei dem Abte, da kehrt der ilitter ein, und trinkt bei
Orgelschalle den kühlen Klosterwein", Uhland (der Ueberfall im
Wildbad); „Der Storch, die Schwalbe und die Blindschleiche
dürfen frei bei euch einkehren, — warum verfolgt ihr denn die
Natter, den Hühnergeier und den Marder?" Krummacher 1,23.;
„röthlich kommt der Morgenschein, und es kehrt der Abend-
schimmer traulich bei dem Bilde ej//", Lenau (die Wurmlinger
Kapelle); „Zeuch (Venus) mit deinen Schwänen, zeuch bei mir
nicht sieghaft ei«", Uz (der Tabaksraucher); dagegen: ,,Den wei-
sen Mann liebten alle Menschen und baten ihn einzukehren in
ihre Wohnungen", Krummacher 1, 3. ; „kehrt ein zum Hause eu-
res Knechtes", Luth. 1 Moses 19, 2.; „sie kehrten ein zum Kim-
ham zur Herberge, der bei Bethlehem wohnte", Luth. Jer. 41, 17;
„dicht am Strande, schmuck und wirthlich, winkt der Gasthof
mit dem Schilde dreier Lilien, einzukehren zu dem schönen En-
gelsbilde", Lenau (der selige Abend) ; „als diese Nonnen in ihr
Haus einzogen, ging die Königin mit lodernder Fackel in der
Hand in deren Kirche", Stollberg (V. v. P. S. 130.); „Karl wird
königlich einziehen zu Paris", Schiller S. 471, 2. — J. v. Orl.). —
Uebcr die.Konstr. von landen kann kein Zweifel sein, z. B. „Fast
landen wir im Hafen, da brach ein Wetter los", Kind (die Wahr-
sagung); „nahe jener busenreichen Küste, an welcher geizig-
verschmitzte Europäer landen", Herder (Ideen etc. über Indostan);
„denn wo ich auch gelegt mein Fahrzeug an, wie rings ich auch,
was Glück man nennt, geschaut: ich kam zurück ein müder, alter
Mann", Freiligrath (Vorgefühl S. 184.). — Ueber appeüere u.
applicare s. Krebs: nautae, venti appellunt ?iavem, naiis ap-
•pr-Mitur, milites navigiis appelluntur in Ajricam (eo, quo, huc,
ad); unklassisch: ad insulam appulerunt, navis appidit , nave
appulit; Gurt. 4, 2. : Tyrii navigia litori appellunt. Auch unser
Zusammenziehen weicht bisweilen in der Konstr. von coutrahere
ab, z. B. „Alsobald wurden drei Heere zusammengezogen an den
drei Grenzen des Ilcrzogthums Baiern", Luden Bd. 4. S. 351. ;
Latein. Schulgrammatifcen von Kone und Blsclioff. 125
„Alba würde Truppen in den Niederlanden leicht zusammenzie-
hen können", Schiller S. 873, 1. , wo wohl sicher nicht bloss von
niederländischen Truppen die Rede ist. Dagegen: Luceriam
omnes copiae contrahuntur , Cic. Att. 8, 1.; exercitum inunum
locum, Caes. b. G. 1, 34.; illnc suas copias contrahere, Nep.
Eum. 9. Aehnlich wird's wohl mit convocare und zusammenru-
fen sein, z. B. ,,Cie Klagestimme seiner (des Klosters) Glocken
ruft vielleicht zum letztenmal euch hier zusammen", Sigism. von
Norden (Cölestina 1838, Aschaffenburg) ; latein. nur huc, illuc,
eo, in urbem convocare, s. Lexica. Comportare, conferre , con-
vehere und conducere werden , wie das schon von Krebs ange-
führte congerere, ebenfalls mit einem Ortsnamen auf die Anschau-
ung wohin verbunden, z. B. Caes. b. c. 1, 71.: collatis in unum
locum signis. \ Tgl. Caes. b. G. 1, 24. ; frumentum ex agris in
loca tuta comportatur — „an sicheren Plätzen", Cic. Att. 5, 18.;
frumentum . . in urbem convexerant , Caes. b. c. 1, 34. ; Midae
dormienli formicae in os tritici grana congesserunt , Cic. div.
1, 36.; vrgl. 2, 31.; eo (dort) copias omnes auxiliaque condu-
xit, Caes. b. c. 3, 13.; virgines unum in locum conduxerunt, Cic.
im. 2, 1. Freilich in dem Com. de b. Afr. 91. : In oppido Zamae
Ugnis congeslis. Bei componere steht der Abi. z.B. locus, in
quo ea erant coinposita , Cic. Deiot. 6. — „wo das zusammenge-
legt — gestellt Mar'' etc. Im Deutschen jedoch auch Acc. z. B. :
„Sie hatte die Ikarusflügel ihres Anzuges in die Kästen zusam-
mengelegt^i J. P. a. a. 0. 2, 137.; ,, Erich hatte alle Geschenke
und Gaben seiner Eltern zusammengelegt in ein Körbchen"
Krumm. 3, 21. Aehnl. Schiller a. a. 0. S. 8ö5. Anm.: „Sie schös-
sen den hundertsten Pfennig ihrer Güter in eine Kommunkasse
zusammen". — Auch zusammenfliessen, — strömen, — laufen,
— giessen gehören hieher. „Der Zusammenfluss so vieler und
so ungleicher Nationen in den holländischen und brabantischen
Stapelstädten musste ihr erstes Wachsthum dem Auge der Regie-
rung entziehen", sagt Schiller a. a. 0. S. 798, 1. und S. 889, 2.:
„Die Erzeugnisse von ganz Flandern flössen in der Stadt Gent
zusam?ne?i'-i ; aber auch: ,,In diese Vertiefung seines Herzens
flössen alle benachbarten Quellen des Leidens zusammen", J. P.
a. a. 0.3, 217.; und: „Alle Radien des Lebens laufen in den
kleinen Punkt eines Augenblicks zusammen", J. P. 3, 279.; was
man aber factitativisch auffassen möchte: „so, dass sie . , . sind";
M^rl. : Schmelze die Silben zusammen in einen plötzlichen Schall4',
Schiller 166,2.; „es rächten die Sternbilder des Lebens in hellere
Formen zusammen'-'-, das. 2, 55. — Lateinisch: Magnus ad, Cae-
sarem quolidie numerus perfugorum confluebal , Caes. b. G. 7,
44. ; ad kos coneurrit 6, 13. ; 5, 56. — „strömt bei .... zusam-
men-'; confluxerunl et Athenas et in hanc urbem multi ingui-
nale loquentes ex diver sis locis, Cic. Brut. 74. Vrgl. Plin. h. n.
6, 4. : vasti amnes in Fhasin confluunt. — Fit coneursus in
126 Lateinische Sprachlehre.
praetorium, Caes. b. c. 1, 76. „im Pr." ; adme, Cic. Phil. 14,0.
Vgl* »och Cic. Rab. 7. Dass Sätze, wie: „Ich habe den Eingang
bei einer gewissen Diana", Seh. 103, 2.; wenn die Feldobersten
bei ihm eintraten", Spindler (K. v. Zion B. 3. S. 13.), im Lat.
eine andere Anschauung erheischen, versteht sich von selbst.
Dagegen: „bei dem Eintritte in sein Häuschen", J. P. 3, 43.
Auch bei aus- und einsteigen und aufnehmen weicht wohl die
Verbindung ab. Liv. 29, 11. sagt: Legati Asiampetentes proti-
nus Delphos quum escendisseut , or acutum adierunt — „zu Del-
phi ausgestiegen, gelandet". — Cic. Arch. 3. heisst es: Lucidli
Archiam domum saam reeeperunt , und Plank bei Ciaud. B. 8.
S. 202.: „Es war weder Säure einer strengen Gemüthsart, noch
jugendliche Schwärmerei einer erhitzten Phantasie, welche Lu-
tbern zu dem Entschluss bewogen hatte, sich in dem Augustiner-
kloster zu Erfurt aufnehmen zu lassen"; und Lenau (der Mas-
kenball): „Seid willkommen mir, Matrosen, nehmt mich auf in
eurem Schiffe" ; aber Rotteck (Gesch. Eroberung von Konstanti-
nopel) : „Ganze Schaaren knieten auf dem Strande und beschwo-
ren die wegrudernden Schiffe, sie in ihre Barken aufzunehmen."
Eben so werden wir sagen können: „Einen bei sich aufnehmen1-',
und auch wohl: „Etwas in einer Zeitschrift aufnehmen", woge-
gen das latein. tecto , sede, civitate rec. ganz anders gedacht
ist. „Er stieg vergöttert auf dem Triumph- und Donnerwagen
neben seiner Liane e«/2", sagt J. P. 1, 231., aber auch: „In jeder
Nutzanwendung formte und besäete er ein Arkadien voll mensch-
licher Engel, die in drei Minuten in das so nahe schwimmende
Elysium aussteigen konnten auf einem dazu hineingeworfenen
Charons- Ponton", das. ?jG. —
Wir kommen jetzt zu den Verben: Verbergen , verstecken,
verhüllen, einhüllen, verschliessen, einschliessen , sich verlie-
ren u. a. , wo es sich zuerst um den deutschen Sprachgebrauch
handelt, den man an den folgenden Beispielen abmessen wolle:
„Sie verbarg das Angesicht an seiner Brust", J. P. 3,81.; „Der
Tag erwuchs immer mehr zu einem daphnischen und delphischen
Ilain , in dessen flüsterndes und dampfendes Dickicht er sich tie-
fer verlor", ders. 1,45.; „in einem Frühlingswölkchen schien
sich der schneeweisse Engel seines Traumes tief einzuhüllen"' ,
dersi 1, 02. ; „Rabette hatte ein vorbeiziehendes Orchester aus
Bergknappen in's Kabinett der Tafelstube versteckt", ders 1, 155. ;
„sie verbirgt sich in's finstere Nonnen -Chor der Todten", ders.
3, 328.; „sie sollen sich hinter die Tapeten verstecken", Schill.
174, 2.; „der erste Fürst führte den Purpur ein, die Flecken
seiner That in dieser Blutfarbe zu verstecken", ders. Versch. d.
Fiesko 5, 10. S. 184, 1. ; „sie birgt die glühende Wange im glü-
henden Sand", Freiligr. (der Mohrenfürst); „das Kind hüllt sich
in seine Kissen ein", ders. (Fragment) ; „Drauf verhüllten sie ihn
in einem Mantel von Purpur", Klopst. (Mess. 7, 815.); „sie zeigte,
Latein. Sehulgiaromatikcn von Küne und Ii Ueno ff, 127
wenn es zwölfe schlug,' jetzt alle Nächte sich, verhüllet in ein
Leichentuch und wimmert' und entwich", Hölty (Adelstan u. R.);
„er barg das Gesicht in die Blumen des Kranzes", ders. (d. arme
Willi.); „falsches Glück, das unter finstere Sträuche?/ sich ver-
birgt", Uz (an das Glück); „Obadja versteckte 100 Propheten
in der Höhle", Luth. (1 Kön. 18, 4.); „wie Egmont uns Abends
in den Mantel eingehüllt hei der Lampe überraschte" , Goethe
(8. Bd. S. 193.); „scheu in des Gebirges Klüften barg der Tro-
glodyte sich", Schiller (Eleus. Fest S. 56.). Im Latein, wird
manche der im Deutschen gegebenen Wendungen durch den Abi.
instr. und Aehnlches zu übersetzen sein; übrigens haben wir
nbdere in locuin; se in literis und Uteras, schon früher ange-
führt (Jahi-b. a. a. 0. S. 206.). Es kann auch das Part, mit dem
Accus, verbunden werden, was Krebs S. 71. nicht zu glauben
scheint, z. B. Caes. b. G. 5, 3.: in silvam Arduennam abditis.
Dasselbe gilt von condo und recondo. Aber auch hier irrt Krebs,
wenn er glaubt, conditus könne nicht auf die Frage icohin ver-
bunden werden, wenigstens Liv. 26, 16. in carcerem conditi und
Orelli hat Cic. de div. 2, 41. eo cojiditas sortes drucken lassen.
Abstrudo lässt Abi. und Acc. mit in zu (Cic. Att. 12, 15. , acad.
2, 10.) ; abscondo wird wohl klassisch nicht mit einem Ortsnamen
verbunden erscheinen (Flor. 4, 2.: Sextiim fortuna in Celtibe-
rfdtn abscondit); oeculere steht mit dem Abi. instr. (oeculi pa-
rietum nmbris Cic. Tusc. 2, 15.) und über occullare s. Cic. Sext.
22. und Herzog zu Caes. b. G. 7, 85. Includere wird mit dem
Acc. und Abi. verbunden , z. B. in Ms inclusi cotnpagibus corpo-
ris, Cic. Cato mai. 21.; vrgl. de für. 12.; Att. 1, 1, 8.; or. 38.;
Cic. Tusc. 1, 15. : Phidias sui simüe?n speciem inclusit in clypeo
Minervae , vgl. Verr. 4, 24. u. s. w. In custodias includere, Cic.
Verr. 5, 55. und mehr im bildlichen Sinne: Physica ratio . . . in-
clusa est in imvias fabulas , Cic. de n. d. 2, 24. , bei concludo (in
cellam, Ter. Ad. 4, 2, 13.; aliquo, Ter. Eun. 4, 3, 25.) genügt für
die Verbindung mit dem Abi. Cic. univ. 3. wohl nicht , weil dort
die Variante inclusit ist.
Im Deutschen vrgl.: „Eingeschlossen in ihr Land, wie in
ihre Religion und Verfassung, liebten die Aegyptier das Fremde
nicht", Herder (Ideen etc. über Aegypten); „wenn er Emilien
gar in ein Kloster verschliesst'?" Lessing E. G. 5, 1.; „verschliesst
euch ins Haus", Goethe (Jery und B. 11. Bd. S. 24.); „ich muss
meine heftige Leidenschaft in mich verschliessen", das. (Lila B. 11.
S. 46.); „der ewig ist, der weiss es, dass er in engen Bezirk euch
einschloss", Klopst. (an Gott); „beide Armeen schliessen sich in
ein festes Lager ein", Schiller S. 1020, 1. ; lauter Verbindungen
mit dem Acc, obwohl wir nicht zweifeln, dass man sage: „Er
schloss das Wild durch eine Hecke in dem Walde ein", wie denn
Less. (Thl. 6. S. 178. Ausg. 1825) sagt: „Ich habe diese beson-
dere Erlaubniss in der allgemeinen mit eingeschlossen zu sein ge-
128 Lateinische Sprachlehre.
glaubt". — Advenire, adventare, advenlns ist schon von Zumpt
aufgenommen , und im Deutschen schon ist der Sprachgebrauch
auch ziemlich fest (ankommen, anlangen, eintreffen); vrgl. J. P.
3, 231 u. 392.; Schiller S. 163, 1 , obwohl eben J. P. 1, 166. sagt:
„Er kam vor Itabettens Kabinct an"; Luther (Apg. 27, 3.): „Zu
S. ank." — „Dass ein Ankömmling im Lande eine ganze
Nation aufkläre" etc. , sagt Herder. Findet sich vielleicht advena
in urbem? Cic. de or. 1, 58. passt nicht. Auch bei schreiben,
malen und ähnl. weichen wir ab. J. P. sagt 1, 70. : „So malte der
Maler Kaikar schöne Strümpfe, aber unmittelbar an seine Beine''1;
Less. E. G. 1,3.: „Ein Bild, das mit andern Farben auf eine«
andern Grund gemalt ist"; — „auf jedes Blatt, in jede Schatten-
quelle malt sich dein Bild", Matthison (Erinnerungen); „Jesus
bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde",
Luther (Job. 8, 8.). Für pingere und scribere können wir augen-
blicklich nur Plin. h. n. 35,40. extr. : -pingere in tabula; Tibull.
1, 10,32.: In mensa pingere castra mero; Liv. 8, 30: Nomen
ibi scribere ; Cic. de or. 2, 86.: Scriptum in carmine: Ter. And.
1, 5, 48. : scripta in animo sunt , anführen. ■ — Imprimere finden
wir schon von Krebs behandelt, — in aliuua re. Belege geben
die Lexx. , z. B. Cic. de div. 1, 13. ; de n. d. 1, 16. ; acad. pr. 2,
26. ; ib. 2, 18. (schwankend zwischen in animis und in animos) ;
Phil. 13, 15. : vestigium tibi imprimas. — Exponer e in locum
und in loco sagt man. Vrgl. Caes. b. c. 1,31.; Liv. 24, 40. ; Liv.
1,4.; Nep. Them. 8.; doch vielleicht steht der Abi. nur bei den
bessern pros. Schriftstellern , wo noch ein Acc. mit in zur nähe-
ren Bezeichnung kann hinzugefügt werden, z.B. nicht in terra.
Im Deutschen werden wir mit Voss sagen: „Unbeschädigt, Mann
und Profetin , setzt er in wüstem Moraste sie aus (Virg. Aen. 6,
415.) und bläuliche/n Teichschilf", wie überhaupt „am Lande,
auf der Insel einen aussetzen". Doch auch : „Ausgesetzt ward
ich ins fremde Leben", Schiller S. 510, 2. (Braut v. M.) Repo-
nere hat wieder Krebs *) : grues in tergo praetervolantium colla
*\ Krebs sagt bei ponere, es würde fast nur verbunden in aliqua
re , wobei er an Cic. Att. 5, 3. : Apnd Lentulum ponam te in gratiam,
wie an Liv. 38, 35. : in aedem Hcrculis signutn dei ipsius .... et seiuges
positi, und die zweifelbafte Stelle Cic. Att. 6, 1. denken mochte, aber er
hätte auch bei collocare dem Acc. mit in nicht alle Klassicitüt abspre-
chen sollen. Zwar steht Caes. b. G. 2,30.: turrim in muros collocare
p— : jtQog xö rtlxos, aber 1, 18. ist auch: sororem nuptum in alias civila-
tes collocare; Cic. div. 1, 46.: filium in matrimonium collocare; auch
stände vielleicht bei locare für „wird klassisch nur" besser „fast nur"
mit dem Abi. verbunden. S. Lexx. Statuo und constituo möchten noch
weniger Auktorität für die Konst. mit dem Acc. haben. Ueberhaunt
ist d^r Ausdruck von Krebs oft zu scharf. Dass er animum suum indu-
cere unlat. nennt, hat Klotz Jahrb. Bd. 23. H. 2. S. 205. schon gerügt,
Latein. Schulgranmiatikcn von Köne und Bischoff. 129
et capita reponunt ' ; spetn in virtute\ in caritate . . , ßde rep.;
in deos oder in deorum numero (Cic. de or. 1, 13. )• — Depo-
nere aliq. in gremüs mimarum (Cic. Phil. 13, 11.) sagt mau;
ferner uxores snaque omnia in süvas Caes. b. G. 4, 19. ; apud eos,
7, 63. und Cic. off. 3, 25. ; vrgl. noch Cic. Caec. 35. Die Konstr.
von considere ist bekannt. — Mergere in mari steht bei Cic.
de n. d. 2, 49. ; in aqnam ist das. 2 , 3. zweifelhaft. Dagegen
wird immer gere in eigentl. und figürL Bedeutung mit dem Accus,
gebraucht. Vrgl. Cic. uiriv. 13. Cluent. 13. Demergere steht
mit dem Acc. und Abi. bei in. Vrgl. Cic. Cat. m. 21.; fin. 3, 14.
AVir lassen nun einige deutsche Beispiele nachfolgen : „Die Vögel
tauchten sich tief in die Blumen unteru, J. P. 2, 21.; „der Jüng-
ling sank in helldunkle Träume unter1-'', das. 22.; „in den boden-
losen Todesfluss untersinken1', das. 94. ; „als die drei frohen sich
was auch Zumpt § 76, 8. und Grysar Theör. des lat. St. S. 63. merken
inögen. In der That steht das Pron. auch nicht so ungemein selten,
wo es sich auf das Suhject desselben Satzes zurückbezieht, ohne merk-
lichen Gegensatz, z. B. Cic. Cluent 25.: Si cum animis veslris . . re-
cordari , . . volucrilis; Ter. Hec. 4, 4, 07. und And. 5, 3, 12.: animum
indtixli tuum; Heaut. 5, 4, 5.: iie istuc in animum inducas tuum ; Ad.
4, 3,0'.: in animum induxi meum; Hec. 4, 4, 61.: huc animum adducas
tuum; Sali. Jug. 6.: ntulla cum animo suo volvebat ; 93.: anxius frühere
cum animo suo; 108.: c. an. s. volvere (vrgl ßectere an. suum ib. 62.
und 9); ib. 85. : reputatc cum animis vestris; 10. : reputaret cum animo
suo ; Liv. 34, 2. : vix staluere apud animum meum jiossum — in der
Rede des M. Porcius Cato; Virg Aen. 6, 185.: suo cum corde volvere.
cf. Ovid. inet. 7,200. Weniger haben wir dagegen, wenn er dum mit
dem Impf, des Konj. in gerader Rede S. 190. und vix mit einem folg.
Hauptsätze statt quum S. 513. unlat. nennt, obgleich Phaedr. 1, 4.:
Vanis per flumen carnem dum ferret nutans lympharum in spccido vi-
dit simulacrum suum , und 4,24. (Simonides a diis servatusY. Unum
promorat vix pedem triclinio, ruina cumarae subito oppressit ceteros stellt.
— Auch die Vorschrift S. 44., dass mit Ausnahme des Genit. die Präp.
nicht vor dem von ihr nicht abhängigen Kasus stände, ist zu schroff,
da es, abgesehen von der Kalenderbestimmung, gewöhnlich bei Cicero
sein soll zu sagen: in suum cuique tribuendo, (nach Zuinpt § 656., wo
wir jedoch Hrn. Dr. Z. fragen möchten, ob nicht in tr. s. c. stände.
Sicher aber sagt Cic. leg. 1, 6.: a suum cuique tribuendo, Vrgl. Cic.
Arch. 6. Ueber die S. 21. offenbar zu unbestimmt verdächtigte Ver-
bindung eines Subst. mit einem andern vermittelst einer Präposition"
vrgl. unsere Beispiele Jahrb. B. 24 II. 2. S. 219., Köne § 138. und ein
in diesen Jahrb. 24, 2. S. 234. angezeigtes, uns noch nicht zu Gesicht
gekommenes Programm vom Direktor Elanisch in Uatibor. Ueber nunc
und hi- in Bezug auf Vergangenheit (Kr. 330. nunc , über hie finden
wir nichts; 'Lumpt § 732. 703.) vgl. Caes. b. G. 1. 42. exte; 2.4. med.;
1, 44. med.; 40.; Ncp. 20, 5.
N. Jahrb. f, Phil. u. Paed. od. Krit. Uibl. Bd. XXVII 1, 11/1.2. 9
130 Lateinische Sprachlehre.
(0 die Tafelstabe eines Lorbeerwaldes vor ihre Speis- und Trank-
opfer niedersetzen wollten", das. 1,28.; „die rüstige Soldaten-
frau legte in einem hochstaudigen Gärllein Früherbsen" (nämlich
in den Boden, vgl. oben e.vponere), ders. 135.; „friedlich lagen
drunten im Thale die geweideten weissen Lämmer und oben am
Himmel lagerten sich die glänzenden Lä'mraerwolken über sie
hin1,1, das. 143. ; „es tvar in ihm feierlich niedergelegt und be-
schworen, niemals ihr Ehrenräuber zu werden", ders. 3, 314.;
„sie kniete neben ihn", das. 80.; „in alle« Provinzen des Landes
wurden besondere Gerichte niedergesetzt", Schiller (Abfall d. v.
N. S. 798, 2.); „die beiden Grafen wurden im Brodthause auf
dem grossen Markte gefangen gesetzt", das. 882, 2.; „auf die
Spreu warf ich mich nieder"', Freiligr. (Grabbes Tod); „so aus
meinem Haupt, ihr Kerzen wilder Lieder, sprühen und wallen
sollt ihr und in ferne« Herzen siedend, zischend niederfallen",
ders. (Moosthee); „Nichts kann zu ehrwürdig sein, das du nicht
in diese« Morast untertauchen sollst, bis du den festen Boden
fühlst", Schiller 163, 2.; „alle die niruraersatten Wünsche in dem
grundlosen Ocean untertauchen" (166, 1.); „wenn ich hier am
kühlen Bache, hingestreckt auf weichen Blumen, lache", Uz (au
das Glück); ,, stets im kalten Ernst versenket"-, ders. (die Liebe) ;
„sich iu Dörfern niederlassen", Stolib. a. a. O. S. 140.; „ich
setze mich hinter der Thür nieder", Platen; „lege dich hinter
den Ofen nieder" , Goethe (Faust S 64.) ; „sie lagerten sich zu
Haufe an das Wasser Merom", Luther (Jos. 11, 5.); „vor einen
Flecken", ders. 2 Makk. 11, 5.; „im Eichgrunde ", ders. 1 Sara.
17, 2. ; J. P. Tit. 4. S. 242. : „Sie lagerten sich auf eine Stelle".
Wir wollen jetzt nur noch die Wörter zerstreuen und ähnl. hinzu-
fügen. JJissipare meinbra in iis locis, Cic. Man. 9. ; sermo tota
Asia dissipatus, Cic. Flacc. 6. ; aber Hirt, de b. G. 8, 5.: Dissi-
pantur in finitumas civilates. Diffundere natürlich nur mit dem
Acc. , z. B. sanguis in omne corpus diffunäilur , Cic. de n. d. 2,
55., „verbreitet sich im ganzen Körper", besser als „ergiesst sich
in d."; rerum natura in omnes partes molusque diffusa, Cic.
div. 2, 12. — Dilapsi in agros , Liv. 38, 34. ; dispalati in agris,
Nep. Lys. 1. — Schiller a. a. O. 840, 2.: „Ehe die verbundenen
aus einander gingen, um sich in den Provinzen zu zerstreuen";
— „sammelte Jemand eine Geschichte der Juden in allen Län-
dern , in die sie zerstreut sind" , Herder (Ideen etc. Hebräer) ;
„tapferes Heer zerstreut sich im Feld", Goethe (Faust 306). —
So weit. — Wir müssen uns, da wir schon so weitläufig gewor-
den sind, der weitem Reflexion für dieses Mal enthalten. Uebri-
gens lässt sich die Regel für das Deutsche aus den gegebenen
Beispielen leicht finden. — Kehren wir nun zu unserm Hrn.
Verf. zurück, so thut es uns leid, dass er bisweilen zur Erläute-
rung der Regeln blosse Wortverbindungen gegeben hat; wir mei-
nen nämlich, ein ganzer, freilich kurzer Satz präge sich eben so
Latein. Schu'grammatlken von Köne und Bisclioff. 131
leicht ein, und dann hat der Schüler zugleich den Gewinn, ein
zum Subj. oder Obj. passendes Yerbum zu behalten ; doch dieses
hängt mit der unten noch zu besprechenden Anordnung der
Grammatik zusammen. Uebrigens müssen wir auch noch das
S. 302. gegebene Beispiel erwähnen : Epimras , ob eam rem,
inqiiit, amicüiam colendam esse . . . wo uns sowohl die Stellung
— inquit Ep. wäre gewöhnlicher — als der Inf. anstössig ist.
In der Prosodie durften freilich nicht zu viele Einzelheiten
gegeben werden; sonst ist on in der vorletzten Silbe auch
kurz, z. B. Macedonis, Teutoni, Lacedaeinonis , und in in den
häufigen Genit. von do und go S. 310. und at , z. B. analis,
poe?natis.
Sehen wir nun nach der unter a bemerkten Rücksicht die
Schulgrammatik des Hrn. Dir. Bischoff an. Einzelne Wendungen
im Deutschen haben uns in seiner Gramm, missfallen, z.B. S. 62.:
„im Anwenden der Genusregelnu, „die Stellung des zweiten Ge-
genstandes in den Ablativ" S. 267. , „das Sichzurechtfinden in
den gramm. Eigeuthümlichkeiten der Sprache" Vorr. YI., „Rück-
sicht auf praktisches Lernenmachenu S. VII. § 15. finden wir die
literae mutae nach ihrer Lautverivandtsihaft eingetheilt in P-,
F-. Ä - , T- Laute und nach ihrer Tönung in harte (/;, c, t, /),
weiche (b, g, d, v) und gehauchte (ph, ch, th) mit der Bemer-
kung, dass die gehauchten fast nur der griech. Sprache angehör-
ten. Hier ist uns zuerst der Gebrauch der Wörter Lautverwandt-
schaft und Tönung (besser Härtegrad) auffallend , dann rechnen
wir / zu den gehauchten (s. Grimm d. Gr. 1, S. 131.), die sogen.
JP- Laute aber gehören zu den P- Lauten, wie die Vergleichung
des griech. <p , des hebr. 2 lehren kann. Ueberdies ist Jod nir-
gend untergebracht. Uebrigens hätten wir eine andere Eintei-
lung gewünscht; vrgl. Redslob Rec. von Ewalds hebr. Gr. Jahrb.
20. B. 1. H.; auch Becker deutsche Sprachl. 1. B. § 14. — S. 8.
B. scheinen unter stummen Buchstaben bloss b, p, g, c, d, t ver-
standen zu sein, da diese bloss angegeben sind, und / unter e)
noch behandelt wird. Uebrigens muss man hier nach d) schliessen,
dass Les-bus, sfnarag-dus, Lug-dunum, heb-domas zu
trennen sei. Vrgl. ößiwvp.i, £Qiydov7tog, bdellium. Die Er-
klärung von nomin. propriis, sie seien Benennungen, wodurch
man Einzelheiten willkürlich ohne alle Rücksicht auf äussere und
innere Bildung ('!) bloss zum Unterschied von andern Einzelwesen
bezeichne, hebt einmal den Unterschied von nom. appeli. nicht
genug hervor und kann ferner den Schüler zu der Ansicht führen,
man habe ohne besondere Thätigkeit des Geistes bloss den Mund
geöffnet , um Eigennamen zu bilden , wogegen wohl alle Spra-
chen streiten. Vrgl. Cicero, Lentulus, Zocpoxkijg , Karl, Frie-
derich, Becker, Beckering, Schmidt, Engel (der z. B. ein
Schild hatte, auf dem ein Engel stand); jJnirp, 'loodvv^g n. s. w.
Ueber den Genit. der Wörter auf u, ficubus\ dives, ditior etc.
9*
132 Lateinische Sprachlehre.
bis viille, sexluplex , sexluplus s. oben und über ducenteni etc.
Zumpt S. 117. Auch piissimns konnte wegbleiben S. 58., posle-
rus etc. war als Masculin. einzuschliessen , s. oben. S. 45. soll
der Schüler dux celeber , der berühmte Feldherr, dekliniren.
Das heisst doch, ihn in die unklass. Latinität einführen , da cele-
ber so nicht gebraucht werden darf. Ueberhaupt scheint der
Hr. Verf. von klass. Latin. — denn die will er doch wohl nur leh-
ren — einen weiten Begriff zu haben. S. 59. wird von speclabi-
lis, ansehnlich, der Comparativ verlangt; S. 131. steht: Probi
homincs Student placere bonis neque amant*} placere impro-
bis ; S. 133. Seminare für sementem facere ; S. 135. cavebitis
stulte agere (auf jeden Fall ungewöhnlich und den Schülern nicht
als Beispiel vorzuhalten); S. 182. deus noslrum miserebitnr ;
S. 183. nemo sanus dubitat, quod Dei nuiu omnia orta sint
(ohne Zweifel Druckfehler, welcher sich auch in der erläutern-
den Anra. wiederholt, wo quod, dass steht) ; S. 226. Qui se pro-
bum virum in omni re ostendit, ab Omnibus aestimatur , wo
magni ausgelassen ist und uns auch ostendit nicht gefällt; S. 255.
poetae celeberrimi ; S. 242- und 259. an tu nescis kann wenig-
stens den Schüler irre leiten, da er an oder nicht denkt, weil
Nichts vorhergeht, dem sich der Satz mit an entgegen setzen
kann ; — (übrigens giebt der Hr. Verf. den Gebrauch von an
§ 311. genau); S. 281. triginta dies praeter lapsi sunt;
S. 281. bezweifeln wir in quum Hortensius perorasset ; ad
omnia, dixit , respondi, das dixit als klassisch. Hierosolijma
S. 69. wäre besser als neutr. pl. gebraucht, s. Cic. Flacc. 28.|;
über regnum occidenfale S. 69. verweisen wir in Betreff des occ.
auf Krebs Antib. S. 334., und fragen, ob da regnum gebraucht
werden könne. S. 60. ist pars mundi zu rügen für p. orbis ter-
rae; S. 66. ist bellum duravit wohl nicht gut, und S. 241. hät-
ten wir in einer solchen Grammatik nicht dare pollicentur abdru-
cken lassen, sondern se daturos esse, und ähnlich nicht S. 249.
sapientium esse, ut ... cedant. Im Satze S. 253. Quum Medus
dixisset : prae iaculorum multitudine solem non videbitis , La-
cedaemonius: in vmbra igitur pugnabimus , respondit , der aus
Cic. Tusc. 1, 42. genommen wurde , ist gar respondit gesetzt für
in umbra igitur, inquit ..., wie Cic. hat; und § 227. extr. steht:
dubito, quin redüurus sit; dubitabam , quin rediturus esset,
wo wenigstens ein Fragezeichen am Ende stehen muss. Auch
wissen wir nicht, wie der Verfasser aus Sali. Jug. 31. (ohne
Bemerkung) aufnehmen konnte : quidquid ulcisci nequitur.
Wenn Hr. Dir. B. S. 137. die Formen audii etc. häufiger nennt,
') S. Ruhnk. in seinen opusc. v. arg. Lugd. Bat MDCCCXXIII,
S. 709. — Wir müssen hier den Tadel zurücknehmen , welchen wir
.Jahrb. 24, H. 2. S. 211. aus Missverständniss einer Abkürzung über ein
Chat dieser Ausgabe aussprachen.
Latein. Scliulgrammatiken von Kono und Bisclioff. 133
so nennt sie Krebs a. a., O. S. 17. unklassisch. S. 142. wird von
rcnuo, anuno, innuo das Sup., S. 144. das Perf. frendi, S. 166.
malendi n. s. w. , S. 171 u. 172. aiam, inquiens, inquietis auf-
geführt, und dass Formen von queo und nequeo fehlen, nicht ge-
sagt; ob aber der Verf. die hervorgehobenen Formen belegen
kann*? Nach S. 173. heisst odi „ich habe gehasst1' und „ich
hasse", was wir unbedenklich tadeln; es hätte dann auch odivi
gesetzt werden sollen ; s. Antonius bei Cic. Phil. 13, 19. Rectifi-*
care § 159. fehlt gar in. Schellers und Forcell. Lex. und sollte
auch in einer Schulgramm, fehlen. § 159. wird gesagt, wenn
die Subjecte leblose Dinge bezeichneten , so könne auch der Sin-
gul. des Verb, in denjenigen Fällen stehen, in welchen das Verb,
nicht vom letzten Subst. getrennt wäre, und sei eins der Nomina
ein plur. tantnm, so müsse das Verbum im Plur. stehen. Dass
das Verbum im ersten Falle beim letzten Subst. stehen müsse,
widerlegen Beispiele, wie: Omnis ratio atque instituiio vitae
adiumenta hominum desiderat, Cic. off. 2, 11. Was den Fall
angeht, wo eins der Subj. sich im Plur. befindet, so sehen wir
nicht ein, was für Unregelmässigkeit da gerade ein plurale ta/i-
tum bewirken soll. Dass der Sing, stehen kann , lehrt Füsting
Svnt. Convenientiae S. 30.; Zumpt 8. Ausg. S. 373. Dass es
auch mit dem plur. tantum Nichts auf sich haben wird, kann wohl
Cic. Alt. 9, 10. lehren: Nunc mihi nihil libri, nihil literae,
nihil doctrina prodest. Nöthiger wäre die Bemerkung gewesen,
dass das Prädikat dann, wenn es jedem einzelnen Subjecte nicht
beigelegt werden kann, im Plural stehen müsse. § 184. Anm.
fyhrt der Hv. Verf. den Gen. obiect. auf die Angabe der Ursache
und des Stoffes (§ 186.) zurück, was wir der Sache nach billigen;
ob auch für die Schule'? Siehe Wüllner Casus etc. S. 68. Wenn
er aber hinzufügt, iniuriae habe akt. und pass. Bedeutung, so
sehen wir davon keinen Grund , da dasselbe von amor eben so gut
behauptet werden könnte, und denkt der Hr. Verf. an iniuriae
meae , so stellen wir daneben amor nosler d. i. gegen uns (Cic.
fam. 5,12.); tun observantia , invidia, fiduciu, negligentia, de-
siderium tunm; bellum regium (Cic. Mau. 17.) und aus Livius:
bellum Romanum, divinis humanisqiie obruti sceleribus (3, 19.),
vergl.: „Sein Bildniss d. i. ein B. von ihm'' , und Wüllner a. a. O.
60. — § 187. beim Gen. part. sind die numeralia card. nicht er-
wähnt, sondern nur die ordin., was allerdings zu beachten ist.
Bei uuus braucht Cic. die Präpos. e, de. Doch findet sich der
Genit. z. B. Liv. 23, 11. Wenn § 188. tenäx mit dem Gen. unter
den W. mit dem Begriffe erinnern aufgeführt ist, so erinnern wir,
dass es vielleicht klassisch nicht mit dem Genit. steht, sonst aber
auch cutis tenux capilli vorkommt. § 188, 2. steht unter den
Partie, auf ws, welche als wirkl. Ad), gebraucht auch den Genitiv
zu sich nähmen, auch abundans. Wir glauben aber, dass abun-
da/is nie den Gen. zu sich nähme , wenn es nicht auch abundo
134 Lateinische Sprachlehre.
thäte, und rechnen den Fall nicht hiehev. Die Richtung looliin
kann, wenn die Thätigkeit stehend gedacht wird, leicht in die
Anschauung woher umschlagen; nicht so hei der Frage wo?
Vergl. freilich in anderer Beziehung „von vorn'-'- und xatec Ttgoq-
anov HQyov , Thuc. 1, 106. Ferner vermögen wir S. 252. nicht
in: Germani copias stias paribus intervallis constituerunt, den
Abi. par. int. als Abi. loci auf die Frage wo aufzufassen ; auch
nicht bei quam maximis itineribus polest in Gallium contendit.
— Ueber quienm, das der Hr. Verf. S. 254. neben quocum ein-
klammert , verweisen wir auf Jahrb. 24, 2. S. 226. Wir fügen
noch als Belege hinzu : Cic. fam. 15, 16. : quainquam quicum lo-
quor? Vrgl. Cic. off. 3, 22.; 3, 10.; de inv. 1, 11.; proQuint. 11,
38. ; das. 16, 52.; top. 4, 20. Dagegen quocum Cic. Lael. 4. ;
Rab. 8. ; Sext. 17. ; Deiot. 5. — Cic. Phil. 12, 5. steht freilich
cum quo, wo man quicum erwarten könnte, aber der Satz mag
da mit bestimmter Hindeutung auf den Antonius ausgesprochen
sein. — Ueber abuti in dem Satze : Multi homines otio abii-
tunlur. S. 262., verweisen wir auf Klotz in den Jahrb. 23, 2. S.
207. u. Dähne zu Nep. Eum. 11. ; über den Abi. quäl, auf unsere
Bern. Jahrb. 24, 2. S. 208., wozu wir fügen Caes. 6, 26.: bos
cor vi flgura; 3, 13.: clavus digiti pollicis crassitudine ; homo
nihili u. s w. Bei dem Abi. modi hätte davor gewarnt werden
müssen, ein blosses Subst. ohne cum zu setzen, denn Abll. der
Art, wie vilio navigare, vitio tabernaculum capere , Cic. div. 1,
16. 17., linden doch nur in einigen Ausdrücken statt (s. Zumpt
§ 472.), und §209. hätten nicht 2 Beispiele, wo der Abi. nach
Kompar. statt des Objekts steht, gesetzt werden sollen. Dass
beim Abi. bei den Verbis häufen etc. und diesem Abi. nach Komp.
dieselbe Anschauung zu Grunde liege („verkaufen 20 Talenten
gegenüber", grösser sein dem Bruder g."), glauben wir auch,
aber wunderbar ist's doch, den letztern Abi. unter die abl. preiii
geordnet zu finden. — Was die EintSieilung der Handlungen
§221. in 1) unvollendete, 2) vollendete und 3) bevorstehende an-
geht, so halten wir dieselbe für unlogisch, s. Zumpt § 493.
Anm. , und halten es auch für praktischer, die sogen, periphrast.
(Konjugation neben die gewöhnliche zustellen, da sie denselben
Regeln z. B. in Bezug auf Zeitfolge in abhängigen Sätzen unter-
liegt. — Den Conjunctivus imperf. in Sätzen, wie: ?naesli, cre-
deres victos, in castra redierunt , erklärt der Hr. Verf. aus ei-
ner gedachten Negation, die zu Grunde liege, wie beim negat.
Wunsche — „man hätte sie für Besiegte halten können , was sie
doch eigentlich nicht waren." Aber gesetzt, ich erzählte einem
damals Anwesenden: m. credebas v. , inc.r., so waren sie es
auch eigentlich nicht, und doch steht der Indikativ. Wenn in
einem ahnl. Falle Cic. Verr. 4, 40. sagt: Fix hoc erat plane im-
peratmn^ quum illum spoliatum stipatumque lictoribus cor He-
yes — „da konnte man ihn sehen, hätte man.."1: so gilt hier
Latein, Schulgrammatiken von Köne und Bisehoff. 135
kein Zusatz : „was er doch eigentlich nicht war." Wir stimmen
daher der Erklärung Zumpts § 528. bei. Eben so wenig können
wir billigen , wenn Hr. Dr. B. mit dem Gebrauch des fut. ex. statt
des einfachen (quae fuerit causa, mox videro) § 231. Anm. 1.
den „deutschen Participal- Imperativ" vergleicht. Wir könnten
dann auch von einem Substantiv- oder Adverbial -Imperativ reden,
z. B. „Hand ans Werk! Handweg! Zurück!" u. drgl. Es liegt
nämlich in jenem „zugefahren ! " keine Vergangenheit , sondern
es ist das mit dem Tone des Befehls gesprochene Particip , wozu
ich, wenn ich Etwas in Worten ergänzen soll, ,,es werde" setze.
So auch „zurück!" nicht: „Sei zurück!" sondern: „Gehe za-
rück ! " Vergleichen aber konnte man den Gebrauch des fut. ex.
im Deutschen, z. B. „Er wird es schon geschrieben haben; stür-
me so auf deine Gesundheit los und du wirst dich bald zu Grunde
gerichtet haben." § 233. ist über die Folge der Zeiten das Bei-
spiel mitgetheilt: Nego ullam gemmam aut margarüam fuisse,
quin Verres conquisierit , inspexerit , cbstulerit. Es ist ver-
stümmelt aus Cic. Verr. 4, 1. , wo allerdings quin für das Neutr.
im Accus, steht (Zumpt § 539.); so aber, wie sie hier gegeben
ist , ist die Stelle weit unzulässiger. § 299. sagt der Verf. aber
gar, quin könne für die casus recti: quinon% quem non, stehen
(nach S. 23. heissen Nom. und Voc. casus recti, die übrigen casus
obliqni). S. 291. ist richtig erklärt, wann in der Tempusfolge
perf. und impf. coni. nach einem Perf. stehe. Weshalb aber in
dem Imperf. Absicht liegen solle, begreifen wir nicht. Im Satze:
Aem. P. tantum in aerarium peeuniae invexit , ut . . finem af-
ferret iribulorum, sei, meint Hr. B., die Absicht des Aem. be-
zeichnet, dadurch die Abgaben abzuschaffen, nicht die blosse
Folge. Im Satze: Puer de tecto deeidit, ut crus fregerü, ist
keine Absicht, aber im Satze: Puer . . . , ut crus frangeret , ist
eben so wenig Absicht. Oder hätte der Knabe sich das Bein brechen
wollen?! So könnte wenigstens der Schüler nach solchem Bei-
spiele schliessen, obgleich der Verf. nicht überall Absicht beim
Impf, des K. annehmend, selbst nach dem Ausdrucke der Regel
solcbe Consequenz sich verbitten kann. Wenn fetner S. 295.
Anm. 1. gelehrt wird, non könne beim Imper. stehen, wenn ein
gegebenes oder als gegeben gedachtes Gebot verneint werden
solle, wo alsdann der rhetor. Accent auf non liege, so sind wir
auf Beweisstellen neugierig, denn dass Cic. Cluent. 57. sagt: a
Legibus non recedamus , beweiset für den Imperat. INichts, bei
Quint. ist dieses schon häufig, z. B. 1, 1.: non perdamus ; non
. . fuerit; non . . habeant. Aber wir sehen in der Grammatik lie-
ber von solchen Beispielen ab oder erklären doch nur, wie sie zu
■verstehen sind, statt sie als Kegel zu geben, wie der Verf. es
S. 298. mit dem Beispiele aus Quiut. 1,1,5.: non assuescat puer,
thut, wo der Sinn sei: Das Kind kann sich meinetwegen eine
schlechte Sprache angewöhnen, allein es ist besser, wenn er
13ß Lateinische S p r a chleli re.
sich eine solche nicht angewöhnt" ?! Hoc non dixerhn, was
auch angeführt wird, rechnen wir nicht hieher, da esfasi gle.ch
ist mit hoc non dico.
S. 302. ist testißcor statt — co zu lesen u. S. 308. zu setzen,
mit dein Dativ des Gerundiums (der Verf. sagt „des Inf.") finde
sich fast kein von ihm regierter Casus verbunden, da allerdings
bei Plaut. Poen. 1, 2, 13.; Epid. 4, 2, 35.; Ovid. met. 9, 684 der
Acc. steht. S. 319. steht: Gallium profectus est, wo in ausge-
lassen ist. § 275. sind 3 Sätze über den Conj. in Nebensätzen als
Regeln ausgesprochen. 1) Der Nebensatz enthält Worte des Sub-
jects im Hpts. ; 2) er enthält Gedanken und Vorstellungen des
Subj. im Hpts.; 3) er enthält Gedankeu, welche durch die Natur
und Beschaffenheit des Subj. im Hpts. bedingt werden. Diese
Sätze sind für den praktischen Gebrauch nicht deutlich genug und
auch an sich schief ausgedrückt. Im Satze: Constat, esse deum,
a quo mundus factus sit, enthält der relat. Nbs. nicht Worte,
nicht Vorstellungen und Gedanken des Subj. im Hpts. , und auch
die 3. Regel passt nicht auf ihn, denn dircct würde ich sagen:
est deiis, a *quo mundus factus est. Der Hr. Verfasser würde
das Beispiel unter die erste Regel stellen , aber weshalb ist diese
dann so beschränkt ausgedrückt'? Dabei ist auch der Ausdruck
Hauptsatz nicht gut gewählt. Weon ich sage : Nunc librum eum
esse scio , qui Herum legi debeat , so steht doch wohl der Conj.
in dem Relativsatze nach Nr. 3., und doch ist das Subject des
Hpts. „ich". — Solche Verwirrung darf aber in einem Schul-
huche nicht zu finden sein. Schlimmer steht es noch mit dem
Begriffe von Nebensatz. § 275. ist Subordination auf gewöhnliche
Weise erklärt und § 275. wird gesagt, wir wollten den unterge-
ordneten Satz ein für alle Mal Nebensatz nennen , und es wird
eine äussere und innere Unterordnung unterschieden. Nun ist
aber § 301. zu lesen, die Sätze, welche mit s/, «ist, si non . . .
verbunden würden , seien entweder nebengeordnet oder unterge-
ordnet; die nebengeordneten ständen 1) im Ind., wenn Vorder-
und Nachsatz äusserlich neben einander gestellt wären, z. B.
Numqtiam Imbere, si te audies; 2) im Conj., wenn derselbe Mo-
dus auch ohne dies seiner Natur gemäss ('? seiner Natur gemäss
wird er wohl immer stehen) stehen müsste, z. B. Si existat ho-
die ab inferis Lycurgus, gaudeat murorum Spartae ruinis
(aus Liv. 39, 37.); die untergeordneten ständen im Conj., welcher
aus dem Verhältnisse des Vorder- und Nachsatzes zu einander
hervorgehe, z. B. Sapiens non dubitat, si ila melius sit, mi-
grare de vita; eben so bei einer oratio ohliqua'? Undeutlich
nennen wir es auch, wenn es § 30>*. heisst, es gebe 2 Arten von
Fragesätzen und zwar 1) solche , in welchen die Frage in einem
besonderen Frageworte liege, 2) solche, in denen (welchen) die
Antwort schon in der Frage gesetzt sei, indem diese nur bejahet
der verneint zu werden brauche. Man sieht aus dem Gegensatze
Latein. Sthulgrammatiken von Köne und Bischoff. 137
der Theile leicht, was der Verf. sagen will. Wenn mich übrigens
Jemand fragt: Willst du eine Ferienreise machen? — liegt dann
die Antwort schon in der Frage'? Auch hilligen wir nicht, dass
S. 329. steht, bei quum mit dem Conj. falle auch wohl der kaus.
Nebenbegriff weg, und es stehe so rein von der Zeit. Wir mei-
nen nämlich, dass es sich der Lateiner da immer kausal gedacht
habe, wenn wir es auch kaum vermögen. Die Erklärung von non
dubito quin (lat. gedacht: nach meinem Zweifel findet die Sache
nicht statt) verstehen wir nicht oder halten sie für unrichtig;
quin ist uns aber da eben so erklärlich, wie „dass nicht" in „Hüte
dich, dass du nicht sündigst" u. A. § 316. Anm. wird gesagt,
dass Relativsätze in indir. Rede zuweilen als Hpts. betrachtet win-
den und im acc. c. inf. ständen, und § 317., dass Fragesätze, wel-
che sogen, rhetor. Fragen enthielten , in indir. Rede im accus, c.
inf. ständen. Aber bei letzter Bemerkung war der Zusatz zuwei-
len sicher auch nöthig. Man sehe einmal zu, wie oft Cäsar in
solchen Fällen den acc. c. inf. setzt! Was aber den 1. Fall an-
geht, so hätte bemerkt werden sollen, dass gerade bei Verbin-
dungen mit quare und ähnlichen Wörtern und überhaupt da, wo
die demonstr. Anknüpfung leicht ist, gern acc. c. inf, steht. Man
vergl. Cic. div. 1, 24.; das. 25.; das. 26. etwas auffallender; 53.;
fin. 3, 19.; de or. 2, 87 ; Caes. b. G. 1, 20.; 3L; 24.; 2, 4.;
bell. civ. 1, 35. ; 67. ; 85. ; Corn. Nep. 1, 3. ; 2, 7. (quare ae-
qutim esse); 7, IL; 14, 5. 6. Natürlich steht da auch oft und
vielleicht (?) mehr der Conj., z. B. Caes. b. G. 1, 40.: ex quo iu-
dicari posset. — In dem deutlich, aber nicht gar vollständig
behandelten pronom. reflex. finden wir wieder § 319. den Satz,
se werde nur da gebraucht, wo das Prädicat und das von ihm
Abhängige sich auf das Subject zurückbeziehe. Wir fragen, was
das heisse, oder wenn sich nicht ein Präd. auf sein Subj. zurück-
beziehe. — Wenn der Hr. Verf. aber in den Paradigmen der
Verba setzen liess: „blandiendus, ff, um — der, die, das ge-
schmeichelt werden soll, muss', — so wissen wir nicht, ob wir
Deutsch u. Latein gänzlich verlernt haben, zumal da wir unten in
einem andern Buche noch dieselbe Erscheinung haben , oder wie
solches sich einschleichen konnte. Was der Hr. Verf. S.356. gegen
das unmelodische Pochwerk unserer scandit enden Philologen ei-
fert, die den Schüler ausschelten würden, wenn er in Prosa i'nfandüm
läse, aber im Virgil iufandiun lesen lassen, verdient alle Anerkennung.
Fragen wir nun unserm Plane getreu nach der Masse des
Gegebenen, so miiss es auffallen, dass wir 2 Grammatiken
neben einander stellten, von denen die eine für die untern
h hissen, die andere (vom Hrn. Dr. B.) für alle Klassen des
Gyinn. geschrieben sein will. Aber mau wird sich leicht über-
zeugen, dass hone, der die untern Klassen übrigens wahrschein-
lich mit der Quarta unserer Gymnasien beginnen wird, in der
Formenlehre mehr, in der Syntax nicht viel weniger gegeben
138 Lateinische Sprachlehre.
hat, als B. , im Einzelnen, z. B. in der Wortstellung, auch hier
wieder mehr. Die Formenlehre ist von-Köne mit besonderer
Ausführlichkeit behandelt bis S. 174. Wir finden da bei den De-
clinationen viele Beispiele, die, was uns recht gefällt, gereimt
unter einander gestellt sind, z. B. iuba, d. M. ; tuba, die Tr. ;
coetia, poena etc., annus , pa/mus, color, clor etc.; dann §42.
ein aiphabet. Verzeichniss solcher Subst. , die etwas Unregelmäs-
siges oder leicht Verwechselbares etc. haben; die Fürwörter , so
wie Adv. und adv. Redensarten sind sehr vollständig angegeben;
die in der Bildung ihrer Stammformen abweichenden Verba sind
alphabetisch aufgeführt, nach vorausgeschickter Uebersicht ihrer
Abweichung. Vorzüglich beachtungswerth aber ist die Wortbil-
dungslehre, die wir den Lehrern, weil sie in alien uns bekannten
Grammatiken so dürftig behandelt ist, zur besonderen Beachtung
zu empfehlen uns erlauben. Wir verweisen darüber auf Jahrb.
24, 2. S. 223. Man erkennt darin zugleich des Verf. wissenschaft-
lichen Geist und wird manche Ableitung finden , die uns wenig-
stens überrascht hat. Die Syntax hat der Hr. Verf. in 2 Haupt-
abschnitte getheilt, in die Lehre von der Verbindung einzelner
Wörter und von der Verbindung der Wörter zu einem Satze, und
er glaubt in der Vorrede, dass diese Scheidung des so mannich-
faitigen Stoffes von so grossem Nutzen für die Praxis sei , als ir-
gend eine in der Grammatik, wenn sie auch nicht streng genom-
men wissenschaftliche Anordnung sei. Die praktische Anwendung
aber sei der theoretischen vorzuziehen. Der angehende Lateiner
lerne ja die Gramm, nicht, um ein wissenschaftliches Gebäude
der Sprache zu überschauen ; er lerne die einzelnen Regeln le-
diglich für die Anwendung in einzelnen Fällen. Wir können uns
in gewisser Hinsicht hiermit einverstanden erklären. Zwar for-
dern wir, dass der Schüler den Zusammenhang der einzelnen
Wörter und Sätze, die Satzlehre kenne, aber er soll den Zusam-
menhang nur als einen gegebenen erkennen, nicht aber angewie-
sen werden, ihn in der INothwendigkeit seiner Beschaffenheit auf
die Gesetze des menschlichen Geistes zurückzuführen. Das bleibt
höchstens der obersten Stufe und auch ihr im Gymnasialunter-
licht nur theilweise vorbehalten. Das Weitere hierüber unten.
Wir begreifen aber in der That nicht, was der Hr. Verf. mit sei-
ner Scheidung so recht gewonnen hat, da trotz dieser Scheidung
die Ordnung die hergebrachte ist. So werden erst die Kasus be-
andelt, wo die Beispiele meist vollständige Sätze sind und auch
im ersten § „Subject und Prädicat" überschrieben, schon Ob-
jeete, inier se, in senibus , stehen; dann folgt: Subj. und Ver-
bum (Subj. und Person, Subj. und Gattung des Verbs; Subj. und
Zeit des V., Subj. und Modus des V.) , Inf. und Verbum, Partie,
und Verbum; Gerundium, Supinum . . . und endlich noch Zugabe
zu der Lehre über die Verbindung einzelner Wörter. Da nun un-
ter den als Beispiele gegebenen Sätzen sogar zusammengesetzte
Latein. Sthulgrannnatiken von Köne und Bischoff. 139
vorkommen , z. B. mit p&siquam etc., so kann der Verfasser nur
wollen , man solle allemal eine Rücksicht bei der Einübung ins
Auge fassen , z. B. gerade die Verbindung des Verbs mit dem Da-
tiv, des Subj. mit dem Perf., und auch in den Beispielen das An-
dere nur nebenbei zum Verständnisse bringen. Aber das tliut ja
wohl jeder Lebrer ohnebin, wenn er nicht etwa eine Gelegenheit
benutzt, etwas schon Genommenes zu wiederholen oder auf et-
was Kommendes vorzubereiten. Unser Hr. Verf. hat nun im er-
sten Theile der Syntax die verschiedenen Verbindungen so weit-
läufig behandelt, dass ihm für den zweiten Theil — Verbindung
der Wörter zu Sätzen — wenig übrig bleibt, lieber den einfa-
chen Satz haben wir da nur noch einen §, nämlich 135., wobei
noch der Satz mit verbundenen Satzgliedern vorkommt ; dann folgt
die Betrachtung der neben- und untergeordneten Sätze. Somit
könnte bei jener Scheidung vielleicht nur gemeint sein, man solle
auf den logischen Zusammenhang der Sätze und der Theile des
Satzes fürerst bei den Schülern nicht dringen, sondern nur das
Factische im Auge behalten , daes z. B. postqucim mit dein Perf.,
ut mit dem Conj. verbunden werden u. s. w. Aber es macht
sich ja zum Theile von selbst, dass man z. B. sagt, ut leite Ab-
sichts- oder Folgesätze ein etc., wie das der Verf. auch selbst
thut. Die Eintheilung der untergeordneten Sätze ist uns zu äus-
serlich und auch theilweise unrichtig. Sie werden geschieden in
Relativsätze, Sätze des Orts , der Zeit , Vergleichungssätze, Ob-
jeetssätze, Sätze des Grundes, Folge-, Zweck-, Bedingungs-
sätze. Man sieht, dass der Verf. die log. Abtheilung einer ver-
meinten praktischen Rücksicht zum Opfer bringen will. Sonst
kann die Klasse der Relativsätze offenbar viele von den folgenden
(Ortes., Objectss. etc.) in sich fassen. Unter die Objectss. hat sich
Ungehöriges verirrt, z. B. quid quaeque nox aut dies f erat, in-
certnm est. Es werden aber Objectssätze nur die genannt , wel-
che das Verbum im Conj. haben!'? Auch die abhängige Frage,
z. B. quaeritur , quare hieine ningat , wird zu den Objectssätzen
gerechnet, ingleicheu der Satz, welcher den Casus bei den Ad-
jektiven dignus etc. umschreibt. Wir sehen nicht ein, wozu diese
Erweiterung des Wortes Object nützen kann und verwahren uns
dagegen. Auch ist es Missverständnissen unterworfen, wenn es
§ 130. heisst: „Die verbundenen Sätze stehen entweder jsclbst-
släudig neben einander und heissen dann nebengeordnete Sätze",
denn man könnte glauben , nur Hauptsätze könnten nebengeord-
nete sein. Eben so sonderbar ist das Wort Hauptsatz gebraucht,
wenn es § 120. heisst: ,,Der Conjunctiv in Sätzen, welche von
einem Hauptsätze abhängen , schliesst sich entweder an eine Con-
junetion oder an ein Relativum oder an die Fügung des Hauptsa-
tzes.1'' Der Conjunctiv braucht aber in solchen Fällen nicht zu-
nächst von einem Hauptsätze abzuhängen, denn mit den Sätzen:
tyuum liberales essent, ut beneßci viderenlur y . . . ; quum
140 Lateinische Sprachlehre.
Pyrrhus ad Romanos legatum vrisissst, qvi parem peteret;
quam Divico Caesari dixisset , ibi fnturos Helvqtios , ubi Cae-
sar eos coTistihdsset . . . sind alle drei bezeichneten Fälle aufge-
führt, ohne dass sie von einem Hauptsatz zunächst abhingen. —
Ueberhaupt unterscheiden wir untergeordnete und regierte, oder
abhängige, übergeordnete und regierende Sätze In non intelligo,
qaae dixisti, nennen wir den ersten Satz den übergeordneten, den
zweiten schlechthin den untergeordneten, den Nebensatz, und hier
genauer den Substantivnebensatz oder objeet. Nebensatz; in non.
inteUigo, quae dixeris, bleiben die erwähnten Benennungen be-
stehn, aber wir nennen den ersten Satz zugleich den regierenden,
den zweiten den regierten und halten solche Unterscheidung für
überaus praktisch, mag man nun die gegebenen Namen beibehalten
oder vielleicht zweckmässigem wählen. — Uehrigens ist im Ganzen
der Vortrag recht klar in dieser Grammatik, und wir bitten den ge-
ehrten Hrn. Verf., unsere Bemerkungen als Beweis der Anerkennung
dessen aufzunehmen, was er uns geleistet hat und erwarten lässt.
Herr Birector Professor B. sagt mit Recht in der Vorrede,
dass die grossen Fortsehritte der wissenschaftlichen Sprach-
kunde in neuester Zeit „auf die Aneignung des sichern Besitzes
der lateinischen Sprache, d. h. vollkommener Beherrschung ihres
Wortvorrathes, ihrer Formen und ihrer Syntax zum »erstehen,
Schreiben und Sprechen bis jetzt bei weitem nicht dsn Einfluss
gehabt haben, welchen man davon erwarten sollte." Er glaubt
nnd wiederum richtig, dass der gelehrteste Kenner der alten Spra-
chen häufig von dem gebildeten Weltmanne überflügelt werde,
wenn er sein Lateinisch so beherrschen und handhaben solle, wie
dieser im Vergleich sein Französisch oder Englisch; dass er viel-
mehr sich nur gar zu oft zu diesen wie der Kritiker zum Künstler,
wie der llhetor zum Redner verhalte. Er fügt dann hinzu: „So
lange nun aber nicht die philosophische Einsicht in den Bau der
Sprache und in die historische Entwickelung desselben (*f ders.),
sondern ihre Kenntniss zum Behuf des Verstehens, Schreibens
und Sprechens das nächste Ziel des Sprachunterrichts ist, so lange
dürfte es ein verkehrter Weg sein, dem Schüler diese durch jene
beibringen zu wollen." Wir können diesen Satz billigen oder ver-
werfen , je nachdem wir ihn verstehn. Einer philosophischen
Einsicht ist der Schüler, zumal auf den untern Klassen, nicht fä-
hig, aber gesetzt, er behaupte, er brauche in seinen spätem
Jahren das Latein, weder zu verstehn , noch zit sprechen , noch
zu schreiben: so werden wir doch behaupten, dass ihm das Stu-
dium des Latein, für die form. Bildung seines Geistes sehr nütze.
Doch wir zweifeln nicht, dass wir mit dem Hrn. Verf. in diesem
Punkte einverstanden sind. Hr. B. spricht sich dann naiv -ironisch
über die Pestal. - Based. und Jacotot'sche Methode aus. Er will
nun ein Handbuch liefern, das fern von philos. allgemeinsprach-
lichen Abstractionen und von der Aufhäufung der Regeln und
Latein. Schulgrammatiken von Könc und BischofT. 141
Ausnahmen ohne leitenden Faden gerade ein Handbuch sei, durch
dessen Gebrauch in Schulen, mithin verbunden mit der mündli-
chen Erläuterung des Lehrers, das Gramm, der lat. Sprache ge-
lehrt werde; er berechnet sein Werk nicht, unmittelbar auf För-
derung der Wissenschaft, sondern auf die Förderung des Unter-
richtswesens und bestimmt seine Gramm, für alle Klassen, weil
der Vortheil, dass der Schüler au einer Gramm, heranwachse,
gross sei. Wir erwidern: 1) Es ist überaus wichtig, dass der
Schüler den Hauptkern der latein. Formenlehre und Syntax bei
Zeiten, etwa in 2 Jahren erlerne, damit er der Formen nicht
überdrüssig werde, auch früh anfangen könne, zusammenhan-
gende latein. Stücke zu lesen, und so muss also seine Grammatik
von der Gramm, der obern Klassen verschieden sein. 2) Dem
Schüler begegnen auf den obern Klassen bei seinen Uebersetzun-
gen so von der gewöhnlichen Syntax abweichende Fügungen, so-
wohl bei Dichtern als Prosaikern, dass sie nicht bloss das Gewöhn-
liche in ihren Gramm, antreffen müssen. Dabei geben wir gern
zu , dass manches für das Gymn. Entbehrliche in vielen unserer
Gramm, mitget heilt ist, und wir haben deshalb die Zumptsche
schon von einem andern Gesichtspunkte aus betrachtet. Wir ha-
ben hier nun bis S 212. Formenlehre, wovon S. 201 — 212. Wort-
bildung enthält, dann folgt Syntax bis 347. weit u. gross gedruckt
und mit vielen Beispielen verschen, woraus man auf die Ausführ-
lichkeit der Syntax schliessen kann; dann röra. (lat.) Kalender,
Abkürzungen, römische Geldrechnung, Metrik. Es scheint in-
dess wohl nichts besonders Nöthi^es weggeblieben zu sein, und
Manches kann der Lehrer allerdings erweitern. Aber den Leh-
rern, wenigstens denen der untern Klassen scheint Hr. Dir. B.
wenig zu trauen , da „viele Gymn. sich gedrungen sehen , diesen
so wichtigen Unterricht (den latein. Elementar -Unterricht) oft
jungen, im Unterrichten noch unerfahrenen Männern anzuver-
trauen." Mag auch der Natur der Sache nach diese Bemerkung
begründet sein, so war es doch wohl nicht nöthig, 16 Linien
latein. und deutscher Zahlwörter abdrucken zu lassen, mit der
Frage, wie sie im Deutschen und Lat. heissen, sondern eine Li-
nie derselben mit „u. s. wS' genügte. Aehnlich ist es mit den
S. 130. und 178. gegebenen Fragen; eine Erinnerung für den
Lehrer reichte hin. S. 178 ff. sind nämlich über 10 L. lateinische
Sätze mehr als 2 enggedruckte Seiten mit Fragen gegeben, der
Art, wie: mors, nach welcher Declin. und welches Geschlechtes
und wovon hängt ... ab'? In welchem Casus? . . . War ein Satz
so durchgenommen und bemerkt, man solle ähnlich mit allen ver-
fahren, so müsste der Lehrer auf den Kopf gefallen sein, wenn
er nicht selbst wüsste, was zu thun wäre. Unnölhige Breite
macht sich auch S. 73., 9., 52. geltend, wobei wir die Absicht
des Verfassers gar sehr billigen. Wie er aber dazu kam, diese
Regeln über das Geschlecht der Wörter abdrucken zu lassen.
142 Lateinische Sprachlehre.
begreifen wir nicht. Wir sind nicht gegen die gereimten , denn
der Gedankenlosigkeit wird sich leicht vorbeiigen lassen ; was
sollten aber Schüler mit irpex ? ramex ? cor (lex '* und gar penis ?
coecyx? anthrax? u. s. w. Das sind Wörter, die einem Manne
in den latein. Schriftstellern vielleicht noch nicht vorgekommen
sind, und der Knabe soll auf der Sextanerbank sein Gedächtniss
damit beschweren'? Es wäre doch wohl nicht so grosse Kunst,
die gewöhnlichsten Wörter in neue Reime zu bringen. — Uebri-
gens ist der Vortrag der Regeln im Ganten klar und gründlich,
und wir statten dem Verf. für manche schöne Bemerkung, die
wir uns aus seiner Gramm, aneigneten, unsern aufrichtigsten
Dank ab. Die Nebensätze sind in Relativ- , Causal-, Temporal-,
Consecutiv- und Final-, Conditional-, Concessiv- und Frage-
sätze abgetheilt, wofür wir systematischere Abtheihing wünsch-
ten, da z. B. der Verf. selbst S. 323. zugiebt , dass der Relativ-
satz auch die Kraft eines Finalsatzes erhalten könne u. s. w.
Siehe oben !
3) Die Gramm, von Burchard ist jetzt in ihrer 4. Aufl. er-
schienen. Sie giebt, um hier einmal nach der umgekehrten Ord-
nung unsers Recensirplanes zu Werke zu gehen, von S. 135 — 266.
Beispiele zur Uebersetzung ins Latein in 2 Curstis, und von Seite
267 — 361 eben so solche zur Uebersetzung aus dem Latein, zu-
letzt aus Nepos; von 362 — 415 ist Lexikon. Bei den Deck sind
viele Subst. und Adj. angegeben, die von den Schülern auswen-
dig gelernt werden müssen und zugleich die Verbindung von Sub-
stantiv und Adjcctiv einüben können. Den Conjugationen folgt
ein Verzeichniss der Verba mit abweichenden Perfect- und Su-
pinformen, die nach der Verschiedenheit der Endung des Per-
lects mit besonderer Berücksichtigung des Charakters in 4 Klassen
getheilt sind, ohne Unterscheidung der Conj., nach der Ansicht,
dass es eine regelmässige Conj. und drei zusammengezogene gebe.
Die erste Klasse hängt i an den Stamm des Verbs , die 2. hat im
Perf. si, die 3. ui (hier kommen aeuo , solvo, iuvo , rno . . vor,
?.ur ersten Klasse ist dagegen lavo lavi etc. gerechnet [?] ) ; die 4.
vi mit vorhergehendem o, e, /', o. Die Syntax giebt von der sog.
Ucctionslehre von 102 — 118 das Nöthigste; dann folgt das Ver-
bum: tempora, modi, infinit., gcrund. , ablat. abs. und zuletzt
Gebrauch des pron. sui etc. — S. 128.; darauf Genusregeln als
Anhang, obgleich früher bei den Deck das Nöthigste vom Genus
schon vorgekommen ist. Wir brauchen das Buch auf unserm
Gvmn. von Sexta bis Quarta*) ehig., wobei wir auf Quarta
*) Da die Gramm, wohl mehrfach noch auf Quarta gebraucht wird,
so bitten wir den Hrn. Verf. zu bedenken, ob nicht die Wortbildungs-
lehrc zumal da sie im deutschen Sprachunterrichte in den untern Klas-
sen genommen wird, passend wäre, wobei wir ihn auf liöne-Rück-
sicht zu nehmen ersuchen würden.
Latein. Schulgianimatik von Burcliard. 143
die Syntax vielfach erweitern, was sich häufig an den Nepos,
häufig an die deutsch -lateinischen Arbeiten anschliesst. Zu den
letztern ist auf Quarta ein anderes Buch nöthig. In Bezug nun
auf Auswahl des Stoffes räumen wir unserer , zunächst für die
beiden untern Klassen berechneten Burch. Gramm, gerne ein,
dass sie so fast das Zweckmässige enthält ; Originelles kann hier
kaum erwartet werden. § 48. Anm. 3. jedoch heisst es , alle
Ortsbestimmungen ständen auf die Frage wo? mit lotns und omnis
im blossen Abi. gewöhnlich. Bei omnis kannten wir diese Regel
nicht, sie kann richtig sein; Rec. bescheidet sich anzuführen,
was er weiss: Cic. Verr. 4, 10, 23.: in omni orbe terra/ um; in
omni mundo , de n. d. 2, 6.; ib. 2, 62. ; Sext. 24. ; in omni Gal-
lia, Hirt. b. G. 8, 46. Bei dem genit. part. sind die Zahlwörter
ganz weggelassen, was wir nicht billigen; über die Adj. mit dem
Gen. § 59. s. Jahrb. B. 24. H. 2. S. 207.; über die Verba des Er-
innerns ebcnd. S. 204. ; über den Imper. mit ne S. 213. Ueber
die Abfassung mancher Regel sind wir mit dem Hrn. Verf. nicht
einverstanden; statt: „Man sagt: Mihi opus est aliqua re, mir
ist eine Sache nöthig'1 etc., würden wir lieber sagen : „Bei opus
esse, nöthig sein, steht derjenige, welcher etwas nöthig hat,
oder welchem etwas nöthig ist, im Dativ; was er nöthig hat oder
was ihm nöthig ist, steht im Abi. oder Nomin "■ und ähnlich bei
mihi est, ich habe; mihi nomen est u. s. w. , da verworrene
Schüler setzen: Mihi Cimoni opus erat u. s. w. — S. 104. 7.
wird gesagt , das Prädicat stehe im Plur. , wenn etc. Aber ist
das Wort Präd. gut gewählt'? Im Satze: Dux et milites praeda
hostium fuerant , ist praeda auch Prädicat und doch steht es im
Singular. S. 119. heisst es: In Hauptsätzen folgt auf ein Praes.
wieder ein Praesens u. s. f. Was heisst das? Kann ich nicht
sagen: Ille rogabat vehementissime , sed ego ei obsecutus non
sum. Und ist es nicht in Nebensätzen eben so '? Und ist es wahr,
dass auf ein perf. ind. des Hauptsatzes bei Conjunctionen, die
den Conj. regieren, imperf. coni. stehen müsse, wie es S. 119.
heisst 1 Doch wohl nur nach dem perf. bist.! Die Regel, welche
Zumpt § 512. angiebt, ist verstand lieber .und richtiger. — Wes-
halb der abl. ger. bloss als instr. aufgefasst wird und von in nicht
die Rede ist, wissen wir nicht. Blissbilligen müssen wir auch,
dass § 56. nur vom abl. abs. und nicht sonst vom Part, die Rede
ist. Die dort gegebene Regel: Wenn Nebensätze durch Purtikeln,
vue: als, nachdem, da, wann, während, mit einem vom Haupt-
sätze verschiedenen Subjecte eintreten , so kann mit Weglassung
der Conj. ihr Suhj. in den Ablat. des der Handlung oder dem Zu-
stande angemessenen Particips gesetzt werden, halten wir für
mehrfach ungenügend und unpraktisch. Was soll da „Hauptsatz"'?
Falls ich sage: Als Cäsar, nachdem die Soldaten den Kid der
Treue geleistet hatten, voiwärts rückte ... so kann ein sogenann-
ter ablat. abs. eintreten , obwohl noch gar kein Hauptsatz da ge-
144 Lateinische Sprachlehre.
wesen ist. Dann, wie undeutlich: mit einem vom Hauptsatz
verschiedenen Subjecte? Was heisst es: Das Subj. ist vom
Hauptsatz verschieden '2 Vielleicht vom Subject des Hauptsatzes?
Nein, dann kann doch noch kein ablat. absol. stehen dürfen. Wir
würden die Regel so fassen: Wenn Adverbialsätze mit den Parti-
keln als etc. anfangen und im übergeordneten Satze ( — der Name
ist schon aus der deutschen Uebung bekannt — ) kein Pronomen
vorkommt, welches sich auf's Subject jenes Adverb'alsatzes be-
zieht: so kann man dieses in den Abi. setzen und mit Wcglassung
der Partikel das Vcrbum im Particip. damit übereinstimmen las-
sen; kommt aber im übergeordneten Satze ein Pronomen vor,
welches sich auf's Subject jenes Nebensatzes bezieht, so iässt
man dieses Pronomen aus, setzt das Subject des Nebensatzes mit
WTeglassung der Partikel in den Casus, worin das ausgelassene
Pron. hätte stehen müssen, und lässt das Verbum im Partie, da-
mit übereinkommen. Wir haben dann auch die Regel über das
Partie, in den andern Casus. Man nenne solch eine Abfassung
mechanisch, aber wir können alles Mechanische für diese Stufe
nicht entbehren, und in der andern Fassung ist die Kegel eben so
mechanisch. Eb/m so verworren ist § 57. Se . . . stehe , heisst
es, wenn die deutsehen Fürwörter 1) in Hauptsätzen sich auf das
Subject der Hauptsätze beziehen, *2) wenn sie in Nebensätzen
sich auf das Subject eines Hauptsatzes beziehen, in welchem das
Prädicat ein Verbum des Redens oder Denkens ist. Aber was für
eine Erklärung von Haupt- und Nebensatz sollen wir dann hier
zu Grunde legen1? Der Satz: „Als Caesar seine Soldaten (sich)
gestärkt hatte; als er sich erinnerte, dass er" ..., fordert ein
reflex. , und doch ist kein Hauptsatz da. Dagegen darf im Fol-
genden: Der Knabe hat mir das wieder erzählt, was du ihm ge-
sagt hast, kein refl. stehen, obwohl hier im Nebens. das „ihm"
sich auf das Subj. des Hauptsatzes bezieht, und dieser zum Präd.
ein Verbum des Redens hat. Wir pflegen die Regel für diese
Stufe so zu fassen: Se . . steht, 1) wenn die deutschen Fürwör-
ter sich beziehen auf das Subj. desselben Satzes, 2) wenn sie in
einem abhängigen Satze sich auf's Subj. des regierenden Satzes
beziehen." Regierende, abhäugige Sätze lassen sich dann leicht
deutlich machen. Auch die Apposition § 46. erklären wir, von
allem Andern abgesehen, lieber durch einen mit „welcher ist"
aufzulösenden Satz für diese Stufe. Und wie unpraktisch: „Bei
doceo etc. steht sowohl die Person, als auch die Sache des Obj.
im accus." Was ist Person und Sache des Obj.? Ich denke:
„Das, was ich Einem lehre, und der, dem ich es lehre, steht
etc. Aehnlich § 48, 7. § 50. ist der gen. qualit. so abgefasst:
„Wenn die Präposition von bei einem mit seinem Adjectiv ver-
bundenen Subst. eine Eigenschaft ausdrückt, so steht das Subst.
im blossen Genitiv. — Nicht auch das Adj.? Was heisst es:
Die Präposition von drückt eine Eigenschaft aus? Auch sollte
Latein. Schulgraiumatik vor Burchard. 145
§ 47, 6. hinzugefügt sein: „man glaubt, dass ... — credor, pu-
tor, exist." , weil im Lesebuch derartige Sätze vorkommen, S.
280. Zudem würden wir in solchen Regeln die latein. Wörter
aliemal einzeln gegen die deutschen derselben Bedeutung stellen
und nicht die deutschen alle zusammen und die latein. zusammen;
also: Es scheint, dass . . , videor ; mau sagt, dass . . , dicor . . . ;
und ähnlich § 48. u. a. — Ueber die Subst. der 1. Declination,
welche im abl. abus haben sollen, den Genit. der neutr. nach der
4. Decl., über die Genusregel, über ditior, posterus etc., rfe-
cimus tertius , bismille, trecenties mille milites (auch milleni^
bis milleni wird unklassisch sein), audiisse, bibitum, das Perf.
von fr endo, parcitum (Zumpt § 194.), alsum, serptum, quassi^
send, sei tum (1), crevt, er etum (sehen), (furo), quid, faux
(S. 15. § 14. steht richtig fauces) , circum (S. 98. bei Zahlbe-
griffen), s. oben und vgl. Zumpts Gramm. Weshalb steht aber
hei doleo und careo einfach: „ohne Supinum"? So verbürgt,
wie cariturus und doliturus, möchten manche Formen nicht ein-
mal sein , und das eigentliche Supinum kommt ja bei den meisten
Verben nicht vor. S. 73. ist das ungebräuchliche simplex cendo
aufgeführt, aber es heisst, wie Köne richtig hat, cando (fact. zu
candeo, vrgl. pendo, pendeo etc.). S. 104. heisst es: existere,
apparere , videri, als etwas erscheinen. Aber wie kann man
diese drei Wörter ohne weiteres neben einander stellen ! — Ins-
besondere aber müssen wir den geehrten Hrn. Verf. dringend
bitten, im Lesebuche das viele unklassische Latein auszumerzen,
welches zum Tbeile in den unter den deutschen Beispielen sich
findenden Anmerkungen, theils in lateinischen Lesestücken (Fa-
beln, Mythologie etc.) vorkommt. So soll z. B. S. 139. „die be-
rühmtesten 20 Feldherren" durch celeberrimi etc. übersetzt wer-
den. Eben so S. 271.: celeberrimi diseiptdi Socratis etc. ; de-
bellare soll bekriegen heissen, z.B. S. 181. und 186.: Kaum hat-
ten die Römer den zweiten Punischen Krieg geendigt (ßnio), als
sie Macedonien bekriegten (debello). Vergl. S. 230. und 232.
5. 185. steht : Es waren 30 Tage verflossen (jjraeterlabor) , vgl.
S. 256. 18. und S. 156. und dies elapsi S. 329. S. 164. soll das
Präs. „anfängt" mit coepit übersetzt werden. — Auch zu unge-
naue Uebersetzungen sind mit Recht missfällig. Dei Satz: „Gott
hat die Welt mit allen Gütern angefüllt"-, soll ornare; „Alexan-
der zog bis an den Ocean" S. 141., penetrare aufnehmen , und
S. 267. soll in den Wrorten: Hyaenas Jfrica praeeipue alit, das
letzte Wort durch „ernährt, bringt hervor'4 übersetzt werden.
S. 246. soll in: ,, Griechenland hat sich durch Gelehrsamkeit aus-
gezeichnet'1, das letzte Wort mit oruari zu geben sein. Mit
heisst aber nie „bringt hervor", anfüllen heisst nicht ornare, und
„ziehen" nicht penetrare. Wir sind Köne gerade dafür recht
dankbar, dass er das Latein an das Deutsche möglichst enge an-
zuschliessen sucht, und erkennen darin eben den praktischen
y. Jahrb. f. Fiül. u. i>üd. od. Krit. Bibl. Bd. XXVIII. HJt.'i. 10
146 Lateinische Sprachlehre.
Schulmann. Wir lassen nun noch einiges unserer Einsicht nach
Unklassische oder bloss Dichterische folgen. S. 282.: quorum
unus besser: e quibus; S. 283.: petüt; S. 284 u. 285.: Respon-
dit agrestis (jnus)} respondit illa; hirundo rursus ; Insiat per-
nicies, ait*)', S. 285. 11.: atris tenebris se condidit; das. 12.:
ovis domino dixit : Mirum facis etc. ; vgl. 277. u. 284. u. S. 287. :
lupi necantur , clamant, ?iali nostri etc.; das. postquam fece-
rant; vgl. dum . . . oppugnabat , S. 271. und postquam mit dem
Plusquamperf. ; das. 16.: quo se loco conderet; vergl. S. 283. ;
noli timere, pastor ait; maximas, lupus dixit . . gratias ago.
So mit respondit und ait noch mehr, z. B. S. 288. 17.; 18.; S.
289. 21.; 22. - S. 289. 22. steht: nequissem; S. 141.: differo,
distuli, düatum in der Bedeutung „sich unterscheiden'1; S.287.
16.: num huc lupum venire vidisli? Qua parte fugit, wo der
Fragende auf die erste Frage offenbar bejahende Antwort erwar-
tet; S. 293.: cum lunala in fronte pingitur (s. Krebs Antibarb.
S. 164.); S. 223.: meridionalis , S. 335 u. 343.: borealis ; oft
et , wo es nicht stehen sollte , z. B. ver , aestatem , uuetumnum
ethiemem, S. 333.; das. eclipsis und non nisi; S. 290. : vulgus
tarnen innumeros [innumerabiles — vgl. S. 153.) fere deos cole-
bat, donec christiana religio doctrinam de uno deo latius pro-
pagaret ( — avit); S. 272.: ursis . . inest für in ursis inest ;
das. palatium ; S. 273.: Saeculo deeimo septimo (sept. d.) bel-
lum gestum est, quod totam fere Germanium devastavit {quo
tota ... ); S. 276. (vgl. 331 u. 204.): mare mediterranenm;
das. post proelium apud Cannas Hannibal, si Romam proper as-
set , in Capitolium die quinto epulaturus fuisset ; das. hoc si
eris facturus, nuntium ad nie mitte {rnittU6)\ 279.: absque
Camillo, vgl. 331. ; 281.: ars sculptoria; das. alieubi pater in
vinea nobis abscondit thesaurum (aliquo abdidil); S. 284. : si
collabort onus fiet levius (s. Zumpt § 510.); S. 288.: ciconia
inquit für inquit c. ; S. 324. : confiteminor peccata vestra neque
timetote poenam (der Imper. mit ne steht oft in den Beispielen;
s. Jahrb. 24, 2. S. 213.); S. 326.: prosüiunt lacrimae prae
laetitia ; 328.: orientalis ; Ciceroriis merita de palria [in pa-
triam); 332.: poliinetura (*?!); 334.: versus ortum, vgl. 339. ;
336.: aqua fluvialis et fontana; 337.: pagus in der Bedeutung
Dorf; 338.: quaqua versus; auetor (Schriftsteller) S. 145.; in-
vicem statt int er vos S. 152.; infortunium S. 188.; S. 203. ist
das Supin. poscitum zu streichen; milliare steht S. 202.; 221.;
zu attentio (Aufmerksamkeit) S. 219. setze man animi; statt co-
mela 231. cometes ; auch meinen wir, dass wo valebant für po-
terant stände. So weit unsere Blumcnlese aus der 4. Ausgabe
*) Ueber ait möge man Krebs Ant. S. 100. sehen, der wahrschein-
lich durch einen Druckfehler dort Cic. or. II, 30. anführt, wo XI, 36.
stehen sollte, und unsere Bemerkung; Jahrb. 24. 2. S. 218.
Vorschule zu dem Iatcin. Sprachunterr. v. Bagge. 147
eines Schulbuches. Uebrigens ist verständiger Stufengang im
Lesebuche, und die Sätze sind meist gediegenen Inhalts, und so
können wir dem Hrn. Verf. für seine Bemühung um das Unter-
richtswesen unsern Dank nicht versagen.
4) Weit beschränkter ist die Vorschule von Bagge, und
wenn wir nach der Burch. Grammatik gleich auf Untertia z. B.
Zumpts Gramm, gebrauchen können (freilich mit Ueberschlagung
von Manchem), so möchte das hier kaum angehen, und doch
wird man auch wohl nicht gern 3 latein. Grammatiken brauchen
wollen. So finden wir hier z. B. beim Genitiv die Wörter admo-
nere, commonere (erinnern etc.) nicht erwähnt, die ganze Re-
ctionslehre steht auf 4 Seiten, während doch wieder Adverbia
mit dem Genitiv (?/6j, quo, tcnde, usquam, unquam , tunc,
tum etc.) aufgenommen sind, die recht gut wegbleiben konnten,
da ja iunc , tum temporis gar unklassisch ist. Ueber mehrere
Subjecte im Satze, die Beziehung eines Adj. etc. auf mehrere
Subst. ist Nichts zu finden. Wir haben hier XIV Seiten Vorreden,
dann von S. 1 — 82 Declination, Coraparation, Pronomina, Zahl-
wörter, Conjugation (von S. 60 — 68 eine Sammlung regelmässi-
ger und unregelmässiger Verba), Sammlung von Präpositionen,
Conjunctionen und Interjectionen ; von 83 — 92 Syntax, von 93
— 136 lat. Sätze. Der V erf. geht von der im Ganzen löblichen
Ansicht aus, dass die Schüler bei Einübung der Paradigmen schon
so viel Wörter auswendig lernen müssen, als sie zur Uebersetzung
der ersten latein. Lesestücke nöthig haben. In diesen sollen dann
auch nur die bei den Paradigmen gegebenen Wörter vorkommen,
später auch wohl deren Composita und Derivata; auch — was
durchaus zu billigen ist — soll für den ersten Anfang keine Con-
struction sich finden, welche nach dem Plan des Ganzen nicht
vorkommen konnte; die späteren latein. Sätze sollen zugleich auch
die früher gegebenen Kegeln wieder vorführen. Daher dann die
Weglassung des Wortregisters, die wir in der That nicht gut heis-
sen, da auch bei dem sorgfältigsten Memoriren augenblickliche
Vergessenheit den Schüler in Verlegenheit setzen und zu Abwe-
gen führen kann. Einen Anhang zur Uebersetzung in's Lateini-
sche verspricht der Hr Verf. in der Vorrede zur zweiten Auflage,
wir kennen ihn jedoch nicht. Die syntaktischen Regeln sind nicht
durch Beispiele erläutert und nur zur näheren Erörterung des
Lehrers angedeutet. Wir billigen dieses keineswegs, sondern
behaupten mit Burchard, dass die Regeln einer solchen Gramm.
so klar -und so bestimmt gegeben sein müssen, dass der Schüler
sie als Sprachgesetze für immer auswendig lernen kann ; auf hö-
heren Klassen müssen sie dann immer erweitert und für's Ein-
zelne näher bestimmt werden. Wir sind der Einübung mit gan-
zer Seele zugethan und wissen wohl , dass unsere grossen neuen
Lateiner sich durch Lesen und Ueben gebildet haben , aber
die Klarheit des vorgehaltenen Sprachgesetzes kürzt den Weg ab,
10*
143 Lateinlecho Sprachlehre.
und unsere Schüler sind nicht alle so grosse Geister, als wir ehen
andeuteten. Auch Beispiele zu den syntaktischen Kegeln dürfen
nur dann fehlen, wenn der Lehrer sie mündlich ergänzt. Ent-
schieden aber müssen wir uns gegen die hier vorfindliche Abfas-
sung solcher Regeln erklären. Man lehre doch vor Allem dem
Schüler Nichts, was man ihm später wieder aus dem Gedächt-
nisse mit Mühe heraustreiben muss. Es kommt zu diesem Tadel,
den wir begründen wollen, noch hinzu, dass der Hr. Verf. es
mit klassischer Latinität nicht so genau nahm , wofür das Lese-
buch auch nach den vom Hrn. Dr. Geist in der 3. Aufl. gemachten
Verbesserungen noch einige Belege angiebt. Es heisst nun aber
'S. 81. bei Aufzählung der Conjunctionen : „Ben Conjunctiv regie-
ren bisweilen: quod, weil, dass; postquam, tibi, ut pr. , quum
pr. , simul ac . . . (nachdem , sobald als — Perf. Ind. — nicht
Plusq. — sobald etwa — Coni.); etsi, tametsi, etiamsi, quam-
quam (obgleich Ind. , wenn auch Coni.) ; quam, wie sehr (gewiss,
Ind., ungewiss Coni.); si, wenn Ind. , wofern, wenn auch, wenn
etwa Coni.'* etc. — Weshalb ist nicht auch et etc. aufgeführt
als bisweilen mit dem Conj. stehend, z. B. Illud certe scio, et
hoc sine ulla dubitatatione c onfirmaverim, esse .... Auf
dem ersten Blatte der Syntax S. 83. steht: Sui , sibi, se und
stius, a, um bezieht sich auf das nähere Subject1'' (z. B. in dem
S. 135. gegebenen Satzvereine: Herculi Eurystheus res impera-
vit, ut arma reginae Amazonuni sibi äffet ret, wo ja sibi aufs
Subj. zu afferret sich bezieht'?! u. s. w.); is, ea, id oder ille, «,
ud bezieht sich auf das entferntere Subject' k (vor allem nicht aufs
Object!); „durch ipse, a, um werden Zweideutigkei-
ten vermieden" 11 S. 84.: ,,Der Genit. steht auf die Frage
wessen*1, und auf alle Fragen mit einer Präposition, wo ein un-
vollständiger Begriff zu ergänzen ist", z. B. vertrauend auf eure
Einsicht, — worauf? fretus intelligentiae vestrae?! zufrieden
mit . . , begabt mit . . . Schlimm ist's freilich, dass man S. 86.
liest: „Der Abi. steht auf die Fragen: wovon4? wodurch? womit1?
etc. Der sogenannte Genitiv der Eigenschaft lautet hier: „NB.
Eben so steht auch im Latein, der Genit., wenn im Deutschen
eine Person oder Sache nach ihrer Eigenschaft, Gestalt, Zeit,
Dauer, Grösse, Zahl, oder nach ihrem Werthe vermittelst der
Präposit. von beschrieben wird." Also puer ingenii, societas
trium, und ohnehin wie unverständlich! Auch wird nicht Ein-
sicht in Sprachwissenschaft angebahnt. Eben das. heisst es,
wenn ein Wort von einem Ganzen nur einen Iheil aussondere
etc. , so stehe der Genitiv , auch de etc. ; dann folgt das eben an-
gegebene NB., dann der Genit. bei causa, gratia etc., darauf
der Genit. bei Adject. peritus etc. und endlich bei einigen Adj.
und Pron. neutris, wenn sie als Subst. gebraucht tverden, z. B.
bei quantum etc. Eben so folgt trotz des NB, noch auf der fol-
genden Seite: „bei dem Verbo sum: a) Wenn es ('?!!) eine Ei-
Vorschule zu dem latcin. Spracluinterr. v. Bagge. 149
genschaft oder Beschaffenheit bezeichnet.11 Der doppelte Accus,
stehe, heisst es, bei den Verbis etc. „sich zeigen" (praebere
und praestare sind gemeint, diq übrigens auch im Latein, das
Pronomen fordern), celare fehlt. Regeln, wie dass der Accus,
bei den Verben stehe, welche mit den einen Accus, regierenden
Präpositionen zusammengesetzt sind, der Ablat. bei verb. corapos.
mit einer Präpos. des Abi.,- däss viele mit Präpos. zusammenge-
setzte Verba den Dativ auf die Frage wem ? oder für wen 1 re-
gierten, sind für den Schüler in dieser Fassung Nichts werth und
konnten ganz entbehrt werden, wie sie denn Burchard auch nicht
hat. Und was soll der Schüler mit den Fragen : wo? wonach?
woran ? worin *? woraus ? worauf? worüber ? machen , auf wel-
che der Abi. stehe! Steht ja auf die Frage wo? fast immer in
mit dem Abi. und auf die Frage woran? steht gewiss häufiger eine
andere Constr. als der Abi. (vergl. denken, sich erinnern an Je-
mand; hangen an . . / stehen, sitzen, gehen am Bache . . ,
stosseji an . . u. s. w.) , so dass solche Angaben völlig unpractisch
sind. Aehnlich bei den andern Fragen. Auf die Frage wohe? ?,
sagt die Regel, stehen Städtenamen im Abi. mit oder ohne ab;
nach den Verben: bitten, ermahnen etc. steht (freilich) ut , aber
auch oft bloss der Conj., oft auch der accus, c. inf. In der Re-
gel über das Particip. und den ablat. abs. heisst es : „Ist das Subj.
des Nebensatzes schon in irgend einem Casu des Hauptsatzes ent-
halten, so richtet sich das Particip. im genere, numero und casu
nach demselben'1 (wonach denn'? Und bleibt im Hauptsatze Alles
so 1 ) ; 2) hat aber der Nebensatz ein eigenes vom Hauptsatze un-
abhängiges ('?) Subject" etc. — „Der Gen. des gerundii wird ge-
braucht, weun vor einem Infinitivo ein Substant. oder ein Adject.
vorhergeht , welches einen Genit. regiert." Nun kann aber nach
gewöhnlicher grammat. Ausdrucksweise wohl jedes Subst. einen
Genitiv regieren, also: den Vater zu lieben ist Pflicht des Soh-
nes - - patrem amandi etc. „Der Dativ des gerund, steht,, wenn
vor einem Infin. ein Verbum vorhergeht, welches einen Dativ re-
giert" , z. B. studeo audiendo. Als musterhaft muss noch ange-
führt werden , dass S. 57. in dem Paradigma blandior ich schmei-
chele, zu finden ist: blandiendus sum, ich muss geschmeichelt
werden, blandiendus sim, eram, essem, ero, ich müsse g. etc.
Wir wissen nicht, ob wir uns mehr über das Latein oder das
Deutsch wundern sollen: denn mag auch Jean Paul im Titan B. 3.
S. 164. schreiben: „Die Fürsten werden geschmeichelt'; mag
auch Lessing Em. Gal. 1, 4. den Maler Conti sagen lassen: ,.Auch
ist es (das Original) in der That nicht mehr geschmeichelt, als
die Kunst schmeicheln muss"'; mag auch Claudius (B. 2. S. 81.)
singen : „Ich danke Gott mit Saitenspiel , dass ich kein König
worlen; ich wäre geschmeichelt worden viel, und war' vielleicht
verdorben", und Spindler in seinem Könige von Zion das Verbum
mehrmals ähnlich gebrauchen: so bleibt doch der Dativ der re-
150 Lateinische Sprachlehre.
gelmässige Casus für dasselbe, und das Regelmässige sollte man
doch in einer Vorschule für die ersten Anfänger sowohl in Bezug
aufs Deutsche als aufs Lateinische erwarten dürfen. — Im Le-
sebuche steht S. 110.: Diebus solis multi homines in templis
conven iu n t (s. unsere Bemerk, obenj ; S. 101. : etiam prae
gaudio homines flere solefit; diu disputatum est, an unquam
fuerint Amazones; ähnlich S. 123, 9.; 128,17.. Ueber abusus
und abuti S. 120. ; 129.; 67.; Hierosolymam S. 130.; non nisi
S. 99,9.; 132,3.; 135,7.; innumeraS.132,3.; 120.; unus Se-
ptem sapientum; lacrimis inest (für in l. in.); serptum S. 64.;
(vasi) , vasum S. 65.; inquiens S. 74. ; comu als Gen. ; bibitum;
faux etc. s. oben. Bei valeo S. 62. ist valilum mit Unrecht ein-
geklammert, denn valiturus hat gar Cic Man. 16.; cariturus ist
oben schon erwähnt ; bei salio ist statt ii (ui) zu lesen tri (ii) ;
S. 65. send, sertum einzuklammern ; S. 8. plica zu streichen ; S.
18. steht das Milz; S. 21. schmuzig; S. 33. der Infinitiv sei ein
Modus. Auch für pagani S. 134, 6. steht wohl besser gentiles
und für Petrum Magnum , Caesar em Russorem = imperatorein
R. S. 112. ; vergl. reges Gevmaniae sive Caesares S. 113. Der
Satz: Turpia dictu non opus est ist merkwürdig. In quis
est, quem rusticus invenit quotidie S. 133., wird wohl inveniat
etehen müssen. Wegen ihres Inhalts sind uns unter den Sätzen
folgende aufgefallen: Pulchrae feminae sunt super bae, S. 93. ;
crfe, bibe, lüde; post mortem nidla voluptas , S. 134.; non ve-
stra causa, o homines, micant stellae in coelo! S. 135.
5) Wir wenden uns jetzt nicht ohne einige Bangigkeit zur
Vorschule des Hrn. Ludwig, die sich eher den bisher besproche-
nen Grammatiken entgegenstellt, als anschliesst. Ueber seine
Absicht bei Anfertigung dieser Grammatik lassen wir den Verf.
am liebsten selbst sprechen. „Die Bemühungen der Sprachfor-
scher unserer Zeit"-, sagt er in der Vorrede, „die Sprache mehr
und mehr als ein organisches Ganze aufzufassen und für den Un-
terricht entwickelnd darzustellen , sind unverkennbar . . . Soll das
Leben der Schule selbst ein organisches sein und jede höhere
Stufe in demselben eine Entwickelung der niedern, so tritt au-
genscheinlich auf der höheren Stufe da ein Mangel ein, wo sich
eine Weiterförderung des Lebens (?) an eine Vorbereitung an-
schliessen soll, die nicht gegeben ist. Es ist daher das Bediirf-
niss gefühlt und mehrfach ausgesprochen worden, dass ein Ele-
mentarbuch der lateinischen Sprache, das auf eine wissenschaftli-
che Behandlung der Sprache vorbereite und insbesondere zu-
gleich in einen Parallelismus mit der elementarischen Behandlung
der deutschen Sprache eintrete , wünschenswerth sei. Diesen
Zweck hat der Verf. des vorliegenden Elementarbuches erreichen
wollen. Zugleich ist der Verf. der Ueberzeugung, dass jeder di-
daktische Zweck jenem höheren pädagogischen untergeordnet
werden müsse, den Schüler schon früh auf eine richtige Würdi-
Verschale z. wisscnsc-ImfU. Auffass. d. Int. S|n\ v. Ludwig. 151
gung der Lebenserscheinungen und ihrer Beziehungen hinzuleiten.
Dies aber kann auf keine andere Weise geschehen , als wenn das
Leben in seiner nothwendigen Immanenz gefasst wird, so dass
jede Besondererscheinung auf eine Einheit bezogen wird und in
ihr ihren Werth erhält, und die Einheit des Gedankens in den
Besondererscheinungen ihren concreten Beistand findet" u. s. w.
Wir denken uns hierbei Etwas, und das ist richtig und schön,
wissen aber nicht ganz gewiss, ob wir dasselbe dabei denken, als
der Hr. Verf. Es wird dann noch gesagt, der Geist trete waltend
in die Notwendigkeit des organischen Lebens ein und erhebe es
in das Gebiet der Freiheit. Vor Allem, heisst es weiter, suche
die Sprache das im Leben Waltende Gesetz der Beschrä?ikung,
das sich an jeder concreten Erscheinung in Rücksicht ihres We-
sens, ihres Grundes und ihrer Bestimmung geltend mache, in
den besonderen Verhältnissen der Wörter zu einander nachzubil-
den. Darin solle man eine Rechtfertigung der eigenthümlichen
Auffassung des Princips finden , das in der systematischen Dar-
stellung des Hauptsatzes durchgeführt sei. Jedenfalls, glaubt
der Verf. bescheiden, dem Elementarlehrer einen streng geord-
neten Stoff zu bieten , indem der 1. Cursus nicht über die Gren-
zen des Hauptsatzes hinausgehe und kein Wort früher in irgend
einen Satz eintrete, als es nach Wesen und Beziehung erklärt
sei. Es wird nun gegeben von § 1 — 121. Entwickelung des Haupt-
satzes nach seinen Theilen und deren Formen und zwar 1 — 7.
einleitende Vorbereitungen; 8 — 75. nothwendige Bestandteile
des Satzes (subst. — verbum) und zwar 9 — 26. das verbum im
Allgemeinen, 27 — 36. das Subst. als Subject, 37 — 46. Arten
der verba u. accus. , 47 — 55. der genit. , 56 — 68. die perfecta
activi, 69 — 73. vom ablat., 74 — 75. vom Dativ. Der 2. Abschnitt
handelt vorzüglich vom Substant. mit seinem Adjectiv und zwar
vom Adjectiv im Allgemeinen, vom, Geschlechte des Substantivs,
von dem Grundverbum esse, von dem Participium, von der Stei-
gerung, vom adj. immer., vom pronomen, infin., von dem sup.
und dem ger. , und der 3. Abschnitt von den Adverbien, Wesen
und Arten der Adverbien, Comparationen derselben. — -- Dann
folgt in der 2. Abtheilung die systematische Darstellung des
Hauptsatzes, wo die nothwendige Beschränkung im Satze, subst.
und pron. als Subj , verbum nach seinem genus, tempus, modus
als Prädicat abgehandelt wird; darauf zufällige Beschränkung im
Satze: I. Beschränkung der Bedeutung der Wörter in ihrem Um-
fange (1. Beschränkung des subst., 2. des verb. , 3. mehrfache
zufällige Beschränkungen der beiden Hauptwörter der Sprache in
ihrem Umfange — ?! welche Eintheilung!). II. Beschränkung
des Seins nach Grund und Bestimmung (Abi. und Dativ). 111. Be-
schränkung in der Beschränkung.
Man sieht leicht, dass diese Grammatik den innern Zusam-
menhang der Satzglieder vor dem Schüler aufdecken und ihm ein
152 Lateinische Sprachlehre.
lebendiges Verständniss eröffnen will. Wir sind gewohnt auf
ähnliche Weise, obgleich mehr analytisch, die deutsche Sprache
auf den untern Klassen zu behandeln , abgesehen davon , dass es
uns nicht einfällt, die Bedeutung der Casus und Aehnliches sol-
chen Schülern vorzulegen. Rec. ist aber nicht der Meinung, dass
auf Schulen, wo mehrere Sprachen gelehrt werden, bei allen die
Satzlehre in solcher Ausführlichkeit vorzutragen sei. Hat der
Schüler einmal den Organismus des Satzes und der Periode durch-
schaut, so hat er es der Hauptsache nach wohl für alle Sprachen
gethan, denn die innere Verbindung wird, da sie von demselben
Geiste ausgegangen ist, auch überall im Wesentlichen dieselbe
sein. Es ist demnach nur noch nöthig, dass er die Abweichun-
gen in der Anschauungsweise des einen Volkes von dem and ein
sich merkt , und so wird dann ein grammatisches Gebäude aufge-
führt, in dem eben jene abweichenden Fügungen besonders in's
Einzelne ausgebauel sind. Wozu soll z. B. im Latein und im
Griechischen noch langwierig aus Beispielen gefunden und durch
Raisonnement vorgehalten werden, dass das Subst. häufig noch
durch ein anderes Subst. näher bestimmt oder beschränkt werden
könne. Nur znm Zwecke der so überaus uöthigen Einübung, nicht
des Verständnisses könnte das fruchten. Dagegen wird der Leh-
rer bei mündlicher Uebersetzung latein. oder griech. Schriftsteller
immer fragen: zu welchem Satzgliede gehört das Wort*? Wo-
durch wird's bestimmt? Welches ist das Verhältniss dieses Satzes
zu jenem u. s. w. , und die Schüler werden ihm, Fälle der Ab-
weichung von der deutschen Sprache abgerechnet, genügend zu
antworten vermögen. Führt man nun zum Verständnisse der all-
gemeinen Syntax durch die deutsche Sprache , so hat man den
Vortheil, dass die Schüler auch zusammengesetzte Sätze und Pe-
rioden kennen , wenn man zur Lesung grösserer latein. Stücke
z.B. des Nepos vorschreitet. Dagegen würde man, wenn man
mit der latein. Sprache in der angedeuteten Weise verführe, mehr
Stunden auf sie verwenden, die dem Deutschen entzogen wür-
den, und man wäre genöthigt — doch, wer nicht will, lässt sich
nirgends nötlngen ! — das Latein mehr praktisch einüben , als
nach theoretischen Regeln formen zu lassen, man müsste dem
Gedächtnisse latein. Material geben , und man könnte sich da der
Methode nähern , welcher K. Richter, jetzt Gymnasialdirector in
Kulm, im Schulprogr. des Paderborner Gymn. 1830. das Wort
redet. Wollten wir nun auch den vom Verf. eingeschlagenen Weg
— analytische Methode können wir ihn nicht eigentlich nennen,
denn die Regel wird überall an die Spitze gestellt, dann folgen
Beispiele zur Einübung — wollten wir nun auch diesen Weg billi-
gen , so können wir doch unmöglich die Weise billigen , wie er
ihn geht. Von welchem Alter sollen doch die Schüler sein, die
nach dieser Sprachlehre Latein lernen 1 Ich denke , von etwa 10
Jahren , denn sie können doch wohl noch gar kein Latein. Dann
Vorschule z. wlssenschaftl. Auffass. d. lat. Spr. v. Ludwig. 153
müssen wir aber den Hrn. L. glücldich preisen , wenn er Kin-
der findet , welche Sachen verstehen , die dem Rec. zuweilen
Kopfbrechen hosteten, und die er auch nicht überall verstanden
haben mag. Wie wahr dieses sei, muss sich aus der folgenden
Darlegung ergeben.
§ 1. beginnt: „Alle Dinge, welche wir im Leben wahrneh-
men, befinden sich in einem gewissen Zustande. Das Ding selbst
erkenne» wir daran, dass es dasjenige ist, was sich in einem Zu-
stande befindet; der Zustand aber bezeichnet die Art und Weise,
wie ein Ding in der Zeit da ist. Wir können deshalb auch sagen:
Das Ding ist etwas, was nicht in der Bewegung der Zeit gedacht
wird und darum als etwas Abgeschlossenes ('?), Festes (?), Selbst-
ständiges erscheint; der Zustand dagegen ist das Wiesein, das in
der Bewegung der Zeit gedacht wird und in dem sich das Ding
befindet." Wir verbinden damit § 37.: „Die Sprache sucht das
Leben darzustellen, sowohl das, was ausser einem Dinge ist (3),
als auch das, was in einem Dinge erscheint. Jeder Erscheinung
im Leben aber liegt eine Kraft zu Grunde, aus welcher die Er-
scheinung hervorgeht. In der Kraft aber ist zweierlei vorhanden,
nämlich Ruhe und Bewegung. Diese beiden Dinge, Ruhe und
Bewegung, kommen daher auch in den Erscheinungen des Lebens
vor, weil dieselben Aeusserungen der Kraft sind. Zu den Er-
scheinungen im Leben gehören aber auch die Zustände , in denen
sich Dinge befinden. Auch sie sind daher entweder Zustände der
Ruhe oder der Bewegung. Was den Zustand der Ruhe betrifft,
so ist dieser entweder der blosse Zustand des Seins oder es ist
der Zustand, in dem ein Ding auf gewisse Art ist, z B. ruhen,
d. h. ruhend sein. Was aber den Zustand der Bewegung anlangt,
so ist derselbe entweder ein Zustand des Werdens d. h. des Zu-
standes, in welchem ein Ding in einen andern Zustand übergeht,
oder es ist der Zustand der Bewegung», ein Zustand der Thä'tig-
keit d. h. einer Kraftäusserung." Wir meinen nun, 1) dass dieses
Raisonnement den Schüler wenigstens auf dieser Stufe nicht nur
nicht aufklären, sondern verwirren müsse, und 2) dass es an sich
der Berichtigung bedürfe. Wo wir nämlich Dinge anschauen, fin-
den wir sie vom Standpunkte des" sinnlichen Menschen gedacht,
nicht in irgend einem Zustande , sondern in irgend einer Thätig-
keit, d. h. der Aeusserung eines Zustandes. Dieses in Thätigkeit
angeschaute Etwas steht uns gleichsam gegenüber, neben oder
vor etc. uns, ist stehend; die Thätigkeit an ihm geht gleichsam,
d. i. äussert sich nach einander. Demnach bezeichnet das Subst.
{sab -stare — unter der Thätigkeit stehend und sie tragend) das
im Baume Daseiende , das Verbum das in der Zeit Thätige. Das
Subst. ist nach Hrn. L. etwas nicht in der Bewegung der Zeit Ge-
dachtes, dieses in der Bewegung der Zeit Gedachte wird nun
wohl das Verbum sein ; aber das Verbum soll auch den Zustand
der Ruhe bezeichnen. Diese verba neutra sollen nun entweder
154 Lateinische Sprachlehre.
den Zustand des blossen Seins bezeichnen oder den Zustand, in
dem ein Ding auf gewisse Art ist. Wir Kehren es lieber um und
sagen: Von den Verben, welche ihre Thätigkeit nicht auf einen
andern Gegenstand übergehen lassen , ist im Verlaufe der Zeit
und der Verstandesthätigkqit ein Verbum in seiner sinnlichen Be-
deutung so sehr abgeschwächt, dass es nunmehr den blossen Zu-
stand des Seins bezeichnet, denn das reine Sein ist ein abstracter
Begriff, welcher bei der Sprachentwicklung nicht zu Grunde liegt,
sondern später entsteht. Man vergleiche das hebräische rpn , das
chaldäische Nin, das deutsche mögen etc. , das englische I may,
might u. s. w. Wir können demnach auch, wie man leicht sieht,
mit der Scheidung des ZuStandes der Bewegung in den Zustand
des Werdens und den Zustand der Thätigkeit uns nicht einver-
standen erklären. Dass man aber die Sprache vom Standpunkte
des Sinnenmenschen . nicht des aus irgend einem Systeme Phi-
losophirenden betrachten müsse, das deucht uns , ist ausgemacht.
Wir können aber nicht fortfahren , unsere Ansichten den Er-
klärungen des Hrn. Verf. gegenüber zu entwickeln , da wir einmal
Nichts, was nicht schon sonst wo zu finden sein wird, beibringen
würden, und überdies unsere Recension sich ohnehin weit genug
ausdehnt.
Der Accusativ ist dem Verf. der Casus , „welcher das Ding
enthält, an dem ein Zustand, besonders ein für das Subj. willkür-
licher, freiwilliger, in seiner Daner und Ausdehnung beschränkt
wird"; § 39. u. 150.: „Wird ein Zustand durch ein Ding in sei-
ner Dauer beschränkt oder begränzt, so dient dazu der casus ac~
cnsativus1,1 ', wo also Ausdehnung weggefallen ist. § 47. heisst's:
„Der Genitiv enthält das Ding, welches ein anderes Ding in sei-
nem Umfange beschränkt1'; § 134.: „Das substant. im genit. be-
schränkt ein anderes in jeder denkbaren Weise. Ein Ding kann
aber auf dreifache Weise durch ein anderes Ding beschränkt wer-
den, a) nach seinem Wesen, b) nach seinem Grunde, c) nach
seinem Ziele-'1; § 69.: „Das Ding, welches gleichsam der Grund
und Boden ist, wo eine Erscheinung vor sich geht, steht in der
lateinischen Sprache in dem casus ablativus"; § 172. : „Der abl.
giebt in allgemeinster Bedeutimg den Grund an, wo eine Erschei-
nung stattfindet, oder von wo sie ausgeht. Auf beiden Seiten so-
wohl des Wo als des Woher tritt eine locative und eine bedin-
gende Bestimmung hervor , die dann in verschiedenen Beziehun-
gen und Formen weiter ausgedehnt und dargestellt wird"; § 74.:
„Im casus dativus steht das Ding, vor welchem eine Erscheinung
vorübergeht." Dann folgt der sonderbare Zusatz : „Gerade bei
dem Gebrauche dieses Casus sieht man, wie in der Sprache der
Geist waltend hervortritt. Denn die Beziehung einer Erscheinung
auf ein Ding, das ausserhalb der Erscheinung liegt, vor welchem
aber die Erscheinung vorübergeht, kann nur durch Erkenntniss
gefasst werden, d. h. entweder nmss das Ding, vor welchem eine
Vorschule z. wissenschaftl. Auffass. d. lat. Spr. v. Ludwig. 155
Erscheinung vorübergeht, diese Erscheinung auf sich beziehen,
also der Erscheinung eine Beziehung auf sich selbst geben , was
nur ein verständiges Wesen thun kann'-'; (kann vielleicht ein nicht
verständiges Wesen sich den Genitiv, der ein Ding nach Grund,
Ziel , Wesen beschränken soll , bilden , oder ist jenes abstracter
wie dieses?) ^uler ein Ding, %celch.es selbst in der Erscheinung
mit begriffen ist, muss die Erscheinung auf ein anderes Ding ne-
ben (ausserhalb) der Erscheinung beziehen, welches wieder nur
ein verständiges Wesen thun kann." Darnach sollte man also glau-
ben , der Dativ sei der letztentstandene Casus , weil er abstracte-
res Denken fordere. Wir aber wissen nicht, was wir mit diesen
Darstellungen machen sollen. Da wir das Substant. als llauman-
schauungen bezeichnend auffassen , so begreift man leicht , dass
wir dem Casus das Woher? Wo? Wohin? zuschreiben, wobei
wir mit dem Hrn. Director Bischoff § 195. es nicht für unerläss-
lich erachten, den Ablat. als durchaus mit dem Dativ identisch
zu erkennen; denn da er ein Luxusartikelist, so kann er allerdings
auch andere Anschauungen in sich aufgenommen haben , nament-
lich bisweilen die Anschauung woher1? zumal da das wo*? und wo-
her? nach verschiedenen Anschauungen seinem Inhalte nach häufig
dasselbe ist, wie wir denn z. B. den Satz: quo tanla machinatio
ab tanlo spatio institueretur , Caes. b. G. 2,30., übersetzen:
„wozu ein so grosses Werk in so grosser Entfernung" . . . Wir
wollen nämlich die dreitheilige Anschauung der Casus hierbei
durchaus nicht anfechten. Somit könnten wir allenfalls mit dem
Hrn. Verf. in der Anschauung des Abi. und Dat. , wenn wir sie
auf sinnliche Anschauung zurückführen, übereinstimmen, obwohl
wir seine Darstellung nicht billigen. Verwerfen müssen wir aber
seine in den verschiedenen §§ verschiedene Auffassung, die aus
dem oben Angeführten erhellet. Was sollten wir aber mit dem
Accus, machen'? Amat drückt nach dem Verfasser einen Zustand
aus ; in pater amat filium beschränkt sich also der Zustand des
Liebens in seiner Dauer an dem Dinge fdius? Wir meinen aber,
die Form amat schlösse Dauer ein und begreifen überhaupt nicht,
was hier Dauer bedeuten soll. Der Genitiv soll der Casus der
Beschränkung sein. Man gewinnt dadurch noch keine rechte Un-
terscheidung zwischen der Apposition, dem Substant. mit einer
Präposition, z. B. mentis ad hafte rem coecitas, stalua ex auro
u. s. w. , und nun soll das subst. im Genitiv ein anderes gar in je-
der denkbaren Weise beschränken!! § 134. S. oben! Aber wenn
ich sage: *tibi servio, non ö/m, so ist das Ding „ich1-' in seiner
Tluitigkeit des Dienens doch auch beschränkt auf das Ding „du1',
velcbem gegenüber mein Dienen staltfindet, und das ist doch
auch eine denkbare Weise. Sollte aber das Ding durch ein Ding
beschränkt werden, so hätten wir bloss den von einem Substant.
abhängigen Genitiv. Ich sage aber auch: Prorsus oblitus sum
mei (S. i07.). Hier bin ich in der Thätigkcit des Vergessens be-
156 Lateinische Sprachlehre.
schraubt auf mein Ich, wie ich auch im Satze: nie ipsum amo,
in der Thätigkeit des Lieheus beschränkt bin auf mein eignes Ich.
Der geehrte Hr. Verf., den wir in Wahrheit weges seines Eifers
für Jugendbildung ehren, sagt zwar § 139.: „Aus dem besonde-
ren Verhältnisse, in welchem Dinge zu Dingen stehen, gehen
gewisse Merkmale und Zustände für sie hervor, die eben durch
jenes besondere Verhältnis bedingt sind. Es sind deshalb auch
solche Merkmale und Zustände, Welche ausser dem besonderen
Verhältnisse, in welchem Dinge zu andern Dingen stehen, selbst
Dinge ('?) von gleicher Art nicht beigelegt werden können, z. B.
aus dem besonderen Verhältnisse, in welchem ich zn einem
Freunde stehe, geht der Zustand für mich hervor, dass ich mich
des Freundes erinnere." Hiermit soll nun wohl eine Beschrän-
kung nach dem Grunde nachgewiesen sein. Aber wenn ich sage:
Servus domino suo obedit, so geht aus dem besonderen Zu-
stande, in welchem der Knecht zu dem Herrn steht, der beson-
dere Zustand für ihn hervor, dass er dem Herrn gehorcht, und
doch steht kein Genitiv. Die modi verbi sind angegeben als be-
zeichnend, dass ein Ding in einem Zustande sich befinde, oder
möglicher Weise befinde oder in denselben eintreten solle, was
wir der Hauptsache nach billigen.
Wir glauben hiermit unser oben ausgesprochenes Urtheil schon
von einer Seite hinlänglich gerechtfertigt zu haben und haben auch
oft genug den Verf. selbst reden lassen, um seine Darstellung kennen
zn lehren ; deshalb vom 2. Curs. — der Satzverhältnisslehre bis Sei-
tenzahl 115, nur Weniges. Es werden hier die Hauptsätze in ihrer
Coordination durch viele Beispiele erläutert, und die coordinirenden
Conjunctionen sind dabei erklärt. In Veniet tempus mortis, sive
retraetabis r, sive proper abis , sind aber sicher nicht 2 Hauptsätze
entgegengestellt, sondern 2 Nebensätze, weshalb der Satz § 23.
nicht stehen sollte. Die Nebensätze werden geschieden in sub-
stant. und adjeet. Nebensätze. „Soll ein Merkmal", heisst es
§ 36. , „das zur näheren Bestimmung eines Zustandswortes dient,
durch einen Nebensatz umschrieben werden , so geschieht dies
durch einen substant. Nebensatz („ „w esshalb *? " ") ; wir haben
darum nicht nöthig, noch eiue 3. Art von Nebensätzen, etwa Ad-
verbialsätze, anzunehmen. " Aber da wir einmal Adverbien an-
nehmen, so sieht man nicht leicht ein, weshalb wir nicht einen
Satz, z. B. „als ich zu dir kam41 = „damals", als Vertreter eines
Adverbs Adverbialsatz nennen sollen. Folgerichtig scheint es zu
sein, dass man dann auch alle Adverbien auf Subst. zurückführte,
was Wüllner (Ursprung etc. § 11., über die Verwandtschaft des
Indog. § 11.) wohl nicht zugeben wird. Nachdem der Verf. subst.
und adjeet. Nebensätze (von den erstem schliesst er vorläufig die
mit Conjunctionen, nicht mit Relativen eingeleiteten aus — aber
was ist ein llelat. ? S. Wüllner Cas. u. M. S. 124. — ) nach ihren
Arten und ihrer Flejioii (in Rücksicht des einleitenden Relativs,
Vorschule z. Wissenschaft! Auffass. d. Iat. Spr. v. Ludwig. 157
der Person, des Modus, des Tempus) behandelt hat, spricht er
von der Casusbeziehung der Nebensätze. Da erscheinen Noinina-
tivsätze (tibi sunt ii, quos miseros dicis?), Genitivsätze (eornm,
quae videnlur , alia vera, alia falsa sunt), Dativsätze (Xerxes
praemium proposuit ', gm invenisset novain voluptatem, und die
mit ut und ne eingeleiteten Sätze), Accusativsätze [id licere dici-
mus, quod cui concedüur ; quid tarn planum vidctur, quam
viare ; ferner die mit dum, quoad, priusquam . . num, nt der
Folge, quin, quominus eingeführten Sätze, dann folgt noch ein-
mal ut in Sätzen, die ein bezwecktes Ziel enthalten, nach id
agere , curare, admonere , operam dare etc. und ut und ne
nach liniere), Ablativsätze (fruantur, utantur annona, quam
furore suo fecere ; dann Sätze mit ubi.., quum.., quötiiam..,
si.., quanwis. ., quasi, quomodo, quo vor dem Compar. mit
folgendem eo etc.). Die Folgesätze könne man auch als Ablativ-
sätze behandeln. Wir finden hier unter den Ablativsätzen in cau-
sal begründender Beziehung auch: Noli putare , pigritia nie fa-
cere , quod non niea manu scribam, wo wir den letzten Satz
wohl unbedingt für Accusativsatz halten, so wie der auch als Ab-
lativsatz angefiibrte ad/iuc investigare non possum, ubi Lentulus
sit — Accusativsatz ist. Es folgt nun noch Coordination und Sub-
ordination der Nebensätze, wo dann auch von den abhängigeu
Doppelfragen und von Sätzen, die von Nebensätzen abhängig sind,
gesprochen wird ; darauf folgen 2 Abschnitte über die Periode
und ein Anhang S. 119 — 142. mit latein. Lesestücken. Verwer-
fen als unbegründet und verwirrend müssen Mir die Ansicht § 111.
„Dadurch •■ (dass der Nebensatz vor seinen Hauptsatz tritt) „wird
er, indem er eine mehr selbstständige Bedeutung erhält, dem
Hauptsätze gleichgeordnet (coordinirt)." Auch möchten wir
Sätze, die einer ganz anderen Anschauung unterliegen, wenn sie
auch demselben Hauptsatze auf derselben Stufe untergeordnet
sind, nicht coordinirte nennen. So nennen wir in tu nescis id,
quod s eis , JJromo, si sapies , die mit quod und si eingeführten
Sätze nicht coordinirte Nach § CO. sollen die Nominativsätze
ein Substant. umschreiben. Aber wie passen dann unter die Bei-
spiele Sätze, wie: „Nicht alle Aecker, die bebaut werden. —
Das Vergnügen , das" . . — Eben solche Verwirrung ist § G7. u.
68. bei dem Accusativsatz. Auch ist in sie mihi perspicere vi-
deor, ita natos esse nos, ut inier omnes esset societas quae-
dam, kein Absühls- sondern ein Folgesatz (§ 06.). Uebrigens
brauchen wir, da wir jede einzelne Ansicht des Verf. billigend
oder berichtigend nicht durchgehen können, über 2. und 3., wor-
über wir Aufschluss geben wollten, Nichts mehr zu sagen. Ob
memini, obliviscor , als auch den acc rei regierend aufgeführt
sind, zweifeln wir; der Genit. und Abi. bei den verbis „schätzen
und kaufen'' etc. ist recht mangelhaft behandelt, der Ablat. bei
den Verben des Kaufens als ablat. der äusserlich sächlichen Dr-
158 Lateinische Sprachlehre.
sachc, des Mittels aufgeführt, und über multo, pluris emere, so-
viel wir wissen, Nichts erwähnt; auch über den numerus des
Verbs bei mehreren Subj., insbesondere bei pronom.; über die
Beziehung eines Adj. auf mehrere S übst. , über die Construction
bei ponere, statuere , collocare , confluere . . etc. erinnern wir
uns nicht, Etwas gefunden zuhaben. S. 251 und 252. , wo die
Präpos. mit dem ablat. vorkommen, steht ein Satz mit po?w und
dem ablat. und ein deutscher Satz: „er stellte (statuo) in die
Mitte", ohne Bemerkung. Ueberhaupt ist bisweilen mehr Fleiss
auf das abstracte Raisonnement, als auf die concrete Subsumtion
der einzelnen Erscheinungen im Latein verwendet.
Ueber Latinität und den Inhalt der gegebenen Sätze müssen
wir leider vielfach klagen. Da der Verf. nach richtigem Grund-
satze Nichts in den Uebungsbeispielen erscheinen lassen will, was
nicht schon erklärt wäre, so kommen Sätze vor, wie: servabis,
o deus ; Cicero de amicitia sejisit, wo vielleicht Bruckversehn
ein Object, das stehen könnte, wegliess. S. 140, 1. K. steht:
Posteaquam mihi renunüatum est de obitu Tulliae, wo vielleicht
bloss postea stehen soll. Doch ist auch S. 143, 1. K., wo wir
noch keine zusammengefügt e Sätze kennen : Non prius sum co-
nains..,, quam., sumeaptus; priusquam . . respondeo , dicam,
und noch zweimal mit prius . . quam ; S. 148. : Rapiant . . quem-
admodum rapuerunt. Die Regeln über die latein. Construction
sind nicht nur nicht immer für Schüler verständlich, sondern auch
nicht genau genug, wie wenn efc § 165. K. 1. heisst, moneo
stände mit dem Acc. der Person und Sache. Unter den deutschen
Beispielen wird dann der Satz zum Uebersetzen vorgelegt: „An
diese Sache hat uns der Ort erinnert." Nun sagt zwar Sallust
Jug. 79.: Eam rem locus admontät, ob er aber auch nos hin-
zugesetzt hätte, bezweifeln wir sehr. § 173. K. 1. erhalten wir
einen locativen Genitiv und Ablativ in örtlicher und zeitlicher Rück-
sicht und erfahren , dass ruri, tempori, temperi, luci, vesperi sol-
che Genitive sind. Vcrgl. jedoch Wüllner (Ursprung etc. S. 171).
Das Deutsch der in's Latein zu übersetzenden Sätze ist bisweilen
fast in Meidingerschcr oder gar Hamiltonscher Weise, z. B. S.
124. K. 1. : „Wem ist die Erhaltung (corservatio) deiner vorge-
stellt'? (proponere)" ; S. 129.: „Die Mathematiker {math.) über-
reden (persuadere) die Erde ^Sen (a(i) den Umfang (complesus)
des ganzen (univ.) Himmels wie einen Punkt (puneti instar) fest-
zuhalten (obtinerey, S. 147.: „Artax. hat gewollt dem Aegypt.
Könige Krieg antragen1-''; S. 134.: „Die Vejenter schickten Red-
ner, um Frieden zu bitten"; „ich habe geschienen, dass ich er-
trage", S 227. u. s. w. Die Schüler lernen so nicht allein Un-
deutsch, sondern wissen auch später den latein. Ausdruck und
die latein. Konstruct. nicht zu finden , wenn sie richtiges Deutsch
lesen. Dann steht auch S. 72.: Prae gaudio flebamus, prae
iraeundia erubescit ; prae laetitia cantabam; S. 131.: Hotnerus
Vorschule z. wissenschaftl. Auffass, d. lat. Spr. v. Ludwig. 159
sohis appcllari poeta nieruit ; impellit regem Signum dare ;
Callicratcs Philocrali triremem in portu agitari iubet , wogegen
Nepos 10, 9. hat: navem triremem armatis ornat , Philo Stra-
to que tradit eamque in portu agitari iubet; exercitus Alex-
andrum deprecatur . . . facere, S. 140.; multa — curandum est als
Beispiel, dass neutr. subst. gebraucht werden, S. 194.; . . talenta . .
Velumsunt locata, S. 227., wo man entweder mit Nepos collata se-
tzen (vgl. auch oben) oder wenigstens in Delo, Deli verändern muss ;
S. 223. : plus vis; cognominare S. 225. u. K. 2. S. 33. ; das. GO.petere
ineruit. S. 68. steht : Macedonia rursus erexit, dum aliae gentes
Syriaci belli sequuntur ruinam. Der Satz ist aus Florus 2, 12., wo
aber se er. steht. S. lOl.heisstes: Frausfidem in parvis sibiprae-
siruit, ut quum pretium est , cum mercede magna fallat. Ab-
gesehn vom Worte praestr. muss bei pretium wohl operae stehn,
wie man auch bei Liv. 28, 42. liest, woher der Satz genommen
ist. So soll auch K. 1. S. 95. in dem Satze aus Nepos: „Den um
Rath fragenden Athenern antwortete die Fythia", unrichtig deli-
berantibus gesetzt werden, denn Nep. 1, ]. heisst es considenti-
bus, und wenn auch in demselben Kap. deliberatum vorkommt,
so ist das nicht um Rath fragen, sondern abwägen, überlegen."
Arno bibere ; fugerim dicere steht K. 1. S. 128. Dem sonder-
baren Satze S. 89.: Duobus proeliis f/tsi fugitatique sunt, quam-
vis sub adventu hoslis, relictis sedibus, in allissimos montes
recepissent , haben wir nicht auf die Spur kommen können. Doch
wird wohl fugatique . . sub advenium . . se rec. zu lesen sein.
S. 35. K. 2. steht: aer , etignis, et aqua, et terra primae sunt;
ergo illa initia et elementa dicuntur. Der Hr. Verfasser muss
sicher durch Setzersünden viel leiden und hat so wohl prima wol-
len drucken lassen , obwohl bei Orclli Cfc. acad. post. 1, 7. in die-
sem Satze primae steht, was sich freilich auf ein vorhergehendes
qualitates bezieht. Den S. 33. gegebenen Satz: Ebrius cubat
in fadem (Juven. 3,280.), wünschen wir weg, weil sich der
Schüler die Constr. nicht erklären kann. K. 1. S. 34. soll über-
setzt werden: „Das Geschlecht (genus) der Bienen wird ersetzt
(sarcire)1-1-. Wir zweifeln, ob man so übersetzen dürfe. Der
Verf. hatte aber wohl Virg. Georg. 4, 249. vor Augen, wo es
heisst: Omnes ineumbent generis lapsi sarcire ruinas. Eben
das. steht: praeda deperlitur, was wohl disp. heissen soll —
vergl. Cic. off. 2, 11. S. 13. wünschen wir imperamini weg, vo-
cerare soll vorare sein; S. 60. ist vasi, vasum zu streichen (die
Couj. sind in starke und schioache eingetheilt, und die Verba
nach dem Charakter des Perfects aufgezählt). S. 31. omnipo-
tent ia, S. 20. emtrix , , S. 46. adidatrix , S. 114. novemdeeim,
S. 98 und 238. domu, S. 108. persuasus, S. 109. arduior, ar-
duissimus, über exterus etc. s. oben; S. 111. ist Demosth. ora-
tor celeberrimus; das. kommt schon der wenigstens nicht hin-
länglich erklärte Ablativ bei Compar. vor und gar statt des Acc. ;
160 Lateinisch o Sprachlehre,
S. 123. fehlt im Satze : Tunius sibi ipse conseivit, wohl mortem ;
S. 145. wünschen wir den Satz aus Plaut, capt. 3, 4, 112.: Nihil
Vivantes magis hoc certo certius, aus einer solchen Grammatik
weg; S. 146. steht: Epicurus ob eam retn („ob quam1''') inquit
amiciliam colendam esse ; S. 160. etc ist amandum das Lieben,
docendum das Lehren etc. falsch , wenn auch nicht schlechtweg
an sich , doch für diese Gramm. ; S. 204. ist Caritas patriae kein
Genit. obiecti; S. 208. heisst condemno nicht „ich beschuldige";
S. 214. ist statt Druides a bello abesse censuerunt zu lesen con-
suerunt nach Caes. b. G. 6, 14.; S. 218. bei der Regel von den
Städtenamen wissen wir mit dem Satze: Id Carthaginem deletam
publice comprobatum est, Nichts anzufangen; S. 225. steht
oscitarunt statt vocit.; S. 228. sollte zu Athenienses in Pelopon-
nesios sexto et vicesimo anno bellum gereutes confecisse appa-
ret (Nep. 6, 1.) der Subjectsaccusativ l^ysandrum gesetzt sein;
S. 229. ist nulluni esse imperium tutum für tantum zu lesen
(Nep. 10, 5.); der Satz S. 231.: His pontibus pabulatu?n mitte-
bat (Caes. b. c. 1, 40.) sollte wenigstens ein angemessenes Subj.
und auch Object haben; S. 251. soll revertere zurückkehren heis-
sen. K. 2. S. 27. steht lllacrimasse dicilur partim gaudio tan-
tae perpetratae rei, partim vetusta gloria urbis. Der Satz ist
aus Liv. 25, 24. und gewinnt offenbar an Bedeutung, wenn man
weiss, dass Marcellus Subj. ist und es sich von der Einnahme
von Syrakus handelt. Also etwa: Marcellus , Syracusarum moe-
nia ingressus ...; S. 57. fehlt me bei contuli; S. 74. steht:
nemo dubitat, quin domus nobis esset adiudicata — aus Cic.
Att. 4, 2. Orelli hat dubitabat gegeben und das sollte in solchen
Uebungsbeispielen auch stehen. S. 83. ist wieder: Fuisse patien-
tem . . . haec sunt lestimonia (Nep. 15, 7.), wo wir unbedenk-
lich Epaminondam fuisse . . . multa s. t. schreiben würden.
Unser Gesammturtheil über das Buch muss sich schon genug
herausgestellt haben. Wir vermissen Manches , halten Manches
für überflüssig und verwirrend auf dieser Stufe, Manches für
nicht ganz richtig, möchten das Buch den Lehrern wegen der
vielen Beispiele und als Gegengift gegen todten Mechanismus em-
pfehlen, es aber nicht gern den Schülern in die Hand geben. —
6) Mit Freuden wenden wir uns hierauf zu der Anleitung des
Hr. Dr. August. Das Buch kann auch da gebraucht werden , wo
man die Zumpt'sche Gramm, nicht gebraucht. Jede Uebung
schliesst einen gewissen J(reis von grammat. Fragen und eine
Menge einzelner Sätze ein, welche das in den Fragen Angedeutete
praktisch einüben. Auch ist bei jeder Uebung ein deutsches zu-
sammenhängendes Stück, ebenfalls über die jedesmaligen Kegeln,
welches man zu den schriftlichen Uebersetzungen zweckmässig be-
nutzen kann, während mau die einzelnen Sätze mündlich übertra-
gen lässt. Jene Stücke sind meist freie Uebersetzungen. So ist
S."4. „die Ure" nach Caes. b. G. 6, 28.; S. 7. „Ueber Traumdeu-
August's prakt. Anleitung z. Uebersetzen ins Lat. 161
hingen" nach Cic. div. 2, 70.; „zu dem treuen Arzte" S. 11. kann
man Curt. 3, 6. vergleichen; „zu den Philänen" S. 18. Sali. Jug.
79.; ,,zu der Gesandtschaft der Scythen" S. 21. Curt. 7, 8. , von
dem Stücke: „die Gerechtigkeit des Aratus ■* S. 25. .findet man
Cic. off. 2, 23.; von dem „Androclus" Gell. 5, 14. grössere oder
kleinere Bestandteile. „Ueber die wahre Freundschaft" ist S.
47. Etwas aus Cic. off. 3, 10. mitgetheilt; die Schilderung: „ge-
täuschter Ehrgeiz" ist aus Cic. Plane. 26. 27. Der Brief des Trib.
Lucius ist theilweise aus Curt. 4, 16. genommen ; „der verderben-
bringende Scherz" aus Cic. Tusc. 5, 20., „die Beschreibung von
Syrakus und Segesta" aus Cic. Verr. 4, 52 ff. und das. 34. Das
Stück: „Werth der Freundschaft" ist theilweise aus Cic. Lael.
24. Sali. Cat. 20. ; „Epaminondas und die Thebaner" aus Nepos
15, 7. 9. — (es wäre wohl besser weggeblieben , da der Schüler
den überall verbreiteten Nepos zu sehr benutzen kann); „Ehrgeiz
des Marius" nach Sali. Jug. 65. 64. Cic. off 3, 20. ; „Damocles"
aus Cic. Tusc. 5, 21.; ,,der glückliche Metellus" ans Vell. Pat.
1, 11.; „Schlauheit des Themistoclcs" aus Nep. 2, 7. (s. jedoch
unsere Bemerk, oben); „die Dioskuren" aus Cic. de orat. 2, 86. ;
„Tod des Catilina" aus Sali. Cat. 56. 57. 60. ; über „die Punier
durch Ilannibals Rede zur Ausdauer bewogen" s. Liv. 21, 30.
Ueber die ,, Menschlichkeit eines Königs" lese man Curt. 8, 4.;
über die „Beredsamkeit ' Cic. inv. 1, 1.; 2, 3.; über „auch Stra-
fen erwecken Eifer" Caes. b. c. 3, 74.; über „den wunderbaren
Traum" Plin. ep. 5, 5. Es folgen nun auserlesene Stellen aus
deutschen Schriftstellern (Schiller, Luden, Goethe; J. v. Müller,
Gütmann, Herder etc. S. 168 — 188.) und in der neuesten Auil.
noch eine kurze Missenschaftliche Betrachtung über grammatische
und stylistische Gegenstände S. 188 — 202. zu Uebersetzungsver-
suchen mit zweckmässigen, die Uebersetzung erleichternden deut-
schen Anmerkungen, von denen blos das letzte Stück ausgeschlos-
sen ist. Von 204 — 255. steht das recht zweckmässige Wort-
register.
Je mehr Mir nun die zweckmässige Anlage, die sorgfältige
Auswahl und die richtige Anleitung zur klassischen Latinität aner-
kennen, desto geneigter wird uns der gelehrte Hr. Verf. einige
Bedenken erlauben.
So scheint uns , dass für die mittleren Klassen in den gram-
matischen Fragen und den darauf bezüglichen Beispielen nicht
das gehörige Maass gehalten ist. Die Zumptsche Grammatik
reicht gar über das Gymnasium hinaus und deshalb konnten für
jene Schüler gar manche Winke und Hegeln unbeachtet gelassen
werden. Das ist nun theils dadurch geschehen, dass über die
Zumptsche sogenannte Syntaxis ornata keine besonderen Uebungea
erscheinen, aber es konnte auch z. B. die Frage über den Unter-
schied zwischen per vim und vi S. 48. wegbleiben, so die über
den Inf. perf. statt des inf. pracs. S. 125 etc. Der Verf. hat aber
A7. Jahrb. f. Phil. u. faul. od. Krit. UM. lid. XXVill. lijl.'l. 11
102 Lateinische Sprachlehre.
111 der neuesten Auflage gar noch einige Zusätze dieser Art ge-
macht. Es köimeu aber diese Fragen auch für die Schüler höhe-
rer Klassen gleichsam als Leitfaden zur Wiederholung dienen und
in sofern könnte man also bloss wünschen, dass die näher be-
zeichneten etwa eingeklammert würden , damit der Hr. Verf. den
Lehrern zeige, wie weit er den Kreis für diese Schulen ziehe.
Dann müssen wir uoch in wenigen Fällen den deutschen und den
angewiesenen latein. Ausdruck tadeln. Dahin rechnen wir S. 20.
„die Feindseligkeiten überdrüssig haben", das. „wo jene sich
begegnet kälten" ; S. 23.: „dass sie vorzogen den Werth der ver-
lornen Güter, als diese selbst wieder zu et lan ge»44 , S. 31. : „es
wurde ihm (Mex.) vom Tode zu vor gekommen" (man setze lieber
hinter den Satz: mit passiver Wendung und gebe ihn im Deut-
schen mit activer); S. 56*: ,,die grosseste (Sorge) ; S. 73.: „O
trügerische« Hoffnungen!14 und so mögen noch mehrere kleine
Flecken das Werk verunstalten. Manches wird in der 4. Ausgabe
verbessert sein, wie denn in der 3. S. 17. stand: „Viele Römer
zogen es vor auf dem Lande zu leben als in der Stadt" , wo es in
der 4. S. 16. heisst: „und nicht in der Stadt'4. Aehnlich sieht's
mit dem lateinischen Ausdrucke. Im Wortregister stand unter
„verheirathen4 in der 3. Ausgabe das sonderbare Wort miplatio,
jetzt nubo. Doch möchte auch hier noch Manches zu rügen sein.
So glauben wir nicht, dass „Zusammenhang der Dinge" in dem
Stücke: „Der Traumdeuter", mit nexus rerum gegeben werden
kann, wie der Schüler nach dem Wortregister thut. Cicero sagt
dafür vis consensitsqiie naturae. Näher schlösse sich ans Deut-
sche wohl colligafio, welches nach Cic. fat. 14. und div. 1, 56.
brauchbar sein wird. ., Vereinen41 soll auch durch adunare über-
tragen werden, aber dieses Wort kommt vielleicht vor Justin nicht
vor. Auch consüialor und — trix (unter Rath geben) wünschten
wir getilgt. „Steuereinnehmer4' möchten wir auch nicht durch
rationaiis übersetzen; lieber durch pablicarum exaetionum coa-
clor, s. lat. Lex. Experienlia „die Erfahrung'4* wäre mit usus,
res besser vertauscht. So kann man in dem Satze S. 180.: ,,der
muss einen reichen Vorrat h von Erfahrungen bereit haben44, Er-
fahr, nach der Anrn. des Verf. umschreiben durch: „dasjenige,
was durch Erf. gelernt wird'4, dieses aber mit qua re (usu) do-
cttts est. Vrgi. Krebs Antib. Auch über das Wort „Vorsatz"
verweisen wir darauf und über obnoxius. Acerbare, welches
„vergällen'4 wiedergeben soll, ist doch ohne Zweifel nur dichte-
risch; für exncerbare „erbittern" ist leicht ein besseres Wort za
linden; se exhibere „sich zeigen44 ist bedenklich, und „Hülle1,4
wird klassisch sicherer mit veluni als mit velamenlum übersetzt.
Lieber abusus, pidatium (z. B. S. 86. Palast, der einst dem Kö-
nige Hiero gehört . . domus quae regis Hierotris fuit Cic. Verr.
4, 53.); cognominare , vacare haben wir uns schon oben wo aus-
gesprochen, über dignari (würdigen) u. ultio s. Krebs. S. 30, 16.
August" s prakt. Anleitung z. Uebersetzen ins Lat. 163
soll „das Gewinnbringende" lucrosus heissen , aber quaestuosus
ist besser. Bisweilen möcbte das Wortregister nicht ausreichen.
S. 87. steht: „Sic (die Stadt Syrakus) war sowohl von einer si-
chern, als herrlichen Lage." Schlägt man „Lage1' nach, so fin-
det man conditio, vices ; Zustand, Stelle. Das Wort „Stelie"
ist das einzige, welches der Schüler noch verfolgen kann, und er
wird nun bei „Stelle11 auf „Ort11 angewiesen, und da findet er
locus. Das durfte hier aber wohl nicht brauchbar sein. — Cic.
Verr. 4, 52, 117. sagt: nain et situ est quum mundo1, tum . .
praeclaro . . — S. 139. (30. Uebung, Satz 19.) steht das Wort
„Wohlgeneigtheit", aber im Wortreg. ist weder dieses Wort, noch
„wohlgeneigt" , noch „geneigt" zu finden. Uebung 26. Satz 60.
ist zu übersetzen „an der Staatsverwaltung einigen Autheil neh-
men". Man sucht „Antheil" und wird verwiesen auf „Theil",
wo man Theil nehmen, Antheil nehmen nicht findet, sondern
pars . . Unter „nehmen" ist auch Nichts zu finden, und „ionig"
soll 8, 10. durch den Superlativ übersetzt werden, sagt das Wort-
register und weiter Nichts. Ueb. 31, 125. ist zu übersetzen:
„ein Wort fallen lassen", das Wortregister sagt „fallen lasset»,
nicht brachten, verlassen", wovon hier aber Nichts passt. Das
Ueb. 20. S. 65. vorkommende „Schierlingskraut" ist gleichfalls
im Lex. nicht zu finden. Nun sagt zwar eine Bemerkung vor dem
Wortregister, man habe sich, wo ein Wort fehle, bei den näch-
sten Sinnverwandten umzusehn , und die Schüler sind auch sonst
5juf das Kraftsche Lex. verwiesen; aber solchen kleinen Ue bei-
ständen wird der PIr. Verf. doch auf unser Bitten abhelfen. Das«
„Undank" fehlt (Ueb. 19. S. 52.), könnten wir schon eher ver-
tragen, da „Dankbarkeit" durch „dankbares Gemüth" übersetzt
werden soll. Mag nun undankbar fehlen, da „dankbar" mit gra~
ius gegeben ist, so zweifeln wir doch, ob in der angezogenen
Stelle „mit Undank lohnen" so übersetzt werden könne. Ohnehin
ist dem Schüler viel Spielraum für Geistesthätigkcit gelassen.
Ueb. 31, 100. steht: „Die Vortheile des Vaterlandes nicht er-
fechten , sondern verfechten" und jm Wortregister bei „verfech-
ten" propugnare: Ob nicht besser prop. pro . . . gesetzt wäre'?
11011 oppugnare commoda patriae, sed pro his propugnare, Cic.
inv. 1, 1. Bei den grammatischen Fragen sind Verweisungen auf
die folgenden Beispiele eingeklammert. Hier möchten auch kleiiie
Irrungen vorkommen. So steht Ueb. 19, 9. die Frage: Wie ver-
hält man sich, wenn das Fut. 1. in den Conj. gesetzt werden
müsste*? Hierbei ist verwiesen auf das 46. Beispiel und dieses
heisst: .,Als Bias aufgefordert worden war, etwas von seiner Habe
auf die Flucht mitzunehmen, soll er seinen Freunden geantwortet
haben. Ich thue es; denn ich habe alles Meinige bei mir" — wo
wir keine derartige Beziehung herausfinden können. Ueb. IS, 86.
ist von einer Stadt im Lande der freien Cilicicr die Hede; sie
wird aber wohl durch einen Druckfehler Dindenissus genannt, da
104 Mythologie.
Cic. fam. 15, 4, 10. steht: Ad oppidum Eleutherocilicum Pinde-
nissum exercitum adduxi u. s. w. Zum Schlüsse wollen wir noch
in der Ueb. 26, 6. aufgestellten Frage: „Was ist in Beziehung
solcher relativen Sätze zu merken, die zu ganz allg. bejahenden
oder verneinenden Hauptsätzen, wie: Es giebt etc., Niemand ist
etc., genauere Bestimmung angeben !u das Wort Hauptsatz angrei-
fen, denn wenn ich sage: Da es Leute giebt, welche etc. . . , so
steht in dem relat. Satze aus derselben Ursache der Conj. , ob-
gleich er zunächst von keinem Hauptsatze abhängt. Und nun die
Bitte an den Hrn. Verfasser , unsere Bemerkungen als Beweis
der Achtung anzunehmen, die wir vor seiner Leistung haben,
und unsers Eifers für die gemeinsame Sache.
Coesfeld. Teipel.
Handwörterbuch der griechischen und römischen
Mythologie von Dr. Eduard JacobL Erste Abtheil. A — F.
1830. Zweite Abtheil. G — Z. 1835. Koburg und Leipzig, in der
Sinnerschen Buchhandlung. 8. 899 u. XVIII u. IV S.
Ueber Entstehung und Zweck dieses Wörterbuchs giebt die
Vorrede zur ersten Abtheilung folgende Auskunft: Der Hr. Verf.
hatte zu verschiedenen Zeiten Vorlesungen über Mythologie (doch
wahrscheinlich am Gymnasium zu Coburg) gehalten. Zu dem
Ende hatte er sich Sammlungen angelegt und vielfache Bemerkun-
gen niedergeschrieben, welche er theils aus den Quellen, theils
aus den vorhandenen Wörterbüchern entlehnte. Bei der Gele-
genheit stiess er in den letztern auf eine Menge von Irrthümern
und unrichtigen Angaben, und diese führten ihn zu dem Ent-
schluss, die theils aus den Quellen selbst geschöpften, theils be-
richtigten Sammlungen alphabetisch zu ordnen und in den Druck
zu geben. Doch verglich er noch zuvor seine Arbeit mit den
Werken seiner Vorgänger, namentlich Hedericirs, Gruber's und
INitsch-Klopfer's , welcher Vergleichung er noch manche Berich-
tigung und Ergänzung verdankt. Das um 5 Jahre spätere Er-
scheinen der zweiten Abtheilung erklärt sich aus den mannigfalti-
gen Hindernissen, die der Verf. erfuhr (s. Vorrede zur 2. Abth.).
Und schon hatte er sich zur Beschleunigung der Herausgabe des
letzten Theils mit dem Dr. Bathgeber verbunden, als auch dieser
durch mehrere anderweitige Arbeiten gehemmt davon wieder abste-
hen musste, so dass nur ein einziger Artikel, der Artikel Khea,
von demselben herrührt.
Bestimmt ist das Buch zunächst für die oberen Classen in den
Gymnasien zum Nachschlagen und zur Selbstbelehrung der Schü-
ler; dabei sollte es aber auch dem Lehrer, dem Künstler, ja je-
dem Gebildeten, zu einem Repcrtorio dienen, um daraus sich
über die Götter und Heroen der alten classischen Völker, über
Jacobis Handwörterbuch der Mythologie. 165
den Inhalt der alten Sagen und ihre Quellen in der Kürze zu
belehren.
Der Verf. versichert bei Ausarbeitung des Werkes nichts auf
Treu und Glauben angenommen zu haben und auch bei dem unbe-
deutendsten Artikel auf die Quellen zurückgegangen zu sein und
eine grosse Menge falscher Angaben und Namen und besonders
unrichtiger Citate, welche sich bekanntlich in den mythologischen
Werken der oben genannten Gelehrten im Uebermaass finden,
stillschweigend berichtigt zu haben. Dieses Verdienst ist anzuer-
kennen, und schon insofern steht das Buch bei weitem höher als
die früheren ähnliches Inhaltes. Aber der Verf. zeigt sich auch
sonst noch in mehrfacher Hinsicht als ein besonnener, selbststän-
diger Forscher (z. B. in Abweisung unstatthafter Etymologien,
grundloser Ansichten und Hypothesen), so dass sein Werk für
Lehrer und Schüler sehr brauchbar ist. Eben so hat er gewusst
in Zusammenstellung des Stoffes meistens — nur bisweilen, z.B.
in den Artikeln Hera und Herakles ist es überschritten — ein
weises Maass zu halten. Anerkennung verdient es endlich, dass
überall eine reiche Menge von Beweisstellen, mitunter auch die
Werke von berühmten neuern Mythologen (Voss, Otfr. Müller
etc.) angeführt worden sind. „Aller Erklärung und Deutung der
Sagen", meint zwar der Verf. in der Vorrede zur ersten Abthei-
lung 8. VI., „habe ich mich gänzlich enthalten"; allein das ist
nicht durchgängig der Fall und gereicht dem Buche gerade zur
Zierde, so dass es wünschenswerth wäre, Hr. J. hätte dem Ver-
ständniss von Mythen , Genealogien , Götterdiensten durch kurze
Bemerkungen öfter Vorschub geleistet.
Ueber einige Punkte muss der Rec mit Hrn. J. aber ernster
rechten. Erstens: obwohl die Mythologie (d. h. die Götterlehre
und die über die einzelnen Gottheiten im Schwange gegangenen
Sagen) aus Einzelheiten und für sich bestehenden Theilen zusam-
mengesetzt ist, so dass sich sehr wohl ein Wörterbuch anfertigen
lässt: so giebt es doch auch vieles Gemeinsame, das in allge-
meine Sätze zusammengefasst werden kann. Insofern würde eine
kurze Einleitung und eine Anleitung zum Verständniss und zur
Einsicht in die Mythologie, dem Wörterbuche vorangeschickt,
sehr an Ort und Stelle gewesen sein. Rec. weiss aus Erfahrung,
wie nothwendig insbesondere für Schüler Etwas der Art ist; wie
dieselben gewöhnlich im Finstern umhertappen, ohne nur eine
Ahnung von dem zu haben, was denn in den Culten, in den Gott-
heiten, in den Genealogien, in den Mythen für ein Sinn liege.
Sie nehmen und lernen die Sachen äusserlich und iiuden darin nur
Sinnloses oder Unsinniges.
Zweitens missfallt dem Rec. , dass Hr. J. die griechische und
römische Mythologie untermischt behandelt hat. Viele nämlich
von den römischen Culten sind anderer als griechischer Herkunft
und Natur, wie schon die Namen beweisen, als J7aAA«s '4&yvij
166 Mythologie.
uml Minerva, "Hqt} und Juno, "Agtspis und Diana, Ilo6stdäv
und Neptuuus, zfrjurjvTiQ und Ceres, und nur von den spätem
Griechen und Römern erst zusammengeworfen worden ; andere
jedem einzelnen der beiden Völker eigen, z. B. dem griechischen
sdaidctXog, IlQO{irfösvg, Bv^ag, Bccvqco, '/Hcoüöai, dem römi-
schen Acca Larentia, Romulus, Quirinus, Picus, Aeneas, Egeria,
Janiis u. s. w. Es wäre daher unbezweifelt besser gewesen, der
Verf. hätte die griech. Mythologie für sich behandelt und als An-
hang die der Römer gegeben. So aber steht Alles unter einander,
und der Schüler lernt nicht das Verschiedene gleich von Hause
ans trennen und scheiden, wie es doch sein soll.
Drittens scheint sich der Verf. , ehe er an das Werk ging,
oder beim Anfertigen desselben keine bestimmten allgemeinen
Grundsätze gebildet und vorgehalten zu haben, nach welchen er
die einzelnen Artikel zu behandeln, den Stoff zu ordnen und an
einander zu reihen hätte. Wenigstens sagen davon die Vorreden
nichts , und in der Behandlung des Einzelnen vermisst man Ue-
bereinstimmung. Hr. J. musste hier durchgängig eben so verfah-
ren wie der Lexicograph bei jedem einzelnen Worte: er musste
immer von der Etymologie und von der ursprünglichen Bedeutung
eines Namens ausgehen, das Uebrige aber in gewisse Gruppen
vertheilen, doch auch dort wieder mit sichtendem, ordnendem
und combinirendem Verstände verfahren , so dass stets das Glei-
che oder Aehnliche mit dem Gleichen oder Aehnlichen, das Ver-
wandte mit dem Verwandten zusammenstände, Eins das Andere
vorbereitete, bedingte u. s. w. Jeder Artikel ward dann gewisser
Maassen für sich ein Kunstwerk, ein rundes in sich abgeschlosse-
nes Ganzes. So soll es eben bei einem Werke dieser Art sein.
Insofern ist der Artikel Rhea vom Hrn. Rathgeber ein wahres
Muster. Wir wollen damit nicht geläugnet haben, dass auch un-
serm Verf. manche Artikel gelungen seien, z. B. Apollo; allein
im Allgemeinen thut sich in seinem Werke nicht jene Gabe des
Sichtens, des Ordnens, des Gruppirens kund, welche zu Anfer-
tigung eines solchen Buches durchaus nothwendig erscheint.
Hauptsächlich ist das Vermischen der griechischen und römischen,
wenn auch unter sich ähnlichen, Götterdienste ein grosser Uebel-
stand. Kgövog ist nicht Saturnus, "Egcog nicht Amor, 'ylqiQOÖirt]
nicht Venus , wenigstens nicht ursprünglich und eigentlich.
Was die Etymologien der Namen anlangt und die uranfäng-
liche Bedeutung derselben, so ist schon oben erinnert worden,
dass der Verf. hier mit lobenswerther Besonnenheit und Vorsicht
Verfährt. Bisweilen ist er nur zu karg darin. Wir vermissten
z. B. bei Adonis die Hinweisung auf pn«, 0'»3,7>*; bei Aegialeus
die auf alytaXog (das Ufer), bei Agraulos die auf äygbg und av-
An'g; bei Amphiktyon die auf a^opi. und jm'o, xti^a; bei Atlas
die auf cc privat, und tAata, rkrjui ; bei Daedalus die auf öalöa^og,
öuloj; bei Bacchus und Iacchus die auf ßax%oi, lern, tax^co,
Jiicabis Hanc?vrorierlmc?i der Mythologie. 167
iV^o; bei Janas die auf jo (eo), bei Kqovos auf apßtVo, bei
Saturnns (weicher Gott bei uiiserm Verf. so gänzlich mit Kgovog
vermengt ist, dass man nicht einmal erfahrt, dass jener den Be-
wohnern Italiens, dieser den Griechen angehört habe, und dass
beide in spaterer Zeit erst mit einander vermischt worden sind)
auf sero, satnm, bei Zsirg , z/idg ni\£ öua, bei Ceres auf gero
(vgl. germen) 11. s. w. , da doch diese Etymologien auf der Hand
liegen und dem Verf. die Basis zur Erörterung des betreffenden
Artikels abgeben konnten.
Bei einem Buche dieser Art , das für Schüler bestimmt ist,
waren kurze Erklärungen oder Angaben zur richtigen Auffassung
eines Mythus oder einer mythischen Person ganz an der Stelle,
so bei Abas 2), dass dieses eine Personifikation oder Individualisi-
rung des abantischen Volksstammes in grauer Vorzeit gewesen
sei; bei Achelous war von dem Strome selbst auszugehen, der
erst zu einem Stromgott© geworden, bei Acheron von dem epiro-
tischen Flusse, welcher zur Erdichtung des Ilöllenßnsses Gele-
genheit gegeben; bei Acgialens von ulyiotkog, Aegiaiea, der
Ufergegend Achaja's, welchen Namen und seine Entstehung der
Mythus eben nachweisen wollte; bei Aegyptns als dem Sohne des
Belus davon, dass das Land persouiiicirt worden, um daraus die
Herkunft des geograpliischen Namens zu erklären. Gleicher
"Weise war bei Italus, bei Hellen, Ion, Perses, Romulus, Re-
mus, Latinos u. a. individualisirenden I'ersonificationen die Quelle
derselben anzudeuten.
So verhält es sich auch mit den Genealogien, mit welchen
der Schüler gemeinhin nun gar nicht weiss , was er anfangen soll,
wenn ihm nicht hin und wieder Wink'e zum Versländniss gegeben
werden. Warum wird Helios ein Sohn des Hyperion , desglei-
chen Eos eine Tochter desselben, Ion, Doms, Ajsolns Söhne des
Hellen, Eris die Schwester des Ares, die Tochter der Nacht,
die Nike die Tochter der Palh:s und des Styx, der Nilus u.a.
Flüsse Söhne des Oceanus und der Tcthys u. s. w. genannt? Sol-
che Andeutungen bringen dem Schüler gleich von vorn herein die
Idee bei, dass die Mythologie der Alten kein Unsinn, keine Lä-
cherlichkeit, keine Ausgeburt des Wahnwitzes sei, sondern über-
all einen vernünftigen Grund habe. Er lernt sie begreifen, und
so wird sie ihm , bei dem gemeinhin die Phantasie so rege, des-
sen Lebensalter in so vielen Stöcken gleich ist den Völkern im
mythischen Zeitalter, angenehm, lieb, interessant. Ihm er-
scheint das Alterthum in jenem anziehenden poetischen Lichte,
in welchem unser Schiller es auffasste und mit allem Rechte so
schön fand. Und ist das nicht ein Gewinn'? Und wird nicht da-
durch die jugendliche Phantasie geweckt, genährt, lebendiger?
zu poetischen Ergiessungen fähiger? Durch solche und ähnliche
Bemerkungen und Erklärungen wäre zugleich das Dürre und Lang-
168 Mythologie.
wellige und Trockene, was Wörterbücher der Art an und für sich
haben, gemieden oder wenigstens gemildert worden.
Zusätze Hessen sich bei den ausserordentlichen Fortschritten,
welche die Wissenschaft in jedem Jahre seit Erscheinen des vor-
liegenden Buches gemacht hat, in Menge hier beifügen; allein
wir wollen diese Anzeige nicht über die Gebühr ausdehnen. Auch
ist ja das Maass eines Handwörterbuchs nicht bestimmt genug zu
begrenzen.
Brandenburg a. H. Heffter.
De fabula, quae de Niobe eiusque liberis agit.
Scripsit C. E. J. liurmeider , YUunariensis , TKeol. et Phil. Studio-
sus, Sera, philo), in Acad. Rostochiensi sodalis. Commentatio
ex sententia decanorum maximc spectabiliuin die X. Deccnihria
MDCCCXXV. praemio ornata. Yismariae, aptid H. Schmidt et de
Cnssel. (VIDCCCXXXYI. 8. VI u. 94 S. 12 Gr.
Die vorliegende Schrift, obwohl schon vor vier Jahren er-
schienen, hat in diesen Blättern, soviel wir wissen, noch keine
ausführliche Anzeige und Beurtheilung erfahren , und doch ver-
dient sie es in einem hohen Grade. Sie behandelt einen Gegen-
stand, der zu den anziehendsten der griechischen Sagengeschichte
gehört, d. h. ein Ereigniss, das nicht bloss an sich schon ein höchst
tragisches ist und das Mitleiden überaus in Anspruch nimmt, son-
dern das auch durch den unübertrefflichen poetischen Kunstsinn
der Griechen zu einer der schönsten Darstellungen in Wort wie
in Farbe und in Stein gemacht worden ist. Ueberdem kann un-
sere Zeit gerade an einem solchen einzelnen Mythus lernen, wie
die ganze Wissenschaft der Mythologie zu handhaben sei: eine
Kunst, die leider noch immer zu den seltneren gehört.
Obige Schrift hat ihren Ursprung den Herren Decanen der
Rostocker Universität zu verdanken, welche im Jahre 1834 als
Preisaufgabe für Studirende das Thema gewählt: lllustretur fa-
bula Graecorum, quae de Niobe eiusque liberis agit, ita, ut
poetarum imprimis, qui ea usi sunt, ratio diligens habeatur.
Es war nur eine Abhandlung eingegangen, die des Hrn. Burmei-
ster. Das Urtheil der Herren Decani über sie lautete also: ,,Et
altcram quidem huius scriptionis partein , quae in fabulae ipsius
explicatione versatur, optimae spei iuvenis tarn docte aecurateque
pertraetavit, ut exspeetationi nostrae plane satisfecerit. Neque
enim solum locos veterum scriptorum longe lateque dispersos col-
legit disposuitque collectos, verum etiam de permultis ac partim
difficilibus satis recte iudieavit. Praetcrea vero etiam poetarum,
qui lila fabula usi sunt, rationem diligentem haberi iussimus. At-
que haue alteram disputationis partera modestus iuvenis minus fe-
liciter pertraetavit, qnippe qui in eis, quae viri docti passim dis-
pntaverant, nimium crebro acquieverit. Quamobrem ita censemus,
BurmeUtcr : De Niobes fabnla. 169
commentationem illam et praemio decorandam et auctoritate no-
stra in vulgus edendam esse, si pfifft pars eins altera, quae in
poetarum locis versatur, secnndis cnris aliqnanto magis expolita
fnerit." In solcher Gestalt liegt nun das Werkchen vor uns.
Der Unterzeichnete stimmt jenem Urtheile bei, insofern er
dem Fleisse und der Gelehrsamkeit des Verfassers alle Gerech-
tigkeit widerfahren lässt, obschon er weder mit der Anordnung
des Stoffes noch mit der Erklärung des Mythus einverstanden ist,
auch im Einzelnen manche Ausstellung zu machen hat.
Was den ersten Punkt, die Anordnung des Stoffes, betrifft,
so äussert der Verf. p. 8. darüber: „Ceterum totam disputationem
ita instituimus, ut in prima parte de mythographis , qui fabulam
de Niobe narrarunt, agcremus, in altera poetarum, qui ea usi
sunt, iustara rationem haberemus, in tertia demum, quomodo
sit explicata et explicanda, doceremus." Hier vermisst man durch-
aus den logischen, naturgemässen Gang. Auch wird geschieden,
was nicht zu scheiden war: die Mythographen von den Dichtern.
Haben nicht die ersteren in unzähligen Fällen die letzteren nur
ausgeschrieben und copirt? Dies Versehen muss der Verf. spä-
ter eingesehen haben ; denn Pars I. führt gar keine allgemeine
Aufschrift, während doch Pars II. und III. sie hat. Offenbar hätte
der Verf. besser gethan, wenn er folgenden Plan verfolgt hätte:
1) Darstellung des Mythus von der INiobe und in ihren Kin-
dern nach denjenigen Zügen, welche allen Darstellungen in Prosa,
Poesie und Bildnerei gemeinsam sind. Damit hat der Verf. zwar
auch begonnen (Pars I. § 1.), aber unvollständig und so, dass er
doch specielle Dinge, z. B. den Ovid und den Diodorus Siculus
anführt, und zwar den letzteren sogar wörtlich: ein Uebelstand,
der sich überhaupt recht oft im Buche wiederholt, statt dass der
Text in nuce den Inhalt der Stellen angeben sollte.
2) Die Aufsuchung und Ausschälung des Kernes des Mythus,
ein Kapitel, was der Verf. erst zu Ende des ganzen Werkes bringt,
und in dessen Behandlung er durchaus unglücklich gewesen ist.
Er verirrt sich nämlich sonderbarer Weise in die Regionen des
Bacchuscultus hinein und meint in jenem Mythus von der Niobe
einen Streit zwischen diesem Culte und dem Culte des Apollo
dargestellt. Aber worin liegt dazu auch nur die entfernteste An-
deutung 1 Und was gehören für Deuteleien und falsche Voraus-
setzungen dazu, um jenes Resultat zu begründen und herbeizu-
führen? Gegen eine solche feine, eine so hohe Abstraction von
Seiten der Urheber voraussetzende Auffassung und Erklärung ei-
nes Mythus ist schon oft protestirt worden; auch wir protestiren
dagegen und setzen der Deutung des Verf. folgende naturge-
mässe , auf der Hand liegende entgegen.
Der IName Nioßrj lässt sich nicht etymologisch auflösen und
seine etwaige Bedeutung mit der Erzählung in Verbindung brin-
gen dergestalt, dass er als ein ursprünglich appellativer Marne er-
170 Mythologie.
schiene, erfunden, um doch einen Namen zu haben für die Haupt-
person in der Erzählung. Ferner ist es ja keine Unmöglichkeit
oder etwas ganz Unerhörtes, dass Aeltern' urplötzlich und mit ei-
nem Male selbst einer ziemlichen Anzahl von Kindern durch den
Tod verlustig werden können. Daraus lässt sich abnehmen und
als historisch gewiss voraussetzen: Es hat einstmals eine Frau ge-
lebt, INiobe geheissen, die reichlich gesegnet mit Kindern bei-
derlei Geschlechts, das Unglück hatte, dieselben binnen kurzer
Zeit zu verlieren. Man denke sich den namenlosen Schmerz der
Mutter. — Das ist die Grundlage des ganzen Mythus. Was
aber den Ort anlangt, wo das Ereigniss geschehen, so wird das
an tragischen, Unfällen so reiche Theben zunächst genannt, und
wir haben keine Ursache daran zu zweifeln. Der Mythus scheint
ein acht griechischer zu sein, der Name Niößt] ist ein helleni-
scher, er kommt auch in der argivischen Sage vor (Apollodor. II,
1. 1. §. 5 sqq.); ein Unglück der Art kann allerwärts geschehen,
auch in Griechenland, auch in Theben geschehen sein; endlich
lässt es sich wohl erklären , warum der Mythus von Theben nach
Kleinasien hinüberspielt, aber nicht umgekehrt. Der Mythus ist
also ursprünglich ein localer , und zwar ein thebanischer.
Nach Feststellung dieser Hauptsätze wird es leicht sein, die
Nebenumstände aufzuklaren. Amphion , der Umherreisende (näm-
lich als Sänger; das pflegten die des Gesanges und des Cyther-
spieles Kundigen im hohen Alterthume zu thun), ein erdichteter
mythischer Sänger und König der gesangreichen Thraker im spä-
teren Böotien , konnte zum Gemahl der Niobe werden , da deren
Gatten die historische Sage nicht überliefert hatte. Die Zahl der
Kinder, von den verschiedenen Schriftstellern so verschieden an-
gegeben, konnte in Folge der sieben Thore von Theben (welche
nach den Töchtern der Niobe benannt sein sollten) zuletzt auf
vierzehn steigen. Die Namen der Kinder sind rein erdichtet, aber
der Grund der Namen meistens leicht aufzufinden, z. B. Ismeuus,
Sipylus , Tantalus. Dass Apollo und Artemis in Scene gebracht
werden, hat seine Veranlassung darin, weil sie den plötzliche»
Tod der Menschen repräsentiren oder als Urheber desselben be-
trachtet wurden, und der Mythus immer, um Lebendigkeit der
Erzählung zu geben , Götter handelnd einfficht. Nun war aber
ein Knoten zu schürzen oder ein Grund zu schaffen, wodurch die
beiden Gottheiten veranlasst worden waren zu jenem schmerzens-
vollen Morde aller Kinder der Niobe. Es handelte sich hier von
Kindern, von einer reichen Zahl derselben, aufweiche man im
Alterthume stolz zu sein pflegte. Sogleich hatte die schöpferi-
sche Phantasie des Griechen die Veranlassung gefunden. Niobe
musste sich gebrüstet haben ihrer grossen Kinderzahl, sie musste
sich in dieser Beziehung höher gestellt haben als die Mutter je-
ner beiden Gottheiten; sie musste die Latona schwer beleidigt
haben, so dass diese, darob erzürnt, ihre beiden Kinder zur
LJurmeister : De Niobes fabula. 171
Rache aufgerufen. Ja man ging; noch weiter: um hierzu eine spe
cielle Gelegenheit zu erhalten, dichtete man, Niobe habe sich
an einem Feste der Latona, zu welchem die Manto (der personi-
ficirte Weissagergeist; Mavza\.[io,.ivoi.iai) gehört, die Gemahlin
des als Wahrsager im Alterlhume berühmten Tiresias, gegen die
Göttin aufgelehnt, habe über sie und ihre Göttlichkeit gespottet,
habe geboten sie selbst als Göttin zu verehren. Eine solche Zu-
nicksetzung aber, eine Schmälerung der göttlichen Ehre, der
Opfer u. s. w. , deuchte nach der Ansicht der Alten den Göttern
die grösste Schmach, und so musste Latona entbrennen von Zorn
und das grausenhafte Unheil anrichten. Die Verwandlung der
Mutter in einen Stein ist zuverlässig, wie es schon die Alten
(z. B Eustathius p. 1507. 34.) erklärt haben, nichts als hyperbo-
lischer Ausdruck für den ungeheuren Schmerz, der ihr, wie na-
türlich, gleichsam alle Sinne rauben, die Glieder erstarren ma-
chen musste; aber Zeus, der Allerbarmer, musste das ihr auf
ihr Flehen gethan haben; auch konnte eine Statue auf ihrem
Grabe dazu Veranlassung geben. Diese Verwandlung mochte be-
reits bekannte Sage geworden sein, da entdeckte die lebhafte
Einbildungskraft der seefahrenden Griechen in Kleinasien am Si-
pylus ein Felsgebilde, das, aus der Ferne gesehen, die Gestalt
eines weinenden und trauernden Weibes darbot. Alsbald ward
gefabelt, das wäre die verwandelte Niobe, und der Phantasie der
Hellenen war es nicht zu hoch, die unglückliche Mutter von
einem Sturmwinde von Theben nach Kleinasien herübergeführt
werden zu lassen. Nun ward Niobe zur Tochter des Tantalus
und zur Schwester des Pelops, dem ja die Sage Kleinasien als
Heimath anweist; nun musste sie dort geboren und später erst an
den Amphion in Theben verheirathet worden sein.
So wäre der Mythus nach allen seinen Hauptzügen erklärt:
wir hätten den Stamm und alle Ilauptzweige desselben gefunden,
und das ganze Gebilde stände deutlich vor unserer Seele. Und
so muss der Mytholog verfahren : er muss bei jedem einzelnen
Mythus nachspüren nach der Quelle und nach den verschiedenen
Gängen und Ausläufen, die die Phantasie genommen. Kein Punkt
darf unerörtert bleiben.
3) Nun wäre auch eine Würdigung des Mythus (als eines
poetischen Productes) von Seiten des Aesthetischen an der Stelle.
Und kein Sujet ist dramatischer , ist reicher an den verschieden-
sten Situationen, kann tragischer sich enden als die Geschichte
der Niobe. Hr. B. ist über diesen Punkt schnell hinweggegangen,
kaum hat er ihn im Anfange (p. 7.) berührt (in den Worten: Fa-
bularum , quas multas exhibet Graecorum mythologia et pulcher-
rimas , »jx nobilissimis et insignissimis est ea, quae de Niobes fato
eiusque iiberorum interitu narrata est). Hier musste in die Tiefe
gegangen , die einzelneu Schönheiten aufgeführt werden. Welche
172 Mythologie.
eine feste und schöne Basis wäre dadurch für die zweite Abthei-
lung gelegt gewesen !
4) Nachdem so dem Mythus selbst an sich und im Allgemei-
nen und seiner Erklärung ein Genüge geschehen , mussten die
einzelnen Schriftsteller, welche die Niobe und ihr Schicksal be-
handelt haben, in chronologischer Ordnung durchgenommen, die
speciellen Abweichungen angemerkt und erklärt werden, ganz
nach der Art , wie Voss verfahren ist. Hier musste dem Homer
den Reigen eröffnen, den unser Verf. wunderbarer Weise erst
pag. 74 sq. auffuhrt , d. h. nach den Tragikern. Solchergestalt
würde das Gewebe des Mythus nach allen Seiten hin anschaulich
entwickelt werden : wir würden es gleichsam vor unsern Blicken
wachsen sehen , könnten es verfolgen bis in die kleinsten und
feinsten Nuancen.
Wir gehen jetzt zu den einzelnen §§ über. Pars I. § 2.
spricht der Verf. de parentibus Niobes sehr vollständig; nur hätte
er auch die Gründe aufsuchen sollen , warum das Alterthum der
Niobe diese oder jene Abstammung gab. Solches ist nämlich nie
ohne Grund. Bei dieser Gelegenheit kommt Hr. B. auf Oud.
Metam. VI, 174. zu sprechen, auf jene schwierigen Worte: Ple-
iadum soror est genitrix mihi. Denn wer ist diese Pleiadum so-
ror'? Heisst dies wirklich: eine der Schwestern, welche Pleja-
den genannt werden, oder: eine der Plejaden '? wie Bach u. A.
wollen. Der erstere macht noch obendrein das Versehen , dass
er hinzufügt : Dione. Dione aber ist von keinem Mythologen je
unter die Plejaden gerechnet worden. Da noch besser Schol. Be-
gius: Niobes mater Taygete fuit una ex Pleiadibus, Atlantis filia-
bus. Wenn nur das nicht eine Angabe der Verzweiflung zu sein
schiene; denn Taygete wird nirgends anderswo als die Mutter der
Niobe aufgeführt. Ein anderer Mythograph (bei Bode p. 63, 27.)
macht die Sterope, eine der Plejaden, zur Mutter der Niobe.
Das wäre eher anzunehmen. Allein Hr. B. hat gewiss Recht,
wenn er es mit Burmann hält, der in jener Stelle des Ovid die
Dione versteht, eine der Hyaden, so dass also Pleiadum soror
nicht bedeute unam ex Pleiadibus, sondern unam earum, quae
sunt Pleiadum sorores, i. e. Hyadum, und wenn er hinzufügt:
Ita si locum explicamus, eleganlior quoque existit summi poetae
sententia, pro prosaico illo una ex Hyadibus, Pleiadum soror
dicentis.
§ 3. ist der Verf. de Amphione, Niobes marito, zu weitläu-
fig, und doch dringt er nicht in' den Sinn dieser Verwandtschaft
ein. Man fragt hier mit Recht : warum ist vom Mythus der Niobe
Amphion zum Gemahl gegeben*?
§ 4. handelt de numero Niobidarum , aber zu kurz und ober-
flächlich. Erstens fehlen manche Stellen (z. B. Plutarch. de su-
perstit. p. 170.), zweitens wird nicht nachzuweisen versucht,
warum die alten Schriftsteller und Künstler hinsichtlich der Zahl
Burmclstcr: De Niobes fabula. 173
der Kinder der Niobe variiren. Welcker im Rhein. Museum für
Piniol. IV. 2 II. S. 255 ff. durfte hier nicht unbenutzt bleiben,
obwohl wir nicht der Meinung sind, dass die Zahl der sieben
Knaben und sieben Mädchen aus dem Cultus des Apollo Hebdo-
magetes (denn Apollo ist ja nicht die Hauptperson im Mythus,
sondern Niobe), sondern, weil der Mythus von der INiobe ein lo-
caler, ein thebanischer, aus localen Verhältnissen abzuleiten sei,
also wahrscheinlich von den sieben Thoren , von denen ja schon
bei Homer Theben axTajtvXog hiess, oder weil die Siebenzahl den
Böotiern überhaupt so geläufig war (vgl. Mülier's örchom. S. 221).
■ — Gewundert hat sich überdies der Kec. , dass die in diesem §
angeführten Schriftsteller so ganz ohne alle Ordnung unter einan-
der stehen: lateinische und griechische, Dichter und Prosaiker,
aus den verschiedensten Zeiten.
§ 5. De Niobidarum nominibus. Auch hier finden wir wie-
der zu tadeln, dass der Verf. nicht nachgewiesen hat, ivie die
Mythologen und Dichter darauf gekommen sind, gerade diese
Namen zu wählen.
§ 6. De septem Thebarum portis , quae Niobes filiarum no-
minibus appellatae perhibentur. Ueber dieses Kapitel vergl. man
jetzt die Paradoxa Thebana von Unger (Halis. 1839.) libr. III. (p.
251 sqq), wo dieser Gegenstand mit der grössten Ausführlich-
keit und mit allen Hebeln einer gründlichen Gelehrsamkeit behan-
delt und, was Hr. B hier wieder vergessen hat, nachgewiesen
ist., woher und wie jene Fabelei entstanden sein möchte.
Zu den übrigen §§ der ersten Abtheilung (§ 7. De altera
Niobe, Phoronei filia, et Amphione Iasida. § 8. De caede Niobes
liberorum ipsiusque in saxuni rautatione. § 9. De iis Niobae libe-
ris, qui mortem effugisse dieuntur. § 10. De Chloride, marito
eins et liberis. § 11. De varia huius fabulae narratione, quae
apud noiunillos scriptores invenitur.) wüssten wir nichts weiter zu
erinnern, als dass der Verf. auch hier nur zusammengetragen
hat, ohne überall nach dem Grunde zu spüren und die Leser
darüber zu belehren.
An Tier Spitze park II. sollte § 5. stehen: Quomodo Homerus
haue fabulam expresserit. Hier musste gezeigt werden , wie der
Mythus zu Homers Zeiten gestaltet gewesen sei, welche Eigen-
heiten (unter andern, dass über Niobe nach dem schnellen Tode
ihrer Kinder doch die menschliche Natur gesiegt und sie Speise
zu sich genommen) ihm damals noch angehangen hätten etc. Was
der Verf. zur Erklärung der Stelle in sachlicher Beziehung bei-
bringt (z. B. über Achelous, als einem Flusse in Kleinasien), ist
ganz richtig, falsch jedoch, was er über die Nymphen sagt, von
denen Homer singt , dass sie
efyiqp' ' Ayikü'iov £qqco6uvto.
174 Mythologie.
Werden nicht jedem Flusse besondere Nymphen zugeschrieben?
Und doch sagt Hr. B. : „Lydia scilicet Bacchi cultu erat cele-
hrata, Bacchus a Jove Nymphio Dodonacis, alias Ilyadibns dictis,
traditus erat, Achelous Dodonarn praeterfluebat, quamobrem has
esse easdem iis Nymphas censeo, quae apud Homerum menioran-
ttir." Welch ein Schluss!
Die Geschichte von der Niobe hat, wie wir schon oben er-
wähnten , so viele tragische Momente an und in sich , dass wir
uns wundern könnten, wenn die griechischen Tragiker sie nicht
benutzt hätten für die Bühne. Aber sie werden sie diesem Zwe-
cke gemäss mehrfach umgestaltet, erweitert haben. Es wird also
hiermit für den Mythus eine neue Epoche beginnen. Wir wünsch-
ten, Hr. B. wäre dessen eingedenk gewesen und hätte uns diese
Veränderungen und Umgestaltungen angegeben. Ohne allen Ue-
bergang handelt er sofort im § 1. de Aeschyli Niobe. Dieser Ge-
genstand ist in neuerer Zeit mit besonderer Genauigkeit von G.
Hermann, von Welcker und von Fritzsche erörtert, die diesfall-
sigen Fragmente des grossen Dichters gesammelt, verbessert und
erklärt, auch der Inhalt und der etwaige Gang des Stückes aus-
geklügelt worden. Hr. B. geht Alles noch ein Mal durch, stellt
die oft verschiedenen Ansichten jener Gelehrten zusammen und
entscheidet sich bald für diese bald für jene. Bec. hat diesen
Theil der Abhandlung mit grossem Interesse gelesen und ist mit
Vergnügen den meist selbstständigen Urtheilen des Verfassers
gefolgt.
Ein Gleiches gilt von § 2. de Sophoclis Niobe. Doch fiel
uns hier das Urtheil auf: Sophoclis Nioben rebus gestis, quae in
Bcenam producebantur, Aeschyli praeclaris sententiis insignem
fuissc; unde simul apparet, Aeschylum in hac etiam traetanda
fabtila Sophocli longe praestare (*?). Sollte sich das von dem
trefflichen Sophokles so gewiss voraussetzen lassen*? Ob Fritz-
sche sein Versprechen gehalten und über diesen Gegenstand eine
besondere Ab' ~ndlung (epistolam) herausgegeben habe, ist dem
Bec. unbekannt; doch wünschte derselbe wohl des tüchtigen,
gründlichen Gelehrten Ansichten darüber zu erfahren.
Der § 3. beantwortet die Frage: Scripseritne Euripides
Nioben nee ne'? dahin, dass des Aristoteles Beweisstelle dafür
verdorben und dort zu lesen wäre: Sgzag Eugi7iiörtg rExußi]v
xul j»>) coQTttQ Äi6yy\og Nioßr/v xrA.
Ueber des Aristophaues ISiobe hat Hr. B. seine Aeussernn-
gen und Ansichten zurückgehalten, weil ihm Fritzsche verspro-
chen , nächstens darüber eine besondere Abhandlung zu veröf-
fentlichen.
Die beiden letzten §§ (§ 4. De Timotliei Milesii Niobe.
§ 6. De aliis poetis et de histrionibus , qui Niobes tabula usi sunt.)
bieten dem Rec. keine Gelegenheit zu Bemerkungen dar.
Ueber die 'Kunstdarstellungen der Niobe und ihrer Kinder
T. Livü Liber XXX. Edidit Kreyesig. 175
mittelst 3er Bildnerei und Malerei spricht sich der Verf. mir
sehr kurz, ganz am Ende der Abhandlung;, p. 94. aus. Wir
heissen dies nicht gut, da aus dergleichen Denkmälern sich oft
sehr wichtige Folgerungen ableiten lassen.
Der letzte (111.) Theil, welcher de fabulac explicatione han-
delt, spaltet sich in zwei §§, davon der erste zeigt: Quomodo
veteres et recentiores scriptores fabulam sint interpretati, — der
zu keinen Ausstellungen Anlass giebt; — der zweite: Quomodo
fabula de Niobe sit explicanda, über welche wir uns schon oben
geäussert haben, ist verfehlt.
Schliesslich müssen wir noch die vielen Druckfehler, welche
keineswegs alle auf dem letzten Blatte verzeichnet sind , und die
oft ungelenkige und ungeglättete , bisweilen unrömische Schreib-
art tadeln. Zur letztern rechnen wir namentlich das oft falsch
gesetzte quoque (p. 16. varia quoque, p. 17. cf. quoque, p. 74.
ibi quoque) uud Sätze, wie p. 70. non probo Wclckeri sententiam,
qui summam earum pulchritudinem nostrum (?) celebrare voluisse
censuit.
Heffter.
T.Livii ab urbe condita liber tricesi mus tertius.
Ad codicis Banrbergeneis et editionum antiquarum fidcin denuu
edidit et adnotationem criticain adjeeit Jo. Tlieoph. Rieyssig. Ac-
cessit varietas lectionuni in lilib. XXX — XXXII. et XXXIV —
XXXY1II. ex cod. Bamb. diligenter enotata. BlUenae sumotibus et
tjpis Klinkicbtü et Fit. 1839. 8.
Nachdem durch Drakenborch ein reichliches Material für die
Kritik des Livius gesammelt, und auf dieses eine neue Kecension
des Textes gegründet war, trat für lange Zeit ein Stillstand in
der kritischen Behandlung jenes Schriftstellers ein, indem man
theils sich scheute von der Autorität der holländischen Gelehrten
abzugehen, theils, zufrieden mit den herbeigeschafften Hilfs-
mitteln, um neue wenig besorgt war. Erst Walch, und nach
ihm Büttner, zeigte wie mangelhaft noch in mancher Hinsicht
der Text des Livius sei, verbesserte einzelne Stellen durch
glückliche Conjccturen, und forderte eine genauere Auffassung
der grammatischen und stilistischen Eigenthümlichkeitcn des
Schriftstellers; auf der andern Seite erkannte man durch eine
neue Vergleichung des seit drei Jahrhunderten nicht wieder be-
nutzten codex Laurishamensis , und des nur einem kleinen Tbcile
nach bekannt gewordenen Bambcrgensis, wieviel noch in dieser
Beziehung gethan werden könne. Der Erfolg war, dass in den
beiden Ausgaben von Kreyssig, denen von Baumgarten- Crusius
und Becker namentlich von der vierten Deradc an eine grosse An-
zahl von Stellen gebessert, oder die schon gefundene bessere
176 Römische Literatur.
Lesart an andern durch handschriftliche Autorität bestätigt wurde.
Je wichtiger aber die Bamberger Handschrift für die Kritik der
vierten Decade, deren grössten Theil sie enthält, ist, da für die
ersten Bücher derselben nur schlechtere Codices von Drak. ver-
glichen werden konnten, die folgenden sich zwar meist auf die
verlorengegangene Mainzer Handschrift, oft aber auch nur auf
das Ansehen des Gelenius stützten, für dessen Aenderungen hand-
schriftliche Begründung sehr zu wünschen war, und je mehr sie
verdient mit der grössten Sorgfalt verglichen und bekannt gemacht
zu werden, um so dankenswerther war es, dass Göller zuerst
dieselbe ans Licht zog, und um so erfreulicher ist es, dass sie
anfangs durch einen glücklichen Irrthum der Weidmannschen
Buchhandlung, dann durch die Güte des Hrn. Bibliothekar Jäck
in die Hände des Hrn. Prof. Kreyssig kam. Mit einer ausge-
zeichneten Sorgfalt, und einer selbst die geringsten Details in
der Schreibung und Stellung der Worte in den Irrthümern des
Abschreibers und deren Ursachen umfassenden Genauigkeit hat
Hr. Kr. eine Vergleichung dieser Handschrift geliefert, wie wir
sie von keiner anderen für Lhius, von wenigen für andere Schrift-
steller haben, und den Beweis geführt, dass weder Göller noch
Becker sie so, wie es die Wichtigkeit derselben verlangte, be-
nutzt haben , indem er an sehr vielen Stellen Abweichungen und
Lesarten, die von jenen übersehen oder falsch angegeben wor-
den sind, nachweisst. In der Vorrede handelt Hr. Kr. von den
Vorzügen und Fehlern der Bamb. Handschrift, indem er darthut,
dass durch dieselbe an vielen Stellen Lücken ausgefüllt, Conje-
cturen der Kritiker bestätigt und ausserdem viele nicht zu verwer-
fende Lesarten dargeboten werden ; dass sie aber auf der anderen
Seite theils gemeinschaftlich mit den anderen codd. , nur aus dem
Mainzer ergänzte , theils abweichend von den übrigen , allein,
Lücken habe; oft, auch in der Wortstellung mit den schlechtem
edd. übereinstimme, an nicht wenigen Stellen aber allein die Les-
arten der Mainzer bestätige. Nachdem er hierauf über die frü-
here Benutzung der Handschrift durch Bartholinus und Queren-
gius und Horrion, die nur den ersten noch fehlenden Theil des
dreiunddreissigsten Buches herausgaben , gesprochen hat, weist
er nach, dass Göller theils durch Unbekanntschaft mit den
Schriftzügen, theils durch Mangel an Genauigkeit, an vielen
Stellen, selbst in dem ersten Theile des 33. Buches die Lesart
der Handsch. entweder unrichtig oder gar nicht angegeben und so
in des Verf.s eigenen Ausgaben, in denen von Baumgarten-Crusius
und von Becker, viele Irrthümer veranlasst habe. Dass der letz-
tere, obgleich ihm die Handschrift vorlag, nicht diese, sondern
Göllers Collation benutzt habe, wird dadurch erwiesen, dass er
in der Wortstellung oft von jener abweichend, dieser folge, von
Göller erdichtete Lesarten im 33. Buche aufgenommen, von
ihm übersehene in diesem und den übrigen Büchern gleichfalls
T. Livii Über XXX. Edidit Kreyssig. 177
vernachlässigt, andere sogar als Conjecturen angeführt habe,
ungeachtet dieselben durch die Haudschr. bestätigt sind. Hier-
auf folgt ein Verzeichniss der wichtigeren Lesarten aus mehreren
alten Aufgaben, der Äscensiana von 1513, der Moguntina von
1518, der Aldina v. 1520, der Frobenianae v. 1531 u. 1535,
der Coloniensis v. 1525, aus dem hervorgeht, dass Drakenborch
nicht alle angemerkt habe , und die Bamb. Handschrift oft mit
denselben übereinstimme, was von Hm. Kr. immer angezeigt ist.
Endlich hat der Hr. Verf. die von Nicolaus Carbach aus der
Mainzer Handschrift ausgezogene varietas scripturae abdrucken
lassen, dieser die Abweichungen der Ascensianu vorgesetzt, und
bemerkt, in welcher der folgenden Ausgaben die Lesart des
Mainzer cd. zuerst aufgenommen sei, und wo mit derselben der
Bamb. übereinstimme. Hierauf folgt das 33. Buch, welches Hr.
Kr. schon 1837 blos mit den Abweichungen der Drakenborch-
schen Ausgabe herausgegeben hatte. Den Text hat der Hr. Verf.
nach seiner Ansicht , der Bamb. Handschrift folgend , constituirt,
und in untergesetzten Noten die Abweichungen, bei dem ersten
Theile, der nur in diesem cd. steht, der römischen Ausgabe von
1(516 und der von Honion so weit sie durch Gronov bekannt ist,
der Drakenborchschen, Beckerschcn, der von Baumgarten- Cru-
Bius , und der Collaticn von Göller; in dem zweiten Theile von
cap. 17, 7. an die der Mainzer, der Aldina und der beiden Froben.
und der folgenden angeführt, und die aufgenommene Lesart ge-
rechtfertigt. Für die übrigen Bücher 31 — 32; 34—38, 46,
4. wird nur die aus dem Bamb. cod. genommene varietas lectionum
neben die der Drakenb. Aufgabe gestellt, aber überall die Irr-
thümer Göllers und Beckers berührt, welche Lesarten der Verf.
und Becker aufgenemmnn haben, bemerkt, bei manchen Stellen
ausführlicher, bei manchen kürzer der Wertli der Lesarten beur-
theilt und viele grammatische und paläegraphische Bemerkungen
eingestreut. Es folgt dann noch ein dreifacher index, 1) loco-
rum Li\ii aliorumque scriptorum, de quibus obiter in hoc libro
agitur, 2) index rerum et verboium, 3) index vocabulorum a libra-
riis permutatorum. Das Ganze beschliessen addenda et corri-
genda p. 392—400.
Schon aus dieser Inhaltsangabe geht hervor, wie reichhal-
tig das Werk des Hrn. Verf.s sei; und dass durch dasselbe nicht
allein das dreiunddreissigste Buch, sondern fast die ganze vierte
Dccade bedeutend gewonnen habe ; dass erst jetzt eine sichere
Kenntniss von der Bedeutung des Bamb. erlangt, und in mancher
Bücksicht das Urtheil über die aus dem Mainzer codex geflosse-
nen Ausgaben, besonders die Frobeniana von 1535 sicherer be-
gründet sei, leuchtet auch, wenn man dieselben, wie es bei Ref.
leider der Fall ist, nicht nachvergleichen kann, auf das deut-
lichste ein. Was nun die Autorität des Bamb. cod. betrifft, so ist
keinem Zweifel unterworfen , dass er im 31. und 32. Buche die
A. Jahrb. f. Phil. u. Faed. od. Krit. Bibl. Bd. XXVIII. Hft. '2. 12
173 Rumische Literatur.
der übrigen Cdd. übertreffe, und in dem zweiten Theile des 33.
Buches selbst vor dem Mainzer entschiedene Vorzüge habe. In
den folgenden aber ist die Beurtheilung schwieriger und hängt
meist von der Ansicht ab , die man von dem Mainzer cod. über-
haupt hat. Es wäre daher sehr zu wünschen gewesen, dass Hr.
Kr. sich über dieses Verhältniss bestimmter ausgesprochen hätte,
so wie auch über die auffallende Erscheinung, dass zwar in der
zweiten Hälfte des 33. Buches der Bamb. cod. sehr oft den Main-
zer ergänzt, und ohne jenen der Text sehr mangelhaft sein wür-
de , dagegen in den folgenden Büchern fast überall nur der Main-
zer vollständig ist , wo die übrigen und auch der Bamb. Lücken
haben. Mit Recht aber wird behauptet p.XXIL, dass der Bamb.
in diesen an bei weitem mehr Stellen sich an die schlechteren
cdd. anschliesse als an den Mainzer , mit dem er nur zuweilen,
während die übrigen abweichen , zusammenstimmt. Die Stellen,
wo das letztere statt findet sind p XXIII. nicht ganz vollständig
aufgezählt. So fehlt , dass 34, 9, 12. beide in areis Hispani ha-
bet ent haben, wo die anderen Hispani weglassen, ib. 13,6.
scheint er nicht allein jene , sondern , wenn man dem Stillschwei-
gen Drakenborchs trauen darf, auch dessen cdd. exhaurire zu
haben, ib. 13, 1. haben jene tria milia passuum; die anderen
mille passuum ; vielleicht hatte der Mog. wie d. Bamb. ib. 20, 7.
quod postquam, sicut futurum ratus erat ; von den anderen bie-
ten zwei ut fut. die anderen futurum; ib. 24, 4. immo quam,
was Hr. Kr. schon p. XII. anführt, da es sich in den anderen
nicht findet, und von Gronov und Drak. nicht aufgenommen wor-
den ist. Ob aber im Folgenden mit dem Bamb. und den übrigen
immunes heluae s. 38, 37, 3. statt des vom Mog. gebotenen rapa-
cissimae beluae aufzunehmen sei, wie es von Hrn. Kr. und Becker
geschehen ist, scheint noch zweifelhaft, da es sich gerade um
die Raublust des Aetoler handelt s. § 2; und dieser Zug aus dem
allgemeinen Charakter der Wildheit hervorgehoben zu werden
verdiente; immanes aber ebenso aus immo verdorben werden,
als, was Hr. Kr. geltend macht, immo quam wegen immanes aus-
fallen konnte. Ib. 31, 11. haben nur Bamb. u. Mog. nomen me
premunt, in den übrigen fehlt me. 38, 3. navalium copiarum,
die übrigen nur navalium; 60, 6. transire in Europam debere,
die übrigen lassen transire weg; ib. 40, 7. hat nur der Bamb. das
richtige emiserunt, der Mog. nach Hrn. Kr. p. LXIX. emise.ant,
aber die edit. Mog. stimmt mit dem Bamb. überein. 35, 6, 6. ha-
ben beide Minucium a hello integro avocarenl (nur hat d. Bamb.
avocarei), was mit Recht Becker der Vulgata : Minucius — avo-
caretur vorgezogen hat. ib. 9, 4. et igni crematas die übrigen
ohne et. 11, 6. onerat; die andern sind verdorben und fügen at
hinzu, welches in der Frob. 2. getilgt ist. ib. 20, 9. hat Mog.
plebis etiam seito, der Bamb. plebei e. sc, die andern sind mehr
oder weniger verdorben; ib. 28, 9. haben jene beiden allein con-
T. Livii über XXX. Edidit Kreyssig. 179
lectam etatt des richtigen conjectam. ib. 34, 3. haben wahr-
scheinlich beide et Optimum , die anderen ohne et. ib. 44, 1.
principibus aliis, wo die übrigen, denen Drak. mit Unrecht folgt,
aiiis weglassen, ib. 47, 6. haben jene allein das richtige inclutam,
die anderen sind verdorben. 49, 8. Syros, die anderen sind mehr
oder weniger verdorben. 36, 10, 8. haben nur jene obsidioni at~
que oppugnationi , während die übrigen die beiden letzten Worte
weglassen; ib. 15, 1. haben nur die ersteren tunc Aetolorum ;
ib. 31, 5. passim ureretur, was Hr. Kr. p. LXXXVII. bemerkt;
ib. 38, 7. magnam tarnen ; 37, 2, 1. M. Fulvius statt Cn. Fulvius,
in den übrigen fehlt der Vorname ganz ; ib. 54, 8. haben sie allein
das sonst fehlende : in servitutem, ib. 54, 20. Graeciae und im
Bamb. ist das sonst fehlende adistis in additis verdorben ; 38, 8,
6. fehlt in allen, jene ausgenommen, ut parceret urbi; auch ib.
17, 9. scheinen beide in den Worten: et Gallograeci vere, quod
appellantur, die in den übrigen verdorben sind, übereinzustim-
men, obgleich in der Collation Carbach's quod, was erst Gele-
nius hinzufügte, fehlt; ib. 40, 7. sind allein jene beiden vollstän-
dig. Eben so Hessen sich mehrere Stellen anführen als vom Hrn.
Verf. geschieht, wo zwar jene beiden edd. übereinstimmen, aber
in einer nicht zu billigenden Lesart; doch sind dieser wenige,
und man kann im Allgemeinen annehmen, dass wo jene beide zu-
sammenstimmen , besonders wenn noch eine andere Handschrift
hinzukommt , dieses die richtige Lesart sei ; doch bleibt so noch
eine grosse Menge von Stellen übrig, wo der Mog. allein den
Übrigen entgegensteht, und es immer schwer sein wird, sich für
die eine oder andere Lesart zu entscheiden, namentlich da , wo
sich nicht leicht bestimmen lässt, welche die Erklärung der ande-
ren ist, z. B. 34, 45, 1., wo der Mog. venu, der Bamb. und die
anderen rediit haben, wie auch 38, 44, 1. 37, 50, 6. u. a. 0. 34,
54, 4. wo jener censentibus , diese existimantibus; 35, 31, 3. wo
jener flexere , diese direxere bieten s. ib. § 10. 35, 38, 18. 42,
4. 51, 7. 36, 17, 7. u. a., was zu unterscheiden um so schwieriger
ist , da auch der Mog. nicht frei von Glossemen ist s. 34, 35, 4.
sine dolo malo, was eine Erklärung zu rede zu sein scheint; ib.
46, 4. wo, wie auch Hr. Kr. bemerkt, idoneis, eine blosse Er-
klärung des verkürzt geschriebenen aptis statt apertis im Mog.
steht. Dasselbe gilt von dem statt perstilit ib. 47, 6. geschriebe-
nen morata est. So ist auch wohl 35, 6, 6. ut is dem ni is sub-
stituirt. 18,8, 3. ut hinzugefügt; ib. 13,2. eum; ib. 32. 4. accitos;
ib. 49, 7. ut neben quam. cf. 36, 4, 1. 7, 14. 10, 7. 17, 1 ; 20, 2.
37, 2, 11; 9, 9. 10, 5; 11, 3; 17, 9; 48, 6; 57, 11; 38, 7, 1;
16, 10 u. 8. w. Nur an wenigen Stellen bietet übrigens der Bamb.
cod. allein eine bessere Lesart dar als der Mog. Hr. Kr. zählt
diese zum grossen Theil p. XII, XV, XVIII. auf. So fehlt, dass
34,20,7. allein der Bamb. das in die Frob. 2. aufgenommene sicut
habe. ib. 24, 4. steht inww quam nicht allein im Bamb., sondern
12 *
180 Römische Literatur.
auch in dem einen cod. von Gelenius ; ib. 31, 8. hat allein der
Bamb. wie, was Gelen, durch Conjectur gefunden hatte; dasselbe
gilt ib. 41, 4. von et vor lateri adhaerens; dagegen hat ib. 53, 7.
nicht der Bamb. allein Sophus consul , sondern auch die anderen
bieten Sophusco oder Sophusto, in welchem cos nur verdorben
ist. 36, 1, 6. scheint allein der Bamb. ut zu haben, ib. 42, 2. et
vor ab Rkeginis. Ob 38, 23, 4. das vom Bamb. allein gebotene
inter colles zu billigen sei , mag zweifelhaft bleiben. Um so
auffallender iiÄ, es daher, dass in dem Theile des 33. Buches, den
auch der Mog. enthält , der Bamb. so viele bessere Lesarten dar-
bietet, die Hr. Kr. p. X. fast alle verzeichnet hat. So fehlt z. B.,
dass 33, 19, 2. erst jetzt toto, was schon Gelen, aufnahm, durch
den Bamb. gesichert ist, ib. 21, 4. co?nis allein in diesem steht,
22, 6. sibi meritum, während der Mog. nur sibimet hat, 26, 4. et
vor so dum; 27, 1. C. vor Sempronium (was erst p. XXXI. er-
wähnt wird); 36,5. ei vor M. Junius; 39,4. et vor Ptolemaeo;
41,2. et vor dissimukbat ; 41, 7. fraetae (während ejeeiae fehlt);
dass 42, 6. der Bamb. den im Mog. fehlenden Namen M. Pordus
Laeca, und wenigstens Theile von zwei anderen C. Fabridus
und Labeo hat, so dass nur App. Claudius Nero ganz ausgelas-
sen ist. Wahrscheinlich standen die Namen in den edd. in einer
anderen Ordnung, etwa: Cn Manlius Vulso, App. Claudius
Nero, M. Pordus Laeca, C. Fabridus Luscinus, C. Atinius
Labeo , P. Manlius, und App. Claudius Nero fiel wegen des vor-
hergehenden Vulso, Luscinus, GL Atinius wegen Fabridus
weg. Ferner ist nicht bemerkt, dass c. 43 ex.tr. nur der Bamb.
T. vor Sempronio ; 44, 4. cum nach quod ; 46, 8. et sowohl vor
aliud, als vor prineipum; 47, 4. P vor Scipione; 49, 1. et vor Bo-
mani ; 49, 2. eam vor ante ib. § 5 ab altera (der Mog. hat aliu),
darbiete. Dagegen scheint c. 48, 3. Phoenicum im Mog. nicht
gefehlt zu haben , sondern, wenn man der Lesart der Frob. 2.
trauen darfL^ in Poeni verdorben zu sein.
Um die Trefflichkeit der Bamberger Haudsch. noch mehr
darzuthun, hat Hr. Kr. bei der wiederabgedruckten scripturae
diversitas des Mog. jedesmal, wo jene mit diesem übereinstimmt,
durch ein hinzugesetztes B. angezeigt. Allein dadurch kann leicht
-das Urtheil irregeführt werden, da jenes Verfahren nicht allein
da angewendet ist, wo der Bamb. allein mit dem Mog. zusammen-
trifft, sondern auch da, wo alle oder viele andere von diesem
nicht verschieden sind. Da dieses aber nicht bemerkt ist, so
muss man jedesmal in der Drakenborchschen Ausgabe nachsehen,
um zu finden, ob an diesen Stellen der Bamb. wirklich einen
Vorzug habe. So stimmen , um nur Einiges zu erwähnen , nicht
allein der Bamb., sondern auch andere mit dem Mog. überein 34,
2, 13. in den Worten et sperate ; ib. 2, 14. in vere statt des frü-
heren vera; ib. 4, 9. in plebs statt plebes ; in data et oblata ;
ib. § li. in rationem inire, was sogar alle edd. u. edd. die Main-
T. Livii über XXX. Edidit Kreyisig. 181
zer ausgenommen haben; ib. 5, 5. walirscheinlicli mehrere in: in
publico ; ib. § 6. in trucem esse seimus; ib. § 11. inqais; ib. 6,
9. nescit ; ib. 8,5. ab Lima; ib. 9,3. adjeeti statt allecti; ib. 10,
2. causa triumphi negandi senatui fuit ; ib. 11, 5; tibi haec au~
dierunt ; ib. 12,3. ostentandam ; ib. 13,1. qaod in speciem fuit
statt q. in spem fuit ; ib. 14, 4. eliceret (so ist statt diceret zu
schreiben, wie auch in den emendandis bemerkt wird); ib. § 5.
ist inter castra die Lesart aller edd.; ib. § 11. ut emissis u. s. w.
Dagegen stimmt in diesen Capiteln nur cap. 2. in den Worten :
ego vis statuere; c. 4. et ita spero fuluras und aequato omnium
eultu. c. 5. in: in se latam. c. 6. pro legibus visa; c. 7. füiae%
e. 9. in areis Hispani ; c. 11. in tria milia; c. 13. 2/ Ja milia pas-
suum der Bamb. allein mit dem Mog. überein ; und es wäre für
die Würdigung des erstcren sehr erleichternd gewesen, wenn
entweder nur an solchen Stellen jene Uebereinstimmnng wäre be-
merkt , oder das Abweichen der andern edd. angedeutet worden.
An einzelnen Stellen ist auch die Uebereinstimmnng nicht be-
merkt, z. B. 35, 51, 2., wo nach dem Stillschweigen des Hrn.
Verf.s zu urtheilen der Bamb. wie die meisten anderen und der
Mog. aut indicto hat ; dasselbe gilt von inde pauliisper 34, 46, 8,
Sgl, p. 217 u. LXX, von usque ad mar e 36, 18, 4; von haec una
via amnibus adsaluiem visa est ib. c. 27,8, s. 38, IG, 9, ib. 14, 11.
Sehr selten wird die Lesart des Bamb. verschieden angegeben wie 35,
2, 4, wo derselbe nach p. 229. VI milia et CChaben, nach p. LXXIL
aber mit dem Mog. übereinstimmen soll, der sex milia et quingentas
bietet. An manchen Stellen wäre wohl ausdrücklich zu bemerken ge-
wesen, dass der Bamb. mit der Drakenb. Ausgabe übereinstimme, z B.
38, 17, 12, wo alle edd. auch der Mog. verdorben sind, und nur der
Bamb. mit der Verbesserung von Gelenins übereinstimmend: in-
ter Gallos sila hat; s. ib. 7, 1.; 34, 7. 37, 8, 5.; 18, 12. 22, 2.
41, 11. ; 57, 11 u. a. Fast an allen diesen Stellen hat erst Ge-
len, die nun bestätigte richtige Lesart hergestellt.
Die Vorzüge des Bamb. vor den übrigen edd. sucht Hr Kr.
dadurch nachzuweisen, dass er zuerst p. IX. angiebt, an welchen
Stellen durch denselben Lücken ausgefüllt werden. Warum hier
der im Bamb. sich findende, früher nur von Gelcnius hinzuge-
fügte Zusatz 31, IL: eosdem in Numidiam ad Masinissam ,
Carlhaginem übergangen und erst p. XX. nachgeholt wird, ist
nicht wohl abzusehen. Dagegen kann 31, 14, 10. initalio qui-
deift nicht wohl als dem Bamb. eigen angeführt werden, da auch
der Lov. 2. diese Lesart hat, die in anderen in irrilatio sine oder
finem verdorben ist, und schon längst hätte können aufgenommen
werden. Auch ib. 15, 10 cum, si instilissent tunc Philippo, wo
noch überdies im Bamb. tunc fehlt, gehört nicht hierher, da si
in den andern edd. nicht ausgelassen, sondern in ea verdorben,
und richtig von Gronov verbessert ist, weshalb diese Stelle auch
p. XII. noch einmal erwähnt wird. Dagegen war wohl ib. 21, 13.
182 Römische LUeratnr.
anzuführen, wo neben dem Bamb. nur der Harl. partae una hat,
wiewohl es zweifelhaft ist , ob dieses Wort (una) aufgenommen
zu werden verdient ; ib. 31, 4. ist haec in den anderen edd. nicht
sowohl ausgelassen als in ec verdorben. Aber 32, 20, 5. hat der
Bamb. allein: aut in illam partem, mit den alten Ausgaben, wäh-
rend in den anderen in fehlt. Ib. 21, 17. ist tum nicht im Bamb.
allein aufbewahrt, sondern in den übrigen in etiam verdorben.
Nicht zu übergehen war, dass ib. 28, 10. allein der Bamb. VI
(statt VI) darbietet ; ferner ib. 31, 2. , wo allein dieser ut nach
quisque hat, wahrend dieses in den alten Ausgaben und dem Lov.
5. ohne Autorität vor quisque stand ; dass ib. 32, 1. dieser allein
et vor cum hat, über dessen Benutzung von Hrn. Kr. wir später
reden werden. Die LJebersicht der durch den Bamb. ergänzten
oder verbesserten Stellen ist dadurch etwas erschwert, dass Hr.
Kr. in einem besonderen Abschnitt diejenigen behandelt, an de-
nen schon durch Conjecturen das gefunden ist, was jetzt die
Handschrift bestätigt. Manche von diesen sind freilich unbedeu-
tend, z. B. 32, 13, 2., wo die übrigen edd. ingens iter agminis
et, der Bamb. i. i. agminis ed hat, was Gron., da früher agmi-
nis et gelesen wurde, in agminis $*rf verwandelt, dem jetzt die
richtige Lesart durch Hrn. Kr. ingens iter agmini, sed substituirt
ist; ib. 28, 11., wo die Schreibung durch Zahlen leicht die rich-
tige Lesart quadringeni verdrängen konnte , die schon Aldus her-
gestellt hatte. Dasselbe ist zu bemerken von octogeni statt octin-
genii 33, 37, 12. Eben so unbedeutend sind die Veränderungen
von Bithynorum in Bithyniorum 33, 30. ; von Syllanus in Sila-
nus ib. 16.; von Levos in Laevos ib. 37. Andere sind schon
durch andere cod. bestätigt, wie 32, 10, 6. arbitro durch Hearn.
L. 1. ; oder wurden durch die von der Vulgata abv/eichende Les-
art der edd. herbeigeführt, wie 31, 46, 5. agitari statt consul-
tari, wofür andere Handschriften excitari bieten , der Bamb. die
Conjectur Gronov's: agitari unterstützt, eben so ib. 27,6, wo
die edd. Nidus statt Ilion , der Bamb. allein das richtige Cnidns
hat. Manche sind zweifelhaft, z. B. 31, 5. responderi ; 34, 41,
S.fuerit statt fuerat, s. bei Hrn. Kr. p. 227. u. 339. Manche sind
übergangen, z. B. 31, 11, 12., wo schon Walcli, wie Hr. Kr.
p. 133. selbst bemerkt, indicasset schrieb, obwohl sich auch hier
an der Richtigkeit der Veränderung zweifeln lässt, da dem indi-
care doch das iudicare vorangehen muss; ib. 13, 12., wo schon
Gronov nach der lex Toria trientabulus schrieb, s. Observatt.
p. 789. ed. Plattner, Niebuhr. Rom. Gesch. 2. Anmerk. 281. 32,
16, 9., wo Crevier wenigstens ut quaeque, wenn auch nicht ius-
sis vermuthete. Auch wäre hier wohl der Ort gewesen , wo der
Hr. Verf. genauer über die Verbesserungen von Gelenius, die
wenigstens zum Theil Conjecturen oder scharfsinnige Enträtse-
lungen der schlechtgeschriebenen Handschrift sind, und häufig
darch den Bamb. bestätigt werden , hätte handeln können. Wir
T. Livii ltber XXX. Edidit Kreyssig. 183
führen von den vielen Fällen nur wenige an. So haben beide 31,
19, 3. ad reges, alle anderen edd. das richtigere ad regem; ib.
40, 6. in loca pacata ad Apolloniam , unde orsus bellum erat,
während die anderen nach loca tarn einschieben und statt orsus
oi tum darbieten. 32, 3, 3# transportata; ib. 5, 3. laxaverat
animum statt laxaverat annus; 7 ,3. portoria venalicium; 8, 3.
exercitum deducere , nur mit veränderter Wortstellung ; ib. § 16.
facturum senatui; 11, 8. polliceatur ; 17,14. hostile — exple-
bat; ib. § 16. fortuita res (wenigstens bemerlt Hr. Kr. hier keine
Abweichung); ib. 18, 9. et alia; 30, 8. aut si qua etiam; ib. 31,
5. non auderent, was ausser dem Bamb. nur Hearn. L. 1 mit Ge-
len, gemein hat; 38, 5. Philoclem (der Bamb. hat Philoclen) ius-
sit. Nach diesen und ähnlichen Stellen könnte man vermuthen,
dass der cod. Spirensis, den Gelenius, nach seinen Aeusserungen
zu 36, 22, 8. und 32, 10, 11. (s. Drak. praef. p LXII. ed. Stutt-
gard), allein in den beiden ersten Büchern der vierten Decade
benutzte, in vieler Hinsicht dem Bamb. nahe gestanden habe.
Indessen hat auch an manchen Stellen Gelen, allein das
Richtige, z. B. 31, 41, 13. universi sexcentorum, wo die übri-
gen mit dem Bamb. universi nicht haben ; andere sind zweifel-
haft, wie 32, 21, 17., wo Gelen, allein quia pepercisse volunt
liest; die anderen edd. nobis, oder mit dem Bamb. vobis hinzu-
fügen, was Hr. Kr. mit Recht billigt, und auch Becker wohl
würde aufgenommen haben , wenn er gesehen hätte , dass es in
der Handschrift 6tehe.
Auch unter den Lesarten , welche p. XV. als dem Bamb. ei-
genthümlich erwähnt und den übrigen meist vorgezogen werden,
finden sich manche unsichere, während andere, die mit gleichem
Rechte angeführt werden konnten, übergangen sind. So sieht
man keinen Grund, warum 31, 3, 1. ac sociomm der anderen
Lesart sociorumque vorgezogen ist. Zweifelhaft ist, ob ib. 5, 7.
peraetam besser sei als perfeetam, welches auch Becker beibe-
halten hat. Dasselbe gilt von iurat statt iurare 31, 17.; von ad
hoc statt ad haec ib. 40.; von egressum suis fuiibus statt egres-
sum e finibus 35, 4., da 37, 52. ex templo excessit statt lemplo
excessit gebilligt wird. Mit Unrecht wird 34, 20, 6. insultassent
erwähnt, da persultassent auf jeden Fall vorzuziehen ist, s. Tac.
Ann. 11, 9. Hibero exercitu campos persultante, und wie dieses
konnte manches Andere, z. B. 31,49, 11. adferret, 34, 25, 12.
perfugerunt angeführt werden. Einige der hier hervorgehobe-
nen Lesarten hat Hr. Kr. selbst verworfen , z. B. 32, 6. agitanti
ei; ib. 21. populaudosque. Dagegen vermisst man 31, 7, 1. das
von Hrn. Kr. selbst vertheidigte si nunquam statt si unquam, ib.
§ 10. urbem Ilomanam , was die neueren Herausgeber aufgenom-
men Laben, obgleich es sich nur im Lavel. 1. ausser dem Bamb.
findet; ib. 12, 24. ist nur avcenderufil dem Bamb. eigen, curam
bieten statt causa vier andere Handschriften dar. Ib. 15, 7. hat
184 Römische Literatur.
schon Gelen, ergo statt gratia, die Bezeichnung des Einen konnte
leicht mit der des Anderen verwechselt werden, s. Frennd. Cic.
Orat. pro Milone p. VII. Zu erwähnen war ib. 18, 4. sin hello
lacessitis; ib. 30, 11. miseriti statt ?niserti; ib. 34, 8. cum statt
tum, welches Becker mit Unrecht beibehalten hat; ib. 39, 8. ut
mit locus; 32, 6, 2. travectus statt traiectus ; ib. 16, 5. praece-
dit ; ib. 34, 12. recens decretum statt recens de exercitu; ib. 38,
6. occupata statt occupat; 34, 2, 12. aliam legem abrogandam,
obgleich dieses nicht sicher ist; ib. 3, 6. scheint nicht allein der
Bamb. procucnrrerint zu haben, da Drak. in der Aufnahme von
proeveurrerunt dem Mog. gefolgt zu sein bekennt, von seinen
edd. schweigt, die procucnrrerint gehabt haben mögen, wie abs-
tineant, was Hr. Kr. selbst bemerkt. Eben so haben ib. 19, 8.
die meisten codd. incerta bellum an pax essent, nicht der Bamb.
allein, wie Hr. Kr. anzunehmen scheint, indem er p. XVIII. diese
Lesart anführt ; und c. 32, 8. haben die meisten liberacimus statt
liberaverimus, wie der Bamb. Ib. 7, 10. konnte das freilich schon
von Gelen, gefundene, aber von Drak. verschmähte excellentio-
rem ornalum erwähnt werden; ib. 8, 3. viginti annis post; ib.
33, 14. inchoata belli gloria, was nicht zu verachten ist, s. 28,
17, 3. consummatam belli gloriam; ib. 35, 11. responderi et bel-
lum geri; c. 40, 2. aspernatus statt aspernatum ; ib. § 7. e/nise'
runt; c. 41, 4. et lateri adhaerens tyrannus ; ib. 50, 9. impera-
tor secutus u. a.
Jedoch hat Hr. Kr. nicht allein die guten Seiten der Bamb.
Handschrift hervorgehoben, sondern auch das Fehlerhafte der-
selben angedeutet. Ohne eine Angabe der Stellen, wo sie
schlechtere Lesarten bietet als die übrigen codd., beschäftigt er
sich vorzugsweise mit den Lücken , welche dieselbe entweder al-
lein oder mit anderen gemeinschaftlich hat. Und allerdings ist
dieses die schwächste Seite der Handschrift, indem sie selbst da,
wo sie in anderen Stücken vor den übrigen den Vorzug hat, in
mancher Beziehung mangelhafter, und in den Büchern vom 34.
an durch mehr Lücken als diese entstellt ist. Hr. Kr. hat nur
einen Theil derselben angeführt, indem er theils die zum grossen
Theil weglässt, wo der Abschreiber durch leer gelassenen Raum
die Lücke selbst bezeichnet, s. p. XIX. und XXI.; theils die
grosse Menge der einzelnen Wörter, die im Bamb. fehlen, uner-
wähnt lässt, und nur die Stellen aufführt, wo längere oder kür-
zere Sätze, und mehrere Worte zusammen ausgefallen sind. Nur
sehr Weniges vermisst man hier. So hat der Bamb 31, 49, 2.
statt aeris, argenti centum septnaginta milia pondo nur ooD. ;
während die meisten anderen vollständig sind, einige nur pondo
weglassen; 34, 30, 7. hat er statt Achaeorum praetor e nur
Achaeo, was Hr. Kr., da es von Becker aufgenommen ist, mit
Recht missbilligt; ib. 32, 16. statt nam et Messenen uno ataue
eodem iure nur nam et esse eodem iure ; 35, 2, 6. statt a pri-
T. Livü über XXX. Edidit Kreyssig. 185
vatis fernere nur privatis; 35, 5, 11. fehlt proelio et dubio; 34,
42, 6. hat er statt tieque partem dimitteitdam navium nur par-
tem Jiavium; 37, 1, 7. fehlt inier se ; ib. 34, 7. illud satis, cf.
37, 20, 5. ib. 27, 13. ; 38, 15, 13. ; 33, 24 extr. fehlt et Ti Sem-
pronium u. a. Dagegen ist zu bezweifeln, ob 32, 21, 14. das
Fehlen von mit vi aut metu mit Recht zu den Lücken gezählt
wird. Wollte man die einzelnen Wörter, die im Bamb. allein
fehlen, rechnen, so würde man finden, dass diese kleineren Lü-
cken im Bamb. häufiger sind, als in den übrigen Handschriften,
go weit sie uns bekannt sind, indem vom 34. Buche an nach einer
oberflächlichen Zählung über 300 solcher Auslassungen statt ha-
ben. Was die Stellen betrifft, wo der Bamb. allein eine schlech-
tere Lesart hat, als die übrigen edd., so ist dieser Punkt von
Hrn. Kr. nicht genug erörtert worden. Um einen Maassstab für
diese zu haben, mögen nur die, welche sich in den ersten Kapi-
teln des 32. Buches finden, hier zusammengestellt werden. So
hat der Bamb. allein §2, 1, 2. a praetoribus statt praetoribus ; ib.
§ 4. decreta eutret increteas statt decretae ut retineret eas ; § 14.
dieta statt edieta; c. 2, 5. id quod statt quod; 3, 2. expressa statt
compressa; 4, 3. qua statt quas; 5, 2. timenti statt timentem;
6, 10. credidit statt reddidit; § 13. conspectu für conspecto; 7,
3 venaliciura wie Gelen, statt venalium; Castrura statt Castro-
rum; § 5. Baelius statt Baebius; O Aurelio statt C. Aurelio; § 7.
re für res; 8, 11. si sua classis opera für si sua classi suaque
opera; 9, 2. muros statt murus ; § 11. fleri für fieri; 10, 8. quia
statt quibus; § 11. quas in muro für quasi in muris; 11, 2. ipse
statt is se ; § 6. defensorum statt defessorum ; § 8. polliceatur wie
Gelen.; wo die anderen meist unrichtig pollicetur haben, wahr-
scheinlich aus polliceietur verdorben; signo reeepto statt aeeepto;
§ 9. per noctem für pernox; § 10. capit statt capi ; 12, 1. petie-
bant statt petierant; § 3. verteret für verterat; § 5. sparsi statt
pars ; 13, 1. quas inter statt qua se inter. § 9. praeverti für re-
verti; § 9. agebat für egebat; § 14. mixta ex imbelli für mixta
imbelli; hae für haec; ab Themania statt ab Athamania u. a. In
dieser an sich nicht unbedeutenden Zahl sind leichtere Abwei-
chungen nicht einmal mit aufgeführt. Aus allem diesem geht
hervor, dass die Bamb. Handschrift von den übrigen, so weit wir
über dieselben urtheilen können, verschieden ist; dass siezwar
mehr als diese der Mog. sich an vielen Stellen näbert, aber auch
viele eigenthümliche Fehler und besonders Lücken hat, und der
Gebrauch derselben viele Vorsicht erfordert. Hr. Kr. tadelt da-
her nicht selten, dass Becker die Lesart, die sich im Bamb. allein
findet, aufgenommen hat, nicht mit Unrecht, namentlich aber,
s. p. XXXVIII., dass er zu oft in der Wortstellung dem Bamb.
gefolgt sei, was nur dadurch zum Theil entschuldigt werden kann,
dass wir oft für die der Vulgata keine bestimmte Autorität haben.
Die auffallendsten Fehler der Beckerschen Ausgabe, besonders
186 Römische Literatur.
die nicht gewissenhafte Benutzung' des Bamb. , die oft von Becker
gar nicht kann verglichen worden sein, werden p. XXXVI ff. auf-
gezählt; wo Hr. Kr. das, was er schon in der Jenaischen Littera-
turzeitnng 1831 n. 153 ff. dargethan hat, zusammenfasst. Hier,
in der Vannus critica, s. Jahn und Seebode Archiv 1831 p. 50 ff.,
und dem Meletematum specimen primum ist überhaupt der grösste
Theil der beraerkenswerthen , aber übersehenen Lesarten des
Bamb. schon vom Verf. bekannt gemacht. An den einzelnen Stel-
len wird in der Regel angegeben, wenn Becker die Lesart des
Bamb. aufgenommen hat: nur hier und da vermisst man diese
Bemerkung, z.B. 31, 41., wo Br. discrimine aut schreibt; 34,
41, 1., wo er abduxerat aufgenommen; ib. 48, 2., wo er hoc
weggelassen hat. Eben so fehlt, dass Br. 34, 56. peditum, cen-
teni equites statt et centeni eq.; 36, 12, 8. imperatorum Roma-
norum; ib. 19, 4. aut deturbari statt ac deturbari ; ib. 39, 14.
agrum statt agros aufgenommen hat. Dagegen wird selten Br.
eine Lesart beigelegt, die sich bei demselben nicht findet, wie
31, 2, 3., wo er nicht ut nunciarent aus dem Bamb., sondern ut
et nunciarent liest, während Dr. ut et ad nunciarent hat ; 32, 33,
6., wo er nicht, wie Hr. Kr. angiebt, ab Jaso et a Bargyliis^
sondern ab Jaso et Bargyliis aufgenommen hat, und nur in der
Schreibung von Jaso von Drak. abgewichen ist.
Von den Fehlern, die Göller in seiner Collation gemacht
hat, wird nur eine kleine Anzahl p. XXVIII ff. erwähnt, und mit
Recht; denn fast jedes Kapitel bietet Abweichungen dar, die von
ihm übersehen worden sind. INur an wenigen Stellen ist nicht
angegeben, dass die Göllersche Vergleichnng nicht genau sei;
z.B. 33,14,5., wo Göller statt der handschriftlichen Lesart oo
mille angiebt, was sonst immer angezeigt wird; ib. 24,3. wird
nicht gerügt, dass er p. 32. exitu f er ine anni, aber p. 109. e.
fere a. als Lesart der Handschrift angiebt. Ib. 34, 33, 8. , dass
Gr. et extemplo statt et exemplo; ib. 50 extr. onerararias statt
onerarias; ib. 55. in dixerunt statt edixerunt; 35, 30, 8. die Aus-
lassung von inermem; 37, 28. extr. hostis opprimere statt h. op-
priraeret ; ib. 49. das Fehlen von ne ; 38, 1. in. das Fehlen von d
in dum ; 31, 41. in. obsidere und superfuerunt übersehen , p. 134.
die Schreibung Lychnidus als stehend dem Bamb. gegen 33, 35
extr. beigelegt hat u. a. Ein grosser Theil der Rügen bezieht sich
übrigens auf die Orthographie der Handschrift, die Göller in sei-
ner Collation bei weitem ircht genug beachtet hat. So wird je-
desmal bemerkt, wenn Gr. Phiiippus schreibt statt Philyppus, wie
in der Handschrift steht; absumsit statt absumpsit; nuncius statt
nuntius; obcurrisset statt occurrisset, Quinctius statt Quintius
u. s. w. Eben so werden im 33. Buche alle orthographischen Ab-
weichungen von Drakenborch angeführt, z. B. adparebat statt ap-
parebat, caussa für causa, adtulit, inplico, inlustris u.a. Das-
selbe gilt durch das ganze Werk von der Beckergehen Ausgabe,
T. Lim über XXX. Edidit Kreyssfg. 187
jedesmal wenn Br. Quintius, deprensus, Elatea, Karthago, Pan-
horrans n. a. schreibt, wird die Abweichung bemerkt; was uns
nicht nöthig scheint, da doch nach dem Bamb., der selbst viele
Verschiedenheiten darbietet, die Orthographie des Livius nicht
hergestellt werden kann , und von Hrn. Kr. selbst im Texte des
33. Buches nicht überall befolgt ist.
Dass die Angabe der in der Handschrift gefundenen Lesarten
sehr genau sei und kaum etwas zu wünschen übrig lasse, wurde
schon oben bemerkt. Hr. Kr. scheint ein Studium daraus gemacht
zu haben, die Ursachen der Verirrungen des Abschreibers selbst
in unbedeutenden Dingen, wie bei geschriebenen und wieder ge-
tilgten Wörtern ,-Sylben und Buchstaben, Verschreibungen, Wie-
derholungen und Auslassungen aufzufinden, und hat sie meist mit
Scharfsinn erklärt. Zuweilen scheint er hierin selbst zu weit zu
gehen und Dinge zu erläutern, die jeder Aufmerksame sich selbst
sagen kann , z. B. wenn es an vielen Stellen heisst : „omissa li-
neola pro litera m poni solita", oder „literae mvicaria1"; oder
wenn bei leicht zu bemerkenden Fehlern hinzugefügt wird: mendi
origo patet; oder z.B. bei et Romanis simul statt et Romani siraul
als Erklärung beigegeben wird: „verbura simul errorem peperitwtj
namentlich gilt dieses von den Fehlern , die bei Zahlen vorkom-
men, wo z. B. jedesmal, wenn XX für 20000 steht, hinzugefügt
wird: „librarius XX pro XX posuit" u. a. Ebenso würde man-
che Bemerkung, wenn sie nicht da stände, nicht vermisst wer-
den, z. B. wenn 32, 28,1., wo statt transigi der cod. trasigi
hat und hinzugefugt wird: „hoc ferri nequit", oder die Bemer-
kung über et 38, 15., über sublecti 33, 242.; die Polemik gegen
[Döring, z. B. 38, 17.; 31, 8. u. a. Wenn Göller bisweilen bei
ider Anführung der Lesarten der Handschr. Zusammengehöriges
itrennt und dadurch die Einsicht erschwert, so hat Hr. Kr. in der
iRegel hierauf grosse Sorgfalt verwendet, nur zuweilen müsste
]cin Wort zu der angeführten Lesart hinzugenommen werden,
jz. B. 36, 38, 7. , wo die richtige Lesart ubi ut in immer o ist , im
Bamb. aber ut fehlt, versteht man den Ausfall der Partikel nur,
wenn man ubi, was bei Hrn. Kr. fehlt, hinzunimmt. So würde
'auch 36, 43, 1. das Fehlen von alias minoribus im Bamb., von
>atias maioribus in den anderen codd. leichter begriffen werden,
wenn alias maioribus alias minoribus wäre verbunden worden,
s. 37, 37, 9. seet; 33, 20, 9. responsaqui im Mog. u. a. Biswei-
len entsteht durch die zu gedrängte Schreibart des Verf. einige
jDunkelhcit, z. B. p. 6., wo es über die abgekürzte Schreibung
;von qnoniam durch quo also heisst: „De hoc scripturae compen-
dio, quod librarius XXX, 29. pro cum, XXXIII, 6. 43. et 45. pro
quiiHi, vei, ut cap. 6. et 45. aliis visum est, pro quando , atque
XXXII, 21. ubi cod. Lips. quoque qm, id est quoniam, quod
jBekkerus Tacit. Annal. II, 56. lectioni quo ex cod. Flor, gubstituit
188 Römische Literatur.
et Annal. III, 71. lectioni quando ex eodem codice substituendum
censuit, pro vulgata lectione quando offert, cum octo codicibus
a Drakenborchio adhibitis , XXXIV, 43. 58. XXXV, 2. 27. 45. 47.
et XXXVI, 53. pro quoniam XXXIH, 35. per compendium qm.
scripto posuit, vide Wunderuni in Variis Lectionibus etc.
Was die Anordnung des reichen von Hrn. Kr. gesammelten
Stoffes betrifft, so bietet diese dem, der denselben benutzen
will, manche Unbequemlichkeit und Schwierigkeit dar, indem
man bei vielen Stellen an nicht weniger als vier Orten: in den
Lesarten der alten Ausgaben , der varietas lectionis von Carbach,
der Collation der Bamb. Handschrift, und ddii Addendis und
Corrigendis nachsehen muss, was sich durch andere Verbindung
des Gegebenen, namentlich durch eine Vereinigung der Lesarten
des Mog. und Bamb. hätte vermeiden lassen , wodurch zugleich
die Vergleichung der beiden Handschriften bedeutend wäre er-
leichtert worden. Auch sind auf jene Weise manche Wiederho-
lungen veranlasst worden. So werden viele Lesarten der ed.
Mog. Aid. Froben. von 1531 und 1535, die schon unter dem
Texte des 33. Buches vom 17. Kap. an stehen , p. L. ff. noch ein-
mal erwähnt. In den folgenden Büchern finden sich viele noch
einmal bei der var. lect. des Mog., oft auch noch in der Collation
des B;imb. erwähnt.
Hr. Kr. hat an vielen Stellen, wie schon seine früheren
Mittheilungen zeigen, durch die sorgfähige Benutzung der Hand-
schriften und der alten Ausgaben die richtige Lesart wieder her-
gestellt ; Vieles zur Geschichte des Textes beigetragen ; an an-
deren Veränderungen Bekkers, deren eine bedeutende Zahl p.
XXXVI ff. aufgezählt ist , zurückgewiesen; an anderen passende
Conjecturen vorgeschlagen, z. B. 37, 27, 7. ib. 53, 15.; 38, 45, 6.
ii. a. Ausserdem sind viele paläograpische und sprachliche Bemer-
kungen über die Ausdrucksweise des Livius eingestreut. Um das
Verfahren des Hrn. Verf. genauer zu zeigen, wollen wir noch ei-
nige einzelne Stellen- genauer betrachten. Wir beginnen mit dem1
33. Buche, um das sich Hr. Kr. ohne Zweifel die meisten Ver-
dienste erworben hat. 33, 1, 5. hat der Verf. Walchs Conjectur
pergit ire ad urbem, iussis legionariis haslatis (ea duo müia
militum erani) sequi se milie passuum intervätlo dista/des, wie',
die übrigen neueren Herausgeber statt der handschriftlichen Les-
art legionis aufgenommen. Aber weder Walch noch Hr. Kr. hat
eine Beweisstelle für diese Ausdrucksweise beigebracht, die um
so erwünschter gewesen wäre, da man zwar hastati legionis' (s.
30, 18.) und legionarii oder legionarii milites (s. Liv. 26, 48, 7.
Caes. b. G. 1, 42.), legionarii equites (Liv. 35, 5, 12. ib. 6, 10.)
findet, auch die legionarii den Tiiariern entgegengesetzt werden,
s.gLiv. 28, 3, 14. : additum erat et triariorum equiti praesidium;
legionarii ceteras partes perradunt, aber Stellen für legionarii
T. Livii libcr XXX. Eilidit Kreyssig.
principes, hastati vermisst werden. In den folgenden Worten be-
zieht Hr. Kr. distantes mit Göller und Jacobs auf hastati, was
auf jeden Fall gerathencr ist, als es nach Drak. mit se in Ver-
bindung zu setzen. Doch dürfte sich diese Abweichung von der
gewöhnlichen Construction nur durch griechische Beispiele, wie
die von Göller angeführten, vertheidigen lassen, da 32, 8, 6.,
was Jacobs anführt : nam praeter consulares exercitus, praetores
quoque iussi scribcre milites eraut. Marcello in Siciliam etc., un-
sicher ist, indem die Stelle, wie sie jetzt gelesen wird, keinen
passenden Gegensatz giebt, weil man statt consulares den Prae-
toren gegenüber et consules suos erwarten müsste. Da an vielen
Stellen das Compendium pr. zu Irrungen Veranlassung gegeben
hat, und, was Drak. mit Unrecht bezweifelt, auch sonst die Con-
suln die den Praetoren bestimmten Heere ausheben, s. 44, 21.,
so dürfte die Verbesserung Crevier's, der praetoribus lesen will,
nicht zu verachten sein. An unserer Stelle aber ist der Ueber-
gang in den Accusativ leichter zu rechtfertigen , da sich derselbe
so passend an das vorhergehende sequi anschliesst, s. C. Brutus
59, 214. u.a., und überhaupt iubere leicht verschiedene Con-
structionen nach sich zuläüst. § 3. steht in der Handschrift ad
viedio fcrme viae ; Jacobs vermuthetc ac medio; man könnte
auch a medio lesen, s. Hand Tursell. 1, 41., allein da der Ab-
schreiber auch sonst o statt u setzt, s. c. 3. exercito cf. 32, 6,
13., und oft den Strich für m auslässt, so ist ad medium, was
Hr. Kr. beibehalten hat, gewiss vorzuziehen. § 6. liest Hr. Kr.
oppidani ante lictores turba acta insecutum etc. , die Handschr.
hat Helote, und die von ihm selbst angeführte Stelle 23, 10, 6.
ducique ante Lictorem in castra est iussus scheint hinreichend zu
beweisen, dass lictor, wie so viele andere Worte, von Livius
collectiv gebraucht worden, und jene Veränderung nicht noth-
wendig sei. — Cap. 2, 1, behält Hr. Kr. Gronov's Conjectur:
senior iam et infumior, quam ut contentionem dicendi sustine-
ret, bei; mit Recht, wie es scheint, s. 45, 19, 13.: illa aetate,
illa corporis infirmitate; obgleich man für die handschriftliche
Lesart seqm'or geltend machen könnte, dass durch diese der Man-
gel der geistigen Energie, wie durch infirmior die körperliche
Schwäche angezeigt würde. Bald darauf i t nach der verdorbe-
nen Lesart des cod. ablaia ensidicjße ancholata eher, wie schon
Drak. wollte, ab Plutaeensi Dicaeai cho lata zu lesen, als a Pla-
taeensi, s. 31, 25, 1. ab Piraeo: 37, 3. ab Ftolemaeo; und in con-
tra adicere dürfte nicht sowoiil contra adiicere als eine blosse
V, icderholiuig des a wie c. 3, 10. in qui iugenti statt quingenti zu
linden sein. — Cap. 3., wo der cod. ibiqiie slativis positis,
esercendo quölidie miliie hostem opperiebatur hat, will Hr. Kr.
exercenäo quölidie mittlem lesen. Allein theils ist das folgende
hostem dem Accus, militem nicht günstig, theils finden sie!» Sä-
tze, wie der nach der handschriftlichen Lesart geschriebene, bei
190 Römische Literatur,
Liv. nicht selten , s. 24, 15, 4. capite — abscidendo tempus tere-
bant; 23, 7, 12. visenda urbe in aequam diei partem consumsit,
8. 8, 17 in. 24, 36, 1. u. a. Das Ende des Kap. schreibt der Verf.
ad ea, quae tum maxime animos tenebant, quibusque erigi ad
aliquam spem poterant, venu, indem er die Conjectur von Ja-
cobs tenebant statt des handschriftlichen tgrrebant aufnimmt.
Aber einen genügenden Grund dieser Veränderung vermisst man,
denn wenn Jacobs tenebant durch sollicitudine implebant, raove-
bant (Hr. Kr. scheint Raschigs Erklärung: occupabant, vorzuzie-
hen) erläutert, so wird dieser Begriff noch stärker durch tene-
bant ausgedrückt , was sich auch durch die Vergleichung mit 32,
34. empfiehlt. Im Folgenden fehlt erigi im cod., Rec. vermu-
thete statt dessen adduci-, welches vor ad leichter ausfallen
konnte. — Cap. 4, 1. liest Hr. Kr. acceptae ad Aoum flumen
in angustiis cladi ler a Macedonum phalange ad Atracem vi
pulsos Romanos opponebat , wie Gronov am Rande der Ausgabe
Horrions geschrieben fand, während der cod terra bietet. Dieses
ter aber scheint hier wenig passend zu sein, da ein Heer , das
auf einem für dasselbe so ungünstigen Terrain, wie 32, 17. ge-
schildert wifd, dreimal zurückgeschlagen werden musste, den
Macedoniern gewiss nur furchtbar erscheinen konnte. Dazu
kommt, dass a. a. 0. nicht einmal von einem dreimaligen Zurück-
weichen der Römer die Rede ist. Rec. vermuthete daher: cladi
iterum a Macedonum phalange — pulsos Romanos opponebat ;
herum in der Bedeutung von av genommen , s. Hand TurselJ. 3,
529. — Cap. 5, 9. ist nach Freinsheims Vermuthung: Roma-
nus leves et bifurcos plerosque, veltrium, aut, cum plurimum,
quattuor ramorum vallos caedit , geschrieben, weil Polybius
18, 1. sagt : ij tgsig , der cod. aber hat et trium. Allein der aus
Polybius genommene Grund kann kein grosses Gewicht haben, da
Livius nicht allein im Allgemeinen dessen Darstellung ganz um-
ändert, und während jener die einzelnen Verschiedenheiten in
der Befestigungsweise der Römer und Griechen sich entgegen-
stellt, Alles, was auf die Einen und Andern sich bezieht, zusam-
menfasst, Manches auch ganz übergeht; sondern auch sogleich
im Folgenden, wo Liv. aut cum plurimum hat, 6 ös nltlöras
sagt. Ferner lässt sich et wohl vertheidigen , da es ja zuweilen
an die Bedeutung von vel anstreift, s. Hand Turs. 2, 480., und
eben so leicht in aut verwandelt werden könnte, s. 22, 5, 7.: nee
ut in sua legione miles aut cohorte aut manipulo esset. Auch sonst
wechselt Liv. zuweilen mit den Copulativ- und Disjunctivparti-
keln , s. 38,38,2., wo es erst soeiisque, dann soeiisve heisst,
E. Walch Emendatt. p. 189.; und 31, 32, 4., wo der Bamb. bella-
que hat, die übrigen bellave , möchte dieses eher durch das fol-
gende aut entstanden sein. Im Folgenden hat Hr. Kr. die scharf-
sinnige und ebenfalls auf Polybius sich stützende Conjectur Cre-
v'iers, dass nach neque, was an sich nicht zu verwerfen, s. 3, 52.
T. Livii Über XXX. Edidit Kreysgig. 191
extr.; 31, 22, 7.; 40, 9, 4., hier zweifelhaft ist, etwas ausgefallen
sei, obgleich sich auch sonst ähnliche Auslassungen finden, s. c.
18, 20. u. a., und die von Crev. vennissten Worte dem Zwecke
der Stelle ganz entsprechen, wir glauben mit Unrecht, still-
schweigend verworfen. Kurz vorher scheint uns in den Worten:
et ita densos offigunt implicanlque ramos , ein Fehler zu liegen.
Densos nämlich kann sich theils wegen offigunt, was mit ramos
sich nicht verbinden lässt, theils wegen des Gegensatzes: nam et
quia rari stipites eminebant, nur auf vallos beziehen; dann muss
ebendahin auch implicant gehören, und die rami können nur das
Mittel der Verbindung sein. Dieses würde passend ausgedrückt,
wenn man läse : et ita densos offigunt implicantque ramis , s. die
Ausleger z. Caes. b. G. 2, 17. cf. Polyb. 18, 1, 12. — Cap. 6,
10. ist an Romani ad Eretriam — Pliilippus super amnem On-
chestum posuit castra kein Anstoss zu nehmen und etwa posue-
runt oder, wozu sich Hr. Kr. neigt, Romanus zu schreiben; da
sich das Präd. leicht an das letzte Subj. auschliesst, s. 44, 17 extr.
— Cap. 7, 9. könnte zu iuga montium detexerat nebula noch
angeführt werden Catull. 61, 53. tibi virgines zona solvunt sinus.
cf. Horat. Sat. 2, 7, 11. Ib. § 8. hat Hr. Kr. nach Jacobs geschrie-
ben: Res, ut qui nihil minus etc., während in der Handschrift
sed nt qui steht. Dieses scheint vertheidigt werden zu können,
denn einmal ist oben vorhergegangen: opem regis implorabant,
so dass diesen sogleich wieder zu nennen nicht nöthig war; dann
heisst es vorher: duo milla propere missa rem inclinatam restitue-
runt, wozu sed — trepidavit den Gegensatz bildet. Dass vor ut
qiii nicht immer das Subject steht, ist bekannt, s. 38,37,4.:
itaque, ut quibus; 29,32,8.: neque enim eunetanter, ut quas
cf. ib. 6, 7. 25, 13 extr. Ganz ähnliche Verbindungen sind nicht
seilen, s. c. 11,9. dönis regis imminere credebant invicti ab ea
cupiditate animi virum: sed et succensebat etc. cf. c. 36, 3. 33 in.
u. a. Vielmehr sollte man c. 8, 1. die Erwähnung des Königs er-
warten , und da Hr. Kr. nachweist, dass nach dicentem, nicht,
wie Göller berichtet, nach fieri ein leerer Kaum im cod. ist, so
könnte da leicht dieses Wort ausgefallen sein. — Mit Recht hat
jetzt der Verf. c. 8, 5. obsidentes ad Eordaeam aditum mit Bek-
ker aufgenommen und vertheidigt, was in jeder Rücksicht den
Vorzug vor der früher von ihm gebilligten Lesart: obsistentes in
Eordeae adilu verdient. Ebenso ist bald darauf: prope cursu
ad hosteni vadit, viel angemessener als proper o cursu , was für
die Phalanx nicht passt, s. Polyb. 18, 7 in., während jenes durch
die von Hrn. Kr. angeführten Stellen geschützt wird. Warum
man cap. 9, 4. an quac venerat Anstoss genommen hat, ist nicht
wohl einzusehen, da dieses den Gegensatz zu tum cum maxime
appropinquante bildet. Auch ist zu bezweifeln, ob § 8. durch
das, was Laehmann De fönt. Livii II. p. 82. bemerkt, um dextro
eornu zu rechtfertigen , die Darstellung des Livius von aller Un-
192 11 ö mis che Literatur.
klarheit befreit werde, theils weil dieser gegen die Schilderung
des Polybius eine media acies, die in diesem Treffen kaum Statt
finden konnte, unterscheidet; theils weil gerade durch die Ver-
änderung der Worte des Polybius ini tojv bvcovv(xcov in dextro
cornu eine Dunkelheit nicht entfernt wird, sondern erst entsteht.
§ 10. möchten wir nicht mit Hrn. Kr. das im cod stehende hos,
welches Quaerengius passend in hoc verbessert hat, in hostes
verändern, da hier der Gegensatz von ab tergo adorlus und a
fronte tum — instabat weit besser durch das blosse Relativum,
als durch das müssige hostes, welches § 11. ganz an seinem Pla-
tze ist, bezeichnet wird. — Cap. 10, 2. geschieht wohl Gronov
Unrecht, wenn man glaubt, er habe an tum Anstoss genommen;
denn dass dieses nicht der Fall war, zeigt schon seine frühere
Verbesserung: Romanis (oder hostiuni), tum et ipse. Er ver-
misste nur eine Andeutung, dass die Fahnen feindliche seien,
was zwar Polybius 8, 9, 8., nicht aber Livius, der die Erzählung
anders gestaltet, hier erwähnen musste. Ib. § 4. hat Hr. Kr. mit
Recht: paullisper novit ate rei constituit signa, aufgenommen.
Wie häufig solche Ablative sind , zeigt Roth zu Tac. Agr. p. 172
ff. — Cap. 11, 8., wo in den Worten: et arrogantiam eorum,
victoriae gloriam in se rapientium , quae vanitate sua omtiium
aures offendebat , schon Gronov an quae vanitate sua Anstoss
nahm, ist vielleicht statt suae zu lesen ipsa, s. 35, 49, 4. u. 11.
— Cap 12, 8. ist mit Recht das Von Becker nach der falschen
Relation Göllcr's aufgenommene in proelio wieder in proelio ver-
ändert. Ib. § 5. hat auch Hr. Kr. nach Gronov: Aetolos aut mo-
ris Romanorum memorem, aut sibi ipsis convenientem sen-
tentiam dixisse geschrieben ; leicht aber könnte , da die Hand-
schrift memores hat, esse, was Drak. ergänzen will, ausgefallen
sein. Am Ende des Kapitels ist nach Jacobs' Conjectur: non iis
conditionibus illigabitur res, ut movere bellum possit, geschrie-
ben. Allerdings verbindet, s. Drak. z. 35, 46, 10., Livius mit
illigare gewöhnlich, jedoch nicht immer, s. 25, 36, 7. clilellas
illigatas oneribus, wie auch Cic. oft andere Constructionen hat,
s. Forcellini u. d. W. , ein persönliches Subject; aber Philippus
geht unmittelbar vorher« so dass die Beziehung nicht zweifelhaft
sein kann. Ferner scheint das einfache conditionibus, s. Drak.
23, 7, 1., hier zu schwach zu sein. Daher zieht Rec. die Ver-
muthung Gronov's vor: non iis conditionibus illigabitur pacis, ut
etc., wie es vorher heisst: de conditionibus pacis, s. 30, 16. —
Richtig wird cap. 13, 13. sed mox eliam belli causa, was nach
Creviers Vermuthung schon Becker aufgenommen hatte, statt
causae vertheidigt. Bald darauf ist zwar richtig nach dem cod.
mensum aufgenommen, wenn aber p. 394. nach dem dort ange-
führten Antibarbarus von Krebs mensium für die clässische Zeit
ganz verworfen werden soll, so ist übersehen Zumpt zu den Vcr-
rinen p. 414. — Cap. 14, 5. ist die Vermuthung Hrn. Kr.'s, dass
T. Livii Über XXX. Edidit Kreyssig. 193
statt des allerdings auffallenden mille ac ducentos, milleaccc
d. h. milleDCCC und bald darauf et C es ipsorum zu lesen sei,
zwar scharfsinnig; aber sicherer ist es, die bisherige Lesart bei-
zubehalten, da Livius die nicht zweifelhafte Zahl der Corinthier
dem Leser zu finden überlassen konnte. § 11. nimmt man wohl
mit Unrecht an diem ediclam Anstoss, wofür Drak. diem dictum,
Hr. Kr. diem editam vorschlägt. Allerdings war die Botschaft
eine geheime, aber der Befehl kam doch von der Behörde, die
den Termin bestimmen, durch ein edictum nach römischem Sinne
festsetzen konnte. — Cap. 15, 2. liest Hr. Kr. mit Walch: ibi
parte dimidia exercitus dimissa, dimidiam (trif avium divisit)
et omnes equites discurrere — iubet. Aber wenn so auch die
Parenthese ganz passend ist, so kann man doch an der von Walch
angenommenen Bedeutung von dimissa zweifeln : „proprie capi-
mus dimittere de militibus abire iussis in suum quibusque locum,
imperatore etiam tum in ordinandis instruendiürque ceteris oecu-
pato'% die wenigstens durch Suet. Octav. 49. nicht bestätigt wird.
Da dimittere exercitum, wenn nicht, wie z. B. 31, 26. dimidia
parte militum ad praedandura dimissa, cum parte ipse — ■ conse-
dit, angegeben wird, wohin oder wozu ein Heer weggeschickt
wird, der stehende Ausdruck ist für die förmliche Entlassung des
Heeres, so sieht man nicht, wie es hier eine so ganz abweichende
Bedeutung erbalten kann. Der Grund des Verderbnisses scheint
ein auch von Hrn. Kr. oft bemerkter zu sein, dass die erste Sylbe
des folgenden Wortes dimidiam die erste des vorhergehenden
verdrängt hat, so dass es nun schwer ist, das von Livius hier ge-
brauchte Wort wieder zu finden. Uebrigens könnte man auch an
dimidiam — dimissa dimidiam — divisit Anstoss nehmen. Bald
darauf hat Hr. Kr. gewiss die wahre Lesart durch Veränderung
von dein aliarum gentium in id in Warum gentium, s. Melet. p.
17., u. § 8. das richtige instruit hergestellt. Aber § 13. möch-
ten wir ibique statt in utrobique in ibi quoque verwandeln. —
Cap. 17, 6. vertheidigt Hr. Kr. mit Recht (nur scheinen Stellen,
wie Liv. 21, 60. Curt. 4, 4., nicht hierher zu gehören) die Lesart
des Bamb. in ditionem legati venerunt statt des gewöhnlichen
in de ditionem, weil man, was Gronov 8, 20, 6. schon von dem,
Ausdruck in deditionem alieuius se permittere behauptet hatte,
und was auch durch den ursprünglichen Ausdruck — Liv. 1, 38.
7, 31. — in ditionem alieuius se dedere bestätigt wird, nicht ge-
sagt habe in deditionem alieuius venire. Au der einzigen Stelle,
wo diese Redeweise noch gefunden wird, 8, 20, 6., müsste selbst
nach den Dächst dem Flor, besten codd. dem Leid. I. und Harl. I.
in ditionem gelesen werden, wenn man der ersten Angabe Drak.
trauen dürfte, und dieser nicht nachher auch jenen edd. deditionem
beilegte. — C. 18,8. möchten wir nach deinMog. Neb lihodii pu-
gnam deteetaverunt. Atque — extemplo in aciem descensum est
vorziehen, da atque ganz passend und sonach, s. Hand Turseil. 1,
N. Jahrb. f. J'hil. u Paed. vd. Krit. Bibl. Bd. XXVIII. llß.1. 13
194 Römische Literatur.
478., bedeutet, und ita, wie nach dem Bamb. Hr. Kr. Torzieht,
nur eine Erklärung von jenem zu sein scheint. § 12. ist schwer
zu entscheiden, ob nach dem Mog. acies utraeque oder nach
dem Bamb. acies utraque zu schreiben sei, da, wenn dieses von
Hrn. Kr. als das gewähltere vorgezogen wird, jenes leichter zur
Aenderung verleiten konnte. Um das § 18. durch Interpolation
in den cod. gekommene Macedonia zu erklären , war auf c. 21.,
nicht auf c. 36. zu verweisen. — Sehr gut ist cap. 19, 4. die nach
dem Bamb. (s. Melet. p. 25.) hergestellte, von Göller und Becker
übersehene Lesart: quibus fuga in expedito erat statt expe-
ditior. § 6. ist vielleicht die Lesart des Bamb. mit der des Mog.
zu vereinigen und zu lesen: iam Antiocho ex Syria moliente
bellum statt movente , s. 38, 44, 6. — Cap. 20, 2. ist allerdings
wahrscheinlicher , dass in den Worten si eo fine non contineret
im Bamb. (s. 34, 33.) non ausgefallen sei, obgleich sich für das
von Becker aufgenommene ni geltend machen Hesse, dass es be-
sonders in Drohungen sich finde , s. Gernhard Epist. ad Herzog.
p. 15. § 10. hat der Mog. omnierat , der Bamb. omiserant ; das
Plusquamperfectum steht also sicher und kann sowohl in Bezug
auf das folgende omiserant als zur Bezeichnung des schnellen Ent-
schlusses gesagt sein, s. Kritz Sali. Cat. 37, 1. , Fritsch Kritik d.
bisherigen Grammatik, p. 123. Auf gleiche Weise iässt sich wohl
c. 15, 15. das vom Verf. in spurserunt verwandelte sparserant
der Handschrift vertheidigen ; aber c. 27, 9 scheint fuerant nur
eine Verbesserung von fuerunt , s. Walch p. 75. — Cap. 21; 4.
schreibt Hr. Kr. : comis uxori ac liberis, quos habuit superstites.
Der Bamb. hat comis uxor ac liberos duos , der Mog. uxorem
ac liberos duos. Der Accusativ steht also sicher, in konnte nach
comis leicht ausfallen ; wir ziehen daher comis in uxorem ac li-
beros vor, s. Hör. Ep. 2, 2, 132.: bonus sane vicinus, amabilis
hospes, comis in uxorem. Liv. 42, 5. Das folgende quos super-
stites habuit könnte leicht verleiten zu glauben, der König sei
nur gegen die ihn überlebenden Kinder freundlich gewesen ; doch
wagen wir nicht zu entscheiden, ob nach Lachmann ein Irrthum
des Livius zu Grunde liege, oder mit Becker quattuoi\ oder etwa ei
eos oder et omnes zu schreiben sei. § 5. liegt vielleicht in der
Lesart des Bamb. Sexetanosque Etruriam die bei Livius so ge-
wöhnliche Verbindung Sexetanosque et Baeluriam. Im Folgenden
war nicht nothwendig nudaverint zu schreiben, s. Walch p. 192.
— Cap. 22, 3. wird mit Recht nominabant — cecidisse verwor-
fen, selbst die vom Verf. aus Apuleius angeführte Stelle: nomi-
nate, quis ille fuerit puer, scheint auf Attraction zu beruhen,
und Göller zu Cic. or. 16, 53. hat keine neuen Gründe beige-
bracht. — Cap. 23, 2. ist ohne hinreichenden Grund commemo-
rantesque obsidione se esse ab eo liberatos, plerique etiam, cum
apud hostes essent, Servitute exemptos geschrieben, denn der
Bamb. hat statt se esse das bessere sese; der Mog. statt plerique
T. Livii Über XXX. Edidit Kreyssig. 195
plerosque, was wir vorziehen, theils weil, wfe Hr. Kr. selbst
anerkennt, im Folgenden se nicht wohl fehlen könnte, theils weil
sich nicht annehmen lässt, dass alle Colonisten nach Rom gekom-
men seien , so dass die meisten derselben jene Versicherung hät-
ten geben können. § 7. hat der Bamb. CCXXXVII et, aber et
fehlt im Mog. und ist im Bamb. wohl nur aus dem leicht zu ver-
wechs.elnden D entstanden, so dass man nicht geneigt wird, mit
Hrn. Kr. et quingeutos zu schreiben. Ob bald darauf eine Um-
stellung des vom Mog. gebotenen duplex equili, triplex centu-
rioni, oder die Lesart des Bamb. duplex equiti centurionique
(s. 10, 46.) vorzuziehen sei, ist schwer zu entscheiden, s. Huschke
die Verfassung des Serv. Tüll. p. 377. — Caput 24, 9. dürfte
das von Becker aus dem Bamb. aufgenommene in eo numero vor
dem vom Verf. gebilligten in eorum numero den Vorzug haben,
s. Stürenburg zu Cic. p. Archia p. 185 ff. — Cap. 25, 9., wo
der Mog. et illustres, der Bamb. et multos inlustris bietet,
scheint der Ausfall et multos in jenem (s. § 10.) zu zeigen, dass
ursprünglich et multos et illustres geschrieben war, was auch
aus anderen Gründen zu billigen ist, s. Hand Tursell. 2. p. 475.
Ueber die schwierige Stelle § 11. , wo Hr. Kr. stillschweigend
die gewöhnliche Lesart billigt, können wir, da sich kaum sonst
ein ähnlicher Zusatz findet, und sich die Worte nicht nach den
vom Verf. zu den Fragmenten des Sallustius p. 70. behandelten
Stellen beurtheilen lassen, nur Drak. Ansicht beistimmen, dass
entweder eodem exercitu oder cum duabus legionibus ein über-
flüssiger Zusatz sei. — Cap. 27, 2. ist richtig denarium geschrie-
ben , aber quinquaginta möchten wir nicht mit dem hier lücken-
haften Bambr entfernen. § 7. ist das übersehene restitutis iis
(s. Melet. p. 13.) trefflich hergestellt; die gleich folgenden Worte
perinde etc. bedurften, da die Sache sicher ist, keiner so langen
Verteidigung. § 10. ziehen wir das nachdrückliche, ganz der
Gemüthsstimmung der besorgten Römerfreunde angemessene
quidnam se futurum esse der anderen Lesart esset vor , s. Krü-
ger grammatische Unters. 1. p. 28. — Cap. 28, 3. scheint uns per
totam urbem, da per nicht selten ausgefallen ist (s. 24, 16, 15.
ib. 28, 1. 36, 33, 2. u. a.), nicht zu verwerfen, obwohl für tota
urbe nicht allein aus Curtius Belegstellen zu nehmen sind, s.
Hand Turs. 3. p. 248. § 5. hätte wohl Hr. Kr. seine Verbesse-
rung eius caedis (s. § 8. mentioneraque eius caedis, wo eius im
Mog. fehlt) in den Text nehmen sollen. § 9. hat derselbe mit
Recht impudenter obviam eundo crimini geschrieben, denn
diese Wortstellung räth nicht allein die so hergestellte Verbin-
dung von obviam eundo, sondern auch das im Mog. stehende cri-
minis, wo s aus suspicionem entstanden ist, und der Umstand,
dass so das zu beiden Sätzen gehörende crimini in die Mitte der-
selben zu stehen kommt, s. Roth zu Tac. Agric. p. 270. diese
Jahrbücher Bd. 7. p. 143. Liv. 45, 13 extr. gratulatumque senatui
13*
196 Römische Literatur.
iuberent indicare. Bald darauf ist gewiss das Verfahren des Verf.
zu billigen, indem er die Lesarten beider edd. verbindend liest:
cum scirenl ipsi nihil, opinione omni um pro indicio ?isi. Dage-
gen können wir demselben nicht beistimmen, wenn er §11.
schreibt: quem indicem Pisistratus timens, eo ipso iimore rem
ad iudicium protraxit. Denn einmal scheint die Zusammenstel-
lung indicem, eo ipso timore wieder indicium zu fordern, wie
im Mog. steht ; dann ist das nächste , wozu jene Furcht führt,
die Anzeige: Thebas perfugit, et ad magistratus indicium de-
fert. Wenn ferner Hr. Kr. bemerkt: „rectius, opinor, — ex
latina consuetudine res indicio alieuius ad iudicium protrahi , id
est effici, ut res in indicium deducatur, quam aliquis timore ali-
euius ad iudicium protrahi, id est effici, ut index prodeat, dici-
tur", so ist dieses theils an sich kein hinreichender Grund, tbeils
muss Hr. Kr. die bei Livius nicht stehenden Worte „indicio ali-
euius" einschieben, theils gewinnt das Ganze eine andere Ge-
stalt, wenn man die Gegensätze : indicem Pisistratus timens, eo
ipso timore (rem) ad indicium protraxit, beachtet, die ganz gestört
würden, wenn man iudicium schreiben wollte. Wiemansagtin me-
dium, in lucem, und nach Hrn. Kr. ad iudicium protrahere, so
lässt sich auch ad indicium protrahere veriheidigen; dass die
Furcht die Ursache ist, kann die Sache nicht ändern. Hr. Kr.
hat timore rem aufgenommen, wie, ohne dass es Göller oder
Becker sah, im Bamb. steht; allein der Mog. hatte wohl nur ti-
more, und rem kann eben so leicht eine blosse Wiederholung
der letzten Sylbe, als hinter dieser ausgefallen sein. Der Zu-
sammenhang aber scheint die Auslassung zu fordern, indem er
den Sklaven als Angeber fürchtete , gerade durch diese Furcht
veranlasste er ihn zur Anzeige. — § 12. ist mit Recht nach Ent-
fernung des ohne sichere Autorität aufgenommenen is geschrieben :
has qui tulit Uterus , iussus Zeuxippo dare quam primum, quia
non stalim etc. Aber nicht ganz gleichgültig ist es, wie Hr. Kr.
meint, ob ipsi Uli servo oder Uli ipsi servo gelesen wird, viel-
mehr ist das erster-e, wie der Verf. thut, vorzuziehen, s. Klotz
z. Cic. Tusc. 5, 23, 65. Hand praktisches Handbuch p. 13. Krebs
Anleitung § 135. — Cap. .29, 4. ist zwar facinorafieoafit, weil
so eine ganz Livianische Abwecbslung der Rede entsteht: versi
— excipiebant; quidam — opprimebantür; facinora — fiebant
zu billigen; aber ea, was, wie Hr. Kr. selbst zugiebt, im Bamb'.
leicht ausfallen konnte , möcbten wir nicht entfernt sehen , zumal
hier nur ein neuer Beweggrund für Freveltbaten , wie sie schon
erwähnt sind, angegeben wird. § 7. behält Hr. Kr., obgleich der
Bamb., was Göller und Becker nicht bemerkten, interempti hat,
tot enim intereepti erant bei ; aber die dafür angegebenen Gründe
scheinen nicht zureichend, denn die Stelle 29, 8. passt nicht
ganz, da intereipere an u. St. nicht allein abschneiden bedeuten
kann, und wie für intereepti excipiebant, so kann für interempti
T. Livü über X\\. Edidit Krcyssig. 197
opprimebantur, caedes, cadavera geltend gemacht werden. Doch
wollen wir intereepti nicht verwerfen, da es passend die Art De-
zeichnet, wie die Soldaten entfernt wurden.
Cap. 30, 3. ist zwar durch die, stillschweigend von Becker
aufgenommene, Verbesserung des Verf.s deducerel et ex his
ein Theil der Schwierigkeiten entfernt, aber dunkel bleibt es
immer noch, wie, was schon Düker bemerkte, mehrere der
folgenden Städte unter die kommen : quae in Asia essent. Da
diese Worte im Polybius fehlen , dem Livius hier durchaus folgt,
da ferner die Umstellung von Myrina verräth , dass das Folgende
durch Abschreiber verwirrt ist, so möchten wir annehmen, dass
Livius auf irgend eine Art das opioieog des Polyb. ausgedrückt,
und diesem, der grösseren Deutlichkeit wegen die Worte: dedu-
ceret et ex his, quae in Asia essent, entgegengestellt habe. So
würde auch das anstössige quoque im Folgenden eine passende
Beziehung erhalten. Wenn Livius c. 31, 3. die Aetoler die ent-
fernteren Städte zusammenfassend sagen lässt: quae in Asia sint,
liberentur, so will er nur ihre feindselige Absicht stärker bezeich-
nen, und diese Stelle kann auf die Behandlung jener , wo es auf
genauere Bestimmung ankommt, keinen Einfluss haben. > — Cap.
31, 3. wo jetzt Hr. Kr. richtig Oreus liest, können wir nicht bil-
ligen, dass er dubitabatur enim de Corintho, et Chalcide et
Bemetriade schreibt , da der Mog. bestimmt et de Chalcide hat,
vor Demetriade aber die Präpos. zu leicht ausfallen konnte, die
auch sonst mehr als andere wiederholt wird, s. Hand Tursell. 2,
228. Soldan Quaest. cri#. in Cic. or. pro rege Dei. p. 5. ff. § 8.
sollte wohl statt concilio , was für die zehn Legaten nicht passt,
coiisilio geschrieben werden, s. 45, 26, 12. ib. 29, 3. Gron. z. 44,
2, 7.; auch das von Göller und Becker übersehene agitabantur
scheint dem von Hrn. Kr. gebilligten tractabanlicr, das Liv. 35, 32,
13. in etwas verschiedener Bedeutung braucht, nicht nachzuste-
hen, und den langen und schwierigen Verhandlungen ganz ange-
messen zu sein. — WAenn § 10. im Mog. sub lutela populi Jto-
mani steht, so bleibt es zweifelhaft, ob dieses nicht den Vorzug
vor praesidii verdiene , welches leicht aus dem Folgenden ent-
stehen konnte, während populus Romanus sehr passend dem fol-
genden : pro PhilippoAntiochum, wie tutela s. 45,18. in. dem do-
minum entgegengestellt wird. — Cap. 32, wo § 3. jetzt richtig
ferebant §4. das erst vom Verf. s. Melet. p. 14. gefundene area
statt arena gelesen wird, bietet § 10. der Mog. prominciaret der
Bamb. promintiavit dar. Sollte nicht prommtiarat die ursprüng-
liche Lesart sein wie § 6 perceasucrat'? — Cap. 32,2. scheint die
Vcrmuthuug des Verf.s, es sei proctd ille periculo zu lesen,
weil im Bamb. proeul epeiiculo sieht , nicht nöthig, da oft in
diesem cod. Buchstaben und Sylben durch offenbare Irrungen s.
31, 49, 1. 32, 18, 5. u. a. eingeschoben sind. — § G. ist die Vul-
gata aut terris contincnli juiictis beibehalten, obgleich der
198 Römische Literatur.
Bamb. aut terris conlinentibus junetis hat, und das Folgende:
sed maria trajiciat , wodurch s. 32, 21,31 o. 38 Griechenland
bezeichnet wird, da dieses doch auch zu den mit dem Continent
zusammenhängenden Ländern gehört, keinen passenden Gegen-
satz bildet. Conlinentibus scheint uns daher die richtige Lesart,
aber zu hart würde es sein, asyndetisch, wie Jacobs wollte,
junetis damit zu verbinden ; und es ist entweder et einzuschieben
s. Cic. p. Caec. 4,11. continentia quaedam praedia atque juneta, cf.
N. D. 1, 11, 26., oder es liegt in junetis, wenn man es nicht für
eine Glosse erklären will, eine Bestimmung zu continentibus,
etwa cum ?7s, s. C.Fam. 15,2. — Cap. 36., wo §2. das übersehene
Glabrio und § 14. intra dies paucas mit Recht geschützt wird,
vermisst man ungern die Aufnahme der Drakenborchschen Con-
jeetur: an in Insubres, da in so leicht ausfallen, und hier nicht
wohl fehlen kann, s. c. 38, 8. Dr. z. 2, 8, 8. Cap. 37, 11. ist statt
translata aufgenommen transveeta; warum nicht tr.aveela? s.
Hrn. Kr. zu 32, 6. — C. 38, 3. ist nach dem Bamb. mit Verände-
rung von aliquae in aliae aufgenommen worden : periciilumque
erat) ne si concessum iis foret , quod intenderent , Smyrnam
in Aeolide Ioniaque, La?npsacum in Hellespojito aliae zirbe
sequerentur. Allein Iris in Mog. ist liier wegen des entgegen-
stehenden aliae wohl vorzuziehen, in aliquae könnte auch aliae
quaeque liegen. Intenderent bietet zwar der Bamb., aber inj
Mog. stand in Theba, worin, wie Jacobs und früher auch Hr.
Kr. annahm, intendebant liegt i, dessen Erklärung intenderent zu
sein scheint, wenn man nicht wegen des*orhergehenden usurpa-
bant, und weil die Städte sich wirklich schon der königlichen Ge-
walt entzogen haben , und erst wieder unterworfen werden müs-
sen, im Vergleich mit c. 40, 5. Philippum usurpandae alienae
possessionis causa tenuisse, cf. Tac. Ann. 15, 25. vermuthen will,
die ursprüngliche Lesart sei: quod j am tenebant. s. c. 18. Wenn
bald darauf folgt peterent, so ist zu beachten, dass dieses die
Gesandten des Antiochus sagen. § 12. verwirft Hr. Kr. die von
Br. aufgenommene Lesart des Bamb. omnia simul aggressus und
stellt omni cura her, ob mit Recht, lassen wir dahin gestellt
sein, da das zweite simul nicht nothwendig auf das erste bezogen
werden muss , sondern zur Abwechslung mit et gesagt sein kann
s. Drak. z. 9, 2, 5. Corte Sali. Cat. 19, 2., und diese Beziehung
durch das vorangestellte omni cura verdunkelt wird; omnia aber
sehr geeignet ist, um die grosse Thätigkeit des Königs anzuzeigen,
s. 30, 3, 3. — Cap. 40, 2. hat der Bamb. statt: Asiam nihil ad
populum Romanum pertinere , nur Asiam nihil ad se pertinere ;
sollte darin vielleicht eine Andeutung von senatum liegen*? s.
c. 32. Am Ende des Cap. bietet derselbe : Chersonesum quidem
et proxime Thraciae — quem dubitare, quin Lysimaclri fue-
rint. Hr. Kr. wie Becker schreibt dafür Chersonesus. Da aber
Livius auch sonst diese Art der Attraction nicht scheut, s. 2, 57,
T. Livii Über XXX. Edidit Krejssig. 199
3. distractam laceratamque rempublicam magis, quorum in manu
sit, quam ut incolumis sit, quaeri. ib. Gron. Drak. z. 4, 41, 6.
Krüger Gramm. Unters. 3. p. 3. 6. , so lässt sicli wohl die hand-
schriftliche Lesart, an der auch Göller keinen Anstoss nahm,
veitheidigen. Eben so zieht Hr. Kr. die Wendung 31, 27, 5. hie
■metus Codrionem , satis validum et munitum oppidum , sine
certamine ut dederetur Rotnanis effecit p. 395. in Zweifel , und
möchte dafür äffecit nach Tac. Ann. 11, 19. lesen. Allein hier
steht milites hoslesque affecit; wer sagt aber metus oppidum affi-
cit ut dedatur? Dazu kommt, dass Livius auch sonst auf gleiche
Weise sich ausdrückt, s. 34,61,4. hunc Aristonem Carthagine ob-
versantem non prius amici quam inimici Hannibalis qua de causa
venisset cognoverunt, s. c.62, 4. Krüger a. a. O. Dagegen hat Hr.
Kr. selbst das freilich etwas Verschiedene: incerta bellum an
pax cum Celtiberis essent 34, 19, 8. gebilligt, welches von Gro-
nov nicht genug vertheidigt wird , sich aber dadurch rechtferti-
gen lässt, dass Livius auch sonst schon vor den Subjecten das
Prä'dicat im Neutrum setzt, wie in dem bekannten: natura ini-
mica inter se esse liberam civitatem et regem 44, 24. ; und die
Attraction eintreten lässt wie 31, 12, 6.: in Sabinis incertus in-
fans natus masculus an femina esset, s. 30, 35, 9. ; 34,62, 4. Krü-
ger p. 444. Ochsner Eclogae p. 50. — Cup. 44, 1. liest der
Bamb. ver sacrum ex decreto pontificum jussit facere (nicht fe-
cere, wie Göller angiebt) ; der Mog. hat nur: ex pontificum
jussu fecere. Dass die letztere Lesart nur eine durch den Aus-
fall von decreto nöthig gewordene Anordnung ist, unterliegt kei-
nem Zweifel, und wir möchten dieses nicht allein von jussu, wie
Jacobs p. 405., der die Lesart facere nicht kannte, behaupten,
sondern auch von fecere. Ferner konnte eben der Infinitiv jussit
statt jussi zu schreiben verleiten; auch 32, 11. steht capit statt
capi. Daher können wir nicht billigen , dass der Verf. von seiner
Melet. p. 20. ausgesprochenen Ansicht, dass jussi facere zu le-
sen sei, abgegangen ist und wie Becker: jussi fecere aufgenom-
men hat; da noch hinzukommt, dass nicht sowohl der Befehl das
ver sacrum zu weihen, als vielmehr das Verfahren bei der Weihe
durch den Beschluss der pontiiiees bestimmt wurde, s. 22, 9, 10.
ib. 10, 1. 34, 44, 1. Bald daraufist in den Worten: quod cum
■ Hispania movisset , bellum ncgligerent das Komma vor bellum,
da dieses zu beiden Sätzen gehört, wohl zu entfernen, s. unsere
Bemerkung z. c. 28, 9. § 7. ist mit Recht das übersehene instar e
aufgenommen, auch et vor nisi war wohl nicht zu verwerfen. —
Cap. 45, 4. hat Hr. Kr. das von ihm erst gefundene: non iia
magni momenti, und: marcescere otii situ queri civitatem mit
Becht hergestellt, zu den für das Letzte angeführten Stellen
konnte Quint. Inst. 12, 5, 2. : ut bona ingenii — situ quodam
secreti consumerentur gefügt werden. — Cap. 46. hat Hr. Kr.
§ 8. zuerst im cod. et piincipibus quibusdum entdeckt uud aufgc-
200 Römische Literatur.
nommen. Im Folgenden: quin et pecunia, quae in Stipendium
Romanis — pender etur , deerat , fehlt im Bamb. quin, und
allerdings geht nichts vorher , wozu das Geld auch nicht zuge-
reicht habe, so dass man eine Steigerung erwarten könnte. Wenn
man den Anfang des folgenden Capitels vergleicht, und bedenkt,
dass quin kaum von einem Abschreiber herrühren kann , so liegt
die Vermuthung nahe, dass hier etwas ausgefallen sei. — Cap.
47, 3. hat Hr. Kr. die von Gelenius verbesserte Lesart: nonfurto
eorum manibns extorto beibehalten, statt deren beide codd.:
non furtorum manibus extortis haben. Ilec. glaubte manibus sei
verdorben , und vielleicht manubiis zu lesen, s. Liv. 43, 18, 5. C.
Verr. 2, 1, 59, 154. — Cap. 48, 1. begründet Hr. Kr. seine schon
von Baumgarten -Crusius und Becker aufgenommene Conjectur:
ita regionem quandam Afii vocant, wo der Bamb. agri hat
durch genauere Nachweisung der Grösse von Byzancium. Aller-
dings ist der Ausdruck regionem agri, wiewohl Livius oft regio
von grossen Länderstrichen braucht, s. 32, 31. in. 45, 23, 6. u. a.,
auffallend, wenn man nicht ager von dem ager Carthaginiensium,
s. Drak. z. 6, 21, 8 ; i9, 30, 10., und diese selbst als Subject zu
vocant betrachten will, s.30, 8, 3.; 34,62, 3. Emporia vocant eam
regionem. § 1. ist das üb ersehene jnsserat hergestellt; § 5. ist
allerdings das vom Verf. aufgenommene tum media aestas forte
erat wahrscheinlicher als etenim, s. 1,59,7. in quo tum magistratu
forte Brutus erat. 26, 39. Durch die Annahme p. 395., dass § 3.
lucius im Mog. ein blosser Zusatz des Abschreibers sei, wird die
Schwierigkeit nicht gehoben. § 6. ist richtig: quanlo res et
tempus patiebatur apparatu celebratae epulae sunt nach dem
Bamb., den Becker auch hier nicht eingesehen hat, hergestellt,
da augenscheinlich sowohl quantum als celebrataeque nur durch
das Verderbnis xo\\ apparatae in apparata entstanden ist. Eben
so ist durch die erst von Hrn. Kr. entdeckte Lesart : ad id quod
serum erat der Stelle aufgeholfen. Aber §11. sehen wir keinen
Grund zwischen fovenlium und et factionibus studiis gegen die
Harnisch, einzuschieben, durch die angeführten Stellen wenig-
stens wird es nicht bewiesen, s. c. 47. : et factionibus Carthagini-
ensium inserere publicam autoritatem.
Wir wollen aus den folgenden Büchern nur noch einige Stel-
len betrachten , über die Hr. Kr. sein Urtheil ausgesprochen hat.
Lib. 31, 7, 3. hat der Bamb. hoc quantum intersit , si nun quam
alias, Punico proximo certe hello experti estis , die übrigen
-edd. : si unqiiam ante alias. Der Verf. sagt darüber: „oplime ta-
rnen Goellerus p. 364. doeuit, si nunquam ante alias, quum certe
sequatur, necessario scribendum esse." Von dieser Notwen-
digkeit wird man sich nicht leicht überzeugen , wenn man Stellen
vergleicht wie Cic. ad Att. 1, 16, 1. quod si tibi unquam sura visus
in republica fortis, certe mein iila causa admiratus esses; Fiu.
3, 3, 10. erat enim si cuiusquam , certe tuum etc. cf. pr. Mil. 2,
T. Livii über XXX. Edhlit Kieyssig. 201
4. 7, 19. Dass in demselben Sinne aucli profecto so vorkomme
ist bekannt, s. C. Offic. 1, 31, 111. Fin. 5, 26. Auch sieh! man
keinen innern Grund der Notwendigkeit, denn wenn si nunquam
ante — certe bedeutet, dass das, was man von jeder anderen
Zeit läugnet, gewiss in einer statt gefunden habe, so zeigt si un-
quam acte — certe an, das was kaum in einer anderen Zeit ge-
schehen sei, sei in einer gewiss eingetreten, in einer mehr als
in jeder anderen sichtbar gewesen. Da nun die Römer schon in
anderen Kriegen, z. B. dem mit Pyrrhus, diese Erfahrung ge-
macht hatten , s. 28, 44. in., so möchte man geneigter sein , die
alte Lesart si im quam für die richtigere zuhalten. Mit Recht aber
wird ante in Schutz genommen, s. 1, 28. 32, 5, 8. Nach dem
oben Gesagten ist es auch nicht so sicher, dass 28, 44, 18. blos
nach dem Petav. si nulia alia re zu schreiben sei, da alle ande-
ren codd. und unter diesen der Put. Flor. Cant. nlla haben , und
Scipio sehr wohl sagen kann: ich will mich durch Bescheidenheit
mehr als durch irgend etwas Anderes auszeichnen. — Ib. c. 9, 7.
verwirft Hr. Kr. mit Recht die Lesart des Bamb. quia statt si ea,
die eher eine Erklärung von si sein dürfte , w eil ea nicht fehlen
könne, billigt aber seponi — de bei et wohl mit Recht, da c. 12, 4.
reponi, die gewöhnliche Lesart , sich- in einer anderen Bedeu-
tung findet; aber dass quod si den Vorzug habe vor quodnisi, be-
zweifeln wir, da nicht das misceri, sondern das seponi und non
misceri das ist. was der pontifex verlangt, und von Livius be-
sonders beachtet werden musste. — Cap. 14, 4. bietet der Bamb.
wissus extemplo Athenas est C. Claudius Centho cum viginti
lentis navibus et militum mit darüber geschriebenem Zeichen für
mille , während die anderen edd. : et militum copiis haben. Die-
ses billigt Hr. Kr. ; aliein das nackte militum copiis ist mit Recht
den Kritikern aufgefallen , besonders da c. 24. eine allgemeine
Kenntniss der Truppenzahl als bekannt vorausgesetzt wird. Da
copiis nicht allein im Bamb., sondern auch in der vom Verf. oft
gerühmten Asc. und der Mog. fehlt; so scheint es erst durch die
Auslassung einer Zahl entstanden zu sein, um die Lücke auszu-
füllen. Ob mille im Bamb. das Rechte sei, la'sst sich kaum be-
stimmen, da es nicht minder eine blosse Conjectur sein kann.
Am Ende des Capitels fehlt cum vor insignibus in den meisten
edd.; sollte nicht eher in ausgefallen sein'? s. Hand Tursell. 3,
260. Das gleich darauf folgende di wird ausser durch den Bamb.
auch durch Justin 5, 4. ipsos illi deos — tulere obviam bestätigt.
— Cap. 17, 9. liest Hr. Kr. die Lesarten des Bamb. und der ande-
ren edd. verbindend : et id se facinus perpelraluras. So richtig
dieses ist, so wenig kann man den angeführten Grund gelten
lassen, dass dieses et dem vorangehenden primum entspreche, da
der Zusammenhang : delecti primum — et adacti — tum milita-
ris aetas jurare deutlich zeigt, dass tum mit primum in Verbin-
dung zu setzen- sei. Dagegen halten wir jurat wie d. Bamb. statt
202 Römische Literatur.
///rare hat, u. c. 35, 3. das credidere der anderen edd. statt credere
für uiinöthige Aenderungen der Abschreiber, die den freien Ge-
brauch , den Livius vom inf. bist, macht , verkannten. — Cap. 18,
4. verwirft der Verf. die gewöhnliche Lesart: si bello lacesseritis
und setzt dafür lacessieritis. Obgleich jene Formen von Zumpt
z. C. Div. in Cacc. 14, 45. in Schutz genommen werden , so ist
doch die Autorität der wenigen edd. , deren Excerpten Drak.
selbst nicht ganz traut , an unserer Stelle zu schwach , als dass
man auf dieselbe hin jene ungewöhnliche Form hätte aufnehmen
sollen. Aber auch das vom Verf. gebilligte lacessieritis steht in
keiner Harnisch. , die fast alle lacessitis haben. Man sieht keinen
Grund , warum dieses verworfen wird , da Philipp schon hinrei-
chende Beweise hat . dass der Krieg von den Römern gesucht
wird. Auch sintet wohl zu billigen, s. Caes. b. c. 1, 32. C. Süll.
8, 25. Kritz Sali. lug. p. 208. — Cap. 39, 8. hat der Bamb. ut
aut locus postulabat, aut maier ia supped itabat, apere permuniit,
was sehr passend ist, da sich Terrain und Baustoff so bestimmt
entgegenstehen; dennoch billigt Hr. Kr. die Vulgata: ila ul locus,
oder will lesen: ita ut aut locus, wozu kein Grund vorliegt.
Auch 37, 53, 15., wo alle andere edd. ut haben, scheint es zu kühn
ita ut zu schreiben, weil im Bamb. allein, wahrscheinlich durch
einen nicht seltenen Irrthum s. Drak. z. 4, 12, 8. aut steht. Im
Folgenden, wo mehrere edd. opere auslassen, wollte der Verf.
früher mit Jacobs lesen: propere permuniit , zieht aber jetzt die
Walchsche Conjectur: suppedüabat operi, permuniit vor. Wir
glauben mit Unrecht; denn um nicht zu erwähnen, dass unmittel-
bar darauf wieder operibus folgt, dass durch jene Lesart das
Ebenmaass der Glieder sehr gestört wird, zeigen die Worte: lapi-
dum congerie , ut pro muro essent, und der Umstand, dass der
König nicht weit vor den Römern voraus war, dass er eine
schnelle Befestigung für nöthig hielt, die zu bezeichnen dem
Schriftsteller weit näher liegen musste , als die Hinzufügung des
leicht zu missenden: operi, s. Düker z. 35, 44, 7. — Cap. 46,
15. billigt Hr. Kr. die durch Büttner vorgeschlagene und durch
den Bamb., der quae liest statt quodque oder quod, einigermas-
sen unterstützte Umstellung: in arcem, quae super por tum est;
aber die von ihm selbst § 10. vorgenommene Veränderung von ja-
ciebant , et , in Fade baut et , die , da sich leicht hier ein zeug-
ma annehmen liisst, nicht nöthig sein dürfte ; und die schwierige
Stelle: et casligatio?iibus regis in admissa culpa, simul mina-
rum , simul promissorum memores , wo nach culpa vielleicht ein
Particip wie admoniii ausgefallen sein dürfte, übergeht er mit
Stillschweigen. — Cap. 48, 5., wo der Bamb. statt et quod prae-
tor nonfecissel, senatui faciendum esse. Consulem exspeeta-
ret liest: faciendum esse, ut consulem exspeetat >ent , missbil-
ligt d. Verf. p. 395 diese Lesart desshalb, weil sich ähnliche Con-
struetionen nicht fanden; aber Stellen, wie C. Verr. 2,65, 158.:
T. Livii Über XXX. Edidit Kreyssig. 203
de quo homine auditum est unquam, quod tibi accidit, ut ejus
statuae — deiicerentur? cf. de imp. Pomp. 9, 25. p. Caec. 2, 4.
Kritz Sali. Cat. 52, 22. sind der orangen ziemlich gleich. § 6. hat
Drak. et an in magixtratu suisque auspieiis gessissei, der Barab.
bietet dafür magistratusius quis, die übrigen edd. entweder
ebenso, oder magistratu suisqvisqve. Rec. vermuthete, es sei
zu lesen: an in magistratu Ftirius suisque auspieiis, namentlich
da Furius auch Fusius geschrieben wurde, s. z. 3, 4, 1. — Cap.
49, 5. verlangt Hr. Kr. mit Recht, dass nach dem Bamb. bina
iugera agri gelesen und bald darauf das von Göller übersehene
quindeeim miiia hergestellt werde. § 9. bietet statt der Vulgata
havd eorum, wie fast alle edd., auch der Bamb. et eornm. Mit
Recht nahm also Slürenburg z. Cic. de off. p. 141. an jener Stelle
Anstoss. Die Negation scheint durch das aus dem vorhergehen-
den wiederholte et verdrängt und dann willkürlich ersetzt worden
zu sein. Ebenso ist wohl virtns § 10. nur eine nothdürftige Er-
gänzung des im Bamb. fehlenden Wortes , dem Hr. Kr. veritateni
substituirt.
Lib. 32, 5, 2. hat der Bamb. wie wahrscheinlich der Spiren-
sis des Gelenius: laxaverat animum, die übrigen bieten animus
oder animi. Hr. Kr., wie die übrigen Herausgeber, hat die Gro-
novsche Emendation : /. annus aufgenommen. Aber wenn Livins
die körperlichen Strapazen und geistigen Sorgen allein sich hätte
entgegenstellen wollen, so hätte er nicht sagen können, ibi ceteri
— sirnul animos corporaque remiserant. Er zeigt aber durch diese
Worte, dass auch der Geist auf den Kriegszügen und durch die
Kämpfe ermatte, und wenn dieses bei den übrigen der Fall war,
so ruusste es noch mehr bei Feldherren stattfinden , und der Ge-
gensatz ist vielmehr dieser: die übrigen können sich an Leib und
Seele erholen ; Philipp hat nur körperliche Ruhe, sein Geist ruht
zwar von den Anstrengungen des Kriegs , wird aber durch andere
Sorgen beunruhigt. Betrachtet man die Stelle in diesem Zusam-
menhange, so zeigt sich, dass die handschriftliche Lesart: laxa-
verat animum, nicht zu verwerfen sei. — Ueber keine Stelle
verbreitet sich der Verf. so ausführlich, als über die mehrfach
besprochenen Worte c. 5, 7.: cum Heracliden amicum etc., in-
dem er auf drei Seiten die verschiedenen Ansichten der Kritiker
(nur Iland's Meinung inTursell. 2, 163., dass die Angabe der Ur-
sache fehle, weshalb Heraclides verhasst gewesen sei, die aber
durch die Worte : multis criminibus oneratum , widerlegt wird,
ist übergangen) ause nandersetzt. Doch ist durch diese Aus-
führlichkeit, in der man die weitläufige Widerlegung der Irrthü-
mer von Baumgarten -Crusius, die durch die Art, wie Göller die
Lesart der Handschrift anführt, leicht entstehen konnte, nicht
vermissen würde, nur das gewonnen, dass es wahrscheinlicher
gemacht ist, es müsse statt maximae gelesen werden maxime.
Denn dass sibi conciliavit deshalb, weil es in der Ascens. steht,
204 Ruin is« Ii ü Literatur.
aus edd. genommen sei, Jässt sicli nicht beweisen. Der Umstand,
dass coiiciliavit, nicht, wie man wegen firmabat erwarten sollte,
conciiiubat geschrieben ist, kann auch der Sorglosigkeit dessen,
der die Worte hinzusetzte, zugeschrieben werden. Dass die
Worte an sich passend seien, bedurfte keines Beweises. Aber
dass immer noch bei der Trennung der Sätze: Et cum Achaeis
quidem per haec socictateiu firmabat. iVlacedonum animos sibi
coiiciliavit. Cum Heracliden amicum mavime invidiae sibi esse
cerneret, multis criminihus oneratum in vineula coniecit, eine
auffallende Härte bemerkbar ist, und die Kahlheit der Worte:
Macedonum animos sibi coiiciliavit, etwas vermissen lassen, eine
Andeutung entweder der Gemüthsstimmung derselben (s. c. 17,
16.; 34, 27, 4.) oder der Art und Weise im Allgemeinen, wie er
sie gewonnen habe, dürfte wohl Niemand entgehen. — Cap. 17,
14. wird die von Becker hergestellte Lesart: si quam ineidissent
— haslile — Valium explebat, gebilligt, aber mit Unrecht be-
hauptet, dass alle edd. si quas haben, da vielmehr 7 bei Drak.
si (juae, 2 si quam bieten, so dass si quam bei weitem sicherer
steht als si quas, und ausserdem auch wegen fragmento, und
weil der Abschreiber, wenn er nicht explebat in seinem cod. ge-
funden hätte, nicht auf praestabat abgeirrt wäre, vorzuziehen
ist. Jedoch setzt Livius nicht immer, wenn ein Object sich auf
mehrere Gegenstände bezieht (s. Fabri z. 22, 44, 7.), dieses im
Plural. Daher ist es nicht zu billigen, dass der Verf. 37, 30,
4., wo Drak. nach dem Mog. liest: nam mein ignis adversi re-
iliae naves, ne prora coneurrerent , cum declinassent , neque
ipsae ferire rostro hosiem poteraut, der Barab. aber prope statt
prore (d. i. prorae) hat, dieses vorzieht, weil, wenn prora con-
eurrerent so viel wäre als rostris coneurrerent, wie Drak. anneh-
me, proris gesagt sein würde; denn es folgt ja unmittelbar: ro-
stro ferire, s. 30, 25, 6., wo es dann auch rostris heissen müsste.
— Treffliche Verbesserungen hat Hr. Kr. c. 18, 4. in aberat statt
abibant, c. 20, 5. in fore defendendum statt foedere defenden-
dum im cod. gefunden. Auch c. 20, 2. dürfte eas si nicht zu ver-
schmähen sein, c. 21, 16.; 31, 18, ö. Büttner p. 82. — Cap .-21,
14- will der Verf. die von Becker eingeklammerten Worte: aut
r/, aut metu , aut vuluntale für acht gehalten wissen. Aber sie
stehen an jener Stelle sehr störend, indem sie nur auf das Eine,
dass der König in sein Reich geflohen sei, bezogen werden, wäh-
rend sie gleich darauf zu allem vorher Erwähnten gehören, und
an der ersten Stelle vom Rande in den Text gekommen zu sein
scheinen. § 25. möchte Hr. Kr. in den schwierigen Worten : num
id (Antigo.'ius) postularet , facere nos , quod tumfieii no?i pos-
set, tum auf die Zeit beziehen, wo die Römer den Punischen
Krieg noch nicht vollendet hatten. Allein dann würde der Satz
#ar nicht in den Zusammenhang passen, denn sie setzen ja den
Fall , dass er ihnen für die gegenwärtige Zeit rathen könne , wo
T. Livü über XXX. Eilidit Kreyssig. 205
Nabis, die Lacedämonier und die Römer (s. § 28.) sie bedrängen
können. Was sollte auch ein lialh für eine längst vergangene
Zeit, die §16. nur des Gegensatzes mit der Gegenwart wegen
erwähnt wird'? Dazu kommt, dass die meisten edd. quod cum
jieri, der Bamb. quod reri bietet, tum also fast keine hand-
schriftliche Autorität hat. Ob aber in cum fieri ein anderes Ver-
bum liegt oder fieri allein, worauf der Bamb. hinzudeuten scheint,
zu lesen sei , lassen wir dahingestellt sein. Ib. § 7. vertheidigt
der Verf. Achaei gegen Becker; besser als auf die angeführte
Stelle, wo sich der Vocativ an vobis anlehnt, wäre auf 21, 43, 2.
verwiesen worden. — Cap. 32, 1. liest Hr. Kr., weil im Bamb.
et steht, das Ende des vorhergellenden Capitels, welches Drak.
nach Crev. getrennt hatte, mit dem folgenden verbindend: Hi-
ems iam eo tempore erat^ et cum T. Qu/nctius , capla Elatia,
in Phocide ac Locride hiberna disposita haberet , Opunte se-
ditio ortet est. Allein sollte wohl Livius hiems iam erat und hi-
berna disposita haberet in einem Satze verbunden haben? wie
locker und matt ist ferner die Verknüpfung : hiems eo tempore
erat, et — Opunte seditio orta est'? Ferner würden die so ver-
bundenen Worte sich nicht wohl vereinigen lassen mit dem,, was
c. 36, 6. gesagt wird: si aestas et tempus rerum gerendarum es-
set; nunc hieme instante nihil anritt!. Dazukommt, dass auch
an anderen Stellen et falsch eingeschoben ist, s. 31. 49, 2. 32, 18,
5. Es ist demnach wahrscheinlich, dass mit den Worten hiems —
erat das abschliesset, was ausser Griechenland geschah, in Bezug
auf 25, 12. und mit dem Folgenden an das, was c. 24. erzählt ist,
angeknüpft werde, und Crev. und Drak. richtig hiems — erat
zum vorhergehenden gezogen haben, et aber nicht aufzunehmen
sei. — Cap. 28, 6., wo auf dieselben Verhältnisse angespielt
wird, sind die Worte: nunc prope in hiberna profect um schwie-
rig. Da hervorgeht: si — aut hiems magis sera fuisset, also der
Winter über Erwarten früh eintrat, ist vielleicht zu lesen: nunc
propere etc., s. Hrn. Kr. p. 16. An einer ähnlichen Stelle, 44,
20, 4. hat der Verf.: hiemem etiam es iosperato rebus gerendia
intervenisse , man weiss nicht, ob nach dem cod. Yind., da Be-
cker stillschweigend asperam beibehalten hat. Dieses ist gewiss
hier passender, während ex insperato an sich keinen geeigneten
Sinn giebt und mit dem Bericht des Consuls c. 16. nicht wohl
übereinstimmt. — Ob 32, 32, 4. Hr. Kr. mit Recht die Vulgata :
anetoritate imperantis consulis Romuni, vertheidigt, und impe-
ratoris Bomani, s. 36, 12, 8., für ein Glossem halte, bezweifeln
wir; imperantis konnte leicht aus dem nicht vollständig geschrie-
benen imp. statt imperatoris entstehen, weshalb auch einige edd.
inipera'orum haben, und erst dann consulis zugesetzt werden ;
wie wahrscheinlich c. 23, 12. entweder Quinctius oder Romanus,
von denen sich Spuren in den edd. finden , eine Glosse ist.
Lib. 34, 2, 12. billigt Hr. Kr. die Lesart des Bamb. quam
206 Römische Litoratur.
rogationem tribunorutn suadent, aliam legem abrogandam
censent. Allein rogaiiones , welches, wie es scheint, alle ande-
ren edd. haben, kann sehr wohl als Amplification des Redners be-
trachtet werden, s. Roth Excurs. III. zu Tac. Agr., während ro-
gationem leicht durch das vorhergehende quam veranlasst werden
konnte. Das folgende aliam ist allerdings besser als aliae ; doch
fällt die unbestimmte Bezeichnung des Gesetzes auf, man erwar-
tet antiquam. Deshalb hebt auch der Gegner c. 6. hervor, dass
es ein neues Gesetz sei. Sollte hier vielleicht statt an vetus re-
gia lex, da die meisten edd. quia oder quae haben, zu lesen
sein quippe vetus regia lex ? — Cap. 16, 9. hat der Verf. den
Sinn des Schriftstellers durch Veränderung von profecturum in
profectum, wie er später im Bamb. fand, hergestellt. Ob aber
c. 19, 8. durch die Aufnahme von : deni saepe — ingredientes,
wie statt dein im Bamb. steht , der Stelle aufgeholfen werde, be-
zweifeln wir; da es in Bezug auf das Vorhergehende: commea-
tus haud secus, quam in pace ex agris castellisque portabant,
scheinen könnte, als ob im Frieden allemal zehn zusmmengingen.
Vielmehr dürfte munimeuta vom Lager gesagt, und eine Steige-
rung von castella sein, so dass man eher eine steigernde Partikel
erwarten sollte. — Cap. 35, 5. billigt Hr. Kr. die Lesart: et
Messeniis omnia {^i edderei), quae comparerent, quaeque domini
cognoscei ent und verwirft cog?iossent , was im Bamb. steht, weil
es nicht zu comparerent passe. Aber da der Sinn ist: redderent
exiis,'quae comparerent ea, quae domini cognossent, so scheint
das letztere passender und wegen der Schwierigkeit vorzuziehen.
— Cap. 42, 6., wo jetzt adscripti coloni, qni nomina dederant,
quum ob id se pro civibus Romanis ferrent , senalus iudieavit,
non esse eos cives Romanos, gelesen wird; der Mog. aber nicht
weniger als der Bamb. und die meisten anderen et quam bieten,
müsste dieses theils der Autorität der Handschriften wegen, theils
weil der Sinn der Stelle so deutlicher hervortritt (s. Madvig de
coloniarum p. R. iure et conditione I. p. 31.), aufgenommen wer-
den. — Cap. 49, 2. hat der Bamb. mit einigen anderen Hand-
schriften nunc cum aliter, quam ruina gravissima civitatis op-
primi non pnsset, satius visum esse tyrannum debilitatum — -
relinqui , quam intermori v eherne n t ior i bti s , quam quae pati pos-
set, remediis civitatem sinere, Hr. Kr. aber zieht die in den an-
deren sich findende Lesart sravissimae vor. Schon Dukcr jedoch
machte geltend, dass die Macht der Stadt kein Grund sein könne
sie zu schonen; dazu kommt noch, dass die folgenden Worte
quam intermori etc. nur eine nähere Erklärung der gravissima ru-
ina sind, die allein den Quinctius von einer Bestürmung der Stadt
abhalten konnte. Anders ist 34,33,10., wo von der Schwie-
rigkeit der Belagerung gesprochen wird, und Cornel. Agesil. 5. —
C. 54, 5. hat der Bamb. bestimmt decem et octo , weshalb auch
Hr. Kr. , der an anderen Stellen die Formen undeviginti etc. em-
T. Lim Über XXX. Edidit Kieyssig. 207
pfiehlt, hier nichts bemerkt. Auch in dieser Hinsicht sind die
codd. gewiss zu beachten, und daher z. B. 33, 36,4., wo der
Bamb. duo de XXX hat, dieses vorzuziehen; aber zweifelhaft
bleibt der wörtliche Ausdruck, wo die edd. das de nicht haben,
und so schreibt Hr. Kr. 33, 10 extr. undequinquaginta; ib. 23, 7.
undeoctoginta ; erkennt aber an anderen Stellen die andere
Schreibart stillschweigend an, z. B. 31, 49, 7. 37, 46, 1. ib. 57,
1, 5 u. a. Dasselbe gilt von decem tres, decera quattuor, wovon
p. 317. gehandelt wird u. a.
An der schwierigen Stelle 35, 34, 1. Quinctius legatique
Corinthum redierunt , inde , nt quaeque de Antiocho , nihil per
se ipsi moti, et sedentes exspeetare adventnm viderentur re-
gis , concilium quidemiiniversae gentis post dimissos Romanos
non habuerunt: per oportet os autem — id agitabunt, quonam
modo res in Graecia novarentur , billigt Hr. Kr. die Conjectur
von Perizonius: moturi, theils weil dieses schon in der Ascens.
von 1513 steht, was vor ihm niemand bemerkt hat, theils aus
einem anderen Grunde, denn er setzt hinzu: „Nam Perizonius
ipse ceterique Livii interpretes ad iimim omnes non animadver-
tissc videntur, vulgatum moti vel propterea fern non posse, quod
moturi non solum ad nihil, sed etiam ad quaeque de Antiocho,
id est quod attiuet ad Antiochum , sit referendum. Sic et ver-
borum struetura et loci sententia perspicua est et expedita, vide
Hand Tursellin. Vol. II. p. 210.u Allein einmal ist die Art der
Beweisführung auffallend: moti passt nicht, weil moturi sich so-
wohl auf quaeque als auf nihil bezieht, da eben erst bewiesen
werden soll, dass moturi besser sei. Ferner kann moturi, wenn
es in der Ascens. steht, da alle edd. moti haben, hier kaum an-
ders denn als Conjectur, wie bei Perizonius, betrachtet werden.
Ferner hätte man ein Wort der Erklärung über den Sinn und
Ausdruck der Stelle vom Hrn. Verf. erwarten sollen. Dann soll
quaeque de Antiocho bedeuten: quod attinet ad Antiochum, so
musste gezeigt werden, dass quaeque soviel sei als quod; auch
waren Beispiele für quaeque de aliquo beizubringen , da die von
Hand aufgeführten verschieden sind ; soll aber quaeque für sich
genommen, und de Antiocho aufgefasst werden, was den Aus-
druck betrifft, so wird der Sinn dunkel, und die Zusammenstel-
lung von quaeque und nihil sehr schwierig. Je mehr wir die
Stelle betrachten, um so mehr müssen wir Drak. und Crev. bei-
stimmen , dass sie verdorben , dass entweder quaeque nicht rich-
tig, oder ein Wort ausgefallen sei, aber das eine ist ebenso
schwierig aufzufinden, als das andere. — Cap. 44, 1. will Hr.
Kr. so lesen: in concilium ut ventum est, aegre a Phaetiea
praetor e principibnsque aliis introdiicltis : inde facto sileiilio
(oder silentio facto), rex dicere orsus (oder dicere orsus rex).
Mit Recht ist aliis, das hinzuzufügen der Abschreiber keinen
Grund hatte, wie schon von Becker aufgenommen ; im Uebrigen
208 Römische Literatur.
aber ist eine auffallende Härte der Construction , indem zweimal
est ergänzt werden muss, und introductus nach in concilium
Ventura est, wenn es sich auch künstlich erklären lässt, doch
matt und tautologisch bleibt, weshalb es auch von Becker, da
es ausserdem in allen codd. ausser dem Mog. fehlt, weggelassen
ist. Doch wird dieses Verfahren xon Hrn. Kr. mit Recht als zu
kühn gemissbilligt. Wenn man sieht, dass in den codd., den Mog.
ausgenommen, nur principibusque inde, in dem Bamb. principi-
busque aliis in steht, so ist sehr wahrscheinlich, dass ein dop-
peltes in die Ursache der Auslassung wurde, und dass selbst im
Mog. der Ort, wohin der König geführt wurde, sowie vielleicht
est fehle, und introductus verdorben sei; Livius aber etwa ge-
schrieben habe: aegre a Phaenea praetore principibusque aliis
in (tribunal est?) producius; inde etc., s. Drak. z. 27, 51, 5.
Eilendt z. Cic. Brut. 60, 217. — C. 49, 12. billigt Hr. Kr. die
Lesart des Bamb. und der ihm verwandten edd.: quominus vos
deeipi debetis , sed experlae toties speetataeque llomanorum
fidei credere, während der Mog. potius hat. Dieses scheint den
Vorzug zu verdienen, da nur so die Lesart des Bamb. tocius, die
nachher noch mehr verändert wurde, sich erklärt, und weil ex-
pertae speetataeque mit mehr Nachdruck als expertae toties der
regia vanitas entgegengestellt wird, s. c. 31, 10. et novus et in-
cognitus pro vetere et experto habendus rex esset. Auch sollte
man im Bamb., der auch 37, 53. pocius statt potius hat, toliens
erwarten, s. 34, 5. und Hr. Kr. zu 31, 9. Ob ib. § 5. die Um-
stellung der Worte, wie sie allein im Bamb. gefunden wird: dum
In ab se viclvm Pliilippum, durch die gleiche Wortfolge im zwei-
ten Satze gerechtfertigt werde , ist bei dem Streben nach Ab-
wechslung in der Erzählung desLiv. wenigstens zweifelhaft. Aber
richtig ist c. 48, 7. principe altero unius civitatis , obgleich
unius nur im Bamb. sich findet, von Kr. und Becker auf-
genommen.
Auffallend ist, dass 36, 2, 8. niemand proconsule aufgenom-
men hat, welches fast alle edd. bieten, da bekannt ist, dass die
Anführer in Spanien gerade oft proconsules heisgen, s. Soldan
Quaest. de proconss. et propraett. p. 59 ff. Ib. 8, 7. weist Hr.
Kr. nach , dass nuntiat etur durch einen Irrthum von Modius in
den Text gekommen und mit Becker nuntiare zu lesen sei. —
C. 4, 1. wird mit Recht rege in Schutz genommen. Kurz vorher
hat der Mog und einige andere edd et legati, was nicht zu ver-
werfen ist; Livius wollte § 5. fortfahren: et ab Carthaginiensi-
bus, änderte aber wegen der vielen Zwischensätze die Constru-
ction, s. Klotz Quaest. Tüll. p. 7 ff. Otto Excurs. HI. zu Cic. de
Fin. — Cap. 13, 7. wird Döring mit Unrecht von Hrn. Kr. ge-
tadelt, weil er behauptet: qui monerent, was allerdings vorzu-
ziehen ist, finde sich in mehreren Handschriften Drakenborchs,
denn dieser sagt ausdrücklich in dem zweiten, von Hrn. Kr. über-
T, Livü liber XXX. Edidit Kreyssig, 209
sehenen Tlieil der Anmerkung: ,,qni monerent Voss. Lov. 1. 2. 3.
4. et Meatl. uterque." So wird auch 38, 29, 11. partem i/rbis
dem Bamb. mit Unrecht allein zugeschrieben, da es nach Drak.
Lov. 1.2. 4. 5. Harl. Mead. ambo haben. Ib. 2, 10. haben ab la-
te/ibus nicht zwei, sondern 4 codd. 35,7,9. liaben nicht „alii
quoque codd."", wie Hr. Kr. sagtv A. Manlius, sondern nur
IJearn. L. , da Glarean keine Handschrift benutzte; ib. 49. med.
hat rar os nicht allein Voss., sondern auch Lov. 1. 38,40,11.
haben 5 codd. mit dem Bamb. pluribus simul , was Hr. Kr. über-
sah; 36, 29, 1, wohl alle wie dieser: coacta omnis u. s. w. Mit
Recht wird schon zu 33, 4. Becker getadelt, dass er 36, 3, 4.
Atracem, aber ib. 10, 2. und 32, 15. Atragem geschrieben habe.
Ib. 11, 7. wird die Inconsequenz in der Schreibung .von Cephal-
lenia gerügt. Die Bemerkung über die Schreibung von Mnasila-
chus p. 274. war nicht so nothwendig, da schon Drak. dieselben
Gründe hat, s. 37, 45, 17. 38, 38, 18. — Ob durch die Ver-
teidigung von icttis und et in den Worten 37, 24, 11. Hannibal,
iclus uno proelio adver so, ne tum quidem praetervehi Lyciam
audebat — Et ne id\ etc. der schwierigen' Stelle aufgeholfen
werde, ist sehr zu bezweifeln. Ib. 25, 11. müsste nach fast allen
codd. hostes et bello superatos gelesen werden. Ib. 39, 5. scheint
in der Stuttgarter Ausgabe adire ein Fehler zu sein , den auch
Baumgarten -Crusius aufgenommen hat. Ibid. § 8. vermuthet
Huschke Verf. d. Serv. Tüll. p. 456., es sei iriarii postremo
claudebant statt tr. postremos claudebant zu lesen, was nicht
unwahrscheinlich ist. — Cap. 44, 4. billigt Hr. Kr. die Ansicht
Drak.s, dass et a Magnesia ab Sipylo zu lesen sei, aber mit Recht
zieht Hand Turs. 1, 50. diese Ausdrucksweise in Zweifel, die an-
geführten Magnetes a Sipylo sind anderer Art, und ab und ad
werden ja sehr oft verwechselt; eher könnte nach den Handschrif-
ten mit Becker a vor Magnesia getilgt werden. — Cap. 16, 13.
vertheidigt Hr. Kr. die in seiner Ausgabe aufgenommene Lesart:
omisso conalu Patara amplius tentandi. Dass conatu in der
Ascens. steht, kann nicht als Beweis dafür angeführt werden, da
es hier eben so gut Conjcctur sein kann; dass es im cod. Mog.
gestanden habe, wie Hr. Kr, vermuthet, ist sehr ungewiss, da in
der varietas lectionis nichts darüber bemerkt und in der Froben.
von 1535 tentandi spe aufgenommen ist. In allen anderen codd.
fehlt conatu oder spe, und es ist sehr wohl möglich, dass Livius
omissum wie so viele andere Partie. Praet. substantivisch ge-
braucht und davon tentandi abhängig gemacht habe , s. Fabri zu
21,54,6., ähnlich Tac. Hist. 2, 100. praetexto classem allo-
quendi. Mit Roth z. Tacit. Agr. p. 264. den Genitiv von einem
Nomen , das Vergessenheit bezeichnet , übertragen zu denken,
setzt ei»ie nicht wohl zu vertheidigende Ellipse voraus. Dagegen
ist 35, 49, 13. das von Gronov vorgezogene quod Optimum esse
dicant, non interponendi vos bello schwieriger zu rechtfertigen,
iV. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. Ulli. Bd. XXVIII. Hft. 1. 14
210 Römische Liter atur.
und da nicht allein der Mo,?., sondern auch drei Handschriften
Drak.s interponi haben, so ist dieses auf jeden Fall vorzuziehen.
Mit Kecht billigt Hr. Kr. 37, 9, 9. ad Sestum oppugnandam ;
38, 3, 7. ad tentandam spern; 42, 43, 1. nee praeter mitte ndam
spem ; warum aber gerade 42, 5, 6. ad spernendum originem
soll geschrieben werden , sieht man nicht ein , und die citirte
Stelle der Epist. ad Orell. p. 37. scheint dem selbst zu widerspre-
chen : „Madvigius quoque — cum rede monuisset Liv. 42, 5. pro
ad spernendum originem, quod ex cod. Viudob. restitui, ad
spernendam originem, quod Bekkerus revoeavit, scribendum
esse.u und es dürfte sehr misslich sein, auf diese und ähnliche
Stellen, wie 40, 49, 1., die nur in einem cod. erhalten sind, viel
zu bauen, und von dem meist nur sehr unbedeutenden und noch
nicht einmal hinreichend begründeten Unterschied des Sinnes die
Entscheidung über die Aufnahme einer Lesart abhängig zu ma-
chen , s. Gernhard Opuscula p. 398. — Mit Recht wird 37, 36,
8. das schon von Drak. gebilligte und von Miller, Ruddimann, vom
Verf. und Becker hergestellte habebo begründet, nur begreift man
nicht, wie über die so klare Sache so weitläufig gesprochen wird.
Ib. 38, 6. wird mit Recht die Lesart des Bamb. hi tarnen per se
etc. empfohlen, denn da vorhergeht tria milia und dann aliquanto
pauciores folgt, wird niemand eine bestimmtere Angabe der Zahl
erwarten, und hi konnte leicht zu ii und II werden, s. 32, 3, 3.
37, 4, 1. Am Ende des Kap. scheint ein Fehler statt zu finden.
Die Römer haben etwa 2500 Schritte vom Lager des Antiochus
das ihrige aufgeschlagen , dann sind sie ,,in medium campiu vor-
gerückt, dann heisst es : Antiochus nihil promovit signa, Haut
extremi minus inille pedes a vallo abessent. Da so die Heere
unmittelbar an einander würden gestanden haben, und sich nicht
denken lässt, dass Antiochus, wenn er die Schlacht vermeiden
wollte, so weit würde vorgerückt sein, wohl aber die hintersten
Reihen der Römer, wenh ihr Heer in die Mitte des Feldes vor-
ging, etwa 1000 Schritte vom Walle entfernt sein konnten, so
ist vielleicht durch eine Umstellung zu helfen : Romani proces-
sere in medium campi, ita ut extremi minus mille pedes a vallo
abessent. Antiochus nihil promovit signa. So würde sich auch
das Folgende weit besser anschliessenT Ib. 46, 3. wird praelata
sunt in eo triumpho mit Recht vindicirt, da Becker nach der
falschen Angabe Göllers, dass eo im Bamb. fehle, dieses ausge-
lassen hatte; eben so bald darauf das von diesem aufgenommene
cistophori statt cistophorum verworfen. — Dass c. 52, 10. nach
dem Bamb. allein ex templo excessit zu lesen sei, ist zweifelhaft,
da in allen anderen edd. ex fehlt und sehr leicht durch das fol-
gende excessit entstehen konnte. Ib. 55. wird richtig nach dem
Bamb. ea ut, wo Becker und Göller ut übersehen , hergestellt.
Dagegen möchte 36, 36, 2. , wo die meisten codd. ut idem haben,
w oraus uti de von Groüov gemacht worden ist, mit dem Mog. und
T. Livii über XXX. Edidit Kreyesig. 211
dem Bamb. vel de zu lesen sein, da die Verderbung von vel in ut
so leicht ist, wie theils diese Stelle, theils c. 41, 2. zeigt. Dass
ib. 39, 2. X co co für X oo gesetzt sei, ist nicht einleuch-
tend, die angeführte Stelle c. 21. bietet nur die zweite Form dar,
und der Mog. hatte duodecim milia. Dagegen werden an anderen
Stellen, besonders 37, 57 ff., die Zahlen gründlich besprochen.
— 38, 7, 1. billigt Hr. Kr. die Lesart: Amphilochia excessit,
aber wenn man bedenkt, dass der Mog. Amphilochiam hat, in
anderen edd. eben wegen der Gleichheit der Endung in Amphilo-
chiam und Macedoniam eine Lücke entstanden ist, der Strich
über dem a so leicht wegfallen konnte, und dass nicht leicht ein
Abschreiber die seltnere Construction statt der gewöhnlichen ein-
setzte, so hat man Ursache die Entscheidung des Hrn. Verf. in
Zweifel zu ziehen. — Ib. 17, 18. empfiehlt Hr. Kr. von neuem
seine Conjectur Marie genitis statt Mariiis viris , die er schon
in der Vannus crit. p. 61. aufgestellt hatte; doch stützt sich die-
selbe nur auf die verderbte Lesart weniger codd. in arte nitidis;
die meisten haben Marlis ^iris, der poetische Ausdruck bei Sil.
Ital. 12, 582. Martigenae kann kaum etwas entscheiden. —
Cap. 10,6. billigt Hr. Kr. die Lesart: quae ad Anliochum eos
aicuti scopulum intulisset ; aber theils hat der Mog. sicuti in,
theils konnte in wegen sicuti leicht ausfallen , wenn nicht Livius
sient in geschrieben hat, wo sich die Lesart der übrigen codd.
noch leichter erklärt; über den Wechsel der Präpos. s. Drak. zu
6, 28, 3. Ebenso zweifeln wir, ob c. 14, 5. die Vulgata: coro-
nam. auream quindeeim talentum , die sich nur auf eine Verbes-
serung von Gelenius zu stützen scheint, mit dem Verf. der hand-
schriftlichen Lesart vorzuziehen sei. Ib. § 12. möchten wir nunc
praesens qnoque oder nach anderen codd. nunc quoque praesens
nicht verwerfen. Dass Gelenius in seinen Handschriften Spuren
dieses nunc fand , zeigt das von ihm aufgenommene ni&ij nunc
würde passend dem vorhergehenden: cum per legatos frustrareris
nos, entgegentreten. Richtig aber zieht. Hr. Kr. pei st as dem von
Drak. eingeführten persislis vor. — Ib. 19, 4. verdient prohiberi
aut deturbari den Vorzug vor pr. ac det. , und Becker hat es,
was nicht bemerkt ist , mit Recht aufgenommen. — Ib. c 23, 8.
wird mit Recht die von Becker hergestellte Wortfolge: ad qua-
draginta milia hominum auetor est caesa statt caesa auetor est,
gebilligt, s. 31, 49, 7. quindeeim millia — dieuntur caesa. cf. 24,
42, 4. — Cap. 38, 6. ist die Conjectur Walchs: intraque vires
eius regni sunt, mit Recht verworfen, denn vires regni hat meist
eine andere Bedeutung, s. 37, 40 in. 33, 4, 4. Dass Livius nicht
allein von Soldaten rede, zeigt der Gegensatz: qui ex regno An-
tiochi etr. ; was Polvbius durch dvväfisag ausdrückt, sagt Livius
mit den Worten: cum rege Antiocho suut; endlich lässt sich sehr
zweifeln, ob jene Ausdrucksweise lateinisch sei, s. Hand Turs.
3, 430. — Nicht nothwendig ist es c. 45? 6., wo die codd. po-
14*
212 Bibliographische Berichte und Miscellen*
pulum iussisse, nur der Bamb. populum faisse bietet, das in
diesem Falle stehende Wort durch ein ungewöhnliches zuv ver-
drängen und mit Firn. Kr. populum scwisse für wahrscheinlich zu
halten, besonders da kurz vorhergeht: cui nationi non ev scintus
auctoritate, non populi iussu, bellum illatum. Wahrscheinlich
aber ist, dass 37, 27, 7. nicht superpendentia, sondern nach
Hrn. Kr's Vermuthung superimpendentia zu lesen sei.
Wir brechen unsere Bemerkungen hier ab, die dem Hrn.'
Verf. den Beweis geben sollten , dass wir dem mit so grosser Ge-
nauigkeit und Umsicht verfassten Werke die Sorgfalt, die es in jeder
Hinsicht verdient, zu widmen uns bemüht haben, und dass wir,
wenn wir auch nicht in der Beurtheilung aller einzelnen Stellen
ihm beistimmen können, den hohen Werth, den das Ganze für
die Kritik des Livius hat, mit Freude und Dankbarkeit an-
erkennen.
Druck und Papier sind zu loben. Die eingeschlichenen
Druckfehler sind meist in den Corrigendis verbessert, nur Ein-
zelnes ist uns noch vorgekommen , was übersehen wurde. So
fehlt p. LXXX. die Angabe: Cap. 46. vor ad Cheroniam; p.
LXXVII. steht Cap. 27. zweimal; p. CVII. muss cap. 51. vor nu-
tus eins stehen; p. 59. steht in der Anm. 307 für 397; p. 192. u.
193. ist für p. 292. und 293. gedruckt ; p. 169. wird von vier co-
dicibus Palatinis gesprochen, die Gebhard verglichen habe, wäh-
rend er zur vierten Decade nur zwei hatte, s. Drakenb. praef. p.
XCIV. Ebenso werden p. 175. Gelenius mehrere Codices beige-
legt , der aber selbst zu 32, 10, 11. sagt , dass er zu den zwei er-
sten Büchern der Decade nur eine Handschrift habe benutzen
können.
Eisenach. Weissenborn.
Bibliographische Berichte und Miscellen.
Joannis Alexandrini cognomine Fhiloponi de usu Aslrolabii eiusqve
constructione Ubellus. E codd. mss. regiae bibliolh. Par. cdidit H. Hase,
marniorum Dresd. reg. ciistos. [Bonn, Weber. 1839. IV u. 43 S. gr. 8.
8 Gr.] Der Grammatiker Johannes Alexundr. hat eine kleine, für Ma-
thematiker nicht unbrauchbare Schrift über das Astrolabium geschrie-
ben, welche bisher ungedruckt war. Herr Hofrath Hase hat nun hier
den Text nach drei Pariser Handschriften herausgegeben , zugleich ein
paar griechische Scholien des Macarius und eines Ungenannten mit ab-
drucken lassen, und drei Abbildungen aus Georgius Valla angehängt.
Weitere Zugaben enthält das Buch nicht, und die Erklärung sollen
Bich die Mathematiker, welche die Schrift lesen, selbst machen.
[J.] '
Bibliographische Berichte und Miscellen. 213
De Ennianorum Annaliüm fragmentis a P. Merula auetis. Scripsit
M. £ocli, ph. Dr. [Bonn, Marcus. 1839. 95 S. gr. 8. 12 Gr.] Der
Verl! hat die alte Verniuthung, dass Merula in seiner Sammlung der
Fragmente des Ennius eine Anzahl solcher Fragmente selbst gemacht
und untergeschohen habe , Mieder aufgenommen , und bespricht sie
in grosser Breite, ohne zu einem rechten Resultat zu kommen. Ge-
legentlich macht er auch bei einigen Fragmenten darauf aufmerksam,
dass sie ohne zureichenden Grund bestimmten Büchern der Annaicn zu-
gewiesen worden sind. Erhebliches ist durch die Untersuchung nicht
gewonnen. [J.]
Ueber das Tullianum und den Carter Mamertlnus, nebst einigen
Thesen über Roms älteste Geschichte und Geographie von P. W. Fo rch-
h am in er ist ein Aufsatz im Tübing. Kunstbl. 1839. Kr. 93. überschrie-
ben, Moria die Aehnlichkcit der Bauconstruction des Tullianum mit
dem sogenannten Schatzhause des Agamemnon in Mykenä und mit dem
merkwürdigen Quellgebäude in Tusculum, und die im Tullianum be-
findliche Quelle, welche älter sein mag, als der Carcer selbst, benutzt
sind, um Carcer Tidlianus für einen Quellbehülter oder eingemauerten
Brunnen — denn tullius heisst nach Festus ein Quellbach — zu erklären,
Mas auch das Schatzhaus (#>jffo:uo6s) des Minyas gewesen sein möge.
Das Gewölbe des Tullianum hatte oben eine Oeßnung, durch welche
man das Wasser aus der Quelle schöpfte, und der über dem Tullianum
gebaute Carcer Mamertinus war nur ein Ueberbau, um den Quell ge-
gen den Einfluss der Sonnenhitze zu schützen. — Den zu Assisi in
Frankreich befindlichen Minerventempel hat man im vorigen Jahre aus-
zugraben angefangen und namentlich ein Stück von dessen Fussboden,
der aus länglichen weissen Kalkstcintafeln besteht, aufgedeckt. Merk-
würdig ist der neben dem Tempel gemachte Fund eines steinernen Wür-
fels von 22 Palmen Grundlinie mit schön verzierter Base, der eine 12
Palmen breite und 4 Palmen hohe Tafel mit folgender Inschrift ent-
hält: G.1L. TeTT/EJ'I/S, PaRVALAS. ET. TeTTIEXA. GlLEXE. Tetba-
STYLVJI. SVA. PECVXIA. FECERUST. ITEM. SMULACRAt CaSTORIS. ET.
PoLLUClü. MlXlClPIBVS. Asisixatibvs. Dots. Deder. et. Dedzcjtiojse.
Epvlvjk. Decurioxibcs. Sixg. xr. Sexvir. xiii. Pleb. XII. DKDERVXT.
8. C. L. D. [J.]
Die beabsichtigte Errichtung eines Arminiusdenkroals auf dem
Tcutberge bei Detmold, in welcher Gegend nach Clostermeicrs For-
schungen die Hermannsschlacht gegen Varus geschlagen worden ist,
hat den Professor H. F. Massmann in München veranlasst, unter
dem Titel: Armin Fürst der Cherusker und Befreier Deutschlands vom
römischen Joche im neunten Jahre nach Christi Geburt [Lemgo, Meyer.
1839. gr. 8. 16 Gr.], ein Lesebuch für die deutsche Jugend, oder wohl
auch für das deutsche Volk überhaupt, herauszugeben , worin er zur
Beförderung der allgemeinen Thcilnahiuc an diesem Nationaldcnkmal
und überhaupt zur Erweckung einer tüchtigen vaterländischen Gesiu-
214 Bibliographische Berichte und Miscellen.
nnng die Geschichte jener Teutohurger Schlacht und das Leben Armins,
soweit beides aus alten zuverlässigen Quellen bekannt ist, genau und
treu erzählt. Er hat für diese Erzählung nicht nur das genaueste und
sorgfältigste Quellenstudium angestellt, sondern auch in der ganzen
Darstellung eich mit solcher Treue und Gewissenhaftigkeit an diese
Quellen gehalten, dass er Nichts berichtet, als was durch dieselben
überliefert ist, vielmehr alle Ausschmückungen und Erweiterungen,
welche durch die neuere Geschichtschreibung und Poesie in die Ge-
schichte dieses Nationalhelden gebracht sind, unbeachtet bei Seite liegen
lässt. Seine Darstellung giebt demnach die treueste Geschichte, wel-
che über diesen Gegenstand bis jetzt vorhanden ist, und liefert zugleich
den Beweis, dass die alten Quellen bei aller Spärlichkeit doch reich-
lich genug fliessen , um ein zusammenhängendes und abgeschlossenes
Ganze darüber zusammenzubringen, sowie auch, dass Armin und seine
Thalen durch sich selbst grossartig, erhebend und glänzend genug sind
und nicht durch Dichtung und äusseren Schmuck erst gehoben zu wer-
den brauchen. Hätte nun Hr. M. diese Geschichte eben so einfach,
schlicht, frisch und lebendig dargestellt, wie er sie treu und voll hei-
liger Begeisterung fürs Vaterland geschrieben hat; sein Buch wäre das
herrlichste und ausgezeichnetste Volksbuch für die Jugend. Allein lei-
der ist sein Erzählungston ziemlich schwerfällig, und oft zu trüb und
düster, und die geschichtlichen Thatsachen sind mit zu vielen Refle-
xionen durchzogen, welche deren Grossartigkeit mehr verringern als
unterstützen und überhaupt den erhebenden Eindruck schwächen. Den-
noch bleibt sein Buch eine sehr dankenswerthe geschichtliche Gabe,
und verdient in die Hände recht vieler deutschen Jünglinge zu kommen,
hei denen sie jedenfalls eine richtige Vorstellung von jener Heldenzeit
des deutschen Volkes und das Bewusstsein der rechten deutschen Kraft
und Vaterlandsliebe erwecken wird. vgl. Blatt, f. liter. Unterhalt. 1840.
Nr. 3. Für Gymnasien und Sprachgelehrte überhaupt ist noch beson-
ders beachtenswerth die Schrift f Arm'mius Cheruscorum dux ac accus,
liberator Germaniae. Ex colleclis veterum locis composuit J. F. M a s s-
mann [Lemgo, Meyer. 1839. XXVIII u. 15« S. gr. 8. geh. 20 Gr.],
welche den Commentar zu jener ersteren Schrift bildet, und auch ein
für sich bestehendes Ganze macht. Der Verfasser hat nämlich darin
alle Stellen der römischen und griechischen Schriftsteller, welche von
Armins Leben und Thaten , von den vorausgegangenen Kämpfen der
Römer mit den Deutschen und von dem damaligen Zustande Deutsch-
lands erzählen, wörtlich und in der Ursprache (die griechischen mit
beigefügter lateinischer Uebersetzung) abdrucken lassen , und so zu-
sammengeordnet, dass sie in Mosaikform ein zusammenhängendes Gan-
zes bilden. Vellejus, Tacilus und Dio Cassius (mit Zonaras) haben
natürlich die Hauptausbeute gegeben , aber auch Cäsar, Strabo, Flo-
rus, Sueton, Frontin, Plinius und Seneca haben beigesteuert, was
aus ihnen zu gewinnen war, und in erläuternden Anmerkungen ist
noch nachgewiesen , was sich etwa noch sonst woher aus den Alten
oder aus neueren Forschungen gewinnen liess. Cäsars Rede bei Dio
Bibliographische Berichte und Miscellen. 215
Cassius XXXVIII, 38 f. macht den Anfang und bildet mit einer lateinisch
geschriebenen, vornehmlich nach Zcuss's Schrift: Die Deutschen und die:
Nachbar stumme i gearbeiteten geographischen Uebersicht der deutschen
Stämme und ihrer Wohnplätze die Einleitung zum Ganzen. Darauf
folgen S. 15 — 44. die Stellen der Alten über die Kämpfe der Deutschen
mit den Römern von dem Cimbern - und Teutonenzuge an bis auf den
zweiten Zug des Tiberius nach Germanien und zuletzt S. 45 — 132 die
Nachrichten derselben, welche über Arminius und seine Zeit, über
beine Kämpfe mit Varus , Germanicus und Marbod , und über seinen
und Marbods Untergang vorhanden sind. Anhangsweise ist noch ein
Prospectus in tempora posteriora und Uir. Huttens Dialog Arminius bei-
gefügt. In der deutsch geschriebenen Vorrede bespricht Hr. Bf, den
Werth der hier ausgezogenen Quellen und charakterisirt kurz die neue-
ren deutschen Schriftsteller, welche über Armin und die Teutoburger
Schlacht geschrieben haben. Den Werth des Buchs haben wir durch
gegenwärtigen Inhaltsberieht angegeben, und er ist- eben kein anderer,
als dnss die Stellen der Alten, welche man für die Geschichte der
Deutschen in jener Zeit kennen muss, vollständig und übersichtlich zu-
sammengestellt und so weit als nöthig erläutert sind. Der Geschichts-
forscher hat daher in bequemer Uebersichtlichkeit beisammen , was er
von den Alten erfahren kann, und andere Leser können diese Stellen
als eine Geschichte Deutschlands im eisten Jahrhunderte n. Chr. ge-
brauchen, zumal da dieselben eine vollständige uud zusammenhän-
gende Geschichte der Römerkänipfe bieten. [J.J
Bei der jüngsten Versammlung deutscher Philologen und Schul-
männer in Mannheim hat ein Gelehrter folgende Preisfrage gestellt:
„Welches sind die Ursachen, warum so viel Gutes, was die Kinder in
den Schulen gelernt haben, wieder verloren geht, sobald und nachdem
sie die Schule verlassen haben? Welche Mittel können gegen diesen
Verlust nach dem Verlassen der Schulen angewendet werden durch die
Kinder selbst, durch Eltern, Lehrer, Geistliche, Privatpersonen und
Vereine, auch durch den Verein der deutschen Philologen und Schul-
männer, und endlich durch den Staat, besonders in Hinsicht auf sol-
che Kinder, welche nicht für den gelehrten Stand und damit für den
Besuch einer Universität bestimmt sind?" Bei der Beantwortung die-
ser Frage soll man erstens untersuchen, ob nicht vielleicht in dem
Unterricht selbst der Keim des Verlustes liegt: theils weil viel von
dem, was die Kinder in den Schulen lernen, wenn es auch den Namen
eines guten. Unterrichts trägt, eigentlich nicht gut ist, und also ver-
möge seiner Beschallen hei t wieder verloren geht; und theils wenn es
auch gut ist, nicht auf eine solche Weise gelehrt und gelernt werde,
die es wahrscheinlich macht, dass es nicht wieder verloren gehe.
Zweitens und hauptsächlich soll man aber die Mittel angeben, dem
Verluste von dem, was wirklich gut ist und gut gelehrt und gelernt
wurde, zuvorzukommen. Für die beste Lösung der Aufgabe ist ein
Preis von 300 Gulden rhein. Währung bestimmt, wozu die Summe bc-
210 Bibliographische Berichte und Miscellcn.
rcits bei der Sparcasse in Mannheim niedergelegt ist. Die Antworten
müssen bis zum 1. Januar 1841 ohne Namen und mit einem Motto,
welches zugleich auf dem versiegelten Zettel, der den Namen des Ver-
fassers enthält, geschrieben stellt, an den Geheimen Hofrath Dr.
JSässlin in Mannheim durch Buchhändlergelegenheit eingesendet wen-
den, und eine Commission erfahrener Schulmänner wird die eingegan-
genen Preisschriften prüfen und das Resultat der vierten Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner vorlegen.
Bibliotheca acriptorum ac poetarum Latinorum recentioris aetaiis se-
Iccta. Curavit Fr id. Trau g. Friedemann. A. Scriptorum vol. I.
j). 1. [Lipsiae, A. 1840. Sumtum fecit ac venumdat Georgius Wigand.
Octav und Duodezform. Auch unter dem besondern Titel: Scriptorum
Latinorum saeculi XIX. delectus. Curavit Fr. T r a u g. Friede mann.
Pars prima. J Es ist ein sehr nützliches Unternehmen des Hrn. Ober-
schulrathcs Fr. Traug. Friedemann zu Weilburg, der sich bereits
grosse und anerkannte Verdienste um die alten Wissenschaften erwor-
ben hat, in einer Zeit, wo man von fast allen Seiten die philologi-
schen Wissenschaften mehr oder weniger angefeindet und namentlich
den Gebrauch der lateinischen Sprache bei Lehrvorträgen auf Schulen
und Universitäten für anstössig und unzweckmässig erklärt hat, durch
Sammlungen der gediegensten in lateinischer Sprache abgefassten Re-
den und Abhandlungen der neuern Zeit, so weit dieselben von allge-
meinerem Interesse zu sein scheinen, auch dem grösseren Publicum zu
zeigen, dass , trotz allen Ein- und Gegenreden, die alten Studien
noch fortwährend gedeihen und von Männern angebaut und gepflegt
werden, welche die lateinische Sprache, wenn auch nicht mit der
Weihe der alten Klassiker selbst , was ja auch eine reine Unmöglichkeit
wäre, doch eben so gewandt und geschickt und jedenfalls mit besserer
Wortwahl als unsere Vorältern zu brauchen und die Leser durch ihren
Vortrag selbst anzuziehen und zu fesseln wissen. Auch hat der Hr.
Herausgeber in dem uns vorliegenden 1. Bändchen wenigstens, wie es
scheint, bei der Auswahl der Reden und Abhandlungen selbst eine be-
sondere Rücksicht auf die Bekämpfung der in Bezug auf die philolo-
gischen Wissenschaften im Allgemeinen und auf den Gebrauch der
lateinischen Sprache in's Besondere in der neueren Zeit laut gewordenen
Ideen genommen. Dies kann man nicht tadelnswerth finden , zumal
die verheissene Fortsetzung der Bibliotheca auch sicherlich Manches
hringen wird, was eine allgemeinere Richtung nimmt. Doch ist Ref.
in Bezug auf die in neuerer Zeit laut gewordenen Stimmen nicht der
Ansicht, dass sie ganz unbeachtet und spurlos an den eifrigen Pflegern
und aufrichtigen Verehrern der alten Wissenschaften sollten vorüber
gehen. Es ist wahr, jene Aeusserungen sind zum Theil einseitig, un-
überlegt, unverständig; zum Theil übertrieben , anmaasslich und un-
bescheiden; zum Theil wohl auch unredlich, eigennützig und unwür-
dig; allein andern Theils sind sie so allgemein, von so verständigen
und einsichtsvollen Männern , von so aufrichtigen und redlichen Cha-
Bibliographische Belichte und Miscellen. 217
ratteren ausgesprochen worden, dass ilire Beachtung wünschenswerth
und nothw endig erscheint. Lud in der Tliat können die philologischen
Wissenschaften selbst bei einer Läuterung nur gewinnen ; zu fürchten
haben sie gewiss nichts dabei, da ihre Grundlagen so fest und uner-
schütterlich dastehen, dass wohl der Ausbau hie und da eine Veränderung
erleiden kann, nie aber der Bau selbst einer eigentlichen Erschütte-
rung ausgesetzt sein wird. Gewinnen aber muss unsere Wissenschaft,
wenn sie überall in gefälliger Form, mit geläutertem Gesehmacke, mit
richtigem Takte erscheint, wie dies bei den Koryphäen derselben längst
der Fall war, wenn sie sich, obschon der innern Kraft bewusst, doch
rücksichtsvoll und bescheiden den anderen Wissenschaften anschliesst
und beigesellt, nicht, weil ihrer alle Gelehrten mehr oder weniger zu
bedürfen scheinen, sich für die unentbehrlichste oder allseitigstc Wis-
senschaft hält; auch wohl gar unbescheiden da mäkelt, wo sie eine
Schwäche bei andern, sonst achtuiigswerthen Gelehrten sieht, nichts
für gut und vortrefflich hält, was die Alten thaten oder schrieben,
wenn es nicht allen Zeiten Stand halten kann, endlich den überflüssi-
gen Ballast und Bombast abwirft, der hie und da wohl noch in den
Schriften der Philologen spuken mag. — Doch nichts von dem, was
wir wegwünschten, haben wir zu befürchten bei den Männern , deren
Geistesproducte uns hier dargeboten werden, bei einem Herausgeber,
der die Bedürfnisse der neueren Zeit kennt, wie Hr. Friedeinann ! Und
wir wenden uns also ganz harmlos dem so trefflichen und so reichhal-
tigen Inhalte des ersten uns vorliegenden Bändchens der genannten
Sammlung zu. Sie bietet nur Gutes und Gediegenes, und bei den be-
kannten und glänzenden Namen , denen wir hier begegnen , bedarf es
wohl nur der Inhaltsangabe, um das Interesse und die Kauflust unserer
Leser rege zu machen. Zuerst steht: Ioannis Buhe oratio de humani-
tatis laude in veterum litterariim studio speclanda, Sie ward im Jahre
1829 an der Universität Leiden gehalten und erschien in demselben
Jahre in Druck mit einem, mit Bccht auch in der Bibliothcca mitge-
teilten, Vorworte. Es folgt: Godofrcdi Statlbaum oratio de pcriculis
litterariim humanitalis studio nosira aetate imminentibus. Sie ward am
Jahresschluss 183G auf der Leipziger Thomasschule gehalten und er-
schien iiu folgenden Jahre in Druck. Sodann: Caroli Emcsti Chribto-
phori Schneider Dissertatio de recia philologiae traetandae ratione , die
dem Lectionsr-erzeichnisse der ßreslauer Universität v. J. 1828 entnom-
men ist. Francisci f'olhmari Fritzsche oratio, qua, quem in locum
Graccarum Ilomanarumquc literarum Studium saeculo XIX. pervenerit,
ostendilur, gehalten an der Universität Bostock 1830 und ebendaselbst
erschienen in demselben Jahre. F. L. f'ibe oratio de antiquarum litte-
rariim diseiplina iniuslc hodie in contemtum vocala , die im J. 1835 bei
der akademischen Gedächtnissfeier zu Ehren Luthers zu Christiania ge-
halten ward und im folgenden Jahre in Druck erschien , und hier in.
ihren Haupttheilen im Auszüge mitgetheilt ist. Ilair. Cur. Abrah.
Eichslacdt (warum nicht Eichstadii, wie der grosse Latinist sich selbst
schreibt?) dissertatio de novo Mich, Otmonis consilio civilalcm Latinam
218 Bibliographische Berichte uud Miscellcn.
fundandi, die zur Ankündigung der akademischen Preisaufgabe za
Jena 1822 erschien. Godofredi Hermann oratio post obitum Chr. Dan.
Jicckii habita. Sie ward bei der Magistercreation der Universität Leip-
zig im J. 1838 gehalten und herausgegeben, und später auch in den
Opusc. vol. V. p. 312 sqq. abgedruckt. Augusti Boeckh oratio , in de-
dicalione Universitatis litlerariae Bcrolincnsis habita; sie ward gehalten
am 2o\ Apr. 1817 und erschien zuerst zu Berlin in demselben Jahre.
Caroli Guilielmi Goettling oratio de non mutandis aeademiarvm Germa-
niae formis. Sie ward gehalten an der Universität Jena 1839 und er-
schien in der Bibliotheca selcctu etc. das erste Mal im Drucke. Caroli
Timoihei Zumpt oratio de re scholaslica , in primis Borussorum , gehalten
am Joachimsthaler Gymnasium zu Berlin 1823 und später im Drucke
erschienen. Den Schluss dieser ersten Abtheilung macht: Adolphi
Aenothei Lange oratio de severitate diseiplinae Portensis. Sie wurde ge-
halten im J. 1821 in der Schulpforte und ward später abgedruckt in de9
verewigten Lange Opusc. gesammelt von C. G. Jacob. Leipzig 1832.
Die Gediegenheit und Reichhaltigkeit des Inhalts verbürgt dem Unter-
nehmen gewiss den sicheren Bestand , den es in jeder Hinsicht ver-
dient. Die nächste Abtheilung verspricht Reden und Abhandlungen
von A. JVeicherl , Fr. Jacobs, G. A. Gabler, F. Schleiermacher, G. G.
F. Hegel, G. Hermann , D. C. G. Baum garten - Crusius , P. G. Peerl-
Itamp, P. G. Heusde, A. Boeckh mitzutheilen. Die gleichzeitig er-
scheinende Abtheilung von lateinischen Gedichten verheisst im ersten
Bande: Petri Lotichii Secundi poemata omnia, ad editiones P. Bwr-
tmtnni See. et C. T. Krclzschmari expressa, im zweiten Bande A7. C.
Sarbieüii poemata omnia ad optt. edd. expressa. Die äussere Ausstattung
ist glänzend und der Preis für ein Bändchen von wenigstens zwölf
Bogen 8 Gr. sächs. äusserst billig.
Reinhol d Klotz.
Friedrich Wilhelm Klumpp. Eine Selbstbiographie. [Essen hei G.
D. Bädeker. 1838. 85 S. 8.] Diese Selbstbiographie (aus den von dein
Seminardirector Diesterwcg herausgegebenen Rheinischen Blättern be-
sonders abgedruckt) eines Mannes, der in der neusten Zeit durch seine
pädagogische Wirksamkeit in weiteren Kreisen sich einen Kamen ver-
schallt hat, scheint weniger bekannt geworden zu sein, als sie ver-
dient. Ref. macht deshalb die Leser der KJbb. auf dieselbe mit der
Versicherung aufmerksam, dass sie dieselbe gewiss mit Interesse lesen
werden. Der Verfasser erzählt ganz einfach seine Jugendgeschichte,
seine Bildung auf den sogenannten niedern Seminarien (Klosterscha-
len) in Denkendorf und Maulbronn, auf der Universität Tübingen,
seine Theilnahme an einer academischen Verbindung und in deren
Folge seine Bestimmung für den Beruf eines Lehrers und Erziehers,
seine Wirksamkeit als Lehrer und Erzieher in Vaihingen , Leonberg
und Stuttgart, die Entstehung seiner allgemeiner bekannt gewordenen
Schrift: „die gelehrten Schulen nach den Grundsätzen des wahren Hu-
manismus und den Anforderungen der Zeit" und die zur Rcalisirung
Todesfälle. 219
6einer Ideen unter seiner Mitwirkung erfolgte Errichtung der Erzie-
hungsanstalt in Stetten. Indem er die Art und Weise, wie er sich zum
Lehrer und Erzieher gehildet, mittheilt und auf mehrere Mängel de9
wörtembergischen höheren Schulwesens aufmerksam macht, gesteht
er eben so offen seine in beiden Beziehungen gemachten Missgriffe,
als er bescheiden über seine Leistungen sich äussert. Die von dem
Verf. angedeuteten religiösen Ansichten wird mancher von seinem
Standpunkte aus vielleicht weniger billigen , Ref. kann es nicht unter-
lassen seine Freude darüber auszudrücken , dass der Verf. so bestimmt
und entschieden sie ausgesprochen. B d g.
Todesfälle.
Den 27. Juni 1839 starb zu Sydney in Australien der verdiente
britische Geograph und Naturforscher Allan Cunniiigham, dem wir be-
sonders eine genauere Kunde von dem fünften Welttheile verdanken.
Den 27. October in Paris das Mitglied des Instituts Anne Joseph,
Euscbe Baconnicre Salverte, ein eifriger Redner der Opposition in der
Deputirtenkammer , und durch mehrere Schriften , namentlich auch
durch Ilorace et l'empereur Auguste, ou obser\ations qui peuvent ser-
vir de complcment aux coinmcutaires sur Ilorace, Paris 1823 und
durch zwei grössere geschichtliche Werke über die Entwickelung der
Civilisation bekannt, geboren in Paris am 18. Juli 1771.
Den 29. October in Mühlhausen der Lehrer der französischen
Sprache am Gymnasium , Collaborator FiscJier.
Den 4. December der Bischof- von Lichfield und Covcntry Dr.
Butler, bekannt als Herausgeber eines Apparatus criticus et exegeticus
in Aeschylum , gebaren 1780. .
Den 20. December in Bielefeld der Lehrer Dr. Georg Ileidbreede,
erst seit 1837 als Gymnasiallehrer thütig.
Den 11. Januar 1840 in Sorot; der Lector der griechischen
und englischen Literatur an der dasigen Akademie M. Christian JFilstcr,
als Ucbersctzer des Homer und Euripidcs ins Dünische bekannt, im
43. Jahre.
Den 16. Januar in Riga der Oberpastor an der St. Jacobskirche
und Präsident der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskundc in
den Ostseeprovinzen Dr. Gravc , im 56. Lebensjahre.
Den 18. Januar in Nürnberg der quiescirte Studicnrector und Pro-
fessor Jvh. Ad. Götz, 85 Jahre alt.
Den 22. Januar in Göttingen der berühmte Naturforscher Dr. Joh.
Fricdr. Blumenbaeh , Senior der Universität, Ober- Medicinalralh und
eeit 1775 Lehrer an der Universität, seit 1812 beständiger Secretair der'
königl. Socictat der Wissenschaften , Mitglied von 75 Akademicen lind
220 Schul' und Uni versi tiitsnachrichten,
gelehrten Societäten, geboren In Gotha am 11. Mai 1752. Bereits im
Jahre 1826 hatte er sein 50jähriges Professorjubiläuni gefeiert, zu des-
sen Andenken das Stipendium Blumenbachianum begründet wurde, vgl.
Stuttgart. Allg. Zeit. 1840 Nr. 84.
Den 23. Januar in Zeitz der Lehrer der Mathematik und Physik
am Gymnasium, Professor Dr. E. F. Junge, 44 Jahre alt.
Den 23. Januar in Berlin der Rector an der kün. Garnisonschule
K. Sprengel, 52 Jahre alt.
Den 24. Januar zu Cylli in Steycrmark der Professor Joh. Gabt:
Scidl, ein in Oestreich beliebter Dichter.
Den 1. Februar in München in Folge schwerer, durch den Uin-
Bturz eines Wagens herbeigeführten Kopfverletzungen der Gcheimrath
von Utzsehneider , ein für die Industrie und das Finanzwesen Bayerns:
hochverdienter, durch sein optisches Institut in ganz Europa bekannter
Mann , 77 Jahre alt.
In der Nacht vom 5. zum 6. Februar in Halle der Professov der
orientalischen Literatur an der Universität in Königsberg Peter von
Bohlen, im 44. Lebensjahre.
Den 5. Februar in Berlin der als Dichter rühmlich bekannte Frei-
herr Franz von Gauchj, geb. zu Frankfurt a. d. O. am 19. Apr. 1800.
Den 20. Februar in Grimma der sechste ordentliche Lehrer an der
dasigen Landcsschule , Professor M. Wilhelm Ferdinand Korb, im 39.
Lebensjahre, durch einige kleine Schriften, namentlich über Josephus,
bekannt.
Den 20. Februar in Dresden der Director der kün. Kameralvermes-
eung Wilhelm Gotlhelf Lohrmann.
Den 12. März in Leipzig der emeritirte fünfte College an der
Thomasschule M. Georg Friedrieh Baumgürtel im 80. Lebensjahre.
Den 12. März in Leipzig der berühmte Hellenist und Herausge-
ber vieler philologischen Werke Gottfried Heinrich Schäfer, ausseror-
dentlicher Professor bei der Universität und früher Univeräitätsbiblio-
thekar, im 77. Lebensjahre.
Schul- und Universitätsnaclirichten , Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
AscHAFFENBrnG. Dem Professor der Theologie am Lyceum Prie-
ster Dr. Gösehel ist die Stadtpfarrei in Nürnberg verliehen, und dem
Professor der Philosophie, Priester Dr. Joseph llolzner unter Beibehal-
tung seiner Lehrstelle am Lyceum die Stelle- eines Regens im Knaben-
eeminar übertragen worden.
Badbh. Durch einen Beschluss des grossherzoglichen Obcrstu-
dienrathes ist die hiesige lateinische Schule mit ihren bisherigen drei
Jahrcscursen iu eine höhere Bürgerschule umgewandelt worden , und
zwar in der Art erweitert, da»s sie von nun an aus 5 Jahrescursen mit
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 221
eigenen, an keine anderen Amtsverrichtungen gebundenen Lehrern be-
stehen soll. Bisher nämlich waren die hiesigen heiden Pfarrvicare
zugleich die eigentlichen Hauptlehrer der Anstalt, was nicht selten für
diese mancherlei Nachtheil hatte. Wir müssen es auch bei dieser
Gelegenheit tadeln , dass der ehrenvolle Titel „Professor" auch Leh-
rern solcher untergeordneten Lehranstalten beigelegt ist, wiewohl die-
selben oft noch auf keinerlei Weise ihre Ansprüche auf solche Aus-
zeichnung an den Tag gelegt haben. — Die erweiterte höhere Bür-
gerschule in Baden sucht einen doppelten Zweck zu erreichen: einmal
ßollen junge Leute, welche einen bürgerlichen Beruf wählen, der
eine höhere geistige Entwickelung und umfassendere Vorkenntnisse er-
fordert, durch die in dem neuen Schulplane bestimmten Gegenstände
zu diesem Zwecke unterrichtet werden; sodann soll aber auch für jene
Zöglinge gesorgt werden , welche sich dem Studium der Wissenschaf-
ten widmen wollen, um einst in Staatsdienste treten zu können. Die
Anstalt, ihrem Zwecke nach zunächst eine Realschule, will also auch,
ßoweit ihre Kräfte reichen , für humanistische Bildung Sorge tragen.
Die Anstalt will überhaupt bemüht sein , die Schüler in den Stand zu
setzen , dass sie wohl vorbereitet aus ihrer obersten Classe entweder in
die erste mathematische Classe des polytechnischen Instituts zu Karls-
ruhe, oder in die Unter- Quinta einer Gelehrtenschule des Grossherzog-
thums zugelassen werden können, eine hohe Aufgabe, deren Lösung
der Anstalt bei den vorhandenen Lehrkräften schwer werden möchte.
Die bisherige Erfahrung hat auch gezeigt, dass die Schüler solcher
Anstalten, wo denn doch immer, wenn anders sie ihren Hauptzweck
nicht verfehlen wollen, realistische Bildung vorherrschend sein muss,
bei einer geordneten Gelehrtenschulo oft kaum mit den Schülern der
Unter-Quarta gleichen Schritt halten konnten. Ueberhaupt ist das
Ilinübergreifenwollen der Bürgerschule in die Aufgabe des Gymna-
siums durchaus zu tadeln, da, von andern Nachtheilen nicht zu reden,
die Gründlichkeit des Unterrichtes bei solcher Tendenz, die meist
nichts anderes als Ostentation ist, leiden muss. Das diesjährige zum
ersten mal gedruckte Programm der Badener Bürgerschule möchte
diese unsere Befürchtung durch die Aeusserung rechtfertigen , dasa
für die Aufnahme in die Unter- Quinta der Gelehrtenschule der Besitz
einiger Vorkenntnisse in der griechischen Sprache nöthig sei , darum
sie für die Ertheilung jenes Sprachunterrichtes Sorge tragen wolle —
doch wird schon in Ober-Quarta Homer gelesen. Zu loben ist, dasa
die englische Sprache in den Lehrkreis aufgenommen worden ist, in-
dem dies bei den eigenthümlichen Verhältnissen jenes berühmten Kur-
ortes nicht anders als vorteilhaft sein kann. Ferner dürfte es dem
Zwecke der Badner Schule ganz entsprechend sein , dass im 5. Jahres-
curse die technische Nattirlchre einen weiteren Unterrichtsgegenstand bil-
det, welcher zugleich die der Fassungskraft der Zöglinge angemesse-
nen Lehren der Mechanik enthalten soll. Nach dem Programme
sollen die allgemeinen Eigenschaften der Körper den Lehrstoff im Ein-
zelnen lüden, und zwar: 1) der festen Körper; deren Eigenschaften in
222 Schul- und Uni v crsi tätsnachri chtcn ,
Ruhe und Bewegung im Allgemeinen , insbesondere Schwerpunkt,
Reibung, Hebel, Rolle, Flasehenzng, Räderwerk, schiefe Ebene,
Keil, Sehraube, das Pendel, die Lehre vom Stoffe; 2) der tropfbar
flussige Körper: insonderheit das AVasser in Ruhe uud Bewegung,
Druck, cominunicirende Röhren, Brunnen, Springbrunnen und arte-
sische Brunnen, Pumpen, Druckwerke u. 8. w:, Gleichgewichtszu-
stand eingetauchter und schwimmender Körper, Kanäle, Wasserräder
u. s. w. ; 3) der elastisch-flüssige Körper: insonderheit die atmosphä-
rische Luft in Ruhe und Bewegung, Druck, Elasticität , Barometer,
und dessen Anwendung als meteorologisches Werkzeug, Luftballon,
Gebläse, Schall, musikalische Instrumente; 4) Licht und ff 'arme:
Eigenschaften des Lichtes, Farben, optische Instrumente, Spiegel,
Beleuchtungsapparate. Eigenschaften der Wärmeleitung und Strah-
lung, Ausdehnung der Körper, Thermometer und dessen Gebrauch
als meteorologisches Werkzeug, Anwendungen des Dampfes , Dampf-
maschinen , Verbrennungsproccss , Oefen , Ileerde, u. s. w. ; 5) Mag-
netismus: Magnetnadel, Elcctricität , electrische Erscheinungen in der
Atmosphäre; (>) die Erde als Planet , das Sonnensystem und populäre
Sternkunde; 7) Verbindung und Zersetzung unorganischer und orga-
nischer Stoffe, Abdampfen, Destilliren, Sublimiren, Gnhrungspro-
cesse u. s. w. — Wer mag nicht staunen über das, was hier Alles ver-
sprochen wird! und was uns betrifft, wir würden uns herzlich freuen,
all diese Dinge nicht blos im Programm gedruckt zu lesen. — Mit
diesem Unterrichte sollen übrigens, so viel es geschehen kann , ein-
fache Versuche verbunden werden , und um diese anstellen zu können,
soll in Bälde (!) ein vollständiger physikalischer Apparat angeschafft
werden. Die Gesammtzahl der Zöglinge der Anstalt im verflossenen
Schuljahre betrug 48, sämmtlich , bis auf Wenige, von Baden gebür-
tig. — Die Inspection über die Anstalt übernahm der pensionirte in
Baden privatisirende holländische Professor Dr. Gübel, dessen regem
Eifer jene viel zu verdanken hat. [ß.]
Bamberg. Am Lyceum ist das Lehramt der Naturgeschichte und
Chemie zu einer besonderen Lehrstelle (Lyceal -Professur) erhoben
und dieselbe unter dem 22. August 1839 dem bisherigen Verweser Dr.
Jf'ies provisorisch übertragen, vor kurzem aber der Professor der Phi-
lologie und Archäologie A. Mühlig temporär quiescirt und an dessen
Stelle der Professor Dr. Ruthardt zum Lehrer der Philologie und Ar-
chäologie ernannt worden.
Bkiilin. Zur Feier des Krönungs- und Ordensfestes am 19. Ja-
nuar ist unter Anderen 25 beim Unterrichtswesen beschäftigten Gelehr-
ten der rothe Adlerorden ertheilt worden, nämlich der Orden 2. Classe
dem Geh. Oberrevisionsrath und Professor von Savigny an der Univer-
sität in Berlin; die Schleife zur 3. Classe dem Geh; Medicinalrath und
Professor Dr. Osann und dem Professor Dr. Karl Ritter an derselben
Universität in Berlin; der Orden 3. Classe mit der Schleife dem Geh.
Bergrath und Professor von Dechen an der Universität in Berlin , den
Geheimen Oberregierungsräthen Keller und Dr. Schweder im Ministerium
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 223
der Geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegcnheiten in Berlin,
dem Professor Dr. Romberg an der Universität in Berlin, dem Superin-
tendent, Oberprediger und Professor Dr. Spieler in Frankfurt a. d. 0.;
der Orden 4. Ciasse dem Professor Agasitz an der Akademie in Neuf-
chatel, dem Professor Dr. Gustav Bischof an der Universität in Bonn,
dem Director Braut am Gymnasium in Brandenburg , dem Director
Crüger am evangelischen Schullehrerseminar- in Keuzelle , dem Profes-
sor und Prorector Dr. Heinsitts am Gymnasium zum grauen Kloster in
Berlin, dem Seminardirector Kuchling zu Bären im Begier. Bezirke
Minden, dem Consistorialrath und Professor Dr. Middcldorf an der
Universität in Breslau, dem Professor Dr. Hauke an der Universität in
Berlin, dem Consistorialrath und Professor Dr. lihcsa an der Universi-
tät in Königsberg, dem Professor und Director Dr. Rtbbeck am Gymna-
sium zum grauen Kloster in Berlin, dem Prof. Dr. Schlemm an der
Universität in Berlin, dem Prof. Dr. Schlüter an der Akademie in Mün-
ster, dem Director Dr. Schüler am Gymnasium in Lissa, dem Bibliothe-
kar und Professor Dr. Schümann an der Universität in Greifswald, dem
Consistorialrath und Professor Dr. Thilo an der Universität in Halle,
dem Professor Dr. Tölken an der Universität in Berlin, und dem Begie-
rungs- Schulralhe l'ogel in Breslau.
Constanz. Mit Anfang des Sommersemesters wurde der Lehramts-
practicant Laitbis , bisher am Gymnasium zu Offen nur g aushelfend,
durch Beschluss des grossherzoglichen Oberstudienraths an die hiesige
höhere Bürgerschule versetzt, musste jedoch wegen der Kränklichkeit
des Prof. Dr. Hirt bis nach Ende der Sommerferien ausschliesslich zur
Aushülfe am Lyceum verwendet werden, so dass er erst von dieser
Zeit an Unterricht an ersterer Anstalt ertheilte. Von dem hiesigen
Gemeinderath hat die Anstalt einen sehr vortheilhaft gelegenen Bade-
platz angewiesen erhalten. In Folge dessen wurde die Einrichtung
getroffen, dass die Schüler der fünf untern Classen und der höheren
Bürgerschule nur in der Schwimmschule und an besagtem Badeplatz
jedesmal unter Aufsicht eines Lehrers und von zwei schwimmgeübten
Schülern der zwei obersten Classen badeten. Die Anzahl der Schüler
des Lyceums betrug im verflossenen Schuljahre 135, die der mit dem
Lyceuui verbundenen Bürgerschule 71 , Gesammtzahl 206. [ß.]
DoKAtEscHiNGEN. I ii dem Lehrpersonalstande des hiesigen Gym-
nasiums haben im Verlaufe dieses Schuljahres folgende Veränderungen
statt gefunden : Durch eine Verfügung des Oberstudicnrathes erhielt
der Lehramts- Practicant Setz aus der Staatscasse 500 Fl. zum Belmfo
eines einjährigen Aufenthaltes in Genf, um sich in der französischen
Sprache und der Physik zu vervollkommnen. An seine Stelle wurde
der Lehramts-l'rai ticant Reinhard von Königheim mit einem Gehaitc
von -100 Fl. ernannt; ebenso erhielt auch der Lehramts- Practicant Bees
aus der Staatscasse 500 Fl. zu einem einjährigen Aufenthalt in Frank-
reich, jedoch mit der Bedingung, die Beise erst nach dem Schlüsse
des I. J. anzutreten. — Für die Jahre 1837 und 1838 wurden durch
Erlasg des grossherzoglichen Ministeriums de6 Innern folgende Benin-
224 Schul- und Universitätsnach richten,
ncrationcn anerkannt: Dem provisorischen Director Fickler 209 Fl.,
dem Professor Clialon 150 Fl., dem Frofessor Ganter 150 FI. , dem
Lchramtspracticanten Sciz 100 Fl. ; der Gehalt der Lehramts-Practican-
ten Hees und Reinhard wurde von 400 Fl. auf 440 Fl. erhöht — Die
Gesammtzahl der Schüler des Gymnasiums betrug 74. — Dem ge-
druckten Programm des Gymnasiums ist , eine von dem provisorischen
Director der: Anstalt Fickler verfasste „Commentatio de Theseo , papil-
laris Alheniensium imperii quem dieunt auetore'' heigegeben. Wir
werden hei einer andern Gelegenheit auf diese dankenswerlhe Zugabe
zurückkommen. [ß.]
Dortmund. Zur Erweiterung des Gymnasiums, dem eine Aula
und Räume für die Realklassen fehlten, ist die noch fehlende Summe
von 1500 Thlrn. von Sr. Majestät dem Könige auf die Staatskasse aller-
gnädigst angewiesen worden. Der Erweiterungsbau wird mit dem
Frühjahre heginnen und im Laufe des Sommers beendigt werden. Der
Erhöhung des Etats zur Verbesserung der Lehrergehalte und zur Be-
gründung einer neuen Stelle sieht man mit begründeter Hoffnung
entgegen. [E.]
Freibirg. Das gedruckte Verzeichniss der Lehrgegenstände und
Schüler giebt die Gesammtzahl der Letztern in dem Schuljahre 1838 —
1830 auf 234 an. Nach einem Erlass des grossherzoglichen Oberstu-
dienrathes wurde gemäss Beschluss des Ministeriums des Innern der
geheime Rath Domcapitular Professor Dr. Hug zum Ephorus der An-
stalt ernannt , die nach einer weitern hohen Verfügung zum Range
eines Lyceums erhoben wurde, so dass sie nun einen vollständigen
neunjährigen Lehrkursus gemäss der Bestimmung des neuen Schulpla-
nes erhalten soll. Schon im vorigen Jahre wurden die Schüler des
achten Jahrescursus , bis zu welchem seither das Gymnasium führte,
auf die Universität entlassen. Auf dem diesen Schülern auszufertigen-
den Entlassungszeugtiisse musste übrigens in Folge einer Verfügung des
Oberstudienrathes ausdrücklich bemerkt werden, dass sie im Laufe der
heiden Semester des Studienjahres 1838 — 39 in der philosophischen
Facultät die den sämmtlichen Fächern der obersten Lycealclasse ent-
sprechenden Collegien zu hören verbunden, und gehalten seien, am
Ende desselben vor dem Antritte des Fachstudiums einer Maturitätsprü-
fung sich zu unterziehen. Diese wurde dann auch von dem Director
und den übrigen Lehrern des Gymnasiums, die in der 6. Classe Unter-
richt ertheilen, in Gegenwart des Ephorus am 21. und 22. August d. J.
wirklieh vorgenommen. Wir können hiebei nicht unterlassen zu be-
merken, dass die Art und Weise, wie gewöhnlich diese so sein sol-
lende Maturitätsprüfung bisher an unsern Gelehrtenschulen abgehalten
wurde, wir wollen nicht sagen wenig , sondern gar nicht entspricht,
und dass sehr zu wünschen wäre, dass bald eine bestimmte Exa-
ruinationsordnung erschiene , in Bezug auf welche Preussen und Wür-
temberg nachahimingswürnige Vorbilder sind. Der relativ blühende
Zustand der Gelehrtenschulen dieser beiden Länder beruht vorzugs-
weise auf der zweckmässigen Einrichtung ihrer Maturitätsprüfung,
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 225
deren wichtigen Einfluss auf' das Gedeihen des Unterrichtswesens man
dort gehörig zu schätzen weiss. Gewiss ist zu erwarten, dass der
grossherzogliche Gberstudienrath, dem die badischen Scbulen bereits
so viel verdanken, dieser wichtigen Sache bald die verdiente Auf-
merksamkeit schenken wird. [ß.]
Fbeysing. Der Professor der untersten Gymnasialclasse Priester
Dr. Thomas JViescr [s. NJbb. XXV, 334.] ist Prediger an der Cajetans-
Ilof- und Stiftkirche in München und Ehren -Kanonicus geworden,
und in seine Lehrstelle am Gymnasium der bisherige Lehrer der vier-
ten Classe der latein. Schule, Priester Max Konezney aufgerückt.
Giesskx. Der grossherzogl. geheime Staatsrath und Kanzler der
Universität Dr. Linde in Dasmstadt und der geh. Medicinalrath und Pro-
fessor Dr. Fl A. M. Kitgen sind für sich und ihre Nachkommen in den
Ade'.stand erhoben, der ordentliche Professor der Rechte, geh. Justiz-
rath Dr. Slickcl ist quicscirt worden.
Gikzenhausen in Mittelfranken. Die erledigte dritte protestanti-
sche Pfarrstclle, mit welcher das Subrectorat der dasigen lateinischen
Schule verbunden ist, hat der bisherige zweite Pfarrer und Lehrer an
der latein. Schule zu Marktbreit Johann Albert Bischof erhalten.
Halekustadt. Wenn Hegel in der Philosophie des Hechts be-
hauptet, der gelehrte Diebstahl werde immer seltener, weil die Sucht,
originell zu sein, gegenwärtig auf das Höchste gestiegen sei, so giebt
es doch immer noch Leute genug, die auf eine feinere oder gröbere
Weise das Handwerk des Plagiators treiben. Ein merkwürdiges Bei-
spiel des gröbsten literarischen Diebstahls giebt ein zu Halberstadt von
der höhereu Bürgerschule 1837 herausgegebenes Schulprogramm, wel-
ches eine Abhandlung enthält unter dem Titel: Zur Erklärung
und Beurth eilung von Bürgers Lenore von Karl Bo-
ckelmann, zweitem ordentlichen Lehrer der höheren Bürgerschule.
[Halberstadt bei üölln. 72 S. 8.] In derselben hat sich Herr Bockel-
mann in dem Maasse seiner Individualität entäussert, dass er fast für
Alles, was darin gesagt worden, als unzurechnungsfähig angesehen
werden muss. Denn die eigentliche Abhandlung ist mit ängstlicher
Treue, nur mit wenigen Weglassungen und Einschaltungen ivürllich
abgeschrieben aus der in Basel 1835 erschienenen interessanten Abhand-
lung: Zur Erklärung und Beurthcilung von Bürgers
Lenore, von Wilhelm Wackernagel [22 S. 4.]; die erklä-
renden Anmerkungen zu der Ballade mit derselben Treue aus Götzin-
gers „Deutsche Dichter'' Tbl. 1. S. 51 bis Gl ; die Einleitung
aber über das Lesen deutscher Dichter auf Schulen aus desselben Wer-
kes 2. Bande S. 581 ff. , ohne dass die Originale, welche copirt wur-
den , auch nur mit einem Worte angedeutet wären. Solche Verun-
treuung fremden L igen thu ms sollte eich ein Lehrer der Jugend am we-
nigsten zu Schulden kommen lassen und es kann solche Schaamlosig-
keii nicht streng genug gerügt «erden. Fühlt jemand einmal seine
geistige Impotenz, und juckt es ihm gleichwohl in den Fingern,
nun so möge er doch lieber in einer Schreiberstube sein Müthchen auf
N. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. Bibl. Bd. XXV11I. Hß. 2. 15
226 Schul- und Universitätsnachrichten,
ehrliche Weise kühlen, als sich mit fremden Federn geschmückt auf
dem literarischen Markte dein Gelächter preisgehen. [Egsdt.]
1 1 1 im i.iti.uG. In Folge der Einführung des neuen Schulplanes ist
das hiesige Gymnasium zu einem vollständigen Lyceum erhoben wor-
den, so dass also dessen Schüler unmittelbar auf die Universität zum
Brodstudium entlassen werden können. Durch Verfügung des gross-
herzoglichen Ministeriums wurde zum Ephorus der Anstalt der Ober-
bibliothekar, Ilofrath Dr. Rühr hier ernannt. Das Lyceum hat nach
der ihm bis jetzt verliehenen Organisation nur die acht obern Jahres-
curse, indem ihm der unterste Jahrescurs mangelt, 60 dass also die-
jenigen , welche in die zweite Ciasse eintreten wollen, ihre Vorberei-
tung hiezu in andern Anstalten oder durch Privatunterricht zu errei-
chen suchen müssen. Auf Veranlassung der Oberstudien- Behörde ist
diesem empfindlichen Uebelstandc dadurch abgeholfen, dass eine früher
mit dem Gymnasium verbundene, später aber eingegangene Vorschule
wieder in's Leben gerufen und deren Aufgabe dahin erweitert wurde,
dass sie in Hinsicht der darin gelehrten Unterrichtsgegenstände der un-
tersten Lyccalclasse gleich steht , und folglich ihre Schüler unmittel-
bar in die zweite Classe übertreten können. — Die neu errichtete
Lehrstelle für Mathematik und Physik ist durch Verfügung des gross-
herzoglichen Ministeriums des Innern an Dr. Arneth provisorisch über-
tragen worden. — Im Laufe dieses Schuljahres haben 10!), und mit
Einschluss der Schüler der Vorbereitungsciasse Ho' Zöglinge das Ly-
ceum besucht. Dem gedruckten Programme des Lyceums ist eine von
dein zeitigen Director der Anstalt, IVilhelmi , geschriebene Abhand-
lung: „Von den Tropen, ein Beitrag su der Lehre von dem Figürlichen
in der Rede" beigegeben. Die Abhandlung sucht auf eine klare und
nicht selten geistreiche Weise die Natur und das Wesen des figürli-
chen Ausdrucks, namentlich durch zahlreiche Beispiele aus den besten
deutschen Glassikern zu entwickeln, und ist darum besonders in letz-
terer Hinsicht eine dankenswerthe Zugabe. [(?.]
Heisingfors. An der dasigen Universität hat der Unterbibliothe-
kar und Adjunct Alex. Rlomquist eine Abhandlung De prineipio methodi
ethnographicae in historia literaria universale adhibendae schediasma
[1838. 78 S. gr. 8.] , der Mag. phil. Georg Aug. JVallin eine Dissertatio
de praeeipua tnter hodiernam Arabum linguam et antiquam differentia
[1839. 4? S. gr. 8.] und der Rector der dasigen Volksschule Mag. phil.
Friedrick Cygnäus eine Commentatio de Hannibale pars I. indolem eius a
Beriptoribus infamatam vindicatura [1839. 132 S. gr. 8.] herausgegeben.
Von den Dissertationen, welche zu den Disputationen der Studirenden
von den präsidirenden Universitätslehrern herausgegeben worden, sind
bemerkenswerth : Ilomeri Odyssea svethice reddita Tom. 111. Part. V-—
IX. [Od. XIV, 416. — XVI, 445] von dem ord. Prof. der griech. Lit.
Axel Gabr. Sjöström [1838. S. 65 — 144. 8.]; Loci poetarum Roma-
norum, de quibus .... publice dispulabunt stipendiarii Fase. I. von dem
ord. Prof. der Beredtsamkeit und Poesie Joh. Gabr. Linsen [1839. 8 S.
gr. 8.], worin die Wagnerscho Erklärung von Virg. Aen. I, 8 — 11. he-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 227
stritten, and Ovid. Amor. III, 9, 23. Et Linon zu lesen vorgeschlagen
wird; Loci Sophoclei a Cicerone [Tusc. II, 8.] conversi commentarius.
I. II. [1838. 16S. gr. 4 ] von demselben; Phoenix idyllium Claudiani Sect.
I. II. von demselben [1838. 18 S. gr. 4.] , ein Textesabdruck mit einigen
erklärenden Anmerkungen; Anthologiac Latinae exempla I. II. von dem-
selben [1839. 16 S. gr. 4.] , einige latein. Epigramme der Anthologie
mit schwedischer Uebersetzung und kurzen latein. Anmerkungen ; Com-
mentarii in scriptores Graccos et Latinos Part. I — XXIII. Commentarii
in Saltustium , von dem Adjunct für griech. und röm. Liter. Nie. Abr.
Gilden. [1838 u. 39. S. 1 — 184. gr. 4.]
Levdev. Die im vorigen Jahre erschienene Disputatio literaria de
emendatione aliquot locorum orat. Ciceron. pro M. Caelio Rnfo , quam
praes. J. Bake ad publ. diseept. proposuit Henr. Vollenhoven , jur. utr.
Candid. [Leyden bei Hagenberg. 1839. 8] empfiehlt sich nicht nur
durch Gelehrsamkeit und Gründlichkeit, womit der junge Gelehrte
mehrere Stellen der Ciceronischen Rede bespricht, sondern enthält
auch S. 04 — 99 die Lesarten der Leydener Handschriften zu derselben,
und S. 100 — 108 Emcndationes Joann. Baku , welche ebenfalls diese
Rede betreffen.
München. Die aus 5 Facultäten bestehende Universität hat ge-
genwärtig in der theologischen Facultüt 4 ordentliche und 2 ausseror-
dentliche Professoren , in der juristischen (i ordentliche und 1 Ehren -
Professor und 1 Privatdocenten , in der staatswirthschaftlichen 6 or-
dentliche und 2 ausserordentliche Professoren und 2 Privatdocenten, in
der medicinischen 10 ordentliche, 2 ausserordentliche und 2 Ehren -
Professoren und 2 Privatdocenten , in der philosophischen 19 ordent-
liche, 3 ausserordentliche und 5 Ehren- Professoren und 3 Privatdo-
centen. Zur Vervollständigung der akademischen Gesetze ist erschie-
nen : Anhang zu den Vorschriften über Studien und Disciplin für die Stu~
direnden an den Hochschulen des Königreichs Bayern: Aenderungen und
Ergänzungen der Bestimmungen gegen Duelle, vom 13. Febr. 1839. 7 S.
gr. 4. Von akademischen Gelegenheitsschriften sind hier zu erwäh-
nen : Dr. G. IL von Schubert: Jon einem feststehenden in der Geschichte
der sichtbaren Natur und des in ihr ivohncndcn Menschen. Eine Anrede
gehalten nach der Rückkehr von seiner Reise in das Morgenland und
bei dem Wiederbeginn seiner Vorlesungen. Stuttgart, Balz. 1837.
28 S. gr. 8. 4 Gr. Dr. Thadd. Siber: Gedüchlnissrede auf den verstor-
benen ordenll. Professor der Philosophie Dr. Andr. Mor. Meilinger. Mün-
chen 1837. Iß S. gr. 8. Meilinger war geboren in Landshut am 29.
Nov. 17(»3, wurde Benedictiner und war von 1789 an an mehreren
Lehranstalten Bayerns angestellt, starb am 30. Nov. 1837 alsord. Prof. an
der Universität und Mitglied des obersten Kirchen- und Schulrathcs.
Dr. J. B. Jfcissbrod: Bede an die Studirenden gehalten am 9. Dec. 1837
[24 S. gr 8.], über die Notwendigkeit der Befolgung der bestehen-
den Vorschriften über Studien und Disciplin. Dr. Thadd. Siber: Bede
an die Studirenden, geh. am 10. Dec. 1838. [11 S. gr. 4], über die
rechte Anwendung der Studienzeit. Zur Erlangung der philosophi-
15*
223 Schul" und Universitätsnachrichten,
sehen Doctorwürde hat der Candidat Phil. Gomposch eine Abhandlung
lieber die Grunzen aristotelischer Logik [München 1838. 14 S. gr. 8,],
und der Cand. O. Mielach eine Dissertatio de nomine organi Aristotelici
[Augsburg 1838. 11 S. gr. 8.] drucken lassen. Beide Abhandlungen
sind Bruchstücke aus zwei grösseren Abhandlungen, welche diese jun-
gen Gelehrten der philosophischen Faciih.it zur Beantwortung der von
ihr im Jahr 1837 den Studirenden gestellten Preisaufgabe : Quot sin-
gula opera Organon Aristotelis in Universum complectitur ? Et quid
argumenti singula Aristotelis logica scripta habentV eingereicht hatten.
München. Der geistliche Rath und Kanonikus Dr. J. A. Prand
ist zum Ober- Kirchen- und Schulrath an die Stelle des mit Titel und
Rang eines Ober-Kirchen- und Schulrathes dieser Functionen entho-
benen Domcapitulars A. Mengein ernannt worden. Der Hofrath Dr.
Thiersch hat das Ritterkreuz des. niederländischen Lüwenordens erhal-
ten. Am neuen Gymnasium ist unter dem 23. October 1839 statt des
an das Lyceuui in Speyer versetzten Professors Karl Felix Halm [siehe
KJbb. XX VII, 229.] der Professor Joseph Stanco in die Lehrstelle der
dritten und der Professor Priester Anton IFeigel in die Lehrstelle der
zweiten Classe aufgerückt, zum Lehrer der ersten Gymnasialciasse
aber der Studienlehrer an der latein. Schule und interimistische Ver-
weser einer Classe des alten Gymnasiums Anton Kncutingcr ernannt
worden. Das im August 1839 erschienene Jahresprogramm des alten
Gymnasiums enthält eine sehr dankenswerthe Abhandlung des Profes-
sors Leonhard Spengel , nämlich Specimen Commentariorum in Aristotelis
libros de arte rhetorica [Monachii typis librariae scholarym regiae. 40 S.
gr. 4.] , worin besonders der rhetorische Inhalt der aristotelischen
Schrift mit ausgezeichneter Sorgfalt erläutert, nächstdein aber auch
der Texteskritik und der grammatischen Spracherklärung , soweit sie
durch die kritische Erörterung bedingt ist, rühmliche Sorgfalt gewid-
met ist. Die rhetorische Erklärung beschäftigt sich damit, die ein-
zelnen Behauptungen und Lehrsätze des Aristoteles durch reichliche
und ausführlich mitgetheilte Parallelstellen aus Aristoteles, Plato, Dio-
nysius Halic. , Sextus Emp. , den Rhetores Graec. von Walz, aus Ci-
cero , Quintilian und andern hierhergehörigen Schriftstellern zu erläu-
tern , oder auch nachzuweisen, ob der oder jener Lehrsatz schon vor
Aristoteles aufgestellt und wie er später modificirt worden ist, be-
zweckt also eine historische Erklärung der aristotelischen Rhetorik aus
den alten Rhetoren selbst. Dass der gelehrte Herausgeber der Evvu-
y<oyrj t£%vcöv, worin die Resultate der griechischen Rhetorik vor Ari-
stoteles zusammengestellt wurden, grade auf diesem Felde der Erklä-
rung der aristotelischen Schrift etwas recht Vorzügliches geleistet habe,
braucht Ref. kaum erst zu versichern, und kann nur wünschen, dass
Hr. Sp. das ganze Werk so mit einem erklärenden Commentar versehe,
wie es jetzt nur zu Bch. 1. Cap. 1 — 3. und Dch. II. Cap. 12. u. 25. ge-
schehen ist, weil er dadurch ganz gewiss dem Studium der alten Rhe-
torik einen grossen Vorschub leisten wird. Und da er einen solchen
Commentar auch verbeisst, so möchten wir nur rathen, dass er die
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 229
gesammelten Parallel- und Erläutcrungsstellen nicht, wie hier ge-
schehen, vollständig und in ausgedehnter Weise abdrucken lasse und
eo den Umfang des Commentars ungewöhnlich anschwelle ; sondern
ilass er vielmehr diese Stellen nur nachweise und die Hauptsache ihres
liergchörigen Inhaltes kurz angehe. So wird er der Bequemlichkeit
und Uebersichtlichkeit weit mehr nützen und zugleich Raum gewinnen,
die sprachlichen Erörterungen zu vermehren, welche in vorliegender
Frohe doch etwas zu spärlich sein dürften. [J.]
Mlaster. Vom 3 — G. Oct. 183Ü fand hieseihst die erste Versamm-
lung des Schulmänner- Vereins, der sich von hier aus gebildet hat,
6tatt. Der Zweck des Vereins der Lehrer an den Gelehrten - Schulen in
Westphalen und den Rheinlanden ist 1) die nähere wissenschaftliche
und freundschaftliche Verbindung derselben, wodurch sie veranlasst
werden, mehrmals im Jahre zusammen zu kommen, um sich über wis-
senschaftliche und praktische Schul -Interessen zu besprechen , jedoch
in zwangloser und gesellschaftlicher Form; 2) durch Zusammenwirken
in einer Zeitschrift auch im weiteren Kreise für die wissenschaftlichen
und praktischen Interessen der Gelehrten- Schulen nützlich zu werden.
Der Verein hat die gesammte wissenschaftliche Schulbildung zum Ge-
genstände^ ohne Ausschliessung irgend eines Faches, obgleich mit Be-
rücksichtigung der relativen Bedeutsamkeit der einzelnen Fächer für die
Schule. Jeder Schulmann in Westphalen und den Rheinlanden , welcher
für diesen Gegenstand reges Interesse hegt, kann als Mitglied aufgenom-
men werden, und ihm steht der Zutritt, sowohl für die Zeitschrift als
für die Versammlungen, ohne Ballottage frei. Obgleich bestimmte
Verpflichtungen nicht Statt finden, so wird doch von jedem Mitglied
erwartet, dass es der Tendenz des Vereines nach Kräften möglichst zu
entsprechen suche. Jährlich im Herbste, in der ersten Octoberwoche,
werden mehrtägige General- Versammlungen gehalten; oh auch regel-
mässig im Frühjahre, in der Osterwoche, bleibt weiterer Berathung
anhcimgestellt. In denselben findet vorzüglich oben genannte wissen-
schaftliche und gesellige Unterhaltung Statt; das Vorlesen von Abhand-
lungen und Aufsätzen ist davon nicht ausgeschlossen, jedoch an ge-
wisse Bedingungen geknüpft, dass nämlich 1) dieselben nicht von sehr
grossem Umfange, 2) nur völlig geeigneten Inhaltes, und 3) ihrer nicht
viele sein müssen. Eine Verpflichtung für die einzelnen Mitglieder,
bei jeder Versammlung zu erscheinen , besteht nicht. Die Leitung in
diesen Versammlungen hat ein Präses, dem 2 Secretaire als Protokoll-
führer beigegeben werden. Diese, sowie auch der Ort der Versamm-
lung, werden in der jedesmal vorhergehenden General- Versammlung
per maiora gewählt; ausserdem 2 stellvertretende Secretaire. In der
Zwischenzeit zwischen den General- Versammlungen halten die Mit-
glieder an den einzelnen Orten Varticular- Versammlungen, worin nicht
bloss über die bezeichneten Gegenstände fortwährend verhandelt , son-
dern auch namentlich für die General - Versammlungen Passendes vor-
bereitet wird. An der ersten Versammlung nahmen 32 Schulmänner
aus Arnsberg, Coesfeld, Dorsten, Hamm, Mühlheim an der Ruhr,
230 Schul- und Univcrsitätsnach richten,
Münster, Paderborn, Recklingbausen , Soest, Verden und Wipper-
furt Theil. Nachdem Prof. Grauert einen einleitenden Aufsatz vorge-
lesen über Wesen und Zwecke des Vereins, und die Mittel zur Errei-
chung derselben, wurden die Statuten der Gesellschaft vollständig und
im Einzelnen festgestellt. Bei Gelegenheit einer von Dr. licckel mit-
getheilten Recension von Neumanns Buch über das Lateinschreiben und
-sprechen wurden die verschiedenen Einwendungen und Vorwürfe, die
gegen dasselbe hier und sonst vorgebracht werden , einzeln bespro-
chen; dadurch wurde die Frage veranlasst, wie die Uebungen im La-
tein auf den Gymnasien anzustellen seien, was zu der Aufgabe führte, die
JVaJd und Reihenfolge der lateinischen Classiker in den Schulen zu be-
stimmen. Drei Mitglieder übernahmen die schriftliche Ausarbeitung
dieses Gegenstandes. Darauf wurde die vom Lehrer 'Püiiiiig" gestellte
Frage erörtert, ob es besser sei, die Religion der Alten bloss in ihren
äusserlichen Erscheinungen und von ihrer mehr thörichten Seite den Schü-
lern darzustellen, oder mehr von ihrem tieferen Gehalt aus in ihrer Ehr-
würdigkeit. Aus der Discussion ergab sich die Frage : wie soll der
Gymnasiallehrer diesen Gegenstand behandeln , ohne einerseits der histori-
scheny andrerseits der religiösen Seite zu nahe zu treten; auch hier über-
nahmen 3 Mitglieder die schriftliche Bearbeitung der Aufgabe. Con-
sistorialrath JVagner brachte die Frage zur Erörterung, ob es zweck-
mässiger sei, denselben Lehrgegenstand auf einem Gymnasium wöchentlich
einmal in 2 auf einander folgenden oder 2mal in einzelnen Stunden an
verschiedenen auseinander liegenden Schultage7i zu behandeln. Auf An-
regung des Gymnasial- Lehrers Schipper wurden die Gründe bespro-
chen , warum in Nordamerika ein Stand von Litteratoren nicht existire
und auch wohl nicht existiren kann. Der Besuch des botanischen Gar-
tens, der Bibliothek und des Museums, eine kleine Landpartie etc. mit
mannigfacher wissenschaftlicher und geselliger Unterhaltung wechsel-
ten mit den Abends stattfindenden General - Versammlungen ab. Auch
waren die Mitglieder zu einer Versammlung des Vereins für westphäü-
eche Geschichte und Alterthumskunde, sowie zu einem Concert des
Musik -Vereins eingeladen. Die nächste General- Versammlung findet
am 22. und 23. April in Münster statt. Das zeitige Comite des Vereins
bilden die Professoren Winieivski und Grauert und der Gymnasiallehrer
Lauff. Dass bei der ersten General - Versammlung nur von 2 Anstalten
der Rheinprovinz Lehrer zugegen waren , hat wohl lediglich seinen
Grund darin, dass die Einladung zur Theilnahme zu spät erfolgte.
Uebcr die Einrichtung, Zeit und Ort des Erscheinens der beabsichtig-
ten Zeitschrift wird später das Erforderliche mitgetheilt werden. Sie
soll in 2 Hauptabtheilungen zerfallen: 1) sclbstständige Abhandlungen
und Aufsätze, 2) Recensionen und Anzeigen; als eine Nebenpartie kä-
men statistische und andere Nachrichten über das Gelehrten- Schulwe-
sen hinzu. Zu Recensionen und Anzeigen eignen sich 1) solche Werke,
welche die Methode des Unterrichts überhaupt betreffen, oder zum
Unterrichte bestimmt sind, also Schulausgaben von Classikern, Schul-
grammatiken, Lesebücher, Handbücher etc. ; 2) solche Werke , wel-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 231
die Darstellungen oder Forschungen über ganze Zweige oder einzelne
Partien enthalten, die dem gelehrten Schuhuanne als solchem wichtig
sind , z. B. bedeutende neue kritische oder exegetische Ausgaben von
Classikern, die in den Gymnasien gelesen werden, oder die mit diesen
in naher Verbindung stehen , grammatische Untersuchungen über die
dänischen Sprachen oder die deutsche, bedeutendere Geschichtswerke,
namentlich über das Alterthum oder wichtige Abschnitte oder Punkte
der mittelalterlichen und neueren Geschichte, insbesondere solche, die
dem Schulunterricht angehören u. s. w. Dahingegen würden sich nicht
für die Zeitschrift eignen z. B. Ausgaben von Classikern, die auch dein
tüchtigsten Gymnasiallehrer füglich fern liegen können (Aratus, Aciian,
theilweise Aristoteles, Apulejus, Valerius Maximus etc.); eben so we-
nig Werke über die Specialgeschichle einzelner nicht gar bedeutender
Länder oder über entlegnere Partien der Geschichte; auch nicht Werke
über höhere Mathematik und aus den höheren Regionen der Naturwis-
senschaften u. s. w. Hierzu gehört auch, dass nicht lange Recensio-
nen über kurze und unbedeutende Schriften erscheinen dürfen , und
kurze oder gar keine über die bedeutendsten. Zu Abhandlungen eig-
nen sich neue Ansichten über Classiker, die in der Schule gelesen wer-
den oder ihnen nahe stehen, sowohl über sie im Ganzen als Kritik und
Interpretation im Einzelnen, litterar -historische Erörterungen über
Punkte, die in der allgemeinen Entwickclung wichtig 6ind, gramma-
tische Untersuchungen über die dänischen Sprachen , Erforschung
schwieriger und zweifelhafter historischer Punkte, worüber der Ge-
schichtslehrer im Klaren sein muss, wenn auch nur für sich selbst,
Charakteristik einzelner Zeiträume und grosser Perioden der Weltge-
schichte. Vorzüglich kommt auch liier das Methodische in Betracht,
als z. B. der Religionsunterricht und die religiöse Bildung und Erzie-
hung, der Unterricht in der deutschen Sprache auf Gymnasien , die
Bedeutung und die Stufen des Geschichtsunterrichts, zweckmässige
Einrichtung von Schulgraramatiken und Lesebüchern, abgesonderte
Vorträge über Literaturgeschichte, Behandlung der Elementar -Ma-
thematik auf Gymnasien, Anlegung natu 1 historischer Sammlungen
u. s. w. Nicht aber gehören dahin 2. B. Abhandlungen über einzelne
mythologische und Kuustgcgcnslände, Varianten -Sammlungen oder
Emcndationcn zu entlegenen Classikern oder Bruchstücken verlorner,
urkundliche Forschungen über Specialgeschichte., auch selbst nicht die
VVestphälische oder Rheinische, Abhandlungen aus der höheren Ma-
thematik , kurz alles das, was in Bezug auf ganze Werke als für Re-
rensionen nicht geeignet bezeichnet wurde. Am meisten sind alle
sncciellen Liebhabereien auszuschlicssen, weil sie der Gcsainmtheit
fern liegen. Ausserdem ist auch das festzuhalten , dass zwar alle
Schulfächcr zu umfassen sind , jedoch nur nach dem Maassstabe ihrer
Bedeutsamkeit für den Gymnasial -Unterricht Raum erhalten können.
Die Reccnsionen , Abhandlungen und wissenschaftliche Unterhaltungen
bedürfen einer ernsten, würdigen, acht wissenschaftlichen Haltung,
gleich entfernt von Spielerei wie von Pcduntcrei; die Reccnsionen ins-
232 Schul- und Univers itätsnachrichton,
besondere müssen ganz frei sein von aller Animosität und Leidenschaft-
lichkeit, nie die Person, nur die Sache treffen, überall nur Gründe
aufstellen, keine apodiktischen Verurteilungen oder philosophisch
echeinenden Raisonneraents. Die Herausgabe der Zeitschrift erscheint
nothwendig, 1) weil eine derartige überhaupt in Deutschland noch
nicht existirt; selbst nur in ähnlicher Weise, -doch wesentlich verschie-
den, ist für das westliche Deutschland keine andere vorhanden, als die
Zimmermannsche Zeitschrift für Altertumswissenschaft. Zum Theil da-
von ist denn auch die Folge, dass in anderen Litteraturzeitungcii , na-
mentlich gewisser Gegenden, dasjenige, was aus hiesigen Landen
kommt, sehr häufig entweder gar nicht beachtet oder mit grosser Un-
billigkeit getadelt wird. Der- zweite Grund ist, dass gerade die Zeit-
schrift für den Verein das festeste Band sein wird.
[Eingesandt.]
Offenburg. Auch das hiesige Gymnasium hat mit dem Beginne
des Studienjahres 1839 den neuen hadischen Lehrplan, so viel es seine
Lehrkräfte erlauben , eingeführt, und hat demnach nun statt des frü-
heren sechsjährigen Lehrcurses einen siebenjährigen. Mit dem Gym-
nasium ist zugleich eine höhere Bürgerschule verbunden, mit der Be-
stimmung, dass der jeweilige Director des Gymnasiums zugleich der
Vorsteher der Bürgerschule sein soll. Zum Ephorus des Gymnasiums
wurde durch Erlass des Ministeriums des Innern der grossherzogliche
Oberamtmann Kern zu Offenburg ernannt, und demselben zugleich die
Functionen des Inspectors der Bürgerschule übertragen. Der Beruf
dieser beiden Aeniter ist gemäss einer frühem landesherrlichen \ er-
ordnung : die Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung, die Ueber-
wachung der genauen Vollziehung der Lehrplane, des sittlichen Zu-
standes der Schule und der Disciplin im Allgemeinen u. s. w. — - Die
finanziellen Verhältnisse des Gymnasiums haben sieh in der letzteren
Zeit bedeutend verbessert, was mitunter die Anstalt der rührigen Thätig-
keit ihres gegenwärtigen Dircctors verdankt, der, da wegen Mangel an
hinreichendem Fonds selbst ihre Existenz bedroht war, ihr neue Hilfs-
quellen auszumittcln wusste. So verstand sich vorzüglich auf sein Be-
treiben die hiesige Stadt zu einem jährlichen Beitrag von 1500 Fl. zur
Besserstellung des Gymnasiums und zur Errichtung der höheren Bür-
gerschule. Möchten alle Städte Badens ein so reges Interesse für die
innerhalb ihrer Mauern befindlichen Schulen an den Tag legen, und
in der Blüthe derselben ihren grössten Stolz suchen. Ferner wurden
gemäss eines Beschlusses der Regierung aus den zur Errichtung der
höheren Bürgerschulen des Grossherzogthums von den Ständen im All-
gemeinen bewilligten 8000 Fl. die Summe von jährlich 700 Fl. der hie-
eigen Anstalt zugetheilt, und zugleich zur Vervollständigung der Lehr-
apparate der höheren Bürgerschule noch weitere 500 FI. aus der
Staatscasse angewiesen. Auch ward das neu regnlirte Didaktrum, das
früher ohne Unterschied der Classen 14 Fl. jährlich betrug, eine ergie-
bigere Finanzquelle der Anstalt. In Baden ist es nämlich den einzel-
lien Anstalten überlassen , die Grösse des Didaktruuis ihrem sonstigen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 233
Verhältnisse gemäss innerhalb gewisser allgemeiner Bestimmungen
festzusetzen. Au der hiesigen Anstalt wurde nun das üidaktuin auf
folgende Weise regulirt : In der Prima 14F1. , in der Seciuida IßFl.,
in der Tertia 1SF1., in der Unter- Quarta 20 Fl. , in der Ober- Quarta
22 FI., in der Unter- Quinta 24 Fl. , in der Ober -Quinta 2« Fl. Die
Schüler der Bürgerschule haben jähr lieh 14 Fl. in allen Ciassen zu be-
zahlen. — Durch solche Geldmittel ward es möglich , zwei neue
Lehrer, den Professor Gebhard Gagg von Constanz und den Lehrer
Franz Xaver llaumgartner von Rheinheim anzustellen. Auch wurden
den meisten Lehrern Geldzulagen bewilligt, nämlich dem Direetor
Scharpf 300 Fl., den Professoren If'cissgerber und Schretnmlcin je 200
Fl. und dem Prädicator ffofln 100 Fl., dem ?.!cilislehrer lilehe 1(50 Fl.
Die Gesamirtzahl der Schüler im laufenden Schuljahr war 89, wovon
jedoch 21 auf die Bürgerschule kommen. [ß.]
Prevsse\. Der Verf. des „ Philalethes" unterschriebenen Auf-
satzes in den NJbb. XXVII, 2. S. 227 hat in einer so augenscheinlichen
Gereiztheit und Missstimmung geschrieben , dass man die Widerlegung
seiner Ausfälle auf die Verwaltung des Unterrichtswesens dem gesun-
den Sinne der Leser überlassen könnte, zumal nach i)en sehr richtigen
Andeutungen des Herausgebers über Wesen und Absicht des Artikels
im neuesten Conversationslcxicon , welchen Herr Philalelhes widerle-
gen will. Allein es sind der verdächtigenden und anfeindenden Ver-
suche der Art schon mehrere, und irren wir nicht, aus derselben Rich-
tung vorgekommen, so dass man in Versuchung geräth zu glauben,
auch hier sollte ein Beitrag zu gewissen neueren Umtrieben geliefert
werden. Darum ist es Pflicht jedes Valorlandsfreundes, wenigstens
einige auffallende Unrichtigkeiten in ihrer Blosse darzustellen. Phila-
lethes hat Hecht, wenn er keine bestimmten Normen für die Pcnsioni-
rung von Lohrern kennt, aber er wird nicht nachzuweisen im Stande
6ein, dass die Pensionirten deshalb gegen andre Staatsdiencr im Naeh-
theil gestanden hätten. Im Gegenthcil sind die Pcnsionirungen ineli-
rentheifs noch in einem alizulibera'ien Geiste erfolgt und es sind dem
lief. Fälle von Straf pensionirung bekannt, in denen der Betroffene so
gut gestellt wurde , als er im Falle der treusten Pflichterfüllung nur
hätte gestellt werden können, weil man die Sache nicht auf die Spitze
treiben und keine gerichtliche Untersuchung verhängen wollte. Wenn
P. meint, die Lehrer seien nicht anständig besoldet und diese Ansicht
auf die Forderung gründet, sie seien ihrer amtlichen Stellung wegen
zu einem anständigen Auftreten genöthigt und 4 — 800 Itthlr. in Orten
wie Coblenz, Duisburg, Cleve und Wesel wenig zu nennen, so macht
er in der That absonderliche Ansprüche. Die genannten rheinischen
Städte sind blosse Mittelstädte. Allein wären sie selbst so gross wie
Wien oder Berlin, so Mären die genannten Summen, die geringste für
den Anfang, die höchste für ältere Lehrer, im Verhältniss zu andern
Ländern und Ständen immer noch sehr ehrenwerth. Allerdings darf
inan unter dem „amtändipen Auftreten" weder das verstehen, was man
,,cin Haus machen1' nennt, noch das bekannte rheinische YYirtluhuus-
234 Schul- und Univcrsitätsn achrichten,
leben, was sich freilich mit dem Stande des Lehrers eben so wenig als
mit häuslicher Sitte verträgt. In der Welt ist alles relativ. Wer da
gehört bat, dass ein Gerichtspräsident (Oberricht er) in England 40,000
lithlr. Gehalt zieht, muss die Besoldungen unserer Richter betielhaft
finden. Wer dagegen weiss, dass in Oesterreich, Bayern, Würtem-
berg, Baden ein Gymnusialdirector höchst selten über 800 litblr.
(1200 Fl. C. M.) und ein Lehrer zwischen 200 und 600 Thlrn. erhält,
muss die preussischen Besoldungen sehr anständig finden. Und weiss
denn Philalethes nicht, dass viele richterliche Personen in Preussen
nie über 6 — 700 litblr. kommen können und selbst die Käthe bei den
Provinzialjustiz- und Verwaltung-collegien , wenn sie nicht besonderes
Glück haben, oft mit 20 Dienst- und 45 Lebensjahren kaum auf 900
Thlr. Gehalt steigen, während es viele Lehrerstellcn mit 0 — 1300
Thlrn. giebt? Besoldung ist und bleibt einmal ein massiges, weil si-
cheres, aber gegen andere Berufsarten keineswegs reichliches Auskom-
men. Auch sollte man billiger Weise bei Gegeneinanderstellung der
Einkünfte nicht Mos das Bedürfniss der Anschauung von Büchern zum
Fortstudiren (Ref. ist ausserdem zu glauben geneigt, dass die Mehr-
zahl dies Bedürfniss sehr übertreibt}, sondern auch den Grad geistiger
Anregung und Genugthuung in Anschlag bringen, den das Amt ge-
währt. Und wer würde nicht einräumen , dass die Thätigkeit des wah-
ren Lehrers eine geistig belebende und genussreiche ist, während die
des Kanzleimannes und Rechners bei vielleicht gleichen oder grösseren
Einkünften nothwendig abstumpft und den Menschen frühzeitig in eine
geistige Erstarrung versetzt? Was endlich das Rangverhältniss anlangt,
so scheint Philalethes nicht zu wissen , dass die Gymnasialdirectoren
nach dem Gesetze von 1817, welches durch kein neueres abgeändert
worden ist, mit den Regierungsräthen , Oberlandesgerichtsräthen,
Oucrbergräthen , Landräthen, Stadtgerichtsdirectoren und Superinten-
denten nach dem Datum des Patents rangiren , und dass demnach auch
die Lehrer nicht so unermesslich tief unter jenen stehen können, wenn
33 gleich lächerlich ist, zu verlangen, dass sie gleicher Studien u. s.
w. wegen mit ihnen auf gleicher Stufe stehen sollen.
[Ein Schulmann des preuss. Sachsens.]
Preusses. Se. Majestät der König haben dem Erbadministrator
der Klosterschule Rosslebex, Geheim. Regierungsrathe von IFitzleben
den rothen Adlerorden dritter Classe verliehen, und dem ordcntl. Pro-
fessor in der juristischen Facultät zu Bow Dr. Bethmann- Holweg das
Prädicat eines Geheimen Justizrathes beigelegt. Zur Verstärkung des
Baufonds für Kirchen und Schulen königl. Patronats ist die Summe von
27000 Thlrn. jährlich aus Staatsfonds neu angewiesen, sowie dem Gym-
nasium in Elberfeld 1000 Thlr. , dem neuerrichteten kathol. Schul-
Iehrerscminar in Kempen 6480 Thlr., der evangelischen Elemen-
tar- und Bürgerschule in Münster 700 Thlr., dem Gymnasium in
Mi'fivsTEREiFEL 420 Thlr. , dem Gymnasium in Potsdam 500 Thlr.
als jährlicher Zuschuss , dem Donigymnasium in Magdeburg 200
Thlr. zur Anstellung eines neuen Lehrers, dem Gymnasium in
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 235
dürfnisse 100 Thlr. auf das Jahr 1840 bewilligt Morden sind. Als ausseror-
dentliche Unterstützung erhielt der Lehrer Dr. Schellbach am Fried rieh-
Wcrderschen Gymnasium in Berlin 50 Thlr. , als ausserordentliche
Remuneration der Director Bei/scher am Gymnasium in Cotws 50 Thlr.,
als Gratification am Gymnasium in Bromiserg der Prof. Dr. Rutscher
200 Thlr., an der Akademie in Mvkstek der Professor Dr. Graucrt 50
Thlr. und am Gymnasium in Wetzlar der Oberlehrer SchüHtz 100
Thlr., als jährliche Wohnungsentschädigung die beiden Oberlehrer
Saage und Braun am Gymnasium in Braunskerg je 50 Thlr. , als jähr-
liche Gehaltszulage am Gymnasium in Glaz der Lehrer Dr. Schramm
50 Thlr. , am Gymnasium in Lvk der Oberlehrer Chrzescinski 50 Thlr.,
der Oberlehrer Koslka 48 Thlr., der Oberlehrer Dewischeit 35 Thlr.,
der Lehrer Jacobi 30 Thlr., der Lehrer Gorzitza 25 Thlr., der Hülfs-
lehrer Horch 20 Thlr., am Domgymnasium in Magdeburg der Prof.
JViggert 65 Thlr. , der Prof. Fax 120 Thlr. , die Oberlehrer Ditfurt
und JVolfarl je 147 Thlr. 15 Sgr. , der Oberlehrer Sauppe 100 Thlr.,
die Lehrer Crasper und Hase je 50 Thlr., am Gymnasium in Mi'fivster-
eifel der Director und die beiden ersten Oberlehrer je 100 Thlr., der
dritte Oberlehrer 50 Thlr., der erste ordentliche Lehrer 90 Thlr., der
zweite und dritte Lehrer je 40 Thlr. , am Gymnasium in Salzwedei
der Conrector Gliemann und der Lehrer Dr. Jflnckelmann je 50 Thlr.
Kiiei,\preussen und Westphalex. Die Aussichten für die Schul-
amts-Candidaten evangelischer {Jonfession haben sich in der letzten Zeit
sehr gebessert , besonders sind Candidatcn der Mathematik gesucht;
für die Candidaten katholischer Confession sind dagegen die Aussichten
nichts weniger als günstig; es giebt Candidaten, die seit 4, 5, 6,
sogar "i Jahren auf eine Anstellung warten und vielleicht noch länger
warten müssen, da hei der Verschiedenheit des Patronats das an sich
nicht zweckmässige Gesetz der Anstellung nach der Anciennität nicht
beobachtet werden kann. Die au vielen Gymnasien von Rheinland-West-
uhalen eingeführten Turnübungen scheinen im Ganzen nicht den Er-
folg zu haben, den man sich von ihnen versprochen hat; an mehreren
Gymnasien haben sich die Schüler der oberen Classen , da die Theil-
nahme eine durchaus freiwillige ist, sobald der Beiz der Neuheit vor-
bei war, von den Turnübungen zurückgezogen und besuchen dafür
Abends lieber die WTirthshäuser. Gegen Hauchen, Trinken und Spie-
len wird genug geeifert, doch ist der Erfolg selten von langer Dauer
-i— die Verbote werden so lange nicht durchgreifend lullen , als den
Schülern nicht Gelegenheit und Veranlassung zu edleren Vergnügun-
gen gegeben wird. — Leider wird durch die zunehmende Vergnü-
gungssucht und die Thcilnahme an Vergnügungen, die nur einem
höheren Alter zukommen, der Sinn für das Höhere und Edlere immer
mehr abgestumpft. InFoI^e des vom Ministerium vorgeschriebenen allg.
Lchrplans scheinen an einzelnen Gymnasien die Schüler der obern Clas-
sen am Gesangunterrichte keinen Aulheil mehr zu nehmen. Das Wan-
dern einzelner Schüler von einem Gyiunueiuiu zum andern in der Ab-
236 Schul- und Universitätsnach richten,
eicht, in eine höhere Classc zu kommen, als für welche sie eigentlich
fähig sind, kömmt, wenn auch nicht mehr so häufig als früher, doch
immer noch vor ; dies scheint darauf hinzudeuten , dass nicht an allen
Gymnasien mit gleicher Strenge hei der Aufnahme fremder Schüler
verfahren wird. Soll doch ein üirector sich veranlasst gefunden na-
hen öffentlich zu erklären , dass das üher seine Anstalt verbreitete Ge-
rücht, als oh man es mit den Leistungen der Schüler nicht so genau
nehme, falsch sei. An den meisten Gymnasien werden solche wan-
dernde Schüler nur ungern gesehen und aufgenommen. Auch die
Strenge der Disciplin veranlasst nicht selten den Besuch einer andern
Anstalt, welche weniger in dem Ruf der Strenge steht. Das akade-
mische Leben und Treiben gefällt unsrer Schuljugend gar zu sehr;
eine väterliche Zucht will ihr, die sich derselben entwachsen dünkt,
schlecht gefallen. Daher nicht selten die Klagen über Widersetzlich-
keit, sogar thätliche , von Schülern gegen die strafenden Lehrer; zu-
weilen liegt freilich die Schuld, wo dergleichen vorfällt, an dem
Lehrer — viel aber daran, dass dergleichen Schüler nicht streng genug
bestraft werden, oft sogar, indem sie plötzlich die Anstalt verlassen,
nicht bestraft werden können. [Eingesandt.]
Riga. Laut dem als Einladung zur öffentlichen Prüfung und fei-
erlichen Entlassung im dasigen Gymnasium am 3. und 4. Juli 1839 er-
schienenen Jahresberichte [Riga. 8 S. 4.] war dasselbe in seinen 5 Clas-
seu Ende Juni 1838 von 201), im Laufe des neuen Schuljahres von 292
und am Ende von 212 Schülern besucht und entlicss 9 Schüler zu
Weihnachten 1838 und 10 im Sommer 1839 zur Universität. Im Leh-
rerpersonale traten einige Veränderungen ein, indem statt des nach
Dorpat versetzten Protohierej und Censors der geistlichen Reden Fedor
Beresky der Protohierej Michael Kuninsky als Religionslehrer griechi-r
scher Confession eintrat, statt des als Professor- Adjunctus für altclas-
sische Philologie und Alterthümer an die Wladimirs- Universität in
Kiew berufenen M. Alex. Ludw. Düllcn der bisherige wissenschaftliche
Lehrer, Candidat. phil. Alex. Friedr. Krannhals in das Lehramt der deut-
schen Sprache und Literatur aufrückte , dessen Lehrstelle aber bis zum
Schluss des Schuljahres vacant blieb, und endlich statt des Oberleh-
rers der russischen Sprache und Literatur JFassil Kusmiti, welcher dio
Oberlehrerstelle der latein. Sprache am Gymnasium in Witepsk erhielt,
der Candidat Alexei Tichomandrizky aus Twer angestellt wurde. — Im
August 1838 besuchte der Minister der Volksaufklärung Geh. Rath
Scrg. Uwarow auf einer Revisionsreise das Gymnasium, und das Leh-
rercollegium überreichte bei dieser Gelegenheit ausser einem lateini-
schen Bewillkommnungsgedicht ein besonderes Programm , welches
Einige Verbesserungsvorschläge zum Texte der Sophocleischcn Tragüdiecn
von dem Oberlehrer der griechischen Sprache Dr. A. Th. Svcrdsjö
[Kiga gedr. b. Hacker. 1838. 16 S. 4.] enthält. Der Verf. behandelt
darin mit tüchtiger Einsicht in das Wesen des Sophokleischcn Sprach-
gebrauchs und mit sorgfältiger Beachtung der früheren Erklärer acht
Stellen des Sophokles und 'schlägt zu ihrer Verbesserung vor Trachiu.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 237
331. urjSs 7Tqos Hwaofg zotg övai Xv[ir]v ngög y euov 7.vnr,g lüfioi , Vs.
1019. ooi rs ydq auua ig rclsov rj dt iuov cä&iv , Vs. 1047. wegen
Ciceros Uebersetzung Tusc. II. 8. Kcd #?{£>{. «ßi vco zolo i uo%Qi']Gctg
fyw , Pliihict. 1085. v.kI &11J0XOVZ1 cwo ittslg, Vs. 1094. £t ui&iQog
avco TtTcoKCidBg ogurcVou diu irvfvuuzog ikaci fi , ovhsz' i'G%cn, Vs.
1096. co ßuoimoxu' , oux |] uXXo&' t'%si itij;« räo' «7rd u8i'£orog , und in
der Gegenstrophe 1117. ovdh dys Sölog || I'g^' u7ro ^ft^og* f/<«g eri;-
ysQciv i'|6 m. r. Ä. , so dass der erste Vers eine Jambische Dipodie mit
Auflösung, der zweite ein Tetrameter dactylicus wird; Electr. 112.
cel zovg uoixoig %vrjov.ovzug uquv' i] zovg svvug vTcoxlinzotnvovs, tl&£z't
ugrj^uzs , oder vielmehr: el zovg udi'xcog &vrJGxovzug oqut , ei zovg
ivvdg vnoxXsnzoftsvovg , i'l&sz , uqiJ^ixzSj V. 123. ziv uel taust GcJfi
KKO^srov oiucoyup top — 'ylyautuvova. [J.]
IlrssLAAD. Der Minister der Volksaufklärnng Geh. Rath von
Uwarow hatte während seiner Inspektionsreise im Jahr 1838 in den
Gymnasien des weissrussischen Lehrbezirks , d. i. der Gouvernements
Wilua, Witepsk, Mohilew, Grodno und Bialystok, mit Freuden be-
merkt, dass der Unterricht in der russischen Sprache nach kurzer An-
wendung des neuen Lehrplanes ein glückliches und rasches Ausbreiten
dieser Sprache offenbarte, und dass die Gymnasiasten eben so gern,
wie geläufig und richtig sich dieser Sprache bedienten, überhaupt der
russische Geist in diesen Provinzen sich wieder gehoben hatte. Deshalb
hatte er die Gymnasiasten zur Anfertigung eines besonderen Buches
aufgefordert, durch welches sie ihre Fortschritte in der russischen
Sprache vor dem Kaiser beurkunden könnten. Dieses Buch ist 1839
unter dem Titel: Sammlung von Versuchen in der schönen Literatur
Husslands von den Zöglingen des adeligen Instituts zu JVilna und der
Gymnasien zu JVilna, Grodno, Minsk und Bialystok, erschienen, und
soll von dem Kaiser sehr gnädig aufgenommen worden sein. Auf einer
späteren Inspectionsreise im Königreich Polen hat der Minister eich
überzeugt, dass in den meisten Lehranstalten dieses Landes das wissen-
schaftliche Leben gänzlich verfallen ist. Demzufolge ist durch einen
kaiserlichen Ukas vom 2. December 1839 befohlen worden , dass für
sämmtüchc Lehranstalten des Königreichs ein besonderer warschauer
Lehrbezirk gebildet und dem Minister des öffentlichen Unterrichts wie
dem Statthalter des Königreichs zugeordnet werde , und dass von nun
an dafür Sorge getragen werden soll, auf die Jugend des Königreichs
Polen dieselben Vorthcilc beim Unterricht auszudehnen , welche die
vaterländische Jugend in den Cildiingsanstalten des haiserthums ge-
nicsst, namentlich dieselbe soweit vorzubereiten, dass sie auf die russi-
schen Universitäten übergehen kann. — Dem Adel des Gouverne-
ments Nowgorod ist neuerdings aufgegeben worden , für jeden leibei-
genen Dauer jährlich eine Kopeke zu entrichten, welche Abgabe zur
Gründung eines Lehrstuhles der Jurisprudenz auf dem Gymnasium zu
Nowgorod verwendet werden soll.
Sa( usiiv , Königreich. Die gesammten 12 Gelehrtcnschnlen des
Landes waren um Ostern 1839 von 1508 Schülern [Annaberg von 90,
238 Schul- und Uni versi tä tsn achrichten,
Ranzen von 127, die Kreuzschule in Dresden von 345, das Vitzthum-
liloclimannischc Institut von 74 (ungerechnet 40 Realschüler), Frei-
berg von 115, Grimma von 113, Meißen von 123, in Leipzig die
Kicolaischule von 104, die Thomasschule von 194, Plauen von 75,
Zittau von 66, Zwickau von 82 Schülern] besucht, und entließen zu
Michaelis 1838 und Ostern 1839 zusammen 154 Schüler zur Universi-
tät, von denen 46 das erste, 77 das zweite und 25 das dritte Zeugniss
der Reife erhielten, bei 6 der Grad des Zeugnisses nicht angegeben
ist. Von diesen 154 Abiturienten wollten 47 Theologie, 62 Jurispru-
denz, 25 M eil hin , 3 Philologie, 2 Theologie und Philologie, 2 Ma-
thematik, 1 Cameralia studiren und bei 12 ist das Studium unbekannt.
Die genannten Schüler waren auf den Fürstenschulcn zu Grimma und
Meissen in je 4, auf den Gymnasien zu Dresden (Kreuzschule), Frei-
herg und Zwickau in je 5, ajif den übrigen in je 6 Classen vertheilt ;
jedoch ist seitdem auch auf dem Gymnasium in Plauen die sechste
Ciasso eingezogen worden. Dagegen hat das Rlochmannische Institut
neben seinen 6 Gymnasial- noch 3 Realclassen , deren Schüler übri-
gens von den Gymnasiasten im Unterricht durchaus getrennt sind.
Schüler, welche sich zur Maturitätsprüfung für den Uebergang auf die
Universität melden wollen , müssen nach dem kön. Prüfungsreglement
-wenigstens 1 Jahr in Prima gesessen haben, und darum können auf
den Fürstenschulen , wo der Schüler nur auf 6 Jahr in das Alumnat
aufgenommen wird, diejenigen Schüler, welche hei Vollendung des
Sexenniums noch nicht 1 Jahr Primaner gewesen sind, nach der Ver-
ordnung vom 7. Dec. 1832 nicht zum Maturitätsexamen zugelassen wer-
den. Die städtischen Gymnasien, welche gewöhnlich einen zweijäh-
rigen Lehrcursus für Prima haben, verlangen natürlich, dass ihre
Primaner nicht vor dem vollendeten zweiten Jahre zum Abiturienten-
examen sich melden, ohne dadurch hindern zu können, dass mehrere
nach anderthalbjährigem, ja selbst nach jährigem Verweilen in der
Prima zu dieser Prüfung sich hinzudrängen. Obgleich nun die Prü-
fung selbst den Lehrern das Mittel in die Hände giebt, das unreife
Uebergehen ihrer Schüler zur Universität abzuwenden , so bringt doch
auch jener durch das Gesetz gestattete frühere Abgang von der Schule
die Wirkung hervor , dass befähigtere Schüler in diesem Falle zwar
im Allgemeinen für die Universitätsstudien reif geworden sind, aber
nicht denjenigen Grad der Reife erreicht haben, welchen sie vermöge
ihrer Fälligkeit zu erreichen im Stande wären, wenn sie den voll-
ständigen Schulcursus absolvitfen. Ob man diese Erscheinung für
einen Uebelstand halten müsse, das hängt freilich erst von der Vor-
stellung ah, welche man sich von dem in der Schule zu ertheilenden
Zeugnisse der Reife macht. Setzt man nämlich voraus, dass die für
das Uebergehen zur Universität angenommene Stule der Reife für alle
Schüler eine und dieselbe ist, und etwa darin besteht, dass der Abitu-
rient dasjenige Maass positiver Kenntnisse und diejenige Ausbildung
seiner geistigen Kräfte erlangt hat, welche ihn befähigen, die Uni-
versitätswissenschaften verstehen und betreiben zu könnenj so niuss
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 239
natürlich dem Schüler der Abgang von der Schule gestattet sein, so-
bald er auf dieser Stufe angelangt ist, und man braucht dann von ihm
nicht einmal zu verlangen , dass er wenigstens Ein Jahr in Prima ge-
sessen habe. Auch weiss jeder Gymnasiallehrer aus Erfahrung, dass
gutbefähiffte und fleissige halbjährige Primaner die Abiturientenprüfung
oft eben so gut würden bestehen können, als zweijährige, welche ge-
ringere Fähigkeiten besitzen oder minderen Fleiss auf die Studien ver-
wendet haben. Natürlich darf aber bei dieser Voraussetzung auch nicht
ein dreifacher Grad der Keife , welcher in Sachsen durch satis dignus,
oranino dignus und imprimis dignus abgestuft ist, unterschieden wer-
den, sondern es kann bei der Prüfung nur die Frage über reif oder
unreif in Betracht kommen. Hält man aber fest, dass die verschie-
denen geistigen Anlagen der Schüler auch ein im Grade verschiedenes
Heranbilden zurBefäbigung für die Universitätsstudien möglich machen,
indem der beschränktere Kopf nur bis dahin gebracht werden kann,
die Universitätswissenschaften verstehen und begreifen zu lernen , da-
mit er sie dann im Leben in gewissem Grade anzuwenden vermag, hei
dem Befähigter«, aber eine Erweckung und Kräftigung der geistigen
Thätigkeiten möglich ist, welche ihn über das blosse Erlernender
Facultätswissenschaft erhebt und zum tieferen und selbstständigeren
Auffassen derselben so wie zu ihrer ausgedehnteren und allseitigeren
Benutzung im spätem Leben tüchtig macht; so sieht man, dass bei
der Abiturientenprüfung auch nach verschiedenen Graden der geistigen
Keife gefragt werden darf, diiss aber dann diese Frage minder auf den
Willen des Schülers, wie weit er eben seine geistige Entwickelung zu
bringen geneigt ist, oder auf das Gebot des Gesetzes, wie weit er sie
nothwendig gebracht haben muss , basirt wird, sondern sich viel-
mehr darauf stützt, wie weit sich seine Naturgaben ausbilden lassen.
Gesetzt nun, das Zeugniss des dritten Grades bestimmte die Stufe der
Reife, welche auch der nur mittelmässig befähigte Kopf erreicht haben
muss und nach den gegenwärtigen Gymnasialeinrichtungcn auch nur
erstreben kann ; so scheint die Schule ihrer Pflicht nicht zu genügen,
wenn sie auch den mehr befähigten nur mit diesem Zeugnisse abgehen
lässt. So wie sie nämlich den beschränkten Kopf nöthigt, bis zu der für ihn
möglichen Keife zu kommen, eben so soll sie es auch bei dem befähig-
teren thun, um so mehr, da Liebe und Eifer für die Wissenschaften
in der Seele des Schülers nur dann erst recht erwachen, wenn er gei-
stig bis zur" selbstständigen Betreibung derselben gekräftigt ist , und da
die Schule ihren Zöglingen wo möglich nicht blos das Vermögen , die
Universitätswisscnschaftcn erlernen zu können, sondern auch Lust und
Eifer für wissenschaftliches Leben auf die Universität mitgeben soll.
Sie wird also bei den an geistigen Anlagen reicheren Schülern auch
einen höheren Grad der Ausbildung fordern müssen , und als Erzie-
hungsanstalt es nicht blos dem AVillen derselben überlassen dürfen, ob
sie diesen Grad erstreben wollen, oder nicht. Weil sie aber bei der
Entwickelung der geistigen Kräfte immer in einem gewissen Stufen-
gunge geht, und bei einem für Prima angesetzten zweijährigen Lehr-
240 Schul- u. Univcrsitätßnachrr.,Befördcrr. u. Ehrenbezeigungen.
Cutsud iutfürüob auch auf jedes Halbjahr eine andere Richtung der gei-
stigen Kntwickelting, d. h. die vorherrschende Bethätigung der oder
jener Kraft ^ verlegt hat; so ist es keineswegs gleichgültig, oh der
Schüler , auch wenn er vermöge seiner geistigen Regsamkeit schneller
fortschreitet, den vorgeschriebenen Classencursus vollendet hat oder
nicht. Was nun die Form der in den sächsischen Gymnasien crtheiltea
Maturitätszeugnisse anlangt, so wird in denselben nicht detail tirt nach-
gewiesen, wie weit der Schüler es in den einzelnen Wi-senschafteii,
die Gegenstand des Gymnasialunterriehts sind, gebracht hat; sondern
es wird nur der allgemeine Grad der erlangten geistigen Gcsammttüch-
ligkeit durch die obenerwähnten Censurgrade ausgedrückt. Nur herrscht
an mehreren Gymnasien die Sitte, dass sie die drei Censurgrade nicht
blos durch die Formeln satis , omnino und inprimis dignus , sondern
auch durch die Zahlen III. II. u. I. bezeichnen, und dann noch durch
ein hinzugesetztes a und b abstufen. Bei dem Sittenzcugniss sind die
Bestimmungsformeln nun quam , rare- und saepius reprehensns, und es
wird also nach der bei den deutschen Gymnasien ziemlich allgemeinen
Sitte dem Schüler nur bezeugt, wie weit er den Gesetzen der Schule
Folge geleistet hat. vgl. NJbb. XXVI, 407 f. [J.]
Schleiz. Durch den grossen Brand , welcher am 3. Juli 1837
die Stadt verheerte, waren auch sämmtliche Schulgebäude sammt dem
grössten Theile des Lehrapparats und der Schulbibliothck zu Grunde
gegangen, und die Bürgerschule musste in der entfernt liegenden Ni-
colaikirche, die Töchterschule in einem Gewächshause des fürstlichen
Gartens, die Gelehrtcnschule in einigen gemietheten Zimmern der
Ileinrichsstadt untergebracht werden. Indess hat die Fürsorge des
Fürsten und der gute Sinn der Bürgerschaft doch schnell für den Wie-
deraufbau neuer Schulgebäude gesorgt, und am 3. Decembcr 1838
wurde das neue Gymnasialgebäude feierlich eingeweiht, welches für
alle Classen des Rutheneums, für die erste Classe der Bürgerschule,
die zugleich Progymnasialclasse ist, und für die Wohnung des Bcctors
Raum bietet. In der Einladungsschrtft zu dieser Einweihung [20 S.
gr. 8.J hat der Rector Heinr. Albcrli eine kurze Geschichte der Schleizer
Schulanstalten seit dem Brande am 3. Juli 1837, und ein Frerzeichniss der
[nicht unbeträchtlichen] Unterstützungen, welche seit dem Brande den
Schulen zu Theil geworden sind, herausgegeben.
Wien. Der bisherige Custos der vereinigten Naturalicncabänete
St. Endlicher is4, zum Professor der Botanik bei der Universität ernannt
Morden.
Inhalt
von des achtundzwanzigsten Bandes zweitem Hefte.
inne: Lateinische Schulgrammatik.
schaff: Lateinische Schulgrammatik.
rchard: Lateinische Schulgrammatik.
gge: Vorschule zum latein. Sprachun- 1 Vom Oberlehrer Teipel
terricht, herausgegeben von Geist. \ am Gymnasium in
idwig: Vorschule zu einer wissenschaftl. f
Auffassung der latein. Sprache.
gust : Prakt. Anleitung zum Uebersetzen
aus dem Deutschen ins Latein.
tsobi: Handwörterbuch der griech. und röm. Mythologie. — Vom
Prof. Heffter am Gymnasium in Brandenburg. . . . - 162—168
\rmeister: De fabula, quae de Niobe eiusque liberis agit. — Von
Demselben - 168 — 175
ti Livii über tricesimus tertius, edidit Kreyssig. — Vom Professor
Weissenborn am Gymnasium in Eisenach - 175 — 212
biographische Berichte und Miscellen, . . . . • - 212 — 219
)desfälle - 219—220
hui- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und Ehrenbezei-
gungen. . . . "~ - 220 — 240
Joannis Alex, de usu Astrolabii libellus, edidit Hase. . - 212
Hoch: De Ennianorum Annalium fragmentis. . . - 213
Forchhammer: Ueber das Tullianum und den Carcer Ma-
mertinus . - 213
Massmann: Armin, Fürst der Cherusker. . . . - 213 — 214
Massmann: Arminius Cheruscorum dux. . . . - 21i — 215
Friedemann: Bibliotheca scriptorum ac poetar. Latin.
recentioris aetatis - 216 — 218
Friedr. Wilh. Klumpp. Eine Selbstbiographie. . . - 218 — 219
FjcfcZer:DeTheseopopularisAtheniensiumimperii auetore. - 224
Bockelmann : Zur Erklärung u. Beurtheilung von Bürgers
Lenore - 225-226
IVilhelmi: Von den Tropen - 226
Universitätsprogrämme in Helsingfors - 226—227
Vollenhoven : Disputatio de emendatione aliq. locor. Cicer.
pro Caelio - 227
Universitätsschriften in München - 227 — 228
Spengel: Specialen Commentariorum in Aristot. libb. de
arte rhetor - 228 — 229
Sverdsjö : Einige Verbesserungsvorschläge zum Texte der
Sophokl. Tragödien - 236—237
Alberti: Kurze Geschichte der Schleizer Schulanstalten. - 240
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner,
18 4 0.
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IVeiie
JAHRBÜCHER
für
Philologie und Paedagogik,
oder
Kritische BibMothete
für das
Schul- und Unterrichts wesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
herausgegeben
von
Dr. Gottfried Seehode,
M. JTohann Christian Jahn
und
Prof. Meinhold Klotz.
ZEHNTER JAHRGANG.
Acht und zwanzigster Band. Drittes Heft.
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
184Q.
Kritische ßeurtheilungen.
1. Q. Hör atius Fl accus. Reconsuit Jo.Casp. Orellius. Addita
est varietas lectionis codd. Bernensium III., Sangallensis et Turi-
ccnsis ac faniiliaris interpretatio. Vol. Secunduni. Turici sumpti-
1)U8 Orellii , Fueslini et sociorum. Londini, apud Black et Arm-
strong. MDCCCXXXVIII. VIII. u. 6G4 S. 8.
2. Quinti Horatii Flacci Opera cum varioruro notis,
quibus suas adspersit J. P. Charpentier , in Academia Parisiensi
Rhetoricae Professor. Vol. Secunduni. Parisiia excudit C. L. F.
Panckoucke, Eques legioni honoris adscriptus. MDCCCXXXVI.
(innerer Titel) 291 S. gr. 8.
3. Q. Horatii Flacci Opera omnia ex recensione Guili-
. elmi Braunhardi. Sect. IV7. Fasciculus secundus lndicem Nominum
Propriorum continens. Lipsiae prostat in libraria Guilielmi Nauckii.
MDCCCXXXVIII. [247 S.S.]
4. Quinti Horatii Flacci Opera omnia ad öptimorotn
librortim fidein edita. Lipsiae sumptus fecit Georgius Wigand.
345 S. kl. 8.
5. J. S. Sirodtmann: Probe einer neuen Ueber s etzu?ig
des Hör az nebst einer biographischen Skizze des Dichters.
Flensburger Schulprogramru 1839. 37 (22) S. 4.
JLFer thätige Herausgeber von Nr. 1 hat nach einem Jahre
diesen zweiten Band auf den ersten folgen lassen ; und was wir
bei Bearbeitung der lyrischen Gedichte rühmend anerkannten,
das selbstständige Urtheil in Sachen der Kritik und die glückliche
Auswahl bei der vorhandnen Menge der Erklärungen, die leichte
und gewandte Sprache (s. JNJbb. 1838. XXIII. 4. S. 371 ff.), das
finden wir auch in diesem Bande gleicher Weise vereint , ja wir
möchten demselben in mancherlei Betracht selbst einen Vorzug
vor dem erstem einräumen. Da es in dem Plane des Herausge-
bers lag, den Dichter in einer „faniiliaris interpretatio u vorzu-
führen, so musete von selbst auf ein allseitiges Eindringen Ver-
16*
244 II ii mische Literatur.
zieht geleistet werden. Indess ist auch das allen Dankes werth,
was in jener Weise gegeben worden ist. Wenn wir auf die Un-
genauigkeit in Benutzung des Cod. Turicensis (T), von dem wir
eine genaue Collation besitzen , hindeuten mussteu, so erstreckt
sich dieselbe leider auch auf den Codex B. , wie Hr. Ferdinand
Hauthai in diesen Jahrbüchern (1838. XXIII. 3. S. 338 ff.) dar-
gethan hat. Sonst aber müssen wir überall den Fleiss anerken-
nen, mit welchem Hr. Prof. Orelli alte und neue Commentare
durchgelesen und in seinen Nutzen verwendet hat. Nur wünsch-
ten wir, wie in dem ersten Bande, auch in diesem Nr. IV. mit
den Conjecturen der Kritiker reichlicher ausgestattet; auch
konnte in den Satiren Kirchner s Lesung überall zu Nr. II. gefügt
werden. Warum so wenig oder gar nicht auf Jahns Becension,
die den meisten neuern Ausgaben zur Grundlage dient und besser
basirt scheint als die Fetische, Bücksiebt genommen worden,
darüber findet sich weder eine Erklärung, noch eine Andeutung.
Wenn der Hr. Herausgeber in die Praefatio den Conjecturen oder
Erörterungen einzelner Stellen, die andere Gelehrte vorgebracht
haben, jetzt beipflichtet, als zu Od. 3, 29, 7. major an illa, nach
Peerlkamp und Haupt, Sat. 1, 6, 13. pulsus fugit, nach Mad-
tvig ; so kann auch Bef. sich damit in Uebereinstimmung erklären,
weniger mit C. F. Hermann 's Ansicht, welcher in seiner Disser-
tatio de loco Horatii Serm. 1, 6, 74 — 76. Marburg bei Elwert
die Verse: Noluit in Flavi ludum nie mittere, magni Quo pueri
— Laevo suspensi loculos tabulamque lacerto, Ibant octonis refe-
rentes Idibus aera etc. einer gelehrten Untersuchung unterworfen,
welche Orelli's , so wie Sauppe's Beistimmung erbalten hat. Je-
ner Gelehrte sucht aus Martial. Epigr. 10, 62. dai zuthun , dass
das römische Schuljahr aus 8 Monaten bestanden habe, so dass die
Sommert'erien vom Juli an bis zu den Iden des Octobers sich er-
streckt hätten. „ Sic omnia , " fährt derselbe fort, recte proce-
dunt: octonae idus sunt eorum mensium, qui singulis annis
scholis habendis destinabantur , his autem singulos asses, notam
etiam aliunde didactri summam (Juvenal. 10, 117: Quisquis ad-
huc uno pai tain colit asse Minervam:) Flavius a diseipulis suis
pro mercede aeeepit" cet. Hiergegen macht Orelli nur die Aus-
stellung, dass der monatliche Betrag eines As ein allzuniedriger
Ansatz für die armen Schulmeister sei, „igitur aera" cet. setzt
er hinzu „ explieaverim : semper Idibus Octobribus, quae octo-
nae sunt anni , quem nos diciraus , scholastici et apud Bomanos et
apud horum temporum Italos, pueri magistris didactri nomine
solvebant non singulos asses , sed eam vel majorem vel minorem
peeuniae summam, de qua inter hos illorumque parentes tuto-
resve convenerat, antequam ad magistros mitterentur. " Allein
gegen diese Ansicht, mit dem October das Schulgeld zu zahlen,
spricht offenbar das Zeugniss eines Macrobius in d. Saturn. 1, 12.
p. 264: Hoc mense (m. Martio) mercedes evsolvebant magistris.
Horatiana. 245
Doch dies Alles zugegeben, was gewinnen vir für den Dichter?
Nichts anders als: „Die Söhne der grossmächtigen Centurionen
werden in des Flavius Schule geschickt, um — das jährliche
Schulgeld zu bezahlen.''* Wollte der Dichter vielleicht damit sa-
gen: die Knaben hätten das Schulgeld bezahlt, ohne dafür etwas
zu lernen '} Aber dies lag nicht in dem Gange seiner Darstellung,
auch würde er die Pointe nicht so versteckt haben. Fürwahr,
diese Erklärung, wie man sich auch drehen und wenden mag,
bürdet dem Dichter eine Absurdität auf, welche bereits Wie-
land, Heindorf und zuerst, so viel Ref. weiss, Lambinus und
Cniqnius zurückwiesen. Unsers Erachtens konnte jeder römi-
» sehe Leser nach Erwähnung des Rechenapparates V. 74 sich das
Rild vollends ausmalen, dass der neckende Ausdruck: aera re-
i'erentes auf ein Rechenexempel und zwar der allbekannten Pro-
cente (octonis Octobribus) hinauslaufe. Wie verhasst unserm
Dichter dieses realistische Erziehungsprincip war, haben an-
dere aus A. P. 325 — 332. klärlich dargethan. Uebrigens
darf man in Fällen der Art, wo ein Ausdrück gleichsam auf der
Spitze steht , nicht ängstlich genaue Nachweisungen begehren,
wie der Herausgeber in den Worten : neque tarnen — expedive»
runt thut, sonst würden wir wegen referre auf die einfache Er-
klärung Wielands oder auf die gelehrtere, welche Wiss in sei-
nen Quaest. Horat. libellus primus p. 9. giebt, verweisen. Wie
man auch den Ausdruck octonae fasse als die Achttags-Idus nach
der alten Erklärungsweise oder von 8 Monaten mit Theodor
Schmid (s. dessen Ausgabe der Iloraz - Briefe B. 2. S. 303.), so
stand von dem sonst so geschmackvollen Erklärer nicht der Ein-
wand zu erwarten : neque animadverterunt , tale exemplum fene-
bre, si vel bis terve a ludi magistro proponi poterat, non tarnen
ejusmodi esse, ut omnem ratiocinandi artem siguificare possit.
Wie, reicht nicht dies eine Beispiel hin, um die verwünschte
aerugo animi zu bezeichnen *? Und gilt nicht auch hier das Sprüch-
wort: ex ungue leonem? Uebrigens stimmt auch der französische
Erklärer (Nr. 2.) mit Orelli zusammen. Eine andere von unserm
Herausgeber anders gefasste Stelle ist Sat. 2, 2, 29. 30. Carne
tarnen , quamvis distat nil , hac magis illa , Imparibus formis de-
ceptum te patet. Esto! Hier wird mit den Codd. b S. Warn, für
palet petere nach den Codd. S b c und einigen des Torrentius ge-
schrieben, so dass der ganze Satz von esto abhängt, wie Ep. 1,
1, 81. Esto aliis alios rebus studiisque teneri. Zu jenen Aucto-
ritäten fügen wir noch die des Cod. Dorvillianus 1., welcher für
patet peterel giebt. Der Sinn sei also dieser: „Quamvis quod
ad caruem attinet parvo nihil distat a gallina , tarnen esto (hoc tibi
condono ; , te externa pavonis pulchritudine deeeptum magis pe-
tere h.ijus carnem quam gallinae; sed illud profecto stultissimuiu
est , si distinguere vis lupos ejusdem prorsus formae et coloris ex
diversis tanturn locis , ubi capti sunt. u Was auch der Herausg.
über die Pronomina hac illam sagen mag, dass hac auf V. 24,
246 Römische Literatur.
illam auf V. 23 sich beziehe ; der Sprachgebrauch verlangt in diesem
Falle hanc, nicht illam. wie bereits Benlley richtig gegen den Tor-
rentius bemerkte. Auch halten wir Bentley's richtig verstandnen
Ausspruch: Sed quod hanc emendationem funditus evertit, illud
est; quod Esto — semper orationem inchoet ; nunquam, ut hie,
claudat, nach den Beispielen, welche Lambin zu Ep. 1, 16, 56.
über diese Formel giebt, für wohlbegründet. Und selbst dies
zugegeben , wofür Sat. 2, 3, 65. und Juv. 6, 221. zu sprechen
scheinen, die ganze Gedankenreihe verlangt ein starkes Wort,
wie patet, an welches sich esto natürlich anschliesst, um anzu-
deuten , dass man die Sache auf sich beruhen Lassen wolle , um
zu einer noch sonderbarem überzugehen. Hierzu kommt, dass
patet auch anderwärts in petere verschrieben wurde, wie Draken-
borch zu Liv. 7, 30, 11. zeigt. Aus diesem Schreibfebler erklärt
sich zugleich die Variante illam. Porphyrions Zeugniss, das
der Herausgeber für sich anführt, dürfte eben so wenig von Ge-
wicht sein, da dieser die Stelle nur dem Sinne nach fassen
mochte. Ausserdem würde Acrons Auctorität, der patet las,
demselben die Waage halten. Kurz, diese Lesart hat eben so
viele Inconvenienzen , ja vielleicht noch mehrere, als die Vulgate,
welche durch Gesnefs und Kirchner 's Erklärung am leichtesten
sich lösen lässt, sobald man sich überzeugt hat, dass zuweilen
ein Satzglied nicht auf das zunächst vorhergehende , sondern auf
ein früheres bezogen wird, wie Od. 1, 1, 7. [welche Stelle be-
reits Kirchner anführt] hunc si mobilium — nämlich juvat aus V.
4., obgleich evehit V. 6. dazwischen getreten ist. Eben so Od.
1, 16, 3 — 7. Non Dindymene — quatit Mentem sacerdotum —
aeque, Tristes ut irae, wo dazwischen non acuta Sic geminant
etc. eingeschoben worden. Bentley, der diesen Gebrauch ver-
kannte, emendirte an beiden Stellen. Hier hat dasselbe Schicksal
die wunderlichsten Erklärungsversuche in alter und neuer Zeit ins
Dasein gerufen. Man ergänze vesceris aus dem vorhergehenden
Verse , und Alles tritt in sein gehöriges Ebenmaass ein. Dies
fühlte auch Görlitz in den Emendatt. Horat. p. 7., aber er wollte
lieber den Vers streichen, als gegen ein grammatisches Gesetz
sündigen. Der französische Erklärer [Nr. 2.] hat folgenden Aus-
weg getroffen, der ihm aber zum Glück selbst nicht genügt:
Quamvis illa (gallina vel caro galliuae) nihil (nullo modo, in
nulla re) distat ab hoc (pro quo dixit, magishac, quasi dixisset
ante, praefertur, melior est), tarnen (quum tu pavoninam desi-
deres potius) patet te esse deeeptum imparibus formis, neque
ipsam rem speetare. Si tarnen nolis illud magis ita intelligere,
quod sane pauilo est durius, accedas anonymo critico , qui nuper
magis (ficcyiq) cepit pro lance (le plat) , sicut est apud Plinium et
?nagida apud Varronem. Hoc modo nitidior exit elocutio. Hier
möge zugleich eine Bemerkung über Esto Platz finden. Referent
hatte zu Ep. 1, 1, 81. dasselbe eine formulam transeundi ad alia
Iloratiana. 24?
genannt, um der falschen Ansicht vorzubeugen, welche durch
die gewöhnliche Benennung: formula concedentis, veranlasst
wird, hatte aber nicht unterlassen, den Gedanken selbst näher
zu entwickeln , welcher an dieser Stelle durch jenes Wort be-
dingt wird. Dagegen sagt nun der Hr. Herausgeber: ,,Esteon~
cedeniis praecedentia, sed cum quadam tarnen correctione, quae
in sequentibns exponitur; nentiquara vero simplex ad alia transe-
undi formula*' etc. Vielleicht sind wir beide der Sache nach
einverstanden. Nur mag Ref. den Hauptbegriff nicht in : „ etwas
einräumen , woran man gezweifelt oder was man bestritten
hätte,*4 setzen, sondern vielmehr in die Versicherung dessen,
dass , wenn etwas zugegeben würde , nichts daraus zu folgern sei,
so dass die Formel fast dem licet; sit, ut übet; oder dem Grie-
chischen üsv entspricht. Hecht gut hat es Hr. Or. Ep. 1, 17,
37. durch „ meinet tvegen *' übersetzt. Welche Gedankenschatti-
rung auch damit bezeichnet werde, im Allgemeinen schliesst die
Formel einen Gedanken ab , um auf etwas Anderes zu kommen,
wo wir zuweilen sagen dürften: „ich will nicht weiter davon re-
den" oder auch: „mag die Sache dahin gestellt sein." ,Vgh
Klotz zu Cic. Tusc. 1, 43. Stallbaum zu Plat. de Republ. 1, 15.
p. 49. und Wunder zu Soph. Oed. Col. 1303. So gewählt und
fein auch die Erklärungen des Hrn. Herausgebers sind , so kann
es doch nicht fehlen, dass dieselben hier und da Widerspruch
erfahren w erden; z. B. Sat. 1, 3, 8. wo summa voce mit Gesner
durch gravissima erklärt wird. S. dagegen Jahn. Charpentier
folgt dem Scholiasten des Cruqnius. Sat. 1, 5, 15. ist der viator
wolil nicht „der neben dem Kahne hergehende Maulthiertrei-
ber, wie auch Heindorf meinte, sondern ein auf der Barke sich
befindender Reisender; s. Becker zum Gallus I. p. 257. Am
Ende dieser Satire wird eine tabula itineris Brundusini mitge-
theilt, gewiss zum Danke Vieler. Indess finden sich auch hier
und bei Becker p. 255 If. in Absicht der Ortsentfernungen einige
Differenzen. Dankenswert!» sind auch die beiden Excurse zu Sat.
1, 10, 1 sqq. und 66.; zu 2, 3, 36. 2, 8, 20 sqq. ; zu Ep. 1, 1. p.
322. , desgleichen zur A. P. p. 655 — 660. über fünf verschiedene
Gegenstände. Ob Sat. 2, 3, 229. bei fartor an einen Wursthänd-
ler zu denken sei, möchte grossem Zweifel unterliegen, da das
Wort eher auf einen Gefiügclhändler hindeutet. S. Beyer zu
Cic. de Offic. I. p. 297. und Becker zum Gallus II. p. 190. Auch
können wir nicht Sat. 1, 6, 1 10. Hoc ego commodius quam tu —
Milibus atque aliis vivo, in die Erklärung: ,, sed in sexcentis
aliis rebus"- einstimmen, da Milia alia als ein hyperbolischer Aus-
druck alle die bezeichnet, welche der Dichter, der nicht nach
Höherem strebt und streben will, in seiner zwanglosen , durch
keine Etiquettc beschränkten Lebensweise übertrifft. Das Hoc
bezieht sich demnach nicht allein auf das Reisen, wie der Hr. Her-
ausgeber erklärt, sondern auf das Horazens Staude entsprechende
248 Römische Literatur.
freieLeben überhaupt, das keinen Vorwurf eines unanständigen Be-
nehmens zu fürchten habe, wenn es auf Reisen sich einschränke
oder ohne Sclavenbegleitung und sonstiges Gefolge auf dem
römischen Forum sich nach dem Preise der Lebensmittel erkun-
dige und dergleichen. Der Vorwurf: Sed incencinna videtur du-
plicis comparationis compositio findet seine Erledigung durch den
Constructionswechsel Sat. 1, 6, 24. Aut ob avaritiam aut misera
ambitionc laborat, welchen der Herausgeber daselbst treffend in
Schutz nimmt, sowie Ep. 2, 1, 31. Nil intra est oleam , nil ex-
tra est in nuce duri. Andere Stellen dieser Art sammelte der
Ref. in Seebode's Archiv 1825. S. 374. Vgl. Schmid in Alldem.
Schulz. 1828. S. 1208. Wopkens Lectt. Tüll. p. 226. ed. Hand,
und Ruperti zum Tacit. IV. p. 810. Uebrigens stimmt auch
Charpentier mit dem deutschen Herausgeber in den 3 genannten
Stellen zusammen , indem er in Absicht der erstem sagt : Milli-
bus atque aliis. Refer ad hoc praecedens: hac in re et in mille
aliis. Die seit Bentley's Zeit fast aus den Ausgaben verschwun-
dene Vulgate in Sat. 1, 6, 24. fand auch einen wackern Verthei-
diger an Haacke im Stendaler Schulprogramm 1838 : Quaestio-
num Horatianarum Part. 1. p. 13. — In derselben Satire wird V.
86. vom Vater des Horaz gesagt, dass er coactor zu Venusia ge-
wesen und aus solcher ein kleines Vermögen zur Bestreitung
seiner Subsistenz in Rom sich erworben haben möge. Sollte aber
die Weltstadt Rom nicht günstiger für derlei Amt als der kleine
Ort Venusia gewesen sein'? Dieser von uns gegen C. Passow in
Schutz genommenen Meinung (Zeitschr. f. d. Alterthumsw. 1834.
S. 912) tritt auch der Verf. von Nr. 5. , Hr. Subrector Strodt-
mann, (S. IX) bei. Nach den neuesten, vielfach angeregten
Untersuchungen über das Verhältniss Tibur' s zu dem Sabinischen
Landgute ist es allerdings auffallend , Hrn. Orelli zu der nicht
ohne Glück bestrittenen Meinung Massons zurückkehren zu
sehen. Zu Ep. 1, 8, 12. Romae Tibur amem ventosus , Tibure
Romam giebt er die Erklärung: Tibure „in Sabino meo prope
Tibur, " verweisend auf Catull. 44, 1 : O funde noster, seu Sa-
bine seu Tiburs; et cf. Sat. 2, 7, 28. Dieselbe Ansicht wird Od.
4, 2, 30 ; 3, 10. ausgesprochen. Wohl konnte Catull wegen der
Nähe seines Landgutes bei Tibur zweifelhaft sein , ob er dasselbe
Tibur oder dem Sabinerlande zuzählen sollte, aber bei der Ilora-
zischeu Villa war es anders. Diese lag nach Capmariin de Chaupy
(De'couverte de la maison etc. III. p. 1.) 14 Millien von Tibur und
5 dergleichen von Varia. Vgl. auch Gernings Reise durch
Oesterreich und Italien III. S. 178. Und obwohl Sichler (bei
Braunhard Nr. 3. p. 204.) behauptet, dass der Dichter den Weg
von Tibur bis zu seinem Sabinum sehr gut in vier Stunden Zeit
über Varia zurücklegen konnte: so widerspricht doch der Identi-
tät jener beiden Benennungen Od. 3, 4, 21 — 24: Vester in ar-
duos tollor Sabinos, seu mihi frigidum Praeneste, seu Tibur eu-
Horatiana. 249
pinum , seu liquidae plädiere Bajae. Eben so wenig können des
Biographen (Suetonius) Worte für jene Behauptung angeführt
werden: Vixit plurimum in secessu iuris sui Sabini mit Tiburtini,
da die Partikel aut auf einen Wechsel des Aufenthalts hindeutet
und die Benennung ruris, welche eigentlich nur dem Zusätze Sa-
bini zukommt , ungenau auch auf Tiburtini übergetragen worden
ist, worunter vielleicht nur domus ejus bezeichnet werden seilte;
s. unsre Bemerkung in Zimmerm. Zeitschr. a. a- O. 920 ff Vgl.
Carl Passow in : Des Qu. H. FL Leben und Zeitalter. Nr. 235. Mit
grosser Umsicht hat Strodtmann p. XXI — XXV. die desfallsigen
Meinungen zusammengestellt, geprüft und das Resultat gewon-
nen, dass das Horazische Haus zu Tibur nicht ein ihm angehö-
render Hausbesitz, wie Fea glaubt, sondern nur eine Einkehr
(deversorium) oder ein Miethlogis (habitatio) gewesen sei, wel-
ches wahrscheinlich, wie es zu geschehen pflegt, für die spä-
tem Besitzer und deren Zeitgenossen eben dadurch, dass der
Venusinische Dichter dort oft verweilt hatte, mehr Werth erhal-
ten habe und so allmälig grösser und herrlicher auf - und an-
gebaut worden sei, als es bei Lebzeiten des Dichters selbst ge-
wesen war. Mit Recht scheint demselben Gelehrten der Um-
stand allein, dass die im Garten des Klosters St. Antonio bei
Tivoli, am rechten Ufer der Teverone befindlichen, von den
Trümmern der Mäcenatischen Villa entfernten Ruinen, welche
einer „ uralten Tradition zufolge " Ueberreste von Horaz
Hause darstellen, einen zu grossen und prachtvollen Bau ver-
muthen lassen, als das Horazische Haus gewesen sein wird, nicht
hinreichend zu sein , um mit Fea p. XL1II. die ehrwürdige Sache
zu verdächtigen, wenn nur sonst die Lage mit den Horazischen
Aussprüchen übereinstimmt, wie Sichler in der Erklärung zu den
„30 Bildern zu Horazens Werken , " Carlsruhe 1829 S. 9 ver-
sichert. Zudem lässt sich, wie Strodtmann ferner bemerkt, ge-
gen jenen Einwurf der ehemaligen Grösse und Pracht der Um-
stand geltend machen, dass ja jenes Haus nicht des Dichters Ei-
genthura gewesen sei , und bei der Annahme, dass Horaz nur ei-
nige Zimmer darin gemiethet hätte , selbst damals gross gewesen
sein könnte. Wenn wir diese Erörterung hier einschalten zu
müssen glaubten , so geschah dies nicht zu dem Ende , um Hrn.
Orelli zu belehren, sondern um bei dieser Gelegenheit auf
Strodlmanns beachtenswerthe Untersuchung die Leser aufmerk-
sam zu machen.
Zu Ep. 1, 18, 5 — 7. beschreibt Orelli in gedrängter Kürze
Horazens Sabinische Villa; und mit Recht scheint er uns V. 12,
Föns etiam rivo dare nomen idoneus, vor der herkömmlichen Mei-
nung zu warnen, als sei mit diesen Worten die fons Bandusiae ge-
meint, auf 3, 13, 1. der Oden [denn so ist zu schreiben, nicht
3, 4, 14., was ein Druckfehler zu sein scheint] verweisend , indess
dürfte die Erklärung von dare idoneus, ixavos öorivea, id est,
250 M i; in i & i; h c L 5 1 e r a t u r ..
adeo aqua abundans, ut et fonti et rivo, qui ex eo profluit, pro-
prium Digentiae nomen indituni sit, cum minores rivi proprio no-
mine earere soleant, noch eine andere Fassung zulassen, wie
dieselbe Strodtmann p. XXVIII. giebt: „idoneus, qui det, qni
dare possit, d. h. dieser Quell iliesst so wasserreich, dass er
selbst (nicht etwa ein anderer, der bei den Sabinern dafür gelten
mochte) verdiente, für den Ursprung oder Hauptqueli der Di-
gentia angesehen zu werden." Wie dem auch sei, da die Ban-
dusia nach urkundlichen Zeugnissen 6 Miglien von Venusia, IIo-
razcns Heimathsiande, sich findet, so vermuthete Kirchner
(Quaest. Ilor. p. 10.) sehr scharfsinnig, dass Horaz auf der Rück-
kehr von der Brundisischen Reise (Sat. 1, 5.) seine Geburtsstadt
und die Plätze seiner Jugend wieder besucht und hier an der Ve-
'inisinischen Bandusia verweilend 717. u. c. Varr. das liebliche
Gedicht verfasst habe. Orelli , welcher ebenfalls dem Zeugnisse
der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren lässt, zieht jedoch jene
gefällige Hypothese durch den, wie es scheint, nicht ganz un-
triittigen Umstand in Zweifel, nach welchem es unerklärlich
bleibt, wie diese im Jahre 717 geschriebene Ode erst iii das
«Tritte Buch der Carmina, welches meist Gedichte von den Jahren
72G — 736 enthalte, gekommen sei. Er hält demnach jenes Ge-
dicht für reine Fiction und glaubt, der Dichter habe durch die
Erinnerung an seine Jugendzeit geleitet der besungenen Quelle
den Namen der ihm längst bekannten Bandusia gegeben; doch
verwirft er auch die Meinung nicht gänzlich, welche an ein wirk-
liches Opfer glaubt, welches der Dichter jener Quelle darzu-
bringen beabsichtigt habe. Gegen die reine Fiction, welcher
Orelli auch anderwärts, z. B. in den erotischen Oden, Vieles zu-
schreibt, dürfte der Erfahrungssatz sprechen, dass Horazens
Gedichte meist auf einem reellen Grunde ruhen , wonach jedes
seiner Gedichte als ein Gelegenheitsgedicht erscheint, was, rich-
tig verstanden, Goethe von jeglichem Gedichte überhaupt ver-
langt. Vergl. Vanderbourg zu Od. 3, 1. p. 6. und Lübker's Pro-
gramm v. J. 1837. S. 10. Auch Strodtmann bestreitet p. XXVI.
tlie 7i.ii ebner" sehe Ansicht mit drei Gründen, von denen der oben
genannte dem lief., selbst bei der nothwendigen Annahme von
dner Gcsammtausgabe der drei Bücher Carmina, immer noch
der trifftigste zu sein scheint; denn die beiden andern, dass 1)
ioh einer Perlustration seiner (des Dichters) Jugendplätze keine
Andeutung sich vorfinde, und dass 2) Horaz der Quelle zum
Opfer ausser Blumen und Wein auch einen jungen Bock verheisse,
\velcher Umstand auf eine Situation hindeute, wie sie nur auf
seinem Grundbesitze höchst passend erscheine, dürfte Kirch-
ner*» geistreiche Dialektik noch weit leichter beseitigen können.
Demnach pflichtet Str. der Meinung bei, dass Horaz eine der
Quellen des Sabinerthales nach jener, ihm von dem Knabenalter
her bekannten Venusinischeu Bandusia genannt habe. Indes»
Iloratiana. 251
wünscht derselbe der andern Lesart Blandusia eine grössere
Sorgfalt zugewandt zu sehen, als es bisher der Fall gewesen ist;
denn, wenn sich erweisen lasse, dass jene heutige Bandusia (bei
Venöse) kein fons bellus atque elegans sei, so dass sie (wie jetzt
die Sabinische) als „Fönte bello" damals einen gewissen Ruf nicht
gehabt haben könne: so hätte der Dichter ebenso wohl selbst die,
wenn auch nicht ihm, so doch seinen Freunden und überhaupt
den Bewohnern der Hauptstadt minder bekannte Benennung Ban-
dusia auf seinem Sabinum in Blandusia umwandeln können , „ut
romen propius ad latinum sermonein accedere et blandius esse
irideretur" (wie Jaui mit Bentley von den Abschreibern behaup-
tet) , gleichwie er für den entgegengesetzten Zweck die Gratidia
stets in eine Canidia umbilde. Ref. ist der Meinung, dass die
Autorität der Handschriften entschieden für die Form Bandusia
spreche und von der historisch -urkundlichen Schreibung abzuge-
hen kein Grund uns nöthige. Ob aber der Dichter wirklich die
Quelle bei Venusia besungen oder eine in seinem Sabinerthale
nach jener genannt habe, wird stets ein Problem der histori-
schen Kritik bleiben. Da aber der Name der erstem durch ur-
kundliche Zeugnisse ermittelt ist: so bleibt nur die Vorausse-
tzung timvaki r scheinlich , dass zwei Quellen, die eine im südli-
chen, die andere in Mittel- Italien , denselben Namen geführt
haben sollen, falls nicht die eine oder die andere Vermuthung
geltend gemacht wird. Für die letztere hat sich nach dem Vor-
gange Dunlops und Tales auch Zumpt in den Berliner Jahrbü-
chern (1833. S. 662.) ausgesprochen. Zu dieser Stelle fügen wir
sogleich Ep. 2, 2, 51. paupertas impulit audax, Ut versus face-
rem, wo die Erklärung OrelWs: Ironica hyperbola usus dixit se
primis suis versibus (satiris et epodis) Omnibus demonstrare vo-
luisse, maius sibi ingeniura esse, quam ut in scriptore quaestorio,
quem compararat, consenesceret etc., einen rüstigen Gegner an
Hrn. Strodtmann (p. XIV sqq.) gefunden hat. Derselbe behaup-
tet nämlich, dass die Worte paupertas audax nur dann erst in das
gehörige Licht zu dem vorher gebrauchten Beispiele des Luculli-
schen Kriegers treten, wenn man die sinnreiche Erklärung Kirch-
nefs Quaest. Hör. p. 17. adoptire. „Sowie nämlich der Luculli-
sche Krieger erst nach Verlust seines Geldes und Gutes und im
Ingrimm darüber zu verwegnen Thatcn angereizt wurde, so trieb
auch unsern Dichter nach Verlust des Vermögens seine bedrängte,
verzweiflungsvolle Lage oder „die verwegene Armuthu an, Verse
zu machen, nicht um sich Unterhalt oder Ruhm und Gönner zu
erwerben, dessen Gelingen höchst problematisch \>ar, sondern
um seinem verhaltenen Grimm ohne Schonung der gegeisselten
Personen Luft zu machen, und daher Maren sie nothwendig sati-
rischer und epodischer Natur. Nun aber, nachdem er für sein
verlornes Gut in seinem Sabinum einen Ersatz bekommen hatte,
der ihn völlig befriedigte, zieht er das noch jetzt süsse Glück
- 252 U ö in i s c li e L i t e r a t u f.
des Italieners, il dolce no» far niente, dem Zustande vor, wo er
sich in Versen die Galle überlaufen Hess." Ref. mag keineswegs
das Sinnreiche dieser Erklärung in Abrede stellen, aber eben so
wenig kann er dieselbe für dringlich erachten, so bald mau den
Zweck des Briefes erwägt und den Vergleichungspunkt jenes Lu-
cullischen Kriegers auf die allgemeinen Umrisse beschränkt. Der
Dichter sucht das Aufgeben der Dichtkunst auf mehrfache Weise
zu motiviren. Zu dem Ende sagt er: ,, einst war es nöthig, Verse
zu machen, um mich aus meiner ärmlichen Lage emporzu raffen;
jetzt da ich zur Genüge habe, müsste ich nicht klug sein, wollte
ich nicht jenes gefährliche, d. h. so grosse Anforderung ma-
chende Handwerk aufgeben, ähnlich jenem Lucullischen Solda-
ten, der, so tapfer er auch hei dem Verluste seines Geldes frü-
her sich erwiesen hatte, keinen Fuss mehr zu freiwilliger Ta-
pferheit rührte, seit derselbe sein verlornes Geld und mehr noch
wieder bekommen hatte." Aus diesem Ideengange ergiebt sich
von selbst, dass die paupertas audax genannt werde, weil sie den
Dichter nöthigte, in's Publicum als Dichter zu treten, was er im
Zustande der Behaglichkeit nicht gewagt haben würde. Was
übrigens von dieser mehr scherzhaften Aeusserung zu halten sei,
gehört weniger hierher, mehr jedoch die Bemerkung, dass, wer
den Vergleichungspunkt auf die ausmalenden Nebenumstände
ausdehnt, Gefahr laufe, dem Dichter, welcher überall Digressio-
nen und in denselben scharf begränzte Individualisirung liebt,
fremdartige Gedanken beizulegen. Dass aber den Dichter ein
geieisser Ingrimm über Personen oder unbehagliche Verhältnisse
zu seinen ersten Versuchen in der Dichtkunst getrieben habe,
dieser Gedanke ist der Tendenz des Briefes eher zuwider, als
dass er erheischt würde.- Daher tritt Ref., dem Hr. Str. mit
Recht sein Schweigen über jene Erklärungsweise zum Vorwurf
macht, gern auf die Seite derjenigen Ausleger, welche derselbe
S. XIII. namhaft macht, wenn er auch wünschen möchte, dass
Orelli seine Erklärung in eine bestimmtere Fassung eingekleidet
hätte. — Ep. 2, 2, 184. Praeferat Herodis palmetis pinguibus
erklärt Orelli mit Theodor Schmid von den einträglichen (ferti-
libus) Palmenanpflanzungen bei Jericho. Doch könnte es wohl
sein, dass der Dichter bei dem Beiworte pinguia auf die INatur
der in jenen Pflanzungen sich belindlichen Balsamstauden Rück-
sicht genommen hätte. Zu dieser Vermuthung leitet nicht blos
die bekannte Thatsache, dass Pompejus einen Balsarnbaum zum
Erstaunen der Römer im Triumphzuge aufführte, sondern auch
die von Schmid und Orelli angezogene Stelle des Strabo 16. § 41.
und der von den Auslegern übersehene Josephus in den Antiq.
Jud. 14, 4, 1. ed. Oberth.: atgavoTtsöevöä^svos de enl 'Isqi~
Xovvtcc, ov röv (polvwa. övfißsßqxe neu to ojtoßdlöafiov pv-
qov äxQOzecTOV, o tcöi' ftccyivcov TS{ivo{iiiVov 6t,sl ki&a dva-
Ttidvst, otcös etc. Charpentier verweist auf Justin. 36, 3. und
Horatiana. 253
Dübner's Anmerkimg daselbst. Vergl. auch Joseph. 1. 1. 9, 1, 2.
Plin. II. N. 13, 4. Tac. Hist. 5, 6. und Schulzii Exercitatt. Philol.
Fase. nov. Hag. Comit. 1774. p. 21 — 28. Not. a. In demselben
Briefe wird V. 213. decede peritis von dem Ausscheiden aus dem
Leben gegen Sckmid und Mitscher lieh genommen , wie es dem
Ref. scheint, mit Recht, wie anderwärts diese von den altern
Auslegern versuchte Erklärung mit Mehrerem erhärtet werden soll.
Doch hat der Herausgeber V. 212. die von Bentley aufgenom-
mene Lesart levat, der auch Sehmid folgt, aufzuführen verges-
sen. Noch ist Vieles übrig, was der Ref. nicht aus voller Ueber-
zeugung unterschreiben kann, mehr aber noch, was er zu loben
hätte. Ueberhaupt fühlt sich der Unterzeichnete Hrn. Orelli zu
grossem Danke für die mannigfaltige Belehrung verpflichtet , die
er aus der geschmackvollen Erklärung der Briefe und Satiren ge-
schöpft hat. Wie derselbe überall aus den Commentaren über
andere Schriftsteller das Behufige benutzt habe, geht aus den
Bemerkungen , um nur Einiges zu berühren , z. V. 98. , wo Lo-
beck , zu V. 188., wo Härtung, zu V. 292. d. A. P., wo Her-
mann angeführt wird, genugsam hervor. Ueber anderes, haupt-
sächlich die tiefere Auffassung der Beiwörter, wird künftig" kein
Ausleger JacoUs Quaestiones Epicas. Quedlinb. et Lips. 1839,
übersehen dürfen.
Das Volumen seeundum der Horazausgabe Nr. 2, welches
die Satiren und Episteln enthält — das Vol. primum ist uns noch
nicht zu Gesicht gekommen — gehört zu der von dem Ritter
Panckoucke veranstalteten Nova Scriptorum Latinorum Biblio-
theca. Die äussere x'lusstattung, welche auch an der Orellischen
Ausgabe zu rühmen ist, tritt in der bekannten französischen Ele-
ganz ruhmwürdig hervor. Der Text ist meist nach der Vulgata
gestaltet, hat jedoch hin und wieder Abweichendes, als Sat. 1,
1, 4. gravis armis , Ep. 2, 1, 18. Sed tuus hoc populus etc. u. a.
Die Anmerkungen , welche am Ende des Textes von p. 159. ste-
hen, erläutern nur einzelne, wenn auch nicht immer schwierige
Stellen oft mit den Worten der Schoiien, oft auch mit den der
deutschen Gelehrten. Ueberhaupt hat der Herausgeber eine so
genaue Bekanntschaft mit den letztem an den Tag gelegt, dass
Ref. die Vermuthung wagt, nicht Hr. Prof. Charpentier , sondern
unser gelehrter Landsmann, Hr. Dr. Dübnei\ sei deren Verfasser.
Die Inhaltsanzeigen der einzelnen Stücke sind kurz , treffend und
geben zuweilen Eigenthümliches. Wegen der Zeit der Abfassung
wird öfters auf die Notitia litcraria verwiesen, welche jedoch in
diesem Bande sich nicht vorfindet. Um die Erklärungsweise die-
ser in Deutschland noch wenig bekannten Edition näher zu be-
zeichnen, erlaubt sich Referent, einzelne Stellen wörtlich mitzu-
thcilen.
Die Einleitung in die Satiren beginnt mit folgenden Worten:
„lu bis Sermonihus (ita enim ipse Satiras appellavit) quum poeta
. :")4 Römische Literatur.
exprimat politiorum hominura sermonem fere quotidianum et col-
loquia familiaria, argumentum cuiusque non severe circumscri-
pturn est , sed ad aliam rem ex alia liberius transitur, uti fit quum
loquuntur inter se amici: nihilominus omnia ad unura scopum rc-
feruntur , quem vel propius tangunt , vel longius , tangunt tarnen.
Ita evenit ut primarium satirae alicuius argumentum nonnunquam
fefellerit interpretes: veluti erant qui avaritiam perstringi statu-
erent in Satira prima, ob versus 28 — 107, revera avarorum per-
versam ingenii indolem tractantes. Sed multo ea latius patet, et
scripta est in omnes qui de sorte sua nunquam non queruntur (una
voce Graeci yLS^T\)ip,oiQovg appellant), nihilominus tarnen, si con-
ditionis mutatio iis offeratur, eam recusahunt: quod genus homi-
num ad hunc diera immortale fuit et usque nascetur." Mit Ue-
bergehung der Anmerkungen zu V. 2. 3. stelle hier die Rechtfer-
tigung der aufgenommenen Conjectur gravis armis: „Coniectura
est viri docti (Bouherii, ni fallor) in Journal de Trevoux, a. 1715,
Juin. Codd. omnes gr. armis. Notum est romanum militem, prae-
ter bellica arma, palos quoque, rostra et quibuscumque ad castra
munienda opus esset, praeterea victum in quinque fere dies por-
tasse: totum hoc onus intelligit, dum u potiore eins parte dixit,
gravis, i. e. gravatus, onustus, armis. Wie treffend auch in
ausführlichen Erörterungen Kirchner, Jahn und Paldamus die
Vulgata vertheidigt haben : so hält doch Ref. jenes armis für eine
der glücklichsten Conjecturen, die je über den Iloraz gemacht
worden sind. Was Orelli über iam sagt, das dürfte durch Eich-
städts vortreffliche Bemerkung (Paradoxa quaedam Ilorat. tertium
proposuit etc. p. ö.) entkräftet werden und auf eine ganz andere
Ansicht hinführen. Auch Fr. Jacobs hat (Vermischte Schriften
"VI. S. 9.) aus ästhetischen Rücksichten der Conjectur armis das
Wort geredet, sowie Gerber in Zimmermanns Zeitschrift für d.
Alterthumsw. 1839. Nr. 7. S. 49. Aus einem ähnlichen Grunde
kann V. 8. nur das einmalige aut stattfinden : Momento cita mors.
Optime, quanquam in perpaucis codieibus legitur Momento aut
cita mors. „Bis enim aut ponitur , ubi pares res sibi opponun-
tur; semcl, ubi deterior subiungitur." Jahn. Haec ex linguae
norma petita est ; aliam poeticam indicat Bentlejus : „Atqui iliud
etc. Gründlicher ist Orellis Bemerkung zu dieser Stelle. —
V. 29. wird die Lesart Perfidus hie caupo beibehalten , mit die-
ser fast allzu kurzen Note : Iis (nautis) hoc loco cauponem addit,
quanquam sunt qui aliter legant: Fea: Praefidus hie campo mi-
Hes, _ V. 88 sqq. wird An, si — fraenis'? gelesen und dazu
folgendes bemerkt: Inde stultitiam avari increpat, qui cognatos,
sibi magno auxilio futurus, nihil curet. An nihil putas, inquit, et
operam perdere tibi videris, si cognatos, quos nullo tuo labore
et impensis nullis natura tibi dedit, merito aliquo velis retinere'f
credisne hoc aeque inane esse, ac si quis vellet asinum, sinistrara
bestiam, instituere pro equo*? Diese Interpunction ist wegen ih-
Horatiana. 255
rer Natürlichkeit der von Orelli vorzuziehen , welcher nach per-
das das Fragzeitheu setzt. Wir glauben noch immer, mit Jahn
und Kirchner an dem At festhalten zu müssen. Vgl. Jahrbb.
1830. XIII. S. 413 sqq.
Der Verf. von Nr. 3., Hr. Rector Braanhard zu Greussen,
hat mit lobenswerthera Fleisse auser dem Index Verborum auch
dieses Namenverzeichniss nach dem gegenwärtigen Stande der
Wissenschaft zusammengestellt. Beide Fasciculi bilden den vier-
ten Band seiner Horaz - Ausgabe. Doch sind diese Indices auch
zu jeder andern Ausgabe brauchbar und Ref. wünscht, dass die-
selben in recht viele Hände, namentlich der Lernenden, kommen
mögen. Aus den gelehrten Forschungen eines Weichert, sowie
aus der geschmackvollen Biographie unsers Dichters, die wir
Hrn. C. Passow verdanken, zum Theil auch aus Jürclmer's rühm-
lichst bekannten Quaestionibus Horat. und für die geographischen
Artikel aus Sickler's alter Geographie ist dieses Horazische Na-
menverzeichniss mit Benutzung des früheren Materials erwach-
sen. Vermisst hat Ref. den fünften Theil von Fr. Jacobs ver-
mischten Schriften und Buttmanrts Mythologus oder den Artikel:
„Horaz und Nicht - Horaz'"''. Namentlich würde letztere Schrift
(II. S. 159 ff.) eine reichlichere Ausbeute zu dem Artikel Cotyt-
tius gegeben haben. Und betrachtet auch die erstere die Ho-
razischen Personen mehr ihrem Charakter nach : so war eine Hin-
weisung auf selbige selbst dem vielbeschäftigten Schulmanne nicht
unerwünscht. Was wir an der Arbeit zu tadeln finden, ist haupt-
sächlich die ungleiche Bearbeitung der einzelnen Artikel. Die
Biographie des Virgilius , nach den Jahren vertheilt , würden wir
nicht hier, sondern in einer Ausgabe des Virgilius suchen. Ande-
res ist wieder ausgefallen, so der Name Quintius, weicherauf
Ilirpinus zurückweisen sollte. Die Artikel Hermogenes und Sar-
dus konnten füglich in Eins verarbeitet und die dahin gehörigen
Namen unter den besondern Rubriken mit Verweisung auf den
Hauptartikel angeführt werden. Nach den Grundsätzen , welche
Hr. Br. auch anderwärts bei Verschiedenheit der Ansichten be-
folgt, durfte der Artikel Ustica nicht mit folgenden wenigen
Worten abgethan werden: „Ustica fuit parvus mons prope villam
Horatii, qui, quia leniter adsurgebat,- cubans denominatur. Carm.
1, 17, 11." Dieser Stelle zufolge hat der Dichter wohl nur
einen Berg im Sinne gehabt; aber nach dem Scholiasten Acron
führte diesen Namen sowohl ein Berg als ein Thal; und daher
sind die Meinungen der Ausleger dergestalt getheilt, dass die ei-
nen blos einen Berg, die anderen blos ein Thal, wieder andere
beides zugleich unter jenem Namen begriffen glauben. Ja, Cap-
martin de Chunpy, welchem Vanderbotirg folgt, verstellt einen
Flecken (hameau) des Ilorazischen Gutes darunter. Der neueste
Ausleger, Orelli* nimmt hinwiederum mit Nibby (Viaggio 2. p.
194.J Ustica für den Namen eines Thaies. Wie dem auch sei.
256 Römische Literatur.
wenigstens war hier auf die Erklärung der Scholiasten zu verwei-
sen. Vergl. Dori »hello III. p. 257., C. Passow Nr. 226., Eich-
hollz in Hanfs Piniol. II, 1. S. 159. und Sichler Alte Geogr. I.
S. 377., welchen letztern Hr. Br. unter dem Namen Sabinus S.
108. anführt und dessen Beschreibung von dem Horazischen Sa-
binum mittheilt. Unter der Ueberschrift Addenda werden von
S. 219. die Vita Horatii e Codice Berolinensi B. expressa aus
Kirchners Quaest. Hör. , dann zwei Recensionen über des Verf.
Horaz - Ausgabe , die eine von Hrn. Carl Sckiller, die andere von
dem Referenten zur nochmaligen Kunde des Publicums gebracht
und, wie es scheint, in der Absicht, um wegen der erstem sei-
ner gereizten Stimmung Luft zu machen. Da Ref. solchen Strei-
tigkeiten durchaus abhold ist, so wird weder Hr. Braunbär &
noch irgend Jemand von ihm die Entscheidung verlangen , ob
Schiller „an der Recensententafel fades Sah oder geniessbares",
wenn auch nicht grade attisches, aufgetragen habe. Am Ende
ist Kirchner' s Tabula chronologica Horatiana beigegeben, wofür
ihm die Freunde gründlicher Studien nur Dank wissen werden.
Nach Seite 241. ist Hr. Braunhard auch Willens, noch ein Lexi-
con Horatianum zu bearbeiten , in Absicht dessen wir ihm eher
ab - als swrathen möchten. Wer den Horaz liest , braucht kein
besonderes Lexicon, da das Wissenswürdige in den Indicibus nie-
dergelegt ist. Ausserdem genügt die Clavis Horatiana von Er-
nesli und Schirach. *
Die Herausgabe des kleinen stereotypsten Horaz Nr. 4
ward auf Verantassung des thätigen Verlegers , Hrn. G. Wtgand,
durch den Sohn des Unterzeichneten besorgt. Wenn unter sol-
chen Umständen die Kritik von selbst verstummt, so sieht sich
Ref. nur zu der Bemerkung veranlasst , dass er nicht den gering-
sten (wenigstens unmittelbaren) Antheil an der Arbeit habe.
Gerber hat eben so gründlich als human diesen Versuch eines
strebsamen Jünglings in der Zeitschrift für die Alterthumswis-
senschaft 1839. Nr. 6. 7. beurtheilt. Vergl. auch Gersdorfs
Repertorium 1838. XVIII. 3. S. 234. Im Ganzen liegt der Aus-
gabe die Jahiische Textrecension zu Grunde , doch nicht ohne
Abweichungen; z. B. Od. 1, 16, 8. Sic geminant, wo Jahn Si
geminant und 1, 17, 14. Hie tibi copia, wo Jahn Hinc geschrie-
ben hat, und, wie uns scheint, mit Recht. Daher haben wir
nicht ohne Befremden bei OrellilWc gefunden, obschon vier sei-
ner Handschriften (BbSc.) in der andern Lesung übereinstimmen.
Da, wie bekannt, hinc leichter in hie, als umgekehrt (Drakenb.
zu Liv. 26, 13, 13.), verschrieben ward und jenes bereits die
Auctorität der Scholiasten für sich hat , so ist es in der That auf-
fallend, wie hinc in so viele treffliche Handschriften kommen
konnte , wäre es nicht ursprüngliche Lesart. Erwäget man den
Gedankengang des Dichters, so scheint es uns fast nothwendig.
Derselbe sagt nämlich: „Auf meinem Landgute ruht der Segen
Horatiana. 257
des Himmels; das Vieh beschützt der Faunus, darum weidet es
ohne Gefahr selbst auf entlegnen Pfaden, ich selbst stehe unter
der Götter Schutze und meine Muse liegt ihnen am Herzen.
Daher werden dir (so du zu mir kommst) die Gaben des Feldes in
reichlicher Fülle zuströmen. Hier, in diesem tiefen Thale ent-
gehst du den Gluthen des Sommers; hier, im Schatten ruhend,
bist du gesichert vor den rohen Misshandlungen deines eifersüch-
tigen Cyrus." Indem der Dichter das Glück seines Sabinerthales
schildern will, lässt er das Gedeihen der Heerden von dem Be-
suche des schützenden Faunus abhängen, 60wie den Segen der
Flur von den ihn liebenden, gütigen Göttern. Diesen letztern
Gedanken wendet der Dichter, welcher die Einladung an die
Tyndaris motiviren will, so, dass dieser Segen ihr — der Freun-
din — zu Gute komme. Die andern auch nicht zu verschmähen-
den Vortheile, welche das glückliche Thal gewährt, werden
durch das scharf bezeichnende hie — hie jenem Gedanken ganz
natürlich angereiht. Ohne die Lesung hinc fällt das Gedicht in
zwei Theile aus einander, der innern poetischen Einheit erman-
gelnd. Daher beruht Bentley's Einwurf: Quod si hinc legeris,
interpretandum quidem fuerit ob pieiatem meam: atqui eo pacto
dicetidum potius foret Hinc mihi copia, quam hinc tibi etc. auf
einer leeren Spitzfindigkeit. Fast noch unglücklicher erscheint
uns O/ellis Abwehr, wenn er sagt: Olim hinc, quod significaret
„ex agro isto etiam in Urbe eam donis illis quomodoeunque frui
posse". Was derselbe für die Notwendigkeit des dreimaligen
hie als Anaphora beibringt, zerfällt in sich selbst, sobald das gei-
stige Band der Ideen gefährdet wird. Uebrigens versteht es sich
von selbst, dass man, was ja auch die Vertheidiger des Hie
thun müssen, einzelne vermittelnde Gedanken hinzufüge, als:
„so du zu mir konunsi" und: „hier auch''1 oder dergleichen.
Eine andere , dem Sinne nach nicht sehr verschiedene Deutung
des hinc d. h. a diis schlug Bach vor in diesen Jahrbb. 1828. B. 2.
S. 02. Nach dieser Abschweifung, zu der uns die von den mei-
sten neuesten Herausgebern verschmähte Lesart nöthigte, geden-
ken wir noch der kleinen, aber beachtungswerthen Schrift des
Hrn. Strodlmann,
Nr. 5, in deren Vorworte über die prosodischen Anforde-
rungen an einen neuen Horaz - Uebersetzer recht klar und beson-
nen gesprochen wird. Ungeachtet man geglaubt hatte, dass
durch Voss unsre Literatur das Höchste erreicht habe, was hin-
sichtlich der Sinn-, Wort- und Verstreue in dichterischer Auf-
fassung erstrebt werden konnte: so bewiesen doch die nachfol-
genden und täglich sich mehrenden Uebertragungen, dass man
den dem Ucbersetzungsmeister gemachten Vorwurf des zu ge-
nauen Anschliessens an das Origiual und dadurch entstandener
Steifheit und an Unverständlichkeit streifender Uudeutschheit
stets allgemeiner fühlte und zu verbessern suchte. Gleichwohl
A. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Bibl. Bd. XXVHI. Hß. 3. 17
258 Römische Literatur.
opferten fast alle Nachbildungen, wenigstens der lyrischen Ge-
dielte, nach dem Urtheile des Hrn. Strodtmann, ihrem Streben
entweder die Vossische Correctheit in der Prosodie auf, oder
verflachten den dichterischen Schwung zur wässerigen Prosa in
äusserer Versform , und blieben so nicht blos in treuem Wieder-
geben hinter dem Koryphäen im Ganzen zurück, mochte auch
Einzelnes gelungener erscheinen. Dabei aber bemerkt Hr. Str.,
habe es noch keiner, selbst Voss nicht, durchgängig versucht;
die Versmaasse genau so zu beobachten, wie Flora z sie von Grie-
chenland auf römischen Boden verpflanzt und für sich abgeändert
hätte, wodurch erst ein vollerer Klang und eine grössere Regel-
mässigkeit und Würde des Rhythmus entstehe. Nur von der
Decken habe in seiner Uebersetzung der Oden die Horazischen
Versmaasse durchaus genau und, wie er selbst rühme, strenger
als Horaz selbst gehalten. Indess sei bei ihm in der Treue der
Form gar oft die Treue des Inhalts untergegangen , weshalb Hr.
Str. durch Vermeidung der bei Voss und Decken gerügten Män-
gel und durch Vereinigung der Vorzüge beider die Aufgabe einer
gelungenen und allen billigen Forderungen genügenden Uebertra-
gung gelöst glaubt. Was er weiter über prosodische Gegen-
stände hier ausspricht, glaubt Ref. um so mehr übergehen zu
können, als bereits dieser Punkt in diesen Jahrbüchern 1839.
XXVI. 3. S. 324 ff. berührt worden ist. Lesenswerth ist die
Einleitung S. VII ff., welche eine gedrängte, die neueren For-
schungen berücksichtigende Zusammenstellung dessen giebt, was
uns über des Dichters Leben bekannt ist, ohne sich in ausge-
dehnte Untersuchungen einzelner problematischer Punkte zu weit
zu verlieren. Da wir bereits oben das INöthige ausgehoben haben,
so geben wir hier die Rub. iken , in welche die Abhandlung zer-
fällt. S VII. Horaz Leben. S. XX g. FJebcr das Landhaus des
Horaz. Von Seite XXXI. folgt die Uebersetzung des zweiten
Buches der Horazischen Oden. Bei Gelegenheit der Meinungs-
angabe über die chronologische Abfassung der Horaz. Gedichte
versucht Hr. Strodtmann dieselben muthmasslich also zu ordnen:
I. 1. Buch der Satiren, zwischen 7\%— 723 u. c. alt *f — 34 Jahr.
II. Ein Buch Epoden 714 — 723 25-34 —
III. 2. Buch der Satiren .... 717 — 727 28 — 38 —
IV. 3 Bücher Oden 715 — 736 26-47 —
V. 1. Buch der Briefe 727 — 734 38 — 45 —
VI. Säcularischer Festgesang . 737 48 —
VII. 4. Buch der Oden 736 — 744 54 — 55 —
VIII. 2. Buch der Briefe .... 743 — 744 54 — 55 —
IX. Schrift über die Dichtkunst 745 — 746 56 — 57 —
Diese Aufstellung stimmt im Ganzen mit der Kirchnet sehen
zusammen. Da jedoch Hr. Str. die Gründe seiner Abweichung
nicht auseinandersetzt: so lassen auch wir dieselbe für jetzt auf
Huratiann. 259
sich beruhen. Vergl. Jahrbücher 1835. XV. 1. S. 68 ff. 1836.
XVI. 1. S. 45 ff. Hinsichtlich der Metrik dürfte der Grundsatz,
die Horazischen Versraaasse durch Beobachtung derselben Vers-
füsse, Cäsuren und der auf einander folgenden drei Längen in
den Alcäischen, Sapphischen und Asklepiadeischen Versmaassen
treu wiederzugeben, sehr problematisch erscheinen. Denn da
Horaz selbst nach dem Genius seiner Sprache die griechischen
Versmaasse abänderte , so ist es auch jedem Uebersetzer erlaubt,
das Metrum nach laxern griechischen Regeln zu formen, je nach-
dem es der Genius der neuern Sprache erheischt, bei dieser
Freiheit wird noch immer nicht die Uebersetzung zur Toiletten -
oder Trivial -Leetüre sich eignen, so wenig als das Original oder
eine Klopstockische Ode. Mit welcher Strenge sich der Hr. Ver-
fasser an das Original gehalten habe, mag Od. 2, 3. beispiels-
weise darthun. Zu Grunde liegt die Orellische Recension.
111. An Delling.
Sei drauf bedacht zu wahren im Mißgeschick
Des Herzens Gleichmuth, welcher im Glücke auch
Von Freudeiiunmaass sich entfernet,
Dcllius , der du dem Tod anheimfällst,
Ob du in Trübsinn jegliche Zeit verlebt,
Ob ausgestreckt im Grün der entlegenen Au
Am Feiertrag du mit der innern
Sorte Falerner dir gütlich thatest.
Wo hoch die Ficht' und silbern die Pappel strebt
Wirthbar Umschattung durch des Gezweigs Verbund
Zu einen, wo in Schlangenwindung
Eilend dem Bach sich entwälzt die Quelliluth:
Lass hieher Wein dir bringen und Salben und
Zu kurz emporblüh'nd lieblicher Rosen Schmuck,
Weil Alter, Wohl und dreier Schwestern
Schwarzes Gespinnst dir es noch verstatten.
Waldtriften räumst du, rings dir erkauft, und Haus
Und Landbesitz, den gelblich die Tiber netzt,
Du räumest — und hochaiifgethürinter
Schätze bemächtigt sich der Erbsass.
Ob reich du stammst aus Iuachus altem Haus,
Kein Unterschied, ob arm und von niederem
Geschlecht du unterm Himmel weilest,
Sonder Erbarmen entrafft dich Orcus.
Ein Ort vereint uns Alle und Aller Loob,
Ob's später fällt, ob früher, beweget sich
Im Urnenumschwung , und versetzt zur
Ewigen Bannung uns auf den Fährkahn.
17*
260 Bö mische Literatur.
6) Bereits war diese Anzeige der genannten Horaz-Schriftcn
niedergeschrieben, als ans von freundschaftlicher Hand folgendes
Programm zugestellt wurde : „Scholien zu Quintus Horatius Flaccus.
Erstes Heft. Womit zur Feier des fünfzigjährigen Amtsjubilä-
ums des Herrn Professors Kries alle Gönner, Freunde und
ehemaligen Schüler des Jubelgreises auf den 2. November lor-
?nittags um 10 Uhr ehrerbietigst einladet Dr. Gottfried Seebode,
Director des Gymn. Illustr, und H. S. Consistorialrath. Gotha
1839. Gedruckt mit Engelhard -Reyher'schen Schriften. 26 S. 4.
Nach einer, dem Jubelgreise geweihten, vorausgeschickten
Sapphischen Ode wird die Stelle in Horazens Sat. 1, 6, 104 — 109.
mit einem grossen Aufwände von Gelehrsamkeit allseitig in Unter-
suchung gezogen. Das Ergebniss derselben weicht in vielen
Punkten von der gewöhnlichen Ansicht ab und daher soll von sel-
bigem so treu als möglich berichtet und dann die Reichhaltigkeit
der hier behandelten sachlichen und sprachlichen Gegenstände
angedeutet werden. Nach Feststellung des Namens Tillius V. 107.
wird die Identität desselben mit V. 24. gegen J. II. M. Ernesti,
Weichert u. A. behauptet. Tillius war seinem Charakter nach
(V. 29. und 41.) ein Libertinus, welcher in jener Zeit der politi-
schen Parteiungen und der Gesunkenheit des Staatslebens in den
Senat eingedrungen, aus demselben gestossen und wiederum in
denselben aufgenommen war; s. V. 2"). 27. 28. Darauf wird der-
selbe zur Würde eines Tribunus Plebis (nicht Militura, gegen die
Scholiasten, Heindorf und Jahn) erhoben, s. V. 25.; und nach-
dem er sich auch zur Prätur emporgedrängt hatte (V. 108.), ver-
waltete er als solcher das Amt eines Quaestor rerum capitalium,
wie dies aus V. 39. hervorgeht, wo Heindorf und Andere, nach
dem Vorgange des Scholiasten Cruq., an irgend einen Tribunus
Plebis denken. Diesem Tillius wird als Prätor niedriger Schmuz
(sordes V. 107.) vorgeworfen, d. Ii. nicht schmuziger Geiz,
sondern eine, aus mangelndem Vermögen entsprungen , anstands-
lose Lebensweise (S. 6.). Um dieselbe sich recht zu veranschau-
lichen, muss mau die Gegensätze nicht ausser Acht lassen. In
seinem Gefolge befinden sich keine Comites (V. 102.), sondern
Sklaven begleiten ihn allein auf seiner Reise, und zwar nach Ti-
bur. Dieser Servi sind nur fünf. Aber die Zahl drei und fünf
bedeutet sprichwörtlich bei II. und Anderen ein paar», ewige,
mehrere (S. 11.). Diese tragen das lasanum ociiophorumque,
welche Gegenstände offenbar der mantica entsprechen, die des
Horatius Reisebedarf enthält. Tillius hatte seiner Geburt nach
keine gastfreundschaftlichen Verbindungen, auf welche er wäh-
rend seiner Reise Anspruch machen konnte. Seine Mittellosig-
keit veranlasste ihn, die diversoria zu meiden; er nahm das aus
eigenen VOrräthen gefüllte Oenophorum mit, um nicht von dem
caupo vinarius seineu Bedarf an theurem und noch dazu verfälsch-
tem Weine erhandeln zu müssen; und, um nicht von dem betrü-
Horatiana. 261
gerischen caupo oder aus den popinis zubereitete Speisen für sich
und seine Sklaven -Begleitung theuer zu erkaufen, so belastet er
auch mit dem Kochgeschirr und Zubehör seine Diener. Wie nun
Oenophorum hier ein gefüllter Weinbehälter ist, so wird auch
lasanum in weiterer Bedeutung für Kochgeschirr mit Speisevor-
rath genommen (S. 22.23.). Lasanum und Oenophorum bezeich-
nen demnach die Reisevorräthe , welche die Sklaven auf der Ti-
'hurtinischen Strasse dem Prätor nachtragen. Nun erhalten auch
die genannten quinque pueri ihre Bedeutung. Denn es lässt 6ich
nach des Hrn. Verf. Dafürhalten in der That nicht füglich begrei-
fen, wie fünf Sklaven erforderlich waren, um jene beiden Ge-
genstände zu tragen; auch findet man weder bei griechischen
noch lateinischen Schriftstellern , obschon sich einige derselben in
solchen Darstellungen gefallen, einen gleichen Beiseapparat, wie
man ihn an dieser Stelle hat entdecken wollen. Dies ist der
Gang der Untersuchung, welchen wir meist mit den eigenen Wor-
ten des gelehrten Verf. dargelegt haben. Bekanntlich wird nach
Acroiis und des Scholiasten bei Cmq. Vorgange lasanum sowohl
von den lateinischen Lexikographen, als auch von den meisten
Erklären) und deutschen Uebersetzern durch Leibstuhl oder
Nachtgeschirr erklärt, in welcher Bedeutung es auch bei Petro-
nius c. 41. und 47. vorkommt. Daher wird S. 19. die Grundbe-
deutung von läöavov erörtert, aus welcher sich die beiden Be-
deutungen Kochgeschirr und Nachtgeschirr ergeben, und für
beide werden die griechischen Stellen beigebracht. Die erstere
müsse nach dem dargelegten Ideengange bei Iloraz stattfinden,
wohin auch die adjungirende Partikel que, welche zusetzt und
vermehrt, führe, sowie eine Stelle im Persius 5, 140. lam pue-
ris pellem succinetus et oenophorum aptas, wo pellis neben oe-
nophorum den übrigen wohlverpackten Beisevorrath bezeichne
(S. 23. 24.). Treffend wird hinsichtlich des Gebrauchs von que
Epist. 1,16, 72: portet fruaienta penusque zur Vergleichung
geboten.
Dieser Beweisführung kann Ref. seinen Beifall nicht nur
nicht versagen, sondern er muss auch noch dazu bemerken, dass
der Hr. Verf. überall die feinsten Beziehungen herausgefühlt und
dieselben mit der Gründlichkeit seines Wissens, sei es durch aus-
drückliche Beweisgtellen oder durch Anführung der betreffenden
Schriftsteller, belegt habe. Indess die verschiedene Bedeutung
des Wortes lasanum bei Iloraz und Pctron dürfte sich nicht Mos
aus dem schwankenden Gebrauche bei den Griechen , sondern
auch aus dem Umstände rechtfertigen lassen , dass dasselbe bei
den Römern, wenigstens zu Horazens Zeit, Weniger gebräuchlich
und daher auch seinem Sinne nach weniger fixirt war. Wenn S.
15. von der Zahl der das Mahl bei Iloraz besorgenden Sklaven,
als dessen Frugalität wohl angemessen , die Rede ist (Coena mi-
nistratur pueris tribus V. 116.) : so könnte man leicht au der be-
202 Römische Literatur.
stimmten Zahl drei , die der Hr. Verf. nach dem vom Plato bei-
gebrachten Beispiele hier anzunehmen scheint, irre werden, falls
man die S. 11. niedergelegte Bemerkung, nach welcher drei und
fünf sprichwörtlich nur ein paar, einige, mehrere mit Verwei-
sung unter andern auf V. 43. und 116. bedeutet, an jenehält.
Bei Erwähnung der unstatthaften Conjectur Ruhkopfs: purus
tripus, konnte auch der von Nöldeke in der kritischen Bibliothek
18*25. S. 303. : Coena ministratur purus tripes et lapis albus, Er-
wähnung geschehen. Wie ehedem gegen die Ruhkopfische, so
hat auch Steger gegen die Nöldekische ebendas. 1825. S. 1025
— 28 ein treffendes Wort gesprochen. Uebrigens um von der
Reichhaltigkeit der hier behandelten Gegenstände ein anschauli-
ches Bild zu geben, erlaubt sich Ref. die hauptsächlichsten
Punkte mit der Bemerkung herauszuheben , dass dieselben meist
mit einer Fülle literarischer Notizen begleitet sind. S. 1. 2. über
die Namen Tillius und Tullius ; S. 3 — 7. über die Bedeutung von
sordes und sordidus; S. 7. über Tibur und das angebliche Besitz-
thum des Horatius ; über die comites , amici , sectatores , amico-
rum cohors, grex S. 7 — 10 ; über die Scribae S. 8.; über die
Bedeutung der Zahl drei, fünf (und sieben bei den Orientalen)
S. 11—14.; über die Zahl und mannigfaltige Beschäftigung der
Sklaven S. 14—18.; über den Gebrauch von portare, audere
und incipere S. 17 — 18.; über die Bedeutung von lasanum S. 19
— 23.; von dem caupo und den popinis wird gehandelt S. 22. ;
Sprachbemerkung über que mit vielen Beispielen aus den Satiren
und Episteln S. 24 — 26. Möge der Hr. Verfasser, dem wir im
Namen aller Horaz- Freunde für diese gründliche Untersuchung
unsern Dank darbringen, bald Gelegenheit und Müsse zur Fort-
setzung dieser interessanten Forschungen finden!
S. Ohbarius,
1. Erläuterung des Zwölf - Tafel - Gesetzes mit
Rücksicht auf die Bedeutung- desselben für das spätere Recht. Er-
ster Abschnitt, enthaltend die Einleitung und die Interpretation der
ersten Tafel. Eine rechtshistorische Abhandlung* von Wilhelm
Fischer. Tübingen 1838. 8.
2. JOKIMION AKAAHMA1KHE JIATPIBHE IIEPI
THE PSIMAIKHE JSIAEKAAEATOT vnb EMMA-
NOTHA KOKKINOT Xiov zo ysvog "Ekktjvog T)]v %a-
t()lda. (Specimen dissertatio nis inauguralis
de Lege XII Tabularum , quod ad summos in philoso-
phia honores rite capessendos clarissinio ordini philosophoruiti in
universitate literarum Heidelbergensi — proponit Immanuel Cocki-
nos, Chius, Graecus.) Heidelberg (Mohr). 183(*. 8.
In der grossen Literatur der 12 Tafeln haben Epoche ge-
macht Jac. Goihofredus und H. Ed. Dirksen. Zwischen beiden
Neueste Literatur zu den XII Tafeln. 263
liegen eine grosse Menge Schriften und auch nach Dirksen ist
Manches über diesen Gegenstand geschrieben. Die Literatur bis
1836 findet sich angegeben in der Abhandlung von Pernice in
Ersch und Gruber's allgemeiner Encyclopädie s. v. duodeeim le-
ges. Sectio I. Theil 28. (1836.) Dieser Artikel der Encyclopädie
enthält nichts Neues, gibt aber eine passende Uebersicht dessen,
was. jetzt ziemlich allgemein über Geschichte der Entstehung der
12 Tafeln, über Inhalt und Bedeutung, Ueberreste und Bearbei-
tungen angenommen wird. Von den neuesten Schriften ist die
von Fischer auszuzeichnen und besonders deshalb hier zu erwäh-
nen , weil sie sich mit der Sprache der 12 Tafeln beschäftigt.
Während einzelne Punkte der Entstehungsgeschichte, wie die
Erzählung von der Gesandtschaft nach Griechenland, vielfach in
neuerer Zeit auch von Philologen besprochen worden sind, ist
das Sprachliche der 12 Tafeln, mit einigen Ausnahmen, nur we-
nig von Philologen berücksichtigt , weil sie sich für die Sache
nicht interessirt haben. Unter den früheren Gelehrten haben
Gothofredus und Funccius sich Verdienst um das Verständniss
der Sprache der Zwölftafelfragmente erworben; unter den Ge-
lehrten unsrer Zeit Ott fr. Müller und Ed. Huschke, insofern sie
Einzelheiten mit vieler Gründlichkeit besprochen haben. Als
eine philologische Arbeit ist auch die Ausgabe der Zwölftafel-
fragmente mit Varianten von C. Zell zu betrachten (Freiburg im
Breisg. 1825). Dass das Zwölftafelgesetz, abgesehen von dem
sprachlichen Interesse, gleiches Interesse für Philologen wie für
Juristen haben muss, geht schon aus der Verbindung und Wich-
tigkeit für die politische Geschichte hervor und wird wohl nicht
in Abrede gestellt. Daher holten wir für unsern Bericht über
einige neuere Schriften , welche die Zwölftafelgesetzgebung zum
Gegenstand haben, eine günstige Aufnahme.
Die kleine Schrift von Wilh. Fischer ist eine juristische In-
auguraldissertation aus Tübingen , wo die rechtshistorischen Stu-
dien besonders unter Schrader's Auspicien blühen. Sie ist eine
Particula einer ausführlicheren Arbeit, denn sie enthält nur die
Einleitung und die Interpretation der ersten Tafel. Wir hoffen,
dass sie nicht, wie so viele Inauguraldissertationen, Anfangspar-
tikel bleiben wird. Die kleine Schrift ist mit Liebe zum Gegen-
stande geschrieben und die Fortsetzung ist um so mehr zu wün-
schen, da der Verfasser an mehreren Stellen auf dieselbe ver-
weist und vertröstet. Die Liebe zum Gegenstande hat den Hrn.
F. an mehreren Stellen zu Declamationen verleitet, die aber des-
halb noch nicht zu loben sind. Der Verf. hat das selbst befürch-
tet, denn er sagt in der Vorrede p. VI : „vor Allem hatte ich
mich vor meiner eignen Phantasie zu hüten, um nicht, statt eine
Exegese der zwölf Tafeln zu geben, einen Roman aufzuführen."
Ein lloman ist allerdings etwas verschieden von einer Exegese
der 12 Tafeln und nur eine sehr feurige Phantasie kann in solches
2C4 Römische Literatur.
Extrem führen. Doch wir Philologen wissen es ja zur Genüge,
wie so oft die Phantasie gedämpft werden muss, und „uns wird
hei unserem kritischen Bestreben doch oft um Kopf und Busen
bang."
Hr. F. spricht in der Vorrede den Gedanken aus, der bei
dem Studium der Geschichte des römischen Rechts ihn leite, und
wie es sein Streben sei zu untersuchen: „warum das römische
Hecht so wurde , und warum es so werden musste, wie es ge-
worden ist." "Wäre dieser Satz von allen Rechtshistorikern fest-
gehalten, so würden unsere Lehrbücher der Geschichte des rö-
mischen Rechts brauchbarer sein; in dem ausführlichsten Werk
dieser Art, in Zimmern's Rechtsgeschichte, ist dieser Satz we-
nig beachtet, und eben darum ist zu wenig Geschichte in diesem
schwerfälligen materialliefernden Werk. In der vorliegenden
Schrift nun hat F. sich als Hauptzweck die exegetische Behand-
lung der Zwölftafelfragmente gesetzt und ist dann dabei auch
bald zu der Erfahrung gekommen, dass es sehr schwierig sei,
Fragmente gehörig zu erklären , weil der Erklärer die doppelte
Arbeit hat, das Vorhandene und das Nichtvorhandenc zu explici-
ren und dieses sich zuvor zu schaffen. Bei dem Besprechen 4er
Schwierigkeit seines Gegenstandes äussert F. p. VI.: „es machte
mir, besonders zu Anfang, nicht geringe Mühe, die Sprache und
den Periodenbmi der zwölf Tafeln zu verstehen, da Dirksen,
welchem ich in Hinsicht des Textes gefolgt bin , so äusserst we-
nig hiefür giebt." Vom Periodenbau der Zwölftafell'ragmente
kann doch wohl kaum die Rede sein und was die Bemerkung über
DirKscn betrifft, die sich p. X. wiederholt, so scheint darin ein
Vorwurf ausgesprochen, den Dirksen am wenigsten verdient,
denn D. hat weit mehr gegeben, als der Titel seines grossen Wer-
kes verspricht; dass er nicht alles gegeben, was man von seiner
Gelehrsamkeit wünschen möchte, ist kein Grund zum Tadel.
Und F. geht auch zu weit, wenn er behauptet, dass Dirksen's
Zweck zur Erklärung der Sprachweise der 12 Tafeln (der alten
Juristen ['?], sagt F.) nur selten zu gebrauchen sei, für die Prü-
fung und Darstellung des Inhalts gar nicht. Dirksen konnte gar
nicht umhin, manches hiefür zu liefern, denn bei der Prüfung
der Quellen, aus denen wir die Fragmente der zwölf Tafeln schö-
pfen, musste das Sprachliche derselben berücksichtigt werden,
bei der Darstellung des Systems des Zwölftafelgesetzes über-
haupt, wie der einzelnen Tafeln , kommt ja gerade der Inhalt
zur Sprache.
Kurz handelt auch der Verf. in der Vorrede über die Quel-
len unserer Kenntniss der 12 Tafeln und die wichtigste Literatur.
Dass er hier Jac. Gothofredus voranstellt und frühere schwache
Restitutionsversuche gar nicht erwähnt, wollen wir nicht tadeln,
aber wohl wäre des epochemachenden Gothofredus erste Bearbei-
tung vom Jahr 1616 zuerst zu nennen gewesen ; sodann hätte auch
Neueste Literatur zu den XII Tafeln. 265
der allgemeine Fehler der früheren Restitutoren bei Benutzung
von Cicero' s Büchern de legibus eine Erwähnung verdient. Ein
offenherziges Geständniss giebt F. in Bezug auf Niebuhr: „Sein
Styl, gedrängt und schwer bepanzert, wie der des Tacitus, liess
mich den Sinn oft mehr errathen, statt dass er mir Gewissheit
verschaffte, was die Worte sagen wollten.'1 Beim ersten Blick
in Niebuhrs Geschichte mag das der Fall sein , aber ich wüsste
doch nicht, was etwa in der Geschichte der Entstehung der
zwölf Tafeln durch den Styl dunkel bliebe. Was oft Missver-
ständnisse verursacht, ist die Nichtachtung einer Voraussetzung,
die Niebuhr gemacht hat, dass seine Leser sein Ganzes kennen
sollen, um das Einzelne zu verstehen.
Das Cap. I. § 1. enthält die innere Geschichte der 12 Tafeln.
Es zeigt sich hier, wie überall in der Rechtsgeschichte, dass die
Trennung in innere und äussere Geschichte eine sehr missliche
ist, denn es ist auch hier von Hrn. F. Vieles abgehandelt, was
man mit mehr oder demselben Recht der äusseren Geschichte zu-
rechnen kann. Sehr gut beantwortet der Verf. hier die Frage,
wie es kommt, dass grosse legislatorische Operationen des Alter-
thums wie mit einem Schlage hervortreten , dass sie nicht aus
dem Kopfe eines Gesetzgebers hervorgegangen , sondern dass
dieser nur das laut gewordene Bedürfniss des Volkes befriedigt,
dass das Recht, welches er niederschreibt, längst im Volk gewe-
sen ist. Im Vergleich mit diesen Bemerkungen nimmt sich im
§ 2. (Quellen der zwölf Tafeln) , der Beweis etwas komisch aus,
dass der grösste Theil der Zwölftafelgesetze einheimisches Recht
sei und die Beweisführung ist sehr unbefriedigend. Grundfalsch
scheint das (p. 14.) über die römische Ehe Gesagte. F. spricht
hier in der gewöhnlichen irrthümlichen Weise von strenger Ehe
mit manus und mit usus, von der weniger strengen ohne manus,
und dadurch ist denn das ganze Raisonnement über patricische
und plebejische Ehe und Vereinbarung beider Stände in dieser
Beziehung ein Fehler. Bevor man nicht, wie die Römer selbst
es thun , Ehe und manus streng von einander scheidet, und einen
ganz unbegründeten modernen Sprachgebrauch anfgiebt, wird
man nicht zum Begreifen des Wesens der römischen Ehe kommen.
Die Eingehung der Ehe hatte ihren Zweck, der ganz verschieden
war von dem der Uebertragung der manus von einem Paterfami-
lias an den andern, die eingegangene Ehe war wohl das Motiv
zur in raanum conventio, aber dadurch wurde die Ehe weder
strenger, noch war sie ohne dieselbe laxer und freier. Wer sich
die Mühe geben mag, eine harte Nuss eines schönen Kerns we-
gen aufzuknacken, der kann sich Licht über Wesen und Bedeu-
tung der manus und damit zusammenhängende Zustände und Ver-
hältnisse verschaffen in Christiansen s Wissenschaft der römi-
schen Rechtsgeschichtc Bd. 1. (Altona 183£. 8.). Als Einleitung
266 R ö m i s c h c Literatur.
dazu kann die Relation dienen , die ich gegeben habe in den (Ber-
liner) Jahrbüchern für wissensch. Kritik 1839. n. 47 fg.
Der § 3. enthält eine Kritik der zwölf Tafeln. Dass eine
solche Kritik schwieriger ist als die neuerer Gesetzentwürfe und
Gesetzbücher, ist gewiss, dass die Arbeit eine sehr missliche,
hat das Beispiel des Philosophen Favorinus gezeigt, zumal \\$\\\\
der Beurtheiler das zu beurtheilende Gesetz nicht versteht, wie
es beim Favorinus der Fall war, und wie es bei uns aus andern
Gründen der Fall sein muss Wie wenig haben wir von den 12
Tafeln und wie wenig kennen wir den Zusammenhang dieses
Wenigen !
Ueber das Ansehen des Zwölftafelgesetzes bei den Kömern
und die Dauer der Geltung bemerkt F., dass Cicero's Zeit wohl
als der Wendepunkt zu betraebten sei und sagt: „Wir dürfen die
Zeit, während welcher die zwölf Tafeln in voller Kraft und un-
gestörtem Einflüsse blühten, mit Bestimmtheit auf vier Jahrhun-
derte setzen — die Zeit ihrer praktischen Wirksamkeit über-
haupt aber auf sechs bis sieben Jahrhunderte u. s. w." Gewiss
haben die 12 Tafeln nicht bis zur lex Aebutia oder bis zu Cice-
ro's Zeit volle Geltung gehabt, denn wie viele staatsrechtliche
Bestimmungen waren schon viel früher hinfällig geworden und
wie war das Privatrecht , besonders durch das prätorische Edict,
geändert. Die 12 Tafeln erlaubten noch die Talion in gewissen
Fällen , diese wie das strenge Schuldrecht und manches Andere
wrar längst verschwunden ; wie kann man demnach sagen , die
zwölf Tafeln hätten vier Jahrhunderte in voller Kraft und unge-
störtem Einflusse geblüht. Ebenso gewagt ist es, wenn Hr. F.
die Zeit der praktischen Wirksamkeit überhaupt auf 6 bis 7 Jahr-
hunderte setzt. Das Zwölftafelgesetz ist als solches nie gesetz-
lich abrogirt und die veränderten Bestimmungen desselben lebten
in dem aus dieser Wurzel entwickelten Recht praktisch fort und
sind in sofern selbst in dem jetzt geltenden römischen Recht ent-
halten. Diess bemerkt auch Hr. F. , nur mit einer Uebertreibung,
indem er sagt , Justinian habe eine Reihe von Bestimmungen der
12 Tafeln in seine Sammlung aufgenommen, und daher seien die
Ansichten der alten Decermirn noch heutzutage praktisch. —
Die Angabe aus Zimmerns Rechtsgeschicbte, dass der Kirchen-
vater Cyprianus erzähle, noch zu seiner Zeit (im 3. Jahrhund. p.
Chr.) seien die zwölf Tafeln auf dem forum öffentlich ausgestellt
gewesen, ist mit Recht von Pernice als irrelevant bezeichnet. —
Von den Römern , die lobende Urtbeile über die zwölf Tafeln
ausgesprochen, ist Cicero als der hervorgehoben, der in seiner
Vorliebe und seinem Lobpreisen dieses Nationaldenkmals am wei-
testen gegangen. Das ist sebr wahr, nur muss man bei der Be-
nutzung von dergleichen Urtheilen , die sich in Cicero's Schriften
finden, immer berücksichtigen, wem Cicero sie in den Mund
legt. F. fährt fort: „Ja selbst der grosse Kenner Justinian ver-
Neueste Literatur zu den XII Tafeln. 267
gehmäht es nicht, den zwölf Tafeln seine Huldigungen darzu-
bringen.1' Dass Justinian es nicht verschmäht, Jemanden ausser
sich legislatorische Fähigkeit zuzugestehen , ist allerdings etwas
nicht ganz Gewöhnliches; seine grosse Kennerschaft des alten
Rechts könnte man geneigt sein etwas in Zweifel zu ziehen. Wir
würden auch nicht mit F. gesagt haben, dass Justinian's Arbeiten
an Grossartigkeit die zwölf Tafeln noch überträfen. An Umfang
allerdings.
Sehr gut bemerkt F. , der Character des Zwölftafelgesetzes
sei ganz der des alten Volkes selbst. Die Beispiele indessen, die
er anführt , um zu beweisen , dass in diesem Gesetz sich nicht
weniger feiner juristischer Takt, gesunder Sinn für Recht und
Billigkeit, als unbegreifliche Plumpheit und Rohheit zeigen, sind
keineswegs schlagend. Ich sehe kein Extrem in dem: Paterfarai-
lias uti legassit und dem Si membrum rupit. Obgleich F. es selbst
ausspricht, dass manches, was uns als unpassend erscheint, nicht
als wirklicher Fehler der zwölf Tafeln anzusehen sei, hat er doch
den Standpunkt, den diese Ueberzengung giebt, nicht immer bei
seiner Kritik festgehalten , und daher nimmt er auch den unwis-
senden Favorinus zu sehr in Schutz.
Im Cap. II. oder § 4. folgt die Erklärung der Fragmente der
ersten Tafel. Diese Erklärung leidet nicht an philologischer Um-
ständlichkeit, das Sprachliche ist aber auch weder tief noch um-
fassend erläutert. Vergebens sucht man z. B. eine Erklärung der
Verbalform escit , die im fr. 3. sich findet (vgl. 0. Müller in Hu-
go's civilist. Magazin Bd. VI. p. 420 sqq. und zum Festus p. 386.).
Den Sinn dieses fr. 3. kann man freilich fassen , ohne Rechen-
schaft von diesem escit geben zu können, aber in einer Schrift,
die recht eigentlich die Interpretation der zwölf Tafeln zum Ge-
genstand hat, darf dergleichen nicht fehlen, und Hr. F. hat auch
Anderes der Art erklärt.
Das manum endoiacito des 2. Fragm. erklärt F. nach Gotho-
fredus für einen höheren Grad von persönlicher Gewalt als das
capito im ersten Fragment, und meint, an legis actio per manus
iniectionem sei hier gar nicht zu denken, da nach Gaius IV. § 21.
die legis actio p. m. i. i» den zwölf Tafeln als Mittel zur Exe-
cution richterlicher Urtheile vorkäme. Zugegeben , dieses Letz-
tere sei ganz richtig, ist denn diess darum die einzige Art der le-
gis actio p. m. i.'l Gaius hat, zum Theil unschuldig, manche
verkehrte Ansichten über die legis actioncs veranlasst. Legis
actio ist das, was im Ausdruck liegt, eine rechtliche Handlung,
vorzugsweise die Processhandlung, die in verschiedener Weise
eingeleitet werden konnte, per condictionem, per manus iniectio-
nem u. s. w. , wie ja auch der deutsche Process in verschiedener
Weise begonnen wird. Darnach ist leicht einzusehen, wie legis
actio per manus iniectionem als ein Begriff genommen werden
■ konnte. Aber nimmer ist es richtig, wenn man erklärt wie Rein,
208 Humid che Literatur.
nach grossen juristischen Autoritäten: ,,Iegis actione« seien uralte
Formeln und symbolische Handlungen zur Einleitung des Pro-
cesses." Wird die legis actio mit manus iniectio begonnen, so
ist dies el/en persönliche Gewalt, angewandt, um Jemanden in's
Gericht zu schleppen. Diese Form wird unter Anderem ge-
braucht , „wenn nach eingestandener Schuld und nach rechtskräf-
tiger Verurtbeilung der Schuldner 30 Tage hat ablaufen lassen,
ohne zu zahlen", dann sagte das Gesetz: manus iniectio esto, in
ius ducito (Gell. N. A. XX, 1.), aber manus iniectio war auch noth-
wendig und gesetzlich gestattet, „si calvitur pedemve struit1'.
Hr. F. kämpft also gegen einen Feind, der gar nicht existirt, und
auch die Art des Kampfes ist nicht die richtige. Nachdem er
ausgesprochen, dass Gothofredus die richtige Erklärung dieses
Fragments schon gegeben, fügt er hinzu: „Wollte man auch ein-
wenden, Gothofred lasse hier die Frage hinsichtlich der legis
actio per m. i. gänzlich unberührt, so habe ich doch andere Auto-
ritäten, z. B. die Zimmenfs u. s. w." Gegen eine solche Be-
weisführung, die den Juristen in ihren Acten sehr gewöhnlich ist,
wo die Autorität Leyser's, Lauterbaeh's, Glück's und Martin's
oft mehr gilt als eine Stelle des Corpus iuris oder ein rationeller
Beweis, müssen wir feierlich protestiren. Zimmern's Autorität
ist für eine wissenschaftliche Beweisführung eben so wenig zu
gebrauchen, als Niebuhr's. Ein Irrthum wird dadurch nicht
Wahrheit, dass Niebuhr und Zimmern ihn theileu. Autoritäts-
glauben ist der Hemmschuh der Wissenschaft.
Die Erklärung des vierten Fragments ist nicht ganz richtig
und nicht gründlich. Der f index des alten Borns ist nicht
gleichbedeutend mit Bürge, es ist derjenige, welcher den reus
frei macht (aber nicht Mos von persönlicher Haft) : geschieht
dies Freimachen durch Zahlung,, so ist er kein Bürge, aber
Bürgschaft ist eine Art der Freimachung. Ueber die Bedeutung
von vindex vgl. Christiansen a. a. O. p. 213. Anmerk. Nur ein
assiduus kann vindex eines assiduus sein , einen proletarius kann
Jeder, d. h. ein proletarius und ein assiduus, frei machen.
F. bemerkt bei dieser Gelegenheit, dass ein proletarius einen as-
siduus hätte vertheidigen (?) dürfen, wäre mit dem Stolze des
Römers nicht vereinbar gewesen. Vom Stolz des Römers kann
liier gar nicht die Rede sein , das Baare ist hier das Wahre.
F. verneint die Frage, ob der Kläger jeden vindex, also für einen
assiduus jeden assiduus annehmen musste, einen assiduus der
verschiedenen Classen ohne Unterschied, so dass also, wenn der
Schuldner der ersten Classe angehörte, ein Bürger der 4. Ciasse
vindex desselben werden konnte. Ob die zwölf Tafeln Genaueres
über diesen Punkt bestimmt haben, wissen wir nicht, wahrschein-
lich ist das nicht. Haben sie nichts Näheres bestimmt, so sind
die Worte der zwölf Tafeln (des fr. 4.) ganz so zu nehmen , wie
*ie zu übersetzen sind, denn alles ius ist in dieser Zeit strictum.
Neueste Literatur zu den XII Tafeln. 269
Dass nur objeetive Entscheidung über die Güte des vindex, durch
das Gesetz, stattfand, keine subjeetive des Gläubigers oder Klä-
gers, ist ganz republikanisch. Unrichtig ist es ferner, wenn F.
von sechs Classcn der Servianischen "Verfassung redet und die
Proletarii die sechste Classe bilden lässt.
lieber den Sinn des fünften Fragments: Ut idem iuris es-
set Sanatibtis qnod Fortibus lässt sich viel vermuthen, und ist
sehr viel verrauthet. Hr, F. hat die Vermutliung, es sei hier von
fremden Volkerschaften und den processualischen Verhältnissen
derselben zu den römischen Bürgern — von den lleciperatoren-
gerichlen die Rede. Da F. nach einer anderen Andeutung (p. 29.)
glaubt, dass die zwölf Tafeln auch völkerrechtliche Partien ent-
halten haben, so konnte er leicht zu dieser Vermutliung kommen.
An der letzteren Stelle äussert F., dass uns sehr Vieles von dem
Zwölftafelgesetz verloren gegangen, dass wir von .den wichtigsten
Materien, z. B. der Staatsverwaltung, dem Völkerrechte u. A.,
nicht einmal ein Wort hätten. Dieses unser Deficit ist aber wohl
einfach daraus zu erklären, dass von diesen Materien , der Staats-
verwaltung und dem Fölkerreht, wenig oder nichts auf den
zwölf Tafeln geschrieben stand. Daher ist mir jene Erklärung
Fischer' s nicht plausibel, gern aber mag ich ihr einen Platz neben
den übrigen Vermnthungcn gönnen. Ich erinnere mich irgendwo
die Vermutliung gelesen oder gehört zu haben, dass Foi tes die
Patricier, Sanates die Plebejer seien. Des Beweises dafür erinnere
ich mich nicht, die Annahme ist mir aber sehr wahrscheinlich.
Paul. Diac. (p. 84. ed. Müller) hat : Ford es (Forctus ?) frugi et
honus sive validus. Bei Festus p. 348. (ed. M.) lieisst es: Sa-
nates dicti sunt, qui supra infraque Bomam habitaverunt. vergl.
p. 321. .. Die Patricier waren bis dahin die boni , die ingenui, und
betrachteten sich allein als solche, die Plebejer waren die Land-
gemeinde, die Umwohner Roms (qui supra infraque Romam ha-
bitaverunt), selbst der Aventinus, der recht eigentlich als der
Sitz der Plebejer in der Geschichte derselben bezeichnet wird,
lag ausserhalb des Pomoerium. Nach dieser Deutung enthielte
denn jenes fünfte Fragment den Hauptsatz der zwölf Tafeln.
In der Erklärung des sechsten Fragments findet sich ein
seltsamer Irrthum. Die Worte des Praetors: iuite viam, redite
viam etc- (Cic. Mur. 32.) nimmt F. als eine Ermahnung des Prae-
tors zum gütlichen Vergleiche! vergl. Rein röm. Privatrecht
p. 461 sq.
Eine eigene Literatur hat die Frage über die Gesandtschaft,
die vor und behufs der Decemviralgesetzgebung nach Griechen-
land geschickt sein soll. Cockinos a. a. 0. p. 1 — 3. hat die Ge-
lehrten, die darüber geschrieben, classificirt. Gleichzeitig mit
der Dissertation von Cockinos ist geschrieben Grauer t de XII ta-
bularum fontibus atque argumento. Lingen 1836., welches Schul-
programm mir nur dem Titel nach bekannt ist. Sodann ist die
270 Römische Literatur»
Frage behandelt in einem vortrefflichen Werk eines ausgezeichne-
ten Schottischen Juristen : D. Irving Introduction to the study of
the civil law. The 4. edit. London 1837. 8. p. 12 sqq. Als man
noch blind alles für wahr hielt, was die alten Schriftsteller uns
berichten, fand man nicht das geringste Bedenken anzunehmen,
die Römer hätten sich einen grossen Theil des Zwölftafelgesetzes
Ton Athen und aus andern Theilen Griechenlands geholt, wie
man überhaupt auch geneigt war, wo sich nur eine kleine Aehn-
lichkeit des römischen Rechts mit fremdem Recht fand, ohne
Weiteres anzunehmen, die Römer hätten dieses ähnliche Recht
entlehnt. Der merkwürdige Italiener Giamb. Vico trat mit einer
starken Skepsis gegen die Annahme einer solchen Gesandtschaft
und die Folgerungen daraus hervor, und diese Skepsis war bis
auf die neuesten Zeiten sehr allgemein. In unserer Zeit haben
einige Gelehrten einen Mittelweg eingeschlagen (Niebuhr, Irving),
andere sind in das alte Extrem zurückgefallen und haben die Ge-
sandtschaft mit ihren Folgen stark in Schutz genommen. Zu die-
sen Gläubigen gehört Fischer und besonders Cockinos, dessen
griechischem Nationalstolze man ein Ueberschreiten der Grenze
wohl etwas zu Gute halten muss. Fischer findet es unbegreiflich,
wie Niebuhr die Behauptung aufstellen konnte: „das Privatrecht
nach fremdem Vorbild zu ändern , fiel sicher Niemanden ein",
und sucht durch Aehnlichkeiten des Zwölftafelrechts mit Atti-
schem Recht dies zu widerlegen. Cockinos nimmt einen gewal-
tigen Anlauf und verspricht den Gegenstand künftig diesem An-
lauf gemäss ausführlich zu behandeln. Er argumentirt in dieser
Weise: 1) die alten Schriftsteller berichten an vielen Stellen von
der Gesandtschaft und es ist kein Grund ihre Zeugnisse in Zwei-
fel zu ziehen ; 2) der Zustand des römischen Staats war zur Zeit
der Decemviralgesetzgebung der Art, dass die Römer das Be-
dürfniss fühlen mussten, fremde Rechte und Gesetze, nament-
lich die der Athener, zu benutzen; 3) die Vergleichung der
Zwölftafelgesetze und der athenischen Gesetze zeigt in vielen
Punkten Uebereinstimraung. Wenn des Cockinos Beweisführung
unseren Glauben an die Folgen der Gesandtschaft nicht vergrös-
sert hat, so ist der Grund, dass er zu viel Glauben hat. Er
schenkt den Zeugnissen der alten Schriftsteller, die er nach Go-
thofredus anführt, ungemessenen Glauben, und ebenfalls vertre-
ten ihm die Aussprüche neuerer Schriftsteller, zumal wenn er mit
seinen Argumenten nicht weiter kann, die Stelle von Beweisen.
Seinen zweiten Satz führt Cockinos so durch , dass wohl daraus
hervorgeht, dass die Plebejer einer Gesetzesreform bedurften,
die Athener damals einen geordneten Rechtszustand hatten, aber
keineswegs, dass die Römer von den Athenern Recht entnehmen
mussten, nicht die Substanz des erforderlichen Rechts hatten.
Die Ausführung des dritten Satzes, dass ein grosser Theil des
Zwölftafelrechts Solonisches Recht sei, leidet an demselben Feh-
Neueste Literatur zu den XII Tafeln. 2/1
ler, den Fischer's Zusammenstellung der Aehnlicbkeiten griechi-
schen und römischen Rechts hat. Wie mehrere Beiträge zu ei-
ner vergleichenden Jurisprudenz zeigen (vgl. besonders Falck in
den Kieler Blättern für 18:39. Bd. 1. p. 77 — 87 und in den Kie-
ler Beiträgen [1820] p. 148 sqq.), finden sich eine eben so grosse
Zabl vonUebereinstimmungen zwischen römischem und indischem,
mosaischem, türkischem und anderer aoii den Römern ganz verschie-
dener Völker Recht, als zwischen römischem u. griechischem Recht;
namentlich im Straf- und Erbrecht selbst der örtlich und geistig ganz
verschiedenen Völker finden sich merkwürdige Aehnlicbkeiten. Was
resultirt daraus 1 Sehr vieles ; aber unter Anderem giebt dies die be-
ste Warnung vor übereilten Folgerungen aus dergleichen Beobach-
tungen. Wer bei solchen, in unserer Zeit besonders vonThibaut und
Gans so sehr empfohlenen Forschungen und Studien geringere Zwe-
cke hat, als die organische Entwickelung des Rechts und der Gesetze
und der Menschheit überhaupt zu begreifen, bei dem artet ein sol-
ches Studium sehr leicht in Spielerei aus, die der Wissenschaft
nicht frommt. Wie sehr Niebuhr zu solchen Vergleichungen der
Einrichtungen und des Lebens der verschiedenen Völker geneigt
war, ist bekannt, aber ISiebuhr verlor den höheren Gesichts-
punkt dabei nie aus den Augen, und daher ist er dadurch zu wis-
senschaftlichen Resultaten gelangt. Das Wort und Beispiel die-
ses grossen Mannes warnt davor, aus zufälligen oder in der Na-
tur der Völker und Menschen überhaupt liegenden Ueberein-
stimmungen in Recht und Sitte auf Entlehnung dieser oder auf
gemeinschaftliche Abstammung der Völker zu schliessen (vergl.
Feodor Eggo: der Untergang der Naturstaaten p. 12.). Niebuhr
kannte sehr gut die mancherlei Aehnlicbkeiten attischen und rö-
mischen Rechts, es fiel ihm aber nicht ein, deshalb die organi-
sche nationale Entwickelung des römischen Rechts zu läuguen,
wie Cockinos und Fischer es thun. Hätten diese Ilegel's grosse
Ansicht von der Entwickelung des Menschengeschlechts gekannt,
so würden sie vielleicht zu einer anderen Ansicht über den fragli-
chen Gegenstand gekommen sein.
Fischer hebt p. 17. hervor, dass sich Aehnlicbkeiten der
zwölf Tafeln mit dem Attischen Rechte sogar in ganz unbedeu-
tenden Punkten finden, andere Gelehrte negiren hier die Entleh-
nung, eben weil die Aehnlicbkeiten geringiügiger Art seien (Cos-
mann de origine et fontibus legum XII tabularum [Amst. 1829.]
p. 34 sqq.). Wenii auch für unsere Frage diese Bemerkimg Fi-
schers nicht von grösser Bedeutung ist, so hat er gewiss darin
Recht, dass häufig sogenannte Kleinigkeiten und Einzelheiten
entscheidender sind bei der Vergleichung der Völker und ihrer
Einrichtungen, als die Uebereinstimmung in OVundeinrichtungen.
Irv(ng a. a. O. polemisirt in verständiger Weise gegen die,
welche die Gesandtschaft und ihre Folgen gänzlich gcläugnet ha-
ben (Vico, Bonamy, Gibbon, Aug. Mai, Macieiowski) , wiege-
272 Geographie.
gen die, welche angenommen haben, der grösste Theil des
Zwölftafelrechts sei Solonisches Recht. Irving begnügt sich nicht
mit einem non liquet, schlägt aber einen Mittelweg ein und
schliesst mit den Worten : „Some modifications (nämlich des
nationalen römischen Rechts), perhaps various regulations enti-
rely new, might be derived from a foreign source etc."
Ich halte Niebuhrs Ansicht über die Gesandtschaft und ihre
Resultate für das Beste , was über diesen Gegenstand geschrie-
ben ist, und stimme ihm namentlich darin bei, dass es den Rö-
mern nicht eingefallen ist , sich Privatrecht aus Griechenland ho-
len zu wollen. Wer beim Studium des römischen Privatrechts
die organische Entwickelung desselben verfolgt , muss einsehen,
dass die Fähigkeit der Rechtsbildung bei den Römern, wie bei
keinem anderen Volke ist. Das Recht ist eben der Gewinn, den
das Leben des römischen Volks der Entwickelung der Menschheit
gebracht. Die Reichen brauchten nicht zu borgen. Aber daraus
folgt noch nicht, dass die Gesandtschaft wegzuläugnen sei. Der
Verkehr zwischen Rom und Griechenland war vor und in der Zeit,
von der es sich handelt , gewiss weit grösser , als directe Zeug-
nisse der Schriftsteller aussagen, und die Römer waren nicht un-
bekannt mit den griechischen Staatseinrichtungen. Es ist in Be-
zug auf diese Gesandtschaft vielleicht das besonders hervorzuhe-
ben, dass die Römer jetzt nicht blos ein neues Gesetz wollten,
sondern eine ganz neue Regie/ tut gsfonn. Die plebs ist bei dem
ganzen Act der bewegende Theil, sie wollte das imperium der
Consuln gegen sich beschränkt haben, am liebsten gar keine,
denn die patriejschen Consuln hatten sich als ihre schlimmsten
Feinde gezeigt. Die patricische Regierungsweise sollte einer
neuen weichen, die für den neuen Staat passte, der vom alten
Patricierstaat wesentlich verschieden war. Eine solche Aende-
rung war nicht leicht und war ein Versuch, dessen Ausführung
und Erfolg nicht unzweifelhaft erscheinen konnte. Es musstc
daher rathsam sein, die Erfahrungen griechischer Staaten zu be-
nutzen und den athenischen Staat anzuschauen. Welches der
unmittelbare Gewinn dieser Anschauung gewesen — non liquet!
Kiel. Ed. Oscnbrüg gen.
Lehrbuch der Geographie für die oberen Classen höherer
Lehranstalten von C. E. Meinicke, Dr. und Professor am Gymna-
sium zu Prenzlau. Prenzlau. Druck und Verlag von F. W. Kal-
bersberg's Buchhandlung.
Das bezeichnete Buch, das der Verf. „dem Hrn. Professor
Carl Ritter, seinem hochgeehrten Lehrer und Freunde, zum
Zeichen seiner innigsten Hochachtung und Verehrung" widmet,
wird gewiss schon in den Händen sehr vieler Lehrer der Geogra-
Melnickes Lehrbucli der Geographie. 273
phie an Gymnasien und anderen höheren Lehranstalten und sol-
cher, die sich für acht wissenschaftliche Behandlung dieses Un-
lerrichtszweiges interessiren, gelangt sein. Das Bedürfniss eines
solchen Buches wenigstens muss fast allgemein empfunden wor-
den sein. Wer in den letztverflossenen Decennien sich mit dem
Unterricht in der Geographie an höheren Schulanstalten beschäf-
tigte, musste Kunde erhalten von den grossen Fortschritten, die
diese Wissenschaft durch die grossartigen Leistungen Carl Rit-
ter's machte. Wem nun die Wissenschaft, in der er unterrich-
tete, nur einigermassen an's Herz gewachsen war, der musste
doch sich verpflichtet fühlen, sich nach demjenigen umzusehn,
was Ritter in derselben geleistet hatte. Das Studium von Ritters
Erdkunde musste aber jeden , der nicht ganz ohne wissenschaftli-
chen Sinn war, zu der Ueberzeugung bringen, dass das, was
bisher als Geographie gegolten hatte , wenig Anspruch auf den
Namen einer Wissenschaft machen könne, dass es vielmehr nur
ein Aggregat von Notizen sei, ohne Princip zusammengestellt,
nach einem zufälligen, von Aussen hergenommenen, nicht im
inneren Wesen begründeten Schema geordnet, dazu häufig ohne
Kritik gesammelt, so dass ein richtiges Bild der Sache, deren
Kenntniss dadurch gelehrt werden sollte, unmöglich zu erlangen
war. Wer in der neueren Geographie aufgewachsen ist, wird es
oft unglaublich finden, welche unwahre Vorstellungen über die
wichtigsten Gegenstände die frühere Geographie in manchen Fäl-
len lieferte. So, um nur einige Beispiele anzuführen, wird der
in der jetzigen Geographie Bewanderte es kaum glaublich finden,
dass Ref. noch im Jahre 1826 einen allgemein geachteten und
auch wirklich höchster Achtung würdigen Universitätslehrer in
seinem geographischen Vortrage die Gebirge Asiens folgender-
massen beschreiben hörte: „Asien zerfällt durch seine beiden
Hauptbergketten , den Altai im Norden und den Taurus im Sü-
den, in Nord-, Mittel- und Südasien. 1) Der Altai beginnt
nördlich vom kaspischen Meere , geht östlich bis zum Baikalsce,
und dann weiter bis zum grossen Ocean. Er begränzt Sibirien im
Süden, und von ihm aus geht der Ural. 2) Der Taurus geht von
Vorderasien südlich zum kaspischen Meere, durch die persischen
Länder bis zur Ostgrä'nze der grossen Bucharci. Da spaltet er
sich in zwei Arme. Der eine geht nordöstlich und heisst Mustag
(Imaus) und verbindet sich mit dem Altai; der andere, südöst-
liche Arm begränzt Indien im Nordosten und bildet das Ilimalaya-
gebirge. Diese Kette schickt Arme aus: den Kaukasus zwischen
dem schwarzen und kaspischen Meere, südlich den Libanon in
Syrien, das Ghatsgebirge im diesseitigen Indien und andere Berg-
reihen auf der jenseitigen Halbinsel ohne besondere Namen."
Statt dessen wissen wir jetzt über die Bodengestalt Asiens, dass
es zwei grosse Hochländer enthält, die sich mit je einem ihrer
Winkel berühren: das östliche und das westliche Hochasien;
A. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. Jiibl. Bd. XXVIII. Hft. 3. 18
274 Geographie.
dass jenes ringsum durch Randgebirge eingeschlossen ist, ausge-
nominell den Raum zwischen dem Thiansclian und dem Alpenlande
des Altai , wo sich das Hochland allmälig nach Westen absenkt ;
dass dieses (das westliche Hocha«ien , oder das Plateau von Iran)
ebenfalls von Randgebirgen umgeben ist, die sich aber im Westen
einander nähern und zuletzt zusammen eine Gebirgslandschaft im
Südwesten des kaspischen Meeres bilden; dass die.Ghatsgebirgc
keine von dem Taurus auslaufende Kette sind, sondern Randge-
birge eines isolirten Plateau's, des Plateau's von Dekan; dass
der Mustag keineswegs einerlei ist mit dem Imaus, noch ein Arm
des Taurus, noch ein verbindendes Glied zwischen diesem und
dem Altai, sondern nur der einheimische IName des westlichen
Theils desjenigen Gebirges, welches wir oben mit dem chinesi-
schen Namen Thianschan bezeichnet haben; dass endlich der
Ural keine von dem Altai ablaufende Kette ist, sondesn ein iso-
lirtes Gebirgssystem, das sich namentlich mit seinem Südfusse
durchaus in ein Tiefland absenkt, und zwar in das tiefste der
Erde, das des kaspischen Meeres, das in seinen tiefsten Theilen
sogar 100 F. unter der Meeresfläche liegt. — In derselben geo-
graphischen Vorlesung hörte der Ref. die Bodengestalt Afrikas
folgendermassen schildern: „Zwei Gebirgsketten durchziehen
Afrika von Westen nach Osten. Die eine, die nördliche, in gc-
ringer Entfernung vom Meere, ist das Atlasgebirge. Es fängt an
der Westküste in Fez und Marokko an und erreicht hier sogleich
seine grösste Höhe. Von da zieht es sich östlich durch Algier
und Tunis Hier senkt es sich aber zu Hügeln herab. Dann geht
diese Kette durch Tripolis, immer wenige Meilen von der Küste,
dann nach Aegypten , wo sie sich mit den Gebirgen des Nilthals
vereinigt. Die zweite Kette geht in der Mitte durch Afrika , das
Konggebirge. Sie läuft ebenfalls von Westen nach Osten und
zwar zwischen 10° nördlicher und 10° südlicher Breite." Statt
dessen betrachtet die jetzige Geographie das ganze südliche Africa
bis ungefähr 10 — 12° nördlicher Breite als ein zusammenhan-
gendes Hochland, von dein die Hochländer von Ober-Guinea
nur durch das Quorra- oder Nigerthal getrennt sind, und das
tdch nach Norden theils in das Tiefland der Sahara, theils durch
das Stufenland des Nils bis zum mittelländischen Meere hinab-
senkt. In dem Atlas erkennt aber die jetzige Geographie eben-
falls keine Kette mehr, sondern ein, nicht bloss in die Länge,
sondern auch in die Breite ansehnlich ausgedehntes Plateauland.
Dasselbe dehnt sich aber nicht bis nach Aegypten aus ; sondern
südlich von der grossen Syrte reicht das Tiefland der Sahara bis
an das mittelländische Meer. Oestlich von dieser Einsenkung
aber erhebt sich noch ein isolirtes Plateau, das von Barke oder
Cyrenaica.
Wenn nun die Gesammtansicht der Bodengestalt ganzer
Welttheile sich in der Wissenschaft dermassen umbildete, wie
MciniekcB Lehrbuch der Geographie. 275
das hier nur an einigen Beispielen gezeigt ist, wenn, was sonst
als Hauptsache gait , in den Hintergrund gestellt , Anderes , was
früher nur oberflächlich beachtet wurde, als die Hauptsache des
geographischen Wissens auf das Genaueste untersucht wurde,
wenn man in der Einsicht in das wesentliche Verhältniss zwischen
der Natur des Landes und der historischen Entwickelung des
Menschengeschlechts in demselben das hohe Ziel der Wissen-
schaft erkannte und zu diesem Ziele von Jahr zu Jahr die überra-
schendsten Fortschritte machte, so konnte doch unmöglich der
Lehrer der Geographie, der diese Fortschritte der Wissenschaft
geistig mit erlebte, dies Alles ohne Einfluss auf seinen Unterricht
lassen. Er konnte doch unmöglich sich überwinden, was er ge-
radezu als Unwahrheit erkannt hatte, noch ferner zu lehren, und
das zu verschweigen , was ihm als wichtigstes Element der gan-
zen Wissenschaft klar geworden war.
Hatte nun aber der Lehrer der Geographie bei seinem Un-
terrichte eins der älteren, oder doch nach der alten Weise ein-
gerichteten Lehrbücher zum Leitfaden, so kam er dadurch mit
diesem in einen störenden Widerspruch. Vorzugsweise musste
dieser Uebelstand bei dem Unterrichte in höheren Classen fühl-
bar werden, und es mögen Manche, wie lief., es vorgezogen
hauen , ohne Lehrbuch zu unterrichten. Dennoch ist es für die-
ses Fach wichtiger, als für irgend ein anderes, dass die Schüler
zur Vorbereitung und Wiederholung ein zweckmässiges Buch in
Händen haben. Damit mag die im Anfange dieses Berichtes aus-
gesprochene Vermuthung, das Buch, von welchem hier die Rede
ist, welches sich gerade als Lehrbuch für die oberen Classen hö-
herer Lehranstalten ankündigt, werde schon in die Hände vieler
Lehrer gelangt sein , gerechtfertigt erscheinen , um so mehr, da
der Verf. desselben dem sich für Geographie interessirenden
Publikum schon durch zwei bedeutende Schriften als geographi-
scher und historischer Forscher bekannt ist, nämlich den ^Ver-
such einer Geschichte der europäischen Colonien in Westindien.
Weimar 1831" und „Das Festland Australien. Eine geographische
Monographie. Prenzlau 1837 — 38. u
Nun wollen wir aber nicht verkennen, dass seit dem Erschei-
nen der Ritter'schen Erdkunde schon Manches geschehen ist für
eine wissenschaftlichere Behandlung des geographischen Unter-
richts. Vor allen Dingen ist hier das hodegetische Handbuch der
Geographie von Selten zu erwähnen, ein Buch, das jedem Leh-
rer der Geographie viel Wichtiges zu bedenken giebt. Das
Hauptverdienst dieses Buches besteht in der sorgfältigen Behand-
lung der topischen Geographie; denn gewiss war es ein Hauptfeh-
ler der früheren Behandlung des geographischen Unterrichts,
dass dem Schüler gleich auf der ersten Bildungsstufe zu vielerlei
geboten wurde, während es da vor allen Dingen darauf ankommt,
demselben ein anschauliches Bild von den räumlichen Verhältnis-
18*
276 Geographie.
seu der Erdoberfläche als Grundlage aller geographischen Kennt
nisse zu verschaffen. Aber eine so abstracte Sonderling des geo-
graphischen Lehrstoffs in topische Geographie für die unterste
Bildungsstufe , physikalische für die mittlere und politische für
die oberste, wie sie das Selten'sche Buch fordert, führt zu sehr
vom Leben ab und gewährt dem Schüler zu wenig Befriedigung.
Ueber Schachts „Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit"
(Mainz 1831) und über die viel gebrauchten Volger'schen Bücher
hat Ritter selbst in der in der königlichen Akademie der Wissen-
schaften gelesenen Abhandlung „über das historische Element in
der geographischen Wissenschaft" (Berlin 1834) sich ausgespro-
chen und, bei aller gebührenden Anerkennung der Bestrebungen
dieser Männer, erklärt, dass dabei nicht stehen geblieben wer-
den könne. Ueber die Volger'schen Bücher ist noch namentlich
zu bemerken, dass mit jeder neuen iVuflage mehr Ritter'sches
Element aufgenommen wurde. Aber die Form blieb die alte,
und so wurde gerade das Unpassende derselben immer fühlbarer,
wie das ja immer geht, wenn neuer Wein in alte Schläuche ge-
tlian wird. Das Bedeutendste , was in neuester Zeit für den geo-
graphischen Unterricht erschienen ist, sind unstreitig die Bücher
von Albrecht von Roon „Anfangsgründe der Eid-, Völker- und
Staatenkunde. Ein Leitfaden für Schüler von Gymnasien, Mili-
tair- und höheren Bürgerschulen. Dritte Auflage. Berlin 1838."
und „Grundzüge der Erd-, Völker- und Staatenkunde. Ein
Leitfaden für höhere Schulen und den Selbstunterricht. Zweite
Auflage. (Erster Band 1837, zweiter Band 1838, der dritte Band,
die politische Geographie enthaltend, noch nicht erschienen.)
Aber für die Bedürfnisse der oberen Classen höherer Lehranstal-
ten ist doch durch das Lehrbuch des Hrn. Meinicke besser ge-
sorgt. In den oberen Schulclassen muss offenbar der gesammte
geographische Lehrstoff zu einer Einheit zusaramengefasst wer-
den, und zwar so, dass als Aufgabe der Geographie erscheint,
wie der Verf. §147. ausspricht: „die Nachweisimg der Gesetze,
nach denen die Erdoberfläche gebildet erscheint, mit steter
Rücksicht auf den Einfluss , welchen ihre Bildung auf die gei-
stige Entwickelung des Menschengeschlechts ausübt. Bei der
Trennung der Geographie in topische, physikalische und politi-
sche für drei auf einander folgende Lehrstufen, wie sie von Roon
nach dem Vorgange des hodegetischen Handbuchs von Selten in
seinen Anfangsgründen durchgeführt hat , ist aber die Erreichung
gerade dieses Zwecks viel schwieriger, als bei der Methode, die
Nr. Meinicke in seinem Lehrbuche befolgt, wonach alle Theile
der Erdoberfläche, nach den natürlichen Verhältnissen einge-
theilt, jedesmal in allen ihren wesentlichen Beziehungen darge-
stellt werden.
Die Einrichtung des Buches ist aber folgende: Es zerfällt
in drei Bücher, von denen das erste die allgemeine, das zweite
Mciuickes Lehrbuch der Geographie. 2/7
und dritte die specielle Geographie enthält. Das erste Buch ist
in 9 Abschnitte getheilt. Der erste Abschnitt betrachtet die Erde
' als Weltkörper und ihre Stellung im Sonnensysteme. Er enthält
diejenigen Vorbegriffe aus der mathematischen Geographie, de-
ren die Erdkunde bedarf, aber auch nur diese, ohne sich zu weit
in astronomische Gegenstände zu verlieren. Die Begriffe sind
durchweg klar entwickelt. § 10. wünschte Ref. einen Ausdruck
anders. Es heisst daselbst: „Den Theil der Erdoberfläche, wel-
chen die Sonne erleuchtet, nennt man den Belcuchtungskreis; er
durchschneidet alle Parallelkrcise, in der Begel aber alle un-
gleich, nur den Aequator stets in gleichen Hälften.1' Der Be-
lcuchtungskreis durchschneidet aber nur zur Zeit der Aequino-
ctien alle Parallelkreise, und dann alle gleich. Je ungleicher er
die Parallelkreise schneidet, und je mehr sich die Sonne den Sol-
stitialpunkten nähert, desto mehr Parallelkreise bleiben nördlich
und südlich von den beiden Polarkreisen vom Beleuchtungskreise
unberührt. Der zweite Abschnitt „über die Ausbildung der Erd-
oberfläche" enthält dasjenige Geognostische , was die Geographie
nicht entbehren kann, und Ref. muss sagen, dass er nocli nie
dies in solcher Kürze und zugleich mit solcher Klarheit dargestellt
gefunden hat. Der dritte Abschnitt, der die Bildung des Landes
behandelt, entwickelt die Begriffe, die bei der Schilderung der
Bodengestalt der Länder nach Ritter scher Weise unentbehrlich
sind, als die Begriffe von absoluter und relativer Höhe, Tiefebe-
nen und Hochebenen, Berg und Gebirge , Thäler, Längenthä'ler,
Querthäler, Seitenthäler, Randgebirge, Stufenländer u. s. w.
Der vierte Abschnitt handelt über die Bildung der Oceane, der
fünfte über das Verhält niss zwischen dem Lande und den Ocea-
nen (wo besonders die schöne Entwickelung des Begriffs von
Landindividuen und deren Weltstellung zu loben ist), der sechste
über das Verhäftniss der Erdoberfläche zur Atmosphäre (Klimato-
logie). Auch den siebenten Abschnitt von der Verbreitung der
Pflanzen und Thiere auf dem Erdboden findet Ref. ganz den Be-
dürfnissen des geographischen Unterrichts angemessen. In der
klimatischen Reihenfolge der Cerealien § 133. Anm 1. sind als
auf einander folgend angegeben: Reis, Hirse, Mais, Weizen,
Roggen, Hafer, Gerste. Hier hätte wohl die Hirse näher be-
zeichnet werden müssen , als Sorghum vulgare und succharatum,
weil man unter Hirse schlechtweg unser Panicum miliaceum zu
verstehen gewohnt ist. Der achte Abschnitt „das Verhältniss des
Menschen zur Erdoberfläche" enthält zuerst das allgemeine Eth-
nographische , was die Geographien gewöhnlich in ihrem allge-
meinen Theile enthalten, aber ausserdem auch das Allgemeine
über den innigen Zusammenhang zwischen den geographischen
Verhältnissen der Länder und den historischen der Völker, so
dass hier erst der Begriff der Weltstellung seine volle Bedeutung
erhält, und die Aufgabe der Geographie, die im 2. Abschnitte
'21$ Gcugrapluc
als Entwickelung der Gesetze , nach denen die Erdoberfläche ge-
bildet erscheint, gefasst war, hier erst näher dahin bestimmt
wird, dass als höchstes Ziel derselben erscheint: die Einsicht
in das wesentliche Verhältniss zwischen dem Boden des Landes
und der historischen Entwickelung des Menschengeschlechts auf
demselben. Nachdem so auf eine wahrhaft wissenschaftliche
Weise das Wesen der Geographie und ihr Ziel erfasst ist, giebt
der neunte Abschnitt eine gedrängte Uebersicht dessen, was bis-
her in dieser Wissenschaft geleistet worden ist, die allerdings in
einem Lehrbuche für die oberen Classen höherer Lehranstalten
nicht fehlen darf. — Indem wir nun hiermit die Uebersicht über
den allgemeinen Theil schliessen , können wir nicht umhin , un-
sere Leser auf die schöne Ordnung aufmerksam zu machen, nach
welcher in demselben alle Gegenstände an der Stelle zur Sprache
gebracht werden, wo die Erläuterung derselben aus dem Vorher-
gehenden ihre Ergänzung findet, und auf das Nachfolgende wie-
der das nothwendige Licht wirft.
Was nun die specielle Geographie betrifft, so zerfällt sie in
2 ungleiche Theile, indem das zweite Buch die continentale, das
dritte die oceanische Erdhälfte behandelt. Mit dieser Einthei-
lung wird gewiss jeder, der die Durchführung derselben in dem
Buche nachgelesen hat, im Ganzen einverstanden sein. Aber
nach des Ref. Dafürhalten müssen solche Einteilungen nicht gar
zu mathematisch streng genommen werden , und so ist er mit
dem Verf. darin nicht einverstanden , dass derselbe die ostasiati-
schen Inselgruppen in den zweiten Theil gezogen hat , zu wel-
chem freilich ein grosser Theil derselben seiner Lage nach ge-
hört. Der Verf. selbst sagt § 681.: Diese Inseln haben asiatische
INatur und stehen in jeder Beziehung mit Asien in enger Verbin-
dung. Ist dem aber so, so darf ihre Darstellung auch nicht von
der Betrachtung des asiatischen Continents getrennt werden.
Das zweite Buch (die continentale Eiidhälfte) behandelt nun
zuerst die Continente der alten Welt (Afrika, Abschnitt I.; Asien,
Abschn. II.; Europa, Abschn. III — VI.); sodann Amerika, Abschn.
VII. ; endlich den Nordpolarocean, Abschn. VIII. Wie in Ritter1«
Erdkunde, ist Afrika vorangestellt, weil es der einfachste und
einförmigste Continent ist, und eben desswegen am leichtesten
zu begreifen. Asien bildet sodann den natürlichen Uebergang
von dem ungegliederten Afrika zu Europa, das durch seine vor-
herrschende Gliederung der begünstigtste unter allen Continenten
ist. Amerika bildet dann schon den Uebergang zu der oceani-
schen Natur. Der Nordpolarocean ist endlich in Verbindung mit
der continentalen Erdhälfte abgehandelt , weil er ganz innerhalb
derselben liegt und von den Continenten Europa, Asien und
Amerika so eingeschlossen ist , dass er fast die Gestalt eines Bin-
nenmeeres annimmt. Bei der Behandlung von Afrika und Asien
sind natürlich, wie auch der Verf. in der Vorrede erklärt, Kit-
Mcinickes Lehrbuch der Geographie. «?•'
ter's Untersuchungen zu Grunde gelegt. Aber die Behandlung
der übrigen Tlieile ist nicht minder gelungen , als wo der Verl*
einem solchen Führer folgen konnte. Der Geist hat ihn auch da
in alle Wahrheit geleitet.
Das dritte Buch, die oceanisehe Erdhälfte , zerfällt in sechs
Abschnitte, von denen der erste den Continent Australien, der
zweite die ostasiatischen Inselgruppen, der dritte den grossen
Ocean, der vierte den atlantischen, der fünfte den indischen,
der sechste den Südpolarocean behandelt.
Was die Anordnung des Einzelnen betrifft, so besteht ge-
rade darin das Hauptverdienst des Verf. Allenthalben wird der
Stoff nach seinen natürlichen Abtheilungen zerlegt , die Landindi-
viduen werden jedesmal zuerst nach ihren natürlichen Verhältnis-
sen allseitig geschildert; daran schliesst sich das Ethnographi-
sche, und zuletzt das Statistische, dies Letztere aber nur in
ganz kurzen Skizzen. Die Beziehungen zwischen dem Lande und
der Geschichte seiner Bewohner sind immer nur in Anmerkungen
angedeutet. Die Ausführung derselben bleibt dem Lehrer über-
lassen. Nun ist es freilich unumgänglich nöthig, dass jeder Leh-
rer der Geographie in oberen Classen auch tüchtige historische
Studien gemacht habe. Aber Ref. glaubt doch , dass schwerlich
von der Mehrzahl dieser Lehrer so viel in diesem Fache geleistet
wird , als der Verf. fordert. Für diese, in deren Zahl Kef. sich
selbst durchaus mit einrechnet, konnte der Verf. ohne Zweifel
sich eiu sehr grosses Verdienst erwerben , wenn er sich ent-
schlösse, ein erläuterndes Handbuch seinem Lehrbuche hinzuzu-
fügen. Namentlich die vielen specialhistorischen Anmerkungen
möchten gar Vielen ohne ein solches Hülfsraittel schwer auszu-
legen sein.
Die Sprache ist durchweg dem Inhalt angemessen und wirk-
lich musterhalt für solche Darstellungen, gleich weit entfernt
von gesuchtem Schmuck und von Trockenheit, durch und durch
einfach und doch lebendig. Wenn Uef. mit dem Verf. über einige
sprachliche Punkte rechtet, so wird dieser einem Schulmeister
das verzeihen. Nämlich einmal kann Kef. es nicht billigen, wenn
fremde geographische Namen, die einmal mit einem gewissen Ge-
schlechte, abweichend von der Sprache, in der sie einheimisch
sind, Eigenthum der Sprache des Volkes oder wenigstens der
Gebildeten geworden sind , der fremden Sprache zu Gefallen,
geändert werden, wenn man z. B. der Tiber und der Rhone sagt.
Die Sprache verfährt keineswegs willkürlich bei solchen Gc-
schlechtsändcrungen, sondern sie folgt dabei Analogien, die in ihr
selbst begründet sind, wie denn die VVeser, die Oder, die liier für
die Tiber, die Elbe, die Saale, die Lerne für die Rhone das Vorbild
abgaben. Ueberhaupt muss man sich hüten, nach blossen verstan-
de8mässigen Consequenzen in der Sprache bilden zu wollen. Aus-
serdem ist es dem Ref. aufgefallen, dass der Verf. hangt statt
280 Mathematik.
hängt, Abhänge statt Abhänge, abhangig statt abhängig sagt.
Das Verbuni hangen nimmt als ein Verbum der starken Conju-
gation in der 2. und 3. Pers. Praes. den Umlaut an, ebenso wie
fangen, fallen, halten. Abweichend von dieser Analogie ist nur
kommst und kommt statt kömmst und kömmt, aber eigentlich auch
nur in der «ScAr(#sprache in fast allgemeinen Gebrauch gekom-
men. Rufst und ruft, backst und backt können hiegegen nicht
aufgestellt werden, weil auch die Imperfecta nach der schwachen
Conjugation bei diesen Verben vorkommen.
Der Druck des Buches ist, was bei einem geographischen
Buche nicht unerheblich , sehr correct. Dem Ref. sind nur fol-
gende Unrichtigkeiten aufgestossen : § 104. und auch an anderen
Stellen Athmosphäre statt Atmosphäre, § 194. Okaly statt Olaky,
§ 432. Rhume statt Ruhme und § 541. (Pas de Calais) 1 M.
statt 4 M.
Zum Schluss noch eine Bemerkung. Der Verf. hat sein Buch
nur zum Lehrbuch für die oberen Classen höherer Lehranstalten
bestimmt. Ref. glaubt aber, mit vollem Rechte allen denjenigen
dasselbe empfehlen zu können , die sich über die Resultate der
neueren Forschungen in der Geographie zu belehren wünschen,
ohne doch Zeit zu haben , die Ritter'schen und andere ausführli-
che Werke zu studiren.
Oldenburg. Karl Hagena.
Lehrbuch der Mathematik für Gymnasien und höhere Bür-
gerschulen , von Heinr. Gust. Docrk, Director der höheren Bürger-
schule zu Marienburg in Pr. I. Bd. unter dem Titel: Lehrbuch
der Arithmetik und Algebra. 1. Theil, Arithmetik. 1839. gr. 8.
XII und 208 S. III. Bd. 1. u. 2. Thl. Lehrbuch der Planimetrie
und ebenen Trigonometrie mit 4 Figurentafeln. 1838. 92 u. 63 S.
(beide 2 fl. 24 kr.)
In der Vorrede erklärt sich der Verf. über die Anordnung
des Stoffes und über den Gebrauch der Bearbeitung, bei welcher
er nicht dasselbe Verfahren beobachtet haben will, welches an-
dere Verfasser ähnlicher Lehrbücher befolgten , aber nicht über
die Ursache, 'warum der 3. Batid schon im Jahre 1838, der 1.
aber erst 1839 erschienen ist. Er hat den gesammten Stoff der
Elementar -Mathematik so geordnet, dass der 1. Bd. die allge-
meine Arithmetik, der 2. die Lehre von den algebraischen Glei-
chungen, der 3. die Planimetrie und ebene Trigonometrie und
der 4. die Stereometrie und sphärische Trigonometrie enthält.
Der 1. und 3. Band sollen hier nach ihrem wissenschaftlichen,
pädagogischen und praktischen Werthe kurz beleuchtet werden,
da nur sie dem Rec. vorliegen. Die Beurtheilung des 2. und 4.
wird bald nachfolgen.
Docrks Lehrbuch der Mathematik. 281
Der allgemeine Inhalt jedes Bandes giebt dem Leser eine
kurze Uebersicht des Stoffes , welchen der Verf. an Gymnasien
und höheren Bürgerschulen gelehrt' wissen will ; allein jener er-
kennt daraus noch nicht, in welcher Ordnung die einzelnen Dis-
ciplinen vorgetragen werden , weswegen Rec. das Inhalisverzeich-
niss mittheilt und seine Bedenken über grössere oder geringere
Zweckmässigkeit beifügt. Nach einer kurzen Einleitung S. 1 — 4.
behandelt der Verf. die Arithmetik und Algebra in 6 Abschnitten:
l)-die einfachen Rechnungsverbindungen der ganzen Zahlen, der
Brüche und Primzahlen, S. 7 — 42.; 2) das Potenziren und Wur-
zelausziehen, die Rechnungen in Potenz- und Wurzelgrössen in
ihrer Gesammtheit, S. 43 — 125.; 3) die Verhältnisse, Proportio-
nen und Reihen, S. 126 — 160.; 4) die Logarithmen, S. 161 —
174.; 5) die Kettenbrüche, S. 175 — 185., und 6) die Permu-
tationen, Combinationen und Variationen, S. 186 — 208.
So sehr es Rec. billigt, dass der Verf. im 2. Abschnitt die
Gesammtlehre von den Potenzen mit positiven und negativen, gan-
zen und gebrochenen Exponenten, von den Zahlensystemen, Qua-
dratzahlen und Quadratwurzeln und von dem Binomialsatze vor-
getragen und dadurch den Lernenden einen Ueberblick von der
ganzen Disciplin dargeboten hat, so wenig billigt er es, dass die
Gesetze der Potenzen für einfache und zusammengesetzte Grös-
sen, für ganze und gebrochene, positive und negative Exponen-
ten nicht vor den Wurzel -Berechnungen vorgetragen und da-
durch letztere nicht nach ihrem ganzen Umfange begründet sind.
Der Binomialsatz gehört zu dem Erheben zu Potenzen und bildet
die Grundlage für das Wurzelausziehen; dort steigt der Lernende
von der Basis zu den allmäligen Potenzen und der allgemeinen
Potenz jedes Binomiums und Polynomiums, hiervon der Potenz
zur Basis herunter , wofür ihm jener Gang den Weg bahnt.
Auch stimmt Rec. dem Verf. darin nicht bei, das Potenziren
und Wurzelausziehen in vollständigen Zahlengrössen von den vier
anderen Operationen getrennt und diese zwei Veränderungsarten
nicht als selbstständige Operationen an jene gereihet zu haben ;
denn nur durch die zusammenhängende Betrachtung der drei
Vermehrungs- und eben so vieler Verminderungsarten, welche
sich in drei Gegensätzen ergänzen, wird den Lernenden eine
klare und umfassende Uebersicht von den Zahlen- Veränderungen
und gründliche Einsicht in den Charactcr derselben verschafft.
Unterbrechungen, wie sie hier vorkommen, können einem conse-
quenten und gründlichen Unterrichte, wie ihn der wissenschaftli-
che Vortrag der Mathematik fordert, weder entsprechen noch
den erwarteten Erfolg bringen.
Die Trennung der Kettenbrüche von den gemeinen Brüchen
billigt Rec. eben so wenig als das Vortragen der Lehre von Pro-
portionen und Reihen vor den Gleichungen, weil jene auf den
Gesetzen letzterer beruhen. Der Verf. bemerkt zwar in der Vor-
282 Mathematik.
rede, die beiden ersten Theile, d. h. die Arithmetik und Alge-
bra, worunter jener die Gleichungslehre zu verstehen' scheint,
müsstcn gleichzeitig in den Händen der Schüler sein, da die Glei-
chungen des 1. und 2. Grades viel früher gebraucht würden, als
die Reihen, Logarithmen, Kettenbrüche und combinatorischen
Operationen. Allein Rec. hält diese Anordnung und diesen Ge-
brauch des Buches für unzweckmässig und den Forderungen der
Wissenschaft und Pädagogik widersprechend, weil er das Wesen
der Zahlenlehre in dem Verändern , Vergleichen und Beziehen
sucht, das erste dem 2., dieses dem 3. und das 1. und 2. dem 3.
vorausgehen, also das Betrachten jedes vorhergehenden Gesichts-
punktes den nachfolgenden vorbereiten und begründen muss. Der
Verf. würde daher allein gründlich und consequent verfahren sein,
wenn er im 1. Theile alle Veränderungsarten der ganzen und ge-
brochenen, einfachen und zusammengesetzten, positiven und ne-
gativen Zahlen nebst Kettenbrüchen und combinatorischen Opc-
i ationen, welche ja auf blossen analytischen Gleichungen beru-
hen, die sich nur in jenen Veriinderungsarten finden und gar ke-
ner weiteren Erörterung bedürfen, da sie sich stets von selbst
ergeben und in blossen Ableitungen oder Ausführungen von for-
mellen Operationen bestehen, abgehandelt und die Gesetze von
den Vergleichungen und Beziehungen , d. h. die Lehre von den
synthetischen Gleichungen , Proportionen , Logarithmen und Rei-
hen nebst ihren Anwendungen auf die zusammengesetzte Zins-
rechnung in den 2. Theil überwiesen hätte.
Nach dieser allgemeinen, die Anordnung des arithmetischen
Stoffes betreffenden Bemerkungen wendet sich Rec. zur Bearbei-
tung selbst und bemüht sich, diese möglichst kurz nach ih
rem Werthe zu schildern. Er vermisst in der Einleitung die Er-
örterung der Frage, wie Mathematik entsteht, was Grösse ist,
wie sich diese betrachten lässt und wie hieraus der wissenschaft-
liche Charakter entsteht; die Nachweisung, dass und wie die
Zahlen sich verändern, vergleichen und beziehen lassen, wie aus
dem Zählen über die Einheit die positiven, unter dieselbe die
negativen Grössen , wie aus den formellen Operationen die analy-
tischen Gleichungen entstehen, worin der Zweck jener Verände-
rungsarten, der analytischen und synthetischen Gleichungen be-
steht u. dgl. Endlich sollten die Begriffe für das Schema der
mathematischen Methode nicht übergangen sein, weil sie der
Verf. gebraucht, also der Lernende genau kennen muss.
Aus den Erklärungen der Begriffe Addiren, Snbtrahiren
u. s. w. nebst anderen zu denv einzelnen Operationen gehörigen
Begriffen ergeben sich stets gewisse allgemeine , leicht fassliche,
elementare Wahrheiten, Grundsätze, welche als leitende Ge-
sichtspunkte für die theoretische Behandlung der Operationen die
nen; diese hätte der Verf. nicht übersehen, sondern den Lehr-
sätzen voranstellen sollen , damit die Schüler letztere selbststän-
Docrks Lehrbuch der Mathematik. 283
dig beweisen und aus diesen wieder neue Wahrheiten ableiten
lernten. Bevor der Beweis geführt werden kann , dass positive
Summanden eine positive und negative eine negative Summe ge-
ben , ist das Gesetz zu beweisen , dass bei gleichartigen Grössen
die Coefficienten zu addiren sind. Als neue Bezeichnung für die
negativen Grössen führt der Verf. das Zeichen (u) ein , welches
er über die Grösse oder ihren Coefficienten setzt, weil das übli-
che Zeichen ( — ) unzweckmässig sei und nicht immer dieselbe
Bedeutung habe, so dass also 4a — 9a soviel ist als 4a — ( — 9a)
— 4a -J- 9a = 13a. Ob hiermit für die Deutlichkeit und Verständ-
lichkeit etwas gewonnen ist, bezweifelt Rec. sehr. Hätte der
Verf. nur auf die doppelte Bedeutung der Zeichen + und — als
Operations- und Beschaffenheitszeichen für die Grössen aufmerk-
sam gemacht , so würde sich Alles leicht ergeben haben.
In wiefern das Subtrahiren in einem Aufheben einer positiven
oder negativen Zahl besteht und hieraus die Umkehrung des Zei-
chens der aufzuhebenden Zahl sich ergiebt, leuchtet dem Schü-
ler aus den Angaben des Verf. nicht klar ein. Aehnliche Bemer-
kungen lassen sich für die übrigen zwei Operationen machen. Die
wichtigeren Gesetze von den Brüchen und Primzahlen sind gut
behandelt und setzen die Lernenden in den Stand , die weniger
wichtigen Sätze selbst abzuleiten und die etwa beigefügten Fra-
gen zu beantworten. Statt Basis der Potenz sagt man wohl bes-
ser „Dignand*', weil der Begriff zugleich angiebt, was mit der
unter ihm verstandenen Grösse geschehen soll. Potenzen sind
nur dann gleichartig, wenn sie gleiche Dignanden haben; und
heisscn bei gleichen Exponenten „gleichnamig" ; aus diesen Be-
griffen und ihrem Gegensatze ergiebt sich eine Eintheilung der
Potenz- und Wurzelgrössen in gleichartig -gleichnamige u. s. w.
Diese lassen sich nur addiren oder subtrahiren. Für die Multi-
plication oder Division brauchen sie bloss gleichartig zu sein. Das
Potenziren von Binomien ist übergangen, was hinsichtlich der
Forderungen der Consequenz nicht zu billigen ist. Mit den Ge-
setzen der Potenzen ist das dekadische Zahlensystem und die
Lehre von den Decimalbrüchen verbunden; beide erörtert der
Verf. möglichst gründlich und umfassend.
Die Behandlung der Aufgaben, ein Binom und Polynom zu
quadriren beim Ausziehen der Wurzeln, entspricht dem conse-
quenten Vortrage nicht; nach des Rec. Ansicht sind diese mit
dem Erheben zu Potenzen zu verbinden und die Gesetze der 2.
und 3. Potenzen der Binomien daraus abzuleiten, um dem Schü-
ler den Weg zu bahnen für eine sclbstständige Ableitung der hö-
heren Potenzen und für das Ausziehen der Wurzeln. Aehnlich
verhält es sich mit dem Cubiren und Ausziehen der Cubikwurzeln.
Die Entwicklungen für den binomischen Lehrsatz und die Folge-
rungen aus ihm entsprechen den pädagogischen Forderungen
284 Mathematik.
nicht. Der Verf. hätte unfehlbar den Zweck vollkommener und
leichter erreicht, wenn er ans den 6 bis 8 ersten Potenzen des
Binomiums a -f- b die besonderen Gesetze für die Exponenten der
Binomialtheile und für die Ableitung der Coefficienten entwickelt
und hierdurch den Schüler vom Besonderen zum Allgemeinen er-
hoben hätte. Die Anwendungen auf Binomien mit negativen und
gebrochenen Exponenten ergeben sich aus den allgemeinen Ge-
setzen von selbst und werden von dem Schüler um so lebendiger
durchdrungen, je mehr er angeleitet wird, sie selbst zu entwi-
ckeln, und je «infacher er Alles werden sieht. Die Einmischung
der goniometrischen Funktionen möchte dem Elementar -Unter-
richte nicht entsprechen; statt ihrer würde die Behandlung von
Potenz- und Wurzelbinomien eine lehrreichere Uebung dargebo-
ten haben.
Die ganze Behandlung der Potenzen mit Einschluss des Po-
tenzirens von Binomien und der Wurzelgrössen kann weder von
der wissenschaftlichen noch pädagogischen Seite unbedingt ge-
billigt werden, weil ihr der innere Zusammenhang und die Be-
gründung verschiedener Lehren durch einander abgeht. Die
ganze Disciplin macht den 3. Gegensatz der Zahlen Veränderungen
aus; daher sollten die wichtigsten Gesichtspunkte derselben er-
klärt und namentlich die Wurzel- und imaginären Grössen nach
ihren Veränderungsarten gründlich durchgeführt sein. Wie man
letztere an jenen ausführt, lernt der Schüler nicht kennen; Kec.
findet daher eine grosse Lücke, welche zur Empfehlung des Bu-
ches nicht beiträgt; denn der Zusammenhang wird unterbrochen
und die notwendigen Gesetze bleiben dunkel. Würden nach
diesen Entwickelungen die combinatorisch.cn Beziehungen betrach-
tet worden sein, so würde sich Bec. mehr Nutzen für die Ler-
nenden versprechen , als wirklich der Fall zu sein scheint.
Verhältniss nennt der Verf. die Entstehungsart einer Zahl
aus der andern, womit Bec. nicht einverstanden sein kann, da
ihm jener Begriff das Beziehen zweier Zahlen hinsichtlich der
Fragen bezeichnet, wie viele Einheiten die eine mehr oder we-
niger als die andere enthält, oder wie vielmal die eine grösser
oder kleiner ist als die andere. Das geometrische Verhältniss
a : b Iässt sich wohl nicht gut durch - darstellen , weil es dort
° a
sagt, wie oft b in a, hier umgekehrt , enthalten ist. Jede for-
melle Division, oder jeder Bruch ist ein geometrisches Verhält-
niss, sowie jede formelle Differenz ein arithmetisches ist. Die
Grösse des Verhältnisses wird durch den Verhältnisszähler, für
das arithmetische die Differenz, für das geometrische der Expo-
nent genannt, ausgedrückt. Auch übergeht der Verf. das arith-
metische Verhältniss und solche Proportion last ganz, was nicht
zu billigen ist; was er am Schlüsse des Abschnitts beifügt, er-
Doerks Lehrbuch der Mathematik. 285
setzt die Forderungen nicht. Kurze Anwendungen der geome-
trischen Proportionen wären ganz an ihrem Orte gewesen.
Die Stellung der Progressionslehre ist ganz verfehlt, weil
der Lernende alle aus den zwei Gruudformeln für das allgemeine
und summatorischc Glied unmittelbar und mittelbar abgeleiteten,
vom Verf. freilieh mitgetheilteu Formeln nicht versteht. Wie
man ohne Kenntniss der einfachen und quadratischen Gleichun-
gen die Ableitung der 18 Nebenformeln dem Anfänger verständ-
lich machen und diesem die zureichenden Gründe zum klaren Be-
wusstsein bringen kann, mag sich der Verf. selbst erklären. Je-
nem zu sagen, dass man die Entwicklung der angegebenen For-
meln für jetzt übergehen müsse, bis die zu ihrem Verständnisse
erforderliche Gleichungslehre behandelt sei, gehört zu den ver-
derblichsten MissgrifFen im mathematischen Vortrage, weil dieses
Verfahren gegen die so sehr gerühmte mathematische Consequenz
misstrauisch macht und den Lernenden unnöthig plagt. Anders
verhält es sich mit den Formeln für die Summirung der Reihen
3. Ordnung. Jener Missgriff wiederholt sich bei den geometri-
schen Reihen und wird noch dadurch vermehrt, dass vier For-
meln derselben die Kenntniss der logarithmischen Gesetze erfor-
dern und diese erst nach den Progressionen behandelt werden.
Hätte der Verf. nach dem oben berührten Ideengange den
Veränderungsarten der Zahlen die Gesetze der synthetischen
Gleichungen und diesen die Beziehungsarten folgen lassen, da an
und für sich die Logarithmen ja doch nichts anders als die Ver-
hältnisszähler zwischen zwei reellen Potenzen einer bestimmten
Basis sind, so würde er nicht in solche Inconsequenzen verfallen,
sondern gründlich verfahren sein. Die wahre Bedeutung von
dem Begriffe „Logarithme" lernt der Anfänger aus den Angaben
des Verf. nicht kennen, weil diese weder sachlich noch wörtlich
sind. Würde er z. B. aus der Potenzreihe 10°, 101, 103, 103,
10* ... . oder 1, 10, 100, 1000, 10000.... entwickelt haben, dass
z.B. zwischen 1 und 10 ein, zwischen 1 und 10"2 zwei, zwi-
schen 1 und 103 drei u. s. w. Verhältnisse liegen, welche stets
der Exponent anzeigt, so wären dem Anfänger diese Exponenten
als Verhältnisszähler oder Logarithmen erschienen und dieser
hätte mit Ilinweisung auf die Rechnungen in Potenzgrössen die
vier logarithmischen Gesetze aus eigener Geisleskraft ableiten
können. Die Behandlung der Entwickelung einer Potenz in eine
Reihe nach den Potenzen des Exponenten; die Bestimmung, ob
es mehrere natürliche Logarithmen für eine und dieselbe Zahl
giebt, mittelst Einführung des imaginären Faktors / — 1= 1 und
andere Gegenstände möchten den Forderungen des Elementar-
unterrichts an Gymnasien nicht ganz entsprechen. Besser gelun-
gen erscheint die Lehre von den Kettenbrüchen und den Elemeu
ten der Combinationen, wenn gleich die Bezcichaungsart selbst
nicht ganz zweckmässig erscheint.
286 Mathematik.
Der 3. Band enthält im 1. Theile die Planimetrie in eilf und
die ebene Trigonometrie in vier Abschnitten. Jene beschäftigen
sich im Besonderen 1) mit den Punkten und geraden Linien , S.
4 — 12.; 2) mit den Figuren überhaupt, S. 13 — 15.; 3) mit der
Congruenz der Dreiecke und den damit zusammenhängenden Sä-
tzen, S. 16 — 29.; 4) mit der Congruenz der Polygone über-
haupt und der Parallelogramme im Besonderen, S. 30 — 34.; 5)
mit der Centricität der Dreiecke und Polygone, S. 35 — 40.; 6)
mit der Gleichheit der Figuren , S. 41 — 48. ; 7) mit dem Flä-
cheninhalte der Figuren, S. 49 — 54.; 8) mit der Aehnlichkeit
der Dreiecke und Vielecke, S. 55 — 65.; 9) mit den geraden
Transversalen, S. 66 — 69.; 10) mit den grösseren und kleine-
ren Figuren von gleichem Umfange und 11) mit dem Kreise,
S. 70-92.
In dieser Uebersicht vermisst Rec. eine den ganzen Stoff be-
herrschende Idee; die Planimetrie im Allgemeinen beschäftigt
sich mit den Linien , Winkeln und den von beiden eingeschlosse-
nen Ebenen und fordert eine genaue Kenntniss der Gesetze für
die Vereinigung oder für das Schneiden, oder für die Parallelität
zweier Linien und der die Linien und Winkel der Flächen betref-
fenden Gesetze, welche alsdann für die Planimetrie im engeren
Sinne oder für die Inhaltsbestimmung der Flächen, für ihre räum-
liche Vergieichung, für ihre Verwandlung und Theilung die
Grundlage ausmachen. Daher sollten zuerst alle Gesetze der
Winkel und Parallelen, alle auf blossen Linien und Winkeln be-
ruhenden Eigenschaften des Dreieckes mit Einschluss seiner Be-
stimmung, Congruenz und Aehnlichkeit, welche allein in den Li-
nien und Winkeln liegen und die Fläche gar nicht berühren, eben
so die Linien und Winkel des Viereckes , Vieleckes und Kreises
betreffenden Gesetze und Eigenschaften, dann die Flächen -Be-
rechnung, Flächen - Vergieichung, Flächen- Verwandlung und
Flächen Theilung behandelt sein. Jede dieser Disciplinen schliesst
ein abgerundetes Ganze ab und enthält die zureichende Begrün-
dung für die nachfolgende. Zugleich verschafft ein solcher Ideen-
gang dem Lernenden eine klare Uebersicht von dem Wesen der
einzelnen planimetrischen Disciplinen und beruht auf dem Ue-
bergange vom Einfachen zum Zusammengesetzten. Dass der Verf.
von diesem Ideengange wesentlich abweicht, ersieht der Leser
aus einer kurzen Vergieichung; möge er sich für die eine oder
für die andere Ansicht entscheiden ; Rec. überlässt es seinem ei-
genen Ermessen.
Auch billigt letzterer die Unterbrechung der Theorie durch
Aufgaben nicht ganz, weil er es für zweckmässig hält, erstere in
ihrem Zusammenhange vorzutragen und dann durch einzelne
Lehrsätze, welche nicht direct zum Lehrgebäude gehören, und
durch Aufgaben noch mehr zum klaren Bewusstsein der Lernen-
den zu bringen. Der Unterschied zwischen Folgesätzen und Zu-
Doerks Lehrbuch der Mathematik. l!v ,
sätzen ist nicht berücksichtigt und namentlich ist nicht darauf ge-
sehen, die Schüler zu einer gewissen Selbstthätigkeit in der Ent-
wickelung von Sätzen , welche sich aus erwiesenen Lehrsätzen
oder aus Erklärungen ergeben, anzuleiten und in ihnen diejenige
Liebe zur Wissenschaft und Sicherheit in ihren Gesetzen zu er-
zeugen, auf welchen alles sichere Gedeihen des mathematischen
Unterrichtes beruht. Endlich sollte die Einleitung mit den
Hauptgrössen der Planimetrie und mit den aus solchen Erklärun-
gen sich ergebenden Grundsätzen bekannt machen und dem Schü-
ler eine klare Uebersicht von dem im Vortrage herrschenden
Ideengange verschaffen, damit er mit vorläufigen Kenntnissen und
einem gewissen Selbstvertrauen das Studium der Geometrie
beginne.
In Betreff der Ansicht, welche der Verf. von dem Charakter
der Sätze hat, hegt Rec. abweichende Meinung. Während jener
viele Erklärungen und die in ihnen liegenden Wahrheiten als
Lehrsätze annimmt, stellt dieser die allgemeinen Erklärungen
voraus, fügt diesen die in ihnen liegenden positiven Wahrheiten
als Grundsätze bei und betrachtet nur solche Sätze als Lehrsätze,
welche den Charakter der Bedingung und des Bedingten an sich
tragen. Schon der 1. Satz „zwischen zwei Punkten kann man
nur eine gerade Linie ziehen" ist zu beanstanden, weil er kein
Lehrsatz, wie der Verf. meint, sondern ein Grundsatz ist. Die
Erläuterung, welche der Verf. als Beweis dafür angiebt, ist eine
blosse Erklärung des Satzes selbst, dreht sich stets im Kreise,
herum und besagt am Ende nichts als den Satz selbst. Wozu
solche 10 bis 14 Zeilen lange Scheinbeweise gleich am Anfange
nützen sollen, sieht kein verständiger Lehrer ein; sie erzeugen
gewiss keine Liebe für das mathematische Studium, sondern zie-
hen eher von demselben ab. Die Erklärung des rechten Winkeis
mittelst der Gleichheit der Nebenwinkel ist unstatthaft, weil dar
aus die Entstehung jenes nicht hervorgeht. Hätte der Verf. die
«ifache Richtung der Linie, die horizontale, vertikale und schiefe,
erklärt , so hätte sich der rechte Winkel als die Vereinigung der
Vertikalen mit dem Anfangs- oder Endpunkte der Horizontalen
dargestellt und die Gleichheit aller rechten Winkel von selbst, als
Grundsatz, ergeben, welche der Lernende erst durch eine Frage
des Verf. kennen lernen soll.
Die Gleichheit jeder zwei Paar Nebenwinkel beruht einfach
auf dem Satze, dass jede 2 Nebenwinkel 2 R. betragen, woraus
zugleich folgt, dass alle Winkel an einem Punkte über einer Linie
gleich 2 R. und um diesen Punkt herum gleich 4 R. sind. Solche
Folgerungen aus erwiesenen Hauptlehrsätzen übersieht der Verf.
ganz , weswegen Rec. von seinen Darstellungen in pädagogischer
Hinsicht nicht viel Empfehlendes sagen kann. Die Wichtigkeit
derselben mag aus folgendem Beispiele erhellen. Rec. lässt die
Lernenden ein gleichschenkliges Dreieck, von dessen Spitze ein
288 Mathematik.
Loth auf die Grundlinie zeichnen und hieraus den Satz ableiten,
dass zwei congruente Dreiecke entstehen. Sie folgern leicht von
selbst, 1) dass die Winkel an der Grundlinie gleich sind; 2) die
letztere und der Winkel an der Spitze halbirt wird ; 3) zwei glei-
chen Seiten im Dreiecke auch zwei gleiche Winkel entsprechen;
4) die an der Grundlinie entstehenden Aussenwinkel einander
gleich sind; 5) der an der Spitze entstehende Aussenwinkel dem
doppelten Winkel an der Grundlinie gleich ist u. s. w. Durch
solche Folgerungen erhalten die Lernenden ein gewisses Selbst-
vertrauen , sehen sie Alles entstehen und schreiten sie mit der
grössten Lust und Liebe vorwärts. Dieses Beispiel mag für viele
andere dienen, und dem Verf. einen Maassstab geben, in welcher
Art der geometrische Stoff nach den Forderungen der Wissen-
schaft und Pädagogik bearbeitet werden soll.
Unter der Ueberschrift „Figuren überhaupt11, behandelt der
Verf. die innern und den Aussenwinkel des Dreieckes und der
Vielecke. Rec. suchte hier noch vieles Andere, fand es aber
nicht; dahin gehört die Erklärung, von welchen Elementen ein
Dreieck, Viereck, Vieleck abhängt; was auswärtsgehende Win-
kel sind; worin die Grösse, Gestalt, Congraenz und Aehnlich-
keit besteht u. dgl. Die Congruenz gerader gleicher Linien und
gleicher Winkel ergiebt sich von selbst und ist bloss zu erklären,
aber nicht zu beweisen, also nicht als Lehrsatz auszudrücken.
Von der Congruenz der Dreiecke lässt sich erst dann sprechen,
wenn erklärt ist, von welchen und welcherlei Elementen das
Wesen des Dreiecks abhängt, was Bestimmungs - und bestimmte
Elemente sind und unter wie vielen Bedingungen das Dreieck
völlig bestimmt ist. Alsdann sollten, von den drei Seiten begin-
nend , die fünf Lehrsätze für die Congruenz zweier Dreiecke
ohne Unterbrechung folgen, der Verf. hingegen mischt viele an-
dere Lehrsätze und Aufgaben ein und übersieht den inneren Zu-
sammenhang zu oft, als dass Rec. im Interesse der Schule und
Schüler mit den Darstellungen einverstanden sein kann.
Die Congruenz der Vielecke sollte durch die der Vierecke
und letztere durch die Nachweisung , unter welchen Bedingungen
das Viereck völlig bestimmt ist, vorbereitet sein ; dass letzteres
bei fünf Elementen, worunter 2 Seiten, das Neck bei 2N — 3
Elementen, worunter N — 3 Seiten gegeben sind, bestimmt ist,
sollte nicht übergangen sein; dann würden sich die einzelnen
Congruenzfälle für jedes Paar gleichnamiger Vielecke leicht er-
geben haben. Die Congruenz der Parallelogramme würde der
Lernende aus den Congruenz -Bedingungen des Viereckes von
selbst ableiten. Die Haupteigenschaften der Parallelogramme
würde der Verf. viel zweckmässiger übersichtlich neben einander
gestellt, an einem besonderen Parallelogramme nachgewiesen und
an den anderen versinnlicht haben. Die Centricität der Dreiecke
und Polygone lässt sich am Besten mit dem Kreise verbinden.
Doerkg Lclirlmch der Mathematik. 289
Die Vergleiclmng der Figuren beruht auf den Bestimmungen des
Flächeninhaltes, weil sie bloss die Fläche betrifft, also der Schü-
ler wissen muss , worin diese besteht. Wenn sich Parallelogram-
me überhaupt wie die Producte aus ihren Grundlinien in die Hö-
llen verhalten, so gilt dieses auch von den Rechtecken, da sie zu
jenen gehören, mithin bedarf der Satz für diese keines Beweises.
Das Flächenmaass ist nicht erklärt; auch sind keine besonderen
Berechnungen aufgeführt, was Uec. nicht ganz billigen kann.
Der 8. Abschnitt sollte die Ueberschrift „Proportionalität
der Seiten und Aehnlichkeit der Dreiecke" führen und die Erklä-
rung enthalten, in wiefern zwei Linien im Verhältnisse stehen
können , also Seiten der Figuren proportional sind. Auch ver-
misst man die Erklärung homologer Seiten und den Satz „wenn
man den einen Winkelschenkel in gleiche oder verhältnissmässige
Stücke theilt, und von den Theilungspiinkten nach dem anderen
parallele Linien zieht, so wird auch dieser in solche Stücke ge-
theilt. Auf ihm beruhen fast alle Sätze von der Proportionalität
der Dreiecksseiten. Wie früher, so sind auch hierund beiden
Betrachtungen über den Kreis die Linien- und Winkelgesetze der
Figuren mit ihren Flächengesetzen vermischt und mancherlei Auf-
gaben eingeschoben, welche viel zweckmässiger in einem beson-
deren Abschnitte abgehandelt würden, weil die Lernenden da-
durch mehr Gelegenheit erhielten, die Theorie anzuwenden und
die Aufgaben selbst mannigfaltiger zu behandeln. In materieller
Beziehung ist daher weit weniger gegen die Darstellungen einzu-
wenden, als in formeller, weil der Verf. den pädagogischen Ge-
sichtspunkt nicht sorgfältig genug vor Augen gehabt zu haben
scheint.
Die ebene Trigonometrie zerfällt in 4 Abschnitte: 1) Gonio-
metrie S. 1 — 38; 2) numerische Berechnung der goniometri-
schen Functionen S. 39 — 44; 3) ebene Trigonometrie für schief-
winkelige Dreiecke S. 45 — 53, und 4) analytische Auflösung
planimetrischer Aufgaben S. 54 — 63. Dass der Verf. die arith-
metischen Entwickelungen der Werthe der Bestimmungslinien von
der eigentlichen Trigonometrie trennt, verdient allen Beifall ; al-
lein Uec. stimmt ihm darin nicht bei, die Begriffe Sinus, Cosinus
u. s. w. als blosse Zahlengrössen zu betrachten und sie ihres geo-
I metrischen Charakters zu berauben. Er hält gegen die Ansicht
des Verf. für zweckmässig und beim Unterrichte für vortheilhaft,
I jene Linien geometrisch zu erklären und die aus den Entwickelun-
; gen sich ergebenden Zifferwerthe ihnen unterzuordnen. Der aus
] der einem gegebenen Winkel gegenüberstehenden Kathete und
der Hypotenuse sich ergebende Quotient, welchen der Verf. un-
I passend Verhältnissexponent nennt, entsteht ja erst aus dem
lj Verhältnisse zwischen jenen zwei Linien; mithin müssen diese
i| vorhanden sein, bevor aus ihrem Verhältnisse der Ziflernwerth
! abgeleitet werden kann. Dieser ist durch das Verhältniss und
A. Jahrb. f. Phil. u. Fad. od. Krit. Bibl. Bd. XXVIII. Hfl . 3. 19
290 Geographie.
dieses durch die zwei geometrischen Linien hedingt, mithin macht
der geometrische Charakter die Grundlage aus. Seite 8 findet
sich im Zusätze 1 die Frage: Wie viele Variationen zur 2. Klasse
können aus 3 Elementen gebildet werden? Wozu diese hier die-
nen soll, ist nicht abzusehen.
Die analytische Entwickeiung der Formeln sollte mehr geo-
metrisch begründet seyn ; erstere verdient in materieller Hinsicht
allen Beifall, da sie ausgedehnter ist, als man erwarten sollte.
Man vermisst keine wichtige Formel und findet selbst die Aufgabe
gelöst: Den Sinus und Cosinus des Vielfachen eines Winkels nach
den Potenzen des Sinus und Cosinus des einfachen Winkels zu
entwickeln, worauf der Zusammenhang zwischen den natürlichen
Logarithmen und goniometrischen Funktionen gezeigt und die
mte Potenz des Cosinus eines Winkels in eine Reihe vonConsinus-
sen verwandelt wird , die nach dem Vielfachen des Winkels fort-
schreiten. Die numerische Berechnung der Funktionen konnte
noch mehr abgekürzt werden. Ob der Verf. nicht besser gethan
hätte, mit dem rechtwinkeligen Dreiecke zu beginnen und das
gleichschenkelige und ungleichseitige Dreieck darauf zu beziehen,
überlässt Rec. dem sachkundigen Leser; ihm erscheint es für den
Unterricht an Gymnasien vorth eilhaft, weil das Verfahren dein
Uebergange vom Einfachen zum Zusammengesetzten entspricht
und die Einsicht in die Sache sehr erleichtert.
Einzelne Berechnungen sollten nicht fehlen, weil sie für das
Verständniss und für den Charakter der aufgestellten Formein er-
forderlich sind. Die planimetrischen Aufgaben und ihre Auflö-
sung mittelst der goniometrischen Funktionen gewahren dem Ler-
nenden viel Stoff zu Uebungen und werden unfehlbar von jedem
Lehrer gerne gelesen. Die Zeichnungen sind schön, das Papier
ist gut und der Druck rein. Möge der Verf. die abweichenden
Ansichten und Ausstellungen als bloss im Interesse der Sache ge-
macht ansehen und dem Rec. keine andere Absicht unterlegen.
Reuter,
Geographie des Menschen, ethnographisch, sta-
tistisch und historisch von Fried, v. Rougemont; aus
dem Französischen mit nachträglichen Verbesserungen und Berei-
cherungen des Verf. in's Deutsche übersetzt von Ch. H. Hugendubel,
Lehrer der Geschichte und deutschen Sprache und Dircctor der
Realschule in Bern. 1. Bd. Bern, Chur und Leipzig, von J. F. J.
Dalp. gr. 8. LVI u. 423 S. (2 Fl. 42 Kr )
Unter den Schriften des Verf. hat besonders sein Handbuch
der vergleichenden Erdbeschreibung in Deutschland viele Aner-
kennung gefunden, obgleich dasselbe in politischer Hinsicht sehr
mangelhaft und mehrfach zu verbessern ist. Allein das Physische
von Rnugemont r Geographie. 201
der Länder, sein Einfluss auf die Völker und ihre Entwickelung
und das Vergleichende hei einzelnen Welttheilen verschaffen ihm
wesentliche Vorzüge, welche für jenen Mangel eiuigerrnaassen
entschädigen, weil sie die Absicht des Verf. verwirklichen, die
Erdoberfläche in ihrer körperlichen und unkörperlichen Wahrheit
darzustellen, unter ihrer wahren äusseren Gestalt, mit ihren un-
sichtbaren Kräften und göttlichen Ideen, und die Idee einer gros-
sen Uebereinsthnmung zwischen der Erde und dem Entwicke-
lungsgauge der Menschheit als Seele seiner Angaben, d. h. den
Gedanken, „Gott in der Welt und die sittlichen Vollkommenhei-
ten Gottes in der Menschheitsgeschichte, aber vollständig geof-
fenbart in dem Gottmenschen , der für uns gestorben" in's Leben
zu führen.
Diese Aufgabe hat er in besagtem Handbuche , obgleich ihre
Grundidee ihm einen wissenschaftlichen und religiösen Werth
giebt, den Itefer. nicht verkennt, nicht vollständig gelöst, weil
das Ethnographische, Statistische und Historische, die sogenannte
politische Geographie fast ganz in den Hintergrund getreten ist.
Er scheint daher dem vorliegenden Buche die Bestimmung der
Ergänzung dieser Lücke gegeben und darin manches gründlicher
dargestellt zu haben, um jene Grundidee in ihrer Lebendigkeit zu
versinnlichen, worin zugleich ein Grund liegt, welcher die Ue-
hersetzung des vorliegenden , im Jahre 1838 zu Neuenburg er-
schienenen Werkes willkommen macht. Da der Verf. sein Werk
vorher nochmals durchsah, vielfach verbesserte, bereicherte und
Afrika ganz umarbeitete, so enthält die Uebersetzung manche
Vorzüge und Belehrungen. Die Ethnographie und die historische
Geographie, oder die Nationen und der Einfluss der Natur auf
dieselben treten hier entscheidend hervor und ergänzen sonach
obiges Handbuch.
Unter den verschiedenen Quellen , welche der Verf. vor-
zugsweise benutzte, tritt wieder K. R i 1 1 e r hervor, welchem er
mittelbar oder unmittelbar seine geographischen Kenntnisse ver-
dankt, welcher ihn auf die Bahn der Wissenschaft leitete, seinem
ersten Versuche Deutschland öffnete und ihn mit dem religiösen
Geiste beseelte , der dessen Studien stets durchdringt. Welches
seltne Beispiel von einer mit grossen Kenntnissen verbundenen
aufrichtigen Frömmigkeit K. Ritter giebt, lässt sich nur aus dem
Studium seiner Schriften erkennen. Er gehört zu derjenigen Zahl
gläubiger Gelehrten, welche die verschiedenen Gebiete der Wis-
senschaft, vom Glauben beseelt und erleuchtet, anbauen. Dass
das Studium der Völker, Staaten und ihrer Beziehungen eine ge-
naue, ins Einzelne gehende Kenntniss der Erdoberfläche voraus-
setzt, *st seit der Verbreitung von Ritters Ideen anerkannt und
in manchen vorzüglichen Werken durch Thatsachen bewiesen.
Jedoch möchte das Werk von Berghaus, als Compilat aus vie-
len Mitteilungen, die nicht gehörig gesichtet sind und nicht al-
19*
292 Geographie.
lein in dem physikalischen Theile, sondern in dem politischen,
wovon die erste Abtheilung erschienen ist, viele Fehler und alte
Notizen enthält, die ohne sorgfältige Auswahl aufgenommen und
zur Vergrösserung der Bogenzahl mitgetheilt sind , wie an einem
anderen Orte näher nachgewiesen werden soll, nicht dazu dienen,
jene Kenntnis» der Erdoberfläche zu verschaffen.
Die 56 Seiten starke Einleitung hat zum besonderen Zwecke
die Nachweisung, dass die Natur einen bedeutenden Einfluss auf
das Menschengeschlecht ausübt, unsere Freiheit zu beschränken
und manchmal verderblich zu wirken sucht, dass aber der Mensch
durch sein geistiges und sittliches Element sich über jenen Ein-
fluss vielfach erhebt, die Natur sich unterwürfig macht und in den
Wechselwirkungen zwischen ihm und dieser durch das Christen-
thum ihr Gebieter wird. Wie sich die Gottheit in der ganzen
Natur offenbart, ihre schöpferische Hand sich überall wirksam
zeigt und der Mensch, als Ebenbild der Gottheit, deren treuer
und freudiger Knecht ist, entwickelt der Verf. eben so belehrend,
als den Fall der ersten Menschen, den Verlust der Heiligkeit und
Gerechtigkeit und die Folgen hiervon. Mit dem Verfall der Men-
schen scheint die Verschlimmerung der Erdoberfläche verbunden
zu sein, so dass sie mit jenen in ewiger Wechselwirkung steht.
In wiefern das Urbild des menschlichen Körpers bei mehre-
ren Völkern ganz ausgeartet ist und die der Wiege der Mensch-
heit zunächst wohnenden Menschen sich vom weissen Urbilde am
Wenigsten entfernten, zeigt der Verf. an Beispielen. Die Weis-
sen nehmen das östliche Asien ein und verbreiteten sich über ganz
Europa; sie wohnen in denen der Entwickelung günstigsten Erd-
gegenden, haben ihren Ursprung von den Semiten hinsichtlich
des Glaubens, von den Japhetiten aber hinsichtlich der Gesittung.
Die Semiten sind die bevorrechtete Race, denen sich Gott offen-
bart, die Japhetiten die Heiden, welche Gott suchen, ihn aber
nicht finden, obgleich er ihnen sehr nahe ist; die Mannten sind
die dem Bösen ergebene Race. Er beweist , dass die Semiten
dem Menschengeschlechte das sind, was der Geist der Seele ist,
nämlich das Organ, durch welches das Leben dem ganzen Wesen
sich mittheilt, und dass die Japhetiten berufen sind, die Reich-
thümer geltend zu machen, welche Gott in der menschlichen
Seele niedergelegt hat. Zu jenen gehören die Hebräer, Araber
und Christen; zu diesen die indogermanischen, die Bewohner
von Iran, Indien, Aegypten und Griechenland u. s. w. Hanfs
Abkömmlinge wohnen unter glühendem Himmel , in abgesonder-
tem und fest zusammenhängendem Continente, unter physischen
Bedingungen, welche der Seele die ungünstigsten sind, und die
Hamiten in Neger verwandelten. In wiefern die Erde die Pro-
phezeihung des Menschen ist, welcher die ganze Natur in sich
fasst und ergänzt, veranschaulicht der Verf. am Schlüsse seiner
Einleitung durch Aufforderung zur Ehre für den, welcher die
von ltoiigeniont : <jeo»;rai»hie. 293
Wahrheit und das Licht der Welt ist , für den höchsten Gesetz-
geher und für das Oberhaupt der Kirche, woran sich die Ehre für
die weltliche Herrschaft anschliesst , und legt Gedanken nieder,
welche in sittlich -religiösem Sinne ihren Grund haben.
Diesen Erörterungen folgt die Geographie des Menschen in
zwei Theilen , einem allgemeinen und besonderen ; der erstere
reicht von S. 1 — 25, beschäftigt sich mit den Beziehungen zwi-
schen der Natur und dem Menschen, hinsichtlich des Einflusses
der Natur auf den Menschen und umgekehrt; hinsichtlich der un-
bewohnbaren und bewohnbaren Gegenden, des Klima's, der
Meere, Flüsse und Formen der Erdflache; mit den Racen, Völ-
kern und Staaten und erweitert sonach das 2. Kap. 3. Abth. des
allgemeinen Theiles des Handbuches der vergleichenden Geogra-
phie, ohne jedoch etwas wesentlich Erheblicheres zu enthalten.
Die Kraft eines Staates lässt er auf seiner Ausdehnung, Bevölke
rung, Volksdichtigkeit, seinen Grenzen, festen Plätzen, Heeren,
Flotten, natürlichen Hiilfsquellen und Einkünften, dann aber
hauptsächlich auf dem Cbarakter und der Sittlichkeit der Nation
beruhen. Ref. vermisst hier eine specielle Würdigung der geisti-
gen Kraft und einer gediegenen Bildung der Völksklassen für ihren
Wirkungskreis , überhaupt ein Hervorheben der immateriellen
Interessen und ein Vorherrschen dieser vor den materiellen, was
den kleinen Staaten Griechenlands ihre imponirende Stärke ver-
lieh u. s. w. Die Beziehungen jener Interessen sollten daher nä-
her erörtert und ihr Einfluss durch Beispiele belegt sein, um das
Durchgreifende derselben bei allen Völkern zur klaren Vorstel-
lung zu bringen und in dem Mangel jener Vorherrschaft die Unsi-
cherheit des geschichtlichen und politischen Bestehens der Staa-
ten zu erkennen.
Der besondere Theil ist der Ethnographie und historischen
Geographie der einzelnen Welttheile gewidmet, beginnt mit
Afrika S. 26 — 63, geht zu Asien über S. 63 — 181, und ent-
hält von Europa nach einigen allgemeinen Erörterungen S. 182 —
193 zuerst die europäische Türkei und Griechenland nach den
unmittelbaren und mittelbaren Besitzungen S. 194 — 218; dann
Italien in ziemlicher Ausdehnung S. 218 — 245; die iberische
Halbinsel, d. h. Portugal und Spanien, S. 245 — 264; Frankreich
in besonderer Vollständigkeit hinsichtlich der Bewohner und ihrer
Charaktere , der nördlichen und südlichen Ebenen , des sevenui-
schen und armorischen Landstriches, der Rhonegegend, und der
Statistik, welche sehr kurz ausgefallen ist, S. 264 — 318; end-
lich die Schweiz in weit grösserer Ausdehnung als Frankreich,
S. 318 — 379, und die österreichischen Staaten, S. 379 —423.
Afrika behandelt der Verl", nach der Ethnographie, den
Sprachen und Religionen , nach der Gesittung und dem Gcwerh-
fleisse, nach dem politischen Zustande und den fremden Besitzun-
gen in sieben Rubriken, nämlich Ilochafrika nach seinen vier
294 Geographie.
Räudern, Hoch -Sudan und Scnegambien, Nieder-Sudan oder
Nigriticn , die Stufen des Nil, die Sahara, die Uarbaresken.- Staa-
ten und die Inseln. In seinem Handbuche hat er fast alle Ge-
sichtspunkte in gleicher Klarheit und Ausführlichkeit berührt, so
dass man hier nicht viel Neues findet. Das Bekannte ist fteissig
benutzt und in einem schönen Zusammenhange mitgetheilt, was
das Studium des Buches erleichtert und angenehm macht. Es
giebt zwar manche Gesichtspunkte, welche nicht nach Erforder-
niss erörtert sind, wohin namentlich die Küsten - Entwickelung,
der Küstenumfang, das Statistische verschiedener Volksstiimme,
die Wichtigkeit Algier's und Aegyptens für den Norden und des
Kaplandes für den Süden u dgl. gehören , allein der denkende
Leser und Lehrer, welcher das Buch für den Unterricht ge-
braucht, ergänzt diese Lücken leicht und erhält eine passende
Gelegenheit für Erweiterungen. Den Flächenraum giebt der
Verf. absolut zu 534000 Q. M. an , worunter die Inseln nicht be-
griffen zu sein scheinen, da jener mit diesen 545000 Q. M. be-
tragen mag.
Mit Asiens Fläche stimmt Refer. ebenfalls nicht überein, da
sie mit den Inseln zu 50000 Q. M. etwa 780000 und nicht 700000
Q. M. beträgt, wornach auf eine Q. M. kaum 550 Menschen
kommen. Die Racen und Nationen, die Sprachen und Religio-
nen, die Gesittung und der Gewerbfleiss , der Handel und .poli-
tische Zustand, das Geschichtliche und die asiatischen nebst
fremden Mächten werden nach allgemeinen Umrissen behandelt,
nach den wesentlichen Merkmalen geschildert und als übersicht-
liche Vorbereitung bekannt gemacht. Die einzelnen Staaten fin-
den eine nach Verhältnis der Bekanntschaft mit ihnen mehr oder
weniger ausführliche Behandlung. Am Besten bearbeitet ist In-
dien, dessen Brahmadienst nach langen Kriegen den Buddhismus
aus ganz Indien verdrängt hat und vom Christenthume mehrfach
verdrängt wird. Da übrigens die Engländer die Herren dieses
grossen Landes sind und ihre direkten und indirekten Besitzungen
stets ausdehnen, so verdienten die Präsidentschaften nach ihrem
gewerblichen , geistigen und politischen Wirken eine genauere
Erörterung. . Das türkische Reich schildert er sehr gut; seine
Wichtigkeit für Europa mag ihn hierzu veranlasst haben. Die
russisch - kaukasischen Provinzen machen den Schluss und wer-
den nach ihrem Physischen und Statistischen gut behandelt.
Der Verf. geht zu Europa über, hätte aber unfehlbar zweck-
mässiger zuerst Australien und Amerika behandelt, weil für letz-
teres die ethnographischen und geschichtlich -geographischen Ge-
sichtspunkte nach Europa am Bekanntesten und auch für unseren
Continent am Wichtigsten sind. Zugleich lässt sich mit Gründen
behaupten, dass es zweckmässiger gewesen wäre, wenn der Verf.
mit Europa begonnen und dessen Charaktere und Vorzüge auf die
anderen" Welttheile übertrasen hätte. Unser Welttheil, mit sei-
von Rougciiiont: Geographie. 295
ner grossen Küstenentwickelung, gedrängten Bevölkerung, ent-
wickelten Menschheit und seinem geregelten Staatswesen, mit
seiner iraponirenden Kultur und Religion beherrscht die übrigen
mehr oder weniger; er ist durch seine geistige, sittliche und po-
litische Ueberlcgenheit der Eroberer und Sittiger der anderen
Welttheile, drückt diesen stets mehr seinen Charakter auf und
erscheint als der mächtigste unter ihnen.
Kennt nun der Lernende Europa nach allen geographischen
Elementen, so ist er im Stande, bei den übrigen Welttheilen
dasjenige herauszuheben, was ihnen fehlt, und überhaupt mit
allen Gesichtspunkten sich weit vertrauter zu machen , als wenn
der umgekehrte Weg eingeschlagen wird. Die Rückblicke auf
Europa, die Vergleichungen seiner Küstenentwickelungen, seiner
Flüsse und Gebirge mit denen der übrigen Welttheile und mit
manchen anderen Gegenständen möchten mehr wirken, als viele
wörtliche Darstellungen und Beschreibungen, die nicht selten
unbestimmt und unwahr sind. Refer. verspricht sich wenigstens
Tür den Schulunterricht weit mehr Vortheile aus dem Beginne mit
Europa und dem Uebergange zu den übrigen Welttheilen , als
aus dem umgekehrten Wege, weil der Lernende hier in eine ihm
ganz fremde, dort aber in eine ihm theilweise bekannte Sphäre
versetzt wird. Man bezieht sich auf den Einfluss der Europäer,
auf ihre Vorzüge und auf ihre geographischen Verhältnisse, wie
dieses namentlich bei Amerika, Asien und Afrika der Fall ist;
man spricht von europäischen Besitzungen in diesen Welttheilen
und lässt jene ihren Charakter diesen immer mehr aufdrücken;
man lässt Afrika von den Europäern umlagert sein und bezieht
sich in Südamerika, namentlich in Peru und Brasilien, auf Portu-
gal und Spanien, in Vorderindien auf England, in Algier auf
Frankreich u. s. w. und hat doch die Lernenden mit den geogra-
phischen Verhältnisseil dieser europäischen Staaten noch nicht
bekannt gemacht.
Diese und andere Gründe bestimmen den Rec, von dem pä-
dagogischen Standpunkte aus betrachtet, beim geographischen
Unterrichte mit Europa zu beginnen, dieses nach seinen allge-
meinen und besonderen Charakteren, sie mögen die Länder oder
Bevölkerung, ihre Kultur oder Statistik u. s. w. betreffen, zum
klaren Bewusstsein zu bringen und dann mit steten Rückblicken
und Vergleichungen für alle ethnographisch-, geschichtlich- und
physikalisch- geographischen Momente zu den übiigen Weltthei-
len überzugehen. Der Gewinn ist unfehlbar weit grösser, als
ihn der umgekehrte Weg verschallen kann. Da der Lernende bei
Europa eine so kräftige Entwickeluiig kenneu gelernt hat, so
wird es ihm recht klar, dass, je geringer die Entwickeluiig der
Küsten in einzelnen Welttheilen ist, die Fortschritte der Länder
und Völker gleich unbedeutend sind, also beide Erscheinungen
206 Geographie.
im engsten Zusammenhange und in der schönsten Wechselwir-
kung stehen.
Zwar möchten die russischen, türkischen und englischen Be-
sitzungen Asiens den Uebergang des Verf. von Asien auf Europa
einigerraaassen rechtfertigen; allein sie geben uns gewiss weit
mehr Gründe für eine vorausgehende Kenntniss Europa's und de-
ren Uebertragung auf Asien und werden nur durch die Bekannt-
schaft mit den europäischen Elementen recht klar aufgefasst.
Für den Flächeninhalt findet man einen groben Druckfehler,
da Europa nur 160 statt 160000 Q. M. haben soll. Ausser die-
sem findet man im Buche noch viele andere Versehen , welche
der Uebersetzer im 2. Bande verbessert mittheilen wolle. In wie
weit sich die Europäer von weisser Race nach den Sprachen in
drei grosse Familien, in die germanischen Völker im Norden, in
die romanischen im S. W. und in die Slaven im Osten theilen, er-
örtert der Verf. zwar kurz, aber doch klar. Er bemerkt, dass
sie in sittlicher und religiöser, in geistiger und künstlerischer,
in politischer und gewerblicher Beziehung über den Bewohnern
der anderen Welttheile stehen, auf alle fremden Nationen einen
mehr oder weniger starken Einfluss ausüben u. s. w. , und dass
sie diese Ueberlegenheit der natürlichen Beschaffenheit ihrer
Landfeste, ihrem gemässigten Klima und der müielmässigen
Fruchtbarkeit ihres Bodens, den physischen und moralischen
Vorzügen der weissen Race, der Gemeinschaft des Ursprunges und
der Sprache, welche eine Gemeinschaft der Sitten, politischen
Einrichtungen und ersten Religionsbegriffe voraussetzt , und vor-
züglich dem Christenthume, welches seine Bekenner auf eine
weit höhere Gesittungsstufe hebt, als das Heidenthum, und die
Bande, durch welche die europäischen Nationen vereinigt waren,
noch enger machte. Hierdurch bekennt er selbst die Noth wen-
digkeit der Bekanntschaft mit den Ursachen dieser Ueberlegenheit
und den Nutzen des Beginnens mit unserem Welttheile, um die
übrigen mehr analytisch zu behandeln.
Nach einer übersichtlichen Darstellung der süd-, hoch-,
nord- und niedereuropäischen Staaten beginnt der Verf. mit der
Halbinsel des Hämus und der Nieder- Donau, behandelt zuerst
die türkischen Besitzungen , dann Griechenland , für welches er
von einem Mittelgriechenland, aber von keinem Gegensatze
spricht. Seine politische Wichtigkeit tritt nicht klar hervor,
weswegen Ref. eine gediegenere Behandlung wünschte. Hier,
wie bei Italien überbieten die ethnographischen Darstellungen alle
anderen Gesichtspunkte, was in mancher Hinsicht seine Vorzüge
und Vortheilc hat, aber nicht auf Kosten der letzteren geschehen
darf, was der Verf. sowohl bei den genannten als bei anderen
Staaten gethan hat. Die Statistik tritt gar oft in den Hintergrund
und ist nicht nach den neuesten Eintheilungen der Staaten bear-
beitet, was von Franzosen gar leicht zu erwarten ist, da sie sich
Fuistings Syntaxis Convenientiae der lat. Sprache. 297
mit der deutschen Literatur nicht hinreichend befreunden. Selbst
deutsche geographische Schriftsteller, z.B. Berghaus in der
1. Abth. des 4. Bandes seiner Länder- und Völkerkunde, lassen
sich solche statistische Fehler zu Schulden kommen, mithin
sind sie Ausländern eher zu verzeihen.
Unter den übrigen in diesem Bande behandelten Staaten
zeichnen sich die Schweiz und Frankreich aus; allein die Lage
des letzteren und deren Einwirkungen auf Politik und Industrie,
auf Geist und Charakter des Volkes, und verschiedene andere Be-
ziehungen sind nicht mit derjenigen Aufmerksamkeit beschrieben,
>vie es ihre Wichtigkeit erfordert. Ueber die Küsten wird nur
wenig Erhebliches gesagt und ihr Einfluss auf den Handel ist nur
oberflächlich berührt. Dagegen ist bemerkt, dass die Franzosen
in den letzten Jahrhunderten durch ihre eigene Civilisation,
welche vermöge ibrer Doppelnatur bei den Völkern des Südens
und Nordens leicht Eingang fand, auf ganz Europa einen unbe-
rechenbaren Einfluss ausgeübt haben. Worin dieser Einfluss be-
steht und wie nachtheilig derselbe in kirchlicher, religiöser und
politischer Hinsicht war, ist aber nicht erörtert, was hätte ge-
schehen sollen, da diese westlichen Einwirkungen an Kirche,
Religion und Staatsverfassungen in Deutschland viele Bewegungen
verursachten, welche allgemeines und besonderes Unglück nach
sich zogen. Hinsichtlich der übrigen Darstellungen findet mau
Befriedigung der Anforderungen.
Für die Schweiz bleibt nichts zu wünschen übrig als eine
genauere Entwickelung des Umstandes, dass sie das Zwischen-
glied zwischen Frankreich, Italien und Deutschland ist, aber
keine Absonderung veranlasst, sondern durch seine vielen Pässe
den lebhaftesten Verkehr unterhält. Die einzelnen Kantone sind
ziemlich ausführlich beschrieben. Die österreichischen Staaten
werden gleichfalls kenntlich durch des Verf. Mittheilungen , wel-
che es nicht direkt nothwendig machen, sich in anderen Werken
um weitere Belehrung umzusehen. Da die Uebersetzung mit
Sorgfalt und Fleiss ausgearbeitet und die äussere Ausstattung vor-
trefflich ist , so verdient die Verbreitung des Buches in Deutsch-
land alle Empfehlung.
Reute r.
Sytitaxis Convenientiae de?' lateinischen Spra-
che, eine philosophisch - praktische Abhandlung von Wilhelm
Fuisting am Gynin. zu Münster. Münster 183G. X u. (»0 S. 8.
Das anzuzeigende Schriftchen „enthält den l.Theil der soge-
nannten Syntaxis convenientiae, im zweiten Hefte wird der an-
dere Thcil derselben folgen; alsdann die Syntaxis rectionis und
die Lehre über die tempora und modi. Die Syntaxis ornata,
298 L » t c i n i s c h e Grainnmtik,
welche noch in manchen Grammatiken zu nicht geringem Aerger-
nisse vieler Gelehrten fignrirt, wird durch eine Abhandlung ver-
treten, worin das Wesen und der Gebrauch der einzelnen Rede-
theile gründlich entwickelt dargestellt ist." So der Hr. Verfasser.
Wir haben nun hier A) von der Kopulation: Vom Satze und des-
sen Bestandteilen überhaupt; was Subjekt eines Satzes sein kann
und zwar 1) vom ausgedrückten, 2) vom verborgenen Subjekte;
von der Kopula, ihrem Wesen und ihrem besonderen Gebrauche;
was Pra'dik. sein kann (Stellung des Subj., Präd. u. derKop.); von
der Konstruktion der einzelnen Satztheile: des Subj., Präd. u. der
Kop., und zwar I) wenn nur ein einziges Subj. im Satze ist, wo das
Prädik. 1) ein Adj., 2) ein Verb (Kop.), 3) ein Subst. sein kann,
und zwar a) ein mobiles*) Personalsubstantiv, b) ein Sachsubst. ;
II) wenn mehrere Subj. im Satze sind und 1) in Person nicht ver-
schieden, wo das Präd. sein kann ci) ein Adj., Verb. (Kop.), und
diese a) nach mehreren Subj. bestimmt werden, aa) wenn die
Subj. gleichen, ßß) wenn sie verschiedenen Geschlechts sind,
wobei zu berücksichtigen ist , ob von Personen , Sachen oder von
Personen und Sachen zugleich die Rede ist, ß) nach einem Subj.,
wo aa) von Sachen, ßß) von Personen, yy) von Personen und
Sachen gesprochen werden kann ; b) ein Subst. und zwar a) ein
mobiles Personalsubst. , wobei die Subjekte aa) dasselbe oder
ßß) ein verschiedenes Geschlecht haben, ß) ein Sachsubst.; 2) in
Person verschieden, wo das Präd. a) auf alle Subj., b) auf ein Subj.
bezogen wird. B) von der Konkretion im Allgemeinen und von
der des Adj., wenn 1) nur ein Subst, 2) mehrere im Satze sind.
C) Von der Apposition — überhaupt — von der nähern und wei-
tern; I) Appos. zu einem Subst, wenn sie 1) ein adj. Redetheil,
2) ein Subst. und zwar a) ein Personalsubst, b) ein Sachsubst. ist;
II) App. zu mehreren Subst., wenn dieses l) ein adj. Redetheil,
2) ein Subst. und zwar a) ein Personals., b) ein Sachsubst. ist —
(Stellung der Appos.).
Das ist so ungefähr der Plan der Abhandlung meist mit den
eigenen Worten des Verf. Die Grammatik der latein. Sprache
muss nach seiner Ueberzeugung nicht bloss als Mittel zum Zwe-
cke behandelt werden, um die lat. Klassiker verstehen und würdi-
gen, wie auch seine eigenen Gedanken in derselben richtig und
*) Die strenge Eintheilung forderte a) ein mobiles Personalsub-
stantiv , b) ein nicht mobiles Personalsubst. , welches et) noch ein Per-
sonalsubstantiv , ß) ein Sachsubstantiv ist. Wir legen auf diese Unge-
nauigkeit der Eintheilung, wenn sie praktisch ist, gar kein Gewicht,
fragen aber, ob die latein. Sprache nie und zu keiner Zeit auf Fälle
gestossen sei, wie unser Salis einen hatte, wenn er sang: Mitleid,
Heil dir, du Geweihte! — oder wie es mit Personalsubstantiv gehalten
werde, die kein Fem. haben, wie dann unten abominatio — detractor
vorkommen wird.
Fuisüngs Syntaxis Convcnicntiae der lat. Sprache. 299
schön ausdrücken zu können, sondern sie muss sich auch zugleich
selbst Zweck sein und als Wissenschaft neben den andern Wissen-
schaften einen ehrenvollen Platz einnehmen. Wir sind dem ge-
ehrten Herrn Verf. für seine Leistung dankbar verpflichtet, ge-
stehen derselben auch, was sie erstrebt, zweckmässige Ord-
nung, Vollständigkeit und Gründlichkeit, verbunden mit prakti-
scher Brauchbarkeit in einem hohen Grade zu und erwarten von
den folgenden Theilen mit Recht sehr viel Erfreuliches: doch
werden wir seine Grammatik , wenn sie vollendet vor uns liegt,
wohl von einem ähnlichen Gesichtspunkte aus auffassen müssen,
wie die Zumpt'sche (Jahrb. 24, 2. S. 203), d. h. als eine solche,
die mit dem Gymnasium nicht ausgebraucht wird. Wir haben
noch kürzlich bei der Anzeige einer Schulgrammatik vom Hrn.
Direktor BischofF zu Wesel uns dahin ausgesprochen , dass wir das
Studium der lat. Grammatik für eine wahre Geistesgymnastik hal-
ten, und in sofern emanzipiren auch wir dieselbe, aber es ist nur
eine Art der geistigen Kampfspiele und es duldet nicht nur, son-
dern erfordert zur gleichmässigen Ausbildung der Seele noch an-
dere Arten neben sich, wodurch es also von selbst eingeschränkt
wird. Uebrigens ist recht zweckmässig dafür gesorgt, dass die
wichtigsten Regeln als Sätze, die minder wichtigen als Zusätze,
die Erläuterungen, Begründungen und Reflexionen als Anmerkun-
gen erscheinen. Nun noch Bemerkungen über Einzelnes. S. 5
Anm. ist die Konstruktion des Akk. mit dem Inf. so erklärt, dass
der Akk. in der Weise des griech. Akk. aufgefasst werden müsse
z. B. certum est liberos a parentibus amari — sei: quod ad liberos
attinet, certum est amari. Zum mindesten lässt sich diese Er-
klärung schwerlich auf alle Fälle des acc. c. inf. anwenden. Wie
z. B. im Satze: certum est, nos esse mortales? Wir denken uns,
der ganze Satz : nos sumus mortales solle im Akk. erscheinen,
also jeder Theil desselben, daher soavoIiI nos, als mortales —
als sumus, welches in das Verbalsubst. esse verwandelt wird.
Was sonst wohl für diese Auffassung spricht, führt Wüllner — Ka-
sus und Modi S. 114 — an. Auch Becker (Deutsche Sprach!.
1. B. S. 287 und 288) scheint diese Ansicht zu billigen. Dass
auch in Fällen, wo der ganze Satz als Subjekt erscheinen müsste,
vermöge einer impersoncllen Auffassung der Akk. gerechtfertigt
werden könne, unterliegt keinem Zweifel. Man vergleiche die
vielen Stellen, wo im Hebräischen pn scheinbar vor dem Subjekte
steht z.B.: rwwn y^Mri-Mg jrn Num. 32, 5. d.i. man gebe...
S. Ewald's krit. Gr. S. 596. Sehr belehrend könnte die Unter-
suchung werden, warum der Lateiner in einzelnen Fällen denJNom.
behielt z. B. bei dicor, iubeor.
S. 14 Zus. bemerkt der Verf. mit Recht, dass beim part.
Genit. das ihn regierende Adjektiv sich im Genus bald nach dem
Subj., bald nach dem Genit. richte, wie das auch z. B. in Uih-
lein's Gr. 2. B. S. 17 bemerkt ist. Wenn aber Cic. n. d. 2, 52:
300 Lateinische Grammatik.
Indus est omnium fluminum maximus, erklärt wird: „Der Indus ist
am grössten von den Flüssen,*' so istliicrmit, glauben wir, für
die richtige Anschauung Nichts gewonnen , denn was lieisst „am
grössten"'? Es ist dieses wohl eigentlich eine adverb. Bezeichnung.
Wir fassen daher den obigen Satz auf: Der Indus ist sehr gross
vonSeiten aller Flüsse, und sind überzeugt, dass dieser Aus-
druck eben sowohl in die absolute Bedeutung übergehen konnte,
als das schlichte Adjektiv im Hebräischen.
S. 17 Zus. 4 sagt Hr. Dr. F., die Grammatiker behaupteten,
dass das Prädikat , wenn eine Person durch einen uneigentlichen
Ausdruck bezeichnet würde, sich' nach dem natürlichen Ge-
schlechte richten könne; er wisse aber so wenig Beispiele, als
Andere die Behauptung durch Belege bestätigten. Aber in ca-
pita coniurationis caesi sunt haben wir ja ein solches Beispiel.
Der Verf. führt es aus Liv. 10, 1. selbst S. 15 Zus. an, wo
er bemerkt, dass Sammelnamen oft nach der Bedeutung construirt
würden. Capita ist aber kein Sammelname, noch weniger als
jnille, millia. Was die Wörter anima , bestia, scelus etc. angeht,
so zweifeln wir nicht daran, dass Plautus sie nach dem Geschlechte
dessen, was sie bezeichnen sollen, konstruirt haben würde (vergl.
Bacch. 5, 1, 9.; Poen. prol. 17. ed. Bip.), sonst möchten wir nur
nach dem Vorgänge Cicero's das Relat. auf s naturliche Geschlecht
beziehen. Wir lieben es an dem Verf. , dass er keiner Frage aus
dem Wege geht und die Behauptungen der Grammatiken von
Grund aus prüft, müssen aber auch hier wieder behaupten, dass
manche auf diese Weise mit der Auktorität eines vielleicht recht
späten Schriftstellers belegte oder überhaupt seltene lat. Rede-
weise für den Gymnasiasten wenig Bedeutung hat, obgleich der
Lehrer und der in solchen Sachen gereiftere Mann darüber gern
Aufschluss haben mag. Dass auch bei bloss leblosen Dingen das
Mask. in Bezug auf's Geschlecht des Prädikat's den Vorzug haben
könne, hat auch Bamshorn § 96, mit Tac. 11, 25. es belegend,
wie Hr. Dr. F. neben Tac. auch nur PI. 17, 11.; Sen. const. 19.
anführt. Fügten wir noch hinzu , dass die Vulg. prov. 24, 9.
sagt: abominatio hominum detractor (est), wie viel wäre damit
gewonnen'? Um schärfere Sichtung des klassischen und unldas-
sischen Sprachgebrauchs möchten wir ohnehin den Hrn. Verf.
für die folgenden Hefte bitten. Die auf solche Weise erreichte
Vollständigkeit Hesse sich freilich noch vollständiger machen.
Wir erinnern an Verbindungen wie Ter. Ad. 4, 4, 27. (ed. Reinh.) :
aperite aliquis actutum ostium ; Plaut, men. 4, 2, 111.: aliquis
evocate . . ; uter meruistis 5, 2, 29. ; uter eratis 5, 9, 60. ; abseilte
nobis Ter. Eun. 4, 3, 7. (s. Ruhnk. zu dieser Stelle, der Cat. 108,
5. insperante nobis und Tib. 3, 6,55. anführt, wozu noch die ver-
dächtige Stelle PI. Amph. 2, 2, 194. kömrat; so fern die Fürwör-
ter nobis etc. auf eine Person gehen, könnte man das Franz. Vous
ej.es capable vergleichen , im Griech. und Hebr. ist noch grössere
Fuistings Syntaxis Convonicntiae «1er tat. Sprnclie. 301
Freiheit gestattet, s. Dissen zu Pindars Ol. 10 (11), 6.; Ewald's
krit. Gr. § 351.); hinc coniux , hinc parter arma tene?it, Ov. fast.
3, 90.; geminus iacet hoste superbo Seipio, belügen, Marortia
pectora, fratres, Luc. 15, 4.; omnis eques adsumus, cons. ad Liv.
202. Uebrigens ist über die hier angegebenen Fälle, z. B. über
die mit disjnnkt. etc. Konj. verbundenen Subj. hinlänglich gespro-
chen, wie wir denn den Abgang grösserer Vollständigkeit über-
haupt wenig beklagen, Nur Einiges hätten wir gern gefunden.
Der Deutsche sagt: „An die 3000 sind gefallen"; der Grieche X.
Cyr. 8, 3, 9.: "Eöraöav öe ttqcötov ^isv xav öoQvepÖQdv slg
z£XQaxiq%i'kiovQ . . . in wie fern erlaubt' sich der Lateiner eine
solche Bezeichung des Subjekts'? Caes. b. G. 1, 31.: nunc esse in
Gaüia ad C et XX inilium numerum ; Flor. 3, 3.: millia ad sexa-
ginta ceciderunt, lassen freilich noch eine andere Erklärung zu. Als-
dann war § 12. nähere Angabe nöthig, inwiefern substantivisch ge-
brauchte Wörter ein Adjektiv zu sich nehmen können. So sagt man:
Me hoc ipsum nihilagere et plane cessare delectat (C. or. 2, 6.) ; ipsum
quidem peccare unum est (Farad. 3.) ; vivero irsum (ad Att. 13, 29.) ;
scribere ipsum (Quint. 1,1.); nostrum istud vivere triste ; scire tuum ;
hoc ridere meum; velle suum (Pers. 1, 9.; 27.; 122.; 5,53.); ille
ego (Virg ; PI. ep. 1, 6.), alter idem (C. Lael. 21.); vide, quam
mihi persuaserim, te me esse alterum (fam. 7, 5.); mea tu (Ter.
Eun. 4, 3, 22. ; Ad. 3, 1, 2.) ; quos istos (ad Her. 4, 16.) ; nemo
quisquam (Ter. Eun. 5, 8, 2.). — Die Apposition betrachtet Hr.
Dr. F. als eine Verbindung, welche ihrer Wesenheit nach zwi-
schen der unmittelbaren und mittelbaren, zwischen der Konkre-
tion und Kopulation liegt. Schon S. 38. scheidet er von der Ap-
pos. Verbindungen wie exercitus victor, animus v. , advena ex.,
causa victrix, centemtor animus aus, und stellt sie als den Ueber-
gang von Konkretion zu Apposition bildende dar. Wir zweifeln
nicht daran, dass man namentlich die lat. Subst. auf tor, trix, us,
a.. in Ausdrücken wie: in tarn corruptrice provincia (C. ad Quint.
fr. 1, 6, 19.) , in domo regnatrice (Tac. ann. 1, 4.) ; dominas se-
cures (Prop. 3, 7, 23.); urbs domina (Mart. 12, 21, 9.); bellator
equus (V. Georg. 2, 145.) ; mint ia litera ; artitici temperamento ;
artifice dimicatione. . , neminem regem (ad Her. 4, 16.) fast
schlechthin als Adjektive aufzufassen habe, obwohl solche Bei-
spiele allerdings der App. nahe stehen. Dagegen ist bei Pelias
liasta. . wohl eben so wenig-an Apposition zu denken, wie bei Ber-
liner Blau, Braunschweiger Hopfen, Ballenstädter Bier, Leip-
ziger Messe, und mit Recht schliesst Mehlhorn (Programm : de ap-
positione in graeca lingua commentatio. Glogau, 1838.) im Grie-
chischen Ausdrücke wWEXliivu tiöXs^ov gänzlich von der Appo-
sition aus, während er %Qt]£ ju'pxog... yvvrj itaQ&tvog, zlagelov
ßaöihicc in die Mitte zwischen Konkretion und Apposition setzt.
JJns scheinen nun zwar im Latein die appositioneilen Titel- und
Eigennamenverbindungen der eigentlichen Apposition noch näher
302 Lateinische Grammatik.
zu stehn , als im Deutschen und auch wohl im Griechischen, und
Dr. Fuisting zählt Cn. et P. Scipiones mit Hecht zur Apposition, da
liier Scipiones so selbstständig auftritt; doch möchte es uns schwer
fallen , in M. T. Cicero zwei der Namen Apposition zu nennen. So
weit kann aber weder der Lateiner, noch der Grieche gehen, dass
er einen oder mehrere solcher Namen und Titel undeklinirt Hesse
z. B. Ludwig Tieck's Novellen , Doktor Hirscher's Mpral ; Kaiser
Karls Muth. — Da wir nun Ausdrücke wie Frau Mutter, Herr
Bruder, Meister Robert, die Stadt Münster... kaum zu der Ap-
position im eigentlichen Sinne mehr rechnen wollen: so werdeu
auch schwerlich Humen Rhenus*), fl. Rhodanus, mulier meretrix,
homo gladiator, porcus femina, femina anguis (C. leg. 2, 22. ;
div. 2, 29.), ficus arbor.., mare Oceanus, lapis silex, saxum silex,
turbo ventus dahin gehören. Wir nehmen hier im Deutschen
häufig ein zusammengesetztes Wort und bilden Substantive wie
Rheinstrom , ( Schlangenweibchen , Feigenbaum , Rehbock *? )
Rindvieh, Kieselstein, Ilarzgebirge, Fürstbischof, Gottmensch,
Mannsmensch (im West phänischen, mares homines Plaut. Poen.
5, 5, 32.), wo das Bestimmungswort fast ganz adjektiv. steht und
uns über die Natur der lateinischen genannten Verbindungen auf-
klären kann. Für die Zusammenstimmung (convenientia) der Wör-
ter ist diese Unterscheidung im Lat. überflüssig, nicht aber so
für den Sinn, die Bedeutung. Doch begreift man leicht, dass
hier sehr viel W'illkührlichkeit bleibt , und dass man den Zusatz,
sobald man ihn selbststä'ndiger hervortreten lässt, mit Recht unter
die Appos. rechnet. In rex Deiotarus mag rex nicht eigentliche
Appos. sein , wohl aber in Deiotarus , rex Ponti. Die deutschen
Grammatiker schwanken in dieser Unterscheidung ebenfalls. Becker
(Deutsche Sprachl. 2, S. 317) nennt auf derselben Seite die Fü-
gung: „Kaiser Karlu Apposition und eine von der Apposition zu
unterscheidende Verbindung ; Karl der Fünfte ist ihm Apposition ;
Lehmann (Kurzgefasste d. G. Bunzlau, 1836. S. 298) rechnet
„Wilhelm der Eroberer" nicht zur strengen Appos. ; Götzinger
hält sowohl Martin Papst; Papst Martin, als der Papst Martin;
Martin, der Papst ; Martin, ein Papst, für Apposition, und be-
merkt nur, dass die Apposition für die Auffassung des Zusammen-
hangs bald nothw endig, bald unwesentlich, bald enger mit dem
Träger verschmolzen , bald gesondert von ihm sei. Eben so viel
*) Es ist allerdings noch die Frage, ob flumen oder der Eigen-
name Apposition sei. Vergl. hierüber die Analogie des Deutschen,
und flumen Dubis — circumduetum Caes. b. G. 1, 38.; flumen Axonam,
quod. 2, !). ib. 18. ; monte Jura altissimo , qui.. 1, 2.; ad monteiu
Juram , qui.. ib. 8.; in fluraine Ligeri, quod. 3, 9., ad flumen Scal-
dem , quod 6, 33.; cf. 7, 5.; ferner arbor fici; monsSynae; amnis
Eridani; oppidum Antiochiae; domini appellatio, vox voluptatis.
Fuistings Syntaxis Convcnientiae der Iat. Sprache. 303
Schwankendes muss nothwendig hei den als Appos. erscheinenden
Adjektiven Statt finden. Dr. F. fasst in gens est , cui natura Cor-
pora animosque magna magis quam firma dedit (L. 5, 44.) die
Adj. m. und f. als Appos. auf; in Paulus Q. Maximum filium ad
Aeginium et Agassas diripiendas mittit (id. 25, 38.) sei , erklärte
er, dir. schlechthin als Adj. konstruirt, was wohl heissen soll, es
sei einfach einverleibt. Die deutschen Gramm, rechnen Fälle, wor-
in das Adj. mit dem Artikel oder ohne denselben hinter s. Subst.
steht, zur Appos. z.B. Burchard; doch scheinen Lehmann, Götzin-
ger, Becker, Wurst (Praktische Sprachlehre — Reutlingen —
S. 103), nur Beispiele, wo es mit dem Artikel nachsteht, hier-
her zu rechnen. Mehlhorn stellt aber Beispiele, wo das Partizip
nicht mit seinem Subst. übereinstimmt, z. B. exlvrfötv qtaXayysst
zh7t6[i£voi.>.. nicht einmal unter die Apposition, sondern sagt,
sie bildeten den vorhingenannten wie adjektivisch gebrauchten
Subst. gegenüber die andere Gränze zwischen Konkretion und
Apposition, schwankt aber selbst, indem er solche Fälle in der
Aura, wieder zur Appos. zu rechnen scheint Und einen der aufge-
führten Fälle selbst die partitive Appos. nennt.
Schwieriger ist noch die Untersuchung, was von den mit
den Partikeln velut, ut.., als, wie., einem Subst. im gleichen
Kasus heigefügten Nennwörtern zu halten sei. Man sieht aber
leicht, dass sich derartige Zusätze in Adverbialsätze auflösen
lassen. C. fam. 13, 1. sagt: Pomponium Atticum sie amo, ut
alterum fratrem d. i. amo; auri argentique usum, velut omniuni
scelerum materiam , sustulit Lycurgus d. i. wie wenn es .. . wäre=
wie er das aufhob, was er... ansah. Vergl. auch: Kepente te,
tanquam serpens e latibulis.. intulisti. Der Satz: Wer dir als
Freund nicht dienen kann , kann immer doch als Feind dir scha-
den =— Wer dir, indem oder wenn er dein Feind geworden ist etc.
Ich sage es dir als meinem Freunde = da ich dich als meinen
Freund erkenne.. Unser Herr Verfasser sagt nun S. 51., die
mit ut, velut, tanquam, quasi, quam, ac, atque, nisi verbun-
denen Substantive oder Adjektive ständen theils im Verhältnisse
der Apposition, theils in dem der Koordination; als modifiz. App.
seien solche Verbindungen dann aufzufassen, wenn die so ver-
bundenen Vorstellungen einen und denselben Gegenstand umfas-
send , fast zu einer einzigen besonders bestimmten Vorstellung
gleichsam verschmölzen, was häufig bei quasi, ut, velut, tan-
quam und ähnlichen der Fall sei; Verbindungen mit quam, ac,
atque, nisi, praeter etc. seien modifizirte Koordinationen. Es
fällt uns hier auf, wie Hr. Dr. F. bei ut... quam., nisi von Koor-
dination sprechen kann, da diese Partikeln offenbar unterordnen.
Dass in solchen Fällen die Konstruktion des übergeordneten Satzes
fortgesetzt wird z. B. Ea se sola pereipere dieunt, quac tactu
intimo sentiant, ut dolorem, voluptatem (C. Acad. 2, 24.), com-
muneni prius, ceu lumina solis et auras.. humum signavit — Ov.
304 Lateinische Grammatik.
met. 1, 135. kann hier nicht entscheiden , da dieses auch sonst
geschieht. S. Zurapt § 775., obwohl uns allerdings entgegensteht:
Zeno negat, Platonem, si sapiens non sit, eadem esse in causa, qua
tyrannuinDionyshim=... qua t. D. esse dicit. Das deutsche „z. B.u
womit wir ut oft übersetzen , darf uns nicht täuschen. Allerdings
treten übrigens solche zu Satztheilen zusammengezogene unter-
geordnete oder nebengeordnete Sätze der Apposition*) nahe, und
man kann sie als Gränzscheide zwischen der eigentlichen Appos.
und ganzen Sätzen hinstellen. Mehlhorn thut Aehnliches, nimmt
aber, wie uns scheint, auf das adverbiale Element nicht genug
Rücksicht , worüber unten !
Hier ist nun von dem faktitivische Bezeichnung einleitenden
Gebrauche des „alsu zu sprechen. Der Satz : „Ich hab' euch stets
als Biedermann erfunden ,u hat eben so wenig eine Apposition als
der lat.: semper probum hominera te reperi. Dahin gehören denn
im Latein, die Verba: abiicio (C. fam. 10, 12, 14.x; aeeipio (Juv.
8,87.); addueo (Caes. b. G. 2, 5.); adscisco (C. Pis. 11.; Caes.
b. G. 1, 5.); adscribo (C. Man. 19. ; Flacc. 30.); adsimilo (Ter.
Phorm. 1, 2, 78.; Heaut. 5, 1, 15.); appono [C. Caecil. 16.);
arguo (Sen. Med. 501.); attribuo (C. Cat 4, 6.); canto (C. ad Q.
fr. 2, 13.); clamo (Prop. 3, 7, 46.); concilio (N. 17, 2.); con-
dueo; conti" teor (Caes. b. c. 1, 84.); coguosco (C. Deiot. 3.);
colligo (Prop. 3, 7, 29.); conservo (C. Cat. 3, 10.) (comparo*?);
cupio (C. fin. 4, 24.); curo; dediguor; deiicio (C. Verr. 4, 40.);
dignor (Curt. 6, 10); efficio; gero (Just. 32, 3.; Curt 4, 16.
extr. pro victore se gessit); impetro (N. 17, 2.); impono (C. Plane.
25.); indueo (C. Tusc. 5, 39.); loco (C. Verr. 1, 59.); mitto;
nanciscor (N. 17. 8.j; nolo (Liv. 35, 3.); offendo (N. 17, 2.);
opto (Sen. Med. 22.); ostendo (Suet.) paro (Mart. 1, 55.); per-
hibeo; pingo (PI. h. n. 35, 10.); posco (Caes. b. g. liberos obsides
p. 1, 31.); probo (Caes. b. g. 7, 63.; 8, 18.); propono; relinquo
(N. 1, 3; 17, 6.); sentio (Phaedr. 4, 24, 14.); significo (N. 17,
8.); sisto (C. Att. 10, 16.); sufficio (Phaedr. 3, 10, 13.); teneo ;
trado (Juv. 8, 71.), tribuo, usurpo (C. off. 2, 11.; de univ. 11.);
volo; ferner utor (z. B. aliquo homine amico) ; fruor (N. 15, 5.:
qui ea diutina volunt frui d. i. pace) nebst allen von Zumpt Gr.
§ 394. aufgezählten und den von uns Jahrb. B. 24, II. 2, S. 204. f.
angeführten Verben. Aber vielleicht fasst der Lateiner, da er
solche factitivisch aufzufassende Beziehungen durch den Akkusativ
ausdrückt, tirspränglich dieselben als Apposition! Unmöglich
scheint uns dieses gerade nicht. Es ist freilich ein grosser Unter-
schied , ob ich sage : Er schimpft mich , einen Ketzer d. h. der
ich bin oder: „Er schimpft mich einen Ketzer" = dass ich
*) Der Ausdruck: raodifizirte Apposition, den Dr. F. braucht, ist
uns zu undeutlich.
Fuistingä Synlaxio Convenicntiae der lut. Sprache. 305
es sei*), aber durch den Druck der Stimme, den ich nuf Ketzer
setzte, könnte im ersten Satze die Beziehung, dass ich eben
durch sein Schimpfen erst als Ketzer dastände, bezeichnet wer-
den. Vergl. Te amicum. nieum deligo, wo amicum meura gleich-
sam antizipirende Apposition genannt werden könnte. Wie viel
aber bei Erklärung sprachlicher Erscheinungen auf Betonung und
Geberde gelegt werden müsse, und wie manche Beziehung eben
deshalb nicht in den Worten liegt, sondern dadurch erst hinein-
gelegt wird , muss dem Sprachforscher bekannt sein. Geneigter
sind wir jedoch , das fakt. zu bezeichnende Wort mit dem Ver-
bum zu einer Einheit zusammenschmelzen und davon den zweiten
Akkusativ abhängen zu lassen, gleichsam: „Ich freundnenne
dich,a wobei wir den möglichen Vorwurf moderner Hineintra-
gung ungebührlicher Verwickelung in sprachliche Erscheinungen
ablehnen zu können hofFen. Jedenfalls also sind wir berechtigt,
die fraglichen Akkusative und Ablative von der Apposition auszu-
schliessen. Wir rechnen deshalb auch im Satze: Filium cum
matre in arcem Amphipolitanam custodiendos mittit (Just. 13, 6.)
das Part, nicht mit dem Hrn. Dr. F. zur Apposition, denn dürften
wir eine Auflösung versuchen, so würde es wohl heissen: qui
custodiendi essent, nicht erant. Noch schiefer ist es, wenn der-
selbe das horao in „Tullia homo nata estu Apposition nennt S. 54.;
oder in „Aegypti canem et feiern ut deos colebant" das deosS. 48.
Wollten wir demnach unsere Ansicht über die Apposition im La-
teinischen kurz zusammenfassen, so erklären wir sie für einen
verkürzten Uelativsatz, der einem Substantive oder substantivisch
gebrauchten Ausdrucke ein anderes Substantiv oder einen andern
substantivisch gebrauchten Ausdruck schlechthin (also ohne Be-
ziehung einer adverbialen Bestimmung — z. B. einer Absicht,
Folge, Bedingung) in demselben Kasus — i die Ausnahmen sind
leicht zu erklären — beigesellt.
Da nun in Ausdrücken wie: „flumine Rheno, ficus arbor,
lapis silex, M. Tullius Cicero, Frau Mutter, Fräulein Tochter,"
die beigesetzten Wörter zu unselbstständig und in ihrer Bedeutung
zu abgeschw acht sind , als dass wir sie als Satz erscheinen lassen,
dieses aber immerhin noch möglich ist; so rechnen wir sie nicht
l{ zur eigentlichen Apposition, sondern nennen sie die eine Gränz-
i! scheide zwischen Konkretion und Apposition, oder auch apposi-
i\ tionsartige Zusätze, Apposition ha weitern Sinne, eine Unter-
|j Scheidung, die Hr. Dr. F. zu ficus arbor etc. etc. nicht macht. Was
| die Adjektive angeht, so kann sie der Deutsche und Grieche durch
den Artikel zum Bange eines Subst. erheben, und so in wirkliche
Apposition setzen ; der Lateiner kann wenigstens durch die Stel-
*) Herder wogt sogar (Versuchung Jesu): „Sprich den Stein dir
ßrod." —
N. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Krit. Bihl. Bd. XXVIII. Hft.Z. 20
306 Lateinische Grammatik.
hing, das Geschlecht, die Gedankenwenclung ihnen subst. Selbst-
ständigkeit verleihen. Oft wird es also vom Sprachgefühle ab-
hängen, ob sie Apposition oder reine Einverleibung zu nennen
sind. Eben so verhält es sich mit den , einem persönlichen Für-
worte in dieser Art beigesellten Substantiven oder Adjektiven.
Wer verkennet in: „Ich, ein unglücklicher Mann — der ich.«
bin; ihr, echte Westphälinger, werdet Schinken fordern" die
Apposition*? — Indem Satze: „Da sitz' ich armer Mann" ist
„ichu gleichsam adjektivisch geworden und also an eine Appo-
sition kaum zu denken, obwohl Becker B. 2. § 201. d. dies dazu
rechnet. Darnach muss mau me miserum! nie caecum ; iL s.w.
beurtheilen. Da wir ferner die Apposition einen verkürzten Re-
lativsatz genannt haben , so schliessen wir Verkürzungen von Ad-
verbialsätzen aus. Streng genommen ist im Satze: „Attius Novius
propter paupertatem sues puer pascebat," keine Apposition, denn
puer ist dem Sinne nach = quum puer esset. — Eben so sind die
Wörter: Caesari quaestori ulterior Hispania obvenit =; dem Cäsar
als Quästor = dem C. wurde zu Theil, als er, weil er Quästor
war. Solche verkürzte Adverbialsätze geben daher in der Regel
zunächst adverbiale Bestimmungen zum Prädikate und beziehen
sich also nur mittelbar d. h. vermöge des Prädikats auf das Sub-
stantiv , dem sie als scheinbare Apposition entsprechen. Wenn
daher Apposition die Einverleibung der Substantive genannt wer-
den kann, so gehören nach Maassgabe der Einverleibung der Ad-
jektive solche Bestimmungen nicht zur Apposition, und der Mei-
nung scheinen auch Lehmann (vergl. S. 297; 395.), Götzinger
§323; Wurst S. 103. Wenn Lehmann S. 298 doch die Fü-
gung: „Er als Christ, er sagte es ihm, als seinem Freunde; man
behandelt ihn , wie einen Verbrecher ," als Beleg zur Apposition
anführt, so scheint darin eine kleine Inconsequenz zu liegen, in-
sofern durch das „als" ein beschränkender adverb. Zusatz gesetzt
wird. Ilerling (Grundregeln 2. Ausg. § 16.) rechnet auch den
verkürzten Adverbialsatz: Gestern musste sein Vetter, der red-
lichste Burger der Stadt, die Flucht ergreifen — obgleich er...
der redlichste Bürger der Stadt war, zur Apposition, und in wie-
fern auch dieses mit Fug geschehen könne , haben wir oben be-
merkt und Achnliches schon bei Erklärung des faktitiven Akk. bei
creare... geltend gemacht; nur erkläre man sich dann genauer
über den durch die Verbindung und Stellung zu erzielenden Sinn
und unterscheide zwischen strenger und weiterer Apposition. In
den Sätzen: .,Ein Fremdling tritt er in sein Eigenthum (Seh.); Qui
recte vivendi prorogat horam , rusticus exspeetat, dum defluat
amnis, (Hör. ep. 1, 2, 42. ib. 1, 7, 74.) kann das Bezügliche nur
durch Stellung, Betonung, Zusammenhang als verkürzter Adver-
bialsatz erscheinen, und insofern ist die Anschauung derselben
als Apposition gerechtfertigt. Für das liefere Verständniss der
Rede ist aber damit nur verloren , wenn man alles Derartige^
Micus: Kathot. Gebet- und Erbauungsbuch. 307
was man nicht erklären kann oder will, Opposition nennt. Im
Vorigen ist bereits gegeben, wohin wir Sätze wie: Ilunc librutn
ei donura mittit = auf dass es ihm ein Geschenk sei .= zum Ge-
schenke — rechnen, und wie entfernt wir sie zur Apposition zäh-
len. Näher kömmt dieser allerdings der fakt. Akk. in obsides..
eustodiendos mittit. —
Wie sich nun die Fälle, welche wir demnach zur strengen
Apposition rechnen, wieder von einander unterscheiden, wollen
wir nicht weiter berühren ; so viel aber haben wir sagen wollen,
theils um dem Hrn. Verf. die Gründe unserer Abweichung vorzu-
legen, theils um ein Jahrb. 24, 2. S. 205.*) gegebenes Versprechen
wenigstens etwas zu lösen, theils endlich, um den Missbrauch
mit dem Namen der Apposition, die wir keinesweges für „eine
rostige Tradition verjährter Grammatiken1'' halten , entgegen zu
treten. Uebrigens erwähnt unser Hr. Verfasser die Appos. eines
xSubst. zu einemnm Verbum liegenden Subj. und eines Genit zu
einem Pron. possess. , die distributive App., die Appos. eines
Nomens zu einem ganzen Satze, eines Inf. zu einem Subst. S. 50.,
wo ungenau der letzte Fall die Appos. eines Satzes zu einem Inf.
genannt wird ; auch deutet er auf die einen verkürzten Adverbial-
satz enthaltende Appos. S. 44 hin, wie er denn hier und überall
mit grosser Genauigkeit zu Werke geht und nicht leicht etwas
etwa Wichtiges unberücksichtigt lässt. —
Was die Wortstellung bei der Appos. angeht, so ist das All-
gemeine S. 58. Zus. 7. angegeben. Stellunireu bei Eigennamen
wie:- L. quidem Crassus (C. off 2, 13. 17.); M. vero Celhegmn
(Cat. Bf. 14.); C. noster Lamia (ad Q fr. 2, 13); Bf. illius Aurii
(Cluent. 8.) und auch wohl cius C. iilium , eins Pio filio (C. Cluenr.
8.; Arch. 3.) wären hier besonderer Erwähnung werth gewesen.
Die freilich nur angeführte Erklärung des Komae durch in urbc
R. und des abl. des Preises als Appos zum ausgelassenen pretio,
so wie das in: deum colit, qui novit, S. 7, vermisste is verwerfen
wir, und weshalb man pluit erklären wolle durch pluit aqua, coe-
lum pluit aquam oder aqua begreifen wir nicht. —
Coesfeld. Teipel.
Katholisches Gebet- und Erbauungsbuch für Gym-
nasiasten und Zöglinge höherer Bildiingsunätultcn überhaupt. Von
Franz Jos. Micus, Lehrer (jetzt Oberl.) am Gymn. zu Paderborn,
(bei Jos. Wesener. 1839.) 8.
(Pül'cnbcrg's Gebet- und Betrachtungsbuch. — Eulochium graeco-
latinum. Curavit Dr. Gratz. — Betracbtungcn über die Evange-
lien der Fasten mit Einschlti6S der Leidensgeschichte von Dr. von Ilir-
scher. Desselben Betrachtungen über die sonnt. Evangelien des kii-
20*
308 S c li u I g e 1> e t e.
chenjalircs 1. 15. — Der Geist des Chiistenlliums dargestellt in den it.
Zeiten, in den li. Handlungen und in der h. Kunst von ür. F. A. Stau-
deinuicr.)
Je mehr es die Bedürfnisse unserer Zeit zu erkennen geben,
dass unsere Bildungsanstalten nicht bloss unterrichten, sondern
auch erziehen sollen und müssen: desto natürlicher wird man es
finden, in diesen Blättern das angezeigte, von dem Provinzial-
Schulcollegium Westphalens den Gymnasien empfohlene Buch be-
sprochen zu sehen. Ist doch nach unserer Ueberzeugung Reli-
giosität die Wurzel der Erziehung und obendrein die Blüthe un-
sers Geisteslebens ; Gebet aber ist die Religiosität ausgesprochen
vor Gott. Wir fordern demnach von einem Gebetbuche 1) dasa
seine Gebete auf dem Grunde eines gläubigen , vertraimagsvollen,
sehnsüchtigen, liebenden, dankbaren, ehrfurchtsvollen, demü-
thigen Herzens ruhen. Wir verhehlen es nicht, dass wir in viel-
facher Hinsicht unsere Zeit für eine einseitig verständige halten ;
dass es uns bisweilen fast scheint , als wolle man das Gemüth
kaum als eine Geisteskraft gelten lassen ; dass manche Gebete
Nichts sind, als folgerichtige Erweise, wir wagten eben nichts
Besonderes , wenn wir dem lieben Gott auch glaubten und trauten;
dass wir, wie manche Dichter langen Anlauf nehmen , sie wollten
das und das besingen und kaum zum Singen kommen , so es oft
nur in unsern Gebeten dem Verstände eben abringen, dass wir
beten wollen und Gott bitten dürfen; kurz, dass wir uns vordo-
ziren, statt zu beten. Von hohlen rationalistischen Deklamationen,
die den Kirchenglauben verflachen und nur mit biblischen Flos-
keln sich maskiren , wollen wir nicht sprechen. Nur das wollen
wir noch hervorheben , dass Furcht und Ehrfurcht ein wesentli-
licher Bestandtheil im religiösen Leben ist und demnach Absehen
hiervon mit Recht unchristlich heissen muss. Was 2) die Sprache
angeht, so muss sie kernig und inhaltsschwer, würdig, gefühlvoll
und einfach sein. Verschwemmungen in Worten, abstossende
Ausdrücke, trockene, nüchterne Vorlegungen, in Flitterstaat
ausartende Blümeleien taugen in ein Gebetbuch nicht. Natürlich
muss ein Gebetbuch für Gymnasiasten diese allgemeine Anfor-
derung auf sie besonders anwenden. 3) Endlich muss eben dieses
gerade in die einzelnen Lebenslagen der Gymnasiasten^ besonders
eingehen.
Und nun freuen wir uns herzlich, dieses von der kirchlichen
Zensurbehörde empfohlene Gebetbuch unsers Herrn Verfassers
solchen Anforderungen in einem sehr hohen Grade entsprechend
zu finden. Ueberall ist es der christliche Glaube mit den aus
ihm hervorgehenden Gesinnungen , der in den Gebeten sich aus-
spricht. Was die Welt ohne Christus war, ist nach Paul. Rom.
1. S. 34 und 3ü angedeutet; die echte Lehre von Christi Wesen-
heit S. 37 im Glaubensbekenntniss der Messe ausgesprochen;
Micus : Kathol. Gebet- und Erbauungsbiub. 309
eben so ist die von dem h: Geiste, von den h. Sakramenten, von
der Kirche etc. aufgenommen oder vorausgesetzt. Aus dieser
echtchristlichen Gesinnung geht dann auch hervor, dass der^IIr.
Verf. jener alle Sittlichkeit lähmenden Meinung, Gott könne nicht
ewig strafen , ernst entgegen tritt. — Vergl. S. 60. — Dank sind
wir ihm schuldig, dass er manche Kirchengebete in guter Lieber-
setzung und zahlreiche Bibelstellen den Betrachtungen und Ge-
beten anschloss. — Der Vortrag ist durchgängig dem Inhalte an-
gemessen und gerade für Gymnasiasten geeignet. — Wie sehr
dieses im Ganzen vollständige Gebet- und Betrachtungsbuch die
besondern Lebenslagen der Schüler berücksichtigt, mögen fol-
gende Ueberschriften beweisen : Gebet für die Lehrer, vor und
nach dem Unterrichte , für den kranken Mitschüler, beim Tode
eines Mitschülers; Freundeswahl und Umgang, die Lesesucht,
beim Eintritte in eine höhere Bildungsanstalt, beim Anfange eines
neuen Schuljahrs, beim Schlüsse desselben, die Standeswahl,
beim Austritte aus der Bildungsanstalt, vor und bei dem Abgange
zur Akademie (wo dem angehenden Akademiker sehr zweckmässige
Fragen an sich selbst vorgehalten werden) , der von den Seinen
getrennt lebende Schüler. Ausserdem finden wir besonders zweck-
mässig, dass ein Gebet um die Tugend des Gehorsams, um den
Geist der Wahrheit, um Reinheit des Herzens nebst einer Be-
trachtung über die Folgen der Unzucht, um wahre Demuth etc.
aufgenommen ist. Wie sehr es dem Hrn. Verf. am Herzen liegt,
durchherrschende Frömmigkeit und Religiosität in die zarten
Heizen zu verpflanzen, davon ist uns ein erfreulicher Beweis,
dass er ihnen kleine Gebete „beim Ausgehen aus der Wohnung,
beim Hingange zur Kirche , im Freien, auf dem Gottesacker, vor
dem Spiel oder einer Belustigung, vor der Arbeit, Danksagung
nach empfangener Wohlthat" darbietet und anempfiehlt. Wie
für die Kirche, den Papst, „den Vater der Christenheit'-' etc.,
so findet man auch für den Staat , den König etc. hier Gebete.
Wir theilen zugleich als Probe der Darstellung hieraus (S. 130)
Folgendes mit: „Segne unser geliebtes deutsches Vaterland und
insbesondere den Staat, in dessen Verbände und unter dessen
Schutze ich lebe , und auf dessen Anstalten die Bildung meines
Geistes und meines Herzens mit Liebe gefördert und vollendet
wird. Lass diesen Staat mehr und mehr aufblühen in wahrer Weis-
heit, in echter Tugend und in geistiger und leiblicher Wohlfahrt
aller Unterthanen, damit unser Vaterland als Muster erglänze
allen Nationen , gleich jener Stadt auf dem Berge , welche , nach
dem Ausdrucke Jesu „Niemanden verborgen sein kann.11 (Matth.
5, 14.) Schütte aus, o Herr! die Fülle Deiner Gnade und Deines
Segens über unsern König und seine treuen Diener, und verleihe
ihnen Kraft und Weisheit, damit sie das AVohl des Volkes auf das
Gedeihlichste gründen und befestigen. Du hast die Obrigkeit mit
dem Schwerte der Gerechtigkeit umgürtet, dass sie das Recht
310 S c h u 1 g e b e t c.
und alle Gerechtsame schützen, alle Ungerechtigkeit und Empö-
rung zu nichts machen und Jeden strafen möge, der da Böses
thuj. «Herr, lass sie in diesem Dir wohlgefälligen Dienste für
Dein Reich , für die verfolgte Unschuld und für die unterdrückte
Tugend, unermüdet thätig sein, damit Deine heilige Kirche, da-
mit das Gemeinwohl, die Wahrheit, Wissenschaft und Kunst,
geschützt von dem mächtigen Arme der weltlichen Macht, unge-
hindert l'orthlühcn, und Glück und Segen unter Deinen Kindern
verbreiten möge."
Die Betrachtungen sind in demselben Geiste , als die Gebete
abgefasst. — Haben wir nun dem Buche nach unserm besten Wis-
sen freudig unsere Anerkennung ausgesprochen, so wird es uns
desto mehr vergönnt sein, einige Wünsche und Bedenken zu äussern.
In einzelnen Gebeten und Betrachtungen ist, wie es uns
bedünken will, nicht genug ein Ziel im Auge behalten. So
wünschten wir die Kommuniongebete mehr auf den Hauptgedanken:
„der zu Empfangende ist der Gottmensch, wie er sich für uns
am Kreuze hi/iop/erl" zurückgeführt, wodurch zugleich die
Kommunion in nälierm Zusammenhange mit der Messe erschienen
wäre. Man zergliedere einmal das 1. Gebet vor der h. K. , was
enthält es nicht Alles ! Erst Bewunderung der Liebe des Gott-
menschen nebsteinigen Verständigungssützen , dann Glauben,
darauf Sehnsucht, ferner Iteue und Abbitte, sofort Gelöbniss und
Vertrauen, endlich wieder Sehnsucht. Dann folgen noch wieder
drei „Glaube, Hoffnung, Liebe" überschriebene Gebete und
dennoch ist nicht Alles aufgenommen , was uns im h. Abendmahle
dargeboten wird. Vergl. Hirschers Katechetik. Die Messgebete
sind zum Theile aus dem Missale. Gewundert haben wir uns,
dass die Fürbitte für die Verstorbenen zweimal darin vorkommt.
Das Gebet beim Kanon scheint uns zu wenig Gebet, zu viel Re-
flexion zu seVu, eben so S. 39, und das am Neujahrstage kömmt
uns zu dürftig vor; in denen aber beim Tode eines Mitschülers,
eines Angehörigen, sollte die Fürbitte für den Verstorbenen nicht
fehlen, welche sich dem gläubigen und liebenden Herzen von
selbst nahe legt. Ungern vermissen wir auch Gebete zum Em-
pfange der h. Firmung und Krankenölung. Wir danken dem Verf.
freudig, dass er so angelegentlich gegen die Wollust eifert, und
das aufgenommene Gebet am Feste des h. Aloysius ist uns sehr
erwünscht. Wir stimmen nämlich nicht in die Meinung ein,
welche , wenn wir nicht irren , W. Menzel mehrmals ausgespro-
chen hat, dass um Unschuld und Iteiuigkeit des Herzens der Un-
schuldige nicht beten könne, weil er eben darin ein ungekanntes
Gut besitze. Es kommen nämlich auch dem zarten Alter leider
Gelegenheiten genug vor, wo sich dem Unreinen gegenüber sein
reiner Geist in heiliger Schaam schützen und vor dem Entweihc-
ten sich als uneutweihbar fühlen muss, und hierzu ist, wie einer-
Micus: Kathul. Gebet- und Erbauungäbur.Ii. 311
seits Anmahnung , so anderseits des Herrn Gnade nöthig. Eben
deshalb scheint uns dann auch die Verehrung des h. Aloysius als
hohen Vorbildes eines reinen von Wollust unbefleckten Her-
zens für die studirende Jugend überaus wohlthätig. Wir sagen
hier mit Nachdruck: Wer den Zweck will, muss auch die Mittel
wollen. Unser Hr. Verf. aber scheint uns in der Betrachtung über
die Folgen der Unzucht im Einzelnen zu stark aufgetragen zu
haben. Nicht als wenn wir die geschilderten Folgen nicht aner-
kannten, sagen Mir dieses, sondern deshalb, weil ein der Wollust
anfänglich, verfallener Jüngling vielleicht auf die Frage: „Spricht
noch das frühere Feuer aus deinem Auge? — Fühlst du noch die
frühere Kraft in deinen Gliedern?" sich statt der Antwort: „Ach,
es ist erloschen, und der todte Blick etc. — Ach, sie ist ge-
brochen und müd' und mühsam schleppst du den siechen Körper u
etc. — eine weit andere giebt. Besser also wohl, wenn es
hiesse: Ach, es wird unfehlbar erlöschen etc. Neben Her-
zensreinheit ist vorzugsweise in unserer Zeit für Demuth zu arbei-
ten und deshalb läsen wir in der Abendprüfung gern: Befliss ich
miqh der Demuth '? Fühlte ich mich unangenehm berührt, wenn
der Lehrer meinen Mitschüler lobte? u. s. w. Auch in der aus-
führlichen Selbstprüfung fehlt wohl Einiges, z. B. die Frage nach
religiöser Sehnsucht, nach Vertrauen etc. und die Prüfung über
die Fehler gegen die Demuth stehen sonderbar genug unter den
Versündigungen gegen die eigene Person. — S. 195 ist es doch
zu hart, wenn von den Aposteln gesagt wird, es sei vor der em-
pfangenen Geistestaufe am Pfingstfeste „ihr höchste?' und einzi-
ger Wunsch" gewesen, „von ihrem Herrn das vernichtete Reich
Israel wieder hergestellt und sich als die ersten Würdentiäger in
demselben ehrenvoll versorgt zu wissen1' — auch im Widerspruch
mit dem S. 26 Gesagten. — S. 75 scheint uns der Anfang der
Betrachtung über Freundeswahl theihveise ungehörig, und S. 18
hätten wir den Worten Luk. 10, 16 eine solche Anwendung nicht
gegeben. — Die Uebersetzung der Kirchengebete könnte sich bei
aller ihrer Vortrefflichkeit doch näher an's Original schliessen und
dadurch noch kräftiger sein.
Sollen wir nun noch das uns an der sprachlichen Darstellung
Auffallende angeben , so scheint uns von der Inversion zu häutiger
und vielleicht mitunter verkehrter Gebrauch gemacht zu sein —
z. B. S. 23: Ja, alle Guten sollen sehen meine Werke und prei-
sen dich...\ S. 117: Ich will bekennen wider mich meine Unge-
rechtigkeit dem Herrn. Vergl. S. 35 ; 185 u. s. w. — S. 38
steht: Die Opfergabe werde vollbracht; S. 160: Vorzeichen für
mich einer sehr bedenklichen Zukunft. S. 163 : Andern für An-
dere, auch S. 83, 106, 107, 100, 102 sind Druckfehler und die
Interpunktion wünschten wir bisweilen geändert; auch würden
wir nicht vollends schreiben, vergl. S. 100. — S. 80 heisst's: „Es
lasse sich der Sünder erschüttern durch die Erwägung , wie Der
312 Schulgelde.
im Tode seiner vergesse, welcher im Leben Gottes vergass.1-
Soll das heissen, der dächte im Tode an sich und seine Bekeh-
rung nicht, welcher im Leben Gottes vergessen habe, so ist's
deutlicher auszudrücken. Einige gewöhnlich mystisch genannte
Ausdrücke missbilligen wir nicht , sondern erinnern vielmehr an
das Wort des grossen Niebuhr (Lebensnachrichten über Barth.
Georg N. aus Briefen — Hamburg — Perthes — S. 474) : „Sind
nicht alle wahrhaft erhebende und erhabene Lieder dieser Art1-*
(geistliche) „von Mystikern gedichtet? Ist darunter ein einziges,
welches unter Vernunfttheologen" (?) „Gnade finden kann, wenn
er es nicht allenthalben behackt und umformt ?V Doch haben uns
die Worte: Leib des Todes, S. 68 nicht gefallen. — Und nun
unser Gesammturtheil? Wir empfehlen das Buch recht sehr und
zollen dem Verf. unsere verdiente Hochachtung. —
Auch Püllenbcrgs sehr beifällig von Kritikern und dem Volke
aufgenommenes und in's Holland, und Polnische übersetztes katholi-
sches Gebet- und Betrachtungsbuch (Paderborn, Wesener) eig-
net sich sehr für Gymnasiasten und ist in manchen Punkten voll-
ständiger, aber es geht nicht in die besondern Verhältnisse der
Schüler ein, da es überhaupt für gebildete Katholiken geschrie-
ben ist. Ein anderes Buch unter dem Titel: Eulochium graeco-
latinum, complectens pias preces, meditationes hymnosque sa-
cros. In usum iuventutis literarum studiosae Curavit Dr. Laur.
Clem. Gratz, prof. in Lyceo Dilingano . . . Campoduni in typogra-
phia Koeseliana — mag seinem Inhalte nach sehr vortrefflich sein,
wir würden es Gymnasiasten des unklassischen Lateins wegen
nicht gern empfehlen. Desto mehr aber wollen wir — denn da
wir in diesen Blättern über katholische Erbauungsliteratur wohl
sobald nicht wieder sprechen werden , so muss man uns noch ein
paar Worte erlauben — desto mehr wollen wir auf die Betrach-
tungen des Dr. Joh. Baptist von Hirscher, Professors in Freiburg,
über die sonntäglichen Evangelien des Kirchenjahres und über
sämmtliche Evangelien der Fasten mit Einschluss der Leidensge-
schichte (Tübingen, H. Laupp) aufmerksam machen. Das letzte
Werk hat schon mehrere Auflagen erlebt — 1836 die 5. — vom
ersten , dessen 2. Band wir mit Sehnsucht erwarten , ist die 2.
Ausgabe des 1. Bandes (Advent bis Ostern) [1838] unverändert ge-
blieben, eine sehr anerkennende Beurtheilung von Dr. Mack steht
in der Tübinger theol Quartalschrift (1839. 4. Heft). Man sieht
leicht , wie einflussreich es für den Gymnasiasten ist , über den
sonntäglichen evangelischen Abschnitt eine ihm angemessene Be-
trachtung zu seiner Erbauung lesen zu können. Was Hirscher
nach unserm Urtheile besonders auszeichnet , ist nicht nur die
gemüthliche Wärme, mit der er das Wort Gottes dem Herzen
nahe zu legen weiss, sondern auch vor Allem der fruchtbare
Scharfsinn, womit er es deutet, und die psychologische Tiefe,
wodurch er es auf die Hauptrichtungen der menschlichen Seele
Micus: Katliol. Gebet- und EibauuDgsbuch. 313
anzuwenden und diese in ihren geheimsten Regungen zu belau-
schen versteht. Es ist meines Erachtens eine Haupttugend der
Erbauungsschriften, wenn der besserungswillige Leser sich oft
durch dieselben getroffen fühlt und sich selbst durch sie klarer
wird ; ich fand es vorzugsweise in Hirschers Betrachtungen (und
seiner Moral). Insbesondere scheint uns der Hr. Verf. in seinen
Betrachtungen über die sonntäglichen Evangelien auf die Glau-
benspunkte, gegen welche unsere Zeit vorzüglich ankämpft, aus-
gezeichnete Rücksicht genommen zu haben. So ist die Gottheit
Christi aus des Herrn eigenen Aussagen und denen der Apostel
und der folgenden Gläubigen herrlich erwiesen, und die Unantast-
barkeit jener Aussagen ist dadurch siegreich dargethan , dass sie
uns als durch Wunder bestätigte, durch das Zeugniss des himmli-
schen Vaters anerkannte, vom Demüthigsten und Anspruchlose-
sfcen herrührende, den Bedürfnissen und Interessen der Menschen
höchst angemessene Aussagen vorgestellt werden. So ist ferner
die ewige Verdammung des unbekehrten Sünders in überaus ein-
dringlicher Sprache geschildert und vor dem Verstände gerecht-
fertigt, wobei uns nur der Hr. Verf. d*ie Notwendigkeit der Holle
aus der unendlichen Liebe Gottes gegen die Gesammiheit der
vernünftigen Wesen nicht genug zu begreifen scheint, und wo er
die Ausflucht, Gott werde auch dem hartnäckigsten Süsider noch
unter anderen Einflüssen (z. B. auf den Sternen) Zeit zur Bekeh-
rung geben, nicht durch die Bemerkung abschneidet, dass der
Allmächtige liier die Menschen in den Jahren des Erdenlebcns
den verschiedensten Einflüssen genug aussetzen kann. Andere,
nirgend eine Hauptsache betreffende Ausstellungen aus Mangel an
Raum übergehend weisen wir nur auf die Darstellung der Demuth
(332 sonnt. Ev., 566 Fastenbetr.), des Aufschubes der Bekehrung
(sonnt. Ev. 103), der Lauigkeit das. 116; der Menschenwürde
218; des Gottvertrauens das. 412; der Ausreinigung, die uns
allen Noth thut, das. 99; des Naturlebcns in Verbindung mit hei-
ligen Festen das. 231 , der Leiden des Herrn (Fastenbetr. 558
u.s.w.) hin, und wir würden, wenn wir unserer Neigung folg-
ten, fast AllesTtuszeichnen. Die sprachliche Darstellung ist ein-
dringlich, plastisch, vielfach originell. Wie anschaulich: sich
dem Ersehnten entgegen heiligen! (sonnt. Ev. S. 115). Dennoch
erlauben \\'\v uns, gerade in diesen Blättern einige sprachliche
Nachlässigkeiten und Druckfehler aus dem zuletzt genannten Bu-
che anzuführen. Dahin rechnen wir das so oft wider den ge-
wöhnlichen Schrcibgebrauch ausgelassene Komma nebst andern
aussergewöhnlich gesetzten Satzzeichen, ferner &cligkcitgcbend
S. 30; (es ist überhaupt ausserordentlich schwer, Konsequenz in
der Setzung des grossen Anfangsbuchstabens zu haben — vergl.
etwas \\m\ Vieles lüO, Jenes 99, Wer, nichts 103), leidenschaft-
voll, sehnsuchtlos S. 11, 76, 135, 1S5; de» Spreu 97; mit tau-
send Yonirlhcii und Eigennutz 172; diesöfälligl93,295; die Idee
314 Schulgcbete.
— hingesteckt 211; Schwülen (Schwielen) 19; während dem
225, 397 ; ausgereckten Fingers 406, weisst (weis't) 409 ; S. 178
Joh. II. statt Luk. II.; gewesen 423; 816 ist konfite undeutlich;
S. 100 steht „ihn" für „ihm", Schwerdt 171, Aerndte 99, in für
ist S. 287; S. 504 fehlt welche; S. 20 die ewig Ewigkeiten für
„ewigen"; 272 steht: den Knaben wissen, welcher er sei (hebr.
oder griech. Konstr.) ; entgegen gehen zu können ivünschen wer-
den 14; habt uns verächten zu dürfen geglaubt 92; dem Armen
etwas augedrückt 100; Bereinigung 102; was sie sein, haben
oder gelten möchten 137 ; 132 stände der Uebersichtlichkeit hal-
ben besser: dass sie . . dastehe, und dass ausgeschieden sei;
S. 184: „wenn der Sohn" . . ist ein Anakoluth. Auffallend ist
auch S. 120: „hinerweichen" für „innerhalb welcher" und 300:
„wäre er gesessen", 497: „waren gestanden", obgleich auch
Schiller (Ausg. in 1 Bd. S. 477) sagt: Ich bin vor Fürsten gestan-
den; vrgl. Luthers Bibelübers. 3 Mos. 13,28. Wir haben oben
erwähnt, dass Hirscher auch des Naturlebens in Verbindung mit
den heil. Festen gedächte; mehr leistet in dieser Hinsicht Stau-
demaiers (Prof. der Theol. in Freiburg) Geist des Christenthums,
dargestellt in den heiligen Zeiten, in den heil. Handlungen und in
der heil. Kunst (Mainz , Fl. Kupferberg). Es ist bereits die 2.
umgearbeitete, verbesserte und vermehrte Auflage des vortreffli-
chen Werks 1838 erschienen. Dieses Werk möchten wir schon
deshalb Gymnasialbibliotheken dringend empfehlen , weil es dazu
beitragen mag, den Sinn für dio Natur rege zu machen und die
Schüler dem Stubenhocken und dem vornehmen Stadtleben zu
entwöhnen. Eben so wohlthätig kann es für den Kunstsinn wer-
den. Wir sehen gar häufig Kupferstiche, z. B. von Raphaels
verklärter Madonna, oder seiner Verklärung Christi, von Vinci's
Abendmahle u. s. w. oder hören eine musikalische Messe, sehen
grossartige Werke der christlichen Architektur und Skulptur;
man glaube doch nicht, dass der Jüngling in solche Herrlichkei-
ten eindringe, ohne einen leitenden Cicerone! Den nun vertritt
dieses Buch. Und welcher Gewinn, wenn der junge Mann alles
Dieses vom religiösen Gesichtspunkt aus anschauen lernt! So
werden ihm auch die kirchlichen Feste lebendig und Leben ge-
bend, und manche vortreffliche christliche Hymnen und sonstige
tief christliche Lieder werden so mehr Gemeingut. Vielleicht
gewinnt der hochgeehrte Hr. Verf. durch Zusammenziehung all-
gemein gehaltener Reflexionen noch Raum , einige solcher zarten
Dichtungen aufzunehmen, wie wir dann zu der, soviel wir wis-
sen, nur eben S. 438 erwähnten Stations- oder Kreuzwegsan-
dacht das tiefempfundene Gedicht von Angelus Silesius (Bearbei-
tung von Winter und Sprenger. Mannheim bei Hoff 1838, S. 74)
vorschlagen würden. Zu einzelnen Ausstellungen an diesem treff-
lichen und so sehr beifällig aufgenommenen Werke bleibt uns
kein Raum, doch möchte der Hr. Verf. den Faschingsfreuden in
Alto christliche Lieder übersetzt von Freyberg. 315
seiner idealisirenden Darstellung vielleicht zu viel Vorschub lei-
sten, und neben der Schilderung der Charwoche lesen wir immer
noch gern Hock's Charwoche in| seinen Novellen und Erzählun-
gen (Wien 1839 Leop. Grund. Leipzig Fr. Fleischer). Mitunter
möchte die Darstellung unbeschadet der Tiefe deutlicher sein
Können, wie z. B. S. 185, 125 u. s. w. •
Coesfeld. Teipel.
Alte Christliche Lieder. Uebersetzt und nebst einem An-
hange herausgegeben von Dr. //. Freyberg. Zerbst 1831). '8. 86 S.
Unter diesem Titel hat Hr. Dr. Freyberg ausser den bekann-
teren lateinischen Hymnen: Stabat inaler dolorosa, Veni sanete
Spiritus ^ Dies irae , dies illa, nocli folgende, minder bekannte
Lieder herausgegeben und mit einer metrischen Uebersetzung
ausgestattet: Altitudo, quid hie iaces, Cur mundus militat sub
vana gloria, O Roma nobilis orbis et domina, Parvum quando
cerno deum, Hora norissima t empor a pessima sunt: vigilemus !
Pone luctum, Magdalena, Quid, tyranne, quid miliaris ? Flau-
dite caeli, Consolatrix pauperum. Der Anhang liefert 1) ein
* on dem Herausgeber selbst verfasstes lateinisches , zugleich
deutsch übersetztes Lied: Cogitationes Jesu Golgatha ascen-
dentis; 2) Huss; 3) Die Ideale von Schiller ins Lateinische
übersetzt von Hrn. Dr. Freyberg.
Was zuvörderst die Originale der alteren lateinischen Hvm-
n cn betrifft, so scheint der Herausgeber nicht überall aus ganz
lauteren Quellen geschöpft zu haben. Da dem Büchlein weder
ein Vor- noch ein Machwort beigegeben ist, so können wir über
die Veranlassung und über den Zweck dieses Unternehmens über-
haupt kein vollständiges Urtheil abgeben. Jedenfalls scheint die
ganze Anlage eines tieferen Planes und gründlicher Studien auf
dem Gebiete der alten Hymnologie zu entbehren. Der Heraus-
geber mag von einzelnen Liedern besonders angezogen worden
sein , und nachdem er einen Theil davon übersetzt , sich zu einer
Veröffentlichung seiner desfallsigen Versuche bewogen gefühlt
haben. Aber auch von diesem beschränkteren Gesichtspuncte aus
betrachtet, dürften die gebotenen Früchte zum grossen Theil für
noch unreif zu erklären sein. Wählen wir zuvörderst den herr-
lichen Hymnus Veni sanete Spiritus , dessen dritte Strophe sehr
steif also übersetzt ist :
0 bcsccligcndcr Strahl!
Fülle Du doch allzumal
an die Herzen, die Dir treu!
Ohne Deiner ff'eihc Kraft
was der Mensch auch denkt und schafft,
nichts ist ganz von Sünde frei.
316 Lateinische Kirchenlieder.
Noch weiter von der wunderbaren Einfachheit des Originals
entfernt sich Strophe 4 :
Wasche , was befleckt zu schaun,
■und was dürr ist , lass bethaun,
heile, iras verwundet ivird !
Biege Du, ivas spröd und hart,
wärme, was vom Frost erstarrt,
Leite , was sich hat verirrt !
Das Original führt aber unwillkürlich zu einer viel weniger
künstlichen Uebersetzung hin:
Lava quod est sordidum, Wasche ivas beflecket isty
riga quod est aridum, labe ivas verdörret ist,
sana quod est saucium, heile was verwundet ist,
flecte quod est rigidum, beuge was erstarret ist,
fove quod est f rigidum, wärme was erkältet ist,
rege quod est devium. lenke ivas verirret ist.
Noch auffallender stellen sich jene Steifigkeiten in der
Uebersetzung von Dies irac heraus, worüber wir indessen , da
diese Sequenz schon so oft übersetzt worden ist, hier nicht um-
ständlicher sprechen wollen: das jedoch möge nicht unerwähnt
bleiben, dass der Herausgeber die beiden letzten Strophen im
Original wie in der Uebersetzung ganz weggelassen hat. Ist das
Willkür, oder welcherlei Hülfsmittel sind zu Ilathe gezogen wor-
gen'? Gerade die Schlussstrophe übt eine um so gewaltigere
Macht auf das religiöse Gefühl aus, als sie beruhigender Natur
ist, nachdem vorher die Verdammung der Bösen durch den Rex
tremendae ?naiestatis (hier sehr matt wiedergegeben: Fürst mit
furchtbar strengen Mienen; weit besser: König furchtbar hoch-
erhaben) so erschütternd auf das Gemüth eingewirkt hatte :
Huic ergo parce Deus. Lass ihn also Gnade finden!
Tic Jesu , dominc, Frommer Jesu , Mittler Du,
dona eis requiem. Amen. gieb dass sie in Frieden ruhn.
Amen.
Mehr gelungen ist im Ganzen die Uebersetzung von des hei-
ligen Augustinus Gegengift gegen die Herrschaft der Sünde,
welche wir daher als Probe vollständig mittheiien wollen:
Quid, tyrnune , quid miliaris? Drohe nicht, Tyrann der Sünden!
quid usqtium puenarum est, was von Qualen Du erdaobt
quidquid landein inacliiiiaris, und was du noch magst er-
finden,
hoc amanti parum est. machtlos ist's wo Liebe lacht.
Dul ce mihi cruciari, Süss ist's unter Schmerz zu lie-
ben,
Alte christliche Lieder übersetzt von Freyberg
parva vis doloris est;
317
malo niori quam foedari,
uiaior vis auioris est.
Para rogos quaravis truces
et quidquid flagrorum est,
adde ferrum , adde cruecs,
nil adhuc anianti est.
Dulce mihi cruciari,
parva vis doloris est:
malo mori quam foedari,
raaior vis amoris est.
Niniis hlandus dolor ille,
una mors quam brevis est,
cruciatus amo millc,
omnis poena levis est.
Dulce mihi sauciari,
parva vis doloris est:
malo mori quam foedari,
limine vis amoris est.
schwach ist jeder Schmerz und
klein;
lieher todt als sündig leben,
stärker wird die Liebe sein.
Magst mit Scheiterhaufen dräuen
und mit jedem Strafgericht,
mich dem Schwert, dem Kreuze
weihen,
meine Liehe schreckst Du nicht.
Süss ist's unter Schmerz zu be-
ben,
gehwach ist jeder Schmerz und
klein:
lieber todt als sündig leben,
stärker wird die Liebe sein.
Welche Wonne diese Schmerzen
und wie kurz ein Tod allein!
tausendfache Lieb im Herzen,
werd ich stark im Dulden sein.
Süss ist's Wundenqual zu
schmecken,
schwach ist jeder Schmerz und
klein :
lieber todt als Süiidenflecken,
stärker wird die Liebe sein.
Der in jeder Strophe wiederkehrende und nur in der letzten
in einem einzigen Worte veränderte Refrain hätte dem Herausge-
her S. 52 f. zur Richtschnur dienen sollen; denn sowie hier im
Refrain der Grundgedanke des ganzen Liedes, dass die Liebe
stärker sei als jedwede Qual, immer wiederkehrt, ebenso muss
in jenem Auferstehungshymnus der Grundgedanke, um den sich
alle Erscheinungen der im Frühling wieder auflebenden Natur wie
um ihre Angel drehen, nach jeder vierzeiligen Strophe als Refrain
wiederholt werden ; und dann erhält das ganze Lied erst seine
volle Kraft und erscheint in seiner hohen poetischen Schönheit.
Das hat aber unser Uebersetzer nicht gefühlt, indem er erst in
tler dritten Strophe den Refrain einfallen lässt, dagegen die vor-
hergehenden Verse in je achtzeilige Strophen zusammenzieht, so
dass man Anfangs glauben möchte, es würde einem ein, wenn
auch so recht schönes Frbhlingslied geboten, das aber erst in der
Verbindung, worein es mit der Auferstehung des Wcltheilandes
gesetzt ist, seine höhere Weihe empfängt. Merkwürdig, dass
auch hier der Refrain der Schlussstrophe in Einem Worte verän-
dert ist (io statt namque). Da uns ausserdem die von Hrn. F. ge-
318
Lateinische Kirchenlieder.
gebene Verdeutschung nicht allerwege befriedigt hat , so haben
wir uns in einer neuen versucht, welche hier neben dem ex con-
iectura in 6 Strophen hergestellten und nunmehr in seiner wah-
ren Bedeutung erscheinenden Original einen Platz finden möge:
Auferstehung des Herrn»
Flaudite coeli,
rideat aether,
su minus et inius
gaudeat orbis.
Namque revixit
siouti dixit
pius illilCsUä
innere Jesus.
Jauchzet ihr Himmel,
säuselnde Lüfte,
jubelt ihr Höhen,
rauschende Klüfte!
Wieder er kehrte,
gleichwie er lehrte,
Jesus erstanden
von Todesbanden,
Transivit atrae
turba procellae,
gubiit almae
gloria palmae.
Namque revixit
sicuti dixit
pius illacsus
funei'c Jesus.
Stürmische Winde
wehen gelinde,
Palmen sich heben
frisch aufzuleben.
Wieder er kehrte,
gleichwie er lehrte,
Jesus erstanden
Von Todesbanden.
Surgite verni
ßurgite flores,
germina pictia
surgite campis.
Namque revixit
sicuti dixit
pius illaesus
funere Jesus.
Blüthen erspriesset,
Blüthen des Lenzes,
Keime entschliesset
buntem Gefilde !
Wieder er kehrte,
gleichwie er lehrte,
Jesus erstanden
von Todesbanden.
Teneris mistae
viulis rosae,
Candida sparsis
lilia calthis.
Namque revixit
sicuti dixit
pius illaesus
funere Jesus.
VTeilchen und Ro6en
zärtlich sich kosen,
Tulpen sich reinen
Lilien einen.
Wieder er kehrte,
gleichwie er lehrte,
Jesus erstanden
von Todesbanden.
Currite plenis
carmina venis,
fundite laetuni
barbita roetrum.
Lieder , aus vollen
Adern gequollen,
Laute, erklungen,
lustig gesungen!
Bibliographische Berichte. 310
Namque rcvixit « Wieder er lehrte,
eicuti dixit gleichwie er lehrte,
pius illaesus Jesus erstanden
funere Jesus. von Todesbanden.
Flaudite montes. Felsen , erklinget,
ludite fontes, Quellen, entspringet,
resonent valles, Hügel , hernieder,
repetant colles: Thäler tönt wieder!
Io revixit Frohlockt, er kehrte,
sicuti dixit gleichwie er lehrte,
pius illaesus Jesus erstanden
funere Jesus. von Todesbanden.
Der eben so tiefe poetische als hohe religiöse Gehalt dieses
Liedes springt am meisten in die Augen , wenn man den Refrain
nicht als eine leere Wiederholung , sondern lediglich als das Cen-
trura unitatis ansieht, so zwar, dass das Wiederaufleben der
ganzen Natur nach dem langen Winterschlafe gleichsam als eine
unmittelbare, in jedem Jahre sich erneuernde Folge der Aufer-
stehung des Heilandes erscheint.
Dr. N. Bach.
Bibliographische Berichte.
De quibusdam negandl formulis latinorum accuralius explicandis
scrlpsit A. Cr am er. Cöthen 1838. Hr. Collaborator Crainer in Cö-
then, der vor 4 Jahren bereits durch ein Programm de studii literarum
antiquarum utilitate, das wohl höchstens nur durch die Form auf
Neuheit Anspruch machen kann, zu dem Examen der Hatiptschule
in Cöthen einlud, hat . auch hier dem gleichen Geschäfte sich
unterzogen, und einen Theil seiner wissenschaftlichen Untersuchungen
auf dem Gebiete der lateinischen Partikellehrc, wenn man diese also
nennen darf, in dem vorliegenden Programme niedergelegt. Ich muss
gestehen, dass mich die Wahl des Gegenstandes viel erwarten Hess , die
Hoffnungen aber meistens gar nicht, selten nur zum Theil befriedigt sind.
Man verlangt gewiss in jetziger Zeit von einem Lehrer, der ein Pro-
gramm schreibt und dadurch gleichsam den wissenschaftlichen Geist
und Sinn der Schule, an welcher er wirkt, vertreten soll, dass das-
selbe wenigstens ernstliche Studien vörrathe, und insofern eine Sache,
die bisher nicht genau aufgefasst oder wohl gar falsch dargestellt ist,
berichtige, und dadurch einen, wenn auch noch so geringen Beitrag
zur Wissenschaft gebe. Sachen aber, die jedem Schüler einer höhern
320 Bibliographische Berichte.
Classc lieg gelehrten Gymnasiums bekannt sein müssen und höchstens
für den nächsten Schulkreis nassen , der gelehrten Welt in einer be-
sonderu Schrift vorlegen zu wollen, was soll daraus der Wissenschaft
für Nutzen erwachsen , wenn Hr. Dränier sein Programm nicht eben
seinen Schülern bestimmt hat. Dadurch geht der Zweck der Pro-
gramme verloren, die nicht für den Schüler geschrieben sind und ibm
beweisen sollen , was sein Lehrer versteht, sondern ein Zeugniss able-
gen müssen, wie der Lehrer sich bestrebt, auch wissenschaftlich wei-
ter fortzuschreiten, und wie bei ihm Lehren und Lernen in treuer un-
zertrennlicher Verbindung stehen. Jener ausgesprochene Fall trifft
nun Hrn. Cr. Programm im höchsten Grade , denn es enthält meistens
Bemerkungen, die für einen Primaner und Sekundaner zuletzt recht
gut und förderlich sein können , aber gewiss nicht zur öffentlichen
Mittheilung für Gelehrte sich eignen , wenn er uns nicht etwa, wie
ich aber nirgends ersehen kann, eine Probe abgeben wollte, wie er
eich mit seinen Schülern auf dem grammatischen Gebiete und beson-
ders der Partikellehre versuche. Das scheint mir aber nicht so, und
diese Bemerkungen sollen in allem Ernste gelehrte Untersuchungen
eein , da Hr. Cr. mit der Göttlichkeit der Sprache und dem göttlichen
Berufe dessen sein Programm einleitet, der sich dem Sprachstudium
widmet, und hiermit also anzudeuten scheint, dass auch er jenen gött-
lichen , erhabenen Weg betreten habe und jene Göttlichkeit in sich auf-
nehmen und dann äusserlich wieder manifestiren wolle. Sonst wüsste
ich wirklich keinen Grund, warum er in einer so langen, ziemlich
schwülstigen Vorrede grade dieses Capitel abhandelt , das doch sonst
mit den folgenden sprachlichen Bemerkungen in keiner weiteren Be-
rührung steht. Denn es als Lückenbüsser anzunehmen, fühle ich
mich nicht berufen, da in der Weise, wie geschehen ist, ohne die ge-
ringste 3Iühe noch einmal so viel Notizen über lateinische Partikeln
aufgebracht und zusammengesetzt werden konnten. In der Einleitung
p. 3 — 9, de divina linguarura natura vel maxime respicienda, beweist
Hr. Cr. zunächst, dass die menschliche Bede von Gott herstamme und
ein lebendiges Bild des göttlichen Geistes sei , aber durch klimatische
und natürliche Verhältnisse nach der Individualität des jedesmaligen
Volkes sich verschiedentlich gestaltet habe, ibjss ferner wie der Saame
der Pflanze immer die gleiche und seiner Natur analoge Gattung
treibe, so auch der menschliche Verstand eine ihm und seinem Wesen
ähnliche Rede erzeuge und die Sprache demnach ein Bild der Seele sei.
Dieser geistige Process aber bleibe ein Geheimniss, von Niemand noch
ergründet, wobei viel auf die Anschauung und die eigenthümliche Ver-
bindung des Körpers und der Seele ankomme , und weil der Verstand
mehr und feiner fühle, als er es mit Worten auszudrücken verstehe,
so sei jede Bede nichts Anderes, als ein Streben, die Worte dem Ge-
fühle und den Gedanken genau anzupassen. Ist nun aber die Sprache
göttlichen Ursprungs, fährt Hr. Cr. fort, so kann auch in ihr nichts
Zufälliges, Entgegenstrebendes und Unpassendes liegen, und selbst
das ihrFreuidartige aecommodirt jede Sprache ihrem Wesen. Deshalb ist
Bibliographische Berichte, 321
auch nichts edler und des Menschen würdiger als das Sprachstudium,
und nichts ist der Ausbildung des Geistes und der Entwickelung des
Scharfsinns förderlicher, als ein göttliches Gesetz durch die verschie-
denen Sprachen hindurch sich gleichmässig hinziehend zu beobachten,
und die verschiedene Thätigkcit und Kraft des menschlichen Geistes in
der einzelnen Sprache zu erkennen. So stehen denn Erkenntniss und
Einsicht in dem Charakter eines Volkes im innigsten Zusammenhange
und bedingen sich gegenseitig, und so ist Sprachvergleichung, in
neuerer Zeit besonders angeregt, ein vorzügliches Mittel zur Bildung
geworden. Wie ferner jede Schriftstelle aus sich heraus erklärt wer-
den muss, so muss auch jede Sprache aus ihrem innersten Wesen her-
aus erkannt und betrachtet und Alles ihr Widerstrebendes nicht Analo-
ges völlig von ihr geschieden werden , indem man den aligemeinen
volksthümlichen Geist besonders erforscht. Diese Sprachvergleichung
passt aber weder für Schüler noch kann sie von ihnen ausgeübt wer-
den , ja sie wird selbst von Vielen verkannt und verachtet und nur we-
nige Männer wie Becker, Grimm und Schmitthenner u. s. w. haben
diesen wahren Weg vollkommen erkannt und angebaut. Endlich er-
klärt sich Hr. Cr. dahin, dass auch sein Zweck sei, im vorliegenden
Programm , so wie auch in andern folgenden , einzelne Theile aus der
lateinischen Sprache, die von der unseligen abzuweichen schienen, iin
Zusammenhange und unter dem Lichte eines allgemeinen Gesetzes zu
betrachten, und begegnet zuletzt der möglichen Verwunderung eines
Ungläubigen über diese ziemlich lange praemissio schlagend genug mit
dem Grunde, dass er selten Gelegenheit habe, seine Gedanken in der
Weise zu enthüllen und dass ihm daher das Programm recht erwünscht
gewesen 6ei , 6ein Herz dem gelehrten Publicum zu erschliessen.
p.9. Denique vero si quis forte miretur, quod haec tanta praemiserim et
non statiiu rem propositam ineeperim , nihil aliud afferam nisi nie hac
occasione, quae modo raro offertur, uti voluisse ad dicendum quod
eentiam, ut quisque intelligatur, quomodo de hac quaestiuneula iudiciari
vclim. Zuerst handelt Hr. Cr. über non. Er meint nämlich , dass
es in der lateinischen Sprache einige Verneinungsformen giebt, in
welchen die Negation bei einer Vcrgleichung mit unserer Sprache über-
flüssig oder abgeschmackt [supervacanea aut inepta] zu sein scheine,
dass tlics aber wirklich nur scheinbar und als ein festes Gesetz für die
Sprache anzuerkennen sei, dass jede Negation ihre eigentümliche Kraft
überall bewahre. So sage man im Deutschen ich verbiete Dir, es
nicht zu thun ; ich hielt ihn ab, es nicht zu tluin, wie die Griechen
bei ähnlichen Wörtern unccyoqtvttv , cmt%t6&<u u. s. w. fit] setzten und
weglicssen , wahrend die Lateiner hier der Negation entbehrten und
blos veto te faecre sagten. Eben so sei „mc/it" überflüssig in eini-
gen Ausrufungen: „was habe ich in Rom nicht alles gesehen , was
habe ich nicht für Schmerzen erduldet, wo der Lateiner sage : quantas
res Komac vidi! quantos dolores perpessus suni ! und merkwürdiger
Weise wird dazu Cic. Tusc. 5,32. citirt, welches gerade das Gcgen-
theil beweist, denn wenn man den Ausspruch des Socrates, als er die
iV. Juhrb. f. P/dl. i(. Päd. od, Kril. Bibl. Bd. XXVIII. Hft. 3. 21
322 Bibliographische Berichte.
reiche Menge Gold und Silber in einem festlichen Zuge prangen sah:
„quam multa non desidero" nicht ironisch auffassen mag, so sehe ich
wirklich nicht ein, wie Hr. Cr. mit seiner Bemerkung auskommen will.
Doch ohne Rücksicht darauf, was nützt uns jene Beobachtung hin-
sichtlich der Auslassung des non gegen den Geist der deutschen
Sprache, die allenfalls beim Durchgehen eines lateinischen Exercitium
dem Schüler einer mittleren Classe mit grossem Nutzen gegeben wer-
den konnte? Hütte es Hrn. Cr. wenigstens nur gefallen, uns den Grund
dieser Erscheinung anzugeben , welchen ich z. B. im letztern Falle
darin suche, dass wir dergleichen Verbindung uns mehr fragend den-
ken, und indem wir sagen, „was habe ich zu Rom nicht Alles ge-
sehen" ausdrücken wollen, dass es wohl nichts mehr giebt , was wir
nicht gesehen hätten , während die Römer sie mehr als Ausruf auf-
fassen , und mit natürlicher Auslassung der Negation blos auf die
Menge oder Bedeutsamkeit der Gegenstände hindeuten wollen, die man
in Rom gesehen hat, so dass der besondere Nachdruck in dem Falle
auf quol oder quantas res ruhen würde. Auch wir können ja mit dem-
selben Rechte sagen: Jl'ie viel sah ich zu Rom! Nicht weniger
schwach und höchst unbedeutend sind die Bemerkungen über quin , die
p. ll — 14 sich im vollsten Sinne des Wortes breit machen. Hr. Cr.
will nämlich beweisen , daes auch im Lateinischen manchmal die Ne-
gationspartikel überflüssig zu sein scheine , wie bei quin nach Vernci-
nungsformeln als non dubito, fieri non polest, non mtiltum abest, noti
recuso , und auch hier ist alles tu buntscheckiger Gestalt untermengt.
Auch hier fehlt wieder die Angabe eines muthmasslichen Grundes,
und Hr. Cr., der uns auseinandersetzt, dass quin zusammengesetzt sei
aus dem alten Ablativus qui für quo, quo und non, oder aus qui qnae
quod und non, und, um ja nicht missverstanden zu werden, Beispiele als
qui fit qui deus potest falli pro quomodo citirt [ja damit wir glauben,
auch Cicero habe qui für quomodo gebraucht, werden Cicero de IV. D.
3, 31. als Gewährsmann der letzten Worte angeführt , warum nicht
leichter Eutrop und Nepos?], meint, dass quin auch im angedeuteten
Falle als zusammengesetzt zu betrachten und non dubilo quin facias
eigentlich so aufzufassen sei: Warum solltest Du es nicht thun, ich
zweifle nicht daran. Nachdem er dann wiederum recht gewissenhaft
eine Stelle aus Cic. de Or. 2, 31). non possum quin cxclamem hinge-
schrieben hat, und bei uns im Deutschen für gleich hält, ob ich
sage: Es fehlt nichts, dass ich der Unglücklichste wäre und dass ich
nicht der Unglücklichste wäre, will er jene Verschiedenheit derSprachen
sogar in der geringen Entwicklung des Conjunctiv in unserer Sprache
suchen. Wie ich das verstehen soll, begreife ich freilich nicht, und
vielleicht mancher mit mir. Warum Iässt uns Hr. Cr. hier im Stich?
Jene Erklärung, dass wir den Satz mit quin als Frage auffassen, reicht
nicht aus. Sollte hier durch die doppelte Negation , die in beiden
Sätzen sich findet, nicht die Verneinung stärker hervorgehoben wer-
den, indem sie in jedem Gliedc gleich stark hervortritt? Doch glaube
Hr. Cramer nicht, dass ich meine Vermuthung nur irgendwie als Wahr-
Bibliographische Berichte. 323
heit ausgehe, ich will ja nicht über den Gebrauch der Negationspar-
tikcln bei den Römern nähern und bessern Aufschluss geben ! Ja um
die negative Kraft dieser Partikel herauszustellen, an der wohl noch
kein Mensch gezweifelt hat und jemals zweifeln wird , führt er den
Beweis an, dass man quin oft mit ut non (?) oder cur non verwechselt
finde. Recht schlagend wird hier wieder Cic. Verr. II, 11. ficri non
potest, nt cum tu in tua provincia non cognoris; so Cic. Agr. 11,27. quid
est causac , quin decemviri . . , possint deducerc verglichen mit ad
Famil. II, 13. quid est causae, cur non sit in optatis angeführt. Eben
so könne man ja auch statt quin nach solchen Negativsätzen auch quo-
inimis anwenden, und es werden wieder nicht mehr als 1 Stellen aus
Cic. Neposuind Livius angeführt. Hr. Cramer konnte sich diese ganze
Auseinandersetzung in allem Ernste sparen und brauchte blos auf
Schulzens kleine Schulgrammatik, § 84. p. 303. n. 10 u. 11. hinwei-
sen , wo wir dies Alles finden. Und W9ZU Beispiele , die man schock-
weise auffinden kann. Zuletzt endlich wird die französische, italienische
und englische Sprache noch verglichen, die ebenfalls nach den Wör-
tern des Zweifeins der Negationspartikel im 2. Gliedc sich bedienen.
Zugleich endlich wird auch die fragende Kraft des quin z. B. in quin
prodis mit Indicativ und Imperativ verbunden [cf.Schulz kleine Scbulgr.
1. c. n. 11.] mit 5 Stellen aus Cic. und Liv. bewiesen und der Unter-
schied zwischen non dubito mit acc. c. inf. und quin dahin bestimmt,
dass dann der acc. c. inf. stehe, sobald man nicht frage, sondern nur
anzeige, dass eine Sache nicht zweifelhaft sei. Infinitivus vel aecusat. c.
inf. post verbum non dubitare tum sequuntur , quum non interrogatur,
fied modo significatur aliquam rem non dubitari. Ein ganz trefflicher
Unterschied , der mir freilich zu hoch liegt. Denn wenn ich recht se-
hen kann, ist in der von ihm 6clbst angezogenen Stelle Cic. pro Flacco
33. tabulas in Laelii potestate fuisse, num dubium est, wirklich eine
Frage enthalten, und wie passt also Hrn. Cr. Bemerkung? Viel besser
und genauer ist der sonst oft angegebene Unterschied , dass non dubito
auch von Cic. da mit dem acc. c. inf. verbunden werde, wo in ihm die
feste Ueberzetigung , der unerschütterliche Glaube liegt und es so viel
als certo scio, persuasum est ausdrückt. cf. Dähnc ad Nep. praef.
Uebrigens dürfte die Stelle Cic. ad Farn. 16, 21. und Ncpos praef. nicht
mit Cic. pro Flacco 33. verbunden weiden, da Cicero doch wohl in dem
Punkte genauer sein mag, als Ncpos und Cicero's Sohn. Hier ist ge-
wiss genau zu scheiden. Nach quin handelt Hr. Cr. über vic und er-
klärt uns die Erscheinung, dass nach den Worten der Furcht und
Besorgniss ne gesetzt werde, wo wir sagen, „dass" und ut, wo wir
sagen ,, dass nicht/' also: nimirum illa verba timendi non iunorem so-
Inm, in quo quis est, significant, sed etiam Studium cam rem , quae est
contra consilium, quantum licet prohibendr. Na in quod timco id a me
reivotum volo stttdeoqve renwvcre, und fügt noch hinzu: Horuin [sc. Lati-
norutn] igitur plus est actionis, nostrorum plus scusuum, mit Anführung
des Griechischen : diöoiy.u u>; 0 nacrn? Ttjf.itQOv c<7io&i')']OH7j, und wieder-
um des Französischen und Italicnischen. So sei es denn auch zu er-
21*
324 Bibliographische Berichte.
klaren, warum nach den Wörtern , welche eine Sorge, eine Bemü-
hung enthalten, wie cogitare, consulere, prospicere, videre u. s. w. so-
bald man etwas verhüten wolle, ne gesetzt werde, und hier wird wie-
derum Cic. pro Lig. 10, 29. videte ne erretis jind Farn. 4.9. cogitandum
est, ne tutius non sit citirt. Was hat nun Hr. Cr. damit erreicht? Hat
er uns durch diese Bemerkung näher in das Wesen der Negativpartikel
„ne" eingeführt? Gewiss nicht. Diese Bemerkung gehe ich meinen
Quartanern und wenn ich auch das Französische und Italienische nicht
vergleiche, so glaube ich doch, dass sie mich verstehen und die
Sache vollkommen auffassen. So setzen es uns alle Grammatiker aus-
einander, und wozu das also noch einmal wiedergehen durch fast 3
Seiten hindurch, was allgemein bekannt ist und von Allen so erklärt
wird [cf. Zumpt Grammat. § 533 u. 534]. Zuletzt endlich handelt Hr.
Cr. p. 17 — 23 voü den Formeln haud scio an, nescio an, dubilo
an, incertum est an und verspricht, nachdem fast Alle an einer richtigen
Erklärung verzweifelt hätten, einen neuen Weg einzuschlagen. Unter der
Angabe der Interpreten, die ziemlich dürftig ist und sich um Vieles ver-
mehren licsse , vermisse ich vor Allen Michael Webers vortreffliches
Programm „de formularum nescio an — haud scio an — dubito au
— vero usu, wo mit seltenem Fleisse die bedeutendsten Stellen der an-
erkannt guten Classikcr gesammelt und erläutert sind. So durfte ge-
wiss auch die genaue Auseinandersetzung dieses Gegenstandes bei Hand
Tursell. Tom. I. (der bereits schon im J. 1829 erschien) p. 314 — 330,
die fast alles Bekannte enthält, nicht übergangen werden, da sie viel
Lehrreiches beibringt und leicht manchen Abweg des Hrn. Cr. verhütet
haben würde. Er geht nämlich von der, wie mich bedanken will,
ganz falschen Ansicht aus , dass an, weil es bei Doppelfragen jedes-
mal im 2. Glied« gesetzt wird , auch niemals allein stehen könne, son-
dern selbst da, wo es zu Anfange einer Frage gefunden werde, ent-
weder auf das Vorhergehende sich beziehe, und also nie einen neuen
Gedanken beginne, oder wo es so zu sein scheine, aus dem ganzen
Zusammenhange der Rode sich das Vorderglied leicht ergänzen lasse.
Wenn Hr. Cr. also verfahren will, so lässt sich leicht auch die ein-
fachste Frage zur Doppelfrage umgestehen , denn da jede Frage eine
Ungewissheit, einen Zweifel enthält, so liegt allemal sehr nahe, als
das 2. Glied die Negation des ersten zu ergänzen. Z. B. bei der Fra-
ge: Bist Du zu Hause gewesen, kann man ergänzen oder nicht, und
so lässt sich zuletzt Alles auf diesen Doppelsinn zurückführen. Dass
in solchen Fällen natürlich utrum und nuni nicht an der 2. Stelle ste-
hen konnten, lehrt die gesunde Vernunft, da es vermöge ihrer Be-
deutung unmöglich war. Dasselbe aber was Hr. Cr. von an beweisen
will , fällt eben so gut auf ne zurück , aus dem von mir angeführten
Grunde. Ja Hand sagt p. 299. ausdrücklich und mit vollem Rechte:
„Illud tarnen tenendam est, res eas quae per an ponantnr , diversas
esse debere et constituere novam sententiae partem , id quod nuper
ctiiiin Wunderus observavit in Var. Lect. cod. Erf. p. 91. Uebrigens
räume ich Hrn. Cr. die gemachte Bemerkung vollkommen ein, obgleich
Bibliographische Berichte. 325
sie keine neue ist und Hand Tursell. p. 305 sq. hat schon scheinbare
Abweichungen meistenthcils und gründlich beseitigt. Richtig ist fer-
ner der Gedanke, obwohl nicht so ganz im Allgemeinen , wie Hr. Cr.
will, dass im 2. Gliede meistens eine Steigerung, ein Gegenstand von
grösserem Gewicht enthalten sei, wie in Hör. Sat. 2, 6, 73. wovon auch
schon Hand I. c. gesprochen hat. Dass aber in dem 2. Gliede eine
höhere Wahrheit liege, leugne ich vollkommen. Z. B. Cic. lib. 2. ad
Att. cp. 6., um ein beliebiges anzuführen, quin etiam dubitem an hie an
Antii considam. Das Gemüth zweifelt blos, es kann sich noch nicht
entscheiden, denn wenn der Gedanke, zu Antium sich niederzulassen,
eine höhere Wahrheit, eine grössere Wichtigkeit enthielte, so muss ja
bereits die Wahl getroffen sein. Beide Oerter sind für Cicero noch
gleich, daher schwankt er. Hr. Cr. hat sich durch das „lieber" ver-
leiten lassen, dass wir hinzufügen können, ob ich mich hier oder lie-
ber zu Antium niederlasse, aber konnte man nicht eben so gut sagen,
ob ich mich lieber hier oder zu Antium niederlasse, und dann hätte
ja das erste Glied den Vorzug. Das „lieber" soll ja nur ausdrücken,
dass er sich für einen Ort entscheiden muss, und der, welchen er
wählt, allemal der vorzüglichere ist. Welchen? Darum handelt es
6ich ja eben in der Frage. So wie diese Stelle sind aber alle zu be-
trachten, und Hr. Cr. wird einsehen, dass sein Gebäude auf sehr
schwachen und gebrechlichen Stützen ruhe, und sein Beispiel Hörnt.
Sat. 2, 6, 73. Hesse sich auch so umkehren: Ob die Menschen wohl
nicht mehr durch Rcichthuiu als durch Tugend glücklich sind. Und
liegt endlich in dem mit an beginnenden Gliede wirklich eine gewisse
Entscheidung , so liegt sie gewiss nicht in dem an , sondern in dem
Zusammenhange, in der Gedankenreihe der Stelle. Die Worte utrum
divitiis homincs an sint virtutc beati, aus aller Verbindung der Bede
herausgestellt, lassen ganz zweifelhaft, ob der Mensch mehr durch Tu-
gend oiler durch Reichthum glücklich sei. Doch hören wir, wie Hr.
Cr. sein Gebäude weiter aufführt und stützt. Er meint nämlich p. 20.
„ex quo ficile [nämlich aus der eben angeführten Meinung] videmus,
omne discriincn esse in particularum ob et an usu diverso. Nos
enim quum utainur ob priore loco , Latini autem posteriore , sequitur,
ut, si unum - tantiim aliquid interrogatur, ad sententiam aecuratius
Bignificandam verba affirmantia vielmehr, sogar, selbst, adiieiamus, ne-
cessc sit, quum Latinorum sola particula „an" utendum sit, posteriore
interrogationis loco usitata per se veriorc. Quoniain nostra particula
„ob" priorem locuin tenet , Latinorum „an" posteriorem, ratio pror-
sus inversa est. Rcctc igitur dieimus nnlla sententia praetermissa :
Ich weiss nicht, ob dies nicht sogar wahr ist, Latini: nescio an hoc ve-
rum sit, omissis verbis „ utrum lalsnin. " Da arguiiicnlirt aber Hr.
Ciamer wiederum sehr falsch. Nämlich wenn er sagt, dass das an
upsern) blossen ,,ob" im eisten Gliede entspreche, so irrt er gar sehr.
Gebrauchen denn wir unser „ob" nicht auch in 2. Gliede, z. ß. ich
weiss nicht, ob er zu Hause ist, ob nicht? Hr. Ciamer hat sich
nur dadurch täuschen lassen, dass wir bei Donnclfragen das 2. J?ob"
326 Bibliographische Berichte.
vor dem „oder" meistens weglassen. Denn eigentlich müssen wir
sagen: Ich weiss nicht oh er gesund oder oh er krank ist. Steht hier-
nach oh auch an der 2. Stelle'? Die Partikel ,,oh" drückt gewiss eben
so gut wie im Lateinischen zuletzt weiter nichts aus als den Zweifel,
die Unbestimmtheit, und kann im Lateinischen daher eben sowohl durch
utrum als an , als num und nc wiedergegeben werden. Und setzt
denn endlich eine solche Verbindung wie im Deutschen „Ich weiss
nicht, ob dies nicht sogar wahr ist, nicht auch nothwendig ein Vordcr-
glied voraus „ob es falsch ist" und steht dann eigentlich nicht nun,
Hrn. Cr. Theorie zufolge, jenes ,,ob dies nicht vielmehr wahr ist" im 2.
Gliede? So muss denn natürlich auch der letzte Schluss p. 21. falsch
sein: Ergo quum dicitur: nescio an, haud scio an etc. pars prior cum
aliqua e particulis utrum num ne omissa est. Tum negata sententia
addenda est vox negandi, ut vidcamus, id quod volui, verba negandi ubi-
eunque sint, vere esse negantia, quamvis sit nostra ratio contraria. Das
trifft aber, wie ich zeigte, eben gut das Deutsche wie das Lateinische.
Nehmen wir z. B. seine erste Stelle aus Cic. de Off. 3, 12, 4. „ Sapicn-
tem et bonum virum iingimus qui celaturus lihodios non sit , si id
turpe iudicet sed dubitet, an turpe non sit, so passt sie nicht vollkom-
men, da an turpe sit vorhergeht, was gleich gegen Hrn. Cr. spricht,
dass an nicht im ersten Gliede stehen könne Uiid natürlich das Gegcn-
theil durch non eingeführt werden müsste. Vgl. übrigens über diese
Stelle Beier. Ferner liegt ja in der Negation schon vollkommen der
Gedanke ausgedrückt, dass eigentlich kein Zweifel mehr sei, z.B.
Cic. Brut. 33. C. Gracchus si diutius yixisset, nescio an habuisset pa-
rem neminem. Hier will Cic. für seine Person doch mit Bescheiden-
heit den Leser jeder Möglichkeit berauben , dem C. Gracchus an Bc-
redtsamkeit einen andern gleich zu stellen, und daraus hätte Hr. Cr.
gewiss recht gut ableiten können, warum gerade in diesen Formeln
eine gewisse Bescheidenheit enthalten sei und sie zu der blossen Be-
deutung des „vielleicht" herabsanken. Denn anstatt dass Cic. in der
obigen Stelle geradezu sagte: certo scio C. Graccho, si diutius vixisset,
cloquentia neminem parem fuissc, drückt er es mit jenem bescheidenen
Zweifel aus, als nescio an. Nur der einzige Unterschied waltet hier
wohl zwischen Deutsch und Lateinisch ob, dass wir gesagt hätten,
ob er einen Gleichen gefunden hätte, während der Lateiner im Stande
ist, durch Hinzufügung der Negation seine volle Meinung in beschei-
dener Art auszudrücken, wir aber die Sache überhaupt ganz zweifel-
haft hinstellen. Doch kann bei uns die Negation nicht stehen.
Denn dass ein Unterschied sei zwischen nescio an habuisset parcin ne-
minem und dem Deutschen, ob er Jemand gehabt hätte, leuchtet voll-
kommen ein, wenn auch im Allgemeinen der Sinn zusammentreffen
mag. Die Ideenassociation ist in beiden Sprachen eine ganz andere.
Daher in der einen die Negation steht, wo sie in der andern fehlt. So lassen
eich auch die Fälle begreifen , wo man an tillus, an unquam findet, das
mit allem Unrecht von Einigen in nullus und n unquam verändert wor-
den ist. Hr. Cr. erklärt ihren Gebrauch so : usurpuntur huc formulae,
Bibliographische Berichte. 3-7
uhieunque scriptor certam suam eententiam superlativo vcl simili modo
aut iain edidit aut editurus est, sed eunetatur deliberans, nuui forte
falso dixerit, atque interrogat: an non ita est. Ich möchte nach dein
früher Gesagten dagegen die Frage mit an ohne Negation als eine im
Ganzen zweifelhafte hinstellen , wo wie im Deutschen sich der Autor
weder für den Einen noch für den Andern entscheidet, z. B. Themisto-
clcs quum ei Siinonides an quis alias artciu memoiiac polliccrctur, d. h.
es kann es eben so gut Simonides wie jeder Andere gewesen sein. Ich
möchte daher nicht wie Hr. Cr. bei Nep. Timol. I. Namque hnic iini contigit
quod nescio an ulli, lesen, und wie er so erklären: Apcrte cnim enuu-
ciat scriptor , Timoleonti uni contigiss e , quum vero hoc ninüum esse
videatur, adiieitur an ulli (alii), oder noch irgend einem Andern? nescio
eed non credo. Nulli zeigt mir wenigstens an, dass Nepos gleich von
vorn herein seine subjeetive Meinung darin ausspricht, dass es wohl
Niemand gegeben habe , doch mit der höflichen Beschränkung der Be-
scheidenheit, die blos in jenem nescio an liegt. So weit Hr. Gramer,
dessen Programm ich wenigstens fleissig durchgelesen habe, und ich
schliessc mit dem Wunsche diese Zeilen, dass Hr. Cr. in allen diesen
Ausstellungen nur das Interesse der Wissenschaft erkennen möge.
Halle. Dr. G. F. Hildebrandt.
De Q. Horatio Flacco non adulatore. Scr. F. S. Feldbausch.
Hcidelbergae 1831). 8. VIII u. 48 S. Nach dem Titelblatt : Joscpho
Loreyo, Lycci Rastadini Ilecloril, sacra semisaecularia agcnli pie graln-
lantur Lycei Itastadini Professores interprete F. S. F e 1 d b a u s c h io.
Rastadii XI. Cal. Qnintil. anni MDCCCXXX1X. Dieses Schriftchcn
berührt einen Punkt, in welchem schon Mancher, der sonst Horazens
Vorzüge zu schätzen wusste , an demselben irre geworden ist. Hr. F.
führt als Beispiele aus der neuesten Zeit Monich und Orclli an; ich
füge dazu P. F. Boos t und W. Menzel. Der Erstcre hat in seiner
Schrift: „lieber eine Anklage des Hör. Fl. Eine philologisch- morali-
sche Untersuchung." (Frankf. a. M. 1807. 8.) alle Stellen, woraus der
Vorwurf der Schmeichelei hergeleitet werden könnte und theihveise
hergeleitet worden ist, manchmal recht glücklich in ihr wahres Licht
gestellt, aber an die Vergötterung des August hat es sich in dem Grade
gc»tusscn , dass er zu dem erbaulichen Resultate kam, ein Kriechet
zwar sei Horaz nicht , wohl aber ein recht erbärmlicher Schmeichler!
Und Menzel sagt in seinem Literatur- Blatte J 183!). Nr. 80, S. 320.
bei Gelegenheit der Anzeige von Dr. O sw a 1 d's Schrift über Horaz
(Leipzig u. Paris 1838. 8.): „Man kann neben dem feinen Geist des
Horaz auch sein feines Gefühl, 6einc liebenswürdige Humanität prei-
sen, man kann ihm zutrauen, dass er es mit der dösen Welt gut
meinte, und im Grunde seines Herzens edel, nur etwas schwach war;
aber man kann nicht von seinem patriotischen Schmerze reden, man
kann dem, der dem Unterdrücker der Republik zu Hofe ging, ihm
Oden sang und sich dafür füttern licss, unmöglich die Tugenden eines
Cato zuschreiben. Horaz wird ewig das Ideal eines Hofpoctcu bleiben,
328 Bibliographischer Bericht.
eines Dichters , der 6ich in die Zeiten schickt und das Leben noch ge-
niesst, wenn Brutus und Cnto nicht mehr sind. Dcsshalb war H. auch
das Ideal der Poeten im Zeitalter Louis XIV. und in Deutschland in der
erbärmlichen Zeit der beiden schles. Schulen bis auf Ramler." Man
6ieht, Menzel bat (wie sein Freund Börne, nur dieser in weit geist-
reicherer Weise) die Sache so auf die Spitze gestellt, dass eine eigent-
liche Widerlegung nicht einmal an ihrem Platze wäre*). Wenden
wir uns zu Feldbausch. Sein Hauptverdienst ist , die Wieland'schen
Ansichten so , wie es der gegenwärtige Stand der chronolog. Untersu-
chungen über Horazens Gedichte mit sich brachte, im Einzelnen durch-
geführt zu haben, wiewohl auf eine von der Lebendigkeit Wielands
etwas abstechende Weise. Was er beweisen will, drückt er S. 2 f. so
aus: 1) Hör. hat, so lange Octavian als Tr in in vir eine ungesetzlich
erworbene Herrschaft übte , niemals dessen Lob gesungen. 2) Später,
als jeder Verständige einsehen musstc , dass bei dieser allgemeinen De-
moralisation ein Fortbestehen der Republik unmöglich sei , und als
Oct. die Gewalt aus den Händen des Volks selbst empfangen hatte und
sie zum Besten des Staates anwendete, da erkannte auch II. den Ur-
heber dieser Ordnung der Dinge an, was er aber zu dessen Lob sang,
das ist nicht nach unsern christlichen Ansichten, sondern vom Stand-
punkte des Aiterthums und im Zusammenhange mit dem Geiste seiner
Zeit zu beurtheilen. Mit dem Letztern zielt F. vornehmlich auf dio
Apotheose des Aug., die sich in manchen Stellen des H. findet, und er
bespricht gleich (S. 3 — 12.) diesen Punkt und zwar so, dass er zuerst
den allgemeinen Charakter der Religion des classischen Aiterthums auf
eine nicht eben tief gehende Weise abhandelt und mancherlei Einwen-
dungen und sich aufdrängende Fragen beseitigt, z. B. S. 5. die, war-
um ein Perikles, ein Scipio u. A., die es doch nicht minder verdient
hätten, als ein Herakles, Romulus u. ». w. nicht auch apotheosirt
worden seien, dahin beantwortet: „quia ipse ille vigor, qui cum
continentia ac moderatione perpetrare raaxime quaeque änderet, hu-
manas res cum diviuis confunderc prohibuit. " Ich will hier nicht ein-
mal premiren , dass in dieser Erwähnung des Herakles der von Feldb.
so ganz verdammte Euhemerismus sich kund giebt, sondern nur auf
das Unklare und Ungründliche des sein sollenden Grundes aufmerksam
machen. Der einfache Grund, warum ein Pericles und Scinio nicht
auch zu Göttern geschlagen wurden, liegt darin, dass ßie weder sub-
*) Mancher wird sich wundern , wie M. den oben erwähnten Aus-
spruch gerade bei Gelegenheit der Oswald'schen Schrift thun konnte,
da doch diese viele Gründe für die entgegengesetzte Ansicht über Hör.
beibringt. Aber solche Verwunderung zeugt von grosser Unbekannt-
schaft mit Hrn. Menzels Recensirweise. Hr. M. blättert in dein Buche,
das er recensiren will , bis er eine Stelle rindet, an die sich einer seiner
drei Gedanken anknüpfen lässt, sei es nun in beistimmender oder in po-
lemischer Richtung; diese Stelle wird dann einzig und allein hervorge-
hoben , der betretende Gedanke angehängt — und siehe da ! man hat
eine Recension.
Bibliographische Berichte. 329
jectiv, noch objectiv, weder in dem Glauben ihrer Zeit, noch in der
Wirklichkeit, so Behr ihre Zeit überragten, dass man ihnen solche
Ehre erweisen zu müssen geglaubt hätte, und nur die Nachwelt, die
selbst unter jener Zeit steht oder dieselbe nicht im Speciellen erkannte,
mag Fragen aufwerfen wie die angeführte. Jede Vergötterung geht
wesentlich hervor aus einem Gefühl von Inferiorität; dieses Gefühl
kann aber selbst wieder seinen Grund haben entweder in einem wirk-
lich so beschaffenen Verhältnisse, oder aber darin, dass den Individuen
das Bewusstsein ihres eigenen Werthes , ihres nur noch nicht zur Ent-
faltung gekommenen inneren Rcichthumes noch nicht aufgegangen ist:
darum finden wir solche Apotheosen nur in den frühesten Zeiten — wo
sie die Huldigungen sind der Frucht dargebracht vom Keime — und
dann in den Zeiten allgemeinen Verfalles. (Die nur tändelnden der
mittleren Periode berücksichtigte ich nicht.) Ziehen wir noch speciell
den Fall der Vergötterung des August in Betracht, so erinnern wir zu-
vörderst an das historisch beglaubigte Factum der grenzenlosen Liebe
des röni. Volkes zu demselben, und wie leicht, wie natürlich macht sich
von da aus der Schritt zur Vergötterung. Dem Volke sagt sein reli-
giöses Bewusstsein: Alles, was wir haben, haben wir von den Göttern.
Damit collidirt aber die Erfahrung, die sie belehrt, dass sie ihr Gutes
von diesem August empfangen. Aus dieser Verlegenheit rettet sich
aber das Volk (man bedenke doch ja, dass es ein heidnisches ist und
nicht einmal ein Volk zu Athen) einfach dadurch, dass es schliesst :
nun so ist eben August auch ein Gott. Denkt man sich noch eine ge-
bildete Classe, einen Senat hinzu, die sich sogar bemühen, das Volk
in dieser Absicht zu bestärken , so wird man das Factum hinreichend
erklärt finden. Noch auf mancherlei Weise liessc sich von jener That-
sachc der Liebe aus diese Apotheose erklären, z. B. durch die Bemer-
kung, dass das Volk wünschen musstc , den Gegenstand seiner Liebe
immer vor Augen haben zu können; Bildsäulen wurden also errichtet,
wie nahe lag aber von da aus die Apotheose ! Doch es geniige an dem
schon Gesagten; nur das will ich noch kurz erörtern, welche Bedeu-
tung es habe, wenn ein Horaz in seinen Gedichten an solcher Vergöt-
terung Theil nimmt. Natürlich kann hier von einem wirklichen Glau-
ben an die Göttlichkeit des Aug. überall nicht die Rede sein, sondern es
ist blosse Form, als welche es auch Aug. selbst auffassen musstc, daher
es kommt, dass H. in Gedichten aus derselben Periode von Aug. bald
als von einem Gotte , bald als von dem schönsten Geschenke der Götter
spricht. So oft er das Erstcre that, konnte es nur eine nuf das Volk
berechnete Gefälligkeit gegen Aug. sein, der es gerne seilen musste,
wenn sich Männer wie Hör. vor dem Volke das Ansehen gaben , als
lli' ilten sie dessen Glauben. Man wird solches verwerflich finden;
man bedenke aber die damals unter den Gebildeten allgemeine reli-
giöse Indifferenz, das ironische Vcrhällniss, in welchem sie zu den
Volksgöttcrn standen , erwäge auch, dass das Volk gar wenig gewon-
nen hätte, wenn man ihm diesen einzelnen Irrthum benommen haben
würde ohne es zugleich auch sonst zu sich heraufzuziehen , — und man
330 BibliographischcBorichte.
wird iich vielleicht zu einem milderen Urthcile bestimmen lassen. Doch
ich wollte hier nur Andeutungen geben, über den Weg, den nach
meiner Ansicht Hr. F. hätte einschlagen sollen. Denn die Art, wie er
über die Vergötterungen und speciell über die des Aug. sich ausspricht,
kann ich nun auch gar nicht billigen. Schon dass die einzelnen Bei-
spiele von Vergötterungen so roh durch einander geworfen sind, ohne
psychologische und historisch-kritische Sonderung der einzelnen Fälle,
muss getadelt werden; dann aber vollends die ganz ungesebickte Fr-
wähnung des Euhemerisiuus , von welchem Hr. F. einen durchaus
schiefen Begriff haben muss. Euh. stellte blos eine Hypothese auf,
aus der sich nach seiner Ansiebt ein Factum (die gricch. Götter) er-
klären lassen, ein System der Mythendeutung, das aber natürlich nur
für Gelehrtere berechnet sein konnte, da das geineine Volk sich
wenig darum bekümmert, woher seine Götter kommen. Und wenn
er lehrte, die gricch. Gölter seien von 500 Jahren (um eine Zahl zu
nennen) Menschen gewesen , so Hess sich — die Richtigkeit seiner
Hypothese vorausgesetzt — daraus nur sehliessen , dass die Griechen
vor ungefähr 500 Jahren gerne vergöttert haben , nicht aber, dass sie
zu seiner, des Euhemerus, Zeit dazu besonders geneigt gewesen seien,
— wie F. S. 6 thut. — Die Aeusserung K. Zells (zu Hör. Ep. II, 1,
pag. 22.), „dass es dem ganzen Alterthume eigen sei, alles Grosse und
Ausgezeichnete sich als unmittelbare Erscheinung und Wirkung des
.Göttlichen zu denken," welche er zum Mittelpunkte seiner Untersu-
chung, wie sie ist, hätte machen sollen, schleppt er S. 9. mit einem
„docte Zellius — inquit" hinten drein. — ■ Was er endlich S. 10. als
Resultat seiner vorhergehenden Untersuchung angiebt, das hat — wie
man zu sagen pflegt, keine Schneide; namentlich die religiöse Ansicht
der Gescheidteren zur Zeit des Hör. wusste er weder sich noch Andern
klar zu machen. Ich kann das nicht weiter ausführen , ohne dieser
Anzeige eine weder mit der extensiven, noch der intensiven Wichtigkeit
der Schrift im Verhältniss stehende Ausführlichkeit zu geben , und eile
daher zu dem zweiten und wichtigern Theilc der Schrift (von S. 12 —
47), welcher 6ich damit beschäftigt, diejenigen Stellen bei Hör., auf
welche man den Vorwurf der Schmeichelei begründet hat, zurechtzu-
legen. Sehr zu loben ist hierbei, dass Hr. F. die chronologische Ord-
nung befolgt hat. Er theilt nämlich die betreffenden Gedichte in 3
Classen: 1) solche, die vor 724 d. St. gedichtet wurden; 2) von 724 —
735 verfasste ; 3) die nach 735 gedichteten. Dass gesondert wurde,
verdient jedenfalls Beifall; dass aber so abgetheilt wurde, werden wir
— wie sich zeigen wird — nicht durchweg billigen können. Bei Ver-
keilung der Gedichte in die einzelnen Classen hat er sich an den neue-
sten Commcntator, Orelli, angeschlossen, mit Ausnalmie einiger vö-
lliger — nicht eben glücklich gewählter — Fälle. Uebrigens hat sich
dem Unterzeichneten im Verlauf dieser Untersuchungen wieder recht
dringend das Uedürfniss einer Ausgabe des Horaz in chronologischer
Ordnung vor die Seele gestellt und ihn bewogen , einen schon länger
gefasstcu Enlschluss, eine solche zu bearbeiten, zur Ausführung zu
Bibliographische Berichte. 331
bringen. Ilor. ist kein Schriftsteller, der in seinen Werken seine In-
dividualität in den Hintergrund drängte — das brachte schon die Art
seiner Dichtungen mit sich; von seinen eigenen Gedichten gilt was er
von denen des Lucüius aussagt, dass sie nämlich, einer Votivtafcl
gleich , von dem ganzen innern und äussern Leben des Verfassers Be-
richt erstatten. Schon darum wäre. es von hohem Interesse, den Cha-
rakter des 15. eigens zu studiren, wenn derselbe auch nicht indem
Grade liebenswürdig wäre, in welchem er es ist. Besonders interes-
sant ist es aber, den* Charakter des II., den schriftstellerischen wie
den sittlichen , in seinem JFerden , seinem Entwickelungsgangc zu
verfolgen, und dies ist nur möglich, indem man seine Gedichte
nach ihrer Zeitfolge studirt , was mit vielen Unbequemlichkeiten
verbunden ist, wenn sie nicht schon in der Ausgabe so geordnet sind.
Und es ist wohl anzunehmen , dass die chronologischen Forschun-
gen jetzt einen Punkt erreicht haben , von welchem aus eine solche
Arbeit wrohl unternommen werden kann. Nur so viel beiläufig und
vorläufig. Das Genauere über meinen Plan spare ich für eine
andere Gelegenheit auf. — Aus der ersten Periode bespricht Feld-
bausch — um zu diesem zurückzukehren — folgende Gedichte (S.
13—23): Epod. Iß. 7. Od. II, 7. I, 14. Sat. I, 3, SO ff. 10, 81 ff.
Epod. 9. 13. Od. I, 37. Von diesen wollen wir nur die Stelle aus Sat.
I, 3. näher ansehen. F. sagt p. 17. Animadvertit Hör. avaritiam
— apertam improbitatem u. s. w. et alta mentc perfusns est dolore (auf
Juvcnalls würde das passen), quum bis vitiis patriae libcrtatcm intcrissc
sentiret. Omnia vero ista vitia in satiris niaxime festivo (ob sich das
mit jenem tiefen moral. Ingrimm vereinigen lässt?) calamo describun-
tur. Quae quum recte perspexerimus , nonne mirum videatur, esse
nonnullos, qui ex satiris quoque adulationem quandam , qua Ilor. in
Octav. usus sit, extorserint. Cadit hoc in Sat. III. libri I. v. 80. sqq.
Gleich dieser Grund kann nicht für triftig gelten. Fürs Erste kann
man nicht zugeben, dass F. die Sache recte perspexit; doch auch ab-
gesehen davon wäre jener Grund nur dann gültig, wenn Ilor. mit
rücksichtsloser Plumpheit seine Geisseihiebe nach allen Seiten ver-
theiltc, unbekümmert, wen sie träfen; d. h. wenn er in seinen Sati-
ren sich als Narr geberdete. — Doch hören wir weiter: „Ut hoc loco
aduluntcm Horatium putemus , ab antiquis Scholiastis induciinur. Quo-
rum rationem quominus veram ducamus, multa obstant, optimeque id
Bcntl. nd h. 1. demonstravit. " Erstens war nämlich Laben damals
noch sehr jung und konnte noch nicht das Gewicht haben, das ihm
den Muth gab, dem Oct. offenen Widerstand zu leisten (oder - —
6clzc ich hinzu — wenn er schon in diesem Alter Solches unternahm,
so verdient er ganz und gar den Namen insanus), zweitens weiss man,
dass Aug. ibm seine Keckheit nicht übel nahm. „ Si vero Aug. ipsc
non iofensum sc praehnit Lahconis libertati atque honorem ei habuit,
«|iiis tan» insauuiii putet Horatium, ut nibilo minus adulaudi causa tali
viro oblrcclavcrit. " Hier irrt F. Die Nachsicht des Aug. war höchst
wahrscheinlich durch die hlugheit geboten, sei es nun durch liück-
332 Bibliographische Berichte.
sichten auf dessen Familie oder seine Gelehrsamkeit und Brauchbar-
keit oder was es sonst war; diese Klugheit verhinderte aber ganz und
gar nicht, dass man es dennoch persönlich recht gerne sah und heimlich
lächelte, wenn der ungezogene Herr von Jemand , der gleichsam ein
Privilegium dazu hatte, tüchtig verhöhnt wurde. Natürlich will ich
damit nicht sagen, dass II. wirklich aus diesem Grunde den L. durch-
gezogen habe; nur zur Widerlegung der kategorischen Behauptung
Feldbausch's führ' ichs an. Auch an den nun folgenden Worten lassen
sich Ausstellungen machen: „FaciMinia et aptissima Orclli interpre-
tatio videtur, qui statueudum esse censet: Labeonem etiamtunc juve-
nem needum doctrina ceterisque meritis darum aliqunndo propter levius
delictum servum adeo severe punisse , ut prope pro mente capto habe-
retur." Mit Unrecht nennt F. diese Erklärung die treffendste. Or.
hat den Comparativ insanior übersehen. Derjenige, der mit seinen
Sklaven so verfährt, wie nach Or. eben Lab. verfahren sein soll, wird
ja von Hör. als noch toller denn Lab. dargestellt. — Nichts desto weni-
ger steht es in Beziehung auf diese Stelle nicht so schlimm um Horaz.
Labienus scheint nach Allem von jeher ein excentrischer, bizarrer
Mensch gewesen zu sein und Solche haben die Satiriker aller Zeiten
besonders gerne zur Zielscheibe ihres Witzes gemacht , so dass man es
eher noch rücksichtsvoll finden sollte, dass H. ihn nicht öfter aufs Ta-
pet bringt. — So viel über diese vielbesprochene Stelle. Die hicher
gehörigen Gedichte der ersten Periode charaktcrisirt F. S. 13 f. so:
Unmittelbar nach der Schlacht bei Philipp! spielt H. den Neutralen; er
stellt sich auf den Standpunkt des Vaterlandsfrcuudes und missbilligt
von diesem aus die Kriegslust der einen und der andern Partei. Von
einem Anschliessen an Aug. ist noch keine Rede; auch Mäcen nennt
ihn nur zögernd unter die Zahl seiner Freunde auf, weil er seinen
polit. Ansichten misstraut. (S. 17. Woher das Hr. F. weiss?) In der
ziveilen Periode (s. S. 24) hält sich Hör. von August noch immer ent-
fernt, obwohl sich dieser ganz veränderte und sein Interesse mit dem
Roms identificirtc; aber Hör. traut ihm noch nicht ganz; er will sich
vorher vergewissern, ob es Aug. wirklich so wohl mit Rom meine, ob
es ihm Ernst sei, mit seinen Maassregcln zum Besten des Reichs, ob
kein Rückfall zu befürchten. Daher ist auch in dieser zweiten Periode
Hör. noch immer kein laudator des Aug. Hieher gehören die Gedichte:
O. II, 1. 10. 1<>. I, 4. Ep. 1,20, 28. O.l, 6. II, 12. S. II, 1, 15. 5,
63. O. I, 35. III, 14. I, 12. Ep. I, 5. O. I, 9. III, 4. und endlich die
60g. yvaiiixu , O. II, 15. III, 2. 6. 24. F. schlicsst sich hier in der Re-
gel an einen gelehrten Vorgänger an, nur Folgendes hebe ich hervor.
Als geheimer Sinn des cum res ipsa feret in S. II, 1, 18. wird S. 28 an-
gegeben: si re vera Caesaris justitiam temporum cursu probatam co-
gnovero. Das folgende: nisi dextro u. s. w. soll dann den Zweck ge-
habt haben , den Aug. auf einen falschen Weg der Erklärung des cum
res etc. zu füliren. Abgesehen von dem Willkührlichcn , in den Wor-
ten selbst gar nicht Begründeten dieser Erklärungsweisc lässt sich hier
F. noch das zu Schulden kommen, dass er, indem er den H. gegen
Bibliographische Berichte. 333
einen Vorwurf vertheidigt, demselben, so viel an ihm liegt, einen an-
dern, weit beschimpfendereu zuzieht, nämlich den auf kleinliche
Weise heimtückisch und feig zu sein; und das noch überdiess ohne
alle Noth, da in der Stelle eben auch eine der häufigen Ausflüchte
vorgebracht wird , wie in Od. I, 6. II, 12. Nur hätte freilich Hr. F.
naher auf den Grund eingehen sollen, warum sich Hör. dergleichen
bediente. — S. 29: O. I, 35. eo tempore confectum est, quo Caesar
contra Britannos profecturus erat et Flaccus Fortunam precatur, ut
Caesarera contra hostes patriae ituruni tueatur. Qua ex rc illa potis-
simum animi ratio ducet, qua idein semper bella civilia detestabatur
ideoque maluit, Ultimos Britannos, quam cives Romanos Romanis dc-
vinci (besser peti) armis." Treffender dürfte die Bemerkung sein, dass
ja jedes Unglück, das damals den Aug. betroffen hätte, zugleich Tau-
gende röm. Bürger betroffen, ja den Staat in die gefahrvollste Verwir-
rung gestürzt haben würde. — S. 32. bestreitet Hr. F. mit vollkom-
menem Rechte die Orellische Erklärung von Ep. I, 5, 9. und führt na-
mentlich an, dass auch sonst bei Horaz (Sat. I, 9, 18. O. I, 2, 44)
J. Caesar ohne das Prädicat Divus genannt werde. Es ist in der That
schwer zu begreifen, wie Orelli dazu kam, hier eine Schmeichelei zu
riechen , wo doch somnum so entschieden auf den rechten , von Tb.
Schmid getroffenen Sinn weist. — Die dritte Periode fängt Hr. F.
mit dem Jahre 735, wo Aug. zum lebenslänglichen Consul erwählt
wurde, an. Hiebei bringt ihn aber sein Anschlicssen an die Orellische
Chronologie ins Gedränge. Er erklärt nämlich für das Charakteristi-
sche dieser Periode, dass in derselben Hör. allerdings endlich als lau-
dator des Aug. erscheine, keineswegs aber als dessen adulator*). Dem-
gemäss würden Od. I, 2. III, 3. III, 25. durchaus in diese dritte Pe-
riode gehören, da in ihnen allerdings Aug. von Hör. gepriesen wird.
Nun wurde aber nach Orelli das erste dieser 3 Gedichte im J. 732,
das zweite im J. 733, das dritte gar im J. 720**) abgefasst. Aus die-
ser Klemme rettet sich Hr. F. dadurch, dass er für jene Gedichte eine
andere Abfassungszeit annimmt. Hören wir, wie er seine Annahme
zu begründen sucht. Kirchner und Orelli hatten sich darum für das
J. 732 entschieden, weil zu dessen Anfange wirklich eine Ueberschwera-
mung u. s. w. in Rom eintrat. Feldb. wendet nun ein: Mit demselben
Rechte, wie aus dieser Notiz auf das J. 732 oder — nach Andern —
7Ü7 könnte man aus V. 21 ff. auf eine weit frühere Abfassungszeit
schliessen ; denn weder im J. 727, noch 732 drohten Bürgerkriege
(acuerunt cives ferrum). Aus dieser Collieion verschiedener möglicher
Zeitbestimmungen glaubt er nun die Möglichkeit aller derselben erwie-
sen und seiner neuen Raum verschafft zu haben, dass nämlich das Ge-
dicht erst im J. 730 verfasst worden sei. Aber die Collision ist nur
*) Des adulator unterscheidende Merkmale sind nach S. 42 Uebcr-
treibung und Gewinnbezwecken.
**) Doch setzt Orelli selbst zu dieser Angabe ein Fragezeichen in
Parenthese hinzu.
334 Bibliographische Berichte.
eine scheinbare, da sich aus V. 21 ff. ein solcher Schluss nicht ziehen
läset. Denn die Bürgerkriege waren ein so mächtig in das öffentliche
und Privatleben der Römer eingreifendes, ein so Epoche machendes
Ereigniss, dass die Erinnerung daran nicht so bald erlosch, und man
auch Jahre nachher von ihnen noch als von einem in frischem Andenken
ßtehenden Factum reden konnte. Anders aber verhält es sich mit den im
Eingange des Gedichts erwähnten Begebenheiten. Wahrhaft lächerlich
wäre es gewesen, wenn Hör. 4 oder 9 Jahre nach einem schweren Ge-
witter ausgerufen hätte: Jam satis grandinis u. s. w. „ Jetzt haben
wir der Gewitter genug." Hr. F. könnte sich zwar noch hinter aller-
lei Hypothesen flüchten, wie: dass wir das Gedicht in einer später
überarbeiteten Gestalt besitzen oder dass vielleicht auch im J. 73b' ähn-
liche Naturereignisse — nur in geringerem Massstabe und darum von
der Geschichte verschwiegen — eingetreten seien; aber nicht nur
wäre es höchst bedenklich, solcher selbst gezimmerter Theorien we-
gen zu so willkührlichen Annahmen zu greifen, sondern es wäre auch
völlig vergeblich, da auch die Untersuchung der beiden andern Fälle
zu demselben Resultate führt. Od. III, 3. nämlich fiele nach Or. und
Kirchner ins J. 733. Ich finde nichts, was sie zu dieser Annahme be-
wogen hat und glaube wegen V. 69 ff. (namentl. jocosae) sogar noch
eine frühere Abfassungszeit annehmen zu dürfen. Feldb. dagegen lässt
sich durch V. 11 f. zu der Behauptung führen, es sei gleichfalls im
J. 73(5 gedichtet worden und das meint er bewiesen zu haben , wenn er
geschwinde irgend eine Hypothese als wahr annimmt. Diesesmal wi-
derfährt diese Ehre einer Struveschen. Struve hat bekanntlich (in
den Abb. der deutschen Ges. zu Königsb. Sammlung 1. S. 157 ff.) die
Ansicht ausgesprochen, Hör. wolle in Od. III, 3. dieselbe Idee, die
Virgil in der Aeneis episch behandelt hat , lyrisch ausführen. Diese
Hypothese ergreift F. mit Begierde und schliesst alsbald daraus, Od.
III, 3. könne erst nach dem Tode des Virg. (735) und der Herausgabe
der Aeneis verfasst sein. Erstens hat Str. blos eine Hypothese aufge-
stellt und dazu eine nicht eben sehr wahrscheinliche; dann wie natür-
lich ist es bei der Befreundung des Hör. mit Virg. anzunehmen, dass
Hör. schon lange die Idee der Aeneis, vielleicht sogar das Mauuscript
derselben gekannt habe. Ueberdics ist V. 11 u. 12 nach meiner An-
sicht nicht von der Art, dass man ihretwegen das Gedicht in eine spä-
tere Periode zu setzen brauchte. Die Vergötterung des Aug. war ein-
mal eine Thatsache und es kam daher demselben ein Sitz im Olymp
so gut oder so wenig zu, als jedem andern im Bewusstsein des Volkes
zum Gotte erhobenen Menschen. Doch ist die dem bibit zu Grunde
liegende Vorstellung für mich zu crass , als dass ich nicht die Lesart
bibet vorziehen möchte: „dereinst wird er trinken;" denn vorderhand
hatte er Mund u. s. w. noch auf der Erde. Die Furcht Orellis, das
Futurum möchte mali ominis sein , kaun ich nicht begründet finden:
ein Tod, dem unmittelbar ein Götterleben folgt, ist doch in der That
nichts sehr Furchtbares. Auch könnte, wer es wollte, in dem Futu-
rum eine feine Aufforderung finden , solcher Ehre sich nun auch wür-
Bibliographische Berichte. 335
dig zu machen ; und jedenfalls ist die Erwähnung des Aug. in dieser
Stelle eine 60 karge und beiläufige, dass sie wenig Gewicht hat. —
Od. III, 25. setzt F. gleichfalls ins .1. 730 und zwar aus keinem andern
Grunde , als seiner vorgefassten Ausicbt wegen. Ostcndit (sagt er S.
4L f.) boc carmen emu aninit vnluntatcm , (juaui ceteris profecto in car-
iniuibus, quac ante boc tempus sunt composita, frustra quaeras. Es
bann zwar sein, dass das Gedicht etwas später gesetzt werden niuss
als ins J. 720, aber ins J. 730 doch gewiss nicht, denn für einen 47
jährigen, also einen senex im rem. Sinne, ist es- doch zu jugendlieh.
— Wenn wir so einen Tbeil der Feldbauschischen Classification fallen
lassen zu müssen glauben, so können wir demselben nicht einmal unser
Bedauern nachsenden. Man muss eine solche Aenderung der Ansichten
und Grundsätze nicht an ein bestimmtes Jahr anknüpfen wollen; so et-
was macht sich allmälig im Laufe der Zeit und durch mancherlei Er-
fahrungen. Auch wird das J. 735 durch kein so sehr wichtiges Ereig-
niss bezeichnet. Ein Anderes war es mit dem J. 724 (oder eigentlich
723); in dieses fiel eine weit folgenreichere Begebenheit, theils war
die damals in den Ansichten und dem Benehmen des Hör. vor sich ge-
bende Aenderung eine viel leisere. — Ausser jenen unglückseligen 3
Oden rechnet übrigens Hr. F. in seine dritte Periode noch folgende
Gedichte: Od. IV, 4. 14. (,, Drusus verdiente nach Tac. diese rühmende
Erwähnung ; — Tiberius hatte damals sich noch nicht von seiner ver-
abscheu iingswürdigen Seite gezeigt; auch wendet sich Hör. meist an
Ang. , nicht an Tib. "); 2. (S. 43: „ ego non dubitavcriiu , quin poeta
puris»ima pectoris fiamma id — V. 37 IT. — dixerit. " Wenn das nur
ein Argument wäre!) 5. 15. (Bei diesen wie bei den vorigen Ojcii hätte
hervorgehoben werden sollen , wie sich das Verhältniss zwischen H. u.
Aug. allmälig zu einem persönlich freundschaftlichen gestaltet hatte.)
Ep. II, 1. (Wird nach Wieland beurthcilt. Ich setze hinzu: Mit ante-
ferenda — V. 19. — bezieht sich H. auf etwas Historisches; anstösslg
konnte man nur finden, dass II. dieses Urtheil des Volkes mit supiens
et jitstus in itno zu seinem eignen macht. Man bedenke aber auch noch die
dringende Veranlassung dieses Briefs und vergleiche mit diesem Com-
plimente — dergl. man im Leben tausendc hört, hier freilich ge-
druckt liest! — diejenigen, die ein Shakspearc seiner Königin in seinen
Werken machte, und diejenigen, die man heutzutage den Fürsten —
von selbst, ganz ohne solche dringende Aufforderungen — tagtäglich
macht. Zwar wird man sagen, das sind legitime Fürsten u. s. w.
Aber auch Aug. besass eine Art von Legitimität , die der Unentbchr-
licbkeit.) 2. (nach Schmid aufgefasst.). Von dem Schreiben des Aug.
irasci u. s. w. wird (S. 44) mit Hecht gesagt, dass es lauter als irgend
etwas bezeuge, dass II. kein Schmeichler gewesen; nur hätte in der-
selben Weise das Schreiben, das mit üv&v7T?QcpQovov/nsv schliesst, S.
35 besser gewürdigt und S. 27 mehr hervorgehoben werden sollen,
welchen einflussreichen und einträglichen Posten Hör. in dem eines
Privatsekretairs des Aug. verschmähte, was Oswald S. 70 f. nicht über-
sehen hat. — S. 45 bemerkt F. richtig : aus der Sprache des II. ge-
336 Bibliographische Berichte.
gen Mäccnas (in Ep.] I, 7.) möge geschlossen werden, dass er sich
auch dem Aug. gegenüber nicht erniedrigt haben werde. Am
Schlüsse (S. 45 f.) wird noch von Ep. I, 17 u. 18 gezeigt, dass in
ihnen keine kriecherischen Lehren gegeben werden. In Betreff der
Stelle 1, 18, 44. scheint mir H. einer Verteidigung gar nicht zu be-
dürfen. Der Sinn ist einfach der : Bitten mächtiger Freunde sind
eigentlich nichts Anderes, als Befehle, die man in Gottes Namen er-
füllen muss. Höchstens könnte hier dem tloraz vorgeworfen werden,
dass er nicht noch einen Schwall von Clausein angebängt hat. Die
mochten aber dem H. , der den Lollius kannte und wusste, dass LolL.
ihn kenne, gar überflüssig dünken. — S. 13 giebt F. eine eigentbüm-
licbe Erklärung von Od. II, 7, 10. relicta non bene parmula. Dort
heisst es nämlich: „ Quum proeiiis apud Philippos factis fraetaru vi-
deret Horatius virtutem Romanain, quamque non bene Uli esset parmuld
rclictu, Roioam se contulit" und in einer Note sagt er dazu: de
hoc loqucndi genere conf. intpp. ad Sat. II, 2, 120. (bene erat non
piseibus ^=: wir (baten uns nicht gütlich an Fischen). So wäre also
die Stelle zu übersetzen: „Mit Dir bin ich geflohen, nachdem ich's mir
heim Schildwegwerfen nicht hatte wohl sein lassen." Wer das mit
Beinein grammatischen und ästhetischen Gewissen vereinigen kann , der
mag sich immerhin an F. anschliesscn ! Das Endurtheil über die vor-
liegende Schrift wird nach allem bisherigen dahin ausfallen müssen,
dass dieselbe bei manchem unbestreitbaren Verdienste den Hauptman-
gel habe , dass sie zu wenig Neues vorbringe und das Neue , was sie
wirklich bringt, meist unpassend, — ja das Alte der anziehenden
Form , in der es auftrat , in unerfreulieber Weise entkleidet habe.
Auch sind in der Untersuchung gewisse nicht unwichtige Funkte ent-
weder gar nicht oder nicht auf eine ibrem Gewichte entsprechende Art
aufgeführt worden. Dahin rechne ich namentlich die Liebe der Römer
zu Aug., die Bemühungen des Aug., sich die Freundschaft des Hör. zu
erwerben, die Unterlassung der Erwähnung des Aug. in Fällen , wo
sie so nahe Jag, der Umschwung der Ansichten, den bei Hör. die Zu-
nahme an Jahren herbeiführte und die Vergleichung mit dem Beneh-
men gleichzeitiger und späterer Schriftsteller (die nur in Beziehung auf
Virgil einige Male angestellt wird) — und ich kann darum den Ge-
genstand noch lange nicht für erschöpft halten. Eine Vergleichung
mit Iiooat habe ich darum unterlassen, weil ich diese Anzeige nicht
allzusehr anschwellen mochte; übrigens wäre dieselbe, was Originali-
tät, Scharfsinn, psychologische Tiefe und gewandte Darstellung be-
trifft, unstreitig meist zum Vortheile Boosts ausgefallen. Hrn. Fcld-
hausebs lateinischer Stil dürfte im Ganzen — besonders in der Wort-
stellung — einfacher, natürlicher sein , doch ist er correct. Aufge-
fallen ist mir nur S. 23: quidquid judicamus de ea re — id certum est,
S.27: Versibus, quos plurimis (es sind blos sieben) annis post ad Maece-
natem scripsit, und S. 28: sermonum more hoc loco pluribus verbis
{= mit ein Paar Worten?) tota res explicatur. Von Druckfehlern
habe ich ausser den angezeigten zweien folgende bemerkt ; S. 43, 1. 10
Mise eilen, 337
libii I. statt II. ; 36, 15. st. potestatem — dotest. ; S. 44, 1. 24 ist statt
46 ff. zu lesen : 48 ff. Druck und Papier sind gut.
Tübingen. W. Teuf fei.
Miecellen.
Auf dem grossen St. Bernhard hat man im Jahr 1837 in den ge-
ringen Trümmern , welche von einem kleinen Tempel aus der Römer-
zeit sich noch vorfinden, neue Nachsuchungen angestellt und eine An-
zahl römischer Münzen gefunden, von denen die älteste aus den letz-
ten Zeiten der Republik, die jüngsten von den Kaisern Aurelius und
Florian sind. Das Tempelchen soll nach der gewöhnlichen Annahme
unter Augustus oder einem seiner nächsten Nachfolger gebaut worden
sein. Ausser den römischen Münzen hat man auch eine alte Münze
gefunden, welche von Silber gegossen, nicht geschlagen ist, einen
grossen Feingehalt, aber einen 6ehr groben Münzstempel zeigt , und
von einem Volke herrührt, das in der Zeichenkunst weit zurück , in
der Kunst, Metalle zu giessen , weit fortgeschritten gewesen sein muss.
Auf der rechten Seite der Münze ist ein bartloser Kopf mit einem Helm,
auf der Rückseite ein Thier mit zurückgebogenem Hörn und erhobenem
Schweife. Die Münze soll sehr alt, jedenfalls viel älter sein, als die
Römerherrschaft in jenen Gegenden, und man hat sie in Verbindung
gebracht mit zwei goldenen Münzen, die schon vor 100 Jahren hier
gefunden wurden und weder römisch, noch celtisch noch gallisch sein
sollen. [Annales des T'oyagcs, August 1839] — Bei Vienue in Frank-
reich ist gegen das Ende des vorigen Jahres eine Kiste mit Gold -
und Silbermünzen gefunden worden , deren Metallwei th über 100,000
Franken betragen soll. Sie enthielt ausser römischen Kaisermünzen,
bis auf Constantinus Chlorus herab, namentlich auch viele Münzen der
Merovinger, und die Existenz der Könige Pharamund , Childerich etc.
soll durch sie über alle Zweifel erhoben sein. Auf dem Deckel der
Kiste stand die Jahreseahl 802 , und da der Fundort die Stelle des
ehemaligen Klosters St. Marcel ist, wo Aknin wohnte, so nimmt man
an , dass dieser Münzschatz ein Besitzthum dieses Gelehrten gewesen
Bei. — In der Nähe von Sevilla in Spanien werden jetzt in den Rui-
nen des alten Italica Ausgrabungen angestellt, und man hat bereits
mehrere Münzen, Waffen, Gefässe, Urnen, Hausgcräthc, einige
schöne Statuen und einen schönen Mosaikfussboden gefunden. Dabei
hat man wieder in Anregung gebracht, dass Italica auf dem rechten
Ufer des Guadalquivir, etwa vier Meilen von Sevilla lag, von Scipio
Africanus nach dem Vorbilde Roms auf 7 Hügeln erbaut wurde, nach-
dem die auf diesem Platze früher vorhandene Stadt Sanctios in dein
punischen Kriege zerstört worden war, dass sie unter den Gothen ein
N. Jahrb. f. thil. u. I'aed. od. Krit. Bibl. Ud. XXV1H. H/r. :i. 22
338 Todesfälle.
Bischofssitz wurde und lange die Nebenbuhlerin von Sevilla blieb, bis
sie endlich entweder von den Saracenen zerstört, oder von den Bewoh-
nern verlassen wurde, weil der Guadalquivir, der wegen seines reis-
senden Laufes häufig sein Bett ändert, Zerstörungen angerichtet hatte.
[Athenäum, Octbr. 1839.] — Der deutsche Reisende Honegger hat
eine sehr reiche und vollständige Sammlung nordafrikanischer Münzen
durch einen sechsjährigen Aufenthalt in jenen Gegenden zusammenge-
bracht, und besonders eine vollständige Sammlung der Münzen Kar-
thagos aus den drei Perioden von der Gründung der Stadt bis auf ihre
Zerstörung durch Sriuio , von Cäsar bis auf die Zerstörung durch die
YamJalen und von Genserich bis auf Hassan , der 69b' n. Chr. die Stadt
zum letzten Male zerstörte. Es sind Münzen von Gold , Silber und
Erz, alle gut erhalten, viele davon einzig und von Mionnet weder ge-
kannt noch beschrieben. Eben so hat Honegger 14 punische und eine
grosse Zahl römische Inschriften gesammelt. [Echo de Monde Savant
vom 6. Novembr. 1839.]
In Rom hat das Collegium Romanuni durch eine im Februar
dieses Jahres ausgebrochene Feuersbrunst einen Theil seiner Bibliothek
verloren, ein Verlust der darum besonders zu beklagen ist, weil da-
durch über 370 alte Manuscripte, worunter 27 arabische, 33 persi-
sche, 9 armenische und eine unedirte Sammlung indischer und chine-
sischer Dramen, so-wie unter den gedruckten Büchern ausser 1500 In-
cunabeln die Sammlung grieeb. und latein. Classiker verloren gegan-
gen ist, die der berühmte Muretus 1585 dem Collegium vermacht
hatte und deren meisten Exemplare mit zahlreichen Randbemerkungen
dieses Gelehrten versehen waren.
Todesfälle.
Den 3. Jan. starb in der Schweiz der ebenso als Maler und Kunstken-
ner, wie als belletristischer Schriftsteller bekannte Dr. medic. Ulrich
Hegner, der letzte Genosse des von Bodmer und Breitinger begründe-
ten und von Gessner, Lavater, Füssli u. A. bis in den Anfang des 19.
Jahrhunderts fortgeführten literarischen Vereines, geboren zu Winter-
thur 1759. Seine gesammelten Schriften sind in Berlin 1828 erschienen,
und sein Leben Ilolbeins des Jüngern (1827.) und die Beiträge zur nähern
Kcnntniss und ivahren Darstellung Joh. Kaspar Lavaters (1836) sind als
classische Darstellungen anerkannt worden.
Den 10. Jan. in Paris der Custos an der kön. Bibliothek Loiseleur
Delongchamps , geboren 1805, als Herausgeber einiger Sanskritschrif-
teii und der Gallandschen Uebersetzung der 1001 Nacht, so wie durch
eine gerühmte Untersuchung über den Ursprung der Fabeln, deren
orientalischem Ursprünge er nachgegangen ist, wohl bekannt.
Schul- u. Univcrsitätsnachrr., Bcfürderr. u. Ehrenbezeigungen. 339
Den 25. Febr. in Kopenhagen der Professor der Theologie bei
der Universität und vormalige Stiftspropst von Seeland Dr. theol Heinr.
Nie. Clausen , 82 Jahr alt.
Den 25. Febr. in Halbcrstadt der Gymnasial-Director Dr. //. K.
Maass , T£ Jahr alt.
Den 2. März in Bremen der berühmte Astronom Dr. medic. Heinr.
Matth. Olbers, 82 Jahr alt.
Den 17. März in Greifswald der wenige Tage vorher zum ordent-
lichen Professor der altclassischen Literatur ernannte Dr. Ii, II. Klau-
sen, geboren in Altona am 24. April 1806.
Den 18. März in Dresden der kön. sächsische Minister des Cultus
und des öffentlichen Unterrichts Hans Georg von Carlowitz, 58 Jahr,
alt.
Den 28. März in Kiel der Professor Primarius der theol. Facultät,
Kirchenradi Dr. Samuel Francke, Ritter vom Danebrog, 76 Jahr alt.
Den 29. März in Heidelberg der ausgezeichnete Jurist u. Rechts-
lehrer, Geh. Rath und Professor Anlon Friedr. Justus Thibaut, ge-
boren in Hameln am 4. Jan. 1774, seit 1802 Professor in Jena und
seit 1805 Professor in Heidelberg.
Den 1. April in Jena der ehemalige (emeritirte) Conrector der
Landcsschule Schulpforta M. Karl Christian Ernst Charitius, im 71. Le-
bensjahre.
Schul - und Universitätsnachrichten, Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
Berlin. Am Joachimsthalschen Gymnasium ist in die Stelle de9
abgegangenen Professors Dr. Iieinganum der Professor Dr. Wiese, in
dessen Stelle der Oberlehrer Jacobs aufgerückt, am französischen
Gymnasium dem Lehrer Noel das Prädicat Professor beigelegt und in
die durch den am 15. Octbr. 1839 erfolgten Tod des Lehrers Dr. Liebe-
now erledigte siebente Lehrstelle der Lehrer Jflclund befördert, die
dadurch erledigte achte Lehrstelle aber dem Schulamtscandidaten Dr.
Chamblau übertragen worden. Bei der Universität ist in der theologi-
schen Facultät der wirkliche Ober-Consistorialratli , Hof - und Dom-
prediger Dr. Thcremin zun» Professor honorarius [s, NJhb. XXVI, 348.1,
in der medicinischeu die ausserordentlichen Professoren Dr. C. G. Eh-
renberg und Geh. Medicinalrath Dr. J. L. Casper zu ordentlichen Pro-
fessoren und der Privatdocent und dirigirende Charile-Arzt Dr. C. J(r.
Ideler zum ausserordentlichen Professor ernannt worden; aus der phi-
losophischen Facultät scheidet der ausserordentliche Professor Dr. ./.
G. B. Droyscn, welcher an die Universität in Kikl als ordentlicher Pro-
fessor der Geschichte und als Mitglied der philnsoph. Facultät berufen
ist. Die Professoren Dr. Gustav Hose uird Dr. Martin Ohm haben der
erstcre die ihm übertragene ordentliche Professur der Naturwissen-
90 *
340 Schul- und Universitätsnachrichten,
Schäften [vgl. NJbb. XXVI, 200.], der letztere die ordentliche Profes-
sur der Mathematik [NJbb. XXVII, 214.] im October vor. Jahres wirk-
lich angetreten , und das Einladungsprogramra zur Antrittsrede han-
delt bei dem ersteien De novis quibusdam fossilibus , quae in montibus
Uraliis inoeniuntur [Berlin gedr. bei Schade. 1839. 12 S. 4.], bei dem
letzteren De nonmtUis Seriebus infinitis summandis [Berlin gedr. b. Tro-
witzsch u. Sohn 1839. 15 S. 4.J. Zur Erlangung der philosophischen
Doctorwürde, welche im Universitätsjahr 1838 — 39 überhaupt von 13
Candidaten erworben worden ist, hat Joh. Rob. Boymann aus ühein-
preussen im Febr. 1839 seine Probeschrift De lineis loxodromicis in datis
superficiebus , inprimis de loxodromia sphaerica et sphaeroidica [38 S.
gr. 4.] , und im Oct. desselben Jahres Joh. Hildebrand aus Schlesien
seine Abhandlung: Philosophiae Gnosticae Origines [Berlin gedr. bei
Neudorff. X u. 78 S. 8.] öffentlich vertheidigt. Die letztgenannte Ab-
handlung giebt nur im ersten Capitel (S. 1 — 11) eine Erörterung de
nomine et natura philosophiae gnosticae, und knüpft daran in vier fol-
genden Capiteln einen gedrängten historischen Ueberblick der Philoso-
phie des Orients (nämlich S. 11 — 30: De philosophandi ratione, qua-
lisanteCyri, Persarum regis , imperium fuerit, Buddhistische und
Zoroastrische Philosophie, S. 30 — 45: De philosophandi ratione Per-
sarum imperii Xemporibus , S. 45 — 65: De philosophandi ratione
Alexandri Magni ejusque successorura temporibns, S. 66 — 78: De phi-
losophandi ratione primis aerae christianae temporibus) , wodurch eben
der Ursprung den Gnosticismus aus diesen orientalischen Religionsphi-
losophemen klar gemacht werden soll. Von der königlichen Biblio-
thek ist herausgegeben worden: Index librorum manuscriptorum et im-
pressorumt quibus bibliotheca *-egia Berol. aueta est annis 1837 et 1838.
[Berlin, gedr. b. Petsch. XXXVI u. 119 S. 4.], ein Verzeichniss der
5132 gedruckten Bücher , durchweiche die Bibliothek in diesen bei-
den Jahren bereichert worden ist; das aber darum noch besondere
Beachtung verdient, weil nicht nur S. XXXI — XXXVI zweiundneunzig
neuerworbene lateinische und deutsche Handschriften verzeichnet und
kurz beschrieben sind, sondern noch ausserdem eine Geschichte der
kön. Bibliothek während der JJ. 1828 — 1839 vorausgeschickt ist,
welche einen sehr wesentlichen Nachtrag zu Wilkens Geschichte dieser
Bibliothek (Berlin 1828.) bildet. [J.]
Boniv. Bei der Universität ist in der katholisch - theologischen
Facultät der Privatdocent, Pfarrer Dr. Hilgers zum ausserordentlichen
Professor ernannt, in der juristischen Facultät dem ordentlichen Pro-
fessor Dr. Bethmann-Hollweg das Prädicat eines geheimen Justizrathes
beigelegt und der ausserordentliche Professor an der Universität in
Giesskx Dr. Karl Seil als ordentlicher Profcss »r berufen , in der phi-
losophischen Facultät der Oberlehrer am Gymnasium Professor Dr.
Schopen zum ausserordentlichen Professor befördert worden. Der im
vorigen Jahre an Ndke's Stelle berufene ordentliche Professor der alten
Sprachen Dr. Ritschi [s. .NJbb. XXVI, 97.] hat als Einladungsprogramm
zur Antritterede seines neuen Amtes eine Disputatio de veteribus l'lauti
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 341
inlcrpretibtis , Cap. I. [1839. 10 S. 4.] geschrieben und bald nachher in
dem Prooemium zum Index lectionum auf XII S. aus einer Wiener
Handschrift die dnocpdtyuazH des Orion herausgegeben und durch
einige Nachweisungen erläutert, dabei aber zugleich den Namen des
Orion , als Verfassers dieser Apophthegmen selbst verdächtigt , indem
er in den ersten Worten ' Sloiwv 6 cpiXöaocpog si'nrjxev statt Qqlcov viel-
mehr 'itgcov geschrieben wissen will. In dem vorjährigen Einladungs-
prograram zum Geburtstage des Königs steht dem Vernehmen nach
eine Abhandlung De Zodiaci antiquitate et origine von A. W. von Schle-
gel, welche gegen Letronne's Untersuchungen, d. h. wahrscheinlich
gegen dessen Aufsätze : Opinions populaires et scienlifiques des anciens
sur les eclipses , im Journal des Savans, Juillet 1838, und: Opinions
popidaires et scientlfiques des Grecs sur la route oblique du solcil, eben-
daselbst Mars 1839, gerichtet sein ßoll. Zur Erlangung der philos.
Doctorwürdc hat der Student der Medicin und Chirurgie Karl Berthold
Heinrich aus Bonn , Sohn des verstorbenen Professors Heinrich und
Herausgeber der von seinem Vater hinterlassenen Bearbeitung des Juve-
nal , eine sehr fleissige und gelehrte Dissertatio philologica de Chryse
insitla et dea in Philoctele Sophoclis [Bonn gedr. b. Georgi. 1839. 32 S.
8.] herausgegeben, worin er über die Insel Chryse, auf welcher Phi-
loktet nach den Zeugnissen mehrerer alten Schriftsteller von der
Schlange gebissen und demzufolge auf Lemnos ausgesetzt wurde, narh
den Erörterungen von Buttmann, Wunder, Hermann u. A. neue Un-
tersuchungen anstellt, und durch scharfsinnige Erörterung darthot,
dass dies eine kleine vulcanische Insel auf der Ostseite von Lemnos
war, welche Sophokles in dem Fragment (bei Steph. Byz. s v. JfyiW;):
iß Afjfii'e Xqvor\<i z c<y%izsQtiovsg 7iäyoi, erwähnt und welche nach dem
Zeugniss des Pausanias VIII. 33. 2. zugleich mit dem feuerspeienden
Beige Mosychlos im Jahr 197 v. Chr. (nach der Berechnung von Choi-
eeul-Gouffier in der Voyage pittoresque de la Grece Tom. II. p. 129.)
zu derselben Zeit ins Meer versank, wo die neue Insel Hiera aus dem-
selben sich erhob. Das Versinken derselben hatte schon Onomakritiis
bei Herodot. VII. 6. vorausgesagt, und wenn Galenus (de siuiplic.
medic. temperam. ac faeuit. IX. 1. 2. den ausgebrannten Mosychlos
auf Lemnos noch gesehen haben will , so soll man nicht mit Buttmann
im Museum der Altcrthumswiss. Bd. I. S. 295 ff. schliessen , dass dies
der von Sophokles, Antimachus und Eratosthenes erwähnte und noch
als brennend bezeichnete Vulcan sei, sondern Mosychlus habe auch
das Gebirge auf Lemnos geheissen und dort möge Galen einen ausge-
brannten Krater gesehen haben, üa nach einer andern Sage Philoktet
auf der Insel Ntu oder Nteti (s. Steph Byz.s. v. Nsai) verwundet worden
sein soll, wo man auch später einen Altar des Philoktet (s. Appian.
Mithridat. c. 77.) zeigte; so wird wahrscheinlich gemacht , dass sich
in d<-r Gegend, wo Chryse versunken war, eine Anzahl neuer vulca-
nischer Inseln (A'«a) erhoben hatten, von denen die eine vorzugs-
weise Nin oder Nova (s. Plin. bist. nat. II. 87. und IV. 12. J genannt,
zur Erinnerung an die Sugc den Altar des Philoktet erhielt und nun
342 Schul- und Un 1 vcr sit ä tsnachri ch ten ,
mit Chrysc verwechselt ward. Beiläufig sind auch die Sagen be-
Bprochen, dass Philoktet auf Lemnos selbst oder gar auf Tenedos von
der Schlange verwundet worden sei, und von allen vier Sagen wird
diejenige, welche die Verwundung nach Chryse verlegt, für die
älteste anerkannt. In der Göttin Chryse aber , deren Altar die Grie-
chen auf jener Insel aufsuchten und bei welchem eben Philoktet von
der Schlange gebissen wurde, will Hr. H. weder eine Localnymphe
noch eine Minerva erkennen, sondern erklärt sie, gestützt auf zwei
Vasenbilder, für eine alte Nationalgöttin der Sintier in Thracien,
welche die Argonauten mit der Minerva in Vergleichung gestellt und
dadurch die Entstehung der 'A&rjvä Xqvgt} hervorgerufen haben möch-
ten. In gegenwärtigem Jahre ist gleichfalls zur Erlangung der philo-
sophischen Doctorwürde eine Dissertatio mathematica de singularitatibua
supcrßcierum von Friedr. Dornheim au? Detmold [Bonn 1840. 14 S. gr.
4.J erschienen , aus welcher wir hier nur von den angehängten The-
sen folgende zur weitern Beachtung empfehlen: Geographica quae vo-
catur politica, verae geographiae pars non est, neque in gymr.asiis do-
cenda. Auch der Abhandlung von Heinrich sind unter besonderem Ti-
tel zwölf Theses controversae angehängt, von welchen wir ausheben,
dass in Xenophont. Anab. I. 4. 19. Koog xov 'Aß6$Qctv 7iozuu.6v (falls
nicht die Erwähnung des Araxes ein Gedächtnissfehler sei) , in Ovid.
Fast. IV. 236: Ac palla cinetas iurat adesse deas , in Liv. I. 28. extr.
Primum ultimumque illud exemplum apud Romanos supplicii partim me-
moris etc. , in Claudian. rapt. Proserp. II. 24. cristaque für hasta ge-
schrieben und von diesem Gedichte des Claudian selbst vermuthet wird,
dass es von dem Dichter unvollendet gelassen, nicht aber im Laufe der
Zeit verstümmelt worden sei. [J.]
Breslau. Bei der Universität hat der Professor Dr. Glocker vom
Könige von Würtemberg den Orden der würtembergischen Krone er-
halten , und der Privatdocent Dr. Aug. Kahlert ist zum ausserordentl.
Professor in der philosophischen Facultät ernannt, am Elisabeth-Gymna-
sium den Lehrern Keil, Kamp, Stenzel, Guttmann und Rath das Prädicat
Oberlehrer beigelegt und am katholischen Gymnasium der bisherige
Lehrer am Gymnasium in Gleiwitz Conrad Rotter angestellt worden.
Bückeburg. Zum Rector der dasigen Hauptschule ist an des ver-
storbenen Prof. Habicht Stelle der Oberlehrer Dr. Rurchard vom Gym«
nasium in Minden berufen worden.
Cleve. Der Gymnasiallehrer Dr. Karl Kiesel, welcher seit 1838
provisorisch die Lehrstelle der Mathematik versah , ist als Oberlehrer
an das kathol. Gymnasium in Köln versetzt [s. NJbb. XXVII, 332.]
und statt «einer der bisherige Lehrer am Gymnasium in Essen Feiten
als Lehrer der Mathematik angestellt worden.
Coblenz. In dem Programm zur vorjährigen Herbstschulprüfung
im dasigen Gymnasium hat der Professor Dr. Ernst Dronke eine sehr
gelehrte Abhandlung De Niceta Davide et Zonara interpretibus carmi-
num S. Gregorii Nazianzcni. Accedit Particula Paraphrasis Nicetae Da-
vidis nunc primum e codicc bibliothecae Cusanae edita. [Coblenz 1839.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 343
37 (16) S. gr. 4.] herausgegeben, welche eben so über die Gedichte
des Gregor von Nazianz , namentlich über die sogenannten cmö^Q^rc^
wie über den als Philosophen , Rhetor und Historiker bekannten Bi-
schof von Dadibra, IVicetas David, aus dem 9. Jahrhundert mehrfache
neue Aufschlüsse giebt und herrschende Irrthümcr beseitigt, nament-
lich aber über die griechische Metaphrase dieses Nicetas zu den Ge-
dichten des Gregor sich verbreitet, dieselbe als von dem griechischen
Commentar zu den Tetraslichis und iMonostichis des Gregor verschie-
den nachweist und den letzteren dem Zonaras zuschreibt, zugleich
auch anführt, dass dieser IVicetas David von dem IVicetas Serron, der
eine Paraphrase zu 16 Reden des Gregor geschrieben hat, gar wohl
zu unterscheiden ist. Von der Paraphrase des David ist S. 14 — 16 ein
Stück als Probe einer Ausgabe derselben mitgetheilt, und auch von
den Gedichten des Gregor wird eine neue kritische Bearbeitung ver-
sprochen , was zugleich Gelegenheit giebt, über den poetischen und
sprachlichen Werth dieser Gedichte Einiges zu bemerken und das Ver-
dammungsiirtheil des für unächt erklärten Dramas XQiazog ktt0%av
zweifelhaft zu machen. In den 7 Classen des Gymnasiums wurden im
Laufe des Jahres 27!) Schüler unterrichtet, wovon am Schluss des
Schuljahres 237 übrig blieben. Die neben dem Gymnasium eingerich-
tete und aus zwei Abtheilungen bestehende Vorbereitiingsschule zählte
71 Schüler. Zur Universität wurden 9 Schüler entlassen, und am
Schluss des Schuljahres 1838 waren 13 zur Universität gegangen. Für
den Unterricht Maren 9 ordentliche, 4 Hülfs- und 6 ausserordentliche
Lehrer vorhanden. Der Oberlehrer Dr. Deycks hatte im Januar das
Prüdicat eines kön. Professors erhalten. [J.]
Cöslin. Das dasige Gymnasium war im Schuljahr 1838 — 39 zu
Anfange von 195 und am Ende von 185 Schülern besucht, und hat
während desselben 9 Schüler mit dem Zcugniss der Heile zur Univer-
sität entlassen. Das Jahresprogramin [Cöslin 1839. 19 (15) S. 4.] ent-
halt ausser dem Jahresberichte Adnotationes ad Ciceronis de Qratorc
librum seeundum von dem Director und kön. Professor Dr. 0. AI. Mül-
ler, welche der Verf. selbst für eine Beilage zu dem in Berlin bei
Dümmler von ihm herausgegebenen Textesabdrucke der Bücher de
Oratore erklärt. Es sind kritisch - exegetische Bemerkungen zu 5(>
Stellen des zweiten Buches, worin Lesarten und Verbesserungevor-
schläge besprochen sind , über welche die neusten Kritiker und Erklä-
rer noch nicht vollständig ins Reine gekommen zu sein scheinen.
Wenn auch in mehreren nur Kleinigkeiten und unüberlegte Einfälle
von Gelehrten besprochen werden, so empfehlen sie sich doch insge-
sammt durch die von dem Verf. schon anderweit bewährte Vertrautheit
mit dem Sprachgebrauchs des Cicero und mit dem spccielleu Inhalte
der Bücher de oratore. Da ein Auszug des Ganzen nicht möglich ist,
so hoben wir als Probe des Geleisteten nur aus: Gap. 1. 1. die Vertei-
digung der Lesart studio dicendi gegen discendi durch die Bemerkung:
„Qai praedicabant , summos illos oratorcs nun crudilos fuisse, pro-
hibere volucrunt Crassi et Antonii exemplo, ne pueri dicendi bludio
344 Schul- und Universitätsnacb richten,
incensi doctrinac i. e. discendig artibus et literis se traderent ;" Cap.
9. 36. die Rechtfertigung der Lesart vita memoriae gegen Hanows vitae
memoria; Cay. 22. 91. die Conjectur in eo socium esse statt der frü-
heren in eo vitio esse und statt der vielleicht richtigen handschriftlichen
Lesart üi eo vitiosum esse$ Cap. 23. 94. die Conjectur in eodem sua-
vitatis imitandae generc mit der Bemerkung: „Ferilatem orator
publicus non imitatur, imitandoque exprimit, sed revera agit et susci-
p<7,quod nunquam dicitur imitari. Histrio in imitanda, orator au-
tera in suscipienda veritate versatur; cfr. 6. 34. et 111. § 214;" Cup.
44. 185. die Vertheidigung des sperent statt spernant durch die Anmer-
kung: „Quum metuant et sperent sibi sint opposita, sicuti antea oderint
et diligant) invideant et salvum velint} et postea cvpiant et abhorreant,
nemo dubitabit, quin sperent verum sit;" Cap. 73. 296. die Vertheidi-
gung des von Stürenburg angefochtenen tsctissimum mit der Erklärung:
,, Tectissimus est ab omni parte tutus contra hostium tela. Est autcm
haec vox nostro loco aptissima, qmira Antonius ipse Paulo ante oratoris
muniis cum pugna comparaverit." [J.]
Culm. Der Oberlehrer Wesener vom Gymnasium in Reckliivg-
hausen ist in gleicher Eigenschaft an das hiesige Gymnasium versetzt.
Essen. Statt des als Oberlehrer nach Cleve abgegangenen Leh-
rers der Mathematik Fellen ist provisorisch der Schulamtscandidat
Nlülhofer als fünfter Lehrer angestellt worden.
Frankreich. Der gegenwärtige Minister des öffentlichen Unter-
richts Cousin hat vor kurzem durch eine Ordonnanz angeordnet , dasa
die Frofesseurs supplcants an den Facultäten auch eigene und selbst-
etändige Lehrvorträge halten dürfen und dadurch dieselben in ihrer
Wirksamkeit der Stellung der ausserordentlichen Professoren auf den
deutschen Universitäten genähert. Durch eine spätere Ordonnanz vom
24. März hat er ferner verordnet, dass an allen Facultäten der Litera-
tur neben den ordentlichen Professoren und ihren Supplenten noch
ausserordentliche Lehrer, agreges , für Philosophie, alte und neue
Literatur, Geschichte und Geographie, nach der Aehnlichkeit der
deutschen Privatdocenten, eingeführt werden sollen, welche durch
einen aller drei Jahre in Paris anzustellenden Concurs, zudem alle
Doctoren der Literatur zulassungsfähig sind, ernannt werden und aus
denen dann die Professoren ihre Supplenten zu wählen haben, so wie
sie allein bei der Vacanz eines Lehrstuhls mit der Ausfüllung desselben
beauftragt werden können.
Glatz. Die erledigte achte Lehrstelle am Gymnasium ist dem
Schulamtscandidaten Joseph Klose übertragen worden.
Gleiwitz. Am dasigen Gymnasium ist nach der Versetzung des
Lehrers Rottcr an das kathol. Gymnasium in Breslau der Lehrer Rott
in die sechste, der Religionslehrer Schlucke in die siebente und der
Collaborator Joseph Spiller in die achte Gehaltsstelle aufgerückt.
Glogau. Zum Director des katholischen Gymnasiums ist der
bisherige Oberlehrer am Gymnasium in Oppeln Dr. Eduard Wentzel
ernannt worden.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 345
IIiRsniDF.RG. Das dasige Gymnasium war im Schuljahr von
Ostern 1837 bis dabin 1838 in seinen fünf Classen von 126 , und im
Schuljahr 1838 — 1839 während des ersten Halbjahres von 124 und
während des zweiten von 115 Schulern besucht. Zur Universität wur-
den im ersten Jahre 7, im zweiten 9 Schüler entlassen, ungerechnet 3
andere, welche im September 1839 die Abiturientenprüfung bestanden,
vgl. NJbb. XIX, 353. Im Lehrercollegium sind keine Veränderungen
eingetreten; dagegen ist seit (htern 1838 der Lehrplan der Anstalt et-
was abgeändert und durch Verminderung der Lchrstundenzahl und
häuslichen Arbeiten nach den Vorschriften der Ministerialverfügung vom
24. Octbr. 1837 gestaltet, zugleich aber auch die frühere Richtung
beibehalten worden, dass die untern Classen neben dem Gymnasial-
zwecke auch als höhere Bürgerschule dienen. Zur Beförderung des
letztern Zweckes ist noch die Einrichtung getroffen , dass die Schüler,
welche von der Erlernung des Griechischen dispensirt sind, besonderen
Unterricht im Französischen und im Schönschreiben erhalten. Für die
ganze Schule ist ausserdem seit Anfang des Jahres 1839 das Zeichnen
zu einem öffentlichen Unterrichtsgegenstande erhoben , und eben so
sind seit dem Sommer dieses Jahres geregelte Leibesübungen unter Auf-
sicht und Leitung der Lehrer neu eingerichtet und von den Schülern
sehr eifrig besucht worden. In dem Programm des Gymnasiums vom
Jahr 1838 steht eine geniale und scharfsinnige Abhandlung von dem
Oberlehrer Dr. K. E. Schubarth: Was thut der Behandlung der Ge-
schichte Noth , damit sie ihrerseits ah JFissenschaft nicht hinter der Geo-
graphie zurückbleibe? [Hirschberg gedr. bei Landott. 3fi (20) S. 4 ],
welche die Fortsetzung zu dem Aufsaize des Verfassers: lieber eine kri-
tische Würdigung meiner Uauptrichtuvgen des menschlichen Geistes etc.11
in Verbindung mit der „geschichtlichen /fnahjsis und Synthesis," in
unsern NJbb. 1838 Supplcraentband V, 1. bildet. So wie er nämlich
in jenem Aufsatze die herkömmliche Definition der Geschichte für zu
vag erklärt und den Gegenstand derselben nach der empirischen und
speculativen Seite ihrer Bchandlungsweise näher abzugrenzen und zu
bestimmen versucht; so will er in gegenwärtiger, leider nur frag-
mentarisch mitgetheilten Abhandlung, geleitet von den Grundsätzen,
nach welchen Karl Ritter die Geographie umgestaltet und die in der
Gestaltung der Erdoberfläche sich kundgebende Gesetzlichkeit zu ihrer
Grundlage gemacht hat, eine ähnliche Grundlage auch für die Auf-
fassung und Behandlung der Geschichte gewinnen , und dass entdeckte
Gesetz in der Entwickelung der geographischen Räumlichkeit in soweit
auf dieselbe angewendet wissen, dass die geographische Gestaltung der
Erde und der unmittelbare Einfluss der irdischen Elemente des Erd-
körpers auf die Entwickelung der geistigen Natur des Menschen als das
bedingende Gesetz der geschichtlichen Entwickelung des Menschenge-
schlechts aufgefasst werde, und dadurch auch die Geschichte selbst
als ein grossartiger Organismus hervortrete, in welchem alle Theile
in wechselseitig sich bedingendem Verhältniss stehen, und worin jeder
einzelne eben so seine bcrtimmto Stellung hat , wie alle zusammen.
346 Schul- und Uni versi tiiis na ehric hten,
Kurz er will die geschichtliche Darstellung der Zustände und des Ent-
wickelungsganges der Völker überall auf die physisch- geographische
Beschaffenheit ihrer Wohnplätze hasirt wissen , und hat in sehr scharf-
sinniger Weise nicht nur die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens
dargethan, sondern auch den wirklich vorhandenen Einfiiiss der phy-
sisch-geographischen Zustände auf die in der Geschichte sich offen-
barende geistige Entwicklung der Völker in einer Reihe allgemeiner
Andeutungen nachgewiesen. Die Abhandlung verdient also in ganz
besonderem Grade die Aufmerksamkeit der Geschichtsforscher, wenn
sie auch noch mancherlei Einschränkungen erleiden dürfte, weil der
Verf. jenen Einfluss der Erdverhältnisse auf die Geschichte zu weit aus-
zudehnen scheint, und zugleich die daher entnommenen Merkmale des
allgemeinen geschichtlichen Zustandes der Volker in so abstracter Dar-
stellungsform darlegt, dass die Begriffe öfters mehr verschweben und
undeutlich werden, als an Bedeutsamkeit und Klarheit gewinnen. In
dem Programm des Jahres 1839 hat der Director Dr. Karl Linge einen
Aufsatz De Francisci Passovii in Academia Lipsiensi vita et studiis [36
(14) S. 4.j mitgetheilt, und dadurch einen um so willkommneren Beitrag
zur Lebensbeschreibung dieses Gelehrten geliefert, jei.tehr er darin
die liebenswürdige und edle Persönlichkeit und den lebhaften , regen
und für alles Edle und Schöne begeisterten Charakter desselben her-
auszustellen gewusst hat. Lieber Passows Leben erschien allerdings
bald nach dessen Tode eine kurze, von ihm selbst für das Conversa-
tionslexicon der neuern Zeit entworfene Biographie in den Blättern für
lit. Unterh. 1833 Nr. 93 und in Nowacks schlesischem Schriftsteller-Le-
xicon und eine zweite von seinem Schwiegervater Ludwig IJrachler
entworfene, welche indessen biographischen Aufsülzen S. 331 ff. am
vollständigsten abgedruckt ist. Aus beiden wurden die kurzen Biogra-
phieen in der Allg. Schulzeit. 1833, II. Nr. 40, in unsern NJbb. XV,
ö — 17 und im Neuen Nekrolog der Deutschen Jahrg. 11. Bd. 1. S.
183 — 190 zusammengesetzt. Allein alle diese Aufsätze enthalten ne-
ben der allgemeinen Charakteristik des Mannes fast nur eine Schilde-
rung der äusseren Lebensverhältnisse desselben, und stellen dessen
Bedeutsamkeit nicht genug heraus, weil es überhaupt selten möglich
ist, aus dem stillen und auf das innere geistige Wirken beschränkten
Leben des Gelehrten so viel äussere Momente und eine so weit äus.ser-
lich erkennbare und allgemeine Einwirkung auf die Volksentwickelung
herauszufinden , dass die Darstellung ihrer äusseren Thätigkeit sie zu
geschichtlichen Personen erhebt oder auch nur überhaupt ihren vollen
Werth gnügend erkennen lässt. Dies ist höchstens bei solchen Gelehr-
ten möglich , welche entweder in der Wissenschaft neue Bahnen bre-
chen und neue Richtungen des speculativen oder praktischen Wissens
hervorrufen , oder welche wirksam in Staatsleben eingreifen und Ein-
richtungen schaffen, deren Bestehen das äussere Monument ihres Ge-
dächtnisses ist. Passows Grösse aber bestand in der Regsamkeit und
Wärme seines reichen und edlen Gcmüthes , in dem freimüthigen,
sorgenlosen und liebenswürdigen Wesen , in dem regen Enthuaias-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 347
mtis für alles Gute und für das Wohl des Vaterlands, in der eifrigen
Anwendung der Wissenschaft aufs Lehen und dem unzerstörbaren
Triebe zum Wirken , in der natürlichen Hinneigung und Mitwirkung
hei allem tüchtigen Streben , in dem Sicherheben über das Gemeine,
und in der weckenden und anregenden Kraft, welche er als Lehrer m
auf seine Schüler , als Gelehrter auf gleichgesinnte Studiengenossen
ausübte. Ein solches Wirken aber, welches vom inneren geistigen
Lehen ausgehend , vorherrschend auch nur wieder in der Erweckung
des geistigen Lebens Anderer sich offenbart, lässt sich durch äussere
Thatsachen nur unvollkommen darstellen, weil dessen Wirkungen
äusserlich meist unsichtbar bleiben, und kann eigentlich nur durch
6pecielle Beschreibung der schaffenden Thätigkeit in einzelnen Fällen
oder durch das Vorführen mündlicher und schriftlicher Aeusserungen
der inuern Gesinnung klar gemacht werden. Das Erstere hat nun
Linge in der vorliegenden Schilderung von Passows Leben auf der
Universität in Leipzig versucht, und es ist ihm namentlich in der Be-
schreibung von dessen Aufnahme in die von Gottfr. Hermann geleitete
griechische Gesellschaft, welche damals noch philologische Gesellschaft
hiess und erst auf Passows Anregung den Namen griechische Gesell-
schaft bekam , und von seiner Theilnahme an derselben recht wohl ge-
lungen , während die übrige Erzählung von seinem damaligen akade-
mischen und literarischen Leben und Treiben und namentlich von sei-
nen poetischen Studien in Eutritzsch, einem Dorfe bei Leipzig, doch
mehr mit der Zusammenstellung von Aeusserlichkeiten sich beschäftigt-
Reichen Aufschluss über die innere Gemüthswelt Passows aber und
einen klaren Spiegel seiner Gesinnungen bietet die Schrift: Franz Pas-
sows Leben und Briefe , eingeleitet von Dr. Ltidw. (Fachler , herausge-
geben von Albrecht Wachler. [Breslau b. Hirt. 1839. VIII u. 860 S. gr. 8.
2 llthlr. 12 Gr.] Sie ist in ihrer Grundlage eine Wiederholung der
obenerwähnten Autobiographie Passows, welche aber durch eine reiche
und zum zusammenhängenden Ganzen verbundene Auswahl von Brie-
fen Passows und einiger andern Beilagen erläutert und commentirt
wird, und hat die äussere Einrichtung, dass jene Biographie in fünf
Abschnitte (die erste Jugendzeit bis zur Universität, das Leben auf der
Universität und in Dresden bis zur Anstellung in Weimar, das Leben
in Weimar, in Jenkau und Berlin und endlich in Breslau) zertheilt den
übersichtlichen und leitenden Faden für die jedem Abschnitte unterge-
ordneten Beilagen bietet. Dadurch erhält man nun zwar auch hier
keine rechte Biographie Passows im gewöhnlichen Sinne des Wortes,
weil namentlich in der beurtheilenden Charakteristik seines äusseren
Lebens und seines amtlichen Wirkens mancherlei Lücken bleiben; aber
die Briefe lassen desto tiefere Blicke in sein inneres Leben thun , und
das Buch gleicht in seiner Einrichtung und seinem Werthe am meisten
den Lcbcusnachrichten über B. G. Nicbuhr aus Briefen desselben und aus
Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde [Hamburg, Perthes. 1838
und 1839 3 Bde. 8. 8 Rthlr.], nur dass die IVicbuhrschen Briefe viel-
leicht darin zurückstehen , dass sich in ihnen nicht so offen und klar,
348 Schul- und Universitätsnachrichten,
I
wie in den Passowschen, die reine und wahre Denk- und Sinnesweisc,
sondern immer eine gewisse Berechnung und Zurückhaltung aus/u- ]
sprechen scheint. Ueher Passows Knahenjahre fehlen natürlich eigene I
Mittheilungen von ihm, aher ein Bericht von dem Präpositus E. Breem j
zu Gägelow hei Sternberg, der den Knaben vom 13 — 16. Jahre un-
terrichtet und über dessen Wesen und geistige Entwickelung sowie
über seine bei ihm angewendete Unterrichtsweise aus treuer Erinne-
rung das Nöthige aufgezeichnet hat, hilft dafür aus. Aber von 1802
an, wo Passow aus dem elterlichen Hause weg und auf das Gymna-
sium in Gotha kam, beginnen dessen eigene Briefe, und in ihnen
prägt sich der heranwachsende Jüngling eben so aus , wie später der
Mann erschien. Die enthusiastische Entschiedenheit, womit er Alles
bewunderte oder verwarf und das Ergriffene mit allem Eifer festhielt,
zeigt sich schon hier nicht- nur in der unendlichen Verehrung seines
Lehrers Fr. Jacobs, sondern er ist überhaupt für ernste wissen-
schaftliche Thätigkeit eben so begeistert, wie für poetische Jugendver-
suche, welche er der Mutter in einem saubergeschriebenen Heftchen
zum Geburtstagsangebinde schickt, und schildert eben so freudig seine
Freundschaftsverhältnisse, wie er offen und warm seine aufkeimende
Liebe zu Luise Wichmann, seiner zukünftigen ersten Gattin, den El-
tern gesteht. Auf der Universität in Leipzig ist es Gottfried Hermann,
dessen jugendlich frische, scharfsinnige und geistig-anregende Vorlesun-
gen ihn begeistern und an dem er mit solcher Bewunderung hängt,
dass kein akademischer Lehrer daneben seinen Beifall findet. Eben so
gefallen ihm nur wenige Comrailitonen aus Hermanns philologischer
Gesellschaft; die übrige Studentenwelt und das Leben in Leipzig selbst
sind ihm so zuwider, dass er eine ländliche Wohnung in Eutritzsch
bezieht, und neben den classischen Sprachstudien und den Fecht- und
lteitübungen das Studium der neuern Dichter (Petrarka's, Shakespea-
re' s , Calderons , Schlegels, Tiecks, Goethes, Schillers), eifrig be-
treibt, sich immer mehr in der schon in Gotha erwachten Bewunde-
rung Schlegels und der romantischen Poesie versenkt, und selbst in
Pttrarkischer Weise eine Sonettensammlung herausgiebr. Liebe zur
Kunst und die begonnene Bearbeitung des Persius führen ihn 1806
nach Dresden, wo Böttiger seinen Sinn fürs Schöne weckt, und er so-
gar an eine Reise nach Italien denkt, um sich eine ideale Kunstan-
schauung zu verschaffen. Als er aber 1807 am Gymnasium in Weimar
angestellt wird , da tritt die heilige Amtsbegeisterung hervor, und er
schreibt nicht nur an Jacobs von seiner grossen Lust und Liebe zum
Unterrichten, sondern er wirkt auch mit dem glänzenden Erfolge,
welchen eine so schöne Vereinigung von Kenntnissen und Begeisterung
hervorbringen inuss , und entwirft einen neuen Organisationsplan der
Schule, zu dessen Ausführung er mit seinem gleichgesinnten Amtsge-
nossen und Freunde Johannes Schulze sich verbindet. Die Liebe für
die schöne Literatur, welche sich in der Bewunderung Schlegels etwas
inässigt, wird durch den eröffneten Umgang mit Goethe, Wieland,
Knebel und andern grossen Männern , die damals in Weimar lebten,
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 349
befriedigt und genährt, und er gefällt sich darin sowohl, dass er
selbst eine arge Unartigkeit Goethes ruhig hinnimmt, ja sie selbst in
einem vorzüglich schonen Briefe an seinen Freund Heinrich Voss aus-
führlich beschreibt. Es würde zu weit führen , hier weiter zu erzäh-
len, wie er 1810 einem Rufe als zweiter Director an das Conradinuiu
zu Jenkau bei Daneig folgt, wie dort sein pädagogisch -philologisches
Schulleben zur vollen Blüthe sich entfaltet, wie er durch Wort, That
und Schrift für die Schule und die Wissenschaft wirkt, und nament-
lich die griechische Sprache zur Hauptgrundlage alles Gymnasialun-
terrichts machen will; wie aber plötzlich Danzigs Drangsale durch die
Kriegsunruhen, die Aufhebung der Schule und der Tod seiner Gattin
sein Lebensglück und seine Wirksamkeit zerstören , und wie er endlich
1815 in Breslau eine neue Amtsstellung, eine neue Heimath und ein
neues Familienleben findet. Alle diese Ereignisse sind im Allgemeinen
schon hinlänglich bekannt , und ihre specielle Schilderung muss man
in Passows Briefen an seine Freunde nachlesen, weil man daraus erst
den rechten Aufschluss darüber empfängt und sie zugleich in so schö-
nem Bilde vorgehalten bekommt, dass man eben so ungern sich davon
trennt, wie von hoher Bewunderung für die vielen und grossen Ver-
züge des Mannes erfüllt wird. Allerdings enthält das Buch noch
lange nicht Alles, was sich über Passows Leben sagen lässt , und schon
die kleine Abhandlung von hinge offenbart, wie viel man noch nach-
tragen kann ; aber sie enthält eben das Schönste und Beste , was man
von ihm wissen mag, und schliefst besonders sein inneres Leben auf.
Dabei giebt sich Passow in diesen Briefen überall so offen und unver-
hüllt, dass gar kein Zweifel darüber entstehen kann, es stelle sich dar-
in das reine Bild von seinem wirklichen Leben und seiner wahren Ge-
sinnung dar. Ja er verhehlt seine Gesinnungen so wenig, dass eben
so scharf, wie Liebe und Bewunderung, auch sein Hass überall her-
vortritt. Nur trifft dieser Hass gewöhnlich blos Schlechtes und Un-
würdiges, ist nur in seltneren Fällen durch excentrische Gereiztheit
übertrieben, und hat auch da meistens etwas sehr Ehrenwerthes, weil
er fast immer durch einen guten Beweggrund hervorgerufen ist, und
von einer edlen Gesinnung ausgeht, die nur durch die Leidenschaft-
lichkeit zu weit fortgerissen wird. Desshalb ist es auch wahrhaft zu
bedauern, dass gerade die beiden Hauptfälle, wo Passow durch seine
Leidenschaftlichkeit sich in wesentliche Unannehmlichkeiten stürzte,
nämlich sein Streit mit Huschkc und sein Kampf um das Turnwesen,
in dem vorliegenden Buche durch Auslassungen von Documenten und
Briefen, die jedenfalls darüber vorhanden waren, über die Gebühr
verwischt sind. Köthig war dies nicht, am allerwenigsten in dem
wahrhaft patriotischen Kampfe für sein Turnziel, der wenn er auch
ein Irrthum gewesen sein sollte, doch wenigstens ein sehr edler Irr-
thuni is*. Nächstdcm bleibt zu wünschen , dass über Passows Amts-
tätigkeit in Breslau und über den grossen Einfluss, den er auch dort
auf seine Schüler übte, reichere Auskunft gegeben wäre, da gerade
darüber seine Briefo nicht den zureichenden Aufschluss bieten, welchen
350 Schul- und Universitätsnachrichten,
6ie z. B. über sein Amtsleben in Weimar und Jenkau enthalten. Der
Leser vermiest dies um so mehr, da es gerade die Zeit der vollendet-
sten amtlichen und wissenschaftlichen Thätigkeit Passows ist. Möch-
ten seine Schüler , die hierüber am besten Aufschluss geben können,
diese Lücke bald ausfüllen, um so mehr, da auch der neuste Biograph
Passows , F. A. Eckstein , in der Allgemeinen Encyclopüdie der Wissen-
schaften und Künste eben darüber nur unzureichende Auskunft giebt,
so geschickt er auch sonst die wesentlichen Erscheinungen aus dessen
Leben zusammengestellt und aus ihnen eine recht wohlgelungene Cha-
rakteristik desselben gebildet hat. [J.]
Jena. Bei der Universität sind in der philosophischen Facultät
der als Sanskrit- Kenner bekannte Privatlehrer Dr. Hermann Brockhaus
aus Leipzig, der bisherige Privatlebrer an der landwirthschaftlichcn
Lehranstalt des Hofr. und Professors Schnlze Dr. Christian Eduard
Langethal und der durch seine Forschungen in der Pflanzenphysiologie
bekannte Privatgelehrte Dr. iur. et phil. J. M. Schieiden als ausseror-
dentliche Professoren (der Sanskritliteratur, der Landwirtschaft und
der Botanik) angestellt und in der medicinischen Facultät der Privatdo-
cent Dr. Heinr. Häser zum ausserordentl. Professor ernannt worden.
Der bisherige ausscrordent. Prof. der Theologie Dr. Frommann ist als
Hauptprediger der deutsch -lutherischen Gemeinde nach St. Petersburg
gegangen.
Nassau. Das durch den Tod des Professors Frorath [s. NJbb.
XXV, 448.] erledigte Rectorat am Pädagogium in Hadamab ist im Octo-
ber vorigen Jahres dem Rector Jos. Muth vom Pädagogium in Wies-
baden übertragen und demselben zugleich das Prädicat Professor bei-
gelegt ; zum Rector dieses Pädagogiums aber der Professor JFilh. Karl
Lex vom Gymnasium in Weilburg ernannt worden. Nach Weilbvrg
wurde der Conrector Karl Ludw. Menke von Hadamar als Professor ver-
setzt und zugleich der ausserordentliche Prof. F. It. C. Krebs zum or-
dentlichen Professor ernannt, in Dillenburg der Prorector .loh. Bapt,
Fischer pensionirt und dessen Stelle dem Prorector Joh. Braun aus Ha-
damar übertragen , zugleich auch der Candidat der Philnl. Spiess als
Collaborator angestellt. Das Prorectorat in Hadamar erhielt der aus-
serordentliche Prof. Dr. Conr. Cuntz aus Weilburg, und das Conrecto-
rac ebendaselbst der Conrector Fr. W. L. Schmidtborn aus Wiesbaden;
nach Wiesbaden endlich wurden die Conr*ectoren Joh. Bellit.ger und
Herrn. Hänlc vom Pädagogium in Dillenburg versetzt.
Neustrelitz. Am dasigen Gymnasium Carolinum ist während des
Sommers 1839 in Folge des Ablebens des Lehrers Grolh der Dr. Theod.
Ludewig zum dritten Professor, der Lehrer Rudolph Werner zum vier-
ten , der Dr. Karl Scheibe zum fünften und der Hülfslehrer Leo Milareh
zum sechsten Lehrer aufgerückt.
Oestreich. Die Lehrkanzel der Welt - und österreichischen
Staatengeschichte an der Universität in Prag ist dem Professor Dr. C.
Joh. Victz von der Universität in Olmütz , und die dadurch dort erle-
digte Lehrkanzel dem Professor Joh, Kaiser zu Görz übertragen , des-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 351
gleichen der Dr. L. Neumann zum Professor der allgemeinen europäi-
schen und spcciellen österreichischen Statistik an der k. k. Theresiani-
schen Bitterakademie in Wien , der Dr. Joh. Steger zum Professor der
Beligionslehrc am Lyceum in Linz ernannt worden.
Oldemjcrg. In der zu Ostern 1839 ausgegebenen und auch in
den Buchhandel gebrachten Einladungsschrift zu den Schulfeierlichkei-
ten des dasigen Gymnasiums hat der Bector und Professor J. P. E.
Greverus eine Abhandlung ü6er die Bilder und Gleichnisse aus dem Ho~
mer [22 S. gr. 4. 6gr.] geliefert, und darin die Bilder und Gleichnisse
des Dichters zusammengestellt und mancherlei Betrachtungen daran ge-
knüpft. Der Verf. hatte dieselben ursprünglich zu dem Zwecke ge-
sammelt , aus ihrer Yergleichung wichtige Besultate für die Charak-
teristik und Kritik der homerischen Gesänge zu ziehen, fand aber der-
gleichen Besultate nicht heraus; indess theilt er doch mit, was er
wirklich gefunden hat. Das Gymnasium cntliess zu jener Zeit 4 Schü-
ler zur Universität, und in den 5 Classen unterrichteten ausser dem
Bector der Lehrer der Mathematik Dr. Temme, der Conrector Dr.
Stahr , die Collahoratoren Hagena und Folkers, Dr. Pansch, Dr. König
und die Candidaten Hieken und Osterbind, ungerechnet den geh. Kir-
chenrath Dr. Buckel, den Hofprediger IFallrolh und den Pastor lbbe-
ken, von denen jeder wöchentlich einige Lehrstunden ertheilt.
Preissen. Im Sommer 1839 waren die 14 Gymnasien der Pro-
vinz Preissen von 2988 und die zwei Progymnasien von 218 Schülern,
die 4 Gymnasien der Provinz Posen von 1030 (im Schuljahr 1838 — 39
von 1113) und das Progymnasium in Trzemesno von 244 Schülern,
die 21 Gymnasien der Provinz Schlesien von 4273 (im Schuljahr 1838
— 39 von 4338, im Winter 1839 — 40 von 4385) Schülern, die 7
Gymnasien der Provinz Pommern von 15C5 Schülern, die 18 Gymnasien
der Provinz Brakdemiurg von 3942 Schülern , die 21 Gymnasien der
Provinz Sachsen von 3388 Schülern, die 11 Gymnasien der Provinz
Westpuale* von 1735, die 2 höhern Bürgerschulen von 213 und die 7
Progymnasien von 207 Schülern, die 18 Gymnasien der Bheinprovinz
von 2847 Schülern besucht. Im Jahr 1838 waren sämmtliche Gymna-
sien des Landes von 22353 , im Jahr 1836 von 23950 Schülern besucht,
vor denen 3295 und 3496 auf Preussen , 1043 und 1040 auf Posen,
4447 und 4914 auf Schlesien , 1570 und 1566 auf Pommern , 3895 und
4441 auf Brandenburg, 3452 und 3670 auf Sachsen, 1769 und 1790
auf Westphalen, 2882 und 3033 auf Bhcinprcussen kamen. Die 6
Gymnasien Berlins hatten im Schuljahr 1838 — 39 zusammen 2003
Schüler und 101 Abiturienten, die 4 Gymnasien in Brelau 1339
Schüler und 64 Abiturienten. Zur Universität wurden im Jahr 1838
von säiumtlichen Gymnasien 1175 (im Jahr 1837 zusammen 1178)
Schüler entlassen, von denen 1102 das Zeugniss der Bcife , 73 das
der Vchtreife erhielten und 466 Theologie, 277 Bcchtswissenschaf-
ten, 230 Uedicin, 92 Philologie, 70 Kameralwissenschuften studiren
wollten, 40 noch für kein Fachstudium sich bestimmt oder ein Le-
352 Schul- u. Universitätsnachrr., Bef örderr. u. Ehrenbezeigungen.
bensverhältniss ohne Universitätsstudien gewählt hatten. Auf eämmt-
lichen preussischen Universitäten studirten im Jahr
im Gan- Inlän- Auslän- Theologie, Jur. u. Medi- Philo-
zen, der, der, Cameral., ein, sophie.
kathol., evangel.,
1838: 4480, 3687, 793, 411, 1186. 1044, - 909, 930
1837: 4532, 3781, 751, 477, 1187, 1187, 915, 766
1836: 4545, 3750, 795, 461, 1275, 1222, 914, 473
1829: 6049, 4874, 1175, 881, 2182, 1848, 613, 573
Von dem Ministerium der Unterrichtsangelegenhciten sind vor kur-
zem 1500 lltiilr. als ausserordentlicher Zuschuss für die Universi-
tätshihliothek in Halle und 400 Rthlr. als ausserordentl. Zuschuss
für die Universitätsbibliothek in Greifswald bewilligt, desgleichen
dem Collaborator Dehler am Gymnasium in Brandenburg eine Gra-
tifikation von 50 Rthlrn. und den Professoren Dr. Klausen und Dr.
Mattheis an der Universität in Greifswald eine Gratification von 150
und 100 Rthlrn., sowie dem Oberlehrer Kelch am Gymnasium in Ra-
tibor eine Unterstützung von 50 Rthlrn. zugesagt und endlich als Ge-
haltszulage in Berlin dem Oberlehrer Rehbein am Friedrich -Wil-
helms-Gymnasium 60 Rthlr., in Breslau hei der Universität den Pro-
fessoren Dr. Bernstein und Dr. Gaupp je 200 Rthlr., dem Professor Dr.
Stenzel 300 Rthlr., dem Prof. Dr. von Boguslawsky 140 Rthlr. und dem
Prof. Dr. Regenbrecht 100 Rthlr., in Greifswald bei der Universität
dem Prof. Dr. Pütter 200 Rthlr. und den Professoren Dr. Berndt,
Schnitze, Barthold, Hünefeld, Baumstark und Hasert je 100 Rthlr.
ausgesetzt worden. — Durch eine im Januar dieses Jahres erlassene Ca-
hinetsordre ist angeordnet, dass die Directoren und Lehrer an Gymna-
sien, höheren Bürgerschulen und Seminarien eben so der Vergütung
der Umzugs- und Reisekosten theilhaftig sein sollen, nie dieselbe
seit 1826 anderen Beamten hei vorkommenden Versetzungen bewil-
ligt ist.
Riieinpreitssen. Die Geschäfte des noch immer in Berlin ver-
weilenden Scliul- und Regierungsrathes Brüggemann besorgt proviso-
risch der Oberlehrer Prof. Dr. Körten vom Gymnasium in Aachen. Da9
ehemalige Lustschloss der Kurfürsten von Köln Bensberg wird zu einer
neuzucrrichlcndcn Cadettenanstalt eingerichtet. Dem Vernehmen nach
geht der katholische Adel der Rheinprovinz damit um, eine Erzie-
hungsanstalt für seine Sühne nach Art der Ritterakademieen in
Brandenburg und Liegnitz zu gründen , welche auf dem Gute Bled-
burg bei Düren errichtet werden und wozu der Plan bereits entworfen,
auch schon der Director in der Person des Oberlehrers Dr. Seul vom
Gymnasium in Coblenz bestimmt sein soll« Auch spricht man davon,
dass der katholische Adel der Provinz Westphalen an der Errichtung
dieser Anstalt Antheil nehmen werde.
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Philologie und Paeclagogik,
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Kritische Bibliothek
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für das
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Schul- und Unterrichtswesen.
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In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
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herausgegeben
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Dr. Gottfried Seehode,
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HI. Johann Christian Jahn
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und
Prof. Reinhold HJot*.
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ZEMTER JAIHiCJAX«.
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Aclitundzvraiizigster Band. Drittes Heft.
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(Ausgegeben den 2. Mai 1840 .)
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Aufgeschnittene und beschmuzte Exemplare werden nicht zurückgenommen.
Inhalt
von des uchlundzwanzigsten Bandes drittem Hefte.
Q. Horatius Flaccus. Resensuit Orcllius.
Horatii opera, cum varior. notis edid.
Charpentier,
Horatii opera ex recens. Braunhardi. Sect.
IV. Indicem nominura propriorum con- \ Vom .Pr°fes,Tt 0"an'u,e
1 r ( in Rudolstadt. S. 213 — 259
tinens.
Horatii opera. Lipsiae ap. Wigand.
Strodlmann : Probe einer neuen Ueber-
setzung des Horaz.
Seebode: Schoben zu Q. Horatius Flaccus. Von demselben. . . - 260 — 262
Fischer: Erläuterung des Zwölf- Tafel- ,
Gesetzes. 1. Abschnitt. / Vom Professor Osenbrüg
Cockinos: Specimen dissert. de lege Xlll gen m ^e1' ' 262 — 272
Tabularum. )
Meinicke: Lehrbuch der Geographie. — Vom Gymnasiallehrer
flogen« in Oldenburg - 272 — 28C
Dörk: Lehrbuch d. Mathematik. — Vom Prof. Reuter in Aschaffenburg. - 280 — 29t)
Rougemont: Geographie des Menschen, übersetzt von Hugendubel.
Von demselben -290 — 291
Fuisting: Syntaxis Convenientiae der lat. Sprache. — Vom Gy-
mnasial-Oberlehrer Teipel in Coesfeld. . ... - 29? — 30i
Micus : Katholisches Gebet- und Erbauungsbuch
Püllenberg: Gebet- und Betrachtungsbuch.
Gratz : Eulogium Graeco-Latinum. } Von demselb. - 307 — 311
Hirscher: Betrachtungen über die Evangelien.
Staudemaier : Der Geist des Christenthums.
Alte christliche Lieder, übersetzt von Freyberg. — Vcm Gymnasial
director Dr. Bach in Fulda. ...„.•- 315 — 31'
Bibliographische Berichte - 319 — 33
Miscellen. . . - 337 — 33
Todesfälle. . . . -.338 — 33
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und Ehrenbezei-
gungen.
Cramer: De quibusdam negandi formulis Latinorum. . - 319—32
Feldbausch: De Q. Horatio Flacco non adulatore. . - 327 — 33
Hildebrand: Philosophiae Gnosticae origines. . - <"
Index librorum mss. et impressorum, quibus bibliotheca
regia Berol. aueta est. .
339—35
3^
Ritschi: Disputatio de veteribus Plauti interpretibus. S. 340
Ritschi: Orionis dnocpd'eyfiazci. . . . . . - 341
von Schlegel: De Zodiaci antiquitate et origine. . - 311
Heinrich: De Chryse insula et dea in Philoct. Sophocl. - 341 — 342
Dornheim : Diss. mathem. de singularitatibus superficier. • - 312
Dronke : De Niceta Davide et Zonara interpretibus Gre-
gorii Nazianzeni. . . . . . . . - 312 — 313
Müller: Adnotationes ad Cicer. de orat. üb. H. . . - 343 — 344
Schubarth : Wat thut der Behandlung der Geschichte Noth ? - 315 — 346
Linge: De Franc. Passovii in acad. Lips. vita et studiis. - 316 — 347
Passows Leben und Briefe, herausgegeben von Wachler. - 347 — 350
Greverus: Ueber die Bilder u. Gleichnisse aus dem Homer. - 351
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner,
1§40.
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Philologie und Paetlagogik,
oder
Kritische Mihliotheh
für das
Schul- und Unterrichtswesen.
S'i Verbindung mil einem Vereine von Gelehrten
henüisgegeben
tun
lir. Gottfried Seehode,
]»I. Johann Christian Jfahn
und
Prof. Meinhold Klotz.
BEHSTTfiR JAHltOAIVG.
Achl und zwanzigster Band. Viertes rieft.
liClpzig-,
Druck und Verlag von \\. G. Teubnoft
1840.
Kritische Beurtheilungen.
Piatoni 8 opera, quae feruntur omnia. Rccognove-
runt Jo. Georg, liaiterns , Jo. Cusp. Orellius, Aug. Gull. fVinckel-
mannus. Acci-dunt intcgra variclus lectinnis Stcphaniunae , Bek-
kerinnue , Stullbutiiiiianae, Scholia et Index Dominum. Tuiici,
impeneis Meyeri et Zelleri. in Quart. 1830. Fa&c. I. II. III.
Dieselben ohne Varianten, in Sedez gedruckt, so dass die einzel-
nen Dialogen einzeln ausgegeben weiden.
Schon wieder, werden Manche bei der vorstehenden Anzeige
ausrufen, schon wieder eine neue Ausgabe der Werke des Pia-
ton , oder gar zwei auf einmal ! als wenn die gelehrte Welt nicht
schon in reichem Maasse durch kritische und unkritische Bearbei-
tungen derselben versorgt wäre! als wenn es nicht auch der Ein-
zelnausgaben fast bis zum Uebermaass viele gäbe, so dass wohl
gerade jetzt, wo seit einigen Jahren zwei andere Gesammtaus-
gaben, mit kritischen und exegetischen Hülfsmitteln ausgestattet,
hervortreten und sich allmälig ihrer Vollendung nähern, eine
neue Bearbeitung füglich hätte unterbleiben können ! Und aller-
dings mag solches Bedenken in gewisser Beziehung Einiges für
sich haben , und nicht schlechthin als grundlos angesehen werden
können. Bedenkt man jedoch , wie allgemein verbreitet das Stu-
dium des Piaton geworden und wie man eigentlich erst in neuerer
Zeit, und zwar zunächst in Deutschland, eine sichere Basis für
die kritische und exegetische Behandlung der Werke desselben zu
gewinnen gestrebt bat; überlegt man ferner, dass die Grösse
und der Umfang eines solchen Unternehmens die sofortige Aus-
führung und Vollendung desselben unmöglich maebt und jeden-
falls viele und vielerlei Kräfte in Anspruch nimmt; setzt man
endlich hinzu, dass wenigstens jede der bessern Bearbeitungen - —
denn von blossen Fabrikaten unwissenschaftlicher Industrie reden
wir nfoht — immer eine eigenthümüebe Bicblung verfolgt und
sich buhl höhere bald niedere Kritik, bald historische und gram-
matische oder auch philosophische Auslegung, bald wieder eine
allseitige kritische und exegetische Behandlung zum Ziel setz! ;
35(3 Griechische Literatur.
so mag man wohl mit Fug und Recht das Hervortreten einer neuen
Gesammtausgabe der Werke des grossen Philosophen vollkommen
gut heissen, oder auch seihst sich darüber freuen, wenn nur anders
damit Erspriessliches erzielt und die Wissenschaft selbst in Etwas
bereichert wird. Denn jede neue Ausgabe solcher Art erscheint
stets als ein neues Hilfsmittel zur Anregung und Förderung wissen-
schaftlicher Studien und muss als solches von den Freunden dersel-
ben allemal willkommen geheissen werden.
Fragen wir also zunächst nach dem Zwecke der vorstehend
angezeigten Ausgabe, so ist derselbe zufolge der Vorrede darauf
gerichtet, den gesammten Piaton in einem typographisch schön
ausgestatteten Quart bände unter genauer kritischer Revision des
Textes und zwar dermaassen darzubieten , dass zum Behuf der
Letztem unter dem Texte die Lesarten der Stcpkanschen-, Beh-
ker selten und Stallbaunischen Ausgaben mit den Zeichen a. b. c.
aufgeführt, an solchen Stellen aber , wo die Herausgeber eigeu-
thümiiehe Lesarten aufnahmen, die vorzüglichsten Codices £e-
uamil werden, aus denen sie ihre Lesung herleiteten, oder auch die
Gründe conjecturalischer Besserung in Kurzen angedeutet werden.
Sonach besteht denn die Eigenthümlichkeit dieser neuen Edition
erstens in ihrer typographischen Einrichtung und Beschaffenheit;
zweitens in der Mittheilung der Lesarten der genannten drei Aus-
gaben ; und drittens iin der Rechtfertigung neu hergestellter Le-'
suiigen durch Anführung der Zeugnisse der Handschriften , aus
denen sie entnommen sind, und durch hinzugefügte kurze Bemer-
kungen, wo solches nöthig zu sein schien. Wir werden daher
das Werk am besten charakterisiren , wenn wir es hinsichtlich
dieser drei Punkte ins Auge fassen und seine Eigenthümlichkeiteu
möglichst hervorzuheben suchen.
Was nun zunächst die typographische Ausstattung desselben
angeht, zu welcher wir auch die Sorge für die Bequemlichkeit
des Nachschlagens so wie die Correctheit rechnen; so verdient es
jedenfalls ehrende Anerkennung. Papier und Druck sind sehr
gut, nur dass die Typen für den anhaltenden Gebrauch etwas
klein sind , was sich indessen aus der Absicht, den ganzen Platou
in einen Band zusammenzudrängen, leicht erklären lässt. In die-
ser Beziehung glauben wir jedoch, dass auch typographisch noch
etwas Vollkommneres geleistet werden könnte , und dass nament-
lich ein monumentuni divino philosopho haud prorsus indignum
dann in noch besserm Maasse zu Stande kommen dürfte, wenn
der Band entweder an Stärke oder an Umfang etwas grössere
Ausdehnung erhalten könnte. Doch jedenfalls ist die Nettigkeit
des Druckes und die Schönheit der Typen und des Papiers bei
dieser Ausgabe vorzüglich zu nennen, und mit Recht lässt sich
behaupten , dass Piaton bis jetzt noch niemals in einem solchen
typographischen Gewände erschienen ist. Was aber den Werth
der Ausgabe nicht wenig in dieser Beziehung erhöhet, das ist die
Piatonis opern, recogn. Baitcr, Orelli et Winckcliiiann. 357
Correctheit und die sonstige äussere Einrichtung derselben. Denn
um dieselbe aligemein brauchbar für das Nachschlagen citirter
Stellen zu machen, .sind nicht nur die Seitenzahlen und Abschnitte
der Stephanseken Ausgabe, sondern auch die Seitenzahlen der
Lama rf sehen und Bekkerschen Edition am Rande beigeschrie-
ben, wodurch der Leser in den Stand gesetzt wird , die nach
diesen Ausgaben so häufig vorkommenden Citate mit Leichtigkeit
auffinden zu können, eine Erleichterung, die um so dankens-
werther ist, je weniger man sich leider bis jetzt noch dahin hat
vereinigen können, überall nach einer Ausgabe zu ciliren. Viel-
leicht wäre es daher auch nicht unzweckmässig gewesen, auch
die Seitenzahlen der Zivcibrücker Ausgabe mit anzugeben, indem
bekanntlich gerade sehr bedeutende Geschichtschreiber der Phi-
losophie, wie z. B. Ticdemann und Tennemann , sich dieser Aus-
gabe einzig bedient haben. Dass ferner in den uns bereits vor-
liegenden Heften auch die Correctheit vorzüglich ist, das
können wir um so gewisser versichern, je sorgfältiger wir gerade
auch in dieser Beziehung einen nicht unbeträchtlichen Theil des
Werkes einer nähern Prüfung unterworfen haben. Somit kann
denn die äussere Erscheinung des Werkes, selbst in ausgedehn-
terem Sinne verstanden, mit vollem Rechtals eine sehr anspre-
chende und beifallswerthe bezeichnet werden.
Lenken wir demnach unsre Betrachtung auf die noch übrigen
beiden, oben bezeichneten, Seiten des Werkes hin. Was also
zunächst die Angabe der abweichenden Lesarten der Slepham-
scheu, Bekkerschen und Slallbaumsche/i Edition angeht, so ist
dieselbe an sich allerdings gut und zweckmässig, und da sie auch
mit Sorgfalt und Genauigkeit gemacht ist, so erhält der Leser
damit den nicht geringen Vortheil , die Texte von drei Recensio-
nen mit einem Male sicher überblicken zu können. Indessen
möchte sich Rec. doch noch Einiges in dieser Beziehung zu wün-
schen erlauben. Einmal nämlich würde er es für zweckmässig
erachtet haben, auch die Aldina und die Basilecnses mit zu be-
rücksichtigen, welche bekanntlich die Textesquellen für Slepha-
nus waren. Denn nur dadurch würde es möglich geworden sein,
die Lesarten des letztern überall gehörig zu würdigen und zu-
gleich zu erkennen, ob er, wie es oft von ihm geschehen, hei
Constituirung seines Textes noch Codd. oder Conjcctur angewen-
det habe oder nicht. Sodann finden wir leider nicht bemerkt, in
wie weit jede der genannten Ausgaben ihre Lesungen auf hand-
schriftliche Auctorität begründet habe, was doch von Wichtig-
keit ist , da es sich in den meisten Fällen mehr darum handelt,
zu erfahren, warum die einzelnen Ausgaben so oder so lesen,
als tnaa in ihnen gelesen wird. Diess hätte wenigstens immer in
den Fällen bemerklich gemacht werden sollen, wo eine Edition
nur einen oder den andern Codex als Auctorität für sich in An-
spruch nimmt, also mehr aus innern als aus äussern Gründen
358 Griechische Literatur.
irgend einer Lesart huldiget, und wo diess gegen das Zeugniss
der besten Bücher geschehen ist. Ueberhaupt aber hätte über-
all bestimmt nachgewiesen werden müssen, in wie weit der in
dieser Edition gegebene Text mit den anerkannt vorzüglichsten
Handschriften, denen die Herausgeber, wie sich unten zeigen
wird, sonst zu folgen pflegen, in Üebereinstimmung stehe. Diess
erfahren wir in der Regel nur an Stellen, wo eine von allen ge-
nannten Editionen abweichende Lesung geboten wird , während
da , wo eine der drei Ausgaben eine mit Beifall aufgenommene
Lesart hat, sich meistens selbst auch dann nichts bemerkt vor-
findet, wann dieselbe auf sehr geringer Auctorität beruht oder
der Bekräftigung der vorzüglichsten Codd. entbehrt. Es wird
hinreichen, nur Einiges der Art hier anzuführen, da es nicht
unsere Absicht sein kann, ganze Partien des Werkes in, dieser
Hinsicht durchzumustern. Wir wählen dazu ein Paar Stellen aus
dem zufällig jetzt von uns aufgeschlagenen Theaetet. Hier finden
wir zu Pag. 146. C. IJüvv piv ovv , av tisq ys olai re w/zgr,
die Bemerkung ys om. a., d. h. edit. Stephan. Allein dass ys
nicht in dem Bodl. Vat. Ven. IL, denen sonst die Herausgeber
folgen , sich vorfinde , sondern vielmehr den Coisl. und einige
ähnliche Bücher zur Quelle habe, erfahren wir nicht. Zu S.
148. C. heisst es: itpiq post dgofiov pomint ab. d. h. ed.
Steph. et Bekker. Ob aber die ed. Turic. den sonst besten Hand-
schriften hierin gefolgt sei, wird wieder nicht zu erkennen ge-
geben. Und so geht es überall im Folgenden weiter. Man ver-
gleiche auch noch Gorg. p. 473. C. 475. A. 476. C. 478. C. 480. A.
Wäre da nicht ein einfaches Zeichen anzuwenden gewesen, um
den Leser sofort durch einen Wink zu belehren , ob die sonst
besten oder ob die schlechtem Bücher die gebilligte Lesart be-
kräftigen'? Endlich hat Bec. noch einen Wunsch in Bezug auf die
von ihm selbst besorgte Leipziger Ausgabe auszusprechen. Aller-
dings hatte der ehrenwerthe Verleger derselben zu einem guten
Theile der Platonischen Werke ansehnliche handschriftliche Col-
lationen zusammengebracht, und da liess sich der Text sehr gut
nach eigenem Urtheile richtiger gestalten; zu andern Schriften
aber waren nur wenige und an Werthe geringere Codices vergli-
chen worden, bei deren näherer Betrachtung sich für den Her-
ausgeber gar bald die Notwendigkeit ergab, sich möglichst treu
an die Bekkersche Recension anzuschliessen. Eine freie und un-
abhängige ..Textesgestaltung war daher hier um so weniger mög-
lich , als damals Bekker s kritische Commentarien noch nicht er-
schienen waren und folglich auch eine Kenntniss der allerdings
damals bereits gewonnenen, aber erst in der Folgezeit dem Publi-
kum mitgctheilten historischen Basis des Textes noch unter die
literarischen Unmöglichkeiten gehörte. Unterzeichneter konnte
daher erst bei der in Gotha erscheinenden Gesammtausgabe für
diese Werke zu einer umfassendem kritischen Behandlung fort-
Platonis opera, recogn. Baiter, Orelli et Winckelmanu. 359
schreiten, und es kann somit auch keineswegs in seinen Wün-
schen liegen, die Lesarten der Leipziger Ausgabe, namentlich in
so weit sie sich auf Schriften beziehen, zu denen ibra nur Colla-
tionen von Florentiner Handschriften zu Gebote standen, in die-
ser Zürcher Ausgabe als die einer besondern Textesrecension mit
aufgeführt zu sehen. Indessen sieht er wohl ein, dass sein
Wunsch, in solchem Falle überall nur die Gothaer Bearbeitun-
gen berücksichtigen zu wollen , bei dem raschen Fortschreiten
der Zürcher Edition und bei dem langsamem Hervortreten der
einzelnen Platonischen Werke, welche in Gotha noch zu Tage
gefördert werden sollen, nicht wird in Erfüllung gesetzt werden
können. Deshalb beschränkt er denn denselben einzig darauf,
dass von den Herausgebern bei jedem einzelnen Stücke allemal
angedeutet werden möchte , ob sie schon die Gothaer Bearbei-
tung vor Augen gehabt haben oder nicht, ein Wunsch, den die
verehrlichen Herausgeber unter solchen Umständen gewiss selbst
für billig erachten werden, zumal da es nicht blos späterhin,
sondern schon in der Gegenwart nicht Wenige geben dürfte, die
nicht wissen werden, ob bei der edit. c. an die Leipziger oder an
die Gothaer Ausgabe gedacht werden müsse.
Doch wir gehen zu einem wichtigern Gegenstande unsrer Be-
urtheilung über, nämlich zu der Frage, was für die Verbesserung
des Textes von den Herausgebern geleistet worden ist. Sehr
richtig handelten dieselben, nach unserem Ermessen , dass sie
sich bei ihrer Arbeit ein wirklich wissenschaftliches und die Wis-
senschaft förderndes Ziel steckten , und nicht bei dem gemeinen
Gedanken stellen blieben, etwa nur eine Kecognition von einer
oder der andern Ausgabe veranstalten zu wollen. Sie erklären
daher selbst, dass sie nach Bildung eines Textes gestrebt, der,
selbstständig nach kritischer Revision der vorhandenen Hilfsmittel
gestaltet , bei ferneren Forschungen die Grundlage zu bilden ge-
eignet sei. Es bedarf nur einer geringen Betrachtung, um sofort
inne zu werden, was sie dabei vor Augen gehabt und von welchen
Principien sie bei diesen ihren Bemühungen ausgegangen sind.
Offenbar nämlich sind sie von dem Grundsatze geleitet worden,
überall, wo es nur immer möglich wäre, die Lesarten der besten
Handschriften, namentlich des Clnrkiaiius od. liocllcianits, / atic.
J. und Venet. II, , in den Text aufzunehmen und die Anctorität
dieser Bücher gegen die aller übrigen möglichst geltend zu
machen. Und allerdings muss bei der Kmendation der alten
Schriftsteller jederzeit von dem Grundsätze ausgegangen weiden,
so weit es nur immer thunlich ist und mit den Hegeln gesunder
Auslegung und Kritik sich vereinbaren lässt, den im Allgemeinen
anerkannt besten Handschriften zu folgen. Daher haben denn
auch die Herausgeber unverkennbar, bei der Strenge, mit wel-
cher sie die Lesarten der genannten Codices ins Auge fassten,
gar manche Stelle verbessert, sobald man namentlich ihnen zu-
300 Griechische Literatur.
gicbt, dags jenen Handschriften überall, wo sie es gethan, Folge
zu leisten war. Aber eben dieses ist der schwierige Punkt, auf
welchen die Kritik stösst, genau zu ermitteln, welchen Wertli
und welche Bedeutung diese Handschriften theils an und für sich
betrachtet haben, theils allen übrigen gegenüber für sich in An-
spruch zu nehmen geeignet sind. Und hier fürchten wir, dass
die Herausgeber zu weit gegangen und durch Ucberschätzung
der eben genannten Handschriften den Gesetzen der Kritik öfters
untreu geworden sind. Es kann nämlich bei genauerer Betrach-
tung der Sache und bei tieferem Eindringen in den Sinn und Zu-
sammenhang der Piatonisehen Rede nicht zweifelhaft bleiben,
dass jene Codices, namentlich der Clark. Vat. z/. und Ven. II.
allerdings eine treffliche Recension der Werke des Piaton darbie-
ten , aber doch auch keineswegs von willkürlichen Aendcrungs-
versuchen der Grammatiker und Kritiker, welchen wir sie ver-
danken , frei geblieben sind. Davon finden sich fast in allen
Schriften des Piaton so schlagende Beweise vor, dass ander
Wahrheit dieser Behauptung durchaus nicht mehr gezweifelt wer-
den kann, wie denn Rec. in seinen Ausgaben hin und wieder
darauf aufmerksam gemacht hat. Und wenn sich nun dieses au
solchen Stellen ganz unzweifelhaft herausstellt, an welchen der
Sinn und Zusammenhang den Verräther willkürlicher Aendcrun-
gen macht, so lässt sich doch wohl nicht ohne Wahrscheinlich-
keit vermutheu, dass auch in andern Dingen, wo die Spuren jener
Kritik weniger leicht zu entdecken sind, bestimmte Grundsätze
und Meinungen jeher alten Grammatiker und Kritiker nach eige-
ner Entscheidung werden in Anwendung gebracht worden sein,
wie diess z. B. in der Wortstellung und Orthographie der Fall
sein dürfte. Dieses Alles fordert denn olfenbar zur grössten Vor-
sicht in der Benutzung jener Handschriften auf, und muss um so
mehr warnen, den Werth der übrigen Handschriften zu niedrig
anzuschlagen und zu tief herabzustellen, als sich an vielen Hun-
derten von Stellen in letztem einzig und allein die wahre Lesung
erhalten hat. Aufgabe der Kritik ist es daher, nicht blindlings
sich fiir dieses oder jenes zu entscheiden, sondern genau und
sorgfältig zu erwägen, was wohl an jeder Stelle das Wahre und
Echte sein möge; wobei sie denn aber, wie natürlich , ihr Au-
genmerk stets vorzüglich auf die anerkannt bessern Urkunden
hinrichten wird. Denn verfährt sie" nur einseitig diplomatisch, so
verleugnet sie eigentlich sich selbst und erniedrigt sich zu einer
rein geistlosen Dienerin mechanischer Diplomalik; ja sie müsste
bei solcher Richtung bald aufhören zu sein, was sie ist, weil ja
bei jedem Schriftsteller stets der beste Codex, wo er nicht ganz
offenbare Fehler enthielte, auch die einzig wahren Lesarten dar-
zubieten das Ansehen haben würde. Soll nun aber die Kritik
ihre Aufgabe würdig lösen, so kann sie diess nicht anders thim,
als durch Beihilfe gesunder und richtiger Auslegung, die eben' so
Plutonis opera, rccogn. Baiter, Orelli et Winckilmann. 3G1
wohl das Ganze und dessen Zusammenhang und Bedeutung zu er-
fassen bemüht ist, als auch in das Einzelne dermaassen eindrin-
gen lehrt, dass es nicht nur an sich, sondern auch in seiner Ver-
bindung und Bezüglichkeit zu Anderem richtig verstanden werde.
Denn nur dadurch wird es möglich sein, dass das Feinere und
Schönere von dem minder Schönen , das Leichtere und Gewöhn-
lichere von dem Schwierigeren und Seltneren, das dem Schrift-
steller Eigentümliche von dem auch sonst Gebräuchlichen gehö-
rig gesondert und geschieden und demnach auch die verschiede-
nen Lesungen der Handschriften, jede nach ihrem eigenthümli-
clien Werthe, erkannt und beurtheilt werde, ohne dass man auf
äussere Entscheidungsgründe allzu viel Gewicht legt. Wir zwei-
feln nun zwar keineswegs, dass auch die Herren Herausgeber
diese unsere Ansichten theilen und solche Grundsätze bei ihrer
Kecension vor Augen gehabt haben. Dennoch können wir nicht
bergen, dass sie dieselben dadurch verleugnet zu haben scheinen,
dass sie den Werth der Lesarten des Codex Clarkiamis, Vat. 2k
und Ven. II. nicht überall gehörig erwogen und dieselben oft
auch da in den Text aufgenommen haben, wo sie entweder bei
näherer Betrachtung als offenbare Aenderungen voreiliger Kritiker
erscheinen, oder auch, den Lesarten anderer Handschriften ge-
genüber angesehen , nicht die grösste Wahrscheinlichkeit für sich
haben. So- ist es denn gekommen, dass ein guter Theil der ge-
machten Aenderungen in der That nicht gerade als Verbesserung
erscheint, was an solchen Stellen um so bedenklicher für den
Gebrauch der Ausgabe wird , wo die Aufzählung derjenigen Bü-
cher, welche die abweichende Lesung haben, unterlassen ist und
nur angedeutet wird, wie die genannten drei Ausgaben schreiben.
Es würde \iele Mühe und Zeit erfordern, aus den bereits vorlie-
genden Fascikeln alle hierher einschlagenden Beispiele anzufüh-
ren und zu erläutern. AVir wollen daher zuerst an einigen Stellen
des Thcülel und des Sophisten klar zu machen versuchen, dass die
Herausgeber liier und da aus dem Clarkian. , Fat. und Ven. IL
offenbare Correcturen der Grammatiker in ihren Text aufgenom-
men haben; und dann werden wir eine oder die andere kleine
Schrift mit Berücksichtigung auch früher berührter Punkte durch-
mustern , um unsern Lesern das Verhältnis^ dieser neuen Textes-
Tccerision zu den frühern möglichst deutlich vor Augen zu führen.
Absichtlich wählen wir also zuerst einige Stellen aus den ge-
nannten Schriften, um an ihnen darzuthun, dass sich die Lesar-
ten der besseren Bücher oft sofort bei genauer Betrachtung als
Correcturen der Grammatiker und als Glossemc darstellen. Denn
ist diess erst durch einzelne Beispiele einleuchtend geworden , so
>wrd sich dann auch überhaupt für den Gebrauch jener Hand-
schriften die Nothwendigkcit grosser Vorsicht ergeben, mit der
ihre Lesarten in Vergleich zu denen der übrigen Bücher zu be-
trachten sind, obschon unbedingt wird zugegeben werden müssen,
3G2 Griechische Literatur.
dass sie unter den bis jetzt bekannt gewordenen Codicibns den
ersten Hang behaupten. Nur sollten sie eigentlich nicht luv
drei kritische Instanzen gelten, sondern der Hauptsache nach nur
für eine gezählt werden, da Stellen wie Theaet. p. 208 I)., wo
ein grosses Stück von p. 208. D. bis 209. A. offenbar irrthiimlicher
Weise in allen dreien ausgelassen ist, den klaren Beweis liefern,
dass sie aus einer und derselben Quelle geflossen sind. Eine ein-
leuchtende Correctur der Grammatiker findet sich* in dem Theae-
tet p. 148. ü. 'Alld xr)v B7ii6zr{xui]V, cogneg vvv Öt) lya ekeyov,
Cpixgov xi o'lel tivat tt,BVQslv xa\ ov tcöv nävr7] dxgcov; &. vtj
xov <d£ tyays xal udXct tcöv dxgordrav. Hier haben der Cod.
Clark., Vat. und Ken. IL statt dxgcov die Lesung dxgißcöv,
welche die Herausgeber ohne Weiteres in den Text gesetzt ha-
ben. Allein mag man nun dieses dxgißiov für sich selbst betrach-
ten , oder mag man es nach dem Sinne und Zusammenhange be-
urtheilen, jedenfalls verdächtigt es sich als ein erklärungsweise
für axgcöv substituirtes Wort. Denn schon an sicli ist es nicht
wahrscheinlich, dass für dxgißäv in den meisten Codd. dxgcov
sollte gesetzt worden sein, da nicht der seltenere Ausdruck für
den gewöhnlichen und üblichen, sondern vielmehr umgekehrt die-
ser für jenen von Kritikern und Abschreibern untergeschoben zu
werden pflegt. Allein sicherer noch entscheidet für die Echt-
heit von äxocov der ganze Zusammenhang. Denn Theätet bestä-
tigt die Frage des Sokrates so, dass er das nämliche Wort, was
jener gebraucht hatte, im Superlativus gesetzt wiederholt. An-
genommen dagegen, dass dxgißäv steht, so ist die Antwort des
Theätet nicht recht passend, und man sieht nicht ein, warum er
sich auf einmal des Ausdrucks dxgnxdrcov bedient. Dazu kommt,
dass dxgav mit dem vorhergehenden-: dkkd xt)v eniöDJatjv 6ui-
tegöv xi tivat ol'a, sehr gut zusammenstimmt, während dxgißäv
demselben nicht recht angemessen scheinen will. Sonach ist
dxgißäv nichts anderes als eine etwas hinkende Erklärung von
dxgäv , d. h. xtkeav, was in eben dem Sinne auch p. 152. E. und
201. C. wieder vorkommt, anderer Stellen in anderen Schriften
des Piaton nicht zu gedenken. — Gleiche Bewandtniss hat es
mit den bald darauf folgenden Worten Sectio E. p. 148. ov iisr
drj av ovd' dnakXayfjVcci xov fiikkuv , wo die genannten Bücher
H&kciv lesen, was auch die Zürcher Ausgabe ohne Anstand auf-
genommen hat. Allein ohne Zweifel ist [itkeiv Correctur, die
ihren Ursprung dem Umstände verdankt, dass man übersah, wie
zu xov fiikkeiv aus dem Vorhergehenden wiederholt werden muss
ixaväg xi kiyuv, oder kiyuv o{;rc3g, cog Gv ötaxsksvei, ein
Sprachgebrauch, der nicht nur au sich nichts Befremdendes hat,
sondern auch mit dem Sinne der ganzen Stelle ganz gut zusam-
mentrifft. Denn der Sinn der Worte ist: Heder kann ich mich
überzeugen, dass ich selbst etwas Gehöriges vorbringe, noch
kann ich einen andern die Sache so erklären hören, wie du es
Piatonis opera, recogn. Baiter, Orclli et Winckclmann. 363
foderst; dennoch kann ich auch nriih gar ?iicht davon frei ma-
chen, damit den Versuch zu machen, und gleichsam immer
darauf loszugehen. Denn so muss eben dieses piXkuv verstan-
den werden, was sehr schön den Drang und die Begierde des
Theätetns bezeichnet, welche ihm keine Ruhe liess, die vom
Sokratcs gewünschte Begriffsbestimmung auf die gewünschte
"Weise zu finden. AYie matt nimmt sich nun gegen diese schöne
und energische Bezeichnung das fiiksiv der drei Handschriften
aus! Gewiss nicht eben viel besser, als das in einigen andern
Codd. gefundene ivqhv, wovon Heindorf mit Beeilt urtheilt,
quod nanci non est! Also abermals eine sein sollende Verbes-
serung der Grammatiker, die an der Vulgata Anstoss nehmend
den Text sofort änderten und ihre eigene Correctur, die nichts
als Interpretation ist , dem Piaton zuschoben. — Eine andere
Stelle mehr grammatischer Art glauben wir aus dem Sophisten
beibringen zu können. Hier wird nämlich p. 225. E. gelesen : xal
iL ris av av sltiojv btsqovjovx e^apctQtot nkr}v ys xöv ftavpa-
6xov jiäktv sxüvov ijxsiv av vvv Tttagrov tov ßstadiaxn^isvov
v<p tj^äv ÖwpitiTijv; Allein die Bodleianische, Vaticanische und
Venetianische Handschrift tilgen den Artikel tov vor fiszadicoxö-
(iivov, und die Zürcher Editoren bemerken kurz om. b., d. h. ed.
Bekker Wie kommt es nun aber, dass tov in diesen Handschrif-
ten fehlt? Offenbar nahm ein Kritiker an der Verbindung:
tov &avfiaör6v tov {letadicoxofiavov öoyißTtjv Anstoss und
strich daher den Artikel an der zweiten Stelle ohne Weiteres ans,
wie diess in gleichem Falle zufolge der von uns zuSympos. p.213.
E. und Republ. IX. p. 500. A. gegebenen Nachweisungen auch
an andern Stellen geschehen ist. Also auch hier sicherer Beweis
von willkürlicher Reform des Textes und von nicht zu verachten-
der Lesart in den übrigen Handschriften. — Ebendas. p. 236.
D. ist die Schreibung: ?J 6e olov gvfirj ng vnö tov koyov övvet-
Qlö^bvov Cvvs7i£67iu6(XT0 Ttooq tÖ Ttt%v ^vncpijöai j ganz sicher-
lich echt, und wenn die genannten drei Bücher dafür 6w$i&i6(ie-
vov vvv tTteönäöuTO bieten , so muss diese Lesung bei genauerer
Betrachtung des Sinnes und der übrigen kritischen Momente sich
so klar als hyperkritische Aenderung darstellen , dass wir in der
That nicht begreifen, wie jemand an ihre Echtheit hat glauben
können. Veranlassung hat hier zur Correctur das wiederholte
6vv geboten, was den zartfühlenden Kritikern zuwider gewesen
zu sein scheint. — Doch genug der Beispiele, die wir leicht
aus denselben Schriften vermehren könnten. Denn genugsam
leuchtet ein, wie gerade an solchen Stellen, wo die Lesart jener
Codices etwas für sich zu haben scheint , die grösste Vorsicht ih-
res Gebrauches erforderlich ist.
Wenden wir uns nun mit Anwendung dieser Bemerkungen
und unter Berücksichtigung der oben erläuterten Puncte zur ge-
naueren Durchprüfung einer und der andern Schrift nach ihrem
364 Griechische Literatur.
gesammten Umfange, und suchen hier alle neue und eigentümli-
che Lesarten der Zürcher Edition auf, um so theils ihr Verhält*
niss zu den früheren Texten ins Licht zu stellen, theils zu erfah-
ren , in wie weit in der Kritik wirklich Fortschritte durch sie ge-
macht worden sind. Wir wählen dazu die drei kleinen Schrif-
ten, Euthyphron, Apologie und Kriton, in denen wir die Ab-
weichungen von unserem in der zu Gotha erscheinenden liibJio-
theca Graeca gegebenen Texte möglichst genau aufzählen und mit
einer kurzen Würdigung ihrer Richtigkeit oder Vorzüglichkeit be-
gleiten wollen.
Im Euthyphron also finden wir folgende Stellen wegen eigen-
thümlicher Lesarten bemerkenswert!!. — P. 2. B. ist in den Wor-
ten: ov yeco bkhvo ys yMTayveoöoficu, agöv ystzsgov, das zweite
ys nach 6v getilgt, und dafür der Cod. Bodl. Coisl. Pur. S. W.
und Ven. IL pr. m. als Auetoritat angeführt. Diess reicht nun
freilich nicht aus, da nicht etwa blos fünf, sondern vielmehr elf
Handschriften für die Weglassung der Partikel stimmen. Allein
dabei ist zu bemerken, was der Leser ohne Zuziehung der Bec-
ker sehen und Statlbaumschen Apparate nicht wissen kann , dass
zicanzig andere zum Theil sehr gute Bücher ys. in Schutz nehmen,
und darunter auch selbst ein sonstiger Genosse des CW. Bodl.
Wie soll nun hier entschieden werden'? Sicherlich nicht nach
dem zufälligen Umstände, dass der Cod. Bodl. in der Weglassung
der Partikel mit einigen andern Handschriften schlechtem Gelich-
ters zusammentrifft. Vielmehr entsteht die Frage, welche innere
Gründe sich für die Beibehaltung oder Ausstossung des Wortes
beibringen lassen. Und fasst man diese Frage ins Auge , so er-
giebt .sich sofort, dass ys nach aller Wahrscheinlichkeit echt ist.
Denn es hat an beiden Stellen seine Kraft und Bedeutung. Allein
die unmittelbare Wiederholung war den Kritikern, wie so oft
auch in neuerer Zeit der Fall gewesen , ein Stein des Anstosses,
den sie nun entfernen zu müssen glaubten , nicht ahnend , dass
sie eben damit erst recht anstossen würden. — Ibid. B. haben
die Herausgeber die alte Lesart: st xiv iv vcö £#as, beibehalten,
und dazu nur die Bemerkung gemacht, iv om. c. i. e. ed. Staub.
AVer kann nun aber wohl aus dieser Anmerkung auch nur vennu-
then, dass die Lesung der Edil. c. die fast sämmtlichcr Hand-
schriften ist, und dass iv kaum in einem Cod., durch Correctur
hergestellt, sich vorfindet*? Dass sl xiva vcö sföig, si quem matte
lenes, i. e. si quem meministi , richtig gesagt und iv aus blosser
Correctur hervorgegangen ist, beweisen ganz sicher die aus De
Kep. VI. p. 490. A. und Herodot. V, 92, 7. von uns verglichenen
Beispiele dieser Redeweise, zu denen wir jetzt noch einige an-
dere hinzufügen könnten. — Pag. 4. B. ov ydo av nov vtcbq
ys äkkoTQLOv sjts£,yjsi6&a epovov avrcö , haben die Zürcher Edi-
loren mit dem Bodl. Coisl. Par. S. und Ven. II. pr. m. geschrie-
ben: ov yao äv iiov ys vittQ dlKotQiov k. r. h Erwägen wir
riatoniä opera , recogn. Buiter, Orelli et Winckclmaiin. 365
indessen theils den Sprachgebrauch, Iheils die Veranlassung der
Umstellung der Partikel, so können wir auch diese Veränderung
nicht gut heissen. Offenbar gehört ys dem Sinne nach zu dlXo-
rgiov. Die Grammatiker nun, übersehend dass es in solchem
Falle auch der zum Nomen gehörigen Präposition beigefügt zu
werde« pflegt, stellten das Wörtchen, weil es sich nicht mit
viiiQ zusammen vereinigen licss, herüber nach nov , um ihm so
irgend eine Geltung und Bedeutung zu verschaffen. Allein dass es
hier weniger an seiner Stelle steht als nach yntg, das scheint ih-
nen entgangen zu sein. Richtig ist daher die Lesung der übrigen
Codd. — P. 5. B. wird nach dem ßodl. Ven. IL Coisl. und ei-
nigen andern Buchen» gelesen: tl ägee (iE enixsiQtjösts ygdepe-
6&cu. Allein richtiger ist sicherlich die Schreibung */*£, die
auch der Vat, und Tab. mit unzähligen anderen Büchern in Schutz
nehmen. Denn nachdem Sokratcs dem Eutin phron zu erkennen
gegeben, dass er von Meletus der Gottlosigkeit angeklagt wor-
den, macht ihm dieser mit stolzer Selbsterhebimg bemerklich,
wie er, Euthyphron, einem solchen Ankläger schon zu begegnen
wissen werde. Wahrlich , sagt er, o Sakrales, wenn er es ver-
suchen sollte, mich anzuklagen (der ich nämlich ein ganz an-
derer Mann, wie dn^ sein würde), so würde ich, glaube ich,
bald seine verwundbare Seite auffinden, und es würde eher
von ihm im Gericht gehandelt werden als von mir. Wer sieht
hier nicht, dass der Nachdruck des Gegensatzes den Gebrauch
der Enclitica als unzulässig erscheinen lässt'J — Ibid. p. 5. C.
liefest es vom Meletus: las Öe ovzcog oUcog attyvcog xcd (jadiag
xarüdev, togts aötßtiag fypa^'ctro. Hier lässt der Cod. ßodl.
und pr. ?n. f en. IL mit mehreren anderen Handschriften dxs%vag
aus, und die neue Ausgabe schlicsst es in Klammern ein. Aber
mit vollem Rechte schützen dasselbe die übrigen Bücher. Denn
nur eine Grille der Grammatiker oder auch Unverstand derselben
hat das Wort entfernen heissen. Man sah nämlich nicht ein, dass
es zum vorhergehenden ovrcog 6t,Bcog gehört und erklärt werden
muss: so wahrhaft scharfsichtig , tarn plane acute; tarn acute
prorsns. Hat man diess gefasst , so kann es Keinem in den Sinn
kommen, an der Echtheit der zeitherigen Lesung zu zweifeln,
obgleich Kec. selbst früher, ehe er die richtige Deutung der
Worte auffand, in gleichem Irrthume befangen war. — P. (>.
A. gestehen wir, immer noch nicht zu begreifen, wie das Imper-
fectum xarimvzv zu rechtfertigen sei. Die Herausgeber haben
es indessen festgehalten, ohne dem freilich nur durch wenige
Codd unterstützten xazenisv ihren Beifall zu schenken. — P. 7.
A. ist si fiivroi dXrj&ig toi änexgLva wohl die einzig richtige
Lesart Die Vulgata lautete et [livrot cog ufoftäg. Der Bodle-
janische und Vaticanische Codex, sowie mehrere andere, lassen
cog weg. Aliein äfaföäg dnoxQivEöüui heisst vere oder re vera
respondere , was nicht in den Zusammenhang passen will. Der
366 Griechische Literatur.
Sinn erfordert offenbar folgenden Gedanken: Ob du jedoch et-
il) a s Wahres geantwortet hast , weiss ich noch nicht. Das
heisst aber dlri%\g djtenQLVco. "Verderbt ist diese Lesart offen-
bar von denjenigen, die nicht wussten, dass das Neutrum der
Adjectiven nicht selten so ohne ein hinzugefügtes xi als Object
im Accusativus gebraucht wird, eine Bemerkung, deren Bestäti-
gung wir anderwärts durch Beispiele in hinlänglichem Maasse ge-
geben zu haben glauben. — P(lg' 7. 0. lesen die Herausgeber
mit dem Bodl. Fat. und andern guten Handschriften £%9qoi t S
äv äklrjXoig slfiEV^ was auch die Vulgata hat, während ed. b. c.
für TS ein ye hergestellt haben. Und allerdings geben wir zu,
dass te das Meiste für sich hat, obgleich ys, von mancher Seite
betrachtet, auch nicht- wenig Verteidigung finden dürfte. Doch
hierüber wird sich schwerlich etwas Sicheres ermitteln lassen. —
Anders urtheilen wir über p. 8. E. , wo die Herausgeber statt to
ys xsq/ulctiov mit dem Bodl. und fünf anderen Handschriften to
xtcpüXcuov geschrieben haben. Denn 1) passt hier ye ganz gut in
den Zusammenhang und wird beinahe durch denselben als noth-
wendig bedingt; 2) beweist die Stelle des Phileb. p. 48. C. nur
soviel, dass es unter Umständen auch fehlen könne; 3) wird das
Partikelchen durch den Cod. Fat. und Tub., welche au Bedeut-
samkeit den besten nicht nachstehen, sowie durch viele andere
Bücher, empfohlen und in Schutz genommen. Und dazu kommt
noch, dass 4) die Ursache der Weglassung klar vor Augen liegt.
Denn der Umstand, dass es zweimal ganz in der Nähe steht,
scheint wieder den Kritikern missfällig gewesen zu sein, und seine
Weglassung veranlasst zu haben. Sonach gebietet die Vorsicht
allerdings, die Vulgata nicht sofort zu verändern. — Ibidem E.
haben die Herausgeber, dem Bodl. Ven. II. und 8 anderen
Handschriften folgend , die sie indess nicht alle namhaft gemacht
haben, statt "I&t, rotvvv — dida^ov geschrieben "I&t vvv — öt-
öu^ov. Allein vvv scheint hier weniger passend, da Sokrates
nicht erst jetzt eine Belehrung über das Wesen der Frömmigkeit
verlangt, sondern vielmehr aus dem Umstände, dass die Meinun-
gen der Menschen darüber verschieden sind , die Folgerung her-
leitet, dass eine solche von dem Mitunterredner mitzutheilen sei.
Sollte hier nicht der Itacismus den Irrthum veranlasst haben?
Denn die letzte Sylbe des vorhergehenden Wortes konnte sehr
leicht den Ausfall von Tot herbeiführen. — Pag. 10. B. wird
mit dem Cod. Bodl. Par. S. W. ye nach Siöxi ÖQcipzvov heraus-
geworfen. Und dennoch ist gerade an dieser Stelle, wo die Ar-
gumentation gleichsam, ihren Culminationspunkt erreicht hat, die
Partikel so zweckmässig eingesetzt, dass wir wenigstens an ihrer
Echtheit nicht im Geringsten zweifeln mögen. Unmöglich aber
will es uns scheinen, dass sie sollte von Grammatikern oder Ab-
schreibern eingeschoben sein , da dergleichen Wörtchen eher von
diesen weggelassen als hinzugesetzt zu werden pflegen, besonders
i'latouia opeca, recogn. Baitcr, Orclli et vYiiickcliiiunn. 3()7
an Stellen, wo sie durch längere Argumentationen bedingt sind.
Kurz nachher ist unbemerkt geblieben, dass die Form sfiepa-
%iiku erst von neueren Editoren aus guten Codd. hergestellt wor-
den. Eben so ist P. 14. A. die Lesart sämmtlicher Handschriften
sgyaöiag statt aniQyaGiaq mit Stillschweigen übergangen, wobei
wir überhaupt die Bemerkung zu machen uns erlauben, dass die
Lesarten des Bodl, Fat. und Venet. nur hie und da, aber kei-
neswegs vollständig mitgethcilt werden, ein Punkt, über den die
Herausgeber sich nicht erklärt haben. — Pag. 15. B. wünscht
Hr. Prof. Winikelmann statt nsgiiovraq aus dem Bodl., Coisl.
und pr. Ven. LI. tcequovtu aufgenommen zu sehen. Wir glauben
indessen doch, dass die Vulgata den Vorzug verdiene, da ein
solcher Uebergang vom Pluralis zum Singularis sich kaum möchte
rechtfertigen lassen. Sehr vorsichtig ist es daher gehandelt, dass
im Texte die gewöhnliche Lesung beibehalten worden ist. — So
viel über die im Evthyphron vorkommenden eigenthümlichen Les-
arten dieser neuen Edition. Fügen wir nun zunächst die in der
jdpologie des Sokrates neu restituirten Lesungen hinzu , um so
die kritischen Leistungen der Herausgeber noch mehr in das ge-
hörige Licht zu stellen. Wir legen hier wieder unsere Gothai-
sche Ausgabe bei der Vergleichung zu Grunde, nicht als ob wir
dieselbe für die vorzüglichste gehalten wissen wollten, sondern
weil sie die letzte ist, die mit vollständiger Benutzung des vor-
handenen kritischen Apparates unternommen werden konnte, und
somit am deutlichsten zeigen kann, wie weit die zunächst ge-
folgte Edition in Umgestaltung des Textes weiter vorwärts ge-
schritten ist. Im Ganzen wird sich, wie wir glauben, auch hier
das oben gegebene Resultat herausstellen, dass die Editoren in
ihrem Vertrauen auf die Vortrefflichkeit einiger vorzüglichen
Handschriften, insbesondere der Bodle janischen oder Clarkischen,
etwas zu weit gegangen sind und mehr kritischen Skepticismus
hätten in Anwendung bringen sollen. — Gleich au der ersten
Stelle, wo sie von anderen Ausgaben abweichen, p. 17. C. , be-
dauern wir, ihrem Urtheile nicht beitreten zu können. Hier
schreiben sie nämlich mit dem Bodl., Vat. IL., Par.D. C. Iva
vpav Ttokkol dxtjxoaöi , während sonst oi TtoXKol axrjxöccöi ge-
lesen wird. Allein lässt man den Artikel weg, so hat der Ge-
danke des Sokrates gar zu wenig Kraft und Nachdruck. Sokrates
redet zu Mitbürgern, die ihn auf der dyogej wohl sämmtlich ge-
hört haben konnten. Nicht also viele, sondern wenigstens die
meisten der Hcliasten hatten dort Gelegenheit gehabt, seinen
Unterredungen mit beizuwohnen. Demnach ist ot nolkol, was
eben auch sehr gute Handschriften darbieten, gewiss die richti-
gere Lesart, und es will uns bedünken, dass der Artikel von Hv-
perkritikern getilgt worden sei, denen ea.su ruhmrednerisch zu
klingen schien, wenn Sokrates von sich aussagte, dass die mei-
sten seiner Richter ihn öffentlich zu hören Gelegenheit gehabt
368 Griechische Literatur.
hätten. Man vergleiche aber p. 19. D. fiägzvgag avzovg vf.icov
xovg noXXovg 7iagh%o}iai; wo niemand den Artikel auszutilgen
gewagt hat. — Ibid. p. 17. D. lesen die Herausgeber mit dem Bodl.
Par. JJLT. vvv öe syca tcqcözov inl dixuözrjgiov avaßißtjaa hrj
ysyovag Eßdofirjytovru. Die übrigen Ausgaben fügen mit den bei wei-
tem meisten und zum Theil ebenfalls trefflichen Handschriften vor
tßdoiDjKovTu das Wort TiXtLa hinzu. Für die Weglassung desselben
scheint die Stelle im Kritonp. 52. E. zu sprechen, auf welche sich
auch die Herausgeber berufen. Allein genauer betrachtet, beweist
dieselbe so gut wie nichts, da dort überhaupt siebzig Jahre als Beweis
des hohen Alters genannt werden. Hier dagegen steigert Sokrates
noch den Begriff des letztern, und setzt uXeLco hinzu, weil er bereits
das siebzigste Lebensjahr überschritten hatte. Vielleicht gab aber
die Stelle des Kiiton den Kritikern Veranlassung, das sonst gelesene
itXeLcö nach eigenem Verdammungsurtheile zu vertilgen. — Ibid. p.
18. II. haben allerdings die meisten Codd. X6agu.lv yag %tig(ov ; doch
scheint die Vulgata l'öwg u.tv ydg xt yjklgav aus innern Gründen
viel für sich zu haben. Hier möchte also das Urtheii über die
Wahl der Lesart allerdings schwanken. — Ibid. p. 18. B. ist aus
dem ISodl. I en. II. Find. Cß. Par. DL. hergestellt worden:
aal xaziqyögvvv eu^ov fiäXXov ovdlv «A^frig, während sonst
päXXov vermisst wird. Allein die verglichnen Worte p. 18. B.
xea yccg vfitlg iauvatv tfxovöazs xaztjyogovvzai', aal ttoXv
[läXXo v 7] rcovds zäv vözsgov , scheinen nicht geeignet, jenes
fiäXXov zu rechtfertigen, was hier vielmehr aus einem Glossem
entstanden sein möchte, dabei aber jedenfalls etwas ungeschickt
in die Bede eingefügt ist. — Ibid. p. 18. C. schreiben die Heraus-
geber nach Ileindorfs Conjectur: ovzoi, e3 ävdgsg 'AftijvaloL , oi
xavzr\v ti]v q>r]Hi]V xazaöxtÖccöavzsg , oi Önvoi döt (iov
aazriyogoi, während sonst der Artikel oi vor zavzrjv weggelassen
wird. Und in der That können wir uns von der Notwendigkeit
desselben auf keine Weise überzeugen. Denn verbindet man das
Participium mit den nachfolgenden Worten, so bezeichnet es höchst
passend die Ursache von dem in denselben enthaltenen Urtheile,
und die Stelle bekommt folgenden Sinn: Dieses, ihr Alheniensei\
sind jene schrecklichen Ankläger von mir , indem sie solches
Gerücht ausgestreuet haben. Was ist wohl gegen diesen Gedan-
ken einzuwenden'? — P. 19. B. ist für aal zu inovgävia geschrie-
ben xal ovgüvia, wie im Bodl. len. Par. DL. gelesen wird.
Indessen scheint doch movgavia dem entgegengesetzten zu vno
yrjg besser zu entsprechen. Ob der Artikel aber nöthig sei oder
nicht nöthig, wollen wir dahingestellt sein lassen. Vielleicht ist
die Schreibung des Bodl. entstanden aus aal zänovgävia: we-
nigstens wird hieraus die ganze Abweichung vom gewöhnlichen
Text leicht erklärlich. — Ibid. p. 20. C. ist syay ovv aal avzög
statt eyco yovv aal avzög hergestellt worden, während Bodl. I cn. IL
Vind. 0. tyä ov aal avzög darbieten. Wir halten die alte Lesart
Piatonis opera, recogn. Baitcr, Orelli et Winckelniann. 369
für die einzig richtige. Denn Sokrates will sagen : Wenigstens
ist so viel gewiss, dass ich mich glücklich preisen ivürde ; nicht
aber: ich für meine Person also würde mich glücklich prei-
sen. Sonach ist iya yovv beizubehalten, und yovv, wie oft, mit
ovv verwechselt worden. — Ibid. p. 23. A. wird mit den öfters
namhaft gemachten Codd. nach oi ccvöqeq ausgelassen 'A&qvaloi.
Die Weglassung erklärt sich , wie Rec. mehrmals in seinen Com-
mentarien erinnert hat, sehr leicht paläographisch , und fordert
eben deshalb eine um so vorsichtigere Beurtheilung. Jedenfalls
ist die Hinzufiigung von 'A&rjvcäoi weniger leicht zu erklären.
Das nämliche gilt auch von p. 30. B. 33. C. 36. B. 37. D. u. a. —
P. 24. A. haben die Herausgeber die Schreibung ort äktj&rj bei-
behalten, während die neuern Editionen mit Bas. 2. und nicht
wenigen guten Handschriften Zti rufoföij lesen. Die äussere
Auctorität streitet für jenes; innere Gründe scheinen uns letzteres
mehr zu empfehlen. Doch an sich ist die Sache nicht von Belang,
da der Sinn jedenfalls derselbe bleibt. — Ibid. p. 24. C. billigt
die neue Ausgabe das alte iya ds, co ccvöqes 'A&., während neu-
lich iya ds ys aus guten Handschriften , unter die auch der Bodl.
gehört, wiederhergestellt worden ist. Innere und äussere Gründe
geheinen uns für ds ys zu streiten , dessen Bedeutsamkeit an die-
ser Stelle nicht zu verkennen war. — P. 24. E. lässt sich das aus
dem Bodl. Ven. II. Par. I)LT. zurückgerufene jiolovöl wohl
rechtfertigen; aber ganz entschieden möchten wir es doch dem
gewöhnlichen noislv nicht vorziehen , zumal da dieses auch durch
den. Vat. /l und Tubing. geschützt wird. An sich betrachtet, ist
beides erträglich. — Ibid. p. 25. E. ist statt der von Bekk. und
Stallb. hergestellten Lesart: ij si duxcp&SLQG), äxcov, der alte
Text Mieder zurückgerufen: q dtacp&siQa, äxav, wir begreifen
in der That nicht , warum. Denn 1) findet sich ü in den besten
Codd., und auch in dem Bodl., dem doch sonst die Herausgeber
möglichst Gehör zu schenken pflegen; 2) ist die Hinzufügung des-
selben dem Sinne des Sokrates ganz entsprechend , da er sich für
einen Jugendverderber durchaus nicht angeschen wissen will; und
3) ist die Ursache der Auslassung des Wörtchens nicht eben weit
zu suchen: man stiess es aus, weil man, durch Mangel der Inter-
punetion getäuscht , nicht sofort einsah, dass zu uxav das Verbum
öiacp&eiQd) zu wiederholen sei. — Pag. 27. C billigen wir ganz
die hergestellte Lesart vopi&tv y,h hötiv , wofür bis jetzt ge-
schrieben wurde vo^i^etv spi eöziv. Die enclitische Form des
Pronomens wird durch den Sinn und durch die Zeugnisse der
Codd. hinlänglich empfohlen. Allein ebendas. E. werden wir ij
vor aal mit Forster so lange für unecht halten, bis nachgewie-
sen sein wird , dass die Maulesel von Pferden oder auch von Eseln
allein erzeugt werden. Durch Hrn. Prof. Winckelmanns Conjc-
tur: i)yolz ij iizjzcov aal ovav, wird die Sache nicht gebessert. —
Pag. 28. B. ist örav jzqcczz}] für özav nguzzy xi oder qxq.v xi
X. Jahrb. f. Phil. u. Facd.od. Krit. üibl. Bd. XXVIII. llft.'l. 24
370 Griechische Literatur.
itgccTT]] gesetzt, allerdings unter fast einhelliger Beislimmung der
Codd. Allein immer noch zweifeln wir, ob ngättuv in solchem
Sinne ohne Accusativ des Objects üblich sei, obgleich es sonst,
z. B. wenn es heilst: Staatsgeschäfte treiben , auf diese Weise
gesetzt zu werden pflegt. Auch Fr. Aug. Wolf war der Meinung,
dass hier ein Fehler stecke, und schlug daher statt oxuv zu lesen
vor 6' xi «v, was indessen keine Handschrift bestätiget hat. —
Pag. 28. D. ist ßeXxiöxov tlvcci für ßekxiov ilvai beibehalten,
und wohl nicht mit Unrecht, da für den Superlativus die Aucto-
rität der Handschriften sehr stark spricht. — Pag. 29. B. ist
<poßy]6o/.i,ai, beibehalten, während Vat. Veit. II Par. DL., also
gerade der gute Stamm der Handschriften , q)oß)förJ60Liai bieten,
was vielleicht auch, — wir erlauben uns diese Vermuthung — in
dem Bodl. stehen dürfte. Die Medialform scheint ihren Ursprung
dem folgenden (psvl~0{iotL zu verdanken. Ist der von uns ander-
wärts erörterte Unterschied zwischen der Medial- und Passivform
hinsichtlich der Bedeutung gegründet — m. s. zu Parmenid. p.
141. E. — so wird qioßrj&rjöo^at, den Vorzug verdienen. — Pog.
28. E. ist richtig a^qpiöß^rj] aus den bessern Handschriften gege-
ben , während andere Ausgaben d(iq)i6ßr]xrj(5r] festhalten , was wir
jetzt ebenfalls verwerfen. Eben so richtig ist p. 33. M. für ei de
rig e^iov Keyovxog geschrieben ei de xlg pov keyovxog; ein Paar
kleine, aber immerhin dankenswerthe Verbesserungen. — Pag.
30. D. wird die Vulgata ovxog töcog oXexcti festgehalten, während
die neuern Editionen richtig unter Zustimmung der besten und
meisten Handschriften ovtog pev Yöcog oXexai billigen. Was war
die Ursache, warum die Herausgeber (isv verschmäheten , da doch
nachher syco d' ovx oXo^ca nachfolgt? glaubten sie, dass ^iev der
handschriftlichen Unterstützung und Empfehlung ermangele? oder
bestimmte sie nur das Zeugniss des Bodl., was doch hier wieder
etwas verdächtig erscheint? Doch, wie sich auch die Sache ver-
halten mag, jedenfalls hat [tev so viel für sich, dass ihm die Auf-
nahme nicht fernerhin zu verweigern war. — Pag. 32. A. lesen
die Herausgeber mit Stepkan. (itf vneixcov de a(.ia aal ä}i äv
anoKoi^iriv. Wir können uns von der Richtigkeit dieser Lesart nicht
überzeugen. Gleich beim ersten Anblick urtheilten wir, dass das
zweite ä{i äv aus einem Glossem geflossen , wodurch angedeutet
werden sollte, dass «V auch in diesem Satzgliede verstanden wer-
den müsse. Und wirklich lassen es nicht wenige Handschriften
aus, denen unbedingt Folge zu leisten war, wenn man nicht ecua
xciv ccTtolot'ixrjV herstellen will. — Pag- 33. C. wird gut %ai e%
{lavxeiav für xal e% {ictvxeicov nach Handschriften emendirt.
Aber ebend. D. hätte nach vvv tieiuvrjöd'ai das hässliche Glos-
sem, xed xiucooeLö&cu, trotz der Zeugnisse vieler Codd., nicht
wieder hergestellt werden sollen. Es leuchtet von selbst ein,
dass die Worte aus dem Vorhergehenden wiederholt sind und zur
Erklärung von vvv ^isfiv^ö&ai dienen sollten. — Ebendas, E. hat
Piatonis opera, recogn. Baker, Orelli et Winckelinann. 371
wohl Hr. Prof. Winckelmann das Wahre getroffen, wenn er
©so^oxiöov schreibt, was freilich nur eine einzige Handschrift auf-
bewahrt hat. — Pag. 34. C. liest die neue Ausgabe mit Codd.Bodl.
Ven. II. Par. DST. xd% ovv xig xavxa svvor}6ccg avftccdeßTEQOv äv
Tcgog ft£ ö^ot'j;. Wir ziehen unbedingt die gewöhnliche Lesart
Tax av °vv TlS K« %' A. vor, weil sich auch hier die Ursache der
Aenderung von selbst verräth. Eine Handschrift hat xd% ovv
äv , nach einer sehr häufig vorkommenden Variante, — Ebendas.
D. haben die Herausgeber die Vulgata wieder hergestellt : enisi-
arj (tot, doaäitgog xovxov ksysiv, keycov öxt 'Epoly cJ aptörg,
a. x. A. was freilich durch die Zeugnisse der Handschriften so
unterstützt wird, dass es rathsam sein möchte, die Bekkersche
Lesung Köyov statt Xsycöv wieder herstellen zu lassen. Aber gleich
nachher ist aal vliig ys unzweifelhaft das richtige, wie wir in
unsern Commentarien hinlänglich dargethan zu haben glauben.
Auch hier möchten wir annehmen , dass im Bodl. u. a. unzeitige
Kritik die echte Lesung zerstört hat. — Pag. 35. D. wird die
Lesung: alX ovv dedoay^iBvov yi hört xo v ZdAgärrj dtacvsotiv
xivl xcöv 7roAAe5v, aus den Handschriften II «PCL. , die zum
Theil corrigirt sind , so abgeändert, dass statt xöv im Neutrum
TÖ geschrieben wird. Abermals eine verfehlte Correction , die,
abgesehen von den Zeugnissen der Handschriften, auch wegen
des Sinnes der Worte der altern Lesart jedenfalls nachgestellt
werden muss. Denn der Artikel xbv bei Ztaxoäxr} ist hier ge-
rade recht sehr bedeutsam, während man nicht einsieht, warum
der Begriff von diaysosiv durch Hinzusetzung des to soll hervor-
gehoben werden. Der Sinn ist nämlich dieser: Aber es ist nun
einmal herrschende Meinung, dass der bekannte Sokrates vor
manchem Manne des Pöbels sich auszeichne. — Pt'g- 35- B.
wird in den Worten: xavxa ovre rjuäg %or} noistv xovg doxovv-
xag aal bxiovv livai , ovx , äv tjfisig izoio5[isv , vfiäg inixQB-
oxsiv, von einem der Herausgeber die Lesung der ed. Stephan.
vfiäg xqtj noulv in Schutz genommen. Aber spricht nicht schon
das eingeschobene av jjjmg Ttoiäfisv laut genug für die Richtig-
keit des »Jftßg ? Gewiss ist also mit vollem Rechte das zuerst von
Bekker zurückgerufene ^päg im Texte beibehalten worden.
Pag. 35. C. lesen die Herausgeber mit den Codd. Bodl. Ven. II.
Vind. 0. Par. DLT. akkcog xs iiivxot, vrj z/ta ndvxag aal döe-
ßiiag tpivyovxa. Die übrigen Handschriften sind über die
Schreibung der Stelle sehr uneins. Gewiss scheint indess, dass
fisvxoi vr) Aia nicht wohl in dem ersten Satzgliede stehen kann.
Die Formel hat einen ironischen Gebrauch , und gehört schon
deshalb dem zweiten Redegliede an. Sollte daher nicht zu schrei-
ben sem: a'AAtog xe nävxag ^äktöxa (xivxoi vrj Ala aal döeßtlag
yhvyovxul Wenigstens scheint ein Theil der Handschriften zu
dieser Kmendation hinzuführen. — Pag. 36. A. schreibt die neue
Ausgabe: ti XQidaovxa (tovai luiintGov, während sonst ü xoelg
24*
372 Griechische Literatur.
liovai [iZTejreöov , und lässt also sieben und zwanzig Stimmen
mehr gegen den Sokrates fallen, als gewöhnlich angenommen
wird. Allerdings wird auch so in den Bodl. Ven. II. Par. BCDS.
gelesen. Auch der Vatic. liest so, was die Herausgeber uner-
wähnt lassen. Die Sache ist schwer zu entscheiden, ob wir
gleich dem , was Bückh irgendwo darüber auseinandergesetzt hat,
im Ganzen beitreten müssen. Will man daher einen wenigstens
nicht gefährlichen Weg gehen, so thut man allerdings wohl, sich
an die Zeugnisse der bessern Bücher zu halten ; so hat man we-
nigstens, im Fall eines Angriffs, noch immer einen ziemlich
sichern Kückenhalt. Aus dem oratorischen Standpunkte die Sa-
che betrachtet, wird freilich rgug stets probabler scheinen müssen.
Aber auch der Umstand , dass gerade die genannten Codices
nichts anderes bieten, als zum Theil sehr kühn uud frei geänderte
Texte der Grammatiker und Kritiker , dürfte wohl mit in Erwä-
gung gezogen werden müssen. Hatten die letztern vielleicht an-
dere Nachrichten aus dem frühem Altertlmm vor Augen, nach
dem sie den Text des Piaton umgestalteten ? oder meinten sie
vielleicht gar, dass drei Verurtheilungsstiramen doch etwas zu
wenig seien, und hielten es daher, zur Vermeidung der Hyper-
bel, mit kritischer Kälte und Nüchternheit für rathsam, an ihre
Stelle dreissig unterzuschieben'? Wie dem auch sei, jedenfalls
können wir uns noch nicht davon überzeugen , dass hier unbe-
dingt den Zeugnissen des Bodl. und Consorteu Glauben beizu-
messen sei. — Pag. 37. C. lassen die Herausgeber den Sokrates
also fragen: 'Ahkd dr] yvyfjg tifirjö o (tai ; sich wieder auf das
Zeugniss des Bodl. stützend. Wir dagegen können nicht umhin
die Lesung der übrigen Bücher: kXXu Örj g>vyi]g tiarjö o [loa;
für die einzig richtige zir erklären. Denn durch den Iudicativ des
Futurums zeigt Sokrates an , dass er sich selbst für einer solchen
Strafe nicht würdig erkennt, was ganz und gar dem Tone seiner
übrigen Kede entsprechend ist. Der Conjunctiv rührt unstreitig
von Kritikern her, denen das vorhergehende f'Xa^iai vor Augen
schwebte. — Pag. 38. D. wird statt der Vulgata: ol uv v{ilv
[isv ydiöz' i\v (xkovslv, mit dem Cod. Bodl. Par. DLT. geschrie-
ben: ol uv vj.ilv ijdiGT ukovelv. Gewiss aber haben die Urhe-
ber des in diesen Büchern gegebnen Textes {isv ausgestossen,
weil sie kein demselben entsprechendes de nachfolgen sahen.
Dennoch spricht Alles für die Echtheit des Wörtchens. Denn
1) sieht man nicht wohl ein , woher es hätte eingeschwärzt wer-
den können; 2) schützen es alle andere, und zum Theil nicht
weniger gute Handschriften, als die eben genannten sind, und
3) ist dieses {isv uvavta7t68otov in der That ganz an seiner
Stelle, wie jedem eine genauere Betrachtung des Sinnes und des
Zusammenhanges zeigen kann. Sonach wird es auch nach den
Regeln einer vorsichtigen Kritik fernerhin beizubehalten sein. —
Pag. 39. B. ist nach Heindorfs Vcrmuthung für sycoys berge-
Platoniä opera , recogn. Hulier, Orelli et Winckelraann. 373
stellt lyco ts, eine Veränderung, deren Notwendigkeit wenig-
stens sehr problematisch sein dürfte. Wie sich die gewöhnliche
Lesart der Bücher schützen liisst , wird jeder sofort fühlen , wenn
er die Stelle so liest , dass er yal ovtol nach einer kleinen Pause
und mit einigem Nachdrucke dem Vorhergehenden hinzufügt. —
Gleich nachher lassen die Editoren ovv in den Worten, xavta
(.tev ovv ttov Xöcog ovtco xai eöei tf^stv, mit den schon oft er-
wähnten Codd. aus. Soll aber etwas getilgt werden, so möchten
wir lieber nov in Wegfall gebracht seilen. Doch kaum dürfte die
Yulgata überhaupt zu verändern sein. Dagegen ist im Folgenden
HQydöaöds für tiQyaö&s wohl das Richtige. — Pag. 41. A. ist
der Text gesetzt: tovg dhföcog dinaördg, was der Cod. Bodl.
von erster Hand und Cod. Ven. II. nebst 3 Pariser Handschriften
bieten. Allein nicht ohne Grund hat Hr. Orelli dieser Lesart
seinen Beifall vorenthalten, und das gewöhnliche, auch von Sto-
hüus geschützte, tovg cog dfaföcög d., für vorzüglicher erklärt.
— Eine glückliche Besserung ist es endlich zu nennen, wenn
p. 41. A. das Punctum vor ndvrcog, und nicht nach diesem Worte,
gesetzt wird. — Dieses sind etwa die Stellen — und wir glauben
keine von Bedeutung übersehen zu haben — an welchen die Her-
ausgeber eigenthümliche Lesungen in ihren Text aufgenommen ha-
ben. Wir fügen versprochener Maassen noch dergleichen aus dem
kleinen Gespräche Criton hinzu. Hier ist gleich der Anfang nach
den Handschr. <Z> ^FDS. verändert, indem statt : TL rrjvixdds dq>l%ca,
co Kqitcov; ij ov itgco tri htitlv; geschrieben wird: Ti trjvmdÖE
depitea, co Kqitcov; ij ov noep sönv; Aber um keinen Preis
möchten wir hier ert missen , ohne dessen Hinzutreten dem So-
krates eine gar wunderliche Frage in den Mund gelegt wird.
Denn lässt man das Wort weg, so ist der Sinn seiner Rede fol-
gender: Warum, mein Anton, bist du so zeilig gekommen^
oder ist es nicht f ruh d. i. Früh zeit? Gleich als ob Sokrates
fragen könnte, ob es früh oder ob es Tag sei! Richtig dagegen:
ist es nicht noch jetzt früh, so dass der Tag noch gar nicht
angebrochen ist? Diese INüancirung der Frage ist durch das vor-
hergehende rrjvixdde beinahe nothwendig bedingt, und Hr. Orelli
hat ganz richtig den gewöhnlichen Text in Schutz genommen. —
Pag. 45. D, lesen die Herausgeber mit dem Bodl. Ven. TL Par.
DL.ij ydg ov %or] jrotaö&cu naidag rj ZvvdiuTabaincoQiiv, wäh-
rend sonst xgi}v geschrieben wird. Aber sicherlich ist letzteres
besser, da die unmittelbare Beziehung der Worte auf den Sokra-
tes, die der Nachdrücklichkcit dieser Itedc ganz angemessen ist,
sonst verloren geht und eine allgemeine Sentenz hier eingescho-
ben werden würde. Die Grammatiker änderten %Qy)v, weil aller
dings %\\ rj £vv d lcct aXanjcoQilv das Präsens aus demselben hinzu
zu denken ist, ein Sprachgebrauch, der an sich durchaus nichts
Befremdendes zu haben scheint. — Pog. 47. (7. lesen die Heraus-
geber mit dem Bodl. Ven. IL tat. und andern Büchern: dnu-
374 Griechische Literatur.'
&q<5ag 8e xcß sv\ xccl dn^iaöccg avxov tyjv 861-ecv nal tqvg Intti-
vovg , Tifiijöccg dl xovg xcöv noXXäv koyovg — ag' ovöev
occckov itEiöercu; In den übrigen Büchern so wie in allen frühem
Ausgaben fehlt Xoyovg. Und in der That halten wir dasselbe für
einen willkürlichen Zusatz der Kritiker , denen wir die in jenen
Handschriften gegebene Recension des Textes zu verdanken ha-
ben , und erkennen darin einen neuen Beweis , dass dieselben gar
oft eigenmächtig bei ihrem kritischen Geschäft verfahren sind. —
Das bald nachher aufgenommene dtoXkvH hätte, besonders bei
so schwacher Beglaubigung durch Handschriften , nicht so rasch
gebilligt werden sollen. — Pag. 47. D. möchte doch wohl xavxrjv
vor avxqv den Vorzug verdienen, da mit Verachtung von der
Meinung der grossen Menge gesprochen wird , und ovxog be-
kanntlich, wie das lat. iste , zum Ausdrucke derselben zu dienen
pflegt, wie z. B. Apol. p. 17. B. C. Criton. p. 45. A. Sympos. p.
181. E. u. a. Freilich hat der Bodl. und Ven. 27., so wie andere
sonst gute Codd., diese Lesart nicht; aber woher soll das sonst
in solcher Verbindung nicht so häufige xavxrjv in andern Hand-
schriften entstanden sein*? Innere Gründe sprechen jedenfalls für
seine Aufnahme. — PagAS. B. wird gelesen E^ioiyE öoxbl ö^oiog
Bivcci , wie schon Ed. Stephan, hat. Allein exl vor öfioiog bieten
der Ven. II. Par. D. und einige andere Codd. gewiss nicht un-
passend dar. Doch mag es wegen überwiegender Auctorität der
andern Handschriften füglich entfernt bleiben. Ein Gleiches
kann gelten von p. 50. D. xl syxcdäv r)yilv xe xcu xt] hoXei, wo
die Herausgeber xe getilgt haben , so wie ebendaselbst von aAaju-
ßavs , wofür andere Editionen sXaßE bieten ; denn allerdings lässt
sich hXa^ßavE mit Buttmann vertheidigen. Dagegen wundern
wir uns p. 50. E. für die Lesart des Cod. Vatic. Tubing. und vie-
ler andern: xai 6v xavxa avrinoiEiv o'lel dlxaiov sivcu', wieder
die frühere Schreibung xa! ö o l x. x. x. X. hergestellt zu sehen.
Denn kann auch die Redeform, dlxaiov Eöxl [toi xavxa ävxi-
noiELV, nicht als ungewöhnlich bezeichnet werden, so scheint
doch eher der Dativus tfot durch Correction aus o*v, was nach
einer seitnern Attractionsvveise gesetzt ist, entstanden zu sein,
als umgekehrt 6v aus öot. Demnach bestätigt sich denn auch
durch diese Stelle, dass die genannten Codices gerade da, wo
ihre Lesarten die einleuchtendsten zu sein scheinen, wegen häufi-
ger willkürlichen Correctionen mit Vorsicht benutzt sein wollen.
Pag. 51. A. wird in den Worten: oxl — xifiidtEgov eöxl
naxgig, mit Bodl. Ven. II. Find. lF. Par. L. der Artikel i) vor
naxgig hergestellt. Auch der treffliche Cod. Tubing. bietet den-
selben. Dennoch zweifeln wir sehr, ob er, den übrigen Hand-
schriften entgegen, herzustellen war. Denn gerade naxgig
kommt bekanntlich so ohne Artikel vor, und die daneben stehen-
den Nomina, {irjxgog xa\ itaxgog, ermangeln desselben gleicher
Weise; deshalb vermuthen wir, dass er ebenfalls ein Produc-
Piatonis opera, recogn. Baiter, Orelli et Winckelmann* 375
grammatischer und kritischer Befangenheit sei. — Pag. 51. E.
ist es uns befremdend, für 6fioXoyi]6ag ij [irji> nfi$z6$ui den
Bodl. Ven* II. und andern Handschriften zu Gefallen o^ioXoyr}-
Gcig ijßiv Tieitisö&at, wieder zurückgerufen zu sehen. Denn findet
sich jenes verhältnissmässig auch nur in wenigen Büchern, so
trägt es doch alle innere Merkmale der Echtheit an sich, und
scheint von Kritikern, die den Gebrauch von rj pa)v in der obli-
quen Bede nicht kannten, verfälscht worden zu sein. — Pag. 53.
^.widerstrebt die aufgenommene Lesart oivouoi fjfisig äy^Xovori
selbst den Zeugnissen des Bodl. i'at. Tub. und hat überhaupt
nur schwache handschriftliche Bestätigung. Sie ist aber auch aus
andern Gründen kaum zu empfehlen , wenn sich auch p. 53. A. B.
dieselbe Wortfolge vorfindet. Denn dort fordert sie der Ge-
danke; liier verschmäht er dieselbe. — Kbendas. ist für l^auctQ-
rcov nach dem Bodl. Ven. II. ?/. o. im Präsens hergestellt £%a-
ftaQtdvcov, was sich freilich auch vertheidigen lässt, aber we-
gen des vorhergegangenen tavra naQaßctg doch wohl weniger
J'ür sich hat.
Doch hier brechen wir unsere Betrachtung und Würdigung
einzelner Lesarten füglich ab, indem wir diejenigen, welche die-
ser Ausgabe eigentümlich angehören, aus drei Platonischen
Schriften nunmehr vollständig aufgezählt haben. Wenn Mir hier-
bei, wie sich gezeigt, einen grossen Tb eil derselben nicht gerade
als wahre Textesverbesserungen anerkennen konnten, so liegt
die Hauptiuvache unseres missfälligen Urtheiles in der Verschie-
denheit unserer Ansicht von dem Werthe derjenigen Bücher, auf
welche die Herausgeber, ohne sich jedoch immer gleich zu blei-
ben, ihren Text basiren zu müssen glaubten. Dass sie aber dem-
ohngeachtet bei der strengen Beachtung, die sie überall den
Lesarten derselben angedeihen Hessen, auch an gar vielen Stellen
die Richtigkeit des Textes gefördert, und auch da, wo diess nicht
ganz entschieden behauptet werden kann , doch immer auf nicht
unwichtige Punkte bei Handhabung der Kritik aufmerksam ge-
macht haben, dieses Verdienst wird ihnen Niemand streitig
zu machen im Stande Bern. Und so wird denn diese Ausgabe der
Werke des Piaton bei den sonstigen rühmlichen Eigenschaften,
die sie in sich vereiniget, jedenfalls für immer den besten beige-
zählt werden müssen, die jemals an das Licht getreten sind , und
auch in kritischer -Beziehung einen Hang behaupten , welcher bei
feinern kritischen Forschungen sorgfältige Berücksichtigung der-
selben unbedingt nöthig macht. Möge es übrigens bei den Bü-
chern der Gesetze, die allerdings noch kritischer Nachhilfe sehr
bedürfen, den Herausgebern gelingen, irgendwo durch Benutzung
eines oder des andern vorzüglichen Codex die nothwendige Unter-
stützung zu finden. ,
G, Stall bäum.
376 .R o 1 i g i o u.
Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht
für die gereiftero Jugend in höheren Lehranstalten, auch zum
Selbstunterricht für Gebildete, von Dr. Johann Ernst Oslander,
Prediger und Professor am evang. Seminar in Maulbronn. Tübin-
gen. Osiander. 1839. XIII u. 321 S. 8.
Darüber, dass ein Lehrbuch der Religion für den auf dein
Titel genannten Zweck Bedürfnis» unserer Zeit sei, spricht sich
die Vorrede aus. Mit Grund findet hier der Verf. dieses Bedürf-
nisstheils in dem „noch immer fortwirkenden religiösen und theol.
Umschwung der letzten Jahrzehnte," theils in der „höheren,
vielseitigen und kräftigen Entwickelung der Gelehrtenschulen
unserer Zeit11' theils und hauptsächlich in der Beschaffenheit der
vorhandenen Lehrbücher, deren theilweise Vorzüge er nicht ver-
kennt, unter denen er aber doch an dem von Niemeier (Nie-
meyer) und Brejschneider „den entschieden biblischen Gehalt
und den kräftig erregenden Geist" vermisst, von Marheineke
aber behauptet, sein „vielumfassendes Lehrbuch scheine für einen
zu kurzen Gesammtcursus berechnet und in dem ausführlichen
systematischen Theile hin und wieder zu speculativ gehalten"
und von Schmieder, „seine den christlichen Geist dieses theolo-
gischen Schulmannes athmende Compendien seien nur für einige
einzelne Lehrcurse bestimmt. " Solche Gründe bestimmten auch
nach S. IV. der Vorrede einen Verein von Bibclfreundcn in Wür-
temberg, wiederholt einen Preis auf ein solches Lehrbuch zu
setzen. Warum aber der Verf. ohne um diesen Preis zu werben
oder ohne sein Werk dem Urtheile jenes Vereins zu unterwerfen,
dieses Lehrbuch veröffentlicht hat, das kann dem Publikum,
dessen Urtheil es somit unterworfen ist, gleichgültig sein , um so
mehr, da der theol. Ruf des Verf. zum Voraus ein günstiges
Vorurtheü für denselben erwecken muss. Denn ausser mehreren
anerkannten Aufsätzen in der Tübinger Zeitschrift für die Theo-
logie hat er sicli namentlich durch seine Apologie der evang. Ge-
schichte als einen denkenden und für den evang. Glauben begei-
sterten Theologen bewährt, der nach 14jähriger Erfahrung im
Religionsunterricht in einer höhern Lehranstalt gewiss nicht zu
frühe mit den Ergebnissen seiner auf dieses Unterricht verwende-
ten Studien hervortritt.
Doch soll uns die Achtung vor der theol. Gelehrsamkeit und
vor der Gesinnung des Verf. nicht abhalten, sein Werk mit scharf
prüfendem Blicke durchzusehen , und dasjenige daran besonders
hervorzuheben , was unseren Forderungen an ein solches Lehr-
buch weniger entspricht.
Der Inhalt des Lehrbuchs ist nach Niemeyers Vorgang in 4
Ilaupttheile für 4 Jahrcscurse des Religionsunterrichts abgetheilt,
den biblischgeschichtlichen, den kirchengeschichtlichcn, die Ein-
leitung in die biblischen Schriften und den systematischen Theil.
Oslander : Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 377
Ucbcr diese Eintheilung bemerkt der Verf. selbst , dass er die
Kirchengeschichte vielleicht lieber ans Ende verwiesen hätte, weil
die geschichtliche Entwickelung der ehr. Lehre eine zusammen-
hängende Darstellung des Inhalts derselben voraussetze und
meint , der Lehrer, der dieses Lehrbuch gebraucht, könnte nach
eigener Wahl diese Umänderung vornehmen. Doch so leicht
auch diess anginge , so wenig möchte Ref. eine solche Aenderung
gutheissen, weil der systemat. Theil mehr wissenschaftliche
Reife voraussetzt. Zwar ist die Wirksamkeit der Beispiele in der
Kirchengeschichte für die Anregung eines religiösen Lebens un-
bestreitbar; aber eine in biblischem Geiste vorgetragene Glau-
bens-und Sittenlehre wirkt noch mehr, wenn gehörige Vorbe-
reitung vorangegangen ist. Namentlich hat Ref. in seinem Un-
terrichte die Erfahrung gemacht, dass geradein dem Jahr, in
welches nach- der im vorliegenden Lehrbuch gewählten Ordnung
die Behandlung der Kirchengeschichtc fällt, das innere rel. Leben
in der Regel weniger rege ist, als im letzten, dass also einer
systematischen Darstellung der Glaubens- und Sittenlehre im 2.
und 3. Jahre des Unterrichts bei weitem nicht in dem Grade , wie
im 3. und 4. ein für die Beantwortung wichtiger dogmatischer und
moralischer Fragen vorhandenes Interesse entgegen kommt, wäh-
rend gerade die Kirchengeschichte schon als Geschichte anspricht
und jenes wissenschaftliche Interesse vorzubereiten und anzuregen
und einem erwachenden religiösen Leben aufzuhelfen besonders
geeignet ist. In der Kirchengeschichte aber vorzüglich auf die Dar-
stellung der Entwickelung der Lehre Rücksicht zu nehmen, scheint
dem Zweck dieser Behandlung ferner zu liegen und würde auch
beim Reichthum des übrigen Stoffes zu viel Zeit wegnehmen. Statt
dessen möchte Ref. folgende Abänderung an der Einrichtung die-
ses Lehrbuchs vorschlagen: die Glaubens- und Sittenlehre dürfte
jede für 1 Jahr berechnet sein , statt dass der Verf. vorauszusez-
zen scheint, beide miteinander werden in 1 Jahre behandelt.
Schon ein Blick in 1. § dieses Theils in diesem Lehrbuche zeigt,
dass ein Lehrer Mühe hat, in 2 wöchentlichen Stunden selbst in
2 Jahren so zu Ende zu kommen, dass die angeführten bibl. Be-
weisstellen gehörig erläutert , die in gedrängter Darstellung ge-
gebene Lehre gehörig entwickelt und die nicht selten in den An-
merkungen gegebenen Winke zu Besprechung von Streitfragen
u. dergl. gehörig berücksichtigt werden. Wenn auf diese Weise
für den historischen Theil des Lehrbuchs nur 1 Jahr übrig bleibt;
so wäre zu wünschen , derselbe möchte durch die Vereinigung
der Einleitung in die bibl. Schriften mit der bibl. Geschichte eine
Einrichtung bekommen, bei der es möglich wäre, alles llcrgchö-
rige in 1 Jahre zu vollenden. Dies ginge etwa so , wenn die
Geschichte des A. T. im 1. Halbjahr, der Abriss der ausscrbibli-
schen Religionen mit der evang. Geschichte im 2., sodann die
Geschichte der Apostel nebst der Einleitung in die apostolischen
378 Religion.
Schriften als Anfang der Kirchengeschichte im Anfang des 3.
Halbjahres behandelt würde.
Dass übrigens polemische Paragraphen „in Beziehung auf
die vielfachen Angriffe auf die Geschichte A. und N. T, " vom
Verf. als unzweckmässig weggelassen wurden, wird wohl Jeder-
mann billigen. Eher könnte man einen besondern symbolischen
Theil für zweckmässig finden, wenn nicht ohnedies schon des
Stoffes fast zu viel für die kurze Zeit wäre. Aus diesem Grunde
möchte es hinreichend sein, das Dahingehörige in die Kirchenge-
schichte und in die Glaubenslehre so, wie das im vorliegenden
Lehrbuche geschehen ist, zu verweben.
Nach diesen Bemerkungen, welche durch die Vorrede ver-
anlasst sind, soll nun über die Einrichtung des Werks selbst das,
was sich dem Ref. beim Durchlesen darbot, in möglichster Kürze
hemerkt werden.
Der Titel bestimmt das Werk auch zum Selbstgebrauche für
Gebildete, und ohne Streit wird ein Lehrbuch dieser Art, so-
hald es seinem Zwecke als Lehrbuch vollständig entspricht , auch
jenem Zwecke dienen können. Ein Lehrbuch dieser Art nämlich
sollte nach des Ref. Ansicht so geschrieben sein , dass der Schü-
ler gerne darin vorausliest und nicht erst durch die Erläuterun-
gen, die ihm der Lehrer giebt, in Stand gesetzt werden muss,
das Gelesene zu verstehen. Allein für diesen Zweck scheint die
Sprache des Verf. zu abstrakt zu sein. Als Beispiel diene ein
Theil der Geschichte Salomo's in der zweiten Hälfte § 36. der
bibl. Geschichte. „Den Ruhm seiner weithin gefeierten und in
unvergänglichen Geistesdenkmalen noch fortlebenden Weisheit
befleckt er auf der Höhe seines Glücks und seiner Vorzüge durch
sittlichen und religiösen Verfall, der ihm strenge theokratische
Ahudungen zuzog, und aus dem er sich wenigstens nicht zu sei-
ner vollen Trefflichkeit wieder erhob. So hatte zwar mit David
und ihm und seiner auch die geistige Bntwickelung des Volks för-
dernden Weisheit und Glückseligkeit die Theokratie ihr golde-
nes Zeitalter erreicht; bewies aber die Unvollkoramenheit, die
allem irdisch vorbildlichen (Irdischvorbildlichen) anklebt, und
neigte sich auf ihrem Höhepunkt, indem mit der Fülle des Glan-
zes und Segens Luxus und sittliche Erschlaffung eindrang, zum
allmäligen Untergang. u Wenn hier der Lehrer durch die
weithingefeierte Weisheit an die Königin von Saba und durch die
unvergänglichen Geistesdenkmale an die Sprüchwörter erinnert
wird, so wäre doch unstreitig die concretere Darstellung, in der
es etwa hiessc: bis ins ferne Saba drang sein Ruhm, und bis auf
unsrere Zeit lebt seine Weisheit fort in seinen Sprüchwörtern: und
doch liess er sich u. s. w. für die Leser der gewöhnlichsten Art
verständlicher, ohne dass damit dem erklärenden Lehrer etwas
weggenommen wäre. Die Höhe des Glücks aber dürfte als eine
allraälig erstiegene, der Verfall als durch dieses Glück, na-
Oslander: Lehrbach zum christlichen Religionsunterricht. 379
mentlich durch Heirathsverbindungen vorbereitet und nach und
nach herbeigeführt, besonders auch die Höhe der Vorzüge als
* Entartung der Politik und des Kosmopolitismiis schon dem Leser
zu erkennen gegeben sein. Ferner sollte der Leser die theokr.
Ahndungen in ihrer Besonderheit sehen, um so mehr, weil man
bei der bibl. Geschichte ohnedies so geneigt ist, das Wirken
Gottes vom natürlichen Zusammenhang der Begebenheiten allzu-
sehr zu trennen. Im vorliegenden Fall also wäre wohl eine An-
deutung am Orte, dass die von Gott erweckten Widersacher Sa-
lomos um der Eigenthümlichkeit seiner Persönlichkeit und Re-
gierung willen sich erheben mussten. Endlich ist die Behaup-
tung , dass er sich nicht zu seiner vollen Trefflichkeit wieder er-
hoben habe, allzusehr blos Sache der Vermuthung, als dass sie
hier ihre Stelle haben sollte. Die Vermuthung kann sich blos-
auf die Voraussetzung gründen, dass der Koheleth ein Werk Sa-
lomo's sei, hat aber in der Geschichte selbst nicht einmal eine
Andeutung für sich. Wenn sodann bei der zweiten Hälfte der
oben ausgeschriebenen Stelle der Zweck der Zusammenfassung
der Geschichte Salomo's eine abstraktere Sprache nöthig machen
sollte, so wäre doch an der Stelle des allgemeinen Wortes Theo-
kratie um so mehr ein bestimmterer Ausdruck zu wünschen, da
sie als etwas Zeitliches betrachtet ist. Es sollte, um er kurz zu
sagen, die ewige, unwandelbare Regierung Gottes unterschieden
sein von der für den Begriff der Theokratie zufälligen Regierungs-
form, um so mehr, da dies sonst geschehen ist, z. B. § 32., wo
königl. Verfassung sogar als menschlich in einen Gegensatz gegen
die Theokratie gesetzt ist.
Die eben gerügte abstracte Sprache ist noch weit hemmen-
der für den zweckmässigen Gebrauch des Buches in der Kirthen-
geschichte, weil da beim Leser nicht, wie bei der biblischen,
noch einige Bekanntschaft mit den Thatsachen vorausgesetzt wer-
den darf. Diesen Theil des Buchs möchte Ref. am geeignetsten
zu einem Leitfaden für die Vorbereitung auf das theol. Examen
in den Händen eines mit der -Kirchengeschichte bereits bekannten
Candidaten ansehen. Ausdrücke, die diesem eine Reihe von
Thatsachen in die Erinnerung rufen, sind dem hier vorausgesetz-
ten Leser völlig unverständlich. Vielleicht auch manchem Lehrer,
wenn derselbe nicht durch ein gerade auf dieses Lehrbuch ge-
gründetes Handbuch der Kirchengeschichte oder durch einen
ziemlichen Vorrath kirchenhistorischer Quellen für diesen Zweck
versehen ist. Freilich ist es gerade hier, bei der Reichhaltig-
keit des Materials, schwer, in concreterer Darstellung auch nur
das INothdürftige zu geben. Aber wenn lieber ein Theil des
Stoffs unberührt geblieben wäre, so hätte sich liier für den Zweck
der Verständlichkeit viel thun lassen.
Doch wir werden auf die einzelnen Theile des Buches weiter
unten zu reden kommen und kehren jetzt zur Beurtheilmig der
380 Religion.
Sprache zurück, die zwar grösstenteils klar und, soweit es bei
jener abstracten Haltung möglich ist, auch lebendig ist, die aber
doch da und dort noch ihre Mängel hat, von denen einige hier I
bemerklich gemacht werden sollen.
An dem oben ausgehobenen Beispiel ist vielleicht dem Leser
dieses Berichts von selbst als etwas schwerfällig die Stelle aufge-
fallen : so hatte zwar mit David und ihm und seiner . . . Weisheit
u. 8. w. ; stünde statt ihm lieber Salomo, so wäre gewiss der Ver-
ständlichkeit dieses Satzes viel aufgeholfen. Und dann sind die
gehäuften Attribute, zumal wo ein besonderes Gewicht darauf
liegt, sehr oft für die Auffassung hemmend, wie schon im obigen
Beispiel: seiner auch die geistige Entwickelung des Volks för-
dernden Weisheit. So in folgendem Satz aus § 38. der Geschichte
A. T. : „Elias, als Heils- und Strafprophet mit hohen Offenba-
rungen beglaubigt und geweiht, und selbst in seinem heidnischen
Fluchtaufenthalte durch grosse göttliche Macht - und Gnaden-
zeichen bewährt, setzte unter dem abgöttischen Achasja sein
Zeugenamt voll göttl. Feuereifers fort, und vollendete nach se-
gensreichem Wirken für die Erhaltung eines tröstlichen Ueberrests
ächter Jehovaverehrer seinen Lauf in überirdischer Verklärung."
S.49f. „NachBegrüssung der früher von ihm gestifteten Gemein-
den und dabei mit weiser und redlicher Anschliessmig (Anschlies-
sen) an das Gesetz geknüpfter Freundschaft mit Timotheus dringt
er nach Galatien." Wenn aber Attibute und Einschaltungen die-
ser Art darum , weil sie die Darstellung inhaltsreicher machen,
der Darstellung eben so sehr einen besondern Vorzug verleihen,
als sie dieselbe etwas schwerfällig machen; so ist Bef. wenigstens
ein Attribut aufgefallen, das durch seine häufige Wiederkehr auch
jene Wirkung verliert, es ist das Wort heilig , das besonders in
der Einleitung in die bibl. Schriften fast in jedem Paragraphen,
oft mehreremal , steht. So ist § 81. von einer heiligen Polemik
des Johannes die Bede, und der fg. § beginnt: „Einen scharfen
Gegensatz gegen die heilige, doch mit Ernst gepaarte Milde der
johanneischen Briefe bildet die heilige Strenge des Briefs Jakobi."
Wichtiger ist der Gebrauch unrichtiger oder zweideutiger
Ausdrücke, z. B. bibl. Einleitung, statt Einleitung in die bibl.
Schriften. Gleich in der ersten Periode der Vorrede, Grundle-
gung des Beligionsuoterrichts statt Begründung. S. 312. Mit-
theilen und Aufnehmen des Tadels statt: Mittheilung und Auf-
nahme, begeisterte Zusammenwirkung für das Reich Gottes,
statt: begeistertes Zusammenwirken. S. 316. M. „ er vermeide
möglichst die Uebcrlüllung zumal mit allzuwenig in einandergrei-
fenden Lehrfächern," wo das Adverb allzuwenig seiner Stellung
nach auch Adjectiv zu Lehrfächern sein könnte, was freilich hier
durch den Sinn verboten ist, aber gewiss Jeden im Lesen stört.
Doch genug von der Sprache; nur noch einen Anstoss können wir
nicht übergehen, die Zusammenstellung des Verbs vom Hauptsatze
Oslander.' Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 381
mit dem des Nebensatzes: z. B. S. 213. „insofern als jene All-
verbreitung der Gottesidee Ausdruck und Wirkung ihrer Allge-
meinheit und Notwendigkeit, d. h. ihrer Wahrheit, des unver-
tilgbaren Bedihfnisses und Gesetzes unserer Natur, das uns zur
Annahme derselben geistig und sittlich nöthigt, ist." S. 166.
„wie aus ihrem Zusammenhang mit der Apostelgeschichte, die
den andern Haupttheil seines Geschichtsbuchs bilden sollte, er-
hellt" u. ö. Solchen Fehlern zur Seite treten viele Druckfehler,
ausser dein reichen Verzeichniss am Ende. Ohne Zweifel als
solcher ist S. 64. Anfang § 94. anzusehen, dass „ausserhalb des-
selben" kein Wort hat , auf das es sich bezieht , und wahrschein-
lich „im römischen Reich" vorher ausgefallen ist. S. 230. § 55.
A. 1. Herders Briefe über Steudcls (das Studium der) Theologie.
S. 246. o. Unterschied zwischen dem tieferen hieratischen Aus-
druck und Begriff der Versöhnung (Versühnung) und dem klare-
ren ethischen der Versöhnung." Doch wir haben uns schon viel
zu lange bei Aeusserlichkeiten aufgehalten und kehren zum In-
halt zurück.
Die Einleitung ist mit Kocht kurz und in 1 § zusammenge-
fasst, in welchem der Gesammtinhalt dieses Lehrbuchs unter dem
Begriff der in Geschichte und Lehre , in Thatsachen und göttli-
chen Gedanken sich theilenden Religion dargelegt ist; in jenen
stelle sich mehr die äussere und zeitliche, in diesen mehr die
innere und ewige Seite der Religion dar; die Geschichte könne
als Einleitung zur Lehre, die Lehre als Ziel und Frucht der Ge-
schichte betrachtet werden. Zwischen beide aber trete die Be-
trachtung der beide in sich beschliessenden Quellen.
Dass hier die Frage über den Begriff der Religion nicht be-
rührt, sondern bis zur christlichen Lehre verschoben ist, kann in
Rücksicht auf die Altersstufe, für welche dieser Anfang des Lehr-
buchs bestimmt ist, nur gebilligt werden. Ebenso und noch mehr
das, dass über die Offenbarung kein Streit erhoben, kein Gegen-
satz zwischen der geoffenbarten und natürlichen Religion gemacht,
sondern Religion und Offenbarung als ein Begriff gesetzt ist. Dass
aber auch so noch der 14jährige Schüler Mühe haben werde, auch
an der Hand des Lehrers diesen § zu verstehen, wird wohl Nie-
. mand leugnen, und gewiss hätte der Verf. besser gethan, hier in
biblischen Ausdrücken, z. B. Hebe 1, 1 f. 1 Cor. 10, 11. A. G.
14, 16 fg. oder ähnlicbcn, dasselbe, was er sagt, populärer und
mit mehr Anknüpfung an die bei den Schülern vorauszusetzenden
Ideen zu sagen.
Auf diese allgemeine Einleitung folgt sodann noch eine be-
sondere in die Religionsgcschichtc in 3 §§, von denen der erste
(§ 2.) die Geschichte der Religion in die Offenbarungsgeschichtc
oder biblische Geschichte und in die christliche Kirchengeschichte
theilt, der zweite (§ 3.) diese Geschichte als heilige von der
Weltgeschichte unterscheidet und der dritte (§ 4.) tue Idee der
382 Religion.
biblischen Geschichte als einer Entwickelung des göttlichen Erlö-
sungsplans in ihrer Erhabenheit und Wichtigkeit darlegt und diese
Geschichte vorläufig in die des A. und die des N. T. theilt.
Diese Geschichte nun ist nach dem besonders von Hess und
nach ihm von vielen andern erleuchteten Bibelforschern durchge-
führten Plane behandelt, über den nichts Weiteres zur Empfeh-
lung beigefügt zu werden nöthig ist. Aber einige Punkte, in de-
nen Ref. eine Abweichung von Hess und von dem hier befolgten
Plane für räthlich hält, müssen um so mehr bemerkt werden.
Vor Allem sind es die Ueberschriften mehrerer Perioden,
welche dem Plane der sich entwickelnden Offenbarung mehr ent-
sprechen dürften. Besonders unpassend scheint Ref. der Name
„Periode der Freiheit41, für die Geschichte von Josua bis Samuel,
„Periode des Königthums (und Prophetenthums)" für die Ge-
schichte von Saul bis zum Exil zu sein. Die Fortschritte der
Offenbarung und Erziehung, für welche die Staatsverfassung doch
etwas Aeusserliches ist, sollten schon in diesen Ueberschriften
hervortreten. Die Genesis selbst stellt die Patriarchen als die
aus dem verderbten Menschengeschlecht ausgewählten Lieblinge
Gottes dar. Nach dieser Idee dürfte die hier als „Urgeschichte1'
bezeichnete Periode der Anfang und Verfall des Menschenge-
schlechts oder das Versinken der Menschen in Sünde und Abgöt-
terei, die „Patriarchengeschichte" aber die Erwählung der Pa-
triarchen, oder die Zeit des Glaubens an den Gott Abrahams,
Isaaks und Jakobs genannt werden. Hier endet die Zeit der Ver-
heissung und beginnt die Zeit des Gesetzes. Darum ist die im
vorliegenden Lehrbuch gegebene Ueberschrift „Gesetzgebung"
hier unstreitig die passendste ; es dürfte aber im Gegensatz gegen
die Patriarchen schon in der Ueberschrift darauf hingedeutet sein,
dass nun Israel zum Volke Gottes erwählt wurde.
Von nun an ist das Gesetz der Zuchtmeister auf Christum,
aber zur Einführung des Gesetzes in den Character des Volks
braucht es die Zeit bis zum Exil , während welcher zuerst im
Kampfe mit der Abgötterei die Jehovareligion sich festsetzt bis
Samuel und unter David und Salomo zur Herrschaft und zum
höchsten Grade äusseren Glanzes erhoben wird, aber von da an
unter dem Kampfe der Propheten zuerst gegen Abgötterei und
fremde Sitten, später gegen leeren Ceremoniendienst mit der po-
litischen Existenz des Volkes auch untergegangen zu sein scheint.
Jehu und der Untergang des israelitischen Staates bilden für diese
3 Perioden von Salomo bis zum Exil passende Einschnitte.
Mit dem Exil beginnt die Zeit der unter der vorhergehenden
Periode vielfach vorbereiteten messianischen Hoffnung. Während
dieser Zeit wurden mit der Sammlung der biblischen Schriften die
Schranken , welche das Gesetz bildete, vollendet und dem Volks-
character seine starre Abgeschlossenheit nach aussen gegeben;
hierauf erreichte unter den Kämpfen der Makkabäer und uuter
Oslander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 383
der Herodianischen und römischen Herrschaft auf der einen Seite
die der göttlichen Gnade und Verheissung entfremdete Gesetzes-
gerechtigkeit ihre höchste Stufe, auf der andern aber hatten nun
Alle die, »eiche auf das Heil Israels warteten, ihren Glauben zu
üben , zu stärken und zu entwickeln.
In dieser Darstellung einer Periodeneintheilung der hihi. Ge-
schichte, wie sie Ref. vorschlagen möchte, ist zugleich eine an-
dere mit der obigen zusammenhängende Ausstellung begründet,
dass nämlich der historische Pragmatismus, der Fortschritt der
göttlichen Offenbarung und die Entwickelung des Characters des
israel. Volkes nicht deutlich hervortritt, statt dass dieselben nach
Ref. Ansicht auf die eben angedeutete Weise leicht anschaulich
gemacht werden könnten.
Namentlich die Geschichte des Prophetenthums, welche zum
Theil in die Einleitung zu den biblischen Schriften verwiesen ist,
dürfte in der genannten Rücksicht pragmatisch behandelt und die
Entwickelung der prophetischen Ideen am Beispiel einzelner Aus-
sprüche aus den prophetischen Schriften anschaulich gemacht
sein.
Wenn im Bisherigen vom Ref. nichts Anderes verlangt
wurde, als eine vollständigere Durchführung der dem Verf. vor-
schwebenden Idee: so kommen die folgenden Ausstellungen an
der Behandlung der biblischen Geschichte in Widerspruch mit
hermeneutischen Grundsätzen des Verf. , soweit auf solche aus
der Behandlung der biblischen Geschichte zu schliessen ist, wo
vielleicht grossenthcils das, was Ref. behauptet, zum Voraus der
Verwerfung durch die mit dem Verf. einverstandenen Leser ge-
wiss sein darf, aber um so mehr bemerkt werden muss.
Das wird noch Mancher zugeben, dass es misslich sei, wie
es § 15. geschieht, auf eine kritisch und exegetisch angefoch-
tene Stelle, wie Gen. 49, 10. mit so entschiedener Zuversicht-
lichkeit, wie es vom Verf. geschieht, eine Behauptung zu
gründen. Aber soll die Aechtheit jenes ganzen Capitels d. h. die
Wahrheit der Behauptung, dass Gen. 49. von Jacob selbst ge-
sprochene Worte oder vielleicht in der Tradition fortgepflanzte
und von Moses poetisch redigirte seien , in gar keinen Zweifel ge-
zogen werden dürfen'? Wenn man befürchtet, durch Eingehen
in kritische Fragen den Glauben der jungen Seelen zu bedrohen,
so lässt man das Angefochtene lieber unberührt liegen: aber be-
sonnene, mit Wahrheitsliebe und mit Achtung vor Gottes Wort
verbundene Kritik kann nach Ref. Ansicht einem durch sein gan-
zes Studium zu freiem Nachdenken aufgeforderten Jüngling nicht
schaden, ja sie wird ihn verwahren gegen unberufenes und über-
eiltes Absprechen auf den Grund frivoler Angriffe auf die bibli-
sche Geschichte, die ihm doch vor Ohren kommen. Dieser
Grundsatz einer freieren Kritik ist, wie es scheint, vom Verf. für
unvereinbar mit der nöthigen Achtung vor der Bibel angesehen ;
384 Religion.
darum wird die bibl. Geschichte gleich § 2. eine vollkommene,
helle, wahrhaftige Geschichte genannt und die auf buchstäbliche
Erklärung der Angaben bibl. Geschichtsbücher gegründete Erzäh-
lung durchaus für unumstössliche Wahrheit genommen.
In welche Schwierigkeiten man sich dadurch verwickelt,
braucht hier nicht an einzelnen Beispielen wieder dargelegt zu
werden, weil es schon oft von Andern ausgesprochen worden ist,
und ebenso die mehr conservative Tendenz dieses Lehrbuchs
schon vielfach ihre wissenschaftliche Rechtfertigung erhalten hat,
auch eine nur wenig genaue Behandlung einzelner Puncte der Art
die Grenzen einer Recension weit überschreiten würde. Darum
begnügt sich Ref. in der bibl. Geschichte nur noch einige mit den
kritischen und hermeneutischen Grundsätzen des Verf. weniger in
Widerspruch gerathende Ausstellungen zu machen.
Wenn § 27. von einer „weisen und heiligen Vertheilung des
Landes" gesprochen wird, so sollte doch auf den vorangegange-
nen, auch gegen die 2\ Stämme geltend gemachten Befehl, erst
nach vollkommener Eroberung aller Theile des Landes den Krieg
aufzugeben, Rücksicht genommen sein. Ebenso ist auf den von
Gideon eingeführten gesetzwidrigen Gottesdienst vorläufig gar
nicht Rücksicht genommen, wenn dieser Richter § 29. „durch Be-
rufung, Auftritt und Character gleich anziehend" genannt wird.
Von Simson aber wird ebendas. gesagt, „er sei ausgezeichnet
durch die göttliche Einleitung seines Auftritts und durch ausser-
ordentliche Körperstärke , mit der sich in seinem Heldentod für
den Glauben und für das Vaterland noch die würdigste Probe von
Seelenstärke paart." Hier wäre gewiss der Ort, die religiöse
Bildungsstufe, auf der Simsons Heldenthaten als Thaten des Ei-
fers für Gott und Vaterland und als Glaubensproben galten , be-
stimmter zu bezeichnen und nicht erst dem Lehrer zu überlassen,
die allgemeine Behauptung des § 30., dass die Richter noch viel-
fach das Gepräge ihrer finstern Zeit tragen, durch Thatsachen
aus ihrer Geschichte zu belegen. Mit andern Worten: die in
diesem § 30. gegebene Bemerkung über den Character jener Zeit
und jener Männer sollte aus der vorangehenden Darstellung ihrer
Geschichte selbst besser hervorleuchten.
Fast in höherem Grade dürfte das bei David erwartet werden.
Die Geschichte dieses Königs ist in der Bibel selbst auf eine Art
erzählt, dass es nicht schwer ist, noch manche andere tadelns-
werthe Handlung, als den Ehebruch mit Bathseba, aufzufinden:
seine Verehlichung mit der Königstochter von Gesur, sein Ein-
verständniss mit Abner, sein Benehmen gegen Sauls männliche
Nachkommen, seine Nachsicht gegen Ammon u. A. lässt sich in
keiner Weise gutheissen und es wird schwer sein, ihm § 35. „hei-
lige Regeutenweisheit in den Friedensgeschäften der Staatsver-
waltung, Rechtspflege und Religionscinrichtung" zuzuschreiben,
ohne Thatsachen, wie die angeführten entweder ganz zu umge-
Oslander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 385
lieft oder auf eine gewaltsame Weise zu rechtfertigen , etwa wie
§ 34. sein Verfahren gegen die Ammoniter dadurch entschuldigt
wird, dass David „nur in seltenen Fällen äusserster Strafwürdig-
keit das harte Kriegsrecht seiner Zeit geübt habe.1' War das mo-
saische Gesetz, wie der Verf. annimmt, zu Davids Zeit ganz vor-
handen, so war auch das Kriegsrecht in gesetzliche Schranken
gewiesen,' welche David durch sein Verfahren gegen die Ammo-
niter überschritt. War aber diese Ueberschreitung „in äussersten
Fällen" zulässig, so ist es schwer, in diesem Falle nachzuweisen,
dass die , an welchen die Grausamkeit geübt wurde (Einzelne im
Volke, die in keiner Weise mehr verschuldet hatten, als andere
Feinde der Israeliten) besonders strafbar gewesen seien.
Doch es sei genug an diesen Beispielen ; sie reichen hin,
darzuthun , dass die Geschichte des A. T. auf eine andere Weise,
als es hier geschehen ist, behandelt werden könnte, ohne dass
das Ansehen und die Göttlichkeit der Bibel darunter Gefahr liefe;
dass man die Thatsachen in ihrer menschlichen Erscheinung, als
in die Reihe anderer sonst alltäglich genannter menschlicher Be-
gebenheiten gehörig", in dem auch ber andern Geschichten gefor-
derten Causalzusammenhaug dargestellt bekommen sollte. Mit
andern Worten: wenn den sogenannten heiligen Personen ihr
Heiligenschein abgenommen wäre, so würde das Göttliche der
Geschichte mehr gewinnen als verlieren.
Den in der Geschichte A. T. vermissten Pragmatismus in der
Behandlung einzelner Thatsachen und Personen möchte Ref. auch
der Geschichte N.T. in der Weise wünschen, dass das Leben
Jesu in seine Perioden getheilt und das verschiedene Verhältniss
des Erlösers zu Jüngern, Volk und Feinden in den verschiedenen
Perioden nachgewiesen wäre. Solche Abschnitte geben von selbst
folgende in den Evangelisten selbst enthaltene Andeutungen:
Anfangs war (Johann. 4, 3.) der Hauptschauplatz der Thätigkeit
Jesu Jerusalem und das jüdische Land. In Galiläa lehrte er so-
dann zuerst frei und offen, in der Weise der Bergpredigt, später
gebrauchte er vor dem Volke fast ausschliessend Gleichnisse; zu-
erst heilte er ohne irgend eine Sorge , nachher musste er die
Ausbreitung der Heilung verbieten; erst nach Verfluss einer Zeit
ungehinderter Thätigkeit schickten die Pharisäer Auflauerer nach
Galiläa; nach und nach erst fanden diese Auflauerer Eingang
beim Volke. Mit diesen Uebcrgängen in eine andere Zeit hängt
die Aussendung der 12 Apostel zusammen Aber auch die ge-
hemmte Thätigkeit in Galiläa musste vollends ganz aufhören : Je-
sus wich nicht mehr hlos , wie es in der vorigen Periode biswei-
len geschehen war, auf kurze Zeit seinen Nachfolgern aus, son-
dern er liess sich gar nicht mehr in Galiläa öffentlich sehen, ent-
weder unterhielt er sich mit seinen Jüngern fast ausschliessend
(Matth. 17, 22.) oder blieb in der Verborgenheit, meistens in
Peräa, bis zum letzten Feste, an dem er sich gleich beim Ein-
.V. Julnb. f. P*it. u. Päd. ml. Krit. Bibl. Bd. XXVIII. Uft. 4. 25
386 Religion.
zuge mit grosser Oeffentlichkeit dem ganzen Volke anbot und täg-
lich im Tempel lehrte, bis er verrathen und gefangen wurde.
Doch soll diese vom Ref. gegebene Uebersicht der evangelischen
Geschichte nicht die Meinung erwecken, als fehlte der histori-
sche Fortschritt in der Darstellung des Lebens Jesu in diesem
Lehrbuche ganz. Vielmehr ist § 60. die Taufe und Versuchung,
§ 61. die Wahl der Jünger erzählt und der Schauplatz seiner öf-
fentlichen Thätigkeit in möglichster Zeitfolge der einzelnen Orte
übersichtlich genannt; § 62. die Lehre Jesu nach Inhalt und
Form kurz beschrieben; § 63. angegeben, was er beim Volk aus-
richtete , welchen Widerspruch er bei den Obern des Volks fand,
und noch ein Wort über die Wunder beigefügt; § 64. wird dann
die Stellung und das Verfahren Jesu gegen das Ende seines öf-
fentlichen Lehramts beschrieben; § 65. die Geschichte von der
Verklärung bis zum letzten Tage seines Lehrens im Tempel er-
zählt, und § 66. a. b. mit der Geschichte des Todes, der Aufer-
stehung und Himmelfahrt geschlossen.
Eine genauere Periodeneintheilung mit Andeutung des darin
bemerkbaren Fortschritts der Entwickelung zeigt sich im vorlie-
genden Lehrbuche mehr in der Apostelgeschichte; und gewiss
wäre die gleiche Behandlung der evangel. Geschichte dem Verf.
ein Leichtes gewesen, da er sich als tiefen Kenner dieser Ge-
schichte besonders in seiner Apologie derselben bewährt hat.
Alles Bisherige könnte bei einem Leser dieser Recension,
der das Buch selbst nicht bei der Hand hat, leicht die Meinung
erwecken, es enthalte dasselbe des Tadelnswerthen mehr, als
des Lobenswerthen. Um diesen Eindruck zu verwischen, bemerkt
Ref. im Allgemeinen, dass die vom Verf. zu erwartende Tiefe
und wissenschaftliche Consequenz überall sichtbar ist, und lässt
zum Schlüsse dieses Theils seines Berichtes das Buch selbst reden.
Zu diesem Zwecke hebt er einen der kleineren §§, den ersten un-
ter den 3 die davidische Regierung schildernden wörtlich aus:
„Durch göttliche Leitung ward noch zu Sauls Zeiten sein
glorreicher Nachfolger, des Bethlehemiten Isai jüngster Sohn,
aus dem Stamme, auf dem die Verheissung ruhte (1 Mos. 49.),
gewählt und gesalbt. Die Heldenprobe seines Glaubens im Kam-
pfe mit Goliath war die erste Rechtfertigung seiner Wahl , seine
Berufung an den Hof, seine Siegesthaten gegen die zwei abgötti-
schen Erbfeinde, seine Verfolgungen und zehn Fluchtreisen vor
dem eifersüchtigen Könige waren die trefflichste Bildungsschule
des hochbegabten Jünglings zum König und Mann nach dem Her-
zen Gottes. Sein gläubig demüthiges Harren auf die göttliche
Entwickelung seiner Bestimmung, welcher sein feuriger Geist
nie Vorgriff, seine Freundschaft mit Jonathan und seine zwiefach
erprobte Grossmuth gegen Saul sind die leuchtendsten Punkte
dieser seiner höheren Erziehungsgeschichte."
In der Beurtheilung der einzelnen Abschnitte dieses Lehr-
Oslander: Lehrbuch zum chrietlichen Religionsunterricht. 387
buchs kommen wir jetzt an die Kirchengeschichte, in welcher die
Reichhaltigkeit des Inhalts und die Kraft und Lebendigkeit der
Darstellung schon oben gerühmt wurde, neben dem Wunsche,
dass lieber der Stoff etwas beschränkt, die Darstellung etwas ver-
einfacht und der unterhaltenden Geschichtserzählung angenähert
sein möchte. Doch solche Wünsche mögen vielleicht nicht auch
die anderer Lehrer sein, denen gerade eine solche Bearbeitung
vor allen andern zusagt, die ihnen viel Stoff darbietet und eben
damit Gelegenheit zu lebendiger Schilderung einzelner Begeben-
heiten und indivicfualisirender Darstellung der hier in summari-
scher Aufzählung nur angedeuteten Umstände, dem Schüler aber
eine passende Grundlage zur Repetition giebt. Indess ein Wunsch,
der sich Ref. beim ganzen Lehrbuche aufdrängte, bei der Kir-
chengeschichte aber am fühlbarsten wurde, ist gewiss der Wunsch
aller Lehrer, die dasselbe gebrauchen oder in Rücksicht auf die
Brauchbarkeit für ihre Zwecke prüfen, dass nämlich die einzel-
nen §§ ihre Ueberschrift haben möchten. Der Verf. hat sich
überall bemüht, durch Uebergänge das Gerippe der Disposition
zu bedecken, und diesem Bestreben scheint dieser Wunsch des
Ref. entgegengesetzt zu sein. Aber in Ueberschriften , wie „Aus-
breitung der Kirche", „Verfassung", „Lehre", „christl. Leben"
und dergl. , der Auffassung nachzuhelfen, ist wohl kein zu un-
poetisches Unternehmen , und könnte nur zur weiteren Verbrei-
tung und besseren Brauchbarkeit dieses Lehrbuchs dienen, wenn
eine zweite Auflage mit dieser Aenderung erschiene.
• In Einzelnheiten kann in Rücksicht auf Auswahl, Auffassungs-
weise und Behandlung keine vollkommene Uebereinstimmung
zwischen dem Verf. und seinem Leser erwartet werden, und in
sofern ist noch kein Urtheil über das Ganze gefällt, wenn Ref.
aus dieser Darstellung der Kirchengeschichte Einiges heraushebt,
das ihm nicht richtig scheint. Doch wird in solchen Einzelnheiten
das Charakteristische des Ganzen erkannt , und die Mehrzahl die-
ser Ausstellungen mag geeignet sein , die lobens- und die tadelns-
werthen Eigenschaften dieses Theils näher erkennen zu lassen.
Unter dieser Voraussetzung erlaubt sich Ref. nach der Folge der
§§ folgende Ausstellungen beizusetzen.
§88. schliesst mit den Worten: „Die noch frische, hohe
Glaubenskraft bewährte in dieser Periode ihren Zusammenhang
mit dem schöpferischen und gnadenreichen Ursprung des Chri-
stenthums durch eine gewisse Fortdauer der apostolischen Wun-
dergaben ; ein Nachklang davon und von der hohen Kraft des Ge-
bets der Christen ist die nicht unverbürgte Geschichte von der
Donnerlegion unter M. Aurel." Was au dieser Geschichte ist
verbürgt '£ Doch nicht mehr, als dass nach langer Dürre unter
einem Gewitter ein erquickender Regen gefallen, diesem Regen
aber die Gebete sowohl der christlichen als der heidnischen Sol-
daten vorangegangen seien und nun jeder Theil diese Hülfe in der
25*
388 Religio n.
Notli als einen Beweis der Kraft seiner Gebete angesehen und
geltend gemacht habe. (Vergl. darüber Neanders Kirchenge-
schichte J, 1., wo auch starke Gründe gegen die Wahrheit der
Geschichte in der Form und Ausdehnung, in der sie von den
Christen des 3. Jahrhunderts erzählt wurde , mit ruhiger Kritik
ausgeführt werden.) So wäre es denn gerathener, diese Sage
als Beispiel davon anzusehen, wie jene und die darauffolgende
Zeit sich immer mehr bemühte , das Christenthum auf dem Bo-
den der Aeusseilichkeiten in Kampf mit dem Ileidenthum treten
zu lassen; denn unter die blossen Aeusserlichkeiten gehört auch
die in Wahrheit den innersten Geist der christl. Religion berüh-
rende Lehre von der Gebetserhörung, sobald man darin eine zau-
berische, auch den Ungläubigen zur Anerkennung zwingende
Wirkung des Gebets erkennt.
§ 91. beginnt die 2. Periode mit folgender Uebcrsicht: ,,Der
nicht ohne Kampf errungene und nicht ohne Reaction behauptete
Sieg des Christenthums über das Ileidenthum und der Kirche
über den Staat," und ihre allmälige Vereinigung mit dem durch
sie umgebildeten Staat, verbunden mit vielen gährenden Bewe-
gungen von innen und streitenden Entwicklungen der Lehre nnd
der Verfassung erfüllen diese zweite Periode. " Wenn hier un-
streitig die Hauptmomente kurz und treffend bezeichnet sind , so
kann Ref. nur das Eine nicht recht einsehen, wie in jener Zeit
die Kirche über den Staat gesiegt liaben solle. Die Kirche als
äussere, dem Staate gegenüber stehende Vereinigung derer, die
sich Christen nennen, hat im Grunde damals nicht gesiegt über
den Staat, die Bischöfe blieben dem Kaiser völlig untergeben,
und übten auf den Staat keinen gesetzlich bestimmten Einfluss.
Doch mehr noch möchte Ref. in diesem § das Urtheil über Con-
stantin angreifen. Zwar wird am Schlüsse dieses § gesagt: ,,erst
am Ende seines Lebens, das seiner bessern, wiewohl mit frühe-
ren Irrthümeru durchmengten Erkenntniss unwürdig war, trat er
völlig in die Kirche ein, durch die aus Aberglauben so lange ver-
schobene Taufe" — und dadurch alle Mängel, Fehler und Ver-
brechen dieses Kaisers zugegeben. Aber der Anfang der Schil-
derung: „Den Eröffner dieser Periode bezeichnet schon das
Göttliche in der Erfahrung, die ihn für das Christenthum ent-
scheidend gewann , als das wichtige Werkzeug des Herrn zur
verheissenen Vereinigung der Völker durch die göttliche Weltre-
ligion" — legt ihm einen Werth bei, den er gewiss nicht hatte.
Allerdings, dass Constantin das Werkzeug in der Hand Gottes
zur Erhebung des Christenthums zur Staatsreligion war, kann nur
der misskennen , der überhaupt für die Wege der Vorsehung kein
Auge hat. Aber wenn die Erscheinung, die er gehabt haben
soll, eine Erfahrung genannt und darin etwas Göttliches in ganz
besonderem Sinne gefunden wird : so wird ihm gewiss mehr Glau-
ben und weniger Aberglauben oder Schlauheit zugeschrieben,
Obiandcr: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 389
als er halte. Und der Ausdruck „in weiser Allmäligkeit erfüllte
er diese Bestimmung" lässt ihn als denjenigen erkennen, der jene
Bestimmung erkannte und derselben nachzukommen bemüht war,
statt dass gewiss unbeschadet des Providentiellen in seiner Wirk-
samkeit, der ewigen Wahrheit des Christenthums und der uner-
schütterlichen Festigkeit des Grundes, auf dem es ruht, ja zur
bessern Beleuchtung dieser Wahrheiten die Politik, mit der Con-
stantin verfuhr, bezeichnet sein könnte. Wir könnten sagen,
der Verf. habe in diesen Lobsprüchen den Kaiser Constantin mit
den Augen des Eusebius angesehen, statt den Standpunkt dieses
Geschichtschreibers zu bezeichnen , und eben dadurch den Cha-
rakter jener Zeit zu schildern. Um zu beweisen, wie wenig diese
Auffassungsweise der sonstigen Art des Verf. fremd gewesen
wäre, kann sich lief, nicht enthalten, einen § herzusetzen, aus dem
man zugleich sehen kann, wie reich an treffenden Winken und An-
deutungen namentlich dieser Theil des vorliegenden Lehrbuchs ist:
§ 97. „Aus den heftigen Trinitätsstrcitigkeiten entzündeten
sich die noch viel heftigeren christologischen (im engern Sinn):
wie in jenen das Verhältniss des Sohnes zum Vater, so war hier
das Verhältniss der beiden Naturen in Christo zu einander der
Streitpunkt. Die nächsten Vorläufer des Streites waren die ent-
gegengesetzten Irrlehren des Noetus , der die göttliche Natur
Christi, und des gelehrten Apollinaris, der die menschliche in
dem gegenseitigen Verhältniss der beiden Naturen schmälerte.
Das Signal des Kampfes (zum Kampfe) gab Nestorius, ein Theo-
loge der syrischen Schule, der durch sein Eifern gegen die Erhe-
bung der i\laria als Gottesgehärerin den fanatischen Eifer Cyrills
in Alc.vandrien und der aegyptischen Schule für die Einheit beider
Naturen und für die Behauptung eines Uebergehens der Eigen-
schaften der einen in die andere entflammte. Mit oft wechseln-
dem Erfolg und auf vielen zum Theil höchst ungeistlichen und
stürmischen Concilien, unter denen das zweite Ephesinische als
Räubersynode gebrandmarkt ist, in mannigfacher Verflechtung
von Hof- und Priesterintriken und Interessen, von Gewalt der
Kaiser und Wuth des Volkes, mit Bewährung und Aufopferung
mancher ehrwürdigen Forscher der Wahrheit wurde dieser lange
und heftige Kampf der Begriffsbestimmungen über das Unbegreif-
liche geführt. Die schon durch des grossen Leo theologischen
und bischöflichen Autheil gewonnene richtige Mitte drang erst
spät, nachdem sie durch die äusserste Steigerung der mystisch -
cyrillischen Lehre zur Vermischung der beiden Naturen (Mono-
physitismus des Eutyches) sehr zurückgedrängt war, zur kirchli-
chen Geltung durch. Als ausgebreitete S^kte erhielt sich der
Monophysitisraus in Aegypten und Nubien , der Nestorianismus in
Persien und Armenien. "
Wir haben oben die einleitende Beschreibung des Charakters
der ganzen zweiten Periode lobend erwähnt : in gleicher Weise
390 Religion.
aber dürfte auch am Schlüsse jeder Periode das, was die Kirche
während derselben geworden ist, zusammengefasst sein. Die
zweite Periode schliesst der Verf. § 104. mit den Worten: „Da-
her die stark entwickelten Anfänge des Heiligen-, Reliquien -
und Bilderdienstes, der Kreuzesverehrung, der Werthschätzung
der Wallfahrten in das heilige Land und überhaupt der Uebergang
zu der immer grössern Veräusserlichung der Kirche in der fol-
genden Periode. " Nur von einer, von der Schattenseite ist hier
in einer allerdings lobenswerthen, zu einer Verfolgung dieses
Fortschrittes im Schlimmen vermittelst einer pragmatischen Nach-
weisung der Einflüsse, die denselben bewirkten, und zu einer
anziehenden Erläuterung dieses § auffordernden Darstellung der
Charakter jener Zeit bezeichnet: aber es sollte auch die Licht-
seite nicht übergangen und was überhaupt in jeder Rücksicht ge-
schehen ist, kurz zusammengestellt sein, in einer Weise, wie am
Schlüsse des ersten §: „erwachsen zu einem Gottesstaate auf
Erden hatte das Christenthum jetzt die Macht erlangt, die Staa-
ten der Welt in sich aufzunehmen , den höchsten Thron besteigt
es in der folgenden Periode11 — wo nur der Ausdruck „Gottes-
staat auf Erden" einer Erläuterung des Lehrers bedarf, wenn er
nicht die Meinung erwecken soll, die äussere Kirche jener Zeit
habe die Natur eines wahren Gottesstaates gehabt. Auch § 113.
endet die dritte Periode nur in einer Einzelnheit, der Spaltung
der römischen und griechischen Kirche und der Hinweisung auf
die in der Folge sich bildende römische Hierarchie.
Von den Kreuzzügen ist § 115. wohl mit Unrecht behauptet,
dass sie den Päpsten zum Wachsthum ihrer Macht gedient haben.
Der Zweck der Päpste bei Veranstaltung der Kreuzzüge mag das
gewesen sein , auch erreichten sie unstreitig diesen Zweck durch
dieses Mittel theilweise: aber die in den Kreuzzügen zugleich lie-
genden Ursachen zur Untergrabung der Macht der Päpste sollten
daneben angedeutet sein.
§ 118. heisst Franz von Assisi mit Dominicus ,, ehrwürdig
durch seinen Geist und edeln Enthusiasmus." Das Irrthümliche
in seinem Leben und Treiben sollte hier doch angedeutet sein.
§ 127. wird von der Lehre der Remonstranten in den Nie-
derlanden gesagt, dass darin ein zwinglisches Element gewesen
sei. Sollte der Verf. die Abweichung derselben von Calvin's
Prädestinationslehre gemeint haben'? soviel Ref. bekannt ist, war
Zwingli in dieser Lehre ebenso streng als Calvin.
§ 129. ist eine treffende Schilderung der Streitigkeiten in
der evangelischen Kirche gegeben, nur sollte hier bestimmter
darauf hingewiesen sein, dass die Lehre der Lutheraner, na-
mentlich, wenn „gleich von ihrem Beginn an ihre Entwickelung
auf die Eine göttliche Quelle und Richtschnur der Lehre, die
heil. Schrift, und auf ihren von jedem menschlichen Ansehen
Oslander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 391
unabhängigen Gebrauch gerichtet" unter diesen Streitigkeiten die
Exegese unter das Joch der Dogmatik gebeugt habe.
So sehr man, wie schon bemerkt wurde, vielmehr auf
Beschränkung, als auf Vermehrung des Stoffes in diesem Lehr-
buche dringen sollte, so ist dennoch § 134. unter den Verunrei-
nigungen des Lebens der evangel. Kirche auch der Hang zur Al-
ehymie im 16. und 17. Jahrhundert noch zu erwähnen.
§ 138. wird Fenelon Bossuets Freund genannt; hier dürfte
wohl das nicht sehr freundschaftliche Verfahren Bossuets gegen
Fenelon angedeutet sein.
Unter den ausgezeichneten §§ dieses Lehrbuchs möchte
Ref. aus diesem Abschnitte gerne den 139. ganz hersetzen, wo
die Theologie und Philosophie in der evangel. Kirche nach der
Reformationszeit so umfassend und gedrängt und mit so treffenden
Bemerkungen geschildert ist, dass auf eine gründliche und vollstän-
dige Erklärung der einzelnen Sätze und Ausdrücke gewiss 6 Stun-
den verwendet werden müssten. Nur das Urtheil über das ge-
genwärtig herrschende philosophische System setzt Ref. aus die-
sem § her, um zu zeigen, wie der Verf. auch die der seinigen
entgegenstehenden Ansichten zwar mit entschiedener Verwer-
fung, aber doch mit billiger Beurtheilung zu schildern weiss:
„weit directer und einflussreicher, heisst es, hat das neueste und
sublimirteste System des Idealismus Hegels auf den Gang der re-
ligiösen und christlichen Ideenentwickelung in sehr verschiedenen
Richtungen und Partieen eingewirkt, theils den Offenbarungen
und den Grundwahrheiten des Christenthums sich anschliessend,
theils kritisch -speculativ seine religiös - geschichtliche Basis ver-
nichtend."
Wie wir oben an den einzelnen Perioden einen zusammenfas-
senden Schluss vermissten, so wäre noch weit mehr am Ende der
ganzen Kirchengeschichte ein Rückblick auf die letzte Periode
und auf die ganze Kirchengeschichte zu erwarten. Dadurch
würde die Darstellung, ohne dass das Werk um ein Bedeutendes
vergrösiiert würde, ungemein viel an Fasslichkeit und an dem
christl. Pragmatismus gewinnen, der diese Uebersicht der Kir-
cheugeschichte vor vielen anderen Versuchen der Art rühmlich
auszeichnet.
Ueber die Darstellung der ausserchristlichen Religionen
§ 144 — 156. erlaubt sich Ref. nur eine Bemerkung im Allgemei-
nen: eine Schilderung der organischen Entwickelung der religio
sen Ideen der alten und der nichtchristlichen Völker wäre, soweit
eine solche möglich ist, hier sehr am Orte. Die Antwort, die
der Verf. etwa auf diese Ausstellung geben würde, steht am Ende
§ 157. „so interessant und wichtig der Futwickelungsgang dieser
Religionen und die Entwickelung der Menschheit durch die in ihr
zerstreuten Funken der Wahrheit ist; so lassen sie sich doch als
uothwcndige Eutwickelungsstufen des Geistes ebenso wenig be-
392 Religion.
trachten, als der Irrthum and die Sünde, die ihnen ankleben,
und von welcher (welchen) die Erlösung von Anbeginn eingelei-
tet, nur durch die vollkommene Offenbarung Gottes im Fleisch
der Welt konnte vermittelt und verkündigt werden.'1. Aber wie
das Unkraut seine Gesetze des Wachsthums, so haben auch Irr-
thum und Sünde ihre Gesetze der Entwickelung, die berücksich-
tigt werden können, ohne dass diese Entwickelung zu einer iwth-
tvendigen Entwickelung des Geistes gemacht wird. Zudem ha-
ben die in der oben ausgehobenen Stelle vom Verf. in den heid-
nischen Systemen anerkannten Funken der Wahrheit ihre beson-
dere Kraft, der in einem solchen Werke um so mehr nachgegan-
gen sein sollte, da erst auf diesem Wege die Erlösungsbedürftig-
keit und Erlösungslähigkeit der Menschen vollständig dargestellt
werden könnte. Wenn in jedem Systeme das Grundprincip auf-
gesucht und die Fortbildung desselben, unter fortwährenden
äusseren Einflüssen, bedingt durch den in seiner Weise sich aus-
bildenden Volkseharakter, nachgewiesen wäre, so hätten wir eine
vollständige organische Entwickelung dieser Religionen. Freilich
ist diese Forderung leichter zu machen, als zu erfüllen, da wir
selbst von der griechischen Religion, die uns die bekannteste ist,
doch nur fragmentarische Kenntnisse besitzen.
Im Einzelnen bemerken wir nur, dass § 156. in der Schilde-
rung des Muhamedanismus die zerstörende Kraft des Muhameda-
nismus, wie sie in ihren Folgen vor Augen liegt, auch erwähnt
sein sollte.
Doch, um nicht allzulange bei dem Einen Abschnitte zu ver-
weilen, gehen wir über auf die Einleitung in die Bibel, wo wir
zuerst die Gelegenheit ergreifen, die schon bei der biblischen
Geschichte erwähnten Grundsätze der Kritik weiter zur Sprache
zu bringen , so weit es ohne Streit über theologische Principien
möglich ist.
„Ungetrübte Reinheit der Ueberlieferung" ist nach § 5. „der
göttliche Endzweck."1 Woher lässt sich das beweisen? a priori*?
dann ist der Boden der historischen Forschung in Urkunden der
positiven Religion aufgegeben. Oder a posteriori'? Eine aus-
drückliche Behauptung, dass dem so sei, kann in der Bibel nicht
nachgewiesen werden , und aus der Wahrheit der Geschichte
selbst es beweisen zu wollen und , um dies zu können , keinen
auch nocli so gegründeten Zweifel gegen die Wahrheit eines Fa-
ctums zuzulassen, das wäre ein grosser Cirkel. Doch im genann-
ten § 5. heisst es nur: „ein göttliches Walten über der Schrift
hat auch in dieser Hinsicht gesorgt und diese heiligen Urkunden
ausgezeichnet, indem sie mit einer Reihenfolge der gewichtigsten
Zeugen beglaubigt und durch den früh verbreiteten Gebrauch eine
solche Menge, Mannigfaltigkeit, Tüchtigkeit von Handschriften,
Uebersetzungen, Citaten an das Licht gefördert hat, dass sich
der Text der Schrift, zumal in allem Wesentlichen, mit Zuver-
Oslander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 393
sieht ermitteln und seine Vollständigkeit sich erschliesscn lässt."
Welche Andeutungen haben wir über die Art der Aufbewahrung
der historischen Schriften vor Sammlung des Kanons'? Wohin
gehen wir mit den verschiedenen Lesarten in verschiedenen Re-
censionen desselben Stücks, wie Ps. 18. und 2. Sam. 22.? Was
sagen wir über die Widersprüche oder Abweichungen in Ge-
schichtsbüchern, die dieselbe Begebenheit erzählen? Wann ist
der älteste Codex A. TV, den wir besitzen, geschrieben? Mit
der Beantwortung solcher und ahnlicher Fragen müsste man in
Widerspruch gerathen gegen die oben angeführten Behauptun-
gen, die freilich ihre Beschränkung mit sich führen, indem dabei
steht : „in allem Wesentlichen" lasse sich der richtige Text er-
mitteln. Aber das, was in Beziehung auf die Texteskritik zuge-
geben ist, sollte doch auch in Beziehung auf die Kritik der Ge-
schichte zugegeben sein, weil es sonst heisst: nil probat, qui
nimium probat.
Zwar giebt der Verf. auch in der historischen Kritik die vor-
handenen unleugbaren Gründe für eine Irrthumsfähigkeit der
Verfasser dieser Geschichten zu , indem er z. B. § 13. vom Buch
Josua sagt: „Die Verschiedenheit der Quellen konnte einige nicht
unauflösbare Widersprüche in den Angaben veranlassen." Aber
die Gründe , mit denen die ,, Treue der Geschichte" bewiesen
werden soll, sind der Art, dass man sieht, schon der Gedanke
an eine Irrthumsfähigkeit ist dem Verf. unvereinbar mit seiner
Vorstellung von dieser Treue; denn er sagt: „durch die Natur
der. erzählten Begebenheiten, sofern sie als wichtige öffentliche
Handlungen einer Aufzeichnung bedurften, durch die nahe und
wichtige Stellung Josuas bei denselben als Kriegs- und Staats-
haupt, durch den entsprechenden alterthümlichen Charakter der
auftretenden Personen wird es sehr wahrscheinlich, dass der
Verfasser, von den Begebenheiteu nicht allzuferne, seine Ge-
schichte sehr treu aus gleichzeitigen Urkunden, die er zum Theil
selbst erwähnt, und zwar wohl aus Urkunden Josuas selbst ge-
schöpft habe." Unter die Begebenheiten, die eine Urkunden-
massige Aufzeichnung bedürfen konnten , gehört im Grunde nur
die Austheilung des Landes; was folgt aber aus dieser für die
Erzählung von Schlachten oder von andern, das ganze Volk be-
treffenden Begebenheiten? Und überdies finden sich gerade in
der Austheilung des Landes bedeutende Schwierigkeiten durch
Widersprüche mit den in der gleich folgenden Geschichte der
Richter vorliegenden Verhältnissen. Was hat ferner Josua's
Stellung zu den Begebenheiten mit der Treue der Erzählung zu
schaffen? Sollte nur in der Geschichte eines israelitischen
Staatsoberhaupts ängstliche Genauigkeit geübt worden sein, wäh-
rend in unserer Zeit der Kritik so manche Unwahrheit in Bezie-
hung auf wichtige Staatsverhandlungen ausgeht und geglaubt
wird. Wenn sodann die auftretenden Personen alicrthiimlich
394 Religion.
sind: war das der Verf. selbst, wenn er ein halbes Jahrtausend
nach den Begebenheiten gelebt hätte, nicht auch für uns*? Müss-
ten sie es nicht sein , wenn auch der Verf. in seinem Sinn Alles
modernisirt hätte4? Woher lässt sich endlich beweisen, dass das
Buch der Froramen, aus dem Jos. 10, 11 ff. Stellen angeführt
werden, eine gleichzeitige Urkunde sei? Was beweist der nach
C. 22. errichtete Altar weiter, als dass an dieses Denkmal die
Sage von dieser Begebenheit geknüpft worden, folglich schriftli-
che Urkunden davon zur Zeit des Verf. nicht vorhanden gewesen
seien 1 Wo sind die Gesetze und Rechte zu finden , die 24. 25.
erwähnt sind'? gewiss können damit nicht Geschichtserzählungen
gemeint sein , was in der JVote für möglich erklärt wird. „Mög-
lichkeit, letztere Stelle für Josua als Hauptverfasser des Ganzen
zu benützen. " Wer diese Gegenfragen des Ref. liest, der könnte
glauben, derselbe wolle alle historische Glaubwürdigkeit des
Buches Josua aufheben. Aber durch diese Meinung wird nur
dem obenerwähnten Satze: nil probat, qui nimium probat —
Zeugniss gegeben. Die Beweisführung des Verf. ruft solche Ein-
zelreden hervor, die Alles umzustossen scheinen. Denn wer die
Glaubwürdigkeit dieses Geschichtsbuchs mit der vorgefassten Ab-
sicht untersucht, eine der buchstäblichen Wahrheit möglichst
nahe kommende Treue der Erzählung zu beweisen , der veran-
lasst solche Zweifel und weckt, wenn er junge Leute vor sich
hat, die ihre Freude am Niederreissen haben, eine Art der Kri-
tik, welche alle Glaubwürdigkeit der biblischen Geschichte un-
tergräbt, eine Kritik, von der Ref. weit entfernt ist. Denn auf
der historischen Wahrheit der alttestam. Geschichte ruht seine
eigene dogmatische Ueberzeugung von der Göttlichkeit der bibli-
schen und namentlich der christlichen Offenbarung. Aber seinen
Glauben an jene historische Wahrheit auf schwache Stützen zu
gründen und sich zu bereden, ein unzureichender Beweisgrund
müsse dennoch für kräftig gelten, scheut er sich um so mehr,
weil jede Scheu vor vollständiger Untersuchung die Meinung zu
verrathen scheint , als hätte Gott in der Begründung seiner Of-
fenbarungen aus Versehen eine Lücke gelassen, die nun der
Mensch zudecken oder ausfüllen müsse. Dies auch in Beziehung
auf andere Stelleu dieses Lehrbuchs anzuwenden, würde vom
Zweck einer beurtheilenden Anzeige allzuweit abführen. JNur
noch eine einzige Stelle aus der Einleitung ins A. T. anzuführen
kann Ref. nicht unterlassen, weil sie die Scheu vor kritischen
Fragen besonders deutlich charakterisirt: § 22. „Der Inhalt des
Buches Esther schliesst sich in Hinsicht auf die Veranlassungen
und Folgen der erzählten Begebenheit nahe au die vorhergehende
und nachfolgende Geschichte, sowie an die persischen Zeitver-
hältnissc und Sitten an, füllt eine bedeutende Geschichtslücke
(zwischen dem ersten und anderen Theil des Buches Esra) aus
Oslander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 395
und begründet seine Glaubwürdigkeit auch durch ein lange fort-
dauerndes Denkmal im Feste Purim."
Uebrigens werden schon diese ausgehobenen Stellen dem
Leser dieser Anzeige gehörig Beweis dafür geben , dass auch
dieser Theil dieses Lehrbuches, mit dem sich Ref. wegen der
darin befolgten Grundsätze hist. Kritik am wenigsten befreunden
kann, dennoch das Ergebniss tiefen und consequenten eigenen
Studiums, verbunden mit umfassender Belesenheit, sei.
Das Gleiche lässt sich, nur in noch höherem Grade, von
der Einleitung ins N. T. rühmen, und wenn Ref. einige von den
ihm als unrichtig erscheinenden Behauptungen aushebt, so will
er damit nur einen Beweis geben , dass er auch diesen Theil des
Buches mit Genauigkeit durchgelesen hat.
Am Schluss § 65. wird von den paulinischen Briefen behaup-
tet, sie seien im Kanon nach einer passenden Sachordnung ge-
stellt. Warum nicht lieber, wie das auch Neander annimmt, nach
dem Range der Gemeinden'? Eine Sachordnung wird sich bei
Briefen, die zum Theil, wie die an die Corinther, viele ganz
verschiedene Gegenstände besprechen, schwer durchführen las-
sen, und der Brief an die Galater müsste unstreitig bei einer
Sachordnung die erste oder nach dem Brief an die Römer die
nächste Stelle einnehmen.
Doch wir haben schon zu viel Raum für diesen Theil der Be-
urtheilung in Anspruch genommen und müssen uns endlich beei-
len, zu der christlichen Religionslehre, welche den 3. Theil die-
ses . Lehrbuchs ausmacht, überzugehen. Hier befindet sich der
Verf. auf seinem eigenthümlichen Felde, was sich darin zu er-
kennen giebt, dass dies unstreitig der gelungenste Theil des
Buches ist. Ohne aber Einzelnes zum Lobe auszuheben, will
Ref. hauptsächlich diejenigen Stellen bemerklich machen, in de-
nen der Zweck dieses Compendiuras der Dogmatik, zu einem
Lehrbuch für Schüler von 17 Jahren zu dienen, nichtgehörig
berücksichtigt zu sein scheint.
In der sogenannten Apologetik lässt vorliegendes Lehrbuch
dem historischen, d.h. dem aus den Aussprüchen und Thaten
Jesu und der Apostel selbst genommenen Beweise für die Gött-
lichkeit des Christenthums, die gewöhnlichen philosophischen
Vorfragen über den Begriff, die Möglichkeit, Notwendigkeit und
Erkennbarkeit der Offenbarung vorangehen. Die Zweckmässig-
keit der Aufnahme solcher Fragen in den Kreis dieses Unterrichts
möchte Ref. sehr bezweifeln. Es ist kaum anders möglich, als
dass Leute dieses Alters , wenn man solche Beweise führt und
anführt , ohne der sie hervorrufenden Einwürfe und Angriffe zu
erwähnen, gar kein Interesse haben, weil sie meinen, was ein-
mal sei, 'dessen Möglichkeit und Notwendigkeit brauche nicht
erst erwiesen zu werden. Legt man aber, um die Unternehmung
dieser Beweisführung zu rechtfertigen, die Gründe für den Zwei-
396 Religio n.
fei mit der nöthigen Popularität dar; so erscheint derselbe als un-
widerleglich und wird durch jeden Gegenbeweis verstärkt. Doch
diese Frage über das Mehr und Minder in Einführung der Schü-
ler in philosophische und theologische Materien, über die Grenz-
linie, diesseits welcher der Religionslehrer immer zu verweilen
habe, ist wohl nie für Jeden überzeugend zu beantworten, und
die Antwort muss grossentheils von der Individualität des Lehrers
und seiner Schüler abhängen. Aber das Lehrbuch hat auf die
Verschiedenheit derselben Rücksicht zu nehmen. Was in dieser
Beziehung hätte geschehen können und sollen, darüber sei es
Ref. erlaubt, nur in Beziehung auf einen Satz dieses Lehrbuchs
seine Ansicht auszusprechen.
§ 9. beginnt also : ,, Schon die unserm Geiste wesentliche
Idee der Religion, die ein lebendiges Verhältnis« des Menschen
mit Gott enthält und bezweckt, lässt an der Möglichkeit einer
Offenbarung, als einer Begründung und Erneuerung dieses Ver-
hältnisses von Seiten Gottes, nicht zweifeln." Schwerlich wird
ein Schüler vor der Lection wissen, was das heissen soll, und
wenn gleich das Wort Möglichkeit durch den Druck hervorgeho-
ben ist, so kommt er nicht darauf, dass in diesen Worten die
Möglichkeit der Offenbarung bewiesen werden soll. Also sagt
ihm das der Lehrer, und führt ihn in das Verständniss des Be-
weises ein. Thut er nun dies in derselben abstracten Form,
sucht er in solcher Weise seinen Schülern darzutbun, dass sie in
einem lebendigen Verhältniss zu Gott stehen und stehen sollen :
so entsteht in ihnen das Gefühl, oder die auf ein dunkles Gefühl
gegründete Vermuthung, man wolle ihnen religiöse Gefühle auf-
nötbigen, und sie treten zurück. Bios wenn Beispiele zu Grunde
gelegt werden, wenn man das Leben Abrahams, Moses, der/
Propheten, Jesu als ein Leben vor Gott und in beständiger Ver-
bindung mit Gott schildert, wird sich jene Wirkung vermeiden
lassen. Um aber dazu zu veranlassen, hätte der Verf. gewiss
besser gethan, ins Lehrbuch gleich eine solche concreto Behand-
lung dieser Frage aufzunehmen. Dies heisst aber nicht viel mehr,
als oben schon gesagt ist, diese philos. Vorfragen wären lieber
ganz übergangen worden , was gew iss um so unbedenklicher hätte
geschehen können, da der nachfolgende exegetische Beweis für
die Göttlichkeit des Christenthums nach allen Theilen gründlich
und umfassend geführt ist. Nur mit der einen Wendung § 27.
kann sich Ref. nicht verständigen: „Für den göttlichen Inhalt des
Christenthums bürgt uns auch der göttliche Ursprung der Bücher,
worin es niedergelegt ist. Die den Aposteln bleibend und für die
höchsten Endzwecke der Gemeinde verliehene Amtsgabe des hei-
ligen Geistes befähigte und begeisterte sie wie zu göttlich reinem
mündlichen Vortrage, so zur ungetrübten schriftlichen Ueberlic-
ferung der göttlichen Lehre." Davon soll hier nicht die Rede
sein, dass der in diesen Worten liegende Beweis für die Inspiration
Osiamler: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 397
nur die göttliche Begeisterung der Apostel darzutliun im Stande
ist , und die historischen Schriften , unter denen besonders die —
freilich hier im Verlaufe d( s § mit Stillschweigen umgangenen —
historischen Schriften A. T. begriffen sind, nur durch eine unge-
bührliche Ausdehnung der Beweiskraft hereingezogen werden.
Der Zweck obiger Anführung sollte nur sein, darauf aufmerksam
zu machen, dass durch die Wendung, durch welche diese Worte
diesen § an den vorhergehenden ans.chliessen , die Inspiration
zum Grund des Glaubens an die Göttlichkeit des Inhalts der
christlichen Lehre gemacht würde, was wohl schwerlich der Sinn
des Verf. ist, und was in keinem Falle zugegeben werden könnte,
da man ja für die Inspiration, wenn man nicht das testimonium
spiritus saneti auf sie ausdehnen wollte, keinen andern Beweis
hat, als im Inhalte der Schrift.
In der Versöhnungslehre vermisst Ref. die hier vor Allem
nöthige Klarheit in Hervorhebung der Hauptgesichtspunkte.
§ 74. heisst es : „Die erste Absicht und Frucht dieser Selbstauf-
opferung (des Leidens und Sterbens Jesu) ist die Versöhnung der
Menschen mit Gott, die Entfernung der in unsern Sünden und
im heiligen Gerichte Gottes über sie gelegenen Hindernisse un-
serer Seligkeit. Der Tod Jesu ist Pfand und Ursache der Verge-
bung unserer Sünden, als der die Schatten des alten Bundes voll-
endende Opfertod des Heiligen für die Sünder, als vollendete
Erfüllung des heiligen Willens Gottes und seines, das heilige
Missfallen an der Sünde, den Fluch über sie verkündenden Ge-
setzes. Gott versöhnte in diesem Akt seiner tiefsten Herablas-
sung die Welt mit sich selbst in seinem Sohne, der mit freiestem
und heiligstem Willen die sündige Menschheit vertrat und kraft
des unendlichen Mitgefühls seiner göttlich- menschlichen Liebe in
den Antheil am Sündenelend eintrat." Im ersten Satze ist als
erste Absicht und Frucht des Todes Jesu die Versöhnung der
Menschen mit Gott gesetzt, unter diesen Begriff aber zugleich
die Entfernung der Sünde und die Vollziehung des göttlichen Ge-
richts aufgenommen, 2 Punkte, die in den 2 folgenden Sätzen in
umgekehrter Ordnung weiter ausgeführt werden. Sodann ist im
2. Satze schwer nachzufolgen und einzusehen , wiefern der Tod
Jesu die Kraft hat, Sündenvergebung zu wirken. Er hat sie 1)
als Opfertod, 2) als vollendete (vollendende'?) Erfüllung des hei-
ligen Willens Gottes und (wird hiermit ein dritter Punkt ange-
fügt, oder der zweite erklärt, an die Stelle des Willens Gottes
das göttliche Gesetz gestellt?) seines Gesetzes. Endlich -lässt
sich das, was über das göttliche Gesetz gesagt ist, schwer in Zu-
sammenhang mit dem Tode Jesu bringen: „es verkündet das heil.
Missfallen Gottes an der Sünde, den Fluch über sie", — also ge-
wiss am wenigsten über Jesum, der ohne Sünde war. Die in den an-
geführten Worten des § angedeutete Erklärung der dabei angeführ-
ten Bibelst. Gal. 3, 13. 2 Kor. 5, 21. lässt sich schwer durchführen.
398 Religion.
An sich wohl verständlich aber als die Grenzen unsers Wis-
sens übersteigend, scheint ein Theil §78., zumal für ein sol-
ches Lehrbuch, überflüssig zu sein. „Der Zustand nach dem
Tod ist nicht ein ganz unentschiedener Mittelzustand oder gar
Stillstand des Seelenlebens, sondern ein aus Ruhe, Entwicklung
und Entscheidung in verschiedenen Graden und Arten gemischter
Zustand, der sowohl mit dem sittlichen Werthe des irdischen
Lebens , als mit der letzten feierlichen Entscheidungsepoche in
bewusstem Kausalzusammenhange steht, bei denen, die hier
schon in Glauben und Gemeinschaft des Erlösers bewährt sind,
ist der Zwischenzustand (zwischen Tod und Auferstehung) mit
der Erlösung selbst innigst verbunden , und bei ihnen herrscht
die selige Entscheidung ibres Looses vor." Die wesentlichen
Punkte dieser Darstellung sind zwar mit Bibelstellen belegt und
die in dieser Anführung enthaltene Erklärung dieser Bibelstellen
in der Anmerkung durch die Worte gerechtfertigt : „ dem höhe-
ren Realismus der Bibel gemäss, dürfen nicht alle sinnlichen
Ausdrücke darüber als Bilder gefasst und in abstrakte Begriffe
verflüchtigt werden. " Allein wer will die Grenze ziehen 1 Der
Verf. hätte hier mit Recht voraussetzen dürfen , dass mancher in
den wesentlichen Lehren des Christenthums vollkommen mit ihm
einige Lehrer hier für Bild nimmt , was er für einen Ausdruck
des höheren Realismus der Bibel erklärt, und hätte lieber solche
Lehrer nicht in die Nothwendigkeit versetzen sollen , durch Ue-
bergehung dieses § dem Lehrbuche zu widersprechen.
Doch dieser Widerspruch würde allerdings, weil er nicht
das Wesen betrifft, dem Lehrbuche in den Augen des Schülers
wenig Schaden bringen, und in sofern kann auch die letzte Aus-
stellung von minderem Belang sein, und wir gehen auf Wichtige-
res über.
In der Sittenlehre, die sich mit fortlaufender Paragraphen-
zahl als zweiter Theil der christlichen Religiouslehre an die
Glaubenslehre anschliesst, will Ref. um so mehr bei einer Haupt-
ausstellung verweilen, da diese das Wesen der Auffassung selbst
betrifft und das Uebrige entweder zu lobender Anerkennung oder
zu minder wichtigen Wünschen Anlass giebt. Es ist die beim
dogm. l'rincip des Verf. am wenigsten zu erwartende, dass das
evangelische Princip der Sittlichkeit nicht überall bestimmt genug
festgehalten ist. Je unerwarteter die Ausstellung ist, desto
mehr ist es nöthig, dieselbe zu beweisen und zu rechtfertigen,
Zu diesem Zweck soll zuerst die Uebereinstimmung dieser
Sittenlcbrc mit der Moral des Evangeliums dargethan werden.
Das Princip der Moral ist gleich in der allgemeinen Sitten-
lehre § 101. besprochen und darüber folgendes gesagt: „Die
Vereinigung des formalen und materialen Grundsatzes ist in der
christl. Sittenlehre gegeben durch das Grundgesetz der Liebe
Gottes; eine in der Idee der unendlichen, namentlich sittlichen
Oslander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. 399
Vollkommenheiten gegründete Richtung unserer vernünftigen Trie-
be auf Gott. Mit diesem Princip hängt, da Gott selbst die Liebe,
Urbild und Urquell aller Vollkommenheit ist, das Princip der
Nachahmung Gottes und der Vollkommenheit zusammen. Es
schliefst sich genau an die Idee des Guten und der lebendigen
Urbildlichkeit des Guten in Gott an , knüpft das Gute zugleich
an das Gefühl des Menschen und zeichnet sich durch allseitige
Wirksamkeit, Reinheit und Naturgemässheit vor allen Principien
philosophischer Sittenlehre aus. " Dies wird in der besondern
Sittenlehre unter den Pflichten gegen Gott § 109. noch näher so
bestimmt : „ die innere Verehrung Gottes wird im Christenthum
näher bestimmt durch das nie ganz entschwindende Gefühl der
Sünde und durch die höchste Verherrlichung der sittlichen Voll-
kommenheit Gottes, besonders der Gnade" und § 110. „die
Liebe Gottes wurzelt in dem Erlösungs - und Versöhnungsbe-
dürfniss und erhält durch die zuvorkommende, zur Gemeinschaft
mit uns sich herablassende Liebe ihre stärkste Reizung und Ver-
pflichtung. " Damit stimmt von einer andern Seite überein, was
schon im allgemeinen Theil, in der Lehre von den sittlichen An-
lagen des Menschen über die Freiheit gesagt ist: § 97. ,,Das
Christenthum zeigt die Freiheit des Menschen zwar durch die
Sünde alterirt, in Beziehung auf das Gute äusserst geschwächt
und verkehrt, jedoch nicht zerstört, sondern als Empfänglich-
keit für höhere Einflüsse und Wahrheiten immer noch vorhan-
den. Daher wird sie in den Ermahnungen und Triebfedern stets
angesprochen , und durch die Lehre und Kraft der Erlösung,
durch das Wirken der freien Gnade Gottes im Menschen wird mit
dem ganzen Menschen auch seine Freiheit wiederhergestellt zu
ihrer vollen Kraft für das Gute und Göttliche." ,,Das Christen-
thum, als Anstalt der Erlösung, ist das Gesetz der Freiheit."
§ 99. wird dem Gesetze eine das Gewissen erweckende, der Er-
lösung eine es beruhigende , reinigende und vollendende Kraft
zugeschrieben und von der Erlösung gesagt, sie habe im Gewis-
sen, als dem bewussten Erlösungsbedürfniss des Menschen, ihren
wichtigsten Anschliessungspunkt. § 102. „Die Schrift beschränkt
die blos erlaubten, gleichgültigen Handlungen durch das Grund-
gesetz heiliger Liebe, das jeden Moment des Lebens beherrschen
soll. "
Diese Stellen insgesammt mussten angeführt werden, weil
sonst durch das Folgende die Meinung erweckt werden könnte,
die Sittenlehre dieses Lehrbuchs trete ganz aus dem ev. Stand-
punkt heraus; es steht auf demselben in seinem Princip und in
der Durchführung dieses Princips bei den allermeisten Pflichten ;
nur die rilichteji gegen den Nächsten sind nach Ref. Ansicht in
dieser Darstellung verkürzt. § 138. z. B. heisst es: ,,Die erste
Grundbedingung des sinnlich vernünftigen Daseins und Wirkens
ist das Leben. Gott hat durch die Natur und durch sein Wort
400 Religion.
und durch den hohen Zweck des Lebens dem Menschen ein hei-
liges Recht auf dasselbe eingeräumt, das weder auf gröbere noch
auffeinereWei.se, weder ganz noch theilweise verletzt werden
darf, ohne besondere Collision mit dem eigenen oder dem Ge-
sellschaftsrecht auf dasselbe Gut; dies sind die gesetzmässigen
Ausnahmen, die obrigkeitliche Todesstrafe, der rechtmässige
Krieg und die Privatnothwehr. " Ist der in dieser Stelle zum
Princip erhobene Rechtsbegriff mit den Forderungen Christi und
mit dem Princip der Liebe vereinbar'? Unmöglich; im Begriff des
Rechts liegt eine Abschliessung, in dem der Liebe eine Hinge-
bung der Persönlichkeit, und Stellen wie Matth. 20, 26 f^g. 18,
22. 5, 38 ff. und viele ähnliche sprechen es buchstäblich aus,
tlass der Christ kein eigenes Recht einem fremden gegenüber
stellt. Einigermaassen erkennt der Verf. dies selbst an, indem
er in demselben § 138. sagt: „vom christlichen Standpunkt aus
selbst sind jene gesetzlichen Ausnahmen (Todesstrafe, Krieg
und Nothwehr) von dieser Pflicht möglichst zu beschränken , und
die Aufnahme solcher abnormen Zustände und Handlungsweisen
ist als eine, wenn gleich bis jetzt noch ideale, Aufgabe des Chri-
stenthums, deren möglichst annähernde Lösung heilige Pflicht
ist, zu betrachten. " Im letzten Ziel ist demnach der Verf. mit
uns einverstanden: aber jene Aufgabe des Christenthums darf
nicht darum , weil sie eine ideale ist, beschränkt und herabge-
stimmt werden. Die christliche Sittenlehre muss ihren Unter-
schied von einer Rechtsgesetzgebung behaupten und muss dem
Christen das Ideal vorhalten, das von unserm Herrn durch Wort
und That aufgestellt worden ist. Wenn dann der Staat um des
Herzens Härtigkeit willen für bestimmte Fälle noch besondere
Bestimmungen zu machen hat, so unterliegen solche allerdings
dem Urtheil der christlichen Moral , aber der Staat kann von
dieser nicht getadelt, sondern muss wegen dieser Berücksichti-
gung der Bedürfnisse der Gesellschaft gelobt werden. Aber der
Einzelne hat als Christ seine Christenpflichten stets aus einem
und demselben Standpunkte zu betrachten. Wird also der Christ
z. B, nie eine Schuldklage anhängig machen 1 Durch solche Fra-
gen aus einer Casuistik wird schon der Standpunkt verrückt. Un-
terlässt dieser die Schuldklage nur aus Sorglosigkeit, weil ihm
der Schutz seines Eigenthums Unannehmlichkeit verursachen
würde, so handelt er unrecht. Verfolgt ein Anderer eine Schuld-
klage blos, um sein Recht zu verfechten, so handelt er auch un-
recht. Wenn der Satz der Moral in der Wirklichkeit eingeführt
und für eine Reihe von Fällen zum Gesetz erhoben werden soll,
so wird er ebendamit zum tödtenden Buchstaben. Darum können
jene einzelnen Fälle immer nur vom idealen Standpunkte des
Christenthums aus beurtheiit werden. Auf diesen weist dies
Lehrbuch in den oben ausgehobenen Stellen und auch anderswo
fortwährend hin, z. B. § 139. „Die Schrift bestraft schon klei-
,
Hülfsb. z. Stylüb. v. Herzog, Bucliberger, Hierschc, Borruann. 401
nerc Vergebungen dieser Art als Befleckung und Verscherzung
der Bürgerwürde des himmlischen Reichs. u Aber diese Bür-
gerwürde ist ein unveräusserliches Gut und darf nicht auf Zeiten
gegen ein irdisches Bürgerrecht in den Schatten gestellt werden.
Doch es ist Zeit, diese Anzeige zu scliliessen. Nur einen
Wunsch kann Bef. nicht zurückhalten. Aus dem Bestreben, die
§§ durch Mannigfaltigkeit der Uebergänge an einander zu knüpfen
und durch die ganze Darstellungsweise das logische Gerippe zu
überkleiden, ist oft eine für den Schüler nicht nur, sondern oft
auch für den Lehrer fühlbare Schwierigkeit, den Zusammenhang
des Ganzen und Einzelnen festzuhalten entstanden, eine Schwie-
rigkeit, die ohne Zweifel auch dem Leser dieser Anzeige schon
aus den einzelnen ausgehobenen Stellen fühlbar geworden ist.
Um desswillen würde nach unserer Ansicht die Brauchbarkeit
dieses Lehrbuchs um Vieles erhöht, wenn, wie diess schon oben
in Beziehung auf die Kirchengeschichte ausgesprochen wurde,
jeder § seine besondere, mit neben- und unter- ordnenden Zah-
len und Buchstaben versehene, Ueberschrift hätte. Oder wenn
der Verf. dieses scheut, so sollte um so gewisser in der voran-
stehenden Inhaltsübersicht mehr, als geschehen ist, aufs Ein-
zelne eingegangen und dort der Inhalt jedes § mit Beisetzung der
Paragraphcnzahl nachgewiesen sein.
, JNicht , um auch noch etwas zu loben , nachdem Mehrcres
getadelt ist , sondern um eine besondere Freude nicht zu unter-
drücken, muss Ref. noch eine Eigenschaft des Lehrbuchs rüh-
mend anerkennen, durch die es in gegenwärtiger Zeit als ge-
wichtige Stimme aus unserm Vaterlande angesehen werden kann.
Es ist diess die fortwährende Hinweisung auf Stellen von röm.
und griech. Classikern, oft wörtliche Aushebung derselben. Da-
durch widerfährt dem Studium dieser Schriftsteller nach 2, Seiten
lim ihr Recht: sie werden in ihrem so sonderbar verkannten
Werth einfach anerkannt , und daneben wird der Unterschied
zwischen klassischem Alterthum und Christenthum klar vor Au-
gen gestellt.
So schliesst Ref. mit dem Wunsche, dass dieses Lehrbuch
hei Lernenden und Lehrenden viel anregen , echt christliche Er-
kenntuiss begründen und fördern, echt christlichen Sinn pflanzen
und dadurch des Segens viel stiften möge.
1. Stoff zu stilistischen U ebungen in der Mutter-
sprache. Für obere Classen. In ausführlichen Dispositionen
und kürzern Andeutungen von D. G. Herzog, Director des Gymna-
siums und Professor zu Bernburg. Zweite verbesserte und stark
vermehrte Auflage. Halle bei C. A. Schwetschke und Sohn. 18<J9.
XVI u. 414 Seiten. 8.
N. Jahrb. f. Phil. u. FaeA.od. Krit. Hihi. 11,1 XXVI II. HU. 4. 26
402 S t y I ü b ti ti g e 11.
2. Themata d is posita Juvental! laudU oratoriae appetcnti —
adjectn subsidiorum promptuario — componenda offert AI. Bucli-
bcrger. Usus magister egregius. Landishuti, MDCCCXXX1V.
Siuntibus ac typis Jusephi Thomann. (Joh. Nep. Attenhofer.) —
IV u. 193 S. 8.
3. Ideen zu Stylübungen mit Andeutungen zum Ge-
brauche derselben beim Unterrichte in obern Mädclienclassen der
Bürgerschulen nebst beigefügten Sfylprobcn. Gesammelt von C.
Wasche, Prediger Zweite Sammlung. Zweite verbesserte und
sehr vermehrte Auflage. Leipzig, 1835. YVeygandsche Verlags-
buchhandlung. (L. Gebhardt.) XVI u. 28ß Seiten. 8.
4. M etho dis che Anweisung zum Unter r icht in den
deutschen Stylübungen mit besonderer Rücksicht auf
die Fertigkeit im mündlichen Vortrage entworfen , und mit vielen
stufenmässig geordneten Uebungsaufgaben ausgestattet. Ein
Handbuch für Lehrer in Elementar- und Bürgerschulen von Karl
Bormann i Rector der neuen Töchterschule auf der Fricdrichsstadt
und Lehrer am königl. Seminar für Stadtschulen in Berlin. Zweite
verbesserte und vermehrte Auflage. Berlin, 1838. Verlag von
Hermann Schultze. (Vormals C. F. Piahnsche Verlagsbuchhand-
lung.)
Aus der sich jährlich vermehrenden Anzahl von Hülfsmitteln
für den Unterricht im deutschen Style, hesonders von Anweisun-
gen und Aufgabensammlungen sind hier vier herausgehoben und
zusammengestellt, theils weil sie wohl zu den bessern und zu-
gleich wohlfeileren gehören , wie denn die drei deutschen schon
in zweiter Auflage erscheinen , theils w eil sie sich in den beiden
bezeichneten Rücksichten füglich vergleichen und danach viel-
leicht besser als einzeln würdigen lassen , obgleich die beiden er-
steren mehr Stoff- und Aufgabensammlungen als Anweisungen
sind , bei den beiden letzteren das umgekehrte Verliältniss statt-
findet. Wenn es übrigens auffallen möchte, dass unter den
Hülfsmitteln für den Unterricht im Deutschen hier ein lateinisches
Buch aufgeführt wird, so findet doch diess seine Rechtfertigung
oder wenigstens Entschuldigung darin, dass der darin gegebene
Stoff sich eben so gut für deutsche als für lateinische Aufsätze
verwenden lässt.
Das erste der vier Bücher ist bereits nach seinem ersten Er-
scheinen in dieser Zeitschrift IV, 12, 4, 393 ff. im J. 1834
angezeigt und nach Verdienst gelobt. Indem ich darauf verweise,
wiederhole ich, dass es sich durch Reichthum an Stoff, durch
Zweckmässigkeit der Aufgaben, durch Gedankenfülle und Rich-
tigkeit der Entwürfe auszeichnet, und setze hinzu, dass in der
zweiten Auflage das Werk. in allen diesen Punkten noch gewon-
nen hat. Der ausführlichen Entwürfe sind 210 , der blossen Auf-
gaben in einem Anhange noch 200. Letztere sind jetzt hinzöge-
Iliilfob. z. Stylüb. v. Herzog, Buchberger, Hiersclic, Bormann. 403
kommen, sowie zu den ersteren 20 neue, und 5 mit anderen ver-
tauscht. Von denen, die sich durch Neuheit auszeichnen, -will
ich nur ein paar anführen , nämlich Nr. 207. Ein orientalischer
Dichter vergleicht des Menschen Lebenstage mit einem Gesprä-
che: worin liegt die Aehnlichkeit zwischen beiden? Nr. 180. Be-
trachtungen eines Jünglings über den Gedanken , dass das ganze
spätere Schicksal des Menschen oft von den Jahren Sechzehn bis
Zweiundzwanzig abhängt. Nr. 84. Der Luxus von seiner vorteil-
haften Seite betrachtet. Ueber die letzte dieser drei Aufgaben
hat K. Rosenkranz in den „Studien , Berlin, 1839 " einen lesens-
werten, geistreichen Aufsatz geschrieben. Aufgaben zu komi-
schen Darstellungen möchte man noch mehrere wünschen, wie
Nr. 148 und 149. Selbstbetrachtungen einer guten alten Haut,
und Schicksale eines Speciesthalers, von ihm selbst erzählt; dess-
gleichen satirische , wie Nr. 191. Die leichtesten Mittel reich zu
werden; dessgleichen poetische, wie Nr. 122. Zuruf an die im
Herbst vorbeiziehenden Störche. Zu denen aber, die mir minder
passlich oder zu schwer scheinen, gehört Nr. 202. Schutzrede
für die Wiederherstellung der Jesuiten. Nr. 153. Warum medi-
siren die Frauen mehr als die Männer'? — an welcher Aufgabe
mir auch der undeutsche Ausdruck medisiren missfällt. Wir sind
es wohl unsrer Sprache schuldig, wenigstens aus der edleren
Schreibart Fremdwörter möglichst zu verbannen; im mündli-
chen Vortrage, besonders dem wissenschaftlichen, sind sie frei-
lich noch zu dulden. Für medisiren und Medisance (was gleich-
falls in der Aufgabe Nr. 165. vorkommt) haben wir ja lästern und
Lästerung, und selbst Sheridans Lustspiel the school for scan-
dal hat den Titel Lästerschule in den deutschen Uebersetzungen.
Ich würde daher den Verf. bitten, bei einer dritten Auflage die
Aufgabe: über die Reinigung der deutschen Sprache, hinzuzu-
fügen. — Einige Aufgaben wären auch wohl vorsichtiger auszu-
drücken; wenigstens würde in der Aufgabe : Kenntnisse der beste
Rcichthum — der Superlativ anzufechten sein, da nach des Verf.
eigener Bestimmung in der Einleitung: Rcichthum ist der Zu-
stand, wo irgend etwas für ihn in Menge und Ueberfluss vorhan-
den ist — auch ausgezeichnete Fähigkeiten und selbst Verdienste,
gute Handlungen, Tugend dahin zu rechnen sein würden. So ist
auch in den Entwurf Nr. 26. Der Greis hat seine Freuden —
manches aufgenommen , z. B. wohlthätige Anwendung seines Ver-
mögens, Freuden im Kreise der Kinder, Enkel und Enkelinneu,
was nicht auf alle Greise passt. — Die in den Entwürfen ange-
wendeten Gedanken sind fast tadellos; in Nr. 27. würde
aber bei der Wahl der Lebensart auf den Stand der Eltern wohl
nur sehr wenig Rücksicht zu nehmen sein. — Die Entwürfe selbst
sind fast stets, wie es sein muss , in die drei Theile, Einleitung,
Abhandlung, Schluss zerlegt (statt Abhandlung würde ich lie-
ber Satz sagen, weil Abhandlung gewöhnlich für Ausführung
26*
404 S t y l ü t) u 11 g c n.
oder für einen Aufsatz belehrenden Inhalts angewandt wird), aber
thoils sind diese Wörter gebraucht, theils nicht. Wäre es immer
geschehen, so bedürfte es der Zahlen I. II. III. d:ibei nicht.
Wichtiger ist , dass entweder Einleitung, und diese häufig, oder
auch Schluss, wiewohl seltner, oder auch beide, z. I). Nr. 17.
besonders in Hinsicht des Schlusses verhältnissmässig zu viel
Stoff enthalten, was schon daraus hervorgeht , dass die Schluss-
gedanken in zwei Haupttheile, der erstere wieder in zwei Unter-
abtheilungen, und die erste Unterabtheilung abermals in vier Un-
terunterabtheilungen zerlegt sind. — Etwas Wichtiges ist es fer-
ner, die koordinirten Sätze recht scharf durch den Ausdruck aus-
einander zu halten. Diess ist z. B. in den beiden Ilaupttlieilen
des oben erwähnten Schlusses nicht geschehen. Sie heissen:
„1) Zwar kann man sich Fälle denken, wo Uebersetzungen selbst
Schülern nützlich werden können. 2) Aber dergleichen Schüler
giebt es auf Schulen nicht viel: also besser — alle Uebersetzun-
gen aus den Händen der Schüler verbannt.''1, — Unerlässlich ist
es ferner, dass jeder mit Zahl oder Buchstaben bezeichnete Satz
einen Gedanken für sich ausspreche, und dass dieser nicht erst
in den Unterabtheilungen zu suchen sei. So heisst es fälschlich
Nr. 10. 1) Es ist zwar wahr (das Wahre folgt aber erst in a u. b.).
Es sollte heissen 1) Das Wandern ist mit Unannehmlichkeiten und
Gefahren verknüpft. — Gegen die richtige Anordnung ist mir
eben kein Verstoss aufgefallen ; warnen muss man vor der Zer-
theilung eines öbersatzes in zu viele Untersätze. So ist i\r. 179
der Hauptsatz in 7 Theile, Nr. 173 in 8 Theilc zerlegt, statt
dass die letzteren sich hätten theilen lassen mit Rücksicht auf
den Jüngling selbst und auf Andere. Doch genug der Ausstel-
lungen, die den Verf. nur überzeugen sollen, dass ich sein Buch
aufmerksam geprüft habe, und welche ich zum Theil mit einiger
Mühe habe aufsuchen müssen v so dass ich dessungeachtet diese
Sammlung für eine der besten, ja vielleicht in Rücksicht der
Reichhaltigkeit für die beste erkläre und sie mit voller Ueberzeu-
gung empfehle, dem wackern verdienstvollen Greise übrigens
wünsche, dass er eine dritte, wohl abermals zu vermehrende
Ausgabe erleben möge.
An Zahl der Aufgaben scheint zwar auf den ersten Anblick
die lateinische Sammlung noch mehr zu leisten, die der Verf. laut
der kurzen Vorrede eben so sehr zur Benutzung für das Sprechen
als für das Schreiben bestimmt hat, insofern den lateinischen
Disputationen oder Sprechübungen auf vielen Schulen Stunden
eingeräumt sind. Aber diess ist nur Schein, denn ein und das-
selbe Thema kommt häufig zwei-, dreimal und öfter vor, otium
und poesis jedes wenigstens dreimal, philosophia viermal, ira
und historia fünfmal, und am häufigsten die studia literarum.
Diess soll übrigens nicht getadelt sein; denn es ist gewiss recht
nützlich, dasselbe Thema von verschiedenen Seiten zu betrach-
Hulfsb. z. Stylüb. v. Herzog-, Buchherger, Hierscbe, Bormann. 405
fen, aber theils sind manche Entwürfe doch gar zu kurz, z.U.
Nr. 14,"), 147, 148, 149, 150, theils ist dabei gar keine Ordnung,
kein Plan bemerkbar, wie denn liier doch wohl z. B. von den kür-
zeren Entwürfen zu den ausführlicheren hätte fortgesell ritten
werden können. Es ist vielmehr eine farrago, die ein jeder, der
sie gebrauchen will, erst durcharbeiten und sich Ordnung hinein-
bringen mag, die aber dann vielfältigen Mutzen gewähren wird,
wie denn die Ilinweisung auf Schriften, besonders lateinischer
Klassiker, aus denen Stoff für die einzelnen Aufgaben zu schö-
pfen ist, lobende Anerkennung des Fleisses und der Zweckmäs-
sigkeit verdient. Zum Schluss sind, ebenfalls recht passlich,
unter dem Titel concinnatum subsidiorum promptuarium mehrere
speclmina der narratio , descriptio, laudatio, vituperatio, com-
paratio, ampli'icatio, dilatatio periodica , thesis , chria , oratio
(nämlich der Ciceronischen pro Archia poeta) hinzugefügt.
Die beiden folgenden Bücher unterscheiden sich von den er-
steren theils dadurch, wie schon oben bemerkt, dass sie eben so
sehr Anweisungen als Sammlungen sind, und besonders gilt diess
von dem letzten , theils dass sie nicht für Gymnasien , sondern
das erstere für obere Madchenclasscn , das letztere für Elemen-
tar- und Bürgerschulen , bestimmt sind. Bas Buch von Iliersche
t heilt sich in Ideen zu Stylübungen (70), und in Stylproben (44).
Bei den Ideen geht der Verf. auf sehr verschiedene Art zu Werke,
und dicss ist nur zu loben. Er giebt z. B. ein Gedicht wie in Nr.
1. an eine grosse Eiche, und entwickelt die Hauptgedanken des-
selben, um danach eine schildernde Betrachtung in Prosa ent-
werfen zu lassen, oder in Nr. 10, wo er einige Gedanken zum
Lobe des Stadtlebens vorausschickt, und dann 2 Gedichte folgen
lässt, damit danach die Aufgabe, bearbeitet werde. In Nr. 30.
giebt er nur einige Verse, und räth diese zu erklären und mit den
Schülerinnen zu besprechen. Bisweilen sind die einzelnen Punkte
fast entwurfsmässig ohne weitere Zuthat geordnet, wie Nr. 24,
nachdem eine Einleitung voraugeschickt ist, oder auch ohne diese,
wie in Nr. 07, bisweilen sind die Hauptgedanken ziemlich weit-
läuft ig auseinander gesetzt, wie in Nr. 20; in mehreren laufen
dieGcdankeu ohne weitere Eintheilung hintereinander fort, wie in
Nr. 25 und 58; bisweilen ist die Form vorgeschrieben, wie in Nr.
20 als Brief, oder in Nr. 37 als Schilderung. Diese Abwechse-
lung ist höchst zweckmässig, allenfalls wäre ein Forlschritt vom
Leichteren zum Schwereren und eine grössere Menge von Auf-
gaben zu wünschen, wiewohl ein verständiger Lehrer das Leich-
tere vom Schwereren seihst unterscheiden, und nach den vorhan-
denen Aufgaben ähnliche neue bilden kann. Auch die Wahl ist
meistens sehr passlich , obgleich dabei noch mehr auf das weib-
liche Geschlecht hätte Ltücksicht genommen weiden mögen, wie
»Hess 2. B. bei Nr. 36. Wann wird das Lesen dem Mädchen
naclitheiligl der Fall ist. Am wenigsten scheinen mir die ge
40(3 Styliibungcn.
lehrtercn historischen Aufgaben für Mädchen geeignet, wie Nr.
40. Entstellung des Ordens der Dominikaner und Franziskaner.
— Dieselbe Ahwechselung und zweckmässige Wahl findet sich
auch bei den von mehreren Schriftstellern entlehnten Stylproben,
so dass auch diese Schrift Empfehlung verdient.
Die methodische Anweisung von Bormann endlich ist wegen
der darin aufgestellten reiflich durchdachten und erprobten rich-
tigen und zum Theil neuen Ideen, und der lichtvollen, lebendi-
gen, ergreifenden Darstellung derselben zu loben. Er fängt mit
einer „nothwendigen Erweiterung des Begriffs Stylübungen" an,
indem er darunter, und mit vollem Recht, eben so sehr die münd-
liche als die schriftliche Darstellung versteht. Es folgen allge-
meine didaktische Regeln in ihrer Anwendung auf die Stylübun-
gen und besondere. Er theilt sodann den Lehrgang und den Lehr-
stoff in drei Stufen der Vorbereitung, der Nachbildung und der
freien Darstellung, und unterscheidet auf jeder Stufe die münd-
lichen und schriftlichen Ucbungen. Er stellt überzeugend dar,
dass man mit der Erzählung anfangen, darauf die Beschreibung
und Schilderung folgen lassen, und mit der Abhandlung schlies-
sen müsse. Die Geschäftsaufsätze werden nachträglich betrach-
tet. Die Briefform hält er mit Recht für keine besondere Art
der Darstellung, insofern der Brief dem Inhalte nach erzählend,
beschreibend und abhandelnd sein könne, und hält es daher „für
natur- und zweckgemässer, nach vorangegangener kurzer Beleh-
rung über Zweck, äussere und innere Form des Briefes u. s. w.
die Anfertigung von Briefen erzählenden Inhalts nach der Erzäh-
lung , die Anfertigung von Briefen beschreibenden Inhaltes nach
der Beschreibung u. s. w. zu fordern. " Für jede Stufe sind
gleich nach der Anweisung eine ziemlich bedeutende Menge von
zweckmässigen, aus verschiedenen Schriften entlehnten Beispie-
len hinzugefügt. Unter den allgemeinen Regeln heisst die zweite:
„Führe nie die Schüler auf eine höhere Stufe der Ucbung, be-
vor sie nicht eine genügende Sicherheit auf der niederen gewon-
nen haben." Das bunte Durcheinander an dem stylistischen Ele-
mentarbüch von Falkraann wird getadelt, und behauptet, dass
die Abwechselung nicht in der Form , sondern im Stoffe liegen
müsse. — Wie nun auch hierüber und über manche andere
Punkte die Fachgelehrten denken mögen, so viel bleibt gewiss,
dass das Buch gelesen und studirt zu werden im hohen Grade
würdig ist.
Breslau. Kanne giesser.
Dissens kleine latein. und deutsche Schriften. 407
Kleine lateinische und deutsche Schriften von Lu-
tlolph Dissen, Nebst biographischen Erinnerungen an Dissen von
Fr. Thierscb, F. G. Weleker, K. O. Müller. Göttingen. Druck
und Verlag der Dieterichschen Buchhandlung. 1839. LXIX und
446 S. 8. (2 Thlr.)
Schriften wie die vorliegende haben im Allgemeinen einen
doppelten Zweck. Entweder sind sie der natürliche Ausdruck
einer echten Pietät gegen einen edlen Verstorbenen, dessen zer-
streute Geistesprodukte man dem Andenken seiner Freunde zu
erhalten wünscht , oder sie sind zugleich ein tüchtiges Beförde-
rungsmittel gründlicher Wissenschaft. Dieser doppelte Gesichts-
punkt, je nachdem er vereinzelt oder vereinigt erscheint , giebt
zugleich für die Beurtheilung solcher Schriften den rechten Maass-
stab an die Hand. Sehen wir nun auf die vorliegende Sammlung,
so ist sie nach ausdrücklicher Bemerkung (S XLV.) in beiderlei
Beziehungen veranstaltet worden. Ausser den allgemeinen wis-
senschaftlichen Zwecken hat auch immer das persönliche Inter-
esse an dem Verstorbenen Berücksichtigung gefunden, so dass es
sehr interessant und lehrreich ist, den individuellen Bildungsgang
und Lebensplan des edlen Dissen auf diese Weise näher kennen
zu lernen. Der gegenwärtige Bericht bezweckt eine kurze Darle-
gung des Inhaltes mit einigen eingestreuten Bemerkungen zu ge-
ben, nebst dem, was die eigene, durch Dissens Schriften gewon-
nene Ueberzeugung in den Ausdruck dieser epitomatorischen
Entwickelung mit hineinlegt.
Voran stehen die biographischen Erinnerungen an Dissen von
den drei berühmten Gelehrten, welche auf dem Titel genannt
sind. Diese durch ungeschminkte Einfachheit und lehrreiche
Abwechselung ausgezeichneten Schilderungen stellen das Bild von
Bissen in seinen verschiedenen Lebensperioden so lebhaft und
deutlich vor die Seele des Lesers, dass wohl Niemand diese ge-
lungenen Darstellungen ohne vielfachen Genuss aus der Hand
legt. Im ersten Abschnitte bis S. XI. schildert der gefeierte
lMiilhellene Dissen in seinen früheren Jahren, von dem Zeit-
punkte an, wo dieser 1798 zugleich mit ihm selbst in die Schul-
pforle gebracht wurde. Diese berühmte Lehranstalt bot damals
noch „das ungestörte Bild alter! hümlicher und klösterlicher Ein-
richtung und Zucht, deren Strenge jedoch weder der Heiterkeit
des Geistes noch der Freiheit innerer Bewegung Abbruch lhat.M
Es war überhaupt, ungeachtet mancher Einseitigkeit, ein grosser
Vorzug jener kernhaften Zeit, dass der gewinnsüchtige Mate-
rialismus die Lehranstalten noch nicht in Werkstätten irdischer
Weisheit umgemodelt, und der handwerksmässige Betrieb der
Studien, der jetzt von vielen Seiten her begünstigt wird, die
Schulen noch nicht überzogen hatte. Wenn irgendwo, so war
408 Gesammelte Schriften.
dieses Treiben in Pforta unbekannt; denn „der Geist der wahren
Studia liberalia wehte weckend und stärkend durch das etwas ver-
fallene Gemäuer des alten Lehrgebäudes." Denkwürdig aber für
den damaligen Zustand (ehe nämlich Lange und llgcn in Pforte
wirkend eingetreten waren) ist im Folgenden die Bemerkung, dass
in der Schule eigentlich Niemand den Homer verstand, nicht ein-
mal der Rektor jener Zeit, bei welchem sich die beiden Freunde,
Thierse!» und Dissen , eines Tages über die Phrasis der Odyssee
(VI , 129.) cSg QvöuiTO jrspl %Qot [.itfdscc epcoros vergeblich
Ratlis erholten. Sie suchten daher durch eigne Anstrengung sich
die grammatischen Lläthsel zu lösen, und in den Homer tiefer
einzudringen. Nach sechs Jahren wurden Beide an Einem Tage
zur Universität entlassen. Dissen ging mit dem Entschluss sich
unter Heyne den philologischen Wissenschaften zu widmen nach
Göüingen, Thiersch nach Leipzig. Nach drei Jahren trafen sie
wieder in Göttingen zusammen, um gemeinsam die philologischen
Studien zu betreiben und die akademische Laufbahn daselbst zu
beginnen. Doch bald führten die traurigen Verhältnisse Göttin-
gens zur Zeit der westphälischen Herrschaft im Jahre 1809 eine
abermalige Trennung herbei. Hier schliesst der erste Abschnitt.
Es folgt: L. Dissen in späteren Lebensjahren von F. G. Welcher
(S. XII — XXXIV). Dieser ganze Abschnitt hat einen sehr an-
sprechenden und gemüthlichen Charakter, besonders auch durch
die eingefügten Bruchstücke aus Dissens Briefen, welche derselbe
an Hrn. Prof. Welckcr in der ungewöhnlichen Form von gr. 8vo
zu schreiben pflegte. Diese Briefe enthalten eine zusammenhän-
gende Geschichte seiner Thätigkeit, seiner Erlebnisse und vor-
züglich seiner körperlichen Leiden. Man wird bei der Lectüre
derselben theils zur Wehmuth gestimmt, theils aber auch zur
Bewunderung, wenn man sieht, wie die Flamme des Geistes im-
mer wieder über das zerbrechliche Gefäss des Körpers empor-
schlägt und zu Werken begeistert, wie sie der edle Dissen ge-
schaffen hat. Ausserdem zeigen diese Briefe eine seltene Stärke
und Innigkeit freundschaftlicher Gesinnungen, und geben viele
herrliche Gedanken, wodurch sie ein von der Person, an welche
sie gerichtet sind, unabhängiges Interesse gewinnen. Es ist nur
zu bedauern, dass die Mittheilung derselben, jedoch mit Weg-
lassung störender Persönlichkeiten, nicht zahlreicher ist. Einige
für Dissens wissenschaftliche Leistungen beachtenswerthe Stellen
wollen wir ausheben. S. XVIII. „Die Erkenntuiss des Schönen ist
die erhabenste Aufgabe der Philologie; denn die vollendete Dar-
stellung des Schönsten. in schönster Form ist das Wesen des ho-
hen ciassischen Styls, und alles Begreifen, welches beim Einzel-
nen stehen bleibt, ist nothwendig Ieer.u [Den Commentar zu
diesen Worten giebt Düntzer in der Dedication zu seiner Schrift:
Die Fragmente der epischen Poesie der Gr. Köln 1840.] Weiter
Dissens kleine iatcin. und deutsche Schriften. 409
lieisst es: „Ich habe geschn, dass das Erkennen der Idee erst die
wahre Begeisterung bringt, und es schien mir begreiflich, wie
dabei doch jene ruhige Besonnenheit walten könne, die wir in
den Productionen der Alten finden," [Damit vergl. man ähnliche
Gedanken S. 321. vBewusstIoses oder noch nicht zu einem be-
stimmten Grade des Bewusstseins gelangtes Dichten giebt uncor-
reetc Productionen, gleichwie das Uebergewicht der Reflexion
Kiinstlichkeit: das wahrhaft Klassische liegt in der Mitte zwischen
diesen Extremen , und Mir nehmen keinen Anstand zu behaupten,
dass die schönsten Werke der Hellenen auf einer wunderbaren
Harmonie» und Durchdringung poetischen Sinnes und Gefühls und
kunstlicher Besonnenheit und geübten Kunstverstandes beruhen.u
S. 322 ., Manche denken bei Kunst gleich an Künstlichkeit oder
Mangel der Begeisterung, was doch deutlich verschieden;
die hohe Vortreiflichkeit aber der Griechischen Kunst beruht auf
jenem glücklichen Sinne, in. welchem poetische Begeisterung mit
Klarheit des Urtheils wunderbar gepaart war.1' S. 323 ,,der Phi-
lologe muss immer zugleich ausser dem grammatischen einen
künstlerischen Blick haben, wenn er die Bede begreifen will."]
S. XXI 1. ,,Ich sammle für ein Werk über die Technik des classi-
schen Ausdrucks, welches künftig neben der Grammatik und Syn-
tax als besondere Wissenschaft der Philologie stehen muss." [Die
Mittheilung der im IVachlass sich etwa vorfindenden Fragmente
sowohl von dieser, als auch von den anderweitig angedeuteten
Arbeiten würde gewiss Vielen erwünscht sein.] S. XXVII. ,, lie-
ber meinen Tibull erhalte ich viele günstige Urtheile, mehr als
über den Pindar , ohne Zweifel weil die Leute das leichter und
besser verstehn, und ihnen der Pindar zu unbekannt ist. Indessen
hoffe ich, was auch meine Absicht war, dass diess eine Brücke
sein soll für den Pindar." In Beziehung auf Demosthenes de Co-
rona heisst es S. XXIX. ,,Die Ausgabe von Bremi [welche Ref. in
Dissens Bearbeitung nirgends berücksichtigt gefunden hat] ist ganz
leer und flach. Die meinige sucht auf alles Wichtige einzugehn,
so viel ich nämlich vermochte. Ein wackerer Mann ist Vömel,
der die Philippischen Reden bearbeitet hat, und im Historischen
sind seine Zusammenstellungen fleissig, auch hat er allerlei be-
achtenswerthe Sprachbemerkungen ; aber seine Behandlung ist
trocken, nicht anregend, weil die Gedankenentwicklung fehlt.
Das wird nun allerdings meine Behandlung der Rede pro Corona
auch leisten, und sie könnte also mehr Leben in diesen Theil
bringen. Indessen hinter der Idee bleibt auch dies Buch." Im
Folgenden erwähnt er die in seiner Ausgabe jetzt voranstehende
Abhandlung über den Periodenbau und bemerkt: „Was in den
Grammatiken und andern Aufsätzen für Schüler davon gesagt
wird, ist geringfügig, oberflächlich und selbst ganz falsch zum
Theil ; daher ich bemüht bin, die Principien und Grundlagen der
410 Gesammelte Schriften.
Sache festzustellen wo möglich. Aber das ganze Fehl im Detail
zu durchmessen ist nicht Eines Menschen Arbeit; da kommt ja
auch der historische Satzbau und der wissenschaftliche und der
poetische in Frage und vieles der Art am Ende, was erst in der
Folge wird Gegenstand der Untersuchung^ werden müssen." [Mit
dieser letzten Andeutung kann man jetzt den Schluss der Abhand-
lung selbst vergleichen] Auf diese brieflichen Mittheilungen
folgt über Dissens letzte Lebenstage (er starb während des Göt-
tinger Jubiläums) eine Schilderung, die mit einer Lebendigkeit
aufgefasst und bis zu einem Grade der Anschaulichkeit erhoben
ist, wie man es nur von dem frischen Gepräge und der eigen-
thümlichen Lebenswärme freundschaftlicher Erinnerung erwar-
ten kann.
Ruhiger und van einem entfernteren Standpunkte aus, der
bei der Anlage des Ganzen unvermeidlich war, ist der dritte Ab-
schnitt geschrieben , welcher Ergänzende biographische Nach-
richten von A. O. Müller enthält (S. XXXV — LX1I). Dieser
Thcil hat den Zweck, die vorhergehenden Mittheilungen in so
weit zu ergänzen, dass sie sich zu dem Ganzen einer biographi-
schen Skizze abrunden.
Georg Ludolph Dissen war am 17. December 1784 zu Gros-
sen-Schneen (bei Göttingen), wo sein Vater Prediger war, ge-
boren. Im dreizehnten Jahre verlor er seine Eltern, kam im vier-
zehnten nach Pforte, und verlebte darauf seine Universitätsjahre
(von 1804 bis 1808) in Göttingen. Schon damals hatte ein Kreis
junger Studirender, meist Edellcute aus den Ostseeprovinzen des
russischen Reiches, sich Dissen zum Führer und Meister auf dem
Felde der classischen Philologie erwählt. In Gesellschaft dieser
nordischen Freunde brachte er einen Sommer in Dresden zu, ge-
theilt zwischen wissenschaftliche Uebungen, Kunstgenüsse und
Ausflüge in die Umgegend. (Von i\t\\ damals gesammelten Ein-
drücken hat er später in der Nacht seines Lebens, wo ihn Kränk-
lichkeit mehr und mehr an sein Zimmer fesselte, recht eigentlich
gezehrt.) Nach der Rückkehr von Dresden, im Jahre 1808, liabi-
litirte er sich, wurde 1811 einer der Stifter und der erste Präses
der philologischen Gesellschaft, und zu Ostern des Jahres 1812
als ausserordentlicher Professor der Philologie nach Marburg ver-
setzt. Doch schon im Herbst 1813 kehrte er nach Göttingen zu-
rück, um liier eine ausserordentliche Professur zu übernehmen,
welche zu Ostern 1817 in eine ordentliche verwandelt wurde. Im
J. 1832 wurde er zum llofrath ernannt, 1833 zum Mitgliede der
Societät der Wissenschaften, 1834 zum auswärtigen Mitgliede der
Münchner Akademie.
Noch zwei Punkte kommen in Betrachtung. Erstens Dissens
Lehrvortrag, Dieser hatte einen sehr gemessenen logischen
Gang, übersprang keinen Mittelgcdanken, der zur vollständigen
Schlussfolgc und Gedankenreihe gehörte, keine Abtheilung, die
Dissens kleine hitein. und deutsche Schriften. 411
sich aus dem allgemeinen Theilungsprincip ergab, auch wenn das
zu Sagende sich leicht aus dem Uebrigen ergänzen liess. Diesen
erfreute sich daher eines entschiedenen Erfolges in seiner Lehr-
tätigkeit, und wusste seine Schüler von einer begeisterten Liebe
für das Alterthum anzuhauchen. [Hier wäre es zweckmässig ge-
wesen, wenn sich Hr. Hofrath Müller auch auf Zeugnisse von
Dissens Schülern berufen hätte, da doch Niemand in der Welt
den Werth eines Lehrers unparteiischer zu bcurtheilen pflegt, als
seine erwachsenen und tüchtig gewordenen Schüler. Ueber
Dissens Begeisterung erweckenden Vortrag hat Ref. unter andern
ein schönes Zeugniss von Kühner gelesen in der Vorrede zu Ci-
cero's Tusculanen.] Dissens Lehrvortrag führt zweitens auf die
Methode seines wissenschaftlichen Verfahrens überhaupt. Dissen
pflegt immer ein logisches Gerüst [oder wie er selbst S. 421 es
nennt „die organische Gliederung der Massen, den wahren Bau
des Ganzenu] zu construiren, und darin alle einzelnen Felder und
Fächer zu unterscheiden. Dann untersucht er, in wiefern die
Linien und Knoten dieses über den Gegenstand geworfenen Netzes
von Begriffen mit den natürlichen Gliedern und Gelenken des Ge-
genstandes zusammentreffen , bringt durch ein combinatorisches
Verfahren die unterscheidbaren Theile in alle Verbindungen, die
sie möglicherweise eingehen können, und entwickelt endlich, wie
die historische Erscheinung sich zu allen diesen Combinationen
verhalte. Dabei zeigt er sich , obgleich scheinbar nahekommend,
dennoch dem Streben derer, welche die Kantischen Kategoricen
unmittelbar auf den historischen Stoff in Anwendung bringen,
entschieden abhold. Diese Ideen nun hat er durch praktische
Beispiele in drei Ausgaben, des Pindar, Tibull und Demosthenes
vielseitig entwickelt, und dadurch eine Erklärung der Alten zu
begründen gesucht, welche nicht blos Sprache und Inhalt , nach
hergebrachter Weise erläutert, sondern auch das ganze Kunstwerk
!so aiialysirt, dass die Beziehung eines jeden Theils zur Idee des
Ganzen deutlich hervortrete, ohne die Entwickelung blos mit dem
rauschenden Flittergolde ästhetischer Bandglossen zu verzieren.
I [Dissen selbst sagt über seine Ausgabe des Pindar S. 397 ,,das
Ziel des Strebens musste sein anschauliche Darlegung der Harmo-
nie des Gedankens und der Form und Zurückführung des Einzel-
nen auf den Zweck des Ganzen. u] Das Scharfsinnige und Frucht-
bare dieser Verfahrungsweisc für die Erkenntniss einer gesetz-
mässigen Entwickelung ist eben so einleuchtend, und auch in die-
sen Mahrbb. von zwei gewichh ollen Auktoritäten , von Ellendt
für Tibull, von Franke für Demosthenes anerkannt und gewürdigt
[worden, als die Möglichkeit nahe liegt, durch eine über die
I Grenzen des poetischen Gefühls sich hinauserstreckende dialekti-
I sehe Subtilität in ein verschlungenes Gewebe selbstgeschaffener
Begriffs - Fächer hineinzugerathen, an welche weder der Dichter
iu seiner Begeisterung, noch der Keduer im Aufschwünge l'euri-
412 Gesammelte Schriften.
ger Beredtsamkeit gedacht hat *). Dalier trat man auch gleich
Anfangs diesem Verfahren im vollen ltüstzeuge einer mit energi-
*) Auch hei den geistreichsten Nachahmern und Fortbildnern der
Dissenschen Methode erscheinen dieselben hervorstehenden Vorzüge
gemeiniglich auch mit denselben Schwächen gepaart, dass man näm-
lich selbst das, was blos mit poetischem Gefühle erfasst sein will,
durch eine subtile Dialektik zergliedert, und so in den Schriftsteller
hineinträgt, was eine unbefangene Prüfung schwerlich darin finden
kann. So hat der vielseitig fruchtbare und seine Ansichten mit leben-
diger Krnft entwickelnde II. Düntzer in seinem Buche: Kritik und Er-
klärung der Oden des Iloraz. Ein Handbuch zur tiefem Auffassung der
Oden des Iloraz (Braunschweig 1840. VI u. 3!)0 in 8 ) , zwar in sehr
vielen Gedichten für die Erkenntniss der Horazischen Kompositions-
weise Treffliches geleistet, und, indem er für die Durchschauung der
einem jeden Gedichte zu Grunde liegenden Idee die verwandten Oden
nach den Gesichtspunkten 1) Gottesfurcht, 2) Sclbstbcschränkung, 3)
Lebensgenuss , 4) Liebe, 5) Freundschaft, 0) Dichtkunst, 7) Thatkraft,
Streben zusammengestellt hat (in welcher Erklärnngsart ihm Professor
llinrichs in der Entwickelung von Schillers Lyrik vorangegangen ist),
»war manches sichere und wichtige Resultat gewonnen; aber dabei
auch öfters, durch den Scharfsinn des Verstandes verleitet, den Wor-
ten des Dichters untergelegt, was für das poetische Gefühl nicht darin
liegen kann. Wir wollen gelegentlich Einiges, wie es der Zufall ge-
rade mit sich bringt, berühren. Von Od. I, 1. wird (S. 302 ff.) ge-
sagt, ;,dcr Dichter will sagen, die Bestrebungen der Menschen sind
verschieden iii Bezug auf Andere (Ehre), die äusseren Güter (Macht),
uud sich selbst (Genuss). Von diesen drei Bestrebungen bringt der
Dichter von jeder drei Beispiele bei." Dies wird nun weiter ent-
wickelt. Wir glauben jedoch, einen so kleinlichen Schematismus,
wie ihn etwa der berühmte Reinhard in seinen Predigten hat, einem
Dichter wie Iloraz nicht zutrauen zu dürfen, wobei man sich noch
dazu drehen und wenden muss, um nur die Gedanken in diese Fesseln
hineinzuzwängen. Unstreitig wird jeder , der nicht mit dem Verstando
unalysirt, sondern sich bei der Lectürc des Gedichtes seinem Gefühle
überlässt, sogleich als Hauptgedanken erkennen Alius alio teuetur
studio, ego autem unice delector poesi, quodsi me poctis adnumeras,
felicissimus sum. Diese Idee hat Horaz mit poetischer Begeisteruug^
ohne sich vorher eine kleinliche Disposition aufgesetzt zu haben , aus-
geführt, hat aber dabei nach seiner öftern Gewohnheit, was man
schwerlich leugnen kann, die Beispiele zu sehr gehäuft.
Ein anderes Beispiel sei Epod. X. Hier soll nach Uro. D. (S. 78
ff,) der Kern des Gefliehtes in v. 13 u. 14 liegen, und die Idee fol-
gende sein: „Iloraz wünscht dem Mäviud alles Unglück und ist über-
zeugt, dass die Götter seinen Wunsch erböten werden, da er als
schlechter Dichter die Minerva beleidigt hat. Die Rache folgt dem
Verbrechen auf dem Fussc nach: darum wird uueh Müvius von dci
Dissens kleine Latein, und deutsche Schriften. 413
scher Kraft gewappneten und immerhin gewaltig Meinenden Syi-
logistik entgegen, und deckte die Schwachen auf, welchen diese
Gottheit ereilt werden." Der Gedankengang wird so angesehen:
„Mävius erscheint eben das Schiff besteigend, vielleicht uuj nach
Athen, das noch damals Hauptbildungsort war, zu gehen. Linier bö-
sem Vogelfluge zieht das Schiff aus, das trägt den garstigen oder
schmuzigen Mävius [so wird olentem aufgefasst]. Dieses ist die Ein-
leitung, gleichsam das Thema. In dem Folgenden wird er nun an-
gegriffen I) als streitfertiger Zänker (v. 3 — 10), den darum die Winde
auf gleiche Weise mitnehmen sollen, wie einen Spielball ; 2) als
schlechter Dichter (v. 10 — 14, s. unten); 3) als Feigling (v. 15 — 20).
Hier ist nun der Charakter des lästernden Mävius genugsam geschil-
i dert, der hierin seine Nichtigkeit und Feigheit versteckt. Das scherz-
I hafte Gelübde am Schlüsse giebt die Verachtung des Mävius zu er-
i kennen." Hier scheint dem Ref. das Meiste hineingetragen zu sein,
nicht aber aus den klaren Worten des Dichters hervorzugehen. Ref.
( kann in diesem scherzhaften Gedichte nur Folgendes finden : Maevio
proficiscenti fortasse Athenas poeta imprecatur naufragium et mortem
niiscrrimam , ut corpus eins eiectum in littus a feris bestiis dilanictur;
qnod ut eo magis fiat, vovet Tempestatibus sollemnc sacrificium. Die
Durchführung dieses Hauptgedankens beginnt der Dichter nicht mit
dem Augenblicke, wo Mävius das Schiff besteigt, sondern mit der Ab-
fahrt des Schiffes. Dies sagen doch ganz deutlich die Worte: Unter
höscr Aorbedeutung läuft das Schiff gelöst vom Taue aus dem Hafen,
tragend den stinkenden Mävius (olentem entweder in Beziehung auf die
Dickleibigkeit, worauf v. 21. opima praedu fährt, worin Ref. keine
Anspielung auf die spnlia opima sieht, wie Hr. D. will, oder zugleich
in Beziehung auf die veralteten und verrosteten Worte, welche Mävius
gebrauchte, ipse seetator vocum nntiquarum schol.). Da nun der
Dichter den Schiffbruch und jammervollen Tod des Mävius wünscht,
so ist es natürlich, dass er sich zuerst an die Stürme wendet: Südwind
vergiss es nicht, dass du beide Seiten peitschest mit schauervollen
Wellen. Der finstere Ostwind treibe die Taue umher und die zerbro-
chenen Ruder. Es erhebe sich der Nordwind so gewaltig, wie er auf
hohen Bergen zitternde Steineichen zerbricht. In diesen Worten auch
nur die leiseste Andeutung von Mävius dem streitfertigen Zänker zu
finden, ist dem lief, unmöglich. Er sieht darin nichts weiter nngedcu-
tet als die Heftigkeit entgegengesetzter Winde, und vergleicht die
ganz ähnliche Stelle bei Hom. Od. V, 317 sqq , nur dass bei Boras der
Westwind fehlt; woher es zugleich nach Hrn. D. zur Gewissheit wird,
dass die Fahrt nach Osten hingehe [Westen ist Druckfehler]. Au die
Wuth der Organe schliesst sich der Wunsch: Auch zeige sich nicht in
finsterer Nacht das freundliche Gestirn von daher, wo der traurige Orion
untergeht: auch treibe er nicht auf ruhigerer Flulh, als die Sieger-
schnar der Griechen. Hier fragt sich joder Leser: worauf bezieht sich
dies ¥ Die Antwort erhält er durch diu zwei folgenden Verse : als
414 Gesammelte Schriften.
Methode nach menschlicher Beschränkung zu unterliegen pflegt.
[Auf Dissens Verfahren beziehen sich ohne Zweifel auch die
Pallas vom verbrannten Ilium ihren Zorn wandte gegen das ruchlose
Schill des Ajax. Wenn Hr. D. in diesen Worten den tiefen Sinn ahnt,
dass lloraz den schlechten Dichter [der also invita Minerva gedichtet
habe] angreife, und diese Ansicht also entwickelt: „Ajas ward von der
Minerva verfolgt, weil er die Kassandra in ihrem Tempel geschändet
hat; so wird auch Minerva, die vom Mävius durch sein Gedicht belei-
digt ist, diesen vernichten. Dieses Bittere wird noch dadurch gestei-
gert, wenn wir annehmen, Mävius wolle gerade nach Athen, dessen
Schutzgöttin Minerva ist;" so muss Ref. offen gestehen, dass er von
dieser Tiefe im Texte nicht ein Wörtchen sieht, sondern das Ange-
führte für fremdartige Gedanken hält. Eben so wenig kann er das
Folgende begreifen: „der Vergleich mit Ajas wird im Folgenden durch
den Kontrast noch stärker ins Komische gewendet. Ajas starb inuth-
voll, indem er sich noch zuletzt stolz gegen die Götter erhob [wo steht
das bei Horaz?]; Mävius wird todtenblass werden und mit Gewimmer
zum Jupiter flehen , aber umsonst, sein Schiff wird zertrümmert wer-
den." Ref. siebt noch immer ganz einfach so: dass Mävius im Schiff-
bruche einen jammervollen Tod finde, dazu wünscht der Dichter
Sturm, eine finstere Nacht, eine aufgeregte Meeresfluth. Dieser Ge-
danke erhebt ihn, und er sieht schon im Geiste die Folgen voraus
[ähnlich üb. 1, 15, 9.], nämlich die Todtenblässe , das unmännliche
Gebeul, die nicht erhörten Bitten, wenn der Ionische Meerbusen brül-
lend unter dem feuchten Südwinde den Kiel des Mävius zerbrochen
haben wird. Und um dies wirklich in Erfüllung gehen zu sehen, ge-
lobt der Dichter scherzend einen geilen Bock und ein Lamra den Stür-
men zu opfern. Dass dieser Bock hier ein Sinnbild der Streitlust sei
(III, 13, 5.) und dass Horaz in dieser Beziehung den caper dem gedul-
digen Lamme entgegengestellt habe, wie Hr. Düntzer noch am Ende
urthcilt, das ist dem Ref. ebenfalls unwahrscheinlich.
Wir wenden uns zu I, 22. Als Idee wird (S. 334) aufgestellt
,, Reinheit und Unlicscholteuheit verleihen das wahre Glück, das nicht
von uns genommen werden kann. Die äusseren Umstände können uns
nichts anhaben. So will ich mich glücklich fühlen, wo ich immer
bin ; meine Lalage werde ich stets lieben und darin mein Glück fin-
den," was dann weitläuftiger entwickelt wird. Dies sind nun aller-
dings Gedanken, die in dem Gedichte vorkommen, allein es kann
dies schwerlich als Idee gelten. Wer sich mit poetischem Gefühle
blos an die Worte des Dichters hält, der kann, wie Ref. meint, nur
Folgendes finden. Als Idee: Den Schuldlosen beschützen die Götter.
Dieser Hauptgedanke ist v. 1 — 4 durch Bilder dargestellt, aber noch
unvollständig, weil die Gefahr noch nicht erwähnt ist, diese wird an-
gegeben v. 5 — 8. Hiermit ist der allgemeine Gedanke beendigt, und
er wird nur noch durch ein Beispiel aus des Dichters eigenem Leben
erläutert v, 9 — 12. Ein Löwe ist vor dem sorglos herumschweifenden
Dissens kleine latein und dcuUchc Schriften. 415
Worte in Hcrmann's Opusc. VII, S. 103 Nr. 4. — nolcbam cnim
signatins notare eos, qui ubique — vel arcani cuiusdam nexue
Horaz geflohen; aher dies kann er auch ans einer andern Ursache ge-
than hahen, daher wird v. 13 — 16 hinzugefügt, also ein grimmiger
Löwe ist geflohen. Um nun hei der getroffenen Anordnung noch einen
kräftigen Schluss hinzuzufügen, kehrt der Dichter zu dem Hauptge-
danken zurück, der ihn durch das ganze Gedicht geleitet hatte, und
wählt dazu ein Paar Gegensätze, die besonders durch das doppelte
pone sehr lebendig hervortreten, also: überall werde ich (wie dort im
Sabinerwalde) sicher sein , überall schuldlos und ruhig meine Lalago
besingen.
Ueber I, 28 verweisen wir jetzt auf Gerber im Schulprogramm zu
Sondershausen 1839 und auf Jahn in diesen NJbb. XXVII, 1. S. 100 und
gehen zu einigen andern über.
Von 1,34. ist nach Hrn. D. (S. 80 ff.) die Idee: „die Weltge-
schichte ist das Weltgericht ; in ihr waltet die Vorsehung , die unsere
Philosophie, welche das ergründen will, was sie nicht erforschen
kann, uns so gerne zu nichte macht. Die Vorsehung kann nicht er-
wiesen werden, aber Jeder, der einen offenen, freien Blick um sich
thut, wird sich von ihr überzeugen/' Dies klingt gar zu modern,
und scheint in den Worten des Textes keine hinlängliche Gewähr zu
haben. Der Dichter redet von sich selbst und führt den Gedanken
durch: Ehemals habe ich die Götter wenig geehrt, jetzt kehre ich zu-
rück und gehe einen andern Weg, denn der Donnergott hat bei hei-
terem Himmel seine ßlitze geschleudert. Ref. will blos über v. 7
Sprechen, wo Hr. D, mit allen neueren Herausgebern nach plcrumque
interpungirt. Dies scheint jedoch gegen die Poesie und gegen die Ele-
ganz der Wortstellung zu Verstössen. Gegen die Poesie: denn durch
dies nachhinkende meislentheits wird die Kraft der Rede offenbar ge-
schwächt, indem es andeutet, dass das, was sonst durch natürliche
Ursachen geschieht, bisweilen auch durch unnatürliche Ursachen be-
wirkt werde. Gegen die Wortstellung: nach dividens ist der Gedanke
geschlossen, und es wird nichts mehr erwartet. Aber noch etwas zu
setzen, wo man nichts mehr erwartet, dürfte doch wohl unrichtig
sein. Wir glauben daher, dass die frühere Intcrpunction nach divi-
dens ganz richtig und plcrumque mit per purum zu verbinden seij
aher nicht in dem Sinne ,,non scmel', was Orelli mit Recht tadelnd
anführt, sondern so, dass wir annehmen, die Worte beziehen sich auf
einen wirklichen Fall, wo Jedermann wusste, dass der Himmel blos
da rein war, wo der Blitz erschien, der Horizont aber mit Wolken
umlagert wurde. Der Sinn ist demnach: Jupiter hat, nachdem er die
Gewitterwolken zcrtheilt hatte, nun am meist heitern Himmel Blitze
geschleudert.
Von IV, 3. giebt Hr. D. (S. 2(58 ff.) die Idee so an: „Die Dicht-
kunst ist ein angebornes Talent, das sich nller äussern Hemmungen
auch des Neides v. 10) ungeachtet entwickelt und Eingang findet'1'
416 Gesammelte Schriften.
mysteria iaetarent, vcl loculos laboriose figuris qnibusdam dc-
scriptos monstrarent.] Da nun aber Dissen in seine Erklärungs-
unil den Gedankengang also : „Der Dichter unterscheidet 1) im Allge-
meinen giebt die Muse den Gesang (v. 17 f.); so hat sie auch mir die
Gabe gegeben, dass man mich als Sänger anerkennt; 2) begünstigt sie
auch im Einzelnen den Sänger, indem sie ihn selbst das Höchste er-
reichen lässt (hyperbolisch: Fischen Schwanengesang leibt v. 11) f.);
so hat sie auch mein Streben gekrönt (v. 23 f.). So ist also der ein-
fache Gedanke der ganzen Ode: Die Dichtergabc erkennt in sich ihren
Beruf und dringt gleich durch (v. 1 — 12). So habe auch ich Ruhm
mir erworben, bin anerkannt worden (v. 13 — 16), weil die Muse in
mir lebt, der ich Alles verdanke." Einfacher und bestimmter scheint
uns dies: Qni Musae favore poctica facultate praeditus est, is neque
in ludis publicis, neque in bellis gerendis gloriam conseetari studebit,
sed in recessu suo poeta evadet nobilissimus , qualis in Tibure meo
ego , qui a Uomanis inter vatum numerum summorum iam referor.
Quae tarnen obtigit mihi laus poetue, cam omnem debco omnipotentis
Mclpomcncs favori. In den Worten curru Achaico ist die species für
das genus gesetzt (Kirchner zu Sat. p. 179.) , was schon Obbarins, ein
grosser Kenner des Horaz, in Beziehung auf Orelli bemerkt hat. Der
Zusammenhang der Worte: Mich würdigt das Geschlecht der weltbe-
herrschenden Roma zu setzen unter die lieblichen Chorreihen der Sän-
ger, ist deutlich. Im Folgenden: O Pierische Muse, die du den süs-
sen Wohllaut in der Saiten Gold beherrschest, o die du auch den stum-
men Fischen schenken wirst, wenn es dir gefällt, den Schwanenton,
ist wohl keine Hyperbole zu finden , sondern blos dichterischer Aus-
druck für die Allmacht der Muse. In der letzten Strophe: — Das- ist ;
ganz die Wirkung Deines Geschenkes , dass Vorübergehende auf mich
mit den Fingern zeigen, als auf den, der die römische Laute schlägt,
— setzt Hr. D. nach praetereuntium ein Kolon und übersetzt: „Dass
ich als Dichter der römischen Lyra lebe und gefalle, ist ganz dein
Werk." Dies thut er, weil ihm der Ausdruck spiro für Dichten sehr
auffallend gebraucht erscheint, da dieses sonst höchstens mit einem
Acc. so stehen könne. Allein dagegen lässt sich wohl ausser der Wort-
stellung einwenden , dass spiro hier nicht sowohl speciell vom Dichten,
als vielmehr (spiritum edueo mit Emphase) vom gesummten Dichterleben
gesagt ist.
Die an den Torquatus gerichtete Ode IV, 7. hat nach Hrn. D.
(S. 182 ff.) folgende Idee: „Des Lebens Mai blüht einmal und nicht
wieder. Das Leben ist uns Frühling, Sommer und Herbst, und hat
nur insofern Werth, als es uns Früchte bringt, die aber nur im Ge-
nuese bestehen. Bald kommt der Winter, der zwar im Jahre wieder
durch den Frühling verdrängt wird, aber nicht im Leben des Men-
schen, dessen Tod ewig dauert, uns ewiger Thatenlosigkeit hingiebt.
Drum benutze Jeder, wie du, Torquatus, alle Zeit, die er erübrigen
kann [worin liegt dies?], und alle Mittel, die ihm rechtlich zu Ge-
Dissens kleine latein. und deutsche Schriften. 417
Methode gleichsam den Kern seines ganzen geistigen Daseins hin-
eingelegt hat, und darum von der ungetrübten Auffassung dersel-
bote stehen [welche Worte sollen das bedeuten?], zum Genüsse; nach
dem Tode hilft uns Nichts; das einzige Erstrehbare ist Lebensgenuss."
Auch die letzten Worte bann Ref. aus dem Texte nicht herausfinden.
Ucberhaupt aber findet Ref. das Ganze als „Idee" zu weitläuftig, da
wohl Jeder nur : Vcre redeunte poeta commendat Torquato laetum vi-
tae usum, als Hauptgedanken aufstellen, in dem von Hrn. D. Gesag-
ten aber den mit einigem Fremdartigen vermischten Ideengang des Ge-
dichtes sehen möchte. Wollte man übrigens so modern fortfahren,
wie Hr. D. angefangen hat, so könnte man in der Uebersetzung
versuchen :
Der Schnee ist zerronnen , es kleiden in liebliches Grün sich die Weiden,
Bäume umlocken sich neu.
Es wechselt die Flur mit den Zeiten, die Flüsse vertosen und gleiten
Rollend die Ufer vorbei.
Die holden drei Schwestern gesellen zum Reih'n sich den Nymphen der
Quellen
Flatternd im duftigen Kleid.
„Nichts Ewiges darfst du begehren", das Jahr mag's , die Stunde dich
lehren,
Flügel der sonnigen Zeit.
Doch Ref. will den lusus ingenii nicht weiter aus seinen Papieren ab-
schreiben, und nur noch ein Gedicht erwähnen, in welchem ebenfalls
der Scharfsinn, mit Zurücksetzung des poetischen Gefühles, zu Viel
gesucht hat.
Der Ode an den Censorinus IV, 8. soll nach Hrn. D. (S. 295 IT.)
folgende Idee zum Grunde liegen: ,,Beim Menschen kommt es auf das
Wollen , auf das Streben an. Strebe Jeder auf seinem Wege das zu
erlangen, was er mit seinen Gaben erreichen kann; es wird immer et-
was Erfreuliches sein. Ruhm und Ehre wird dem nicht fehlen, der
mit aller Kraft zu einem als gut erkannten Zwecke hinstrebt.'1 Weiter-
hin, heisst es: „Indem der Dichter nur zu sagen scheint , Censorinus
solle mit seinem Willen fürlieb nehmen, fordert er ihn auf , muthig
auf seinem Wege fortzustreben, wie er auf dem seinigen thue. Ver-
schiedene Bestrebungen seien ja nicht nothwendig feindlich entgen-en-
gesetzt, vielmehr könne die eine die andere unterstützen." Dies Alles
ist nach der Ansicht des Ref. erst dem Dichter unterlegt. Wer nicht
mit dem Verstände grübelt, sondern sich unbefangen dem Genüsse der
Lektüre überlüsst, der findet, wie Ref. meint, ein einfaches, aber
wahrhaft poetischen Geist athmendes Gelegenheitsgedicht zu den Sa-
turnalien, mit folgendem Gedankengange: Poeta tlir.it , se nun mittcre
amico donura pretiosum , quum neque res familiaris neque aniiiiiis tali
munere egeat, sed mitterc carmen, quum Censorinus carminibus ma-
| xirae delectetur, raaxiniam autem esse carminuin praestantiam , quippo
quae memoriam rerum gestarum certius servent, quam monumenta
aliorum generum , id quod illustrat exemplis. Auch in den meisten
Pf. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. ßtbl. Dd. XXVIII, Bft. 4. 27
418 Gesammelte Schriften.
ben das Gesammturtheil über seine wissensebaftliche Stellung un-
ter den Trägern der klassischen Gelehrsamkeit wesentlich ab-
übrigen Punkten kann Ref. Hrn. D. nicht beistimmen. So soll in v.
r; — 8 eine Anspielung liegen, dass die Menschen nicht alle in dersel-
ben Sache sich auszeichnen, sowie dnss nicht allen gleich grosse Fä-
higkeiten verliehen sind — so schafft die Natur einmal einen grossen,
dann aber einen kleinen Geist (hoininetn — deum)." Betrachtet man
die einfachen Worte de9 Horaz : Schenken würde ich freigebig Opfer-
schalen und broncene Gefässe, die gefallen könnten meinen Genossen,
o Censorinus, schenken würde ich Dreifüsse, Belohnungen wackerer
Griechen, und nicht solltest du die schlechtesten der Geschenke davon-
tragen, wenn ich freilich reich wäre an Kunstwerken, welche entwe-
der Parrhasius oder Scopas hervorgebracht hat, dieser aus Stein, jener
mit flüssigen Farben geschickt bald einen Menschen , bald einen Gott
darzustellen — , betrachtet man diese Worte ohne vorgefasste Mei-
nung, so kann man in v. 6 — 8 nur eine einfache, in Rücksicht auf
die damalige Zeit hinzugefügte Erklärung dafür finden, was man unter
artium zu verstehen habe. Hr. D. erklärt veiter: „Aber nicht habe
ich solches in meiner Gewalt, noch bist du solcher Kunstwerke be-
dürftig (du hast deren genug [res] und strebst auch nicht sehr nach
ilinen [animus]). Diese beiden Verse könnte man für interpolirt halten
wollen, da alle übrigen «Oden in vierzeiligen Strophen geschrieben,
hier aber zwei Verse zu viel sind. Sollte aber nicht Horaz später ein-
mal von seiner Gewohnheit abgelassen haben?" Die in der Parenthese
stehenden Worte „auch nicht sehr" bringen einen andern Ton in die
Rede, als der Text besagt: Aber Ueberfluss an solchen Dingen habe
ich nicht, auch bedarf nicht dein Hauswesen noch dein Geist solcher
Köstlichkeiten. Die zuletzt aufgeworfene Fr.igc, welche in der fol-
genden Erörterung schon als bejaht angenommen wird , dürften An-
dere nur mit Unwahrscheinlich beantworten, weil eben dieses die ein-
zige Stelle wäre, wo die durchgreifende Norm des Horaz verletzt
würde. Zu einer solchen Annahme aber kann ein besonnener Kritiker
nur dann sich berechtigt fühlen, wenn kein anderer Weg, den Fehler
ohne Gewaltstreich zu verbessern , offen steht. V. 9 und 10 für inter-
polirt halten zu wollen [Interpolation in diesem Gedichte venuuthet
auch Hr. Müller in der neuen Döringschen Ausgabe v. Regel S. XX1I1)
würde den Zusammenbang zerstören, indem die Motivirung, warum
er keine Kunstwerke sende, des Ueberganges wegen als durchaus
nothwendig erscheint. Bei weitem das Wahrscheinlichste, um das tf-
tqcioxixov dieses Gedichtes herzustellen, bleibt die von Orelli gebilligte
Annahme des Hrn. Meineke, dass nach v. 18. zwei Verse ausgefallen
seien. Die Auffassung dieser Stelle von Hrn. Gerber in der Ztschr. f.
d. Altcrthw. 1839. S. 4(i ff. [bei Hrn D. ist 1838 ein Druckfehler] , so
umsichtig auch dieser Gelebrte sonst im Horaz zu verfahren pilegf,
ist im Allgemeinen zu gekünstelt und lässt die Verletzung der vierzeili-
gen Strophe ganz unberücksichtigt. Wenn Hr. D. sodann pretium
Dissens kleine latein. und deutsche Schriften. 419
hängt: so wird Jeder, der in friedlicher Stille , unberührt von
dem Staubgewölke der Parteiung, sein eignes Urtheil sich zu
dicere muneris durch „den Werth des Geschenkes preisen" übersetzt
und incendia vom Kriege im Allgemeinen verstellt, so dürften Andere
einen hinlänglichen Grund vermissen, warum man die gewöhnliche,
sprachrichtige Erklärung ,>den Werth des Geschenkes bestimmen" und
,,«lie Feuersbrunst des ruchlosen Karthago" verlassen solle. Denn die
für incendia Knrthaginis beigebrachten Parallelen sind unpassend , in-
dem in den beiden ersten (Virg. Aen. I, 566. Sil. Ital. II, 358) incendia
belli steht , in der dritten aber (Catull. 23, 9 ) sogleich der Zusam-
menhang das Richtige an die Hand giebt. Ferner bemerkt Hr. D.
„Man hat Anstoss genommen an der verletzten Cäsur in incendia Kar-
thaginis, aber diese selbst ist hier schön ausmalend (die Einleitung).1'
So geistreich und geschmackvoll auch die Einleitung viele wichtige
Punkte in ihrer ganzen Umgebung beleuchtet, und in ihrer Hauptidee
hervorglänzen lässt, so können wir uns doch in vielen Stücken zwar
von der Tiefe der gegebenen Entvvickelung, aber nicht von der Wahr-
heit derselben überzeugen. So können wir auch hier in der vorletzten
Cäsur nichts von einer gesuchten Schönheit finden, sondern nur den
von der unbeugsamen Form des Eigennamens hergenommenen Grund
als richtig erkennen. Die vorhergehenden Worte: — Nicht Marmor
mit eingehauenen öffentlichen Inschriften, durch welche Geist und
Leben den tapfern Heerführern nach dem Tode wiederkehrt, — spe-
ciell auf die Ehren, die dem Scipio in Spanien zu Theil wurden, zu be-
ziehen, wie Hr. D. ,, nicht die in Marmor eingegrabenen öffentlichen
Lobsprüche'' übersetzend behauptet, wird wohl derjenige bedenklich
finden, welcher allgemein ausgesprochenen Worten nichts Fremdarti-
ges beimischen will. Auch unten v. 30: Einen Mann, der des Lobes
würdig ist, lässt die Muse nicht sterben: mit dem Himmel beseligt die
Muse, ist ein allgemeiner Gedanke den speciellen Beispielen vorange-
setzt. Von diesen Beispielen nun bemerkt Hr. D. , dass sie von solchen
hergenommen wären, die sich durch Ausdauer Ehre und Ruhm erwor-
ben hätten. „Liber, Herkules und die Dioskuren nebst Romulus setzt
der Dichter auch sonst als Beispiele der Ausdauer." Es folgen Stellen,
sogar Cic. de legg. II, 8. Allein der Leser 6ieht sich in dem vorlie-
genden Gedichte selbst vergebens nach Belegen um, warum man diesen,
für die Hauptidee der Ode ganz gleichgültigen Begriff der Ausdauer so
besonders hervorheben müsse. Die quassas rates v. 34. übersetzt Hr.
D. nicht lecke, sondern „gescheiterte Schiffe", und in dem letzten
Beispiele ist nach Hrn. D. „eine Anspielung, dass die Poesie dem Ver-
dienste die Krone aufsetzt, nicht zu verkennen, wie in v. 31 f. ange-
deutet, dass der Mensch nie verzweifeln dürfe." Auch hier können
wir diece Tiefe nicht entdecken. Doch wir wollen hier aufboren mit
der Angabe dessen, worin wir bei einzelnen Gedichten verschiedener
Ansicht sind, da wir keineswegs eine umfassende Iiciirtheilung dieser
Schrift zu liefern gedachten, in welchem Falle wir besonders die Ein-
27 *
420 Gesammelte Schriften.
bilden sucht, auch den Abschnitt zu beachten haben , welcher
hier S. LH — LVIII gelesen wird. Dieser Abschnitt nämlich ent-
leitung und die in der Vorrede vorgetragenen Ansichten hätten zur
Sprache bringen müssen. Unsere Absicht war blos , das oben über
Dissen's Erklärungs - Methode ausgesprochene Urtheil auch durch Be-
rücksichtigung einer andern Schrift, welche mit Geist und Gewandt-
heit diese Methode auf Horaz überträgt, etwas näher zu begründen,
d. h zu zeigen, wie nahe die Gefahr liegt, bei blosser Verstandes -
Analyse mit Hülfe einer subtilen Dialektik auf fremdartige Gedanken
und kleinliche Dispositionen zu verfallen, an welche derjenige, der
bei einem Gedichte die im Ganzen aufgefasste Idee unbefangen mit sei-
nem Gefühle zu beurtheilen pflegt, unmöglich denken kann. Da
überhaupt die angestammten Gesetze des Geistes, nach denen er die
ihm einwohnende schöpferische Kraft entwickelt, überall dieselben
bleiben, und bei einem Gedichte nur die Wirkung, die es auf das Gc
müth des unbefangenen Lesers hervorbringt, vor Augen liegt, die
Frage aber, wie das Gedicht entstanden sei, blos von dem, der es
gemacht hat, beantwortet werden kann: so wäre es nach der Ansicht
des lief, sehr belehrend, wenn Jemand irgend ein gutes Gedicht eines
neueren Gelehrten, etwa eines Hermann, Fiedler, Seyffert u. A. nach
dieser Erklärungs- Methode entwickelte, und dann diese vollständig
zergliederte Disposition nebst allem logisch - rhetorischen Beiwerke ei-
nem solchen Gelehrten vorlegte mit der Frage, ob er wirklich bei der
Abfassung des erklärten Gedichtes ein so detaillirtes Bewusstsein ge-
habt habe. Wir meinen , da das eigentlich Aesthetische sich gar nicht
in ein bestimmtes Regelwerk hineinzwängen lässt, dass Jeder mit Ho-
raz, einem wahrhaftig beachtenswerthen Kunstrichter, erwidern
möchte (Sat. I, 4, 38 ff):
Agcdum, pauca aeeipe contra.
Ingenium cni sit, cui mens divinior atque os
Magna sonaturum , des nominis huius [i. e. poetae] honorem.
Damit uns aber nicht der Vorwurf treffe , als hätten wir , weil wir in
diesem einen Punkte von ganz andern Principien ausgehen zu müssen
glauben, die übrigen Vorzüge dieser Schrift gänzlieh übersehen, so
fügen Avir ausdrücklich hinzu, dass uns dies Buch in vielen Stellen ei-
nen grossen Genuss und vielfache Belehrung geboten habe, und dass
wir es in mehrfacher Hinsicht für einen sehr dankenswerthen Beitrag
zur ästhetischen Auffassung des Dichters betrachten. Denn überall
findet man die neuesten Resultate, von dem jetzigen Höhepunkte der
Wissenschaft aus, mit rüstiger Kraft und selbstständigem Urtheile be-
achtet. Nur bei dem, was über die Zeit der Entstehung und der
Herausgabe der Horazischcn Oden sowohl in der Einleitung S. 24 — 26,
als auch bei den einzelnen Gedichten verhandelt wird, bedauert der
Leser, dass die gediegene Schrift von C. Franke: Fasti Horatiani
(Berlin 1839) noch nicht berücksichtigt ist. Wir haben alle Hochach-
Dissens kleine latein. und deutsche Schriften. 421
hält Ergebnisse von Gesprächen , welche Hr. Hofrath Müller mit
Dissen über die Auslegung des Pindar oftmals gehabt hat , und in
denen Dissens eigentliche Meinung und eine authentische Inter-
pretation seiner Interpretationsweise vorliegt. Vorzüglich su-
chen diese Mittheilungen die zwischen Böckh und Dissen obschwe-
benden Differenzen aufzulösen , und geben demnach im Allgemei-
nen einen Beitrag zu dem , was Boeckh in den Berliner Jahrbb.
1830 II. Bd. Nr. 72-77; sodann 1835 Nr. 11 ff; und Welcker
im Rhein. Mus. 1. Th. S 476 ff. über den Pindar verhandelt ha-
ben, denen, wie bekannt, Hermanns meisterhafte Forschungen
(Opusc. VI, 1. p. 3—69.; Opusc. VII, p. 97 — 173;) gegenüber
treten. Diese letzteren hat Dissen , wie er in einer S. XXIV mit-
getheilten Briefstelle andeutet, in einer deutschen Schrift über
die Auslegungskunst widerlegen wollen ; doch scheint dieser Plan,
der sonst nirgends berührt wird, nicht in Ausführung gekommen
zu sein. Ueberhaupt aber ist die genannte Briefstelle, in welcher
einem Hermann (vis credibile dictu!) „Pindarischer Unsinn" bei-
gelegt wird , in einer durch Kränklichkeit sehr gereizten Stim-
mung geschrieben, und war in dieser gleichsam den Manen des
edlen Dissen geweihten Schrift lieber zu unterdrücken, da sie in
jedem gefühlvollen Leser, der durch das Vorhergehende zur
Wehmuth gestimmt wurde, eine beleidigende Störung hervorruft.
Dissen, dieser „gelehrte, scharfsinnige, wahrheitliebende und
humane Mann", Dissen, der selbst in diesem Buche S. 245 Her-
mann „den Grössten aller jetzigen Grammatiker" nennt, Dissen,
der S. 296 in Beziehung auf Reisigs Conjectt. schreibt: „die
Schrift ist dem Hrn. Professor Hermann gewidmet , und wider-
spricht demselben, wo eine andere Meinung ausgeführt wird,
ireimüthig, aber mit Anstand und mit derjenigen Achtung, die
wohl jeder bei dem Namen dieses grossen Philologen empfindet1-',
dieser Dissen würde wohl schwerlich, wenn er von den Todten
zurückkehren könnte, die Veröffentlichung dieser im vertrauli-
chen Briefstile geschriebenen Aeusserung gut heissen. Dass er
so schreiben konnte, weiss sich der Leser psychologisch zu erklä-
ren und zu entschuldigen, wenn er in dieser Sammlung ausser
vielen anderen hierher bezüglichen Stellen S. LXII Folgendes
liest: „Gewiss ist Dissen, wie Vielen in seiner Lage, oft auch
von den besten Freunden Unrecht gethan, und als Einbildung und
übermässige Besorgniss gescholten worden, was ihn wirklich kör-
tnng vor der ausgebreiteten Gelehrsamkeit des Hrn. D., wenn auch die
öfters entwickelte Tiefe des Iloraz uns mehrmals an recht schlagende
Parallelen von Olshausen in der Erklärung- des N. T. erinnert hat.
"Wir schliessen mit dem Wunsche, dass man recht bald das Urtheil der
gründlichsten Kenner des lloraz, eines Jacobs, Jahn. Orelli , Obba-
rius, IVIeineke, Kirchner, Schmid u. A. über diese Arbeit des Hrn. D.
erfahren möge. Atncis.
422 G c s a nt ui c 1 1 e Schriften.
perlich afficirte und seine Lebenskräfte beeinträchtigte. Die aus-
serordentliche Zartheit und Schwäche seines Organismus und die
daraus hervorgehende Reizbarkeit seiner Nerven war eine Rea-
lität."' Dass aber eine solche, aus dieser Reizbarkeit hervorge-
gangene Briefstelle hier gedruckt erscheint, dürfte gewiss Viele
au das erinnern, was Hermann in der Nachschrift der Vorrede zu
den Actis societatis Graecae wahr und kräftig über „pudor" sagt,
und Manchem vielleicht gar wieder zu ärgerlichen Bemerkungen
Veranlassung sein. Doch genug. Ref. bittet in seiner eigenen
Bemerkung nichts weiter zu finden, als den natürlichen Ausdruck
eines aus den durch die vorhergehenden Briefe erweckten Gefüh-
len herausgerissenen Gemülhes.
Was nun den Inhalt der jetzt folgenden Sammlung betrifft,
so enthält sie, was Dissen ausser seinen fünf grösseren Werken, der
Kurzen Anweisung für Erzieher, die Odyssee mit Knaben zu le-
sen (Göttingen 1809), der doppelten Arbeit am Pindar, dem
Tibull und Demosthenes, dem Publicum selbst während seines
Lebens übergeben hatte. Voran stehen die lateinischen Schriften,
und unter diesen zuerst (S. 1 — 56) die Habilitationsschrift : De
lemporibus et modis verbi Graeci. Göttingen 1808, in welcher
fruchtbare philologische Kenntniss mit scharfer philosophischer
Unterscheidung, die überall das Studium der Herbart'schen Phi-
losophie beurkundet, sich vereinigt. Manches sichere Resultat
daraus ist jetzt bereits in die Schulgrammatiken übergegangen.
Wahrscheinlich indess würde Dissen dem ganzen Entwickelungs-
gange seiner Studien zu Folge (wovon auch S. XLVII eine Andeu-
tung gegeben ist) in dieser frühesten Arbeit, wenn er sie in spä-
tem Jahren revidirt hätte, die Lehre von den Temporibus nicht
mehr zunächst auf eine Combination der Zeitverhältnisse gebaut
haben. Zu interessanten Vergleichungen giebt jetzt unter Andern
die von ganz verschiedenen Principien ausgehende Schrift des
Hrn. Professor Schwalbe: Beitrag zur historischen Entvvickelung
der Lehre von den Temporibus und Modis des griechischen Ver-
bums. Magdeburg 1838, vielfach lehrreiche Veranlassung. Nütz-
lich und beachtenswerth aber für die, denen es zunächst um klare
Einsicht in die Sache zu thun ist, wäre es gewesen, wenn der
berühmte Herausgeber bei dem erneuten Abdrucke dieser und
der folgenden Abhandlungen erläuternde Anmerkungen oder
Nachträge geliefert hätte, da man wohl annehmen darf, dass
Dissen selbst in seinen eigenen Exemplaren sich hier und da eine
Ergänzung oder Berichtigung oder nähere Motivirung der ausge-
sprochenen Ansichten beigeschrieben habe. Wo Dissen in seinen
andern Arbeiten, wie S. 109, auf diese Abhandlung verweist,
hätte der Corrector überall die Seitenzahl in vorliegendem Buche,
wie es Seite 93 geschehen ist, beischreiben und überhaupt zur
Erleichterung des Auffiudens der Citate von andern Gelehrten die
ursprü ngliche Seitenzahl am Rande jeder Abhandlung mit anmer-
Dissens kleine iutein. und deutsche Schriften. 423
ken sollen. Wäre übrigens bei der Zusammenstellung dieser Dis-
sertationen, die hier sämmtlicb unverändert erscheinen, der wis-
senschaftliche Zweck mehr in den Vordergrund getreten , so
würde eine Entwicklung dessen, was Dissen bei seiner ganzen
Erklärungs- Methode aus den Principicn der kernhaften Philoso-
phie von Herbart geschöpft hat, eine für die Literargeschichte
sehr interessante Erscheinung gegeben haben. Denn diess hiesse
in Wahrheit „den Pulsschlag und Athemzug seines geistigen Le-
bens" prüfen. Die zweite Abhandlung, zum Antritte der ausser-
ordentlichen Professur in Marburg 1812 geschrieben, handelt:
De Phüosophia Morali in Xenopliontis de Socrale Commentariis
tradita (S. 57 — 88). Sie prüft diese Sammlung philosophischer
Unterredungen, und sucht (der Reihe nach desummobono, de
virtutibus cardinalibus , de suprema lege officiorum ex prioribus
deducenda verhandelnd) die innere Gehaltlosigkeit derselben in
Hinsicht auf die Anforderungen wahrer sokratischer Philosophie
zu beweisen. (Hierauf bezieht sich auch eine S. 172 stehende
Andeutung.) Die hier ausgesprochenen Ansichten aber sind be-
reits bei anderweitigen Untersuchungen über denselben Gegen-
stand berücksichtigt worden, und daher jetzt eben so bekannt,
als die dritte nach der Rückkehr zu Göttingen 1813 verfasste
Dissertation: Discprisitioniim Philologicarnm speeimen ■primiim
(S. 89 — 120), welche die sententiae conditionales zum Gegen-
stande hat. Die folgenden lateinischen Abhandlungen rühren aus
den letzten Jahren her, in welchen Dissen die Professur der Elo-
quenz in Verbindung mit Hrn. Hofrath Müller übernommen hatte.
Die erste 1836 geschriebene : de partibus noctis et diei ex di-
risio/ribus veterum. P. I. (S. 127 — 150) beginnt mit dem Ho-
merischen Zeitalter. Die Nacht wird schon hei Homer in drei
Theilc (fioigai) eingetheilt, vgl. II. X, 251 — 53, wo Dissen die
Schwierigkeit für gehoben halt „ubi verba: räv ovo juoipawv
per explicatiouera definitiorem Hörnern familiärem subieeta intel-
lexeris. Construe: jrapw^csv de nliov vy£, vvt, züv ovo juot-
p«oi'. [Spitzner hat nach nXiav vvi, das Comma getilgt und räv
öro uoiQciav eng an jtAeojv vi)!; angeschlossen : praeteriit iam ple-
llior nox. illarum duarum partium sive vigiliaruni. Das Einfachste
scheint dem Ref., das Comma beizubehalten, und das Folgende
als Exegese aufzufassen in folgender Verbindung: Tikiav i/i)f,
ovo räv noiQcccov, also: vorüber ist der grössere Theil der
INacht, nämlich zwei ihrer Theile, der dritte aber ist noch
übrig.] Die drei Theile der Nacht sind 1) ttfjrfpog, der pintritt,
2) WHToq dfiokyog, die Mitte derselben [Hermann. Opusc. 111,
p. L38. videtur proprie ijuod mulgcndo expresßnm cpagulatur spis-
sura et pingue, ita dictum fuisse; inde autem translatum ad cras-
sam caüginem. Den Excurs von Völckcr: Ucbcr Homerische Geo-
graphie § 24., welcher in der Allg. Literaturztg. August 1Ö3Q.
S. 613 widerlegt wird, findet mau bei Dissen nicht erwähnt.]
424 Gesammelte Schriften.
3) Das Herannahen der Morgcnröthe, wovon es bald lyyv&i ö'
rjobg, bald tfädt tiqo und ähnlich heisst. Der Tag hat ebenfalls
8 Theile (vgl. U. XXI, 111.), deren erster die ganze Zeit vom
Beginne der Morgenröthe bis zum Mittage umfasst, und nach Ho-
merischem Sprachgebranche durch »}wg bezeichnet wird ; nachher
kommt iiiöov rjiLccQ, Mittag, zuletzt ddfa] oder dtUkov ^uap,
der Nachmittag, dessen Ende 710Ü sötisqcc und ßovXvrog ist.
[Diese ganze Auseinandersetzung hat jetzt Oertel de Chronologia
Homerica Diss. I. Meissen 1838. berücksichtigt.] Im Folgenden
(von S. 135 an) wendet sich Dissen zu den nachhomerischen Zei-
len , und (von S. 146 an) zu den Eintheilungen der Römer. Es
folgen hierauf drei Prooemia aus den Lections - Verzeichnissen
der Göttinger Universität, von denen das erste (S. 151 — 160)
de arte combinatoria in Piatonis Theaeteto P. 192. von Michaelis
1836, als ein charakteristischer Beitrag zur klaren Auffassung
der Dissenschen Erklärungs- Methode vorzügliche Beachtung ver-
dient. Das zweite von Ostern 1837 (S. 161 — 170) behandelt die
vöfwi ccygcccpoi. Ausgehend von Aristoteles Rhet. I, 10, 2. und
c. 13, 2. entwickelt Dissen den doppelten Sinn , in welchem diese
dy. v. bei den Alten erwähnt werden. Ac primum quidem Hygacpa
vonmu et uyQcicpoi vö\uot erant omnino ante scriptas leges insti-
tuta gentium et civitatum a maioribus tradita. Ein grosser Theil
derselben ist in der Folge durch die Gesetzgeber, hier mehr, dort
weniger, in die geschriebenen Gesetze übergegangen. Verum
enim vero dicuntur äygacpoi vo^lol porro etiara omnino leges
rccti, boni, iusti, aequi, communi hominum naturae insitae et
apud omnes homines , apud deos hominesque ratae. Dieser Be-
griff wird dann genauer erläutert , und von dem Naturrechte der
Neuern unterschieden, worauf durch Beispiele gezeigt wird, wel-
che einzelnen Bestimmungen bei den verschiedenen Schriftstellern
der Griechen unter die v6{iol üygacpoi gerechnet werden. [Zu
den letzteren Punkten bieten Siebeiis ausgezeichnete Disput att.
Quinque etc. im 4. und 5. Theile manche schöne Vergleichung
dar. Dissen's ganze Abhandlung ist zu betrachten als eine Ver-
schmelzung des zu den angeführten Schriftstellen und anderwärts
von den Interpreten bereits Bemerkten, doch mit mehrfacher Be-
richtigung des Einzelnen. Die Nachahmungen bei den lateini-
schen Classikern aber sind nirgends berücksichtigt. Ueber diese
Arbeit sagt Dissen selbst in einer S. XXX mitgetheilten Brief-
stelle: „Eine Stelle des Deraosthenes de cor. brachte mich dar-
auf, den an sich interessanten Begriff der Hygatpoi vöpioi einmal
für mich auszuführen, und da ich sah, dass in philologischen
Noten hie und da sehr ungenügend davon gehandelt wird, so habe
ich eine Abhandlung daraus gemacht; denn auch Lobeck in Cita-
ten wirft , was hier unterschieden wird , unter einander." Die
hier angedeutete Stelle des Demosthenes steht p. 317. § 275. :
Wavrjöbiai xoivvv tavra nüvtu ovtaq ov fiovov Iv tolq vo[ii-
Dissens kleine latein, und deutsche Schriften. 425
/ueug, uXXa. xal % yvöig ccvrq rotg ctyoaqpotg vo^oig xccl tolg
ärdganivoig rjftsöi öicoqiksv, zu welchen Worten jetzt Dissen
im Commentare S. 421 auf seine Abhandlung verwiesen hat]
Das dritte Prooeraium (S. 171 — 176) von Michaelis 1837 sucht
zu erweisen, vitae et scholae, scholae et vitae esse discendura.
Die Beweisführung ist so, dass vita von dem engbegrenzten Kreise
der Brodstudten, schola dagegen von der aligemeinen, rein
menschlichen Bildung, wonach edlere Jünglinge streben, aufge-
fasst wird. Nimirum ubieunque literarum studia non propter se
ipsa diliguntur et coluntur, sed unice propter alium finem exter-
num, perit divina eorum vis, neque incenditur ad maiora animus,
sed torpescit et vilescit magis magisque ultra vulgaria sapere no-
lens. vitae civilis munera neque aetatum sunt neque tempo-
rum omnium neque locorum, artium vero et literarum studia
adolescentiam alunt [vielmehr agunt befeuern cf Stuerenburg und
Klotz zu Cic. pro Arch. c. VII.] senectutem oblectant, seeundas
res ornant, adversis perfugium ac solatium praebent etc.
Audebitne etiamnum aliquis dicere non esse scholae discendum,
non esse literis per se o per am dandam, quod omni tempore in
otio factum, unde ipsum quoque nomen schola? Den Schluss
bildet eine Ermunterung an die studirende Jugend , dergleichen
auch den beiden vorhergehenden Prooemien auf höchst anspre
chende Weise hinzugefügt ist. Das Ganze eignet sich vermöge
seiner lebendigen Auffassungsweise sehr schön zur Aufnahme in
eine Sammlung lateinischer Paränesen, und erinnert recht lebhaft
an die geschmackvollen Prooemien von F. A. Wolf in dessen Ver-
mischten Schriften und Aufsätzen. Hinter den lateinischen Ab-
handlungen liest man noch (S. 177 — 184) das Carmen saeculare
zum Jubelfeste der Universität, worin Dissen durch vierzig Al-
cäische Strophen seine patriotische Liebe zur Georgia Augusta
mit einer poetischen Begeisterung ausspricht, wie man es bei der
damaligen Schwäche seines Organismus kaum erwarten sollte. In
den Worten der 9. Strophe sol habitabih's | qua lustrat oras, opti-
rae prineipum, ist das — lis wohl blos Druckfehler, da man in der
bekannten Stelle des Iloraz (IV, 14, 5.), die dem Verfasser vor-
geschwebt hat, allgemein qua sol habitabiles illustrat oras, raa-
xime prineipum liest. Eine wehmüthige Erinnerung erweckt jetzt
die 36. Strophe:
Vns ite laeti tarn celchrcs dies :
Salvete qtiotquot cernimus hospites,
Salvctc cives nuper, olim
Alma Georgia quos fovebat.
Es war das letzte Wort freundlicher Begrüssung in diesem Leben.
Bei den letzten Strophen denkt jetzt jeder au die Conflicte zwi-
schen Pflicht und Neigung, die in dem schwülen Luftkreise zu
Göttingen herrschten, und wird dabei nach der politischen Farbe
426 Gesammelte Schriften,
seiner eigeuen Gedanken zu eigentümlichen Empfindungen
veranlasst.
Es folgen nun von S. 185 an bis zu Ende die kleinen deut-
schen Schriften. Den Anfang macht die Forlesung über die An-
Ordnung der Olympischen Spiele in der Ä'önigl. Socielät der
Wissenschaften (S. 185 — 194). Auf diese Abhandlung hatte
sich Ref. gleich beim Empfange des Buches am meisten gefreut,
er fand aber leider nur den Abriss des Inhalts aus den Göttinger
Gel. Anz. von 1833. Nr. 78. 79. abgedruckt, den Hermann in
der Vorrede von Opusc. VF. erwähnt. Wahrscheinlich rührt die-
ser Auszug dem ganzen Style nach zu schliessen , von Hrn. Hof-
rath Müller her, von welchen auch der letzte Theil der Recen-
sion von Welckers Aeschyl. Trilogie, welcher in diesem Buche
S. 312 — 317 gelesen wird, verfasst ist. Ueber diesen Auszug
sagt eine S. LXV stehende Bemerkung: ,, Die Vorlesung über
die Anordnung der Olympischen Spiele, die einzige, welche
Dissen als Mitglied der hiesigen Societät der Wissenschaften ge-
schrieben, konnte leider nicht in ihrer vollständigen Abfassung
(wie sie den Publicationen der Societät vorbehalten bleibt), son-
dern nur in dem Auszuge gegeben werden, der davon in den
hiesigen gelehrten Anzeigen erschienen ist. w Da nun aber Nie-
mand mit der blossen Aussage , dass in Olympia das System der
Wiederkehr gegolten habe und jeder Tag dem andern ähnlich ein-
gerichtet war, sich begnügen kann, sondern vielmehr fragt, wie
die bezüglichen Stellen der Alten erörtert , wie die entgegenge-
setzten Meinungen in allen Punkten geprüft, wie das. was die
Combination anderer einschlägigen Umstände darbieten kann , be-
nutzt worden sei, um das wahrscheinliche System des ganzen
fünftägigen Kosmos darzustellen, so werden gewiss nur Wenige
mit dem wiederholten Abdrucke dieser Inhaltsanzeige sich befrie-
digt fühlen. Denn wenn Dissen für die Olympischen Wettkampfe
folgende Anordnung aufstellt: für den ersten Tag: dgQftog, nä-
A^, Ttvyixrj, «oaar«, nivreeftkov, für den zweiten: dgöiuog,
7tüht], nvyfii], nuyxQCiuov , und diese letztere am vierten Tage,
die erstem aber am dritten und fünften sich wiederholen lässi,
nur mit dem Unterschiede, dass an der Stelle der Quadrigen am
dritten Tage Bigen und am fünften Ccletes laufen; so leuchtet
ein, dass er auch von der scharfsinnigen Durchdringung des Ge-
genstandes durch Hrn. Professor Meier in der Allgem. Encyklop.
wesentlich abweicht, und deshalb eine um so lebhaftere Sehn-
suchterregt, seine vollständig entwickelte und begründete Dar-
legung zu erhalten , in welcher auch , wie aus dem Ende der ge-
gebenen Relation hervorgeht, der Beweis dafür geführt worden
ist, dass bei jedem derartigen Feste der Hellenen der grosse
Opfertag den Spieltagen vorangehe. Den folgenden Inhalt der
vorliegenden Sammlung (v. S. 195 an) bildet eine ausgewählte
Reihe von Recensioncn, welche Dissen seit 1810 für die Götting.
Dissens kleine latein. und deutsche Schriften. 427
Gel. Anzeigen geschrieben hat, mit Ausnahme der letzten Ilecen-
!»ion über die Syntax in MattlnTs Grammatik , welche aus den
Heidelberger Jahrbüchern (von 1810. 7. H. S. 289.) genommen
ist. Bei der Auswahl dieser Recensionen hat (nach S. LXVI.) die
Absicht geleitet, „theils Alles hervorzuheben, worin eigenthüm-
liche Forschungen und Gedanken enthalten oder angedeutet sind,
theils von dem Gange der wissenschaftlichen Arbeiten Dissen's
eine Vorstellung zu geben, die dem Begriff, der aus seinen grös-
sern Arbeiten geschöpft werden kann, zur Vervollständigung und
Erläuterung dienen könne.1'' Diese hier chronologisch zusammen-
gestellten Aufsätze werden daher sowohl diejenigen, welche in
ihnen nur eine nach den Lebensjahren rangirte Gesellschaft von
Bekannten finden, als auch die, welche zum Theil erst ihre Be-
kanntschaft machen, mit Freuden willkommen heissen , und be-
sonders diejenigen nicht ohne Genuss lesen, in welchen Gegen-
stände der alten Philosophie mit einer, man möchte sagen, Pla-
tonischen Buhe und mit Klarheit behandelt sind. Natürlich wird
Keiner unbeachtet lassen, in welcher Zeit ein jeder dieser Auf-
sätze verfasst ist. Die chronologische Zusammenstellung der Rc-
censionen aber ist besonders auch in sofern lehrreich, als man
daraus ersieht, wie frühzeitig bei Bissen einzelne, immer mehr
zum klaren Bewnsstsein durchgedrungene, Ideen sich gebildet
haben. So erscheint schon hier S. 328, um nur Eine Einzelheit
herauszunehmen, die Bestreitung des Wölfischen Satzes: Sero
Graeci didicerunt totum ponere in poesi (Prolegg. in Hom. p. 125),
was später in der Vorrede zum Pindar (S. 89. ac quod olim W.
dixit — hodie constat falsissimum esse) bemerkt ist, wiewohl
jetzt die tiefeindringende Beleuchtung der Sache durch Hrn. Pro-
fessor Bernhardy (Grundr. der Gr. Litt. S. 111.) den Satz wieder
zur Anerkennung bringt. Ausserdem scheinen auch mehrere die-
ser Becensioncn nicht gerade sehr bekannt geworden zu sein. So
erinnerte sich z. B. Ref. bei der kurzen Beurtheilung von Reisig's
Coniectanea in Arist. (S. 292) an die schön geschriebene Charak-
teristik Reisig's von Hrn. Prof. Paldamus, in welcher an einer
Stelle gesagt wird, dass Beisigs Coniectt. nirgends eine Beurthei-
lung gefunden hätten. Ferner die Recension der ersten Ausgabe
von Müllers Homerischer Vorschule (S. 318 — 330) entwickelt
manche Ideen, welche Hr. Prof. Baumgarten -Crusius bei der
zweiten Auilagc in der Einleitung oder in den unter dem Texte
stehenden Bemerkungen hätte berücksichtigen können. Ueber-
haupt zeigen alle den Homer betreifende Recensionen, dass Dis-
sen in seinen Ansichten grösstentheils mit den Forschungen des
vortrefflichen INitzsch zusammentrifft. So heisst es aus dem J.
1821 S 279: „Die Meisten sind wohl darin einig, dass jedes Ge-
dicht Einen ursprünglichen Sänger voraussetze, von dem die
Grundlage desselben herrühre, dass aber dann beide durch die
Bhapsoden Erweiterungen und Umbildungen erlitten haben."
428 Lexico g r «iphie.
Aus dem J 1827 S. 332: ,,Den imposanten echt hellenischen Zu-
sammenhang der ilias muss nothwendig Ein Dichter zuerst aufge-
stellt haben , und so wenig dieser als der der Odyssee konnte
durch atomistisches Ansetzen unabhängiger Gesänge zu Stande
kommen", was dann ausführlicher gegen die Vertheidiger der
Wolfischen Ansicht erörtert und durch zwei Beispiele näher be-
gründet wird. Das zweite, welches den inneren Zusammenhang
der ersten acht Uücher der Ilias nachweist, ist mit der Ansicht,
welche Arndt de Iliadis compositione 1833 S. 2 und 3 entwickelt
hat, fast ganz übereinstimmend. Andere Bemerkungen von Bis-
sen , welche die poetische Einheit gegen die Schneidekritik auf
ganz einfache Weise zu rechtfertigen wissen , erinnern den Leser
an das sinnvolle Verfahren , welches Schneidcwin im Rhein. Mus.
V, 3, S. 405 — 415 geltend macht. Man vgl. S. 357 ff. 411. Was
sodann S. 413 über die Behandlungsart der griechischen Litera-
turgeschichte gesagt wird, streift sehr nahe au das, was der
geistreiche Bernhardy mit feldherrnartiger Beherrschung der ver-
einzelten Massen jetzt geleistet hat. Doch wir brechen hier ab.
Das Gesagte wird für den Zweck dieser Anzeige hinreichen.
Wir wünschen diesem Buche, in welchem das Leben und
Streben eines Mannes, der obgleich vielfach vom jammervollen
Alltagsleben berührt, dennoch rüstig den höheren Ideen der Wis-
senschaft gelebt hat , noch einmal vor dem geistigen Auge des
Lesers mit wohlthuender Kraft vorüberzieht, recht viele Käufer,
da der ökonomische Ertrag desselben der Unterstützung von Dis-
sens Anverwandten bestimmt ist.
Mühlhausen. Ameis.
Specimen Onomatologi Graeci. Scripsit Carolas KeilLu,
Adiunctus Portensis. Lipsiae, sunitu Reichenbachiorum. 1840.
XVIII und 12G S. 8.
Vorliegende kleine Schrift ist eine treffliche Arbeit, in wel-
cher Hr. Adjunctus Keil zu Schulpforte ein schönes Specimen
eines grösseren Werkes , welches er über die griechischen Ei-
gennamen vorbereitet hat und später ebenfalls bekannt zu macheu
gedenkt, dem gelehrten Publicum vorlegt. Denn der Hr. Verf.
gibt nicht eine leere Nomenclatur der griechischen Eigennamen
und ihrer verschiedenen Formen, sondern hat es wohl verstanden,
aus dem ganzen Organismus der griechischen Sprache und ihrer
verschiedenen Dialekte das Einzelne abzuleiten und zu deuten,
und nach gründlich und fein entwickelter Analogie, wobei er sich
so streng als möglich an das diplomatisch Ueberlieferte anzu-
schliessen versteht, das Ungewisse und Zweifelhafte zu prüfen.
Wenn also Hr. K. auf der einen Seite das in dem altern Werke
Aon Sturz (den bekannten Praefationes de ?iominibus Graecorum
Keil : Specialen Onomatologi graeci. 429
propriis) und dem neueren Ton Crusius (Griechisch- deutsches
Wörterbuch der Eigennamen, Hannov. 1832 ) Fehlende und
Uebcrsehene allerdings zu ergänzen und nachzutragen bemüht ist,
so entwickelt er dabei aber auch auf der andern Seite die Princi-
pien, nach denen bei Beurtlieilung des Einzelnen zu verfahren
sein möchte, mit so viel Geist und Kenntniss, dass diese Schrift
ein genaueres und gründliches Eindringen in die Eigenthümlich-
keiten der griechischen Sprache zu ihrem Theile nicht wenig un-
terstützen und fördern wird, zumal sie über einen Theil der grie-
chischen Lexikographie ein neues Licht zu verbreiten verspricht,
der bisher noch nicht einer so allgemeinen Beachtung sich zu er-
freuen gehabt hat, wie manche andere Theile derselben.
Der Hr. Verf. beginnt mit einer im fliessenden Latein ge-
schriebenen Begrüssung des Hrn. Geheimen Regierungsrathes
Böckh zu Berlin zu dessen, soviel wir wissen, vier und fünfzig-
sten Geburtstage, die von aufrichtiger Ergebenheit und herzlich
dankbarer Gesinnung gegen seinen früheren Lehrer zeugt, und
zum Schlüsse auch die Absicht des Hrn. Verf. eine Doctrina no-
minum propriorum Graecorum, zu welcher einst Sturz und in
neuerer Zeit Crusius den Grund gelegt hätten, auszuarbeiten und
| bekannt zu machen, kund gibt. Möge dem Hrn. Verf. zu die-
j sem grösseren Werke Kraft, Gesundheit und eine fröhliche
Müsse fortwährend vergönnt sein. Denn die vorliegende Probe
erregt mächtig in uns den Wunsch , das ganze Werk einst mit
aller Liebe eines jugendlich strebsamen Geistes gepflegt und voll-
endet zu sehen.
Wenden wir uns nun dem Einzelnen zu, so finden wir Cap.T.
Deorum nomin a hominibus data, S. 1 — 34. eine genaue Darle-
gung, wie weit der Gebrauch der Griechen, ihre Namen von den
Göttern zu entlehnen , sich erstreckt habe. Zuerst spricht der
! Hr. Verf. über die bekannte Sitte der Griechen, die menschlichen
; Namen von den Namen der Götter abzuleiten, um ihren Inhaber
i entweder als Schützling, oder als Abkömmling, oder auch als Ge-
j schenk irgend eines Gottes zu bezeichnen oder seine besondere Er-
; gebenheit gegen eine Gottheit dadurch an den Tag zu legen, S. 1 — 6.,
dann wendet er sich der im Ganzen bei Weitem schwierigeren
Frage zu, ob die Griechen auch die wirklichen und unveränderten
Namen von Gottheiten angenommen oder neugebornen Kindern
beigelegt haben. Mit Recht scheint in Bezug' auf die ältere Zeit
dies Hr. K. gänzlich in Abrede zu stellen ; denn einige liebko-
! sende und scherzende Ausdrücke abgerechnet, die doch genau
j genommen nicht hierhergehören, finden sich in der älteren Zeit
j keine Spuren von dergleichen Namen , S. 7. 8. Nur in der spä-
teren legte sich der Lebermuth mächtiger Herrscher, oder auch
wohl die Aufgeblasenheit thörichter Privaten Namen derGötterbei,
j worüber Hr. K. sehr lehrreich gesprochen hat, S. 9 — 22. Wenn
schon dadurch die Namen der Gottheiten noch nicht als eigent-
430 Lexicographie.
liehe menschliche Namen erscheinen, so nimmt doch Hr. K. für
die spätere Zeit wenigstens unter hinlänglichen Belegen an, dass
man auch neugebornen Kindern Namen von Göttern beigelegt
habe, was jedoch erst in der Zeit nach Christi Geburt und doch
immer nur seltner Statt gefunden zu habon scheine, S. 22 — 26.
Daran schliesst Hr. K. nachträgliche Bemerkungen an, S. 26 — 34,
zuerst über die Namensendung deogog, welche die Griechen nicht
blos den Namen von Göttern, sondern auch denen von Helden
und anderen Männern angehängt haben, S. 26 — 28. Nachträg-
lich werden dann noch der Name eEQ[iai%og und ähnliche Bildun-
gen nachgewiesen, sowie für Plutarch Ainator. c. IX. die Form
Beh6vi%}] statt Biki(5xlyy\ mit überzeugenden Gründen in Schutz
genommen, S. 28. Sodann spricht Hr. K. über die Namen IJv-
dovlxY} und IIvftioriMr] und Ilv&ovixog und Ilv&iovixog und an-
dere mit Ilv&o — beginnende Namensformen, S. 29. 30., und
gibt zu andern in dem Früheren aufgestellten Behauptungen die
nachträglichen Belege, wie über Bovzrjg und BovZ,vyqg als Na-
men von Priestern, S. 30., und darüber, dass man 6 Zfu'g, 2Ja-
xpar^g, 6 TccQttvviog u. s. w. öfters auch da gesagt habe, wo
wir rov zJiög avofta, ZJaxodtovg ovop,a u. dergl. hätten erwar-
ten können, was mit Athen, lib. VII. c. 34. med. (§ 10. Schweigh.)
Xenoph. Memorab. 4, 4, 7. Plutarch Poplic. 6. und Coriol. 11.
belegt wird.
Sodann berührt Hr. K. den Sprachgebrauch, nach welchem
man den Namen eines Gottes oder eines Menschen zur Bezeich-
nung eines nach einem Gotte oder Menschen benannten Ortes ge-
wählt habe, wie bei Plutarch Luculi. 41. 'Aitoklav für Apollo-
saal, Ptut. Alkibiad. 24. 'AXxißtäd^g statt Alläbiades- Garten,
welchen Namen Tissaphernes einer seiner schönsten Gartenanla-
gen beilegte, ferner bei Plutarch im Sulla 17. 'Aoizlaog, wozu
Hr. K. noch vergleicht Böckh's Corp. Inscr. n. 1732. b. 2. snl röv
'AQ%ccyevqv , i. e. em rö ijgcöov rov 'AQ^ayttov , und das Home-
merische slg 'Ayccp.sp.vova , statt elg xXiöir}v Aycc^isfivovog. Dazu
fällt uns fast unwillkürlich aus dem Lateinischen bei: Tarn prosi-
mus ardet Ucalegon, was Hr. K. vielleicht mit anführen konnte,
da er selbst Nep. Alcib. 3,2. itaque ille poslea Mercurius Andoci-
des vocatus est, durch die andere Lesart: Mercurius Andocidi,
für beseitigt hält. Ferner belegt Hr. K. noch ausführlicher, dass
auch ein Gott häufig statt seines Standbildes stehe ; zu den bei-
gebrachten griechischen Stellen hätte Hr. K. leicht viele lateini-
sche anführen können, wenn dies überhaupt in seinem Interesse
lag, wie Cic. Accusat. lib. IV. cap. 3. § 5. Cap.34. § 74. Cap.35.
§ 77. Gelegentlich nimmt Hr. K. S. 32 fg. den Accus. "Aqt\ in
Schutz, den er mit Inschriften und durch die Analogie anderer
Namen rechtfertigt; und erklärt sich für die Schreibung 'A&tfvyöt
statt 'A&ijvr]<ji,, wozu er die Belege ebenfalls hauptsächlich aus
Inschriften entlehnt, und wornach er auch bei Plut. Poplicol. 15,-
Keil : Specinien Onomatologl graeci. 431
ITevTsXrjßi geschrieben wissen will. Cap. IL behandelt der Hr.
Verf. die Nomina ab equis et equitandi arte ducta, S. 34 —52.,
mit derselben Umsicht und Gelehrsamkeit. Nachdem liier Hr. K.
im Allgemeinen auf die Sitte der Reichen und Vornehmen Grie-
chenlands hingewiesen hatte, zahlreiche und schöne Pferde zu
unterhalten, wobei auch die Stelle des Sophokles im Oed. Colon.
v. 714.
%d~ovog ccv%t]ficc psyiöTOV
zvimtov tvjtcöXov svxtüKaööov,
ihre gehörige Würdigung findet, geht er zur Besprechung von
dem über, was hierüber noch nach Sturz und Crusius zu erinnern
war. Mit gründlicher Gelehrsamkeit werden hier S. 35 fgg. zu-
vörderst die Namen Mü.ävmnog und Mzlavinni] besprochen,
bei welcher Gelegenheit Hr. K. auch die Form MtväXinnog , die
Ref. zu Cicero's Disput. Tuscul. 3, 9, 20. schon früher für die
Lateiner in Anspruch genommen hatte , für die spatere Zeit we-
nigstens , auch im Griechischen nachweist. Unterzeichneter hat
sich gefreut eine Sache, worüber andere Leute leicht zu seinem
Nachtheile oberflächlich abgeurtheilt haben würden , so umsichtig
von Firn. K. besprochen zu finden; und er würde sich ungemein,
im Interesse der Sache selbst, freuen, wenn Hr. K. , der so viele
Studien an den alten Inschriften gemacht, bei der Fortsetzung
seines Werkes namentlich darauf Rücksicht nehmen wollte, wie
die ursprünglich griechischen Namen im Lateinischen erscheinen,
und wie sie, schon anfangs von der gewöhnlichen griechischen
Sprache dialektisch verschieden, nach und nach eine so verschie-
dene Gestalt annahmen. Mit Recht leitet Hr. K. übrigens die
Formen Mtvälmnog und MtvaUmtr} von einer blossen Verderb-
nis her, die daher entsprungen, weil man die Entstehung und
eigentliche Bedeutung des Namens nicht mehr berücksichtigte,
ein Umstand, worüber der Hr. Verf. auch noch andere Belege
beigebracht hat, S. 42. Nachdem sodann der Hr. Verf. noch ei-
nige andere auf irniog und Innr) endigende Namen auf eine be-
lehrende und anregende Weise besprochen, gibt er S. 50 — 52.
Nachträge von Wörtern , welche bei Crusius entweder ganz feh-
len oder doch ohne Beleg geblieben sind. Wir heben hier die
hauptsächlichsten hervor und werden die aus Inschriften nachge-
wiesenen blos mit hiscr. bezeichnen. 'Aydöinnog Inscr.
'AysöuiTilccg r^g 'Ovaöleovog Inscr. 'A&r}vut7tog yA9t]vl7C-
Ttov Ifiscr. und rI anlag 'A&rjv Innov 'AkixttQvaGSzvg b. De-
mosth. adv. Lacrit. § 20. § 34. Bekk. AlQiqöinntyg 6 Zjiccq-
xiärrig Athen. VI. p. 251. F. Zu"AXxt,jt7to g, was Crusius ohne
Auclorität hat, giebt Hr. K. Belege aus Inscr. und vergleicht we-
gen des nicht verwandelten Kämta Aevxinnog — AEv%m-
7t og (Bachm. ad Lycoph. Alex. 850. p. 184.) und Gicse über den
aeol. Dialect. S. 332. Es findet sich auch "Alyannog bei Plut.
432 Lexicographi e.
7HoroJ. p.775. B., welche Stelle Rost im Lex. beibringt. 'A(iv8gm-
nog Tnscr. 'Agsömnog Inscr. 'Agx^nn a Inscr. 'Ag%inni]
hiscr. und Demosth. in Stephan. I. § 28. Bekk. 'Ag%innidrig
Inscr. FväQinnog Athen. IV. p. 168. D. rögymnog
JTo gyinnov Inscr. ro gymniöag Inscr. A ä fimnog
Inscr. zitivinnog Inscr. zJe^inna hiscr. zJ sgxmnog
Inscr. und Stobaeus III. 413. A coginnrj Etyra. Magn. p. 293,
36. 'Evgijvinnog hiscr. 'Egäömnog, was Crusius aus
Apollodor hat, wird ebenfalls noch mit Inscr. belegt. (Dazu wird
das Wort'JSp ccöicpäv, welches Crusius ebenfalls nicht hat, aus
Lysias ntgi drjfioö. %Qt]lt. §2. §3. Bekk. nachgewiesen). 'Egp in-
nig Inscr. Zä'innog Polyb. 7,2,1. und Liv. 24,5. ®eg-
6 i n n o g, was Crusius aus Arrian. 2, 14, 4. hat, wird noch aus Inscr.
nachgewiesen. Ferner 'Innag pödag og ein Platäenser bei
Lysias xatä IlecyxkEavog § 5. Bekk. 'Innacptöig Athen. 11.
p. 586. E. [Die Stelle ist aus Lysias' verloren gegangener Rede
gegen die Lais und findet sich auch bei Athen. 11. p. 592. E.
wiederholt. Ref.] "Inneog Inscr. "Innrj eine Buhlerin b. Athen.
13. p. 583. A. ' lnnlvog Inscr. "Innig = 'Inniag Inscr.
Inno^evog Inscr. rInno6Tgäri] Inscr. 'Innoiv log Inscr.
KalXinnrj hiscr. Ksv&innr] tonog "Agyovg Etyra. Magn.
p. 503,33. KXstnnr] Inscr. Kltlvmnog Inscr. Klij-
Cinnog Inscr. Kq ar^6innog Inscr. Avömnidrjg Inscr.
Mslrjömnog Inscr. Mvaöinna Inscr. Mvrfa innog
Inscr. Nea ginnrj Inscr. Nsixmnta und Nsixmnldag
Inscr. No&mnog Athen. 8. p. 344. C. "Ogg mnog Inscr.
näömnog Inscr. TLtiGinnog Inscr. IloXvinnr] Inscr.
TIv%lnnri Inscr. 'Pööinnog Inscr. Zlrjgmn og Inscr.
Uoi^tnnog Inscr. Hcb'innog, eben so gebildet wie Hoäav-
dgog, ZJaxkrjg u. s. w. , Inscr. Teke'Cnnog Inscr. TbXs-
öinnij Schacf. App. Demosth. t. 5. p. 109. Tgstymnid ao
Inscr. Tvxinno g Inscr. Qaväömnog Inscr. (Pslöin-
nog wird noch aus Inschriften nachgewiesen. OiXinna Inscr.
Man wird die Reichhaltigkeit der Nachträge, welche Hr.
Keil zu geben in Stand gesetzt ist, schon aus dieser Reihe von
Wörtern, die allein von dem Stamme "innog entlehnt sind, am be-
sten abnehmen können. Auch vermissen wir nirgends die bei sol-
chen Dingen unerlässliche Genauigkeit und redliche Aufrichtig-
keit, womit der Hr. Verf. auch das seinen eigenen Vermuthun-
gen Entgegenstehende zu besprechen pflegt.
C!ap. III. führt die Ueberschrift : Nomina, quae dicuntur,
decurtata, S. 52 — 57., und bespricht zuvörderst die bekannten
Formen Avuo^dai und Avxofiidai. Mit Recht scheint sich der
Hr. Verf., dessen ganze Auseinandersetzung S. 52 — 54. man an
ihrem Orte nachlesen mag, dahin zu entscheiden, dass er beide
Formen, die eine auf der Inschrift Corp. lnscript. n. 383. befind-
liche Avxonidui, die andere, welche sich bei Plutarch Tkemi-
Keil: Specialen Onomatologi graeci. 433
stolles Cap. I. in den Handschriften findet, Avxofjfjdai, zuvör-
derst anerkennt, die Form aber selbst als ein Patronvmicum von
jivxQ^Örig betrachtet wissen will, welches durch Contraction
aus dvitofirjöldat entstanden sei, wie BaQv^rjöai bei Hesychius
statt Bavv^tjÖiSccL oder Ba&Vj.irjdeiöat^ worauf Lobeck in den
Addendis ad Aglaoph. S. 1357. verwiesen hatte, und ®gacv-
ptldrjg, was Westermann in diesen Jahrbb. Bd. 21. S. 274. zuerst
aus Etym. Magn. p. 165, 55. beibrachte, statt &ga6v/.i7jöiör]g
aus euphonischen Gründen zu stehen scheine, obschon Formen,
wie Msyciuaöid^q Hom. hymn. in Mercur. v. 100., sonst biswei-
len vorkämen. Dazu verglich Hr. K. noch den Umstand, dass
die Griechen nicht 'HgaxkEididijg, sondern 'Hgccxkddov viog
(vgl. Thiersch griech. Gr. § 134. 4. Anm.), oder in derselben
Bedeutung 'Hgaxkeldtjg (vgl Meineke zu Theor. p. 168.) gesagt
haben. Als etwas Aehnliches konnten, nach des Ref. Dafürhal-
ten, manche Superlativ formen hierher gezogen werden, wie z. B.
dx^göraxog verkürzt statt axqguxcäxuzog , bei Strato ep. 88. in
Anth. Pal. 12, 249. vgl. Jacobs Add. p. LXXXVf. Schaef. ad
Chocril. Psäk. p. 273. Lobeck. Faralip. p. 39. Denn auch hier
scheinen die Griechen euphonische Gründe bestimmt zu haben,
den regelmässigen Verlauf, den diese Formationen der Analogie
gemäss hätten nehmen sollen, abzukürzen.
Sodann geht Hr. K. zu einigen anderen Abkürzungen der
obigen Art über, nachdem er S. 55 i^. mit Recht 'Ekkävixog als
nicht in diese Kategorie gehörig bezeichnet, obschon er mit Recht
die- vorletzte Silbe als lang anerkennt, und die falsche Annahme
von Sturz und Anderen, 'Ekküvixog sei aus Ekhpixog erwach-
sen, mit Krüger, Meineke und Andern beseitigt, da Ekkuvixog
von Natur das i lang habe und von "Ekkrj, wie Agxt(i[dcogog, 77o-
de/cJtjiJioc, 'Ovofxüy.QLTog, vom Stamm ab gebildet sei. Als eigent-
liche Abkürzungen will dagegen Hr. K. betrachtet wissen Xagi-
Xaoq und Xagiakog , ÜEgikaog und IHgikkoq, wozu er später
S. 66 — 68. noch ausführlichere Belege giebt, ferner Aap.axlav
Actyiaxlovog Q>ikigcoxi K., bei Fourmont n. 1241,11., wofür
ebendas. n. 1288, 3. stehe: Aa/uavLXLav Aa^iavixiovog &ik£-
Qoaxv K. Nach Schwenck „JStymol. mythol. Andeutungen1-1- führt
er dann noch Movvvi'ia statt Movvovv%ia, Kakkiv ov statt
Kakkikivov^ Tlokvyiog statt Tlokvkvytog, TIo k vösvxtjg
entstanden aus IlokvkEvxtfg, und dazu Pollul.cs und Pollux,
IJokv^co statt Ilokvkvlzcd, Semonea statt Scmemones auf.
Endlich das auf Inschriften erscheinende xixgüx$iov statt xixgec-
öq«xliov.
Auch Cap. IV. Nomina quaedam male suspeeta , S. 57 — 69
enthält sehr vieles Interessante und Lehrreiche. Hier rechtfer-
tigt Hr. K. zuerst' die Form 'Okvnixög in tilulo Altico n. 2S4
I. 34., wofür man 'Okv^iTiixög vermuthet hatte. Mit Hecht habe
Schwenck „Etym.mythoh. Andeutungen1-1- S. 49. eine Forin "Okv-
S. Jahrb. f. Phil. v. Faed.od. Krit. UM. Iid. XX\ III. Uft. 4. 28
434 L e x i c o g r a p Ii i r.
utoq statt "OXv^Ttog vermuthet. Ucber die Auslassung von [iv in
Eigennamen vergleicht Hr. K. ausser dem, was schon Andere bei-
gebracht haben, noch Thukyd. Buch 5. Cap. 10., wo Acipixpilog
in den Handschriften sich finde, während Cap. 24. derselbe Mann
AäyiXog genannt werde. Ausserdem bringt er aus dem Corp.
Inscript. n. 3155, 8. den Namen Nvcpööcogog statt Nv^cpödcogog
bei, und glaubt mit Recht, dass da vv(p)j zu sebreiben sei, wo
vvficpi] mit verkürzter erster Silbe stelle. Uns scheint dies eben
so natürlich, wie man zvnavov statt zi^iitarov sebreibt, wenn
die erste Silbe verkürzt ist. Dazu schlägt nun Hr. K. bei Eurip.
Hercal.ßir. 1275. zu lesen vor:
XoQivhtG) d?] Zrjvog y\ xkuvi] daaag,
Kgovovö' 'Okviilov Z,y\vhg agßvkij nöda.,
wo die Vulgata:
Kgovovö' 'OXv^tiiov Zrjvog agßvh] notia,
auf mannigfache Weise emendirt worden war. Die Conjectur ist
leicht und genügend.
Besonders viele mit tv zusammengesetzte Namen, bemerkt
Hr. K. S. 59. weiter, seien, obschon sie diplomatisch hinlänglich
gesichert da ständen , noch nicht von Crusius aufgenommen wor-
den. Er erwähnt noch folgende, sämmtlich auf glaubwürdigen
Inschriften sich findende Namen: Ev ayö g a Alexgcovog Qvynz.,
Evcclvi], EvafiegCg, Ev ä^isgog , Evavd ideeg Mixgico-
vog Aoxgog, Ev ccvogldccg, Evageözi], Evägqg, Ev-
/3t og, Ev ßtotog, Evßa Ko g, böot. statt Evßovkog, Ev-
ysLzav, Evyävrjg, Evysvidag, Evyiza, EvyEzcav,
Evyvcöficov, Evdcci[i(ixav, Evöai^oxkijg^ Evd ui-
[lovldccg, Evdafiici, Ev 8 ayLicöv, Evda (.loxkqzog,
Ev öiaizo g, Ev döxiftog, EvÖo'^Evg EvÖo^ecog, Ev-
dgccpav , Eveh7iiöTog, Ev egyeztjg, Evk%iog, Evij-
&ldi]g, Evtj^isgiog, E v t) (x s g i g , E v & a l K o g , Ev%)\-
[icov, Ev\t oivog, Ev&vpla, Ev'Cog, Eüxccgirog,
Evxktjzog, Evxkldag Evxkidov 'Egiuovsvg, Evxo-
Alvr], Evxokog, Evxg azsee, Evxgdz £Ltt, Evxgtvyg,
Evxxäg, Evxzl^svog, Evkoyog, Evßccgldug, Ev-
[lägiXog, Evficcgav, Ev {.isihiÖag, Ev^eikog, Ev-
ftivtog, Evp,^ Ai'<5ag, Evptjzlcov^ Evßvqözog, Ev -
vsixog, Evvixi dag, Evvo^ia, Evvovg, Ev od ik-
vög, Evodog, Evocp sllvo g, Evivaidsiog, Evita-
Tcap, Evitkovg, Evnogäg, Evnog /«, Evno giözog-,
Evnog leav , Evnogog, Evngcc£idi]g, Eviiga£,ig,
Evnäycov^ Evözgazog, Evzaxzo g, Evzsktjg-, Ev-
rv%ala , Evzv%üg, Evzv%k<5x azog, Evxv%iav6g,
Ev zvftiog, Evtv%lg>v, Evzv%og, Evq>avzog^ Ev q>rj-
[ilav , Ev cp IXeiTog, Ev (pQccivsTO g, Evcpgalog? Ev-
Keil: Specialen Onomatologi graeci. 435
(pQccvoQidqg, Evcpg avxixög, Evygovlöxog, Ev-
(pQoöiiv cc , Evtpgöövvog, Evcpgco, E^K^törog
Ev%agi6xov , Ev%£i,Q, Ev%ogog, Evavo [ild ccg , Eva-
v v p i o g.
Dazu sucht dann Hr. K. nocli die zweifelhaften Formen Ev-
alxrjg nachzuweisen, sowie er Evhxrjg hei Suid. s. v. 'Eniiag-
pog gegen Meineke Fragin. Com. Gr. I. p. 26. in Schutz nehmen
zu müssen glaubt, was er mit Evtxlcov , KaXXiixyjg u. s. w. ver-
gleicht; ausserdem nimmt er Evctyrjg hei Steph. Byz. s. v. 'TSgku
in Schutz, was mit Recht auch Westcrmann beibehalten hat.
Hr. K. vergleicht dazu Evaylöfjg Corp. Inscr, n. 222, 1. und Ev~
üym> bei Athen. 11. p. 508. F.
S. 62. behandelt der Hr. Verf. mehrere zweifelhafte Namen,
die mit ®eo — oder &sv — heginnen und bringt die von Crusius
übersehenen Namen: 0svyvijx o g, &evd i ecv 6 g, Osvöco-
pog, &sv (lävrjg, @ svt,sva, Ssv^evog, OevTtQOTtl-
di]g, @evziiildr]g , sämmtlich aus Inschriften, hei.
Hierauf bespricht Hr. K. unter Anderm die Namensformen
üavxaxlfjg und ITttvxöxkfjg . und gestattet beiden Formen das
Bürgerrecht in der griechischen Sprache, indem er jedoch IJuv-
xaxAijg als die häufiger vorkommende Form anerkennt. Bei Steph.
Byz. s. v. 'Atrjvrj hat auch Westermann die von Hrn. K. S. 63.
in Schutz genommene Lesart: TlaxgoxXrjg 'Axrjvsvg sxogrjyet, xal
navxaxlrjg, im Texte behalten. Bei dieser Gelegenheit wird
auch bei Euripides Troüus (bei Schol. Pind. Nem. III. 60.) fragm.
548. Bind, die Lesart:
syr^psv cog %yrmzv acpftöyyovg yafiovg,
xrj Tcavxapögcpcp ©sziöi 6vp7ckaxslg noxs.,
gegen die von Dindorf und Schneider gebilligte Vermuthung Lo-
heck's Ttavxo^ÖQcpco von Hrn. K. in Schutz genommen. Es folgt
nun eine genaue Auseinandersetzung über die Identität der Na-
mensformen Xaglkttog, Xägilkog und Xagtkog, wozu die For-
men ®QctGvlaog, &gäövllog und SgaövXog, Ba&vXaog, Bä-
ftvlkog und Badviag , zltgxvlkog und ^Jsgxvkog mit Recht ver-
glichen worden sind, um anderer gelegentlicher Bemerkungen,
die Hr. K. überall geschickt anzubringen und durchzuführen ver-
steht, nicht zu gedenken.
Cap. V. führt die Ueberschrift: Nomina falso scripta vel
restiluta, S. 69 — 78., und enthält ebenfalls höchst interessante
Bemerkungen. Zuerst nimmt hier Hr. K. für Plut. Lycurg._
Cap. 4 , wo Kgsocpvkov jetzt hei Siutenis, sonst Kktotpvkov
stand, die Schreibung Kgeacpvkov in Anspruch, stellt dieselbe
auch Lei Clem. Alex. Silomat, b. p. 206, 47. Sylb., wo Kkzocpv-
Xov stand, wieder her und vergleicht Callim. epigr. VI. v. 1. p.
280. Em. und denselben Ep. XXXIV. 1. in Jacobs Anlh. Gr. 1.
220. nebst Plato de rep. X. p. 600. C. ed. H. Steph. u. a. Kqecü-
28*
436 Lcxicographie.
cpvkog sei aus ugsav und cpvkrj gebildet und entspreche seiner
Bedeutung nach der anderen Bildung ^ükag^og. Sodann stellt
Hr. K. bei Plut. Themistokl. Cap. 3. Aivbvt.n)vy]g statt Aivdv/.ü-
vi] g nach Cod. lieg. A. , der Aivdvfxiv>]g hat, ganz richtig her,
unter Vergleichung von Horat. Od. I, 16, 5. und Callimach. Ep.
\LV, 2. Ärcad. de accent. p. 111, 21. Höchst interessant sind
ferner Hrn. Keils Bemerkungen S. 71 ig., in welchen er statt der
noch sehr häutig am unrechten Orte in den Ausgaben befindlichen
Appellat'wa Nomina proprio hergestellt wissen will. Das Einzelne
mag man bei Hrn. K. selbst nachlesen, wir bemerken nur Hrn.
K.s Vorschlag in Plutarch's Amator. p 28. ed. Winde, vjönsg &ä-
vaxog statt äöitsg ozütog zu lesen , als eine sehr glückliche Con-
jeetur. Zu S. 72. bemerken wir in Bezug' auf die richtige Wie-
derherstellung des Namens Voluptas bei Cic. ad fam. 5, 12, 3.,
dass Cicero de nat. deor. lib. II. Cap. 23. § 61. angezogen wer-
den konnte, wo es heisst: Quo ex genere Cupidinis et Volupta-
tis et Liiibentinae Veneria vocabula conseerata sunt, welche
Stelle sich Ref. zu der obigen angemerkt hatte. Der übrige
Theil dieses Capitels beschäftigt sich mit der Wiederherstellung
anderer Eigennamen, zumeist auf Handschriften, und auch hier
zeigt sich der Hr. Verf. überall gleich gewandt und unterrichtet.
Cap. VI. Nomina in integrum restituta, S. 78—89., giebt
ebenfalls für den Sprachforscher manche schöne Ausbeute. Hier
macht uns Hr. K. zuerst mit dem Namen A%i]vaig bekannt, verkürzt
a\\sA&>']vcuog, und giebt dazu noch folgende Analogieen: 'Axeölv
statt Ahböiov, Corp. Inscript. n. 511, 18. p. 915. a. "Apyig =
"Apcpiog, vgl. Damm. Lex. Homer, p. 1251. a. Host. Schmidt de
praeposit. Gr. p. 41. oder statt 'Aficplccg, vgl. Meineke Fr. co-
moed. Gr. I. 404. "Agiöx ig — Agioxiag, aus Inscript. Kotvta
A(pQ 6 Ö£ löiv statt 'AtyQodslöiov i Inscript. B un%ig = Bäx-
%iog, Inscript. nebst Ä'pö fiig == Xgdfiiog, Et. Magn. 815, 43.
Aüyug oder Arj(ug — zlfouog, Et. Magn. 247, 34. A/j {irjxgig
statt At]ni]tQiog, Inscr. A lövvö ig statt Aiovvöiog, Inscr.
Evgrjvcc'Cg aus Elgyvaiog , Inscr. Eksvdegiv oder Eksv-
&£ptv statt Ektvftigiov, Inscr. "Ekkocd ig, Inscr. "Iren ig
statt Imtiag , Inscr. Kakkiöx tv oder K ä k k i ö x i v , Inscr.
K%f]6ig = Kxqöiag , bei Isaeus de Aicostr. hered. § 9. Nl-
xiv statt Nixiav, Inscr. Nvfxcpig statt Nvarpiog, Inscr. TIo-
kvpvig bei Plutarch. De genio Socrot. 8. p. 286. 289. Reisk.
2AßvQTiv statt 2Ji ßvgxiov Inscr. 2Jiviv Plut. Thes. 29. 2Jc3-
6 ig Athen. 6. p. 251. F. Tkkkig statt Tekkiug bei Anaci*. p 280.
Bergk. Meineke Fr. com. Gr. 1. p. 454. T'iöig statt Tiöiag,
Lysias fragm. 45. Bekk. <2> ikt] prix iv oder (D i k)] (i ax iv statt
G>ik>]!.iciTiov, Inscr. (frivxig statt c&ivxictg, Inscr. Dazu ver-
gleicht Hr. K. noch die Appellativa, wie Zixicpuvog gnxiccgig re-
tiarius, Inscr. n. 2663. 1., \vas wohl gqxiugig oder grjnägig
heissen musste. Auch hier folgen dann noch viele sehr glückliche
Keil : Syecimen Onomatologi graeci. 437
Wiederherstellungen. Interessant ist hier S. 85= die eingelegte
'Sammlung von Thiernamen , die entweder als eigentliche Eigen-
namen oder als scherzhafte Beinamen im Gebrauche waren. Wir
finden hier die folgenden Namen und Bein men: A'l£, als Bei-
name der Buhlerin Nixä bei Athen. 13. p. 582. E. p. 583. C. ;
sodann 'Afivol-, B dxg a%og, Bovg, K dv&agog, Kv-
jfvog, Kv cov , Aä y o £, AeovxcGxog, Asce iv a t Ahav,
Avxog, MiXiOöa, MoG%oi nebst MoG%lav, Mvfa,
M v g p. 1] | , MvQfirjitidijg, Mvg, IJsgdi^ Tu v gog und
Xolgaxo i. S. 87. zeigt Hr. K. , wie bekannte Flussnamen öf-
ters als Propria gebraucht sind, wie Kä'txog, Evg cöx ag,
K ü (piGog, NelXog, IJöx ccpog selbst nebst Iloxa^cor',
2Jxüf.iavdQog, 2Jxgv ftcov und vergleicht aus Gruter Rhe-
nus, Dtmuvius , Euphrates in gleichem Sinne.
Wir lassen die übrigen Ueberschriften folgen: Cap. VII. Sin-
ciliares quaedam nominum origines et appellandi raliones, S.
89 — 100. Hier weist, abgesehen von anderen höchst beachtungs-
wettben Bemerkungen, Hr. K. S. 94 — 98. folgende Eigennamen
narh: Al&toil>, AGla,'A%ai6g, Bc gv ecx lötj g, Botco-
to?, rugyrjXTLQg, Arj{iog, EXaxevg^EXsvGetvios
und 'EXsvGiviog, r'EXXt]v , Egstg i evg , 'Eqjiovij^
'Egoiddqg, 'HXslog, ©sGGuXog, @r}ßrj, 'IpsguZog,
'Iotci], 'Icov Lxög, Kijgiv&og, Kodaxtdrjg, KögiV-
#• o g , slaxedctLfioviog-, Aüxcov, AsGfti og, Arj p log,
Aiß'vg, MttXBÖäv , MoXoxxog, Ui] {ictgidTjg, 2Ji-
ro.)7r^, 2Jxv&r]g, IJitagx i ctx ixog , 2Jv g iGxa , Tagccv-
% iv o g , Xg v G et o g s v g. Cap. VIII. No?ninum aliquot scriplura
ruiüi. Aliorum forma e rariores , S. 100 — 107. Hr. K. giebt
hier eine interessante Zusammenstellung der verschiedeneu
Schreibweise von Agso7tc<yixt]g, '/JgeionayLxrjg, 'Agziönuyog und
'Ageönayog u. s. w. ; sodann unter Anderm vielfache Belege zu
der auf Inschriften häufig vorkommenden Schreibweise: 'Ael-
[itjöGTog, 'AxiGGxificö, 'AgiGGtoystzcov, 'AgiGGxö-
ößfiog, 'AgiGGxo<pdv qg, Us^Gxog , Ust,Gxl a, 2Jf£-
örtog, As££(.Jt7ra u. dergl. mehr. Auch machen wir auf-
merksam auf die S. 105 fg. befindliche Sammlung von griechi-
schen Eigennamen, welche aus Participien entstanden sind, wie
'Agagag, 'Axov {itvog, EmXvGaiiEvög, 'Evxzlfis-
vog* Avö fievog, MsXtio psvog, &iXov{isvog , «Tu -
Xov^Evt], Ev%6[iEvog oder Ev£cc psvö g, ZcÖGcov,
£(öt,av, 'AgniGag (Aqx§gc<vti, Dcmosth. p. 1250. Reisk.)
Dagegen nimmt Hr. K. bei Aristoph. in den löffeln V. 65. 'Tjio-
öeÖLcög und V. 68. E7tixe%oöc6g als nur erdichtete Namen, auch
'AnoXXcSg, was Sturz aus ATtoXatXcog entstanden betrachtet
hatte, glaubt er üMi'AltoXXfäyiog zurückführen zu müssen; bringt
aber noch Tis gu/l?;u e vq, Texel^icc y.Ev cc und als Ortsname
bei Strabo rj Kaxaxixuv aivrj hei. Bei Demosthencs rcoog
438 Schul- und Uni versi täten a ehr ic hten,
KtxXXiititov § 10. cd. Bekk. p. 1238. ed. Reisk. glaubt er statt tg5
'Agysla 2]tQaß[dSvcp wiederherstellen zu müssen: 'EöTQttp-
p.svcp.
Cap. IX. Inscriplionum triga explicalur et emendatur, S.
107 — 118. Auch liier, wo wir Hrn. K. nicht in's Einzelne fol-
gen können , hält derselbe ein allgemeines Interesse durchaus
rege, was auch noch dadurch belebt wird, dass S. 110 fg. unser
Schiller gerechtfertigt wird , wenn er in der Ballade „die Bürg-
schaft1''' Dionysius mehrmals König genannt habe, ohne dass zu
seiner Zeit historisch diese Benennung nachgewiesen gewesen
wäre. Jetzt bringt Hr. K. aus Böckh's Corp. Inscr. Vol. I. p. 897.
b. bei: 'EitaivBGai ftiv /Jiovvtiiov tqv UizsXlag ßaöiXsa %ai roi)g
vulg xovg Aiovvtiov /JiovvGiov jeat 'Eqp,6aqltov. Zum Schlüsse
theilt der Hr. Verf. noch zwei Conjecturen zu Euripides Helena
mit. Er schlägt nämlich V. 301. zu lesen vor:
Zlcpayal ö' h'%ovöir> tvysvsg xi aal xorAöV,
öhlxqov ö' 6 xcciqos xqüt' djtcdXaZca ßiov,
statt der Vulgata : apr' ditaXXd^ai ßiov, und V. 441.
'£1 ygala ravta nuvx z%t] otaXag Xsyeig.
h%s6ri' 3iei(5op.ccL yocQ* äXX' ävsg ^i6%Xov
statt der Vulgata: dXX' ävsg Xoyov.
Möge diese kurze Anzeige des inhaltreichen Schriftchens,
das wie durch gründliche Gelehrsamkeit, so durch den bescheide-
nen und anspruchslosen Ton , mit welchem Hr. K. seine Bemer-
kungen mittheilt, den Leser recht eigentlich einzunehmen und
festzuhalten geeignet ist , recht Viel zu dessen schneller Verbrei-
tung und Benutzung beitragen. Auch Hrn. Keils Latein ist im
Ganzen rein und fliessend; und nur an wenigen Stellen hat Ref.
an einigen Redewendungen Anstoss genommen.
Angehängt sind noch S. 121. Addenda et Corrigenda , und
ein Index S. 122 — 126. Das Aeussere des Buches ist ebenfalls
empfehlend.
R einhold Klotz.
Schul - und Universitätsnachrichten , Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
Aachen. Der Canonicus am dasigen Collegiatstifte, Consistorial-
und Schulrath Anlon Gottfried Clässen ist zum Dompropste an diesem
Stifte, der Gymnasial- Oberlehrer Körten zum geistlichen und Schul-
rathe bei der Regierung in Aachen ernannt worden.
Brandenburg. Der Jahresbericht über das dasige Gymnasium im
Schuljahr 1837 — 38 [Brandenburg gedr. b. Wisikc. 42 (24) S. 4.] ent-
Bef öl* d er ung eu und Eh r r n bez e I gütigen. 439
hält eine gelehrte und fleissige Abhandlung des Conrectors Dr. Schult ze
[jetzigen Frorectors in LJrenzIau , s. NJbb. XXV, 4(>4. und XXVI, 349.]:
Bedeutung und Aufeinanderfolge der lateinischen Tempora , welche durch
das reiche Material , das zur Erläuterung dieser Lehre zusammenge-
bracht ist, sich vortheilhaft empfiehlt , übrigens aber freilich den Ge-
genstand selbst nicht weiter fordert, weil der Verf. über die Bedeu-
tung der Tempora und über das Wesen der Sätze (wovon die Consc-
cutio temporum abhängig ist) nicht genug im Keinen zu sein scheint.
Die Erörterung beginnt nämlich damit, dass die Tempora der Verba
nur in absolute und relative getheilt und die absoluten mit den aoristi-
schen für identisch erklärt werden, — eine Vorstellungsweise, welche
allerdings zur Noth aus dem Lateinischen, wo die absoluten und aori-
stischen Tempora nicht unterschieden sind (s. NJbb. XX, 125 ff.), ge-
rechtfertigt werden kann , aber freilich auch alle tiefere Erörterung
aufhebt, weil nun weder das mit ich habe geredet und mit ei'QTjuu
gleichbedeutende dixi von dem mit ich redete und mit i'Xs^ct gleichste-
henden dixi geschieden, noch auch der Unterschied zwischen dicavi und
dicturus sum aufgefunden werden kann, um anderer noch feinerer Un-
terscheidungen gar nicht zu gedenken. Auch ist der Verf. durch jene
Annahme in den Irrthuiu gerathen , dass er z. ß. die Bestimmung des
absoluten Perfects, d. h. der in scharfer Abgränzung und in strengem
Gegensatze zur Gegenwart gedachten Vergangenheit [wie in dem Satze:
] las ich gesagt habe, das habe ich gesagt], ganz fallen lässt, und dem
lateinischen absoluten Pcrfect nach Analogie des griechischen Aorists
und des französischen Dvfiui nur die Bezeichnung des Momentanen,
d. -I. diejenige Darstellung des Factums beilegt, wonach dasselbe als
ein völlig in sich abgeschlossenes Ganze , als ein Punkt erscheine , in
welchen Anfang, Verlauf und Ende der Handlung, möge 6ie noch so-
lange gedauert haben, auf einmal und zugleich gedacht und für die Be-
trachtung nicht geschieden werde. Da er nun die zum Beleg ange-
führten Beispiele hauptsächlich aus den lateinischen Historikern und
aus Virgils Aencis entnommen hat, in welchen der Natur der Sache
nach das aoristische Perfect vorherrschend gefunden wird ; so ist ihm
der Irrthuiu nicht bemerklich geworden, aber er würde ihn gleich
gesehen haben , wenn er auf die. häufigen absoluten Perfecta in allen
Gesprächsformen, in den Dramatikern, Epistolographen und Rednern
mehr Achtung gegeben hätte. Aber der gemachte Fehler tritt recht
scharf hervor in der Bestimmung der relativen Zeiten S. 4 iL, wo
z. B. behauptet ist, dass dico , dixi (titlet) [?] und dicam [?] die abso-
luten oder aoristischen Zeiten sein sollen, und dass man als relative
Zeiten unter das Präsens dico die Formen dico , dixi (ti'y/jxfv) und di-
clurus sum [?] , unter dixi die Formen dicebam , dixeram und dicturus
cram , unter dicam die Formen dicum, dixero und dicturus cro unterzu-
ordnen halte. Ja selbst die S. 2 aufgestellte Behauptung, dass in Liv.
IL 3j. Seualui nimis atro visa sententia est und IL 30. multis horrida et
alrox videbatnr sententia das visa est die ohne Ncbcnboziehungcn ge-
dachte einmalige (momentane) Thatsachc, das videbalur aber die wie-
440 Schul- und Univcrsitätsnach richten,
derholte und ausgedehnte Handlung bezeichne, hätte nicht so ohne
Weiteres hingestellt werden sollen : denn so gewöhnlich diese Erklä-
rungsweise auch ist, so erkennt man doch aus ihr weder wie das rela-
tive vidcbatur in einen Hauptsatz passt, noch wie das Imperfectum zur
Bezeichnung der dauernden oder wiederholten Handlung kommt. Die
Sache bleibt freilich im Ganzen wahr, aber die richtige Erklärung
fehlt eben so, wie S. 3, wo in hsIsvod es Siucpv?M^ca das Momentane
und in KsXsvta Gs Snxcpvläztiiv das Dauernde bezeichnet sein soll. Das
Letztere würde nur durch die Nachweisung verständlich geworden sein,
dass hier die Begriffe momentan und dauernd mit speeiell oder indivi-
duell und generell gleichbedeutend sein sollen, und dass nslivco es Slu-
(pvXä^cci eine Vorschrift für einen einzelnen Fall und ksIsvco «je Stucpv-
ytarrfiv eine allgemeine Anordnung für mehrere oder alle Fälle ent-
hält. In der Lehre von der Consecutio temporum ist der Verf. eben-
falls nicht zu einem sichern Resultat gelangt, weil er, abgesehen von
der mangelhaften Vorstellung über das Wesen und die Grundbedeutung
der Tempora an sich , zuerst das Verhältniss der Nebensätze zu den
Hauptsätzen nicht umfassend genug betrachtet und daher z. B. alle
relativen Nebensätze, in welchen nicht relative, sondern absolute oder
Zaristische Tempora vorkommen, unbeachtet gelassen hat, und weil
er zweitens die rein grammatische Bildung der Sätze und die davon
abhängige Consecutio temporum nicht von den rhetorischen oder logi-
schen Satzverbindungen unterscheidet. Das Letztere wäre nämlich
nöthig gewesen, um sowohl das häufige Vorkommen relativer Tempora
in Hauptsätzen [welche dann ihrer Bedeutung nach (logisch) für Ne-
bensätze gelten] und die Inversion in Sätzen wie proßeiscebar Alhcnis,
qvum hoc ad te litterarum dedi , zu erklären, als auch über andere Con-
fctruetionen kutu ty)v SiafbCav , deren S. 28 ff. mehrere angeführt sind,
eine schärfere Entscheidung zu gewinnen. Wenn z. B. ?<t nach einem
Praeteritum mit einem Conjunctiv praesentis oder perfecti verbunden
ist, so hat die in diesen Conjunctiv gelegte Einphasis der Bedeutung
für die Wahl des Tempus entschieden und die rein grammatische Satz-
bildung aufgehoben. Die Bestimmungen darüber nun, wo dergleichen
Emphasen eintreten, sind Sache der Rhetorik, nicht der Grammatik;
aber sie können bei solchen Untersuchungen nicht wegbleiben , weil
sie eben auf die sprachliche Form der Sätze einwirken, und weil na-
mentlich die lateinische Sprache fast in allen ihren Sprachbildungen
von rhetorischen Einflüssen abhängig ist. — In dem Jahresbericht über
das Gymnasium von Ostern 1838 bis Michaelis 1835) hat der l'rorector Prof.
Ilefflcr eine noch verdienstlichere und erfolgreichere Abhandlung De Ze-
iwdoto eiusque studiis Homericis [Brandenburg 1839. IG S. 4.] herausgege-
ben , und dadurch einen wohlzubeachtenden Beitrag zu den Forschun-
gen über Homer geboten. Bekanntlich nimmt man seit Fr. Aug. Wolf
für ausgemacht an , dass die kritische Textesbehandlung der Homeri-
schen Gedichte zu unserer Zeit im Allgemeinen nicht über die Aristac-
chische Kritik hinausgeführt werden könne, und die ausgezeichneten
Be f o rder un g en und Ehrenbezeigungen. 441
Untersuchungen von C. Lchrs : De Jristarchi sludiis Homericis , durch
welche zuerst das kritische und exegetische Verfahren dieses alexandri-
nischen Grammatikers genau ermittelt und derselbe als den Vertreter
richtiger Kritik und Erklärung dargestellt, sowie überhaupt die Mög-
lichkeit, seine Textesrecension vollständig zu erkennen, herbeigeführt
worden i»t, haben für jene Annahme noch eine neue, gewichtige Be-
stätigung gebracht. Indess, da wir wissen , dass vor Aristarch schon
andere Grammatiker in Alexandria, besonders Zenodotus aus Ephesus,
mit der Kritik und Erklärung dieser Homerischen Gedichte sich be-
schäftigt haben , und da besonders über die Textesänderungen des Ze-
nodotus zahlreiche Nachrichten auf uns gekommen sind ; so gilt es
allerdings den Versuch, ob sich nicht auch über dessen kritisches Ver-
fahren in der Behandlung des Homer ein sicheres Resultat wenigstens
so weit erreichen lasse, dass doch eine allgemeine Vorstellung
von der Beschaffenheit seiner Textesrecension des Homer und ihrem
Verhältniss zur Aristarchischen gewonnen wird. Auch ist eine Unter-
suchung um so Wünschenswerther , da Lehrs das Verfahren des Zeno-
dot zu wenig klar gemacht hat. Der Anfang dazu nun ist im vorigen
Jahre durch zwei Schriften, nämlich durch die gegenwärtige Abhand-
lung und durch die in dem Programm des Gymnasiums zu Oels enthal-
tenen Obscrvationes criticae in Homeri Iliad. lib. 1. von dem Dr. Lange
gemacht worden, von denen indess die letztere dem Ref. nur aus eini-
gen Anführungen bekannt ist. Hr. Heffter hat nun in seiner Abhand-
lung zuerst aus den spärlichen Nachrichten der Alten und mit Zuzie-
hung der Forschungen neuerer Gelehrten S. 1 — 10 die Lebensverhält-
nisse des Zenodotus und die Art und Weise seiner Wirksamkeit für Ho-
mer genauer zu bestimmen gesucht, und dann die Zenodot eischen Les-
arten zum ersten Buch der Ilias besprochen , und bei jeder einzel-
nen nachzuweisen gesucht, wie weit sie an sich für richtig oder falsch
und im Verhältniss zu der Aristarchischen Lesart für besser oder
schlechter anzusehen ist. Im letztern Punkte trifft er mit Hrn. Lango
zusammen, der laut einer Angabe in d. Zeitschr.f. d. Alterthumsw. 1839
Nr. 137 ebenfalls diese Lesarten besprochen und sie gegen die Aristar-
chischen als älter und echter zu rechtfertigen gesucht hat. Den Zeno-
dotus aus Ephesus scheidet Hr. H. zunächst von dem Jüngern Zenodo-
tus Alexandiinus, welchen letztern er nach Wolfs Vorgange mit dem
Zenodotus Mallotes oder Crateteus für gleichbedeutend hält, und lässt
ihn bei dem Beginn der Regierungszeit des Ptolemäus Lagi um 320
v. Chr. geboren sein , so dass er etwa 15 Jahr älter war als Ptolemäus
Philadelphus, und demnach erst des Philctas Schüler, dann aber auch
als frühgelehrter junger Mann des ebenfalls von Philctas erzogenen
Philadelphus Lehrer sein konnte. Das Letztere wird nämlich nach
Geiers Vorgange (Pe vita Ptolemaci primi p. 08.) gegen Manso's und
Anderer Bedenken vertheidigt. Zenodotus wurde später Vorsteher der
neaerrichteten Alcxandrinisehcn Bibliothek, behielt dieses Amt auch
unter Ptolemäus Philadelphus , und erhielt dadurch zugleich das Ge-
schält, die vorhandenen verschiedenen Texte der homerischen Gedichte
442 Schul- und Universitätsnachrichten,
kritisch zu sichton und zu verbessern. Die Entstehung» - und Erhal-
tungswcisc der homerischen Gedichte, d. h. der Ilias und Odyssee,
stellt Hr. H. etwa so dar, wie es IVitzgch gcthan hat, und nimmt dem-
nach an, dass sie im Wesentlichen so, wie wir sie haben, von Einem
Dichter herstammen, dass sie aber von der Zeit des Lycurg an eine
Anzahl Interpolationen erhielten , und dass dann, als Solon das Lesen
dieser Gedichte in den Schulen und das öffentliche Vorlesen bei den
Panathenäen eingeführt hatte , durch die sich mehrenden verschiede-
nen vollständigen und unvollständigen Abschriften, trotz dem dass das
durch Pisistratus hergestellte athenische Exemplar eine gewisse vor-
herrschende Auctoritüt erhielt und eine Art von Stabilität des Textes
bewirkte, dazu noch eine grosse Menge von Varianten entstanden, de-
ren Beurtheilung und Sichtung schon vor Zenotiot von Philetas und
Andern versucht worden war. Zenodots Kritisches Verfahren aber ist
in folgender Weise dargestellt: Versatus videtur esse in isto labore ita,
ut primiun plura carminum exemplaria, quoteunque contraxisset , inter
seconferret, deinde versus, qui in hoc alterove exemplo deessent vel
sitspecti viderentur, signo quodam notaret, postremo singulas voces,
si quae minus apte collocatae viderentur , dUponcret, si quas minus
nppositas ad rem vel minus congruas inter se duecret, corrigeret et cum
aliis mutaret. Sic adornavit editionem, quae, iam a veteribus multa laude
celebrata et prae ceteris Zenodoteae cognomen adepta , auetori tan-
tam paravit gloriam, ut omnium consensu iis adnumeratus sit, qui de
Homeri libris optime meruissent. — — At vero si nee defuerunt, qui
libros contra cum scriberent, qui versus ab eo emendatos ad aliud ar-
gumentum idque ridiculum detorquerent, qui cum levitatis, incon-
ßtantiae et studii ineptiarum aecusarent; si plurimae eius lnutatinncs
versuum verborumve Huiuericorum admodum improbabiles et a tanta
temeritate iudicii profeetae videntur, ut ita emendare hodie vel tironem
pudeat; si versuum ab co expunetorum tanta est multitudo ac licentia,
ut nonnullis visus sit Homerum prope ex Horaero tollere; si denique
otnncm sibi in ista aliena opera tamquam in sua potestatem arrogat:
primo non ipso ea omnia commentus est, quae pro Zenodoteis vendun-
tur, plurima sunt potius omnino corum , qui ante cum vixerunt,
emendatorum et interpretum; tum rationcs nobis plerumque latent,
cur hoc vel illud fecerit; deinde perraulta post ah Aristarcho et aliis
correeta sunt, quae non debebant corrigi, et, quae Zenodotea dieuntur,
ipsa pro genuinis habenda; denique critira ars, maxime grammatica
illo tempore in primis quasi vitae incunabulis constituta erat, et grae-
cus sermo nondum ad leges et praeeepta subtiliora revocatus, adeo ut
ingenioso labi liceret et inconstanti esse in isto genere , quod minus in-
genio quam praeeeptis regitur. Zur Rechtfertigung dieser Dehaup-
tungen sind nun eben die Zenodoteischen Lesarten zum ersten Buch
der Ilias durchgenommen und so besprochen, dass ein gutes Theil der-
selben zu älteren und besseren Lesarten , als die Aristarchischen sind,
gemacht, andere wenigstens für sprachlich richtig gehalten werden,
bei anderen endlich auf das Unbekanntsein des Grundes der Aenderung
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 443
hingewiesen ist. Diese Besprechung der Lesarten fällt auch in den
meisten Fällen so günstig für Zenodot aus, dass man zu der Ahnung
hingeführt wird , es könne der zenodoteische Text dem Aristarchischen
vorzuziehen sein; und eben daraus ergiebt sich auch, wie wichtig die
Untersuchung für die Kritik des Homer zu werden verspricht. Die
vollständigere Ueberzengung von der Wahrheit dieser Ahnung hängt
freilich noch von der Fortsetzung dieser Untersuchung ab, und wird
eich besonders dann klar und deutlich herausstellen, wenn Hr. H. bei
der Verteidigung der einzelnen Lesarten, deren Vorzüglichkeit er
darthun will, überall die sprachlichen und kritischen Gründe dafür
anführt, während er gegenwärtig vielmehr diese Verteidigung durch
Verweisung auf die Erörterungen anderer Gelehrten, vornehmlich Lan-
gens , geführt hat. Auch ist noch zu überlegen , ob die Beweisfüh-
rung nicht bündiger und übersichtlicher wird, wenn die einzelnen Les-
arten nicht der Reihe nach aufgezählt und einzeln besprochen , son-
dern vielmehr unter allgemeine Rubriken zusammengeordnet und zu-
gleich in schärferen Gegensatz zu den Aristarchischen gestellt werden.
Jedenfalls aber ist das baldige Erscheinen der Fortsetzung sehr wün-
«chenswerth , und dazu will Ref. hiermit den Hrn. Verf. noch freund-
lichst aufgefordert haben. [J.]
Breslau. Der als Gelehrter rühmlich bekannte Dr. phil. Fried-
rich 11 'aase , früher Adjunct an der Landesschule in Pforta , ist zum
ausserordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der hie-
eigen Universität ernannt worden.
Brüssel. Die dasige freie Universität (Universite libre) der bel-
gischen Liberalen hat am 14. October 1839 das Fest ihres fünfjährigen
Bestehens durch eine besondere akademische Feierlichkeit begangen,
und die Beschreibung dieses Festes in einer besonderen kleinen Schrift
herausgegeben, in welcher auch die vier in französischer Sprache ab-
gefassten Reden abgedruckt sind, welche bei diesem Feste der Bürger-
meister van Folxem als Präsident des Conseil d administration de 1 juni-
versite libre , der Herr Vcrhacgcn der ältere und zwei Professoren der
Universität gehalten haben. Davon ist Verhaegens Rede über die
Grundsätze und Tendenzen der Universität die ausführlichste und inter-
essanteste. Noch ist angegeben , dass die Universität vier Facultäten
(De philosophie et des lettres, Des sciences, De droit et des sciences
polit. et administrat. , De mediane) hat, dass die Zahl der Professoren
von 25 auf 36 gestiegen ist, die in ordinaires (mit bestimmtem GchaltJ,
extraordinaires (mit der Hälfte des Gehaltes eines ordinairo), ordinai-
res honoraires (mit bestimmter Lehrfunction aber ohne Gehalt) und
honoraires (ohne bestimmte Function und ohne Gehalt) zerfallen ; dass
die Ausgaben für die Universität aus der Unterstützung des Magistrats
von Brüssel, aus der Einnahme von Inscriptioncn und Honoraren der
Stiidircn.lcn, und aus den Capitalzinsen gedeckt werden , und dass das
Conseil der Provinz Brabant unter dem 24. Juli 183!) einen jährlichen
Zu6chuss von 10,000 Franken aus ihren Fonds bewilligt hat.
Deutsch-Crome. In dein Programm des dasigen Progyninasiums
444 Schul- und Universitätsnachrichten,
vom Jahre 1838 steht eine wahrscheinlich von dem Director Fr. Heinr.
Malkowskij verfasste lateinische Abhandlung: De Jove, qualis sit apud
llomerum [Deutsch-Crome. 1838. 20 (H)) S. 4.], worin zum ßeweise,
wie würdig die Vorstellungen der Griechen vom Zeus schon zu Homers
Zeiten waren, die wichtigsten Steilen der Ilias und Odyssee, welche
sich auf diesen Gott beziehen und sein Wesen oder einzelne Eigen-
schaften desselben angeben , gesammelt und unter gewisse Hauptrubri-
ken zusammengestellt sind. Das Ganze ist eine brauchbare Sammlung
der wesentlichsten Notizen , die sich über Zeus aus Homer schöpfen
lassen.
Elberi'Eld. Das dasige Gymnasium war im Schuljahr vom Se-
ptember 1838 bis dahin- 183!) in seinen 5 Gyranasialclassen, deren letzte
aber in 2 Coetus zerfüllt, zu Anfange von 111, am Ende von 109
Schülern besucht, un.d cntliess 4 Schüler zur Universität. Neben den
Gymnasialclasscn besteht noch eine besondere Vorbereitungsciasse unter
dem Lehrer C. A. Kegel, in welcher 24 Schüler sassen. Im Lehrer-
collegium [s. NJbb. XXIV, 339.] sind mehrfache Veränderungen einge-
treten , indem am Schluss des Schuljahres der Collaborator Langensie-
pen mit einer Pension von 320 Thaler iu den Ruhestand versetzt wor-
den , der Dr. Holzapfel als Lehrer an das Realgymnasium in Berlin,
von woher er 1838 berufen worden war, zurückgegangen ist, und der
kath. Religionslehrcr Caplan Schnepper bereits etwas früher das Pasto-
rat in Ratingen erhalten hat. An Langcnsiepens Stelle ist provisorisch
der Candidat Fassbender, als kathol. Religionslehrcr vertretungsweise
der Caplan Friderici angestellt, dem Lehrer der Mathematik Dr. TA.
JV. Fischer aber das Prädicat Oberlehrer beigelegt worden. Dem zum
Schluss des genannten Schuljahres herausgegebenen Jahresprogramm
ist statt der wissenschaftlichen Abhandlung beigelegt: Schule und Zeit-
geist, eine Rede gehalten am Schlüsse des Schuljahres 1838 von Dr. J.
C. L. Hantschke, kön. Prof. u. Director. [1839. 23 S. 8], worin in be-
redter und verständiger Weise die gegenseitigen Verhältnisse der
Schule und des Zeitgeistes und ihre Wechselwirkung auf einander in
einigen llauptzügen auseinander gesetzt und namentlich besprochen
ist, wie die Schule als Lehr- und Erziehungsanstalt im Gegensatz zu
den materiellen Richtungen der Zeit die intcllcctiielle und sittliche Bil-
dung bewahren und befördern soll. Doch bleibt diese Nachweisung,
da die Rede für ein grösseres Publicum bestimmt ist, meist bei allge-
meinen Andeutungen stehen.
Emmerich. Der Hülfslehrer Jahns vom Gymnasium in Essex ist
als ordentlicher Lehrer am hiesigen Gymnasium angestellt worden.
Enclaxd. In der Schule zu Winchester hat ein reicher Schüler einen
armen Collegen, der ihm aus Noth aufwarten musste, furchtbar durchge-
prügelt und der Hr. Director der Anstalt hui die Sache ganz iii der Ordnung
gefunden. Die englischen Blätter sagen darüber: „Die That des rei-
chen jungen Schlingels ist nicht so schlimm, wie die herzlose Schlech-
tigkeit derer, die ein System dulden, welches solche Früchte trägt.
Es würde in Deutschland und Frankreich, ja selbst in Spanien, keinen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 445
Dorfsehulmeister geben , der nicht mit Verachtung anf solche Schulein-
richtungcn wie bei uns (im gepriesenen England) sähe."
Europa. Man zählt jetzt in Europa 104 Universitäten mit 10235
Studenten, folglich kommen im Durchschnitt auf jede IPhiversitiit 015
Studenten, und im \erhällniss zur Bevölkerung Europas kann man
einen Studenten auf 34023!) Seelen rechnen.
Freikirg. Der Professor des kanonischen Rechts an der Uni-
versität llofrath Dr. Amann ist zum Oberbibliothekar der Universitäts-
bibliothek ernannt, und der bish. ordcntl. Professor der Anatomie und
Physiologie in Zürich Dr. Fr. Arnold an die hiesige Universität berufen
worden.
Heidelberg. Bei der dösigen Universität sind der Professor ho-
norarius Dr. Chr. Kapp (früher Professor in Erlangen) zum ordent-
lichen Professor der Philosophie mit dem Prädicat „Hofrath," die
ausserordentlichen Professoren Dr. Freiherr von Reichlin- Meldegg (frü-
her ordentlicher Professor der Theologie in Freiburg, seit einiger Zeit
an die Universität in Heidelberg versetzt) und Dr. G. W. Bischoff zu
ordentlichen Professoren in der philosophischen Facultät und der Pri-
vatdocent Dr. Jolly zum ausserordentlichen Professor der angewandten
Mathematik ernannt, der Dr. Heermann aber als ausserordentlicher
Professor in die medicin. Facultät zu Tüiunge.v berufen worden.
LomwB. Der bekannte Architekt 67*. Rob. Coekerell ist Professor
der Architektur an der dasigen kön. Kunstakademie, der Rev. J. S.
Brcwer Bibliothekar und Lehrer der claseischcn Literatur am Kings-
College geworden.
■ Mi \sterreifel. Das dasige Gymnasium war während des Schul-
jahrs vom October 1838 bis September 1H39 in der ersten Hälfte von
81, in der zweiten von 89 Schülern besucht, welche in (i Classen von
den bereits in den KJbb. XXII, 471 erwähnten 8 Lehrern, nämlich
von dem Director Jos. Kaizfcy , den Oberlehrern Rospalt, Dillcnbiirgcr
und Freudenberg, den Lehrern Hrolff und Mohr und den Hülfslchrcrn
Rüttger und II übler , unterrichtet wurden. Dagegen ist der früher am
Gymnasium beschäftigte Candidat Lcop. Merlcns schon im Schuljahr
1838 und im October desselben Jahres auch der Religionslehrer Capian
Caffer abgetreten, und dafür der Schiilamtscnudidnt Laurenz Roth inte-
rimistisch als Ordinarius in Quinta und als lleligionslchrer angenom-
men worden. Dem im September 1839 erschienenen Jahresberichte
[Köln gedr. bei Schmitz. 11 S. 4.] ist unter dem Titel : Quacstiones
historicae in Cornelii Nvpolis vitas , quac inscribuntur cxcvllcntium inipe-
ratorvm. Part. I. Saipsit Joannes Freudenberg. [Ebendas. 1839.
VIII ii. 20 S. 8.] der Anfang einer gelehrten Untersuchung über die
historische Glaubwürdigkeit der ßiographicen des Kepos beigelegt,
welche gegenwärtig über die vier ersten Biographiecn sich verbreitet,
und nach dem eingi schlagcnen Erörtcrungsgange zunächst eine Erwei-
terung und einen Gegensatz zu den Untersuchungen von Ilisch/, Wir
c/<ers'und Wiggert über die Quellen und Glaubwürdigkeit der Vitae
excellentium imperatoruiu bildet , zugleich aber auch in die allgcmei-
446 Schul- und Un i ve rsitätsnach richten,
ncre Untersuchung über Ursprung und Aechthelt derselben so wesent-
lich eingreift , dass sie ohne Betrachtung dieser Gesa mint frage nicht
genau gewürdigt werden kann. Der Verf. hat selbst darauf hingewie-
sen, indem Ä in der Vorrede die auf die letztere Untersuchung bezüg-
lichen Schriften kurz besprochen und nachher auch in der Zeitschrift
für die Alterthumswissenschaft 1839 Nr. 138 — 140 bei Gelegenheit
einer Beurtheilung der Schriften von JFalieki , Lieberkühn und Lütken-
hus sich weiter darüber verbreitet hat. Bekanntlich erschienen diese
gegenwärtig dem Nepos beigelegten Lebensbeschreibungen in den
ältesten Ausgaben unter dem Namen des Aemilius Probus, und auch
in allen bis jetzt benutzten Handschriften sind die ersten dreiundzwan-
zig diesem Verfasser zugeschrieben und nur die des Cato und des Atti-
cus dem Nepos beigelegt. Nur in dem von Ilieronymus Magius be-
nutzten Codex Alle tili fand sich am Ende die zweifelhafte Nachschrift:
Complelum est opus Aem. Probi , Com. Nepotis, und mit des Cornelius
Nepos Namen sollen die gesammten Vitae, nach Hänels Angabe in den
Catalogg. Ubror. mss. p. 909. u. 993., in drei spanischen Handschriften
überschrieben sein. Ausserdem sind von den alten römischen Schrift-
stellern diese Vitae exccllentium imperatorum nirgends erwähnt und
noch weniger als ein Werk des Cornelius Nepos bezeichnet worden;
vielmehr schreiben die Alten diesem Schriftsteller in den allerdings
spärlichen Nachrichten, welche über ihn vorkommen, nur drei Bü-
cher Chronica , fünf Bücher Exempla, sechszehn Bücher de viris illu-
stribus, zwei Bücher Briefe an M. Tüll. Cicero und eine vielleicht gar
nicht als besonderes Werk zu betrachtende Abhandlung: quaenam
distinclio sit inier literalum et eruditum, zu, während der Verf.
der Vitae excellentium imperatorum wiederum diese Schriften nicht
erwähnt, sondern ausser dem Über de vita exe. imperatorum nur
ein Buch über die Könige, ein Buch de historicis Graecis oder de
hisloricis überhaupt und eine ausführlichere Biographie des Cato
als seine Schriftwerke anführt. In den Handschriften sind aus-
serdem die Vitae Catonis et Attici gewöhnlich als Ex libro Cornelii
Nepotis de hisloricis Latinis entnommen aufgeführt. Den erwähnten
Aemilius Probus hielten die ältesten Herausgeber dieser Vitae für einen
Schriftsteller des goldnen Zeitalters, bis Ilieronymus Magius in einer
Handschrift derselben hinter der Vita Catonis das in ziemlich barbari-
scher Latinität geschriebene und dem Anfange von Ovids Tristicn nach-
gebildete Epigramm : fade liber , nostri fato meliore memenlo etc. auf-
fand und daraus in seiner Ausgabe der Vitae cxcell. imper. (Basel 1563.)
die Behauptung folgerte , dass der darin erwähnte und dem Zeitalter
des Theodosius angehörige Probus alle diese Vitae verfasst und die
ersten 23 durch die vorausgeschickte Praefatio dem aus dem Jahre 397
nach Chr. bekannten Consul Atticus, die Vitae Catonis et Attici aber
dem Kaiser Theodosius gewidmet habe. Gegen diese Angabe trat zu-
erst Oberlus Gifanius auf, und versprach im Index Lucret. s. v. refutalus
die Vitas excellentium impp. dem Com. Nepos zu vindiciren. Das Ver-
sprechen löste für ihn Dionysius Lambinus in der zu Paris 1569 besorg-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 447
ten Ausgabe, indem er durch eine treffliche und zum Tiicil noch jetzt
nicht ülicrbotcnc Untersuchung über den Styl dieser Vitac dieselben
nacb der darin ausgeprägten Sprache dem goldenen Zeitalter der röm. '
Literatur zuwies , und aus den mehrfachen eben, darin vorkommenden
Beziehungen und Anspielungen auf republikanische Freiheit und repu-
blikanische Einrichtungen auf einen Verf. schloss, der zur Zeit des
Unterganges der röm. Republik, d. i. im Zeitalter des Jul. Caesar,
geschrieben habe und demnach wahrscheinlich der von den Alten er-
wähnte Freund des Cicero, Cornelius Nepos, sei. Koch gab er zwar
das Werk mit dem Doppel -Namen Acmilii Probi s. Cornelii Nepotis
cxcell. impp. vitac heraus, allein schon Savaro setzte 1602 den Namen
des Nepos in dem Titel wenigstens voran (Com. Nepos s. Aemilius
Probus de vita exe. impp) und Hob. Keuchen liess 1G58 den Namen des
Probus ganz weg, so dass die Vitae von da an für ein Werk des Nepos
galten. Nur Casp. Barth suchte eine Vereinigung beider Männer durch
die in den Adversar. XXIV. 18. und XL1I. 14. aufgestellte Behauptung,
dass Probus diese Biographieen des Nepos nicht blos abgeschrieben,
sondern auch aus einem grösseren Werke desselben entnommen und in
einen beschnittenen und interpolirten Auszug gebracht habe. G. J.
Vosshis vermuthete in der Schrift de historicis Lat. I. 14., dass diese
Vitae aus des Nepos grösserem Werke de viris illustribus genommen
seien , und diese Ansicht fand neben mehrern andern Vertheidigern
namentlich an Mosche einen geschickten Verfechter in dem Programm:
Com. Ncpotis Über, qui imcribilur imperatorum excell. vitac, utrum
opus integrum an vero operis maioris pars qaaedam sit Jiabcndus [Lü-
beck 1807. 4.], welches in Seebodc's Archiv f. Philol. 1828, III. 1. S.
110 ff. wieder abgedruckt und von EichhofF in der Vorrede zu Berg-
stnUsers Uebersetzung dieser Biographieen nach seinem Hauptinhalte
ausgezogen ist. öbschon nun diese Annahme trotz der durch Mosche
errungenen Wahrscheinlichkeit immer noch mancherlei Zweifel und
unerledigte Bedenken übrig liess, 6o nahm sie doch F. IV. Tietzc in
seiner zu Prag 1813 erschienenen Ausgabe für erwiesen an, und be-
gründete darauf eine neue Reihenfolge der Biographieen, welche zwar
unbewiesen blieb [s. Jen. L.-Z. 1824 Nr. 187.] aber doch von Dchlinger
in der zu Stuttgart herausgegebenen Uebersetzung beibehalten wurde,
während Feldbausch in der 1828 besorgten Ausgabe wieder eine andere
Anordnung gab, die indess nur aus gewissen historisch«!] und pädago-
gischen Rücksichten gemacht i.-t und mit jener Frage über die Ab-
stammung der Vitae aus dem Werke de viris illustribus nicht zusam-
menhängt. Inzwischen hatten mehrere Herausgeber und andere Ge-
lehrte angefangen, sowohl über das Leben und die Schriften des Ne-
pos [vgl. Möller, Disscrtalio de Com. Nepolc , Altorf 1(>83. 8.] , als
auch über Inhalt, Werth und Zweck der vorhandenen Vilac cxc. impp.
[vgl. Schlegel, In Com. Ncpotcm observationcs crit. et histor. , Kopen-
hagen 1778. 4., Mosche, De co quod in Com. l\'cpotis vitis faeiendum
restut, Frankfurt 1802, abgedruckt in Seebodc's Miscellan. crit. Vol. I.
P. II., u. A.] weitere Untersuchungen anzustellen, und es war nament-
lich in letzterer Beziehung herausgestellt worden, dass nicht nur die
443 Schul- und Universitätsnach riehton,
sprachliche Darstellung viele und mancherlei zum Tlieil sonderbare
Eigentümlichkeiten darbietet , sondern dass auch eine nicht geringe
Zahl historischer Irrthiimer in diesen Biographieen sich vorfinden. Be-
vor man sich nun darüber vereinigte, ob jene Spracheigenthümlichkei-
len ein Fehler der Abstammung des Nepos aus Oberitalien (eine soge-
nannte Patavinität) zu nennen , oder ob sie zugleich mit den histori-
schen Fehlern aus einer gewissen Eile, mit welcher er diese Vitae ge-
schrieben , hervorgegangen seien ; da trat G. F. Rinck mit seinem Sag-
gio di un Essame crilico per restituire ad Em. Probo il libro de vitis
cxcell. imperat. creduto communimente di Com. Ncpote [Venedig 1818. 8.],
wovon M. Dieter. Hermann unter dem Titel: Versuch einer krit. Prü-
fung, um dem Aem. Probus das dem Com. Nepos zugeschriebene Buch de
vit. exe. imp. wieder zuzustellen , [Wien 1819. 8.] eine deutsche Ueber-
setzutig lieferte, hervor, sprach diese Biographieen , mit Ausnahme
des Cato und des Atticus, dem Nepos wieder ab, und stempelte sie
aufs Neue zu einem Product des Probus aus dem Zeitalter des Theo-
dosius. Zur Basis der Beweisführung war das oben erwähnte Dedica-
tions-Epigramm an den Kaiser Theodosius, in welchem Probus das
Buch als sein Werk bezeichnet habe , und die Zusammenstimmung der
Handschriften und alten Ausgaben in dem Namen des Aeinilius Probus
gemacht, und daraus, so wie aus dem Stillschweigen der alten Schrift-
steller über die Vitae exe. imp., die Entstehung des Werkes in späterer
Zeit abgeleitet. Um der widerstreitenden Vossischen Erörterung zu
begegnen, war ferner angenommen , dass Probus die Vitae allerdings
in der Zeit des Theodosius, aber gleich mit der Absicht geschrieben, sie
für ein Werk des Com. Nepos auszugeben, und dass er deshalb nicht
nur dessen Styl nachahmt, sondern auch unter des Nepos Namen
eine Vorrede an T. Pomponius Atticus verfasst habe. Inders verrathe
sich der Betrug durch die vielen Verstösse gegen die Geschichte
und Chronologie, welche in den Vitis vorkommen, durch die ma-
gere und sterile , aller historischen Kunst ermangelnde Darstellungs-
form und durch eine Armuth und Unbehülflichkeit des Stils, welche
des Zeitalters, in dem Nepos gelebt habe, unwürdig sei. Aller-
dings war in dieser Erörterung die angenommene magere Darstel-
lungsform und die Unwürdigiicit des Stiles mehr behauptet als be-
gründet, überhaupt die Vossische Untersuchung über die Sprache
der Vitae keineswegs widerlegt; allein dafür hatte Rinck die äus-
seren Zeugnisse für Aeinilius Probus so scharf und bestimmt her-
vorgehoben, und die versuchte Beweisführung mit so viel Geist,
Scharfsinn und dialektischer Gewandtheit .entwickelt und vorgetragen,
dass das aufgestellte Resultat 6ehr viele Anhänger und einen allge-
meinen Beifall fand, welcher die Schwächen und Mängel der Unter-
suchung grossentheils unbeachtet liess. Und doch hat Rinck ausser
der mangelhaften Erörterung der inneren (sprachlichen und stilisti-
schen) Gründe auch in der Besprechung der mit vorzüglichem Ge-
schick behandelten äusseren (historischen und diplomatischen) Be-
weise mehrere übereilte Schlüsse sich zu Schulden kommen lassen.
Abgesehen davon, dass er den Probus des Dedicationsepigrammcs zu
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 449
dem von Ausonius epist. XVII. erwähnten Praefectus praetorio macht
und nicht bemerkt, dass derselbe Scxtus Probus hiess; so ist nament-
lich die sofortige Identificirung jenes Probus mit dem Aemilius Probus
der Handschriften eine noch lange nicht bewiesene, ja sogar höchst
zweifelhafte Sache. Das bezügliche Epigramm findet sich nur in sechs
Handschriften dieser Biographieen , und zwar am Ende derselben, so
dass es leicht durch einen blossen Zufall, sei es zur Ausfüllung des
leeren Raumes oder wegen der Aehnlichkeit des Namens Probus, hin-
eingekommen sein kann. Der Verf. des Epigramms ferner schreibt ein
so schlechtes Latein und ist ein so höchst unbehülflicher Nachahmer
des Ovid , dass es unbegreiflich bleibt, wie derselbe in den Vitis die
gute Latinität des goldenen Zeitalters so glücklich nachbilden konnte,
wie er sie nach jener Voraussetzung nachgebildet hat. Ucbcrdem be-
zeichnet sich jener Probus in dem Epigramm gar nicht als Verf. des
dem Kaiser überreichten Buches, sondern nur als Abschreiber dessel-
ben , der noch dazu das von seinem Grossvater und Vater angefangene
Werk blos vollendet hat. Dies beweisen deutlich die Worte: Corpore
in hoc manus est genitoris avique mcaque: Felices! Domini
quac meruere manus, deren Gültigkeit Binck auch nicht anders zu be-
seitigen gewusst hat, als dass er dieses ganze Distichon für interpolirt
erklärt. Endlich aber giebt Probus in dem Distichon: Ornentur steri-
les fragili lectura libclli: Theudosio et doctis carmina nuda placent,
höchst wahrscheinlich an, dass das von ihm abgeschriebene Buch eine
Gedichtsammlung enthielt, und das ganze Epigramm scheint gar nicht
auf die Vitae exe. imper. gedeutet werden zu dürfen. So bleibt denn
nur das Zeugniss der Handschriften für Aemilius Probus übrig, und
auch hier hat Rinck den keineswegs unwichtigen Umstand unerörtert
gelassen, dass er im Seminar zu Padua eine Handschrift fand, welche
diese Vitas cxc. imper. in abgekürzter Gestalt enthält, und welche
nach der Ansicht des dasigen Bibliothekars eben der von Aemilius Pro-
bus gemachte Auszug aus den vorhandenen vollständigen Biographieen
des Nepos sein soll. Gegen Rincks Abhandlung schrieb Joel hohen
eine besondere Widerlegungsschrift: Considerazioni sul Saggio di un
Essamc crilico del sig. G. F. Rinck etc. [Mailand 1819. 8.] , welche aber
in Deutschland fast unbeachtet blieb und ihrem Inhalte nach noch ge-
genwärtig unbekannt zu sein schein!. Allgemeincrc Beachtung dagegen
fand das, was fiardili in den Anmerkungen zur Praefatio der von ihm
neu herausgegebenen Staverenschen Ausgabe [Stuttgart 1820.] zur Ver-
theidigung der Autorschaft des Nepos vortrug; konnte aber darum
nicht für ausreichend angesehen werden , weil diese Bemerkungen nur
Einzelheiten des Streites betrafen, hauptsächlich die Ergänzung und
Erweiterung der Lambinischcn und Moselieschen Erörterungen bezweck-
ten und am Ende nur die neue Behauptung aufstellten, dass Aemilius
Probus das langvergessene Werk des Nepos de viril illustribus wieder
aufgefunden, daraus eine Anzahl Vitae in veränderter Reihenfolge aus-
gehoben u. abgeschrieben und sie in Gestalt einer neuen Rcccnsiou und
mit mancherlei Abänderungen und Interpolationen dem Kaiser Theodo-
iV. Jahrb, f. Phil. u. Paed. od. Krit, Bibl. Ud, XXVUI. Uft. 4. 29
450 Schul- und U niv er sitätsnach richten,
siüs filierreicht, dadurch aber zugleich auch bewirkt habe, dass man in den
Handschriften dieses Auszuges zunächst den JVanien des Prolins neben
den des Nepos schrieb , bald aber den Namen des letztern ganz weg-
liess und dadurch den ersteren zum Verf. des Ganzen stempelte. Das
Gegengewicht gegen Bardili's Gründe hielt die bekannt gewordene
Aeussernng Fr. Aug. JTolfs [s. llanharts Erinnerungen an Wolf S. 5)2.],
dass diese schmächtigen und mit schlimmen gengraphischen und ge-
schichtlichen Fehlern angefüllten Biographicen kaum ein Werk des
berühmten Nepos, vor welchem Cutull einen solchen Bückling mache,
sein könnten. Weitere Bedenken brachte auch Gottfr. Hermanns An-
nahme [s. Allgem. Schulzeit. 1827, II. Lit. Bl. 37.], dass der Verfasser
dieser Biographieen ein Schulmeister gewesen sei, der das Buch für Knaben
geschrieben und darin allerlei gute und ächte Wörter und Redensarten zu-
sammengetragen habe , um zu zeigen , wie man etwas gut lateinisch
ausdrücken müsse. Für diese letztere Behauptung schien noch G. F.
Grotefend in der Latein. Grammatik I. § 28. 3. durch die Sammlung
der in den Vitis vorkommenden vielen griechischen Wörter und For-
men eine Bestätigung zu bringen. Bei so beschaffenen Umständen war
es demnach nicht auffallend, dass Jul. Held in der Schrift Prolegomena
ad vitam Atlici , quae vulgo Cornclio Nepoti adscribitur , [Breslau 182G.
51 S. 8.] aufs Neue gegen den Cornelius Nepos auftrat, und demselben
auch noch die bisher unangetasteten Vitae Catonis et Attici absprach.
Weil aber gegen diese das Zeugniss der Handschriften nicht geltend ge-
macht werden konnte, so wurden in der Lebensbeschreibung des Alti-
cus eine Anzahl wirklicher oder vermeintlicher Auslassungen und histo-
rischer Unrichtigkeiten aufgesucht, die Disposition des behandelten
Stoffes für fehlerhaft und ordnungslos und die ganze Lebensschilde-
rung für einseitig und armselig erklärt, die Darstellungsform endlich
als matt, breit und redselig erkannt, und so die ganze Biographie
zu einer 60 mangelhaften gestempelt, dass sie weder dem goldenen
Zeitalter noch dem Nepos anzugehören schien. Leichter wurde da-
durch der Beweis für die Unächtheit der Vita Catonis, die wegen Be-
schränktheit und Dürftigkeit der Darstellung missfiel, und beiläufig
wurde auch zur Begründung der Kindischen Ansicht Einiges nachge-
tragen , namentlich darauf hingewiesen , dass die Fraefatio aus dem
Anfange von Ciceros Büchern de fiuibus bonorum et malorum nachge-
bildet zu sein scheine. Weil übrigens die vorgetragenen Gründe, na-
mentlich die über das Mangelhafte der Vita Attici , aus sich selbst und
auf rein sprachlichem oder ästhetischem Wege nicht hinreichend be-
gründet werden konnten, und darum auch bald als nicht genug bündig
und beweiskräftig getadelt wurden [s. Allgem. Schulzeit. 1828, II. Nr.
52.]; so hat Held zu ihrer besseren Rechtfertigung noch den besonde-
ren Weg eingeschlagen, dass er durch neue Untersuchungen über das
Leben, die Schriften und den schriftstellerischen Werth des Nepos und
durch Prüfung der von den Alten darüber mitgetheilten Nachrichten
ein Bild von der Vorzüglichkeit des Nepos als historischen Schriftstel-
lers zusammensetzte, welches allerdings zu den Mängeln, die in den
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 451
vorhandenen Biographieen gefunden werden sollen , einen scharfen Ge-
gensatz bildet, und welches um so leichter Beifall fand, da schon die
bisherigen Biographen des Nepos dessen Schriftstellerwerth im We-
sentlichen nur von der Lichtseite betrachtet und , ohne sorgfältigere
Beachtung der aus den Biograpbicen zu ziehenden Resultate, mehr
aus der allgemeinen Anschauungsweise von der Vorzüglichkeit der
Schriftsteller in den Zeiten Ciceros und Augusts, aus der Verbindung
des Nepos mit Cicero, Atticus und Cutull, und aus den meist günsti-
gen Zeugnissen mehrerer römischen Schriftsteller ahstrahirt hatten.
Es lässt sich hierbei nicht längnen, dass die von Held gegebene Cha-
rakteristik des Nepos als Schriftstellers allerdings eine sulche ist , wie
man sie von einem guten Historiker jener Zeit wohl entwerfen und
auch auf dem Wege suhjeetiver Anschauung aus den alten Zeugnissen
über Nepos herausfinden kann; allein dennoch bleibt die Untersuchung
in solcher Weise auf den Kopf gestellt oder ist wenigstens eine apho-
ristisch aus unsicheren Voraussetzungen abgeleitete , während im ge-
genwärtigen Falle der allein richtige Erörterungsgang so sein muss,
dass aus den vorhandenen Biographieen das schriftstellerische Ge-
präge des Autors in sprachlicher und künstlerischer Hinsicht festge-
stellt und dann untersucht werde, ob das so gewonnene Resultat sich
mit den Nachrichten und Urtheilen der Alten über Nepos und mit dem
allgemeinen wissenschaftlichen Standpunkte jener Zeit vereinigen lasse
oder nicht. Bei alle dem hat sich übrigens Held nicht getraut, die
Abfassung der Biographieen in das Zeitalter des Theodosius zu verle-
gen, sondern behauptet nur, dass sie nicht von Nepos herrühren, und
dass deren Verf. auch kein geborener Römer gewesen sei. Nach Held
nahm C. F. Ranke in der Commcntatio de Com. Nepotis vlta et scriptis
[Quedlinburg gedr. b. Basse. 1827. 4fi S. 4.] die Untersuchung nochmals
auf, lieferte aber nur den ersten Theil seiner Abhandlung, und ver-
sparte die hierher gehörige Hauptfrage über die Acchthcit der Vitae
cxcell. iniper. für den noch ungednukten zweiten Theil. Nur beiläufig
erklärte er, dass er die Biographieen der berühmten Feldherrn dem
Nepos abspreche, aber die Biographie des Atticus demselben zu vindi-
ciren Willens sei. Dennoch aber greift die Schrift auch in der vor-
handenen ersten Hälfte in die allgemeine Untersuchung sehr wesentlich
ein, weil darin über das Leben, die Schriften und den Schriftstellcr-
charaktcr des Nepos neue und gediegene Untersuchungen enthalten
sind. Namentlich hat Ranke das grosse Verdienst, dass er der Ten-
denz der bisherigen Forscher, aus den spärlichen Notizen der Alten
überall positive Resultate über des Nepos Leben und Charakter her-
auszufinden, mit der negativen Richtung entgegentrat, das so Gewon-
nene durch genaue und sorgfältige Prüfung der Zeugnisse zum grossen
Theile als unhaltbar wieder abzuweisen , und lieber ehrlich zu ge-
stehen , dass wir über den und jenen scheinbar ausgemachten Funkt
Nichts wissen und auch Nichts wissen können. So hat er z. B. in Be-
zug auf den Geburtsort des Nepos, den man bald in Verona oder Ho-
stilia , bald in Novum Comuin oder Fauna finden wollte, ziemlich
29*
4">2 Schul- und Univcrsitätsnachrichtcn,
überzeugend nachgewiesen, dass sich ühcr dcnselhen nichts weiter aus-
machen lässt , als dass man ihn in der Umgegend des Po zu suchen
habe, — ein Resultat, auf welches auch A. Weichärt in der Abhand-
lung de Cassü Parmensis vita et scriptis p. 188 ff. auf anderem YVego
gekommen ist. Eben so hat er die Lebenszeit desselben , welche
Held von 667 bis 768 n. li. E. ausdehnte, besser abgegrenzt und dahin
festgestellt, dass Nepos die Kämpfe des Marios und Sulla bereits erlebt
habe und um das Jahr 723 gestorben sei. Desgleichen bestimmt er die
literarische Stellung, welche Nepos als Schriftsteller einnahm, weit
behutsamer als die früheren Forscher, und mit besserer Beweisfüh-
rung, als es Kinck und Held gethan , und zeigt, dass derselbe nicht
zu den ausgezeichneten Historikern der Römer gezählt und überhaupt
so früh vergessen worden sei, dass schon die beiden Seneca nichts von
ihm wissen, wenn auch L'linins u. A. auf ihn Rücksicht nehmen. War-
um er so schnell vergessen ward , das ist unerörtert geblieben, ob-
schon die Yermuthuug nahe lag, dass die Freundschaft mit Cicero und
Atticus , die Hinneigung zum Republicanismus und der Gegensatz zu
Cäsar und August und darum auch zu den mehr monarchisch gesinn-
ten Schriftstellern des augustäischen Hofes ihm eben so geschadet
haben mögen, wie mehrern andern Schriftstellern, die in jener Zeit
auf Seiten der Republik oder des Antonius zu stehen gewagt hatten.
Ziemlich resultatlos aber ist die Untersuchung über die Sprache und
Darstellungsform geblieben , weil der Verf. natürlich dafür die vor-
handenen Vitae vermöge seiner Ansicht über dieselben nicht benutzen
konnte, und weil die Alten davon ausser einigen grammatischen Eigen-
heiten fast nichts erwähnen, auch die von' ihnen citirten Fragmente
sehr wenig Ausbeute geben. Die historische Treue in der Geschichts-
erzählung findet Ranke bei den Alten dahin bestimmt, dass dem Nepos
zwar im Allgemeinen Wahrheitsliebe und Genauigkeit der Angaben 'zu-
gestanden, im Einzelnen aber auch grobe Irrtbümer Schuld'gcgeben
würden , und die schon von Schlegel nach des Plinius (hist. nat. V. 1.)
Zeugniss demselben vorgeworfene Leichtgläubigkeit erhält demnach
hier neue Bestätigung. Ob übrigens gerade aus jenen einzelnen Irr-
thüuicrn , welche aus des Nepos Schriften angeführt worden sind,
diese Beschuldigung als eine so allgemeine erkannt werden dürfe, das
ist freilich auch hier nicht genug untersucht. Ausgezeichnet ist aber
die Untersuchung über die Schriften des Nepos und deren Abfassungs-
zeit, obschon sie darin vielleicht mit zu viel Skepsis durchgeführt ist,
dass Ranke demselben ausser den Chronicis und Yitis virorum illustrium
kein weiteres Werk zugesteht und die Exempla und Chronica für ein
und dasselbe Buch hält. Man sieht übrigens aus den hier mitgetheil-
ten Angaben des Hauptinhaltes der Rankeschen Schrift, dass dieselbe
für die Frage über die Aechtheit der Vitae exccUentium imperatorum
in nächster Beziehung keine Resultate liefert, ja sogar die Untersu-
chung noch erschwert, weil sie die Unsicherheit und Unzulänglichkeit
unserer Kenntniss von dem Schriftstellerwerthe des Nepos sehr be-
stimmt darthut , und namentlich auch zeigt , wie wenig wir von dem
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 453
Umfange und der Einrichtung des Werkes de viris" illustribus •wissen,
was doch eben bei der Ableitung der Vitae excell. imperntorum aus
demselben ganz besonders in Betracht kommt. Allein sie bestätigt
eben dadurch auch die oben aufgehellte Behauptung, dass man bei der
Untersuchung über die Vitae excell. iinpcrat. nicht von der Frage über
des Nepos Leben und schriftstellerischen Charakter ausgehen kann,
sondern vielmehr von dem Zustande dieser Vitae aus versuchen muss,
oh sich derselbe mit dem, was wir über Nepos wissen , in Einklan"-
bringen lässt. Den bis hierher aufgezählten Gegnern der Abstam-
mung dieser vitae von Cornelius Nepos aber trat zuerst J. Chr. Dahlie
mit einer allseitigeren und gründlicheren Untersuchung der Streitfrage
entgegen, und machte dieselbe in der Disjnttatio de vitis exccllenlium
imperalorum Cornelia Ncpoti , non Aemilio Probo altribuendis. [Zeitz gedr.
b. Wcbel. 1827. 18 S. gr. 4.] bekannt, auf welche er sodann eine noch
weiter auggedehnte und in bequemere Uebcrsicht gebrachte Abhand-
lung lieber Cornelius Nepos, dessen Schriften und die Aechtheit derselben
als Einleitung zu der von ihm in Helmstedt 1880 herausgegebenen Aus-
gabe dieser \ itae folgen liess. Die lateinische Disputatio ist eine di-
recte Bekämpfung der Schrift von Hinck , die deutsche Abhandlung da-
gegen bietet eine ausführliche literarhistorische Uebcrsicht von dem
Leben, dem Charakter, der bürgerlichen Stellung und den Schriften
des Nepos, von den für die Vitae benutzten Quellen, von deren Glaub-
würdigkeit und Zwecke und der darin herrschenden historischen und
sprachlichen Darstellung, S ch liess t aber auch mit einem Berichte über
die Kämpfe für und gegen die Aechtheit derselben (wobei zugleich die
'Schriften von Held und Hanke beachtet sind) und mit einer neuen
Rechtfertigung ihres unverdorbenen Abstammens von Cornelius IVepos.
So wie Däbne in seinen Bearbeitungen dieser Vitae überhaupt vorzüg-
lich als ileissigen Sammler sich bewährt hat; so ist auch in den beiden
Abhandlungen mit ausgezeichneter Sorgfalt nicht nur Alles zusammen,
gestellt, was bis dahin über Nepos und seine Schriften, so wie über
das Wesen und Verhältnis der Vitae excell.* imperatorum gewonnen
war, sondern es sind auch eben so alle Punkte besprochen , welche
für oder gegen die Aitae in Betrachtung gezogen worden waren. Frei-
lich fehlt aber diesen Untersuchungen die Tiefe und Schärfe des Ur-
theils , wodurch sie allein zu einem überzeugenden Endresultate ge-
bracht werden können. Der Verf. hat Alles, was Lambinus , Vossius
Mosche, Bardili u. A. für diese Vitae und ihre Abstammung von Ne-
pos vorgebracht haben, wiederholt und mit Fleiss und Einsicht erwei-
tert; er hat ebenso alle von Magius , Hinck, Held u. A. aufgestellten
Gründe gegen die Aechtheit bekämpft, aber es freilich nur dahin ge-
bracht, dass er deren Argumente mehr ablehnt als gnügeud abweist,
und in den Beweisen für die Aecbtheit mehr den Ansichten und Aus-
sprüchen Anderer gläubig vertraut, als sie überzeugend begründet. Das
Letztcrc tritt namentlich in deu Erörterungen über das Lehen und die
Schriften des Nepos und über die Quellen, Glaubwürdigkeit und den
Zweck der Vitae excell. imperat. hervor, wo die von Bänke ungedeu-
454 Schal- and Uni versitätsnachrichtcn ,
tcte tiefere u. skeptischere Untersuchung fast ohne Einfluss gehliehen ist.
Der gelungenste Theii der Untersuchung ist der über die Classic ität der in
diesen Vitis herrschenden Schreibart, wenn auch dieselbe nur negativ und
in der Weise bewiesen ist, dass in der latein. Disputatio eine Anzahl ver-
dächtigter oder überhaupt anstössiger Wörter und Formeln gegen An-
fechtungen gerechtfertigt , und in der deutschen Abhandlung die vor-
kommenden seltenen und vom Gewöhnlichen abweichenden Wörter,
Formen und Constructionen gesammelt und durch Analoges anderer
Schriftsteller der guten Zeit vertheidigt, so wie im Gegensatz dazu
eine Anzahl Ausdrucksweisen aus spätem Schriftstellern angeführt sind,
welche sich in diesen Vitis nicht vorfinden. Für diesen Gang der Be-
weisführung hat Lambin als Muster gedient, und überhaupt ist Dah-
lie1» Untersuchung im Wesentlichen nur eine Fortsetzung der Lambini-
seken Erörterungen, hat aber noch das Nebenverdienst , dass sie auf
alle Punkte, welche bei der Gesammtfrage in Betracht kommen, auf-
merksam macht und in jedem derselben wenigstens angiebt, wie weit
die Untersuchung darüber damals gediehen war. Weii übrigens Dähne,
eben so wie seine Vorgänger die sehr wesentliche Frage über die
historische Treue des Nepos nur unzulänglich besprochen hatte; so
war es von Wichtigkeit, dass zu derselben Zeit in Holland zwei Ab-
handlungen über diesen Gegenstand, nämlich die Disquisitio critica de
gentibus et auetoritate Com. Nepotis von J. J. Iliseltj [üelft 1827. VIII
u. 205 S. 8.] und die Disquisitio critica de fontibus et auetoritate Com.
Nepotis von R. H. Eyssonius ITichers [Groningen, van Boekeren. 1828.
135 S. 8.] , erschienen, woran sich später noch die Spezialuntersu-
chung eines deutschen Gelehrten: De Com. Nepotis AUibiade quaestio-
nes criticae et hisloricae. Scripsit Jul. IFiggcrt, Studios, theol. et philol.
Cowmentatio de sentenlia Dccanorum Academ. Rostoch. praemio ornata.
[Leipzig, Lehnhold. 1833. VIII u. 114 S. gr. 4.] anreihte. Alle drei
Gelehrten beziehen zwar ihre Untersuchung nicht direct auf die Frage
nach derAechtheit derVitae excel. isoperat., sondern setzen diese Aecht-
heit vielmehr voraus, und untersuchen nur vom allgemeinen histori-
schen Gesichtspunkte aus , welche Schriftsteller in diesen Vitis als
Quellen benutzt sind, und in welchen Einzelheiten deren Verf. von
diesen Quellen abweicht; aber sie liefern doch eben dadurch die
Grundlage, auf welcher man den Gegenstand auch leicht mit jener
Frage in Verbindung bringen kann, zumal da alle drei Schriften wenn
auch nicht durch tiefe kritische Prüfung, doch durch grossen Samm-
lerflciss sich auszeichnen. Hiscly hat die einzelnen Vitae der Keihe nach
durchgegangen und bei jeder die benutzten Quellen aufgezählt , die
Zusammeiistimmung oder Abweichung von denselben angegeben und
überhaupt die Richtigkeit der erzählten Thatsachen besprochen. JVi-
chers nimmt alle Vitae in Eins zusammen, bespricht die benutzten
Schriftsteller in chronologischer Reihenfolge, und weist bei jedem
nach, wo und wie weit er von Nepos benutzt ist Während daher die
Hiselysche Schrift besonders dafür brauchbar ist, um die historische
Glaubwürdigkeit der einzelnen Vitae und ihr Verhältuiss zu einander
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 455
abzuschätzen: so glebt Wichers eine weit bequemere Uebersicht von-
dein historischen (Quellenstudium des Mepos überhaupt und von der
Abstufung der Schriftsteller nach ihrer grösseren oder geringeren Be-
nutzung. Deshalb hat er zuerst am überzeugendsten, und weit gründ-
licher als Hchize in der Abhandlung: Com. Kcpos e Thucydide emen-
dandus et iudicandus (in Eichstndts Annali. Jenens. Vol. I., 1823, p.
432 ff.), dargethan, dass namentlich Thucydides von Mepos am fleis-
sigsten benutzt worden ist. Desgleichen hat er mit rühmlicher Sorg-
falt, die von Mepos nicht erwähnten aber dennoch benutzten Schrift-
steller aufgezählt , und dadurch unter Anderem gegen Schlegel's und
Tzschucke's Zweifel bewiesen, dass auch Ilerodot in mehreren Bio-
grsiphieen als Quelle gebraucht ist — , eine Beweisführung , welche
allerdings schon vor ihm auch Moschc in der Abhandlung De co qnod in
Com. Ncpotis vitis faciendum restut in etwas anderer Weise versucht
hatte. Allgemeiner und weiter umfassend ist die Abhandlung von
Wiggtirtj welcher erst in 11 Capiteln die grammatisch und kritisch
schwierigen Stellen der Vita Alcihiadis bespricht und dann in andern 11.
Capiteln über die historische Glaubwürdigkeit des Mepos im Allgemei-
nen, über die zur Vita Alcihiadis benutzten Quellen, über die Genea-
logie und Abstammung des Alcibiades, dessen Lebenszeit und Geburts-
jahr (Olymp 82, 4.), dessen Reisen vor seiner Ankunft in Sparta zur
Ausgleichung der Nachrichten in Cap. 4. § 3. mit den Angaben des Ju-
stinus, dessen Zurückberufung nach Athen und seine Handlungsweise
bei Cyme, über die Anlegung von Castellen in Thracien und den dor-
tigen Krieg , über die Richtigkeit der Angaben in Cap. 7, 4. u. 8, 4.,
über die Erklärung von Cap. 9, 1. und über die verschiedenen Angaben
von dem Tode des Alcibiades und den Ursachen desselben verhandelt.
Sehr geringfügig sind nun freilich die kritischen und sprachlichen Er-
örterungen der ersten 11 Capitel , aber dagegen bieten die fleissigen
historischen Untersuchungen viel Brauchbares und sind eine recht be-
achtenswerthe Vorarbeit zu einer Biographie des Alcibiades. vgl. Zeitschr.
f. d. AIterthumswisscns<-h. 183ö Kr. 33 — 35. Der gemeinsame Zweck
aller drei genannten Gelehrten ist übrigens die positive Machweisung,
wie hoch die historische Glaubwürdigkeit des Mepos überhaupt steht,
und darum haben sie neben der sorgfältigsten Aufsuchung der benutz-
ten Quellen diejenigen Stellen, welche von jenen abweichen oder
gradezu hiatorischelrrtliüiner enthalten, zwar gewöhnlich angeführt —
was Iliscly am allerfleissigsten gethan hat — , aber selten genau ge-
prüft und noch seltener die Gründe zu diesen Abweichungen aufge-
sucht. Wo sie das Letztere aber auch thun, da sind sie doch immer
geneigt, die oft argen Irrthümer eher zu entschuldigen , als in ihrer
Blosse aufzudecken: weshalb auch so oft die Vermuthiing wiederkehrt.
Mepos möge in solchen Fällen noch andere, uns unbekannte Quellen
benutzt haben. Diese Lücke hat nun eben Frevdenberg in den oben er-
wähnten Quacstionibtis hi-storivis auszufällen gesucht, welcher die Frage
über die erweislich benutzten Quellen als eine abgeschlossene voraus
setzt, und dagegen in den einzelnen Biographiccn alle diejenigen Siel
456 Schul- und Un i ver si t ä t s nach richten,
Jen , welche von der festgestellten historischen Wahrheit abweichen,
durchgeht und den Grund der Abweichung aufzufinden sucht. Dazu
Meist er die in den ersten vier Biographieen vorkommenden histori-
schen Irrthümcr nicht nur scharf und bestimmt nach , sondern tlmt
auch dar, dass die meisten aus Nachlässigkeit, Unkunde oder Miss-
verständniss der benutzten Quellen, überhaupt aus Mangel an Kritik
und strenger Forschung hervorgegangen sind , und dass man nur sel-
ten eine absichtliche Abweichung von dem Gewöhnlichen annehmen
darf, welche entweder aus der Benutzung besonderer Nebenstellen
oder aus der Umgestaltung der Thatsachen für einen besondern Zweck
gerechtfertigt werden könnte. Demnach hat der Verf. nicht nur eine
sehr wesentliche und wichtige Ergänzung zu den Schriften von Hisely
und Wichers gebracht und zu der dort herausgestellten Lichtseite die
Schattenseite der historischen Forschung des Nepos hinzugefügt, son-
dern auch dadurch die Frage über den wahren Zustand der in den Vi-
tis excell. iraper, vorhandenen historischen Treue ihrer Entscheidung
viel näher geführt, oder vielmehr erst möglich gemacht. Wie
nun diese Entscheidung bei ihm selbst als Endresultat ausfallen
werde, das lässt sich, da seine Untersuchung noch nicht zu Ende
ist, zur Zeit noch nicht bestimmt sagen. Allein da er in der
Zeitschrift für die Alterthumswisscnschaft sich für die ächte und unver-
dorbene Abstammung dieser Vitae von Com. Nepos entschieden hat
und da er in den Quaestionibus das Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit
und Genauigkeit derselben sehr stark herabdrückt; so darf man wohl
vermuthen, er werde die von den Alten gerügte Leichtgläubigkeit und
Unachtsamkeit des Nepos als in sehr hohem Grade vorhanden nachwei-
sen wollen. Das beweist auch schon der in der Vorrede p. VII. über
das Quellenstudium des Nepos ausgesprochene strenge Tadel. Es liegt
übrigens am Tage, dass dies geschehen kann, ohne dass man deshalb
den Ursprung dieser Vitae aus den Zeiten des Cicero und Caesar abzu-
läugnen braucht: denn analoge historische Irrtbümcr finden sich,
v/enn auch gewöhnlich in geringerer Zahl und Bedeutsamkeit, bei
allen Geschichtschreibern. Indcss da aus Freudenbergs Darstellung
selbst hervorgeht , dass Nepos in der Vita Milliadis viel häufigere und
gröbere Fehler gemacht hat, als in den nächsten drei Biographieen,
und da bei mehreren dieser Fehler sich nach dem Zusammenhange der
Rede fast von selbst die Vermuthung aufdrängt, es möge irgend eine
beiläufige Erläuterungsnotiz ausgefallen sein, wodurch die angegebene
Nachricht zu einer richtigen Angabe umgewandelt werden könnte; so
wäre es doch vielleicht der Mühe werth, ob man nicht eine Anzahl
Fehler ganz einfach wegschaffen kann, wenn man voraussetzt, dass
diese Vitae ursprünglich ausführlicher angelegt gewesen und späterhin
beschnitten worden sind. Jedenfalls aber wird die Frage über die
historische Zuverlässigkeit nur dann ein recht wesentliches Moment
für die Hauptuntersuchung über die Abstammung der Vitae werden,
wenn erst die vorhandenen Irrthümer nicht blos sorgfältig aufgesucht
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 457
(was jetzt Freudenbergs Hauptzweck zu sein scheint), sondern auch
sorgfältig classificirt und in ihren Veranlassungen möglichst klar er-
kannt sind. Denn o Heilbar kann man sich für diesen Zweck nicht mit
der Erklärung von L. Blum in der Einleit. in Roms Geschichte S. 120
zufrieden stellen, dass Nepos aus Mangel an tiefem und scharfem
Geiste in eigenen Forschungen nicht tief eingegangen sei, sondern nur
als Mann von Geschmack und Bildung das Talent einer anmuthigen
Verarbeitung des Stoffes gehabt habe. Die allgemeine Hauptunter-
suchung über die Aechtheit der Vitae aber ist nach Dähnes Erörterung
zuerst wieder umfassend aufgenommen in der Schrift: De Com. Nepote
disserlatio inauguralis , quam in Caesar, liter. Univers. Dorpatensi ad
gradum doctoris philos. rite obtinendum conscripsit Alpiiomus IValicki,
Lithuanus. [Dorpat gedr. b. Schumann. 1832. VIII u. 55 S. 8.], deren
Verf., obgleich er die Schrift von Rinck gar nicht und die von Held
nur für die Vorrede und Nachträge hat benutzen können, dennoch über
den Gegenstand mit recht vielem Fleisse und mit ziemlich vollständiger
Beachtung aller bis dahin aufgefundenen Erörterungspunkte verhandelt
hat. Der Stoff ist in fünf Abschnitte vertheilt, deren erster (S. 1 —
14.) , De vero libri, qui sub nomine Com. Ncpotis venit, auetore eruendo
überschrieben, den Thatbestand des Streites recht gut feststellt und
die vorhandenen Gründe für und gegen die Aechtheit der Vitae in kla-
rer und , mit Ausnahme der ungenau angegebenen Aufschriften der
Codices, auch meistentheils richtiger Auseinandersetzung darlegt. Als
Gründe für die Aechtheit macht er namentlich geltend den reinen und
echt lateinischen Stvl , den Inhalt der Praefatio und die darin vor-
kommende und in der Vita Catonis wiederkehrende Erwähnung des At-
ticus , und die häufigen Beziehungen des Autors auf seine Zeit, welche
alle auf das Ende der römischen Republik hinweisen, und vermehrt
zuletzt diese schon von Andern vorgetragenen Beweise noch mit dem
neuen, dass als benutzte Quellen nur Schriftsteller, welche vor dem
Cornelius Nepos gelebt haben , angeführt sind , nirgends aber die Be-
nutzung eines späteren Historikers nachgewiesen werden kann. Im
zweiten Abschnitt wird dann S. 14 — 19 über die Lebensverhältnisse
des Cornelius Nepos verhandelt, wo vielleicht die eigenthümli« bsto
Ansicht ist, dass nach Helds Vorgange das Geburtsjahr dc9 Nepos
um 670 n. R. E. gesetzt wird. Die Ilauptuntcrsuchung des Verf.s ent-
hält der dritte Abschnitt S. 19 — 39: Interior operis , quod Com. Xepoti
adiudicatur , cognilio , oder die Erörterung des Verhältnisses, in wel-
chem die Vitae exccll. imperat. zu der Schrift des Nepos do viris iüu-
ßtribus stehen. Aus diesem grösseren Werke nämlich soll Acm- Bro-
hus diese Vitas abgeschrieben und sie vielleicht auch an einzelnen Stol-
len interpolirt haben. Dagegen wird Barths Ansicht, dass wir in den
Vitis nur einen Auszug aus umfassendem Biographiccn haben , mit
Nachdruck und besonders mit Berufung auf die Stellen Lys.2, 1. Epnm.
4. extr., Acib. 4. extr., Timoth. 4, 2., Pelop. init., Datain. 1, 2. be-
stritten. Das Buch de viris- illustribus soll aber, wie bereits Titze
vermuthet hatte , so eingerichtet gewesen sein , dass es die Biogra-
4.")8 Schul- und Universitätsnachrichtcn,
phieon berühmter Männer nach Völkern geordnet enthielt. So scheine
es z. B. als ob in einem hesondern Buche die athenischen , in einem
andern die spartanischen und thebanischen , in einem dritten die barba-
rischen Feldherrn und in einem vierten die Könige beisammen gestan-
den hätten, und vor den Buchern von den Feldherren möchten einige
Bücher mit Biographieen griechischer und römischer Heroen voraus-
gegangen sein. Aemiüiis Probus habe nun in seiner Sammlung das
Buch von den athenischen Feldherrn ganz, das von den spartanischen
und thebanischen zum Theil, das von den barbarischen nur in Frag-
menten (Hamilcar, Hannibal, Eumenes u. Datames) und das von den
Königen gar nicht abgeschrieben ? sondern aus dem letztern nur einen
armseligen Auszug gemacht, der jetzt den Abschnitt de regibus bilde.
Zugleich habe sich Probus erlaubt , die ausgehobenen Vitae in eine
andere Ordnung zu bringen und unter einander zu mengen. Die Vita
Catonis, welche in den Handschriften bald vor, bald nach dem A Ul-
cus stehe, sei nicht aus dem Buch de historicis Itomanis entnommen,
sondern wahrscheinlich eben so, wie die Vitae des Lucuüus im An-
fange von Ciceron. Acad. prior., eine gelegentliche Einwebuug i.i die
Bücher der Exempla gewesen. Wären diese hier mitgetheiltcn Resul-
tate etwas mehr als reine Hypothesen, so würden sie allerdings von
grossein Werthe sein. Gegenwärtig aber, wo wir von der Schrift de
viris illustribus gar nichts weiter wissen , als dass sie zum wenigsten
aus 16 Büchern bestanden hat, braucht gar nicht erst erwähnt zu
werden, dass der gleich nachher zu nennende Lieberkühn diese Ver-
muthungen mit vielem Erfolg bestritten hat; sondern es genügt, dar-
auf hinzuweisen, dass Walicki in diesem Abschnitte eigentlich nur die
Hypothese Titzes weiter ausgeführt und sich an diesen eben so, wie
im ersten Abschnitte an Lambin und im zweiten an Held und Bühne
angelehnt hat. So lange es genau genommen noch an jedem Beweise
fehlt, dass die Vitae excellentium imperatorum wirklich aus dem
Werke de viris illustribus stammen , so lange bleibt es mehr als miss-
lich über die Anordnung der Vitae in dem letzteren etwas Sicheres wis-
sen zu wollen. Sollten nun aber dennoch Vermuthungen darüber ge-
macht werden, so durften sie nur auf den gegenwärtigen Zustand der
Vitae excell. imper. begründet sein. Aus diesem aber lässt sich höch-
stens mit einiger Wahrscheinlichkeit folgern , dass der Abschnitt de re-
gibus nicht ein Auszug aus einem ganzen Buche, sondern nur (wie
schon Ger. Vossius geahnet hat) die Vorrede zu den Biographieen des
Hamilcar und Hannibal ist (s. de regg 3, 5 ) und dass sie sammt die-
sen beiden Biographieen nach den Lebensbeschreibungen der griechi-
schen Feldherren folgte (s. Cap. 1, 1.), welche vielleicht für sich ein
Buch machten, zu denen die Praefatio an Atlicus die Vorrede gebildet
haben kann. Ehen so sieht man aus de regg. 1, 1. und 3, 5., dass der
Verf der Vitae dticum Graecorum noch besondere Biographieen von
Königen geschrieben hat; aber ungewiss bleibt, ob er darin nur Kö-
nige griechischer Staaten und Nachfolger des Alexander, oder auch
fremde Könige geschildert hat. Noch weniger lässt sich erkounen,
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 459
in welchem VerhäKniss die Biographieen dieser Könige zu den Biogra-
phieen der griechischen Feldherrn gestanden nahen , indem der in der
Praefat § 8. erwähnte liber excellentium imperatorum , mit welchem
vielleicht das im Epam. Cap. 4. erwähnte vohimen excell. virorum
gleichbedeutend ist , ehenfalls nur auf eine Unterscheidung der Feld-
herrn von den Königen hinführt. Ob endlich das Lehen des Datames
aus der Reihenfolge, in welcher es jetzt steht, herauszureissen sei,
dazu nöthigt der Titel liber excellentium imperatorum eben so wenig, als
der Umstand, dass der Verf. in dem vor de regibus vorausgehenden
Buche nur griechische Feldherrn geschildert haben will : denn es
könnten an der letztern Stelle die Duces Graeciae genlis nur als das
Genus potius erwähnt sein. Eher darf man vielleicht aus dem An-
fange des D.itames schliessen, dass diese Biographie erst nach den Bio-
graphieen des Hamilcar und Hannihal gefolgt sei, wenn nicht etwa
der Schluss des Hannihal diese Hypothese verbietet. Welchen Anthcil
endlich Probus an dem Buche habe, sobald dasselbe nämlich wirklich
ein Werk des Nepos ist, das geht wiederum aus den Stellen Lys. 2, 1.,
Epam. 4., Thimoth. 4, 2. etc. nicht hervor: sie beweisen nur, dass
Probus nicht ein solcher Epitomator war, der mit Absicht und Be-
wusstsein und selbst mit theilweiser Abänderung der Satz- und Dar-
stellungsform die ausführlichen Biographieen in eine compendiarischere
Gestalt gebracht hat; aber sie verbieten keineswegs, dass derselbe
längere Stellen , die sich als Episoden und Parerga ansehen und ohne
wesentliche Veränderung der übrigen Darstellungsform wegschneiden
Hessen, ausgelassen habe." Was lie?se sich denn z. B. Erhebliches
einwenden , wenn jemand voraussetzte, ftepos habe nach der Sitte fast
aller alten Historiker seinen Biographieen auch Reden eingeweht ge-
habt, und Probus diese weggeschnitten ? oder wenn man vermuthen
wollte, in dem Anfange der Vita Miltiadis hätten auch Mittheilungen
über den altern Miltiadcs gestanden, und Probus habe durch deren
Beseitigung eben die groben historischen Irrthümer hervorgebracht,
die sich dort finden? Ref. will sich aber solchen Vermuthungen hier
keineswegs hingeben , sondern begnügt sich, auf die Unzulänglichkeit
der Beweise Walicki's aufmerksam zu machen , und dann noch zu er-
wähnen, dass derselbe in dem vierten Abschnitte S. 40 — 51 über den
Zweck, welchen der Verf. dieser Vitae gehabt, und über dessen Stil
verhandelt, und endlich als fünften Abschnitt S. 51 — 55 eine Unter-
suchung über die verlorenen Werke des IVepba und die ihm fälschlich
zugeschriebenen Bücher folgen lässt. Beide Abschnitte sind indess
6chr mager, und Ref. kann in ihnen Nichts heachtenswerthes finden,
ausser etwa die N'achwc'sung, dnss Nepos in seiner Darstellungsforra
sich sehr der Kürze befleis<igt habe, und dass das Urtheil des Erasmus
über des Nepos Schriftstelhrwcrth nicht für ■wahr anerkannt werden
dürfe. Eine weit ausführlichere und gründlichere, und wenn auch
geblecht stiiisirtc, doch mit vieler Einsicht und gutem Urtheil abge-
fasste Untersuchung über alle diese Punkte lieferte die schau 1833
verfasste, aber später nochmals überarbeitete und erweiterte Schrift:
460 Schul- und Universitätsnachrichten,
De auclnrc v''"-mn, quae sub nomine Corn. Ncpotis fenintur , quaesttmes
criticae. Scripsit G. E. Licbcrkühnius - Pohlmannianus. Commeniatio
iudicio nrdinis Philosoph. Jcnens. primo praemio ornatu. [Leipzig,
Wattig. 1837. X u. 159 S. 8.], welche zugleich den Voi'theil bietet,
dass in ihr alle früheren Untersuchungen mit Sorgfalt und Einsicht be-
nutzt worden sind. Ihr Verf. beginnt seine in drei Bücher gctheilte
Erörterung ebenfalls S. 1 — 34 mit einer Untersuchung über das Leben
und die Schriften des Nepos, die durch mehrere neugewonnene Resul-
tate sich empfiehlt, leider aber von dem Fehler zu willkürlicher
Folgerung aus den Angaben der Alten ebenfalls nicht frei geblieben ist.
In der Bestimmung der Lebenszeit des IVepos schliesst sich Liebcrknhn
an Ranke an , sucht aber aus Plin. bist. nat. III. 18. und Epist. III. 6.
u. IV. 28. als Geburtsort desselben die Stadt Mailand dadurch festzu-
stellen , dass er in den zwei letztern Stellen mit den meisten Hand-
schriften T. Catii (statt T. Cassii) liest, und diesen vermeintlichen Mu-
nieeps des Nepos für den in Ciceros Epist. ad famil. XV. 16 u. 19. er-
wähnten Insuber und Epicuräischen Philosophen hält. Indess hat
schon Freudenberg in der Zeitschr. f. die Aiterthumsw. S. 1114 dage-
gen die nicht unerhebliche Einwendung gemacht, dass in drei Frag-
menten aus des Nepos Chronicis bei Tertullian. Apol. c. 10. Lactant. I.
3. und Minucius Felix vielmehr Casshts Severus mit dem Nepos in Ver-
bindung gebracht ist, und dass dieser römische Redner nach Quintilian
X. 1. 116. auch wirklich den Vornamen Titus führte. In der Unter-
suchung über die verlorenen Schriften des Nepos hat der Verf. das
Verdienst, dass er noch fleissiger, als seine Vorgänger, die Nachrich-
ten der Alten und die vorhandenen Fragmente benutzt hat, um Inhalt,
Abfassungszeit und Reihenfolge derselben zu bestimmen. Ohne den
Specialinhalt dieser Untersuchung auszuheben , will Ref. hier nur er-
wähnen, dass die von Ranke für Ein Werk erklärten Chronica und
Exempla hier wieder in zwei Werke geschieden sind, und dass in den
Chronicis ein reines Geschichtsbuch, in den Excmplis eine Sammlung
von Geschichten (Anecdoten) und Aussprüchen berühmter Männer zur
Nachahmung und zur Belehrung gesucht wird. Den Hauptbeweis für
die Trennung beider Werke, nämlich die von Catull (Carm. I. 1.) den
Chronicis zugeschriebenen tres chartac , wodurch wahrscheinlich ihre
Eintheiiung in drei Bücher bezeichnet ist , während die Exempla we-
nigstens fünf Bücher bildeten, hat Lieberkühn nicht genug benutzt,
sondern erkennt, wahrscheinlich durch die Hypothese des Vossius ver-
leitet, in den tribus chartis eine Vertheilung des historischen Stoffes
unter drei geschichtliche Perioden. Ref. lässt es dahin gestellt , ob
diese Vermuthung aus Solin. Polyhist. cap. 1. begründet werden kann,
und meint, dass Gcllius XVII. 21. ein Gegenzeugniss liefere. In den
Worten des Sueton de illtistr. gramm. 4. 1. : Cornelius Nepos in libello,
quo distinguit literatum ab erudito , wird die Angabe einer besonderu
Schrift des Nepos angenommen; dagegen von den Briefen an Cicero
vermuthet, dass sie keine besondere Sammlung für sich gebildet ha-
ben, sondern ein verlorener Theil der Ciccrouischcn Bricfsammlung
Beförderungen und Eh'renbezeigungon. 461
gewesen sind. Macrobius, der Saturn. IF. 1. das zweite Buch dieser
Briefe anführt, scheint zu widersprechen. Ueber das Werk de viris
illustribus sind nicht nur die Hypothesen von Titze, Walicki u. A. tref-
fend widerlegt, sondern es ist auch aus dem Fragment des Codex
Guelferb. bei Bardiii T. IF. p. 405. scharfsinnig gefolgert, dass es erst
um das Jahr 45 v. Chr. geschrieben sein könne. Auch ist gegen die
Beliauptung, dass dasselbe nur von berühmten Römern gehandelt ha-
ben möge, weil nirgends Etwas über einen Griechen daraus eitirt
werde, der Wahrscheinlichkeitsgrund geltend gemacht, dass die
Schriftsteller der folgenden Zeit als Zeugnisse über berühmte Griechen
natürlich weit lieber griecliische als römische Quellen citiren , und
also eine naheliegende Veranlassung Fiatten, das Werk des Nepos nur
für römische Personen und Ereignisse als Quelle zu benutzen. Es
kann hierin zugleich der Grund gefunden werden, warum auch aus
den Vitis excell. imperatorum entweder gar keine oder nur unsichere
Citato vorkommen. Den Haupttheil der Licberkühnschen Untersu-
chung Lüden das zweite und dritte Buch, welclie eben die Untersu-
chung über die noch vorhandenen Vitae enthalten, und deren ersteres
(S. 35 — 67.) sich mit der Widerlegung der gegen ihre Aechtheit und
Unverletztheit vorgebrachten Gründe beschäftigt, das letztere aber
durch positive Beweise festzustellen sucht, dass dieselben in unver-
kürzter und unverdorbener Gestalt von Nepos lierrühren und einen
Theil des Werks de viris illustribus ausgemacht haben. Wie gut diese
Erörterung dein Verf. gelungen sei, lässt sich schon daraus abnehmen,
dass J. v. Gruber in den Jahrbb. f. wiss. Kritik 1837, I. Nr. 22. und
Fröndenberg in der Zeitschr. f. die Alterthumsvv. 1839 Nr. 138 ff. (vgl.
Münchner gelehrte Anzeigg. 1837 Kr. 101 — 103. und Heidelb. Jahrbb.
1837, 6. S. 52b* ff.) dadurch den ganzen Streit für abgemacht und die
Aechtheit der "vitae für unumstösslich bewiesen erklärt haben. Indes»
lassen sich doch noch sowohl gegen die Erörterungsweise, als gegen
das gewonnene Resultat erhebliche Bedenken vorbringen. Zunächst
ist schon die Anordnung des Ganzen zu tadeln. Um nämlich des schon
von Andern gerügten Uebelstandcs, dass die Widerlegung der Gegen-
gründe und die positive Beweisführung in zwei Bücher zcrtheilt und
dadurch eine unnöthige und der Beweiskräftigkeit nnchthciligc Breite
herbeigeführt ist, nicht weiter zu gedenken, so ist namentlich die An-
ordnung des dritten Buches anstössig , weil der Verf. darin zuerst die
äusseren Zeugnisse gegen die Abstammung der Vitae von Nepos mit
einer gewissen Gewaltthätigkeit beseitigt, dann für ihren Ursprung aus
der Zeit vor Augusts Alleinherrschaft geltend macht, dass der Schrift-
steller wiederholt seinen Ilass gegen Alleinherrschaft und 6cine Liebe
für republikanische Freiheit (IMilt. 3. 6., 8. 3., Dion. !). 5. etc.) ver-
i'ith und auf römisclie Zustände in jener Zeit anspielt (Milt. 6. 2.,
Ages. 4. 2 , Finnen. 8. 2 f., Epam. 10. 3. etc.); hierauf die Andeutun-
gen des Gehörens dieser Vitae zu einem grösseren Werke (Pracfat.
extr. , Hännjb. 13. extr., Dion. 3. 2., De regg. init.) bespricht , und
endlich über Flau und Zweck des Buches, über dessen Schreibart und
462 Schul- und Universitätanach richten,
über die historische Glaubwürdigkeit verhandelt. Da aber die äus-
sern Zeugnisse, wenigstens bei den ersten 23 Biographieen selir ent-
schieden gegen Kepos sprechen, so durfte die Reihenfolge der Be-
weise kaum eine andere sein, als dass zuerst aus der Sprache und aus
den geschichtlichen und anderen Anspielungen der wahrscheinliche Ur-
sprung der Vitae aus der voraugustäischen Zeit erwiesen , dann aus
denselben Anspielungen auf den Verf. und auf den Zusammenhang der
Biographieen mit einem grösseren Werke geschlossen, hierauf über den
Zweck und den historischen Werth derselben verhandelt, und endlich
darnach gefragt wurde, warum wohl der Name des Nepos in den
Handschriften so durchaus verwischt worden sei. Es wäre hierbei
selbst gut gewesen, vorläufig auch die von Held bezweifelte Acchtheit
der Vitae Catonis et Attici als unerwiesen anzusehen, und daher ist
es auch nicht ganz zu billigen , dass in der Erörterung über den
Sprachgebrauch diese beiden Biographieen gewissermaassen zu der
Basis gemacht sind , auf welche der Beweis für die Spfachrichtigkeifc
und Sprachreinheit gebaut ist. Koch grössere Bedenken , als die An-
ordnung, erregt die Beweisführung selbst, durch welche allerdings
die meisten Erörterungspunkte gründlicher und allseitiger als bisher
besprochen worden sind , allein fast keiner zu der Entscheidung ge-
bracht ist, dass man den Beweis für vollgültig ansehen könnte. In
dem zweiten Buche bestreitet der Verf. zuerst die Ansicht von Magius
und Rinck, dass nicht Nepos aus der Zeit des Julius Cäsar, sondern
Aem. Probus aus der Zeit des Theodosius der Verfasser der Biogra-
phieen sei, verwirft dann Barths u. A. Ansicht, die in den vorhande-
nen Vitis eine von Probus gemachte Epitome erkennen, und wider-
legt endlich die Behauptungen Hehls und derjenigen, welche Probus
als Verfasser der Vitae ansehen, aber ihn nicht in das Zeitalter des
Theodosius rücken, sondern aus unbestimmter Zeit sein lassen. Hier
ist nun allerdings im ersten und dritten Punkte die Unhaltbarkeit der
von ilinck, Held und ihren Anhängern vorgetragenen Gründe recht
gut nachgewiesen; allein die Gegenbeweise, welche das von Magius
aufgefundene Epigramm bei richtiger Deutung selbst an die Hand giebt,
sind unbemerkt gehlieben , weshalb auch der darin erwähnte Probus
mit dem Aemilius Probus noch für identisch gilt ; und das Zeugniss
der Handschriften für Aemilius Probus, auf welches Rinck allerdings
zu viel Gewicht legt, ist hier doch gar zu gleichgültig bei Seite ge-
worfen. Durch diesen letztern Umstand aber wird der Abhandlung
gleich von vorne herein ihre ganze Haltung genommen , und es fehlt,
selbst wenn man die Abstammung der Vitae aus dem goldenen Zeitalter
zugesteht, im ganzen Buche an einem gnügenden Beweise dafür, war-
um nicht der Aemilius Probus der Handschriften, sondern Cornelius
Nepos der Verfasser sein soll. Denn wenn sich auch aus dem Beweise,
dass der Verf. der Vitae Catonis et Attici mit dem Verfasser der übrigen
Vitae Eine Person sein muss, Einiges für Nepos gewinnen lässt , so
darf doch dieser Beweis gegenwärtig schon darum nicht für vollgültig
angesehen werden , weil ja die Acchtheit jener Vitae ebenfalls ange-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 463
fochten ist, und weil hei ihnen die Angaben der Handschrifte n eben so
gut falsch sein können, wie sie bei den ersten 23 Vitis für falsch an-
genommen werden. Ganz verfehlt aber ist die Widerlegung Barths,
weil Hr. Lieber kühn dabei von der einseitigen Annahme ausgeht, jede
Epitome"müsse nothwendig so beschaffen sein , wie etwa die des Justi-
nus aus Trogus Pompejus ist, und weil er dadurch die Möglichkeit,
dass Prol)us die Vitae des Nepos abgekürzt halten könne , abgewiesen
zu haben meint. Unter den positiven Beweisen des dritten Bucbes,
womit die Aechtheit der Biographieen bewiesen wird , ist offenbar die
Erörterung des darin vorkommenden Sprachgeliraucbs am besten be-
gründet und ausgefübrt. Nicht genug, dass die Gleichheit der Schreib-
art in den Vitis excellent. imperatorum mit der in den Vitis Catonis et
Attici dargethan und diese Schreibweise überhaupt, so wie der zwar
kunstlose, aber nicht ungefällige Satz- und Periodenbau als mit der
Zeit zwischen Cicero und August recht wohl verträglich im Allgemei-
nen nachgewiesen ist; auch im Einzelnen i»t die Vereinbarkeit dieser
Sprache mit der angegebenen Zeit besonders durch Besprechung von
einzelnen Formeln , Wörtern und Wortformen recht sorgfältig und in
weit reicherem Diaasse, als von den vorausgegangenen Forschern be-
gründet, mancher scheinbare Mangel, z. B. die Wiederholung dessel-
ben Wortes in kurzem Zwischenraum , durch Analogiecn anderer
Schriftsteller entschuldigt , Anderes, was nicht zu vertheidigen schien,
z. B. einzelne von den alten Grammatikern getadelte Ausdrücke, we-
nigstens durch die Annahme von gallischen Provinzialismen besei-
tigt worden. Jedenfalls sind alle die Einwendungen , welche gegen
die Sprache vorgebracht sind , vollständig beseitigt und auch die von
Lambin, Dähne u. A. vorgetragenen positiven Beweise sehr erweitert
und tiefer begründet. Käme es nun bei dieser Erörterung nur auf die
Nach Weisung an, dass die Vitae nicht aus der Zeit des Theodosius
stammen , so hat Hr. Lieberkühn durch seine schöne Untersuchung
diese nicht nur vollständig gegeben , sondern selbst des Guten zu viel
gethan , weil für diesen Beweis schon von Lambin und Dähne genug
geschehen war. Allein da auch die Vermuthung aufgestellt worden
ist, dass Probus ein Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts nach
Christus gewesen sein könne; so will die aus einzelnen Wörtern und
Formeln hergenommene Beweisführung nicht gniigen. Obgleich es
nämlich schon au sich nicht glaublich ist, dass ein Schriftsteller der
Kaiserzeit auf den Einfall kommen konnte, in einem Geschichtswerke
die Sprache der voraugustäischen Zeit nachzubilden, um dasselbe dem
fast ganz vergessenen Com. Nepos unterzuschieben ; so darf man doch,
wenn man diesen barocken Einfall zugesteht, nicht behaupten, dass es
unmöglich gewesen 6ei, die voraugustäischc Sprache wenigstens so
weit nachzubilden , als diese Nachbildung auf der Wahl bestimmter
und jenem Zeitalter eigcnthümlicher Redensarten , Coastructioncn.
Wörter und Wortformen beruht. Grade auf diese Punkte nämlich war
die Aufmerksamkeit der Grammatiker gerichtet, und der Schriftsteller
der Kaigerzeit konnte daher eben so in der Manier des Nepos schrei
464 Schul- und Universitütsnach richten,
hen , wie noch in unserer Zeit manche Schriftsteller in Ciceronischer
Manier schreiben. Dr.gegen aber hat die Sprache der Schriftsteller
der Kaiserzeit eine Anzahl stilistischer Eigentümlichkeiten, welche
zum Theil zwar auch in einzelnen Wörtern und Formeln sich offen-
baren, aber weit mehr im ganzen Satzbau, in der Wortstellung, dem
Gebrauch der Partikeln und Pronomina, dem emphatischen Gebrauche
vieler Wörter, xler Hinneigung zu abstracten Begriffen u. s. w. her-
vortreten. Sie sind , obwohl sie bei den einzelnen Schriftstellern in
verschiedenem Grade hervortreten , doch ein so allgemeines und unver-
kennbares Eigenthum derselben, dass sie eben so das charakteristische
Merkmal dieses Zeitalters, wie den Gegensatz zur ciceronischen Zeit
bilden. So hat z. B. , um nur Einiges der Art anzuführen, die cicero-
nischc Wortstellung bei aller Glätte und Künstlichkeit der Perioden
doch noch das vorherrschende Gepräge, dass sie noch ziemlich ent-
schieden an die rein grammatische Wortstellung sich anlehnt, und der
rhetorischen Umstellung der Satztheilc nur in einer verhältnissmässig
kleinen Anzahl von Fällen Raum giebt. Aber von Livius a'n beginnt
das Streben, dass man theils die einzelnen Satztheile mehr und mehr
in Einen zusammenzieht und sie sowohl , wie die Zwischensätze , mehr
in einander schiebt, theils durch das immer- entschiedenere Hervorhe-
ben der Opposita namentlich in den Zwischensätzen und am Schluss der
Periode eine andere Wortstellung hervorbringt, als sie bei Cicero ist.
In den Vitis excell. imperatorum aber findet sich eine Wortstellung,
die noch weit mehr als bei Cicero der grammatischen Wortfolge nach-
geht, und die durch Rhetorik zu bewirkende Verschlingung der Satz-
theile und Sätze noch wenig kennt: was allerdings einen Schriftsteller
der Zeit verrathen kann , wo der Stil der Prosa sich erst auszubilden
anfing, und wo noch nicht gleich jeder die von Cicero errungene Ge-
wandtheit nachzumachen verstand. Ein anderes Merkmal der begin-
nenden Prosa ist die Häufung der Partikeln, wodurch man überall
sorgfältig eben so das Zusammengehören (das Copulative) oder das Ent-
gegengesetztsein der einzelnen Sätze und Satzglieder, wie das Aufein-
ander- oder Auseinanderfolgen derselben durch Partikeln bezeichnet.
Aber schon von Sallust an beginnt die Erscheinung, dass dieErklärungs-
und Folgerungspartikeln sich mindern, die Asyndeta sich mehren, die
Adversativpartikeln namentlich bei den Satztheilen verschwinden oder
eine gesteigerte und emphatische Geltung annehmen. Daher das Her-
vorstellen der Opposita ohne Adversativpartikel, der Gebrauch des at
für sed, sed für que oder andere Copulae , des mox für tum oder postea
und vieles Andere. Wenn aber bei einzelnen Schriftstellern , beson-
ders aus der spätem Kaiserzeit, das Häufen der Partikeln wieder ein-
tritt, so unterscheiden sie sich doch auch hier durch grössere Einpha-
sig-and Prägnanz, und ausserdem verschwindet mehr und mehr der
feine und weitausgedehnte Gebrauch der Imperfecta und Plusquamper-
feeta, welchen die beginnende Prosa in allen Hauptsätzen hat, die lo-
gisch eine untergeordnete Stellung einnehmen, d. h. Erläuterungssätze,
Folgerungssätze, Einschränkungssätze u. s. w. sind. Dazu kommt als
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 465
drittes und weitausgedehntes Merkmal die immer steigende Emphasis
im Ausdruck, vermöge welcher eine Anzahl Wörter und Formeln,
welche zu schwach oder zu alltäglich scheinen, mit stärkeren und ge-
wählteren verlauscht werden oder neue Bedeutungen annehmen, Ver-
tauschungen der Casus, des Numerus und der Modi sich häufen, die
Metonymien, Synekdochen und Metaphern sich mehren, eine Masse
von Adjectivis Neutris zu Substantiven erhoben werden, die Vertau-
schung verwandter Constructionen überhand nimmt, die erläuternden
Relativ- und andere Nebensätze in blosse Nomina und Prädicatbegriffe
zusammengedrängt werden, die Verbindung abstracter und concreter
Begriffe häufig wird , überhaupt überall das Effectvolle vor dem Ein-
fachen und Natürlichen den Vorzug erhält. Für Historiker bleibt aus-
serdem noch der von Sallust an sich entwickelnde besondere Charakter
des historischen Styls zu beachten, welcher zwar nur bei Sallust und
Tacitus in scharfer Abgränzung hervortritt, aber doch auch bei den
übrigen Geschichtschreibern manches Besondere annimmt. Der Verf.
der Vitae excellentium imperatorum hat von diesem historischen Style
entweder noch gar keine, oder nur die geringe Ahnung, dass er in
einzelnen Fällen bei Folgesätzen ut mit dem Conjunctiv perfecti ver-
bindet, um das wirkliche Eintreten des Factums hervorzuheben , und
dass er hin und wieder zu Anfange der Sätze 1s statt des mehr verbinden-
den und logisch folgernden Qui setzt; obschon das Letztere mehr aus
einer gewissen sprachlichen Unbehülilichkeit als aus Absicht geschehen
zu sein scheint. Dagegen weiss er wenig oder nichts vom Gebrauch
desPräsentis oder Inlinitivi historici, von dem Hervorheben der räum-
lichen und zeitlichen Aufeinanderfolge der Begebenheiten und dem
Zurückdrängen des Causalnexus, von dem häufigen Anwenden der auf-
zählenden Partikeln tum , postea, posthac, mox etc., von der Vertau-
schung des dem Causalnexus eigentümlichen quum mit den Partikeln
postquam , tibi etc., von der Richtung, die Causalsätze nicht zu Vor-
dersätzen zu machen , sondern einzuschieben oder hinterdrein zu stel-
len, von der Beschränkung des Gebrauchs der Ablativi consequentiae
oder ihrer Stellung an das Ende der Sätze, von der Verbindung des
postqvam mit dem Imperfect und Präsens, oder des relativen qui mit
Haupttcmpuribus, von dem Gebrauch des Singulars statt des Plurals
bei Degriffen, wie miles, pedes , eques, hostis , llomanus, Poenw,
viortulis, oder von Verbindungen wie vestetn et arma, saeviliam cen-
turionum et vacalio n c s muncrum , duram hiemem et exercitas aestales,
iiequc moribus neque lege aut imperio, etc. und von einer Menge ähn-
licher Dinge, die aus dem Grundbegriffe der historischen Darstellung
hervorgehen. Ja seine Schreibart lehnt sich vielmehr gerade in diesen
Einzelheiten ganz augenscheinlich an die Oarstellungsform des Cicero
an, obgleich dieser als Philosoph und Redner eine ganz andere Styl-
richtung hatte, und darum dem Historiker nicht so unbedingt hätte
zum Muster dienen sollen. Hr. Liebcrkühn hat die hier angedeuteten
Eigcnthümlichkeiten und Gegensätze des Sprachgebrauchs der röm.
Schriftsteller in der Kaiserzeit wenig oder gar nicht beachtet, und da-
N. Jahrb. f. Phil. u. Paed. od. Kril. Bibl. Bd. XXVIII. Hft. 4. 30
466 Schul- und Universitäre nacln ich ten,
durch des erfolgreichsten Mittels sich berauht, um die Jrilac exccll. im"
peratorum nach ihren sprachlichen Merkmalen einer bestimmten Zeit
zuweisen zu können. Es liegt nämlich am Tage, dass Sprachmerk-
male solcher Art weit mehr mit der ganzen Denk- und Sprechweise
des Zeitalters verwachsen sind , als die Wahl einzelner Redensarten,
Wörter und Formen , und dass sie daher auch weit mehr das entschie-
den« und unveräusserliche Gepräge der Zeit bilden, von dem die
Schriftsteller sich eben so wenig ganz losmachen wie in die Denk - und
Sprechweise einer andern Zeit hinübertreten können. Ja bei den Hö-
rnern war eine solche Entäusserung oder Nachbildung um so weniger
möglich, da eben diese Sprachcrscheinungen , obschon sie zum gros-
sen Theile aus der rhetorischen Richtung der Zeit, aus der Nachah-
mung der Griechen und andern zufälligen Ursachen hervorgegangen
sind, doch für die Grammatiker und Rhetoren kein Gegenstand der
Beachtung geworden sind, woraus eben hervorgeht, dass sie sich in
der Schriftstellerwelt mehr unwillkürlich und unbewusst entwickelt
hatten, und daher eben so wenig mit Bewusstsein abgelegt .ils ange-
nommen werden konnten. Vielmehr klebten sie jedem Schriftsteller
eines solchen Zeitalters unwillkürlich an, und waren eine Individua-
lität der Zeit. Demnach hätte sich wahrscheinlich auch nur auf die-
sem Wege darthun lassen, ob die \ itae exccll. imperatorum nur ein
Erzcugniss der Zeit vor dem Kaiserthum sein können , oder ob sie auch
Spuren späterer Zeit an sich tragen. Das zweite schlagende Beweis-
mittel für diesen ebengenannten Punkt liegt in den Anspielungen auf
die republikanische Freiheit und auf äussere Verbältnisse und Einrich-
tungen der römischen Republik. Auch hier hat Lieberkühn das Vor-
kommen solcher Anspielungen recht gut nachgewiesen, aber wiederum
die Erörterung nicht bis zu der Frage fortgeführt, oh csnicht auch möglich
ist, dass diese vorkommenden Anspielungen auch auf eine andere Zeit
eich deuten lassen , oder ob sie Überhaupt ein Schriftsteller der Kaiser*
zeit in solcher Weise empfinden und äussern konnte. Wären übrigens
diese beiden, von dein Sprachgebrauche und den historischen Anspie-
lungen hergenommenen Argumente bis zur Evidenz bewiesen worden,
so würden die übrigen vorgebrachten Beweisgründe von selbst sich er-
ledigen , da sie an sich keine Beweiskraft haben. Der von der histo-
rischen Glaubwürdigkeit hergenommene Grund hat gar keine Kraft,
zumal da Lieberkühn sich hier nur an das von Hisely gewonnene Re-
sultat anlehnt und die historische Treue des Schriftstellers durch die
Annahme der Benutzung von Quellen, die für uns verloren sein sollen,
viel zu hoch hinaufstellt. Wenn aber in Bezug auf den Zweck des
Werkes nach Mosche's und Dähne's Vorgange bemerkt ist: I idelur no-
bis libellus eum in finem compositus esse , ut Romani , rerum historicarum
rudiores , de summorum virorum personis ac vita paucis docerentur , ila
quidem , ut quae ad lectorum higenium alque doctrinam apta easent, bene
eligerentur , maximeque ea omuia traderentur sedidius, quae ad eivilem
pracstanliam omnesque atriales , quahs tum civem Optimum quemque dece-
bunty commendandas faecrent ; so kann und scheint das zwar wahr tu
Be fördern n gen und Ehrenbezeigungen. 467
sein , folgt aber nicht nothwendig aus der versuchten Beweisführung.
Ja es lässt sich sogar, wenn man erst die Abstammung dieser Vitae
von Com. Nepos für ausgemacht ansieht, aus dessen Verbindung mit
Cicero, aus seiner Hinneigung zum Republicanismus und aus dem
schon mehrfach erwähnten Fragment der Wolfenbüttler Handschrift die
weitere Folgerung ableiten, dass Nepos durch diese Vitae nicht nur
die republikanischen Gesinnungen und Bürgertugenden der Römer habe
beleben und kräftigen, sondern auch für die Ausbildung der Historio-
graphie bei den Römern etwas Aehnliches leisten wollen, als was Ci-
cero für die Beredtsamkeit und Philosophie geleistet hatte. Die Aus-
bildung der römischen Sprache und Wissenschaft nach griechischen
Mustern ist ja in der Zeit von Cicero bis zum Tode des August die ent-
schiedene Richtung aller römischen Schriftsteller, und lässt sich also
auch hier annehmen. Die vollständige Bestimmung der patriotischen
und republikanischen Gesinnungen aber, welche den Nepos bei Ab-
fassung des Werkes geleitet haben sollen, verlangt freilich erst noch
die bessere Beantwortung der von Lieberkühn bejaheten aber nicht er-
wiesenen Vorfrage , ob wir diese Vitae in unverkürzter Gestalt haben,
oder ob nicht gerade von diesen subjeetiven Aeusserungen der Gesin-
nung und Neigung Vieles herausgestrichen ist. Uebrigens hat Schlos-
ser, wenn Ref. nicht irrt, noch darauf hingewiesen, dass das Ge-
schichtswerk des Nepos in einem gewissen Gegensatz zu dem des Sal-
lust gestanden, und dass ersterer die Grösse und Vorzüglichkeit der
republikanischen Bürgertugenden, letzterer deren Entartung habe
schildern wollen, — eine Behauptung, welche man gelten lassen
kann, sobald man nur nicht an einen von beiden Schriftstellern beab-
sichtigten Gegensatz denkt , da Nepos schwerlich die Geschichtswerke
des Sallust gekannt hat, weil er sonst mehr für den historischen Styl
daraus hätte lernen müssen. Dass die Vitae excell. imperatorum ein
Stück aus dem Werke de viris illustribus sind, hat Lieberkühn mit
neuen, aber unzureichenden Gründen [s. Nissen in d. Zeitschr. für die
Altcrthumsw. 1639 Nr. 156. S. 1254 f.] zu rechtfertigen gesucht, und so
aufs Neue den Beweis geliefert, dass es dafür keine weiteren Gründe
giebt, als die Voraussetzung, Nepos habe ausser den Chronicis, Exem-
plis und Liltris de viris illustribus kein anderes Geschichtswerk ge-
schrieben. Eben so bleibt reine Vermuthung, was über die Verthei-
lung des Stoffes in den Büchern de viris illustribus und über das Ver-
hältniss der vorhandenen Vitae zu jenen vorgetragen ist. Mit glück-
lichem Erfolg aber sind die Umstellungsversuchc, welche Titzc und
Walicki mit diesen Vitis vornahmen, abgewiesen, und Licberkühu
glaubt aus ihrer in der gegenwärtigen Anordnung sich offenbarenden
chronologischen Reihenfolge schlicssen zu dürfen , dass dieselben auch
im Hauptwerke in gleicher Ordnung (nur etwa mit Ausnahme der Vita
des Datames) gestanden hätten. Diese Vermuthung hat Aissen in der
Zeitschr. f. Alterthumsw. a. a. O. S. 1256 in folgender Weise noch
weiter ausgeführt: „Wir sind der Meinung, dass die Chronologie für
einen jeden historischen Schriftsteller ein natürliches Anordnungsprin-
30*
468 Schul- und Uni ver sit ä t snachrichton ,
cip ist, und für den Verf. dieser Vitac um so mehr, da sie Ein Ganzes
bilden sollten, weshalb sie auch in Ein Buch vereinigt wurden (ganz
anders verhält es sieb z. B. mit den Vitis des Plutarch) und, was damit
zusammenhängt, weil sie so kurz sind und dadurch ein besseres Liebt
erhalten mussten , dass diejenigen Feldherren , die zu Einer Zeit ge-
lebt und deren Lebensverhältnisse in einander greifen , neben einander
gestellt Wurden , indem sich dadurch eine zusammenhängend fortlau-
fende Kette von Begebenheiten und gleicbsam eine Geschiebte ergab.
Indes» findet die hergebrachte Reibenfolge niebt blos ibre Vertheidi-
gung in rationellen Gründen, sondern auch tbeilweise wenigstens, waa
Lieberkübn unbemerkt gelassen, in Beziehungen, die in den Vitis
gelbst bier und da von dem Verfasser ausgesprochen werden , und dio
wir daher kurz zusammenstellen wollen. Dass Miltiades, Themisto-
kles und Aristidcs in dieser Ordnung auf einander folgten, würde Jeder
ohne Weiteres zugeben, ist aber aueb angedeutet durch die Worte:
quo damnatus erat Milliades, Tliem. 8 , und durch Aristid. 1.: lest isla
illa, womit auf Them. 8. init. hingewiesen wird , und Arist. 3. flu. :
post annum quartum, quam Themistocles erat expulsus. Dass fphicrates,
Chabrias , Timotbeus auf einander folgten, zeigt Tim. 4.: Haec ex-
trema fuit aetas imperatorum Alhenien^ium , Iphicratis, Chabriae,
Timothei. Chabrias Leben stand aber auch vor dem des Epa-
rainondas, cf. Epam. 4.: Chabriam , de quo supra mentionem feeimus ;
und Epaminondas vor dem Pelopidas, cf. Pelop. 4.: sicut supra do-
cuimus, Epaminondas dorni quietus fuit: folglich war es falsch, wenn
Titze den Pelopidas vor jenen stellen wollte. Lysander ferner hat mit
Recht einen früheren Platz als Agesilaus , cf. Ages. 1.: Lysaudro suf-
fragante , homine , ut supra doeuimus , factioso ; die Vita Regum
einen früheren als die des Hainilcar und Hannibal, cf. de Regg. 3.:
non praeterire Hamilcarem et Hannibalem. Endlich dass Hannibal der
letzte von allen war, zeigt das Ende desselben: sed nos tempits est hu~
jus libri faecre finem, weshalb nicht, wie Titze will, Datames
der letzte sein kann. Nichts aber steht der Abnahme im Wege, dass
Datames noch dem Abschnitte de Regibus wirklich ursprünglich voran-
gegangen ist, und nicht etwa, wie Titze meint, nebst Hainilcar und
Hannibal nachgefolgt sei, da in de Regibus selbst auch die persischen
Könige, also Barbaren, mit den griechischen vereinigt werden , cf. de
regg. 1. init., und also hatte Lieberkübn nicht den mindesten Grund,
Anstoss zu nehmen an den ersten Worten im Datames: Venia nunc ad
fortissimum virum, maximique consilii omnium barbarorum.^ Hält
man es übrigens in Folge der bisherigen Forschungen für wahrscheinlich,
dass Nepos wirklich nur die obengenannten drei Geschichtswerko ge-
schrieben hat und dass die vorhandenen Vitae wirklich ein Tbeil der
Rücher de viris illustrihus sind ; so lässt sich vielleicht auch aus diesen
Vitis selbst ein Schluss auf den Zustand jener Bücher machen, dessen
Resultat ohngefähr folgendes sein würde. Es ergiebt sich aus mehre-
ren Andeutungen in den Vitis klar und deutlich, dass der Verfasser der-
selben drei Classen von Biographieen berühmter Fcldherrn , nämlich
Beförderungen und E h v c n b e z c i g n n g e n. 469
Vitas imperatorum Graccorum, Barbarorum und Romanorum, ge-
schrieben bat, und jedenfalls sind diese Vitae in zwei verschiedene Bü-
cher vertheilt gewesen, da durch die Stelle in llnnnil). 13. extr. die
Vitae imperatorum Homanoriiin klar Und deutlich als besonderes Buch
von den übrigen abgetrennt werden. Hält man es aber mit dem Ref.
für wahrscheinlich, dass der Abschnitt de llegibus sich fast von selbst
als eine Vorrede herausstellt und jedenfalls keine Vita ist; so folgt
daraus, dass auch die Biographieen der noch übrigen Fcldherrn in
zwei verschiedene Bücher, nämlich Vitae imperatorum Graeconim und
Vitae imperatorum Barbarorum , getheilt gewesen sind, und in diesem
Falle wird wohl auch die Biographie des Datames nicht zu den Bio-
graphieen der Griechen, sondern zu denen der Rarbaren gehört haben.
Die vor der Vita Miltiadis vorausgehende I'raefatio steht dieser Kin-
tbcilung in drei Bücher nicht entgegen: denn wenn in derselben nur
zwischen griechischen und römischen Sitten geschieden und auf die ab-
weichende Lebensweise der Perser und Karthager nicht hingewiesen
wird, so erklärt sich das leicht aus dem Umstände, dass für den Rö-
mer um Ciceros Zeit wohl die Sitten der Griechen, keineswegs aber die
der Barbaren, am wenigsten die der Karthager, etwas Beachtenswer-
tes hatten. Bas Buch der Vitae imperatorum barbarorum muss laut
der ersten Worte im Abschnitt de Rcgibus hinter den Viiis imperatorum
Graccorum gestanden und das der römischen Feldherrn den letzten
Platz eingenommen haben. Hat aber das Buch von den Barbaren
Feldherrn, wie es allerdings wahrscheinlich ist , ausser der Vita Ha-
luilcaris et Hannibalis noch andere Biographieen enthalten; so muss
entweder der Satz in de Regg. 3. 5.: De quibus quoniam satis dictum
put am us i von incommodum videtur non practerire Ilumilcarem et llanni-
balem etc. , eine Verstümmelung erlitten haben , oder der gegenwärtige
Scblusssatz der Vita Hannibalis hat ursprünglich am Schlüsse einer an-
deren Vita gestanden und ist zu der Zeit, wo die gegenwärtige Anord-
nung des Buchs vorgenommen ward , in seine nunmehrige Stelle her-
übergetragen worden. Einen besondern , von den Biographieen ge-
trennten Abschnitt des grösseren Werkes halten die Lebensbeschreibungen
der Könige ausgemacht, von denen de Regg. 1. 1. deutlich gesagt ist:
Jloruni omuium res gestae separatim sunt relatac; und aus eben dieser
Angabe geht auch hervor, dass der vorhandene Abschnitt de Rcgibus
keine Fpitomc aus jenen langem Biographieen sein kann, weil der
EpUomntor den angeführten Satz gar nicht hätte schreiben können.
Einen dritten Abschnitt des ganzen Werkes hat man dann vielleicht in
dem Buch de historicis zu suchen, das Uion. 3. 2. erwähnt wird, und
da von diesem in dem mehrmals erwähnten Bruchstück der Wolfeu-
bütller Handschrift noch ein Stück der Vorrede übrig zu sein scheint,
auch dasselbe in zwei Ablheiliingcn oder Bücher, Ue historicis Grae-
oH und De historicis Latiuis , getheilt gewesen sein mag; so ist viel-
leicht die Vermuthung erlaubt, dass das ganze Werk de viris illustribua
in mehrere Hauptabschnitte, z. B. de cxccllentibus impcratoribiis , de
rcgibus, du historicis, zerfiel, und diese wieder in einzelne Bücher
470 Schal- und Uni ver situ, ts na chrichten,
eich zertheiltcn , wovon jedes vielleicht auch eine besondere Vorrede
hatte — eine Einrichtung, die in den Vorreden des Cicero zu den ein-
zelnen Büchern seiner philosophischen Schriften etwas Analoges hat.
Aus dein Abschnitt de historicis sind nach der Angabe der Handschrif-
ten die Vitae Catonis et Atlici; aber da Atticus sich nicht recht unter
die Historiker rechnen lassen will , so darf man vielleicht mit Zuzie-
hung der Notiz hei Sucton , de illustr. gramm. 4. 1. : Com. Nepos in
libello , quo distinguil lileralum ab erudito , noch einen vierten Abschnitt
über gelehrte Privaten annehmen; und aus der Fita Ciceronis , die Gel-
lius XV. 28. erwähnt, auch einen fünften von berühmten Staatsmännern
folgern. Sollte unter diesen verschiedenen Abteilungen die von den
berühmten Feldherrn den Anfang des Ganzen gebildet haben , wofür
allerdings der Anfang der Praefatio : A'on dubilo fore plerosque , qui
hocgenus scripturae leve et non satis dignum summ or um. vi-
rorum personis iudicent, eine Andeutung zu geben scheint; so
muss man wieder annehmen, dass diese Vorrede ursprünglich auch die
Vorrede zum ganzen Werk bildete, dass aber später für die gegenwär-
tige Gestaltung der Vitae alle diejenigen Stellen herausgestrichen wor-
den sind, welche allgemeine Bemerkungen über das ganze Werk ent-
hielten. Gewöhnlich pflegt man den hier mitgetheilten Vermuthungen
ein paar Stellen aus den Vitis excellentium imperatorum entgegenzu-
stellen. Zuerst nämlich will Lieberkühn aus den Worten am Ende der
Fraefatio: quae exorsus sum, beweisen, dass sich das Perfect exorsus sum
nur auf bereits vollendete Vitae beziehen könne, welche dieser Praefa-
tio vorausgegangen seien. Allein dieses Perfectuui kann recht gut
auch von dem gesagt sein, der eben erst zu schreiben angefangen hat,
zumal da der Römer in solchen Vorberichten, wie in einem Briefe, die
Tempusbestimraung mit Rücksicht auf den Leser zu machen pflegt.
Ebendaselbst übersetzt man die Worte in hoc libro excellentium impera-
torum gewöhnlich t in dem gegenwärtigen IVerke, oder in dem nachste-
henden Buche vom Leben berühmter Feldherrn, und schliesst daraus, dass
die Vitae excell. impp. entweder ein besonderes Werk oder doch nur
ein einziges Buch des ganzen Werkes gebildet haben. Allein abge-
sehen davon, dass der schon oben vorausgesetzte Epitomator bei excel-
lentium imperatorum das ursprünglich vielleicht dabei stehende Epithe-
ton Graecorum weglassen konnte, ja weglassen musste, weil er durch
Weglassung der Biographieen römischer und anderer Feldherrn die
Vertheilung des Stoffes in mehrere Bücher ohnehin aufgehoben und
den Gegensatz zwischen griechischen und römischen Feldherrn zerstört
hatte , so lassen sich diese Worte auch ganz sprachrichtig übersetzen :
In dem nachstehenden [Einzel-] Buche des ganzen JVerkes , oder des gan-
zen Abschnittes vom Leben berühmter Feldherren, und es sind dadurch alle
obigen Folgerungen zerstört. Dieselbe Unsicherheit ist in den Worten
uno hoc volumine in Epam. 4. 6., weil unum Volumen allerdings von
Einem Gcsammtwerke, aber eben so gut auch von einem einzelnen Bande,
einer einzelnen Rolle des aus mehreren Bänden bestehenden Gesanunt-
werkes verstanden werden kann , und weil sich daher auch nicht aus-
Bcför d er u ng en und Ehrenbezeigungen. 471
machen lässt, ob man im Folgenden vitam excellentium virorum complu-
rium oder vitam excellentium imperatorum complurium zu schreiben habe.
Tgl. Nissen a. a. 0. S. 1254 f. — Der miigetheilte Bericht über die
Licbcrkühnsche Schrift wird hoffentlich darthun, wie umfassend die
Frage über Ursprung und Verfasser der Vitae excellentium imperato-
rum darin verhandelt ist, und der Bericht selbst hat eben darum einen
en grossen Umfang gewonnen, weil wir in dieser Schrift bis jetzt die
gründlichste und am meisten fördernde Untersuchung über den Gegen-
standbesitzen. Allein hoffentlich offenbart sich auch aus den gemachten
Einwendungen, dass auch diese Untersuchung nicht bis zur vollständi-
gen Lösung und bis zur gnügenden Beseitigung aller Zweifel gebracht
worden ist, und dass man also noch weitere Erörterungen des Gegen-
standes wünschen muss. Und dies bleibt um so mehr zu wünschen,
da durch die neuste hierhergehörige Untersuchung: De Cornelii ISepotis
rita et scriptis commentaiio. Scripsit J. Thcod. Lülkenhus , phil. ür.
[Münster, Regensberg. 1838. IV u. 104 S. 8] die Sache im Wesentlichen
gar nicht gefördert ist. Der Verf. derselben scheint nämlich vorausge-
setzt zu haben , dass die ganze Streitfrage durch die bisherigen For-
schungen längst abgemacht sei , und hat jedenfalls in seiner Schrift
Nichts weiter als eine übersichtliche Zusammenstellung der gewonne-
nen Resultate liefern wollen. Er hat nämlich aus den vorhandenen
Schriften, namentlich aus denen von Dälme und Lieberkühn, Alles
da>jenige, zum Theil mit den eigenen. Worten der Verfasser, ausgeho-
ben, was auf das Leben und die Schriften des Nepos sich bezieht, und
dies in zwei Capitel so zusammengeordnet, dass er erst des Nepos Na-
men, Lebenszeit, Todesjahr, Geburtsort, geistige Vorzüge, Erzie-
hung und Bildung, Wohnort und Lebensweise bespricht, dann aber
über dessen Schriften (Chronica, Vitae illustrium virorum, Libri exem-
plorura, Briefsammlung und die Schrift quo distinguit literatum ab
erudito, und vornehmlich über die Vitae excellentium imperatorum) ver-
handelt. Man erfährt also aus dieser Zusammenstellung nur das Be-
kannte, und eigene und neue Ansichten hat Ref. in dem Buche nicht
weiter gefunden, ausser dass des Nepos Geburtsort wieder für unbe-
kannt angesehen , dass über die tres chartae der Chronica und über den
Inhalt des Buchs quo distinguit literatum nb erudito eine neue Hypo-
these aufgestellt, und dass die Verschiedenheit des Praefectus prneto-
rio Probus von dem Probus des bekannten Epigramms nachgewiesen
ist. Ucberhaupt hat sich der Verf. eigener Beliauptungcn so sehr ent-
halten , dass er selbst bei der Aufzählung verschiedener Meinungen
wiederholt sein eigenes Urtheil suspendirt, und unentschieden lässt,
welche Ansicht die vorzüglichere sei. Das Buch hat demnach kein an-
deres Verdienst, als dass es in Eins zusammengestellt enthält, was man
sonst aus mehrern Schriften zusammensuchen muss. Leider wird aber
dietofl Verdienst dadurch sehr geschmälert, dass die Zusammenstellung
weder eine bequeme und übersichtliche, noch eine vollständige und
ausreichende ist. Der Verf. hat nämlich die compilirten Meinungen
der anderen Gelehrten nicht zu einem zusammenhangenden Ganzen verar-
472 Schul- und Uni vcrsi täts n a ehr ic hten,
Leitet, sondern nur nach den oben angedeuteten Rubriken an einander
gereiht. Da er nun diese Meinungen meist mit den eignen Worten
ihrer Urheber und in unverkürzter Form wiedergiebt, so hat die
Sammlung nicht nur etwas Buntscheckiges und Unbchülfliches , son-
dern leidet auch an vielen Wiederholungen , so dass die Uebersicht
eher erschwert als erleichtert ist. Das Mangelhafte der Auswahl aber
zeigt sich zunächst darin, dass zu den mitgetheilten Behauptungen der
einzelnen Gelehrten nicht immer die vollständige Beweisführung hin-
zugefügt ist, und wird nächstdera besonders in dem Hauptabschnitte
über die Vitas excellentium imperatorum sehr empfindlich, weil zwar
die Gründe für die Aechtheit ziemlich sorgfältig angeführt, aber von
den Gründen der Gegner manches Wesentliche weggelassen und auch
übrigens auf die Schwächen der einzelnen Argumente selten aufmerk-
sam gemacht ist. Und weil der Verf. gerade in diesem letzten Theile
vorherrschend an Licbcrkühn sich angeschlossen hat , so sind beson-
ders die Untersuchungen über die historische Glaubwürdigkeit der Vi-
tae und über die Annahme, dass wir dieselben gegenwärtig nur in der
von Aemilius Probus geinachten Epitome übrig haben, höchst mangel-
haft ausgefallen, vgl. Freudenberg in d. Zcitschr. f. die Alterthumsw.
1839 Nr. 140. und Nissen ebendas. Nr. 156. Die zuletzt genannte Mei-
nung, dass diese von Nepos geschriebenen Vitae gegenwärtig nur in
einer von Aemilius Probus gemachten Epitome übrig seien , hatte seit
Caspar Barth mehrere Anhänger gefunden, die freilich nur immer bei-
läufig dafür sich ausgesprochen hatten , bis Hcinr. Meyer in der Zeit-
schrift f. d. Alterthumsw. 1835 Nr. 130. der Vermuthung dadurch eine
bestimmtere Form gab, dass er diesen Aemilius Probus aus den Zeiten
des Theodoeius in das zweite Jahrhundert n. Chr. versetzte und in die-
ser Zeit die Epitome entstanden sein Hess. Als besonderer Vertheidi-
ger dieser Meinung ist in der neusten Zeit Dr. A. F. Nissen in der Ab-
handlung De vitis, quae vulgo Cornelii Nepotis nomine feruntur , contra
Licberknehnium- Pohlmunnianum aliosque disputationis particula prior
[Rendsburg 1839. 10 S. 4.] aufgetreten, hat aber seine Erörterung, wie
schon der Titel zeigt, noch nicht vollständig abgeschlossen, und in
der ebenerwähnten Beurtheilung der Schrift von Lütkenhus in der Zeit-
schrift f. d. Altcrth. 1839 Nr. 15(>. nur Einiges zur vorhandenen ersten
Hälfte ergänzt, wovon besonders das für die allgemeine Untersuchung
wichtige Resultat zu beachten ist , dass Nissen (in beiden Aufsätzen)
zuerst den Epigramm-Schreiber Probus von dem als Epitomator ge-
nannten Aemil. Probus bestimmt scheidet, und in dem ersteren nur
einen Abschreiber erkennt, der für den Kaiser Theodosius eine neue
Abschrift der schon vorhandenen Epitome des Aemilius veranstaltete.
Dass aber auch nicht einmal das Letztere aus dem Epigramm folgt, ist
schon oben angedeutet worden. Da übrigens der Specialinhalt der
Nissenschen Schrift in unsern NJbb. XXVI, 333 ff. schon ausführlich be-
sprochen ist, so genügt es hier, darauf zurückzuweisen, und jetzt
gleich zu der Nachweisung des allgemeinen Endresultates fortzugehen,
das durch alle bisher genannten Erörterungen gewonnen zu sein scheint.
Beförderungen und E li r e n b c z e i g u n g c n. 473
Dies dürfte aber ohngefähr folgendes sein. Die vorhandenen Vitae
cxcellentium hnperatorani gehören jedenfalls zugleich mit den Vitis
Catonis et Attici einem und demselben Verfasser an , und können we-
der als GcsamintM'erk noch als Auszug in den Zeiten des Theodosius,
üiti wenigsten durch den E[iigramuischreiber Probns entstanden sein,
weil jener Annahme eben so der Sprachgebrauch widerstreitet, wie
für beide jeder positive Beweis fehlt. Vielmehr erlaubt die Sprache,
dass man die Abfassungszeit dieser Vitae in das goldene Zeitalter der
römischen Literatur versetzen darf, und ein tieferes Eingehen auf den
Styl und die speciellc Darstcllungsforni , in Verbindung gesetzt mit den
vorkommenden historischen Anspielungen, wird vielleicht «u der Ue-
herzeugung IM) th igen, dass sie nicht gut in einer anderen Zeit geschrie-
ben sein können, als in der Zeit zwischen dem Tode des Cicero und
deiu Regierungsantritte des August. Ob Aemiiitis Prolins oder Corne-
lius Nenos Verfasser der A itae sei , das lassen die vorhandenen positi-
ven Zeugnisse zur Zeit noch völlig unentschieden: allein da ein Schrift-
steller Aeuiilius Probus aus jener Zeit durchaus unbekannt ist, Corne-
lius Ncpos aber damals historische Schriften verfasst hat und diese
Vitae sich selbst als Theil seines Werkes de viris illustrihus denken
lassen, so liegt die Vermuthung , ihn als Verfasser anzunehmen , an
sich nahe, und erhält noch einige Bestätigung dadurch, dass dessen
Lebensverhältnisse und Verbindung mit Cicero am einfachsten erklären
würden , warum in den Vitis Spuren einer, wenn auch sehr behutsa-
men doch unverkennbaren Hinneigung zum Rcpublicanismus und eine
entfernte Annäherung an die Ciceronischc Redeform vorkommt, und
warum der historische Styl darin noch fast in seinen Uranfängen er-
seheint und von der durch Sallust geschaffenen Fortbildung noch gar
nichts hat. Ist aber Nepos Verfasser dieser Vitae, so lässt sich das
entschiedene Zeugniss der Handschriften für den seinen Zeit- und Le-
bensverhältnissen nach durchaus unbekannten Aeuiilius Probus kaum
anders deuten, als dass man ihm einen Einlluss auf diese Biographiccn
zugesteht, wodurch selbst der Name ihres Verfassers verdrängt wer-
den konnte. Von vielen Verniuthungcn , die man dafür aufstellen
kann, ist die zunächstliegende, dass er diese in Vergessenheit gekom-
menen Lebensbeschreibungen in einer unbestimmbaren Zeit zuerst wie-
der ans Licht zog, ja dass er sie wahrscheinlich auch abkürzte, weil
einzelne Andeutungen im Werke seihst verrathen, dass es eine grös-
sere Anzahl von Biographie« n enthalten hat. Ob übrigens diese Ab-
kürzung nur darin besteht, dass er blos einen Theil der Biographiccn
abgeschrieben und die anderen weggelassen hat, oder ob von ihm auch
einzelne Stücke aus den abgeschriebenen Vitis seihet herausgestrichen
worden sind, das ist zur Zeit noch nicht gnügend erörtert. Allerdings
scheinen einzelne Spuren, namentlich ein Zeugniss des 'Pluto ich in
Compar. Pclop. et Mar. 1., das mit der Vita llannih. cop. 5. e\tr. in
Widerspruch tritt, auf Abkürzung der letztgenannten Art hinzudeuten;
allein da jenes Plutarchischc Zeugniss auch auf ein anderes Geschichts-
werk des INcpoä sich beziehen könnte, und da weitere Spuren nur aus
474 Schul- und Univers itütsn ach richten,
den vorhandenen Vitis excell. imper. entnommen werden können , so
gilt es noch , genauer zu untersuchet) , oh sieh Lücken und Wider-
spräche auffinden lassen, die durch die Annahme absichtlicher Verkür-
zung am leichtesten erklärt werden können. Jedenfalls steht aber
schon jetzt fest, dass man den Probus höchstens als einen Epitomator
der Art denken darf, der zwar aus den einzelnen Biographieen viel-
leicht einzelne Sätze und Stücke weggelassen, wahrscheinlich aber die
Darstcllungsform und Sprache entweder gar nicht oder nur unbedeu-
tend verändert hat, ganz gewiss kein Epitomator im gewöhnlichen
Sinne des Wortes gewesen ist. Wird übrigens diese Frage über den
Antheil, den Probus an diesen Vitis hat , erst entschieden sein; dann
wird sich auch die Frage über den Zweck dieser Vitae sicherer bestim-
men und zugleich beantworten lassen, ob die in ihnen vorkommenden
historischen Irrthümer und Unwahrheiten allein dem Verfasser zur Last
fallen oder zum Theil auch durch den Epitomator verschuldet sind.
[J.J
WtfitTEMitEHG. Am 30. Dec. 1839 starb zu Stuttgart der Prof. am
ohern Gymnasium , Ernst Friedrich Hochstelter. Er war geboren den
25. Qetober 1785 au Tübingen, wo sein Vater Diaknnus war und gc-
noss den ersten Unterricht in der unter Rector Huttens Leitung blü-
henden anatnlischen Schule seiner Vaterstadt. Im Herbst 1798 er-
folgte seine Aufnahme in die Klosterschule zu üenkendorf, von wo er
im Jahre 1800 in die zu Maulbronn überging. Von da wurde er im
Herbste 184)2 in das evangelische Seminar zu Tübingen aufgenommen
und hier war es, dass er 5 Jahre lang mit unermüdetem Fleisse und
immer steigendem Interesse das ganze Feld der mathematischen und
physikalischen Wissenschaften, soweit es damals sich ausdehnte, unter
Bohnenhergers und Pfleidcrers Leitung dnrchiuass. 1807 wurde er
Mausichrer, 180!) Repetent am ev. Seminar zu Tübingen, 1811 machte
er eine Reise nach Paris durch das mittägl. Frankreich und die Schweiz.
Zurückgekehrt wurde er (üctober 1812) Garnisonsprediger zu Lud-
vvigsburg, zugleich mit dem Auftrage, den jüngeren Officieren des Ge-
ueralquartiermeisterstabs Vorlesungen über mathemat. und physikal.
Erdbeschreibung zu halten, welche, weiter ausgeführt, 1820 — 23
durch den Druck bekannt und mit Beifall aufgenommen wurden.
1818 — 23 war er Prof. der Mathematik an dem neuerrichteten land-
wirthschaftl. Institut zu Hohenheim , von 1823 an aber bis zu seinem
Tode wirkte er in Stuttgart als Prof. der Physik am oberen Gymna-
sium, seit 1838 zugleich als Lehrer der Physik an dem Katharinenin-
stitute (für Mädchen) daselbst. — Unterm 15. Januar 1840 wurde Pri-
vatdocent Dr. Heermann in Heidelberg zum ausserordentlichen Prof.
der innern Heilkunde und Mitglied der medicinischen Facultät in Tü-
bingen ernannt; unterm 13. Febr. der durch seine Schrift über die Ein-
segnung gemischter Ehen bekannt gewordene Professor der katholi-
schen Facultät daselbst , Dr. Marlin Joseph Mach , von 1830 — 1810
Rector der Universität, unter Vorbehalt seines Titels und Ranges auf
die rcichdotirtc Pfarrei Ziegelbach , Dekanats Waldsec , versetzt , und
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 475
unterm 19. Fclir. dem ausserordcntl. Prof. der staatswirthschaftl. Fac.
zu Tübingen Dr. Sckott von Schottcnslein die nachgesuchte Dienstent-
lassung zum Behuf der Annahme einer auswärtigen Stelle (des Wald-
meister-Amtes in Frankfurt a. M.) ertheilt. — Am 21. Februar 1840
starb zu Stuttgart Johann Daniel Georg von Memmingcr , geh. zu Tü-
bingen den lb". April 1713. Seine Eltern bestimmten ihn zu dem
geistlichen Stande, daher er die in Württemberg übliche Laufbahn
durch die niederen und das höhere Seminar durchlief. Im J. 1802
wurde er zum Präceutor an der lateinischen Schule zu Canstatt er-
nannt und beschäftigte sich als solcher viel mit statistischen und histo-
rischen Arbeiten und gab eine sehr schätzbare Beschreibung von Can-
statt heraus. In Folge dessen wurde er im J. 1820 als Halb bei dem
statistisch-topographischen Bureau zu Stuttgart angestellt. Im J. 1822
■wurde er Mitglied des neuerrichteten Vereins für Vaterlands- Kunde,
1828 Rath bei der gleichfalls neu errichteten Obcrzolladmitiistralion
und erhielt 1830 das Ritterkreuz des würtembergischen Kronordens und
den Titel eines Ober-Finanz-Raths. — Unterm 20. Februar wurde der
bisherige ausserordentliche Professor der juridischen Facultät zu Tü-
bingen Dr. Lang zum Ordinarius ernannt; unterm 2. März wurden die
Mitglieder des Vereins für Vaterlandskunde , Prof. Pauly und Rcctor
Uebelen in Stuttgart zur Theilnahme auch an den Arbeiten des stati-
stisch-topographischen Bureaus berufen und unterm 11. März der Prof.
der staatswirthschaftl. Facultät, liobert von Mold zum Rector der Uni-
versiiät Tübingen für das Studienjahr 1840 — 41 ernannt. — Durch
ein königl. Decret vom 8. April 1840 wurde Staatsrath von liiclmcyer in
seiner bisherigen Eigenschaft als Director der kön. öffentlichen Bibliothek
in Stuttgart und der damit verbundenen wissenschaftlichen Sammlun-
gen des Staates wegen seines vorgerückten Alters in den Pensionsstand
versetzt und demselben zugleich in Anerkennung seiner ausgezeichneten
Verdienste um die Wissenschaft der Friedrichsorden verliehen, und
die hiedurch in Erledigung gekommene Vorstandschaft bei den gedachten
Sammlungen des Staates dem Ober-Regierungsrath von liöstlin in der
Eigenschaft eines vviederruflichen Nebenamtes übertragen und dafür
dein Letzteren unterm 15. April die nachgesuchte Enthebung von der
Stelle eines Mitgliedes der kön. Aufsichtsconimission über die Irren-
heilanstalt Winnenthal gewährt. — Der Tübinger Universilätskata-
log für das Sommersemester 1840 zählt 1!) Univereitäts-Institute und 55
Lehrer auf, welche letztere sich in die einzelnen Facnltäten folgender
Maasscn vertheilen: 1) Evangelisch- theologische Facultät 7, nämlich
4 ordentliche Professoren (/lern, v. liaur, Schmid , Kl wert) , 2 Re-
petenten (Oehlcr und Zeller) und 1 Hülfslehrcr; 2) kafholisch-thcol. F.
5, nämlich 2 ordinarii (v. ürey , Kuhn), 2 extraord. ( Hrfelc und
Weite) und 1 Privatdocent (Graf); 3) juristische : 8, worunter 6 or-
dertlichc (Schröder, Michaelis, Ilcpp, Jicyschcr , Mayer, Lang) und 2
Privatdoccnten (Kustlin und Hruns); 4) medicinische : 15, nämlich 8
ordentliche (Fcrd. v. G'n/cZ/n, Chr. Gmelin , von liapp , von lliecke , Au-
tenrieth, Hugo Mold, Sigwart , liaur), 2 ausserordentliche (^f leermann
476 Schul- und Universitätsnach richten,
und Mcrlclin) , 4 Privatdocenten (Franclc , F. G. Maier, IL Meyer,
Wunderlich) und 1 Hülfslehrer ; 5) philosophische Fac. 15, worunter
7 ordinarii (Jäger, II. C. W. v. Sigwart , Tafel, Hang, Nörrenberg,
Ewald, Walz), 5 extra ordinarii (Hohl, Fischer, Fischer, Pesehier,
Qucnstedt) , 2 Privatdocenten (Off erdinger und Keller) und ein Hälfe-»
lehrer; (>) stantswirthschafttichc F. mit 5 Professoren , nämlich 2 or-
dentlichen (v. Poppe, v. Mold) und drei ausserordentlichen (Schütz,
Fallali , HoffmamtX. Iliczu kommen noch : 1 Stallmeister, 1 Musik-
director, 2 Zeichnungslehrcr, 1 Fechtmeister , endlich 1 Tanzmoistcr
Jene 55 Doccnten haben zusammen 118 Yorlcsniigen angekündigt, wo-
von auf die evangelisch-theol. Facultät 11 kommen, auf die katholisch
theologische 12, die juristische l(i, die medicinische 31, die philo-
sophische 30, die staatswirthschaftliche ö. Neu sind in dem Ver-
zeichnisse die Docenten : Elwert, Bruns , Heermann , II. Meyer, ff'un-
dcrlich. Dr. Elwert wird wegen Kränklichkeit, Dr. lischer weil er
sich noch auf der Heise befindet, seine Vorlesungen erst später anfan-
gen; Rep. Ochlcr wird, weil ihm ein anderer Wirkungskreis zu Theil
geworden, Dr. Küsllin, weil seine Gesundheit schwankend ist, die au-
gekündigten Vorlesungen nicht halten. Von eigentlich philologischen
Vorlesungen sind angekündigt: von Prof. Tafel Encyklopädie der grie-
chischen Dichter, Geschichtschreiber und liedner in 5 Stunden, klei-
nere Schriften des Tacitua in 4, Agamemnon des Aeschylos und grie-
chische Styl Übungen im philologischen Seminar; Prof. Walz; Phi-
Soktct des Sophocles und Poetik des Aristoteles in 4, die Satyren des
Persius in 2 Stunden, lleautontimorumenos des Terenz und lateinische
Styliibungen im philologischen Seminare. Wilhelmstiftsdirector Schott
setzt seine Vorlesungen über die Grundsätze der Erziehung und des
Unterrichts in 3 Stunden fort und verbindet damit die Erklärung der in
Würtemberg bestehenden Gesetze und Verordnungen über das Volks -
Schul-Wesen. — Die in Canstatt bei der letzten Grabung eines Kellers
in einer Fläche von 8 iluthen aufgedeckte und ohne besondere Sorg-
falt ausgegrabene römische Schicht (welche um 5 Fuss unter der ge-
genwärtigen Oberfläche liegt) gab folgende Ausbeute: (i silberne Mün-
zen (4 Julia, 1 Maximinus, 1 Severus), 2 kupferne (1 Severus, die
andere war unleserlich), 1 sehr schön gearbeiteter Löffel von Bronce,
ein broncener Fingerring mit einem blauen Stein, in dem eine Vesta
eingegraben ist, 1 grosse pfriemenförmige Nadel, broncene Zierra-
then verschiedener Art, Stücke von Kupfer und Blei, Nägel, eine
eiserne Haue, Knochen von Pferden, Ochsen und Schweinen , Ge-
schirrscherben von terra sigillata, römische Ziegel, grosse zugespitzte
Sandsteine, Reste von künstlichen Wägen u. s. w. Die jüngste über-
haupt in Canstatt gefundene Münze ist vom Jahre 248, von M. J. Phi-
lippus. Der dortige Boden hätte sich also in 1500 Jahren um 5 Fuss
erhoben. — Von der „Süddeutschen Schulzcitung für Gelehrten- und
Realschulen" herausgegeben von Frisch, Keim, Pf äff, Schall und
Schmid (s. NJbb. XXVII, 2, S. 236 ff.) ist neulich das zweite Heft -er-
schienen (Stuttgart, F. H. Kühler 1830. 8. 98 S.). In der „ Vorcrin-
Bef övdcr ungcn und Ehrenbezeigungen. 477
ncrung" (S. 12.) verlhcidigt sich die Redaclion gegen die von M. Jahn
in den NJbb. X\1V, 4. S. 442. an dein „Cnrresuondenzblattc für Lehrer
an den Gelehrten- und Realschulen Württembergs " (als dessen Fort-
setzung diese Süddeutsche Schulzeitung betrachtet sein Avil!) gemachten
Ausstellungen und hebt in dieser Beziehung namentlich hervor, dass
der Mangel an Einheit des Principe und der Tendenz weder der Re-
daction, noch der Zeitschrift zum Vorwurf gereichen Könne , indem
diese ein Sprechsaal für die humanistische wie für die realistische An-
sicht und für die verschiedenen Richtungen innerhalb dieser selbst zu
6ein bestimmt sei. Darauf folgt (S. 3 — 18) ein wohlgemeinter Auf-
satz in 31 §<§ , mit der leberschrift : sin Jugendfreunde für die Jugend.
Der Verfasser hat sich nicht genannt, ist alter t worauf innere und
äussere Gründe führen , ohne Zweifel identisch mit dem Verfasser des
Aufsatzes im zweiten Hefte der deutschen Vierteljahrschrift , Jahrg.
1840, S. 122 — 203 (80 §§) welcher die Ueberschrift hat: Für unsere
Vorprüfung und Vorbereitung zu den höhern Uniccrsitätsstudien, oder:
Wie möchte unsere deutsche Jugend, um zu diesen Studien zugelassen zu
werden , vorgeprüft und wie dazu , auch unter Einwirkung der Regie-
rung vorbereitet werden? und die Unterschrift C. Z(ellcr?). In der
vorliegenden Abhandlung wird (§ 29) als Resultat der Wunsch ausge-
sprochen, „dass die Regierungsbehörden 1) bei den öffentlichen Prü-
fungen nicht mehr blos das Wissen der Knaben und Jünglinge, son-
dern auch die Art, mit welcher denselben dieses Wissen beigebracht
wurde und den sonstigen gei.stigen Gehalt der Examinanden , 2) bei
den Visitationen der Schulen nicht blos die Schüler als die Producte,
sondern auch die Lehrer als die Producenten und den ganzen Geist der
Schule möglichst erforschen lassen, nach den Gesichtspunkten Nr. 1,
3) auf da* Lehren, das Kräfte (und zwar alle, in rechter Stufenfolgo
und Harmonie) entwickelt und stärkt, wie auf diejenige Disciplin und
ganze Behandlung, welche der Jugend nicht nur angemessenes und
gründliches Wissen und Können, sondern auch sittliche Güte und Kraft
und dazu eine acht religiöse Gesinnung und Richtung (diese jedoch
auf eine Art, die der jugendlichen Natur nicht widerstrebt , dieselbe
nicht zu sehr beengt, nicht mit Parteigeist erfüllt, nicht zur Heuche-
lei verleitet) zu gehen geeignet ist, den verdienten Werlh legen, 4)
dieses (Nr. 1 — 3), sei es Schritt für Schritt, oder in Einem Act voll-
ständig — aber mit Milde und Vertrauen — (nicht befehlen, sondern)
erklären , diese Erklärung jedoch durchgreifend und kräftig (dass man
bald sieht, es sei Ernst, das Erklärte gelte nicht blos auf dem Papier)
bethätigen." Ich habe diese Stelle ganz ausgehoben, weil sie nach
Form und Inhalt für den ganzen Aufsatz so bezeichnend ist, dass ich
mich einer weitern Charakteristik desselben enthalten kann. Darauf
folgt (S. 19 — 20) ein rellcclirender Bericht über die zircitc Versamm-
lung deutscher Philologen und Schulmänner von Schmid und Schall; S.
29 — 31 ein anonymes Culuchtcn eines Lehrers für einen Vater, der
durch die von Thicrsch in Mannheim gehaltene Rede an dem Jl'erth der
Realschulen irre geworden war} ein Votum in der Streitsache zwischen
den lateinischen und den Realschulen, Der Inhalt dieses Gutachtens lässt
478 Schul- und Universitätsnachrichten,
sich so zusammenfassen: Eine Vereinigung der humanistischen und der
realistischen Richtung ist unzweckmässig , weil hei einer solchen Coa-
lition keine von heiden gedeihen würde; um den rechten Nutzen von
den classischen Studien zu haben , muss man sie bis ins Jünglingsalter
hinein betreiben , was aber — ganz ausgezeichnete Köpfe ausgenom-
men — ein Zurückbleiben in den Kealkenntnisscn oder gar Abneigung
vor industriellen Fächern zur Folge hat, und unigekehrt ist es daher
purer Zeitverlust, wenn man neben realistischen Studien auch noch
Latein lernt; denn classische Bildung bekommt man durch das Bischen
Latein, das da getrieben werden kann, überall nicht. Man muss da-
her darauf verzichten, zwei Mücken auf Einen Schlag bekommen zu
wollen; entweder muss man in die Realschule gehen und auf classische
Bildung Verzicht thun , orfer man muss die Gelehrtenschule besuchen
und mit seiner ganzen Kraft sich auf classische Studien werfen. Ter-
tium non datur. Im Grunde sagt dieser die Sache auf die Spitze stel-
lende Aufsatz nichts Neues. Es ist eine allbekannte sich ganz von
eelbst verstehende Wahrheit , dass man es in jeder Wissenschaft nur
dann zur Virtuosität bringt, wenn man ihr all seine Zeit und Kraft
widmet. So ist's überall. — Denselben Gegenstand nur specieller ge-
fasst, behandelt der Aufsatz von C. Neuffer: die niedern Realschulen
und ihr J'crhältniss zu den lateinischen oder gelehrten Schulen (S. 31 — -
43). Hr. X. fasst am Schlüsse selbst den Inhalt seiner Abhandlung in
der Art zusammen, dass er erklärt, was er wünsche, sei diess , „dass
der Realismus, nachdem er sich als ebenbürtig und gleichberechtigt
dem Humanismus an die Seite gestellt, sich der in solchem Umfange
angesprochenen und erworbenen Rechte dadurch theilhaft, aber auch
würdig erhalte, dass er in solcher Verbindung, in der Berührung und
der Verwandtschaft der Principien und Elemente bleibe, die allein sein
selbstständiges und eigentümliches Gebiet befruchten können. So
wird er die Besorgnisse der Einen beseitigen , die Hoffnungen der An-
dern erfüllen, und dazu beitragen, dass der ihn in sich aufnehmende
Humanismus mehr und mehr wieder in der Würde und der Bedeutung
anerkannt wird , in welcher dieses Wort, nicht mehr als blosse Zeit-
oder sogar Partei- Bezeichnung, sondern in ewig gültigen Ausdrucke
die edelsten und segensreichsten Bestrebungen des menschlichen Geistes
begreift, sofern diese dem Gebiete der Schule und des Unterrichtes
angehören." Näher werden die Fragen beantwortet: für wen sind die
niedern Realschulen bestimmt? (Vorzugsweise für den Bürger- und
Gewerbe -Stand. Doch sollen auch die höhern Industriellen von ihnen
nicht ausgeschlossen werden.) Was haben sie ihren Zöglingen zu
leisten? („Eine auf wissenschaftlichen Elementen und humanistischen
Grundsätzen ruhende, die nur hierdurch erreichbare praktische Tüch-
tigung und sittliche Kräftigung erzielende, in Unterricht und Erzie-
hung, so viel diese der Schule angehört, gleichmassig sich bethätigende
Berufs- und Lebens - Bildung. ") Welches soll ihr Lehrstoff sein?
(Latein ist überflüssig, dafür französische und deutsche Sprache; dem
Sprachunterricht im Ganzen soll ein Drittheil der gesammten Unter-
richtszeit zugewiesen werden; dann noch Zeichnen und Mathematik.)
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 479
Welches ihr Zusammenhang mit den ohern Realschulen ? (Sic sind nicht
hlos zur Vor- und Zu - Bildung für die ohern da, ßondern sie haben
ihre Bedeutung für sich und können daher nuch ohne obere existiren.)
Welches ihre Verbindung mit den lateinischen Schulen? („das Wesen
und der Werth einer solchen Verbindung setzen wir darein, dass die
■ledern Realsch. in von der untersten bis zur obersten Classe parallel
mit den lateinischen laufenden, mit eigenen Lehrern besetzten Abtei-
lungen errichtet, unter einen mit der lateieischen Schule gemeinsamen
Vorstand gestellt, der Lehrplan auf den Grund collegialischer Bera-
thung hin, und, \ro eine ohere Realschule besteht, unter Comniuni-
ention mit dem Hauptlelircr derselhen von jenem gemeinsamen Vor-
staude entworfen und überwacht, die Anwendung gleicher disciplina-
rischcr, pädagogischer und didaktischer Normen und Grundsätze be-
werkstelligt und z. B. jene gegenseitige Durchdringung, Förderung
und Befestigung der bei aller äussern und iunern Selbstständigkeit
doch enger verbundenen humanistischen und realistischen Zwecke er-
zielt Meide, von der vir allein auf diesem Gebiete und in diesen
Kreisen nachhaltige und reichhaltige Ergebnisse uns versprechen kön-
nen.") — Hierauf folgt (S. -18 — 52) die „Probe einer Ueberseizung
des Curtius IV, 2 — 4. " von Mezger und S. 53 — 58 eine lateinische
Ueberseizung der Stelle aus Kohlrauseh's deutscher Geschichte für Schu-
len, S. 66 ff. ed. 10., von Prof. Schall. Die Uebcrsetzung dürfte als
gelungen zu bezeichnen seih; nur ist zu tadeln, dass zu oft, um eine
Reminiscenz aus einem lateinischen Schriftsteller anzubringen, von
dem einfachen, zunächstliegenden Ausdrucke abgegangen wird. Auch
lassen sich kleine stilistische Ausstellungen machen, wie z. B. dass es
S. 55 heisst: Marius a latere prosecutus , ne imprudentem adoriri se pos-
sent , — ad Aqua» Scxtias consedit (statt ipsum oder blos imprudentem),
— S. 5!) — 65 eine Fortsetzung von Scheiffele's Beiträgen zu Krebs
Antibarbarus , welche sich über die Buchstaben b und c verbreitet.
Doch kann Ref. bei weitem nicht mit Allem sich einverstanden erklä-
ren, z. B. wenn es S. 65 wörtlich so heisst: „cvltura, sagt Krebs, kann
für Bildung gar nicht gebraucht werden." Wie nun aber, wenn Cic.
(Tusc. II. 5, 15.) sagt: „cullura animi philosophia est?" Es hätte
sollen gesagt sein, ohne bestimmenden Beisatz sei cullura (: — Bildung)
nur dichterisch. Vgl. Hör. Epist. I, 1, 40. Curt. (VII, 8, 11.) sagt:
eultiora ingenia sortiti. Es ist klar, dass Hr. S. hier heim Acusser-
lichcn stehen geblieben ist, ohne auf den innerlichen Grund zurück-
zugehen*). Dass ein bestimmender Beisatz hei cultura nöthig ist, hat
einfach darin seinen Grund, dass dieses Wort nur in activem Sinne
(= da* Bilden), nicht aber in dem Sinne von Gebildetsein, wie wir
das Wort Cultur brauchen, gebraucht werden kann. Doch auch des
*) Dieselbe Be^andtniss hat es auch mit Scheiffele's Bemerkung über
contenderc. S. 64 heisst es nämlich: „Auch dass contendere nicht absolut
gebraucht werden dürfe in der Bedeutung: wie Cajus behauptet, war zu
bemerken. Also nicht: ut Cujus conlcndit : denn Cel.sus (der es in seiner
praef. so gebraucht) darf nicht dafür angeführt werden. " Allerdings ist
es unlateinisch zu sagen: ut Cajus conlcndit. Der Grund davon liegt aber
480 Schul- u. Univcrsitütsnachrr., Befördcrr. u. Ehrenbezeigungen.
Beachtenswerten findet sich Vieles in diesem Aufsätze. Dasselbe gilt
von den „etymologischen Bemerkungen zu Kareliers Schulwörterbuch1''
(S. 66 — 69), von ,,Pr. Seh. in W. , " die aber aucli vieles Bekannte
enthalten. — S. 69 — 71: ,, Bemerkungen zu dem Aufsulze : über das
Fehlerhafte unserer Aussprache des Lateinischen (Südd. Schulz. 1839, H. 1.
S. 36 — 31 — 53.) von S. Hier wird an dem Beispiel der Aussprache
des u als slawisches y gezeigt, dass eine bessere Aussprache des Latei-
nischen thells in thesi noch nicht so fest ausgemacht sei, dass sie als-
bald im Praktischen eingeführt werden könnte, thcils in praxi auf
grosse, hier namentlich physische Schwierigkeiten stosse. — S.
71 — 75. von Schmitt in Esslingen : Noten zu den Noten in der griechi-
schen Chrestomathie von Bäumlein und Pauly , die meist richtig und
brauchbar sind, aber noch Vieles zu sagen übrig lassen. Hierauf fol-
gen (S. 76 — 94.) kurze Recensionen und zwar zuerst (S. 76 — 89)
über die achte Aufl. von Zumpts lai. Gramm, (von J. C. Keim) , worin
besonders die §§ 376. f. 379. 395. f. 448. 467. 489. 500. 504. 569. 510.
579. 647. in der Art besprochen werden , dass bald zu weiterer Bestäti-
gung von Zumpts Behauptung neue Belege aufgeführt, bald aber auch
Uuvullstündtgkciten , Widersprüche und Ungenauigkeiten dieser Gram-
matik hervorgehoben werden. S. 80 — 87 von Schall eine Anzeige
über: Scyfferts Ausg. von Caes. comm. de b. galiico (1836), Fabri's
Edition von Livius XXI. XXII. (1837), Nägelsbaeh's Uebungen des lat.
Styls (1837), Handys prakt. Handbuch für Uebungen im lat. Styl (1838),
welche, der Tendenz dieser Schulzeitung gemäss, mehr Erfahrungen
des Uec. über diese Bücher, als eine eigentlich wissenschaftliche und
vollständige Beurtheilung giebt. S. 88 — 90 Svhmids Anzeige von
Niebuhr 's Brief an einen jungen Philologen u.8. w. herausgg. von Jakob
1839. S. 90 — 92 zeigt Knoll llrahlerCs Anleitung zum Sprechen des
Französischen (1837) an, S. 92 — 94 macht ein Anonymus auf Nüde-
liiis „methodische Anleitung zum Schön- u. Schnell-Schreibcn , nach
Carstairs'schen Grundsätzen für Elementarschulen wie für lateinische u.
Realanstalten ". (1839) aufmerksam. Den Beschluss machen Miscellen
(S. 95 — 98), Lesefrüchte enthaltend, denen ein Vorschlag von Schall
vorausgeht, Schulgebete in der südd. Schulz, niitzutheilen, da auch die
besten Schulgebete, wenn sie mehrere Jahre lang bei den nämlichen
Schülern gebraucht werden, von ihrer Wirksamkeit verlieren. Ueber-
haupt verdient das Bestreben der Red actio n., der Schulzeitung allmä-
lig einen mannichfaltigeren , auf das ganze Schulwesen nach seiner
speciellsten Seiten sich erstreckenden Inhalt zu geben und der Be-
sprechung immer mehr neue Bette zu graben, alle Anerkennung.
[ml.]
nicht in dem Worte contendo , sondern vielmehr in ut. Denn ebenso un-
classisch wäre ein Satz wie dieser: Cujus, ut supra dixi , e earecre eru-
pit , ansatt quod dixi, oder nach Umständen, ca, qua dixi, ratione. Dess-
wegen wird es aber doch Niemand einfallen, zu sagen, dico dürfe nicht
absolut gebraucht werden.
Inhalt
von des achtund zw einzigsten Bandes viertem Hefte»
Matonis opera, recognoverunt Baiterus, Orellius, Winckelmannus. —
Vom Rector Prof. Slallbaum in Leipzig S. 355 — 375
hiander: Lehrbuch zum christlichen Religionsunterricht. — Vom
Professor Hauff in Schönthal. . _ . . . . . - 376— 401
'ierzoer : Stoff zu stylistischen Uebungen in der V« ^
t\t .. u I Vom Gymna-
IMuttcrsnrache. . . . . . J . , ,. J.
» ii rl.i t * *' i„. j- f siakurector u.
iuehberger: J hemata disposita juventuti laudis r TT . . ...
oratoriae appetenti > D <• 401 — 406
a- j. ii nfi, ,-, [ Professor '
iiersche: Ideen zu otylubungen. . . . | ^
~> ,, ,, j i ^ . te n , . i, . 1 Kannegiesser
iormann: Äletnod. Anweisung zum Unterricht in 1 . n ?,
i j . i ct i-i I in Breslau. .
d. deutschen otylubungen. . , . /
bissen: Kleine latein. u. deutsche Schriften. ■ — Vom Subconrector
Ameis in Mühlhausen - 407 — 428
Vüntzer: Kritik und Erklärung der Oden des Horaz. — Von dems. - 412 — 421
ieil : Specimen Onomatologi Graeci. — Vom Professor Klotz in
Leipzig - 428 — 438
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und Ehrenbe-
zeigungen - 438 — 480
Schnitze: Bedeutung und Aufeinanderfolge der latein.
Tempora - 439 — 440
Hcffter: De Zenodoto eiusque studiis Homericis. . . - 440 — 443
Malkowsky : De Jove , qualis sit apud Homerum. . . - 444
Hantschke: Schule und Zeitgeist. . . . . - 444
Freudenberg: Quaestiones^historicae in Corn. Nepotis
vitas. . . . - 445 — 446
Rlnck: Saggio di uu Essame critico per restituire al i
Eni. Probo il libro de vitis excell. imperatorum. . > - 448 — 449
Hermann: Versuch einer kritischen Prüfung etc. . )
Kohen: Considerazioni sul Saggio di un Essame critico etc. - 449
Held: Prolegomena ad vitam Attici etc. . . . - 450 — 451
Jianke: Coiumentatio de Corn. Nepotis vita et scriptis. - 451 — 453
Hähne : Disputatio de vitis excell. imperatorum etc. i .,0 ...
Dähne: Ueber Corn. Nepos , dessen Schriften etc. )
Jliscly: Disquisitfö crit. de fontibus et auetoritate
Corn. Nepotis. .......
ff 'ichers: Dfequisitie critica de fontibus et auetoritate f *-* .rr
_ Corn. Nepotis. >
JViggert: De Corn. Nepotis Alcibiade quaestiones
crit. et histor. .......
Walicki: De Corn. Nepote dissertatio. . . . - 457 — 459
Liebirkühn - Pohlmann : De auetore vitarum , quae sub
nomine Corn. Nepotis feruntur - 460 — 471
Lütkenhus : De Corn. Nepotis vita et scriptis commentatio. - 471 — 472
Nissen : De vitis , quae vulgo Corn. Nepotis nomine
feruntur ' -472 — 474
Süddeutsche Schulzeitung für Gelehrten- u. Realschulen - 476 — 480
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N65
Bd. 28
Neue Jahrbücher für Philologie
und Paedagogik
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